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B 3 157

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Libris BEATRIX FARRAND

REEF POINT GARDENS LIBRARY

The Gift of Beatrix Farrand

to the General Library University of California, Berkeley

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KDLTURPFLANZEN UND HAUSTHIERE

IN IHREM

UBERGANG AUS ASIEN

NACH GRIECHENLAND UND ITALIEN SOWIE IN DAS tJBRIGE EUROPA

HISTORISCH-LINGUISTISCHE SKIZZEN VON

VICTOR HEHN

SIEBENTE AUFLAGE

NEU HERAUSGEGEBEN

VON

0. SCHRADER

MIT BOTANISCHEN BEITRAGEN

VON

A. E N G L E R

BERLIN

VERLAG VON GEBRUDER BORNTRAEGER

SW DESSAUERSTR. 29 1902

LANDSCAPE ARCHITECTURE

A lie Rechte, insbesondere das der Uebersetzung in fremde Spracheu, vorbehalten.

Ncu-lluppin,"Buchdriickerei von E. Buchbinder (H. Duskc).

Farrand Gift

Lan- '*

Vorrede zur YL Auflage*).

Die Anfange des Werkes, welches hier zum ersten Mai seit dem Tode V. Hehn's (am 21. Marz 1890) neu herausgegeben wird, gehen in eine fiir den Verfasser desselben triibe, aber lehrreiche Zeit seines Lebens, in die Jahre seines unfreiwilligen Aufenthaltes in der russi- schen Gouvernementalstadt Tula, zur tick. Indem ich mich hinsicht- lich der Ereignisse, welche zu Hehn's Internirung in dem Inneren Russlands fiihrten, sowie der naheren Umstande seines Lebensganges iiberhaupt auf meine Schrift: Viktor Hehn, Ein Bild seines Lebens und seiner Werke (Berlin 1891) beziehen kann, habe ich hier nur diejenigen Punkte hervorzuheben, welche geeignet erscheinen, die Entwicklung seiner historisch-linguistischen Studien zu veranschau- lichen.

Von tiefem Verstandniss und gliihender Begeisterung fiir das klassische Alterthum durchdrungen und von dem selbstgeschauten Bild des Siidens, das er erst vor kurzem in einer seiner Erstlings- schriften, Ueber die Physiognomie der italienischen Landschaft, fest- zuhalten versucht hatte, in Kopf und Busen erfullt, war V. Hehn unvermuthet (1851) in einen zuriickgebliebenen Theil der indo- germanischen Volkergruppe, in die Welt der Slaven, versetzt worden. Aber so schmerzlich und niederdriickend dieser plotzliche Wechsel aller Lebensverhaltnisse dem jungen Gelehrten sein musste, so er- schienen doch die Menschen, die er hier schaute, und deren Sprache er lernte, sowie die Verhaltnisse des Landes, die er auf haufigen Ausfliigen in das Innere studirte, seinem fiir die Erfassung von Volkerindividualitaten durch Beanlagung und Uebung besondes ge- scharften Auge bald in einem eigenthiimlich interessanten Lichte.

*) Bei diesem im wesentlichen uiiveranderten Abdruck der Vorrede zur VI. Auflage (1894) sind einige jetzt entbehrliche Ausfiihrungen gestrichen oder gekiirzt, einige Zusatze in eckigen Klammern beigefiigt worden.

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jy Vorrede.

Er erkannte, dass hier »fiir den Kulturhistoriker eine reiche, bisher noch so gut wie unberiihrte Fundgrube von Alterthiimern« verborgen sei, oder, wie er es an einer anderen Stelle ausdriickt: »Die Slaven sind sehr alt, uralt und haben das Aelteste conservativ bewahrt und geben es nicht auf. An ihrer Sprache, ihrer Familienverfassung, ihrer Religion, ihren Sitten, ihrem Aberglauben, ihrem Erbrecht u. s. w. lasst sich das fruhste Alterthum studiren.« Aus den hier gleichsam crstarrten Anfangen indogermanischen Volkeiiebens, dessen geschicht- liche Einheit ihm in Folge des unter Franz Bopp selbst begonnenen Studiums der vergleichenden Sprachforschung zu einer lebendigen Vorstellung geworden war, wie war aus ihnen die Civilisation Athens und Roms und des unter dem Banne des letzteren stehenden mittel- alterlichen Europa erwachsen? Diese Frage war es, die den einsamen, aller literarischen Hilfsmittel Beraubten wahrend der Tula'er Jahre zu beschaftigen anfing, diese Frage, deren Beantwortung er unter - nahm, als er (im Jahre 1855) begnadigt und zu einem der Ober- bibliothekare an der Kaiserlichen offentlichen Bibliothek zu Peters- burg ernannt, sich plotzlich an einen Quell wissenschaftlicher Arbeit versetzt sah. Es kann nicht bezweifelt werden, dass V. Hehn das gestellte Problem in seiner ganzen Ausdehnung zu behandeln vor- hatte. Ein Hehn's Nachlass entnommener Stoss von Papieren lin- guistisch-historischen Inhalts, dessen Durchsicht mir die Cotta'sche Buchhandlung in Stuttgart freundlichst gestattet hat, zeigt, dass Hehn in der That, um es kurz zu sagen, eine Kulturgeschichte Europas auf sprachwissenschaftlicher Grundlage zu schreiben beabsichtigte. Den Standpunkt, von dem aus er eine solche Aufgabe gelost haben wiirde, hat ef in den Kulturpflanzen und Hausthieren selbst bezeich- net, indem er sagt: »Auch die letztere (die Kulturgeschichte im Ganzen) ist nur eine Geschichte des Verkehrs, und wie der ein- zelne Mensch nur in der Gesellschaft seine Bestimmung, d. h. die hochste Entwicklung seiner Anlagen erreicht, so sind auch die Volker in demselben Masse, wie sie zur Bildung sich erheben, nur Schiiler und Erben anderer umwohnender, iiberlegener Volker. « Aber aus der Fulle dieses Stoffes loste. sich immer deutlicher ein einzelner, wenn auch an sich wieder ausserordentlich weit reichender Gesichts- punkt ab: Was verdankte die Civilisation Europas der Kultur gewisser Pflanzen und der Zahmung gewisser Thiere? Dieses besondere Thema lag dem Verfasser nahe genug. Hatte er der Flora und Fauna des Siidens sich schon in der genannten Schrift, Ueber die Physiognomic der italienischen Landschaft, und in seinem aus dieser erwachsenen

Vorrede. \r

Buch uber Italien (zuerst 1864) besonders liebevoll zugewendet und die Eigenart derselben, so wie sie sich jetzt dem Beschauer dar- bietet, mit Meisterhand entworfen, so sollte nunmehr dieser Gegen- stand in geschichtliche Beleuchtung gestellt und erortert werden, welchen Antheil an dieser gegenwartigen Flora und Fauna die kultur- fordernde Thatigkeit des Menschen gehabt habe. Das Ergebniss, zu welchem er hierbei gelangte, lasst sich in zwei Satzen zusammen- fassen: erstens, die Kultur der wichtigsten Charakterpflanzen des Sudens, sowie die Domestication zahlreicher Hausthiere hat im Orient begonnen und ist aus diesem nach Griechenland und Italien, sowie in das ubrige Europa iibertragen worden, und zweitens, auch jene Pflanzen und Thiere selbst sind an der Hand des Menschen und zwar erst in historischer Zeit die gleichen Wege gewandert. » Was ist Europa, als der fur sich unfruchtbare Stamm, dem alles vom Orient her eingepfropft und erst dadurch veredelt werden musste?« Diese Worte Schilling's, neben Hegel, des Lieblings- philosophen V. Hehn's, bildeten das Motto des Buches. Als Folie diente dem geschilderten Kulturprocess die Darstellung der Zustande, in denen die Griechen und Italiker vor oder bei ihrer Einwanderung in die Balkan- und Apenninhalbinsel lebten.

Im Mai 1869 war das Werk, an dem Hehn nach seinen Brief en an den Freund Berkholz bereits 1863 seit langerer Zeit gearbeitet hatte, fertig und erschien im Jahre 1870 im gegenwartigen Verlag zum ersten Mai. Schon 1874 wurde eine zweite Auflage nothig, die durch ein neues Kapitel liber das Pferd und durch ein spater Avieder weggelassenes [im Anhang abgedrucktes] Vorwort vermehrt war, in welchem Hehn seine Stellung gegen zwei Recensenten der ersten Auflage, A. Grisebach (Gottinger Gel. Anz. 1872, 2 p. 1766 ff.) und 0. Heer in Zurich (Neujahrsblatt, herausg. v. d. naturf. Gesell- schaft auf das Jahr 1872) vertheidigte, und in der inzwischen viel erorterten Frage nach der Urheimat der Indogermanen sich als einen entschiedenen Verfechter der Hypothese ihres centralasiatischen Ursprungs bekannte. Bis hierher lasst sich eine lebhafte Theilnahme Hehn's an dem von ihm behandelten Stoff und an linguistisch- historischer Forschung uberhaupt verfolgen. Dieselbe beginnt zu erkalten, als Hehn, irn Jahre 1873 zur Ruhe gestellt, seinen Wohn- sitz von Petersburg nach Berlin verlegte. Schon am 26. Februar 1873 hatte er an Berkholz iiber seine Plane in Berlin geschrieben: »Schrift- stellern will ich gleichfalls weiter, aber nicht mehr gelehrt, wozu mir die bequemen Mittel fehlen werden, sondern angenehm. Ich traue

VI Vorrede.

mir dazu einiges Talent zu, an Aufforderungen fehlt es mir schon jetzt nicht.« Und in der That, die unvermeidlichen Unistandlich- keiten in der Benutzung der Kgl. Bibliothek zu Berlin, neue Stromungen in verschiedenen, den Gegenstand seines Buches be- riihrenden Zweigen der Wissenschaft, und die Schwierigkeit fur den alternden Gelehrten, sich in dieselben hineinzuarbeiten, vor allem aber der Umstand, dass eine neue Aufgabe, sein Buch liber Goethe, ihn mehr und mehr in Anspruch nahm, alles dies liess ihn neue Auflagen seines Werkes, von denen eine dritte 1877, eine vierte 1883, eine funfte 1887 erschien, mehr als eine Last, denn als eine will- kommene Gelegenheit empfinden, seine Ansichten zu vertiefen, auszu- bauen oder gegen Angriffe, an denen es nicht fehlte, zu vertheidigen.

Es ergiebt sich also, dass wir einer seit zwei vollen Jahrzehnten in allem Wesentlichen abgeschlossenen Untersuchung gegeniiberstehen, und die Hauptfrage, welche der Herausgeber einer solchen sich vor- zulegen hat, ist daher diejenige, wie sich die gegen war tige Forschung zu der damaligen Behandlung jener Probleme verhalte. Indem ich zu der Erorterung dieses wichtigsten Punktes iibergehe, lasse ich vorlaufig die schon kurz charakterisirte Bedeutung unseres Buches fiir die urgeschichtliche Forschung bei Seite, und da die auf die Geschichte der Pflanzen und Thiere beziiglichen Kapitel auf einer dreifachen Basis, einer naturwissenschaftlichen, sprachwissen- schaftlichen und historischen beruhn, so wird es gut sein, wenn ich meine Bemerkungen nach diesen drei Seiten ordne.

In ersterer Hinsicht schien es vor allem klar, dass die moderne Botanik die Frage nach der Herkunft und Verbreitung der Pflanzen- arten vielfach mit anderen Mitteln und in anderer Weise beantworte, als dies von V. Hehn geschehen war. Da aber der Herausgeber auf diesem Gebiet selbstverstandlich sich kein eigenes Urtheil gestatten durfte, so war es nothwendig, einen botanischen Fachmann als Mit- arbeiter zu gewinnen, sowohl um die einzelnen Pflanzenkapitel mit seinern sachverstandigen Urtheil zu begleiten, wie auch seinen Stand- punkt zu dem Hehn'schen Werk im allgem einen fiir den nicht botanisch gebildeten Leser darzulegen. Ein solcher wurde erfreulicher Weise in Professor A. Engler, Direktor des botanischen Gartens in Berlin, und durch haufige Reisen mit der Flora des Siidens vertraut, gefunden. Dieser aussert sich iiber die Hehn'sche Darstellung der Geschichte der Kulturpflanzen in folgender Weise:

»Dem Wunsche des Herrn Verlegers, bei einer neu zu veran- staltenden Ausgabe des Hehn'schen Werkes » Kulturpflanzen und

Vorrede. yjj

Hausthiere« mitzuwirken, konnte ich nur unter der Bedingung ent- sprechen, dass mir gestattet wurde, das, was iiber die Geschichte der von Hehn behandelten Kulturpflanzen vom naturwissenschaftlichen l-?tandpunkt aus zu sagen war, in Form von Anmerkungen zu bringen, welche zugleich auch meinem geehrten Herrn Kollegen, Herrn Prof. Schrader, der Hehn's Werk als Linguist einer Neubearbeitung unterwarf, zum Anhalt dienen konnten. Bekanntlich batten Hebn's Ausfiihrungen iiber die Kulturpflanzen und Haustbiere in ihrem Ueber- gang aus Asien nach Europa bei den bervorragendsten Vertretern der Pflanzengeographie und Pflanzengeschichte, bei Grisebach, Oswald Heer und Alpbons de Candolle, Widerspruch gefunden; abertrotz- dem konnten weder diese, noch andere Botaniker den Darstellungen Hehn's die Anerkennung versagen, dass durch sie die Kulturgeschichte der Nutzpflanzen in bohem Grade gefordert wurde.

Gerade durch den Gegensatz, der zwischen Hehn's Anscbau- ungen und dem der genannten Gelehrten hervortrat, wurde es recht klar, dass die Geschichte der Kultur einer Pflanzenart, insbesondere ihrer Rassen, und die Geschichte der Verbreitung einer Art nicht zusammenfallen. Wiirde ein Botaniker seine Kenntnisse und Er- fahrungen mit der Hehn'schen Darstellung verwebt haben, dann wiirde das Charakteristische derselben erheblich geschmalert worden sein. Es erschien mir daher das Richtige, die Revision des Hehn'- schen Textes ausschliesslich dem Linguisten zu iiberlassen und als Botaniker in Anmerkungen den nicht botanisch gebildeten Lesern eine kurze Uebersicht iiber den Standpunkt der naturwissenschaft- lichen Kenntniss von der Herkunft und Verbreitung der behandelten Pflanzenarten zu geben. Auf andere Arten als die von Hehn behan- delten wurde nicht eingegangen, obwohl die Versuchung, die Ge- schichte der Getreidearten zu besprechen, recht nahe lag.

Die Heimatsbestimmung einer Pflanze und die Feststellung der Wege, welche sie allmahlich bei der Ausdehnung ihres Areals ge- nommen hat, erfolgt auf sehr verschiedene Weise. Die sicherste und zuverlassigste Methode ist natiirlich die rein historische; aber diese Methode setzt wohlverbiirgte Aufzeichnungen iiber das etappenweise Vordringen einer Pflanze voraus, die in verhaltnissmassig seltenen Fallen vorhanden sind. Bei Pflanzenwanderungen, welche in den letzten Jahrzehnten erfolgt sind, wie z. B. bei der des parasitischen Pilzes Puccinia Malvacearum, ferner bei der von Elodea cana- densis, der aus Nordamerika stammenden und zuerst 1836 in Gross.- britannien beobachteten Wasserpest, allenfalls auch bei Wanderungen,

VTTI Vorrede.

welche in dem letzten Jahrhundert beobachtet v/urden, wie bei der von Senecio vernalis W. Kit., gelingt es einigermassen, an der Hand historischer Daten die Erweiterung des Areals festzustellen. Aber schon bei den zahlreichen Pflanzen, welche, aus Nordamerika stammend, sicb auf den Aeckern und an Flussufern Europas eingebiirgert haben, ist es oft scbwierig, die Zeit ihres Auftretens in Europa und den Weg ihrer Wanderung genau zu ermitteln. (Diejenigen Leser, welche iiber die Herkunft und das erste Auftreten solcher Pflanzen in Deutschland Auskunft wiinschen, wenden sich zunachst am besten an Ascher- son's klassische Flora der Provinz Brandenburg, Berlin 1864.) Ueber Pflanzen jedoch, welche schon langere Zeit in Europa eingebiirgert sind, fehlen sehr oft die geeigneten historischen Angaben. Mogen uns auch die Schrif tsteller der Griechen und Romer iiber einzelne in historischer Zeit eingefuhrte Pflanzen, wie z. B. iiber die Einfiihrung der Citronen, Aufschluss geben, so lassen sie uns doch anderseits im Stich, wenn wir iiber die Herkunft derjenigen Nutzpflanzen, welche auch ausserhalb der Kultur vorkommen, etwas wissen wollen; denn den wildwachsenden Pflanzen und namentlich der Art ihres Vor- kommens wurde doch erst seit dem vorigen Jahrhundert die nothige Beachtung geschenkt. Man hat vielfach Werth darauf gelegt, zu er- mitteln, wann zuerst der Name einer Pflanze in der alteren Literatur oder das Bildniss einer Pflanze auf Denkmalern, Miinzen etc. auf- tauchte und aus der Entwicklung der Pflanzenbezeichnungen hat man auch Schliisse auf die Entwicklung der Pflanzenverbreitung gezogen, also mit der rein historischen Methode die linguistische verbunden. Die Bedeutung dieser Studien fiir die Kenntniss der Beziehungen zwischen Mensch und Pflanze soil nicht im Geringsten angezweifelt werden; aber fiir die Kenntniss der Geschichte einer Pflanze, ins- besondere fiir die Heimatsbestimmung sind sie nur in seltenen Fallen ausschlaggebend, denn es ist klar, dass in dem Gebiet einer Volker- schaft eine Pflanze langst existirt haben kann, bevor diese Volker- schaft von einer anderen die Verwendung der Pflanze kennen lernte ; es ist ferner zweifellos, dass eine weniger betriebsame und in der Kultur zuriickstehende Volkerschaft auch dann, wenn von einer anderswo durch die Kultur veredelten Pflanze in ihrem eigenen Lande die minderwerthige Stammform vorkommt, es doch sehr leicht vorziehen wird, durch Tausch oder Kauf die veredelte Rasse zu er- werben, als selbst aus der heimischen Stammform eine edle Rasse zu erziehen. Mit den fremden Rassen werden aber die Volkerschaften auch vielfach die fremden Namen iibernommen haben, ganz abgesehen

Vorrede. JX

davon, dass friiher ebenso wie heute ein und derselbe Name oft auf sehr verschiedene Pflanzen angewendet wnrde, die einigermassen ahn- liche Producte lieferten.

Eine historische Methode anderer Art dagegen erscheint deni Naturforscher zuverlassiger, namlich die, aus dem Vorkommen von Pflanzenresten in verschiedenen Lagerstatten auf die Geschichte der Pflanzen zu schliessen, mogen nun die Lagerstatten alteren geo- logischen Perioden angehoren, wahrend deren der Mensch Europa hochstwahrscheinlich noch nicht bewohnte, oder mogen sie aus jiingerer Zeit stammen, in der der Mensch wohl existirte, aber noch nicht schriftliche Aufzeichnungen uber sein Thun und Treiben hinterliess. Sicher ist diese Methode die zuverlassigste , um das Auftreten einer Pflanze zeitlich und raumlich zu verfolgen; aber auch diese Methode hat ihre schwachen Seiten: 1. ist die Zahl der auf- geschlossenen Fundstatten von Pflanzenresten eine verhaltnissmassig sehr geringe ; 2. ist die Erhaltung solcher Pflanzenreste oft eine sehr mangelhafte, sodass man nicht immer liber die Richtigkeit der Be- stimmung ausser Zweifel ist. Es ist daher auch bei Anwendung dieser Methode grosse Vorsicht und kritische Priifung der von den einzelnen Autoren gemachten Angaben geboten ; namentlich darf man auch nicht aus dem Nichtvorhandensein gewisser Pflanzenreste in den aufgeschlossenen Lagerstatten irgendwelche Schliisse machen, da die meisten Pflanzen unter Verhaltnissen absterben, welche der Erhaltung einzelner Theile derselben im Wege stehen. Die positiven Ergebnisse der palaeontologischen und prahistorischen Forschung sind aber doch in nicht wenigen Fallen recht wichtige, wie aus den bei der Be- sprechung einzelner Kulturpflanzcn mitgetheilten Daten hervorgeht. Es hat sich namentlich mit Sicherheit ergeben, dass mehrere Pflanzen, welche heutzutage im ganzen Mittelmeergebiet verbreitet sind und welchen aus kulturgeschichtlichen Griinden asiatische Abstammung zu- geschrieben wurde, schon gegen das Ende der Tertiarperiode, vor der Erscheinung des Menschen in Europa, existirten. Nun ist aber wohl- bekannt, dass seit der Tertiarperiode sehr wichtige Veranderungen in Europa eingetreten sind, dass namentlich wahrend der Glacialperiode gewaltige Veranderungen in der Verbreitung der Pflanzen hervorgerufen wurden; es konnte daher auch gerade die Glacialperiode eine Hand- habe zu der Vorstellung geben, dass wahrend derselben die vorher in Europa eingebiirgerten mediterranen Pflanzen verdrangt wurden und orst nachher wieder aus dem Osten einwandern mussten. Aber wir wissen heut, dass das Glacialphanomen, so wichtig es auch fur die

X Vorrede.

ganze Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt gewesen 1st, doch nicht im Entferntesten die Ausdehnung gehabt hat, welche ihm friiher in raumlicher Beziehung zugeschrieben wurde. Ware in der That, wie man einst anzunehmen geneigt war, der grosste Theil Europas von Eis bedeckt gewesen, dann hatten allerdings die Funde von Kultur- pflanzen in jiingeren Tertiarablagerungen fur deren Geschichte in Europa keine Bedeutung; dann hatte eben eine erneute Einwanderung von Osten her erfolgen mussen, als die Vergletscherung Europas zuriicktrat. Schon in meinem Versuch einer Entwickelungsgeschichte der Pflanzenwelt, I. (1879) habe ich darauf hinge wiesen, dass die Thatsachen der Pflanzenverbreitung in Europa gegen die Annahme einer so ausgedehnten Vergletscherung sprechen. Seitdem haben die Studien liber das Glacialphaenomen in Europa an Ausdehnung und Vertiefung erheblich gewonnen und als eines der wesentlichsten Re- sultate steht fest, dass selbst zur Zeit der weitestgehenden Vergletsche- rung in Europa ein grosser Theil von Mittel- und Siiddeutschland, der grosste Theil von Frankreich, das siidliche England, fast ganz Spanien und Italien, sowie die Balkanhalbinsel, eisfrei waren, dass also die Mediterranpflanzen, welche vor der Eiszeit in Europa vege- tirten, wahrend derselben wohl ihre Nordgrenze weiter nach Siiden verschieben, aber nun und nimmermehr aus Europa weichen mussten. [Neuere Untersuchungen haben dies nur in erhohtem Maasse be- statigt und namentlich auch dargethan, dass die fiir das Mittelmeer- gebiet charakteristische Macchienflora niemals aus Italien und Corsica verschwunden 1st.] (Wer mit diesen Dingen nicht vertraut ist, hat nur nothig, einen Blick auf die Karte der einstigen und jetzigen Eis- verbreitung in Berghaus' Physikalischem Atlas, Geologic No. 5 zu werfen.) Wir sind daher berechtigt, von alien Pflanzen, welche am Ende der Tertiarperiode oder in der Interglacialperiode oder auch bald nach der Glacialperiode in Sudeuropa existirten, anzunehmen, dass sie ohne Zuthun der Menschen dahin gelangt sind.

Endlich haben wir zur Heimatsbestimmung einer Pflanze auch noch andere Mittel, die sich auf die Kenntniss ihrer physiologischen Eigenthumlichkeiten und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zu den ubngen Pflanzen in der Gegenwart und Vergangenheit grunden. Aus der Beschaffenheit der vegetativen Organe vermogen wir zu er- kennen, ob eine Pflanze in einem gewissen Gebiet existiren kann; in- dessen giebt auf diese Frage bei den hier behandelten wichtigen Kulturpflanzen die seit langer Zeit bestehende Kultur schon von selbst die Antwort. Wiohtiger ist die Beachtung der Verbreitungs-

Vorrede. XT

mittel. 1st eine Pflanze mit guten Verbreitungsmitteln ausgestattet, d. h. sind ihre Friichte oder Samen leicht durch Thiere oder Wind, also ohne die Thatigkeit des Menschen, zu verbreiten, dann ist leicht einzusehen, dass eine solche Pflanze bald nach dem ersten Auftreten in einer Zone sich innerhalb derselben rasch weiter verbreiten musste, weil die an dem einen Ort vorhandenen Existenzbedingungen auch an anderen Orten derselben Zone wiederkehrten. Wenn einzelne Kulturpflanzen wie Wein, Lorbeer, Feige auch leicht ausserhalb ihrer Pflanzstatten sich verbreiten, so liegt dies daran, dass ihre Friichte von Vogeln vielfach verschleppt werden. Das ist aber auch immer bei den wildwachsenden Pflanzen geschehen. Sobald nach der Eiszeit am Fuss der Alpen, Apenninen und Pyrenaen das fur die Mediterranpflanzen geeignete Terrain wieder frei wurde, mussten alle mit guten Verbreitungsmitteln versehenen und nicht auf beson- ders eigenartige Standorte angewiesenen Pflanzen nordwarts Areal gewinnen. Bei der Verbreitungsgeschichte hat man auch darauf zu achten, ob eine Pflanze nur auf Kulturland oder uberhaupt auf durch den Menschen verandertem Land vorkommt, oder ob sie einer fin- em gewisses Gebiet charakteristischen urspmnglichen Formation an- gehort; findet sie sich vorzugsweise auf Standorten ersterer Art, dann spricht mehr dafiir, dass sie verwildert sei; findet sie sich dagegen an Standorten letzterer Art, dann ist man in der Regel zu der An- nahme berechtigt, dass sie ohne Zuthun des Menschen eingewandert ist. Hierbei ist noch in Betracht zu ziehen, dass sehr oft gerade solche Eindringlinge, welche von ihrer urspriinglichen Heimat sehr weit entfernt sind, auf einem neuen Terrain zugelassen sich ganz besonders schnell und sogar die einheimische Flora verdrangend ausbreiten. Das zeigt das Verhalten von zahlreichen nordamerika- nischen Pflanzen in Europa, von zahlreichen europaischen Pflanzen in Australian und Neu-Seeland, von Opuntia und Agave im Mediterrangebiet, von zahlreichen amerikanischen Pflanzen im tro- pischen Afrika und von manchen tropisch-asiatischen im tropischen Amerika. Immer sind diese sich leicht verbreitenden Pflanzen solche, welche in dem neuen Gebiet dieselben klimatischen Verhalt- nisse wieder finden, die sie in ihrer urspriinglichen Heimat hatten, immer sind es Pflanzen, welche von dem neubesiedelten Terrain durch so weite ihrer Existenz nicht zutragliche Raume getrennt waren, dass deren Ueberwindung erst durch die Thatigkeit der Menschen, allerdings meist von diesen nicht beabsichtigt, erfolgen konnte. Immer aber sind diese Eindringlinge auch auf einein durch

XIT Vorrede.

die Kultur veranderten Terrain, also vorzugsweise auf Ackerland, auf stark abgeweideten Triften ocler auf Neuland, Sandbanken, An- schwemmungen an Flussufern, auf vulkanischem Boden, bisweilen auch auf ganz besonders sterilem und einbeimischen Pflanzen nicbt zusagenden steinigen Boden (Opuntia, Agave) anzutreffen. Fur die Heimathsbestimniung einer Pflanze kommt auch ihre systema- tische Stellung in Betracht, ihre phylogenetische Verwandtschaft rait anderen Formen. Die Pflanzengeographie stiitzt sich hierbei auf sehr /Aiverlassige Grundlagen. Wir konnen einer Pflanze sehr wohl an- sehen, ob sie in naherer verwandtschaftlicher Beziehung zu Pflanzen des ostlichen oder westlichen, des nordlichen oder siidlichen Nachbar- gebietes steht und konnen darauf Annahmen beziiglich ihrer Her- kunft griinden, welche zusammen mit Anderem oft zu guten Re- sultaten fiihren. Bei der Lage Europas ist es nun nicht zu ver- wundern, dass in der That eine recht grosse Zahl der alteren Kultur- pflanzen nahe Beziehungen zu anderen Pflanzen des Ostens zeigt; aber diese Beziehungen sind meistens uralte, vor die Existenz des Menschen zuriickdatirende, die fur die Wanderungen in der gegen- wartigen Erdperiode nicht mehr in Betracht kommen. Es ist nament- lich wichtig, dass mehrere der mediterranen Kulturpflanzen Typen angehoren, welche nachweislich schon in der Tertiarperiode im Medi- terrangebiet existirten und ausserhalb desselben iiberhaupt nicht an- getroffen werden; es ist ferner von Wichtigkeit, dass die iberische Halbinsel, welche durch Nordafrika mit dem Orient in Verbindung steht, nicht wenige Pflanzen mit diesem gemein hat, welche in Italien fehlen (vgl. Engler, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt I. S. 51 ff.); es konnte zweifelsohne auch von der iberischen Halbinsel her die Wiederbesiedelung Ober- und Mittel- italiens mit mediterranen Pflanzen nach der Glacialperiode erfolgen. Dass andererseits auch einzelnc Bestandtheile der Mediterranflora (Granate, Johannisbrodbaum, welche jedoch in den dichteren Macchien des mediterranen Hiigellandes nicht angetroffen werden) vom Osten her in Italien und andere Theile des Mittelmeergebietes durch Zuthun der Menschen eingedrungen sind, soil nicht bestritten werden. Dies sind die Gesichtspunkte, von denen ich bei meinen An- merkungen zu Hehn's Darstellungen ausgegangen bin und welche, soweit es sich um Heimatsbestimmung, nicht urn Verwendung von Kulturpflanzen handelt, durchaus neben ,der von Hehn in den Vorder- grund gestellten Methode beachtet werden miissen. Bei den einzelnen Besprechungen habe ich nicht immer alle diese Gesichtspunkte her-

Vorrede.

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vorgehoben, um Wiederholungen zu vermeiden; man moge daher bei denselben die kurze und vielleicht auch bisweilen zu apodiktisch er- scheinende Fassung mit Riicksicht auf die hier gegebenen allgemeinen Erlauterungen erklaren. «

In weit geringerem Umfang greifen rein zoologische Fragen in das Untersuchungsgebiet Hehn's ein. Bei einer grosseren Reihe von Thieren, wie dem Esel oder dem Pfau, 1st es wohl niemals be- zweifelt worden, dass dieselben nicht einheimisch in Europa seien. Bei anderen freilich wiederholen sich auf zoologischem Gebiet die Bedenken, welche wir oben die Botaniker gegen Hehn geltend nmchen sahen, d. h. auch hier nehmen auf Grund palaeontologischer Indicien die Naturforscher nicht selten, wie bei dem Pferd, dem Dachs, dem Hamster ein weit hoheres Alter dieser Thiere in Europa als V. Hehn an. In dieser Richtung sind mir besonders die Arbeiten A. Nehr ing's werthvoll gewesen, so wohl sein Buch »Ueber Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit (Berlin 1890)«, in welchem der- selbe seine Ansichten von der geologischen Entwicklung Mittel- europas seit der Glacialzeit, so wie der seiner Fauna und Flora unter mehrfacher Riicksichtnahme auf Hehn's Anschauungen aus^iihrt, als auch kleinere Monographien des genannten Gelehrten iiber das Pferd, die Katze, den Hamster u. s. w. Aber auch personlich hat Herr Prof. Nehring mir iiber mehrere Punkte bereitwilligst Auskunft zu ertheilen die Giite gehabt.

Ich komme nunmehr zu einem mir vertrauteren Gebiet, wenn ich weiter die Frage erortere, wie sich Sprachwissenschaft und Ge- schichte zu den Untersuchungen Hehn's im Allgemeinen und zu den geschilderten Einwendungen der Naturforscher gegen dieselben im Besonderen stellen.

Seit den 70 er Jahren hat die vergleichende Sprachforschung in Folge einer Reihe glucklicher Entdeckungen, zu deren Charakteri- sirung ich nur die Namen J. Schmidt, K. Brugmann, K. Verner zu nennen brauche, und in durchaus folgerich tiger Entwicklung ihrer friiheren Bestrebungen den Begriff des Lautgesetzes, auch auf dem Gebiete des Vocalismus, das bis dahin fur eine Art »freier Biihne« gegolten hatte, scharfer ausgebildet. Und zwar bezieht sich dies nicht nur auf die etymologische Durchforschung des sogenannten urverwandten Wortschatzes der idg. Sprachen, sonderu auch auf den Theil der Sprache, welcher bei dem Hehn'schen Werk eine besonders wichtige Rolle spielt, auf die Entlehnungen von Volk zu Volk.

XIV Vorrede.

Vor einer strengeren Anwendung lautlicher Kriterien, als sie Hehn und seiner Zeit eigen war, mussen nun zunachst eine Reihe von Gleichungen des Hehn'schen Werkes zusammen mit den Schliissen, welche auf sie gebaut sind, iiberhaupt fallen. Den Granatapfelbaum wird man nicht schon wegen der angeblichen Entsprechung von griech. §ot,d und hebr. rimmon aus semitischem Kulturkreis ableiten wollen. Lat. fwus hangt schwerlich mit griech. avxov, lat. palma nicht mit hebr. tdmar zusammen. Griech. ovog werden viele nicht mehr an hebr. aton, lat. mulus viele nicht mehr an griech. /uv/Adg anzukniipfen geneigt sein u. s. w. Freilich ist auch hier die Kritik leichter wie das Bessermachen, und im Allgemeinen wird man sagen diirfen, dass die moderne Entwicklung der vergleichenden Sprach- wissenschaft auf dem Gebiete des Kulturworterschatzes mehr unrichtige Erklarungen der friiheren Zeit vernichtet als neue richtige zu Tage gefordert habe. Wie tief ist z. B. das Dunkel, das noch auf einer ganzen Reihe von Benennungen siidlicher Kulturpflanzen, wie dav^va- ddyvri oder laurus oder nv^og u. s. w. lastet!

Eine zweite Klasse Hehn'scher Entlehnungsreihen ist laut- geschichtlich richtig; es fragt sich aber, ob in ihnen der Ausgangs- punkt der Entlehnung richtig bestimmt ist. So ist der Weinstock nach Hehn ein Geschenk der Semiten unter Anderm deswegen, weil griech. olvog aus dem hebr.-phonicischen jajin entlehnt sei. Der Zusammenhang beider Worter liegt auf der Hand; aber des Naheren diirfte das Verhaltniss desselben eher das sein, dass das west-semi- tische Wort, wenn auch nicht aus dem Griechischen selbst, so doch aus einer indogermanischen Sprache tibemominen wurde. Griech. sQepivtog, lat. ervum, ahd. araiviz Erbse und xdwapig, lat. cannabis, ahd. hanaf Hanf hangen untereinander zusammen, aber die von Hehn als fiir die Wanderung der Kulturworter normale bezeichnete Strasse: (Orient) Griechenland Italien- Nordeuropa kann in diesen beiden Fallen nicht die eingeschlagene sein. Der germanische, ftir die Geschichte der Falkenjagd wichtige Name des Habichts, ahd. hdbuh, ist zwar identisch mit dem irischen sebocc, aber das Verhalt- niss ist das umgekehrte, als es von Hehn angenommen wurde.

Eg folgt eine dritte Klasse von Gleichungen, die, lautlich un- anfechtbar, auch im richtigen Verhaltniss ihrer einzelnen Glieder auf- gefasst sind, so dass nur zu erortern bliebe, ob auch die Schliisse, welche sie tragen, unanfechtbar sind. Das ist der Punkt, welcher uns zu dem Haupteinwand der Botaniker gegen Hehn zuriickfuhrt. Was folgt daraus, dass griech. xdvvt] aus dem Semitischen, lat.

Vorrede.

murtus und buxus aus dem Griechischen, das deutsche birne aus dem Lateinischen entlehnt sind? Unzweifelhaft konnen diese Ent- lehnungen darauf hindeuten, dass die genannten Pflanzen selbst aus dem Orient nach Griechenland oder aus Griechenland nach Italien oder aus Italien nach Deutschland verpflanzt worden sind. Aber ebenso unzweifelhaft ist, dass man einen solchen Schluss nicht ziehen muss. Denn sprachliche Entlehnungen treten keineswegs nur dann auf, wenn ein neuer Gegenstand aus der Fremde eingefiihrt wird, sondern aucb dann, wenn, um es allgemein auszudriicken, an einem langst bekannten Gegenstand durch fremde Einwirkung eine neue kulturhistorische Erfahrung gemacht worden ist. Niemand wird, weil das deutsche pferd aus lat. paraveredus entlehnt ist, die deutschen Pferde aus Italien ableiten. Man lernte von den Romanen eben lediglich eine neue Benutzung der Pferde (paraveredus, eine Art Postpferd) kennen. Den in alien Theilen des Mittelmeeres ein- heimischen Delphin benannten die Romer offenbar deswegen mit dem griechischen Namen delphmus, weil griechische Kulte sie auf das dem Apollo geheiligte Thier in einer neuen Richtung aufmerksam gemacht hatten. Ebenso tragt der auch nach Hehn bei uns einheimische Feld- und Wiesenkummel trotzdem lateinische Namen: Karbe und Kummel. Der Grund liegt in dem Einfluss, den die romische Gartenbau- und Kiichenkunst auf uns ausiibte. Dasselbe ist bei unserem Kohl der Fall.

Bedenkt man dies, so wird man zugeben miissen, griech. xdvvy konne desshalb aus dem Semitischen entlehnt sein, weil die Griechen Fabrikate aus Arundo Donax zuerst aus dem Orient erhielten, oder lat. murtus und buxus konnten desshalb aus dem Griechischen iiber- nommen sein, weil die Romer nach dem Vorbild der Griechen in der Myrte den heiligen Baum der Aphrodite schauten, und die Ver- wendung des Buchsbauniholzes in der Technik des Drechslers und Zimmermanns von den Griechen kennen lernten, oder deutsch birne konne desshalb aus lat. pirus gebildet sein, weil man in Deutschland den einheimischen wilden Birnbaum mit edlen Reisern aus Italien pfropfte.

So ergiebt sich, dass sprachliche Entlehnungsreihen uns zwar mancherlei iiber die Geschichte der Kultur einer Pflanze werden lehren konnen, dass wir aber bis zu der Geschichte einer Pflanze selbst mit ihrer HiiJfe nicht vordringen konnen, dass also gegen die Behauptung der Botaniker, eine Pflanze sei in diesem oder jenem Lande einheimisch, der Umstand nicht als entscheidende Instanz

XVI Vorrede:

gel tend gemacht werden kann, dass diese Pflanze daselbst einen ent- lehnten Namen trage.

Es soil mit diesen Bemerkungen nicht gesagt sein, dass Hehn gelegentlich nicht selbst die so wichtige Unterscheidung zwischen der von aussen iibemommenen Kultur einer eben desshalb fremdlandisch benannten Pflanze und der einheimischen wilden Pflanze gemacht babe. Es ist dies z. B. bei seiner Erorterung des Safrans der Fall. Aber im Allgemeinen wird man doch betonen miissen, dass Hehn bei seiner Behandlung der Pflanzengeschichte der Thatsache, dass ein Pflanzenname entlehnt ist, zu grossen Werth fiir die Bestimmung der Herkunft einer Pflanze selbst beigelegt hat.

Es diirfte hier der Platz sein, sich in Kiirze die Moglichkeiten zu vergegenwartigen, welche sich ergeben, wenn die Sprache vor die Aufgabe gestellt wird, neue Kulturpflanzen zu benennen. Es sind a priori zwei Falle moglich: a) die Pflanze war bereits in wildem Zustand bekannt; b) sie war es nicht. In beiden Fallen ist, wie wir schon gesehen haben, Entlehnung moglich, durch die, was Fall a) betrifft, einheimische Bezeichnungen vernichtet oder zuriickgedrangt werden konnen. Von Seiten der Sprache lasst sich hier ein Unter- schied nicht machen. Eine Entlehnung wie ahd. chol aus lat. caulis Kohl (einheimisch in Deutschland) ist nicht verschieden von einer Entlehnung wie ahd. mur -bourn aus lat. morus Maulbeerbaum (nicht einheimisch in Deutschland). Dasselbe gilt von lat. murtus = Myrte (einheimisch in Italien nach Engler) : lat. eupressus = C^resse (nicht einheimisch in Italien nach E.), oder von griech. xQoxog = hebr. karkom Safran (einheimisch in Griechenland): griech. mtiidxiov, entlehnt aus dem Iranischen, Pistazie (nicht einheimisch in Griechenland). Beidemal kann aber die Sprache auch aus eigenem Borne schopfen. In Fall a) wird dabei der Name der wilden auf die veredelte Pflanze iibertragen werden konnen, wie xsQatfog-cerasus ur- spriinglich die Bezeichnung einer wilden Kirschenart gewesen sein wird, oder wie auch ngovfjivog-prunus von Haus aus die wilde Pflaume bezeichnete. Ferner aber finden in Fall a) und b) iiberaus haufig Uebertragungen der Benennungen solcher schon friiher bekannten Pflanzen auf die neue Pflanze statt, welche fiir die Anschauung des Volkes eine gewisse Aehnlichkeit mit der neuen Kulturpflanze hatten, wie, um ein modernes Analogon zunachst anzufiihren, die Kartoffel bei ihrem Erscheinen in Europa bald als Triiffel (it. tartufo), bald als Frucht des Convolvulus Batatas (engl. potatoe) bezeichnet wurde. Auf einen sehr starken Fall solcher Uebertragung hat Hehn

Vorrede. XVII

selbst hingewiesen, indem er das lat. citrus Citrone von xefyog-cedrus Ceder ableitet, well Cedernholz wie Citrone durch ihren starken Duft conservirende Kraft ausiiben. Wenn aber solches moglich 1st, warum sollte da nicht, wie ich hier im Gegensatz zu Hehn annehme, in Italien schon friiher der Name der dort einheimischen Zwergpalme pofrna.mxf die Phoenix dactylifera iibertragen worden sein konnen? Ein ahnlicher Process hat meiner Ansicht nach bereits begonnen, als die Griechen aus einer nordlichen Heimat in Hellas einwandernd eine ganze Heine neuer, im Siiden nach Engler einheimischer Pflanzen (damals noch in wildem Zustand) vorfanden, fiir die ihnen natiirlich zunachst Namen fehlten. So ordneten sie nach meiner Anschauung sprachlich die Pinie unter andere Coniferenarten, die Frucht der Kastanie unter die Eicheln u. s. w. ein, bis sich spater eine scharfere Terminologie beider Pflanzen ausbildete. Ferner sind die Namen der Kulturpflanzen haufig von ihrem wirklichen oder vermeintlichen Herkunftsort abgeleitet, wovon Benennungen, wie ^r\Xov xvdwviov, •indium punicum, (potvt%, /uifcfcx??, mdlum armeniacum etc., reich- liches Zeugniss ablegen. Dass auch hiermit die Quellen der Namen - gebung auf diesem Gebiet nicht erschopft sind, dass vielmehr bei clerselben noch eine Reihe anderer zufalliger Verhaltnisse und Be- ziehungen, die in bestimmte Gruppen schwer zu bringen sein diirften, mitspielen, werden die einzelnen Pflanzen-Kapitel unseres Buches zeigen.

Wenden wir uns zur Betrachtung der linguistischen Seite des- selben zuriick, so darf nicht vergessen werden, dass die verflossenen 10 Jahre in mancher Beziehung nicht nur eine Vertiefung des in Frage kommenden sprachlichen Materials, sondern auch eine betracht- liche Erweiterung desselben herbeigefiihrt haben. In Europa 1st das Albanesische, fur dessen Studium V. Hehn ausschliesslich auf das mitzliche, aber unkritische Buch v. Hahn's angewiesen war, durch G. Meyer gewissermassen neu entdeckt worden, und ich gestehe, dass ich den Schriften dieses, kulturhistorischen Fragen ein warmes Interesse entgegenbringenden Gelehrten, namentlich seinem Etymolo- gischen Worterbuch der albanesischen Sprache, sehr viel verdanke. Vor Allem aber erweckt das auch auf unserem Gebiet in Folge der Arbeiten Lagarde's, Noldeke's, Hommel's, Eb. Schrader's, Ermann's, Hiibschmann's u. A. immer fortschreitende Verstand- niss der orientalischen Sprachen, einschliesslich des Aegyptischen, die Hoffnung, dass sich aus demselben noch manche Forderung fiir die Geschichte der Kulturpflanzen und Hausthiere ergeben werde.

H

XVIH Vorrede.

Schon jetzt konnte auf Grund dieser Forschungen die Terminologie der Pflanzen und Thiere vielfach 'welter oder in anderer Richtung verfolgt werden, als dies zu Hehn's Zeit moglich war.

Was hier von den Sprachen des Orients gesagt wurde, gilt natiirlich ebenso von seiner Geschichte, in welcher durch die Forschungen der verflossenen Jahrzehnte theils neue Provinzen er- offaet, theils die schon eroffneten genauer bekannt wurden. Um die hier gemachten Fortschritte zu ermessen, vergegenwartige man sich etwa den Weg, der von Movers' Phoeniciern, einem wichtigen Hulfsmittel Hehn's, zu E. Meyer's Geschichte des Orients fiihrt.

Wir wenden uns damit der historischen Argumentation Hehn's zu.

Den Ausgangspunkt derselben bildet fur ihn naturgemass die homerische Dichtung als das alteste Denkmal europaischer Geschichte, und seine erste Frage ist daher die, ob ein Thier oder eine Pflanze schon dem homerischen Zeitalter bekannt war oder nicht. Seitdem ist durch die bewunderungswiirdige Thatigkeit Schliemann's und seiner Mitarbeiter und Nachfolger der Anfang der griechischen Ge- schichte sozusagen um Jahrhunderte zuriickgeschoben worden. Hehn verfolgte diese Entdeckungen mit Misstrauen und einer gewissen Be- sorgniss, als ob von ihnen her manchen seiner Anschauungen Gefahr drohen konnte. »Am meisten erschiittert und zugleich erfreut,« schreibt er 1880 an Wichmann, »hat mich in den letzten Wochen eine Kritik von L. Stephani in Petersburg (im neuesten Compte-Rendu der Comm. archeol.), wonach die Funde Schliemann's in Troja und Mycena, der Schatz des Priamus, das Grab des Agamemnon u. s. w. nicht in eine dunkle Ur- und Vorzeit, sondern in das Jahr 267 n. Chr. gehoren und von gothischen Barbaren am Pontus herriihren. Die Beweisfiihrung ist schlagend und mir dadurch ein Stein vom Herzen gewalzt; Schliemann und die Griechen aber und Glad- stone und die Englander werden sich garstig erbosen und argern.« Es kann gegenwartig nicht mehr zweifelhaft sein, dass Hehn in dieser Beurtheilung Schliemann's mit so vielen anderen geirrt hat, und die Frage wird sich nicht vermeiden lassen, ob jene altgriechi- schen Funde nicht auch iiber die Geschichte der Kulturpflanzen und Hausthiere uns einiges neue werden lehren konnen. Herr Chr. Tsountas in Athen, einer der erfolgreichsten Schiller Schliemann's, hat zum Zweck der Neuherausgabe des Hehn'schen Buches die grosse Giite gehabt, mir unter dem 1. November 1892 ausfiihrlich iiber alles zu berichten, was in den Ueberresten der »mykenischen Periode«

Vorrede. XIX

an Kulturpflanzen und Hausthieren, sei es in Knochen oder vegeta- bilischen Ueberbleibseln, sei es auf den Abbildungen der Denkmaler, bis jetzt zu Tage getreten ist. [Vgl. jetzt das vortreffliche Buch von Tsountas und Manatt, The Mycenaean age, a study of the monuments and culture of pre-homeric Greece. London 1897]. Aller- dings lassen sich, zum Theil in Folge des Umstandes, dass die wissen- schaftliche Bestimmung der gefundenen Thierknochen und Pflanzen- reste noch nicht allzuweit vorgeschritten ist, vor der Hand sichere Resultate nur selten gewinnen. Bei einigen Punkten scheint es aber doch schon jetzt, als ob das von Hehn gezeichnete Bild infolge jener Funde sich in etwas verschieben wurde. Ich verweise in dieser Be- ziehung auf die beiden Abschnitte Oelbaum und Taube.

Verhaltnissmassig selten geben uns'die Alten selbst, bei denen eine wissenschaftliche Botanik ja bekanntlich erst in dem Zeitalter Alexanders des Grossen aufzubluhen anfangt, iiber das erste Er- scheinen und die Herkunft einer Kulturpflanze ausdriickliche und wohl zu beachtende Nachrichten. Freilich sind auch diese nicht immer auf Treu und Glauben hinzunehmen, und gerade Plinius, der besonders haufig das Indigenat einer italischen Pflanze in Abrede stellt, ist, wie sich an mehreren Stellen dieses Buches zeigen wird, von dem Verdachte nicht freizusprechen, zu diesem Urtheil lediglich durch den griechischen Namen des betreffenden Gewachses veranlasst worden zu sein. Auch sonst wird das Urtheil dieses Sammlers bei Hehn zuweilen uberschatzt, wofiir H. Bliimner in seinem Edictum Diocletianum S. 100 ein schlagendes Beispiel anfuhrt.

In den weitaus meisten Fallen sind wir daher, um das erste Auftreten einer Kulturpflanze zu bestimmen, auf die erste Nennung ihres Namens bei den klassischen Schriftstellern angewiesen. Ohne Zweifel liegt hier der Hauptnachdruck der Hehn'schen Beweisfiihrung, und seine Ausbeute der klassischen Literatur in dieser Hinsicht diirfte nur ganz ausnahmsweise einer Erganzung bediirfen. Natiirlich aber kann der Um stand, dass eine Kulturpflanze bei diesem oder jenem Autor zuerst genannt wird, nichts daruber aussagen, ob nicht eben diese Pflanze in wildem Zustand schon fruher bekannt und benannt gewesen sei. Unzweifelhaft waren die Wurzelgraber, Qi&TOfJiot,, und Arzneihandler, yaQfJiaxonwlcu, die wir als Vorlaufer einer wissenschaftlichen Botanik bei den Griechen betrachten diirfen, im Besitz einer reichen Pflanzenkenntniss, deren Terminologie aber nur ausnahmsweise und sparlich auf uns gekommen ist. Ein Bei- spiel aus dem Thierreich ist hier lehrreich. Erst Archilochus nennt

n*

XX Vorrede.

den Fuchs (aAewVr^J) und zwar in den Resten einer Fabel. Niemand wird hieraus den Schluss ziehen, dass es zu homerischer Zeit in Griechenland keine Fuchse gegeben habe, sondern nur soviel wird man vermuthen diirfen, dass erst die von Osten vordringende Thier- fabel auf das geistig bevorzugte Thier aufmerksam machte, fiir das es im Griechischen eine reiche volksthiimliche, aber meistens erst sehr spat iiberlieferte Terminologie gab, die ich in Bezzenbergers Beitragen XV S. 135 ff. besprochen habe. Der eigentliche literarische Name des Thieres war und blieb aAcoTr?^, das selbst von einigen Etymologen fiir orientalischeri Ursprungs gehalten wird.

Aber auch bei Schliissen aus der ersten Erwahnung einer

Kulturpflanze nur auf das erste Auftreten ihrer Kultur bei den

klassischen Volkern, wird man die Gefahren nicht unterschatzen

diirfen, welche alien Schliissen e silentio anhaften, die Gefahren,

welche die Liickenhaftigkeit der Literatur, der Zufall und andere

Faktoren der Sicherheit unserer Argumentation bereiten. Die Be-

deutung des Schweigens unserer Ueberlieferung wird wachsen, je

grosser und literarisch reicher der Zeitraum ist, in welchem von

einer Kulturpflanze nicht gesprochen wird. Aber je friiher ihre erste

Erwahnung fallt, um so mehr wird man sich hiiten miissen, allzu

viel auf den Umstand zu geben, dass nicht noch eher von ihr die

Rede ist. Die Sache scheint mir bei einem konkreten Beispiel so

zu liegen. Die Feigen und der Granatapfel werden erst in den

jiingsten Stellen der homerischen Dichtung genannt. Von Hausthieren,

von denen mutatis mutandis naturlich dasselbe wie von den Kultur-

pflanzen gilt, begegnet der Esel nur ein einziges Mai in einem

Gleichniss der Ilias. Es ist also, wie die Dinge liegen, nicht moglich,

die Hehn'schen Schliisse, dass die Einfuhrung der Kultur der

Feige und des Granatapfels erst in die Zeit des Ausklingens der

homerischen Poesie falle, und dass der Esel als Hausthier noch der

homerischen Welt fremd gewesen sei, mit Erfolg anzufechten. Aber

sollten im Laufe der Zeit Feigen- und Granatenkerne in den Ueber-

resten der »mykenischen Periode« gefunden und sollten unter den

Knochenresten dieser Epoche die des Esels mit Sicherheit nach-

gewiesen werden, was nach den Mittheilungen des Herrn Tsountas

gar nicht unmoglich*) ist, so wiirden jene literarischen Thatsachen

*) Derselbe schreibt: »Was ich selbst an Hausthieren, namentlich aus den Zfthnen erkannt habe, sind die folgenden: Ziege, Schwein, Rind, Schaf, Hund, Pferd und Esel; von den zwei letzteren ist die Sache nicht so sicher;

Vorrede. XXI

auch nicht als entscheidende Instanz gegen die Annahme eines hoheren Alters jener Kulturpflanzen und jenes Hausthieres in Griechenland gel tend gernacht werden konnen, als es von Hehn an- genommen wird.

Wesentlich kiirzer kann ich mich iiber diejenige Seite unseres Werkes fassen, welche wir die prahistorische nennen konnen, in der Hehn die Zustande zu ermitteln sucht, in welchen Griechen und Romer vor oder zur Zeit ihrer Einwanderung in den Suden Europas lebten. Gegenuber den bisherigen einseitig linguistischen Con- structionen der Sprachvergleicher auf dem Gebiete der indogermani- schen Urgeschichte knlipft Heh'n in erster Linie an historische Com- binationen an. Er erkennt, dass die Anfange indogermanischen Kulturlebens, von dem Firniss westeuropaischer Civilisation nur schlecht verborgen, in der Welt der Slaven noch in Wirklichkeit vorhanden sind. Die Spuren dieser Zustande sucht er in der Ueber- lieferung des klassischen Alterthums, der Kelten, Germanen u. s. w. wiederzufinden. Er sieht, dass die sprachlichen Gleichungen, weit entfernt, dem so gewonnenen Bild der Urzeit zu widersprechen, viel- mehr, wenn man sie nur richtig deutet, wenn man nicht alten Wortern neuen Sinn unterschiebt oder spat entlehntes als alt ererbtes auffasst, geeignet sind, seine Auffassung der Urzeit zu bestatigen und zu vervollstandigen. So kann man sagen, ist V. Hehn der Be- grunder einer indogermanischen Alterthumswissenschaft ge- worden, der immer mehr Krafte ihre Thatigkeit widmen, die die Katheder der Universitaten zu besteigen beginnt, der eine neue Zeit- schrift (Indogermanische Forschungen, Zeitschrift fur idg. Sprach- und Alterthumskunde) eine Heimat eroffnet hat. Und alle, die sich diesen Studien hingeben, werden auf das Hehn'sche Werk als auf eine immer junge Quelle frischer Anregung und Belehrung blicken. Von Einzelheiten abgesehn, werden auch hier freilich gewisse prin- cipielle Anschauuugen Hehn's sich nicht halten lassen. Vor allem wird dies von seiner gerade fiir die Geschichte der Kulturpflanzen und Hausthiere bedeutungsvollen Vorstellung einer verhaltnissmassig grossen Jugend des Ackerbaues in Europa gelten. Doch ist hiervon

denn da sie wohl nicht gegessen wurden, so haben sich nur ein paar Zahne in dem Schutt der Hauser gefunden. Es mogen aber andere Pferde- und Eselknochen imter den gesammelten Thierresten sein, die ich nicht im Stande bin, als solche zu unterscheiden.« »Eselskopfig« sind wohl die Damonen 'Apx- 1887. T. 10.

XXII Vorrede.

ausfuhrlicher in dem Anhang zu dem Abschnitt »Griechen, Italer, Phoenicier« gesprochen worden.

Wer den bisherigen Ausfiihrungen gefolgt 1st, wird nicht ver- kennen konnen, dass die Neuherausgabe des vorliegenden Werkes eine in vieler Beziehung schwierige und verantwortungsvolle Auf- gabe war. Gait es doch auf der einen Seite, ein Buch wie dieses, welches zu dem nicht allzureichen Hausschatz der deutschen wissen- schaftlichen Literatur an bahnbrechenden und zugleich geschmack- vollen Werken gehorte, mit aller nur moglichen Scheming zu be- handeln, und sollte doch andererseits in demselben, dem Wunsche des Herrn Verlegers entsprechend, der dem Werke seine lebendige Einwirkung auf die Wissenschaft in alien seinen Theilen gewahrt sehen wollte, der, wie wir gesehen haben, nicht selten abweichende Standpunkt der gegenwartigen Forschung zum Ausdruck gebracht werden. Unter diesen Umstanden hielt es daher wie Herr Prof. Engler (vgl. oben S. VII), so auch der Unterzeichnete fur bedenk- lich, durch Eingriffe irgend welcher Art, so berechtigt sie an und fur sich sein mochten, den Charakter des Hehn'schen Buches zu verwischen und den Reiz seiner Darstellung zu gefahrden. So wird der Text desselben vollig unverandert dem Leser dar- geboten. Dagegen ist in besonderen, den einzelnen Abschnitten angehangten und durch den Druck unterschiedenen Anmerkungen das Wichtigste gesagt worden, was von naturwissenschaftlicher oder philologischer Seite zu Hehn's Ausfiihrungen zu bemerken ist. Die Beitrage des Prof. Engler sind hierbei durch *, die des Heraus- gebers durch ** bezeichnet. Etwas grossere Freiheit hat sich der letztere in der Bearbeitung des Hehn'schen Apparates (Anmerkungen) genommen, insofern hier bei solchen Excursen, welche zu der Beweis- fuhrung des Buches keine oder eine sehr entfernte Beziehung batten, wenn es nothig schien, Streichungen oder Ueberarbeitungen vor- genommen wurden. Der Grund dieses Verfahrens lag in dem Wunsche, nicht uberflussiger Weise, d. h. wenn nicht durch den grossen Zu- sammenhang des Ganzen gefordert, unzweifelhaft Unhaltbares abzu- drucken, um es kurze Zeit darauf als solches zu bezeichnen. Doch ist auch hierbei auf das peinlichste darnach gestrebt worden, jeden werthvollen Gedanken Hehn's zu erhalten und fremde Zuthat in deutlicher, aber den Leser nicht storender Weise kenntlich zu machen. Vgl. das Nahere S. 524 Anmerkung.

Im Ganzen wird sich durch die vorliegende Neubearbeitung des Hehn'schen Buches herausstellen, dass bei nicht wenigen Kultur-

Vorrede. XXIII

pflanzen der Unterschied zwischen der Herkunft der wilden Pflanze nnd derjenigen mrer, Kulturjscharfer betont werden muss, als dies von Hehn geschehen 1st, und dass, wenn man nur die Geschichte der Kultur einer Pflanze von derjenigen der Pflanze selbst scheidet, eine Versohnung des von Prof. Engler vertretenen naturwissenschaft- lichen Standpunktes mit dem linguistisch-historischen des Hehn'schen Buehes wohl moglich, wenn auch vielleicht noch nicht an alien Stellen dieser Neubearbeitung erreicht ist. Das von Hehn gezeichnete Bild des europaischen Siidens, wie es gewesen sein muss, bevor hierher der Fuss eines Menschen oder wenigstens der eines Indogermanen kam, wird allerdings in mannigfacher Beziehung umgestaltet werden miissen. Weinstock und Feige, Lorbeer und Myrte u. s. w. sind hier seit unvordenklichen Zeiten einheimisch. Andere Pflanzen, wie die Granate, die Cypresse und Platane, scheinen ihr urspriingliches Ver- breitungsgebiet wenigstens liber die Inseln des aegeischen Meeres bis nach Griechenland erstreckt zu haben. Aber auch hiervon abgesehn wird bei einzelnen Kulturpflanzen, sowie fur gewisse Hausthiere ein hoheres Alter oder werden andere Wege ihrer Verbreitung anzunehmen sein. Der Hauptwerth des Buehes, nachgewiesen zu haben, wie die im wesentlichen von Osten nach Westen und dann weiter nach Norden fortschreitende Kultur der Pflanzen in Verbindung mit der Zahmung gewisser Hausthiere Wesen und Wirken des Menschen durchdringt und umgestaltet, wird so nicht angetastet. Nicht minder bestehen bleibt die Bedeutung des Buehes fur die Urgeschichte der Volker unseres Stammes. Dass aber an so weitschichtig angelegte Unter- suchungen Spatere immer aufs neue ankniipfen, gereicht dem Ur- heber derselben auch dann nicht zur Unehre, wenn seine Ergebnisse sich nach der einen oder anderen Seite als unhaltbar herausstellen sollten. Sagt doch Goethe, dessen Lebensanschauungen V. Hehn so gern zu den seinen machte:

»Was fruchtbar ist, allein ist wahr,«

und so verstanden ist das Hehn'sche Buch im hochsten Sinne wahr und wird es bleiben.

Jena, den .1. Januar 1894.

O. Schrader.

Vorrede zur VII. Auflage.

In der vorliegenden neuen Auflage des Hehn'schen Werkes 1st die seit dem Jahre 1894 erschienene Literatur, einschliesslich der zahlreichen kritischen Besprechungen der VI. Auflage, sorgfaltig herangezogen worden. Zu einer Aenderung der Anlage dieser Neu- bearbeitung (vgl. oben S. XXII), wie sie hie und da gewiinscht worden ist, habe ich mich indessen nicht verstehen konnen. Wer da meint, wir hatten nicht davor zuruckscheuen sollen, den Hehn'schen Text selbst umzuarbeiten, iibersieht nicht, zu welchen Umwalzungen ein solches Verfahren gefiihrt hatte. Wer hinwiederum glaubt, dass der ruhige Genuss des Lesers durch unsere den einzelnen Abschnitten ange- hangten, mehrfach eine von der Hehn'schen abweichende Anschauung zum Ausdruck bringenden Amnerkungen gestort werde, bedenkt nicht, dass das Hehn'sche Werk nicht nur fiir Liebhaber geschrieben ist, und dass jeder uberschlagen kann, was ihm iiberschlagenswerth erscheint. Hingegen habe ich, einem mehrfach geausserten Wunsch entsprechend, das bemerkenswerthe Vorwort Hehn's zur II. Auflage dieses Werkes (vgl. oben S. V) in einem Anhang vollstandig abge- druckt.

Bei der Korrektur dieses Werkes hat mich Herr Gymnasiallehrer Dr. Walter in Weimar in dankenswerther Weise unterstiitzt.

O. Schrader.

Jena, 21. Marz 1902.

Inhalt.

Seite

Yorrede zur VI. und VII. Auflage , . Ill

Inhaltsverzeichniss . . 25

Einleitung I

Aussaugung durch Kultur 2

Urzeit 14

Das Pferd 19

Griechen, Italer, Phonizier 55

Weinstock 65

Feigenbaum 94

Oelbaum 102

AnsSssigkeit, Baumzucht 121

Esel, Maulthier, Ziege 131

Bienenzucht . '. . . . 134

Steinbaukunst 136

Bier 142

Butter 154

Schluss 160

Flachs 162

Hanf 188

Lauch, Zwiebel 191

Ktimmel 206

Senf 208

Linsen, Erbsen 210

Lorbeer, Myrte 220

Buchsbaum 227

Granatapfel 207

Quitte 245

Hose, Lilie 247

Viole 257

Safran 259

Dattelpalme '. 266

Cypresse . . ; 281

Platane 289

Pinie . . 296

Rohr V 303

Papyrus 307

Cucurbitaceen(Kurbis, Gurke, Melone) 309

Haushahn ."' 321

Taube .... 335

XXVI Inhalt-

Seite

Pfau 349

Perlhuhn 358

Fasan 361

Gans, Ente 364

Zucht der Vogel .... ,.. r .; ._T 367

Falkenjagd I ' •*- 368

Pflaume 376

Maulbeere 381

Mandeln, Walntisse, Kastanien v ;*^ V j;./ s.ir: 387

Kirsche 398

Arbutus, Medica, Cytisus 404

Oleander ' . . . 410

Pistazie ...... 414

Terpentinbaum 417

Mastixbaum 420

Perrukenbaum 420

Sumach 421

Styrax ' . 421

Pfirsich, Aprikose ........... 424

Obstzucht, Impfen und Propfen 428

Agrumi (Citronen, Pomeranzen, Orangen) 435

Johannisbrodbaum 449

Kaninchen , , 453

Katze 456

Ratte, Dachs, Hamster 462

Biiffel 469

Rindvieh 471

Hopfen 473

Riickblick, Untergang des Alterthums 481

Neu-Europa 489

Reis ' 495

Mais '. 501

Mohrhirse 502

Buchweizen 504

Araber ... 508

Tiirken 509

Tulpen, Blumen . 509

Amerika 512

Cactus, Aloe . 513

Tabak - 514

Schluss 515

Anmerkungen . . . .'.. ....*.' 524

Ai-hang (Vorrede Hehns zur zweiten Auflage) 617

Wortregister ....*... 624

Druckfehler 561

JJass die Thier- und Pflanzenwelt, also die ganze okonomische und landschaftliche Physiognomic eines Landes im Laufe der Jahr- Imndprte unter der Hand des Menschen sich verandern kann, ist besontters seit der Entdeckung Amerikas ein unwidersprechlicher Erfahrungssatz geworden. Auf den neuentdeckten Inseln und in den von europaischen Ansiedlern besetzten Landstrichen der west- lichen Hemisphere ist wahrend der letztverflossenen drei Jahr- hunderte, also in ganz historischer Zeit, nach Erfindung der Buch- druckerkunst und gleichsam unter den Augen der gebildeten Welt, die einheimische Flora und Fauna durch die europaische oder eine aus alien Welttheilen zusammeiigebrachte verdrangt vvorden. So hat sich z. B. auf St. Helena die urspriingliche wilde Vegetation auf den Bergstock im Innern der Insel zuruckgefliichtet, von einer neuen, ringformig nachriickenden Flora umgeben, die im Gefolge des Euro- paers liber den Ocean kam1). Auch in den Pampas von Buenos Ayres sieht das Auge meilenweit fast keine einheimischen Gewachse mehr : sie sind der Usurpation eingefiihrter europaischer Pflanzen erlegen. Eine viel weitere, auf zwei bis drei Jahrtausende sich er- streckende Uebersicht aber gewahrt die Geschichte der organisirten Natur in Griechenland und Italien. Beide Lander sind in ihrem jetzigen Zustand das Resultat eines langen und mannigfachen Kultur- processes und unendlich weit von dem Punkte entfernt, auf den sie in der Urzeit von der Natur allein gestellt waren. Fast Alles was den Reisenden, der von Norden iiber die Alpeii steigt, wie eine neue Welt anmuthet, die Plastik und stille Schonheit der Vegetation, die Charakterformen der Landschaft, der Thierwelt, ja selbst der geologischen Structur, insofern diese erst spater durch Umwandlung der organischen Decke hervortrat und dann die Einwirkungen des Lichtes und der atmospharischen Agentien erfuhr, sind ein in langen Perioden durch vielfache Bildung und Umbildung vermitteltes Pro- duct der Civilisation. Jeder Blick aus der Hohe auf ein Stuck Erde in Italien ist ein Blick auf friihere und spatere Jahrhunderte seiner

Viet. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 1

2 Emleitung.

Geschichte. Die Natur gab Polhohe, Formation des Bodens, geo- graphische Lage: das Uebrige 1st ein Werk der bauenden, saenden, einfiihrenden, ausrottenden, ordnenden, veredelnden Kultur. Die zwischen Festland und Insel die Mitte haltende Configuration des Landes, das gemassigte mittlere Klima, die Mannigfaltigkeit der historischen Verhaltnisse, in der Urzeit die inehrmals wiederholte Einwanderung von Norden, der tyrische Seeverkehr, die griechischen Kolonien, die Nahe des gegeniiberliegenden Afrika, die sich aus- breitende, alle Gaben und Kiinste des Orients hiniiberleitende romische Weltherrschaft, dann die Volkerwanderung von Nordosten, die Herrschaft der Byzantiner und Araber, die Kreuzziige, die Ver- bindung italienischer Seestadte mit der Levante, endlich nach Ent- deckung Amerikas die enge politische Verbindung mit Spanien - aus diesen und andern Umstanden und Schicksalen ist das Land hervorgegangen, wo im dunklen Laub die Goldorangen gliihn und die Myrte still und hoch der Lorbeer steht. Die Agave americana und der Opuntiencactus, diese blaugriinen Stachelpflanzen, die alle Ufer des Mittelmeeres iiberziehen und so wunderbar zur siidlichen Felsennatur und Gartenwirthschaft stimmen, sie sind erst seit dem sechszehnten Jahrhundert aus Amerika heriibergekommen ! Diese Cypresse neben dem Hause des Winzers, einsam und duster die ringsum verworren sich ausbreitende Fruchtfulle iiberragend, sie hat ihre .Heimath auf den Gebirgen des heutigen Afghanistan, diese eigensinnig gewundenen, mit fliessendem grauem Laube bedeckten Oliven, sie stammen aus Palastina und Syrien, diese Dattelpalmen im Klostergarten von S. Bonaventura in Rom, ihr Vaterland ist das Delta des Euphrat und Tigris! So echte Kinder hesperischen Bodens und Klimas diese und andere Kulturpflanzen uns jetzt erscheinen, so sind sie doch erst im Laufe der Zeiten und in langen Zwischen- raumen gekommen. Oft liegt ihre Geschichte mehr oder minder deutlich vor, oft aber muss sie aus zerstreuten und zweifelhaften Angaben zusammengelesen oder nach Analogien errathen werden.

Vielleicht aber ware diese Umwandlung, so wie sie jetzt vor-. liegt, nichts als Verderbniss, Ausnutzung, versiegte Lebenskraft ? Historische Mystiker haben nicht verfehlt, diese romantische, d. h. kulturfeindliche Ansicht auszusprechen. Wie unser Geschlecht iil)er- haupt von einem edleren Urzustand herabgekommeii ist, wie wir die

Aussaugung durch Kultur. 3

\Yerke Gottes nur zu vernichten verstehen, wie jedes Land und Yolk seine Zeit hat, derselbe Process sich an jedem der Reihe nach wieder- holt, die Geschichte also nur ein immer wiederkehrender Natur- vorgang ist, dem zuletzt durch die Wiederkunft des Herrn und das Gericht ein Ende gernacht wird, so sind auch die klassischen Lander physisch abgelebt, ihre natiirliche Ordnung zerstort, ihr Boden durch Aufsaugung der Kultur erschopft und verbraucht. In Betreff Griechenlands hat diese Meinung auf den ersten Blick allerdings oinigen Schein. C. Fraas erklart in seiner Schrift: Klima und Pflanzenwelt in der Zeit, Landshut 1847, das jetzige Griechenland, welches in der Bliithezeit seiner Geschichte waldig, regnerisch, von wasserreichen Bach en und Flussen durchstromt gewesen sei, fur eine starre, in Folge der Ausrodung der Walder wasserlose, der obern Erdschicht entkleidete, einem heissen Klima verfallene Wiiste, fiir ein Land, das eines ergiebigen Ackerbaues und aller Industrie, zu der Holz erfordert wird, unfahig und folglich zum Wohnplatz einer 6'konomisch entwickelten Gesellschaft angeeignet sei. Diese Behaup- tung wird denn auch auf ganz Vorderasien ausgedehnt: Babylonien z. B. soil durch uralte Menschenkultur ausgenutzt und ohne Wieder- kehr verdorben sein. Indess, der Groll und manche getauschte Hoff- nung hat den mit Undank belohnten Gelehrten in jenem Urtheil offenbar zu weit gefiihrt. Die Stellen der Alien sind einseitig aus- gewahlt; was dem Thema nicht dienen konnte, ist bei Seite gelassen, Manches im Eifer auch falsch gedeutet. Der Eingang des Vendidad z. B., wo iiber grosse Kalte geklagt wird, kann nicht beweisen, dass •das Klima von Iran erst seit jener Zeit heiss geworden, da die Stelle entweder nur eine Erinnerung an die Urheimath des Zendvolkes, d. h. an das Hochland am westlichen Rande Centralasiens enthalt oder sich auf irgend eine der kalten Gebirgslandschaften bezieht, an denen es innerhalb des Gebietes der iranischen Stamme nicht fehlt. Der Umstand, dass zu Alexander des Grossen Flotte auf dern Euphrat Cypressenholz genommen wurde, fallt gleichfalls nicht sehr ins Gewicht, denn erstens gait seit den altesten. Zeiten der phonizi- schen Seefahrt die Cypresse fiir ganz besonders zum Schiffbau ge- eignet, zweitens - - wer sagt uns, ob Babylonien jemals reich an schwerem festem Hochwald gewesen sei? - - Dass Griechenland jetzt weniger belaubt ist, als zu Homers und vor Homers Zeit, ist sicher; dass aber z. B. der Peloponnesus in manchen Gebirgsgegenden jetzt dichtere Eichen- und Fichtenwalder tragt, als damals, wo das Land bevolkert und mit Stadten besaet war, ebenso dass Attika schon zu

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4 Aussaugimg durch Knltur.

Perikles' und zu Alcibiades' Zeit diirr war, wie heute - - ist gleich- falls unleugbar. Der Ilissus heisst bei Plato auch nur ein »Wasser- lein* (vdduov) und erst durch Pisistratus sollte das bis dahin kahle baunilose Attika mit Oelbaumen bepflanzt worden sein. Wald- zerstorung ist eine Phase, aber nicht das letzte Wort der Kultur. Wenn auf einem jungfraulichen Boden eine Menschengesellschaft die ersten Schritte zur Bildung thut, da muss der Urwald dem nachsten Bediirfniss welch en, da wird an Wahl und Schonung nicht gedacht. Jeder schopft nach Belieben aus dem unermesslichen Vor- rath, der wie die Luft Allen gleich geschenkt ist. Ja, der Aus- roder des Waldes erscheint auf dieser Stufe als ein Wohlthater und hiilfreicher Heros. In den Wald vorzudringen war in jenen Urzeiten in der That schwieriger, als man jetzt denkt, ein Werk, das fast ubermenschliche Anstrengungen forderte. Theophrast, h. pi. 5, 8, 2, erzahlt von einem Versuch der Romer, auf der Insel Corsica eine Niederlassung zu griinden, der aber an der Undurchdringlichkeit des Waldes scheiterte: die Ankommlinge warden vom Dickicht so zu sagen zuriickgeschlagen. Belehrend in dieser Hinsicht ist auch die Stelle des Strabo, 14, 6, 5: » Eratosthenes sagte (zunachst von der Insel Cypern, aber der Vorgang ist typisch), Wald habe vor Alters alle Ebenen bedeckt und den Anbau gehindert; der Bergbau habe ihn ein wenig gelichtet; dann sei die Schifffahrt gekommen, die gleichfalls viel Holz verbraucht habe; da aber auch damit die Wildniss nicht bezwungen worden, habe man Jedem erlaubt, nieder- zuhauen und sich anzusiedeln, wo er wolle, und ihm das also ge- wonnene Stuck Land als sein steuerfreies Eigenthum zugesprochen.« Und erst diese letzte Massregel setzen wir in seinem Sinne

hinzu - - schuf Licht und Kultur. Je welter der Wald sich zuriick- zog, desto freundlicher wurde die Natur, desto mannigfal tiger ihre Gahen an Krautern und Friichten, denn der ununterbrochene Urwald duldete auf dem mit Fichtennadeln oder gerbstoffhaltigen Blattern bedeckten ewig beschatteten Boden nur eine beschrankte und ein- formige Vegetation. Erst lange nachher kehrt sich nach dem Gesetz der drei Momente dies Vevhaltniss um; der Mangel an Holz, an Schatten und Feuchtigkeit erweckt die Klage nach der entschvvun- denen Naturfrische ; es regt sich gleichsam das Gewissen; jetzt wird niit bewusster Absicht dem Walde sein Bestehen innerhalb gewisser Grenzen gesichert oder, da wo er ganz fehlt, Anpflanzung unter- nonunen, wie schon heute in mehreren europaischen Staaten ge- schieht. Ehe aber rationelle Wirthschaft wieder gut machen kann,

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was vorausgegangene Generationen unbefangen verdorben haben, tritt haufig aus anderen historischen Griinden Verwilderung ein, so dass das Land theils als wie von der Kultur verbraucht, theils als der blinden menschenfeindlicben Natur anheimgefallen (z. B. durch Ver- sumpfung) sich darstellt - - auf welchern Punkte Griecbenland jetzt steht. Zu keiner Zeit aber 1st dies Land feucht und dunstig, wie England, gewesen, immer lag es Afrika nabe und schon die Alten haben Ziegen gehalten, Cisternen angelegt und kunstlich bewassert. - Von Fraas hat sich wohl auch E. Curtius imponiren lassen, wenn er in der Einleitung zu seiner Bereisung des Peloponnesus (1,53 55) auf Griechenlands physische Natur so duster und hoffnungslos blickt. Dass sich bei den Philosophen, namentlich Plato, Stellen linden, nach denen die Erde und insbesondere Hellas als gealtert, als blosses einst bekleidetes Todtengebein erscheint - - was will das sagen? Plato war seinem ganzen Charakter nach ein elegischer Idealist und Seneca, wenn er den Ausdruck: Altersschwache des Erdbodens (loci seniurn) gebraucht, erscheint auch hierin als Vor- laufer des Christenthums. 1st es nicht auch bei uns ein allgemein verbreitetes Gefiihl und hort man nicht oft genug sagen, dass das Klirna sich verandert habe, dass in den Jugendtagen des Sprechenden die Menschen kraftiger und gesunder, der Boden ergiebiger u. s. w. war? Der alte Schiffer, mit dem Julius Frobel (Aus Amerika 1, 200) die Ueberfahrt von New- York nacb Chagres machte, behauptete sogar, die Passatwinde batten wahrend seiner Lebenszeit an Regelmassig- keit eingebiisst. Aus der zunehmenden Schlechtigkeit der Welt hat man unzahlige Male das bevorstehende Ende aller Tage gefolgert. Lasaulx, ein anderer Munchener Romantiker, prophezeite vor nicht langer Zeit den Untergang der westeuropaischen Civilisation (der ihm einerlei war mit dem der Kirche) und setzte schon die Slaven als Erben ein. Solchen Stimmungen und Phantasien gegeniiber giebt es jetzt Widerlegungsgriinde, die den alteren Zeiten nicht zu Gebote standen, namlich die Zablen der Statistik und die Rech- nungen der Naturwissenschaft. E. Curtius schliesst mit den Worten: »Ein Theil dieser Uebelstande (die durch Ausrodung der Walder sich ergeben haben) kann wieder gehoben werden, wenn von Neuem die gestorte Ordnung der Natur hergestellt wird. Andere Schaden kann keine zweite Kultur ersetzen, so wenig wie im organischen Leben erstorbene Krafte durch Kunst wieder erzeugt werden konnen.« Welches sollen diese unersetzlichen Schaden sein? Humuserde kann im Terrassenbau auf die Berge geschafft, stockende Fliisse konnen

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gereinigt, diirre Heiden bewassert, versumpfte Ebenen durch Kanal- bauten entwassert werden; die Walder warden, wenn man sie gegen Ziegen und die Feuer der Hirten schtitzte, in diesem glucklicheii Klinia in nicht allzulanger Zeit wieder die Abhange der Berge be- decken. Was ware dem Kapital hier unmoglich und welche Krafte waren hier auf immer erstorben? Die allgemeinen Naturverhalt- nisse, deren der Mensch nicht Herr werden kann, bestanden im friihesten Alterthuni wie jetzt. Die Fluten plotzlich einbrechender Gewitterstiirze z. B. werden sich immer zerstorend ins Thai stiirzen, Baume und Felsen mit sich fortreissen, wie in Homers Zeit, und wenn sie abgeflossen, sogenannte Rheumata oder Fiumaren, d. h. trockene Kiesgriinde hinterlassen, Dinge, die in den Ebenen Mittel- europas, wo der Regen oft tagelang vom grauen Himmel traufelt, nicht zu befiirchten sind. Was sich nordischen Reisenden, die ein ideales Griechenland in der Vorstellung mitbringen, als Yerderbniss in der Zeit darstellt, ist zum Theil Charakter siidlicher Lander und Klimate iiberhaupt. Die Mangel, uber die gekiagt wird, sind mit allem Zauber und Segen dieser der Sonne naher liegenden Gegenden unaufloslich verkniipft. Man iiberschatze auch nicht den Einfluss der Walder auf das Klima. Es ist damit gegangen, wie oft mit neuen Gesichtspunkten : man pflegt sie allzu ausschliesslich geltend zu rnachen. In dem vorliegenden Falle kam noch das Interesse poetischer Gemuther und besonders das des feudalen Adels hinzu, der fur grossere Besitzstiicke kampfte, sein Jagdrevier nicht missen wollte und diesmal so gliicklich war, mit den neuen Lehren der Bodenwirthschaft und Nationalokonomie Chorus machen zu konnen. In der Tha|, aber hangen die klimatischen und Witterungs- verhaltnisse der europaischen Lander im Grossen. gar nicht von der Pflanzendecke des Bodens ab, sondern nachst der geographischen Breite von weitgreiferiden meteorologischen Vorgangen, die von Afrika und dem atlantischen Ocean bis zum Aralsee und Sibirien reichen.

Umsich tiger als Fraas hat Franz Unger die Frage, ob der Orient von Seiten seiner physischen Natur einer Wiedergeburt fahig sei, mit Ja beantwortet (Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise in Griechen- land und in den ionischen Inseln, Wien 1862, S. 187 ff.). Unger widersetzt sich auch der Annahme, als gebe es einen Marasmus senilis der Natur und als grabe die Civilisation sich ihr eigenes Grab. Man bilde nur die Menschen um, die diesen Boden bewohnen: der Boden selbst hat von seiner schopferischen Kraft nichts eingebusst; er ver-

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langt nur Schonung und Nachhiilfe. Konnten z. B. nur die Ziegeiv heerden verringert oder zu Hause gefiittert werden, so wiirde sich die Strauchvegetation in kraftigen Wald verwandeln und die Trocken- berge sich wenigstens mit Gestriipp bekleiden, ohne irgend eine kiinst- liche Pflanzung oder Terrassirung. Die Strandkiefer und quercus aegilops wiirden bald nicht mehr die einzigen Baume sein, die dem Reisenden auf Ausfliigen in Griechenland begegnen. Wie viel Men- schenalter nothig waren, den Orient wieder zu belauben, ist schwer zu bestimmen, doch ist unter diesem Himmel die Zeugungs- und Heilkraft der Natur erstaunlich. Und wie mit der Vegetation, steht es auch mit manchen andern Einbussen, die das Land seit dem Alterthuni erlitten hat. Manche Hafen z. B., die die Alten benutzten, sind jetzt versandet, aber dafiir giebt es andere, noch schonere, die der kleinen Schifffahrt der Alten zu gross und tief waren, aber den jetzigen Mitteln und Massstaben gerade entsprechen. Man sieht, ob Griechenland, Kleinasien, Syrien, Palastina, diese jetzt so ver- wahrlosten Lander, einer neuen Bliithe sich erfreuen sollen, hangt allein von dem Gange der Welt- und Kulturgeschichte ab: die physische Natur wiirde kein uniibersteigliches Hinderniss in den Weg stellen. Auch liegt dem Urtheil, dass diese Gegenden fur immer ausgenutzt seien, keine wirthschaftliche oder naturwissen- schaftliche Beobachtung, vielmehr nur falsche geschichtsphilosophische Theorie zu Grunde.

Von einem andern, aber gleich triiben Gesichtspunkt aus haben Junger einer neueren Wissenschaft, der Agrikultur- und Bodenchemie, dem Orient und den Landern urn das Mittelmeer das Urtheil ge- sprochen und schon die Todtenklage angestimmt. Der Ackerbau, Jahrhunderte und Jahrtausende fortgesetzt, erschopft den Boden und /wingt den Menschen, in ein frisches Land zu wandern. Die Stoffe, die zum Wachsthum der Pflanzeh und zur Fruchtbildung nothig sind, Alkalien, phosphorsaure Salze u. s. w., sind auf einer gegebenen Bodenflache nur in einem gewissen begrenzten Masse vorhanden: ist durch lange auf einander folgende Krnten dieser Vorrath ver- braucht und dieses Mass erreicht, so tragt der Acker keine Frucht mehr, wie ein ausgebeutetes Bergwerk kein Metall mehr liefert. Durch die Brache gevvinnen die im Boden enthaltenen Minenilien nur Ge- legenheit zu verwittern, losbar zu werden: die Zeit schliesst, so zu sagen, den Boden nur auf: aber welter geht ihre Macht nicht und wo jene Mineralien ihm einmal genommen sind, da kann auch die Ruhe dem Acker nichts helfen. Die sorgfaltigste Bearbeitung wirkt

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nur dahin, die chemischen Processe, die die Bestandtheile des Bodens erleiden miissen, um von der Pflanze ergrifFen zu werden, zu er- leichtern und zu beschleunigen, aber neue Bestandtheile der Art kann sie nicht schafFen. Durch D tin gun g geben wir dem Boden einen Theil dessen wieder, was wir von ihra empfangen, aber eben nur einen Theil, und im Laufe der Jahrhunderte muss diese DifTerenz sich so haufen, class auch der einst reichste Acker die menschliche Arbeit nicht mehr belohnt. Jede Ernte, die ausser Landes geht, jedes Getreideschiff, das den Ertrag einer ackerbauenden Gegend liber See entfuhrt, ist eine direkte Schmalerung des im Boden liegenden Kapitals. Was die Stadte verzehren, ist dem Lande entzogen und kommt ihm gar nicht oder in geringem Masse wieder zu. Der Abfall der Thiere und Menschen, das Laub der Baume, der Verwesungs- staub des organischen Lebens wird von Stiirmen verweht, von Stromen fortgerissen und von beiden endlich dem Ocean, dem letzten grossen Beh alter, iiberliefert. Was London verbraucht, haben die Grafschaften hergeben miissen und wird durch die Themse in die Abgriinde der Nordsee versenkt. Wie mit London, so war es einst mit Babylon, mit Rom, so mit den unzahligen stadtischen Ansiedelungen des Alter- thums; die umgebenden Landschaften liegen jetzt kraft- und hulflos da und es ist keine Hoffnung, dass sie je wieder aufleben konnten, da durch eine friihe begonnene und lange fortgesetzte Kultur alle der limwandlung in Pflanzenleben fahigen Stoffe aufgesogen und entfernt worden sind. Ist dieser Gedankengang richtig, so steht der ganzen Erde dasselbe Geschick bevor, das die Lander des Alterthums bereits betroffen hat. Auch England wird keinen Weizen mehr tragen, wie einst auch sein Kohlen- und Eisenvorrath erschopft sein wird; dann wird Mexico noch fruchtbar sein, fur welches aber auch der Tag der ewigen Ruhe kommen wird; und so weiter durch alle Lander beider Hemispharen durch. Und was der Mensch durch seine Nutzung nur beschleunigt, das muss auch auf dem Wege des natiiiiichen Pflanzen- lebens, auch wenn es nie einen Menschen gegeben hatte, als letzte Folge sich ergeben. Dann wird auch, setzen wir noch hinzu, alles Gebirge auf Erden durch die Kraft der Wasser und Wincle und der Verwitterung geebnet sein und die Sonne, die immerfort WTarme ab- giebt, ohne dass ihr die verlorene durch irgend Etwas, so viel wir wissen, ersetzt wird, todt und kalt sein und mit ihr die Erde und der Mensch. Gliicklicher Weise konnen wir die Zeit, in der dies Alles sich vollziehen wird, auch nicht annahernd berechnen und haben unterdess Musse, abzuwarten, ob in unserer Schlusskette sich

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nicht irgend ein Glied als unhaltbar erweist und damit die ganze Vor- aussage triigerisch und zur hypochondrischen Chimare wird. So sind schon jetzt an mehr als eiriem Punkte der Erde unerschopfliche Lager von Phosphoriten entdeckt worden, geeignet den Boden ganzer Lander fur unabsehbare Zeiten zu befruchten. Sollte nicht in naherer oder fernerer Zukunft die Kraft der raumbewaltigenden Mechanik so ge- wachsen sein, dass von solchen localen Anhaufungen auch welter ab- liegende Gegenden einen neuen Boden und mit ihm eine neue Energie des Pflanzenlebens beziehen konnten? Was auf diesera Wege einst moglich sein wird, das besitzen die Lander um das Mitteltneer zum Theil schon jetzt an ihrer gebirgigen, reich gegliederten Bodengestalt und an der seit uralter Zeit an dieselbe sich kniipfenden Irrigation. Denn wahrend in den Kornebenen des europaischen Wald- und Steppengebietes die Meteorwasser den Acker nur tranken, ohne seine Verluste zu ersetzen, bereichern die von den Bergen stiirzenden Quellen die ausgelaugte obere Erdkrume unaufhorlich aus den Schatzen des Erdinnern. Ein lebendiges Beispiel dafiir bildet die Lombardei: das Felsengeriiste, an das sie sich lehnt, sendet ihr durch die Fliisse und die festen oder aufgelosten Erden, die sie mitfuhren, immer ncue Mineralkrafte zu und erhalt sie so fruchtbar, wie vor zweitausend Jahren. Was aber die Natur allein nicht leistete, erganzte der Mensch, von der Noth belehrt, mit bewusster Zweckthatigkeit. Im Orient und am Mittelmeer, ini Bereiche regenloser Sommer, drohte der Vegetation jedes Jahr wahrend der drei oder vier heissen Monate der Tod durch Verschmachtung. Daher in diesen Landern seit dem friihen Alterthum die Sorge fur Bewasserung, die Fassung und Leitung der Quellen, die Kunst wagerechter Vertheilung, die Einschnitte in den Rand der Strome, die Damme und Durchstiche, die Schopfrader und Rinnen. So nothwendig war unter jenem Himmelsstrich diese Bemiihung, dass sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fortsetzte und zum bleibenden Naturell und zu angeborener Kunstfertigkeit wurde. Und wenn die kiinstliche Bewasserung urspriinglich ein Zeichen des sich regenden vorberechnenden Denkens gewesen war, so wurde sie ihrerseits ein machtiger Anreiz fernerer geistiger Entwickelung. Sie band den Menschen an den Menschen, - - nicht durch jene dumpfe natiirliche Gesellung, die auch die Thiere treibt, heerdenweise zu leben, sondern durch freie Gegenseitigkeit, die erste Gemeinde- und Staatenbildung. Nordlich der Alpen fiel diese Nothigung weg: da siedelte sich der Germane an, wo es ihm beliebte, fragte iiichts nach dem Nachbar und bildete den Charakter personlicher Eigenheit in

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sich aus. Selbst in der Neuen Welt wahrte dies Verhaltniss fort, da wo beide Racen in einer ahnlichen Natur zusammenstiessen. In Xeu-Mexiko, z. B. am Rio Grande, und in Texas batten die Spanier meilenweit Bewasserungskanale gezogen, die die einwandernden angel- sachsischen Amerikaner zum Schaden des Landes wieder eingehen liessen. »Den Bewohnern der Vereinigten Staaten ist diese Art des Landbaues frernd, und sie widerstreitet ihrem individualistischen Geiste, da ein grosseres Bewasserungssystem nicht obne eine darauf beziiglicbe Gesetzgebung und ohne Schmalerung der freien Dis- position des Einzelnen auf seinern Lande denkbar ist« (Frobel, Aus Amerika, 2, 160). Ja, ein Amerikaner bemerkt selbst, unter ameri- kanischen Handeii miisse der an Bewasserung gebundene Ackerbau stets damieder liegen, »weil die bei einem solchen System noth- wendige despotische Verwaltung der Gemeinde zu wenig mit den dortigen Sitten iibereinstimmt& (Grisebach, Vegetation der Erde, 2, 276). Organisirte Gemeinschaft also erscheint dem sachsischen Stamme als despotisph iiberhaupt; am Mittelmeer, von Bactrien und Babylonien bis zu den Saulen des Herakles, war sie ein Gebot der Xatur und wurde ein Charakterzug der Volker. Abgesehen aber von dieser politisch-sittlichen Wirkung verbiirgt die Irrigation auch dem Grund und Boden, so lange die Berge stehen und die Wasser rinnen, eine unvergangliche physische Jugend. Wo das Ackerland und die Wriese nur auf die aufsteigenden und niederfallenden Dampfe des Meeres angewiesen sind, da muss jener Zustand der Erschopfung viel rascher eintreten, welchem in den Augen besorgter, vielleicht auch hochmuthiger Beurtheiler die Lander des Altertbums schon ver- f alien sind.

Nicht ein unerbittliches Naturgesetz war es, was der Kultur des Orients den Untergang gebracht hat, sondern der Zusammenhang geschichtlicher Ereignisse, die erst die humane Entwickelung be- giinstigende, dann sie gefahrdende geographische Lage, der Contakt der Racen, Lebensformen und Religionen und die ihn begleitende Wuth der Zerstorung und Verunreinigung des Blutes. Die Region der acker- und stadtebauenden Volker Vorderasiens stiess an un- ermessliche Steppen und Wiisten, aus denen immer von Neuem wilde, blutgierige Nomaden hervorbrachen. Einst in sehr friiher Zeit batten nomadische Semiten vom Kaukasus bis zum persischen und arabischen Meerbusen sich ergossen und eine ihnen vorausgehende Kultur zerstort, deren Wesen und Richtung wir nicht mehr erkennen. Als sie drauf begonnen batten, sich auf dem neuen Boden sesshaft

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zu machen, erfolgte die iranische Flut, die, vielleicht gleichzeitig mil dern Einbruch der Indoeuropaer nach Europa, die semitische Welt mitten durch spaltete und in einzelnen Wellen unter der Be- nennung Phryger, Lykier u. s. w. bis an das mittellandische Meer sich fortsetzte. Seitdem rangeii in Asien beide Racen mit einander, die Semiten in ungeheuren despotischen Centren, um bildgeschmuckte Paliiste sich sammelnd, Kaiiale zieheiid und den Spaten fiihrend, die Iranier in naturlicher Freiheit ihre Thiere weidend, in Stain me gesondert und von Patriarchen gefuhrt, lauernd und rauberisch, ver- wiistend oder wegschleppend, was sie erreichen konnten. Allmahlich aber, durch den Einnuss der Zeit und des Beispiels und in der Herrschaft iiber gebildetere Kulturlaiider, ging ein Theil der Iranier selbst zu Niederlassung und hoherer Staatsordnung iiber, indess die andere Halfte dieses grossen Stammes - - Saken und Massageten, Sarmaten und Scythen, spater Alanen und Jazygen - - in den weiten unerreichbaren Flachen die alte nomadische Lebensart bewahrte. Diese Spaltung in zwei Halften war der Gegensatz von Iran und Turan, von Civilisation und Freiheit: das iranische Kulturgebiet erwehrte sich nur muhsam der aus dem Schosse der Steppe immer neu herein brechenden Wildheit. Schoii gegen Ende des 7. Jahr- hunderts vor Chr. batten Scythen einen Pliinderungszug durch ganz Asien gemacht, der aber nur acht und zwanzig Jahre dauerte und als blosse Episode bald wieder vergessen wurde. Dann hatte Cyrus versucht die Massageten, Darius die Scythen zu bandigen, beide ohne Erfolg. Vielmehr setzten sich unter dem Seleucidenreiche die aus den Jaxartes-Gegenden gekommenen reitenden Bogenschiitzen iranischen Stammes, die Farther, in dem ostlichen Theile Asien s bis an den Euphrat fest. Dann, im siebenten Jahrhundert unserer Zeit- rechnung, stiirmten die Araber, ein fanatischer Wiistenstamm, ur- plotzlich heran und rotteten alle Griindungen, die mit der Religion zusammenhingen - - und was im Orient hing und hangt nicht mit der Religion zusammen? - - mit der Wurzel aus. Wieder einmal war der Geist der Semiten Herr geworden liber den iranischen, als Widerspiel dessen, was einst Meder und Perser an ihnen veriibt. So gross nun auch die Verwiistung war, mit der Turanier und Islamiten gegen die Garten und Stadte Bactriens und Mediens, der Tigris- und Euphratlander, Syriens und Kleinasiens reagirten, - diese Nomaden und Reiter waren doch immer desselben Blutes, von edler Herkunft mid schoner Leibesgesta.lt, bildungsfahig und Anlage und Bediirfniss civilisirten Lebens, ihnen selbst unbekannt, in sich

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tragend. Das eigentliclie Verderben, ohne Moglichkeit der Wider- herstellung und Ankniipfung, erfolgte erst, als die bestialischen Racen, die bisher am Altai und von da welter am Baikalsee und auf der fiirchterlicben Hochflache im Herzen des Welttheils sich ver- borgen gehalten und nur fiir das chinesische Reicb den homogeiien nomadischen Hintergrund gebildet batten, die Tiirken und auf deren Spuren die Mongolen, den Weg nach Siidwesten in die arisch- semitische Welt gefunden batten. In Europa tauchte der tiirkische Stamm zuerst in der Horde der Hunnen auf, und welcben Eindruck schon ihr brutales Aeussere auf den Abendlander macbte, seben wir aus den Schilderungen der gleicbzeitigen Bericbterstatter und den Fabeln, die tiber die neu erschienenen Unholde im Volksmunde uro- gingen. Ammianus Marcellinus, da wo er die roben Sitten der Alanen, die frtiher Massageten genannt wurden, beschreibt, fiigt docb hinzu: »die Alanen sind fast alle hohe, schone Menscben (proceri autem Alanipaene sunt omnes et pulehri), den Hunnen in der Lebens- art abnlich (suppares), dennoch aber auf hoherer Stufe der Mensch- lichkeit stehend (verum victu mitiores et cultu)«. In Asien waxen schon im 6. christlicben Jahrhundert Sogdiana und Bactrien oder die alt-iraniscben kanalreichen. Ufer des Jaxartes und Oxus tiirkisches Land; von da wurde in den folgenden Jahrhunderten ganz Asien allmahlich durchritten, verheert, verbrannt, gepliindext und die Ein- wohner gemordet oder in die Gefangenschaft abgefiihrt. Seldschukische Hauptlinge schwangen die Lederpeitscbe, legten besiegten arabischen Emiren feierlicb den Fuss auf den Nacken und liessen sie dann in Stiicke hauen; persische Madcben mit mandelformigen Augen und langen Wimpern wurden in die schmutzigen Filzzelte ibrer heulenden missgestalteten Gebieter gescbleppt; so mischte sich vom Aralsee bis zum mittellandischen Meer unedles hochasiatisches Blut in das der alten Kulturvolker, als ein fortwirkendes Element sittlicher Erniedri- gung und geistiger Ohnmacht. Indess, auch die tiirkische Eroberung erscheint als nur geringes Leiden im Vergleich mit den entsetzlichen Graueln, die den Weg der Mongolen bezeichneten. Was diese Race gelber schiefblickender Schakale au? der Wiiste Gobi auf orientalischem Boden vertibt hat, lasst sich mit Worten gar nicht schildern. Als Dschingiskhan im Jahre 1221 - - wir wollen nur dies eine Beispiel anfiihren - - gegen die bliihende volkreiche Stadt Balkh, das altberiihmte Bactra, die 1200 Moscheen und 200 offent- liche Bader besass, drohend heranzog, gingen ihm Abgesandte mit Geschenken und Lebensmitteln entgegen, um Schonung flehend:

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der Khan war scheinbar begiitigt, zog in die Stadt ein und liess dann sammtliche Einwohner, unter deni Vorwand sie zahlen zu wollen, in einzelnen Abtheilungen aufs Feld hinausfiihren und sie dort abschlachten, die Stadt selbst aber schleifen - - die noch gegen- wartig ein unabsehbares Ruinenfeld bildet. Die tlirkischen Volker, deren Ausgang mehr nach Westen zu gelegen war, waren gleich Anfangs vom Islam gewonnen worden und batten sich dadurch dem Westen innerlich verbunden; auch waren sie, wie man gesteben muss, im Laufe der Jahre nach manchen Seiten gegen die mildere Sitte und ererbte Bildung der ihnen unterworfenen Bevolkerung nicht ganz unempfindlicb geblieben: die mongolischen Horden aber trieb nur der Instinkt der Zerstorung und des Mordes, und die Spuren ihres Daseins sind bis auf den heutigen Tag nicht erloschen. Seit der mongolischen Zeit liegt der Orient wie ein zu Tode Ge- troffener da, ohne sich aufraffen zu konnen. So verhangnissvoll wurde der altesten Menschenkultur und den gesegneten Landern, in deneii sie erbliihte, der ununterbrochene Zusammenhang mit den unwirthlichen Hochflachen im Innern des grossen Welttheils, der Heimath einer niedern Menschenrace von abstossender Gesichtsbildung und unflathigen Sitten.

Auch der griechischen Halbinsel gereichte die Nahe Asiens und der osteuropaischen Steppen und die Verunreinigung mit fremdem Blute zum Verderben. Denn welches waren ihre Schicksale seit der Volkerwanderung ? Die Bulgaren, ein tiirkischer Stamm, liessen sich siidlich der Donau nieder, die gleichfalls turkischen wilden Avaren iiberfielen mordend und pliindernd die um die befestigte Hauptstadt gelegenen Provinzen; Osmanen streiften und herrschten schon vor einem halben Jahrtausend in diesem Vorland Europas. Auch den Germanen diente der griechische Boden zum Schauplatz ihrer noch ungebandigten Kriegs- und Beutegier - - man erinnere sich nur der furchtbaren Verheerungsziige der am schwarzen Meer angelangten Gothen gegen die Kiisten, Stadte und Inseln Kleinasiens und des Peloponnes ; nach Italien pflegten sie erst zu kommen, wenn sie ihre erste frische Rohheit schon abgelegt batten. Slaven iiberschwemmten dauernd nicht bloss die Donau gegenden und Thrakien, sondern auch alle Theile des alten Griechenlands selbst und belegten Berge, Thaler, Fllisse und Ortschaften mit Xamen ihrer Sprache; aus rauhen Gebirgswinkeln drangten Albanesen liaufenweise in die entvolkerten Landschaften hinab; beide nahmen dann die von Konstantinopel auf dem Wege der Kirche und der

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politischen Administration ihneii gebotene griechische Sprache (in entarteter byzantinischer Aussprache) an und bildeten mit dem Rest der friiheren Bewohner, soweit sich ein solcher noch vorfand, das Yolk der heutigen Griechen. So erklart sich die Barbarei, der sich Hellas so schwer entwindet, aus dem Fluche der Schandung, der auf ihm liegt, nicht aus der angeblichen Erschopfung der Naturkraft, die sicher noch so wirksam ist, wie einst in den Tagen der schonsten Bliithe dieses Landes.

Als die grosse arische Wanderung den beiden Halbinseln, die nachher cler Schauplatz der klassischen Bildung wurden, die ersten Bewohner hoherer Race gab, von denen wir historisch wissen, da waren diese Lander - - so diirfen wir uns die Sache denken - - von einer dichten schwer zu durchdringenden Waldung diisterer Fichten und immergriiner oder laubabwerfender Eichen bedeckt, etwa wie Homer sie schildert:

Diese durchathmete nie die Gewalt feuchthauchender Winde, Noch traf Helios Leuchte sie je mit den flammenden Strahlen, Auch kein stromender Regen durchnasste sie: so in einander Wuchs das Geholz; viel lagen umher der gefallenen Blatter - dazwischen in den Flussthalern rait offnern Weidestreckeii, auf denen die Kinder der Ankommlinge sich zerstreuten, reich an nackten und krauterbewachsenen Felsabstiirzen, an denen die Schafe rupfend auf- und abkletterten und von deren Gipfel bin und wieder das ode unfruchtbare Meer sichtbar wurde. Das Schwein fand reichliche Eichelnahrung, der Hund hiitete die Heerde, wilde Bienenstocke lieferten Wachs und Honig, wilde Apfel-, Birn- und Schlehenbaume boten saure harte Friichte zum Gemiss, gegen den Hirsch und Eber, den wilden Stier und den raubgierigen Wolf ward der Pfeil voin Bogen geschnellt oder der mit scharfem Stein bewaffnete Speer ge- schwungen. Das Jagdthier und das Thier der Heerde gab alles Nothige, sein Fell zur Kleidung, seine Homer zu Trinkgefassen, seine Darme und Sehnen zu Bogenstrangen, sein Geweih und seine Knochen zu Werkzeugen und den Handgriffen derselben; robes Leder war der vorherrschende Stoff, die beinerne und hornerne Nadel diente zum Nahen und Befestigen desselben (suere ist das ur- alte Wort fiir solche Lederarbeit, man vergleiche sutor der Schuster, xaOffvpa das Leder, subula die Able, slav. podusiva die Schuhsohle, silo, ahd. siula der Pfriemen u. s. w.). Mit Leder war der auf dem

Ur/eit. 15

Wasser schwimmende geflochtene Kahn iiberzogen, mit Stiersehnen das Lederkleid zusammengenaht, Hesiod. 0. et d. 544:

Nahe dir Haute zusammen mit Sehnen des Stiers ,

mit Rieinen die Spitze am Pfeil und am Speer befestigt, das Zug- thier vor dem Wagen angeschirrt und die Peitsche, die zum An- treiben diente, bewaffnet. Ein viel erlegtes, auch zur Nahrung dienendes Thier war der Biber, der durch ganz Europa die Seen und Fliisse dicht bevolkerte (lat. fiber, keltisch beber, biber, wonach die gallischen Stadte Bibrax und Bibracte benannt waren, ahd. pipar, bibur, mhd. biber, ags. beofor, altn. bifr, preussisch und lit. bebrus, slavisch bobrif, auch bebru, bibru; im Griechischen ist das Wort, wie auch das Thier in Griechenland, fruhe untergegangen, dafur aber von Europa in den Orient gedrungen, Frahn Ibn-Foszlan S. 57). Zum Bogen diente besonders das Holz der Eibe2), zum Schaft des Speers das der Esche, auch des Holunders (dxTsa, axTrf} und Hart- riegels, zum Schilde ein Gefiecht aus Rutheri der Weide (ixvs, hsa = Schild); die Baume des Urwaldes, von riesenhaftem Wachsthum, wurden durch Feuer und mit der steinernen Axt zu ungeheuren Boteii ausgehohlt. Auf dem Raderwagen, einer friih erfundenen Maschine, die ganz aus Holz zusammengefugt war und an welcher Holzpflocke die Stelle der spatern eisernen Nagel vertraten, ward die Habe der Wanderer, ihre Melkgefasse, Felle u. s. w. mitgefuhrt8). Die Wolle der Schafe ward ausgerupft4) und zu Filzdecken und Filztiichern zusammengestampft, besonders zum Schutze des Hauptes (gr. Ttthog, lat. pilleus, pileus der Hut, germanisch und slavisch mit erweitertem Stamm: Filz, plusti, Hesiod. 0. et d. 545:

iiber das Haupt dir Setze geformten Filz, vor Nasse die Ohren zu schiitzen.)

Aus dem Bast der Baume, besonders der Linde, und aus den Fasern der Stengel mancher Pflanzen, besonders der nesselartigen, f loch ten die Weiber (das Flechten ist eine uralte Kunst, die Vorstufe des Webens, dem es oft sehr nahe kommt) Matten und gewebeartige Zeuge und Jagd- und Fischernetze. Milch und Fleisch war die Nahrung, das Salz ein begehrtes Gewiirz, das aber schwer zu erlangen war und dem am Meeresufer, in der Pflanzenasche u. s. w. nachgegangen wurde5). Je weiter nach Siiden, desto leichter wurde es, das Vieh zu iiberwintern, das im hohern Norden wahrend der rauhen Jahreszeit nur kummeiiich unter dem Schnee seine Nahrimg fand und unter ungiinstigen Umstanden massenhaft zu Grunde gehen

16 Urzeit

musste - - denn der Heerde ein Obdach zu schaffen. und getrocknetes Gras filr den Winter aufzubewahren, sind Kiinste spatern Ursprungs, die sich erst im Gefolge des ausgebildeten Ackerbaues einfandeii. Auch die Race der Hausthiere war eine geringe, das Schwein z. B. das kleine sogenannte Torfschwein, und stand von der spatern durch Kultur und Verkehr veredelten, die wir jetzt vor Augen haben, noch weit ab. Zur Wohnung fiir den Menschen diente im Winter die unterirdische, kunstlich gegrabene Hohle, von oben mit einem Rasen- dach oder mit Mist verdeckt6), im Sommer der Wagen selbst oder in der Waldregion die leichte, aus Holz und Flechtwerk errichtete zeltahnliche Hiitte. Der Natur der Sache nach musste bei einem viehschlachtenden Volke die Kampfsitte blutig und die Strafe grausam sein; Wuth und Rache, Raub und Beutegier bildeten die Antriebe, List und Hinterhalt und Ueberfall, wie auf der Jagd dem Thiere gegeniiber, die Formen und Mittel des Kriegs; die Gefangenen wurden geschlachtet, wie bei den Cimbern, ja noch den Germanen des Tacitus, die Sclaven zu grosserer Sicherheit verstummelt; der Sieger trank von dem Blute des erlegten Feindes, der Hirn- schadel diente ihm beim Schmause zur Schale und zu ubermiithiger Erinnerung 7). Greise, wenn sie zum Kampfe kraftlos geworden, gingen freiwillig in den Tod oder wurden gewaltsam erschlagen, ahnlich auch unheilbare Kranke8). Bei religiosen Festen und Siihn- opfern floss reichlich Menschenblut ; dem Hauptling folgten seine Knechte, Weiber, Pferde und Hunde in das Grab nach9); die Frau wurde geraubt oder gekauft, das Neugeborene vom Vater aufgehoben oder verworfen und ausgesetzt (Grimm R. A. 455: »Von Aussetzung der Kinder sind alle Sagen voll, nicht allein deutsche, auch romische, griechische und des ganzen Morgenlandes. Es lasst sich nicht zweifeln, dass diese grausame Sitte in der Rohheit des Heidenthums rechtlich war«). Die Naturkrafte, deren Gegenwart mit dumpfem Schauer empfunden wurde, hatten noch keine menschlich-personliche Gestalt angenommen: der Name Gottes, dessen lateim'sche Form dens ist, bedeutete noch Himmel (das von den Finnen erborgte litauische dtiwctfy preuss. deivas hat bei ihnen noch heute den Sinn von Himmel, finnisch taivas, estnisch taevas, livisch tovas), und wahrend in dem indischen Varuna schon ethische Motive entwickelt sind, hat in dem griechischen Uranos der Process der Personification kaum erst angesetzt. Das Loos entschied bei wichtigen oder un- gewohnlichen Begegnissen und Entschliissen10); Vorbedeutung und Aberglaube bestimmten alles Thun und Lassen; Zauberformeln losten

Urzeit.

17

die Fesseln der Gefangenen und gaben der WafTe iibernatiirliche Kraft; die Wunden, die die Ax t gerissen, wurden durch Besprechung geheilt, ebenso das hervorspritzende Blut gestillt (em solcher Be- schworer hiess gotisch lekeis, leiheis, slavisch UJcari, altirisch liaig, Zeuss2 19; Od. 19, 456:

Und sie verbanden zugleich des untadligen hohen Odysseus Wunde geschickt und stillten das dunkele Blut mit Beschworung.

Noch bei Pindar Pyth. 3, 51 drei Arten der Behandlung des Kranken: durch Beschworung, snaotdri, auch Kvmi Gebet zu den Gottern, durch Salben und Tranke, durch Schneiden mit dem Messer). Wie in der religiosen Anschauung die Verwandlung der Natur- machte in damonische Personen sich noch nicht vollzogen oder eben erst begonnen hatte, so walteten auch im Zusammenleben der Menschen die unmittelbaren Naturformen: aus dem Familienverbande und der Herrschaft des Patriarchen ging in weiterem Wachsthum der erst engere, dann umfassendere Zusammenhang des Stammes hervor (Worter wie nohg, populus, goth. thiuda u. s. w. sehen wir erst allmahlich in das Reich der Freiheit, d. h. zu politischen Be- griffen emporsteigen)11). Als Auszeichnung adeliger Geschlechter findet sich in historischer Zeit die Tatowirung, vielleicht ein Rest uralter Sitte, da sie bei entfernten Gliedern des grossen Stammes wiederkehrt, so bei Gelonen und Agathyrsen (Mela 2, 1, 10: Aga- thyrsi ora artusque pingunt : ut quique majoribus praestantj ita magis vel minus: ceterum iisdem omnes notis, et sie ut ablui nequeant), bei Thrakern (schon bei Herodot 5, 6, also vor der keltischen Zeit), Sarmaten, Daken, den Briten auf ihrer entlegenen Insel, welche letztere danach benannt waren (kambrisch breith = variegatus, auch die Picti moglicher Weise nur die lateinische Uebersetzung von Briten, Britten)12). Bei der Aufstellung zum Kriege herrschten schon die Zahlen des Decimalsystems - - eine erste Regung der Abstraction, doch war der Begriff tausend, da das Wort dafur fehlt, noch nicht aufgegangen 13). Im Uebrigen bildete die Sprache einen verhaltnissmassig intakten, viel gegliederten, von lebendigen Gesetzen innerlich beherrschten Organismus, wie er nach Jahrtausenden die Freude ,und Bewunderung des Grammatikers ist und wie er nur im Dunker'-eingehullten Geistes und unmittelbaren Bewusstseins wachst und sich entfaltet - - mit dem erwachenden Denken beginnt die lastige, wuchernde Formen- Vegetation und die paradiesische Klang- fiille allmahlich abzusterben. Dies etwa war der Zustand jener Wandervolker zur Zeit ihrer Ausbreitung in Europa, so weit

Viet. Hehn, Kulturpflan/en. 7. Aufl. 2

1 8 Urzeit.

wir ihn nach einigen seiner allgemeinen Ziige im Geiste wieder- herstellen konnen. Eine Vergleichung gewahren etwa die Andeu- tungen des alien Testaments iiber die kriegerische Einwanderung semitischer Hirtenvolker in Palastina: dort traten den Kanaanitern wilde Ureingeborene entgegen, die spater als Riesen gedacht wurden und die in einigen Resten noch bestanden, als ganz zuletzt die Beni-Israel in dem Lande ihrer vorausgegangenen Stammgenossen gewaltsam sich festsetzten. So mogen auch die Indogermanen in Europa urspriingliche Bewohner vorgefunden haben, die sie aus- rotteten, oder mit denen sie sich vermischten : im Osten die Finnen, ein sehr tief stehendes Jagervolk, das die Wolle, das Salz und den Raderwagen nicht kannte und nicht einmal bis hundert zahlte, im Westen und Siiden die Iberer und vielleicht die Libyer, von deren Kulturstufe wir nichts wissen. Ein anderes noch lehrreicheres, in ganz historische Zeit fallendes Beispiel bietet der grosse Eroberungs- zug der Tiirken durch Asien und die Niederlassung dieses noma- dischen Stammes auf dem weiten von ihm uberschwemmten Boden. Die Tiirken freilich und dies konnte geeignet sein, die Analogic wieder etwas einzuschranken - - trieben nicht ihre Rinderheerden vor sich her, sondern kamen auf dem geschwinden Ross, das sie und ihre Zelte durch die Weite trug und hier erhebt sich die schwierige Frage, ob auch die Indoeuropaer schon mit dem ge- zahmten Pferde in Europa einwanderten oder es erst nachmals er- hielten? Wir haben oben unter den Grabesopfern auch die Pferde des Bestatteten mit aufgefiihrt - - wie, wenn wir damit einen Ana- chronismus begangen hatten? Humboldt, Central- Asien, 1, 436 sagt: »die Innere (Kirghisen) Horde bewohnt einen Theil der Gegenden, in welchen vormals dieselben Kalmuk-Turguten nomadisirten, welche von der chinesischen Grenze gekommen waren und in der Nacht des 5. Januar 1771 mit ihren 30,000 Jurten davonzogen, urn auf einem 400 Meilen langen Marsche kriegfiihrend die Ebenen der Dsun- garei zu erreichen. Diese Wanderung von 150,000 Kalmuken, be- gleitet von ihren Frauen, Kindern und Heerden, vor etwa 70 (jetzt iiber 100) Jahren, ist eine historische Thatsache, welche auf die alteii Einfalle asiatischer Volker in Europa grosses Licht wirft.« Diese Bemerkung des tiefblickenden Meisters (fur welche wir bereit waren, ein Dutzend sog. indogermanischer Idyllen, so reizend ihr Colorit ist, herzugeben) wollen wir uns gesagt sein lassen und nicht vergessen - - aber die Karren und Heerden der Kalmuken waren von kriegerischen Reitern umschwarmt und so ging der Zug

Das Pfercl. ^9

unaufhaltsam nnd sicher fort: durfen wir uns den fruhesten. Ein- bmch aus Asien auch schon ahnlich ausgeriistet denken? Wir ver- suchen im Folgenden die Hauptziige der altesten Geschichte des Pferdes zusammenzustellen und dadurch vielleicht einige Wahrschein- lichkeit fur oder wider zu gewinnen.

Das Pferd.

(equus caballiis.)

Das edle Ross, der Liebling und Begleiter des Helden, die Freude der Dichter, die es in prachtigen Schilderungen verherrlicht haben, z. B. der Verfasser des Buches Hiob ira 39. Kapitel oder Homer in der Ilias 6, 506:

Gleichwie das Ross, das lang im Stall sich genahrt an der Krippe, Seine Fessel zerreisst und stampfenden Hufs durch die Ebne Rennt, sich zu baden gewohnt in dem schonhinwallenden Strome, Strotzend von Kraft ; hoch tragt es das Haupt und umher an den Schultern Flattern die Mahnen empor; im Gefiihl der eigenen Scho'nheit Tragen die Schenkel es leicht zur gewohnten Weide der Stuten, - So schritt Priamos' Sohn von Pergamons Veste hernieder, Paris im leuchtenden Waffenglanz, der Sonne vergleichbar, Freudig und stolz, rasch trugen die Schenkel ihn - oder Vergil Georg. 3, 83:

turn, si qua sonum procul anna dedere, Stare loco nescit, micat auribus et tremit artus, Conlectumque fremens volvit sub naribus ignem -

- dies glanzende, stolze, aristokratische, rhythmisch sich bewegende, schaudernde, nervose Thier hat doch fiir die gegenwartige Erdepoche seine Heimath in einer der rohesten und unwirthlichsten Gegenden der Welt, den Kiessteppen und Weideflachen Centralasiens, dem Tummelplatz der Stiirme. Dort schwarmt es noch jetzt, wie ver- sichert wird, im \vilden Zustande unter dem Namen Tarpan umher, welcher Tarpan sich nicht immer von dem bloss verwilderten Musin, dem Fliichtling zahmer oder halbzahmer Heerden, unter- scheiden lasst. Es weidet gesellig, unter einem wachsamen Fiihrer, dem Winde entgegen vorschreitend, mit den Niistern und Ohren immer der Gefahr gewartig, und weil phantasievoll, nicht selten von panischem Schreck ergriffen und unaufhaltsam durch die Weite gejagt. Wahrend des fiirchterlichen Steppenwinters scharrt es den

2*

20 Das Pferd.

Schnee mil den Hufen weg und nahrt sieh diirftig von. den drunter befindlichen abgestorbenen Gramineen und Chenopodeen. Es hat erne reich wallende Mahne und einen buschigen Schweif, bei Einbruch der Winterkalte wachst ihm das Haar am ganzen Leibe zu einer Art dunnen Pelzes. In eben jener Weltgegend lebten auch die ur- spriinglichsten Reitervolker, von denen wir Kunde haben, im Osten die Mongolen, im Westen die Tiirken, beide Nameii im weitesten Sinne genommen. Noch jetzt ist die Existenz dieser Racen an die des Pferdes gebunden. Der Mongole halt es fur eine Schande, zu Fuss zu gehen, sitzt stets zu Rosse und bewegt sich und steht auf der Erde, als ware er in ein fremdes Element versetzt. Ehe der kleine Knabe noch gehen kann, wird er auf das Pferd gehoben und klammert sich an die Mahne; so wachst er im Verlauf der Jahre auf dem Riicken des Thieres au^ und wird zuletzt ganz eins mit diesem. Auch der mongolischen Korperbildung hat diese Lebens- art, von Geschlecht zu Geschlecht Jahrtausende lang fortgesetzt, ihr unterscheidendes Geprage gegeben. Die Beine des Mongolen sind sabelformig gebogen, der Gang ist schwerfallig und der Oberkorper nach vorn gebeugt; auch innerhalb des Zeltes gleicht sein unstat umherspahender Blick dem des Reiters in der unermesslichen Steppe, der nach alien Seiten ausschauend eine Meile weit die kleinste Staub- wolke am Horizonte entdeckt. Der Reichthum des Einzelnen besteht in der Zahl und Grosse seiner in halbwildem Zustand weidenden Tabuns; bedarf er in gegebenem Falle eines jungen Thieres, so wird dieses mit der Schlinge eingefangen. Die Milch der Stuten ist das Getrank und das Berauschungsmittel (es gehort viel Uebung und Kraft dazu, die Stuten, nachdem sie gekoppelt worden, zu melken), das Pferdefleisch die gewohnte und liebste Nahrung. Bei den jetzi- gen Mongolen hat freilich der Buddhisnius die letztere Speise aus- zurotten gesucht und der Lama wenigstens hiitet sich in frommer Enthaltsamkeit, d'avon zu kosten. Auch das Fell und das Haar des Pferdes ist dem Mongolen nutzbar: aus dem erstern werden die Riemen geschnitten, die ihm so unentbehrlich sind, das letztere client zu Stricken und Sieben und aus dem Felle der jungen Fullen werden die Kleider zusammengenaht.

Von dem breiten Riicken des Welttheils stieg das Thier nach alien Seiten bis in die Hochgebirge des nordlichen Indien hinauf und in die Flussthaler Turkestans, in die Landschaften und Wusteii des Jaxartes und Oxus hinab. Dort ist das Pferd des Turkmenen noch jetzt von ungemeiner Kraft, Ausdauer und Klugheit. Mit

Das Pferd. 21

geringem Mundvorrath verseheii macht der Turkmene Ritte von hun- dert Kilometern, ohne zu rasten, iiberfallt und plunder!, und ver- schwindet, ehe der Beraubte rioch zur Besinnung gekommen. Oft iibernachtet der Reiter scblafend auf seinem Thiere, mitten in der Wiiste, obne diesem einen Tropfen Wasser bieten zu konnen. Auch liebt er, nach Vamberys Worten, sein Ross mehr als Weib und Kind, mehr als sich selbst; es ist riihrend, rait welcher Sorgfalt dieser robe, habgierige Sohn der Wiiste sein Thier aufziebt, wie er es hiitet, gegen Frost und Hitze kleidet 'und mit Zaum und Sattel- zeug nach Kraften Aufwand treibt. Auch in den Augen des Kirgisen ist das Pferd der Inbegriff aller Schonheit. »Er liebt sein Pferd mehr als seine Geliebte und schone Pferde verleiten auch den ehrlichsten und angesehensten Mann zum Diebstahl« (W. RadlofF in der Zeitschr. fiir Ethnologic, 3, S. 301). Doch ist zu bemerken, dass die turk- menische Race, obwohl dem Kerne nach einheimisch, doch stark mit arabischem Blute gekreuzt ist und dieser Mischung einen Theil ihrer edlen Eigenschaften verdankt.

Dass das Pferd auch westlich von Turkestan das Steppengebiet des heutigen siidostlichen und sudlichen Russland bis zum Fusse der Karpathen in urspriinglicher Wildheit durchstreifte, kann glaublich erscheinen, weniger, dass sogar die Waldregion Mitteleuropas einst von Rudeln dieser Thiere belebt gewesen. Und doch liegt eine Reihe historischer Zeugnisse vor, die diese letztere Thatsache ausser Zweifel zu stellen scheinen. Von spanischen wilden Pferd en berichtet Varro de r. r. 2, 1, 5: equi feri in Hispaniae citerioris regionibus aliquot, und ebenso Strabo 3, 4, 15: »Iberien tragt viele Rehe und wilde Pferde (innovo, ayQCovg).« In den Alp en lebten, wie wilde Stiere, so auch wilde Pferde (Strab. 4, 6, 10), und nicht bloss in den Alpen, sondern im Norden iiberhaupt, Plin. 8, 39: septen- trio fert et equorum greges ferorum. Auch im Mittelalter fehlt es nicht an Belegen fiir die Existenz wilder Pferde in Deutschland und in den von Deutschland ostlich gelegenen Landen. Zur Zeit des Venantius Fortunatus wird in den Ardennen oder Vogesen neben dem Baren, Hirschen und Eber auch der onager gejagt, worunter - wenn das Wort nicht bloss eine poetische Floskel ist - - das wilde Pferd verstanden werden kann, ad Gogonem, Miscell. 7, 4, 19:

Ardennae an Vosagi cervi, caprae, helicis ursi Caede sagittifera silva fragore tonat? Seu validi bufali ferit inter cornua campum. Nee mortem differt ursus. onager, aper?

22 I>as Pferd.

In Italien sah man wilde Pferde zum ersten Mai wahrend der longo- bardischen Herrschaft, unter dem Konig Agilulf, Paul. Diac. 4, 11: tune primum cdballi silvatici et bubali in Italiam clelati Italiae populis miracula fuerunt. Papst Gregorius 3 schreibt um 732 an den heil. Bonifacius (Bonifac. ep. 28 bei Jaffe, Mon. Mog. p. 91 ff.): »Du hast Einigen erlaubt, das Fleisch von wilden Pferden zu essen, den Meisten auch das von zahmen. Von nun an, heiligster Bruder, gestatte dies auf keine Weise mehr.« Der Apostel der Deutschen war also bis dahin in diesem Punkt liberal gewesen vielleieht weil er einen Gebrauch, der dem Italiener in Kom graulich erschien, auf seiner heimathlichen Insel von frtiher Jugend an gekannt und selbst geiibt hatte ? Unter den von dem St. Galler Monch Ekkehard dem vierten herruhrenden Segensspriichen zu den bei , dem gemein- samen Mahl aufgetragenen Speisen (vom Jahr 1000 oder bald nach- her, herausgegeben von Ferdinand Keller in den Mittheil. der antiqu. Ges. in Zurich, III, 2, S. 99 ff.) bezieht sich einer auch auf das Fleisch vom wilden Pferde, das also von den frommen Vatern des einst in der Wildniss gegrlindeten Klosters noch genossen wurde, v. 127:

sit fcralis equi caro dulcis in hac cruce Christi.

Der Winsbeke spricht in Strophe 46 (Weingartner Liederhandschrift S. 217) die Erfahrung aus: »Ein Fohlen in einer wilden Heerde Pferde wird, eingefangen, eher zahm, als dass ein ungerathener Mensch in seinem Innern Scham empfinden lerne « :

ein vol in einer wilden stuot un uzgevangen wirt e zam, e daz ein ungeraten lip gewinne ein herze daz sich scham.

Im Sachsenspiegel, da wo die Gerade der Frau bestimmt wird (d. h. die fahrende Habe derselben), sagt die Glosse, wilde Pferde, die man nicht immer in Hut behalte, seien dazu nicht zu rechnen, 1, 24: hir pruve hi, dat wilde Perde, de men al tit nicht unhut, de un horen Mr tu nicht. In einer westphalischen Urkunde vom Jahre 1316 (bei Venantius Kindlinger, Miinsterische Beitrage, Miinster 1787, I, Urk. no. 8, S. 21) wird einem gewissen Hermann die Fischerei im ganzen Walde und die wilden Pferde und die Jagd, die Wildforst genarmt wird, zugetheilt: item recognoscimus quod piscatura per totum nemus pertinet Hermanno praedicto et vagi equi et venatio dicta wiltforst. Ja nicht bloss zur Zeit der Merovinger, noch am Ende des 16. Jahr- hunderts lebten solche wilde Pferde in dem Vogesengebirge, der

Das Pferd. 23

rauhen Kriegs- und Grenzscheide zweier Racen, - wie Helisaeus Rosslin, des Elsass und gegen Lotringen grentzenden wassgawischen Gebirgs Gelegenheit, Strassburg 1593, S. 21, ausfuhrlich berichtet: »die in ihrer Art viel wilder und scheuer sind, dann in vielen Landen die Hirsch, auch viel schwerer und muhsamlicher zu fangen, eben so wohl in Garnen als die Hirsch, so sie aber zahm gemachet, das doch mit viel Muh und Arbeit geschehen muss, sind es die allerbesten Pferd, spanischen und tiirkischen Pferden gleich, in vielen Stiicken aber ihnen fiirgehen und barter seind, dieweil sie sonder- lich der Kalte gewohnet, und rauhes Futters, im Gang aber und in den Fussen fest, sicher und gewiss seind, weil sie der Berg und Felsen, gleich wie die Gemsen, gewohnet. « Fanden sich solcher- gestalt wilde Pferde in dem kultivirten West- und Suddeutschland, so mussten sie sich in den Wildnissen an der Ostsee, in Polen und Russland um so langer erhalten. Hier sind in der That die Zeug- nisse bis in die neuere' Zeit hinab zahlreich. Das Land der Pom- mern war zur Zeit des Bischofs Otto von Bamberg, also in der ersten Halfte des 12. Jahrhunderts, reich an aller Art Wild, darunter auch wilde Ochsen und Pferde, Herbordi vita Ottonis bei Pertz XX, p. 745 : bubalorum et equulorum agrestium . . . copia redundat omnis provincia. Um die gleiche Zeit gab es auch in Schlesien ungezahmte Pferde: der Canom'cus Wissegradensis, der Fortsetzer des Cosmas, berichtet zum Jahr 1132, bei Pertz SS. IX, p. 138: Interea dux Sobeslaus (der Schwager des Konigs Bela von Ungarn) . . . Poloniam cum exercitu suo 15 Kal. Novembris intravit totamque partem illius regionis quae Sleszko (Schlesien) vocatur penitus igne con- sumpsit. Multos etiam captivos cum innumera pecunia nee non indomitarum equarum greges non paucos inde secum adduxit. Bekannt ist und durch viele literarische Erwahnungen wird bestatigt, class in Preussen bis zum Zeitalter der Reformation, ja noch spater, die Walder von wilden Pferden bevolkert waren. Toppen, Geschichte Masurens, Danzig 1870, S. XVII: »In Ordenszeiten jagte man wilde Rosse, so wie anderes Wild, vorzuglich um ihrer Haute willen. Noch Herzog Albrecht erliess um 1543 ein Mandat an den Hauptmann zu Lyck, in welchem er ihm anbefahl, fur die Erhaltung der wilden Rosse zu sorgen« (s. auch denselben in den Preussischen Provinzial- blattern 1839, Bd. 22, S. 481 und den Neuen Pr. Prov. Bl. 1847, Bd. 4, 8. 453). Auch fur Polen und Litauen gehen die Hinweisungen auf das Pferd als Jagdthier bis tief in das 17. Jahrhundert hinab (so bei Guillebert de Lannoy 1399-1450, Simon Grunau, schrieb zwischen

24 Das Pferd.

1516 und 1527, Matthias a Michovia, 1521 herausgekommen, Her- berstein u. s. w.), fur Russland geniige die merkwiirdige Aussage des Fiirsten von Tschernigow, Wladimir Monomach (er lebte von 1053 bis 1125), der in seiner hinterlassenen Mahnung an seine Sohne (er- halten in der sog. Lawrentisehen Chronik) iiber sich selbst berichtet: »Aber in Tschernigow that ich dies: ich fing und fesselte eigenhandig zehn bis zwanzig wilde Pferde lebendig; und als ich langs deni Flusse Rossj ritt (so wird jetzt gelesen: in der auch sonst sehr fehlerhaften Handschrift steht das sinnlose po Rovi\ der genannte Fluss Rossj bildete eine Art Grenzscheide zwischen den Russen und den wilden tiirkischen Polowzern), fing ich mit den Handen eben solche wilde Pferde. «

Zur richtigen Beurtheilung dieser Stellen ist vor Allem Folgen- des zu erwagen. Bei den europaischen Volkern wurde in altester historischer Zeit das Pferd gehalten wie bei den asiatischen Nomaden : es weidete abseits, fern von der Niederlassung, in ganzen Heerden, im halb wilden Zustande (eine solche Heerde hies ahd. stuot, ags. und altn. stod, lit. stodas, slav. stado\ und wurde hervorgeholt, wenn die Gelegenheit sich hot, es zu brauchen. War ein heran- gewachsenes Thier dazu bestimmt, den Herrn auf einem Zuge zu begleiten, so wurde es eingefangen, durch energische Mittel gezahmt - wobei manches Individuum durch Erdrosselung zu Grunde gehen musste - - und flog dann mit seinem Reiter windschnell durch die Weite. Wenn es im altnordischen Havamal heisst:

Fiittere das Ross daheim, Den Hund auswarts,

so ist dies schon eine spatere Regel, die ungefahr dasselbe sagt, wie das griechische, auch unter uns gebrauchlich gewordene Sprichwort: des Herrn Auge macht die Pferde fett. Die Freiheit aber, in der in fruherer Zeit die junge Zucht aufwuchs, rnusste haufig Anlass zu volliger Verwilderung einzelner Thiere oder ganzer Heerden geben. Jene rissen sich los, so die Stuten in der Zeit der Brunst, und ver- irrten sich, diese stiirzten, von Wolfen verfolgt oder von Moskitos gepeinigt, sinnlos in die Weite fort; so wurden sie als freie Be- wohner der buschigen Wildniss Gegenstand der Jagd, wie Hirsche und Elene. Gegen die Annahme, dass das mittlere Europa bis nach Spanien hin zu dem naturlichen Verbreitungsbezirk des Pferdes ge- hort habe, scheint der Umstand zu sprechen, dass dieser Welttheil vor Beginn der Kulturthatigkeit des Menschen ein dicht verwachse- nes und beschattetes Waldgebiet darstellte, das Pferd aber ein auf

Das Pfercl. 25

Gras als seine Nahrung und Schiielligkeit als seine Waffe zur Rettung vor den grossen Raubthieren berechnetes fliichtiges Steppenthier ist. Die Art, wie einige der oben angefiihrten Nachrichten gefasst sind, deutet gleichfalls mehr auf verwilderte, als auf urspriinglich wilde Pferde. Wenn die Pferde der Vogesen, zwar mit Miih und Arbeit, aber doch mit Erfolg gezahmt werden; wenn der dux Sobeslaus von einem Kriegszuge in Schlesien indomitarum equarum greges mit heimfuhrt oder in jener westphalischen Urkunde Fischerei, Jagd und die vagi equi eines Territoriums einem der Theilhaber zugesprochen werden; ebenso wenn die ungehiiteten Pferde nicht zu dem Gute der Frau zu rechnen sind, so ist gewiss die Vermuthung gestattet, dass in all diesen Fallen nur von Fliichtlingen berichtet wird. So konnten auch die Thiere, die der heilige Otto in Pommern vorfand oder die die Ordensritter in Preussen jagten, zwar in der Wildniss geboren sein, dennoch aber von entlaufenen Stuten abstammen, und dies um so eher, je mehr jene noch ungelichteten Gegenden seit Jahrhunderten von innern Raub- und Kriegsziigen beimgesucht waren. Noch natiirlicher war dies im Gebiet von Tschernigow, wo der Grossfiirst zehn oder zwanzig unbandige Pferde mit eigener Hand fing und koppelte: in jenem Grenzgebiet, das unmittelbar an die nomadischen Pferdevolker stiess, konnten die Walder verlorenen oder verirrten Thieren der Art leicht eine Zuflucht geboten haben. Auch sagt der Grossfiirst nicht, er habe Pferde, wie andere Jagd- thiere, erlegt, sondern er habe sie eingefangen und gefesselt, d. h. mit kraftigem Arm die Schlinge gefiihrt, die auch bei halbzahmen Heerden in Gebrauch war. Wir fiigen noch hinzu, dass auch die um den See, aus dem der Hypanis seinen Ursprung hatte, weidenden wilden Pferde bei Herodot 4, 52 : innot, aygioi tevxot sich durch das Pradikat weiss, Aevxot, als geheiligte, in halber Freiheit gehaltene Heerden verrathen.

Kehren wir aus dem europaischen Waldrevier zu der urspriing- lichen Heimath des Thieres, dem Steppengebiet Asiens, zuriick, so begegnet uns hier weiter die bedeutungsvolle Thatsache, dass, je ferner von diesem Ausgangspunkte eine Landschaft gelegen ist, desto spater in ihr auch historisch das gezahmte Pferd auftritt,und desto deutlicher die Rossezucht als eine von den Nachbaren im Osten und Nordosten abgeleitete erscheint.

In Aegypten, um mit dem entlegensten Gliede zu beginnen, hat sich im sogenannten alten Reiche keine Abbildung eines Rosses oder eines Kriegswageiis gefunden. Erst da die Epoche der Hirten-

26 I>as Pferd.

konige voriiber 1st, begimieii unter der achtzehnten Dynastic mid bei Gelegenheit der Kriegsziige, die dieselbe unternahrn (etwa um das Jahr 1700 v. Chr.), die bildlichen Darstellungen und in den Papyrus, so weit deren Lesung mit Sicherheit gelungen ist, die Erwahnungen des Rosses und der in asiatischer Weise bespannten Streitwagen (Brugsch, Gescbichte Aegyptens, Leipzig 1877, S. 198, 273; Chabas, fitudes sur Fantiquite historique, p. 413 ff.). Die Vermuthung, dass es eben das Hirtenvolk der Hyksos gewesen, welcbes das neue Thier und mit ihm die rieue Kriegskunst nach Aegypten brachte (Ebers, Aegypten. und die Bticher Mose's 1, 121: »es unterliegt keinem Zweifel, dass dies Thier von den Hyksos in Aegypten eingefiihrt worden ist«), hat viel Bestechendes , wird aber bis jetzt von keinem bestimmten Denkmal gestiitzt. Vielleicht also wareii es erst die Konige der genannten achtzehnten Dynastie, denen bei ihrem kriegerischen und friedlichen Verkehr mit Syrien das Pferd und der Streitwagen von diesem Lande her bekannt wurden (der agyptische Name des Wagens ist dem hebraischen fast vollstandig gleich, agyptisch sus das Pferd ist ein semitisches Wort, Brugsch a. a. 0.). Wenn Chabas meint, die Zahmung und Anschirrung des Rosses setze eine langere Anwesenheit desselben voraus, wahrend welcher es stufenweise zum Dienst des Menschen erzogen worden, so vergisst er, dass es sich hier um ein fertig von den Nach barn dbernommenes, langst an diesen Dienst gewohntes Thier handelt. Uebrigens wurde auch in Aegypten, wie bei den Asiaten, das Pferd nur zu kriege- rischen Zwecken gehalten; iiber seine Anwendung bei hauslichen und landlichen Arbeiten sind die Bildwerke stumm, - - denn das Wenige, was dahin zu deuten ware, durferi wir als allzu zweifelhaft unbeachtet lassen. Kriegswagen hat auch Achilles im Sinn, wenn er II. 9, 383 vom agyptischen Theben sagt:

Theben die hundertthorige Stadt, es fahren aus jedem Thor zwei'huiidert Manner heraus mit Rossen und Wagen.

Wie der Aegypter selbst iiber den Gebrauch des Pferdes dachte, lehrt die mythische Erzahlung bei Plut. de Is. et O. 19: » Osiris fragte den Horus, welches Thier fur den Krieg wohl das nutzlichste sei? Als Horus darauf erwiderte: das Pferd, wunderte sich Osiris und forschte weiter, warum nicht eher der L6 we als das Pferd? Da sagte Horus: der Lowe mag demjenigen niitzlich sein, der Hiilfe braucht, das Pferd aber dient den fliehenden Feind zu zerstreuen und aufzureiben. « Der Lowe namlich war von den Aegyptern, wenn wir den Abbildungen trauen diirfen, in so weit gezahmt worden,

Das Pferd. 27

dass er den Pharao in die Schlacht begleiten konnte; er wurde an einer Kette am Wagen mitgefiihrt und im rechten Augenblick los- gelassen.

Fur das Alter des Pferdes bei den Semiten Vorderasiens sind wir auf die Zeugnisse des Alten Testaments, des Pentateuch, des Buches Josua u. s. w. gewiesen aus welcher Zeit aber stammen dieselben? Es giebt kein Stiick dieser Sammlung, das nicht aus verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzt und nicht durch die Hand eines Bearbeiters oder mehrerer sich folgender Bearbeiter gegangen ware. Hatten sich wirklich einzelne schriftliche Auf- zeichnungen aus der Zeit der ersten Besetzung des Landes erhalten, so mogen diese in die Erzahlung aufgenommen worden sein; im Uebrigen konnte auch der alteste biblische Verfasser, der altere Elohist, dessen Schrift gleichwohl nicht iiber die Epoche der Konige hinaufgeht, nur aus der Sage schopfen, die ihrer Natur nach in der langen Zeit geschaftig gewesen war, ihren Stoff je nach dem Bediirfniss zu gestalten und umzugestalten. So sind wir bei keinem einzelnen Zuge der biblischen Berichte vollig sicher, ob er von echter Ueberlieferung oder von spaterer theokratischer oder nationaler Absicht oder endlich von dem Geiste anachronistisch ausmalender Dichtung eingegeben worden. Was nun das Pferd betrifft, so fehlen in den sogenannten Biichern Mosis und auch in den Geschichts- biichern die Erwahnungen desselben nicht, z. B. Jos. 11, 4 von den Kanaanitern: » diese zogen aus mit all ihrem Heer, ein gross Volk, so viel als des Sandes am Meer und mit sehr viel Ross und Wagen « und der Inhalt dieser Stellen wird durch das Lied der Deborah, Richter 5, welches bedeutend alter sein muss, als die Griindung der Monarchic, und wohl in das 13. Jahrhundert v. Chr. fallt, als echt bestatigt, 22: »da rasselten der Pferde Fiisse fiir dem Zagen ihrer machtigen Reiter«, 28: »warum verzeucht sein Wagen, dass er nicht kommt? wie bleiben die Rader seiner Wagen so dahinten?« aber als Haus- und Heerdethier der Patriarchen erscheint es in diesen Schilderungen nicht; es nimmt an den Wanderungen und Kampfen des Volkes Israel nicht Theil; es ist das kriegerische Thier der Nachbarn und Feinde, rasselnd und stampfend vor dem Streitwagen oder unter dem Reiter; als Kriegsross, und nur als solches, wird es auch in der schwungvollen Schilderung des Buches Hiob gefeiert; im Haushalt vertritt seine Stelle der Esel. »Lass dich nicht ge- 1 iisten«, lehrt der Dekalog, dessen Gebote doch aus verhaltniss- massig sehr alter Zeit stammen, »deines Nachsten Weibes

28 Das Pferd.

noch seines Ochsen noch seines Esels noch Alles, was dein Nachster hat« : das Pferd, der Hauptgegenstand des Raubes mid Begehrs bei reitenden Nornaden, ist hier bezeichnender Weise nicht genannt. (Weitere Belege dafiir, dass den Hebraern in friiher Zeit das Pferd fehlte, bei Michaelis, Mosaisches Recht, Theil 3 der zweiten Auflage, Anhang: »Etwas von der altesten Geschichte der Pferde und Pferde- zucht in Palastina imd den benachbarten Landern, sonderlich Aegypten und Arabien. «) Wenn uns spater von dem Konig von Juda, Josias, berichtet wird, er habe ausser anderem heidnischen Grauel auch die der Sonne geweihten Pferde und Wagen abgeschafft, 2. Kon. 23, 11: »Und that abe die Ross, welche die Konige Juda hatten der Sonnen gesetzt im Eingang des Herren Hause, an der Kamnier Nethanmelech des Kammerers, der zu Parwarim war. Und die Wagen der Sonnen verbrannte er mit Feuer« so war dies unter den mannigfachen Gotterdiensten, die in Jerusalem zusammen- flossen, ein aus Medien hierher gelangter Zug des iranischen Sonnen- kultus (s. unten). - Kein Wunder, dass wir das Pferd auch bei dem sudlichen Zweige der Semiten, den Ismaeliten oder Arabern, nicht antreffen. Nirgends im Alten Testament treten die Hirten der arabischen Wiiste in Begleitung dieses Thieres auf; sie ziehen nur mit Eseln und Kameelen umher und die Kriegskunst der despotischen Reiche vom Tigris bis zum Nil ist ihnen unbekannt. Ganz damit in Uebereinstimmung reiten in des Xerxes Heer die Araber nur auf Kameelen, Herod. 7, 86 : »die Araber waren alle auf Kameelen be- ritten, die den Pferden an Schnelligkeit nicht nachgaben.« Auch nach Strabo gab es in dem gliicklichen Arabien keine Pferde und also auch keine Maulthiere, 16, 4, 2: »an Haus- und Heerdethiereii (foaxvjfiaT(ov) ist dort Ueberfluss, wenn man Pferde, Maulthiere und Schweine ausnimmt«, und ebenso im Lande der Nabataer, 16, 4, 26: »Pferde sind in dem Lande keine: deren Stelle in der Dienst- leistung vertreten die Kameele« und doch war Strabo, der Freund und Genosse des Aelius Gallus, des Feldherrn, der die grosse miss- lungene Expedition nach Arabien gemacht hatte, iiber die Halbinsel sicherlich so genau, wie nur irgend Jemand in damaliger Zeit, unter- richtet. Noch in der Schlacht bei Magnesia fiihrte Antiochus der Grosse, wie einst Xerxes, Araber, auf Dromedaren sitzend, ins Gefecht, Liv. 37, 40 (das aus mancherlei asiatischen Volkerschaften , jede in der ihr zusagenden Riistung und Waffe, bestehende Heer wird be- schrieben, darunter die Araber): cameli, quos appellant dromadas. His insidebant Ardbes sagittarii, gladios liabentes tenues u. s. w.

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Diejenigen, die diese Nachrichten der Alien aus dem Grunde un- glaublich finden wollten, well jetzt die 'arabischen Pferde fur die edelsten ibres Gesehlechts gelten, haben nicht erwogen, dass auf dem Gebiet der Kulturgeschichte ahnliche Falle keineswegs selten, ja ausserordentlich haufig sind. In den Sandrneeren Arabiens, in denen die Oasen gleicbsam die Inseln bilden, war zur Ueberfabrt von einer zur andern das Kameel, das Schiff der Wiiste, bei Weitem dienlicher als das Pferd : es konnte schnell sein, wie dieses, es konnte auch lange dursten; es nahrte sich von Wiistenkrautern und auf seinem breiten Rucken trug es die Zeltstangen und den Mundvorratb, die Weiber und Kinder des herumziebenden Hirteii iiber weite Strecken. Zu den obigen direkten Zeugnissen lasst sicb noch das negative des Publius Vegetius, eines spaten hippiatrischen Compilators, fiigen, der im 6. Kapitel des 6. Buches (der Ausgabe von Schneider) die dem Alterthum bekannten, durch irgend welche Eigenschaften hervor- steehenden Pferderacen aufzablt und charakterisirt, iiber das arabische Pferd aber sehweigt. Von den afrikanischen , also dem arabischen Schlage, wie man glauben konnte, nahestehenden Pferden sagt er, sie wiirden fur den Circus als die schnellsten bezogen, fiigt aber hinzu, sie seien spanischen Blutes, 6, 6, 4: nee inferiores prope Sicilia exhibet circo, quamvis Africa Hispani sanguinis velocissimos praestare consueverit. Auch bei Symmachus Epp. 4, 62 wird aus Antiochia eine Gesandtschaft nicht etwa ins nahe Arabien,

sondern nach Spanien geschickt, urn dort Rennpferde zu kaufen, und erhalt von Symmachus einen Empfehlungsbrief an den Spanier Euphrasius, den Besitzer grosser Stutereien. Aber bei Ammianus Marcellinus, dem etwas alteren Zeitgenossen des Symmachus, in der zweiten Halfte des 4. Jahrhunderts , wird 14, 4, 3 bei Schilderung der Sitten der »Saracenen«, deren Wohnplatz der Geschichtsschreiber vom Tigris bis zu den Wasserf alien des Nil sich denkt, ihrer schnellen Pferde und schlanken Kameele, equorum adjumento per- nicium graciliumqiie camelorum, Erwahnung gethan. Ungefahr gleich- zeitig besass auch der Kaiser Valens saracenische Reiterei, Eunap. 6 ed. Bonn. p. 52 : ^o SaQaxqvwv Irtmxov, die er aus dem Orient gegen die sein Land verwiistenden Goten voraussandte , und nach der etwas spateren Notitia dignitatum I, cap. 25, 1, 4 hatte der Comes limitis Aegypti unter seinem Oberbefehl equites Saraceni Thamudeni, wie auch cap. 29, 1, 5 equites Thamudeni Illyriciani fur Palastina vorkommen. Das arabische Pferd muss also in den letzten Zeiten des Alterthums und im friihen Mittelalter, zwar nicht zu allererst

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eingefuhrt, doch in einer ihm zusagenden Natur und unter der Gunst pflegender Sitte zu dem stolzen und schonen Geschopf geworden sein, wie wir es gegenwartig bewundem. Im Koran und in den Ueberbleibseln vorislamitischer Poesie, so weit sie uns in genuiner Gestalt erhalten sind, wird es schon in Schilderungen und Vergleichen mit zartlicher Vorliebe gepriesen.

Wenden wir uns zu den Ostsemiten, den Babyloniern und Assyrern im Gebiet des Euphrat und Tigris, so tritt uns hier an den Wanden der neu aufgegrabenen Palaste der Kriegswagen, von reich aufgescbirrten Rossen gezogen, uberall in sprechenden Bildern entgegen. (Ausfiihrlich handelt dariiber Layard, Ninive and its remains, T. 2, chap. 4.) Von hier aus war diese Waffe ohne Zweifel weiter nach Westen und Siidwesten, zu den Syrern am mittel- landischen Meer und zu den Aegyptern im Nilthal gekommen. In den mesopotamischen Ebenen muss es gewesen sein, wo die An- wendung des Wagens zum raschen Angriff und ebenso raschen Riickzug fiir den Bogenschiitzen erfunden wurde. Wo uns die nini- vitischen Skulpturen einen Reiter mit Pfeil und Bogen im Kampf zeigen, da wird sein Pferd jedesmal von einem andern Reiter ihm zur Seite gehalten und gelenkt; ist der Reiter statt des Bogens mit dem Speer bewaffnet, so fehlt dieser Gehiilfe. Der Schiitze musste die Hande frei haben, um an den Kocher zu greifen, den Bogen zu .spannen und den Pfeil richtig zum Ziele zu senden; ein so mit dem Rosse verwachsener Reiter, wie der Farther und jetzt der Turkmene, war der Assyrer noch nicht. So verfiel er auf die Einrichtung des helfenden Nebenreiters und in weiterer Folge auf den leichten, zwei- radrigen, mit zwei Rossen bespannten und zwei Menschen fassenden Kriegswagen. Er stand auf diesem Wagen, frei umherblickend, und der Rosselenker an seiner Seite; selbst auf der Flucht konnte er sich umwendend den verfolgenden Feind noch treffen. Doch scheint auch in den assyrischen Kriegsziigeii der Wagenkampf ein Vorzug der Edlen zu sein, wie in anderen Zeiten und bei anderen Volkern der ritterliche Kampf zu Rosse: der assyrische Konig zeigt sich nicht zu Fuss, auch nicht reitend, sondern immer zu Wagen, ausser bei Belagerungen fester Platze, wo es der Natur der Sache nach auf Fliichtigkeit der Bewegung nicht ankam. Vor den Wagen sind immer nur zwei Rosse gespannt; ein drittes, in seltenen Fallen auch ein viertes, laufen lose neben her, um weun eins der Deichselpferde verwundet oder sonst unbrauchbar geworden, an seine Stelle zu treten. Die Pferde dieser Bilder sind zwar, wie die Menschen,

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strenge stilisirt, doch will Place, Ninive et 1'Assyrie, II. p. 233, bei den heutigen Kurden,. also einem iranischen Volke, ganz ahnliche gefunden haben. Dass das semitische Ross uberhaupt aus iranischen Landen, wie das agyptische aus semitischen, stammte, ist eine aus alien Umstanden sich ergebende Vermuthung. Nach dem Propheten Ezechiel bezog auch Tyrus seine Pferde aus Thogarma, d. h. aus Armenien und Cappadocien, 27, 14: »Die von Thogarma haben Dir Pferd und Wagen und Maulesel auf Deine Markte bracht.«

Tiefer nach Siidosten, in Indien, entfernen wir uns sichtlich von dem Mittelpunkt des Kreises, den die Verbreitung des Pferdes be- schreibt. In Indien waren die Pferde weder haufig, noch schon und stark, sie wurden aus den Landern im Nordwesten eingefuhrt und arteten leicht aus. Die Alten erwahnen dieser Eigenthtimlichkeit des an alien andern Naturschatzen so reichen Landes nicht selten und neuere Berichterstatter stimmen mit ihnen iiberein (s. Lassen, Ind. Alterthumskunde 1 , 301 f .). Doch im Grenzgebiet bei den vedischen Stammen im Fiinfstromlande, steht das Ross im hochsten Ansehen und bildet einen erstrebten Besitz und Reichthum (H. Zimmer, Altindisches Leben, S. 230 f£.). Es die-nt zum Kriege und als Opfer, wird nicht geritten, sondern zieht den Kriegswagen. Aber wie noch andere Ziige beweisen, dass das aus den Veden zu erschliessende Leben keineswegs ein ganz ursprungliches war, sondern schon mannigfache Kultureinfliisse von Westen erfahren hatte (die babylonische Mine als Goldeinheit, das Wegemass, die Eintheilung des Tages, die Mondstationen , die semitische Fluthsage), so gleicht auch der vedische Streitwagen genau und in alien Theilen dem homerischen und beide zusammen dem assyrischen, von dem sie stammen (Zimmer a. a. O. S. 245 ff.). In Karmanien, westlich vom Indus, vertrat auch im Kriege der Esel das Pferd (Strab. 15, 2, 14) und auch in der Landschaft Persis, aus der die Stifter des persischen Weltreichs hervorgingen , fehlte das Pferd fast ganz und war das Reiten unbekannt. Der junge Cyrus jauchzte, als er am Hofe seines Grossvaters das edle Thier tummeln lernte, denn in seiner gebirgigen Heimath war es ungewohnlich, Pferde zu halten oder sie zu be- steigen, ja man bekam kaum ein Pferd zu Gesicht (Xen. Cyrop. 1, 3, 3). Als er spater die Waff en gegen die Meder und Hyrkanier erhoben und deren geschwinde Reiterei hatte bekampfen miissen, da empfahl er den Seinigen, von nun an auch das Ross zu besteigen und gleichsam beflugelt dem Feinde sich entgegen zu schwingen. Auf die wohlgesetzte Ansprache voll attischer Beredsamkeit, die ihm

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Xenophon, Cyrop. 4, 3, bei dieser Gelegenheit in den Mund legt, erwidert einer der Grossen, Chrysantas, mit einer beistimmenden Rede, und seit jenen Tagen, setzt Xenophon hinzu, halten es die Perser so, dass kein Vornehmer und Gebildeter, oiSelg x<Zv xahoiv xdyaOwv , jemals freiwillig zu Fusse gehend erblickt wird. Daher auf dem Grabmal des Darius, wie Onesikritos bei Strabo 15, 3, 8 berichtet, geschrieben stand, der Konig sei nicht nur ein treuer Freund, sondern auch der beste Reiter, Schutze und Jager gewesen tyikoo, fjv wig (pttoig' ITITISVS xal ^o%o^r\q> agrtfiog eytv6[Jir]V' xwr^wv sxQawvv Tidvia noielv ^wdfAtjV. Auch in diesem Punkt, wie in den Staatsf ormen , der Kleidertracht, den Sitten und Lebensgewohn- heiten bildeten sich die Perser nach den ihnen blutsverwandten Medern, nach babylonischem Muster nur, in so fern dies schon 1'riiher in Medien gewirkt hatte. Das Ross als ein heiliges, verehrtes Thier, als weissagerisch , als Opfer fiir den Lichtgott, der Wagen des grossen Konigs mit lichtweissen Rossen bespannt, die Unsterb- lichen auf weissen Rossen daher sprengerid, die Heldennamen, die Narnen der Untergotter mit dem Worte agpa das Pferd zusammen- gesetzt dies Alles ist medisch und baktrisch und wurde auch Glaube der Perser, Strab. 11, 13, 9: »Die ganze jetzt persisch ge- nannte Kriegsordnung und die Vorliebe fiir das Schiitzenwesen und fiir die Reitkunst und der das Konigthum umgebende Dienst und Prunk und die dem Herrscher von dem Beherrschten gewidmete gottahnliche Ehrfurcht, Alles dies ist aus Medien zu den Persern gekommen.« Medien war das Land der Pferde, woher sie ganz Asien bezog; es war dazu geeignet, theils der natiirlichen Beschaffen- heit mancher Oertlichkeiten , theils der angeborenen Neigung seiner Bewohner wegen ; es bildete selbst den Uebergang von Iran zu Turan, d. h. von den ansassigen zu den reitenden Volkern iranischen Blutes. Medien, sagt Polybius, 10, 27, zeichnet sich durch die Vorziige seiner Menschen wie seiner Pferde aus; durch die letzteren steht es ganz Asien voran, daher auch die koniglichen Stutereien in dieses Land verlegt waren.« Auch Strabo ruhmt Medien und das an- grenzende Armenien wegen seiner Rossezucht, 11, 13, 7: »Beide Lander, Medien und Armenien, sind ausnehmend reich an Pferden; auch giebt es dort eine Wiesengegend Hippobotos, durch welche die Reisenden hindurchkommen , die von Persis und Babylon zu den Kaspischen Thoren wollen: in dieser sollen zur persischen Zeit funf- zigtausend Stuten geweidet, die Heerden aber dem Konige gehort haben.« In Medien war es, wo die beriihmten nisaischen oder

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nesaischen Rosse gezogen wurden, von deneii das ganze Alterthum redet, y.uerst Herod. 7r 40: »in Medien liegt eine weite Ebene, deren Name Nesaion 1st : diese Ebene tragt die (nach ihr benannten) grossen Pferde.« Strabo lasst sie von jener Wiese Hippobotos ausgehen und versetzt sie auch nach Armenien, 11, 13, 7: »die nesaischen Pferde, die als die besten und grossten den Persischen Konigen dienten, stammen nach den Einen von hier, nach den Andern aus Armenien*, 11, 14, 9: »so sehr ist Armenien mit Pferden gesegnet, dass es hierin Medien nicht nachsteht und die nesaischen Pferde, deren sich die persischen Konige bedienten, auch hier vorkommen; auch schickte der Satrap von Armenien dem Perser jedes Jahr zwanzigtausend junge Thiere zu dem Mithrasfeste". Die nisaischen Pferde waren schnell, wie die heutigen turkmenischen, und Aristoteles, h. a. 9, 50, § 251, riihmt den hyrkanischen Dromedaren nach, wenn sie sich in Lauf setzten, thaten sie es sogar den nisaischen Pferden zuvor, also den geschwindesten aller Pferde. Sie waren von eigen- thumlicher Bildung, wie die bei den asiatischen Griechen zu Strabos Zeit parthisch genannten Thiere (Strabo 11,13,7). Ammianus Marcellinus hatte so berittene Kampferschaaren selbst gesehen, 23, 6, 30: sunt apud eos (Medos) prata virentia: fetus equarum nobilium quibus (ut scriptores antiqui docent, nos quoq^te vidimus) ineuntes proelia viri summa vi vehi exsultantes solent qiios Nesaeos appellant. Nisaa selbst ist ein Orts- und Landschaftsname , der in Cis- und Trans- oxanien hin und wieder vorkommt und ohne Zweifel eine appella- tivische Bedeutung hatte. Nach Strabo 11, 7, 2 war Nesaa ein Theil Hyrkaniens oder auch, wie Andere sagten, ein Land fur sich, und der Ochus floss durch dasselbe, wie auch Ammianus Marc. 23, 6, 54 in Hyrkanien eine Stadt Nisea kennt. In Parthien lag eine Landschaft Nisaa, wo von den Macedoniern Alexandropolis gegriindet war, Plin. 6, 113: regio Nisiaea Parthyenes nobilis, uU Alexandropolis a conditore, und die Stadt Parthaunisa, in der der Name Parthiens und der Farther nicht verkannt werden kann, fiihrte nach Isidor von Charax 12 Miiller bei den Hellenen auch den Namen Niaaia. Ptolemaus 6, 10, 4 und 8, 23, 6 hat in Margiana einen Ort, Nfacua oder Nfycua, nordlich von Aria sogar ein Volk der Nisaer, Nusaloi, (6, 17, 3). Nach den Glossarien des Hesychius und Suidas (unter Nytfatag innovg und "Irtnog Niaalog) liegt zwischen Susiana und Bactriana eine Gegend, deren Name griechisch Nlaog oder Nfoog wiedergegeben wird. Ja selbst in den altpersischen und altbaktrischen Denkmalern ist dieser Name noch erhalten: in der grossen Darius-

Vict. Hehu, Kulturpflanzen. 7. Aufl.

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inschrift von Behistun oder Bisitun wird eine Landschaft Nigaya in Medien genannt und im Vendidad im obern Thai des Margos (Murghab) zwischen Bakhdhi (Balkh) und Mouru (Merw) eine Ort- schaft Nicaya (s. Justi, Handbuch S. 173, Spiegel Commentar zu der St. : » Wir wollen bloss bemerken, dass oft'enbar der Name Nic.aya im alien Iran ein ziemlich haufiger war und an verschiedenen Orten vorkommt.«) Die nisaischen Pferde weisen demnach in das Grenz- land zum heutigen Turkestan bin, von wo zu aller Zeit die Einbriiche der Nomaden in das orientalische Kulturland ergangen sind. Hier bis an den Jaxartes oder Tanais (beide Namen des Flusses sind' iranisch) und driiber hinaus lebten jene auf fliichtigen Rossen umher- schweifenden Volker, die im stetigen Uebergang auch im Norden des kaspiscben und schwarzen Meeres bis zum europaischen Tanais und zum Borysthenes und Ister reicheii: die Farther, die Massageten, die Daer und Chorasmier , die Sarmaten und Scythen u. s. w. , mit einem Gesammtnamen Saker genannt. Wie diese Volker alle auf und mit ihren Rossen leben, wie sie als Innoxo^oTai, reitend ihre Pfeile versenden, wie ihre Rosse, gleich den heutigen turkmenischen, die weitesten Strecken fliichtig zuriicklegen, ist von den Alten haufig mit mehr oder minder Ausfiihrlichkeit geschildert worden. Just. 41, 3 (von den Parthern): equis omni tempore vectantur. Illis bella, illis convivia, illis publica ac privata officia obeunt: super illos ire, con- sistere, mercari, colloqui, hoc denique discrimen inter servos liberosque est, quod servi pedibus, lib en non nisi equis incedunt. Von den Neu-Parthern, gegen die der Kaiser Alexander Severus zog, giebt He- rodian 6, 5, 9 folgendes Bild: »Sie brauchen ihre Bogen und Pferde nicht bloss zum Kriege, wie die Romer, sondern wachsen mit ihnen von Kindesbeinen auf und verbringen ihr Leben auf der Jagd; den Kocher legen sie niemals ab und steigen nicht von den Pferden, sondern brauchen sie immer, sei es gegen Feinde oder gegen Jagd- thiere.« (Ganz ahnlich malt es in Versen Dionys. Perieg. v. 1044 ft'.) Die Daer ritten durch die weiten, wasserlosen Wiisten, erst nach langen Strecken Rast machend, und iiberfielen Hyrkanien und Nesaa und die Ebenen Parthyaas (Strab. 11, 8, 3). Die Reiterei der Saken war die vorziiglichste im persischen Heere, Herod. 9, 71: »unter den Barbaren zeichnete sich das Fussvolk der Perser und die Reiterei der Saken vor den iibrigen aus.« Als Xerxes nach Thessalien kam, dessen Pferde vor alien griechischen im Rufe standen, machte er Wettversuche zwischen diesen und den von ihm mitgebrachten und die seinigen zeigten sich bei Weitem iiberlegen (Herod. 7, 196).

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Eewunderungswiirdig war die Fahigkeit dieser Pferde, diirre Wiisten in langen Tagereisen zu durcheilen, Propert. 5, 3, 35:

Et disco, qua parte fluat vincendus Araxes, Quod sine aqua Parthus milia currat equus.

Kaiser Probus ha tie von den Alanen oder einem andern dortigen Volke ein Pferd erbeutet, ausserlich ganz unansehnlich, das aber hundert Meilen taglich laufen und dies acht bis zehn Tage nach ^inander wiederholen konnte, Vopisc. Prob. 8: qui quantum captivi loquebantur centum ad diem milia currere dicer etur, ita ut per dies octo vel decem continuaret. Doch auch Heerden schonen Schlages miissen, wie in Medien, von den scythischen Fursten gehalten worden sein, denn Konig Philipp, Vater Alexanders des Grossen, nahm den .Scytheii an der Ister - Miindung 20,000 edle Stuten ab und schickte sie zur Zucht nach Macedonien, Justin. 9, 2, 6: (a Philippo) viginti milia nobilium equarum ad genus faciendum in Macedoniam missa. Umgekehrt werden die Pferde der Sigynnen, welches Volk zwar He- rodot in die Striche nordlich vom Ister versetzt, das aber in der That viel weiter nach Osten am kaspischen Meere hauste, noch in manchen Ziigen dem wilden Tarpan der Tartarei und Mongolei ahnlich be- schrieben: sie sind behaart, die Haare haben 5 Zoll Lange; sie sind stumpfnasig und so klein, dass sie keine Reiter tragen konnen: daher sie vor Wagen gespannt werden, mit denen sie sehr geschwind laufen (Herod. 5, 9. Strab. 11, 11, 8). Die Sigynnen waren kein turkischer Stamm, denn es wird ihnen ausdriicklich medische Her- kunft, Sitte und Tracht zugeschrieben, aber ihre Thiere waren noch auf der altesten Stufe verblieben oder auf dieselbe zuriickgesunken, wahrend die der iibrigen sakischen Reitervolker durch Riicknahme von den grasreichen, klimatisch mildern medischen Strichen eine veredelte Bildung gewonnen hatten. Urspriinglich aber waren auch die medischen aus Turan gekommen, der Heimath der nordostlichen Zweige des grossen iranischen Stammes, die, so weit das Licht der Geschichte reicht, als Reitervolker erscheinen. Da nun auch der Ursitz des indo-europaischen Centralvolkes in jener Gegend oder ihr nahe zu clenken ist, so stehen wir hier vor unserer eigentlichen Frage : waren es schwarmende Reiterschaaren , gleich den Turaniern der altesten Geschichte, die sich von jenem Centralvolk ablosten und liber Europa hereinbrachen , oder erhielten die Ausgezogenen das gezahmte Ross, gleich Assyrern und Aegyptern, erst nachmals aus. der einst verlassenen Heimath im Quellgebiet des Oxus und

Jaxartes ?

3*

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Dass die Indogermaneii das Ross kamiten, wird unwiderleglich durch den Namen desselben, alcva: bewiesen, der bei alien Gliedern dieser Familie wiederkehrt, nur je nach Zeit und Mundart etwas verschieden gesprochen: sanskr. a$va, zendisch und altpersich agpa, litauisch aszwa die Stute, preussisch asvinan Stutenmilch, altsachsisch ehuscalc der Pferdeknecht, angels, eoh, altn. ior, gothisch vielleicht aihvs, aihvus, altirisch eeh, altkambrisch und gallisch ep (z. B. in Epona Pf erdegottin) , lat. equus, griech. innog, Ixxog (nur in den slavischen Sprachen verloren). Dieser Wortstamm wird allgemein von der Wurzel ok, eilen, streben, abgeleitet: das Pferd Mess so von seiner Schnelligkeit , sowohl an sich, als vielleicht im Gegensatz zu dem sobwerwandelnden Ocbsen. Die Vorstellung des Rosses als des fliichtigen, geschwinden Thieres wirkt noch lange in manchen Mythen und in der Di enter sprache nach. Die Sonne eilt schnell am Himmel dahin, darum wird ihr von Persern und Massageten das schnellste Thier, das Pferd geopfert, Ov. Fast. 1, 385:

Placat equo Persia radiis Hyperiona cinctum, Ne deiur celeri victima tar da Deo.

Herod. 1, 215 (von den Massageten): »als Gott verehren sie allein die Sonne, der sie Pfercle opfern. Der Sinn dieses Opfers ist folgender: dem schnellsten aller Gotter theilen sie das schnellste aller irdischen Geschopfe zu.« Die Sonne ist bei Homer unerrnudlich, dxdjjiag, eben so Notus und Boreas bei Sophokles, Trach. 112, so aber auch die Rosse vor dem Wagen bei Pindar, 01. 1, 87:

Den goldenen Wagen und die befliigelt unermiidlichen Rosse. Das Ross verschmilzt in der Anschauung mit dem Sturm, so be- sonders deutlich in der Dichtung von Boreas, der des Erich thonius Stuten befruchtet: die Rosse fliegen dahin, ohne die Aehren des Feldes zu knicken, sie streifen liber den Kamm der Brandung des grauen Meeres, II. 20, 226:

Diese, so oft sie springend ein Feld mit den Fiissen beriihrten, Streiften die nickenden Aehren im Flug und zerknickten den Halm nicht, Sprangen sie aber dahin auf machtigem Riicken des Meeres, Netzten sie leise den Huf in der brandenden Spitze der Wellen.

Die Rosse sind nicht bloss wxesg, toxvTisisig, wxvnodeg, deQGLnodsg, nodag aioloi, sie heissen stiirmisch, sturnifiissig, deg, aekkoTTodeg, bei Vergil alipedes, sie sind [udgyoi d. h. rasend (in dem alten Orakel aus der Mitte des 7. Jahrhunderts), schneller als Habichte, ttdacroveg IQIJXWV, schnell wie Vogel, nodwxesg OQVC- •3"sg wg. Die Rosse des Rhesus glichen im Laufe den Winden,

Das Pferd. 37

ofioZoi, und die des Achilleus waren Sohne des Zephyr und der Harpyie Podarge (d. h. der Schnellfiissigen ; die Harpyien sind verderbliche Windstosse), sie flogen roit dem Wehen des Windes, und eins derselben spricht selbst II. 19, 415:

Wir wohl liefen sogar mit des Zephyros Hauch in die Wette, Dem nichts Anderes gleicht an Geschwindigkeit.

Ja Aeolus, der Herrscher der Winde selbst, ist l/7r/rozd^g, Sohn des Hippotes oder des Reiters. Wie bei den Griechen, erscheint auch in deii Naturbildern der nordischen Edda der Wind und Sturm hin und wieder als Ross. Den Odin, den Gott des wehenden Elements, tragt sein graues achtfiissiges Ross Sleipnir; der Winter, als Riese gedacht, will den Gottern die Burg bauen, und dabei hilft ihm sein Ross Svadilfari, d. h. der Nordwind, aber ehe der Eispalast ganz fertig ist, verwandelt sich Loki in eine Stute, den Siidwind, die nun jeiies erste Pferd von seiner Arbeit ablenkt: so ist das Werk des Rlesen im Friihling unvollendet und der Donnergott zerschmettert ihm mit dem Hammer den Schadel u. s. w. Auch in der deutschen Sage von der wildeii Jagd, an deren Spitze Wuotan auf weissem Rosse dahinfahrt, ist es nur der nachtliche Sturm, der sich in Ross und Reiter verwandelt hat. Mit diesen alten Vorstellungen mag es zusammenhangen , wenn in der romischen Zeit allgemein geglaubt wurde, in Lusitanien am Ufer des Oceans wiirden die Stuten vom Winde trachtig: Varro, der zuerst davon spricht, nennt es ein un- glaubliches, aber dennoch wahres Factum, 2, 1, 19: In foetura res incredibilis est in Hispania, sed vera, quod in Lusitania in ea re- gionc, libi est oppidum Olysippo, monte TagrOj quaedam e vento certo teinpore concipiunt equae. - War nun solchergestalt das Pferd dem Urvolke bekannt und lebte es in dessen Vorstellung als das fluchtige, geschwinde, so dass auch der Name, den es trug, nach diesem Eindruck gebildet war so konnen wir es uns im Ver-

haltniss zum Menschen auf dreifacher Stufe denken, entweder als blosses Jagdthier, das blitzschnell voriiberschoss und darum schwer zu erreichen war, oder als Reitthier, das wie in spaterer Zeit den herumstreifenden Nomaden rasch zum Ziele trug und auf dem er die weidende fortgetriebene Heerde umkreiste, oder endlich auch vor den Karren gespannt, die Kibitke ziehend und der Umsiedelung dienend. Letzteres aber ist schon nicht wahrscheinlich, da es dabei nicht auf die Geschwindigkeit, wie bei der Jagd und auf der Wache, sondern auf die Kraft der Muskeln und den starken Nacken ankaiii. Die Scythen, ein Reitervolk, wie ihre Verwandten weiter nach Osten,

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fahren doch bei Herodot und Hippokrates auf ochsenbespannten Wagen, und auf dieselbe Art bewegen sich die Kriegs- und Wande- rungsziige der iibrigen europaischen Volker, zu der Zeit, wo sie uns zuerst historisch zu Gesichte kommen. Als die Kimbern die Schlacht gegen die Romer verloren sahen, da warfen die Weiber, wie Plutarch Mar. 27 erzahlt, ihre Kinder unter die Rader der Wagen und die Fiisse der Zugthiere, TWV VTIO&YIVOV, die Manner aber, weil in der Gegend sich nicht genug Baume zuni Aufhangen fanden, banden sich mit den Gliedern an die Beine oder die Horner der Ochsen, trieben diese nach entgegengesetzter Richtung und liessen sich so in Stiicke reissen. Der Ochsenwagen erscheint bei religiosen und politischen Feierlich- keiten, als Rest uralter Tradition, in einer im Uebrigen veranderten Zeit. Die Gottin Nerthus bei Tacitus fahrt in einem mit Klihen bespannten Wagen, eben so die altgallische Gottin, die Gregor von Tours Berecynthia nennt (Grimm DM2 234). Wenn ein Verstorbener den Weg der Hel (goth. Halja) zum Grabe fahrt, wird der Leichen- wagen von Rindern gezogen. Auch Konige fahren mit Ochsen in die Volksversammlung und uberall hin, wo sie sich offentlich zeigen, so die merovingischen (Grimm RA. S. 262 f.), eben so konigliche und edle Frauen. Der taurus regis wird im salischen Gesetz mit der hochsten Composition gebiisst, mit einer hoheren, als das edelste Pferd, der varannio regis. Auf der Antoninsaule werden zwei ge- fangene Fiirstinnen auf einem mit Polstern belegten Wagen von einem Ochsen gezogen, daneben schreitet ein bartiger Mann, die Hande auf den Riicken gebunden, von zwei romischen Soldaten eskortirt. Dies ist normal: Frauen und Kinder auf dem Ochsen- wagen, Manner zu Fuss. Auch bei Griechen und Romero haben sich Spuren der altesten Zeit erhalten, wo das Rind das allgemeine Zugthier war. Die Erfindung des Wagens und die Zahmung des Stieres werden zusammengedacht, Tibull. 2, 1, 41:

Illi etiam tauros primi docuisse feruntur Servitium et plaustro supposuisse rotam.

Aus der riihrenden Fabel von Cleobis und Biton, die Solon bei Herodot dem Konig Crosus erzahlt, ersehen wir, dass die Priesterin der argivischen Hera von der Stadt zum Tempel auf einem Ochsen- wagen zu fahren gewohnt war. Auf eben solchern Wagen musste nach dem Spruche des Zeus Cadmus mit der Harmonia aus Theben zu den Barbaren fliehen, Eurip. Bacch. 1333.

o%ov tie [wtixwv, /£?7(fyeo£ cog heyet, dicig,

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und grimdete in Illyrien die Stadt Uov^w?, die nach diesem Um- stand benannt war (Steph. Byz. s. v.). Bei Verrichtungen im Hause, auf dem Felde, bei landlichem Verkehr dient nur der Ochse; vor den Pflug wird nur der Ochse gespannt; ein Haus, ein Weib und der Pflugochse bilden die Grundlage der bauerlichen Wirthschaft, Hesiod. Op. et d. 405 :

Erst vor Allem ein Haus und ein Weib und ein pflugender Ochse.

Wer keinen Ochsen hat, der kann keine Last bewegen und er spricht wohl zum Nachbar: gieb mir ein Paar Ochsen und deinen Wagen, aber Jener erwidert: meine Ochsen haben fur mich zu arbeiten, 453:

Leicht ist das Wort: zwei Ochsen gewahr mir, Freund, und den Wagen, Leicht ist die Weigerung auch: die Ochsen sind eben in Arbeit.

Ein Sprichwort sagte : ?} a[Jia%a wv povv, der Wagen zieht den Ochsen, d. h. es ist die verkehrte Welt. Der Ochse als Arbeitsgenosse des Menschen ist daher unverletzlich wie der Mensch selbst, Varr. de r. r. 2, 5: bos socius hominum in rustico opere et Cereris minister. Ab hoc antiqui manus ita dbstineri voluerunt, ut capite sanxerint si quis occidisset. Plin. 8, 180: socium enim laboris agrique culturae habemus hoc animal tantae apud priores curae ut sit inter exempla damnatus apopulo Romano die dicta qui . . . occiderat bovem, actusque in exsilium tamquam colono suo interempto. Ael. V. H. 5, 14: »Und dies war bei den Attikern Brauch: den Ochsen, der das Joch tragen und vor dem Pfluge oder dem Wagen sich anstrengen musste, nicht zu opfern, denn auch dieser war ja ein Landmann und theilte die Arbeit und Miihe des Menschen. « Spruch des Pythagoras: Lasse die Hand vom Pflugstier, ftobg dgoTTjQog ans^ea^ai. Das Pferd dient auch bei den homerischen Griechen nur zum Kriege und zwar ganz wie bei den orientalischen Volkern: wie bei diesen und auf ihren Bildwerken wird auch in der epischen Welt mit dem Pferde gefahren, nicht auf demselben geritten. Das Letztere zwar ist den homerischen Dichtern nicht ganzlich unbekannt, wie ware dies auch moglich? Als der Seesturm dem Dulder Odysseus das Floss, das er sich auf der Insel der Kalypso gezimmert, zerbrach, da rettete er sich auf einem Balken, auf dem er nun sass wie auf dem Riicken des Renners; als Diomedes und Odysseus Nachts die Rosse des Rhesu& entwandten, da wollte Ersterer auch den Wagen des erschlagenen Konigs aufheben und forttragen, aber auf den Rath der Athene zogen die Helden es vor, die Thiere zu besteigen und mit ihnen zu den Schiffen zuriickzueilen. Dies ist unter den geschilderten Umstanden

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das Naturliche; wie oft musste der Bube, der die Rosse zur Tranke fuhrte, ein Gleiches vor Aller Augen gethan haben! Wie von selbst ergiebt sich auch die Scene, die II. 15, 679 geschildert wird: ein Mann hat aus der ini Freien weidenden Heerde vier fliichtige Renner ausgewahlt : er hat sie langs der Heerstrasse in die Stadt zu bringen, sitzt auf und schwingt sich wahrend des gleichstrebenden Laufes von einem Riicken zum andern, zur Bewunderung der am Wege stehenden Menge. Mil Ausnahme dieser wenigen Falle, aus denen sich auf kein wirkliches Reiten schliessen lasst, dient bei Homer das Ross nur vor dem Wagen. Auf dem Genlde vor Troja wird gekampft, wie auf den Wanden des Konigspalastes von Kojundschik oder Khorsabad: leichte Streitwagen mit einer Achse und zwei acht- speichigen Radern, von zwei Rossen an der Deichsel bewegt, fiihren den Helden in die Nahe der Feinde, dort springt er ab und schleudert den Speer oder zieht das Schwert. Die Rosse halten unterdess, bis der Zeitpunkt gekommen ist, ihn wieder zuriick zu den Seinigen zu tragen. Dabei hat der Streiter einen Freund und Genossen, den tfegdrtcov, als Rosselenker zur Jiinken Seite stehn; wahrend der Eine den Wagen fiihrt, ersieht sich der Andere in der Rtistung und mit Schild und Larize den Feind. Zuweilen riickt ein ganzes Geschwader von Wagen zum Angriff vor: so im vierten Buch der Ilias, wo der erfahrene Nestor die Seinigen so aufstellt, dass vorn die Wagen, in letzter Reihe als unerschiitterlicher Wall die Fusskampfer, in der Mitte die Schwachen stehen, und dann das Gebot giebt, kein Wagen- lenker solle sich vordrangen, keiner zuriickbleiben, so seien vor Alters Stadte und Mauern bezwungen worden, 308:

Dies war der Branch der Alten, so sttirzten sie Vesten und Mauern.

Wie die Griechen, kampften auch die Trojaner und die Bundes- genossen, die Ilatovtg oder Mrjoveg iriTtoxoQvGmC, die tygvyeg ITCTIO- dafiot, und alolortwkoi, , und es ist kein Zweifel, dass die ganze Kampfweise, so wie das dazu gebrauchte Ross selbst aus Kleinasien stammte. Beinamen, wie die eben angefuhrten, oder wie inmoxaQfjirjg, , xayvnwhot,, evinnog, evTiwhog, xhvTGTiwhog, xwrngeg ITITICDV, u. s. w. tragen ganz iranisches Geprage. Ares, der Kriegs- gott, selbst kampft entweder zu Fuss oder zu Wagen, niemals als heransturmender Reiter. Da im fiinften Buch der Ilias die ver- wundete Aphrodite zum Olymp eilen will, entleiht sie ihm seineii Kriegswagen und seine Rosse, die sie pfeilschnell zum Gottersitz tragen. Daher er auf dem Schilcle des Herakles 191 fT. dargestellt

Das Pferd. 41

war, wie er die Lanze in der Hand hoch auf dem Wagensessel stand, vor ihm die schnellen Rosse, schrecklich anzuschauen. So heisst er auch bei Pindar Pyth. 4, 87: '/jalxaQ^arog ncffig 'Ayyo- dfaag, der mit ehernem Wageii fahrende Gatte der Aphrodite. Auch ausser dem Kriege wird-bei Homer das Pferd nicht zum Reiten be- nutzt. Dies erhellt z. B. aus dem dritten Gesang der Odyssee, wo Telemachus und des Nestors Sohn Pisistratus von Pylos nach Lakedamon quer durch den schwierigen, gebirgigen Peloponnes vsteheiid im Wagen fahren, nicht etwa auf und ab iiber die Gebirgspasse oder im kiesigen Bette der Bergwasser reiten. Und zwar geschieht dies ganz in derselben Schirrung und Riistung, wie bei den Kampfen auf dem troischen Gefilde, und neben dem Helden steht Pisistratus, der die Zugel fuhrt und die Rosse lenkt. Da spater Menelaus dem Telemachus zum Abschiede drei Pferde mit dazu gehorigem Wagen schenken will, lehnt Telemachus die Gabe ab, indem er daran erinnert, dass in Ithaka weder weite Rennbahn noch Wiese, OVT ag SQO^OC evgeeg OVTS u foifuov , sich finde, wie in der Ebene, die Menelaus beherrsche: keine der Inseln, die im Meer liegen, ist faTtrj faros d. h. eignet sich zum Fahren im niich- tigen Wagen, von alien aber Ithaka am wenigsten. Wer sich des Rosses freuen will, der bedarf also nicht bloss fetter Wiesen, auf clenen die Heerde weide und Erichthonius besass eine solche von dreitausend Stuten, sondern auch weiten Raumes, nokv nsdlov, und ebener Wege, foZae, bdoC, urn auf diesen mit rasch rpllenden Radern dahinzufliegen ; auf ungleichem Boden mit steigenden und fallenden Gebirgspfaden , auf denen der Reiter wohl auf- und ab- klettert, ist bei Homer das Ross von keinern Gebrauch. Auch bei den Leichenspielen der altern Zeit finden sich noch keine Wett- rennen zu Pferde; die im 23. Gesang der Ilias bei der Bestattung des Patroklus abgehaltenen Spiele bestanden aus Wagenrennen, Faust- kampf, Ringen, Lauf, Waffenkampf, Wurf mit der Kugel, Bogen- schiessen, Speerwurf. Auch auf der Lade des Kypselos, wo die viel- beruhmten von Akastus am Grabe des Pelias veranstalteten Spiele, dftta enl IleMy, die Stesichorus besungen hatte, abgebildet waren, hatte der Kiinstler kein Pferderennen dargestellt, nur zum Ziele eilencle Zweigespanne, Faustkampfer, Ringer, Diskuswerfer und Laufer. Aus dieser altesten Zeit sind uns, wenn iiberhaupt, doch nur ganz abstrakte Abbildungen des Rosses aufbehalten: was uns an Dar- stellungen desselben aus der spatern Zeit der beginnenden und vollendeten Kunstbliithe verblieben ist, zeigt nach dem Urtheil von

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Kennern den schlanken, orientalischen , nicht etwa den nordischeii nnd aus ferner Heimath hierher mitgebrachten Typus.

In dieser Hinsicht sind noch einige Zuge des altesteii Kultus zu erwahnen, die gleichfalls auf iranische Einwirkung hinweisen. Die Perser verehrten die Fliisse durch Opferung von Pferden: als Xerxes an den Strymon kam, schlachteten die Magier diesem Strome weisse Pferde (Herod. 7, 113), und der Parther Tiridates versohnte zu Tiberius' Zeit den Euphrat durch ein Ross, Tac. Ann. 6, 37 : cum . . . ille (Tiridates) equum placando amni (Euphrati) adornasset. Ganz ebenso waren die Troer gewohnt, lebendige Rosse in die Wirbel des Skamandros zn versenken, wie Achilleus sagt: II. 21, 132;

Auch in den Wirbel der Fluth lebendige Rosse versenket.

An der argivischen Kuste gab es mitten im Meere eine Quelle siissen Wassers, Jewy oder dCvq, so genannt wegen des aufsteigenden Wirbels, den sie bildete. In diese Dine pflegten die Argiver vor Alters aufgezaumte Rosse zu stiirzen, dem Poseidon zum Opfer (Paus. 8, 7, 2). Auch die Rhodier warfen jahrlich der Sonne ge- weihte Viergespanne ins Meer, Fest. v. October equus: Rhodii qui quotannis quadrigas soli consecratas in mare jaciunt, eben so die Illyrier jedes neunte Jahr, Fest. v. Hippius: cui (Neptuno) in lllyrico quaternos equos jaciebant nono quoque anno in mare. Auch der Sonne Pferde zu opfern, weisse Rosse - - eine durch Kultur geschaffene krankhafte Abart als durch ihre Farbe dem Lichtgott geweihte, dann iiberhaupt als Gotterpferde und als konigliche anzuschauen, diese iranische Kultussitte und religiose Phantasie findet sich hin und wieder in Griechenland, selbst in Italien. Kastor und Pollux, die beiden Lichtgotter, reiten auf schneeweissen Pferden und so erschienen sie z. B., in Scharlachmantel gehiillt, in der Schlacht der Crotoniaten und Lokrer am Sagraflusse, den letztern Hiilfe bringend, Justin. 20, 3, 8, Cic. de nat. deor. 3, 5; sie sind mit den heitern, glanzenden Tochtern des Leukippos vermahlt, in dessen Namen sein lichtes Wesen wiederklingt; der Tag bei Aeschylus, Pers. 387, bei Sophokles, Aj. 672 steigt mit weissen Pferden, fovxonwhog, auf und verdrangt den diistern Umkreis der Nacht u. s. w. Als der Agrigentiner Exaenetus als Sieger heimkehrte, begleiteten ihn die jubelnden Mitbiirger unter Anderem mit dreihundert Wagen und weissen Rossen davor, Diod. 13, 82, und auch Camillus zog nach der Einnahme Vejis in einem mit weissen Rossen bespannten Wagen triumphirend in die Stadt ein, Plut. Cam. 7, 1 und Liv. 5, 23, was von den Zeitgenossen als

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ein Uebergriff des Menschen in das Recht und die Herrlichkeit des Sonnen- und Hirnmelsgottes geriigt wurde. Die Lacedamonier schlachten auf einem Gipfel des Taygeton dem Helios Pferde (Paus. 3, 20, 5, der noch hinzufiigt: »ich weiss, dass auch die Perser die- selben Opfer zu bringen pflegen«) welcher Branch nicht phonizisch sein konnte , da die Phonizier das Pferd , das sie ohnehin aus der Fremde bezogen, in ihrern Gotterdienst nicht verwendeten. Vielmehr deutet dieser Zng, wie alle friiher erwahnten, auf Entlehnung von den Iraniern Kleinasiens, und kam das griechische Urvolk wirklich rait dem kleinen rauchhaarigen Steppenpferde in seine spateren Wohn- sitze eingezogen, so haben sich wenigstens schon in der altesten uns erreichbaren Zeit alle Spuren davon verloren. Nicht ganz so verhalt es sich mit dem nordlich von Griechenland gelegenen Thrakien, einem schon bei Homer rosseberuhmten Lande. Man konnte Letzteres zwar mythisch deuten; Thrakien ware die Heimath der Rosse, wie die der Nordstiirme; a us dem thrakischen Meer kommen die wilden Wogen herabgestiirzt, in dem Rosse aber wird der Sturm und die sich baumende, weissmahnige Woge angeschaut und es ist daher auch von Poseidon geschaffen und dient zu Uebungen und Spielen an den Kultstatten dieses Gottes. Aber die thrakischen Rosse des epischen Gesanges haben doch ein zu wirkliches und geschichtliches Ansehen; die Thraker sind fimwtotot, Thrakien ist InnoTQoyog (Hes. Op. et d. 507) und in dem alten Orakel aus dem siebenten Jahrhundert werden die thrakischen Rosse hervorgehoben, Schol. zu Theocr. 14, 18:

innoi Ogytxiai,, ^axedac/noviac Se yvvalxsg,

wo freilich statt Qgrifaiat, eine andere Ueberlieferung OsGffafoxat nannte. Die Thraker standen friihe mit den gegeniiberwohnenden Volkern Kleinasiens in Kultur- und religiosem Verkehr und in Rhesus mit seinen Rossen, die weisser denn Schnee waren, sein em Wagen und seinen Waff en, die zu tragen eher den Gottern, als den sterb- lichen Menschen geziemte, - - ist ein iranischer Lichtdamon nach- gebildet, der daher auch im Dunkel der Nacht seiner Rosse und seines Lebens beraubt wird. Aber wie Kleinasien wohnten die Thraker auch dem Gebiet der nordischen Reitervolker nahe und der thrakische Schlag mochte dem Lande der Hippomolgen urspriinglich entstammen. Weiter lassen sich auch die zahmen Pferde der Slaven, Litauer und Germanen leicht von denen der reitenden iranischen Nachbarn ableiten. Von den Slaven bemerkt Tacitus ausdriicklich, sie seien kein Pferdevolk, wie die Sarmaten, von deren Sitten sie im Uebrigen viel angenommen, sondern hatten ihre Starke zu Fuss,

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peditum usu ac pemititate gaudent, und er rechnet sie deshalb lieber zu den Germanen. Als sie spater nach dem Abzuge der Deutschen an die Elbe und Oder vorgeruckt waren, da horen wir (lurch die Geschichtsschreiber des Mittelalters von einer Verehrung des Pferdes bei ihnen, die uns lebhaft an die gleiche bei Iraniern erinnert. Dem Svatovit, dem Lichtgotte, 1st ein weisses Pferd geweiht, dem Triglav, dem Bosen und Feindlichen, ein schwarzes; das letztere wird nie ge- ritten, das erstere zuweilen von dem Priester bestiegen. Das Pferd dient zur Vorbedeutung, es weissagt Gliick und Ungliick, die Tempel, bei denen es gehalten wird, werden dadurch zu Orakelstatten. Audi in der bohmischen Ursprungssage ist es ein damonisches Ross, das den Abgesandten der Libussa den Weg zum Premysl, dem aus- erkorenen Herrscher, weist. Dieser Gegensatz von Licht und Dunkel und die Heiligung des Rosses wird, so gut wie der Name Gottes, bogu, von den sarmatischen und alanischen Nachbarn gekommen sein. - - Auch die Litauer finden wir in alten Zeugnissen als Hippo- molgen, d. h. als Trinker der Pferdemilch, erne Sitte, die, bei den Germanen unbekannt, von den Reitern der siklrussischen Steppen bis an die Ostsee sich weiter verbreitet hatte. Wulfstan bei Konig Alfred (Antiquites russes II, p. 469) berichtet: »bei den Esten (d. h. den Preussen) giebt es so viel Honig, dass der Konig und die Reichen den Metb den Armen und den Knechten iiberlassen, selbst aber Stutenmilch trinken.« Adam. Brem. 4, 18 : (Sembi vel Pruzzi) carnes jumentorum pro cibo sumunt, quorum lacte vel cruore utuntur, in potu, ita ul inebriari dicantur, und Peter von Dusburg, III, cap. 5 (Scriptores rerum pruss. 1, p. 54): pro potu habent simplicem aquam et mellicratum sen medonemet lac equarum, quod lac quondam non biberunt nisi prius sanctificaretur. alium potum antiquis temporibus non noverunt. Aucb bei ihnen also, wie bei den Iraniern, wurden die Stuten in grossen Heerden gehalten und diese dann umzingelt oder herangetrieben, um gemolken zu werden, eine Operation, die Anfangs schwierig war, an die sich aber die Stuten, besonders wenri das Tranken damit verbunden wurde, zuletzt gewohnten. Und die so gewonnene Milch wurde auch hier, wie am Tanais, durch Gahrung in ein berauschendes Getrank urngesetzt, dessen sich vorzugsweise die Vornehtnen bedienten: auch aus dem letzteren Zuge schliessen wir, dass die Pferdezucht eine der Fremde entlehnte Kunst war. Dass auch die Gothen in Schweden, wie die Semben in Samland, sich mit Stutenmilch l>erauschten, scheint zwar das Scholion 129 zu Adam von Bremen zu sagen: hoc usque hodie Gothi et Sembi facere

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dicuntur, quos ex lacte jumentorum inebriari cerium est, allein das Melken der Stuteii 1st bei reinen Germanen nie Branch gewesen und so wird sich der Scholiast, wie wir mit Grimm, Gesch. d. d. Spr. 721, annehmen , miter Gothi et Sembi wohl Samogeten gedacht haben. Uebrigens hatte die an den Gegensatz des weissen und schwarzen Pferdes gekniipfte religiose Symbolik auch bei den Preussen Eingang gefunden, Peter von Dusburg 3, 5 : Prussorum aliqui equos nigroSj quidam albi eoloris, p ropier Deos suos non audebant aliqualiter equitare. - - Bei den Germanen tragt der clem Rosse gewidmete Kultus gleichfalls einige ganz iranische Ziige; die Pferde besitzen die Kraft der Weissagung, sie werclen den Gottern geopfert, sie ziehen den heiligen Wagen, die weisse Farbe gilt fur die heiligste, wie bei Persern, Scythen, deri Venetern, die nach Strab. 5, 1, 9 clem Diomedes ein weisses Pferd opferten u. s. w. Die romischen Beur- theiler erklareri das germanische Pferd fiir gering und unedel : bei Casar sincl die jumenta der Germanen parva atque deformia, bei Tacitus die equi derselben non forma, non velocitate conspicui. aber nach dem ersteren waren sie so gewohnt, dass sie viel leisten konnten, summi ut sint laboris. Der Schlag mochte dem urspriinglichen, wie ihn die Steppe geboren hatte, noch nahe stehen : sagt cloch Strabo von den Pferden am Borysthenes und an der Maotis fast dasselbe, was Casar von den germanischen, 7, 5, 8: »sie sind klein, aber sehr schnell (6%els) und unbandig (3v(f7i€i9el$).« Im Uebrigen war auch der germanische Mann, \vie der slavische, fester auf den Fiissen als zu Ross, Tac. Germ. 6 : in universum spectanti plus penes peditem roboris, einzelne Stamme vielleicht ausgenommen, die mit iranischen Volkern auf dem Steppenboden enge Gemeinschaft gemacht hatten, wie die Quaden mit den jazygischen Sarmaten, Amm. Marc. 17, 12, 1 : permistos Sarmatas et Quados, vicinitate et similitudine morum arma- turaeque Concordes. Von den nach der entgegengesetzten Seite hin wohnenden Germanen, den nach Britannien gezogenen Angeln und den Warnen, die er sich am Niederrhein denkt, will Procopius wissen, das Pferd sei ihnen ganzlich unbekannt, de b. g. 4, 20 : »Diese Insel- bewohner sind kriegerischer, als die andern Barbaren, von denen wir wissen, liefern aber ihre Treffen immer zu Fuss. Ja sie kennen das Ross nicht einmal von Angesicht und auf der Insel Brittien kommt dies Thier gar nicht vor. Gelangt einer von ihnen auf einer Ge- sandtschaft oder sonst wie zu Romern oder Franken oder sonst wo hin, da ist er nicht im Stande, selbst aufzusteigen , sondern muss hinaufgehoben , und eben so, wenn er absteigen will, auf die Erde

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hinabgesetzt werden. Und eben so sind auch die Warnen keine Keiter, sondern alle nur Fussganger.« Fiir die Zeit, von welcher Procopius spricht, ist dies sehr unwahrscheinlich : vielleicht bezogen sich die Nachrichten, die er benutzte, auf die Moorgriinde des Nord- westens, die fur Pferde allerdings unwegsam waren und sind. Statt der Angeln hatte er dann die Friesen und statt Brittien eine der Flussinseln des Festlandes nennen sollen. Aber die Bataver, die Bewohner der Rheininsel, galten gerade fiir die besten Reiter unter den Germanen, Cass. Dio 55, 24: xgduffcot Innsvuv, Plut. Oth. 12, 4: FsQuavwv Innelg aqunoi, die bewaffnet mit ihren Pferden liber den Rhein schwammen, Tac. Hist. 4, 12: eques, praecipuo nandi studio, arma equosque retinens integris turmis Rhenum perrumpere. - Auch das kaledonische Pferd wird als klein und unansehnlich geschildert, war also dem germanischen verwandt und stellte auf der isolirten Insel den altkeltischen Schlag dar, der in Gallien langst gekreuzt und veredelt war, Cass. Dio 76, 12 (von den Caledoniern) : »sie haben kleine und schnelle Pferde, gehn aber auch zu Fuss und lauf en sehr schnell und halten im Kampf sehr festen Stand. « Also auch die Caledonier sind geschwinde Laufer, wie die Germanen und die Wenden im Gegensatz zu den Sarmaten: die Reiterei ist bei diesen Volkern nur eine untergeordnete Hilfswaffe. Ja der Reiter bedarf eines fliichtigen, starken Kampfgenossen zu Fuss, der ihn be- gleitet und ihm in entscheidenden Momenten zu Hilfe kommt. Aus- fiihrlich schildert Casar diese Combination von Ritt und Lauf bei den Germanen, de b. g. 1, 48: »Es waren (im Heere des Ariovistus) sechstausend Reiter und eben so viel sehr schnelle und kraftige Kampfer zu Fuss, die Jene sich um ihres Heils willen, suae salutis causa, aus der ganzen Menge ausgewahlt hatten, und mit denen sie wahrend der Schlacht im Verkehr standen. Zu diesen zogen sich die Reiter zuriick; wurde an einem Punkte cler Kampf schwierig, so eilten die Fussganger zur Unterstiitzung herbei; war ein Reiter ge- troffen und sank vom Pferde, so umstanden sie den Verwundeten: handelte es sich darum, weiter vorzusprengen oder rasch sich zuriick- zuziehen, so war ihre durch Uebung gewonnene Geschwindigkeit so gross, dass sie die Mahne fassend mit den Pferden Schritt hielten.« Tacitus bestatigt dies in seiner gedrangteren Redeweise, Germ. 6: eoque (pedite) mixti proeliantur apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate peditum, quos ex omni juventute delectos ante aciem locant. Schon lange vorher waren auch die Bastarnen gewohnt, solche Nebenkampfer zu Fuss, die bei Plutarch naQa^drat, heissen, zu gleicher

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Zahl unter ihre Reiter zu mischen, Liv. 44, 26: veniebant decem milia equitum, par numerus peditum, et ipsorumjungentiwm cur sum equis, et in vicem prolapsorum equitum vacuos capientium ad pugnam equos, und dass auch die Gallier, die den spateren Germanen immer ahnlicher werden, je weiter wir in ihrer Geschichte hinaufgehen, sich auf ihre Reiterei allein nicht verliessen, sondern diese gern durch kraftiges Fussvolk unterstiitzten , lehren einzelne Erwahnungen, wie Casar d. b. g. 7, 80. Es war also allgemein nordeuropaische Sitte, von Gallien bis zur Istermundung. Zwar wird auch bei den siid- lichen Volkern hin und wieder von einer ahnlichen Kampfweise be- richtet, die aber, genauer betrachtet, dennoch anderer Natur war. Die Iberer ritten zu zwei auf dem Pferde in die Schlacht und dann -kampfte der eine von beiden zu Fuss (Strab. 3, 4, 18), und von den Keltiberen sagt Diodor 5, 33, sie seien d(,(.id%(u, d. h. wenn sie zu Pferde mit Erfolg gekampft, sprangen sie ab und lieferten zu Fuss erstaunliche Gefechte. Aehnlich war der taktische Kunstgriff, den nach der Erzahlung des Livius 26, 4 und des Valerius Maxi- mus 2, 3, 3 die Romer einmal im zweiten punischen Kriege an- wandten: als Capua von ihnen unter Q. Fulvius Flaccus belagert wurde und die romische Reiterei, an Zahl schwacher, gegen die der Belagerten sich nicht halten konnte, erdachte der Centurio Q. Navius, um diesem beschamenden Verhaltniss ein Ende zu niachen, folgenden Behelf. Es wurden aus alien Legionen die kraftigsten und beweg- lichsten Jiinglinge ausgewahlt und mit langen Speeren bewaffnet, diese setzten sich hinter den Reiter aufs Pferd und sprangen bei gegebenem Zeichen ab, so dass sich gleichzeitig mit dem Reiter- kampf ein Kampf zu Fuss entwickelte; das Unerwartete der Scene und die beigebrachten Wunden zwangen von da ab die feindliche Reiterei zur Flucht. Die Angabe dazu hatte, wie gesagt, der Cen- turione Navius gemacht , auctorem peditum equiti immiscendorum centurionem Q. Navium ferunt: es war aber wohl nicht seine eigene Erfmdung, sondern von ihm bei den Barbaren oder auch den Griechen gesehen oder ihm durch Horensagen kund geworden. Nach Pollux 1, 132 hatte Alexander der Grosse eine Art Reiter, &iiagBt, erfunden, die leichter bewaffnet waren, als der Hoplit, schwerer, als der eigentliche Reiter, und die auf Beides geiibt waren, auf den Kampf zu ebener Erde und auf den vom Pferde herab, so dass sie, wenn es eine Reiterschlacht gab, mit dreinhauen, wenn es auf ein Gefecht zu Fuss ankam, gleichfalls das Ihrige leisten konnten - also eine, wie die neueren Dragoner, auf die eine und die andere

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Waffe eingeiibte Truppe, ein Erzeugniss nicht nationaler Sitte, son- dern reflectirender Kriegskunst. Aehnliches besagt auch wohl der griechische Ausdruck vtfJUTCTToi, bei Xenophon Hell. 7, 5, 23: Trefoov dfJtCnTKov mid Thucydid. 5, 57: die Booter stellten fiinftausend Hop- liten, eben so viel Leichtbewaffnete, fiinfhundert Reiter und eben so viel aiLUTiTiot. Schon naher der germanischen Art stiinde die Fecht- weise der Daer, wenn in dem Bericht des Curtius die letzten Worte voile Geltung batten, 7, 32 : equi binos armatos vehunt, quorum in- vicem singuli repente desiliunt: equestris pugnae ordinem turbant. Equorum velocitati par hominum pernicitas. Aber dass die Reiter- volker, die irnmer und uberall schwerfallig zu Fusse sind, im Lauf mit ihren Rossen batten wetteifern konnen, hat wenig Wahrscheinlich- keit und der Angabe des genannten Geschichtsschreibers liegt sicher. irgend eine Verwechselung zu Grunde. Man konnte eine solcbe conibinirte Kampfart schon in der Odyssee finden, wo es von dem tbrakiscben Volke der Kikonen heisst, 9, 49:

geiibt von den Pferden (i<p5 ?IETCU>V) Oder zu Fuss, wo die Noth es gebot, mit den Mannern zu kampfen -

aber der Ausdruck dtp* CTITWDV bedeutet bei Homer sonst immer vom Wag en herab und die kikonische Kriegsweise wiirde also ganz mit der in der Ilias gebrauchlicben zusammenfallen. Waruni aber wurde sie dann ausdriicklich erwahnt? Weil der ritterliche Kampf bei einem barbarischen Volke etwas Unerwartetes Avar? Zum Verwundern aber stimmt das troische und kikonische Wagen- gefecht mit den Kampfsitten uberein, die nachher Casar bei den kel- tischen Stammen in Britannien vorfand. Diese rollten mit ihren Wagen in die Schlacht, wie die Helden vor Troja. Casar bescbreibt ihr Verfahren dabei ausfiihrlich, de b. g. 4, 33; »Erst reiten und fahren sie pfeileversendend nach alien Seiten und sucben die feind- lichen Reihen in Auflosung zu bringen. Dann springen sie plotzlich von den Wagen, ex essedis, und kampfen zu Fuss. Unterdess halten die Wagenlenker abseits, . um die Streiter, wenn diese vom Feinde bedrangt werden, sogleicb wieder aufzunehmen. So vereinigen sie die Fliichtigkeit des Reiters mit der Standhaftigkeit des Streiters zu Fuss. Ibre Uebung darin ist so gross, dass sie auf steilen Berg- abb angen die in vollem Lauf begriffenen Rosse auf halten und lenken und an der Deichsel bin und her laufen und auf das Joch treten und dann wieder im Nu sich in den Wagen zuriickziehen konnen. « Die namliche Kampfart hatte spater auch Agricola vor sich, Tac. Agr. 35: media campi covinarius et eques strepitu ac discursu com-

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plebat. Mela fiigt hinzu, die Wagen seien mil Sicheln bewaffnet ge- wesen, woruber Casar und Tacitus schweigen, 3, 6, 5 : dimicant non equitatu modo aut pedite, verum et bigis et curribus gallice armati: covinnos vacant, quorum falcatis axibus utuntur. (Ueber die Namen esseda und essedum und covinus s. Diefenbach O. E. unter diesen Wortern und Gliick in Fleckeisens Jahrbb., Th. 89, 1864, S. 599.) Andere berichten daneben, diese Kriegswagen seien bei den Belgen im Gebrauch und dies fiihrt uns zu der Annahme, dass sie nach dem grossen keltischen Wanderzuge in den Osten und in die Nahe iranischer und thrakischer Volker diesen letztern entlehnt waren und nachdem sie auf dem Festlande ausser Gebrauch gekommen, auf der britischen Insel, wie so manches Andere aus alterer Zeit, sich noch erhalten batten. Die Sichelwagen waren asiatisch Livius 37, 41 nennt sie der romischen Kriegskunst gegeniiber ein inane ludibrium und das Fahren in der Schlacht iiberhaupt, wie wir gesehen haben, assyrisch, persisch und kleinasiatisch.

Ob das Reiten oder das Fahren das Erste gewesen, ist eine von den Dichtern bei ihren Phantasien iiber die Urzeit zuweilen auf- geworfene Frage. Lucretius meint, bewaffnet auf den Riicken des Thieres zu springen und es mit dem Zaume zu lenken, sei alter, als mit der Biga in die Schlacht zu ziehen, 5, 1297:

El prius est armatum in equi conscendere costas Et moderarier hunc frenis dextraque vigere, Quam bijugo curru belli temptare perida -

uncl dies mag in dem Sinne richtig sein, dass zwar der Wagen selbst ein uraltes Gerath ist, dass aber von dem rohen, schwerfalligen Lnst- fuhrwerk der friihesten Zeiten bis zu dem leichten, geschwinden, zier- lichen, mit Melall gearbeiteten zweiradrigen Kriegswagen der Assyrer ein sehr weiter Schritt ist. Der Gebrauch des Rindes als Zugthier konnte dazu einladen, auch das gefangene Ross zu gleichem Dienst anzuhalten; aber natiirlicher ist es, das wilde Thier auf dessen eigenem Riicken mit Handen und Fiissen zu umklammern und dann miide zu jagen, so dass es nicht weiter kann und dann willig wird. Auch war das Ross, wie wir gesehen haben, immer nur ein kriege- risches Thier, dessen Werth in der Geschwindigkeit bestand, und erst der Reiter verfiel darauf, durch ein angehangtes leicht rollendes Gefass, das ihn und seinen Gefahrten aufnahm, gewisse Kriegszwecke vollstandiger zu erreichen.

Fassen wir alle obigen Notizen zusammen, so verrath sich uns nirgends in Europa, weder bei den klassischen Volkern des Siidens,

Viet. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 4

50 Das Pferd.

noch bei den nordeuropaisehen von den Kelten westlich bis zu den Slaven ostlich das hohe Alter des Pferdes und die lange Dauer dieser Zahmung durch deutliche Spuren und unzweifelbafte An- zeichen. Ja manche Thatsachen scheinen in positiver Weise die Bekanntscbaft mit dem Thiere in friiher Zeit auszuscbliessen, z. B. dass die homerischen Griecben auf dem Rosse nicbt reiten (wie sie cloch thun miissten, wenn sie es urspriinglich besessen batten), son- dern mit dem Rosse nur fahren (was sie den Asiaten abgesehen haben miissen). Wir haben daber keinen Grund, uns die Indo- germanen bei ihrer friihesten Einwanderung als ein Rossevolk zu denken, das mit verhangtem Ziigel iiber Europa dabergesprengt kam und Menscben und Tbiere mit der Schlinge aus Pferdebaar einnng. Begleitete sie aber das Ross auf ibrem grossen Zuge durch die Welt nocb riicht, so miissen die dem Ausgangspunkt nabe gebliebenen iraniscben Stamme diese Kunst erst spater erlernt haben von wem anders, als von den hinter ihnen hausenden, allmahlich im Laufe der Zeit naher geriickten Tiirken? Diesen und hinter ihnen den Mon- golen verbliebe der Anspruch, den fliichtigen Einhufer auf der weiten Steppe zuerst gefangen und iiberwaltigt und zur Jagd und zurn Kriege abgerichtet zu haben. Als die Tiirken den gebildeten Volkern des Occidents zuerst zu Gesicht kamen, da waren sie ein Reitervolk, wie man in solchem Masse noch keines kannte, auch die Scythen und Farther und andere Iranier nicht ausgenommen. Die Hunnen sind dxgoGyahelg, d. h. sie fallen bei jedem Schritt, und anodsg, d. h. ohne Fiisse zum Auftreten (bei Suidas), sie leben, wachen und schlafen, essen und trinken, berathen sich unter einander zu Pferde und die Thiere sind ausdauernd, aber hasslich, also friscb von der hochasiatischen Steppe gekommen, Amm. Marc. 31, 2, 6: equis prope adfixi, cluris quidem, sed deformibus, et muliebriter iisdem nonmm- quam insidenteSj funguntur muneribus consuetis. Ex ipsis quivis pernox et perdius emit et vendit cibumque sumit et potum et in- clinatus cervici angustae jumenti in altum soporem adusque varie- tatem effunditur somniorum. Et deliberatione super rebus propo- sita seriis, hoc habitu omnes in commune consultant. Und nicht anders schildert sie Zosimus 4, 20: »sie sind nicht im Stande, den Fuss fest auf den Boden zu heften, leben ganz auf den Pferden, scblafen auf ihnen u. s. w.« Die Steppe hat das Pferd geboren, die gelben Steppenvolker haben es gezahmt und nacbdem ihnen diese That gelungen, ihr ganzes Dasein von ihr abgeleitet. Wenn es wahr sein sollte, wie neuerdings im Hinblick auf die zweite Art der acha-

Das Pferd. 51

menidischen Keilschriften angenommen wird, dass Medien entweder eine urspriinglich turanische, d. h. nicht-iranische Bevolkerung gehabt hat oder urspriinglich von Ariern bewohnt wurde, die spater von eingewanderten Turaniern unterjocht worden so wiirde sich dadurch des Weiteren erklaren, waruni dieses Land fiir ganz Vorderasien Heimath mid Ausgang der Rossezucht und Reitkunst geworden istu).

** Der Annahme Helm's, dass die Indogermanen in einer centralasiati- schen Urheimath das Pferd, dessen urspriingliche Weideplatze sich in westlicher Richtung hochstens bis zu den Karpathen erstreckt batten (S. 21), nur in wildem Zustand kannten, und dass die europaischen Indogermanen das Pferd als Hausthier erst in ihren historischen Wohnsitzen auf den Wegen des Volker- verkehrs mittelbar oder unmittelbar von iranischen Stammen her empfingen, dieser Annahme steht die nicht beachtete Schwierigkeit entgegen, dass man so nicht begreift, wie das Wort equus z. B. bei den westlichsten, den keltischen Stammen sich erhalten konnte, wenn die Bekanntschaft mit dem Thier Jahr- hunderte lang unterbrochen war. Das Vorhandensein dieses Wortes in dem Sprachschatz fast aller Indogermanen erklart sich vielmehr nur unter der Voraussetzung, dass das Pferd entweder in gezahmtem oder halbgezahmtem Zustand die Indogermanen auf ihren Wanderungen begleitete, oder dass das Wanderungsgebiet auch der europaischen Indogermanen in das Verbreitungs- gebiet des wilden Pferdes fiel oder endlich dass beides zugleich der Fall war.

Dass Europa mit zu den ursprtinglichen Wohnsitzen des wilden Pferdes gehore, wird von den Naturforschern gegenwiirtig mit grosser Entschiedenheit angenommen. Vgl. A. Otto, Zur Geschichte der altesten Hausthiere S. 73 ft Vor allem ist hier eine Arbeit A. Nehrings in den Landwirthschaftlichen Jahrbiichern vom Jahre 1884 zu nennen: »Fossile Pferde aus deutschen Diluvial-Ablagerungen und ihre Beziehungen zu den lebenden Pferden. Ein Beitrag zur Geschichte des Hauspferdes.« Nehring unterscheidet mit anderen zwei Hauptrassen des Hauspferdes, die orientalische, welche durch eine starke Entwicklung des Gehirnschadels charakterisirt sei, wahrend der Ge- sichtsschadel mehr zuriicktrete, und die occidentale, bei welcher das um- gekehrte Verhaltniss vorliege. Zu letzterer gehore das schwere, starkknochige Diluvialpferd Mitteleuropas, und es konne, das ist der Hauptsatz der Arbeit, kein Zweifel obwalten, dass von diesem unser schweres, gemeines Hauspferd direct abstamme. Daneben wird das Vorhandensein einer kleineren, zier- licheren Rasse schon in der Diluvialzeit, z. B. in den Funden von Schussen- ried als wahrscheinlich angenommen. Das schwere Diluvialpferd habe in der Europa in postglacialer Zeit theilweis bedeckenden Steppen vegetation , deren Ueberreste in Schlesien und in der Theissebene Ungarns noch bestiinden, als Jagdthier des Menschen in ungeheurer Menge gelebt, vor den sich immer mehr ausdehnenden Waldungen sich zwar grosstentheils in die Steppenflora des Ostens zuruckgezogen, aber doch theilweis in den Lichtungen des Urwalds bis in historische Zeiten erhalten. Die Nachrichten iiber das europaische Wildpferd werden daher nicht mit H. auf verwilderte, sondern auf wirklich wilde Thiere bezogen (ebenso wie von Ecker Globus 1878 Bd. 34 in einer

4*

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ausfiihrlichen Arbeit iiber das europaische Wildpferd). Die Domestication des wilden, mitteleuropaischen Diluvialpferdes habe sehr friih begonnen, wann sie durchgefiihrt worden sei, lasse sich mit Sicherheit nicht ermitteln. - Lehrreich, aber freilich wenig trostlich, sind auch die Mittheilungen Neh- rings iiber den vielgenannten Tarpan (oben S. 19). Nach ihnen sind wir iiber dieses Wesen lediglich auf die Berichte der gelehrten Reisenden des vorigen Jahrhunderts, wie Pallas, Gmelin, Georgi angewiesen; denn gegenwartig exi- stire nirgends in Russland, wenigstens nirgends in Siid- Russland uiid den aralo-kaspischen Steppen, irgend ein wildes Pferd. Auch sei in keiner ein- zigen Sammlung Russlands ein Skelett dieses sogenannten Tarpan aufzufinden. Die letzte noch iibrige Form des wilden Pferdes ist Nebring geneigt, in dem equus Przewalkii bei dem See Lob-Nor in Mittelasien zu erblicken. Wie stellt sich nun, wenn man mit den Naturforschern von dem Indigeuat des Pferdes in Europa ausgeht, hierzu die Frage der Zahmung des Thieres bei den Indogermanen ? Da dieselben nach den iiberzeugenden Ausfiihrungen H.'s in der Urzeit weder ein Reitervolk gewesen sind, noch auch das Pferd als Zugthier benutzt haben konnen, andererseits aber doch das Thier, wie andere indo- germanische Hausthiere (vgl. mein Reallexikon u. Opfer und Pferd), bei' alien idg. Volkern zu Opfer- und Speisezwecken verwendet wurde, wird man fiir die indogermanische Urzeit am wahrscheinlichsten einen halb wilden Zustand des Thieres anzunehmen haben, in welchem es nicht sowohl zu Dienstleistungen als zur Nahrung uud Bekleidung des Menschen (Fleisch, Milch, Felle) in Heerden gehalten wurde. In diesen Zustand konnte das Thier ebenso wohl in Asien wie in Europa versetzt worden sein, und der Umstand, dass die Indogermanen das Pferd halbwild oder wild gekannt batten, Hesse sich an und fiir sich weder zu Gunsten der asiatischen, noch zu Gunsten der europaischen Hypothese des Urlandes der Indogermanen ausbeuten. Mog- lich ist aber auch, dass erst die europaischen Indogermanen nach Auflosung des indogermanischen Verbandes, wahrend aber noch engere kulturgeschicht- liche und volkergeschichtliche Beziehungen zwischen alien oder gewissen Theilen bestanden (vgl. unten S. 63 f.), zur ersten Zahmung des einheimischen Thieres vorschritten. Hierfiir konnte man auf einige Benennungen des jungen oder des Mutterthieres hinweisen, die sich auf Europa beschranken. So auf das griech. ncuXoc: goth. fula Fohlen, ir. (p)klir, alb. pel's Stute (G. Meyer, Et. W. S. 326) und auf das oben (S. 24) genannte ahd. stuot. Hingegen diirfte die Gleichung altgallisch marka, ir. marc = ahd. marah, meriha eher auf friilr zeitiger Entlehnung aus dem Keltischen beruhn. Das in den germanischen Sprachen weit verbreitete Wort ist in der Bedeutung Vieh, Mahre, Waare (vgl. Miklosich, Et. W. S. 190) in zahlreiche Slavinen, auch ins Rumanische und Magyarische eingedrungen, so auf einen friihen westostlichen Pferde- handel hindeutend, der seinen Ausgangspunkt in Gallien zu haben scheint. Vgl. Caesar De bello gallico IV, 2: Quin etiam iumentis (»Pferd«, Wolft'lin Archiv VII, 322), qalbus maxime Galli delectantur quaeque inpenso parant pre- tio, imp or tat is hi (Suebi) non (wie andere Germanen) utuntur, sed quac sunt apud eos nata, prava (nicht parva) atque deformia, haec cotidiana exerciiatione. summi ut sint laboris efficiunt. Bekanntlich wurde auch in Gallien eine besondere Pferdegottin , Epona (*ep- = ir. ech), verehrt, deren Altare noch heute sichtbar sind. Mo'glich ist aber auch endlich, dass die Indogermanen

Das Pferd. 53

erst als Einzelvolker und in ihren historischen Wohnsitzen die Zahmung des einheimischen Pferdes begannen, nachdem sie auf den A- on Hehn geschil- derten Wegen des Volkerverkehrs von aussen dieselbe erlernt hatten; denn aucli Nehring hebt mil Nachdruck hervor, dass schon in vorhistorischer Zeit das Eindringen des asiatischen Hauspferdes in Europa stattgefunden haben miisse. Weiter als zu dem Abwagen von Moglichkeiten wird man in diesen sclnvierigen Fragen vorlaufig nicht kommen. In den Schweizer Pfahlbauten der Steinzeit sind nach Rfitimeyer, Fauna der Pfahlbauten, S. 123, Ueberreste des Pferdes, und zwar unseres Hauspferdes, unzweifelhaft nachgewiesen worden; doch sind dieselben der Haufigkeit der Knochen anderer Hausthiere gegeniiber selten. Fiir die danische Steinzeit wird die Bekanntschaft mit dem Pferd als ,,zweifelhaft" bezeichnet (vgl. S. Miiller, Nordische Alterthumskunde I S. 204, 445), wahrend in Schweden sichere Pferdereste ans der gleichen Epoche zu Tage gekommen sind (vgl. Montelius, Kultur Schwedens 2 S. 26). Zwei Species von Pferden haben sich in den Pfahlbauten der Poebene gefunden (W. Helbig, Die Italiker in der Poebene S. 14). Die in Mykenae gefundenen Thierreste harren, wie Herr Tsuntas schreibt, noch einer sorgfaltigen Unter- suchung.

Bemerkenswerth 1st, dass an zwei Stellen des europaisch-indogermanischen V(">lkergebiets nichtindogermanische, vielleicht vorindogermanische Be- zeichnungen des Pferdes hervortreten. Es ist dies einerseits im Norden altsl. kobyla Stute, mit dem sich auch das gemeinslavische kom Pferd und das gleichbedeutende altruss. komom, cech. Jcomon (vgl. auch altpreuss. camnet Pferd, lit. klime Stuet, kumdys Fohlen) lautlich vermitteln lassen, und das des weiteren sowohl mit gallisch-lateinischem cabo, cabonis (G. Goetz, Thesau- rus I, 159), caballus (griech. xapd/^Y|C, Hesych.), wie endlich auch mit dem gemeinlinnischen hebo, hepo Pferd, estn. hebu, hobu Stute, hobune Pferd etc. zustimmenzuhangen scheint (vgl. tiber diese Worter Leskien, Bildung der Nomina im Litauischen S. 277 und J. Schmidt, Kritik der Sonantentheorie S. 138). Es ist dies zwei tens im Alpengebiet bask, mando Pferd oder Maulthier, das in lat. mannus (aus *mandus\ ein gallisches Pferd und in alb. mes Fullen von Pferd oder Esel aus *mandia (vgl. G. Meyer, Et. W. S. 276) wiederkehren diirfte.

Weiteres tiber die Terminologie des Pferdes s. in meinem Reallexikon u. Pferd.

Wenden wir uns nach Asien, so weist die Sprachvergleichung darauf bin, dass auch bei den Semiten die Bekanntschaft mit dem Pferd bis in die Urzeit dieser Volker zuruckgeht. Es handelt sich hier um die beiden Gleichungen assyr. sisu, hebr. sus, aram. susjd und hebr. para* Reiter mit dem Pferd, Pferd, athiop. faras, arab. feres, die doch kaum anders wie die indo- gerinanische Gleichung equiis etc. beurtheilt werden konnen (vgl. F. Hominel, Die Namen der Saugethiere S. 45 f.). Auf keine Weise, meint Hommel, S. 54, lasse sich die (mit der Hehn'schen Anschauung von der iranischen Herkunft des semitischen Pferdes am besten ubereinstimmende) altere Erklarung von *susu als »das susische« und von *param als »das persische« aufrecht halten, hinoegen nimmt er (Beilage zur allg. Zeitung 1895 No. 197 S. 2, einen uralten Zusammenhang zwischen der ursemitischen Grnndform *sisivu = assyr. sisu und der indogermanischen * ekvo = scrt. d^va-, lat. equus an (?). - Den Sumerern, der altesten Bevolkerung Babyloniens, scheint im Gegensatz

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zu den Semiten das Pferd niclit urspriinglicli bekannt gewesen zu sein. Seine augenscheinlich junge Benennung lautet hier »Esel des Berges oder Ostens« (vgl. F. Hommel, Die Semiten S. 402).

Weitere (oben S. 26) Thatsachen lassen sich dafur geltend machen, dass inAegypten Pferd und Wagen durch semitisclie Beziehungen bekannt warden (Hommel, Namen der Saugethiere S. 422, E. Meyer, Geschichte des Alter- thums I, § 211). Dass dies durch die Hyksos geschehen sei (oben S. 26), wird von F. Hommel energisch vertheidigt; er versteht unter diesem Namen ara- bisclie Beduinenstamme und ist daher S. 422 geneigt, dem arabischen Pferd ein hoheres Alter als Helm (oben S. 29 f.) zuzuschreiben. Spater war Aegypten. ein pferdeausfiihrendes Land (E. Schrader, Keiliiischriften u. d. a. Testament, 2. Auflage S. 188). Ueber das Pferd in Aegypten vgl. noch Dttmichen in Brelims Thierleben III3, 39 f. und Wiedemann, Herodots II. Buch S. 420 ff., fur das Pferd bei den Semiten Riehm, Bibellexikon, 2. Aufl.

Sehr anschanlich schildert E. Meyer a. a. O. die Umgestaltung, welche im ganzen Gebiete der a" gyptisch - vorderasiatischen Kulturwelt das Kriegs- wesen durch die Einfiihrung des Pferdes und seine Benutzung zum Ziehen des leicht durch die Reihen der Feinde dahinfliegenden Kriegswagens erfuhr. Zu den im obigen (S. 26 ff.) von Helm zusammengestellten Be- legen hierfur ware noch nachzutragen , dass schon auf den mykenischen Grabstelen Streitwagen dargestellt sind (Helbig, Homerisches Epos, 2. Aufl. S. 126). So erhalten die schon oben citirten Verse der Jlias (4, 308), die Worte des Nestor

d»8s xal oi TtpoTspoi TtoXta? xal TS'.^E' Ircopd'eov

eine vertiefte Bedeutung. Auch bei den Ostiraniern des Zendavesta waren Wettrennen zu Wagen ebenso wie das Fahren in die Schlacht gebrauchlich ; aber auch die Reitkunst wurde geiibt (W. Geiger, Ostiranische Kultur S. 350). Wie kam es nun, dass in der ganzen agyptisch-vorderasiatischen Kultur, vorn Nil bis an die Ufer des Indus das Pferd offenbar zuerst dazu verwendet wurde, den Kriegswagen zu ziehen, nicht aber den Reiter in die Schlacht zu tragen? Diese Frage ist in neuerer Zeit mehrfach erortert worden. W. Ridge- way in der Academy vom 3. Jan. 1891 S. 14 sucht den Grund jener Erschei- nung in dem angeblich kleinen und schwachen Typus des primitiven Pferdes. Er beruft sich dabei auf die schon oben S. 35 genannte Stelle des Herodot von den Sigynnen, einem Volke, das tibrigens auch MiillenhofF, Deutsche Alterth. III. If. ahnlich wie Helm localisirt: TOO? 2s irereooc aotw eivai XociS-oo? 6citav TO au>{xa Inl itevTe SaxTuXoo? TO (3dS-o<; TU>V Tpt^cuv, jAtxpou? os xai otjxoui; xal &8ovaTOD<; avBpai; cpspeiv, CeuYvufxsvou? 8s 6cp' apfiaTa etvat O|UTOCTOUC. dpjjLatYjXaTe'etv os Ttpo? TauTa TOO? e:ct^a>piooc. Man hat aber mit Recht in der Academy vom 10. Jan. 1891 S. 40 eingewandt, dass die Pferde, wie sie auf den assyrischen und agyptischen Monumenten dargestellt sind, zu dieser Ansicht durchaus nicht stimmen. Dass man das Pferd gekannt, es aber iiberhaupt niclit zu reiten verstanden hatte, ist ebenfalls unglaublich. Die homerischen Zeug- nisse ftir die Ausiibung der Reitkunst s. oben S. 39 f. Fur die Inder des Rig- veda beweist dasselbe Rgv. V, 61, 2 (vgl. M. Muller, Biographies of words S. 116). Auch in Aegypten diente das Pferd zum Reiten (vgl. Wiedemann mid Dlimichen a. d. angegebenen Stellen). In Vorderasien selbst ritten die

Griechen. Italer. Phonizier. 55

iirspriinglich wohl nicht sernitischen Chetta's, deren Kriegsgottin sogar zu Pferde erscheint (vgl. Wiedemann a. a. O.).

Es handelt sich, das 1st festzuhalten, bei der ganzen Erscheinung ledig- lich um eine Sitte der Kriegsfiih rung, zu deren Erklarung die oben S. 30 gegebenen Ausfiihrungen Helm's gentigen. Dass aber gerade auf dem Gebiete des Kriegswesens eine machtige Nation, hier also wahrscheinlich die assyrische, tonangebend auf andere Volker wirken kann, ist eine Erfahrung, die man auch heutzutage bei den modernen Militarstaaten machen kann. Dazu kam, dass das Pferd in gewissen Theilen seines Verbreitungsgebietes anfangs ein seltner und wertlivoller Besitz war (vgl. fur Indien Roth Z. d. d. M. G. 85, 686), so dass auch nach dieser Richtung die Ausbildung einer ins Gewicht fallenden Reiterei zunachst unmoglich war. Die erste europaische Kunde eigentlicher (turko-tatarischer) Reitervolker bringt das von W. Tomaschek in den Sitzungsb. d. k. Ak. d. W. in Wien CXVI (1888) behandelte arimaspische Gedicht des Aristeas : die Arimaspen, ein in iranischem Mund gebildetes Wort, das nach Miillenhoff soviel wie Besitzer folgsamer Rosse, nach Tomaschek S. 47 Besitzer von wilden oder Steppenrossen bedeuten wiirde. Wie Indo- germanen und Semiten, besitzen endlich auch die Turko-Tataren eine auf dem ganzen Sprachgebiet gemeinsame Bezeichnung des Pferdes at (woruber Vambery, Primitive Kultur S. 189). Ebenso scheinen die Finn en das Pferd schon vor ihrem EintrefFen an der Ostsee gekannt zu haben (vgl. A. Ahlqvist, Die Kulturvolkcr der westfinnischen Sprachen. Ein Beitrag zur altesten Kulturgescliichte der Finnen. Deutsche Ausgabe. Helsingfors 1875, S. 9 ff.).

Zur Zeit, wo die erste Dammerung der Geschichte liber der griechischen Halbinsel anbricht, lasst sich etwa Folgendes erkennen. Das Volk, welches spater unter dem Namen der Hellenen die Welt mit seinem Ruhm erfiillen sollte, mag an der Ostseite des adria- tischen Meeres durch Gebirge und Walder bis Dodona in Epirus sich durchgekampft haben, an welche Gegend die Nachkommen ihre altesten Erinnerungen und Vorstellungen friihesten Gottesdienstes und primitiven Lebens kniipften. Hier war ein Haltepunkt; von hier gingen die beiclen nationalen Gesammtnamen aus, der der Hellenen, der spater mehr im Osten Geltung gewann, und der -der Griechen, TgaixoC, der im Westen der Halbinsel haftete und von da den gegeniiberwohnenden Italern zukam, nachmals aber im Mutter- lande -wieder erlosch. Von Epirus ging der Einwanderungszug, ohne Zweifel wilden Drangern von Norden ausweichend, uber schwierige Gebirge nach Thessalien, wo ein zweites sehr altes Dodona gelegen haben sollte, und erfullte von dort in weiterer Ausbreitung die an- grenzenden Landschaften, die erreichbaren Inseln und die siidlichste fast von alien Seiten vom Meer umflossene Halbinsel. Als in einer viel spatern Epoche der kleine Stamm der Dorer von seiner Heimath

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am Parnassus erobernd den Peloponnes uberzogen hatte, da war die vorbereitende Zeit der Mischung und der unstaten Hin- und Her- ziige geschlossen und die Bevolkerung der Halbinsel im Wesentlichen in den festen Sitzen angesessen, in denen sie uns seitdem die Ge- schichte zeigt. Ueberall wird der eigentlich griechischen Zeit die der Pelasger als vorausgehend gedacht, ein Name, in'dem entweder nur die Vorwelt und altere Kulturform als solche personificirt (Pelasger am wahrscheinlichsten so viel als Altvordern, die Altersgrauen) 15), oder die Erinnerung an einen bei der Einwanderung den eigent- liclien Griechen vorausgegangenen und allmahlich von diesen absor- birten Zweig desselben Volkes erhalten worden ist. Wie mit den Pelasgern verhalt es sich mit den friihzeitig verschwindenden Stanir men, die wir unter dem Namen der Leleger (wohl so viel als Selecti, Erlesene, in anderer Form Lokrer) zusammenfassen konnen und die. sich als zerstreute Trammer von Westgriechenland iiber die Inseln bis an einzelne Punkte der kleinasiatischen Kiiste verfolgen lassen. Sie gehorten wie die Pelasger zu den Ersten des grossen Einwamle- rungszuges und wurden von nachriickenden Haufen zersprengt oder unterjocht oder iiber das Meer gejagt; ihr Ausgangspunkt war, so viel wir sehen konnen, Akarnanien nebst den davor liegenden Inseln16). In dieser altesten Zeit ist die Volkerscheidung noch keine bestimmte und Uebergange fiihren nach alien Seiten hin. Erst die fortgehende Bildungsgeschichte schuf den Gegensatz zwischen Barbaren und Hellenen ; ethnologlsch verwandte Stamme, die aber auf altern Stufen der Kultur verblieben waren und deren Mundart nicht mehr ver- standen wurde, erschienen als fremden und ungewissen Blutes. Zu solchen Halbhellenen mit vermittelnder Zwischenstellung gehorten spater die Aetoler und Akarnanen, weiter hinauf die Thesproten und Molosser in dem einst griechischen Epirus, auf der entgegengesetzten ostlichen Seite das nachher grosse und ruhmreiche Volk der Make- donen (so viel als die Langen, wie umgekehrt die Minyer so viel als die Kleinen). Sie bildeten den Uebergang zu den beiden weit ausgebreiteten Volkern der Thraker ostlich und der Illyrier west- lich, die zwar der indoeuropaischen Familie angehorten, also auch den Hellenen nicht absolut fremd waren, dennoch aber wegen langer Trennung und abweichender Schicksale bereits in so weitem Abstand sich befanden, dass bei der Beriihrung kein unmittelbares Gefiihl der Bluts- und Kulturverwandtschaft mehr sprach. Ob diese massen- haft dort gelagerten Stamme dem in den Siiden fortgezogenen Ur- volke der Griechen erst stidlich der Donau nachgeriickt oder ob

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dieses sich karopfend an ihnen vorbeigedrangt habe, bleibt in Dunkel gehiillt, obgleich Pott, Ungleichheit menschlicher Rassen, S. 71, das Letztere glaubt annehmen zu diirfen. Dass uns aber die Sprache beider Volker auf immer verloren gegangen ist, bleibt fur die Auf- hellung der friiheren Schicksale des Indogermanismus auf europai- schem Boden eine schwere Einbusse. In diesen Spracheii ware uns der Schliissel fur so manches Problem der Theilung und Wande- rungsrichtung und allmahlichen Succession der Hauptglieder dieses Volkersystems gegeben gewesen. Denn die Thraker mit den zu ihnen gehorenden Geten und Daken und die Illyrier mit ibren Neben- zweigen, den Pannoniern und Venetern, bilden die Centralmasse, von der nach alien Seiten verbindende Faden auslaufen. Sie standen den Griechen nahe, aber auch den Phrygern und durch diese den Armeniern und iranischen Stammen, mit welchen letzteren sie ohne- hin durch Skythen und Sarmaten sich unmittelbar beriihrten; nicht geringe Spuren verkniipfen sie gleichzeitig mit den nordlichen Litu- slaven und Germanen und mit den westlichen Kelten. Indem uns so in der Reihe der Sprachen und also der Volker ein wichtiges Glied fehlt, bleiben wir fur die Gruppirung derselben auf vereinzelte Beobachtungen angewiesen, deren Gewicht der Eine so, der Andere anders schatzen kann. Zwar scheint von einem der beiden Zweige wenigstens ein kostbarer Rest in der heutigen albanesischen Sprache erhalten. Allein dieses Idiom liegt in junger, sehr entstellter Form vor; es ist von Einwirkungen der es umgebenden Zungen in alter wie in neuer Zeit tief durchdrungen worden; was diesem fremden Einfluss und was der Urverwandtschaft zuzutheilen sei, muss oft zweifelhaft bleiben und Alles zusammengenommen hat bis jetzt die ohnehin vielbeschaftigte vergleichende Sprachwissenschaft abgehalten, auf diesem Boden, der vielleicht noch manches verbirgt, die Aiis- .grabung in grosserem Masse vorzunehmen17). Die Thraker (scheint eine griechische Benennung, die Rauhen oder die Gebirgsstamme, von TQa%vg mit vertauschter Aspiration, wie Ligures asperi bei Avienus) hatten friihe asiatische Kulturvvirkung erfahren und in ihreh siidlichsten Zweigen friihe eine solche auf den Norden Griechenlands geiibt: die Illyrier fiihren uns' auf der entgegengesetzten Seite zur Schwesterhalbinsel It a lien. Dort hatten Illyrier unter dem Namen Veneter, Heneter, Eneter nicht bloss das Miindungsland des Po und der iibrigen Alpenfliisse besetzt, sondern auch, wie mancherlei Namens- spuren verrathen, ja selbst directe Zeugnisse bestatigen, schon friihe langst dor ganzen Ostkiiste bis tief an die stidliche Spitze sich aus-

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gebreitet, ohne indess den Apennin zu iiberschreiten. Zu dem illyri- schen Stamm mogen auch die Messapier uiid Japygen im Sudosten der Halbinsel nebst den Nachbarvolkchen zu rechnen sein. Auf dem grossen Volkerwege um den venetischen Meerbusen herum, die italischen Illyrier entweder vor sich und zur Seite schiebend oder umgekehrt von diesen vorwarts nach Siiden und Siidwesten gedrangt, war denn auch das eigentlich italisehe Volk in die Halbinsel vor- geriickt, das, wie der Augenschein den Unbefangenen lehrt, von den Vorvatern der Hellenen sich erst verbal tnissmassig spat getrennt hatte. ' Unter den Unterabtheilungen, in die es auf dem neuen Boden zerfiel nnd die vielleicht nur der in intermittirenden Stossen erfol- genden Einwanderung ihr Dasein verdanken, setzten sich die Latiner in der Ebene sudostlich von dem unteren Tiber und auf den daran stossenden vulkanischen Vorbergen. fest; die sabellischen Stamme drangen auf dem Rucken des Gebirges selbst vor; vom untern Po und den Ebenen am adriatischen Meer quer durch die Halbinsel bis zum westlichen Meer waren die Umbrer verbreitet, an welche sich im Nordwesten, in den Gebirgen, die zu den Golfen von Genua und Spezzia hinabsteigen, die Ligyer oder Ligurer (in altester Form : Liguses), ein nicht italisches Volk, anschlossen. Ob die Einwanderer an den Westkiisten Italiens bis hinab nach Sicilien ligurische und iberische Bewohner vorfanden und sie verjagten oder vertilgten, lasst sich mehr ahnen als behaupten oder verneinen. Aber friihe schon wurden die Umbrer durch einen neuen Einbruch von Norden ver- drangt, gespalten und unterjocht: das rathselhafte, indess doch wohl indoeuropaische Volk der Etrusker setzte sich in breiter Herrschaft von den Alpen bis zum Tiber durch die obere Halfte der Halbinsel fest, wurde machtig zur See, ging spater sogar nach Campanien iiber, bis es durch die iiber die Alpen brechenden Kelten, die sich der Ebenen Ober Italiens bleibend bemachtigten, immer mehr be- schrankt und geschwacht wurde. Unterdess aber hatten sich die kriegerischen , raub- und' wanderlustigen Hirtenstamme in beiden Halbinseln, der griechischen und der italischen, allmahlich zum Acker- bau gewandt und damit den machtigsten Schritt auf der Balm der Humanitat gethan. Dass sie vor 'der Einwanderung, zur graco- italischen Epoche, ja wohl gar schon im Herzen Asiens den Acker bestellt und sich von der Frucht der Demeter genahrt, ist eine oft mit mehr oder minder Sicherheit aufgestellte Behauptung, deren Stiitzen aber grosstentheils wenig haltbar sind. Griechisch fyia Spelt, agovga der getreidespendende Acker, litauisch jawas Getrcide-

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korn, Plur. jaival Getreide ira Allgemeinen, so lange es noch auf dem Halme steht, jawiena die Stoppel, 1st zwar eine richtige Gleichung, beweist aber nur, dass zur Zeit, wo die Griechen und Litauer noch nngeschieden waren, irgend eine Grasart, vielleicht mit essbarem Korn in der Aehre, mit diesem Namen bezeichnet wurde (man ver- gleiche sanscr. yava Gerste, yavasa grasreiche Weide). Aehnlich verhalt es sich mit XQI&I], lat. hordeum, ahd. gersta: die Sprache eines Volkes, dessen Beschaftigung es war, Thiere zu weiden, musste an Gras- und Pflanzennamen besonders reich sein. Aus griechisch dyQog, lat. ager, gothisch akrs ist gar iiichts zu schliessen, da die Bedeutung dieses Wortes Feld iiberhaupt, nicht bestellter Acker, gewesen sein wird. Rechnet man ahnliche Falle und A lies, was auf Entlehnung beruht, ab, so bleibt eigentlich nur der eine Wortstamm griech. dgovv, lat. arare, lit. drti, goth. arjan u. s. w. mit den dazu gehorigen agoigov, aoovQa, arvum u. s. w. als Beweis der Bekannt- schaft mit dem Pfliigen und dem Pfluge vor der Volkertrennung auf europaischem Boden iibrig. Die lange Wanderung von den Gegenden jenseits des Aralsees bis in die Walcler Ureuropas wird von Hasten unterbrochen gewesen sein, auf denen je nach ihrer grossern oder geringern Zeitdauer Anfaiige, aber auch nur Anfange, des Ackerbaues moglich waren. Wenn der neue Wandertrieb er- wachte, wurde das schwere, muhselige, alien Hirtenstammen so ver- hasste Geschaft der Bodenarbeit aufgegeben und es blieb nur die allgemeine Bekanntschaft damit zuriick. Wir mogen also bei den Graco-Italern jenen halbnomadischen Ackerbau voraussetzen, den wir noch heute bei Beduinen, den Stammen jenseits der Wolga u. s. w. im Schwange finden. Der Pnug bestand aus einem passend ge- kriimmten Stiick Holz, Avie man es in den Waldern suchte und fand, das CZQOTQOV avioyvov, welches noch Hesiodus kennt, wahrend die verschiedeneii Theile des zusammengesetzten Pfluges, des von Homer und Hesiod genannten agoiQov Tcrjxrov, griechisch und latei- nisch ganz verschieden benannt werden und also erst nach der Trennung in den neuen Sitzen erfunden oder von aussen her bekannt wurden18). Die gebaute Pflanze konnte Hirse gewesen sein, griechisch fiMvij, lat. miliuin, lit. malnos, f. pi. Schwaden, nicht sowohl dieses Xamens wegen, der offenbar nur eine Grasart bezeichnet, als weil die Hirse schon fruhe im Osten und Westen des Welttheils gemeine Kornart war. In Gemeinschaft mit ihm treten haufig die Riibe und die Bohne auf, zwei sehr alte, mit gemeinsamen Namen benannte Friichte, deren Pflanzung vielleicht dem Ackerbau vorausging19).

(30 Griechen. Italer. Phonizier.

Indess, wie sich dies auch verhalten mag, nachdem das unruhige Hirtenvolk in den meerumgiirteten Landschaften Griechenlands mid Italiens seine feste Heimat gefunden und der alte Trieb nur noch in localen Wanderungen und Kampfen ausklang, da musste in den fetten Ebenen am Meere oder zwischen bewaldeten Bergen (Hesiod.

Op. et d. 388:

die sich dem Meere

Nah ansiedelten, die in dem Thai am Fusse der Waldschlucht, Fern von den schaumenden Wogen des Meers, den fruchtbaren Acker Bauen)

der schwarze Boden und der gluckliche Himmel zum Kornerbau ein- laden. Die Pelasger wurden ein von der Bodenarbeit sich nahrendes Bauernvolk, mil dem Antlitz zur Mutter Erde gewandt, die voran- schreitenden Ochsen mit dem X&VCQOV stachelnd, an dem schweren AVerke sich abmuhend, das die Gotter den Menschen gelehrt und auferlegt, Hesiod. Op. et d. 398:

Schaffe das Werk, das dem Menschengeschlecht zumassen die Gotter.

Der in den AValdgebirgen verbliebene Hirte freute sich der leichtern Freiheit; arbeitsscheu uncl raubgierig, wie alle Hirten, liberfiel er die Wohnungen, Hiirden und Speicher der Ackerbauer und im Kleinen herrschte dasselbe Verhaltniss wie im Grossen zwischen Iran und Turan, zwischen den Galliern kurz vor Casar und den Germanen, spater zwischen den Deutschen und den Ungarn und an so vielen andern Stellen der Geschichte. So fiihrte das Bediirfniss zu festeii Bauten, Mauern und Burgen auf den Hohen, Schutzwerken der Feld- besteller gegen die wilden Nachbarn in den Waldgebirgen und so ragen an vielen Stellen Griechenlands unter dem Namen Ephyra (die Warte), Larissa oder rich tiger La r is a (wohl so viel als be- gabt mit fettem Boden, wie ev TCLOVI $*?,«% ncoiawv TisdCovf niova £Qya, moveg dygoi, /ad^a nlaQ vri ovdag u. s. w., Larisae campus opimae. Larisa ist die Tochter des Piasos, in dem thessalischen Larisa herrschen die Aleuaden, d. h. die Drescher auf der Tenne oder Stampfer im Morser) und Argos (Fruchtebene gegen das Meer ge- offnet) feste Niederlassungen der Ackerbauer und Mauerngriinder aus der dunklen in die historische Zeit hinein. AVahrend die stamm- verwandten Volker im Norden bei ihrer alten unstaten Lebensart verblieben, richteten sich die graco-italischen Stamme in dem neu- gewonnenen herrlich ausgestatteten Gebiete hauslich ein, des An- stosses gewartig, der sie aus der natiirlichen Dumpfheit erwecken und auf eine unabsehbare Kulturbahn drangen solltc. Diesen An-

Griechen. Italer. Phonizier. Ql

stoss gewahrte die Beriihrung mit den Semiten, einer im Vergleich niit der schwerfalligeren indoeuropaischen Natur gewandten, an Abstractionskraft reichen und bereits in vielen Zweigen der Kultur- technik weit vorgeschrittenen Race, Sidonische Phonizier hatten im Verein mit Karern die Inseln des agaischen Meeres besetzt, viel- leicht schon im vierzehnten oder dreizehnten Jahrhundert ; sie hatten sich ihrer Sitte gemass der kleinen Eilande und abgesonderten Fels- vorspriinge am Kande des Festlandes bemachtigt, als eben so be- quemer wie gefahrloser Stiitzpunkte fur Handel und Industrie, waren von den nordlichen Inseln auf thrakischen Boden iibergegangen, wo sie sich mit heriibergekommenen Phrygern beriihrten, herrschten in Bootien und Attika (man denke an die Sagen von der Europa und vom Tribut der Athener nach Kreta), fassten von der Insel Kythere, einer uralten phonizischen Kultusstatte , Fuss in dem gegeniiber- liegenden Lakedamon, hielten Korinth besetzt, wo Aphrodite, die phoiii- zische Astarte, und Elis, wo Herakles, der phonizische Melkarth, vor Alters verehrt wurde, ja gingen viclleicht die Kuste des ionischen Meeres bis zu den Aetolern, Thesprotern und Illyriern hinauf. Sie trieben an passenden Stellen Purpurfischerei und Buntfarberei, eroff- neten Bergwerke auf Metalle und kniipften mit den Naturkindern, die um die Faktoreien heruni wohnten, einen gewinnbringeiiden Handel an, mit dem nach Weisc der altesten und auch der jiingeren Zeit Blendwerk und Raub Hand in Hand ging. Was die Eingeborenen bei diesein Austausch geben konnten, war natiirlich nur der Ertrag ihrer Heerden und Walder, also Haute, Wolle, Holz, wilden Honig, Rinder und £chafe, dazu kraftige Jiinglinge und schone Madchen, d. h. Sclaven und Sclavinnen. Was sie empfingen, war mannig- fach : Tand aller Art, wie er Wilde zu verlocken pflegt, Figuren und Biichsen von Bronce und Glas, fertige Kleider (WTWV und tunica sind phonizische Worter) , eherne , iiberhaupt metallene Werkzeuge, Messer und Waffen, Erzeugnisse verschiedenartigen Handwerks, die Mechanik der Steinbaukunst, mythische Erzahlungen, Ideen vorder- asiatischer religioser Symbolik, grausame Opfergebrauche. Zwar wurde allmahlich das fremde Element, das doch numerisch schwacher sein musste, von der Nationalitat der Eingeborenen wieder auf- gesogen und ging als besondere Existenz unter; zwar stromten nach dem Zuge der Dorer unternehmende Auswanderer in wiederholten Seeziigen aus Griechenland von Insel zu Insel, an einzelne Punkte der karischen und lydischen Kiiste, von diesen wieder zu andern, Ja bevolkerteii mid unterwarfen sogar die einst semitischen Inseln

62 Griechen. Italer. Phonizier.

Kreta uncl Rhodus; zwar erscheinen wahrend dieser Periode griechi- scher Beherrschung des agaischen Meeres die tyrischen Phonizier nur noch als Kaufleute auf einzelnen Handelsschiffen am hellenischen Strande, aber mit ihrer Vertreibung oder Assimilation waren manche Kenntnisse und Begriffe, die einst durch sie vermittelt wurden, nicht mit ausgerottet worden, sondern blieben als verdunkelter religioser Kultus, als nationale Gewohnheit, deren Ursprung bald vergessen wurde, als werthvoller fortzeugender Besitz von Ge- rathen, Kulturarten, Erfmdungen bestehen. Wer will entscheiden, ob z. B. die Bekanntschaft mit der Topferscheibe (TQo%6g) und die mit Spindel und Webstuhl schon mitgebracht oder von Karem und Lydern und Phoniziern uberkommen war? 20) Ob nicht Worter wie Xffwtos**)', %aA,xog, [JieTaMov, die sich in die indo-europaische Ver- wandtschaft nur gezwungen einfugen, von jenem altesten Verkehr stammen und lydisch-phonizischer Herkunft sind22), so gut wie tidxxog, xdSog und andere Handelsausdriicke? Phonizische Heilig- thiimer wurden von den Griechen iibernommen und allmahlich in dem freieren hellenischen Geiste ausgebildet, ohne ihre urspriing- liche Physiognomic jemals ganz verlieren zu konnen; asiatische Baume, die um die alten Kultstatten gestanden, Zweige und Blumen, die als alte Symbole gegolten hatten, pflanzten sich in der neuen Heimath fort; der Wein, der iiber Meer gekommen war, die siissen getrockneten Friichte, das duftende Oel konnten vielleicht im Lande selbst erzeugt werden, und was von Anfangen solcher Kultur im ^igentlichen Hellas wieder erloschen war, wurde durch die grosse Kolonisation im Osten neu belebt und stromte von Kreta und Rhodus, von Naxos und Thasos und von den neuen Sitzen an der anatoli- schen Kiiste ins Mutterland zuriick. Semitischer Wein-, Oel- und Feigenbau siedelte sich auf den Hugeln an, die das Saatfeld be- grenzten, und die Pflanzung, die der pflegenden Hand im Einzelnen bedarf, neben dem Acker, der mit Ochsen gepfliigt, besaet und dann der Sorge der himmlischen und unterirdischen Gotter iiber- lassen ward. Aus jener Zeit ist uns wie durch ein Wunder in den homerischen Gedichten ein Spiegelbild der Sitten, Vorstellungen und Beschaftigungen der Menschen erhalten worden. Indess, so licht- voll dies Bild ist, so viel Rathsel lasst es dennoch zuriick, und ein so treues Zeugniss es abzulegen scheint, mit so grosser Vorsicht muss es dennoch aufgenommen werden. Denn in dem homerischen und hesiodischen Epos ist nicht Alles gleich werthvoll: naive Ge- sange wvon echtem sagenhaftem Gehalt und kluge Werke jiingerer

Griechen. Italer. Phonizier. 03

Nachahmer mid Bearbeiter, Dichtungen voll alterthiimlich scheuen Olaubens und spate Leistungen profaner rhapsodischer Fertigkeit sind hier rait Geschick und Ungeschick und mit mehr oder minder AVahrscbeinlicbkeit in einen Rahmen vereinigt. Auf jene altesten Theile, so weit sie erkennbar sind, gilt es fest den Blick zu richten; was hinter Homer hinausliegt, verbirgt sich im Dunkel, das nur von einzelnen Streiflichtern der Sprache und des religiosen Mvthus bin und wieder erhellt wird.

Von gleicher Beweiskraft fiir einen vorhistorischen Ackerbau der Indogermanen Europas wie das von Hehn in diesem Sinne zugestandene

sind aber ohne Zweifel auch Gleichungen wie goth. tnalan, altsl. mdjq, lit. mdlti, alb. mid Mehl, lat. molere, griech. \L&kf\ (&Xlu>); ahd. mdjanm&hen, griech. hp-aun, &JJLYJTOI; = ahd. mad; ahd. samo, altsl. slm§, altpr. semen, lit. semu, lat. semen; ahd. egjan, lit. dketi, altcorn. ocet, lat. occa, occare, griech. 6|tvYj u. a. m. Ein sehr altes Wort fur die Halmfrucht war *bharos: lat. far, farreus, farsio, goth. barrz-(dns), altsl. brasino, dessen Grundbedeutung (vgl. Miklosich Et. W. 19) Mehlspeise ist. Ein gemeinsamer Ausdruck fiir die (urspriinglich steinerne) Pflugschar scheint in griech. b'cpvtc, lat. vomis, ahd. waganso, altpr. icagnis (Fick, Indog. W. I4, 554), ein gemeinsames Ackermass in osc.-umbr. vorsus = lit. wdrstas zu stecken u. s. w.

Alle diese Gleichungen beschranken sich auf die europaischen Sprachen. Sie sind nicht speciell graco-italisch, wie denn die Annahme einer solchen Volkerperiode in neuerer Zeit weder kulturhistorisch noch sprachlich an Wahrscheinlichkeit gewonnen hat. Unter diesen Umstanden erhalt es den Anschein , als ob die Ausbildung eines , wenn auch noch primitiven Acker- baues bei den Indogermanen vor Hich gegangen sei, nachdem die arischen Volker (Inder und Iranier) sich von dem gemeinsamen Grundstock ge- trennt hatten. Auf dem damals noch beschrankteren und durch ununter- brochene Continuitat verbundenen vorhistorischen Sprachgebiet der europai- schen Indogermanen ist dann die Entwicklung jener Ackerbaugleichungen in der Weise erfolgt, wie sie Hehn Anm. 18 schildert, d. h. Wortformen, die in allgemeiner Bedeutung schon in der Ursprache vorhanden waren, nahmen an einer bestimmten Stelle des Sprachgebiets einen besonderen, auf den Ackerbau beziiglichen Sinn an, um sich so in theils weiteren, theils engereri Kreisen zu den Nachbarn f ortzupflanzen : *mer, einst allgemein »zerreiben«, bedeutet nunmehr in Europa »mahlen« (molere), *agros, einst >Trift«, nun » Acker «, * grnom, einst vielleicht »gereift«, nun »Korn« (goth. kailrn, altsl. zruno, lat. grdnum) u. s. w. Dass derartige Vorgange auch auf dem historischen, durch allophyle Volker unterbrochenen, weiten Sprachgebiet der europaischen Indogermanen denkbar seien, ist eine nicht bewiesene An- nahme Hehn's. Wenn dieser Anm. 18 gegen die Annahme eines vor- historischen Ackerbaus der europaischen Indogermanen, auf den ja auch- die prahistorische Forschung schon in den altesten, metalllosen Stationeii der Pfahlbauten unzweifelhaft hinweist, sich auf die Verschiedenartigkeit der

64 Griechen. Italer. Phonizier.

Ackerbausprache im Griechischen und Lateinischen beruft, so ist zu be- denken, class auch auf dem Gebiete anderer kulturhistorischer Erwerbungen, die zweifellos in die Urzeit zuriickfiihren, spater bei zunehmender Erfahrung eine mannigfache und in den Einzelsprachen auseinandergehende Termino- logie emporbltiht. Niemand wircl daran zweifeln, dass die Urzeit schon Rind- viehzucht kannte, und doch stimmen im Griechischen und Lateinischen nur $ob<;-bos, taopoc-Jmmts uberein; auseinandergehen itopnc, fxoaxoc, SafxaXcc, SafxotXrj, CouYujvsp (Lacones), xotptY) (Cretes), C"Y»^a, TcstaXa (Hes.) etc. hwnentum, armen- tum, vacca, vitulus, for da u. s. w.

Ebenso wenig einleuchtend erscheint aus allgemeinen Erwagungen und gegeniiber den oben geschilderten, deutlich verfolgbaren Sprachprocessen der neuerdings namentlich von H. Hirt (Idg. Forsch. I, 464, V, 395, Jahrbiicher t'iir Nation alokonomie und Statistik III. Folge XV, 462) vertretene Gedanke, es hatten einst auch die arischen Indogermanen an jenen Ackerbaugleichungen theil gehabt und dieselben auf ihrer Wanderung durch unfruchtbare Steppen eingebiisst, so dass der Ackerbau bereits indogermanischer Kulturerwerb ware. Eine ausfiihrliche Widerlegung dieser der Hehn'schen Auffassung der altesten Kulturverhaltnisse der Indogermanen diametral gegeniiberstehenden Anschauung habe ich in meinem Reallexikon u. Ackerbau und u. Viehzucht gegeben. Indessen bedarf es eines Eingehens auf diese Frageii hier um so weniger, als ja bei jener Hirt'sclien Hypothese der Ackerbau der Indogermanen in eine noch fernere Vorzeit als von uns zuriickgeriickt wird.

Ich bin also der Meinung, dass der Uebergang der europaischen Indo- germanen (nach Loslosung der Arier) zu einer gewissen Stufe der Agrikultur eine der sichersten Erkenntnisse der vergleichenden Alterthumskunde ist.

Fragen wir nach dem Schauplatz, auf welchem jene europaische Knltur- periode sicli abspielte, so wird man passend dafiir diejenige Localitat ins Auge fassen, welche aus allgemeinen geographischen und ethnologischen Griinden als Trennungspunkt der europaischen Indogermanen, wo immer im tibrigen ihre Urheimath war, gelten darf. V. Hehn selbst dachte sich als letzteren (Das Salz2 S. 26 u. 27) das Uebergangsgebiet der stidrussischen Steppe zu dem mitteleuropaischen Waldland, das wir uns gegen Westen und Stiden von den Karpathen, der Niederdonau, dem Schwarzen Meer begrenzt denken diirfen, und der gleichen Ansicht ist Karl Mtillenhoff in dem dritten Band seiner deutschen Alterthumskunde S. 164 ff. Dass auf diesem Terrain sich der Uebergang der enropaischen Indogermanen vom Nomadenthum zum Ackerbau sehr wohl erklaren lasse, ist in Sprachvergleichung und Urgeschichte 2. Aufl. S. 412 ff., 624 ff. ausfiihrlich erortert worden.

Sehr wohl moglich scheint es, was gegen Anm. 18 i. Anf. bemerkt werden muss, dass in dieses Gelande zunachst nur ein Theil der europaischen Indo- germanen, etwa Germanen, Italer, Kelten, vielleicht auch Griechen eintraten und jene Ackerbauausdriicke bei sich ausbildeten, die dann die nachdringen- den Schaaren litu-slavischer, illyro-thrakischer u. s. w. Volker von ihnen iiber- nahmen.

Wenn nach alledem dem vorhistorischen Ackerbau der Indogermanen Europas eine grossere Bedeutung zugestanden werden muss, als Hehii sie ilim einraumt, so ergiebt sich hieraus die Moglichkeit, vielleicht auch Wahrecheinlichkeit, dass das Kapital jener Epoche an

Der Weinstock. 55

Kulturpflanzeii ein grosseres gewesen sei, als Helm oben an- nimmt. Hierauf sei zunachst im allgemeinen hingewiesen.

IJeber die Volkerverhaltnisse im Norden der Balkanhalbinsel vergl. Anra. 17, iiber die Pelasger- und Lelegerfrage Holm, Griech. Gesch. I Cap. VI und VII. Dieser stellt die Realitat beider Volker fast durchaus in Abrede. Dagegen hat Carl Pauli (Eine vorgriechische Inschrift von Lemnos, Leipzig 1886) den Pelasgern wieder zum Leben zu verhelfen gesucht, indem er eine grosse pelasgisch-etruskische Sprachfamilie aufstellt, die auch Lykisch, Karisch und Lydisch umfassen soil. Vergl. dazu F. Hommel, Neue Werke iiber die iilteste Bevolkerung Kleinasiens, Archiv f. Anthropologie, XIX. Bd., S. 251 ff.

Den Deutungsversuchen der griechischen Orts- und VOlkernamen, welche der vorstehende Abschnitt enthalt, wird man sich jetzt nur selten noch an- schliessen konnen. Unmo'glich ist z. B. die Verbindung der @paxs? (Bpa-Ftxec) mit tpa^u?. Eine Grundlage fur das richtige Verstandniss der griechischen Ortsnamen hat A. Fick in mehreren Aufsatzen in Bezzenbergers Beitragen Bd. 21 ff. gegeben.

Ueber die phonizischen Handelsfahrten und Colonien vgl. E. Meyer, Geschichte des Alterthums I, § 190 194 und Holm, Griech. Geschichte I, Cap. IX., tiber das semitische L ehngut im Griechischen vgl. zuletzt H. Lewy, Die semitischen Fremdworter im Griechischen, Berlin, 1895. Ein neuer Hinter- grund der griechischen Kulturgeschichte aberhat sich durch die bedeutungsvollen Entdeckungen H. Schliemanns und seiner Nachfolger in Mykenae, Tiryns, Orchomenos, Troja u. s. w. ero'ffnet, und so zahlreich noch die Rathsel sind, welche sich an den Ursprung und die Trager dieser »mykenischen« Kultur- epoche kntipfen, so werden wir doch nicht unterlassen dtirfen, auch in diesen Funden nach neuen Anhaltspunkten fiir die besonderen Zwecke dieser Unter- suchungen zu forschen.

Der Weinstock.

(Vitis vinifera L.)

Bei den homerischen Griechen ist der Wein schon in all- gemeinem Ge branch und wird iiberall als eine naturliche Gabe des Landes vorausgesetzt. 2lrog xal owog oder alwg xal pe&v ist eine gewohnliche, haufig wiederkehrende Form el; so giebt Kalypso dem scheidenden Odysseus Brod, Wein und Kleider, die drei ersten Lebens- bedurfnisse, aufs Schiff mit (Od. 7, 264). In Brod und Wein liegt Kraft und Starke des Menschen (II. 9, 706 und 19, 161) und darin unterscheiden sich die leichtlebenden Gotter von den sterblichen Menschen, dass jene keiner Nahrung bediirfen und keinen Wein trinken (II. 5, 341). Schon die kleinen Kinder werden mit Wein aufgezogen: Phoenix, der Sobn des Ormeniden Amyntor, hat das

Viet. Hehn, Kiilturpflanzen. 7. Aufl. 5

66 Der Weinstock. '

Knablein Achilleus genahrt und getrankt, ihm die Speise vor- geschnitten und ihm den Becher Weins an den Mund gehalten ; der Knabe hat ihm oft das Gewand besudelt, indem er nach kindischer Art das Getrunkene wieder ausspie (II. 9, 485 ff.). Auch Jung- f rauen und Magde trinken Wein wie die Manner : da Nausikaa zum Waschen an den Meeresstrand fahren will, bekommt sie von der Mutter nicht bloss Speise und Zukost, sondern auch Wein ini Schlauch von Ziegenfell rait auf den Weg (Od. 6, 76) 23). Auf dem Schilde des Achilleus im achtzehnten Buch der Ilias sah man ausser einem Brach- und Erntefelde und anderen Scenen des landlichen Lebens auch einen Weinberg abgebildet, in welchem frohliche Winzer und Winzerinnen gerade mit der Traubenlese beschaftigt waren. Wie die Griechen thun auch die Troer: Hektor, Nachts am Flusse mit seinen Schaaren lagernd, lasst die Pferde ausspannen. und ihnen Futter vorwerfen,*zur Erquickung fiir die Menschen aber Kinder und Schafe und lieblichen Wein und Brod herbeiholen (II. 8, 503 ff). Griechische Stadte und Gegenden werden als reich an Reberi bezeichnet, so II. 9, 152 : Hr^aaov a^ne^oeaaav (an der Westkiiste des Peloponnes) und im Schiffskatalog v. 507 : 01 ve nohvffTacpvhov ™AQvr]v e%ov (in Bootien), 537 : TTohvGrdyvhov tf 'Idiialav (in Euboa), 561 : xal dfjinshoevT ' E-nidavQO'v . Eine Menge alter Stadt- und Land- schaftsnamen sind vom Wein und Weinbau abgeleitet: so hiess die Insel Aegina einst Olvwvr}: in Akarnanien lag dem rechten Ufer des Acheloos nahe auf einem empor'ragenden Hiigel die Stadt Oividdat, von drei Seiten von einem See umgeben, der den phonizischen Namen Mehwi] trug; in der Stadt der ozolischen Lokrer Olvtwv, nahe der atolischen Grenze, sollte Hesiodus den Tod gefunden haben; in Attika lag eine doppelte Ortschaft Olvo^ die eine in der Nahe von Eleuthera an der bootischen Grenze, die andere bei Marathon, wie dieses zu der alten ionischen Tetrapolis jeiier Gegend gehorend ; auch Megaris, friiher gleichfalls ionisch, hatte in der Peraa, dem Grenz- gebiet nach Korinth, einen Ort Oivoy; derselbe Name kehrt in Argolis und auch in Elis wieder; vor Methone in Messenien, welches selbst weinreich war, lagen die Olvovaacu, die Weininseln u. s. w. Fragen wir, wo diese so allgemein verbreitete Kultur zuerst in Griechenland aufgetreten war, so scheint die Antwort in zahlreichen Ursprungs- und Stiftungssagen gegeben, die aber als blosse mythische Spiegel- bilder des Keimens, Bliihens, Verdorrens der Rebe oder des Gegen- satzes der neuen gebundenen Kulturart gegeii das rohe Wald- und freie Hirtenleben dem, der sie fassen mochte, grosstentheils unter

Der Weinstock. 57

den Handen zergehen. So war das siidliche Aetolien eine Geburts- statte des Weinstockes : dem Sohne1 des Deucalion, Orestheus (also dem Manne vom Berge), gebar daselbst ein Hund (der Sirius, die heisse Zeit) ein Stammende, <frefo%og; er liess es in die Erde ver- graben und es envuchs daraus ein rebenreicher Weinstock; drum gab er seinem Sohne den Namen Phytios (Pflanzer) ; dessen Sohn war wieder Oineus, der vom Wein benannt war (Hecataus von Milet bei Athen. 2, p. 35). Ganz dasselbe erzahlten auch die benachbarten Lokrer als bei ibnen geschehen (Paus. 10, 38, 1), deren Beiname Ozolae sogar von den Sprossen dieses ersten Weinstammes abgeleitet wurde. Den atolischen Oineus kennt auch schon die Ilias als Ver- treter des milden Weinbaues (9, 539 und 14, 117): er hat der Artemis nicht geopfert (ohne Zweifel der kalydonischen Artemis Laphria) und wird dafiir von dem verwiistenden Eber bedrangt; seine Briider sind Agrios (der Wilde) und Melas, der Schwarze, Schmutzige, d. h. der Ziegenhirt, dessen Name mit dem des Melantheus oder Melanthios, des bosen Ziegenhirten in der Odyssee, ubereinkommt; sein Sohn, Jager Meleager, der seine Burg gegen die anstiirmenden Kureten rettet, ist der Gemahl der Kleopatra; Mutter der Kleopatra ist wiederum die Marpessa (die Rauberin), deren Eltern Idas (das Waldgebirge) und die Euenine, d. h. die Tochter des atolischen Flusses Euenos sind. So blickt in der kalydonischen Sage vom Weinmann, wie sie Homer giebt, nicht bloss der Drang und Wider- spruch sich befehdender Volksstamme, sondern auch der an diese sich kniipfenden verschiedenen Lebensformen hindurch. Wie in Aetolien war die Rebe auch an vielen anderen Orten zuerst von Dionysos geschaffen oder geschenkt, so im attischen Demos Ikaria dem Ikarios, dem Vater der Erigone (der im Fruhling geborenen), dem Herrn des Hundes Maira (des schimmernden Sirius), und eine Menge durchsichtiger Marchen und lustiger oder betaubender Feste an den verschiedensten Orten erhielten das Andenken an des Gottes Oeburt und erste Schicksale und seine Leiden und herrlichen Thaten. Vor alien Gegenden aber erscheint Thrakien als hauptsachliche Hei- math und als Ausgangspunkt der Dionysos-Religion. Dort lag das alteste Nysa, das des Homer (II. 6, 130ff.); von dort kommen tag- lich weinbeladene Schiffe zum Lager der Griechen vor Troja (II. 9, 72) 24); dort hat Odysseus von Maron25), dem Priester des ismari- schen Apollo, dem Sohne des Euanthes, d. h. des Dionysos selbst, jenen kostlichen Wein erhalten, mit dem er den Kyklopen trunken macht (Od. 9, 196rT.). Den ismarischen Wein kennt auch ein an-

68 Der Weinstock.

clerer alter Zeuge, Archilochos, der in jener Gegend wohl bewandert war, Fragm. 3. Bergk. :

*Ev tiogl fjiev f.ioc [ta£a fisficcyiJievr}, ev dogi <T olvog

'iG/iiaQixog, nCvw <T sv dogl xex^tfusvog.

Bine merkwiirdige Stelle des Herodot, 7, 111, berichtet von einem unabhangigen und kriegerischen thrakischen Gebirgsvolke, den Satren, die im innersten Gebirge ein Dionysos - Orakel besassen, dessen Priesterthum in deri Handen der Besser war. Lobeck Aglaoph. p. 290: vperspicuum est, oram maritimam, quae ab Hebri ostiis ad Pindum protenditur, quasi pro domestico sacrorum Bacchicormn solo habitum esse." Man sehe das weitere gelehrte Material, das Lobeck beibringt, und Welcker, Griechische Gotterlehre 1, S. 424 ff. Bis ins Innerste des Landes, hinauf in das Hamosgebirge, ging der Dionysos- Kultus, Mel. 2, 2, 2: Monies interior attollit Haemon et Khodopen et Orbelon, sacris Liberi patris et coetu Maenadum Orpheo primum ini- tiante celebratos. Ohne Zweifel stammte dieser thrakische Weingott aus dem gegeniiberliegenden Kleinasien, mit welcher Gegend kriege- rische Wanderungen und Riickwanderungen das diesseitige Thrakien friihe in Sitten- und Kulturverkehr gesetzt batten. Der grosse Ein- bruch der Myser und Teukrer z. B., den Herodot (5, 20) vor die Zeit des troischen Krieges setzt, mocbte auch den Sabosdienst, den Weinstock und die Kunst der Weinbereitung unter die wilden Thraker, die Verehrer des Ares gebracht haben. Mysien wird als besonders rebenreich gepriesen. Find. Isthm. 7, 54: Mvdiov . . . dftnekoev 7iedCov. Strab. 13, 1, 12: GcpodQa £vd(.inMq Iffav fj XUJQO, (nam- lich die der Stadt Priapus) xal avir] xal £^€^g ofjiogos, fj TS rwv IIaQ(,avuL>v xal y TWV stctfupaxrjvoiJv. Lampsakus war von dem Gross- konig dem Themistokles zugewiesen, damit er von dort seinen Bedarf an Wein bestreite; Cyzicus hatte zu den vier altattischen Phylen noch zwei besondere, darunter eine der O'lvwrtsQ, d. h. der Wein- bauer, und seine Miinzen zeigen, wie die der griechisehen Nachbar- stadte, bacchische Attribute, den Panther, die Traube, den zwei- henkeligen Weinkrug. Der Dienst des Priapos, des Gottes der Fruchtbarkeit in Garten und Pflanzungen, ist den hellespontischen Stadten geineinsam. Die Vorstellungen von dem leidenden und wieder triumphirenden Sonnen- und Jahresgotte, die wiithende Lust und die herzzerreissende Klage, mit der die Thyiaden seinen Tod und seine Wiederauferstehung Mem, der Doppelcharakter, in welchem Dionysos und Apollon, Ares und Dionysos verschmelzen, dies und alles daran sich Schliessende ist phrygische und iiberhaupt vorder-

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asiatische Art. Auch im thrakischen, wie im atolischen Bacchus- mythus spielt durch die Symbolik des Naturlebens die dunkle Anschauung eines Kulturgegensatzes, der Feindseligkeit entgegen- stehender Stamme. Lykurgus bei Homer (II. 6, 130), der die Ammen des scb warm en den Dionysos im heiligen Nyse'ion verfolgt, so dass der Gott selbst entsetzt sich in die Meerestiefe fliichtet, er mag ein. Bild des Winters sein, wie Pentbeus in Bootien ein Bild winteiiicber Trauer : aber als xQars^bg stvxooQyog, d. h. als barter Wolfsmann, als Sohn des Dryas d. h. des Waldes und avSgocpovog d. h. Menschenmorder, der den QovitKrfe d. b. die schlachtende Axt26), in der Hand fiihrt, ist er der blutige, tbrakische Gebirgsbewohner, der in wilden Ueberi'allen den Weinbauer angstigt und die fremden Kultusbrauche nicht unter sich dulden will. Dahin deuten wir es, wcnn Maron, der Priester des Apollon (d. h. des Apollon-Dionysos), dem Odysseus ausser Gold- und Silberwerken (Erzeugnissen orienta- lischer Kunstfertigkeit) zwolf Amphoren des gottlichen. Weins schenkt, zum Lohne dafur, dass er mit Weib und Kind von dem Helden beschiitzt worden ist (Od. 9, 199). Aber der Weingenuss und die im Weine alle Naturfiille anschauende Dionysos-Religion. setzte sich durch ganz Thrakien durch und wanderte mit thrakischen Stammen welter nach Siiden, erfiillte Makedonien, wo die Mimallo- nen und Klodonen, bacchische Jungfrauen, rasten, gelangte an den Parnass und nach Delphi, wo Apollon allmahlich den Brudergott in Sinn und Verehrung der Menschen verdrangte, nach Theben, wo Semele, die Erdgottin 27), dem Zeus ihren herrlichen Sobn gebar, an den Kitharon, als Eumolpos personificirt nach Eleusis in die Nahe Attikas und in mancheii Verzweigungen welter nach andern Seiten bin. Diesem Kulturstrom aber begegnete von Anfang an und im weitern Verlaufe ein anderer, mit ihm urspriinglich identischer, der in entgegengesetzter Richtung kam, der phonizische oder karisch- phonizische. Die Kiiste Thrakiens war ein alter Schauplatz pho- nizischer kolonialer und commercieller Thatigkeit: Phonizier batten das Goldbergwerk am Berge Pangaus eroffnet, die gold- und wein- reiche Insel Thasos besetzt und von dort Emporien an der thraki- schen und hellespontischen Kiiste gegriindet, deren Erhaltung ihren Nachfolgern, den Pariern, schwierig wurde (Movers, Phonizier, 2, 2, S. 273 ff.). Ueberall, wo sie landeten, werden sie mit dem Wein, den sie rnitbrachten, die Barbaren zum Tauschhandel gelockt und wo sie sich bleibend niederliessen und Kultusstatten griindeten, die Umwohner zur Rebenpflanzung angehalten haben. Auf den Inseln

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des agaischen Meeres geht von Kreta, einem Mittelpunkt phonizi- scher Ansiedelungen , der Weinbau uud die an ihn sich kniipfende Sage nach Naxos und Chios und strahlt von dort welter aus, siehe Fr. Osann, »0enopion und seine Sippschaft oder einige Andeutungen iiber die alteste Weinkultur in Griechenland« (im Rheinischen Museum, von Welcker und Nake III. 1835. S. 241ft'.). Osann schliesst seine Untersuchung mit dem Resultat (S. 259): »Die Verbreitung und Einfiihrung der Weinkultur an verschiedenen Orten Griechenlands sehen wir mittels einer aus Kreta stammenden Familie person! ficirt, welche ihren Weg liber Naxos und Chios nimmt, welches der Mittel- punkt einer ausgebildeten Weinkultur wird, von wo in verschiedenen Verzweigungen neue Colonien ausgehen und den Weinstock ver- breiten.« Ja nach einer schon von Hesiod (Fragin. LVII. Gottl.) erwahnten Uebeiiieferung war sogar der thrakische Maron der Odyssee ein Sohn oder Enkel dieses Oenopion und liefen also beide Zweige oder Ausgangswege der griechischen Rebenkultur in cins zu- sammen28). Dass der Wein den Griechen aus semitischem Kultur- kreise zugekommen, lehrt auch die Identitat der Benennung des- selben, gr. oivog, bekanntlich mit Digamma, hebr. jain, athiopisch und auch arabisch wain (Fr. Miiller in Kuhns Zeitschr. 10, 319), denn die umgekehrte Annahme Kenans (Histoire generate des langues Semitiques p. 193 der ersten Ausg.), die Semiten batten das Wort von den Ariern entlehnt - - wohlgemerkt von den Graco-italern, nicht von den Iraniern, denen es fehlt —, ist kulturhistorisch von der aussersten Unwahrscheinlichkeit. Auch die Versuche, das Sanscrit heranzuziehen und mit dessen Hulfe den Wein als Urbesitz des un- getrennten indoeuropaischen Stammvolkes darzuthun (Pictet, Origines indoeuropeennes, 1, 250ft'.), sind ungliicklich ausgefallen und haben in den Augen Unbefangener eher das negative Resultat bestatigt. Das eigentliche Vaterland des Wein stocks, die durch iippigen Baum- wuchs ausgezeichneten Gegenden siidlich vom Siidrande des Kaspi- schen Meeres, war auch dem Ursitz so weit sich dieser historisch verfolgen lasst - - des semitischen Stamms oder eines seiner Haupt- zweige benachbart (Renan a. a. 0. p. 27 ff.). Dort windet sich im Dickicht der Waldung die Rebe mit armdickem Stamme bis in die Wipfel der himmelhohen Baume, schlingt ihre Ranken von Krone zu Krone oder lockt von oben durch schwerhangende Trauben; dort oder in Kolchis am Phasis, in den Landschaften Kachethien, Min- grelien, Imerethien, Armenien, zwischen Kaukasus, Ararat und Taurus, sind nach den anziehenden Schilderungen Moritz Wagners

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(Reise nach Kolchis, Leipzig 1850), Kolenatis (Reise nach Hoch- armenien und Elisabethpol, Dresden 1858) und von Blarambergs (Erinnerungen, I, Berlin 1872, S. 167 if.) ganz die uralten Methoden im Gebrauch, die wir aus den Schriften der Griechen und Romer kennen, die Al>theilung der Weingarten durch Kreuzgange nach den vier Himmelsrichtungen (limes decumanus und cardo), das Ver- pichen oder Verkalken der Amphoren, das Vergraben des Stamm- endes, dann des Weines selbst in die Erde u. s. w. Dort wachsen die pomeranzengelben, siiss balsamischen, durchdringend duftenden Weine und liefert die edelste kachethische Rebe, die sapiranica praecox und major, einen Saft von so intensivem Dunkelroth, dass die Damen mit ihni ihre Briefe zu schreiben pflegen. Aus jener Gegend be- gleitete der Weinstock die sich ausbreitenden senritischen Stamme an den unteren Euphrat und in die Wiisten und Paradiese des Stid- westens, in dem wir sie spater ansassig finden. Den Semiten, die auch die Destination des Alkohols erfunden haben, die die ungeheure Abstraction des Monotheismus , des Masses, des Geldes und der Buchstabenschrift einer Art geistiger Destination - - vollbrachteii (denn die Aegypter blieben an der Schwelle derselben stehen), wird auch der zweideutige Ruhm verbleiben, den Fruchtsaft der Wein- beere auf der Gahrungsstufe festgehalten zu haben , wo er ein auf- regendes oder betaubendes Getrank abgiebt. Aus Syrien ging die Weinkultur welter iiber das gauze sogenannte Kleinasien, zu Lyclern, Phrygern, Mysern und andern unterdess von Osten nach Westen voiv geriickten iranischen oder halbiranischen Volkern, und drang von Norden her in die griechische Halbinsel, indess auch direkt zur See phonizischer Handel, karische Ansiedelungen, von Europa an die Kiisten des fremden Welttheils iibersetzende urgriechische Stamme die Kenntniss der wunderbaren Erfindung und mit steigender An- sassigkeit auch den Anbau des Gewachses selbst vermittelten. Zur Zeit des homerischen Epos und der hesiodischen Gedichte 1st, wie gesagt, diese Aneignung bereits geschehen und langst vergessen; das Dasein des Weinstockes und des Weines versteht sich von selbst und wird, wie alles Gute im Leben, einem lehrenden oder schaffenden Gotte zugeschrieben.

Die frahesten Seefahrten der Griechen nach Westen miissen den damonischen Trank auch an die Kiisten Italiens gebracht haben, denn dass er aus Griechenland kam, zeigt auf den ersten Blick das Wort vinum (als Neutrum, welches nach der Analogic anderer itali- *cher Lehnworter aus dem Accusativ olvov zu erklaren 1st)29). Wie

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Odysseus auf den Cyclopen, stiessen die iiber Meer gekommenen griechischen Schiffer und Abenteurer auf ein einfaltiges Hirtenvolk, auf welches der gierig aufgenommene fremde Wein dieselbe un- gewohnte betaubende Wirkung iibte, wie auf die Centauren des Pindar bei Athen. 11, p. 476: »als die Pheren die mannerbezwin- gende Kraft des stissen Weines kennen lernten, stiessen sie hastig die weisse Milch von den Tischen, tranken aus silbernen Hornern und irrten willenlos umher.« Dass die Milch in Latium alter war als der Wein, geht aus den auf Romulus zuruckgefiihrten Opfer- satzungen hervor, wonach den Gottern nicht mit Wein, sondern mit Milch gespendet wurde (Plin. 14, 88: Romulum lacte, non vino libasse indicia sunt sacra ab eo instituta, quae hodie custodiunt morem). Nach einem Gesetz des Numa durfte der Scheiterhaufen nicht mit Wein besprengt werden (Plin. a. a. 0. : vino rogum ne respargito\ d. h. die- altesten Bestattungsgebrauche kennen den Wein noch nicht. Denri es gab eine Zeit, wo die Romer nur noch Ackerbau trieben und die Rebenkultur noch nicht eingeflihrt war, Plin. 18, 24: apud JRomanos multo serior vitium cultura esse coepit primoque, ut necesse estj arva tantum coluere. Merkwiirdig 4st , dass auch hier wie in Griechenland Legenden von Volkerkampfen an die Griindung des Wein- baues sich kniipfen. Nach einer viel berichteten Sage (z. B. von Cato bei Macrob. 3, 5, 10) sollte Mezentius, der Konig von Care, den Latinern den Ertrag ihrer Weinberge oder die Erstlinge der Kelter abgefordert, die Latiner sie aber dem Jupiter gelobt und so den Sieg iiber den frevelhaften Tyrannen gewonnen haben. Die Herr- schaft der Tusker in Campanien und Latium wurde, wie wahr- scheinlich ist, durch gemeinsame Anstrengungen der lange in Bundes- genossenschaft vereinigten Griechen und Latiner gebrochen: die dunkle Erinnerung daran verschmolz mit dem Andenken an die zu jener Zeit in Latium sich verbreitende griechische Weinkultur, deren Segen man als die Habsucht reizend sich dachte, und an die Ein- fiihrung der Erstlingsspenden an den Jupiter Liber und die Venus Libera. Der 19 August, an dem die beiden Heiligthiimer der Murcia und der Libitina, der Gottinnen der Erntelust, ihren Stiftungs- tag feierten, wurde nun zugleich der Tag der vinalia rustica, des Vorfestes der Weinlese, dem am 23. April das der vinalia priora vorausging beides in Ankniipfung des jiingern Weinbaues an die alteren Ackerbaufeste. Dass Jupiter der Schiitzer der neuen Gabe wurde und sein Priester, der Flamen Dialis, die Weinlese weihte, lag in dem Wesen dieses Gottes, von dem alle Befruchtung und

Der Weinstock. 73

landliche Nahrung kam; der Beiname Liber, mit clem er sich als Weingott oder italischer Dionysos besonderte, war die Uebersetzung des griechischen Avfaog oder 'Efav&fyi&$ (Grassmann in Knhn's Zeitschr. 16, 107); die genealogische Ableitung, wie in Griechenland, wo Dionysos als Sohn des Zeus gedacht wurde, war den Italern nicht gelaufig. Uebrigens gedieh die Rebe an den Bergen Unter- italiens so iippig, dass schon im 5. Jahrhundert Sophokles Italien das Lieblingsland des Bacchus nennen (Ant. 1117: xhvrav og dfiyz- nttg 'Ixahlav co Baxyev} und die Siidspitze Italiens bei Herodot (1, 167) den Namen Oenotrien d. h. Land der Weinpfahle (nach Hesychius war omorgov dorisch so viel als Weinpfahl) tragen konnte. Oenotrien war die Gegend, wo die Reben an Pfahlen ge- zogen wurden, im Gegensatz zu den Landschaften , wo der Wein hoch an Baumen emporwuchs, wie in Etrurien und Campanien, dem Gebiet der Tusker, oder ohne Stiitze kurz und niedrig ge- halten wurde, wie in der Gegend von Massilia und in Spanien, oder in dachartigen Spalieren an Stangen oder Stricken sich fort- rankte, wie im Brundisinischen , oder am Boden fortkroch, wie in Kleinasien u. s. w. Die verschiedenen Methoden, am biindigsten aufgefiihrt bei Varro 1, 8, ergaben sich theils aus der Natur dep Bodens, der entweder felsig und heiss oder feucht und humusreich war, theils aus dem Mangel oder Vorrath an dem nothigen Holz oder Rohr, theils aus der Gewohnheit derjenigen, von denen in einer bestimmten Gegend der Weinbau urspriinglich ausgegangen war, und der Rebenvarietat, die sie zu allererst mitgebracht hatten. Der Wald- reichthum des spater Lucania und Bruttium genannten Landes, welches von der damit zusammenhangenden Viehzucht auch Italia benannt war, mag zu allgemeinem Gebrauch eigener Weinpfahle, sini, sudes, ridicae, poll (fur pacli oder pagli: das entsprechende griechische Ttdaaalog bedeutet nur Pflock) gefiihrt und der Name Oivwxgia, OivwTQot von solchen Griechen herriihren, denen die frei am Boden gezogene Rebe, die yawing, orthampelos ipsa se sustinens, oder die Baumrebe, die dvadsvdQag, dfjidfjia^vg (ein Wort, dessen eigent- liche Form nicht feststeht, das aber Sappho und Epicharmus brauchten), fj,a[Jiaug, dnva%ata, SQvaxtg, oqwCa, ffixa, %vffidg, vaiag, TiaQidg, vlog, vlr^ u. s. w. das Gewohnte war80). Auch in die Gegenden an den Pomundungen muss der Weinstock mit dem griechischen Seeverkehr fruhe gekommen sein, so wenig der niedrige wasserreiche Boden diese Kultur zu begiinstigen scheint. Ueber das Zusammentrefren der dortigen Siimpfe mit reichem Weinbau wunderte

74 Der Weinstock.

sich init Itecht schon Strabo (5, 1, 7). Die vitis spionia quam quidam spineam vacant (Plin. 14, 34. Colum. 3, 2, 27. 3, 7, 1. 3, 21, 3. 10) wuchs im Gebiet von Ravenna (Ravennati agro peculiaris), ertrug Hitze und Regen, nahrte sicb von Nebeln und gait - - was aucb von andern nordischen Reben ausgesagt wird - fur reich an Ertrag. Der Wein war in Ravenna wohlfeiler als da& Wasser, so dass Martial daselbst lieber eine Cisterne mit Wasser, als einon Weinberg besitzen mochte, 3, 56:

Sit cisterna mihi quam vinea malo Ravennae, Ctim possim multo vendere pluris aquam

und sicb beklagt, ein dortiger betrtigerischer Schenkwirth babe ihm reinen Wein statt des mit Wasser gemischten verkauft, 57 :

Callidus imposuit nuper mihi copo Ravennae, Cum peterem mixtum, vendidit ille merum.

Auch die Landschaft Picenum, in der geograpbische Namen und nianche andere Spuren auf eine alte Verbindung mit den Po- miindungen hindeuten, wird schon friihe als besonders weinreich geschildert: bei Polybius 3, 88, 1 kurirt Hannibal die Pferde seiner Armee mit den alten, im Ueberfluss vorhandenen Weinen der Gegend: xal Tovg ^v i'nnovg exhovwv wlq, Tta'ka.iQlQ. olvoiq dia TO Tdydog, RettsQCLHtvae T^V %a%t&av aviwv. Nocb lange nachher gingen grade die Weine Picenums ins Ausland, nach Gallien (Plin. 14, 39), wie in den Orient (Edict. Diocl. 2.). Dort lag die Landschaft, in der die beriihrnte vinum Praetutianum genannte Weingattung wuchs, Sil. Ital. 15, 568:

Turn qua vitiferos domitat Praetutia pubes Laeta laboris agros

die der istrischcn Traube ahnlich war, Dioscorides 5, 10: 6 ds to- iQixbg feyoftevog i'oixs no nQauovuavo), ja von Plinius mit dem am Flusse Timavus bei Aquileja wachsenden vinum Pucinum identificirt wird (14, 60 nach Silligs Emendation). Die picenische Rebe also war aus alter griechischer Zeit am Westufer des adriatischen Meeres bis in clessen innersten Winkel bin verbreitet. Von der grossen Fruchtebene, die sich vom Po bis an den Fuss der Alpen erstreckt, weiss auch im Punkt des Weines Polybius, der als Augenzeuge spricht, nicht genug Riihinens zu machen (Polyb. 2, 15); sie mochte wohl schon Trauben tragen, als die Kelten in Italien einbrachen und nach der Sage (Liv. 5, 33. Plin. 12, 5. Plut. Camill. 15) eben

Der Weinstock. "5.

durch den Wein und die Friichte des Siidens dazu angereizt wurden. Mit Weinlaub bedeckt erscheinen bei Martial anch die Abhange der vulkanischen Euganeen bei Padua, 10, 93:

SI prior Euganeas, Clemens, Helicaonis oras Pictaque pampineis videris arva jug is, Perfer Atestinae nondum vulgata Sdbinae Carmina.

Sehr beriihmt wurden friihzeitig auch die vina Raetica d. h. die heutigen Tiroler und Veltliner Weine, die aus der Ebene kommend die Vorhiigel und den Siidabhang der Alpen erstiegen batten. Nach Serv. zu Verg. G. 2, 95 hatte schon Cato die rhatische Traube gelobt, wurde aber dafiir von Catullus, der als geborener Veronese hierin Bescheid wissen musste, getadelt. Unverganglicheii Ruhm aber erwarb sich der rhatische Wein durch Vergil, der ihn nur dem Falerner nachstellte, G. 2, 95:

et quo te carmine dicam, Raetica? nee cellis ideo contende Falernis.

Auch Vergil war nicht weit von den Hiigeln und Thalern des Siid- alpenlandes zu Hause, vielleicht aber pries er den Rhatier nur, weil Augustus, wie Sueton Aug. 77 erzahlt, ihn besonders liebte. Strabo stimmt in das Lob mit ein, 4, 6, 8: xal o ys 'Patuxbg olvog, -iwv sv wig 'ImfoxoZg STratvovjusvcov ovx aTtoheiTisG&at doxwv, sv xalg TOVTCDV VTiwoehug yiveTat, aber vielleicht ist er nur ein Echo Vergils. Auch Plinius berichtet 14, 16: ante eum (Tiberium Caesar em) Raeticis prior mensa erat et avis Veronensium agro, gleich darauf fiigt er indess hinzu : quod et in Raetica Allobrogicaque - - evenit, domi nobilibus nee adgnoscendis alibi. Martial kennt gleichfalls die rhatischen Weine aus der Heimath des Catullus, 14, 100: Panaca.

Si non ignota est docti tibi terra Catulli, Potasti testa Raetica vina mea.

Auch noch ganz spat zu Cassiodors Zeit stand das Gebiet von Verona wegen seiner Weine in Ruf (Var. 12, 4).

Schon Cato hatte gefunden, dass von alien Arten der Boden- benutzung der Weinbau die vortheilhafteste sei, 1, 7: de omnibus agris . . . vinea est prima, si vino multo siet, und in den spatern Zeiten der romischen Republik war Italien bereits in so ausgedehn- tem Masse ein Weinland geworden, dass das Verhaltniss der Reben- zucht zum Kornbau sich umgekehrt hatte und die Halbinsel Wein aus- und Getreide einfuhrte. Aber langst hatte diese Kultur auch begonnen, iiber die Grenzen Italians hinauszudringen und im Norden

76 Eter Weinstock.

und Westen sich einzubiirgern. Columella, 1, 1, 5, fiihrt aus dem altern landwirthschaftlichen Schriftsteller Sasema den Ausspruch an, das Klima habe sich geandert, denn die Gegenden, die sonst zum Wein- und Oelbau zu kalt gewesen, batten jetzt Ueberfluss an beiden Produkten. Hier liegt die richtige Beobachtung zu Grande, dass der Anbau der genannten Gewachse im Laufe der Zeiten immer weiter nach Norden geriickt sei, nicht weil das Klima ein anderes geworden, sondern durch allmahliche Acclimatisation. In der neuern Zeit ist im Verhaltniss zum Mittelalter das Umgekehrte eingetreten : der Weinbau hat sich aus den nordischen Landstrichen zuriick- gezogen, in denen er okonomisch nicht mehr vortheilhaft war. Das nordliche Frankreich, die sudlichen Grafschaften Englands, Thiirin- gen, die Mark Brandenburg u. s. w. trieben sonst Weinbau. Bei entwickelterem Verkehr musste man es vorziehen, den Wein be- giinstigterer Gegenden gegen diejenigen Friichte einzutauschen, die der eigene Bodeii reichlich und sicher hervorbrachte. Der Ueber- gang des Weinbaus nach Frankreich, wie er aus historischer Zeit in einzelnen Notizen vorliegt, gewahrt iibrigens eine lebendige Ana- logic der Vorgange, durch welche die Rebe Jahrhunderte friiher zu den Volkem des innern Italiens sich mag verbreitet haben. Der erste Weinstock auf gallischem Boden wurde ohne Zweifel von der Hand eines Massalioten gepflanzt; auf den Massilia umgebenden Bergen gedieh die Rebe vortrefflich, Strab. 4, 1, 5: von den Massa- lioten: HWQCLV S' e'xovffiv ehcu6(pvrov /tev xal xardfJiTis^ov. Die Kulturart war die aus der Heimath mitgebrachte kleinasiatische ohne Stiitzen und Pfahle. Die ostlich und westlich ausgesandteii Ansiedler verbreiteten den Weinbau larigs der Kiiste, zunachst 11111 die befestigten Stationen herum. Die Eingebornen Ligurer und Iberer, spater Kelten - - tauschten den Wein gegen die Rohproducte ihres Landes ein, ganz wie spater die Bewohner von Aquileja den Ill}Triern Oel und Wein lieferten und von diesen dafiir Sclaven, Vieh und Haute bezogen (Strab. 5, 1, 8). Zunachst waren es nur die Reichen, die den italienischen und massaliotischen Wein tranken, wahrend die Aermeren bei dem nationalen Getrank aus gegohrenem Getreide blieben (Posidonius Fr. 25. Muller). Allmahlich drang dann die Kultur weiter ins Innere; von den benachbarten lernten die ent- fernteren Stamme selbst die Rebe ziehen und den Saft der Beeren durch Gahrung in Wein verwandeln, Justin. 43, 4: tune et vitem pu- tare, tune olivam serere consueverunt . Macrob. Somn. Scip. 2, 10, 8: Galli vitem vel eultum olivae, Roma iam adolescents, didicerunt -

Der Weinstock. 77

so sehr, dass die Romer, die nicht bloss ein Krieger-, sondern auch ein eigenntitziges Kaufmannsvolk waren, bereits eifersuchtig wurden und im Interesse der italischen Ausfuhr den von ihnen geziichtigten transalpinischen Volkchen die Friedensbedingung auflegten, des Oel- und Weinbaus sich zu enthalten, Cic. de rep. 3, 9, 16: nos vero iustissimi homines qui Transalpinas gentes oleam et vitem serere non siniimis, quo pluris sint nostra oliveta nostraeque vineae (Mommsen, Romische Geschichte2, 2, 159). Als nach den Siegen iiber die Allobroger und Arverner die Gegend zwischen Pyrenaen, Cevennen und Alpen zur provincia Narbonensis erhoben worden war, fand immer noch eine starke Einfahr von italienischem Wein statt. Wir sehen dies aus Ciceros Rede fiir den Fontejus, der sich erlaubt hatte, von den aus Italien eingehenden Weinen ein vectigal zu erheben und ein portorium vini einzusetzen, und deshalb in Rom angeklagt wurde (Cic. pro Font. 5). Es folgte Casars Eroberung des ganzen Landes bis zur Nordsee und zura Rbein und der Eindrang romischer Kultur, Sitte und Lebensgewohnheit in ungehemmter Stromung. Im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit zeigen uns die Nachricbten bei Plinius und Columella das heutige Frankreich bereits als selbstandi- ges, rivalisirendes Weinland, mit eigenen Trauben- und Weinsorten, mit Ausfubr und Verpflanzung nach Italien, zugleich nicht ohne Anzeichen der eben erst vollbrachten Aneignung einer noch jugend- lichen Kultur. Gallien stand damals zu Italien, wie in der Urzeit Italien zu Griechenland und noch friiher Griechenland zu Syrien, Phrygien und Lydien. Gallische Weine fanden bei Italienem Ge- schmack: Plin. 14, 39: mirum -- in Italia Gallica placere, trans Alpis vero Picena. Colum. 1, praef. 20: et vindemias condimus ex insults Cycladibus ac regionibus Baeticis Gallicisque. Der Bur- gunderwein tritt auf, wenn auch natiirlich nicht unter diesem Namen, sondern als Wein von Vienna an der Rhone, als Arverner, Sequaner, Helvier, Allobroger, Plin. 14, 18: iam inventa vitis per se in vino picem resipiens, Viennensem agrum nobilitans, Arverno Sequanoque et Helvico generibus non pridem illustrata atque Vergili vatis aetate incognita, a cujus obitu xc aguntur anni. Er schmeckte nach Pech (wie nach Strabo 4, 6, 2 auch der ligurische, und wie noch heute einige Burgunderweine), wurde auch kiinstlich mit Harz und Pech behandelt, war an Ort und Stelle beliebt, ward aber auch nach Italien ausgefuhrt, Martial. 13, 107: Picatum vinum :

Haec de vitifera venisse picata Vienna Ne dubites: inisit Romulus ipse mihi.

78 Der Weinstock.

Auch gallische Traubensorten, also Varietaten, die sich bereits nuf dem neuen Boden gebildet batten, fanden in Italien Verbreitung: die vitis helvenacia, elvenaca, helvennaca (Colum. 3, 2, 25. 5, 5, 16. Plin. 14, 32 ; der Name abgeleitet, Avie es scheint, von dem keltischen Volksnamen Helvii, in anderer Form Helvetii, s. oben das genus Helvicum bei Plinius), die vitis Biturica, Biturigiaca (Plin. 14, 27. Colum. 3, 2, 19 und ofter. Isid. Hisp. 17, 5, 22; schon in das Gebiet des heutigen Bordeauxweins hinuberreichend), die Allo- brogica (Plin. 14, 26. Colum. 3, 2, 16; colore nigra, eben die rothe Burgundertraube) u. s. w. Die Eigenschaften, die diesen gallischen Reben zugeschrieben werden, laufen alle auf grossere Widerstands- kraft gegen Ungunst des Klimas hinaus: sie nehmen mit magerem Boden vorlieb, ertragen Kalte, Regen, Wind; sie sind alle reich an Beeren und liefern viel Most; sie arten bei Ortsveranderung leicht aus, baben also noch keinen constanten Cbarakter gewonnen: die helvennaca kommt in Italien schlecht fort, bleibt dort klein und fault leicht, die Lieblichkeit des Allobrogers cum rcgione mutatur u. s. w. An der geringen Haltbarkeit lag es, wenn die Weine von Massilia, die etwa unseren Cette-Weinen entsprachen, nach griechischer Sitte gerauchert wurden (oft erwahnt, z. B. Martial 3, 82, 23 : vel cocta fumis musta Massilitanis) und die provengalischen Weine iiberhaupt nicht bloss durch Rauch, sondern durch Zusatz von Krautern und Gewurzstoffen entstellt in den Handel kamen (Plin. 14, 68). Die Alten griffen nach allerhand Mitteln, wie Einkochen, Rauchern, Zu- mischen u. s. w., da sie den Branntwein, durch den unsere Xerez-, Porto-, Marsala- und andere siidliche Weine vor dem Verderben be- wahrt werden, noch nicht kannten. Dass nun wahrend der romischen Kaiserjahrhunderte der Weinbau in Gallien nicht bloss sich befestigte, sondern seine Grenzen erweiterte, dass er sieh des Thales der Ga- rumna, nach Norden und Nordwesten der Thaler der Marne und der Mosel bemachtigte, lag im natiirlichen Laufe der Dinge. Den Rhein aber iiberschritt er zur Romerzeit noch nicht (Bodmann, Rhein- gauische Alterthiimer, S. 393: »Wir setzen unbedenklich die Ur- spriinge des Weinbaues im westlichen Rheingaue auf den Zeitraum der austrasischen Regierung des Merovingischen K6nigsstammes«). Von Gallien aber ward, wenn auch nicht der Weinstock, so doch der Wein den angrenzenden Germanen zugefiihrt, die mit Aufnahme dieses Products den verhangnissvollen Pact mit gallisch-romischer Kultur schlossen, wahrend bei den weiter wohnenden Stammen das sogenannte Freiheitsgefiihl, d. h. die Anhanglichkeit an das von den

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Vatern ererbte halbnomadische Jagd- und Heerdenleben cler verdach- tigen Gabe sich erwehrte. (Mehr als tausend Jahr spater ging es den Deutschen in Norwegen, wie einst den Romern in Deutschland: da waren sie die weinfuhrenden Siidmanner, die das Volk verdarben und deshalb vom Konig Sverris in Bergen nicht zugelassen wurden, s. die Stelle aus der Sverris saga bei Weinhold, Altnordisches Leben, S. 109 f.). So sehr drohte aber auch in den Provinzen die Wein- kultur den Getreidebau zu iiberwuchern, dass der Kaiser Domitianus in einem Anfall von Besorgniss die Halfte und mehr aller ausser- halb Italiens bestehenden Weinberge auszurotten befahl - - was sich indess natiirlich nicht ausfiihren Hess, Suet. Domit. 7: ad summam quondam ubertatem vini, frmnenti vero inopiam, existimans nimio vinearum studio negligi arva, edixit: Ne quis in Italia novellaret, atque in provinciis vineta succiderentur, relicta, ubi plurimum, dimidia parte: nee exsequi rem perseveravit. Da gleichzeitig ein Verbot gegen die orientalische Sitte der Entmannung erging, sagte Apollonius, der Kaiser schone dieMenschen, eunuchisire aber dieErde: yijv svvovxi&iv (Philostr. vit. Apoll. 6, 42). Die Ausfuhrnng des Be- fehls wurde von lonien und iiberhaupt von Asien durch eine Gesandtschaft abgewehrt (Id. vit. Soph. 1, 21, 12) 81). Indess muss der provinciale Weinbau imnier von Italien aus mit un- giinstigen Augen angeseheii worden sein. Denn vom Kaiser Probus wird berichtet, er habe den Provinzen Gallien, Spanien und Britannien, nach Andern Gallien, Pannonien und Mosien erlaubt, Weinberge zu besitzen und Wein zu bereiten, Fl. Vopisc. Prob. 18: Gallis omnibus et Hispaniis ac Britanniis hinc permisit ut vites haberent vinumque conficerent. Eutrop. h. Rom. 17: Vineas Oallos et Pannonios habere permisit. Aurel. Viet, de Caes. 37, 2: Hie Galliam Pannoniasque et Moesorum colles vinetis replevit. Auch die Trinker des Tokayerweins also konnen den Kaiser Probus leben lassen, der nur kurz regierte, aber ein Held der Legende, eine Art Weiiiheiliger wurde - - natiirlich, wie so oft, auf gelehrtem Wege d. h. nach den so eben beigeschriebenen Stellen der Historiker. Weniger besungen, aber von nicht geringer Wichtigkeit ist ein anderes Kulturproduct, das das transalpinische Europa zugleich mit dem Wein von Siiden her kennen und vielfach anwenden lernte, wir meinen den Essig32), franzosisch vinaigre, (wortlich: saurer Wein), englisch vinegar, goth. alceit (aus acetuwi), alts, ekid, ags. oced, ahd. ezih (durch Umstellung der beiden Consonanten), kirchensl. ocitu, poln. neosl. bulgar. ocet, serb. ocat, magyar. eczet, walach. ocet. Die

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Russeii und durch sie die Litauer haben ihre Benennung des Essigs aus dem Griechischen, d. h. aus Byzanz: griech. o%og, russisch uksus, litauisch uksosas, obgleich es jetzt kein Land giebt, wo eine grossere Vorliebe fiir alles Sauere herrschte, als in dem weiten Gebiet von den Karpathen bis an die chinesische Mauer. Essig mil Wasser gemischt, die sog. posca (das Wort angeblich aus s'no^vg entstanden), griech. oZtixgamv, war ein unter dem Volk in Italien und in den Soldatenlagern gewohnliches Getrank und mag von den letzteren aus auch in den barbarischen Landern sich verbreitet haben.

Vergleicht man den heutigen Zustand des Weinbaues mit dem zur Zeit der Alten, so hat auch diese Kultur einigermassen an dem allgemeinen Gange der Geschichte Theil genommen, d. h. sie ist in ihren Ausgangslandern in Verfall gerathen und steht in dem zu aller- jiingst gewonnenen Gebiete auf der hochsten Stufe der Entwickelung.. Als Vorderasien, die Wiege der Rebenzucht, von Volkern islamiti- schen Glaubens tiberzogen worden, konnte ein Product nicht mehr gedeihen, dessen Genuss das Gesetz den Eroberern untersagte. In alien Landern arabischer Herrschaft, in Nordafrika, Sicilien, Spanien ging der Weinbau zuriick, da er von den Machtigen nicht begiinstigt wurde, die mit semitischer Massigkeit mehr den Kultus des Wassers und kiihlen Schattens, als den des erhitzenden Getrankes ubten. Ja es fanden sich einzelne Fanatiker, die den Wein gar nicht dulden wollten, so der Kalif Hakem 2. von Spanien; »er liess fast alle Wein- rebeii in Spanien ausrotten: nur ungefabr einen dritten Theil der Weingarten liess er stehen zum Genuss ihrer Friichte als reife Trauben, als getrocknete Frucht, Rosinen, Syrup und Traubenhonig, was zu geniessen das mohammedanische Gesetz erlaubte« (Aschbach, Gesch. der Ommaijaden in Spanien, 2. S. 158f.). Was dem Islam in Spanien nicht gelang wie die heutigen Xerez- und Malaga- weine beweisen , das setzte er in dem gegeniiberliegenden Marokko durch. Die atlantische Kiiste des letztgenannten Landes war im Alterthum ein ergiebiger und gepriesener Weinbezirk gewesen, dem seine Traube, wie Movers, 2, 2, S. 528 ff. urtheilt, nicht erst von den Karthagern, sondern schon in der Urzeit von den Phoniziern zugetragen war. Dort lag das Vorgebirge Ampelusia (Mela 1, 5. Plin. 5, in.), also das Weinkap, heut -zu Tage Cap Spartel, und die uralte Stadt Lix, die auf ihren punischen und punisch-romischen Munzen die Traube als Wahrzeichen fiihrt (Miiller, Numismatique de 1'anc. Afrique 3, p. 155 ff.) und von deren Einwohnern die Sage erzahlte, dass sie sich ohne Bodenbestellung nur von freiwachsenden

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Weinbeeren nahrten (Paus. 1, 33, 4). Auch nach Strabo, 17, 4, 4 soil ten die Weinstocke von Maurusien so dick gewesen sein, dass sie von zwei Mannern nicht umspannt werden konnten, und Trauben von einer Elle Lange getragen haben. Von reicher Weinerzeugung dieser Gegend und einem darauf gegriindeten Ausfuhrhandel der Phonizier berichtet ancb der Periplus des Scylax 112. Noch im Mittelalter bei Ankunft der Araber muss diese Kultur bestanden haben, da die Stadt, die von ihnen an Stelle des alten Lix ge- griindet wurde, den Namen El-Araiscb, d. h. Weinberg erhielt. Jetzt nun tragt das iiberaus fruchtbare Land in Folge der arabischen Herrscbaft keine oder fast keine Weinpflanzung mehr und nur unter den ungebundenen Schelluh's des Rif hat der Islam das verbotene Getrank nicht ausrotten konnen (s. Earth, Wanderungen durch die Kiistenlander des mittellandischen Meeres, S. 20) 33). Das heutige Griechenland nach so vielen zerriittenden Schicksalen und Jahr- hunderten ethnologischer und wirthschaftlicher Erniedrigung - - er- zeugt mit wenigen Ausnahmen nur schlechten Wein; der Ruhm des Chiers, Lesbiers, Thasiers ist langst dahin und der harzgeschwangerte Resinato , liber den schon Liudprand in seiner Gesandtschaf tsreise nach Konstantinopel vom Jahre 968 klagt, nicht geeignet, ihn wieder ins Leben zu rufen (Ausfuhrliche Mittheilungen darliber in Fiedlers Reise durch alle Theile des Konigreichs Griechenland,-!, S. 571 ff.). Vielleicht sind auch die Korinthen nur eine durch Degeneration hervorgerufene Varietal. Sie sollen von der Insel Naxos gekommen und nicht vor dem Jahre 1600 in Morea bekannt gewesen sein. Merkwiirdig ist, class sie gleichsam von Gegend zu Gegend wandern: auf Naxos sind sie verschwunden , bei Korinth, woher ihr Name stammt, sind sie nicht mehr vorhanden, ihr Productionsbezirk ist jetzt Patras, Zante und Kephalonia (s. Xavier Scrofani, Memoire sur la culture du raisin de Corinthe, in dessen Voyage en Grece, trad, de 1'italien, 3, S. 115 ff.). - - In Italien kam es den ostgothi- schen und longobardischen Fursten und Edlen wie alien Barbaren gewiss nicht auf feine geistige Blume ihres Weines, sondern auf das Quantum an, das die unterworfenen Colonen ihnen zu liefern batten. Wer beim Schmause aus dem Schadel des erschlagenen Feindes trinkt, dem sagt das Herbe und Starke am meisten zu, vor Allem aber begehrt er, seine kriegerische Trinkschale recht oft leeren und wieder fiillen zu konnen. Die Normannen im Siiden, die deutschen Konige auf ihren Romerziigen und die sie begleitenden Herzoge, Graf en, Edlen und Mannen waren allesammt wackere Trinker, aber

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sicherlich keine allzu kritischen und wahlerischen Kenner. Dazu die Gebundenheit des Grund und Bodens, die den arbeitenden Stand in dusterem Stumpfsinn erhielt, die ewigen Raub- und Verwustungs- ziige und die Verwilderung und Unsicherheit des Lebens iiberhaupt, die keine Kapitalanlage auf langere Jahre gestattete. Vielleicht machten einige geistliche Besitzthiimer eine Ausnahme, und die Keller der Kloster mogen bin und wieder alien, durch Lagerung veredelten Wein enthalten haben, doch darf man sich die Zunge der Bischofe und Aebte des heiligen romischen Reichs aucb nicht allzu fein denken, denn auch sie, wie die Ritter, waren Kinder einer rohen Zeit: nicht bloss tranken sie den Wein ohne Zusatz von Wasser - im Gegensatz zu der humaiien, schon bei Homer geltenden und durch die Gesetze des Zaleukos ausdriicklich gebotenen Sitte der Alten, den Wein mit Wasser zu mischen, sondern am meisten mundete ihnen Wein mit Gewiirz, Beeren und Honig abgekocht, vinum moratum, claretum s. claratum, lutertranc, moras, claret, em Misch- trank, der zwar auch bei den Alten mitunter erwahnt wird, aber dort nur eine unter mannigfachen, in weinreichem Lande natiirlichen Nebenanwendungen des zu taglichem Genusse dienenden Productes war. Dass seit der Romerzeit die edlere Weinkultur Riickschritte gemacht hat, darf man in Anbetracht dieser ungiinstigen Verhalt- nisse wahrscheinlich finden. Liest man die weitlaufige Abhandlung des Plinius iiber den Wein (im 14. Buche) oder den Abschnitt iiber denselben Gegenstand im Auszuge des ersten Buches des Athenaus, so sieht man deutlich, wie der Geschmack und Reichthum der Vor- nehmen diesen Kulturzweig in steter Regsamkeit erhielt. Es hat sich eine unendliche Mannigfaltigkeit von Sorten und Arten ergeben (gleich dem libyschen Sande, sagt Vergil, oder den Wellen des Meeres), von denen die eine von diesein, die andere von jenem Magnaten patronisirt wird; der Wetteifer, sich gegenseitig zu iiber- bieten, fiihrt zu immer neuen Versuchen, sowohl in Wahl der Trauben, als in Behandlung des Saftes : die Mode wechselt aber vielleicht auch die natiirliche Gute des Gewachses. So batten zur Zeit des Augustus die auf der Grenze Latiums und Campaniens wachsenden Weine, der aus Horaz Jedem bekannte Falerner, Massiker, Cacuber, fiir die edelsten der Halbinsel gegolten, und Plinius berichtet, zu seiner Zeit, also nach etwa zwei Menschen- altern, wiirden sie nicht mehr geschatzt, wodurch, fiigt er hinzu, offenbar wurde, dass jeder Boden seine Zeit hat, 14, 65: sua qui- busque terris tempora esse, sicut rerum proventus occasusque. Kurz

Der Weinstock. 33

vorher hatte er freilich gerade mit Bezug auf den Falerner gesagt, dieser Wein sei nicht mehr der alte (exolescit), well die Producenten mehr auf die Menge als auf die Qualitat des Erzeugnisses Bedacht nahmen. Ganz denselben Vorwurf niacht man auch dem heutigen Weinbau in Griechenland, wie in Italien. Bei der vorherrschenden, auf Naturalabgabe basirteii Pachterwirthschaft wird hauptsachlich auf das Quantum gesehen, und diejenige Kulturmethode vorgezogen, die den reichlichsten Ertrag verspricht; die Traubenlese geschieht sorglos, unreife und faule Beeren werden mit den reifen zusammen- geworfen; um moglichst dunklen Wein zu erzielen, fur welchen ein allgemeines Vorurtheil herrscht, wird der Most zu spat von den Trestern abgezapft, wodurch der in der Haut der Beeren enthaltene Pflanzenschleim und Farbestoff in den Wein iibergeht und die essig- saure Gahrung hervorruft, die den italienischen Landwein meistens noch vor dem Schluss des Weinjahres ergreift. Dazu kommt die noch zu hohe Temperatur zur Zeit der Gahrung im Herbste, so wie der Mangel an luftdichten soliden Fassern und an kiihlen Kellern. Die Temperatur der letztern bleibt selten unter der mittleren des Jahres. Die Art der Aufbewahrung bei den Alten war in einem warmen Klima vielleicht wirklich passender, als die unsere in holzernen Tonnen, die die Romer bei den cisalpinischen Galliern und den Alpenvolkern zuerst kennen lernten und die sich von da weiter nach Siiden verbreitet hat34). Die Schlauche im Orient haben wenigstens den Vortheil, dass sie keine Luft zulassen, beim Gebrauch sich ent- sprechend zusammenziehen, leicht aufgepackt werden und auf Reisen zum Liegen und Sitzeii dienen. -~ Allbekannt ist, dass in moderner Zeit die Palme der Weinproduction dem mittleren und siidlichen Frankreich zukommt. Wenn Italien die 30 Millionen Hectoliter seines jahrlichen Ertrags fast ausschliesslich selbst verbraucht und also fiir das Ausland wenig ubrig hat, so erzeugte Frankreich bis vor Kurzem (d. h. ehe die Reblaus ihre Verwiistungen begann) das Doppelte davon, mit einem Geldwerth von etwa 2000 3000 Mill. Franken, und bildete das Hauptausfuhrland, welches alle Gegenden der Erde mit den feinsten wie mit gewohnlichen Tischweinen ver- sorgte. Das einzige Departement de 1'Herault brachte durchschnitt- lich 12 15 Millionen Hectoliter, also dreimal oder viermal mehr Wein hervor, als das ganze Konigreich Portugal. Es ist eine merk- wiirdige Thatsache, dass der Weinstock ganz nahe an der Nord- grenze seiner Verbreitungssphare, in Gegenden, wo er erst miihsam und allmahlich und ganz zuletzt eingebiirgert worden, den edelsten

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Fruchtsaft hervorbringt, cler unter clem Namen Burgunder, Johannis- berger u. s. w. in aller Welt beriihmt 1st. Kultur und Technik haben freilich das Ihrige dnbei gethan, und wir wissen nicht, was beide in den alien Heimathlandern des Weinstocks leisten konnteii, wenn sie daselbst Eingang und Aufnahme fanden. In dieser Hin- sicht verdient eine in den ersten Jahrhunderten des beginnenden Mittelalters, zur Zeit des Sidonius Apollinaris, Cassiodorus, Grego- rius Turonensis, Venantius Fortunatus, Fulgentius u. s. w., auftretende Erscheinung alle Aufmerksamkeit. Daroals namlich wanclte sich die occidentalische Welt zu den Weinen Palastinas, als den starksten und edelsten zuriick, etwa in der Weise, wie wir die Sherry- und Portweine aus der pyrenaischen Halbinsel beziehen: Gregor. Turon. 7, 29 : misitqiie pueros unum post alium ad requirenda potent ior a vina, Laticina videlicet atque G a sit in a (Weine von Gaza). Sid. Apoll. carm. 17, 15:

Vina mihi non sunt Gazetica, Chia, Falerna Quaeque Sareptano palmite missa bibes.

Cassiod. Var. 12, 12: ibi enim reperitur (vinum) etGazeto par et Sabino simile. Auch am byzantischen Hofe ward dieser Wein der phonizisch-philistaischen Kiiste geschatzt, Coripp. de laud. Just. 3, 87:

et dulcia Bacchi

Munera quae Sarepta ferax, quae Gaza crearat, A seal on et laetis dederat quae Graeca colonis.

Der Einbruch der Araber machte dieser Weinproduction und dein darauf gegriindeten Handel ein Ende (s. Stark, Gaza, S. 561 f.).

Zur Zeit des Alterthums wurde der Weinstock durch alle Lander getragen, die das Mittelmeer umgeben: hat er sich jetzt konnte man fragen , wo die Kultur in immer grosserem Massstab die ganze Erde umfasst, iiber alle Welttheile verbreitet? Die Antwort muss verneinend ausfallen. In der slidlichen Hemisphare ist, mit Ausnahme des nicht bedeutenden Kaplandes, die schmale gemassigte Zone, in der der Weinstock gedeiht, nicht vorhanden, und in der sogenannten Neuen Welt haben die Versuche, ihn anzupflanzen und ertragfahig zu machen, keinen ubermassigen Erfolg gehabt. Nord- amerika mag jetzt nahe an eine Million Hectoliter erzeugen und in den meisten Wirthshausern der Vereinigten Staaten ist schon ein- heimischer Kalifornier zu haben, aber er wird als von nicht an- genehmem Geschmack geschildert. Der Wein liebt, so zu sagen, den Westen nicht und hangt an seiner alten Nachbarschaft. In einigen Theilen Australiens sollen sich jetzt ziemlich ausgedehnte

Der Weinstock. 85

AVeinkulturen finden, meist von deutscher Hand angelegt, aber der dortige Bordeaux geht zu sehr ins Blut, Mosel- und Rheinwein haben keine Blume u. s. w. (s. Hugo Zoller, Rund um die Erde, Koln 1881, I, S. 157 und 190 f.). Nur an zwei Punkten hat am Ausgang des Mittelalters die Hand des Menschen den Bezirk der Rebe wirklich erweitert, in Madeira und auf den Canarien die aber beide gewissermassen noch zu Europa und zum Kreise des Mittelmeers gehoren. Nach Madeira liess schon Prinz Heinrich der Seefahrer Rebschosslinge aus dem Peloponnes und von der Insel Kreta bringen, nach Teneriffa verpflanzte Alonzo de Lungo gegen das Jahr 1507 Weinstocke von Madeira. Der dort also aus griechi- schen Reben gewonnene Wein wurde spater in alien Landern beriihmt; in neuester Zeit hat der Traubenpilz dieser Kultur den Garaus ge- macht, und sie hat jetzt Miihe, sich wieder herzustellen. Interessant aber ist der Weinbau auf jenen Inseln auch desshalb, well er sich hier dem Tropenklima am moisten nahert: die Weinberge von Siid- persien und die am Kap stehen vom Aequator welter ab, als die der Insel Ferro unter 27° 48' (s. Leop. v. Bach in den Abhandl. der Berliner Akaclemie vom Jahre 1817, S. 352).

* Fiir die Frage nach der Herkunft des Weinstockes sind mehrere pflanzengeographische und pflanzengeschichtliche Thatsachen, welche vordem von He tin nicht beriicksichtigt wurden, von entscheidender Bedeutung. Schon in der mittleren Tertiarperiode, zur Zeit der Braunkohlenbildung, wareh in Deutschland bis zu den Alpenlandern, gleichzeitig in Frankreich, England, Island, Gronland, Nordamerika und Japan Weinreben verbreitet, von denen sich sowohl Blatter, wie auch Samen erhalten haben. In wie weit dieselben zu einer und derselben Species oder zu verschiedenen Arten gehoren, ist naturlich nicht sicher zu entscheiden; |aber so viel ist sicher, dass die in Deutschland in den Braunkohlenlagern von Salzhausen, der Wetterau, bei Bischofsheim in der Rhon, bei Schossnitz in Schlesien, im Jesuitengraben bei Kundraditz im iiordlichen Bohmen, bei Leoben in Steiermark und bei Oeningen in der Schweiz vorkoramenden Blatter der Vitis teutonica A. Braun viel mehr Aehnlichkeit mit den Blattern der im atlantischen Nordamerika verbreiteten V. cordifolia Michx., sowie auch der anderen nordamerikanischen Arten be- sitzen, als mit der jetzt in Mittel- und Siideuropa cultivirten V. vinifera L. Birnformige Samen, wie sie Vitis vinifera besitzt, finden sich, allerdings mit kleinen Abanderungen, auch bei den nordamerikanischen und ostasiatischen Arten; es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die mit den Blattern von V. teutonica in Salzhausen zusammen gefundenen Samen auch zu dieser Art gehoren. Auch die in England bei Bovey Tracey gefundenen Samen, ferner die auf Island gefundenen Blattfragmente (V. islandica Heer), ebenso die in Gronland beobachteten Blattfragmente und Samen (V. areiica Heer) weisen

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grosse Aehnlichkeit mit denen von V. teutonica A. Braun auf, gehoren also ebenfalls dem in Nordamerika und auch in Ostasien entwickelten Typus der V. cordifolia Michx. und ihrer Yerwandten an; auch schliesst sich V. subintegra Saporta aus dem Unterpliocan von Meximieux diesem Typus an. Dagegen finden sich Reste der V. vinifera L. bis jetzt nur in jiingeren Lagerstatten fossiler Pflanzen, namlich 1. in Frankreich: in diluvialen Tuffen von Mont- pellier (G. Planchon, Etude des tufs de Montpellier 1864 p. 63), in den Tuffen von Meyrargues und Castelnau, znsammen mit der Feige (Ficus carica L.), dem Perrlickenbaum (Cotinus), Ahorn (Acer neapolitanuni), dem kanarischen Lorbeer (Laurus canariensis), Pinus Salzmannii Duval; ferner in den etwas jiingeren Tuffen von St. Antoine im Departement Bouches du Rh6ne zusammen mit der Terebinthe (Pistacia terebinthus L.) und der weichhaarigen Eiche (Quercus pubescens Willd). - - 2. In Italien: in dem alten Travertin des Val d'Era und bei San Viraldo in Toscana (Gaudin et Strozzi, Contributions a la flore fossile italienne, I. et VI. mem. p. 18 t. 11 f. 9), ferner im Travertin von Fiano Romano am rechten Ufer der Tiber, etwa 35 Kilom. von Rom und im vulkanischen Tuff von Pejerina auf der Via Flaminia, etwa 6 Kilom. von Rom, zusammen mit Taxus, Buxus, Hedera, der Feldriister (Ulmus campestris), dem Wachholder (Juniperuscommunis). Die franzosischen Tuff bildungen stammen aus der Zeit, zu der noch der dem afrikanischen Elephant verwandte Elephas an- tiquus sich in Sudeuropa aufhielt, als das bekannte Rhinoceros Merckii, der Urstier (Bos primigenius), der Hohlenbar noch nicht vom Menschen verdrangt waren, die Vegetation Sud- und Mitteleuropas aber im Wesentlichen schon die Be- standtheile unserer heutigen Flora eiithielt. Einer spateren Zeit, der Bronze- zeit, gehoren die Sam en der Weinrebe an, welche in den Pfahlbauten von Castione bei Parma (Heer, Pflanzen der Pfahlbauten S. 28 f. 11), im See von Varese (Ragazzoni in Rivista arch, della prov. di Como 1880 fasc. XVII. p. 30) gefunden wurden. Hierbei ist ausdrucklich zu bemerken, dass diese Kerne mit denen des wilden Weines ubereinstimmen, woraus auf eine urspriingliche Verwendung der Weinbeeren bei jenen Pfahlbaubewohnern geschlossen werden kann. Auch die in der zweiten Stadt von Hissarlik (Troja) in der Konigsburg von Tirynth gefundenen Samen sind klein und durften (nach Buschan, Vor- geschichtliche Botanik, S. 227) von wilden Reben stammen, desgleichen auch die in Pfahlbauten des Lago di Fimon im Gebiet von Vicenza gefundenen Samen (s. Buschan, S. 227). Dagegen sind die im Terramare von Castione in Parma und von Cogozzo in Oberitalien gefundenen Samen schon etwas grosser; und die Weinkerne, welche in den Pfahlbauten von Wangen in der Schweiz (Heer a. a. 0.) gefunden wurden, stimmen mit denen der Kulturpflanze uberein; Heer halt sie daher fur unsichere Zeugen. Bevor man diese Thatsachen kannte, war man vielfach geneigt, die in Slid- und Mitteleuropa ausserhalb des cultivirten Terrains vorkommenden Weinreben als verwildert anzusehen; auch von V. Hehn war diese Meinung getheilt worden. Nur am Siidrande des Kaspischen Meeres und in den pontischen Landern zwischen Kaukasien, Ararat und Taurus sollte der Weinstock heimisch sein und von hier aus iiber Kleiuasien, Griechenland nach Ober- und Unteritalien, dann nach Spanien, Frankreich und endlich durch die Romer auch nach Deutschland gebracht worden sein. Mag auch die Kultur des Weinstockes ihren Weg von Osten nach Westen und Nordwesten ge-

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nommen haben, so ist doch zweifellos vor der Verbreitung der Wein- kultur der Weinstock selbst durch ganz Siideuropa und einen Theil Mitteleuropas verbreitet gewesen, ja es ist sogar wahrscheinlich, <lass vor den Eingriffen der Menschen in die urspriingliche Vegetation der Weinstock noch verbreiteter gewesen ist, als gegenwartig. Durch ihre Beerenfriichte zur Verbreitung durch Vogel leicht befahigt, musste die Weinrebe zusammen mit anderen Waldpflanzen tiberall da sich ansiedeln, wo die klimatischen Verhaltnisse ihre Frucht- entwicklung gestatteten. Die klimatischen Verhaltnisse waren aber vom mittlereii Tertiar bis zur Glacialperiode und nach der- selben fast tiberall da gegeben, wo heute die wilde Weinrebe ge- deiht; nur wahrend der Glacialperiode wird dieselbe nordlich der Alpen gefehlt haben und ihr Areal auch jenseits der Alpen etwas eingeschrankt gewesen sein; nach der Glacialperiode aber musste sich dasselbe wieder mehr ausdehnen. Dass die Weinrebe auch verwildert, indem die Samen der aus den Kulturen von Vogeln ver- schleppten Beerenfriichte an geeigneten Stellen zur Entwicklung gelangen, ist gewiss; aber dann findet sie sich nur in Hecken oder auf Boden, der von heimischen Pflanzen entblosst worden ist oder auch auf jungfraulichem, erst von Wasser entblosstem Boden. Unter solchen Verhaltnissen vermogen wohl die Keime einer nicht einheimischen Pflanze sich weiter zu entwickeln, da sie in geringerem Grade der Concurrenz mit langst eingebiirgerten Pflanzen aus- gesetzt sind; aber gewohnlich treten derartige Ansiedler nur vereinzelt auf und erhalten sich auch nur kurze Zeit im Kampfe mit den einheimischen Pflanzen. Am scbwersten ist es fur verschleppte Samen, in den geschlossenen Formationen der Walder, der dichten Gebiische, der Wiesen aufzugehen und reichliche Nachkommenschaft zu erzeugen. Wenn wir daher den Weinstock oder eine andere Pflanze in grosserer Anzahl in Waldern auftreten sehen, dann haben wir ein Recht anzunehmen, dass dieselbe unabhangig von der Kultur ihren Weg nach diesen Standorten gefunden hat. Diese Annahme wird um so begriindeter sein, je mehr die Fundorte einer Pflanze mit ein- ander in Verbindung stehen und in ihrem sonstigen Vegetationscharakter iibereinstimmen. Als nach der Glacialperiode in Europa die Laubwald- formationen von Osten, Stiden und Westen wieder vordrangen, wurden jeden- falls die Beeren des Weins mindestens eben so rasch verschleppt, wie die Steinfriichte des Faulbaums oder des Schneeballes und anderer Straucher. Gegenwartig findet sich die wilde Weinrebe in ganz besonders uppiger Ent- wicklung im westlichen Transkaukasien , in dem zum Schwarzen Meer ab- fallenden feuchtwarmen Gebiete, von Beschtau und den Ufern des Terek siidwarts bis Armenien und bis zum Talyschgebirge (vergl. den auch sonst, namentlich in Bezng auf die Vulgarnamen sehr wichtigen Artikel iiber den AVeinstock in Koppen, geogr. Verbreitung der Holzgewachse des europaischen Russlands I. 98); von hier verfolgen wir sie ost warts bis in die persische Provinz Ghilan und in nordostlicher Richtung bis Turkestan, wo sie Capus an den Ufern des Pakeme und an den Ufern des Pokem bis zu einer Ho'he von 1250 in wild beobachtete (Planchon in De Candolle, Suites au Prodr. V. 2 p. 360), wahrend Albert Regel sie im Tschitschikthal und Tshotkalthal zusammen mit wilden Apfelbaumen, Pflaumen, Aprikosen, Kirschen, Maul-

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beeren und Pistacien constatirte. Ob die in Afghanistan und im nordwest- lichen Himalaya ausserhalb der Kultur vorkommenden Weinrebeii verwildert oder wild sind, ist noch fraglich. Westlich vom Kaukasus finden wir die Rebe zunachst wild in der Krim auf beiden Seiten des Gebirges, meist an Bachufern, auf der Siidseite bisweilen Stamme mit 4'/2 Fuss Umfang (v. Steven, Verzeichniss der auf der taurischen Halbinsel wild wachsenden Pflanzen p. 96), wahrend derselbe Beobachter bei Tiflis nur Stamme von 3Y» Fuss Umfang ge- sehen hatte. Auch wircl nach Angabe desselben Gewahrsmannes in der Krim bisweilen aus den schwarzen sauren Beeren der wilden Rebe Wein bereitet, wie ja uberhaupt wohl nirgends die Benutzung wildwachsender Beerenfriicbte zur Bereitung von Getranken so verbreitet ist als in Russland. Sodann ist die Rebe hochstwahrscheinlich wild am rechten Ufer des Dnjepr von Alexan- drowsk bis Cherson, in Podolien am linken Ufer des Dnjestr zwischen den Ortschaften Wyschwatencz und Jagorlyk, in Bessarabien an den Ufern des Djnestr, des Pruth und der Donau, sicher wild, wie ich selbst beobachtete, an den Ufern der Donau in Rumanien (vergl. auch Brandza, Prodromul Florei romane p. 209) bis Orsowa, auch im Banat, wo ich sie in den Misch- waldern bei Mehadia als kraftige Liane entwickelt sah. Auch in den bis- weilen noch Urwaldcharakter zeigenden Eichenwaldern des ungarischen Tief- landes, in welchen die hier schlanken Stamme der Rebe bis zu den Wipfeln der Eichen hinanreichen und von da malerisch in das schattige Waldesdunkel herabhangen, ist nach Kerner (Pflanzenlebeii der Doiiaulander, p. 42) der Weinstock wahrscheinlich einheimisch, ebenso findet er sich dort haufig in den aus Erlen bestehenden Uferwaldern. Ob die haufig auf den Auen der Donau und March unterhalb Wiens vorkommenden Reben wild oder ver- wildert sind, lassen die osterreichischen Floristen noch unentschieden, doch mochte ich auch hier ein von der Kultur unabhangiges Einwandern Mr das Wahrscheinlich ere halten. Siidlich der Donau ist der Weinstock auf der Balkanhalbiusel sicher wild; ich sah ihn selbst als kraftige Liane in den dichten Waldern von Bujukdere bei Constantinopel ; sowohl in der Dobrud- scha wie im Balkan und dem Rhodopegebirge, wo er bis in die Buchenregion hinaufsteigt, ist er sehr verbreitet (Velenovsky, Flora bulgarica p. Ill), sehr haufig auch in Waldern und Gebiischen, namentlich in Eichenwaldern Thra- ciens, haufig auf der Insel Tasos, in Gebiischen der Ebene Tettovo bei Cal- candela, in Siidalbanien (Grisebach, Spicilegium Florae rumelicae I, p. 153). In grosser Ueppigkeit sah ich selbst die Rebe im Tempethal und am Wege von da nach Larissa. In Sibthorp's Florae graecae prodr. I wird die Rebe als »ad fluviornm margines Graeciae omnino indigena« bezeichnet; das Aui- finden von Weinkernen in Tiryns (Wittmack in Tageblatt d. Vers. der Natur- forscher und Aerzte in Berlin 1886, p. 194) ist nicht von grosser Bedeutung, da die Weinkultur jener Zeit anderweitig hinreichend verbiirgt ist, Auch Visiani, der Florist Dalmatiens, giebt an, dass die Rebe an Hecken in ganz Dalmatien, selbst in der Bergregion, wild sei. Dagegen sagt G. von Beck in seiner Flora von Siidbosnien und der angrenzenden Herzegovina: »Ueberall verwildert im Drinathal, an der Narenta«, doch ist mir kein triftiger Grund gegen die Annahrne des spontanen Vorkommens in diesem Gebiet erfindlich. Der vortreffliche Florist Italiens Parlatore, welcher die grosste Sorgfalt auf die Standortsangabeii verwendete, giebt in seiner Flora italiana V. 483 an,

Der Weinstock. $9

class der Weinstock sowohl auf der Halbinsel, wie Sicilien, Corsica und Sar- dinien in Gebtischen und Macchien der Olivenregion, wie er glaube, heimisch oder seit den altesten Zeiten verwildert sei; dagegen ist er geneigt anzunehmen, dass in den mittleren und nordlichen Theilen der Halbinsel, wo die Wein- rebe auch in der Eichenregion vorkommt, weniger haufig und kraftig ist, wahrscheinlich verwildert sei. Es ist aber bei der Continuitat aller an- gegebenen Fundorte die Annahme der Verbreitung vor der Einfuhrung der Kultur fiir mich das Wahrscheinlichere, zumal mit Riicksicht auf die oben erwahnten fossilen Funde. Der* Florist von Tirol, v. Hausmann, erklart sich entschieden fur das Indigenat der Rebe im Etschlande: »Wild kommt die Rebe im ganzen Etschlande allenthalben im Thai an Zaunen, in Hecken und Auen vor.« Dagegen sind die Schweizer Floristen meist geneigt, die in der Schweiz ausserhalb der Kultur vorkommenden Reben als verwildert anzusehen. Im siidlichen Spanien, wo in einzelnen waldreichen Thalern, namentlich der Provinz Almeria, die kleinfriichtige Rebe armsdicke Stamme entwickelt und hoch in die Wipfel der Baume aufsteigt, diirfte sie auch ursprunglich wild sein; auch in Neu-Castilien und selbst im nordlichen Spanien bei Bilbao lindet sich diese Form der Rebe noch sehr haufig in Hecken und Hainen. Willkomm (Prodromus Florae hispanicae III. 2, p. 567) sieht die Rebe zwar auch als verwildert an; aber das urspriingliche Vorkommen im Siiden der iberischen Halbinsel ist auch deshalb wahrscheinlich, weil sowohl bei Algesiras als auch im siidlichen Portugal » Rhododendron baeticum Boiss. etReut.« vor- kommt, welches mit dem am Siidrande des schwarzen Meeres von Bithynien bis zum Kaukasus verbreiteten Eh. ponticum L. identisch ist, einem bei uns jetzt vielfach kultivirten Strauch, der in interglacialer Zeit auch noch bei Innsbruck in einer Hohe von 1000 -1200m zusammen mit Linde, Ahorn, Fichte vorkam (vergl. v. Wettstein in Sitzungsber. d. Kais. Akad. d. Wise, in Wien, Bd. XCVII. Abth. 1, 1888 und Denkschr. derselben Akad. Bd. LIX., 1892). Es ware sonderbar, wenn die Samen der Weinrebe sich nicht auch bis Spanien und Portugal verbreitet hatten, da es doch die Samen jenes Rhododendron gethan haben. Nachdem jetzt in Frankreich die wilde Wein- rebe fossil nachgewiesen ist, mehren sich auch die Angaben tiber das gegen- wartige Vorkommen von wildem Wein; Sagot fand solchen in einem Wald bei Belley (Dep. Ain), Carriere bei St. Amans (Dep. Cher), Planchon bei Montpellier und in den Sevennen etc. etc.; sie ist verbreitet in Sud-, Mittel- und Ostfrankreich. Ebenso finden sich wilde Reben in Baden und im Elsass ; Oberlin (Pomologische Monatsschrift VII. 1881, Heft 1, S. 20, 21) fand neun Standorte wilder Reben auf dem rechten Rheinufer zwischen Rastatt und Mannheim, zwei auf dem linken bei Strassburg und Speier, meist in den Waldungen, durch Winterfroste nicht leidend.

Verfolgen wir das Vorkommen der wilden Rebe durch Kleinasien nach Nordafrika, so finden wir Angaben tiber das Vorkommen der wilden. Rebe in Anatolien (Boissier, Flora orientalis) und Palastina (v. Klinggraff in Oest. Bot. Zeitschr. XXX), dagegen keine liber spontanes Vorkommen in Arabien und Aegypten, wo aber die Kultur nach den von Prof. Schweinfurth ge- machten Funden von Totengaben mindestens bis in die Zeit der XXI. Dy- nastie zuriickreicht (vergl. Schweinfurth in Engler's bot. Jahrb. V, S. 189). Von Tunis durch Algier bis Marokko ist die Rebe wahrscheinlich wild ; nach

90 Der Weinstock.

Cosson findet sie sich z. B. im westlichen Tunis am Dschebel Cheban, fern von aller Kultur ; in Algier ist sie nach Cosson und Battandier sehr ver- breitet und in Marokko hat sie Ball beobachtet (vergl. Planchon in De Can- dolle, Suites au Prodr. V. 2, p. 357). Leider hat es bis jetzt noch kein Botaniker unternommen , die wilden Keben dieser verschieclenen Gebiete genau zu studiren und zu classificiren; vor einigen Jahrzehnten hatte man vielleicht noch hier und da Beziehungen zwischen den wildwachsenden und den kultivirten Reben einzelner Gebiete herausfinden konnen, heutzutage, nach der Eiiifiihrung der amerikanischen Reben und nach wahrscheinlich auch schon weit gegangener Vermischung der Arten wird dies kaum noch moglich sein. Nur darauf sei hingewiesen, dass nach Kolenati (Bulletin de la soc. imp. des naturalistes de Moscou 1846 p. 279) in dem Gebiet zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer zwei entschieden wilde Formen vorkommen, die sich nicht bloss durch die Behaarung und Nervatur ihrer Blatter, sondern auch durch die Form und Farbe ihrer Beereii unterscheiden. Interessant ist auch die Angabe R. Gothe's (Ampelographische Berichte 1882 No. 5, p. 40), dass die aus dem westlichen Asien stammenden Kulturreben zu Vitis vinifera L. gehoren, dass dagegen die aus Ostasien erhaltenen Wein- sorten theils mit der japanischen V. Thunbergii Sieb. et Zucc., theils mit der chinesischen V. ficifolia Bunge verwandt sind, theils zur Gattung Cissus ge- horen. Endlich seien auch die Nichtbotaniker darauf aufmerksam gemacht, dass zahlreiche amerikanische Reben, vor alien Vitis Labrusca L., V. aestivalis Michx., V. riparia Michx., V. rotundifolia Michx. (V. vulpina Aut., Muscadine) nach der Entdeckung Amerikas in Kultur genommen sind. Im Gegensatz zu den vorhistorischen Resten des wilden Weins tragen die Merkmale des kulti- virten an sich die Beeren und Samen, welche in altagyptischen Grabern ge- funden wurden (vergl. A. Braun, iiber die im Kgl. Museum zu Berlin auf- bewahrten Pflanzenreste aus altagyptischen Grabern in Zeitschr. f. Ethnolosrie 1877, S. 289 310 und Schweinfurth , iiber Pflanzenreste aus altagyptischen Grabern, Ber. d. deutsch. bot. Ges. IF, 1884, S. 362, ferner Buschan a. a. O.r S. 222). Von besonderem Interesse aber und fur die Geschichte der Kultur- weinrebe in's Gewicht fallend ist der Umstand, dass nach Loret, la flore pharaonique, Paris 1887, S. 46 in den hieroglyphischen Texten bereits acht Weinsorten erwahnt werden. Wie es in dem Gebiet zwischen Schwarzes Meer und Kaspi-See, welches gern als die ursprungliche Heimath des Kulturweines angesehen wird, zu jener Zeit mit den Sorten oder Rassen bestellt gewesen sein mag, entzieht sich vorlaufig noch der Beurtheilung.

** Versuchen wir zunachst eine Uebersicht iiber die geographisclie Verbreitung der Benemiungen des Weins zu geben, indem wir die auf den eiuzelnen Gebieten jedesmal altesten Namen zusammenstellen, ohne in- dessen schon hier auf eine Erorterung des historischen Zusammenhangs der sichtlich mit einander zusammenhangenden Bezeichnungen naher ein- zugehen.

In Europa gilt iiberall die Sippe unseres deutschen ivein: goth. cein (ahd. truba, rebaj, slav. vino (altsl. yrozdu Traube), lit. ivynas, altir. fin, lat. vinum (wti8f

Der Weinstock. 91

tlva = lit. uge), griech. ^o-voc (a|j.7t?Xoc, oTacp'j)/rj, 436"poc), alb. vt'Jis (alb. harcU Weinstock, ruts Traube). Unter den asiatischen Indogermanen setzt sich diese Keihe in dem armenischen gini aus *voino-, *voinio- (orf Weinstock) fort, das auch im Kaukasus, in georgischen (g'wino) und lasischen Dialecten (g'ini) wiederkehrt. Hingegen erlischt dieselbe in den iranischen Sprachen. Die hier geltenden, ziemlich jungen Nameii des Weins, z. B. pers. mai, kurd. mei = scrt. •madhu findet man bei Pott in Lassens Z. f. d. K. d. M. V. S. 62. Vgl. auch Koppen, Holzgewachse I, 11(1 Ossetisch san vgl. Anm. 17. - - Wohl aber beherrscht das in Europa geltende W^ort auch den grossten Theil des seini- tischeii Sprachgebiets : hebr. jajin (aus *wain}} arabisch-aethiop. wain (vgl. F. Hommel, Z. f. d. K. d. M. 1889 S. 653 ff.). Ob diese Bezeichnung des Weines auch im Babylonisch-Assyrischen von Alters her vorhanden war, scheint noch zweifelhaft. P. Jensen (Z. f. Assyriologie I, S. 187) erblickt die lautgesetzliche Entsprechung von hebr. jajin in assyr. inu, wahrend F. Hommel das nur in den spaten Nationallexicis belegte Wort fur aram.-hebraische Entlehnung halt. Letzterer hebt auch hervor, dass eine Reihe semitischer, auf den Weinbau beziiglicher Ausdriicke: *karmu Weingarten, *gupnu Weinrebe, *inabu Wein- traube im Assyrisch-Babylonischen noch die allgemeinen Bedeutungen von Ackerland, Stamm, Pfahl batten, woraus geschlossen werden konne, dass der Weinbau in Mesopotamien von Haus aus fremd sei (Hommel, Die sprachge- schichtliche Stellung des Babylonisch-Assyrischen, Aufsatze und Abh. S. 94). Der spatere Name des Weines im Assyrischen war kardnu (vgl. griech. xapoivov), dessen wichtige Bezugsquelle fiir die assyrischen Konige, wie iibrigens auch fiir die persischen, die syrische Stadt Helbon, nordwestlich von Damaskus (E. Schrader, Die Keilinschriften und das alte Testament'2 S. 425 f.) war. Auch der sumerisch-akkadischen Urbevolkerung Mesopotamiens ware nach Hommel (Die Semiten, S. 408) der Weinstock unbekannt gewesen.

Ganz ohne Zusammenhang mit dem westsemitisch-indogermanischen Wort steht der altagyptische Name des Weines arp, der in der Form Ipsi? schon im Zeitalter der Sappho in Griechenland bekannt war (A. Wiedemann, Sammlung altag. W. S. 20). Ueber die Bedeutung des Weinbaus im alten Aegypten, der trotz Herodots Nachricht II, 77: 06 Y"P ac?' £'tcj- ^ Ttf X'"?!? afxrtsXoi von sehr friiher Zeit an hier nachweisbar ist, vergl. auch Woenig, Die Pflanzen im alten Aegypten, VII. Abschnitt. Hiernach Hesse sich an der Hand der bildlichen Darstellungen die Kultur des Weinstocks bis zur IV. Dynastie verfolgen (vgl. oben S. 90).

Zum Schluss dieser Uebersicht sei erwahnt, dass bei den Turko-Tataren zwar nicht der Wein, wohl aber die Weintraube eine gleichlautende Benennung iizilm, mong. udsiim tragt, woraus Vambery, Primitive Kultur S. 219 folgert, dass das ursprungliche Vaterland des Weinstockes auch die urbaren Oasen- lander im Osten des Kaspischen Meeres umfasst habe.

Es erhellt, dass unter den aufgezahlten Wortern der europaisch-semi- tische Name des Weines hauptsachlich unser Interesse in Anspruch nehmen muss. Wie ist dieser Zusammenhang geschichtlich zu erklaren? In dieser Beziehung muss zuerst gegen Hehn (oben S. 70) hervorgehoben werden, <lass an eine Entlehnung des griech. /olvo? aus dem hebr. jajin, wie auch der phonizische Ausdruck gelautet haben muss, nicht wohl gedacht werden darf, da bei dieser Annahme zunachst das anlautende w des Griechischen unerklart

92 Der Weinstock.

bleibt (vgl. z. B. den schon homerischen Flussnamen 'Icipov-voc in Elis und auf Kreta aus hebr. jarden Fluss). Dazu kommt, dass naeh den Ausfiibrungen A. Mtillers in Bezzenbergers Beitragen I, S. 294 fiir die semitischen Worter innerhalb des Semitischen eine Wurzel nicht nachweisbar 1st, so dass das Indigenat des Wortes *wainu im Semitischen von dieser Seite her nicht gestiitzt werden kann. Diese Ansicht M.'s ist bis jetzt von Niemandem widerlegt worden, auch nicht von Lagarde, der Mittheilungen II S. 356 neben ganz hin- falligen Semitischen Ableitungen von ajjuusXex; und (Jotpos auch an der Erklanmg von olvo? aus jajin festhalt (anders jedoch noch Armen. Stud. S. 35).

Eine andere Moglichkeit ware, dass die Jndogermanen und Semi ten gleichermassen von einem dr itt en Volke entlehnt batten. Thatsachlich wird diese Annahme durch F. Hommel vertreten, der in seinem Aufsatz Neue Werke tiber die Urheimath der Indogermanen (Archiv f. Anthrop. XV. Suppl. S. 163 ff. ; vgl. dazu Aufsatze und Abh. S. 102) der Meinung ist, dass die oben S. 91 genannten kaukasischen Benennungen des Weins (vgl. dazu auch Tomaschek Z. f. o. Gymn. 1875 S. 526) die gemeinschaftliehe Quelle sein, aus der sowohl die westlichen Indogermanen, als sie aus dem inneren Asien, nord warts des Kaukasus voruberzogen, wie auch die Semiten, als sie ebeii- falls auf dem Wege aus Innerasien nach Ablosung der Babylonier siidwarts des genannten Gebirges zogen, geschopft batten. Allein auch abgesehen da von, dass hier durchaus unbewiesene und unbeweisbare Volkerbewegungeii und Volkerlocalisationen angenommen werden, diirfte gegenwartig ein Zweifel claran kaum gestattet sein, dass die kaukasischen Worter einfache Entlehnungen aus dem Armenischen darstellen. Die westsemitischen Namen des Weins konnen also nur aus einer der obengenannten indogermanischen Sprachen stammen, und bedenkt man, dass in Klein- und Vorderasien die Natur dem Menschen in der Zeitigung der Friichte des Weinstocks soweit ent- gegenkommt, dass, wie A. de Candolle Ursprung der Kulturpflanzen S. 236 sagt, in Pontus, in Armenien, im Suden des Kankasus und des Kaspisees die Rebe den Anblick einer wildwachsenden Liane bietet, welche hohe Baume tiberzieht und ohne Schnitt oder irgend welche Kultur eine Menge von Friichten hervorbringt." so wird es am nachsten liegen, das westsemi- tische *wainu an das obengenannte armenische *voino-, *voinio- = gin'i oder eine diesem entsprechende Form aus einer indogermanischen Sprache des westlichen Vorderasieiis anzukntipfen. Wir denken dabei nicht mit Hehn (oben S. 70) an einen Ursitz der Semiten in der Nachbarschaft Armeniens ,,siidlich vom Siidrand des Kaspischen Meeres," eine Anschauung, gegen die auch E. Meyer Geschichte des Alterthums I S. 208 sich mit Entschiedenheit wendet, sondern begniigen uns mit der Annahme frtihzeitiger, teils kriegerischer, teils friedlicher Beziehungen semitischer und west-kleinasiatiecher Lander und Volker indogermanischen Stammes. Vielleicht hat die Spur einer Erinnerung an eine solche Herkunft der Weinkultur die biblische Sage von Noah, dem Weinbauer, bewahrt.

Dieses armenische *voino-. *vomio- = gini biklet nun zusammen mit dem illyrischen (albanesischen) *vaina = vcm und dem altgriechischen /oivoc: olvot; eine aufs engste zusammenhangende Gruppe der Benennungen des Weins, die (im Gegensatz zu den semitischen Namen) mit grosser Wahr- scheinlichkeit auf eine einheimische Wurzel zuriickzufiihreii ist, und zwar

Der Weinstock. 93

auf die Wurzel vei, die in lat. vieo, sich winden, in mtia und limen sowie in der Benennung des wilden Weins im Griechischen 6i4jv, 6».ov = J^t-j-^v, fi-j-w (G. Meyer, Griech. Gramm. 3. Aufl. S. 320) vorliegt (daneben vgl. das dunkle Hesychische TJtyva- TOV oivov. Kpv]tE?. ol 8s f^]^)- Dass aus derselben Wurzel auch Worter fiir weide etc. hervorgegangen sind, findet sein Analogon in dein glavischen loza (Miklosich Et. W. s. v.), das ebenfalls die Bedeutungen Wein- rebe und Weide in sich vereinigt.

Des nahereii lasst sich dieser Zusammenhang in einer doppelten Weise historisch erklaren. Entweder man nimmt an, dass bei den europaischen Indogermanen in vorhistorischer Zeit ein Wort *voino-, *voina in der Bedeutung Ranke, Weinstock vorhanden war. Dass hieraus sich, nachdem man gelernt hatte, aus der Frucht der Ranke ein berauschendes Getrank zu bereiten, sich die Bedeutung Wein entwickeln konnte, wird von Helm Anm. 29 mit Unrecht bestritten. Man braucht nur an das schon von Hesiod bezeugte oivrj Weinstock zu denken, welches spate r geradezu im Sinne von Wein gebraucht wird, oder sich solcher A.usdriieke, wie »bei einem Fass voll Reben«, »ein Glas Korn«, »eine Flasche Kiimmeh zu erinnern. Das lat. tem-$tum »Wein« hat nach den iiberzeugenden Ausf iihrungen Kellers Lat. Volkset. S. 261 f . ursprtinglich sogar >AVeingarten« bedeutet. ^atiirlich schwebte clem Sprechenden zu der Zeit, als oivoc Weinstock in der Bedeutung von Wein gebraucht wurde, die etymo- logische Grundbedeutung des Wortes (»rankende Pflanze«) nicht mehr vor. Haben wir oben (S. 64) den Schauplatz richtig bezeichnet, auf dem wir uns das letzte Zusammensein der europaischen Jndogermanen denken miissen, so wiirde nach den vorstehenden Mittheilungen (oben S. 88) des Herrn Botanikers das Vorhandensein des- wilden Weinstocks auf demselben in sehr alter Zeit wohl moglich sein. Oder aber und diese Auffassung diirfte nach Lage der Dinge vielleicht die grossere Wahrscheinlichkeit fiir sich haben der vorausgesetzte Uebergang eines Starames *voino-: vieo von der Bedeutung .,Rankeu zu der von,, Wein" hat nur auf einern der obengenannten Sprachgebiete, namlich auf dem armenisch-kleinasiatischen, stattgef unden , und das albaiiesische vens nebst dem griech. /oivo; stellen, ebenso wie das westsemitische *wainu, eine uralte, vorhistorische Entlehnung aus dem Armenisch- Kleinasiatischen dar. Da es sich hierbei um einen geographisch zusammen- hangenden Bereich idg. Sprachen : Altgriechisch, Altillyrisch, Thrakisch (Y«VO<; bei Suidas verschrieben fiir *-(aiVO~^ === *vaino-sty, Phrygisch-Armenisch handelt, so ware gegen die Annahme der friihzeitigen Wanderung eines derartigen Kulturbegriffs nichts einzuwenden.

Grosse Schwierigkeit macht dagegen die richtige Beurtheilung des lat. vinmn, umbr. vinu, volsk. vinu, osk. Vnnikiis, falisk. vinu. Rein lautlich ist nach unserem gegenwartigen Wissen fiir diese Worter allein die Ansetzung eines zu dem oben besprochenen *voino- ablautenden Stammes *vino- berechtigt (vgl. Planta Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte I. S. 279). Entschliesst man sich dennoch, mit Bartholomae (Wochenschrift f. klass. Phil. 1 895 S. 595) und H. Hirt (Anzeiger fiir idg. Sprach- und Alterthumskunde VI, 175), lat. vinum, aus dem die ubrigen italischen Formen entlehnt sein konnten, etwa unter Annahme einer Beeinnussung des zu erwartenden *voenum, *vunum durch das daneben liegende vitis auf *voinom zuriickzufiihren, so setzte sich also die oben besprochene Reihe armen. gini, alb. venr, griech. /otvoc bis zur

94 Der Feigenbaum.

Apeniiinhalbinsel fort. Nicht zufallig ist es wohl auch, dass neben alb. vens. griech. /otvoc, lat. vmum noch eine zweite sehr alte Benennung des Weins ungefahr dieselben Gegenden verbindet. Es ist dies thrak. Ci/.ai, maked. xdX'.O-oc, griech. x^C (zuerst bei Archilochus Bergk frgm. 78), denen sich ein aus dem lat. Falernus ager erschliessbares sabinisches *fali- Wein zugesellt. In keinem Falle wahrscheinlich ist der Hehn'sche Ansatz, dass erst in historischer Zeit die Griechen ihr otvo? in der Gestalt von vmum nach Italien gebracht batten, da es auch an sachlichen Anhaltspunkten daftir nicht fehlt, dass die griechischen Colonisten Weinstock und Weinbau auf der Apeniiinhalbinsel schon vorfanden (vgl. W. Helbig Die Italiker in der Poebene S. 109 und P. Weise Ueber den Weinbau der Romer. Progr. Hamburg S. 4).

Hinsichtlich der nordeuropaischen Ausdrticke, goth. vein, IT. fin, slav. vino, lit. wynas zweifelt wohl niemand mehr, dass sie aus dem Lateinischen direkt und indirekt entlehnt sind.

Die Ausftihrungen Hehn's tiber die Wanderungen der Weinkultur werden durch unsere Darstellung nicht wesentlich beeintrachtigt. Nament- lich bleibt es in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Ausbreitung der- selben tiber die Balkanhalbinsel in zwei Richtungen, einer von Norden (Thrakien) und einer von Osten (tiber die Inseln) ausgehenden sich vollzogen hat; nur dass diese beiden Faden wahrscheinlich nicht bei einem semi- tischen, sondern bei einem indogermanischen Volk des westlichen Kleinasien zusammenlaufen. In das Gebiet des letzteren Kulturstroms gehort auch in dieser Beziehung die »mykenische« Periode; denn dass man an den Konigs- hofen von Mykenae, Tiryns u. s. w. bereits wacker dem Tranke, der dazu geschaffen ist

(Athen. II, S. 35 c.), zugesprochen hat, ist nicht zweifelhaft. Vgl. zu oben S. 88 Schliemann, Tiryns S. 93. Auch Herr Tsuntas glaubt in Mykenae am Boden eines Thonfasses Spuren des Niedersatzes von Wein oder Essig erkamit zu haben. Vollstandige Litteraturangaben tiber alles sprachlich hierher gehorige bei Muss-Arnolt, Transactions of the American Phil. Asso- ciation XXIII, S. 142 ff. und bei H. Lewy Die semitischen Fremdworter im Griechischen S. 79 f .

Der Feigenbaum.

(Ficus carica L.)

An die Rebe schliesst sich von selbst die Feige an, die Schwester des Weinstocks, wie sie schon der lambograph Hipponax nannte (Fragm. 24. Bergk.) :

2vxi]v [ishcuvav ydjiiTiehov xa^yvr^xr^v.

Der Feigenbaum hat im semitischen Vorderasien, in Syrien und Pa- lastina sein eigentliches Vaterland und erreicht dort das iippigste

Der Feigenbaum. 95

Wachsthum und die siisseste Fruchtfiille. Das Alte Testament er- wahnt des Baumes oft, vorzuglich in Verbindung mit dem Weinstock, und ist voll von Bildern und Gleichnissen , die daher entnommen sind; unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen oder von seinem Weinstock und Feigenbaum essen - - heisst so viel als eines ruhigen, friedlichen Daseins geniessen. Auch in Lydien galten Wein und Feigen so sehr als die ersten Giiter des Lebens, dass diejenigen, die dem Krosus den Zug gegen Cyrus abriethen, sich darauf be- riefen, die Perser tranken nicht einmal Wein, sondern Wasser, und batten auch keine Feigen zur Nahrung (Herod. 1, 71). Eben so in Phrygien: der komische Dichter Alexis nannte die getrocknete Feige, die ia%dg, eine Erfindung der phrygischen ffcxf) (Meineke, Fr. com. Gr. 3, p. 456). Aber auf den nahe gelegenen kleinasiatischen Kiisten und Inseln findet sich die Feige als Fruchtbaum zur Zeit und im Kreise der Ilias noch nicht, um so weniger folglich auf dem griechischen Festlande. Erst in der Odyssee tritt der Feigenbaum auf, aber auch bier nur an Stellen, deren nachtragliche Einfiigung sichtlich ist. In dem Liede von Odysseus Niederfahrt zur Unter- welt, welches selbst aus verschiedenen Stiicken von verschiedenem Alter zu bestehen scheint, hangen iiber dem hungernden Tantalus unter anderen Friichten auch Feigen herab, 11, 588:

Nieder am Haupt ihm senkten die Frucht hochblattrige Baume, Voll von Granaten und Birnen und glanzvoll prangenden Aepfeln, Auch siisslabenden Feigen und grunenden dunklen Oliven.

Die beiden letzten Verse finden sich dann in einem Bruchstiick wiederholt, das in die alterthiimliche Beschreibung vom Palast des Alkinoos mit Unterbrechung des Zusammenhangs mitten eingeschoben ist (7, 103 131) und ausser dem Hauswesen auch den Garten des Phaakenkonigs schildert, in welchem Traube an Traube, Feige an Feige unverganglich sich reiht. Endlich in den letzten Scenen der Odyssee, einem jungen Anhangsel, erscheint Laertes als Pflanzer auch von Feigenbaumen. Hesiodus kennt die Feige und deren Kultur noch gar nicht; bei Archilochus aber (um 700 v. Chr.) er- scheint sie sicher als Product seiner heimathlichen Insel Paros (Fragm. 51. Bergk.):

"Ea Jldgov xal Gvxa xslva xai tfahdffffiov fitov

ein Vers, der vielleicht nicht viel j linger ist, als die letzterwahnte Stelle der Odyssee. Spater rtihmte sich Attika, neben Sikyon, der besten Feigen, ja die Derneter hatte auf attischem Gebiet dem

gg Der Feigenbaum.

Phytalus, der sie gastlich aufgenommen hatte, den Feigenbaum als Geschenk aus der Erde spriessen lassen, wie bei anderer Gelegen- heit Athene den Oelbaum, und Pausanias las noch die Grabschrift des Heroen, 1, 37, 2:

Hier hat Phytalos einst, der Held, die hehre Demeter Gastlich empfangen und hier zuerst erschuf sie die Frucht ihm, Die von dem Menschengeschlecht die heilige Feige genannt wird; Seitdem schmiickt des Phytalos Stamm nie alternde Ehre.

Dass dies Geschenk zugleich als Beginn eines edleren, gebildeteren

Lebens gefuhlt wurde, geht aus dem Namen ^YI^T^Q ia, yyywQla

hervor, mit dem eine am Feste der Plynterien in Athen aufgefiihrte

Masse trockener Feigen benannt wurde: die Kultur der Feige er-

schien gleichsam als Fiihrerin zu reinerer Sitte35). Wein und

Feigen wurden in Griechenland ein allgemeines Lebensbediirfniss,

dem Armen und dem Reichen gemeinsani, und wie der Araber sich

mit einer Handvoll Datteln begniigt, so reichten auch einige trockene

Feigen dem attischen Miissigganger hin, wenn er gaffend und je

nach der Jahreszeit im Schatten oder in der Sonne liegend den Tag

verbrachte. Was von Plato erzahlt wird, er sei ein Feigenfreund,

yihGtivxog, gewesen (Plut. Symp. 4, 4, 5), gait irn Grunde von jedem

Athener, und wie stolz der Letztere auf dies Product seines Bodens

war, lehrt die Sage vom Perserkonig Xerxes, der bei jeder Mittags-

tafel durch vorgesetzte attische Feigen sich daran erinnern liess, dass

er das Land, wo sie wiichsen, noch nicht sein nenne und jene

Fruchte, statt sie sich von deri Einwohnern steuern zu lassen, als

auslandische kaufen miisse (Athen. 14, p. 652. Plut. Reg. Apophth.

Xerx. 3). Der persischen Knechtschaft nun erwehrte sich die Stadt

der Sykophanten, aber der Auflosung politischer Moral, an die

dieser von den attischen Feigen hergenommene Name erinnert, und

dem daraus folgenden Verderben entging sie nicht. - - Mit der grie-

chischen Colonisation muss auch der Feigenbaum zu den Stammen

Unter- und Mittelitaliens gedrungen sein. Er findet sich in die

romische Ursprungssage verflochten, denn unter der ficus Ruminalis

sollten Romulus und Remus von der Wolfin gesaugt worden sein

ein Zug der Sage, der offenbar ganz der namlichen Symbolik,

nach welcher der strotzende fruchtreiche Baum ins hebraische Eden

versetzt wurde, sein Dasein verdankt36). Spater in der Kaiserzeit

waren der Sorten und Benennungen schon so viele geworden, dass

Plinius den gedankenvollen Ausspruch thut, man ersehe daraus wohl,

class das Bildungsgesetz, welches die Arten in festem Typus erhalt,

Der Feigenbauin. 97

schwankend geworden sei, 15, 72: ut vel hoc solum aestumantibus adpareat, mutatam esse vitam. Noch zur Zeit des Kaisers Tiberius wurden edle Feigenarten direct von Syrien nach Italien versetzt (Plin. 15, 83). Wie damals, ist noch heut zu Tage die Feige, so- wohl frisch als getrocknet, die allgemeine und gesunde Nahrung des Volkes in Italien, besonders im siidlichen Theile des Landes. Neben den einmal jahrlich tragenden Baumen giebt es eine Varietat, die zweimal tragt, im Sonimer und im Spatherbst: ficus bifera. Die reifen Friichte miissen sogleich nach dem Abpflticken gegessen und diirfen nicht viel mit den Fingern beriihrt werden : daher die drastische Argumentation des Cato im romischen Senat , der eine Feige aus Karthago vorwies, die noch vollig frisch war: tarn prope a muris habemus hostem (Plin. 15, 75). Sie war wohl, diirfen wir ratio- nalistisch hinzusetzen, unreif gepfliickt und durch Zeit und Drdcken reif geworden. Die Feigen von Smyrna, die wir jetzt fur die besten halten, kamen auch schon im Alterthum unter dem Namen caricae und cauneae nach Italien und wurden damals, wie jetzt, gepresst in Schachteln versandt. Auch die ficus duplex des Horaz (Sat. 2, 2, 122) trifft man noch in Unteritalien und kann das Verfahren dabei aus der Anschauung leichter kennen lernen, als aus den Worten der Alten. Wie von alien viel angebauten Kulturfriichten gab es und giebt es auch von der Feige eine Menge Spielarten, besonders aber, wie bei dem Wein, zwei Hauptsorten, die purpurrothen und die griinlichen, auch jetzt noch neri und bianchi genannt. Die letzteren als die siisseren dienen mehr zum Trocknen, die ersteren von mehr sauerlichem Geschmack werden frisch verzehrt. In der heissen Zeit erquickt der Baum zugleich mit den riesigen Blattern an den winkligen, gliederreichen Zweigen durch erwiinschten Schatten - im heutigen Griechenland und Italien, wie zur Zeit des Alten Testa- ments in Palastina; im verwilderten Stande wachst er malerisch aus den Spalten alter Mauern und in den Ruinen und an Felsen; sein Holz, ein inutile lignum, d. h. ein schwammiges, leicht berstendes und sich werfendes, so lang es frisch ist (daher Ausdriicke wie avxivog avr^Q bei Aristophanes), soil nach gehorigem Trocknen hart und fest werden wie Eichenholz.

* Was wir liber die Geschichte und die Verbreitung des Feigenbaumes wissen, ist bereits in der klassischen Abhandlimg von Graf zu Solms- Laubach, Die Herkunft, Domestication und Verbreitung des gewohnlichen Feigenbaumes (Abhandl. der Konigl. Ges. d. Wiss. zu Gottingen XXVIII.

Viet. Hehn, Kulturpflanzcn. 7. Aufl. 7

98 Der Feigenbaum.

1882) zusamrnengestellt. Die jetzt in Siideuropa so verbreitete Feige gehort der grossen in alien warmeren Landern mit etwa 600 Arten entwickelten Gattung Ficus an und zwar der nnr in Asien, Ostafrika und Europa ent- wickelten Section Eusyce Gasp. Innerhalb dieser Section existiert eine Gruppe von einigen der gewohnlichen Feige sehr ahnlichen und einander so nahe- stehenden Arten, dass iiber deren gemeinschaftlichen Ursprung kein Zweifel bestehen kann.

Alle diese Arten haben das charakteristische allbekannte Blatt des ge- wohnlichen Feigenbaumes mit geringen Variationen in der Gestalt und starkeren in der Haarbekleidung. Es steht nun unzweifelhaf t fest, dass dieser Typus und zwar die jetzt in Siideuropa weit ver- breitete Ficus Carica in der Quartar- oder Diluvialperiode bereits im westlichen Theil des Mediterrangebietes existirte, ja sogar nordwarts von den Grenzen der heutigen Mediterranflora in Westeuropa vorkam. Es wurden grosse Mengen von Feigenblattern und auch Hohl- drucke von Fruchtstanden in den quaternaren Travertinen Toscanas, bei Prota, Gallerage, Poggio a Montone gefunden (Gaudin et C. Strozzi, Contri-, butions a la flore fossile italienne, 4. memoire in Neue Denkschr. d. allg. schweizerischen Ges. f. d. ges. Naturwiss. XVII. (1860) p. 10); ferner in Tuffen von Meyrargues und Aygalades bei Marseille (Saporta in Comptes rendus de la 33 e session du congres scientifique de France p. 27), in Siiss- wasserbildungen von Castelnau bei Montpellier (Planchon, Etude des tufs de Montpellier, Paris 1864 p. 44, 63), in Tuffen von la Celle bei Moret und bei Paris (Gast. de Saporta, Sur 1'existence constated du Figuier aux environs de Paris a 1'epoque quaternaire, Bull. soc. geol. de France, ser. III. vol. 2 (1873—74), p. 442).

Da nun in den so zahlreichen tertiaren Ablagerungen Europas der Typus der Ficus Carica nicht vertreten ist und ausserdem dieser Typus in Westasien und Ostafrika reicher entwickelt ist, so ist es allerdings, wie Graf Solms-Laubach annimmt, durchaus wahrscheinlich, dass die europaische Feige aus dem Osten stammt; aber sie hat sich schon in vorhistorischen Zeiten von Osten nach Westen verbreitet, als sie noch nicht Kulturpflanze geworden Avar.

Die heutige Verbreitung der wilden Ficus Carica und ihrer Verwandteii ist folgende:

Beginnen wir im Osten, so haben wir zunachst Ficus palmata Forsk. (= F. virgata Koxb.) zu nennen, welche in den niederen Gebirgen des west- lichen Indiens vorkommt und ihre ostliche Grenze in Kamaon und Oudh erreicht, im Satletschthal bis fast 3000 m aufsteigt, in der obereii Ganges- ebene, im Pendschab, Sud- Beludschistan und Afghanistan vorkommt und auch in diesen Gebieten als Essfeige kultivirt wird (Brandis, Forest Flora 419); da nach King (The species of Ficus etc. II. 148, Calcutta 1888) die ostindische Pnanze von der durch Forskal in Arabien entdeckten F. palmata Forsk. nicht verschieden, so erstreckt sich das Areal dieser Art bis Aegypten und Abyssinien. Eine zweite Art ist F. serrata Forsk., welche am Sinai und in den agyptischen Wiisten am Rothen Meer vorkommt. F. geraniifolia Miqu. (F. persica Boiss.^) wachst im siidwestlichen Persien haufig und auch in Beludschistan. F. Pseudo-Carica Hochst. vertritt den Typus in der Woena-

Der Feigenbaum. 99

Dega Abyssiniens. F. Carica selbst wachst sehr gern wild in Felsspalten, ihr Areal ist, ganz abgesehen von dem durch die Kultur gewonnenen, viel ansgedehnter als das der iibrigen Arten. Sie findet sich ebenfalls im nord- westlichen Ostindien, in Beludschistan, dem ostlichen, stidlichen und sud- westlichen Persien, in Mesopotamien und ganz Kleinasien, sie ist ferner ver- breitet vom Talysch entlang dem Siidufer des Kaspischen Meeres, durch ganz Transcaucasien, bis zu einer Hohe von fast 1000 m, sodann auf der Krim ; in der europaischen Tiirkei findet sie sich am Bosporus und Hellespont, sodann in den warmeren Theilen Macedoniens und Thraciens ; haufig ist sie in ganz Griechenland und auf den griechischen Inseln, ebenso in Italien und auf den dazu gehorigen Inseln in der Olivenregion, sodann auch an warmeren Platzen der Kastanien- und Eichenregion. Sicher ist sie auch wild in Siid- tirol bei Bozen, wo sie eine kurze, nicht anhaltende Kalte von 10° C. un- bedeckt zu ertragen vermag (v. Hausmann, Flora von Tirol II. 1. S. 713). In Spanien ist sie wild verbreitet, besonders in den siidostlichen Provinzen, woselbst sie bis zu 1300 m vorkommt. In Frankreich ist sie sicher wild in der Provence; Zweifel tiber das Indigenat des Feigenbaumes bestehen nur beziiglich seines Vorkommens im westlichen Frankreich in den Departements Charente-inferieure, Deux-Sevres und Finisterre; sie wachst auch da zerstreut an Felsen. Da die kultivirte Feige in diesen Gebieten nicht Samen reift, so ist es aber sehr fraglich, ob die Samen dieser nicht gepflanzten Feigen von den dort kultivirten abstammen; es ist sehr wohl moglich, dass die Samen aus dem stidwestlichen Frankreich nach dem westlichen durch Vogel trans- portirt sind. So sind die nordlichsten Standorte der Feige nicht mehr weit entfernt von den Anfangs erwahnten prahistorischen bei Paris. Sicher war die Feige, als sie in Siideuropa in Kultur genommen wurde, ein dort ein- heimisches Gewachs. Ebenso ist die Feige hochst wahrscheinlich wild in Arabien und Nordafrika bis Marokko und ebenso auf den Kanaren. Der sogenannte Caprificus, welcher sich vorzugsweise im wilden Zustande v or findet, ist nicht, wie Graf Solms-Laubach anzuiiehmen geneigt war, die einzige wildeUrform der Kulturfeige, sondern er ist, wie Fritz Muller betonte und nachher auch Graf Solms in einer zweiten Abhandlung (Die Geschlechtsdifferenzirung des Feigenbaumes, in Bot. Zeitung 1885 No. 33—86) bestatigte, die mannliche Pflanze, die Ess- feige dagegen die weibliche Pflanze, welche in der Kultur weiter ausgebildet und fixirt wurde. Hierzu sei bemerkt, dass sparliche Samen- bildung bei dem Caprificus auch vorkommt, dass er aber vorzugsweise mann- liche Bliithen entwickelt, deren Bluthenstaub von den Blastophagen, welche sich in den Gallenbliithen des Caprificus entwickelt hatten, auf die weiblichen Stocke getragen wird und dort zur Befruchtung gelangt. Mit der Erfindung der Caprification war die Moglichkeit gegeben, zahlreiche weibliche Stocke durch einen mannlichen zu befruchten; diese Erfindung der Caprification ist aber sicher von den Semiten Syriens und Arabiens gemacht worden; durch sie wurde jedenfalls die Kultur des im Mittelmeergebiet heimischen Feigen- baumes in Griechenland, wahrscheinlich auch in Nordafrika, Siidportugal, Siidspanien und Sicilien eingeftihrt, woselbst die Caprification auch noch heute zu Hause ist. (Vergl. Graf Solms, Die Herkunft etc. S. 78—83.) In Italien dagegen wird die Caprification nicht ausgeiibt; dies lasst nach den

100 Der Feigenbaum.

Ausfiihrungeii von Graf Solms (a. a. O. S. 85 1)5) darauf schliessen, class die Feige den Bewohnern Italiens wohl bekannt war, dass sie aber wahrschein- lich im Verkehr mit den ostlichen Volkern die von diesen erzogeiien besseren Rassen iiberkamen, deren Vermehrung durch Stecklinge erfolgte und bei \velchen die Entwicklung fleischiger zuckerreicher Bliithenstaride auch ohne die Caprification eintritt. Hinsichtlich der Geschichte der Kulturfeige scheint nach Buschan (Vorgeschichtliche Botanik S. 112) sich zu ergeben, dass in der friihgeschichtlichen Zeit die Kultur auf Syrien, Aegypten und Arabien be- schrankt war und dass sie verhaltnissmassig spat in Griechenland Eingang fand; noch spater in Italien. Nichts desto weniger kannte man schon zur Zeit des Plinius in Italien 29 Sorten (Hist. nat. XV, 18 nach Buschan, a. a. O. S. 113).

** Mit der Annahme des Grafen Solms, der Ursprung der griechischen und der romischen Feigenkultur sei ein verschiedener gewesen und die letztere nicht aus ersterer ableitbar, stehen die sprachlichen Thatsachen nicht in Widerspruch; denn es wird heute kaum jemand mehr geneigt sein, das laL ficus fur eine Entlehnung aus griech. ouxov zu halten.

Schwieriger freilich ist es, liber den Crsprung dieser beiden Worter etwas Positives auszusagen (vgl. die alteren Ansichten Anm. 36).

Graf Solms (S. 80, 81) gelangt an der Hand von Gutachten Lagarde's (Ueber die semitischen Namen des Feigenbaums und der Feige, Mittheil. I, 58 ff.) und Noldeke's zu der Ueberzeugung, dass das lat. ficus eine directe Entlehnung aus dem Phonikischen (paggim, halbreife Feigen, vgl. auch syr. paggd und arab. figg, fagg] sei. Bei dem Wenigen und Zweifelhaften, was wir uber semitisches Lehngut im Lateinischen wissen, ist es leider nicht moglich, diese kulturhistorisch sehr wahrscheinliche Ansicht lautlich mit Sicherheit anzunehmen oder zu verwerfen. Als auf eine Sttitze fiir diese Erklarung kann man auf das freilich erst von Plinius iiberlieferte coitana, coctana, eine Art kleiner Feigen verweisen, das man aus dem hebraischen qdton zu erklaren pflegt (O. Weise, Griech. W. im Latein. S. 139, Keller, Lat. Volksetymologie S. 65). Was ooxov, TOXOV, von dem auch Hehn, Anm. 36 oixoa, oixo? Gurke nicht trennen wollte, betrifft, so halten wir den einheimischen Ursprung des Wortes fiir noch am wahrscheinlichsten. Wir nehmen mit Rticksicht auf altsl. tylty Kiirbis ein vorhistorisches *tveqo- und *luqo- (vgl. auch Fick, Vergl. W. I4 S. 449) an, welche eine gurkenartige Frucht bedeuten mochten (vgl. weiteres u. Cucurbitaceen). Von diesen beiden Grundformen spiegelt sich die erstere in griech. osxooa (Hesych), otxua, oUoc Gurke (i aus e noch unklar wie in vielen Fallen, vgl. G. Meyer Griech. Gr.3 S. 108), die letztere in unserem TOXOV und (mit Anlehnung des Anlauts an die erstere Formation) in ooxov ab.

Diese Benennung iibertrugen die Griechen, als sie bei ihrer Ankunft in Hellas auf den wilden Feigenbaum stiessen (s. o.), nach einer oberflach lichen Aehn- lichkeit, die in ihrer Bedeutung fiir die Namengebung uns noch ofters in diesem Buche begegnen wird, zunachst auf die Fruchte des Iptvsoc, dann, als man von Asien her die Essfeigen kennen lernte, auf die der OOXYJ. Es trat also eine Bedeutungsdifferenzirung ein, die, wie so oft, von einer Formendiflfereiizirung insofern begleitet war, als allmahlich otxuc nur fur Cucurbitaceen, auxov nur fiir Feigen gebraucht wurde.

Der Feigenbaum.

Anderer Ansicht iiber griech. ooxov sind freilich Bartholomae (Wochen- schrift fur klass. Phil. 1895 S. 595) und H. Hirt (Anzeiger fur idg. Sprach- und Alterthuniskunde VI, 175), die beide einen vorhistorischen Zusammenhang des griech. Wortes mit lat. ficus fiir moglich halten, indem der erstere fiir beide Worter eine Grundform *tje° oder *dhje°, der letztere ein *j)vuko-s ansetzt. Zu bedenken bleibt endlich das armenische t'uz Feige (== idg.. *tuy1i), ohne dass es bis jetzt moglich gewesen ist, das Verhaltniss dieses Wortes dem griech. coxov, toxov gegenuber festzustellen.

Die Einfuhrung der Feigenkultur in Griechenland wiirde nach Hehn's Ausfiihrungen erst in nach- oder spathomerischer Zeit erfolgt sein, und wir wiissten nicht, was sich Sachliches hiergegen einwenden liesse. Einigermassen auffallend ist vielleicht bei dieser Annahme die schon in den altesten Theilen der Ilias vorkommende Benennung des wilden Feigenbaumes, da dieser Name mit dem Sinne »Bocksfeigenbaum« (vgl. Anm. 18) einen Gegensatz zur »Ess- feige« anzudeuten scheint. Oder hatte man dabei einen Gegensatz zu anderen Fruchtbaumen im Auge? Aber solche werden von Hehn fiir die alteste homerische Zeit kaum angenommen. - - Der Ausdruck o^ovfroc, ion. oXovfto; (vgl. namentlich Herodot I, 193: 'I>Y]voc<; Y«? O"*] <popsooa'. ev TCO xaprcu) ol epoeve? (tu»v <p«vHiu>v) xata-=p rA oKov&ot) ist leider ganz dunkel.

Jedenfalls hat der griechische Name der Feige nichts mit der semitischen Benennung des Feigenbaums oder seiner Frucht zu thuii. Im Semitischen heisst der Feigenbaum * ti'nu, die Feige * balasu. Der erstere Ausdruck begegnet im Hebraischen, Phonikischen (vgl. Bloch, Phonikisches Glossar), Aramaischen und Arabischen, der letztere im Hebraischen, Arabischen und Aethiopischen (vgl. Lagarde, Mittheilungen I, S. 58 ff.). Eine lehrreiche Ableitung von letztere m Wort, boles xiqmim »Jemand der an der Sycomore eine Operation besorgt, ahnlich derjenigen, die am Feigenbaume iiblich ist«, findet sich bereits Amos c. 7, v. 14 und beweist, dass schon damals die Kenntniss der Caprifi- cation bei den Juden verbreitet war (vgl. Graf Solms a. a. 0. S. 75 f.). In beiden Fallen versagt, wie beim Wein und Oelbaum, das Babylonisch-Assy- rische (vgl. aber bei Delitzsch Assyrisches Handworterbuch S. 716 tittu (aus *tintu?) ein Baum?*, woraus zu folgen scheint, dass die Feigenkultur nicht der ursemitischen Zeit angehort. In Uebereinstimmung hiermit will Lagarde aus der Lautgestalt des oben genannten * ti'nu Feigenbaum es wahrscheinlich machen, dass dieses Wort nicht der Zeit vor der Trennung der Semiten in ein'zelne Nationen angehorte, sondern seinen Ausgangspunkt im Clan Bahra des siid-ostlichen Arabiens habe, von wo Wort und Sache sich dann weiter verbreitet habe. Graf Solms (S. 78) halt diese Anschauung, auch aus natur- geschichtlichen Griinden, fiir glaubhaft.

In Aegypten fallt die erste Darstellung eines Feigenbaums, die Ab- bildunur einer Feigenernte, in die XII. Dynastie. Da bis zu diesem Zeitraum nach Wonig (Die Pflanzen im alten Aegypten S. 293) der Feigenbaum auf den Denkrnalern fehlt, so liegt es nahe, an eine Einfuhrung dieses Gewachses um jene Zeit von auswarts zu denken. Nun fallt bekanntlich in die letzten Jahre der XI. Dynastie die Expedition des Konigs Sanchkara durch die Wttste zurn Rothen Meer, um die Kostbarkeiten des Landes Punt (im siidlichen Arabien) einzutauschen. Es scheint daher nicht unmoglich, die agyptische mit dem hypothetischen Ausgangspunkt der semitischen Feigenkultur in Ver-

102 Der Oelbaum.

bindung zu setzen. Nach F. Hommel (Aufsatze mid Abh. S. 105) ware sogar Entlehnung des agyptischen Wortes fur Feige aus dem Semitischen moglich. Vgl. auch Schweinfurth, Zeitschrift fur Ethnologic 1891 S. 657.

Nordlich der semitischen Lander zeigt, wie wir oben sahen, das Ar- menische eine selbstandige, leider dunkle Benennung des Feigenbaums (t'zeni) und der Feige (t'uz).

Eine grossere Gruppe zusammenhangender, aber offenbar junger Be- nennungen der Feige weisen ferner die neuiranischen Sprachen (kurd. ezir, buchar. indschir, afgh. intsir), kaukasische und turkestanische Dialecte, sowie auch das Russische (indzaru) auf. Vgl. Pott in Lassens Z. f. d. Kunde d. Morgenlands VII S. 110, Koppen, Beitrage zur Kenntniss d. russischen Reiches VI S. 22 und Miklosich, Turk. Elemente S. 76.

Wahrend das nordliche Europa zur Bezeichnung der auf Handelswegen zugefuhrten Frucht im Allgemeinen Entlehnungen aus lat. ficus beherrschen im Russischen bedeutet indessen pigva = ahd. figa Quitte hat das Gothische einen besondern Ausdruck smakka, smakkabagms, der mit dem in fast alien Slavinen verbreiteten smoky iibereinstimmt. Eine Verkniipfung desselben mit griech. ooxov, wie sie von Hehn Anm. 36 versucht wird, ist lautlich unmoglich. Freilich wissen wir eine einleuchtende Erklarung dieser Gruppe nicht zu geben. Im Slavischen bedeutet smoku Zukost. Kamen die Feigeii den Gothen durch die Vermittlung slavischer Stamme zu und wurden mit slavischem Wort allgemein als obsonium bezeichnet?

Der Oelbaum.

(Oka europaea L.)

Der Oelbaum ist, wie der Feigenbaum, ein Gewachs des siid- lichen Vorderasiens, das in dieser seiner eigentlichen Heimath unter den dort wohneiiden semitischen Volksstammen frtihe veredelt nnd durch Kultur zu lohnendem Fruchtertrage gebracht wurde. In alien Theilen des Alten Testamentes finden wir das Oel zu Speisen, bei den Opfern, zum Brennen in der Lampe und zum Salben des Haares und des ganzen Korpers in allgemeinem Gebrauch. Tiefer nach Asien hinein verschwindet diese Kultur, denn der Oelbaum liebt das Meer und das Kalkgebirge, und auch Aegypten brachte kein Olivenol hervor. An der griechischen Kiiste Kleinasiens, auf den Inseln und in Griechenland selbst wuchs der wilde Oelbaum haufig, der denn auch in den homerischen Gedichten ofters erwahnt wird; sein immer- griines Laub, das hohe Alter, das er erreicht, seine unzerstorbare I.ebenskraf t , das harte Holz, das eine schone Politur annimmt, empfahlen ihn der Aufmerksamkeit des Volkes und der epischen

Der Oelbaum. 103

Sage. So hat bei Homer die Axt des Peisandros (II. 13, 612) einen langen, wohlgeglatteten Stiel von Olivenholz; die Keule des Cyclopen besteht aus deraselben Material (Od. 9, 320), wie die des Herakles bei Theokrit (25, 207 ff.) und Andern; Odysseus hat sein Ehebett auf den im Boden haftenden Wurzelstock eines wilden Oelbaums gegriindet (Od. 23, 190 ff.), offenbar der Festigkeit wegen, weil der Oelbaum sich mit weitlaufenden Wurzeln an den Boden klammert, die Unverriickbarkeit des Lagers aber den sicheren Bestand der Ehe und des Besitzes bedeutet und verbiirgt; eine ravixpvkkoi; sXaCt] stand am Eingange der Hohle, im Grunde des Hafens, in dem die Phaaken den schlafenden Odysseus ans Land setzten (Od. 13, 102), und erhalt im Verfolg das Pradikat heilig (v. 372: leQ^q naga nv&fjiev' ehaCyg) u. s. w. Den Oleaster, von dessen Zweigen die Sieger in Olympia bekranzt wurden, hatte nach Erzahlung der Elier (Pausan. 5, 7, 4) Herakles von den Hyperboreern im aussersten Westen hierher ge- bracht, eine Sage, die auch Pindar sich angeeignet hat (Ol. 3, 13). Auf der Agora von Megara stand ein uralter wilder Oelbaum, der in die Heldenzeit hinaufreichte (Theophr. h. pi. 5, 2, 4. Plin. 16, 199). So ist das Dasein des wilden Oelbaums in Griechenland zwar in den altesten Quellen und Ueberlieferungen constatirt, aber dass er auf griechischem Boden, in einem immerhin rauhereii Klima, unter einer im Vergleich mit der semitischen noch jungen und unentwickelten Gesellschaft allmahlich zur olreichen Olive erzogen worden, hat keine Wahrscheinlichkeit: vielmehr fuhrte der Volkerverkehr mit andern werthvollen Giitern auch diese Kultur den Griechen zu. Die Frage ist nur, wie friihe? Der homerischen Welt ist das Oel nicht un- bekannt, aber als unverkennbar exotisches Produkt, zum Gebrauch der Edlen und Reichen. Wenn die Helden gebadet oder gewaschen worden, wird der Korper in orientalischer Weise mit Oel eingerieben und glanzend und geschmeidig gemacht. Nausikaa, da sie zum Meeresufer fahrt, erhalt von der Mutter ein Flaschchen (hjxvfhs) mit duftendem Oel; der Leichnam des Patroklus wird gewaschen und mit Oel gesalbt; ebenso die Mahne der Rosse des Achilleus, denn sie waren ja unsterblich, Sohne des Zephyr; in der Schatz- kammer des Telemachos lag neben Gold, Erz und Wein auch duftendes Oel. Besonders kostlich und von wunderbarer Kraft ist die Salbe, deren die Gottinnen sich bedienen: Hera, dip den Zeus verfiihren will, salbt sich mit gottlichem Oel, dessen Duft, wenn es bewegt wird, Himmel und Erde durchdringt (II. 14, 171 ff.); Aphrodite salbt den Leichnam des Hector mit ambrosischem Rosenol (II. 23>

104 Der Oelbaum.

186); Aphrodite wird auf Cypern von den Chariten mit dem un- sterblichen Oel gesalbt, wie es den ewigen Gottern anhaftet (Od. 8, 364. Hymn, in Ven. 61); Penelope hat sich wegen der Trauer nicht gewaschen iioch gesalbt, da fallt sie in eiiien Schlummer, und Athene reinigt ihr wahrend desseii das Antlitz mit der unsterblichen Schonheit, mit der die schongekranzte Cytherea sich salbt, wenn sie zum lieb- lichen Chor der Chariten geht (Od. 18, 192 ft'.). An zwei andern homerischeii Stellen, wo des Gels Erwahnung geschieht, II. 18, 596 und Od. 7, 107, war schon den Alten die Erklarung schwierig: an der erstern heissen die Rocke der tanzenden Junglinge sanft glanzend von Oel, an der andern rinnt von den Gewandern der sitzenden Magde das Oel herab. Hier ist entweder der fliessende Glanz des Zeuges mit dem des Oeles nur verglichen, wo aber, wie man denken sollte, der gleichnissreiche Dichter sich weniger kurz und bestimmt. ausgedriickt und mis sein wie oder gleichsam nicht vorenthalten hatte, oder nach einer neuern Deutung (Philologus, 1860, XV, 329) - - die Faden des Gewebes sind zum Behufe des Glanzes oder der Biegsamkeit schon urspriinglich mit Oel behandelt, so dass also das fertige Gewand, das die Magde im Wunderpalaste des Alkinous angelegt haben, buchstablich von Oel trieft (anofaifi&TCu vygbv ehcuov) und sich beim Tragen auch triefend erhalt was keiner Wider- legung bedarf. Da im Morgenlande und bei den Gottern des Epos, wenigstens des spatern, duftende Kleider gewohnlich sind (z. B. Psalm 45, 9: Deine Kleider sind eitel Myrrhen, Aloes und Kassia; in dem schonen Fragment aus den Cyprien bei Athen. 15, p. 682 f. sind die Kleider der Aphrodite, von den Chariten und Horen in Fruhlingsblumenduft getaucht, und sie tragt wQaig navioCcug Te$vw- jtisva ei'^axa), so liesse sich auch hier an ein fliichtiges Oel, an eine phonizische Essenz denken, mit der die Gewander besprengt wurden; allein von Duft ist nicht die Rede, nur von Glanz, und die Ana- logic von hjragog fettig, glaiizend, z. B. fanaga xgyfofwa, entscheidet fur die erste, schon von den Alten gegebene Erklarung. So ist auch die weisse steinerne Bank, auf der Nestor vor cler Thiir seines Hauses sitzt, blank von Fett, d. h. als ware sie mit Fett iiberzogeii, spiegel- blank (Od. 3, 408: Zevxoi aTioGrikpovTtg ahsitfctTog). Die grossen Kriige mit /ash und afaiyaQ auf dem Scheiterhaufen des Patroklos (II. 23, 170) werden, da hier bei den Bestattungsgebrauchen Alles alterthiimlich ist, wie der Name sagt, Honig und Thierfett enthalten haben, zwei von dem primitiven Menschen hoch geschatzte Sub- stanzen, die er auch den Todten mitgiebt. Wenn in dem Schiffs-

Der Oelbaum. 105

katalog (II. 2, 754) der Fluss Titaresius, der in den Peneus fallt, sich mit dem Wasser des letzteren nicht mischt, sondern oben schwiimnt, ifuT shcuov, so musste beim Baden und Waschen oft die Erfahrung gemacht werden, dass die Salbe sich auf dem Wasser schwimmend ausbreitet. Nimmt man alle diese Stellen zusammen, so erscheiiit das Gel nicht als haufiges und verbreitetes Ertragniss des heimischen Bodens, sondern als Schmuckmittel, das der Handel aus dem Orient einfuhrte, und das allmahlich an die Stelle des Thierfettes trat. Es diente zum Abreiben des Korpers, nicht aber zur Beleuchtung und Nahrung. Ueberall ist viel Zeit vergangen, ehe ein nordliches Volk sich entschloss, seine Speisen mit Oel anznrichten. Wie noch jetzt ein deutscher Bauer mit Behagen grosse Massen Speck verzehrt, sich aber schwer entschliesst, Oel zum Gemiise hinzuzugiessen oder sein Fleisch mit Oel zu braten, so weigerten sich die Gallier, wegen Ungewohntheit , wie Posidonius sagt, den Gebrauch des Oeles zur Kiiche anzunehmen (Posid. bei Athen. 4, p. 151). Nicht anders wird es bei den Griechen der alteren Zeit gewesen sein. Um so weniger konnen wir erwarten, dass der Baum selbst damals schon angepflanzt gewesen sei. Unter den landlichen Scenen, die Hephaistos auf dem Schilde des Achilleus dargestellt hatte, befand sich ein schwarzer Acker mit Pflugern darauf, ein Erntefeld, ein Weinberg und eine AVeinlese, eine Kinder- und eine Schafheerde, aber noch k'ein Oliven- hain. Ganz an denselben Stellen der Odyssee freilich, wo, wie friiher erwahnt, der Feigenbaum genannt ist, wird auch des Oelbaum s und seiner Friichte gedacht, aber diese Stellen gehoren, wie auch schon oben bemerkt, zu den jungeren Bestandtheilen der Odyssee und fallen wohl nicht viel friiher als die Olympiadenrechnung. Von dem Schluss der Odyssee ist dies unzweif elhaft ; bei den beiden andern Stellen (in dem Bruchstiick von den Hollenstrafen in der Nexvia und in dem gleichen, das in die Beschreibung des Palastes des Alkinoos ein- geschoben ist, 7, 103 131), die zusammen eigentlich nur eine sind, da die eine offenbar nur eine Wiederholung der . andern gleichlauten- den ist, erhellt wenigstens die spatere und nachtragliche Einfugung. Auch an diesen Stellen erscheint iibrigens der Oelbaum nur als ein neben Aepfeln, Birnen, Granaten und Feigen der essbaren Friichte wegen gezogener Gartenbaum, nicht als Objekt landlicher Kultur der Oelgewinnung wegen. Mitten in der urspriinglichsten und herr- lichsten Partie des Gesanges von Odysseus Riickkehr kommt aller- dings ein Vers vor, der, wenn die gewohnliche Deutung richtig ware, nothigen wiirde, das Dasein kultivirter Oelbaume anzunehmen: Od.

106 Der Oelbaum.

5, 476, 477. Odysseus, an das Ufer von Scheria ausgeworfen, findet im Walde zwei ganz zusammengewachsene , gegen Wind und Sonne Schutz gewahrende Straucher:

Sotovg <?' aV vnrjhvSe Sdf opo fav Tieytvuuag' o jUer yv^Cr^g, o 1st nun hier yvMa der Oleaster, so lasst sich IkaCa nur als frucht- tragender Olivenbaum fassen. Allein das Wort <pvMa gehort zu denjenigen, von denen offenbar die Alten selbst nicht mehr wussten, was der Dichter mit ihnen bezeichnet habe. Ammonius erklart (fidla als Gylvoq, Mastixbaum, Andere verstanden darunter eine Abart des Oelbaums mit myrtenahnlichen Blattern, und fur letztere behauptet Eustathius sei der Name noch bis auf seine Zeit bei Vielen gebrauchlich. Auch Pausanias 2, 32, 9 nennt die <pvUa unter den. Arten unfrucbtbarer Oelbaume : nav oaov axagnov ittaiag, xoitvov xal (pvMav xal ekcuov. Der spatere Gebrauch, wenn er wirklich stattfand, wird seine Quelle wobl nur in eben diesem Verse Homers baben. Das Wort (pvMa tragt nocb deutlich eine allgemeine ab- strakte Gestalt an sicb. Es ist aus der Wurzel y>v gebildet, wie (pvrov, (pvGig, (fv^ia, nur mit anderem Suffix, demselben, das aucb in (pv^rj und in <pvM.ov (fur <pvhov) und lateinisch folium erscheint. <PvMa ist also das Gewachs iiberhaupt, und zwar das immergriine, da in diesem die Lebenskraft als besonders reich sich darstellt; die Bedeutung mag in jener friihen Zeit sich noch nicht individualisirt haben oder je nach den Landschaften verschieden. Soil aber auf eine bestimmte Pflanze gerathen werden, so wiirde sich mit Bezug auf eine Stelle des Theophrast die Myrte, die bei Homer nicht ge- nannt wird, am natiirlichsten darbieten. Theophrast namlich meint (de caus. pi. 3, 10, 4), einige Baume schienen sich zu lieben, und berichtet nach einem altern Gewahrsmann, Androtion, Myrte und Olivenbaum pflegten ihre Wurzeln durch einander zu flechten und die Zweige der Myrte durch die Aeste des Oelbaums zu wachsen, andern Pflanzen aber sei die Nahe des Oelbaums zuwider. Vielleicht stammt auch dieser Glaube nur aus Homer; aber an welches Gewachs man auch denken mag (z. B. an die Steinlinde, Phillyrea, oder an eine Art Elaeagnus), gAat?y ist auch an dieser Stelle der wilde, strauchartige , als Salvos bezeichnete Oleaster, ein Gewachs des Waldes, fern von der Stadt, in der Nahe des Wassers, wie der Dichter ausdriicklich sagt. Nicht so leicht ist die Entscheidung an einer andern Stelle, wo des Oelbaums Erwahnung geschieht: II. 17, 53 bis 58. Dort hat Menelaus den Euphorbus, Sohn des Panthous,

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mit dem Speer durchstochen , und der GetrofFene sank bin, gleich dem Spross des grunenden Oelbaums, den ein Pflanzer an einsamem wasserreichem Orte aufzieht; die Liifte umwehen ihn von alien Seiten, er bedeckt sicb mit weisser Bluthe; plotzlich aber kommt ein Wirbel- wind, reisst ihn aus der gegrabenen Vertiefung und streckt ihn iiber den Boden bin. Hier ware allerdings moglich, an einen Setzling des Oleasters zu denken, der einst nicht Friicbte, sondern Schatten, Holz, griine Zweige geben soil: cloch 1st die Anpflanzung eines Waldbaumes in der noch waldreicben bomeriscben Zeit nicbt wahr- scheinlich. Wir werden also, Alles zusammenfassend, sagen diirfen: in der vielleicht langen Zeit, deren Denkmaler uns bei Homer vor- liegen, sehen wir die Feigen- und Olivenkultur erst fremd und un- bekannt, dann sicb ankiindigen, dann in spateren Zusatzen und in einem Gleichniss deutlich hervortreten , zunachst natiiiiich auf ioni- scbem Kiisten- und Inselboden.

Auf diesem Boden bliihte auch in der nacbbomeriscben Epoche der Oelbau. Die Insel Samos heisst bei Aeschylus (Pers. 884) shaioyvcog, olivenbepflanzt ; fur Milet und Chios ist ein noch alteres Zeugniss in der Anekdote enthalten, die Aristoteles (Polit. 1, 4, 5) aus dem Leben des Thales berichtet. Thales namlich schloss aus meteorologiscben Griinden (ex rrfi aGrgohoytag), dass eine ungewohn- lich reiche Olivenernte bevorstehe; er pacbtete also fur das kommencle Jahr sammtliche Olivenpressen in Milet und Chios, zog dann, als der vorausgesehene Ueberfluss wirklicb eintrat, betrachtlichen Ge- winn aus der Aftervermietbung derselben und bevvies so, dass auch ein Philosoph, wenn er wolle, aus seiner Wissenschaft irdischen Vortheil zieben konne. Auf der Insel Delos, die von den ionischen Cycladen umgeben war, und wo schon in alterer Zeit Festziige der lonier sicb vereinigten, hatte Latona bei der Geburt ihrer beiden Kinder entweder die delische Palme mit den Arm en umfangen (so im homerischen Hymnus an den delischen Apollo 117 und Theogn. 4), oder sich an den Olivenbaum gehalten (Hygin. Fab. 140, Catull. 35, 7), oder an beide genannten Baume sich gelehnt (Ael. V. H. 5, 4, Schol. zu II. 1, 9, Ovid. Met. 6, 335). Der Chor in der Iphig. T. des Euripides sehnt sich nach Delos zur Palme, zum Lorbeer und zur heiligen Olive, die er als stcuovg udZva (pttav be- zeichnet (v. 1102); Callimachus h. in Del. nennt erst die Palme v. 210, gleich darauf v. 262 das ytveVfaov fyvog elatyg (wo die feste Formel tyvog shaCqg nicht auseinandergerissen und yevsttfaov in na- tiirlicher Weise nur auf die Geburt der Leto gedeutet werden kann).

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Nach Strabo 14, 1, 20 ruhte die Gottin. nach der Geburt miter dem Oelbaum nur aus, durch welche Wendung die abweichenden Gestalten des My thus gliicklich vereinigt wurden. Die Ephesier be- haupteten spater, nicht auf Delos, sondern bei ihnen sei die Geburt am Fusse des Oelbaumes erfolgt, und jener Baum sei noch vor- handen (Tac. Ann. 3, 61. Strab. 14, 1, 20), wie es auch eine Quelle f YTtehaiog »Unter den Oliven« bei Ephesus gab, die in die Grim- dungs-Sage der Stadt verflochten war (Strab. 14, 1, 4. Atben. 8, p. 361). Da der Oelbaum dem apollinischen Kultus sonst fremd ist (denn der dem Apollon geweihte heilige Oelbaum in Milet bei Athen. 12, p. 524 ist eine ganz vereinzelte Erscheinung) , so mag vermuthet werden, die Olive auf Delos und der an sie gekniipfte Mythos sei dort nicht urspriinglich , sondern verdanke ihr Dasein erst den Athenern und dem iibergreifenden Athenedienst ; auf Rho- dus aber, dieser einst ganz phonizischen Insel, die dann zum Gebiet der dorischen Colonisation gehorte, muss der Oelbau in hohes Alter- thum hinaufgehen. Dort besass die Stadt Lindos eiiien Tempel der Athene, den schon die Danaiden gebaut und in dem Kadmos Weih- geschenke zuriickgelassen hatte, mil einem Olivenhain, gegen welchen die Oelbaume von Attika zuruckstandeii (Anthol. Pal. 15, 11). Auf dem griechischen Festlande finden wir in dem Kreise, den die Hesiodischen Gedichte beschreiben, also in aolisch-bootischer

Sittensphare , noch keine Spur von Olivenzucht; denn ein von Plinius (15, 3) angefiihrter angeblicher Ausspruch des Hesiodus liber die Langsamkeit des Wachsthums der Olive ist sowohl in Betreff der Zeit als des wirklichen Urhebers desselben allzu unsicher. Bei den spateren Griechen gait Athen als der Ursitz dieser Kultur, ja es gab nach einem merkwurdigen Ausspruche des Herodot (5, 82) eine Zeit, und sie war noch nicht lange vergangen, wo es sonst nirgends auf Erden Oelbaume gab, als in Athen. Als namlich die Epidaurier, von Misswachs heimgesucht, sich an das delphische Orakel wandten, gab dieses den Rath, Bildsaulen der Damia und Auxesia aus dem Holze der zahmen Olive aufzustellen, sie baten also die Athener um Erlaubniss, einen der attischen Oelbaume umhauen zu durfen, da sie die dortigen fiir die heiligsten hielten, oder, wie auch gesagt wird, weil sonst nirgends Oelbaume existirten. Die Athener bewilligten die Bitte unter der Bedingung, dass die Epi- daurier jahrlich der Athene Polias und dem Erechtheus Opfer brachten. Damals waren die Aegineten Epidauros unterthan; seit- dem aber (TO Ss ano xovde) fielen sie von ihrer Mutterstadt ab, raubten

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die beiden Bilder und geriethen, da sie die ausbedungenen Opfer unterliessen, mit Athen in Feindschaft. Ueber den Zeitpunkt dieser Begebenheit berichtet Herodot nichts* nach Otfried Miillers Ver- muthung (Aeginet. p. 73) fiele sie etwa in 01. 60, also in Pisistratus Zeit, doch darf man sie wohl in die erste Halfte des 6. Jahrhun- derts hinaufriicken. Schon am Beginn des genannten Jahrhunderts hatte Solon gesetzliche Bestimmungen iiber Oliven- und Feigenbau erlassen (Plut. Sol. 23, 10. 24, 1), der also doch schon einige Wichtigkeit haben mnsste, wenn auch erst Pisistratus, der Schiitz- ling und Verehrer der Athene , direkt fur Anbau des niitzlichen Baumes auf der bis dahin kahlen und baumlosen Landschaft sich bemuht haben soil (Dio Chrysost. orat. 25, p. 281). In der Akademie standen die der Gottin geweihten unantastbaren Oelbaume, die fioQtcu, die einen reichen Ertrag geliefert haben miissen anders als sonst heiliges Besitzthum zu thun pflegt , da bei den grossen Panathenaen, die Pisistratus gestiftet hatte, im gymnischen Agon die den Siegespreis bildenden, in bedeutender Zahl gereichten Oelkriige von daher gefiillt wurden. Die Baume in der Akademie stammten von der Mutterolive auf der Burg, der dacr] ehaia, die von Athene selbst geschaffen war und spatei; nach der Verbrennung durch die Perser von selbst wieder aufsprosste. Da sie ndyxvcpog heisst, ist sie als ein blosser niedrig kriechender Wurzeltrieb zu denken. Dass die Attiker shaCa und xouvog, den zahmen und wilden Oelbaum, durch eigene Benennungen unterschieden , beweist schon, dass hier die Kultur des veredelten Baumes, der felix oliva, festen Bestand gewonnen hatte, wie auch Pindar in einem seiner Hymnen ayQiog l&aws (Fr. 19. Bergk.) sagte und Herodot in der oben angefiihrten Stelle das Orakel von dem Holze der zahmen Olive, fjfJifyrjs ehafyg, sprechen lasst. In Attika kam der weissliche Kalkboden, die yr\ GxiQgdg der attischen Halbinsel, der dem Ge- treidebau wenig forderlich war, der Olive begunstigend entgegen, und sie gedieh hier - - nach den Worten des Chors im Oedipus auf Kolonos »wie nicht im Lande Asien noch auf der grossen dori- schen Pelops-Insel«. Warum aber wurde gerade Athene die Schutz- herrin der neuen Kultur, und warum verflocht sich Oel uud Oel- baumzucht so innig und mannigfach mit dem Dienst der aus dem Haupte des Himmels unmittelbar hervorgegangenen Lichtgottin? Nach Suidas weil das Oel zur Leuchte diente und der Oelbaum das Feuer nahrte ('AVyvag ayal^a' didoamv avxfj xal lAatav, c«g

ovacag ov&r}$' (pcomg yaQ v^ r) ehata) - - woraus zu-

HO Der Oelbaum.

gleich hervorginge, class die Anwendung des Oels zum Brennen in der Zeitfolge die zweite war, wie die als Nahrungsmittel die dritte. Homer kennt noch keine Beziehung der Olive zu der Gottin, denn aus dem Beiwort heilig, welches an der einen Stelle Od. 13, 373: IsQ^g Ttaga 7iv9tusv* eAatrj? dem Oelbaum gegeben wird, lasst sich eine solche nicht erschliessen (das alteste mit Vers 184 schliessende Gedicht von Odysseus Ruckkehr, aus dem der jiingere Fortsetzer sowohl den Oelbaum, als die Phrase naga Tiv^iev" eAaiyg genom- men hat, enthalt auch das Adjectiv » heilig « noch nicht). Als seit den Pisistratiden der Oelbau den Hauptreichthum und die auszeichnende Eigenschaft des attischen Landes bildete, als die Athener prahlten, vor noch nicht so 1 anger Zeit sei nur bei ihnen und sonst an keinem Ort der Erde ein zahmer Oelbaum zu finden gewesen, als sie auf jedes Land, wo nur Getreide und Oelbaume wuchsen, als auf ihr Eigenthum Anspruch machten (Cic. de rep. 3, 9, 15: Athenienses jurare etiam publice solebant, omnem suam esse terrain, quae oleam frugesve ferret), da konnte dieser Segen und Stolz ihres Landes nicht anders als der unterdess immer mehr in der Bedeutung gestiegenen Landesgottin geweiht und von ihr als Geschenk gespendet sein. Dass auf dem Burgfelsen einst wilde Oelbaume wuchsen, dass einer von diesen mit einem liber Meer gekommenen oder an einem der Kiistenorte gewachsenen edlen Zweige gepfropft worden und von diesem wieder andere Reiser und Setzlinge abstammten, dass die mvax oliva nach dem persischen Brande wieder neu aus der Wurzel trieb: das Alles kann immerhin Wirklichkeit sein, doch bedurfte der My thus solchen realen Anhaltes nicht. Als gegen Ende der Perser- kriege der alte Nationalheld Theseus mit seinen Abenteuern und Thaten in verklartem Licht ins Bewusstsein trat, da hatte auch er schon vor der Ausfahrt nach Kreta vom heiligen Oelbaum einen Zweig gebrochen, ihn mit weisser Wolle umwunden und bit-tend im Delphinium dem Apollo niedergelegt (Plut. Thes. 18, 1 die sog. Eiresione). Auch in Sicyon, welches aus gleichem Grunde, wie Attika, namlich des giinstigen Bodens wegen, als olivifera beruhmt war und Olivenfriichte, Sicyonias baccas, reichlich hervorbrachte, hatte der alte fabelhafte Konig Epopeus der Athene einen Tempel gebaut und die Gottin ihm zum Zeichen ihres Wohlgefallens vor dem Tempel eine Oelquelle aufsprudeln lassen (Pausan. 2, 6, 2), - ihm also unmittelbar das Oel geschenkt, das die Athener und iiber- haupt die spateren Zeiten sich erst durch Anpfianzung, Lese, kiinst- liche Pressen u. s. w. erarbeiten mussten.

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Als wahrend des ersten Jahrhunderts der Olympiadenrechnung die Kiisten des Westens, Italiens, Siciliens, Galliens, zahlreiche und bald aufhliihende griechische Ansiedelungen empfingen, da offnete sich fur die Olive ein neuer, grosser Bezirk, den sie allmahlich ein- nehmen und beherrschen, und in dem sie sich heimisch fiihlen sollte, fast wie im Mutterlande. Im Laufe des siebenten, sicher aber in dem des sechsten Jahrhunderts bedeckten sich nach und nach die herrlichen Hiigellandschaften und Kiistenabhange der Inseln und Siiditaliens mit jener fruchttragenden und immergriinen Waldimg. Vielleicht aber war es keine griechische, sondern eine phonizische Hand, die hier im fernen Westen den allerersten Olivenkern in die Erde senkte oder den ersten mitgebrachten Steckling pflanzte. JEin My thus namlich, der uns hier entgegentritt, der von Aristaus, scheint eine dunkle Erinnerung dieses Verhaltnisses zu enthalten. Aristaus, ein alter arkadischer, thessalischer, bootischer Hirtengott, den die ersten Ansiedler mit nach Sicilien gebracht hatten, gait bei ihren Nachkommen spater als der Ernnder der Olive und des Oeles, Cic. in Verr. 4, 57: Aristaeus qui inventor olei esse dicitur. De nat. deor. 3, 18: Aristaeus qui olivae dicitur inventor. Plin. 7, 199: oleum et trapetas Aristaeus Atheniensis (invenit). Diod. 4, 81 : rov- lov de TtaQa xwv Wfjupttv jua&ovia xcor ehat'ov irp> xaTSQya^av SM^ac TIOCOTOV rolg dvttQWTTOig. Nach dem Schol. zu Theocr. 5, 53 berichtete auch Aristoteles, die Nymphen hatten dem Aristaeus IT(V lov skatov egyaatav gelehrt. Man bemerke, dass Aristaeus nicht, wie Athene, den Oelbaum erschaffen, sondern das Oel oder die Olive erfunden hatte, dass er die xaiegfaoCa TO>V shcuwv oder lov shaiov, also die Oelbereitung, gelehrt, zu der auch der Gebrauch der Oelpresse trapetum, impetus, plur. trapetes, gehort, und dass er grade bei der Lese der Friichte von den Bewohnern Siciliens gott- lich verehrt wurde (Diod. 4, 82). Nun war aber derselbe Aristaus, noch ehe er Sicilien betrat, Herrscher der den Griechen fremden Insel Sardinien gewesen (Pausan. 10, 17. Arist. de mir. ausc. 100 (95). Serv. ad V. Georg. 1, 14), hatte auf derselben die Acker- und ]>aumkultur eingefiihrt, da sie vorher nur von vielen und grossen Vogeln bewohnt gewesen Avar, und daselbst zwei Sohne gezeugt, den (Aristaus selbst ist bei Pindar Pyth. 9, 64 avfyaffi xaQfta und den KalkCxagrtog (bei Homer ist das Adjectiv da jenes nicht ins Metrum ging). Von Sardinien kommt er nach Sicilien, welches von Aeschylus Prom. 371 xalUxaQTiog genannt wird, wie auch Gyrene bei Strabo 17, 3, 31 xahkixaonoc ist, humanisirt

Der Oelbaum.

auch dieselnsel mid erfindet ausser andern landlichenKunsteiibesonders das Oel und die Procedur der Oelgewinnung. Wie nun Aristaus dem neuen, ubermachtig und glanzvoll auftretenden Glauben an die ihm wesensverwandten Gotter Apollon und Dionysos gegeniiber sich nicht hatte halten konnen, sondern zu deren Sohne oder Erzieher wurde, so verschmolz er auch sichtlich mit einem libyphonizischen Gotte, den die griechischen Einwanderer schon vorfanden und in den Kreis ihrer Vorsteilungen aufnahmen. Dieser Gott, der Sohn der Nymphe Gyrene, der auch in Cyrenaa zuerst das Silphion gepflanzt hat, kann nicht anders als von Af rika nach Sardinien gekommen sein ; von Sardinien kam er nach Sicilien: sein Gewachs oder seine Ernndung muss denselben Weg genommen haben. Ueber die Zeit freilich sagt der My thus nichts, und ob die Griechen in der Umgegend der phonizi- schen Handelsniederlassungen, die sie mit bewafrneter Hand besetz- ten, Olivengarten vorfanden oder nicht, muss zweifelhaft bleiben. Spater, als auch im griechischen Mutterlande das Oel seine wichtige Stelle in der Oekonomie der Sitten eingenommen hatte, da begegne- ten sich in Sicilien beide Stromungen, die karthagische und die von dem Vorbild Attikas u. s. w. ausgehende.

Wenden wir uns zum Festland Italien, so tritt uns hier beim ersteii Schritt eine Art chronologischer Notiz entgegen, ein Gliicks- fall, der in der altesten Kulturgeschichte so ausserst selten ist. Plinius namlich berichtet nach dem Annalisten L. Fenestella, zur Zeit des Tarquinius Priscus sei in Italien noch kein Oelbaum vor- haiiden gewesen, Plin. 15, 1: Fenestella vero (ajebat oleam) omnino non fuisse in Italia Hispaniaque aut Africa Tarquinio Frisco reg- nante ab annis populi Romani CLXXIII. Wenn diese Nachricht nicht bloss ein Echo der oben angefiihrten Stelle des Herodot ist und die Hinzufugung von Spanien und Afrika ist geeignet, diesen Ver- dacht zu wecken so durfen wir sie positiv weiideii und dahin auslegen, dass es die Zeit der Tarquinier, die Zeit lebhafter Verbin- dung mit den campanischen Griechen war, die mit andern griechi- schen Kiinsten auch die Olive nach Latium brachte. Vielleicht stammt die Notiz aus eiiier cumanischen Geschichtsquelle. Dass der Baum jedenfalls von den Griechen und nicht etwa auf anderem Wege den Latinern zukam, beweisen die lateinischen Worter oliva, oleum, die dem Griechischen entlehnt sind37), und so viele auf Olivensorten und die Manipulation bei der Oelbereitung beziiglicheii Ausdriicke, die gleichfalls griechische, im lateinischen Munde oft ein wenig entstellte Benennungen sind: orchis, cercitis, dmippa, trapetum,

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amurca u. s. w. Wenn auf dem Hute des flamen Dialis die oberste Spitze, der apex, aus einem Reise vom Oelbaum bestand (Fest. p. 10 albogdlerus : pileum capitis . . . adfixum Jidbens apicem virgula olea- gina) und dieses mit Wolle umwunden und befestigt war (Serv. ad V. Aen. 2, 683. 10, 270), so ergiebt sich, dass auch dieser sehr alte Gebrauch gleichwohl j linger ist, als die Ankunft der Griechen in Italien und der Verkehr der Latiner mit ihnen. Denn was ist der mit wollenen Faden umwundene Oelzweig anders, als die ent- lehnte griechische SiQSfftwvrj ? Vielleicht klingt eine Erinnerung da- von in der Angabe nach, dass die virga lanata zuerst in Alba von Ascanius angeordnet sei (Serv. ad V. Aen. 2, 683 : quod primum constat apud Albam Ascanium statuisse), sie war also weder etrus- kisch, noch sabinisch. Bei Vergil freilich tritt der Konig Numa, so wie der marsische sacerdos (Aen. 6, 809. 7, 751) mit Oelzweigen geschmiickt auf, aber hier hat die dichterische Phantasie, die auch sonst in der Aeneis vom Olivenlaube reichlich Gebrauch macht, die spatere griechische Sitte den Helden der Urzeit geliehen. Bei den Triumphen siegreicher lorbeergeschmiickter Feldherren trugen die Diener oder die Anordner des Triumphs, die selbst nicht in der Schlacht gewesen waren, Kranze von Olivenzweigen (Paul, p. 114: oleagineis coronis ministri triumphantium utebantur. Gell. 5,6,4; oleaginea corona, qua uti solent, qui in proelio non fuerunt, sed triumphum procuranf), also in griechischer Weise als Zeichen mehr friedlicher, als kriegerischer Beschaftigung. Auch bei der Ovation, einer geringeren Art des Triumphes, bestand der Ehrenkranz aus gleichem Laube (Plin. 15, 19 wenn hier nicht em Versehen vor- liegt, da bei der ovatio sonst immer die Myrte, auch von Plinius selbst, 15, 125 genannt wird). Bei der jahrlich am 15. Juli zu Ehren des Kastor und Pollux gefeierten transvectio equitum dienten gleich- falls Kranze aus Oelzweigen als Schmuck: die Verehrung der ge- nannten Heroen war grossgriechischen Ursprungs (Preller, Rom. Mythol. 658 ff.). Dies alles sind Symptome der Bekanntschaft mit der Olive schon in den fruhern Zeiten der Republik, aber noch nicht Beweise wirklichen Anbaues derselben. Letzterer musste sich von den verschiedenen griechischen Mittelpunkten aus uberall hin ver- breiten, wo nur der Boden dies zuliess, zuerst an der Kiiste, dann in den innern Landschaften, in demselben Masse, als das natiirliche Vorurtheil gegen den Oelgenuss bei den doch hauptsachlich vom Ertrage der Heerden lebenden Eingebornen sich minderte. Bei dem komischen Dichter Amphis, der in der zweiten Halfte des vierten

Viet. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 8

114 Der Oelbaum.

Jahrhunderts, etwa in der Zeit von Philipp und Alexander von Mace- donien lebte, wird das Oel von Thurii, also der Gegend des alteu Sybaris, geriihmt (Meineke, fr. com. gr. 3, p. 318: sv OovQioig rovhcuov. Athen. 1, p. 30). Von daher und von Tarent mochte die kalabrische Olive, die auch oleastella hiess (Colum. 12, 51, 3), und die Sallentina, die schon Cato nennt, stammen ; die hochberuhmte Liciniana oder Licinia ini ager Venafranus in Campanien und die vom Berge Taburnus an der Grenze von Campanien und Samnium (Verg. G. 2, 38) wird zu allererst von den kampanischen Griechen eingefuhrt worden sein. Die sabinischen Berge trugen viel Oel: die Sorte Sergio, aber, quam Sabini Regiam vacant (Plin. 15, 13), war eine grosse, der Kalte widerstehende , olreiche, aber nicht feine (Colum. 5, 8) - - bei der also dasselbe eintrat, wie bei dem in die kaltern Gegenden des Nordens verpfianzten Weinstock. Jenseit des Apennin, wo die herrlichen Kornebenen sich offnen, duldete, wie auch heut zu Tage, das Klima keinen Oelbaum mehr, der aber in Picenum, also der Gegend der heutigen Mark Ancona, die schon zu Suditalien gerechnet werden kann, noch bliihte (Martial. 1, 43, 8. 5, 78, 19. 13, 36). Italien war im ersten Jahrhundert vor Christo schon so reich an Oel und dies Produkt so vorziiglich und zugleich so wohlfeil, dass die Halbinsel alien Landern den Rang darin ablief (Plin. 15, 3. Id. 8: principatum in hoc quoque bono obtinuit Italia toto orbe). Von Massilia war, wie der Wein, so auch die Olive, be- gunstigt durch Boden und Himmel der Provence, allmahlich ins gallische Land vorgeriickt, doch naturlich ohne dem Wein bis in die Thaler der Marne und der Mosel zu folgen. Massaliotischer Her- kunft waren ohne Zweifel auch die Oelpflanzungen an der ligurischen Kuste, die noch heut zu Tage ein ungeheurer, iippiger Olivengarten ist. In kurzer Entfernung vom Meere, wo das Gebirge sich hebt, musste der Oelbaum verschwinden, daher die Reiser und Kranze, mit denen die Alpenbewohner dem Hannibal unter dem Schein der Freundschaft entgegenzogen (Polyb. 3, 52, 3), keine Oelzweige ge- wesen sein werden, obgleich das von Polybius gebrauchte AVort daMac in der Regel diese Bedeutung hat. Zu Strabos Zeit lieferte Genua diesen Gebirgsvolkern Oel und bezog von ihnen dagegen Vieh, Haute und Honig (Strab. 4, 6, 2). Auf der entgegengesetzten Seite Italiens, im Gebiet der Pomiindungen, verbot der niedrige wasserreiche Boden die Einfiihrung der Olive, so alt und lebhaft der Verkehr dieser Gegend mit den ionischen Inseln, mit Tarent, spater niit Syrakus u. s. w. auch war. Umgekehrt verhielt es sich mit

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dem gegeniiberliegenden Istrien uncl Liburnien, deren zum Meere absteigende, sonnige, kalkreiche Hiigel, geschtitzt durch das hinter ihnen sich erhebende Gebirge, zum Anbau einladen und denselben reichlich lohnen mussten. Auch kam das Oel von Istrien oder viel- mehr nur der westlichen Kiiste dieser Halbinsel - - denn Istrien hat, der Krim vergleichbar, einen Meeresrand mit subtropischem Klima und Pflanzenwuchs und ein rauhes, unwirthliches, von Nordwinden gepeitschtes Innere in der Schatzung gleich nach dem italiscben und wetteiferte mit dem von dem spanischen Baetica (Plin. 15, 8: reliquum certamen inter Histriae terram et Baeticae par est). Das Oel, welches Aquileja gegen Vieh, Haute und Sklaven in die illyri- schen Donaulander einfiihrte (Strab. 5, 1, 8), wird eben dies histrische gewesen sein, wobei zugleich die Thatsache interessant ist, dass die Pannonier und Kelten der genannten Gegend zu Strabos Zeit nicht bloss den Wein, der alien Barbaren willkommen ist, sondern auch schon das Oel wenn auch nur als Brennol in Lampen be- gehrten. Noch zur gothischen Zeit, nach so vielen Stiirmen und Schrecken, hatte jene Region Ueberfluss an Oliven, wie wir aus Cassiodorus sehen, Variar. 12, 22: est enim proximo, vobis regio supra sinum maris lonii constituta olivis referta. Apicius 1, 5, Palladius 12, 18 und die Geoponika 9, 27 lehren durch allerlei gewiirzige Zu- thaten kiinstlich oleum Liburnicum darstellen, welches also zur Zeit dieser spaten Gewahrsmanner im Rufe stand. Die so eben erwahnte Provinz Baetica fiihrte auch nach Strabo nicht bloss viel, sondern auch das schonste Oel aus (Strab. 3, 2, 6: £%dyeTai cT £x TOVQ^- ravtag &'A.(uov ov nokv f.wvov, dhha xal xdhfoatov) und das batische Corduba iibertraf oder erreichte die beruhmten Olivengarten von Venafrum und Istrien, Martial 12, 63, 1 (Schneidewin) :

Uncta Corduba laeiior Venafro, Histra nee minus absoluta testa.

Dass Spanien, ein siidliches Land mit grosser Mannigfaltigkeit der Lagen und des Bodens, in demselben Masse als die fremde Civili- sation sich erst der Kiisten und dann des Innern bemachtigte und darin Bestand gewann, auch den Oelbaum aufnahm, liegt in der Natur der Dinge. Als das romische Reich seine Vollendung erreicht hatte, war auch die edle Olive von ihrem Ausgangspunkt, dem siidostlichen Winkel des mittellandischen Meeres, uber alle Lander verbreitet, die ihren heutigen Bezirk bilden, und gedeiht an manchen Punkten des europaischen Siidwestens so gut, als ware sie dort geboren und immer dagewesen38). Nach dem Volksglauben, der schon bei den

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116 Der Oelbaum.

Alien herrschte, tragt cler Oelbaum in Europa nur alle zwei Jahre; davon aber 1st nur so viel wahr, dass, wenn der Baum sich durch eine besonders reiche Fruchtbildung erschopft hat, seine Kraft im nachsten Jahr zu einer gleicheii nicht ausreicht, es mussten ihm denn die allergiinstigste Witterung oder ein ausserordentlicher Kultur- beitrag zu Hulfe kommen. Auch dass die Olive sich nicht weiter von der Kiiste als 300 Stadien (oder TVs geogr. Meilen) entferne, wie Theophrast (h. pi. 6, 2, 4) meinte, ist nicht buchstablich, sondern nur in dem Sinne richtig, dass sie den Anhauch des mittellandischen Meeres liebt, dass aber zu ihrem Gedeihen auch z. B. der Spiegel des Gardasees geniigt. Ohnehin fallt ihre Verbreitungssphare ziemlich genau mit dem Oval der Ufergegenden des mittellandischen Meeres und seiner Buchten zusammen. Schon im Sinne der Romantik ist der Baum der Minerva nicht, aber nichts erweckt mehr das Gefiihl der Kultur und friedlicher Ordnung und zugleich der Dauer derselben, als wenn er in offenen, gereinigten Hallen mit dem kaum merklich flusternden Laube an gewundenen Stammen die Hugel ersteigt oder die geneigten Ebenen leicht beschattet, und gern gesteht man ihm clann mit Columella 5, 8, 1 das Pradikat prima omnium arborum zu. Indessen fehlt viel, dass das Produkt uberall dem der Provence oder dem von Genua und Lucca gleichkame. Das kalabrische, sicilische und sardinische Oel ist meistens unrein und nur zur Seifen- bereitung und in Tuchfabriken anwendbar. Der Grund liegt in der mangelhaften Darstellungsart , und diese wieder erklart sich aus den ungiinstigen agrarischen und volkswirthschaftlichen Ver- haltnissen. Besonders die Ernte erfordert die grosste Vorsicht im Einzelnen: die eben gereiften Friichte miissen Stuck fur Stuck mit der Hand abgepfliickt und ohne Zeitverlust unter die Presse gebracht werden; Schnelligkeit und Reinlichkeit sind dabei wesentliche Bedingungen. Zu all dem aber fehlt es in den genannten Gegen- den an Kapital, an Einrichtungen und an Handen. Man schlagt die von Natur zarten Friichte entweder mit Strecken ab oder, was noch iibler ist, wartet, bis sie, iiberreif und halbfaul, von selbst abfallen (iiber Beides klagen schon die Alten, z. B. Plinius 15, 11); dann bleiben sie in Haufen liegen und gerathen in Gahrung, ehe eine Oelmuhle frei wird. Letztere ist auch meistens so unvollkommen construirt, dass sie Arbeitskraft verschwendet und einen betracht- lichen Theil Oel in den Trestern zuriicklasst. Da der gemeine Mann das so gewonnene ubelriechende Produkt, als von kraftigerem Ge- schmack, dem feinsten proven§alischen Tischol, welches ihm nichts-

Der Oelbaum.

sagend erscheint, vorzieht, so fiihlt er sich natiirlich auch nicht durch das Bedurfniss aufgefordert, auf die Herstellung des letztern beson- deren Fleiss zu wenden. Bei all dem sind in neuerer Zeit die Fort- schritte unverkennbar. Wenn erst in Folge eines natiirlichern Blut- umlaufes im Volkskorper der gedriickte Stand der Paehter sich heben wird, dann muss in der Oelkultur eine Quelle des Wohlstandes fiir den gebirgigen Siiden des neuen Konigreiches sich offnen. »Zwei Fliissigkeiten, sagt Plinius 14, 150, giebt es, die dem menschlichen Korper angenehm sind, innerlich der Wein, ausserlich das Oel, beide von Baumen kommend, aber das Oel etwas Nothwendiges. « Demo- kritus von Abdera, der beriihmte Philosoph, der iiber hundert Jahr alt wurde, erwiderte auf die Frage, wie man gesund bleiben und seine Tage verlangern konne, mit der diatetischen Regel: innerlich Honig, ausserlich Oel (Diophanes in den Geopon 15, 7, 6 und Athen. 2, p. 47). Aehnlich war die Antwort des hundertjahrigen Pollio Romilius auf die Frage des Kaisers Augustus, durch welches Mittel er sich so riistig erhalten habe: »innerlich durch Wein mit Honig, ausserlich durch Oel«, intus mulso, foris oleo (Plin. 22, 114). Heut zu Tage dient das Oel nicht inehr zur aussern Korperpflege oder nur in Gestalt von Seife; aber eben die den Alten unbekannte Seife, eine nordische Erfindung (Grimm in Haupts Zeitschrift VII, S. 4601; Zeuss2 p. 161; Beckmann, Beytrage, IV, 1), hat die orientalisch-griechische Sitte, den Leib zu salben, die in Italien ohnehin nur bei den hoheren Klassen herrschte, ganz und gar ver- drangt. Nur die Salbung der Konige und Kaiser und die letzte Oelung sind noch ein verklingendes Echo der alten Romerzeit.

*Der Oelbaum gehort zu einer Artengruppe der Gattung Oka, welche in Ostindien, dem Kaplande, Abyssinien und Arabien entwickelt ist. In neuerer Zeit hat F. Cavara (Le sabbie marnose plioceniche di Mongardino e i loro fossili in Boll. Soc. geol. ital. V (1886) p. 265—275) Blatter des Oel- baumes in pliocenen Lagerstatten bei Mongardino, 18 Kilometer nordwestlich von Bologna am linken Ufer des Reno aufgefunden und damit das Indigenat des Baumes in Italien. dargethan. Im Orient findet sich der Oelbaum wild- wachsend sowohl als Baum, wie besonders haufig als Strauch in den Steppeii des Pendschab von Beludschistan, von Persien bis Transkaukasien und auf der Krim, in Syrien, in Palastina und in Cilicien, auch in Mesopotamien und im siidlichen Arabien bis Mascat. Von Bithynien aus verfolgen wir ihn durch Thracien nach Macedonien ; er bezeichnet daselbst zusammen mit Quercus cocci- fera L. die Grenze der Mediterranflora und reicht bis 350 m. Sicher wild ist er auch in Griechenland, wo man in den Macchien vielfach die kleinfruchtige

118 Der Oelbaum.

Form Oleaster antrifft. Caruel sieht in Parlatore's Flora italiana vol. VIII. p. 155 den Oelbaum auch fur einen einheimischen Baum Italiens an, der vor- zugsweise auf Kalkboden, aber auch auf vulkanischern Boden in der Ktisten- region vorkommt; auch im stidlichen Istrien 1st er wild und ebenso treffen wir die wilde Form noch am Gardasee und am Luganer See an. Sehr haufig ist er auf Sicilien, Sardinien und Corsica. Im ganzen mittlereu, stidlichen und sudostlichen Spanien wird in der unteren und der montanen Region an felsigen Orten und auch in Gebiischen der wilde Oelbaum als Strauch und Baum angetroffen, desgleichen in Portugal, auf den Azoren und Kanaren. Auch im mediterranen Frankreich ist der Oelbaum ausserhalb der Anpflan- zungen anzutreffen.

In Nordafrika ist der Oelbaum ebenfalls einheimisch, sicher von Tunis bis Marokko. Battandier sagt in seiner Flore de 1'Algerie: »Aucune plante ne peut d'apres sa dispersion actuelle etre considered comme indigene en Algerie, a plus juste titre que 1'Olivier, qui constitue notre essence forestiere la plus generalement repandue, en dehors de toute action de l'homme.« Ebenso spricht sich Ball in seiuem Spicilegium Florae maroccanae, Journ. of the Linnean Society XVI. p. 565 dahin aus, dass der Oelbaum im nord- lichen und westlichen Marokko wild ist. Dagegen ist Prof. Schweinfurth (Aegyptens auswartige Beziehungen hinsichtlich der Kulturgewachse, in Verh, der Berliner anthropol. Gesellsch., Sitzung vom 18. Juli 1891) der Ansicht, dass der Oelbaum in Aegypten unter der XIX. Dynastie aus Syrien eingefiihrt wurde. Die Annahme, dass der Oelbaum aus Arabien stamme, bestatigt sich nicht, da derselbe nach Schweinfurth's Beobachtungen (a. a. O. S. 649) im glucklichen Arabien nur in einigen neueren Garten gebaut wird. Da die Frtichte des Oelbaumes durch Vogel verbreitet werden und von jeher im ganzen Mediterrangebiet an vielen Stellen die Existenz- bedingungen fur den Oelbaum gegeben waren, so war es auch ganz naturlich, dass derselbe die ihm zusagenden Localitaten besiedelte, ehe die orientalischen Kulturvolker aus ihm eine der wichtigsten Nutzpflanzen machten. Hier ist auch zu erwahnen, dass in Spanien bei El Garcel in neolithischen Fundstatten von den Gebrtidern Siret zahlreiche durch Kleinheit ausgezeichnete Steinkerne gefunden wurden, welche aber der wilden Stammform angehoren durften.

* In Homerischer Zeit ware nach Hehn das Oel lediglieh zum Salben des Korpers und nicht zu sonstigen Zwecken verwendet worden. Auch dieses Oel sei aber kein inlandisches Erzeugniss, sondern ein vom Orient eingeftihrtes gewesen; denn die Kultur des Oelbaums ginge hochstens in ihren Anfangen in die Homerieche Zeit zurtick. Wir glauben, dass diese Anschauungen nicht 1 anger haltbar sind.

Zunachst dtirfte allgemein zugestanden sein, dass die beiden Stellen II. 18, 596:

tuiv 8'otl JJLSV XSKTCC? ftO-ovac s/ov, ol 8s

etat' SOVVYJTOO? Y]xa otcXpovta? iXauo und Od. 7, 105 ff.:

Der Oelbaum.

)C uccocuot v.a *f]

old TS cp6XXa fxaxs8vfj<;

von Hehn (oben S. 104) unrichtig aufgefasst sind. Freilich nicht von den ferti- gen Gewandungen traufelt Oel herab, was auch Philologus 1860 XV, 329 nicht gemeint war (vgl. Hertzberg, Philologus 1874 XXXIII, 7), sondern gemeint ist, dass die linnenen Stoffe bei ihrer Herstellung einer Appretur mit Oel nnterzogen wurden oder waren. Naheres daruber vgl. ausser bei Hertzberg a. a. O. bei W. Helbig, Homerisches Epos, 2. Ann., S. 168 f. und bei F. Stud- nitzka, Beitr. z. Geschichte der altgr. Tracht S. 48 f. Es steht also fest, dass das Oel bereits in der Technik 'der homerischen Linnenindustrie eine Eolle spielte. Nun konnte ja freilich auch das hierbei gebrauchte Oel auslandisches gewesen sein; aber wir miissen 'doch gestehen, dass uns die Ausfiihrungen Hehns, durch welch e er die fast vollige Abwesenheit der Kultur des Oel- baums in Homerischer Zeit zu beweisen versucht, auch sonst nicht tiber- zeugt haben. Wir billigen in dieser Beziehung, ihrem Inhalte nach, die Em- wendungen Hertzbergs a. a. O'., wenn es auch Friedlander in Fleckeisens Jahrbiichern, XIX. Jahrg. 1873 S. 89 gelungen ist, einige Stellen fiir Hehns Anschauung zu retten. In keinem Falle aber kommen wir tiber das Gleich- niss in einem als alt und echt unangefochtenen Theile der Ilias (17, 58 58) hinweg; denn wie fest musste die Vorstellung eines vom Pflanzer aufgezogenen Oelbaums in der Seele des Dichters und seiner Horer haften, wenn ersterer dieselbe zur Veranschaulichung anderer Begriffe gebrauchen konnte! Auch bei der IXaiY], aus welcher Odysseus sein Ehebett gezimmert hat, ist nicht zu ver- gessen, dass dieselbe ipxeo<; IVTOC; (23, 190) gewachsen war. Die Hehn'sche Erklarung endlich der rnit der eXaivj zusammengewachsenen ^uXt-r] als Myrte (oben S. 106) schiene uns nur dann annehmbar, wenn anderweitig fest stiinde, dass die eXaifj nothwendig als wilder Oelbaum gefasst werden musste, was eben nicht der Fall ist. Ueber die verschiedenen Deutungen der cpuXiYj bei alten und neuen vgl. Buchholz, Die horn. Realien I, 2 S. 255 ff.

Zu dem gleichen Ergebniss, wie wir, kommen Neumann und Partsch, Physikalische Geographic von Griechenland S. 413: »Ho"chst unwahrschein- lich ist, dass noch im homerischen Zeitalter Olivenol den kleinasiatischen Griechen nur als phonizischer Importartikel bekannt gewesen sein soil. Diese Ansicht Hehns ist wohl nur dadurch erklarlich, dass er bei seinem Nach- weis der Seltenheit des Oeles bei den homerischen Helden reines Olivenol und wohlriechendes Salbol nicht auseinanderhalt. Letzteres scheint aller- dings ein specifisch semitisches Erzeugniss und fiir die Griechen ein kost- spieliger Importgegenstand gew^esen zu sein.«

Eine endgiltige Entscheidung daruber, ob die Kultur des Oelbaurns der homerischen Zeit noch fremd war oder nicht, wird man von den altgriechi- schen Ausgrabungen erhoffen diirfen. Schon sind einige Denkmaler zu Tage getreten, welch e nach dem Urtheil der Sachverstandigen hochstwahrscheinlich Abbildungen von Oelbaumen enthalten. Zunachst sind hier die beiden Gold- becher von Vafio bei Amyclae (3EcpYj|jisp!<; (Scp^aioXoYtxY) 1889, Tafel 9) zu nennen. Ist es hier nach Massgabe der Situation (Stierjagd) moglich, an wilde Baume zu denken, so scheint das Bruchstvick eines silbernen Gefasses aus Mykenae 1891, 3, 2), welches die Vertheidigung einer Stadt darstellt, zu deren

120 Der Oelbaum.

Linken Oliven auftreten, mehr auf angepflanzte Oelbaume hinzuweisen. Immer- hin aber kann man ja gegen die Beweiskraft derartiger Kunstwerke einwendeii, dass wir es hier mit auslandischer Arbeit oder der Arbeit nach auslandischen Motiven zu thun batten. Von grosserer Bedeutung sind daher die Oliven- kerne, welcbe man neuerdings in Mykenae aufgefunden hat. Hieruber be- ricbtet Herr Tsuntas brieflich am 1. November 1892: »Olivenkerne (die schoii Schliemann in Mykenae gefunden hatte) babe ich auch dies Jahr in dem Schutt von Hausern drei Mai gefunden, freilich im Ganzen nur etwa ein Dutzend, einmal auch einen in dem Dromos eines Grabes, also sicher aus mykenischer Zeit. Ich zweifle also nicht mehr, dass man Oliven ass^wilde Oliven sind ungeniessbar) ; ob man aber auch Oel^daraus presste, weiss ich nicht, scheint mir aber nicht unwahrscheinlich ; denn in Thera, wo die unter der Lava entdeckten Hauserreste etwa gleichzeitig mit der alteren mykeni- schen Periode sind, und deren Kultur sich vielfach mit der mykenischen bertihrte, hat man gefunden ,7un instrument complique en lave, qid parait etre un pressoir a huile (Dumont et Chaplain Ceramique de la G-rece propre t. 1, p. 31)«. Vgl. dazu auch Neumann und Partsch, a. a. 0. Wenn Tsuntas CEcprjjjLepi? 1888, S. 136) an die Stelle Plutarch, Lykurg 27: 1'itetta oovfrdirte-.v ooSev eiaae, aXXa iv cpoivtxiSt xftl cpoXXoi? eXoua? •8-svts? to aaifxa TCEpteateXXov erinnert, so haben auch in Aegypten sich aus der XXII. und XXV. Dynastie Todtenkranze aus Oelbaum- blattern gefunden (Wonig, Die Pflanzen im alten Aegypten S. 330).

Was die Namen des Oelbaums, gewohnlich identisch mit denen des Pro- ductes seiner Fruchte, anlangt, so wird das Hebraische, Phonizische (vgl. Schroder, S. 131), Arabische und Aramaische (vgl. Low, Aram. Pflanzennamen S. 136) durch eine gemeinschaftliche Benennung (*zeitu) verbunden. Auf dem Wege spaterer Entlehnung ist dieser Ausdruck auch in das Persische und Kurdische, in kaukasische und tatarische Dialecte eingedrungen (Pott in Lassens Zeitschr. VII, 110, Koppen a. a. 0. V, 573). Das Babylonisch- Assyrische kennt keinen Namen fur die Olive. Hingegen setzt sich die semitische Reihe offenbar fort einerseits im Armenischen (jet\ dzet' Oel und Olive, jit'eni Oelbaum), andererseits im Aegyptischen (t'et-t Olive, vgl. Wiedemann, Herodots II. Buch S. 383) ; denn es ist eine irrige, durch Strabo p. 809 und Hitters Erdkunde XI, 519 veranlasste Anschauung Hehns (oben S. 102), dass Aegypten kein Olivenol hervorgebracht habe. Im Gegentheil wird der Oelbaum auf den Denkmalern, z. B. d. XVIII. Dynastie in getreuer Wiedergabe der Blattformen und Fruchte nicht selten dargestellt. Nach Woenig a. a. O. S. 329 ware das Olivenol in Aegypten ausser zum Salben auch schon zu Speisen und als Opfergabe gebraucht worden. Ueber die Funde handelt G. Schweinfurth in Englers Bot. Jahrb. VIII, 1886 S. 6f. Vgl. auch G. Buschan, Vorgesch. Botanik. S. 127 ff.

Die oben genannte agyptisch-semitisch-armenische Namenreihe hat La- garde in den Mittheilungen III, S. 214 ff. einer eingehendeii Untersuchung uiiterzogen. Er gelangt dabei zu dem Ergebniss, dass der Ausgangspunkt derselben im Armenischen oder in einer diesem nachststehenden Sprache Kleinasiens er denkt an die Landschaft Cilicien zu suchen sei, und dass von hier sowohl das semitische wie auch das agyptische Wort, ersteres auf dem Landwege, letzteres auf dem Seewege entlehnt sei. Eine Bestatigung dieser Ansicht erblickt Lagarde darin, dass auch das griech. eXata, eXaiov auf

Ansassigkeit. Baumzucht. 121

das Armenische (iul Oel) hinweise. Jedenfalls erscheint diese Erklarung annehmbarer als die versuchte Herleitung der griechisclien Worter aus einer indogermaniscben, aber im Griechischen nicht vorhandenen Wurzel (lat. ad- olere, ags. alan verbrennen, brennen, vgl. Prellwitz Et. W. S. 89). Olivenbau fiir pontische Gegenden, fiir Armenien (p. 528), Melitene (535), Sinopitis (540), Phanaroa (556) \vird von Strabo bezeugt, wie auch nach Mos. Geog. p. 610 Oelbaume in der armenischen Provinz Uti vorkamen. 1st die Ansicht La- garde's mit welcher F. Hommel, Aufs. und Abh. S. 99 tibereinstimmt, richtig, so wiirde die Geschichte des Oelbaums in Asien mancherlei Verwandtes mit der des Weines haben, wie sie oben skizzirt worden ist.

Auch darauf macht Lagarde zum Schluss aufmerksam, dass »die bei Israeliten und Juden umlaufende Fluthsage (wie den Weinstock so) den Oel- baum nach Armenien setze, da die aus der gestrandeten Arc-he Noe's aus- gesandte Taube doch wohl das beriihmte Oelblatt aus keiner anderen Land- schaft als Ararat, dem Lande der 'AXapoStoi, geholt habe«.

Umgekehrt allerdings leitet Htibschrnann, Z. d. D. M. G. XLVI, S. 243, Armen. Gr. S. 309 das armenische Wort aus dem Semitischen ab, und weiter betrachtet Ermann ibid. S. 123 die semitische Benennung der Olive als eine Entlehnung aus dem Aegyptischen. Das Verhaltniss von griech. eXatov zu armen. iul halt Hiibschmann Armen. Gr. S. 394 fiir unaufgeklart. Eine Ueber- einstimmung in der Erklarung der sprachlichen Thatsachen ist also noch nicht erzielt.

Zusammenfassend wird man sagen diirfen: es ist wahrschein- lich, dass die Kultur der Olive im Orient noch ungewiss von welchem Ausgangspunkt sich auf der Linie Aegypten, Syrien, Kleinasien verbreitet hat, und von letzterem, schon in vor- homerischer Zeit, nach Griechenland iibertragen worden ist.

Wo die Kultur der drei genannten Gewachse, des Weines, der Feige und des Oelbaums, in grosserem Massstab sich festsetzte, da musste Lebensart und Beschaftigung der Menschen eine andere wer- den, das Land ein anderes Ansehen gewinnen. Die Baumzucht war ein Schritt mehr auf der Bahn fester Niederlassung : erst mit ihr und durch sie wurde der Mensch ganz ansassig. Der Uebergang vom unstaten Hirtenleben zur festen Ansiedelung ist nirgends ein plotzlicher gewesen, sondern fiihrte immer durch zahlreiche Zwischen- stufen, auf denen die Volker oft Jahrhunderte verharrten. Der herumziehende Hirte besaet fluchtig ein Stuck Land, das er im Herbst ebenso fluchtig aberntet; er wahlt im nachsten Friihling ein anderes, frisches, das er aberrnals liegen lasst, nachdem er ihm den Raub abgenommen. Hat die Horde an einem besonders fruchtbaren Fleck sich mit ihren leichten Hausern festgesetzt, so ist doch auch hier der Boden nach einigen Jahren erschopft: die ganze Gemein- schaft bricht auf, ladt alles Bewegliche auf ihre Thiere und Wagen

122 Ansassigkeit. Baumzucht.

und baut sich an einem andern Orte wieder an. Auch vvenn die Ansiedelung eine statige geworden, 1st cler Begriff individuellen Eigenthums am Boden doch noch nicht vorhanden: wie die Weide eine gemeinsame war, wircl auch das Ackerland, an welchem bei der geringen Bevolkerung kein Mangel ist, in jedem Jahr an die Genossen je nach ihrer Zahl neu vertheilt. Dies war der Zustand der Germanen zu Tacitus Zeit, und dies ist der naturliche Sinn der Worte des genannten Schriftstellers, an denen patriotische Ausleger, die gern das Gegentheil erfahren batten, nicbt minder miihselig, als in ahnlichem Fall die Bibelexegeten, gedeutet haben. Dieselbe communistische, noch halb nomadische Form des Ackerbaues, die mit dem Patriarcbalismus eng zusammenhangt, berrscht nocb heute in einem grossen Theil Russlands, bei Tataren, Beduinen und manchen andern Volkern. Viehzucht bleibt auf diesen ersten Stufen des Ackerbaus immer noch das vorherrschende Geschaft, Wandern und Raub die Leidenschaft, Fleisch und Milch die Hauptnahrung ; die Hauser sind nur leicht gebaut, brennen haufig auf, ihr Material ist Holz; der Pflug besteht aus einem spitzen Baumast, ritzt den Boden nur leicht und wird von kriegsgefangenen Sklaven gefiihrt; die Voraussicht ist keine lange, sie geht nur vom Friihling auf den Herbst. Einen bedeutenden Schritt weiter bezeichnet schon die Winter saat, aber den entscheidenden erst die Baumzucht. Erst mit der letzteren ging das Gefiihl ortlicher Heimath und der Begriff des Eigenthums auf. Der Baum muss Jahre lang erzogen und getrankt werden, ehe er Frucht giebt (»den ich hegte und pflegte wie eine Pfianze im Baumgarten«, sagt Thetis in der Ilias von ihrem Sohne Achilleus); dann giebt er sie jedes Jahr, indess der Bund mit dem einjahrigen Grase, das die Demeter saen gelehrt, in dem Augen- blick aufgelost ist, wo die Frucht geerntet worden. Um den Weiri- berg, um den Baumgarten wird eine schiitzende Hecke gezogen, das Zeichen vollen Eigenthums : dem blossen Ackerbauer geniigt im besteii Falle ein Grenzstein. Das Saatfeld muss auf Thau und Regen barren: der Pflanzer leitet die Quelle aus den Bergen herab und um seine Beete herum, und indem er dies thut, verwickelt er sich mit seinen Nachbarn in Rechts- und Eigenthumsfragen, die nur durch eine feste politische Ordnung gelost werden. Schon eine der altesten politi- schen Urkunden, von denen wir iiberhaupt wissen, der uns vom Redner Aeschines aufbewahrte Bundeseid der delphischeii Amphi- ktyonen, enthielt die Bestimmung: es darf keiner der verbiindeten Stadte das fliessende Wasser abgeschnitten werden, weder im Kriege

Ansassigkeit. Baumzucht. 123

noch im Frieden. Auch das Haus, das von Fruchtbaumgruppen umgeben 1st, wird, wie diese auf lange Jahre berechnet, d. h. es 1st von Stein erbaut und schmiickt sich in seinem Innern mit deni Ver- machtniss der Geschlechter und dem Erwerbe fortgehender Kultur. Das Eisen findet sich ein und wird allmahlich das immer haufigere, zuletzt vorherrschende Material aller Werkzeuge, Auch die Gotter werden edler: deneii des Hirten, der gewohnt ist, thierische Leiber aufzuschneiden, und dessen Poesie in der Vorstellung grasslicher, mit der Steinaxt aufgerissener Wunden schwelgt, wird blutig und roh geopfert, sanfter der Ceres mit geschrotenem Spelz und Salz und dem Terminus mit Kranzen und Kuchen, aber erst der Wein stimmte den harten Ackerbauer mild und heiter und machte ihn zu dramatischen Spielen aufgelegt, und erst die Olive, der Baum der Athene, der Gottin geistiger Helle, gab das Symbol des Friedens, der Bitte und der Freundlichkeit ab.

Schon die alten epischen Dichter unterscheiden genau die drei Arten der Bodenbenutzung: Thierweide oder FJeisch, Milch und Wolle; Ackerbau oder die siisse Halmfrucht, die Nahrerin des Men- schengeschlechts ; endlich Baumpnanzung oder Wein und Oel. Fur die beiden letzten Stufen, von denen die dritte, je alter die ent- sprechende Dichterstelle ist, um so mehr nur auf die Weinkultur sich beschrankt, gelten die sich gegeniiberstehenden technischen Aus- driicke: dgoa), agovQa und yvisvw, (pvmkCa. II. 14, 124 (Dio- medes erzahlt, sein Vater T}7deus habe ein reiches Haus bewohnt und viel weizenreiche Felder, viele Baumgarten und viele Heer- den besessen):

sein Haus war

Reich mit Schatzen gefiillt: er besass viel Weizengefilde, Auch viel Garten umher, von Baum und Rebe beschattet, Auch Schafheerden in Menge.

II. 12, 313 (Sarpedon spricht zu Glaukos):

Wesshalb baun wir den weiten Bezirk an den Ufern des Xanthos, Welch er mit Pflanzungen prangt und weizenergiebigem Saatfeld?

II. 20, 184 (Achilleus fragt den Aeneas, ob ihm die Troer etvva als Preis fur die Todtung seines Gegners ein Stuck Land ausgesetzt, versehen mit Pflanzung und Acker):

Steckten die Troer vielleicht dir ab ein erlesenes Grundstiick, Treffliche Saatengefild' und Pflanzungen, class du sie hauest, Wenn du mich todt hinstreckst?

(Aehnlich und mit denselben Worten von den Lykiern und dem Bellerophontes, II. 6, 194.) Auch die Aetoler bieten dem Meleager

124 Ansfissigkeit. Baumzucht.

als Preis fur die Theilnahme am Kampfe ein Grundstuck, zur Halfte

Weideland, zur Halfte Ackerboden, II. 9, 578:

Allda hiessen sie ihn ein herrliches Gut sich erlesen,

Fiinfzig Hufen umher, zur Halft' ein Rebengelande,

Halb ein freies Gefild, mit dem Pflug es zu schneiden geeignet.

Od. 9, 108 (von den Cyclopen, die weder Feldbestellung noch Baum- zucht kennen):

ovts cpvievovaiv %eQ(flv (pviov, OVT dyowtitv,

wo das xsQGlv bedetitungsvoll ist. Hesiod. Op. et d. 22: og tfTTSvdsi, lusv aQOf-i/uisvai yde (pvrevew.

Auch bei Tyrtaus, fr. 3 (Brgk.) :

Me<ttfivrp> dya&rjv fusv dgovv, aya&p> Sh yvrevetv.

An einer homerischen Stelle tritt aufMlender Weise zu Acker, Garten und Weide als Viertes der Pischfang an der Kiiste: Od. 19. Ill (in dem Lande des gerechten Herrschers)

da bringt der schwarzliche Boden

Weizen und Gerste hervor, schwer lastet die Frucht an den Baumeii, Kraftig gebaren die Schafe, das Meer giebt Fische zur Nahrung, Alles als Lohn der Weisheit und zum Gedeihen des Volkes.

Auch die spatern Prosaisten pflegen das Ackerland, yr{ i/Jt^r() und das bepflanzte Land, y?J Tieyvrt vf-isvrj , als die beiden integrirenden Theile des Kulturbodens zusammenzustellen , z. B. Xenoph. Hell. 3, 2, 10: Tio^r^v ds xdya$ifv yr\v GTtoQifJiov, TtoUdrp 6k jreg)vi:£Vfi£vrjv, na^i7iliqi)elg de xal nayxdkovg vopag navioda- Tiolg xxrjvBGt,. Demosth. adv. Lept. 115: sxawv [tsv sv Evfioiy TrAetya yrtg rtstyvttv/nsvqg ffdotiav, exawv tie ipihrjg. In Xenophons Oeconomicus hat sich Sokrates langere Zeit mit Ischomachus uber den Landbau, die yernQyixr] TS-^vr^ unterhalten, da fragt Ersterer: gehort denn auch die Baumpflanzung, ^ TWV dwdgoov yvTeia, mit zum Ackerbau als ein Theil desselben? Freilich, erwidert Ischo- machus. Und darauf wird denn ausfiihrlich iiber Tiefe und Breite der Gruben, die Bedeckung mit Erde, die Bewasserung, die Wahl des Bodens u. s. w. verhandelt, mit ausschliesslicher Beziehung auf die drei Gewachse aftnshog, avxr} und £kaia. Wie Demeter die Gottin der Feldfrucht, so ist besonders Dionysos, der Gott mit halb- orientalischem Charakter, Personification der gedeihenden Baumfrucht und des Segens, der daher kommt: Pindar, fr. 153 (Bergk.):

d&vfyiwv ds vofjibv dwvvoog dyvbv

Ansassigkeit. Baumzucht. 125

Plut. Symp. 5, 3, 4: xal UoasMvC ye (pvTcdpcw, diovi'&p 6s TidvTsg, wg enog slnslv, "Ehhyveg ttvovffiv. Auch evSsv-

hiess der Gott nach dieser Seite seines Wesens, Hesych. s. v. Wenn der Beiname der Demeter [JLahocpOQog in einer Inschrift von Selinus so viel bedeutet, als Spenderin von Baumfriichten, nicht etwa von Schafen (0. Benndorf, die Metopen von Selinnt, S. 31), so ware auch diese Gottin zuweilen als Vorsteherin der Garten gedacht worden.

Nicht anders war das Verhaltniss in Italien; auch dort sind Acker und Pflanzung coordinirte Kulturzweige, Dionysius Halic. 1, 37 preist Italien als keine Art des Anbaues ausschliessend : es sei baumlos, udevdgog, weil es korntragend, (UmyoQog, sei, es sei aber auch arm an Getreide, 6^t,yoxaQTiog^ weil es mit Baumeii be- pflanzt, devdQlug, sei u. s. w. Bei Eroberung Italiens, sagt Appian de bell. civ. 1, 7, wiesen die Romer das wiiste liegende Land Jedem zu, der Lust hatte, es zu bebauen, »indem sie sich nur einen jahr- lichen Zins vorbehielten, den Zehnten von dem Ertrage des besae- ten, den Fiinften von dem des bepflanzten Landes.« Cic. de rep. 5, 2 (den Konigen, denen die Rechtsprechung oblag, wurde Land zur Entschadigung gegeben): ob easque causas agri, arvi et arbusti et pascui, lati atque uberes definiebantur, qui essent regii in welcher alterthiimlichen Formel also der ager arbustus, die Baumpflanzung, dem ager arvus und pascuus, dem Saat- und Weidelande, als Glied der Dreitheilung gegeniibersteht, ganz wie in der obigen Stelle des Xenophon. Lucret. 5, 933 ed. Lachm.

Nee robustus erat curvi moderator aratri Quisquam, nee scibat ferro molirier arva; Nee nova defodere in terram virgulta neque aliis Arboribus veteres decider e falcibu' ramos

also ohne Umschreibung : weder Ackerbauer noch Baumpflanzer. Daher auch Cn. Tremellius Scrofa bei Varro de r. r. 1, 7, 8 es als eine Sonderbarkeit anfuhrt, dass er bei einem Kriegszuge ins innere Gallien gegen den Rhein hin Gegenden gefunden habe, wo es ganz an Weinstocken, Oel- und Obstbaumen fehlte: in Gallia transalpina intus ad Rhenum* cum exercitum ducerenij aliquot regiones accessi, ubi nee vitis nee olea nee poma nascerentur; ubi agros stercorarent Candida fossicia creta; ubi salem nee fossicium nee maritimum haberent, sed ex quibusdam lignis combustis carbonibus salsis pro eo uterentur. So natiirlich also schien einem Zeitgenossen des Varro und Bewohner des Siidens die Verbindung des reinen Ackerbaues mit Anpflanzung des Weinstocks und fruchttragender Baume, dass

126 Ansassigkeit. Baumzucht.

er die Abwesenheit der letztern mil der ihm imbekannten Mergel- diingung und dem Gebrauche der Asche statt des Salzes zusammenstellt.

Interessant 1st, dass auch in den heiligen Schriften des Zend- volkes der Boden auf die dreifache Art benutzt wird, wie in Griechen- land und Italien. Vendidad 3, 12 13 (nach Spiegels Uebersetzung) : »Was ist zum Dritten dieser Erde am angenehmsten? Darauf ent- gegnete Ahura-mazda: wo am meisten durch Anbau erzeugt wird, o heiliger Zarathustra, von Getreide, Futter und speisetragenden Baumen.« 76 77: »Wer erfreut zum Vierten diese Erde rnit der grossten Zufriedenheit? Darauf entgegnete Ahura-mazda: Wer am meisten anbaut Feldfriichte, Gras und Baume, die Speisen bringen, o heiliger Zarathustra. « Aehnlich driickt sich auch der Perser Mar- •donius bei Herodot aus: als dieser den Xerxes zum Kriegszug gegen die Athener bereden wollte, da ruhmte er ihm Europa als ein schones Land, wo aller Art Fruchtbaume wiichsen und der Boden hochst kraftig (zum Getreidebau) sei, Herod. 7, 5: cog q EvQW7trt xaMrjC WQQI], xal SevdQsa rtavxola (psQsi, TO, r^fiSQa, aQST^v re Umgekehrt war Babylonien nach Herod. 1, 193 hochst fruchtbar an Getreide : a^iatr} dfarJTQog xagnov zxysgeiv, trug aber keine Spur von Baumen: devtigsa ovds neiQaicu aQxyv (pegtw OVTS <Svxei]v, OVTS afiiTiehov, ovT8 shaCyv - - wo die typische Zusammenstellung der drei Oewachse, der Feige, Rebe und Olive, wiederkehrt.

Wenn Vergil G. 2, 371 sagt: Texendae saepes etiam u. s. w., so ist dies nicht etwa ein neuerer Gebrauch: schon im Alten Testa- ment und in der epischen Zeit Griechenlands werden solche Baurn- garten als umzaunt, mit Graben oder Hecke und Mauer umgeben gedacht, wahrend das Saatgefilde frei daliegt. Wie die Parabel des Propheten Jesaias Kap. 5 mit den Worten beginnt: »Mein Lieber hat einen Weinberg an einem fetten Ort und er hat ihn verzaunet und mit Steinhaufen verwahret und edle Reben drein gesenket«. , so war auch der Weinberg auf dem Schilde des Achilleus mit einem Oraben, xdnsxos, und einer Hecke, eQxog, umzogen; Oineus, der Herrscher von Kallydon, todtete seinen eigenen Sohn Toxeus, d. h. den Schiitzen, weil dieser es gewagt hatte, den Graben, der die Weinstocke umschloss, zu tiberspringen (Apollodor. 1, 8, 1). Das Material, das zu der Umzaunung gelesen wird, heisst mit einer ety- mologisch dunklen Benennung al^aaia entweder Dornen oder Steine, vielleicht bald das Eine, bald das Andere, oder Beides zu- gleich, je nach der Gegend oder ihrer natiirlichen Beschaffenheit ; der gottliche Sauhirt in der Odyssee wenigstens hat seinen Hof mit

Ansassigkeit. Baumzucht. 127

herbeigeschleppten Steinen verwahrt und diese dann mit Dornen besteckt, 14, 10:

Steine zusamraengeschleppt und oben umfriedet mit Dornen.

Solche o£/o£, <fVTu>v OQ^CLTOC, wie Homer und Hesiod die umfrie- digten Fruchtgarten , besonders die Weingarten, nach dieser ihrer Eigenschaft benennen (da diese Worter doch wohl auf el'^yco, schliessen, zuriickzufiihren sind, JJLETOQWOV = ein Getreidefeld zwischen zwei geschlossenen Garten), bedecken und durchschneiden noch jetzt das siidliche Italien, dessen Wege zwischen Mauern und Hecken von Stachelpflanzen dahinziehen und dem staubbedeckten Reiter die Aus- sicht auf das Meer oder das Gebirge versagen. Auch gilt noch jetzt in jener Gegend ein Grundstuck, das mit Mauer oder Hecke um- geben ist, allgemein fur werthvoller und an Ertrag reicher als ein offenes.

Schon bei Homer sind es die Schwachern, besonders die Greise, deren Obhut die Baume anvertraut sind und die niedergebiickt im Garten pflanzen, graben und schneiden: mit dem Ochsengespann Furchen ziehen und die Wiese mit der Sense, SgeTravov, abmahen, gilt, wie der Krieg, fur das Werk der Jiinglinge und Manner. Be- sonders deutlich ist in dieser Beziehung die Stelle Od. 18, 356 ff. Einer der Freier, Eurymachus, hat den Odysseus wegen seines Kahl- kopfes verlacht und schlagt ihm darauf vor, als Arbeiter am Zaun und als Pflanzer von Baumen in seinen Dienst zu treten:

Dornengestrauch mir zu sammeln und stammige Baume zu pflanzen.

Hierauf erwidert ihm Odysseus: »Sollte ich mit dir auf der Wiese den ganzen Tag liber um die Wette das Gras abmahen oder mit dem Joch Ochsen vier Morgen fetten Ackers pfliigen, dann wurdest du sehen, ob ich eine Furche zu ziehen im Stande bin. Und hatte ich Waffen, wie sie sich fur den'Krieger schicken, du wiirdest mich unter den Ersten kampfen sehen. Du aber scheinst dir gross und stark, weil du mit Wenigen und Bosen verkehrst.« So hat sich auch der greise Laertes zu den Garten zuriickgezogen , und sein Genosse ist der gealterte Sklave Dolios, den einst Penelope von ihres Vaters Hause in das des Ehegatten mithiniibergebracht. - Nicht anders im Hymnus an den Hermes. Dort treibt der Gott die gestohlenen Kinder hinweg, da sieht ihn ein Mann, der im Wein- garten arbeitet: es ist ein Greis, der, zur Erde gebeugt, im Boden grabt, v. 90:

co yegov, ocrce (pvia GxaiTTSig emxafjiTfvhog

128 Ansassigkeit. Baurnzucht.

Und als Tags darauf Apollon suchend an derselben Stelle vorbei- kommt, da findet er den Greis, einen Zaun, €Qxog aAco?^, zum Schutz gegen die Strasse, auf der viel Wanderer ziehen, nags^ oSov, aus Dornen flechtend und redet ihn demgemass an, v. 190:

co YSQOV, yQy*tf\6i;olo fiaxodgoTie no^eviog.

Das in dem ersten Verse gebrauchte o*&rz€W ist gleichfalls feste Bezeichnung fur Arbeit im Wein- und Baumgarten, wie bei Hesiod. Op. et d. 572:

tors drj Gxd(pog ovxen oivewv,

und wird gern dem OQOVV, dem Ackern auf dem Felde, gegeniiber- gestellt. So in dem Verse aus dem homerischen Margites: Tbv & OVT aQ ffxaTTT^Qa fool dzaav, OVT' aQOT^ga. Auch lateinisch heisst es fodere hortum (Plaut. Pten. 5, 2, 30), und fodere und arare stehen in Parallele, Terent. Heaut. 1, 1, 16: quin te in fundo conspicer fodere aut arare. Das Werkzeug dazu ist entweder das MGTQOV, daher Od. 24, 227 Odysseus seinen alten Vater foffiQSvovTa (fVTov findet, oder die [idxeMa, d. h. die einzinkige Hacke, in der Ilias 21, 259 zum Aufgraben der Wasserrinnen im Garten gebraucht, oder die dixekla, d. h. die zweizinkige Hacke, in einem Fragment des Aeschylus in Gegensatz zum Pfluge gestellt, fr. 190 (Nauck):

rafitovg, iv OVT O.QOTQOV OVTS yarofJiog TSftvsi, dtxsW agovgav,

auch die Gxanavr] (bei Theokrit, davon vielleicht das italienische zappa, franz. sappe}, in der spatern attischen Sprache die a^ und tfp&tvS oder Gfuvvrj, lat. ligo, bidens, vanga (bei Palladius, noch italienisch), franzosisch pioche (vermuthlich statt picoche) u. s. w.

Mit der Baumzucht freilich wurden auch die Kriege furchtbarer, weil die Zerstorung mehr Gegenstande fand. Nach der uraltesten Sitte, die auch bei Homer nicht fehlt, wie sie noch jetzt bei den Beduinen herrscht, ist das Wegtreiben der Heerden, der Raub der Pferde ein gewohnlicher Kriegsvortheil und die an dem Feinde geiibte Rache und Strafe; oft holt der Beschadigte den abziehenden Rauber wieder ein und nimmt sein Eigenthum zuriick; in jedem Falle ersetzt sich die Heerde in nicht allzulanger Zeit wieder. Die Germanen zogen sich hinter ihre Walder und Siimpfe zuriick, und die Romer konnten sie nirgends empfindlich treffen. »Warum sollten wir uns auf eine Schlacht mit Euch einlassen, antwortet bei Herod. 4, 127 der Skythenkonig Idan thyrsus dem Darius, wir haben ja keine

Ansassigkeit. Baurazucht. 129

Stadte, die eingenommen, keine Pflanzungen. (yrj Tteg) VTSV/LISV^) , die ausgerottet werden konnten.« Noch in unserm Jahrhundert, im Jahre 1812, machten es die Russen ganz ahnlich: sie brannten sogar ihre Hauptstadt nieder, die doch nur grosstentheils aus Holz bestand, zogen sich immer weiter ins unwirthliche Innere zuriick und liessen Entfernung, Wildniss, Klima die Vertheidigung fuhren. Anders da, wo der Mensch in dauernden Hausern unter Weinstocken, Oel- und Feigenbaumen wohnt, da wuthet ein grausamer Feind schrecklich, und das Land ist auf Menschenalter verodet. Die Wasserleitungen werden zerstort und damit die eigentliche Lebensquelle abgeschnitten : sie wieder einzurichten , kostet viele Arbeit und mehr Kapital, als nach einem Kriege vorhanden ist. Die Oelbaume werden nieder- gehauen und wachsen nur langsam wieder; auch der Weinstock fordert manches Jahr, ehe er tragfahig wird. Zwar das mosaische Gesetz verbot das Ausrotten der Fruchtbaume, Deuteron. 20, 19: »Wenn du fur einer Stadt lange liegen musst, wider die du streitest, sie zu erobern, so sollst du die Baume nicht verderben, dass du mit Aexten daran fahrest, denn du kannst davon essen, darum sollst du sie nicht ausrotten«, aber dass das Verbot in der Kriegswuth nicht beachtet wurde, lehrt das Alte Testament selbst. So verbrannte z. B. der hebraische Nationalheld Simson mittelst seiner Fiichse nicht bloss die Saaten des feindlichen Landes (die im nachsten Jahr wiederwachsen konnten), sondern auch die Wein- und Oelpflanzungen , die nicht so leicht wieder herzustellen waren. Als Alyattes, Konig von Lydien, die Stadt Milet nicht einnehrnen konnte, bezog er alle Jahre regelmassig ihr Gebiet und verdarb Baume und Feldfriichte (Herod. 1, 17). Auf solche Art ist auch spater der Orient wiederholt von hereingebrochenen wilden Horden zur Wiiste gemacht worden und hat die fruhere Bliite nie wieder erreicht. Auch die Geschichte der Griechen ist voll von ahnlichen Barbareien vor und nach Plato, der sie in seiner Republik (5. p. 470) wenigstens unter Griechen nicht dulden will. Wie oft liest man beim Thucydides die verhangnissvollen Worte: vrp yr^v $drjovv oder Zufivov, z. B. 3, 26; »sie verheerten Attika, sowohl die Gegenden, wo schon fmher die Gewachse niedergemacht und jetzt etwa neu aufgesprosst waren, als diejenigen, die bei fruhern Einfallen verschont geblieben waren. « Wie die Peloponnesier besonders in den Oel- pflanzungen Attikas gehaust hatten, ergiebt sich deutlich aus des Lysias Rede negl wv ffyxov, wo unter andern z. B. folgende Stelle vorkommt: »Ihr wisst, dass damals viele Gegenden mit Oelbaumen

Viet. Hehn, KiUturpflanzen. 7. Aufl. 9

130 Ansassigkeit. Baumzucht.

bestanden waren, die jetzt grosstentheils niedergehauen sind, und dass das Land seitdem kahl geworden ist.« Im ersten messenischen Kriege sollen nach Pausanias 4, 7, 1 zwar die Baume verschont worden sein (ovds devdga sxoniov), aber nur weil die Lacedamonier das Land als ihr eigenes betrachteten : spater iibten sie das Ver- wiisten urn so besser. Von dem Kriege, den sie gegen die Eleer fiihrten und den Xenophon Hell. 3, 2, 21 ff. beschreibt, heisst es auch: »da das Heer ins feindliche Gebiet eingeriickt war und schon im Lande das Niederhauen der Baume begonnen hatte, trat ein Erd- beben ein« und spater: »er marschirte gegen die Stadt, niederschlagend und sengend im Lande «. Umhauen und ausrotten war auch im neueren griechischen Freiheitskriege das gewohnliche Mittel, den Feind zu ziichtigen, und in Unteritalien reden die mittelalterlichen Chroniken oft genug von der gleichen Behandlungsart feindlichen Gebietes (z. B. Muratori Scriptt. VIII, p. 546: Obsedit itaque Princeps [Manfredus] civitatem Brundusii et cum civitas ipsa moenibus et populo valde munita esset nee posset per insultum earn de facili capere, fecit fieri depopulationem arborum circumcirca civi- tatem ipsam usque ad moenid). Nach Kaiser Friedrichs I. Barbarossa Reichsabschied, die Mordbrenner und Friedenstorer betreffend, Niirnberg 1187, sollen diejenigen, die Weinberge oder Fruchtgarten zerstoren, der Strafe der Brandstifter verfallen, § 14: statuimus etiam, ut si quis vineas aut pomeria exciderit proscriptioni et excommunicationi incendariorum subjiciatur. Umgekehrt verwirkte wohl auch der Rebell und Uebelthater nicht nur sein Leben, sondern auch sein Haus wurde niedergerissen , seine Fruchtbaume umgehauen, seine Reben ausgerottet39).

Wie sich halber und ganzer Ackerbau oder Ackerbau mit no- madischen Gewohnheiten und Ackerbau verbunden mit Baumpflanzung unterscheiden , dariiber haben die Franzosen in Algier Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu machen. Die fliichtigen Araber zu treffen, mussten die europaischen Kolonnen mit ihnen an Beweglichkeit und Schnelligkeit wetteifern; denn hatte das Dorf auch nur zwei Stunden vorher von der Annaherung des Feindes Nachricht, so fand man an der Stelle, wo man es zu iiberf alien gedachte, nichts als die oft noch warme Asche ausgeloschter Lagerfeuer. Der Stamm hatte sich weiter ins Innere gezogen, von da wich er, wenn er verfolgt wurde, immer weiter und weiter ins Innere bis in die unnahbare Wiiste. Man mahte ihre Ernten ab, man trieb, soweit man derselben habhaft werden konnte, ihre Heerden weg; zuweilen unterwarfen sie sich

Esel. Maulthier. Ziege.

dann demuthig; im nachsten Jahr aber konnte dieselbe Scene von Neuem spielen. Ganz anders verhielten sich die Kabylen des Djur- djuragebirges der Invasion gegeniiber. Diese directen Nachkommen der alien Libyer sind namlich ein gartenbauendes Volk mit halb- steinernen Wohnungen, festem, durch Mauern und Hecken, uber die iiberall fruchttragende Aeste herabhangen, bezeichneten Besitzthum, und dem Gefuhl der Anhanglichkeit an den Ort ihrer Geburt. Sie wohnen im Gebirge, und der Zugang zu ihnen ist schwer: ist dieser a,ber einmal erzwungen, dann bait sie die in ihrer Mitte angelegte kleine Festung mit der geringen Besatzung bleibend im Zaum. Sie zahlen regelmassig ihren Tribut und sind zufrieden, wenn man sie bei ihren alten Sitten und bei der eigeiien Gemeindeverwaltung lasst. Einige Strassen werden durch ihr Gebirge gezogen, die ungewohnte Sicherheit belebt den Waarenaustausch und den Besuch der Markte, und langsam und unmerklich, aber sicher dringt europaische Civili- sation unter das bisher nach aussen abgeschlossene und miss- trauische Volk. Auch die Dichtigkeit der Bevolkerung steht in gradem Verhaltniss zu der mehr oder minder durchgefiihrten Abkehr vom Hirtenleben. Eine Beduinenfamilie bedarf zu ihrer Ernahrung eines weiten Raumes, den sie immer nur streift, die Kabylen graben den Boden um und entlocken ihm zehnfachen Ertrag, und wo dort Quadratkilometer nothig sind, geniigt hier ein Garten von wenig Schritten. Gleichzeitig mit der Aufnahme der neuen Kulturart, weil eng an sie gekniipft, war die Einfiihrung des Esels, die Erzeugung des Maulthiers, die Verbreitung der Ziege. Der geduldige, arbeitsame (plagarum et penuriae tolerantissimus , Idboris et famis maxime patiens), zugleich sehr verstandige Esel, der die Geschafte des Hauses besorgte, die Miihle und den Brunnen trieb, die Erde in Korben auf die Anhohe trug und beladen den Landmann zu den Markten und Opferfesten begleitete, er bedurfte nicht wie das Rind fetter Wiesen und schattiger Gebiische, iiberhaupt weiterer Strecken, er nahm mit dem Ersten Besten vorlieb, was am Wege wuchs oder was das Hauswesen abwarf, mit Stroh, Stengeln, Disteln und Dornen. Dass er aus dem semitischen Kleinasien und Syrien nach Griechen- land gekommen sei wobei immer wahr sein kann, dass Afrika, wo noch jetzt seine Verwandten leben, seine urspriingliche Heimath ist , lehrt die Sprachgeschichte 40) , und wird durch die altesten Kultur- und Volkerverhaltnisse bestatigt. In der epischen Zeit, in welcher Viehzucht und Ackerbau noch vorherrschen , ist der Esel noch gar nicht das gewohnliche Hausthier; er kommt nur an einer

9*

132 Esel. Maulthier. Ziege.

Stelle der Ilias vor (bloss in einem Gleichniss, 11, 558 ff. , das von einem den Salaminiern und Athenern nicht gunstigen. Dichter verfasst und dann an dieser Stelle eingeschoben scheint; es streift an das Parodische und 1st mit der vorausgehenden Vergleichung widersinnig gepaart, s. Welcker, der epische Cyclus2, II. 361); in der Odyssee, in deren zweitem Theil Gelegenheit genug dazu vorhanden war, wird er gar nicht genannt und eben so wenig bei Hesiod. Da das latei- nische Wort, asinus, eine alterthiimliche Gestalt zeigt, die iiber die Zeit der griechischen Kolonisation hinauszuliegen scheint, so muss das Thier schon vorher auf dem Landwege durch Vermittelung der illyrischen Stamme in Italien eingewandert sein. Oder sollen wir annehmen, dass die Cumaner noch affvog sprachen, als sie ihre Staclt auf der heutigen Insel Ischia anlegten? Im spateren Italien war der Esel, ausser den gewohnlichen Haus- und Felddiensten , die er verrichtete, auch wichtig fur den Ein- und Ausfuhrhandel der ge- birgigen Theile der Halbinsel. Der Waarentransport aus den innern Landschaften zu den Seehafen geschah auf dem Rucken der Esel und die Kaufleute hielten zu diesem Zweck eigene Heerden dieser Lastthiere, Varro de r. r. 2, 6, 5: Greges fiunt fere mercatorum, ut eorum qui e Brundisino aut Appulia asellis dossuariis comportant ad mare oleum aut vinum itemque frumentum aut quid aliud. Mit der Wein- und Oelkultur die Grenze derselben nicht iiberschreitend - ging auch der Esel weiter nach Norden, mit ihm sein Name: in demselben Masse, wie das Hochwild der Walder, der bos urus und der bos primigenius (der Auerochs und der Wisent) und der Riesen- hirsch (der Schelch, noch im Nibelungenliede genannt) ausstarben, biirgerte sich der aus der Fremde gekommene Langohr beim Land- mann in Gallien ein, erhielt mannigfache Namen und lebte in den Sitten, Scherzen, Sprichwortern und Fabeln des Volkes. In Deutsch- land war es ihm schon zu kalt. Das Maulthier, bei Homer schon nicht selteii, stammte aus dem pontischen Kleinasien und zwar, wie Homer ausdriicklich sagt, von den Enetern, einem paphlagonischen Volke, II. 2, 872:

£§ ^Everwv, o&ev r^fjiiovwv yevog dygozsQawv,

wozu der Scholiast bemerkt: »bei den Enetern wurde zuerst die Vermischung der Esel und Pferde erdacht.« An einer andern Stelle sind es die Myser, die dem Priamus Maulthiere schenken, II. 24, 277:

Schirrten die Maulthiere an, starkhuiige, kraftig zur Arbeit. Welche die Myser dem Greise verehrt als edle Geschenke.

Esel. Maulthier. Ziege.

Myser und Paphlagonier wohnten nicht weit von einander, und der Weg zu den letzteren geht durch das Gebiet der ersteren. In einem Fragment des Anakreon werden die Myser geradezu als Erfinder der Maulthierzucht genannt (fr. 34. Bergk.):

InTtottoQov de MvcfoC

SVQflV [itfyv OVVOV TlQOg LTlTlOVg.

Damit stimmt iiberein, dass auch im Alten Testament die Landschaft Thogarma, d. h. Armenien oder Kappadocien die besten Maulesel lieferte (Ezech. 27, 14); den Israeliten selbst verbot das Gesetz diese Zucht. Auch spater noch horen wir von kappadocischen und ga- latischen Maulthieren, und von den erstern wird berichtet, sie seien fruchtbar, also unter besonders giinstige Naturverhaltnisse gestellt: Pseudo-Aristot. de mirab. ausc. 69 (70): sv KajinadoxCq, (patiiv fj/iuovovg elvat, yovttuovg. Plin. 8, 173: Theophrastus volgo parere in Cappadocia tradit, sed esse id animal ibi sui generis. Plut. de cupiditate divitiarum, 2: r^iio'voi PahauxaC (als Gegenstand des Luxus) 41). Hochst merkwiirdig, well den israelitischeii religiosen Vor- stellungen (vielleicht auch denen anderer semitischer und halbsemiti- scher Stamme?) analog, ist das alte, in die mythische Zeit hinauf- verlegte Verbot, im Lande der Eleer Maulthiere zu erzeugen. Der Konig Oenomaus, der Sohn des Poseidon und Vater der Hippodameia, sollte einen Fluch, xaidga, iiber diese Zeugung ausgesprochen haben, und seitdem brachten die Eleer ihre Stuten ausser Landes, um sie dort von Eseln belegen zu lassen (Herod. 4, 30, Paus. 5, 5, 2); dass der Fluch von dem alten Konig Oenomaus herriihrte, setzt Plutarch hinzu (Qu. graec. 52). Vielleicht war in diesem elischen Brauch nur die durch Religion festgehaltene alteste Zeit aufbewahrt, wo es in Griechenland keine anderen, als vom Orient eingefiihrte Maulthiere gab und das Volksgefuhl sich gegen solche widernatiirliche Mischung noch straubte. Auch bei Homer besitzt der Ithakesier Nae'mon in dem weidereichen Elis zwolf Stuten mit den dazu gehorigen Maulthier- fiillen (Od. 4, 635 if.). Im Uebrigen ist in der epischen Welt das Maulthier schon ein eigentliches Arbeitsthier, sowohl bei der Feld- bestellung, als im Geschirr vor dem Wagen (&vz&n&qyov$) und beim Schleppen von Lasten, und es wird daher gern als vielduldend und muhselig dargestellt (lahaeQYog). Dass es als starker dem Esel vor- gezogen wurde, lehrt der bekannte Vers des Theognis 996:

yvotfig % oGffov oroov xgeffaovss Tffiiovoi.

Auffallend aber ist die abstracte Benennung r^uovog, Halbesel, und OQwg, ovgevg, Bergthier, die sich in dieser doppelten Gestalt auch

134 Esel. Maulthier. Ziege.

bei Hesiod findet und durch das ganze Alterthum fortwahrt. Zur Erklarung von ovQei'>c mag II. 17, 742 dienen, wo das Maulthier Balken und Schift'sbauholz aus den Bergen miihsam hinabschleppt, oder II. 23, 114 ff. , wo die Manner mit Aexten, Seilen und Maul- thieren in die hohen Schluchten des Idagebirges hinaufziehen, um Holz fur den Scheiterhaufen des Patroklos zu holen, die Last aber den Maulthieren angebuiiden wird, die sie dann in die Ebene stampfend hinabtragen. Nach Italien kam der mulus, wie dieser Name beweist, aus Griechenland42); das lateinische Wort diente dann alien Volkern, die das neue kiinstlich geschaffene Thier bei sieh aufnahmen, zur Bezeichnung desselben. Wie noch heute, wurden auch zu Varros Zeit die Fubrwerke auf den Landstrassen von Maul- thieren gezogen, die neben der Kraft und Starke auch durch Schon- heit dem Auge wohlgefallig sein mussten, wie gleichfalls noch heut zu Tage, 2, 8, 5 : in grege mulorum parando spectanda aetas et forma, alterum ut vecturis sufferre Idbores possint, alteruin ut oculos aspectu delectare queant, hisce enim binis conjunctis omnia vehicula in viis dueuntur. Auch die Griechen lieben ein solches ^svyog OQIXOV, und schon Nausicaa fahrt in der mit Maulthieren bespannten a,ua£a oder aniqvri zum Meeresufer und von diesem zur Stadt zuriick. Auch die Ziege ist das Hausthier des mehr gartenartigen Anbaues in siid- lichen Gebirgsgegenden ; sie nahrt sich von aromatischen Stauden, die von selbst an den heissen Felsabhangen spriessen; sie nimmt auch mit hartblattrigem Gestrauch vorlieb und giebt eine fette, gewiirzige Milch. Das diirre Attika, reich an Oel und Feigen, ernahrte auch zahlreiche Ziegen; ja eine der vier alten attischen Phylen, die der AlyixoQeZs, war nach den Ziegen benannt. Auch wenn die Ziege schon mit den ersten arischen Volkerziigen in Europa einzog und also den Hellenen und Italern nicht erst in ihrer neueii Heimath bekaniit wurde, so fand sie doch erst hier und erst mit der adoptirten semi- tischen Kulturart ihre eigentliche Stelle und niitzliche Verwendung43). Dass auch die eigentliche Bienenzucht erst mit der Baum- zucht auftreten konnte, ist leicht einzusehen. Wer ein Olivenreis pflanzte, das ihm gehorte, und von dem er erst nach Jahren Friichte erwartete, der konnte auch innerhalb eines umfriedigten Raumes Bienenstocke hinstellen, sie zur Winterszeit pliegen, ihre Zahl durch Kolonien des Mutterstockes , wie die der Fruchtbaume durch Setz- linge, zu seinem Nutzen vermehren und zu rechter Zeit und in be- stimmten Fristen in G'estalt von Honig und Wachs den Lohn fur seine Bemiihung einziehen. Aristaus, der inventor olei, erfand auch

Esel. Maulthier. Ziege. 135

die xaraGxevi] rwv o^vciov, d. h. die Bienenwirthschaft, und als sein Bruder wird Autuchos genannt, d. h. der Selbstbesitzende. Homer weiss noch nichts von Bienenstocken ; wenn das zweite Buch der Ilias einmal die Achaer sich sammeln lasst, wie die Bienen aus einer Felsenhohlung ausfliegen, so bilden die letzteren also einen frei in der Wildniss lebenden Schwarm. Erst eine Stelle der hesio- dischen Theogonie (v. 594 if.), die eben darum nicht sehr alt sein kann, kennt die o/^'i^ und die Giinfihoi,, d. h. kunstliche Bienen- korbe, und unterscheidet auch die Arbeitsbienen von den Drohnen, welche letztere mit den Weibern verglichen werden! Der Hirte be- raubte wilde Bienenstocke, die er im Walde fand, und bereitete, wenn der Fund reich war, M e t h aus dem Honig ; der Ackerbauer liess sein Mehl zu einer Art rohen Bieres gahren; der Weinbauer mischte oft den Honig, den er regelmassig gewann, in seinen Wein und nannte diesen dann pedv oder inulsum und glaubte, der Genuss davon schaft'e ihm langes Leben44).

* * So wahrscheinlich es ist, dass der Esel in homerischer Zeit noch kein eigentliches Hausthier war, ebenso un wahrscheinlich ist es, dass sein Name aus dem semitischen Volkerkreis den Griechen zukam, dass mit Benfey und Hehn (ygl. oben S.-131 und Anm. 40) Entlehnung des griech. ovo? aus semitischem dton Eselin anzunehmen sei. Dariiber zuerst Lagarde, Arm. Stud. S. 56. Das griech. ovo? und lat. asinus gehen vielmehr wahrscheinlich auf eine gemeinsame Grundform * asnas zuriick, deren Herkunft zunachst im Norden der Balkanhalbinsel zu suchen sein wird. Vielleicht ist weiter eine Verkniipfung mit dem araien. es Esel moglich, von dem wieder das turko-tat. esek, esik und das sumerische ansu, ansi nicht getrennt werden konnen. Vgl. hier- iiber F. Hommel in der Beilage zur allg. Zeitung 1895, No. 197, S. 3, der auch den Namen der medisch-elamitischen Landschaft Anschan, der Heimath des Perserkonigs Kyros, hierherstellt, die er ansprechend als »Eselland« deutet. - Wenn aber der homerischen und hesiodischen Volkswirthschaft, welche das Maulthier haufig verwendet, der Esel als Hausthier noch nicht bekannt war, so ist es auffalligj dass das altere Maulthier dennoch nach dem spater auftretenden Esel benannt ist (4)fxiovoi;: b'voc). Es scheint sich dies durch die Annahme zu erklaren, dass, als die Hellenen sich selbst der Zucht von Maul- thieren zuwandten, sie einzelne Esel oder Eselinnen lediglich zum Beschalen oder Beschaltwerden bei sich einfiihrten, die viel zu kostbar waren, um der Feld- und Hausarbeit zu dienen. Hierfiir scheint zu sprechen, dass in der altesten an Homer anschliessenden Lyrik der Esel eher als Zuchtthier denn als Hausthier geschildert wird. So lautet das 97. Fragment des Archilochos (bei Bergk):

4] 8s ol oa^Y) st t'ovou

136 Steinbaukunst.

(inguina ei turgebant, wie die des Prienischen Zuchtesels, der mit Korn ,ge- fiittert). Auch Simonides von Amorgos, der jungere Zeitgenosse des Archi- lochos, der in seinem Gedicht auf die Weiber einigen von ihnen den Sinn des Esels beilegt, bezieht sich hierbei auf das Phlegma, die Gefrassigkeit und die Geneigtheit des Esels zu den epya ft«ppo8iata. Die Phokaer batten nach Hesych ein besonderes Wort fur die ovou? ere5 c^siav ireptTCOfxIvou?, fiir die zum Beschalen eingefiihrten Esel: jjio^Xoi; (:jAtSvcXor ol XOCYVOC, xai ft/eotou und fxuttoi;' Yovatxo<; atSoiov, von scrt. mue, Curtius No. 92). Die erste sichere Erwahnung des Esels als eines Hausthieres findet sich bei Tyrtaus (Bergk 6), der j linger ist als Archilochos und Simonides:

ovoi fxeYa^oi? ofyfteao Tetp6}xevot

ftavcoc ooov xaprcov apoupa cpepst. Ist es richtig, dass ovoc urspriinglich nicht als Lastthier, sondern als Zucht- thier seinen Werth batte, so wiirde schon hieran der Versuch Ficks (Vergl. W. I4, 15, 368), ovo; von asinus zu trennen und zu lat. onus Last zu stellen, scheitern. Vgl. dazu auch G. Meyer, Idg. F. I, 319. Vollstandige Litteratur- angabe iiber die Deutungsversuche der Worter ovos-asinus bei Muss-Arnolt, Transactions of the American Phil. Association XXIII, 96 f. und H. Lewy, Die semitischen Freindw. im Griechischen S. 4.

In nahem Zusammenhang mit der aphrodisischen Bedeutung, welche der Esel im altesten Griechenland hatte, wahrscheinlich auch mit der nord- lichen Herkunft des Thieres, steht die Rolle, welche dasselbe im Dionysos- dienst in Verbindung mit Bacchos und Seilenos, von Reben umgeben, auf antiken Mtinzen (namentlich macedonischen) und Gemmen spielt (vgl. Thier- und Pflanzenbilder auf Mtinzen und Gemmen des klassischen Alterthums von Imhof-Blumer und Otto Keller, Leipzig 1889).

Ebenso wenig wie lat. asinus aus ovo? entlehnt sein kann, ist lat. mulus aus griech. jio^Xo? hervorgegangen (vgl. oben S. 134 und Anm. 42), das, wie die Falle von codea, troclea, nucleus, codes, -dum zeigen, seinen inlautenden Guttural im Lateinischen hatte bewahren mussen. Lat. mulus aus *mus-lo schliesst sich vielmehr mit alb. musk Maulesel aus *mus-Jco, friaul. muss, venez. musso Esel, auch rum. muscoiu zu einer einheitlichen Gruppe zusammen, die auch ins Slavische (altsl. mizgu und misku) ubergegangen ist. Vgl. G. Meyer, Idg. Forschungen I, S. 322. Ebendieser Gelehrte hegt die ansprechende Vermuthung, dass jenes so erschliessbare illyrische *mu80, *mus-ko, *nms-lo nichts anderes als my sis dies (Muooi) Thier (vgl. oben S. 132) bezeichnet habe. Wir wtirden also auch hier in den Norden Kleinasiens gefuhrt werdeu, und naturgemass wird der Ursprungsort der Maulthierzucht in der Nahe des Ausgangspunktes des Esels zu suchen sein. Ein anderer Ausgangspunkt fur die Zucht des Maulthiers als die sudpontischen Gebirge scheint das abessynische Hochland gewesen zu sein. Vgl. daruber F. Hommel, Die Namen der Saugethiere S. 112ff.

Schon im Vorhergehenden ist hin und wieder darauf hingedeutet worden, dass mit der grossern Stabilitat des Lebens, die die Garten- kultur mit sich brachte, auch die Wohnungen der Menschen einen

Steinbaukunst. 137

dauernden Charakter gewannen. In der That ging auch die Stein- baukunst vom sudostlichen Winkel des mittellandischen Meeres aus und verbreitete sich wie Wein und Oel schrittweise liber die Kiisten und Halbinseln des siidlichen Europas und von da iiber die civilisirte Welt. Phonizier batten in der Urzeit die Kunst des Mauer- und Terrassenbaues den Griecben gelehrt, Griechen bracbten sie spater den Etruskern und Lateinern zu, von Italien kam sie in einem ganz jungen Zeitalter zu den Volkern iiber den Alpen. Als die Indoeuro- paer mit ihren Heerden vom Aralsee und kaspischen Meer deren damalige Gestalt wir nicht kennen westwarts zogen, da ernpfing sie entweder unabsehbare Steppe oder zusammenhangender, endloser Wald. In der erstern, die zum Umherschweifen einlud, fehlte das Material zum Aufbau eines Hauses, und so lebten Skythen und Sarmaten auf dem Wagen und unter dem binsengeflochtenen Korbe, der diesen iiberdeckte, Hesiod. Frag. 189 Gottl.:

yhaxToydywv sis alav, dmjvcug oixC* Aesch. Prom. 708:

S' CKpC&t, voftddag, ot rcfaxzag vaiova &TI evxvxhoig oxocg. Diese Wagen waren sehr gross und wurden nicht bloss von vier, sondern auch von sechs Radern getragen, Hippocr. de aere etc. 25, Ermer. : »sie heissen Nomaden, weil sie keine Hauser haben, sondern auf Wagen wohnen ; von den Wagen sind die kleinsten vierraderig, die andern haben sechs Rader« so dass die Hauser auf Radern, vjiiaZoyoQyTOt, olxot, bei Pindar, bewegliche Hauser genannt werden konnten. Und wirklich fahrt Hippokrates fort: »diese Wagen sinrl mit Filz bedacht; sie sind g'ebaut wie Hauser, waney oixijfjiaxa, die einen zweifach, die anderen dreifach; sie schiitzen wider Regen, Schnee und Wind und werden von Ochsen gezogen, bald von zweien, bald von dreien« u. s. w. ; auf den Wagen leben die Weiber und Kinder, die Manner reiten. Die nordlich an die Sarmaten stossenden Slaven batten viel von den Sitten der erstern ange- nomrnen, aber ein Reiter- und Wagenvolk waren sie nicht; sie schweiften als Rauber durch die Walder, aber sie bauten Hauser, Tac. Germ. 46 (die erste genauere Erwahnung der Slaven und ihr Eintritt in die Geschichte, nachdem Plinius bloss ihren Namen ge- nannt) : Veneti multum ex moribus (Sarmatarum) traxemnt. Nam quicquid inter Peucinos Fennosque silvarum ac montium erigitur, latrociniis pererrant. Hi tamen inter Germanos potius referuntur quid et domos figunt et scuta gestant. Wie dies alteste slavisch-

138 Steinbaukunst.

deutsch-keltische Haus aussah, lehren uns noch heut zu Tage die Wohnungen der an den Grenzen von Europa und Asien umher- schweifenden Volker, z. B. der Turkmenen (abgebildet bei Vambery, Reise in Mittelasien, deutsche Ausgabe, zu S. 253): das Gestell wird aus Stangen gemacht und ebenso das Dach; beides zusammen bildet einen oben abgerundeten Cylinder; das Ganze wird mit Filzdecken belegt, auch vorn die rechtwinkelige Thuroffnung durch eine Filzdecke verhangt. In seiner spatern, wohl schon vervollkommneten Gestalt zeigen es uns die Darstellungen der Antoninsaule und die gelegent- lichen Nachrichten der Griechen und Romer, denen die Zeugnisse des fruhern Mittelalters nicht widersprechen. Auf der ersten bestehen die Vertheidigungswerke der Marcomannen und Quaden, die Marcus Aurelius stiirmt, deutlich aus Flechtwerk, das ins Kreuz mit gedrehten Seilen umschniirt ist; die Wohnungen bilden Cylinder mit rundge- wolbtem Dach, ohne Fenster, mit rectangularer Thur: sie scheinen mit Binsen oder Ruthen durchflochten und sind mit Schnuren um- wunden. Die Hauser der Kelten beschreibt Strabo 4, 4, 3 als VoAoeideig, cylinderformig, und aus Brettern und Ruthengeflecht, ex oavldwv xal yeggvov, bestehend, und ahnlich wohnen noch zu Jordanis Zeit die entfernten Kaledonier und Maoten, als die Stamm- genossen auf dem Festland sich schon langst romisch eingerichtet hatten, Jord. 2: virgeas habent casas, communia tecta cum pecore, silvaeque illis saepe sunt domus. Auch die Slaven erscheinen bei Procop in solchen geflochtenen Hiitten, die sie in unstatem Wechsel leicht veiiassen und am andern Orte wieder aufstellen, de bell. goth. 3, 14: olxovfft, ds ev xahvftaig olxTQalg distixrjvrjjiievoi, jro&fap /tisv an aMfawv' dfisifiovTeg de a>g xa TtoMa rbv ire, evot,xr^(Seiog exaatoi ywgov, ja ganz spat, als Helmold schrieb, war es noch nicht anders, 2, 13: nee in construendis aedificiis operosi sunt (Sclavi), quin potius easas de virgultis contexunt, necessitati tantum consulentes adversus tempestates et pluvias . . . nee quicquam hostili patet direptioni nisi tuguria tantum, quorum amissionem facillimam judicant. Die Sueven, sagt Strabo, und die iibrigen dortigen Stamme wohnen in Hiitten, deren Einrichtung nur auf einen Tag berechnet ist, 7, 1, 3 : xocvov <f eauv anaat, wig xavry ^o , , . . ev KC&vfttov; oixelv, eytfiueQov e'xovGi naQaaxevtjv. Nicht anders schildert uns Seneca die Hauser und die Lebensart der Germanen und der Volker an der Donau, de provid. 4, 4: omnes consider a gent es, in quibus It omana pax desinit: Germanos dico et quidquid circa Histrum vagarum gentium occursat. Perpetua illos hiems, triste coelum premit,

Steinbaukunst.

maligne solum sterile sustentat, imbrem culmo aut fronde defendunt, super durata glade stagna persultant, in alimentum feras captant. - Nullae illis domicilia nullaeque sedes sunt, nisi quas lassitudo in diem posuit. Die Germanen kannten, wie nachher Tacitus be- richtet, den Gebrauch von Mortel und Ziegeln nicbt, Germ. 16: ne caementorum quidem apud illos aut tegularwm usus: materia ad omnia utuntur informi (Baumstarame, geflochtene Weiden, Schilf) et citra speciem aut delectationem. Ungefahr dasselbe melden He- rodian 7, 2, der von den Buden der Germanen den sprechenden Ausdruck GxyvoTioislGdai, braucht, und Ammianus Marc., wenn er 18, 2, 5 die Wobnungen der Germanen poetisirend als saepimenta fragilium penatium bezeichnet. Auf einem Fundament ruhten diese Hiitten nicht, denn ein Dieb konnte Nachts in sie eindringen, indem er sich unter der Erde durchgrub, 1. Saxon. 4, 4 : qui noctu domum alterius effodiens vel effringens intraverit .... capite puniatur. Ueber den Umfassungswanden Ing das Dach, ohne innere Theilung des Raumes, denn das alemannische Gesetz bestimmte, ein Neuge- borenes habe gelebt, wenn es die Augen geoffnet und das Dach und die vier Wande erblickt habe, 1. Alam. 92 : ut possit aperire oculos et videre culmen domus et quatuor parietes (das Haus war also nicht rund, sondern schon viereckig, gleich den Wohnungen der Dacier auf der Trajanssaule, die auch liber der Thur schon ein Fenster zeigen). Wie leicht das Ganze gezimmert war, ersehen wir besonders aus dem Titel 10 der lex Bajuv., ob gleich doch der Einfluss aus Siiden damals schon gewirkt hatte : dort wird z. B. mit Strafe be- droht, wer ein fremdes Haus auseinanderwirft welches letztere folglich von lockerem Bestande war. Dass solchen Hausern ewig die Gefahr drohte, in Feuer aufzugehen, war natiirlich: der Feind warf den Brand in das Schilfrlach, wie wir Marc Aurel auf seiner Saule wiederholt thun sehen, der Rauber legte heimlich Feuer an das Zimmerwerk, eine zufallig ausgebrochene Flamme verzehrte rasch die Stamme der Wande und das trockene Geflecht, mit dem sie verbunden waren. Schon das in der Mitte des Hauses auf dem Boden brennende Heerdfeuer, das seinen Rauch zum Dach hinaussandte und das Holz- werk ausdorrte, so wie die bei alien Nordvolkern herrschende Sitte, die langen Winterabende mit dem brennenden, in einen Spalt ge- steckten Span zu erhellen, musste dem Hause oft Verderben bringen. Nicht selten mochten dann auch die auf dem Boden schlafenden Hausgenossen in Rauch und Flammen ihren Untergang finden ; aber, wenn sie sich retteten, stand ein neues Haus bald wieder da, das

140 Stembaukunst.

nicht wie das alte, den Regen durchliess und von Rauch iiber und iiber geschwarzt war, und mit deni alten war gliicklicher Weise auch alles Ungeziefer, von dem es bevolkert gewesen war, mitverbrannt. - Die Vordersten des grossen indoeuropaischen Zuges, die Kelten, waren auf ihrer Wanderung nach Westen auf das Volk der Iberer gestossen, die, wenn die Vermuthung nicht triigt, ihrerseits das ausserste Glied einer grossen Volkerreihe bildeten, welch e vom Nil- thai die Nordkiiste Afrikas entlang durch das heutige Spanien bis an den Kanal und den atlantischen Ocean reichte. Gehorte dieser Race der Drang nach Aufrichtung jener Steindenkmale an, die wir unter verschiedenen Fomien und Namen in Algier wie auf Sardinien, im westlichen Frankreich wie auf den britischen Inseln verbreitet finden (Nuragen, Dolmen, Cromlech u. s. w.), und hatten die Kelten diese Sitte, wenn sie sie spater auch iibten, nur von diesen ihren. Vorgangern geerbt? War es derselbe, nur hier im Nordwesten in den rohesten Anfangen verbliebene Zug, der in der Errichtung der Tempel Aegyptens waltete und fast bis an die Grenze des Schonen und wirklicher Kunst sich erhob? Zufolge ihrer geographischen Stellung traten die Kelten friiher mit phonizischer, griechischer und romischer Kultur in Beziehung und lernten eine steinerne Grundlage in die Erde senken, den Stein fiigen, schneiden, mit Mortel verbinden und sich dadurch dauernd auf der heimischen Scholle niederlassen. Viel spater lernten es die Germanen, die Slaven des Ostens haben es grossentheils noch heute nicht gelernt. Der blosse Ackerbau be- gniigte sich wohl noch mit holzernen Hausern, mit geflochtenen Speichern (lit. Metis, altsl. Idett, Nebengebaude, Vorrathskammer ; goth. hleithra, Zelt, Laube; im altkeltischen cletd, irischen cliath, kymbrischen eluit, noch in der Bedeutuug Flechtwerk, Hiirde, mittell. cleta, franz. claie, proven9alisch cleda u. s. w.) und blossen Hiirden fiir Pferde und Vieh; erst als der Weinstock kam, kam auch die Mauer (auch altirisch mur), die ihn umschloss, die steingewolbte Strasse, via strata, die an ihm vorbeifiihrte und die steinerneii Weiler, villas, die Markte, mercatus, die Brunnen (lat. puteus, ahd. puzza, mhd. biitze, nhd. mit etwas veranderter Bedeutung Pfiitze), die Kloster, die Dome und bald auch die Stadte mit ein- ander verband. Konnten wir daran zweifeln, dass die eigentliche Baukunst vom Mittelmeer stammt, und dass sie vom Siiden nach Norden und vom Westen nach Osten langsam vordrang, die Geschichte der gebrauchlichsten Worter wiirde es uns beweisen. Das griechische %dfa% wurde von den Romern als calx entlehnt, aus dem romischen

Steinbaukunst. 1 4 j

calx entstand unser Kalk; die franzosische und deutsche Chaussee 1st die romische via calcata, die Kalkstrasse. Unser Ziegel und Tie gel ist das entlehnte lateinische tegula, unser Mortel das lat. mortarium, unser Thurm das germanisirte turns, das goth. Jcelikn, der Thurm, stammt aus dem Altgallischen (celicnon in einer In- schrift, s. de Belloguet, ethnogenie gauloise, 1, p. 202 und Kuhn und Scbleicher, Beitrage, 2, 108), das inhd. phisel, phiesel, heizbares Frauengemach, ist das mittell. pisalis, pisale, unser Fenster und Seller das lat. fenestra und solarium, unser Pforte, Pfosten, Pfeiler die lateinischen porta, postis, pilarium, die ahd. cheminata, mhd. kemendte die lateinische caminata u. s. w. Woher die Stube, urspriinglich ein heizbares, feuerfestes Gemach, besoriders zum Bade eingerichtet, eigentlich stammt, ist dunkel : ital. stufa, schon in der lex Alam. 82, 2 stuffa, stuba, altslavisch istuba, izba, jetzt in alien slavischen Sprachen fiir Bauerhaus, tugurium: gebrauchlich45). Als die Slaven in die Oder- und Donaugegenden einwanderten, konnen sie keinerlei Mauerwerk gekannt oder betrieben haben, denn ihre Ausdriicke dafiir stammen theils aus Byzanz, theils aus Deutschland, einige auch aus dem Bereich tiirkischer Sprachen. Fiir Kalk gilt altsl. und serbisch Idak aus dem Deutschen, altsl. und russisch izvisti aus dem byzantinischen afffteffrog. Fiir Ziegel sagen Polen und Bohmen init dem germanischen Wort: cegta, cihla, wahrend das altsl. pli- niita, plita, russ. plita, poln. ptyta, lit. plyta aus dem byzantinischen rcUvSoi;, cremiga aus TO, xegd^ia gebildet ist. Der Ursprung des altsl. Jcamara oder Jcomara, des altsl. hamina, des russischen und polnischen Jcomnata, Zimmer, liegt auf der Hand. Das griechische xa&vpr] wurde zu einem gemeinslavischen Wort, altsl. Icoliba, Jcolibu, lit. kaMpa, das griech. rsQe/avov zu trJmu, Thurm, Schloss, das deutsche Mauer zum polnischen mur, kroatischen und serbischen mir, drang aber nicht bis zu den Russen tief im Osten. Das bohmische Prag an der Moldau ist eine hochgethurmte Stadt, denn es liegt dem europaischen Westen nahe und ist mit dessen Hiilfe gebaut; das russische Moskau war bis 1812 und ist zum grossen Theil noch jetzt ein holzernes Lager, ahnlich der Budinennieder- lassung, von der Herodot berichtet, und wenn das russische Volk seinern Czarensitz der wenigen Steinbauten wegen, die sich drin fanden und die von herbeigerufenen Italienern errichtet waren, in seinen Liedern den stehenden Beinamen die weisssteinige, beloka- mennaja, gab und giebt, so beweist dies nur, wie es solche Wunder sonst im Reiche seiner Erfahrung nicht fand. Der romanisch-

142 Das Bier.

germanische Westen, nachdem er sich einmal der sudlichen Bauweise bemachtigt, trieb im Mittelalter seine Thurrne und Kreuzgewolbe sehnsuchtsvoll gen Himmel, fast bis zur Hohe der agyptischen Pyramiden ein dennoch barbarischer , krankhafter Drang, von dem sich das massvolle Gemiith des Griechen frei gehalten hatte. Auch die Stadtearchitektur des Mittelmeers , horizontal, in Wiirfeln und Terrassen den mit der Burg gekronten Hugel von alien Seiten ersteigend oder amphitheatralisch gegert die Meeresbucht geoffnet, reicht nicht weiter als etwa der Bezirk der Olive; von da nach Norden beginnt die von mystisch sinnenden Meistern der Bauzunft errichtete, gothische, in spitzen Giebeln aufwarts gedrangte mittel- europaische Stadt. Wie hoch die babylonisch-assyrischen Terrassen- bauten aus Luftziegeln sich erhoben, wissen wir nicht gewiss; was die Erde jetzt tragt, steigt etwa so weit empor, wie auch die hoch- sten Baume, die Sequoja von Kalifornien und die Eucalyptus von Australien, 4 bis 500 Fuss , so weit ist fur Menscherikunst und fur das organische Leben das Streben aufwarts von diesem Plane ten moglich. Wie einst der hamitisch-semitische Stein das TJrmaterial, das Holz, verdrangt hatte, so ist mit der neuesten technisch-mechanischen Civilisation das Glas und das Eisen als Baustoff aufgetreten, das Glas, ein fast unkorperliches Ding, das Eisen, spat gefunden und nur zu Werkzeugen erschaffen, eine damonische Zauberkunst, die den Alten so unbegreiflich geschienen hatte, wie Gebaude aus Wolkendunst, oder als eine Sinnestauschung, wie die Perlenbriicke der Iris.

Als das romische Weltreich fertig war, fielen seine Grenzen un- gefahr mit denen des Weines und Oeles zusammen; wo es nach Suden dem Weinstock zu heiss oder nach Norden zu kalt war oder wo das Olivenol nicht mehr zur taglichen Nothdurft gehorte, da herrschte auch der Romer nicht oder nur voriibergehend und da endete der Boden der antiken Welt. Auch das heutige Europa lasst sich passend in das Wein- und Oelland und das Bier- und Butterland theilen; das Gebiet des erstern deckt sich etwa mit dem der Senkung zum mittellandischen Meere, der Bezirk des letzteren etwa mit dern der Abdachung zur Nord- und Ostsee. In altester Zeit war dies Verhaltniss ein anderes. Sammelt man die in den Schriften der Griechen und Romer zerstreuten auf die Ge- schichte des Bieres und der Butter beziiglichen Stellen, so erstaunt

Das Bier. 143

man, wie ausgedehnt einst das Reich beider jetzt fur nordisch ge- haltenen Genussmittel gewesen 1st und wie ganze Lander und Volker von ihm abgef alien sind. Bacchus Gabe verdrangte das alteinheiniische aus Kornerfriichten gekochte triibe Getrank und Minervens Geschenk trat an die Stelle des Fettes, das djer Hirte aus der Milch der Schafe, Kinder und Pferde abgeschieden hatte. Es war wie der Sieg einer aus der Fremde gekommenen neuen Religion und Sitte liber barbarische Gewohnheiten , fur welche letztere der Geschmack nur sehr allmahlich, erst bei den Stammeshauptern und Edlen, zuletzt auch bei der Menge und dem Volke verloren ging. Dass bei den Aegyptern diesem uralten, vorsemitischen Volk, das vielleicht schoii vor der Zeit, wo indoeuropaische Schwarme sich iiber Europa ergossen, eine eigenthumliche Civilisation entwickelt hatte ein Trank aus Gerste im Gebrauch war, berichtet schon Hecataus, Athen. 10, p. 447 und 10, p. 418 = Mull. Fragm. 290: tag xQtttag sk w , und nach ihm Herodot 2, 77: owo <T sx XQI&SWV

ov yaQ o<pC eltiw sv vy %a>QH afiTishoi. Bei Aeschylus ruft der Konig von Argos den aus Aegypten gekommenen Danaiden zu, hier wiirden sie eine mannliche Bevolkerung finden, nicht Trinker von Gerstenwein, Suppl. 953:

tfsvdg tot, xrjgds yrjg oixrpoQag

ov TiCvovmg ex xqidwv fj,e&v. Der Gott Osiris selbst hatte da, wo die Landesnatur der Erzeugung des Weins sich widersetzte, zum Ersatz die Bereitung eines Ge- trankes aus Gerste gelehrt, welches an Wohlgeschmack und Kraft sich fast mit dem Weine messen konnte (Diod. 1, 20). Die Aegypter, sagt der Akademiker Dio bei Athen. 1, p. 34, die ein sehr zum Trinken geneigtes Volk sind, haben fur diejenigen, die zu arm sind, sich Wein zu schaffen, ein Surrogat erfunden, namlich den Wein aus Gerste: wenn sie diesen zu sich nehmen, sind sie lustig und singen und tanzen, kurz benehmen sich, als waren sie siissen Weines voll. Auch in dem erst seit der macedonisch-griechischen Zeit be- stehenden und von sehr gemischter Bevolkerung bewohnten Alexan- drien genoss die Menge zu Strabos Zeit meist jenes altagyptische Getrank (Strab. 17, 1, 14). Den Namen desselben meldet zuerst Theo- phrast, de caus. pi. 6, 11, 2: olov cog ol wvg olvovg Tioiovvisg lx rajv xQidwv xai TWV TIVQWV xal TO sv Myvniw xahov [tevov £v&og, und unter diesem Namen £v$og (auch £v$og geschrieben, bald als Masculinum, bald als Neutrum, lat. zythum} wird das Getrank seit- dem ofters von griechischen und lateinischen Schriftstellern erwahnt.

144 I>as Bier-

Das Wort ware wohl aus griechischem Sprachmaterial zu deuten, wenn es nicht ausdrucklich als agyptisch bezeichnet wiirde, z. B. von Diodor 1, 34: »die Aegypter bereiten auch aus Gerste ein Getrank, welches sie £v9og nennen« (o xa&ovai £v$og). (S. Jablonskii Opera ed. Te Water 1, p. 76—79). Begreiflich ist, dass auch die Aegypter den schleimigen , susslichen Trank durch beissende Zu- thaten geniessbarer zu machen suchten, wie denn auch bezeugt wird, Colum. 10, 114:

Jam siser Assyrioque venit quae semine radix Sectoque praebetur madido sociata lupino Ut Pelusiaci proritet pocula zythi.

Selbst von den oberhalb Aegypten wohnenden Aethiopen berichtet Strabo 17, 2, 2, sie lebten von Hirse und Gerste und bereiteten sich aus dieser Feldfrucht ein Getranke. Noch jetzt fanden die von ver- schiedenen Ausgangspunkten zu den Nilquellen vordringenden eng- lischen Reisenden bei den Halbnegerstammen jener Gegend ein rohes, berauschendes Bier im Gebrauch, das aus Kiirbisschalen ge- trunken wurde. Ueber die Biere und Biernamen der friihern und der spatern Araber in Aegypten s. die Abhandlung von S. de Sacy in seiner Chrestomathie arabe II, 437 ff. ; einer der letzteren fokka ging als (fovxag zu den Byzantinern iiber, s. Ducange s. v. und die daselbst angefuhrten Stellen des Simeon Seth und des Matthaeus Silvaticus. Wie in Afrika ist auch in Spanien bei vor-indoeuropaischen, mit den Libyern Afrikas genealogisch oder culturhistorisch sich beriihren- den iberischen Stammen das Bier seit alter Zeit iiblich. Spanien gilt bei Plinius als ein vorziigliches Bierland, wo man das Produkt lange aufzubewahren was in warmem Klima doppelt schwierig ist, ja wohl gar durch Alter zu vertedeln verstand, 14, 149: Hispaniae jam et vetustatem ferre ea genera docuerunt. In den von Strabo geschilderten Sitten der entfernter nach den Kiisten des Oceans zu wohnenden iberischen Stamme findet sich so viel Fremdartiges, Wildes und Isolirtes, dass, wenn derselbe Schriftsteller von den Lusitanern berichtet, sie bedienten sich des &9os (3, 3, 7 : XQWVTCU, de xal £v$ei,), wir diesen Gebrauch nicht von keltischem Einfluss ableiten, sondern fiir altlusitanisch halten werden. Der Wein aber, fiigt Strabo hinzu, ist bei ihnen selten (olvco tie anavC&VTai) der also damals schon in das Land des Portweins vorzudringeii begann und jetzt auf der Halbinsel die Alleinherrschaft behauptet. Einen charakteristischen Zug der Anhanglichkeit an das nationale Getrank berichtet Polybius (bei Athen 1, p. 16) von einem halbgracisirten und

Das Bier.

also halbcivilisirten iberischen Konige: er ahmte im Uebrigen in seinem Palaste den des Konigs der Phaaken bei Homer nach schon dies war barbarisch, liess aber eine Ausnahme zu: in der Mitte des Gebaudes standen silberne und goldene Gefasse, gefiillt init Gerstensaft. Einen ahnlichen Eindruck macht es, wenn wir von den heldenmiithigen Numantinern lesen, dass sie aufs Aeusserste gebracht, im Begriff einen Ausfall auf Tod und Leben zu machen, sich vorher bei einem Schmause mit halbrohern Fleische fallen also wie heutige Englander und mit der indigena ex frumento potio oder dem succus triticus per artem confectus begeistern (Flor. Epit. 1, 34 2, 18; ausfuhrlicher Paul. Oros. 5, 7). Den Namen dieses spanischen Getrankes erfahren wir zuerst durch Plinius 22, 164: ex iisdam (frugibus) fiunt et potus, zythum in Aegypto, caelia et cerea in Hispania. -- Auch die Ligurer, wohl ein Seitenzweig der Iberer oder ihr ausserster Vortrapp nach Osten, nahren sich bei Strabo 4, 6, 2, vom Ertrage der Heerden und trinken Gerstenwein. - Eiiie andere Reihe urspriinglich biertrinkender Volker im Siidosten gehort schon in die grosse Gruppe der Indoeuropaer. Phryger und Thraker, auch sonst unter einander nahe verwandt, erscheinen schon bei Archilochus, also nach dem Jahr 700 vor Chr., als fiqvwv trinkend, Athen 10, p. 447 = Fragm. 32 Brgk:

<Mff7l€Q TTdQ avhujt fJQVTOV T

Dasselbe Wort @QVWV brauchten auch Aeschylus in seinem Lykurgos (Nauck, Fragm. trag. graec. p. 29) und Sophokles in seinem Triptolemos (Nauck 1. 1. p. 211). Hecataus berichtete, die Paoner, ein Volk in Thrakien, tranken pgmov aus Gerste und TtaQaftir] aus Hirse und dem beigemengten Wiirzkraut xovt'fy (Athen. 10, p. 447 = Mull. fr. 123), und der etwas spatere Hellanicus hatte in seinen Kzlffeig die Notiz gegeben, PQVTOV werde auch aus Wurzeln bereitet, wie bei den Thrakern aus Gerste (Athen. 1. 1.). An die Phryger schliessen sich als nachstes Glied nach Osten die Armenier, und von dem Gebrauch des olvog xQi&ivog auch bei diesen berichtet Xenophon, also ein Augenzeuge, ausfuhrlich in der Anabasis 4, 5, 26 f. Die Zehntausend waren vom karduchischen Gebirge gekommen und rasteten in armenischen Dorfern, auf dem Wege zu den Chalybern. Ausser anderen Vorrathen fanden sie hier Ktibel, xQazr^Qsg, mit Gerstenwein: die Gerste lag noch darin, bis an den Rand des Ge- fasses (svfoav ds xal amal at xQid-ai ido^'A.slg) ; zum Trinken dienten grossere und kleinere Rohrhalme, durch die der Trinker den Saft

Viet. Hohn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 10

Das Bier-

in den Mund sog; das Getrank war stark und berauschend (ndvv axqawg\ wenn man nicht Wasser zugoss, im Uebrigen aber fur den, der sich daran gewohnt hatte (<fvpfjta$wu), sehr lieblich (paha fjdv). Wie die Eingeborenen die der Heimath des Weines so nahe wohnten diesen ihren Trank benannten, sagt Xenophon leider nicht: dass man aber den Biergenuss lernen muss,

kann man noch heut zu Tage an Siidlandern beobachten, denen Anfangs der braune Trank wider steht, die aber nach einiger Ge- wohnung oft leidenschaftliche Freunde desselben werden46). Westlich und nordlich von den Thrakern, bei den ihnen cultur- und stamm- verwandten Illyriern und Pannoniern, finden wir das Bier unter dem Namen sdbaja, sdbajwn, aber, da unsere Nachrichten dariiber aus spater Zeit stammen, nur noch als schlechtes Volksgetrank, wahrend bei den Vornehmen, die schon lateinisch und griechisch sprachen, ohne Zweifel langst der Wein an die Stelle getreten war: Amm. Marcell. 26, 8, 2 (der Kaiser Valens belagert Chalcedon; von den Mauern rufen ihm die Belagerten Schimpfreden entgegen und nennen ihn einen Sabaiarius; der Autor fahrt zur Erklarung dieses Wortes fort) : est autem sdbaia ex ordeo vel frumento in liquorem conversis paupertinus in lllyrico potus. Aehnlich der aus eben jener Gegend gebiirtige h. Hieronymus, Comment. 7. in Isaiae cap. 19 : quod genus est potionis ex frugibus aquaque confectum ei vulgo in Dalmatiae Pannoniaeque provinciis gentili barbaroque sermone appellatur saba- jum. Die Pannonier schildert auch Cassius Dio, 49, 36, der sie kennen musste, da er selbst als Legat Dalmatien und dann Oberpannonien ver- waltet hatle, als ein armseliges nordisches Volk in winterlichem Klima, das weder Oel noch Wein erzeugt und seine Gerste und seinen Hirse nicht bloss isst, sondern auch trinkt. Mehr als zwei Jahr- hunderte spater erhalten wir durch den merkwiirdigen Bericht des Priscus, der im Jahr 448 nach Chr. mit der griechischen Gesandt- schaft auf dem Wege zum Hunnenkonig Attila die pannonischen Ebenen durchstrich, ein anschauliches Bild des Landes, der Sitten, des Volkergemisches u. s. w. Statt Weizens erhielt die Gesandtschaft uberall Hirse, statt des Weines den von den Eingeborenen so ge- nannten Meth; auf den Antheil der Dienerschaft und des Gefolges aber fiel gleichfalls Hirse und ein aus Gerste bereitetes Getrank, von den Barbaren xdfiov genannt (Miiller Fragm. IV, p. 83). Welche Barbaren ihr Bier camum nennen, wird uns nicht gesagt; gewiss aber waren es nicht die Hunnen, derm das Wort ist alter, als die Ankunft dieser Horde in Europa, Bei Ulpian Dig. 33, 6, 9 (also am

Das Bier. 147

Anfang des 3. Jahrh.) soil bei Vermachtnissen das camum nicht als Wein gerechnet werden, und im sog. Edictum Diocletian! vom Jahre 301 wird II. 11 (ed. Waddington) neben dem Maximalpreis verschiedener Lebensmittel auch der des camum vorgeschrieben. Das Wort scheint keltisch (s. Ducange s. v. camba 3) und konnte seit den Zeiten der grossen keltischen Wanderung in Pannonien heimisch geworden oder auch durch romische Soldaten dahin gebracht sein. - - Auch im heutigen Ungarn also, in Illyrien und Thrakien, d. h. in der grosseren nordlichen Halfte der turkisch-griechischen Halbinsel, in Phrygien, Armenien, Aegypten, in Portugal und Spanien bis an die Gebirge der genuesischen Kiiste war einst das heute in jenen Landern bei der Masse des Volkes fast unbekannte Bier im allgemeinen Gebrauch. Wenden wir uns zu den Volkern von Mittel- und Nordeuropa, den Kelten, Germanen, Litauern und Slaven - sammtlich indoeuropaischen Blutes , so erhalten wir den altesten Bericht iiber Nahrung und Getrank der Erstgenannten durch Pytheas von Massilia, dessen Zeit zwar nicht ganz sicher ist, indessen mit Wahrscheinlichkeit bald nach Aristoteles angesetzt werden kann. Er erzahlte nach Strabo 4, 5, 5 von den Volkern, die er bei seiner Kustenfahrt ins Nordmeer kennen gelernt hatte, »an Gartenfriichten und Hausthieren (xaQnwv rwv yptifHov xal fcpcov) sei bei ihnen ganz- licher oder fast ganzlicher Mangel, sie nahrten sich von Hirse und anderen Krautern und Beeren (ha%dvotg xal xaQnolg) und Wurzeln: diejenigen, die Getreide und Honig erzeugten, bereiteten sich daraus auch ihr Getrank « (also Bier und Meth). Den Winter der Scythen d. h. der Nordvolker iiberhaupt, die Pelzbekleidung, die Wohnungen unter der Erde, die langen Nachte, endlich auch das gegohrene Getrank statt des Weines schildert auch Vergil Georg. 3, 376, fast mit den Worten des spateren Tacitus:

Ipsi in defossis specubus secura sub alia Otia agunt terra, congestaque robora totasque Advolvere focis ulmos ignique dedere. Hie noctem ludo ducunt, et pocula laeti Fermento atque acidis itnitantur vitea sorbis. Tails Hyperboreo Septem subjecta trioni Gens effrena virum Shipaeo tunditur Euro, Et pecudum fulvis velatur corpora saetis.

Insbesondere bei den Kelten des mittleren Frankreichs war zur Zeit des Posidonius (Anfang des ersten Jahrhunderts vor Chr.) das Bier unter dem Namen xoQfia noch das eigentliche Volksgetrank, wahrend die oberen Klassen schon massaliotischen Wein tranken, Athen. 4,

10*

148 Das Bier-

p. 151 : n-aga dk rolg vTiodst-GtSQQtg £v&o$ nvgwov fasra

, TictQa 6s Tolg nokkolg x«#' avw' xahetTat, 6s xog/ua, O.TIOQQO- Ss sx wv ctvwv noxr^iov xaia /IIIXQOV, ov nfolov xvddov nvx- VOTSQOV de VOVTO noiovGi' TteQicpegsi, Se 6 nalg sirl ra ds^ia xaC TO, kacd

Letzteres etwa in heutiges Deutsch iibersetzt : Aus demselben Fasse (Ix TOV avwv noTr^Qiov} wird fleissig favxvoTsgov} Seidel nach Seidel (ov Tihsov xvd&ov) gezapft und von dem Kellner (6 nalg) rechts und links ausgetheilt. Bei den Spateren wird dann das keltische Bier nicht selten erwahnt : es erhielt sich in Nordfrankreich, Belgien, den britischen Inseln wahrend des romischen Kaiserreiches bis zum Mittelalter und von da bis auf den heutigen Tag. Kaiser Julian, der es mit eigenen Augen gesehen und gewiss mit eigener Zunge gekostet hatte, der aber an der klassischen Denkart und Sitte hielt und sich gegen das Barbarische des Nordens wie gegen das Orien- talische straubte , verhohnte den Pariser Pseudo-Bacchus in einem bekannten Epigramm:

Elg olvov ano xQi&rjg.

Tig Tto&ev slg Jwvvte; fia yaQ rbv ctir}&€a JBdx%ov ov 0 ImyiyvwGxao' TOV dibg olda fj.6vov. xslvog VSXTO.Q odwde' tfu ds TQayov r] ()d as Ksfaoi TTJ nevfy POTQVOOV xsv^av an dffca%va>v.

ijtuyigtov, ov dtovvcfov, xal ftQOjLiov, ov Bgofiiov

das sich mit Weglassung der uniibersetzbaren Wortspiele etwa so wiedergeben lasst:

Auf den Wein aus Gerste.

Du willst der Sohn des Zeus, willst Bacchus sein? Was hat der Nektarduftende gemein Mit dir, dem Bockigen? des Kelten Hand, Dem keine Traube reift im kalten Land, Hat aus des Ackers Frtichten dich gebrannt. So heisse denn auch Dionysos nicht, Der 1st geboren aus des Himmels Licht, Der Feuergott, der Geistge, frohlich Laute, Du bist der Sohn des Maizes, der Gebraute.

Auch Ammianus Marcellinus kennt die Gallier als ein Trinker- volk, das sich in Ermangelung des Weins mit Surrogaten half, 15, 12, 4: vini avidum genus, adfectans ad vini similitudinem multi- plices potus - - also Cider und Bier. Der von Posidonius gebrauchte Name XOQ/LUX, der bei Dioscorides 2, 110 in der Form XOVQJM, er-

Das Bier. 149

scheint, 1st mit regelrechtem Uebergang des m in w und f noch in den heutigen keltischen Sprachen lebendig (Zeuss2 p. 115 und 821). Vielleicht ist das Wort dem Stamme nach identisch mit dem oben aus Plinius angefiihrten spanischen cerea (nur mit anderem Ableitungs- suffix), wo dann die Wahl bliebe, das Wort und folglich auch die Sache aus Spanien zu den Kelten (wofiir wir uns oben entschieden haben) oder mit den Kelten aus Gallien nach Keltiberien wandern zu lassen. Fruhzeitig und allmahlich immer haunger erscheint die durch Derivation erweiterte Namensform cervesia, cervisia (wie mar- cisia von marca Ross), zuerst bei Plinius (in der o. a. Stelle am Schluss des Buches 22), dann in haufigem Gebrauch durch das ganze Mittelalter (s. Ducange s. v.) und noch in den heutigen ro- manischen Sprachen erhalten. Ein anderes sehr merkwiirdiges kel- tisches Wort ist brace bei Plin. 18, 62, zuerst Name einer Getreideart, des Spelzes, dann ubergehend in die Bedeutung Malz, Bierwiirze, Bier selbst, in mannichfachen Formen, Ableitungen und Anwendungen, mit dem dazwischenspielenden Sinn von germinare, fermentari, im Mittellatein, in den nordromanischen und in den heutigen keltischen Sprachen reich entwickelt und auch ins Deutsche iibergegangen (s. Diefenbach, O. E. p. 265 ff., woselbst auch die bemerkenswerthe Form bracisa, analog der Bildung cervisia, cervesa, cervise ; im Capi- tulare de villis 61 ist bracii offenbar Malz, nicht ein bierartiges Getrank: der judex soil die bracii zum Palatium schaffen und Leute, die es verstehen, mitkommen lassen, damit sie dort gutes Bier daraus brauen). Einen Beweis von der in der Sitte tief gewurzelten Kraft des Bieres bei den britischen Kelten liefert unter vielem Anderen die Lebensgeschichte der h. Brigitta: diese Heilige namlich wieder- holte das Wunder der Hochzeit zu Kana, doch so, dass sie den Durst der Bediirftigen zu stillen, das Wasser in Bier verwandelte (Acta SS. Febr. 1. Vita IV. S. Brigidae, cap. 10: quodam die quidam leprosi sitientes de via cerevisiam anxie a. B. Brigida postula- verunt. Christi autem ancilla, videns quia tune illico non poterat invenire cerevisiam, aquam ad balneum portatam benedixit, et in optimam cerevisiam conversa est a Deo, et abundanter sitientibus propinata est); auch mehrte sie durch den blossen Blick ihrer Augen den vorhandenen Vorrath von Bier, Milch und Butter. - - Auch die ostlichen Nachbarn der Kelten, die Germanen, zeigen sich allmahlich, je mehr sie aus dem Nebel hervortreten und je mehr sie sich dem Ackerbau zuwenden, als dem berauschenden Gerstensaft ergeben. Casar erwahnt das Bier noch nicht als germanisch, wohl aber anderthalb

150 Eas Bier.

Jahrhunderte spater Tacitus, Germ. 23: Potui humor ex hordeo aut frumento in quandam similitudinem vini corruptus. wahrend Plinius an den Stellen, wo er des Bieres mehr oder minder ausfiihrlich ge- denkt, iiber Germanien schweigt. Die gegen die gallischen Grenzen drangenden Deutschen am Niederrhein und im Quellgebiet der Donau mussten bald von den Kelten den Biergenuss iiberkommen; die an die Niederdonau gewanderten fanden bei der thrakischen und panno- nischen Urbevolkerung den Trank aus Kdrnerfriichten vor, den sie in ihren friiheren Sitzen an der Ostsee vielleicht nicht gekannt batten ; von allem Auslandischen aber nebmen Barbaren uberall nichts so gem und willig an, als Berauschungsmittel. Das deutscbe Wort Bier hat Grimm nacb Wackernagels Vorgange aus dem mittellatei- niscben bibere, das nordgermaniscbe Ale (welches auch zu Finnen und Litauern iibergegangen ist) aus dem lateinischen oleum abgeleitet, Diejenigen, die dariiber erschrecken, sollten bedenken, dass das Bier em Erzeugniss und ein Genuss des Ackerbauers ist und zu seiner, wenn auch rohen Herstellung eine Technik fordert, die nur bei vor- herrschendem Ackerbau moglich ist; dass eine Zeit war, wo die Ger- manen als Hirtenstamm in Europa einwanderten und in den neuen Landstrichen umherzogen ; dass sie in dem Augenblick, wo wir sie kennen lernen, erst im Begriffe sind, zu vollig sesshaftem Leben iiberzugehen; dass es folglich thoricht ist, das Bier und Biertrinken als urgermanisch oder als von Wesen und Begriff des Germanismus unzertrennlich anzusehen; dass, wenn der Genuss und die Bereitung des Bieres bei den Germanen allgemeine hervorstechende Sitte ge- wesen ware, die Alten nicht so sparlich da von Meldung gethan und die Namen Bier und Ale uns nicht vorenthalten batten, wie sie uns ja auch thrakische, spanische, keltische Benennungen der ihnen fremden und auffallenden Sache iiberliefert haben; dass endlich die nachsten Nachbarn der Germanen, die Preussen, zu Wulfstans und Konig Alfreds Zeit nur Meth und gegohrene Pferdemilch tranken, das Bier aber nicht kannten (Antiquites russes 2 p. 469: cerevisia apud Estos non coquitur) - - was einen sichern Ruckschluss auf die Germanen in ihrer friiheren Bildungsepoche erlaubt. Auf jeden Fall wiirde das robe fermentum, das in den subterranei species der Deutschen des Tacitus getrunken wurde, dem heutigen phantasievollen Urenkel sehr ungeniessbar vorkommen: von allem Anderen abgesehen, erinnere man sich nur, dass der Hopfen erst in Folge der Volkerwanderung, wie es scheint, von Osten nach Deutschland gedrungen, obgleich jetzt vielfach verwildert ist, und dass die Beimischung dieser narko-

Das Bier.

tischen Pflanze zum Bier erst im Mittelalter allmahlich Sitte wurde. Der heil. Columbanus traf zwar um das Jahr 600 bei den Sueven einst eine cupa mit Bier gefiillt, die ungefahr 26 rnodii enthielt, und mit der sie ihrem Wodan ein Trankopfer bringen wollten (Grimm, DM2 S. 49), und schon in der lex Alamann. 22 sollen die Knechte der Kirche rich tig ihr Quantum Bier steuern, aber im weiteren Ver- lauf des Mittelalters war das Bier in Siiddeutschland ganz oder fast ganz aus dem Gebrauch gekommen, unter denselben Modalitateh, wie etwa ehemals in Slid- und Mittelfrankreich, und Baiern durch - gangig ein Weinland geworden (Wackernagel in Haupts Zeitschrift 6, 261 fiy, bis in neuerer Zeit das norddeutsche Bier, untersttitzt durch vervollkornmnete Bereitungsmethoden, besonders durch die Kunst es haltbar zu machen, und durch Wohlfeilheit des Preises das verlorene Terrain von Neuem eroberte. Jetzt gilt das Bier, welches bei Beginn der europaischen Geschichte das vorzugsweise keltische Nationalgetrank gewesen war, fur das Erkennungszeichen des Deutschen und deutscher Sitte : so riickt die Kulturgeschichte im Laufe langer Perioden von Land zu Land und von Volk zu Volk, und so leicht tauscht sich der, der nur die Gegenwart im Auge hat ! Raumen wir indess ein, dass Malz d. h. das Geschmolzene, Er- weichte, ein echt deutsches Wort ist (und also auch der allheilende Malzextract wenigstens zur Halfte deutsch). Brauen dagegen, ahd. briuwan, ist ein Wort, iiber dessen Urgestalt und Herkunft sich nichts Sicheres aussagen lasst ; es erinnert lebhaft an das thrakische PQVIOV (mit participialem t); das litauische bruwele der Brauer steht vereinzelt und wird aus dem Deutschen stammen. Da.s gothische leithus (fiir sicera, berauschendes Getrank), in den iibrigen deutschen Sprachen wiederkehrend, im jetzigen Neuhoch deutsch erst seit Kurzem erloschen, scheint eins und dasselbe mit altirischem Und (cerevisia), heut zu Tage je nach den Mundarten linn, lionn, leann, llyn (Stokes, Ir. gl. 221), so dass also leithus ftir linthus steht (wie seit eins fiir sinteins). Wohl ein Lehnwort aus dem Kel tischen, zumal auch im Slavischen fehlend. Weiter nach Osten haben die Litauer ihr alus Bier, wie gesagt, von ihren deutschen Nachbarn entlehnt (es stimmt ganz mit dem altn. 07, wie dieses vor Eintritt des Umlauts lautete), die Slaven aber ihr pivo ganz abstrakt aus dem Verbum piti trinken gebildet. Wir holen hier eine oben ab- sichtlich iibergangene Notiz des Aristoteles nach, der in der verloren gegangenen Schrift negl ime&vjg auch iiber die Wirkungen des Gersten- weines gesprochen und diesen als das sogenannte nlvov bezeichnet

152 Das Bier.

hatte (TO foyofJievov nlvov, bei Athen. 10, p. 447). Den Namen (auch von Eustathius, II. 11, 637. p. 871 erwahnt, aber in der Form nCvos) hatte Aristoteles ohne Zweifel aus dem Norden: er gleicht dem slavischen pivo, nur mit anderem Suffix; denn Meinekes Coii- jectur zu Fr. 43 des Hipponax, wonach schon dieser kleinasiatische Dichter das Wort gebraucht hatte, ist allzu unsicher. Eine dritte Ableitung ist das slavische piru, Schmaus, Gelage, welches buch- stablich mit dem albanesischen Partic. pass, pire (als Substantiv : Getrank) von pi trinken zusammenfallt (v. Hahn, Albanesische Studien, 2, 76 und 3, 101). Wer das deutsche Bier mit diesem pirt und also mit nCvsw, potus u. s. w. identificirt, muss im deutscheri Wort einen. verdorbenen Anlaut statuiren, also die Grundlage der Ver- gleichung aufheben. Das altsl. olu, olovina sicera, neusl. ol cerevisia, walach. olovin idem hat denselben Ursprung wie das deutsche ale^ ol. Ein anderes slavisches Wort braga, braha, braja (Maische, Schlampe, Trester, ein bierartiges gemeines Volksgetrank, litauisch broga) weist auf das keltische brace zuriick. Da es in den germa- nischen Sprachen fehlt ein Zeichen spater und fremder Herkunft und da es von den Litauern aus dem Slavischen entlehnt seiii kann, vielleicht erst nach Einfiihrung der Branntweinbrennerei, so mag es nach der Zeit zu den Slaven gelangt sein, wo keltische Stamme in den Sudosten, nach Bohmen und Pannonien und in die Donaugegenden zuriickgewandert waren. Von den beiden finnisch- estnischen Ausdriicken fiir das volksmassige Diinnbier, potus vilissimus ex hordeo: kalja, kalli und taari, taar erinnert der erstere an das spanische eaelia, ohne dass wir uns erlauben, daraus fiir eine iberisch- finnische Verwandtschaft oder Beriihrung Schliisse zu ziehen. In den lindenreichen Waldern des europaischen Ostens, selbst noch hinter den slavischen Stammen bei den Nomaden und Halbnomaden der Wolgagegenden, spielte indess der berauschende Honigtrank eine grossere Rolle und war gewiss daselbst alter, als das Bier. Ja man darf vermuthen, dass der Meth das Urgetrank der in Europa ein- Avandernden Indogermanen war und sich im Osten des Welttheils wie so vieles andere, nur langer erhielt. In Griechenland, wo das Bier i-mmer nur fiir barbarisch gait, taucht doch von einem der Weinzeit vorausgehenden Honigtranke hin und wieder eine verlorene Spur auf. Der Dichter Antimachus aus Kolophon liess in seiner Theba'is, - - deren Sagen in ein hoheres Alter hinaufreichen, als die der Ilias, den Adrast die schmausenden Helden mit einem Trank aus Wasser und unversehrtem Honig bewirthen, Athen. 11, p. 468:

Das Bier. 153

Ildvm (uah', oW "Adgrjamg

8V (H8V vScoQ, ev 6' dffxiy&g fish xgyrrgf,, ns()t(pQadeu>g xsgooovrsg. In dem Orphischen Fragment 49 (aus Porphyr. de antro Nympharum, Orph. ed. Hermann, p. 500) giebt die Nacht dem Zeus den Rath, den Vater Kronos, wenn er honigberauscht unter den Eichen liege, zu binden und zu entmannen:

EIT av §YI ILUV Id^ac vm dgvalv vipixoftoiaiv

fyyoMttv [is&vovm [uefaaGdojv tytftofjiftajv,

avxCxa fuv dfjffov

wo also die Zeit cles Kronos und des Waldlebens als methtrinkend gedacht ist. Die Taulantier, ein illyrisches Volk, verstanden es nach Aristot. de. mirab. auscult. 22 (21) aus Honig Wein zu machen: »nachdem der Honig aus den Waben gepresst worden u. s. w. (wir iibergehen das weitere Verfahren), ergiebt sich ein weinartiges, lieb- liches und kraftigep Getrank (olvwdeg xal a'AAcog rtdv xal sviovov); auch in Griechenland soil dasselbe Einigen gelungen sein, so dass sich das Produkt in nichts von altem Wein unterschied (ware (a^Jfcr SiayisQew owov Ttahcuov), nachher aber konnteii sie trotz aller Be- mlihung die richtige Mischung nicht mehr finden.« Auf reiche Honiggewinnung in den Landstrichen jenseits des Ister deutet es vielleicht, wenn die Thraker zu Herodots Zeit berichteten, die ge- nannte Gegend stecke voll von Bienen, die ein Vordringen dahin unmoglich machten (Herod. 5, 10; dasselbe wurde ehemals von der Liineburger Heide geglaubt). Weiter wird der Meth direkt als skythisches Getrank bezeichnet, das die Skythen aus dem Honig der wilden in Felsen und Eichen wohnenden Bienen bereiten, Maxim. Tyr. 27, 6: rolg de (unter den Skythen) at fiehnat, xaOrjdvvovat, TO Tro^tt, 87tl TTSTQWV xal dgvcov dtaTtkaTTOvGai Tovg (fi[if&ov$. Hesychius : fjiehcziov no/no. ^^, 2xv9ixbv /usfaTog eipoflevov (fuv vSau xal Ttoq. uvt. Der byzantinische Gesandtschaftsattache Priscus endlich giebt in der oben angefiihrten Stelle den in Pannonien einheimischen Namen [itdog, welcher sowohl mit dem altirischen mid, altcambrischen med (= sicera, Cormac p. 106. Zeuss2 136) und griechischen [is&v in den Landstrichen nordlich von Griechenland wurde die Aspirata als Media gesprochen , als mit dem slav. inedu zusammenfallt, welches letztere Wort nicht bloss Honig und Meth bedeutet, sondern auch, wie das griechische fJLe&v, geradezu vinum iibersetzt(medari = oivo%nog, pincerna; medviniza = cella vinaria u. s. w.). Die heutigen Litauer unterscheiden mediis Honig von midus Meth ; in dem entsprechenden

154 ®'IG Butter.

deutschen Wort 1st die Bedeutung Honig ganz verloren, fiir welche gothisch das wahrscheinlich an der Niederdonau entlehnte milith, in den anderen Mundarten das rathselhafte Honig gilt. Auch heut zu Tage ist das Bier in slavischen Landen nicht das populare, unentbehrliche, altiiberlieferte Getrank ; der Meth ist freilich auch in Gross- und Klein- russland und in Polen mit jedem Jahre seltener geworden, hauptsach- lich weil der Zticker die Bienenzucht zerstort hat; an seine Stelle ist die Erfindung der Holle, der Branntwein, getreten, der das gegenwartige Geschlecht decimirt und die Lebensquelle des kiinftigen vergiftet.

Die Geschichte der Butter geht der des Bieres parallel. Die Butter kann eine Kunst und Gewohnheit des Hirten genannt werden, wie das Bier die des Acker bauers ist. Die Milch in Schlauchen musste beim Reiten oder auf dem Wagen und alle Nordvolker zogen auf Wagen herum, mit denen sie gleich den Cimbern und Teutonen ihre Lager bildeten leicht das in ihr ent- haltene Fett als Butter ausscheiden, und ahnlich war die Wirkung, wenn die abgeschopften fetteren Theile der Warme des Ofens aus- gesetzt wurden. Die so gesonderte Butter konnte zum Essen, zum Salben des Haares und zum Bestreichen der Wunden dienen. Griechen und Romer der guten Zeit wissen von Butter nichts; dass sie ihnen vor der Einfiihrung des Olivenols bekannt gewesen, dafiir giebt es keine Spur oder Andeutung. Dennoch werden uns in ziemlich friihen Zeugnissen die Volker rund um die beiden klassischen Lander als butterbereitend geschildert und miissen dies Produkt also nach der Volkertrennung kennen gelernt haben. Schon der weit- gereiste Solon gedenkt des durch Umriihren der Milch gewonnenen Fettes und braucht es als Bild fiir den Vortheil, den eigensiichtige Fiihrer aus politischen Unruhen ziehen, Plut. Sol. 16:

OVT av xttr£(S%£ Sr^fiov OVT STiavcfaw,

TTQIV av Ta^d^ag nlag eZety yd ha.

Noch vor Hero dot berichtete dann Hecataus von den Paonern am Strymon, denselben, die in Pfahldorfern wohnten und eine doppelte Art Bier brauten: »sie salben sich mit einem aus Milch gewonnenen Oel«, Athen. 10, p. 447: akeiyovmt, Ss £haia) arco ydhaxxog. Bei dem komischen Dichter Anaxandrides (bliihte um die Mitte des 4. Jahrhunderts, etwa 01. 101 108) sitzen an der Tafel des thra- kischen Konigs Kotys, der seine Tochter dem Iphikrates vermahlte, strupphaarige butteressende Manner, Athen. 4, p. 131:

Die Butter. 155

Von einer skythischen Art, die Pferdemilch zu behandeln, hat Herodot 4, 2 gehort, aber in noch ganz unbestimmter Weise: nach- dem er angegeben, die nomadischen Sky then blendeteii ihre Sclaven, fahrt er fort: sie setzen sie um die hohlen holzernen Milchgefasse und lassen sie diese ruhren (oder schwingen: Soveovat,'); was dann sich oben ansetzt, 10 smtimf.iwov, wird abgeschopft und fur hoher geschatzt, das sich zu Boden Senkende, TO vmtixdfjievov, gilt fiir geringer als Jenes. Naher beschreibt das Verfahren der auctor Hippocrat. de morbis 4, 20 (ed, Ermerins, II. p. 461), indem er zu- gleich das Wort flovrvgov ohne Zweifel zum Behufe der Bedeut- samkeit in griechischem Munde mehr oder minder umgestaltet als skythisches iiberliefert: die Skythen, sagt er, giessen Pferdemilch in holzerne Gefasse und schiitteln diese; dadurch sondern sich die Theile, und das Fett, welches sieButternennen, schwimmt oben, da es leicht ist : xal TO f-iev TIIOV, o ^OVTVQOV xaheovdi, sncTto^g dutfrarai ehacpgbv sov; die schwereren Theile senken sich herab, werden herausgenommen, getrocknet und verdickt und heissen dann tnndxri (Pferdekase, auch bei Aeschylus Fr. 192 Nauck, und bei Hippocrates de aere u. s. w. genannt); in der Mitte ist der oQQog (Molken). Diese Kenntniss der Sache und des Nam ens stammte ohne Zweifel von den griechischen Kolonien an der pontischen Kiiste47). Trotzdem scheint Aristoteles den Gebrauch der Butter im Grossen und als Volkssitte nicht gekannt oder nicht beachtet zu haben ; wenigstens kommt in der langen Auseinandersetzung iiber die Milch der Thiere, die wir Histor. animal. 3, 20 lesen, weder der Name noch die Gewinnung und Anwendung der Butter vor; hochstens deuten darauf die im Voriibergeheri gesprochenen Worte : vnagxti, $ sv TO) ydhaxu foTraQOTyg, 1} xal zv wig TiKnrflQGi ywsuu e&aiwdyg. Bei den Aerzten ist fiovivQOV) butyrum, ein bin und wieder ge- nanntes Medicament, aber noch Plinius 11, 239, ja sogar Galenus de alim. facult. 3, 15 halten fiir nothig, ihren Lesern das Wort wie die Herkunft und den Gebrauch der Sache zu erklaren. - - Da die Thraker und Skythen Butter bereiteten, so diirfen wir das Gleiche bei den Phrygern voraussetzen. Wirklich findet sich bei Hippo- krates ein Ausdruck TMXSQIOV , der auf phrygische Butter hindeutet. Dies Wort namlich, welches Galenus und Erotianus in ihren Glos- saren zu Hippokrates als POVTVQOV deuten, wird von dem Letzteren zugleich nach einer alteren Quelle fiir phrygisch erklart, Erotian. s. v. : ou 06ag o J ISaxfaiog ItfioQsZ naga <&Qv%l TICXSQCOV xa^elffdac TO POVTVQOV. Es scheint wurzelverwandt mit na%vg, pinguis.

156 Die Butter.

Auch imter den taglichen Lief erun gen fur den persischen Hof sind skaCov ano ydhaxmg TTSVIS pagies aufgefiihrt (Polyaen. strat. 4, 3, 32) eine sehr geringe Quaiititat verglichen mit den Aiisatzen fur die iibrigen Bediirfnisse der koniglichen Tafel. Auch steht die Butter mitten zwiscben dem Sesam- und dem Terebinthenol , wahrend das Olivenol in dem Verzeichniss charakteristischer Weise ganz fehlt. - Dass den Juden die Butter nicht unbekannt war, wenigstens zu einer gewissen Zeit, ist aus Spricbw. 30, 33 mit Sicherheit zu schliessen: »wenn man Milch stosset, so machet man Butter draus« ; fiir die halbsemitische Insel Cy pern scheint ein Gleiches aus der Glosse des Hesychius hervorzugehen : $k(pog' ftovrvQOv. KVTTQIOI (vgl. bei demselben: sknog- ekcuov, ffteag). Gesenius Monum. p. 389 deutet dies cyprische Wort aus dem Semitischen, Job. Schmidt sieht darin das sanscr. Neutrum sarpis. Nach dem Periplus maris Erythraei (der unter den Kaisern Titus und Domitian geschrieben ist) kam Butter aus Indien in die Hafen des rothen Meeres, und das heisse Land wird reich an Reis, Baumwolle, Sesamol und Butter genannt (14 und 41); wie auch verwundete Elephanten da- selbst durch eingegebene Butter (Strab. 15, 1, 43) oder durch Be- streichen der Wunde mit Butter (Ael. H. A. 13, 7) geheilt wurden. Auch in Arabien, im Lande des Konigs Aretas, bekam das Heer des Aelius Gallus, wie Strabo 16, 4, 24 berichtet, nur Butter statt des Oeles. Durch denselben Strabo horen wir, dass bei den Aethiopiern im aussersten Siiden Butter und Fett die Stelle des Oeles vertrat, die Lusitanier im aussersten Westen statt des Oeles sich der Butter bedieaten (an den schon obeii citirten Stellen: 17, 2, 2 und 3, 3, 7). Sicher war diese indische, arabische, athiopische und lusitanische Butter ein flussiges Fett, wie auch die heutigen Beduinenaraber gierige Triiiker von Butter sind, die sie aus der Milch ihrer Schafe und Ziegen abscheiden. - - Am Fest der Riick- kehr der eryciiiischen Aphrodite in Sicilien duftete die ganze Gegend um den Tempel nach Butter, zum Beweise, dass die Gottin wirklich aus Afrika wiedergekehrt sei, Athen. 9, p, 395: o&i Je nac, o -i6nog TOTS ftovxvoov, o> dr] texfjiriQiw ^cu-vra^ TT^ tteCac ertavodov. Das Heiligthum auf dem Eryx gehorte urspriinglich den Elymern, einem Volke, dessen Herkunft streitig und in Sageii gehiillt ist. Mogeii sie ein Rest des iiber die Inseln des westlichen Mittelmeeres verbreiteten iberischen Volksstammes oder wirklich von Asien eiii- gewandert sein, - - sie werden als Rinderhiiter gedacht und verehrten einen entsprechenden Gott, dessen Gegenwart durch die Butter

Die Butter. 157

entweder als Leib- uncl Haarsalbe oder von den Pfannen dampfend - kund gethan wird (Klausen, Aeneas, 488: »von deni segnenden Schutz des Butas oder des Rinderfursten Anchises zeugt dann der durch den ganzen Ort verbreitete Buttergeruch«). Ganz allgemein aber heisst es dann bei Plinius 28, 133 : e lacte fit et butyrum, bar- bararum gentium lautissimus eibus et qui divites a plebe discernat. Unter den b'arbarae gentes sind hier dem Gesichtskreis des Plinius nach hauptsachlich Germanen zu verstehen. Die Reichen eriibrigten Butter, da sie die Milch ihrer grosseren Heerde nicht sogleich ver- zehrten, und der Genuss derselben unterschied folglich den Begiiterten von dem Armen. Die bei Plinius gleich folgende Beschreibung der Bereitung sowohl der Butter als des Quark (oxygala) leidet iibrigens an Confusion und ist wenig sachgemass ein Beweis mehr, wie fern diese Speise der klassischen Welt lag. An eirier anderen Stelle hat Plinius die Notiz, auch die gentes pacatae, d. h. die schon poli- cirten und halb romanisirten Stamme wendeten die Butter, wie Eier und Milch, zu kunstlicherem Backwerk an, 18, 105: quidam ex ovis aid lacte subigunt (panem), butyro vero gentes etiam pacatae, ad operis pistorii genera transeunte cur a; - - also die Kuchenbackerei trat auf, die bei Griechen und Romern wegen Mangels an Butter und beschrankter Anwendung der Hefe (die letztere ist gleichfalls ein nordischer Gebrauch) unentwickelt geblieben war. Merkwiirdig genug ist es, dass das Wort Butter auf dem weiten Umwege vom Pontus Euxinus iiber Griechenland und Italien zwei Lander, die das damit Benannte kaum kannten und wenig schatzten zu den meisten Volkern des westlichen und des mittleren Europa gekommen ist. Vielleicht ist eine Spur seiner Herkunft in dem magyarischen vaj, lappischen wuoj, finnischen und estnischen woi (im Accusativ mit wieder hervortretendem Dental der WTurzel: woid), ivoid-tna salben, lapp. wuotiet, ivuoitas, finn. ivoitaa, woitelee u. s. w. erhalten. Die Erfindung, die Butter durch starkes und wiederholtes Waschen, Kneten und Salzen so rein und fest zu machen, wie wir sie jetzt kennen, scheint von den nordgermanischen Stammen ausgegangen. Noch jetzt besteht der Unterschied zwischen Nord- und Siiddeutsch- land, dass in dem ersteren die Butter gesalzen wird (wie auch in Scandinavien und England), das letztere aber siisse Butter isst und die Speisen mit Schmalz, d. h. fliissiger Butter bereitet. Dieses Butterschmalz nennt der Alemanne (nicht der Schwabe) Anke (nach Grimm wurzelverwandt mit ungere, imguere: vielleicht gehort auch das altpreussische auctan, aucte und das keltische imb dahin, wenn

158 Die Butter.

in letzterem b aus g entstanden 1st, Stokes, ir. glosses 784), auch wohl Schmutz; bei den Scandinaven heisst die Butter Schmeer (d. h. woniit geschmiert wird, schwedisch smo'r, smorja u. s. w. wie ahd. anchunsmero, ancsmero). Auch Sal be mag in der Urzeit ein deutsches Wort dafur gewesen sein, wenigstens hat das entsprechende albanesische Wort gjalpe noch jetzt die Bedeutung Butter (alban. gj ist gleich s, vergl. gjaschte mit sex, gjaTc -Blut mit sanguis u. s. w., Kuhns Zeitschrift 11, 235) und beiden entspricht vielleicht das oben genannte sanscr. sarpis mit der Bedeutung: zerlassene Butter. Die Slaven benennen die Butter mit demselben Wort wie das Oel: maslo, wortlich Mittel zum Salben, also iibereinstimmend mit den obigen germanischen Ausdriicken. Beide Volker, Germanen und Slaven, schmierten sich also das Haar mit fliissiger Butter, die dann, wenn sie ranzig geworden, nicht den besten Duft verbreitete, Sidon. Apoll. carm. 12, 6:

Quod Burgundio cantat eseulentm, Infundens acido comam butyro.

Dass auch die Kelten, wenigstens die Galater in Kleinasien, sich mit Butter salbten, die sich dem Geruchsinn merklich machte, geht aus einer Anekdote hervor, die Plutarch adv. Colot. 4, 5 erzahlt: zu der Berronike (Berenice), der Frau des Dei'tauros (Dejotarus), soil eine Lacedamonierin gekommen sein: als sie einander nahe standen, sollen sich beide augenblicklich und gleichzeitig abgewandt haben, indem der einen, wie es scheint, der Geruch der Salbe, JAVQOV, der anderen der der Butter zuwider war. In entlegenen Dorfern nordischer Lander ist diese Sitte bei Weibern und Madchen auch jetzt noch nicht ausgestorben , im Uebrigen aber ist sie durch die Pomade, ital. pomata, verdrangt worden, in der, wie der Name sagt, irgend eine duftende Frucht, porno, beigemischt war. Ur- sprunglich diente sie zugleich als Haarfarbemittel und schied sich erst spater aus demselben als reine Salbe aus. Die Erfindung scheint, wie die der Seife, eine altbelgische zu sein, denn Toiletten- kiinstler waren schon die alten Gallier, wie es ihre heutigen Pariser Nachkommen noch sind.

* Zu der Geschichte des Bieres ist zu* bemerken, dass die ger- manischen Benennungen. dieses Getrankes keinen berechtigten Anlass zu der Anschauung Hehns bieten, das Bier sei bei den Germanen verhaltniss- massig jung und keltischen Ursprungs.

Die Butter. 159

Das gothische leitku, ahd. lid, ags. Ud kann lautgesetzlich nicht aus dem keltischen ir. lind (vgl. oben S. 151) entlehnt sein. Da das germanische Wort auch mit poculum, fiala erklart wird (vgl. Schade, Ahd. W.), so liegt die Vergleichung desselben mit griech. a-Xeis-ov (aus i-Xeit-jov) Becher nahe. Ebenso wenig darf an Entlehnung des deutschen bier und nordgermanischen ale aus dem mlat. bibere und lat. oleum gedacht werden. Was das erstere betrifft (ahd. bior, ags. beor, altn. bjorr), so hat R. Kogel in Paul und Braunes B. IX S. 537 es an agls. bed, altn. bygg Gerste, Getreide angekniipft, eine sachlich ansprechende Deutung (,,Gerstensaft"), die aber grosse Schwierigkeiten der Wortbildung darbietet. Neuerdings hat daher E. Kuhn (K. Z. XXXV S. 313) die germanischen Worter als Entlehnung aus dem altsl. pivo, *pives-, altpr. piivis Bier (eigentl. ,,Getrank": griech. TCIVUJ etc.) aufgefasst. Bestatigt sich diese Erklarung (germ, b aus slav. p? vgl. etwa ahd. bilih aus slav. *pilchu, altsl. pluchu nach Palander Ahd. Thiernanien S. 68), so bote sie eine ansprechende Parallele zu der unten bei Besprechung des Hopfens hervorgehobenen That- sache, dass dieser Zusatz des Bieres durch die Vermittlung slavischer Volker zu uns gekommen ist. Unser ,,bier" bezeichnete dann urspriinglich nur das gehopfte Getrank, wahrend der urgermanische Ausdruck fur den des Hopfens noch entbehrenden Trank in dem englischen ale erhalten ware. Dieses (ags. ealu, gen. ealod. altn. 61) fiihrt auf einen nordeurop. Stamm alut Bier, aus dem auch lit. alus (woher finn. olut nach W. Thomsen, Beroringer mellem de finske og de baltiske Sprog S. 157) und altsl. olu lautgesetzlich hervorgegangen sein konnen (vgl. J. Schmidt, Plural bildungeii S. 180), wenn sie nicht wie das slavische mlato, preuss. piiva-maltan (finn. mallas) Bierrnehl und vielleicht preuss. dragios Hefen (aus altn. dregg, *dragja, vgl. G. Meyer, Et. W. S. 72) aus dem Germanischen entlehnt sind. Urverwandtschaft mit dem germ, malz zeigt aber Cecil, mladina, russ. molodi Bierwiirze (Miklosich, Et. W. S. 200): altsl. mladu zart. Beilaufig nennen wir noch zwei angel- sachsische Namen des Bieres : coerin und swatan, schott. swats, ersteres an die oben angeftihrten keltischen Worter (S. 148) erinnernd, letzteres offenbar zu ags. swete suss gehorig, ahnlich wie im Slavischen der einheimische Name des Maizes slad, der in zahlreiche ostliche Sprachen entlehnt ist, so viel wie suss bedeutet.

Ueber das keltische brace (oben S. 149) vgl. jetzt Holder, Altkeltischer Sprachschatz. Hier wird ein inschriftlich tiberlieferter Beiname des Mars Braci-dca als Gott des Maizes gedeutet. Ob mit diesem keltischen brace die oben (S. 152) genannten slavischen Worter etwas zu thun haben (was Krek, Einleitung in die slav. Litg. 2. Aufl. S. 131 billigt, Miklosich, Et. W. abzu- lehnen scheint), ist sehr zweifelhaft.

Schliesslich sei auf eine lehrreiche Abhandlung iiber das agyptische Bier verwiesen: Karl Wessely, Zythos und Zythera im 13. Jahresbericht d. K. K. Staatsgymnasiums in Hernals Wien 1887, in welcher interessante Mit- theilungen iiber agyptische Biersteuer und Fabrication in den letzten vor- christlichen Jahrhunderten gemacht werden. Der Ausdruck Cu^o? (oben S. 143) hat sich bis jetzt im Altagyptischen nirgends gefunden. Das Bier heisst hier held. Es ist uns daher wahrscheinlicher, dass Cu^o? ( : Cs«>, wie ^puiov, lat. defrutum : brauen) ein dem agyptischen Griechisch eigenthtimliches ein- heimisches Wort ist. Eine Abhandlung von Death, The beer of the bible London

160 Die Butter.

1887 ist uns nicht zu Gesicht gekommen. Ueber cervesia. camuni. zyihum vgl. noch Bliimner, Maximaltarif des Diocletian 1893 S. 69 f.

Die Butter: Dass die Indogermanen schon vor ihrer Trennung es verstanden, die fetten Theile der Milch, um sie .als Salbe zu benutzen, abzu- sondern, geht aus den beiden oben S. 157 f. genannten Gleichungen (vgl. dazu scrt. anjana Salbe, a/jya Opferbutter) gegeniiber scrt. sdra geronnene Milch, griech. 6po<;, lat. serum Molken (davon zu trennen : altsl. syru Kase = alb. hift Molken, G. Meyer, Et. W. S. 152) und zend. tuirinqm = griech. topot; Kase mit Sicherheit her vor. In der Heimath der Olive ging Griechen und Eomern allmahlich diese Kunst verloren. Doch ragt ein uralter sprachlicher Zeuge des einstigen Gebrauchs des Fettes zum Salben in die historischen Zeiten der Griechen : das griech. [Aopov, mit der Nebenform ojxopov = Salbe. Unzweifelhaft steckt in diesem Wort zum Theil das entlehnte hebr. mor, aram. murrdh Saft der arabischen Myrrhe. Allein die orientalischen Formen erklaren nicht das anlautende a des Griechischen, und so ist es wahrscheinlich, dass ojxupov zu- nachst ein einheimisches Wort ist und dem ahd. smero Fett, Schmiere, goth. smairthra Fett entspricht (vgl. auch Fick, Vergl. W. 4. Aufl. I, S. 575, Muss- Arnolt, Transactions XXIII, 119, Prellwitz Et. W. d. griech. Spr. s. v. fxuppa, Lewy Die semit. Fremdw. im Griech. S. 42; unbegrtindet ist Hirts Ein wand im Anzeiger f. idg. Sprach- und Alterthumsk. VI S. 175\

Vom Pontus her mogen dann die Griechen aufs neue die Butterbereitung und dazu den Buttergenuss kennen gelernt haben ; doch scheint es uns lautlich und sachlich wenig wahrscheinlich, dass in poutopov ein finnisches woi (oben S. 157) stecken soil; bedeutet doch letzteres ausschliesslich im Finnischen Butter, wahrend es in alien anderen Sprachen dieses Stammes nur den Sinn von Fett hat, das doch die Griechen selbst kannten. Vielleicht ist ^ouTopov »Kuhquark« nichts als eine ungeschickte Uebersetzung eines scythischen Aus- drucks (vgl. etwa ahd. chuo-smero = Butter), so dass 8 pootopov xaXeoooi (oben S. 155) nur bedeuten wiirde : ein Produkt, das sie mit einem Namen benennen, dem im Griechischen ein ^outopov entsprechen wiirde. Die weiteren Schicksale von fioompov-butyrum s. bei Kluge, Et. W. 6. Aufl.

Goth, milith (oben S. 154) kann nur auf TJrverwandtschaft mit griech. fiiXt(T) beruhen.

Eine neuere sachlich werth voile Arbeit fur die alteste Geschichte der Butter ist das Buch von B. Martiny, Kirne und Girbe (d. h. Stand- und Schwingbutterfass). Berlin 1894.

Inclem wir hier die drei Urgewachse der friihesten hoheren Civilisation, Wem, Oel und Feigen, verlassen, womit konnten Avir passender schliesseii als mit der sinnvollen Parabel im neunten Kapitel des Buches der Richter? Wir setzen sie her, da das Buch, in dem sie steht, doch heut zu Tage wenig mehr gelesen wird. »Die Baume gingen hin, dass sie einen Konig iiber sich salbeten, und sprachen zum Oelbaum: Sei unser Konig. Aber der Oelbaum antwortete ihnen: Soil ich meine Fettigkeit lassen, die beide, Gotter

Die Butter.

und Menschen, an mir preisen, und hingehen, dass ich schwebe liber den Baumen? Da sprachen die Baume zum Feigenbaum: Komm Du und sei unser Konig. Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soil ich meine Siissigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen, dass ich iiber den Baumen schwebe? Da sprachen die Baume zum Weinstock: Komm Du und sei unser Konig. Aber der Weinstock sprach zu ihnen : Soil ich meinen Most lassen, der Gotter und Men- schen frohlich macht, dass ich iiber den Baumen schwebe'? Da sprachen alle Baume zum Dornbusch: Komm Du und sei unser Konig. Und der Dornbusch sprach zu den Baumen: Ist's wahr, dass ihr mich zum Konige salbet iiber Euch, so kommt und ver- trauet Euch unter meinen Schatten, wo nicht, so gehe Feuer aus dem Dornbusch und verzehre die Cedern des Libanon.« Welch ein Bild syrischer Natur und semitischen Lebens! Jene ungeheuren Dornhecken und Stachelpflanzen der Wiiste, die Acacien-Biische, denen man nicht anders nahen kann, als mit langen, schneidenden und zusammenraffenden eisernen Stangen bewaffnet, sie werden in der Sommergluth diirre wie Gerippe und werfen keinen Schatten, und wenn sie sich zufallig entziinden, dann geht der Brand ver- heerend, so weit der Horizont reicht, und ergreift die Fruchtbaume mit, die sich auf seinem Wege finden. So lief en die Feuer des Despotismus und der Eroberung iiber ganz Asien und verzehrten alles Privatgliick, alle stille Kulturthatigkeit. Die furchtbare Maje- stat der Herrscher von Ninive und Babylon gliihte erbarmungslos wie die Sonne im Sommer und brannte die Volker nieder, wie der Dornbusch die Cedern des Libanon; Oelbaum, Feigenbaum und Wein- stock aber glichen dem Manne, der in begrenztem Kreise Werke des Friedens schafft und Wohlthaten spendet. Und bis auf den heutigen Tag sind Politik und Musik - - im griechischen Sinne - feindliche Gegensatze geblieben: unser Dichter erfuhr es, als er unternahm , iiber den Baumen zu schweben , und Wahrheit und Liebe, vor Allem aber die Poesie, die Gotter und Menschen frohlich macht, in seinem Innern zu versiegen drohte. Seitdem hasste er in der Revolution den flammenden Dornbusch, der die Garten und Pflanzungen verheerte.

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 11

162 Der Flachs.

Der Flachs. Der Hanf.

(Linum usitatissimum.) (Cannabis sativa.)

In welcher Gegend der Erde der Flachs autochthon 1st, 1st eine noch nicht mit Sicherheit beantwortete, bei so vielen Kulturgewachsen wiederkehrende Frage. Da der diirre Felsboden der Lander um das Mittelmeer, die lange Sommergluth, die oft plotzlich niederstiirzenden Regengiisse u. s. w. dem Flachse nicht zusagen, so hat man seine Heimath wohl in den kalteren und feuchteren Strichen des mittleren Europa gesucht. Allein Aegypten und Kolchis lehren, dass nicht die Warme des Siidens, nur die mangelnde Feuchtigkeit dem Ge- deihen der Pflanze in den klassischen Landern hinderlich ist. Wenn neuere Reisende den Flachs in Nordindien oder am Altai oder am Fusse des Kaukasus wild wachsend gefunden haben, wenn Grisebach, Spicilegium, 1. p. 118 vom Flachse sagt: sponte crescit in Macedonia Thraciaque omni, so liegt bei einer so alten Kulturpflanze die Mog- lichkeit nahe, dass sie auch da nur der Gefangenschaft des Menschen entschlupft, d. h. nur verwildert sei. Von Wichtigkeit bei der Ge- schichte sowohl des Flachses, als des Hanfes, ist auch ihre doppelte Anwendung: die Benutzung der oligen Frucht zur Nahrung und die der Fasern des Stengels zu Stricken und Geweben: beide finden sich nicht immer gleichzeitig auf demselben Boden und bei demselben Volke, und es ist noch die Frage, welche von beiden den Anbau zuerst veranlasst hat. Das heutige Indien presst die Leinsaat zu Oel, verarbeitet aber die Pflanze selbst nicht; auch in Abyssinien dient sie nur zum Essen; Herodot erzahlt 4, 73 ff. von den Skythen, wie sie bei Todtenbestattungen mit dem Dampf der auf gliihende Steine geworfenen Hanfsaat sich reinigten und zugleich berauschten; dass sie aber die Benutzung des Hanfes zu Geweben nicht kannten, geht aus der Notiz hervor, die Herodot sogleich hinzufiigt, die Thraker (also nicht die Skythen) verstanden aus dieser Pflanze auch Kleider zu weben, die dem Linnen sehr ahnlich seien. Eben so finden wir bei den Griechen zeitig neben den Mohn- und Sesamkornern auch die Leinsaat mit Honig eingekocht zum Gebacke dienend: zuerst im siebenten Jahrhundert bei dem Lyriker Alcman, Fr. 74 Bergk. :

xtivai, jisv enxd xal TOGCU

TS

Der Flachs. 163

Im peloponnesichen Kriege, als die Insel Sphakteria von den Athenern belagert wurde, brachten Taucher unter dem Wasser in Schlauchen Mohnsaat in Honig und zerstossene Leinsaat den Belagerten zu. Thucyd. 4, 26 : hCvov ff7isQf.ia xexofjL(.ievov. Auch in Italien jenseits des Po gab es nach Plinius 19, in., einen cibus rusticus ac praedulcis aus Leinsaat, der aber jetzt nur noch bei Opfern vorkomme: nach der Oertlichkeit und dem Opfergebrauch zu schliessen wohl ein alt- keltisches oder altliguriscbes Gericht. Reicher als die Geschichte der Leinsaat als Speise ist freilich die des Flachses als technischen Gewachses.

Die Linnenkultur geht in Aegypten und Vorderasien ins hochste Alterthum hinauf. Linnene Stoffe und Kleider, Tucher und Bin den, Zelte und Netze, Taue und Segel sind bei den Aegyptern, den Pho- niziern, im Alten Testament in allgemeinster Anwendung. Alt- agyptische Wandmalereien zeigen uns den ganzen Process der Be- arbeitung des Flachses, das Rosten, Blauen, Kammen u. s. w. des- selben (Wilkinson, III, p. 138. No. 356, p. 140. No. 357). Dass die Mumien in Leinwandbinden gewickelt sind, haben nach der ent- gegengesetzten Behauptung Rosellinis, der gegen zweihundert Mumien untersucht und nie anders als baumwollene Binden gefunden haben wollte (Monumenti, II. 1. p. 333 ff.), neuere auf die Anwendung des Mikroskops gestiitzte Forschungen unzweifelhaft festgestellt (Brugsch in der Allgemeinen Monatschrift 1854, August, S. 633)48). Bedenkt man die Lange der so verwendeten Leinwandstreifen und die natiir- liche Zahl der Todten einen Leichnam in Wolle zu bestatten ware ein Grauel gewesen , ferner die allgemeine Anwendung der Leinwand auch bei der Tracht der Lebenden und die Satzung, nach der die Priester nur reine linnene Unterkleider tragen (Herod. 2, 37 von den Aegyptern: eifJLaxa 6e Mvea (pogsovGi, alel vsoTiAv jfevovteg WVTO ftdJUtna, und von den Priestern: stf&rjta de ol fyssg foverjv fjiovvyv .... cU/l^v de ffy>e, scf^Ta ovx und hochstens ausser dem Tempel einen wollenen Mantel iiberwerfen duiiten, endlich den Betrag der Ausfuhr, der zu jeder Zeit bedeutend war, so muss man iiber den Umfang und die Masse dieser Produktion in dem Nilthale erstaunen. Dass die agyptische Linnenindustrie auch die feinsten und kunstreichsten Luxusgewebe lieferte, beweist nicht nur ihr Ruf im ganzen Alterthum, sondern auch der Befund mancher Mumienhullen. So schenkte der Konig Amasis den Lacedamoniern und dem Tempel der Athene zu Lindos auf der Insel Rhodus je ein leinenes Panzerhemd mit eingewebten Thierbildern , mit Gold und

11*

164 De

Baumwolle gestickt, von solcher Feinheit der Faden, dass dreihundert- sechzig derselben wieder einen Faden bildeten (Herod. 3, 47; 2, 182. Plin. 19, 12) 49). - - Dass die Phonizier friihe den Anwohnern der Kiisten des Mittelmeeres linnene Kleider als Tauschwaaren zubrachten, geht aus der Identitat des griechischen Wortes /trcov, xcdwv mit dem phonizischen kitonet, Jcetonet Leinwand (Movers 3, 1, S. 97), so wie aus dem homerischen o$6vr] (s. u.) hervor. Sie bezogen jenen Stoff ihrerseits, ausser aus Aegypten, besonders aus ihrem palastinensischen Hinterlande, wo nach den Zeugnissen des Alten Testaments der Flachs allgemein in den Hausern von der Hand der Frauen gesponnen und zu Kleidern, Giirteln, Schniiren, Lampendochten u. s. w. verarbeitet ward. Da in einzelnen warmeren Gegenden Palastinas auch die Baumwollstaude, gossypimn herbaeeum, wuchs, so mogen auch hier, wie bei der agyptischen Waare, Baumwollstoffe und feines Linnen in Sprache und Verkehr nicht immer unterschieden worden sein. Die Schift'e der Phonizier wurden nicht bloss von Rudern fortbewegt, sondern fiihrten auch linnene Segel: woraus aber bestand das Tau- werk, das die Hasten hielt und an dem die Segel hingen? Vielleicht aus agyptischem Byblus, da der Flachs dazu zu schwach scheint- Als viele Jahrhunderte spater Xerxes seine grosse Schiffbriicke iiber den Hellespont schlug, hatten die Aegypter die dazu nothigen Seile aus Byblus, die Phonizier aus weissem Flachs, favxokwov, zu liefern, (Herod. 7, 25 und 34). Unter dem weissen Flachs verstand Salmasius (Plin. Exercitat. p. 538) bearbeiteten, linum maceratum, da der Flachs durch Rosten, Blauen u. s. w. weiss wird, im Gegensatz zu dem rohen Flachs, crudarium, cojUo'Awov. Allein bei Seilen, an denen eine Briicke hangen soil, kommt es nicht auf Weisse und Zartheit, sondern vor Allem auf Haltbarkeit an. stevxofavov ist nichts anderes, als die tevxea, tevxaCa, die nach Athen. 5, p. 206 Hiero II zu den Tauen seines Prachtschiffes aus Spanien, $• 'IfiyQiag, bezog, also Spartgras, stipa tenacissima, welche spanische Pflanze die Phonizier zu Xerxes' Zeit langst kennen und benutzen gelernt hatten. Tiefer in den Continent hinein trugen auch die Babyionier lange linnene Kittel (Herod. 1, 195: l(f^iju de xoifjde /^aovrcM, xi&nvt, Ttodr^vexeC hwiw . . .); Strabo 16, 1, 7 zeichnet besonders die babylonische Stadt Borsippa als fovovgyeZov /neya aus, und was fur seine Zeit gait, wird bei der Stabilitat des Orients in lokalen Gewerben auch fur eine viel friihere richtig sein. - - Weiter nach Norden bliihte die Flachs- kultur in Kolchis d. h. in den sumpfigen Gegenden am sudwestlichen Fuss des Kaukasus, in solcher Fiille und Vollkommenheit, dass

Der Flachs. 165

Herodot 2, 105 darin einen weiteren Grund sieht, die Kolcher und Aegypter fiir eines Stammes zu halten. Kolchisches Linnen hiess nach Herodot bei den Griechen sardonisches, Ja^Jowxov50); und war aueh spater noch ein Ausfuhrartikel von Ruf, Strab. 11, 2, 17: (Kolchis) hCvov "is noizl noKv xal xdvvafiiv xal XYJQLV xal TrCrxav. q <?£ fovovgyla xal xs&Qvhyrat,' xal ydg slg wvg &-co tonovg ££exo/u£or. Zu alien Arten Netze, lehrt Xenophon de ven. 2, 4 dient phasianischer (d. h. kolchischer) oder karthagischer feiner Flachs (ahnl. Poll. 5, 26). Der ganze Orient wusste die Leinwand zugleich bunt zu farben, glanzend zu durchwirken, arabeskenartig oder in Form von Bildern mit Gold- faden u. s. w. zu sticken, und linnene Gewander auf die angegebene Art verziert und wegen der hochsten Feinheit halb durchsichtig bildeten an den Hofen und im Harem der Konige und Satrapen die dem Machtigen und Gottergleichen und seiner llmgebung zukommende Tracht. Wie in Aegypten hiillteu sich auch in den vorderasiatischen Kulten, die Jehovareligion nicht ausgenommen, die Priester in zartes, weisses Linnen, Symbol des Lichtes und der Reinheit: Joseph. Ant. 3, 7, 2: Mveov gvdvfia SiTrhrjg (pogeZ fftvSovog ftvaatvrj? (o fogevs). XsO-ofisvTf [j,ev xafolTCu, Mveov 6s rovro Grjfuawst,' %e$vv yaQ TO hCvov t]/uelg xa^ovfjisv. Nach Philo warf der Hohepriester , wenn er das Allerheiligste betrat, das bunte Gewand ab und legte das linnene von .weissem Byssus gewebte an, de somn. 1, 37: oiav slg m twv ayfaw 6 avxbg oviog dgxiSQevg 8l(ffy, T^V f.ihv noixC^' ,, fovyv ds Mgav, fivaaov zrjg xaSctQwmirjg

Diese agyptisch-asiatische Kultussitte ging dann spater auch in Europa auf die Pythagoreer, die Orphiker, die Isispriester, auf Betende und Biissende uberhaupt tiber, wie Tibulls Delia sich bei soldier Gelegenheit in Leinwand hiillte, 1, 3, 29:

Ut mea votivas persolvens Delia voces Ante sacras lino tecta fores sedeat,

ja erhielt sich als weisses Chorhemd, alba sacerdotalis, franzos. aube, in der christlichen Kirche bis auf den heutigen Tag. - - Auch bunt- gewirkte Segel und Flaggen aus Linnen mit Gold- und Purpur- besatz und eben solche Zeltdecken werden an den Schiffen und Barken der orientalischen Despoten geriihmt, von denen die griechi- schen Konige, wie so vieles Andere, auch diesen halbbarbarischen Luxus annahmen. Schon Theseus hatte, aus Kreta heimschiffend, zum Zeichen seiner Rettung ein purpurnes Segel aufgezogen (eine Wendung der Sage, welcher Simonides gefolgt war, Plut. Thes. 17), und so wagte es auch Alkibiades, als er nach der Verbannung

166 Der Flachs.

triumphirend in seine Vaterstadt zuriickkehrte, auf einer Trireme mit purpurnem Segel, facto) ahovgya), in den Hafen einzufahren (Plut. Ale. 32 und Athen. 12. p. 535, beide nach Duris von Samos). Auch Kleopatras Schiff fiihrte bei Actium ein solches Segel, mit dessen Hiilfe sie gegen Ende der Schlacht eilig das Weite suchte. Eine weitere, in Asien gewiss seit alien Zeiten gebrauchliche Anwendung des Flachses war die zu linnenen Panzern, durch welche der scharfe Pfeil des Feindes und auf der Jagd der Zahn und die Kralle des Raubthieres , des Lowen und Pardels , abgestumpft wurde. Die Be- mannung der phonizischen und philistaischen Schiffe im Kriegszuge des Xerxes trug linnene Panzer (Herod. 7, 89: evdsdvxoTsg <?e #(«£»?- xag favsovg); ebenso die Assyrer (Herod. 7, 63); Abradatas, Konig der Susier, legt bei Xenophon, Cyrop. 6, 4, 2, den landesiiblichen linnenen Harnisch an (SwQaxa og smxwQwg rtv avrolg); bei den Chalybern in Armenien fanden die Zehntausend dieselbe Art Kriegs- bekleidung (Xen. Anab. 4, 7, 15); die Mossynoken, ein pontisches Volk, trugen Kittel bis uber die Knie, von der Dicke wie die Leiii- wandsacke, in welche man im damaligen Griechenland die Bettpolster beim Wegraumen oder auf Reisen zu stopfen pflegte (Xen. Anab. 5, 4, 13), und auch in den karthagischen Heeren, die aus sehr ver- schiedenen Soldnern bestanden, war der Leinwandpanzer ein gebrauch- liches Waffenstiick (Pausan. 6, 19, 7).

Dass nun ein durch ganz Asien von Alters her so allgemein ver- breitetes Produkt den Griechen der epischen Zeit nieht unbekannt sein konnte, ergiebt sich von selbst. Es fragt sich nur, ob die bei Homer erwahnten linnenen Gewander auf dem Wege des Handels eingefiihrt oder der Rohstoff daheim gewonnen und von den Frauen mit der Spindel und am Webstuhl zu Zeugen verarbeitet worden? Die bttovrj wenigstens, ein feines linnenes Frauenkleid von weisser Farbe51), war, wie der Name lehrt (Movers, 2, 3, S. 319), und der Zusammenhang der Stellen, in denen sie erscheint, wahrscheinlich macht, ein Erzeugniss asiatischer, nicht griechischer Kunstfertigkeit. Helena, die auch sonst mit semitisch-phrygischem Luxus umgebene Konigin, die eben ein Gewand gewebt hat, doppelt und purpurn, in welchem die Kampfe der Troer und der Achaer zu schauen waren, eilt aus dem Gemache, in weisse oftovcu gehiillt (II. 3, 141). Auf dem Schilde des Achilleus sah man tanzende Jiinglinge in wuujvsg gekleidet, die Jungfrauen aber in zarte oS-ovai gehiillt (II. 18, 595). Bei den Phaaken, in dem Wunderschlosse, sitzen die Magde webend und die Spindel drehend, gleich den Blattern der Pappel, gekleidet

Der Flachs. 167

in dichtgewebte oSovai, die von Oel triefen (Od. 7, 107), wo das Adjectiv xaiQoaewv, die von Aristarch (statt x^ocrffcozon;, mit Troddeln versehen) eingefiihrte Lesart, zur Aufhellung der Natur des Stoffes nichts beitragt, da es selbst dunkel ist. Auch die feinen Betttiicher, fiir welche Homer den europaischen im Orient sich nirgends finden- den Namen ktvov (mit kurzem Wurzelvokal) braucht, konnten immer noch fremder Herkunft sein. Zum wohlbereiteten Lager gehort ausser Vliessen und Wollstoffen auch der zarte Flaum desLinnens (II. 9, 660), so bei dem Lager, das die Phaaken dem Odysseus auf dem Schiffe bereiten (Od. 13, 73) und mit dem sie ihn schlafend ans Land tragen (118). Aus welchem Stoffe die Segel der homerischen Schiffe be- standen, ergiebt sich aus der stehenden Formel der Odyssee: tana Asvxd: sie waren weiss und folglich von Leinwand, und wenn Kalypso dem Odysseus cpdgsa, Tucher, bringt, damit er fur sein frisch ge- zimmertes Fahrzeug Segel daraus mache (Od. 5, 258), so lehren die Beiworter, mit denen kurz vorher das Gewand oder der Umwurf, (pagog, der Kalypso geschildert worden, dass auch dieses' als linnenes Gewand zu denken ist (Od. 5, 230; danach wiederholt 10, 543). Zum Tauwerk dagegen konnte auch in der homerischen Schifffahrt der Flachs nicht dienen; woraus es hergestellt war, dariiber geben glucklicher Weise Anzeigen des Textes selbst hinreichende Auskunft. Od. 12, 422 wird der Mast von den Wogen niedergebrochen ; an dessen Spitze war das Tau, Smrovog, umgeschlungen, welches aus Rindshaut verfertigt war (fiobg QWOIO rersv^g} und das daher a\ich geradezu posvg genannt wird (Od. 2, 426 und in der Parallel stelle 15, 291, wo zugleich das Adjectiv evatQeTcioiat, lehrt, dass ein solches Tau aus zusammengedrehten schmaleren Lederstreifen bestand). Neben den Riemen aus Ochsenhaut aber findet sich im zweiten Theil der Odyssee auch schon fivjttivog als Pradikat eines Schiff sseiles : unter der Vorhalle des Palastes liegt ein von einem Schiffe stammender Strang aus Byblus und Philoitios bindet damit die Ausgangsthlir zu (21, 390). Wie nun solche Seile aus agyptischem Bast den Griechen ohne Zweifel durch semitische Schiffer zugebracht waren, so konnten auch die Tucher der Kalypso und iiberhaupt das Segeltuch aus fremden Regioneh auf dem Wege des Handels bezogen worden sein. Der obige Name Mvov dient aber wieder bei Homer auch fiir die Angelschnur, das Fischernetz und den Faden an der Spindel. Patroklus hat den Thestor mit dem Schwert in die Zahne getroffen und zieht ihn vom Wagen, wie der Angler den hciligen Fisch an der Leinschnur aus dem Wasser zieht (II. 16, 406). Sarpedon ruft

168 Der Flachs.

dem Hektor scheltend zu, er moge sich hiiten, mit den Seinigen eiue Beute des Feindes zu werden, gleichsam gefasst von den Maschen des allfangenden Leinnetzes (II. 5, 487). An der Spindel zum Faden gezogen erscheint das Mvov in dem religiosen Bilde von dem zuge- sponnenen Lebensschicksal. Achilles wird dasjenige erdulden, was ihm die Schicksalsgottin bei der Geburt mit dem Leinenfaden zuge- sponnen (II. 20, 128; danach auch 24, 209; ahnlich auch Od. 7, 198). Bedenkt man, dass noch jetzt der rohe Flacbs in ganzen Sehiffs- ladungen in die Lander des Siidens geht, um dort von Frauen und Madchen im Freien, vor den Hausern, auf der Weide der Schafe und Ziegen an der Kunkel versponnen zu werden, so konnten auch die homerischen Weiber und nach ihrem Vorbild die Moren agyp- tischen, palastinensischen oder kolchischen Flachs zu Faden gedreht und zu Netzen gestrickt haben. Eine andere Frage ware die, ob nicht Mvov in Europa ein sehr altes Wort ist, das iiber die Zeit des Flachses hinausgeht und nur den Faden und das daraus Gestrickte iiberhaupt bedeutet? Fischfang mit Angel und Netz ist eine sehr primitive Beschaftigung und Naturvolker wissen aus allerlei wild- wachsenden Pflanzen, besonders denen aus dem Nesselgeschlecht, und aus dem Bast gewisser Baume Faden zu drehen und gewand- artige Matten zu flechten. Warum sollten auch die Parzen bei Homer gerade den Lein und nicht lieber die Wolle des Schicksals abspinnen, wie sie doch spater thun? (S. dariiber unten.) Asiatische Waare mogen auch die Lein wand-Panzer gewesen sein, die an zwei Stellen des Schiffskatalogs erwahnt werden, II. 2, 529 und 830. An der einen (die freilich ganz wie ein junges Einschiebsel aussieht) wird Ajax, Fiihrer der Lokrer, favo#a)()r]% genannt, an der andern gleicher Weise Amphius, Sohn des Merops, einer der troischen Bundesgenossen. Dass der Letztere, ein halbbarbarischer Asiate, in der Tracht erscheint, wie die Chalyber des Xenophon, hat nichts Auf- fallendes; bei dem Fiihrer der Lokrer hangt das Pradikat offenbar mit der Kampfweise dieses den Lelegern blutsverwandten Stammes zusammen: die Lokrer standen nicht Mann gegen Mann in der Schlacht, schwangen nicht den Speer und trugen nicht eherne Helme und Schilder, sondern fiihrten Bogen und Schleuder, schossen aus der Feme und deckten sich also zweckmassig durch leichtere gewebte oder gesteppte Kittel (II. 13, 373 ff.). Der linnene Harnisch wird von da an durch das ganze griechische Alterthum hin und wieder erwahnt. In dem um die Mitte des siebenten Jahrhunderts an die Aegier (nach Anderen an die Megarer) ergangeiien sehr beriihmt

Der Flachs. 169

und sprichwortlich gewordenen Orakel heissen die Argiver leinwand- bepanzert, Anth. Pal. 14, 73:

'AgysZot, Aiyo&x>£^x££, xevrga mohsfjioto.

In einem Fragment des Alcaus (bliihte urn 600 vor Chr.) wird unter andern Kriegswaffen auch der #«)((>«£ aus Uvov aufgefiihrt (Fr. 15 Bergk.); in Olympia lagen drei linnene Harnische, Weih- geschenke des Gelon und der Syrakuser nach ihren Siegen zu Lande und zu Wasser iiber die Karthager (Paus. 6, 19, 4), und auch sonst sah Pausanias Panzer dieser Art an heiligen Statten aufgehangt, z. B. im Heiligthum des gryneischen Apollo (1, 21); Iphikrates gab den athenischen Kriegern, um sie beweglicher zu machen, linnene statt der friihem ehernen und Kettenpanzer (Corn. Nep. Iphicr. 1, 4: pro sertis atque aeneis linteas dedif). In der Gruppe der Aegineten tragt Teucer, des Ajax Bruder, iiber einem armellosen reich gefalteten Unterhemd den linnenen Harnisch mit doppelten TtTSQvysg, dessen Enden nach vorn iiber beide Schultern fallen; auch Hercules hat iiber einem Untergewand mit gefaltetem Saum den Linnenpanzer, aber nur ein Ende hangt iiber die linke Schulter. Dass der Lokrer diese Art Riistung erhielt, geschah nach homerischem Vorgang und nach der Sitte dieses gewissermassen vorhellenischen Stammes; bei Hercules, dem mit Keule und Bogen bewaffneten Helden, erscheint natiirlicher Weise neben dem Fell des erlegten Thieres auch die alteste leichte Kriegstracht, noch nicht der Stahlpanzer und die dorisch-ritter- liche navorcMa. Im Uebrigen herrscht das wollene Kleid bei den Griechen vor; die Leinwand gilt fiir iippig und weibisch, sowohl wenn sie weiss und glanzend wie Schnee, als wenn sie mit Farben, Bildern und Franzen geschmiickt war. Die lonier in Asien hatten das lange fliessende Kleid aus Leinwand von ihren karischen Unter- thanen und reichen Nachbaren angenommen : schon bei Homer heissen sie 'Idoveg shxexiTwvsg, wie die Troerinnen ^IxsGCneTtloi,; von den loniern war dieselbe Tracht zu den blutsverwandten, friihe der orien- talischen Civilisation geoffneten Athenern iibergegangen. Herodot erzahlt 5, 87 die angebliche Veranlassung zu dem Letzteren: da nach einem ungliicklichen Kriegszuge gegen die Aegineten der einzige entronnene athenische Krieger von den wegen der Ungliicksbotschaft und des Verlustes ihrer Manner wuthenden Weibern mit dem Dorn der Schnallen, die ihre Gewander festhielten, erstochen worden, wurde zur Strafe dafiir die weibliche Tracht durch Volksbeschluss geandert: die Frauen mussten das dorische, wollene, bloss umge- Avorfene Kleid ablegen und den ionischen oder, wie Herodot hinzu-

170 Der Flachs.

setzt, eigentlich altkarischen, ganz genahten und folglich keiner Spange bediirfenden linnenen xtdwv annehmen. Spater kam indess in Athen die ionische Leinwandtracht wieder ab : Thucydides berichtet in einer nicht ganz klaren und viel bestrittenen Stelle (1, 6), gegen die Zeit des peloponnesischen Krieges sei auch bei den Athenern das altgriechische wollene Gewand wieder Gebrauch geworden; nur unter der Klasse der reichern Burger batten die altern am Herge- bracbten hangenden Leute den gewohnten Prunk nicht aufgeben wollen. Seitdem trugen nur die Weiber nocb Stoffe aus Flachs, deren feinere Sorten aus fremden Landern eingefiihrt wurden. Bei Aeschylus Sept. 1038 tragt Antigone ein ftv&KVOV TiSTihw/ua und in Euripides' Bacchen 820 sind fivGMvoe, nenhoi, so viel als Frauen- kleider. Ueber einen Anbau der Pflanze selbst auf griechischem Boden liegt aus alterer Zeit kein bestimmtes Zeugniss vor. In den besiodischen Gedichten ist nirgends vom Flachs die Rede; auch spater sagt Theophrast nur einmal im Vorbeigehen, der Flachs ver- lange einen guten Boden (de caus. pi. 4, 5, 4); ganz spat berichtet Pausanias (6, 26, 4) von den Bewohnern der Landschaft Elis, sie saeten je nach der Beschaffenheit des Bodens Hanf, Lein und Byssos. Elis tragt nach Leake, Morea, 1, S. 12, noch heut zu Tage einigen Flachs, der aber nur ein grobes Produkt giebt. Jedenfalls nahm der Flachs zu keiner Zeit in der griechischen Bodenwirthschaft die her- vorragende Stelle ein, wie in manchen Gegenden des asiatischen Continents.

Es konnte nicht fehlen, class linnene Tiicher, Kleider und Stoffe friihzeitig auch nach Italien himibergebracht wurden. Freilich, wenn Diogenes von Laerte Recht hatte, so ware zu Pythagoras' Zeit, also in der zweiten Halfte des sechsten Jahrhunderts, die Leinwand in den grossgriechischen Stadten noch unbekannt gewesen (8, 1, 19: TO. yag fava ovno) tig Ixetvovg dyiZxro wvg Tonovg), daher der Meister, anders als seine spatern Nachfolger, gezwungen war, sich in reine weisse Wolle zu kleiden, allein die Nachricht hat wenig Gewahr und besagt wohl nur, dass das ionische linnene Kleid bei den Kro- toniaten, wie natiirlich, nicht im Gebrauch war und Pythagoras in Kroton sich trug, wie a)le Uehrigen. Das lateinische Wort linum stimmt in der Quantitat nicht mit dem homerischen Atvov iiberein, wohl aber mit dem Gebrauch attischer Komiker und wanderte also, wenn es Lehnwort war, aus einer Gegend ein, deren Volkssprache jener attischen nahe stand. Aus fruher Zeit horen wir von alt- romischen Biichern auf Leinwand, libri lintei, auf deren Auctoritat

Der Flachs.

sich noch einzelne Annalisten berufen: dem Nanien nach vermuthen wir, dass sie auf Bast geschrieben waren ; an wirkliche Leinwand 1st wohl deshalb schou nicht zu denken, well die Alien nicht, wie wir, lange zusammengerollte, spater zu verschneidende Stiicke dieses Stoffes webten, sondern immer schon fertige, zu unmittelbarem Ge- brauch bestimmte Kleider, Tiicher u. s. w. Dass die vejentischen Etrusker nach der Mitte des fiinften Jahrhunderts vor Chr. sich linnener Harnische bedienten, oder dass wenigstens ihr Konig, wenn er zu Pferde in die Schlacht zog, einen Thorax von Leinwand trug, geht aus Livius 4, 20 hervor: damals namlich todtete A. Cornelius Cossus den Vejenterkonig Tolumnius in der Schlacht und weihte dessen thorax linteus im Tempel des Jupiter Feretrius auf dem Kapitol, Kaiser Augustus aber, als er den genannten Tempel, der verfallen war, wieder herstellte, las noch die Weihinschrift auf dem thorax selbst, an dessen Echtheit also nicht zu zweifeln war. Dem Volk der Falisker, das den Vejentern blutsverwandt und benachbart war und an der erwahnten Schlacht Theil genommen hatte, schreibt der Dichter Silius Italicus linnene Tracht zu, als bei ihnen hergebracht, 4, 223:

Inductosque simul gentilia Una Faliscos.

Eine andere etruskische Stadt, Tarquinii, die gleichfalls nicht sehr fern lag, lieferte gegen Ende des zweiten punischen Krieges, als die Bundesgenossen pro suis quisque facultatibus, d. h. Jeder nach den Naturerzeugnissen oder der Industrie seines Landes zur romischen Flotte beisteuerten, Leinwand zu Segeln (Liv. 28, 45). Ja die ganze Gegend, wo der Tiberfluss durch buschige Wildniss dem Meere zustromte, wird von Gratius Faliscus als Flachs tragend ge- schildert, 36:

et aprico Tuscorum stupea campo

Messis contiguum sorbens de flumine rorem.

Qua cultor Latii per opaca silentia Tibris

Labitur inque sinus magno venit ore marines.

At contra nostris imbellia Una Falisois.

Und nicht bloss feucht, setzen wir hinzu, war der Landstrich am untern Tiber und darum fur die stupea messis, d. h. die Flachsernte geeignet, sondern auch Schauplatz eines sehr alten Handelsverkehrs. Dass die Samniter gegen Ende des vierten Jahrhunderts von der Leinwand schon ausgedehnten Gebrauch machten, wie sie auch an Gold und Silber nicht arm sein konnten, erhellt aus dem Bericht des Livius 9, 40: danach stellteii sie ein doppeltes Heer auf, das

172 Der Flachs.

eine mit vergoldeten, das andere mit silbergeschmiickten Schildern, beide mit Biischen auf den Helmen; die goldene Schaar trug bunte, die silberne weisse leinene Tuniken; auch die bunten bestanden wohl aus gefarbter Leinwand, die vielleicht im fernen Osten gewebt war, wie ja auch der Besitz kostbarer Metalle auf Tauschverkehr mit dem Auslande hinweist. Noch bedeutungsvoller ist ein anderer Vorgang, von dem Livius 10, 38 erzahlt und der die Aufmerksamkeit der M}rthologen noch wenig erregt hat. Im Jahre 293 versammelten die Samniter bei Aquilonia mit Aufgebot aller Krafte ein Heer von vierzigtausend Mann. Mitten im Lager war ein Raum von zwei- hundert Fuss nach alien Seiten mit Flechtwerk und Brettern um- geben und mit Leinwand bedeckt. Dort wurde nach verschollenem Brauch der Vater und dem Text ernes alten liber linteus ein Opfer gebracht und dann die Edelsten des Volkes einer nach dem andern hereingefuhrt. Der Anblick des nach ungewohnter Form vollzogenen Opfers, der Altar mitten in dem ganz bedeckten Raum, die frisch geschlachteten Opferthiere ringsum , die mit geziickten Schwertern dastehenden Centurionen: Alles ergriff das Gemuth des Eintretenden, der sich mehr wie ein Schlachtopfer , als wie ein Opferer vorkam. Erst musste er schworen, nichts von dem zu verrathen, was er hier sehen oder horen wurde, dann leistete er nach einer grausigen Formel, mit Anrufung des Verderbens auf sich, seiii Haus und sein Ge- schlecht, einen Eid, durch den er sich verpflichtete, den Fiihrern in die Schlacht zu folgen, nimmer aus der Schlacht zu fliehen und Jeden, den er fliehen sane , augenblicklich zu todten. Als Anfangs Einige sich weigerten, diesen Schwur zu leisten, wurden sie am Altar selbst niedergemacht, welcher Anblick darauf die Folgenden. willig machte. Nachdem so der Adel durch den Eidschwur sich gebunden, befahl der Feldherr zehn von ihm Ernannten, sich Jeder einen Genossen zu erwahlen, und dieser wieder dasselbe, bis so durch fortgehende Wahl ein Heerhaufe von sechszehn tausend Mann beisammen war. Diese Legion hiess die legio Unteata, von der Umhiillung des Raumes, in welchem der Adel sich dem Siege oder Tode geweiht hatte. Sie erhielt hervorleuchtende Waffen und Heltnbusche, wurde aber trotz Allern von den Romern an einem blutigen Schlachttage vollig auf- gerieben. Warum aber war der Raum, wo die Yerschworungshand- lung vor sich ging, grade mit Leinwand iiberspannt und die Legion grade nach diesem Umstand linteata geheissen? Vielieicht wirkten hier pythagoreische religiose Vorstellungen ein, von denen die Sam- niter, wie sich auch sonst beobachten lasst, nicht unberiihrt geblieben

Der Flachs. 173

waren. Als die Romer in die Erbschaft der Samniter und der Griechen eintraten, waren vestes linteae, wie im Orient und in Griechen- land, eine kostbare iippige Tracht: Cicero in Verr. 5, 56 fiihrt unter den Luxuswaaren des Orients, wie Purpur von Tyrus, Weihraueh, wohlriechende Essenzen, feine Weine, Geninien und Perlen, auch leinene Kleider auf, etwa wie wir sagen: Diamanten und Spitzen. Dienende Knaben bei schwelgerischen Gastmahlern trugen, um fliich- tiger in der Bewegung zu sein, leichtes anschliessendes Linnen; die Reize schoner Libertinen wurden durch fiorartige, purpurfarbige, gold- gestickte koische und amorgische Gewebe zu denen auch der feinste Flachs diente, Poll. 7, 74 mehr verrathen als verhiillt; reiche Magistrate und Casaren spannten, um das schauende Volk und Richter und Gerichtete vor der Sonne zu schiitzen, ein Leinwanddach iiber das Theater und das Forum. Bei dem Wechsel der Mode, iiber den schon friihe noch zur Zeit der Republik geklagt wird, erschienen neue Kleiderformen, Tiicher, Binden u. s. w. aus linnenem Stoff : so der stippams (ursprlinglich Name eines Segels und zwar eines kleinen oder Hiilfssegels, dann ein Frauengewand, schon bei den Komikern, Novius (bei Ribbeck, Com. lat. reliq. p. 224):

Supparum purum Veliensem linteum, Afranius (p. 154):

tace ! Puella non sum, supparo si induta sum;

nach Varro 1. 1. 5, 30 Spengel. ein oscisches Wort, das aber wohl aus dem Orient stammte; Paul. p. 311 Miiller setzt es geradezu dem spatern camisia, Hemde, gleich), das sudarium (eine Art Handtuch oder Taschentuch, das von Leinwand gewesen sein muss, da Catullus es an zwei Stellen 12, 14 und 25, 7 von Saetabis in Spanien, dem beruhmten Flachsbezirke, kommen lasst und Vatinius bei Quintilian 6, 3, 60 ein candidum sudarium fiihrt; spater orarium genannt und als solches zur christlichen Messkleidung gehorig) u. s. w. Linnene Faden dienten zur Angelschnur, zum Verbinden der Brief e, dickgewebte Leinwandtiicher zum Abreiben in den Badern, als Tischdecken, letztere unter dem Namen mantelia, mantela, dazu bestimmt, den aus kost- barem Holz bestehenden Tisch gegen die Eindriicke der aufgetragenen Schiisseln zu schiitzen, Mart. 14, 138. Mantele:

Nobilius villosa tegant tibi lintea dtrum;

Orlibus in nostris circulus esse potest.

.Die Pflanze selbst aber wurde in dem Itaiien siidlich von Rom - und dieser Theil der Halbinsel war in den ersten Zeiten der romi-

174 Der Flachs.

schen Weltherrschaft der civilisirte, der gebende mid empfangende, der Weg in die alte Welt, auf ihn gleichsam das Gesicht der Haupt- stadt gerichtet kaum oder nur in geringem Masse angebaut. Cato erwahnt des Flachses in seiner Landwirthschaft ganz und gar nicht, Varro nur fliichtig. Auch Columella legt auf diese Kultur kein Ge- wicht; einmal 2, 7, 1, zahlt er unter Bohnen, Linsen, Erbsen und anderen Arteii legumina auch den Flachs mit auf, woraus sich ergiebt, dass in Krautgarten wohl auch ein Stuck Land zur Erzeugung von Leinsaat bestimmt wurde. Ein ganz anderer, weiter, iiber die griechisch-romische Welt hmausfiihrender Blick aber offnet sich in dem Kapitel, welches Plinius am Anfang des 19. Buches dem Flachse und seiner Kultur in der Welt widmet. Wir erkemien hier, dass, wenn die am Nil und im Herzen Asiens friihe bliihende Linnenkultur bei ihrer Wanderung nach Europa in den warrnen Gebirgsland- schaften der beiden klassischen Halbinseln keine rechte Statte fand, sie in den feuchten, nebligen Ebenen der Barbaren, auf humusreichem Waldboden, in den Landern frischen Anbruchs sich bald iippig ent- faltete. Schon Herodot 5, 12 lasst ein Madchen vom Stamme der Paoner in Thrakien mit dem Flachs an der Spindel auftreten; am entgegengesetzten Ende Europas wird Spanien in friiher und in spater Zeit als leinproducirend geriihrnt: in der Schlacht bei Canna trugen die Iberer purpurverbrarnte linnene Kittel nach Landessitte (xaia ^VL TrdrQia, Polyb. 3, 114, 4 und nach ihm Liv. 22, 46: His- pani Unteis praetextis purpura tunicis); die feinen Siebe aus Flachs- faden sind eine urspriinglich spanische Erfindung (Plin. 18, 108); die Emporiten treiben Leinwandindustrie (Strab. 3, 4, 9); das feine Pro- dukt von Tarraco (dort mit dem phonizischen Worte carbasus be- nannt, welches selbst wieder fur den indischen Namen der Baum- wolle gehalten wird) und Saetabis stand in hohem Rufe und wird oft erwahnt, z. B. Sil. Ital. 3, 374 :

Saetabis et telas Arabum sprevisse superba Et Pelusiaco filum componere lino -

und wenn uns dies von Orten an der Kiiste des mittellandischen Meeres, die von friihe an mannichfachem Kultureinfluss geoffnet war, weniger wundert, so horen wir doch auch von dem Flachs der fernen Stadt Zoelae im Lande der rohen Asturer am Strande des atlantischen Oceans (Plin. 19, 10) und von den linnenen Harnischen der wilden und rauberischen Lusitanier im hintern Land (Strab. 3, 4, 6). Daher es von Spanien ganz allgemein heisst, Just. 44, 1, 6: jam lini spartique vis (in Hispania) ingens; Mel. 2, 6, 2: (Hispania) adeo

Der Flachs. 175

nt, sicubi ob penuriam aquarum effeta et sui dissimilis est, linum tamen aut spartum alat. In Italien selbst aber bilden alle die von der inneren Adria her zuganglichen Gegenden, die wasser- reichen, von Fliissen und Kanalen durchschnittenen Ebenen, der Land- strich, den einst Etrusker, dann keltische Volker besetzt hielten, und das von entgegengesetzten Seiten daran stossende ligurische und venetische Gebiet von Alters her eine Zone der Flachskultur. Plinius kennt in Oberitalien Flachssorten, die nach den spanischen fiir die besten auf europaischem Boden galten, den von Faenza in der Romagna (in Aemilia via Faventina, noch heut zu Tage geschatzt), den von Retovium (bei dem heutigen Voghera) und den in. der regio Aliana zwischen Po und Tessin (beide letztere auf altligurischem Boden). Eine in der Umgegend Ferrara's, also gleichfalls in der Romagna, gefundene, freilich verdachtige Inschrift (Orelli 1614) ist dem Sil- vanus cannabifer et linifer geweiht. Dass die Etrusker friihe Flachs- bau trieben, ist schon oben erwahnt und bildet ein Symptom mehr fiir den Zusammenhang , der dies Volk mit dem Norden verkniipft, und fiir die Kuiturscheide , die der Tiberfluss abgab. Jenseits der Alpen beschreibt Plinius ganz Gallien als Leinwand webend, be- sonders die Cadurci (Strab. 4, 3, 2 : naga tie rolg KadovQxoig hvovQ- yiaC), die Caleti, Ruteni, Bituriges, und die fiir die aussersteri der Menschen geltenden Morini, d. h. die keltischen Bewohner der Niederlande, - - so dass also belgischer Flachs und flamische Lein- wand ihren Adel bis wenigstens zum ersten Jahrhundert nach Chr. hinaufdatiren konnen. Ein Denkmal davon bewahrt die italienische Sprache in dem Wort renso, feiner Flachs, von der Stadt Rheims, wo er bezogen wurde. Selbst bis zu den Germanen jenseits des Rheins, fahrt Plinius fort, ist diese Kunstfertigkeit gedrungen; das germanische Weib kennt kein schoneres Kleid als das linnene; sie sitzen in unterirdischen Raumen und spinnen und webeii dort (id opus agunt). Ungefahr dasselbe sagt Tacitus, Germ. 17: die Frauen kleiden sich wie die Manner, nur dass die erstereri haufiger sich in linnene Tiicher hiillen, die sie mit Roth verzieren (purpura variant). - Finden wir so den Flachs bei alien Volkern Mittel-Europas unter den friihe ergriff enen , weil dem Boden und Himmel zusagenden Kulturzweigen, bei den Keltiberern am biscayischen Meerbusen, den Ligurern am obern Po, den Thraken, Kelten, Germanen, so lehrt zugleich das Wort Lein, dass ihnen Allen das Gewachs von den klassischen Volkern zugekommen war: dieser Name geht namlich durch den ganzen Welttheil, von den Basken am Fuss der Pyrenaen

176 Der Flachs.

(lurch alle keltischen und germanischen Volker bis zu den Litauern und Slaven, den Albanesen, Magyaren und Finnen, und findet sich in den Sprachen verschiedenster Herkunft wieder52). Bei den Bar- baren aber wurde Leinwand nicht bloss allgemeines Lebensbediirfniss und fand mannichfache Anwendung, sondern gewann von dort auch Eingang in die Sitten der im Abscheiden begriffenen antiken Welt. Leinwand als Volkstracht ist nordischen Ursprungs. Wie der Ge- brauch gestopfter, mit Leinwand iiberzogener Polster und Kissen aus Gallien, namentlich von den schon oben genannten Cadurci, nach Italien kam (culcitae, tomenta, bei Martian's Leuconica oder Lingonica genannt) denn das friihere Alterthum bediente sich der stramenta, d. h. blosser Lagen von Decken tund weichen Stoffen (Plin. 19, 13) so ging auch das linnene Unterkleid, das eigentliche Hemde, das die Griechen und Romer in der Weise, wie die heutigen Europaer, nicht kannten, von den Barbaren aus, mit ihm der neue, zuerst bei dem heiligen Hieronymus vorkommende , gallische Name camisia (Zeuss2 p. 787). Friiher hatten hochstens die Weiber vornehmen Standes Leinwand unmittelbar am Korper getragen; Plinius bemerkt, in der Familie der Serraner sei auch zu seiner Zeit das Hemd als weibliches Kleidungsstiick nicht ublich : ohne Zweifel in conservativer Anhanglichkeit an die altere Sitte. Nicht mehr sudlich-klassisch, schon nordisch-barbarisch war es, wenn der Kaiser Alexander Severus, wie ein Biograph Aelius Lampridius 40 berichtet, frische, weisse Leinwand liebte, weil sie nichts Rauhes habe (wie die Wolle), und die purpurgestreifte oder gar mit Goldfaden gestickte, also das orientalische Luxusgewand, verschmahte. Einige Decennien spater schenkte Kaiser Aurelian schon dem populus Romanus weisse, mit Aermeln versehene Tuniken, die in verschiedenen Provinzen angefertigt waren, darunter auch ungefarbte linnene aus Afrika und Aegypten, Vopisc. Aur. 48. Aus dem Edictum Diocletiani vom Jahre 301, Cap. 17 und 18, ersehen wir, dass die altberuhrnten syrischen Lein- wandfabriken schon grobe Zeuge fur den gemeinen Mann und fur Sclaven (Ig xQfoiv idov t&corcov r^TOt, (pafJufoaQixiDv) lieferten, darunter caracallae, Leinwandmantel gallischen Schnittes, mit Kaputze in Weise der noch heute geltenden Monchstracht , yaoxwia oder (paGxelai, Binden, die Fiisse zu umwickeln, an Stelle der heutigen Striimpfe, awdovsg xoiTagtat,, Bettlaken, xvlat, und TTQogxscpdhaia oder Matratzen- iiberziige und Kissenbiihren u. s. w., lauter im Laufe der Kaiserzeiten von Gallien her, wie wir glauben, bei den untern Volksklassen herrschend gewordene Bediirfnisse. Noch ein Jahrhundert spater

Der Flachs. ' 177

encllich sagt der h. Augustinus Sermon. 37, 6, schon geradezu und ganz allgemein : interiora sunt enim linea vestimenta, lanea exteriora, also: liber Leinwandhemden tragt man Rocke von wollenem Tuch (der Kirchenvater findet desshalb, mit dem aberwitzigen Tiefsinn des Mittelalters , in der Wolle etwas Fleischliches , carnale aliquid, im Lein aber etwas Geistiges oder Geistliches, spirit ale).

Weder Plinius noch Tacitus sagen uns, ob der rohe Flachs, der den germanischen Frauen zu ihren Leingeweben diente, wie die rothe Farbe, etwa aus Gallien eingefuhrt, oder der Anbau schon ins innere Land eingedrungen war, oder ob er sich auf die Rheingegenden, die an gallischer Kultur am friihesten Theil nahmen, beschrankte? Aus der Tracht der heiligen Phrophetinnen bei den Cimbern, welche Strabo 7, 2, 3 als grauhaarig, barfuss mit ehernen Giirteln und spangenbefestigten Manteln aus feinem Flachs (xagnncCvag sfpaTrrtdag emTTSTtOQTirjfigvai,) schildert, lasst sich nicht etwa auf Flachsbau an der untern Elbe in so friiher Zeit schliessen, da die Cimbern, wenn sie wirklich germanischen Stammes waren, vor ihrem Untergang durch die Romer weit in keltischen, ja in keltiberischen Landen um- hergezogen und in jeder Beziehung nicht ohne keltische Beimischung geblieben waren. Paulus Diaconus 1, 20 berichtet aus der alteren, d. h. voritalischen Geschichte der Longobarden eine sagenhafte Be- gebenheit, die auf germanischen Flachsbau deuten konnte. Die Heruler, von den Longobarden besiegt, hielten auf der Flucht ein bluhendes Leinfeld fur einen See (Goethe, Italien. Reise, Palermo, 13. April 1787: »Man glaubt in den Griinden kleine Teiche zu sehen, so schon blaugriin liegen die Leinf elder unten«), sturzten sich hinein, als ob sie schwimmen wollten, und wurden so von den verfolgenden Siegern ereilt und niedergemacht. Allein die Scene dieser Sage ist die pannonische Theissgegend , wo die Flachskultur alt sein mochte, und ohnehin die vorausgesetzte Zeit eine spate, etwa das Jahr 500 nach Chr. Im Lauf der Volkerwanderung hatte sich indess das Leinkleid bei den aus ihren Sitzen aufgebrochenen Stammen immer allgemeiner verbreitet und wird gegen Ende derselben ausdriicklich als gewohnliche germanische Volkstracht genannt, Paul. Diac. 4, 23: Vestimenta vero eis (Longobardis) erant laxa et maxim e linea qualia Anglisaxones habere solent, ornata institis latioribus, vario colore con- textis. Als die Gothen unter Kaiser Valens iiber die Donau setzten, um in romisches Gebiet aufgenommen zu werden, da reizten ihre linnenen Gewebe mit troddelartigem Besatz die Habsucht der Griechen (Eunap. 6 ed. Bonn. p. 50). So tragen auch die Franken bei

Viet. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 12

178 Der Flachs.

Agathias 2, 5 theils lederne, theils linnene Hosen und die west- gothischen Aeltesten bei Sidonius Apolliiiaris c. 7, 455 schmutziges Linnen und kurze Pelze. Nach deni inonaclius Sangallensis 1, 34 gehorte friiher zu der Tracht der vornehmsten Franken ausser den rothen leinenen Hosen, tibialia vel coxalia linea, auch die camisia clizana, d. h. das Hemd aus Glanzleinwand ; zu Karls des Grossen Zeit aber zogen die jungen Prinzen schoii das gallische kurze ge- streifte sagum vor, wahrend der Kaiser selbst bei der vaterlichen Tracht blieb, Einh. vit. 23: vestitu patrio id est francisco utebatur. Ad corpus camisam lineam et feminalibus lineis induebatur. Wenn die Germanen, die viele Jahrbunderte lang ruhige Anwobner des Meeres gewesen waren und Anfangs nur in leichten Kahnen (lintreSj Tac. Ann. 11, 18) oder ausgehohlten Baumstammen (singulis ar~ boribus cavatis, Plin. 16, 203) die benachbarten belgischen Kiisten zu pliindern gewagt batten, plotzlich in weiten See- und Raubziigen als kuhne Scbiffer erscheinen, die Sacbsen seit dem vierten, die Danen seit dem sechsten, die Normannen seit Beginn des achten Jahrbunderts, so mag ausser der allmahlichen Bekanntschaft mit deni Eisen und mit dem romischen. Schiffsbau iiberhaupt (einen sprechen- den Fall solcher Aneignung erzahlt Eumenius in seinem Panegyricus an den Kaiser Constantius, cap. 12), vielleicbt auch die steigende Verbreitung des Flachsbaues und die Gewinnung von Leinwand im Grossen zu Segeln ein Grund davon gewesen sein. Die Veneter wenigstens in der Betragne, die haufig zu den blutsverwandten Stammen in Britannien hinuberschifften, batten zu Casars Zeit, wie dieser ausfiibrlich beschreibt (de bell. gall. 3, 13), Segel aus Thier- fellen und Leder und eiserne Ankerketten, entweder, fugt Casar binzu, weil sie den Gebrauch des Flacbses nicht kannten, oder, was wahrscheinlicher ist, weil die Gewalt der Stiirme dort so gross ist. Woraus bestanderi aber die venetiscben Segeltaue, die von der romischen Schiffsmannschaft mit scharfen Sicheln an langen Stangen zerscbnitten wurden, so dass die feindlicben Schiffe unbeweglich wurden und sich ergeben mussten? Wohl aucb aus ledernen Riemen, da Casar das Material nicht besonders bezeichnet; bedienten sich doch auch nicbt bloss die homerischen Griechen, sondern auch die illyrischen Liburnen derselben bei ibren Schiffen (Varro bei Gellius 17, 3), wie auch bei den Normannen die Ankertaue aus dem Fell der Walthiere und Seehunde geschnitten (s. Ohtheres ersten Reise- bericht bei Konig Alfred) und in Island nocb bis in die neuere Zeit die Fischernetze aus Lederstreifen geflochten waren; wo es

Der Flachs. 179

hanfene Taue gab, waren wohl auch die Segel aus Hanf gewebt worden. Zu Plinius Zeit webte ganz Gallien Segeltuch, das auch schon. jenseit des Rheins Eingang gefunden hatte (dort also friiher unbekannt war), 19, 8: Galliae universae vela texunt, jam quidem et transrhenani hostes. Die Suionen, also die Vorfahren der Normannen, kannten zu Tacitus Zeit, wie dieser Germ. 44 ausdriicklich sagt, den Gebrauch der Segel noch nicht, eben so wenig die Einrichtung geschlossener Ruderbanke; Vorder- und Hintertheil war bei ihren Schiffen nicht geschieden, so dass sie, ohne zu wenden, iiberall landen konnten eine Einrichtung, die Germanicus auf seinem grossen ungliicklichen Nordseezuge im Jahre 16 nach Chr. bei einem Theil seiner Schiffe nachahmte. Solche altnordische Kahne mochten zur Fahrt zwischen den Inseln und in den Belten und Fiorden geeignet sein; im Hochsomrner setzten sie vielleicht von der Insel Gothland in den finnischen und rigaischen Meerbusen hinuber ; aber erst mit der aus Siiden gekommenen Technik des Segeltuchs und des Eisens kam •der Muth zu den weiten Wikingerziigen. Das deutsche Wort Segel, ags. segel, altn. segl, im Germanischen dunkel und fremdartig, stammt wohl aus dem Keltischen (aldrisch seal, sool, mit unterdriicktem gutturalen Inlaut) oder direkt aus dem lateinischen sagulum. Litauer und Polen entlehnten wieder das deutsche Segel, litauisch zeglys, polnisch zagiel, die Bohmen half en sich mit der Wendung: Stiick Leinwand oder Windfang, die Siidslaven brauchten Schoss fur Segel, die Russen nahmen das griechische (pagog in der Formparus an lauter spate Sprachprodukte. Bei den Germaneri wurden iibrigens seit jenen Zeiten Gewebe aus Flachs fur immer eine Lieblings- kleidung. Der Siidlander, mehr im Freien lebend, bedurfte zum Schutz gegen die wechselnde Temperatur der Umhullung mit Wolle; der Germane, besonders der Nordgermane, im winterlichen Klima zur Gefangenschaft im Hause gezwungen, dabei mit angeborenem Sinn fur Reinlichkeit begabt, zog das leichte glatte Linnen vor, das Abends und Nachts in der geheizten dumpfen Hiitte sich kiihl an den Leib legte, an dem jeder Fleck gleich sichtbar wurde, das haufig gewaschen werden konnte und immer weicher und schmieg- samer aus der Wasche kam. Ganz dieselben Eigenschaften riihmt schon Plutarch de Isid. et Os. 4 an der Leinwand: sie gewahrt, sagt «r, ein glattes und immer reines Kleid, beschwert den Tragenden durch kein Gewicht, ist passend zu jeder Jahreszeit und beherbergt keine Lause in der That ist die letztgenannte Plage, an der die gepriesene Urzeit gewiss in einem Masse litt, von dem sich unsere

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Idealisten nichts traumen lassen, ein Charakterzug aller pelztragenden Volker. In einer altnordischen Sage (die wir Weinhold, Altnordisches Leben, S. 160, entnehmen) wird ein Meermannlein von einem Konig gefangen : von Allem, was es im menschlichen Leben erfahrt, gefallt ihm dreierlei am meisten: kalt Wasser fiir die Augen, Fleisch fur die Zahne und Leinwand fiir den Leib. Dies ist aus dem Innersten germanischer Empfindung geschopft. Die damonische Frau Berchta und die gleichbedeutende Holla, die als spinnende Frau gedacht wird und der der Flachsbau angelegen ist (Grimm DM2 S. 247), bezeugen gleichfalls als mythische Gegenbilder der fleissigen spinnen- den Hausfrau den Werth, den das Volksgefiihl auf dies Geschaft und auf dessen Produkt legt. Nicht bloss Silbergerath, sondern auch Leinwand in Fiille ist in einer Zeit, in der es weder Werthpapiere noch Sparkassen gab, das Zeichen des Reich thums, der Stolz und die Vorliebe der Mutter und eine Mitgift fiir die Tochter. Mit treffendem Scherz behauptet Jean Paul irgendwo, wenn der Teufel eine deutsche Hausfrau verfiihren wollte, wiirde ihm das durch ein Geschenk von guter Leinwand noch am leichtesten gelingen. Alexis bei Goethe ruft aus:

Doch nicht Schmuck und Juwelen allein verschafft Dein Geliebter, Was ein hausliches Weib freuet, das bringt er Dir auch Kostlicher Leinwand Stiicke. Du sitzest und nahest und kleidest Dich und mich und auch wohl noch ein Drittes darein,

und der Vater in Hermann und Dorothea meint:

Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter

Viele Leinwand der Tochter, von feinem und starkem Gewebe.

Dann neben andern trefflichen Eigenschaften hat die Leinwand auch die, aufbewahrt werden zu konnen und fiir kiinftige Zeiten unver- sehrt bereit zu liegen, wahrend die Wolle mancherlei Feinde zu fiirchten hat.

Auch den westlichen Slaven war ziemlich friihe im Mittelalter der Flachs und die Leinwand schon bekannt. Nach Helmold 1, 12 erhielt der Bischof von Aldenburg aus dem ganzen Lande der Wagrier und Obodriten von jedem Pflug vierzig Biindel Flachs als Zins so dass also diese deutschen Grenznachbarn schon zur Zeit als das Bisthum Aldenburg noch bestand, Flachs auf ihren Feldern bauten. In der von Herzog Heinrich von Sachsen und Baiern fiir das Bis- thum Ratzeburg ausgestellten Dotationsurkunde vom Jahre 1158 (Mecklenburger Urkundenbuch No. 65) wird bestimmt, es solle de unco, d. h. vom Haken Landes ein Topp (d. h. Zopf) Flachs, toppus

Der Flachs. 181

lini unus, gegeben werden, dessen Anbau also schon gewohnlich war. Derselbe Helmold berichtet von den Ranen auf der Insel Riigen, sie hatten (Anfang des 12. Jahrhunderts) noch kein gemiinztes Geld, an dessen Stelle Leinwand als Tauschwerth diene, 1, 38, 7: apud Ranos non habetur moneta nee est in comparandis rebus consuetudo numorum, sed quidquid in foro mercari volueris, panno lineo compa- rabis. Ganz ebenso wird in altnordischen Gesetzbiichern nach Ellen Leinwand gerechnet, die bedeutend hoher im Preise stand, als das einheimische grobe Tuch, das Wadmal. Weiter nach Osten erhielt sich die Leinwand noch lange als allgemeines Aequivalent, ja noch im 18. Jahrhundert wurde sie von kaukasischen Volkern als Durch- gangszoll gefordert, Giildenstadts Reisen, herausgegeben von J. von Klaproth, Berlin 1815, S. 25: »Die Dugoren verlangten fiir jeden Mann meiner Begleitung funf Hemden oder vierzig Ellen Leinewand und zwei Hemden fiir jedes Pferd als Zoll und noch fiir jeden Ge- hiilfen, den ich zum Uebertragen nothig haben wiirde, fiinf Hemden : so stark war aber mein Vorrath von Leinwand nicht.« Mit dem ge- regelten Ackerbau drang die Flachskultur in das Innere des grossen osteuropaischen Flachlandes ein, wo der Pflanze der Ueberfluss an frischem Boden in der See- und Waldregion giinstig entgegenkam. Ganze Bauerndorfer im Herzen Russlands legten sich auf Leinwand- weberei und wussten ihren Handtiichern und Laken denselben rothen Rand zu geben, wie die Germanen des Tacitus. Segeltuch wurde seit Eroffnung des Landes ein bedeutender Ausfuhrartikel, bis die Baumwollfabrikation auftrat und den alteinheimischen Industriezweig todtete. Besonders in den feuchten Ostseestrichen gedieh der Flachs, den wohl die deutschen Eroberer und Kolonisten dort einfiihrten, wie in seinem eigentlichen Vaterlande, und rigaischer Lein und Werg und die von dort kommende Leinsaat ist Jahrhunderte lang eine in Westeuropa unter diesem Namen gesuchte Handelswaare gewesen.

Die Geschichte des Flachses bei den neueuropaischen Volkern bis zum industriellen neunzehnten Jahrhundert hinab zu verfolgen, iiberlassen wir dem historischen Theil der Technologic und Volks- wirthschaft und wollen nur erwahnen, dass eine der wichtigsten Erfindungen, die des Papiers aus linnenen Lumpen, nur durch die allgemeine Verbreitung und Anwendung dieser Pflanze in Europa moglich war. Die Alten verfielen nicht darauf, da damals keine massenhaften Abfalle zu weiterer Verarbeitung aufforderten : hatten die Lumpen linnener Kieider, Betttiicher, Tischdecken u. s- w. sich gehauft, etwa wie die Scherben der Topfe, die in Rom angeblich

132 Der Flachs.

einen ganzen Berg gebildet haben, vielleicht ware schon damals diese-

neue Art libri lintel aufgetreten, - - da doch z. B. die Cbarpie aus

altem Linnen den griechischen und romischen Wundarzten nicht

unbekannt war. Mit dem Anbau der Baumwolle in Westasien batte

sich auch die Kenntniss des baumwollenen Papiers von China nach

Samarkand, von da durch die Araber mit Beginn des achten christ-

lichen Jabrhunderts nacb Mekka, von Mekka nacb Spanien ver-

breitet. In Spanien muss dann aucb die Anwendung alter Leinwand

statt baumwollener Lumpen zuerst versucbt worden sein : interessant

ist, dass schon seit dem 12. Jahrhundert die Ortschaft Xativa, das

alte durch seinen Flachsbau bei den Romern beriihmte Saetabis, un-

vergleichliches Papier lieferte, das in den Orient und Occident ver-

sandt wurde, s. Edrisis Geographic von Jaubert II. p. 37. Von

Spanien gelangte dann diese Kunst allmahlich welter nach Frank-

reich, Burgund, Deutschland und Italien. (Ausfiihrlich handelt

dardber W. Wattenbach, das Schriftwesen im Mittelaltcr. Leipzig,

1871, S. 92 ff.). Da aber das Linnenpapier wiederum die spatere

Erfindung der Buchdruckerkunst erst fruchtbar machte, da auf der

Wohlfeilheit und Zweckmassigkeit dieses Materials die allgemeine

Anwendung der Schrift in Leben, Verkehr und Staat und damit die

ganze neuere Kultur beruht, so steigt die Bedeutung der Leinpflanze

in den Augen des Kulturhistorikers so hoch, dass er ihr in antiker

Weise das Pradikat heilig oder gottlich geben mochte, das ihr

die Alten, die sie nur halb kannten und niitzten, beizulegen ver-

saumt haben. Vergessen wir auch die Malerei auf Leinwand nicht,

die erst im spateren Alterthum und auch da nur sparlich sich findet,

sowie die Anwendung des Leinols zur Malerei, die in den Nieder-

landen, der alten Heimath des Leinbaues, wenn auch nicht zu aller-

erst erfunden, doch vervollkommnet und zu einem edlen neuen

Kunstzweige erhoben worden ist. Der Orient mochte in alter Zeit

feine Gewebe lie fern und sie mit glanzenden Farben, wie sie in

jenen Sonnenlandern erzeugt werden und den Menschen gefallen,

tranken und verzieren: unsere Batiste, brabanter Spitzen, flamischen

Tafelzeuge, hervorgebracht unter Sturm und Nebel in den Um-

gebungen des Oceans, konnen sich mit jenen wohl messen. Auch

wissen wir unsere weissen Kleider mit Laugenseife, einer gleichfalls

altbelgischen Erfindung, wirklich zu was chert; Nausikaa und das

friihere Alterthum verstand sie nur in fliessendem Wasser zu spiilen,

wahrend die halb aberglaubische, halb zweckmassige Technik der

fidlones in Rom nur mit Surrogaten operirte. Wie aber im Mittel-

Der Flachs. 1§3

alter das linnene Segel, »das sich fur alle bemiiht« (Goethe), die Ruderbanke entfernte und die daran geschmiedeten Sclaven befreite, *o hat in neuester Zeit der Dampf das Segel mit seineii vielen Tauen, das immer noch so viel Hande forderte, immer mehr zur Seite gedrangt und die Zahl der dienenden Matrosen vermindert. Dann ist die Baumwolle gekommen, die die Alten nur aus der Feme kannten, und hat tausend Fabriken in Bewegung gesetzt und Millionen Menschen bekleidet: ihr erster ernsthafter Zusammenstoss mit der Leinfaser fiihrte zu der wichtigen Erfindung der mechani- schen Flachsspindel. Wiederum trat eine Zeit der Baumwollennoth ein, wo der king cotton seiner Herrlichkeit entkleidet zu sein schien und Wolle und Flachs wieder den ersten Rang einnehmen wollten. Doch ging die Krisis wieder voruber und, statt die Baumwolle fallen zu lassen, hat die europaische Arbeit angefangen, immer mehr aus dem Reichthum der Tropenlarider und fremder Welttheile zu schopfen und dort entdeckte neue Gespinnstpflanzen durch chemische und technische Wissenschaft nutzbar zu machen. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die Jute, das Chiuagras und den neuseelandischen Flachs, Phormium tenax, und den bedeutenden Rang, den diese Stoffe schon in der heutigen Industrie einnehmen. In clen klassi- schen Landern, um zu unserem Ausgangspunkte zuriickzukehren, halt sich die Flachskultur ungefahr auf der Stufe des Alterthums. In Griechenland ist sie fast null; die fluss- und kanalreichen Ebenen der Lombardei und Venetiens bringen geschatzte Sorten von Sommer- und Winterflachs hervor, der durch eigenthiimliche, sorgfaltige, viel- leicht aus dem Alterthum stammende Behandlung ein sehr weisses und dauerhaftes Produkt giebt; auch Toskana, das alte Etruskerland, die Romagna und die Marken haben noch ziemlich viel Flachs; je weiter nach Siiden, desto sporadischer wird der Anbau, und Samen- und Oelgewinnung der Hauptzweck. Im Ganzen ist auch das heutige Italien, trotz der zahlreichen Webstuhle der Lombardei, im Punkte der Leinwand den nordlicher gelegenen Landern, der im Nebel sich verbergenden Insel Hibernia, dem Lande der Bataver, dem Cherusker- sitze Westphalen, dem Lygierlande Schlesien u. s. w., nicht eben- burtig. Wie die Baumwolle erst durch ihre Verpflanzung nach Amerika ein Weltprodukt wurde, so auch der Flachs erst im Norden Europas, welcher fur diese altagyptische und babylonische Pflanze das Colonialland bildete wie Amerika fiir jene ostindische.

184 Der Flachs.

* Mit der Frage nach der Herkunft des Leines haben sich Oswald Heer (Die Pflanzen der Pfahlbauten, Zurich 1865 p. 35 und "Uber den Flachs und die Flachskultur im Alterthum, Zurich 1872), sowie Alph. de Candolle (Geographic botanique raisonne~e p. 833 und L'origine des plantes cultivees p. 95—102) besonders eingehend beschaftigt. Durch diese Untersuchungeii hat sich zunachst ergeben, dass in Europa schon zu einer Zeit, wo nur Steininstrumente im Gebrauch waren, Flachs kultivirt wurde. Es wird dies durch die Funde, welche man in den Pfahlbauten von Robenhausen in der Schweiz und von Lagozza in der Lombardei gemacht hat, bewiesen. Diese Funde haben aber zugleich gezeigt, dass cler damals in der Schweiz kultivirte Lein nicht der heutzutage liber- all angebaute einjahrige Lein (Linum usitatissimum ~L.) war, sender n vielmehr das mit diesem sehr nahe verwandte, aber sowohl einjahrig wie mehrjahrig vorkommende, mit zahlreichen vom Grunde aus aufsteigenden Stengeln versehene L. angustifolium L., welches auch aufspringende Kapseln und kleinere Samen besitzt und von den Kanarischen Inseln durch das Mittelmeergebiet bis Palastina und zum Kaukasus verbreitet ist. Diese Art oder Stammform ist es auch, welche in Macedonien und Thracien wachst und von Grisebach (Spicil. Fl. rumel. p. 117) falschlich als L. usitatissimum L. bezeichnet wurde. Der heutzutage allgemein in Europa kultivirte Lein (Linum usitatissimum L.) ist entweder einjahrig (annuum) oder zweijahrig (hiemale Winter- lein); er unterscheidet sich von dem wildwachsend verbreiteten L. angusti- folium L., welches wie oben bemerkt sowohl einjahrig als mehrjahrig vor- kommt, hauptsachlich durch etwas grOssere, geschlossen bleibende Kapseln, durch kahle, gewimperte Scheidewande derselben, durch grossere und etwas geschnabelte Samen, Unterschiede, welche bei einer in Stidfrankreich vor- kommenden Pflanze, dem zwischen den beiden Hauptrassen in der Mitte stehenden Linum ambiguum Jordan, sich verwischen. Demnach ist die von De Candolle (L'origine des pi. cult. p. 96) ausgesprochene Ansicht, dass wir hier nur Rassen oder Formen einer Art vor uns haben, wohl berechtigt. Wie aber die oben an gefuhrten prahistorischen und die his tori- schen Funde beweisen, sind diese Rassen sehr alte. Wahrend namlicL in den prahistorischen Pfahlbauten der Schweiz (Robenhausen, Wangeii, Moosseedorf ), Oberosterreichs (Mondsee) und Oberitaliens (Lagozza in der Provinz Mailand), ebenso in den der Bronzezeit angehorigen Fundstatten von Argar in Spanien nur das im Mittelmeergebiet wildwachsende L. angustifolium L. nachgewiesen werden konnte, haben die in den altagyptischen Grabern gemachten Funde unzweifelhaf t dargethan, dass in Aegypten schon 2400 bis 2200 Jahre vor Christus der jetzt bei uns kultivirte Flachs angebaut wurde, wie auch heute noch. Schon Al. Brauii (Die Prlanzenreste des Aegyptischen Museums in Berlin, 1877 p. 4) hat dies dargethan; noch mehr geklart wurde diese Sache durch Schweinfurth (Ber. d. Deutsch. bot. Gesellsch. I. (1883) p. 546, II. (1884) p. 360) und durch Fr. Kornicke (Ber. d. Deutsch. bot. Gesellsch. VI. (1888) p. 380-384). Letzterer zeigte namlich, dass der in Dra Abu Negga (Theben, XII. Dynastie, 2400 2200 v. Chr.) gefundene Lein geschlossene Kapseln mit stark gewimper- ten Scheidewanden besass, welche etwas langere Samen enthielten als der heutzutage in Mitteleuropa kultivirte Flachs; er zeigte ferner, dass der beim

Der Flachs. 185

Assasif (Theben) von Schiaparelli gefundene Lein und der in einein Grabe zu Schech Ourna (Theben) gesammelte in der Grosse der Kapseln und Samen unseren mitteleuropaischen Lein etwas iibertraf, dagegen hinter deni heute in Aegypten kultivirten, noch mehr hinter einzelnen italienischen und spani- schen Sorten zurtickstand. Diese Thatsachen beweisen, dass schon im alten Aegypten mindestens zwei Varietaten des Schliessleines existirten. Plinius (hist. nat. XIX, 1) berichtet sogar, wie Buschan angiebt, dass 4 Varietaten Flachs in Aegypten vorhanden waren. Da das mit sich offnenden Kapseln versehene L. angustifolium in Aegypten nicht vorkommt, so ist nicht anzu- nehmen, dass der Schliesslein in Aegypten entstanden ist ; vielmehr ist wahr- scheinlich, dass der Schliesslein aus Asien nach Aegypten eingefiihrt wurde, zuraal das L. angustifolium auch in Kleinasien und den Kaukasuslandern vor- kommt und Lein sogar in einem altchaldaischen Grab gefunden wurde (Mas- pero, Histoire ancienne des peuples de 1'Orient, ed. 3., Paris 1878 p. 13).

* Dieselben Verse Homers, die wir oben (unter Oelbaum) anfiihrten, um mit ihnen die Benutzung des Oels zu technischen Zwecken schon im homerischen Zeitalter zu erharten, beweisen zugleich, dass man bereits in homerischer Zeit sich auf die Anf ertigung linnener Stoffe verstand ; denii nur bei solchen ist die hier gemeinte Appretur mit Oel iiblich (vgl. die am angegebenen Ort angefuhrte Literatur; iiber xaipooewv, xaipouaoscuv s. jetzt Studniczka, Beitr. z. Geschichte d. altgr. Tracht S. 48; Helbig, Homerisches Epos2 S. 168; Blumner, Technologic und Terminologie I, S. 126). Nun konnte man ja freilich an und fur sich bei solchen und ahnlichen Stellen immer noch an die Verarbeitung auslandischen, durch den Handel eingefuhrteii Flachses denken, wie wenig passend es auch schiene, etwa II. 20, 127 das »Walten der Schicksalgottinnen« sich an einem »modernen ImportartikeU vorzustellen (Helbig a. a. 0. S. 171). Die Entscheidung daruber, ob man sich die Griechen bei dem Betreten ihrer neuen Heimath mit der Kenntniss des Flachses und den Anfangen der Flachsindustrie ausgeriistet denken soil, wird daher im wesentlichen davon abhangen, ob man die Ausfuhrungen Hehns tiber griech. Xivov und seine Sippe (hier und namentlich Anna. 52) billigt, oder ob man zu der Ueberzeugung kommt, dass in den genannten Wortern eine jener vorhistorischen, gemeineuropaischen Ackerbaugleichungen vorliegt, auf die wir schon oben S. 63 hingewiesen haben. Wir sind der Meinung, dass die letztere Annahme den Vorzug verdient.

Auf keinen Fall lasst sich seinem Consonanten und Vocal nach das griechische \ivov mit H. aus dem dakischen 86v Nessel ableiten; auch hat letzteres Wort nichts mit cymr. dynad, bret. linad zu thun, die auf eine Grund- fonn *nenat-. *ninqt- (ir. nenaid Nesseln) zuriickgehn (vergl. Thurneysen bei P. v. Bradke, Ueber Methode und Ergebnisse der arischen Aw. S. 245). Eine altere Bedeutung als Flachs lasst sich also fur Xtvov, neben dem XI-T-I, Xi-t-a liegen, nicht erweisen. Im Lateinischen heisst linutn Flachs, linteum Lein wand. Das Vorhandensein von Leinsamen und -Fasern in den zeitlich vor jede griechische Beeinflussung Italiens gehorenden Pfahl- dorfern der Poebne (vgl. W. Helbig, Die Italiker in der Poebne S. 16, 67) macht schon an sich das Vorhandensein eines alten Wortes fur Flachs im

186 Der Flachs.

Lateinischen wahrscheinlich und die Annahme einer lautlich zwar inoglichen Entlehnung von linwn aus Xtvov (Mvov) kulturhistorisch wenig ansprechend. TAnum aber von linteum zu trennen und letzteres mit ahd. linta Lindenbast (das vielmehr mit den meisten neueren Etymologen zu griech. £Xdr/] Fichte, Tanner lit. lentil Brett, lat. Unter Kahn zu stellen 1st) zu vereinigen, 1st sowohl an sich hart als auch besonders deswegen bedenklich, weil alle die Falle, auf welche Hehn den Bedeutungswandel Bast, Nessel Flachs, Hanf (Anm. 52) stiitzte,. vor einer strengeren Auffassung der Lautgesetze unhaltbar sind. Ebenso wenig wie Xivov zu dakisch dyn gehort, kann lat. liciutn mit lit. lunkas, poln. lyko Bast oder griech. Xeirra ucpaojAata, XSTCTOC; mit slav. lipa Linde, lit. luptl schalen, ahd. louft, loft Baumrinde oder ahd. flahs (zu trennen von fahs Haar- schopf = scrt. pakshd Flugel, J. Schmidt, Pluralbild. S. 148) mit lit. plaiiszas- Bast (zu trennen von pldukas Haar und vor allem voii slav. vlasu) oder ahd. liaru Flachs mit altsl. kropiva Nessel, alb. Jcsrp (siehe dies unter Hanf) ver- glichen werden. Der behauptete Bedeutungsiibergang lasst sieh daher auf idg. Boden, wenn man von dem secundaren lat. tilia Linde, frz. teiller Hanf brechen absieht, tiberhaupt nicht nachweisen. Nieht als ob er an sich nicht denkbar ware auf finnischem Gebiet ist er thatsachlich zu belegen (vgl. Ahlqvist, Kulturw. in den westf . Sprachen S. 43) ; aber in den idg. Sprachen,. soweit wir sie verfolgen konnen, lag keine Veranlassung ftir ihn vor aus dem einfachen Grunde, weil schon in vorhistorischer Zeit sich eine feste Bezeichnung^ fur den Lein gebildet hatte. Aehnlich wie bei den Lateinern stehen die Dinge bei den Kelten. Wenn man auch die Moglichkeit einer Entlehnung von ir. lin, cymr. ttin, corn. bret. lin Lein aus lat. linum zugiebt (Stokes Ur- keltischer Sprachschatz S. 249 halt sie ftir urverwandt mit dem lat. Wort), so bleiben doch noch cymr. lliain. corn. bret. lien Leinen, ir. le'ne, gen. lened, n. pi. lenti ,camisia; tibrig. Die Grundform der letztgenannten Sippe erblickt Rhys Revue celtique VII, 241 in *li-s-an, das bei der Uebereinstimmung der Be- deutungen von griech. Xl-t-, ),t-vov, li-num (welche letzteren Rhys auf *li-s-no-n zurtickfiihren mochte) zu trennen zum mindesten gewaltsam erscheinen muss. Eine andere Erklarung fur ir. lene schlagt freilich Strachan, The compensatory lengthening of vowels in Irish p. 3 vor (: lacerna, lacinia). Auf germa- nischem Boden war schon in der Urzeit eine gemeinschaftliche Ableitung von lin- vorhanden: (goth. *lein-jd}, ags. line, altn. Una, ahd. Una Leine, aus Lein verfertigt (griech. Xtveo? leinen, Xtvoua Strick). Vgl. Kluge, Et. W.6 unter Leine. Fiir das hohe Alter der Flachsindustrie bei den Ger- manen spricht auch der Umstand, dass das spatlat. camisia (oben S. 176) im Germanischen (ahd. hamidi), nicht im Keltischen wurzelt, durch dessen Ver- mittlung das Wort vielleicht erst zu den Romanen gedrungen ist (vgl. Kluge, Et. W.° unter Hemd, Thurneysen, Keltoromanisches S. 51). Dasselbe ist, wie ich in meinem Reallexikon u. Hose gezeigt habe, bei altgall. braca (ahd. bruoh etc.) der Fall. Litauisch Vinas und slavisch linu konnen zur Entscheidung nichts beitragen ; doch sei erwahnt, dass ein gemeinslavischer Name fur die Leinwand (altsl. plaiino, nach Stokes a. a. O. S. 255 im Irischen wiederkehrend, vgl. ir. dia loit find zwei weisse Mantel) besteht. -- Zu- sammenfassend betonen wir also die hohe Wahrscheinlichkeit, dass schon in vorhistorischer Zeit in den Sprachen der europa- ischen Indogermanen Ableitungen von^einer Wurzel // (scrt, II

Der Flachs. 187

sich anschmiegen, li-na-s anliegend, vgl. auch griech. Xstoc glatt) vorhanden waren, welehe Flachs und primitive Gewebe (vgl. Anm. 20) a us Flachs bezeichneten. Sehr wohl mo'glich ist, dass dieser urverwandte Kern dann spater durch zahlreiche Entlehnungen, die mit verbesserten Arten des Gespinnstes wanderten, zugleich erweitert und ver- dunkelt wurde.

Nach alledem sind wir der Meinung, dass die Indogermanen Europas sich mit der Kenntniss des Flachsbaus und einer primitiven Linnenindustrie ausgeriistet in Europa verbreitet haben. Die jetzt allgemein anerkannte That- sache (vgl. auch Buschan Vorgesch. Botanik S. 234 ff.), dass der in den mittel- europaischen Mederlassungen der Steinzeit angebaute Flachs das linum angusti- f oil am (nicht das heutige 1. usitatissimuni) war, erklart sich also wohl nicht mit Hehn (Anm. 52) aus einem verhaltnissmassig spaten Vordringen der Flachskultur aus dem Stiden nach dem Norden, sondern daraus, dass die Indogermanen diese Flachsart aus ihren Kleinasien, Thracien und Macedonien (vgl. oben S. 184} benachbarten Stammsitzen, in denen sie zum Ackerbau iibergegangen wareii (vgl. oben S. 64), mitbrachten.

Storend ist bei dieser Ansicht nur der Umstand, dass bis jetzt jede- Spur des Flachses und seiner Verarbeitung in der skandinavischen Steinzeit, die ethnisch doch aller Wahrscheinlichkeit nach auf germanischer Grund- lage ruht, fehlt. Indessen darf man nicht vergessen, dass erst iin Jahre 1894 (vgl. S. Mtiller Nordische Altertumskunde I, 205) durch unzweifelhaft nach- gewiesene Getreidekorner der Beweis erbracht wurde, dass auch im Norden ein Landbau ahnlichen Umfangs wie im tibrigen neolithischen Europa be- trieben wurde. Jeder neue Fund kann hier also diese Lticke ausfullen.

Wann in Europa das ursprtinglich angebaute I. angustifolium durch das heutige linum usitatissimum verdrangt wurde, scheint nicht bekannt zu sein.

Dass die Griechen spater auch auf dem Gebiete der Flachsindustrie in ihrem an dem Rohmaterial armen Lande bald unter den vollen Einfluss des Orients geriethen, bleibt natiirlich bestehen. Zu den schon oben (S. 164) an- gefuhrten sprachlichen Belegen hierfiir kommt vielleicht noch das homerische 'fapoc, das Studniczka (a. a. O. S. 89 ff.) zusammen mit lat. supparus (vgl. sub- serious) aus dem Aegyptischen, Helbig (Homerisches Epos'2 S. 195) nach S. Fraenkel aus dem Semitischen ableitet. Vgl. noch aus spaterer Zeit griech. (joaooc; aus hebr. bus und griech. cpouoacuv grobe I>einwand kopt. cpo»x (hierogL pg, pJc). Dazu 0. Schrader, Handelsgeschichte und Waarenkunde I, 191ff. (hier auch iiber otvScuv). Fiir den Zusammenhang zwischen den semitischen Landern und Aegypten auf dem Gebiet der Linnenindustrie von Bedeutung sind die Gleichungen hebr. pheset (pun. <potot = fist in Cspa-^poiot Diosc., vgl. Low, Aram. Pflanzennamen S. 233, 406) = agypt. pest Flachs (Brugsch, Wb. Nachtrag S. 489, Ermann, Z. d. D. M. G. 46, 111) und hebr. ses = agypt. ss, sin ss, konigliches ses (Brugsch). Doch ist hervorzuheben, dass tiber die meisten der hier genannten Worter, wie auch tiber andere in dieses Gebiet einschlagende, die Ansichten der Sachverstandigen noch weit auseinandergehen. Eine vorzugliche Uebersicht tiber die hier in Frage kommende Litteratur giebt MussArnolt, Transactions of the American Phil. Association XXIII, On Semitic words in Greek and Latin. Cap. V : Clothing and ornaments (vgl. dazu auch H. Lewy Die semit. Fremdw. im Griechischen S. 82 ff.). Dass Linnen auch

188 Der Flachs.

unter den Funden der mykenischen Periode vorkommt (vgl. Schliemann, Myc. S. 265, Studniczka, Mitth. cl. Inst. 1887 S. 21 ff.), 1st nicht verwunderlich. - Ein etymologisch noch nicht aufgeklartes Wort 1st das deutsche Segel (oben S. 179). Seine verschiedenen Deutungen sind in meinem Reallexikon u. Segel und Mast zusammengestellt worden.

Der Zwillingsbruder des Flachses, der Hanf, Cannabis sativa, gehort doch einer anderen Familie an, der der Urticeen, und hat sich auf anderen Wegen und viel spater iiber die Welt verbreitet. Die Aegypter kannten ihn nicht in der Umhlillung der Mumien hat sich keine Spur von Hanffasern gefunden, - - ebenso wenig die Phonizier 53) , und auch das Alte Testament erwahnt seiner nirgends. Dass die Pflanze zu Herodots Zeiten in Griechenland unbekannt war, geht aus der schon oben angefiihrten Stelle dieses Geschichts- .schreibers (4, 74) hervor, wo er sie seinen Lesern als eine neue be- schreibt. Die Skythen aber bauten den Hanf an und reinigten und berauschten sich mittelst der Saat; er war also bei medopersischen Stammen, gleichsam im Riicken der Vorderasiaten , im Gebrauch und stammte aus Bactrien und Sogdiana, den kaspischen und Aral- gegenden, wo er noch jetzt mit Ueppigkeit wild wachsen soil (Hum- boldt, Ansichten der Natur, 3. Ausg., Th. 2, S. 64: »der aus Persien nach Europa eingefiihrte gemeine Hant'«). Auch der Gebrauch des Haschisch, d. h. die Betaubung durch einen Extract aus Cannabis indica findet ein Analogon schon bei den Skythen Herodots. Hesych. ig' ffxvdixbv ^vficafna o xoiaviyv £%£(, Svva/uw ware Qixfid&iv vbv TraQSffiwm. Die Thraker webten Kleider aus dieser Pflanze, die sie diesmal nicht aus Kleinasien denn sonst ware sie auch den Griechen bekannt gewesen , sondern von ihren Nachbarn im Nordosten am Tyras und Borysthenes liberkommen batten. Vom Pontus und aus Thrakien wird denn auch dies vorziigliche Material zu Seilerarbeiten den Griechen zugekommen sein, wie noch heut zu Tage die griechische Seemacht ihren Hanfbedarf aus Russland bezieht. Unter dem unveranderten Namen cannabis, cannabus wanderte das Gewachs in verhaltnissmassig spater Zeit auch nach Sicilien und Italien. Als Hiero II. von Syrakus sein bei Athenaus 5, p. 206 be- schriebenes ungeheures Prachtschiff baute, zu dem er von alien Landern je das Beste in seiner Art kommen Hess, wurden Hanf und Pech vom Flusse Rhodanus in Gallien bezogen. Dort also ge- dieh er besonders - - war er von Italien aus dahin verpflanzt oder langs der grossen keltischen Volkerkette, die damals schon von

Der Hanf. 189

Gallien bis Pannonien und an den Hanms reichte, so weit vor- gedrungen? - - Von den romischen Schriftstellern 1st cler Satiriker Lucilius uni 100 vor Chr. der alteste, cler des Hanfes Erwahnung thut (Festus p. 356 Miiller: vidimus vinctum thomice canndbina, mit einem hanfenen Strick). Cato nennt weder Flachs noch Hanf; das seit dem zweiten punischen Kriege aufgekommene spanische Spartum, stipa tenacissima, schrankte den Hanf ein, der nicht oft genannt und also wohl auch sparsam angebaut ward. An einzelnen fruchtbaren Stellen indess gedieh er uppig, so in dem beriihmten Landstrich um Reate im Sabinerlande, wo er Baumeshohe erreichte, Plin. 19, 174: rosea agri Sabini arborum altitudinem aequat. Der griechisch-romische Name fur die Pflanze, der urspriinglich medisch gewesen sein wird, aber auch in der Sprache der alten Inder vorkommt 54) , geht zum Beweise ihrer Herkunft unverandert durch alle europaischen Spracheu, im Deutschen lautverschoben , ahd. hanaf, ags. hdnep, altn. hanpr. Auch die deutschen Benennungen des mannlichen und weiblichen Hanfes, Fimmel und Maschel, sind lateinischen oder italienischen Ursprungs, Fimmel = femella, Maschel = masculus, freilich mit um- gekehrter Aiiwendung, denn der Fimmel ist gerade der mannliche Hanf, der aber, weil er kiirzer und schwacher ist, in der Vorstellung des Volkes als der weibliche erschien. Jetzt ist der Hanf durch ganz Europa ausgebreitet und spottet so sehr aller klimatischen Unter- schiede, dass Ostindien und die russischen Hafen an der Ostsee, ja Archangel in der Nahe des Polarkreises in Betreff dieses Produktes in den englischen Markt sich theilen. Im heutigen Italien sind die Gegenden siidlich vom unteren Po ein reicher Kulturbezirk fiir diese Pflanze, in welchem sie oft doppelte Manneshohe erreicht; die Ernte wird theils im Lande selbst zu Tauen und Segeltuch verarbeitet, theils liber das adriatische Meer ins Ausland verschifft. Der Betrieb auf Saat, der in Russland, wo wahrend der langen und strengen griechischen Fasten das Hanf 61 allgemein zur Nahrung dient, eine Hauptstelle einnimmt, ist im Siiden nicht gewohnlich. Wir bemerken noch, dass der auf europaischen Markten unter dem Namen Kanton- hanf oder Manillahanf bekannte Faserstoff kein wirklicher Hanf ist, sondern aus dem Schaft einer tropischen Pflanze, einer Art Ba- nane, gewonnen wird ; er soil viel biegsamer, elastischer und leichter sein, als der gemeine Hanf, ferner auf dem Wasser schwimmen und im nassen Zustand, auf Reisen in den nordlichen Gegenden, nicht gefrieren, s. J. W. von Miiller, Reisen in Mexico, I. 218 und Jagor, Reisen in den Philippinen, S. 245 if.

190 Der Hanf.

* Der Hanf, Cannabis saliva L., findet sich sicher wild siidlich vom Kas- pischen Meer in Siimpfen und bei Lenkoran, sowie Lei Astarte (Bunge nach <jay in Bull, de la soc. bot. de France 1860 p. 30); er wird auch haufig in TVlittel- und Stidrussland, sowie in Sibirien vom Ural bis Dahurien angetroffen ; <es ist somit erklarlich, dass gerade asiatische Volkerschaf ten , die Scythen und die Chinesen den Hanf kultivirten, wahrend die TJmwohner des Mittel- meeres Leinkultur betrieben.

* * Was die Verbreitung des Hanfes und seiner Benennung in Europa betrifft, so konnen die nordeuropaischen Namen nicht direkt aus dem griech.- lat. Y-awa^Ki-cannabis entlehnt sein. Vgl. in dieser Beziehnng iiber die ger- manischen ahd. hanaf, ags. haenep, nord. hampr Kluge, Et. W.u unter Hanf, iiber die slavischen altsl. konoplja u. s. w. Miklosich im Et. W. Es ist viel- mehr anzunehmen, dass alle die genannten Ausdriicke unabhangig von ein- ander aus einer gemeinsameii Quelle abstanimen. Auf diese geht offenbar auch eine grossere Zahl der Namen des Hanfes aus ural-altaischen und turko- tatarischen Sprachen zuruck. In denselben lasst sich zunachst ein einfaches * kanna, * ken unterscheiden, das im ceremissischen Icefie, kine vorliegt. Hiermit wiirde auch das indische gana ubereinstimmen (vgl. iioch osset. san Anm. 17). Als eine Erweiterung von oder Zusammensetzung mit diesem * kanna stellt sich einerseits xdwa^ dar, das vielleicht auf *y.awa-iuc zuruckzufiihren ist (vgl. iieben lat. cannabis: it. canape, rum. canapa. alb. kan-p, kzrp}. Es liegt nahe bei dem Bestandtheil -ret?, -pt? an die syrjanische und wotjakische Be- nennung des Hanfes, eigentlich der Nessel pis, pus (Ahlqvist, Kulturw. S. 43) zu denken, die hochst auffalliger Weise im Angelsachsischen wiederkehrt (cannabum haenep vel pis Wright- Wulcker, Agl. a. 0. E. Vocabularies I, 198 1:!), falls hier nicht eine blosse Verstiimmlung aus cannapis anzunehmen ist. Vgl. noch moksa-mordv. kafdf, ersa-mordv. kafd. Andererseits scheint das oben .genannte *kana, *ken auch in den turko-tat. Namen des Hanfes kin-diir, ken-dir. cuvasch. kan-dyr) vorzuliegen. Hieraus stammt bulg. kenevir Leinwand, magy. -kender Hanf (Miklosich, Turk. Elemente), aus lit. kanapis und preuss. konapios: liv. kamp' estn. kanep etc. (Thomsen, Beroringer etc. S. 177). 1m Armenischen begegnet kanap\ kanep", kurd. leinif, npers. kanab. »Woher«, fragt Hiibschmann Arm. Gr. I, S. 165, »stammt das armenische Wort zunachst«? - - Einen ganz anderen, aber schwerlich richtigen Weg schlagt zur Erklarung von ^griech. v.awa^tc W. Tomaschek, Die alten Thraker (Wiener Sitzungsberichte 130) S. 13 ein. Nach ihm gehOre das Wort ursprunglich der Handelssprache der Rarer und Phoenicier an, die den Stoff aus dem Norden bezogen batten. Seine Bezeichnung konne von xotvva, hebr. kanndh, assyr. kanu Eohr, Geiiecht nicht getrennt werden. In Europa ist aus alten Pflanzenglossaren (vgl. G. Goetz Thesaurus I, S. 174) noch eine hochst merkwiirdige Bezeichnung unserer Pflanze in lat. agrius, agre zu nennen, die eigentlich ,,wild" (griech. aYptoc) bedeutet. »Sollte dies«, meint v. Fischer-Benzon Altdeutsche Gartenflora S. 88, »daher kommen konnen, dass der Hanf auf wiisten Platzen gesat M^urde, ahnlich wie friiher der Flachs in Mecklenburg, der sich mit den Handera der JDorfstrassen und Wege begniigen musste«? Ueberhaupt sei der Hanf in

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Deutschland selten gebaut worden, doch batten sich in den Garten von Fischern und Landleuten friihzeitig grossere mit Hanf bestellte Beete gefunden, von •denen man die hauslichen Bedurfnisse an Hanffasern befriedigt habe.

Die aus dem Bisherigen hervorgehende Jugend des Hanfes in Europa bestatigt sich auch auf archaologischem Weg.

In den Schweizer Pfahlbauten fehlt er ebenso wie in denen der Poebne (Christ in Rutimeyers Fauna der Pfahlbauten S. 226, Kellers Berichte VII, 65) vollig. Nach G. Buschan Vorgesch. Botanik S. 116 sei er in dem ganzen mittleren und westlichen Europa zur jiingeren Stein- und Bronzezeit und auch wohl noch zur Eisenzeit unbekannt gewesen.

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Neben den Nahrungspnanzen und dem Fleisch und der Milch <ler Jagd- und der gezahmten Thiere griffen schon.die Urvolker mit Begierde nach anregenden Gewiirzen, unter denen das Salz bis auf den heutigen Tag die erste Stelle einnimmt. Das Pflanzenreich bot mancherlei scharfe, beissende Safte, auf deren Entdeckung der Zufall fiihrte und die dann auf den Bergen eifrig gesucht wurden. Je nach ursprunglicher Anlage und dem Grade der Bildung wirkten solche Heizmittel freilich sehr verschieden auf die feineren oder roheren oder auch nur anders organisirten Geschmacksnerven der sich fol- genden Menschengeschlechter. Das Silphium, das die alteren Griechen fur die kostlichste Beigabe jeder Speise hielten, gerieth spater in Vergessenheit, angeblich weil es nicht mehr aufzutreiben war, in der That, wie wir glauben, weil sich der Geschmack veranderte; denn bei starker Nachfrage ware es entweder mehr im Innern Afrikas noch zu finden gewesen oder, wenn die Pflanze endemisch war, im Gebiet von Gyrene durch Anbau kiinstlich erzeugt worden. Das laserpitium, das die Romer Jahrhunderte nachher fur einerlei mit dem griechischen Silphium hielten und aus Asien bezogen ob- gleich nachbildende Dichter und alterthiimelnde Literatoren dabei Cyrene zu nennen liebten war wahrscheinlich ferula asa foetida, deren Beimischung die verschlemmte Zunge vornehmer Wiistlinge fremdartig reizte. Auch den Zwiebeln gegeniiber reagirt noch jetzt die Volksempfindung sehr verschieden. Dem niedersachsischen Ger- manen ist der Knoblauch des Orientalen ganz unertraglich und der -Zwiebelathem des Russen eine Scheidewand, die keine Gemeinschaft zulasst. Ja, man konnte nach diesem Kriterium die Volker in zwei

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grosse Gruppen theilen, in die der aZZmm-Verehrer und der allium- Hasser, die nach der Weltgegend zugleich als die nordwestliche und die siidostliche oder in Europa als die des Mittelmeeres und die der Nord- und Ostsee zu bezeichnen waren.

Wenn es wahr ist, dass die in Rede stebenden Pflanzen ur- spriinglich im innern Asien zu Hause sind, auf dessen Steppen Bo- taniker sie wildwachsend gefunden haben wollen, dann hat sie schon in grauer Vorzeit Verkehr und Wanderung nach Siidwesten weiter verbreitet, zum Beweise, wie sehr diese derbe Wiirze dem Natur- nienschen begehrenswerth schien. Denn in Aegypten, dessen Sitten sich in einer Epoche festsetzten, als es vielleicht noch gar keine Indogermanen gab, finden wir Zwiebel und Knoblauch von jeher als Bestandtheile der allgemeinen Volksnahrung. Nach den Lauch- gewachsen des Nilthales sehnen sich in der Wiiste die Israeliten zuriick, Num. 11, 5: »Wir gedenken der Pheben, Lauch (chazir), Zwiebeln (bezdfari) und Knoblauch (schumim).« Beim Bau der grossen Pyramide des Cheops, so erzahlt Herodot 2, 125, wurden allein fiir die Rettig-, Zwiebel- und Knoblauchkost der Arbeiter 1600 Talente Silber aufgewandt, wie auf der Pyramide selbst in agyptischen Schrift- zeichen zu lesen stand. Da die Aegypter alle Dinge, auch das Ein- zelnste und das Greiflichste der realen Welt in das Dunkel der Re- ligion versenkten, so konnte es nicht fehlen, dass diese Lieblings- gewachse auch als heilige und geweihte, als Gotter mit Scheu verehrt und demgemass von Priestern und From men nicht beruhrt wurden. Die Aegypter, sagt Plinius, schworen unter Anrufung des Knoblauchs und der Zwiebel, 19, 101: Alium cepasque inter deos in jure jurando hdbet Aegyptus. Juvenal spottet dariiber, dass auf solche Art die Gotter der Aegypter im Kiichengarten wiichsen, 15, 9 :

Porrum et caepe nefas molar & ac f rang ere morsu. O sanctas gentes, quibus haec nascuntur in hortis Numina!

wahrend der Christ Prudentius dariiber entrustet ist, contra Symmach. 2, 865:

Sunt qui quadriviis brevioribus ire parati Vilia Niliacis venerantur oluscula in hortis, Porrum et cepe Deos inponere nubibus ausi, Alliaque et Serapin caeli super astro, locare.

und Peristeph. 10, 259:

Adpone porris religiosas arulas, Venerare acerbum cepe, mordax allium.

Lauch. Zwiebeln. 193

Fur die Enthaltung der Priester vom Zwiebelgenuss fiihrt Plutarch deren eigene Erklarung an, es geschehe, well diese Pflanze nur bei abnehmendem Mond wachse, sucht aber seine eigenen verniinftigen Grimde geltend zii rnachen: in der That schicke sich die Zwiebel weder fur fastende Blisser, noch fur die, die frohliche Feste begehen; den ersteren wecke sie Begierden, den anderen locke sie Thranen ins Auge (de Is. et Osir. 8). An einer anderen Stelle hat Plutarch, wie wir aus Gellius ersehen, unter Anfiihrung desselben astro-phyto- logischen Motivs die Scheu gegen die Zwiebel auf die Priesterschaft von Pelusium, also auf den Lokalkultus der den semitischen und philistaischen Landen zunachst gelegenen und mit diesen durch Handel und Verkehr eng verbundenen Stadt beschrankt, 20, 8: quod apud Plutarchum in quarto in Hesiodum commentario legi: »cepe turn, revirescit et congerminat decedente luna, contra autem inarescit adulescente. Earn causam esse dicunt sacer dotes Aegyptii, cur Pelusiotae cepe non edant, quia solum olerum omnium contra lunae augmenta atque damna vices minuendi et augendi hcibeat contrarias und dies wird durch Lucian bestatigt (Jup. Tragoed. 42), wahrend wir noch naher durch Sextus Empiricus erfahren, dass es der Dienst des Zeus Kasios bei Pelusium war, der die Zwiebel ausschloss, wie der d*er libyschen Aphrodite den Knoblauch (Pyrrh. hypot. 3, 24, p. 184). In deni nahen Philistaa wird Zwiebelbau und also Zwiebelverbrauch durch die beriihmte Zwiebel von Ascalon verbiirgt, die schon Theophrast, h. pi. 7, 4, 7. 8, beschreibt und nach der bis auf den heutigen Tag die Schalotte, echalotte, scalogno (in Deutschland vorn Volksmunde zu Aschlauch, Eschlauch germanisirt) benannt ist. Die kretische Zwiebel war der askalonischen ahnlich oder mit ihr eins und dasselbe (Theophr. 1. 1. 9.) hatten die Philister diese Zwiebel auf ihren friihen Wanderungen und Seeztigen von einer Kuste zur anderen gebracht? Wie die libysche Aphrodite schloss auch die Mutter der Gotter den Knoblauchesser von ihrem Tempel aus. Denn als der witzige und gottlose Philosoph Stilpo einst sich mit Knoblauch gesattigt und dann in dem genannten Heiligthum sich zum Schlaf niedergelegt hatte, erschien ihm die Gottin im Traum und sagte: du bist doch ein Philosoph und scheust dich nicht, das Gesetz zu iibertreten? Worauf er antwortete: Gieb mir was Anderes zu essen und ich will mich des Knoblauchs ent- halten (Athen. 10 p. 232). - - Die Israeliten, seit sie im Wiisten- sande sich des agyptischen Knoblauchs wehmiithig erinnerten, blieben alle Zeit unerschutterliche Freunde desselben, sowohl vor als nach

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 13

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der Zerstorung Jerusalems, wie einst daheim in Palastina, so in der Diaspora unter der Herrschaft des Talmuds und der Rabbinen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Sage von dem foetor judaicus, wegen dessen die Juden von alien Nationen alter und neuer Zeit verhohnt und zuriickgestossen wurden, von dem unter ihnen allgemein verbreiteten Genusse dieses streng riechenden Gewiirzes zu allererst herriihrte. Ein komischer Zug, den Ammianus Marcellinus aus dem Leben des Marcus Aurelius erzahlt, beweist, dass schon damals die Juden in dem erwahnten bosen Rufe standen : als dieser Kaiser, der Sieger iiber die Markomannen und Quaden, auf einer Reise nach Aegypten durch Palastina kam, da wurde ihm Gestank und Larm der Juden so lastig, dass er schmerzlich ausgerufen haben soil: o Markomannen, Quaden und Sarmaten! habe ich doch noch schlimmere Leute, als ihr, gefunden, 22, 5, 5: llle enim cum Palaestinam transiret, Aegyptum petens, foetentium Judaeorum et tumultuantium (durch einander schreiend, etwa wie in den heutigen Borsenhallen oder den sprichwdrtlich gewordenen Judenschulen) saepe taedio percitus dolenter dicitur exclamasse: o Marcomanni, o Quadi, o Sarmatae; tandem olios vobis inertiores inveni. (Wenn in Griechenland eine Abtheilung der Lokrer Ozolae d. h. die Stinkenden genannt wurden, so riihrte dieser Beiname vermuthlich nicht von einem Nahrungsmittel, sondern von ihrer Kleidung her: sie trugen in alterthiimlicher Weise Ziegenfelle und verbreiteten daher, wo sie erschienen, eine Art Juchtenduft.) Aus dem Verzeichniss taglicher Lieferungen an das Oberkuchenmeisteramt des persischen Hofes ersehen wir, dass der Verbrauch von Knoblauch und Zwiebeln an der Tafel des grossen Konigs und seines Gesindes kein unbedeutender war: ausser Kiimmel, Silphium u. s. w. ist als tagliches Bediirfniss ein Talent Gewicht Knoblauch, ein halbes Talent Zwiebeln, letztere von der scharfen Art, angesetzt (Polyaen. Strat. 4, 3, 32). Das hohe Alter der Zwiebel wird dann weiter durch Homer bestatigt, der diese Pflanze bereits unter dem Namen xftofwov kennt, und zwar sowohl in der Ilias als in der Odyssee. In der ersten heisst die Zwiebel 11, 630, nor$ oipov, Beiessen zum Mischtrank, den die schonlockige Hekamede dem durstig aus der Schlacht heimgekehrten Nestor be- reitet, in der andern, 19, 232, tragt Odysseus eine glanzende Tunika, fein wie das Hautchen um die trockene Zwiebel. Ebenso alt oder noch alter als diese homerischen Stellen ist moglicher Weise der Name der einst megarischen, spater korinthischen Ortschaft der offenbar von der dort angebauten Zwiebel

Lauch. Zwiebeln. 195

abgeleitet 1st. Megaris war auch in spateren Zeiten wegen des in der Landschaft wachsenden und von den Bewohnern reichlich ver- zehrten Knoblauchs beruhmt oder beriichtigt: ^ Y®Q MeyaQMri GXOQO§Q- (fogog, sagt der Scholiast zu Aristoph. Pac. 246, und megaren- sische Thranen, MeyaQewv ddxQva, nannte ein Sprichwort (bei Suidas und Hesychius) erheuchelte oder Krokodilsthranen, wie derjenige vergiesst, der eine aufgeschnittene Zwiebel anblickt. In der altesten Zeit, ehe das Landchen ionisch und spater dorisch wurde, war es von Karern und spater Lelegern besetzt oder heimgesucht gewesen, und schon damals konnten von diesen schwarmenden Ankommlingen orientalische attmm-Avten eingefiihrt worden sein. Aus dem Namen des mythischen Stifters der Stadt, des Kromos, des Sohnes des Poseidon (bei Pausan. 2, 1, 3), lasst sich auf eine kurzere Urform des griechischen Wortes fur Zwiebel schliessen, welches mit dem von der Schweiz bis nach Skandinavien hin verbreiteten Ramser, Ramsel, Rams (Schmeller 3,92), AUiumursinumL., wilderKnoblauch, Allermannsharnisch, Siegwurz, angelsachsisch hramsa, englisch ramsenj ramson, buckrams, irisch cream/fc,litauisch&mm^£0,polnisch trzemcha, trzemucha, russisch ceremsa, ceremica, ceremucka zusammengestellt werden darf. Lateinisch cepe, caepa hat offenbar sein Analogon in dem von Hesychius aufbewahrten arkadischen xdma fiir Knoblauch (xdrua* TO. Gxogoda. KsQvvrjTCu), die Annahme aber, dass in dem Worte der Begriff Kopf liege, caepa capitata, xeyahwiov, xscfa^oQQ^a haufig bei Theophrast - - diese Annahme fiihrt in eine feme Sprach- periode hinaus, wo caput und xf(pa^ ihre Suffixe noch nicht ent- wickelt hatten. Und dennoch reichen die letzteren noch in die Zeit der europaischen Volkergemeinschaft hinauf : caput stimmt genau zu dem altnordischen hofuth fiir hafuth (das gothische haubith zeigt schon eine Ausartung), xeyahr] zu dem angelsachsischen hafela, heafola (wo die Aspiration im griechischen Wort wohl dem folgenden I ihr Dasein verdankt). Da indess, wie sich hieraus ergiebt, die Suffixe noch schwankten, so mochte zu derselben Zeit auch das unbekleidete Wort bei einzelnen Wanderstammen, die das Alterthumliche be- wahrten, noch fortdauern und, als der Kopflauch oder die Zwiebel vom Orient kam, auf diese angewandt worden sein. Die von Po- lybius 12, 6 berichtete Ursprungssage der italischen Lokrer zeigt deutlich, dass unter ihnen xeyahrj auch den Kopf der Zwiebel be- deuten konnte. Als sie zu allererst in Italien gelandet waren, gaben sie den Ureinwohnern, den Siculern, das eidliche Versprechen, in Frieden und Freundschaft mit ihnen das Land gemeinsam zu be-

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sitzen, so lange sie diese Erde betreten und ihre Kopfe auf den Schultern tragen wiirden. Sie batten aber Erde in ibre Schuhe gescbiittet und trugen Zwiebelkopfe, axogodwv xscpahdg, heimlicb unter den Kleidern auf den Scbultern; nachdem sie sicb beider entledigt, waren sie frei vom Schwur und nahmen das Land fur sich allein in Besitz. Und daher kam das Spricbwort AOXQWV tn/Vvfywa65). Auch lateiniscb wird in dem Zwiegesprach des Konigs Numa mit dem Himmelsgotte bei Ov. Fast. 3, 339 eaput und eepa als gleich- bedeutend vorausgesetzt :

Caede caput, dixit. Cui rex, parebimus, inquit, Caedenda est hortis eruta cepa meis.

Das griechische dxoQodov, oxogdov, ist als »ubel machend« erklart und mit dem slavischen skar^du verglichen worden (Fick2 S. 204); die lateinischen Namen alium, allium und ulpicum (scbon bei Plautus und Cato) wissen wir nicbt zu deuten oder sollte in dem erstern, worauf das griecbiscbe ayfog fiihrt, ein assimilirter g- oder c-Laut stecken? IlQaaov hiess urspriinglicb, wie das hebraische chazir, Kraut, Gemiise iiberhaupt; das davon abgeleitete TiQaaid Gartenbeet branch t schon der Dichter, der in der Odyssee die Garten des Alcinous be- schrieb, und giebt ihm das Beiwort xoafjirpog d. h. durch Kultur geschaffen, Vernunft und Zweck offen an sich tragend ; ein attischer Demos hiess IlQaaiaC, ebenso eine lakonische Stadt; in der Bedeutung Lauch ging das Wort zu den Lateiriern iiber, in deren Munde es p or rum lautete, und in weit spaterer Zeit in der Form prasu, prazu zu den Slaven. Der durch Herodot beriihmte See Prasias tragt seinen Namen wohl eben daher, woher in derselben Gegend der von Aeschylos und Thucydides Bohpij genannte See so hiess, namlich von einer am Ufer wachsenden Zwiebelart, vielleicht der sogenannten Meerzwiebel, scilla maritima. Unter den andern griechischen Be- nennungen xldahov (bei Hesychius), ayhg, yshylg, at yehysig, ysh- yt,6ovcfd-(u (bei Theophrast), Gen. yehyldog, yshyldvg, pohfiog, Gxttha, ytf&vov, yfaiov, yr]9vhMg (schon bei Epicharmus) - nimmt die letzte, y^^-yAAtg, ein besonderes Interesse in Anspruch, weil sich ein religioser Brauch an sie kniipft und ihr daher ein relatives Alter verbiirgt. Am Fest der Theoxenien in Delphi namlich, das als eine Bewirthung sammtlicher Gotter durch Apollo gedacht war, erhielt derjenige, der die grosste y^v^KCg, Lauchzwiebel, mitbrachte, einen Antheil von dem Opf erschmause : der Grund war, weil Leto, da sie mit ihrem Sohn schwanger ging , Verlangen nach einer solchen getragen hatte. So erzahlt Polemon, der Perieget, bei

Lauch. Zwiebeln. 197

Athen. 9, p. 372. Sollte tfj&wv, YyfhfMfc ein Compositum aus y^ und &va) sein konnen^ mit der Bedeutung Erdrauch (so auch im Slavischen, woher das litauische dimJcas, eine Zwiebelgattung), in spaterer Sprache xdrtvtos, fumaria? Lateinisch hiess das Wort palla- cana (nach Plinius) welches wie von pattaca, Kebsweib, abgeleitet aussieht.

Uebrigens waren ini nachhomerischen Griechenland wie in Italien Zwiebelgewachse die allerbeliebteste, iiblichste Nahrung des Volkes. Fur Athen lehrt dies fast jede Scene des Aristophanes, so wie eine Menge gelegentlicher Aeusserungen anderer Autoren, Anekdoten, die erziihlt werden, Redensarten, die daher entnommen sind u. s. w. Mit der steigenden Bildung und daraus fliessenden Milderung der Sitten und feinern Reizbarkeit der Nerven schlug dann bei den hoheren Standen die alte Vorliebe in Widerwillen uni: Jemandeni Zwiebeln anwiinschen, bedeutete jetzt nichts Gutes, und Knoblauch geniessen und die entsprechende Atmosphare verbreiten, verrieth den Mann aus dem niedrigsten Volke oder ward als ein Ueberbleibsel aus der rohen, bauerischen Zeit der Vater angesehen. Als der ly- dische Konig Alyattes den wreisen Bias von Priene einlud, zu ihm zu kommen, fertigte dieser den Einlader mit der kurzen Antwort ab : nach meinem Willen soil der Konig Zwiebeln essen d. h. Thranen vergiessen (Diog. Laert. Bias). Dieselbe Sage berichtet Plutarch von Pittakus von Mitylene, dem er noch eine Erweiterung in den Mund legt: der Konig sollte Zwiebeln essen und heisses Brot verschlingen (Sept. sap. conviv. 10). Dieselbe Redensart auch in Italien : in den Eumeniden des Varro hiess es (Riese, M. T. Varronis Sat. Menipp. reliquiae, fr. 28): in somnis venit, jubet me cepam esse. Der home- rische Branch, den Trunk durch den Genuss von Zwiebeln zu wiirzen, der sich mehr far Matrosen als fur Konige zu schicken schien, er- regte bei den Spateren Verwunderung (Plut. Symp. 4, 3, 8.) Doch half man sich mit Unterscheidung der siissen und der herben Zwiebel; die erstere, noch jetzt im Orient gebrauchlich, von milderem Geschmack und Geruch, kann ohne Unbequemlichkeit aus freier Hand genossen werden; nur die andere, xgofivov djp«/ti#, verbreitete den lacrimosus odor und konnte von Ennius cepe maestum, von Varro und Lucilius flebile cepe, von letzterem die talla oder tola (Zwiebelhiilse) lacrimosa genannt werden. Bei einem komischen Dichter setzen die Athener den Dioskuren Kase, Oliven und Lauch nach alter Sitte zum Fruhrnahl vor (Athen. 4, p. 137) - - und dasselbe wendet Varro in mehr romischer Weise so, die Worte der Vorfahren hatten wohl nach

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Knoblauch geduftet, um so edler sei aber der Hauch ihres Geistes gewesen, bei Non. Marc. 3, p. 201 : am et atavi nostri, cum alium ac cepe eorum verba olerent, tamen optume animati erant. Schon bei Plautus ist, wie bei Aristophanes, Knoblauchgeruch das Zeichen des Armen und erregt dem Edlen heftigen Ekel, Mostell. 1, 1, 38:

At te Jupiter Dique omnes perdant: fit, oboluisti alium,

worauf spater der Andere sagt:

Tu tibi istos habeas turtures, piscis, avis, Sine me aliatum fungi fortunas meas

und bei Naevius (in Apella, Prise. 6, 11, p. 681) kam der Vers vor: ut ilium di ferant, qui primum holitor cepam protulit.

Bekannt ist die an Macenas gerichtete dritte Epode des Horaz, in der der nervos organisirte Dichter seinem ganzen Abscheu gegen den Knoblauch halb ernst, halb scherzend Luft macht. Hart ist das Eingeweide der Schnitter, ruft er aus, deren Arbeit in der That bei der Sommerglut des Siidens zu den allerschwersten gehort, die darum viel vertragen konnen, und die auch bei Vergil sich mit Knoblauch starken, Eel. 2, 10:

Thestylis et rapido fessis messoribus aestu Alia serpyllumque herbas contundit olentis.

Mir scheint es, fahrt er fort, ein Gift, das eine bose Hexe mir bei- gebracht hat ! Gebt es kiinftig den Verbrechern statt des Schierlings- bechers! Es versengt mir die Glieder, wie die Sonne Apuliens, wie das Nessusgewand den Korper des Herkules! Sollte jemals, o Macenas, eine Laune dich verfuhren, von diesem Kraut zu geniessen, dann mdge die Geliebte deinen Kuss abwehren und fern von deiner Umarmung an das unterste Ende des Lagers sich niichten! - - Der letztere Gedanke: »das Madchen kiisst dich nicht, wenn du Lauch gegessen hast« (man konnte in moderner Weise sagen: wenn du Tabak rauchest oder schnupfest, aber die heutigen Damen rauchen selbst!), dieser Gedanke kehrt bei griechischen und romischen Dichtern auch sonst wieder, z. B. bei Martial 1, 3, 18:

Fila Tarentini graviter redolentia porri Edisti quotiens, oscula clusa dato

und in einer Komodie des Alexis oder Antiphanes enthalt sich der noQVog, wenn er mit guten Gesellen speist, des Lauches, um dem Geliebten keinen unreinen Athem entgegenzubringen (Athen. 13,

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p. 572). Umgekehrt that Niceratus seiner eifersiichtigen Frau wegen, bei Xenophon Symp. 4, 8: »Charmides sagte: Hochgeehrte Herren, der Niceratus hier liebt es, mit einem Zwiebelathem nach Hause zu kommen, damit seine Frau iiberzeugt sein konne, es habe Niemand es sich einfallen lassen, ihm einen Kuss zu geben.« Auch bei Ari- stophanes Thesmoph. 493 kaut die ungetreue Frau gegen Morgen Knoblauch, um dem von der Wache heimkehrenden Manne dadurch ihre Unschuld zu beweisen.

Nach einer anderen Seite hin schaffte der durchdringende Ge- ruch und Geschmack der Zwiebel und dem Knoblauch auch aber- glaubische Heilkraft, besonders die Kraft, bosen Zauber zu brechen und eingeflosstes Gift unwirksam zu machen. Denn alles Stark- riechende hat diese abwehrende, das Feindselige erstickende Macht, wie auch der dampfende Schwefel als xaxwv axog die durch Mord befleckte Halle reinigt. Eine Schrift iiber die Heilkraft der bulbi wurde auf Pythagoras zuriickgefiihrt, Plin. 19, 94: unum de Us (bulbis) volumen condidit Pythagoras philosophus, colligens medicas vires, und der Knoblauch war Bestandtheil vieler Arzneien, besonders bei dem Landvolk, ibid. Ill: alium ad multa ruris praecipue medica- menta prodesse creditur. Derselbe Philosoph sollte gelehrt haben, eine an der Schwelle der Thiir angebrachte Meerzwiebel wehre dem Uebel den Eintritt, Plin. 20, 101 : Pythagoras scillam in limine quoque ianuae suspensam malorum introitum pettere tradit, und auf denselben Glauben zielt ein Fragment des Aristophanes (bei Suidas v. avfowg, mit Meinekes Correctur): TtQog zbv ffrgocpea TYJS ctvheCag <f%wov xecpahrjv xaiOQVTrsw. Da in der bei alien Griechen beruhmten Stelle der Odyssey das Kraut jtiaUv von den Gottern so benannt, mit schwarzer Wurzel und milchweisser Bliite, den Menschen schwer zu graben, den Gottern, die alles konnen, leicht zuganglich den Odysseus stark macht, die Kunste der Circe zu vereiteln, so wurden spater in den verschiedenen Landschaften bald diese bald jene zu Gegenzauber dienende Krauter und Wurzeln mit dem schon zur Zeit des Dichters der Abenteuer mit der Circe nur in der Gottersprache noch vorhandenen, nachher ganz verschollenen Namen fuwZv be- zeichnet, darunter auch die aus der Gattung allimn. So wuchs in gewissen Gegenden Arkadiens, wie Theophrast in dem fur die populare d. h. alteste Heilmittellehre iiberaus wichtigen 15. Kapitel des 9. Buches seiner Pflanzengeschichte berichtet, ein Kraut juaUi;, mit runder zwiebelformiger Wurzel, mit Blattern, denen der Meerzwiebel ahnlich, als Gegengift und zur Abwehr von Zauber dienlich, sonst ganz zu

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Homers Worten passend, nur im Widerspruch mit ihnen ganz leicht zu graben. Im Norden Kleinasiens und in der Pontusgegend, dem Gebiet der Gifte und Gegengifte, der Zauber und Gegenzauber, der blutstillenden und gegen Schlangenbiss feienden Wurzeln, an dessen Aberglauben und magischen Verrichtungen auch die Nachbarlander, Thessalien und Thrakien auf der einen, Kolchis auf der andern Seite Theil nahmen, in dem kleinasiatischen Galatien und in Kappadokien trug die Bergraute, Tnrjyavov ayQiov, Riita graveolens oder montana L., den homerischen Namen ILIW&V und diente ohne Zweifel zu Averruncationen (Dioscor. 3, 46). Diesen Namen batten die griechischen Ansiedler des Pontus mit ihrem Homer in das gift- und zauberkundige Land mitgebracht, und in die kappadokische wie in die galatische Sprache war es mit anderen. Gracismen uber- gegangen. Denn wenn aucb [AO&V urspriinglich ein Fremdling war, dass das vorauszusetzende Mutterwort sicb nach so viel Jahr- hunderten bei den eingewanderten Galatern und den fernen Kappa- doken lebendig erhalten hatte, erscheint uns hundertmal minder wahrscbeinlich, als dass, wie in anderen Fallen, auch hier Homer die gemeinsame Quelle war.

Die Germanen lernten die eigentlicbe Zwiebel oder Bo lie von Italien aus kennen, wie diese Namen lehren (beide aus ital. cipolla, die aus dem spatlateinischen cepulla). Aber ein anderes merk- wiirdiges Wort geht nordlich der Alpen quer von West nach Ost durch die drei grossen Racen der Kelten, Germanen und Slaven, in der urspriinglichen Bedeutung herba, herba succulenta, dann in der determinirten porrum, cepe, attium. Altirisch lus, kymrisch Uysiau, cornisch les, herba, porrum (s fur alteres x, wie dess = dexter, sess sex, ess = goth. auhsa, auhsus, der Ochse u. s. w.); altn. lauJcr, ags. ledc, ahd. louh (also gothisch lauks) ; slav. luku, lit. luJcai plur. Dass hier nicht etwa Urverwandtschaft, sondern Entlehnung vorliegt, lehrt die gleiche Consonantenstufe im Deutschen und Sla- vischen; von wo aber ging das Wort aus, und in welcher Richtung wanderte es? Grimm Gr. 2, 22 leitet laukr vom gothischen luhan claudere ab (welches Verbnm selbst sich ein wenig der Analogic entzieht) und erklart: ab aperiendo folia; danach ware das Wort bei den Deutschen entstanden und rechts und links von Slaven und Kelten erborgt worden kulturhistorisch wenig glaublich. Da die Urbedeutung herba bei den Kelten am meisten erhalten geblieben, die enger fixirte cepa, porrum bei den Slaven, wie es scheint, die einzige ist; da die Kelten, wie in alien Zweigen kultivirten Lebens,

Lauch. Zwiebeln. 201

so auch im Garten- und Gemiisebau den welter ostlich in halber Wildheit verbliebenen verwandten Stammen um Jahrhunderte vor- ausgingen, so scheint uns der Lauch und der Name dafiir eher aus Gallien an die Ostsee, als vom Ilmensee und oberen Dniepr, Gegenden, die die Slaven noch zu Tacitus Zeit als Rauber durchstreiften, zum Rhein und zu den Fruchtgefilden und Stadten an der Sequana und dem Rhodanus gekommen zu sein. Das auslautende s des keltischeii Wortes konnte von den Deutschen als Nominativzeichen empfunden und als solches weggelassen worden sein. Doch muss hier Alles, wie natiirlich, nur Vermuthung bleiben. Die Alazonen und Kalli- piden in der Nahe Olbias am schwarzen Meer bauten zu Herodots Zeit, 4, 17, xQo/u/uva xal ffxdgoSa, doch waren diese halbhellenisirten Skythen den nachmaligen Slaven raumlich nicht naher, als sie es bald den heranziehenden Kelten wurden, geistig aber viel ferner. Bei den Thrakern war die Zwiebel altherkb'mmlich und unentbehr- lich, wenn wir namlich dem Komiker bei Athen. 4. p. 131, der die thrakischen Hochzeitsgebrauche schildert, trauen durfen : dort er- halten bei der Vermahlung des Iphikrates mit der Tochter des Konigs Kotys die Neuvermahlten ausser andern kostbaren Geschenken •einen Krug Schnee, einen Keller Hirse und einen zwolf Ellen hohen Topf Zwiebeln:

%wvog xe TCQO^OVV xey/^cov re pokpwv rs XVTQKV

Die thrakischen fiohfioi gehorten wohl demselben Kulturkreise an, wie die xQOpva des Homer, und haben mit dem des europaischen Nordens nichts zu thun. Als die Slaven spater in die Wohnsitze der Thraker riickten, wurden sie die Erben des thrakischen Hirse und der thrakischen Zwiebel. Im germanischen Norden scheint der laukr magische Kraft gehabt zu haben, wie in Kleinasien und Griechenland. Er wird in den Trank geworfen, um diesen vor Ver- rath zu schiitzen, Lied von Sigurdrifa 8 (nach Simrocks Ueber- setzung) :

Die Fiillung segne,

Vor Gefahr Dich zu schiitzen,

Und lege Lauch in den Trank.

So weiss ich wohl

Wird dir nimmer

Der Meth mit Meineid gemischt.

Als Helgi geboren war und Sigmundr, sein Vater, aus der Schlacht

202 Lauch. Zwiebeln.

heimkehrte, da trug er edlen Lauch (UrlauJc), Erstes Lied von Helgi dem Hundingstodter, 7 :

Der Konig selbst Ging aus dem Schlachtlarm, Dem jungen Helden Edlen Lauch zu bringen.

Grimm DM2 1165 fiihrt dazu die Volsungasaga Cap. 8 an und fugt hinzu: »es erhellt nicht, ob der Konig als heimkehrender Sieger Lauch trug, oder weil es Sitte war, beim Namengeben ihn zu tragen.« Da der Allermannsharnisch dem Namen gemass den Mann beschiitzt und als Siegwurz, dllium victoriale, den Sieg verleiht, so scheint die erstere Erklarung sich mehr zu empfehlen. Unser Knoblauch ist verdorbene neuere Aussprache fur Kloblauch, ahd. ehlopolouhj. Movolouh, welches Grimm als gespaltenen, zerriebenen Lauch, von klieben, klauben, erklart hat; dass das richtig ist, beweist da& slavische cesniiku, cesmci, welches von cesati pectere, radere abgeleitet ist. Das angelsachsische gdrledc, engl. garlick, altirisch gairleog (entlehnt), altn. geirlaukr besagt soviel als Spiesslauch. Ein in althochdeutschen Glossen vorkommendes surio, surro fur eepa, porrumr und das litauische swogunas Zwiebel, notiren wir, ohne eine Erklarung geben zu konnen. Das Gegentheil von Knoblauch driickt das bauerisch lateinische Wort unio bei Columella aus, d. h. die einfache einzige Zwiebel, aus dem das franzosische oignon entstanden ist denn dass dies unio nicht lateinisch, sondern nur Wiedergabe einer altgallischen Benennung der Zwiebel ware, wie Stokes Irish glosses Nr. 862 andeutet, kommt uns diesmal weniger wahrscheinlich vor. Das franzosische cive, civette, Schnittlauch, ist nichts als das latei- nische caepa.

Im europaischen Siiden ist heut zu Tage Zwiebel und Knob* lauch ganz eben so gesucht und gemieden, wie zur Zeit des Aristophanes und Plautus. In Italien versaumt kein Bauer, wenn er irgend kann, etwas Knoblauch im Garten zu ziehen und ihm fleissig zuzusprechen, wahrend der Gebildete sich dieser Wiirze zu enthalten oder vorsichtig zu bedienen pflegt. Dass Spanien ein noch argeres Knoblauchland ist, als Italien, ist bekannt; wir erinnern nur an die kostliche Scene im Don Quixote, wo der edle Ritter an der Heerstrasse eine Bauerin heranreiten sieht, sie fiir die schone Dulciiiea von Toboso halt, in seiner Liebeshuldigung aber durch den stechen- den Knoblauchsgeruch, der von dem vermeintlichen Edelfraulein aus- geht, etwas gestort wird und den ungliicklichen Umstand durch die

Lauch. Zwiebeln. 2 OS

Tiicke der Zauberer erklart, die ihn schon so lange verfolgen und nun auch den sussesten, lange ersehnten Moment seines Lebens durch solches Missgeschick verderben. In Byzanz war der Zwiebel- verbrauch, sogar an der Kaiserlichen Tafel, so stark, dass Liudprand, der Bischof von Cremona, der doch selbst ein Italiener war, dies Uebermass anstossig fand. »Der Beherrscher der Griechen, sagt er in seinem Gesandtschaftsbericht vom Jahre 968, tragt langes Haar, Schleppkleider, w'eite Aermel und eine Weiberhaube . . . . , nahrt sich von Knoblauch, Zwiebeln und Lauch und sauft Badewasser« (d. h. mit Harz und Gips versetzten Wein). Und ein ander Mai: »Er befahl mir zu seiner Mahlzeit zu kommen, die tiichtig nach Knob- lauch und Zwiebeln duftete und mit Oel und Fischlake besudelt war. « Ganz um dieselbe Zeit freilich machte ein Orientale, der Geograph Ibn-Hauqal, einer occidentalischen Stadt, der Hauptstadt von Sicilien, denselben schmahlichen Vorwurf. In seiner Beschreibung von Pa- lermo (ed. de Goeje S. 86 ff. und im Auszuge bei Jaqut) schreibt er den Einwohnern alle moglichen Laster und Thorheiten zu, nennt sie stumpf und gottlos, lau zu allem Guten, geneigt zu allem Bosen; die Wurzel dieses traurigen Zustandes, fiigt er hinzu, 1st die Ge- wohnheit, die bei ihnen herrscht, Morgens und Abends rohe Zwiebeln zu essen, wodurch ihr Hirn verstort und ihr Sinn ab- gestumpft wird. Man sieht dies an ihrem Benehmen, an ihrem Aussehen: sie trinken lieber stehendes, als fliessendes Wasser, scheuen sich vor keiner stinkenden Speise, sind schmutzig am Leibe, ihre Hauser sind unrein, in den prachtigsten Wohnungen laufen die Huhner herum u. s. w. Zur Erklarung dieser Stelle seines Vor- gangers fiihrt Jaqut das Zeugniss eines medicinischen Buches an, wonach die Zwiebel so sehr das Gehirn und die Sinne betaubt, dass nach deren Genuss der Esser iibelriechendes Wasser nicht mehr als solches erkennt (bei M. Amari, Storia dei Musulmani di Sicilia, II, Firenze 1858, p. 307). Ob hier nicht der alte Glaube an die Wunderkraft der Zwiebel noch nachwirkt, nur dass sich, wie so oft, der behiitende Zauber in den bethorenden umgesetzt hat?

*Die Pflanzen, um welche es sich hier handelt, sind folgende: 1. Knoblauch, Allium sativum L. Diese in Stideuropa haufig verwildert vorkommende Art 1st wildwachsend mit Sicherheit nur aus den Thalern des Kauman und Chautan in der Songarei bekannt (Re gel, Alliorum mono- graphia, Petropolis 1875 S. 44); es muss daher die Pflanze von Centralasien aus durch die Kultur schon in sehr frtiher Zeit nach den Mittelmeerlandern verbreitet worden sein, da sie in Aegypten schon vor der Auswanderung der

204 Lauch. Zwiebeln.

Israeliten eingebiirgert war. Dies beweisen auch die Graberfunde von. Assassif z\i Theben (Schweinfurth in Englers Bot, Jahrb. VIII (1886) S. 10) sowie von Dra- Abu-Negga, bestehend aus Biindeln von einigen Stielen. Auch in China wurde der Lauch seit langer Zeit als Suan kultivirt. Eine Varietat mit kugelig-ei- formigen Bulbillen wird als Rocambole (aus dem deutschen Rockenbolle ge- bildet) kultivirt. Viel haufiger wird aber als solche Attium Scorodoprasum L. gezogen, das in Eussland von Finnland bis nach der Krim verbreitet ist.

2. Eschlauch, Schalotte, Allium ascalonicum L. Derselbe soil nach der Meinung Linne's und anderer Autoren aus Kleinasien stammen, indessen giebt es hierftir, wie Alph. de Candolle (L'origine des plantes cultivees S. 55) gezeigt hat, durchaus keine zuverlassigen Belege. Vielmehr gehort A. ascalonicum als Varietat zu A. Cepa L., welches schon im Alterthum in ver- schiedenen anderen Varietaten in Griechenland und in Aegypten in aus: gedehntem Maasse kultivirt wurde. Neben vielen zweifelhaften Angaben iiber die Heimath des Allium Cepa L. (Zwiebel, Bolle) existiren einige zuverlassige. Die Pflanze wurde wild gefunden von Stokes in Beludschistan auf dem Chehil Tun, von Griffith in Afghanistan und von Thomson in Lahore (Aitchison, a catalogue of the plants of Punjab and Sindh 1869 p. 19), ferner in Khorassan (Herbar Boissier) und Kuldscha am Thianschan (Alb. Hegel). Weniger verbtirgt ist ihr wildes Vorkommen in Palastina. Jeden- falls ist das Verbreitungsgebiet so gelegen, dass die Pflanze gleichzeitig nach Indien, China, wo sie ebenfalls schon lange als Tsung kultivirt wird, und nach den Mittelmeerlandern verbreitet werden konnte.

3. Porree, Allium porrum L. Dieser auch heute noch in Aegypten als Salat und Zuspeise beliebte Lauch, welchen Schweinfurth auch aus altagyp- tischen Grabern angiebt, ist hochstwahrscheinlich eine Kulturvarietat des Allium ampeloprasum L., welches im 'Mittelmeergebiet, insbesondere dem nordafrikanischen sehr haufig ist, auch im Siiden des Kaukasus vorkommt.

** Ueber die Kultur der Allium-Arten in Aegypten vgl. auch Woenig, Die Pflanzen im alten Aegypten- S. 192fF. Dazu Schweinfurth in d. Verh. d. Berl. Ges. fur Anthropologie etc. 1891 S. 666, von dem die Kultur der Zwiebel- gewachse in Aegypten wohl fiir ebenso alt wie die der Getreidearten gehalten wird. Die Nachricht des Herodot tiber die Inschrift der Cheopspyramide (oben S. 192) ist aber unglaubwurdig (vgl. Wiedemann, Herodots II. Buch S. 472). Ebensowenig wird eine gottliche Verehrung der Zwiebeln durch die Monu- mente bestatigt; doch dienen sie als Opfergabe. Benierkenswerth ist die Uebereinstimmung von agypt. bassal, bussal und hebr. besdtim Zwiebel. Ein anscheinend in die TJrzeit der semitischen Volker zuriickgehender Name des Knoblauchs ist hebr. sum, arab. turn, pun. aoufx (vgl. Low, Arain. Pflanzenn. S. 393), assyr. sumu (?Schenkl im Bibellexicon). Sprachliche Abhangigkeit derGriechen vom Orient lasst sich auf diesem Gebiete iiicht nachweisen, da die Erklarung von griech. npdcoov (ion. *xpdaov) aus arab. kurrdt, armen. yourath clurch Lagarde (Armen. Stud. S. 160) unhaltbar ist (vgl. A. Miiller in B. B. 1, 296 und Muss-Arnolt, Transactions XXIII, 105). Von Benennungen des Knoblauchs und der Zwiebel gehen iiber die Einzelsprachen hinaus nebeii dem oben S. 195 genannten xpdfiuov ^*npojxuaov) und seiner Sippe noch griech. axdpoSov = alb. hufors Knoblauch (vgl. G. Meyer, Et. W. S. 154)

Lauch. Zwiebeln. 205

und vielleicht griech. *(e\fi<; neben ^0)^6? lat. bulbus (vgl. den Eigennamen Bulbils ; das lat. Ackerbauwort 1st dann wegen des b oskischeii ITrsprungs ; anders Prellwitz, Et. W. der griech. Spr. S. 50 und H. Lewy, Semit. Fremdw. S. 32, der griech. -(eX-ft?. f^i^ec a- T&v o*opo8u>v xecpaXai Hes. ans arab. galaga Schadel, Kopf ableiten mochte). Auch fur das Verhaltniss von griech. rcpdcov: lat. porrum. beide Porree oder Lauch (Allium Porrum L.) nimmt man jetzt meist Urverwandtschaft an (vgl. Bartholomae Wochenschrift fur klassische Phil. 1895 S. 596 f. und K. Brugmann Grundriss I2, 2 S. 744). Die tibrigen oben meist genannten Namen von allium-A.rten bieten zum Theil noch ungeloste Schwierig- keiten. Ob griech. xama, lat. cepeetwas mit den idg. Wortern fiir Kopf (oben S. 195) zu thun hat, ist sehr zweifelhaft. Die letzteren sind so zu ordnen, dass die germa- nischen goth. haubiih, ahd. houbit, ags. he'afod, altn. haufuth, spater hofud auf eine gemeinsame Grundform *kaupot- zuriickgehn, die sich mit lat. caput iiur dann vermitteln lasst, falls man letzteres durch eiii dem ags. hafola Kopf, scrt. kapala Schadel entsprechendes Wort umgestaltet sein lasst (Kluge). Griech. xE<paX-f] wird fern zu halten und zu ahd. gebal Kopf zu stellen sein. Nimmt man arcad. xditia als xaiua, so liegt die Ableitung von x-vjno?, V.&KOC, Garten nahe, ,,Gartenfrucht". Lat. cepe. caepa ware dann entlehnt aus ion. *xYj7tia. Fasst man hingegen xdiua als xaicta und vermuthet Urverwandtschaft mit cepe, so machen die Vocalverhaltnisse (lat. e, ae: griech. a) dem Verstandniss Schwierigkeiten. Nach Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 68 waren auch ir. cainnen Zwiebel, Lauch, cymr. cenin unter Annahme des Ausfalls eines inter- vocalischen p (capi-) hier anzureihen. Schliesslich konnte man ftir die Erklarung von xarua auch noch an xdirix; .fumus1, Hauch, Athem denken. Vgl. oben S. 197 und griech. ftufioc; eine Zwiebelart (= klr. dymki eine Zwiebelgattung, altsl. dymu Rauch), Ganz dunkel ist griech. JXOTTO-, kypr. fAottocpaYia Knoblauch- breiesserei; Meister, Griech. Dial. Ill, 218. Lat. allium, alium deutet man jetzt wohl richtig als »stinkendes« (lat. hdlare, anhelare, altsl. achati, *on-s-ati) Kraut. -- Was die deutschen Knoblauch und Bolle anbetrifft, so wird ersteres so zu verstehen sein, dass in ahd. chlobolouh schon der erste Bestand- theil chlobo- (ags. clufe, engl. dove, vgl. Skeat Et. Diet.) friiher » Knoblauch « bedeutete (vgl. maul-tier, ivint-spiel, damm-hirsch etc.). Bolle ferner ist em echtdeutsches Wort mit der Grundbedeutung ,,Knollenartiges" (ahd. hirnibolla Hirnschale). Ueber lauch Kluge, Et. W.6 Die alteste Entlehnung aus lat. cepa ins Germanische ist ags. cipe Zwiebel (vor 400, nach Hoops, Altengl. Pflanzennamen, Diss. Freiburg 1889, S. 75). Vgl. dazu ir. -dap in folt-chiap .Lauch' und alb. k'eps. Weitere germanische Entlehnungen aus dem Latei- nischen sind ags. ynne, ynne-le'ac aus lat. unio, das wohl weder aus dem Kel- tischen stammt, noch mit lat. unus (*oino-s] etwas zu thun hat (vgl. oben S. 202), und ahd. pforro, ags. porr (alb. por) aus lat. porrum. Ahd. surio, surro (oben S. 202) konnte die ,,syrische" Pflanze (goth. Saur, gurus') sein (vgl. cepa Ascalonica, unser Eschlauch).

Bei den Turko- Tatar en 'gingeii nach Vambery, Primitive Kultur S. 220 Zwiebel und Knoblauch als Nahrpflanzen bis in die altesten Zeiten zuriick (sogan, das in hochst beachtenswerther Weise dem lit. swogiinas Zwiebel (oben S. 202) zu entsprechen scheint, und sarimsak), wahrend die Westfinnen auf diesem Gebiet sich sprachlich ganz von ihren europaischen Nachbarn abhangig zeigen (Ahlqvist, Kulturworter S. 40f.). Ein Anbau von

206 Kiimmel.

Zwiebelgewachsen im vorhistorischen Europ a hat sich unseres Wissens bis jetzt nicht nachweisen lassen. (Vgl. fiber die Geschichte der Zwiebelgewachse auch v. Fischer-Benzon Altdeutsche Gartenflora S. 137 ff .)

A us dem Orient stammen auch zwei and ere Gewiirzpflanzen, die wir hier gleich anschliessen , der Pf eff erkummel , Cuminum Cy- minum L., und der Senf, Sinapis alba und nigra L. Bei dem ersteren liegt dies in dem griechischen Wort xv/ncvov unmittelbar zu Tage. Das hebraische Jcammon muss in den iibrigen semitischen Sprachen ahnlich gelautet haben: aus einer derselben stammt die griechische Form, die weiter das romische cuminum abgab, aus welchem letztern dann wieder alle europaischen Namen abgeleitet sind nur dass die Deutschen sich die Endung etwas mundgerechter machten, die Polen mit Ausstossung des Vocals Jcmin sagten und daraus die Russen endlich mit Herstellung der beliebten Verbindurig tm statt Jem ihr tmin schmiedeten. Der Weg, auf dem dies Gewurz wanderte, ist also der bei zahlreichen Kulturobjecten beobachtete und kultur- geschichtlich , sozusagen, normale. Theophrast berichtet, zum Ge- deihen des Kiimmels gehore, bei der Saat Fliiche und Lasterungen horen zu lassen (h. pi. 7, 3, 3 und 9, 8, 8). Diesem Aberglauben liesse sich vielleicht eine Deutung abgewinnen, aber auf die Herkunft der Pflanze fiele dadurch, so viel wir sehen, kein neues Licht. Nach Dioskorides 3, 61 war der athiopische Kummel der beste, der von Hippokrates der konigliche genannt worden sei. In unserm jetzigen Hippokrates findet sich nichts von einem xvpivov flaffihixov, und Dioskorides bezieht sich entweder auf eine jetzt verlorene Schrift, die unter dem grossen Namen des koischen Arztes ging, oder, was wahrscheinlicher ist, sein Gedachtniss war ihm hier untreu. Am persischen Hofe wurde allerdings nach der bereits angefiihrten Stelle des Polyaenus auch athiopischer Kummel verbraucht und zwar tag- lich sechs xaneusg, welches persische Mass dem attischen yplvti, gleich war. Nach dem athiopischen Kummel kam als nachstbeste Sorte der agyptische; unter dem erstern wiirde also der oberagyptisch- nubische zu verstehen sein, wenn wir nicht vorzogen, an den vom rothen Meer zu denken: da ja Aethiopen auch in Indien gedacht wurden. Der Kummel, fahrt Dioskorides fort, wachst auch in dem kleinasiatischen Galatien und in Cilicien, sowie im Tarentinischen (durch Verpflanzung) : in der That bezieht ihn auch das heutige Griechenland aus levantinischen Hafen, besonders aus Smyrna, und Apulien treibt starken Kummelbau und lebhaften Handel mit dem geernteten Produkt. Innerhalb des romischen Reiches so erganzt

Kiimmel. 207

Plinius die Angaben des Dioskorides gilt der Kiimmel von Carpetanien im Herzen Spaniens fur den besten, sonst der athiopische und afrische oder auch der agyptische, 19, 161: in Carpetania nostri orbis maxume laudatur, alioqui aethiopico africoque palma est. quidam huic aegypticum praeferunt. Im ganzen Alterthum war iibrigens der Kiimmel als ein mildes, anregendes, wohlschmeckendes Gewiirz beliebt. Bei einem Dichter der mittleren Kornodie sind Kraut, Kiimmel, Salz, Wasser und Oel die gewohnlichsten Kiichenrequisite, um einen Fisch anzurichten (Athen. 7, p. 293) und bei Plinius reizt der Kiimmel einen verdrossenen Magen am angenehmsten , 160: fastidiis cuminum amicissimum. Wie das Salz ein Symbol der Freundschaft war, so auch Salz und Kiimmel: ot negl aha xal xvfuv'ov sind soviel als vertraute Freunde (Plut. Symp. 5, 10, 1). Der Kiimmel gait fur ein hochstrebendes Kraut, in sublime tendens, wie schon Phythagoras anerkannt haben sollte, und besass die Kraft, rothe Wangen zu bleichen, daher exsangue cuminum bei Horaz und pallentis grana cumini bei Persius. Ehe der PfefTer erfunden war oder in allgemeinen Gebrauch kam, spiel ten Samen, wie der romisohe Kiimmel, der Schwarzkiimmel, Nigella sativa, der Koriander, xoglavvov, u. s. w. natiirlich eine wichtigere Rolle. Darunter heben wir den Schwarzkiimmel hervor, weil er bei den Romern den orientalischen Namen git, gith fiihrt und seinen Ursprung also an der Stirn tragt. Er kommt schon bei Plautus Rud. 5, 2, 39 vor, wenn anders die Stelle nicht verdorben ist; spater wird er von Columella und Plinius als etwas Gewohnliches genannt. Da er bei den Griechen anders heisst, Plin. 20, 182: git ex Graecis alii melanihium, alii melaspermon vocant, so kann er nicht iiber Griechenland nach Italien gekommen sein von wo anders also in so friiher Zeit,, als vom karthagischen Afrika? In der That berichtet ein Zusatz zu Dioskorides 3, 64, die Afrer nannten das xogtavvov (d. h. Wanzensamen, Koriander) yotd. Lesen wir dies Wort nach spat griechischer Aussprache gid, so ist dieser Name derselbe, wie der rornische fur Nigella sativa, an den sich auch der althebraische gad fur Koriander anschliesst. Ob dies gad urspriinglich semitisch oder selbst wieder entlehnt ist, kann uns hier gleichgiiltig sein ; auch dass die Pflanzen verschieden sind, macht bei der Ungenauigkeit und Unbestandigkeit der Volks- und popularen Handelssprache des Alterthums keine Schwierigkeit. Der eigentliche in Mitteleuropa einheimische Kiimmel, Carum Carvi, ist, wie bekannt, bis auf den heutigen Tag ein vielgebrauchtes, willkommenes Gewiirz geblieben, das auf dem Brote, im Kase, Kohl u. s. w., besonders

208 Senf.

aber im Branntwein als Doppelkiimmel auch den Hyperboreern gar sehr, oft nur allzusehr nrnndet.

* Der agyptische Kiimmel, Cuminum Cyminum L., 1st wild nur aus Tur- kestan von den Ufern des Kisilkura bekannt, wo er von Lehmann gefunden wurde. Nach Aegypten 1st er wahrscheinlich fiber Syrien eingeftihrt worden (Schweinfurth in Verb. d. Berliner antbropol. Gesellsch., Sitzg. vom 18. Juli 1891). Der eigentliche Kiimmel, Carum Carvi L., ist von Europa bis zum Himalaya und durch Sibirien verbreitet.

** Zu beachten ist, dass griecb. XOJJLIVOV erst bei Aristophanes auftritt,. mithin die Uebernahme des semitischen (auch ins Armenische eaman ge- drungenen) Wortes vielleicht erst in die Zeit nach den Perserkriegen fallt, in welcher ein sich statig erhohender Lebensgenuss die Aufmerksamkeit auf eine ganze Reibe bis dahin unbekannter Aromata und Gewtirze des Orients lenkte. Freilich bezweifelt man neuerdings (kaum mit Recht) die Herleitung des griech. xojuvov aus dem semitischen hebr. kammon, aram. kamond, pun. ^aixav mit Rucksicht auf die Verschiedenheit des Vocalismus beider Worter. Vgl. Kretschmer, K. Z. 29, 440; dazu Muss-Arnolt, Transactions XXIII, 105, 117, der auch ein assyr. kamanu (F. Delitzsch Assyr. HandwOrterbuch S. 836: kamunu ein Gartengewachs) nennt. Kretschmer moehte mit der semitischen Sippe vielmehr das griech. (o)*ajAu>via vergleichen »eine Art Winde, aus deren Wurzel (wie auch aus dem Kummel) ein abfiihrender Saft bereitet wird«(?). Der Feldktimmel (Mattkiimmel, Wiesenkiimmel, vgl. Pritzel und Jessen, Die deutschen Volksnamen der Pflanzen (S. 275) heisst mhd. karbe, karve, engl. caraway, entlehnt (unter Einwirkung von arab. al-karavia) aus lat. careum. nach Plinius «aus Karien« (19, 164: careum gentis suae nomine appellatmn culinis principale). Diosc. xcxpov. Doch wird Carum Carvi L. auch schlechthin Kummel genannt. Eigene Ausdrticke fur die in Europa einheimische Pflanze sind, wie es scheint, durch diese Entlehnungen ganz verdrangt worden, ein in der Kulturgeschichte typischer Vorgang. Graff bietet : ivitesa (careola), Bock, Krauter- buch (bei Pritzel- Jessen) : Wistkimmel. -- Ueber 7018 Low, Aram. Pflanzenn. S. 155.

Auch der Senf wird schon von den attischen Komikern als wohlbekannte beissende Substanz erwahnt, die zwar zu Thranen und Gesichtsverzerrung reizt, aber trefflich sich eignet, eine abge- schmackte Kost zu starken und zu beleben. Die Attiker nannten ihn vanv, wahrend der hellenistische Name (Swam, (ftvanv und da- nach der lateinische sinapi, sinape oder senapis war. Die erstere Form, die auch in der Erweiterung vdnsiov vorkommt, stimmt auffallend mit dem lateinischen napus, die Steckriibe, uberein, mit welcher letztern die Senfstaude einige Aehnlichkeit hat und deren Namen sie annehmen oder der sie den ihrigen geben konnte. Nanv heisst der Senf bei alien Aelteren (z. B. Aristoph. Eq. 631) und auch Theophrast sagt nie anders, bis seit der maceclonischen Zeit

Senf. 209

die urn die Silbe at, liingere Form auftaucht, zuerst bei einern Dichter der neueren Komodie, Athen. 9, pag. 404: aCvam rovioig TtaQau&rjfM xal TTOIVO %vhovg exofiifvovg fy&fJbVTVjWS, vrv (pvffiv tva dieysfycts nvsv^ia^ TCV aega.

Der Verfasser dieser Verse wird im iiberlieferten Text Anthippus genannt; da ein solcher Name unerhort ist, so haben die Heraus- geber daflir Anaxippus gesetzt, welcher Dichter zur Zeit des Antigonus und Demetrius Poliorcetes lebte. Noch alter indess ware das abgeleitete Verbum awam&w, Athen. 9, 367: TO SvyaTQwv ii ILIOV Gstfwdmxs dia vrjg ^svrjg wenn die Worte in Ordnung sind und der Urheber derselben, Xenarchus, rich tig zur mittleren Komodie gerechnet wird. Bei dem alexandrinischen Dichter Meander ist der vollere Name haufig und seitdem das altere vanv ausser Gebrauch und nur noch literarisch vorhandeii. In Italien herrscht sinapis, senapis ausschliesslich (schon bei Ennius und Plautus), wahrend napus, wie gesagt, nur die Kohlrube bedeutet. In welchem Verhaltniss beide Formen zu einander stehen denn dass sie vollig unabhangig von einander und also der Gleichklang nur zufallig ware, scheint doch nicht annehmbar - - und wie die Vorsatzsilbe hinzutreten oder wegf alien konnte, dariiber haben wir keine Meinung. In den Ge- setzen der Sprache, aus der das Wort entnommen wurde, konnte diese Doppelform begriindet sein, aber welches war die Sprache? In Athen gait fur den besten Senf der von der Insel Cypern, vanv KVTIQOV, wie wir aus den Versen des Eubulus bei Pollux 6, 67 und Athen. 1, 28 ersehen. Benfey, Griech. Wurzelworterb. 1, 428, stellt eine Vermuthung auf, wonach das Wort urspriinglich sanskritisch, dann in persischem Munde umgestaltet, endlich noch mehr verwandelt zum griechischen aivanc geworden ware - - der Sache nach nicht unmoglich, ob aber lautlich ohne Gewaltsamkeit? Aegyptische Worter wie ffi fa und aeaefag , vagi (agyptische Wasserpflanze) und afaagov, ferner xofifjit,, xixt, oder xlxt,, xvyx,, a^^u, dTi^c oder Gufii u. s. w. lassen uns auch fiir vanv und awam auf agyptische Herkunft rathen. - - Das ital. mostarda, franz. moutarde u. s. w. stammt von dem Most, mustum, mit dem der Senf angemacht wurde, der deutsche Senf aber wie der Essig, die Zwiebel, der Kiimmel, das Oel und der Salat, wie Lattich, Endivie, Cichorie, Kresse, Sellerie, Petersilie, Fenchel, Anis und vieles Andere aus Italien.

* Der weisse Senf, Sinapis alba L., ist in Mittel- und Sudeuropa ver- breitet, doch ist die Pflanze in Norddeutschland nur kultivirt oder als Ruderal

Viet, Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 14

210 Linsen. Erbsen.

pflanze verwildert anzutreffen; ihre eigentliche Heimath 1st wahrscheinlich Sudeuropa, zumal auch die ihr nahe verwandten Arten, S. dissecta Lag; und 8. hispida Schousb. in Stidspanien heimisch sind.

Der schwarze Senf, Brassica nigra (L.) Koch, findet sich in Mittel- und Sudeuropa, in Gebuschen nnd an Graben wildwachsend, fehlt nur in Nor- wegen, Schweden und Nordrussland.

** Eine altenglische Bezeichnung des Senfes cedelc giebt Hoops iiber die ae. Pflanzennamen S. 75. Damit sind vielleicht das von Pictet Origines I, 296 genannte cymr. cethiv, cediv. ceddw, sowie norddeutsche Namen fiir Sinapis arvensis, wie kiddik, kidk (Ostfriesland), koddik (Unterweser) bei Pritzel-Jessen S. 379 zu vergleichen. Aus Sudeuropa nennen wir noch das leider dunkle albanesisch-neugriechische vruvs-$pou$a , &Ypto£po0^a (G. Meyer, Et. W. S. 479) und alb. I'inarife Sinapis alba (Heldreich, Nutzpflanzen S. 47, G. Meyer S. 246).

Linsen und Erbsen.

Nahe der Zeit nach schliessen sich an den ersten Anbau der mehlreichen Graser auch die noch jetzt gebrauchlichen Hiilsen- friichte an, in manchen Gegenden den ersteren an Rang und Nutzen fast ebenbiirtig, sei es zur Ernahrung des Menschen oder als Thier- f utter oder als Brach- und Zwischenf rucht , und auch darin jenen gleichkommend, dass ihre Korner - - ein sehr wesentlicher Vorzug - nicht verganglich sind, sondern sich lange aufbewahren und in die Feme tragen lassen. Von der Bohne, als einem sehr alten Nahrungs- mittel, 1st an einer andern Stelle (Anmerk. 19) ina Voriibergehen gesprochen; auch Linse und Erbse mussten in den Landern, wo sie wild wuchsen, friihe unter den Krautern des Feldes durch ihren ess- baren Samen den Hirten bemerkbar werden; von da an war, als Noth und Beispiel dem schweifenden Leben immer engere Grenzen steckten, bis zur kiinstlichen Ausstreuung derselben nur ein Schritt. Wo aber wuchsen sie wild? und von wo ging folglich ihre Kultur aus? Da die Naturforscher bis jetzt dariiber nichts Bestimmtes aus- zusagen wissen, so finden wir uns wieder auf die uralten Zeugnisse zuriickgewiesen, die in den Sprachen niedergelegt sind und von den sich folgenden Menschengeschlechtern in unbewusstem Thun bis in die Zeiten welter gerettet wurden, wo das historische Morgengrauen anbricht. Aber auch dort scheint diesmal nur ein vieldeutiges , un-

Linsen. Erbsen. 211

bestimmtes Orakel auf unsere Frage zu antworten. Erstlich sind die beziiglichen Namen zum Theil von so allgemeinem Charakter, dass sie sehr alt sein konnen, die Frucht aber, die sie benennen, jung; zweitens steigt mitten in der Freude, bei getrennten Volkern. eine ubereinstimmende individuelle Bezeichnung zu finden, der bose Zweifel auf, ob nicht "Kulturunterricht ganz spater Zeit d. h. Ent- lehnung das Wort weiter getragen; drittens entzieht sich auch in dem letzteren Falle , der immerhin belehrend sein wiirde , oft der Zusammenhang selbst unseren Blicken d. h. es bleibt oft fraglich, ob die Ueberlieferung von Nord nach Siid u. s. w. oder in um- gekehrter Richtung geschehen sei. Nur so viel erkennen wir mit einiger Deutlichkeit , dass die Linse schon ein Besitz der vorindo- germanischen Kultur und den europaischen Volkern von Siidost her zugekommen ist, dass umgekehrt die Erbse - - wir fassen unter diesem Namen alle verwandten Arten zusammen dem Norden d. h. clem mittleren Asien angehort und sich von dort am Pontus voruber den Weg nach Europa gebahnt hat.

Die Linse in Aegypten, namentlich bei dem semitischen Grenz- ort Pelusium und sonst im Nildelta, wo Phacussa oder Phacussae, die Linsenstadt, lag, ist vielfach bezeugt. Um die Pyramiden sah Strabo 17, 1, 34 die Abfalle von den behauenen Steinen in Gestalt kleiner, linsenformiger Kornchen haufenweise liegen und die Leute behaupteten, dies seien versteinerte Reste der dort von den Arbeitern gehaltenen Mahlzeiten woraus wenigstens erhellt, dass man sich jene altesten Steinmetzen schon als linsenessend dachte. Dass die Frucht auch den alten Hebraern nicht fremd war, weiss Jeder aus der sogenannten biblischen Geschichte, mit der man seine friiheste Jugend aufgezogen hat. Der Erzvater kochte einen Linsenbrei, und so kostlich war diese Speise, dass der altere Sohn dem jiingeren dafiir das Recht der Erstgeburt verkaufte. Und den David, da er in der Wiiste weilte, versehen seine Freunde ausser anderen Lebensmitteln auch mit Linsen, 2. Sam. 17, 28: »brachten .... Weizen, Gersten, Mehl, Sangen (gerostete Aehren), Bohnen, Linsen, Griitz, Honig, Butter, Schaf und Rinder, Kase zu David und zu dem Volk, das bei ihm war, zu essen, denn sie geclachten, das Volk wircl hungrig, miide und durstig sein in der Wiisten.« Der alt- hebraische Name dafiir adaschim ist noch der heutige bei den Arabern und auch von den Persern adoptirt worden (01. Celsius, Hierobot. 2, 103 ff.). Den Griechen, den Zoglingen der Semiten, konnte auch cliese Frucht nicht lange verborgen bleiben. Zwar Homer erwahnt

14*

212 Linsen. Erbsen.

sie nicht ; aber in Athen 1st seit der Mitte des fiinften Jahrhunderts das Linsenessen schon eioe Sitte des niederen Volkes, deren sich der Beguterte und Gebildete enthalt, und hat also bereits eine lange Geschichte hinter sich, z. B. Aristoph. Plut. 1004: »jetzt wo er reich geworden ist, inag er Linsen nicht mehr, friiher, da er noch arm Avar, ass er was ihm vprkarn.« »Nur keine Linsen, ruft eine Person bei dem Komiker Pherecrates (Athen. 4 p. 159), wer Linsen isst, riecht aus dem Munde.« Die Griechen nannten die Linse und das Gericht daraus yaxrj , die Pflanze und ihre Frucht (paxog - - mit einem dunklen Worte, das ganz einsam steht d. h. in keiner ver- wandten Sprache sein Analogon hat, auch nicht nach Italien weiter gewandert ist. Denn bei den Romern, wo schon der alte Cato in seiner Landwirthschaft Linsen saen und Linsen mit Essig behandeln lehrt und bei Todtenmahlern den Verstorbenen Linsen und Salz vor* gesetzt wurden (Plut. Crass. 19), tragt die Frucht den ganz ab- weichenden Namen lens, lentis - - der also nicht aus griechischer Quelle stammt. Aus welcher aber? Wir haben nicht einmal eine Vermuthung daruber. Auch aus dem Lateinischen selbst bietet sich keine Ableitung. Ist, wie in dem ahnlich klingenden lens, lendis, nach lateiuischer Weise ein Anfangs-c oder -g abgef alien? oder diirfen wir an lentus, lenis denken? Auf dem richtigen Wege gelangte die Linse weiter aus Italien iiber die Alpen nach Deutschland und zu Litauern und Slaven. Althochdeutsch linsi, mittelhd. linse aus dem Lateinischen; litauisch lenszis, slavisch lesta, leca, lesta, leca u. s. w.. magyarisch lencse u. s. w. - - Alles nur das im barbarischen Munde nach Bediirfniss umgemodelte lateinische lens, lentis. Die Slaven haben daneben noch einen anderen Ausdruck: socivo , lens, auch legumen uberhaupt, novella tritici grana, lupinus, in den lebenden Sprachen gewohnlich in verlangerter Form: russ. cecevica, soeeviea, poln. soczewica, soczka, czech. socovice. Damit vergleicht sich das altpreussische UcutTceTcers Linsen, ~keckers Erbsen. Wie das letztere, sind auch die assibilirten slavischen Form en nur ein Nach hall des lateinischen deer, deutsch Richer, italienisch cece, franzosisch chiche.

Unter den vielfachen Namen fur die Erbse und ihre Arten ist der interessanteste , weil altbezeugte und noch heute in seinen Ab- kommlingen lebende, das griechische eQepwSvg. Es steht namlich schon bei Homer und zwar neben der Bohne: Helenus, der Sohn des Priamus, hatte auf den Menelaus einen Pfeil abgeschossen, dieser aber sprang von der Rustung ab, wie auf weiter Tenne im Wehen

Linsen. Erbsen. 213

des Windes die dunklen Bolmen und die Erebinthen von der Wurf- schaufel springend fliegen, II. 13, 588 (nach Dormer):

Wie von geplatteter Schaufel die Frucht der gesprenkelten Bohnen Oder der Erbsen im Herbst auf raumiger Tenne dahin fliegt, Unter dem Schwunge des Worfiers vom sausenden Winde getragen: So von dem Panzergewolbe des herrlichen Danaerfiirsten Prallte der bittere Pfeil und tauchte sich weit in die Feme.

Ob hier die Richer- oder die gemeine oder die Platterbse u. s. w. zu verstehen sei, lehrt die Stelle unmittelbar nicht; der um so viel Jabrhunderte spatere Theophrast freilich spricbt, wenn er egsfavdog sagt, sicber von der Kichererbse, da er die Schote fiir rund erklart, h. pi. 8, 5, 2: GTQoyyvkokofia xa^drrsQ 6 SQsftw&og. Aus dem Hiatus bei Homer aber und aus einigen bei Hesychius erhaltenen mit y beginnendeii Formen, in denen sich zugleich ein I dem r sub- stituirt hat, erhellt, dass das Wort urspriinglich mit einem Digamma begann. Trennen wir das im alteren Griechisch haufige und, wie es scheint, deminutivische Suffix tv&- ab, so fallt SQsfiiv&og mit dem aiidern Erbsennamen ogofiog zusammen. Da ferner auch das in- lautende fl nur ein verhartetes Digamma ist, so wird die Urform des Wortes J-OQfog gewesen sein (s. Legerlotz in Kuhns Zeitschrift 10, 379), die sich nicht weiter auflosen lasst, und in der uns ein Fremdwort aus Kleinasien vorliegen kann. Nach Kleinasien aber kann der ogopog oder fysflw&og nicht aus den warmen Palmenlandern nach Indien zu, denen Theophrast h. pi. 4, 4, 9 ausdriicklich so- wohl den KQepw&og als (paxog abspricht, gekommen sein und eben so wenig aus dem syrisch-agyptischen Kulturkreise, innerhalb dessen die Frucht nirgends erwahnt wird, folglich nur aus dem Gebiet des Pontus und des Kaukasus, das mit dem innern Asien in natiirlichem Zusammenhange stand. Als die Kultur der Erbse von den Griechen nach Italien gebracht und den Romern bekannt wurde, war das anlautende Digamma in der Aussprache schon verschwunden, denn die Lateiner sagten ervum, ervilia, Festus: ervum et ervilia a Graeeo sunt dicta quia illi ervum oQofiog, ervilium oQofiwov appellant. Die lateinische Wortform liegt clann weiter der deutschen zu Grunde, noch ohne Ableitung im angelsachsischen earfe, plur. earfan, in den iibrigen deutschen Sprachen mit t weiter gebildet, woraus sich in hochdeutscher Lautverschiebung das althochd. arawiz, araweiz und clurch fernere Entstellung unser heutiges Erbse ergab. In seiner Geschichte der deutschen Sprache hatte Grimm die deutschen Worter noch fiir entlehnt gehalten, S. 46 Anm. : »mit der Sache scheinen

214 Linsen. Erbsen.

uns diese Namen von den Romern zugebracht« , bei Ausarbeitung des Worterbuches aber, wo sein Sinn immer grublerischer geworden war und das Einfache ihm nicht mehr geniigte, schrieb er unter Erbeiss: «die Wurzel liegt vollig im Dunkel.« Wir halten uns, wie in andern Fallen, an den friiheren Grimm, besonders an den un- sterblichen Verfasser der Grammatik; indess, sehen wir genauer zu, so konnte vielleicht in der That nicht das lateinische ervum, sondern das griechische IgtfUvdog die Quelle von arawiz, ervet u. s. w. und der Zeitpunkt, wo die Erbsen den Deutschen bekannt warden, in die Jahrhunderte hinaufzuriicken sein, in deneii die Gothen und andere deutsche Volker an der unteren Donau unmittelbar mit griechischer Sprache oder mit Volkern griechischer Halbkultur zu- sammenstiessen. Wackernagel, die Unideutschung fremder Worter, Ausgabe 2, S. 18 driickt sich unbestimmt aus: »aus dem Griechischen und Lateinischen entlehnt SQept,v$og ahd. arawiz araweiz«; an einer anderen Stelle, S. 14, bemerkt er, das Hochdeutsche habe schon friiher das griechische fh als t genommen, weil sonst aus €Q8{ltv&og nicht arawiz hatte werden konnen; dass der Anfangsvokal im Hoch- deutschen ein a ist, erklart er aus dem im gothischen ai vor r denn nur so konnte Ulphilas das s in SQs^tv^hg schreiben docli noch horbaren a (Beispiele davon S. 18). Die gothische Form des Wortes entgeht uns leider; nach araiviz rathen wir auf airveits: in SQS^cv&og namlich wurde das b schon wie v, das fh in nord- griechischer Weise wie d gesprochen; aus diesem d ergab sich regel- massig ein goth. t, ahd. z\ der Diphthong ei entstand aus Unter- driickung des nt wie seiteins aus sinteins, peikabagms aus q>uvi£, yivixog (so wurde damals schon statt (foCvi^ ausgesprochen) u. s. w. Ein slavisches revitovo zrino fur sQs^tviJoc (Mikl. p. 797) gleicht ganz dem supponirten goth. airveits und gr. s^s^v^og.

Neben ogofiog und 8Qe^v^)og besassen die Griechen noch eine >alterthumliche Benennung fur die gemeine Erbse: maog, mffog, TiiGov, nCoaov. Dieses Wort bringen alle Etymologen in Verbiiidung mit dem Stamrae, zu dem das lateinische pinsere, pisere stampfen gehort, .und die Ableitung hat gewiss viel Wahrscheinlichkeit, fiir das Alter der Frucht ist aber damit nichts gewonnen. Sie ist damit nicht sowohl als mahlbare, wie Grimm will, bezeichnet denn dass sie gemahlen werde, ist gerade bei der Erbse nicht von nothen, - auch nicht als zu einem Brei verkochte, wie Curtius erklart, denn dieser Begriff liegt nicht in der Wurzel und dem daraus erwachsenen Wortstamme , sondern als Kornerf rucht , aus runden Stiickchen

Linsen. Erbsen. 215

oder Kiigelchen "besteliend, wie sie beim Zermalmen und Zerstampfen sich ergeben und bei grobem Kies, Hagelschauern u. s. w. der An- schauung vorlagen: litauisch peska Sand, (auch smiltis, begrifflich fast dasselbe), altslavisch pesuku, Sand, auch calculus, russ. pesok, poln. piasel' u. s. w. Das langst vorhandene Wort wurde also auf die Erbse angewandt und blieb an ihr haften. Dem Beispiel der Griechen folgten die Lateiner mit ihrem pisum, wenn sie das Wort nicht direkt entlehnten; es erhielt sich in den romaniscben Sprachen und ging auch in die keltischen und ins Englische iiber, nicht aber zu den Germanen, vielleicht ein weiterer Wink, dass diese ihr Erbse schon friiher, noch vor Beginn des mittelalterlichen Kultureinflusses von Siiden und Westen gebildet batten.

Aehnlich wie mit nfoov verhalt es sich mit dem reduplicirten lateinischen deer, dem nach Curtius no. 42 b der Begriff des Harten, also kleiner barter Korperchen, zu Grunde liegt. Dasselbe Wort ware das griecbische xeyxQog, welches aber in die Bedeutung Hirse ausgewichen war und in dieser sich fixirte. Schwierigkeit macht nur der Urn stand, dass die kurzen, dicken, an einem Ende etwas umgebogenen Schoten des deer arietinum, xgibg oQofiialog, wirklicb einem Widderkopf ahnlich sehen wodurch die Deutung nach

einer anderen Seite abgelenkt wird. Wie die Zwiebeln und Linsen in Athen, bildeten Zwiebeln und Kichererbsen in Italien die frugale Mahlzeit der armeren Volksklasse, z. B. Horat. Sat. 1, 6, 144:

inde domum me Ad porri et ciceris refero laganiqiie catinum

daher auch bei den Floralien Bohnen und Kichern unter das Volk ausgestreut wurden , das sie rnit Gelacbter aufzufangen. suchte. Jedermann weiss, dass, wie Lentulus, Fabius, Piso nach den ent- sprecbenden Kornern, so Cicero nach den Kichern benannt 1st: wir erinnern bier nur deshalb daran, weil solche populare Beinamen nur einer dem Volke altbekannten Speise oder Feldfrucht entnommen sein konnen. Das deutsche Richer, preussische keekers verdient Er- wahnung, weil es in eine Zeit weist, wo das c noch wie Tc gesprochen wurde; viel j linger ist die anclere Form Zieser und wohl aus dem norditalienischen sizer, sezer entsprungen.

Andere griechische Ausdriicke, wie w%()og, agaxog oder aQCtypg und hdd-vQog iibergehen wir, weil sie fur die Geschicbte nichts ergeben, und halten uns nur noch bei einem slavischen Worte auf: altslavisch grachu in der Bedeutung fdba, russisch goroch, polniscb groehj czechisch hrdeh die Erbse, slovenisch grah, grahor, grahorica

216 Linsen. Erbsen.

die Wicke. Das neugriechische yQa%og wird ein Lehnwort aus dem Slavischen sein, ebenso das albanesische gross, die Linse. Wohl aber muss vicia cracca bei Plinius dasselbe Wort sein, welches wieder auf das reduplicirte griechische xdylrfe, x6%ha£ Kiesel, Stein- chen hinweist. Letzteres stellte sich slavisch als grachu dar, wie X«A«£a (fur %ahadja und dies fur %hddja) als gradu. Auch hier also wiirde der Name fur die Korner der Hulsenfriichte auf den Begriff calculus zuruckzufiihren sein, den die verschiedenen Volker, sei es zufolge angeborener gleicher Richtung der Phantasie oder nach dem Beispiel derer, von denen sie jene Korner erhielten, gleichmassig anwandten. Ein anderes altslavisches Wort fur Erbse slanutuku (Mikl. s. v.) muss von slana Reif abgeleitet sein - - bedeutete also ursprunglich Hagelkorner, Eistropfen.

Da die Wicke nur als grimes Futterkraut oder zur Nahrung der Tauben, Hiihner u. s. w. in cler spateren Zeit kiinstlicher Boden- wirthschaft angebaut wurde, so ist der Weg vom griechischen flfaog, PIXCOV zum lateinischen vicia, von diesem zu dem deutschen Wicke und weiter zum litauischen wike u. s. w. der normale, den so viel Dinge und Namen gewandert sind.

* Bohne. Die heutzutage bei uns allgemein kultivirte Gartenbohue (Phaseolus vulgar is Savi) ist weder in Grabern der alten Welt, noch in Pfahl- bauten aufgefunden worden, noch sind im Mittelmeergebiet irgend welche nahe verwandte Formen derselben wildwachsend. Da aber andrerseits sich die Bohne in den altperuanischen Grabern mit anderen ausschliesslich ameri- kanischen Samen zu Ancon bei Lima haufig findet (Wittmack in Verhandl. d. bot. Vereins d. Prov. Brandenburg XXI., Sitzungsberichte S. 176), da ferner Asa Gray und J. Hammond Tumbull (The American Journal of science XXV. (1883) S. 130) gezeigt haben, dass unsere Gartenbohne den nordamerikanischen Indianern, selbst denjenigen Canadas vor der Ent- deckung Amerikas durch die Europaer bekannt war, da die gewohnliche Bohne in nordamerikanischen Grabern von Arizona gefunden wurde, da ferner alle verwandten grosssamigen Arten in Siidamerika heimisch sind, so ist es wahrscheinlich, dass unsere Gartenbohne den Alten nicht bekannt war und erst nach der Entdeckung Amerikas nach Europa gelangte- Die Bohnen der Alten gehorten, wie Wittmack (Nachrichten aus dem Club der Land- wirthe zu Berlin No. 115, 20. Juli 1881, p. 782) und Koernicke (Verhandl. d. naturhist. Ver. d. preuss. Rheinlandes u. Westfalens 1885, Corresp.-Blatt S. 136) dargethan haben, zu der im tropischen Afrika heimischen Vigna sinensis (L.) Endl. Obgleich diese Pflanze im tropischen Afrika heimisch ist, so ist sie wahrscheinlich doch, wie einige andere im tropischen Afrika heimischen Kulturpflanzen, erst iiber Indien nach Aegypten gelangt, da auch ein director Verkehr Indiens mit Afrika auf dem Seewege bestand. (Vergl- Schwein-

Linsen. Erbsen. 217

furth, Aegyptens auswartige Beziehungen hinsichtlich der Kulturgewachse in Verhandl. d. Berliner anthropolog. Gesellsch. Sitzg. vom 18. Juli 1891.) Die sogenannte Pferdebohne oder Saubohne, Vicia faba L., (Faba vulgaris Moench), welche heutzutage in Stideuropa und dem Mittelmeergebiet viel genossen wird, war bei den Aegyptern nicht beliebt, ja sogar verachtet; es sind nach Schweinfurth (Berichte d. deutsch bot. Gesellsch. II (1884) S. 362) auch erst 2 Samen der genannten Art in Grabern aus der XII. Dynastie auf- gefunden worden, in derselben kleinen Form, welche heutzutage viel in Ae- gypten gebaut wird. Reichlieh fand Schliemann Bohnen in den Ruinen von Troja. Derselben neolithischen Periode gehoren nach Buschan (Vorgeschicht- liche Botanik S. 213) Bohnenfunde vom Monte Loffa in Italien, von El Garcel und Campos in Spanien, von der Aggtelek-Hohle und Lenggel in Ungarn; haufig findet sie sich in Pfahlbauten und an anderen Fundstatten der Bronze in der Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland, sodann in deutschen und italienischen Fundstatten der Eisenperiode. Buschans genaue Studien an den zahlreichen Bohnenfunden haben ergeben, dass die aus dem ostlichen Europa stammenden Bohnen kleiner und mehr rundlich, die aus dem westlichen Europa stammenden mehr langlich, flach und schmal sind. Diese sind es auch, welche eine grosse Uebereinstimmung mit den Samen der vom Mittelmeergebiet bei Nordpersien und Mesopotamien haufigen Vicia nar- bonensis L. zeigen und die Abstammung der Vicia faba von dieser Art hochst wahrscheinlich machen. Hingegen diirfte die kleinsamige Form aus Vorder- asien oder Siidosteuropa stammen.

Erbsen. Von den beiden gegenwartig in Europa kultivirten Arten der Erbse wurde die gewohnliche Gartenerbse mit kugeligem Samen, Piswm sativum L. in den Pfahlbauten der Bronzezeit in der Schweiz und Savoien gefimden (0. Heer, Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 23 und Per r in, Etudes prehistorique sur la Savoie p. 22); sie war damals kleiner, als unsere jetzige Erbse. Ferner wurde sie von Schliemann und Virchow zusammen mit kleinen Saubohnen (Vicia faba ~L.) in Troja (Hissarlik) gefunden (Wittmack in Berichten der Deutsch. botan. Gesellschaft 1886 p. XXXI). Bis jetzt kennt man keinen Ort, wo die Gartenerbse mit Sicherheit wild wachst. Da- gegen ist die graue Erbse, Pisum arvense L., welche durch eckige, braun und graugriin gescheckte Samen ausgezeichnet ist, weder in Pfahlbauten noch in Grabern gefunden worden; doch will Unger Samen derselben in einem Luftziegel der aus der V. Dynastie (im 3. bis 4. Jahrtausend vor Christus) stammenden Ziegelpyramide von Daschur gefunden haben. Sie wird im Orient und in Europa kultivirt und findet sich wildwachsend in Hecken und Gebirgs- wiildern Nord- und Mittel-Italiens ; in Griechenland und Syrien kommt sie ausserhalb der Kulturen nur verwildert vor. Da die wenigen aus Fundstatten der neolithischen, Bronze- und Eisen-Periode stammenden Erbsen, wie Buschan gezeigt hat, eine allmahliche Gro'ssenzunahme erkennen lassen, je jiingeren Alters sie sind, so ist es hochst wahrscheinlich, dass die Gartenerbse von dem Pisum arvense abstammt. Da die Erbse in Griechenland sicher schon zu Zeiten Homers angebaut war und die altesten prahistorischen Funde aus der Schweiz (Pfahlbauten von Liischerz, Moosseedorf) und aus Kleinasien (Hissarlik) stammen, so ist zu vermuthen, dass die Kultur der in der Schweiz gefundenen Erbsen im nordlichen Theil von Italien begonnen hat.

218 Linsen. Erbsen.

Linse. Die Linse (Lens esculenta Moench) wurde unter Todtenspeisert der XII. Dynastie von Mariette zu Dra-Abu-Negga gefunden und zwar conform mit einer kleinsamigen Varietat, welche auch heute im Grossen in Aegypten kultivirt wird. (Vergl. Schweinfurth in Ber. d. deutsch. bot. Ges. II. 362. Ferner fand sie Schliemann in der zweiten Stadt von Hissarlik. Derselbeii neolithischen Periode gehoren die Linsenfunde aus Pfahlbauten und anderen Fundstatten in Ungarn, Deutschland, der Schweiz, Italien an (Vergl. Buschan,. Vorgeschichtliche Botanik, S. 206). In dieselbe (Bronze-) Periode, wie der anfangs erwahnte aegyptische Fund, gehoren nach Buschan die Linsen> welche Schliemann in grossen Thongefassen in Herakleia auf Kreta nach- wies, ferner die aus den Pfahlbauten der Peterinsel (Schweiz) und von Bourget (Frankreich). Auch aus Fundstatten der Eisenperiode wurden Linsen mehrfach zu Tage gefordert. Das vergleichende Stadium dieser Funde fiihrte Buschan zu dem Ergebniss, dass alle vorgeschichtlichen Linsen weit kleiner sind, als die jetzt gebauten. Es ist wohl ziemlich sicher, dass die kultivirte Linse von der im Mittelmeergebiet und Orient auf Feldern haufig anzutreffenden Feld- liiise abstammt und dass diese urspriinglich in Kleinasien heimisch war, da die zunachst verwandte Art, Lens Schnittspahnii Alefeld auf steinigen Platzen von Kleinasien bis Afghanistan verbreitet ist.

* * Die einzelnen Gattungen der Hulsenfriichte werden sprachlich selbst. in jtingeren Epochen nicht scharf unterschieden. So vereinigen sich in slav. grachu (aus *gorchu, das sich mit xa/XYjS, oben S. 216, nicht verbinden lasst) und seiner alb. Entlehnung gross die drei Bedeutungen Erbse, Linse, Bohne. Aus dem von lat. faba Bohne abgeleiteten fabarium stammt alb. oHef?, fizfs Linse (G. Meyer, Et. W.) u. s. w. Das gleiche werden wir daher auch fur die vorhistorische Zeit anzunehmen haben. In dieselbe gehen mit grosserer oder geringerer Sicherheit eine gauze Anzahl von Beiiennungen der Hiilsen- friichte zurtick: 1. *keqro-, aus welchem vielleicht mit entgegengesetzter Assi- milation der Gutturale armen. sisern, lat. deer (von xifXP0? oben S. 215 zu trennen), altpr. keekers und griech. (xe)iipi6s hervorgegangen sind; freilich macht bei dieser Annahme der Stammvocal des armenischen und lateinischen Wortes (i) Schwierigkeit (vgl. H. Hiibschmann Armenische Grammatik I S. 490). 2. *lenth-: griech. Xdft-opo? eine Htilsenfrucht, lat. lens, lentis (vgl. lat. rote,. scrt. rathas, lit. rdtas), slav. l$sta aus *lentja (vgl. tiber slav. t = th Archiv f. slav. Phil. XI, 387), ahd. linsi, linsm (vgl. ahd. flins: icXtvO-o?; doch ist auch Entlehnung des deutschen Wortes aus dem Lateinischen nicht ausgeschlossen,. (vgl. zuletzt Kluge in Pauls Grundriss I2 S. 339). 3. griech. cpaxo? Linse, oben S. 212 alb. bate Saubohne (G. Meyer, Et. W.); 4. lat. faba altsl. bobii* 5. griech. uico<; = lat. pisum (oben S. 214), fiir das aber auch Entlehnung aus lem Griechischen angenommen wird. Was die Reihe (oben S. 212 f.) griech. ips^-vftoc, gpo^o? lat. ervum ahd. araiviz betrifft, so ist jedenfalls soviel jetzt klar, dass dieselbe nicht auf Entlehnung des lat. Wortes aus dem Grie- chischen und des deutschen Wortes aus dem Lateinischen oder Griechischen beruhen kann. Einen urverwandten Kern erblicken die einen in ervum arawiz (Fick, Vergl. W. I4, 364), andere in sps^oc, opo^o; ervum (*er<jvo-tn oder

Linsen. Erbsen. 219

*eregvo-m, *erogvo-m) und griech. apaxoc Hiilsenfrucht = arawiz (Sprachver- gleichung und Urgeschichte,2 S. 426 f.). Aber auch wenn wir von dem vielerlei unklaren in der Terminologie der Hiilsenfriichte absehn, bleibt eine Anzahl sicher urverwandter Nameii derselben (vgl. namentlich griech. <paxo<; = alb. bafts und lat. faba altsl. bobu) iibrig. Es liegt daher seitens der Sprache auch hier die Moglichkeit vor, dass Griechen und Homer bereits mit der Kultur der Hiilsenfriichte vertraut in der Balkan- resp. Apenninhalbinsel eingewandert seien. Welche Gattungen der Hiilsenfriichte alsdann freilich in proethnischer Zeit angebaut worden sind, lasst sich aus den angegebenen Griinden mit rein sprachlichen Mitteln nicht entscheiden. Hier miissen die prahistorische Ar- chaologie, sowie historische und geographische Erwagungen eingreifen. Was wir in dieser Beziehung bis jetzt wissen, ist das folgende: 1. Da die heutige Gartenbohne (Phascolus vulyaris) erst durch die Entdeckung Amerikas bei uns bekannt geworden ist, so ist fur die prahistorische Zeit und das Alterthum vor allem der Anbau der sogenannten Saubohne (Faba vulgar is) anzunehmen. In neolithischen Ansiedlungen wurde sie, wie oben gezeigt ist, in Aegypten i in einein Grab der XII. DynastieX in Kleinasien (im Burghiigel von Hissarlik, II. Stadt\ in Italien, Spanien und Ungarn nachgewiesen. Die Saubohne war ohne Zweifel em wichtiges Nahrungsmittel schon der Urzeit und wrurde daher mit Vorliebe auch zur Speisung der Todten ^Todtenopfer) verwendet (vgl. L. v. Schroder in der Wiener Zeitschr. f. d. Kunde d. Morgenl. XV, 187 ff., der auch tiber die Frage des Alters der einzelnen Bohnenarten in Europa aus- fiihrlich handelt). Ausserdem wurde von den Griechen und Romern noch eine Dolichosart (Dolichos melanophthalmos D. C.) angebaut, die griech. BoXi^oc; (^Theophr.), aju/.al x-r}TCaia und cpaaioXoc (Diosc.), lat. phaselus, faseohis. phasiolus hiess (vgl. v. Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 98). 2. Von Erbsen- arten ist bis jetzt nur die Garten e rb se (Pisum sativum L.), nicht die Feld- erbse (Pisum arvense L.), in praehistorischen Schichten Europas, aus neoli- thischer Zeit in den Schweizer Pfahlbauten von Mooseedorf und Liischerz nachweisbar. Auch in Hissarlik kommt sie vor. Doch wurde im Alterthum auch die Felderbse angebaut, wie z. B. die Hervorhebung ihrer unebenen und eckigen Samen durch Plinius XVIII, 123ff. lehrt (vgl. v. Fischer-Benzon S. 95). Aehnlich steht es mit der Kichererbse (Cicer arietinum L.), die ebenfalls bis jetzt in den Funden fehlt. Auch ob homerisch Ip^ivftos sie bezeichne, ist ungewiss. Unverkennbar wird sie erst bei Columella genannt (deer quod arietinum vocatur). Wahrscheinlich ist ihre Kultur von Italien nach dem Norden iibergegangen, worauf die Entlehnung von lat. cicer in ahd. chichhira, mengL chiche etc. hinweist. 3. Wichtig fiir die Richtung, in der Erbse und Linse sich in Alteuropa verbreitet haben, ist der schon von Hehn (oben S. 211 f.) hervorgehobene, durch die spatere Forschung bestatigte Umstand, dass die erstere hochstwahrscheinlich dem agyptisch-semitischen Kulturkreis fehlt, da- gegen im nordlichen Kleinasien (Hissarlik) vorkommt. Weitere Namen von Hiilsenfruchten in Europa: griech. oorcpia (armen. ospn, osbn cpaxoc?) und x^poTra Hiilsenfriichte; neben eps^ivfto; noch Xep-iv*o? (= lat. leg-umen?: aus dem griechischen Xo(3o£ Schotenhiilsen : kurd. lobia, armen. loubiaj Bohnen, Jaba-Justi S. 381) und yi'k-wd'oc, lip-^-froc, (: lit. zirnis Erbse?); griech. etvoc Erbsen- oder Bohnenbrei; griech. SoXt^o? eine an Stangen emporgerankte Bohnenart (s. o.); griech. xoafxo?, Tiuavo;: xuloj schwellen; slav. socivo Linse

220 Lorbeer. Myrte.

(von lat. deer u. s. w. oben S. 212 zu trennen): soku Saft (nach Miklosich, Et. W.). slanutuku Erbse oben S. 216 = salzlose Frucht (nach ebendemselben) ; alb. moduh Erbse = rum. mazdre (G. Meyer, Et. W. S. 284) u. s. w. Griech. ptxiov wohl aus lat. vicia und nicht umgekehrt (oben S. 216).

Die westfinnischen Sprachen haben die Namen der Htilsenfrtichte aus dem litauischen £irnis Erbse und lett. lezas Linsen, sowie aus russ. bob Bohne entlehnt. Letzteres Wort ist durch die Vermittlung der finnischen Sprachen wohl wieder ins Litauische (pupa) eingedrungen. Vgl. Thoniseu, Beroringer S. 251, 195, 210 und Kretschraer Einleitung S. 146. Fur Erbse haben ostfinnische Sprachen ein tatarisches Wort, von welchem ausgehend sie zuweilen die Bohne benennen. Vgl. Ahlqvist, Kulturworter S. 37 fF.

Lorbeer und Myrte.

(Laurus nobiliSj Myrtus communis L.)

In friihe Zeit fallt auch die Einfuhrung der Myrte und des Lorbeers, - - die eine der Aphrodite, die andere dem Apollo heilig, und beide, wie in Mignons Liede, so auch bei den Alten oft zusammen- genannt, z. B. Verg. Eel. 2, 54:

Et vos. o lauri, carpam, et te. proximo, myrte: Sic posltae quoniam suavis miscetis adores.

ober bei Horaz, Od. 3, 4, 18, wo die Tauben das schlafende Dichter- kind mit Lorbeer und Myrte bedecken:

ut premerer sacra Lauroque collataque myrto.

Beide gelangten im Gefolge wandernder religioser Kulte von Ort zu Ort welter ins griechische Land und wurden um die entsprechenden Heiligthiimer angepflanzt. Die Myrte, ihres balsamischen Duftes wegen so benannt, kam aus eben der Gegend, von wo die orientalische Naturgottin, die Aphrodite, stammte. In Lydien jenseits des Hermos in der Stadt Temnos hatte schon Pelops, des Tantalos Sohn, der Aphrodite aus lebendiger Myrte ein Bild gemacht, damit die Gottin ihm bei Bewerbung um die Hippodamia giinstig sei (Pausan. 5, 13, 4). In Cypern, dem Sitze der Astarte ward des Priester-Konigs Cinyras Tochter, die Myrrha, nachdem sie mit dem Vater in blutschande- rischem Umgang gelebt, um sie nach der Entdeckung vor der Ver- folgung desselben zu retten, in einen Myrtenbaum verwandelt, aus dem nach vollendeter Zeit Adonis geboren wurde (Serv. ad V. Aen.

Lorbeer. Myrte. 221

5, 72). Dasselbe erzahlte der Epiker Panyasis, nur hiess bed ihm der Vater Theias und 'war ein assyrischer (d. h. syrischer) Konig, die Tochter aber ward in den Myrrhenbaum, Smyrna, die arabische Myrte, verwandelt (Apollod. 3, 14, 4). Auch bei Hyginus (Fab. .58) ist Cinyras, ihr Vater, ein assyrischer Konig. Bei dem Fest der Hellotien, das in Kreta und Korinth, Statten altsemitischer Religions- iibung, der Mondgottin Europa gefeiert wurde, ward auch ein un- geheuerer Myrtenkranz mit aufgefuhrt, Hellotis genannt, nach dem gleich oder ahnlich lautenden Namen der Gottin selbst (Et. Magn., Athen. 15, p. 678 und Schol. zu Find. Ol. 13, 39). Auch die Namen der Amazonen, der Priesterinnen der kleinasiatischen Mond- gottin Myrina, deren Grabhiigel schon in der Ilias erwahnt wird, Smyrna, nach der die Stadt des Namens benannt sein sollte, u. s. w. weisen auf die mit dem Dienst der Gottin verkniipften Raucherungen, Salbungen und Bekranzungeri mit Myrrhen und Myrten. Als die drei uralten, der Insel Cythere gegeniiberliegenden Stadte, Side, nach der Tochter des Danaus genannt, Etis und Aphrodisias, beide von Aeneas, dem Sohne der Aphrodite, gegriindet, sich zu gemeinsamer Anlage einer neuen Stadt Boa, BoiaC, vereinigten, da zeigte ihnen ein Hase (ein aphrodisisches Thier), der sich in einem Myrtenbusch verbarg, den passenden Ort dazu an; die Myrte ward zu einem Gotterbilde geweiht und bestand noch zu Pausanias Zeit, unter dem Namen der Artemis Soteira (Pausan. 3, 22, 9). Polycharmus aus Naukratis erzahlte in seiner Schrift liber die Aphrodite, in der dreiundzwanzigsten Olyrnpiade habe Herostratus auf einer Kaufmanns- fahrt in Paphos in Cypern ein kleines Bild der Aphrodite erworben und sei darauf nach Naukratis unter Segel gegangen; nicht weit von der agyptischen Kiiste habe ihn plotzlich ein Sturm uberfallen, so dass die Schiffsleute zum Bilde der Aphrodite sich wandten. und die Gottin um Rettung anflehten; diese, die den Naukratiten hold war, habe darauf das ganze Schiff plotzlich mit grunen Myrtenzweigen und siissem Duft erfuilt wie im homerischen Hymnus auf Dionysos dieser das Schiff der den Gott verkennenden Seeleute ganz mit Weinlaub und Epheu fiillt , zugleich sei die Sonne wieder erschienen und die Fahrenden seien glucklich in den ersehnten Hafen eingelaufen; da habe Herostratus sowohl das Bild, als alle die Myr- tenzweige im Tempel der Aphrodite als Weihgeschenk niedergelegt und im Heiligthum selbst ein Mahl gegeben, bei dem die Gaste Myrtenkranze trugen, und solche Kranze seien seitdem naukratische genannt worden (wortlich aus Polycharmus bei Athen. 15, p. 675).

222 Lorbeer. Myrte.

Da dies in der 23. Ol. geschehen sein soil, also vor der Griindung des Delta-Emporiums, das den griechischen Namen Naukratis trug, so bestand hier also schon friiher eine Seestation mit Aphroditekultus, wie denn die ttnteragyptische Kiiste seit uralter Zeit mit Syrien, Phonizien und Cypern durch Schifffahrt und Wanderung verbundeii war und mit diesen Landern in religioser Wechselwirknng stand. Als im Verlaufe der Zeit die Aphrodite aus einer unter barbarischer Form angeschauten und mit zuchtlosen Brauchen verehrten Natur- potenz bei den Griechen immer mehr zur Personification weiblicher Schonheit und des Liebesgenusses geworden war, da fehlte auch nir- gends im uferreichen Lande bei Tempeln, in Garten und bald auch im Freien an den Felsenkiisten der Myrtenstrauch, wegen seines lieb- lichen Duftes, der freundlichen Gestalt seiner unverwelklichen immer- griinen Blatter, der weissrothen Bliithen und gcwiirzhaften Beeren allgemein beliebt und reichlich zu Schmuck und Kranzen verwandt, auch bei Gelegenheiten, wo Aphrodite nicht unmittelbar waltete. Nur der strengen Hera und der Artemis war begreiflicher Weise die Myrte verhasst und von ihrem Dienst ausgeschlossen, und in den seltenen Fallen, wo wir die keusche Artemis mit dem brautlichen Gewachs in Verbindung gebracht finden, da mag, wie bei der obigen Artemis Soteira in Boa, die Verwandlung der bewaffneten Aschera von Askalon,. der Gottin von Cythere, in eine griechische Gestalt nur eine andere Richtung genommen haben. Auch der Lorbeer ward wegen des scharfen aromatischen Geruchs und Geschmacks seiner immergriinen Blatter und Beeren friihe ein Gotterbaum. Der starke Duft seiner Zweige verscheuchte Moder und Verwesung, und derjenige Gott, der aus einer Personification der die Seuche senden- den und also auch von ihr wieder befreienden Sonnenglut allmahlich zum ernsten Gott der Suhne fiir sittliche Befleckung und Erkrankung geworden war, Apollo, der Leto Sohn, Apollo Katharsios, erwahlte sich diesen Baum als Zeichen und magisches Mittel der von ihm ausgehenden Reinigungen. Zwar im ersten Buch der Bias, wo das Heer der Achaer sich entsiindigt (dTtehvfjiawovTo) und die Avfjiara in- Meer geworfen werden, ist von dem Lorbeer nicht die Rede, aber in der Sage von Orestes, dem von den Erinyen umgetriebenen und dann durch Apollo von Wahn und Schuld geheilten Mutter- morder, hat auch der Lorbeer, der Baum der Siihne, seine Stelle. Als Orestes in Trozen in einem eigenen Gebaude, Gxqvij des Orestes genannt, da den Befleckten kein Burger in sein Haus aufnehmen "wollte, vom Mutterblute gesiihnt worden war und die xa&dQGta in

Lorbeer. Myrte. 223

die Erde vergraben waren, sprosste von ihnen ein Lorbeerbaum auf, der noch zu Pausanias' Zeit vor der (fxyvrj zu sehen war (Pausan. 2, 31, 11). Apollo selbst, da er den Python erlegt hatte, bedurfte der Siihne des vergossenen Blutes: auf Geheiss des Zeus (xara TTQOG- vayiJia xov Jtog) elite er - - wie die Thessaler erzahlten - - nach der thessalischen Hestiaotis in das Thai Tempe, kranzte sich dort mit dem Lorbeer neben dem Altare, nahm einen Zweig des Baumes in die Hand und zog auf der pythischen Strasse als herrlicher Orakel- fiirst in Delphi ein (Ael. V. H. 3, 1). Diesen mythischen Vorgang wiederholen die Delphier alle acht Jahre in einer eigenen heiligen Darstellung: ein delphischer Edelknabe zog, wie einst der Gott, mit der Theorie der Daphnephoren zu dem Altare im Thai Tempe, brach sich den Suhnzweig von dem Baume und kehrte auf dem vom Mythus bezeichneten heiligen Wege von einer apollinischen Kultstatte zur anderen zum delphischen Tempel zuriick (0. Miiller, Dorier, 2. Ausgabe, 1, 204 fr*.). Griechenland bedeckte sich, je dichter die apollinischen Heiligthihner in alien Landschaften ausgestreut waren, u in so mehr mit gepflanzten, duftenden, immergrunen Lorbeer- waldchen. Weil der Baum einmal dem Gotte gehorte, nahm er auch Theil an dessen iibrigen gottlichen Neigungen und Verrich- tungen. Der Lorbeerstab (alaaxog) verlieh dem Seher und Weis- sager die Kraft, das Verborgene zu schauen; Apollo selbst gab seine Orakel vom Lorbeer her (Horn. hymn, in Apoll. 396) und im Aller- heiligsten um und an dem Dreifuss, von dem die Pythia weissagte, schlangen sich Lorbeerzweige. Die Tochter des Sehers Tiresias, die Manto, wurde von Andern auch Daphne, der Lorbeer, genannt: als die Epigonen Theben eingenommen hatten, weihten sie diese Daphne nach Delphi und dort weissagte sie seitdem die Zukunft, Homer aber entlehnte manchen ihrer Spriiche und verwob sie in seinen epischen Gesang (Diod. 4, 66). Und da die Dichter auch Seher sind und Apollo, der Musenfiirst, sie erfiillt, so wurde der Lorbeerzweig und der Kranz aus Lorbeerblattern auch das Abzeichen der Sanger, das die musische Begeisterung weckende Zaubermittel. So gaben die Musen dem Hesiodus, wie er selbst riihmt, den helikonischen Lorbeer in die Hand, auf dass er mit Gotterstimme das Zukiinftige und das Vergangene verkiinde (Theog. 30). Bei apollinischen Festziigen, Opfern, Wettspielen, Anrufungen und Besprengungen, Abwendungen von Uebel und Krankheit an Menschen und Pflanzen u. s. w. dienten Lorbeerreiser als nirgends zu missendes Wahrzeichen der Gegenwart des Gottes. Gediehen diese an einer giinstigen Stelle besonders gut,

224 Lorbeer. Myrte.

dann bildete sich bald die Fabel, hier sei die Daphne urspriinglich entstanden und geboren worden: so erzahlten die Arkader, Daphne sei die Tochter ihres Flusses Ladon und der Erde gewesen und dort in einen Lorbeerbaum verwandelt worden (Serv. ad V. Aen. 2, 513. Pausan. 8, 20, 2.). 'Nach Python aber war der Lorbeer von Thessalien iibertragen worden, wie die Sage in mancherlei Wendungen iiberein- stimmend berichtet: der Kranz der Sieger in den pythischen Spielen war Anfangs aus Tempe beschafft (Argum. Pind. Pyth.) oder be- stand aus Eichenlaub, da der Lorbeer dort noch fehlte (Ov. Met. 1, 449) u. s. w. Der Scholiast zu Nic. Alex. 198 sagt geradezu: @eGffaA,txrjg, dtort, TIQWTOV sxel svQsO't] TO (pvtov. Der Lorbeer war also ein thessalisches Gewachs: weiter fuhrt vorlaufig die Spur nicht. Begeben wir uns auf italischen Boden, so waren diesem sowohl Aphrodite als Apollo urspriinglich fremd. Erst die griechischen An- siedelungen brachten beide Gottheiten und mit ihr die Myrte und den Lorbeer in die westliche Halbinsel. Die Vorstellungen der cam- panischen Griechen von des Aeneas, des Sohnes der dardanischen Aphrodite, Wanderfahrt und Niederlassung in Italien, der weite Ruhm und Einfluss des von den Phoniziern gegriindeten, dann von den Griechen ubernommenen Heiligthums der Venus Urania in Eryx auf Sicilien, die von dort ausgehenden neuen Stiftungen, dies Alles konnte nicht verfehlen, wie den Kultus der Gottin, so auch ihr Lieblings- symbol unter den Bewohnern des Westens zu verbreiten. Zu aller- erst sollte die Myrte in diesen Gegenden auf der Insel der Circe, dem Vorgebirge siidlich von den pontinischen Siimpfen, am Grabe des Elpenor, des jugendlichen Gefahrten des Odysseus, der wein- und schlaftrunken vom Dache gestiirzt war (Od. 10, 552 ft'.), erschienen sein, Theophr. h. pi. 5, 8, 3 und nach ihm Plin. 15, 119: primum Circeis in Elpenoris tumulo visa traditur Oraeciimque ei no men r em a net quoperegrinam esseadparet. In den grossgriechischen Stadten war auch Apollo ein viel verehrter Gott, dem die fromme Hand der Tempelstifter und der ihn mit Opfern und Gebet An- gehenden seinen Baum zu pflanzen gewiss nicht unterliess. In Rhegium sollte Orestes vom Mutterblute gestihnt worden sein, wie in Athen und Trozen; er griindete dort dem Apollo einen Tempel, aus dessen geweihtem Hain die Rheginer, wenn sie nach Delphi pilgerten, den Lorbeer mitzunehmen pflegten (Varro bei Prob. Verg. Eel. Prooem.); Miinzen der Brettier, von Nola u. s. w. zeigen den Apollokopf mit Lorbeerkranz (Mommsen, Romisches Miinzwesen, S. 130, 165 u. s. w.); in Cuma, der Heimath der sibyllinischen Spriiche,

Lorbeer. Myrte. 225

stand der Tempel des weissagenden Gottes auf der Burghohe liber dem Meere; von dort her ergoss sich griechische Bildung nach Cicero's Ausdruck nicht als diinnes Bachlein, sondern in vollem Strom liber die Barbaren und trug ihnen vor Allem die Verehrung der reinsten griechischen Gottergestalt und deren Attribute zu. Der Lorbeer fand bald seine Stelle in den zahlreichen dem Apollo glauben wahlverwandten Lustrations- und Suhnungsgebrauchen der latinisch- sabinischen Religion, in dem Dienst der Laren, in der Feier der Palilien und Poplifugien, bei Triumphzugen siegreicher Heere und Feldherren denn er reinigte von dem im Kriege vergossenen Blute, wie die Myrte, das Symbol der Vereinigung und des Gliickes, denjenigen schmiickt, der den Feldzug ohne Schwertschlag beendigt hat , und ward auch nach dieser reinigenden Kraft benannt56). So konnte um 300 vor Chr. Theophrast (an dem so eben ange- flibrten Orte) schon sagen, die latinise he Ebene sei reich an Lorbeer- und Myrtenbaumen und die Berge an Tannen und Fichten. Anderthalb Jahrhunderte spater nnden wir bei Cato drei Lorbeerarten genannt, laurus Cypria, Delphica, silvatica, von welchen Namen die beiden ersten sich selbst erklaren, der letzte aber wohl auf Viburnum Tinus L. geht (Plin. 15, 128: tinus; hanc silvestrem laurum aliqui intelligunt), wie auch die wilde Myrte, (JbvqoCv^ dygCa des Dioskorides, nichts ist als der Mausedorn, Ruscus aculeatus L. Dass der Lorbeer nicht etwa in Italien einheimisch war, beweist auch die Analogic der Insel Corsica, wo die ursprungliche Wildniss sich bis in die historische Zeit erhielt und an welcher Italien daher, wie immer Continente an gegeniiberliegenden Inseln, ein Spiegelbild seiner eigenen Vorzeit hatte: auf Corsica wuchs keine Art Lorbeer, gedieh aber spater nach der Einfiihrung ganz wohl, Plin. 15, 132: notation antiquis nullum genus laurus in Corsica fuisse, quod nunc satum et ibi provenit. In Italien war der Lorbeer immer ein Tempel- und Gartenbaum, und der nordische Wallfahrer, der von hesperischen Lorbeerwaldern traumt, wird sich in dieser Hinsicht sehr getauscht finden. Auch in Griechenland ist laurus nobilis im wilden Zustande meistens nur ein grosserer Strauch, wachst aber wohf unter giinstigen Umstanden zu einem stattlichen Baum heran. Fraas (Synopsis plan- tarum florae class, p. 288) fand ihn im siidlichen Griechenland selten, erst im nordlichen, namentlich im phthiotischen Thessalien, wald- almlich versammelt und Haine bildend, » we nigs tens in der Nahe vonKlostern, die sich ihre Zucht angelegen sein lassen.« Zur Zeit Hesiod's muss der Baum in Bootien am Helikon schon nicht

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 15

226 Lorbeer. Myrte.

ungewohnlich gewesen sein, da der Dichter (Op. et d. 435, also in einer der echtesten Partien des Gedichts) die Vorschrift giebt, die Deichsel des Pfluges aus Lorbeer- oder Ulmenholz zu machen, als dem Wurnifrass nicbt ausgesetzt. Auch die Hohle des Cyclopen in der Odyssee ist schon in Lorbeer versteckt, 9, 182:

Sahn wir am Ufersaum in der Nahe des Meeres die Hohle,

Hoch und von Lorbeerbaumen umwolbt.

Der Baum kam, wie wir vermuthen, aus Kleinasien nach Europa hinuber, wobl als Begleiter einer lustrirenden Religion, sei es mil wandernden Thrakern oder Karern oder Kretern u. s. w. Von dem Seher Branchus, dem mythischen Stifter des Branchiden-Orakels bei Milet, welches die ionischen Einwanderer als karisches Institut schon vorfanden, berichtet die Sage, er habe bei einer Pest in Milet die Milesier mit Lorbeerzweigen besprengt und gereinigt (Clem. Alex. Strom. 5 p. 570 B. ed. Paris. 1629. fol.). Eine andere Erwahnung des Lorbeers in der Argonautensage fiihrt auf den thrakischen Bos- porus. Dort wohnte in der Vorzeit das mythische Volk der Bebryker, nach Strabo thrakischen Stammes, deren Konig Amykos, Sohn des Poseidon, sich mit Polydeukes in einen fur ihn todtlichen. Faustkampf einliess - - wie Apollonius Rhodius am Anfang des zweiten Buches der Argonautica ausfuhrlich erzahlt. Die Helden kriinzten sich nach dem Siege mit dem Laube eines am Ufer wachsenden Lorbeers, an dem sie ihr Schiff mit Seilen befestigt hatten, und sangen zu Orpheus Leier den Hyrnnus (v. 159). Dazu bemerkt der Scholiast nach dem einen von zwei alteren Autoren, die jenes Lokal in ihren Schriften behandelt hatten : es stehe dort wirklich ein hoher Lorbeerbaum an einem noch bewohnten Orte, der Amykos heisse, fiinf Stadien vom Chalcedonischen Nymphaum entfernt; nach dem andern: es befinde sich dort ein Heroon des Amykos mit eiriem Lorbeer, und wer von demselben ein Reis breche, verfalle in Schmahungen (slg koidoQiav dvtorrjGi,). Nach Plinius wuchs der Lorbeer seit Bestattung des Amycus auf dessen Grabe und hiess der unvernunftige, weil, wenn ein Reis davon aufs Schiff gebracht wurde, sogleich Zank entstaiid, bis es wieder weggeworfen wurde, 16, 239: in eodem tractu portus Amyci est Bebryce rege inter fecto clarus: ejus tumulus a supremo die lauro tegitur quam insanam vacant, quoniam si quid ex ea decerptum inferatur navibus, jurgia fiunt, donee abiciatur. Der Lorbeer hat auch hier die Bedeutung der Siihne nach geschehener Todtung: dass er aber zu bosen Reden verfiihrt, und insana oder [tawo/Lievrj heisst (bei Arrian. peripl. Ponti Eux. und Steph.

Lorbeer. Myrte. 227

Byz.) kommt daher, well er auf dem Grabe oder beim Sacellum des prahlerischen, streitsiichtigen Riesen wuchs. Noch welter nach Nord- osten bei Panticapaum (dem heutigen Kertsch in der Krirn) hatte man, wie Theophrast h. pi. 4, 5, 3 berichtet, Myrte und Lorbeer anzupflanzen versucht, zum Zwecke priesterlicher Verrichtungen (rrgbg rag fegoffuvag, namlich des Apollo und der in Panticapaum vielver- ehrten Aphrodite), aber der Versuch misslang, ofFenbar der skythischen Winter wegen. Plinius wiederholt diese Nachricht, mischt aber selt- samer Weise den Konig Mithridates ein, 18, 137: circa Bosporum Cimmerium in Panticapaeo urbe omni modo Idboravit Mithridates rex et ceteri incolae, sacrorum certe causa, laurum myrtumque hdbere: non contigit. Hing diese Anpflanzung falls Plinius nicht aus irgend einem Missverstandniss, wie ihm dies nicht selten begegnet, den Mithridates herbeigezogen hat57) mit der Religion des pon- iischen Konigs, der vom persischen Stamme war, zusammen, so wird auch von den Persern selbst erwahnt, sie bedienten sich bei gewissen heiligen Handlungen der Myrten und Lorbeerreiser, die sich also doch in ihrem Lande finden mussten (Herod. 1, 132. Strab. 15, 3, 14). Die uferliebende Myrte (amantis lit or a myrtoSj litora myrtetis laetissima) und auch der Lorbeer sind Gewachse eines milden, von Extremen freien Himmelsstrichs. Die Myrte ist in dieser Beziehung wie auch Theophrast h. pi. 4, 5, 3 bemerkt, noch zartlicher als der Lorbeer. Die erstere verbreitete sich, wenn wir uns nicht tauschen, von Siidosten her uber die Felsenufer des mittellandischen Meeres; der andere, haufig nicht bloss in Cilicien, wo er fast bis an die be- ruhmten cilicischen Thore reicht, in dem apollinischen Lycieri, an den Gestaden Kleinasiens bis Troas hinauf, sondern auch am Siid- rande der Propontis und des Pontus bis Georgien, wo er aufhort (s. Tchihatscheff, Asie mineure, botanique II. p. 445 und die daselbst angefiihrten Werke von Sestini, Grisebach und Koch), ward zuerst in den Norden der hellenischen Halbinsel und weiter nach Sliden und Westen getragen, ohne indess in Europa im freien Stande, sowohl was die Zahl als die Pracht der Exemplare betrifft, so frohlich xu gedeihen, wie in Vorderasien.

Die Frage, ob das geringere Abbild der Myrte, der immer- griine Buchsbaum, der siideuropaischen Flora urspriinglich an- gehort, werden alle Botaniker unbedenklich mit Ja beantworten: dem Historiker ist die Sache noch nicht so ausgemacht. Beim ersten Blick muss auf fallen, dass die lateinische Benennung buxus (oder in der altern, volksmassigen Form buxum) von den Griechen,

15*

228 Lorbeer. Myrte.

bei denen das Gewachs nv^og heisst, entlehnt 1st derm an eine- Urverwandtschaft beider Worter wird Niemand denken wollen - und dass also ein in Italien einheiniischer Strauch oder Baum einen fremden Namen tragt. Das Holz des buxus wurde seit dem frtihen Alterthum wegen seiner Harte, Dichtigkeit, Schwere, uriverganglichen Dauer und wegen der fehlerlosen Glatte der daraus gefertigten Flatten hochgeschatzt : es war das nordische und abendlandische Ebenholz; es diente zu Werkzeugen aller Art, zu Cithern und Floten, Schmuckkastchen, Tafeln, Thiirpfosten, Gotterbildern, wie auch heut zu Tage die Holzschneidekunst es nicht entbehren kann; Grundes genug das Baumchen zu verbreiten, welches nach Theophrast h. pi. 3r 6, 1 zu den evav^rj gehort d. h. zu solchen Gewachsen, die sich leicht vermehren, und also, nachdem es in einer dunkeln Periode, aus der es keine Urkunden giebt, von Menschen weiter getragen worden, in, historischen Zeiten leicht sich auf dem neuen Boden als freigeboren darstellte. Wenn es aber von Asien herubergekommen war, in welcher Gegend dieses Festlandes lag der Punkt, von dem seine Wanderung ausging? Theophrast in dem wunderbaren Abschnitt seiner Pflanzengeschichte, wo er das Bild einer Pflanzengeographie entwirft, die schon das ungeheure Reich Alexanders des Grossen und einen Theil der Welt dariiber hinaus umfasst, wir meinen die ersten Kapitel des vierten Buches , rechnet 4, 5, 1 die Tiv^og unter die <ft,koipv%Qa d. h. unter die Gewachse nicht des warmen, sondern des kalten Himmelsstrichs, und im vorhergehenden Kapitel hatte er berichtet, der griechische Epheu lasse sich in den babylonischen Garten wegen der iibergrossen Milde des Klimas gar nicht, der Buchs- baum und die Linde aber nur mit grosser Schwierigkeit ziehen (4, 4, 1). Aehnlich aussert er sich de caus. pi. 2, 3, 3: in den heissen Landern, wo die Dattelpalme gedeiht, kommen Buchsbaum und Linde schwer fort. Der Buchsbaum war also kein Gewachs des warmen semitischen Landstrichs, und der im Alten Testament Jes. 41, 19. 60, 13 und in etwas anderer Form Ezech. 27, 6 genannte Baum kann schon aus diesem Grunde nicht Buxus sein, wie Bochart und nach ihm Celsius wollten. Aber auf den Gebirgen des pontischeii Klein- asiens wucherte der Baum in unermesslicher Fiille, und erreichte in Hohe und Dicke ein Wachsthum, wie nirgends in Griechenland. Dort in Paphlagonien, bei der Stadt Amastris, wrar besonders das Cytorusgebirge, welches nahe an das schwarze Meer herantritt, wegen seiner Buxuswaldung beruhmt (Theophr. 3, 15, 5, Strab. 12, 3, 10,

Catull. 4, 13:

Amastri Pontica et Cytore buxifer,

Lorbeer. Myrte. 229

Verg. Georg 2, 437:

Et juvat undantem buxo spectare Cytorum

und wie es hiess: Eulen nach Athen oder Fische in den Hellespont tragen, und wie wir sagen: Holz in den Wald tragen, so gait nach Eustathius ad II. 1, 206 auch das Spriichwort: Du hast Buchsbaum auf den Cytorus gebracht, TTV^OV dg KVTCOQOV ^yaysg). Zu dem Cytorus fiigt Plinius noch das Berecyntus-Gebirge in Phrygien am Flusse Sangarius, 16, 71: buxus . . . Cytoriis montibus pluruma et Berecyntio tractu. Ebenso die Dichter: Verg. Aen. 9, 619:

buxusque vocat Berecyntia matris Idaeae,

Ovid, ex Pont. 1, 1, 45:

pro sistro phrygiique foramine buxi.

Da nun die Paphlagonier schon bei Homer Bundesgenossen der Troer sind und von den dortigen Henetern die Maulthiere stammten, so erklart sich, dass schon das Epos, obgleich in einem seiner jiingsten Theile, dem 24. Buch der Ilias, dem alten Priamus einen maulthier- bespannten Wagen giebt mit einem aus Buxus gearbeiteten schon yerzierten Joche (v. 268). Noch im Mittelalter heisst es bei Marco Polo, 1, Cap. 4: In der Provinz Georgien bestehen alle Walder aus Buchsbaum wozu der neueste Herausgeber H. Yule die Notiz fiigt: Buchsbaumholz fand sich in den abchasischen Waldern so reichlich und bildete einen so wichtigen genuesischen Handelsartikel, dass die Bai von Bambor, nordwestlich von Suchum Kale, iiber welche dieser Handel ging, den Namen Chao de Bux (cavo di Bussi) erhielt. Auch auf dem macedonischen Olympus wuchs der Buchsbaum schon zu Theophrasts Zeit, aber verkiimmert, niedrig, knotenreich und darum den Technikern nicht nutzbar (Theophr. h. pi. 3, 15, 5. 5, 7, 7). In clem mehr siidlichen Griechenland, dem Gebiet des heutigen Konigreichs, ist Buxus sempervirens ungewohnlich ; von dem West- lande aber und insbesondere von der Insel Kyrnos hat Theophrast gehort, dort wachse der hochste und schonste Buchsbaum, der jeden anderen an Lange und Dicke iibertrerle, und davon babe der dortige Honig seinen iiblen Geruch (h. pi. 3, 15, 3). Den Griechen, die einen Theil der Kiisten Italiens, Galliens und Spaniens schon friihe mit Kolonien besetzt hatten, blieb doch das Innere der genannten Lander lange und bis in die jungste Epoche fast unbekannt, und noch zu Theophrasts Zeit ruht ein Schleier dartiber, der den Schrift- stellern des Mutterlandes nur momentane einzelne Blicke gestattet. Besonders Corsica war dainals noch ein halb mythisches Land, auf

230 Lorbeer. Myrte.

welches nach der uralten Anschauung der Identitat des aussersten Westens mit dem aussersten Osten gewohnheitsmassig die Naturgaben des Pontus, in diesem Fall das gepriesene Holz des Buchsbaums iibertragen werden konnten. Denn auch im Pontus hatte der Honig seinen widrigen Geruch von dem Buchsbaum (Aristot. de mir. auscult. 18, wiederholt von Aelian n. a. 5, 42), und noch ein so spater Schriftsteller wie Diodor (oder vielmehr der sicilische Geschichts- schreiber Timaeus, welchen Diodor hier ausschrieb) berichtet 5, 14 iiber Corsica wie iiber ein Phantasieland, in dem tugendhafte und gerechte Menschen leben, gleich den Abiern und Hyperboreern, und die einfachen Sitten der Hirtenwelt herrschen. Sei es nun, dass auf diese Art die Phantasie in die gefiirchteten dichten Wai der der Insel den Buchsbaum nur hineinschaute, oder class wirklich die jetzt den balearischen Inseln eigenthiimliche, friiher vielleicht weiter iiber die atlantisch iberische Welt, wie Korkbaum und Speiseeiche, ver- breitete Art, die die Botaniker Euxus balearica nennen, auch auf Corsica sich fand - - auf jeden Fall gehort der Zusammenhang zwischen dem bitteren Honig und dem Buchsbaum der Insel in das Reich der Fabel, ja jene Eigenschaft des Honigs selbst ist nur von der gleichen des pontischen abgeleitet. Dass aber wenigstens an der italischen Kiiste und zwar bei dem heutigen Policastro in Kalabrien im funften Jahrhundert vor Chr., zwei bis dreihundert Jahre nach der ersten Ankunft der Griechen in jenen Gegenden, der Buchsbaum wuchs, geht aus dem Namen der Stadt IlvZovg, bei den Italern Buxentum, hervor: dieser von Mikythos, Tyrannen von Messana, 01. 78, 2 oder 467 vor Chr. gegriindete Ort war ohne Zweifel nach dem in der Umgegend vorgefundenen Buxus benannt. Bei den spateren Romern diente der lebendige Strauch, wie noch heute, zu Einfassung von Gangen und Beeten und wurde nach dem Geschmack der damaligen Gartenkunst von der Hand der topiarii und viridarii zu mannigfachen Gestalten, Thierbildern, sogar Buchstaben zu- geschnitten, woriiber der jiingere Plinius in der Schilderung seiner tuscischen Villa, Ep. 5, 6, uns ein belehrendes Document hinterlasseii hat. Ein so allgemein verwendetes Gewachs und ein so gesuchtes Holz musste sich nach und nach in passenden Localitaten Dasein und Raum schaffen. Der altere Plinius wiederholt nach seiner Art die Angaben, die er bei Theophrast fand, darunter auch die vom corsischen Buchsbaum; Einiges aber fiigt er auch selbstandig oder aus anderen Quellen hinzu, was iiber die damalige Verbreitung des Baumes Licht giebt, 1.6, 70 (wir geben hier den Text nach Detlefsen):

Lorbeer. Myrte. 231

fi'hi ejus genera: gallicum quod in metas emittitur amplitudine proceriores; oleastrum- in omni usu damnatum gravem praefert odor em; tertium genus nostras vacant, e silvestri, ut credo, miti- gatum satu, diffusius et densitate parietum, virens semper ac ton- sile. Buxus Pyrenaeis ac Cytoriis montibus plurima (u. s. w., s. o.). Die gallische Art halten wir fiir die balearische, die edler, hoher und gegen die nordische Kalte empfindlicher ist, als die gemeine, und eben dahin mag der Buchsbaum der Pyrenaen gehort haben: die beiden anderen unterschieden sich nach Plinius eigener Andeutung nur wie Verwilderung und Kultur. In den achtzehn Jahrhunderten seit Plinius hat sich der Buchsbaum an den Kiisten Frankreichs, Englands, ja Irlands in volliger Freiheit angesiedelt; da ihn dorthin sicher erst menschlicher Verkehr gebracht hat, so wird es nicht un- verniinftig sein, fiir eine viel friihere Zeit eine ahnliche Wanderung von Kappadocien in das europaische Mittelmeergebiet anzunehmen. Dass die europaische Benennung des Baumes in alien Sprachen aus der lateinischen stammt, kann nicht verwundern; interessanter aber ist, wie seit dem Mittelalter das beliebte Material allem urspriing- lich daraus Gefertigten den Namen lieh. So im Deutschen. Buchse (in alien Bedeutungen, auch in der des Feuergewehrs) : franzosisch boite die Schachtel, hotter hinken (d. h. aus der Pfanne, botte, bringen oder gerathen); boisseau der Scheffel, englisch bushel; boussole der Kompass, spanisch bruxula: buisson der Strauch, ital. buscione; buste, ital. busto die Biiste (nach Diez); slavisch pusika, pusJca die Kanone, puskari der Kanonier, magyarisch pusJca (aus dem deutschen buhsa, puhsa) und manches Andere58).

* Lorbeer. Fiir den Lorbeer, Laurus nobilis L., liegen ahnliche palaoiitologische Thatsachen vor, Avie fiir den Weinstock, welche die prahistorische Existenz dieser Pflanze in Italien und Siid- frankreich beweisen. Im Travertin um Fiano Romano, am rechten Tiber- ufer, wurden in den obersten weissen Schichten Blatter des Lorbeer gefunden (Clerici, II travertino di Fiano Romano, Boll, del R. Com. geol. d'ltalia ser. II vol. VIII., Roma 1877 p. 99 121), desgleichen am Fuss des Quirinals in einer Tiefe von 20 31,5 m (Clerici, sulla natura geologica di terreni incontrati nella fondazioiie del palazzo della Bauca nazionale in Roma, Boll. <lel R. Com. geol. ser. II vol. VII., Roma 1886 p. 369—377). Ferner wurde der Lorbeer constatirt in den Travertinschichteii zu Jano bei Florenz (Ristori, Filliti dei Travertini toscani, P. V. Pisa vol. V. 1885—87, p. 114—115). End- lich existirte er auch zur pliocenen Zeit nordwestlich von Bologna, woselbst er fossil in den Argille turchiue von Mongardmo gefunden wurde (Cavara, le sabbie marnose plioceniche di Mongardino e i loro fossili, Boll. soc. geoL

232 Lorbeer. Myrte.

ital. V. 1886, p. 265—275). In Frankreich fand man die Blatter des Lorbeers zusammen mit denen der Feige und denen von Eichen im De~partement 1'Herault in quaternaren Tuffeii des Vis-Thales (Boulay, Notice sur la flore des tufs quaternaires de la vallee de la Vis, Annales de la Soc. des sc. de Bruxelles, 1887 p. 186—199; Annal. geol. univ. t. IV. p. 901). Desgleichen wurde der Lorbeer in den Tuffen von Montpellier, Aygelades, des Arcs, im Pliocen von Meximieux und von Valentine bei Marseille nachgewiesen. Audi der heut noch auf den Kanaren wildwachsende Laurus canariensis L. wurde in quartaren Tuffeii der Provence, Liparis und Toscanas gefunden. Diese fossilen Funde haben durchaus nichts Befremdendes, weil in den vorangehenden Perioden der Tertiarzeit die Lorbeergewachse auch in Mitteleuropa reichlich vertreten waren, mit Sicherheit in der Schweiz bei Oeningen und sogar im Samlande existirten. Durch die wahrend der Glacialperide in Mitteleuropa herr- schenden Verhaltnisse koiinte wohl das Area! des Lorbeers im nordlicheii Theil des Mediterrangebietes eingeschrankt, sicher aber nicht die Pflanze aus Europa verdrangt werden; zudem konnte der Lorbeer bei der Verbreitungsfahigkeit seiner fleischigen Friichte sich mit dem Riickgange der Vergletscherung der Alpenlander auch wiederum im nordlichen Mittelmeergebiet ansiedeln. Heutzutage ist der Lorbeer sicher wild in der immergriinen Region der Kiistenlander Kleinasiens, im nordlichen Kleinasien bis an die Stidostecke des schwarzen Meeres (Imeretien, Colchis der Alten) und im Kiistengebiet von Syrien. Auf der Krim findet er sich nur bei dem Dorf Alupka haufig um Ruinen und ist vielleicht dort nicht wirklich einheimisch. Haufig ist er im siidlichen Thracien und Macedonien, in vielen Theilen Griechenlands (selten in Attica) und auf den griechischen Inseln. In Istrien findet sich der Lorbeer strauchartig stellenweise in Menge an Waldrandern und in Gebiischen bis zu 100 m Hohe, und bei Abbazia ist es vorzugsweise der Rest eines alten Lorbeer waldes, welcher dem kleinen Kiistenstrich einen so siidlichen Charakter verleiht; auch in Dalmatien wird der Lorbeer mehrfach wild angetroffen, namentlich aber auf den Inseln Brazza und Lesina. In Italien ist der Lorbeer sicher wild in den warmeren Theilen und auf den Inseln, so namentlich auch in den Waldern Sardiniens. Nordwarts reicht in Italien der Lorbeer bis in das Gelande des Gardasees; im Gebiet von Brescia und Verona ist er stellenweise so haufig, dass man ihn auch dort fur heimisch halten mochte. In Spanien ist der Lorbeerbaum unzweifelhaft wild in den schattigen Uferwaldern von Algesiras, wo er bis zu 600m Hohe aufsteigt und sich nach Willkomm zu Baumen von 16 bis 22 m Hohe entwickelt. Auch in Portugal ist er sicher spontan. In Marokko ist der Lorbeer nach Ball (Spicileg. florae marpccanae p. 655) wahrscheinlich wild bei Tetuan am Fuss des Berges Beni Hosmar. Sehr verbreitet findet er sich in dem Kiistengebiet von Algier und bildet stellenweise geradezu un- durchdringliche Walder mit einigen anderen immergriinen Geholzen. Schliess- lich sei noch erwahnt, class der Lorbeer kultivirt auch noch im westlichen Frankreich und siidlichen England aushalt; dies beweist, dass er durch die Verhaltnisse der Glacialzeit nicht aus Europa verdrangt werden konnte. Ma.u also auch der Kultus des Lorbeers von Kleinasien nach Europa gelangt sein, so ist doch sicher der Baum selbst schon lange vor

Lorbeer. Myrte. 233

der Einfiihrung seiner Verehrung in Sudeuropa heimisch ge- wesen; ja die Geschichte der Lorbeergewachse spricht viel mehr dafiir, dass der Lorbeer vom westlichen Europa nach Osten vor- gedrungeii ist und in Vorderasien seine Grenze gefunden hat.

Myrte. Betreffs der Myrte (Myrtus communis L.) ist nicht absolut sicher, dass sie schon zur Tertiarperiode in Sudeuropa existirte, da die bei 8t. George auf Madera und im Quartar von Montpellier fossil gefundenen und als Myrtus communis angesprochenen Blatter, desgleichen die bei Gaville in Toscana gefundenen Blatter des Myrtus Veneris Gaud, auch noch andere Deu- tungen zulassen. Es ist aber die Myrte in alien Macchien des Mittelmeergebietes und gerade an den von der Kultur am wenig- sten beriihrten Stellen so verbreitet, dass tiber ihr Iiidigeiiat in Europa bei einem Botaniker kein Zweifel aufkommen kann. In Vorderasien ist die Myrte weiter verbreitet, als der Lorbeer, sie findet sich auch im inneren Anatolien, am Libanon, in Mesopotamien bei Habebschi um 1300m, im siidwestlichen, siidlichen und 6'stlichen Persien, sowie in Afgha- nistan und Beludschistan. Sie fehlt auf der Krirn. Auf der Balkanhalbinsel findet die in Griechenland sehr haunge Myrte ihre Nordgrenze in Macedonien, Albanien und in Dalmatien, wo sie auf sonnigen felsigen Abhangen verbreitet ist ; besonders haufig ist sie auch noch auf den dalmatinischen Inseln. Ebenso ist sie verbreitet in Istrien in den Macchien der Westktiste uberall von Stig- nano bis Promontore, auch auf beiden Brioni, San Girolamo und den Inseln bei Veruda (Freyn, Flora von Stid-Istrien in Abhandl. der K. K. zool.-bot. Gesellsch. in Wien 1877, p. 337 (99). Sie komrnt auch noch an warmen Felsen bei Triest und Duino vor; wachst aber nicht mehr wild in Siidtirol, obgleich sie angepflanzt noch in der Nahe von Bozen aushalt. In Italien und auf den italienischen Inseln ist die Myrte in den Macchien so verbreitet, dass jeder Zweifel an ihrem Indigenat zurtickzuweisen ist; ebenso ist die Myrte sicher in Siidfrankreich in der Gegend von Montpellier und Narbonne heimisch. Auf der iberischen Halbinsel gehort die Myrte zu den charakteristischen Strauchern der in den Ktistenstrichen noch vorhandenen immergriinen Ge- holze. Von Galizien im nordlichen Spanien geht sie durch Portugal und vom siidlichen Catalonien tiber Valencia bis Granada. Haufig findet sich die Myrte auf Madera, fehlt dagegen auf Teneriffa. Verbreitet ist sie endlich auch im Kustengebiet Nordafrikas, sie kommt im nordlichen Marokko vor und in Algier gehort sie zu den gemeinsten Geholzen der stellenweise noch in urspriinglicher Dichtigkeit erhaltenen immergriinen Macchien.

Buchsbaum. Der Buchsbaum, Buxus sempervirens L., ist nebst der grosy- blattrigen B. bakarica Lam. in Europa der einzige Vertreter der nur 27 Arten /iihlenden Familie der Buxaceae; die 19 Arten zahlende Gattung Buxus ist sehr formenreich auf den westindischen Inseln und hat ausserdem Vertreter auf Madagascar, Socotra und in Asien von Kleinasieu bis Japan. Unser ge- wohnlicher Buchsbaum war schon in der Tertiarperiode in Europa heimisch; man hat ihn fossil gefunden in Tuffen von La Celle bei Paris in Gesellschaft der Ficus Carica (Saporta in Bull. soc. geol. de France ser. Ill vol. 2 (1873—74) p. 442), in den Tuffen von Montpellier und in einer nur wenig abweichenden Form im Pliocen von Meximieux. Auch in Italien kommt er fossil vor in den vulkanischen Tuffen von Peperino auf der via

234 Lorbeer. Myrte.

Flaminia, 6 Kilometer von Rom, sowie im Travertin am Fiano Romano am rechten Ufer der Tiber (Clerici, II travertine di Fiano romano, in Boll. dell. R. Com. geol. d'ltalia, ser. II vol. VIII (1881). Gegenwartig ist der Buchsbaum als wildwachsender Strauch oder als Baumchen weit verbreitet. An das Vor- kommen der im nordwestlichen Himalaya von 1300 2GOO m wachsendeii und vielleicht nur als Varietat des gewohnlichen Buchsbaumes anzusehenden B. Wallichiana Baill. schliesst sich zunachst ein Fundort in Afghanistan an; dort wachst er bei Kabul um 1300 m Hohe. Sodann wurde er im nordostlichen Persien, bei Siaret, in Ghilan und im persischen Talysch angetroffen, im letzte- ren bisweilen in kleinen Bestanden bis zu 1000 m Hohe. Die Daten fiber sein Vorkommen im Gelande des Kaukasus wurden sehr sorgfaltig von K op pen (Geogr. Verbreitung der Holzgewachse des europaischen Russland und des Kaukasus II, S. 1 4) zusammengestellt. Hiernach ist in der Kustenzone des westlichen Transkaukasiens bis 1300 m Hohe und nordwarts bis zum Fluss Psesuape verbreitet. An der Ktiste des schwarzen Meeres selbst finden sich in Folge der schonungslosen Verwerthung des kostbaren Buchsbaumholzes nur noch kleine Bestande als Unterholz unter Eschen, Buchen, Eichen etc./ auf der zweiten Terasse, um 800 m dagegen ist er noch haufig und ent- wickelt bisweilen Stamme von 6 7 dcm Durchmesser. Im ostlicheii Kaukasus und auch nordlich desselben findet sich der Buchsbaum ebenfalls mehrfach> aber meist in der Nahe friiherer Kulturstatten ; er wird daher von Einzelnen als dort verwildert angesehen. Ueber das Vorkommen des Buchsbaums in Kleinasien wissen wir wenig, wir haben nur Angaben fiber sein Vorkommen in Karien und Bithynien; sodann finden wir ihn wieder bei Constantinopel,. in Macedonien, auf dem thessalischen Olymp und im Pindus, dann an trocke- nen Abhangen bei Gornja Voda in Albanien und auf den dalmatinischen. Inseln, besonders auf Arbe. Ferner kommt er in Istrien auf steinigen Hiigeln,. stellenweise dichte Gebusche bildend, vor, sodann im osterreichischen Littorale. Haufiger findet er sich dann im mittleren und nordlichen Italien von der Kastanienregion und Eichenregion bis in die subalpine Region, desgleichen in Sudtirol, wo er vom Gardasee zerstreut bis zur Region des Knieholzes auf- steigt, in der Westschweiz, den Seealpen und der Dauphine, wo er oft in ausserordentlicher, jeden Gedanken an Einschleppung zuruckweisender Haufigkeit ganze Bergabhange bedeckt und eine charakteristische Formation bildet. Ebenso verhalt er sich in den Pyrenaen und auch in Catalonien, seltener ist er in Castilien und Valencia; im sudwestlichen Spanien (Granada und Malaga) tritt an seine Stelle Buxus balearica Willd., wahrend in Algier eine schmalblattrige Varietat des Buxus sempervirens angegeben wird. Bemerkenswerth ist auch noch das reich- liche Vorkommen des Buchsbaums auf Kalkhugeln bei Belfort und im Elsass> in Oberbaden, im Moselthal von Bernkastel bis Alken, endlich in den Ar- dennen und in der englischen Grafschaft Surrey. Diese luckenhafte Verbrei- tung des Buchsbaums konnte leicht zu der Annahme veranlassen, dass der Buchsbaum an diesen Orten verwildert sei; aber es ist wohl zu beriicksichtigen, dass auch manche andere Pflanzen in Westeuropa, wo die Kultur die ursprung- liche Flora im hGchsten Grade eingeschrankt hat, nur zerstreut vorkornmen. Sodann spricht auch das fossile Vorkommen von Buxus in der Gegend von Paris fur eine ehemalige weitere Verbreitung dieses Strauches.

Lorbeer. Myrte. 235

** Die sprachliche Erklarung der hier in Betracht kommenden Aus- drticke ^a^vr^-laurus, fxoptoc (murtus), TCD^O? (buxus) hat bisher leider nur geringe Fortschritte gemacht. Weder wissen wir die thessalischen Formen Sauyva. etc. (vgl. Anm. 56 und Meister, Griech. Dialecte I, 301) zu deuten, noch erkennen wir, in welchem Verhaltniss hierzu das gemeingriech. Sdcpv-q steht. Nach G. Meyer, Griech. Gramm.3 S. 192 ware von dem ao des Thessalischen als dem ursprunglichen Laut auszugehn. Lat. laurus ist wohl sicher nicht von lat. luo, lavo (vgl. Anm. 56) abzuleiten, da nicht abzusehen ist, wie eine so primi- tive Bildung noch in der verhaltnissmassig spaten Zeit hatte entstehen sollen, in welcher man den Lorbeer als Suhnebaum auffassen lernte. Dagegen liegt die Annahme eines Zusammenhangs mit dem kleinasiatischen Soapsta (Anm. 56) doch sehr nahe. M6pto<; hat mit dem orientalischen Namen des Balsamodendron Myrrha (Anm. 56), so sehr Myrrhe und Myrte auch in der Sagenwelt ineinander fliessen (vgl. auch Baudissin, Studien zur semitischen Religionsgeschichte II, 200), kaum etwas zu thun (vgl. A. Muller in Bezzenb. B. I, 293). Ebenso sind Myrte und Myrrhe in den orientalischen Sprachen ganz verschieden benannt. Letztere wird als *o|j.6pa zuerst, was Athenaus III, 242 ausdrucklich hervor- hebt, bei Archilochos genannt: iojjLopiojj.eva<; xojjtac xal ot^^oc, u><; av xal *{ipa>v vjpdaaato (Bergk 30). Daneben liegen bei demselben Dichter das schon friiher (vgl. unten) bezeugte p-opoiviq Myrte: s^oooa ftaXXov p.opoivY]c: stepTceto p^oS^c te xaXov av&oc, YJ 8s ol v.ofxv] UJJJLODC xaTsou'Ia^s xal |xstdcppsva (29), sowie |xoptov Myrten- beere: ots4 to fxoptov (164, 165") und jxupov Salbe: o5x av fiopoiai ^P01^0' soua5 •JjXslcpsto (31). Mopoivf] und [xupto!;, woraus armen. murt, pers. murd (Lagarde, Armen. Stud., Hiibschmann, Armen. Gr. I, 197) entlehnt sein durften, werden mit dem Namen der Tamariske schon in der Ilias zusammenhangen. Ueber

oben S. 160. n6|o? endlich wird von den Etymologen theils zu TCTOCJOU) (so Anm. 58), theils zu rceoxf] Fichte, theils zu TCUXTCOC dicht, fest gezogen, ohne class sich etwas bestimmtes bis jetzt sagen Hesse. Sicher ist jedenfalls, dass alle eben besprochenen Worter nichts mit den westsemitischen Bezeichnungen des Lorbeers, der Myrte und des Buchsbaums (vgl. Low, Aram. Pflanzennamen S. 299, 50, 63) zu thun haben. Auch eine Verbindung des griech. Sau^va, Sd-fvrj mit dem assyrischen daprdnu, dupranii, nach Delitzsch Assyr. Worterbuch S. 226/27, ein Baum, nach F. Hommel, Beilage zur allg. Z. 1895 No. 197, S. 2, der Lorbeer lasst sich bis jetzt lautlich nicht erweisen. Sind die in Rede stehenden Pflanzen, wie von unserem botanischen Gewahrsmann angenommen wird, wirklich seit Urzeiten im Siiden Europas heimisch, so wird man auch mit der Moglichkeit rechnen miissen, dass aborigine Benennungen derselben von den Griechen oder Roinern iibernommen wurden, in welchem Falle dann alle unsere etymologischen Kiinste scheitern wurden.

Bestehen bleibt die Thatsache, dass lat. murtus und buxus aus dem Grie- chischen entlehnt sind. Dass aber hieraus nicht gefolgert zu werden braucht, auch die Pflanzen selbst seien von Griechenland nach Italien gewandert, haben wir schon gesehen und wird noch aus weiteren Beispielen hervorgehen. Wie die Entlehnung von lat. oliva aus griech. eXaia sich nur auf die Uebernahme der Oelbaum k u 1 1 u r durch die Romer aus Griechenland beziehen wird, so steht nichts der Annahme entgegen, lat. murtus sei deshalb aus dem Griechischen entlehnt, weil bei den Griechen die Myrte der Baum der Aphrodite war und es infolge (lessen auch bei den Romern wurde, und lat. buxus sei deshalb

236 Lorbeer. Myrte.

aus dem Griechischen ubernommen, well die Romer von den Griecheii die hervorragende Verwendung des Buchsbaumholzes in der Technik des Drechslers und Zimmermanns (vgl. dartiber Bliimner, Terminologie und Technologic II, 252—254 und Das Maximalt. d. Diocl. S. 134 f.) erfuhren. Vgl. zu S. 231 noch alb. bost Spindel, Achse, schon bei Hippokrates w^ivo: atpaxtot. (G. Meyer, Et. W.).

Dasselbe wiirde von dem griech. TTU^OC gelten, wenn sich etwa heraus- stellen sollte, dass dasselbe doch ein fremder Bestandtheil der griechischen Sprache ware. Koppen, Holzgewachse II, 9 erinnert hierfiir an das kaukasische bsa Buchsbaum. Auf die Uebernahme eines Fremdwortes hatte der Umstand von Einfluss sein konnen, dass die Griechen, wie auch Neumann -Partsch, Physikalische Geographic S. 390, 391 hervorheben, in der Drechslerei wohl weniger das klein und kriippelig bleibende Buchsbaumholz des Pindos und Olympos als vielniehr (iberwiegend auslandisches Material verwendeten.

Ueber die Entlehnung des lat. buxus nach dem Norden handelt ausfiihr- lich J. Hoops, Ueber die altengl. Pflanzennamen, Diss. Freiburg. S. 81 ff.

Fragen wir schliesslich nach der Zeit der ersten Ueberlieferung unserer drei Kulturpflanzen oacpv-r), jAoptoc, roS^oc, in Europa, so ergiebt sich aus vorstehendem S. 226 und S. 229, dass BdcpvYj und itu£o<; schon der Sprache Homers eigen sind. Bei p.opdvYr|ji6pTo<; ist dies allerdings nicht der Fall. Doch setzt neben Archilochos (S. 235) schon der homerische Hymnus etc, 'Epfx-rjv die Bekanntschaft mit der Myrte voraus:

oojJifuaYuuv jj.upoV.ac; xai jj-opaivosiofa^ o£oocj (81)

und Ilias 2, 616 wird man den Ortsnamen Mopctvo? in Elis (spater Muptoovnov) nicht von dem Namen der Myrte trennen wollen.

Fassen wir zusammen, so konnen wir in Sprache und Ueber- lieferung keinen durchschlagenden Grund finden, aus welchem Lorbeer, Myrte und Buchsbaum in Griecheiilaiid und Italien als Fremdlinge zu betrachten seien, es sei denn, dass man sich fur die spatere Einfiihrung der Myrte in Italien auf das oben S. 224 angefiihrte Zeug- niss des Plinius beruft. Allein, wahrend es nach den Worteii Hehns scheinen konnte, als ob bereits Theophrast 5, 8, 3 von einer Verpflanzung der Myrte aus Griechenland nach Italien sprache, heisst es an der angegebenen Stelle nur: »Das Gebiet der Latiner ist durchgehends wasserreich. Das ebene Land

erzeugt Lorbeer, Myrte und herrliche Buchen Das kirkaische Vor-

gebirge ist sehr hoch, dicht bewachsen, und tra'gt Eichen, viel Lorbeer und Myrten. Die Eingeborenen sagen, dass dort Kirke gewohnt, und zeigen das Grab Elpenors, woraus solche Myrten hervorwachsen, wie man sie zu Kranzen nimmt; die anderen Myrten sind gross « (K. Sprengel). Das iibrige ist also Zuthat des Plinius, die ganz wie ein Schluss aus murtus = jjujptcx; aussieht. - Hinsichtlich des Buchsbaums sei noch auf eine merkwiirdige Ueberein- stimmung seiner Nomenclatur in Ost und West aufmerksam gemacht. Im kaukasischen Russisch heisst der Buchsbaum pal'ma, kawkassaja pal'ma kauka- sische Palme, pal'mowoje dereivo Palmbaum, Namen, die davon herriihren, dass der Buchsbaum im Kaukasus am Palm-Sonntag, wie im Norden die Weiden, benutzt wird. Sowohl die christlichen Grusier wie muselmannische Volkerschaften Transkaukasiens brachten und bringen dieser Holzart religiose Verehrung entgegen, woraus sich die Anpflanzung des Buchsbaums niu

Der Granatapfelbaum. 237

Kirchen, Gebethauser und Kirchhofe erklart (Koppen, Geogr. Verbreitung der Holzgewachse etc. II, 1 ff:.). Dieselben Narnen wie im Kaukasns kehren nun merkwiirdiger Weise in Deutschland und zwar an ganz entgegengesetzten Stellen wieder. Pritzel-Jessen, Deutsche Volksnamen der Pflanzen S. 71 haben Palm (Schweiz, Ostfriesland, Eifel) und Palmenberg (Eifel). S. daruber auch mein Reallexikon u. Dattelpalme. Kaukasische, persische und armenische Namen des Buchsbaums giebt Koppen a. a. O. II, 8 f.

Der Granatapfelbaum.

(Punica Granatum L.)

Religioser Verkehr hat in alter Zeit auch den gchonen Granat- baum nach Europa gebracht, dessen purpurne Bliite im glanzenden Laube und rothwangige, kernreiche Frucht die Phantasie symbo- lisch denkender Volker Vorderasiens von Anbeginn lebhaft ergreifen musste. In der Odyssee sind an zwei schon friiher behandelten Stellen unter den Fruchten im Garten des Phaakenkonigs und unter denen, die den phrygischen Tantalus durch ihren Anblick qualen, auch Granatapfel, yoial, welcher Name allein schon fiir die Her- kunft des Gewachses aus seinitischern Sprach- und Kulturkreise entscheidendes Zeugniss ablegt59). Im syrisch-phonizischen Gotter- dienst war der Baum von so hervorragender Bedeutung, dass der Name des Granatapfels, Rimmon, mit dem des Sonnengottes, Hadad- Rimmon, zusammenfallt (Movers, Phonizier, 1, 196 ff.). In Cypern hatte Aphrodite selbst den Baum gepflanzt (nach dem Komiker Eriphus bei Athen. 3, p. 84); er war dem Adonis geweiht und in die phrygischen theogonischen Mythen vielfach verwebt. Der Apfel, den der troische Paris der Aphrodite, der Landesgottin , im Streite mit den eindringenden Kulten der Athene und Hera als Preis zu- erkannte, war ohne Zweifel urspriinglich als Granatapfel gedacht. Eine zweite griechische Benennung der Frucht und des Baumes, (tidy, stammte, wie Qota aus Syrien, so vermuthlich aus Kleinasien und mag karisch oder pbrygisch u. s. w. gewesen sein. Literarisch erscheint das Wort zuerst in dem von Plutarch (Symp. 5, 8, 2) aufbewahrten Verse des Empedokles (v. 220. Stein.):

ovvsxsv otyCyovoC je~~<fifat xal vTcsocphoa f.iijJLa,

also in der Mitte des f iinften Jahrhunderts. Die Schriften des Hippo- krates, in denen das Wort gleichfalls wiederholt vorkommt, gewahren zwar keine sichere Zeitbestimmung, wohl aber Aufklarung iiber

238 Der Granatapfelbanm.

Localitat und Mundart, in denen es gebrauchlich war. Die Booter sagten OY^, die Athener Qod: Athenaus erzahlt nach Agatharchides {14. p. 650 f.), einst batten die Booter und Athener um eiii Grenz- land, Namens 2tdcu, gestritten: da habe Epaminondas plotzlich einen Oranatapfel hervorgeholt und gefragt: wie nennt ihr das? Als darauf •die Athener erwiderten: $oa, rief Epaminondas: wir aber aidy, und blieb auf solche Art Sieger im Streit. In viel altere Zeit, als diese Erwahnungen, fiihren die Namen von Ortschaften, die von der cidy entlehnt sind. An der lakonischen Kiiste lag eine Stadt Side, nach «iner Tochter des Danaus benannt, im politischen Verein mit den beiden auf Troas hinweisenden Orten Etis und Aphrodisias (s. oben bei der Myrte); in der Landschaft Troas selbst nennt Strabo (13, 1, 11 und 42) 'eine Stadt Sidene am Granikus nebst gleichnamigem Gebiet; ein anderes lykisches Sidene erwahnt Stephanus von Byzanz nach Xanthus; ein Flecken bei Korinth oder ein Hafenort in Megaris 2t,dovg trug besonders schone /.t^Aa (Nicand. in seinen Heteroumena und andere Gewahrsmanner bei Athen. 3. p. 82), worunter dem Namen des Ortes nach urspriinglich oder vorziiglich Granatapfel zu verstehen waren ; Dorfer mit demselben Namen kennt Stephanus von Byzanz an der kleinasiatischen Kiiste bei Klazomena und bei Erythra; eine Stadt 2idovo<fa in lonien kam 4 bei Hecataus in seiner Um- schiffung Asiens vor und wird auch spater noch erwahnt. Side in Pamphylien, welches auf seinen Miinzen einen Granatapfel zeigt, lag zwar dem syrischen Siiden schon nahe, war aber eine Griindung des aolischen Kyme (Strab. 14, 4, 2: 2Cdrj9 Kv[jiaCan> anoixog). Auch im innersten Pontus endlich lag in der gliicklichen Landschaft Sidene, also dem Granatenlande , die hochgelegene Kiistenstadt Side (Strab. 12, 3, 16). Eine altere, auch von Kallimachos (in lavacr. Pall. 28) gebrauchte Wortform <rCfldi] statt ffCdrj - - alter, weil die letztere aus der ersteren, nicht aber jene aus dieser entstehen konnte iiihrt direct nach Karien, Steph. Byz.: 2ifi8a, TIG fag Ragtag. -- Wie in Asien, dient der Baum und seine Frucht denn auch in Griechen- land in den entsprechenden Kulten zum Ausdruck dunkler Vor- stellungen von Zeugung und Befruchtung und wiederum von Tod und Vernichtung. Eine phrygische Farbung trug die thebanische Legende, nach welcher am Grabe des Eteokles ein von den Erinyen gepflanzter Granatbaum wuchs, aus dem, wenn man eine Frucht brach, Blut floss (Philostr. Imag. 2, 29), oder jene andere, nach welcher beim Grabmal des Menoikeus, der beim Anzug des Polynices, oinem delphischen Orakelspruch gehorchend, sich selbst den Tod

Der Granatapfelbanm. 239

gegeben hatte, eine Granate aufgesprosst war, deren reife Friichte inneiiich wie von Blut gerothet waren (Paus. 9, 25, 1). Auf der bildgeschmiickten Lade des Kypselos im Heraum zu Olympia, deren Anfertigung in das erste Jahrhundert der Olympiadenrechnung fallt und die noch Pausanias an Ort und Stelle fand und genau be- schrieben hat, sah man den Gott Dionysos in einer Hohle liegend, um ihn herum aber Weinstocke, Apfel- und Granatbaume wachsend (Paus. 5, 19, 1). Das im Heraum zwischen Argos und Mykene von Polyklet gearbeitete Bild der Gottin hielt in der einen Hand das Scepter mit dem Kukuk, in der anderen den Granatapfel - was. dieser letztere bedeutet, fiigt Pausanias bei Beschreibung des Werkes (2, 17) hinzu, verschweige ich, da es nicht auszusprechen 1st. Er bedeutete aber eben die Erdgottin als die vom Himmel be- fruchtete und unendlich hervorbringende, wie der Kukuk die regne- rische Friihlingszeit, in der jene Befruchtung vor "sich geht. Be- sonders im Mythus von dem Pluto und der Proserpina erscheint der Granatapfel als bedeutungsvolles Attribut: schon der homerische Hymnus auf die Demeter berichtet, wie Persephone in der Unterwelt einen Kern der Frucht (QOtr^g xoxxov, fjtrehrjde' f-tSmdrjv) zu kosten ge- zwungen worden, d. h. mit dem Ai'doneus sich geschlechtlich verbun- den habe und ihm dadurch verf alien sei. Da die Granate uberall in mystischer Weise auf das Natuiieben deutet, so konnte sie der Pallas Athene, der sittlichen, geistigen Gottin, der Gottin des Staates und der Stadt Athen, nicht angehoren. Um so auffallender musste es sein, wenn von dem Bilde der ungefliigelten Athena Nike am Aufgang zur Burg in Athen berichtet wird, es habe in der Linken den Helm, in der Rechten einen Granatapfel getragen (Harpocration unter Ntxt] 'AV^va), und wir stimmen daher gern 0. Benndorf bei, der dies Bild von dem oben genannten Side in Pamphylien ableitet (Festschrift zur funfzigjahrigen Griindungsfeier des archaologischen Institutes in Rom, Wien 1879, 4°). Danach hat es Kimon als Denkmal des Doppel- sieges am Eurymedon gestiftet und zum Zeugniss dessen die Pallas von Side, der dem Eurymedon nahe gelegenen Stadt, clurch Kalamis nachbilden lassen. So war hier die Gottin nur zugewandert und ihr Granatapfel nur das Zeichen der asiatischen Gegend, aus der sie kam und in der eben die Asiaten iibervvunden worden waren.

Wie bei der argivischen Hera, so wird auch in dem abgeleiteten Herakult der achaischen Stadte in I tali en, besonders der ihnen gemeinsamen Hera Lakinia bei Kroton, das Symbol des Granat- apfels mid also auch bei Tempeln und in Garten der Baum selbst

240 I*er Granatapi'elbaum.

nicht gefehlt haben. Darauf deutete bin, was von der Siegesstatue des Milon von Kroton in Olympia berichtet wird: dieser gross- griecbiscbe Athlet, der schon um das Jahr 520 vor Chr. lebte, war als Priester der Hera dargestellt und trug als solcher in der linkeii Hand einen Granatapfel (Philostr. vit. Apoll. 4, 28, woselbst der Satz aufgestellt ist: t] Qod ds povr] gwtwv TY^ "Hgq, (pvsiat,). Weiter muss der Verkehr der Romer mit den campanischen Griecben, der die erycinische Aphrodite und die vom troischen Ida stammenden sibyl- linischen Biicher nach Rom brachte, auch die Kunde der Granatfrucht, dieses haufigen Symboles, und des Baumes, auf dem sie wucbs, ver- mittelt haben. In der That finden wir den Granatzweig in einer der altesten Partieen des romischen Priesterrituals erwahnt: die Gattin des flamen DialiSj die Flaminica, die in Tracht und Sitte ein Abbild der romischen Matrone aus der Urzeit dnrstellte, trug auf dem Haupte einen Granatenzweig, arculum, inarculum, dessen Enden mit einem Faden weisser Wolle an einander gekniipft waren, offenbar zum Zeichen ehelicher Fruchtbarkeit wie das Haupt ihres Gatten mit einem Oelzweig am apex geschmiickt war. Hier wird die Granate nicht jiingeren Datums sein, als die Olive, die, wie wir sahen, zur Zeit der Tarquinier in Italien auftrat. » Granatapfel von Thon sind zugleich mit sonstigen Friichten ahnlicher Votivbestimmung aus unteritalischen, hauptsachlich nolanischen Grabern - - zahlreich vor- handen« (Gerhard, Denkm. und Forsch. 1850, n. 14. 15). Um so mehr durfen wir uns wundern, in Italien keine der beiden grie- chischen Benennungen der Frucht, sondern bloss den allgemeinen Ausdruck malum mit dem specificirenclen Adjectiv punicmn oder granatum zu finden, z. B. Columella 12, 42, 1: mala dulcia granata quae Punica vocantur. Aus welcher Zeit stammt der Beisatz pu- nicum? Aus jenem friihen Alterthum, in dem der von Polybius aufbewahrte Handels- und SchifFahrtsvertrag mit Karthago abge- schlossen ward? Schon deshalb nicht, weil die nahe Verbindung mit den Griechen in Cuma, Velia u. s. w. in noch altere Zeit fallt und der Name der Punier selbst ein aus griechischem Munde ent- lehnter ist. Wie das Wort f^^ov bei den Griechen selbst nicht bloss die eigentlichen Aepfel, sondern auch die Quitten, Granaten u. s. w. umfasst, so geniigte den italischen Naturkindern auch der allgemeine Begriff malum, der erforderlichen Falles durch ein beschreibendes Epitheton naher bestimmt wurde. Als dann den Romern der Reieh- thum an Granatbaumen in den Kolonien der Karthager und endlich in Afrika selbst zu Gesicht kam und der Handel ihnen die

Der Granatapfelbaum. 241

siissesten, blutrothen, scheinbar kernlosen, d. h. weichkernigen Friichte aus Siiden in Menge zufiihrte, da mag sich der Beiname punisch festgesetzt haben, in dem zugleich ein Anklang an die Farbe lag. Denn dem Wortlaut nach kann malum punicum auch als malum puniceum yoivixovv jiiaAov, der Purpurapfel, verstanden werden. Auf dem afrikanischen Boden, wohin der Baum gerades Wegs von Ka- naan, seiner Heimath, gebracht war, gediehen die feinsten Sorten. Zwar wenn Plinius 13, 112 den Granatapfel geradezu den Gegenden um Karthago zuspricht: circa Carthaginem Punicum malum cog- nomine sibi vindicat (Afrika), so ist dies, wie der Zusatz cognomine lehrt, nur ein Schluss aus dem Namen, keine historische oder natur- geschichtliche Beobachtung; aber dass Afrika in dieser Hinsicht bei den Romern beruhmt war, leidet keinen Zweifel. Martialis begleitet die Zusendung eines Korbes mit Obst mit den Worten: »hier keine afrikanischen Granaten ohne Kern, sondern inlandische Friichte aus meinem Garten, 13, 42:

Non tibi de Libycis inheres aut apyrina ramis, De Nomentanis sed damus arboribus.

Direkt bestatigt dies das an den Flavianus Myrmecius gerichtete kleine Gedicht des Rufus Festus Avienus (bei Wernsdorf, Poetae lat. min. 5, p. 1296), der in der zweiten Halfte des vierten Jahr- hunderts lebte und Afrika selbst gesehen hatte. Er bittet den ge- nannten Freund, wenn dessen Schiff aus Afrika ankommen sollte, ihm einige dort gewachsene Granatapfel zuzuschicken. Nicht dass mein eigener Garten, fiigt er hinzu, keine Friichte der Art triige, aber sie sind sauer und herb und nicht mit dem Nekfcar zu vergleichen, wie ihn die warme Sonne Afrikas erzeugt, v. 25:

Nee tantum miseri videar possessor agelli, Ut genus hoc arbos nullo mihi floreat horto: Nascitur et multis onerat sua brachia pomis, Sed grams austerum fert succus ad ora saporem. Ilia autem Libycas quae se sustollit ad auras, Mitescit meliore solo coelique tepentis Nuirimenta trahens succo se nectaris implet.

In den Paradiesen der Vandalen in Afrika, von denen Luxorius spricht (Anthologia vet. Lat. et epigr. poem. ed. H. Meyer, epigr. 343), fehlt ohne Zweifel der liebliche Baum nicht, den auch die Araber, die Freunde schoner Bliiten und erfrischender Fruchtsafte, mit Vor- liebe pflegten. Der Name des Granatapfels und des Granatbaumes bei den Portugiesen ist noch heut zu Tage der arabische, roma,

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 16

242 Der Granatapfelbaum.

romeira (also wie malum punicum bei den Romern) ; von demselben arabischen Wort stammt der italienische und franzosische Name der Schnellwage, romano, romaine, da das Gegengewicht bei arabiscben Wagen in Form eines Granatapfels gebildet zu sein pflegte ; aucb die von den Mauren im zehnten Jabrbundert gegriindete Stadt Granada, •das Damaskus des Westens, sollte von der Granate den Nam en haben, deren Bild in das Wappen der Stadt iiberging und noch jetzt alle Strassen und offentlichen Gebaude schmuckt (Murpby, Tbe history of the mahometan empire in Spain, p. 188). In Italien ist bei den scriptores rei rusticae, von Cato an, der Baum schon ge- wohnlich; Plinius in der Kaiserzeit weiss mannigfache Sorten, mit vielfacher Anwendung, aufzuzahlen. Das heutige Griechenland und Italien haben schon wilde Granatapfelbaume, d. h. verwilderte, strauch- formige, dornige an Hecken, deren Friichte aber ungeniessbar sindj auch die kultivirten erreichen die Grosse und den kostlichen Ge- schmack nicht, der von den Granatapfeln in dem asiatischen Paradies- klima des Baumes geruhmt wird (s. daruber den treff lichen Excurs yon Ritter, Erdkunde Band XI.)- Auch dient in Italien die prachtige rothe Frucht mehr zur Augenweide, zum Schmuck der Tafel, als zum eigentlichen Genuss. Im Spatherbst, wo sie reift (vergl. oben oipfyovoi Gidai, im Verse des Empedokles), ist mit der heissen Jahreszeit auch das Verlangen nach Erquickung durch sauerlichen Fruchtsaft vor- iiber. Hauptsachlich die Citrone, kann man sagen, hat dem Granat- apfel den Platz geraubt, den er bei den Alten behauptete. Noch jetzt aber nach so vielen Jahrhunderten verkniipft das Volk in Griechen- land mit der Granate die Vorstellung reichen Segens und der un- zahlbaren Menge60) und die purpurfarbene Bliite ist als Geschenk em Zeichen feuriger Liebe. Dass das Wort punicum nirgends in den neuromischen Sprachen erhalten ist (die Italiener sagen: mela- grano, granato u. s. w.), beweist, dass es nie ganz volksmassig ge- wesen ist.

* Die Gattung Punica, von der man lange Zeit nur eine Art, den im Mediterrangebiet jetzt allgemein kultivirten Granatapfelbaum kannte, von der aber neuerdings eine zweite Art, P. protopunica Balfour fil. auf der Insel Socotra entdeckt wurde, ist schon gegen das Ende der Tertiarperiode in Europa hei- misch gewesen; Blatter und Blutenknospen einer von unserer jetzt lebenden P. Granatum L. etwas abweichenden Art, P. Planchoni Saporta, werden in den fur die Geschichte der europaischen Pflanzenwelt so wichtigen pliocanen Ab- lagerungen von Meximieux (Departement Ain) gefunden; dagegen ist die echte Granate fossil noch nicht nachgewiesen. Wild findet sich sicher P. Gra-

Der Granatapfelbaum. 243

natum in Felsspalten der Kalkgebirge Avroman und Schahu im persischen Kurdistan, sowie in Beludschistan, Afghanistan und im nordwestlichen Indien. Es fehlt nicht an Angaben fiber das Vorkommen der Granate von Persien bis zum schwarzen Meer, doch ist iiber die Beschaffenheit der Standorte wenig gesagt und darurn schwer zu entscheiden, ob sie seit langerer Zeit wild ist oder erst nach Einfuhrung der Kultur verwilderte. In Griechenland und auf den Inseln des griechischen Archipels wachst sie nach Boissier wild; auch in Montenegro, der Czrnagora und in der Herzegowina findet sich die Granate mehrfach in Felsspalten unkultivirter Gegenden, so dass sie da- selbst moglicherweise wild ist. Dagegen ist sie in Dalmatien meist nur in Hecken anzutreffen und daher hier wahrscheinlich erst nach ihrer Einfuhrung in die Kultur verwildert. Auch im osterreichischen Ktistenland kommt die Granate ausserhalb der Garten vor, so bei Duino, ist aber dort wohl ebenso wenig urspriinglich wild, wie in Siidtirol, wo sie noch bei Bozen an vielen siidlichen Abhangen und Felsen, aber meist unweit menschlicher "Wohnungen, angetroffen wird. In Italien kommt die Granate zerstreut in Gebiischen und Hecken vor, jedoch auch meistens in der Nahe von Ortschaften. Im medi- terranen Spanien ist die Granate durch die Kultur ungemein verbreitet; ob- gleich sie auch vielfach als Strauch an unkultivirten Orten Granadas ange- troffen wird, so scheint inir doch mit Rtieksicht auf die friiher noch aus- gedehntere Kultur der Araber ihr Indigenat in Spanien zweifelhaft. Auch in Marokko und Algier findet sich die Granate meist nur in der Nahe von Ortschaften und ist daher wahrscheinlich als verwildert anzusehen. Dem- nach ist sicher die Granate in Vorderasien und einem Theil der Balkanhalbinsel heimisch, ihre Verbreitung in Italien und den westl'ichen Theilen des Mittelmeergebietes aber wahr- scheinlich erst in historischen Zeiten nach Einfuhrung ihrer Kultur erfolgt.

** Die Annahme, dass griech. £otdt, poa aus dem west-semitischen hebr. rimmon, arab. rummdn (amh. rumdri) Granatapfel entlehnt sei, darf jetzt wohl als aufgegeben gelten, da, wie schon A. Muller, B. B. I, 296 bemerkt, »die ganze Aehnlichkeit im gleichen Anfangsbuchstaben beruht« und der Anm. 59 nach Benfey angenommene Lauttibergang unerweislich ist. Auch der Ansatz einer Grundform * ribbon, durch welche O. Keller, Lat. Volksetym. S. 193 das semitische Wort dem griechischen zu nahern versucht, ist willkurlich und fiihrt, selbst wenn richtig, nicht weiter. Vgl. jetzt auch Muss-Arnolt, Trans- actions XXIII, 110 f. Es liegt daher nahe, nach einer einheimischen Ety- mologie des griech. Wortes zu suchen. Pott II2, 1, 964, III2, 1022 hielt einen Zusammenhang zwischen poia und dem idg. Wort fur rot griech. l-pu^-po? (vgl. ahd. rotes apholes = mali punici) fiir moglich. Lautlich wahrscheinlicher ware die von Fick I3, 225 (aber nicht I4, 151) versuchte Ableitung von £ew (»zer- fliessende Frucht«). Eine Unterstiitzung wiirde diese Annahme, die auch von H. Lewy, Die semit. Fremdw. im Griech. S. 25 gebilligt wird (er deutet »die in reicher Fiille sich ergiessende FruchU), scheinbar in dem von Hesych tiber- lieferten p68:a Granaten finden, das man zu pu§Y]v fiberfliissig, puSov stellen konnte. Doch ware es auch moglich, in poSia eine Nebenform von poSov, £6810?

16*

244 Der Granatapfelbaum.

Rose zu erblicken, wie im Stidslavischen (serb. sipati) die Bedeutungen Granat- apfel und Rosenstrauch mit einander wechseln. Am wahrscheinlichsten 1st aber das hesychische p68ta nichts anderes als pot&ta (so jetzt auch G. Meyer, Griech. Gr.3 S. 238); hierzu im Neugriechischen potSia, die Fruchte der poto-rjd, wahrend die sauren Friichte einer anderen Varietat £cvopo8a genannt werden (Heldreich, Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 64). 1st potd ein echt griechi- sches Wort, so wird es zunachst den nach den Botanikern (oben S. 243) auf der Balkanhalbinsel einheimischen wilden Granatbaum bezeichnet haben, und dann auf die edle Granate iibertragen worden sein, deren Kultur, wie die der Feige, nach Hehn erst zur Zeit des Ausklingens der homerischen Dichtung aufgekommen ware.

Mehr nach Entlehnung sieht, schon in Folge des Schwankens der Schrei- bung, der zweite, spater tiberlieferte Name des Granatapfelbaums otpSv], OL'SYJ aus, mit dem auch das Anm. 59 genannte 4^ai (tiber £ = a in Fremdwortern G. Meyer, Idg. F. I, 328) zu verbinden sein durfte. Das ebendaselbst zur Erklarung angezogene np. seb, kurd. siw bedeutet allerdings nur Apfelj der Granatbaum heisst in den neuiranischen Sprachen pers. ndr, kurd. endr u. s. w. (Pott, Lassens Z. f. d. Kunde des Morgenl. VII, 106, Koppen, Holzgewachse I, 421) = armen. nurn (nach Lagarde, Armen. Stud. S. 115, wahrend Hiibschmann, Arm. Gr. I, 207 nur einen zufalligen Anklang beider Wo'rter annimmt). In Europa scheint mit ot^St), oiS-rj irgendwie das alb. segs Granatapfel zusammen- zuhangen (G. Meyer, Et. W.). Ein agyptisches shidchi ,Granatapfelwein< wird von F. Hommel Beilage z. allg. Zeit. 1895, Nr. 197, S. 4 genannt. Sicher dem Orient entstamnit das zuerst von Dioskorides fur die Bltite des wilden Granat- baums gebrauchte ^aXaoottov, das nach Low und Noldeke (vgl. Lewy a. a. O. S. 25) dem syrischen bdlas entspricht.

Italien hat, worauf der Name malum punicum doch in erster Linie hin- weist, die Kultur des Granatapfelbaums, wie wohl in diesem Falle auch den Baum selbst (oben S. 243), von Afrika her empfangen, wodurch sich fur die Geschichte des Granatbaums ein neues Analogon zu der des Feigenbaums ergiebt. Auch in A e gyp ten ist die Kultur des Baumes, nach dessen Friichten sich die Israeliten in der Wiiste zuriicksehnten (Mos. 4, 20, 5), wie die Denk- maler (vgl. Woenig a. a. O. S. 323) beweisen, uralt. Als agyptischen Namen giebt F. Hommel (Aufsatze und Abh. arabistisch - semitischen Inhalts S. 98) nach Brugsch 'inrhamiti,, 'inhmn, 'inhm'ni (kopt. erman, herman) an, der nach ihm mit dem westsemitischen Namen des Granatapfelbaums in Zusammenhaiig sttinde. Es wiirde dies, wenn richtig, mit der Ansicht Sch weinfurths , Ver- handlungen 1891, S. 658 iiberemstimmen, nach welcher der Granatapfelbaum nach Aegypten in sehr frtiher Zeit aus dem stidlichen Arabien, wiederum ebenso wie die Feige (oben S. 102), gekommen ware.

Ueber Hadad-Rimmon (oben S. 237) vgl. Baudissin, Studien zur semitischen Religionsgeschichte II, 187, 215, Hommel a. a. O. S. 98 und Muss-Arnolt, Trans- actions XXIII, 110. Der Zusammenhang des Gottes- und des Pflanzennamens wird vielfach, auch von Sayce in der Academy 46, S. 283, bestritten.

Vgl. tiber die Geschichte des Granatapfelbaums jetzt auch G. Buschan, Vorgesch. Botanik S. 155 ff.

Der Quittenbaum. 245

Der Quittenbaum.

(Pyrus Cydonia L. Cydonia vulgaris.)

Unter den Aepfeln sind, wie oben gesagt, im friiheren Alter thum neben den Granateri auch Quitten zu verstehen, die wir aus diesem Grunde sogleich hier anschliessen. Die ygvcSea [jifjha der Hesperiden und der Atalante waren idealisirte Quitten, und der der Aphrodite geweihte, in Madchen- und Liebesspielen aller Art und zu braut- lichen Gaben dienende Apfel war gleichfalls kein anderer als der duftende Quittenapfel. Seine Farbe, wie die der rothen Granate, machte uberall, wo er zuerst erschien, lebhaften Eindruck auf den Naturmenschen. Roh konnte er nicht genossen werden, aber in Wein, Most, Oel und besonders Honig eingemacht, gab er diesen Stoffen einen feinen Duft und Geschmack. Der griechische Name, cydonischer Apfel, [irjhov Kvdwviov, wirft einiges willkommene Licht auf die Geschichte des Baumes. Danach kam er den Griechen zunachst aus Kreta und zwar aus dem Gebiete der Kydonen, die an der Nordwestkiiste am Flusse Jardanus wohnten und, mochten sie nun semitischen Stammes sein oder nicht, doch zu den altesten halb-mythischen Bewohnern der Insel gehorten. Ihre Stadt war die mater urbium des Landes, und dass die Quitte gerade nach ihr benannt wa,r, deutet auf ein fruhes Zeitalter ihrer Einfiihrung so- wohl als ihrer AVeiterverbreitung zu den Griechen. Ihre alteste ur- kundliche Erwahnung findet sich, wenn xodv^ahov, worin ein Anklang an palov Kvdwviov nicht verkannt werden kann, so viel als Quitte ist, bei dem aus Lydien gebiirtigen Alcrnan (Fr. 90 Bergk.), also in der Mitte des siebenten Jahrhunderts ; bald darauf, um 600 vor Chr., wird sie in der Helena des Siculers Stesichorus genannt (Fr. 27 Bergk.) :

llohhd ILISV Kvdwi'ia f.iaha TIOTSQQCTTWVV noil dtcpgov avaxn. Etwa um dieselbe Zeit verordnete Solon in einem Gesetz, bei Hoch- zeiten solle die Braut, ehe sie das Brautgemach betrete, einen cy- donischen Apfel essen, offenbar um sich symbolisch damit dem Dienst der Aphrodite zu weihen (Plut. Conj. Praecept. 1 und Quaest. Rom. 65, der iibrigens dies solonische Gesetz, durch welches nur ein attischer Branch sanctionirt wurde, rationalistisch erklart). Gleichzeitig wird der Baum auch von den italiotischen Griechen kultivirt worden sein: Ibykus aus Rhegium, also ein geborener Italiot, erwahnt um die Mitte des 6. Jahrhunderts der cydonischen Apfelbaume in bewasserten

246 Der Quittenbaum.

Garten (Fr. 1 , 1 : Kvdwviai, /nrjhCdsg). Auf die umwohnenden Bar- baren verfehlten die goldenen Aepfel ihren Reiz gewiss nicht. Dass die Frucht in Italien alt war, lehrt, ausser der popularen Latinisirung im Volksmunde: mala cotonea statt cydonia, auch eine sprechende Stelle bei Properz (B, 13, 27), wo der Dichter die Einfachheit der friihern Zeit mit der spater herrschenden Ueppigkeit vergleicht: sonst, sagt er, schenkte die landliche Jugend sich Quitten, vom Baum herab- geschiittelt, und voile Korbe mit Brombeeren, jetzt mussen es Lev- koien und leuchtende Lilien sein u. s. w. Columella und Plinius kennen schon mehrere Arten, darunter die Quittenbirne, malum stru- theum, wortlich Sperlingsapfel, die schon bei Cato erwahnt wird und also gleichfalls alter als der dritte punische Krieg ist. Wie zu Plinius Zeit, werden noch jetzt in Italien die Quitten in Zimmern aufgestellt, um diese mit angenehmem Duft zu erfullen, und den Zuckerbackern dienen sie zu der cotognata, franz. cotignac, wie im Alterthum zum ^r^ofjie^i oder xvda)vcf.i€fo. Die melimela , wortlich Honigapfel, bei Varro de r. r. 1, 59, 1 : quae antea mustea vocabant, nunc melimela appellant, bei Horaz Sat. 2, 8, 31:

post hoc me docuit melimela rubere minorem ad lunam delecta

und an mehreren Stellen des Martial, werden von neueren Auslegern als besonders siisse Aepfel gedeutet ; dass sie aber eine zum Ein- kochen in Most und spater in Honig vorziiglich geeignete Varietat Quitten waren, bezeugt nicht nur der Schol. Cruq. ausdriicklich, sondern lehrt auch das spanische membrillo, das portugiesische mar- melo, Quitte, Quittenmus, von welchem letzteren das allgemein euro- paische Wort Marmelade abgeleitet ist. Schon zu Galenus' Zeit kam solche spanische Marmelade nach Rom (de aliment, facult. 2, 23. VI. p. 603 Kiihn). Im Uebrigen ist der Baum im heutigen Italien nicht sehr haufig und gewiss seltener als bei den Alten, die noch keine Ananas und keine Apfelsinen kannten. Im Orient dagegen und in ganz Osteuropa, der Weltgegend eingemachter Friichte und des Zuckerwerks, ist das Mittelalter hindurch und bis auf die neueste Zeit die Quitte ein beliebter, in Bazaren feilgebotener Genuss mdssiger Menschen geblieben, wo von die Menge der zum Theil ver- stummelten Namen derselben bei den Volkern slavischen Stammes ein lebendiges Bild giebt (s. Miklosich, Fremdworter, S. 89, darunter auch persische und tiirkische, wie pigva, aiva, armud u. s. w.).

Kose. Lilie. 247

* Cydonia vulgar is Pers. (Pyrus Cydonia L.) wachst mit Sicherheit wild im Kaukasus, namentlich in Transkaukasien bis zu 1300 m Hohe, sodann in Armenieii, Kleinasien und den Kaspischen Provinzen Persiens Talysch und Asterabad. Ob der Quittenbaum in Griechenland und Thracien wild ist, ist zweifelhaft; tiber sein urspriingliches Vorkomrnen in Greta existiren keine Angaben neuerer Schriftsteller. Im ubrigen Siideuropa und in warmeren Theilen Mitteleuropas kommt die Quitte wohl hier und da verwildert vor, ist aber daselbst kaum einheimisch und auch nicht in grosserer Menge als Bestandtheil einzelner Pflanzengemein- schaften anzutreffen.

** Der Baum scheint dem agyptisch-semitischen Kulturkreis urspriinglich gefehlt zu haben. Neuere aramaische Namen bei Low, a. a. 0. S. 144. Eine gemeinsame Benennung bieten die neuiranischen Dialecte kurd. beh, pehl. be, buchar. bihir, pers. beh (vgl. Pott in Lassens Z. f. d. K. d. M. VII, 106 und Koppen, Holzgewachse I, 419 (in Beitrage z. Kenntniss des russischen Reiches II. Folge, V. Band), die keine Beziehung zu Europa zeigen. Theophrast, h. pi. 2, 2, 5 gebraucht die Bezeichnung xo8umo<; von dem wilden resp. verwilderten Quittenbaum, wahrend er die Friichte des zahmen otpooO-ta (vgl. oben S. 246) nennt (weil ihnen die Sperlinge nachstellen?) Die lateinische Form cotonea wird auf einer Vermischung mit Namen derFeige beruhn, die auch in russ.pigva Quitte (das also nicht, wie Hehn nach einer friiheren Aeusserung Miklosich's vermuthete, orientalisch ist) = ahd. figa hervortritt. Vgl. xoScovsa* aoxa ^et|j.eptvd Hesychius und lat. cotana, cottana kleine Feigen (oben S. 100). Ins Deutsche sind beide Formen cotonea und cydonia iibergegangen : ahd. cozzana, cottana und chutina (altengl. cod-, godceppel). Alb. ftua-oi aus lat. cotoneum (G. Meyer, Et. W. S. 113). Im Slavischen scheint das Wort (gdunje etc.) theilweis die Bedeutung Birne angenommen zu haben. Vgl. Miklosich, Et. W. S. 61.

Sehr abweichend von Hehn, aber kaum richtig, wird die Geschichte des Quittenbaums von Koch, Baume und Straucher S. 174 176 dargestellt. VgL auch Neumann und Partsch, Physikalische Geographic S. 428 f. und v. Fischer- Benzon, Altd. Gartenflora S. 146 f., wo ein spates griech.-lat. coronopus sKrahen- fuss« fur die Frucht der Quitte genannt wird.

Kose und Lilie.

(Rosa gallica, centifolia. Lilium candidum L.)

Wie die Friichte mit dem kostlichen goldenen oder rothlichen Mark, so erschienen auch die Blumen des Orients dort von weich- lich civilisirten , nur fiir ihre Despoten und Religion sbrauche leben- den Menschen angepflanzt, veredelt und zu Salben und Wassern ver- arbeitet den Hirten, Kriegern und Ackerbauern des Westens

lockend und wunderbar. Rosen und Lilien waren schon zur Zeit

248 Hose. Lilie.

des Epos zu den Griechen gelangt, Anfangs wohl nur dem Rufe nach, als etwas unbestimmt Herrliches der Blumenwelt, von dessen Farbe und Gestalt erzahlt wurde, in Form duftenden Oeles, dann auch allmahlich die Pflanzen selbst mit ihren Bluten. Homer und Hesiod nennen die Morgenrothe rosenfingrig, in einem homerischeii Hymnus heisst sie auch rosenarmig, wie auch in der Theogonie zwei rosenarmige Tochter des Nereus vorkommen ; Aphrodite salbt den Leichnam des Hektor mit rosenduftendem Oel; Hektor will die lilienzarte Haut des Ajax mit seinem Speer zerfleischen; die Stimme der Cicaden und in der Theogonie die der Musen heisst eine Lilienstimme. Dies sind lauter vergleichende Bezeichnungen , die sich auf eine moglicher Weise feme Sache beziehen, wie denn auch schon jener alte Forscher bei Gellius N. A. 14, 6, 3 die Frage auf- warf, warum Homer das Rosenol gekannt, die Rose selbst aber nicht gekannt habe (quapropter rosam non norit, oleum ex rosa norit). Die Blumen selbst erscheinen in dem Hymnus auf die Demeter, dieser ehrwiirdigen Urkunde des alteleusinischen Demeterdienstes (von Welcker, Gr. Gotterlehre 2, S. 546, in 01. 30 oder in die Mitte des 7. Jahrhunderts gesetzt), aber immer noch in fremdartigem Phantasie- Scheine : Proserpina spielt auf der Wiese mit ihren Gefahrtinnen und pniickt Rosen (die Rose also als Blume einer idealen Wiese, nicht vom Strauch gebrochen und nicht mit Dornen bewehrt) und ausser Krokos und Violen und Iris und Hyakinthos auch den Narkissos, eine neu- geschaffene Wunderblume, bei deren Anblick Gotter und Menschen staunen, die sich mit hundert Hauptern aus der Wurzel erhebt, deren Duft Himmel, Meer und Erde erfreut offenbar Verherrlichung des in den Mysterien gebrauchlichen Symbols der Narcisse, die, wie der Name bezeugt, urspriinglich nur berauschende, exotische Blumen- diifte iiberhaupt reprasentirte. An einer spateren Stelle desselben Hymnus erzahlt Proserpina ihrer Mutter, wie sie auf der reizenden Wiese gespielt und

Kelche der Rosen und Lilien auch, ein Wunder zu schauen,

gepfllickt - - wo der Zusatz ^av^a iSetiitai das Feme und Fabelhafte oder Seltene dieser herrlichen Blumen ausdriickt. Unter den Namen der Nymphen, der Gespielinnen Proserpina's auf der Wiese, finden sich auch zwei oder drei, die der Rose entnommen sind: 'Podeia, cPoJo7r^ (die Rosige), *&xvQoir] xahvxwmg (Okyroe mit dem Gesicht wie der Kelch einer Rose; dasselbe Adjectiv auch im Hymnus an die Aphrodite zur Bezeichnung einer Nymphe). In einem Fragment des um ein Menschenalter alteren Archilochus, dessen Welt aber

Rose. Lilie 249

eine weitere war, als die jener eleusinischen Tempelpoesie, und ausser den Inseln auch Thrakien und Lydien umfasst, tritt der Rosenstrauch selbst mit seinen Bliiten auf und zwar letztere neben Myrtenzweigen als Schmuck des Madchens, ohne Zweifel der Neobule, der Geliebten des Dichters, Fr. 29. Bergk:

e'xovffa Sakhov {.ivQawqg ^QTISTO

godijg re xahbv av&og.

Hundert Jahre spater war die Rose ein Liebling der Dichterin Sappho, von der sie haufig gepriesen und verherrlicht und als Gleichniss schoner Madchen gebraucht wurde (Philostr. Ep. 73). Von da an nnden wir Rosen und Lilien unter dem Fest- und Blumenschmuck liebenden Volke der Griechen eingebiirgert, uberall verbreitet und in Leben und Sitte verflochten. Von wo aber waren beide Blumen gekommen? In welcher Gegend des Orients, unter welcher seiner Volkergruppen war die auch in Europa einheimische Rosa gallica, die Stammform der Centifolie, zur siissduf tenden , sechzig- oder hundertblattrigen erzogen worden?

Dass die Rosen den Verfassern der Apokryphen des Alten Testa- ments nicht unbekannt sind, darf nicht Wunder nehrnen, da diese Schriften in griechische Zeit fallen, aber auch in den alteren Theilen der Bibel wurde, wenn wir Luthers Uebersetzung folgen wollten, die Rose erwahnt werden, z. B. bei dem Propheten Hosea (er lebte im 8. Jahrh.) 14, 6: Ich will Israel wie ein Thau sein, dass er soil bliihen wie eine Rose, oder an mehreren Stellen des Hohen Liedes, z. B. 2, 1 : Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Thai, 2: wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Tochtern u. s. w. Allein Luther hat hier, der Auslegung der Rabbinen folgend, das hebraische susan, Susannah falsch mit Rose "iibersetzt: es bedeutete vielmehr XQWOV nach der Uebertragung der Septuaginta d. h. Lilie und zwar nicht sowohl Lilium candidum, griechisch hsigiov, als die farbige Feuerlilie, Lilium chalcedonicum und bulbiferum (Plinius: est et rubens lilium quod Graeci XQLVOV vacant) oder noch wahrscheinlicher eine Art der gleichfalls glocken- formigen Kaiserkrone, fritillaria. Die edle Gartenrose war also den Griechen friiher bekannt als den alten Hebraern und ist somit keine semitische Kulturpflanze. Bestatigt wird dies durch die Abwesenheit der Rose auf den Bildwerken des alten Aegyptens, auf denen sonst die Blumenzierde nicht fehlt: auch Herodot erwahnt in seinen Schilderungen agyptischer Sitten nur der Lotosblume und rosen- ahnlicher xgCvsa, von welchen letzteren dasselbe gilt, was von den

250 Rose. Lilie.

Lilien der Hebraer (Herod. 2, 92: , (pvsmi Iv TOJ vSan xgCvsa von den Aegyptern Acorog genannt: &m. Ss xal aMa XQWSCC QodoHU liMpSQ&a*1). Sind wir somit in Betreff beider Blumen auf Oentralasien gewiesen, so kommt uns hier die Sprache hiiltreich ent- gegen, die so oft die Tiefen der Vorwelt erschliesst, bis zu denen keine historische Kunde reicht. Das griechische godov, in alterer Form fiQodov (noch Sappho schrieb das Wort mit dem Digamma), die Rose, und AeiQiov, die Lilie sind urspriinglich iranische Worter62), und aus Medien also, iiber Armenien und Phrygien kamen Benennung und Sache den Griechen zu. Das heisse heitere Persien ist noch jetzt ein Blumenland. Ueber Teheran sagt Ritter, Erdkunde, 8, 610: »die Rose gedeiht hier zu einer Vollkommenheit, wie in keiner Gegend der Welt, nirgend wird sie wie hier gepflanzt und hochgeschatzt ; Garten und Hofe sind mit Rosen uberfiillt, alle Sale mit Rosentopfen be- setzt, jedes Bad mit Rosen bestreut, die von den immer wieder sich fiillenden Rosenbiischen stets ersetzt und erneut werden. Selbst das Kalium (die Rauchtabak-Wasserflasche) wird mit der hundertblatt- rigen Rose fur den armsten Raucher in Persien geschmiickt, so dass- Rosenduft Alles umweht.« Auch die Rosen von Schiras in Sud- Persien sind wenigstens aus Hafis' Gedichten Jedermann bekannt. Zu Herodots Zeit hatten die Babylonier den Gebrauch der Rosen be- reits von ihren medisch-persischen Ueberwindern angenommen : jeder Babylonier, sagt er 1, 195, tragt auf seinem Stock das Bild entweder eines Apfels oder einer Rose oder eines xqCvov oder eines Adlers oder irgend eines anderen Gegenstandes. Nach Griechenland aber wanderte die Blume iiber Phrygien, Thrakien und Macedonien ein, wie unverkennbare Spuren in sagenhaften Nachrichten der Alten selbst verrathen. Das nyseische Gefilde , auf dem Persephone nach dem homerischen Hymnus Rosen und Lilien pfluckt, ist nach Ilias

6, 133 in Thrakien zu denken, und der Name einer ihrer Gespie- linnen, Rhodope, ist zugleich der des thrakischen Gebirges, in welches jene Nymphe verwandelt sein sollte. Nach Herodot 8, 138 lagen am Fuss des Bermionberges in Macedonien (an welchem nach Strabo

7. Excerpt. Vat. 25 die Briger wohnten, die in Asien Phryger ge- nannt wurden) die sogenannten Garten des Midas, des Sohnes des. Gordias : dort sprossten von selbst die sechzigblattrigen Rosen, deren Duft schoner war, als der aller anderen. Noch deutlicher, nur mit Anwendung der gelehrten Terminologie seiner Zeit und Schule, driickt sich der alexandrinische Dichter Nicander aus, im zweiten Buch seiner Georgika (bei Athen. 15. p. 683): Midas von Odonien (Edonien,

Hose. Lilie. 251

Landschaft in Thrakien), nachdem er die Herrschaft von Asis (in Kleinasien) verlassen, erzog zuerst in emathischen Garten (Emathia> Landschaft in Macedonien) die Rosen, die mit sechzig Blumen- blattern umsaumt sind. Man bemerke hier die altbabylonische Zahl sechzig, die allein schon auf Herkunft aus Asien weist. Nach Macedonien, in die Gegend von Philippi setzt auch Theophrast (h. pi. 6, 6,4) die reich gefiillten Rosen, die er schon gxamvrdfpvMa, Centifolien, nennt: die Einwohner sollten sie vom nahe gelegenen gold- und silberreichen Berge Pangaus (TO UttyyaiQv) beziehen. In dieselbe Gegend weist ein Fragment der Sappho, also ein altes und gewichtiges Zeugniss, Fr. 68 Bergk:

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Auch aus Mythen, die sich sofort an die neuen Blumen kniipfen, klingt der phrygische Naturdienst wieder. Die Rose ist der Aphro- dite geweiht, sie ist auch die Blume des Dionysos; sie ist zugleich das Symbol der Liebe und des Todes; wie sie entstand, als Attis, der phrygische Adonis, starb, wird verschieden erzahlt: bald schuf sie Aphrodite aus dem Blut des Adonis (Serv. ad. V. Aen. 5, 72), bald ritzte sich die Gottin selbst, als sie von dem Tode ihres Lieb- lings horte, und durch Dornen herbei eilte, den Fuss, und ihr Blut verwandelte die weisse in die rothe (Geopon. 11, 17), bald - - und dies scheint die eigentlich phrygische Form des Mythus - - erwachst die Blume von selbst aus dem Blut des Adonis, wie in ahnlichem Falle Granat und Mandelbaum, Bion 1, 64:

Soviel Thranen vergiesst die paphische Gottin als Tropfen Blutes Adonis: am Boden da werden sie alle zu Blumen, Rosen erwachsen dem Blut, Anemonen den Thranen der Gottin.

Von der Lilie, der rosa Junonis, wurde gefabelt, sie sei aus der Milch der Hera entstanden, als diese schlafend den Herakles saugte (Geopon. 11, 19); mit der Aphrodite war die Lilie der reinen unbe- fleckten Farbe wegen in Streit: um die keusche Blume zu beschamen, setzte die Gottin ihr das gelbe Pistill ein, welches an den briinstigen Esel erinnerte (Nic. Alexiph. 406 f£., id. apud Athen. 1. 1.).

Nach Italien kam die orientalische Gartenrose friihe mit den griechischen Kolonien, wie die populare Verwandlung des Namens in das lateinische rosa beweist, und mit ihr wohl auch die Lilie, Ulium68); von Italien gingen beide unter demselben Namen in alle Welt aus, doch je weiter nach Norden, desto mehr von der Kraft und Siissigkeit des Duftes einbiissend, der sie in ihrer urspriinglichen

252 Rose. Lilie.

Heimath umweht. Unter dem italienischen Himmel gedieh indess die Rose noch herrlich, sie bluhte den grossten Theil des Jahres je nach den Varietaten , von denen die campanische die friiheste , die von Praneste die spateste sein sollte (Plin. 21, 20); Campanien brachte Centifolien hervor; von den Rosen um Pastum riihmte man, sie bliihten zweimal im Jahr. Schon bei Plautus ist rosa, mea rosa eine liebkosende Anrede; schon Cicero nennt die Rose, wo er ein Leben voll Ueppigkeit bezeichnen will, z. B. de fin. 2, 20: M. Re- gulum clamat virtus beatiorem fuisse quam potantem in rosa Tho- rium. Zwar mag es orientalische Ausschweifung gewesen sein, wenn Kleopatra den Antonius von Cilicien in Speisezimmern bewirthete, deren Boden eine Elle hoch mit Rosen bedeckt war (Athen. 4, p. 148); zwar war es von Verres, dem Proprator in Sicilien, Nach- ahmung der bithynischen Konige, wenn er sich auf Rosenkissen in der Sanfte tragen Hess und dabei ein mit Rosen gefiilltes Spitzen- netz an die Nase hielt (Cic. in Verr. 5, 11, 27: lectica octophoro ferebatur, in qua pulvinus erat perlucidus, Melitensis, rosa fartus: ipse autem coronam habebat unam in capite, alteram in collo, reticulumque ad naris sibi admovebat, temiissimo lino, minutis maculis, plenum rosae), aber ein Blick in die lyrischen und elegi- schen Dichter lehrt, wie auch in Italien die Rose iiberall in den Liebes- und Lebensgenuss verflochten ist : der Tisch der Schmausen- den ist ganz unter Rosen verborgen, Liebende liegen auf Rosen, der Boden ist mit Rosen bestreut, das Haupt der Tanzerin, der Flotenspielerin, des weinschenkenden Knaben mit einem Rosenkranz umwunden. Der Trinker bekranzt sich selbst, er bekranzt den Becher mit Rosen. Sinnentaumel und Rosen sind unzertrennbar: unter zahlreichen Stellen der Dichter nur die eine des Martial, 10, 19, 19 :

cum furit Lyaeus, Cum regnat rosa, cum madent capilli.

Und dass die Rose hinwiederum auch eine Blume der Graber war, dass man den Todten Rosen mit Thranen spendete, ist eine sehr alte, psychologisch nahe liegende und auch in Italien gewohnliche, durch zahlreiche Grabinschriften (Orelli-Henzen, inscriptt., T. 3, ind. s. v. rosa) bestatigte Sitte und Vorstellung. Denn die aus dern Blute des sterbenden Naturgottes entstandene Rose ist ebenso schon als fluchtig (Hor. Od. 2, 3, 13: nimium breves flores amoenae rosae\ 1, 36, 16: breve lilium; »bist du an einer Rose voriibergegangen, so suche sie nicht wieder« , sagt das griechische Sprichwort: qoSov JTM ndfav, und das italienische : non v'ha rosa di

Kose. Lilie. 253

cento giorni); sie stellt hochste Lebensfulle dar, aber momentan: wegen der ersteren Eigenschaft 1st sie wie Wein und Blut den Todten, den lechzenden Schattenwesen, erwunscht. Auch zu Essen- zen, Wassern und Salben wurde die Rose viel verarbeitet, so wie sie auch in der Arzneikunst als Rosenwein und Rosenwasser, ja nach den Berichteri der Alien sogar in der Kiiche reicher Schlemmer Anwendung fand. Kein Wunder, dass in und ausserhalb der Stadt Rosen garten haufig waren, und deren Ertrag, sowie die der Lilien- beete, von stationaren und wandernden Blumenhandlern feilgeboten wurde. Varro rath schon in der republikanischen Zeit als vortheil- haft an, wenn man in der Nahe der Stadt ein Grundstiick besitze, Veilchen- und Rosengarten anzulegen, 1, 16, 3: itaque sub urbe colere hortos late expedit, sic violaria ac rosaria, wie er auch 1, 35, 1 die Jahreszeit bestimmt, wo es passend sei, serere lilium. Aber auch in weiterem Kreise bis nach Campanium und Pastum hin sorgten Blumenanlagen fur das Bedurfniss der reichen, ungeheuren Hauptstadt (Martial 9, 61). In der Kaiserzeit, wo die Ausschweifung in der vornehmen Welt und bei Hofe immer hoher stieg und die Sitten sich orientalisirten , wurde auch im Punkt der Blumen sinn- los verschwendet. Im Sommer Rosen zu haben, war jetzt schon zu gem ein, man suchte sie im Winter, bei Beginn des Friihlings. Leben diejenigen nicht widernatiirlich , klagt der Philosoph Seneca, die im Winter nach Rosen verlangen, ep. 122, 8: non vivunt contra natu- ram qui hieme concupiscunt rosam?, und Macrobius (Sat. 7, 5, 32) stellt als parallele Forderungen des Luxus zusammen: aestivae nives et hibernae rosae. Man bezog daher zur Winterzeit Rosen zu Schiff aus dem warmeren Aegypten, wie Martial 6, 80 beweist, und trieb Rosen und Lilien in Rom selbst unter Glas, wie wir aus dem- selben Dichter ersehen, 4, 22, 5:

Condita sic puro numerantur lilia vitro, Sic prohibet tennis gemma latere rosas.

In all dem waren die Orientalen vorangegangen. Von Antiochus dem Grossen, einem echten griechisch-antiochischen Despoten, erzahlt Florus Ep. 2, 8, 9, er habe nach Eroffnung des Krieges mit den Romern und Einnahme der Inseln goldgestickte seidene Zelte am Euripus, der ein fliessendes Wasser ist, aufgestellt, dann sub ipso freti murmure, quum inter fluenta tibiis fidibusque concineret, coltatis undique, quamvis per hiemem, rosis, ne non aliquo du- cem genere agere videretur, virginum puerorumque delectus habebat die Romer trieben ihn, jam sua luxuria debellatumj wie Florus

•254 Rose. -Lille.

mit Recht hinzusetzt, schnell nach Hause zurlick. Die spateren Kaiser in Rom aber gaben ihm nichts nach. Ueber L. Aelius Verus berichtet sein Biograph Ael. Spartiaiius, 5, er babe eine neue Art Bett erfunden, ganz von einem feinen Netz umgeben, ausgestopft mit Rosenblattern , denen das Weisse genommen war, und mit einer Decke von Lilienblattern. Auch bei Tische lag er, wie einige liber- liefern, auf Polstern, von Rosen und Lilien, und zwar gereinigten. Noch arger ist, was Aelius Lampridius 9 und 11 von Heliogabalus «rzahlt. Dieser aus Syrien stammende Kaiser liess nicbt nur Alles in seinem Palaste mit Rosen-, Lilien-, Violen-, Hyacinthen- und Nar- cissenteppichen belegen, liber die er wandelte, sondern bei Gast- mahlern lagen seine Gaste auf beweglichen Polstern so in Blumen vergraben, dass einige, wabrscheinlich schwer vom Wein, sich nicht mebr emporarbeiten konnten und in Violen und anderen Blumen ^rstickten.

Im Mittelalter , wo so viel Kulturen zu Grunde gingen, blieben doch Rose und Lilie, beide verhaltnissmassig leicht zu erziehen und durch Duft und Farbe auch dem rohen Menschen imponirend, in den Garten gewohnlich. Die Dichter des Mittelalters , denen nicht viel Farben zu Gebote stehen, verwenden Rosen und Lilien reichlich in ihren Schilderungen ; dem Christenthum dienten beide zu beliebten ftymbolen : die heilige Jungfrau in ihrer Anmuth und Milde erschien als Rose, die himmlische Reinheit ward in der Lilie angeschaut; gothische Kirchen schmiickten sich mit steinernen mystischen Rosen, auf Bildern der Verklindigung pflegt der Engel den Lilienstengel zu tragen, mitunter und dies ist charakteristisch die Kelche ohne Staubfaden. Auch in die Wappensprache jener bildlich denkenden Zeit gingen beide Blumen liber: bekannt sind die (angeblich aus Lanzenspitzen hervorgegangenen) drei Lilien im koniglichen Wappen von Frankreich, die auch der Jungfrau von Orleans bei ihrer Er- hebung in den Adelstand verliehen wurden, so wie die feindlichen Zeichen der rothen und weissen Rose in den Kampfen der Konigs- •geschlechter von England. Unter den unzahlig vielen Einzelheiten, -die sich aus Sitte, Kunst und Religion des Mittelalters in Bezug auf dies Thema sammeln liessen, wollen wir nur zweier Zlige gedenken, die beide im Grunde aus derselben Wurzel abzuleiten sind : der papst- lichen sogenannten goldenen Rose und der mythischen Figur der Russalken bei einem Theil der Slaven. Am vierten Fastensonntage, dem Sonntage Latare, der in den Frlihling fallt, weihte der Papst, weiss angethan, in Gegenwart des Cardinalcollegiums, in einer mit

Eose. Lilie. 255

Rosen geschmiickten Kapelle, am Altare eine goldene Rose, die hernach als segenbringend Fiirsten und Fiirstinnen, auch Kirchen und Stadten verschenkt wurde. Er tauchte sie in Balsam, bestreute sie mit Weih- rauch, besprengte sie mit Weihwasser und betete indess zu Christus als der Blume des Feldes und Lilie des Thales. Kurz vor der Re- formation erhielt Kurfiirst Friedrich der Weise von Sachsen die goldene Rose, in unseren Tagen die ungliickliche Kaiserin Charlotte von Mexiko und die fromme Konigin Isabella II. von Spanien. Nach- richten iiber diesen Gebrauch gehen bis in das eilfte Jahrhundert, in die Zeit Leo des XL, hinauf, aber die Anfange desselben kniipfen sich ofFenbar an die altromischen Vorstellungen von der Rose als Blume des Lebens wie der Verganglichkeit, die in der Hand des Ueberwinders sowohl seine Glorie und Freude als seine Sterblichkeit und Demuth bedeutet. Ueberaus interessant sind die slavischen Russalken als lebendiger Beweis, wie in einer nocb im Naturdienst gefangenen Volksseele aus kleinen Umstanden, Namensklangen, all- gemeinen Begriffen, auswartigem Kultureinfluss mythische Personi- ficationen sich bilden. Rosenfeste, rosaria, rosalia, wurden noch im spatesten Rom an verschiedenen Tagen des Mai und Juni gefeiert und bestanden in Schmiickung der Graber mit Rosen und in gemein- samen Mahlzeiten, bei denen den Theilnehmern Rosen, die Gabe der Jahreszeit, gereicht wurden. Auch in der illyrischen Halbinsel und an der Donau waren bei dem romanisirten Landvolke solche Friih- lings- oder Sommerfeste unter dem lateinischen Namen govffdfaa ge- brauchlich, hier ohne Zweifel als Fortsetzung der bei den thrakischen Stammen langst hergebrachten sommerlichen Dionysosfeier und der an diese geknupften Rosenlust (s. W. Tomaschek, Ueber Brumalia und Rosalia, in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 1868). In der christlichen Zeit trat das gleichfalls in den Mai fallende Pfingst- fest in die Erbschaft der Rosalien ein: es hiess pascha rosata oder rosarum (im romischen Volksmunde noch heute: pasqua rosa oder durch Missverstandniss pasqua rugiada) und am Pfingstsonntage, der sogenannten domenica de rosa, wurden Rosen von der Hohe der Kirche auf den Boden herabgelassen. Als darauf im sechsten Jahr- hundert slavische Volkerschwarme die Landstriche an der mittleren und unteren Donau und im Osten und Siiden der Karpathen besetzten und zwischen Heidenthum und Christenthum schwankend und getheilt waren, da fiel auf natiirliche Weise das christliche Pfingst- oder Rosenfest mit der heidnisch-barbarischen Friihlingsfeier zusammen. Bei den Slovenen, Serben, Weiss- und Kleinrussen und bei den Slo-

256 Rose. Lilie.

waken hiess das Pfingstfest oder ein um die gleiche Zeit begangenes frohliches Naturfest rusalija (ahnlich bei Walachen und Albanesen) ; aus dem Feste entwickelte sich dann bei den Weiss- und ein em Theil der Kleinrussen die Vorstellung iiberirdischer weiblicher We sen, die um diese Zeit Feld und Wald beleben, der Rusalky, des mythischen Gegenbildes der herumschwarmenden, lachenden, Kranze windenden und das selbsterdachte Orakel befragenden slavischen Madchen. Diesen historischen Ursprung des Russalkenglaubens aus dem lateinischen. rosa hat zuerst Miklosich dargethan (in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie vom Jahr 1864), wahrend noch Schaffarik in einer eigenen Abhandlung die Wurzeln desselben im tiefsten Alterthum und in den Abgriinden des Slavismus suchte und Andere, die in der Nationalbegeisterung starker als in der wissenschaftlichen Kritik waren, den Volksglauben mit mannigfachen poetisch-romantischen Flittern eigener Erfindung aufstutzten. Auch in Deutschland mischte sich iibrigens in die alten Vorstellungen vom Kampfe des Winters und Sommers die siidlandische Rose und das italische Rosenfest (s. Uhland, der Rosengarten von Worms, in der Germania 6, 307 ff.); wie die Slaven diese Form des Festes und Einkleidung des Mythus von der Niederdonau empfingen, so die Germanen aus dem keltisch-romischen Tirol und uberhaupt aus Walschland.

In der neueren Zeit hat die Gartenkunst unzahlige Varietaten der Rose geschaffen, in alien Formen und Farben, mit eigenen Phan- tasienamen belegt64). Es kamen auch Zeiten, wo die Rose von anderen, zum Theil aus fernen Landern eingefiihrten Blumen ver- drangt wurde, den Dahlien, Camelien, Azalien u. s. w. Aber bei allem Wechsel der Mode wird sich die Rose als Konigin der Blumen immer wieder herstellen. Nordlich von den Alpen, besonders in Eng- land, mag die Kunst sie in einzelnen Fallen veredeln und vervoll- kommnen ; doch wird sie dort nie so in das Leben verwebt sein und fast das ganze Jahr hindurch in Villen und an alien Mauern bliihen, wie unter dem Himmel von Neapel. Im Orient, so weit er nicht ganz in Barbarei verfallen ist, hat sich die Pflege der Rosen wohl erhalten: in der Poesie ist die Rose immer gefeiert und die Liebe zwischen ihr und der Nachtigall besungen worden; noch jetzt werden auf weiten Rosenfeldern die Blatter gesammelt, die zur Bereitung der kostlichen Rosenessenz und des beliebten Rosen-Zuckerwerks dienen. Der alte Busbequius im 16. Jahrhundert erzahlt im ersten seiner Brief e aus Konstantinopel, die Tiirken duldeten nicht, dass ein Rosen- blatt auf der Erde liege, denn sie glaubten, die Rose sei aus Mu-

Rose. Lilie. 257

hammeds Schweisstropfen entstanden die alte, nicht erloschene, nur islamisirte und ins Prosaische iibertragene Adonissage. Auf dem angeblichen Grabe Ali's bei Messar, in der Nahe des heutigen Belch und alten Bactra, sah Vambery (Reise in Mittelasien, Deutsche Aus- gabe, S. 188) die wunderwirkenden rothen Rosen (gull surcti), die ihm in der That an Geruch und Farbe alien anderen vorzugehen schienen, und die, weil sie nach der islamitischen Lokalsage nirgends anderswo gedeihen sollen, auch nirgends angepflanzt worden sind. Mit der Rose und weissen Lilie pflegt bei den Alten, wie schon aus einigen der obigen Citate hervorgeht, als Schmuck der Garten und angenehme Zierde die Viole zusammen genannt zu werden. Ihre Geschichte lauft der der Rose parallel. Auch sie stammt als Garten- blume und in ihren veredelten Formen aus Kleinasien; Homer er- wahnt sie in vergleichenden Adjektiven, wie iodvscprjg, lo£t,dr{g, iosig^ die auf die schwarze Farbe, nicht auf den Duft gehen; einmal auch in der Odyssee bei Beschreibung der wunderbaren, selbst die Gotter zum Staunen bewegenden Natur um die Hohle der Kalypso : dort wachst sie auf weicher Wiese neben dem Eppich (»eine iible Stand- ortsgesellschaft«, Fraas Synops. 114); I'ov bedeutet eben noch jede oder irgend eine dunkelbliihende Blume, duftend oder nicht. Spater unterschied man von den schwarzen die hellen, farbigen Violen (Find. 01. 6, 55) und verstand unter den letzteren durchgangig die Levkoje, Matthiola incana, und den Goldlack, Cheiranthus cheiri. Das la- teinische viola stammt wohl aus dem Griechischen und demgemass auch die Kultur dieser Blumen aus Griechenland, welches dieselbe selbst, wie gesagt, dem gegenuberliegenden Asien verdankt.

* Rose und Lilie, Viole, Goldlack. Die zuerst im westlichen Asien und im stidlichen Europa kultivirten Edelrosen sind vorzugsweise Kulturformen der in diesem Gebiet verbreiteten Rosa galliea L. ; eine durch niedrige Stengel ausgezeichnete Varietat derselben, S,. pumila Linn, fil., ist auch noch in Siid- und Mitteldeutschland zerstreut wild anzutreffen. Auch die R. centifolia L. (Centifolie) gehort dem Formenkreis der R. galliea an; sie ist im Wesent- liclien eine Form, deren Staubblatter in Blurnenblatter umgewandelt sind. Die Damascener Rose. R. damascena Mill., dagegen ist wahrscheinlich ein Bastard der R. galliea L. und der gewohnlichen Hundsrose, R. canina L. Das Gleiche gilt von Rosa alba L. Zu letzterer gehoren die heutzutage in Ostrumelien in so grosser Ausdehnung kultivirten bulgarischen Oelrosen, wahrend in Ostindien meistens die Damascener Rose und in Siidfrankreich Rosa galliea var. provincialis als Oelrose kultivirt wird. Endlich kommt als Oelrose auch noch die in Nordafrika, Abyssinien und Nordindien heimische

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 17

258 Rose. Lilie.

Rosa moschata Mill, in Betracht, von welcher Dr. Dieck vermuthet, dass sie das im Alterthum so geschatzte Rosenol von Kyrene geliefert habe. Die im Mittelmeergebiet verbreitete R. sempervirens L. hat als Oelrose keine Bedeu- tung; von ihr stammen aber die kletternden Ayrshire-Rosen ab. Die Bengal- rosen, Theerosen, indischen Monatsrosen etc. stammen von der asiatischen Rosa indica L. ab; sie alle haben nur als Zierstraucher Bedeutung, so dass also die geruhmten Rosen des Alterthums nur in die Formen- kreise der Rosa gallica und R. moschata gehoren.

Die weisse Lilie, Lilium candidum L., ist in den Gebirgen Griechen- laiids und Kleinasiens verbreitet, aber nieist in der Nahe menschlicher Woh- nungen; Boissier glaubt, dass sie im Libanon wirklich wildwachsend vorkomme.

Der Levkoje, Matthiola incana L., ist eine an den felsigen Ktisten des Mittelmeeres weit verbreitete Pflanze, welche man von den Ka- narischen Inseln entlang an Portugal, Spanien, Stidfrankreich, Italien bis Griechenland und Cypern verfolgen kann. Von dem Vorkommen der Pflanze an den Ktisten Kleinasiens ist mir nichts bekannt.

Der Goldlack. Cheiranthus Cheiri L., findet sich ebenfalls alsFelsen- pflanze in Griechenland und dem ganzen stidlichen Europa zer- streut, auch im westlichen Europa, ist aber aus Kleinasien nicht bekannt.

* * Dass griech. ^poSov eine alte, vorhomerische Entlehnung aus irani- schem Gebiet (vgl. awestisch vare^d- Pflanze, np. gul Pflanze xat' e£o^v, Rose, woraus einerseits armen. vard, andererseits arab. ward, aram. vardah, kopt. vert entlehnt wurden) sei, und dass aus einem griech. po&a, poSsa (*po8^a) wiederum das lat. rosa hervorging, wird man auch heute noch als die wahr- scheinlichere Annahme gelten lassen miissen. In neuester Zeit sind fur die- selbe, was das griech. poSov anbetrifft, G. Meyer Griech. Gramm.3 S. 237, und hinsichtlich des lat. rosa K. Brugmann Grundriss I2, 2 S. 684 eingetreten. Doch fehlt es nicht an abweichenden Anschauungen. So erblickt A. Fick in der 4. Auflage seines Vergl. Worterbuchs S. 556 in poSov einen einheimischen Pflanzennamen, den er mit griech. p'aSajxvo? junger Zweig und pi£a Wurzel verbindet, Worter, die semasiologisch doch recht fern von p68ov liegen. Auch ist, wenn an derselben Stelle armen. vard zur Vergleichung herangezogen wird, nicht bedacht, dass dieses Wort bei Urverwandtschaft mit po§ov *vart, nicht vard lauten mtisste (vgl. armen. sirt griech. xapSta). Aehnlich wie Fick urtheilt Mikkola B. B. XXH S. 244, wo auch ein lit. radastai Rosen- strauch beigebracht und mit diesem sowohl po'Sov wie rosa (*rod-s-a) verglichen wird. Bemerkt sei noch, dass im heutigen Armenisch vardeni, das auch in kaukasischen Dialekten vorkommt, die Rosa centifolia L. meint, wahrend fur Rosa canina etc. andere Namen bestehen (vgl. Koppen, Holzgewachse I, 345).

Mit grosserem Recht wie fur griech. p"o8ov ist neuerdings die iranische Herkunft des griech. Xetptov stark in Zweifel gezogen worden, und zwar durch Lagarde, Mittheilungen II, S. 21 ff. Dieser sagt: »Alle persischen Worter, welche ein L enthalten, miissen mit Vorsicht behandelt werden, da L, welches in einzelnen Gegenden Erans ganz oder fast ganz verschwindet, entweder die

Der Safran. 259

es enthaltende Vocabel der Herkunft aus der Fremde verdachtigt, oder darauf hinweist, dass sie starke Umbjldungen erfahren hat. Stammte das Wort lala nicht aus Persien, sondern ware es nur dorthin verschleppt, so diirfte Herr Hehn nicht um seinetwillen die Heimath der Lilie in Persien suchen: ware lala eine Versttimmlung eines urspriinglich ganz anders lautenden Wortes, so konnte ein aus lala entstandenes Xetptov erst verhaltnissmassig spat sein: aber Xeiptov ist alt.« Ferner wreist Lagarde darauf hin, dass npers. lala jede »wild- wachsende Blume« bezeichne. »Wanderte aber die Lilie aus Persien nach Griechenland, so that sie dies schwerlich unter dem ganz allgemeinen Namen »wildwachsende Blume«. Endlich macht er auf die Schwierigkeiten aufmerk- sam, den Vocalismus von npers. lala und griech. Xsiptov mit einander zu ver- mitteln. Auch Bartholomae in der Wochenschrift fiir klassische Philologie 1895 No. 22 S. 598 hebt hervor: ,,Wenn das np. Idlah Lilie, Tulpe echtpersisch ist, so fiihrt dl aller Wahrscheinlichkeit nach auf alteres (uriran.) ard oder arz. Ist das rich tig, so kann das schon bei Pindar (richtiger: Homer, vgl. Xeipcoeic) vorkommende Xeipwv nicht aus dem Iranischen entlehnt sein, weil jenes dl sich erst wesentlich spater eingestellt hat." Lagarde selbst leitet das griechische Wort aus deni Aegyptischen (kopt. 'pfjpe, fifjpi, ,av8-o;', ,xplvov*) ab, eine Erklarung, welche darin eine Stiitze findet, dass der in ganz Vorder- asien verbreitete Name der Lilie ebenfalls im Aegyptischen wurzelt: syr. sosanetd, hebr. sosanndh, arab. sausan, susan, armen. susan, pers. susan (daraus altsl. sosonu Lilie), dazu Etymologieum magnum: So5oa 4) rcoXts arco tuiv TCcptTiscpoxoTtuv xptvcuv aouaa yap ta Xsipta xaXeltat (vgl. Lagarde, Ges. Abh. S. 227), alle aus agypt. seschen Lotus; vgl. Erman, Z. d. D. M. G. 46, 117, der dazu bemerkt: »Die sem. Worte sind entlehnt zu einer Zeit, als das agypt. Wort schon wie im kopt. sosen lautete.« Das agypt. Wort bedeutet Lotus Nymphaea L. = griech. XCUTOC, das bis jetzt im Aegyptischen aber nicht nachgewiesen ist. Ueber den Sinn der semitischen Worter gehen die Ausleger vielfach auseinander. Nach Lagarde hatte das hebraische Wort im alten Testament in der Sprache der Architekten den Sinn von Lotus gehabt, im Volke aber sei der agyptische Name des Lotus auf lilium chalcedonicum oder eine buntbliihende Liliacee tibertragen worden. Nach Riehm im Bibellexikon hatte es sowohl die weisse Gartenlilie wie auch verwandte wildwachsende Pflanzen bezeichnet. Griech. xptvov ist dunkel. (Prellwitz, Etym. W. d. griech. Spr. vergleicht goth. hrains, wie er auch Xeiptov : Xetpo? mager, bleich stellt.) Vgl. zur Geschichte der Rosen- kultur in sachlicher Beziehung noch v. Fischer-Benzon Altdeutsche Garten- flora S. 34 ff.

Der Safran.

(Crocus sativus L.)

Eine friihe beriihmte Blume, der Rose an Rang gleich, sie an technischem Nutzen noch iibertreffend, war auch der orientalise he Safran, Crocus sativus, der vornehme und erlauchte Verwandte des europaischen bescheidenen Fruhlingscrocus, Crocus vernus. Ausser

17*

260 Der Safran.

seinem Dufte, der das orientalische und spater auch das europaische Alterthum entziickte, gab die Narbe seiner Bliite auch eine dauernde gelbe Farbe, und Gewander, Saume, Schleier, Schuhe, mit dieser ge- trankt, erschienen dem Auge der altesten asiatischen Kultur- und Religionsgriinder so herrlich, wie der Purpur, sowohl an sich, als zum Ausdruck des Lichtes und der Majestat denn Wirklichkeit und Symbol scheidet der gebundene Geist jener traumenden Zeiten noch nicht. Krokus- und Purpurgewand, thatlose Apathie, Aermel am Kleide und Binden um das Haupt bilden die Lust der Phryger, Verg. Aen. 9, 614:

Vdbis picta croco et fulgenti murice vestis,

Desidiae cordi; juvat indulgere choreis

Et tunicae manicas et habent ridimicula mitrae.

Zu der Tracht der Perserkonige, die der alteren babylonisch-medischen nachgeahmt war, gehort die safrangelbe Fussbekleidung : in den Persern des Aeschylus (v. 657 ff.) ruft der Chor den todten Darius aus der Unterwelt mit den beschworenden Worten empor: Erscheine, erscheine, alter Herrscher, komme mit der krokusgetrankten Eumaris an den Fiissen, mit der koniglichen Tiara auf dem Haupt. (Ueber die Verbreitung dieser Pflanze durch Asien s. Ritter, Erdkunde, Band 18, S. 736ff.) Den Abglanz orientalischer Heiligung des lichten, reinen Safrangelb zeigen die altesten mythisch-poetischen Vorstellungen der Griechen. lason, der Argonaute, als er in Kolchis sich anschickte mit den feuerspeienden Stieren den Acker zu pfliigen, warf das safran- farbige Gewand, mit dem er bekleidet war, ab (Pind. Pyth. 4, 232). Bacchus, der orientalische Gott, tragt den xgoxwrfa, das Safrankleid, und eben so die taumelnden Theilnehmer an den Freudenfesten, die ihm geweiht sind. Der neugeborene Herakles ist bei Pindar in krokus- gelbe Windeln gehiillt (Nem. 1, 37). Besonders aber Gottinnen, Nymphen, Koniginnen, Jungfrauen werden mit dem safrangelben oder mit Safran gezierten Kleide gedacht. Der Pallas Athene sticken die attischen Jungfrauen das buntdurchwirkte Krokusgewand, Eur. Hec. 466:

Schonthronige Pallas, soil

Einst wohl ich in dieser Stadt

Auf dein Krokosgewande dein

Eossegespann und den Wagen

Bilden im Kunstgewebe mit

Blumengefarbtem Faden?

Antigone in der Verzweiflung uber der Briider und der Mutter T< lasst die krokosfarbene Stolis fallen, in der sie im Gliicke und

Der Safran. 261

Konigstochter prangte (Eur. Phoen. 1491), ebenso Iphigenia bei der Opferung in Aulis (Aesch. Agam. 239). Venus kleidet die Medea in ihr (der Gottin) krokusgewebtes Kleid, Valer. Flacc. 8, 234:

Ipsa suas illi (Medeae) croceo subtemine vestes Induit.

Die an den Fels geschmiedete Andromeda (oder vielmehr Mnesilochus, der als solche verkleidet ist) hat den xQoxostg angelegt (Aristoph. Thesm. 1044). Helena hat von ihrer Mutter Leda die goldgestickte Palla und den rnit Krokus umsaumten Schleier zum Geschenk er- halten und mit nach Mycena gebracht, Verg. Aen. 1, 648 :

Ferre jubet pallum signis auroque rigentem Et circumtextum croceo velamen acantho, Ornatus Argivae Helenae, quos ilia Mycenis, Pergama quum peteret inconcessosque Hymenaeos, Extulerat, matris Ledae mirdbile donum.

Die Eos im Epos ist durchgangig xQoxoTtenhog, bei Hesiodus die Flussnymphe Telesto und die Enyo, die Tochter des Phorkys und der Keto, und ebenso die Musen bei Alcman fr. 85: MWGCU XQO- xoTiejr&oi,. Auch das Haar der Jungfrauen des Mythus wird als krokusfarben angeschaut, so das der Ariadne auf Naxos, Ov. Art.

am. 1, 530:

nuda pedem, croceas inreligata comas,

und das der schonen Tochter des Keleos, die mit aufgeschurztem Gewande zum Brunnen eilen, an dem die Demeter sitzt, Hymn, in

Cerer. 177:

doch um die Schultern Flatterte rings das Haar, der Blume des Krokos vergleichbar.

Die Bekanntschaft mit der Safranfarbe geht also bei den Griechen in die Zeit der Ausbildung des Heroenmythus hinauf; dass sie aus orientalischer Quelle stammte, wiirde, wenn dies sonst zweifelhaft sein konnte, das Wort xQoxog selbst lehren. Die althebraische Form desselben war Jcarkom, wie wir aus dem Hohenliede 4, 14 sehen; in andern semitischen Dialecten, z. B. in der Sprache der Cilicier, mag sie anders, doch ahnlich gelautet haben. Denn in Cilicien fand sich ein Vorgebirge Kwgyxog, und nicht weit davon die corycische Hohle, wo in einer Thalniederung der schonste echte Safran wuchs (Strab. 14, 5, 5), und dass Berg und Gefilde von dem Krokos benannt sind, ist eine naheliegende Vermuthung. Ob dem semitischen Worte vielleicht ein indisches zu Grunde liegt, das durch uralten Verkehr heriiber- gebracht sein konnte, ist fur Griechenland gleichgiiltig , welches die gelben oder mit Gelb gestickten Kleider als kostbare Waare zunachst

262 Der Safran.

aus semitischen Handen empfangen hatte. Dies war schon in und vor der epischen Zeit geschehen; eine andere Frage aber ist, ob die homerischen Sanger die Blume selbst schon mit Augen erblickt batten? Als Zeus und Hera auf dem Ida sich vereinigten, sprosste der Krokos, wie Lotos und Hyakintbos, aus der Erde, II. 14, 347: Ihnen gebar frisch griinenden Rasen die heilige Erde, Lotos, besprengt mit Thau, auch Krokos und auch Hyakinthos, Dicht zur weichlichen Streu, die vom Boden sie schwellend emporhob

aber das ideale Friihlings - Brautbett des Himmels und der Erde schmiickt der Dichter mit dem Herrlichsten, von dem er in Nahe und Ferae gehort. Auch sonst wachsen Krokusblumen auf den mythischen Wiesen, den Schauplatzen der Gottergeschichte , so bei dem Raube der Proserpina, Horn. h. in Cerer. 6:

Rosen sich pfluckend und Krokos und liebliche Veilchen auf zarter Wiese

425:

Spielten und lasen uns liebliche Blumen daselbst mit den Handen, Bald Hyakinthos und Iris und bald den freundlichen Krokos, Kelche der Rosen und Lilien aucb, ein Wunder zu schauen, Auch den, gleich dem Krokos, die Erde gebar, den Narkissos.

Wie bier in Proserpina, ist aucb Creusa, die Tochter des Erechtheus, beschaftigt, goldene Krokusbliiten in ihren Schooss zu lesen, da sie von dem schimmernden Gotte Apollo iiberrascbt wird, Eurip. Ion. 887:

Da erschienst du mit goldenem Haar Schimmernd, als ich zur Blumenzier Sammelte mir ins Gewand Goldleuchtende Krokosbliiten.

Und ebenso die Gefahrtinnen der Europa, als sich ihr Zeus in Stier- gestalt nahte, Mosch. 1, 86:

Sie wetteifernd lasen sich grade des goldenen Krokos Duftendes Haar.

Wenn Pan auf weicher Wiese mit den Nymphen singend streift, dann bliiht Krokos und Hyakintbos unter dem mannigfachen Rasen, Horn, h. in Pan. 25:

Auf dem Teppich der Wiese, da wo Hyakinthos und Krokos Duftend sich drangen und bliihn in verworrener Fiille der Graser.

Als die Pbantasie diese Scenen erfand , war die Aufmerksamkeit schwerlich scbon auf die einheimischen Krokus-Arten gelenkt; uberall ist der feme asiatiscbe Safran gedacbt, von dem die Sage erzahlte. Auch in dem herrlichen Triumphliede des Sophokles auf Kolonos

Der Safran. 263

schob sich der begeisterten Anschauung des Dichters statt des wirk- lichen Fruhlingsblumchens, das dort wuchs, der als goldstrahlend ge- dachte Crocus sativus des Morgenlandes unter, 0. C. 681:

Und in schonem Geringel bltiht

Ewig unter des Himmels Thau Narkissos,

Der altheilige Kranz der zwei

Grossen Gottinnen; golden glanzt

Krokos; nimmer versiegen die

Schlummerlosen Gewasser.

Theophrast aber unterscheidet schon genau den wilden, ogewog, nicht duftenden d. h. Crocus vermis, von dem kultivirten, ^ueQog, mid duf- tenden (h. pi. 6, 8, 3). Den ersten nennt er auch den weissen, eine dritte Art den dornigen, die beide duftlos sind (7, 7, 4). Doch biisste die Blume in dem kalteren Europa einen Theil ihres Aromas ein, denn sie artet leicht aus (6, 6, 5); unter alien von Griechen be- wohnten Landschaften aber trug der Krokus von Gyrene am afri- kanischen Stran'de den Preis da von (de cans. pi. 6, 18, 3). Auch in den romischen Garten finden wir neben Rosen, Lilien und Violen auch den Krokus ; Varro 1, 35, 1 giebt an, wann liliuin und crocus zu stecken, und wie Rosenbiische und violaria zu behandeln sind. Doch war die Blume fremd und sie erziehen ein Triumph der Accli- matisationskunst: wir sehen dies aus Columella, der sie mit der casia, dem Weihrauch, der Myrrhe zusammenstellt, 3, 8, 4: quippe com- phiribus locis urbis jam casiam frondentem conspicimus, jam tuream plantam, florentesque hortos myrrha et croco. Nach Plinius 21, 31 lohnt es sich nicht, in Italien Safran anzupflanzen; serere in Italia minime expedit, doch wird auch wieder der sicilische geriihrnt und mit dem italischen verglichen, den es also doch geben musste. Auf jeden Fall konnte den starken Verbrauch die einheimische Produktion nicht decken, und der sonnigere Orient musste Massen von Safran, theils roh, theils in Gestalt von Wassern, Salben, Arzneien, gefarbten Stoffen ins romische Italien senden. Wo der vorzuglichste wuchs, daruber waren die Meinungen getheilt; Theophrast hatte den cyre- naischen besonders hervorgehoben, Vergil den des lydischen Tmolus- Gebirges, Georg. 1, 56:

nonne vides croceos ut Tmolus odores, India mittit ebur?

Sonst gait allgemein der cilicische, namentlich der vom Berge Corycus, fur den edelsten, so auch bei Dioscorides 1, 25, der fur den nachst besten den lycischen vom Berge Olympus, fiir den dritten den von

264 Der Safran.

der aolischen Stadt Aegae in Kleinasien erklart. Plinius 21, 31 weist nach dem cilicischen und lycischen dem von Centuripae in Sicilien, einer Stadt am Fusse des Aetna, den dritten Rang an. In den Zeiten romischen Reichthums und sinnloser Anwendung desselben wurden, wie Rosenblatter, so auch Krokusdiifte und Krokusblumen ver- schwendet, wovon in den scriptores historiae Augustae Beispiele zu nnden sind. Wenn schon Lucretius zur Zeit der Republik den Gebrauch kennt, die Theater des Wohlgeruchs wegen mit Safran- wasser zu besprengen 2, 416:

et cum scena croco Cilici perfusa recens est,

und nach Sallustius bei Macrob. Sat. 3, 13, 9 Metellus Pius durch em Gastrnahl gefeiert wurde, bei dem der Speisesaal wie ein Tempel ausgestattet und der Boden mit Krokus bestreut war: simul croco sparsa humus et alia in modum templi celeberrimi, so ist nicht zu verwundern, wenn zur Kaiserzeit die Statuen im Theater von Krokussaft flossen, Lucan. 9, 809 :

Atque solet pariter totis se effundere signis Corycii pressura croci : sic omnia membra Emisere simul rutilum pro sanguine virus

oder wenn es von Hadrian heisst, Ael. Spart. 19 : in honor em Trajani balsama et crocum per gradus theatri fluere jussit, und Heliogabalus, der verkorperte Orient auf dem romischen Thron, in Teichen sich badete, deren Wasser durch Safran duftend gemacht war, oder seine Gaste auf Polstern von Krokusblattern niedersitzen liess. Auch die Kochkunst und Medicin machte von dem Safran reichlichen Ge- brauch. Er bildete eine beliebte Wurze in Speisen und Getranken und war gegen alle Uebel heilsam. Es gab wenig componirte Recepte, in deren Zusammensetzung dieser Bestandtheil fehlte (J. F. Hertodt, Crocologia s. curiosa croci enucleatio. Jenae 1670, 8°). Die hohen Ehren, die das Alterthum dem Safran zuerkannt hatte, mussten in dem kindisch abhangigen Mittelalter unverkurzt bleiben, ja sich noch steigern. So ging die Sage, unter Eduard III. habe ein Pilger aus dem gelobten Lande in einem ausgehohlten Stocke eine Saffranzwiebel nach England gebracht (Beckmann, Beytrage, 2, 80), offenbar weil das Kostlichste auf Erden nur in tiefem Geheimniss und unter Lebensgefahr zu gewinnen ist ; mit der Seide hatte es ja eine ahnliche Bewandtniss gehabt. In Wirklichkeit waren es die Araber, die neben so vielem Andern auch diese Kultur nach Europa brachten; ihnen gelang, was das Alterthum entweder vergeblich unternommen oder bei dem offenen Verkehr mit dem Orient nicht ernstlich versucht

Der Safran. 265

hatte. Von jener Zeit und aus Spanien stammen die Safranfelder am Mittelmeer, wie auch seitdem der arabische Name Safran, ital. zafferano, span, azafran u. s. w. den alten griechisch-romischen crocus, der freilich anderthalb oder zwei Jahrtausende fruher auch von den Grenzen Arabiens gekommen war, verdrangt hat. NUT darin haben sich die Zeiten geandert, dass die jetzigen Menschen gegen das Aroma dieser Blume gleichgiiltig geworden sind: weder gilt der Duft und Geschmack fur so reizend, wie er friiheren Geschlechtern schien: ja Manche weisen ihn ganz ab; noch bediirfen wir dieser Bliitengriffel ausschliesslich , um den Geweben und dem Leder den Glanz hochgelber Farbe zu geben; und dies Alles nicht bloss in Europa, sondern, was merkwiirdig ist, auch im Orient selbst. Dieser Eiickgang des Safrans in Asien beweist, dass auch in jener uiibeweglichen , ganz von unabanderlichen Naturbedingungen gebundenen Weltgegend in langen Zeitraumen langsame Abweichungen vor sich gehen und die Nerven eine andere Stimmung gewinnen.

Wir fiigen noch anhangsweise hinzu, dass eine ahnliche, doch minder edle Farbepflanze , der Saflor, Carthamus tinctorius , ein Distelgewachs, das in Ostindien zu Hause ist, schon den Griechen iiber Aegypten bekannt geworden war. Der griechische Name xvrjxog entspricht einigermassen dem indischen (s. Benfey, Wurzelworter- buch, unter diesem Wort) und stammte ohne Zweifel aus der an- gegebenen vermittelnden Gegend. Schon Aristoteles und Theophrast kennen das Wort; Theokrit braucht es adjectivisch in der Bedeutung fahl, gelblich (wo es dann die Grammatiker xvqxog betont haben wollen). Theophrast unterscheidet h. pi. 6, 4, 5, schon die aygCa und die yiusgog, von der Anwendung zur Farberei aber spricht er nicht, die doch allein die Verbreitung bewirkt haben kann. Im heutigen Aegypten werden die Samen gegessen, in Italien dienten sie als Lab zur Milch. Erst die Araber aber lehrten den Anbau im Grossen und die Benutzung zur Roth- und Gelbfarbung, und von ihnen stammt denn auch der Name, ital. asforo, asfiori, zaffron, deutsch Saflor, engl. safflow, zaffer u. s. w.

* Der in Sudeuropa und England, namentlich in Spanien kultivirte Safrancrocus, Crocus saiivus L., ist mit keiner der wildwachsenden Formen voll- kommen identisch; er ist stets steril, wenn er nicht mit dem Pollen einer wilden Form befruchtet wird. Wildwachsend findet sich Crocus sativus L. auf den Bergen bei Smyrna, auf Greta, den Cykladen und um Athen, in einer anderen Varietat auch in Taurien, Thracien und Dalmatien.

266 Die Dattelpalme.

** Zu griech. xpdxoc etc. vgl. noch das ebenfalls aus dem Semitischen entlehnte armen. k'rkfum Safran (Hiibschmann , Z. d. D. M. G. 46, 254). Griech. xv?]v.o<;, xvrjxvo? wird ein einheimisches Wort mit der Bedeutung gelb sein = scrt. Jcdncana golden (Fick, Vgl. W.4 I, 19). Das von Benfey (oben S. 265) angezogene scrt. Icufikuma Safran 1st wohl fernzuhalten, hingegen bringt Muss-Arnolt, Transactions XXIII S. 116, nach Oppert ein assyr. Jcarkuma (?). Auch pers. Tcarkum. Vgl. noch Low, Aram. Pflanzennamen S. 215 220.

Die Dattelpalme.

(Phoenix dactylifera L.)

Die Dattelpalme ist nach Ritter der echte »Reprasentant der subtropischen Zone ohne Regenniederschlag in der Alten Welt«, einer Zone, als deren Mittelpunkt etwa Babylon, die palmenreiche Haupt- stadt der semitischen Volker, angesehen werden kann. Am besten gedeiht sie nach Link, Urwelt 1, 347, zwischen dem 19. bis 35. Grad nordlicher Breite; siidwarts vom Ausfluss des Indus und eben so in der Landschaft Darfur unter 13. bis 15. Grad der Breite ist sie bereits- verschwunden ; nach Norden bedarf sie, um geniessbare Friichte zu tragen, einer mittleren Jahreswarme von 21 bis 23 ° C. Sie verlangt Sandboden und liebt den sengenden Hauch der Wiiste; aber als Gegensatz ist Befeuchtung ihren durstigen Wurzeln unentbehrlich. Der Konig der Oasen, sagt der Araber, taucht seine Fiisse in Wasser und sein Haupt in das Feuer des Himmels. Kein Sturm bricht oder entwurzelt die Dattelpalme, denn ihr Stamm besteht aus den verflochtenen Fasern der Blattstiele, und die durch einander geschlun- genen Wurzeladern binden sie an den Boden. Sie wird 50 und mehr Fuss hoch, sie wachst langsam, ist mit 100 Jahren in ihrer vollen Kraft, von da an mm nit sie ab. Durch das Schirmdach der sauseln- den geneigten Blatter dringt kein Sonnenstrahl ; drunten weht es lieblich, auch das Wasser fehlt nicht; Gemiise und kleinere Frucht- baume gedeihen noch auf dem Boden. Alle Ortschaften, alle Einzel- hiitten der Araber bergen sich in Palmenhainen, und mit Freude sieht der Reisende am Wiistenhorizont die dunkeln Kronen auf- tauchen, gewiss, dort bewohnte Statten und gastfreundliche Aufnahme zu finden. »Ehret die Dattelpalme, soil der Prophet gelehrt haben, denn sie ist eure Muhme von Vaters Seite« (Kazwini bei S. de Sacy, Chrestomathie arabe, 3 p. 378) und »sie ist aus demselben Stoffe geschaffen, wie Adam und der einzige Baum, der kiinstlich befruchtet

Die Dattelpalme. 267

wird.« Im heutigen Arabien bildet die Dattel das Brod, das eigent- liche tagliche Brod des Landes und zugleich den wichtigsten Handels- artikel (nach Palgrave, Reise in Arabien, 1, 46 der deutschen Aus- gabe). Aber nicht von Anbeginn ist der Baum in vollem Masse das gewesen, was er jetzt ist. Erst die Pflege der Menschenhand hat ihn so veredelt, dass seine Friichte siiss und essbar wurden und ganze Volkerstamme jetzt von ihm fast ausschliesslich leben konnen. Die altesten Nachrichten kennen die Dattelpalme noch nicht als Fmchtbaum (s. die Ausfiihrung bei Ritter, Erdkunde, 13, 771 ff.). Es war in den Ebenen am unteren Euphrat und Tigris, im Paradies- klima des Baumes, wo, wie Ritter urtheilt, die Kunst der Dattel- veredelung von den babylonischen Nabataern zuerst erfunden und geiibt wurde. Dort zog sich meilenweit eine ununterbrochene frucht- tragende Palmenwaldung fort; dort befriedigte der Baum fast alle Lebensbediirfnisse; es gab nach Strabo 16, 1, 14 einen persischen, nach Plut. Symp. 8, 4, 5 einen babylonischen Hymnus, in welchem 360 Arten, von ihm Nutzen zu ziehen, aufgezahlt waren (die mystisch- astrologische Zahl, die uns schon bei den Aegyptern begegnet ist, und die z. B. bei den 360 Frauen des Perserkonigs, regiae pellices, die den Macedoniern in die Hande fielen, Curt. 3 , 8 , wiederkehrt). Von dort wurde die fruchttragende Dattelpalme nach Jericho, Pho- nizien, zum ailanitischen Golf am rothen Meer u. s. w. verbreitet. Man kann dies merkwiirdige Factum der Kulturgeschichte nur mit jener andern Thatsache in Parallele stellen, dass das Kameel erst seit dem dritten Jahrhundert nach Chr. in Afrika eingefiihrt worden welches Thier doch fiir die libyschen Wiisten wie geschaffen scheint und den unzuganglichen Welttheil fremden Volkern, ihrem Handel, ihrer Religion erst geoffnet hat (s. Waitz, Anthropologie 1, 410, der sich auf Reinaud im Institut von 1857 p. 136 beruft; auch nach Brugsch fehlt das Kameel ganzlich auf den agyptischen Monumenten, histoire d'Egypte, p. 25: nous remarquons que le chameau, r animal le plus utile aujourd'hui en Egypt e, ne se ren- contre jamais sur les monuments)**). Kameel und Dattelpalme, zwei innerlich verwandte und denselben Existenzbedingungen unter- worfene Geschopfe, gehoren dem Oasenvolke der Semiten, dem Volke der bitteren Miihsal und der traumerischen Musse, nicht nur ur- spriinglich an, sondern sind auch von ihm, so zu sagen, geschaffen worden: es hat das erstere gezahmt und verbreitet und der andern den nahrenden Fruchthonig entlockt und so durch beides eine ganze Erdgegend bewohnbar gemacht.

268 Die Dattelpalme.

Von einer Uebertragung der Dattelpalme nach Europa in dem Sinne, wie der Weinstock, der Oel- und Kirschbaum dort eine zweite Heimath fanden, kann nach den oben angegebenen klimatischen Be- dingungen, von denen sie abhangt, nicht die Rede sein. Sie wurde am nordlichen Ufersaume des mittellandischen Meeres angepflanzt, aber trug keine reifen Friichte mehr; sie schmiickte reizend und fremdartig die Landschaft und lieh ihr einen fliichtigen Schimmer der jenseits gelegenen orientalischen Sonnenlander ; der nordische Gebirgsbewohner, der in die Kiistenlander hinabstieg, staunte sie als eine wunderbare Naturgestalt an, aber er konnte nicht, wie der Orientale, sorglos sein Dasein an sie kniipfen und in ihrem Schatten Marchen ersinnen und anhoren: eine schwerere Arbeit war ihm unter dem rauheren europaischen Himmel auferlegt. Zwar ist alle Baum- zucht, wenn sie auch nachdenkliche , zusammenhangende Thatigkeit voraussetzt und entwickelt, eine leichtere, in gewissem Sinne huma- nere Beschaf tigung : aber von dem Leben unter der Dattelpalme gilt dies in allzu hohem Grade, und der Mensch, dem sie fast ohne sein Zuthun Alles gewahrt, bleibt ewig in dusterem Fatalismus gebunden, und unter der wurdevollen Ruhe, die inn selten verlasst, schlummert eine heisse tigerartige Leidenschaft.

Von wem den Griechen die Kenntniss des wunderbaren Baumes zugekommen war, lehrt uns gleich an der Schwelle der Name, den er bei ihnen fiihrt. Wie <foCvi% Scharlach die aus Phonizien stam- mende Farbe, (po£vi%, (powixtov ein phonizisches musikalisches In- strument, so bezeichnete <poivt,% Dattelpalme den aus Phonizien herriihrenden Baum66), der als charakteristisches Produkt und zu- gleich Symbol des Landes auf phonizischen, spater karthagischen, in Sicilien geschlagenen Miinzen wiederkehrt. Die Ilias weiss von der Palme nichts, die an der anatolischen Kiiste ganz ebenso, wie im eigentlichen Griechenland ein Fremdling ist; aber Odyss. 6, 162, in der altesten und schonsten Partie dieses Epos, wird der Palme auf Del os gedacht, in Worten, aus denen die Bewunderung spricht, die das neu erschienene fremdartige Pflanzengebilde bei den Griechen der epischen Zeit erregte. Odysseus hat sich am Meeresstrande der Nausikaa genahert und spricht zu ihr schmeichelnd und um Hulfe flehend :

Denn noch nirgends sah ich, wie Dich, der Sterblichen einen,

Sei es Weib oder Mann, und Bewunderung fasst mich beim Anblick.

Also auf Delos erblickt' ich einst mit Augen der Palme

Jung aufstrebenden Spross am Altar des Phobus Apollon.

Die Dattelpalme. 269

Derm dorthin auch war ich gelangt mit vielen Genossen

Auf der Fahrt, die mir, schwer zum Unheil sollte gereichen.

So nun jeiie erblickend, erstaunt ich lang' im Gemiithe,

Denn nicht tragt ein solches Gewachs sonst irgend die Erde.

So auch Dich, o Jungfrau, schau ich bewundernd und fiirchte

Flehend die Knie zu beriihren, und schmerzliche Trauer befangt mich.

Der weitgewanderte Odysseus also hatte sonst nirgends auf Erden einen Baum (dogv in dieser alterthiimlichen Bedeutung nur an dieser einen Stelle, sonst bei Homer imrner Balken, Speer; wohl mit Bezug auf den graden, zweiglosen, oben in einer Krone endigenden Schaft), wie den Spross des Phonix ((powixoQ ggvog) gesehen, und er vergleicht die schlanke Bildung des letzteren mit der Gestalt der koniglichen Jungfrau, ganz wie der Sanger des Hohen Liedes, 7, 8: »Dein Wuchs gleicht der Palme und Deine Bruste den Datteltrauben«, und wie Konigstochter im Alten Testament den Namen Tamar, Dattelpalme, tragen. Auch der homerische Hymnus auf den delischen Apollo, der bei einer delischen Festversammlung gesungen word en sein mag, versaumt nicht die Palme zu nennen, die der Stolz der Insel war; an ihrem Fuss, den Stamm mit den Armen umfassend, 117: a(JL(pl ds <powix(, pake nqxes, gebiert Leto ihren herrlichen Sohn. Je besuchter die Insel als apollinischer Wallfahrtsort und als Emporium wurde, desto hdher stieg der Ruhm der delischen Palme, zumal da er auch in der Odyssee einen Widerhall gefunden hatte67). Palmblatter dienten spater bei den vier grossen Festen als Sieges- zeichen, theils in Gestalt von Kranzen auf dem Haupt theils als Zweig in den Handen: zur Erklarung dieser Sitte, die schon Pindar kennt (s. Boeckh zu Pind. Fr. p. 578), berichtete der Mythus, Theseus habe, von Kreta zuruckkehrend, in Delos zu Ehren Apollos ein Kampfspiel gefeiert und die Sieger mit Zweigen der Palme ge- schmiickt, und dies sei dann auf die iibrigen Spiele iibergegangen (Plut. Thes. 21. Sympos. 8, 4, 3. Pausan, 8, 48, 2). Wir deuten dies so, dass nicht bloss die Palme als Attribut des Licht- und Sonnengottes Apollon, sondern der Palmzweig als Symbol des Sieges, und der Siegesfreude uber Kreta und Delos aus dern Kultur- und religiosen Vorstellungskreise der Semiten gekommen war, denn auch bei diesen dienten Palmen als Zeichen des Lobes und Sieges und festlicher Freude (z. B. am jiidischen Laubhiittenfest) , und Theseus personificirt die Fahrten und Thaten der attischen lonier zwischen Kreta und Athen und erscheint als ein eifriger Jiinger auch der semitischen Aphrodite. Statt des Theseus nannte eine auf anderem Lokal erwachsene Legende denHerakles: dieser hatte aus der Unter-

270 Die Dattelpalme.

welt wiederkehrend zuerst die Palme erblickt und sich mit ihren Zweigen bekranzt, Philargyr. ad V. G. 2, 67: quia Hercules cum ab inferis rediret hanc primus arborem dicitur contemplatus esse et se inde coronasse, conveniente colore arboris itti eventui quo e tenebris in lucem commeavit wo im Herakles der orientalische Sonnengott, dem die Palme als Baum des Lichts angehort, nicht zu verkennen ist. Damals hatte der arkadische Held lasios als erster Ueberwinder im Wettrennen von Herakles die Siegespalme erhalten, und Pausanias 8, 48, 1 sah sein Bild in der Stadt Tegea, wie er in der Linken ein Ross fiihrte und in der Rechten den Palmzweig Melt. Schon in der Mitte des siebenten Jahrhunderts vor Chr. stif- tete der Tyrann Kypselos, der Herrscher im halborientalischen Ko- rinth, eine eherne Palme als Weihgeschenk in Delphi, woselbst die natiirliche Palme nicht wuchs : die unten am Stamme angebrachten Frosche und Wasserschlangen machten den spateren Mythologen und Hodegeten viel Kopfzerbrechens (Pint. Conv. sept. sap. 21. de Pyth. oracc. 12); wahrscheinlich hatte der Kiinstler in naturalistischer Weise nur ausdriicken wollen, dass die Palme, das Kind der Wuste, doch ohne im Boden verborgenes oder aus der Tiefe hervorbrechen- des Wasser nicht leben kann, brakiges Wasser aber allem Uebrigen vorzieht woriiber ihm in Korinth wohl Kunde zugekommen sein konnte. Wie Kypselos, weihten auch die Athener zu Ehren ihres Doppelsieges am Eurymedon, vielleicht um damit das Land zu be- zeichnen, in welchem dieser Sieg erfochten war, eine eherne Palme in Delphi (Paus. 10, 15, 3) und spater eine gleiche durch Nikias in Delos (Plut. Nic. 3, 5); Palmbaume sieht man auf Miinzen von Ephesus, von Hierapytna und Priansus auf Kreta, von Karystos auf Euboa (s. Mionnet unter diesen Stadten) und auf Vasengemalden als Attribut der Leto und des Apollo oder auch den Palmzweig als dem Sieger am Ziele winkend (z. B. vor einem brausend daher- sprengenden Viergespann bei Millin 1, pi. 24). Dass auch das argivische Nemea schon zu Pindars Zeit seine Palme besass, geht aus dem von Dionysius de comp. verb. 22 aufbewahrten Anfang des in Athen gesungenen Friihlings-Dithyrambus dieses Dichters hervor, v. 12:

Im Argeischen Nemea bleibt dem Seher nicht verborgen

Der Palme Spross, wenn der Horen Gemach sich offnet

Und den duftenden Friihling empfindeii die nektarischen Pflanzen

wo die homerische Formel (poCvixog, tyvog nichts anderes bedeutet als Palmbaum (Hesych. cpoCvixog sgvog' TceQKpQaGnxwg TOV

Die Dattelpalme. 271

der Seher, [idvug, aber wohl nur der priesterliche Wachter 1st, der den geweihten Baum beobachtet und pflegt. Auch zu Aulis vor dem Tempel der '.dortigen Artemis fand Pausanias 9, 19, 5 Palm- baume stehen, die keine so schoneu Datteln gaben, wie die von Palastina, aber immer siissere, als die in lonien erzeugten. So batten sich denri im Laufe der Zeiten trotz des pythagoreischen Verbots fjirjds (poivixa (pvievsw, keinen Dattelbaum zu pflanzen, Plut. de Is. et Os. 10 (weil Zweige dieses Baumes das Siegeszeichen abgaben, ein solches aber den Pythagoreern gottlos schien) bin und wieder in Griechenland die Umgebungen der Heiligthiimer und Ortschaften rnit einzelnen oder Gruppen jener babylonisch-libyschen Wunderbaume geschmiickt, zum Staunen Jedes, der sie zum ersten Male sah.

Wenden wir uns zu den Schicksalen der Palme in Sicilien und Italien, so mussen wir vor Allem die Dattelpalme, Phoenix dacty- lifera, und die Zwergpalme, Chamaerops humilis. genau unter- scbeiden - - letztere ein in Spanien, Sicilien und aucb Unteritalien auf heissem Boden wucherndes, meist verkriippeltes , blaugriines Ge- strauch, dessen junge Blattsprossen , Wurzeln und Friichte gegessen, und aus dessen facherforrnigen Blattern Kehrbesen verfertigt, Stricke gedrebt und Korbe, Matten u. s. w. geflochten werden. In Folge des gleichen Namens palma sind haufig Notizen der Alten, die sich auf die Zwergpalme bezogen, irrig fur die Geschichte der Dattelpalme benutzt worden. Schon Tbeophrast sondert beide Arten aufs Be- stimmteste, h. pi. 2, 6, 11: »die sog. Zwergpalmen (o£ %aft(U()Qi,<p£Zg xakovpevoi?) sind von den Dattelpalmen verschieden, obgleich sie den- selben Namen tragen: sie leben nacb Entfernung des Gebirns fort (die schmackhaften Blatterknospen, wabrend die Dattelpalme abstirbt, wenn man ihr das cerebrum, den Gipfeltrieb, nimmt) und abgehauen scblagen sie aus der Wurzel wieder aus (dies sind die eaeduae pal- marum silvae, germinantes rursus ab radice succisae des Plinius, die Dattelpalme treibt nicbt wieder aus der Wurzel). Sie unter- scheiden sich auch durch die Frucht und die Blatter: letztere sind breit und zart (sie sind denen der Facherpalme nicht unahnlich), weshalb man auch Korbe und Matten aus ihnen flicht (wie noch heut zu Tage). Die Zwergpalmen sind haufig in Kreta, aber noch mehr in Sicilien. « Von den Wurzeln und Trieben dieser sicilischen Kiistenpalme nahrten sich die Matrosen der von ihrem Fiihrer ver- lassenen Flotte bei Cic. Verr. II, 5, 87: posteaquam paulum pro- vecta classis est et Pacliynum quinto die denique appulsa: nautae coacti fame radices palmarum agrestium, quarum erat in illis

272 Die Dattelpalme.

locis, sicut in magna parte Siciliae, multitude, eolligebant et his miseri perditique alebantur. Wenn Vergil Aen. 3, 705 sagt: pal- mosa Selinus, so dachte er an die Zwergpalme, die noch jetzt die Kustensteppe um die Ruinen dieser Stadt bei Castelvetrano weit und breit iiberzieht. Von derselben Palme kamen die Kehrwische, mit denen der musivische Fussboden gereinigt wird, bei Horaz

Sat. 2, 4, 83:

Ten' lapides varios lutulenta radere palma,

und bei Martial 14, 82:

In pretio scopas testatur palma fuisse.

Zu den Stricken, Seilen und Matten, die Varro 1, 22, 1 aus Hanf, Flachs, Rohr, Pal men und Binsen bereiten lasst, ebenso zu den Palmmatten, mit denen Columellas Oheim in der Provinz Batica zur Zeit der Hundstage seine Weinreben bedeckte (Col. 5, 5, 15), dienten die Blatter der einheimischen Zwergpalme. Palma campestris bei Colum. 3, 1, 2 ist offenbar Chamaerops humilis, und eben dahin gehort die regio palmae foecunda bei demselben 11, 2, 90. Das Verbum palmare, Colum. 11, 2, 96: caeterum palmare id est ma- terias alligare - - kann weder von palma, die flache Hand, mit der sich nichts anbinden lasst, noch von palmes, palmitis, gebildet sein, sondern nur von palma, die Zwergpalme. Selbst die planta pal- marum bei dem spateren Palladius 5, 5, 2, quam cephalonem voea- muSj und die den diirren Boden, der sonst keine Frucht tragt, von selbst iiberdeckt 11, 12, 2: constat autem locum prope nullis utilem fructibus in quo palmae sponte nascuntur kann keine andere sein, als die Chamaerops humilis, die noch jetzt in Italien cefag- lione heisst (von gy*£<paAog, die essbaren obersten jungen Sprossen). Auch die Insel Palmaria, jetzt Palmarola, hiess so von dem Palmen- gestrauch, mit dem sie urspriinglich bewachsen war. Aber auch die Dattelpalme oder die Palme als wirklicher Baum tritt uns in Italien ziemlich friihe entgegen. Zwar wenn erzahlt wurde, Rhea Silvia, die Mutter des Romulus und Remus, habe im Traume am Altar der Vesta zwei Palmbaume aufwachsen sehen, von denen der eine grossere den ganzen Erdkreis beschattete und zugleich den Him- mel mit dem Gipfel beriihrte, Ov. Fast 3. 31:

Inde duae pariter, visu mirdbile, palmae Surgunt. Ex illis altera major erat Et gravibus ramis totum protexerat orbem Contigeratque sua sidera summa coma

so konnte diese griechische Dichtung erst entstehen, als Rom schon machtig und an Siegen reich war, und das Vorbild gab der Wein-

Die Dattelpalme. 273

stock ab, der aus dem Schooss der Mandane , der Tochter des Astyages, emporwuchs und ganz Asien uberdeckte, oder jener Oel- kranz, den Xerxes im Traum sah und dessen Zweige uber die ganze Erde reichten, Herod. 7, 19. Aber auch in Roms friiherer Zeit, da es noch klein war und sein Name nicht weit reichte, war schon die tunica palmata, die die Romer mit den ubrigen Abzeichen obrigkeit- licher Herrlichkeit von den Etruskern uberkommen batten, mit den Blattformen der orientalischen Dattelpalme gestickt. Palmzweige als Siegespreis in den romischen Spielen kamen, wie Livius 10, 47 aus- driicklicb berichtet, zuerst im Jahr der Stadt 459 oder 293 vor Cbr. vor, in Nacbabmung griechischer Sitte: translate e Crraecia more. Hieraus, wie aus der Palmstickerei ware freilich noch nicht mit Sicherheit zu schliessen, dass die Palmbaume selbst schon in Italien wuchsen: die zu den Siegespreisen nothigen Blatter konnten zu Schiff nach Italien kommen, wie noch heut zu Tage der Seehandel den- selben Artikel fur jiidische und christliche Feste liefert, und dies um so leichter, als Palmblatter lange griin bleiben und nicbt welken. Aber um dieselbe Zeit im Jahre 291 vor Chr., geschah folgendes Wunder im Hain des Apollo zu Antium : die Romer batten aus An- lass einer Pest die Schlange des Aesculap aus Epidauros geholt und landeten mit ihr in der genannten Stadt ; die Schlange, die bis dahin den Abgesandten klug und willig gefolgt war und deren Absichten errathen hatte, schliipfte aus dem Schiff, ringelte sich um die dort stehende bohe Palme und kehrte nach drei Tagen ruhig in das Schiff zuriick, welches dann den Tiber hinauf nacb Rom fuhr u. s. w. (Val. Max. 1, 8, 2). Man mag iiber diesen Vorgang denken, wie man wolle: die Existenz eines Palmbaumes in Antium muss als Ankniipfungspunkt fur die Sage vorausgesetzt werden und hat in einem Hafen mit lebhaftem Verkehr und Apollodienst nichts Un- wabrscheinliches. Das Prodigium, welches Livius 24, 10 unter dem Jahr 214 berichtet: in Apulia palmam viridem arsisse, konnte nicht geschehen, wenn damals in Apulien nicbt wenigstens eine Palme vorhanden war. Wie in Antium standen wohl auch bei den griechischen Stadten in Unteritalien Dattelpalmen bin und wieder an der schonen Kiiste als Begleiterinnen apollinischer Heiligthumer. Zu Varros Zeit fehlte es an diesen Baumen in Italien nicht, wie aus seiner Be- merkung hervorgeht, der Palmbaum bringe in Judaa reife Datteln hervor, in Italien vermoge er es nicht, 2, 1, 27: non scitis palmu- las (Aldina rich tiger: palmas) caryotas in Syria parere in Judaea, in Italia non posse? und bei Plinius im ersten Kaiserjahrhundert

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. jg

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1st der Baum schon in Italien gemein, 13, 26: Sunt quidem et in Europa volgoque Italia, sed steriles. Von wem aber war er ur- spriinglich in Italien eingefiihrt worden? Wenn nach Livius die Palmen als Siegerschmuck in den romischen Spielen aus Griechen- land stammten, wenn auch die etruskische Palmenstickerei , wie Otfried Miiller, Etrusker 1, 373, urtheilt, ein Ausfluss griechischer Sitte war woher dann der ungriechische Name palma? Das Wort ist aus dem Lateinischen nicht zu erklaren, wie sollte auch ein so fremder exotischer Baum einheimisch benannt worden sein? Palma muss aus dem semitischen tamar, tomer entstellt (wie aus raw's der Pfau pavus, pavo wurde), oder es muss einer semitischen Sprache in der der Anlaut wie p klang nachgesprochen worden sein. Letztere Annahme findet in dem biblischen Tadmor und der ent- sprechenden griechisch-lateinischen Benennung Palmyra, Palmira (zu-' erst bei Plinius und Josephus) , wobei an keine Uebersetzung zu denken ist, einigen Anhalt68). Noch vor den Griechen also oder vielmehr, so zu sagen an ihnen vorbei, zu einer Zeit, in deren See- verkehr uns der von Polybius aufbewahrte Schiffahrtstraktat einen Blick eroffnet , mussen entweder tuskische oder lateinische Schiffer den Baum an libyschen, sicilischen, sardinischen Kiisten erblickt und seinen Namen erfahren oder punische Kauffahrer Zweige desselben, termites, anddixsg 69) , an die italische Kuste gebracht haben, sei es als Wunder des Siidens, wie auch unsere Schiffer Papageien und Kokosmisse bringen, sei es zum Schmuck religioser Feste oder als Zeichen der Huldigung fiir einheimische Fursten und Ober- haupter. So konnten auch die Etrusker, wie die Namen, so auch den Gebrauch der Palmblatter als Insignien der Herrscherwiirde ohne griechische Vermittelung direkt von den Puniern gelernt haben. An die Frucht der Palme als Handelsartikel ist nach dem gleich An- fangs Bemerkten in jener alteren Zeit noch nicht zu denken. Das dem Semitischen entlehnte Wort ddxrvhog, dactylus, welches mit Finger nichts zu thun hat, wie palma nichts mit der Hand, kommt erst spat vor (bei Artemidor. 5, 89, zur Zeit der Antonine, und unter den Lateinern, bei dem wahrscheinlich noch viel jiingeren Apicius, denn bei Plinius 13, 46 sind die dactyli nur eine bestimmte Sorte unter vielen andern), ist aber in alle romanischen Sprachen (ital. dattero, span, datil, franz. datte) und von diesen auch in die germanischen iibergegangen. Aelter ist eine andere, gleichfalls nur einer besonderen nussformigen Art Datteln zustehende spater verallgemeinerte Be- nennung xaQvatTog, xagvwug, lat. caryota, caryotis, haufig im ersten

Die Dattelpalme. 275

Jahrhundert der Kaiserzeit, zu allererst bei Varro 2, 1, 27, dann bei Strabo und Scribonius Largus. Entsprechend dem griechischen <folv(,% die Dattel sagten die Dicbter auch palma fur die Fmcbt, z. B. Ov. Fast. 1, 185:

quid vult palma sibi rugosaque carica dixi,

wie auch das verkleinerte palmida denselben Begriff ausdriickte, schon bei Varro 1, 67. Doch gin gen alle diese Ausdriicke wieder verloren, und Dattel wurde der allgemein ubliche Name in der west- europaischen Handelssprache.

Da der in die Erde gesteckte Dattelkern bald keimt, so 1st es leicht, Palmen zu erziehen und zu vervielfaltigen. Triige der Baum in Europa Frucht, wie im afrikanischen Dattellande, gewiss wiirden dann an zahlreichen Stellen der drei ins mittellandische Meer aus- laufenden europaischen Halbinseln Palmenwalder rauschen, und gewiss hatten auch dann die Menschen Sorge getragen, beide Geschlechter des Baumes neben einander zu pflanzen und der natiirlichen Be- fruchtung, wie im Orient, kiinstlich zu Hiilfe zu kommen. Als nach dem Untergang der antiken Welt Barbarei iiber jene Gegenden herein- brach und der Sinn fiir Anmuth des Lebens erloschen war, da starben auch die Palmbaume allmahlich ab, die etwa aus dem Alter- thum sich noch erhalten hatten: sie brachten nichts ein, und neben der Sehnsucht ins Jenseits und der Selbstqual herrschte nur noch der grobe gierige Eigennutz. So weit dann die Araber an den Kiisten des Mittelmeers sich niederliessen, ward auch die Palme wieder sichtbar. In Spanien pflanzte um das Jahr 756 der christ- lichen Aera der Kalif Abdorrahman I in einem Garten bei Cordova mit eigener Hand die erste Dattelpalme, von der alle iibrigen im heutigen Spanien abstaramen sollen (Conde, historia de la dominacion de los Arabes en Espafia, part. 2, cap. 9), und betrachtete sie oft in sehnsuchtiger Erinnerung an die arabische Heimath, von der sie beide, der Kalif und der Baum, so fern waren. Aehnlich thaten die Saracenen in Sicilien und Kalabrien, doch hatte dieser Orientalismus auf europaischem Boden nur fliichtigen Bestand. Bis in die neuere Zeit waren einzelne Exemplare wie zufallig stehen geblieben, zur Freude und Ueberraschung der Reisenden von Norden, durch welche die Anwohner erst auf den malerischen vegetativen Schmuck, den sie an dem Baum besassen, aufmerksam gemacht wurden. Wie in so Vielem, war unterdess auch in dem Symbol der Palmen die christliche Kirche der Bildersprache des Heidenthums und Juden- thums treu geblieben, und dieselben Zweige, die bei den Festen des

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Osiris in Aegypten, bei feierlichen Einziigen der Konige und Kriegs- helden in Jerusalem, bei den olympischen Spielen und auf dem Kleide romischer Imperatoren ein Zeichen der Siegesfreude geweseii waren, wurden auch in Rom am Palmsonntage vom Haupte der Christenheit geweiht und an alle Kirchen der ewigen Stadt vertheilt. Dies gab Veranlassung zur Anlage des grossten Palmenhaines, den das jetzige Italien besitzt, des von Bordighera, an der herrlichen Uferstrasse, die von Genua nach Nizza fiihrt, zwischen S. Remo und Ventimiglia, unter fast 44 Gr. nordl. Breite. Die Einwohner dieses Stadtchens haben seit alter Zeit (angeblich seit Errichtung des Obe- lisken auf dem St. Petersplatze) das durch Gewohnheit geheiligte Vorrecht, zum Osterfest Palmen nach Rom zu liefern, und diese Industrie schuf allmahlich die iiber mehrere Meilen sich hinziehende Pflanzung, die iiber 4000 Stamme zahlen soil. Um die theueren und besonders geschatzten weissen Palmen zu erzielen, werden vom Hoch- sommer an die Kronen oben zusammengebunden, so dass die innersten Blatter, vom Licht unberiihrt, kein Chlorophyll erzeugen konnen und dann ein Bild nicht bloss des Sieges, wie die griinen, sondern zu- gleich der himmlischen Reinheit abgeben ein acht christlicher Gedanke, auf den die Alten nicht verfielen. Der Reisende, der um die genannte Zeit die Riviera di Ponente durchzieht, sieht dann die Palmengipfel in Gestalt riesiger Tulpenknospen sich erheben und be- greift Anfangs nicht, was die Verstummelung des schonen Baumes bezweckt. Von Bordighera aus hat sich die Palme in einzelnen Exemplaren langs dieser ganzen Kuste verbreitet; in Rom bildet die Palme vor S. Pietro in vinculis das Studium der Maler, die an biblischen Scenen arbeiten; wer Capri besucht hat, kennt die Palme im Garten von Michele Pagano; in der villa nazionale von Neapel sind jetzt einige prachtige Exemplare der Umgegend vereinigt, die an dunklen Sommerabenden, von dem bleichen Licht der weissen Gasflammen getroffen, iiber den Klangen des Orchesters und den Kopfen der ruhenden und auf- und abwandelnden Menge geisterhaft schweben. Haufiger, mit der zunehmenden Kraft der Sonne, wird der Baum nach Calabrien zu und in Sicilien und Sardinien. In der Umgegend des calabrischen Reggio sollen ehedem ganze Walder von Dattelpalmen sich erhoben haben, die entweder von den Arabern selbst, als sie von dieser Kiiste verdrangt wurden, oder von den Christen als Nachlass der Unglaubigen zerstort wurden (G. Vom Rath, ein Ausflug nach Calabrien, Bonn 1871, S. 15). Auch siidlich von Palermo soil durch die Konige aus dem Hause Anjou, als diese

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im 14. Jahrhundert die Insel Sicilien wieder zu unterwerfen suchten, eine ganze Palmenwaldtmg ausgerottet worden sein (Theob. Fischer, Beitrage zur physischen Geographic der Mittelmeerlander, Leipzig 1877, S. 146 f.). Wie zu Bordighera in Italien, steht in Siidspanien, zu Elche siidwestlich von Alicante nach der Grenze des heissen Murcia hin, zwischen 39 und 40 Gr. nordl. Br., ein beriihmter Palmenwald, 60000 Stamme stark, der nicht bloss Blatter in die Hand frommer Waller, sondern auch siisse Friichte zum Genuss fur Knaben und Madchen bietet. Die Araber wurden besiegt, die Moriscos ausge- trieben und vertilgt, der Wald von Elche, obgleich urspriinglich von unglaubiger Hand gepflanzt, blieb stehen, ein Zeichen von Glaubens- schwache selbst bei den Zoglingen Loyolas. Im aussersten Westen mitten im Ocean, auf den Inseln der Gliickseligen fanden die ersten Entdecker schon fruchtbare Dattelpalmen vor: wenigstens berichtete cler numidische Konig Juba, dessen Aussage uns Plinius 6, 205 auf- bewahrt hat, hanc (Canariam) et palmetis caryotas ferentibus ac nuce pinea (von Pinus Canariensis) abundare. Waren von dem gegeniiber- liegenden Afrika etwa Dattelkerne durch die Wellen hinubergespult worden und so die genannten Baume au£ jener Insel aufgegangen? In der entgegengesetzten Weltrichtung hatten die friiheren Araber sogar am Siidufer des kaspischen Meeres noch eine ergiebige Dattel- zucht getrieben, so dass das kalte Reich der Russen hier seine Grenzeri bis fast an die subtropische Zone der Dattelpalme vorgeriickt hat; wenn aus jener Zeit nur noch einzelne Epigonen ohne Frucht- ertrag iibrig geblieben sind, so scheint v. Baer, der zuerst auf ihr Vorkommen aufmerksam gemacht hat, mehr geneigt, den Untergang dieser Kultur auf eine Abkiihlung des Klimas, als auf die Indolenz der jetzigen Bewohner zurtickzufuhren (s. v. Baer im Bulletin der Petersburger Akademie, 1860 : » Dattelpalmen an den Ufern des Kaspischen Meeres, sonst und jetzt«).

Es ist nach den palaontologischen Befunden nicht zu bezweifeln, dass im alteren und mittleren Tertiar Mittel- und Siideuropas Palmen aus der Gattung Phoenix existirt haben. Da nun die Dattelpalme, Phoenix dactylifera L., \7on alien Arten gegenwartig am weitesten nach Norden reicht, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese ausgestorbenen siideuropaischen Phoenix mit der Dattelpalme naher verwandt, wenn auch nicht identisch waren. Es ist hochst wahrscheinlich, dass schon in vorhistorischen Zeiten das Areal der Dattelpalme sich von Nordafrika bis nach dem Pendschab er- streckte. Wenn aber auch die Kanaren als urspriingliche Heimath der Dattelpalme angefiihrt werden, so ist darauf zu erwidern, dass die Palme,

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welche auf jenen Inseln an natiirlichen Standorten (z. B. in der Caldera di Bandama von Gran Canaria, im Barranco Guignigada von Canaria, im Barranco Carmen von Palma sah ich sie selbst) vorkommt, nicht Ph. dactylifera L., sondern die durch dicken kraftigen Stamm, viel dichtere Krone, bogenformig herabhangende Blatter mit breiteren Fiedern, bandformigem Stiel des weib- lichen Bliitenstandes und durch kleine goldgelbe, im reifen Zustande zur Not essbare aber mit sehr diinnem Fleisch versehene Frtichte ausgezeichnete, auf den Kanaren endemische Ph. canariensis Chabaud ist, welche auch jetzt an der Riviera und iiberhaupt in Oberitalien viel angepflanzt und reichlich vermehrt wird, um als widerstandsfahige Decorationspflanze in alle Welt ver- sendet zu werden. Diese Art wachst auf felsigem Terrain und bedarf keines- wegs in solchem Grade der Bodenfeuehtigkeit , wie die Ph. dactylifera L., welche andrerseits feuchte Luft schlecht vertragt und daher auch in unseren Gewachshausern nicht gedeihen will. Letztere Art ist zwar auf den Kanaren auch schon vor der Ankunft der Spanier cultivirt gewesen, wie einzelne heut noch stehende Exemplare (z. B. die 30 m hohe Dattelpalme im Garten der Marqueses de Sauzal in Villa Orotava) beweisen. Ob die vonPlinius (Hist. nat. lib. VI cap. 37) erwahnten Palmen der Kanaren (,,hanc [Canariam] et palmetis caryotas ferentibus . . . abundare") Dattelpalmen gewesen sind, ist mehr als unwahrscheinlich ; es dtirfte sich diese Stelle auf die wilde Ph. ca- nariensis Chabaud (= Ph. Jubae (Webb.) Christ) beziehen; aber es ist wohl, wahrscheinlich, dass die Berber die Dattelpalme von Afrika nach den Kanaren ' gebracht haben. Wenn nun, wie auch der beste Kenner der Gattung Phoenix Prof. Beccari im III. Bd. seiner Malesia S. 359 annimmt, die von Th. Fischer in seiner Schrift tiber die Dattelpalme (Petermanns Mittheilungen, Erganzungs- heft Nr. 64) und auch von anderen vertretene Ansicht, dass Ph. dactylifera von Ph. canariensis abstamme, nicht haltbar ist, so fragt es sich, an welche andere Art sie sich naher anschliesst. Hierbei kommt einerseits die im tro- pischen Afrika verbreitete Ph. reclinata Jacq. (= Ph. spinosa Thonning) und anderseits die in Vorderindien verbreitete Ph. silvestris Roxb. in Betracht. Es ist nun sicher, dass die Dattelpalme durch ihre langlichen stumpfen mann- lichen Bliiten der genannten indischen Art naher steht, als der afrikanischen Ph. reclinata und dies hat auch zu der Vermuthung Veranlassung gegeben, dass die Dattelpalme eine von Ph. silvestris abstammende Kulturpflanze sei. Es ist aber wegen der eigenartigen physiologischen Bedtirfnisse der Dattelpalme (etwas feuchter Boden, trockene Luft) anzunehmen, dass sie iin afrikanisch- indischen Wustengebiet entstanden sei. Schon Boissier (Flora orientalis V. S. 47) giebt zu, dass die Dattelpalme, wenn nicht im inneren Nordafrika, sich vielleicht auch im siidlichen Persien und Beludschistan wild finden konne. Bonavia (The Date palm, in Gardener's Chronicle XXIV (1885) p. 178—211) nimmt an, dass sie in Arabien heimisch und von dort nach der Sahara ein- gewandert sei. Dagegen betrachtet sie Grisebach (Vegetation der Erde) als einen indigenen Biirger der Sahara, wie auch Schweinfurth, der aber Ph. reclinata alsStammpflanze annimmt. Gegeniiberdiesen verschiedenen Meinungen vertritt nun Beccari die Ansicht, dass Ph. dactylifera eine selbstandige Art sei, welche mit der auf gro'ssere Regenmengen angewiesenen Ph. reclinata wahrscheinlich einen gemeinsamen Ursprung gehabt habe, dass daher ihr Heimathland dem der Ph. reclinata zunachst liegen musse und wahrscheinlich

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im Westen des Indus, im stidlichen Persien oder am persischen Golf in Arabien gewesen sei. Dass die Dattelpalme noch wild existiere, halt er fiir ausgeschlossen, weil sie so verandert sei, dass sie nur unter dem Schutze der Menschen sich entwickeln konne. Schliesslich spricht er sich auch fiir die Ansicht Playfair's (Esparto and Datepalm in Tunis, Gardeners Chro- nicle, XXV (1886) p. 731) aus, wonach die Dattel der Lotus der Alten und die Lotophagen die Araber seien.

Sehr interessante Mittheilungen tiber die Kultur der Dattelpalmen enthalt ein Vortrag von Prof. Schweinfurth, abgedruckt in der ,,Gartenflora" 1901, S. 506—522.

* * Der Ausgangspunkt der Dattelpalmenkultur, wenn derselbe uberhaupt ein einheitlicher war, steht noch nicht hinlanglich fest; sicher aber ist, dass die altesten Nachrichten, welche von dem Baume berichten, auch seine Kultur bereits kennen. Ueber die Dattelpalme in Aegypten vgl. Woenig, Die Pflanzen im alten Aegypten S. 304 ff. Nach ihm ware es nicht zu gewagt, den Beginn der Dattelpalmenkultur in die X. und XI. Dynastie zu verlegen; er vermuthet, dass es der Handelsverkehr zwischen Aegypten und dem Laiide Punt (stidliches Arabien) war, welcher die Kultur nach Aegypten brachte. Ein Landschaftsbild aus der genannten Gegend in der Tempelhalle von Der-el-Baharie zeigt uns ein auf Pfahlen errichtetes Dorf zwischen Dattel- palmen und Weihrauchbaumen. Doch zeigen die agyptischen Namen am fiir den Baum, baner (nach Diimichen), ba'unirit, ba'unit, baune (nach F. Hommel) fiir die Dattel keine sichere Beziehung zum Semitischen. Auch halt Schwein- furth, Aegyptens auswartige Beziehungen hinsichtlich der Kulturgewachse (Verb. d. Berl. Gesellschaft fiir Anthropologie 1891 S. 656) einen in Afrika einheimischen Ursprung der agyptischen Dattelkultur nicht fiir ausgeschlossen. - Auch der Bekanntschaft der Aegypter mit dem Kameel wird man ein betrachtlich hoheres Alter zuschreiben miissen, als oben S. 267 geschieht. Bereits in einem Papyrus aus dem XIV. Jahrhundert wird das Thier mit seinem semitischen Namen genannt, und der russische Forscher Golenischeff hat unter den aus der XI. Dynastie stammenden Felseninschriften im Wadi-Hammamat unter sieben Abbildungen von Straussen, Antilopen und Stieren auch eine Abbildung des Kameels gefunden. Vgl. F. Hommel, Namen der Saugethiere S. 215 und Schweinfurth a. a. 0. S. 651 Anm. 1.

Ueber die Palme auf den assyrischen Monumenten handelt eingehend E. Schrader in den Monatsberichten der kgl. preuss. Akad. d. W. zu Berlin Mai 1881. Nach ihm sind die hier genannten Musukkanbaume mit der Palme identisch. »Das Musukkanholz wird bei Bauten in Niniveh und Babylon ver- wendet und erscheint, wenn es Tributgegenstand ist, lediglich als solcher eines besiegten babylonischen, naher stidbabylonischen Machthabers. Ein Hain von Musukkanbaumen wird vom Assyrerkonig vor der stidbabylonischen Stadt Sapi' vernichtet, durch Umhauen der Stamme. Dagegen erscheint das Musukkanholz niemals als ein Tributgegenstand westlicher syrisch-palasti- nischer Volker und wird niemals als ein in Westasien, von den Assyrern etwa auf dem Libanon und Amanus gefallter Baum bezeichnet.« Auch in dem heiligen Baum auf den babylonisch-assyrischen Denkmalern (vgl. den Anhang)

280 Die Dattelpalme.

erblickt E. Schrader die Dattelpalme. Das Wort musukkan deutet er aus dem Sumerisch-Akkadischen und erklart er als »himmelhauptig«, wie auch hebr. tamar »die schlanke, hochgewachsene« sei. Anderer Ansicht dariiber 1st F. Delitzsch in seinem Assyrischen Handworterbuch S. 420. Nach ihm ist musukkannu eine jiingere Form fiir das altere mis-md-kan-na, d. i. Mis-Holz von Makan. Noch anders urtheilt F. Hommel in der Beilage zur Allg. Z. 1895 No. 197. S. 4. Ihm zufolge stehe es durch die altesten suinerischen In- schriften fest, dass die Dattelpalme aus Arabien nach Babylonien eingefiihrt wurde. ,,Der uralte Konig Ur-channa (nach anderen irrig Ur-Mna) sagt in «iner seiner Weihinschriften : ,,Aus dem Lande Magan (d. i. Ostarabien) den •w^m-Baum habe ich gebracht." Das ist aber derselbe Baum, den die Baby- lonier und Assyrer musukkan (aus mus = Baum und ugiri) und mit volks- etymologischer Umformung mismdkan (d. i. Baum von Magan) spater nannten, und in welchem schon der englische Assyriologe George Smith die Dattelpalme richtig erkannt hatte. Deutlicher kann die Einfuhrung aus Arabien nicht ausgesprochen sein." Beide letztgenannte Forseher nehmen also in musukkan, mistnakan eine direkte oder indirekte Beziehung zum Lande Makan an, hinsichtlich dessen es freilich ungewiss zu sein scheint, ob es mehr mit dem 6'stlichen Arabien (so nach F. Hommel), oder mehr mit dem stidlichen Babylonien (vgl. z. B. E. Meyer Geschichte des Alterthums I § 129, 133) identisch ist.

Was das griech. <poivt£ betrifft, so wird die Deutung desselben als »Phonicier« (vgl. yaXo^ Stahl, eigentl. der Chalyber), d. h. als »der Baum, der seine eigentliche Heimath im fernen Stid-Osten hat«, richtig sein. Ein Zu- sammenhang mit den oben genannten agyptischen Namen der Dattelpalme, den F. Hommel a. a. O. fiir wahrscheinlich halt, ist kaum anzunehmen. Bemerkenswerth sind noch die Hesychischen Glossen oooxXar <powtxo(3aXavoi und ooov(X)o-£aXavoc;* TO aiko Ooivixsc, die man seit alters in Verbindung mit aram. diqld Palme (s. u.) zu bringen versucht; vgl. M. Schmidt zu den angegeb. Glossen. Dass die Palme auf den mykenischen Kunstdenkmalern tiberaus haufig ist, ist bekannt. Ueber die Verbreitung des Baumes im alten Griechen- land vgl. noch Neumann-Partsch, Physik. Geogr. S. 411. Schwierig ist die Entscheidung tiber das lat. palma. Auf jeden Fall ist der Gedanke an einen Zusammenhang mit dem Stadtenamen Tadmor-Uo.\\i.6po. (oben S. 274 und Anm. 68) aufzugeben. Noldeke in den Gottinger Gel. Anzeigen 1881 S. 1229 aussert sich dariiber f olgendermassen : »Die von Salomo gegriindete Stadt ist nach dem echten Text 1. Kon. 9, 18 Tamar in Juda; die Lesart Tadmor 2. Chron. 8, 4 beruht auf einer Textanderung, welche lieber die beriihmt gewordene Handelsstadt als einen obskuren Ort von dem sagenhaft verherr- lichten Konig ableiten wollte. Bei Tadmor-Palmyra kennt allerdings Abulfida Dattelpalmen, und noch heute sind dort einige; aber eine ergiebige Dattel- kultur ist da schwerlich je betrieben. Nun ware es immerhin denkbar, dass auf dem Kriegszuge des Antonius, bei dem uns zuerst der Name RaX^xtSpa «ntgegentritt (Appian &. t. 5, 9), der Anblick der Palmen bei jener Stadt auf italische Soldaten, die eben die trostlose Wiiste durchwandert batten, einen solchen Eindruck gemacht hatte, dass sie den Namen Tadmor nach ihrem heimischen palma in Palmyra abanderten (so dass also ziemlich das um- gekehrte Verhaltniss vorlage, als wie es von H. angenommen

Die Cypresse. 281

wird). Aber sehr wahrscheinlich 1st das doch eben nicht. Bei einem solchen Namen einer asiatischen Stadt wird man lieber annehmen, dass er zuerst von Griechen gebraucht sei, zumal das griech. u darin vorkommt; und dann hat er keinen Zusammenhang mit der Palme. Der Stadtname Tadmor selbst kann aber mit tdmar Palme absolut nichts zu thun haben, und an die Ableitung des lat. palma von einem angeblich »semitischen« tadmar, das » Palme « bedeuten soil, ist nicht zu denken.« Noldeke selbst theilt die altere (vgl. Fischer a. a. O. S. 278) Ansicht, nach welcher das lat. palma Dattelpalme identisch ist mit der gleichlautenden Benennung der in Siideuropa einheimischen Zwergpalme (Chamae- rops humilis), die, wie sie z. B. H. Masius, Die gesammten Naturw. Ill, 161 beschreibt, »baid einen 10 15 Fuss hohen Stamm treibt, bald fast ohne Stamm mit 20 30 Fuss hohen facherformigen Blattern erscheint.« Und wer die am eben genannten Orte (S. 24/25) einander gegeniiber gestellten Ab- bildungen der Dattelpalme und der Zwergpalme mit einander vergleicht, wird dieser Anschauung nur beipflichten konnen. Palma ist dann die ur- spriingliche Benennung der in Italien einheimischen Chamaerops humilis und spater von der Zwergpalme auf die Dattelpalme nach der Aehnlichkeit tiber- tragen worden. Ob das sehr spate $a.Y.tokot.-dactyli Datteln aus dem ara- maischen daqual, diqld die Palme (arab. eine Sorte Datteln) entlehnt ist, oder einfach » Finger « bedeutet, wie Noldeke will (vgl. Plinius 13, 9 § 46 daciyli: prae- longa gracilitate curvati interim}, und nach ihm im Gegensatz zu Lagarde, Mitthl. II, 356 auch Muss-Arnolt a. a. O. S. 107 anzunehmen geneigt ist, mag dahin gestellt sein. Im heutigen Griechenland stammen nach Heldreich, Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 10, die meisten alteren Palmen aus der Tiirken- zeit her, da dieses Volk die Palmen liebt und gern anpflanzt. Damit stimmt uberein, dass unser Baum im Neugriechischen tiirkisch benannt ist, xoopfxa??]?, ein Wort, das auch im Albanesischen wiederkehrt. In Kreta haben sich die alteren cpoivtx-r]d und ftaYjd (spatgriechisch pat; vgl. Anm. 69) erhalten. Der Palmsonntag heisst soprr] tuiv Patcuv oder kurz ta ^dia, und da man sich an diesem Fest statt der Palmblatter der Lorbeerzweige bedient, so hat der Lorbeer neben seiner eigentlichen Bezeichnung Sdcpv-rj auch die Bezeiclmung 4] fBaiT|d angenommen, ein interessantes Beispiel, von welch zufalligen Um- standen oft der Bedeutungswandel der Worter abhangt. Schliesslich sei auf das merkwiirdige gothische peikdbagms = Dattelpalme hingewiesen, dessen erster Bestandtheil (mit cpoivi£ oben S. 214 nicht vereinbar) neuerdings als eine durch Kelten vermittelte Entlehnung aus lat. ficus Feige angesehen wird (vgl. K. Much Deutsche Stammsitze § 33).

Cypresse.

(Cupressus sempervirens L.)

Nach A. v. Humboldt, Kosmos 2, 132, der sich auf Edrisi be- ruft, scheinen die Gebirge von Busih westlich von Herath die ur- spriingliche Heimath der Cypresse zu sein. Auf der Westseite des

282 Die Cypresse.

Industhales, in den Plateaulandschaften von Kabul und Afghanistan, wo der Baum zu riesigen Grossen emporwachst, besonders aber in dem genannten Busih oder Bushank, Fuscheng, findet auch Hitter, auf Ibn-Hauqual und Edrisi gestiitzt, das wahre Vaterland der Berg- Cypresse (Erdkunde, Band XI: »die asiatiche Verbreitung der Cy- presse«). Von diesem seinem Ursitz wanderte der Baum im Gefolge des iranischen Lichtdienstes weiter nach Westen. In der schlanken,. obeliskenartigen, zum Himniel aufstrebenden Gestalt der Cypresse schaute die Zendreligion das Bild der heiligen Feuerflamme; nach dem Schah-Nameh stammte sie aus dem Paradiese, Zoroaster selbst hatte sie zuerst auf Erden gepflanzt, sie ward die Zeugin fiir Ormuzd und dessen reines Wort und prangte durch ganz Iran in alten ehr- wiirdigen Exemplaren vor den Feuertempeln , in den Hofen der Palaste, im Mittelpunkt der medopersischen Baumgarten oder Paradiese. Friihzeitig, mit den altesten assyrisch-babylonischen Eroberungsziigen, war sie in die Lander des aramaisch-kanaanitischen Stammes gelangt> auf den Libanos, auf die nach der Cypresse benannte Insel Cypern70), und ward auch hier ein heiliger Baum, in welchem eine Naturgottin gegenwartig war, dieselbe, deren uralten verlassenen Tempel mit der geweihten Cypresse Vergil uns im troischen Gebiete zeigt, Aen. 2, 713:

Est urbe egressis tumulus templumque vetustum Desertae Cereris juxtaque antiqua cupressus Religione patrum multos servata per annos -

und die er wie hier Ceres, so an einer andern Stelle Diana nennt> Aen. 3, 680:

Aeriae quercus aut coniferae cyparissi Constiterunt, silva alia Jovis lucusve Dianae.

Mit der religiosen Bedeutung, dieselbe theils erhohend, theils durch- kreuzend, verschmolz eigenthumlich der technisch-praktische Werth,. den die Cypresse bei den Phoniziern gewann und spater durch das ganze griechische und romische Alterthum behielt. Das Cypressen> holz, hart, duftend, in der Flamme mit angenehmem Geruch ver- brennend, gait zugleich fiir unverganglich und unzerstorbar. Plat, de legg. 5, p. 741 : die Landloose der Burger sollen in den Tempeln auf cypressenen Gedenktafeln fiir die Nach welt, fig TIV ensna XQOVOV, verzeichnet werden. Theophr. h. pi. 5, 4, 2 : von Natur un- verweslich ist die Cypresse, Ceder (folgen noch eine Anzahl Holzer): von diesen scheint das Cypressenholz am meisten Dauer zu haben>

Die Cypresse. 283

Soxel TO. xviragiTuva sivai. Martial. 6, 73, 7 (das Bild des Priapus spricht):

Sed mihi perpetua nunquam moritura cupresso Phidiaca rigeat mentula digna manu.

Cypressenstamme wurden zum Bau der phonizischen Handelsschiffe alien ubrigen vorgezogen; wie schon die Arche Noah aus Cypressen- holz bestanden haben sollte, so baute noch Alexander der Grosse seine Euphratflotte aus diesem edlen Material, das er zum Theil quer iiber Land in fertig gezimmerten Stiicken aus Phonizien und Cypern bezog (Strab. 16, 1, 11 und Arr. 7, 19, 3), so wie Antigonus zu der seinigen im Kriege gegen die wider ihn verbiindeten Mitfeldherren die prachtvollen Cedern und Cypressen des Libanon fallen Hess (Diod. 19, 58). Das Cypressenholz wurde zu kostbaren Kisten, zu Thiiren der Tempel, z. B. zu denen des ephesischen Dianentempels (Theophr. h. pi. 5, 4, 2) u. s. w. verarbeitet; es war im Bezirk des delphischen Tempels bei dem fuehafyov verwendet worden, in welchem Arkesilas den Wagen weihte, mit dem er in den pythischen Spielen gesiegt hatte (Pind. Pyth. 5, 51); es diente zu Sargen Verstorbener, denen es eine lange Dauer versprach. Als z. B. in Athen zu An- fang des peloponnesischen Krieges jene offentliehe Bestattung der fur das Vaterland Gefallenen gefeiert ward, bei welcher Perikles seine beriihmte Rede zur Verherrlichung Athens hielt, da umschlossen Schreine aus Cypressenholz, hagvaxsg xvTraQiGMvae,, je einer fur jede Phyle, die in die Erde zu bergenden Gebeine (Thuc. 2, 34). Auf dem schon erwahnten prachtvollen Getreideschiff Hiero des zweiten von Syrakus, diesem Great Eastern des Alterthums, dessen Bau Archimedes als Ober-Ingenieur leitete, bestanden Wande und Dach des Aphrodisiums aus Cypressenholz, die Thiir aus Elfenbein und Thujaholz. Besonders aber zu Idolen der Gotter und deren waren in grossen und kleinen Heiligthumern eine Unzahl iiber ganz Griechen- land zerstreut wurde gern duftendes, der Zeit und den Wurmern widerstehendes Cypressenholz genommen: wie man sich das Scepter des Zeus aus diesem Holz bestehend dachte (Diog. Laert. 8, 1, 8 (10), Jambl. de vit. Pyth. 155), so schien es auch fur %6ava d. h. holzerne Gotterbilder (neben Eben-, Cedern-, Eichen-, Taxus- und Lotosholz, Pausan. 8, 17, 2. Theophr. h. pi. 5, 3, 7) ein besonders wiirdiger Stoff. Der komische Dichter Hermippus, der im Beginn des pelopon- nesischen Krieges bliihte, nennt in einer uns erhaltenen merkwiirdigen Stelle, die den Handel des mittellandischen Meeres in parodischen homerischen Hexametern schildert, unter den Artikeln, die zur See

284 Vie Cypresse.

iiach Athen kamen, auch kretisches Cypressenholz zu Statuen der Gotter, Meineke Fr. com. gr. 2, 1, p. 407:

doch aus Kreta, der schonen, Cypressen zu Bildern der Gotter und Xenophon erzahlt, wie er nach der Riickkehr aus Asien bei Olympia einen kleinen Tempel der ephesischen Artemis und darin das Bild der Gottin aus Cypressenholz gestiftet habe (Anab. 5, 3, 12). Auch die alteste Athletenstatue , die Pausanias in Olympia sah, die des Aegineten Praxidamas, vor Ol. 59 (c. 540 vor Chr.), bestand aus Cypressenholz und hatte sich besser erhalten, als eine andere, etwas spatere, die aus Feigenholz gearbeitet war (Paus. 6, 18, 7). Nicht anders in Italien. Plinius spricht von einem sehr alten Idol des Vejovis auf der arx in Rom, das aus Cypressenholz bestand (Plin. 16, 216), und Livius erzahlt, wie im Jahre 207 vor Chr. zwei aus diesem Stoff gearbeitete Bilder der Juno Regina in feierlicher Prozession in den aventinischen Tempel der Gottin gebracht wurden (Liv. 27, 37). Was vor Zerstorung durch Warmer und Insekten be- wahrt bleiben sollte, wurde auch bei den Romern in cypressene Kastchen eingeschlossen z. B. Manuscripte bei Horaz, ad Pis. 332: carmina levi servanda cupresso.

Kein Wunder nun, dass einen religios so hoch verehrten und technisch so niitzlichen Baum die Phonizier und Philister schon in altester Zeit iiberall verbreiteten , wo sie sich niederliessen und wo das Klima es erlaubte. In Kreta, dieser fruhe semitischen Insel, ge- dieh die Cypresse so machtig und stieg so hoch die Gebirge hinan (Theophr. h. pi. 4, 1, 3), dass diese Insel fur das urspriingliche Vaterland derselben gehalten werden konnte, Plin. 16, 141: huic patria insula Greta. Der homerische Schiffskatalog kennt bereits auf dem griechischen Festlande zwei nach der Cypresse benannte Oertlich- keiten, die eine in Phocis auf dem Parnas, II. 2, 519 :

Die Kyparissos umher und die felsige Pytho bewohnten, die andere in Triphylien, im Gebiet des Nestor, II. 2, 593: Auch die Kyparissei's und Amphigeneia bestellten.

Auch an der lakonischen Kiiste, einem fruhen Schauplatz phonizischer Einwirkungen , lag eine Hafenstadt KvTtaQiGala , wie denselben oder einen ahnlichen Namen auch eine messenische Ortschaft trug, in beiden Stadten ward eine 'AS-qva KvTraQiaaia verehrt, in der wir eine griechisch benannte semitische Gottheit vermuthen diirfen. Wandert man an der Hand des Pausanias durch das spatere Griechen- land, so trifft man hin und wieder auf Cypressenhaine , in denen,

Die Cypresse. 285

was wohl zu beachten 1st, meist Damonen asiatischer Herkunft ver- ehrt werden, so auf der Burg von Phlius die Ganymeda, eine dem Dionysos wesensverwandte, in keinem Bilde verehrte Gottin, sonst auch Dia genannt (Strab. 8, 6, 24), die Loserin der Bande, an deren Cypresse befreite Gefangene ihre Fesseln aufhingen (Paus. 2, 13, 3), oder im Kraneion, einem Cypressenhain bei Koririth, die Heiligthiimer des Bellerophontes und der Aphrodite Melainis (Paus. 2, 2, 4), oder die himmelhohen Cypressen vori Psophis in Arkadien, die am Grabe des Alcmaon standen und von den Einwohnern Jungfrauen ge- heissen und nicht angetastet wurden (Paus. 8, 24) 71). Dass die Cypresse aus semitischen Landen nach Griechenland eingewandert war, wird schon durch den Namen xvTTCtQiGcrog (im alteren Hebraisch gofer, 1. Mos. 6, 14) ausser Zweifel gesetzt. Vielleicht bildete, wie so oft, die Insel Kreta dabei eine Zwischenstation : darauf deutet wenigstens eine von Serv. ad. Aen. 3, 680 aufbehaltene Version des Mythus von der Verwandlung des Kyparissos in einen Cypressen- baum: danach war dieser Jiingling ein Kretenser, wurde von Apollo oder vom Zephyr geliebt, fliichtete, um seine Keuschheit zu bewahren, zum Flusse Orontes und zum mons Casius (woselbst Baal als Himmelsgott thronte, ein alter den Aramaern und Philistaern ge- meinsamer Kultus) und wurde dort in den nach ihm benannten Baum verwandelt. Was die Zeit dieser Einfuhrung betrifft, so kennt die Ilias, oder wenigstens das Stuck derselben, welches unter dem Namen xardhoyog TWV vecov ein abgesondertes Gauze bildet, bereits, wie so eben erwahnt, zwei nach der Cypresse benannte griechische Stadte, deren Grundung also das Dasein des Baumes schon voraus- setzt. In der Odyssee und zwar dem altesten, achtesten Kern der- selben, wachst der duftende Cypressenbaum schon in dem Park um die Hohle der Kalypso, 5, 63 :

Bingsher breitete sich frischgriinender Wald um die Grotte, Eller und Pappel und auch die balsarnreiche Cypresse -

und in dem zweiten Theil der Odyssee, der auf Ithaka spielt, er- scheint das Cypressenholz wenigstens als Baumaterial, entweder ein- gefuhrt oder an Ort und Stelle gewonnen: Odysseus lehnt sich, in Bettlergestalt auf der Schwelle seines Palastes sitzend, an die Thiir- pfosten aus Cypressenholz, die der Zimmermann einst kundig ge- glattet und nach dern Richtmasse gefugt hatte (17, 340). In dem beschrankteren Kreise des Hesiodus ist von der Cypresse nirgends die Rede.

Da die Cypresse kein Fruchtbaum ist (Schwatzer wurden gern

•286 I^ Cypresse.

mit den fruchtlosen Cypressen verglichen), und da ihre religiose Be- •deutung bei den Griechen keine sehr ausgebreitete war, so fallt ihre Versetzung nach Italien schw^rlich in die Zeit der ersten Colonisation. Zwar spricht Plinius (16, 236) von einer Cypresse im Vol canal in Rom, die zu Ende der Regierungszeit Neros zusarnmenbrach and eben so alt, wie die Stadt gewesen sein sollte, aber wer besass da- mals die Mittel, jenes Alter zu berechnen? Glaublicher sagt der- selbe Schriftsteller an einer anderen Stelle, die Cypresse sei ein in Italien fremder Baum, dessen Acclimatisation schwierig gewesen, daher auch Cato so umstandlich iiber ihn handle, 16, 139: cupressus ad- vena et difficillime nascentium fuitj ut de qua verbosius saepiusque quam dc omnibus aliis prodiderit Cato. In Theokrits Idyllen, die auf dem warrneren Boden Siciliens spielen, ist ein Jahrhundert vor €ato die Cypresse schon ein ofters erwahnter und gepriesener Baum, z. B. 11, 45, wo der verliebte Polyphemos die Galathea in seine Hohle lockt, die von Lorbeeren und schlanken Cypressen gadwal xv- TtaQiGtfot, umwachsen ist. Von Sicilien scheint der Baum iiber Tarent ins innere Italien gelangt zu sein, wie aus Catos Bezeichnung tarentinische Cypresse (151, 2) hervorgeht, Plin. 16, 141: Cato Tarentinam earn appellat, credo quod primum eo venerit. Dies wird in der Zeit nach der Unterwerfung Tarents geschehen sein, wo der hellenisirende Einfiuss der Stadt auf das neue romische Gebiet machtig war, und wo zugleich der Geschmack an Villen, Parks, Grabmalern, die Freude an der Schonheit der Baume als solcher den Romern allmalig aufzugehen begann. Dass auch der Nutzen, den die Cypresse als bei Tischlern und Schnitzlern im Preise stehen- •des Holz brachte, dem praktischen Volke bald einleuchtete , erhellt aus der Nachricht des Plinius, die Alten hatten eine Cypressen- pflanzung die Aussteuer fur die Tochter zu nennen gepflegt, 16, 141: quaestiosissima in satus ratione silva volgoque dotem filiae antiqui plantaria appellabant: man pflanzte die Baume etwa bei Geburt einer Tochter und mit ihr wuchsen sie in die Hdhe, als lebendiges Kapital, zugleich ihr Bild und Gleichniss 72). Auch urn die Grenzen des fundus zu bezeichnen, wurden ausser anderen Baumen Reihen von Cypressen gepfianzt (Varro 1, 15, der aber zu diesem Zweck die Ulmen vorzieht). Als dann das romische Reich Afrika und Asien umfasste, verbreitete sich auch die diistere immergrune Cy- presse in orientalischer Weise als Symbol der chthonischen Gott- heiten (Plin. 16, 139: Diti sacra et ideo funebri signo ad domus posita), zunachst natiirlich bei den Vornehmen, die sich

Die Cypresse. 287

bald die mystische Zeichensprache des Morgenlandes aneigneten, Lucan. 3, 442:

Et non plebejos luctus testata cupressus.

Bei den Dichtern des augusteischen Zeitalters 1st die Cypresse als Baum der Trauer, mit dessen Zweigen Leichenaltar und Scheiter- haufen besteckt werden und der gern in Gegensatz zum Gemiss der heiteren Gegenwart gestellt wird, schon gewohnlich, z. B. Horaz

Od. 2, 14, 22:

neque harum, quas colis, arborum Te praeter invisas cupressos Vila brevem dominum sequetur -

oder Ovid. Trist, 3, 13, 21:

Funeris ara mihi ferali cincta cupresso Convenit et structis flamma parata rogis.

Bei Vergil errichtet Aeneas dem Polydorus einen Altar mit schwarzen Binden und Cypressenzweigen umwunden, Aen. 3, 64:

slant tnanibus arae, Caeruleis maestae vittis atraque cupresso -

wie auch am Scheiterhaufen des Misenus Cypressen angebracht sind,

6, 215:

Ingentem struxere pyram: cui frondibus atris Intexunt latera et feralis ante cupressos Constituunt decorantque super fulgentibus armis.

Seit jener Zeit ist der herrliche Baum, der neben der Pinie die eigent- liche Charaktergestalt der sudeuropaischen Landschaft bildet, in Italien eingeburgert. Wo die Cypresse beginnt, da beginnt das Reich der Formen, der ideale Stil, da ist klassischer Boden. Eigentliche Cypressenhaine, cupresseta, sind in Italien indess nicht zu finden: die Cypresse steht meist einsam oder in kleinen Gruppen, oder sie zieht in ebenso diisterer als anmuthiger Saulenreihe dahin. Wie in der Ebene von Neapel der Blick besonders haufig auf Pinien fallt, so im Arnotbal auf Cypressen. Ueber die Alpen geht der Baum nicht hinaus. So machtig und schlank iibrigens einzelne Exemplare hin und wieder in Italien erscheinen mogen, z. B. in der Villa Este bei Tivoli, der Baum erreicht in diesem fremden Lande doch nicht die Majestat, wie im Orient, wo nach Hitters Worten »bal- samisch duftende, ewig griine, unvergangliche Haine solcher Pyra- midengestalten« iiber die weissen Graber der Glaubigen ihre schirn- mernde lichte Damrnerung verbreiten, z. B. in Scutari bei Konstanti- nopel oder noch schoner in Smyrna oder Brussa, und im Angesicht des

288 Die Cypresse.

Todes doch das Gefiihl des ewig sich erneuenden, emporstrebenden, unerschopf lichen Lebens erwecken.

Eine Abart der pyramidalen Cypresse, Cupressus horizontalis, mit nicht aufstrebenden, sondern sich seitwarts ausbreitenden Zweigen ist in Italien und Griechenland selten, in den warmeren Oertlichkeiten von Kleinasien haufiger. Ein herrliches Exemplar dieser Spezies, die Cypresse des heil. Elias, findet sich in dem Prachtwerk: die Insel Rhodes von A. Berg, Braunschweig 1862, Beschreibender Theil S. 146, abgebildet.

* Die Cypresse, welche bekanntlich in zwei Varietaten '(Cupressus py- ramidalis Targ. Torz. und C. horizontatis Mill.) durch das ganze Mediterran- gebiet kultivirt wird, ist auf den Gebirgen des nordlichen Persiens, und Ciliciens wildwachsend gefunden worden, namentlich aber im Libanon von 1000 1600 m, auf den Bergen von Cypern, Rhodes und Melos, sowie auch auf Greta wo sie zwischen 600 und 1400 m eine charakteristische Region bildet.

: Gegen die Annahme, griech. xoTcaptooo? sei aus hebr. gofer entlehrit, hat man eingewendet, dass das semitische Wort ein &rca£ XeY^Vsvov» Gen. VI, 14, das ein Material bezeichnet, aus welchem die Arche gebaut ward in seiner naheren Bedeutung ganz unsicher sei, und dass sonst semitische, ins Griechische aufgenommene Lehnworter nicht in ihrem Lautbestand (xorcdp- toaos : gofer) vermehrt wiirden. Dazu sei die gewohnliche Bezeichnung der Cypresse im Semitischen sicher nicht gofer, sondern hebr. blrsos (s. u.). Vgl. A. Mtiller in Bezzenbergers Beitragen I, S. 290 und S. Fraenkel bei E. Hies Quae res et vocabula a gentibus semiticis in Graeciam pervenerint. Diss. Vratis- laviae 1890, S. 32. Andererseits hat Lagarde zu verschiedenen Malen (vgl. die Literatur bei Muss-Arnolt, Transactions XXIII, 109) nachzuweisen versucht dass gofer an der angegebenen Stelle nichts als eine gelehrte und miss- verstandliche Abkiirzung aus dem 6'fter iiberlieferten gnfrit Harz, Pech, Schwefel sei, und dass an dieses vollere Wort das griech. v.orcdptTto<; anzu- kniipfen sei, wobei freilich der Bedeutungswandel unklar bleibt (vgl. auch Lewy Semit. Fremdw. S. 33). Wenig wahrscheinlich ist es, dass die Insel Cypern von der Cypresse ihreii Namen haben sollte. Sie heisst bei den Aegyptern Asebi (E. Meyer, Gesch. d. Altert. I, § 191), bei den Assyrern mat Jatnana. (E. Schrader, Keilinschr. u. Geschichtsf. S. 242 ff.), bei den Hebraern Kitwi (nach Kition). irfo mtisste die Benennung KoTtpo? von griechischen Schiffern herrtihren, denen aber der Baum doch eben xtircdpiooo<; hiess.

Hingegen sind zwei andere Benennungen der Cypresse mit Sicherheit aus dem Orient nach Europa eingewandert freilich erst spat und auf nicht immer klaren Wegen. Diese beiden Reihen sind : sum.-akkad. mr-man, assyr. surmenu, eine cypressenartige Conifere (von den assyrischen Konigen auf dem Libanon gefallt, vgl. E. Schrader Berl. Monatsberichte 1881 S. 419 ff.), syr. surbmd, pers.

Die Platane. 289

sarv, pehl. sanv, kurd. selbi, selvi (vgl. Selvi-stan, alter Sarvi-stan, Jaba-Justi S. 244), armen. saroy, (? vgl. Lagarde, Armen. Stud. S. 133 und Ges. Abh. S. 79 sowie Hiibscbmann, Armen. Gr. I, S. 237), tiirk. selvi, alb. selvi1 Cypresse (G. Meyer, Et. W. S. 381), bulg. selvija, ngr. oeX^ivt (Miklosich, Turk. Elem.) und assyr. burdsu (E. Schrader a. a. O.), bebr. herds, aram. berata, berotd (Low, Pflanzenn. S. 82), arab. brot, griecb. ppafto (spat) Sevenbaum, lat. brains, eine Cypressenart Vorderasiens (Plinius). Armeniscb beisst die Cypresse auch noc, ndci, pers. noj , noz, noz (Lagarde, Armen. Stud. S. 144, Htibscbmann, Arm. Gr. I, S. 207).

Im Ganzen wird das urspriingliche Verbreitungsgebiet der Cypresse ein weiteres gewesen sein, als es oben von H. angenommen wird. Vgl. auch Anm. 70. Namentlich muss es seit altester Zeit, wie schon die Sprach- vergleicbung lehrt (vgl. oben assyr. burdsu u. s. w.), die semitischen Lande mit umfasst haben. Dass der Baum hierher an der Hand des zoroastrischen Lichtkultus aus iranischen Gegenden erst eingewandert sei, lasst sicb durch nichts beweisen. Auf semitiscbem Boden ist die Cypresse seit Alters der heilige Baum der Apbrodite- Astarte , auf die sich wohl ohne Zweifel der Gottername B^pooO- bei Philo Byblius = Ba'alat Berut, Gottin der Cypresse bezieht (vgl. Baudissin, Studien zur semitischen Religionsgeschichte, 2. Band, »Heilige Baume« S. 186, 187, 196). Hingegen sind die Nachrichten iiber die Verehrung der Cypresse bei den Persern (vgl. dieselben in Eitters Erdkunde Bd. XI) verhaltnissmassig spate, und die Sprache (vgl. oben pers. sarv u. s. w.) konnte eher auf eine umgekehrte Eichtung der Wanderung des Cypressen- dienstes hinweisen. Nach den Botanikern (siehe auch Koppen, Holzgewachse II, S. 389 ff.) hatten auch die Inseln des agaischen Meers mit zu dem ursprting- lichen Verbreitungsgebiet der Cypresse gehort. Von hier ware dann der Kult des Baumes, und in diesem Falle auch der Baum selbst, durch orientalische zumeist an den Kult der Aphrodite-Astarte ankntipfende Beziehungen in west- licher Richtung tiber das Mittelmeergebiet verbreitet worden (s. auch den Abschnitt tiber die Taube).

Platane.

(Platanus orientalis L.)

Der Ruhm des Platanenbaumes erfiillt das ganze Alterthum, das Morgenland wie das Abendland, und klingt noch heute aus den Berichten alterer und neuerer Reisenden wieder. Was kann in den diirren Felsenlabyrinthen siidlicher Sonnenlander erwiinschter sein, ja mehr zu Andacht und Bewunderung stimmen, als der Baum, der mit herrlichem hellem Laube an grunlich-grauem Stamme, mit schwebenden, breiten, tiefausgezackten Blattern murmelnde Quellen und Bache beschattet und noch heute den Ankommling empfangt, wie er vor Jahrhunderten die Voreltern empfangen und mit Kiihlung

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. ^g

290 Die Platane.

erquickt hat? Welche Aussicht 1st kostlicher, als die von verbrannten Bergzinnen auf erne Platanengruppe tief unten, die Verkiindigerin eines Quells im feuchten Thalgrunde, wo der Wanderer losbinden, sein Thier tranken, seinen eigenen Durst stillen und im Schatten ausruhen kann? Mit welchem Entziicken beschreibt der platonische Socrates jene Platane in der Nahe Athens, unter der er sich mit Phadrus zum Gesprach lagert, das eiskalte Wasserlein an ihrem Fuss, den Bliitenduft von oben, die wehende Ktihlung, den Chor der Cicaden, den weichen Rasen in Worten von so siisser Fiille, dass das gekiinstelte rhetorische Compliment, das ihnen spater Cicero machte, uns recht abgeschmackt erscheint, de orat. 1, 7: ilia (pla- tanus), cujus umbram secutus est Socrates, quae mihi videtur non tarn ipsa aquula quae describitur, quam Platonis oratione crevisse. Kleinasien und die griechische Halbinsel, sonst von Menschenhand so schmahlich verwiistet, weisen doch noch immer einzelne Platanen von riesenhafter Grosse und hohem Alter auf. Weit und breit beriihmt 1st die ungeheure Platane von Vostizza, dem alten Aigion in Achaja, deren Stamm, eine Elle vom Boden, iiber vierzig Fuss im Umfange misst; der Baum hat noch seine vollstandige Krone und »wiirde vielleicht noch Jahrhunderte leben, wenn man nicht wahrend der Revolution den unten zum Theil hohlen Stamm zur Kiiche benutzt und ihn bei dieser Gelegenheit angeziindet hatte, so dass das Feuer bis oben hinaus brannte« (Fiirst Piickler, Siidostlicher Bildersaal, 2, 127). Jeder, der Konstantinopel besucht hat, kennt die Platanen von Bujukdere, genannt die sieben Briider, aneinander gewachsen, durch Alter und die Feuer der Hirten ausgehohlt, aber noch immer majestatisch und herrlich. Stackelberg (der Apollotempel von Bassa, S. 14 Anm.) sah in der Nahe des Tempels eine Platane, deren Stamm einen Umfang von 48 Fuss hatte, wahrend die in demselben befindliche Hohlung einem Schafer fur seine ganze Heerde als Hiirde diente. Der Verfasser von »Morgenland und Abendland« berichtet (2, S. 131 der zweiten Aufl.) von Stanchio auf der Insel Cos: »Vor der Moschee steht eine Platane, uralt und herrlich, dreissig Fuss im Umfang, und ringsum gestiitzt und getragen von antiken Marmor- und Granitsaulen, denen man keine schonere Ruhestatte anweisen konnte.« Von demselben Baume sagt der Fiirst Piickler, die Riick- kehr, 3, 164: »Mein erster Gang am folgenden Tage war nach der beriihmten Platane, die fur den kolossalsten Baum dieser Gattung im Orient gilt. Der Umfang ihres Stammes misst zwar nur fiinf- unddreissig Fuss, aber ihre Aeste beschatten den ganzen kleinen

Die Platane. 291

Marktplatz von Stanchio. Sie werden von Marmorsaulen gestiitzt, die man friiher aus dem Tempel Aesculaps entnommen hat, und die jetzt an ihrer Spitze meist schon von der Rinde der ungeheuren Aeste wie mit einer dicken Wulst iiberwachsen sind und sich so vollig mit ihnen amalgamirt haben. Zwei Sarkophage am Fusse des Baumes dienen als Wasserbehalter. « Bei dem in der arkadischen Gebirgs- wildniss liegenden Hohenkloster Megaspelaon steht die Platane, an der der heilige Lucas das wunderthatige Bild der Mutter Gottes malte; »ihr hohler aber frischer Stamm umschliesst die Kapelle der Panagia Plataniotissa, die so geraumig ist, dass zehn Menschen darin Platz haben« (Ulrichs, Reisen und Forschungen in Griechenland, 1, 51; s. auch Ross, Konigsreisen, 1, 169 ff.). Nach Dodwell, A classical and topographical tour through Greece, 1, 121, sind noch jetzt die Bazars oder Marktplatze der meisten griechischen Stadte von Platanen be- schattet, ganz wie einst die Agora von Athen durch Cimon mit Baumen derselben Gattung bepflanzt worden war (Plut. Cim. 13, 11). Schon die Alten bewunderten einzelne alte, besonders umfangreiche und ehrwiirdige Exemplare. So erzahlt Theophrast, h. pi. 1, 7, 1, von einer Platane in der Nahe der Wasserleitung im Lyceum bei Athen, die, obgleich sie noch Jung war, doch schon Wurzeln von drei und dreissig Ellen Langen getrieben hatte. Auch Pausanias weiss auf seiner Wanderung hin und wieder von gewaltigen, an die Fabel- welt gekniipften Individuen dieser Baume zu berichten. So sah er bei Phara in Achaja am Flusse Pieros Platanen von solcher Grosse, dass man in der Hohlung der Stamme einen Schmaus halten und nach Belieben auch darin schlafen konnte (7, 22, 1) und bei Kaphya in Arkadien die hohe und herrliche Menelais d. h. die Platane des Menelaus, die dieser Held selbst, wie die Urwohner sagten, vor der Abfahrt naoh Troja an der Quelle gepflanzt hatte (8, 23, 3). Nach Theophrast, h. pi. 4, 13, 2, war der Baum von Kaphya vielmehr von Agamemnon gepflanzt worden, auf den auch die Platane am kasta- lischen Quell in Delphi zuriickgefuhrt wurde. Nimmt man dazu die Platane der Helena bei Theokrit 18, 43 ff., so. sieht man, wie die Sage diesen Baum, der als Schatten- und Wonnebaum immer den Konigen, iiberhaupt den Hohen und Reichen gehorte, gern mit den Pelopiden, als dem eigentlichen Herrschergeschlechte, in Verbindung brachte. Als unter ihrer Fuhrung die Helden in Aulis sich zur Ab- fahrt riisteten, da brachten sie am Quell unter einer Platane das Opfer, II. 2, 307:

Unter der schonen Platane, wo blinkendes Wasser hervorquoll,

19*

292 Die Platane.

und dort ward ihnen in den Zweigen des Baumes das Zeichen, welches Kalchas auf zehnjahrige Dauer des Zuges deutete. Griechen- land hatte den Baum und die Freude an ihm (sie druckt sich in dem Adjectiv schon, xcdfj, aus) aus Asien uberkommen, wo die Platane, wie die Cypresse, von Alters her bei den baumliebenden Iraniern und den vorder-iranischen. Stammen Kleinasiens in religioser Verehrung stand. Bekannt ist die schone Episode im Kriegszuge des Xerxes gegen Hellas, die uns Herodot 7, 31 und Aelian V. H. 2, 14, auf- bewahrt haben : der Konig kam auf dem Wege nach Sardis in Lydien zu einer .Platane, deren Schonheit sein Gemiith so ergriff, dass er sie, wie ein Liebender die Geliebte, beschenkte, ihre Zweige mit Goldketten und Armbandern umwand und einen immerwahrenden Wachter fur sie bestellte. Hamilton, Reisen in Kleinasien, deutsche Uebersetzung 1, 470, zog ganz in derselben Gegend an dem halb- verrotteten Stamme einer der riesigsten Platanen voriiber, die er jemals gesehen, und deutet an, es konne vielleicht noch die namliche sein, die einst von Xerxes bewundert wurde. In derselben Land- schaft wurde auch die hohe Platane des Marsyas gezeigt, an der der Gott Apollo seinen unglucklichen Gegner aufgekniipft hatte, Plin. 16, 240 : regionem Aulocrenen diximus, per quam db Apamia in Phry- giam itur; ibi platanus ostenditur, ex qua pependerit Marsyas victus db Apolline, quae jam turn magnitudine electa est. Einen der grossten Baume der Art beschreibt derselbe Plinius 12, 9 als in Lykien befindlich, wo er ohne Zweifel gleichfalls durch den Mythus geheiligt war : er stand, wie immer, an einer Quelle, fontis gelidi soda amoe- nitate, und die Weite seiner Hohlung betrug 81 Fuss, obgleich die Krone noch so kraftig griinte, dass sie ein breites undurchdring- liches Schattendach bildete; der Consul Licinius Mutianus, als er in dieser Platane mit achtzehn Gasten gespeist und nach dem Schmause geruht, gestand, das sie ihm eine schonere Umgebung gewahrt habe, als die gold- und bildgeschmiickten Marmorsale Roms bieten konnten. Bei Homer erscheint die Platane nur an der einen so eben erwahnten Stelle, die moglicher Weise jiingeren Datums ist; wenigstens dem Dichter der herrlichen Stelle Od. 17, 204 ff, wo der pappelbeschattete Quell in der Nahe der Stadt Ithaka beschrieben wird, kann der Baum schwerlich bekannt gewesen sein. Nach Homer findet sich zuerst wieder bei Theognis ein Platanenhain in Lakonien erwahnt (unter der Form TT^araviffiovg} und auch dieser Haln stand an einem kalten Wasser, mit dem ein Winzer seine Reben trankte (v. 879 884). Die Phonizier hatten die Platane nicht nach Griechenland gebracht,

Die Platane. 293

derm sie 1st kein semitischer Baum; zwar stand bei Gortyn auf Kreta die angeblich immergriine Platane, unter welcher Zeus mit der Europa sich vermahlt hatte (Theophr. h. pi. 1, 9, 5), allein in dem Europa- dienst von Gortyn muss das phonizische Element mit lykisch-karischem sich durchdrungen haben (Movers, 2, 2, S. 80). Denn auch den Karern war die Platane, wie den Lykiern, ein heiliger Baum: nach Herodot 5, 119 stand bei Labraynda ein ausgedehnter, dem ein- heimischen Zeus Stratios geweihter Platanenhain, in dessen Schutz sich die von den Persern geschlagenen Karer zuruckzogen (ein iranischer Zug in dem sonst sernitischen Charakter der karischen Religion). Als eigentliches Heimathland der Platane mochten nach Grisebach, Vegetation der Erde, 1, 310, die Gebirge der vorder- asiatischen Steppen gelten diirfen, wo die Platane am Taurus bis iiber 5000 Fuss ansteigt. Dass die Griechen den Baum nicht aus se- mitischem, sondern aus phrygisch-lykischem oder iiberhaupt iranischem Kulturkreise empfangen hatten, beweist auch der Name desselben (nhaxdviGTog bei Homer, Theognis und Herodot, /r^dravog bei den Attikern); an phonizischen Ueberlieferungen haftete auch der phonizische Name ; nhaTaviarog aber der breitblatterige oder weit- schattende Baum ist entweder innerhalb der griechischen Sprache selbst gebildet worden (rt^arvg breit u. s. w.) oder, was uns wahr- scheinlicher ist, lautete schon in dem verwandten iranischen Idiom ahnlich (zendisch frath ausbreiten, perethu breit, von der Wohnung, den Wolken, der Erde, Justi Handbuch S. 191. Die spatern per- sischen Namen des Baumes, dulb, dulbar und tschindr, tschandl sind auch in die neueren semitischen Sprachen iibergegangen, die sich also darin von iranischer Kultur abhangig zeigen, P. de Lagarde, Ges. Abhandlungen S. 31). Eine schone Abbildung der orientalischen Platane findet sich in der Ausgabe des Marco Polo von H. Yule, London 1871, 1, 120.

Ueber die Verbreitung des Platanenbaumes weiter in den euro- paischen Westen haben wir ein gewichtiges Zeugniss des Theophrast, h. pi. 4, 5, 6 : »In den Landschaften um das adriatische Meer soil die Platane nicht vorkommcn, ausser um das Heiligthum des Dio- medes (d. h. auf der Diomedes-Insel, einer der jetzt sogenannten Tremiti-Inseln, nordlich vom Garganos-Vorgebirge), in Italien soil sie selten sein, obgleich es dem Lande an grosseren Gewassern nicht fehlt; diejenigen Platanen wenigstens, die der altere Dionysius in Rhegium in seinen Baumgarten gepflanzt hatte und die jetzt im Gymnasium stehen, wollen trotz aller Pflege nicht recht gedeihen.«

294 Die Platane.

Diese Nachricht wiederholt Plinius 12, 6, erweitert sie aber, wir wissen nicht ob aus andern Quellen oder bloss durch Interpretation der ihm vorliegenden Stelle des Theophrast, dahin, dass der Baum zuerst ins adriatische Meer nach dem Grabe des Diomedes auf der nach diesem Helden benannten Insel, dann nach Sicilien und fruh- zeitig, inter primas, nach Italien gebracht worden sei worauf die Geschichte von der Anpflanzung des Dionysius in Rhegium folgt. Bei den romischen Grossen des letzten Jahrhunderts der Republik ist Anpflanzung von Platanen ein vornehmer Zeitvertreib, gleich den Fischteichen und andern kostspieligen Anlagen in Villen und Garten, wahrend geringe Leute natiirlich lieber einen Fruchtbaum setzten, der etwas tragen und einbringen konnte. Dass es den Platanen gut thue, mit Wein statt mit Wasser begossen zu werden, war ein der reichen Aristrokratie willkommener Aberglaube, da er dem Hange nach exclusivem Luxus entgegenkam. Von dem beriihmten Redner Hortensius, dem Zeitgenossen des Cicero, wird berichtet (Macrob. Sat. 3, 13, 3), er habe einmal bei einer Gerichtsverhandlung den Cicero gebeten, mit ihm die Reihe im Reden zu tauschen, da er nothwendig auf seine Villa bei Tusculum musse, um seine Platane eigenhandig mit Wein zu begiessen. Wie einst Menelaus und Aga- memnon und spater Dionysius und wie die persischen Konige, die [teydhoi paathslg, so pflanzte auch der grosse Casar am Guadalquivir eine Platane, von der wir durch einen Hymnus des Martial wissen; ihr Wachsthum war in den Augen des Dichters ein Sinnbild der unverganglichen Herrlichkeit des Dictators und seines Hauses, 9, 61 :

0 dilecia deis, o magni Caesaris arbor, Ne metuas ferrum sacrilegosque focos. Perpetuos sperare licet tibi frondis honores: Non Pompejanae te posuere manus.

Ini dichten Schatten dieses aristokratischen Baumes am kiihlen Quell dem Genusse der Ruhe und des Weines sich hingeben, ist auch bei den Dichtern, den Freunden des Hofes, Lieblingssitte. Verg. G. 4, 146:

Jamque ministrantem platanum potantibus umbram. Hor. Od. 2, 11, 13:

Cur non sub alia vel platano vel hac Pinu jacentes potamus uncti?

Bei Ovid, Met. 10, 95, heisst die Platane genialis d. h. ein wonniger der Pflege des Genius oder dem Lebensgenuss dienender Baum. Indess regt sich in echt romischer Weise auch wieder das Ge-

Die Platane. 295

wissen, den heiligen Boden, die fruchtspendende Erde durch einen blossen Schonheitsbaum, der keinen Nutzen brachte, zu entweihen etwa wie man den Kindern verbietet, mit Brot zu spielen. Daher die Ausdriicke: platanus vidua, sterilis, caelebs, z. B. Hor. Od. 2, 15:

Jam pauca aratro jugera regiae Moles relinquent, undique latins Extenta visentur Lucrino Stagna lacu platanusque caelebs Euincet ulmos

welche letztere namlich Weinreben zu tragen geeignet sind, oder die Klage des Nussbaumes bei Ovid, Nuc. 17:

At postquam platanis, sterilem praebentibus umbram, Lberior quams arbor e venit honos: Nos quoque frugiferae, si nux modo ponor in illis, Coepimus in patulas luxuriare comas.

Plinius driickt dies Gefiihl in directen Worten aus, 12, 6: quis non jure miretur arborem umbrae gratia tantum ex alieno petitum orbe? Platanus jam ad Morinos usque perveeta ac tributarium etiam detinens solum, ut gentes vectigal et pro umbra pendant. Dass iibrigens die echte Platane, Platanus orientalis, bei den Morinern am belgisch-franzosischen Seestrande angepflanzt worden sei und da- selbst ausgedauert habe, ist nicht glaublioh: es wird ein ahnlicher Schattenbaum gewesen sein, der nordische Aborn, Acer platano'ides ; von Plinius selbst 16, 66 der gallische oder weisse Ahorn genannty fiir welchen Baum eine merkwiirdige gleichartige Benennung durch die Sprachen der Kelten, Germanen, Slaven und Thraker geht73). Aus noch weiterer Feme, als die Platane der Alten, und auch nur um des Schattens willen ist der gewohnlichen Meinung nach der amerikaniscbe Ahornbaum, Platanus oecidentalis, zu uns gebracht worden, der jetzt in Mitteleuropa vielfach zu Baumgangen verwandt wird ; Andere wollen in ihm nur eine Abart der orientalischen finden. Nach den Beobachtungen von Theobald Fischer, Beitrage 150ff., ist indess die erstere Annahme bei weitem wahrscheinlicher.

* Das Geschlecht der Platanen besass in der Tertiarperiode eine viel ausgedehntere Verbreitung, als in der Gegenwart ; so waren P. Guillelmae (Les- quereux) Heer zur Zeit der mittleren und oberen Tertiar von Gronland durch Nordamerika und das nordostliche Asien, P. aceroides (Goeppert) Heer von Gronland und Spitzbergen durch Europa, Nordamerika und Nordasien ver- breitet, neben ihnen existfrten namentlich in Nordamerika eine Anzahl anderer

296 Di

mehr lokalisirter Formen. Von der letztgenannten Art diirften die in Nord- amerika heimische, in Mittel- und Sudeuropa jetzt allgemein kultivirte P. occi- dentalis L., sowie P. orientalis L. abstammen. Diese letztere findet sich wild im Himalaya, in Afghanistan, dem sudlichen Persien, in Imeretien und Gurien, in Paphlagonien, auf dem Libanon und Cypern, ferner im westlichen und sudlichen Anatolien unterhalb der Cedernregion bis zu 1600 m, haufig in Bithynien bis zu 800 m, desgleichen in Thracien, Macedonien und Griechen- land; sie kommt daselbst in Waldern und an Gebirgsbachen vor, an Standorten, bei denen an eine Einschleppung der Pflanze nicht zu denken ist. Aber auch aufSicilien und in Unteritalien ist die Platane wildwachsend.

* * Dass TcXatavtoTo?, rcXatavoi; aus dem Iranischen oder aus einer klein- asiatischen Sprache entlehnt sei, lasst sich durch nichts wahrscheinlich machen. Es ist sicherlich eine echt griechische Ableitung von itXaTu? breit. Lat. platanus ist aus dem Griechischen entlehnt. Dies weist im Zusammen- hang mit den obigen geschichtlichen und botanischen Nachrichten darauf hin, dass der Baum in Italien sich hauptsachlich durch Kultur, die von den grie- chischen Kolonien ausging, verbreitete, wahrend der Annahme, dass er in Griechenland einheimisch sei, nichts im Wege steht. Vgl. Neumann-Partsch, Physikalische Geographie S. 387 f., Koppen, Holzgewachse II, 68 ff., Muss- Arnolt, Transactions XXIII, p. 110.

Die Pinie.

(Pinus pinea .L.)

Die Geschichte des Pinienbaumes ist aus dem Grunde schwierig, weil die Alten, wo sie der zapfentragenden Nadelbaume erwahnen, die Arten derselben nicht strenge zu sondern pflegen und also der Deutung und Vermuthung ein freies Feld lassen. Immerhin konnen zwei Gruppen dieser Bauaie mit hinreichender Sicherheit unterschieden werden, die eine, eAcm? genannt, Pinus picea L., die andere mit dem Doppelnamen nCxvc, und nevxrj, unter der die Pinie, wo sie iiberhaupt vorkommt, mitbegriffen sein muss. Homer kennt schon alle drei Benennungen ; gAa^ ist ihm ein hoher, zum Himmel strebender Baum, ovQavoLirjxrjg, nsQc^xewg , wt^/Uj, also die Tanne; dass er aber unter seiner nltvg die Pinie, Pinus pinea, den Baum mit dem rei- zenden Schirmdach und den essbaren, mandelartigen Friichten ver- standen hat, wie Fraas, Synopsis p. 263, annimmt, geht aus den drei oder vielmehr zwei Stellen, in denen das Wort vorkommt, nicht

Die Pinie. 297

hervor. II. 13, 389 ff. und gleichlautend 16, 482 ff. heisst es von dem in der Schlacht fallenden Helden:

Aber er stiirzte dahin, wie der Eichbauin oder die Pappel

Oder die Fichte, die schlanke ((3X(u&pY)), von Zimmerern hoch im Gebirge

Mit scharfschneidendem Beile gefallt zum Baue des Schiffes.

Hier fiihrt das Pradikat fthwd-Qog , hochaufgeschossen , und die Ver- bindung mit Eiche und Silberpappel weit natiirlicher auf Pinus Laricio oder auch auf die sonst gAan/ genannte Pinus picea, als auf den niissetragenden Pinienbaum, wie denn auch Odysseus, Od. 5, 239, auf der Insel der Kalypso sein Scruff aus Ellern, Pappeln und Tannen ehdxy, baut. Ganz ebenso verhalt es sich mit der anderen Stelle, Od. 9, 186 ff., wo urn die Hohle des Cyclopen eine Hiirde flir Schafe und Ziegen aus Steinen und

Aus langstammigen (fxaxp-goiv) Fichten und hochumwipfelten Eichen

gebaut ist. IlCxvq und rtevxr^ sind nur verschiedene Formen desselben Wortes, welchem die Bedeutung: harzreicher Baum, Pechbaum zu Grunde zu liegen scbeint. Je nach den Landschaften mag bald diese, bald jene Benennung fur ein und dieselbe Species, oder umgekehrt dieselbe Benennung fur verschiedene Arten im Gebrauch gewesen sein wie denn Theophrast h. pi. 3, 9, 4 ausdriicklich sagt, was er nevxTf] nenne, heisse bei den Arkadern nCxvg. Standort, Boden, Klima, Altersstadium brachten gewiss auch damals schon Varietaten hervor. Die ausfuhrliche Darstellung bei Theophrast (in dem so eben angefiihrten 9. Kapitel des dritten Buches seiner Pflanzengeschichte) ist doch nicht bestimmt genug, um in unserem Sinne eine feste Syno- nymik der Nadelholzer moglich zu machen. In der dort vorkommenden Ttsvxr] r}fj,€QO$, die mit der 7i€vxr( f] xwvoyoQog, 2, 2, 6, identisch zu sein scheint, erkennt man die Pinie, da jenes Adjectiv die von Menschenhand der Friichte oder des Schattens wegen gepflanzten, veredelten Baume zu bezeichnen pflegt, und xcovot, Zapfen, auch sonst als der specifische Ausdruck fiir die essbare Pinienfrucht auf- tritt; aber nichts sagt uns zunachst, ob die zahme Kiefer ihren wilden Reprasentanten in den griechischen Bergen hatte, oder ob sie ein fremder Baum und im letztern Falle wann und wo sie ein- gefiihrt war. Sehen wir auf die Namen fiir die Niisse selbst, so ist uns ein solcher angeblich schon aus einem Gedicht des Solon auf- bewahrt: Phrynich. p. 396, ed. Lob.: Ifu yaQ vvv xoxxwva heyovac, ot nohhol oQ^g. xal yaQ 2oA,o)V sv wig Tiotri^acfc OVTCD Koxxwvag aMog, arsgog Ss

298 Die Pinie.

Daraus geht nur hervor, dass xoxxwvsg, die bei Solon auch Granat- kerne oder sonst eine Beere bezeichnen konnten, in der spatesten Zeit als Pinienkerne gedeutet wurden. Dasselbe ist der Fall mit clem verwandten Wort xoxxahog bei Hippokrates, von welchem Galenus, XV. p. 848 Kiihn, erklarend bemerkt, es sei dasselbe, was sonst xwvog genannt worden sei, bei den neueren Aerzten aber QiqofUtog heisse. Dass ein ahnlicher Ausdruck in spaterer Zeit im Munde des Volkes lebte, beweist auch der neugriechische Name fiir die Pinie xovxovvctQtd. Eine friihere Beiiennung war xwvog, eine spatere fohog, Galen. XIII. p. 10 Kiihn: ovg vvv anavTeg "EM^ves ovo^i GrQopttovg, TO ndkai, tie naga Tolg 'Atuxolg sxahovvxo xwvot,. In der attischen Inschrift bei Bockh, Staatshaushalt 2, 356 (der zweiten Ausg.), die vielleicht in das zweite Jahrhundert vor Chr. gehort,. kommen in der That unter anderem Naschwerk auch xwvoi, vor, aber ob sie in Griechenland gewachsen oder von auswarts gekommen waren, wie z. B. die Datteln und die agyptischen Bohnen, erfahren wir nicht. Pseudo-Herodot. vit. Horn. 20 sagt von der Pinienfrucht : Einige nannten sie (ftQofltJioSj Andere xwvog. Die Benennung titgofiikog tritt zuerst bei Aristoteles oder bei Theophrast auf (Lobeck zu der obigen Stelle des Phrynichus). Wenn in der so eben erwahnten In- schrift ausser xwvot, auch nvQ^veg erwahnt werden, so deutet Boeckh die ersteren gewiss richtig als Pignolen mit der Schale, die letztern als geschalte (und zugleich gedorrte, weil sie sich sonst nicht halten) ; das Wort TrvQVJv, welches in alterer Zeit ganz allgemein den Kern der Friichte, z. B. der Weinbeere oder der Olive (Herodot 2, 92), bedeutet hatte, erfuhr also dieselbe Entwickelung der Bedeutung,. wie xoxxcov, xoxxahog, xcxxog. Einen andern sonst nicht vor- kommenden und von der Harte der Umhullung entnommenen Aus- druck bargaxCg brauchte der athenische Arzt Mnesitheus, wie wir aus Athen. 2. p. 57 erfahren. Dioskorides im ersten Jahrhundert nach Chr. hat die abstractere Benennung nirvL'g, 1, 87: mTv'i'deg de xahovvrat, o xaQ?wg TWV TUTVWV xal xr^g Trevxqg 6 stQKfxofuevog ev Tolg xwvoig - - also die Kerne selbst, die in den Niissen stecken. Halt man alle diese Zeugnisse zusammen, so ergiebt sich als Resultat, dass, je weiter in der Zeit hinab, desto deutlicher die Pinie hervor- tritt, desto bestimmter allgemeine Namen auf die Pinienfrucht sich fixiren und desto gewohnlicher die letztere als Naschwerk im ge- meinen Leben erscheint. Bei den attischen Komikern geschieht der Pignolen keine Erwahnung. In Sicilien kennt Theokrit die Pinien- nlisse bereits als beliebten Leckerbissen : 5, 45 if. wird ein angenehmer

Die Pinie. 299

Ruhesitz beschrieben, wo Quellen frischen Wassers sprudeln, die Vogel zwitschern, die Schatten der Baume Kuhlung verbreiten und die Pinie von oben ihre Niisse abwirft:

fidMsi Jg xal a nCrvg vipo&e xwvoig

(in der That offnet der Pinienzapfen, nachdem er vier Jahre festver- schlossen am Baume gehangen, von selbst die Schuppen und lasst dann die Niisse herabfallen, die dann nur aufgeklopft zu werden brauchen). Auf dem italienischen Festland treffen wir die Pinie auch bei Cato, der die Kerne saen lehrt, 48, 3: nuces pineas ad eundem modum, nisi tanquam alium serito. Plinius 15, 35 beginnt seine Aufzahlung der Baumfriichte schon mit vier Sorten essbarer Zapfen- kerne, vier verschiedenen Arten Baume angehorig, darunter auch die Picea sativa und der Pinaster, dessen Niisse »die Trauriner in Honig einkochten und dann aquicelos nannten«. Wenn der jiingere Plinius in seinem beriihmten zweiten Brief e an Tacitus den aus dem Vesuv aufsteigenden Rauch mit einer pinus vergleicht, 6, 20: nubes oriebatur, cujus similitudinem et formam non alia arbor magis quam pinus expresserit, so erkennen wir deutlich unsere Pinie mit der gewolbten Laubkrone auf schlankem, oben in Aeste sich theilendem Stamme. Von den Dichtern wird sie bei Schilderungen landlicher Paradiese mitaufgefiihrt ; sie war kein Wald-, sondern ein Gartenbaum und also gewiss frernder Herkunft. Verg. Eel. 7, 65:

Fraxinus in silvis pulcherrima, pinus in hortis, Populus in fluviis, dbies in montibus altis.

Ovid. Art. am. 3, 687:

Est prope purpureos collis florentis Hymetti Fons sacer et viridi cespite mollis humus. Silva nemus non alia facit; tegit arbutus herbam; Ros maris et lauri nigraque myrtus olent. Nee densum foliis buxum fragilesque myricae Nee tenues cytisi cultaque pinus abest.

Petron. sat. 131:

Nobilis aestivas platanus diffuderat umbras

Et baceis redimita daphne tremulaeque cupressus

Et circumtonsae trepidanti vertice pinus

wo das Bild der unten zweiglosen, circumtonsa, oben ein fliisterndes Schirmdach tragenden Pinie deutlich wiedergegeben ist. Martial warnt den Wanderer davor, sich unter die Pinie zu setzen, denn

300 Die pinie-

ihre schweren Zapfen konnten ihm auf den Kopf fallen, 13. 25 nuces pineae:

Poma sumus Cybelae, procul hinc discede. viator,

Ne cadat in miserum nostra ruina caput.

Die Pinie steigt nicht auf die hohen Gebirge, entfernt sich auch nicht von den Vorbergen und Ufern des mittellandischen Meeres, fiir uns ein Beweis mehr, dass sie in Italien, ja auch in Griechenland eingewandert ist; denn was urspriinglich in diesen Landern, iiber die doch auch schneidende Nordhauche hinwehen, einheimisch war, be- sitzt auch die Kraft, mit Hiilfe pflegender Kultur die Alpen zu tiber- steigen und einzelne begunstigte Localitaten Mitteleuropas zu betreten. Der Pinie ist aber bereits die Gegend von Turin zu kalt. Wir wissen nicht, ob und in welcher Landschaft Asiens sie etwa noch wild vorkommt. Nach Fiedler wachst sie im heutigen Griechenland nur hin und wieder und meist einzeln; was an Kieferniissen auf den grosseren Bazars feilgeboten wird, kornmt meistens aus Russland von Pinus Cembra L. Nach Grisebach, Spicilegium II, 347, findet sich die Pinie, vermischt mit Pinus Laricio, als hoher Wald auf dem nord- lichen Ufer der Halbinsel Hajion-Oros (die in den Berg Athos aus- lauft). Im heutigen Italien bildet die Pinie den malerischen

Schmuck der Villen und Garten, z. B. in Rom; besonders haufig ist sie neuerdings, wie schon friiher bemerkt, in der reichen Campagna von Neapel angepflanzt, iiber der weit und breit ihre reizenden grunen Laubkugeln schweben. Hin und wieder trifft man die Pinie auch in zusammenhangenden Bestanden, nirgends so ausgedehnt, als in der beruhmten Pineta von Ravenna. Dieser Pinienwald, dem das sumpfumgebene Ravenna nach der allgemeinen Meinung seine gesunde Luft verdankt, erstreckt sich auf altem Meeresboden in einer Breite von einer Stunde und in einer Lange von mehr als sechs geographischen Meilen dem Ufer entlang. Schoii ist er von Karl Witte beschrieben, Alpinisches und Transalpinisches , Berlin 1858, S. 308: »Statt der Einformigkeit eines schwebenden Baldachins, die man sonst an ihm gewohnt ist, entwickelt der Baum hier in so viel hundert uralter und kraftiger Exemplare die mannigfachsten, oft wunderbar verschrankten. und knorrigen Gestalten. Unter dem Dache der Pinien aber, auf dem feuchten fruchtbaren Boden hin, wuchert ein iippiges Wachs- thum von niederen Gestrauchen und Schlingpflanzen in buntester Fiille. Schon ein Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts zahlte fast dreihundert Pflanzenarten in ' dieser Pineta. Dazwischen singt und summt und zwitschert es von unzahligen Vogeln und anderem fliegen-

Die Pinie. 301

den Gethier; oben durch die Pinienzweige aber fliistert ohne Unter- lass der Windeshauch vom nahen Meere.« Ueber den Ertrag an Friichten und die Art der Einsammlung und Reinigung s. eben- daselbst S. 309 f. Die Pineta giebt jahrlich etwa 9000 preussische Scheffel Pinienkerne, die leereri harzigen Zapfen bilden das schonste Material fiir Kaminfeuer. Da der Wald von Ravenna zum grossten Theil auf neugebildetem Boden steht, der zur Romerzeit noch Meer war, so kann er erst im Mittelalter, nicht vor den Zeiten des Pro- copius, angelegt worden sein. Wohl aber war jenes ganze Territormm schon friihe reich an Pinien, Sil. Ital. 8, 595:

et undique sellers Arva coronantem nutrire Faventia pinutn.

Das von Ravenna nicht weit abstehende Faenza pflegte also zu Silius' Zeit schon die Pinie, die die Saatf elder kront. Dass Augustus wegen dieses Baumes Ravenna zu einem der beiden Standorte seiner Flotte erhoben haben sollte, glauben wir nicht, da Schiffswerft und Flotten- station zweierlei sind und bei Wahl der letzteren ganz andere mili- tarisch-politische Grande entscheiden. Jordanis 57 : (Theodorictis) transacto Pado amne ad Itavennam, regiam urbem, eastra componit tertio fere milliario loco qui appellatur Pineta. Zur Zeit des Ein- bruchs der Ostgothen gab es also schon einen Ort Pineta bei Ravenna, der aber nordwestlich von der Stadt gelegen zu haben scheint und also mit der heutigen Pineta nicht zusammenfallt (Palmann, Geschichte der Volkerwanderung, II, 489 f.). Der Wald wurde zum Schutze Ravennas gegen das Meer zu der Zeit angelegt, wo durch ganz Nord- italien im Kampfe mit der Natur Kanale, Damme und andere Wunder- werke der technischen Kunst ausgefuhrt wurden. Dante kennt und preist ihn bereits und benennt ihn nach Chiassi (dem alten Hafen, Classis, von Ravenna), ebenso Boccaccio. Er gehorte sonst mehreren Kirchen und Klostern und bildete dann bis zur Entstehung des Konig- reichs Italien ein Eigenthum der apostolischen Kammer: diese trat ihn im Jahre 1860 durch Vertrag (oder Scheinvertrag) an die Ka- noniker des Lateran ab, die ihrerseits ihre Rechte auf eine Pri vat- person ubertrugen. Beide Kontrakte wurden von den italienischen Gerichten fiir nichtig erklart, da wegen Wechsels der Landes- souveranetat die papstliche Kammer nicht mehr als Eigenthiimerin angesehen werden konnte. Indess Hess sich die italienische Regie- rung zu einem Abkommen herbei, vermoge dessen gegen eine ver- haltnissmassig geringe Abfindungssumme die Pineta, deren Kapital- werth auf 4 5 Millionen Franken geschatzt wird, in die Hand der

302 Die Pinie.

neuen Regierung iiberging (heftige Debatten dariiber im Florentiner Parlament, Marz 1866). Uebrigens haben nach altem Branch die Burger von Ravenna ausgedehnte Nutzungsrechte an dem Walde; ja man beschwerte sich, dass der leichte Erwerb, zu dem er Gelegen- heit bietet, der Faulheit Vorschub leiste und miissiges Gesindel aus weitem Umkreise herbeiziehe. Dennoch gilt die Pineta fur das Heiligthum Ravennas, das die Stadt und ihr Gebiet gegen giftige Diinste und die Meeresstromungen schiitzt und. demgemass hoch- gebalten und gepflegt wird.

* Die Pinie ist nach der Ansicht fast aller Floristen der Mittelmeer- lander ein in den Kiistenstrichen des Mittelmeers heimischer Baum. Nach Karl Koch (Linneae 1849 p. 298) und Koppen wachst sie vollig wild am Fluss Tschoroch unweit Artevin im Gebiet von Batum; sie ist ferner haufig in Gurien, wo sie aber nur in der Nahe von Ruinen ange- troffen wird; an der Siidkuste der Krim ist sie eingefiihrt. Im Ktistengebiet von Anatolien und Syrien wird sie als wild angesehen. Dass sie im Pelo- ponnes heimisch sei, wird von Heldreich nicht bezweifelt, dagegen ist sie nach dessen Ansicht in Creta wohl nicht spontan. In Italien ist die Pinie an den Kiisten und in der Ebene haufig, zwar vielfach angepflanzt, aber doch wohl auch ursprunglich wild. Sehr verbreitet ist die Pinie als einheimischer Baum durch Spanien mit Ausnahme der nordwestlichen Provinzen; sie bildet namentlich ausgedehnte Walder zwischen Sevilla und Huelva, sowie zwischen Huelva und Ayamonte, ferner in der Provinz Segovia, sowie in den castilischen Ebenen zwischen Penaranda, Avila und Labajos. Auch auf Madeira kommt die Pinie, allerdings nur vereinzelt und wahrscheinlich angepflanzt bis zu einer Hohe von 600 m vor. In Algier ist die Pinie nach Letourneux nicht wild, aber stellenweise verwildert; auch in Tunis kommt sie nicht spontan vor.

* * Griech. TCITD? und K&UXY] (oben S. 297) sind verschiedene Worter, von denen letzteres zu ahd. fiuhta und lit. puszis Fichte, ersteres zu scrt. pita-dru, piia-daru, pitu-daru, Pamird. pit, lat. pitu-ita Schnupfen, eigentl. zahe Feuchtigkeit gehort. Hierher wird auch lat. pinus zu stellen sein, sei es, dass dasselbe aus *pit-snu-s oder pi-nu-s (vgl. scrt. pi-na-s feist) entstanden ist. Dass die Griechen und Romer, als sie im Siiden die Pinus pinea kennen lernten, den neuen Baum zunachst mit unter die alten Benennungen langst bekannter Coniferenarten unterordneten, hat um so weniger auffallendes, als uns ein specieller alterer Name der Pinus pinea uberhaupt nicht, weder im Orient noch im Occident, bekannt ist. Das allmahliche Hervortreten besonderer Benennungen fur die Pinie und ihre Frtichte erinnert in mancher Beziehung an die Geschichte der Kastanie und ihrer Namen (s. dieselbe unten), ohne dass es hier wie dort nothig ware, aus dieser sich nach und nach verfeinernden Terminologie Schlusse auf ein urspriingliches Unbekanntsein beider Baume in Griechenland

Das Rohr. 303

oder Italien zu ziehen. Ausfiihrlich handeln tiber die antike Nomenclatur der Kiefernarten Neumann und Partsch, Physikalische Geographic S. 366 Anm. 2. Gegen die botanische Argumentation Hehns (oben S. 300) beztiglich des spate- ren Bekanntwerdens der Pinie in den Mittelmeerlandern vgl. auch Grisebach, Gott. Gel. Anzeigen 1872 S. 1766 ff. Zu ngr. xooxoovapid vgl. noch alb. kukunare Pinie (G. Meyer, Et. W. S. 211). Wohlerhaltene Zapfen von Pinus pinea nennt Woenig (a. a. 0. S. 362) unter den Pflanzenresten auslandischer Ge- wachse in agyptischen Grabern.

Das Rohr.

(Arundo donax L.)

Der nordische Reisende staunt, wenn er jenseits der Alpen ein dichtes, hochwallendes, im Winde rauschendes Rohrfeld sieht, dessen schwankende, in Blatter gekleidete, knotenreiche Halme, oft bis zu einem Zoll Dicke, weit iiber seinen Kopf reichen. In fetten, be- feuchteten Griinden, langs den Darnmen, an den Ufern der Fliisse und Kanale, aber auch auf trockenen Feldern werden die Wurzel- knollen (oculi bei den Alten) in tiefe Graben gelegt, die aufgeschosse- nen Rohre im Herbste geschnitten und die iibrig bleibenden Stocke angeziindet, damit die Asche den Boden fur die neuen Triebe des kiinftigen Jahres diinge. Oft sieht man dann von hohern Punkten, z. B. auf Abend-Spaziergangen von einem der sieben Hugel Roms, Feuer und Rauch in der Feme wunderbar iiber die Ebene ziehen. Dies Riesengras ersetzt nicht nur im waldlosen Siiden das fehlende Holz zur Feuerung, sondern es stiitzt auch die Weinreben, umzaunt die Aecker und Garten, dient zu Lauben, Spalieren, Gipsdecken der Zimmer, zum Trocknen der Wasche, zu Angel- und Leimruthen, zu Spulen der Weber und zu hundertfaltigem anderem Gebrauch. Wie schon im Alterthum, so ist noch jetzt ein Stuck Rohr die leichte Spindel des Hirtenmadchens, mit der sie, ohne an ihr schwer zu tragen, auf Felsenpfaden den Zickeln und Lammern nachspringt; wie im Alterthum, schneidet noch jetzt der Hirtenbursche aus dem Rohr- halme sich seine Schalmei, die tibia, fistula, syrinx. Zwar geschrieben wird auch im Siiden nicht mehr mit dem Rohre, aber das Tintenfass heisst noch immer ealamqjo, wie die Magnetnadel calamita und das Brenneisen calamistro, und die Kiiaben reiten noch immer auf dem langen Rohrhalme umher, wie die Buben zu Horatius' Zeiten, Sat. 2, 3, 248: equitare in arundine longa. Auch diese Kulturpflanze, die

304 Da

mit dem europaischen Sumpfrohr, Phragmites communis, nicht zu ver- wechseln 1st (s. Zeitschrift fiir allgemeine Erdkunde, Neue Folge, Band 13: »Die Gras vegetation Italiens, nach Parlatores Flora italiana bearbeitet von Dr. C. Bolle«, S. 298), stammt aus dem warmeren Asien und verlasst auch jetzt nicht den Bezirk des Mittelmeeres. Schon in homerischer Zeit brachten die Phonizier mancherlei aus Arundo donctx Gefertigtes heriiber wie wir aus einigen Namen schliessen, die schon die epische Sprache kennt. Das dem Semitischen entnommene xdvvr], urspriinglich xdvrj (Renan, histoire des langues semitiques, edit. 1, p. 192, 193 und Benfey unter diesem Wort), das wieder die Romer den Griechen entlehnten (canna friiher cana, wie canalis beweist), gab namlich das homerische xdvsov, xdvswv Brot- korb, und den xdvv^ d. h. Kamm oder Spule am Webstuhl und das Querholz am Schilde, das entweder die Handhabe zu befestigen oder den Schild selbst auszuspannen diente. Der Brotkorb, spater auch in der erweiterten Form xdvatftgov, xdviGTQov, aus dem beim Mahl den Gasten das Brot vertheilt wird, war aus gespaltenem Rohr geflochten und mag ein phonizischer Handelsartikel gewesen sein. Die xavovsg am Schilde mussten stark und zugleich leicht sein: beide Eigenschaften sind die Hauptvorziige eines guten Schildes und beide besass gerade das asiatische Rohr. Die Wage, deren sich die Kauf leute bedienten, wenn sie am Strande ihre Waaren ausbreiteten und den Kauflustigen zuwogen, wird, ein gleichschwebendes Rohr gewesen sein74), eben so das Mass und das Richtscheit ein grader Rohrstab, denn in beiden Bedeutungen finden wir das Wort xavwv spater wieder. Die cyclopischen Mauern von Mycena waren mit dem Kanon und dem Steinmeissel gefugt, Eurip. Here. fur. 944:

ra Kvxhomwv gtoCvixi, xavovt xal vvxoig wo das Adjectiv <poCvt£ roth denn phonizisch kann es ja wohl nicht bedeuten beweist, dass der Dichter sich unter xavwv bereits eine Richtschnur gedacht hat, die beim Abschnellen eine farbige ge- rade Linie zuriicklasst. Auch Matten und Decken aus xdvva ge- flochten kommen friihe vor, schon in einem Fragment des Hipponax bei Pollux 10, 183. Das Wort xdvva, xavvy selbst ist im griechischen Alterthum selten und wo es erscheint, hat es die Bedeutung des aus Rohr Geflochtenen, nicht der Pflanze selbst. Wann kam die letztere also nach Griechenland, und wie allgemein wurde sie angebaut? Das Rohrdickicht, in welchem Menelaus und Odysseus die Nacht hindurch vor Troja im Hinterhalt lagen, Od. 14, 174, mag aus gewohnlichem

Das Rohr. 305

Sumpfrohr bestanden haben; aber waren nicht die dovaxsg an der Phorminx des Hermes, Hymn, in Merc. 47, aus edlem asia- tischem Rohr geschnitten? Das letztere Hesse sich noch am ehesten bei dem Pfeil voraussetzen, mit welchem Paris, II. 11, 584, den Eury- pylus im Schenkel traf, so dass das Rohr abbrach, denn hier kam es auf einen leichten und doch kraftigen Schaft an: aber die Pfeile konnten eingefiihrt und das Material ein fremdes sei. Auch die ausfiihrliche Erorterung iiber die Arten des Rohres bei Theophrast h. pi. 4, 11, ist nicht pracis genug, um Arundo donax mit Sicherheit in einer derselben wiederzuerkennen. Indess wenn er am Schluss des Kapitels hinzufugt, alles Rohr wachse schoner, wenn es nach dem Schnitt abgebrannt werde, so muss er doch wohl eine wirkliche Rohrpflanzung oder wenigstens ein Gerohricht, das von Menschenhand gepflegt wurde, im Auge gehabt haben. Deutlicher bezeichnet Dio- skorides das echte asiatische Rohr, wenn er 1, 114 sagt: »eine Art des Rohres ist dick und hohl, wachst an Fliissen und wird donax, von Einigen auch cy prise he s Rohr genannt« von welcher Insel es also bezogen wurde oder urspriinglich gekommen war. Eine weitere Uebergangsstation mag die Insel Kreta gewesen sein, deren Einwohner schon bei Pindar m^oyioQOi, sind und treffliche im ganzen Alterthum beruhmte Pfeile fiihren. Cnidus an der karischen Kiiste heisst bei Catull 36, 13 anmdinosa; im eigentlichen Griechenland eignete sich keine Oertlichkeit mehr zur Aufnahme des fremden Rohres, als die Ufer des kopaischen Sees in Bootien und der in denselben miindenden Fliisse, eine Gegend, die friihe dem orientalischen Einfluss geoffriet war. Das spater dort wachsende Flotenrohr, xdhafiog avhynxog, kann wohl nur Arundo donax gewesen sein, aus der sich noch heute die griechischen Hirten ihre Syrinx schneiden (Fraas, Synops. 298, denkt an eine andere seltenere Rohrspecies, Saccharum Ravennae L.\ Vielleicht waren auf sicilischem Boden die Rohrhalme, mit denen Dionysius der altere Nachts das achradinische Thor in Syrakus an- zundete, und die er aus den nahen Siimpfen hatte holen lassen, Diod. 13, 113, von Menschenhand gezogen worden wie noch jetzt am Anapus Arundo donax uppig gedeiht. In Italien giebt schon Cato 6, 3 Anweisung, an Flussufern und feuchten Stellen ein arundinetum anzulegen, eben so seine Nachfolger Varro, Columella, Plinius u. s. w., und zwar sind die Methoden, das Einlegen der Wurzelstocke, das Abbrennen, die Benutzung zu Hiirden, zum Hauserbau, zur Stiitze der Weinstocke u. s. w. ganz die heutigen. Wie in Griechenland erscheint aber auch in Italien das Wort canna erst spat, ja es ist

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 20

306 Das Eohr.

der Name fiir das diinnere und schwachere gemeine Rohr im Gegen- satz zu der eigentlichen arundo. Der alteste Schriftsteller, bei dem es vorkommt, scheint Vitruvius zu sein, welcher 7, 3 die Wande zum Behuf der Stuckatur mit cannae benageln lehrt. Ovid, der eine Vor- liebe fiir das Wort canna hat, dessen sich seine poetischen Zeit- genossen enthalten, unterscheidet die kleinere canna von der langen arundo, Met. 8, 337:

longa parvae sub arundine cannae,

und Columella berichtet ausdriicklich, das Volk nenne das aus- geartete Rohr canna, 7, 9, 7: tanquam scirpi juncique et degeneris arundinis quam vulgus cannam vacant, und meint, durch Alter werde der Wuchs des Rohres so dicht, dass die Halme schlank wiirden, wie die der canna 4, 32, 3: .... ut gracilis et cannae similis arundo prodeat. Vitruv in dem so eben angefiihrten Kapitel rath fiir den Fall, dass arundo graeca nicht zur Hand sei, als Surrogat diinnes Sumpfrohr zu nehmen: sin autem arundinis graccae copia non erit, de paludibus tenues colligantur, und nennt also Arundo donax noch immer nach dem Lande, aus dem es zunachst stammte. Bei Palladius endlich in der spatesten Kaiserzeit ist der vulgare Ausdruck schon ganz so, wie noch heute, fiir Rohr iiberhaupt herrschend, 1, 13: postea palustrem cannam vel hanc crassiorem. quae in usu est . . . subnectemus. Dass das Wort in Italien viel alter als Vitruv ist, bezeugt die schon oben erwahnte Ableitung canalis; auch der beriihmte Flecken Cannae am Aufidus in Apulien wird von dem dort wachsenden Rohr den Nam en gehabt haben, wie von demselben Um- stand die aolische Stadt Kdvat, in Kleinasien. Die neueren europa- ischen Sprachen besitzen dann noch weitere Anwendungen und Ab leitungen des Wortes, denen man die mannigfache Geschichte, deren Niederschlag sie sind, nicht ansieht: Kanne und Kannengiesser, Knaster, Canon, Kanone, kanonisches Recht, Kaneel (Zimmt), chanoine und chanoinesse, cheneau (Dachrinne), engl. channel (der Kanal zwischen England und Frankreich) u. s. w., alle in letzter Instanz auf das hebraische Jcaneh oder dessen phonizischen Reprasentanten zuriickgehend.

* Arundo donax L. ist im ganzen Mittelmeergebiet als wildwachsende Pflanze verbreitet ; denn sie findet sich nicht bloss an Graben und in Hecken angepflanzt, sondern auch an Flussufern, oft schwer zu durchdringende Dickichte bildend. Es spricht zwar der italienische Florist Parlatore die Vermuthung aus, dass die Pflanze vielleicht fruher kultivirt worden sei und sich in Folge der Kultur verbreitet habe ; an dem Indigenat zweifelt er haupt-

Der Papyrus. 307

sachlich deshalb, well die Pflanze auch da, wo sie massenhaft vorkommt, nur sparsarn bltiht. Indessen scheint mir dieser Grund nicht stichhaltig; denn die in Europa weit verbreiteten Wasserlinsen bliihen auch ausserst selten. Vielmehr mochte ich einen Grund ftir das seltene Bliihen der Arundo donax L. in der starken vegetativen Vermehrung der Pflanze suchen; auch vermuthe ich, dass die Pflanze aus alteren Perioden stammt und bei der allmahlichen Herabsetzung der mittleren Temperatur des Mediterrangebietes im Bliihen und Fruchttragen zuriickgegangen ist. Fiir ihr Indigenat im ganzen MitteJ- meergebiet scheint mir auch der Umstand zu sprechen, dass eine sehr nahe- stehende Art, A. Plinii Turr. von Spanien bis Griechenland und Constanti- nopel verbreitet, aber nicht aus Kleinasien bekannt ist.

** Die griechisch-lateinischen Worter v.a.vvr^-canna lassen sich jetzt nicht nur bis in das Semitische, sondern weiter bis in das Sumerisch-Akkadische verfolgen. Hier heisst das Rohr gin, woraus babylonisch-assyrisch qanu u. s. w. «ntlehnt sind. »Die Haufigkeit des Schilfrohrs,« sagt F. Hommel, Die Semiten S. 407, »das besonders an den Stricben am Meer und den Ufern der Fliisse und Kanale vorkam und bei dem urspriinglichen sumpfigen Charakter des Landes natiirlich hier von Anfang an einen giinstigen Boden hatte, geht schon daraus hervor, dass eines der gewohnlichsten altbabylonischen Schrift- zeichen, das fiir gi, seitwarts urngelegt das klare und deutliche Bild einer solchen Wasserpflanze ergiebt, deren Name im Sumerischen eben gi (altere Form gin) war.« Ist die Arundo donax wirklich in Griechenland und Italien einheimisch, so wird sich die sprachliche Entlehnung auch hier aus der kulturhistorischen Bedeutung des Rohres erklaren, die im Orient aufkam. Das semitische Wort muss lange vor Homer nach Griechenland gekommen sein, wie die mehrfachen Ableitungen von demselben in der homerischen Sprache (oben S. 304) beweisen. -

Eine den Cyperaceen oder Halbgrasern angehorende, also der Arundo donax nur halb verwandte Pflanze, die Papyrus staude, ubertrifft diese durch tausendjahrigen Ruhm und reizende Schonheit der Erscheinnng. Dass sie auch nach Europa gekommen ist, weiss Jeder, der das alte Syrakus auf der Insel Sicilien besucht hat. Dort ist ein Nebenarm des Anapus, der zu der fabelberiihmten Quelle der Cyane (jetzt Testa di Pisima) fiihrt, von beiden Seiten mit Papyrus- schilf bewachsen, der unmittelbar aus dem nicht tiefen, klaren, leise rinnenden Gewasser aufsteigt. Besonders an einer Stelle, wo sich das Fliisschen zu einem seeartigen Becken ausdehnt, dem sogenannten Camerone, wird die Scene marchenhaft und ganz tropisch: die riesen- haften, zwolf bis sechzehn oder gar achtzehn Fuss hohen Stauden mit ihren anmuthig geneigten Kronenbiischeln umschliessen von alien

20*

308 Der Papyrus.

Seiten wie ein dichter Wald die Spiegelflache, auf der ihr Bild ruhig schwimmt und an der ihre Wurzeln und Stengel ewig trinken. Im alten Aegypten wuchs diese Pflanze, wie allbekannt, in ungeheurer Menge und wurde zu mannigfachen Zwecken verwendet, die Wurzeln zur Nahrung, der Bast zu Stricken, Korben, Matten, Flusskahnen, die feinen Haute zu Schreib papier. Die Griechen bezogen ihr Byblos- Material aus dem Nilthale und benannten ihre Bibeln oder Biicher, Schriften und Brief e nach dem Nam en desselben. Merkwiirdig genug ist es, dass die Papyrusstaude im heutigen Aegypten ganz ausgestorben ist denn wenn einzelne Reisende sie gesehen haben wollten, so war hochst wahrscheinlich Verwechslung im Spiel und dass die Pflanze erst am weissen Nil und Gazellenflusse wieder vorkommt und zwar in ungeheurer Menge. Sie ging in Aegypten unter, wohin sie wohl aus den oberen Gegenden eingefuhrt war und theilte darin das Schicksal der im Alterthum vielgenannten agyptischen Bohne (xva/nog Alyvnuog, Nymphaea Nelumbo L.) - - zum Beweise, dass die Kultur, wie sie ein Land oder ganze Welttheile bereichert, so auch unter veranderten Umstanden ihre Gaben wieder zurucknimmt. Beiden Gewachsen ward die Concurrenz anderer Pflanzen und neuer Er- findungen verderblich, die des Pergaments und besonders des Lumpen- papiers, des Hanfes und Spartgrases, mehlreicherer Friichte u. s. w. In Griechenland selbst hat sich nie eine Spur einer Papyruspflanzung gefunden: um so rathselhafter schien ihr Auftreten in Sicilien, bis die Untersuchungen des Florentiner Botanikers P. Parlatore in den Schriften der Pariser Akademie (Memoires presentes par divers savants etc. Sciences mathem. et physiques T. 12. 1854. p. 469 et suiv.) die Geschichte des sicilischen Papyrus aufklarten. Parlatore unter- scheidet zunachst zwei Arten der Pflanze, die jetzt verschwundene agyptische, die aber in Mumienresten und noch lebend in Nubieii und Abyssinien vorhanden sei, und die er Cyperus papyrus nennt, und die sicilische, viel hoher wachsende, oben in einen ausgebreiteten Biischel, nicht in einen Kelch ausgehende, die aus Syrien stammt und der er daher den Namen Cyperus syriacus giebt. Diese Unter- scheidung hat wenig Gliick gemacht, zumal Syrien seinen Papyrus doch nur durch Verpflanzung aus Aegypten besitzt, historisch sichcr aber ist, dass die Alten von keiner Papyrusstaude in Sicilien wissen, und dass sie damals auf der Insel noch fehlte. Vielmehr brachten sie die Araber kurz vor dem 1 0. Jahrhundert aus Syrien dahin : Ibn-Hauqal, der 977 978 schrieb, nennt sie zuerst; Hugo Falcandus bei Muratori Scrip tt. t. 7 (gegen Ende des 12. Jahrhunderts) kennt sie gleichfalls

Cucurbitaceen. 309

in Sicilien. Zuerst mag sie an dem Fliisschen bei Palermo, dem danach benannten Papireto, angepflanzt worden sein: dort wuchs sie reichlich bis zum Jahre 1591, wo auf Veraiilassung des darnaligen Vicekonigs wegen der vom Papireto ausgehenden Malaria die ganze Gegend trocken gelegt wurde und damit auch der Papyrushain ver- schwand. Aber noch jetzt heisst jene Oertlichkeit piano del papireto und in dem dort angelegten offentlichen Garten wird auch die Pa- pyrusstaude gepflegt. Nach Syrakus muss sie erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts versetzt worden sein, denn ein zuverlassiger Autor vom Jahr 1624 kennt sie daselbst noch nicht, wohl aber ein anderer vom Jahr 1674. Jetzt findet sie sich, ausser am Anapus, hin und wieder im siidlichen und ostlichen Theil der Insel wild und in den Garten der reichen Aristokratie mit Vorliebe cultivirt. Die Exem- plare in den europaischen Gewachshausern scheinen alle aus Sicilien zu stammen. Hatten die Araber ihre Herrschaft auch auf Griechen- land ausgedehnt und daselbst, wie in Palermo, einen glanzenden Hof gegriindet, so wiirden wir an dem einen oder dem andern Flusse dieses warmen und der syrischen Kiiste naheren Landes vielleicht auch dem herrlichen Uferschmuck begegnen, wie einst am Papireto und jetzt am Anapo.

* Die Annahme Parlatore's, dass der sicilianische Papyrus nicht zu Cyperus papyrus L. gehore und von einer syrischen Art, C. syriacus Parl. ab- stamme, 1st auch botanisch nicht begriindet. In Syrien komint kein Papyrus vor und die sicilianische Papyrusstaude weicht von der afrikanischen nur durch etwas mehr rundliche Halme ab.

1 Fur TraTiopoc fehlt es bis jetzt an einer geniigenden Deutung. Den Versuch zu einer solchen hat Lagarde, Mittheilungen II, 260 f. gemacht, indem er das griechische Wort in Zusammenhang mit dem Stadtchen Biira, einem Kiistenorte des Bezirks von Damiette, bringt, die ein Haupt- ausfuhrort des Papyrus gewesen sei. Doch kennen wir den alten Namen des Platzes nicht. Zu (36£Xo; vergl. Anm. 28 und Muss-Arnolt, Trans- actions XXIII, 125.

Cucurbitaceen.

Die Friichte dieser Familie, die zu den grossten, zu den wahren Riesen des Pflanzenreichs gehoren, stammen alle aus Asien, die meisten aus Siidasien, speciell aus Indien. In einigen Arten friihe

310 Cucurbitaceen.

in den Landern der alten Kulturwelt verbreitet, bilden sie noch jetzt die Lieblinge der stidlichen, besonders aber der ostlichen Volker. Durch eine dichte Schale gedeckt, die die Ausdiinstung der inneren Feuchtigkeit verhiitet , sammeln sie wahrend der Monate , wo der Sonnenbrand Alles versengt, einen reichlichen immer kiihlen Saft an, mit dem sie dann den durstigen Esser erquicken. Je nach den Arten ist freilich Menge und Geschmack desselben sehr verschieden; bald zerfliesst das Fleisch der Frucht fast zu Wasser und traufelt beim Essen in dicken Tropfen von Hand und Mund, wie bei der orientalischen Wassermelone , bald bildet es eine aromatische, siisse, duftende Masse, wie bei der Zuckermelone ; wahrend die eben ge- nannten Arten im Zustand volliger Reife, iiach Entfernung der Saat, genossen werden, dient die Gurke heut zu Tage nur unreif mitsammt der Saat und meistens eingemacht ocler mit beissenden Zuthaten ver- sehen zur Nahrung ; der Kiirbiss aber ist nicht, wie seine Verwandten, roh, sondern nur gekocht oder gebraten essbar. Zu der oft unge- heuren Grosse der Friichte stehen die schwachen Stengel und Ranken nicht im Verhaltniss, daher die ersteren ruhig auf der Erde liegend anschwellen und ihre Reife erwarten, nicht etwa, wie die Kokosniisse oder andere Baumfriichte, lockend von oben herabhangen und end- lich zur Verbreitung des Samens auf den Boden niederfallen. Dies setzte schon die Alten in Verwunderung. So nannte Matron, der lustige Parode, den Kiirbiss »den Sohn der hehren Erde«, was Homer von dem Titanen Tityos gesagt hatte, und wenn der Letztere bei Homer auf dem Boden liegt und neun Plethren bedeckt, so lag der Kiirbiss des Matron im Gartenbeet und reichte iiber neun Tische weg, Athen. 3 p. 73:

Auch den Kiirbiss sah ich, den Sohn der gewaltigen Erde, Liegend unter dem Kraut; er lag neun Tische bedeckend.

So wachst und wachst bei Callimachus der Kiirbiss im thauigen Beet dQoaeQu) svl %<oQ(p, d. h. nicht am luftigen Zweige, Athen. ibid.) und ist daher qdvyaiog, wie Heraklides von Tarent bei Athenaeus ebenda sagt, und so windet sich bei Vergil die Gurke durch das Gras, allmahlich zur Bauchform anschwellend, G. 4, 121:

tortusque per herbam Cresceret in ventrem cucumis.

Bei keiner Art Friichte sind die Abweichungen , Uebergange und Ausartungen so gross, als bei den Cucurbitaceen. Vielleicht liegt die Ursache in demselben strotzenden und daher leicht abirrenden Bildungstriebe, der auch den erstaunlichen Umfang einiger derselben

Cucurbitaceen.

erzeugt. Da nun schon im Alterthum die Grenze zwischen den Arten in der Anschauung des Volkes oft unbestimmt schwankte und die gebrauchlichen Namen, von vieldeutiger Allgemeinheit , je naeh Zeit und Gegend und Umstanden Verschiedenes bezeichneten, so ist es jetzt ausserordentlich schwer, ja unmoglich, die Angaben der Alten mit unserer Kenntniss der Sache zu vereinigen und im ge- gegebenen Falle mit Sicherheit zu unterscheiden , ob ein Kiirbiss und welcher oder eine Gurkenart und welche gemeint sei.

Das alteste Zeugniss fur die Existenz der Kiirbissfruchte im Orient oder eigentlich in Aegypten findet sich im 4. Buch Mosis 11, 5. Dort erinnern sich die Israeliten, durch die wasserlose Wiiste wandernd, sehnsiichtig der in Aegypten genossenen Friichte: »Wir gedenken der Fische, die wir in Aegypten umsonst assen, und der Kiirbiss, Pfeben, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch. « Was hier Luther mit Kiirbiss und Pfeben wiedergiebt, wird von neueren Auslegern seit Celsius, Hierobotanicon I, 356 und II, 247, wahrscheinlicher durch Gurken und Melonen gedeutet, da die beiden hebraischen Ausdriicke, Jcischuim und Ctbattichim, bis auf den heutigen Tag bei den semitischen Volkem in dem angegebenen Sinne gebrauchlich sind. Bei der Gurke wird dabei an die agyptische Cucumis chate L. gedacht, eine grosse, langliche Frucht, die noch jetzt unter diesem Namen in der Levante allgemein frisch verzehrt wird, nachdem sie zur Reife gelangt und dann in Geschmack und Wirkung einiger- massen der Melone ahnlich geworden ist. Doch ware immer mog- lich, dass seit jener friihen Zeit bei Syrern, Arabern und Juden die Namen von einer Art auf die andere iibergingen und, wahrend die eine verschwand und die andere neu auftrat, doch die Bezeichnung, dieselbe blieb, s. unten.

In der epischen Poesie der Griechen, bei Homer und Hesiod,. findet sich weder eine der fur diese Friichte spater iiblichen Be- nennungen, noch eine Andeutung, die auf Kenntniss derselben zu jener Zeit schliessen liesse. Eine solche konnte in dem Namen der Stadt Sicyon liegen d. h. die Gurkenstadt, doch geht derselbe in kein hohes Alterthum hinauf. Zwar kennt ihn schon die Ilias an zwei Stellen, im Schiffskatalog v. 572 und bei den Leichenspielen zu Ehren des Patroklus 23, 299, aber der erstgenannte Vers ist auch aus anderen Griinden als spateres Einschiebsel verdachtig, und die- letzterwahnte Partie tragt ganz den Charakter einer nachmaligea rhapsodischen Erweiterung. Der friihere Name Sicyons war Mekone, die Mohnstadt, und so heisst die Stadt noch in der hesiodischen Theo-

312 Cucurbitaceen.

gonie; als der Vater des Sikyon nenrit der My thus den Marathon d. h. den Fenchelmann. Danach trug die fruchtbare Ebene von Sicyon, die Asopia langs dem unteren Laufe des Asopus, zuerst Mohn (ein uraltes mit dem Getreide als Unkraut aus Asieii ge- kommenes Gewachs mit schoner Blunae und essbarem Samen) und Fenchel (eine einheimische Doldenpflanze, schon friihe von den altesten Bewohnern des Landes als Gewiirz aufgefunden und seitdem durch alle Jahrhunderte hindurch hochgehalten), dann erst in weiterer Folge die aus dem Morgenlande iiber See eingefiihrten Gurken (oder Kiirbisse). Bei einer Neugriindung erhielt die Stadt dann auch nach dieser Kultur ihren neuen Namen. Bestande fur uns nicht die lange traurige Liicke, die in der griechischen Literatur das alteste Epos von Pindar und Aeschylos trennt, so wiirden wir den Zeitpunkt, in, dem die Griechen Kleinasiens und des europaischen Mutterlandes sich zuerst mit Gurken und Kiirbissen befassten, vielleicht genauer pracisiren konnen. Aber weder die Elegiker und Lyriker sind uns erhalten, noch Archilochus, der vielberiihmte zweite Homer, dessen Werke noch in der christlichen Zeit vorhanden waren und erst dem Vertilgungseifer der Kirche und ihrer Bischofe erlagen. Jetzt wissen wir durch einen Zufall nur, dass Alcaus einmal das Wort Gt'xvg brauchte, das also zu seiner Zeit schon bestand, Athen. 3, p. 73: 'Ahxalog de ,,ddxr], (pyal, TWV cfixvwv" ano ev&stag T^g aixvg. Aber was dachte sich der Dichter unter oCxvg? Das Wort mit wechseln- der Endung ist, wie wir glauben, eine Neben- und Scheideform von Gvxov die Feige (s. Anmerkung 36) mit vertauschtem oder dissimi- lirtem Vokal; wie bei der Feige, war es auch bei der Gurke und dem Kiirbiss, der praegnans cucurbita, zunachst die strotzende Zeu- gungskraft, der Samenreichthum , woran Sinn und Blick des Natur- sohnes haftete. Fur Kiirbiss setzte sich spater ein anderer Ausdruck fest: xohoxvvda, xohoxvvir], wie wir aus dem Ausspruch des Phanias, eines Schiilers des Aristoteles, sehen, Athen. 2, p. 68: xohoxi'virj Ss OJ^TJ [AW dpQWTog' £g)$y Se xal omri pQovTrj denn nicht anders

als gekocht oder gebraten geniessbar zu sein, kann nur auf den Kiirbiss gehen. Die Anschauung, die diesem Namen zu Grunde liegt, ist iibrigens derjenigen, die zu der Benennung aCxvg, fftxvog, Gixva fiihrte, analog: die Frucht wurde nach ihrer kolossalen Grosse so benannt (xohoaaog fiir xohoxwg mit der haufigen Ableitungssilbe VVT, wd-; eine andere Form desselben Wortes enthalt der Beiname der in Sicyon verehrten Ko^oxaaCa 'A&yva, der Kiirbiss - Gottin , bei Athen. 3, p. 72, worunter spater die sog. agyptische Bohne, eine

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gleichfalls durch den Wuchertrieb und die Grosse der Blatter auf- fallende Pflanze, verstanden wurde). Eben dahin deutet das Spriich- wort: gesunder als ein Kiirbiss, das schon Epicharmus branch te (Athen. 2, p. 59) und spater Diphilus, Com. gr. fr. 4, 420: »in sieben Tagen stelle ich ihn dir entweder als Kiirbiss oder als Lilie« d. b. entweder strotzend von Gesundheit oder bleich und todt als ein Bild der Verganglichkeit. Dass die xohoxvvrr] als etwas Neues und Ausserordentliches gleichsam in die bekannte Naturordnung nicht passte, sieht man aus dem lacherlichen Streit der akademischen Phi- losophen im Gymnasium bei dem Komiker Epikrates, Athen. 2, p. 59: dort ist die Frage aufgeworfen, was die xohoxvvtrj fiir eine Pflanze sei; die Denker beugen sich nieder und versinken in tiefes Sinnen; plotzlich sagt Einer, es sei ein rundes Gemiise, ein Anderer, es sei ein Kraut, ein Dritter, es sei ein Baum (Id^avov tic z<pr\ GTQoyyvhov tivat, noiav d'akkog, SsvSgov cffe^og); da unterbricht sie drastisch ein anwesender sicilischer Arzt, worauf Plato mit unerschuttertem Ernst die Untersuchung fortfuhrt. Besonders merkwiirdig aber ist, dass die xohoxvvtrj noch in spaterer Zeit hin und wieder 'fvdixrj, die indische Frucht genannt wird, mit dem ausdriicklichen Beifiigen, sie heisse so, weil sie aus Indien stamme (Athen. 2, p. 59). Ein dritter, noch spaterer Ausdruck ist Tre/rcov , eigentlich das Adjektiv reif, welches dann ohne hinzugefiigtes rixvog diejenige Frucht be- zeichnete, die zur Reife kommen musste, um zur Nahrung zu dienen. Der Name schloss also nur solche Gurken aus, die im ersten zarten Stadium genossen wurden, wahrend diejenigen Sorten, die bei der Reife einen melonenartigen Wohlgeschmack erreichten und nach orientalischer Weise frisch aus dem Garten gegessen wurden, eben so wohl TiSTiovsg heissen konnten.

Alle bisher erwahnten und auch die nicht angefiihrten Stellen der Alten lassen sich ohne Zwang auf Gurke und Kiirbiss deuten, keine einzige mit Sicherheit auf die eigentliche Melone. Nirgends wird die honiggleiche Siissigkeit (eingekochter Melonensaft dient den Orientalen noch jetzt an Stelle des Zuckers), nirgends das auf der Zunge schmelzende, den kostlichsten Baumfriichten ebenbiirtige Mark, die goldgelbe oder auch zartweisse Farbe, der ambrosische, die Ver- kaufshalle, ja den Markt erfiillende Duft hervorgehoben. Erst unter den spateren romischen Kaisern erkennen wir in der von den scriptores historiae Augustae melo genannten Frucht, die, wie Pfirsiche u. s. w., zu den Delicien gerechnet wird, ohne Schwierigkeit unsere Zucker- melone. Plin. 19, 67 berichtet, in Campanien sei zufallig eine Gurke

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entstanden, mail cotonei effigie (die Farbe des Quittenapfels mit eingeschlossen) , die dann durch Saat weiter vermehrt worden; da& Wunderbare dieser melopepones sei ansser der Gestalt und dem Dufte, dass sie sich nach der Reife sogleich vom Stengel ablosten. Hier horen wir zum ersten Mai von dem Duft, odor, dieser Fruchte- sprechen; der griechische Ausdruck entstand in dem griechischen Campanien (ftrj&ov die Quitte) und wurde spater nach Verbreitung der Frucht im Volksmunde zu melo abgekiirzt wie sie auch Palladius nennt. Bei Galenus ist das Wort [trjhonenwv schon haufig. Dass die Melone durch ein Naturspiel in Campanien aus der eucumis entstanden sei, wird Niemand glaublich finden; woher also kam sie? Nach Alph. Decandolle geographic botanique p. 907, ware die Me- lone urspriinglich ein Produkt der Tartarei und des Kaukasus. Unter der ersteren kann wohl nur das alte Bactrien und Sogdiana, die Oasen am Oxus und Jaxartes gemeint sein, und von dorther also ware die Frucht im Laufe des ersten christlichen Jahrhunderts in die Garten Neapels gebracht worden. Zwar ist liber die letztere Thatsache keine positive historische Nachricht aufbehalten worden, aber diese Art Friichte sind leicht durch die Saat in die weiteste Feme zu iibertragen, und die ersten Versuche konnten unbemerkt bleiben oder in Vergessenheit gerathen. Marco Polo sagt von der Landschaft westlich von Balkh, 1, 26: »hier wachsen die besten Me- lonen der Welt. Man schneidet sie in die Runde in Streifen und lasst sie an der Sonne trocknen. So gedorrt sind sie siisser als Honig und gehen als Handelswaare iiber alles Land.« Dasselbe- riihmt Ibn Batuta von den Melonen von Kharizm, Pariser Ausgabe,. 3,15, und Vambery von denen von Chiwa : »Fur Melonen hat Chiwa keinen Rivalen, nicht nur in Asien, sondern in der ganzeii Welt. Kein Europaer kann sich einen Begriff machen von dem siissen wlirzigen Wohlgeschmack dieser kostlichen Frucht. Sie schmilzt im Munde und mit Brot gegessen ist sie die lieblichste und erquicklichste- Speise, die die Natur bietet.« Auch Persien ist ein vorzugliches- Melonenland, in welchem die feinsten Sort en erzogen, mit ausserster angeerbter Sorgfalt behandelt und aufs Hochste geschatzt werden. Der Varietaten sind dort unzahlige, und sie wechseln von Dorf zu Dorf; darunter einige von weitverbreitetem, verdientem Ruhme. Zu den wichtigsten Lebensbediirfnissen der persischen Stadte, berichtet E. Polak, gehoren auch die Melonen: in den Preistarifen steht gleich hinter Brot, Reis, Fleisch, Kase, Butter und Eis der Marktpreis der Melonen. Sie sind dort so suss, dass der Perser liber den Unver-

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stand der Europaer lacht, die ihre Melonen mit Zucker essen. Das Alles scheint dafiir zu sprechen, dass die Zuckermelone eine in jenen Gegenden einheimische Frucht ist; dem Auslander aber ist, wie Polak hinzusetzt, ihr Geiiuss gefahrlich, zum Theil auch dem Inlander, in so fern Umnassigkeit in diesem Punkt auch bei diesem, obgleich haufig begangen, doch sich sogleich bestraft.

Die lateinischen Bezeichnungen fiir Gurke und Kiirbiss, cucumis und cucurbita, geben den Eindruck strotzenden Wachsthums, den diese Friichte auch dort auf die Volksempfindung gemacht hatten, durch die Reduplication wieder; zugleich steht cucurbita so nahe zu corbis, Korb, Gefass, corbita das Lastschiff, corbitare einladen, und eben so cucumis, gen. cucumis und cucumeris, zu cumera, cumerum, bedecktes Gefass, Truhe, dass es schwer ist, den Zusammenhang zwischen beiden abzuweisen. Kiirbissschalen dienten von jeher zu Gefassen und dienen unter dem Namen Calebassen dazu noch jetzt: erblickten die italischen Strandbewohner zuerst solche griine Schalen und Topfe in den Handen gelandeter Schiffer, ehe sie die Frucht selbst zu essen und spater auch zu pflanzen Gelegenbeit hatten? Colum. 11, 3, 49 : nam sunt (cucurbitae) adusum vasorum satis idoneae. Plin. 19, 71: nuper in balnearmn usum venere urceorum vice, jampridem vero etiam cadorum ad vina condenda also Ktirbiss- flaschen zur Aufbewahrung des Weines. (Nach Fick, Beitrage 7, 383, ware cucurbita mit xvQJlig drehbare Saule, xogvcpri Gipfel d. h. Wirbel und goth. hvairban, altn. hverfa zusammenzustellen und also so viel als rund gedreht). Sonderbar stimmen zu dem lateinischen cucumis und cucurbita die Glossen des Hesychius: xi'xvov TOV ctcxvov, und xvxvi^a.' yhvxsla xoAoxvvtta. Leider erfahreii wir nicht, wo das Wort xvxvog gebrauchlich war, ocler welcher Schriftsteller es gebraucht hatte; wie die jungeren Sprachen aus cucurbita durch Lautentstellung neue Worter geschafFen haben, lehrt der Artikel cucuzza bei Diez.

1m friihen Mittelalter trat in Byzanz ein neuer Name fiir Gurke auf, der aus dem Orient gekommen war und sich im Laufe der Zeit weit iiber Europa von Volk zu Volk verbreitete. Es war dies ayyovQiov, ayyovqov, dyyovQiv, ein persisch - aramaisches Wort, zu dessen Bildung der Anklang an dyyelov Gefass vielleicht mitgewirkt hat. Neben dyyovQia sagte man auch TSiQayyovga, entweder um damit eine viermal schwerere oder eine viereckig gestaltete Sorte zu bezeichnen, oder nach Salmasius' gar nicht verwerf licher Vermuthung als Verstummelung und Umdeutung von xiTQayyv&ov , ital. citriuolo, franz. citrouitte, von citreum. Ueber die Zeit, wann dieser neue

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Name auftrat, sagt E.Meyer, Geschichte der Botanik, 3, 361: »In den Geoponicis heissen die Gurken noch wie vor Alters Gixva; erst Suidas erklart diesen zu seiner Zeit ausser Gebrauch gekommenen Namen durch ra TSTQayyovQa, und einen Unterschied zwischen An- gurien und Tetrangurien macht erst Michael Psellus.« Indess, wenn der Arzt Aetius Amidenus, der unter Justinian lebte, das neue Wort schon brauchte, so muss es bedeutend alter sein, als die Sammlung der Geoponica und Suidas. Die damit bezeichneten Gurken scheinen dieselben Sorten gewesen zu sein, deren wir uns jetzt zu unseren Salaten und zum Einmachen bedienen; was das Alterthum an Gurken besass, war nach allem Obigen eine grosse, jetzt in Europa nicht mehr angebaute Art, die zur Erfrischung gegessen und je nach dem Stadium der Keife auch gesotten und gebraten wurde. Von Byzanz kam die Gurke, wie der Name bezeugt, zu den Slaven, russisch ogurec, poln. ogoreTc u. s. w. und ward bei den Volkern dieser Race, so wie bei den unmittelbar hinter ihnen wohnenden Stammen tata- rischer und mongolischer Abkunft, zu dem allgemeinsten, mit grosser Vorliebe genossenen Nahrungsmittel. Ohne Gurken kann z. B. der Gross- und Kleinrusse nicht leben; in Salzwasser eingemacht verzehrt er sie den ganzen Winter und schlagt sich mit ihrer Hiilfe durch die langen, strengen Fasten der orientalischen Kirche durch. Von den Slaven kam die Agurke, spater mit abgefallenem Vokal Gurke, wie gleichfalls der Name lehrt, zu den Deutschen, aber erst in neuerer Zeit, denn die Spuren des Wortes gehen nur bis in das siebzehnte Jahrhundert hinauf (s. Grimm, Worterbuch, unter Agurke, und Weigand unter Gurke). Ethnographisch beachtenswerth ist der Umstand, dass die sogenannte »saure Gurke « nur in den Theilen Deutschlands ublich geworden ist, die ehemals von Slaven bewohnt waren und* sich erst nachmals germanisirt haben. Uebrigens soil die kleine, grunliche, wohlschmeckende slavische Gurke, wie sie in ganz Russland gemein ist, nach Deutschland versetzt ausarten: sie bedarf also jvohl eines excessiven Klimas.

Gleichfalls erst ein Ankommling des Mittelalters ist die saftreiche Wassermelone, Cucumis Citrullus, denn dass sie der pepo der Alten sei, wie Manche angenommen haben, lasst sich nicht erweisen. Italienisch tragt sie den byzantinischen Namen anguria (in manchen Gegenden cocomero aus Cucumis), franzosisch den ar&bischenpasteque. Sie ist jenseits der Alpen beliebt, da sie in der entsprechenden Jahres- zeit ein e.rfrischendes Labsal bietet, und iiberall sieht man dann die blutrothen Halbfruchte mit den glanzend schwarzen Kernen auf den

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Markten und an den Strassenecken aufgethiirmt und die Tische, wo sie schnittweise fiir geringe Kupfermiinze fell sind, von durstigen Bauern, Soldaten u. s. w. umdrangt. Sie reift grade in der grossten Hitze des Augustmonats und ist um so siisser und saftiger, je heisser und trockener der Jahrgang gewesen. Ungleich wichtiger aber ist sie im Haushalt des orientalischen Lebens und bei den Halborientalen des europaischen Siidostens. Die gliihenden Sommer und strengen Liifte begiinstigen dort das Gedeihen der einjahrigen Pflanze. Sie wird auf weiten Feldern gebaut und znr bestimmten Zeit in ganzen Wagenladungen in die Stadte gebracht, wo Jung und Alt sich mit Leidenschaft dem Genusse hingiebt. Die Wassermelone geht durch ganz Vorderasien, Persien, die Kaukasuslander bis zur Niederdonau, Ungarn, der Wallachei (vergl. schon Plin. 19, 65: cucumeres . . . placent grandissimi Moesiae), besonders aber den humusreichen trockenen Ebenen des siidlichen Russlands und den angrenzenden asiatischen halb Steppen- halb Gartenlandern. Mindestens zwei Monat im Jahr lebt der russische Steppenbewohner nur von Arbusen - dies ist der tatarisch-slavische Name der Frucht - - mit ein wenig Brot. Ist der nordische Reisende in seinem unformlichen »Tarantas« allmablig bis in jene Gegend gerollt, dann lehrt ihn ein Blick auf die Melonenfelder und die gewohnlich danebenstehenden hochragenden, urspriinglich aus Amerika stammenden Sonnenblumen , Helianthus annuus, deren Samen ein beliebtes Oel abgeben, dass er die Schwelle des Orients bereits uberschritten hat. In den Kaukasuslandern, die so tiberschwenglich reicb an dem herrlichsten Obst, an Trauben und Nussen sind, verschmaht der Eingeborene, er sei welcher Race er wolle, neben dem Saft der Wassermelone, der dem Deutschen wie Gurkenwasser mit ein wenig Zucker schmeckt, jeden andern Lecker- bissen. Auf die Herkunft der Frucht wirft der neupersische Name hindevdne d. h. indische Frucht ein helles Licht; woher sie nach Griechenland, Russlaiid und Polen kam, lehrt die tatarische Be- zeichnung charpuz, Icarpus gegenuber dem neugriechischen slavischen arbuz. (Die Variante arbuz und Icarpus erinnert an o und slav. Icosti, "Ynavig und Kuban und an den alanischen Namen Aspar und dessen . deutsche Form Gaspar, hochd. Kaspar, s. Zeuss, die Deutschen, S. 461 Anm.). Sie wanderte also nach Persien ein, als die Verbindung mit Indien neu eroffnet war, sei es zur Zeit der arabischen oder der mongolischen Herrschaft, nach Griechenland durch die Tiirken, nach Russland von den tatarischen Reichen Astrachan und Kasan; in Kleinrussland waren wohl die Kosakenhorden am

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Dniepr die Verbreiter. Das polnische Icawon Wassermelone ist gleich- falls ein orientalisches Wort (asiatische Benennungen der Friichte dieser Familie finden sich gesammelt und untersucht von Pott in der Zeitschrift fur Kunde des Morgenl. 7, 151 ff.). Das altslavische tylcva^ der Kiirbiss, haben wir schon Miner (bei der Feige) an das grie- chische tfixva angelehnt; das altsl. dynja, Melone, erklart Miklosich aus dem Verbum dati dunati flare, also die aufgeblasene Frucht; poln. banja, Wassermelone, scheint eins und dasselbe mit banja, Ge- fass, Wanne; beides letztere, wie man sieht, eine der Auffassung der alten Griechen und Romer ganz verwandte Namensgebung. Alt- und siidslavisch (auch albanesisch) Jcrastavici cucumis erklart sich aus Icrastavi scabidus, scaber, also die rauhe Frucht, alt- und siidslavisch lubu, Cucurbita Citrullus, wohl aus lubu calva, Hirnschadel. Die deutschen Worter Kiirbiss, Pfebe, Melone stammen aus dem Lateinischen und die damit bezeichneten Naturobjecte aus Italien, also nicht etwa aus Ungarn und dem byzantinischen Reiche.

* Von den kultivirten Cucurbitaceen sind mehrere in der alten Welt heimisch; einige stammen aber hochstwahrscheinlich aus Amerika. Die Wassermelone (Citrullus vulgaris Schrad.) ist im stidlichen Afrika heimisch, wo die Friichte nicht nur von Menschen, sondern auch von fleischfressenden Thieren aufgesucht werden. (Vergl. Pax inEngler und Prantl, natiirl. Pflanzenfamilien IV, 5, S. 27.) Von Stidafrika ist sie nach Aegypten und dem Orient schon in den altesten Zeiten gelangt und noch in vorchristlicher Zeit tiber Siideuropa und Asien verbreitet worden. Die Melone (Cucumis melo L., zu welcher Cucumis chate L. als wilde Stammform gehort) ist im stidlichen Asien und im tropischen Afrika heimisch, wo sie von vielen Rei- senden gesammelt wurde; in denselben Gebieten kommen auch zahlreiche verwandte Arten vor. Nach Schweinfurth ist C. melo L. var. chate Forskal von den Aegyptern selbst zur Kulturpflanze gemacht worden. Die Gurke {Cucumis sativus L.) stammt hochstwahrscheinlich aus Ostindien, von wo sie sich rasch nach Westen verbreitet haben muss. Ebenfalls in den Tropen der alten Welt heimisch sind die Flaschenkiirbisse oder Calebassen (Lagenaria vulgaris Ser.). Dagegen sind die echten Kiirbisse, von denen Cucurbita pepo L. heute auch im gemassigten Europa kultivirt wird, hochst wahrscheinlich in Amerika heimisch; denn alle verwandten, nicht kultivirten Arten sind dort angetroffen worden, und Samen der in den Tropen vielfach angebauten C. maxima und C. moschata Duchartre wurden unter den aus altperuanischen Grabern von Ancon stammenden Pflanzenresten von Wittmack nachgewiesen (Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. IV. (1886) p. XXXIV), wahrend in altagyp- tischen Grabern keine Kiirbisskerne gefunden worden sind. Auch haben Asa -Gray und Hammond Trumbull (The American Journal of science XXV. 1883 S. 130 ff.) aus zahlreichen Stellen der altesten Reisebeschreibungen

Cucurbitaceen. 319

und aus eingehenden Vergleichnngen der Indianersprachen die amerika- nische Heimath der Kiirbisse bewiesen.

* * Einige Namen von Cucurbitaceen scheinen tiber die Einzelsprachen hinauszugehn. So sahen wir schon oben (S. 100 f.) oexooa, atxua, auo;; mit H. {oben S. 312 u. Anm. 36) als Nebenform von ooxov Feige an und stellten es zu aitsl. tyky Kiirbiss, ein Verhaltniss, das aber natiirlich nicht auf Entlehnung, sondern nur auf Urverwandtschaft beruhen kann. Die versuchte Ableitung von otxo? aus hebr. qissu'fon (vgl. Lagarde, Arraen. Stud. S. 134) 1st abzuweisen, •da eine Umstellung von qissuim zu oixuc, wie sie Lagarde annimmt, unglaublich ist. Vgl. auch Muss-Arnolt, Transactions XXIII, S. 111. Eine wichtige lautlich freilich noch nicht vollig sicher gestellte Gleichung ist ferner lat. •cucurbita , scrt. carbhata, cirbhati, cirbhitd Gurke (Fick, Vergl. W. I* S. 25), wozu vielleicht weiter ags. hverfette Kiirbiss zu stellen ist. Welche Art von Cucur- bitaceen mit diesen Wortern urspriinglich aber gemeint war, und ob wir an eine wilde oder angebaute Gattung zu denken haben, lasst sich nicht sagen. Zu bemerken ist jedenfalls, dass keine einzige Cucur bitaceenart bis jetzt im prahistorischen Europa nachgewiesen werden konnte. Ebenso wird sich wohl kaum, namentlich in Folge des Fehlens alterer Ab- bildungen auf Miinzen u. dergl., je mit volliger Bestimmtheit der genaue Sinn der klassischen Benennungen ermitteln lassen. In dem alten Aegypten wurden nach Massgabe der Funde oder Abbildungen bereits in den ersten Kultur- «pochen gebaut: Citrullus vulgaris Schrad. (Wassermelone), Cucumis melo L. (Melone), Cucumis chate L. (agyptische Gurke) und Lagenaria vulgaris L. (Flaschenkiirbiss); vgl. Woenig a. a. 0. S. 201 und A. Braun, Z. f. Ethnologic 1877 S. 303 f. Auch das im 4. Buch Mosis (oben S. 311) genannte dbattiMm bedeutete nach Massgabe des arab. batlich Wassermelone und wird in der Septuaginta mit -srcove; tibersetzt. Auch im Aramaischen bezeichnet das Wort zunachst Wassermelone, wahrend fiir Zuckermelone der griechische Ausdruck (jjLY]Xo7riTrcuv) gebraucht wird. Vgl. Low, Aram. Pflanzenn. S. 352. Dies zu- sammengehalten mit den obigen botanischen Ausfiihrungen wiirde zweierlei wahrscheinlich machen, einmal dass die echten Kiirbisse den Alten noch fremd waren, und zweitens dass die Wassermelone nicht erst im Mittelalterin den Mittelmeerlandern erschien. Die Richtigkeit des ersteren Satzes ist neuerdings auch durch v. Fischer-Benzon ausfiihrlich erwiesen worden (vgl. Altdeutsche Gartenflora S. 89 ff.), woraus sich ergiebt, dass der im Alterthum gebaute Kiirbiss nur der Flaschenkiirbiss (Lagenaria vulgaris L.) gewesen sein kann.

Die letztere Ansicht wird ausser von Fischer-Benzon auch von H. Bliimner (Maxim altarif des Diocletian S. 88) vertreten, der namentlich darauf hinweist, dass verschiedene Angaben in der Beschreibung der rcircovec, die Hervorhebung ihres Wasserreichthums und gewisser Gefahren fiir die Verdauung, nur auf die Wassermelonen passen. Als Plinianische Terminologie ergiebt sich aus allem mit einiger Sicherheit: cucurbita als Flaschenkiirbiss, cucumis als Gurke, pepo als Wassermelone, melo-pepo als Melone (v. Fischer-Benzon S. 94).

320 Cucurbitaceen.

Zu den einzelnen Benennungen der Cucurbitaceen 1st noch folgendes zu bemerken: Ob xoXoxovtv] (der Flaschenkiirbiss) nur der Kolossale bedeutet, 1st zweifelhaft. Andere (vgl. Prellwitz, Et. W. S. 157) trennen xoXo-xovtY] und vergleichen einerseits xoXo-xofxa grosse Woge und ziehen andererseits -xovlH], -XOVTYJ: xof'u> (vgl. auch cu-cu-mis, griech. xo-xo-ov TOV oixoov Hes.). Pott in Lassens Z. f. d. K. d. M. VII, 152 denkt fur xoXox-ovrrj an kurd. kalak ,melori, das bei Jaba-Justi zu scrt. Mlinda gestellt wird. Nach Euthydemus bei Athenaeus II, p. 58 f. waren die xoXoxoviai bei den Cnidiern ,,indische" genannt werden, weil ihr Samen aus Indien gekommen sei. Was das byzantinische ocYfODptv Gurke betrifft, so leugnet Karl Foy in Bezzenbergers Beitragen VI, 226 den behaupteten orientalischen Ursprung dessslben. vAYoopo<; und aY'foupov, &YY°%> «YY0"Piv seien dieselben Worter, orf-oopo? aber (= awpoc) sei das ge- wohnliche Wort fur unreif, so dass fcYT°"P' die unreif genossene Art des otxoo<; bezeichne, wahrend vulg. irsrcovt die reif genossene Art benenne. Das indirect daraus hervorgegangene deutsche gurke lasst sich iibrigens schon kurz nach 1500 im Deutschen nachweisen (vgl. Kluge, Et. W(i). Zu den zahlreichen ost- und siidosteuropaischen Namen der Melone fiige noch alb. bostdn Melonen- feld (kokomare Melone), auch neugriechisch, bulgarisch, serbisch, rumanisch, aus ttirk. bostan Gemiisegarten (G. Meyer, Et. W. S. 42). - - H. Vambery (Primitive Kultur S. 217) ist der Ansicht, dass nur die Zuckermelone (kavun, Jcaburi) in der Urheimath der Turko-Tataren einheimisch gewesen sei, dass hingegen die Wassermelone, wie die Entlehnung des tiirkischen karpuz oder charbuz aus pers. xerbuz (wortlich »Eselsgurke«, P. Horn, Grundr. d. np. Ety- mologic S. 105) zeige, aus Persien stamme. Der wechselnde Anlaut des Wortes in den slavischen Sprachen, z. B. poln. harbuz, garbuz, arbuz, karpuz (Miklosich, Turk. Elem. S. 92) wird auf das verschiedene Horen des fremden Lautes zuriickzufiihren sein und findet ein Analogon weder in altsl. kostl: griech. OOTSOV (oben S. 317), die ganz von einander zu trennen sind, noch in deutsch Gaspar, Kaspar gegentiber dern alanischen Namen Aspar, Worter, von denen das erstere nichts anderes als der Name des ersten der heiligen drei Konige (vgl. R. Much Z. f. d. osterreichischen Gymnasien 1896 S. 607) ist. Altsl. dynja ,pepo' scheint Miklosich, Et. W. S. 55 jetzt von dunqti blasen zu trennen. Bulg., serb. lubenica Wassermelone mochte eher zu dem Stamme lub- (Miklosich, Et. W. S. 175) gehoren, der die Bedeutungen Rinde, Gefass von Baumrinde, Korbchen aus Baumrinde u. s. w. entwickelt. -- Nach dem Norden tiberge- gangen ist das lat. pepo in einer doppelteii Form, einmal als ahd. pepano> bebano, mhd. be'ben (neben pfeberi), das andere Mai als pethemo, pfedamo, mhd. pfedem (vgl. F. Kluge in Pauls Grundriss P, 342). Ganz gewohnlich ist ferner der Ausdruck ,,Erdapfela fur die einzelnen Cucurbitaceenarten. Ein spater mittelalterlicher, zuerst bei Albertus Magnus bezeugter Ausdruck fiir dieselben, narnentlich fiir die Gurke, ist auch citrulus, eigentl. kleine Zitrone (vgl. von Fischer-Benzon a, a. O., s. auch den Anhang dieses Werkes). Zum Schluss geben wir nach Heldreich, Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 49, die neu- griechisch e und »pelasgische« (albanesische) Terminologie der Cucurbitaceen: Lagenaria vulgaris oder Flaschenkiirbis YJ vepoxoXoxuO-ta (4j cpXAaxa oder TO (pXaoxl und Y] xooita die aus den trocknen Friichten verfertigten Trinkgefasse), alb. kavke (vgl. oben ttirk. kavun?\ Cucumis tnelo L. oder Zuckermelone TOC alb. pieper (^.TCooTavta Melonenfelder), Cucumis sativus L. oder Gurken

Der Haushahn. 321

alb. kratsaveis (s. oben S. 318), Citrullus vulgaris Schrad. oder Wassermelonen ta xapno6Cia und ta yofxovixd, alb. yimiko, Cucurbita pepo 4j xoXoxuO-cd, der Ktirbiss to xoXoxoth, alb. kiinku\, kungut (aus cucmnis nach trangut,

I

Der Haushahn.

Der Haushahn 1st in Vorderasien und in Europa viel jiinger, als man denken sollte. Die semitischen Kulturvolker konnen ihn nicht gekannt haben, da das Alte Testament seiner nirgends erwahnt. Er fehlt auch auf den agyptischen Denkmalern, deren Bildwerke uns im Uebrigen das Detail des Haushalts der Nilthalbewohner so an- schaulich vor Augen stellen: wir sehen dort Scharen von zahmen Gansen, wie sie von der Weide heimgetrieben, sie selbst und ihre Eier sorgfaltig gezahlt werden u. s. w., nirgends aber Huhner, und wenn Aristoteles sagt, die Eier wiirden in Aegypten auch kiinstlich ausgebriitet, indem man sie in Mist vergrabe (hist. anim. 6, 2, 3), und Aehnliehes auch Diodor 1, 74 berichtet, so wird diese Industrie entweder nur an Gansen und Enten geiibt - - welcher Vermuthung Aristoteles nicht widerspricht , da er nur ganz allgemein von Vogel- eiern redet, oder gehort in die Zeit nach der persischen Eroberung, - wie Diodor selbst anzudeuten scheint, da er seine Erzahlung von den Brutofen mit den Worten einleitet, Vieles in Betreff der Ziichtung und Wartung der Thiere hatten die Aegypter von den Vorfahren uberkommcn, Vieles aber hatten sie dazu erfunden und darunter als das Wunderbarste die kiinstliche Ausbriitung der Eier. Der Haushahn stamrnt urspriinglich aus Indien, wo sein Vorfahr, der Bankiva-Hahn, noch jetzt von Hinterindien und den indischen Inseln bis nach Kasch- mir hin lebt, und verbreitete -sich erst mit den medisch-persischen Eroberungsziigen weiter nach Westen. Der Samier Menodotus be- hauptete in seiner Schrift iiber den Tempel der samischen Hera, wie der Hahn von der Landschaft Persis aus, so habe sich der Pfau von dem genannten Heiligthum aus iiber die umliegenden Gegenden verbreitet (Athen. 14 p. 655). In der Zoroaster-Religion waren Hund und Hahn heilige Thiere, der eine als der treue Hiiter des Hauses und der Heerden, der andere als Verkiindiger des Morgens und als Symbol des Lichts und der Sonne. Der Hahn ist vorziiglich dern Qraosha geweiht, clem himmlischen Wachter, der, vom Feuer geweckt, selbst wieclerum den Hahn weckt: dieser vertreibt dann

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 21

322 ^er Haushahn.

durch sein Krahen die Daevas, die bosen Geister der Finsterniss, besonders den Damon des Schlafes, die gelbe, langhandige Bushyagta. Im 18. Fargard des Vendidad heisst es § 34 ff. (nach Spiegels Ueber- setzung): »Darauf entgegnete Ahura-mazda : der Vogel, der den Namen Parodars fiihrt, o heiliger Zarathustra, den die iibelredenden Menschen mit dem Namen Kahrkatag belegen, dieser Vogel erhebt seine Stimme bei jeder gottlichen Morgenrothe. « (Ebenso 18, 51 ff.). . Ormuzd hatte den Vogel also selbt dem Zoroaster empfohlen. Eine Stelle des Bundehesch im 14. Abschnitt lautet (iibersetzt von Grotefend in Lassens Zeitschr. 4 S. 51): »Halka der Hahn ist den Dews und Zauberern feind. Er unterstiitzt den Hund, wie im Gesetze steht: Unter den Weltgeschopfen , die Darudsch plagen, vereinigen Hahn und Hund ihre Krafte. Er soil Wache halten liber die Welt, gleich .als ware kein Hund zur Beschiitzung der Heerden (oder Hauser) da: Wenn der Hund mit dem Hahn gegen Darudsch streitet, so ent- kraften sie ihn, der sonst Menschen und Vieh peinigt. Daher heisst es : durch ihn werden alle Feinde des Guten iiberwunden ; seine Stimme zerstort das B6se« oder nach der Uebersetzung Windischmann's (Zo- roastrische Studien, S. 95): »Der Hahn ist zur Vertilgung der Devs und Zauberer geschaffen; mit dem Hund sind sie Gehiilfen, wie ge- sagt ist in der Din: von den irdischen Geschopfen sind diese zum vSchlagen der Drukh's zusammen Gehiilfen, Hahn und Hund.« Wo sich ein persischer Mann niederliess, da sorgte er gewiss so sicher fiir einen Hahn, als er die Friihgebete und Reinigungen vor und bei Sonnenaufgang nicht unterliess. So weit die Grenzen der persischen Herrschaft reichten, fand ohne Zweifel das so zahme und nutzliche, so leicht iibertragbare und zugleich in Gestalt und Sitten so eigen- thiimliche Thier in den Hofen und Haushaltungen der Menschen, &uch der Andersglaubigen , leichten Eingang und willige Aufnahme. Auf dem sogenannten Harpyieri- Monument der Akropolis von Xanthus in Lykien, das sich jetzt in London befindet, wird einer sitzenden Gottergestalt ein Hahn als Geschenk oder Opfer dargebracht. Stammte dies Grabdenkmal, wie Welker in seiner Ausgabe von O. Miillers Archaologie der Kunst annimmt, wirklich aus der Zeit vor Ol. 58, 3 d. h. vor der Einnahme der Stadt Xanthus durch die Perser, so ware der Hahn den Lykiern in der That vor der Ausbreitung der persischen Macht bekannt gewesen. Allein der archaistische Stil der dort dargestellten Scenen, der in Griechenland vielleicht auf eine mehr oder minder bestimmte Epoche fiihren wiirde, bildet fiir Lykien, dessen Kunstentwicklung uns unbekannt ist, kein irgendwie sicheres

Der Haushahn. 323

chronologisches Merkmal. Die Akropolis wurde vor der Einnahme durch den persischen Feldherrn von den Einwohnern selbst durch Feuer vernichtet und dabei gingen, wie man glauben muss, auch die daselbst vorhandenen Denkmaler mit zu Grunde, und dass zur Zeit der persischen Herrschaft, die nur eine Art Oberhoheit war und die Lykier in relativer Unabhangigkeit beliess, kein solches Grabmonument errichtet werden konnte, ist gewiss eine grandiose Behauptung. Ginge die Bekanntschaft mit dem Haushahn in Lykien weit in die vorpersische Zeit hinauf, dann wurde die griechische Welt sicher an dieser Kenntniss Theil genommen haben. Aber auf griechischem Boden zeigt sich bei Homer und Hesiod und in den Fragmenten der alteren Dichter von Hahn und Henne keine Spur. Und doch miisste der bei Nacht die Stunden abrufende Prophet (unter Menschen, die noch keine Uhr besassen), der vornehm stolzirende, lacherlich krahende, blinzelnde Sanger (Herr Chanteclers), der von seinem Huhnerharem umgebene, hochst eifersuchtige Sultan (salax gallus), der hitzige, eitle, mit Kamm, Troddel und Sporn bewaffnete Kampfer, die ihr Eierlegen durch schluchzendes Gackern der Welt verkiindende Henne (Frau Kratzefuss), iiberhaupt diese ganze heitere Parodie menschlicher Familie und ritterlicher Sitte ein haufiger Gegenstand der Besprechung und Vergleichung bei den Dichtern sein, wenn Be- kanntschaft damit stattgefunden hatte. Auch war es schon den Alten nicht entgangen, dass Homer, wenn er auch die Eigennamen A&SXTWQ und ^AfoxTQvwv habe, doch das Thier, das eben so be- nannt wurde, nicht zu kennen scheme, Eustath. ad. II. 17, 602, p. 1120, 13: »aber des Thieres Name, sagen die Alten, werde bei Homer nirgends gelesen« (ahnlich p. 1479, 41). Die alteste Erwah- nung ist die bei Theognis, einem Dichter der zweiten Halfte des 6. Jahrhunderts, der ohne Zweifel die Unterwerfung der lonier durch Harpagus und die Besetzung von Samos durch die Perser (im J. 522) erlebte und schon die nahe Besorgniss vor einem Kriege mit den gewaltigen. Medern ausspricht, v. 863, 864:

xal O^LY avug

afoxTQvovwv (pSoyyog

- obgleich die Zumischung so mancher fremden Bestandtheile in unserer Sammlung der Gedichte des Theognis jeder darauf gebauten Zeitbestimmung viel von ihrer Sicherheit nimnit. Aus der Batracho- myomachie, wo der Hahn gleichfalls vorkommt, ist bei dem Zustand des Textes und dem vermuthlich jungen Ursprung dieses Werkes natiirlich noch viel weniger zu schliessen. Zu der Zeit des Theognis

21*

324 Der Haushahn.

wurde es stimmen, wenn der beriihmte Athlet, Milon von Kroton, wirklich von der gemma alectoria d. h. dem im Magen des Hahnes gefundenen angeblichen Edelsteine als Amulet zur Erringung des Sieges Gebrauch gemacht hatte (Plin. 27, 144): allein dieser Aber- glaube wurde von den Spateren nur auf Milon tibertragen, dessen Leben von einer Menge Legenden uinsponnen ist. Aber bei Epi- charmus, der um die Zeit der Perserkriege bliihte, bei Simonides, Aeschylus und Pindar nnden wir den Hahn unter dem stolzen Nam en dhexTWQ schon als gewohnten Genossen des Menschen. Der Kampf der Hahne desselben Hofes mit einander wird friihe von den Dichtern als Gleichniss und Vorbild auf den Streit der Menschen bezogen. In den Eumeniden des Aeschylus (v. 848 ed. Herm.) warnt Athene vor dem Biirgerkrieg, als dem Kampf der Hahne gleichend (nach Otfr. Mullers Uebersetzung) :

Noch auch vergall' ihr Herz wie eines Hahnes Sinn, Und pflanze Kriegslust meinen Burgern in den Geist, Die innern Zwist schafft, Trutz und Gegentrutz erzeugt. Jenseits der Marken wiithe Krieg, vom Heerde fern, Wo hohe Sehnsucht nach dem Ruhm sich offenbart; Den Kampf des Vogels auf dem Hof wiinsch ich hinweg.

Eben so vergleicht Pindar im 12. olympischen Liede den ruhmlosen Sieg in der Vaterstadt mit dem des Hahnes daheim auf dem Hofe (in der Epode): evSofid^ag ax dhsxxwQ. Auch Themistokles soil den Muth seines Heeres einst durch den Hinweis auf zwei kampfende Hahne belebt haben, die bloss fur den Siegerruhm, nicht fur Heerd und Gotter ihr Leben einsetzen (Ael. V. H. 2, 28). Wenn man die spateren offentlichen und kiinstlichen Hahnengefechte, die sehr beliebt wurden und in zahlreichen Bildwerken des Alterthums dargestellt sind (0. Jahn, Archaologische Beitrage, S. 437 ft'.), von dieser Rede des Themistokles ableitete, so erhellt daraus wenigstens, dass man sich diese Wettkampfe nicht alter dachte, als die persischen Kriege. Bei den Komikern, bei denen wir rnehr die Sprache des Lebens vernehmen, heisst der Hahn immer noch der persische Vogel: Gratinus bei Athen 9, p. 374:

d)0tt&g b TifQGixbg wgav Tiaaav xava%wv bhocpwvog Aristoph. av. 483:

avxCxa fvulv Tigwr hmfafew wv dJlextQVQv', wg ij^%£ re JlegGuiiv TIQWTOV ndviwv, Jagetov xal Msyafid&v, WOTS xafoZrai, IJeQCttxbg ogvig dno T^g dgxyg ei exetvqg. v. 707: b f.isv oQTvya dovg, b ds 7ioQ(fvQC(ov\ b dk %yv'> o Je USQGIXOV OQVCV.

Der Haushahn. 325

(Nach Aussage des Scholiasteii verstanden hier einige unter dem persischen Vogel den Pfauen: aber die Zusammenstellung mit Wachtel, Wasserhuhn und Gans spricht mehr fiir das bescheidene Huhn, als fiir den kostbaren Pfau).

v. 883:

d<p yfjiwv wv yevovg TOV IltQGixov,

ksysrat, dst,v6iam<; sivat navia^ov vsorwg.

An einer anderen Stelle desselben Stiickes (v. 276) fiihrt der Hahn den komischen Namen Mrtdog, der Meder, und Peithetairos wundert sich wie er als Meder ohne Kameel herbeigekommen sei. An zwei Stellen des Tragikers Ion, die Athenaus (4, p. 185) erhalten hat, lasst die Flote als Hahn das lydische Lied erklingen:

enl <f avAbg dhexraiQ AvSiov vfnvov a%eu*v

(nach Meineckes Emendation), und die Hirtenpfeife heisst der Hahn voin Berge Ida in Phrygien:

TCQoSsZ (Mein. yottet*) tie vot, avQty% 'fSalog dhexiwQ. Woher aber das Wort dhsxnnQ, dhexrQvwv selbst, das ein so emi- nent griechisches Geprage tragt? Es muss in lonien, als die dor- tigen Stadte nach dem Sturz des Crosus unter persische Botmassig- keit fielen und wie den Besatzungen, so auch dem Kultus des Siegers und dessen heiligen Thieren ihre Thore offneten, entstanden, oder vielmehr, vielleicht mit Anklang an das iranische halka, alka, er- funden worden sein. Der wunderbare, lichtverkiindende Sonnenvogel, der den priesterlichen Namen Parodars fiihrte, wurde in einer aus dem Traume des Mythus halb erwachten und der epischen Sprache wie der epischen Sage schon in beginnender Reflexion sich gegen- iiberstellenden Zeit mit dem auf den Sonnengott hinvveisenden gleich- falls mystisch-bedeutungsvollen Worte dhexiwQ genannt. Die Namen tyexTWQ 'Ymqimv (die strahlend wandelnde Sonne), ifisxigov (glan- zendes Metall, sonnenfarbiger Bernstein), 'Hhsxiga (Gottin des wieder- spiegelnden Wasserglanzes), 'HhexrQiwv , Sohn des Perseus, die elek- trischen Inseln, das elektrische Thor in Theben u. s. w., und auch die Formen mit anlautendem a: ^AhexiQvwv, 'AhexiaiQ waren aus Homer und dem Heroenmythus jedem gebildeten Frommen lebendig und gelaufig, wie auch noch Empedokles in dem Verse, in dem er die vier Elemente aufzahlt, das Feuer hieratisch rjhexccoQ nennt:

rjhexTWQ T8 %3wv TS xal ovgavbg yde SdkatiGa.

Mit der Zeit freilich, als der urspriingliche Sinn des alten Wortes im allgemeinen Gefiihl erloschen war, wurde es in popularer Deutung

326 Der Haushahn.

als Zusammensetzung mit &SXTQOV aufgefasst, entweder als Lager- genosse, wie Sophokles dhsxtwg fur aho%o$ Gattin gebrauchte (fr. 766 Nauck), oder als der Lager lose, nicht Schlummernde, was auf den Harm gut zu passen schien. Dass aber der neue Name in den beiden Formen dhsxrwQ und dhexTQvwv auftrat von denen die erstere sich als die poetisch-edle isolirte, die andere dem taglichen Gebrauche zufiel , ist ein sprechender Beleg dafiir, dass er nach dem Vorbild jener mythischen Heroennamen gebildet ist. Auch dass zu Aristophanes' Zeit die Sprache noch keine feste Form des Femi- ninums zu dem Masculinum dhexrgvwv gebildet hatte , so dass der Dichter diejenigen verlacht, die sich des Ausdrucks dfaxryvaiva be- dienten (Nub. 658 ff.), bestatigt die Neuheit des Namens und der Sache, da gerade bei diesem Hausthiere die fixe Unterscheidung beider Geschlechter ein dringendes sprachliches Bediirfniss ist; erst Aristoteles braucht die weibliche Form dfoxmQig neutral in der Weise unseres Huhn fiir die Gattung. Der Volksmund mag sich, ehe dksxTQvwv von oben herab durchdrang, mancherlei Benennungen gebildet haben, von denen persischer Vogel eine ist, die ubrigen aber, wie natiirlich, auf literarischem Wege Dicht bis zu uns gelangt sind. - - Da der Hahn in einer jiingeren Epoche erschien, wo die mythische Produktion schon im Absterben begriffen war, so konnte er keine hervorragende religiose Bedeutung erlangen. Als Kampf- hahn war er natiirlich dem Ares und auch der Pallas Athene heilig ; Plutarch Marcell. 22 erzahlt, in Sparta sei nach vollbrachtem Feld- zuge eine zwiefache Art Opfer Brauch gewesen : wer seine Sache mit List und Ueberredung gefiihrt, opferte ein Rind ; wer durch Kampf seine Absicht erreicht, einen Hahn. Als die Sonne verkiindend oder bedeutend war der Hahn in Olympia, von der Hand des Onatas gebildet, auf dem Schilde des Idomeneus zu sehen, der ein Enkel der Pasiphae und also Abkommling des Sonnengottes war (Pausan. 5, 25, 5); Plutarch spricht (de Pythiae oracc. 12) von einem Bilde des Apollo, der auf der Hand einen Hahn trug, also als Sonnengott gedacht war; auf Miinzen von Phaestus in Kreta halt ein jugend- licher Gott, offenbar Personification der Sonne, mit der Rechten einen auf seinem Schoss sitzenden Hahn (Welcker, Gr. Gotterl. 2, 244). Dass der Hahn dem Heilgotte Asklepius geopfert wurde, ist aus dem Schlusse von Platos Phadon allgemein bekannt. Der Hahnenaberglaube in dem Felsenstadtchen Methana zwischen Epi- daurus und Trozen, von welchem Pausanias (2, 34, 3) erzahlt, hiingt gleichfalls mit dem Dienst des Asklepios in jener Gegend zusammen:

Der Haushahn. 327

um die bosen Wirkungen des ACip, des Siidostwindes, auf die Reben zu verhuten, zertheilten dort zwei Mariner einen Hahn, lief en jeder mit der Halfte des Thieres von entgegengesetzter Seite um die Wein- berge herum und begruben das Thier an der Stelle, wo sie zu- sammentrafen. Das bei dem beriihmten Beilager des Ares und der Aphrodite der Wachter Alektryon eingeschlafen, den Tag zu melden vergessen und dafiir von Ares in einen Habn verwandelt worden, erklart Eustathius, der an der betreffenden Stelle der Odyssee (p. 1598 ex.) diese auch von Lucian (Somnium seu gallus p. 292 f. ed. Bip.) erwahnte Fabel erzahlt, selbst fur eine spatere Erdichtung. Bald nach ihrem Erscheinen in Griechenland werden Huhnerfamilien zu Schiffe - - nichts ist leichter als diese Thiere zu SchifFe mit sich zu fiihren - - auch nach Sicilien und Unteritalien gekommen und wie in Griechenland von Haus zu Haus gewandert sein. Dass die Sybariten keinen Hahn geduldet, um nicht im Schlaf gestort zu werden, ist eine von den spat erfundenen Anekdoten, an denen der Witz sich ubte; ihre Stadt wurde ubrigens schon 510 oder 511 vor Chr. zerstort, als der Hahn noch gar nicht in Italien oder daselbst noch sehr Jung war. Auf den Miinzen von Himera in Sicilien sieht man den Hahn, zuweilen auf der Riickseite die Henne, vielleicht als Attribut des Asklepios, der in den Heilquellen der Stadt waltete. Auch was sonst auf Munzen und auf Vasen alten und altesten Stils in Griechenland wie in Sicilien und Italien an Dar- stellungen des Haushahns sich findet, geht liber die von uns an- gegebene Epoche (zweite Halfte des 6. Jahrhunderts) nicht hinaus.

Die Romer, die den Vogel direkt oder durch Vermittelung von einer dieser griechischen Stadte empfingen, benutzten ihn mit echt romischer religioser List zur Weissagung im Kriege: da namlich kein Augur das romische Heer begleitete und folglich auspicia ex avibus nicht moglich waren, schuf man sich den Ausweg, zahme Hiihner im Rang mitzufuhren und mittelst ihrer sog. auspicia ex tripudiis anzustellen : frassen die Thiere mit Begierde von dem vor- geworfenen Brei und zwar so, dass Stiicke desselben aus dem Schna- bel wieder auf die Erde fielen, so war dies ein tripudium solisti- mum d. h. ein giinstiges Zeichen fiir die bevorstehende Unter- nehmung; der umgekehrte Fall ward als Warnung und Abmahnung angesehen. Natiirlich hatte dabei der pullarius , je nachdem er seinen Thieren zu fressen gegeben hatte oder nicht, den Erfolg ganz in seiner Hand. Dass die Sitte jiingeren Ursprungs war (Cic. de divin. 2, 35 : quo antiquissimos augures non esse usos, argumento

328 ^er Haushahn.

estj quod decretum collegii vetus habemus, omnem avem tripudium facer e posse), geht auch aus der verhaltnissmassig kritischen Auf- fassung hervor, die sie in einer religios bereits herabgestimmten Epoche erfuhr. Jener Feldherr im ersten punischen Kriege, P. Clau- dius Pulcher, von dem Cicero erzahlt (de nat. deor. 2, 3, 7), Hess die heiligen Hiihner, weil sie das vorgeworfene Futter verschmahten, ins Wasser werfen ; wenn sie nicht fressen wollten, rief er, so moch- ten sie saufen; biisste die Lasterung freilich mit dem Verlust der Flotte. Cicero selbst aber driickt sich nicht sehr respectvoll iiber das Htihnerorakel aus er nennt es ein auspicium coactum et expressum und Plinius 10, 49 ist ironisch erstaunt, dass die wichtigsten Staatsgeschafte, die entscheidenden Schlachten und Siege von Huhnern gelenkt und die Weltbeherrscher wieder von 'Hiihnern beherrscht wiirden. In Catos landlicher Oekonomie spielen die Hiihner noch keine grosse Rolle er lehrt nur an einer Stelle, wie Hiihner und Ganse gestopft wiirden , aus der ausfiihrlichen Unter- weisung aber, die Varro 3, 9 und Columella 8, 2 ff. iiber die Be- handlung und Pflege derselben geben, ersieht man, wie entwickelt und verbreitet die Hiihnerzucht zur Zeit dieser Schriftsteller in Ita- lien schon war. Grossere edlere Varietaten des asiatischen Haus- hahnes, besonders Kampfhahne, wurden aus verschiedenen durch besondere Zucht und Race sich auszeichnenden Orten Griechenlands bezogen. In friiherer Zeit war die Insel Delos in dieser Hinsicht beriihmt gewesen: Cicero erzahlt (Acad. 2, 18), die Delier hatten beim Anblicke eines Eies die Henne angeben konnen , von der es gelegt worden (was iibrigens nicht so schwer ist, denn das Sp rich- wort: so ahnlich wie ein Ei dem andern trifft nicht ganz zu); jetzt standen die tanagraischen , rhodischen, chalcidischen Hahne als stark und schon in besonderem Ruf. Varro, Columella und Plinius erwahnen auch der grossen sogenannten melischen Hiihner, gallinae melicae, die nach dem Erstgenannten , der auch ein Sprachforscher war, wiewohl nicht immer ein gliicklicher, eigentlich inedicae, medische Hiihner, heissen sollten. Wir entnehmen daraus die Thatsache, dass noch in romischer Zeit Medien, woher die Hiihner zuerst nach Europa gekommen waren, frisches Blut nach- lieferte; die Form melicae konnte aber eben deshalb richtig sein und das altbaktrische meregha avis, persische murgh, kurdische mrishk, ossetische margh gallina wiedergeben, welches danii auch die Urform zu dern griechischen, durch Volksetymologie entstellten ware.

Der Haushahn. 329

Auf welchen Wegen sich das Geschlecht der Haushiihner zu den Barbaren im mittleren lind nordlichen Europa verbreitete, dariiber giebt es natiirlich keine direkten historischen Zeugnisse. Diese Ver- breitung konnte geraden Weges von Asien zu den stammverwandteii Volkern der siidrussischen Steppen und des Ostabhangs der Karpathen gehen, deren Religion der der iibrigen iranischen Stamme folgte und die in einigen ihrer Glieder schon zu Herodots Zeit Ackerbau trieben, oder durch die griechischen Kolonien am schwarzen Meer, deren Einfluss sich bekanntlich weit erstreckte, oder von Thrakien zu den Stammen an der Donau, oder von Italien aus auf den alten Handels- wegen iiber die Alpen, oder tiber Massilia in die Rhone- und Rheingegenden, oder endlich auf mehreren dieser Wege zugleich. Je mehr ein Volk vom nomadischen Hirtenleben zur festen An- siedelung iiberzugehen. sich anschickte, desto leichter musste dies den geschlossenen Hof belebende, kornerfressende, von Fuchs und Wiesel verfolgte Hausgefliigel bei ihnen Aufnahme, bleibende Statte und Gedeihen finden. Casar traf um die Mitte des ersten Jahrhunderts vor Chr. die Henne schon bei deri Britannen (de b. gall. 5, 12), in- dess vielleicht nur bei den gallisch gebildeten, den Boden bestellenden Stammen in der Nahe der Sudkuste. Befragen wir die Sprachen, so ergeben sich einige nicht uninteressante Resultate. Wir sehen Reihen von Benennungen von Volk zu Volk gehen, in verschiedenen sich kreuzenden Richtungen, die auf die Sitze und den Verkehr dieser Volker ein dammerndes Licht werfen. Zwar gestatten auch manche andere Kulturbegriffe ahnliche Schliisse, selten aber mit einem ver- haltnissmassig so festen chronologischen Anhalt. Da der Hahn nicht vor der zweiten Halfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. in Griechenland erschien, so werden wir seine Ankunft im innern Europa nicht vor das fiinfte Jahrhundert setzen diirfen. Was in dem civilisirten Griechenland schnell von Statten ging, konnte im barbarischen Norden nur langsam, allmahlich und stufenweise sich vollziehen. Um die genannte Zeit mussen

1. die Germanen schon ein abgesondertes Ganze gebildet haben, da sie den Vogel mit einem eigenen, nur ihnen angehorenden Nam en : liana bezeichnen; sie miissen

2. auf engem abgeschlossenen Raum zusammengewohnt haben, da alle germanischen Stamme diesen Namen gleichmassig besitzen; sie zerfielen folglich noch nicht in einen scandinavischen und einen €ontinentalen Zweig oder nach anderer Ansicht in Ost- und West- germanen;

330 Der Haushahn.

3. die Deutschen miissen unmittelbare Nachbarn der Finnen gewesen sein, da das gothische Wort sich finnisch (nicht aber litauisch u. s. w.) wiederfindet;

4. die deutsche Lautverschiebung kann noch nicht eingetreten gewesen sein, da das deutsche hana bei den Finnen Jcana lautet:

5. der bildende Trieb war in der Sprache der Deutschen jener Zeit noch so naturalistisch fein und rege, dass er rnit den geringsten Lautmitteln fur das mannliche und weibliche Thier und das Junge besondere Benennungen schuf, etwa wie solche fur Stier, Kuh und Kalb schon bestanden. Aus dem gothischen hana, ahd. hano, ags. hona, altn. hani - - welches selbst sehr alterthiimliche Gestalt zeigt, da es durch keinen andern Behelf, als das bei Nominalstammen so- haufige n, gebildet ist ward ein epiconisches Neutrum ahd. huonr in der Bedeutung pullus, spater in der des nhd. Huhn, also gothisch hon, und zur Bezeichnung des weiblichen Genus vermittelst eines j ahd. henna, also gothisch hanjo, abgeleitet - - zwei ungemein primi- tive Bildnngen;

6. Slaven und Litauer miissen bereits von einander gesondert ge- wesen sein, da sie den Hahn abweichend benennen;

7. das Volk der Slaven muss schon auf dem urspriinglichen Boden in die spatere nordost-siidliche und die westliche Gruppe zer- f alien sein, da pietlu gallus nur bei der ersteren, Tcogut, kohut idem vorzugsweise bei der letzteren erscheint, wahrend das erstere Wort zugleich in der Bedeutung (der Sanger), nicht in der Etymologie mit dem litauischen und vielleicht mit dem germanischen zusammen- stimmt;

8. die Slaven miissen nach ihrer Trennung von den Litauern in einem, auch durch andere Indicien sich verrathenden Zusammenhang mit medopersischen Stammen (Skythen, Sauromaten, Alanen) ge- standen haben, da das gemeinslavische Jcuru, Jcura gallus •, gallina, zugleich persisch ist: churu, churuh, churns;

9. das tiJc, tyuk gallina der Magyaren stimmt genau zu dem kurdischen dik gallus (bei Lerch, Forschungen II. 130. 122), welches selbst wieder arabisch ist; erhielten sie es, wie ihr Wort fiir den Begriff tausend, direkt von einem iranischen Volke, damals als sie noch jenseits der Wolga im Lande der heutigen Baschkiren sassen ?

10. Eine seltsame Kette von Namen geht vom Kanal bis zum innersten Winkel der Ostsee oder vom franzosischen (nicht proven- yalischen) und aremorischen coq bis zum finnischen Tculcko und zu

Der Haushahn. 33 X

anderen finnischen Stammen, wahrend ein ahnliches Wort (Kiichlein) in etwas veranderter Bedeutung bei Niederdeutschen, Angelsachsen und Scandinaviern (nicht bei Hochdeutschen) herrscht, also auf dem angegebenen Parallel am Boden haftete;

11. keine Spur weist direkt nach Italien, sondern alle fiihren mehr oder minder deutlich nach dem Sudosten des Welttheils, was nur bei iranischen, nie bei semitischen Kulturerwerbungen der Fall ist. Ware uns das Alt-Thrakische und Alt-Illyrische oder Pannonische erbalten, so wiirden die Namensanklange, die das Griechische gewabrtr vielleicht zur vollen Identitat werden;

12. das altbaktrische Icalirlca Huhn (zu erschliessen aus kahrlc- dga der Geier d. h. der Hiihnerfresser) stimmt unmittelbar zusammen mit dem altirischen cere gallina, Glosse bei Zeuss 2 p. 782 : cerc-daer gallinaceus. Dazwischen liegt das ossetische Icjarlc gattina und die Glosse des Hesychius : xegxog' dhsxTQvwv (welcbe Benennung irgendwo auf der Hamus-Halbinsel Braucb gewesen sein muss), so wie vielleicht gothisch hruk gallicinium, mit dem dazu gehorigen Verbum hrukjan. Das Wort geht also quer durch das europaische Festland vom Pon- tus bis an den Kanal und jenseits desselben und stammt aus der Zeit, wo keltische Stamme von Gallien bis zum schwarzen Meer theils sich tummelten, theils sich bereits gelagert hatten. Die litauischen und slavischen Verba karkti, karkati, IcroTcati bedeuten mehr krachzen, schnarren, und gehen, wie graculus, altn. kraka, XQW&W, crocire, crocitare und eine Menge anklingender Ausdrticke auf das Genus corvus:

13. es war natlirlich, dass mit dem Thier und seinem Namen auch die religiosen BegrifFe, die daran sich kniipften, von Land zu Land wanderten. Die Redensart: den rothen Hahn aufs Dach setzen, nennt statt des Elementes den Vogel, der ihm geweiht und in der Anschauung verwandt war. Eine in dem Volumen decretorum des Bischofs Burchard von Worms (bei Panzer, Bayerische Sagen und Brauche, I, S. 310) eiithaltene Stelle, wonach es gefahrlich ist, vor dem Hahnenruf Nachts das Haus zu verlassen, eo quod immundi spiritus ante gallicinium plus ad nocendum potestatis habent, quam post, et gallus suo cantu plus valeat eos repellere et sedare quam ilia divina mens, quae est in homine sua fide et crucis signaculo

diese Stelle klingt wie ein direkter Bericht liber den Glauben der alten Perser an die von ihnen Daevas genannten immundi spiritus und an die Kraft des Hahnes, dieselben durch seine Stimme zu verscheuchen. Noch in Shakespeares Hamlet (Act 1, Scene 1) sagt

332 Der Haushalm.

Horatio ganz ahnlich: »Ich habe gehort, dass der Hahn, der die Trompete des Morgens 1st, mit heller Stimme den Gott des Tages weckt und dass bei seinem warnenden Ruf all die Geister, die in Wasser oder Feuer, in Luft oder Erde schweifen und irren, jeder an seinen Ort zuriickschliipfen. « Demselben Vorstellungskreise gehort es an, wenn der Vogel des Lichts bei Nacht der Nachtgottin geopfert wird, Ov. Fast. 1, 455:

Node deae noctis cristatus caeditur ales.

Auch die slavischen Pommern verehrten den Hahn und fielen an- betend vor ihm nieder (die Citate bei Panzer a. a, 0. S. 317); bei den Litauern werden Hahn und Henne der Erdgottin geschlachtet (Matth. Praetorius, Deliciae prussicae, herausgeg. von W. Pierson, Berlin, 1871, S. 62), eben so bei Einsegnung der Hauser zuerst ins Haus gelassen: »diese werden gehegt und nicht geschlachtet noch gegessen, aber darum nicht vor Gotter gehalten« (S. 37). In dem altindischen Gesetzbuch war das Essen von Huhnerfleisch nicht erlaubt (Lassen, Ind. Alterth. 1, 297), und auch die Mysten in Eleusis enthielten sich dieser Vogel, die der chthonischen Gottin, der Perse- phone, und der Demeter geweiht waren (Porphyr. de abst. 4, 16): in iiberraschender Weise berichtet Casar (a. a. 0.) von den Britannen : leporem et gallinam et anserem gustare fas non putant , die also mit dem Thier und seinem Namen aueh die Scheu vor seiner Gottlichkeit mit ubernommen hatten. Wie die Romer, wo keine wilden Vogel und Vogelschauer zur Hand waren, mit zahmen Huhnern sich halfen, so opferten auf Seeland die heidnischen Danen alle neun Jahre neben Menschen, Pferden und Hunden auch Hahne, weil die Raubvogel nicht zu beschaffen waren, Thietmar von Merseburg bei Pertz Scriptt. Ill p. 739: nonaginta et novem homines et totidem equos cum eanibus et gallis pro accipitribus oblatis immolant was ihnen vielleicht kluge Sclaven aus dem Siiden vor Alters an die Hand gegeben hatten. Wie ferner bei Plutarch de Is. et Osir. 61 Anubis sowohl iiber die Oberwelt, TO, avai, als unter dem Namen Hermanubis iiber die Unterwelt, za xcmo, waltet und ihm in der ersteren Eigenschaft ein weisser, in der anderen ein safrangelber, gleichsam schwefelfarbiger, Hahn geopfert wird, so singt in der V6- luspa, dem altesten Theil der Edda, der goldkammige Hahn, Symbol des Lichtes, bei den Asen, der schwarzrothe, damonische in der Unterwelt, in den Salen der Hel (Vol. 35), und so unterscheiden die Volkssagen auch sonst zwischen dem weissen, rothen und schwar-

Der Haushalm.

zeu Hahn (s. Reinhold Kohler in der Germania XI, S. 85 ff.). Die Russen unter Sviatoslav bringen nachtliche Todtenopfer bei Doro- stolum am Ister, indem sie Sauglinge und Hahne erwiirgen und sie dann in die Wogen des Stromes versenken (Leo Diac. 9, 6); auch bei der Bestattung des russischen Hauptlings, deren Verlauf uns Ibn-Foszlan (bei Frahn) ausfuhrlich schildert, werden Hahn und Henne geschlachtet und dann zu dem Todten in das Schiff geworfen. Wenn es wahr ist, was in der Zeitschr. fiir d. Mythologie II. S. 327 f. deducirt wird, dass der Hahn dem Donar, Thunar, Thorr eigen- thumlich gehort, so wiirde dieser deutsche Gott sich dem Qraosha oder einer entsprechenden Gestalt der vermittelnden Volker substituirt haben. Da die nordischen Stamme zur Zeit, wo dies neue, seltsame Hausthier bei ihnen erschien, noch in ganz elementarem Bewusstsein befangen lagen und das Gemuth sich der Eindriicke, die es erfuhr, nur in ahnender Bildersprache entaussern konnte, so wird ein mannig- facher Hahnenaberglaube seitdem auch spontan bei ihnen Wurzeln gefasst und sich ausgebreitet haben. Die Mythenvergleicher aber, die die wirkliche oder angebliche Uebereinstimmung von mythischen Vorstellungen, Namen, Spriichen, Marchen, Zauberformeln, Ge- brauchen u. s. w. der alien und neuen europaischen und asiatischen Volker zum Aufbau einer reichen und phantasievollen Urmythologie des indoeuropaischen Stammvolkes benutzen, sollten, wie sich auch hierbei wiederum ergiebt, drei Momente bei jedem Schritte sich gegenwartig halten: erstens dass, so weit der Blick reicht, eine un- geheuere Kultur- und Religionsentlehnung Statt gefunden hat, zwei- tens dass dieselben Umstande und Lebensstufen auf den ver- schiedensten Punkten zu sehr verschiedener Zeit parallele Anregungen hervorriefen, drittens dass in gewissen Grenzen auch dem Zufall sein Recht werden muss.

Statt die Geschichte des Hahnes durch das Mittelalter zu ver- folgen und durch alle fiinf Welttheile zu begleiten, denn dies niitz- liche Hausthier ist selbst bis zu den Negern im innersten Afrika gedrungen, schliessen wir lieber mit den Worten des alten wiirdigen Thomas Hyde (Veterum Persarum et Parthorum et Medorum reli- gionis historia. Ed. II. Oxonii 1760. 4°. p. 22): Usque hodie gallinis adeo scatet Media, ut eo fere solo cibo et earum ovis (una cum carne ovina) excipiantur nostrates ibi peregrinantes. Ab ilia regione jam utilissima haec avis per totum orbem multiplicatur. Hocque novisse juvat: nam rebus alienigenis longo temporis tractu apud nos factis tamquam indigenis, unde primum venerint tandem igno-

334 Der Haushahn.

raturj quod de multis plantis et arboribus verum et de animalibus hand paucis Worte, die wir diesem ganzen Buche als Motto batten voranstellen konnen75).

** Naheres tiber den iranischen Haushahn siehe jetzt bei W. Geiger, Ostiranische Kultur S. 365 ff. Friihzeitig scheint die Verehrung des Haus- hahns auch in Babylonien bekannt gewesen zu sein. Layard erhielt bei Babylon eine Gemme, auf dessen unterer Flache ein gefltigelter Priester oder ^eine Gottheit eingeschnitten ist, die in einer betenden Stellung vor einem Hahne auf einem Altar steht. Ein ganz ahnlicher Gegenstand findet sich auf einem Cylinder im britischen Museum, ein Priester in Opferkleidung, der an einem Tische steht, vor einem grosseren Altar und einem kleineren, auf dem sich ein Hahn befindet. Beidemal erscheint der Hahn von Osten, und tiber beiden Abbildungen schwebt ein Halbmond, vielleicht als Zeichen der schwindenden Nacht (vgl. Layard, Ninive und Babylon, tibersetzt von Zenker S. 410, 411). Merkwurdig ist, dass, obgleich sonst das Haushuhn im alten Aegypten allerdings keine Eolle spielt, doch die Hieroglyphe u das deutliche Bild eines Htihnchens zeigt, was doch auf eine sehr alte Bekanntschaft mit dem Thiere hinzuweisen scheint (vgl. A. Wiedemann, Herodots II. Buch S. 545).

Eine sichere Deutung des griech. &XlxTu>p, iXsvupocov ist noch nicht ge- funden. Das spate alka, halka des Pehlewi (F. Justi, Bundehesch S. 272) ist bei der Erklarung fern zu halten (vgl. unten). Man hat das griechische Wort als Bernsteinvogel (YJXextpov) deuten wollen, weil die altesten auf griechischen Munzen gefundenen Hahnentypen, die Htihner von Himera in Sicilien (erstes Viertel des V. Jahrh.) und von Dardanos an den Dardanellen (vor d. Mitte des V. Jahrh.) eine grosse Uebereinstimmung mit dem Gallus Sonnerati in Nordindien zeigen sollen. Die eigenthtimlichen glanzend - gelben hornartigen Gebilde an den Federn des Halses liessen sich aber mit Bernsteinschmuck vergleichen (s. Imhoof-Blumer und 0. Keller, Thier- und Pflanzenbilder S. 35). Eine andere, aber ausserst gewaltsame Erklarung hat O. Keller (Lateinische Volksetymologie S. 195 f.) versucht. Am wahrscheinlichsten ist die neuer- dings von P. Kretschmer (K. Z. XXIII, 560 ff.) gegebene Erklarung des griech. &XexT(up, &XexTpoow, denen sich erst spater ein aXextpoaiva Henne, &Xextopt<; Huhn zugesellt. Hiernach waren die genannten Worter identisch mit den gleichlautenden Eigennamen des homerischen Epos, Alektor und Alektryon, die zu otXs^tu, &Xe§?jrfip, iXxt-rip wehre ab, Kampfer gehoren. Man habe den Hahn seinem streitbaren Charakter entsprechend mit einem aus dem Epos in doppelter Form bekannten heroischen Namen benannt. Aehnlich sei Mepivcuv ein Name des Esels, KaXXia? des Affen, Kep8a> des Fuchses, und genau entsprachen die Schicksale des frz. renard Fuchs aus Reinhart, der volks- thumlichen Benennung des Thieres im altgermanischen Thierepos.

Was den Norden Europas betrifft, so wird die Anschaunng Hehn's von dem verhaltnissmassig spaten Auftreten des Haushahns daselbst durch den Umstand bestatigt, dass Ueberreste des Thieres bis jetzt prahistorisch nicht nachweisbar waren. Zu den auf S. 329 332 gezogenen sprachlichen •Schliissen ist folgendes zu bemerken:

Der Haushahn. 335

Zu 4. Das finnische kana wird nicht vor der Lautverschiebung aus dem Germanischen entlehnt sein; es scheint vielmehr, dass das anlautende k nur Lautsubstitution fur germ, h, / 1st (vgl. W. Thomsen, Ueber den Einfl. d. germ. Spr. S. 66). Zu 5. Es 1st nicht wahrscheinlich, dass zu der Zeit, in welcher das Haushuhn bei den Germanen bekannt wurde, ihre Sprache noch einen Ablaut wie hana : * hdn bilden konnte. Glaublicher ist, dass diese Worter (vgl. ^ji-xavo? und d-cdnia) zur Bezeichnung eines wilden Vogels uralt waren und dann auf den Haushahn iibertragen wurden. Zu 7. Gegeniiber deni Aus- einandergehn der slavischen Sprachen in der Benennung des Haushahns fallt die Uebereinstimmung seiner Terminologie in den germanischen und keltischen (ir. cailech, cymr. ceiliog, corn, chdioc] Mundarten auf. Vielleicht darf man hieraus schliessen, dass das Thier eher im Westen und in der Mitte als im Osten unseres Erdtheils auftrat. Zu 8. In den angegebenen Zusammenhang scheinen auch die finnischen Ausdriicke wotjakisch kurek, syrj. kurb'k u. s. w. (Ahlqvist S. 20) zu gehoren. Uebrigens ist die Entlehnung des slavischen Worts, das Archiv fur slav. Spr. XI, 394 gleich lat. corvus gesetzt wird, aus dem Iranischen zweifelhaft. Auch P. Horn, Grundriss d. np. Etym. S. 106 scheint dieselbe nicht anzuerkennen. Vgl. daselbst auch kurd. kords etc. Sicher aus dem Persischen entlehnt ist serb. oroz Hahn (Miklosich, Turk. Elem. S. 74). Zu 9. Das magyarische tyu~k schliesst sich zunachst an das ostjakische tava^ Huhn, dann an das turko-tat. tavok, tauq an (vgl. Donner, Vgl. W. d. f. Spr. I, S. 116). Ferner stellt sich hierzu kaukas. hiirk. daghwa, woraus das kurdisch-arabische Wort wohl stammt (Tomaschek, Z. f. 6'str. Gymn. 1875 S. 524). Vgl. auch kurd mami, mamir zu kaukasisch laz. mamuli (Jaba-Justi S. 406) und das oben genannte alka des Pehlewi zu kaukas. heleko, helk, alkuz (Klaproth, Asia polyglotta S. 135). Zu 12. Hinzuzufiigen ist Pamird. ko'rk, afgh. cirk, kurd. kurk, kerge, zu streichen got. hruk, welches lautgesetz- lich entweder zu griech. xpaoY^ oder zu xpdCu), xpu>Cu> gehort, vgl. auch altn. hrokr Seerabe, altengl. hrdc Mandelkrahe, ahd. hruoh Krahe (Kluge in Paul u. Braunes B. VI, 377). Dass die Benennungen von gallus und corvus in ein- ander tibergehn, zeigt auch das Verhaltniss von krahen: krahe, engl. croiv krahen : crow Krahe. Aehnlich wird der unter 10. genannte Lautcomplex kuko- auch zur Bezeichnung des Kukuks verwendet. Uebrigens konnen sowohl die Ableitungen von kerk wie von kuku- kuko- (vgl. Fick, Vergl. W. 4. Aufl. S. 384, 21) schon idg. Vogelnainen gewesen sein, die spater auf den Haus- hahn iibertragen wurden. Vgl. iiber die Geschichte des Haushahns neuer- dings E. Hahn, Die Hausthiere S. 291 ff. (mehr in naturgeschichtlicher Be- ziehung) und rnein Keallexicon u. Hahn, Huhn.

Die Taube.

Schon Homer erwahnt nicht selten der Tauben unter dem Namen TTtfaiddeg; aber nichts lasst vermuthen, dass er die Haus- taube darunter verstanden habe. Die Tauben sind inm das Bild des

336 Die Taube.

Fliichtigen und Furchtsamen : so entzieht sich Artemis der Hera, die ihr den Kocher geraubt hat, II. 21, 493:

Weinend aber entfloh sie zur Seite sofort, wie die Taube,

Die vom Habicht verfolgt in den Spalt des zerkliifteten Felsens

Schliipft nicht wars ihr beschieden des Raubers Beute zu werden.

Hector flieht vor Achilles, wie eine scheue Taube vor dem Falken, II. 22, 139, wo das Gleichniss folgendermassen ausgemait wird:

Wie im Gebirge der Falk, der geschwindeste unter den Vogeln, Leicht im Schwunge des Flugs der schtichternen Taube sich nachsturzt; Seitwarts fliichtet sie bang; dicht hinter ihr stiirmt er bestandig Nach mit hellem Geschrei und brennt vor Begier sie zu fangen.

Daher auch das Adjectiv rgr/gan', scheu, fliichtig, das Homer dem Namen der Tauben gern hinzufugt, wie Aeschylus Sept. 292 Ttdvigo- fjiog Tishsidg, die ganz zitternde Taube, sagt. Auch als der schnellste Vogel erscheint die Taube in dem Sagenkreise von den Argonauten. Das Schiff Argo war, wie der Name sagt, wunderbar schnell, und wenn die Taube zwischen den zusammenschlagenden Felsen hindurch- flog, durfte auch das Fahrzeug, das die Helden trug, unverletzt hin- durchzusegeln hoffen. Daher vorher mit ihr die Probe gemacht werden soil, Apoll. Rh. Argon. 2, 328:

Macht vor Allem zuerst den Versuch mit dem Vogel, der Taube, Lasst sie zuvor vom Schiff ausfliegen.

Aus der Argonautensage stammt denn auch in der Odyssee die War- ming der Circe vor den glatten Felsen, 12, 59:

Rechtshin sind zwei Felsen und hangen heriiber, an diese Donnert die machtige Woge der blaulichen Amphitrite: Die sind irrende Felsen genannt von den seligen Gottern. Da fliegt selbst kein Vogel vorbei, ja schiichterne Tauben Nicht einmal, die dem Vater, dem Zeus, Ambrosia bringen; Auch von diesen sogar raubt allzeit eine die Felswand, Und eine andere sendet, die Zahl zu erganzen, der Vater.

So verderblich also sind diese Felsen, dass selbst die geschwinden Tauben ihnen nicht immer entgehen und Vater Zeus, dem sie Am- brosia bringen sie schwingen sich als dun&sig durch die Himmels- blaue , die verlorenen durch andere ersetzen muss. Auch bei den Tragikern ist die Taube schnell wie der Sturmwind und wie die Wuth oder die Rache, Soph, O. C. 1081: sl$ aekkaCa

Die Taube. 337

Eurip. Bacch. 1090 (die Manaden stiirzen auf den Pentheus):

fj%av nefotag wxvTrjT ov% yaffoves.

Noch schneller freilich 1st der Habicht oder Falke, der der schnellste aller Vogel 1st da er ja auf die Tauben Jagd macht und nur das Wunderschiff der Phaaken, das den schlummenden Odysseus nach Ithaka brachte, iibertrifft ihn an Fliichtigkeit, Od. 13, 86:

Kastlos lief es und sicher dahin : kein kreisender Habicht Floge den Lauf ihm nach, der geschwindeste unter den Vogeln; So hineilend und leicht durchschnitt es die Wogen des Meeres.

Griechenland war in Fels und Wald so reich an Tauben, Ringel-, Felsen-, Turteltauben, dass ihre Rolle in Gedicht und Sage nicht auf- f alien kann. Der Schiffskatalog bezeichnet das bootische Thisbe (II. 2, 502) und das lacedamonische Messe (582) als taubenreich, ebenso Aeschylus die Insel Salamis als taubennahrend (Pers. 309 Dindorf.). Drosseln und Tauben werden in Netzen oder Schlingen gefangen, die im Gebusch. aufgestellt sind, Od. 22, 468:

Wie bisweilen ein Zug breitschwingiger Drosseln und Tauben Sich in der Schlinge verfangt, die aufgestellt im Gebusch ist, Wann sie zum Nest heiraeilen; ein trauriges Lager empfangt sie

und es kann daher nicht auffallen, wenn im 23. Buch der Ilias Achilles bei den Leichenspielen des Patroklus eine lebendige, an die Spitze eines Mastbaumes gebundene Taube als Ziel aufstellt: Teukros, der gefeierte Bogenschiitze , schiesst zuerst, aber er vergisst, dem Apollo sein Gelubde zu thun, und trifft nur die Schnur; die befreite Taube strebt kreisend zum Himmel auf; da ergreift Meriones schnell den Bogen, betet, und holt den fliichtigen Vogel mit dem Pfeil vom Himmel herunter (II. 23, 850 ff.). Daher die Taube auch das my- thische Bild des der Fesseln sich entledigenden Gefangenen und Fluchtlings ist: die drei Tochter des Anius auf Delos, die Oino, Spermo und Elais, die Alles, was sie beriihrten, in Wein, Korn und Oel verwandelten und desshalb Oinotropoi genannt wurden, sollten von Agamemnon in Fesseln geschlagen und mit Gewalt nach Troja geschleppt werden, da verwandelten sie sich in Tauben und flogen davon (Ov. Metam. 13, 650 fL). Dass endlich die Taube auch ein damonischer weissagerischer Vogel ist, beweist das Orakel von Do- dona: dort thaten Ringeltauben vom Gipfel der heiligen Eiche in ihrem Fluge und Girren, dem Gerausch ihrer Flugel, ihrem Kommen und Gehen, Aufsteigen und Niederstiirzen die Zukunft und den Willen des Zeus kund, wie ja Vogelorakel auch in dem gegeniiberliegenden,

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 22

338 Die Taube.

in Vieletn dem epirotischen Lande so verwandten Italien ein uralter Branch waren und wie die Veneter den Dohlen Kuchen auf dem Felde hinzustellen pflegten, damit sie die Saat verschonten (Theo- pompus bei Miiller Fr. 143).

An alien angefiihrten Stellen des Epos wird die Taube Ttskeia genannt (im Plural auch nsksid dsg) ; nur einnial kommt bei Homer das spater ubliche (pdaaa vor und zwar als erster Bestandtheil des Adj. <pa(Hfo(p6vog, taubenmordend, Pradikat des Habichts (II. 15, 237). Ein dritter Ausdruck, ydip, Gen. cpafiog, findet sich zuerst bei Aeschylus, fragm. 206 Nauck. :

Svffrrjvov d&ltctv nqog rtTvocg

also die vom Korn naschende, ungliickliche Taube, der mit der Worf- schaufel die Knochen zerschmettert werden. Die spatere wissen- schaftliche Zoologie (bei Aristoteles, Anim. hist. 5, 13, 2) unterscheidet mit diesen Namen die besonderen Arten Tauben und fiigt noch olvdg (wortlich: die Weintaube) und TQvytov (die Turteltaube, vom Girren, XQV£O), benannt, zuerst bei Aristophanes in den Vogeln) hinzu: in der Urzeit gingen diese Benennungen wohl ohne Unterschied je nach der Landschaft oder nach einer der Eigenschaften des Thiers, die grade in das Bewusstsein des Redenden fiel, auf das Geschlecht der wilden Tauben iiberhaupt, denn die dodonaische Tieheia, die in den Baumen wohnte, Columba Palumbus, kann unmoglich mit der nefoia, die bei Homer in einen Felsspalt schliipft, Columba lima, dieselbe gewesen sein. Der eigentliche Name fur die Haustaube, und damit diese selbst, tritt erst in der spatern attischen Sprache auf, zuerst bei Sophokles (Fr. 781 Nauck. , wo sie deutlich als oixetig und Icpeouog bezeichnet ist), dann bei den Komikern und bei Plato:

Tauberich, Taube, neQiaceQcdevg, TISQIGTS- TTSQIGTSQIOV Taubchen , TisQiaTSQSojv , der Taubenschlag neue Worter, die der dorische Dialect, der fortfuhr nefaidg zu sagen, gar nicht annahm (Sophron bei Athen. 9, p. 394). Woher nun kam den Griechen in so spater Zeit dies freundliche Hausthier, das gegen das Ende des 5. Jahrhunderts vor Chr. in Athen schon ganz ge- wohnlich ist? und war die zahme Taube etwa identisch mit einer der in Griechenland lebenden wilden Arten? Sehen wir uns zur Beantwortung dieser Fragen zuerst, wie gewohnlich, in der semi- tischen Welt um.

Dass in den syrischen Stadten die Taube der dort unter ver- schiedenen Namen verehrten weiblichen Naturgottheit , die die

Die Taube. 339

Griechen Aphrodite nennen, heilig war und bei ihren Tempeln in dichten Schaaren gehegt wurde, ist eine von den verscbiedensten alten Schriftstellern bezeugte Thatsache. Xenophon, als er im Heere des jiingeren Cyrus mit andern griechischen Soldnern Syrien durch- zog, fand, dass die Einwohner die Fische und die Tauben als gott- liche Wesen verehrten und ihnen kein Leid anzuthun wagten, Anab. 1, 4, 9: »welche (die Fische) die Syrer fiir Gotter hielten und ihnen kein Leids antbaten, so wenig als den Tauben. « Nach Pseudo- Lucian. de Syria dea 54 waren in Hierapolis oder Bambyce die Tauben so heilig, dass Niemand eine derselben auch nur zu beriihren wagte; wenn dies Jemandem wider Willen widerfuhr, dann trug er fiir den ganzen Tag den Fluch des Verbrechens; daher auch, fiigt der Verfasser hinzu, die Tauben mit den Menschen ganz als Ge- nossen leben, in deren Hauser eintreten und weit und breit den Erd- boden einnehmen. Ganz dasselbe berichtet der Jude Philo (bei Euseb. praep. evang. 8, 14) von Askalon, dem Ursitz der 'Ayigodfarj Ovgavfy oder der Astaroth: »ich fand dort, sagt er wortlich, eine unzahlige Menge Tauben auf den Strassen und in jedem Hause, und als ich nach der Ursache fragte, erwiderte man mir, es bestehe ein altes religioses Verbot, die Tauben zu fangen und zu profanem Ge- brauch zu verwenden. Dadurch ist das Thier so zahm geworden, dass es nicht bloss unter dem Dache lebt, sondern ein Tischgenosse des Menschen ist und dreisten Muthwillen treibt.« Die Tauben der paphischen Gottin auf Cypern, die Paphiae columbae, die im Tempel ein- und ausflogen, ja sich selbst auf das Bild der Gottin setzten, sind so bekannt, selbst aus Miinzen und Gemmen, dass es der An- fiihrung eines besonderen Zeugnisses nicht bedarf. Da nun die Astarte von Askalon in sehr alter Zeit nach Kythera und Lacedamon, uberhaupt die semitische Aphrodite nach Korinth und an die ver- schiedensten Punkte der griechischen Kiiste verpfianzt wurde und Cypern schon fruhe das Ziel griechischer Seefahrten und Nieder- lassungen war, so musste, wie man denken sollte, auch die Taube, das Symbol und der Liebling der Gottin, mit ihr selbst und eben so friihe nach Griechenland gekommen und bei ihren Heiligthtimern Gegenstand der Zucht und Pflege geworden sein. Davon aber giebt es durchaus keine Ueberlieferung. In dem homerischen Hymnus auf Aphrodite finden sich die Tauben nicht erwahnt: die Gottin betritt ihren duftenden Tempel auf der Insel Cypern, sie wird von den Chariten mit dem unsterblichen Oel gesalbt, mit herrlichen Gewandern be- kleidet und mit goldenem Geschmeide geschmuckt und schwingt sich

22*

340 Die Taube.

dann, Cypern verlassend, hoch durch die Wolken nach dem quellen- reichen Ida. Und auch am Schlusse des Hymnus heisst es bloss: sie entschwebte zum wehenden Himmel: yj'C^e TiQog ovqavov r^ve- (j,6svTtt. Auch in den kleineren Hymnen V und IX bezieht sich keines der der Gottin. gegebenen Pradikate auf ihre Tauben; sie heisst xQvaoGTeyavog , loffi eyxxvog , JlfaxofihsyaQog , yhvxvftslfoxog, 2ala(Jilvog giixupevyg fisdsovcfa xal Ttdaqg KVTIQOV, TJ ndti^g KVTIQOV xQTjdeiiJiva A,ehoy%£V elvaMrjg u. s. w. In der uns durch Dionysius von Halikarnassus de compos, verb, erhaltenen Ode der Sappho, die mit den Worten beginnt:

wird der Wagen der Gottin nicht von Tauberi oder Schwanen, sondern von schnellen Sperlingen durch den Himmel gezogen (fr. 1. Bergk.):

xakoi de G dyov

wxssg ffTQOvdoi nsQl yag [tehalvag

Tivxva dwevvTsg nxio an wgdvco

Von einer Erwahnung der Tauben bei derselben Sappho berichtet das Scholion zu Pindar Pyth. 1, 10: bei Pindar namlich sitzt der Adler auf dem Scepter des Zeus, die Fliigel sinken lassend: wxelav TixsQvf dtu<porsQa)&ev %ahd%aig-, umgekehrt, sagt der Scholiast, aussert sich die Sappho iiber die Tauben:

Tafat, tie ipv%Qog ftsv syevro $V{JLO<;,

nay S' isHU TO, TirsQa (fr. 16 Bergk.)

Wir wissen weder, mit welchem Worte hier die Tauben bezeichnet waren, noch ob sie als Attribut eines Gottes oder einer Gottin vor- kamen ; da ihnen ein kaltes Gemiith zugeschrieben wird, konnen nur die .wilden, nicht die kyprischen gemeint gewesen sein. In der ganzen iibrigen Lyrik bis auf Pindar hinab so weit sie uns in Bruchstiicken und Nachrichten erhalten ist fehlt die Taube durchaus.

Dies spate Erscheinen des nachher in Kunst, Religion und Leben so verbreiteten Vogels hat seinen Grund offenbar in dem gleichen Vorgang in Syrien, Palastina und Cypern. Auch dort geht die zahme Taube nicht in friihes Alterthum hinauf, sondern wurde erst Symbol der Astarte und Aschera, als in Folge von Eroberungsziigen und Han dels verkehr der Dienst dieser Gottinnen mit dem der wesens- gleichen centralasiatischen Semirainis verschmolz. Semiramis war

Die Taube. 341

als Taube gedacht und bedeutete so viel als Taube, Diodor 2, 4: »Semiramis 1st in der Sprache der Syrer so nach den Tauben be- nannt, die seit jener Zeit von alien Bewohnern Syriens als Gottinnen verehrt werden.« Hesych. ^sfjicQa^g- neQitiisQa oQstog *Ehhr]ve,cri£. Sie wurde in Askalon von ihrer Mutter,, der Fischgottin Derketo, gleich nach der Geburt ausgesetzt, von Tauben genahrt, vom Hirten Simmas, der sie nach seinem Namen benannte, aufer- zogen; dann trat sie in Ninive als herrliche Kriegerin auf und ver- wandelte sich zuletzt in eine Taube und flog mit Tauben davon (Diod. 2, 20 nach Ktesias). Nach Hygin. fab. 197 fiel vom Himmel ein ungeheures Ei in den Euphrat; Fische walzten es an das Ufer, Tauben briiteten es aus, und es ging die Venus daraus hervor, die spater die dea Syria genannt wurde; daher die Syrer auch Fische und Tauben fur heilig halten und nicht essen. Der Taubendienst kam also vom Euphrat nach Vorderasien, ebenso die Anschauung der Naturgottin als Taube. Im Alten Testament findet sich die erste einigermassen sichere Erwahnung der zahmen Taube bei Pseudo- Jesaias 60, 8: »Wer sind die, welche fliegen wie die Wolken und wie die Tauben zu ihren Fenstern (Gittern d. h. zum Taubenschlage)?« Diese Partie des Jesaias ist in der Epoche des Exils geschrieben, und um diese Zeit, nach den babylonischen Eroberungsziigen , mag sich auch die Aneignung der Taubenzucht in Vorderasien und die Aufnahme des zartlichen Vogels in den syrisch-phonizischen Kultus und als Tempelbewohner schrittweise vollzogen haben. Sollten die Taubengleichnisse in dem Hohen Liede nicht anders als von zahmen Tauben verstanden werden konnen - - was wir dahin gestellt sein lassen , dann konnte auch dies Gedicht, dessen Zeitalter ungewiss ist, nicht hoher hinaufgeriickt werden. (Nach H. Gratz, das Salo- monische Hohelied, Wien 1871, fiele es erst in die macedonisch- griechische Zeit, nach S. J. Kampf, das Hohelied, Prag 1877, in die vorexilische Epoche und zwar weil die Stimmung darin eine freudige ist!) Attch auf der spateren Konigsburg in Jerusalem, die im all- gemeinen Brande unterging, waren nach Josephus b. j. 5, 4, 4 »viele Thiirme zahmer Tauben«.

Von den syrischen Kiisten, doch auf einem Umwege, kam dann die Haustaube mit dem Beginn des fiinften Jahrhunderts auch den Griechen zu wie uns ein merkwiirdiges Zeugniss belehrt, das nur richtig verstanden werden muss. Charon von Lampsakus, der Vorganger des Herodot, berichtete in seinen JIsQffixd, zu der Zeit, wo die persische Seemacht unter Mardonius bei Umschiffung des

342 Die Taube.

Vorgebirges Athos zu Grunde ging, also zwei Jahre vor der Schlacht bei Marathon, seien zuerst in Griechenland die weissen Tauben er- schienen, die bis dahin unbekannt waren (Athen. 9. p. 394). Was ist hier unter weissen Tauben gemeint? Nichts anderes als Haus- und Tempeltauben edler Race, wie die wilden als schwarze, graue, aschfarbene, fahle gedacht und danach genannt werden, und zwar nicht bloss bei den Griechen, sondern auch in den Sprachen der urverwandten europaischen Volker. Den Tauben von Dodona legt Herodot ausdriicklich schwarze Farbe bei, 2, 55 und 57, wenn er auch das schwarze Gefieder, sowie das ganze Taubenorakel , bereits in der Weise der jiingeren Zeit rationalistisch deutet. Den Namen des Vogels nekeia erklarten schon die Alten aus dem Adjectiv nshog, nefaog, TtsMog, nofaog grau (womit einverstanden ist Pott, Zeitschr. 6, 282); dasselbe Wort ist das lateinische pahtmbus oder palumbes, auch palumba, dessen erweiterte Form aus dem urspriinglich auf das I folgenden v mit hinzutre tender Nasalirung entstand, wie in pallidus, pullus das doppelte I aus Assimilation. Ganz so stammt das czechische (auch polnische und russische) siwdk, die wilde Taube, aus siwy = caesius, glaucus, das gleichbedeutende russische sizjak aus sizyi blaulich, das franzosische biset, die Holztaube, aus bis schwarzlich. Nicht anders ist auch das deutsche Taube, goth. dtibo, ags. dufe, altn. dufa mit dem Adjectiv daubs, taub, stumm, blind, duster, dunkel- farbig, zusammenzustellen , fur welche letztere Bedeutung das Kel- tische willkommene Bestatigung bietet: altirisch dubh niger, dub atra- mentum, Dubis der Schwarzbach (Zeuss2 p. 14). Im Gegensatz dazu wird die asiatische, der Aphrodite geweihte Taube wegen ihres zart weissen, in hellen Farben schillernden Gefieders durchgangig die weisse, hevxrj, alba, Candida genannt. Der Komiker Alexis bei Athen. 9, p. 395:

hsvxbg ' A(fQodLxri<; elftl yaq rtKQiGTSQcg.

Catull. 29, 9:

ut albulus columbus aut Adoneus.

Tibull. 1, 7, 16:

Quid referam, ut volitet crebras intacta per urbes Alba Palaestino sancta columba viro.

Ovid. Metam. 2, 536 (vom Raben, der friiher schneeweiss war wie die Taube):

Nam fuit haec quondam niveis argentea pennis Ales, ut aequaret iotas sine labe columbas.

Die Taube. 343

Martial. 8, 28 (der Dichter richtet das Epigramm an eine ihm ge- schenkte Toga und riihmt die Reinheit ihrer weissen Farbe durch Vergleichung mit der Lilie, der Ligusterbliite , dem Elfenbein, dem Schwan, der paphischen Taube und der Perle), v. 11:

Lilia tu vincis nee adhuc delapsa ligustra

Et Tiburtino monte quod albet ebur.

Spartanus tibi cedet olor Paphiaeque columbae,

Cedet Eryihraeis eruta gemma vadis.

Apulej. Met. 6, 6, p. 175: de multis quae circa cubiculum dominae stdbulant procedunt quatuor candidae columbae et hilaris in- cessibus picta colla torquentes jugum gemmeum subeunt susceptaque domina laetae subvolant. Sil. Ital. 3, 677 lasst im Anschluss an Herodot und zugleich einigermassen im Widerspruch mit ihm, also vielleicht nach Pindar, der in seinem Paan an den dodonaischen Zeus derselben Stiftungssage erwahnt hatte, urspriinglich zwei Tauben aus dem Schoss der Thebe ausfliegen: die eine schwingt sich nach Chaonien und weissagt auf dem Wipfel der Eiche von Dodona; die andere, weiss mit weissen Fliigeln (jene erste war also schwarz oder grau) strebt iiber das Meer nach Afrika und grimdet als Vogel der Cy there das ammonische Orakel:

Nam cm dona Jovis non divulgata per orbem, In gremio Thebes geminas sedisse columbas? Quarum Chaonias pennis quae contigit oras, Implet fatidico Dodonida murmure quercum. At quae Carpathium super aequor vecta per auras In Libyen niveis tranavit concolor alls, Hanc sedem templo Cyihereia condidit ales.

Die favxal nsQtGteQai des Charon von Lampsakus waren also zahme Tauben, die beim Schiffbruch der persischen Flotte am Athos von den scheiternden Fahrzeugen sich ans Land gerettet haben mochten und den Einwohnern in die Hande fielen. Da die Perser nach He- rodot 1, 18 die assyrisch-babylonischen ksvxas neQiGTZQag auch Herodot nennt sie fovxat als der Sonne feindlich verabscheuten und in ihrem Lande nicht duldeten, so werden es phonizische, cyprische, cilicische Schiffer gewesen sein, die mit Idolen ihrer Gottin auch die Tauben derselben mit sich fiihrten. Ein halbes Jahrhundert spater ist unter den Athenern, die mit Thrakien in lebhaftem poli- tischen und Handelsverkehr standen, die Taube unter dem Namen 7ieQ(,0i£Qd, der vielleicht auch aus jener nordlichen Gegend stammt, ein verbreitetes Hausthier und wird, wie im Orient, zu schnellen

344 Die Taube.

Botschaften gebraucht, Pherecr. bei Ath. 9, p. 395 (Meinecke, fr. com. gr. II, 1, 266):

anoTts^iipov dyyehhovTa rov nsQidregov .

Der um dieselbe Zeit lebende Aeginet Taurosthenes sandte seinem Vater von Olympia aus durch eine Taube Botschaft von seinem Siege, die noch an dernselben Tage nach Aegina gelangte, Ael. V. H. 9, 2. Miiller, Aegin. p. 142 Anna. Dass von nun an die Tauben der Aphrodite untrennbar gehorten, dass sie in deren Heiligthiimern gehegt, ihr als Geschenk dargebracht wurden, in Wirklichkeit und in Marmor, dass Tauben unter Liebenden eine bedeutungsvolle Gabe bildeten, das Alles ist aus bildlichen Darstellungen und Erwahnungen der Dichter allbekannt.

Italien machte mit der Haustaube wohl durch Vermittelung des Tempels von Eryx in Sicilien zuerst Bekanntschaft. Auf diesem Berge, einem alien phonizischen und karthagischen Cultussitze, wohnten Schaaren weisser und farbiger, schmeichlerischer, girrender Tauben, der dort verehrten grossen Gottin geweiht und an deren Festeii theilnehmend. Zog die Gottin am Tage der *Awrfmfta fort nach Afrika, dann verschwanden mit ihr auch ihre Tauben; erschien nach neun Tagen die erste Taube wieder, dann war auch Hie Gottin nahe, und es brach das larmende Freudenfest der KaTaywyia an (Athen. 9. p. 394. Ael. N. A. 4, 2). In der traurigen Zwischenzeit der neun Tage mochten die Tauben wohl in ihren Kammern ver- schlossen gehalten werden. Vom Eryx stammen denn auch die 2ixeA,ixai TieQ&GisQaC , die in Theophrast Charakteren V. der Selbst- gefallige neben Affen sich anschafft. Den Vogel nannten die sici- lischen Griechen, als sie ihn zuerst erblickten, xo hv ft/log , xo^v^i (vergl. xoAv^/Sa'co), wie wir aus dem lateinischen columba, columbus schliessen. Schwarzlich namlich twar die die Uferklippen, Felsen- zinnen und Kronen hoher Baume hewohnende wilde Taube im Gegensatz zu den Wasser und Schwimmvogeln, welche letztere die weissen hiessen: z. B. ahd. alpiz, ags. alfet, altn. (Lift, si. lebedi, identisch mit lat. albus, gr. dtyog. Das griechische xo^v^og (ge- bildet wie xoQVf-ifiog und palumbus) hat sein Analogon im litauischen gulbe der Schwan, altir. gall idem (Cormac p. 84) und da es also den weissen Wasservogel bedeutet, so lag es nahe, auch den weissen Vogel der Aphrodite so zu benennen, die ja selbst eine pelagische Gottin ist und deshalb auch den Schwan liebte. In Italien wurde der schone Vogel erst allmahlig naher bekannt und seine Zucht zur allgemeinen Sitte. Wir brauchten sonst, sagt Varro, ohne Unter-

Die Taube. 345

schied columbae von den Mannchen und Weibchen, erst spater, da der Vogel in unseren Hausern gewohnlich ward, lernten wir den columbus von der columba unterscheiden , de 1. 1. 9, 38. Spengel: Nam et cum omnes mares et feminae dicer entur columbae, quod non erant in eo usu domestico quo nunc, contra propter domesticos usus quod internovimus, appellatur mas columbus, femina columba. Aus den scriptores rei rusticae, zuerst aus Varro, 3, 7, ersehen wir, dass auch eine Art der einheimischen Taube, das genus saxatile, also die Felsentaube, italienisch sassajuolo, in den Villen zu einer Art halber Zahmung gebracht war: diese Tauben bewohnten die hochsten TMrme und Zinnen des Landhauses, kamen und gingen und suchten im Uebrigen ihr Futter frei im Lande. Die andere Art, fiigt Varro hinzu, ist zahmer und lebt nur von dem innerhalb des Hauses gereichten Futter: sie ist hauptsachlich von weisser Far be, wahrend jene wilde Taube gemischten Gefieders, ganz ohne Weiss ist. Diese vollig domesticirte weisse Taube - offenbar die aus Babylonien stammende kypriotisch-syrische - - wurde dann auch mit der einheimischen grauen Art zusammengebracht und eine Mischung erzeugt, miscellum tertium genus, von der in den grossen Taubenhausern TtftQitireQewv oder TTSQiGcsgoTQocpeZov genannt, oft bis auf 5000 Stuck versammelt waren (Varro 1. 1.). Den Unterschied beider Arten, der xcnoixCdwt, oder Haustauben und der fiotfxddeg, aygiat, oder Feldtauben, kennt auch Galenus, der noch hinzusetzt, bei ihm zu Hause d. h. in der Gegend von Pergamum in Klein- asien erbaue man auf dem Lande Thiirme zum Anlocken und Unter- halten der letztgenannten (de compositione medicamentorum per genera, II. 10, T. XIII. p. 514 Kiihn). Diese Halbzucht der wilden Taube mochte nicht bloss in Kleinasien, sondern ini Orient uberhaupt und in Aegypten sehr alt sein. Wenn das mosaische Gesetz Vor- schriften liber Taubenopfer giebt, die Hebraer aber sonst wilde Thiere nicht opfern, so miissen in dem taubenreichen Kanaan solche Anstalten zur Anlockung der columba lima und auch der Turtel- taube friihzeitig bestanden haben. Auch in der Sage von Noah und seinem Kasten scheinen die Taube, welche wiederkehrt, und der Rabe, welcher ausbleibt, nicht bloss den Gegensatz der Farbe, son- dern auch den der Zahmheit und Wildheit ausdriicken zu sollen. Eben so in Aegypten. Zwar bei der Kronungsscene, die Wilkinson hat abbilden lassen (Second series, pi. 76), konnen die vier Tauben, die als Symbol weitreichender Herrschaft nach den vier Weltgegenden ausfliegen, der Natur der Sache nach nur wilde gewesen sein, die

346 Die Taube.

der Bande entledigt das Weite suchen, aber das von Brugsch (die agyptische Graberwelt, S. 14) beschriebene Wirthschaftsbild enthalt wirklich Tauben, die gefiittert werden. Man bemerke iibrigens, dass die beigefugten Inschriften sagen sollen: »die Gans wird gefiittert, « »die Ente erhalt zu fressen,« »die Taube holt sich Futter« welcher letztere Ausdruck auf die ebenso schiichterne, als gierige Feldtaube trefflich passt. Aber die Taube der Semiramis , die von Askalon und unsere Farben- und Racentaube - - verschieden von den soge- nannten Feldfliichtern kann in so alter Zeit in Aegypten nicht vorhanden gewesen sein, da sie dann auch in der asiatisch-europai- schen Kulturwelt nicht so spat erschienen ware.

Von Italien ging mit der Macht und Kultur des romischen Reiches die Haustaube iiber ganz Europa aus. Die keltischen ISTamen fur dieselbe (altirisch colum, walsch und altkornisch colom, bretonisch koulm, kloni) sind dem Lateinischen. entlehnt, eben so die slavischen (golabl u. s. w.). Dem Christenthum diente ihr Bild friihe zum Aus- druck der neuen Religion und der daniit verbundenen Seelenstimmung ; die Taube war ein reiner, frommer Vogel, einfaltig und ohne Falsch ; in ihrer Gestalt stieg der heilige Geist nieder; beim Tode des Glau- bigen schwang sich die Seele als Taube zum Himmel. Man sieht sie in den altesten christlichen Katakomben haufig abgebildet, und in den Heiligenlegenden des Mittelalters ist sie das sich tb are Zeicheii der Einwirkung des Geistes von oben. Als der Frankenkonig Chlod- wig sich in Rheims taufen Hess, da brachte eine Taube dem h. Remi- gius - - wie Hincmar im Leben des Heiligen erzahlt das Oel- flaschchen zur Salbung vom Himmel herab. Es war seit den Zeiten der Kirchenvater ein allgemeiner Glaube, dass die Taube keine Galle habe; daher z. B. bei Walther von der Vogelweide 19, 13 Lachm.:

ros dne dorn, ein tube sunder gallen.

Der Papst verschenkte, wie die Rose, so auch das Bild der Taube. Den europaischen Naturvolkern war die graue Taube, wie sie in der Wildniss lebt, ein diisterer vorbedeutender /Vogel, vielleicht auch ein Leichen- und Trauervogel gewesen (Grimm, DM.2 S. 1087 f. und daselbst die Stelle aus Paulus Diaconus 5, 34): ihr trat jetzt, wie dem Heidenthum das Christenthum, die anmuthige und zartliche, mit dem Menschen lebende und aus der Hand des Menschen ihre Speise nehmende, weisse, fremdlandische Taube gegeniiber. Im Westen war indess die Taube immer auch ein Hausvogel, dessen Mist und Federn verwandt wurden und der wie Gans, Ente und Huhn zum Essen diente; in den Gemeinden der anatolischen Kirche

Die Taube. 347

aber bildete sie in Ankniipfung an altorientaliscbe Vorstellungen einen Gegenstand religioser Verehrung und aberglaubischer Skrupel. In Moskau und den iibrigen Stadten des weiten Russlands werden uberall Schaaren von Tauben von den Kaufleuten unterhalten und genahrt, und einen der heiligen Vogel zu todten, zu rupfen und zu essen ware eine Art Schandung des Heiligen und wiirde dem Thater ubel bekommen ganz wie einst zur Zeit Xenophons und Philos in Hierapolis und Askalon. In dem halbgriechischen Venedig be- wohnen noch jetzt Schwarme von Tauben die Kuppeln der Markus- kircbe und das Dach des Dogenpalastes, treiben, von Niemandem gekrankt, auf dem Markusplatze ihr Wesen und erhalten zur be- stimmten Stunde auf offentliche Kosten ihr Futter gestreut. Die neueuropaische Taubenzucht theilt sich zwar noch in die beiden varronischen Zweige, aber die Arten und Varietaten der eigentlichen Haustaube, der sogenannten Racen- oder Farbentaube, haben sich 'in Folge der Zuchtung und des umfassenden Weltverkehrs ins Uniiber- sehbare vermehrt, wie jeder zoologische Garten und jede Tauben- ausstellung beweist. Im Orient werden noch jetzt, wie altere und neuere Reisende berichten, ungeheure Taubenhauser unterhalten, deren Hauptwerth in der Erzeugung des fur die Gartenkultur unschatzbaren Taubenmistes besteht: sie mogen noch dieselbe columba livia ent- halten und noch die Form und Grosse haben, wie die, deren Galenus an der o. a. Stelle erwahnt und die wir in Aegypten und Palastina voraussetzten. Auch bei Moscheen und Heiligthiimern , in Mekka und anderswo, unterhalten die Muhammedaner gern Tauben, die ihnen, wie den orientalischen Christen, fromme, dem Reiche Gottes angehorende Vogel sind: eine Taube war es gewesen, die dem Pro- pheten Alles ins Ohr fliisterte, was sie gesehen und erspaht hatte. Zu keiner Zeit aber, weder irn Westen noch im Osten, hat die Taube irn wirthschaftlichen Leben der Menschen die Bedeutung er- reicht wie das Haushuhn76).

* * Der Glaube, dass der Taube, der schwarzen, wilden Taube, die Gabe der Weissagung innewobnt, kehrt auch auf arischem Gebiet wieder. Schon im Rigveda kiindet der Vogel Verderben an und wird als Bote der Nirriti, des Genius des Verderbens, und des Yama, des Todtengottes bezeichnet (Rgv. X, 165). Die Veranlassung zu dieser wohl bereits indogermanischen Auf fassung der Taube mag theils in ihrem schwarz-grauen Gefieder, theils in ihrer klagenden, auch auf anderen Volkergebieten bemerkten Stirnme gelegen haben, wie es schon in sumerischen Busspsalmen (vgl. F. Hommel, Die Semiten S. 321) heisst: »Wie eine Taube klagt er« oder »\vie eine Taube klage

348 Die Taube.

ich und zergehe in Seufzen«. Dem Verbal tniss von grieeh. rceXsta Taube zu TcsXio? schwarzlich, womit sich lat. palumbus (alb. pshim, daneben palarg vgl. G. Meyer, Et. W. S. 331) wegen seiner abweichenden und auffallenden Wort- bildung (Anlehnung an col-umba?) nur schwer vereinigen lasst, entspricht ferner das von scrt. kapota, npers. kaputar Taube: npers. kabud blau (vgl. Anm. 76), osset. aysinak Taube: ostiran. a^saena blauschwarz (Hiibschmann, Osset. Spr. S. 26, Z. d. d. M. G. 38, 427), lit. karszulis Taube: scrt. krsna schwarz (Feist in Paul und Braunes B. XV, 548). Umgekehrt heisst die Taube die »weisse« auch in armen. a\auni: lat. albus, grieeh. &Xcp6c, osset. balon, balan: lit. bdlti weiss werden, grieeh. <paX6c (Bugge in Kuhns Z. 32, 1). Als Entlehnung aus lat. colutriba darf wohl auch ags. culufre, engl. culver gelten; das Verhaltniss von columba selbst einerseits zu slav. golqbi, andererseits zu lit. gulbH Schwan ist noch nicht geniigend aufgeklart. Wichtig dafur sind auch die Formen altpr. golimban blau, klruss. holub (Miklosich, Et. W.). Vgl. iiber alle diese Worter neuerdings Holthausen I. F. X, 112.

Die Annahme Hehns (oben S. 340), dass in der vorderasiatisch-griechi- schen Welt die Taube erst verhaltnissmassig spat Symbol der Astarte- Aphro- dite geworden sei, wird sich neueren Funden gegentiber schwer halten lassen. In dem dritten Grabe von Mykenae wurden zwei Goldbleche entdeckt, die das Bildniss weiblicher Gottheiten enthalten, auf deren Haupte eine Taube sitzt. In dem einen Fall fliegen ausserdem von jedem Arme eine Taube aus. Es kann nicht bezweifelt werden, dass wir in der Gottheit Astarte-Aphrodite zu erblicken haben. Fiinf andere Goldbleche aus dem III. und V. Grabe stellen ein von Tauben umgebenes Gebaude dar, das an den Aphroditetempel von Paphos erinnern soil (vgl, W. Helbig, Homerisches Epos 2. Aufl. S. 33, Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen S. 226). Auf einem elfenbeinernen Spiegelgriff (vgl. Tsountas and Manatt The Mycenaean age S. 187) sind zwei weibliche Gestalten dargestellt, von denen jede eine Taube mit ausgebreiteten Fltigeln und ausgestrecktem Halse auf dem Arme halt. - - Eine schone Bestatigung der Benutzung des Taubenmotivs in der bildenden Kunst, auf welche die Beschreibung des Bechers des Nestor (II. 11, 632 ff. : Sotai 8e TCsXsidSsc; ftfxcplc ixaatov ^pooeta: VEJJLS^OVTO) hinwies, ist durch den Fund eines mykenischen Goldbechers (Helbig, Homerisches Epos S. 371) ge- geben. Der diesen Kunstwerken zu Grunde liegende Gedanke, dass Tauben vertraulich sich dem Becher des Menschen nahen, scheint auch mehr auf ein gezahmtes, denn auf ein wildes Thier hinzuweisen. In Griechenland muss. worauf zahlreiche Miiiizen deuten, Sikyon eine Hauptstatte der Taubenzucht und des Aphroditekultus gewesen sein (Imhoof-Keller S. 33). In den semi- tischen Landern scheint schon in der vorsemitisch-sumerischen Kultur die Taube in einem gewissen Verhaltniss zum Menschen gestanden zu haben (»Die Krankheit des Hauptes fliege davon, wie eine Taube zu ihrem Schlage«, F. Hommel, Die Semiten S. 401, 402). Auch in dem keilinschriftlichen Sint- fluthbericht (E. Schrader, Die Keilinschriften und das alte Testament 2. Aufl. S. 63) erscheint Taube (* samdmu-summatu) und Rabe ganz wie in der Bibel. - Ueber die Taube bei Griechen und Romern vgl. jetzt auch Lorentz, Die Taube im Alterthum, Progr. Wurzen 1886, iiber die Geschichte des Vogels im allgemeinen E. Hahn Die Hausthiere S. 331 ff. und mein Reallexicon unter Taube.

Der Pfau. 349

An die beiden im Obigen behandelten, zu historischer Zeit aus Asien nach Griechenlaiid versetzten Hausvogel schliessen sich drei andere an, gleichfalls Fremdlinge auf deni naturarmen europaischen Boden, gleichfalls zur Griechenzeit herubergebracht, um das auf hoheren Stufen der Civilisation sich regende Bedurfniss nach Er- weiterung und Bereicherung der Anschauung zu befriedigen: der Pfau, das Perlhuhn, der Fasan.

Der Pfau.

Noch weniger als die Taube war der Pfau unmittelbar nutz- bar, aber noch mehr geeignet, durch die Pracht seines Gefieders, das er stolz auszubreiten verstand, der schauenden Menge zur Augen- weide zu dienen und den Glanz reicher Hauser und Hofe zu erhohen. Er gait fur den schonsten aller Vogel, Varr. 3, 6, 2: huic (pavoni) enim natura formae e volucribus dedit palmam; Colmnell. 8, 11, 1: harum autem decor avium etiam exteros, nedum dominos oblectat. Der Weg seiner Einfuhrung zu den Kulturvolkern des Alterthums lasst sich im Allgemeinen, wenigstens nach den Haupt-Haltepunkten, noch erkennen. Er stammte aus dem fernen Wunderlande Indien und gehorte, wie das blanke Gold, die blitzenden Edelsteine, das weisse Elfenbein und das schwarze Ebenholz zu dessen angestaunten und begehrten Herrlichkeiten. Alexander der Grosse fand dort die Pf auen in wildem Zustande in einem Walde voll unbekannter Baume, Curt. 9, 2: Hinc per deserta ventum est ad fiumen Hydraotim. junctum erat flumini nemus, opacum arboribus alibi inusitatis agrestiumque pavonum multitudine frequens, und bedrohte, von der Schonheit der Vogel betroffen, Jeden, der sie zum Opfer schlachten wollte, mit den schwersten Strafen, Aelian. N. A. 5, 21: xal TOV xdMovg tyavftaGag rJTrsttrjas tw xara$v(favu tawv aTrsihag paQVTCtTag. Dort also lebte der Vogel frei in den Waldern, und von dort gelangte er auf dem Wege. des phonizischen Seehandels in das Gebiet des Mittelmeers, wie nicht bloss ein bestimmtes, auf den Anfang des zehnten Jahrhunderts weisendes Zeugniss lehrt, sondern auch die Vergleichung der Namen bestatigt. Konig Salomos in den edomi- tischen Hafen ausgeriistete Schiffe brachten von der Fahrt nach und von Ophir neben andern Kostbarkeiten auch Pfauen mit (1. Konige 10, 22), die im hebraischen Text den Namen tukkijim fuhren. Dieses

350 De

Wort 1st, wie zuerst Benary, dann Benfey, Griech. Wurzelworterb. 2, 236 erkannt hat (dem dann Lassen, Indische Alterthumskunde 1, 538 folgte, ohne Neues hinzuzuf ugen ; Ritter, Erdkunde 14, 402 ff. beruht auf Lassen), nichts anderes, als das Sanscritwort gikM, welches idttamulisch togei lautet. An der Kiiste Malabar also lag Ophir, oder von dort kamen jene kostbaren Waaren nach Ophir, wenn letzteres nur ein vermittelnder Stapelplatz war, und neben bunten Papageien und lacherlichen Affen ward auch der Pfau nicht unwiirdig befunden, dem Hofe des weisen Konigs Unterhaltung und den Schein des Ausserordentlichen zu geben. Eine feme Seltenheit muss der Vogel indess noch lange geblieben sein ; er war theuer zu beschaffen, vielleicht noch nicht ganz gezahmt oder schwer im neuen Klima zu -erhalten und zu vermehren. Wir schliessen dies aus der Lang- samkeit seiner Verbreitung nach Westen und der Schwierigkeit, die seine 2^ucht und Hutung noch gegen Ende des fiinften Jahrhunderts in Athen machte. Dass die Griechen ihn aus dem semitischen Vor- derasien erhalten hatten, lehrt schon der Name, den er bei ihnen fiihrt: xawg (mit schwankender grammatischer Form; die Attiker sprachen in sonst ganz ungewohnlicher Weise, aber der urspriinglichen Gestalt des Wortes naher, die zweite Silbe mit Aspiration: rawg). Der erste Punkt auf griechischem Boden, wo Pfauen gehalten wurden, konnte das Heraum von Samos gewesen sein, da nach der Legende des genannten Tempels die Pfauen dort zuerst entstanden und von dort als dem Ausgangspunkt den andern Landern zugefiihrt sein sollten (Menodotus von Samos in der schon oben im Abschnitt vom Haushahn aus Athen. 14. p. 655 angefiihrten Stelle). Was den Pfau zum Liebling der Hera machte, war der Augenglanz seines Gefieders; denn die Augen sind Sterne, und Hera war auch die Himmelsgottin, nicht bloss im abgeleiteten samischen, sondern auch im urspriing- lichen argivischen Cultus. Hier floss der Bach Asterion, also der Sternenbach, dessen drei Tochter die Ammen der Hera gewesen waren; am Ufer dieses Flusses wuchs das Kraut Asterion, also das Sternenkraut, welches der Gottin dargebracht wurde (Pausan. 2, 17, 2). Der Pfau, der Sternenvogel, schloss sich so, nachdem er bekannt ge- worden, dem Herakultus ganz naturlich an. Ein sich von selbst er- gebender My thus war es denn auch, dass der allschauende Argus, der die Mondgottin lo zu bewachen hatte, nach seiner Todtung durch den Argeiphontes sich in den Pfau verwandelte (Schol. Aristoph. Av. 102) oder dass der Pfau aus dem purpurnen Blut des Getodteten mit blumenreichen Fittigen hervorging und seine Schwingen entfaltete,

Der Pfau. 351

wie das Seeschiff seine Ruder (Mosch. 2, 58) oder dass die Juno die hundert Augen des Wachters auf die Federn des Vogels setzte, Ovid. Met. 1, 722:

Excipit hos (oculos) volucrisque suae Saturnia pennis

Collocat et gemmis caudam stellantibus implet.

Der Pfau war also an der Kultusstatte selbst entstanden, nicht aus Indien gekommen, aber in »unvordenkliche Zeit,« wie Movers will, diirfen wir desshalb seine Aufnahme in den Heradienst nicht setzen. Dass bestehenden religiosen Gebrauchen eine anfangslose Dauer zu- geschrieben wird, liegt in der Natur solcher Institute und der an dieselben sich kmipfenden Sage. Als der spatere samische Tempel, den Herodot fur den grossten aller griechischen seiner Zeit erklart, vollendet war, da schenkte vielleicht ein reicher Verehrer, ein Kauf- mann, der nach Syrien und bis ins rothe Meer handelte, oder ein in einem syrischen oder agyptischen Hafenplatz angesiedelter frommer Samier dem Tempel das erste Paar; ging dieses etwa zu Grunde, dann bemiihte sich die Priesterschaft um ein neues, das endlich be- schaft't wurde und gliicklich ausdauerte und sich f ortpflanzte ; das Naturwunder zog dann irnmer neue Wallfahrer an und trug dazu bei, das Ansehen des Tempels und dessen Einkunfte zu mehren; und so stolz war die Insel zuletzt auf diesen Besitz, dass sie den Pfau auf ihre Mimzen setzte (Athen. a. a. 0.; Mionnet unter den Miinzen von Samos). Zu Polykrates' Zeit wird der Vogel indess auf Sarnos noch nicht vorhanden gewesen sein : batten die Dichter Ibykus und Anakreon, die am Hofe des Tyrannen lebten, den Pfau mit Augen gesehen, so hatten sie desselben in ihren Gedichten doch \vohl er- wahnt und Spatere, wie Athenaus, nicht unterlassen, diese Stellen zu citiren und fur uns aufzubewahren77). Auch nach Athen wiirde dann der Ruf des Vogels und der Vogel selbst wohl friiher gedrungen sein. In Athen namlich finden wir ihn erst nach Mitte des funften Jahrhunderts und zwar als hochste Merkwiirdigkeit und Gegenstand ausserster Bewunderung. Vielleicht gab der Abfall der Samier von der athenischen Hegemonie in Ol. 84, 4 oder 440 a. Chr. und der Feldzug, den Perikles zur Ziichtigung der Insel unternahm und mit TJnterwerfung derselben beschloss, den Siegern Gelegenheit, auch Pfauen vom Heraon nach Athen zu entfiihren, obgleich Thucydides 1, 117 nur von Auslieferung der Schiffe und Bezahlung der Kriegs- kosten spricht. Wie das neugierige, schaulustige athenische Volk durch die Erscheinung des glanzenden Vogels aufgeregt wurde, und wie sich die Begierde, ihn zu sehen und zu besitzeii, durch den

352 P

hohen Preis und die Schwierigkeit der Zucht und Vermehrung nur steigerte, dies Bild malen uns in einzelnen treffenden Ziigen die bei Athenaus 14. p. 654. 655 aufbewahrten Stellen der Komiker und die Inhaltsangaben eines Xoyog des Redners Antiphon uber die Pfauen (ibid, und bei Aelian. N. A. 5, 21). Aus der letzteren Schrift ersehen wir z. B., dass es in Athen einen reichen Vogelziichter gab, Namens Demos, Sohn des Pyrilampes, reich, denn er stellte eine nach Cypern bestimmte Triere und besass vom Grosskonig eine goldene Trinkschale als (fu/tifjohov, vielleicht weil er dem Monarchen einen Pfauen iiber- reicht hatte (Lysias de bonis Aristophanis 19, 25 ff.)? Dieser Demos wurde seiner Pfauen wegen von Neugierigen uberlaufen, selbst aus fern en Landschaften, wie Lacedamon und Thessalien. Jeder woilte die Vogel schauen und bewundern und womoglich Eier von ihnen sich verschaffen. Jeden Monat einmal, am Tage des Neumondes, wurden Alle zugelassen, an den anderen Ta'gen Niemand. »Und das, setzt Antiphon hinzu, geht nun schon mehr als dreissig Jahr so fort« 78). In der That war auch schon der Vater, Pyrilampes, Be- sitzer einer oQvidvTQoyta und sollte seinem Freunde, dem grossen Perikles, bei dessen Liebeshandeln Vorschub geleistet haben, indem er den Weibern, die Perikles zu gewinnen wiinschte, unbemerkt Pfauen zuwandte (Plut. Pericl. 13, 13). Die Vogel in der Stadt zu verbreiten, fahrt Antiphon fort, geht nicht an, weil sie dem Besitzer davon- fliegen; woilte sie Jemand stutzen, so wurde er ihnen alle Schonheit nehmen, denn diese besteht in den Federn, nicht in dem Korper. Daher sie lange eine Seltenheit blieben und ein Paar 10,000 Drachmen (<J(?ajflMcov (WQ&ov9 nach anderer Lesart gjuUoy) kostete. »Ist es nicht Wahnsinn, hiess es bei Anaxandrides, einem Dichter der mittleren Komodie, Pfauen im Hause zu ziehen und Summen dafiir aufzu- wenden, die zum Ankauf von Kunstwerken ausreichen wurden Und in einer Komodie des Eupolis kamen die Worte vor: »So viel Geld zu verthun! Hatte ich Hasenmilch und Pfauen, wahrhaftig ich wurde das nicht verzehren!« Die Komiker unterliessen nicht, den Werth, der auf den Besitz von Pfauen gelegt wurde, aus deren Selten- heit zu erklaren (Eubulus bei Athen. 9. p. 397), denn an sich sind Pfauen und nichtige Possen an Gehalt einander gleich, wie eine Stelle des Strattis sagte. Im Laufe des vierten Jahrhunderts mussten die Pfauen von Athen aus, der, wenn auch nicht mehr politisch, doch im Punkte der Sitten und des Geschmackes noch immer hegemo- nischen Stadt, sich mehr und mehr unter den Griechen verbreiten. »Sonst sagt der Komiker Antiphanes ohne Zweifel iibertreibend -

Der Pfau. 353

war es etwas Grosses, auch nur ein Paar Pfauen zu besitzen, jetzt sind sie haufiger als die Wachteln!« Nach Alexander dem Grossen drang mit der griechischen Herrschaft und Colonisation auch der Pfau in die Stadte und Garten des inneren Asiens. Zwar wird auch Babylonien reich an schonfarbigen Pfauen genannt (Diod. 2, 53) und dass ein Naturobjekt, welches schon Konig Salamo aus der Feme bezog, auch in dem verwandten, durch Krieg und Handel mit den semitischen Kustenlandern am Mittelmeer vielfach verbundenen Ba- bylon bekannt und dann haufig geworden, hatte an sich nichts Un- wahrscheinliches ; aber der Umstand, dass die asiatischen Pfauennamen alle dem Griechischen entlehnt sind (Pott in Lassens Zeitschr. 4, S. 28, Paul de Lagarde, Gesammelte Abhandlungen, 227. 35 ff.), spricht dafiir, dass erst die griechische Herrschaft durch Riickwanderung, die auch sonst noch beobachtet werden kann den Vogel in dem weiten Continent popular machte. Dass Suidas furjdtxbg OQVtg mit Pfau glossirt und Clemens von Alexandrien den Pfauen an zwei Stellen das Pradikat Mydog, [trjdixog giebt, will eben so wenig sagen, als wenn wir den aus Amerika stammenden Mais Tiirkischen Weizen oder den gleichfalls ameri- kanischen Truthahn Kalkutischen Hahn (d. h. Hahn von Calicut) nennen. Die Griechen hatten den Pfau tawos, tawon, tahos genannt: die Romer nannten ihn abweichend pdvus oder pdvo, pdvonis. Dieses Eintreten eines p statt des t erinnert an das gleiche bei tadmor - palma, welches wir durch eine vorausgesetzte Differenz semitischer Mundarten zu erklaren suchten. Ware auch hier der Vogel aus phonizisch-karthagischen Handen direkt den italisch redenden Stammen iiberliefert worden? Die Notiz bei Eustathius (II. 22, p. 1257. 30): »der Pfau war bei den Bewohnern Libyens heilig und wer ihn scha- digte, wurde bestraft« ist zu vereinzelt und bei einem so spaten Schriftsteller ohne Gewfcht; von Pfauen in Afrika weiss die Natur- geschichte nichts und eben so wenig die Religionsgeschichte von solchen beim Tempel des Ammon oder der karthagischen Juno. Adler und Pfau auf den Miinzen von Leptis magna, auf die sich Movers beruft, sind nichts als Apotheosen des Augustus und der Li via oder Julia, die demgemass als Jupiter und als Juno erscheinen sollten (Miiller, Numismat. de 1'anc. Afrique II. p. 13). Die Moglichkeit indess, dass, wie ebur, barrus, palma, so auch dies Produkt der Ophirfahrten aus Karthago, Sardinien, Sicilien unmittelbar an die italische Kuste ge- langt sei, lasst sich nicht verneinen. Pf auenf edern , aus ihnen zu- sammengebundene Biischel und Wedel, mit ihnen besetzte Hiite, sind wie Glas- und Bernsteinperlen ein bei Kindervolkern beliebter Ab-

Vict. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 23

354 Der Pfau.

satzartikel, fiir den sie ihre Schafe und Felle gern hingeben. Wenn Ennius fingirte, Homer sei ihm im Traume erschienen und habe ihm eroffnet, er (Homer) erinnere sich in einen Pfau verwandelt gewesen zu sein (Vahlen, Enn. poes. reliquiae p. 6. Charis. ed. Keil. 96: me- mini me fieri pavum\ so war dies ohne Zweifel eine pythagoreische Vorstellung, die sich der Dichter in Tarent angeeignet hatte: als Symbol des sternetragenden Firniamentes und der Erd- und Himmels- gb'ttin war gerade der Pfau wiirdig befunden worden, Homers Seele aufzunehmen, der ja auch fiir einen Samier gait, wie der Meister Pythagoras einer war. Auch als romisches Cognomen tritt Pavus, Pavo, wie andere Vogelnamen, schon zur Zeit der Republik auf und die Sache kann daher in Italien nicht neu gewesen sein: so der Fircellius Pavo bei Varro de r. r. 3, 2, 2, der auch, wenn Reatinus nicht dabei stiinde, durch Fircellius (fircus = hircus) sich als Sabiner verrathen wiirde, und P. Pavus Tuditanus in der 14. Sat. des Lucilius (ed. L. Muller. p. 64):

Publiu Pavo' Tuditanus mihi quaestor Hibera In terra fuit, lucifugus, nebulo, id genu sane.

Bei den spateren Romern musste ein Thier, das schon in Athen der

Ueppigkeit gedient hatte, in um so hoherem Masse in Aufnahme

kommen, als der romische Luxus und Reichthum den attischen hinter

sich liess. Zuerst sollte der Redner Hortensius, der Zeitgenosse des

Cicero, der auch in andern Dingen den Reihen romischer Aus-

schweifung eroffnet, den Pfau gebraten auf die Tafel gebracht haben

und zwar bei dem prachtigen Antrittsmahl, das er bei seiner Er-

nennung zum Augur gab (Varr. de r. r. 3, 6, 6). Obgleich das Pfauen-

fleisch, wenigstens das der alteren Thiere, ziemlich ungeniessbar ist,

so fand das gegebene Beispiel doch bald allgemeine Nachfolge.

Schon Cicero schreibt in einem Briefe : Ich habe mir eine Kiihnheit

erlaubt und sogar dem Hirtius ein Diner gegeben doch ohne

Pfauenbraten (Ad famil. 9, 20, 3: sed vide audaciam: etiam Hirtio

cenam dedi, sine pavone tameri), und Horaz wirft seinen Zeitgenossen

vor: wird ein Pfau aufgetragen und daneben ein Huhn, da greift

Alles nach dem Pfau - - und warum das? weil der seltene Vogel

Goldes werth ist und ein prachtiges Gefieder ausbreitet, als wenn

dadurch dem Geschmack geholfen werde, Sat. 2, 2, 23:

Vix tamen eripiam, posito pavone, veils quin

Hoc potius quam gallina tergere palaium,

Corruptus vanis rerum, quia veneat auro

Kara avis et picta pandat spedacula cauda,

Tamquam ad rem adtineat quidquam ,

Der Pfau. 355

welchem horazischen quid als eigentliches Motiv das stolze Bewusst- sein im Besitz grenzenloser Mittel zu sein und Sonne, Mond und Sterne in die Luft verpuffen zu konnen, und der daraus hervor- gehende Selbstgenuss zu Grande lag. Auch zu Fliegenwedeln dienten. an reichen Tafeln Pfauenschweife, wie goldenes Geschirr und Becher mit geschnittenen Steinen, Mart. 14, 67. Muscarium pa- voniurn :

Lambere quae turpes prohibet tua prandia muscas,

Alitis eximiae cauda superba fuit.

Da so der Pfau in allgemeinem Begehr stand, so wurde die Zucht dieses Vogels in ganzen Heerden Gegenstand landwirthschaftlicher Industrie, die Anfangs nicht ohne Schwierigkeit war. Die kleinen Eilande um Italien herum wurden zu Pfaueninseln eingerichtet, wohl nach griechischem Vorgange; so hatte schon zu Varros Zeit (3, 6, 2) M. Piso die Insel Planasia, jeizt Pianosa, mit seinen Pfauen besetzt. Die Vortheile solcher seeumgebenen Pfauengarten setzt Columella 8, 11 auseinander: der Pfau, der weder hoch noch langere Zeit zu fliegen vermag, kann iiber die Insel nicht hinaus, lebt aber auf dieser in volliger Freiheit und sucht sich den grossten Theil seines Futters selbst; die Pfauenhennen erziehen in der Freiheit ihre Jungen mit naturgemasser Sorgfalt; kein Wachter ist erforderlich, kein Dieb und kein schadliches Thier ist zu fiirchten; der Aufseher hat nur nothig, zur bestimmten Stunde die Heerde um das Wirth- schaftsgebaude zu versammeln, den herb eieilen den Thieren etwas Futter zu streuen und sie dabei zu iiberzahlen. Da solcher Inseln aber doch nur eine beschrankte Zahl war, so wurden denn auch auf dem Festlande Pfauenparks mit grossen Kosten angelegt. Die ganze Einrichtung, die dabei zu beobachtende Vorsicht und die mannig- fachen Operationen einer solchen Ziichtung beschreiben uns die Alten gleichfalls ausfiihrlich. Zu Athenaus' Zeit (gegen Ende des zweiten Jahrhunderts nach Chr.) war Rom so voll Pfauen, dass diese nach des Komikers Antiphanes prophetischem Ausspruch wirklich gemeiner waren, als die Wachteln, wahrend gleichzeitig der indische Handel iiber das rothe Meer und wohl auch zu Lande iiber Neu-Persien immer neue Exemplare aus dem Vaterlande des Thieres selbst Heferte. In dem Gesprach des Lucian Navigium seu vota 23. wiinscht sich der eine der Redenden, Adimantus, wenn er plotzlich reich wurde, fiir seine Tafel ausser andern Leckerbissen aus fernen Landern auch einen xawg $• 3Ivd£ag, der also damals aus jener Gegend noch bezogen wurde.

23*

356 Der Pfau.

In sammtlichen europaischen Sprachen beginnt der Name des Pfauen mit dem lateinischen p, nicht dem griechischen t, zum deut- lichen Beweise, dass der Vogel von der Apenninenhalbinsel, nicht aus Griechenland oder dem Orient in das barbarische Europa gekommen ist. Wie die Taube, nahm das Christenthum auch den Pfau in seine Symbolik auf, theils als Bild der Auf erstehung , weil nach der marchenhaften Naturgeschichte der Zeit das Pfauenfleisch unverweslich sein sollte (August, de Civ. Dei 21, 4: quis enim nisi Deus creator omnium dedit carni pavonis mortui ne putresceret? der Kircbenvater will lacherlicher Weise bei einem von ibm selbst angestellten Versuche die Sacbe bestatigt gefunden haben), theils zum Ausdruck himm- lischer Herrlichkeit, wegen der Pracht seines Aeussern. In letzterer Beziehung erinnern wir nur an die Pfauenfedern in den Fliigeln der Engel auf Hans Memlings beruhmtem Bilde des jiingsten Gerichts in Danzig. Das Misstrauen gegen alle sinnliche Schonheit, das der christlichen negativen Weltansicht eigen war, scharfte den Blick dann auch wieder fur die Unvollkommenheiten des schmuckreichen Geschopfes, z. B. in Freidanks Bescheidenheit , 43, S. 142. Grimm:

der phdwe diebes sliche hat, tiuwels stimme, und engels wai.

urid gern wies man im Sinne christlicher Moral auf seine nackten hasslichen Fiisse hin, als eine beschamende Mahnung zur Demuth. Auf den schleichenden Diebsgang ging wohl auch der Name Petitpas, den der Pfau im franzosischen Renart fiihrt. Im Uebrigen sagte die Pfauenfeder dem barbarischen Geschmacke ganz so zu, wie einge- setzte Edelsteine und wie iiberhaupt alles Schimmernde und Hervor- stechende. Pfauenfedern prangten auf dem Haupte des Ritters, wie in Gestalt von Kranzen um den Hals des Frauleins, Petr. Crescentius im Kapitel de pavonibus: pennae puellis pro sertis et aliis orna- mentis aptae, und wenn z. B. im Parcival die prachtige Kleidung des kranken Konigs Amfortas (225, Lachmann) oder die majestatische Tracht der furchtbaren Kundrie la Sorciere (313) oder die des Konigs Gramoflanz (605) beschrieben wird, da fehlt nirgends unter andern kostbaren Gewandstiicken der pfaewin oder phawin huot. Dass solche Pfauenhiite aus England kamen , lehren die obengenannten und noch andere Dichterstellen , und dort mussen auch die das Material dazu liefernden Thiere geziichtet worden sein. Schon Karl der Grosse hatte befohlen, auf seinen Gutern ausser andern Vogeln auch Pfauen und Fasanen zu halten (Capitulare de villis 40), und diese Sitte pflanzte sich wohl auf den Schlossern des normannischen

Der Pfau. 357

A dels in England fort. Auch der Gebrauch, bei Prunkmahlzeiten einen gebratenen Pfauen im ganzen Schmuck seines Gefieders auf den Tisch zu bringen, war seit dem Alterthum nicht verloren ge- gangen und erhielt sich bis ins 16. Jahrhundert hinein. Gewohnlich trug ihn die Dame selbst unter Trompetenschall auf goldener oder silbener Schiissel feierlich auf und der Herr zerlegte ihn, wie im Lanzelot Konig Artus dies seinen an der Tafel versammelten Bittern thut. Ueber die auf den gebratenen Pfau von franzosischen Rittern abgelegten halb wahnsinnigen Geliibde, die sogenannten voeux du pan, in denen es immer Einer dem Andern zuvorzuthun suchte, s. Legrand d'Aussy, Histoire de la vie privee des Franyais, Paris 1782, p. 299 ff. und Grimm RA. S. 901, der die Sitte von den altnordischen Ge- liibden auf den Eber ableitet. Gegen die Zeit der Renaissance be- gann dieser Pfauen-Enthusiasmus zu erkalten, und der Vogel trat allmahlig in die bescheidenere Stellung zuriick, die er heutiges Tages einnimmt. Er verschwand von der Tafel, mit manchem anderen in- haltslosen Prunk, an dem sich der rohere Sinn ergotzte, und wenn der Wilde sich mit vorgefundenen Naturgegenstanden, wie Vogelfedern und Glimmerblattchen , unmittelbar behangt, so verschmaht der ge- bildete Geschmack alien nicht von der mildernden und ausgleichenden Hand der Kunst umgewandelten und dem Reich des Elementaren enthobenen Schmuck. In Parks mag auch jetzt noch wohl unter anderem Gethier ein Pfau stolziren, obgleich seine hassliche Stimme und der Schade, den er anrichtet, nicht im Verhaltniss zu dem Ver- gniigen steht, das sein Anblick gewahrt : die Pfauenfedern aber sind immer weiter nach Osten, zu Orientalen, Tataren, russischen Kutschern, Chinesen, die sie zur Auszeichnung der hochsten Rang- stufen benutzen, u. s. w. , gedrangt worden uud stehen nur noch einem blau und roth tatowirten Hauptling gut, wenn er sie als glanzenden Schurz um die Weichen giirtet.

* * Ungeloste Schwierigkeiten bereitet noch immer das lat. pdvus, pavo gegeniiber taox; und den orientalischen Wortern; denn es ist uns weder ein semitischer noch italischer Dialekt bekannt, in dem eine Vertauschung eines anlautenden t mit p stattfinden konnte, und die Berufung auf das selbst anders zu erklarende palma (s. oben S. 280 f.) fiihrt nicht weiter. O. Keller, Lat. Volksetym. S. 51 denkt an volksetymologische Anlehnung an paupulare, welches das Schreien des Pfauen bezeichnen soll(?). Das friiher mit lat. pavo verglichene armen. hav Vogel, Huhn (armen. siramarg Pfau) wird jetzt von Hiibschmann, Armen. Gr. 1, 237 davon getrennt und zu lat. avis Vogel gestellt.

358 Das Perlhuhn.

An den Pfau, der liuvels stimtne hat, erinnert es, dass das in den Orient zuruckwandernde TGCUK; im kurdischen teous (Jaba-Justi S. 274) den Teufel bezeichnet, wie denn von der Sekte der Jezidi oder Teufelsanbeter der Bose als MeleJc Taus Konig Pfaubahn verehrt wird (vgl. Layard, Ninive and its remains, deutsche Ausg. 8. 158).

Das Perlhuhn.

Das Perlhuhn, Numida meleagris L., wird fur unsere Kennt- niss zuerst von Sophokles erwahnt, der in seiner Tragodie Melea- gros gesagt hatte, das Electron fliesse jenseit Indien aus den Thranen der den Tod des Meleager beweinenden Vogel dieses Namens, Plin. 37, 38: Hie (Sophocles) ultra Indiam fluere dixit (electrum) e lacrimis meleagridum avium Meleagrum deflentium. Dass die Schwestern des Meleager bei dem Tode ihrer Mutter und ihres Bruders und dem Untergang ihres Hauses in Vogel verwandelt worden, mochte eine sehr alte Sage sein, da der Mythus in seiner Sprache das uner- tragliche Leid der Unglucklichen durch eine Verwandlung in Vogel auszudriicken pflegt (s. Feuerbach in den annali dell' institute T. 15. 1843 iiber die Meleagerstatue des Berliner Museums): merkwiirdig aber 1st: dass schon zu Sophokles' Zeit diese Vogel nicht als irgend ein einheimisches, sondern als ein femes, fabelhaftes Geschlecht bestimmt waren und das Elektron in einem iiber Indien hinaus liegenden Phantasielande erzeugen sollten. Nimmt man die andere Sage hinzu, dass die Meieagriden auf den elektrischen Inseln am Ausfluss des Eridanus den Aeschylus zu den Iberern, dem aussersten Westvolke, verlegte - - leben sollten (Strab. 5, 1, 9), eben da, wo Phaeton, herabgestiirzt war und von den Pappeln, in die seine Schwestern, die Heliaden, verwandelt waren, das kostbare goldgelbe Harz niedertraufelt, - - so bestatigt sich die Vermuthung, dass der Haushahn, akexraiQ, nach der Sonne und dem Sonnenstein, dem Bernstein, diesen Namen erhalten hatte: die Perlhuhner, als die nachsten Verwandten des Haushuhns, waren gleichfalls Sonnenkinder und wurden tief im Morgenlande, wo die Sonne sich vom Lager er- hebt, und tief im Westen, wo sie untertaucht, oder vielrnehr an dem Punkte gedacht, wo Osten und Westen jenseits Indien zusammen- stossen. Schon geographisch genauer, obgleich immer noch halb mythisch, berichtete Mnaseas (bei Plin. 37, 38), es sei in Afrika eine Gegend Sicyon, wo ein See durch den Fluss Crathis in den atlan-

Das Perlhuhn. 359

tischen Ocean abfliesse: dort lebten die Vogel, die meleagrides und penelopae (eine bunte, gleichfalls fremdlandische Entenart) genannt wurden, und dort entstehe auch das Elektron. Ganz dieselbe Gegend, doch mit andern Ortsnamen und mit Weglassung der fabelhaften Erzeugung des Bernsteins, wird dann in dem Periplus des Scylax von Caryanda 112 als einziger Ort bezeichnet, wo sich ptfcoyc&BS fanden: wenn man zu den Saulen des Hercules hinausschifft und Afrika immer zur Linken behalt, so offnet sich bis zum Cap des Hermes ein weiter Golf mit Namen Kotes (Kwrifi); in der Mitte dieses Golfes liegt die Stadt Pontion (Hovuwv) und ein grosser rohrumgebener See, Kephesias (K^v^fcdg) genannt; dort leben die Vogel p*fo(K¥Qifo$ und sonst nirgends, ausser wohin sie von dort hiniibergebracht sind. In der That ist das nordwestliche Afrika, die Gegend von Sierra Leone, des griinen Vorgebirges u. s. w. reich an Perlhiihnern, aber sie fehlen auch im Osten des Welttheils nicht. Nach Strabo 16, 4, 5 und Diodor 3, 29 war eine Insel des rothen Meeres von Perlhiihnern bewohnt; Kapitan Speke fand auf seiner von Zanzibar aus zur Entdeckung der Nilquellen unternommenen Reise, dass »das Perlhuhn der haufigste aller jagdbaren Vogel « war (S. 13 der deutschen Uebersetzung), ja selbst von Arabien sagt Niebuhr: »Perlhiihner sind daselbst zwar wild, aber in Tehama an der bergichten Gegend so haufig, dass die Knaben sie mit Steinen werfen nnd nach der Stadt zum Verkaufe bringen« (Beschreibung von Arabien, Kopen- hagen 1772, S. 168). Ueber den Weg, auf dem diese Vogel, sei es vom Westen oder vom Osten Afrikas, zuerst nach Griechenland gelangt und warum sie gerade nach Meleager benannt worden, ist uns nichts Bestimmtes aufbewahrt. Vielleicht dachten sich diejenigen unter den Griechen, die diesen schonen, dem Haushahn verwandten, mit Perlen oder Thranen uber und uber besaten Vogel zuerst mit Augen erblickten, auch den bliihenden, starken, dem Mutterfluch er- legenen Jiingling als den scheidenden Sonnengott, der vom Winter getodtet worden, und daher seine Schwestern alle in Sonnenvogel verwandelt. Wenn Menodotus von Samos in der schon oben zwei- mal von uns angezogenen Notiz Aetolien als Ausgangspunkt der Meleagriden angiebt, so enthalt dies Zeugniss nichts als einen Schluss aus dem Namen und ist daher historisch werthlos. Nach dem Schiller des Aristoteles, Clytus von Milet, aus dessen Geschichte von Milet Athenaus 14, p. 655 die betreffende Stelle des ersten Buches wortlich anfiihrt, wurden auf der kleinen, von den Milesiern kolonisirten Insel Leros um den Tempel der Parthenos d. h. der Artemis, die bei

360 Das Perlhuhn.

den Leriern den Namen lokallis gefiihrt zu haben scheint, [jiefoayQtdeg gehalten, d. h., wie aus der nachfolgenden ausfiihrlichen Beschreibung hervorgeht, afrikanische Perlhiihner. Wie sie dahiii gekommen und warum sie der jungfraulichen Gottin geweiht waren, wird nicht gesagt. Da die Perlhiihner noch tapferer und streitsiich- tiger sind, als der indische Haushahn, so schaute die mythische Phantasie in diesen Vogeln wohl die kriegerischen Amazonen, die Hierodulen der sproden Artemis: sie waren die Genossinnen der lokallis gewesen, avvrj&sig 3 'loxahhtdog Trjg Iv A£Q($ llaQ&evov, rjr T&fiwtit, daifuovfag (Suid. und Phot. v. MelsayqCdsg). Die Lerier wissen wohl, sagt Ael. N. A. 4, 42, warum derjenige, der die Gottheit, besonders aber die Artemis verehrt, sich des Fleisches dieser Vogel enthalt. Kein Raubvogel, behauptete die dortige fromme Sage, wagte es mit gebogenen Krallen die lerischen heiligen Hiihner anzugreifen (Ister bei Ael. N. A. 5, 27). Die lokallis mochte wohl einerlei sein mit der arkadischen Nymphe Kallisto, der Tochter der "AQre^g Kahkfatt], die zusammen mit lo auch auf der Burg von Athen stand (Pausan. 1, 25, 1); vielleicht erklart sich dadurch die sonst un- erhorte Nachricht des Suidas von Perlhuhnern auf der Akropolis: MsfoayQldeg. oQvea aneQ evepovio ev Trj ' AxQOTtokei. Italien, welches dem westafrikanischen Ausgangspunkte derselben schon naher lag, mochte sie wohl ohne Vermittelung der Griechen durch die Schiff- fahrt des Westens, vielleicht erst zur Zeit der punischen Kriege erhalten haben, darauf deuten wenigstens die lateinischen Namen: Numidicae, Africae aves, gattinae Africanae bei Varro, Afra avis bei Horaz und Juvenal, Libycae volucres und Numidicae guttatae bei Martial u. s. w. Als man die damit bezeichneten Hiihner mit den griechischen [tefoayQCdsg vergleichen konnte, musste die Identitat in die Augen springen, Varr. 3, 9, 18: gallinae Africanae sunt grandes, variae, gibberae, quas (jLeteayQidag appellant Graeci. Hae novissimae in triclinium ganearium introierunt e culina, propter fastidium hominum. Veneunt propter penuriam magno. Die Perl- hiihner waren also zu Varros Zeit immer noch selten, folglich theuer in Italien; sie kamen schon auf die Speisetische, weil die Romer Alles in den Mund stecken mussten und, je neuer und kostbarer ein Gericht war, um so gieriger darnach trachteten; von einer religiosen Scheu oder Einfuhrung in eine Phantasiewelt zeigt sich keine Spur. Mit dem Untergang des romischen Reiches verschwand auch dieser Ziervogel aus dem Bereiche europaischen Lebens denn das Mittel- alter kannte ihn, so viel wir wissen, nicht , um nach tausend

Der Fasan. 361

Jahren mit der Wiedergeburt der antiken Kultur und den Ent- deckungen der Portugiesen langs der Kiiste Afrikas sich den Euro- paern wieder zu zeigen. Er ward von den nachsten Nachbarn Nu- midiens, den Portugiesen und Spaniern, auch nach Amerika hinuber- gebracht und fand dort am entgegengesetzten Ufer des atlantischen Oceans eine ihm so zusagende Natur, dass er in den Waldern Mittel- amerikas jetzt in grossen Schaaren formlich verwildert sein soil.

Der Fasan.

Dass der Fasan oder Vogel* vom mythusberiihmten Flusse Phasis in dem nach Morgen gelegenen Zauberlande Kolchis, zu dem einst in der uralten Wunderzeit die gottergleichen Heroen auf der schnellen Argo geschifft, in demselben Jahrhundert bei den Griechen erschienen ist, wie der ahsxiwQ und die fie&eayQig , gent nicht ohne Wahrscheinlichkeit aus diesem seinem Namen hervor. Er ist ihm von Menschen gegeben, die noch die Welt nicht anders fassten, als in mythischer Verwandlung, und die dennoch mit dem Mythus schon spielten. In den Waldern Hyrkam'ens, sudlich vom kaspischen Meer,. mag der Vogel ursprunglich zu Hause sein und von dort den griechischen Ansiedlern am schwarzen Meer und weiter den europaischen Griechen bekannt geworden sein. In der Literatur finden wir ihn vor Aristophanes nicht. Denn dass Solon dem Krosus, als dieser sich ihm einst in seiner ganzen koniglichen Herrlichkeit zeigte, zur Beschamung gesagt habe, Hahne, Fasanen und Pfauen -seien weit schoner, weil von der Natur selbst geschmiickt (Diog. Laert. Sol. 51) dies im Sinne der spateren Zeit erdachte moralische Geschichtchen wird Niemand historisch nehraen wollen, wie wir auch beim Hahn und beim Pfauen davon keinen Gebrauch gemacht haben. Die Verse des Aristophanes aber, Nub. 108 :

ovx av /Lid TOV Jwvvffov, si dotqg ye pot, Tovg cpatfiavovg ovg TQecpei, Aswfogag

constatiren zur Zeit des Dichters den Fasanen als kostbaren Luxus- vogel in Athen. Zwar wollten hier einige Grammatiker nicht Vogel, sondern Pferde vom Phasis verstanden wissen, allein diese Erklarung scheint nur eine zum Besten der Theorie, nach welcher die attische Sprache nicht (paocavog, sondern (pacuav&xog gesagt haben sollte , er- dachte Auskunft. An einer anderen Stelle desselben Komikers,

362 ^er Fasan.

Av. 68, kommt allerdings <Pafftavix6g als Beiwort zu einem erfundenen lacherlichen Vogelnamen vor: nachdem Euelpides sich fiir einen libyschen Vogel, Hypodedios, ausgegeben, fiigt Peithetairos hinzu, er sei ein phasianischer Epikechodos:

3 'Emxexodwg sywys (DaMavixog

mit offenbarer Hindeutung auf den also den Zuschauern schon wohl- bekannten kolchischen Vogel. Aristoteles in seiner Thiergeschichte spricht von dem Fasan bin und wieder in einer Weise, die schliessen lasst, dass der Vogel ihm und seinen Lesern keine ungewohnliche Erscheinung war. Einige weitere historiscb-geographische Auf klarung giebt uns dann eine Stelle aus den Scbriften des agyptischen Konigs Ptolemaus Euergetes II oder Physkon, die uns bei Athenaus 14. p. 654 aufbewabrt ist. In seinen Denkwiirdigkeiten iiber den Palast von Alexandrien namlich sagte dieser Konig da, wo er auf die dort ge- haltenen Thiere zu reden kam, von den Fasanen: »diese Vogel, die man rsTagot, nennt, wurden nicht bloss aus Medien eingefiihrt, son- dern auch durch Ziichtung so vermebrt, dass sie auch zur Speise dienten, denn ibr Fleisch soil kostlicb sein« (der Text ist zwar ver- dorben, aber der Sinn nicbt zweifelbaft). Wir erseben bieraus, dass die Fasanen auch nach Alexandrien aus Medien d. h. den siid- kaspiscben Landen kamen, und dass ibr eigentlicber Name vsiaQot, war oder wie Athenaus an einer anderen Stelle (9. p. 387) nach alteren Glossatoren das Wort scbreibt: TO.TVQCU,. So hiessen sie in medischer Spracbe wie das heutige persische tedzrev der Fasan und das gleichbedeutende , eben daher stammende altslavische tetrevi, teterevi, tetrja, teterq bestatigt. Das Wort zieht sich durch den Osten Europas von Volk zu Volk fort und bezeichnet dort, da der Fasan feblt, einen der grossen einheimischen Vogel, Trappe, Auer- hahn, Birkhahn, neuerdings auch Truthahn. Russisch teterev, teterja, polnisch cietrzew, czechisch tetrev, litauiscb teterwa, tytaras, preus- sisch tatanvis, lettiscb tettera, tetteris, estnisch tedder, finnisch tetri, scbwedisch tjdder , daniscb tuir, angeblicb auch altnordisch thidr, thidhr (das Schneehuhn). In das Scandinaviscbe kam das Wort, welches den germanischen Sprachen fehlt, aus dem Finnischen (etwa wie der Name des Fuchses: altn. refr, schwedisch rdf, danisch rdv\ in dieses aus dem Litauisch-Lettiscben: entnahmen es die Litauer und die Slaven von ihren einstigen Nachbarn im Suden, den scy- thisch-sarmatischen Medern? Grande und Umstande der Entlehnung lassen sich mancherlei denken : Knechtschaft und Unterwerfung, Jagd-, Religions-, Marktverkehr , Thiermarchen , die mit sammt den

Der Fasan.

Namen welter erzahlt werden u. s. w. Auch das griechische TSTQO.WV (Hesych. ogvtg noiog), xsiga^ (bei Epicharmus und Aristophanes), TSIQC^ (bei Aristoteles), TSTQddwv (bei Alcaus), rsTQalov (lakonisch) ist schwerlich einheimisch, sondern aus Asieii heriibergekommen , aus ahnlichem Anlass, wie die Lateiner ihr tetrao aus dem Griechischen erborgten. - - Bei der ins Ungeheuere getriebenen Zucht der Vogel in den romischen Aviarien und Parks fehlte auf romischen Gasttafeln der phasianus, auch tetrao genannt, natiirlich nicht, spielte vielmehr, wie sich denken lasst, eine Hauptrolle; in dem Edict Diocletians hat der gemastete und der wilde Fasan, phasianus pastus und agrestis, sowie die Fasanenhenne, ihren besonderen, von oben anbefohlenen Marktpreis; auf Karls des Grossen Villen sollen, wie der Kaiser an- ordnet, auch Fasanen gehalten werden, und so hat sich der schone, auf reichen Tafeln gesuchte Vogel das ganze Mittelalter hindurch nicht bloss in fiirstlichen Fasanerien erhalten, sondern lebt jetzt in manchen Gegenden, z. B. des osterreichischen Kaiserstaats, im Zu- stande vollkommener Freiheit, so dass ihm Europa, wohin ihn einst die menschliche Hand nicht ohne Schwierigkeit hiniiberbrachte, zum zweiten Vaterlande geworden ist. Die beiden prachtigen Abarten des gemeinen westasiatischen Fasans, der Silber- und der Goldfasan, die man jetzt in Parks der Vornehmen und in Thiergarten bewundert, wurden in Folge der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien von ihrem Vaterlande China her bekannt und in einzelnen Exemplaren nach Europa gebracht. (Dass sie schon fruher in Kolchis gewesen, will Dureau de la Malle, Annales des sc. naturelles, XVIII. p. 279 aus den Worten des Plinius 10, 132 schliessen: phasianae in Col- chis geminas ex pluma auris submittunt subriguntque.} Den wunderbar geschmuckten Goldfasan hielt Cuvier fur den alle 500 Jahr erscheinenden heiligen Sonnenvogel der Aegypter, den Phonix - in euhemeristischer grober Materialisirung eines mythischen Symbols oder einer kosmogonisch-periodologischen Phantasie, wie wir ihr von Rationalisten und Naturforschern im Felde der Wunderdeutung der Urgeschichte u. s. w. oft genug begegnen.

* Die auf S. 362 f. besprochene Wortsippe geht wahrscheinlicher auf einen uridg. Vogelnamen *tdero-, *tetervo- zuriick (Fick, Vgl. W. I4 S. 58), zu dem auch scrt. tittiri Rebhuhn gehort, und der dann in den Einzelspracheii auf verschiedene, aber ahnliche Vogel ubertrageii wurde. So ist auch altn- thidurr Auerhahn nicht aus dem Finnischen entlehnt, sondern mit *tetero- als urverwandt zn verkniipfen. Daneben mogen Entlehnungen wie griech.

364 Gans. Ente.

tstocpo? hergehn. Finnisclies tetri entstammt zwar dem Litauischen; daneben liegen aber perm, tar, votjak. tur, die wie ein reduplicationsloses idg. *te-tero- aussehn (vgl. TV. Thomsen, Beroringer mellem de finske og de baltiske Sprog S. 231 f.)

Wahrend die Zahl der Saugethiere, die der Mensch gezahmt und sich als Hausgenossen zugesellt hat, in historischer Zeit nur urn ein Geringes sich vermehrte, haben sich in relativ spater Epoche, wie aus dem Obigen erhellt, die Gehofte und Niederlassungen der Menschen mit mannichfachem zahmem Hausgefliigel belebt und bevolkert, darunter das wichtigste von allem, das Haushuhn. Zucht des Gefliigels und Rindviehzucbt stehen in einem gewissen Gegen- satz zu einander: nicht wo weite, von reichlichen Niederschlagen be- fruchtete Ebenen in unabsehbaren Saatfeldern und griinen Wiesen sich dehnen und dichte Walder und Forsten sich anschliessen, son- dern im sonnigen, auf und absteigenden Gebiet der kleinen Garten- kultur, wo Hof an Hof stosst, und Hecke an Hecke sich reiht, da picken und flattern die gefliigelten Geschopfe um den an und neben seinem Hause hantierenden Menschen und bilden im System seiner Wirthschaft eine nicht zu unterschatzende Quelle des Unterhalts und der Einnahme. In Europa sind daher ihrem Wohnorte und ihrer Tradition nach die romanischen Volker die vogelessenden und vogel- erziehenden; die Germanen nahren sich mehr von dem Fleisch und der Milch ihrer Kinder. Frankreich besitzt nach einem massigen Anschlag liber 100 Millionen Hiihner und fiihrt jahrlich iiber 400 Millionen Huhnereier nach England aus; in siidlichen Landern ist das einzige Fleisch, das der Reisende oft Monate lang zu kosten bekommt und das der einheimische Bauer an Festtagen sich erlaubt, ein gebratenes oder mit Reis oder Polenta gekochtes Huhn.

In viel hoheres Alterthum, als das der bisher genannten Vogel, geht die Zahmung der Gans und Ente hinauf; auch sind beide nicht aus Asien eingefiihrt, sondern stammen von den einheimischen wilden Arten. Der Name der Ente gehort den verwandten Volkern gleichmassig an: sanscr. dti (fur anti), lat. anas, anatis, griech. vrjOGa (wohl aus vfaia), ahd. anut, ags. enedj altn. ond, altkornisch hoet (rnit miissigem h und unterdriicktem Nasal), kambrisch hwyadt litauisch dntis, kirchenslavisch aty, at%, atica, atuca, russisch utka, serbisch utva u. s. w., und auch der der Gans geht iiber die ganze indoeuropaische Gruppe vom altirischen geidh, gdd, auch goss (mit unterdriicktem Nasal) im aussersten Westen bis zum sanskritischen

Gans. Ente. 365

hansas, hansi im aussersten Osten. Die Gans darum fiir ein bereits gezahmtes Hausthier des Urvolks vor der Epoche der Wanderungen zu halten, ware ein voreiliger Schluss: sie konnte ein gesuchtes Jagdthier an Seen, Stromen und wasserreichen Niederungen sein, wie sie es noch jetzt bei Nomaden und Halbnomaden in Mittelasien ist. So lange sie haufig und leicht zu erlangen war, regte sich kein Be- diirfniss, sie in der Gefangenschaft kiinstlich aufzuziehen, und war die darauf gerichtete Bemiihung zwecklos , und so lange die Lebens- art eine unstate blieb, passte ein Vogel, der dreissig Tage zum Brliten und eine entsprechende Zeit zum Aufziehen seiner Jungen braucht, nicht wohl zum Haushalt der Weidevolker. Als sich aber an den Ufern der Seen relativ feste Niederlassungen gebildet, konn- ten junge Thiere leicht von Knaben aus den Nestern genommen und dann mit gebrochenen Fliigeln aufgezogen werden ; starben diese weg, so wurde der Versuch wiederholt, bis er endlich gelang, zumal die Wildgans verhaltnissmassig zu den am leichtesten zahmbaren unter den Vogeln gehort. Da sie im Siiden Europas nicht brute t, sondern im Herbst mit bereits erwachsenen Jungen in das Gebiet des Mittel- meers fliegt, so ist dieser Vorgang im mittleren Europa leichter denk- bar , als in den klassischen Landern , und da es den letztern an Wasserspiegeln fehlt, so ist sie dort uberhaupt nicht so haufig und zuganglich, als in den Gegenden am Ausfluss des Rheins, in Mecklen- burg, Pommern und Scandinavien. Bei den Griechen gait die Gans fiir einen lieblichen Vogel, dessen Schonheit bewundert wurde und der zu Geschenken an geliebte Knaben u. s. w. diente (s. Jahn, Leipziger Berichte, 1848, S. 51 ff.). Schon Penelope bei Homer, in der herrlichen Stelle, wo sie ihrem unbekannten in Bettlergestalt ihr gegeniibersitzenden Gemahl ihreii Traum erzahlt, besitzt eine kleine Heerde von 20 Gansen, an denen sie ihre Freude hat; sie erscheinen dort als Hausthiere, die weniger um des Nutzens willen, den sie bringen, als wegen der Lust des Anblicks, den sie gewahren, von der Herrin des Hofes gehalten werden. So hat auch Gudrun in der Edda ihre Ganse auf dem Hofe und diese schrieen hell auf als ihre Herrin am Leichnam Sigurds laut jammerte, erstes Lied von Gudrun 16 (nach Simrock):

Und hell auf schrien Die zieren Vogel,

Im Hofe die Ganse, Die Gudrun zog.

Zugleich sind die Ganse nach griechischer Vorstellung wachsame Hiiterinnen des Hauses: auf dem Grabe einer guten Hausfrau war

366 Gans. Ente.

unter anderen Emblemen eine Gans abgebildet, urn die Wachsam- keit der Verstorbenen auszudriicken, Anth. Pal. 7, 425, 7:

yav tie dofjicov <fvhaxa<; [tsfodr^iova.

Bei den Romern wurden sorgfaltig die ganz weissen Ganse aus- gewahlt und zur Zucht verwandt, so dass sich mit der Zeit eine weisse und zahmere Abart bildete, die sich von der grauen Wild- gans und ihren direkten Abkommlingen merklich unterschied. Wie noch ini heutigen Italien, war auch im alten die Gans in der kleinen Landwirthschaf t nicht so verbreitet, wie im Norden : theils f ehlte es .an dem nothigen Wasser, theils wurde der Schade gefiirchtet, den das mit den Halsmuskeln und dem kraftigen Schnabel die jungen Pflanzen abzupfende und die Weide verunreinigende Thier anzustiften pflegt, aber in den grossen Chenoboskien der Unternehmer und Villenbesitzer schnatterten zahlreiche Schaaren dieser Vogel; dabei ward durch Zwangsfutter die ubergrosse Leber erzeugt, nach der den Schwelgern der Mund wasserte, eine kiinstliche Krankheit zum Dank fur die Rettung des Kapitols. Die Benutzung der Ganse- federn zu Kissen war dem eigentlichen Alterthume fremd: erst die spateren Romer lernten diesen Gebrauch von Kelten und Germanen. .Zu Piinius' Zeit wurden ganze Heerden von Gansen aus Belgien nach Italien getrieben, namentlich aus dem Gebiet der Morini, die an den belgischen Kiisten sassen; auch die zarten weissen Federn, die von dorther kamen, waren beriihmt und sollten einer Art angehoren, die den Namen gantae fiihrte (der dentale Auslaut des Wortes ist speci- fisch keltisch, findet sich indess in dem angrenzenden niederdeutschen Mundarten , sowie im ahd. ganzo , der Ganserich). Es war kein Hausvogel, sondern eine Art wilde Gans, und die von ihr gewonne- nen Federn standeii in so hohem Preis, dass auf den entfernten romi- schen Militarstationen oft ganze Cohorten auseinandergingen , um dieser Jagd obzuliegen. Die so gestopften Kissen waren eine Neue- rung, zu der die echten Romer bedenklich den Kopf schiittelten: wir sind jetzt, fiigt Piinius hinzu, zu dem Grade von Weichlichkeit ge- langt, dass sogar Manner ohne eine solche Vorrichtung ihr Haupt nicht niederlegen konnen (Plin. 10, 54). Bis auf den heutigen Tag sind Federbetten eine mehr nordische Sitte geblieben, die dem war- meren Suden nicht zusagt. Ein anderer Gebrauch der Gansefeder, der zum Schreiben, war dem Alterthum gleichfalls unbekannt: die Schreibfeder tritt genau mit Einbruch des eigentlichen Mittelalters auf, zu allererst zur Zeit des Ostgothen Theoderich bei dem Anony- mus Valesii, s. Beckmann, Beytrage 4, 289, Isid. Orig. 6, 14: in-

Zucht der Vogel. 367

strumenta sunt scribendi calamus et pennd). Jetzt 1st sie durch die Stahlfeder verdrangt, so dass sich fur dieses Werkzeug drei grosse Perioden ergeben: die alteste, die von den Anfangen des Schreibens bei den Aegyptern bis zum Untergange des romischen Reiches geht, die des gespaltenen Rohrs, welches Thucydides und Tacitus in der Hand fiihrten; die andere, die des Gansekiels, niit der Dante und Voltaire, Goethe, Hegel und Humboldt geschrieben haben; endlich die im 19. Jahrhundert beginnende der Stahlfeder, mit der Leitartikel und Feuilletons hingeworfen werden, um noch nass in der Werkstatt gesetzt und mit Dampfkraft gedruckt zu werden. Die Perioden dieses Schreibewerkzeuges fallen, wie man sieht, mit denen des Materials, auf welches geschrieben wurde und wird, nicht zusammen.'

Das Alterthum hatte in Domestication der Vogel nach ver- schieclenen Seiten hin Wege eroffnet, die seitdem nicht wieder be- treten worden sind, und Resultate erreicht, die die heutige Welt wieder hat fallen lassen. In Aegypten war, wie die Monumente lehren, ein grosser Wasservogel, der in unbestimmter Weise Reiher genannt wird, zum zahmen Genossen des Menschen ge worden, in Rom der Kranich, der Storch, der Schwan, von kleinerem Gevogel der turdus, die perdix, coturnix u. s. w. Gegenstand der Zucht und Fiitterung und auf den Tafeln ein von der Mode bald em- pfohlener und geforderter, bald wieder verschmahter Braten. Man sehe bei Horaz, um nur diesen Dichter zu nennen, die Stellen: Sat. II. 2, 49 und 8, 87. Noch in den leges barbarorum, wie 1. Sal. 7, 8 (wenigstens in der spateren Redaktion) und 1. Alam. 99, 17 ff., werden dem vorgefundenen Stande romischer Landhauser gemass auch Schwane, Storche, Kraniche und andere Vogel, deren Namen schwer zu deuten sind, zum Hausgeflugel gerechnet und Strafen auf deren Entwendung gesetzt. Die Kirche verbot aber den Genuss z. B. von Storchen (wie auch von Bibern, Hasen und Pferden); Papst Zacharias schreibt am 4. Nov. 751 an den heiligen Bonifa- cius: in primis volatilibus, id est de graculis et corniculis atque ciconiis. Quae omnino cavendae sunt ab esu Christianorum. Etiam et fibri et lepores et equi silvatici multo amplius vitandi. Das spatere Mittelalter beschrankte sich daher auf Ganse, Enten und Hiihner und iiberliess es der Jagd , die in den ungeheuren, wenig bevolkerten Waldstrecken Mitteleuropas ein ergiebiges Revier fand, die Kiiche mit Wildpret zu versorgen. In Italien hatte zur Zeit der Romer von reicher Jagdbeute nicht die Rede sein konnen,

368 Die Falkenjagd.

und das Hochwild, von dem die germanischen Walder belebt waren, sowie das Federvieh der Moore des Nordens nach Italien zu schaffen, wurde durch die Entfernung und das warme Klima verhindert. So sahen sich die Romer auf kiinstliche Zucht delikater Wildvogel an- gewiesen, die denn auch in oft kolossalen Anstalten der Art betrieben wurde und auf verschiedenen Stufen zu mehr oder minder erreichter Zahmung fuhrte. Diese Versuche sind, wie gesagt, von der neueren Thierzucht nicht vviederholt worden, und wenn auch in Europa die Wildniss immer welter geriickt ist, so fiihren jetzt die Eisenbahnen die erlegten Jagdthiere der fernsten Einoden blitzschnell den grossen Consumtionscentren zu: der Markt von Paris bezieht seine Rebhuhner schon aus Algier und dem nordlichen Russland. Die Varietaten des einrnal bestehenden Hausgefliigels, besonders der Hiihner und Tauben, haben sich dagegen im heutigen Europa, bei der immer umfassen- deren und beschleunigteren Weltverbindung, ins Unendliche vermehrt, und die vortheilhafteren und schoneren unter ihnen verdrangen all- mahlich die aus dem Alterthum zu uns iibergegangenen Racen.

** Ir. ged ist von der Reihe scrt. hansa u. s. w. zu trennen; es wird von Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 119 zusammen mit cymr. gwyddd auf eine Grundform *gegdd (vgl. auch ir. gigrann Gans) zurtickgeftihrt. Unter den vom Stamme ghan-s gebildeten Formen, zu denen als urverwandt auch altir. ge'is Schwan gehort, ist slav. gasi aus dem Germanischen, ir. goss wahr- scheinlich aus dem Angelsachsischen entlehnt. Ueber die mit dem von Plinius genannten ganta zusammenhangenden germanischen und romanischen Formen vgl. Kluge Et. W.6 u. Gans und Ganserich. Merkwiirdig ist, dass der indogermanische Name des Thieres, scrt. hansa, griech. ^v, lat. anser u. s. w. auch in anderen Sprachgebieten vorzukommen scheint : so im turk. tat. kaz (woraus nach Hiibschmann Osset. Spr. S. 123 osset. fdz) und im sumerischen guz, gaz, waz, us (vgl. iiber diese Worter F. Hommel Beil. z. allg. Z. No. 197 S. 3). - Finnisches hanhi entstammt dem Litauischen (W. Thomsen Beroringer S. 247. Armen. sag ist dunkel. Was den idg. Namen der Ente anbetrifft, so sind altc. hoet etc. (Zeuss, Gramm. celt. - p. 1074) mit demselben nicht zu vereinen. - Im Stidosten Europas gelten fiir Gans oder Ente Benenmmgen mit bat-y pat-: alb. pate, bulg. paika (aber auch span, pato, paid) u. s. w., die wahr- scheinlich asiatisch sind: pers. bat Ente u. s. w. (Miklosich, T. E. S. 22, G. Meyer, Et. W. S. 324, P. Horn, Grundriss d. np. Et. S. 51). Neugr. gilt ndiciua Ente. Ausfuhrlich handelt iiber die Gans im Alterthum O. Keller, Thiere des klassischen A. Innsbruck 1887 S. 286 ff. Vgl. auch E. Hahn Die Hausthiere S. 274 u. 286 und mein Reallexikon u. Gans und Ente.

Eine gezahmte Vogelklasse, von der das fruhere Alterthum nur als Wunder aus der Feme gehort hatte, trat mit der Herrschaft der Barbaren in ganz Europa auf und ist seit clem Anbruch der neueren Bildung langsam wieder verschwunden wir meinen die zur Jagd

Die Falkenjagd.

auf andere Vogel abgerichteten Raubvogel, Geier, Habichte, Falken, die Lieblinge des Ritters, die so stolz auf seiner Faust sassen, in denen er sein eigenes Ebenbild erkannte und denen er oft eine leiden- schaftliche Zuneigung zuwandte. Jacob Grimm hat der Falkenjagd in seiner Geschichte der deutschen Sprache ein eigenes Kapitel ge- widmet, in welchem er durch Sammlung von Stellen aus Schrift- stellern und Dichtern des Mittelalters die herrschende Vorliebe fur diese Art Jagd ins Licht setzt und die letztere zugleich als nationale Sitte in das hochste vorhistorische Alterthum des germanischen Stammes zuriickverlegt. Allein, wie es seiner Phantasie auch sonst begegnet, spat Erborgtes und nachmals Erlerntes, das auf dem neuen Boden oft am iippigsten wuchert, wenn es auf dem alten schon im Absterben begriffen ist, als ein in den Tiefen der Jahrhunderte schattenhaft sich Bewegendes und von dort an das Licht Aufsteigen- des ahnungsvoll zu schauen, so auch hier. Die Falkenjagd ist keine deutsche Uebung, vielmehr den Deutschen von den Kelten zu- gekommen und nicht einmal in sehr fruher Zeit. Die Jagd als Kunst, in verfeinerter und berechneter Ausbildung, ist ein keltischer Nationalzug, der sich durch den Bestand eines reichen und machti- gen Adels in dem zu Casars Zeit schon hoch civilisirten, mit Strassen, Stadten, Briicken, Zollen u. s. w. versehenen und doch noch frischen und waldreichen G alii en leicht erklart. Schon die Romer lernten von den Kelten die Hetzjagd im freien Felde, die chasse au courre, im Gegensatz zu der Birsch (mit Spurhund, Armbrust und Bolzen, im Walde; das deutsche Wort Birsch, birschen vom altfranzosischen berser), und entlehnten daher den canis gallicus (schon bei Ovid und Martial, erhalten im heutigen spanischen galgo), den canis vertragus, im heutigen Deutsch durch Volksetymologie in Windhund entstellt, s. die Geschichte des interessanten Wortes bei Zeuss 2 p. 145, Dief en- bach 0. E. 330 und Gliick in Fleckeisens Jahrbb. 1864 S. 597) und segusius (eine besondere Art Jagdhund, benannt nach einem gallischen Stamme an der Loire). Beide letzteren Ausdrucke kommen schon in den deutschen Gesetzbuchern vor, und wenn der Falke als Haus und Jagdthier eben da erwahnt wird, so beweist dies also nichts fur einen altgermanischen Ursprung. Deutlich aber weist der Name des eigentlichen deutschen Jagdvogels, des Habichts, auf seine Herkunft aus Gallien: altirisch heisst er sebocc, und so oder ahnlich muss er in der altesten keltischen Sprache gelautet haben. In dem einen der beiden Zweige des Keltischen, dem Britischen, dem sich auch das Idiom der Gallier des Festlandes anschloss, ver-

Vict. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 24

370 Die Falkenjagd.

wandelte sich aber in einer Anzahl Worter das s in h: aus sebocc wurde im kambrisch-kornischen Munde hebauc, und in dieser secun- daren Gestalt ging das Wort zu den Deutschen iiber : hapuh , altn. hauler u. s. w. Die Germanen der altesten Zeit kampften gegen den Baren und Wolf und erlegten den Auer- und Bisonochsen, den Elch und Schelch und den Eber: die Falkenbeize aber lernten sie spater von jenseits des Rheines und der Donau -her kennen. Auch lasst sich nicht behaupten, dass die letztere jemals in Deutschland volksmassig gewesen sei. Sie war die Lust des Edlen hoch zu Ross, seiner Dame und des Jagdgesindes : der Bauer trieb sie nicht, er staunte die adelige fremdlandische Kunst an, wie er die Waffen und Kampfmanieren der Ritter bewunderte und deren romanische Namen allmahlig nachsprechen lernte. Eine andere Frage aber ist, ob die keltischen Volker, die die germanische Welt von Westen und Siiden her ein- und abschlossen, die Jagd mit ab- gerichteten Stossvogeln etwa selbst erfunden oder sie nur ausge- bildet, und im letzteren Falle von welcher Seite sie sie ursprunglich empf angen hatten ? Die alteste Nachricht iiber Jagd mit Raubvogeln findet sich bei Aristoteles H. A. 9, 36, 4 (das neunte Buch riihrt zwar in seiner jetzigen Gestalt schwerlich von Aristoteles her, aber die Stelle findet sich schon bei Antigonus Carystius, unter dem zweiten und dritten Ptolemaer, im Auszuge wiederholt): »In der Gegend von Thrakien, welche ehemals Kedreipolis hiess (Iv Se Qgyxfl vfi xahovfievy nois KedgsiTiohei) , werden in einem Sumpfe die kleinen Vogel von den Menschen in Gemeinschaft mit den Ha- bichten. gejagt: die Menschen schlagen mit Stocken an das Rohr und Buschwerk, damit die Vogel auffliegen, die Habichte aber erscheinen von oben her und verfolgen sie und die erschreckten Vogel fliegen wieder zur Erde hinab, worauf sie die Menschen mit Stocken schlagen und ergreifen und den Habichten einen Theil von der Beute ge- wahren, sie werfen ihnen namlich einige Vogel entgegen und diese werden von den Habichten aufgef angen. « Statt der ®g$xr) r\ xahov- fjLevTf] 7iOT£ KsdosCnohg wird in der Schrift de mirab. auscultat. 118 die Qgyxri fj vTtSQ ' A^Cnohv genannt, und in dieser Gestalt ist die Notiz auf Plinius 10, 23 iibergegangen. Gewisse Thraker also be- dienten sich der gezahmten Raubvogel, tsQaxeg, um in einer Sumpf- gegend die aufgejagten Vogel wieder zur Erde zuriickzuscheuchen, wo sie von den Jagern mit Stocken erlegt wurden: der Raubvogel fasst das gejagte Thier nicht selbst, erhalt aber von der Beute semen An- theil. (Letzteres ganz nach der Sitte der spateren Falkenjager.)

Die Falkenjagd. 371

Der Jude Philo lasst in seinem verloren gegangenen, aber in der armenischen Uebersetzung erhaltenen Dialog: de ratione quam ha- bere etiam bruta animalia dicebat Alexander (Opera ed. Richter, T. 8, § 37) seinen Gegner ganz dieselbe aristotelische Angabe wieder- holen und zwar mit dem Zusatz: »mir schien die Geschichte von den thrakischen Habichten unglaublich, bis ich mehrere Eingeborene, darunter einen vollig redlichen, befragte, die mir alle die Sache be- statigten.« War dies thrakische Erfindung? Wir wissen es nicht, clenn wenn auch von Aehnlichem in Iiidien berichtet wird (schon von Ktesias bei Photius und ausfiihrlicher bei Aelian N. A. 4, 26, s. Miiller Fr. Ctesiae 11 hinter seiner Ausgabe des Herodot; die Inder jagen Hasen und Fiichse mit Raubvogeln; die Zahmung der letzteren ist ganz die der spateren Falkoniere, die Thiere bekommen ihr Theil) und die Aegypter einen Raubvogel, den aGiSQcag, so zahm gemacht hatten, dass er der menschlichen Stimme gehorsam war (Ael. N. A. 5, 36), so liegt zwischen beiden Landern und Thrakien ganz West- asien und von einer so auffallenden Jagdart bei den Volkern des letztgenannten Landergebietes hatten uns die Griechen wohl Meldung gethan, wenn sie daselbst ublich gewesen ware. Ktesias erzahlte von ihr als einer Merkwurdigkeit Indiens: am persischen Hofe, an dem er lebte, muss sie also unbekannt gewesen sein. Dass sie bei einem der das sogenannte Kleinasien bewohnenden Volker, der Nachbarn und Verkehrsgenossen der Thraker, gangbar gewesen, ist bei dem Stillschweigen der Griechen gleichfalls nicht anzunehmen. Da aber die von Ktesias ausfuhrlich beschriebene Abrichtungsweise mit der spateren europaischen so genau zusammenstimmt , so mag irgend ein Zusammenhang, den wir nicht mehr aufweisen konnen, von dem diese Jagd betreibenden in irgend einem Grenzgebirge Indiens hausenden Stamme (Ktesias spricht von Gebirgshasen, die so gejagt werden) bis nach Thrakien reichen wo die Zwischen - glieder etwa Chorasmier und Massageten, Sarmaten und Scythen waren? Layard, Niniveh und Babylon, iibersetzt von Zenker, Leip- zig s. a. enthalt S. 369 Anm. die Notiz: »Auf einem Basrelief in' Khorsabad, welches ich bei meinem letzten Besuche daselbst sah, war, wie es schien, ein Falkonirer mit dem Falken auf der Faust abgebildet.« Leider macht der Zuzatz »wie es schien « die Sache unsicher; aber wenn die Herrschaft der grossen Euphrat- und Tigris- Reiche zu Zeiten bis an die Grenzen Indiens reichte, mochte eine dort gebrauchliche Jagdart auch einmal in der Hauptstadt an einer der Wande des Konigspalastes dargestellt worden sein. - - Aus Thra-

24*

372 Die Falkenjagd.

kien konnten die Kelten, die auf zahlreichen Kriegs- und Wander- ziigen die Hamushalbinsel heimsuchten, die nicht leichte Kimst der Abrichtung von Raubvogeltt zur Jagd sich geholt haben. Auf einer gewissen Lebensstufe eignen sich die Volker von ihren Nachbaren nichts bereitwilliger an, als neue und leichtere Arten dem Jagdthier beizukommen, das den Gegenstand ihrer Begierde bildet. Diejenigen Kelten wenigstens, die Italien iiberzogen und Rom verbrannten, konnen die Falkenjagd noch nicht gekannt haben, da sich bei den alteren Roruern keine Spur einer solchen findet. Erst in den Jahr- hunderten der Kaiserzeit tauchen hin und wieder Andeutungen der- selben auf, aber in sehr unbestimmter Weise, bis plotzlich in den letzten Zeiten der Volkerwanderung und bald nachher die Sache im Munde aller Schriftsteller ist und als allgemein iiblich vorausgesetzt wird. In dem Epigramm des Martial 14, 216. Accipiter:

Praedo fuit volucrum, famulus nunc aucupis: idem Decipit et capias non sibi maeret aves

scheint ein ganz deutlicher Hinweis auf Verwendung des Habichts zur Jagd zu liegen, aber gleichzeitig berichtet Plinius von der neuer- dings ergangenen, hochst wunderbaren Sage, in der Gegend von Eriza in Asien (dies Eriza war eine Stadt in Karien an den Grenzen Lykiens und Phrygiens) jage ein gewisser Craterus Monoceros mit Hulfe von Raben, die fur ihn das Wild auf spur ten und trieben und, wenn er ausziehe, gesellten sich auch wilde Raben dazu 10, 124: nee non et recens fama Crateri Monocerotis cognomine in Erizena regione Asiae eorvorum opera venantis eo quod devehebat in silvas eos insidentis corniculis umerisque-, illi vestigabant agebantque eo per- ducta cousuetudine ut exeuntem sic comitarentur et feri. Aus der zweiten Halfte des folgenden Jahrhunderts scheint eine Stelle bei Apulejus (Apologia s. de magia lib. 34. p. 44 ed. Krueger.) auf Jagd mit Habichten hinzudeuten : ware es nicht absurd, so ungefahr driickt sich der Autor aus, mit missbrauchlicher Anwendung des Gleichklangs den Fisch accipiter zum Vogelfang brauchen zu wollen: quam si dicas .... aucupandis volantibus piscem accipitrem (quaesitum), aber der Schluss aus den Worten wird hinfallig, wenn man das un- mittelbar Folgende hinzuzieht : aut venandis apris piscem apriculum. Denn wie konnten Eber mit Hulfe eines Ferkels gejagt werden? Hochstens bei Wolfen konnte es zur Anlockung verwandt werden. Vielleicht liegt in folgender Beschreibung einer Art Falkenjagd in der Paraphrase von Oppian. de aucup. 3, 5 die Erklarung des obigen Epigramms von Martial und der Worte des Apulejus: »eine ange-

Die Falkenjagd. 373

nehme Jagd ist es, wenn man einen Falken, tegaxa, mitbringt und diesen unter einen Busch legt; die kleinen Vogel ot GTQOV&OL, er- schrecken, suchen sich ini Laube zu verbergen, schauen aber immer auf den Falken, von der Angst gebannt, wie wenn ein Wanderer plotzlich einen Rauber erblickt und, starr vorn Schreck, sich nicht von der Stelle bewegt; der Vogelsteller zieht die Vogel so mit aller Musse voni Baume herab.« Hier haben wir den Anfang einer noch sehr unvollkommerien Jagd mit Raubvogeln, und an nichts Anderes dachten, wie gesagt, vielleicht Martialis und Apulejus. Aber bei Julius Firmicus Maternus, bei Prosper Aquitanus, Sidonius Apollinaris u. s. w. im vierten und fiinften Jahrhnndert ist die Falkenjagd eine ausgebildete, beliebte und verbreitete Kunst, die ohne Zweifel von den Barbaren herriihrte. Schon in der halb fabelhaften Urgeschichte der Sachsen bei Widukind. tritt ein Jager mit dem Habicht auf, 1, 10: aus der belagerten Stadt Scheidungen an der Unstrut, die durch die Verheissung des Friedens in Sicherheit gewiegt war, girg ein Thuringer mit einem Habicht hinaus und suchte iiber dem Ufer des genaniiten Flusses Nahrung; als er den Vogel hatte steigen lassen, nahm ihn Einer von den Sachsen am jenseitigen Ufer alsbald in Empfang und weigerte sich ihn herauszugeben ; Jener aber sprach: gieb ihn heraus, so will ich dir ein wichtiges Geheimniss verrathen; die Mittheilung des Geheimnisses aber fiihrte zum Untergang der Stadt lauter in Marchen nicht ungewohnliche Motive. Wahrend des Mittelalters stand diese Jagd im ganzen feudalen Europa in Bliite (der grosse Kaiser Friedrich II. schrieb selbst ein Buch de arte venandi cum avibus) und wanderte von Deutschland und von Byzanz nach dem Osten des Welttheils und zu den Volkern Asiens an die Hofe der Grossfiirsten und Czaren, der Emire, Scheikhs, Chagane und Schahs, bis zu den Nomaden der Steppe und den Beduinen der Wiiste. Marco Polo fand sie in den Residenzen der mongolischen Fiirsten bis nach China hin, ebenso neuere Reisende des 17. und 18. Jahrhunderts in den Landern des Islams. In Europa gerieth sie in demselben Maasse, wie das Schiessgewehr sich ausbreitete und vervollkommnete, in Verfall und endlich in Vergessenheit, wobei es charakteristisch ist, dass die Namen der neuen durch die Luft treffenden morderischen Waffen so haufig von den Stossvogeln ent- nommen sind, an deren Stelle sie traten (vgl. falconetto; moschetto, die Muskete, eigentlich der Sperber; terzeruolo, eigentlich das Mannchen des Habichts ; sagro, ein Geschiitz, eigentlich der Saker- falke). In Frankreich gingen bis zur Revolution bei feierlichen Auf-

374 Die Falkenjagd.

ziigen des Hofes die koniglichen Falkoniere voran, oder vielinehr Leute, die deren Abzeichen trugen, denn in Wirklichkeit gab es keine fauconnerie du Roi raehr. In England soil noch jetzt bei eineni oder zwei Landlords in ehrwurdiger Tradition ein Falkenstaat auf- recht erbalten und die dazu nothigen abgerichteten Thiere aus Belgien bezogen werden. In Asien aber ist die Falkenjagd bis auf den heutigen Tag in vielen Gegenden eine eifrig betriebene Lieblings- beschaf tigung 79).

* * Der Ausgangspunkt der Falkenjagd ist in dem vorhergehenden kaum richtig bestimmt worden. Dass den Kelten in alterer Zeit die Jagd mit Vogeln bekannt gewesen sei, daftir fehlt jedes Zeugniss. Erst im X. Jahrh. zeigen wallisische Rechtsquellen (vgl. Baist in seinem fur den ganzen folgen- den Abschnitt bedeutungsvollen Aufsatz Falco, Z. f. D. A. 27, 55) die Jagd mit Habicht, Falke und Sperber, die sich durch nichts wesentliches von der Jagdweise des friiheren Mittelalters unterscheidet. Namentlich aber hat R. Thurneysen, Kelto - Romanisches S. 23 ff. den iiberzeugenden Nachweis gefiihrt, dass acymr. hebaue und altir. sebocc nicht die Quelle von, sondern Entlehnungen und Umbildungen aus ags. heafoc sind. Wenden wir uns vom Westen Europas in die slavisch-byzantinische Welt, so weist jedenfalls die Sprache darauf bin, dass die Jagdweise des europaischen Ostens nicht vom Westen her, sondern durch den Orient beeinflusst wurde. Schon in sehr friiher Zeit ist das tiirkische karagu, Jcergu Sperber in siimmtliche slavische Sprachen eingedrungen : altsl. kraguj, bulg. kargo, nsl. Jcragulj, russ. (lautlich auffallend) kraguj u. s. w. (vgl. Miklosich, Turk. Elern. S. 91). Eben- dahin gehort vielleicht auch kurd. Jcvrgho nom d'une petite espece de faucon (vgl. Jaba-Justi S. 308), wie auch kurd. do^dn faucon dem tiirk. tughan ent- stammt (Jaba-Justi S. 277). Aus dem Russischen ist noch sarycu Falco Buteo = nordttirk. sareca Jagdfalke zu nennen (Miklosich, T. E.).

Unter den byzantinischen Ausdriicken ftir Jagdvogel, die Hammer- Purgstall, Falknerklee S. XVII zusammenstellt, sind neben Upa£ Habicht, icsTpttYj? Edel-, Tauben-, Wanderfalke und e>£orcTepiov Sperber drei orientalischen Ursprungs: namlich ^woc aus tiirk. zagen Weihe (Zenker 480, 1) oder aus arab.-pers. sdhm, Pamird. sain, kurd. sin Konigsfalke, ooYxooptov aus pers. sonkur Gerfalke und tCoopdxtov Sorrak, Falco candicans wohl aus pers. cargh, Pamird. tsar, tsdrgh. Allerdings sind diese Namen spat iiberliefert, doch brauchen sie desshalb nicht spaten Ursprungs zu sein, und keinesfalls sieht man ein, wie sie sich in der byzantinischen Fachliteratur festsetzen konnten, wenn die Byzantiner die Lehrmeister der Asiaten auf dem Gebiete der Falkenjagd waren. Hammer-Purgstall S. XIX halt es daher fiir selbstverstandlich, dass die Griechen ihre Kenntniss der Falknerei von den Persern erhielten, die ihrerseits Schiller der Tiirken waren, in deren Stammland, Turkistan, die edelsten Falken- und Habichtsarten einheimisch seien. Ueber das Alter der Falkenjagd bei Turko- Tataren vgl. auch Vambe>y, Primitive Kultur S. 100. Dass die Falkenjagd im Orient uralt ist, geht ferner aus assyrischen Keilinschriften hervor (vgl. o. S. 371), die aus der Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts stammen. Der Falke

Die Falkenjagd. 375

heisst in ihnen surdu, sumer. sur-cla. Von ihm wird u. a. gesagt: ,,Wenn ein Falke auf die Jagd geht und von der rechten Seite des Konigs auf die linke fliegt, wird der Konig, wohin er geht, siegreich sein" oder: ,,Wenn ein Falke jagt und seine Beute im Schnabel zerknickt und vor den Konig fliegt, wird der Konig seinen Feind vertreiben." Andere Namen des Jagdvogels scheinen busu und issur hurri gewesen zu sein: ,,Fahre wie ein Falke (issur hurri} aus deinem Verstecke hervor", womit vielleicht dieselbe Art der Jagd gemeint ist, die Aristoteles (oben S. 370) von den Thrakern nieldet. ,,Recken mit Falkenkorpern" werden bereits in der kuthaischen Schopfungslegende aus der Zeit der ersten babylonischen Dynastie (ca. 2000 v. Chr.) genannt (vgl. naheres bei B. Meissner Falkenjagden bei den Babyloniern und Assyrern in den Bei- tragen zur Assyriologie und semitischen Sprachw. herausg. von F. Delitzsch und P. Haupt S. 418ff.)

Unter den romanischen Volkern tritt nach den Ausfiihrungen H.'s die neue Jagdweise im Anfang des IV. nachchristlichen Jahrhunderts auf, und allmahlich erscheint eine Eeihe neuer Benennungen von Falkoniden, iiber deren Ursprung viel gestritten worden ist. Sicher deu tscher Herkunft ist it. sparaviere, frz. epervier aus ahd. spurawdri Sperber. Fiir deutsch halten wir auch mit Baist a. a. 0. S. 59 und Z. f. frz. Spr. u. Lit. XIII, 186 it. ger- fako, span, gerifalte, prov. girfale, frz. gerfaut: altn. geirfalki Sperfalke, Falco islandicus, da uns die Ableitung von gyrus, gyrare, also vom Kreisen des Vogels, sowohl an sich zu abstract erscheint, wie sie auch nach Baist's An- gaben sachlich unrichtig ist. Uebrigens ist auch unser geier nicht von gyrus, sondern von gier, gierig abzuleiten ; vgl. scrt. grdhra gierig und Geier. Deutsch ist ferner it. smerlo, prov. esmirle, it. smeriglione u. s. w. Schmerl (Baist, Z. f. D. A. 27, 60) und die Benennung eines wesentlichen Bestandtheils der Falken- jagd, der Lockspeise it. logoro, frz. leurre: mhd. luoder. Unter diesen Um- standen spricht von vornherein eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafiir, dass auch das mlat., zuerst bei Julius Firmicus Maternus erscheinende falco, it. falcone, frz. faucon (auch alb. fallcue, fekua Adler, G. Meyer, Et. W. S. 98): ahd. falcho, altn. faOce germanischen Ursprungs ist. Demnach ware die alte Ableitung von falx Sichel, die wiederum zu reflektirend und sachlich be- denklich ist (vgl. Baist, a. a. 0. S. 57), zu verwerfen, wie auch griech. Spitfj: dpTCctCcD raube und nicht: Sprcf) Sichel gehort. Baist leitet ahd. falcho von fatten ab (»der Habicht fangt seine Beute, der Falke stiirzt sich auf dieselbe « : accipitres praedas persequuntur, falcones ab alto feruntur) and beruft sich, was die Suffixbildung anbetrifft (Z. f. frz. Spr. u. Lit. XIII, 186 Anm.) auf Vogel- namen wie storch, kranich, dhaks, lerche, habuh, belche. Auch an Zusammenhang mit ahd. falo fahl hat man gedacht. Auf jeden Fall spricht aber fiir die deutsche Herkunft des Wortes falco seine Verwendung als Eigenname im Ahd., Ags., Langob, und Westgotischen (Baist. a. a. O.). - - Die Komanen haben also, darauf fiihrt die Sprachbetrachtung mit grosser Deutlichkeit, im III. oder IV. Jahrhundert die Sitte, mit Vogeln zu jagen, von den germanischen, in ihre Grenzen einbrechenden Schaaren kennen gelernt. Da nun weder Caesar, noch Plinius, noch Tacitus, noch sonst jemand von altgermanischer Falkenjagd zu berichten wissen, so ist es wahrscheinlich , dass unsere Vor- fahren diese neue Kunst nicht allzulange vor dem Beginne des IV. Jahrhunderts bei sich ausgebildet oder von aussenher iibernommen haben.

376 Der Pflaumenbaum.

Es ergeben sich also fur Europa bis jetzt zwei Entstehungsheerde des Jagdsports mit Vogeln: fiir die slavisch-griechische Welt Turko-Tataren nebst Persern und Arabern, fur die romanischen Volker die Germanen etwa des III. Jahrhunderts. Ob diese beiden Ausgangspunkte der neuen Jagdweise unter sich irgendwie zusammenhangen, bleibt eine offene Frage. Unmoglich scheint es uns nicht, dass mit den ersten Wehen der Volker wanderung die Anregung zu der Falkenjagd, deren hohes Alter im Orient durch die obigen Ausfuhrungen erhartet wird, und dessen Urspriinge man eher in der unend- lichen Steppe des Ostens als in dem begrenzten Waldgebiet unseres deutschen Vaterlands wird suchen wollen, zu ostgermanischen Stammen kam, die die neue Gewohnheit dann nach dem romanischen Stiden trugen.

In spate rer Zeit ist der Osten alsdann die Quelle eines erneuten Auf- schwungs der Falkenjagd geworden. Von den Arabern lernte Europa den Gebrauch der Haube kennen. Einen interessanten sprachlichen Beleg fiir den gleichen Kultureinfluss bietet mlat. sacer, it. sagro, frz., span, sacre, nihd. sackers der Sackerfalk. Die Meinung, dass diese verhaltnissmassig spat be- zeugte Sippe nichts sei als das lat. sacer heilig, eine Uebersetzung von Upag,' kann jetzt wohl als allgemein aufgegeben gelten (vgl. Lagarde, Mittheilungen II, 252, Baist a. d. o. a. Orten S. 62 und 189). Auch ist ahd. ivie zu trennen von wiho heilig, und auch in lepa£ ist, wie Hesychs ^stpaxsi; (*ivei-r-ak : ahd. wie ; Wurzel wi, wei jagen, vergl. Kluge, Et. W.) zeigt, bpo? = scrt. ishira erst volks- etymologisch hereingetragen worden. Die oben genannte Sippe ist vielmehr eine Entlehnung aus dem alt-arab. saqr. Ob dieses wieder aus tiirk. tschakir (Hammer-Purgstall S. XIX) entstellt sein kann, vermogen wir nicht zu ent- scheiden. Slavisch sokolu und lit. sakalas sind fern zu halten. Weitere Namen von Jagdvogeln vgL Anm. 79.

Der Pflaumenbaum.

(Prunus domestica L., Prunus insititia L.)

Der Pflaumenbaum, prunus, wird nur einmal bei Cato 133 ge- nannt, wahrend er in der Parallelstelle 51 iibergangen ist. Von allgemeiner Kultur in den Garten und einer dabei sich ergebenden Mannigfaltigkeit der Sorten konnte also damals noch nicht die Rede sein. Den Dichtern der goldenen Zeit dagegen ist die Frucht schon ganz gelaufig, Verg. Eel. 2, 53:

Addam cerea pruna; honos erit huic quoque porno. Was cerea pruna sind, erklart Ovid. Met. 13, 817:

Prunaque, non solum nigro liventia succo, Verum etiam generosa novasque imitantia ceras.

Der Pflaumenbaum. 377

Auch das Pfropfen der edlen Pflaume auf den Schlehdom 1st all- gemein, Verg. G. 4, 145:

spinos jam pruna ferentis.

Auf Horazens Villa waren Pflaumen auf Dornen zu sehen, Ep. 1, 16, 8:

quid? si rubicunda benigne Corna vepres et pruna ferunt?

Columella kennt drei Sorten: cereolum, Damasci, onychinum, Plinius aber eine verwirrende Menge von Varietaten, 15, 41: Ingens posted turba prunorum folgt die Aufzahlung einiger derselben. In pere- grinis arboribus dicta sunt Damascena a Syriae Damasco cogno- minata, jam pridem in Italia nascentia. Simul did possunt popular es eorum myxae, quae et ipsae nune coeperunt Rotnae nasci insitae sorbis. Diese Damascener-Pflaume, als die alleredelste, gab bei den Byzantinern und Neugriechen den Namen fur Kulturpflaume iiberhaupt her; der Name prunus ging mit dem Baum und der Frucht von Italien aus durch alle Lander West- und Mitteleuropas. Die Romer batten ihrerseits den Namen von den Griechen entlebnt; nQOVpvov aber gait nach Galenus eigentlich fiir die Frucht des wilden Baumes, 6, p. 619 Kuhn: o rs TWV ay()(,oxoxxvfjirjA.u)V, a nQovfJiva TIO.Q fjfilv (d. h. im nordwestlichen Kleinasien) xahovfft,, fand aber dann auch, wie in ahnlichen Fallen auch sonst geschah, auf die edle Prunus domestica Anwendung, z. B. bei Dioscor. 1, 174. Sonst hiess bei den Griechen die Frucht der letzteren xoxxvfji^ov (die erste Halfte ein orientalisches Wort, s. Pott in Lassens Zeitschrift 7, 109), die Schlehenpflaume fi()d{}vA.ov. Das alteste Zeugniss fiir den ersteren Narneii ist in einem Citat des Pollux 1, 232 aus Archilochus, also aus dem Anfang des siebenten Jahrhunderts , enthalten, dann in einem Fragment des Hipponax aus der Mitte des sechsten Jahr- hunderts, Fr. 81. Bergk. :

tfiscpavov el%ov xoxxvpfawv xal [twdrjg.

In der Abhandlung liber die Pflaumen bei Athenaus 2, p. 49 ff. wird nach dem Peripatetiker Clearchus berichtet, die Rhodier und die Sike- lioten nennten auch die Pflaumen pQafivha, und nach dem Glossator Seleukus, {tgaflvJia, rjka, xoxxvpyha, f-iddgva seien dasselbe. Der Sprachgebrauch des Theokrit bestatigt diese Angabe nicht: von den zwei Stellen dieses Dichters, in denen das Wort fiQafivko'v vorkommt, wird in der einen, 12, 3, die Ankunft der Geliebten so suss genannt, wie der Friihling im Gegensatz zum Winter, und das fjirjhov im Ver- gleich mit dem Pgafivkov: hier kann unter den letzteren schwrerlich

378 Der Pflaumenbaum.

die kostliche Pflaume verstanden werden, vielmehr wird firjhov nur als kiirzerer Ausdruck fur xoxxvpqhov zu nehmen sein. In der anderen Stelle 7, 146 werden bei Schilderung eines Lustortes Birnen, Aepfel und pgafivha zusammen genannt, und es steht nichts entgegen, sie auch hier als die einheimischen Schlehenpflaumen zu fassen. Die heutigen ronianischen Sprachen verwenden fur die Schlehe das Ver- kleinerungswort der Pflaume: prugnola, prunelle; das englische bullace Schlehe soil aus dem Keltischen stammen (s. Schuchardt in K. Zeitschr. 20, 1871, S. 249); dem deutschen Schlehe, ahd. sUha, mhd. slehe entspricht buchstablich das slavische sliva in der Bedeutung Pflaume; dem franzosischen creque oder vielleicht direkt dem lat. graecum ist das deutsche Krieche, niederdeutsche Kreke nachgebildet (Grimm, Worterb. 5, 2206), auch altpreussisch Jcrichaytos ; Zwetsche> welches slavischen Klang hat, aber in den slavischen Sprachen nicht vorkommt, ist nach Schmeller 4, 310 aus dafMCGXipev entstellt, wie die Englander aus demselben griechischen Wort ihr damsin, damson gemacht haben. Das italienische susina, spanische endrina, vielleicht nach Orten oder Menschen benannt, stimmen wenigstens in der Endung mit dem Namen bei Plinius: onychina, malina u. s. w. iiber- ein. Die Mirabelle, italienisch mirabella, fiihrt Diez 1, 280 auf [tvQopdhavog zuriick, welches griechische Wort urspriinglich eine indische, zur Bereitung einer Salbe dienende Frucht bedeutete, dann aber auf eine einheimische Art kleiner gelblicher Pflaumen angewandt wurde. Das in Tyrol gebrauchliche Zeiber (s. Schopf, Tyrolisches Idiotikon) lautet bei den benachbarten Slowenen cibara. Von den obigen Glossen ?jAa, padgva, zu denen man noch 6%v{iaka und ftddgva hinzufiigen kann (Nauck zu Arist. Byz. p. 118), ist nur r^la allenfalls aus orientalischen , zur iranischen Familie gehorenden Sprachen zu erklaren (Pott a. a. O. S. 108).

Die gegen den nordischen Winter abgehartete Prunus insititia mit runden Friichten mag in Europa urspriinglich heimisch sein, aber in ihrer veredelten Gestalt stammt sie, wie die echte Pflaume, aus Asien. Bei den Alten wird die eine von der anderen um so weniger genau unterschieden, als auch die erstere unter der Hand der Kultur die feinsten Friichte lieferte und noch liefert, z. B. die Reine-Claude. Wie schon der letztere Name andeutet, ist auch in diesem Zweige der Obstbaumzucht Frankreich das eigentlich klassische Land, sei es in Folge des Klimas oder der industriellen Bemuhung seiner Bewohner. Geht man weiter nach Siiden, zu den Kusten des mittellandischen Meeres hinab, so scheint auch die Pflaume viel von ihrem kostlichen

Der Pflaumenbaum. . 379

Aroma zu verlieren. Die europaische Gegend aber, wo die Pflaumen- zucht ini Grossen betrieben wird und als integrirender Factor der Bodenproduetion auftritt, ist das osterreichisch-tiirkische Grenzland (s. dariiber G. Thoemmel, Geschicbtliche, politische und topographisch- statistische Beschreibung des Vilajet Bosnien, Wien 1867, und F. Kanitz, Serbien, Wien 1868). Dort begegnet man ganzen Waldern von Zwetschenbaumen, ihre Friichte bilden 4 bis 6 Wochen hindurch frisch gepfliickt die Hauptnahrung der Bevolkerung und werden in gedorrtem Zustande massenhaft nach Deutschland, ja bis nach Amerika bin, ausgefiihrt. Schweine und Pflaumen sind fast die einzigen Aequi- valente, mit denen diese Lander ibren Bedarf vom Auslande, von dem sie in alien Stucken abbangig sind, bezablen. Die Haupt- anwendung aber, die von dem reichen Ertrage der Frucbt gemacht wird, ist die zu Pflaumenbranntwein, der beliebten slivovica. Obgleicb von diesem Artikel ungebeure Mengen an Ort und Stelle verbraucbt werden, denn wozu besassen jene Racen eine tiefere Predestination, als zum Genuss von Raki? , so ist auch die Ausfubr noch be- deutend. Wie alt diese Kultur dort ist und ob sie vielleicht uber die Zeit der slavischen Einwanderung binausgebt, ist uns unbekannt. Aus Beeren, an denen der Nordosten reich ist, ein Getranke zu machen, ist ein altslavischer oder osteuropaiscber Nationalzug, der schon von Herodot in seiner Beschreibung des binterskytbischen Landes angedeutet wird.

* Die in Kultur befindlichen Pflaumen stellen nicht eine Art dar, sondern sind von verschiedenen Stammarten abzuleiten. Die Kriecherpflaume (Primus insititia L.) ist sicher in den Kaukasuslandem und Kleinasien heimisch; aber sie findet sich auch in Nordafrika, sowie in ganz Siid- und Mitteleuropa in Waldern vielfach zerstreut, so dass sie mit grosser Wahrscheinlicbkeit als dort einheimisch anzusehen ist. Dagegen stammt die Kirschpflaume, Prunus cerasifera Ehrh., von der in Turkestan und tiberhaupt in Vorderasien heimischen und in Persien angebauten (Inst. XV. 1887. 2, S. 105) P. divaricata Ledeb. ab. Die Zwetsche (P. oeconomica Borkhausen) und andere Formeii gehoren zu P. domestica L., welche im Kaukasus sowohl diesseits wie jenseits des Gebirges bei 1300 in, ferner auf dem Talysch und dem Elbrus sehr verbreitet ist (Koppen, Geographische Verbreitung der Holzgewachse des europaischen Russlands I, 261); diese Art wurde schon zu Catos Zeiten von den Romern kultivirt. Ob die Reneclode (P. italica Borkhausen) eine selbstandige Art darstellt, ist nicht bekannt. Andere kultivirte Pflaumen sind hochstwahrscheinlich durch Bastardirung der genannten Arten entstanden. Jedenfalls spricht der Umstand, dass die meisten Pflaumenarten in Vorderasien heimisch sind, dafur, dass die Kultur der

380 -Der Pflaumenbaum.

Pflaumen sich im Orient entwickelt hat, wenn auch vielleicht die Kriecherpflaume schon vorher von den Europaern genossen wurde. Fur letzteres spricht der tlmstand, dass Heer Kerne dieser Pflaume in den Pfahlbauten von Robenhausen nachweisen konnte und dass solche auch in Pfahlbauten am Gardasee aufgefunden wurden.

** Der deutsche Ausdruck krieche kann, wie auch Kluge, Et. W.6 hervor- hebt, nicht identisch mit ahd. chriah, mhd. kriech Grieche sein; denn erstens ist ein mlat. graeca in der Bedeutung Pflaumenschlehe nicht vorhanden, und zweitens: wie hatten die Deutschen den bei ihnen einheimischen Baum »ohne auswartigen Vorgang« als »griechischen« bezeichnen sollen? Wohl aber konnte ahd. chridh u. s. w. einen urspriinglichen Nanien des Baumes volksetymologisch umgestaltet haben. Es fehlt namlich nicht an Formen, welche auf einen ur- spriinglich kurzen Wurzel vocal des Wortes hinweisen: ahd. crichboum Gl. florent. Graff III, 120, mnd. krike, kreke, schwed. krikon, nhd. schlesisch krichele, krichdn, waldek., Ostfriesland-Altmark krekenbaum u. s. w. (vgl. Pritzel u. Jessen, Deutsche Volksnamen der Pflanzen S. 315). Weisen diese Formen auf ein germanisches krik-, krek-, vorgermanisches greg- hin, so lasst sich letzteres ohne Schwierigkeit mit griech. (tya^-oXcx; vermitteln, so dass also die Prunus insititia auch sprachlich sich als einheimisch in Europa erwiese. Eine zweite ur- verwandte Bezeichnung einer Pflaumenart lasst sich vielleicht aus lit. slywa. altsl. sliva, dessen Beziehungen zu ahd. sleha (oben S. 378) noch nicht aufgeklart sind, = lat. lividus, eigentl. schlehenfarbig (vgl. nsl. sliv, blaulich), dann blaulich, blau erschliessen (vgl. mein Reallexikon u. Blau), wobei zu bemerken ist, dass Kerne sowohl der Prunus insititia L. wie auch der eigentlichen Schlehe (Prunus spinosa L.} und der Traubenkirsche (Prunus Padus L.) ausser in der Schweiz (s. o.) auch in neolithischen Stationen Oesterreichs und Italiens ge- funden worden sind (vgl. G. Buschan, Vorgesch. Botanik S. 181). Urkeltisch: ir. draigen, draighin gl. prunus, cymr. draen spinus, spina, sentis. Was die tibrigen Pflaumennamen, zunachst die des Griechischen anbetrifft, so diirfte x<yxx6fAf]Xov kaum etwas anderes als *xoxx6-jrr]Xov, wortlich »Kernobst« (xoxxo?) sein. Neugriechisch heisst Prunus insititia xopojrfjXfjd (alb. korombil'e) und noupvsX-rjd (Heldreich, Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 68). Die schon von H. zur Erklarung von r[ka. herangezogenen iranischen Worter lauten pers. dlu, kurd. alou. Geht man von einem idg. Stamm el- aus, so konnte mit dem- selben auch der deutsche Name der Prunus Padus: ale, ahlbaum,Ahlkirschenu.s.w. (Pritzel-Jessen a. a. O. S. 316, Koppen a. a. O. I, 262) zusammenhangen. - Griech jxd^pua wird im Archiv fur slavische Philol. 13, 424 zu altsl. modru blau gezogen, wie auch wahrscheinlich die alb. kumbuh Pflaume, kulumbri Schlehe und das rum. porumbe Schlehe von der blauschwarzen Farbe der wilden Taube her (columba, palumbes) benannt sind. Vgl. G. Meyer, Et. W. S. 212/13. - Vgl. noch kurd. chilour aus armen. slor Jaba- Justi S. 260 und neuere orientalische Namen bei Koppen, a. a. O. It. susina hat man von sucus »die saftige« abzuleiten versucht (Korting, Worterbuch). - - Der keltische Ursprung von engl. bullace wird wohl mit Recht bezweifelt von James A. H. Murray (A new English dictionary). Was die germanischen , gewohnlich als aus dem lat.

Der Maulbeerbaum. 381

prunus, prumim entlehnt angesehenen Pflaumennamen ahd. phruma, pfliimo, ags. plume anbetrifft, so inacht ihr m dem n der lateinischen Formen gegen- tiber Schwierigkeiten. J. Schmidt, Kritik der Sonantentheorie S. Ill 1st daher geneigt, die germanischen Benennungen unserer Kulturpflanze durch thrakische oder illyrische Vermittlung direkt auf griech. Tipoojj.vov zuruckzuftihren , und zwar umso mehr, als die nordlichen Gegenden der Balkanhalbinsel noch heute ein Hauptsitz der Pflaumenkultur seien (vgl. o. S. 379).

Der Maulbeerbaum.

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(Morus nigra L.)

Dieser niedisch-pontische Baum fand seiner blutrothen, angenehm sauerlich-siissen Friichte wegen ziemlich friihe Verbreitung nach Westen. Er erreicht eine ansehnliche Hohe und tragt ein dunkles Laub, das im Friihling spat hervorbricht. Letztere Eigenschaft ver- schaffte ihm, wie Plinius 16, 102 sagt, den Beinamen sapientissima arborum, d. h. der vorsichtige Baum, der sich erst hervorwagt, wenn kein Fruhlingsfrost mehr zu fiirchten ist. Die Beeren, der Himbeere an Gestalt ahnlich, im eigentlichen Vaterlande oft einen Zoll gross, munden nur und sind nur gesund, wenn sie die vollige Reife haben, dann aber mussen. sie rasch verzehrt werden, weil der Saft bald in Gahrung gerath und zu Essig wird. Man pfliickt sie daher fruh- morgens und kauft und geniesst sie, ehe die Hitze des Tages sie verdorben hat, auf den Fruchtmarkten heutiger siidlicher Stadte, wie einst in Italien zu Horaz' Zeiten, Sat. 2, 4, 21:

Hie salubris

Aestates peraget qui nigris prandia tnoris Finiet, ante gravem quae legerit arbore solem.

Die dunkelrothe Farbung war das Merkmal, das den Alten an ihnen besonders auffiel. Wie Horaz, so nennt sie auch Martial schwarz, 8, 64, 7:

sit moro coma nigrior caduco;

bei Vergil sind sie blutig, Eel. 6, 22:

Sanguineis frontem tnoris et tempora fingit;

so auch bei Columella, 10, 401 :

cumulataque moris Candida sanguineo manat fiscella cruore;

382 Der Maulbeerbaum.

Sullas Gesicht war von grellem Roth mit weissen Flecken untermischt, so class ein Spotter in Athen dichtete, es sei wie eine Maulbeere, mit Mehl bestreut, Plut. Sull. 2:

Svxdfuvov say 6 2iMa<;, a^(fCr(o 7ie7ta(ftuevov.

Elephanten, denen vor der Schlacht der Riissel mit Maulbeeren be- strichen war, sollten dadurch kampfgierig werden, offenbar wegen der Aehnlichkeit des Saftes mit dem Blute (1. Maccab. 6, 34 nach Luther: »da liess der Konig .... die Elephanten mit rothem Wein und Maulbeersaft bespritzen, sie anzubringen und zu erziirnen«). Ueppige Weiber und lustige Leute, die Mummenschanz trieben, be- malten sich Schlafe und Wangen mit Maulbeersaft, und dem Weine, den sie dazu tranken, war vielleicht auch, wenn er zu blass gewesen war, ein Zusatz von dermselben Saft gegeben worden, um ihn dunkel- roth zu machen (juehag olvog, wie [tshav afaa) wie noch jetzt im Siiden Praxis ist.

Fragen wir, wann der Maulbeerbaum aus seinem asiatischen Vaterlande zuerst in Europa erschienen, so verweisen uns einige bei- laufig aufbewahrte Dichterstellen auf die Zeit der attischen Tragiker, andere ein Jahrhundert spater auf die der mittleren und neuen Komodie. Nur dass die Verwechselung mit der Sykomore, dem agyptischen Maulbeerfeigenbaum, und andererseits mit dem Brombeer- und Himbeerstrauch einige Unsicherheit in die Deutung der Zeug- nisse bringt. Die Sykomore namlich, ein weitschattender Baurn mit feigenahnlichen Friichten ursprunglich in Aegypten zu Haus, aber auch in semitischen Landen, wo der Boden es erlaubte, in Palastina und Cypern vielfach angepflanzt, war auch den Griechen aus ihrem Verkehr mit jener Erdgegend nicht unbekannt geblieben; der Baum empfahl sich nicht bloss durch die Kiihlung, die sein Laub gewahrte, sondern auch durch die Friichte, die eine Nahrung des niederen Volks bildeten, und durch das sehr geschatzte Holz, das eben so fest als leicht sein sollte. In den heiligen Schriften der Hebraer erscheint die Sykomore nur in den beiden Pluralf ormen : schikmim und schik- mot, und vergleicht man dazu die beiden griechischen Benennungen, •die friihere ffvxdiuivog, und die spatere cfvxofAOQog, ffvxo(MDQ£a, so ist augenfallig, dass sie jenen hebraischen oder vielmehr den entsprechen- den syrischen oder niederagyptischen nachgebildet sind. Diesem Sy- komorenbaum erschien nun der eigentliche Maulbeerbaum mit Recht oder mit Unrecht sehr ahnlich und entlieh ihm auch seinen Namen. Theophr. h. pi. 4, 2, 1: »der Maulbeerbaum kommt der dortigen Sykomore sehr nahe, denn er hat ein ahnliches Blatt, gleicht ihm

Der Maulbeerbaurn. 383

auch in der Grosse und der ganzen Gestalt.« Wiederholt von Pli- nius, 13, 56: Arbor (ficus Aegyptia) moro similis folio, magnitudine, adspectu. Ebenso Dioscorides, 1, 181: rolg (pvMoig soixbg (uogsa. Daher sagt Diodor 1, 34 geradezu: es giebt zwei Arten Sykaminen, die einen tragen Maulbeeren, die andern Friichte wie Feigen. Anderer- seits waren die Friichte des Maulbeerbaumes denen des Brombeer- strauches, fidwg, sehr ahnlich, und der uralte Name des letzteren [toga, {,iwQa, mom konnte leicht auch auf die ersteren angewandt werden, Athen. 2. p. 51: crvxafiwa a xahoiGiv evt,ot, [toga . .0 JrjfJLrjXQiog Ss "I'&wv TO, avTa aoxdfJLwa xal [toga. Phanias, der Eresier, der Schiiler des Aristoteles, wollte den Namen /IWQOV auf die Frucht der wilden Gvxdfiiivog d. h. auf die Brombeere beschrankt wissen, die auch sehr suss sei (Athen. ibid.), aber die Uebertragung hatte schon zu weit um sich gegriffen. Ja die Alexandriner brauchten, wie Athenaus eben dort berichtet, ausschliesslich {JLOQO, fur Maulbeeren, vermuthlich well avxdfjiwa fur die bei ihnen haufigen Friichte der agyptischen Sykomore schon seine feste Verwendung gefunden hatte. Selbst der Ausdruck fidua, der doch wortlich die Beeren des Dornstrauchs be- deutet, wurde hin und wieder auf die Maulbeeren angewandt. Bekk. Anecd. gr. 224, 23: fidua* ffcoxa^cvov 6 xaQTibg v/rb 2a^.a^Jiivi(ov. Wenn nun berichtet wird, Aeschylus habe in seiner Tragodie »die Phryger« von Hektor gesagt, er sei reifer gewesen, als die [toga, Athen. 2 p. 51:

BV^p sxewog i]v nsTiacTSQog [togwv,

so sind wir nicht sicher, ob der Dichter hier in der That, wie die Spateren annahmen, an Maulbeeren gedacht und diese ihm also be- kannt gewesen, oder ob er nicht vielmehr die einheimischen Brom- beeren im Sinne gehabt? Bedenkt man, dass die Maulbeere vor der volligen Reife ungeniessbar ist, dann aber auch unverweilt gepfliickt und verzehrt werden muss, so kann das Erstere allerdings wahr- scheinlicher sein und besser auf Hektors vollzogenes Geschick passen. Aber dasselbe Wort [IOQOV hatte Aeschylus noch bei einer andern Gelegenheit gebraucht, in den Kreterinnen, und zwar vom Brombeer- strauch, xctTa rr^g fldrov, Athen. ibid. :

Asvxolg rs yag JUOQOKU xal [jishay

xal (MkxonQKTiTOtg ^Qi3erai zavrov Hier wiirde der Wechsel der Farbe an den Friichten vom Weiss durch das Rothliche bis zum Schwarzen in der That auf Maulbeeren rathen lassen (Plin. 15, 97: mom... trim colores, candidus primo, mox rubens, maturis niger, cf. Theophr. de caus. pi. 6, 6, 4), wenn

384 £>er Maulbeerbaum.

nicht Athenaus, der die Stelle excerpirte und den Zusammenhang doch gekannt haben muss, grade die fidmg als den Gegenstand der Rede angabe. Eben so unbestimmt als diese Stellen des Aeschylus ist die des Sophokles aus einer verlorenen Tragodie, Bekk. Anecd. gr. 361, 20 (Nauck, Fr. Soph. n<> 362):

fiisv otyst, fovxbv dv&ovvia ard%vv, (poivfeavra yoyyvhov HOQQV,

€7T£t,ia yrjQag ha^pdveig Aiyvnuov.

Ausser manchen Bedenken, die diese Verse erwecken, worunter das unertragliehe 6 /uoQog fur TO [*OQOV, welches freilich Eustathius sich gefallen Hess, erscheint das Beiwort yoyyvAog rund weder fiir die Brombeere noch fiir die Maulbeere passend. Ein dritter Zeuge aus alterer Zeit fiir das Wort yoga, welches mehr der dorischen Mundart angehorte, ist Epicharmus, Phot. Lex. v. Ovxapiva* ra tie fioga, dwQwv /uahhov xal 'EnfyaQnog' /.to^cov veov TO (fvrov. Muss auch hier die eigentliche Bedeutung zweifelhaft bleiben, so findet sich bei den jiingeren Komikern die Maulbeere deutlich und unverkennbar, Eubulus (bliihte nach Suidas 01. 101, muss aber bis zu Demosthenes' Zeit gelebt haben) bei Athen. 13, p. 557:

ovtf SxiTifg vf.islg (rvxafjiivcp rag yvdtiovg

Philippides (zwischen 01. 118 und 122, Freund des Konigs Lysimachus) bei Phot. 1. 1.:

wig ffvxa/nCvocg (T dvil wv cpvxovg ohov

TO TTQO&OTIOV -

denn statt der Schminke kann zum Farben des Gesichts nur der rothe Maulbeersaft dienen. Theophrast unterscheidet in seiner ge- naueren Sprache die dvxd^cvog oder den Maulbeerbaum von der tfvxdfuvog AlyvTiria oder der Sykomore, und ebenso sicher ist der erstere unter dem Namen [toQsa in den von Athenaus 2. p. 51 auf- bewahrten Versen aus den Fsw^ycxd des Nicander zu erkennen:

xal fLiogeyg 1} natal rtefai, {.is thy pa

TIQWTOV enayyeMovaa figowlg ridsla

Und des Maulbeerbaumes mit den jugendbegluckenden Friichten, Der den Menschen zuerst die Fruchtzeit kiindigt, die siisse.

In der That ist Morus nigra wie mit ihrem Laube im Friihling die spateste, so mit ihren Friichten der Wonne der Jugend im Sommer die erste. Zu Galenus' Zeit endlich war JUOQOV schon der allein ge- brauchliche Ausdruck und crvxdfuvov nichts als eine klassische Anti- quitat: »ich will lieber, bemerkt er de aliment, facult. 2, 11,

Der Maulbeerbaum. 335

sagen, wie es alien gelaufig 1st, als avxdfjiivov , wie die Attiker vor 600 Jahren sich ausdruckten; thoricht derjenige, dem es mehr auf sogenannte korrekte Sprache, als auf Gesundheit des Lebens an- kommt.« Um so auffallender 1st, dass die Neugriechen zwar auch fAOQsa, daneben aber auch avxa/nyved sagen sollen.

Bei dem Uebergange des Baumes nach Italien war die Be- nennung avxdfjiwog schon verloren gegangen : er trug fortan, wie der Brombeer- und Himbeerstraucb, nur Mora. War HOQOV oder (LIMQOV ein dorischss Wort und brauchte es Epicharmus in Sieilien, so wird Name und Sache von Grossgriechenland aus zu den Lateinern ge- kommen sein. Der Name in so fern, als das Beispiel der Griechen die lateinisch Redenden vermochte, das in ihrer Sprache gewiss alte Wort morum auf die neue Beere anzuwenden. Wo Verwechselung moglich war, da mochte man sagen Beere vom Baume, morum celsae arboris, und fiir Maulbeerbaum morus celsa, worauf wenigstens das italienische gelso fiihrt. Bei den Dichtern wird die Frucht nicht selten erwahnt; Ovid erzahlt uns im vierten Buche seiner Metamor- phosen, woher die rothe Farbe der Beeren stammt, namlich vom Blute des Pyramus, als dieser sich wegen der Thisbe unter dem Baume den Tod gab eine ganz kleinasiatische , auch bei andern Pflanzen wiederkehrende Sage, die diesmal Babylon zum Schauplatz gewahlt hatte und darin eine Erinnerung an die Herkunft des Baumes aus dem tieferen Osten bewahrte. Sehr zartlich war der Baum nicht, denn er hat seitdem die Alpen iiberstiegen und gedeiht nicht bloss in Frankreich, sondern auch in England und Deutsch- land, ja in Skandinavien , obgleich es wohl vorkommt, dass er in harteren Wintern erfriert. Wich tiger als durch seine Friichte wurde er ein Jahrtausend spater durch sein Laub; er machte die Ein- wanderung der ostindischen Seidenraupe moglich. Die ersten Pflan- zer, die nach den schwarzen Beeren begehrten, ahnten nicht, dass die rauhen Blattter einst durch eine mannigfache Metamorphose ver- mittelst einen kleinen Thierchens sich in ein kostbares, weiches, glanzendes Gewebe verwandeln wiirden. Die Romer hatten zwar die serischen Gewander allmahlich kennen gelernt und wogen sie mit Gold auf, aber dass diese wunderbaren Faden nur versponnene Maulbeerblatter seien, kam auch ihnen nicht in den Sinn. Im wei- teren Verlauf der Zeiten freilich trat Morus nigra das Amt, die Seidenraupe zu fiittern, an einen andern noch spatern Ankommling aus dem centralen und ostlichen Asien ab, an die Morus alba, einen Schwesterbaum von kleinerm Wuchse, glatteren und zarteren Blattern

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 25

386 I^er Maulbeerbaum.

und weissen honigsiissen Friichten, der gegen Ende des Mittelalters in Europa erschien. Die persischen Provinzen am kaspischen Meere, in Europa Italien und Frankreich, die Hauptseidenlaiider des Westens, sind jetzt in den Bezirken, wo diese Industrie bluht, iiber und iiber mit beschnittenen und berupften weissen Maulbeerbaumen bedeckt; nur bin und wieder steht der Maulbeerbaum der Alten noch ange- pflanzt da und dient nur in zuriickgebliebenen und abgelegenen Gegenden mit seinem Laube zur Ernahrung der spinnenden Raupe und zur Erzeugung einer groberen, minder edlen Seide. Eine noch dienlichere Art Morus, als der gewohnliche weisse Maulbeerbaum, die Morus alba multieaulis, ist in neuerer Zeit aus Manilla, wohin sie aus China gekommen war, in Europa eingefuhrt worden und soil, richtig behandelt, gut gedeihen80).

* Der schwarze Maulbeerbaum ist unzweifelhaft wild im stidlichen Trans- kaukasien , z. B. in Karabagh und Talyschj ob er auch in den persischen Provinzen Ghilan und Masenderan, wo er ofters verwildert vorkommt) heimisch ist, ist nicht ganz sicher. (Vergl. Koppen, a. a. O. II. 15.) Zu Zeiten der Homer wurde er auch aus Syrien nach Aegypten eingefuhrt. Der in Stideuropa und auch in Mitteleuropa so haufig kultivirte weissfriichtige Maulbeerbaum (Morus alba L.) ist in China und dem nordlichen Ostindien heimisch.

** Die Gleichung griech. fxopov, jxdipov = lat. morum (S. 385) setzt sich in ir. merenn Maulbeere etc. (vgl. Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 212) und in armen. mor, mori, moreni pdtoc, Brombeere fort. Hiibschmann Armen. Gr. I, 394 rechnet freilich den armenischen Ausdruck zu den »Armenischen Lehn- wortern unsicherer Herkunft.« Derselbe Bedeutungsubergang von Brom-, beere in Maulbeere kehrt im dak. jxavtsta, mantia Brombeere in seinem Ver haltniss zu alb. man, scut, mand Maulbeerbaum (G. Meyer, Et. W. S. 257) wieder. Vielleicht ist auch eine Beziehung zwischer dak. fxavteta und griech. Patoi; denkbar. Von anderen Benennungen des Maulbeerbaumes nennen wir noch das seltsame gothische baira-bagms, was man neuerdings aus lat. pirus Birnbaum zu erklaren versucht hat, wobei eine allerdings starke Ver- wechslung der beiden Baume angenommen wird. Iin Altslovenischen be- gegnen die Ausdrucke crunicije (: crunu schwarz), jagodicije (: jagoda Beere) und §elkovica (: §ellcu Seide).

Die Morus alba wird durch den Ausdruck tut bezeichnet. Dieser be- herrscht die ganze Balkanhalbinsel (ttirk. dud, alb. duds, Du Cange: tout xal Tia ta n<5pa, rum. dud. auch russ. tut, serb. dud) und lasst sich durch die ira- nisch-arraenischen Lander (pers. tut, kurd. tou. armen. t'ut', auch aram. tutd') bis ins Indische verfolgen, wo tud nach B. K. wie tula die Baumwollenstaude und den Maulbeerbaum bezeichnet.

Mandeln. Walniisse. Kastanien. 3^7

Mandeln. Walntisse. Kastanien.

In der romischen Kaiserzeit wusste man die drei in deiHJeber- schrift genannten Friichte, als juglandes, Walniisse, amygdalae, Man- deln, und nuces castaneae, Kastanien, genau zu unterscheiden : je weiter man aber in der Zeit hinaufgeht, desto mehr verwirren sich die Namen. So lange die Baume selbst, deren Ansehen und Natur so verschieden ist, dass sie gar nicht mit einander zu verwechseln sind, nicht allgemein bekant waren, und nur der Seehandel jene Schalenfriichte in Sacken oder Thonfassern auf den Markt z. B. den von Athen, brachte, griff man bei der Benennung zu den einheimi- schen Wortern Nuss oder Eichel und fiigte wechselnde Beinamen hinzu, die von der Beschaffenheit der Schale oder von dem Lande, wo die Frucht angeblicb wuchs, oder von dem Handelshafen, der sie geliefert hatte, hergenommen waren. So schwankend aber blieb der Gebrauch, dass z. B. der populate Name Jupiters Eichel, Jcbg ftdhavog, der in Griechenland in den meisten Fallen die Kastanie bezeichnete, in der entsprechenden lateinischen Form juglans die Bedeutung Walnuss hat. Am friihesten trat die Mandel auf, die unter dem Namen dfivyddhir] bei den attischen Komikern schon gewohnlich ist; die Namen der Walnuss, der Kastanie und einiger edlern Arten der Haselnuss laufen aber noch lange durch einander. Halt man die Hauptstellen zusammen, so ergiebt sich wenigstens eine unzweifel- hafte pflanzengeographische Thatsache, namlich die Herkunft aller dieser Friichte aus dem mittleren Kleinasien, besonders aber aus den Pontusgegenden und zwar in verhaltnissmassig spater Zeit. Dort- hin weisen alle Namen: Hermippus ap. Athen. 1, p. 28: Tag Jg Jtbg fiahdvovg xal duvydaha (Kyahosvia Jlayhaycvsg naQK%ova<,' ra yaQ T dvadriuara dawog. Plin. 15, 93 von den Kastanien: Sardibus hae provenere primum: ideo apud Graecos Sardianos balanos appellant. Dioscor. 1, 145: at 2aQdiaval fidhavoe,, dg ruvsg AoTtifia, r) xdcrmva xahovtiw, rj fiota, rj Jiog pdhavoi. Galen. 6, p. 778 Kiihn. : OL ye fji^v epol noklxat,, ovv xal aMot, TWV sv 3AaCa, Sagdiavag rs xal fovxrvag avrag (die Kastanien) dnb TWV %oo^toor, Iv oig nfolffiai (also wo sie am haufigsten sind, nicht etwa wo eine be- sonders feine Sorte wachst). TO ftev ovv STSQOV xwv ovoudiwv TOVTWV evdyhov tGuv dnb rwog ysyove' ^svxrivac Ss dnb %u)QCov nvbg ev im ogst xfj "fSrj T^V nQOGwvviiuav sffx^xaaw. Amphilochus ap. Athen. 2.

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p. 54 : onov de ywexai, ^a xdgva va 2(,va>mxa, ravxa devdga exdhovv afJtwTa (was oben Dioscorides (Jioxa nannte beide Formen schwer deutbar und vielleicht verdorben). Strab. 12, 3, 12 : rj de xai ayevdafivov fyei xal dgoxagvov, e% wv -tag TQane&g Theophr. h. pi. 3, 15, 1: rj de 'HQaxhewTi-xr} xaQva - folgt die Beschreibung , die auf die Haselnuss passt. Inschrift bei Boeckh, Staatshaushalt 2, 356: IIsQMxag Zygag xal apvyddhag xal 'Hgaxhew- vixa xdova xal xwvovg xal xaGtdvaia. Macrob. Sat. 3, 18, 7: nux castanea .... vocatur et Heracleotiea. Nam vir doctus Oppius in libro quern fecit de silvestribus arboribus sic ait: Heracleotiea haec mix, quam quidam castaneam vacant. Diocles ap. Athen. 2, p. 53: ia ds 'HQaxlewrixa xahov/meva xal dwg pdhavoi Tgeysi, [lev ov% ofJLOiwg rolg a/tjivyddhoig, e%£t, de %t, xey%Qu)8sg.

Niisse also, oder Eicheln, benannt nach Sardes in Lydien, nach einer Gegend am Idagebirge, nach Sinope und Heraklea, den beiden Hafenstadten am schwarzen Meere, und bezogen aus Paphlagonien, der Landschaft an demselben Meere. Ganz gewohnlich ist aber auch die direkte Benennung pontische Niisse, meistens aber nicht ausschliesslich, Mr eine grossere Art Haselniisse gebraucht , so wie persische oder konigliche, weil sie aus einer Gegend stammten, die den persischen Konigen unterworfen war. Plin. 15, 88: In Asiam Graeciamque e Ponto venere ideoque Ponticae nuces vo- cantur. Idem 87 : Et has (juglandes) e Per side regibus translatas indicia sunt Graeca nomina; optimum quippe genus earum Per- sicon atque basilic on vocant, et haec fuere prima nomina. Diosc. 1, 179: ra de novuxa, a eviot, lercxoxaqva xahovow. Idem 1, 178: fiaa&hixa xahovtfw. Athen. 2. p. 53: "Ore, TCOVTIXWV xa- tv xayvwv, a A,6mf*d rweg ovofjid^ovfft., [tvrjfjiovsvei, de xal Tcjua^dag $v ykvtfaaig ACoo, fidhavov (pr^Gi 'ib TIOVTIXOV xdgvov.

Woher aber stammte der Name Kastanie, und wann taucht er zuerst auf? Xenophon kam mit den Zehntausend auch zu den Mo- synoken, einem pontischen Volke, und fand bei ihnen viel breite Niisse aufgespeichert -- sie dienten also zur Volksnahrung , die von den Spatern, s. Poll. On. 1, 232, fur Kastanien gehalten worden sind, Anab. 5, 4, 28: xdgva tie Im TWV dvwyatwv fp? nokka TO, TthaTea, ovx e'xovra diayvrvv ovdepCav - - viel wahrscheinlicher aber eine grosse Art corylus waren, wie sie jene Gegenden hervorbringen ; auf jeden Fall aber kennt er den Namen Kastanie noch nicht. Der- selbe wiirde zuerst bei Theophrast h. pi. 4, 8, 11 erscheineii:

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TO> Kcufcava'ixqj xaqvm, wenn die Lesart sicher ware und die vier Worte, da sie dem sonstigen Gebrauch des Theophrast widersprechen, nicht ganz wie ein spateres Glossem aussahen. Erst der Dichter Nikander im zweiten Jahrhundert vor Chr. spricht deutlich von der Nuss, die das Land Kastanis erzeugt, Alexiph. 271 :

dvg&sneog xagvoto, TO Kaamvlg ergsysv ala.

Aber wo lag die Gegend Kastanis ? der Scholiast belehrt uns : nofag Oeaaaktag, Q&W TCC xaardvia dnb r^g KaacavCdog pjs, und ahnlich driickt sich das Etymologicum M. s. v. Katftavsa aus. In der That gab es an der thessalischen Kiiste am Fuss des Pelion in der Land- schaft Magnesia einen kleinen Hafen oder nach Strabo ein Dorf, xwfjivj, des Namens Kaattavalr], KaaiavaCa zuerst bei Herodot 7, 183 und 188 erwahnt; auch sagt Theophrast h. pi. 4, 5, 4, es wiichsen in Magnesia und auf Euboa, welche Insel der Landschaft Magnesia gegeniiber lag, viel Euboische Niisse d. h. Kastanien. Von diesem wenig bekannten Flecken also hatte die Kastanie ihren Namen? oder suchte man in der Verlegenheit nicht vielmehr nur irgend einen geo- graphischen Namen, um den der Frucht damit zu erklaren? Auch fiigt der Scholiast noch eine zweite Deutung hinzu, die an sich viel grossere Wahrscheinlichkeit hatte: rj Katfravlg TIG fog UOVTOV, onov nfoovd&i TO xaatdvtov - - wenn sich nur sonst von einer pontischen Stadt oder Gegend dieses Namens eine Spur fande. Oder taucht hier jenes rathselhafte KaGcafjunv siidwestlich von Sinope auf, das wir in byzantinischer Zeit als einen bedeutenden Ort kennen lernen, ohne dass die Alten seiner erwahnten (Ritter, Erdkunde, 18, 414 ff.)? Jene Inschrift bei Boeckh, in der dieser Gelehrte keine romischen Spuren fand, kann wegen des darin vorkommenden Namens xa<rrd- vaia wenigstens nicht weit von der romischen Zeit abliegen. Dass auch in verschiedenen orientalischen Sprachen die Namen glans regia, Aibc, fiQ^avog oder juglans fiir die Kastanie vorkommen (Pott in der Zeitschr. fiir Kunde des Morgenl. 7, 110 if.), wiirde bedeutungs- voll sein, wenn nicht Benennungen wie bendak, pandeJc fiir nux Pon- tica, arabisch mitkon fiir malum Medicum bewiesen, dass auch abend- landische Fruchtnamen den Riickweg in den Orient fanden. Nicht in den semitischen, wohl aber, wie wir glauben, in iranischen Idiomen, besonders im Altarmenischen , wiirden Kenner dieser Sprachen viel- leicht den Ursprung und eine Erklarung des Namens Kastanie ent- decken konnen. In Italien nennt Cato gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. weder juglandes, noch Kastanien, noch Mandeln. An einer Stelle aber, 8, 2, giebt er die Vorschrift: nuces calvas avel-

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lanas praenestinas et graecas, haec facito uti serantur. Hier sind unter nuces avellanae die aus Campanien stammenden, dorthin von den griechischen Kustenstadten verpflanzten edlern Haselniisse, unsere Lamberts- d. h. lombardischen Niisse zu verstehen, die den Griechen selbst aus dem Pontus zugekommen waren; aber wie sind nuces calvae und graecae zu deuten ? Ernst Meyer, Geschichte der Botanik, 1, 344, vermuthet in der nux graeca die Kastanie, befindet sich da- mit aber im Widerspruch mit dem Gebrauch der Spatern, die durch- gangig unter nux graeca die Mandel verstehen. Bei Columella heisst der Baum amygdala, die Frucht nux graeca; Plinius 15, 90 sagt ausdriicklich : Jiaec arbor (der Mandelbaum) an fuerit in Italia Catonis aetate dubitatur, quoniam graecas nominatj und ebenso in Macrob. Sat. 3, 18, 8: nux graeca haec est quae et amygdale dicitur, sed et Thasia eadem nux vocatur. Testis est Cloatius in Ordina- torum Graecorum libro quarto, cum sic ait: Nux graeca amygdale. 1st also Catos nux graeca, wie nicht zu bezweifeln, die Mandel, so hatte man bei der nux calva die Wahl zwischen der Walnuss und der Kastanie. Vergleicht man die vier Sorten Kastanien bei dem Scholiasten zu Nicandr. Alex. 271: TWV ds xaffxdvcov TO fjisv 2aQdiavbv, TO tie hoTUfJiov, TO tie pahaxbv, TO ds yvfivohonov, so konnte calvus wohl einerlei sein mit yvnvokonog, nacktschalig, und nux calva folglich die Kastanie bedeuten. Einen ahnlichen unbestimmten Ausdruck, mollusca nux, hatte Plautus gebraucht, Macrob. Sat. 3, 18, 9 : Plautus in Calceolo sie ejus meminit:

molluscam nucetn Super ejus dixit impendere tegulas.

Ecce Plautus nominat quidem, sed quae sit nux mollusca, non exprimit. Halt man diese Bezeichnung zu dem obigen [iiahaxov beim Scholiasten des Meander und zu Vergils castaneae molles (Eel. 1, 82; molles = weichschalig, nicht, wie man gewollt hat, wohlschmeckend), so wird man nicht anstehen, auch hier den das Dach beschattenden Kastanienbaum vorauszusetzen. Auf jeden Fall kann bei dern Mangel fester Namen an eine allgemeine Kultur dieser Baume in Italien zu Plautus' und Catos Zeit nicht gedacht werden. Die Walniisse finden sich unter dem Namen juglandes schon mehrmals bei Varro und einmal bei Cicero - - da wo er erzahlt, der Tyrann Dionysius der altere habe sich von seinen Tochtern den Bart mit gliihenden Nuss- schalen abbrennen lassen, Tusc. 5, 20, 28 , der Kastanien erwahnt zuerst Vergil, in der so eben angefuhrten Stelle und Eel. 2, 52: Castaneaeque nuces mea quas amaryllis amabat,

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der amygdala Ovid, Art. amat. 3, 183:

Nee glandes, Amarylli, iuae nee amygdala desunt,

die amygdala amara und dulcia finden sich so bezeichnet zuerst bei Scribonius Largus in dessen compositiones medicamentorum vor der Mitte des ersten Jahrhunderts nach Chr. Von da an waren die Baume sowohl als die Namen in Italien so eingeburgert wie noch heut zu Tage die nod, mandorle, castagne. In alien Garten stehen die Mandelbaumchen bei mildem Wetter schon im Januar, sonst aber im Februar und Marz, ehe noch die Blatter hervorgekommen sind, in ihrem schneeigen Blutenschmuck da, die Nussbaume be- schatten mit ihrem dichten aromatischen Laube die Wege selbst in Deutschland, und die Kastanien haben in Italien, Spanien und einem Theile Frankreichs sogar zu wirklichen Waldern sich vermehrt, die je nach der geographischen Breite in hohern oder tiefern Zonen die Berge, z. B. in prachtvollen Exemplaren den Kegel des Aetna, um- giirten. So sehr sind die Friichte der letzteren zur allgemeinen Volksnahrung geworden, dass man in Frankreich die Tragheit der Korsen ihren Kastanien zugeschrieben und deshalb den Untergang dieser Baume gewiinscht hat wie die Banane den Tropenmenschen faul macht. In der That besitzt eine korsische Familie nur zwei Dutzend Kastanienbaume , dazu eine Heerde Ziegen, die das ganze Jahr hindurch frei weidet, so sind alle Bediirfnisse gedeckt, und der Wunsch des Vaters und jedes der Sohne geht nur noch auf Erwerb eines Stimmchens, um damit eine Flinte zu kaufen. Auch im rauhen italienischen Apennin lebt der Gebirgsbewohner, da wo der Ackerbau unmoglich oder unergiebig geworden ist , einen grossen Theil des Jahres von Kastanien und Kastanienmehl und gerath in grosse Noth, wenn einmal in einem ungiinstigen Jahr die Ernte sparlich ausfallt. Ausser den Friichten giebt der Kastanienbaum in der heissen Zeit auch Schatten und Kiihlung und das Holz dient nicht bloss zur Feuerung, sondern auch zu Werkzeugen und Gerathen jeder Art. So gehort dieser Baum zu den allerwichtigsten Erwer- bungen der Kultur, die uns das Alterthum hinterlassen hat. Auf die Botaniker pfleg.t freilich die Kastanie in Siideuropa den Eindruck eines dort von Urbeginn einheimischen Gewachses zu machen. So lasst z. B. Link, der ein vorziiglicher Kenner des europaischen Siidens gewesen sein soil, die ersten Menschengeschlechter in Europa, noch vor der Epoche des Hirtenlebens, von dieser Frucht sich hauptsach- lich nahren (die Urwelt und das Alterthum, 1, 355 361). Allein dem widerspricht schon der Umstand, dass weder die Griechen noch

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die Romer fur den Kastanienbaum und seine Frucht einen indivi- duellen Namen haben. Vielmehr waren Himmel und Bodeii in den Gebirgen Slid- und zum Theil Mitteleuropas fiir diesen Baum so giinstig, dass er sich rasch verbreitete, der Hand des Menschen sich entzog und in weiten Strecken zum Waldbaume wurde. Der Fall 1st durchaus nicht der einzige dieser Art. So wurden nach der Er- oberung Teneriffas durch die Spanier am Ende des 15. Jahrhunderts Kastanien auf dieser Insel angepflanzt und »bilden dort jetzt einen Wald, der fast nur durch europaische Blumen, die er beschiitzt, seinen europaischen Ursprung verrath« (L. v. Buch, Ueber die Flora auf den kanarischen Inseln, Abhandl. der Berliner Akademie, 1816 1817, S. 351.) Man vergesse nicht, dass seit der vorausgesetzten Einfiihrung dieses Baumes zweitausend Jahr und mehr verflossen sind. Nach eben so langer Zeit wird Amerika in noch grosserem Massstabe ahnliche Erscheinungen bieten. Auch wurden die Griechen, wenn sie in ihrem Lande den Kastanienbaum vorgefunden hatten, seiner Frucht gewiss in ihren kulturgeschichtlichen Sagen erwahnen. Wir horen aber immer nur von den Eicheln der dgvg, der Speiseeiche, und die ersten Menschen, wie die wilden Arkader in ihren Bergen und Waldern, werden immer nur als Eichelesser, pahavrfCpdyoi, be- zeichnet, selbst durch Gottermund, Orakel bei Herod. 1, 66:

noK'kol ev 'AQxadCr} fiahavr](pdyoi avSgeg saaw.

Wiirde Hesiodus in der schonen Stelle der Werke und Tage, wo er das Gedeihen preist, das Friede und Recht liber die Menschen bringen, 232 :

Ihnen gewahrt viel Nahrung die Erd', im Gebirge die Eiche Tragt hoch oben die Eicheln und mehr zur Mitte die Bienen, Reichlich beschwert sich das Schaf zur Schur mit wolligem Vliesse -

wiirde er die Kastanien vergessen haben, wenn sie dam als schon in den Bergen wuchsen und ihre siisse Frucht den Menschen spendeten? Wiirden sich dann die lateinischen Dichter, wenn sie das goldene Zeitalter schilderten, nur auf Arbutusfriichte, Erdbeeren, Cornelkirschen, Brombeeren und Eicheln beschranken, z. B. Ov. Met. 1, 103:

Contentique cibis nullo cogente creatis

Arbuteos fetus montanaque fraga legebant,

Cornaque et in duris haerentia mom rubetis

Et quae deciderant patula Jovis arbore glandes ?

Dass aber die Gegenden siidlich vom Kaukasus und der Nordrand von Kleinasien alle Arten Niisse und Kastanien in hochster Fiille und Vollkommenheit hervorbringen , dariiber sind altere wie neuere Rei- sende einstimmig. Kolenati sah in Armenien Haselnussbaume, deren

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Stamm zwei bis drei Fuss Durchmesser hatte; Wutzer, Reise in den Orient, III, 151, traf auf dem Wege von Nicaa nach Brussa Platanen und Kastanien, deren Grosse ihn in Erstaunen setzte: »beide Baume bilden die Riesen der Vegetation Westasiens, in welcher die Platane den ersten, die Kastanie den zweiten Platz einnimmt. Es war die Zeit der Kastanienernte , weshalb denn zahlreiche mit Sacken beladene Esel umherstanden, um die Friichte aufzunehmen, welche Manner und Knaben von den hohen Baumen herabholten, wahrend Frauen sie aufhoben und verpackten. Die gliihenden Sonnenstrahlen bemuhten sich vergebens, das gewaltige Laubdach zu durchdringen. « Von diesen Gegenden kamen die Kastanien auf deni Landwege tiber Thrakien, Makedonien und Thessalien nach Euboa, nach welcher Insel sie in Athen zu Theophrasts Zeit euboische Niisse hiessen. Heut zu Tage sind die griechischen Kastanien klein und meist mit der den Kern umgebenden bittern Schale durch- und verwachsen und daher nicht angenehm zu essen (nach Fiedler). Die besten durch Kultur veredelten Kastanien liefert von den europaischen Landern jetzt das siidliche Frankreich81).

Die wilde oder sogenannte Rosskastanie, Aesculus hippocastanumL., gehort zu den Gewachsen, deren Verbreitung Europa den Tiirken verdankt. Der schone, schattige, im Friihling unter den ersten sich belaubende Baum kam gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts liber Wien aus Konstantinopel und wurde bald in Garten und auf offentlichen Spaziergangen beliebt - man erinnere sich nur der Kastanien des Tuileriengartens und unter ihnen des beruhmten Napoleon-Baumes. Die aufrecht stehende stolz prangende Blute ent- sprach, wie die Tulpe, dem tiirkischen Geschmack; der prosaische Name 'Rosskastanie soil von der tiirkischen Gewohnheit stammen, den Husten der Pferde mit der Frucht des Baumes zu curiren.

* Die Man del (Prunus Amygdalus Stokes, Amygdalus cammunis L.) wachst sicher wild in Afghanisten, wo sie von Atchison gefunden wurde, ferner weiter nordostlich im oberen Zarafshanthal und im Tschotkalgebirge, wo sie urn 1000—1300 m zweifellos wild vorkommt (Cap us nach Koppen a. a. O. I. 240), Nach Medwedew soil der Mandelbaum auch in den siid- lichen und ostlichen Provinzen Transkaukasiens wild wachsen. Ferner giebt ihn Boissier von Aderbidshan, Kurdistan und Mesopotamien an. Zu be- merken ist noch, dass sowohl die bitteren, wie die stissen Mandeln wild ge- fundeii wrerden.

Die Waliiuss (Juglans regia L.) kommt sowohl in Asien wie in Siid- europa spontan vor. Ob der Baum in Nordchina wild ist, kann bezweifelt

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werden, da er nach Bretschneider (On the study and value of Chinese botanical works, 16) dorthin von Tibet eingefiihrt sein soil. Sicher wild ist er aber im nordwestlichen Himalaya und in Sikkim, dann in Beludschistan und im ostlichen Afghanistan, wo er nach Atchison von 2200 2800 in an- getroffen wird, sodann im westlichen Tianshan ziemlich haufig von 1000 1600 in in Nordpersien, Transkaukasien, Armenien, Kleinasien und auch in Griechen- land, wo er zusammen mit der Rosskastanie in Epirus unzweifelhaft wild vor- kommt (Th. vonHeldreich in Verh. d. bot. Ver. d. Prov. Brandenburg XXI (1889) S. 147—150) und auch im Banat (Heuffel in Verh. d. zool. bot. Gesellsch. in Wien 1858 p. 194). Die Floristen von Italien und Spanien hal- ten die Walnuss nicht fur einheimisch, doch schein ihr Indigenat auch west- lich der Balkanhalbinsel nicht unwahrscheinlich , da in quaternaren Tuffen der Provence sich schon Blattreste finden, welche fur Juglans regia gehalten werden. Auch existirte vor der Glacialperiode eine nahe verwandte Art der Juglans regia, die Juglans acuminata A. Braun in Sud- und Mitteleuropa, so- wie in Gronland und auf Sacchalin. Friichte der Juglans regia werden nach Buschan in dem aus der Eisenzeit stammenden Pfahlbau von Fontanellato bei Parma sowie in mittelalterlichen Stationen Siidfrankreichs gefunden.

Wenn auch das Areal der essbaren Kastanie (Castanea vulgaris Lain.) durch die Kultur sehr erweitert worden ist, so ist doch schon die urspriing- liche Verbreitung eine sehr ausgedehnte gewesen. In der Tertiarperiode war die Gattung Castanea von Gronland durch ganz Nordamerika bis Texas und in Europa von dem Samlande bis zum Mittelmeer, ebenso in Japan und Sacchalin verbreitet. Die fossilen Reste stehen theils der europaischen Ca- stanea vulgaris, theils den asiatischen und amerikanischen Formen nahe, so dass ein gewisser genetischer Zusammenhang zwischen alien unzweifelhaft ist. DasVorkommen der Castanea in Stideuropa ist ein derartiges, dass selbst, wenn eine Einwanderung stattgef unden hat, dieselbe jedenfalls in vorhistorischer Zeit ohne Zuthun derMenschen vor sich ging. Mit Sicherheit findet sich die europaische Form der Casta- nea vesca (es giebt ausserdem noch eine japanische und eine amerikanische) im westlichen Transkaukasien, meist bis zu etwa 1000 m, bisweilen auch hoher in Gesellschaft des Weinstocks und der Rothbuche, sowie der Eichen, im sudlichen Kleinasien scheint sie nicht einheimisch zu sein, dagegen ist sie in der montanen und subalpinen Region des westlichen und nordlichen Ana- toliens, in Thracien, Macedonien und ganz Griechenland wild. Wie von Heldreich hervorhebt, hat schon Theophrast (Hist, plant. III. 2. 3. 4. III. 3, 1) darauf hingewiesen, dass die Kastanie und der Nussbaum in Griechenland sowohl im kultivirten, als auch im wilden Zustande vorkommen und namentlich die Gebirgsgegenden lieben. Die Kastanie ist auf der Balkan- halbinsel auch weiter nordlich bis Croatien verbreitet, ja selbst in Ungarn findet sie sich noch haufig in fast wildem Zustande. Sodann verlauft die Nordgrenze ihrer spontanen Verbreitung tiber Steiermark, Karnthen, Siidtirol, durch die Schweiz langs der Rander des Jura nach der Dauphine und den Sevennen. Im stid westlichen Deutschland und in den Vogesen, wo die Kastanie auch grosse Waldbestande bildet, ist sie sicher ebenso durch die Kultur verbreitet, wie in Mahren und Bohmen. Dagegen ist es kaum wahr- scheinlich, dass die Kastanie am Siidabhang der Alpen, in den Apenninen,

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in Stidfrankreich und auf der iberischen Halbinsel, wo sie an den Gebirgs- hangen ganz charakteristische ausgedehnte Regionen bildet, eine solche Aus- dehnung nur in Folge der Kultur gewonnen habe. - - Die Rosskastanie (Aesculus Hippocastanum L.) ist ein in den Gebirgen von Nordgriechen- land, Thessalien undEpirus, unterhalb der Tannenregion um 1000 bis 1300 m wildwachsender Bauni. wie Th. von Heldreich, der aus- gezeichnete Kenner der Flora Griechenlands. in Verb. d. bot. :Ver. d. Prov. Brandenburg XXI. S. 139 147 nachgewiesen hat. Der Baum wird nach seiner Aussage von den Gebirgsbewohnern als wilde Kastanie ('Aypta Kaota- vYjd.) der zahmen Kastanie ("HfAspfj Kaotaved) gegeniibergestellt. Wahrsch'einlich ist der Baum von bier aus durch die Ttirken oder durch die Byzantiner nach Konstantinopel gebracht worden.

** Griech. ^o^a.}^ kann wohl sicher als Lehnwort gelten; doch ist seine Quelle noch nicht- nachgewiesen. Keinesfalls hat das Wort etwas mit hebr. 'em gedolah = »grosse Mutter « = Cybele zu thun, aus deren Blut der zuerst aus dem Winterschlaf erwachende Mandelbaum entstanden sei, wie Movers I, 578, 586 und nach ihm Hehn (vgl. Anm. 81) glaubten. Vgl. Muss- Arnolt, Semitic words in Greek and Latin, Transactions of the American Philological Association XXIII, S. 106 f. Aus &fAO"f8dXY] ging unter volks- etymologischer Anlehnung an mandere und amarus das lat. amandula, aman- dola (zuerst in der Medicina Plinii, vgl. auch die Glossen des C. Gl. L. bei G. Goetz Thesaurus I, 58) mit seiner romanischen Nachkommenschaft hervor.

Eingehender ist iiber die schwierige Geschichte der Kastanie und des Walnussbaums zu handeln. Zunachst hat sich die Vermuth ung H.'s (oben S. 389) bestatigt, nach welcher griech. xaatdvaiov, xdotavov im Armeni- nischen wurzele. Hier hat das Wort in der That Lagarde (Armen. Stud., aus- ftihrlicher Mittheilungen III, 206. ff.) in der Gestalt von kask Kastanie, Jcas- keni Kastanienbaum (allerdings ausserst selten, vgl. Hiibschmann Arm. Gr. I, 166, 394) nachgewiesen. Im Griechischen begegnet der Ausdruck zuerst in dem scheinbar von einem Ortsnamen abgeleiteten xaotava'ixov xdpoov des Theo- phrast (oben S. 389); denn ein geniigender Grund, warum diese Lesart un- sicher sein sollte, ist mir nicht bekannt. Es gab also im IV. Jahrhundert in Griechenland eine armenische Bezeichnung der Kastanie. Sollte der hero- doteische Ortsname Kaaftavai-/] , was sich nicht entscheiden lasst, mit dem Baumnamen zusammenhangen , so wiirde das Wort in entsprechend hohere Zeit hmaufriicken. Derselbe Theophrast kennt aber auch einen ein- heimischenNamen der Kastanie Ato? pdXavoc, und giebt uns tiber dieselbe wichtige, von H. tibersehene Nachrichten, auf welche schon oben (vgl. S. 394) hingewiesen ist. Es heisst namlich bei Theo- phrast, Hist, plant. Ill, 2. 3 u. 4 und III, 3, 1 nach Sprengels Uebersetzung: »Gedrangter und krummer und barter werden alle diese Theile und die ganze Xatur, so dass hierin der hauptsachlichste Unterschied der wilden nnd zah- men Gewachse liegt. Daher nennt man unter den angebauten solche wild, bei denen sich dieses zutragt wie bei der Fichte und Cypresse, entweder tiberhaupt oder bloss bei den mannlichen. So verhalt es sich auch mit

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dem Nuss- und Kastanienbaum (xapoa, Aio? pdXavoc). Dann lieben auch die wilden Baume die bergigen und die kalten Platze und man kann diese Eigenschaft benutzen, um die Wildheit der Baume und iibrigen Ge-

wachse daraus zu erkennen So sind folgendes Berggewachse , die in

Ebenen nicht fortkommeii. In Macedonien die Tanne u. s. w der

Nussbaum, die Kastanie (*apoa, Ato? pdXavoc), die Ulme u. s. w.« Giebt man zu, dass Ato? fidXavo<; hier die Kastanie bedeutet (und welcher Grund ware daran zu zweifeln?), so folgt, dass bereits Theophrast einen Unterschied zwischen wilden und zahmen Kastanien machte, und selbst wenn man die ersteren als verwildert deuten wollte, miisste man doch die Bekanntschaft der Griecben mit der Kastanie in weit hohere Zeit hinauf- riicken, als von H. zugestanden wird; denn es musste doch eine nicht geringe Weile vergangen sein, in welcher etwa eingefiihrte zahme Kastanien batten verwildern konnen. Ich mochte aber die Zweifel an dem von den Natur- forschern behaupteten Indigenat des Baumes in Griechenland (vgl. auch schon Grisebach in den Getting. Gel. Anzeigen vom Jahre 1872) tiberhaupt fiir un- berechtigt halten, da die sprachlichen und sonstigen Thatsachen wohl in Ein- klang mit demselben zu bringen sind. Und zwar stelle ich mir den sprach- lichen Entwickelungsgang etwa folgendermassen vor: Das griech. £dXavo<; (= lat. glans, lit. glle, altsl. ze\qdi, armen. ka\m) hatte in der nordlicheren Urheimat der Hellenen nur die Eichel bezeichnet. In dem neuen Vaterland aber, in Hellas, wurde das alte Wort allmahlig auf eine ganze Keihe ahn- licher Friichte anderer Baume tibertragen, die man hier zuerst kennen lernte, auf Pattern, Mandeln, verschiedene Arten Niisse, und auf Kastanien (vgl. die Stellen bei H. Stephanus). Warum sollte nun, was aus spaterer Zeit sicher bezeugt ist (vgl. auch oben S. 387), nicht schon in der altesten stattgefunden haben und Eichel und Kastanie unter dem Namen (3dXavoc zusammengefasst worden sein? Ein Bediirfniss aber, beide Friichte und die sie tragenden Baume von einander zu unterscheiden, mochte fiir den griechischen Volks- mund um so weniger vorliegen, als einerseits eine griechische Eichenart (Quercus aegilops L.), die Knoppereiche , eine essbare und noch jetzt vom Landvolk gegessene Eichel hervorbrachte (vgl. Neumann-Partsch, Physikalische Geographic Griechenlands S. 379 f .), andererseits die wilden griechischen Kastanien keinen besonderen Wohlgeschmack gehabt zu haben scheinen, wie denn auch noch heute »die wild genannten Kastanien Griechenlands selten gegessen werden; desto beriihmter sind dafiir aber die kretischen (KpYjuxa xdatavo)« Fraas, Synopsis S. 247. Dass die 'Apxd8e<; paXavYj-fdyot, wie Koch, Baume und Straucher S. 46 behauptet, Kastanienesser gewesen seien, glaube auch ich nicht, schon weil gerade Arkadien nicht reich an Kastanien ist (Neumann-Partsch, a. a. O. S. 382). BdXavo? bezeichnete eben bei des, Eichel und Kastanie, und je nach den Verhaltnissen der ein- zelnen Landschaften mochte bald diese bald jene Bedeutung hervortreten. Da lenkte sich die Aufmerksamkeit, zunachst nur durch Handelsbeziehungen, auf die besseren und reicheren Friichte der pontischen Lander. Das armenische Wort v.a3tdvcttov biirgerte sich ein (dass es eine ver- haltnissmassig junge Bezeichnung war, zeigt auch Athenaus II, p. 52 b : xdpoa IxdXouv .... xat Ta vuv y.aatdveia), SapSiavat, Ec^oixai [BdXvot und ahnliches kamen auf. Jetzt mochte sich auch das Bediirfniss nach einer scharferen

Mandeln. Walniisse. Kastanien. 397

Bezeichnung des einheimischen Baumes regen, und aus der Collectivbezeich- nung fidXavr,c. hob man die A to? j3dXavoc. Kastanien hervor. Und noch ein an- derer Yersuch, eine deutlichere einheimische Benennung der nunmehr auch angebauten Kastanie zu gewinnen, ist hier zu verzeichen. Er betrifft das griech. cpYjyoc. Dieses Wort hatte, wie lat. fdgus = nhd. buche zeigt, im Ur- land der Griechen die Rothbuche (Fagus silvatica L.) bezeichnet. In Griechen- land verschwindet dieser Baum, je mehr man vom Pindus in der Osthalfte Griechenlands, also der eigentlichen Tragerin griechischer Kultur, stidwarts vor- schreitet (vgl. Kiepert, Lehrbuch der alten Geographic S. 236, genauer Neu- mann-Partsch, a. a. 0. S. 383 ; westlicher kommt der Baum noch in Aetolien vor, vgl. Heldreich bei Virchow im Corresp.-Bl. d. Anthrop. Ges. 1893 S. 76). Das Wort war also, so zu sagen, herrenlos geworden, und nur soviel musste den Griechen, denen die wirkliche oder vermeintliche Ableitung von tpcrfeiv lebendig blieb, klar sein, dass es eine Cupulifere mit essbaren Fruchten be- zeichnete. An zwei Stellen der griechischen Literatur nun (vgl. Koch, Baume und Strauche S. 47). die nicht allzuweit auseinander liegen, scheint es in der That, als ob unter yfjfo; nichts anderes als die Kastanie verstanden werden konnte. Die eine steht in Platos Staat (II, p. 372). Es ist von der Nahrung der Burger einer neugegriindeten Stadt die Rede. Glaucon wendet ein, dass die Zukost noch iehle. Socrates zahlt diese und den Nachtisch auf. Es wer- den Feigen, Erbsen und Bohnen genannt. Dann heisst es: jj.6pta xal vvtfobz, oTCoocooat rcp6<; TO rcop »Sie werden auch Myrtenbeeren und cpYjfouc am Feuer rosten*. Ist anzunehmen, dass man zu Platons Zeit in biirgerlichen Kreisen Eicheln zum Nachtisch am Feuer rostete? Noch iiberzeugender scheint die zweite Stelle im Frieden des Aristophanes (V. 1137). Soldaten kommen nach Haus und singen: »Ich bin froh, dass ich den Helm los bin und den Kase und die Zwiebeln - - wir wiirden sagen die Erbswurst , ich mag keine Schlachten, ich will am Feuer mit lieben Freunden das dtirrste Holz, das im Sommer gefallt ward, verbrennen, auf den Kohlen Erbsen kochen und rr,v cpvjYov ipiTCopsocuv, die cpYftoc rosten.« Hier ist so deutlich von einem Gegensatz der besseren Friedens- und der schmalen Lagerkost die Rede, dass man auch hier kaum an gerostete Eicheln denken kann. Doch kommt <p*rjfoc in dem Sinne von Kastanie nicht auf, vielleicht dass es durch die neuen Ausdrticke Awe pdXavoc und xaotdvacov wieder verdraiigt wurde.

Was die Walnuss anbelangt, so hangt die Entscheidung tiber ihr Indi- genat in Hellas, wie auch Neumann-Partsch (a. a. 0. S. 386) hervorheben, fur den Historiker im wesentlichen davon ab , ob man in den oben angefiihrten Stellen des Theophrast (III, 2, 3, 4; III, 3, 1) mit Sicherheit xapua, von der dasselbe wie von der Atoc ^dXavoc; ausgesagt wird, als Walnuss fassen darf, oder ob es mit Koch a. a. O. S. 54 als Bezeichnung der Haselnuss zu gelten hat. Indessen spricht fur die erstere Auffassung einerseits der heutige Sprach- gebrauch (ngr. xapoBYjd, xapuSia Walnussbaum, im Griechisch der Glossen des C. Gl. L. xapooSsvSpov, vgl. G. Goetz Theaurus s. v. nucarius), andererseits der Umstand, dass Theophrast fur die Haselnuss, welche III, 15, 1, 2 nach Spren- gel, Fraas, wie auch nach Hehn (oben S. 388) unzweideutig beschrieben wird, die Bezeichnung 'HpaxXeumxYj xapoa gebraucht, wahrend der spatere deut- lichere Name fur Walnuss xdpoov ^aoiXtxov (vgl. Blumner, Maximaltarif des Dio- cletian S. 92) war. Nun kann ja die Benennung Herakleotische Nuss fur einen in

398 Der Kirschbaum.

Europa einheimischen Strauch allerdings wunderlich aussehn. Indessen scheint es nach der Schilderung, welche Fraas, Synopsis S. 247 von der Verbreitung der Haselnuss in Griechenland entwirft, dass dieselbe gegen Siiden immer seltner wird, womit der Verlust des europaischen Namens derselben (lat. corylus, ir. coll, ahd. hasal), welchen die Griechen erlitten, zusammenhangen konnte. Es ware also moglich, dass die Griechen auf ihre seltenen einheimischen Haselniisse erst wieder durch die pontischen Niisse aufmerksam gemacht wurden und erstere nach letzteren benannten (daher 'HpaxXeumv/r] xapu'ck). Auch scheint in dem Hesychischen apoa* ta -r]pa>iXfcumxa xapoa ein einheimischer Name der Haselnuss erhalten, welcher sich einerseits mit dem alb. afs Nuss, Nussbaum (h in hairs ohne etymologische Bedeutung), andererseits mit altsl. orkchu u. s. w. Nuss deckt (G. Meyer, Et. W. S. 17). Zum Schluss notiren wir eine alba- nesisch-slavische Bezeichnung der Haselnuss : alb. I'ai&i , altsl. leska, lit. lazda, altpr. laxde (*laks-t alb. *l'ak&i; vgl. G. Meyer a. a. O. S. 234) und machen auf eine pontisch-semitische Entsprechung in der Benennung der Ju- glans regia aufmerksam: armen. dngoiz, osset. dngoza, georg. nigozi, hebr. 'egdz u. s. w., iiber die zuletzt Hiibschmanw, Z. d. D. M. G. 46 (1892) S. 236 und Armen. Gr. I S. 393 gehandelt hat. Da der Baum nach der Ansicht der Botaniker in den semitischen Landern nicht einheimisch zu sein scheint (vgl. oben S. 394), so ist der Ausgangspunkt dieser Reihe in Kleinasien oder in persischen Landen zu suchen. Tomaschek, Centralas. stud. II, 58 stellt den Ptolemaischen Ortsnamen NiYoo£a in Atropatene hierher. Wir haben uns .im Vorstehenden im wesentlichen auf die Darstellung der Verhaltnisse der Balkanhalbinsel beschrankt, weil die, italischen fur die Frage des Indi- genats der Kastanie und der Walnuss in Europa uns nicht ausschlaggebend zu sein scheinen.

Zu der Geschichte der hier behandelten Pflanzen vgl. noch J. Murr Bei- trage zur Kenntniss der altclassischen Botanik im 39jten Programm des k. k. Staatsgymnasiums in Innsbruck 1888, zu der der Rosskastanie noch Lagarde, Mittheilungen III, 213 f.

Der Kirschbaum.

(Prunus cerasus Z/.)

Dass die Kirschen, die Lust der Knaben und der Vogel, von dem reichen Lucullus, dem Sieger liber Mithridates , nach Europa gebracht worden, das weiss auch jeder Knabe aus der romischen Geschichte, obgleich ihm vor dem vollen Korbe mit den siissen rothen Beeren die Sache so gleichgiiltig ist, wie dem naschenden Sperling auf dem Baum. In der That melden von Plinius an verschiedene Gewahrsmanner, dass nach Zerstorung der Stadt Cerasus, die an der pontischen Kiiste zwischen Sinope und Trapezunt lag, der romische Feldherr, L. Lucullus, aus der Umgegend derselben den Kirschbaum

Der Kirschbaum. 399

nach Italien verpflanzt habe jedenfalls eine kostbarere und langer dauernde Kriegsbeute, als das sechs Fuss hohe goldene Kolossalbild des Mithridates und der gemmenbesetzte Schild und die vielen gol- denen und silbernen Gefasse, mit denen Lucullus seinen Triumph zierte. Wo Plinius seine Angabe her hat, wissen wir nicht; Plutarch im Leben des Lucullus, der doch eine Menge Einzelheiten gesammelt hat, schweigt iiber die durch seinen Helden geschehene Einfuhrung einer neuen Obstgattung. Indessen stimmt mit der Nachricht des Erstern gut uberein, dass die Kirsche bei Cato ganz fehlt, bei Varro nur einmal genannt wird und bei den Spatern haufig ist. Eine vollig neue Entdeckung war die Frucht freilich auch zu Lucullus' Zeit nicht. Erstens wird bei Athenaus 2, p. 51 eine Stelle aus den Schriften des Diphilus von Siphnus, eines Zeitgenossen des Konigs Lysimachus, dessen Reich sich auch uber Vorderasien erstreckte, angefiihrt, in der die diatetischen Eigenschaften der Kirschen, xa xeQaGia, erortert werden, mit dem Beifiigen, die rotheren und die milesischen verdienten den Vorzug. Zweitens besass auch Italien einen einheimischen Verwandten des Baumes, Prunus avium L., der bei den Alten von dem Cornelkirschenbaum, Cornus mascula L., nicht unterschieden wird, dessen Friichte aber in Europa bisher nicht ver- edelt waren und sich dort vielleicht auch nicht veredeln liessen. Daher Servius ad Verg. G. 2, 18 ganz richtig bernerkt: hoc autem etiam ante Lucullum erat in Italia, sed durum, et cornum appella- batur. Diese wilde Siisskirsche, zusammen mit der KorneDenkirsche und dem Hartriegel, wird bei Theophrast h. pi. 3, 12 unter dem Namen der mannlichen und weiblichen xgdvsia beschrieben: die mannliche hat sehr hartes Holz, die weibliche weicheres ; die Bewohner des troischen Idagebirges sagen von cler weiblichen, sie trage Frucht; diese letztere ist essbar, suss und duftend; die Macedonier da- gegen behaupten, beide Geschlechter seien fruchttragend , die weib- liche Frucht aber nicht essbar. Solche auf kleinasiatischem Boden am Idagebirge und bei Milet zur Zeit des Konigs Lysimachus bereits veredelte Siisskirschen mogen auch die xegatfia des Diphilus Siph- nius, diejenigen aber, die Lucullus im Reiche Pontus kennen lernte und mit denen er Italien beschenkte, eine edlere, grossere, saftreichere Art Sauerkirsche gewesen sein. Beide Hauptarten wurden, nachdem diese Frucht einmal bekannt und beliebt geworden, rasch vermehrt, aus Asien, das sich bald darauf vollig aufschloss, vielfach bezogen, auf die einheimischen wilden Baume gepfropft und eine Menge Varie- taten, darunter die allerkostlichsten und feinsten, erzeugt. Ein be-

400 ^er Kirschbaum.

sonderer Vorzug der Kirsche war es, dass sie so frtihe, schon mitten im Sommer, reifte und in der heissen Zeit ihren erfrischenden Saft spendete, wenn die iibrigen Fruchte noch im Riickstande waren. Als aus dem Pontus, einer Gegend mit harten Wintern, stammend und in gemeinern Arten sogar im siidlichen Europa einheimisch, konnte dieser Fruchtbaum auch durch das ganze mittlere Europa, bis in den Norden des Welttheils hinein, weiter wandern. Wirklich war die" Kirsche zu Plinius' Zeit, hundert zwanzig Jahr, nachdem sie zuerst in Italien erschienen, schon iiber den Ocean nach Britannien gegangen (Plin. 15, 102); sie wuchs an den Ufern des Rheins; in Belgien gab man der nach Lusitanien benannten Sorte den Vorzug, in welchem letzteren Lande sie also gleichfalls vorkam und schon eine eigene Spielart gebildet hatte. Ja, in den Alpen und jenseits der Alpen in den ehemaligen Barbarenlandern tragt der Baum aromatischere Fruchte als an den Gestaden des Mittelmeers, wo ihm unter Ein- wirkung der See das Klima zu gleichmassig milde 1st, Plin. 104: septentrione frigidisque gaudet. Tyrol, die Schweiz, der Oberrhein sind jetzt ein reicher Kirschenbezirk, in welchem es dem Baume be- sonders wohl ist. Wie in der Schweiz aus dem Ueberfluss dieser Ernte das bekannte Kirschwasser destillirt wird, so in Dalmatien, Triest, Venedig aus der marasca d. h. der Sauerkirsche der mara- schino rosolio, der an Feinheit seine ungarisch-serbische Nachbarin, die Pflaumen-Slivovica, iibertrifft.

Entsprechend den beiden europaischen Hauptarten der Kirsche, der siissen und der sauern, gehen durch die europaischen Sprachen zwei Hauptnamen fur diese Frucht. Das lateinische eerasus, grie- chische xsgaaog, xsgaGcg, ist, wie zuerst Casaubonus einsah, nicht von der sinopischen Kolonie Kegacrovg hergenommen, sondern die Stadt vielmehr nach dem Namen des dort wachsenden Baumes be- nannt. KSQCHJOC scheint nur die kleinasiatische Form fur das eigent- lich griechische xQavsta (schon homerisch), lat. cornus, welche Worter mit xegag und cornu genau verwandt sind und den Baum nach der hornartigen Harte des Holzes, die es zu Wurfspeeren besonders ge- eignet machte, bezeichnen. Man beachte die Schilderung des Theo- phrast, h. pi. 3, 12, 1: »das Holz der xQavsia ist ohne Mark und ganz fest, an Dichtigkeit und Starke dem Home ahnlich; das der weiblichen xgdveia aber hat ein inneres Mark und ist weicher und ausgehohlt und taugt daher nicht zu Speeren.« Im homerischen Hymnus an den Hermes 460 erhalt der Speer das Pradikat xQavetov, ja rj xgdvsia hiess spater ohne Weiteres die Lanze. (Da merk-

Der Kirschbaum. 4Q1

wiirdiger Weise auch im Litauischen ragotine der Speer von rdgas Horn abgeleitet 1st, so muss der Speer aus dem Hornbaum oder dem Hartriegel eine sehr alte europaische Waffe sein. Auch der deutsche Hornung, lit. ragutis, ist nach der in diesem Monat festgefrorenen Erde so be- nannt). Theophrast kennt auch den Namen xsQaaog, h. pi. 3, 13; 4, 15, 1; 9, 1, 2; aber aus seiner Beschreibung geht hervor, dass er einen Waldbaum memte, dessen Bast zu Stricken verwendet, dessen bohnengrosse rothe Friichte mit weichem Kern aber, wie es scheint, nicht essbar waren. Bei den Griechen am Pontus hiess die edle Kirsche, die ja gleichfalls ein Baum mit rothen Friichten war, xegaGos, und von da ging der Name mit dem Baume nach Italien iiber, von Italien ins transalpinische Europa. Die romanischen Sprachen bildeten ihr Wort, wie gewohnlich, aus dem Adjectiv ceraseus (die Formen bei Diez, 1, 129); das deutsche Kirsche ist nicht aus dem Romani- schen, sondern unmittelbar aus dem Lateinischen genommen, folglich zur Zeit der Volkerwanderung oder bald nachher; das slavische crjesnja wurde seit der Einwanderung der Slaven in das Donaugebiet aus dem Deutschen entlehnt (wie auch das aus dem deutschen Pluralzeichen entstandene n lehrt - - gleich dem deutschen Feminium aus dem lat. cerasa, Wackernagel, Umdeutschung , S. 42), das magyarische tseresznye wieder aus dem Slavischen; das byzantinische xegaaog ging in das Tiirkische, Persische, Kurdische u. s. w. iiber. Dunkler ist die Herkunft des andern durch ganz Europa ver- breiteten Namens der Kirsche, besonders der sauren: ital. visciola, altfranz. guisne, jetzt guigne, span, guinda; deutsch Weichsel, ahd. wihsela-, slav. visnja, visrii, lit. wyszn'e, neugr. pfaqvov, pfawov (auch (walachisch, albanesich, tiirkisch) lauter Formen desselben Wortes, ohne regelmassige Lautvertretung. Liesse sich irgend ein Begriffs- zusammenhang zwischen den Kirschen und den Beeren der Mistel aufweisen, oder vielmehr, da ein solcher wohl herzustellen ware , versicherte uns irgend ein Factum, dass er reell geltend geworden, so ware nicht bloss durch das griech. i%6$ (mit Digamma), lat. viscus, viscum, eine Erklarung des Wortes gefunden, sondern auch die naturgemasse Herkunft der Frucht aus Italien durch den Namen bestatigt. Will man das deutsche Wort an die Spitze stellen, wozu der franzosische und spanische Anlaut gu einladet, so ist zunachst der inlautende Guttural als jiingeres Element zu entfernen: er fand sich vor si, wie im Flussnamen Weichsel (Vistula, Visula, slav. Visla) ein, wahrend im niederdeutschen Wispelbaum ( Vogelkirsche , Bremi- sches Worterb.) durch Einfiigung eines p ein deutscher Klang her-

Vict. Hehn, Kulturpflanzcn. 7. Aufl. 26

402 Der Kirschbaum.

vorgebracht wurde82): In einem Fragment des Komikers Amphis wird die Frucht der xQavtta oder des Cornelkirschenbaumes peamhov genannt, Mein. fr. com. gr. 3, 318:

6 ffvxdfuvog ffvxdf.it'V, oQ$g o TiQlvog dxvhovg, 6 xofiagog xgavsia [jieffmha.

Wir wissen nicht, ob dies auf eine Spur fiihren kann.

* Prunus Cerasus L. Der Sauer-Kirschbaum (Weichsel) komint wild- wachsend wahrscheinlich nur in Transkaukasien vor, findet sich aber ver- wildert in manchen Gegenden Siid- und Mitteldeutschlands. Nach Grisebach soil er auch in der Kastanienregion des bithynischen Olymp und iiach Carl Koch in den Waldern Anatoliens vorkommen. Der Vogelkirschbaum (Prunus avium L.) dagegen hat eine viel weitere Verbreitung. Er findet sich wild im sudlichen Turkestan bei Schirabad, im nordlichen Persien in den Provinzen Ghilan und Siaret, im Talysch und auf beiden Seiten des Kaukasus von 500 bis 1600 m, ferner in den Waldern der pontischen Gebirge oberhalb Cerasunt und Trapezunt, in Gebirgswaldern des Peloponnes und Nordgriechenlands. Aber auch sonst ist er in Europa sowohl in der Ebene, wie in den Gebirgen derart verbreitet, dass an seinem Indigenat in Europa nicht gut gezweifelt werden kann. Er fehlt im nordlichen Europa zwar in den baltischeii Pro- vinzen und in Ostpreussen, bildet aber selbst noch in Norwegen grossere Be- stande, so im Kirchspiel Urnes im Bergenstift. Auch hat man in Torfmooren von Bohuslan Reste der Vogelkirsche gefunden, ebenso Steinkerne in den Pfahl- bauten von Robenhausen in der Schweiz (O. Heer, Die Pflanzen der Pfahl- bauten S. 26), sogar zwei Formen, wie sie auch bei unseren jetzigen Siiss- kirschen sich finden, nur etwas kleiner. Damit ist unwiderleglich dar- gethan, dass die Susskirsche vor den historischen Zeiten in Europa heimisch war.

** Dass v.ep-otaoc als eine (kleinasiatische) Nebenform etymologisch mit griech. xpd-vsta, lat. cor-nu-s zu verbinden sei, wird man als wahrscheinlich be- trachten dtirfen. Auch altpr. Jcirno Strauch, lit. kirna Strauchband und der altlitauische Name des Kirschengottes Kirnis (vgl. Lasicius De diis Samagitarum S. 47: cerasos arcis alicuius secundwm locum sitae cur at etc.} sind hierher zu stellen. Dagegen ist griech. xepac = scrt. giras Horn wohl fern zu halten, da die baltischen Worter sonst im Anlaut lautgesetzlich einen Sibilanten (= scrt. f) zeigen miissten. Auch wird man das Holz des Kirschbaums kaum als horn- artig bezeichnen konnen (vgl. v. Fischer -Benzon Altd. Gartenflora S. 150). Die nordkleinasiatischen Formen, armen. keras, kurd. ghilas, keras (vgl. Jaba- Justi S. 374), sind wohl als Riickentlehnungen aus griech. xspaoo? aufzufassen vgl. Htibschmann, Armen. Gr. I, 356^ . Eine nordeuropaische Gleichung

Der Kirschbaum. 403

fur Cornus mascula ist russ. derenu u. s. w. (Miklosich, Et. W. S. 42) = ahd. tirnpauma, nhd. in zahlreichen Umgestaltungen, wie dernlein, dierlein etc. (Pritzel-Jessen S. 111). Alb. &am Kornelkirschenbaum (G. Meyer, Et. W. S. 88). - Fiir die Geschichte des deutschen Wortes Kirsche von Wichtigkeit ist, dass ahd. Jdrsa nicht unmittelbar aus lat. cerasum, sondern aus einer Zwischenform *ceresia (ceresium, xspdotov C. Gl. L. Ill, 358, 80) hervorgegangen ist, die auch den romanischen Wortern zu Grunde liegt. Kluge (Et. W. 6. Aufl.) setzt die Entlehnung des Wortes vor das 7. Jahrhundert, da anlautendes c noch als k erscheint. Im slavischen altsl. cr&sinja ist n nicht deutsches Pluralzeichen, sondern gehort zum Suffix (*6resa-inja). Alb. Jc'ersi aus cerasium, *cerasinum. Welche Art von Kirschen es war, die Lucullus in Italien einfiihrte, ob, wie von H. angenommen, eine Sauerkirsche , oder wie De Candolle (S. 260 der deutschen Ausgabe), Karl Koch (Baume und Straucher S. 196 ff.) und Koppen (I, 281) glauben, eine veredelte Art der Siisskirsche, ist schwer zu entscheiden. Immerhin dtirfte letzteres, wie jetzt auch v. Fischer -Benzon a. a. O. und G. Buschan, Vorgesch. Botanik S. 179 annehmen, das wahrscheinlichere sein. Denn einmal war nach dem obigen eben nur Prunus avium L., die Suss- oder Vogelkirsche , deren Kerne ausser in der Schweiz, auch in neolithischen Stationen Oesterreichs und Italiens gefunden worden sind (vgl. G. Buschan a. a. 0. S. 180), in vorhistorischer Zeit bei den mittel- und siideuropaischeii Volkern wildwachsend verbreitet, so dass nur fur diese Art die Vorbedingungen einer schnellen und weiten Verbreitung durch die Kultur gegeben waren, das andre Mai weist aber auch die Beschreibung des xepaao? bei Theophrast (nach v. Fischer-Benzon S. 149) und die Hervorhebung des Umstands bei Dioskorides I, 157 (nach G. Buschan S. 179), dass der pontische xepaoia-Baum Gummi ausschwitze, mit ziemlicher Deutlichkeit auf die Siisskirsche hin. Trat die Sauerkirsche in Europa etwa erst mit der Sippe Weichsel u. s. w. auf? Als die Quelle derselben sieht G. Meyer, Alb: W. S. 474 das gr. puaocvoc, fern. ^oac'.vcoa cramoisi, pourpre, e'carlate an, dessen urspriingliche Bedeutung ein roth gefarbter Seidenstoff (£6000? Seide) gewesen sei. Die Bezeichnung ware dann von Byzanz ausgegangen und westwarts gewandert. Hierzu wiirde die Be- merkung Th. v. Heldreichs, Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 69 stimmen: »Man hat mehrere an Farbe und Grosse verschiedene Spielarten (der ftoaotvYja); die geschatzeste ist die sogenannte grosse Weichsel von Kon- stantinopel -- TO itoXttixo (36aoivo. Freilich mochte v. Fischer-Benzon S. 151 eine sichere Erwahnung der Sauerkirsche schon in Vergils Georgicis II, 17 finden :

Pullulat ab radice aliis densissima silva

ut cerasis ulmisque,

womit die der Ulrae und Weichsel eigenthiimlichen Wurzelauslaufer gemeint seien. Nach demselben Gelehrten tritt eine unzweideutige Erwahnung der Sauerkirsche in Deutschland erst bei Albertus Magnus (12./13. Jahrh.) unter dem Namen amarena, amarella (unser »Ammer«^ auf.

26'

404 Arbutus. Medica. Cytisus.

Arbutus. Medica. Cytisus.

Dem heissen, gebirgigen Siiden sind die blumenreichen Wiesen des Nordens und die grunen Matten der Hochalpen versagt: ihre Stelle vertritt die immergriine Str auch vegetation , die, nachdem der Wald langst der Kultur gewichen, die Vorberge, die felsigen Kiisten, die Rander der Schluchten und Wasserrinnen bekleidet. Von einem der schonsten Baumchen dieser Region, dem Erdbeerbaum, Arbutus Unedo L., wissen wir nicht, ob er immer da gewesen oder mit den Menschen von Sudosten her eingewandert. Mit lorbeerartigen Slattern, den Erdbeeren ahnlichen, erst griinen, dann allmahlig gelb und roth sich farbenden Friichten, die er wie der Citronenbaum gleichzeitig mit den Bliiten an seinen Zweigen tragt, mit ewig sich erneuerndem Laube, dessen gleichmassiges Schwinden und Spriessen schon Theo- phrast h. pi. 1, 9, 3 rich tig beobachtet hat, - - geht der Baum liber das mittlere Italien nicht gern nach Norden hinaus, entwickelt aber, wie Juba bei Plinius 15, 99 iibertreibend behauptet, in Arabien einen Wuchs von 50 Ellen. Varro indess 2, 1, 4 rechnet die Arbutusfrucht, wie Eicheln, Brombeeren und poma (Aepfel oder Beeren), zu den Nahrungsmitteln der Urwelt, also zu den Friichten, die die jungfrau- licbe Erde selbst darbot: qiiae inviolata ultro ferret terra, und die folglich nicht erst die Kultur erzogen und verbreitet hat. Und eben so thut Ovid in der oben S. 392 aus dem ersten Buch der Metamor- phosen angefiihrten Stelle. Jetzt gilt die Frucht sowohl in Griechen- land als in Italien fur ungesund und betaubend, und man iiberlasst sie den Vogeln, fur die sie den gesuchtesten Leckerbissen bildet; dies populare Vorurtheil theilten schon die Spatern unter den Alten, so bereits Dioscorides 1, 175. Theophrast (s. unten) nennt sie ohne Vorbehalt essbar; nach Galen, de alim. fac. 2, 38 pflegten Landleute sie zu geniessen: TO, fUfjwt&tvJla fad-Covm (^vv^cog ol xara lovg dygovg, und heut zu Tage ist sie von Nordlandern oft ohne Schaden gegessen worden (z. B. Fetter, Dalmatien, Gotha 1857, 1, S. 76: »ich habe mit meiner Familie die schonen rothen Beeren des Erd- beerbaumes oft genossen, mit Wein, Zucker und Zimmt zubereitet, wie man es in meiner Heimath mit den Erdbeeren macht, aber keine betaubenden Eigenschaften wahrgenommen«). Die Verschiedenheit der Benennung bei Griechen und Romern erlaubt ubrigens den Schluss, dass in dem Lande, wo der griechische und der italische Urstamm sich trennten, um verschiedene Wanderrichtungen einzuschlagen, der

Arbutus. Medica. Cytisus. 405

Erdbeerbaum nicht wuchs. Das lateinische arbutus, arbutum schliesst sich sichtlich an arbos, drbustum an; das griechische xofiagog erklart Benfey durch gewunden, kriechend, was aber zu der Natur des Baumes nicht passt; nach Fick2 33 ware es ein uralter indoeuro- paischer Pflanzenname. Der Name der Frucht {jic^iaCxvXov (mit Va- rianten der Schreibart) kommt zuerst bei Aristophanes vor, Athen. 2. p. 50 (nach Meinekes Correctur):

ev rolg OQZGW J' avrofWT avralg ra pijwMR syvem TroMd,

dann auch bei Theophr. h. pi. 3, 16, 4: fj de xofnagog, f) xo [te- [tatxvhov (feyovGa TO edwdiftov nach Benfey 1, 219 eine Zusammen- setzung von fitfi- mit dxvhog die essbare Eichel. Wir deuten lieber Winterf rucht (jLiaifidffffw, f.iacfjidxTrfg, fioufiaxTiJQict), Lucret. 5, 940:

quae nunc hiberno temp ore cernis Arbuta puniceo fieri matura color e.

Auch Arbutus andrachne L., cwdgdyfari, war den Alten bekannt wohl so viel als der Strauch, der eine gute Kohle, avtyal;, giebt.

In jenen immergriinen saltus fand die Heerde des Ackerbauers zur Noth eine geniigende Nahrung; da dieselben aber nicht iiberall nahe lagen, mussten die Alten darauf verfallen, das Laub der im Garten gepflanzten Baume abzustreifen und neben der theuren Korn- und Mehlnahrung zur Fiitterung der Hausthiere zu verwenden. Esel und Ziegen hatten, so zu sagen, Anleitung dazu gegeben; der Esel verzehrte Alles, was abseits wuchs, es mochte noch so stachlicht, hart und klebrig sein, und die Ziege ging mit Vorliebe den jungen Blattern der Straucher und Baumchen nach. So wurden die Zweige, die bei Schneitelung des Oelbaumes und des Weinstockes abfielen, den Thieren vorgeworfen und im Herbste das welke Laub gesammelt und zum Unterhalt des Viehs benutzt. Da dies nicht ausreichte, so erfolgte der weitere Schritt, die Rander der Aecker und die Graben und Wege einfach und doppelt mit Reihen von Baumen zu bepflanzen, die zugleich Holz zur Feuerung und zu landlichen Werk- zeugen und ihr Laub zur Nahrung des Viehes und zur Streu ab- gaben. So fiihrte die siidliche Form des Ackerbaues zu Laub- f utter ung und Forstgartnerei. Schon Cato 30 ertheilt die dem Ohr des nordischen Landwirthes seltsam klingende Vorschrift: Gieb dem Ochsen Laub von Ulmen, Pappeln, Eichen und Feigenbaumen, so lange du davon hast; den Schafen gieb griines Baumlaub, so Jange du solches hast u. s. w. , und 54, 2 wiederholt er: Hast du kein Heu, so gieb dem Ochsen Eichen- und Epheublatter. Auch bei den

406 Arbutus. Medica. Cytisus.

spatern landwirthschaftlichen Schriftstellern wird diese Art Futterung so oft erwahnt und vorausgesetzt , dass sich an ihrer Allgemeinheit nicht zweifeln lasst. An diesem Punkte sehen wir besonders deutlich, wie sehr die siidlich-antike Bodenwirthschaft von der neuern in nor- dischen Breiten sich unterschied und noch unterscheidet ; die letztere, die grosseren Raum hat, nimmt die Gaben aus der Hand der Natur mehr direkt entgegen, die erste verdankt Alles sich selbst und lebt wie in einer zweiten , selbstgeschaffenen Welt , von der aus gesehen die rohe Natur in unabsehbar weiter Ferne liegt. Auch die Alten aber mussten bemerken, dass nicht jedes Baumlaub geeignet war, den Pflugstier kraftig, das Schlachtvieh fett, die Milchkuh ergiebig zu machen, und dies gab Anlass, Futterpflanzen, die diesem Zwecke besser entsprachen, aus dem Orient einzufuhren. Eine solche Er- werbung waren die medica oder Luzerne und der cytisus, die Cato beide noch nicht kennt , Varro aber erwahnt und die also in der Zwischenzeit von der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. bis nach der Mitte des ersten Jahrhunderts in Italien verbreitet wurden. Die (jL^Stx^i Tioa oder fuydixtj, lat. medica, Medicago sativa L., stammte, wie der Name sagt, aus Medien, aus den wohlbewasserten, mit iippigern Pflanzenwuchs und saftigen Triften gesegneten Landschaften siidostlich vom Kaukasus, vno ralg KaffTiioig rrvhaig, die Strabo als so reizend schildert und denen er ausdriicklich die gepriesene Staude zuweist, 11, 13, 7: xal xr\v pordvyv Ss TYJV ndfaam TQeyovaav xovg iTTTiovg ano TOV Tifeovd&w evxav$a Idiwg Mydixyv xa^ov/aev. Besonders den Pferden sollte ihr Genuss zutraglich sein, und den Rosse ziichtenden und das Ross verehrenden Persern wird denn auch ihre Verbreitung zugeschrieben , in genauerer Angabe den Kriegs- ziigen des Konigs Darius, Plin. 18, 144: Medico, externa etiam Graeciae est, ut a Medis advecta per bella Persarum quae Darius intulit. Eine schone Bestatigung dieser Nachrichten giebt der Name des Luzernerklees bei den Persern aspest, wortlich so viel als Pferdefatter (Noldeke in ZDMG. 32, 408), so wie die hohe Steuer, die der sasa- nidische Konig Chosroes I. (Chosrau, um die Mitte des 6. christ- lichen Jahrhunderts) auf die Kultur dieser Pflanze legte (Noldeke, Geschichte der Perser und Araber zur Zeit der Sasaniden, aus der arabischen Chronik des Tabari iibersetzt, Leyden 1879, S. 244 Anm.: »bei der fiskalischen Behandlung der Luzerne muss man sich die ungeheure Bedeutung der Pferdezucht im eigentlichen Iran ver- gegenwartigen«). Unter den griechischen Schriftstellern erscheint die Luzerne zuerst bei Aristophanes und zwar gleichfalls als Pferdefutter,

Arbatvts. Medica. Cytisus. 407

Eq. 606: foSiov tie (ot imioC] rovg TrayovQovg dvrl noiag Aristoteles erwahnt sie wiederholt, aber in Betreff ihres Nutzens in ziemlich abfalliger Weise : zwar sollte sie den Bienen zutraglich sein, hist, anini. 9, 40 : (pvTsvfiv ds Gv^KpeQSi, TTSQI za (ffjnifvri .... TIGCLV Mq&xtjv, aber ihr erster Schnitt ist untauglich, 8, 8: v^g de Ttoag rrjg Mydixrjg f] nQWTOxovQog (pavhrj, und sie tentzieht den Thieren die Milch, besonders den Wiederkauern , 3, 21: irjg ds TQO(prtg f) [lev ofls'vvvcft, TO yd&a, xal pdKlGta, rolg f.irj()vxa£ovGiv. In Italien war das Urtheil in so fern ein anderes, als wenigstens die Schafe durch Fiitterung mit der Medica reicheren Ertrag an Milch geben sollten. Varr. 2, 2, 19: maxime amicum cytisum et medica, nam et pingues facit facillime (oves) et genit lac. Im folgenden Jahrhundert ist Columella iiber diese Futterpflanze des Lobes voll, 2, 10, 25: ex Us (pabulorum generibus), quae placet, eximia est herb a Medica. quod cum semel seritur, decem annis durat; quod per annum delude recte quater, interdum etiam sexies demetitur; quod agrum stercorat; quod omne emaciatum armentum ex ea pinguescit; quod aegrotanti pecori remedium est; quod jugerum ejus toto anno tribus equis dbunde sufficit. Da sie also perennirend ist, bis zu sechs Mai im Jahre gemaht werden kann, den Acker nicht erschopft, sondern be- fruchtet, das gesunde Vieh fett macht, das kranke heilt und von einem Morgen Medica drei Pferde das ganze Jahr erhalten werden konneii - wie sollte sie nicht eifrig angebaut worden sein, besonders in den verbrannten, im Sommer wasserlosen Gebirgsgegenden , wo noch fur das kletternde Schaf, nicht aber fur das Pferd und den Ochsen ge- niigende frische Nahrung sich fand. Die Staude, die, weil sie die Wurzeln sehr tief treibt, die Trockenheit nicht scheut, wird auch jetzt noch in Italien angebaut, doch viel seltener, als im Alterthum; die Namen, die ihr ausser medica je nach den Landschaften gegeben werden, erba spagna, fieno d'Ungheria, scheinen auf eine aberrnalige Einfiihrung in neuerer Zeit zu deuten. Das spanische mielga ist nur eine Entstellung aus medica, das gleichfalls spanische alfalfa stammt aus dem Arabischen, ist aber vielleicht eine andere Pflanze. Das franzosische luzerne, das auch in die deutsche Sprache iibergegangen ist, proven§alische lauzerdo ist etymologisch dunkel, denn die Her- kunft aus dem Schweizer Kanton Lucern oder dem piemontesischen Oertchen und Fliisschen Luzerna oder Luserne wird, so viel wir wissen, durch kein historisches Zeugniss belegt. Der, wie es scheint, von Belgien ausgegangene Kleebau mag in Nordeuropa der Medicago sativa hinderlich gewesen sein. -- Der cytisus, Medicago arborea L.,

408 Arbutus. Medica. Cytisus.

1st ein Strauch, dessen Laub als den Hansthieren erwiinscht und heilsam von Dichtern und technischen. Schriftstellern des Alterthuros einstimmig gepriesen wird. Wie der Maulbeerbaum in den Seide- bezirken und der Theestrauch in China, ward er nur seiner Blatter wegen gebaut und inusste sich gef alien lassen, derselben in regel- massigen Fristen grausani beraubt zu werden. Man kopfte ihn und zog ihn niedrig und benutzte also vorzugsweise den immer erneuten Stockausschlag. Nicht bloss dem eigentlichen Vieh, auch den Huhnern und Bienen war er zutraglich und die specifische Wirkung auf Ver- mehrung der Milch so augenfallig, dass selbst saugenden mensch- lichen Miittern ein Decoct aus Cytisusblattern mit Wein eingegeben und das Kind dadurch gestarkt und sein Wuchs befordert wurde. Acht Monat lieferte der Baum den Thieren grimes Futter, den Rest des Jahres noch gute Nahrung in getrockneter Gestalt. Dabei sollte diese Kultur nur geringe Kosten machen, die Pflanze selbst mit dem magersten Boden sich begniigen und gegen alle Witterung und die Unbilden excessiven Klimas unempfindlich sein. So etwa drucken sich Columella 5, 12 und Plinius 13, 130 ff. aus, wobei der letztere noch hinzusetzt, es sei um so mehr zu verwundern, dass der Cytisus in Italien nicht noch haufiger sei. Zu allererst sollte der Strauch auf der Insel Kythnos, einer der Cykladen, aufgetreten, von dort auf die ubrigen Inseln, dann auf das griechische Festland und nach Italien iibergegangen sein. Ob er auch nach Kythnos von anderswo ge- kommen, dariiber fehlte die Nachricht; in wie friihe Zeit die erste Benutzung und die Verbreitung fiel, wird nicht gemeldet. Das Wort xvuffog kommt in einer der pseudo-hippokrateischen Schriften (de victus ratione 2, 54. T. Ill, p. 447 Ermerins) vor, deren Zeit wir nicht bestimmen konnen, dann mit Sicherheit bei den komischeii Dichtern Cratinns (in dem Fragment, das die Blumen, die zu Kranzen dienen, aufzahlt) und Eupolis (in dem beruhmten Ziegenchor). Ari- stoteles und Theophrast nennen den Cytisus, ein Athener Amphi- lochus hatte liber ihn und die Medica eine eigene Schrift geschrieben (Plin. 18, 144 und jetzt auch 13, 130. Schol. Nic. Ther. 617), aber wann er lebte, wissen wir nicht. Wenn auch aus Democritus ein Ausspruch uber den Cytisus angefiihrt wird, so fuhrt dies auf kein hoheres Alter, denn die landwirthschaftlichen Schriften, die unter dem Namen des beruhmten Philosophen gingen, waren spatere Fal- schungen. Ob nicht die Insel Kythnos durch eine Art etymologischer Sage zur ersten Heimat dieses Strauches oder seiner Kultur ge- worden 1st? Das griechische xiniaog (lateinisch auch als Neutruni

Arbutus. Medica. Cytisus. 409

cytisum, aus dem Accusativ xvrcffog) sieht wie ein einheimisches Wort aus und mag init xonvog der wilde Oelbaum und lat. cotinus, Rhus cotinus L., verwandt seiri; es konnte auch aus einer der Sprachen oder Mundarten Kleinasiens stammen, etwa wie xegaGog im Ver- haltniss zu xgdvsia und cornus. In der neueren Landwirthschaft spielt der Strauch, so viel uns bekannt 1st, keine Rolle mehr, bildet aber eine Zierpflanze unserer Garten. In den Lobspriichen, die ihm die Romer ertheilten, darin dem Vorgang der Griechen folgend, driickt sich wohl nur die Freude an dem neuerfundenen Futterbau iiberhaupt und dessen iiberraschend wohlthatigem und nachhaltigem Einfluss auf das Gedeihen der ganzen Wirthschaft aus.

* Dass Arbutus Unedo L. im Mittelmeergebiet seine ausgedehnte Verbrei- tung durch die Kultur erhalten haben konnte, wird jeder Botaniker, der diesen Strauch oder Baum in den ursprunglichen Macchien Griechenlands, Dalmatiens, Italiens, Corsicas, Spaniens mit anderen immergriineii Strauchern vereinigt gesehen hat, als vollig unmoglich zuriickweisen, dagegen ist sein Vorkommen bei Killarney in Irland wohl auf Einschleppung zuriickzufuhren.

Die Luzerne, Medica (Medicago saliva L.) ist vom siidwestlichen Russ- land durch Asien bis zur Mongolei, bis zum Tibet und Vorderindien als ein- heimische Pflanze verbreitet, wahrend die ihr nahestehende und wohl nur als Varietat anzusehende M. falcata L. von Mittel- und Siideuropa bis zum nord- lichen Sibirien und Centralasien heimisch ist. Ueber Arabien gelangte Medicago saliva als Kulturpflanze auch nach Aegypten. Medicago arbor ea L. (Cytisus) ist im Mittelmeergebiet nicht sehr allgemein verbreitet; er findet sich in Kleinasien nur um Smyrna, sodann auf der Insel Rhodes, auf den kleinen Cykladen, in Griechenland auf dem Lykabetos, sodann in Unteritalien ; in Spanieii kommt er nur verwildert vor.

Lat. arbutus hangt vielleicht nicht mit arbor zusammen, sondern gehort zu ahd. eriberi Erdbeere (Frohde in Bezzenbergers Beitr. 17), das seinerseits wahrscheinlich keine Zusammensetzung mit Erde, sondern mit alts, erda Bienenkraut, Melisse ist (doch vgl. O. Bohtlingk I. F. VII, 272). Griech. v-opiapoc, xdjjiopoc, xafxapoc, ngr. xoofxapYja (xooxoojAapYp), xou(j.apa (vgl. G. Meyer, Et. W. S. 194), wird von Fick, Vergl. W. I4, 383 zu ahd. hemera Nieswurz, altsl. demerit Gift, cemerica ,helleborus' , kleinruss. center ,nausea{ u. s. w. (Miklosisch, Et. W. S. 31) gestellt, so dass der griechische Name des Erdbeerbaums sich vielleicht auf die oben angedeuteten Wirkungen der Pflanze bezieht. Griech. fAtjjiauuXov und otvBpetyXY] sind dunkel. Als albanesi- schen Nam en des arbutus nennt Heldreich a. a. O. S. 39 mare&, mars&} nach G. Meyer a. a. O. aus xoofxaptd entstanden. Die Friichte heissen kukumatse. - Einen zweiten iranischen Namen der Luzerne (neben pehl. aspast, pers. uspusl) nennt Tomaschek, Centr. St. II, 61: pers. bedah, Pamird. bedd: pi fett sein. Nach ihm wird in den sinischen Annalen die Luzerne, als ein wichtiges

410 Der Oleander.

Erzeugniss central - asiatischer Gegenden bezeichnet. Den Nanien Luzerne, Liiserne, schwedische Luzerne kennenPritzel und Jessen (Deutsche Volksn. d. PfL S. 231 f.) in Earn then, Bern, Graubiindten, Wurttemberg, Pommern; da- neben begegnen Ausdriicke wie burgundisch Gras, ewiger Klee, Medisch Kraut, Sichelklee und ahnliche. - - Griech xonao; 1st dunkel. Andere Futterkrauter der Alten, wie den Bockshorn-Klee (Trigonella foenum Graecum L.), TY]Xt<; oder (3o6xspac, die Lupine (Lupinus hirsutus und angustifolius L.), behandeln Neumann-Partsch, a. a. 0. S. 404 ff.

Der Oleander.

(Nerium Oleander L.)

Per Oleander oder Lorbeerrosenbaum schmiickt jetzt in Griechen- land und Italien nicht bloss die Garten, sondern begleitet auch die Wege und die trockenen Betten der Fliisse mit seinen rosenartigen, lieblich duftenden Bliiten und dem fahlen Glanze seiner langlichen immergriinen Blatter. Wie so manche andere Pflanze clieser jGegen- den schwebt er mitten inne zwischen dem Kultur- und dem wilden Stande d. h. einmal heriibergebracht, wusste er sich selbst zu helfen und nahm den Schein eines freien Naturkindes an. So fand ihn schon Plinius; auf den ersten Blick mochte er das Baumchen ftir eingeboren in Italien halten, aber als er sich auf den Namen besann, der ein griechischer ist, rhododendron, Rosenbaum, oder rhodo- daphne, Rosenlorbeer , erkannte er wohl, dass er einen Fremdling zunachst ans Griechenland vor sich hatte, 16, 79: rhododendron^ ut nomine adparet, a Oraecis venit; alii nerium vocarunt, alii rhododaphnen , sempiternum fronde, rosae similitudine , caulilnis fruticosum; jumentis caprisque et ovibus venemim estj idem ho- mini contra serpentimn venena remedio. Auch der Zeitgenosse des Plinius, der Arzt Dioscorides kennt und beschreibt den Strauch ge- nau, der als giftig zugleich einen wirksamen Arzneistoff und, wie der eigentliche Lorbeer und vorziiglich die Raute, ein Heilmittel gegen Schlangenbiss abgab, 4, 82: »vrlQ(,ov) oder yododdyvy, oder gododev- SQOV. Ein bekannter Strauch, der langere und dickere Blatter hat, als der Mandelbaum« (folgt die weitere Beschreibung, dann:) »er wachst in Paradiesen und in Ut'ergegenden und an den Fliissen, seine Bliiten und Blatter wirken schadlich auf Hunde und Esel und Maulthiere und die meisten Vierfiissler, den Menschen aber sind sie, mit Wein getrunken, heilsam gegen den Biss von Thieren, besonders

Der Oleander.

wenn man Raute hinzumengt; kleinere Thiere aber, wie Ziegen und Schafe, sterben, wenn sie einen Aufguss da von trinken.« Dass der Oleander den Thieren verderblich sei, war eine allgemeine Meinung, die noch jetzt herrscht. Palladius 1, 35, 9 erwahnt selbst eines Mittels die Mause damit zu vertilgen, indem man namlich deren Gange und Locher mit Blattern dieses Baumes verstopft, und die bei Lucian in der lacherlichen Geschichte vom verwandelten Esel,. der hungrig in einen Garten bricht, Asin. 17, ausgedriickte Furcht vor den dort wachsenden Oleandern liegt noch dem heut zu Tage in Siiditalien gebrauchlichen Namen amazza Vasino, Eselmorder, als Volksmeinung zu Grunde. In der romischen Kaiserzeit also 1st der Rosenlorbeer bei den Aerzten und im gemeinen Leben so haufig und bekannt, wie noch jetzt. Sehen wir uns bei den alteren Grie- chen um, aus deren Sprache die Namen desselben stammen, so- treffen wir nirgends eine Spur von dem doch so auffalligen Gewachse an. In Theophrasts beiden botanischen Werken findet sich in der langen Reihe der von ihm beobachteten oder auch nur voriiber- gehend erwahnten Pflanzen keine, die auf den Oleander passte, denn der auf Lesbos und anderswo wachsende , teVGLVVpos genannte Baum h. pi. 3, .18, 13, der zwar auch den Schafen und Ziegen todtlich ist, aber Bliiten tragt wie das weisse Veilchen, die nach Mord (pdvov, riechen, (was Plinius 13, 118 iibersetzt: pestem de- nuntians), ist kein anderer als Evonymus latifolius, der Spindel- baum. Eben so wenig stossen wir bei Aristoteles oder einem Ko- miker oder sonst einem der friiheren Prosaiker oder Dichter auf eine dahin zu beziehende Notiz. Der andere griechische, zuerst bei Plinius und Dioscorides auftretende Name VIJQIOV konnte uns ver- fiihren, der Pflanze dennoch ein hohes Alterthum in Griechenland beizulegen; schliesst sich derselbe namlich an das tragische va'QO$, vrjQog fliessend, an Nereus, den Wassergott, und die Nereiden, die Gottinnen des feuchten Elements, und sagt er also soviel als Wasser- pflanze aus, so muss er jener friihen Periode der Sprachbildung an- gehoren, aus der diese alterthiim lichen Wort- und Fabelzeugen in die jiingere Welt herabgestiegen waren. Allein, wenn der Oleander es auch liebt, die Rinnen der Bache und die kiesigen Schluchten, in denen sich voriibergehend, oft nur einige Stunden lang, die wil- den Wasser hinabstiirzen , von beiden Seiten in langen bliihenden Reihen zu verfolgen, so ist er doch keine eigentliche Wasserpflanze und ersteigt auch die Berge ; und sollte die liebliche Blume mit ihrem Mandelduft, wenn sie schon so friihe Griechenlands Landschaften zierte,

412 I>er Oleander.

oder das den Ziegen und Eseln todbringende Laub nirgends in Literatur und Mythus einen Widerhall gefunden haben? Von einem spateren Schriftsteller, der in der zweiten Halfte des ersten •christlichen Jahrhunderts lebte, und alleiiei Sagen, personliche Vor- falle und wunderbare Ziige sammelte, dem Ptolemaus Chennus aus Alexandrien (auszugsweise erhalten in des Photius Bibliothek), er- fahren wir, eine Rhododaphne sei auf dem Grabe des Amycus ge- wachsen und wer davon genoss, sei zum Faustkampf angeregt worden (p. 148 b. Bekk.). Es ist derselbe Amycus und dasselbe Grab, von denen schon fruher bei dem Lor beer die Rede gewesen. Was dort dem Lorbeer zugeschrieben wurde, die Kraft die Sinne zu verwirren und zu Streit zu verftihren, das wird hier dem Oleander bei- gelegt ; aber wie alt ist diese Variante, und aus welcher triiben Quelle mag Ptolemaus sie abgeleitet haben? - - Bei all dem ist nicht un- wahrscheinlich , dass der Baum aus Kleinasien und speziell der Pontusgegend, dem Vaterland der Gifte, und Gegengifte nach Griechen- land heriiberwanderte. Dort lebten z. B. die Sanni, ein Volk, dessen Honig betaubende Kraft hatte: man suchte die Ursache davon in den Bliiten der Oleanderbiische wovon dort alle W alder voll war en, Plin. 21, 23, 45: aliud genus in eodem Ponti situ, gente Sannorum, mellis quod ab insania quam gignit maenomenon va- cant. Id existumatur contrahi flore rhododendri quo scatent sil- vae; gensque ea, cum ceram in tributa Romanis praestent, mel, quoniam exitiale est, non pendit88). Noch jetzt wuchert der Oleander in ganz Kleinasien an den Bachen und auf den Bergen; mehr nach Siiden, in dem Gebiet der semitischen Race, tragt er bei den Ara- bern den sichtlich aus dem griechischen ddpvq abgeleiteten Namen difleh, defle, difna, ist also nicht vor der Bekanntschaft mit den Griechen dort eingefiihrt worden.

Nach Allem kann der Oleander erst in der Zeit zwischen Theo- phrast und etwa den letzten Zeiten der romischen Republik nach Griechenland gekommen sein, nach Italien entsprechend spater. Die alteste literarische Erwahnung ware die in dem Vergilischen Culex, v. 402:

Laurus item Phoebi surgens decus; Me rhododaphne -

wenn wir sicher sein konnten, dass dieses Gedicht wirklich ein Jugendwerk dessen ist, dem es zugeschrieben ward84). Sehen wir davon ab, so erscheint der Name zuerst ein Jahrhundert spater bei Scribonius Largus, wahrend er bei Celsus noch fehlt; bald darauf ist das Gewachs, wie schon bemerkt, Jedermann in Italien bekannt:

Der Oleander.

zuerst war es in den Garten (Dioscorides : ev TiaQadstcroig) der Zierde wegen angepflanzt worden, dann verbreitete es sich auch im freien Lande um so schneller, als Ziege und Esel, die Feinde aller jungen Baumchen, die nichts aufkommen zu lassen pflegen, es ver- schonten, und von da an leuchten die hellrothen Oleanderrosen, ver- mischt mit den sanften blauen Bliiten des Vitex Agnus, wie ge- wundene rothliche Bandstreifen an beiden Ufern der vom Gebirge herabkommenden Wasserrinnen Siideuropas. Das Volk in Italien aber verwandelte das ihm schwierige griechische Wort rododendronr unter Anlehnung an laurus , allmahlig in das heutige oleandro, leandro, das in alien Sprachen und auch in der wissenschaftlichen Botanik gilt; nur die Neugriechen sagen gewohnlich mxQoddcpvrj oder bittrer Lorbeer.

* Die Gattung Nerium, deren bekanntester Vertreter N. Oleander L. ist,. existirte in Europa schon wahrend der jungeren Kreideperiode und zwar war sie damals, wie auch noch wahrend der Tertiarperiode in Mitteleuropa ebenso- wie in Siideuropa anzutreffen. Schon in der jfingsten Tertiarperiode existirte eine unserem jetzigen Oleander verwandte Pflanze in Siidfrankreich (Mexi- mieux und Valentine). Auf Grund dieser Thatsache ist es ganz un- moglich, dass der Oleander erst in historischen Zeiten nach Europagelangtist, nur ist seine Nordgrenze in Folge der Glacialperiode weiter nach Siiden verschoben worden. Wer jemals das Glfick gehabt hat, die weit- hin von rothbliihenden Oleanderbuschen eingefassten Gebirgsbache der Sierra Morena in Spanien zu sehen oder wer in den Wtisten Algiers dichte Oleander- biische als Wahrzeichen eines zeitweise Wasser fiihrenden Oueds leuchten sah, wird schwerlich auf den Gedanken kommen, dass dieser Strauch durch den Menschen in jene Gebiete eingeschleppt sei. Er ist hier ebenso heimisch wie in Griechenland, Kleinasien und Syrien.

** Auch wenn der Oleander keine eigentliche Wasserpflanze ist, so konnte er doch nach seiner in die Augen fallenden Eigenschaft, die .Laufe der Bache zu begleiten, die von alien Beobachtern hervorgehoben wird, v-qpiov benannt sein, wenn dies namlich zu vvjpo? gehort. An einer volksthiimlicheii griechischen Benennung des Oleanders wtirde es also nicht fehlen. Doch bleibt, wenn man von deni Indigenat der Pflanze im ganz en Mittelmeer- gebiet ausgeht, die Thatsache bestehen, die dann kaum erklarbar ware, dass die Alten bis auf Plinius und Dioscorides eine so charakteristische Pflanze der sudlichen Landschaft nicht genannt hatten.

Sicher ist wohl, dass der Oleander nicht aus dem pontischen Gebirge nach Griechenland gekommen ist, da nach den iiberzeugenden Ausfiihrungen Kochs (Baume und Strancher S. 117 fF.), der den Pontus gerade mit Riick- sicht auf diese Fragen bereist und durchforscht hat, Nerium Oleander L. wild hier tiberhaupt nicht vorkomint. Nach ihm stamme nnsere Pflanze aus dem

414 Die Pistazie.

iberischen Westen und sei erst im 15. oder 16. Jahrhundert nach Italien und •Griechenland gekommen. Neumann-Partsch (Physikalische Geographic S. 396) stimmen ihm in ersterem Punkte zu, halten aber an der Ideiititat des v-rjpiov des Dioscorides mit unserem Oleander fest, wahrend Koch in ersterem Rhododendron ponticum, die pontische Alpenrose, erkannt hatte. Nach Neumann-Partsch ware also der Oleander ebenfalls von Spanien, aber vor Dioscorides und Plinius in Griechenland eingewandert. - - Als auf Kreta geltenden Namen des Nerium Oleander nennt Heldreich, die Nutzpflanzen. Oriechenlands S. 31 ocpaxoc.

Die Pistazie.

(Pistacia vera L.)

Die kostliche Pistaziennuss, die auch in nordischen Landern den Zuckerbackern und Glaciers zu einem ihrer feinsten Ingredienzen •dient, wachst auf einem kleinen Baume mit gewiirzhaft duftenden Blattern aus der Familie der Terebinthaceen. Sie gleicht an Grosse «iner Haselnuss, ist langlich-dreikantig gestaltet und schliesst einen griinen, eng anliegenden, mandelartigen Kern ein. Das Vaterland •des Baumes ist das warmere Mittelasien, sein Name scheint persisch80). Im semitischen Syrien war er, wenn die Deutung nicht triigt, frtihe zur Zeit der Erzvater, und dann wieder ganz spat, als im Abend- lande schon die romische Republik ins Kaiserthum umschlug, wegen seiner Friichte hochgeschatzt. Aber da die alteren Griechen von Pistazien nichts wissen, kann der Handel dieselben in jener friiheren Zeit noch nicht den europaischen Kiisten zugefiihrt haben. Erst nachdem Alexander der Grosse das Herz des Welttheils aufgeschlossen hatte , taucht von dorther die erste Kunde von dem Baume und seinen Niissen auf, die die Einen der Mandel, die Anderen der Pignole vergleichen, und erst in der ersten Halfte des ersten Jahrhunderts nach Chr., wird uns berichtet, brachte ein Homer die Pflanze selbst aus Syrien nach Italien hinuber und gleichzeitig ein anderer nach Spauien.

Als die Briider Josephs, von der Hungersnoth gedrangt, zum zweiten Mai nach Aegypten zogen, nahmen sie kostbare Geschenke mit, den Vezir des Pharao, in dem sie ihren Bruder nicht vermuthe- ten, damit giinstig zu stimmen. Unter den erlesenen Landesfriichten, die bei dieser Gelegenheit, Genesis 43, 11, aufgefiihrt werden, stehen neben Mandeln auch latnim d. h. nach der Uebersetzung der Septua- ginta, der Vulgata, der arabischen und syrischen: Terebinthen-

Die Pistazie. 415

be ere n; da diese aber, wenn sie auch in manchen Gegenden ge- gessen werden, doch in keinem Falle zu den Leckerbissen gehorten, die des Mitnehmens und Darbringens werth gewesen waren, so suchte zuerst Bochart Geogr. sacra II, 1, 10 den Beweis zu fiihren, es seien vielmehr Pistazien gemeint. Olaus Celsius im Hierobotanicon 1, 24 stimnite ihm bei und seitdem scheint die Sache ausgemacht zu sein. Ein Urn stand aber bleibt dabei bedenklich: dass namlich seit Jakobs und Josephs Zeiten der Baum wie verschollen ist, die Griechen ihn nicht kennen und erst Theophrast, offenbar in Folge von Alexanders Ziigen, nicht von Syrien, sondern von Baktrien her von dieser neuen wunderbaren Art Terebinthus durch Horensagen Kenntniss hat. So kann man sich der Vermuthung nicht erwehren, ob nicht erst die persische oder gar erst die griechisch-syrische Herrschaft den Baum in die Gegend der von den syrischen Konigen neu ge- griindeten Stadt Beroea, Berroea, des heutigen Aleppo (J. Oppert, Expedition scientif. en Mesopotamie, 1, p. 39), gebracht habe. Die Stelle des Theophrast lautet, h. pi. 4, 4, 7: »Man sagt aber, dass es eine Terebinthe gebe oder nach Andern einen der Terebinthe ahn- lichen Baum, bei dem zwar Blatt und Aeste und alles Uebrige tere- binthenartig sei, nur die Frucht eine andere, denn die letztere gleiche der Mandel. Diese Terebinthe komme in Baktrien vor und trage Nusse wie die Mandeln und diesen an Aussehen ahnlich, nur dass die Schale nicht rauh sei, an Geschmack aber und zum Ge- nusse weit vorziiglicher als die Mandeln, daher sie auch bei den Eingeborenen mehr im Gebrauch seien « (wiederholt von Plinius 12, 25). Die Beschreibung ist richtig, obgleich sie bloss auf einem (pad tfsivai ruht, der Name aber fehlt noch. Dieser erscheint erst bei Nicander im folgenden Jahrhundert, aber die Pflanze wachst auch bei diesem Dichter noch am indischen Strome des Choaspes, des Flusses von Susa, Theriac. 890:

Und wie viel nur dort an des brausend wilden Choaspes Indischem Strom gleich Mandeln Pistazien tragen die Aeste.

Der erste, der der syrischen Pistazien erwahnt, ist dann, wieder ein Jahrhundert spater, der Stoiker und Geschichtsschreiber Posi- donius aus Apamea in Syrien, also ein Kind des Landes selbst, bei Athen. 14. p. 649: »In Arabien und Syrien wachst auch die Persea und die sogenannte Pistazie (TO xahovfisvov piardxiov, also ein noch neuer Name), welche eine traubenformige Frucht tragt, weissschalig und lang, ahnlich den Thranen (rolg daxgvois so auch bei

M tiller, Fragm. 6; die friiheren Herausgeber haben hier

416 Die Pistazie.

oder xctQvoig verrnuthet), diese sitzen wie die Weinbeeren iiber ein- ander ; innerlich sind sie griinlich und stehen den Pinienkernen an Geschmack zwar nach, haben aber schoneren Duft.« Die Spatereii wissen Alle, dass Syrien und namentlich Aleppo diese Frucht in hochster Vollkommenheit hervorbringt, so Dioscorides 1, 177 : mGtdxia TO. fJLSV yswajfusva sv 2vQL%, OIIOLCI GiQofittois, €vtit6[Lia%a. Plin. 13, 51 : Syria peculiaris hdbet arbores: in nucum genere pistacia nota. Galen, de simpl. medic, temperamentis et facult. 8, 21 (Tom. 12 Kiihn.): TuGidxcov . sv 2vQiy Tchelffrov yevvarcu, TOVTO TO cpvwv. Idem de aliment, facult. 2, 30 (T. 6 Kuhn.): neql TUGraxiwv. Fsv- vaiat xal xaia r^v [itydhrjv 'AfoxavSgeiav (der Baum war also schon noch Aegypten verpflanzt), Ttohv Tiheuo tfsv BsQQoly xr^g SvQCaq. Nach Europa und zwar nach Italien versetzte den Baum Vitellius, nach Spanien zu derselben Zeit der romische Bitter Flaccus Pom- pejus, Plin. 15, 91: haec autem (pistacia) idem Vitellius in Italiam primus intulit simulque in Hispaniam Flaccus Pompejus eques Romanus qui cum eo militabat', L. Vitellius, der nachher Censor wurde, war zur Zeit des Kaisers Tiberius Legat in Syrien gewesen und hatte seine Anwesenheit in jener Provinz dazu benutzt, mancher- lei Gartenfriichte von dort auf sein Landgut bei der Stadt Alba zu versetzen - - wie Plinius kurz vorher 15, 83 berichtet hatte. Ob die Pistazien am letztgenannten Orte gediehen, wird uns nicht ge- sagt; da aber die Stadt Alba nicht weit vom Fuciner See, dem vor Kurzem abgeleiteten lago di Celano, also mitten im rauhen marsi- schen Gebirge liegt (der See fror, als er noch bestand, mitunter zu) und es noch heut zu Tage der Pistazie in Nord- und Mittelitalien zu kalt ist, so wird wohl auch L. Vitellius an diesem Theil seiner Pflanzung wenig Freude gehabt haben. In Calabrien und Sicilien liess sich der Baum eher naturalisiren ; dort liefert er jetzt Friichte zur Ausfuhr, die indess fur nicht so gewiirzhaft gelten, wie die orientalischen. Da die Pistazie, wie alle Terebinthaceen, eine dioci- sche Pflanze ist, so sichert auch bei ihr, wie bei der Dattelpalme, die Hand des Gartners die Befruchtung, indem er die Bliitenrispe des mannlichen Baumes kiinstlich mit der des weiblichen in Be- rahrung bringt. Sehr gewohnlich ist es, den gemeinen Terpentin- baum mit einem Pistazienreis zu veredeln. Ob die sicilischen Pista- zien iibrigens aus der Zeit des L. Vitellius und iiberhaupt aus der Romerzeit oder erst aus der Epoche der arabischen Herrschaft stammen, konnte fraglich erscheinen, zumal da der sicilische Name fastuca dem arabischen gleicht , wenn nicht Palladius in seinen

Der Terpentinbaum. 417

Biichern de re rustica wiederholt iiber Pflanzung und Kultur der Pistazien Unterricht gabe. Palladius besass, wie er selbst berichtet, 4, 10, 16, Giiter in Sardinien, und auf dieser warm en Insel konnte allerdings der zartliche medisch-syrische Baum theilweise seine ur- spriingliche Heimat wiederfinden. Ware der Orient nicht im Garten- ban, wie in allem Uebrigen, so tief in Barbarei versunken, die Pistazienzucht konnte dort unter Volkern, die dem Sorbetto und alien Sussigkeiten leidenschaftlich zugethan sind, fur den Pflanzer ge- winnreich werden. Noch immer ist der Pistazienhain von Aleppo weit und breit beruhmt; von Persien berichtet Polak (Persien, 2, S. 47): » Pistazien ziehen ausschliesslich die Bewohner von Kaswin und Damgan und zwar in uniib ertref flic her Qualitat.« Dort also ist auch der erste Ausgangspunkt des Baumes zu suchen.

Zu den Charakterpflanzen der Mittelmeerflora gehoren die nahen und entfernteren Verwandten der Pistazie: Pistaeia Lentiscus, der sog. Mastixbaum, der mehr in Form von immergriinen Ge- biischen in der siiditalischen Kiistenregion haufig ist, dort aber keinen Mastix und aus seinen Beeren auch nur ein herbes, hochstens zum Brennen dienliches Oel giebt; Pistaeia Terebinthus, der Ter- pentinbaum, der in Italien oft seine Blatter abwirft und nur ganz im Siiden als immergruner Strauch auftritt, in Europa keinen Ter- pentin liefert, auch keine essbaren Beeren tragt; Rhus Co tin us, der Perriickenbaum (warum- er so heisst, weiss Jeder, der den Baum nach der Bliite und die einem verwirrten Haarschopf ahnlichen Riickstande derselben gesehen hat); endlich Rhus Coriaria, der eigentliche Sumach, dessen Blatter in getrocknetem und gepudertem Zustand den vorziiglichsten Gerbestoff fur feine farbige Lederarbeiten aus Ziegenfellen Mr Saffian, Corduan, Maroquin abgeben, jetzt in Sicilien allgemein angebaut und einer der wichtigsten Exportartikel der Insel.

Ob diese Baume oder Straucher, alle balsamisch immergrun, gerbstofflialtig, der Schmuck sudlicher Felsenufer, von Urbeginn zu der europaischen Flora gehort haben oder gleich der Myrte erst an der Hand des Menschen von Asien eingewandert und dann verwildert sind, erscheint zweifelhaft. In Europa halten sie sich an dem warmen siidlichen Rande des Welttheils und wagen sich nicht weit nach Norden, wie doch echt italienische Gewachse zu thun pflegen; sie erscheinen in Strauchgestalt, wahrend ihre Briider in Asien zu statt- lichen Baum en aufwachsen ; sie liefern kein balsamisches Harz, keine essbaren Frlichte, kein duftendes Oel, oder nur in dem Masse, als

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 27

418 Der Terpentinbaum.

sie sich dem warmeren Asien nahern; zu ihrer Einfiihrung konnten ihre medicinischen Krafte, ihr technischer Nutzen, der aromatische Duft und Geschmack ihres Harzes und ihrer Beeren, endlich auch religioser Wahn das Motiv abgeben. Unter ihnen 1st der Sumach technisch am wichtigsten, die Terebinthe historisch am interessan- testen. Der Terpentinbaum weist uns in die alteste Zeit nach Persien. Die Perser sind Terebinthenesser : als Astyages, Konig der Meder, auf dem Throne sitzend, erblicken musste, wie die Seinigen von den Schaaren des Cyrus geschlagen wurden, da rief er: wehe ! wie tapfer sind diese terebinthenessenden Perser! Nicol. Damasc. ed. Miiller. 66, 59. p. 404: ol fioi rovg TCQfjiiv&oyidyovg IleQaag, ola aQiGtsvovGi. Ael. V. H. 3, 39, die Arkader assen Eicheln, die Perser aber Terebinthen: pahdvovg *Aj>xd3ee . . dslTtvov sl%ov . . ., TSQfjitv- &ov de xal xd^Sa^ov HsQaat. Unter den fiir die Tafel der persi- schen Konige taglich zu liefernden Artikeln, deren Betrag neben anderen Gesetzen auf einer ehernen Saule im Palast eingegraben stand, findet sich auch Terebinthenol, Polyaen. Strat. 4, 3, 32: Ihatov dno ZSQ^CV^OV rcevre ^a^sc, das also auch der Konig zur Speise nicht missen wollte. Die Jugend der Perser wurde angehalten, im freien Felde zu leben und sich von Terebinthen, Eicheln und wilden Birnen zu nahren, Strab. 15, 3, 18: xal xaQTtolg dygtois XgrjtfO-cu, rsQjucv^w , dgvoftahdvoig, a%gdSt,, Terebinthen wuchsen auf dem Paropamisus: Als Alexander nach Bactri ana zog, kam er durch eine furchtbare Bergwiiste, sie war ganz baumlos, Terebinthengebiisch ausgenommen, Strab. 15, 2, 10: n^v xsg^iCv^ov &ajnvwdovg ohCyrjt; (hier Pistacia vera zu verstehen, wie Sprengel zu Dioscorides und nach ihm Ritter wollen, ist kein Grund). Zu Dioscorides' Zeit lie- ferte der Baum vorzugsweise in der Region, die den Wohnplatz der semitischen Volker bildet, das hochgeschatzte Terpentinharz , 1, 91: »das Harz dieses Baumes komrnt aus dem petraischen Arabien; er wachst aber auch in Judaa und Syrien und Cypern und Libyen und auf den Cycladen« , und schon friiher hatte Theophrast die hohen machtigen Terebinthusbaume der Umgegend von Damascus mit dem niedrigen Terebinthengebiisch des Idagebirges und Macedoniens in Contrast gesetzt, h. pi. 3, 15, 3: »die Terebinthe ist am Idagebirge und in Macedonien klein, strauchartig, gewunden, bei Damascus in Syrien aber hoch, zahlreich und stattlich: dort sagt man, ist ein Berg ganz voll von Terebinthen, neben welchen nichts Anderes wachst (dasselbe bei Plinius 13, 54). Im Alten Testament hat der Baum religiose Bedeutung und zwar um so mehr, je alter die Zeit ist, um

Der Terpentinbaum. 419

die es sich handelt. Die beerentragende Terebinthe ist, wie die eicheltragende Eiche, von der sie nicht immer zu unterscheiden ist, der Urbaurn , unter dem die Erscheinung des Gottlieb en empfangen und der Altar errichtet und das Opfer dargebracbt wird. Abraham erhob seine Hiitte und kam und wohnte bei den Terebinthen Mamre, die zu Hebron sind, und baute daselbst dem Herrn einen Altar (Genes. 13, 18). Und dort ward ihm die Erscheinung des Herren und dessen Verheissung (Genes. 18). Die Statte, wo der Baum des Abraham gestanden hatte, war noch lange Jahrhunderte geweiht: die dortige Terebinthe sollte so alt sein, wie die Welt, Joseph, de bell, jud. 4, 9, 7: »man zeigt aber sechs Stadien von der Stadt eine sehr grosse Terebinthe, die seit Erschaffung der Welt dastehen soll.« Euseb. demonstrat. evang. 5, 9: »daher wird bis auf den heutigen Tag der Ort von den Umwohnern als ein heiliger verehrt wegen der daselbst dem Abraham gewordenen Erscheinung , und auch die Terebinthe ist noch dort zu sehen.« Auch die ferner Wohnenden, Phdnizier und Araber, kamen dort zusammen, spendeten Wein, schlachteten Opferthiere, schiitteten Gaben in die Quelle, und wie gewobnlich war mit dem religiosen Dienst Handel und Wandel, Waaren- und Marktverkehr verbunden. Wegen des Grauels solcher Baum- und Quellvergotterung befahl Kaiser Constantin der Grosse, auf Andringen seiner Mutter, der heiligen Helena, den Altar zu zer- trummern, die Bildsaulen zu verbrennen und eine christliche Kapelle an die Stelle zu setzen (Sozomen. h. e. 2, 3). Eine andere heilige Terebinthe war die des Jacob zu Sichem (Genes. 35, 4), unter der zu Josuas Zeit die Bundeslade stand und von Josua ein steinerner Altar errichtet wurde (Jos. 24, 26); dort versammelten sich noch zur Zeit der Richter alle Manner von Sichem und machten Abimelech zum Konige (Richter 9, 6). Auch zu Gideon kam der Engel des Herrn unter einer Terebinthe zu Ophra und Gideon baute daselbst einen neuen Altar, nachdem er die Aschera der Midianiter umgehauen hatte (Richter 6, 11 ff.). Todte wurden unter Terebinthen begraben, Genes. 35, 8: Da starb Debora, der Rebecca Amme, und ward be- graben unter Beth El, unter der Eichen (Terebinthe), und ward ge- nennet die Klageiche. In spaterer Zeit, da der Jehovakultus geistiger geworden war, ist es den Propheten besonders anstossig, dass den kanaanitischen Heiden die Baume, darunter die Terebinthen, heilig sind, z. B. JIos. 4, 13: Oben auf den Bergen opfern sie und auf den Hiigeln rauchern sie , unter den Eichen, Pappeln und Terebinthen, denn die haben feine Schatten. Ezech. 6, 13: dass ihr erfahren

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420 Mastixbaum. Perriickenbaum. Sumach.

sollet, Ich sei der Herr, wenn ihre Erschlagenen unter ihren Gotzen liegen werden, um ihren Altar her, obeu auf alien Bergen, und unter alien griinen Baumen und unter alien dicken Eichen (Terebinthen). Gerade diese Verehrung aber inochte friihzeitig dazu beigetragen haben, dass der Baum sich an die Kiisten Europas verbreitete. Lieferte er indess schon in Asien nur geringe Mengen des kostbaren, heilkraftigeii reinen Terpentins, so biisste er in Europa mit der Hohe des Wuchses auch die Kraft, diesen auszuscheiden, ganzlich ein; einige griechische Inseln, wie Chios, etwa ausgenommen. Was man schon bei den Romern und auch jetzt noch unter Terpentin versteht, wird von Pinus Picea und dem Larchenbaum, larix, gevvonnen und komrnt dem echten Terpentin naturlich nicht gleich. Das Geigenharz, Kolophonium genannt, trug diesen Namen schon im Alterthum, Koko<f(Qvia Tcfada, weil es, wie Dioscor. 1, 93 berichtet, ehemals aus dem kleinasiatischen Kolophon bezogen wurde.

Der Mastixbaum, ff/tvog, wird unter diesem Namen zuerst bei Herodot 4, 177 genannt. Das Harz des Baumes, H%0fCjFJ, hatte seinen Namen von der Sitte, es zu kauen (juacfraCo) kauen, jicacmc£ Mund), wie aus dem Holze auch beliebte Zahnstocher gemacht wurden. Die Einwohner der Insel Chios, wo viel Mastix gewonnen wird, kauen noch jetzt bestandig dieses Harz, womit sie nicht bloss einen an- genehmen Athem zu gewinnen, sondern auch ihrer Gesundheit zu dienen glauben. Es gehort dieser Gebrauch, wie das Betelkauen, mit zu dem System des orientalischen Miissiggangs, kann sich indess neben dem amerikanischen, in der ganzen Welt gemein gewordenen Tahakrauchen immer noch mit Ehreii sehen lassen. Der lateinische Name lentiscus, eine Ableitung von lentus, ist entweder von der zahen, klebrigen Beschaffenheit des Harzes oder von der Biegsamkeit der Aeste, die als Reitgerten beliebt sind, hergenommen.

Der Perruckenbaum, Rhus Cotinus, findet sich bei Theophrast h. pi. 3, 16, 6 unter dem Namen xoxxvyea (so ist der Text nach Plin. 13, 121 und Hesych. v. xexoxxvyatpevqv sicher festzustellen) er- wahnt. Dass dieser Baum, der zum Rothfarben diente, eins ist mit Rhus Cotinus L., geht aus dem Zusatz des Theophrast hervor: Idiov SB M%et, TO exTtotTinovdfjai, TOV XUQTIOV. UaTinoq ist namlich eben jenes grosse rothliche Gefieder der Fruchtrispen, von dem der Baum seinen deutschen Namen hat.

Der Sumach, Rhus Coriaria, wird unter dem Namen §ovg sehr friihzeitig, namlich schon von Solon, also am Anfang des 6. Jahr- hunderts, genannt, Phot. p. 491, 21: §ovv w ydvfffia. 26/toov. Die

Der Sumach. 421

Beeren bildeten also ein Gewiirz, 'fjdvGfLta, das die Speisen schmack- haft machte, wie Myrtenbeeren oder wie jetzt der Pfeffer und die Citrone. Dioscor. 1, 147: §ovg o enl TO, oifja, ov svioi SQV&QOV xahovfft, xa^Ttog stfn Trjg xa^ovfusvrjg ^vQ^odsipcxr^q ooog. 'Eyvtyog 1st ein haufiger Beiname dieser Frucht, und vielleicht liegt dieselbe Wurzel dem Namen §ovg zu Grunde, der entweder auf griechischem Boden oder in einer verwandten kleinasiatischen Sprache danach ge- bildet wurde. Dann wurde der Sinn mit dem von xoxxvysa zu- sammentreffen, wie auch beide Baume sich nahe stehen. Schon die Alten brauchten die Blatter des Gewachses, das nach seinem Vater- lande Syrien bei Celsus und Scribonius Largus rhus syriacus heisst, als Gerberlohe; dass es aber in Sicilien, wo es jetzt das beste Pro- dukt giebt, erst seit der arabischen oder mittelgriechischen Zeit an- gebaut wird, verrath der Name sommaco, Sumach, der dem arabischen sommdq und byzantinischen aovpdxi bei Du Cange ganz gleich ist. Fur die Kultur des Sumach sind iibrigens die Inseln Sardinien und Sicilien , so wie manche Provinzen der pyrenaischen Halbinsel wie geschaffen, denn gleich dem Opuntiencactus zieht er steriles Stein- geroll und diirren Felsengrund jedem anderen Boden vor und findet darum in jener Erdgegend einen fast unbeschrankten Verbreitungs- raum. Aucb hat der Anbau seit einem Menschenalter reissende Fortschritte gemacht: im Jahre 1875 fiihrte der Hafen Palermo Su- mach zum Werthe von rnehr als 17 Millionen Lire aus (nach Theo- bald Fiscl.er, Beitrage, S. 124).

Unter dem Raucherwerk des warmeren Asiens, den ^-v^udjuaia und aQi^iara, wird von den Alten haufig auch des Styraxharzes gedacht, welches die Phonizier zu Herodots Zeit nach Griechenland ausfiihrten, Herod. 3, 107: vijv Gtvgaxa . . . vyv lgc'EMqvaq Qoivixeg Qdyovoi. Vielleicht aber hatten diesen syrischen Baum die Pho- nizier friihe auch um ihre europaischen Niederlassungen anzupflanzen gesucht. Zwar Theophrast, da wo er die lange Reihe asiatischer aromatischer Substanzen auffiihrt, darunter auch die OIVQO%, h. pi. 9, 7, 3: olg [ASV ovv fig ia aQw^iaia /(JcovreM, (T/fc^bv rdde lad xaaCa xcvd^KofjLov . . . ffrvQet%, IQI$ u. s. w. fiigt gleich hinzu, mit Aus- nahme der Iris gehore nichts davon Europa selbst an: Ix yag avifg EvQWTiTjg ovdev eanv ^co r^g Igidog. Aber bei der bootischen Stadt Haliartus, in einer Landschaft, an die sich Ueberlieferungen friiher phonizischer Kultur und religiosen Verkehrs mit der Insel Kreta kniipfen, wuchsen nicht weit von der Quelle Ktaaovffa, in der die Ammen den neugeborenen Bacchus abgewaschen hatten, Styraxbaume,

422 Der Sumach.

Plut. Lys. 28, 7: ot tie Kgrjaiot, arvQaxsg ov TTQOGVO und die Haliartier bestatigten dam it, dass Rhadamanthys bei ihnen gewohnt habe, und wussten auch sein Grab noch aufzuzeigen. Von Kreta kam auch spater noch Styrax, doch wurde dieser natiirlich nicht fiir den besten gehalten, Plin. 12, 25, 55: styrax laudatur . . . ex Pisidia, Sidone, CyprOj Greta minume wenn die Lesart richtig ist. Die Baumchen von Haliartus lieferten wohl gar keinen Ertrag, aber zu Lanzenschaften mochte ihr Holz wohl dienen. Die la- tinisirte Form storax beweist iibrigens, dass dies bei Opfern beliebte Raucherwerk friihe nach Italien kam, ganz wie wir dies aus der lateinischen Benennung des Quittenbaums schlossen, dem den Alien zufolge der Styraxbaum ahnlich sehen sollte.

* Die Pistazie, der Terpentin-, Mastix- und Perriickenbaum, sowie der Sumach gehoren der Familie der Anacardiaceae an, deren Arten alle durch einen mehr oder minder grossen Harzreichthum ausgezeichnet sind.

Ueber das urspriingliche Vorkommen der im ganzen Mittelmeergebiet kultivirten echten Pistazie (Pistacia vera L.) giebt uns K op pen (Geo- graphische Verbreitung der Holzgewachse des europaischen Russlands etc. S. 164 ff.) ausfuhrlich Aufschluss. Am Zarafshan, auf den Bergen im Osten von Pendshakend, fast unter 40° n. Br. legte der Reisende Al. Lehmann 1841 eine Strecke von 50 Werst meist durch Pistaziengeholz zurtick und neuer- dings wurde sie dort auch von Cap us als wildwachsend constatirt; sie findet sich ferner im Tschotkalthal und im nordostlichen Winkel Kokans um 1100 1200 m, sodann im Gebirge Bai'sson. Haufig kommt sie in Hissar vor, endlich in Baktrien und Syrien.

Der Mastix strauch (Pistacia Lentiscus L.) ist als Bestandtheil immergruner Macchien im ganzen Mediterrangebiet von Syrien und Palastina bis nach den kanarischen Inseln, auch in Nord- afrika sicher endemisch. Hierftir ist auch der Umstand von Be- deutung, dass in Siidfrankreich zwei fossile Formen, P. oligocenica Marion und P. narbonensis Marion, gefunden wurden, welche der jetzt lebeuden P. Lentiscus nahestehen.

Der Terpentinbaum (Pistacia Terebinthus ~L,) ist ebenfalls durch das ganze Mediterrangebiet verbreitet, er entfernt sich mehr von den Ktisten als die vorige Art und wird z. B. in Tyrol nordwarts noch bei Bozen, in Frank- reich bei Capdenac angetroffen. An das Areal dieser Art schliesst sich im Osten dasjenige der naheverwandten P. Khinjuk Stocks an, welche in den Steppengebieten Vorderasiens und des westlichen Himalaya auch im mittleren Aegypten, ostlich vom Nil in der Wtiste vorkommt. Andere nahestehende Arten sind P. mutica Fisch. et Mey., im ostlichen Mediterrangebiet von Kon- stantinopel und Kleinasien bis Afghanistan, sowie P. atlantica Desf. von den Kanaren durch das vordere afrikanische Mediterrangebiet bis Cypern. End- lich wird der Endemismus des Terebinthentypus im sudlichen Europa durch

Der Sumach. 423

das Vorkommen einer der P. TereUnthus nahestehenden Art (P. miocenica Saporta) im Tertiar Siidfrankreichs dargethan.

Der Sumach (Rhus Coriaria L.) 1st nicht bloss im ganzeii Mittel- meergebiet, sondern auch in Makaronesien heimisch.

** Wenn hebr. botnim Pistazien sind, so ist die Frucht auf semitischem Boden sehr alt, da das Wort sich auch irn Assyrischen (butnu) findet; vgl. E. Schrader, Monatsb. d. Ak. d. W. zu Berlin 1881 S. 419 und F. Delitzsch Assyr. Handw. S. 171. Dass botnim so zu iibersetzen sei, vertritt auch Wetzstein in den Nachtragen zu Low's Aram. Pflanzennamen S. 420: » \Venn die Terebinthe im Alten Testament 'elah heisst, so wird b-t-n in der Bibel- sprache nicht die Terebinthe oder deren Frucht sein , sondern gewiss nur die Pistazie, und wenn die Araber botum und botm jetzt von der Terebinthe gebrauchen, so ist das eine Uebertragung von Verwandtem auf Verwandtes. Und warum soil die Pistazie kein »Landesprodukt« sein (gegeniiber Low a. a. 0. S. 69,), wenn sie sich noch in vorziiglicher Qualitat 8 Std. nordlich von Damaskus in Malula findet? Noch heute sind die grossten Pistazien eine Lieblingsnascherei der vornehmen Harems -Damen in Aegypten und Syrien. Dagegen ist die Frucht der Terebinthe nicht essbar, weil niemand den erbsengrosseii harten Kern knacken wird, um den linsengrossen Inhalt her- auszuholen. Die Friichte der Terebinthe sind in Palastina werthlos; nur die armsten Bauern mahlen sie auf der Handmiihle, um Brennol gratis zu'haben.« Pas griech. niotdxiov ist, worauf schon die Unsicherheit des Anlauts ('|;wTdxiov, cpifcd- xtov, ptotaxtov, TUGidxtov, lat. psittatium, ngr. ^ittdxia, vgl. H. Bliimner, Maximal- tarif d. Diocletian S. 94) hinweist, sicher ein Fremdwort, und zwar wird das Original doch wohl (vgl. Anrn. 85) in pers. pista, pistan Pistazienwald vorliegen (kurd. fystiq, arab. ftistaq, armen. fstoul, alb. fsst'.k, altsl. pistiku u. s. w., Miklo- sich, Tiirk. Elem. S. 61).

Viel ungewisser ist, ob das griech. Tspefkv&oc, dessen altere Form tip- fxivftoc, TpEfxiftcx; lautete (vgl. auch das kyprische TpejAiftou;, nach der Terebinthe benannt, sowie it. trementina), als Fremdwort zu gelten hat. Jedenfalls findet es weder im Semitischen noch im Iranischen eine Ankniipfung. Das Anm. 85 genannte kurd. dariben ist dar-i-ben zu trennen, vgl. dar-i-zeitun Oelbaum, dar-i-fiki Feigenbaum u. s. w. (Jaba-Justi S. 170), so dass fur den Begriff Terebinthe nur die Laute ben, bei Lerch benJc iibrig bleiben. Geht man von Tspjjuvtto? als von einer echt griechisch Form aus, so konnte dieselbe durch das anklingende und suffixgleiche ipspivO-o? verstummelt worden sein, zumal die Erbse eine gewisse Aehnlichkeit mit der Frucht der Terebinthe hat. Neugr. xoxxopetovja »Beerenharz«, alb. kokorets i trasz die Friichte der Terebinthe (Heldreich a. a. O. S. 59, G. Meyer a. a. O. S. 195). Die oligen Friichte auf Chios xCtxooSa. Ueber die Terebinth en bei den Israeliten vgl. Wetzstein im Vor- wort zu Kochs Baumen und Strauchern, sowie Riehrn im Bibellexicon. Griech. o'/ivo?, alb. Bkind. Heldreich 60) und jAaotixf] (daraus kurd. mstekki, ngr. jxaait^i, alb. mastiJi), sowie lat. lentiscus sind einheimische Worter. Wie lat. hntiscus, dessen Zweige als Keitgerten beliebt waren, mit lat. lentus (oben S. 420) zu verbindeii ist, so stellt sich vielleicht jAaattxY]: jj.aott£, fidott? Peitsche (vgl. mein Reallexikon u. Peitsche). Ausfiihrlich wird die Ge-

424 Pfirsich. Aprikose.

winnung des Harzes in den Mastixdorfern von Chios ta von Heldreich S. 60 beschrieben. Der alb. Name der Friichte ist kokorets i ho\s. Griech. poo? lasst sich mit poooto? aus *poofr-to-? braunroth vereinigen. Man hatte von einer urspriinglichen Deklination *£oo(Ks, *pooO--6? auszugehn, die in Folge des Nominative poo? in die Annlogie von poo? : peu> tiberging. Die altere Form des Genitivs von £00? Sumach war aber poo, nicht poo? (vgl. Lobeck, Phrynichus S. 87). Das Lateinische hat neben rhus, rkois die popu- lare Entstellung ros , roris (Keller, Lat. Volksetymologie S. 61). Bei diesem Wort, sowie bei lat. terebinthus aus Tspsf^vfto? wird sich die Entlehnung seitens der Romer aus dem technischen Gebrauch der beiden Pflanzen erklaren, den man von den Griechen lernte. Im Neugriechischen heisst der Sumach von seiner Verwendung in der Gerberei ^opoYjdt ( : (36poa). Bezeichnend fiir die Aehnlichkeit, welche man zwischen Styrax und Quittenbaum fand (oben S. 422), ist der neugr. Name des ersteren 4j <3cypta xo&umjd (Heldreich 38).

Pfirsich, Aprikose.

(Amygdalus Persica L., Prunus Armeniaca L.)

Beide Baunie stammten, wie ihre Namen lehren, aus dem inneren Asien, noch jenseits des Kirschenlandes, und wurden im ersten Jahr- hundert der Kaiserherrschaft in Italien bekannt. "Weder Cato, Varro, Cicero oder sonst ein Schriftsteller der republikanischen Zeit, noch ein Dichter des augusteischen Alters weiss etwas von ihnen, und eben so wenig die alteren Griechen, so weit sie uns erhalten sind. Erst als sich die romische Staatsmacht seit Mithridates' Untergang theils direkt, theils mittelbar bis zu den Thalern Armeniens und an den Siidrand des kaspischen Meeres erstreckte und zwischen ihr und dem Partherreiche die Grenze ungewiss schwankte und die Bezie- hungen in Krieg und Frieden hin- und hergingen, da schlossen sich allmahlig auch die Naturschatze dieser fremdartigen, fruchtreichen Gegenden auf und wurden theilweise nach Italien hiniibergeleitet. Die Citrone, »die schwer ruht als ein goldener Ball«, konnte, ehe der Baum selbst von einem Europaer erblickt war, im Abendland bewundert werden schneidet sich doch jetzt der b'artige Kaufmann in Archangel, der nachste Nachbar des ewigen Polareises, frische Citronenscheiben in seinen chinesischen Thee ; nicht so die weich- liche Aprikose und der schmelzende Pfirsich, denn, nach Plinius' Wort, non aliud fugacius. Indess, gegen die Mitte des ersten Jahr- hunderts nach Chr. hatten gewerbsame Gartner diese Fruchtbaume in Italien angepflanzt und liessen sich die ersten gewonnenen per-

Pfirsich. Aprikose. 425

sischen Aepfel und armenischen Pflaumen theuer bezahlen. S. Plin. 15, cap. 11 13, S. 10 13. Dass die Namen Anfangs schwankten und «rst spater constant wurden, war bei so seltenen, unbekannten, aristo- kratischen Friichten, die deni Blick und der Zunge der Menge erst nach und nach vertraut wurden, und bei dem Mangel an sicherer naturwissenschaftlicher Systematik nicht zu verwundern; doch ist gerade hier die Geschichte der Namen zugleich die der betreffenden Frucht und ausserdem lehrreich fur die Art, wie solche Namen iiber- haupt im Volksmunde entstehen. Anfangs wusste man nur, dass der Pfirsich und auch die Aprikose hinter dem im engeren Sinne so ge- nannten Asien ihre Heimat batten, und man nannte sie demgemass persische Friichte, die Aprikosen, die der Pflaume ahnlich und ver- wandt sind, auch Friichte aus Armenien. Der Name persisch gab Verwechselungen mit der agyptischeu Persea, wohl auch mit dem medischen Apfel oder der Citrone, und die Spateren hatten die aber- glaubischen oder unrichtigen Vorstellungen zu widerlegen, die durch solche Irrung veranlasst waren. Weiter fanden sich Abarten ein, deren besondere Eigenschaften durch sprechende Beinamen hervor- gehoben wurden; so sagten die Obstziichter von der feinsten Art Pfirsiche duracina, weil diese eine starkere Haut oder ein festeres Fleisch hatten, von einer andern friihe reifenden Art praecoqua, jpraecocia. Letzterer Name, ein auch sonst vielfach angewandter, technischer Gartnerausdruck , dessen erster Bestandtheil dem grie- chischen rtQwt, deutschen friih, genau entspricht, musste aber be- sonders auf den Aprikosenbaum , der nicht bloss gleich der Mandel zeitig bliiht und also TTQca'iav^g ist, sondern auch seine Friichte als TTQw'i'xaQTiog, hdtif, hdtiveau, zeitig reift, Anwendung finden und blieb zuletzt als Appellativum vollig auf ihm haften. So konnte schon Dioscorides 1, 165 sagen: TO, Se JLUXQOISQO, xahouiueva aQftwiaxa, Qwiiia'iGTl de nQaixoxia. Von den Romern aber entlehnten ferner •die Griechen die so in Italien fixirten Namen denn im Umschwung der Zeiten war die Bewegung schon eine riicklaufige geworden, und orientalische Naturprodukte gingen schon von Westen nach Griechen- land und theilten sie wieder dem Orient mit, der das damit Be- zeichnete urspriingiich besessen hatte, aber desselben nicht bewusst geworden war. Die Pfirsiche, deren beste Sorte, wie so eben be- merkt, die Hartlinge, duracina, gewesen waren, hiessen jetzt mittel- griechisch und neugriechisch (wddxwa, der Baum yodaxivia, Qoda- xwsa, nach Salmasius' wahrscheinlicher Vermuthung nichts als eine Umstellung des lat. duracina, dwgaxwd, zu welcher in dem Anklang

426 Pfirsich. Aprikose.

an §6dov die Rose eine Verfiihrung lag. Praecoqua, ngacxoxia ver- wandelte sich in mittelgriechischem Munde in TIQSXVXXIOV , xoxxia, PSQSXSXXOV, psQixcoxov, (IsQvxoxxov, pegtxovxa, psg und da man in der zweiten Halfte des Wortes das griechische xoxxog, Kern, Beere, oder xcxxv%, der Kukuk, zu horen glaubte, auch in xoxxoitirjAa, /ufaov xoxxvyog, den alten Namen der Pflaume (Lang- kavel, Botanik der spateren Griechen, S. 5). Aus einer dieser ent- stellten Formen bildeten die Araber dann mit dem Artikel ihr al- barquq, und als dies sorbettoschliirfende, nach Erfrischung schmach- tende Volk in Spanien, auf den Inseln des Mittelmeeres und in Siid- italien seine Garten anlegte und gleichzeitig in den Hafen seine Waaren ausschiffte, da ging auch dieses Wort in seiner arabischen Form in den Mund der Abendlander zuriick und vollendete so seinen westostlichen Kreislauf: ital. albercocco, albicocco, bacocco, span, al- baricoque, daraus franzos. abricot, aus diesen wieder deutsch Apri- kose u. s. w. Auch armeniacum hat sich in dem jetzigen ital. tneliaca^ muliaca erhalten, wie das alte persicum in den heutigen Formen persica, pesca, peche, Pfirsich, slavisch je nach den Mundarten breskva, praskva, broskvincij magyar. baraczk u. s. w.

Schon zu Plinius und Columellas Zeit war eine Art Pfirsich der gallische genannt, Plin. 15, 39: nationum habent cognomen gallica et asiatica. Colum. 10, 409:

Quin etiam ejusdem gentis de nomine dicta Exiguo properant mitescere Persica malo. Tempestiva madent, quae maxima Gallia donat; Frigoribus pigro veniunt Asiatica foetu.

Da es auffallend ist, dass schon damals, in jener Jugendzeit der Frucht, Gallien eine Abart erzeugt hatte, so konnte man an Gallo- graecia in Kleinasien denken; doch wurde von diesem Lande schwer- lich kurzweg gatticus, vielmehr galaticus, gesagt. Der Pfirsich ist eine Frucht, die leicht abandert, und war also in der Provence schon eine grosse Art Fruh-Pfirsich erzeugt worden, die in Italien nach dieser Herkunft benannt wurde. Jetzt ist die Frucht in unzah- lige Abarten und Spielarten auseinandergegangen, von denen wir nur der sog. Nectarinen, pescanoci, erwahnen wollen, entstanden, wie die Alten fabelten, durch Impfung des Pfirsichs auf den Wamussbaum. Von den popularen Aprikosennamen ist der interessanteste das nea- politanische crisuommolo, dem das griechische ^fffo^Aov, goldener Apfel, zu Grunde liegt. Ghrysomela war nach Plinius urspriinglich Name einer Art Quitten: als diese Frucht selten und die Aprikose

Pfirsich. Aprikose. 427

haufig und beliebt wurde, ging die poetische BenennuDg bei den phan- tasievollen Neapolitanern au£ die letzte, und zwar auf die sogenannte Mandelaprikose, iiber.

* Der Pfirsichbaum (Prunus Persica (L.) Sieb. et Zucc., Amygdalus Per- sica L.) hat seine Heimat hochstwahrscheinlich in China, wo seit den altesten Zeiten viele Varietaten kultivirt werden und auch eine wildwachsende Pflanze dieses Typus P. Davidiana (Carr.) auf den Gebirgen in der TJmgebung von Peking, sowie in den Provinzen Schensi und Kansu vor- kommt. Es wird aber auch von Koyle angegeben, dass der Pfirsich im siidlichen Himalaya, bei Mussuri wild wachst. Endlich berichtet Buhse, dass der Baum in der persischen Provinz Ghilan wild vorkomme. In Trans- kaukasien scheint der Baum seit langer Zeit verwildert zu sein, wenn er nicht auch dort wirklich einheimisch ist (vgl. K op pen a. a. 0. I. S. 255). In Aegypten wurde der Pfirsich sowie die Aprikose in der griechisch-romischeii Periode eingefuhrt (Schweinfurth in Verb. d. Berlin, anthropolog. Ge- sellsch. Sitzg. vom 18. Juli 1891). Auch ist erwahnenswerth, dass, wie Comes (Illustrazione delle piante rappresentate nei dipinti pompejani, p. 14) er- wahnt, bildliche Darstellungen der Pfirsiche sich auf pompejanischen Wand- gemalden finden.

Die Aprikose (Prunus Armeniaca L.) ist nicht in Armenien heimisch,, wird auch dort nur selten kultivirt; ebenso ist sie in Transkaukasien wahr- scheinlich nicht zu Hause, obgleich sie dort haufiger auch ausserhalb der Kultur angetroffen wird. Dagegen kommt der Baum in Turkestan wild v or, im Gebiet von Wjernoje und im transilischen Alatau, am See Iskander-Kul, in Ferghana in den Thalern des Pskem und Ablatun urn 1300 bis 2200 m (Capus nach Koppen a. a. O. I S. 259). In der Songarei beobachtete Przewalski am Juldus ganze Haine wilder Aprikosen; ferner findet sich der Baum im Himalaya, in der siidlichen Mand- schurei, im nordlichen China auf den Gebirgen um Peking, in der stidostlichen Mongolei und in Daurien an den Flussen Ingoda und Schilka.

** Im Jahre 128 v. Chr. wurden in Folge der langjahrigen Entdeckungs- reise eines kiihnen Generals Tschang-kien die Lander am Oxus und Jaxartes den Chinesen bekannt. Seit dieser Zeit entspann sich zwischen China und dem Volke der Ansi, in denen man mit grosser Wahrscheinlichkeit die Farther vermuthet, ein lebhafter Handelsverkehr , der das ganze erste Jahr- hundert v. Chr. andauerte. Den weiteren Waarenaustausch iibernahmen die Kaufleute der Ansi, die ihr eigenes Land, sowie auch die angrenzenden Distrikte Vorderasiens , Persien, Syrien, Mesopotamien u. s. w. mit chinesi- schen Giitern versorgten (vgl. F. Freiherr von Richthofen, China I, Berlin 1877 S. 448 ff.). Vielleicht darf man annehmen, dass unter der Gunst dieser Ver- haltnisse das Verbreitungsgebiet beider Baume, namentlich aber das der Apri- kose sich weiter westwiirts ausgedehnt habe. In den Pamirdialekten, dem aussersten Posten idg. Zunge gegen Hochasien, heisst die Aprikose

428 Obstzucht, Impfen und Pfropfen.

tsirdh = tibetisch culi (Tomaschek, Centralas. Stud. II S. 59). Was die europaischen Namen des Pfirsichs und der Aprikose anbetrifft , so aussert Wetzstein in Kochs Baumen und Strauchern , Vorrede S. 17 f . iiber das lat. duracina (arabisch in Damascus duralcina, in Syrien durdlc} eine von der H.'schen abweichende Meinung: »In der durch die Kostlichkeit ihrer Baum- friichte und Trauben noch heute beriihmten persischen Provinz Chuzistan (der alten Susiana), deren Westgrerize der vereinigte Euphrat und Tigris ist, liegt erne ehemals bedeutende Stadt Durdk, und von dieser wird die duracina den Namen haben. In dieser Annahme bestarkt mich der TJmstand, dass die Komer auch eine uva duracina (doch ebenso auch Kirschen dieses Namens Plin. XV, 103) batten, die gleichfalls nach jener Stadt benannt sein wird, denn sie ist ohne Zweifel identisch mit der oben erwahnten, durch die Grosse und Harte ihrer Beeren merkwiirdigen , im Spatherbst reifendeii Hihvdni-Traube, welche von der Stadt Hilwdn den Namen hat. H. liegt aber ebenso wie Durdk in Chuzistdn.<i Da lat. duracinus, als Ableitung von diirus, in der angenommenen Bedeutung »ausdauernd« (»Hartling«) ausser in der An- wendung auf die genannten Frtiche nicht vorkommt (vgl. jetzt auch G. Goetz Thes. I, 369 s. v. Dnracinmri), so ist diese Erklarung wohl zu beachten. Zu lat. persicmn gehort noch alb. pjesk-. (G. Meyer, Et. W. S. 342). Unser Aprikose war urspriinglich niederdeutsch, aus den Niederlanden hervorgegangen. In Oberdeutschland galten andere Ausdrticke wie osterreichisch-bair. marillc, schweiz. barelleli, barillen u. s. w., die man bei Pritzel und Jessen S. 311 und bei F. Kluge, Et. "W. zusammengestellt und besprochen findet. Den Sudosten unseres Erdtheils (Bulgarisch, Serbisch, Albanesisch, Rumanisch, Griechisch) beherrschen zwei tiirkisch-persische Ansdriicke zerdeli (parsi zard-dlu gelbe Pflaume, kurd. zerdale; tiber pers. dlu oben S. 380^ undtiirk. kajss(vg\. Miklosich, Tiirk. El. S. 86 u. 188). Vgl. auch H. Blumner, Der Maximaltarif Diocletians S. 95. Asiatische Namen bei Koppen a. a. O. I. S. 256, 260.

Blickt man auf die lange Reihe vori fruchttragenden Baumen zuriick, mit denen Italien zur Zeit seiner hochsten Macht und Blute sich bereichert hatte - edlere Aepfel und Birnen, Feigen und Granaten, Quitten und Mandeln, Kirschen, Pfirsiche, Maulbeeren, Pflaumen, Pistazien u. s. w. , so staunt man nicht iiber die Aus- sage Varros, Italien sei ein grosser Obstgarten, 1, 2, 6: non arboribus consita Italia est, ut tota pomarium videatur? und die Schilderung des Lucretius: 5, 1376:

ut nunc es»e vides vario distincta lepore omnia, quae pomis intersita dulcibus ornant arbustisque tenent fdicibus opsita dream.

Diese Umwandlung hatte dieselbe Zeit gebraucht, wie die Erhebung Roms zum Centrum von Italien und Italiens zur Herrscherin der Welt. Die alteren Griechen kennen die Halbinsel noch als ein Land, das im Vergleich mit ihrem eigenen und mit dem Orient einen nor-

Obstzucht, Impfen und Pfropfen. . .429

dischen primitiven Charakter trug und dessen Produktion hauptsachlich in Getreide, Holz, Vieh bestand. Der Komiker Hermippus, der in der ersten Zeit des peloponnesischen Krieges dichtete, weiss unter den Ausfuhrartikeln Italiens nur Graupen und Ochsenrippen zu nennen, Athen. 1, p. 27:

ex S'avT *IiaMag ypvdQOv xal nkevga posia.

Alcibiades bei Thucydides 6, 90, da wo er den Lace dam oniern die Vortheile eines Zuges nach Sicilien und Grossgriechenland darstellt, beruft sich auf den Reichthurn Italiens an Schiffsbauholz und Korn. Anderthalb Jahrhunderte spater rechnet Theophrast, h. pi. 4, 5, 5 Italien zu den wenigen Landern, wo vavwqyvjaiijiog vKr^, d. h. Schiffs- bauholz, vorkomrne. Als Hiero II. von Syrakus sein von uns wieder- holt erwahntes riesenhaftes Getreide schiff von Stapel gelassen hatte, da fand sich ein Baum, der zum Hauptmast dienen konnte, nur in Italien im brettischen Gebirge, Athen. 5, p. 208 (also im Sila-Walde, der aus Laricio-Kiefern besteht; da ein Sauhirt der Auffinder war, miissen diese auch mit Eichen oder Buchen untermischt gewesen sein: der Wald wird von Dion. Hal. 20 fr. 15 Kiessl. ausfuhrlich ge- schildert.) Von ungeheuren, unwirthlicheii Waldern horen wir auch durch die romische Ueberlieferung. Den ciminischen Wald bei dem heutigen Viterbo, nordlich von der romischen Campagna, im Siiden des etruskischen Gebietes, beschreibt Livius unter dem Jahr 308, also nach der Zeit Alexanders des Grossen, als so schrecklich, wie nur die von den Romern spater betretenen Walder Germaniens, 9, 36: silva erat Ciminia magis turn invia atque horrenda, quam nuper fuere German-id saltus, nulli ad earn diem ne mercatorum quidem adita. Und ahnliche Farben braucht Florus 1, 12 (17): Ciminius interim saltus in medio, ante invius plane quasi Caledonius vel Hercynius, adeo turn terrori erat, ut senatus consult denuntiaretj ne tantum periculi ingredi auderet. Als der Prator C. Manlius zu Anfang des zweiten punischen Krieges zum Entsatze des von den Bojern bedrangten Mutina herbeiriickte , wurde sein Heer in den unwegsamen Waldern fast aufgerieben, Liv. 21, 25: silvae tune circa viam erant, plerisque incultis u. s. w. Noch ubler erging es dem Praetor L. Postumius in der silva Litana, Liv. 23, 24, von dessen Heere in dem genannten Walde fast kein Mann iibrig blieb. An die Stelle solcher Wildnisse und ihrer Holz- und Pech-, Jagd- und Weideertrage war jetzt eine Waldung orientalischer Obstbaume, an Stelle der Fleisch- und Breinahrung der Alten der orientalisch-siidliche (Icnuss an erfrischendem Fruchtsaft getreten. Die Vermittler dieser

430 Obstzucht, Impfen und Pfropfen.

Umwandlung waren grossen Theils selbst Asiaten d. h. Sclaven und Freigelassene, die von dorther gebiirtig waren, Syrer, Juden, Phonizier, Cilicier. Italien wimmelte von ihnen, lange vor Juvenal, der sich bildlich beklagt, es sei so weit gekommen, dass der syrische Orontes sich in den Tiber ergiesse, 3, 62:

Jam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes.

Die semitischen Sclaven waren durch Arbeitsamkeit, Ausdauer und leidende Ergebung Ideale dieses Standes und fiir denselben wie ge- schaffen, Cic. de prov. consul. 5, 10: Judaeis et Syris, nationibus natis servituti. Schon Plautus kennt sie als genus patientissimum, Trinumm. 2, 4, 141:

Turn autem Stirorum, genus quod patientissumumst Hominum, nemo exstat qui ibi sex mensis vixerit.

Das rauhe Kriegsharidwerk war nicht ihre Sache; von den Soldaten xies Konigs Antiochus sagt der Legal T. Quinctius bei Liv. 35, 49: Syros omnes esse: haud pautto mancipiorum melius, propter servilia ingenia, quam militum genus, und ganz ebenso driickt sich der Con- sul M'. Acilius vor der Schlacht mit dem Konig aus: hie Syri et Asiatici Graeci sunt, levissima genera hominum et servituti nata. Gartenkunst aber und Freude an dem stillen, liebevollen Geschaft der Erziehung und Pflege von Pflanzen war ein Erbtheil des ara- maischen Stammes von Alters her, oder vielmehr das Ergebniss einer langen, iiberalten Kultur und des Bodens, auf dem diese sich ent- wickelt hatte, Plin. 20, 33: Syria in liortis operosissima est: indeqiie proverbium Graecis: Mult a Syrorum olera. Wenn die romischen Aristokraten aus jenen ostlichen Provihzen nach Ablauf ihres Jahres heimkehrten und manche schone Frucht, die dort auf ihre Tafel ge- kommen war, nach Italien und auf ihre Villen zu versetzen wiinschten, da boten sich ihnen erfahrene Gartner in Menge dar, die beim Transport und der Anpflanzung behiilflich waren und zur Belohnung die Freiheit erhielten oder wenigstens eine milde Behandlung erfuhren. Die gleiche Geschicklichkeit der den Syrern benachbarten und stammverwandten Cilicier war in Aller Munde, seitdem Vergil in der schonen, viel- bewunderten Episode des vierten Buches seiner Georgica den Garten des corycischen Greises bei Tarent und die von ihm auf ganz ste- rilem Boden erzielte Fiille des Geniuses und der Friichte gepriesen hatte. Wenn einige Grammatiker den Corycius senex des Dichters so verstehen wollten, dass mit diesem Beinamen eben nur die Meister- schaft oder die Art und Weise des Gartners, nicht seine Herkunft, bezeichnet werde, so setzt die Moglichkeit dieser Deutung eben einen

Obstzucht, Impfen und Pfropfen. 431

auch abgeseheii von Vergil bestehenden allgemeinen Ruhm cilicischer Gartenkunst voraus.

Die syrischen Sclaven brachten aber neben anderen sinnlichen Verfiihrungsdiensten des Orients auch das orientalische Raffinement in Behandlung der Thiere und Pfianzen mit. Wie die Entmannung, die Circumcision und die Bastarderzeugung, war dort auch die Zu- stutzung der Baume und die Vermischung der Fruchtarten durch Impfen und Pfropfen von friihe an ublich. Die geflissentlich er- zeugten Monstrositaten , die sorgfaltig bewahrten Naturspiele, die Kiinsteleien mit der Kraft des Wachsthums, dies Alles war freilich nur derselbe Trieb in seiner Ausartung, der die Olive und den Dattel- baum urspriinglich fruchttragend gemacht und die Caprification der Feige, die Fiillung der Rosen, Violen u. s. w. erfunden hatte. In den Garten Italiens von Cato an, der cap. 52 und 133 schon lehrt, am lebendigen Baum selbst vermittelst durchbrochener erdegefiillter Topfe oder Korbe kunstliche Wurzeln und einen neuen Baum zu er- zeugen, und selbstzufrieden hinzusetzt: hoc modo quod genus vis propagabis, und eo modo quod vis genus arborum facere poteris, bis zu dem opus topiarium der Spateren, wo durch Bescheeren, Be- kleidung mit Epheu u. s. w. die Baume in Thiergestalten u. s. w. verwandelt wurden, suchte nicht sowohl das reine Naturgefiihl Aus- druck, als sich die List daran iibte, die Natur, die ewig schaffende, auf fremden wunderbaren Wegen zu Formen und Zwecken zu ver- fiihren, die sie nicht gewollt hatte. Die hohen Baume wurden in Zwerggestalt, die zarten Friichte in Riesengrosse hervorgebracht, und was in Wirklichkeit sich nicht leisten liess, das wurde wenigstens in dem allgemeinen Volksglauben , bei praktischen Gartnern, wie bei clenkenden Naturbetrachtern , als vollbracht und moglich vorgestellt. Die allmahlige Steigerung darin liegt in der Reihe der Schriftsteller iiber diesen Gegenstand deutlich vor. Varro 1, 40, 5 meint noch, Apfel- und Birnbaum liessen sich gegenseitig auf einander pfropfen, nicht aber ein Birnenreis auf einen Eichbaum. Bei Vergil aber tragt schon der Erdbeerbaum Niisse, die Platane Aepfel, die Kastanie Bucheckern, die Esche Birnen und die Ulme Eicheln, G. 2, 69:

Inseritur vero et nucis arbutus horrida foetu; Et steriles platani malos gessere valentis; Castaneae fagus ornusque incanuit albo Flore piri glandemque sues fregere sub ulmis.

Columella thut erst 5, 11, 12 den Ausspruch die Insition sei nur bei ahnlicher Rinde beider Baume moglich, dann aber tadelt er wieder

432 Obstzucht, Iinpfen und Pfropfen.

die Alten, die die Moglichkeit des Gelingens auf gleichartige Baume beschrankt batten, vielmehr konne jedes beliebige Reis auf jeden be- liebigen Baum gebracht werden - - worauf die Beschreibung eines Kunstgriffes folgt, aus. einem Feigenbaum einen Olivenzweig hervor- wacbsen zu lassen. Plinius 17, 120 will einen Baum gesehen haben, der an seinen verschiedenen Aesten Niisse, Oliven (baeae), Wein- trauben, Birnen, Feigen, Granaten, Aepfelsorten zugleich trug. Bei Palladius endlich, der seinen Buchern de re rustica ein eigenes Ge- dicht in elegiscbem Versmass de insitionibus hinzufiigt, und in der Sammlung der Geoponica ist kaum ein Baum, von dem nicht aus- gesagt wiirde, er konnte die und die fremden Friichte zu tragen ge- zwungen werden. Plinius ist iiber diese Virtuositat, die Natur zu irren und zu missbraucben, wie iiber einen Frevel erscbrocken 1, 5, 57 : pars haec vitae jampridem venit ad columen, expertis cuncta

hominibus Nee quiequam amplius excogitari potest ; nullum

certe pomum novom diu jam invenitur. Neque omnia insita misceri fas est. Plinius war zwar nur ein Compilator, der bei der Last der Geschafte und des ungebeuren Materials nicht immer genau sein konnte, und dessen Ausdruck manierirt und daher oft dunkel ist, aber es bricht doch nicht selten bei ihm ein grosser Sinn durch, und im gegenwartigen Fall das tragische Gefiihl, eines beschlossenen, nach alien Seiten und bis auf den Grund seines Inhalts erschopften Lebens. Italien, will er sagen, hat alle Pflanzen des Erdkreises in sich versammelt und an ihnen mit Aufwand alles Witzes alle Bil- dungs- und Triebkraft der Natur versucht - - was steht noch bevor, was kann noch kommen, als das Nichts? Und es kam in der That das tausendjahrige Mittelalter, und in Syrien war der Mann schon aufgestanden , dessen Lehre sich wie ein fremder todtender Stoff durch alle Adern der griechisch-romischen Welt goss, der wahre ex ossibus ultor nicht bloss fur den Brand Karthagos, der syrischen Kolonie. So weit die alte Religion noch hielt, widersetzte sie sich auch dem Spiel mit der organischen Natur: Baume, die zweierlei Aeste trugen, brachten Irrung in den Ritus von Beschworung und Suhnung der Blitze , und dieser Scrupel mag Manchen von solchen Versuchen abgeschreckt haben. In demselben Sinne hatte schon das mosaische Gesetz verboten, natiirlich Geschiedenes zu paaren, Ba- starde zu erzielen, Kleider zugleich aus Wolle und Lein gewebt zu tragen, Ochsen und Esel zusammen vor den Pflug zu spannen und den Acker mit zweierlei Saat zu besaen (Levit. 19, 19). In- dess, diese eifrige Bemiihung des Pfropfens, Impfens und Inoculirens,

Obstzucht, Impfen und Pfropfen. 433

so aberwitzig sie sein mochte, wenn sie iiber die Grenzen des Natiir- lichen hinaus wollte, trug doch dazu bei, die Mannichfaltigkeit und Vollkommenheit der einst fremden, jetzt eingebiirgerten Friichte immer weiter zu steigern. Das Obst, die urspriingliche, des Feuers nicht bediirftige Nahrung des Menschen, der nur in den Himmels- strichen sich schon entwickelt, wo die Baumfriichte gedeihen, ver- edelte und verbreitete sich nicht nur durch ganz Italien, und wurde bis auf den heutigen Tag auch in der Familie des Armen ein noth- wendiger Bestandtheil des taglichen Mahles, sondern ging hoch iiber die Alpen in das mittlere und westliche Europa himiber, wo das Klima bei entsprechender Einsicht und Thatigkeit des Kultur- menschen diese Zucht noch erlaubte, ja begiinstigte. Frankreichs Boden und Himmel erzeugt jetzt das allerfeinste Obst, England hat auch in diesem Zweige die Kultur aufs hochste getrieben, und dem Beispiel beider Lander folgt in einiger Entfernung Deutschland nach. Letzteres Land hielt Tacitus fur schon zu kalt zum Obstbau, ob- gleich fur Getreidebau noch geeignet, Germ. 5: terra . . . satis ferax, frugiferarum arborum impatiens, und die Einwohner nahrten sich von wilden Beeren, frischem Wildpret und saurer Milch, 23: cibi simplices; agrestia poma, recens fera et lac concretum; in der That tragt der Norden Deutschlands auch heut zu Tage in offenen Garten keine italienischen Feigen, Mandeln und Pfirsiche. In dem Donau- gebiet befinden sich die meisten Arten noch sehr wohl und die Ein- fuhr frischen und trockenen Obstes von dort (und besonders von Bohmen) in das deutsche Reich betrug schon vor einigen Jahren gegen 300,000 Centner zum Werth von mindestens 9 Millionen Mark. Je weiter nach Nordosten in die Region des excessiven Klimas mit harten Wintern und Friihlingsfrosten, desto mehr verkummert der Fruchtbaum, und in den Dorfern des eigentlichen Moskowien fallt es den Bauern nicht ein, einen Baum zu pflanzen oder im Herbst eine frohliche Aepfel- oder Birnenernte halten zu wollen. Das heutige Europa hat die Versuche aufgegeben, Niisse auf Eichen zu pfropfen und dergleichen; es veredelt auch den Wein nicht mehr durch Impfen, wie doch Cato that; es operirt durch zweckmassige Wahl und Pflege und sucht fur den jedesmaligen Standort die ihm zusagende Frucht. Dass die Namen der mitteleuropaischen Friichte aus Italien stammen, haben wir bei der Besprechung jeder einzelnen ii'esehen; dasselbe tritt grosstentheils bei den Benennungen der Ver- edlungsmanipulation ein. Das in der lex Salica vorkommende inpotus fur Pfropfreis, das franzos. ente, enter, proven9alisch entar, ahd. im~

Viet. Hehn, Kultnrpflanzen. 7. Aufl. 28

434 Obstzucht, Iinpfen und Pfropfen.

piton, mhd. impfeten, ndl. enten, nhd. inipfen, gehen alle auf das griechische e'fuytviog, sftcpvTevsw zuruck; fasst man das Gebiet ins Auge, in welchem dieser Ausdruck herrscht - - er kommt unter den italienischen Mundarten in der von Pieinont, Parma, Modena vor, s. Diez , so wird glaublich, dass die damit bezeichnete Erfindung den keltischen Bewohnern des westlichen Oberitaliens, der Rhone gegend und durch cliese den Landschaften am Ober- und Unterrhein von einer griechischen Seestadt zugekommen ist wobei Jedem zu- nachst Massilia einfallen muss. Eine griechische Quelle scheint auch dem franzoschen greffe Pfropfreis, greffer pfropfen, zu Grunde zu liegen, s. Diez unter diesem Wort. Der andere deutsche Ausdruck pfropfen, Pfropfreis fiihrt dagegen direkt auf Italien und ins Lateinische: propago; ein dritter: pelzen stammt vom provengal. empeltar welches selbst von pellis, der Haut d. h. der Rinde des Baumes gebildet ist. Nicht minder interessant aber als diese leben- digen Zeugen des Kultureinflusses vom klassischen Stiden her ist das ein- heimische Wort, welches Ulfilas an mehreren Stellen im eilften Kapitel des Romerbriefes fur das griechische eyxsvTQi&iv braucht: intrisgan, intrusgjan. Es fehlt in alien ubrigen deutschen Mundarten, findet sich aber auf slavischem Gebiet wieder und gehort also zu der Zahl merkwiirdiger Eroberungen der ostgermanischen Sprachen aus dem Slavischen. Die Bedeutung war s pal ten und mit der Proposition in: einspalten, in einen Spalt senken. Im Slavischen, wo dieser Stamm mannigfach verzweigt ist, entwickelt sich aus der Vorstellung spalten, platzen, die des Krachens, ferner die des Blitzes als spalten- den Donnerkeils: nsl. trtfsnoti, russ. tresnuti findi, rumpi, russ. trescati platzen, trescina Spalt, altsl. treska sarmentum, tresku fulmen, tremati percutere, bulg. tresk Span, croat. triskati einschlagen, treskati strepitum edere u. s. w. Litauisch scheint trukis ein Riss, eine Spalte, trukti platzen (mit langem Vocal, Nesselmann S. 118) dasselbe Wort zu sein. Ob auch das griechische TSQ%vog, Tq£%vos Ast, Zweig dahin gehort? Den namlichen Bedeutungsiibergang von spalten zu pfropfen zeigt ein anderer slavisch-litauischer Stamm: cepati, cepiti finder e, cdp surculus insertus, cepina segmentum, lit. czilpyti pfropfen, cziepas Pfropfling u. s. w. (Noch andere auf die Ver- edlung der Obstbaume sich beziehende, grosstentheils secundare Be- nennungen , gesammelt von Pott in den Beitragen von Kuhn und Schleicher, II, S. 401 ff.)

Agrumi. 435

* * Neben ahd. impiton sind besonders die kiirzeren Formen ahd. impfon, ags. impian zu beachten, die auf ein erschlossenes lat. *impuare = griech. ?jA<p6«> einpflanzen zuriickzugehen scheinen. Andere ftihren indessen die ganze Sippe auf lat. imputare zuriick mit einer ursprtinglichen Bedeutung »einschneiden«, dann »ins Kerbholz schneiden«, »auf Rechnung setzen« (vgl. l&t.putare, amputare beschneiden, it.potare, span, podar, worausfrank.^ossew, ndl., nhd.joofmpfropfen). Vgl. Kluge, Et. W.6 und Korting, Lat.-rom. W. Franz, greffe (oben S. 434) geht zwar auf fpoKpiov^ropAtMfrt zuriick, hat aber die Bedeutung Pfropfreis offen- bar erst innerhalb des Franzosischen (von der griffelartigen Gestalt des Reises) entwickelt. Die Ableitung des goth. intrisgan, intrusgjan aus dem slavischen Stamm tresk- (Miklosich, Et. W. S. 361) durfte kaum aufrecht zu erhalten sein. Von lautlichen Schwierigkeiten abgesehn, fehlt im Slavischen dem Worte jede Beziehung auf die Gartenbaukunst. Miklosich ordnet seine Be- deutungen so: »schallen, schlagen, bersten«. Freilich vermogen wir eine sichere Erklarung des gothischen Ausdrucks nicht zu geben (lit. dreskiu reissen, einreissen ? ?). Slav, cepati etc. vgl. bei Miklosich unter skep-.

Agrumi.

Der Phantasie des Nordlanders, der sich, wie alle hyperboreischen Volker seit mehr als zweitausend Jahren, nach dem schonen Siiden sehnt, schweben vor Allem die Hesperidenbaume mit den goldenen Friichten vor, die er unter seinem Nebelhimmel nur in Papier ge- wickelt aus der Hand des Schiffers oder des Kaufmanns erhalt. Und in der That, welcher Gartenbaum konnte der Orange an Schonheit und Adel den Rang streitig machen! Hoch und stattlich, wo das Klima mild und der Boden iippig genug ist, mit glanzendem, dunklem, immergrunem Laube, mit lilienartig duftenden weissen Bliiten, die das ganze Jahr hindurch hervorbrechen , mit erst griinlichen, dann allmahlig golden schimmernden Friichten, deren Schale, mit fliichtigem Oel gefiillt, aromatisch duftet, deren Geschmack je nach den Varie- taten von balsamischer Bitterkeit und der strengsten, aber feinsten Saure bis zum siissesten Nektar aufsteigt, mit festem, dichtem Holze und einer Lebensdauer, die die des Menschen bei weitem iibertrifft in welchem anderen Baume des Siidens ware so die Kraft der Sonne und der sanfte Hauch der Liifte und der lichte Glanz des Himmels zusammengefasst und vegetativ dargestellt, als in den Aurantiaceen ! An den Citronenhain in der Nahe von Poros im Peloponnes, an die Agrumi von Messina am Fusse des Aetna und dem gegeniiberliegenden Reggio in Calabrien, an die Garten von Sorrento bei Neapel und die

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zauberischen Pomeranzenwalder von Mills auf der Insel Sardinien denkt jeder Reisende, der das Gliick gehabt, sie zu sehen, immerfort mit Entziicken zuriick. Der Agrurniwald von Poros zieht sich etwa eine Stunde in die Lange und in die Breite den sanften Abhang des Gebirges in die Ebene hinab und gewahrt von seinem erhohten Rande zugleich eine herrliche Aussicht iiber Land und Meer und die gethiirmten Felsgipfel; reicbe Quellen, die aus den Bergen kommen, bewassern ihn in mannichfach vertheilten Rinnsalen; die Baume stehen licht, doch so, dass sich die Zweige gegenseitig benihren; die Zahl der Stamme betragt 30,000 (nach Ross, Konigsreisen II, S. 7; bei Fiedler, Reise I, S. 282, steht 2000, wohl durch Druckfehler statt 20,000). Ueber die Orangen von Milis giebt Alfred Meissner, Durch Sardinien, S. 183 folgenden kurzen, aber schonen Bericht. »Es giebt der Orangengarten um Milis herum iiber dreihundert; die grossten gehoren dem Domkapitel von Oristano und dem Marquis von Boyl an. Ich Hess mich zuerst in den einen, dann in den andern fuhren. Beides sind kleine Walder, einzig aus Pomeranzenbaumen gebildet. In der freien Natur hat der Baum seine steife Kugelform verloren/ er streckt und reckt seine Aeste nach alien Seiten, und in seiner Krone leuchten die goldenen Aepfel, die silbernen Bliiten. Man wandelt unter einem ununterbrochenen , schattenden, schimmernden Laubdach. Eine dicke Schicht herabgefallener Orangebliiten deckt den Boden, kleine Bachlein sind an den machtigen schwarzen Wurzeln voriibergeleitet , ihr Gemurmel vereinigt sich mit dem Gesange der Vogel, die in den Zweigen wohnen. Man kann in diesem Haine der Hesperiden frei umhergehen, die Zweige bei Seite biegen, die dem Wanderer ihre Bliiten ins Gesicht schlagen, und, von einem Duft ohne Gleichen berauscht, sich in den Schatten von Orangen strecken, die so machtig wie Waldbaume sind. Der gesammte, den verschiedenen Besitzern gehorige Orangenwald von Milis soil 500,000 Baume zahlen. Er giebt in einem Durchschnittsjahre zwolf Millionen Stuck solch goldener Aepfel ab« (nach einem Gewahrsmann bei La Marmora 60 Millionen, wohl iibertrieben). »Im Garten des erz- bischof lichen Kapitels ist ein Baum, der allein jahrlich iiber 5000 Friichte tragen soil. Mehrere Baume dort sind, wie mir der Gartner, ein Geistlicher, sagte, nachweisbar iiber sieben Jahrhunderte alt. Der Urvater von alien steht im Garten des Marchese von Boyl. Er ist so stark, dass ein Mann ihn mit ausgebreiteten Armen nicht umspannen kann; seine Krone ist majestatisch, wie die einer Eiche. Der Gang durch den Orangenwald von Milis schien mir allein schon die Reise

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nach Sardinien zu lohnen. In einem Pavilion im hochstgelegenen Garten sitzend, sah ich die herrlichste der Campagnen sich meilen- weit ausdehnen, das Abendroth lien dem freundlichen Bilde eine zauberische Beleuchtung. « Aehnlich ist das Urtheil des Freiherrn von Maltzan, der die Vega von Milis ausfuhiiich schildert (Reise auf der Insel Sardinien, Leipzig 1869, S. 246 ft2.). Das reizende Puerto de Soller auf der Insel Mallorca soil dem sardinischen Milis an Schonheit und Fiille dieser Kultur merit nachstehen. Dort verbindet sie sich mit dem Terrassenbau an heissen schuttreichen Felswanden, liber die die Winterbache herabsturzen ; wahrend die fast senkrechten Bergzinnen ringsum gliihen, hat doch die Sonne Raum, in das Thal- becken zu dringen, und ein Fliisschen entsendet seine Wasserfaden nach alien Seiten hin durch Rinnen und iiber Aquaducte in die Garten. Die jahrliche Ausfuhr aus dem Hafen von Soller betrug nach Pagen- stecher (die Insel Mallorca, Leipzig 1867, S. 97 ff.) iiber 50 Millionen ausserordentlich siisser Orangen, die damals an Bord der Schiffe etwa eine Million Franken werth waren ; nach M. Willkomm (iiber Siid- friichte, in der Sammlung wissenschaftlicher Vortrage von Virchow und Holtzendorff, Heft 266 und 267, Berlin 1877) ware der Werth an Ort und Stelle gegen 4 Millionen Franken. Leider hat in den letzten Jahren die Gummikrankheit unter den Orangen von Mallorca bedrohliche Fortschritte gemacht.

Indess, dies Alles sind doch nur Oasen in dem siidlichen Europa, welches weit entfernt ist, ein eigentliches Orangenland zu sein. Der Tourist muss schon eigens darauf ausgehen, wenn er an einzelnen Punkten dem momentanen Genuss oder der magischen Tauschung einer freien Hesperidenwaldung sich hingeben will. In Griechenland wird die Agrumikultur weder in nennenswerthem Umfang betrieben, noch sind die gewonnenen Siidfruchte von sonderlicher Giite, viel- mehr bald dickschalig und saftlos, bald sauer oder bitter u. s. w. ; in Oberitalien sind die im Sommer so reizenden sogenanuten giardini am Westufer des Gardasees, der riviera di Salo, doch nur an Mauern gelehnt und werden bei Eintritt der rauhen Jahreszeit mit einem Ziegeldach und bretternen Seitenwanden verwahrt; durch ganz Obe,r- und Mittelitalien trifft man die Limone in den Garten zwar haufig, aber immer in grossen thonernen Kiibeln; auch in dem warmen Sicilien furchtet der Baum die Durre des Sommers und die Sturme des Winters und fehlt darum an der ganzen West- und Siidkuste der Insel, mit Ausnahme weniger begiinstigter Flecke. Und wie diese Naturarmuth geeignet ist, den erwartimgsvollen Wanderer zu ent-

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tauschen, so auch die historische Jugend des Baumes in Europa, der den Alten in ihrer besten Zeit ganz unbekannt, in der spateren Zeit nur halb bekannt war. Die goldenen Aepfel, die Herkules dem Atlas abnahm, und jene anderen aphrodisischen, durch welche Ata- lante im Wettlauf mit ihrem schonen Freier sich aufhalten liess, waren keine mala citria , wie die Alten spater annahnien , noch weniger Apfelsinen, Avie Neuere ofter getraumt haben, sondern zur Zeit der Einfiihrung dieser orientalischen Naturmythen nur als wirk- liche, wenn auch idealisirte Aepfel, Quitten oder Granaten gedacht. Erst als Alexander der Grosse durch seine Kriegsziige und die Er- richtung eines griechischen Reichs im Herzen Asiens den Schleier gehoben hatte, der das Innere dieses Welttheils deckte, horten die europaischen Griechen von einem Wunderbaum mit goldenen Frtichten in Persien und Medien. Damals schrieb Theophrast bei Abfassung seiner Pflanzengeschichte die beriihmte Stelle nieder, in der er von diesein Baum Nachricht gab und die ein halbes Jahrtausend lang wiederholt, nachgeahmt und als Quelle benutzt wurde, 4, 4, 2 : der Osten und Suden besitzt ihm ganz eigenthumliche Thiere und Pflanzen, wie Medien und Persien neben vielem Andern den sogenannten rnedi- schen oder persischen Apfel, ofov TJ TS M^dia yunga xal Ilsoalg TS fyei yrfolo) xal TO jUrjAov TO ^dixov ?) TO rteQ&xbv Er hat Blatter wie die Andrachle und spitze Stacheln; der Apfel wird nicht gegessen, duftet aber schon, wie auch die Blatter; unter Kleider gelegt, schiitzt er diese gegen Motten; wenn Jemand Gift bekommen hat, giebt er ein wirksames Gegengift ab; wenn man ihn kocht und das Fleisch, TO sawfov , in den Mund ausdriickt and hinunterschluckt , verbessert er den Athem; man steckt die Kerne im Fruhling auf wohlbearbeiteten Gartenbeeten, die alle vier oder fiinf Tage gewassert werden ; sind die Pflanzen herangewachsen, so werden sie wieder im Fruhling auf einen zarten, feuchten, nicht allzuleichten Boden, slg yiDQCov [lahaxov xal scpvdQov xal ov May ASTITOV, ver- setzt; der Baum tragt das ganze Jahr hindurch und prangt gleich- zeitig mit Bliiten, mit unreifen und mit reifen Friichten (dasselbe auch de c. pi. 1, 11, 1 und 1, 18, 5); von den Bliiten sind diejenigen, die in der Mitte eine Art Spindel, rfiaxdnqv, tragen, fruchtbar, die anderen nicht (dasselbe auch 1, 13, 4); man zieht den Baum auch in durchlocherten thonernen Gefassen, GrtslQSTat, de xal elg offcgaxa dictTSTQruieva , wie die Palmen; dieser Baum wachst, wie gesagt, in Persis und Medien, negi TY\V HsQacSa xal ZT/V Mydlav. An dieser sehr sorgfaltigen , obgleich aus der Feme entworfeneri Schilderung

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fallt nur auf, class die Frucht selbst nach Grosse, Gestalt, Farbe und innerer Beschaffenheit nicht naher beschrieben wird. Waren etwa medische Aepfel schon nach A then gekommen und den Lesern des Theophrast nicht unbekannt? Wirklich scheint uns ein aufbehaltenes Fragment des der sog. mittleren Komodie angehorenden Dichters Antiphanes sich dahin deuten zu lassen, Athen. 3, p. 84 (nach Mei- neke's Redaction):

xal TTSol fjLsv otftov y' »jA^a>v TO xal heysiv Ttgog aTrhrjfftovg' dMa ravxl Idpffavs e id prfia. B. xahd ye. A. xahd Sijr co Seofr yaQ TO GTieQina TOVT* d(pt,y[Ji8vov rag *A&fpag s<fd naqa TOV pcuuleoog.

' *J5an&qt&ov (p^rjv ye. A. vrj vrjv <&u)(f(p6()ov TO. %QVGa fj,rjA,a ravx eivai. B.

fjiovov eGTiv. A. oUyov TO xahov Ian

xal ftfiiov.

Die Lebenszeit des Antiphanes steht nicht ganz fest: nach Suidas ware er im Jahre 328 vor Chr. gestorben, also gerade zur Zeit von Alexanders Ziigen in Asien: in einem andern Fragment des Dichters wird aber der Konig Seleukos erwahnt, wonach er betrachtlich langer gelebt haben miisste ; doch konnte dies letztere Fragment dem jiingeren JIaupte der mittleren Komodie , dem Amphis , angehoren und dem Antiphanes durch Verwechslung mit diesem zugeschrieben worden sein. Da in unserer Stelle die Friichte, TO aneQ^a TOVTO, vom Ba- Gifavg gekommen sind und zwar neulich, vewatC, so ist der letztere und sein Reich also als noch bestehend gedacht; da ferner wahrend Alexanders Vordringen ein haufiger Verkehr zwischen dem Heere und der Heimat stattfand, Verstarkungen und Kriegsmaterial von Europa dorthin, von dort Kranke und Beutestiicke zuriick nach Europa gingen, so mogen wahrend dieser Zeit auch persische Aepfel ihren Weg nach Athen gefunden haben, so gut wie noch jetzt Apfelsinen von Sicilien bis in die Hauptstadt von Sibirien dringen. Selten und neu sind sie noch, mit Bewunderung werden sie angeschaut, mit den Hesperidenapfeln yerglichen; der Geber besitzt nur drei, denn, sagt er, das Schone ist uberall eben so rar als gesucht. Aber nach Grun- dung der griechischen Konigreiche im innern Asien konnte es nicht fehlen, dass die Hesperidenfrucht haufig auf dem europaischen Markt erschien ; doch essbar war sie nicht, und so wundervoll ihr Aeusseres schien, so abscheulich der Zunge ihr Saft. Der Glaube an ihre von Theophrast zuerst verkiindigten Eigenschaften , die giftzerstorende,

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Ungeziefer vertilgende Kraft und die Reinigung des Athems wurde eine auch im Abendlande allgemein herrschende Phantasie. Vergil iri seiner Schilderurig des Baumes und der Frucht, Georg. 2, 126: Media fert tristis succos tardumque saporem Felicis mail: quo non praesentius ullum, Pocula si quando saevae infecere novercae u. s. w.

ist ganz von Theophrast abhangig, dessen Worte er nur poetisch um- setzt: gliicklich nennt er den medischen Apfel, weil er den guteri Machten dient und den Geschopfen des bosen Gottes, Gift, Gewiirm, unreinem Athem entgegen wirkt; aber sein Saft ist tristis d. h. stechend, (wie Ennius den Saft triste genannt hatte, s. o), und sein Geschmack tardus d. h. lange haftend. Dass direkte Versuche die in der Frucht liegende antidotische Lebenskraft unwiderleglich bestatigen, brachte die Natur des Wunderwahns mit sich, dem, wenn er tief gewurzelt war, die Erfolge niemals gefehlt haben (Marc. 9, 23: »alle ding sind muglich dem der da glaubet«). So wird bei dem fingirten Gastmahl des Athenaus 3, p. 84 nach beglaubigten Aussagen erzahlt, dass in Aegypten Verbrecher, die zufallig von einer solchen Frucht gekostet hatten , wilden Thieren und giftigen Schlangen vorgeworfen wurden und unversehrt blieben: dass man darauf von zwei Verbrechern dem einen dies Gegengift auf seinem letzten Gange mitgegeben, dem andern nicht, und der letztere au£ der Stelle vom Schlangenbiss getodtet worden, der erstere ohne Schaden davongekommen sei; dass dieser Versuch dann haufig und immer mit demselben Erfolge wiederholt worden sei. Als die Deipno- sophisten des Athenaus dies horten, griff en sie fleissig nach den aufgetischten medischen Aepfeln, nicht des Geschmackes wegen, durfen wir hinzusetzen , und wohl unter Gesichterschneiden. Die zweite Eigenschaft der Frucht, dass sie verderbliches Ungeziefer ab- wehrte, gab zu dem lateinischen Namen citrus, malum citreum u. s. w. Veranlassung. Das griechische xedgog, mit welchem die duftenden unzerstorbaren Coniferen-Holzer, Wachholderarten, Cedern, Thuja articulata u. s. w., die nicht nur selbst den Wurmern wider - standen, sondern auch die Kleider vor denselben bewahrten, bezeich- net wurden, dies xedQog war in Italien durch populare Ent- stellung zu citrus geworden (wie mala cotonea fur xvdwvia, Euretice fur Eurydice, taeda fiir dyda und manches Andere). Citrus be- deutete insbesondere das aus Afrika seit alter Zeit eingefiihrte Holz des Lebensbaumes Thuja articulata, aus dessen Masern in der spa- teren Epoche des Luxus und Reichthums kostbare Tischplatten gefertigt

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wurden, das aber mit seinem aromatischen Dufte auch die Motte, den Erbfeind der wolletragenden Volker des Alterthums, von den Kleiderkisten fern hielt, Plin. 13, 86: libros citratos fuisse; prop- terea arbitrarier tineas non tetigisse. Auf diese Sitte, die wollenen Tuniken durch Harz oder Splitter der Thuja oder siidlicher Wach- holderspecies vor der Zerstorung zu sichern, bezieht sich vielleicht der schon von Navius in seinem Epos vom ersten punischen Kriege gebrauchte Ausdruck citrosa vestis, d. h. das citrusduftende Kleid (Macrob. Sat. 3, 19, 4), obgleich Festus p. 42 Muller und Isidorus darunter ein wie die Citrusmasern geflammtes verstanden wissen wollen. Da nun der goldene medische Apfel gleichfalls und zu dem gleichen Zweck in die Kleiderladen gelegt wurde und diese Sitte erhielt sich, wie wir aus Athenaus ersehen, bis zu den Zeiten der Grossvater, d. h. bis in den Anfang des zweiten Jahrh. nach Chr. , auch der Duft der Schale einigermassen dem des Cederharzes analog ist, so wurde er in der Vorstellung des Volkes zur Frucht des Citrusbaumes und im gemeinen Leben spater auch bei den Gebil- deten, ja bei den Griechen danach benannt. Dioscorides 1, 166 sagt noch: ^d de {uqdixa feyopeva r\ Tregaixa xedgo^t^a, Qw^atarl ds xCrgia, aber Galenus de aliment, facult 2, 37 lacht schon iiber diejenigen seiner Collegen, die aus gelehrter Affectation sich des allge- mein verstandlichen xhgiov enthalten und statt dessen xo jtiydixdv jUi?Ao)> sagen. Der Zeitgenosse des Galenus, der Afrikaner Apulejus, der eine Schrift de arboribus geschrieben hatte, tadelte darin, wie Servius zu der oben angefiihrten Stelle des Vergil berichtet, die Gewohnheit, den Baum mit dem medischen Apfel als citrus zu be- zeichnen, da beide ganz verschieden seien: hanc plerique citrum volunt, quod negat Apulejus in libris quos de arboribus scripsit et docet longe aliud esse genus arboris. Aber der Name war in der Sprache des Volkes herrschend geworden und konnte in einer Zeit, deren Signatur gerade die Reaction des Popularen gegen die Bildung war, nicht mehr ausgerottet werden.

Seit wann aber darf man annehmen, dass der Baum selbst in Italien gezogen wurde, und welche Art des Genus citrus war es, welch er die einst in Athen, dann in Italien und nach Juba von Mauritanien auch in Libyen als Hesperidenapfel angeschaute Frucht angehorte ?

Hatten die alteren unter den griechischen und romischen Schrift- stellern den Baum schon in Europa mit Augen gesehen, sie hatten sich nicht so lange ausschliesslich an die Beschreibung des Theo-

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phrast gehalten, und noch viel weniger hatte der Name citrus fur ihn aufkornmen konnen. Plinius giebt ganz die Schilderung des Theophrast wieder, dann setzt er hinzu 12, 16: temptavere gentes transferre ad sese propter remedi praestantiam fictilibus in vasis, dato per cavernas radicibus spiramento . . . ., sed nisi apud Medos et in Perside nasci noluit. Also Versuche wareii bereits geinacht worden, aber wie es mit ersten Versuchen oft geht, ver- gebliche ; man hatte Baumchen in thonernen durchlocherten Kiibeln reisen lassen, sie waren aber ausserhalb Mediens und Persiens nicht fortgekommen , oder batten wenigstens keine Friichte angesetzt, 16, 135: fastidit . . . nata Assyria mains alibi ferre. Ohne diese ausdriicklichen Zeugnisse konnte eine andere Stelle des Plinius fiir die entgegengesetzte Meinung benutzt werden, 13, 103: alia est arbor eodem nomine (arbor citri), malum ferens execratum aliguis odore et amaritudine, aliis expetitum, domus etiam decorans, nee dicenda verbosius. Hier sind die drei letzten Worte durch die schon friiher von dem Autor nach Theophrast gegebene Beschreibung mo- tivirt, die drei vorhergehenden : domus etiam decor ans erklaren sich durch die im Text eben beendigte ausfuhrliche Besprechung der aus dem afrikanischen Citrusholz gearbeiteten Prachttische. In wie fern aber schmiickte, wie jener afrikanische so auch dieser me- dische Baum die Hauser? Stand er in Kiibeln unter den Sauleii der Halle und war er also doch, der obigen Versicherung zuwider> auch ausserhalb Mediens lebensfahig? Oder zierte er die Wohnungen der Reichen nur durch seine Friichte, die etwa als xeifJitjJUa auf Tischen und Gesimsen prangten und die Damonen des Verderbens als felicia mala abhielten? Ein oder anderthalb Jahrhunderte nach Plinius wenigstens muss der Baum schon ein wirklicher Schmuck der Villen und Garten wirklich begiinstigter Landschaften gewesen sein. Florentinus, der irn ersten Drittel des dritten christlichen Jahr- hunderts gelebt haben wird und dessen Werk zwar verloren ge- gangen ist, aber dem Inhalte nach zum grossen Theil in der Samm- lung der Geoponika des Cassianus Bassus sich wiederfindet, schildert 10, 7 die Kultur der xiTQeat, ganz nach dem Bild der heut zu Tage in Oberitalien z. B. in den giardini des Gardasees, gebrauchlichen ; man zieht sie an der Siidseite von West nach Ost laufender Mauern, bedeckt sie im Winter mit Matten, ipidftoig, u. s. w. Keiche Leute, fiigt Florentinus hinzu, die Auf wand machen konnen, pfianzen sie unter Saulengangen, die der Sonne geoffnet sind, an die Mauer, be- giessen sie reichlich, lassen die Sonnenglut auf sie wirken und be-

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decken sie, wenn der Winter naht. Also doch nur Treibhauskultur. Bei Palladius, der im vlerten oder vielleicht erst im fiinften Jahr- hundert lebte, wachsen Citronenbaume auf Sardinien und bei Neapel, also in warm en, durch Seeluft gemilderten Gegenden auf fettero reichlich bewasserten Boden, Winter und Sommer unter freiem Himmel, und die bisher nur traditionellen , halb sagenhaften Vor- stellungen konnten jetzt an der Wirklichkeit gemessen und berich- tigt werden. So fand sich z. B. dass der Baum wirklich, wie schon Theophrast angegeben hatte, immerfort Bliiten und Friichte hervor- brachte, continua foecunditate, 4, 10, 16: Asserit Martialis (Gargilius Martialis, Mitte des dritten Jahrhunderts) apud Assyrios pomis hanc arborem nunquam (in den Handschriften steht: non) carere: quod ego in Sardinia et in territorio Neapolitano in fundis meis comperi (quibus solum et coelum tepidum est et humor exundans) per gradus quosdam sibi semper poma succedere^ cum maturis se acerba substituant, acer- ~borum vero aetatem ftorentia consequantur, orb em quendam continuae foecunditatis sibi ministrante natura. So war denn im Lauf der ersten christlichen Jahrhunderte der immergriine Baum, der die gol- denen Aepfel trug, wirklich in Italien naturalisirt worden, erst in Kiibeln mit zweifelhaftem Erfolge, dann durch Mauern gegen Norden, im Winter durch Bedeckung geschiitzt, endlich in erlesenen Para- diesen auch vollig im Freien, und damit durch ein weiteres Beispiel bewiesen, dass die Kaiserjahrhunderte, diese Epoche unrettbaren, be- schleunigten Verfalls, doch auch in manchen Zweigen menschlicheii Schaffens , die weniger den Blick auf sich zu ziehen pflegen, wie in Austauch und technischer Verwerthung der Naturobjecte der ver- schiedensten Lander, eine auf warts gerichtete Entwickelung zeigen. Fragen wir, welche Art der Aurantiaceen wir uns unter dem me- dischen Apfel und der arbor citri zu denken haben, so lasst sich mit Sicherheit antworten: die Citronat-Citrone, Citrus medica Cedra, und zwar aus mehreren Grunden. Erstlich heisst diese dickschalige, oft kopfgrosse Frucht, mit verhaltnissmassig geringem saurem, bei einer Abart auch susslichem Fleische oder Safte, noch jetzt in Italien cedro ; dann findet sich in der persischen Provinz Gilan, einem Theil des alten Mediens, der Citronatbaum noch ganz mit dem Habitus, den Theophrast beschreibt, namentlich mit haufigen scharfen Stacheln bewaffnet (s. Gmelin Reise durch Russland zur Untersuchung der drei Naturreiche, Theil 3, St. Petersburg 1744, S. 108, wo Theo- phrast nicht genannt, aber die Beschreibung des citrus spinosus vollig mit dem Bilde zusammenfallt, das der Griffel des alten Meisters

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entworfen) ; drittens passen die gelegentlichen Aeusserungen der Alien iiber die Gestalt, Zusammensetzung und Essbarkeit des medischen Apfels nur auf diese Citrone ; Dioscorides nennt sie $nl pyxes, langlich, und gQQvudwfJisvov, runzlich (s. die Abbildung bei Gmelin); die Frucht wird mit Wein, mit Honig eingekocht, sie ist essbar und ist es nicht; sie ist so gross, dass bei Apicius jede einzelne in einem besonderen Topf eingemacht wird, 1, 21: in vas citrium mitte, gypso suspende (wo andere eine Art Kiirbiss verstehen wollten) ; wenn sie noch unreif ist, urngiebt man sie mit einer thonernen Hiille, in die sie hineinwachst und deren Gestalt sie annimmt; das Fleisch d. h. die weisse, dicke, beinahe den ganzen Raum einnehmende Schale wird als Hauptbestandtheil mit aufgezahlt, xqv oiov adgxa bei Galen, de alini. fac. 2, 37 lauter fur die Citrus medica Cedra treffende Ziige; endlich tragen alle iibrigen Arten der Hesperidenfrucht Namen, die jeden Zweifel iiber das spatere Zeitalter, in welcbem sie einge- fiihrt wurden, ausschliessen. Die Limone - - die wir deutsch falsch- lich Citrone nennen , eine kleinere , mehr oder minder rundliche Frucht mit diinner aromatischer Schale und reichem saurem Saft heisst so nach dem arabischen limun : dies stammt aus dem Persischen; letzteres entlehnte das Wort aus dem Indischen womit Herkunft, Weg und Zeitpunkt genugsam angedeutet sind. Zur Zeit Karls des Grossen wuchs an den Ufern des Comersees, iiber welchem damals ein Hauptweg von Italien nach Norden in das Bisthum Chur und das Rheinthal fiihrte, ausser Oliven, Granaten, Lorbeer, Myrten auch der persische Apfel, citreon genaiint, Paulus Diaconus in laude Larii laci (Haupt, Berichte der Kgl. Sachsischen Gesellschaft der Wissen- schaften, phil.-hist. Klasse, 1850, 1, 6; Diimmler, Gedichte aus dem Hofkreise Karls des Grossen, in der Zeitschrift far deutsches Alter- thum, 12, 1865, S. 451; neuerdings auch bei Dahn, Paulus Dia- conus, p. 97) 15:

Vincit odore suo delatum Per side malum; Citreon has omnes vincit odore suo

er besiegt sie alle mit seinem Duft und diese Eigenschaft wie sein Name kennzeichnet ihn als dickschalige Citrus medica Cedra. Als zwei Jahrhunderte spater, urn das Jahr 1000, der Fiirst von Salerno von Arabern in seiner Stadt belagert wurde und und vierzig zufallig aus dem heiligen Lande heimkehrende Normannen ihn befreit hatten, schickte er in die Normandie Gesandte und mit ihnen pomd cedrina, amigdalas quoque et deauratas nuces um die Nor- mannen zu bewegen, in ein so schones Land zu kommen und es

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vertheidigen zu helfen (Chronica Montis Cassiniensis bei Pertz Scr. 7 p. 642; in der altfranzosischen Uebersetzung des Amatus von Montecassino herausgegeben von Champollion-Figeac, 1, 19, sind die poma cedrina durch citre wiedergegeben). Um diese Zeit also wachst auch in Unteritalien immer noch die Citronate der Alten. Auch als Jacobus de Vitriaco, Bischof von Accon, nachher von Tusculum und Kardinal, der im Jahre 1240 in Rom starb, die Naturwunder des heiligen Landes beschrieb, kann der Limonenbaum noch nicht in Europa gewesen sein, denn er fiihrt ihn ausdriicklich unter den in Europa fremden palastinensischen Pflanzen auf, Bongarsii Acta Dei per Francos, Hanoviae 1611, p. 1099 (hist, hierosolymit. 1, cap. 85): sunt praeterea aliae arbores fructus acidos pontici (mittellateinisch fur austerus, s. Du C.) videlicet saporis, ex se procreanteSj quos appellant limones: quorum succo in aestate cum carnibus et piscibus libentissime utuntur, eo quod sit frigidus et exsiccans palatum et provocans appetitum. Auch die Pompelmuse , franz. pamplemoitsse, von den Italienern porno di paradiso oder d'Adamo genannt, fand Jacobus unter dem letzteren Namen in Palastina: sunt ibi aliae arbores poma pulcherrima et citrina ex se produ- centes, in quibus quasi morsus hominis cum dentibus manifeste apparet et idcirco poma Adam ab omnibus appellantur. Es sind dieselben Friichte, die noch jetzt die Juden aller Lander nach Levit. 23, 40 zu ihrem Laubhiittenfest brauchen und die bloss zu diesem Zweck in mehreren Gegenden Italiens gebaut werden. Die Kreuz- fahrer also oder Handelsleute der italienischen Seestadte oder die Araber bei ihren Kriegsziigen und Niederlassungen auf den Inseln und Kiisten des Mittellandischen Meeres brachten die Limonen hin- iiber, deren intensive Fruchtsaure in Europa wie im Orient eine beliebte belebende Beigabe zu vielen Speisen bildete, unreines, libel schmeckendes Wasser trinkbar machte und mit dem zugleich be- kannter werdenden Zucker die kostliche, viel begehrte limonata ab- gab. Der Epoche der Araber verdankt Europa auch die Pome- ranze, citrus Aurantium amarum, ital. arancio, melarancio. franz. orange. Urspriinglich war auch dieser Baum mit der gliihend roth- goldenen, bitter aromatischen Frucht und den wundervoll duftenden Bluten aus Indien, seiner Heimat , nach Persien gekommen , persisch ndreng, von dort zu den Arabern, arabisch ndrang, und weiter nach Europa, byzantinisch vsQavrfyov. In der kleinen Abhandlung, die Silvestre de Sacy der Geschichte der Aurantiaceen bei den Arabern widmet (in seiner Ausgabe der Beschreibung Aegyptens von Abd-

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Allatif, Paris 1810, p. 115), findet sich aus Makrisi folgendcs wich- tige historische Zeugniss des Masudi angefiihrt: Mahfizi dit: «Ma- -soudi rapport e dans son histoire (statt dessen conjecturirt de ' Sacy mit einer ganz leichten Veranderung des arabischen Wortes: en parlant de I'orange), que le citron rond (die Pomeranze) a ete apporte de VInde posterieurement a Van 300 de Vhegire (August 912 der christlichen Aera); qu'il fut d'abord seme dans VOman. De la, ajoute-t-il, il fut porte a Basra en Irak et en Syrie, et il devint tres commun dans les maisons des habitants de Tarse et autres villes frontier es de la Syrie, a Antioche, sur les cotes de Syrie, dans la Palestine et en Egypte. On ne le connaissait point auparavant. Mais il perdit beaucoup de Vodeur suave et de la belle couleur qu'il avail dans I'lnde, parcequ'il n'avait plus ni le meme climat, ni la meme terre, ni tout ce qui est particulier a £e pays,« Bei dem weiteren Uebergange nach Europa musste sie natiirlich noch mehr von dem sussen Dufte und der schonen Farbe verlieren, die der Araber schon in Westasien an ihr vermisste. In ^inigen italienischen Mundarten und im Spanischen ist das an- lautende n des arabischen Wortes noch erhalten; dem franzosischen orange gab der hineinspielende Begriff von or, aurum seine etwas abweichende Form: in orange liegt schon das Goethe' sche Gold- orange. Schon Jacobus de Vitriaco hat das Wort in franzosischer Oestalt: in parvis autem arboribus quaedam crescunt alia poma eitrina, minoris quantitatis frigida et acidi seu pontici saporis, quae poma Orenges ab indigenis nuncupantur. Albertus Magnus in seinern Buche de Vegetabilibus, welches kurzvor!256, also nicht sehr lange nach lac. de Vitriaco geschrieben ist, tadelt 6, 53 die- jenigen, die fur die cedrus (den Citronenbaum der Alten, quae arbor facit poma crocea oblonga, magna, quae fere figuram praetendunt cucumeris et habent in se grana acetosa) den Namen arangus brauchen: sed tamen arangus pomum habet breve et ro- tundum et caro ejus est mollis u. s. w. Nach Amari, storia dei Musulmani de Sicilia, vol. 2, Firenze 1858, p. 445 ware die in eiiiem Diplorn von 1094 (bei Pirro, Sicilia Sacra, p. 770) vorkommende via de Arangeriis in der Nahe von Patti ein Orangenweg, also der Name und die Frucht schon vor den Kreuzziigen durch die Araber auf die Insel Sicilien gekommen.

Noch weit jiinger ist in Europa die siisse Pomeranze, Citrus Aurantium duke. Auch hier liegt in der deutschen Benennung Apfel- sine, d. h. chinesischer Apfel und in der italienischen portogallo die

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Geschichte und der Weg des Baumes ausgesprochen. Erst die Portu- giesen brachten ihn nach Ausbreitung ihrer Schiffahrt in den. Meeren des ostlichen Asien aus dem siidlichen China nach Europa, angeblich im-Jahre 1548, und der europaische Urbaum stand noch lange zn Lissabon im Hause des Grafen St. Laurent. Der Jesuit Le Comte, der lange in China gelebt hatte, berichtet dariiber in seinen Nouveaux rnemoires sur 1'etat present de la Chine, 2e edition, Paris 1679, T. 1, p. 173: On les nomme en France Orange de la Chine parceque celles que nous vimes pour la premiere fois en avaient ete apportees. Le premier et unique or anger, duquel on dit qu'elles sont toutes venues, se conserve encore a Lisbonne dans la maison du Comte £. Laurent et tfest aux Portugais que nous sommes redevables d'un si excellent fruit. Noch Ferrarius (Hesperides, Romae 1646, fol.) nennt die Apfelsine aurantium Olysiponense, Orange von Lissabon, und fiigt p. 425 hinzu, sie sei von dort nach Rom ad Pios et Barl)erinos hortos geschickt worden. Das Letztere ist nur ein Compliment fur den Papst Urban VIII. Barberini, unter dem der Jesuit Ferrari sein Werk verf asste ; die Garten der Pier konnen aber nur die der beiden Papste Pius IV und Pius V. sein, die von 1555 bis 1572 den papstlichen Stuhl einnahmen. Die kostliche Frucht verschaffte dem Baum bald Verbreitung um die Kiisten des mittellandischen Meeres bis tief nach Westasien hinein, und nicht bloss die Italiener, auch die Neugriechen sagen TioQwyafad, die Albanesen protolcale, ja selbst die Kurden portoghal (Pott, Zeitschr. fiir Kunde des Morgenl. 7, 113), wahrend im Norden die Russen, die Grenznachbarn der Chinesen, den deutschen Namen Appelsin angenommen haben - lauter Anzeichen der vollbrachten Umwalzung im Weltverkehr, der nicht mehr wie zur Zeit des Hellenismus und der romischen Kaiser und spater der islamitischen Araber quer durch Asien von Ost nach West ging, sondern seit Vasco de Gama die umgekehrte Richtung genommen und sich den Ocean zum Schauplatz gemacht hatte. Auch nach Amerika brachten Portugiesen und Spanier den Baum, der in den tropischen Gegenden der Neuen Welt wunderbar gedieh. Eine neue Varietat, die sogenannten Mandarinen, Citrus madurensis, kleiner, siisser, gewiirzhafter als die Apfelsinen, trat im 19. Jahrhundert auf und erwirbt sich mit jedem Jahr ein grosseres Terrain; nach Sicilien sollen die Mandarinen von Malta gekommen sein. Zu Abweichungen ist dies ganze Fruchtgeschlecht iiberhaupt sehr geneigt, und Oert- lichkeit, Impfung und Behandlung haben unzahlige Spielarten her- vorgebracht. Solche kiinstlich zu erzeugen, war sonst der Stolz der

448 Agrumi.

Gartner, als von den Tuilerien und spater von Versailles aus neben Oper, Ballet, Vergoldung und Porzellan auch der Besitz weitlaufiger Orangerien mit kugelig beschnittenen Baumen in prachtvollen Kiibeln und Kasten, die im Sommer lange Alleen bildeten, zum kostbaren Erforderniss aller Hofhaltungen, ja der Herrenhauser des reichs- unmittelbaren Landadels geworden war. Spater verwandelten. sich bei steigender Bildung die Orangerien in mehr botanische Treib- hauser, und als der asthetische Humanismus auch den mittleren Standen den dumpfen, theologischen Kerker geoffnet hatte, da zog der junge Sch warmer, den Hofgarten und ihren Schneckengesimsen den Riicken kehrend und Mignon nachsingend, in das Land, wo unter azurnem Himmel die Goldorange in dunklem Laube gluhte und in reiner Form die dorische Saule aufstieg. Doch musste er lange wandern, ehe er einen Hesperidenhain betrat, und auch da war Alles in prosaischer Weise auf Ertrag, Benutzung und Absatz berechnet; die Citronen wurden zerquetscht und der abfliessende triibe Saft in holzerne Fasser gegossen ; die Bliiten wurden unbarm- herzig abgeschuttelt, damit aus ihnen kolnisches Wasser, eau de Co- logne, bereitet werde; der Zuckerbacker versott die Friichte fiir den Markt von London, Hamburg, Bergen in Norwegen und Archangel am Eispol; der Destillateur fabricirte Bergamottol aus den Schalen. Auch Avar damals, als Pastum seine Tempel errichtete, die Tauro- rnenier im Theater sassen und Pindar, Aeschylus und Plato von den Herrschern von Syrakus als Gaste aufgenommen wurden, weit und breit kein bliihender Citronenbaum zu sehen, ja jene alten Helden, Kiinstler und Denker hatten nie von einem solchen auch nur gehort. Erst die Villen, in denen die Humanisten des fiinfzehnten Jahr- hunderts und die Mitglieder der platonischen Akademie wandelten, waren mit Pomeranzen geschmiickt, und siisse Orangen brachen erst die schwarzen Vater Jesuiten aus den immergriinen Zweigen und iiberreichten sie den lachelnden Hofdamen in Puder und Reifrock zur Erfrischung fiir die schonen, lechzenden, geschminkten Lippen86).

* Dass die heutzutage dem Mittelmeergebiet einen ganz besonderen Reiz verleihenden und den Wohlstand der Bevolkerung erheblich erhohenden Agrumi aus Ostindien staramen, ist allgemein bekannt. Es sei hier nur kurz auf die engere Heimat der einzelnen Arten und Varietaten hingewiesen.

Der Citrone, Citrus medico, Risso, sind auch die saure Lirnone und die susse Limone als Varietaten zuzurechnen. Wahrend die susse Limone nur in den Nilghiris wildwachsend angetroffen wurde, kommen die Hauptform und die saure Limone an mehreren Stellen vor, am Fusse des Himalaya, von

Der Johannisbrodbaum. 449

Garwal bis Sikkim, in Ohittagong und Burma, sowie in den westlichen Ghats und den Satpuragebirgen. Die Einfiihrung der Citrone nach Aegypten erfolgte zur romischen Kaiserzeit, die der Pomeranze dagegen in der Zeit der ara- bischen Chalifen.

Die Pomeranze und die Apfelsine sind Varietaten derselben Art, Citrus AuranUum L. Die herbschmeckende Pomeranze wurde von Sir Joseph Hooker im Stiden des Himalaya, von Garwal bis Sikkim und Khasia wild- wachsend constatirt. Dagegen liegen keine zuverlassigen Angaben tiber das spontane Vorkommen der Apfelsine oder stissen Orange in Indien vor; viel wahrscheinlicher stammt sie aus Cochinchina und dem siidlichen China, da die Chinesen dieselbe als einheimisch betrachten und auch auf den Inseln des indischen Archipels die siisse Orange als aus China stammend angesehen wurde.

Die Mandarine (Citrus ndbilis Loureiro) ist in Cochinchina und wahr- scheinlich in den angrenzenden Provinzen Chinas heimisch.

Die Pumpelmus (Citrus decumana L.) wird von einzelnen (Bonavia) als im malayischen Archipel entstandene Varietat der Apfelsine angesehen, von andern auf C. hystrix DC., welche auf den Inseln des indischen Archipels und auf Timor heimisch zu sein scheint, zuriickgefuhrt.

Ausfiihrlicheres iiber die Agrumi findet man noch bei A. De Candolle, 1'origine des plantes cultivees, p. 139—149.

Der Johannisbrodbaum.

(Ceratonia Siliqua L.).

Der Johannisbrodbaum ist ein immergriiner , nicht sehr hoher, aber schattenreicher , machtig ausgebreiteter Baum, der am liebsten in der Nahe des Meeres die heissen, sonneerwarmten Felsenwande, die ihm zum Schutz gegen kalte Nordwinde dienen, mit seinen Wurzeln umklammert. Er wachst langsam, tragt erst nach zwanzig Jahren und dauert Jahrhunderte lang. Seine Friichte - - braune, flache, einen Zoll breite, einen halben, ja einen ganzen Fuss lange, horn- oder sichelformig gekriimmte Schoten, mit glanzend dunklen, bohnenartigen Samen und sussem, nahrhaftem Fleisch, das sogenannte Johannisbrod - - werden von Thieren und Menschen gegessen und bilden einen namhaften Handelsartikel. So larige sie nicht ganz reif sind und ihre braune Farbe noch nicht angenommen haben, gelten sie fur schadlich, ja giftig, nachher aber nahren sich Schweine, Pferde und Esel von ihnen, und auch der Schweinehirt und der Eseltreiber verschmaht sie nicht, nachdem er sie sich vorher gerostet oder gebacken. Soil der Baum nicht bloss Schatten gewahren, son- vie t. Helm, Kulturpflanzen. 7. Anfl. 29

450 Der Johannisbrodbaum.

dern auch reichlich Friichte tragen, dann muss er von Zeit zu Zeit beschnitten werden, wie der Weinstock und der Oelbaum. Seine nordliche Grenze fallt ungefahr mit der der Citronen und Orangen zusammen. Das Johannisbrod wird weit im Orient verfiihrt und fehlt bis tief in Russland auf keinem Volksmarkt unter den feil- gebotenen Leckerbissen ; auch in Oberitalien sieht man es im Winter viel, es kostet wenig, und besonders die Knaben stopfen es sich gern in den Mund. Im alten Griechenland wuchs der Baum nicht, aber die siissen Hornchen kamen, vom Orient eingefuhrt, auf den Markt. Man nannte sie agyptische Feigen, aber missbrauchlich , denn in Aegypten war, wie Theophrast mit Nachdruck versichert, die xegwvla gerade nicht zu finden, h. pi. 4, 2, 4: o Ss xagnog sMoftog uv rtvsg alyvrtnov GVXOV dirjfiaQiqxoTsg' ov yCveiai, yog ohog

ak,K ev 2v$Ca xal sv 'Icovta ds xal Tisql Kvtdov xal Es war also ein Gewachs Syriens und loniens, das sich bis Knidos im siidwestlichen Kleinasien und bis Rhodus verbreitet hatte. Im Uebrigen beschreibt Theophrast den Baum richtig und genau, aber er beschreibt ihn eben und zwar ausfiihrlich, zum Beweise, dass seine Leser selbst ihn nicht kannten und taglich beobachten konnten. Auch Strabo kennt ihn nicht in Aegypten, wohl aber in Aethiopien oder dem Lande, wo Meroe liegt, 17, 2, 2: TrAfiora'fw J6 TWV (pvrwv o is (fowi^ xal TI TisQom xal gfcvog xal xsgaita. Schon Theophrast hatte auf eine unfreundliche Wirkung der Bliite hin- gewiesen : avdog sxhevxov e%ov xal u fiaQviywg, er hatte hinzusetzen konnen: auch der unreifen Schoten; Galenus dehnt die Schadlich- keit auch auf die reifen Friichte aus und meint, es ware besser, sie wiirden aus dem Orient, wo sie wachsen, lieber gar nicht nach Europa gebracht, de aliment, fac. 2, 33: COOT' afjiswov yv avm iLirjde xofli&tf&cu TiQog fyiag sx TWV dvamhixwv ^co^tcov sv oig yswavai. Das eigentliche Vaterland des Baumes war das an Fruchtbaumen so gesegnete Kanaan: da er geimpft werden muss, um essbare Friichte zu spenden, so war er also auch, wie Olive und Dattelpalme, ein Produkt menschlicher , insbesondere semitischer Kunst und Miihe. Einst, wie jetzt, bildeten die siissen Schoten in Palastina eine ge- meine Speise. Der Taufer Johannes hatte damit in der Wiiste sein Leben gefristet, und noch den Reisenden neuerer Zeit wurde der angebliche Baum gezeigt, der den Vorlaufer des Messias mit seinem Johannisbrod genahrt hatte. In der Parabel im 15. Kapitel des Lucas begehrt der verlorene Sohn, der zum Huter der Schweine- heerde herabgesunken ist, seinen Hunger mit den Hornchen, ami

Der Johannisbrodbaum. 45]

x€Q<tttwvt die die Schweine frassen, zu stillen, aber Niemand gab sie ihm. Auch der Name des kleinen Gold- und Diamanten- gewichts, des Karats, der von den Bohnen der Johannisbrodschote, xsgdua* genommen ist (schon bei Isidor cerates, spater von den Arabern adoptirt und durch sie den Sprachen aller Lander mit- getheilt, wofiir auch siliqua gesagt ward), beweist, wie verbreitet und alltaglich die Frucht im griechischen Orient war. Bei den romischen Schriftstellern finden wir einige Stellen, die auf schon damals versuchte Anpflanzung im Abendlande hindeuten. Nach Columella 7, 9, 6 sollen die Schweine im Walde ausser von anderen wildwachsenden Friichten auch von graecae siliquae sich nahren. Da zu Columellas Zeit unmoglich Johannisbrodbaume einen Bestandtheil europaischer nemora ausmachen konnten, so mag die Notiz aus irgend einem griechisch-orientalischen Schriftsteller iiber Landwirth- schaft stammen. An einer anderen Stelle giebt Columella den Rath, den Baum im Herbst zu saen, 5, 10, 20: siliquam graecam quam quidam xegdnov vacant et Persicum ante brumam per auctumnum serito. Auch dies ist wohl nur eine aufgenommene fremde Wirth- schaftsregel ; Plinius wiederholt sie mit denselben Worten (17, 136), entweder aus Columella oder aus der gemeinsamen Quelle ; im Uebrigen nennt er die Frucht praedulces siliquae (15, 95) oder siliquae syriacae (23, 151) und behandelt sie nicht als einheimische. Syriacae heissen die Schoten auch bei Scribonius Largus ein Menschenalter friiher; wo sonst siliquae als Speise des Armen und Geniigsamen vorkommen, ist kein Grund, etwas Anderes als das Nachste, d. h. als Bohnen oder Erbsen darunter zu verstehen. Bei Galenus gegen Ende des zweiten Jahrhunderts ist, wie wir soeben gesehen haben, das Johannisbrod durchaus nur Gegenstand der Einfuhr aus dem Orient. Palladius aber in den letzten Zeiten des Romerreichs lehrt ausfiihrlich den Baum fortpflanzen und' spricht auch von seinen eigenen Erfahrungen dabei, 3, 25, 27: siliqua Februario mense seritur et Novembri et semine et plantis: amat loca maritime*, calida, sicca, campestrica: tamen ut ego expertus sum, in locis calidis foecundior fietj si ad- juvetur humore: potest et taleis poni u. s. w. Da diese Stelle in einigen Handschriften fehlt, auch der fleissige Benutzer des Palladius, Petrus Crescentius, iiber den Baum schweigt, so bleibt Zweifel, ob wir nicht am Ende ein nachmaliges Einschiebsel vor uns haben. Sollte aber auch die Naturalisation des Baumes zur Zeit der Romer begonnen haben, so lehren doch die arabischen Namen: ital. carrobo, carruba, span, garrobo, algarrobo, portug. alfarroba, franzos. caroubef

29*

452 Der Johannisbrodbaum.

carouge, dass erst die Araber entweder die erloschene Kultur von Neuem aufnahmen oder der noch vorhandenen die heutige Ver- breitung gaben. In der siidlichen Halfte der italienischen Halbinsel sind jetzt die Carroben haufiger und die Ernte reichlicher, als der- jenige Reisende voraussetzt, der bloss die gewohnliche Strasse der Touristen gewandert ist und den syrischen Baum etwa nur an der Felsenstrasse bei Amain gesehen hat. Sicilien, die arabische Insel, erzeugt und verschifFt viel Johannisbrod ; auch auf Sardinien fehlen die Ceratonien nicht und man pflanzt sie gern in Feldgegenden einzeln zur Mittagsrast; die reichsten Baume dieser Art aber stehen am apulischen Gargano, diesem in malerischer, naturwissenschaftlicher, auch botanischer Hinsicht so merkwiirdigen, aber auch so selten be- suchten, inassigen, isolirten, zum Meer abstiirzenden Kalkstein - Vor- gebirge. Im heutigen Griechenland finden sich Carrobenbaume hin und wieder auf dem Festlande und auf den Inseln zerstreut, darunter einige von ehrwiirdigem Alter, wie derjenige, unter dem Fiedler, Reise, 1, 224, auf dem skironischen Wege sein Mittagsmahl hielt und dessen Stamm einige Fuss Durchmesser hatte. In Kleinasien, Syrien u. s. w. geniesst der Baum auch religiose Verehrung, und zwar bei Muselmannern wie bei Christen. Er ist dem heiligen Georg geweiht und Kapellen unter oder in seinen Zweigen sind gewohnlich. Wie bei alien Kulturgewachsen haben sich auch bei diesem Varietaten gebildet, die sich durch grossere oder geringere Siissigkeit und Halt- barkeit und durch Form und Grosse der Schoten unterscheiden. Im Orient, wo die Frucht noch mehr Zucker entwickeln mag, und zu- weilen auch in Europa presst man aus den Schoten auch eine Art Honig, mit dem andere Friichte eingemacht werden, und wirft die Riickstande den Schweinen vor. Auch das harte Holz wird geschatzt und die Rinde dient zum Gerben.

* Der Johannisbrodbaum (Ceraionia Siliqua L.), der im ganzen Mittel- meergebiet, namentlich auch in ausgedehntem Maasse in Spanien cultivirt wird, ist im ostlichen Mediterrangebiet heimisch. Das siidlichste spontane Vorkommen ist in Yemen, wo Deflers den Baum in Schluchten des Saborgebirges bei Taez um 1400 m in machtigen Exemplaren mit Stammen von 1 2 m Umfang vorfand; der Baum soil in der ganzen mittleren Region der Gebirge verbreitet sein. Nachstdem ist Ceratonia als wahrscheinlich wild- wachsend constatirt worden in Palastina und auf Cypern, im siidlichen und ostlichen Anatolien, auf den griechischen Inseln und in den warmereri Theilen Griechenlands. Ferner ist er gegenwartig so gut wie wild in Cyrenaika, Algier und Sicilien ; in Aegypten kommt er nicht vor und hat wahrscheinlich

Das Kaninchen. 453

auch nie daselbst existirt. Zu bemerken 1st noch, dass an den oligocenen Ab- lagerungen von Aix eine fossile Ceratonia vetusta Saporta, aus den tertiaren Ablagerungen von Oeningen eine Ceratonia emarginata A. Braun beschrieben wurde. Da aber von diesen Arten nur Fiederblattchen bekannt sind, die allerdings denen des Johannisbrodbaums recht ahnlich sind, so 1st die ehe- malige Existenz des Baumes im westlichen Mediterrangebiet und noch weiter nordlich nicht ganz zweifellos.

* In Palastina, wo der Johannisbrodbaum auch nach H. einheimisch ist, 1st derselbe aus dem alten Testament nicht nachweisbar (im neuen nur Lucas 15, 16), ein Beweis, wie vorsichtig man rnit Schliissen e silentio der Denkmaler sein muss. So sind die Nachrichten des Theophrast iiberhaupt die altesten. Nach ihm (4, 2, 4) beschrankt sich iibrigens der Ausdruck xepowa auf die lonier, wahrend sonst xepateia gait.

Bezuglich des Vorkommens des Johannisbrodbaums in Aegypten gehen die Meinungen auseinander. Vgl. K. Sprengel, Theophrasts Naturg. II, 129; De Candolle, Der Ursprung der Kulturpflanzen S. 424; Woenig, Die Pflanzen im alten Aegypten S. 344; Neumann-Partsch, Die physik. Geogr. Griechenlands S. 432.

In dem Gleichniss des Lucas-Evangeliums ubersetzt Ulfilas das grie- chische xspotTtov mit hailrn (Jah gairnida sad itan haurne ]>oei matitedun sveina). Im Albanesischen heisst der Baum t8ot8obanuze\= ttirk. k'etsi bujnuzu »Ziegen- horn«; vgl. G. Meyer, Et. W. S. 449), im Neugriechischen ^uXoxepaTed. Dem arabischen charrub entspricht aram. chdruba (Low, Aram. Pflanzennamen S. 176).

Das Kaninchen.

(Lepus Cuniculus L.)

Von Spanien her lernten die Romer ein dem Hasen vervvandtes Hausthier kennen, das den Griechen im Osten des Mittelmeeres nicht zu Gesicht gekommen war: das Kaninchen. Es war, wie das Spart- gras und die Korkeiche, Spanien eigenthumlich und eng an den iberischen Volksstamm gekniipft, mit dem es liber Afrika nach dem westlichen Euro-pa gekommen sein mag. Es trug bei den Romern den Namen cuniculus, ein Wort, dessen Stamm moglicher Weise der iberischen Zunge angehort und nur mit lateinischer Endung versehen ist87). Mit demselben Ausdruck bezeichneten die Romer schon seit Cicero und Casar auch unterirdische Gange, und es war Streit, ob diese nach dem Thier oder umgekehrt das Thier nach jenen benannt sei; die Alten entschieden sich meist fiir Letzteres, aus keinem anderen

454 I*as Kaninchen.

Grunde, als well ihnen die Sache und also auch das Wort in dieser Bedeutung haufiger aufstiess, als das halb unbekannte Thierchen, wahrend wir die erstere Annahme fiir natiirlicher halten, wenn auch die romischen Sapeurs und Mineurs ihre Kunst nicht gerade den Kaninchen abgelernt haben, wie Martialis meint, 13, 60:

Gaudet in effossis habitare cuniculus antris:

Monstravit tacitas hostibus ille vias.

In der Literatur kommt das Kaninchen zuerst bei Polybius vor, also um die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. , in der nach dem Lateinischen gebildeten Form xzmxAog, 12, 3: auf Corsica giebt es keine wilden Thiere 7T^r(v dAwTiexvov xal xwixhcvv xal ngofidimv ayQLwv (Moufflons). Bei Athenaeus 9, p. 400 lautet die von Poly- bius gebrauchte Form xovvixlog, dem Lateinischen nicht gerade naher, da das u in cuniculus kurz ist. Auch bei dem Geschichts- schreiber und Philosophen Posidonius von Apamea in der ersten Halfte des ersten Jahrhunderts vor Chr. kam das Wort vor. Catullus kennt Spanien als ein kaninchenreiches Land oder als ein Land reich an Kaninchengangen 37, 18: Tu cuniculosae Celtiberiae fill Egnati. Ausfiihrlicher verbreiten sich darauf liber das Thier, seine Ansiede- lung und Verbreitung und die Art es zu fangen, Varro 3, 12, 6, Strabo an zwei Stellen des dritten Buches 2, 6 und 5, 2, endlich Pli- nius 8, 217 ff. Die Iberer miissen besondere Liebhaber dieser Zucht und des Kaninchenfleisches gewesen sein: sie hatten das Thier auch auf die spanisch-italischen Inseln, auf denen sie vor Alters angesessen waren, mit libers Meer gebracht, nicht bloss nach Corsica, wie wir soeben von Polybius gehort haben, sondern auch auf die balearischen Inseln. Fiir den grossten Leckerbissen gait bei ihnen der noch nicht geborene Fotus oder das noch saugende Thierchen, welches ganz und gar, ohne ausgeweidet zu werden, verzehrt wurde ; solche noch erst werdende oder eben auf die Welt gekommene Kaninchen hiessen laurices, mit einem wohl gleichfalls iberischen Namen. Aber die grosse Fruchtbarkeit , die dem Hasengeschlecht eigen ist ein Kaninchen kann sechs bis sieben Mai im Jahre vier bis zwolf Junge werfen und beginnt dieses Geschaft schon einige Monate nach der Geburt - - machte das Thier zu einer wahren Landplage auf dem spanischen Festlande wie auf den Inseln; es uberzog mit seinen Gangen und Hohlen den Kulturboden , nagte die Wurzeln . und Sprossen weg und untergrub Baume, ja sogar die Wohnungen der Menschen. Nach Strabo sollten die Bewohner der rvfivrjafai d. h. Mallorcas und Minorcas einst zu den Romern Abgesandte geschickt

Das Kaninchen. 455

haben mit der Bitte, ihnen ein anderes Land zum Wohnplatz anzu- weisen, da sie sich gegen die Menge Kaninchen nicht mehr halten konnten. Als gewiss berichtet Plinius, sie batten den Kaiser Augustus um militarische Hilfe angegangen, da sie allein mit den Thieren nicht fertig werden konnten. Und nicht bloss durch ganz Spanien herrschte diese Noth, sondern erstreckte sich auch bis Massilia - vielleicht ein Fingerzeig mehr fur die ethnographische Stellung der Liguren, die vor der Ankunft der Kelten von Norden den ganzen Kiistenstrich , an dem Marseille liegt, bewohnt batten. Die Iberer batten indess in einem anderen halb wilden, halb domestizirten Thiere , das sie aus Afrika bezogen batten , einen wirksamen Feind und Vernichter des Kaninchens und bochst eifrigen Jagdgenossen kennen und anstellen gelernt, das Frettchen, eine Art Iltis, lateiniscb viverra (lit. waiivaras, das Mannchen vom Iltis und Harder, lit. wowere, preuss. vevare, slav. veverica, das Eichhorn), span, huron, ital. furetto, franzosisch furet. Es kroch in die Kaninchenhohle und trieb die Bewohner zum Ausgang hinaus, wo der Jager sie auffing und erlegte. Die Griechen benannten das Frettchen mit dem allge- meinen Ausdruck yahy, dem sie zu naherer Bestimmung das Pradikat Taqrriaaia hinzufugten. Schon Herodot weiss von solchen tartessi- schen d. h. spanischen Wieseln, er sagt: 4, 192 bei naturhistorischer Beschreibung der Nordkiiste von Afrika, es lebten dort unter Sil- pbiumsstauden /aAeaj, den tartessischen ganz ahnlich welche letz- tere also im fiinften Jahrhundert vor Chr. schon in Spanien zur Jagd iiblich waren. Dass schon zur Zeit der Republik Kaninchen auch von den Rom em in sogenannten Leporarien gebalten wurden, sehen wir aus Varro ; an der Tafel des Athenaus hat einer der Spre- chenden auf der Fahrt von Dicaarchia, dem heutigen Pozzuoli, nach Neapel die kleine Insel an der aussersten Landspitze, also das heu- tige Nisida, von wenig Menschen und viel Kaninchen bewohnt gesehen (Athen. 1. 1.) - - was auch noch heut zu Tage von den italienischen Inseln im Verhaltniss zum Festlande gilt. Immer aber ward das Thierchen bei den Romern als charakteristisches Merkmal des Landes Spanien betrachtet, wir sehen dies z. B. aus Gold- und Silbermiinzen des Kaisers Hadrian, wo auf dem Revers mit der Legende Hispania vor einer liegenden weiblichen Figur, die einen Olivenzweig halt und den linken Arm auf den Felsen Calpe stiitzt, ein Kaninchen abge- bildet ist (H. Cohen, Description historique des . . , medailles im- periales, T. 2, Paris 1859, Adrien n ° 270—276).

Heut zu Tage haben sich die niedlichen, so eigenthiimlichen

456 Die Katze.

Thierchen mit dem wohlschmeckenden Fleische iiber einen grossen Theil Europas ausgebreitet, sind aber besonders in Frankreich und Belgien unter dem Namen lapin (nach Diez f iir clapin, Volksausdruck : der Ducker) eine haufige und beliebte Speise. Dies muss schon zu der Zeit, die Gregor v. Tours beschreibt, der Fall gewesen sein, denn 5, 4 berichtet er von Roccolenus: erant enim dies sanctae Quadra- gesimae in qua fetus cuniculorum (also die oben genannten laurices) saepe comedit. Bei Petrus Crescentius , dem Zeitgenossen Dantes, wohnt das Kaninchen in dem zusammenhangenden Strich Landes von Spanien durch die Provence bis in die Lombardei, 9, 80: quod in Hispania et in Provincia et in partibus Lombardiae, sibi cohaerenti- bus, nascitur also immer noch auf iberischem Urboden. Jetzt 1st es nicht bloss dem Provencalen, sondern auch dem Pariser wohl- bekannt, und hat nicht bloss die Inseln des westlichen Mittelmeers , sondern auch die des ostlichen oder griechischen iiberzogen und mit seinen Gangen durchlochert. In Frankreich, England und den Nieder- landen ist es zugleich durch Zuchtung und Kreuzung wesentlich ver- wandelt und veredelt worden, sowohl was Zartheit des Fleisches, Grosse, Fruchtbarkeit, Abhartung gegen das Klima, als die seiden- gleiche Weichheit des Haares betrifft88).

Die Katze.

Der Hund ist ein uralter Begleiter des Menschen, ja gewiss das fruheste und erste von alien Thieren, die der Mensch sich zugesellt hat, - - wer, der es nicht weiss, sollte glauben, dass die lacherliche Feindin des Hundes, die Katze, die jetzt fast in keinem Hause fehlt, so weit civilisirte und halbcivilisirte Menschen leben, eine ganz junge Erwerbung der Kultur ist? Freilich die Bewohner des Nilthales miissen wir dabei ausnehmen. Dass das geheimnissvolle, mit seinem Thun in die Nacht der Zeiten hinabreichende, ebenso anziehende als abstossende Volk der Aegypter die Katzen in Menge erzog, sie heilig hielt, sie nach dem Tode einbalsamirte , melden nicht bloss die Alten, wie Herodot und Diodor, sondern bestatigen auch die Denkmaler und Ueberreste (man sehe z. B. den Hymnus auf die Sonnenkatze auf einer Stele, iibersetzt von Brugsch in der Zeitschrift der DMG. 10, 683). Diodor 1, 83 erzahlt einen Vorgang, dessen

Die Katze. 457

Augenzeuge er selber war und der, wie er hinzusetzt, die tiefe reli- giose Scheu der Aegypter vor der Heiligkeit dieses Thieres offenbar machte. Es war die Zeit, wo die grosste Furcht vor Roms Ueber- macht herrschte und Alles gethan wurde, um den einzelnen Romern, die sich gerade im Lande befanden, zu Willen zu sein und jeden Streit mit ihnen zu verhiiten. Da geschah es, dass ein Romer, ohne ••es zu wollen, eine Katze todtete; sogleich rottete sich das Volk zu- sammen, der Aufstand richtete sich gegen das Haus, in dem die That veriibt war ; keine Bemiihung des Konigs Ptolemaus und seiner Beamten, keine Furcht vor Rom und den Romern vermochte das Leben des Verbrechers zu retten. Die gezahmte Art ,war die Felis maniculata Ruepp. (Dr. Hartmann in der Zeitschrift fiir agyptische Sprache 1864, S. 11.) Das Verschlossene und Stumme, daher Ahnungsreiche , das nach Hegel alle Thiere haben, ist in der Katze und deren eigenthiimlichen, gleichsam mystischen Sitten und Nei- gungen besonders fiihlbar. Sie hat noch jetzt fiir den, der sie ge- wahren lasst und sie aufmerksam beobachtet, etwas Aegyptisches, das die Vorliebe der Einen, den Widerwillen der Anderen weckt. Dies Thier so vollkommen zu zahmen und an den Menschen zu ge- wohnen - - denn die Hauskatze verwildert nicht und kehrt immer wieder zum Hause zuriick konnte nur dem Aegypter gelingen und war die Arbeit von Jahrhunderten. Nur wenn viele, sehr viele Generationen des Thieres auf dieselbe behutsame , pflegende , liebe- volle Art behandelt wurden und in der langen Zeit jede Erfahrung •eines verursachten Schmerzes oder zugefiigten Leides aus dem Ge- dachtniss der scheuen Creatur ausgeloscht war, konnte aus der wilden Katze, deren Geschlecht von alien am wenigsten auf Zahmung an- gelegt scheint, unsere jetzige anschmiegende Hauskatze werden. Re- ligioser Aberglaube hat hier, wie so oft, das Unglaubliche geleistet und auch einmal der Kultur gedient, statt sie aufzuhalten. Nach Fr. Lenormant, die Anfange der Kultur, 1, Jena 1875, S. 242 f., kame iibrigens die Katze erst seit der 12. Dynastie auf agyptischen Bildwerken vor. wenn dies rich tig ist, dann wurde das Verdienst der ersten Zahmung den Bewohnern der oberen Nillander gehoren und Aegypten das begonnene Werk nur fortgesetzt haben. Ein Gliick war es, dass die Weiterverbreitung der agyptischen Katze noch zur Zeit des romischen Reiches, ehe das ascetische Christenthum in die Tiefe drang, und vor dem Einbruch des islamitischen Sturmes statt land; sonst hatte mit der Vernichtung des gesammten alten Aegyp- tens und der Vertilgung seiner religiosen Vorstellungen und Sitten

458 Die Katze.

auch die dieses Hausthieres erfolgen und vielleicht nicht wieder gut gemacht werden konnen. 1st doch manches Thier, das einst dem Menschen diente, diesem Schicksal verfallen, so vor Allen der afrikanische Elephant, der Hannibals Krieger trug, durch Schnee und Eis iiber die Alpen stieg und jetzt nur noch in den Wildnissen des innern Afrika von grausamen Jagern erlegt und langsam aus- gerottet wird.

Die'Griechen und Romer litten nicht selten unter der Plage ungeheurer Vermehrung der Mause, und hin und wieder werden un& Geschichten iiberliefert von wunderbarer Rettung einer Gegend vor den Mausen oder von geschehener Auswanderung wegen Unmoglich- keit, sich dieser Nagethierchen zu erwehren. Als Hausdiebin kennt die Maus schon die voreuropaische Sprache, denn dieser Name, der sich in Griechenland und Italien und an der Elbe wie am Indus wiederfindet, stammt bekanntlich von einem Verbum mit der Be- deutung stehlen. Als Feinde der Maus und sie hat deren viele - mussten auch friihzeitig die das Haus des Menschen umschleichen- den Thiere, das Wiesel mit seinen Unterarten 89), Iltis, Marder, wilde Katze, beobachtet werden; einige davon wurden desshalb gehegt und nicht verfolgt und traten in eine Art Gerneinschaft mit den Menschen; Wiesel und Marder lassen sich zahmen und ehe die Katze einge- fuhrt war, geschah dies viel haufiger als jetzt. Doch litt unter diesen Raubern auch wieder das Federvieh, besonders dessert junge Brut, und man suchte sie dann wieder abzuhalten und machte ihnen den Krieg. Griechisch lauteten die Namen ycdsi?, xug, IxiCg, gen. Ixildog, alehovQog oder alhovQog, lateinisch mustela, mustetta, fdis oder feles, melis. Genau unterschieden wurden die Thiere nicht, und auch die Benennungen schwanken, wie im Volksmunde, so auch in der Literatur. An keiner Stelle aber, wo wir auf einen dieser Namen stossen, sind wir gezwungen, ihn auf die gezahmte Hauskatze zu deuten. Besonders das Wiesel, yaAei?, mustela, wird als Gegenstand der Furcht fur die Maus und ubermachtige Feindin mit derselben so zusammengenannt , wie wir Katze und Maus in Fabeln, Redens- arten und Spielen zu verbinden pflegen. Zwei Wesen, sagt die Mau& am Anfang der Batrachomyomachie zum Frosche, fiirchte ich vor Allem auf der ganzen Erde, den Habicht, xtgxog, und das Wiesel, yaA«>7, die meinem Geschlecht viel des Leides gebracht haben, dann auch die schmerzensreiche , verhangnissvolle , triigerische Falle, am am meisten aber doch das Wiesel, das das starkste ist, und mir selbst in meine Locher spurend nachkriecht. In den Wespen des Aristo-

Die Katze. 459

phanes erwidert auf die Aufforderung des Einen: erzahle mir eiue Hausgeschichte, der Andere : o, darnit kann ich dienen ; also es war einmal ein Mausel und ein Wiesel, ovxw TTOT r\v favg xal yahrj wie man bei uns den Kindern vortragt: es war einmal ein Katzchen und ein Mauschen. Auch in einem Stiick des Plautu& hat vor den Fiissen des Redenden das Wiesel eine Maus gefangen^ Stich. 3, 460:

spectatum hoc mihist: Mustella murem ut abstulit praeter pedes.

Die agyptische Hauskatze wird von den griechischen Berichterstattem alkovQoc, genannt ; wo das Wort , das iiberhaupt nicht haufig vor- kommt, auf ein griechisches Thier angewandt wird, hindert nichts,. an den Harder oder die Wildkatze zu denken. In der Stelie des in Alexandrien dichtenden Kallimachus in Cerer. Ill konnte auf den ersten Blick die Wahrscheinlichkeit fiir die agyptische Katze sprechen ^ Erysichthon hat im Heisshunger A lies im Hause verzehrt, die Kuh,. das kriegerische Ross,

xal Tav attovQOv, rav gigs fie D-riQia xixxd ,

wozu der Schol. die Erklarung fiigt: wv idtwg faycftevov xdrrov. Aber dass die kleinen Thiere die aUovQog fiirchten, ist noch cha- rakteristischer fiir den Hausmarder als fiir die zwar auch rauberische aber doch auch schmeichlerische, weichliche Hauskatze, der also der Dichter wohl ein anderes Epitheton gegeben hatte. Aehnlich steht es niit einem Verse der gleichfalls in Alexandrien spielenden fiinf- zehnten Idylle des Theokrit. Dort schildert die ungeduldige Haus- frau eine saumige Magd mit den Worten:

ndfav at yakecu [tahaxaJs XQfl&vu xaSsvdecv;

wolleii die Wiesel wieder weich schlummern? Hier konnte der Dichter, da wir uns, wie gesagt, in Alexandrien befinden, in der That an agyptische Hauskatzen gedacht haben, doch werden auch zahme Wiesel oder Marder ein weiches Lager nicht verschmaht haben. In einem Fragment des komischen Dichters Anaxandrides bei Athen. 7 p. 300 verhohnt der Redende einen Aegypter wegen der agyptischen Sitten , die er nach dem Vorgange Herodots als den griechischen grade entgegengesetzt schildert: wenn du, sagt er unter Anderem, eine Katze leiden siehst, so weinst du, ich aber schlage sie am lieb- sten todt und zieh ihr das Fell ab:

Tbv als^ovQov xaxbv S%OVT eav g, syw & ydMiu anoxisivag

460 Die Katze.

wo der Grieche sein griechisches, jenero agyptischen entsprechendes Thier im Sinne haben konnte. Das lateinische mustela passt genau auf das Wiesel, aber auch felis 1st nirgends die zahme Katze, sondern sei es der Iltis und Harder, oder die Wildkatze. Die landwirth- schaftlichen Schriftsteller Varro und Columella lehren die Enten- hauser und Hasenparks so anlegen, dass keine feles und meles Ein- gang finden konnen - - wobei sie unmoglich an Hauskatzen gedacht haben konnen. Die Art, wie Horaz Sat. 2, 6, 79 die bekannte Fabel von der Land- und Stadtmaus erzahlt, beweist augenscheinlich, dass zu des Dichters Zeit in den Hausern der Hauptstadt noch keine Katzen gehalten wurden: »Eine Stadtmaus machte der Feldmaus einen Besuch und wurde von dieser nach Kraften bewirthet, mit Erbsen, Haferkornern , wilden Beeren und Stiickchen Speck. Der verwohnte Gast aber verschmahte die gemeine Kost und sprach: Was nutzt es dir hier in Feld und Wald einsam und fern von den Menschen zu leben? Komm, folge mir in die Stadt, da giebt es bessere Bissen. Beide brachen auf, es war tiefe Nacbt, krochen durch ein Loch der Mauer und schlichen in das stadtische Haus. Da standen noch die Schiisseln und Korbe vom Gastmahl des vori- gen Abends, sie liessen sich's schmecken und ruhten auf purpurnen Teppichen. Da plotzlich sehen sie die Katze herbeischleichen und retten sich kaum aus ausserster Todesnoth ? Ganz und gar nicht, sondern die Thiiren offnen sich mit Gerausch, lautes Hundegebell erschuttert das Haus, beide Mause laufen angstlich hin und her und furchten sich fast zu Tode. Da sagte die Feldmaus: ich danke schon fur dies schwelgerische Leben ; da gefallt mir mein Loch in der Erde, wo ich sicher und ungestort bin, mehr, wenn es da auch nur Erbsen zu nagen giebt. « Hier wtirde ein neuer Fabel- dichter statt des Motivs der Bedienten, die friihmorgens zur Reini- gung des Speisesaales eintreten, unfehlbar der Katze ihre Rolle an- gewiesen und auch von den bellenden Hunden nichts erwahnt haben. - Bei Plinius findet sich einige Bekanntschaft mit den Eigenheiten der Katze, felis, aber als zahme Hausfreundin der Menschen stellt auch er sie nicht dar, 10, 202: Feles quidem quo silentio, quam levibus vestigiis obrepunt avibus! quam occulte speculator in mus- culos exsiliunt! excrcmenta sua effossa obruunt terra intelligcntes odorem ilium indicem sui esse. Richtige Beobachtungen , die aber an der europaischen wilden Katze sich ganz ebenso machen liessen, wie die entsprechenden am Fuchs und anderen Thieren der Walder und Berge. Ein pompejanisches Mosaikbild, jetzt im Museo nazionale

Pie Katze.

in Neapel, zeigt eine Katze, »die eine Wachtel zerreisst«, aber das luchsartige, etvvas gestreifte Fell, sowie der Ausdruck des Kopfes deuten mehr auf die wilde Katze, wenn auch eine ahnliche Bildung bin und wieder bei der jetzigen Hauskatze vorkommen mag. Auch die bei Mazois II, t. 55 abgebildete Katze ist zwar ein katzenartiges- Tbier, aber unmoglich eine Hauskatze; aucb sagt der Herausgeber selbst: un chat represent^ avec assez peu de naturel. Bei den Auf - grabungen in Pompeji haben sich nirgends die Reste einer Katze ge- zeigt, s. das Ausland 1872, n ° 7, Zur alteren Geschichte des Vesuv, S. 167: Pferde, Hunde, Ziegen und Haustbiere wurden verscbiittet und ibre Reste sind wieder aufgefunden worden; »merkwurdiger Weise waren aber alle Katzen scbon bei Zeiten verscbwunden.« Die Merkwiirdigkeit hort auf, wenn es in der Stadt eben noch kerne Katzen gab. Aucb die Thierchen auf friiben tarentiniscben und rbeginischen Miinzen, die von einigen fur Katzen genommen worden sind, konnen bei ibrer Kleinheit und Unbestimmtheit auf jede andere Art gedeutet werden wie Jeder zugeben wird, der solche Miinzen in der Hand gebabt bat. - Sehen wir uns in der Literatur der Fabel um, so gewahrt uns diese leider keinen sichern chronologiscben Anhalt. In den im Volksmunde in alter Zeit lebenden asopischen Fabeln, so weit sie uns in Brucbstiicken und Andeutungen bei den Schriftstellern cler klassischen Zeit erhalten sind, tritt nirgends die Katze auf. Bei Babrios, dessen Zeitalter streitig ist, erscheint in zwei Fabeln der alkovQog, beide Mai deutlich als Marder, der dem Hiihner- volk nacbstellt: in Fabel 17 hangt sicb der aUovQog als Sack (wg Vvhaxog rig, als Beutel von Marderfell) am Pflock auf, wird aber vom Habn an dem noch dran sitzenden Gebiss erkannt, in Fabel 121 ist die Henne krank und der alhovQog schleicht theilnehmend herbei, worauf jene sagt: geh nur fort, das ist die beste Art, meinen Tod zu verhiiten. Als Feindin der Maus sieht auch Babrios das Wiesel an: Fabel 32, wo das Wiesel in eine schone Frau ver- wandelt wird und bei der Hochzeit sich durch Verfolgung einer Maus verrath, beweist dies unwidersprechlich (wir sagen dagegen: die Katze lasst das Mausen nicht), ebenso Fabel 31, wo die Wiesel, yahal , und die Mause Krieg flihren. In den Fabeln des Phadrus ist das Verhaltniss ganz dasselbe. Auch da fiihren, 4, 6, die Mause und die Wiesel Krieg und ein vom Menschen gefangenes Wiesel ruft, 1, 22, aus: schone mich, quae tibi molestis muribus purgo domum. Aber bei Palladius, als die Tage des westromischen Reiches bereits gezahlt waren, erkennen wir unsere Hauskatze unter dem

462 Vie Katze.

nur fur dies neue Hausthier geltenden Namen catus, der seitdem Ton Italien aus, wie das agyptische Thier selbst, zu alien Volkern gewandert 1st, nicht bloss zu alien europaischen , Basken , Finnen, Albanesen und Neugriechen mit eingeschlossen , sondern auch weit- hin in den Orient zu Asiaten des verschiedensten Stammes90). Die Worte des Palladius lauten 4, 9, 4: Contra talpas prodest catos (in .anderen Handschriften cattos) frequenter habere in mediis carduetis (Artischockengarten). mustelas hdbent pleriqiie mansuetas (die also damals noch haufiger waren). aliqui foramina earum (oder eorum) rubriea et succo agrestis cucumeris impleverunt. nonnulli juxta cu- bilia talparum plures cavernas aperiunt, ut illae territae fugiant solis admissu. plerique laqueos in aditu earum (eorum) setis pen- dentibus ponunt. Unter talpae verstand Palladius, der schon roma- nische Neigungen zeigt, an dieser Stelle, wie wir glauben, die Maus, nicht den Maulwurf, italienisch topo masc. die Maus (aus talpa); die Variante eorum konnte in diesem Falle schon von dem Ver- fasser selbst herriihren, wie ja auch Vergil das Wort talpa mann- lich gebraucht hatte. Nach Palladius finden wir das Wort wieder bei dem griechisch schreibenden Kirchenhistoriker Evagrius Scho- lasticus, 4, 23 : cflAovQov , J]v xdirav r/ tiwrfteia hzysi. Evagrius lebte in Epiphania in Colesyrien und fiihrte seine Geschichte bis zum Jahre 594 ; gegen das Jahr 600 also war der Ausdruck xdrta in Vorderasien schon ein gewohnlicher. Das GwySeia des Evagrius driickt im aussersten Westen der ungefahr gleichzeitige oder nur wenig spatere Isidorus durch vulgus aus, 12, 2, 38 : htme (murionem) vulgus catum a captura vocant. Auch sonst kommt das Wort in diesen Zeiten und mit jedem Menschenalter haufiger vor, s. Ducange. Es war eine in Italien gebildete Volksbenennung : das Thierchen, das Junge, wie man fur Gans das Vogelchen, auca, fiir Schaf la pecora u. s. w. sagte. Wenigstens ist dies immer noch die wahr- scheinlichste Herleitung. Ob aber nicht eine besondere Veranlassung vorlag, dass jetzt gerade ein agyptisches Thier, an das die Griechen und Romer bisher nicht gedacht hatten, in den Hausern gewohnlicher wurde, als fruher? Die Geschichte schweigt davon, doch drangt sich folgende Vermuthung auf. Zur Zeit der Volkerwanderung iiberzog von Asien her ein bis dahin unbekanntes gefrassiges Nagethier, die Ratte, mus rattus, die Keller, Speicher und Wohnungen der euro- paischen Welt. Der Zeitpunkt ihres Erscheinens und die Richtung ihres Weges ist nicht uberliefert, aber der Name Ratte findet sich -schon in friihen althochdeutschen Glossaren, sowie in dem angel-

Die Katze. 463

sachsischen des Alfric in England und ist also bedeutend alter, als Albertus Magnus, bei d.em dies Thier von Naturforschern signalisirt worden ist. Zog es im Gefolge der Volkerstrome in Europa ein, •ward es im Herzen Asiens durch den Aufbruch turkischer Volker, z. B. der Hunnen, mitbeunruhigt ? Als es den Osten Europas erreichte, miissen die Slaven sich bereits in Stamme gesondert haben, denn sie benennen es ungleich; der Pole sagt szczur (gleich ahd. scero die Schermaus, der Maulwurf, also wie talpa = Maus), der Russe Jcrysa, die Donauslaven wieder anders. Der deutsche Name Ratte, Ratz, ahd. rato, wird ein anlautendes h verloren haben und mit dem alt- slavischen Jcriitu, russischen. Jcrot, der Maulwurf, lit. kertus, die Spitz- maus, identisch seiu. Altirisch hiess die Ratte frankische Maus (Stokes, ir. gl. 248), sie war den Iren also vom Frankenlande zu- gekommen. Eine zweite, noch furchtbarere Invasion der Art hat Europa seit dem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts erlebt: da erschien die grosse Wanderratte, Mus decumanus, an der unteren Wolga, uberzog mit allmahligem, oft eigensinnigem Vorriicken eine Stadt und Gegend nach der anderen, verbreitete sich mit Fluss- und Seeschiffen denn sie hat eine Vorliebe fur Wasserfahrten und in den Revolutionskriegen mit den Magazinen der osterreichischen und russischen Armeen uber Deutschland und den Westen Europas und hat seit lange nicht bloss von Paris und London Besitz genommen (vielleicht zu Schiffe direkt von Ostindien), sondern im Wege des Handels auch die neue Welt jenseits des atlantischen Oceans erreicht, uberall ihre schwachere Vorgangerin, die Hausratte des Mittelalters, ausrottend (s. v. Middendorff, Sibirische Reise, IV, S. 887 if.). Auch die kleine, niedliche, naschhafte Hausmaus muss einst so aus dem siidlichen Asien zu uns herubergekommen sein - - fiel ihre Ankunft etwa mit dem Einbruch der Indoeuropaer zusammen? Noch andere Thiere, die dem Alterthum unbekannt waren, scheinen mit der Volker- wanclerung oder mit dem Eindringen von Kultur und Strassen in den dunklen Osten Europas in den Gesichtskreis der Kulturvolker des Westens getreten zu sein, so der Dachs und der Hamster. Der Name des ersteren verbreitete sich von den Germanen her iiber das romanische Gebiet, dem das Thier bis dahin fremd gewesen zu sein scheint; der des letzteren, in Italien unbekannt, in Frankreich roh aus dem Deutschen heriibergenommen : le hamster, von den Germanen einem slavischen Worte nachgesprochen, deutet auf einen von Osten gekommenen Erdbewohner, dem die Lichtung der Walder durch den Ackerbau den Weg bahnte91).

464 Die Katze.

Den Germanen kam die Katze zu einer Zeit zu, wo die niythische Produktion, wenn auch geschwacht, doch nicht ganz erloschen war92). Die Katze wurde das Lieblingsthier der Freya, der Liebesgottin, vielleicht in Vertretung des Wiesels. Grimm DM2 634: »der Freya Wagen war mit zwei Katzen bespannt. Katze und Wiesel galten fur kluge, zauberkundige Thiere, die man zu schonen Ursache hat. « Im spateren Mittelalter verwandeln sich Hexen und Zauberinnen in .Katzen, wozu das schleichende, nachtwandlerische Wesen, das dunkle Fell, die im Finstern unheimlich gliihenden Augen des Thieres auch ohne Erinnerung an das Heidenthum Anlass geben konnten. Die markische Sage bei Kuhn 143 a mag statt aller ubrigen der Art dienen: »Am letzten April war ein Miillergesell noch spat Abends in einer Miihle beschaftigt, da kommt eine schwarze Katze zur Miihle hinein; er versetzt ihr einen Schlag auf den Vorderfuss, dass sie schreiend davonlauft. Andern Morgen, als er in das Haus des Miillers kommt, bemerkt er, dass dessen Frau mit gequetschtem Arm im Bett liegt, und erfahrt, dass sie das seit gestern Abend habe, Niemand wisse woher. Da hat er denn gemerkt, dass die Miiller- frau eine Hexe war, und dass sie am vorigen Abend als Katze zum Blocksberg gewesen sein musse.« Dass auch vornehme Weiber und Fiirstinnen schon im eilften Jahrhundert Lieblingskatzen im Schoss hielten und mit Leckerbissen fiitterten, beweist das Beispiel der Gemahlin des Kaisers Constantin Monomachus bei Tzetzes, ChiL 5, 522:

SxtJisQ ya."hrp> xamtxwv, ya&rjv TWV JUVOXTOVOOV TI Movoftdxov av£vyog ^,ua>v tov GI£<$YI<POQOV u. s. w. Noch jetzt ist das Thier im europaischen Osten und Siiden und bei Morgenlandern beliebter, als bei den Volkern germanischer Abkunft, in Russland giebt es keinen Kauf laden, an dessen Schwelle nicht eine wohlgenahrte Katze im Halbschlummer blinzelnd lage. Auch in Frankreich ist die Katze die gern gesehene Freundin des Hauses und der Familien, und in Italien herrscht eine allgemeine Vorliebe fiir das feine, reinliche, graziose Thier. »In mancher Kirche von Venedig bis Rom, erzahlt Fridolin Hoffmann (Bilder romischen Lebens, Miinster 1871), sah ich wohlgenahrte Sakristei - Kater auf den Balustraden der Seitenaltare oder selbst auf der Communionbank sitzen; sogar der Gottesdienst stort die Thiere nicht in ihrer Behag- lichkeit. Ruhig schreiten sie mitunter hin, wahrend der Klange der Orgel, iiber den vordern hohen Theil der Kniebanke, und die Leute sind sogar so artig, ihre Hande mit dem Gebetbuch zu liiften, urn

Die Katze. 455

den Spazierganger ungehindert vorbeizulassen. Angesichts solcher Bevorzugung 1st es also nicht zu verwundern, wenn selbst in sehr anstandigen Wirtbshausern auf einmal eine oder zwei Katzen sich neben uns auf einem Sessel oder einer gepolsterten Bank nieder- lassen, bebabig spinnen oder sich niit der Schnauze seitwarts mag- netisch reiben. Wie einzelne Menscben von diesem Thier in unbe- greif licber Weise angezogen werden, dafiir ist der Berner Tagelohner Gottfried Mind, der Katzen-Rafael, ein Beispiel. Er war als Knabe, wie spater als Mann, stumpf fiir Alles und fast blodsinnig, nur das Leben und Treiben der Katzen beobachtete er mit Verstandniss und Liebe und stellte es in Aquarellbildern meisterhaft dar (er starb 1814).

* Vor mehreren Jahren ist in Bubastis, pe-Bast »dem Ort der Bast«, der katzenkopfigen Gottin, welcher das Thier heilig war, ein Katzenfriedhof von ungeheurer Ausdehnung entdeckt worden. Hier traten auch unzahlige Bronzestatuetten von Katzen in alien moglichen Stellungen zu Tage. Des- gleichen wurden an zahlreichen anderen Orten Aegyptens Ueberreste der Katze, die in Aegypten theils begraben, theils mumificirt wurde, aufgefunden (woriiber A. Wiedemann, Herodots II. Buch S. 283 ff.). Vie Skelette dieser agyptischen Katze wurden in der Berliner Gesellschaft fiir Anthropologie, Ethnologic und Urgeschichte (vgl. Verh. derselben 1889 S. 458 ff. und 552 ff.) der Gegenstand einer sehr eingehenden Discussion, an welcher sich R. Virchow, R. Hartmann, A. Nehring, H. Brugsch und W. Schwarz betheiligten. Es waren hier also der Naturforscher wie der Aegyptologe und der Mythen- forscher vertreten. Zunachst sei aus dem Mittheilungen H. Brugsch's hervorgehoben, dass die Katze in Aegypten nicht erst unter der XII. Dynastie (oben S. 457) erscheint, sondern bereits in den »Inschriften der neu geoffneten Pyramiden aus der Zeit der V. und VI. Dynastie (angeblich unter der Be- zeichnung miu, weiblich miu-f) vorkommt.« R. Virchow 'fasst die Haupt- ergebnisse seiner Untersuchungen in folgenden vier Satzen zusammen: 1. Von den von Herrn Naville (dem Entdecker jenes Katzenfriedhofs in Bubastis) fiir Herrn Virchow gesammelten Knochen aus »Katzengrabern« von Bubastis gehort die grosse Mehrzahl zweifellos Wildkatzen und Ichneumonen an. Da- gegen ist kein einziger Knochen von Fells domestica mit Sicher- heit constatirt worden. 2. Die alten Wandgemalde lehren, dass ge- /ahmte Wildkatzen und Ichneumonen von den Aegyptern als Jagdthiere, ahnlich wie Lowen und Leoparden, benutzt wurden. 3. Es ist ein stren- ger Unterschied zwischen bloss gezahmten und wirklich domes- ticirten Thieren zu machen. 4. Die altagyptischen Katze n waren gezahmte Wildkatzen. Fiir die Annahme einer wirklichen Do- mestication derselben fehlen vorlaufig die Thatsachen.— Virchow be- streitet demnach auch die agyptische Herkunft unserer Hauskatze, die vielleicht aus Asien oder gar aus Europa stamme, und glaubt namentlich durch die Ergebnisse seiner Forschung die Thatsache zu erklaren, dass die Hauskatze

Viet. Hohn, Kulturpflanzcn. 7. Aufl. 30

466 Die Katze.

im Abendland so spat erscheint, was bei der engen Verbindung Aegyptens mit dem Abendlande sonst nicht begreiflich ware. Sicher ist jedenfalls, dass die gezahmte Wildkatze in dem alten Aegypten als Jagdgenosse des Menschen eine sehr bedeutende Kolle spielte. Mehrere Gemalde aus Theben stellen die Felis pianiculata auf der Gefliigeljagd in den Papyrus- und Lotossumpfen des Nils dar (vgl. Hartmann a. a. 0. S. 555), und es ist daher ein edit agyp- tisches Motiv, wenn auf einer Dolchklinge aus Mykenae die Katze in eben dieser Eigenschaft, von Papyruspflanzen umgeben dargestellt wird (vgl. Mittlg. des Instituts v. Athen VII. T. 8). Sollten auf den Mtinzen von Taras und Khegion aus dem Ende des V. Jahrh. v. Chr. (vgl. oben S. 461 und Imhoof- Keller S. 7) wirklich Katzen abgebildet sein, so wurde vielleicht ebenfalls an jene Verwendung des Thieres als Jagdgenosse des Menschen zu denken sein.

Eine gewisse Vermittlung zwischen der Anschauung Virchow's und der oben von H. vorgetragenen stellen die Ausfiihrungen A. Nehr ing's dar (a. a. O. S. 558 ff.). Nach ihm stammen die jetzt in Europa vorkommenden Hauskatzen theils aus Asien, theils und zwar hauptsachlich aus Nordost- Afrika, eben von der Felis maniculata Riipp. ab. Diese sei nach Europa ein- gefiihrt worden und habe in vielen Gegenden, namentlich in Deutschland Kreuzungen mit der europaischen Wildkatze erlitten; denn es sei unrichtig (oben S. 457), dass die Hauskatze nicht verwildere, im Gegentheil habe die- selbe eine grosse Neigung zur Ruckkehr in den Naturzustand. Daneben seien in Aegypten noch andere grossere und starkere Katzen-Species ab- gerichtet worden; aber eine dauernde Domestication sei nur bei der Felis' maniculata gelungen. Hinsichtlich der Katzen von Bubastis, deren Alter weit ^uruckgehe, giebt er die Ansicht Virchow's zu. Fur die spateren Fundorte wie Beni-Hassan und Siut nimmt er jedoch an, dass hier die Katze in einem mehr oder weniger vorgeschrittenen Zustand der Domestication gelebt habe. Auch ist nach F. Lenormant Zoologie historique. Sur les animaux employes par les anciens Egyptiens a la chasse et a la guerre (Comptes rendus des sciences T. LXXI S. 66) auf agyptischen Bildwerken bereits der hausliche Kampf von Katzen mit » Ratten « (oder sind es nicht vielmehr Mause? sonst ware in Aegypten die Anwesenheit der Ratte viel frtiher als in Europa bezeugt) wiederholt dargestellt.

Um das spate Auftreten der Hauskatze in Europa zu erklaren, bliebe dann nur die Berufung auf die grosse Heiligkeit des Thieres, die dem Export im Wege stand, tibrig.

Ueber das erste Erscheinen der Hauskatze in den klassischen Landern hat K. Sittl in Wolfflin's Archiv V. 133 ff. gehandelt. Er mochte sogar in der oben S. 462 angefuhrten Stelle des Palladius noch nicht die zahme Hauskatze erblicken, sondern deutet die catti vielmehr auf Frettchen, die die spanischen Bauern benutzt hatten, um Maulwtirfe (talpa) auszugrabeii. Sicher ist jedenfalls, dass cattus, catta auf romischem Boden auch fiir wilde katzenahnlichen Thiere gebraucht wurde (vgl. Sittl a. a. O. S. 134). In den lateinischen Glossen (vgl. G. Goetz Thesaurus 1, 190) werden diese Worter mit atXoupos, alXoopic, tyv£U|j.u>v, einmal auch mit ags. merth (Harder) wiedergegeben. Bezeichnend hierfiir ist auch ein neben cattus Katze liegendes zweites cattus (vgl. Du Cange II 2), welches ein Kriegswerkzeug , eine Art von Lauf- ganghutten bezeichnete, unter derem Schutze man sich den feindlichen Mauern

Die Katze. 467

naherte. Diese Kriegsinaschine findet sich schon bei dem Kriegsschriftsteller Vegetius, der auch sonst Barbarismen zeigt (burgus, drungus), erwahnt. Es heisst lib IV, cap. 15 nach der wahrscheinlichsten Lesart: vineas dixerunt veteres, quas nunc militari barbaricoque usu cattos vacant. Dem nach batten diese Laufganghiitten schon im IV. Jahrhundert catti gehiessen, wobei man natiirlich auch eher an ein wildes Thier (vgl. cuniculus und musculus), als an unsere zahme Hauskatze denken wird. Die erste sichere Spur der Hauskatze findet Sittl erst in der Biographic des Papstes Gregors des Grossen von dem Diacoii Johannes (urn 600): Nihil in mundo habebat praeter unam cattam, quam blandiens crebro quasi cohabitatricem in suis gremiis refovtbat. Von nicht geringerer Bedeutung ist aber eine zweite ungefahr derselben Zeit angehorige Stelle aus des Euagrius Historia ecclesiae VI Cap. 23 (vgl. oben S. 462). Hier wird von dem Saulenheiligen Symeon folgendes erzahlt: avrj^O-fj xatoc TOV xiova ama<; TOiaaSe. eti cjuxpov xojuS-/] TYJV YjXiv.iav ayouv, xoopiCcuv TS xai dXXojAevoi; ava TOC? xoXcuva? TOO opoo<; fttpttgtt, xal TrepiTO^wv irdpSa) TU> &Y]pi(i> TYJV £U>VY|V rcepl a6)(sva (3dXXst, xal ex £or?]po<; ^ft, TY]<; cpuosco? imXaO-ofxevov, xal dva TO olxetov ^ffltft cppovTcatYjptov. ortsp ecupaxax; 6 TOUTOV jxa^Teocuv aOtoi; erci TOO xiovoi; SOTOX:, TI av EIYJ TODTO. 6 8s ecprj aiXoupov elvat, YJV xatTav 4] oov^'Q-eta Xeyst-

-cv Te/cfxfjpdjjievoc; TTYjXixo? eatai TYJV &pETY]v, eicl TOO xiovo^ 6tvYjYaY£V* Der fromme Knabe fiihrte also den Panther wie ein zahmes Hauskatzchen an einem Halsband umher und bezeichnet das Thier als einen aiXoopoc, den man fur ge- wohnlich (vulgo) xdrca nenne, woraus wir zugleich lernen, dass der letztere Ausdruck mehr in den unteren Schichten als in der guten Sprache lebte.

Wo aber ist nun der Ausgangspunkt des Wortes cattus zu suchen? Die oben S. 462 angefiihrte Deutung ist nicht annehmbar, da die an dieser Stelle angenommene Entstehung von cattus aus catulus lautgeschichtlich unmoglich ist. Wohl aber diirfte cattus, catta in den nordeuropaischen Sprachen wurzeln. Hier ist zunachst ein urkeltisches *kattd, * katto-s anzusetzen, aus dem die historischen Formen altir. cat, cymr. cath, corn, hat, bret. caz durch alte Lautwandlungen hervorgegangen sind, und auch sonst fehlt es nicht an An- zeichen fur das uralte Vorhandensein dieses Wortes auf keltischem Boden (vgl. Thurneysen Kelto-Komanisches S. 62, Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 67). Dieselbe Sippe kehrt, wie ahd. kazza, mhd. katze, mnd., mndl. altfries. katte, altn. kottr, schwed. katt, katta, dan. kat, ags. catte (vgl. Palander Althochdeutsche Tiernamen S. 52) zeigen, in alien germanischen Mund- arten mit Ausnahme des Gothischen wieder, wo es, da Katzen in der Bibel nicht vorkommen, naturgemass nicht belegbar ist. Dazu weisen mittelengl. chitte, nhd. kitze, nord. ketlingr, die in Ablautsverhaltniss zu chazza zu stehen scheinen, und die uralte ahd. Maskulinbildung chataro (vgl. F. Kluge in Paul und Br. B. XIV, 585) sehr alterthiimliche , kaum auf Entlehnung hindeutende Bil- dungen auf.

Dies zusammengenommen mit den obigen Ausfuhrungen iiber cattus »Laufganghiitte« (usu barbarico) macht es wahrscheinlich, dass cattus, catta Katze im Lateinischen ein keltisch-germanisches Lehnwort ist, das, wie der Name des Marders (Bezzenbergers B. XV. S. 130), des Dachses, des Bibers (biber) vgl. aus friiherer Zeit ate, urus, vison und ferner die oben S. 375 besprochenen Ausdrucke der Falkenjagd auf romanischen Boden iiberging und hier allmahlich zur deutlicheren Ben,ennung der mehr und mehr bekannt

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468 Die Katze.

werdenden Hauskatze benutzt wurde. Natiirlich hatte das Wort im Norden von Haus aus die wilde Katze oder ein anderes katzenartiges Thier benannt,. und mit Recht hat W. Schwartz (a. a. O. S. 462) darauf hingewiesen, dass die oben S. 464 genannten mythologischen Vorstellungen der Germanen zu- nachst an einem solehen hafteten. Vgl. noch B. Placzek, Wiesel und Katze (Sonderabdr. a. d. XXVI. B. d. Verb. d. naturf. Vereins in Brtinn) 1888 und E. Hahn Die Hausthiere S. 237 ff.

Was das ahd. rato, ratta, mhd. raize betrifft, das aus den slavo-lit. Wortern (oben S. 463) nicht abgeleitet werden kann, so ist eine sichere Er- klarung noch nicht gefunden. Nach Ascoli (vgl. Palander a. a. 0. S. 74) ware von den romanischen Formen ital. ratio (nach A. aus lat. rapidus schnell, flink), span. ptg. rato, frz. rat auszugehen, so dass Wort und Thier aus Italien stammten. Ueber die keltischen Worter bret. raz , mtlir. rata, neuir. gal. raddn vgl. Thurneysen, Kelto-Rom. S. 75. In den romanischen Sprachen begegnet ausser frz. rat, it. ratio, venetianisch pantegdna, friaul. pantiane, das Ascoli als Fettwanst, O. Keller, Lat. Volksetymologie S. 318 als »pontische Maus< deutet.

Ueber das Alter des Hamsters in Europa besitzen wir jetzt eine be- sondere Arbeit A. Nehrings: Ueber pleistocane Hamster-Reste aus Mittei- und Westeuropa (Jahrbuch d. K. K. geol. Reichsanstalt 1893, 43. Band,. 2. Heft). Hiernach erstreckt sich das heutige Verbreitungsgebiet des ge- meinen Hamsters von den Vogesen und den ostlichen Theilen Belgiens durcb Deutschland, Oesterreich Ungarn, das mittlere und siidliche Russland bis in das siidliche Westsibirien hinein. »In Deutschland liebt der gemeine Hamster gewisse Distrikte, z. B. die Provinz Sachsen und die angrenzenden Theile des- Herzogthums Braunschweig, soweit sie unbewaldet sind. In anderen Gegen- den Deutschlands kommt er nur selten vor, wie z. B. in Oberschwaben, in noch anderen z. B. in Westfalen, Provinz Posen, West- und Ostpreussen fehlt er vollstandig. Die iiordischen Lander Europas (Danemark, Skandinavien,. Nordrussland) werden von dem Hamster nicht bewohnt; ebenso fehlt er heut- zutage westlich und sudwestlicb von der oben angegebenen Grenze , also in Holland, dem grossten Theil von Belgien, in Frankreich.« Auch in Siideuropa kommt der Hamster nicht vor. Auf seinem heutigen Verbreitungs- gebiet aber ist das zu den sesshaft lebenden Nagern gehorige Thier nach Ausweis seiner fossilen Reste schon wahrend der Quartar- oder Diluvial -Z eit heimisch gewesen, ja es hat in der Pleistocanzeit eine weitere Verftreitung nach Westen und Siid- westen (Frankreich, Schweiz, Oberitalien) als gegenwartig gehabt. Die Ansicht Hehns von dem sehr spaten Eindringen des Hamsters in Europa (oben S. 463) wird daher von N. als unrichtig zuruckgewiesen und angenommen, dass der gemeine Hamster schon im Laufe der jiingeren Pleistocanzeit aus Osteuropa nach Mittel- und Westeuropa vorgedrungen sei. Der Einwurf, dass der Hamster wie Frankreich, so auch unser Vaterland (etwa wahrend der grossten Ausbreitung der germanischen Urwalder) ganzlich verlassen haben und erst in historischer Zeit aus dem Osten zuriickgekehrt sein kfaine, wird von Nehring (Tundren u. Steppen, Berlin 1890 S. 201) mit Be- rufung auf zahlreiche subfossile, der Zeit des germanischen Urwalds ange- horige Hamsterreste zuruckgewiesen.

Der Biiffel. 469

Mit den angefuhrten naturwissenschaftlichen Thatsachen stimmt es tiber- ein, dass ein griechischer und lateinischer Name des Hamsters nicht existirt, dass die Franzosen das Thier marmotte d'Allemagne nennen, und dass im Alt- hochdeutschen, Altpreussischen , Litauischen und Slavischen eigene, wenn auch dunkle Nainen des Thieres vorhanden sind. Vgl. dieselben Anm. 91. Was das ahd. hamastro, hamistro betrifft, so 1st zu betonen, dass dasselbe in der alteren Zeit ausschliesslich curculio, Kornwurm bedeutet (vgl. Graff, Ahd. Sprchsch. IV.). Darf man hieraus folgern, dass dies die alteste und einzige Bedeutung von ahd. hamastro war, die auf den Hamster erst iiber- tragen wurde, als das Thier in Folge der Ausrodung der Walder und der Zunahme des Ackerbaues an Bedeutung gewann, so wurde ein Zusammen- hang des deutschen Wortes mit den slavischen Wortern (Anm. 91) sehr un- wahrscheinlich sein.

Auch der Dachs existirte, nach einer brieflichen Mittheilung A. Neh- ring's, in Mittel- und Westeuropa sohon seit der altesten Diluvialzeit. Die Namen des Thieres vgl. Anm. 91.

Der Biiffel.

In Folge der Volkerwanderung vermehrte sich auch die Familie der Kinder, dieses Urthieres der aus der Wildheit sich erhebenden Menschen, um einen aus dem fernen Siiden gekornmenen Verwandten, den schwarzen, tiickisch blickenden, mit machtiger Zugkraft begabten Biiffel. Er lebt jetzt in den feuchten, heissen Malaria -Ebenen Italiens, in deren Schlamm ihm wohl ist und deren giftige Diinste er nicht furchtet: in den toskanischen Maremmen, in den Niederungen der Tibermiindung, in den pontinischen Sumpfen, bei Pastum, in der Basilicata, in den Landes der Gascogne, in manchen Gegenden Un. garns u. s. w. Gleich ungeheuren Schweinen walzen sich die pon- tinischen Biiffel in dem baumhohen Schilfe , beim Geransch des Wagens stillhaltend und den voriiberziehenden Reisenden dumm an- stierend, oder stecken, gesichert vor den Stichen der Bremsen, bis an die Nustern im Schlamme der Siimpfe. Der Biiffel wird benutzt wie das gemeine Rind, zieht den schweren Pflug, den hochgethiirmten Erntewagen, den gewaltigen, mit Steinen beladenen zweiradrigen Karren, liefert Milch und sehr geschatzten Kase (die in Neapel so- genannten muzzarelli) und nach dem Tode das grobe Fell zu dem schwersten derben Leder. Auch im Morgenlande fand Niebuhr dies Thier sehr verbreitet, Beschreibung von Arabien, Kopenhagen 1772, S. 165: »Den Biiffelochsen findet man in den Morgenlandern fast in

470 Der Buffel.

alien sumpfigen Gegenden und bei grossen Fliissen und daselbst ge- meiniglich in grosserer Menge als das gemeine Hornvieh. Die Biiffel- kiihe geben mehr Milch und die Biiffelochsen sind zur Arbeit wenigstens eben so geschickt als die gemeinen. Ich sah Buffel in Aegypten, auf der Insel Bombay, bei Surat, am Euphrat, Tigris, Orontes, zu Scanderone u. s. w. Ich erinnere ruich nicht, sie in Arabien gefunden zu haben, und da ist fur dieses Thier auch zu wenig Wasser. Das Fleisch der Biiffelochsen schmeckte mir nicht so gut als anderes Ochsenfleisch. Es ist barter und grobf asriger. « Wahrend der unaufhaltsame Kulturprocess die koniglichen eigen- willigen, wuthenden Bewohner der europaischen W alder, den Ur und den Bison, bis auf einen geringen Rest vertilgt hat, brachte das Volkergedrange diesen Fremdling von den Grenzen Ostindiens bis an die Siidkiisten Italiens. Dort in Arachosien, nach dem heutigen Kabul zu, kennt Aristoteles einen wilden Ochsen, der der Be- schreibung des Meisters nach kein anderer, als unser heutiger Buffel gewesen ist, anim. 2, 1 (II, 4): ev *Aga%(»Tai<; , OVTTSQ xal ol floss ol aygioi, dcaysQovai, J' ol ayQioi TWV fj/meQwv oaov neg ol vsg ol ayQioe, Ttgog rovg ypfyovg' f,is^av£g vs ydg slat, xal la%vQol TW sl'See, xal emyQVTtoe, , xa tie xsgam £%VTiit,d£ovza s'xovfa fiaMov. Von dort her miissen sich in den folgenden Jahrhunderten die Buffel weiter durch Asien verbreitet haben; in Italien zeigten sie sich zuerst gegen das Jahr 600 nach Chr. unter der Regierung des longobardischen Konigs Agilulf, Paul. Diac. 4, 11: tune primum caballi silvatici et bubali in Italiam delati Italiae populis miracula fuerunt93). Wir miissen dem longobardischen Monche f(ir diese Nachricht dankbar sein, denn wie selten lassen sich die Geschichtsschreiber, die mit Kriegsziigen und Thronstreitigkeiten alle Hande voll zu thun haben, herab, uns einen kulturhistorischen Brocken zuzuwerfen, batten aber doch etwas nahere Auskunft gewiinscht. Waren diese bubali etwa die uri und bisontes der europaischen Walder? Schwerlich, denn diese mussten doch schon viel und oft in Italien gesehen word en sein und hatten weder bei Romern noch bei Longobarden Verwunderung erregt. Wenn es aber wirkliche Buffel waren, woher und auf welchem Wege kamen diese Bewohner warmer Landstriche in das ferae, kalte Europa? Zu Schiffe konnten sie nicht -eingefiihrt sein. Da sie in Gesellschaft wilder Pferde erschienen, so scheint uns wahrscheinlich, dass sie ein Geschenk des Chans der Awaren an den Longobarden- konig waren ; denn dies Nomadenvolk tiirkischen Stammes, das damals an der Donau hauste und in furchtbaren Verheerungsziigen das

Per Biiffel. 471

romische Reich heimsuchte, stand mit dem longobardischen Hofe in freundlichen Beziehungen. Schickte Konig Agilulf dem Chan der Awaren Schiffsbaumeister, die ihm die Fahrzeuge zur Eroberung einer Insel in Thrakien stellten, so konnte Jener wohl Produkte aus dem Herzen Asiens als Gegengabe bieten. So sind die schwarzen, nackten, schwerwandelnden Biiffel, die in so charakteristisch asiatischer Weise von fluehtigen Hirten zu Pferde mit der langen Pike im Steig- biigel umkreist und in Ordnung gehalten werden, noch lebendige Zeugen jener furchtbaren Zeiten, wo die unermessliche ostliche Land- masse, mit der die Halbinsel Europa ohne andere Schutzwehr als die Entfernung zusammenhangt, ihre Horden ausspie, um wo moglich alle Menschlichkeit , das Werk und den Gewinn langer veredelnder Arbeit, bis auf die Wurzel zu vertilgen. Dass die ganzen und halben Nomaden, die sich in dem schonen, fruchtbaren, einst hochkultivirten Pannonien wechselweise lagerten und verdrangten, neue Rindvieh- racen mitbrachten und vielleicht vortheilhaftere , als das Alterthmn sie aus der Ueberlieferung der Vorwelt besass, lag in der Natur der Dinge; eben so dass diese auch in Italien einwanderten und ihren Stamm daselbst behaupteten, nachdem die Volkerwoge, die sie herbei- getragen hatte, langst abgeflossen war. Die dreifache Race der siid- russischen Steppen, einer klassischen Rindviehgegend, ist ein Nieder- schlag von eben so viel Nomaderi-Einbruchen. Der sogenannte ukrainische oder podolische oder ungarische Ochs, gross, grauweiss, hochbeinig, langgehornt, reich an Talg und Fleisch, das Zugthier der Lastwagen und Frachtf uhren , die die Steppe oft hunderte von Wersten weit durchziehen, findet seinen Verwandten in der siidlich vom Po durch Mittelitalien herrschenden grossen weisslichen Art mit den langen von einander abstehenden Hornern, die auch nach Spanien und Algier iibergegangen ist. Da schon Varro sagt 2, 5, 10: albi in Italia non tarn frequentes, quam qui in Thracia ad fis^ava %6A,7TOi>, ubi alio color e pauci, so konnte dies das skythische Vieh gewesen sein, gekommen mit den iranischen Weidevolkern und durch Gothen oder Longobarden nach Italien verschlagen. Eben daher wurde die euboische Race stammen, die gleichfalls weiss war, Ael. h. a. 12, 36: xal Iv Evflolg. 6s 01 posg fovxol TIXTOVTCU (T/f^ov TtdvTsg, i'v&sv xot, xal dgyCpoiov Sxdhovv ol noirpal T^V Evfiocctv, denn Euboa stand friihe mit Thrakien und iiberhaupt dem Norden in Verbindung. Indess ist das skythische Vieh bei Herodot xotov und bei Hippo- krates xsgeog aisQ und gleicht also dem kleinen germanischen, dem nach Tacitus die Glorie der Stirne fehlt. Vielleicht also ist der

472 Der Btiffel.

zweite siidrussische Schlag, das kleinere, rothe, eigentliche Steppenvieh, ein Abkommling jener altskythischen Heerden , wahrend die dritte Race, das sogenannte kalmukische Vieh, wie der Name sagt, die tatarischen oder gar erst die mongolischen Horden in den Westen begleitet hat. Im Italien des Varro war die gallische (also mit den Galliern eingezogene?) Race vorzuglich zur Feldarbeit geeignet, in dem des Plinius gait das kleine , unansehnliche Alpenvieh fiir das milchreichste, 8, 179 : plurimum lactis Alpinis quibus minumum cor- poris, wie auch bei Columella 6, 24, 5 die Altinischen Kiihe im Veneterlande humilis staturae, lactis abundantes waren. Noch zu des Ostgothen Theodorich Zeit war das tyrolische Vieh klein aber kraftig; als die Alemannen, von dem Frankenkonig Chlodwig aufs Haupt geschlagen, auf gothischem Gebiet Schutz suchten und zum Theil in Italien angesiedelt werden soil ten, da waren die Rinder der Fliicht- linge von der langen eiligen Wanderung ermudet und konnten nicht Aveiter, und der Konig befahl den norischen Provincialen, die grossen alemannischen Thiere gegen ihre kleinen einzutauschen, womit beiden Theilen geholfen sein werde, Cassiod. Varr. 3, 50:

Provincialibus Noricis Theodor. R decrevimus, ut Alaman-

norum boves, qui videntur pretiosiores propter corporis granditatem, sed itineris longinquitate defecti sunt , commutari vobiscum liceat, minor es quidem membris, sed idoneos ad labor es: ut et illorum profectio sanioribus animalibus adjuvetur et vestri agri armentis grandioribus instruantur. Itaque fit ut illi acquirant viribus robustos, vos forma conspicuos. Der grosse alemannische Schlag konnte von den gallisch-romischen Ansiedlern innerhalb des limes herriihren, deren Stadte und Hofe die Alemannen erst beraubt und verheert und dann in Besitz genommen hatten. Das homlose Vieh ist jetzt in Deutschland iiberall durch die Kultur ausgerottet, findet sich aber noch in Skandinavien , von wo es durch den Verkehr des Mittelalters auch in die Gegenden am weissen Meer gekommen ist. Das alteste europaische Rind mag zur Zeit der Romer noch in dem ligurischen erhalten gewesen sein, welches fiir schwachlich und elend gait (Varro nennt die dortigen Ochsen nugatorii), und dessen Reste wir vielleicht noch aus dem Grunde der Pfahlbauten ans Licht schaffen. In den Rindviehracen, deren Vertheilung und Ankunft in Europa ist noch viel zu untersuchen und vielleicht zu finden. Dass unser zahmer Ochse von dem Auerochsen der Urzeit stammt, leidet keinen Zweifel, aber die Zahmung geschah schwerlich auf europaischem Boden.

Der Hopfen. 473

** Ueber das Rind der Pfahlbauten vgl. Riltimeyer, Die Fauna der Pfahlbauten S. 130 ff. Einen Ueberblick ttber den gegen wartigen Stand der naturwissenschaftlichen, den Ursprung der Rindviehracen betreffenden Fragen •erhalt man durch A. Otto, Zur Geschichte der altesten Hausthiere, Breslau 1890 S, 61 ff. Ein Anlass, auf diese Dinge hier einzugehen, liegt nicht vor. Von historischem Standpunkt handelt iiber Auerochs, Urusstier und Biiffel O. Keller, Thiere des klassischen Alterthums, Innsbruck 1887 S. 53 65.

Der Hopfen.

(Humulus Lupulus L.)

Der grosse Lin no behauptete im Jahre 1766 (in einer der in die Amoenitates academicae aufgenommenen Dissertationen, T. 7, diss. 148: necessitas historiae naturalis Rossiae, § 11) unter anderen Kiichengewachsen , wie Spinacea oleracea, Atriplex hortensis, Ar- temisia dracunculus u. s. w. , sei auch der Hopfen zur Zeit der Volkerwanderung hinten weit aus Russland in das eigentliche Europa eingewandert : ignotae fuere veteribus et introductae seculis barbaris, dmn Gothi nostrates occupabant Italiam, qui sine dubio •secum attulere in Italiam plantas suas oleraceas et culinares Dass •der Hopfen jetzt an Hecken und in Waldern wild wachst, ware keine Instanz gegen diese Vermuthung: ein soviel angebautes Ge- wachs, vorausgesetzt , dass Kliina und Boden ihm sonst zusagten, konnte als Fluchtling den Weg leicht auch in solche Gegenden linden, wo es vorher nie von Menschenhand angepflanzt worden. •Gewiss sind nur folgende drei Satze: 1) dass die Alten nie von einer ahnlichen Pflanze gehort batten, deren Bliiten einen angenehmen ^usatz zum Biere geben; 2) dass die Denkmaler des friihesten Mittelalters, in denen das Bier und die Produkte siidlicher Garten oft genannt werden, nirgends bei solcher Gelegenheit des spater so unentbehrlicheii Hopfens Erwahnung thun; endlich 3) dass in manchen Landern Europas,. wie England und Schweden, der Gebrauch, Hopfen zum Biere zu thun, erst gegen Ausgang des Mittelalters oder gar erst im Laufe des 16. Jahrhunderts auftritt und allmahlig allgemeiner wird.

In der lex salica und in den Verordnungen Karls des Grossen suchen wir vergeblich nach einer Andeutung dieser Pflanze und ihres Anbaues; eben so wenig nennt sie kurz vor der Mitte des 9. Jahr- hunderts der Oberdeutsche Walafridus Strabo in seinem hortulus.

474 Der Hopfen.

Um dieselbe Zeit aber tauchen aus anderen Gegenden die ersten Spuren derselben auf. In einem Schenkungsbriefe des Konigs Pipin, Vaters Karls des Grossen, vom 17. Jahr seiner Regierung an die Abtei St. Denys (bei Doublet, histoire de 1'abbaye de S. Denys, Paris 1625, 4°, p. 699) vergiebt der Konig dem Stifte Humlonarias cum integritate, worin man das mittellateinische humlo der Hopfen finden kann; indess ist dies dort ein Eigenname neben vielen anderen, den eine Oertlichkeit oder ein Besitzthum fiihrt, und die Lautahn- lichkeit ist vielleicht nur zufallig. Aber in dem Polyptychon des Irmino, Abtes von St. Germains-des-Pres , das in den ersten Jahren des 9. Jahrhunderts, noch vor dem Ableben Karls des Grossen auf- gesetzt ist, werden haufig Zinsabgaben von Hopfen erwahnt, der in dem Text humolo, humelo, umlo, zwei Mai auch fumlo, genannt wird (s. Guerard, Polyptyque de 1'abbe Irminon, Paris 1844, 4°, 1, 2,. p. 714). Nur wenige Jahre spater werden in den Statuten des Abtes- Adalhardus von Corvey vom Jahre 822 (bei d'Achery, Spicilegium> Paris 1723, fol., T. I!, Statuta antiqua abbatiae S. Petri Corbeiensis> lib. 1, cap. 7, p. 589) die Miiller von der Arbeit mit Malz und Hopfen oder von der Lieferung des letzteren befreit: et ideo nolumus ut (molinarius) ullum dlium servitium nee cum, carro nee cum caballo nee manibus operando nee arando nee seminando nee messes vel prata cottigendo nee braces faciendo nee humlonem nee ligna sol- vendo nee quidquam ad opus dominicum faciat. In den Urkunden des Stifts Freisingen (bei Meichelbeck, Historia Frising. I, Pars in- strumentaria) kommen schon zur Zeit Ludwigs des Deutschen in der Mitte und der zweiten Halfte des 9. Jabrhunderts nicht selteii Hopfen- garten, humularia, vor, die also auch in jener oberdeutschen Gegend schon Brauch geworden waren. In den folgenden Jahrhunderten wird der Hopfenbau immer allgemeiner in Deutschland, und je weiter in der Zeit, desto haufiger erscheint die Steuer an Hopfen in Zins- biichern und der Hopfengarten unter den Bestandtheilen der durch Kauf oder Schenkung in andere Hand iibergehenden Grundstiicke. Die Pflanze ist der Aebtissin Hildegard, dem Albertus Magnus be- kannt, ihr Anbau so verbreitet, dass er dem Sachsenspiegel, Schwaben- spiegel u. s. w. Anlass zu ausdriicklichen Rechtsbestimmungen giebt. Auch in den Gegenden mit slavischer Bevolkerung, Schlesien, Bran- denburg, Mecklenburg, ist seit der Zeit, wo sie uns naher bekannt werden, die Hopfenabgabe ganz gebrauchlich , wie eine fliichtige- Durchsicht der einschlagenden Urkundenbiicher lehrt. Nach Stenzel,. Geschichte Schlesiens, 1, 301, findet sich die erste Erwahnung, dass

Der Hopfen. 475

Hopfen in Schlesien angebaut wurde, im Jahre 1224. In Folge der Beimischung dieses bitteren Aromas wurden die Biere haltbarerr konnten weit verfahren werden und bildeten allmahlig den Gegen- stand lebhafteri Binnenhandels zwischen den Braustatten und ent- legenen Consumtionsbezirken. Besonders Flandern und Norddeutsch- land enthielt solche wegen des Hopfenbieres beruhmte und durch Bierhandel sich bereichernde Stadte. Unter den ersteren ragte z. B, Gent hervor, dessen biirgerliche Bierbrauer, die beiden Arteveldt, Vater und Sohn, es rait Konigen aufnahmen, unter den letzteren z. B. Eimbeck; der baierische Name Bockbier, eine Verstiimmelung aus Eimbeck-Bier, erhaltnoch das Andenken daran (Schmeller, 1, 151 f., der noch von einer lacherlichen Fortzeugung des Irrthums berichtet: »als Gegenstiick zu diesem starker stossenden Bock ging, besonders aus den Brauhausern der Jesuiten, die etwas sanftmuthigere Gaiss- hervor.«) Wie spat verbal tnissmassig der Hopfen aus Deutschland in die Nachbarliinder gekommen, lehren die Belege und Ausfiihrungen bei Beckmann, Beytrage 5, 222, nacb England z. B. nicht vor Hein- rich VIII. und Eduard VI. Von Alters her waren andere Zusatze iiblich gewesen, Eichenrinde, Baumblatter, bittere Wurzeln, wilde Krauter mancherlei Art, in Schweden z. B. die Schafgarbe, Aehillea millefolium, oder die Pflanze, die dort Pors, in Deutschland Porsch, Porst, Post, Ledum palustre, genarmt wird. Dass schon zu Hecataus' Zeit die Paonier in Thrakien eine Art Bier mit Zusatz von xovvfy brauten, ist bei friiherer Gelegenheit bemerkt worden (S. 145); aber was die Paonier in so hohem Alterthum unter cony 'Z a verstanden fur die spatere Zeit deutet man diesen Nam en als Erigeron viscosum, Inula viscosa oder graveolens u. s. w. lasst sich natiirlich nicht mehr ausmachen.

War aber die Pflanze wirklich erst durch die Volkerwanderung ins westliche Europa gekommen, und wo wurde sie zuerst zur Wurze des Bieres verwandt? Da die Geschichte uns die Antwort versagt^ so sind wir auch diesmal genothigt, mit Gegeniiberstellung der Namen in den verschiedenen Sprachen uns zu helfen. Aber auch diese scheinen uns diesmal nur necken und in die Irre fiihren zu wollen. Halbe Uebereinstimmungen , mogliche Uebergange locken zur Ver- kniipfung an; Unsicherheit gebietet, dieselbe wieder fallen zu lassen; entschliesst man sich, einen Ausgangspunkt zu fixiren, so spinnt sich von daher der Faden leidlich fort, aber eben so wohl liesse sich auch das letzte Glied zum ersten machen und der Wanderung und Entwickelung des Wortes die umgekehrte Richtung geben.

476 Der Hopfen.

Die einfachste Form, die man desshalb versucht ist, an die Spitze zu stellen, ist das niederdeutsche und niederlandische hoppe, hop der Hopfen. Es kommt schon in den Glossen des Junius bei Nyerup, Symbolae ad lit. teuton, antiquior., vor, die von Graff ins achte bis neunte Jahrhundert gesetzt werden: hoppe timalus (ver- schrieben oder verlesen statt humalus?), feldhoppe bradigalo (bryonia? wof iir merkwiirdiger Weise bei Dioscor. 4, 182 ein dakisches TiQiadr^Xo). Dass dies hoppe, wie Weigand im Worterbuch vermuthet, selbst erst aus mittellat. hupa entstanden sei, hat keine Wahrscheinlichkeit ; hupa findet sich nach Du Cange nur in einer Quelle, die selbst dem Boden der Niederlande angehort, und ist schwerlich mehr als Latini- sirung des deutschen Wortes. Eine Etymologic liesse sich in dem Verbum hiipfen, hoppen, finden; aber eine von Ast zu Ast sprin- gende Pflanze stntt einer rankendeii scheint keine naturliche Vor- stellung und Benennung. Doch welches auch seine Herkunft sei, aus diesem hoppe entstand eine Verkleinerungsform mit hinzutretendem I, aus der sich das franzosische houblon fur houbelon, so wie das mittel- lat. hubalus (bei Kleinmaryn, Juvavia, Diplomatischer Anhang, S. 309 ; duos modios hubali) erklart. Weiter in Italien, wo die Pflanze weder angebaut noch gebraucht wurde, verwuchs der fremde Name mit dem Artlkel zu dem italienischen lupolo, luppolo, aus welchem Vulgarwort dann im spatern Mittellatein das gerade bei italienischen Schrift- stellern auftretende lupulus der Hopfen entstand. Bei der Abhangig- keit der mittelalterlichen Botanik von der gleichsam mit kanonischem Ansehen bekleideten griechisch-romischen Literatur suchte man nach einem ahnlich klingenden Pflanzennamen bei den Alten und fand ihn auch glucklich bei PJinius 21, 86: secuntur herbae sponte nascentes quibus pleraeque gentium utuntur in eibis .... In Italia pau- cissimas novimus, fraga, tamnum, ruscum, batim marinam, batim hortensiam, guam aliqui asparagum gallicum vacant, praeter has pastinacam pratensem, lupum salictarium, eaque verms oblectamenta quam cibos. Also: wildwachsende, zur Speise dienende Pflanzen giebt «s in Italien wenige, darunter auch ein im Weidengebiisch wachsender lupus; doch gewahren sie mehr eine Art Naschwerk oder Delikatesse, als eine Nahrung. Vielleicht ist dies derselbe lupus, den Martial 9, 26, 6 erwahnt:

Appetitur posito vilis oliva lupo -

d. h. wenn uns lupus vorgesetzt wird , verlangen wir nach der ge- meinen Olive; der lupus war also eine nicht geschatzte Wiirze der Tafel. Dass er eine rankende Pflanze gewesen, -ist nicht gesagt, und

Der Hopfen. 477

wenn der Name sich nicht zum mittellateinischen lupulus halten liesse, wiirde Niemand auf den Hopfen gerathen haben. - - Bei dem leichten Uebergange des &, p in m, zumal vor folgendem I, ent- wickelte sich aber aus hupa, hubalus, hubelo auch ein mittellateini- sches humlo humulus und dies ist seit dem Ende des achten Jahr- hunderts der gewohnlichste und am weitesten verbreitete Ausdruck, der mit dem Hopfen selbst nach Norden und Osten wanderte. Alt- nordisch wurde daraus humall, finnisch und estnisch humala, liumal, bei alien Slaven chmeli, chmeli, magyarisch Icomlo , neugriechisch %ov[ieh, walachisch hemeju u. s. w. So wiirde das Wort selbst in seinen Transformation en. auf Ausgang der Sitte vom Niederrhein welsen ; die deutschen Franken oder schon die keltischen Belgier waren die Erfmder des bitteren Trankes und Linnes Hypothese er- gabe sich als grundlos.

Wie aber, wenn vielmehr das slavische chmeli das Grundwort, der Ahnherr aller iibrigen Namen ware? konnte es nicht in slavi- scher Lautbildung (ch fur s) das griechische apttaZ, Gftlkog sein, welches zwar nicht unser Hopfen, aber doch eine rankende Pflanze ist (bei Theophrast STraAAoxavAog und ftoTQvwdrjg, von Hesychius er- klart: xiTtosideg (pvwv shiffffoftevov' EQTISC de del rrgog TO vipos, bei Diodor 20, 41 mit dem Epheu zusammengestellt: xinxp xai (ffiC^axt) und zugleich eine rauhe (o;at7a^ TQa%sZa bei Dioskorides)? Be- ach tenswerth ist die allgemeine Bedeutung Berauschung, Trunken- heit, und in den abgeleiteten Formen sich berauschen, trinken u. s. w., die das Wort bei den Slaven hat. Diese Bedeutung ist sehr alt, wie aus einer merkwiirdigen Stelle des Zonaras vom Jahre 1120 hervorgeht (in den not. ad. canon. Apostol. 3 bei Beveregius. Pand. can. t. 1. p. 2). GIXSQO, de ititi rtav TO avsv olvov jasOr^v sx- notovv, old slffcv a smrridsvovGiv av&QWTtoi, , w<; fayo/mevr] %ov[,i£A,r], xal otfa o[i(og Gxevd&viat,. Hier ist also humeli ein Trank, der ohne Weiri Berauschung bewirkt, wie dasselbe slavische Wort auch heute noch auf den Branntwein und die Wirkungen desselben ange- wandt wird. Auf eine noch altere Zeit, als die des Zonaras, deutet eine sprichwortliche Formel bei dem Chronisten Nestor. Als Wla- dimir im Jahr 6493 (d. h. 985 nach Chr.) gegen die Bolgaren an der Wolga, welche Stiefel trugen, gezogen war und sie besiegt hatte, rieth ihm Dobrynja: Lassen wir die Stiefeltrager , von denen wir keinen Tribut erzwingen werderi, und wenden wir uns gegen die Bastschuhtrager. Da machte Wladimir Frieden mit den Bolgarenr den diese so lange zu halten versprachen, »bis der Stein beginnen

478 Der Hopfen.

wird oben zu schwinimen, das Hopfenblatt aber zu Boden zu sinken.« Auch in den russischen Hochzeitsgebrauchen hat der Hopfen seine Stelle, jetzt wie im 15. Jahrhundert, und gewiss noch friiher: als Helena, die Tochter Iwans III. Wassiljewitsch, in Wilna mit dem Grossfiirsten Alexander von Litauen getraut wurde, flochten ihr die Bojarinnen in der Kirche zur Mutter Gottes den Haarzopf los, setzten ihr die Kika (Kopfputz in Gestalt einer Elster) aufs Haupt und uberschiitteten sie mit Hopfen (s. Karamsin, Band 6). Auch hier bedeutete der Hopfen Berauschung, Frohlichkeit , Fulle des Guten. Brachten somit die Slaven ihr Gewachs nach Deutsch- land und wurde der slavische Name desselben von den Deutschen •adoptirt, so ergab sich daraus das lateinische humulus und in wei- ierer Umgestaltung die Formen mit 6 und p.

Nach einer dritten Ableitung konnte der lupus des Plinius und Martials sein I, welches als Artikel genommen wurde, in Frankreich verloren haben und dann durch Anlehnung an Hiipfen (wie ans upupa durch Volksetymologie niederdeutsch der Hophop, hoch- deutsch der Wiedehopf entstand) zu hoppe geworden sein. Schon Ducange war der Meinung, humulus sei eine aus lupulus hervor- gegangene jiingere Form. Zur Bestatigung liesse sich anfiihren, das lupus, eben dieses Namens wegen, eine bittere Pflanze gewesen sein muss, wie auch lupinus, die Wolfsbohne, nach eben dieser Eigen- schaft benannt ist und schon in Aegypten dem Biere zugesetzt wurde (s. die Verse des Columella auf S. 144).

Was man auch fur das Wahrscheinlichste halten mag, dass Hopfen, humulus und chmeli nur Varietaten desselben Wortes sind, ^ntstariden durch Uebertragung von Mund zu Mund, lasst sich nicht wohl leugnen. Das Mittelalter verbreitete die Pflanze und schuf damit erst das eigentliche neueuropaische Bier, welches von dem der Urzeit, das aus Stierhornern getrunken wurde, sich weit unter- «cheidet. Jetzt sind auf dem Kontinent bekanntlich Bohmen und das baierische Franken, ausserhalb desselben besonders England, auch jenseits des Oceans Amerika die Lander, wo nicht bloss der meiste, sondern auch der feinste Hopfen erzeugt wird; der Osten Europas, von wo diese nordische Weinrebe vielleicht herstammt, bringt nur verhaltnissmassig wenigen und diesen von groberer Qualitat hervor. Auch hier also wiirde sich der Fall wiederholen, dass eine Pflanze auf neuem Boden, unter menschlicher Pflege edlere Eigenschaften -entwickelt, die ihr im wilden Stande und in ihrem natiirlichen Vaterlande abgehen94).

Der Hopfen. 479

* Der Hopfen (Humulus Lupulus L.) 1st mit Sicherheit aus tertiaren Ab- lagerungen nicht bekannt; es sind nur Bracteen eines Fruchtstandes mit kleiner Frucht im Pliocan von Meximieux gefunden worden, welche Saporta unter dem Namen. Humulus palaeolupulus beschrieben hat; doch sind diese •Gebilde nicht charakteristisch genug, um jeden Zweifel auszuschliessen. Der Hopfen 1st aber als Bewohner der Gebiische und Walder an Flussufern und durch seine ntisschenartige Friichte von jeher fur die Verbreitung so be- fahigt gewesen, dass kein Grund vorliegt, seine Verbreitung in Europa erst von der Einfuhrung der Kultur her zu datiren. Er findet sich im ganzen gemassigten Asien und Europa ebenso wie auch in Nordamerika; er fehlt jedoch in den arktischen Gebieteii, so in Europa im nordlichen Norwegen, Lappland und dem nordlichen Finnland, iiber 65° n. Br. geht er in Europa nur wenig hinaus.

** Die Namen des Hopfens in Europa zerf alien in vier Gruppen:

1. ahd. hopfo, ndl. hoppe zusammen mit dem wohl sicher hieraus entlehnten frz. houblon (vgl. Korting, Lat.-Koman. W.). Die Herkunft des deutschen Wortes ist dunkel. Hinsichtlich der von Grimm vorgeschlagenen Ableitung aus ahd. hiufo, ags. heope Dornstrauch konnte man an die Ausdriicke Dorn-, Bruch-, Buschhopfen erinnern, die Pritzel - Jessen (a. a. 0.) tiberliefern.

2. Slavisch chmeli zusammen mit den auf S. 477 angefuhrten Wortern, mlat. humlo, humulus u. s. w. Ein Zusammenhang zwischen Gruppe 1 und 2 lasst sich lautlich nicht erweisen. Was slav. chmeli betrifft, auf dessen friihes Vorhandensein auf slavischem Gebiet die Bedeutungsentwickelung des Wortes hinweist (z. B. poln. pochmiel Rausch, oben S. 477), so sind die Akten iiber seine Herkunft noch nicht geschlossen. Die Schwierigkeit der Entscheidung hangt mit unserer noch liickenhaften Kenntniss der Geschichte des anlauten- den ch, h zusammen, tiber die zuletzt G. Meyer, Sitzungsber. d. Kaiserl. Ak. d. W. Wien. Phil.-hist. Kl. 1891 S. 45 ff. ausfuhrlich gehandelt hat. Ist altsl. chmeli mit griech. ojj.iXa| zu verbinden, so konnte, wie dies auch Benfey, Go'tt. Gel. Anz. 1875 S. 212 ff. (Ueber ein Schriftchen Der Hopfen, seine Herkunft und Benennung) annimmt, dieses Verhaltniss nur so erklart werden, dass man ein proethnisches *smilo- in der Bedeutung »rankende Pflanze« ansetzt, welches die Slaven auf den Hopfen, die Griechen auf Smilax aspera (genau von Theo- phrast 3, 18, 11 u. 12 beschrieben) anwendeten. Fur slav. chmeli wiirde so nur folgen, dass es ein altes und echtslavisches Wort ist. Im iibrigen haben beide Pflanzen, ausser dass sie, wie der Wein, die Bohnen und zahlreiche andere Pflanzen, rankende Gewachse sind, nichts mit einander gemein. Auch ist fur die Lautverbindung sin bis jetzt der Uebergang in slav. chm nicht nach- gewiesen. Vgl. im Gegentheil : altsl. smeja s$ lache = scrt. smayate und altsl. smykati s% kriechen = ahd. smiegen (Brugmann, Grundriss I, 440). Eine an- dere Ableitung versucht A. Fick in der vierten Auflage seines Vergleichenden Worterbuchs I, 401, indem er slav. chmett aus ahd. uochumil, uo-chumilo, uo- qemilo ,racetnus, acinus' (vgl. auch Anm. 27) entlehnt sein lasst. Doch auch hier widersetzen sich die Laute, da slav. ch auf dem Wege der Entlehnung wohl aus germanischem h, nicht aber aus ahd. ch, q hervorgehen kann. Die geringste Schwierigkeit nach dieser Seite macht eine dritte zuerst von Toma- schek (Z. f. 6. Gymn. 1875 S. 527) gegebene Erklarung, der aber auch Miklo-

480 Der Hopfen.

sich, Et. W. S. 87 beizustimmen scheint. Hiernach 1st slav. chmd'i aus ost- lichen, finnischen oder tiirkischen Sprachen entlehnt. Die betreffenden For- men lauten finn. hiwnala, estn. kmnal, umal, wot. umala, liv. umdl, lapp. hom- bel, mordv. komla, cer. humid, ung. komlo, vog. qumleh, tat. wmlak, cuv. jumld. Ein Theil derselben, die westfinnischen Worter, ist allerdings zweifellos erst aus dem Nordgermanischen iibernommen (vgl. Thomsen, Ueber den Einfluss der germ. Sprachen S. 136); doch gilt dies nicht von den iibrigen, deren wech- selnder Anlaut /, h, k sich wohl in dem slavischen ch, h widerspiegeln konnte, das der gewohnliche Vertreter ebenso des griechischen /> wie des germani- schen h ist (vgl. G. Meyer a. o. a. O.). Wir halten es also nach Lage der Dinge fiir das wahrscheinlichste, dass slav. chmeli ein ostasiatisches Wort ist und dann von slavischem Boden aus ins Nordgermanische , Mittellateinische, in die Sprachen der Balkanhalbinsel u. s. w. eingewandert ist. Es wiirde hieraus folgen, dass, wenn nicht der Hopfen selbst, so doch seine Kultur oder die Erfindung, ihn als Wtirze dem Biere beizusetzen, die gleichen Wege gewandert sind. Ebenso wie die auf Pfahlen angesiedelten Paonier (oben S. 145, 475), konnte irgend ein ostasiatisches Volk friihzeitig darauf verfallen sein, eine neue Pflanze ihrem Rauschtrank zuzusetzen. 3. Merkwiirdig ist, dass mitten in diese unter 2. geschilderte ungeheure Sippe das Litauische mit einer besonderen und einheimischen Benennung des Hopfens eingestreut ist: apivyriys, apynidi, offenbar urspriinglich nichts anderes als Rankengewachs bedeutend. Auch als nengriechische Benennung des Humulus Lupulus L., der in Gebirgsgegenden wie z. B. bei Lebadia und Euboa, in Arkadien und am Malevo wild wachse, giebt Heldreich, die Nutzpflanzen Griechenlands S. 21 nicht das oben genannte ^oojxsXt. sondern <5rfp'.6xX7]|jia »wilde Rebe«. --4. It. luppolo, mlat. lupulus, das von dem lat. lupus salictarius (oben S. 476) zu trennen, mir ebenso wie Benfey (a. o. a. O. S. 212) gewaltsam erscheint. Die jungen Hopfentriebe werden, wie De Candolle S. 201 bemerkt, ebenso oder ahnlich wie der Spargel, der an derselben Stelle von Plinius genannt wird, genossen.

Ueberblickt man diese vier Punkte, so steht nichts der Ansicht im Wege, welche auch von De Candolle und Grisebach (bei Benfey a. a. O.) getheilt wird, dass der Hopfen in Europa schoii lange bevor er in Kultur ge- nommen wurde, verbreitet und benannt war (lat. lupus, mlat. lupulus, lit. apwynys, ahd. hopfo}. Ftir die Geschichte seiner Kultur und seiner Be- nutzung zum Biere sind einerseits die Entlehnungdes germanischen Wortes in& Romanische, andererseits die oben geschilderten Geschicke des slavischen chmeli yon Wichtigkeit. In dieselbe Richtung wiese es, wenn neuerdings mit Recht (vgl. oben S. 159) ahd. bior, ags. bcor, altn. bjorr als eine Entlehnung aus altsl. pivo, altpr. piwis Bier aufgefasst wird. In agls. ealii etc. lage dann der altere Ausdruck fiir das ungehopfte, in beor etc. der jiingere fiir das ge- hopfte Bier vor. Voii neueren Arbeiten fiber den Hopfen nennen wir: Ueber die geographische Verbreitung des Hopfens im Alterthum 1882 von C. O. Cech und Geschichtliches iiber den Hopfen von Prof. Dr. R. Braungart in Weihen- -stephan. Sonderabdruck aus »Wochenschrift fiir Brauerei 1891, Nr. 13 u. 14« Berlin 1891. Vgl. auch Buschan im Ausland 1891, 31.

Rtickblick. 481

Wir haben im Vorigen die Schwelle des Mittelalters schon iiber- schritten und es ziemt sich, an diesem Wendepunkte einige allge- meine Ruck- und Vorblicke zu thun.

Das Resultat des langen Assimilationsprocesses , dessen einzelne Moments wir uns zu vergegenwartigen versucht haben, war die Homogenitat der Bodenkultur in alien Uferlandern des Mittelmeeres. Diese Gleichartigkeit stellte sich auch ausserlich in der Einheit des romischen Reiches dar, welches in seinem wesentlichen Bestande eine Zusammenfassung der um dies innere Seebecken gelagerten Land- schaften war. Der gartenartige Anbau und die wichtigsten Kultur- gewachse dieses Gebietes waren semitischer Abkunft und, wie das Christen thum, von deni sudostlichen Winkel desselben ausgegangen. Die einst barbarischen Lander Griechenland, Italien, Provence, Spa- nien, Waldgegenden mit groben Rohprodukten, stellten jetzt das Bild einer bliihenden, in mancher Beziehung auch ausgearteten Kultur im Kleinen, mit Gartenmesser und Hacke, Wasserleitungen und Cister- nen, gegrabenen Weihern, berupften Baumen und umgitterten Vogel- hausern dar wie in Kanaan und Cilicien. Das Sommerlaub

und die schwellenden Umrisse der nordischen Pflanzenwelt waren der starren Zeichnung einer plastisch regungslosen , immergrunen, dunkel gefarbten Vegetation gewichen. Cypressen, Lorbeeren, Pinien, Mj'rtenbusche , Granat- und Erdbeerbaumchen u. s. w. umstanden die Gehofte der Menschen oder bekleideten verwildert die Felsen und Vorgebirge der Kiiste. Griechenland und Italien gingen aus der Hand der Geschichte als wesentlich immergrune Lander her- vor, ohne Sommerregen, mit Bewasserung als erster Bedingung des Gedeihens und dringendster Sorge des Pflanzers. Sie batten sich im Laufe des Alterthums orientalisirt, und selbst die Dattel- palme fehlte nicht, als lebendige Zeugin dieser merkwiirdigen Meta- morphose.

Indess, neben der semitischen Stromung lauft ein anderer, der Zeit nach spaterer Kultureinfluss , von den Landern im Siiden des Kaukasus aus. Wir konnen beide integrirende Bestandtheile der Kulturflora des Mittelmeeres als den syrischen und den arme- nischen unterscheiden die Namen Syrien und Armenien in weiterem Sinne genommen. Die armenischen Baume, fruchtreicher und iippiger als die Urvegetation des siidlichen Europa, ertragen doch die Winterkalte leichter, als die Abkommlinge Syriens, und sind wir iiber die Herkunft einer dieser Pflanzen im Zweifel, so brauchen wir nur zuzusehen, ob sie sich strenge sudlich der Alpen

Viet. Hchn, Kulturpflanzen. 7. Aiifl. 31

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Ruckblick.

und etwa der Cevennen halt oder jene klimatische Scheidewand, wenn auch in sparlichen und verkummerten Reprasentanten, an der Hand der Kultur noch iibersteigt. Dass die Pinie nicht aus Klein- asien stammen kann, lehrt uns ihre Abwesenheit in Deutschland, ja in Frankreich; dass der Weinstock den siidkaspischen Landern angehort, aber von den Syrern uns zugebracht ist, erkennen wir an der Haltung dieses Rankengewachses in Europa: nur in Siideuropa spendet die Rebe reichlich und natiirlich, breitet sich behaglich aus, fiihrt, so zusagen ein sorgloses Leben, aber sie lasst sich noch in Schlesien ziehen, sie hat sich hie und da in deutsche Walder ver- irrt, und liefert auf ihr zusagendem Boden, wie in der Champagne, in geschiitzten Thalern, wie am Rhein, an vulkanischen Hugeln, wie in Ungarn, mit Beihiilfe der Kultur noch edle Friichte. Die Feige ist ein semitischer Baum, vor allem aber ist es die Olive, die Herrscherin des inneren Meeres, die von Byblus und Gaza, nicht etwa von Cyzicus und Sinope aus, ihr mittelgrosses, streng begrenztes Reich gegriindet hat. Pontisch und kaspisch da- gegen im eminenten Sinne sind die Nussbaume, sowohl die eigent- lichen, als die Kastanien. Die Letzteren ersteigen die Gebirge der hesperischen Halbinseln in dichten ausgebreiteten Bestanden, ohne den frischen Hauch der Hohe zu fiirchten, und haben die Buchen vor sich her auf die obersten Abhange gedrangt, doch auch im westlichen Mitteldeutschland begleitet der Wal- nussbaum die Wege und sammeln sich die Kastanien zu be- scheidenen Waldchen. Mit einsichtsvoller Naturfreude hat Jo- sephus diese Gesellung verschiedener Baume auS ungleichen kli- matischen Zonen in der mediterranen Flora geschildert, zunachst mit Bezug auf die Gegend um den See Genezareth, de bell. jud. 3, 10, 8: »Die Traube und die Feige, die Konige unter den Friich- ten reifen dort fast ununterbrochen ; neben den Feigen- und Oel- baumen, denen eine sanftere Luft zusagt, stehen in unermesslicher Fiille die Nussbaume, die die winterlichsten sind (d. h. aus dem Norden stammen), und die Dattelpalmen , die heissesten, die sich von der Glut nahren. Und es ist, als hatte die Natur ihren Ehr- geiz darein gesetzt, hier die Fruchtgewachse streitender Himmels- striche mit einander wetteifern zu lassen.« Etwas Aehnliches riihmt Columella von Italien: nachdem er angefuhrt, wie auch manche Duft- und Balsampflanzen heisser Lander vermocht worden, in Rom Laub und Blute zu tragen, fahrt er fort, 3, 9,5: his tamen exem- plis nimirum admonemur, curae mortalium obsequentissimam esse

Riickblick. 483

Italiam quae paene totius orbis fruges adhibito studio colonorum ferre didicerit. Dass auch manche Gewachse, die im Rucken Ar- meniens und Syriens im heissen Persien, ja urspriinglich im tropi- schen Indien lebten, in Siideuropa naturalisirt werden konnten, da- fur gab unter manchem Anderen die Orange das leuchtendste Bei- spiel, und wie aus dem Indus- und Gangeslande etwa sechshundert Jahre vor Chr. Geburt eins der niitzlichsten Hausthiere, der Haus- hahn, gekommen war, so etwa sechshundert Jahre nach Chr., gleich- sam zum Beweise , dass die Bewegung des Austausches noch nicht vollig ruhte, der arachosische Ochse oder der Buffel.

Im ersten Jahrhundert vor Chr. hatte das weite Reich, dessen Mittelpunkt Italien war, d. h. das geographische Gebiet der antiken Kulturperiode, seine Vollendung erreicht; es umfasste als ein grosses orientalisches Kolonialland das Mittelmeer von alien Seiten. Die Grenzprovinzen am Euphrat nach Osten, an Rhein und Donau nach Norden bildeten zu ausserst liegende schwankende Erwerbungen, mit anderem Charakter, Beiwerke, schon zu weit von der Binnensee ent- fernt, um welche die klassische Welt gruppirt war. Innerhalb dieser natiirlichen Schranken und der entsprechenden festen und sproden Gestalt der Sitten und des Lebens aber begann diese Kultur in sich selbst zu ersticken. Wahrend der ersten Jahrhunderte der christ- lichen Aera vollzieht sich sichtlich ein unaufhaltsamer beschleunigter Process des Verfalls, der, wie eine rettungslose Krankheit, endlich zur Auflosung fiihrte. Es ist leicht, diese auf den ersten Blick rathselhafte Erscheinung, die von Aussen keine zwingenden Griinde hatte, mit dem Altern und dem Tode des organischen Individuums zu vergleichen; aber da Volker und Epochen keine Pflanzen oder Thiere sind, so sagt das beliebte Bild iiber den Vorgang selbst und die dabei wirkenden reellen Ursachen unmittelbar nichts aus. Viel- leicht lagen einige der letzteren in Folgendem.

Ein Grundfehler und der eigentlich schadhafte Punkt der antiken Civilisation war die unwirthschaftliche Construction der Ge- sellschaft und des Staates und die damit zusammeiihangende Ab- wesenheit realistisch - technischen Sinnes bei den Menschen. Wahrend der romischen Kaiserzeit wurde die Welt immer armer, daher immer muthloser und gedriickter. Die Steuern stiegen von Regierung zu Regierung, warfen aber immer nicht das Nothige ab und liessen sich immer schwerer, zuletzt als unerschwinglich gar nicht mehr eintreiben. Man half sich, indem man sie zu moglichst hohem Satze Generalpachtern in die Hand gab: welche publicani

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sich dann wieder durch erbarmungslose Aussaugung schadlos hielten, wie in Frankreich vor der Revolution. In den Stadten mussten einzelne reiche, mit hervorragenden Ehrenamtern bekleidete Burger fur die Gemeinde haften und wurden mit ihrem Vermogen die Beute des Fiskus. In der Noth griffen die Kaiser zu Verschlechterung der Miinze das Papiergeld mit Zwangskurs war noch nicht er- funden , was nur zur Folge hatte, dass alle Preise in die Hohe gingen und das Leben immer theurer wurde. Letzteres wurde dann dem Eigennutz und bosen Willen der Verkaufer und Handler zu- geschrieben und demgemass z. B. vom Kaiser Diocletian das berlihmte Edict erlassen, nach welchem die Maximalpreise aller Lebensmittel, Rohstoffe, Arbeitslohne und gewohnlichen Manufacte von Staatswegen normirt waren, ein schlagendes Beweisstiick fiir die Rohheit national - okonomischer Begriffe die iibrigens in dern sog. Gesetz des

Maximum von 1793 genau sich wiederholt. Anders als auf Symp- tome zu curiren, vielmehr den gesteigerten Anforderungen des Staates durch Entfesselung der Produktion und freie wirthschaftliche Be- wegung zu begegnen, fiel Niemandem ein. Zwar batten die Romer Strassen und Bracken gebaut, die noch jetzt unsere Bewunderung erregen , aber diese dienten mehr dem Glanz und der Grosse der Weltherrscher und der Leichtigkeit militarischer und administrativer Verbindung, als den Zwecken des Handels und Verkehrs. Sie waren durch Binnenzolle gesperrt, und diese wieder in den Handen der Staatspachter, mit alien Uebelstanden und vexatorischen Praktiken dieses Systems. Ausfuhr- und Einfuhrverbote an den Grenzen, widernatiirliche Getreidegesetze u. s. w. hemmten die Circulation der Giiter und also die Vermehrung des Kapitals und Reichthums. Dazu kamen die Staats- und Regierungsmonopole , deren Zahl immer zu- nahm, und die kaiserlichen Fabriken, die nur scheinbar vortbeilhaft arbeiteten. Der unersattlichen Habgier des Soldatenstaates, der, von Anfang an militarisch construirt, sich in fast immerwahrendem Kriegszustand befand, konnte keine Produktion der ackerbauenden und fabricirenden Bevolkerung geniigen; was die Abgaben iibrig liessen, wurde durch die Einquartirung und die Naturalverpflegung der Truppen verzehrt. Die Soldaten, denen schon gegen Ende der Republik gewaltsam und willkiirlich Aecker in Italien zugetheilt waren, spielten seitdem die grosse Rolle. Sie waren meist unver- ehelicht, verschwelgten auf grobe Weise, was sie im Kriege zusarnmen- gebracht, waren faul zur Arbeit und zu Uebergriffen geneigt95). Bei dem unentwickelten Zustande des Finanz- und Rechnungswesens und

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der Unbekanntschaft mit den natiirlichen Gesetzen, die es regeln, konnte auch der Geldhandel und der leichte Umlauf der Kapitalien kein Element zunehmenden Reichthums bilden. Der Zinsfuss stieg auf eine unerhorte Hohe, und die Verbote, die dem Wucher steuern sollten, machten das Uebel nur schlimroer. Wie der Zins iiberhaupt im Alterthuni fur verachtlich, ja fur unerlaubt gait, so blieb auch das Prinzip der Arbeitstheilung unbegriffen. Schon Cato und Varro warnen geradezu vor derselben: der Erstere will, der Land- wirth solle moglichst wenig kaufen, 2, 5: patrem familias v endacem, non emacem esse oportet; der Andere giebt die Vorschrift, was auf dem Landgute vom Gesinde selbst gemacht werden konne, solle nicht von auswarts gekauft werden, 1, 22, 1: quae nasci in fundo ac fieri a domesticis poterunt, eorum ne quid ematur. Die Arbeit zu Hause also wurde nicht als ausgegebenes Geld gerechnet; auch unterhielten die grosseren Wirthschaften ihre eigenen Schmiede, Zimmerleute, Schuster, Botticher u. s. w. selbst, wogegen in den Stadten der arbeitende Burger- und Handwerkerstand fehlte. Kein Wunder, dass die Technik des Handwerks unvollkommen blieb, wel- €her ohnehin in dem Naturell der Alten keine verwandte Richtung entgegenkam. Die natiirliche Realitat der Dinge unbefangen beob- achten, sich ihrer zweck- und werkmassig bedienen, sich durch sol- ches Riistzeug befreien, ist kein antiker Charakterzug. Die Alten lebten im Traume religioser Phantasie in idealem Schein, beherrscht vom Hange kiinstlerischer Darstellung, befangen im Zauber des Schonen, als ein adeliges Geschlecht. Sehen wir uns in den pom- pejanischen Resten die Gerathe, die Werkzenge u. s. w. an, wie schon und edel sind sie gezeichnet, obgleich vielleicht von Sklavenhand gearbeitet, aber auch meistens wie kindlich ! Was uns daran durch rationelle Technik erfreut, war nicht Ergebniss niichterner Beob- achtung und verstandiger Berechnung, sondern alte Tradition, bei der es blieb und die als solche von Menschenalter zu Menschenalter sinken musste. Und mit der Technik sank auch der Geschmack, die Grazie und Reinheit der Formen und der Adel des Gedankeus. Denn beide sind . nicht absolut getrennt : was die Technik gewinnt, kommt auch dem Geiste zu Gute ; jede Erweiterung ihrer Schranken, die der erstern gelingt, gestattet auch dem letztern den Flug in eine bisher unbekannte Welt. Hatten die Alten z. B. ihre diirftigen musikalischen Instrumente mannigfacher entwickeln und etwa die Orgel und die Geige die erst mit den Arabern auftrat erfinden konnen, es ist kein Zweifel, dass auch ihre Musik selbst eine neue

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Seele gewonnen hatte. Wie stationar die mechanischen Kunste bei den Romern blieben und wie fern ihnen die Natur als Object ver- standiger Forschung lag, lehrt insbesondere die Geschichte der romi- schen Seefahrt mid des romischen Ackerbaues. Umfang und Grenzen des grossen Reiches boten Anlass genug, sich auf der hohen See zu versuchen. Die Weltherrscher waren in Besitz der iberischen,. lusitanischen und mauritanischen Kiisten , aber die nahe gelegenen canarischen Inseln musste Plinius nach den Aufzeichnungen des Konigs Juba beschreiben: romischen Schiffern oder Handelsleuten war 68 nicht eingef alien, sich so weit zu wagen. Die Insel Hibernia> an der vielleicht schon Pytheas drei Jahrhunderte vor Chr. gelandet war, blieb den Romern wie im Halbnebel zur Seite liegen; sie ver- barg sich hinter dem schwierigen biscayischen Meerbusen und dem stiirmischen , klippenreichen irisch-englischen Kanal. Die romischen Schiffe waren und blieben Ktistenf ahrer , die mit herannahendem Winter die Hafen aufsuchten und die umbrausten Vorgebirge fiirch- teten. Winde, Wellen und Jahreszeiten wurden mythisch angeschaut: der Schnabel des Schiffes war zierlich und kunstlerisch geschnitzt> das Schiff selbst aber unvollkommen konstruirt. Vom rothen Meer ging ein alter lebhafter Handelsverkehr nach Indien, und Strabo er- fuhr, dass aus dem dortigen Hafen Myos Hormos jahrlich 120 Schiffe nach diesem Lande ausliefen: aber weder das indische Zahlensystem,. iioch die Magnetnadel gelangte von dort in den romischen Westen> der, in den eigenen engen Kreis gebannt, gegen das Neue un- empfindlich war und vom Orient nicht, wie spater in der Epoche der Araber, Bereicherung und Anregung erfuhr. Nach Nordosten, am Pontus Euxinus, stand es wie am rothen Meer. Die Romer be- sassen eine Anzahl befestigter Platze an den Ufern des Pontus, aber der Handel, der iiber jene Gegenden ging, lag in den Handen der Asiaten und die Geographic des kaspischen Meeres erfuhr keinerlei Fortschritt. Wie ganz anders thatig bewiesen sich dort im Mittelalter die Genuesen, Burger einer kleinen Stadt, denen nicht, wie dem civis romanus, die Furcht und das Ansehen des romischen Namens schiitzend zur Seite stand. Als sie sich in der Krim festgesetzt hatten, da be- fuhren sie auch mit eigenen Schiffen das kaspische Meer und ihre Kaufleute waren zahlreich in Tauris in Persien angesessen und so fand sie ein anderer Italiener, der Venetianer Marco Polo, als er dort vorbeikam, um den ganzen ungeheuren Welttheil zu durchziehen und diesen dann, als der Herodot des Mittelalters , zu beschreiben. Zu dem Einen wie zu dem Andern fehlte dem Romer der ofTene Sinn

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fur die fremde Welt: wo er nicht mehr erobern konnte und die von ihm geschaffenen politischen, sozialen, rechtlichen und militarischen Formen in regelmassigen Linien wie ein festes Mauerwerk hinstellen konnte, da lockte ihn kein Begehr, da war die Luft nicht mehr, in der er athmete und lebte. Der romischen Seefahrt glich der romische Ackerbau; auch in ihm regte sich kein Trieb der Ent- wickelung. Die Werkzeuge waren und blieben die durch Ueber- lieferung gegebenen unvollkommenen, die Methoden die hergebrachten, hocbstens um neue eben so unwissenschaftliche vermehrt, die ein Gemisch von bloss praktischen, wirklichen oder vermeintlichen Er- fahrungen und aberglaubischer Phantastik darstellten. Diingung und Fruchtwechsel waren bekannt, aber nicht nach Gebiihr gewiirdigt und nicht in ihren Consequenzen entwickelt. Der Boden versagte zuletzt, Aecker verwandelten sich in Weidegrund, Hungersnoth war haufig und Getreidezufuhr eine Hauptsorge der Regierung; Italien trug durchschnittlich nur das vierte Korn (Dureau de la Malle, Economie politique des Romains II, S. 121 ff.). Der eigentliche Grund des steigenden Misserfolgs lag in der Hohe der Arbeitskosten, diese aber beruhten in dem volkswirthschaftlich-technischen Ungeschick und der Gleichgiiltigkeit gegen reelle Naturkenntniss.

Zu den Griinden, die den Untergang der antiken Gesellschaft herbeifiihrten , hat man sich gewohnt, vorzugsweise die Sklaverei zu rechnen. Gewiss ist diese mit der hochsten industriellen Ent- wicklung unvertraglich , aber auf manchen Bildungsstufen - - ganz abgesehen von der Racenanlage und den daher ruhrenden verwickel- ten politischen und socialen Problemen ist sie ein naturliches, unter Umstanden sogar wohlthatiges Institut. Sie bestand auch bei den Barbaren, die dem antiken Leben ein Ende machten, sie wahrte in dem germanisch-romanischen Europa ungeschwacht fort und loste sich dort im Fortgang der wirthschaftlichen Kultur durch verschiedene Zwischenstufen allmablig und natiirlich von selbst auf. In Rom unterschied sich das Sklaven- und Colonenwesen in den meisten Beziehungen nur dem Namen nach von der strengen Gesindeordnung und der feudalen Gutsverfassung moderner europaischer Lander bis vor nicht langer Zeit. Ja, im Sklavenstande lag oft noch ein ge- schiitzter Rest des Volksvermogens : der Sklave konnte wenigstens nicht vom Pfluge weggerissen und in das Lager der Legionen ge- schleppt werden, wahrend die freie Bevolkerung durch Conscription decimirt wurde und sich nur allmahlig durch die haufigen Frei- lassungen erganzte. Auch in Rom hatte sich, wenn im Uebrigen

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die Zeiten nicht so trostlos rucklaufig gewesen waren, die Sklaverei vor dem Wachsthum der wirthschaftlichen und politischen Kraft e nicht auf immer halten konnen.

Ein Ausdruck dieses allgemeinen Elends war die unaufhaltsame Verbreitung der neuen visionaren Religion vom Orient her, die dem verzweifelnden Geschlecht einen rettenden Ausweg in das Innere des Gemiithes zeigte. Das Christen thum, indem es »das Herz im Tiefsten loste« und alles Wesentliche in das Innere verlegte, untergrub aber eben dadurch die Grundlagen selbst, auf denen die alte Welt ruhte. Der Christ, dem die Armen die Seligen und der Tod ein Gewinn war, blieb kalt gegen Erwerb und Vermehrung irdischer Giiter: sein Sinn stand in einer anderen, durch Entziickung geschauten Welt, und er sammelte Schatze im Hiram el. Bekannt ist, dass bei dem allgemeinen Sinken geistiger Produktion doch die Jurisprudenz, dieser Kern und Stamm romischen Wesens, sich nicht bloss erhielt, sondern weiter gedieh: aber in der zahlreichen Reihe auf einander folgender Juristen ist kaum ein Christ; was konnte diesem an der Ordnung der Verhaltnisse dieser kurzen Pilgerschaft liegen? nicht um Rechts- anspriiche festzustellen, sondern am Heile der Seele zu schaffen, war ihm dies zeitliche Dasein gegeben. Auch die Erkenntniss der Natur, ja Wissenschaft jeder Art Hess ihn gleichgiiltig ; im Glauben besass er alle Wahrheit; ohnehin stand der Untergang dieser gegenwartigen Dinge jeden Tag zu erwarten. Auch im romischen Feldlager befand sich der Bekenner der neuen Religion dem Feinde mit ganz anderen Gefiihlen. gegeniiber, als der echte Romer der alten Zeit: der Sieg brachte ihm keine Freude, und Tod und Niederlage befreite ihn von irdischer Triibsal oder diente ihm zur heilsamen Priifung. Sein wahrer Feind war der Heide und dessen Schonheitssinn und Selbst- genugsamkeit. So verloren Recht und Krieg, die Grundpfeiler Roms, vor dem Hauch des neuen christlichen Geistes ihren Halt und ihre tragende Kraft.

Eine andere, langsam wirkende Zerstorung, mit der durch das Christenthum in der Wurzel identisch, war durch das Racengemisch, den Eindrang orientalischen Blutes in die Bevolkerung des Abend- landes gegeben. Das romische Reich befasste in der einen und all- gemeinen politischen Form einen sehr verschiedenartigen Inhalt von sehr ungleichem Kulturwerth. Rom war ein Pandamonium theils unreifer und roher, theils durch uralte Tradition verharteter, tief in Banden liegender Volksgeister. So unbeugsam der romische Staat diese dunk ein Naturkrafte der Norm des Verstandes unterwarf, so

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sicher ging er allmahlig an deren geheimer Arbeit zu Grunde. Der sich beschleunigende Verfall war nur eine Folge der Um Ml dung der Race. Eingeborene Afrikas und Aegyptens, Orientalen jeder Art, europaische und asiatische Griechen, spanische IbereT, Illyrier und Thraker iiberschwemmten Italien, kreuzten sich unter einander, bemachtigten. sich der Organe des Staates, der Erziehung, der Literatur, ja bestiegen nicht selten sogar den Thron der Imperatoren. Schon seit Ciceros und Casars Zeit fiillten sich alle Stadte, darunter Rom selbst, mit Beschnittenen, die sich unter einander verstanden und, so sinnlos, so allem Menschlichen abgekehrt, ihre Meinungen den Romern erschienen, doch in der Hartnackigkeit ihrer Anlage unbemerkt das allgemeine Bewusstsein umwandelten. Die jiidischen Gemeinden waren es, die dem Christenthum zunachst die Wege bahnten und {lessen Keime in alien Provinzen, wie in den entfernteren Quartieren •der Hauptstadt ausstreuten. Wer behaupten wolle, nicht die Ger- manen, sondern die Juden hatten das romische Reich zerstort, der wtirde in dieser Schroffheit der Worte zwar zu viel sagen, dennoch aber der Wahrheit naher kommen, als es Unkundigen scheinen mochte. »0 ware Judaa nimmer,« so klagt Rutilius Numatianus in seinem Itinerarium, »von Pompejus und Titus bezwungen worden! Von daher kommt jetzt weit und breit der Stoff der Ansteckung und die einst Besiegten werfen den Siegern das Joch iiber den Nacken ! «

Nach einer anderen, helleren Seite hin offneten sich die Schranken der antiken Kultur durch den Eintritt Nordwest- und Mitteleuropas in die Geschichte der Menschheit. Diesen Durchbruch bewirkte zuerst der grosse Casar, indem er Gallien und Belgien eroberte und Britannien und Germanien betrat. In jenen neuen Gebieten wehte schon der Athem des Oceans, und ungeheure Walder mit riesigem Baumwuchs beschatteten clen jungfraulichen, noch nicht angebroche- nen Boden. Haufige Nebel und Regen erhielten das Land auch im Sommer noch feucht; die Baume liessen das Laub im Herbste fallen, im Winter gefroren die sumpfigen Grunde und konnten betreten werden. Im Gegensatz zu den engen Landschaften der durch Gebirge getheilten siideuropaischen Halbinseln und der gedrangten Baumzucht des Ostens und Siidens streckten sich die nordischen Flachen in ungeheurer barbarischer Weite nach alien Seiten fort, und das Leben trug das Geprage dieser grosseren Verbal tnisse , wie im Ocean die Woge breiter ist, als im geschlossenen Meere. Wo der Acker gebaut wurde, wie in gallischen Landen, da wuchs das Korn in unabseh-

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baren Auen, daran grenzte iiberall die Waldregion, die Heimat der grossen Raub- und Jagdthiere, je weiter ostlich vom Rhein, desto seltener durch sporadische Kulturflecke unterbrochen. Die Civili- sation stand in den Anfangen, besonders bei Briten, Belgen und Ger- rnanen; sie war bei den Galliern schon weiter vorgeriickt, aber im Vergleich niit Italien, der Erbin Griechenlands und des Orients, immer noch im Stande der Kindheit. Dennoch hatte die mitteleuropaische oder transalpinische Technik des Lebens, so unentwickelt sie war, vor der griechisch-romischen mancbe Vortheile voraus, die durcb Klima, Vegetation, Boden, iiberhaupt durch den ganz anders gearteten nattiiv lichen Ausgangspunkt von selbst sich ergaben. Eine ganze Reihe von Erfmdungen liessen sich aufzahlen, die von Gallien den Romern zukamen, aber von diesen, die bereits abgeschlossen batten, mehr notirt, als in lebendigen Gebrauch verwandelt wurden; wir fiihren beispielsweise nur an: den Raderpflug, den rheda genannten Wagen> die Seife, das linnene Hemd, die Mergeldiingung. In religiosen, sitt- lichen und Rechtsbegriffen fanden die Romer bei Briten und Ger- manen ihre eigene, langst vergessene Jugendzeit wieder: sie, die- Romer, hatten diesen Urstand in langer Stuf enfolge - zu einem ins Einzelne ausgef iihrten , iiberall von f einem Verstande und reicher Erfahrung des Menschenlebens durchdrungenen, fest gestalteten und mannigfach vermittelten Systeme entwickelt; aber dieser unschatz- bare Kulturgewinn war conventlonell erstarrt und ward als Fessel empfunden: bei den Germanen waltete noch das unmittelbare, rohe,. aber frische Naturgefiihl, und tiefdenkende Romer, wie Tacitus,, sehnten sich nach diesen Anfangen des Lebens, die sie mit unver- kennbarer Vorliebe schildern und von denen sie in wohlthuender Tauschung wie von Freiheit angeweht wurden. Um sich dies Ver- haltniss des alten Kulturvolks zu den nordischen Waldbewohnern klar zu machen, halte man etwa die lyrischen und epischen Volks- lieder der Germanen zu den Tragodien des Seneca: die ersteren sind elementarer, aber von dunkler Poesie durchweht, die anderen gehoren einer hoheren Kunstgattung an (zu der das ganze Mittelalter sich nicht erheben konnte), tragen das Geprage formaler Bildung, aber der Geist ist entwichen : dort ein Ueberschuss der Phantasie und des Gefiihls iiber die Darstellung, hier frostige Verwendung fertiger, einst beseelter, jetzt hohler Formen. In einem ahnlichen, nur noch bar- teren, oft mit staunender Sympathie wahrgenommenen Gegensatze hatten sich Jahrhunderte friiher die Griechen zu den Pontusgegenden befunden, die so arm und elend und doch wieder so reich warenr

Neu-Europa. 491

die griechische Schiffahrt brachte Wein und Oel dahin, das Dop pel- symbol der antiken Kultur, und was sonst civilisirtes Leben zu bieten hat, Strab. 11, 2, 3: oaa rrtg r^Lisgov diawrjg oixeia, und holte von. dort Getreide, Thierhaute, Vieh, Honig und Wachs,. gesalzene Fische und kraftige Menschenleiber zum Behufe des Dienstes und der Arbeit, Polyb. 4, 38: TO rwv elg rag dovkeiag ayoftevwv owfjLaToov TihrjSog ol xara wv Jlovrov r^jLlv ^6noL TiaQa- dxsvd^ovac SaifJiheGraTOV xal %Qrfit,{jiwmTOV o^o^oyov/iisvwg. Schon friihe batten die Griecben in jenem Norden ein Geschlecbt der ge- rechtesten Manner geschaut, und selbst ein weiser Philosoph, Anacharsis, der weitgewanderte Urheber wohlthatiger Erfindungen, batte dort seine Heimat. Griecben batten sich im Herzen des- Skytbenlandes niedergelassen, wie romische Handler in der Haupt- stadt des Maroboduus. Doch ging aus dem Contact der Hellenen und der Ackerbauer und Nomaden im Norden des Pontus keine neue Scbopfung, noch viel weniger ein neues Zeitalter bervor: eine Volker- welle nach der anderen spiilte dort das unmittelbar Vorhergegangene wieder fort; Tiirkenstamme ritten aus den Wildnissen Asiens hervor, Menschen und Saaten niederstampt'end ; Slaven von Norden ergossen sicb iiber das Donauland bis zum adriatischen Meer und tief in die griecbische Halbinsel hinein; ihnen folgend drangte sicb nocb ganz. zuletzt ein finnischer Stamm vom Ural her mitten zwischen sie hinein und behauptete das scbone, einst von gebildeten Menschen. edler Rasse bewohnte, jetzt zur Pferdeweide gewordene Pannonien. Anders im Westen. Dort bildeten Italien, Spanien, Gallien, die britischen Inseln, Germanien nach dem politischen Falle Roms immer noch ein innerlich zusammengehaltenes Ganze, die europaische Volker- gemeinde, deren idealer Mittelpunkt die ewige Stadt war. Diesem Schauplatz des Mittelalters lag das byz'antinische Reich im Osten so gegeniiber, wie einst Asien den Griechen: cultivirter in vieler Be- ziehung, aber unfrei und tief entartet, von Barbaren umlagert. In dem Wechselverkehr des Nordens und Siidens oder der Germanen und Roms besteht der Hauptinhalt der Geschichte des europaischen Mittelalters. Von Deutschland waren die Schaaren ausgegangen, die den stolzen militarisch-administrativen Bau des Imperatorenreiches in Trummer geschlagen batten: sie wirkten als Befreier, weil sie Einzelleben an Stelle der wie mit ehernen Klammern festgefiigten Einheit gesetzt batten. Umgekehrt hatte Deutschland schon vor der Volkerwanderung sich der Verfuhrungen siidlicher Kultur nicht er- wehren konnen und erf uhr nun Avahrend des Mittelalters den unauf-

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haltsamen allrnahlig alle Adern durchdringenden Process der Ro- manisirung an sich: seine Walder wurden ausgerodet (Carol! M. Capit. II. de 813 § 19: et plantent vineas, faciant pomaria, et ubicunque invenient utiles ullos homines, detur illis silva ad ex- tirpandum), Ansiedelungen, bald auch Stadte gegriindet und die Sitten, die Regierungs- und Rechtsnormen, die das Alterthum er- funden hatte, auf den neuen Boden angewandt. Ein wichtiger Mittel- punkt der bin- und hergehenden Kulturbevvegung war Belgien. Zur Zeit Casars wobnten dort noch kriegerische , in derber Naturfriscbe verbliebene Kelten , den Germanen ahnlich, von diesen bedrangt, spater mit ihnen sicb miscbend: den Germanen nachher ein Vorbild weitergeschrittener Civilisation, des Ackerbaues, der Industrie, der Freiheit, den alten Rornerlanden eine Quelle der Jugend. Belgien, Nordostfrankreicb und das Rheinland zu beiden Seiten des Stromes schienen bestimmt, ein eigenes Reicb mit individuellem Geprage zu werden, ein Zwischenglied beider Halften Europas; docb vollzog sich dieser Ansatz nicht, und jene Gegend blieb ein schwankender Grenz- strich bald dem einen, bald dem andern Theile zufallend. Flan- drische Kolonisten aber waren es, die in Deutschland die hoheren Formen des Ackerbaues lehrten; von Burgund ging die Tuch- und Leinwandweberei aus ; dort (in St. Denys, Rheims u. s. w.) ward die gothiscbe Architektur erfunden und war eine dicbte Saat von Stadten mit Kathedralen, eine mach tiger als die andere, ausgestreut; dort gingen die Fabeln von Reineke Fucbs um und erwachte zuerst die fanatisch-phantastische Idee der Kreuzziige; dort batte die modernste Kunst, die Musik, ihre Geburtsstatte und wurde die Oelmalerei, wenn nicht erfunden, so doch angewandt, und vervollkommnet. Aber wahrend Deutschland mit den Mitteln antiker Kultur erzogen und gebildet wurde, erweiterte es seinerseits den Bezirk Europas durch nnermudlich fortgesetzte Kolonisation nach Osten eine der grossten, nicht genug zu beachtenden Erscheinungen des Mittelalters. Im Siiden ging diese germanische Expansion von dem Stamme der Baiern aus, dem Laufe der Donau nach ; im Nor den von den Sachsen, quer iiber die Elbe, die Oder, die Weichsel, bis hoch an den Kiisten der Ostsee hinauf; in jenen deutsch gewordenen Landen erhielten die Nibelungen wenigstens ihre letzte Fassung und schwang sich die Pflanzstadt Wien zum Kaisersitz auf, in diesen trat Copernicus auf und wurden nach Jahrhunderten Kant, Winckelmann, Fichte und Humboldt geboren; und wahrend dadurch im Siiden das Reich des heiligen Stephan in den Kreis der neueuropaischen Civilisation ge-

Neu-Europa. 49 g

zogen wurde, wurde im Norden auch das weite Gebiet der Piasten und Jagellonen dem geistigen Leben des Westens geoffnet.

Hatten Germanen das westromische Reich, Tiirken und Slaven die nordliche Halfte des griechischen Gebietes iiberflutet, so brach seit dem 7. Jahrhundert, um den Untergang der alten Welt voll- standig zu machen, der Arabersturm iiber Syrien und das noch bliihende Nordgestade Afrikas los. In der ersten Wuth des Islam war die Zerstorung furchtbar und ist bis auf den heutigen Tag noch nicht wieder gut gemacht - - »keimt ein Glaube neu,« so wird die Arbeit vieler vergangener Geschlechter »wie ein boses Unkraut aus- gerauft« , aber nachdem der erste fanatische Paroxysmus ver- flogen, vermehrten die Araber das aus dem Alterthum vererbte Kulturkapital durch werthvolle Beitrage: den Kompass, die soge- nannten arabischen Zahlen, die Anfange der Chemie und Pharmacie, der Kaufmanns- und Hafenpraxis , manche neue Bodengewachse u. s. w. Die arabische Kultur selbst verschwand freilich wie eine Episode, aber das von ihr Zugebrachte wurde im Abendlande weiter entwickelt und als die italienischen Seestadte aufbliihten und Banken und Wechselgeschafte einrichteten, und als das Schiesspulver und das Linnen - Papier erfunden waren und allgemeiner angewendet wurden, da war nach langen Jahrhunderten der Barbarei und des Aberglaubens ein Punkt der Umkehr erreicht, von dem an das Leben wieder aufzusteigen begann. Hatten schon dia Romer die beiden letztgenannten Erfindungen machen konnen, vielleicht ware die ungeheure Unterbrechung stetigen Kulturganges, die wir das Mittelalter nennen, vermieden worden. Vor dem Schiesspulver waren vielleicht die Hunnen in ihre Steppen zuruckgeflohen und das Papier hatte moglicher Weise den Untergang der griechisch-romischen Literatur - - denn was wir besitzen, sind nur kummerliche zerstreute Reste verhiitet. Im fiinfzehnten Jahrhundert war Italien bereits wieder so erstarkt, dass der Humanismus, sowohl der literarische, als der sittliche und politische da ankniipfen konnte, wo das Alter- thum in seiner Erschopfung den Faden hatte fallen lassen. Die Welt offnete sich dem wieder sehend gewordenen Auge , der Mensch empfand wieder Freude an dem Dasein in dieser Natur und be- gann nach Erkenntniss ihrer Gesetze und ihres geheimnissvollen Innern sich zu sehnen. Mit der Magnetnadel bewaffnet, segelten kiihne Schiffer von Lusitanien und Iberien aus nach Amerika, Ost- indien und China: vor den Blicken breitete sich in tausendfacher Fiille der Naturwunder die neue Welt aus, die einst Seneca jenseits

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der Meere geahnt hatte denn mehr als die Ahnung war den Romern nicht beschieden. Mathematik, Physik, Mechanik, Astro- nomic, Anatomic, Botanik regten sich mit jugendlichem Eifer; die Kirche bewachte sie misstrauisch, konnte sic aber nicht mehr er- sticken; mit Hiilfe von Messer und Wage, Schmelztiegel und Re- lorte, Hebel und Pumpe, Thermometer und Barometer, Teleskop und Mikroskop, Pendel, Logarithmen und Infinitesimalrechnung be- reitete sich die immer vollere und umfassendere Befreiung der Menschheit vor. Was die moderne Welt von der alten unterscheidet, 1st Naturwissenschaft, Technik und Nation alokonomie.

Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Betrachtungen wieder zu unserem naheren rl*hema, so lehrt die Namengebung in der deut- schen Sprache , dass von der Epoche der Volkerwanderung an bis tief in die mitleren Zeiten hinein Alles, was der deutsche Garten trug und ein grosser Theil der Feldverrichtungen aus Italien und Oallien oder Siidfrankreich eingefiihrt war. So weit das Klima es •erlaubte, wurde durch eine fortgesetzte Kulturwanderung angeeignet, was Italien entweder urspriiglich besessen, oder selbst in friiheren Jahrhunderten aus Griechenland und Asien bezogen hatte. Nicht bloss die Baumfriichte, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Maulbeeren, die Trauben und alle Manipulationen der Kelterung und Weingewinnung, •dazu auch der Keller (cello), die Tonne und die Kufe, die Flasche, -die Kanne, der Becher, der Kelch, der Krug (ein keltisches Wort, Zeuss2) 151. 778), die Kumme (cucuma), der Kumpen, Kumpf (cym- bium), der Kessel (catinus), der Tiegel (tegula), sondern auch Blumen, Oemiise, Kiichen- und Apothekergewachse, wie Kohl (eaulis), Kabes, Kappes (caputium), Erbse (ervum), Wicke (vicia), Linse (lens), Petersilie, Zwiebel, Kummel, Beete (slavisch sveklu entstellt aus <fci~Uoi>), Rettich (den die Romer selbst erst unter den ersten Kaisern aus Syrien als radix Syria bezogen batten), Meerrettich (entstellt aus armoracia), Miinze (mentha), Koriander, Kerbel, Liebstockel (libisticum statt ligusticum), Lavendel, Melisse, Polei (pulegium), Fenchel, Anis, Karde, Lattich (lactuca), Spargel und vieles Andere, sind lateinisch benannt; die Sichel ist das lateinische secula, Flegel - flagellum, Mergel -- marga, margila, Speicher -- spicarium; lateinisch sind Butter und Kase, Pferd und Zelter, die Masse: Meile, Centner, Pfund, Mutt (modius), Scheffel (scaphum, scapilus), Seidel {situla} u. s. w. Wie die italienische oder gallische Villa mit allem Zubehor, den Gewachsen, Thieren und nothigen Werkzeugen und Arbeiten auf deutschen Boden versetzt wurde, davon giebt Karls des

Der Reis. 495

Grossen capitular e de villis und das specimen breviarii rerum fis- mlium ein deutliches Bild. In Italien selbst hatte sich trotz der Volkerwanderung und der chaotischen Auf losung die Zahl der ange- bauten Gewachse und der gebrauchlichen Hausthiere in Aligemeinen nicht verringert: so zahe ist das Privatleben, und so unermiidlich geht in den kleinen Kreisen desselben der Zerstorung die Heilung und Wiederherstellung zur Seite. In den tausend Jahren des Mittel- alters bis zur Entdeckung Amerikas ist kein gezahmtes Thier mehr zu verzeichnen ; es blieb bei dem alien Bestande trotz der Bewegungen im inneren Asien, der grossen arabischen Herrschaft vom Indus bis zum Tajo und der Einbriiche der Tiirken und Mongolen. Wohl aber bereicherten die eben genannten Weltbegebenheiten die Kultur- flora des Westens uni einige integrirende Glieder , unter denen wir uns, wie billig, zunachst zu den Friichten des Ackers wenden.

** Beziiglich einiger der auf S. 494 genannten, fur Entlehmmgen aus dem Lateinischen angesehenen Worter dtirfte jetzt eine andere Anschauung herrschen: Ueber Tonne vgl. Anm. 34; Krug, wenn es ein keltisches Wort ist, ist dann doch nicht »lateinisch benannt« ; statt dessen goth. aurkeis aus lat. urceus; Erbse vgl. oben S. 218; Linse an derselben Stelle ; Meerrettich ist wohl eher eine Uebersetzung von als eine Entlehnung aus lat. armoracia (vgl. naheres in meinem Reallexicon u. Meerrettich und bei R. Much in der Z. f. d. osterreich. Gymn. 1896 S. 608).

Der Reis.

(Oryza sativa L.)

Der Reis, eine Pflanze fetter, wasserreicher Niederungen in tro- pischem und subtropischem Klima, wurde von Alters her in Indien iiberall gebaut. Im Miindungslande des Indus musste die sumpfige Natur des Bodens dieser Art Getreide besonders zusagen, aber auch auf trockenen und hoher gelegenen Strecken konnte die Aussaat so geregelt werden, dass die zu bestimmten Zeiten eintretenden tropischen Regen der aufschiessenden Frucht zu Hulfe kamen. Obgleich an eigentlichen Nahrungsstoffen hinter dem Weizen zunicksteheiid, war und ist der Reis doch mehr als dieser die allgemeine Volksnahrung nicht bloss im eigentlichen Indien, sondern auch bei den Bewohnern der Halbinsel jenseits des Ganges, Siidchinas und der Inseln des in- dischen Meeres, bis im aussersten Osten die Sagopalme an die Stelle

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dieser Grasart tritt. Reisfelder fehlen in dem bezeichneteii Gebiet nur da, wo im rauheren Gebirge die Warme nicht mehr ausreicht oder die Monsunregen ausbleiben und kiinstliche Bewasserung nicht moglich 1st. Eine eigentliche Brodfrucht ist der Reis in so fern nicht, als er selten gemahlen und verbacken wird; er bildet als Lieblingsspeise eine kernige, weiche, aus gequollenen Kornern be- stehende, wohl auch mit Fett getrankte Griitze, die die alten grie- chischen Berichterstatter mit ihrem Wort %6vSgog, Graupenbrei, die Lateiner mit alica bezeichneten. Auch die Kunst aus Reis ein alkohol- haltiges Getrank, den Arrac, wie aus dem Saft des Zuckerrohrs den Rum, zu bereiten, ist eine altindische, denn schon die Griechen haben davon gehort, Strab. 15, 1, 53: oivov TS yag ov ntveiv (wvg 'lvdovg\ ahK ev SvaCatg itiovov, nCveiv 6' an ogvtyg avil xQiDcvwv tivvutyev- Tag' xal aiTia tie TO Tikeov OQV&V elvat, Qocpr^T^v. Aelian. de nat. anim. 13, 8: vy Ss si? 7iofatuov a&Jlovvu (sheyavu) olvog ILISV, ov nty o TWV diiTiehaw enel TOV jutsv e% oQv^g %8iQOV(flfOVGi} rbv Jg ex xahttfiov. Freilich darf man sich darunter noch nicht jenes stark destillirte Wasser denken, was wir heut zu Tage Arrac und Rum nennen, sondern nach den Worten der Alten eine Art Bier oder Wein. Der Sanskritname des Reises war vrilii (noch nicht im Rig-, wohl aber im Atharvaveda) ; bei Uebergang in die iranischen Sprachen musste dies Wort den Lautgesetzen gemass zu brizi werden; aus dieser altpersischen Form machten die Griechen ihr OQV&, OQVL>OV, welches letztere Wort dann durch Vermittelung des Lateinischen der bei alien neueuropaischen Volkern vorhandenen Benennung zu Grunde liegt.

Die erste Bekanntschaft mit dem Reis machte das Abendland durch die Feldziige Alexanders des Grossen, obgleich einzelne, aller- dings unbestimmte Spuren schon auf die Mitte des fiinften Jahr- hunderts weisen. Nach einer Notiz des Athenaus namlich hatte So- phokles in seinem Triptolemos von einem OQivdyg agmg gesprochen, den die Spateren entweder als Brod aus Reis oder aus einem in Aethiopien einheimischen sesamahnlichen Korne deuteten, 3. p. 110: (T aQwv ^ivvirat, 2o(poxhrg ev TQinTolefJi.™ , r^xoi TOV $* yevoftevov q aria TOV £v M&tOTiiq. ytvopevov (T7r^(a«Tog, o iauv o/jiocov aqadjiqt. Pollux, 6, 73 erklart ungefahr ebenso, lasst aber den Reis weg: cog oQivdrjv TWO. UQWV AlSionsg TOV OQW- diov ytvofjievov o ecrte, (meg/ua ewxvoQiov , ofiiotov arjaajLio). Auch Hesychius stellt die Aethiopier an die Spitze: o^Mi}?' aowv naga xal (fTteQfJLU naQanhrfiiov Gr]GO[i(n, OTISQ sifjovrsg MTOVV-

Der Reis. 497

rat,, uveg de OQV&V, wahrend Phrynichus in Bekk. Anecd. 1. p. 54 ganz kurz sagt: oQwda' r\v at noM.ol OQV&V xahovGw. Hatte So- phokles selbst schoii an jener Stelle des Triptolenius den ogM^g aQTog mit den Aethiopern in Verbindung gebracht, so konnte er an die Aethiopen Homers, die nach Sonnenaufgang hin wohnen, oder an die Al&ioneg ol ex Trtg 'Arirjg seines Freundes Herodot d. h. eben an die Anwohner des unteren Indus und der angrenzenden Kiiste gedacht haben, und beide Deutungen wiirden zusammenf alien. Die Namensform OQivSa, ogCvdcov stimmt merkwiirdiger Weise in der Nasalisirung , hinter welcher das f in J iiberging, mit dem arme- nischen brinz, neupersischen hiring, birang uberein. Herodot selbst, der ja auch schon von der auf Baumen wachsenden Wolle gehort hat, erwahnt einer Abtheilung der Inder, die sich von einer wild- wachsenden Pflanze nahre, deren Korner von der Grosse eines Hirse- korns in einer Hulse steckten und mit der letzteren gekocht und so gegessen werden, 3, 100: xal avwlat, stftl otfov xeyxgog TO (Jigya&og ev xdhvxi, avTOfJiaxov ex r^g y^g fHTOflWOV, TO GvMeyovTeg avrfj xdkvxi, f-'ipovaC Te xal GtTSOVTai,. Auch dies kann als Reis gedeutet werden; die Fehler der Beschreibung , z. B. dass der Reis, der zu Herodots Zeit langst eine Kulturfrucht war, als avTOfJiawv bezeichnet wird, erklaren sich durch das triibende Medium der Feme, durch welches damals noch jenes ausserste Wunderland geschaut werden musste; einen Namen der Frucht scheint Herodot nicht erfahren zu haben, wogegen sein eipovot, richtiger 1st, als das Brod des Sophokles. Mit der Eroberung Asiens durch die Macedonier trat, wie so vieles Andere, so auch der indische Reis vollstandig in den Gesichtskreis der Griechen. Gleich Theophrast beschreibt die Pflanze und ihren Gebrauch genau, h. pi. 4, 4, 10: fudfaoTa tie GTieCgovGi, TO xahov- f.ievov OQV&V e% ov TO siprjfjia. TOVTO Se ofioiov TJJ £et,y xal TcuffS-ev olov xovdQog, evnemov de, nyv oifuv rteyvxog ojioiov algaig xal wv nokvv %QOVOV ev vdau, ano^lrai Se ovx elg 0Ta%vv, aJkK olov (fo^v atGnsQ 6 xey%oog xal o ehvjttog. Noch merkwiirdiger aber ist die Nachricht des Aristobulus, der ein Begleiter Alexanders auf dessen Heerziigen in Asien gewesen war und in hohem Alter eine Geschichte des grossen Konigs, verbunden mit einer Natur- schilderung der durchzogenen Lander verfasste, bei Strab. 15, 1, 18: irjv cf oQv£dv (fr^atv 6 'AQiGioftovhog f-Gmvat, ev vdaTt d' sivac Tag e%ovGag avrrp' vipog de TOV (fvwv

v TS xal noki XKQTIOV' tyeQi&dtiat, ds Tisgl dvcfcv Jl^cddog xal cog Tag £et,dg' (pveaSat, Se xal ev Trj BaxiQtavfj xal Ba-

Vict. Hchu, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 32

498 Der Reis.

xal Sovdidt,' xal y xdiw de 2vgta (fvei. Mtyilkoc Se TisiQSff^ac fjisv TTQO Twv ojiifiQcuv (fT^clv, d^Sscag dt xal ano rwv xfoiGiwv nou&fjisvrjv vddrwv. Hier also wird nicht bloss die Kulturart in geschlossenen , uberschwemmten. Beeten liber - raschend richtig beschrieben, sondern schon Bactriana (also die Gegend am oberen Oxus) , Babylonien und Susis (also schon die untern Euphrat- und Tigrislander, semitisches Gebiet) als reisbauend dar- gestellt. Bestatigt wird die letztere Angabe durch Diodor, der bei Erzahlung der Kampfe zwischen Eumenes und Seleukus den ersteren wegen Getreidemangels seine Truppen in Susiana mit Reis, Sesam und Datteln nahren lasst, mit welchen Produkten die genannte Gegend ungemein gesegnet sei, 19, 13 : Evfuevrjg Ss diafidg rov Tfygiv xal TiaQayevofievog slg liv 2ovff(,avrjV, elg iQua [isQiq dislks TTJ dia Tffv TOV atwv andvw. smnoQevofisvog Ss irp> y^wgav xara v Tiavrs&wg sffTtdvi&v, OQV&V de xal GirJGaiLio'v xal wig fftQauwxaig , daipihwg e%ovGr]g irt<; %(DQas tovg xocovrovg xaQnovg. Noch unter der Perserherrschaft und wohl in Folge der- selben war also die Reiskultur vom Indus bis zum Oxus und Euphrat vorgedrungen , und von dort stammte denn auch der Name OQV&. Die Worte : xal rt xdrw Ss Svgia cpvei scheinen ein Zusatz des Strabo selbst zu sein, zu dessen Zeit also auch Niedersyrien schon in den Kreis dieser Kultur einzutreten begann. Wer der gleichfalls an- gefiihrte Megillus war, und zu welcher Zeit er lebte, wissen wir zwar nicht, auch ist der Text des Strabo hier verdorben, aber so viel deutlich, dass auch Megillus von der Art, den Reis zu bauen, eine richtige Vorstellung hatte. Ein dritter Berichterstatter, der Zeit nach dem Theophrast und Aristobulus nahe stehend, Megasthenes (er war Agent des Konigs Seleukus in den ostlichen Landen, gegen das Jahr 300 vor Chr.), hat auch gesehen, wie der Reis an indischeri Hofen gegessen wurde, und an solchen Mahlzeiten ohne Zweifel selbst Theil genommen: jeder der Gaste bekommt einen Tisch, in Form eines Behalters oder Untersatzes; dieser tragt eine goldene Schiissel; in die Schiissel wird gekochter Reis, in Art unseres Graupenbreis, gethan und dann mit vielen Zusatzen indischer Fabrikation gemengt, Athen. 4. p. 153: MeYac&svrjg (f sv TTJ deinega TWV 'Ivdixwv Tolg Ivdoig (prjacv sv T$ SsCnvq) 7iaQaTC$eG$at, sxaeicp iQarcsZav ^av^r)v tf elvai, ofjiocav ralg ^v^qxatg xal Imri&eadiu In avrfj iQvflllCov XQvaouv, elg o tpfiafofy avwvg TIQWIOV fusv r^v OQV&V e(p$r]v, wg av tig $lfjrj<feie %6vfy<W eneua oipa nohla xs^^ovg^rifjLsva ralg 'Ivdixalg Also schon ganz der uberall im jetzigen Orient ge-

Der Eeis. 499

brauchliche, je nach den Gegenden verschieden bereitete Pilav. Seit der Griindung des agyptisch-griechischen Reiches musste ein leb- hafter Handel, wie mit anderen indischen Erzeugnissen, so auch mit Reis uber das persische und rothe Meer zu den dortigen Hafen gehen. Fiir die romische Zeit sehen wir dies aus dem Periplus maris rubri des sog. Arrian, der diesen Artikel mehr als einmal unter den Pro- dukten der von den Schiffern besuchten Kiisten auffuhrt, z. B. 14: de Gvvifjdwg xal dnb TOJV saw TOTIWV, vrjg 'AQiaxr^ xal , slg TO. avra ra rov negav IfLinoQia ysvr] ngoxwQovvxa GTib TCOV XOTIWV, fflwg xal OQV& u. s. w. (Vergl. auch 31, 37 und 41.) Der Reis diente seitdem den griechisch-romischen Aerzten zu einem schleimigen Getrank und wird als dazu bestimmt bin und wieder angefiihrt; dass er zur Zeit des Horaz noch theuer war in der That musste die Feme, aus der er kam, und die Leichtigkeit des Verderbens, der er ausgesetzt war, den Preis erhohen erhellt aus Sat. 2, 3, 155, wo einem Geizhals eine solche Reistisane verschrieben wird und er vor dem Preis erschrickt:

agedum, sume hoc ptisanarium oryzae. Quanti emtae? Parvo. Quanti erga? Octussibus. Eheu.

Zu einer gewohnlichen Speise diente der Reis noch nicht, bei Apicius kommt nur einmal der sucus oryzae als Ingredienz vor, 2, 51 ed. Schuch., noch viel weniger wurde zur Zeit der Alten irgendwo im Abendlande der Versuch gemacht, die Pflanze anzubauen.

Das letztgenannte Verdienst gebuhrt den spanischen Arabern. Langst seit alter Zeit durch den indisch-athiopischen Handel, der -durch ihre Hande ging, mit diesem Getreide bekannt und schon an dessen Genuss gewohnt, batten die Araber nach Eroberung Aegyptens den Reisbau im Nildelta, dessen natiirliche Beschaffenheit sich trefFlich dazu eignete, und in den Oasen einheimisch gemacht. Bei ihrem Bestreben, die neugewonnenen Lander nach dem Bilde derer, aus denen sie kamen, einzurichten, mussten die Mauren auch in Spanien darauf verfallen, die bewasserten Niederungen mit dem Lieblings- korne zu bestellen, das noch jetzt den Orientalen so werth ist. Dazu boten sich ausser den Flussbecken der Guadiana und des Guadal- quivir besonders die fetten Marschgriinde der Provinz Valencia, und hier gewannen die Araber, ohnehin Meister in der Kunst der Be- wasserung und des Kanalbaues, bald die gewiinschten Ernten, deren Ueberfluss der Handel sogar den Kiisten des europaischen Auslandes zufiihrte. Nach der allmahligen Eroberung der maurischen Konig- reiche durch die Christen gingen die arabischen Reisfelder in die

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Hand der letzteren liber, und hierin das Werk der Unglaubigen fort- zusetzen, verbot gliicklicher Weise die Religion iiicht. Als gegen Ende des fiinfzehnten und zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts, wo die Welt wie neu werden wollte und iiber Alles, was aus Afrika, Ostindien und Amerika kam oder was von daher berichtet wurde, nicht aus deni Staunen fiel, die spanische Macht sich in Neapel, dann in Mailand festsetzte, indess die italienische Seefahrt nach und von der Levante noch bliihte, da wurde auch der Reisbau entweder direkt aus Spanien oder nach dem Beispiel der Spanier aus Aegypten nach Italien verpflanzt, zunachst natiirlich an den Punkten, wo Kanali- sation und Ueberschwemmung von alter Zeit her gebrauchlich war, im Mailandischen und Venetianischen. Es schien damit fiir den Land- mann eine Quelle des Reichthurns geoffnet, und Alles warf sich mit Eifer auf die neue Kultur, etwa wie zur Zeit des amerikanischen Burgerkrieges in Siiditalien auf die der Baumwolle. Wiesen und Weizenfelder wichen weit und breit den Reisbeeten und vom Miin- dungslande der Alpenfliisse, des Po, der Etsch u. s. w. , von den Niederungen bei Mantua, Ravenna, Ferrara u. s. w., verbreitete sich der Reisbau, der in der That eintraglicher war, als die gewohnliche Kornerfrucht, auch in die oberen Gegenden, in die Romagna, nach Piemont u. s. w. Bald aber wurde man inne, dass dadurch das ganze Land in einen kiinstlichen Sumpf verwandelt wurde und Malaria und Fieber iiberhand nahmen. So gross nun in jenem siidlichen Lande die Gewinnsucht ist, so gross auch die aus vielfacher Erfahrung ge- schopfte Furcht vor boser Luft und den Wirkungen stehenden Wassers. Es begann das Gegenstreben sammtlicher Regierungen, das sich schon seit der ersten Halfte des sechszehnten bis in das laufende neunzehnte Jahrhundert in einer Reihe von Verboten und gesetz- lichen Einschrankungen kund that. Ueberall wurde eine Entfernung von so und so viel Meilen festgesetzt, innerhalb welcher die Reis- f elder sich von jeder grosseren und kleineren Stadt abseits halten mussten. Dann folgten noch strengere Verordnungen , nach denen nur solche Landereien mit Reis bestellt werden sollten, die wegen ihrer sumpfigen Beschaffenheit keines anderen Anbaues fahig waren, und in deren Nahe kein bewohntes Haus lage und keine befahrene Strasse voriiberfuhre. Eine besondere Aufsichtsbehorde, ohne deren Erlaubniss kein Reiskorn gesteckt werden durfte, wachte iiber Auf- rechterhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Obgleich diese im Interesse der offentlichen Gesundheit erlassenen Beschrankungen immer noch in Kraft sind, halt sich der Reisbau in Venetien und der Lorn-

Der Mais. 501

bardei doch in bliihendem Stande und liefert einen bedeutenden Ueber- schuss zur Ausfuhr. Die Kultur selbst erfordert viel Aufwand von Arbeit und Sorge,- sowohl bei der ersten Einricbtung und Bestellung der wagerechten, mit Damni und Graben umzogenen Beete und der spateren Zu- und Ablassung des Wassers, als bei der Ernte und dem Dreschen, Stampfen, Keinigen des Kornes; zudem wirkt das Wiihlen und Waten in Schlamm und Wasser, das Jaten u. s. w. nicht giinstig auf die Gesundbeit der Arbeiter und Arbeiterinnen und ihrer Kinder. In Suditalien, wo das Klima noch warmer und die Gefahr noch grosser ist, war die Verfolgung der Obrigkeit in demselben Masse lebhafter, so dass dort der Reisbau, so wie er iiberhand nehmen wollte, immer wieder erstickt wurde und jetzt sich auf einzelne un- bewohnte Punkte beschrankt. Der Ertrag der ganzen Halbinsel an Reis wird auf mebr als 2 Millionen Hectoliter im Werth von etwa 70 bis 100 Millionen Lire geschatzt. In Spanien soil diese altarabische Kultur sebr gesunken sein, wohl auch in Folge sanitatspolizeilicher Verbote ; aus Siidfrankreich ist sie verschwunden, in der europaischen Tiirkei sah Busbequius im 16.tJahrhundert Reisfelder bei Philippopel, epist. 1 : fuimus Philippopoli, vidimus in locis palustribus et aquo- sis orizam instar tritici crescentem. So vorzuglich iibrigens die Qualitat des sudeuropaischen Reises im Allgemeinen ist, so wenig fall! der Handel damit ins Gewicbt gegen die Massen, die Ostindien, Java, besonders aber Amerika auf den Markt bringen. Wie nam- lich mit dem Zucker und Kaffee und der Baumwolle geschah, so auch mit dem Reis: erst die Versetzung in die neue Welt hat ihn zu einem Weltprodukt gemacht. Die siidlichen Staaten der Union, Florida, Mississippi, Alabama, Louisiana, Georgien, besonders aber Siidcarolina erzeugen jetzt Reis fur Millionen an Ausfuhr werth und trotz der grossen Entfernung halten die Preise die Concurrenz mit den italienischen aus. Europa war fur diese Frucht die Haltestation, wohin sie die Araber, die alten Zwischenhandler des Ostens und Westens brachten, und von wo Andere sie weiter nach Neu-Indien jenseits des Oceans schafften.

Ein noch wichtigeres Gegengeschenk hat iibrigens Amerika der alten Welt durch seinen Mais, Zea Mais L., gemacht, der jetzt einen grossen Theil von Siideuropa und der Levante nahrt und bis nach China und Japan und ins tiefste Herz von Afrika zu Neger- stammen, die nie einen Europaer gesehen haben, gedrungen ist. Schon Columbus fand diese Saatfrucht in Hispaniola vor, und schon damals wurde sie durch ganz Amerika angebaut, so weit nur Ackerbau

502 Der Mohrhirse.

herrschte und das Klima es erlaubte. Seit dem Anfang des 16. Jahr- hunderts wurden Korner davon in spanischen und italienischen, auch franzosischen , deutschen und englischen Garten gesteckt und die Pflanze bald auch ini Grossen auf Feldern gezogen. Die Venetianer verbreiteten sie im Orient ; sie siedelte sich unter dem Namen Kukuruz in der Tiirkei, den Donaulandern, Ungarn an, und gab auch dort eine Lieblingsspeise ab (z. B. als Mamaliga bei den Walachen, zu welcher der Branntwein aus Zwetschen, die sog. Tschuka, nicht fehlen darf) ; nach Deutschland kam sie als tiirkischer Weizen oder Walsch- korn aus Italien. »Unser Germania,« sagt Hieronymus Bock (Tragus), New Kreiiterbuch, Strasburg 1539 fol. 2; 21 wird bald felix Arabia heissen, dieweil wir so viel fremder Gewachs von Tag zu Tag aus fremden Landen in unsern Grund gewohnen, unter welchen das gross Welschkorn nit das geringst ist. « In Norditalien ist jetzt die Polenta d. h. der Maisbrei die gewohnliche Kost des Landmannes und der Maisbau wetteifert besonders in den fruchtbaren Flachen des nord- lichen Theiles der Halbinsel mit der Weizenkultur. Liefert die letztere auch ein edleres Korn und feineres Mehl, sowie eine gesun- dere Nab rung, so steht sie dem ersteren doch an Ergiebigkeit nach und hat ihm deshalb Schritt fur Schritt vom besten Boden abtreten miissen 96).

Leichter als den Reis muss es gewesen sein, den Mohrhirse, Sorghum vulgare L., die dhorra und dochn der Araber, aus Ost- indien nach Europa zu bringen, denn schon kurz vor Plinius war er in Italien erschienen, 18, 55: milium intra hos deeem annos ex India in Italium invectum est, nigrum color e, amplum granoy harundineum culmo. adoleseit ad pedes altitudine septem, prae- grandibus comis (culmis): jubas (phobas) vacant: omnium fru- gum fertilissimum. ex uno grano sextari terni gignuntur. seri debet in umidis. Die Beschreibung ist zutreffend und an der Iden- titat nicht zu zweifeln; auch mit der Angabe, dass der Sorgho das fruchtbarste aller Korner sei, hat es seine Richtigkeit. Leider steht der Gehalt bei diesem Getreide nicht im Verhaltniss zu seiner Er- giebigkeit und da es sich auch durch Farbe und Geschmack nicht sehr empfiehlt, so mag der Anbau nachher wieder aufgegeben wor- den sein97). Wenigstens horen wir nach Plinius nichts wieder von der Dhorra, und erst die Araber verbreiteten dies in den Gegenden urn das rothe Meer bis zu den Schwarzen im inneren Afrika ge-

Der Buchweizen. 503

wohnliche Saatkorn zum zweiten Male iiber die Lander am Mittel- meer. Petrus de Crescentiis -(um 1300 nach Chr. oder gleich nach- her) kennt es genau unter dem Namen miliea (auch heut zu Tage melga, melica, in anderen Gegenclen saggina, sorgo genannt) und beschreibt die Anwendung desselben als Thierfutter, in Theuerungs- jahren als Beimischung zu anderem Mehl, zu technischen Zwecken u. s. w. ganz in heutiger Weise, lib. 3 de miliea (der Easier Quart- ausgabe von 1538): Melegaria competunt ad claudenda tuguria et vias in tempore luti sternendas et competunt igni et clibanis fa- ciendis, cum fuerint exsiccata, et plantis salicum involvendis, ne excorientur a bestiis et ne sole urantur aestivo. Semen milicae bonus cibus et porcis est bobus et equis dari potest et homines eo tempore neccessitatis utuntur et cum aliis granis et pane in prac- cipue rusticis. Die verschiedenen Arten und Varitaten dieser Frucht kommen auch im jetzigen Italien vor, doch ist ihr Anbau iiberhaupt beschrankt: sie dient griin als Futterkraut oder in Kornergestalt zur Schweinemast, denn den Vogeln ist sie schadlich, oder endlich mit ihren Rispen, je nach der Grosse, zu Biirsten oder Besen, oder end- lich mit den Halmen zu den geflochtenen Wanden der einfachen Bauernhutten. Wie der Roggen ein zu nordisches, ist der Mohren- hirse ein zu siidliches, ein Negerkorn, und beide, ohnehin wegen ihres schwarzlichen Mehles verachtet, streifen nach Italien nur hin- iiber, zum gegenseitigen Erstaunen, wo sie zusammentreffen.

* Der Re is (Oryza saliva) ist nach Hooker fil. (Flora of British India VII. p 92) wild in den Siimpfen von Rajpootana, Sikkim, Bengalen, Khasia, CentraMndien , den Circars und Pegu. Dieser Reis ahnelt in alien wesent- lichen Merkmalen einer haufig kultivirten begrannten Varietat. Nach Lou- reiro (Flora cochinch. I. p. 267) soil er auch in den Siimpfen Cochinchinas wild wachsen, auch von den Chinesen, bei denen der Reis schon im Jahre 2800 vor Christus eine verbreitete Kulturpflanze war, wird derselbe als eine ein- heimische Pflanze angesehen. Sodann soil er auch im tropischen Nord-Austra- lien nach F. v. Miiller (Bentham Flora australiensis VII. p. 550) wirklich wild vorkommeii. Oryza punctata Kotschy aus Kordofan ist kaum von 0. saliva verschieden, dagegen diirfte eine im Gebiet von Bahr el Ghazal von Schweinfurth in grossen Bestanden wildwachsend gefundene Reispflanze eine von Oryza saliva verschiedene Art darstellen.

Der Mais (Zea Mays L.) wird schon lange als eine aus Amerika nach der alten Welt eingefiihrte Pflanze angesehen ; hierftir sprechen einerseits die verwandtschaftlichen Beziehungen des Maises zu einigen anderen amerikani- schen Gattungen (Euchlaena und Tripsanum), anderseits der Umstand, dass in den peruanischen Grabern von Ancon und in denen von Arizona Mais ge-

504 Der Buchweizen.

funden wurde. Noch war aber irgend welches spontanes Vorkommen von Mais unbekannt. Neuerdings erst 1st eine wildwachsende Maisart in Mexiko konstatirt worden. Zuerst (1869) von Rozl im Staate Guerero beobachtet, wurde sie auch im siidlichen Theil von Coyote bei Moro Leon nordlich vom Cuitzco-See gefunden. Die Pflanze ist von den in Kultur befindlichen Formen verschieden und wird daber zunachst als eigene Art mit dem Namen Zea canina Watson bezeichnet. Doch muss sie dem Kulturmais ziemlich ahnlich sein, da die Einwohner des mexikaniscben Districtes von Moro Leon diesen Coyote-Mais fur die Stammpflanze der Kultursorten halten; auch ist nicht ausgeschlossen, dass diese Maispflanze eine verwilderte Sorte ist.

Der Mohrhirse oder der Sorgho Andropogon sorghum (L.) Brotero ist jetzt in alien warmeren Landern angebaut und zwar hauptsachlich in den Unterarten saccharatus , eu-sorghum und cernuus mit zahlreichen Varietaten. Die besten Kenner der Getreidearten, Kornicke und E. Hackel, sind der An- sicht, dass alle diese Unterarten und Varietaten, welche in der Form des Bliitenstandes, sowie in Gestalt, Grosse nnd Farbe der Friichte auffallende Verschiedenheiten zeigen, von dem iiber alle warmeren Theile der Erde ver- breiteten Andropogon halepensis (L.) Brot. (A. arundinaceus Scop.) abstammen. (Man vgl. Koernicke in Koernicke und Werner, Handbuch des Getreidebaus, I. 294 fF. und Hackel's Abhandlung: Die kultivirten Sorghum- Arten und ihre Abstammung in Engler's Botanischen Jahrb. VII, S. 115 ff.). Wahrscheinlich hat die Kultur ihren Anfang in Afrika genommen, wo die Durrah die wich- tigste Brotpflanze ist, und vielleicht auch in Ostindien.

Der Buchweizen.

(Polygonmn Fagopyrum L.)

Gleichsam zum Ersatz fur den dem Siiden gewahrten Mais er- hielt zu derselben Zeit, oder nur ein wenig friiher der Norden Europas aus dern Innern Asiens ein der civilisirten Welt bis dahin unbekanntes Korn, den Buchweizen. Ihr Vaterland hat diese dikotyledone Pflanze - denn sie ist keine Grasart, wie die ubrigen Cerealien in Nord- china, Siidsibirien und den Steppen Turkestans und muss sich mit den Volkern, die aus jenen unermesslichen Weiten auf brachen, weiter nach Westen in Bewegung gesetzt haben, Wie Piano Carpini, Ru- bruquis und vor Allen Marco Polo zum ersten Male, seit es ein Europa in geschichtlichem Sinne gab, den Weg zu jenen Einoden mit Glutsommern und Eiswintern und den barbarischen Hofhaltungen schlitzaugiger gelber Menschen sich bahnten , so kamen in umge- kehrter Richtung neben dem unsaglichen Unheil, das jene fiirchter- lichen Racen brachten, auch einzelne Sitten, Fertigkeiten , Pflanzen,

Der Buchweizen. 505

die fur Bereicherung gelten konnten, aus Asien erst zu den ostlichen Grenzen der civilisirten Volker, dann zu diesen selbst in langsamem Vorschreiten hiniiber. Marco Polo selbst, 4er den echten Rhabarber in dessen Vaterlande mit Augen sah, und iiber diese feme, wunder- bare Wurzel berichtet, schweigt iiber den Buchweizen. Aber die ersten botanischen Schriftsteller seit dem Beginn des sechzehnten Jajirhunderts kennen dies Saatkorn bereits als ein seit Menschen- gedenken aus der Frenide eingefiihrtes. Job. Ruellius, dessen Werk de stirpium natura zuerst 1536 in Paris heranskam, hat p. 324 (der Easier Ausgabe 1537 fol.) die Notiz: hanc (frugem) quoniam avo- rum nostrorum aetate e Graecia vel Asia venerit, turcicum frumen- tum nominant, und gleich darauf : jam agri plerique in Gallia hac fruge rubent. Noch alter ware die Aussage des jungeren Champier in seiner Schrift de re cibria libari XXII, Jo. Bruyerino Campegio Lugdun. authore, Lugduni 1560. 8 °, wenn seine Behauptung in der Widmung an den Kanzler Michel 1'Hopital, er habe sein Buch annos abhinc triginfa plus minusve, also um das Jahr 1530, geschrieben, buchstablich und mit Ausschluss jedes spateren Zusatzes zu ver- stehen ware. Dort heisst es lib. 5, cap. 23, p. 374: serunt prae- terea gallici rustici frugem aliam non ita pridem e Graecia Asiave aliovc orbe ad nos invectam - folgt die Beschreibung des Buch- weizens und dann: vulgus turcicum frumentum nominat. Die Worte stimmen fast wortlich mit denen des Ruellius iiberein, welcher letztere das Manuscript des Bruyerinus Campegius noch vor dem Druck benutzt haben konnte. Der Ausdruck avorum nostrorum aetate fiihrt fiir Frankreich auf das Ende des 15. Jahrhunderts und fur Deutschland entsprechend friiher, etwa auf die Mitte oder die erste Halfte desselbeii. Ueber den Weg der Einwanderung erfahren wir nichts bestimmtes. Die Benennung turcicum frumentum, statt deren sich friihe die andere : ble sarrazin, grano saraceno einstellte, weist nur ganz unbestimmt auf die asiatische, iiber die christliche Welt hinausliegende Heidenschaft hin. Daher Leonhart Fuchs, de historia stirpium, Basileae 1542 fol., p. 824 ganz richtig sagt: e Crrae- cia autem et Asia in Germaniam venit, unde turcicum frumentum appellatum est: Asiam enim universam hodie immanissimus Turca occupat. Nord- und Siiddeutschland nennen dies Korn verschieden .und haben es also nicht auf gleichem Wege uberkommen. Der niederdeutsche Name Buchweizen ist, wie man sieht, an Ort und Stelle gegeben und bezieht sich auf die Aehnlichkeit der Korner mit den Bucheckern; das niederlandische boekiveyt gin g in der Form

506 Der Buchweizen.

bouquette, bucail u. s. w. in das benachbarte nordostliche Frank- reich uber, welches schon den Buchweizen aus Brabant bekommen hat. Schon die plattdeutschen Bibeln, die von Coin (nach 1470), die Liibecker von 1594 u. s. w. setzen Jes. 28, 25 boekivete fur das Wort, welches Luther s pater mit Spelt ubertrug und die vorluthe- rischen hochdeutschen Bibeln rnit Wicken wiedergaben. Die alteste Erwahnung des norddeutschen Buchweizens fande sich nach Pritzel (Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin Mai 1866) in Originalregistern des mecklenburgischen Amtes Gade- busch vom Jahre 1436. Der andere, in Suddeutschland iibliche Aus- druck Heidenkorn (jetzt durch Umdeutung gewohnlich Heidekorn, als ware es ein auf Heidegrund wachsendes Korn), der sich schon in Glossensammlungen der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts findet (so bei Diefenbach glossar. lat. germ. s. v. cicer, im Anzeiger fur Kunde deutscher Vorzeit 6, 438 als Verdeutschung fur medico, u. s. w.),. sagt dasselbe aus, was czechisch pohanka, pohanina, poln. poganka, magyar. pohdnka - - ein von den Heiden gekommenes Getreide; da aber andere slavische Sprachen derselben Weltgegend auch ajda, hajda, hajdina sagen, welches offenbar ein Lehnwort aus dem Deut- schen ist, so bleibt Zweifel, ob nicht das czechische pohanka auch nur ein iibersetztes Heidenkorn ist. Ein dritter deutscher Name Taterkorn, Tatelkorn ist soviel als frumentum Tatar orum und hat sein Analogon im czechischen und kleinrussischen tatarka, magyar. tatdrka, finnischen tattari, estnischen tatri. Hierin lage ein deutlicher Wink, von welchem Volke Osteuropa diese Frucht be- zogen hatte, namlich den Tataren, unter welchem Namen sowohl die Stamme mongolischer Race, als die eigentlichen Wolga- und Krimtataren verstanden wurden; aber dass die Russen diesen Namen nicht kennen, muss bedenklich machen, und es scheint uns daher wahrscheinlich , dass damit Zigeunerkorn ausgedriickt werden sollte, da diese wandernden Horden den Namen Tatern oder das Heiden- volk fiihrten und zum Theil noch fiihren und auf ihren Ziigen, mit denen sie gerade im 15. Jahrhundert das westliche Europa iiberfluteten, diese Saat verbreiten mochten (s. C. Hopf, die Ein- wanderung der Zigeuner in Europa, Gotha 1870). Das russische greta, grecucha, grecicha, kleinruss. hredka, poln. gryka, lit. plur. grikai, auch in deutschen Mundarten GrucJcen (walachisch hrisk, magyar. haricsha) bedeutet griechisches Getreide d. h. ein von Siiden gekommenes, fremdes, in demselben Sinne, den das Beiwort walsch bei den Deutschen hatte. Daneben gilt in Russland, in den

Der Buchweizen. 507

Gegenden an der Unterwolga ein dikusa, so viel als wildes Kornr d. h. entweder wildwachsendes, oder von den Wilden, den jenseitigen Nomadenstammen angebautes oder von ihnen bezogenes Korn, wofiir auch das tatarische Wort IcurluTc gebraucht wird. Pallas sah auf seinen Reisen haufig, wie diese Nomaden bei ihren Mchtigen Acker- bauversuchen den tatarischen Buchweizen, polygonum tataricum, theils anbauten, theils sich seiner als eines Unkrautes nicht erwehren konnten. Nach Linde (in seinem Worterbuch unter grylca} fande sich Wort und Sache in polnischen Inventarien nicht vor der Re- giervmg des Konigs Sigismund August, also nicht vor der zweiteri Halfte des 16. Jahrhunderts. Doch mag die grylca bis dahin nur seltener gewesen sein, als spater, und ihre Erwahnung nur spar- licher. Alles in Allem genommen, waren es die Tiirken- und Mon- golenstamme , die dies neue Korn in die Gegend des schwarzen Meeres brachten, von wo es dann (wenn man die Zigeuner aus dem Spiel lassen will) der Seehandel iiber Venedig und Antwerpen weiter nach Deutschland und Frankreich und beziehungsweise nach den Niederlanden trug; dass es von den Slaven den Deutschen ubermittelt worderi, da-fur spricht, wie wir gesehen haben, kein sicheres An- zeichen in der Namengebung. Es empfahl sich durch den angenehmen Geschmack und die kurze Vegetationsperiode , letzteres zugleich eine Bestatigung seiner Herkunft aus dem strengen hochasiatischen Himmels- strich. Jetzt ist das weite Russland, seiner geographischen und kulturhistorischen Stellung gemass, ein vorziigliches Erzeugungsland dieser Feldfrucht und die aus ihr bereitete Griitze, die sogenannte Jcasa, die aus dem Mehl derselben gebackenen Vorfasten-Kuchen u. s. w. eine unentbehrliche, nationale, dem Volke nicht wie so vieles Andere aus Europa aufgedrangte Kost und Sitte. Auch in Norddeutsch- land, z. B. in Holstein, hangt der gemeine Mann von Alters her an seiner Griitze aus Buchweizen , der selbst in den Niederlanden einen wichtigen landlichen Artikel bildet. Im Siiden wird das Heide- korn seltener und verschwindet am Mittelmeer ganz ; aber in den rauheren osterreichischen und tyroler Alpen, wo der Mais nicht mehr tragt, stosst man haufig im Herbst nach der Ernte auf die artig aus- sehenden Felder mit den rothen Stengeln und weissen Bliiten des Heidekorns. Es heisst dort Plent (aus polenta, s. Schopf, Tirolisches Idiotikon) und das Gericht daraus Sterz.

* Der Buchweizen (Fagopyrmn escukntum Moench) findet sich, wieMaxi- mowicz festgestellt hat, wildwachsend an den Ufern des Amur, in Dahurien

508 Araber.

und am Baikalsee. Eine zweite, gegen Kalte weniger empfindliche Art (Fagopyrum tataricum (L.) Gartner) wachst in der Tartarei und in Sibirien bis nach Dahurien; aber nicht im Amurland.

Schon im Vorhergehenden 1st bei Besprechung mancher einzelnen asiatischen Kulturpflanze , z. B. der Citrone und Pomeranze, der Dattelpalme, des Safrans, des Mohrhirse, der Ceratonia Siliqua u. s. w. bemerkt worden, dass, wenn ihre erste Einwanderung aucb schon in die Zeit des Alterthums fiel, sie doch erst durch die Araber ein bleibender Besitz der Kusten des Mittelmeers geworden sind. Die Araber nahmen das Werk des Alterthums kraftig auf und gaben der Bewegung einen neuen machtigen Impuls. Es war eine Zeit, wo das innere Meer ein arabischer See heissen konnte. Zwar Konstantinopel zu erobern, gelang diesem kriegerischen Kulturvolke nicht, obgleich dies vielleicht nicht zum Schaden der versunkenen Hauptstadt ge- wesen ware und auch sich an der Loire, also im kalten Mitteleuropa, festzusetzen , war wider die Natur und konnte, welches auch der . Ausgang der gegen Karl Martell gelieferten Schlacht war, nicht von Bestand sein, aber in Aegypten und ganz Nordafrika, in Spanien, auf Sardinian und den Balearen, in Sicilien, Kalabrien, Apulien, an den Kiisten der Levante, geboten Araber, bauten den Boden und be- luden Schiffe, und an glanzenden Hofen der Kalifen und ihrer Statt- halter bliihten in einer Epoche allgemeiner Barbarei die Kiinste und humane Sitte. Ja, der Trieb, die Vegetation Asiens nach Europa zu versetzen, wirkte noch tiefer und in weiterem Umfang, als jemals zur Zeit der Romer, deren Macht doch auch bis ins Innere Asiens gereicht hatte. Durch die Araber kamen ostindische Produkte, von denen das spatere Alterthum nur gehort, oder die es durch den Handel als kostbare Waare empfangen hatte, lebend und leibhaftig an das Mittelmeer. Zwar den Pfefferstrauch zu verpflanzen, ging nicht an, und vom Kaffee war noch nichts zu horen, aber die Seiden- raupe wurde in Spanien und Sicilien angesiedelt, und maurische Seidenzeuge aus Palermo dienten dem Herrn der Christen heit zum prachtvollen Kronungs- und Kaisergewand, an stillen Wassern rauschten Papyrusdickichte, und die Baumwolle und das Zuckerrohr versuchten in den warmsten Lagen auf europaischem Boden zu gedeihen - letzteres ein Ereigniss von unberechenbarer Wichtigkeit. Demi wenn auch der Anbau des Zuckers und der Baumwolle in Europa selbst keinen nennenswerthen Umfang gewinnen konnte - - erst in Folge der amerikanischen Krisis stieg der Ertrag der letzteren in

Die Tulpe. 509

Siiditalien auf etwa 100,000 Ballen , so ward er doch Anlass zu der ungeheureii Produktion jener ostindischen Gewachse in West- indien, zu der entsprechenden Consumption bei alien Volkern der Erde und dem beide vermittelnden , die Oceane und alle Hafen be- lebenden Welthandel. Wer heut zu Tage nach einem Besuche Pompejis aus dem Thor dieser verschiitteten Stadt tritt, an deren Wanden niichtig gezeichnete Landschaften von der schon damals gelungenen Aneignung so mancher subtropischen Baume Zeugniss geben, der kann an den Baumwollfeldern, die sich durch die Gegend hinziehen, sich vergegenwartigen , wie die Epoche der Mauren dem Alterthum in dieser Hinsicht ebenburtig ist. Gleich den Namen zucchero und cotone, belegen dies noch andere aus dem Arabischen stammende oder durch das Arabische vermittelte Be- zeichnungen, z. B. melia azedarach, ein tiber alle Gestade des Mittel- meeres verbreiteter Baum, lazzeruolo, der Azerolenbaum, mit essbaren Fruchten, gesmino, gelsomino, der echte Jasmin, der in dem genannten Bezirk fast schon verwildert ist, u. s. w. 98).

Als die Araber zerfielen und allmahlich unterlagen, war unter- dess im Zeitalter der Kreuzziige der Seehandel der italienischen Stadte aufgebliiht : Venedig und Genua beherrschten die Markte der Levante und unterwarfen sich Inseln und Territorien. Auch diese Verbindung wandte Europa einen Theil des Reichthums jener ge- segneten morgenlandischen Gebiete zu, und selbst als die Turken immer weiter erobernd vordrangen, schlug auch dies der Weltkultur zum Gewinn aus.

Denn die Turken waren kein bloss zerstorendes Volk, wie die Mongolen, sondern fiihrten Europa aus der Besonderheit ihres ur- spriinglichen Heimatlandes und ihres daran gekniipften Naturells manches Neue, Unerhorte zu, das die Scbranken der gewohnten Sitte und den Kreis der Vorstellungen erweiterte. So waren sie Freunde der Baume, besonders der Blum en. In den kurzen hef- tigen Sommern Turkestans erbliihen auf trockenen, fast ununter- brochen von dem Licht der Sonne getrofFenen Heiden zahlreiche, farbige, stolze Blumen, und diese begehrte der Tiirke auch nach seiner Wanderung in den Siidwesten in seinen Garten zu schauen und gesellte ihnen aus den vielen in seiner Hand vereinigten Lan- dem noch andere bisher unbekannte hinzu. So wurde Stambul und das Tiirkenreich iiberhaupt das Bezugsland fiir eine neue prachtige Uartenflora, die auf zwei Hauptwegen, iiber Wien uud iiber Venedig,

510 We Tulpe.

in Europa einwanderte. Die beriihmteste und wegen ihrer weiteren Schicksale merkwiirdigste dieser tiirkischen Blumen war die Tulpe, so in Italien nach dem persischen dulbend oder Turban genannt, das Staunen und die Bewunderung der damals noch sehr naiven Kinder des Westens. Das Wesentliche der Geschichte dieses stolz bliihenden, leicht Spielarten bildenden Zwiebelgewachses hat J. Beck- mann in seinen Beytragen 1, 233 if. und 2, 548 ff. mit gewohnter Griindlichkeit erzahlt. Conrad Gesner, der Linne des 16. Jahr- hunderts, sah die erste Tulpe im Jahr 1559 in Augsburg im Garten eines der dortigen Patricier ; fur das Jahr 1565 sind bluhende Tul- pen auch im Garten der reichen Fugger bezeugt. Die Saat jener ersten sollte aus Konstantinopel oder, wie Andere sagten, aus Kappa- docien gekommen sein; nach Clusius war KafFa in der Krim ihr Vaterland, mit anderen Worten die krimischen Tataren, die Stamm- genossen der Tiirken, hatten sie mitgebracht und angepHanzt und lieferten die Zwiebeln. Wahrend die Italiener eine andere Art direkt bezogen und ihr, wie gesagt, auch deren Namen tulipano gegeben hatten, sollte der Kaiserliche Gesandte Busbeck, der sich allerdings mit dieser Blume viel befasste, die erste deutsche Tulpe nach Prag gebracht haben. Aus Wien erhielt sie Nord- Europa, namentlich England; die grossten Liebhaber aber fand die Blume an den unter- dess frei und reich gewordenen, phantasielos gebliebenen Hollandern. In Holland erwachte der Wetteifer, immer neue, seltene, wunder- liche Abarten und Farbenmischungen zu erzeugen und fiihrte end- lich in der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts zu dem weltbekann- ten Tulpenschwindel, dem Kauf und Verkauf auf Zeit von nie dagewesenen Exemplaren, mit Entrichtung bloss der Differenz zwischen dem vereinbarten und dem am Verfalltage notirten Preise, einem »Windhandel«, der das Vorspiel bildete zu den ein Jahrhundert spater zu Paris in der rue Quincampoix sich abwickelnden Scenen und zu dem offen und versteckt getriebeiien Glucksspiel unserer Bb'rsen. Die Geschichte sagt nicht, ob es vielleicht schon damals speculative Kinder Israels waren, die in Amsterdam, Harlem und Rotterdam fur eine Phantasie-Tulpe den Preis eines Hauses oder Landgutes be- zahlten, und ob sie schliesslich die einzig gewinnenden waren, indess alien librigen Spielern der ertraumte Reichthum in der Hand zer- floss. Andere Blumen und Ziergewachse, die Europa dem Halbrnond verdankt, sind der jetzt allgemein verbreitete, lieblich duftende Syringenstrauch , Syringa vulgaris, italienisch und spanisch lilac, f ranzos. lilas - - ein orientalischer Name , durch Busbequius aus

Die Tulpe. 511

Stambul heriibergebracht ; der Hibiscus syriacus mit den pracht- vollen rosenartigen Bliiten; die aromatisch duftende orientalische Hyacinthe, Hyacinthus orientalis, aus Bagdad und Aleppo nach Venedig und Italien gebracht, spater die Nebenbuhlerin der Tulpe auf den Blumenbeeten der Hollander und, wie diese, in unzahligen Farben und Abarten erzeugt; die Kaiserkrone, Fritittaria imperialis, eine persische Blume, die die Europaer in den Garten Konstantinopels kennen lernten; die Gartenranunkel , Ranunculus asiaticus, die Lieblingsblume Mahomed des vierten, die dieser in alien Formen aus den Provinzen seines weiten Reiches in den Garten seiner Haupt- stadt versammelte, und die dann von dort nach Italien und weiter nach Deutschland und den Niederlanden wanderte. Bei der einmal erwachten Blumenlust kamen dann zu diesen und anderen tiirkischen Blumen noch andere aus anderen Gegenden, so die schone Balsamine, Impatiens balsamina, noch jetzt uberall in Italien bliihend, im 16. Jahrhundert von den Portugiesen aus Ostindien gebracht, und die in Italien selbstandig aufgetretene Nelke, ital. garofolo, garofano, franzosisch ceiUet, das Aeuglein, genamit, Dianthus caryophylhis, die Blume der italienischen Renaissance denu in der Epoche des Aufbliihens der Stadte und des Handels hatte das Auge des Men- schen sie in dem siidlichen Italien wild gefunden und seine Kunst und Pflege ihr gesteigerten wurzhaften Duft, Blatterfiille und alle Abstufungen der Farbe abgelockt. Noch jetzt ist sie,

Im schonen Kreis der Blatter Drang, Und Wohlgeruch das Leben lang Und alle tausend Farben ,

obgleich von den Alten nicht beach tet, der besondere Liebling des Volkes jenseits der Alpen. Dass aber nicht bloss Blumen, sondern auch Baume durch die Tiirken uber die Welt verbreitet sind, beweist der von uns an anderer Stelle bereits erwahnte schone Kastanien- baum mit den pyramidalen Bliiten und dem dichten Schatten schon im Fruhling, Aesculus Hipp o cast anum , aus dem Vaterlande der Tiirken stammend; der Kirschlorbeer, in der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts aus Trapezunt, wo ihn Pierre Belon zuerst sah, durch Clusius nach Wien ubertragen; endlich die reizende, zarte, suss duftende Albizzia Julibrissin, deren italienischer landschaft- licher Name gaggia di Constantinopoli verrath, an welchem Punkte sie zuerst den Boden Europas betreten hat. Von dem Buchweizen als einem tiirkisch-mongolischen, aus Hochasien mitgebrachten Korn ist bereits die Rede gewesen.

512 Amerika.

* Die Geschichte derTulpen hat. nach Hehn's Tode niehrere Botaniker zu eingehenden Studien angeregt, so namentlich E. Levier (I tulipani di Firenze ed il Darwinismo. Eassegna settimanale Vol. II No. 17, Komal878; L'origine des Tulipes de la Savoie et de 1'Italie. Archives italiennes de bio- logie. V. Paris 1884; Les tulipes de 1'Europe. Bull. soc. sc. nat. de Neuf- chatel XII (1884); Neotulipes, Paleotulipes, in Malpighia VII, Geneva 1894 p. 404) und H. Graf Solms-Laubach (Weizen und Tulpe und deren Ge- schichte, Arthur Felix, Leipzig 1899). Nach diesen Untersuchungen steht fest, dass T. Clusiana 1606 aus Constantinopel nach Florenz kam und von hier aus vielfach in Siidwest-Europa verschleppt [wurde. Dagegen war T. ocidus solis St. Amans lange nur aus Nordeuropa, namentlich aus den hollandischen Garten bekannt und verbreitete sich im vorigen Jahrhundert in Frankreich und Italien. Wahrscheinlich stammt sie von Tulipa Dammanniana Host im Pontus ab. Tulipa saxatilis Sieb. von Kreta scheint auch schon lange in den Garten Westeuropas und Italiens kultivirt worden zu sein. -- Ende des 16. Jahrhunderts fand der Kaiserliche Gesandte in Constantinopel, A. de Bus- beque, die Tulpen in Tiirkischen Garten, woselbst wahrscheinlich schon starke Hybridisation stattgefunden hatte, bereits in grosser Mannigfaltigkeit vor und brachte sie nach dem Abendland, wo im 17. Jahrhundert sehr rasch zahllose neue Formen durch Knospenvariation entstanden. Diese werden als Tulipa Geseriana L. zusammengefasst. Aus den verwilderten Kulturpflanzen sind an einzelnen Stellen wie bei Florenz, Bologna und St. Jean de Maurienne, durch extreme Variabilitat neue Formen entstanden, welche vegetativ sich vermehrend oft Jahrzehnte lang constant bleiben.

Doch was bedeuten cliese verspateten Ankommlinge aus dem Orient gegen den ungeheuren Umtausch, der mit der Entdeckung Amerikas begann? Amerika, sagt Kohl sehr schon in seiner Ge- schichte der Entdeckung Amerikas, Bremen 1861, S. 412, tauchte auf, wie ein unserem Planeten angehangter neuer Stern. Was Amerikas Tropen und gemassigte Zone lieferten, war nicht ein Nachtrag, von Phoniziern, Kleinasiaten, Griechen und Romern nur zufallig versaumt, sondern Gaben und Erzeugnisse einer ganz neuen Welt und es begann die zweite grosse Periode der Geschichte, die des Verkehrs beider Hemispharen, da die erste nur die Entwickelung der einen aus sich und in sich gewesen war. Wir stehen noch am Anfang dieser Epoche, die der grosse Genuese eroffnet hat, und Transplan- tation und Acclimatisation sind bis jetzt nur das zufallige Geleite des Handels und der Schiffahrt gewesen. Dennoch fuhrt schon jetzt jeder Spaziergang durch europaische Parks und Garten, jede Fahrt auf Landwegen und Eisenbahnen an amerikanischen Gewachsen vor- iiber: die Vitis Labrusca, der sogenannte wilde Wein, aus Nord- amerika, bekleidet Siiulen und Wande, rothgliihend im Herbste, doeh

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keinen Traubensaft spendend, wie die morgenlandische Schwester vom Kaukasus und Demavend; neben ihr klettert mit hochgelben Bliiten die peruanische Kapuzinerkresse, Tropaeolum majus, empor; die Pyramidalpappel, Populus dilatata, zieht wie ein griiner Saulen- gang oder paarweise in Procession an der Heerstrasse fort, am Mis- sissippi einheimisch , fur uns zunachst aus Italien gekommen und daher lombardische Pappel genannt, der einzige Baum, der in unserem Norden Gestalt hat und daher auch von den Gemiithsschwarmern der romantischen Zeit und Schule verachtet und verfolgt; breiten, dichten Schatten wirft die amerikanische Platane, Platanus occiden- talis', Hecken nordamerikanischer Acacien, Itobinia Pseudacacia, um- geben die offentlichen Spaziergange, in denen Pinus Strobus, die Weymouthskiefer, Bignonia Catalpa, der Tulpenbaum, Liriodendron tulipiferum jenseits der Alpen die jetzt allverbreitete heriiiche Mag- nolie, Magnolia grandiflora, die aus dem tropischen Amerika stam- mende, siissen Veilchenduft verbreitende Acacia Farnesiana, der australische Eucalyptus globulus, mit dem man jetzt die romische Campagna bepflanzen will, der japanische Ligusterbaum, der gleich- falls japanische schone Mispelbaum mit den duftenden Bliiten im Herbst und den goldenen Fruchtbiischeln im Friihling (Eriobothrya japonica, eine jetzt in Siiditalien und Sicilien wichtige Kulturpflanze), der zarte Pfefferbaum, Schinus Molle, der prachtige Korallenbaum, Erythrina Corattodendron u. s. w, den Eintretenden empfangen. Fiir den Weizen und das Rind und das Pferd - - Geschenke von unschatzbarem Werth haben wir den Truthahn, den Mais, die Kartoft'el, den Opuntiencactus, Opuntia Ficus indica, zuriick- erhalten. Was die Kartoffel im Norden ist auch fiir diese Frucht 1st, wie der Name lehrt, Italien das Mittelland gewesen , weiss Jeder, weniger dass die Opuntienfeige fiir die Wiisteri und Felsen des Mittelmeeres fast dieselbe Bedeutung hat, wie jenes Knollengewachs fiir die Heiden des Nordens. An alien Kiisten jenes Siidens, vom Atlas und der Sierra Morena am Aetna vorbei bis zum Taurus und Sinai, hat diese siidamerikanische , blaugraue, stachlichte, in sonderbarer Vegetation ein fleischiges Stengelglied aus dem Ende des anderen hervortreibende Pflanze die diirrsten, unfruchtbarsten Felswande und Steingriinde iiberzogen und sie so durch die Humusbildung der Kultur wiedergegeben. Man pflanzt sie auf den Lavafeldern des Aetna, um diese rascher urbar zu machen; ihre Stacheln hiiten das Feld, von den Blattern nahrt sich das Vieh, und die saftigen Friichte bilden vier Monate gegen den Herbst jeden Jahres die Nahrung und Er-

Vict. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 33

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frischung der ganzen Bevolkerung. Neben ihr wuchert ihre Gefahrtin und physiognomische Verwandte, die Aloe, Agave amerieana, mit der riesengrossen griinen Blatterrosette und dem aus dieser baum- oder kandelaberartig aufsteigenden Bliitenschaft ; beide zusammen haben den Typus der mediterranen Landschaft, die langst vom Orient her ihr strenges, stilles Kolorit erhalten hatte, durch ein volhg eiii- stimrnendes Element wesentlich erganzt. Die KartofM hat sich bei den Siidlandern nicht beliebt gemacht"), wohl aber eine andere, der Kartoffel nahe verwandte, urspriinglich giftige amerikanische Frucht, die Tom ate, auch pomi d'oro genannt, Solanum Ly coper sicum, deren gelbrother sauerlicher Saft die italienischen Schiisseln zu farben pflegt und uberall in der italienischen Kiiche, wo es nur moglich ist, angebracht wird.

Damit dem Bilde des Wechselverkehrs mit der neuen Welt sein Schatten nicht fehle, ist auch noch des Tabaks zu erwahnen. Wie die Europaer nicht bloss die wohlthatigen Resultate einer dreitausend- jahrigen Kultur nach dem jungfraulichen Lande hiniiberleiteten, sondern mit ihren SchifFen im Siiden auch Neger und Jesuiten, im Norden auch die Pocken und den Branntwein landeten, so verdanken wir Amerika nicht nur die Kartoffel und die edlen Metalle und das Bei- spiel republikanischer Freiheit: es hat uns auch das genannte nar- kotische Giftkraut iiberliefert, das jetzt ganz unvertilglich scheint. Dass ein barbarisoher Gebrauch der Indianer, den Rauch der trockeneii Blatter einer betaubenden Pflanze durch ein Rohr oder eine zusammen- gedrehte Rolle in den Mund zu leiten und dann wieder auszustosseii oder dieselben Blatter in gepulvertem Zustande in die Nase zu stopfen, von 'den Rothhauten zu weissen, gelben und schwarzen Menschen auf der ganzen Erde hat iibergehen und bei alien sich so tief ein- wurzeln konnen, ist eine Thatsache, die viel zu denken giebt. Wie in Europa der Arme, der Verbrecher um ein Stiickchen Geld zu Tabak bettelt, so gewinnt der Reisende oder Kaufmann auch den Neger im inneren Afrika, den Samojeden, Malaien u. s. w. durch nichts so leicht als durch eine Gabe Tabak. Tiirken, Araber und Perser hauchen den Rauch dieses Krautes stillsitzend vor sich her, als ein Bild ihres eigenen unniitzen, apathischen, traumerischen Lebens100). Hunderte von Millionen sind seit zwei Jahrhunderten auf diese hassliche Gewohnheit verwandt worden, die auf gehauft oder productiv angelegt alle Volker hatten wohlhabend machen konnen, und noch jetzt sind viele Tausende von Morgen oder Hectaren des kostbaren Erdbodens, der Weizen oder Wein hatte tragen konnen,

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mil dieser Species giftigen Nachtschattens bestellt. Aehnlicher Er- scheinungen werden die kommenden Jahrhunderte vielleicht noch mehr bringen. Denn wie die Hellenen als ein Adel der Menschheit rings von Barbaren umgeben lebten, von aberglaubischen Aegyptern, knechtischen Asiaten, trunksuchtigen Thrakern u. s. w., so auch bisher die Europaer, umringt von farbigen, untergeordneten Rassen. Der die Erde immer dichter umspannende Verkehr wird den weissen Mann in immer nahere Gemeinschaft und Beriihrung mit jenen Massen bringen und diese Kreuzung vielleicht die Mutter mancher bestialischen Ausgeburt werden. Der Veredelungsprocess der Menschheit wird auch dann seinen Fortgang nehmen und auch diese ungeheure Auf- gabe wird gelost werden, aber in wie langen Zeitraumen, uber welche barbarischen Zwischenstufen, unter wie viel Opfern, Riickfallen und Triimmern !

Schluss,

Die vorstehenden Skizzen tragen in mehr als einer Hinsicht, auch abgesehen von den Unterlassungsfehlern, die der Verfasser be- gangen haben wird, und deren Folgen er auf sich nehmen muss, den Charakter des Fragmentarischen und der Vereinzelung an sich. Zu- nachst ist die Bodenkultur, die Garten- und Hauswirthschaft nur der Theil eines Ganzen, ein blosser Ausschnitt aus der allseitig sich voll- ziehenden Bildungsgeschichte der Menschheit. Dennoch spiegelt sich auch wieder im Einzelnen das Allgemeine, und wie die Kulturpflanzen von Volk zu Volk, von Ost nach West, von Slid nach Nord ge- wandert sind, so in derselben Richtung und Zeit auch die Freiheit und Kultur selbst in jeder Gestalt. Aus Indien und Persien, aus Syrien und Armenien stammen unsere Feld- und Baumfriichte, eben daher auch unsere Marchen und Sagen, unsere religiosen Systeme, alle primitiven Erfindungen und grundlegenden technischen Kiinste. Griechenland und Italien fiihrten uns die Nahr- und Nutzpflanzen zu, mit denen wir im mittleren und nordlicheren Europa unsere Wohn- statten umgeben, und eben diese Lander lehrten uns in eben dieser Reihenfolge edlere Sitte, tieferes Denken, ideale Kunst, humane Zwecke und die hoheren Formen politischer und socialer Gemeinschaft. Was die Pflanzengeschichte bezeugt, wiirde auch von der Kulturgeschichte im umfassenden Sinne nicht anders ausgesagt werden. Auch die

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letztere 1st nur eine Geschichte des Verkehrs, und wie der einzelne Mensch nur in der Gesellschaft seine Bestimmung, d. h. die hochste Entwickelung seiner Anlagen erreicht, so sind auch die Volker in demselben Masse, wie sie zur Bildung sich erheben, nur Schiller und Erben anderer umwohnender, iiberlegener Volker. Die grosste Vater- landsliebe zeigten daher zu alien Zeiten diejenigen nationalen Fiihrer, die nicht die heimische Eigenart am hartnackigsten festhielten, sondern am offensten und bereitwilligsten auf die Lehren der Fremde und den friiher und anderswo erreichten Kulturgewinn eingingen.

Wie die Pflanzen und Hausthiere von Hand zu Hand gingen, davon enthalt dieses Buch eine Anzahl monographischer Umrisse ; eine andere, jene erst erganzende Aufgabe ware es, festzustellen, welche seiner eigenen wilden Pflanzen das Abendland auf die gleiche Weise zur Kultur erhoben hat, sei es direkt oder nach dem Vorbild des Ostens und Siidens. Einiges davon ist im Vorhergehenden ge- legentlich angedeutet worden, das Uebrige muss einer eigenen Unter- suchung iiberlassen bleiben. So wachst oder wuchs der Kohl, jetzt eines der niitzlichsten und verbreitetsten Gemtise, ohne Zweifel in Europa wild; wann und wo aber nng man an, ihn in Garten zu ver- setzen, ihn umzubilden und immer schtnackhafter zu machen, und unzahlige Varietaten, eine immer zarter, beliebter und von dem Grund- typus entfernter, als die andere, zu erziehen? Manches ist dariiber in einer unermesslichen Literatur zerstreut; Vieles muss dunkel bleiben; Einiges lehren die Namen, wie sie noch jetzt gangbar sind oder es friiher waren. Wo der Savoy er und Wirsing-Kohl herstammt, ist in diesen Beinamen ausgesprochen , denn auch letzteres ist nichts als das oberitalienische verza d. h. griiner Kohl; dass iiberhaupt Italien uns lehrte, Kohl zu essen unol zu pflanzen, sagt das Wort Kohl, aus cauliSj eben so Kabes, slavisch Jcapus, Jcapusta, aus eaputium, capuccio, unmittelbar aus; auch der Kohlrabi, der Raps und Riibsen tragen lateinisch-italienische Namen, caulorapa, caulus rapi und rapicium und sind jungen Datum s in Deutschland; der zarte, seltsam gebildete Blumenkohl stammt aus dem Morgenlande und kam iiber Venedig und Antwerpen nach Europa, nach Deutschland erst kurz vor Beginn des dreissigjahrigen Krieges; das Sauerkraut mag eine tatarische, von den Slaven adoptirte Erfindung sein, die sich vom Slavenlande weiter nach Nieder- und Oberdeutschland verbreitete. Wie der Kohl ist auch die Artischocke eine in Europa einheimische , veredelte Distel; europaisch sind auch die Rube und die Mohre, Daucus Carota L. Wenn der Apfelbaum in unseren Waldern urspriinglich wild wuchs,

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so sind doch die edlen Baume unserer Garten nicht gerade Abkomm- linge von ihm, sondern stammen von Zweigen, die liber die Alpen gebracht und auf den einheimischen Stamm gepfropft wurden ein Gleichniss fur viele ahnliche, jetzt verdunkelte Besitztitel auf geistigem Gebiet101). Im Allgemeinen hat Europa auch von dem, was es von Natur besass, nur Weniges aus eigenem Impuls aus der Wildniss gehoben und durch Erziehung nutzbar geinacht; es musste dazu am Mittelmeer aus Asien, in seinen mittleren Gegenden durch den Siiden angeregt werden, in dem alle Quellen unserer Bildung liegen.

Jahrhunderte , ja Jahrtausende lang haben die Kulturpflanzen unter ktinstlichen Bedingungen mit dem Menschen gelebt, und die Frage liegt nahe, inwiefern sie dadurch ihre Natur verandert haben? Der Mensch sorgt durch einseitige Wahl und berechnete Pflege fur Haufung bestimmter organischer Richtungen und Ausweichungen ; daraus gingen Abarten hervor, aus diesen wieder andere; wenn die Zwischenglieder als minder kulturmassig sich verloren, so sind wir verlegen, in dem Gartengewachs den Wildling, von dem es stammt, wiederzuerkennen. Dies ist ein Thema, das die Naturforscher jetzt vielfach beschaftigt, bei dessen Behandlung ihnen aber grossere Be- kanntschaft mit der Geschichte, der Literatur und Sprache der Alten, ihren bildlichen Denkmalern u. s. w. von Nutzen sein wiirde. Noch bedeutungsvoller erscheint dieselbe Frage in ihrer Anwendung auf die Hausthiere. Doch da dieselbe jetzt seit Darwin bei den Natur- forschern auf der Tagesordnung steht, so beschranken wir uns auf folgende den Zusarnmenhang des physiologischen Problems mit der menschlichen Geschichte betreffende Bemerkungen.

Es ist eine, wie uns diinkt, unbestreitbare Thatsache, dass nicht bloss angeborene, sondern auch individuell erworbene Charaktere sich vererben, mit anderen Worten, dass Schicksale und Erfahrungen friiherer Generationeii mit den jiingeren als feste Naturanlage wieder- geboren werden. Was die Vorfahren erst gelernt batten, oft mit Widerwillen und unter Strauben, das erscheint in den Nachkommen als gegebenes Natur ell; was dort Resultat war, wird hier Ausgangs- punkt. Und je lang ere Zeit ein Zustand bei den Voreltern durch die Gewalt der Umstande aufrecht erhalten worden, desto sicherer erscheint er als Erwerb der Enkel. Psychische Regungen bewirken leibliche Veranderungen : indem die letzteren auf die Nachkommen- schaft iibergehen, rufen sie mit Nothwendigkeit auch die ersteren wieder hervor, die dann als geistige Richtung und Fertigkeit, als Mitgift der Geburt, unmittelbarer Stamm charakter vorgefunden werden.

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Was wir Geschichte nennen, 1st nichts als diese langsame leiblich- geistige Umwandlung der jiingeren Geschlechter nach den Eindnicken, die die alteren erfahren haben, ebenso der sogenannte Zeitgeist iiichts als das in den Kindern bewusstlos wirkende Gemeingefiihl der von den Vatern und Gross vatern erlebten Schicksale. Konnten wir bei plotzlich eintretenden, scheinbar unvermittelten neuen Ge- schichtsepochen, deren Ideenreichthum und unerwarteter Durchbruch uns uberrascht, die stillen Vorbereitungen in den nachstvorhergehenden Geschlechtern iibersehen, alles Wunderbare wiirde sich verlieren. Bei der Langsamkeit der physiologischen Metamorphose 1st ein Sprung nirgends und bei keinem Volke je moglich gewesen. Wird eine Rasse plotzlich durch eine geschichtliche Constellation unter eine Civili- sation geworfen, fiir die sie durch ihre fruheren Schicksale nicht befahigt ist, dann entsteht ein Chaos von Scheinkultur, Ruckfallen, disparaten Trieben, barbarischem Raffinement, Rohheit und Siech- thum, bis nach Jahrhunderten eines sturmischen Processes sich end- lich Alles ins Gleichgewicht gesetzt hat. So ging es z. B. den Ger- manen auf romischem Boden: sie, die noch kaum die Anfange des Ackerbaues sich angeeignet hatten, sollten in ummauerten Stadten wohnen, der Ordnung eines auf verwickelte Lebensverhaltnisse und die feinsten Bediirfmsse berechneten Rechtes sich fiigen, in die spitz- findigen Distinctionen der durch die Kirchenvater allseitig abgesteckten Dogmatik und in den symbolischen, altorientalischen Pomp des Rituals sich finden! Hatten sie vorher ein Jahrtausend lang nur an kriege- rischen Ziigen Freude gefunden und in der Stille der Walder an einem ganz allgemeinen und daher ganz primitiven Naturkultus, der grausame Opfer nicht ausschloss, sich geniigt, so war wieder ein Jahrtausend eines neuen Lebens nothig, ehe an die Stelle der Korper- beschaffenheit jener ersten Periode und der in ihr wurzelnden Nei- gungen neue Nerven, Muskelf asern , Gehirnfiebern , anders gestaltete Blutkorperchen und darnit auch andere Seelenregungen traten. Den Uebergang vom umherschweifenden Jagdleben zur Zahmung und Weide der Thiere, ebenso von der nomadischen Freiheit zur An- sassigkeit konnen wir uns daher nicht langsam und schwierig genug denken. Die Noth musste gross sein, ehe der Hirt sich entschloss, den Weidegrund aufzugraben, Korner hineinzustreuen, deren Wachs- thum abzuwarten, den Ertrag ein Jahr lang aufzubewahren und so an eine bestimmte Stelle der Welt wie ein Knecht und ein Gefan- gener sich zu fesseln. Fiel der Drang der Umstande weg, so wandte er sich sicherlich wie ein Befreiter wieder zum Wanderleben, der

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inneren Stimme folgend. Nicht anders empfand auch der Jager die Viehzucht als Knechtschaft. Mit Pfeil und Bogen , mit dem ge- scharften Stein am Ende des holzernen Speeres durchstreifte er frei die Walder, und die Anfertigung dieser Waffen war seine einzige Arbeit und Sorge. War es ihm gegluckt einen wilden Stier zu er- legen, dann war Tage lang ein schwelgerisches Freudenfest fur ihn. Diesen selben Stier oder die Wildkuh einzufangen, aufzusparen, an Nachfolge zu gewohnen, das Kalb aufzuziehen, die Heerde auf der Weide zu bewachen , die Kuh zu vermogen sich ruhig melken zu lassen welch eine Reihe umstandlicher, einengender, regelmassiger Verrichtungen ! Um sie zu unternehmen, musste die Jagd ganz un- ergiebig geworden und nach keiner Seite eine Fluent in die Weite moglich sein. Sowie sich eine Zuflucht offnete, war der Rtickfall in das freie Jagerleben unausbleiblich 102). Je langer aber die neue Lebensart zwangsweise aufrecht erhalten blieb, desto mehr wnrde sie Naturell: in den Urenkeln begann der alte Trieb nach Freiheit all- mahlich zu erloschen und Kulturempfindung schlug Wurzel. Dass das Alles nicht bloss Phantasie ist, sondern wirklich so verging und noch vorgeht, lasst sich deutlich an den Thieren beobachten. Auch bei diesen werden Erfahrungen der Voreltern zum Instinkt der Nach- kommen. Weidendes Vieh riihrt die Pflanzen nicht an , die ihm todtlich oder schadlich sind; b.ringt man es in ein entferntes Land, in einen andern Welttheil, wo unbekannte Krauter wachsen, da weiss es nicht zu unterscheiden und siecht oder stirbt an dem genossenen Gift. Vogel haben eine unmittelbare Angst vor dem sie verfolgenden Raubvogel, weil friihere Generationen von diesem Feinde bedrangt worden und ihm in einzelnen Fallen entgangen sind. Wo der Mensch auf sie Jagd macht, fiirchten sie den Menschen aufs Aeusserste; wo er aus irgend einem Grunde sie schont, da sind sie zutraulich und dreist, auch ohne individuelle Erfahrung und ohne das Beispiel der Eltern. Hunde, die langere Zeit hindurch von irgend einem Volke zu einer bestimmten Art Jagd gebraucht worden, werden mit ausgesprochenern Naturtriebe gerade fur diese Jagd geboren; junge Schaferhunde deren Vorfahren Jahrhunderte lang zur Be- wachung der Heerden angehalten worden, bringen eine unverkenn- bare Neigung und Geschicklichkeit zum Wachteramt mit zur Welt. Wo die Ochsen der Landessitte nach nicht zum Ziehen gebraucht werden, da halt es schwer, den jungen Abkommling ins Joch zu spannen; umgekehrt, wo dies schon friiher der Fall war. Ebenso lassen sich Klihe, deren weibliche Ascendenten nicht gemolken worden,

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nur schwer dazu bewegen, beim Melken stille zu halten. Die Haus- taube, baben wir gesehen, wurde so vollkommen gezahmt, well sie Jabrhunderte lang ein gebeiligter Vogel war, den Niemand anriibrte ; der Hausbahn, well er bei Persern, britischen Kelten, Slaven, Un- garn u. s. w. dem Lichtgott geweiht und unverletzlich war; die Katze, weil agyptischer Aberglaube, verbunden mit agyptischer Ge- duld, lange Zeiten hindurcb das scbeue Raubthier schonte und pflegte. Die Summe der Erfahrungen aller einzelnen Individuen wurde endlicb zur veranderten Natur. Die Anwendung von diesem Allem auf den Menscben ergiebt sicb von 'selbst. Auch bei diesem 1st der Humanisirungsprocess ein langsamer, das Werk der Zeit, und auch bier ist der Erfolg nur sicber, wenn dieselben giinstigen Ein- flusse hinreichend lange gewirkt haben. Tausend Jabre der Knecht- schaft bei einem Volke sind z. B. nicht durcb einen einmaligen Emancipationsact auszuloschen , eine an andere Lebensbedingungen gekniipfte Rasse nicht iiber Nacht durch Erlass europaischer Gesetze zu einem Gliede der civilisirten Familie zu macben. Je weiter ur- spriinglich der Abstand, um so langer die nothige Reihe von Ge- schlechtern und die stille Arbeit der Urnwandlung so lang, dass man oft an der Moglichkeit der Losung der Aufgabe iiberhaupt ver- zweifeln mochte. Den code Napoleon bei irgend einer barbarischen oder balbbarbariscben Rasse einfubren, den Soldaten europaische Uni- formen und Exerciermeister geben, Gasrohren legen, eine Eisenbahn durcb das Land ziehen und beide durcb europaische Angestellte be- sorgen lassen, franzosisch abgefasste diplomatische Noten iiberreichen, die von einem im Hintergrunde versteckten europaischen Sekretar geschrieben worden: dies Alles ist so leicht, wie jeder andere An- putz durch aussere Farbe, aber nur die unreife, abstrakte Denkart der Menge wird dies fur einen grossen Gewinn halten. Eher konnte, da das stille Wachsthum von innen und von unten dadurch gestort wird, nur eine ewige Impotenz die Wirkung sein.

Wir haben gesehen, wie die Flora der italischen Halbinsel im Laufe der Geschichte immer mehr den sudlichen Charakter an- genommen hat. Als die ersten Griechen in Unteritalien landeten, bestand die Waldung noch vorherrschend aus laubabwerfenden Baumen, die Buchen reichten tiefer hinab, als jetzt, wo sie auf die hochsten Gebirgsregionen beschrankt sind. Jahrhunderte spater er- blickt man auf den Landschaften an den Wanden Pompejis schon lauter immergrune Baume, Laurus nobilis, den Oelbaum, die Cy- presse, den Oleander; in den letzten Kaiserzeiten und im Mittelalter

Schluss. 521

fiuden sich die Limonen- und Pomeranzenbaume ein, seit der End- deckung Amerikas die Magnolien , die Agaven und die indischen Feigen. Es kann keine Frage sein, dass diese Umwandlung haupt- sachlich durch Menschenhand geschehen ist: ob aber in Landern, wo, wie in den siideuropaischen Halbinseln zwei Vegetation stypen zusammenstossen , der subtropische , immergriine , und der der ge- massigten Zone, nicht der Zug und Trieb der Natur selbst das Be- miihen der Menschen unterstiitzte ? Ob jene mehr siidlichen Pflan- zen mit lederartigem Blatt, kraf tiger Rinde und mannichfacher Be- waffnung nicht im sogenannten Kampf urns Dasein durch harteres Leben den Sieg davontrugen, d. h. allmahlich bis dahin vordrangen, wo erst mit dem Apennin, dann mit den Alpen der jetzigen medi- terranen Flora ein Grenzwall gesetzt ist? Auch Deutschland, Frank- reich, England haben sich zu historischer Zeit bedeutend im siid- lichen Sinne umgestaltet; dass aber nordische Kulturgewachse um- gekehrt iiber die Berge gestiegen waren und sich liber Nord-, dann iiber Siiditalien ausgebreitet hatten, davon erhalten die zwei bis drei Jahrtausende, iiber welche unsere geschichtliche Kunde reicht, kein Zeugniss. Ist es mit dem Menschen nicht ebenso, und siegt nicht stets der dunkelhaarige iiber den blonden? Liegt in der Natur des letzteren nicht das Streben, sich der des ersteren anzunahern? Von welcher Complexion das Urvolk der Indogermanen gewesen, wissen wir unmittelbar nicht. In der Epoche, wo wir es kennen lernen, ist es langst in Zweige gespalten, deren Haar-, Haut- und Augenfarbe zwei verschiedene Typen zeigt. Asiaten , Griechen, Romer sind schwarz, Kelten und Germanen blondlockig, blauaugig, hellfarbig; die ersteren dabei von kiirzerer Statur, mit lebhaften Gesten, kundige, kluge, braune Zwerge : Kelten und Germanen hoch- aufgeschossene, rothwangige Riesengestalten mit wallendem Haar (s. die Belege bei Zeuss, Die Deutschen, S. 49 ff., zu denen sich noch die Stelle des Amm. Marcell. 15, 12 fiigen lasst: celsioris staturae et candidi paene Galli sunt omnes et rutili) 103). Wie noch jetzt den Siidlandern, erschien auch dem Griechen das blonde Haar als besonders schon und edel und er theilte es gern den Jiinglingen und Frauen seines iclealen Helden- und Gotterkreises zu. Nordlich von Griechenland , in Osteuropa, dem Schauplatz friiher Volker- mischung, finden wir zwar auch die helle oder rothliche Haut- und Haarfarbe hin und wieder hervorgehoben, aber lange nicht mit sol- cher Entschiedenheit , wie im Westen. Zwar die Budinen schildert Herodot als ein Volk ylavxov z^ nav iayvgux; xal TIVQOOV, aber sie

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zeichneten sich eben dadurch vor den iibrigen Stammen aus. Die Slaven nennt nachher Procopius i>7is()v$Qot, weder hell noch dun- kel , sondern etwas ins Blonde fallend ; Ammianus giebt den irani- schen Alanen massig blondes Haar crinibus mediocriter flavis. Auch das Haar der Thraker und Skythen unterschied sich von clem griechischen durch eine Abweichung ins Helle und so erklart sich, dass sie mitunter ausdriicklich als weiss, roth, weichhaarig bezeichnet werden , in den meisten Fallen aber ihre Gleichartigkeit mit den Griechen stillschweigend vorausgesetzt wird. Umgekehrt gelten die Aegypter fiir besonders schwarz, dabei wollhaarig, also dem Neger- typus sich nahernd (sie sind bei Herodot fis^dy^Qosg und ov^orQ^g, bei Aeschylus avdgsg fiehayxCfioig yvioitii), ebenso die Kolcher (vor- semitische Autochthonen, bei Pindar xshcuvcoTteg} - - so dass wir uns die Griechen selbst zwar als stidlich braun, doch nicht vom tiefsten Schwarz zu denken haben. In welchem von beiden Typen aber, dem dunkeln oder hellen, diirfen wir mit grosserer Wahrscheinlich- keit das Abbild der Urzeit erkennen? A lies spricht dafiir dass die- jenigen Stamme, die in historischer Isolirung am wenigsten von der urspriinglichen Lebensweise sich entfernt hatten, namlich die nordi- schen, auch die leiblichen Stammeszeichen am treuesten bewahrt hatten. Wo sie seitdem der siidlichen Natur und Lebensform sich genahert oder mit der dunkleren Rasse sich gemischt haben, da hat allemal die letztere die Oberhand gewonnen. Die Gallier der spa- teren Romerzeit sind schon weniger blond als die Germanen; daher die ersteren, um bei Caligulas Triumphzug Germanen darstellen zu konnen, sich farben miissen, wahrend doch ihre Stammverwandten auf der britischen Insel, die Caledonier, noch so rothhaarig sind und so gestreckte Glieder besitzen, dass Tacitus sie desshalb fiir Germanen ansehen will. In ganz Gallien ging in Contakt mit den Romern der nordische Typus in den italischen iiber; wer erkennt in den nervigen, sehnigen, braunen, gewandten, kurzgewachsenen Be- wohnern des heutigen Frankreich die hohen, grobknochigen Albinos- Naturen der alten Kelten, die, wie Casar bemerkt, den Romer wegen seiner Kleinheit verachteten? Siiddeutschland oder die Landschaften langs dem Alpenabhang, der Donau, dem Oberrhein, ja dem Main, u. s. w. tragt jetzt mindestens kastanienbraunes Haar und ist dem romanischen Typus verwandt; in Norddeutschland , an der Nord- und Ostsee, gleichen bei Weitem nicht alle Inclividuen mehr dem von den Romern gezeichneten Bilde. Goethe, den wir uns gern als Archegeten seines Volkes denken, hatte braune Augen und braunes

Schluss. 523

Haar und auch Wilhelm Meister, sein Ebenbilrl, war nicht blond (Buch 5, Kapitel 6); Dorothea, Hermanns Geliebte, hatte schwarze Augen (6. Gesang) freilich stammte sie von der Grenze Frank- reichs. Bei Mischehen z. B. zwischen Juden oder Griechen und Germanen zeigt sich in dem Habitus der Nachkommenschaft die grossere Energie der stidlichen Complexion, die geringere Wider- standskraft der nordischen. Kein Wunder, dass von den Gothen, Longobarden u. s. w. in Italien, von den Franken, Burgunden, West- gothen in Frankreich und Spanien so wenig in der ausseren Er- scheinung der Menschen mehr zu erblicken 1st. Die Walachen sind als Resultat der buntesten nordsiidlichen Mischung em sehr dunkel- haariger, braungefarbter Menschenschlag. Sei es nun in diesen, wie in vielen anderen von uns iibergangenen Fallen mehr die Nahrung, also der Stoffwechsel, oder die gebildetere Sitte iiberhaupt oder end- lich Vermischung, was diesen Uebergang der Incarnation bewirkt hat, immer ist der Process jenem anderen analog, durch welchen seit den altesten Zeiten auf dem Wege der Natur, hauptsachlich und un- bestreifcbar aber auf dem der humanen Kultur die Vegetationsformen des Siidostens in den Westen und Norden vordrangen und dort eine andere, immergrune, idealere Landschaft schufen und den Gruppen und Bildern menschlicher Ansiedelung andere, lichtvollere, bestimm- tere, reinere Umrisse gaben.

ANMERKUNGEN*)

i. s. i.

B. Seemann, Narrative of the voyage of H. M. S. Herald during the years 1845—51 etc. London 1853. Vol. II p. 268 und 275. Diese wegen ihres objectiven Charakters hochst schatzenswerthe Reise ist auch ins Deutsche iibersetzt worden.

2. S. 15.

Die Eibe, Taxus baccata, war schon im Alterthum als giftig gefiirchtet, darum ein damonischer, den Todesgottern geweihter Baum. Als Catuvolcus, ein Konig der Eburonen, an seiner Lage verzweifelte, nahm er sich durch Taxusgift das Leben, Caes. de b. g. 6, 31, 2: Catuvolcus, rex dimidiae partis Eburonum . . . taxo, cujus magna in Grallia Germaniaque copia est, se exanimavit. Wie bei den Alten wurde auch im Mittelalter die Eibe gern auf Leichenfeldern gepflanzt, und da der Baum sich zugleich durch eine ausserordentlich lange Lebensdauer auszeichnet, so finden sich an solchen Orten auch jetzt noch, besonders in England und Irland, uralte herrliche Exemplare. Er war nach Casars soeben angefiihrten Worten in Mitteleuropa iiberaus haufig, aber die Schouheit seines Holzes, die es den Drechslern und Schnitzlern so werth machte, wie es spater das des Buchsbaums war, fuhrte in gauzen Gegenden zu seiner Ausrottung. Besonders aber zu Bogen verwandte es die Urzeit, die darin Bescheid wusste, so ausschliesslich , dass z. B. das altnordische yr geradezu arcus bedetitet (wie [xeXtfj, die Esche, bei Homer die Lanze ist) und die i/-Rune die Form eines Bogens hat. So steht auch das griechische TO£OV * der Bogen in naher Ver wand tsch aft mit dem lat. taxus und zvvar in der Weise, dass beide Worter zu der indog. Wurzel teks kunstlich verfertigen gehoren, aus der auch scrt. takshan der Zimmermann, griech. tey.T<nv der Kiinstler, altsl. tesati hauen u. s. w. hervorgegangen sind. Das erstgenannte altn. yr etc. geht, lautlich noch nicht vOllig aufgeklart, durch die Reihe der Volker von Westen nach Osten, doch so, dass die Bedeutung Eibe in der letztgenannten Weltgegend mit dem Gewachs selbst allmahlich erlischt: ir. <?b, kymr. yw, corn.

*) Berne rkung des He rausgebers: Nicht mehr Haltbares der friiheren Auflagen ist, soweit es sich nicht auf den bisherigen Gang der Untersuchung (S. 1 bis 523) bezog, gestrichen oder iiberarbeitet worden. Ueberarbeitete Stellen sind am Rand durch Sternchen („%) bezeichnet, Zusatze des Heraus- gebers in eckige Klammern ([ ]) eingeschlossen worden.

Anmerkungeu. 525

hiven, bret. ivin, ahd. wa (neben ihd), ags. iv (neben eoh) aus dem Germani- schen stammen mlat. ivus, franz. if, span. u. portug. iva , altpreussisch invis die Elbe, lit. jiewa der Faulbaum, lett. eva, slav. iva die Weide. Neben altir. e'o begegnet noch ibhar, ibar, jubdr, welches noch heut zu Tage taxus tmd arcus bedeutet und nach Zeuss2 88 dem Namen der oben erwahnten Eburonen zu Grande liegt. Litauisch heisst der Eibenbaum eglius oder oglus, welches dem ** slavischen jelf oder jela die Tanne gleich ist. Im Heimathlande der Slaven zwischen den Quellen des Dniepr und der Wolga wuchs der Taxusbaum nicht mehr (wie auch die Buche nicht), und so weichen in ihrer Sprache die Namen iva und tisii, lisa u. s. w. in die Bedeutung salix und pinus aus. Doch ftihrte friihzeitig der Handelsverkehr Eibenholz, daraus gefertigte Eimer, Bogen u. s. w. aus den Rheingegenden an die Ostsee, wo der Baum seltener wurde, von da zu den Aisten und Wenden, wo er ganz aufhorte. Dass iibrigens neben dem eibeneu auch der hornerue Bogen ira Gebrauch war, lehren Zeugnisse des friiheren Alterthums und des fernen Ostens. So wendet in der Odyssee Odysseus seinen Bogen hin und her, um zu sehen, ob ihm in der langen Abwesenheit die Wurmer nicht das Horn durchbohrt haben, und so besitzt in der Ilias der Troer Pandarus einen Bogen, den ihm der xspao£oo£ TEXTCOV aus den Hornern eines wilden Steinbocks verfertigt hat. Auch die Ungarn werden uns bei ihrem Erscheinen im Abendlande als mit Hornbogen bewaffnet geschildert; auf ihren Rennern sitzend und die Zahne bleckend, sandten sie von diesen Bogeu ihre sichern, auch vergifteten Pfeile ab. Im Nibelungen- liede heisst daher einer von Etzels Manuen nicht ohiie Bedeutung Hornboge. [Wie griech. TO£OV, lat. taxus zu W. teks, so scheint griech. ofxiXo?, jj.iXo<; der Taxusbaum, ojjuXf) das Schnitzmesser etc. zu einer Wurzel smei kiinstlich ver- fertigen zu gehoren, aus der unser schmieden, geschmeide hervorgegangen ist. Ngr. ^fxepo eXa™ Eibe (Heldreich, Nutzpflanzen S. 14). Gegenstande aus dem Holz des Baumes, wie Bogen, Messer, Kamme, Fassungen von Feuersteinsagen u. s. w wurden schon in den altesten Pfahlbauten der Schweiz und Oester- reichs gefunden. Die Ostgrenze der Eibe wird genau von Koppen, Holz- gewachse II, S. 378 (Beitrage z. Kenntniss des russ. Reiches, 3. F. VI) geschildert: »Der Eibenbaum findet sich bei uns wildwachsend nur im aussersten Westen und Suden. Die Grenzlinie seiner Verbreitung verlauft von den Alands-Inseln (etwa unter dem 60° n. Br.), durch den westlichen Theil Estlauds und Livlands, steil nach Suden, ferner durch das Gouvernement Grodno, Wolynien, Podolien, und Bessarabien (?). Jenseits der Steppe wachst er in den Gebirgen der Krim und des Kaukasus.« Hierbei ist das Vorhanden- sein eines gemeiusl. Us? Eibe sehr auffallend; denn von einera »Ausweichen der Bedeutung« (vgl. oben) kann man bei diesem Wort nur hinsichtlich des serb. Us Larche sprechen. Vgl. Miklosich, Et. W. Dieses slav. tisu lasst sich iibrigens seines Vocales wegen nicht mit to&v-taxus verbinden. Vielleicht vereinigt es sich mit ahd. dihs-ala, wenn man die Deichsel als aus Eibenholz gefertigt auffasst, wie etwa das Joch des homerischen Wagens uo^vos aus Buchsbaum ist. Dass die Buche in dem Urland der Slaven nicht vorkam, beweist die Entlehnung des deutschen Wortes in das Slavische (buky). Die Finnen nennen den Baum saksan tammi, deutsche Eiche, letzteres, tammi, wohl ein ein- heimisches Wort (mordv. tumo). Zu eibe in der Bedeutung Bogen vgl. iioch schwab. eip Armbrust und friih nhd. Eibeuschiitze, Kluge, Et. VV. 6. Auflage.j

526 Anmerkuugen.

3. S. 15.

Bin Bikl dieser friihesten Wagen geben uns noch heut zu Tage die Karren der Nogaier, die sogenanuten Arba's. Rader und Achse drehen sicli zusammen; da sie me mit Fett oder Theer geschmiert werdeu, so bewegen sie sich mit einem widrigen, weit durch die Steppe horbaren Aechzen. Die Nogaier sind stolz auf dies Gekreische und sagen: wir sind keine Diebe, man hort uns schon von Weitem (J. von Blaramberg, Erinnerungen, I, Berlin 1872, S. 101). Aehnliche Wagen, denen man die Herknuft aus altester Zeit ansieht, haben sich auch soust noch erhalten. Als die Oesterreicher im Herbst 1878 in Bosnien einruckten, schrieb ein Augenzeuge von dort: »Kein bosnischer Bauer hat einen Wagen, an welchem auch nur ein Loth Eisen ist. Rader, Achsen, Nagel Alles von Holz Ein Reif, ein Beschlag sind unbekannte Dinge; ein sechsspanniger, bosnischer Bauernwagen macht ein Geschrei, das einem auf eine halbe Meile durch Mark und Bein geht. Dass man ein Wagenrad schmieren kOnne, darauf ist der Bosniak noch nicht verfallen.« Gewiss glichen die Wagen der Cimbern bei Verona im Jahre 101 vor Chr. den jetzigen bosnischen auf ein Haar.

4. S. 15.

Das Scbaf ist ein altes Kulturthier, aber die Kunst es zu scheeren war den friihern Menschengeschlechtern unbekannt; vielmehr wurde die Wolle mit den Handen abgerissen. Noch im neunzehnten Jahrhnndert fand C. J. Graba (Tagebuch, gefuhrt auf einer Reise nach Faro im Jahre 1828, Hamburg 1830) auf den entlegenen Faroern diese Sitte in Kraft: nachdem er S. 200 ff. das dabei beobachtete Verfahren ausfiihrlich beschrieben, fiigt er hinzu: »Dies sieht grausamer ans, als es ist, denn nur diejenige Wolle, welche fast von selbst ausfallt, wird abgerissen, die ubrige bleibt sitzen und wird vierzehn Tage spater genomrnen.« In Italieu war selbst zu Varros und Plinius Zeit das Ausrupfen noch nicht ganz abgekommen, Plin. 8, 73: oves non ubique ton- dentur, durat quibusdam in locis vellendi mos; nach Varro de r. r. 2, 11, 9 liessen diejenigen, die die altere Methode beibehalten hatten, die Thiere drei Tage lang hungern, damit die Wolle sich leichter ablose. .Ta Varro weiss sogar nach einem offentlichen Document den Zeitpunkt anzugeben, wo aus Sicilien die ersten Schafscheerer (natiirlich mit den nothigen kunst- lichen Scheeren) nach Italien kamen, 2, 11, 10: omnino tonsores in Italia primum venisse ex Sicilia dicunt post R. c. a. CCCCLIIII, ut scriptum in publico Ardeae in literis exstat, eosque adduxisse P. Ticinium Menam. Sie kamen aus Sicilien, d. h. die Griechen war auch hierin die Lehrer. Ob in der epischen Zeit das Schaf schon geschoren oder ihm die Wolle noch ausgerupft wurde, konnte nach der einen homerischen Stelle, die darauf Bezug nimmt, fraglich scheinen, II. 12, 415: <!)<; 8' 8te itoi|ry]v jista cpepst TCOXOV aposvo^ olo?,

Also: Hector hob den schweren Stein so leicht auf, wie der Schafer ent- weder das geschorene Vliess oder das Biindel ausgerupfter Wolle. Aber das * Wort TCOXO? spricht fur die zweite der beiden Deutungen; denn das demselben zu Grunde liegende Verbum irexto, ire^at, InEx^ und bei Theokrit 5, 98: aXX' ^Y^ ^? x^a^vav H-aXaxov TCOXOV, 6Ttic6xa TTS^CU TOCV olv tav irsXXav, KpatiSa 8u>pY|aojj.at a6r6<;

Aumerkungen. 527

1st der specifische Ausdruck fiir carpere lanam im Gegensatz zu xe-.petv, xapYjvat scheeren, abschneiden. (Neben TTEXU) das sinn-, aber wohl nicht lautverwandte necxcu bei Hesiod. Op. ed.d.775: 01? itefxetv. In der Odyssee 18, 314 ruft Odysseus den Mag- den zu: Gehet ins Haus zu Eurer Herrin und unterhaltet sie; dreht bei ihr sitzend die Spindel oder zupfet die Wolle mit den Handen: YJ stpia rcebtste /epaiv). Dem ** Rupfen und Zupfen liegtzugleich dasKammen nahe (Kev.rs.iv,pectere,pecteri), welches mit dem Scbeeren nichts gemeiu bat. Diese Urbedeutung von TCSXEIV wird aufs schonste durch das identische litauische Verbum peszti (sz = Jc) bestatigt, welches noch heut zu Tage raufenj rupfen bezeichnet. Nicht anders ist slavisch runo das Vliess aus ruvati rupfen gebildet; dass auch vellus nach vellere so benannt sei, hielt Varro, der mehrmals darauf zuriickkommt, fiir unzweifelhaft; Neuere * freilich trennen beide Worter, indem sie vellus zu goth. vulla, lit. wilna u. s. w., ** vellere aber zuin gothischen vilvan rauben (d. h. eigentlich zerren) stellen. Varro de 1. 1. 5, 8 fiihrt auch die Meinung Einiger an, die Velia, der Neben- hiigel des Palatin, habe diesen Namen von der Gewohnheit der palatinischen Hirteri ihren Schafen an jenem Orte die Wolle auszuraufen woraus wir wenigstens ersehen, dass man sich jene altesten Schafer nicht mit der Scheere in der Hand dachte. Mit der Wolle der Schafe ging es, wie mit dem menschlichen Haar zu Zeiten der Trauer. Dass Verzweifelnde es sich aus- r a u ft en, war bei der leidenschaftlichen Geberdensprache des Siidens und des Alterthums in der Natur gegriindet und so braucht in solchem Falle Homer das Verbum tiXXstv, uXXeaftat, welches ein eigentliches Ausraufen be- sagt; dass in spaterer Zeit, wo das Haar nicht mehr der Stolz des Mannes war, Trauernde sich das Haupt und den Bart schoren, war bloss ein cou- ventionelles Ze'ichen und so erscheint in andern Partien des Epos und in der spatern Dichtersprache statt jenes Ausdrucks der andere: xetpetv, xsipeo8-at. Wie frfihe im Orient die Sitte, das Schaf zu scheeren, sich einfand, wissen wir nicht genau; auf jeden Fall geschah dies fuher, als in Griechenland. Da fichon in den altesten Theilen der Bibel die Abnahme der Wolle als ein land- liches Freudenfest erscheint, so hat dies neuern Auslegern Anlass gegeben, an eine gemeinsame, zu bestimmter Frist vorgenommene Schur zu denken. Sehr biindig freilich ist dieser Schluss nicht. Man erwage auch, dass die Schafherden der Patriarchen nicht ausschliesslich oder vorzugsweise wegen des Wollertrages gelialten wurden, dass das Schaf vielmehr neben der Milch hauptsachlich dazu bestimmt war, geschlachtet und gegessen zu werden und sein Fell zur Kleidung und zum Ruhelager abzugeben.

5. S. 15.

Siehe des Verfassers Schrift: Das Salz. Eine kulturhistorische Studie. Berlin 1873. Reichhaltiger ist das Buch von M. J. Schleiden: Das Salz. Seine Geschichte, seine Symbolik und seine Bedeutung im Menschenleben. Eine monographische Skizze. Leipzig 1875, das den Gegenstand von alien Seiten 7Ai fassen sucht.

Wir benutzen diese Gelegenheit einige kurze Nachtrlige zu unserer soeben genannten Studie zu geben.

Nach einem Aufsatz von R. Ludwig in dem Archiv fiir Hessische Ge- schichte und Alterthumskunde, Band XI, Darmstadt 1867, S. 46ff, war das Bad Nauheim zwischen Frankfurt und Giessen eine altkeltische Saline. Man

528 Anmerkungen.

hat dort ausser keltischen Silbermiinzen und Broncegefassen keltischen Ursprungs auch thonerne Topfe zum Salzsieden gefunden. Welchem keltischen Volke gehorte dies Salzwerk an? Vielleicht den Bojern, da die Helvetier in ihrer friihern Zeit moglicher Weise bis an den Main wohnten, doch diesen Fluss schwerlich iiberschritten haben. Oder wurde auch hier mitten im ger- manischen Lande ein Siedwerk von Kelten zwangsweise oder fur Lohn be- trieben? Den Namen der \AXaovot bei PtolemJius aus dem keltischen Jialoin zu deuten, wie wir S. 33 mit Zeuss getban haben, ist desshalb bedenklich, well die Verwandlung des s in h in friiherer Zeit nur sporadisch auftritt und erst gegen Ende der romischen Herrschaft allgemein wird. Wohl aber konnte im Namen der keltischen Salassi, die in den hochsten Alpen sassen, der Be- griff des Salzes stecken; dann wurde auch, was Appian Illyr. 17 von ihnen erzahlt (sie hatten sich den Komern wegen Mangels an Salz ergeben mttssen ; spater, als sie wieder abgefallen waren, hatten sie zum Behuf der Vertheidi- gung eine Menge Salz in ihren Bergen aufgespeichert), eine sagenhafte, zu dern Namen in irgend einer Beziehung stehende Motivirung enthalten. Was S. 49 tiber den Ursprung des Namens Heilsbronn vermuthet worden, wird durch das in Zeitschr. fiir deutsches Alterthum, Neue Folge, Band VI, S. 153 ff. Angeftihrte widerlegt. Die Saline Salzungen an der Werra kommt schon in einem Diplom Karls des Grossen vom Jahr 775 vor (bei Wenck, Hessische Landesgeschichte, Band 3, Urkundenbuch Nr. 5): ad Salsunga super fluvium Uuisera .... ubi patellas ad sale facere ponuntur. Der Fluss Halys ["AXo?, 5'AXo<;), den zuerst Herodot nennt und der nach Strabo 12, 3, 12 nach den Salzquellen benannt ist, an denen er voriiberfliesst, hat die griechische Form seines Namens von den hellenischen Ansiedlern an der pontischen Kiiste. Da aber auch im Armenischen, das schon nach Europa weist, und in welchem s im Anlaut vor Vocalen wie im Griechischen schwindet, aX = sal begegnet, so kann der Name des Flusses auch ein phrygisch-armenischer sein. [Vgl. neuerdings Bugge in Kuhns Zeitschrift 32, 81.] Harinc, herinc wird von Mtillenhoff auf unmittelbar treffende Weise aus dem Deutschen als Heerfisch, in Schwarrnen ankommender Fisch gedeutet (V. Rose im Hermes VIII, 1874 S. 226). Damit fallt ein Theil der Schwierigkeiten weg, es bleibt aber das altn. Slid, lit. silke, slav. seldi, das nur Salzfisch bedeuten kann. Auch wie das Problem von Saale = Salzfluss, Hall = Salzwerk anders gelost werden soil, als durch Annahme keltischer Lautform fiir das letztere, sehen wir noch immer nicht ein. [Einige Richtigstellungen hierzu habe ich in einem Nach- wort zu dem zweiten unveranderten Abdruck der Hehnschen Schrift: Das Salz (Berlin 1901) gegeben. Von diesen kommen die folgenden hier in Be- tracht: 1) Ahd. hdring, ags. hcering konnen wegen der Lange ihres Stamm- vokals kaum zu goth. harjis, ahd. heri Heer gehoren. Wahrscheinlich ist von einem gerrnanischen Stamm *h§ro- = scrt. gdrd = bunt, scheckig, altsl. seru graublau auszugehen, so dass der Haring, wie andere Fische (vgl. z. B. ahd. forhana Forelle: griech. nepxvoc bunt), nach seiner Farbung benannt ware. 2. Altn. sild geht auf eine Grundform *silid- oder *sithl- zuriick und kann daher keinesfalls mit goth. salt Salz, altn. saltr salzig zusammenhangen 3) Die auf deutschem Boden begegnenden Worter hal, halhus etc. werden von alien neueren Etymologen (Kluge, Paul, Heyne u. s. w.) nicht aus dem Keltischen abgeleitet, sondern mit unserm nHalle" = porticus identificiert. Doch diirfte

Anmerkungen. 529

diese ganze Frage einer erneuten Erwiigung werth sein. In sachlicher Be- ziehung sei noch darauf hingewiesen, dass auf dern diesjahrigen (1901) Anthro- pologenkongress zu Metz gezeigt wurde, wie in prahistoriseher Zeit das Salz auch durch Verfliichtiguug der Soole raittelst durch Feuer erwarmter Steine gewonnen wurde. Solche Steiue sind aasser in dem Briquetagegebiet bei Metz auch bei Halle a. S. gefunden worden.J

6. S. 16.

Diese unterirdischen Wohnungen finden sich in den verschiedenen Gegenden: es sind die olxot oitavtpoi xai xatacmot der Saken bei Aelian, die von Xenophon beschriebenen oMac xaTcq-eiot der Armenier, die demersae in humum sedes und specus aut subfossa der Satarchen bei Mela, die defossi specus der Skythen, die subterranei specus der Germanen, die gegen die Kalte von oben mit Mist bedeckt wareu, abd. und mhd. tune, woher unser Dung, Diinger, screona in der lex Salica, altfranzosisch escregne u. s. w. (s. Wackernagel bei Binding, Geschichte des burgundisch-romanischen Konigreichs, 1, S. 333, der das Wort fur deutsch halt und mit dem ags. scraf antrum zusammenstellt [neuere den ken vielmehr an ahd. seranna Bank]). Griechische Ausdriicke fur solche Erdhohlen sind Y"TCY1» fD7l(*Plov (^ei Hesychius und Suidas, Aristoph. Equ. 790, altslavisch zupiste, zupiliste cumulus, sepulcrum, polnisch zupa = sails fodind), <pioXso<;, <pu>Xea (auch in der Form fu^so?)* tpu>YXYj, wovon der Volksname der Troglodyten am arabischen Meerbusen und am Kaukasus u. s.w. Allmahlig hob sich das Rasendach und die Hohle unter dem Hause diente nur noch zur Winterwohnuug und zum Aufenthalt der Weiber. Doch hat sich jene alteste Sitte noch hin und wieder bis auf den heutigen Tag erhalten, und der Fremdling, der sich einem' solchen Dorfe nahert, halt die kaum erhobenen Dacher fiir natiirliche Aufschiittungen des Bodens. Wo in Russ- land Erdarbeiten vorgenommen werden, z. B. bei Fuhrung einer Eisenbahn, da ist das erste der Bau solcher Hohlen : ein trichterformiges Loch, Stufen zur Seite, dariiber Baumstamme mit Rasen belegt und die Wohnung ist fertig. Die walaehischen Bauernhiitten, die sog. bordeitz, haben einen schrag geueigten Eingang; im Innern findet sich zuweilen, doch selten, ein Fenster, das mit einem Stiick Papier verklebt ist und nur wenig Licht einlasst. Gegen Ende des Herbstes werden alle Ritzen verstopft, Thiiren von Flechtwerk angebracht und uuterirdische Stalle gegraben (s. dariiber das unterrichtende Buch von C. Allard, La Bulgarie orientale, Paris 1864). Der Mangel an Liiftung rnacht diese troglodytischen Behausungen zu einem ganz unertraglichen Aufenthalt; die dariri herrschende stinkende und erstickende Atmosphare treibt selbst die stumpfen Bewohner zuweilen in die Winterkalte hinaus. Dazu die e£tsetzliche Flohnoth, iiber die alle Reisenden, hier wie durch ganz Sibirien klagen. Die Flohe zwingeii buchstablich auch den Eingeborenen , wenn die Jahreszeit es irgend erlaubt, draussen zu schlafen, die Hauptursache der haufigen Wechselfieber. Die Insekten besetzen die unterirdische Wand oft so dicht, dass diese wie mit einem schwarzen Schimmer iiberzogen erscheint. In den primitiven Zeiten und mehr nach Norden hin, wo die Winter lang sind (z. B. in Scandi- navien, ehe die siidliche Kultur bis dahin drang), mussten die gleichen Um- stande in demselben oder in erhohtem Masse wirken, und wer sich die Vor- zeit vergegenwartigen will, wird gut thun, diese Zuge des Bildes nicht ausser

Viet. Helm, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 34

530 AnmerkuDgen.

Acht zu lassen. Und hier sei es uns erlaubt, noch einer andern Wohlthat der Kultur zu gedenken. Die sibirischen Reisenden, von Pallas und Humboldt bis auf die neuesten herab, sind einstimmig in Schilderung der Qualen, die ihnen die im Sommer die Luft erfiillenden und Menschen und Thiere an- fallenden Miicken, Schnaken, Ranker, Stechfliegen, Bremsen u. s. w. bereiteten (z. B. von Middendorff, Sibirische Reise, Band 4, S. 830 ff.). Sich gegeu diese Blutsauger zu vertheidigen, ist unmoglich; es giebt nur eiu Mittel gegen sie: ihnen den Boden der Existenz entzieheu, d. h. Entsurapfung uud Entwaldung. Deutschland war vor der Romerzeit in dieser Beziehung sicher dem heutigen Sibirien ganz gleich (Middendorff a. a. O.: »Es kann keinem Zweifel unter- liegen, dass unsere Altvordern auch im Kerne Europas denselben Qualen aus- gesetzt gewesen seien, welche den Reisenden in alien Urgegenden so unaus- stehlich peinigen.« »Den Zweifler daran, ob die Kultur der Menschheit wirk- lich zuni Vortheil gereicbt babe, schicke man in die Urnatur zu den Moskitos.« »Die Moskitoplage ist offenbar die Hauptursache der Wanderungen der Renn- thiere und des Rothwildes«). Zwar wird die Haut der alten Deutscben gegen Insektenstiche innerhalb und ausserbalb des Hauses viel abgeharteter gewesen sein als die des jetzigen gebildeten Europaers, aber wo die Haut unempfind- lich ist, da ist es auch Geist und Seele. [Sicherer als init altsl. &upa, uber das Miklosich, Etym. Worterbuch S 413, vergleicht sich forca, das neben unter- irdischer Wohnung auch Hiitte, Geinach bedeutet, mit altn. kofi Hiitte, ags. cofa Gemach, mhd. kobe Stall, unserem kofen, koben.]

7. S. 16.

Dass die germanische Sitte, den Schadel des erlegten Feindes zum Trink- gefass zu machen, nicht etwa von den skythischen oder spater den turkischen Nachbarn im Osten stamme, wird durch den gleichen Gebrauch bei den Kelten in friiher, vorgermanischer Zeit bewiesen. Die Bojer in Oberitalien verfahren so mit dem Kopfe des gefallenen romischen Konsuls Postumius' Liv. 23, 24: purgato inde capite, ut mos Us est, calvam auro caelavere idque sacrum vas Us erat, quo sollemnibus libarent poculumque idem sacerdoti esset ac templi antistibus. und von der Vorzeit der keltischen Scordisker in Illyrien braucht Amm. Marc. 27, 4 die Worte: humanum sanguinem in ossibus capitum cavis bibentes avidius.

8. S. 16.

Der Brauch, Greise aus der Welt zu schaffen, herrschte bei Germanen <les Festlandes und Scandinaviens, bei Wenden, Litauern und Romern. s. Grimm RA., Cap. 4 am Schluss des ersten Bandes. Auch von iranischen Volkern wird Aehnliches berichtet, so von den Bactrern (Strab. 11, 11, 3), von den Kaspiern (11, 11, 8), den Massageten (11, 8, 6) u. s. w. [Dasselbe gilt von dem vedischen Alterthum, Zimmer, Altind. Leben S. 328, doch vgl. dazu 0. Bohtlingk in den Berichten der phil.-hist. Kl. der Kgl. sachsischen Ges. d. W. z. Leipzig, Sitzung vom 15. Dez. 1900.] Das Greisenalter, Y^Pa?» ist unertraglich und selbst die Go'tter hassen es, hymn, in Yen. 247:

o&XojJievov, uajxaTYjpov, o is OTDYEOOOI •fteot nsp.

Der Greis selbst wiinscht sich hinwreg und bittet die Seinigen ihn abzuthun. NaturvOlker sind nicht sentimental, wie auch heutige Bauern nicht, und der

Anmerkungen. 531

Tod eines Verwaudten, der Gedanke des eigenen Todes lasst sie gleichgiiltig. Was Herodot 5, 4 von dem thrakischen Volke der Trauser erzahlt, sie beklagten das Neugeborene, da ihrn die Leiden des Lebens noch bevorstiinden , und priesen den Tod als Befreiung von denselben, und was Theognis v. 425 ff., sowie Euripides in der beriihmten Stelle aus dem Kresphontes ausdriickte (Nauck, Euripidis fragmenta, Lipsiae 1869, no. 452):

s^p-yjv Y«p "^IJJ-a? ooXXofov TTOIODJAEVOD?

TOV cpovTa •8-pYjverv ei$ 6V ep^stai xav.a,

TOV 8'au ^avovta xal TCOVUW iceTiaujj-evov

^atpovtrx? £5cpf][io5vTa£ IxitljiTtstv BOJJLOUV

dies ist im Grunde die Anschauung aller Volker auf einer gewissen Ent- wickelungsstufe der erwachten Reflexion. Ein Schritt weiter ist es dann, sich mit einem bessern Leben jenseits des Todes zu trosten, unter Wegdenkung aller Schranken der Endlichkeit, wie die Geten thaten, die Herodot oi nennt.

9. S. 16.

Die Sitte der Menschenopfer und grausamer Todtenbestattung blickt bei alien indoeuropaischen Stammen unheimlieh aus dem Dunkel ihrer Vorzeit hervor und schwindet wie jeder religiose Wahn nur allmahlig je nach der erreichten Stufe der Menschlichkeit oder der Beriihrung mit gereifteren Volkern. Was die Griechen und Roiner betrifft, so beziehen wir uns in dieser Hinsicht auf die reichhaltigen Sammlungen in der Schrift von E. v. Lasaulx: die Stihnopfer der Griechen und Romer (in den Studien des klassischen Alterthums, Regensburg 1854, 4°, S. 233 ff) und auf Welcker, Gr. Gotterlehre, 2, S. 769 ff. Auch fiir die nordischen Volker liegen zahlreicbe Zeugnisse vor, die, je weiter von Westen nach Nordosten, in immer spatere Zeit hinabreichen. Als Alexander der Grosse gegen die Taulantier, ein illyrisches Volk, und ihre Nachbaren auriickte, schlachteten diese, bevor sie die Waffen erhoben, drei Knaben und ebenso viel Madchen und drei schwarze Widder (Arrian. 1, 5, 11). Die keltischen Skordisker opfern die gefangenen Feinde ihren barbarischen Gottern, Amm. Marc. 27, 4: Scordisci, saevi quondam et truces, hostiis captivorum Bdlonae litanies et Marti . . . Eben so thun die Galater in Kleinasieu; der Proconsul Cn. Manlius sagt in seiner Rede im Senat, Liv. 38, 47, die um- wohnenden Volker seien von ihren Verheerungsziigen betroffen worden, quum vix redimendi captivos copia esset et mactatas humanas hostias immolatosque liberos suos audirent. Von den Galliern im eigentlichen Gallien berichtet Casar andert- halb Jahrhunderte spater, de b. g. 6, 16: Qui sunt affecti gravioribus morbis quique in proeliis periculisque versantur, out pro victimis homines immolant out se immolaturos vovent administrisque ad ea sacrificia druidibus utuntur, quod, pro vita hominis nisi hominis vita reddatur, non posse deorum immortalium numen placari arbitrantur publiceque ejusdem generis habent instituta sacrificia, und Mela bestatigt dies mit dem Ausdruck des Schauders, 3, 2, 3: gentes superbae, super- stitiosae, aliquando etiam immanes adeo, ut hominem optimum et gratissimam Diis victimam caederent. Denselben rnordsiichtigen Glauben finden wir bei den Germanen, Tac. Germ. 9: Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare fas habent: 39: stato tempore in silvam . . . coeunt cacsoque publice liomine celebrant barbari ritus horrenda primordia. Jord. 5:

34*

532 Aumerkungen.

Quern Martem Gothi semper asperrima placavere cultura (nam victimae ejus mortes fuere captorum), opinantes , bellorum praesulem apte humani sanguinis effusione placandum. Procop. de b. g. 2, 15: TU>V Be lepeuov ocpiot to

eattv, ovitsp 5v SoptdXco-tov 7roff]acavTO rcpuvcov TOOTOV f&p Ta>vApe'. a&tov vojuCooai jieYwcov elvat (ol 9ooXiTou). Als die Romer unter Germanicus das Schlachtfeld betraten, auf dem die Legionen des Varus von den Barbaren umzingelt worden waren, da lagen noch die Glieder der Pferde umher, auf Baumstammen staken .deren Ktfpfe, in den nahen Hainen standen noch die Altare, an denen die Kriegstribunen und obersteu Centurionen geschlachtet worden; einige Ueberlebende zeigten die Statten der Galgen, an denen die Soldaten aufgehangt, die Gruben, in denen die Leichname verscharrt worden waren u. s. w. (Tac. Ann. 1, 61). Nach der wiithenden Schlacht zwischen Chatten und Hermunduren, von der bei Tacitus Ann. 13, 57 die Rede ist und in welcber die Ersteren unterlagen, wurde alles lebend Ergriffene nach den Worten des Geschichtsscbreibers der Vernichtung geweiht, occisioni dantur. Aus dem Zucken der Muskelfasern, dem Sprudeln des Blutes im Opferkessel, der Lage der Eingeweide wurde sogleich von den Wahrsagerinnen das komraende Schicksal gedeutet. So bei den Cimbern, Strab. 7, 2, 3: »In Be- gleitung ihrer Weiber befanden sich heilige Prophetinnen, graubaarig, weiss angethan, in linnenen spangenbefestigten Umwtirfen, mit ehernem Gttrtel, barfiissig; diese ergriffen mit dem Schwert in der Hand die Gefangenen im Lager, fuhrten sie in der Opferverhiillung zn einem grossen etwa zwanzig Ainphoren fassenden ehernen Kessel, stiegen die Stufen binan, die zu ihm hinauffiihrten, und schnitten hinubergebeugt jedem Gefangenen die Kehle ab: aus dem in den Kessel hinabstromenden Blute weissagten sie, wahrend Andere die Leiber aufschnitten und aus den Eingeweiden den Sieg verkiindigten.« Auch bei den Scandinaviern waren Menschenopfer im grossen Stil im Scbwange. Die Danen feierten alle neun Jahr, wie Thietmar von Merseburg berichtet, in ihrer Hauptstadt Lethra ein grosses Opferfest, bei dem neunnndneunzig Menschen und ebenso viel Pferde geschlachtet wurden ; dies thaten sie, wie Thietmar erlautert, um sich vor den Rachegottern von aller Schuld zu reinigen : ^utantes, hos eisdem erga inferos servituros et commissa crimina apud eosdem placaturos. Dieselbe Bedeutung eines stellvertretenden Siihnopfers hatte wohl auch das ganz ahnliche grosse Fest, das die Schweden nach Adam von Bremen 4, 27, alle neun Jahre in Upsala begingen: dort wurden von allem Mannlichen neun Kopfe dargebracht, die Korper aber im nahen Hain an Baumen aufgehangt und der Verwesung iiberlassen und Menschen und Hunde hingen dort zusarnmen das Scholion 137 setzt noch berichtigend oder erganzend hinzu:'»neun Tage lang opfern sie jeden Tag einen Menschen nebst anderen Geschopfeu, so dass es in neun Tagen 72 Geschopfe werden; dies Opfer findet um die Fruhlingsnachtgleiche statt.« In schweren Landes- no'then oder zum Ausdruck besonderen Dankes wurden den Gottern auch ausserordentlicher Weise Menschenleben dargebracht, wie die altnordische Sagengeschichte lelirt (Grimm DM, Kapitel Gottesdienst). Auf der gegeniiber- liegenden Kiiste der Ostsee, in Estland, d. h. bei den Preussen, sah es nicht anders aus, Adam. Br. de situ Daniae 224: Dracones adorant cum volucribus, quibus etiam vivos libant homines, quos a mercatoribus emunt, diligenter omnino probalos, ne maculam in corpore habeant. Ebenso allgemein, wie diese

Anmerkungen. 533

religiose Sitte, war die andere, ihr verwandte, am Scheiterhaufen Verstorbeuer Frauen, Knechte, Gefangene, Pferde abzuschlachten. Achilleus im 23. Buch der Ilias opfert dem Schatteu des Fatroklos Posse, Hunde und zwolf junge Trojaner, die er sich selbst zu diesem Zweck lebend gefangen hat, und auf seinem eigenen Grabe wird spater die PolyxeDa geopfert, wie in der 'IXloo TCepot? des Arctinus zu lesen stand. Bei den Galliern wurden noch kurz vor Casars Zeit Knechte und Schiitzlinge, die dem Herrn besonders lieb gewesen wareu, mit ihm verbrannt, de b. g. 6| 19: paulo supra hanc memoriam servi et clientes, quos ab Us dilectos esse constdbat, justis funeribus confectis una crema- bantur, und Verwandte sprangen auf den brennenden Holzstoss, urn sich mit dem Todten zu vereinigen, Mela 3, 2, 3: olim erant qui se in rogos suorum, velut una victuri, libenter immitterent. Bei gewissen Thrakern drangten sich die Frauen des Verstorbenen zu der Ehre, an seiner Gruft geschlachtet zu werdeu wie Herodot 5, 5 erzahlt: diejenige, der es gelingt, so fur die ge- liebteste erachtet zu werden, wird von Allen gepriesen und mit dem Manne begraben, die iibrigen aber bejammern ihr Loos und tragen grosse Schande. Dasselbe in noch ausfiihrlicherer Schilderung berichtet Mela 2, 2, 4 als all- gemein thrakische Sitte. Bei den Herulern (und also wohl auch den ihnen naher verwandten Nachbarvolkern an der Ostsee) erhangt sich die Frau am Grabe ihres Gatten mit einer Schlinge: die dies unterlassen wollte, wiirde sich ewiger Schmach und zugleich dem Basse der Verwandten ihres ver- storbenen Maunes aussetzen (Procop. de b. g. 2, 14). Bekannt sind die grau- samen Begrabnisse der Sky then bei Herodot 4, 71 und 72: wenn der Konig gestorben ist, wird eine der Beischlaferinnen erdrosselt und mitbegraben, ebenso der Mundschenk und der Koch, und der Marschalk und der Leib- koch und der Bote und die Pferde u. s. w., urns Jahr aber werden ebenso ftinfzig Diener, die der Konig aus der Zahl seiner Unterthanen sich gewahlt hatte denn gekaufte giebt es bei ihnen nicht , erwiirgt und ebenso fiinf- zig der schonsten Pferde. Auch bei den Slaven wird die Fran mit dem ver- storbenen Manne verbrannt, wie der h. Bonifacius und spater Thietmar iiber- einstimmend melden , Brief des Bonifacius und anderer Biscbofe an den Konig Aethilbald von Mercia (zwischen den Jahren 744 uud 747, bei .TafFe, Monumenta Moguntina p. 172): Winedi, quod est foedissimum et deterrimum genus hominum, tarn magno zelo matrimonii amorem mutuum observant, ut mutter, viro propio rnortuo, vivere recuset. Et laudabilis mutter inter illos esse judicatur, quiapropria manu sibi mortem intulit et in una strue pariter ardeat cum viro suo; Thietmar von Merseburg 8, 2 von den Polen: In tempore patris sui (d. h. des Vaters von Boles] a v Chrabry), cum is jam gentilis esset, unaquaeque mutter post viri exequias sui igne cremati decollata subsequitur. Auch die Preussen gaben dem Todten Pferde, Knechte und Magde, Jagdhunde u. s. w. mit, Petrus von Dusburg. 3, 5 (Scriptores rerum prussicarum I p. 54): unde con- tingebat quod cum nobilibus mortuis arma, equi, servi et ancillae, vestes, canes venatici et aves rappaces et alia quae spectant ad militiam urerentur, und sie miissen bei ihrer Bekehrung versprechen, dass -sie bei Todtenbestattungen in Zukuuft keine Pferde oder Menschen mehr mitverbrennen oder mitbe- graben wollen, Dreger Cod. Pomeran. diplom. no. 191, vom Jahre 1249, Friedensvergleich zwischen dem deutschen Orden und den Preussen: promise- runt quod ipsi et heredes eorum in mortuis comburendis vel subterrandis

534 Aumerkuugen.

cum equis sive hominibus vel cum armis sen vestibus vel quibuseumque aliis preciosis rebus vel etiam in aliis quibuseumque ritus gentilium de cetero non servabunt. Aber Gedimin, der Grossfiirst des mehr ostlich gelegenen Litauen, wo sich das Heidenthum und uberhaupt die europaische Vorzeit am langsten erhielt, wurde noch gegen das Jahr 1341, also zur Zeit Petrarcas und der be- ginnenden Renaissance, folgendermasseri bestattet (Stryjkowski, Kronika polska, Ende des XL Buches): »Es wurde ein Scheiterhaufe von Fichtenbolz errichtet und darauf der Leichnam gelegt, in den Kleidern, die der Lebende am meisten geliebt hatte, mit dem Sabel, dem Speer, dem Koeher und Bogen. Dann wurden je zwei Falken und Jagdhunde, ein gesatteltes lebendiges Pferd und der getreueste Lieblingsdiener unter Wehklagen der umstehenden Krieger- schaar mitverbrannt. In die Flamme wurden Luchs- und Barenkrallen ge- worfen, sowie ein Theil der dem Feinde abgenommenen Beute, endlich auch drei gefangene deutsche Ritter lebendig verbrannt. Nachdem die Flamme erloscheu war, wurde die Asche und das Gebein des Fiirsten , des Dieners, des Pferdes, der Hunde u s. w. gesammelt und in einern Grabe an der Stelle, wo die Fliisschen Wilna und Wilia zusammenfliessen , niedergelegt und mit Erde bedeckt.« Ueber den Leichenbrauch der scandinavischen Germanen be- lehrt uns die Edda im dritten Lied von Sigurd dera Fafnirstodter: Brunhild giebt sich nach Sigurds Ermordung selbst den Tod und ordnet sterbend an (nach Simrocks Uebersetzung) :

Dem Hunengebieter

Breunt zur Seite

Meine Knechte mit kostbaren

Ketten geschmuckt:

Zwei zu Haupten

Und zu den Fiissen,

Dazu zwei Hunde

Und der Habichte zwei.

Also ist Alles

Eben vertheilt. Dies war das Todtengefolge fur Sigurd, fiir sich selbst verlangt sie:

Ihm folgen mit mir

Der Magde fiinf, , .

Dazu acht Knechte

Edeln Geschlechts,

Meine Milchbriider

Mit mir erwachsen,

Die seinem Kinde

Budli geschenkt.

Wie es die Ost-Scandinavier hielten, die unter dem Namen Russen den Osten Europas als Krieger, Rauber und Herrscher durchzogen uud unterwarfeo, er- sehen wir aus zwei Meldungen, die eine eines Byzantiners, die andere eines Arabers, beide um so wichtiger, als sie dem zehnten Jahrhundert angehoren, bis wohin unsere iibrigen Quellen nicht reichen. Leo Diac. ed. Hase 9, 6 p. 92: Die Russen unter Swietoslav in Dorostolum eingeschlossen, liefern den Griechen auf dem Felde vor den Mauern haufige Gefechte. Einst, als wieder ein solcher Kampf stattgefunden hat, in welchem Ikmor, der zweite im Range

Anmerkungen. 535

nach Swietoslav, getodtet worden, sammeln die Barbaren Nachts bei Vollmond die Leichname und verbrennen sie auf Scheiterhaufen, wahrend auf denselben zugleich nach vaterlicher Sitte (xaia tov rcdtpiov VOJJLOV) die meisten der Kriegs- gefangenen, Manner und Weiber, geschlachtet werden. Sie bringen dazu auch Todtenopfer (evaytofxoo?), indera sie auf der Donau Sauglinge und Hahne er- wiirgen und sie dann im Strom versenken. Noch ausfiihrlicher ist die Be- schreibung, die der Araber Ibn-Foszlan bei Frahn S. 13 ff. von einem russischen Leichenbegangniss giebt, dem er im Jahre 921 oder 922 als Augenzeuge bei- \vohnte. Ein Hauptliug war gestorben und eins seiner Madchen, das sich meldete, starb mit ihm. Der Todte ward auf dem Schiff in halbsitzender Stellung auf einem Ruhebett niedergelegt, ein Hund in zwei Theile zerschnitten und ins Schiff geworfen, alle Waffen des Todten ihm beigegeben, zwei Pferde /erhauen und die Stiicke ins Schiff geworfen, eben so zwei Ochsen u. s. w. Wahrend das Madchen von den Mannern mit einem Strick erdrosselt wurde, staoh ihr gleichzeitig ein altes Weib, das sie den Todesengel nennen, mit einem Messer ins Herz, drauf warden beide Leichname mit den Beigaben verbrannt. Wahrend des Abschlachtens rnachten die Manner mit ihren Schilden ein Getose, um das Todesgeschrei des Madchens zu iibertonen, welches andere Madchen in ahnliohern Falle hatte abgeneigt machen konnen, sich mit ihrem Herrn wiederzuvereinigen. Vor dem Tode hatte sie ihre beiden Armbander abgezogen und sie dem Todesengel gegeben (der Araber nennt dies alte Weib einen »Teufel mit flnstrem, grimmigen Blick«, s. oben die grauhaarigen Prophetinnen der Cimbern), eben so ihre beiden Beinringe und sie zwei ihr dienenden Madchen, den Tochtern der alten Morderin, gereicht u. s. w. Wir iibergehen die iibrigeii Einzelheiten, die diesen Bericht zu einem der kostbarsten Denkmale des friihen nordischen Alterthums machen. J. Grimm freilich (in seiner Schrift iiber Leichenverbrennung) geht widerwillig an dieser Erzahlung vorbei, die ihm seine Kreise stort: der Schopfer der deutschen Alterthumskunde war trotz Allem ein Zogling der romantischen Zeit und sein Absehen, im Gegensatz zum achtzehnten Jahrhundert, hauptsachlich darauf gerichtet, in der nationalen Vorzeit die Ziige tiefen Sinnes aufzudecken. Die obigen Belegstellen liessen sich noch vermehren, doch reichen die gege- benen hin, die Allgemeinheit dieser Sitte und ihr hohes Alterthum zu be- weisen. Wenn wir heut zu Tage die Stein- oder Erdgrufte der europaischen Urzeit aufwiihlen und ihren Moder auseinanderschiitten, so pflegen wir nicht daran zu denken, wie viel Grauel, wie viel Angst und Entsetzen vergangener Tage hier an jedem Staubchen haften ! Nichts aber fuhrt tiefer ein in die Gemiithsart jener friihen Menschengeschlechter und die finstre Gefangenschaft ihres Geistes, als das Bild dieser Frauen, die wetteifernd sich zum Feuertode drangen mils sen, der Diener, die zu Dutzenden dem Herrn mitgegeben, der zappelnden Gefangenen, die im diistern Walde oder iiber dem grossen Kessel geschlachtet werden. In Gallien war der Mord bei Leichenbegangnissen schon vor der Ankunft der Romer ausser Uebung gekoramen durch die Macht zunehmender Bildung , aber die religiosen Menschenopfer mussten erst durch strenge Verbote der romischen Kaiser ausgerottet werden, Suet. Claud. 25: Druidarum religionem apud Gallos dirae immanitatis .... penitus abolevit. In fesselnder Weise malt uns Tacitus die Scene bei Eroberung der Insel Mona an der britannischen Kiiste (des heutigen Anglesea), in deren

536 Anmerkimgen.

heiligem Hain die Gefangenen bluteten, ganz wie iin Heiligthum der Nerthus oder im Teutoburger-Walde nach der Varus-Scblacht: das Ufer war mit einer bewaffneten Menge dicht besetzt, weibliche Furien, in die Farbe des Todes gekleidet, rait fliegendem Haar, schwangen bin- und herstreifend die Fackel in den Handen, die Druiden heulten mit erbobenen Armen zum Himmel auf

Alles vergebens, die Romer erzwangen die Landung und fallten die ge- weihten Baume, die Zeugen blutiger Mysterien seit Jabrhunderten, Ann. 14, 30: excisique luci, saevis superstitionibus sacri, nam cruore captivo adolere aras et hominum fibris consulere deos fas habebant. Dass die blutigen Begrab- nisse in Gallien von selbst abkamen , die religiosen Menschenopfer aber nur der Gewalt wichen, beweist, wie viel leichter das populare Herkomraen bei steigendem Licbte sich auf lost, als der Wahnwitz der durch einen festen Priesterstand bewachten Glaubenssatzung. Bei den Germanen, Litauern, Wenden war es erst das Christenthum, das der letztern ein Ende machte: wenn man sich bisweilen versucht fiihlt, den plOtzlichen Abbruch der orga- nischen Entwickelungnaturfrischer Volker durch dieBekehrung zum semitischen Christenthum zu bedauern, so darf man sich nur solcher Ziige des heidnischen Lebens erinneru, um sich mit dessen unvermitteltem Untergang zu versohnen.

Wir fugen noch hinzu, dass auch jedes erste Beginnen, jede Unternehrnung und Grfindung Menschenblut verlangte, als Biirgschaft des Erfolgs oder der Dauer, ebenso jedes Geheimniss, denn imr der Tod ist vollig stumm. Als die Sachsen sich gezwungen- sahen, die Westkiiste Galliens zu verlassen und nach Hanse zu schiffen , da wurde der Sitte gemass jeder zehnte Gefangene grausam umgebracht und dann erst der Anker gelichtet, Sidon. Apoll. Ep. 8, 6: mos est remeaturis decimum quemque captorum per aequales et cruciarias poenas, plus ob hoc tristi quod superstitioso ritu, necare. Die schon zum Christenthum bekehrten Franken machten unter ihrem Konig Theudebert einen Zug nach Italien,*um das Gothenreich unter Witigis zu bekriegen: im Begriff, den Po bei Pavia zu iiberschreiten und also den eigentlichen Krieg zu beginnen, opferten sie die dort vorgefundenen Kinder und Weiber der Gothen und warfen die Leichname in den Strom als Erstlingsspenden der Unter- nehmung, Procop. de bell. goth. 2, 25: itaiod? ts xai Y"vatxa<; t<i>v FotO-tov, oD^ep ivTauO-a supov, Ispsudv TS xal a6tu)v ta otofxata §c tiv uotajjiov ay.poOwa TOO TroXsjiou eppiTitouv. Bei Aufbau von Vesten und Brticken wird ein Lebendiges vermauert (Grimm DM.2 S. 1095 ff.), bei Anlage von Stadten durch einen niederge- metzelten oder lebendig vergrabenen Menschen dem Boden Festigkeit und Sicherheit gegeben. Als z. B. Seleucus Mcator die Stadt Autiochia am Orontes griindete, da wurde grade in der Mitte der Anlage und des Flusses durch den Oberpriester eine Jnngfrau, xopY) Ttap^evos, geschlachtet und diese als das Gliick der Stadt angeseheu (Job. Malalas 8 p. 256 ed. Oxon.). So wurde an der Statte, wo Moskau 1147 angelegt werden sollte, der Besitzer des Ortes, Kutschko, in einem Teich ersauft, ebenso Krakau (nach der Ursprungsage bei Kadlubek) auf dem Felsen des von den beiden So'hnen des Krakus ge- todteten Drachen gegriindet, nachdem der jiingere Bruder den alter n umgebracht, wie Romulus den Remus u. s. w. Wo Scbatze niedergelegt werden, wo im Allerheiligsten eine Handlung vorgeht,. von der Niemand be- richten darf, da miissen die dienenden Arbeiter sterben. Der Wagen und die Kleider und das Bild der Nerthus, der Mutter Erde, wurde in einem ver-

Anmerkungen. i 537

borgenen See gewaschen und drauf die Knechte, die dabei behiilflich gewesen, in eben dem See ersauft. Als Konig Alarich in Unteritalien plotzlich gestorben war, leiteten seine Gothen einen Fluss ab, begruben den Todten in den Boden und liessen das Wasser wieder driiber stromen; damit aber Niemand die Statte wieder auffinde, wurden die dabei gebraucbten Gefangenen uingebracht, Jord. 29: collecto captivorum agmine sepulturae locum effodiunt . . . ne a quoquam quandoque locus cognosceretur fossores omnes inter emerunt. Lange vorher hatte Decebalus, der Konig der Daker, seine Schatze in ganz ahnlicher Weise vor dem Kaiser Trajan zu hiiten gesucht, wie Cassius Dio 68, 14 erzahlt: er grub den Fluss Sargetias, der an seiner Konigsburg voriiberfloss, ab, versenkte sein Gold und Silber in den Boden und leitete dann den Fluss Avieder driiber, verbarg auch seine pracbtigen Gewander, die von der Feuchtigkeit batten leiden konnen, in einer Hohle und Hess dann die Kriegsgefangenen, von denen beide Arbeiten ausgefiihrt waren, to'dten, damit Keiner davon etwas verrathen konne. Es half ihm freilich nicbts, denn, wie Dio weiter berichtet, wurde der Vertraute des Konigs, Bikilis, von den Romern gefangen und brachte das Geschebene an den Tag. Den Inhalt der Schatzhauser in Kriegs- nothen vor dem Feinde zu bergen, war iiberhaupt bei alien alten Volkern die ewige Sorge und gewiss verdanken wir diesem Umstand manchen antiquarischen Fund, den wir gemacbt haben oder in Zukunft nocb machen werden.

Wir haben uns bei allem Obigen auf die indoeuropaischen Volker be- schrankt; dass die geschilderte Sitte aber auch tiber den Kreis derselben hin- ausgeht, lehrt z. B. folgende Stelle des Livius, Epit. 49: exstant ires orationes ejus (Servii Sulpicii G-albae) una in qua Lusitanos propter sese castra habentes caesos fatetur, quod compertum habuerit, equo atque homine suo ritu immolatis, per speciem pads adoriri exercitum suum in ammo Htibuisse. Also auch die Lusitaner, ein iberisches Volk, opferten bei Beginn einer kriegerischen Unter- nehmung einen Menschen und ein Pferd!

. Um dies diistere Kapitel mit einem heiteren Zuge zu beschliessen, wollen wir noch an einen Vorgang aus der jiingsten Geschichte erinnern. Als Fried- rich Wilhelm, der letzte Kurfiirst vou Hessen, gestorben war (in Prag, Januar 1874), zogen die acht isabellfarbigen Pferde, die er so sehr geliebt hatte, den Leichenwagen, sowohl in Prag, als spiiter bei der Bestattung in Kassel und sollten, einer Zeitungsnachricht zufolge, uach diesem letzten Dienst er- schossen, also ihm in die himmlischen Gefilde mitgegeben werden, wie auch den Konigen der Skythen ihre Pferde nachgeschickt wurden.

10. S. 10.

Unter den zahlreichen Belegen fur das Looswerfen der alten Volker wollen wir hier nur des ergreifenden Vorfalls erwahnen, von dem Casar de b. g. gegen Ende des ersten Buches berichtet. Casar hatte zwei Abgesandte in das Lager des Ariovistus geschickt, um dessen Vorschlage engegenzunehmen, den ihm nahe befreundeten Cajus Valerius Procillus, eineu durch Tugend und Bildung ausgezeichneten jungen Mann, der zugleich der gallischen Sprache kundig war, und den M. Metius, der mit Ariovistus auf dem Fusse der Gastfreundschaft stand. Kaum aber hatte Ariovistus die beiden Romer erblickt, als er laut ausrief: Ihr seid Spione, ihnen das Wort abschnitt und sie in Ketten werfen liess. Es folgte die Schlacnt, die mit der Flucht der

538 Anmerkungen.

Germanen endigte; bei der Verfolgung stiess Casar selbst auf den dreifacb gefesselteu Valerius Procillus und entriss ihn den Handen der ihn mit- schleppenden Wachter. Der Befreite erzahlte, wie nur der Zufall ihn gerettet habe: dreimal sei vor seinen Augen das Loos daruber geworfen worden, ob er sogleich zu verbrennen oder fur spatere Gelegenheit aufzusparen sei ; drei- mal sei ihm das Loos giinstig gewesen und so sei er noch am Leben. Casar war, wie er selbst sagt, tiber den ebeu errungenen Sieg nicht hoher erfreut, als tiber diese Kettung, und der erstere ware ihm verdustert worden, wenn sein theurer Freund unter den Handen der Barbaren geblieben ware. Aucb M. Metius ward aufgefunden und Casar wieder zugefiihrt.

11. S. 17.

II6u<; und populus gehen auf den Begriff Ftille, Menge zuriick, fhiuda (woher unser deutsch, Deutschland), auch in den italischen Sprachen und im Keltischen und Litauischen lebendig, ist aus der Wurzel tu = crescere, tumere erwachsen, das deutsche Leute, slav. ljudu populus, altpreussisch ludis- der Herr, der Wirth, der Mensch, lettisch laudis Leute, Volk hat seinen Boden in dem noch vorhandenen gothischen Verbum liudan = pullulare, das slavische narodu genus, populus, homines, mundus in roditi generare, par ere u. s. \v. Wir lassen uns hier auf dies reiche Theiua, das uns zu weit fuhren wtirde, nicht ein, und wollen nur des altberuhmten Namens der Goth en gedenken, aus dem der Naturgeist der altesten Zeiteu vernehmlich spricht. Denn dass dieser Name aus dem Verbum giutan, giessen, griech. ^luj, lat. fundo zu erklaren ist, leidet keinen Zweifel. Die Gothen sind effusi, profusi, wie die Menschen tiber- haupt, wie die Blatter des Waldes, die der Wind herabstreut und der Frtih- ling hervortreibt, wie das Gewimmel der Fische und die Keime des Lebens. liberal!. Jes. Sir. 14, 19: »Gleichwie die griinen Blatter auf einern schonen Baum etliche wieder wachsen, also gehets mit den Leuten auch, etliche sterbeu,. etliche werden geboren.« Homer II. 6, 146:

So wie der Blatter Geschlecht, so sind die Geschtechter der Menschen. Blatter ja schtittet (x^i) zur Erde der Sturm jetzt, andere sprosseri Neu im grunenden Wald und wieder gebiert sich der Friihling: Also der Meuschen Geschlecht, dies treibt und das andere verschwindet. Sollte ich mit dir, sagt Apollo II. 21, 462ff. zu dem Erderschiitterer, der armen Sterblichen wegen kampfen, die den Blattern gleichen und bald bliihen, bald vergehen?

Die Kikonen zogen heran, wie Blatter, Od. 9, 51 :

Zahllos kamen sie nun, wie Blatter und Bliiten im Fruhling, ebenso die Achaer, wie Blatter oder Sandkorner, II. 2, 800:

Denn wie die Blatter des Waldes, wie Sand an des Meeres Gestaden Ziehn sie daher in der Ebene. Homer sagt cpuUwv 7601?, Hesiod. Op. et d. 421:

oXf], cpuXXa B'spaCe X^st» und Pindar von der Saat, Pyth. 4, 42:

ev taS' atpO-ttov vdou) v.i-^ota.1 AttS6a? sOpuXopou aitepfxa Ttplv oSpa?.

Dasselbe Verbum bei Homer vom Gedrange der Menschen und Thiere, so II. 5, 141 von den Schafen, die fliehend sich drangen (xl/ovtai), II. 16, 259

Anmerkungen.

von den Myrmidonen, die unter Patroklus' Fiihrung wie em Wespenschwarm sich ergiessen (i&ysovto'), II. 2, 465 von dem achaischen Volk, das auf die Ebene um den Scamander heranriickt (rcpo^e'ovTo), II. 15, 360 von den Troern, die zum Karapfe herbeistromen (itpo^eovto), II. 19, 222 von der Fiille der Halrne, die das Erz in der Schlacht niederstreut (s/soev), Od. 22, 387 von den Fischen, die schnappend am Gestade iibereinander wimmeln (xe^uvtai) u. s. w. Bei Aristoteles Hist. an. 5, 9, 32 sind x°TOt fy^£S Zugfische, die sich sch war- mend drangen und mit Netzen gefangen werden; Hesychius hat ein redupli- cirtes xox_u mit der Bedeutung viel, reichlich, der Scholiast zu Theokrit 2, 107 ein sonst unbekanntes Substantiv v-ojo^ = reichliche Stromung. Noch naher zum lateinischen oder gothischen Worte stehen xoxo8eu> reichlich fliessen (bei Theokrit), yoo-riv reichlich, haufenweise, yu^a-t^io, x°^a^°?> %Q&o3todt yu$a.'.6<u, Xo8aiorf)<; Alles vom Volksmassigen, daher Gemeinen und Gewohnlichen. Dass anch lat. fundo von der zeugenden Kraft der Erde gebraucht wirdt lehren Stellen, wie Lucret. 5, 917:

tempore quo primum tellus animalia fudit,

Cic. terra fruges fundit, Verg. fundit victum tellus, fundit humus flores u. s. w. Grade so heisst altnordisch gjota parere, proceare, got oder goto, fetura pisciumf wahrend die Bedeutung giessen in dieser Mundart fast erloschen ist. So sind die Gothen des Festlandes, die Gutos oder Gutans, und die scandinavischen Gautar und Gotar uichts als die Ergossenen, d. h. die Erzeugten, die aus- dem Schosse der Erde Geborenen, die Fiille der Lebendigen (wie die Welt gothisch manaseths, d. h. Menscheusaat heisst), ein Name der viel alterthiim- licher ist als die stolzen Composita, mit denen sich keltische, auch germanische Volker in jiingerer historischer Zeit schmiickten. In der litauisch-slavischen Sprache ist giutan spurlos verloren und wird durch slav. lijati, liti funderef lit. lieti fundere, lietas fusus, lyii pluere, lytus oder lietus pluvia ersetzt. Es liegt nahe, den Namen Litauens und der Litauer: Lietuwa, Lieluwis aus diesem Wortstamm zu deuten, wie den der Gothen, ihrer Nachbarn und Kulturver- waudten, aus giutan. [Alle Deutungsversuche des Gothennamens finden sich gesammelt und besprochen in der Schrift A. Erdmanns, Om folknamnen Gotar och Goter. Ant. tidskr. f. Sverige 11, 4.].

12. S. 17.

[Die im Text vorgetragene Dentung des Volkeruamens Britten (Bpettavoi) ist unsicher, da cymr. kreifh, spater brith bunt, gefleckt dem altirischen mrecht, brecht entspricht, was auf urspriingliches v.t, nicht TT irn Inlaut weist. Picti (Pictones, Pictavi) begegnet nur in lateinischen Quellen. Im keltischen Sprachschatz liesse sich ir. cicht ,a carver or engraver' vergleichen; s. Windisch, Ersch und Gruber, Artikel Kelten p. 140, 136]

13. S. 17.

Benfey meinte [mit Riicksicht auf die Gleichung scrt. sahasra, zend. hazanra, griech. xsXXioi, X^to']» (^e tlbrigen europaischen Volker hatten auf der Wanderung, wie iiberhaupt ihre alte Kultur, so auch ihre gemeinsame Bezeichnung der Zahl tausend eingebiisst und sie sich nachmals wieder neu schaffen miissen. Dies ist aber wider die Natur der menschlichen Seele. Ein Volk, das in netie Sitze riickt, kaun mancherlei Naturobjecte der friiheren

540 Anmerkungen.

Heimat aus dem Gedachtniss verlieren, hat es aber einmal die Fahigkeit ge- wonnen, den Begriff tausend zu denken, so kann es von dieser Stufe psychi- scher Entwickelurig auf keine Weise wieder zurucktreten. Die Vorstellung einer Vielheit \vie tausend fa" lit dem Naturmenschen iiberhaupt gar nicht so leicht, wie man jetzt wohl glaubt, und dass die einwandernden Indoeuropaer sich dieselbe noch nicht zu bilden wussten, ist gar nicht so wunderbar. Die Finnen lernten erst -von den Slaven hundert denken und sagen , und zehn- tausend nennt der gemeine Russe noch jetzt tma, d. h. Dunkelheit. [Immer- hin bleibt bei der Auffassung Hehns die oben genannte gracoarische Gleichung, die natiirlich nicht uuf Entlehnung beruhen kann, zu erklaren iibrig.]

14. S. 51.

Seit unser das Pferd behandelnder Abschnitt geschrieben wurde, sind zwei fiir dies Thema wichtige Schriften erschienen, dereu Inhalt mit unserer Ausfiihrung im Allgemeinen nicht im Widerspruch steht, vielmehr von einem Nachbargebiete aus, dem dar Archaologie, manche Bestatigung bietet. Wir meinen die von L. Stephani publicirte Silbervase von Nicopol, die der Her. ausgeber in das 4. Jahrhundert vor Chr., also in die beste Zeit der griechischen Kunst setzt, und die von Wl. StassofF beschriebene Grabkammer von Kertsch (Chambre se"pulcrale avec fresques de"couverte en 1872 pres de Kertsch, St. Petersbourg 1875. gr. 4°). Da der scharfsinnige und belesene Verfasser der letztern Schrift sich zugleich wahrend seiner Arbeit der Unterstiitzung des beriihmten Reisenden und Hippologen A. v. Middendorff zu erfreuen hatte, auch auf die Vase von Nicopol gebiihrend Bezug nimmt, so glauben wir uns den Dank des Lesers zu verdienen, wenn wir hier einen gedrangten Auszug dessen geben, was sich den genannten beiden Forschern fiir die Ge- schichte des Pferdes auf archaologischem Wege ergeben hat. Wir fiigen unsererseits kurze Bemerkungeu in Klammern hinzu und venveisen im Uebrigen auf das Werk selbst.

Die Denkmaler des orientalischen und klassischen Alterthums zeigen uns drei Typen von Pferden: das Steppenpferd, das Halbzugpferd (rnehr zum Ziehen als zum Reiten geeignet, demi-cheval de trait) und das Reitpferd (cheval de selle). Auf der Vase von Nicopol sind die beiden ersten dieser Typen getreu dargestellt: das Pferd des Hiiters der Heefde ist ein gesatteltes reines Steppenpferd und den jetzigen kalmukischen Pferden ahnlich: die Pferde der Heerde selbst gehoren nicht mehr der Urrace der Steppe an, sondern sind schon mehr Zug- als Sattelpferde und weisen auf fruchtbare Niederungen als ihre Heimat bin. Sie sind den assyrischen Pferden an den Wanden von Khorsabad verwandt: das assyrische Pferd ist auch ein halbes Zugpferd, das auf Gegenden von noch reicherem Graswuchs deutet. (Dass das skythische veredeite Pferd von dem assyrischen abzuleiten sei, scheint uns nicht annehmbar: ihre Aehnlichkeit erklart sich wohl durch die gleiche Herkunft aus Medien ) Ein alterer assyrischer Schlag, den wir aus den nini- vitischen Abbildungen kennen lernen, nahert sich dem griechischen archiiischen Pferde auf Vasenbildern. Letzteres wird so beschrieben : sehr feine Beine, starkes Kreuz, langer runder Hals; Uebergang des Halses zur Brust hirsch- artig, das Haar des Schweifes, der Mahne, der Stirn kurz, der Schweif ab- stehend. Dieselben Merkmale finden sich bei dem agyptischen Pferde und

Anmerkungen. 541

das griechische liat sieh unter agyptischera Einfluss gebildet (historisch kaum moglich; beide werden in-nicht sebr verschiedener Zeit aus derselben Gegend, d. h. ans Vorderasien heriibergekommen sein). Den genannten zwei Typen steht der dritte Schlag gegeniiber, das reine Reitpferd auf den Denkmalern der Sasaniden und den romischen, z. B. den Basreliefs der Trajanssaule. Es ist nicht hoch von Wuchs, bat einen kiirzern Leib und niedrige Beine, ist kraftig, muskulos, sehr breit, mit nicht langem Halse; es muss sicb aus dem arabischen entwickelt baben; sein Vorfahr zeigt sich auf den Bildwerken von Persepolis; von diesem oder seinen Blutsverwandten bat das sasanidische und das romische Pferd seine Gedrungenheit und die edle Bildung des Hauptes. (Als das persiscbe, dann das macedonisch-griechische, endlich das romische Weltreicb einen allgemeinen Verkehr und Austausch moglich gemacht batten, verbreitete sich ein immer schonerer Pferdeschlag in immer weiteren Kreisen, vom Euphrat bis zum Tiber und vom Tigris bis zurn Nil. Daber die Gleich- artigkeit der Race auf spateren Darstellungen des iranischen Ostens und des europaischen Westens. Dieselben Zeiten und Umstande sind es aucb, die das arabische Pferd geschaffen haben, welches seitdem das edelste wurde, wie es friiher das medischegewesen war.) Auf den Fresken der Grabkammer zu Kertsch, die dem Zeitraum zwischen dem Anfang des 2. und dem Ende des 4. Jahr- hunderts nach Chr. anzugehoren scheinen und denen alles Griechische oder Romische fehlt, finden wir die Bewohner von Panticapaeum im Besitz des edleren arabischen Pferdes, nur das Thier auf Tafel 6 gleicbt einigermassen dem primitiven Scblag der Steppe; zugleich zeigt alles Beiwerk, Schmuck, Waffen , Gerathe, Tracht, iranischen Charakter ein schoner Beweis mehr fiir den Satz, dass wir uns die Urbevolkerung an den Kiisten des scbwarzen und asowscben Meeres, unter der die Griechen sich ansiedelten, als iranischen Blutes zu denken haben, das erst spater dem tiirkischen wich oder sich mit ihm mischte.

Bei all dem ist natiirlich vorausgesetzt, dass die Urheber der Zeich- nungen und Reliefs, die wir miteinander vergleichen, naturalistisch verfuhren und den ihnen in der Natur vorliegenden Gegenstand wirklich in seiner Lebendigkeit erfassten oder erfassen wollten. Wie aber, wenn sie in einer religios und kiinstlerisch gebundenen Epoche nur den starren Ausdrucks- formen eines gegebenen Stiles folgten? Oder in einer freieren dem Gesetze idealer Schonheit, wie es ihnen vorschwebte? Die Menschen auf den altesten griechischen Bildern sehen wie die Aegypter aus sollen wir daraus schliessen, dass die Natur den alten Griechen agyptische Gesichter gegeben hatte oder gar, dass die Griechen von den Aegyptern abstammteu? Man sieht, auch die Kunstgeschichte hat hier ein Wort mitzusprechen, aber nur um die Untersucbung nach Daten der uns erhaltenen Abbildungen nocb unsicherer und verwickelter zu machen.

So viel iiber das genannte Werk. Im Uebrigen kann es dem Verfasser nicbt einfallen, durch seine mehr historieche Darstelluug den Gegenstand fiir erschopft oder alle einschlagenden Fragen fiir erledigt zu halten. Doch glaubt er die hauptsachlichen Gesichtsptinkte geltend gemacht, die wichtigsten Zeu§- nisse vorgelegt und letztere nach erstereii geordnet zu haben. Manches an sich Interessante, wie die Castration, die von osteuropaischen Volkern, den Skytben, Sarmaten u. s. w. ausging, Strab, 7, 4, 8, oder der Hufbescblag, der

.542 Amnerkungen.

dem Alterthum unbekannt, erst bei den Byzantinern seit dem 9. Jahrhundert sicher bezeugt ist, Beckmann, Beytrage 3, 122 wurde ubergangen, weil es fur die Urgeschichte nicht von Belang schien.

15. S. 56.

Die Wort-form [TsXaoYoi selbst ist noch nicht befriedigend erklart, aber der Sinn scheint der im Text angegebene. Strab. 7, Exc. 1. und 2.: <paoi Ss nal xaia TYJV -:uiv MoXorcuiv xai OeoTipunuiv y\&vra.v the, YPa^a? rceXtas zaXEioftoa yal TOUC Y£'p°VTa(S rceXioo?. Dasselbe gleich darauf mit dem Zusatz: xaftdrcep xai rcapa MaxeSoai ueXtYova?' Y°^v KaXooatv ixelvot TOO? iv Ttfxouc, xa&a itapa Aaxcoot y.al MaaoaXtwtai? TOD? Y^Pov<ca?- Dazu albanesisch plak = senex, vetus. Bei Aeschylus nennt sich Pelasgus selbst den Sohn des erdgeborenen Palachthon, Suppl. 250:

Too

Bei Homer Sioi DsXaaYot = die altehrwiirdigen. [Vgl. noch Hesych: Kuiot xal 'HrestpdiTat TOU? Y^povtaC xa^ T«? Ttpso^UTtSai; und rceXXa?* upeapotYji;. Um- gekehrt freilich erklart Holm, Griech. Gesch. I, 71 die Vorstellung der Griechen von den Pelasgern als altester Menschen aus der volksthiimlichen Peutung der IJeXaoYot aus udXai, TCeXeios erst hervorgegangen. Nach J. Baunack Studia Nicolaitana S. 51 waren die flsXaoYoi aus *nsXaot-Yot: TteXa, cpeXa Fels die »Berg- geborenen«(?). Vgl. iiber die Pelasgerfrage zu der oben S. 65 aug. Lit. noch E. Meyer, Geschichte des Alterthums II § 36 (Forschungen I): »Aber in Wirklichkeit hat das Urvolk der Pelasger niemals existirt; leibhafte Pelas- ger hat es nur in Thessalien gegeben, in der fruchtbaren Peneiosebene, die bis in die spateste Zeit ihren Namen bewahrt hat, und nicht der mindeste Grund liegt vor, diese Pelasger fur etwas anderes zu halten als fur einen griechischen Volksstamm.«]

16. S. 56.

Neuere Philologen (z. B. Deimling, Die Leleger, Leipzig 1862) halten die lelegischen Volker und Volkchen fur friihe Einwanderer aus Kleinasien: dann durften sie aber nicht fur Griechen und nahe Verwandte der Pelasger- Hellenen ausgegeben werden. Wenn sie dies aber nach Religion und Sprache doch waren, so konnen sie keinen anderen Ansgangspunkt gehabt haben, als die europaischen Indogermanen iiberhaupt und die Gracoitaler insbesondere. Kleinasien war im Norden von westlichen Auslaufern des grossen iranischen Stammes, die schon den Uebergang nach Europa bildeten, den Armeniern und den diesen nach dem ausdriicklichen Zeugniss des Eudoxus und des Strabo sprach- und stammverwandten Phrygern [vgl. Anm. 17], im Sudosten von Zweigen der semitischen Familie, in der Mitte von Bluts- und Kultur- mifechliugen beider besetzt. Von der Donau herabdringende Thraker mogen friiher tiber den Hellespont und an die Siidkuste der Propontis, Pelasger und Leleger auf einer der zahlreich hiniiberfuhrenden Insel-Briicken an den Rand des gegeniiberliegenden Continents gelangt sein. Sie wurden dann im Norden von lydischen und phrygischen Elementen durchsetzt, im Suden von den Semiten versclilungen oder beherrscht. Umgekehrt gingen auch Karer ein Volk, das sich zu Herodots Zeit fiir autochthon in Kleinasien hielt auf die Inseln

Anmerkungen. 543

hinuber, wo sie die Leleger zu Sclaven machten, und betraten bin und wieder Punkte des Festlandes, z. B. Epidaurus. In derselben ost-westlicben Richtung setzten aucb phrygiscbe Staiume nach Thrakien hinliber und brachten orien- taliscbe Kultur, so weit sie ihnen damals zugekommeii war, nach Europa mit. Herodot erwahnt einmal (7, 20) ira Vorbeigehen eines grossen vor der troischen Zeit erfolgten Zuges der Myser und Teukrer tiber den Bosporus, wobei sie alle Thraker sollten unterworfen haben und bis an den adriatischen Meer- busen und nach Stiden bis an den Fluss Peneus vorgedrungen sein, und ein neuerer Gelehrter (Giseke, Thrakisch-pelasgiscbe Stamme der Balkanhalbinsel, Leipzig 1858) hat auf diese Nachricht ein ganzes Buch gebaut und einen grossen Theil der griechischen Urgeschichte darnach construirt. Pie beiden Meerengen, die die Propontis einschliessen, mogen ofter Zeugen soldier Ziige und Gegenzuge gewesen sein; auch die Paoner am Strymon mogen der Rest «ines solchen sein, obgleich die Angabe der beiden paonischen Manner bei Herodot (5, 12. 13), sie seien Abkommlinge der troischen Teukrer, vielleicht nur ein Nachklang aus der Ilias ist, in der die Paoner Bundesgenossen der Troer sind, und obgleich die Sitten des paonischen Madchens 'dem Darius gerade als ganz unasiatisch auffallen ; aber die grosse Wanderung, die Griechenland und Italien ihre gleichartige Bevolkerung gab, und die weiterhin auch die Kelten, uud mehr uach Norden auch (lie Germaneu, Litauer und Slaven in sich begreift, geschah gewiss nicht von Kleinasien aus. [Ueber die Leleger- frage vgl. jetzt auch E. Meyer, Geschichte d. Alterthums II § 38.]

17. S. 57.

So dankbar wir dem verstorbenen v. Hahn fur seine Mittheilungen aus dem Gebiet der albanesischen Sprache und Sitte sein miissen, so wenig an- nehmbar sirid die urgeschichtlichen Speculationen , die er hinzufiigt. Der Versuch, die altlykischen Inschriften aus dem. heutigen Albanesischen zu er- klaren und dies letztere Idiom zu einern speciell iranischen zu stempeln (O. Bl.au in der Zeitschrift der DMG. XVII, 649), ist mit zu diirftigen Mitteln unternommen, als dass er nicht ganzlich hatte scheitern sollen. Man darf sich daher verwundern, wenn Justi (in der Vorrede zu seinein Handbuch der Zendsprache S. X) geneigt ist, auf eine so luftige Hypothese einzugehen und das Albanesische »fiir einen Auslaufer der arischen Sprachen und speciell fur einen Nachkommen des Lykischen« gelten zu lassen.

Dass die Thraker rein und geradezu ein iranischer Stamm gewesen, wie P. de Lagarde, Gesammelte Abhandlungen, S. 281, und nach ihm Roesler (Dacier und Romanen in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, 1866, S. 81) zu behaupten Anstalt machen, diese Meinung hat bis jetzt noch nichts fur sich. Die einzige thrakische Glosse, die unverkennbar iranisches Geprage hat, ist der Name des angeblich thrakischen Stammes der Saraparai oder Kopfabschneider bei Strabo 11, 14, 14, aber dieses wilde Volk wohnte tief in Asien, tiber Armenien, in der Nahe der Guranier und Meder, und fdhrte diesen Beinamen dort. Man sehe sich nur die Worte des Strabo an: cpaal 5e (also nur: man sagt) xai 0pqcxdiv nva?, TOD? TCpooaYopeuofxevoos (bei den urnwohnenden Vtilkern?) Sapandpa?, olov xecpaXoTojxooc, olxvjoai oitlp rfc 'Apjjievtac, ItX'TjO^ov FoupavtcDV xoi M'fjSwv, •O'YjpiouSsn; avO-pcuiroui; xa! ftTCei^elc, opetvooi;, ireptaxo^oaTai; TE xat ^Tioxs'faXiatac. Wenn das thrakische £pt'C« wirklich mit vnhi Reis

544 Anmerkungen.

zusammenhangt, so ist PS em Fremdwort, das den weiten Weg von Indien iiber Iran und Kleinasien zu den Thrakern zuriickgelegt bat, und beweist also gar nichts. Der thrakische Damon Zalmoxis, Zamolxis, berichtet Por- phyrius im Leben des Pythagoras, sei deshalb so genannt worden, well iiber ihn gleich nach der Geburt ein Bareufell geworfen wordeu: rr,v Y«P Sopav Bpaxss CaXfxov xaXoootv. Soil hier oX£t? Bar bedeuten, so vviirde dies zwar rait arischen, aber nicht weniger mit europaischen Wortern zusamrnenstimmen: gr. apxToc, lat. ursus fur urctus. Ziehen wir das JJL zur zweiten Halfte binzu: fAo£ic, so bietet sicb das litauische meszka, slav. mecika, der Bar Da man aber Fellbar fiir Barenfell Dicht sagen kann, so will P. de Lagarde CaX-fxoqts als das braune Fell deuten: allein auch dabei ergiebt sich nichts specifisch Iranisches: JAO^CC; hatte auf europaisohem Boden sein Analogon im slavischen inechu, das Fell, und die Slaven sind keine Iranier, £aX ist gleichfalls in Europa ganz gewohnlich, z. B. lit. ialias griin, ielti griinen, zole Gras, slav. zelije Kraut, zelenu griin u. s. w. Aber die gauze Deutung braunes Fell leidet an zwei weseutlichen Fehlern: erstens kann kein Gott oder Mensch einfach Fell ge- nannt werden, und nur das ist wahrscheinlich und im Sinne der nordischen Volker, dass die Thraker ihren Gott in Barengestalt oder in ein Bareufell gehiillt sich dachten und demgemass benannten; zwei tens heisst das Wort, wrelches den ersten Theil des Compositums bilden soil, nie braun oder gelbschwarzlich, sondern immer griin, griingelblich und passt daher nicht zur Barenhaut. Aus Zamolxis ist also fiir den Iranismus der Thraker nichts zu gewinnen, und Porphyrius hat entwedef, wie die Alten seit Herodot gewohut waren, sein CaXfj.6? fiir Fell aus dem Namen des Zalmoxis selbst gebildet, oder CaXfxos entspricht, wenn die Angabe richtig ist, etwa dem 'griechischen x^H^S (wie Fick vermuthet hat), in welchem letzteren Fall die zweite Halte des Wortes etwa dem lat. pelle amictus oder pellitus Aehnliches aussagen muss. - Im Gegentheil sind die Beziehungen der Thraker und der ihnen nahe ver- waudten Daken und Geten sie sprachen alle eine und dieselbe Sprache, wie Strabo ausdriicklich bezeugt zu den Volkern des Nordens rnannigfache. Grirnm hat bei Verfolgung seiner ungliicklichen Hypothese manche verwandte Ziige zwischen Geten und Germanen aufgewiesen; dass zwischen getischer und slavischer Zunge Analogien wya)ten, hat Miillenhoflf (Artikel Geten in der Encyclopadie von Ersch und Gruber) scharfsinnig erkannt. Je langer und aufmerksamer man Thraker und Illyrier anblickt, desto mehr befestigt sich die Ueberzeugung, dass dieser Doppelstamm, dessen eine Halfte Herodot fiir das zahlreichste Volk nach den Indern hielt, wie geographisch so auch ethnologisch, religiOs und sprachlich eine Centralstellung einnahm, von der aus nicht bloss zu den Iraniern, sondern nach Nord und Siid, West und Ost des Welttheils verbindende Adern ausliefen.

[Jetzt sind wir, fast ausschliesslich durch das Verdienst G. Meyers (vgl. namentlich Bezzenbergers Beitrage VIII, S. 185 195, Essays und Studien I, 3, Etymologisches Worterbuch des Albauesischen 1891 und Lautlehre der i-.lg. Bestandtheile d. Albanesischen, Sitzungsb. d. Kais. Ak. d. W. 125. Band, Jahrgang 1891) iiber die Stellung des Albanesischen im Kreise der idg. Sprachen besser aufgeklart. Dasselbe bildet einen selbstandigen Zweig inner- halb der europaischen Gruppe der idg. Sprachen. Es hat, vielleicht mit einer Ausnahme, der doppelten Vertretung von anlautendem s vor Vocalen durch s (s)

Anmerkungen. 545

und h (eft), die es aber in Europa auch mit dem Slavischen theilen wiirde (vgl. Sitzungsberichte S. 56), keine naheren Beziehungen zu seiner Nachbarin, dem Griechischen, sondern lehnt sich in der Behandlung der aspirirten Medien (idg. ght griech. x = alb. g) sowie in der Verwandlung des idg. o in a an die nordeuropaischen Sprachen iiberhaupt, und in der Behandlung der Gutturalreihen (palatales k = griech. v. = alb. s) an das Lituslavische im besondern >n. Auch der Wortschatz des Albanesischen scheint besonders haufig Beruhrungen mit den nordeuropaischen Sprachen zu zeigen.

Dass die Albanesen wirklich Illyrier waren, diirfte aus einer Reihe von Orts- und Volkernainen hervorgehen, die aus dem Albanesischen deutbar sind. Schon V. Hehn hatte auf alb. mal> der Berg und di zwei hingewiesen, die bereits Niebuhr (Vortrage iiber alte Lander- und Volkerkunde Berlin 1851, S. 305) mit dem Namen der alt-illyrischen Stadt Dimallum, die auf einem zweigipfligen Berge lag, verglichen hatte. Vielleicht geho"rt zu alb. mal1 auch rum. mal Ufer, Ktiste und die Daria maluensis = Dacia ripensis, aus den uordeuropaischen Sprachen lett. mala Rand, Ufer und irisch mala ,supercilium' (G. Meyer, Et. W. S. 257). Der Landschaftsname Delmatia, Dalmatia mit der Hauptstadt Delminium ist wahrscheinlich von alb. del'me, del'e Schaf abgeleitet, und der Volkername Dardaner diirfte um so eher Beziehung zu alb. darfe Birnbaum haben, wenn, was freilich zweifelhaft ist, die 'A^aioi und die Ingvaeones mit Recht von ^XP"^ *YX0S» °YXv>r3 == dar^B abgeleitet werden (G. Meyer, Et. W. S. 63, 61, Johansson, Bezzenb. Beitr. 18, 28). In Istrien gab es nach Strabo S. 314 eine Sumpfgegend, die Aooyeov hiess. Diese Be- zeichnung erklart sich aus alb. ligats Lache, Pfiitze, das mit dem lat. Suffix dtum aus einem alt-illyrischen *luga abgeleitet ist = lit. Hugos Morast, altsl. luza Sumpf (G. Meyer, Idg. Forschungen I, 323). Der Stadtname Tergeste Triest wird von demselben Forscher ansprechend aus einem illyrischen *terga Markt altsl. trugu Markt (vgl. Torgau abgeleitet) u. s. w.

Auch zwei vereinzelte venetische und messapische Worter lassen sich aus dem Albanesischen erklaren : so das von Columella uberlieferte ceva Kuh aus alb. Jed, Jca-u, altsl. Jcrava, lit. Mnve Kuh und messap. Ppevttov (davon Brundisium) aus alb. Stamm brin- Horn, briyii, briu (G. Meyer, Et. W. S. 164 und 48). Bereits V. Hehn hatte richtig beobachtet: »Das albanesische I'ops, I'opa die Kuh geht in den Alpen weit nach Westen, durch die Schweiz bis in die romanischen Dialekte am Genfersee (Bridel, Glossaire du patois de la Suisse romande Lausanne 1866, p. 266) war es ein venetisches Wort, das die erobernden Kelten bei den Alpenbewohnern vorfanden und das sich, wie es mit Namen menschlicher Urbeschaftigung, zumal im Hochgebirge, zu ge- schehen pflegt, bis auf den heutigen Tag erhielt?«

Ein ganz ahnliches Wort ist alb. mes, best, mszi, mannliches Fiillen von Pferd und Esel, das im Rumanischen, Grodnerischen, Italienischen, Sardini- schen, Trientinischen , ja im Bairischen und Rheinlandischen wiederkehrt. Es geht auf ein illyrisches *manza- zuriick, das dem Beinamen des Jupiter bei den messapischen Sallentinern, Menzana, zu Grunde liegt, dem ein Pferd geopfert wurde (G. Meyer, Et. W. S. 276). S. auch S. 53.

Eine starke Verbreitung der Veneter gegen Westen nimmt auch Pauli in seinem Buche: Die Veneter und ihre Schriftdenkmaler Leipzig 1891 an. Dieser sammelt in demselben die auf dem Gebiete der Veneter gefundenen

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 35

546 Anmerkungen.

Inschriften und sucht sie scharfsinnig zu deuten. 1st freilich diese Deutung richtig, bedeutet z. B. eyo = lat. ego, altsl. azu ich oder -ynos = lat. genus, so kOnnte das Venetische dieser Denkmaler mit dem Albanesiscben, nach dem oben iiber die Gutturalverhaltnisse dieser Sprache bemerkten, kaum demselben Sprachstamm angehoren (vgl. G. Meyer in d. Berliner Philol. Wochenschrift vom 27. Februar und 5. Marz 1892 und R. Thurneysen in der Wochenschrift f. klass. Phil, vom 16. Marz 1892).

Leider gestatten die iiberaus dtirftigen Reste des Thrakischen, die von Lagarde, Ges. Abhandlungen, S. 278 ff. und spater von W. Tomaschek in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie (B. 130) zusammengestellt und von A. Fick, Spracheinheit S. 278 ff., von W. Tomaschek a. a. O., von G. Meyer in Bezzenbergers B. XX, 116ff. und von andern untersucht worden sind, nicht, iiber die Stellung dieser Sprachen ein so sicheres Urtheil wie tiber die des Albanesischen abzugeben. Dass das Thrakische keine arische Sprache war, zeigt das in ihni reichlich entwickelte e und 1. Idg. o scheint, wie im Ger- manischen und Litauischen, zu a geworden zu sein, worauf die Ortsnamen auf -para (itopo;), -dama (§6jxo?) hindeuten (anders Kretschmer a. u. a. 0. S. 220). Dass das a in diesen Wortern den arischen Charakter des Thrakischen be- weise, nimmt Carl Pauli, Altit. Forschungen II, 1, 23 mit Unrecht an. Die idg. aspirirten Mediae sind zu Mediae herabgesunken (vgl. das thrakisch- phrygische ^putov Bier gegeniiber lat. defrutum; ir. bruthe Briihe). Wie diese Eigenschaft scheint es auch die Verwandlung der palatalen Gutturalreihe in Zischlaute mit dem Lituslavischen und Albanesischen zu theilen, vgl. oben x^ajxus, ferner C&ac Wein : griech. x^t(?> feipu Wildschur (zu den Ceipal der Thraker bei Herodot VII, 75 vgl. die Sitte der Germanen : eligunt feras et detracta velamina spargunt maculis pellibusque beluarum Tac. Germ. 17), das ich zu altsl. zveri Wild stellen mochte, -dizos : tel/os, zend. dafaa-, Cetpoaa Topf : ^otpa. Leider fehlt ein sicheres Beispiel fur die Tenuis. Auf der einen Seite hat Fick thrak. XYJ|JIO«; Hiilsenfrucht mit scrt. garni eine Bohnenart ver- glichen, auf der anderen heissen im Thrakischen die Trunkenen oavdrcat, ein Wort, dessen erster Bestandtheil im indischen gana Hanf (aus Hanfsamen gemachtes Getrank), osset. sanna, san Wein zu stecken scheint. Da aber auch im Scythischen oavdimv vorkommt, so wird das Wort ein iranisches Lehnwort sein, wie es deren ira Thrakischen offenbar mehrere gab. Vgl. das oben ge- nannte oapourdpac, wahrend thrak, &Yo6poo<; = Icp^^ou? nicht mit A. Fick zu alt- iran. aghru unvermahlt zu stellen ist, sondern nichts als das mittel- und neu- griech. acopo? sein diirfte. Nordische Lauterscheinung zeigt wiederum Stpufxtov, nhd. strom, altsl. o-strovu Insel, Wurzel srev. Ueber Zarnolxis, die Geten und Daker vgl. jetzt auch Miillenhoffs Deutsche Alterthumskunde III, S. 125 ff., wo die oben genannte Abhandlung aus Ersch und Grubers Encyklopadie mit einer Reihe von Verbesserungen abgedruckt ist.

Wenden wir uns hinuber nach Kleinasien, so hielt Hehn den Norden desselben »von Auslaufern des grossen iranischen Stammes« besetzt, »die schon den Uebergang nach Europa bildeten« (vgl. Anm. 16 und sonst). Jetzt wissen wir, vor allem durch die Untersuchungen H. Hubschmanns (Kuhns Zeitschrift 23, Armenische Studien I, 1883 u. s. w.), dass sicherlich das Arme- nische, trotz seines Reichthums an iranischem Lehngut, seinem Lautcharakter nach (reiche Entwicklung des e, o, I) zu der europaischen Abtheilung des

Anmerkungen. 547

idg. Sprachstammes gehort, und innerhalb derselben durch die Behandlung der Gutturale sich wiederum am engsten dem Slavolettischen auschliesst. Auch der Wortschatz zeigt in seinen ursprtinglichen Bestandtheilen euro- paischen Charakter (ok Salz, aror Pflug, mekr Honig, jukn Fisch). In gleicher Stellung scheint sich das Phrygische zu befinden (Hiibschmann a. a. 0.), namentlich wenn die Deutungen C&*«* Gemiise (altsl. zdije ,olera'), Ceopia Quelle (griech. xe5fxa)> °¥ou (= tooTtp) = altsl. semu, goth. himma (Fick, Bezzenbergers Beitr. 14, 50) richtig sind. Ueber Karer (Georg Meyer, Bezzenb. Beitr. 10), Lyder, Mysier, Lycier sind die Akten noch nicht geschlossen. Bei der Diirftigkeit der Glossen und den Schwierigkeiten , welche die wenigen Inscbriften, sowie die Orts- und Personennamenforschung bieten, ist auf sichere Ergebnisse auch kaum zu hoffen. Oefters scheint bei den Ortsnamen die echte Gestalt neben einer iranisirten zu bestehen, wie dies kurzlich G. Meyer (Idg. Forsch. I, 327—29) an zwei Fallen, SapSet? und "Aarcev&o? wahrscheinlich zu machen versucht hat. E. Meyer, Geschichte des Alterthums I, S. 299 ff. fasst, im wesentlichen auf die Nachrichten der Alten gestutzt, alle Westklein- asiaten zu einer Einheit zusammen. Nimmt man dazu die antike Ueberliefe- rung, dass die Phryger, der Hanptstamm der Westkleinasiaten, aus Thrakien eingewandert, und von den Phrygern wieder die Armenier abzuleiten seien, und vergleicht man oben die sprachlichen Bemerkungen fiber das Thrakische und Illyrische, so wird man bei dem gegenwartigen Zustand unseres Wissens immerhin als das wahrscheinlichste annehmen ko'nnen, dass die Armenier und Westkleinasiaten zusammen mit den Illyro-Thrakern eine zusammen- gehorige Gruppe der europaischen Abtheilung des idg. Sprachstamms bilden und in derselben am nachsten zu den Litu-Slaven gehoren. Eine Beriihrung dieser Gruppe mit Iraniern fand an einer doppelten Stelle statt: einraal nord- lich des Pontus durch Thraker und Skythen, das andre Mai siidlich des Schwarzen Meeres durch die Armenier, die freilich, ursprunglich nur in dem Quellgebiet des Euphrat und Tigris bis an die Halysquellen ansassig, in der altesten Zeit von iranischen Landen durch das weder indogermanische noch semitische Volk der 'AXapo&toi (assyr. Urartu} getrennt gewesen zu sein scheinen (E. Meyer, Geschichte des Alterthums I, § 247 f.).

Im Grossen und Ganzen stimmt mit dieser Darstellung auch P. Kretsch- mer iiberein, der in seiner Einleitung in die griechische Sprache (1896) zuletzt die nordbalkanischen und kleinasiatischen Volkerverhaltnisse ausftihrlich be- handelt hat, nur class er den in Betracht kommenden Sprachen mehr geogra- phische Mittelstellungen zwischen Ost und West, Nord und Slid anweisen mb'chte, eine Auffassung, fur deren Begrtindung freilich das zu Gebote stehende Material kaum hinreicht. So zeige das Thrakisch- Phrygische, das er als eine Einheit zusammenfasst, partielle Uebereinstimmungen im Norden mit dem Iranischen (Skythischen), im Westen mit dem Illyrischen, im Stiden mit dem Griechischen. Das Illyrisch-Albanesische hange einerseits mit dem I.ituslavischen, andererseits aber auch durch das Messapische mit dem Nord- griechischen und Italisch-Keltischen zusammen. In dem Venetischen er- blickt er einen illyrischen, aber vom Albanesischen und Messapischen, nament- lich auf lautlichem Gebiet, stark abweichenden Dialekt. Unter den kleinasia- tischen Sprachen erkennt er nur den Phrygern (nebst Armeniern) indo- germanische Abkunft zu. Die iibrigen Kleinasiaten bilden in 2 Gruppen, einer

35*

548 Anmerkungen.

westlichen (Karer, Lyder, Myser) und einer ostlichen (Lykier, Pisider, Isaurer, Lykaonier, Kilikier und Kappadokier) eine unter sich zusamraenhangende nichtindogerinanische Volkerschicht , die einstmals auch iiber die griechische Inselwelt verbreitet gewesen sei.]

18. S. 59.

Wir haben im Texte bei einer Materie, die iiberhaupt nur schwankende Vermuthungen gestattet, und bei der sich nur nach dein allgemeinen Eindruck urtheilen lasst, den der Eine so, der Andere anders ernpfangt, eine Art Acker- bau vor dem Ende der Wanderungen zugestanden, neigen uns aber personlich mehr der entgegengesetzten Ansicht zu Die gewohnliche Annahme ist, dass zwar das indoeuropaische Urvolk noch nicht ackerbauend gewesen sei da die entsprechenden Ausdriicke im Sanscrit nicht mit Sicherheit aufgewiesen werden kcmnen , dass aber Benennungen wie arare, molere u. s. w., die bei europaischen Gliedern desselben sich wiederfinden , die Existenz eines acker- bauenden europaischen Muttervolkes beweisen. Dabei ist zuvorderst zu be- merken, dass diejenigen, die dies behaupten und zugleich fiber die friihere oder spatere Abtrennung des einen und des andern Volkerzweiges von dem gemeinsamen Ausgangspunkte , z. B. des keltischen oder des slavodeutschen u. s. w., Betrachtungen anstellen und dariiber Stammbaume aufnehmen, sich einer offenbaren Inconsequenz schuldig machen. Denn sind nicht alle euro- paischen Stamme als ein ungetrenntes Ganzes und zu gleicher Zeit in Europa eingewandert, so kann auch apotpov, slavisch radio u. s. w. nur entweder von dem einen zum andern iibergegangen , oder von den einzelnen, vielleicht in sehr verschiedener Zeit, analog gebildet worden sein. Man bedenke, dass in jener friihen Epoche die Sprachen sich noch sehr nahe standen und dass, wenn eine Technik, ein Werkzeug u. s. w. von dem Nachbarvolke ubernommen wurde, der Name, den es bei diesem hatte, leicht und schnell in die Lautart der eigenen Sprache tibertragen werden konnte. Wenn z. B. ein Verbum molere in der Bedeutung zerreiben, zersttickeln, ein anderes serere in der Bedeutung streuen in alien Sprachen der bisherigen Hirtenstamme bestand und der eine von dem andern allmahlig die Kunst des Saens und des Mahlens lernte, so musste er auch von den verschiedenen Wortstammen ahn- licher, allgemeinerer Bedeutung gerade denjenigen fur die neue Verrichtung individuell fixiren, mit dem der lehrende Theil dieselbe hezeichnete. Die Gleichheit der Ausdriicke beweist also nur, dass z. B. die Kenntniss des Pfluges innerhalb der indoeuropaischen Familie in Europa von Glied zu Glied sich weiter verbreitet hat, und dass nicht etwa der eine Theil sie siidostlich aus Asien, durch Vermittelung der Semiten aus Aegypten, der andere siid- westlich von den Iberern an den Pyrenaen und am Khonefluss, ein dritter von eiuem dritten unbekannten Urvolke u. s. w. erhalten hat. Auch die Zu- satze, mit denen A. Fick (die ehemalige Spracheinheit der Indogermanen Europas, S. 289 ff.) die hergebrachten Beweismittel zu vermehren versucht hat, kftnnen dies Verhaltniss nicht andern. Wer mit den alten Wortern neue Kulturbegriffe verbindet, wird freilich in der Zeit der friihesten Anfange ohne Miihe unser heutiges Leben wiederfinden. Was soil aber z. B. lira die Furche beweisen? Dies Wort bedeutet in den germanischen Sprachen Geleise, Spur und dies war offenbar der eigentliche und ursprungliche Sinn desselben,

Anmerkungen. 549

der noch im lateinischen delirare, von der Spur abirren, durchblickt. Nach dem Uebergang zum Ackerbau, vielleicht in sehr verschiedener Zeit, ver- wandten die Litauer und die Slaven das vorhandene Wort zur Bezeichnung des Ackerbeetes, die Lateiner zu der der Furche, wahrend die Deutschen bei der Bedeutnng Spur verblieben. Noch weniger wollen Worter wie culmus, stipula, pinsere u. s. w. sagen. Der Halm braucht ja nicht gerade Getreide- halm bedeutet zu haben, das slav. st\blo heisst Stengel und hat viel Ver- wandte, das deutsche Stoppel ist eine spate Entlehnung aus dem Mittellatein; pinsere hatte den Sinn von zerstampfen iiberhaupt: als das Korn nicht mehr nach uraltester Sitte unmittelbar aus der gerosteten Aehre gegessen, sondern vorher durch Stampfen aus der Umhiillung befreit und zu einer Art Grtitze oder rohen Mehles verkleinert wurde, da bot sich das vorhandene Verbum von selbst zur Benennung dieser Verrichtung oder wanderte mit der letztern von Gegend zu Gegend. Noch in historischer Zeit hatten sich die nordeuro* paischen Volker kaum die nothdiirftigen Anfange des Ackerbaues angeeignet. Die Kelten im Innern der britischen und irischen Insel, wie sie Strabo, Tacitus, Oassius Dio u. s. w. uns schildern, oder die Wenden des Tacitus, die die Walder Osteuropas latrociniis pererrant, als fleissige Feldbauer uns zu denken, ist unmoglich. Von dem alten Germanien sagt Fick S. 289: »es muss ein wohlbebautes Land gewesen sein denn ohne intensive Bodenbestellung hatte Deutschland gar nicht diese gewaltigen Volkermassen entsenden konnen, die das romische Reich in Triimmer schlugen.« Dass dieser oft gehorte Satz falsch ist, hat Roscher in seiner von uns in Anmerkung 28 angefuhrten Schrift unwiderleglich dargethan. Gerade der umgekehrte Schluss ist richtig: je hoher die Lebensform, die ein Volk erreicht hat, desto geringer der Prozentsatz, den es zu kriegerischen Ztigen verwendet; bei noch unstaten Volkern wandert und kampft jeder erwachsene Mann. Hatten die Deutschen emsig den Boden bestellt, dann waren sie iiberhaupt nicht ausgezogen, das romische Reich in Triimmer zu schlagen, vielmehr wurde ihr Land, wie Gallien, romische Provinz geworden sein [vgl. hierzu oben p. 63f.j.

Wir fiigen im Folgenden einige zerstreute Beitrage zu der alten Acker- bau-Sprache hinzu, welche letztere, vollstandig und vor Allern kritisch aufge- stellt, eine nicht zu verachtende Erganzung zu den Untersuchungen der Naturforscher iiber Herkunft und Vaterland der Getreidearten u. s. w. abgeben wurde.

Gothisch hvaiteis der Weizen ist das weisse Korn, also wie aus dem Pradikat hervorgeht, eine spatere Art, deren Name die Kenntniss eines schwarzeren Getreides voraussetzt. Der Weizeu geht nicht so hoch in den Norden hinauf, wie andere Cerealien, und ist in Mitteleuropa erst spat erschienen und daselbst erst allmahlig acclimatisirt worden. Das litauische kwietys, plur. kune&tiai, preuss. gaydis findet sich nicht bei den Slaven, ist also aufgenommen worden, als beide Zweige sich bereits von einander getrennt hatten. Da nun auch in keltischen Sprachen weiss und Weizen aufdieselbe Wurzel zuruckgehen (bretouisch givenn weiss, giviniz Weizen u. s. w. aus alt- gallischem vindos = weiss z. B. im Namen Vindobona, welchem wieder wind zu Grunde liegt), so folgt, dass dies Getreide seinen Weg von Gallien zu den Deutschen, von diesen zu den Litauern (Aestyern) nahm [doch s. u.]. Das griechische aXcpi, aXcptiov, Gerstengraupen, wortlich gleichfalls so viel als weisses

550 Anmerkungen.

Korn, mag seinen Namen von einer neuen, ein reineres Produkt ergebenden Art des Schrotens bekommen haben. Griechisch nopo's Weizen, schon homerisch, findet sich im altslaviscben pyro, Weizen, Erbsen, Linsen und im litauischen purai, Winterweizen (dialectisch) wieder. Die erste und alteste Bedeutung ist in den nordischen Sprachen erhalten: russiscb pyrei, czechisch pyr u. s. w. Quecke, preussisch pure Trespe, angelsachsisch fyrs lolium, ruscus, engl. furz, furze. Es war also die Benennung fur eine Grasart, die spater auf den Weizen und andere Korner angewandt wurde. Die Thraker und die SxoO-ai YswpTOi mogen den von ihnen gebauten und in unterirdischen Gruben auf bewahrten Weizen so genannt haben. Das slavische »ito Getreide ist eine klare Bildung von zi-ti leben (mit unterdriicktem v); das schon homerische alio? ware damit nur zu vereinigen, wenn es ein Fremdwort vom mysisch-thrakischen Norden ware, was gar nicbt unmoglich ist.

Ist der Weizen ein stidliches Korn, so ist umgekehrt der Haber ein no'rdliches. Bei den Alten gait er fur ein Unkraut, das sich unter das Korn mischte oder in welches das Korn sich verwandelte, in beiden Fallen den Ertrag mindernd oder aufhebend. Theophr. h. pi. 8, 9, 2: 6 §' at-fiXco^ xai 6 pp6}Ao<;, aiarcep afp5 atia xal <3cvY)fxepa. Cat. de re rust. 37, 5: Frumenta face bis sarias runcesque avenamque destringas. Cic. de fin. 5, 30, 9: ne seges quidem igitur spicis uberibus et crebris, si avenam uspiam videris. Verg. Georg. 1, 154:

Infelix lolium et steriles dominantur avenae. Ovid. Fast. 1, 691:

Et careant loliis oculos vitiantibus agri

Nee sterilis culto surgat avena loco.

Plin. 18, 149: Primum omnium frumenti vitium avena est: et hordeum in earn degenerat. Indess lernte man spater von der avena fatua auch eine frucht- tragende Art Haber unterscheiden. Plinius a. a. O. meint, wie das edle Korn sich in Haber verwandele, so gehe dieser auch in eine Art Getreide iiber, frumenti instar, und fiigt hinzu, die Gerrnanen saeten sogar Haber und lebten ausschliesslich von dieser Art Muss oder Griitze: quippe quum Germaniae populi serant earn neque alia pulte vivant. Dasselbe wird noch im Mittelalter von den britischen Kelten gemeldet, Girald. Carnbr. descr. 40: totus prope- modum populus armentis pascitur et avenis, lacte, caseo etlutyro; carne plenius, pane parcius vesci solet. Noch jetzt nahrt sich der Schotte von seinern Haber- muss und geschmalzter Haberbrei ist eiu Lieblingsgericht schwabischer und alemannischer Bauern. Auch die spateren Griechen kannten den Haber wenigstens als Viehfutter : Galen.de alimentorum facultatibus 1, 14: in Asien, besonders in Mysien ist der Haber sehr haufig: xpocp] 8s eotiv oiroCoYtouv, o5x CcvftpoHttov, el }XY] TCOTS apa XIJAWTTOVCEC lo^aiax; ^vaYHao^slev 1% 106100 TOD aTrspfxatoi; apTOTrotsw'8'ai. Was die Namen dieser Frucht betrifft, so hat Grimm (Gesch. d. d. Spr. 66) die schone Entdeckung gemacht, dass sie zwar alle verschieden, aber alle vom Schaf oder Bock hergenommen sind, »sei es, fiigt er hinzu, dass das Thier dem Haber (vielleicht einem ahnlichen Unkraut) nachstellt oder vormals damit gefiittert wurde. « Das letztere aber ist unrichtig und der Grund liegt wo anders. Im Gegensatz zu fieus, dem fruchttragenden Feigenbaum, ist caprificus, der Bocksfeigenbaum , der wilde, unfruchtbare, welchen letztern die Messenier Tpdfos Bock nannten (nach Pausanias 4, 20, 1).

Anmerkungen. 551

wurde von Weinstocken gebraucht, wenn sie keine Frucht trugen, Suid. s. v.: xal TpaY&v <paai TOO? ^jxirsXcuc, oiav |x*r] xapitov cpepcoa'.v. Theophrast leitet diese Unfruchtbarkeit von zu tippigem Wachsthum ab, de caus. pi. 5, 9, 10: 6rceppoXY]£ 8s xal to tpafav t^S ftfXTOXoo, xal 8001? aXXoi? axaprcslv aujj.paivet 8ta ffyv e&f&acrceiav. Dahin gehort auch capreolus der Eebschoss, italienisch capriuolo, sowie das veraltete hirquitallus , hirquitallire (gleichsam einen geilen Bocks- zweig treiben, spater nur von Knaben gesagt, die, in die Pubertat tretend, ihre Stimme verandern). Wenn ein Weizenfeld, sagt Theophrast h. pi. 8, 7, 5, ganz nieder- und zusammengetreten ist, z. B. durch den Marsch eines dariiber weggegangenen Heeres, so wachsen irn nachsten Jahre nur kleine Aehren und solche, die man apvs?, Laminer, Widder, nennt (d. h. unfruchtbare , ver- ktimmerte). Den schon von Grimm angefuhrten griechischen Pflanzennamen al-fiXta'}' Schwindelhaber, atywcopoc (bei Theokrit mit kurzem v, dennoch offen- bar von rcopo<; Weizen, nicht von rcop) und {3p6fxo<; Haber (welches sich mit ^pdijjLoc Bocksgeruch, ^pcujxcuSYjc, ppojAcuSf]?, bockig riechend, bertihrt, obgleich spater die Grammatiker beide Worter auf die angegebene Art durch kurzen und langen Vocal unterscheiden wollten) lasst sich noch xoXwov^a aHf6$ (fur cucurbita silvatica bei Dioscor. 4. 175) und alpa Lolch, i£oapooaOm sich in Lolch verwandeln (verglichen mit lat. aries, lit. eras} hinzufiigen. Aus all dem geht hervor, dass, wenn der Haber das Bockskraut genannt wurde, er damit als das nichtige und leere, als das getreideahnliche Unkraut bezeichnet wurde; die Benennung setzt die Bekanntschaft mit der Kornfrucht schon voraus, und obgleich die Species erst irn Norden zur Menschennahrung diente, so muss sie mitsammt ihrem Namen doch von Siiden, vielleicht tiber Thrakien, ge- kommen sein.

Der Eoggen, der die Nordgrenze der beiden klassischen Lander nur streift, gait bei den spateren Romern, als sie ihn kennen gelernt hatten, fur ein hasslich schwarzes, unschmackhaftes und unverdauliches Korn. Noch jetzt ist er den romanischen Nationen verhasst, und Goethe bemerkt mit Recht (Campagne in Frankreich, 24. Sept. 1782): » Weiss und schwarz Brot ist eigentlich das Schibolet, das Feldgeschrei zwischen Deutschen und Fran- zosen.« Wo die Madchen schwarz sind, da ist das Brot weiss, und umgekehrt:

Soldatentrost.

Nein hier hat es keine Noth,

Schwarze Madchen, weisses Brot.

Morgen in ein ander Stadchen,

Schwarzes Brot und weisse Madchen. (Goethe.)

Unter frumentum, Getreide, versteht der Romane vorzugsweise Weizen (for- mento, froment), unter Korn der Norddeutsche vorzugsweise Roggen, wie der Schwede Gerste. Indess in den Alpen, also in einer kalten Gegend, bauten die Tauriner, ein ligurischer Volkszweig, Roggen, den sie asia nannten (Plin. 18, 141); lateinisch finden wir zuerst bei Plinius den Namen secale, im ed. Diocl. sicale (etwa so viel als Sichelkorn ?), der jetzt durch die romanischen Sprachen, das Walachische mit eingeschlossen, hindurchgeht und auch in keltische Sprachen, ins Albanesische und Neugriechische vor- gedrungen ist (alban. thekere, walach. secdre, neugr. otxaXt), mit auffallendem Zuriickweichen des Accents auf die erste Silbe: ital. segola, segala, franz. seigk u. s. w. Dies war der Name innerhalb der Grenzen des romischen Kaiser-

552 Amnerkuugen.

reichs; bei den hyperboreischen Volkern, in der eigentlichen Roggengegend, finden wir eine andere weitverbreitete Benennung: ahd. rocco, altn. rugr, ags. ryge, preuss. rugis, lit. rugys (Plur. rugiai, russ. roz, czech. rez u. s. w., magyar. rosz\ bei den Westfinnen dasselbe Wort mit dem alterthiimlicheren g, k, bei den Ostfinnen, Tataren u. s. w. mit der slavischen Assibilation. Die letztere Erscheinung, wie andererseits die Uebereinstimmung zwischen Germanen, Litauern und baltischen Finnen beruht auf Entlehnung und Wanderung des Wortes, welchem Volke aber gehort es urspriinglich an? Benfey (Griech. Wurzellexicon, 2, 125) meinte, Koggen sei Rothkorn und vom Slavenland zu den Deutschen gekommen; allein die Worter, die roth, rosten u. s. w. bedeuten, haben im Slavischen ein wurzelhaftes d, aus welchem, nicht aus g, das mit dem Schein der Aehnlichkeit tauschende z entstanden ist. Das vereinzelte cambrische rhygen, rkyg Roggen mag, wie die lautliche Uebereinstimmung lehrt, aus dem Angelsachsischen stammen, das ebenso ver- einzelte f ranzosisch - mundartliche riguet (in der Dauphine" , s. de Belloguet, ethnogenie gauloise, 1, p. 148) durch die Volkerwanderung dahin versprengt worden sein. Eine andere bedeutsame Namensform aber iiberliefert uns Galenus de aliin. facult 1, 13 (VI. p. 514 Kiihn) aus Makedonien und Tkrakien. Er fand dort eine Art Korn, die ein tibelriechendes schwarzes Mehl gab, offenbar Roggen, von den Eingeborenen angebaut und mit dem einheimischen Wort (3ptC« benannt. Das C der zweiten Silbe ist leicht als ein palatales g zu erkennen, das in dieser Verwandlung bei den Slaven wiederkehrt und bei den Skythen, einem iranischen Stamme, wohl auch vorauszusetzen ist. Ist nun das v vor dem r weiter nach Norden verloren gegangen eine haufige Erscheinung -- und dtirfen wir zur Erklarung des Wortes nach Wurzeln suchen, die mit vr anlauten? Oder ist (3pi£a eins mit dem griechischen b'poCa Reis, welches die Griechen durch persische Vermittelung aus Indien (sanscr. vrihi) erhielten? Aber welchem Volke gehorte dann die Verdunkelung des Vocals zu dem tiefern u und die Verwandlung des h in g mit ganz ver- schiedener Lautverschiebung an, da doch die Germauen nordwestlich und westlich von Thrakern, Skythen und Slaven wohnten und also in der Reihe der Empfanger die letzten waren? Oder sollen wir annehmen, dass sie das Wort schon zu einer Zeit erhielten, wo bei jenen vermittelnden Volkern die Assibiliruug der Kehllaute noch nicht eingetreten war? De Candolle, Geographic botanique, p. 938 halt die Gegend zwischen den Alpen und dem schwarzen Meer, also das Gebiet des heutigen osterreichischen Kaiserstaates, fur die Heimat des Roggens, freilich aus Griinden, die nicht sehr schwer wiegen. Ueber die Herkunft der Getreidearten iiberhaupt verweisen wir auf Humboldt, Ansichten der Natur, 3. Ausgabe, Stuttgart 1871, I, S. 206 ff.: mehr als dort enthalten ist, lasst sich tiber diesen Gegenstand vorlaufig nicht sagen. [Zu den im bisherigen genannten europaischen Namen der vier Getreide- arten fugen wir zunachst einige Berichtigungen und Erganzungen hinzu: Weizen. Die oben S. 549 genannten Ausdriicke fur diese Getreideart stimmen zwar in sofern tiberein, dass sie dieselbe als die »weisse« bezeichnen (goth. hvaiteis, woraus das litauische Wort entlehnt ist: hveits, bret. gwiniz: gwenn, altpr. gaydis-. gaylis, lit. gai-drus, vgl. auch alb. bard Weizen und weiss), hangen aber nicht etymologisch unter einander zusammen ; an goth. hveits = scrt. evStas mochte G. Meyer (Sitzungsberichte S. 51) auch das griech. otto?

Amnerkungen. 553

ankniipfen, unter der Annahme, dass oltoc, das mit slav. zito naturlich nichts zu thun hat, dennoch wie H. oben S. 550 vermuthete, ein Fremdwort aus dem Norden, vielleicht aus dem Illyrischen sei; altir. tuirend, von Bugge in Kuhns Z. 32, 45 nach Pictet mit arm. corean verglichen; griech. ifxaXia, ifxaXic: lat. simila, similago; Yav8o|xf]v (Hesych), entlehnt aus npers. gendum, Pamird. ghidim (vgl. P. Horn Grundriss d. np. Et. S. 209); Spelt: griech. oXopa: scrt. urvard Saatfeld; lat. ador: goth. atisk Saatfeld; ahd. spelza, niederd. spelt, wenn nicht aus dem Eomanischen entlehnt: lat. pollen feines Mehl aus *spold-en (vgl. auch rcoXToc, polenta, puls); griech. aXewra, aXeopov: aXsco, lat. triticum: tero, altsl. piseno: scrt. pish zerreiben, alle drei = »Mahlfrucht«; Gerste: alb. el-p-bi = griech. aXcpi. Was den Hafer betrifft, so giebt es eine anscheinend iiber die historische Zeit hinausweisende Gleichung lat. avena, altsl. ov'isii, lit. aiviz'a (preuss. vyse, ivisge), die Fick zu scrt. avasa Nahrung stellt(?). Die Griinm'sche Annahme, dass alle Bezeichnungen des Hafers mit Wortern fur Bock oder Schaf zusarnmenhingen , bedarf in jedem Falle einer starken Ein- schrankung. Das ahd. habaro hat wegen der altschwedischen Nebenform hagre und aus anderen Griinden (Kluge Et. W.6) nichts mit altn. hafr = xarcpoc, caper zu thun. Daraus folgt, dass auch das finuische aus hagre entlehnte Jcahra und das aus hafr entlehnte westf. kauris (Thomsen, Ueber den Einfluss der germ. Sprachen auf die finnisch-lappischen S. 138, 140) von einander zu trennen sind. Das gemeinkeltische ir. coirce, welsch ceirch Hafer ist kaum mit ir. cdera, cderach zu verbinden, sondern eher mit der germanischen Be- zeichnung des Hafers (vgl. auch Zupitza Gutturale S. 32) zu vergleichen, und aus dem spaten (Bpu>jj.o<; Gestank (Lobeck Phrynichus 156) ein Wort fur Bock zu folgern, scheint mir auch nicht anzugehen. Jedenfalls konnte man, wenn man sich an die Quantitat der Vocale (o : <o) einmal nicht sto'sst, fur (3pojji.o? Hafer ebensowohl an horn. Ppu»[AY) Speise, £opa, ptpp-cuav-io etc. denken. So bleiben als sichere Beispiele der Ableitung der Benennungen des Hafers vom Bock lediglich die Zusammensetzungen mit ou'4 ubrig, die eben den Schwindel- haber im Gegensatz zu dem Fruchthaber benennen. Auch fur alpa Unkraut im Weizen, Lolch (vgl. scrt. erakd eine Grasart) ist an Zusammenhang mit lat. aries kaum zu denken. Hinsichtlich der Kultur des Hafers ist Kor- nicke in seinem Buch : Die Arten und Varietaten des Getreides (Handbuch des Getreidebaues von Fr. Kornicke uud H. Werner I Bonn 1885) im Gegen- satz zu Hehn und C. Haussknecht (Mittlg. d. geogr. Gesellschaft in Jena 3 (1884) S. 233), der den Saathafer erst durch die Romer aus Deutschland nach Sudeuropa gekommen sein lasst, der Meinung, dass der Hafer irn Siiden schon vor Theophrast angebaut wurde. Von Interesse ist in dieser Beziehung ein Rezept des griechischen Arztes Dieuches aus dem IV. vorchristlichen Jahr. hundert iiber die Herstellung |der Polenta (aXcpttov), in welchem der ^pojxo<; scheinbar auf vollig gleiche Stufe mit der xpi&Yj gestellt wird, so dass an Wildhafer kaum zu denken ist: five/cat 8e aXcpttov xal <5t^6 too Ppojjtoo §e auv T(p ^X^P^ TC^Vt &TCOTTf]aoeta'l IB xal Tpt^eTac veal Ipuxetai xad-anep xai TO aXcpttov . TOUTO TO aXcpcTov xpeuTov v,ai acpoacuTspov EOTC TOO xpiiKvoo (XXI. veter. et clar. medic. Grate, loria opuscula. ed. F. de Matihaei Mosquae 1808 p. 39) Neugriechisch heisst der Hafer £po>frr], auf Kreta Tat (Heldreich, Nutzpflanzen S. 4), alb. tsr&sre, was G. Meyer Et. W. S. 430 aus lat. *trimensanum von- trimense erklart.

554 Anmerkungeru

Die nordeuropaische Benennung des Roggens 1st eine Entlelmung aus dem thrakischen (3pc£a, das aus einer Grundform wie *vrugjd (vgl. G. Meyer in Bezzenbergers Beitragen XX, 121 und H. Hirt in den Beitragen z. Gesch. d. d. Spr. und Lit. XXII, 235) entstanden ist. Neben lat. secede, sicale (Grund- form der romauischen Sprachen : sfoale) begegnet im Edictum Diocletianum noch der Ausdruck centenum, dessen Erklarung man bei H. Bliimner a. a. 0. S. 63 nachsehen moge.

Ueber die Herkunft der Getreidearten wissen wir heute kaum mehr als zu Humboldts Zeit. Kornicke, der letzte, der sich mit dieser Frage ein- gehender beschaftigt hat, aussert sich hieriiber in dem schon genannten Buch S. 19, wie folgt: »Der Anbau der Getreide ist weit alter, als unsere historischen Nachrichten und Denkmaler reichen. Schon damals war ihre erste Kultur der Sage verfallen, und wo wir Keste derselben finden, wie bei den agyptischen Mumien, da sind es schon hochgebildete Kulturformen.«

»Das Vaterland der einzelnen Arten lasst sich nicht sicher feststellen, auch da nicht, wo wir die Stammform kennen, da diese jetzt meist weit ver- breitet ist. Am engsten lasst sich der Kreis fur die Gerste begrenzen, wenn wir aus der heutigen Verbreitung der wilden Pflanze einen Schluss ziehen diirfen« .... »Als muthmassliche Heimath halte ich: Vorderasien fiir die Gerste, das Einkorn (und den Weizen? vgl. iiber Kornicke's Ansicht auch Ascherson im Archiv f. Anthrop. XIX S. 134 ); Centralasien fiir den Roggen und Hafer; Siidasien fiir die Kispen- und Kolbenhirse; Afrika fur die Mohr hirse, den Reis . . .

Am weitesten in die Urgeschichte Europas gehen nach Ausweis der Funde Weizen und Gerste zuriick, die beide, also auch der Weizen, schon in den Ueberresten der jiingeren Steinzeit des hohen Nordens auftreten, wahrend Hafer und Roggen, und zwar sehr vereinzelt, erst mit der Bronce erscheinen. Die beiden letzteren Getreidearten sind auch dem agyptisch semitischen Kulturkreis fremd.]

Der alte Name fiir den primitiven Hakenpflug, der aus einem spitzeri, gekriimmten Stuck Holz bestand, ist litauisch szdka Ast, Zinke, Zacke, Ende am Hirschgeweih, dem das gothische hoha Pflug, ahd. huohili (vgl. auch scrt. gakhd Ast) entspricht. Hierher (vgl. scrt. Qanku Pfahl) auch ir. cecht Pflug. Das altsl. soha Kniittel, Sechisch socha Gabelstange, poln. socha Pflugsech, klrussisch pososcyna Grundsteuer nach der Zahl der Pfliige (Miklosich Et. W. S. 313) lasst sich damit nicht vereinigen. Es wird zu scrt. $as schneiden, gdsa Schneide, Schlachtmesser gehoren, wie ahd. seh Pflug und alb. Sat Karst (G. Meyer Et. W. S. 400) sich zu secare stellen. Dass auch das griech. fo^c, mit dem sich vielleicht lat. buris, Mra vermitteln lasst, zu allererst weiter nichts als ein gekriimmtes Stiick Holz bedeutete, lehren die verwandten Worter T<5c -pla die Knie, spater Glieder iiberhaupt, YUC^ verkrtimmt, 701003 lahmeii, fbalov Kriimmung, ' Apy^urpu; der auf beiden Fiissen hinkende oder verkriimmte Hephaistos (nicht richtig gedeutet bei Welcker Gr. Gotterl. 1, 633) u. s. w. In eine ganz andere Bedeutungssphare weist franz. soc Pflug- schar, entlehnt aus dem Keltischen: altir. socc, neuir. gal. soc, cymr. swell, corn, soch, bret. sou'ch, so'ch Pflugschar und Schweinsschnauze (Thurneysen Kelto-romanisches S. 112). Wir haben es also mit einer metaphorischen Be- zeichnung zu thun, wie sie ahnlich im indischen vrka Wolf und Pflug und in

Anmerkungen. 555

den Benennungen des leichten Pflugs wie Schweinsnase und pigs nose im Deutschen und Englischen vorliegt (vgl. J. Grimm, Gesch. d. d. Spr. I, 58).**

Zu dem slavisch-deutschen Kulturkreise gehoren goth. hlaifs das Brot und quairnus die Mtihle, der Mtihlstein. Hlaifs, hlaibs (in alien deutschen Mundarten), litauisch klepas, lettisch klaips, slavisch chlebu (in alien slavischen Sprachen), ist dasselbe mit latein. libum (»unzweifelhaft« statt clibum, Corssen Kritische Nachtrage zur lateinischen Formenlehre S. 36) und griech. *Xt(3avov, xpfjBavov. Dass das Wort und also die Kunst des Brotbackens, die iiberall eine spate ist, von den Deutschen zu den Slaven gekornrnen ist, beweist der in germanischer Weise verschobene Anlaut; die Litauer, denen die Kehl- aspirata fehlt, setzten, wie in ahnlichen Fallen, die entsprechende Tennis da- fur. Die Urbedeutung war die eines im Ofen in ruudlicher Form aus Teig gebackenen Brotkuchens, im Gegensatz zu dem alteren durch Kochen ge- bildeten Brei oder der Griitze. In Griechenland war das Wort sehr alt, denn schon Alkman brauchte xpi(3av(oto<;, xp$dvY], xpi'(3avov ftir itXaxoo? (Fragin. 22 Bergk. mit den dazu angefiihrten Worten des Athenaus), mag aber auch dahin aus Kleinasien eingewandert sein (Alkman war selbst in Sardes geboren). Von Griechenland oder Italien pflanzte es sich durch Vermittelung der dazwischenliegenden Volker zu den Deutschen fort, die es weiter den Litauern und Slaven iibergaben. Libum halten wir fur entlehnt aus dem Griechischen, wie puls (rcoXtoc, schon bei Alkman), massa (fxaCa), placenta (TcXaxoovta) u. s. w. Dass man spater sagte, ein Laib Brot, altn. ost-hleifr ein Brot Kase, war der haufige Begriffs-Uebergang, wie im Italienischen und Franzosischen pane di zucchero, pain de sucre, in Salinen ein Brot Salz u. s. w. Wie hlaifs nach dem Ofen, war das weitgewanderte ital. focacda, das schon Isidor kennt und welches alt- und mittelhochdeutsch, serbisch, bulgarisch, russisch, magyarisch, walachisch, turkisch, neugriechisch wiederkehrt, nach dem focus benannt, d. h. ein in der heissen Asche des Heerdes gar gebackener Brotkuchen (s. Diez, Worterb s. v., und Miklosich, Fremdworter S. 118). In dem deutschen Brot liegt, wie wir glauben, der Begriff des gesauerten Brotes, des apto<; COMITY]?, wie es bei dem Gastmahl, das der thrakische Konig Seuthes dem Xenophon gab (Anab. 7, 3), mit dem Fleische zussmmengeheftet, den Gasten vorgesetzt wurde. [Indessen lasst sich die von H. angenommene, auf seiner Gesammtanschauung von dem Ursprung des Ackerbaus beruhende Entlehnungsreihe v.\{$wo<;- libum -hlaifs nicht aufrecht erhalten. Kpi^avoc, xXl(iavo<; der Ofen, in dem Gerste gerostet wird , und das darin bereitete Geback ist von libum zu trennen und gehort offenbar zu v.ptjxvo*; 4] xpttK] (Hesych) aus *xpi^vo<;. Wenn libum und hlaifs etwas mit einander zu thun haben, so kaun das Verhaltniss nur auf Urver- wandtschaft beruhen, woriiber Naheres in meinem Reallexicon u. Brot. Uebrigens giebt es alte europaische Gleichungen fiir den Begriff des Backens: griech. ip-co-xono? brotbackend = lit. kepu, Jcdpti backen und griech. cpco-fto = ags. bacan, so dass das Vorhandensein primitiver, zwiebackartiger Brote, wie sie in den Schweizer Pfahlbauten gefunden worden sind, innerhalb der ureuro- paischen Kultur wohl denkbar ware. Solche vorhistorischen Brote mGssen wir uns in jedem Falle noch ohne Sauerteig vorstellen, dessen Bekanntschaft in Europa eine verhaltnissmassig spate ist. Wahrscheinlich war sie sogar dem homerischen Zeitalter noch fremd. Die germaiiischen Sprachen zerfallen in der Benennung des Sauerteigs in zwei Gruppen : goth. beist und ahd. deismo,

556 Anmerkungen.

ags. dhoesma. Vgl. naheres bei 0. Benndorf Altgriechisches Brot, in Eraiios Vindobonensis.] Quairnus die Haudmiihle (in alien deutschen Sprachen), lit. glrna der Miihlstein, Plur. glrnos die Miihle, slav. zrunuvu (in alien slavischen Sprachen), auch altirisch broon, broo, bro (wo b fur g) [armen. erkan = scrt. grdvan Pressstein des Somas; die Wurzel wahrscheinlich in scrt. guru, lat. in-gruo, lit. griuwu erhalten]. Jene ursprtingliche Handmuhle zu drehen, war, wie die Fuhrung des Hakens, die schwere Arbeit der Sclaven,

* an denen es den rohen kriegsgierigen Hirtenvolkern nie gefehlt haben kann : auch fiir diesen Frohndienst giebt es ein, wenigstens seiner Stammsilbe (slav.

** rob, rob Knecht) nach gemeinsames deutsch-slavisches Wort: goth. arbaiths, slav. rabota [eigentl. also TCOVO? SooXorcpeirf)? Herod. I, 126]. Knechte und Magde, indem sie sitzend den oberen Stein der Mtihle drehten, sangen dazu Mahl- lieder: die uralte Sitte, bei jeder Arbeit, die dies erlaubt, zu singen, herrscht bis auf den heutigen Tag bei Russen, Beduinen u. s. w. Die jetzigen Be- nennungen Miihle, Miiller, sind ira Deutschen, wie in den iibrigen europaischen Sprachen, nicht von dem einheimischen Verbum tnalan u. s. w. abgeleitet, sondern aus dem Lateinischen erborgt und verbreiteten sich mit den Wasser- miihlen und iiberhaupt den verbesserten mechanischen Einrichtungen zur Zerreibung und Reinigung des Getreides von Italien iiber Europa. Das Mehl, wie es die Handmuhle der altesten Zeit lieferte, war unrein und rnit Erde gemischt und knisterte zwischen den Zahnen : so findet es der Europaer noch jetzt bei den entfernten Barbaren in abgelegenen Gegenden.

Der eigentliche Pflug mehrfach gegliedert, mit eiserner Schar, in noch weiterer Entwickelung mit Radern ward erst ein Bediirfniss, als ini Laufe der Jahrhunderte der Boden freier von Wurzeln und Steinen ward und der Ackerbau seinen nomadischen, accessorischen Charakter verlor. Aus dieser Zeit, wo die nordostlichen Volker aus ihren Waldern und von ihren Weideplatzen nach Siidwesten theils vorgedrungen waren, theils von dorther Bildungselemente aller Art empfingen, stammt der germanisch-slavische Aus- druck Pflug, slav. plugu. Die Geschichte dieses Wortes lasst sich ziemlich iibersehen. Bei Plinius 18, 172 findet sich die Nachricht: id non pridem inventum in Raetia Galliae, ut duas adderent, tali rotulas, quod genus vacant plaumorati. Unter den Bewohnern des zu Gallien gehorenden Rhatiens werden wir subalpine Ackerbauer urspriinglich keltischen Stamrnes verstehen, in der gegebenen Benennung aber, obgleich die Lesart nicht sicher [Baist in Wolfflins Archiv III, 285 liest ansprechend fiir plaumorati ploum Raeti] und die Wortform dunkel ist, die alteste Erwahnung des spateren Pfiuges finden diirfen. Die Angelsachsen, die im 5. Jahrhundert nach Britannien iibersetzten, hatten das Wort noch nicht, welches erst im 11. Jahrhundert auf ihrer Insel sich einstellt. Aber in der Mitte des 7. Jahrhunderts steht bereits im longo- bardischen Gesetz, ed. Roth. 288 (293): de plowm. Si quis plovum (plobum) aut aratrum u. s. w. Aus Deutschland kam das Wort dann zu den Slaven, als auch diese wie immer hinter und nach den Germanen den hoheren Formen des Ackerbaues sich zuwandten. In jetziger Zeit finden wir bei den Kleinrussen den Pflug, bei den Grossrussen noch den Haken im Gebrauch. Wie zahe aber Naturvolker sind, deren Sittlichkeit in Ueberlieferung, deren ganzes Denken in religiosem Aberglauben besteht, und wie schwer es halt, sie auch nur urn eine Kultursttife aufwarts zu heben, lehrt z. B. folgende

Anmerkungen. 557

^Nachricht bei Herberstein, Rerum moscoviticaruin commentarii, de Lithuania: »die Litauer bearbeiten ihr Land, obgleich dies nicht sandig ist, sondern ein fettes Erdreich hat, nur mit holzernen, nicht mit eisernen Pfliigen. Wenn sie zum Ackern aufs Feld gehen, pflegen sie mehrere Pflugho'lzer mitzunehmen, darait, wenn das eine zerbricht, das andere gleich zur Hand sei (denselben Rath giebt der alte Hesiodus: et x; etepov f' ££aic, iispdv x5 km pouol pocXoio). Einer von den tiber die Provinz gesetzten Statthaltern wollte ihnen eine bessere Methode beibringen und liess eine grosse Menge eiserner Pfliige kommen. Da aber in den nachsten Jahren die Ernte nicht einschlug, schrieben sie dies den eisernen Werkzeugen zu, ein Aufruhr stand zu be- fiirchten und der Statthalter sah sich genothigt, seine Pfliige zuriickzuziehen und die alte rohe Art der Feldbestellung wieder zu gestatten.« [Das rhatische Wort lebt vielleicht in dem pib oberitalienischer Mundarten fort. Die slavische Wortform findet sich noch im Albanesischen pl'uar und pl'ug, sowie im Ruma- nischen plugu. Wie freilich mit jenem rhatisch-keltischen ploum germ, pflug lautlich zusammenhangen sollte, sieht man nicht ein. Eine Ableitung des germanischen Wortes versucht Fick, Vgl. W.4 I, S. 412, indem er altn. plogr: griech. yXuiaoa, yXotyec, fXw^lvtj stellt.]

In der Sprache der Griechen und Romer herrscht in den Getreidenamen grosse gegenseitige Verschiedenheit. Man vergleiche alto?, itopo?, C^a, Ticpv], r>Xopa, aXcptta, aXeiata, /tSpa, ^ovSpoc, %ptjj.vov, Tutopa, xa^pD? u. s. w. mit triticum, ador (Adj. adoreus fttr adoseus), far (Gen. f arris fur faresis, farina fur farrina, farrago), panicum, siligo, pollen, alica, acus (Gen. aceris fur acesis), palea, furfur u. s. w. Ebenso in den Werkzeugen und Verrichtungen, z. B. die Theile des Pfluges: iacojtato?, e^lrXf], "p^Si 8wt<;, I'Xojxa verglichen mit temo, stiva, bura, vomer; oder Xtxjxo?, XIXJXYJTYJP, wtoov Worfschaufel (beide homerisch), Xiicvov Ge* treideschwinge (Hymn, in Merc. 21, 63 in der Bedeutung Wiege), &XUJYJ (horaerisch), 5Xfxo? Morser zum Zerstampfen der Korner, unepo? Stossel (beide Hesiod. Op. et d. 423:

oXfXOV fiSV TptTCoSfjV TttJJLVSlV, OTCEpOV 8s TplTCYj)(Dv)

und dagegen vannus, evallere, area, pila, pilum u. s. w. Die lateinischen Aus- driicke sarire oder sarrire, runcare, strigare, lira, porca, elix, collidae, meter e, messis, rallum, rastrum, ligo, ocea, irpex, crates u. s. w. fehlen im Griechischen entweder ganz oder in dieser speciellen Form und Bedeutung. Latein-isch sarpere, sarmentum stimmt zum griechischen Spreirj (auch zum slavischen srSpu\ deutet aber auf ein Werkzeug, das tiber die Ackerbauzeit hinausliegen kann ; wie sich asfuSaXi? und simila, similago zu einander verhalten, ist dunkel; Tmooeiv mag gleich pinsere sein, beweist aber wenig; dass apxo? und panis (in alterer Form pane} iiicht tibereinstimmen, ist bei einer so spaten Er- findung nicht zu verwundern [vgl. hierzu oben S. 63]. Aus dem Ackermass die urspriingliche Identitat gracoitalischer Bodenkultur deduciren zu wollen, scheint tins vergeblich. Zwar wird angegeben, der vorsus der Osker und Umbrer, von 100 Fuss im Quadrat, entspreche dem griechischen Plethron (Mommsen, die unterital. Dialekte S. 260 f.), allein das griechische Plethron war, wie der Fuss und das Stadion, babylonischer Herkunft, und die urspriing- liche Lange des oskisch-umbrischen vorsus kennen wir nicht. Soil sie mit der des griechischen Plethron identisch gewesen sein, so kann dies Mass nur von den Griechen oder aus derselbeu orientalischen Quelle stammen. Soil

558 Anmerkungen.

die Uebereinstimmung aber nur in der gleicben Eintbeilung in 100 Fuss bestehen, so ist klar, dass dieselbe bei Volkern, in deren Sprachen das Deci- malsystem herrscht, gar nichts sagen will. Auch das galliscbe candetum war, wie scbon der Name lehrt, nach der Zahl hundert gemessen. Yiel bedeut- samer ist die Differenz der romischen Bodeneintheilung von der griechischen. Der romische actus betragt 120 Fuss, die amua 120 Fuss im Quadrat (Varro de r. r. 1, 10, 2), eine Messung nach dem Duodecimalsystem, die eben so etruskiscb und vielleicht auch iberisch, war. Aucb auf den Tafeln von Heraklea am Siris enthalt das dort gebrauchliche Landmass, der oxolvo?, 30 a zu * Fuss, also 120 Fuss (Corp. Inscr. Ill 5774. 5775).

19* S. 59.

Wenn fxsXiw], miliutn Honigfrucht ausdriickte (Plin. 22, 131: Panicum Diodes medicus mel frugum appellavit}, so ware damit gesagt: siisse Frucbt der Aehren, milde Pflanzennahrung iiberhaupt im Gegensatz zur blutigen Fleiscbnahrung des Nomaden. Man erinnere sicb der bomerischen Ausdrucke: OITOO TS Y^u*eP0^°? o'-toio fxsXicppovo?, fxsXfrjSea oder [xeXi'f pova rcopov, Xunolo jj.eXtif]8£a xaprcov, Tpcuyecv aYpcocmv fxsXir^sa. Dann aber miisste das lit. malnos ein Lehnwort sein, da diese Sprache nicht zu dem Kreise derjenigen geho'rt, die den Honig mit den Formen auf I bezeichnen. Hirse wir unterscheiden im Folgenden milium nicht von panicum oder xs-fxpo? von eXufxo? ist die Speise der iberischen Volker im aussersten Westen und der Kelten. In Aquitanien dem von Iberern bewohnten Lande zwiscben Pyrenaen und Garonne wachst, wie Strabo 4, 2, 1 versichert, fast nur Hirse. Plin. 18, 101: Panico et Galliae quidem, praecipue Aquitania utitur. Sed et Cireumpadana Italia addita fdba sine qua nihil conficiunt. Pytheas (bei Strab. 4, 5, 5) fand, dass die Volker der von ihm besuchten (keltischen) Kuste sich von Hirse, von anderen Gemtisen (Xaxavot?, Bohnen?) und Wurzeln (Ruben?) nahrten. Als Casar Massilia belagerte, fristeten die Einwohner ihr Leben mit altem Hirse und verdorbener Gerste, die seit lange in den Stadtmagazinen aufbewahrt waren, de bello civ. 2, 22: panico enim vetere atque ordeo corrupto omnes alebantur, quod ad hujusmodi casus antiquitus paratum in publicum contulerant. Von dem gallischen Italien berichtet Polybins, der es mit eigenen Augen ge- seben hatte, dass dort ein iiberschwenglicher Reicbthum an beiden Arten Hirse sei, 2, 15, 2: 'EXofxou ^e H-'ty' %at ^YXP00 teXecu? oicep^aXXouoa Sa^tXsta YtYv£Tat nap' aotoi?, eben so Strabo, es sei als wohl bewassert reich an Hirse und konne, da diese Frucht nie versage, auch nie Hunger leiden, 5, 1, 12: EOTC 81 %al xeYXPocP°P°? Stacpepovta)? 8ta r/]v suuSptav' TOOTO 8e XIJJLOD jxeftOTov IOTIV 8.V.OS' Trpo? Snavta? f^P xatpoi)? aspcov avTe'xei %al o58snoT5 entXeiTietv Suvatat, >tSv TOD aXXoo oitoo ikvfivat. OTCOCVK;, und noch ganz spat, in den letzten Zeiten des gothiychen Reichs in Italien, ergeht bei einer Hungersnoth der Befehl, aus den Magazinen von Ticinum und Dertona Panicum fur einen geringen Preis unter das Volk auszutheilen (Cassiod. Var. 12, 27). Weiter im Osten saten die Alazonen, ein skythisches Volk am Hypanis, Weizen, Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen und Hirse (Herod. 4, 17). In Thrakien marschirten die mit Xenophon zuriickgekehrten Zehntausend langs dem Pontus nach Salmydessus durch das Gebiet^der Hirseesser, MeXtvocpotYot, und enthielten zu Demosthenes' Zeit die unterirdischen Granarien Hirse und 6'Xopa (Demosth. de Chersoneso

Anmerkungen. 559

p. 100 ex. Phil. 4, 16). Plin. 18, 100 erklart Hirsebrei ftir die Hauptnahrung der Sarmaten : Sarmaiarum quoque gentes hoc maxume pulte aluntur, und Panicura fur die Lieblingsspeise der pontischen Volker, 101: Ponticae gentes nullum panico praeferunt cibum. Die Maoten und Sarinaten nahren sich von Hirse, wie die Athener von Feigen und Andere von Anderem, Ael. V. H. 3,39: 'ApxdSs?, 'Apyeloi 85 arctooc, 'AO-Yjvacoi 8e aoxa, Tipivfhoi 8e a)(pa8a<; Seirtvov , 'IvSol xaXd|j.ooc, Kapfxavol (potVtKOC, xey^pov ^ Maicotai xai SaopojiaTou, 1 xal v.dpBajjLov Oepoat. In Pannonien war nach Cassius Dio 49, 36, der selbst dort gewesen war, Hirse und Gerste die Volksnahrung, und Priscus wurde auf der Gesandtsehaftsreise zu Attila ausschliesslich mit dieser Frucht bewirthet (Miiller, Fragm. 4. p. 83). Die Japoden, ein keltisch-illyrisches Mischvolk auf dem Gebirge der illyrischen Ktiste, lebten von Spelt und Hirse, Strab. 7, 5, 4: £eia xal xsyxp^ rcoXXa tpecpofxevov. Bei den klassischen Volkern trat der Hirse, wenn sie ihn etwa vor der Trennung in Pannonien und Illyrien gekannt batten, vor andern Cerealien in den Hintergrund, nur die Lacedamonier, conservativ in Allem, werdeu als Hirsebrei-Esser genannt (Hesycb. eXojjios' onlpfxa o styovte? ol Adxtove? ioO-iooocv). Germanen, Litauer und Slaven wohnten schon zu nOrdlich, als dass ursprtinglicber Hirsebau bei ihnen vorauszusetzen ware. Audi benennen sie die Frucht ganz verschieden, ahd. hirsi, slav. proso, lit. sdros plur. von sora Hirsekorn. Als die Slaven in die Donaugegend riickten, wurde auch der Hirse bei ihnen ein beliebtes Korn, was er bei den Germanen nie gewesen ist; im heutigen Oberitalien ist er durch den Reis und den Mais aus seinen alten Rechten verdrangt worden. Dass die Bohne (lat. fdba, slav. 6o&u, preuss. &a6o, lit. pupa, altirisch seib, wo s fiir f, kambrisch ffa fiir fab; iiber das deutsche Bohne s. Grimm im Worter- buch) sich zurn Hirse gesellt, geht aus den eben angefiihrten Stellen hervor; in Betreff der Riibe (gr. pdTcu?, lat. rapa, rapum, altn. rofa, slav. rlpa, lit. rope] fiigen wir noch die Nachricht des Plinius 18, 127 hinzu: A vino atque messe tertius hie (die Riibe) Transpadanis fructus. Das hohe Alter der Bohne, and zwar der Ackerbohne, Vicia Fdba L., die unter dem Namen xoafio? (welches sich zu der Nebenform icuavo?, TOajj.o<; verhalt, wie das altlateinische, sabinische und faliskische Jidba zu fdba, Mommsen, Unterit. Dial. S. 358 f.) schon in der Ilias (13, 589) erwahut wird, liesse sich noch aus manchen Anzeichen, z. B. der Rolle, die sie in den Sacralalterthumern spielt, wahrscheinlich macheu (Pfund, de antiquissima apud Italos fabae cultura ac religione, Berol. 1845); dass sie aber dennoch jiinger ist, als die geniigsame, in der Asche verbrannter Waldung besonders gedeihende Riibe, scheint aus der Sprache der Westfinnen hervorzugehen, in der die Bohne (fiunisch papu, estnisch uliba\ wie fast alle Kulturobjecte, indoeuropaisch benannt ist, die Rube aber ihren eigenen Aus- druck hat (finn. nauris, estn. naris, nairis, weps. und karelisch nagris) [Rich tiger als die Deutung »Honigfrucht« scheint fiir fxsXtvr] die Ableitung von molere, »Mahlfrucht« zu sein, bei welcher auch die litauische Form (malnos: mdlti) ihre Erklarung findet. Ebenso weisen andere Benennungen des Hirse anf die uralte Bedeutung dieser Getreideart als Kulturpflanze bin : lit. s6ra : seti saen, lat. panieum (woher mhd. pfenich, altndd. peniJc): panis, pasci, wie denn thatsachlich nach Columella und Plinius in Italien aus Hirse auch Brot gebacken wurde, ahd. hirsi, hirso: griech. xopsaoai sattigen, lat. sili-cernium Totenmahl u. a (vgl. Vf. Sprachvergleichung u. Urgeschichte 2 S. 424 Anm.

560 Anmerkungen.

Reallexicon S. 374, H. Osthoff Etyra. Parerga S. 65). Das dunkle slav. proso kehrt im prenss. prassan wieder. Griech. x^XP0? Hirse gehort zu Gerste, wie auch np. zurd eine Art Hirse wahrscheinlich sich mit hordeum verbindet (vgl. P. Horn Grundriss der np. Etymologie S. 146). In den Pamirdialekten begegnet der Ausdruck pinjddnd Fiinfkorn = Hirse (ebend. S. 118). Scrt. durvd Hirse: lit. dirwa Furche; eine Art Weizen ist mittelnd. tenve, tanve. In Deutschland wird Hirsenbau schon im Capitulare Caroli Magni de villis imp. 44 und 62 erwahnt. Namentlich in Suddeutschland und Oesterreich wird die Frucht schlechtweg Brei (Braun, Breien, Brey, Breyn, Brein), auch wohl Grtitze genannt. Mit Weizen und Gerste geht der Hirse (Panicum miliaceum und italicum) im Siiden wie im Norden bis in die jiingere Steinzeit zuriick, ist aber im Gegensatz zu jenen Getreidearten, wie es scheint, dem agyptisch-semitischen Kulturkreis fremd (vgl. Woenig, Die Pflanzen im alten Aegypten S. 174). In der Heine fdba-bobu etc. sind die angefiihrten keltischen Worter Entlehnung aus dem Lateinischen. Unser Bohne lasst sich bis jetzt mit fdba nicht vermitteln. Naheres fiber die Hiilsenfruchte siehe oben S. 218f. In den angefiihrten idg. Benennungen der Rube macht namentlich der Vocalismus des slavischen repa Schwierigkeit. G. Meyer (Et. W. S. 363) halt eine Entlehnung des slavischen Wortes aus dem Latei- nischen durch Vermittlnng des albanesischen reps nicht fur unmoglich. Das griech. pcb:o<; tritt erst bei Athenaus auf. Fruher bezeugte Angeho'rige der Sippe rapum sind pV-pavo?, auch pscpavoc, porfavu; (Grdf. raph-\ die aber andere Brassica-Arten bezeichnen, wie der eigentliche Rtibenbau dem griechischen Alterthum iiberhaupt fremd gewesen zu sein scheint. Mit p"acpavo<; vergleicht Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 19 cymr. erfin napus, bret. iruinenn navet ^arbino-}. Unser Runkel, Runkelriibe, freilich erst neuhochdeutsch bezeugt, konnte aus hrunkel entstanden sein und dann dem griech. xpajx^Y] (lat. crambe) Kohl rube entsprechen.]

20. S. 62.

Die Topferscheibe sollte vom Skythen Anacharsis, nach Theophrast von dem Korinthier Hyperbios erfunden worden sein (Schol. zu Pind. Ol. 13, 27); Da nun Korinth ein Hauptsitz phonizischer Kultur war, so konnte in dem Letzteren ein Wink fiber die Herkunft dieser Kunst bei den Griechen liegen aber die Angabe hat, wie fast Alles in den Schriften rcepl eupYj[xaTu>v, geringen historischen Werth. Der Tyrann Kritias preist den xspafxo?, den Sohn der Scheibe, der Erde und des Ofens, als Erfinder seiner Vaterstadt, Athen, Fragm. 1, 12 Bergk,:

•civ 8s tpo^oo yctirfc TS xa^vou t5 ev/fovov eSpev,

xXetvoTatov xepajjiov, xp-fjatjxov O?XOVOJJLOV,

4] to xaXov Mapa^-aivt xataorrjoaaa Tpouaiov.

Auch gab es einen attischen Demos Kepafiet?, dessen Angeho'rige dem Heros Keramos Opfer brachten. Da ein im Topferofen gebranntes und ein unge- branntes, ein aus freier Hand gearbeitetes und ein gedrehtes Thongefass sich auf den ersten Blick unterscheiden , so mtissen wir uns iiber diesen Punkt auf die Forschung der Aufgrabungsarchaologen beziehen. [Diesen zufolge tritt der Topferofen und die Topferscheibe im Norden Europas erst in der alt- gallischen, vorrdmischen La-Tene-Periode auf, vgl. meiu Reallexikon S. 868.]

Aiimerkungen. 561

Fur das We ben scheint es alte Sprachzeugnisse zu geben, die auf eine Ausiibung dieser Kunst vor der Volkertrennung nnd den Wanderziigen deuten wtirden: griech. 6<paivu), deutsch weben, lat. lexer e, slav. tukati u. s. w. Wussten wir nur gewiss, dass diese Worter in der Urzeit nicht auf das kunstreiche Stricken, Flechten und Nahen, sondern auf das Drehen des Fadens an der Spindel und auf das eigentliche Weben am Webstuhl gingen! Beim Flechten von Matten aus Lindenbast mit Lang- und Querstreifen, einer beinernen Nadel, an die das Band befestigt war, oder einem Rohrknochen, durch den es lief u. s. w., konnten sich Ausdrucke ergeben, die auf das spatere Aufzug, Einschlag u. s. w. leicht Anwendung fanden. Noch heut zu Tage wird bei conservativen Volkchen in abgelegenen Winkeln Europas das Weben in Weise dieses urspriinglicben Strickens oder Flechtens betrieben. So fand es C. J. Graba im Jahre 1828 bei den Bewohnern der Faroer und neuerdings Franz Maurer bei den Bosniaken, Reise durch Bosnien, S. 266: »Man webt ohne Schiffchen aus freier Hand, indem der Einschlagsfaden mittelst einer langen holzernen Nadel (nach Art der Netzstricknadeln) durch die parallel aufgespannten Haltefaden (das sog. Geschirr) hindurchgefiihrt und dann mit eiuem durchgezogenen Stocke festgedrtickt wird.« Wer dem Urvolke die Kenntniss der Weberei zuschreibt, sollte nicht vergessen, dass diese Kunst- fertigkeit von sehr rohen Anfangen durch viele Stufen bis zur Vollendung in historischer Zeit sich entwickelt hat. Wie leicht schiebt sich der Phantasie des Sprachvergleichers ein jetziger Webstuhl, ein hindurchfliegendes Schiff- chen u. s. w. unter! Im Uebrigen sirid im Griechischen und Lateinischen die Worter, mit denen Spindel und Webstuhl und die Verrichtungen damit bezeichnet werden, sehr ungleich. Auf der einen Seite: atpaxto?, ), YJTpiov, xavcov, JJLITO? (Horn. II. 23, 760:

a><; OTS TI? te Yovalx°£ eiiCiovoio Tt xavobv, OVT' so jxaXa X2?3'1 tavooaij, irrjviov £|sXxoooa Ttapex futov, &.yyo&i 8' Ta^et

v.spxic, xpexeiv (bei Sappho Fr. 90 Brgk. : xpeVrjv TOV Totov), xpo%Y], Accusativ xpoxa (Hes. Op. et d. 538:

OTYJJXOVI 8' ev TCaopu) KoXXyjv xpdxa fx*r]p6aaa'8'ai),

tatoc, atr^tov (lat. stamen vermuthlich dorisches Lehnwort), ortdd-Yj (lat. spatha ein spates Lehnwort), iv-ciov (bei Aristophanes), o.^bd'sq (Gewichtssteine) ; auf der andern: colus, fusus, filum, glomus, jugum, radius, tela, trama, lieium u. s. w. Die slavische Webersprache hat manches Bemerkenswerthe: Jcrosno Webstuhl, Gewebe (gleich dem griechischen xpsxecv, xpoxYj, mit der slavischen Verwand- lung des k in s), qtuku Einschlag (= al banes, indi und griech. ^cvitov, wie das vorige vermuthlich entlehnt), niti Faden (gehort zu veou, vYjO-cu u. s. w.), navo'i liciatorium, pr$sti nere, pr$deno tela, pr$slica fusus, pr$divo filum, vratilo, vreteno (ganz wie lat. vertieillus), brudo, russ. berdo, siidslav. brdo pecten textorius, lieium u. s. w. Dass diese Ausdrucke nicht sehr alt sein konnen, beweist ihre Abwesenheit im Litauischen, welches selbstandige Benennungen hat: udis das Gewebe, dusti weben, szeiiva das Weberschiffchen, gija Weberfaden, Masche (nytis bedeutet den Schaft am Webstuhl), stakles der Webstuhl (ein Plurale t., slav. stanu), iverpti spinnen, warpste, Spule, Spindel, drobe die Lein- wand u. s. w. Das altslav. kqdeli ist vielleicht nur eine Entstellung des deut- Vict. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 36

562 Anmerkungen.

schen Kunkel, welches selbst wieder auf das lateinische coins zuriickgeht. Man sieht an Allem, dass wir uns hier auf einem jiingeren Boden befinden. [Indessen lasst sich slav. krosno in seinem Verhaltniss zu griech. xpoxrj nicht als Entlehnung aus letzterem auffassen, und slav. a-tuku (itukati weben) hat nichts mit alb. indi, griech. <3cvdov zu thun. Die beiden letztgenannten Worter bilden vielmehr zusammen mit alb. ent weben, griech. atiofxat, S-.aCojjiou, scrt. atka gewobenes Gewand, iran. adhka eine neue wichtige Gleichung fur den urzeitlichen Begriff des Webens (vgl. jetzt auch G. Meyer Berliner Phil. W. 1891 S. 517 No. 18). Lit. dusti, udis hat seine Entsprechung im russ. dial, uslo Gewebe (Miklosich Et. W. S. 372), und die slavischen Worter brudo, berdo etc. scheinen ihr Grundverbum in cpapaf &<pouveiv (Hesych) zu finden. Immerhin wird man mit Rucksicht auf Reihen wie ocpouvoj ahd. iveban und scrt. vd, vdyati, dessen Sippe, zu der auch das oben genannte navo'i geho'rt, Sprachver- gleichung und Urgeschichte, 2. Aufl. S. 477, Reallexikon S. 938 zusammen- gestellt ist, sagen diirfen, dass schon in der Urzeit die Weberei der Indo- germanen soweit entwickelt gewesen sein muss, dass eine Differenzirung ihrer Benennung von derjenigen der verwandten Kunst des Flechtens (scrt. pragna Geflecht, griech. uXsxcu, lat. plecto, ahd. flihtu, altsl. plesti) nothig war. Dass diese Entwicklung in der Erfindung eines wenn auch primitiven Webstuhls bestand, wird man glaublich finden, auch wenn man auf die iibereinstimmenden Bildungen aus der Wurzel sthd: scrt. sihavi Weber, griech. ioto? Webstuhl, t3TY|fiu>v Aufzug, lat. stamen (das nicht entlehnt zu sein braucht), lit. stakles, slav. stani kein sonderliches Gewicht legt. Anders tiber altsl. kqdeli urtheilt Miklosich Et. W. S. 127.]

21. S. 62.

Dass Griechen und Lateiner und respective Litauer und Slaven das Gold unter sich abweichend benennen, ist ein zwingender Beweis fur die spate Erscheinung dieses Metalles in Europa. Das lateinische aurum Gold, aurora Morgenrote u. s. w. lautete urspriinglich ausum, ausosa; der etruskische Sonnengott Usil lasst vermuthen, dass auch die Etrusker das Gold ahnlich, wie die Latiner, benannten; denselben Namen finden wir am entgegengesetzten Ende Europas, preussisch ausis, litauisch duksas (mit der im Litauischen haufigen Verstarkung durch k vor «); wie anders gelangte der italische Name an das hochnordische Meer, als auf dem Wege des Bernsteinhandels, der auf der heiligen Strasse der Etrusker, von den Heliaden und dem Eridanus im innern Winkel des adriatischen Busens zu den Haffen und Nehrungen Preussens ging? Die Letten brauchen statt dessen das slavische Wort selts; sie wohnten also schon damals abseits, wo sich kein Bernstein mehr fand und wohin die italischen Einfltisse nicht reichten. Spater als die Preussen habet die Kelten das Gold von Italien her empfangen, namlich zu einer Zeit, wo im Wort aurum das s schon in r iibergegangen war; altirisch or, in den jiingeren Dialekten our, eur, owr, so grosse Freude dieser Volksstamm auch spater an dem glanzenden Goldschmucke hatte. Slaven und Germanen haben ein gemeinsames Wort: goth. gulth, slav. zlalo, welches spater Herkunft ist, da es den Litauern fehlt, und nicht nach Italien, sondern nach Sudosten in die iranische Welt weist. Das griechische XPUO°?» ^ass 81C^ diesen Formen allerdings anreihen lasst, wurde von Pott schon vor langer als eiuem

Anmerkimgen. 563

Menschenalter fiir entlehnt aus dem Phonizischen erklart und auch Renan ist dieser Ansicbt, zu Max Mutters Mythologie comparee p. 36: »^po3o<; me paratt le semitique kharous, qui aurait passe en Grece par le commerce des Pheniciens, •comme le mot jAstaXXov.« In der That haben neuere Inschriftenfunde [Siehe A. Bloch. Neue Beitr. z. e. Glossar d. phonizischen Inschriften] gelehrt, dass das im Hebraischen nur poetische charus bei den Phoniziern der gewohnliche Ausdruck fiir Gold war. Das Gold bahnte sich erst allmahlig den Weg in die Wildnisse Europas und des turanischen Asiens, worauf dann die erwachte Oier darauf fiihrte, auch den heimischen Boden nach dem verborgenen Schatze umzuwiihlen und auszuwaschen. Die westlichen Finnen benennen das Gold mit dem deutschen Worte; die Wolga- und Uralstamrae, darunter auch die Magyaren, brauchen lauter iranische (massagetische , Herod. 1, 215) Namen, so Jung und triigerisch ist die Sage von dem Sitze des Goldes in jen em hoi i en Nordosten. -

Auch bei dem Silber scheiden sich die europaischea Volker nach Grnppen: Germanen, Litauer und Slaven haben einen Ausdruck dafiir, "Griechen und Romer einen andern, welcher letztere ganz wie ein Nachhall aus Asien klingt, wahrend jener erstere (goth. silubr, slav. srebro, preuss. siraplis) lebhaft an das homerische 5AX6£f] am Poatus (fiir eAX6^vj uud dies fiir SaXo^Y]?), od-ev <5tpppoo eau YevefrXiri, erinnert. Seltsam ist es, dass die Syrer und dann die Perser ihre alten Namen des Silbers ganz oder theilweise aufgaben uud dafiir das griechische aof]uo<; (ungemiinzt) in der Form sdm, sim anuahmen. [Entgegen der Annahme Hehns, dass das Gold der idg. Urzeit uubekannt gewesen sei, hat zuerst Fick die Gleichung scrt. hdtaJca = goth. gulth, slav. zlato aufgestellt. Doch halteu -wir das indische Wort, welches nach dem Petersburger Worterbuch zunachst Volk und Land Hdtaka und dann erst Gold vom Lande H. bezeichnete, fiir ungeeignet zu etymologischen Zwecken. Das slavisch-germanische Wort weist zwar insofern »in die iranische Welt«, als es von derselben Wurzel wie iran. zaranya, scrt. hiranya, auch vielleicht phrygisch y\oup6<; gebildet ist; doch sieht man nicht, wie das iranische Wort auf die Entstehung des slavisch-germanischen von Einfluss hatte seiu konnen. Die Entlehnung des italischen ausom (so auch Kretschrner Einleitung S. 150) in das Litauische (duksas) wiirde wesentlich an Wahrschein- lichkeit gewinuen, wenn es gelange anders als nur rnit Berufung auf etr. Usil nachzuweisen, dass die Etrusker ahnlich wie die Italer das Gold benannt hatten; denn die Romer selbst kamen mit dem samlandischen Bernstein erst durch die bekannte Reise des romischen Ritters unter Nero (Plin. hist. nat. 37, 3, 45) in direkte Beriihrung. In dieser Zeit lautete aber das Wort natiir- lich nirgends mehr ausum. Doch ist das etrurische Wort fiir Gold noch un- bekannt. Deecke (brieflich) verweist auf etr. Eigeunamen wie auslu, auzrenas, W. Tomaschek (Litbl. f. or. Phil. I, 126) mochte an illyro-venetische Ortsnamen wie Ausuco, Ausancala ankniipfen. Uebrigens siud Goldfunde in Ostpreussen sehr spat und sehr selten (vgl. Bezzenberger , Deutsche Litteraturz. 1892 S. 1488). Fiir das Silber scheint es eine idg. Gleichung: scrt. rajata, zend. erezata, armen. arcath, lat. argentum, altir. argat zu geben. Da aber das indische Wort in der altesten Zeit noch einfach weisslich bedeutete, so ist es sehr wohl moglich, dass dies iiberhaupt die Bedeutung der indog. Sippe war. Die Eenenuung des silberreichen Armenien konnte dann massgebend fiir die Aus-

36*

Anmerkungen.

\vahl gerade dieses Stamraes bei Indern und Irauiern, das lateinische Wort vorbildlich fiir die Kelten (vgl. jetzt auch R. Much Z. f. deutsches Alter- thum 42 S. 164) sein. Die Albanesen haben sowohl ihr Wort fiir Gold (ar) \vie das fiir Silber (argant] aus detn Lateinischen. Leider dunkel 1st thrakisch p'.a (Hesych)].

22. S. 62.

Da die Kermtniss des Metalles in den Combinationen iiber die soge- nannten Pfahlbauten einen hauptsachlichen Eintheilungsgrund abzugeben pflegt, so benutzen wir den gegebenen Anlass, um dieser Reste alten Menschen- daseins, auf die wir noch bin und wieder werden zuriickkommen miissen, in einigen Worten zu gedenken. Da ist nun zuvorderst zu sagen, dass es nicht gut tbut, die Urgeschichte der europaischen Menschheit nach isolirten Ge- sichtspunkten ergriinden zu wollen: haltlose Phantasien sind die Folge. Aber die Graberforscher mit ihren drei Zeitaltern wussten oft wenig von alter Ethnographic und iiberlieferter Geschichte; den reinen Ethnologen mit ihren. Menschenracen fehlte das Licht der cornparaliven Sprachforschung; Sprach- vergleicher haben nicht immer die Thatsachen und Moglichkeiten der Kultur- geschichte in Rechnung gezogen; theologisirende Urhistoriker geben sich nicht die Miihe oder konuten sich nicht entschliessen, das Gewicht der Urkunden, auf deren Text sie sich bezogen, vorher historisch-kritisch festzustellen. Was nun die Wohnungen auf Pfahlen in Seen und Siiinpfeu betrifft, so ist es nicht wahr, dass die Geschichte ganzlich iiber sie schweigt. Hippokrates de aere, locis etc. 22. p. 268 Ermerins berichtet von den Kolchiern, sie hatten ihre Wohnungen von Holz und Rohr mitten in den Wassern errichtet: td te olx-f]|jiaTa |6Xiva xai TtaXotjjtiva ev TOIOI 58aat jjiEjj.Y])(avr]jj.eva. Diese Kolchier sind das von Andern Moauvotxot genannte Volk, das eben nach seinen holzernen Thiirmen (pLoouvot, JJLOOUVSC, auch mit doppeltem o) so geheissen war. Freilich, welcher Volkerfamilie die Kolchier angehorten, ist ungewiss. Dass aber auch indoeuropaischen Stammen diese Bauart nicht fremd war, lehrt der merk- wiirdige Bericht des Herodot 5, 16 iiber das Volk der Paoner in Thrakien, eine Stelle, die der Welt mehr als zweitausend Jahre vorlag, ehe bei Meilen im Ziirchersee zum allgemeinen ungeheuren Staunen alte Pfahle nebst eiuer »Kulturschicht« entdeckt wurden. Die Paoner, erzahlt der Vater der Ge- schichte, wohnen auf Pfahlen im See Prasias; wer eine Frau uimint und sie verheirathen sich mit mehr als einer , hat drei Pfahle einzurammen, zu denen ein naher Bergwald das Material liefert; die Pfahle tragen ein Ver- deck; auf diesem hat Jeder seine Hiitte (xaXu^f)), Fallthiiren 6'ffnen sich gegen den See, eine schmale Briicke fiihrt zum Lande; die kleinen Kinder werden am Fusse angebunden, um nicht ins Wasser zu fallen; Pferde und Hausthiere werden mit Fischen gefiittert, denn der See ist so fischreich, dass man durch die Fallthiir nur einen Eimer herabzulassen braucht, um ihn mit Fischen gefullt wieder heraufzuziehen (oflfenbar wegen der reichlichen Nahrung, die die Abfalle gewahrten). Da die Thraker auch sonst in ihren Sitten sich viel- fach zum Norden stellen, w arum soil ten nicht um dieselbe Zeit auch die Seen im innern Europa auf ahnliche Weise bewohnt worden sein? um so mehr, da zu einer Zeit, wo Europa fast nur ein grosser Wald war, Fliisse und Seen natiirliche Wege und Haltepunkte abgaben, solche Wasserbauten mit leicht

Anmerkungen. 565

abgebrochenem Zugang aber den damaligen Menschen dieselbe Sicherheit gewahrten, wie den heutigeu etwa die Festungen Mantua und Comorn. Ge- wiss waren die sehr alten Stadte Spina und Atria im Miindungsiande des Po, sowie die Wohnstatten der Veneter, die mitten in Sumpfen und Wassern sich erhoben (Strab. 5, 1, 5: TU>V 8e TioXscuv ai JJLSV vrjai£oooi, ai 8' ex |j.spoo<; xXo£ovtat), in ahnlicher Weise auf Pfahlen erbaut. Ein Bild davon giebt uns Ravenna in vollig heller historischer Zeit. Ravenna war ganz von Holz gebaut und von Wasser durchstromt, und der Verkehr in der Stadt geschah durch Briickeniibergange und Gondeln (Strab. 1. 1. 6: ^O\OKOL^^ o/oq xal Bidppotoc, *fstf>6pat<; xal Tropfyjistoti; 68eoojxivY]); alle Gebaude aber rubten auf Pfahlwerk (Vitruv. 2, 9, 11: est autem maxime id considerare Ravennae, quod ibi omnia opera et publica et privata sub fundamentis ejus generis habent palos namlich von Erlenholz, welches unter der Erde von unverganglicher Dauer war: die Gebaude selbst bestanden a us Larchenholz, das den Po hinabkaru und dem Feuer Wider-stand leisten sollte). Wie Ravenna war auch Altinum niohts als ein veredeltes Pfahldorf, und dieselbe Kunst und Sitte ist es, die spater in den Lagunen an der Brentamiindung erst kleine Ansiedelungen, dann das prachtige Venedig entstehen liess. Casar fand das Ufer der Themse mit spitzen Pfahlen verwahrt und Pfahle eben der Art im Flusse steekend und von Wasser bedeckt (de b. g. 5, 18: ejusdemque generis sub aqua defixae sudes flumine tegebantur}. Dass nun unter den Resten dieser den verschiedensten Punkten des indoeuropaischen Gebietes angehorenden Bauten sich auch solche finden, die nur steinerne Werkzeuge enthalten, ist nicht zu verwundern. Die einwandernden Hirten kannten das Metall (in Gestalt des Kupfers), wie die Gleichung sauskr. ayas, zend. ayarih^ lat. aes, goth. aiz, altirisch larn fiir isarn beweist, aber dass sie es nicht zu Werkzeugen verarbeiteten , sondern sich der Steinwaffen bedienten, kann nicht zweifelhaft sein und wird unter vielern Anderen durch Worter wie hamar und sahs (Grimm DM2 165) bestatigt. Je nach ihrer Stellung in der Volkerreihe erhielten darauf die einzelnen Starame friiher oder spater von Siiden her bronzene, d. h. durch Mischung von Kupfer und Zinn gehartete Messer und Schwerter, aber dass diese Umwandlung plotzlich geschehen sei, ware eine aller Erfahrung und der Natur wider- sprechende Annahme. Es danerte gewiss Jahrhunderte lang, ehe in Krieg und Jagd, bei Fallung und Spaltung der Baumstamme, beim Schlachten der Thiere u. s. w. die steinerne Axt der Concurrenz des bronzenen Messers wich und endlich ganz ausser Gebrauch kam. Gewohnheit, ererbte Fertigkeit und Uebung, das Beispiel der Vorfahren, Mythus und religioser Aberglaube, die naturliche Stumpfheit entlegener Naturvolker, dies Alles entschied fur das Stein- und Beingerath, und die einzelnen broncenen Schwerter, die in das innere Land drangen, werden lange Zeit nichts als Schmuck und Spielzeug der Hauptlinge gewesen sein. Als Casar in Britannien landete, fand er eherne oder eiserne Gewichtsstangen statt Geldes in Gebrauch (5, 12: utuntur aut aere aul taleis ferreis ad cerium pondus examinatis pro nummo\ also eine fiir das gallische Festland, das langst schon Miinzen pragte, voriibergegangeue Epoche in Kraft; die Insel, reich an Metallen, auch an Zinu, erhielt dennoch ihr Erz nur durch Einfuhr (aere utuntur importato}, und die Stamrae irn Innern, die meistens keinen Ackerbau trieben, von Fleisch und Milch sich nahrten und mit Fellen bekleidet waren, werden vom Metall wohl noch gar

566 Anmerkungen.

keinen Gebrauch gemacht haben. Im germanischen und slavischen Norden reicht das Steinalter bis tief in die eigentlich historische Zeit hinein, ja bervihrt sich in einzelneu Fallen sogar mit der Epoche des Schiesspulvers. Nach all dem scheint die Vermuthung nicht zu gewagt, dass die Bewohner auch der- jenigen Schweizer Pfahlbauten, die bisher nur Steingerath, dabei aber Be- schaftigung mit Ackerbau ergeben haben, keltischen und speciell helvetischen Stammes, die der Pfahldorfer in der Emilia Umbrer, entweder selbstaudige- oder von Etruskern unterjochte, die der mecklenburgischen Seebauten Gothen u. s. w. gewesen seien. Das einzige Neue, das die Aufdeckuug der Pfahl- dOrfer geliefert hat, d. h. der einzige Um stand,., den die bisherige Geschichte allein vielleicht nicht mit solcher Bestimmtheit hatte constatiren konnen, ist die Prioritat des Ackerbaues vor den Metallen und zwar eines schon vorge- schrittenen Ackerbaues mit mehreren Varietaten Gerste und Weizen, zierlich in Biindel gebundenem geernteten Flachs, Baumfriichten u. s. w. Wenn hier keine Beobachtungsfehler vorliegen und weun nicht etwa spatere Funde das- bisherige Resultat wieder umwerfen, so ware damit erwiesen, dass die Metallurgie der Kulturwelt des Mittelmeers erst sehr spat in die Gegend des-' Bodensees gedrungen ist, jedenfalls spater als die feste Ansassigkeit und der Korn- und Flachsbau. Eine bedeutungsvolle Sage bei Plinius 12, 5 scheint ausdriicken zu .wollen, die Schmiedekunst sei den Galliern aus Italien zuge- kommen und zwar gleichzeitig mit der Kenntniss des Weines und Oeles oder nicht lange vor dem grossen Bellovesus- und Sigovesuszuge: ein helvetischer Burger Helico (offenbar ein Reprasentativname) hielt sich der Schmiedekunst wegen fabrilem ob artem in Rom auf und brachte von dort eine ge- trocknete Feige und Weintraube, sowie eine Quantitat besten Weines und Oeles in die Heimat mit, und dies bewrog die Gallier, die Alpen zu iibersteigeii und in Italien einzubrechen. Da dieser Einbruch gegen das Jahr 400 vor Chr. erfolgte (Zeuss, Die Deutschen S. 165; Contzen, Die Wanderungen der Kelten S. 102 ff.; der fruheren Datirung des Livius, dem Otfr. Mtiller und M. Duncker, Origines germanicae p. 14 ff., Glauben schenken wollten, steht als entscheidende Instanz Herodot ent gegen, der noch von keinen Kelten in Italien weiss), so wiirde die Einfuhr italischen Metallwerks in das voraus- geheude Jahrhundert fallen, seit etwa hundert Jahren nach der Griindung Massilias; die kornbauende Steinzeit lage dariiber hinaus. Wir wissen nicht, was sich historisch und kulturgeschichtlich dagegen einwenden liesse. Die Kelten wurden iibrigens, als sie nach ihrem grossen kriegerischen Wander- znge nach Osten feste Wohnsitze langs den Alpen gewonnen hatten, Meister in der Metallarbeit; sie waren die schmiedenden Zwerge, die die Germanen und den ganzen Norden mit Schwertern, Kesseln u. s. w. versorgten. Das norische Eisen wurde beriihmt uud es ist nicht auffallend, wenn deutsche Worter, wie Eisen (goth. eisarn mit dem keltischen Suffix arna, s. Schleicher in Hildebrauds Jahrbuchern 1, S. 410) oder Beil (altirisch biail, altcornisch bahell, Zeuss2 p. 1061) oder ahd. g8r der Speer, folglich gothisch gais (die keltischen FatoaTot = Speertrager, Zeuss8 53) oder Briinne (gothisch brunjo, slav. brunja, ans altirisch bruinne = Brust, Bauch, Zeuss2 1058, bru, Gen. bronn, Stokes ir. gl. no 647 [doch vgl. jetzt Urkeltischer Sprachschatz S. 184, 186], wie Panzer, ital. panciera, auspantex Wanst) der Entlehnung aus dem Keltischen verdachtig sind. Nichts wandert so leicht, wie Waffen und Waffennamen.

Anmerkungen. 567

[Nach Ansicht der Prahistoriker 1st fiir die steinzeitliche Schicht der Schweizer Pfahlbauten ein wesentlich hoheres Alter anzusetzen, als von Hehn vorausgesetzt wird. Auch der indogermanische Charakter ihrer altesten Be- wohner steht noch nicht fest, doch ist er nicht unwahrscheinlich, da die in den altesten Pfahlbauten hervortretende Kultur sich im wesentlichen in der oben im Text S. 63 naher bezeichneten ureuropaischen Kulturperiode wiederfindet. Auf der damals erreichten Stufe der Gesittung blieben naturgemass die Volker diesseits der Alpen Jahrhnnderte stehen, als bereits langst Griechen und Italer in den Bannkreis des Orients getreten waren. Weniger wahr- scheinlich diirfte es sein, keltische Indogermanen als lusassen der Schweizer Pfahlbauten wie der Stationen von Mosseedorf, Wangen, Wauwyl zu betrachten, da nach den Forschungen K. Miillenhoffs im I. und II. Band der deutschen Alterthuraskunde die Kelten ihre Sitze am Mittelrhein in siidlicher und siid- ostlicher Richtung zu spat fiir diese Annahrne verliessen. In Sonderheit sind die Helvetier, wie auch Kaspar Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstamme S. 171, 222 annimmt, wahrscheinlich erst vom rechten Rheinufer in die Schweiz eingewandert (Tacitus Germ. 28). Hingegen hat die Annahme, dass die Pfahlbauten der Emilia von Italikern bewohnt gewesen seien, durch W. Helbigs Buch, Die Italiker in der Poebne 1879 eine erwiinschte Bestatigung erhalten.

Die angefiihrten keltisch-germanischen Entsprechungen gehen in so friihe Zeit zuriick, dass deutliche Kriterien fiir die Annahme der Eutlehnung fast ganz fehlen. Ahd. bihal, altn. Hilda ist von altir. bidil Beil wahrscheinlich zu trennen. Vgl. im iibrigen H. d'Arbois de Jubainville, Les t^moignages lin- guistiques de la civilisation commune aux Celtes et aux Germain s (Revue Archeologique 3. Se"rie XVII, 1891). Das im Text genannte ^aXxo? hat seine Entsprechungen im lit. geleZls, altpr. gelso, altslav. ielezo Eisen , wahrend fiir piitaXXov eine sichere Erklarung noch aussteht. Ausfiihrliches iiber die idg. Nutz- wie Edelmetalle siehe Sprachvergleichung und Urgeschichte 2. Aufl. Abh. Ill uud mein Reallexikon passim.]

23. S. 66.

Auch in der schoneu Stelle des Euripides Bacch. 274 ff. werden die Gaben der Demeter und des Bacchus oder Brot und Wein als die ersten Giiter des Menschengeschlechts gepriesen.

24. S. 67.

Auf die Stelle II. 7, 467 ff., wo Euneos, d. h. der Wohlschiffende, dei Sohn des lason, von der thrakischen Insel Lemnos zum achaischen Lager weinbeladene Schiffe sendet , die Erz und Eisen , Felle, Ochsen und Sclaven gegen den olvo? eintauschen, wahrend die beiden Atriden abgesondert tausend Mass jji&o erhalten auf diese Stelle ist wenig zu bauen, da sie den jiingern Ursprung an der Stirn tragt. Das Wort avSpdito8ov geho'rt der attischen Prosa an, Euueos, der lasonide, stammt aus II. 23, 747 u. s. w. Der Unterschied zwischen oivo? und jne^D ist also gleichfalls nichtig.

25. S. 68.

Maron selbst ist nichts als eine mythische Personification der kikonischen Stadt Isrnaros, welche mit Wegfall des o vor y. und erweiterndem Suffixe

568 Aumerkungen.

auch Maroneia hiess, wahrend ein nahe gelegener See den Namen Ismaris trug (Herod. 7, 109). Der Sohn des thrakischen Euraolpus culturam vitium et arborum (invenit) Eumolpus Afheniensis, Plin. 7, 199 hiess Ismarus oder Immaradus mit assiinilirtem Anlaut und genealogischem Suffixe. Die Reihe Ismaros, Ismaris, Immaradus, Maron, Maroneia enthalt interessante Winke fur thrakische und speciell kikonische Lautverhaltnisse und Gesetze der Wortbildung.

26. S. 69.

So deuten wir pooitX*}]£ hier, nicht als Stachelstab zum Antreiben der Ochsen. Das Beil, die uralte Waffe, die aus der steinernen Axt stammt und noch deren Form zeigt, dient in Kriegsscenen immer als Attribut der Barbaren (Annali dell' instituto arch. 1863 p. 339, 340). Bei Homer ist es als Waffe selten; im 15. Buch der Ilias bekiimpfen sich Troer und Achaer freilich auch

o£e'ci Sr, rceXexaoat xai dc^ivigoi (v. 711),

aber unmittelbar am Schiffe, das Hector schon fasst und anzuziinden hofft, also Leib an Leib, wie auf Zimmerholz und Opferthiere auf einander zuhauend. Einmal fiihrt anch der Trojaner Pisander einen Streich mit der a£tvr) gegen Menelaus, wird aber von diesem mit dem Schwert getodtet (II. 13, 611).

27. S. 69.

Es ist nicht allzukiihn, Semele als thrakisches Wort in der Bedeutung Erde, Erdgottiu zu fassen. Der Stamm, zu dem griech. xaIAa^ u- 8- w-> ^a^« humus u. s. w. gehort, erscheint zendisch, litauisch und slavisch mit assibilirtem Anlaut. Ebenso finden wir das thrakische und phrygische Sabos, Sabazios, die macedonischen Soiodoai bei Hesychius u. s. w. in dem Beinamen des Dionysos Tf]<; oder Teoc, der Feuchte, feuchtbringende, dessen Ammen auch die Hyaden sind, wieder. Es giebt einen Sabazios Hyes, und auch die Semele ward von Pherecydes Hye genannt. Sabos und 'TYJ? stirnmen buchstablich iiberein. [Zu Semele »Erdgottin« stellt P. Kretschmer, Aus der Anomia Berlin 1890 S. 17 ff. auch phryg. C^sXev ,(B<ippapov &v8paTtoSov' (inschr. zemelo}\ vgl. dazu G. Meyer, Sitzungsberichte S. 21. Eine andere Ableitung ftir SejjiXfj (ZsjxeXa) empfiehlt Fick, Vergl. W.4 I. S. 402, indeni er ahd. uo-chumil ,racemus, acinus' vergleicht(P). Die Gleichstellung von Sabos und T-/]? scheint uns wenig glaublich. Wir denken fur letzteres an den oben S. 93 genannten Namen des wilden Weins ut-rjc, vgl. 66? und 6to<;, tiber Sabazios vgl. Kretschmer Einleituug S. 195 und mein Reallexikon S. 89.]

28. S. 70.

Ebendahin wurde der pipXtvo? olvo? bei Hesiod. Op. et d. 589, fiihren, insofern er bald von Thrakien, bald von Naxos abgeleitet wird, Steph. Byz.: X"*Pa @pa^?' &TCO tauTY)? 6 BtpXtvo? olvo?. oi 8s arco BtpXta? flcfiireXou, 85 6 A-qXio? TOV Na^iov <pirjoiv, eimS-^ Nd^ou TCotajj.6? Bt^Xoc. Stammt der Name von der phonizischen Stadt Byblus (phonizisch Gybl d. h. Hohe, althebr. Gobel, die Stadt der Gibliter), wie in dem Verse des Archestratus bei A then. 1, p. 28 angedeutet ist:

Tov 8' Gcrco <l>oivty,Yj£ Ipac, TOV pu^Xtvov, alvto, so sind die Varianten ^o^Xivo? und pipXtvo? gleich richtig, da der phouizische

AnmerkuDgen. 569

Yokal auf die eine und die andere Art wiedergegeben werden kann; nicht weit liegt auch die nasalirte Form ^ifApXivo? (bei Hesychius) ab. Merkwiirdig 1st, dass dieser Wein uns spater auf sicilischem und unteritalischem Boden begegnet: er kam bei Epicharmus vor, Theokrit erwahnt seiner (14, 15), der Geschichtsschreiber Hippys von Rhegium erzahlte, er sei von Italien nach Syrakus verpflanzt worden (Athen. 1, p. 31); endlich findet er sich auf der ersten der beiden herakleotiscben Tafeln, wenn die dort vorkommenden Aus- driicke a j3o(3Xia und tav (3o|BXtvav jj-ao^aXav von Mazochi, dem Herausgeber und Erklarer der Inschrift, richtig als »biblische Weinpflanzung« gedeutet sind (das C. I. III. no. 5774 und 5775 stimmt ihm bei: recte videtur Mazochius a vitis genere ex ByUo Phoenicia repetendo derivare, unde etiam (WpXivo? olvo;). Dass diese Benennung indess in ein so hohes, langst verschollenes Alterthum hinaufgehe und eine Erinnerung an die Kolonien der Byblier enthalte, die die friihesten aller phouizischen waren, koramt uns nicht wahrscheinlich vor. Weniger phantastisch mo'chte es sein, an den Byblusstoff zu denke.n, da Homer •dasselbe Adjectiv popXivo? kennt; er legt es Od. 21, 391 einem Schiffsseil bei, welches also aus Papyrus-Bast gedreht war. Es fragt sich nur, wie eine Art Wein danach heissen konnte. Wurden die Beeren auf Byblus Matten gedorrt und dann erst gekeltert, so dass sie eine Art Strohwein, vinum passum, gaben? Oder rankten sich die Reben an Byblus-Stricken fort, wie zu Varros Zeit in der Gegend von Brundisium in Italien? Auf Letzteres wurden die Worte des Hippys von Rhegium fiihren, Athen. 1, p. 31: 'lima? (so heisst er an dieser Stelle) §£ 6 (Prfli\>oz TYJV eiXeov xaXoojjivfjv ajjiTCsXov Bi(3Xtav cprjol xaXela&ac. Oder wurden sie mit Byblus-Bandern an die Stutzen angebunden, so dass die Trauben sich freier entwickeln konnten? Grotefend in den Annali dell' iust. VII p. 275 und nach ihm Gottling zu der o. a. Stelle des Hesiod leiteten auch den etruskischen Namen des Bacchus Fufluns von p6(3Xtvo<; ab ; Corssen, Sprache der Etrusker 1, 314 lehnt diese Zusammenstellnng ab, da griechischem und lateinischem b im Anlaut p, niemals f entspreche. Welche Bewandtuiss es mit dem von Homer an zwei Stellen (II. 11, 638. Od. 10, 235) genannten, «um Weinbrei oder Mischtrank dienenden pramneischen Wein eigentlich hatte, und ob dieser Name eine Art Rebe oder Bereitungsart oder eine Gegend und welche bezeichne, wussten die spateren Erklarer offenbar ebenso wenig, als was der (3ifJXivos olvo? eigentlich sei, obgleich es an Vermuthungen und Behauptungen nicht fehlte (s. besonders Atheu. 1, p 30) und der pramneische oder pramnische Wein auch in der nachhomerischen Zeit hin und wieder erwahnt wird, z. B. von dem Komiker Ephippus:

cpiXcu "p np'ijJ.viov o'.vov Xsopiov

(Athen. 1, p. 28). Erinnert man sich des thrakischen oder eigentlich paonischen aus Hirse rait Zusatz von xov6C*f] gebrauten Mischtraukes rcapapiYj, dessen Hecataus Erwahnung that, so wird man von der Vermuthung beschlichen, das Adjectiv pramneisch stelle nur eKe andere Form desselben thrakischen oder phrygischen Wortes dar. [? Ueber griech. BopXo?, (36pXo<; = phon. Gubel, assyr. Gubla siehe jetzt Muss-Aruolt, Transactions XXIII. S. 125.]

29. S. 71.

Gehorte olvoc, vinum, wie zuerst Pott aufgestellt hat, in eine Reihe mit viere, vitis, vitex, vwien, vitta, lisa, tto? u. s. w., so hatten die Griechen und

570 Anmerkungen.

Lateiner aus einer einheiiriischen Wurzel, die winden, ranken bedeutete, vermittelst eines participialen n ihre Benennung des Weines gebildet. Allein da 1. das Getrank sowohl durch die mannigfache teclmische Procedur, deren Ergebniss es ist, als durch Wirkung und Eigenschaften zu weit von der Pflanze absteht, um nacb deren rankender Natur benannt zu werden; 2. bei Uebertragung dieser Kultur von Volk zu Volk zuerst das fertige Produkt ein- gefiilirt und mit dem freraden Namen benannt, nacbher erst der Anbau selbst gelehrt wird \vo sich dann leicht jiingere Worter wie OIVYJ, olvdc, oivapov u. s. w. ergeben; 3. die nahe Uebereinstimmung des semitischen Wortes nur durch Entlehnung von Seiten der Griechen, die mit der Sache auch den Namen empfingen, ihre Erkliirung findet; so wird mehr als wahrscheinlich, das& vinum nur zufallig an vitis anklingt, jenes ein Fremdwort, dieses ein ein- heimisches mit der Bedeutung: »biegsamesGewachs« ist (s. unten Anmerkung52)^ Auch die Gerinanen entlehnten das Wort Wein, benannten aber die Rebe deutsch (ahd. repd). Curtius no. 594 sagt: »Warum die Frucht der Ranke nicht selbst ursprunglich Ranke genannt sein sollte, ist nicht abzusehen. Das litauische Wort bietet die schlagendste Analogie« (namlich apwynys Hopfenranke, Plur. apwyniai Hopfen). Schlagend ware die Analogic, wenn in irgend einer Sprache das Bier nach der stachlichten Natur der Aehre be- nannt ware: so aber ist jener litauische Bedeutungsiibergang ungefahr der- selbe wie in awi£a, Haberkorn, Plur. aiviios Haber und wie in hundert ahn- lichen Fallen. Man erwage nur, dass vinum ja nicht von vitis abgeleitet ist,. wo die Sache denkbar ware, sondern unmittelbar aus einer Wurzel mit der Bedeutung f lech ten, biegsam sein stammen soil denn der BegrifF ranken ist nur untergeschoben , um die beliebte Etymologie scheinbar zu machen, und wird schon durch das griechische kla, die Weide, ein zahes, zu Flechtwerk dienendes Holz, widerlegt [vgl. hierzu oben S. 93 f.].

Auch Mommsen halt unter Anlehnung an eine angebliche sanskritische Verwandtschaft fur wahrscheinlich, dass das in Italien eiuziehende Urvolk den Weinstock schon mitgebracht habe (an mehreren Stellen seiner Romischen Geschichte, besonders 1, 173 f. der zweiten Auflage). Allein, da der Weinbau den hochsten Grad von Ansassigkeit voraussetzt, so ist er mit den Sitten einer wandernden Horde nicht vereinbar. Volkerwanderungen in Masse sind auf der Stufe kriegerischen Hirtenlebens natiirlich, bei ausgebildetern Acker- bau mit Bodeneigenthum und festen Hausern nur unter ganz besonderen Umstanden und in hochst seltenen Fallen mOglich, bei Baumzucht und Weinbau ganz undenkbar. Man sehe die Briten oder die Germanen des- Gasar, ihre Rindviehzucht, ihren beginnenden, halb nomadischen Ackerbaur ihre aus Milch und Fleisch bestehende Nahning, ihre Bekleidung mit Fellen u. s. w. Glaubt man, sie batten Weinbau treiben konnen, der so viel Sorge fiir die Zukunft, so viel Vermittelungen der Kultur in sich schliesst? Sier die wahrscheinlich nur Sommerkoru bauten, da die Wintersaat schon einen zu feinen Plan und eine zu weite Berechnung voraussetzt (Roscher, Ansichten der Volkswirthschaft, Leipzig und Heidelberg 1861: Ueber die Landwirthschaft der altesten Deutschen, S. 75 flf. v. Sybel, Kleine historische Schriften 1863r S. 35 ff.), sie batten sich mit Rebstocklingen befassen koniien, die erst nach Jahren die ersten Beeren tragen ? Nun stand aber das in Italien einbrechende Wandervolk gewiss auf keiner hoheren Lebensstufe, als die Germanen der

Anmerkungen. 571

altesten Geschichte, eher auf einer niedrigereri ; sie kamen mit Rindern, Schweinen und steinernen Aexten, aber sicherlich nicht mit dem Weinstock. Der Unterschied in der Entwickelung der grossen Volkergruppen Europas besteht nur in dem friiheren oder spateren Eintreten in bestimmte Phasen der Kultnr: die Griechen wurden vom Orient aus angeregt, die Italer von den Griechen; die Kelten wandten sich zum Acker-, Stadte-, Wege- und Briicken- bau urn Jahrhunderte spater, als die graeco-italischen Stamme, von denen sie mancherlei lernten; wieder um Jahrhunderte spater die Germanen, die unter- dess die civilisirende Einwirkung der Kelten erfahren hatten; noch spater im Riicken der Germanen die Slaven unter fortwahrendem Bildungseinfluss des germanischen Westens. Der Unterschied des Naturells und des Klirnas ver- steht sich hierbei von selbst, aber gerade das Klima gebietet ein allmahliges Aufsteigen des Weinstocks von Sudosten und verbietet die Herabkunft desselben von jenseit der Alpeu. Dass vom Gesichtspunkt romischer Quellen und Traditionen der Weinbau in Italien als sehr alt erscheint, geben wir zu, nur fragt sich, wie alt? Die Zeit griechischer Einwirkuug ist fur die Feststellung des romischen Rituals und uberhaupt fiir Italien von Rom aus gesehen - immer noch eine sehr alte, eine Urzeit. Wenn z. B. der Stammgott der Sabiner, Sancus, als Winzer, vitisator, mit der gebogenen Sichel gedacht wurde, so wollten dieselben Sabiner doch auch von Sabus dem Lacedamonier abstammen !

30. 8. 73.

Der griechische Ausdruck xajj.'/| (schon bei Homer und Hesiod) bedeutete nur die leichte, rohrartige Ruthe oder Stange, an die die Reben sich klammerten oder die von Baum zu Baum gezogen wurde: der Weinberg auf dem Schilde des Herakles bei Hesiod (v. 897) schwiugt sich mit Blattern und xajxaxec hin und her:

t v.a und das sarfjxst in dem entsprechenden Verse der Ilias 18, 563:

will wohl nur sagen, dass Rohrstiitzen in durchlaufenden Reihen eingesteckt waren und die Reben hi el ten. Auch die jiingere Benennung x"Pa£ (wovon nach Diez das franzosiche e'chalas), eigentlich ein zugespitzter Steckling, wird ursprunglich im Sinne von Rohr oder Ruthe gebraucht: die ^dpaxec z. B., die die fiinf reichen Corcyraer bei Thucydides 3, 70 aus dem Hain des Zeus und des Alkinoos geschnitten haben sollten, konnen nur Ruthen gewesen sein, da die Schuldigen fiir jedes Stuck einen Stater bezahlen sollten und die Strafe ubermassig hart schien, aus einem geweihten Hain aber nicht viele Pfahle unbemerkt gehauen werden konnten. Der eigeutlich griechische Aus- druck fiir Weinpfahl ware rcr^o? oder Tcy486v (entsprechend dem lateinischen pedare vineam, pedamentum, pedum der Hirtenstab u. s. w., nur mit gesteigertem Wurzelvocal, buchstablich = goth. fotus\ aber dies Wort kam zu keiner Ent- wickelung: es erscheint bei Homer in der Bedeutung Fussende des Ruders; in der Stelle II. 5, 838, wo von der buchenen Wagenachse die Rede ist, gab es eine alte Lesart nrjStvo? statt cp-f]Ycv°S (8- Eustath. zu der Stelle) und bei Theophrast h. pi. 5, 7, B hat Schneider nach Handschriften irrjSo? fur den Baum, der zu Wagenachsen und Pflugbaumen dient, wiederhergestellt

572 Anmerkungen.

(s. Schneid. zu Theophr. h. pi. 4, 1, 3). Sind die Oenotrer von den Wein- pfahlen benannt, so ftthrt der Name der in Italien altesten Traube, der vitis Aminaea oder Aminea, seltsamer Weise zu den Peucetiern, dem Brudervolk der Oenotrer. Philargyr. ad Verg. G. 2, 97: Aristoteles in Politiis scribit Amineos Thessalios fuisse, qui suae regionis vites in Italiam transtulerint, atque illis inde nomen impositum. Dazu die Glosse des Hesyclrius: 4] yap neoxstUx 'Ajxtvaia XeYstQ". Auch nach Macrobius Sat. 3, 20, 7 war die amineische Traube nach einer Gegend benannt: Aminea, scilicet e regione, nam Atninei fuerunt ubi nunc Falernum est. Galenus verlegt an zwei Stellen seiner Schriften den amineischen Wein, den er wasserig, 68aTo>8if]?, und leicht, XSTCTO'C, nennt, in die Umgegeud Neapels, de ruethodo medendi 12, 4: 5 te NeairoXinrjs b 'A[j.tvacoc, sv TOI? TCspl NsarcoXiv ^wpioi<; Y£V^H-evo?> de antid. 1, 3: 8 TS ev NsarcoXsi xata too? &TCOx^|jivoo<; aorjj X6<pooc, 'Afuvaiot; JJLSV ovofxaCofxevoc *. T. X. Danach besserte Voss in der soeben angefuhrten Stelle des Macrobius Salernum statt Falernum (worin ihm Val. Rose, Aristot. pseudepigr. p. 467 beizustimmen scheint) und verstand unter dem Peucetien des Hesychius das Land der Picentiner sudostlich von Neapel. Allein die amineische Traube war gerade in dem eigentlicheu Carnpanien recht zu Hause. Wenn Varro die vitis Aminea auch Scantiana nennt (de r. r. 1, 58, Plin. 14, 47), so ist dies Wort doch von der silva Scantia abgeleitet, die eben in Campanien lag. In alter wie in neuer Zeit wurde die Rebe in Campanien hoch an Baumen gezogen, und eine vitis arbustiva war gerade die amineische. Letzteres geht aus den Beschreibungen bei Columella 3, 2, 8 14 und Plinius 14, 21 ff. und aus den Vorschriften der Geoponica 4, 1, 3. 5, 17, 2. 5, 27, 2 deutlich genug hervor. So konnte die amineische Traube der Gegend, in der zu Galenus' Zeit der amineische Wein wuchs, ursprtinglich angehoren. Die Peucetier freilich, das Fichtenvolk, dachte man sich spater anderswo, allein dieser Name ist ein Appellativum, mit dem der Begriff von Wald und Baumen verkniipft wurde, und an Waldern fehlte es Campanien auch zu Ciceros Zeit nicht, wie ausser der soeben erwahnten Scantia die silva Gallinaria am Fluss Volturnus beweist, ein iioch jetzt vorhaudener, aus Fichten bestehender Wald. Die thessalische Herkunft besagt wohl weiter nichts, als dass diese Traube in die alteste Zeit der griechischen Ansiedelung hinaufging. Liest man bei Hesychius [xop-pov ?looc; ajxTCsAou und erinnert sich der von Cato Murgentinum genannten Rebenart, so treten auch die Morgeten zum Weinbau in Beziehung. In den zahlreichen Benennungen fur Traubensorten steckt tiberhaupt noch manches Alterthum. Dem Namen der visula z. B. liegt wohl das griechiche oloo;, oboe, oloov, olaua (das Adjectiv olouivo? schon homerisch) zu Grunde, franzOsisch osier, bretonisch oazil. Sollte die spionia oder spinea, die an den Pomundungen heimisch war, auf das griechische t|;tvo|j.ai, '}tva<; zuriickzufuhren sein, da an die altberuhmte Stadt Spina zu denken allzukiihu ware? Merwiirdig ist, wie die Ver- schiedenheit in Anpflanzung und Erziehung der Reben je nach der Landschaft vom fruhen Alterthum bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat. Die Pro- vence zieht ihren Wein noch jetzt, wie die Phokaer es gewohnt waren; die ahnliche catalonische Methode stammt von den messaliotischen Pflanzstadten ; in Toskana und in der Carapagne von Neapel, vom Volturno siidlich, wachst der Wein an hohen Ulrnen und Pappeln empor, in der Lombardei schlingt er sich an Massholderbaumchen (opulus gleich populus in keltischer Aus

Anmerkungen. 573

sprache [?], rait unterdrucktem anlautenden p, wie athir = pater. iasg=piscis u. s. w.) in Guirlanden (rumpi, traduces) fort, in den Alpenthalern bildet er weite, saulengetragene Lauben Alles wie zur Zeit des Varro, Plinius und Columella. Den Weinbau in der baumlosen Levante schildern Unger und Kotschy, Die lusel Cypern, S. 449: »Auch ohne Stiitze muss der Reben- scbossling sein Leben fristen, seine Trauben tragen und sie zur Reife bringen, denn woher sollte das Holz zu den Stiitzen genomraen werden, die ihni wie in unseren Weingarten die Last der Fruchtschwere erleichterten? Dazu ist weder auf den ionischen Inseln, weder in ganz Griechenland, in Syrien und Palastina, noch hier auf der Insel (Cypern) das Material vorhanden. Wer den Orient bereiset, gewohnt sich, dort wo der Weinstock nicht seinem natiir- lichen Triebe folgen und in den Wipfeln der Baume griinen und hausen kann, ihn als eine planta humifusa in grosster Submission und Sclaverei zu betrachten.«

31. S. 79.

Etwas ganz ahnliches erlebte Portugal noch in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts. Das in den tiefsten wirthschaftlichen Verfall gerathene Land fand eine Quelle des Erwerbs nur noch in der Weinproduction, die sich nun durch das ganze Land, auf giinstigem und ungiinstigem Boden, an Stelle des Ackerbaues gesetzt hatte. Der Minister Pombal befahl, in ganzen Districten, namentlich im Thai des Tajo, die Weinstocke auszureissen und das Land mit Getreide zu besaen. Der Befehl wurde ausgefuhrt, denn der gewaltsame Reformator duldete keinen Widerspruch.

32. S. 70.

[Lat. posca ist einheimisch in Italieu und gehort zu po-t-are wie esca zu edere. Bedeutung: Getrank.]

38. S. 81.

Von einem sonderbaren Vorlaufer des Islam bei den Geten erzahlt Strabo 7, 3, 11. Das Volk war wie die Skythen und Thraker und nachher die Slaven wegen seiner Trunksucht beruchtigt, die jeden politischen und kriege- rischen Aufschwung desselben hemmte. Da trat unter ihnen nicht lange vor Strabos Zeit (oder wie Jordanis 11 nach Dio Chrysostomus berichtet: zur Zeit von Sullas Dictatur) ein Zauberer, Namens Decaeneus, auf, der viel in Aegypten gewandert war und dort die Kunst der Weissagung gelernt hatte, und gewann ausserordentlichen Einfluss auf seine Volksgenossen. Sie ge- horchten ihm so blind, dass sie auf semen Rath alle Weinstocke im Lande ausrotteten und fortan ohne Wein lebten. Dies traf mit der Herrschaft des Konigs Boerebista zusarnmen, der den gleichen Zweck, das Volk mannhaft zu machen, verfolgte und in der That, nach alien Seiten siegreich, ein mach- tiges getisches Reich griindete, bis Parteiungen gegen ihn ausbrachen und die getische Macht wieder zerfiel. Ob die Tugend der Enthaltsamkeit sich lauger erhielt und ob Decaeneus, wie spater Muhamed, als Ersatz ftir den verbotenen Wein die getische Vielweiberei bestehen liess oder gar begiinstigte wird nicht gemeldet. Thraker, Geten und Daken waren ein Stamm von

574 Amnerkungen.

ungeziigelter Sinnlichkeit, welcher letzteren dann wieder (worauf Miillenhoff aufmerksam macht, Artikel Geten in der Encyclopiidie) von Zeit zu Zeit eine ascetische Reaktion, die durch Geisterglauben genahrt wurde, gegeniibertrat.

34. S. 73.

Das provencalisch franztfsische Wort tona, tonne, das sich auch walachisch wiederfindet und in alle keltischen nnd germanischen Sprachen iibergegaugen 1st, aber charakteristischer Weise im Italienischen fehlt, muss aus einer der Alpensprachen stammen, dem Ligurischen oder Rhatischen. Lateinisch und italieniscb giebt es ein Wort rait anderern Wurzelvocal: Una, Weinkubel. Nach Strabo waren im cisalpinischen Gallien ausser Pechsiedereien (in den Vorbergen der Alpen) auch ungeheure holzerne Fasser, gross wie Hauser znr Aufnahme des Weines ira Gebrauch, 5, 1, 12: to S' oivoo raX-r^o? pif]v6ooo'.v ol 108-01 ol £6Xtvoi fcip jjiftCoix; &"«*>v s!ot. Auch die Illyrier luden nach demselben 5, 1, 8 den Wein, den sie aus Aquileja bezogen, in holzernen Fassern, erd £uXivwv m&tov, auf ihre Wagen. Mit den Holzgefassen trat noch ein anderes weit verbreitetes Wort auf: Daube, Dauge, welches durch alle romanischen nnd slavischen Sprachen geht und auch im Magyarischen, Albanesischen, Walachischen und Neugriechischen nicht fehlt. Diez fiihrt alle vorhandenen Formen desselben auf ein der sinkenden Latinitat angehorendes doga zuriick, welches selbst wieder aus dem griechischen SO^YJ entstanden ware. Das Wort ist in das Germanische nur vereinzelt gedrungen, wuchert aber in den slavi- schen Sprachen in Form und Sinn tippig, wird z. B. auf den Regenbogen am Himmel angewandt (Miklosioh, die Fremdworter in den slav. Spr., S. 83) und erhalt daher als abgeleitetes Adjectiv sogar die Bedeutung bunt. Der Ver- breitungsbezirk des Wortes ist das waldreiche Douauland, und dort war auch die Sache einheimisch wobei es immer moglich ist, dass ein griechisch- lateinischer Ausdruck, der vielleicht in der technischen und Handelssprache von Aquileja iiblich war, zu Gruude liegt. Noch jetzt kommt das Holz zu den Fassern, die der Orient gebraucht, grosstentheils aus Ungarn, und auch die Reifen dazu, aus Corylus pontica, werden iiber Konstantinopel eingefuhrt. [Im Slavischen vermischte sich uach Miklosisch, Et. W. S. 48 mit den aus doga entlehnten Wortern ein damit unverwandtes dqga ,arcus'.] Ein dritter, in dem holzreichen, neuro'mischen Bezirk vielgebrauchter und begrifflich sich nach alien Seiten weit verzweigender Ausdruck ist cupa, ein urspriinglich griechisches Wort (XUTCY)). Als Maximinus im Jahr 238 Aquileja belagern wollte, rnit seinem Heere aber einen reissenden, angeschwollenen Strom nicht iiber- schreiten konnte, da kam ihm der ausgebreitete Weinhandel und Weinertrag Aquilejas zu Statten: er fand auf dem Lande eine Menge grosser, leerer, holzerner Weinkufen, aus denen er sich eine Brucke baute, Herodian. 8, 4, 9: 6rce[}tt/.6v Ttve? TU>V te^vtxuiv, TroXXa elvat xsva olvexpopa oxsov] icsptcpepoo? 4uXou Iv tote; IpYjfxot^ &YP°*?> ot? i^puivto jji.lv Tipotepov ol xatoixouvTe^ el? Djrrjpssiav §aota>v xal TtapairefXTCetv tov oivov aocpaXux; TO!? 8eo|j.evot<;. Jul. Capitolinus, der dasselbe berichtet, giebt diesen ungeheuren Tonnen den Namen cupa, Maximin. 22: ponte itaque cupis facto Maximinus fluvium transivit et de proximo Aquilejam obsidere coepit. Auch die Massilier mussen solche besessen haben, denn als Ciisar ihre Stadt belagerte, walzten sie dieselben, rnit brennendem Theer und Pech gefttllt, von der Mauer auf das feindliche Schauzwerk herab, de b.

Anmerkungen. 575

«iv. 2, 11: cupas taeda ac pice refertas incendunt easque de muro in musculum devolvunt, wie schon friiher die Bewohner von Uxellodunum in dem wein- reichen Aquitanien in gleichem Fall gethan batten, de b. gall. 8, 42: cupas •sevo, pice, scandulis complent; eas ardentes in opera provolvunt. Von -der Insel bei Salona, auf der der Dichter Lucanus die Casarianer belagert werden lasst, suchten diese bei Nacht auf Flossen, die sie aus leeren Weinkufen gemacht hatten, zum illyrischen Festlande zu entkommen, 4, 420:

Namque ratem vacuae sustentant undique cupae,

•deren es also in dem weinbauenden Lande, dessen Gebirge noch mit Wald bestanden waren, wohl geben musste. Der Handworker, der dem Winzer und Kaufmann solche cupae machte, war der cuparius, wie wir z. B. aus einer Trierer Inschrift sehen, bei Orelli no. 4176: cuparius et saccarius (der zugleich Sacke verfertigte, also fiir den Fruchtbandel uberhaupt arbeitete). Bei den Barbaren diente die cupa aucb zur Aufnahrae des Bieres; dass in ihr auch Korn und Mehl verladen wurde, sehen wir aus verscbiedenen Stellen der romischen Rechtsbiicher. Was aus dem Worte im Mittelalter und in den neuromischen Sprachen geworden ist, davon giebt der Artikel coppa bei Diez •em wenn auch verkiirztes Bild: das urspriingliche Kufe und Kiibel nahm die Bedeutung von Becher und Schale, Kopf und Biischel, Berggipfel und gewolbte Kuppel an. Im Deutschen stammt nicht bloss das eben genannte Kiibel und Kuppel daher, sondern auch Kopf, denn nach uralter Art sind Schale und Haupt oder Schadel gleichbenannt, und der Name der Gefasse geht auf Schiff und Kahn, Haus und Sarg tiber. Das dem lateinischen cupa, cuppa eut- sprechende griechische POUT-.C, £oouov, £6u<;, (3ouvf] hat eine gleich mannigfache Anwendung und weite Verbreitung durch ganz Neueuropa gefunden und klingt noch heute in Biitte, Bottcher, Bouteille, franz. botte der Stiefel u. s. w. tiiglich an unser Ohr. Unser Ohm, friiher Ahm ist das entlehnte grie- chische afXY], lat. hama, unser Seidel das lat. situla, unser Flasche wohl in letzter Instauz das lat. vasculum, welches, wie man sieht, jetzt meistens ein Glasgefass bedeutet. Auch das Glas ist, wie das Holz, ein erst im Norden und in nachromischer Zeit zu allgemeiner und taglicher Anwendung ge- kommener Stoff; aus dem holzernen Fass zapfen wir den Wein in glaserne Flaschen, die wir mit dem Korkstopsel schliessen. Erstere, die Flaschen, 43ind schwerlich alter, als das fiinfzehnte Jahrhundert (Beckmann, Beytrage, II, S. 485 ff.); die Kunst, die enge Oeffnung eines Gefasses mit der elastischen Rinde der Korkeiche zu verschliessen , geht gleichfalls in kein hohes Alter- thum hinauf, und allgemein geworden ist sie erst seit den letzten Jahr- hunderten und zwar sehr langsam. Die Korkeiche, Quercus Suber, ist in Griechenland jetzt vielleicht gar nicht mehr vorhanden, im Alterthum war sie -dort selten; sie ist ein Baum des siidwestlichen Europa und des gegeniiber- liegenden Afrika. Unter den Eichenarten des Theophrast lasst sie sich nicht mit Sicherheit constatiren; den Baum, der geschalt wird und nach Verlust der Rinde nur noch besser gedeiht, versetzt er nach Tyrrhenien, also in das Land nach Westen, giebt aber zugleich an, er verliere im Winter sein Laub, was geeignet ist, uns wieder irre zu machen (H. pi. 3, 17, 1). Pau- sanias 8, 12, 1 fiihrt uuter den Eichen Arkadiens eine an, deren Rinde so locker und leicht ist, dass man sie als Ankerzeichen und an Fischernetzen auf dem Meere schwimmen lasst, also offenbar die Korkeiche, aber man

576 Anmerkungen.

hort es seiuen Worten an, dass er damit eine Naturmerkwiirdigkeit des Landes beschreibt, die semen Lesern neu 1st und die anderswo nicht vor- kommt. Die Romer batten einen Individualnamen fur die Korkeiche: suber und unterschieden sie unter diesem genau von den iibrigen Baumen des Waldes. Die Rinde kommt schon in der Sage von Caroillus vor. Camillus. soil zum Dictator ernannt werden, aber dazu gehdrt ein Beschluss des von den Galliern im Kapitol eingeschlossenen Senates. Ein Jtingling, Nainens Pontius Coininius, iibernimmt es, die Botschaft auszurichten. Da die Briicke iiber den Tiber von den Feinden bewacht 1st, scbwimnit er Nachts, von Stucken Kork unterstiitzt, iiber den Fluss, Plut. Cam. 25, 3: tot? <peXXoi<; ecpel? TO au>}ia xod ooveicixoucp i'Ciov TU> TCspatooaftai itpo? TYJV rcoX-.v e^e^vj. Die Sitte, Gefasse mit verharztem Kork zu verschliessen, staminte, wie es scheint, von den Galliern, Colum. 12, 23: corticata pix qua utuntur ad condituras Allobroges* Cato 120 giebt die Vorschrift: mustum si voles totum annum habere, in am- phoram mustum indito et corticem oppicato, demittito in piscinam; es soil also, um den Most das ganze Jahr hindurch frisch zu erhalten, die Oeffnung der Amphora mit Kork und Pecli verschlossen und das Gefass darauf im Grunde des Wassers aufbewabrt werden. Aehnlich ist bei Horaz die weinhaltende Am- pbora mit einem cortex adstrictus pice verwahrt, Od. 3, 8, 9 :

hie dies anno redeunte festus

corticem adstrictum pice demovebit

amphorae fumum bibere institutae

consult Tullo.

Deutlicher spricht Plinius iiber Gebrauch und Nutzen der Rinde des Kork- baumes 16, 34: usus ejus (suberis) ancoralibus maxume navium (zu Bojen, zu denen jetzt meist leichtes Holz ' genommen wird) piscantiumque tragulis (zu Flossen der Fischernetze, zu denen jetzt leichte Holztafelchen dienen) et cadorum opturamentis (zu Verspundung der Fasser), praeterea in hiberno feminarum calciatu (zu Pantoffelsohlen, wie noch jetzt). Bei all dem war die Verkorkung bei den Romern nur selten: das Gewohnliche ist die Verschliessung durch Pech, Gyps, Wachs u. s. w. ; dariiber gegossenes Oel bewabrte, wie noch jetzt haufig in Italien, den Wein vor Beruhrung mit der Luft; auch eignete sich die Form der thonernen Kriige, ihr grosserer Umfang und ihre weitere Oeffnung nicht zum Verschluss durch Korkrinde. Das Verhaltniss blieb das Mittelalter hindurch ungefahr dasselbe. Fasser wurden durch Holzpflocke verspundet; kleinere Thon-, Blech- oder Holzbehalter, die man sich auf der Jagd, zu Pferde u. s. w. umhing, silberne und goldene Flaschen der Vornehmen wurden mit Zapfen desselben Materials verstopft oder zugeschraubt oder aucb mit Wachs verschmiert u. s. w. Erst das Aufkommen enghalsiger, sehr wohl- feiler Glasflaschen, der sich ausbreitende Handel und die Versendung brachte in neuerer Zeit den Kork (von cortex, zunachst wohl vom spanischen corcha, franzosich liege d. h. der leichte Stoff von levis) in allgemeinen Gebrauch der uns jetzt besonders bei edleren Weinen so unentbehrlich scheint.

85. 8. 96.

An einem anderen, ungefahr gleichzeitigen Feste, den Thargelien, waren die beiden <papjj.a>coi, die als Siihnopfer zum Tode gefiihrt wurden, der eine mit weissen, der andere mit schwarzen Feigen behangen und wurden mit

Anmerkungen. 577

Feigenruthen gegeisselt (A. Mommsen, Heortologie, S. 417 ff). Es war ein altionisches Test, aber welchen Sinn hier die Feige hatte, ist ungewiss.

Die Ficus Ruminalis, so genannt von dem Jupiter Ruminus und der Diva Rumina, deren Namen wiederum von der rutna = mamma herstamraten, also Fruchtbarkeit und Zeugung symbolisiren, s. Preller, Rom. Mythol. S. 368, Corssen, Kritische Beitrage S. 429. Demselben Vorstellungskreise gehort der Brauch an, die Bilder des Priapus aus Feigenholz zu machen. Wie Feigenbaum und Schwein als Bilder iiberschwanglicher Zeugung gleiche Geltung haben, lehrt die Variante einer alten Sage bei Strabo (Hesiod. Fragm. CLXIX. Gottling.): Hesiodus erzahlte, Kalchas habe in Kolophon den Mopsus, den Enkel des Tiresias, gefragt, wie viel Friichte der vor ihnen steliende Feigenbaum trage; als Mopsus die Zahl und das Mass richtig angab, starb Kalchas in dem schmerzlichen Gefiihl, einen iiberlegenen Seher gefunden zu haben. Dieselbe Geschichte berichtete Pherecydes, nur betraf nach diesern die Frage nicht die Menge der Friichte eines Feigenbaumes, sondern die Zahl der Ferkel, die eine daliegende trachtige Sau werfen wiirde. Demgemass hat man aoxov und au<;, sus, von derselben hypothetischen Wurzel su (generare) ableiten und in ficus eine analoge Bildung von fieri, cpostv finden wollen. Dieser Etymologie ist aber schon deshalb nicht zu trauen, weil die Zeit der Ein- fiihrung der Feige bei Griechen und ROmern eine zu spate ist, um solche primitive Wortbildungen zu gestatten. Benfey 1, 442 vermuthet Entlehnung des griechischen Wortes aus dem Orient und beruft sich dafiir auf ooxapicvo?. Dass nach dem o ein Digamma stand, aus dem der Vokal o hervorging, lehrt die italische Wortform : ficus wurde aus ojnxov, wie fides aus ocpt&e? und wie fattere ay dXXeiv, fungus gleich ocpoyYo? u. s. w. ist. Da die Thebaner TOXO. fur ooxa sagten und der syrakusische Stadttheil SOX-YJ auch Tox-r) geheissen zu haben scheint, woraus durch Missverstand das spatere Tox?) im Sinne von Fortuna entstand, so halt Ahrens (de dial, dorica p. 64) T/^XOV fur die Urform. Oder gaben die Griechen den anlautenden fremden Consonanten bald mit s, bald mit t wieder, wie Sor, Sar und Tyrus? Dass im Norden der griechischen Halbinsel auch bei dem verwandten oixoa (fiir aox6a, ouxta?) der Anlaut als T gesprochen wurde, ist aus dem slavischen tykva der Kiirbiss zu schliessen, der den Slaven doch aus den Donaugegenden zukam. Die gothische Be- nennung fiir Feige: smakka, nach welcher Kuhn, Zeitsch. 4, 17, auch fiir die Griechen eine Urform sfakva annimmt, ist wohl nur eine Umbildung in gothischem Munde, da das lange 5 nicht in den gothischen Vocalismus passte wenn die Urnformung nicht schon in der Sprache der den Namen vermittelnden Nordstamme der Balkanhalbinsel vorgenommen war. M fur (3 zu sagen, war barbarische Sitte, Steph. Byz. 'A^dvTt?. TO 'Apavtta ftfjXoxov, oTtsp xata v TpOTcvjv TOO ^ e?$ jx 'AjxavTt'o iXe^v] Trapa 'AvTiyovtw §v MaxeSovtx1^ So wechselte 'Afjio8a>v (Stadt der Paoner schon bei Homer) mit , Albanien lautet bei Ptolemaus vielleicht 'AXjxYjvv), der Fluss BOYYPO? bei Herodot heisst hernach Margus, heut zu Tage Morawa, Bellerophontes wird in Italien zu Melerpanta u. s. w. Auch p und v werden zu m : drcaXo? hiess macedonisch dfiaXoc, der Fluss Tilaventum ist der heutige Tagliamento u. s. w. So konnte das urspriingliche Digamma in ooxov den Gothen, als sie

Viet. Hehn, Kulturpflanzen. 7. Aufl. 37

578 Anmerkungen.

an die Donau gezogen waren, in Gestalt eines in mit dem Hiilfsvokal a ent- gegenklingen. Die hinter den Gothen wohnenden Wenden konnten die Feige, nattirlich in getrockneter Gestalt, nur durch Verrnittelung der ersteren erhalten. und der slavische Name (altslavisch smokuVi, smoky, smokvd) 1st folglich dem gothischen nachgesprochen, zu einer Zeit, wo die Assimilation von kv zu kk tioch nicht erfolgt war. Wir bemerken noch, dass der wilde Feigenbaum, ip'.veoc, von dem aber die Kulturfeige nicht abgeleitet werden kann, schon bei Homer vorkommt. |Vgl. hierzu oben S. 97—102.]

37. S. 112.

Die griechischen Benennungen eXoua, IXa'.ov sind in romischem Munde oliva, oleum geworden (s. Fleckeisen in den Neuen Jahrb. fur Phil, und Padag. 1866. 1), und die letzteren Namen finden sich dann weiter in alien europaischen Sprachen, unter verschiedenen Formen, die Diefenbach, Goth. W. 1, 36 f., gesaminelt hat. [Ueber die Entlehnung des lat. oliva und oleum aus IXou^a, vgl. zuletzt Kretschmer Einleitung S. 112 ff. Hinsichtlich des goth. Oel, aUvdbagms Oelbaum nimmt man nach R. Muchs (Deutsche Starnm- sitze S. 34) Vorgang an, dass es durch keltische Vermittlung aus olwa (*ol§va) ^ntlehnt sei. Die slavischen Benennungen des Oels stammen theils aus dem <jriechischen (altsl. jelej), theils aus dem Deutschen. Eine hiiunge Bezeichnung 1st auch maslo, eigentl. Salbe, auch maslica Oelbaum. Russ. oliva etc. ist italienisch.]

38. S. 115.

A. de la Marmora, Itineraire de 1'ile de Sardaigne, Turin 1860, 2, p. 353 «agt von dem sardinischen Oelbaum: »0n s' exprimerait mal, a mon avis, si I' on voulait parler de V introduction qu'on y aurait faite de cette plante puisque ce pays est visiblement sa patrie naturelle.« Diese Bemerkung des trefflichen Naturforschers ist zwar historisch unrichtig fvgl. hierzu oben S. 117], beweist aber, wie tippig der Baum in dem neugewonnenen europaischen Kulturbezirke gedeiht. Auch auf Corsica stehen jetzt herrliche Olivengruppen, und doch batten die Ro'mer Milhe, den Baum dahin zu verpflanzen, ja wenn wir Senecas Rhetorik glauben wollen, fehlte zur Zeit dieses Schriftstellers der Oelbaum noch ganzlich auf der wilden Insel, Epigr. super exilio 2, 3, 4:

Non poma auctumnus, segetes non educat aestas,

Canaque Palladio munere bruma caret.

Selbst auf Sardinien sah sich die Regierung veranlasst, demjenigen den Adelstitel zu versprechen, der eine Anzahl Oelbaume erzogen haben wiirde, wie auch die Venetianer auf ihren griechischen Besitzungen durch Belohnungen zum Oelbau aufmuntern mussten. Der wilde Oelbaum, sagt La Marmora an «iner andern Stelle (Voyage en Sardaigne, 6d. 2, 1, 164), bedeckt uugeheure Strecken in der Hiigelregion der Insel Sardinien und erwartet nur die Hand des Impfers, um herrliche Fruchte zu tragen. Ist der Baum hier, mo'chten wir fragen, wirklich wild oder nur verwildert? Nach drittehalb Jahr- tausenden und dem unsaglichen Kriegselend, mit dem sie angefiillt sind, ist die letztere Annahme gewiss nicht zu gewagt.

Anmerkungen. 579

39. S. 130.

Bei den Arabern in Afrika bleibt bei Verwiistungsziigen in Feindesland •die Dattelpalrne verschont. G. Rohlfs, Afrikanische Reisen, Aufl. 2, Bremen 1869, S. 70: »die Felder waren verwiistet, die Wasserleitungen zerstort, die Ksors (Dorfer) iiberall von aussen stark verbarricadirt, die Obstbaume urnge- hauen, nur die Palme, die immer respectirt wird, erhob traurig ihr Haupt iiber diese oden Felder, wo die Menschen seit zwei Monaten um nichts sich taglicb erwtirgten.« S. 186: »Palmen abschneiden gilt unter den Muselmauen fiir eins der grossten Verbrechen. Als er (der Hadj Abd-el Kader) mir seine Heldenthaten erzahlte, fragte er mich: Hatte ich Recht, meinen Feinden die Palmenbaume umzuhauen? Ich erwiderte ihni: Nein, denn hier in der Wiiste ist die Palme der einzige Unterhalt der Menschen. Diese Antwort freute ihn, er sagte, bisher batten ihm Alle, selbst die Tholba gesagt, dass er Recht habe, obgleich eine innere Stimme ihm zurufe, dass er ein grosses Unrecht begangen habe.«

40. S. 181.

Das griechische ovo?, lat. asinus, leiten wir in it Benfey aus einer semitischen Benennung ab, der im Hebraischen athon, die Eselin, entspricht, wobei im griechischen Wort der aus dem Dental entstandene Sibilant als vor dem n ausgefallen angenommen wird (vgl. hierzu oben S. 135]. Aus dem Lateinischen stammeri dann weiter das gothische asilus, litauische asilas, und slavische os"<lu. Herodot berichtet ausdriicklich , in Skythien gebe es weder Esel noch Maulthiere, und zwar weil das Land fur diese Thiere zu kalt sei (4, 129: Sta toe ^ityea), Und fugt hinzu, die skythische Reiterei sei durch die Stimme der Esel in Darius' Heer wiederholt zur Umkehr genothigt worden. Aristoteles bestatigt dies, rnit dem Zusatz, auch bei den Kelten fiber Iberien sei es fiir den Esel schon zu kalt: de animal, generat. 2, 8: 8t6rcep ev tot? -/sifxepivol? o5 "QiXsi Yiveafrai Torcoi? 8ta to SoaptYOV elvat TYJV cpua^v, oiov uspl Exofta? xai TYJV ojxopov ^wpav, o58e irspi KsXtou? too? oirsp TYJ? 'IpYjpia? ' J^XP1^ T^P xa'1 a"TYl 4] ^a>pa. Ebenso hist. anim. 8, 25 : SoopiYOTatov S' lotl TOW TOIOOTU>V Ct})(uv ' ^ xai uspl Ilovtov xal TYJV Sxovhxvjv 06 Y'VOVTal °vot- Nicht anders Strabo 7, 4, 18: ovou? TS Y"P °^ ^ps^ouoi (Suopq-ov Y«p ^o C^ov), und Plinius 8, 167: ipsum animal (asinus) frigoris maxume impatiens, ideo non generatur in Ponto. Da der Esel nicht sowohl ein Heerden- als ein Hausthier ist und sein Geschaft haupt- sachlich darin besteht, in den begrenzten Raumen fester menschlicher An- siedelung Lasten hin und her zu tragen (daher italienisch somaro der Esel, d. i. Lastthier, neugriechisch Y°M-apt Von -(o^oc, Last, Fracht), so kann er an den altesten Wanderziigen indoeuropaischer Hirtenstamme iiberhaupt nicht Theil genommen haben. Zu den Litauern wird das Wort von benachbarten deutschen Stammen gekommen sein, vielleicht schon friihe, z. B. zur Zeit des Gothenkonigs Ermanarich, denn wie die Hausirer aus Siiden, zogen auch Lustigmacher mit Eseln und darauf sitzenden Affen in den Barbarenlandern umber; auch die ersten christlichen Sendboten konnten die Kunde des Thieres verbreiten, denn der Esel fand sich in den Erzahlungen der Bibel haufig und war vielleicht auf rohen Bildern der heiligen Geschichte zu sehen. Auch das slavische Wort ist gothischen Ursprungs. Das gothische asilus selbst aber stammt unmittelbar aus dem Lateinischen, nicht aus asellus, welche Form in

37*

Anmerkungen.

den rornanischen Sprachen fehlt und also nicht popular war, auch wider- sprechend accentuirt ist, sondern aus asinus mit der gewohnlichen Verwand- lung des n in das der deutscheu Zunge gelaufigere 1. Gauz ebenso wurde aus lat. catinus das goth. kaiils, slav. kotlu, aus lagena ahd. lagella, mhd. lagel Fasschen, aus organum Orgel, aus cuminum ahd. chumil Kiimmel. Von dem keltischen assal [altir. assan, woraus ags. assa, engl. ass] urtheilt auch Stokes (Irish glosses 296), es konne nach den Lautgesetzen kein einheimisches Wort sein, sondern mtisse aus dera Lateinischen stammen ; an einer spateren Stelle (S. 159) fiigt er hinzu, auch ovo<; und asinus scheinen nicht indoeuropaischer, sondern orientalischer Herkunft. In den sog. Terramara-Lagern von Parma,, die der Broncezeit angehoren, wurden nur in den oberen Lagen und zwar nur zweifelhafte Knochen vom Esel angetroffen (Mittheilungen der Anti- quarischen Gesellsch. in Zurich, Band XIV, S. 136). Der Esel erschien also in jener Gegend Italiens spater als die Bronce. [Vgl. jetzt W. Helbig, Die Italiker in der Poebene S. 15, der die Frage, ob der Esel zu den Hausthieren. der Pfahldorfler der Emilia gehorte, als eine unerledigte betrachtet. In den Schweizer Pfahlbauten sind, bis auf einen ganz vereinzelten Fund (vgl. Keller,. Berichte VII, 56), keine Ueberreste des Esels zu Tage gekommen.]

41. S. 133.

Das homerische 4]}u6v<uv ^fpoTspacuv kann nur bedeuten: auf der Weider in freien Heerden aufgewachsen, noch ungezahmt. Solche junge Thiere kamen von den Eneteru und wurden dann von dem Empfanger gebandigt und abge- richtet, gauz wie solches mit den Pferden geschah. Neuere Erklarer de& Homer halten das Maulthier, diesen Bastard von Pferd und Esel, fur ein naturliches wildlebendes Thiergeschlecht oder erinnern an den equus hemionus der Zoologen, den Dschiggetai in den Wildnissen Asiens, welcher letztere dann ohne Zweifel fur den zoologischen Garten der Trojaner bestimmt war! Aber die Onager, die Liudprand auf seiner Gesandschaftsreise im Jahre 968 in einem Bnihl in Konstantinopel sah, konnten wirklich Dschiggetais gewesen sein. Leider hatte Liudprand nicht Interesse fur die Sache genug, um uns diese wilden Esel genauer zu beschreiben und sich beirn Wachter zu erkundigen,. von wo sie bezogen waren.

42. S. 134.

Das lat. mulus wird mit Wahrscheinlichkeit von dem griechischen }xu^o?r Zucht- oder Springesel abgeleitet, wobei der Ausfall des x sich in der Lange des Vocals reflectirt. Mox^o? war nach Hesychius ein phokaisches Wort und die Phokaer sind ja die Seefahrer und Colonisatoren des Westens. Das albanesische (auch walachische) mu$k, das slavische misku, mtzgu, mlSt^ welches sich von mesiti, meSati mischen nicht ableiten lasst, muss auf (xux^? zuriick- gehen; es fehlt im Polnischen und Litauischen und wird eine thrakische Wortform sein [vgl. hierzu oben S. 136]. Die heutigen Russen haben ihre beiden Ausdrticke fur Maulthier: ischdk und loschdk, ebenso wie ihr Wort fur Pferd, von den Tartaren genommen. Ware uns die Sprache des grossen thrakisch-illyrischen Volksstammes erhalten, der gewiss schon in sehr alter Zeit eine Menge Kulturbegriffe nach Norden hin vermittelte, wir wurden in der Urgeschichte Europas bei Weitem klarer sehen. Manches, was uns jetzt mit

Anmerkungen. 531

dem Schein der Urverwandtschaft tauscht, wiirde sich dann, wie wir glauben, als Kulturwanderung erweisen. Das lateinische hinnus fur den Abkomraling von Hengst und Eselin (Varro de r. r. 2, 8, 1 : ex equa enim et asino fit mulus, contra ex equo et asina hinnus} ist gleichfalls griechischen Ursprungs: two?, two?, fivvo?. Wenn das f hier einem alten Digamma entspricht, so ist die Einwanderung des Wortes nach Italien in eine verhaltnissmassig spate Zeit ;zu setzen, was auch ohnehin der Natur der Sache nach da diese Art Paarung weniger gebrauchlich war wahrscheinlich ist. [Neben mulus begegnet im Spatlateinischen burdo, burdus fur hinnus (Du Cange: burdonem produdt equus coniunctus asellae, procreat et mulum iunctus asellus equae), das in die germanischen (ahd. burdihhm, mnd. burdon, mndl. bord-esel} und in die romanischen Sprachen, hier theils in der Bedeutung Bastard, theils in der von Pilgerstab (vgl. span, muleta Maulthier und Kriickenstock) iibergegangen ist. Zu trennen ist dieses burdus von burrus, burricus, das als vulgare Be- zeichnung fiir mannus kleines Pferd angefiihrt wird (vgl. Wolfflins Archiv VII, 318 f. uud G. Goetz Thes. I, 157). Doch bezeichnet burricus in den scheinbar verwandten romanischen : it. bricco (vgl. (3ptxov ovov Kopyjvatot, Hesych.), span. borrico etc. den Esel. Vgl. noch das merkwiirdige altpr. iveloblundis fiir Maul- thier (russ. vettbqdu = Kamel) und das dunkle ahd. durmer ,burdo ex equo et asina1 (Palander Ahd. Thiernamen S. 99). Meister in Kuhns Zeitschrift 32, 143 ff. trennt two? von fu>vo?i das nur kruppelhaft kleine Maulthiere be- zeichnet habe.J

48. S. 134.

Das griechische at£, alp? Ziege findet sich im Sanskrit und im Litauischen wieder [scrt. aja-s •= lit. o&ys, griech. at£ = armen. aits] und geht also in die Zeit vor der Volkerwanderung hinauf. Daraus folgt iibrigens noch nicht ohne Weiteres, dass das Urvolk die Ziege schon als Hausthier besessen habe; es konnte irgend ein springendes Jagdthier mit einem Namen benenrien, der spater bei Bekanntwerden mit der zahmen Ziege auf diese tiberging eine Moglichkeit, deren sich diejenigen, die so sicher aus dem Vorhandensein ge- wisser gemeinsamer Worter auf den Kulturstand des primitiven Stammvolkes schliessen, in ahnlichen Fallen haufiger erinnern sollten. Movers, ganz andern Spuren und Combinationen folgend, sucht die Herkunft der Ziege aus dem gebirgigen Theil des nQrdlichen Afrika zu erweisen (II, 1, S. 366 ff.). Die Alten erwahnen hin und wieder wilder Ziegen in Griechenland und Italien. Allein Ziegen verwildern leicht und vermehren sich dann schnell. Auf der Insel Cerigo waren im siebzehnten Jahrhundert alle Einwohner von den Tiirken ermordet oder weggeschleppt und die Wohnungen niedergebrannt worden. Nur einige Ziegen waren entflohen. Funfzehn Jahre spater hatten sich diese zu vielen Tausenden vermehrt, waren aber so wild wie Gemsen geworden (Beckniann, Literatur der alteren Reisebeschreibungen, 1, 547). La Marmora hatte viel von den wilden Ziegen auf der kleinen Insel Tavolara bei Sardinien gehort, die nichts als ein ungeheurer Block von kohlensaurem Kalk ist. Nachdern [er nicht ohne Miihe und Gefahr einige dieser Thiere ^rlegt, ergab die Untersuchuug, dass die wilden Ziegen nichts als verwilderte zahme waren (Voyage en Sardaigne, Ausg. 2, I, 171). Gewiss aber ist, dass die Ziege in den Felsenlabyrinthen der griechischen Inseln, Siciliens, Sardiniens,

582 Anmerkuugen.

Calabriens, sowie in Palastina uud am Atlas sich heimischer fiihlt, reich- lichere Milch giebt und einen stattlicheren Wuchs erreicht, als in den neb- ligen, gras- und waldreichen Niederungen , auf denen in der Urzeit die ger- manischen und lituslavischen Stamme ihre Kinder weideten.

44. S. 135.

Der Siidosten von Europa, die Abhange der Karpathen und die sich anschliessenden Ebenen waren von Urbeginn eine grosse Linden waldung, di& noch in historischer Zeit einen unermesslichen Honigertrag lieferte und in der die unterdess eingertickten Slaven hausten und schmausten. Bei steigender Kultur des Bodens hatte jeder Zeidler sein bestimmtes Kevier im Walde, und die Honigbaume wurden gezeichnet. Ganz spat erst fanden sich von Siideii und Westen her Bienenstocke, alvei, alvearia (rnittellat. apile, lit. aivilys, slav. ulei, bei Hesychius &TCsXXai ovptoi) bei den Hausern und in den Garten ein,. indess gleichzeitig der Wald iramer weiter riickte. In Litauen und Russland aber blieb das Honigsammeln in den Waldern noch bis in spate Zeiten iiber- wiegend. Strahlenberg, der nord- und ostliche Theil von Europa und Asia,. Stockholm 1730, 4°, S. 333: »In Litauen und in Russland an vielen Orten heget und halt man Bienen uicht haufig in Korben, noch in aus- und abge- hauenen Klotzen oder Stocken bei den Hausern, sondern in den Waldern, an den hochsten und geradesten Tannenbaumen, nahe bei deren Spitzen« u. s w.r worauf noch erzahlt wird, die Dorptischen Bauern (in Lief land) batten in alter Zeit mit Pleskauischen Burgern einen Contrakt gemacht, »dass sie in den Pleskauischen Waldern ihre Bienenstocke halten konnten« »nachdem aber diese Walder ruiniret und ausgehanen worden, hat solches aufgehoret.<c Diese Waldbienenzucht war das Geschaft des Zeidlers oder Beutners (russ.. bortnik, poln. bartnik] Beute = Bienenkorb) und hatte sich im Laufe der Jahrhunderte von Gallien, wo sie einst auch gebliiht haben muss, nach Ger- manien, wo die Bienen zur Mark gehorten und die Rechtsbiicher iiber die Zeidelweide Bestimmungen treffen, und weiter nach Nordosteuropa, wo si& sich am langsten hielt, zuriickgezogen. [Interessante Angaben iiber die alteste Verbreitung der Honigbiene und die allmahlige Ausdehnung der Bienenzucht s. bei F. Th. Koppen, Ein neuer thier geographischer Beitrag zur Frage iiber die Urheimat der Indoeuropaer und Ugrofinuen im Ausland 1890 No. 51.]

45. S. 141.

Wir konnten irn Text das Thema von der Baukunst naturlich nur fliichtig bertihren, obgleicli es bei eingehender Behandlung die fruchtbarsten Gesichts- punkte eroffnen wiirde. [Einen solchen erblickte Hehn in der Annahme starker iranischer Beeinflussung Osteuropas und Deutschlands. Er sagt: »Die iranischen Stamme auf europaischem Boden haben in Kultur und Religion grosseren Eiufluss geiibt und in den Sprachen mehr Spuren hinter- lassen, als bisher beachtet worden ist. Da nach Tacitus die Slaven viel von den Sitten der Sarmaten angenommen und z. B. ihren alten Namen Gottes niit dem iranischen vertauscht hatten, wie hatten die Germanen sich dieser Einwirkung, die ihnen auf mehr als einem Wege zukommen konnte, entziehen solleu? Nicht alle^Skythen waren ein nomadisches Wagenvolk ; einzelne ihrer Abtheilungen, die ^xoO-at (Scpot^pei; und ystopyoi, bauten den Boden und betrieben

Anmerkungen. 585

Getreidehandel. Die friih gegriindeten Kolonien am Pontus mussten so bildend! und erziehend auf sie wirken, wie Massilia auf die Kelten, und dass die Landsleute des Anacharsis wenigstens ein entwickeltes Gottersystem besassenr geht aus Herodots Angaben klar genug hervor. Spater waren Quaden uud: Jazygen, Gothen und Alanen Waffenbriider und werden oft zusammen genannt, Amm. Marc. 17, 12: permistos Sarmatas et Quados, vicinitate et similitudine morum armaturaeque Concordes. Auch der SuevenkOnig Vannius, der 30 Jahr unter romischem Schutz regierte, hatte eine sarmatische und jazygische Reiterei.« Indessen sind die sprachlichen Belege, welche Hehn fiir diese Ansicht anfuhrte, die Annabme, germ. Ms sei aus einer iranischen Sprache entlebnt (kurd. hfaus, haouch, Lerch, Forschungen S. 88 und Jaba-Justi S. 146)r ebensowenig wie der Versuch, goth. guth, bei dem H. wohl an np. yuda Gott dachte (vgl. P. Horn a. a. O. S. 104), aus dem Iranischen zu erklaren, haltbar.}

46. S. 146.

Mebuhr, Beschreibung von Arabien, Kopenhagen 1772, 4°, S. 57: »Man hat ein weisses und dickes Getrank, Busa, welches aus Mehl zubereitet wird ... In Armenien ist es ein allgemein bekannter Trank. Daselbst wird es in grossen To'pfen in der Erde aufbehalten und gemeiniglich aus denselben vermittelst eines Eohres getrunken.« Dazu in der Anmerkung: »das Busa scheint einige Aehnlichkeit mit dem Tranke zu haben, welchen die Russen Kisli-Schti oder mit dem, welchen sie Kwass neunen. « Letztere sind aber nicht berauschend, wie der Trank des Xenophon war.

47. S. 155.

Das herodoteische OOVEOOQJ. findet sich noch heute im Innern Kleinasiens wieder. Ein rohrartig ausgehohlter Baumstamm ist an beiden Enden mit einem Brett verschlossen und hat oben ein Loch. Das Gefass hangt an zwei Stricken und wird wie eine Schaukel von einem jungen Madchen hin und her geschwungen, bis die Butter sich abgesetzt hat. S. die Abbildung bei Van Lennep, Travels in little-known parts of Asia minor, London 1870, 1, p. 131..

48. S. 168.

Wenn die Behauptung Partheys (in seiner Ausgabe von Plut. de Iside^ et Os. S. 158) richtig ist [nach Wiedemann, Herodots II. Buch S. 358 ware sie es nicht], dass bei den alleraltesten Mumien noch Hiillen von Schafwollen* angewendet sind und erst von der 12. Dynastie an leinene Binden sich finden,. die von da an im allgemeinen Gebrauch blieben, so ist auch in Aegypten der Flachsbau erst eine verhaltnissmassig jiingere Kulturerwerbung. Wir wiirden dies auch ohne directes historisches Zeugniss annehmen mtissen, denn Aegypten war bei der ersten Besitzergreifung gewiss ein Weideland, ein Land der vojxot, wozu es die Natar gemacht hatte; nur das ist bemerkens- werth, dass dauach die Sitte der Einbalsamirung, die Entwickelung hoherer politischer Ordnung u. s. w. der Bekanntschaft mit der Leinpflanze voraus- ging. Auch in einem altchaldaischen Grabe also aus einer Zeit, die dem Reiche Babylon vorausgegangen sein soil wurden angeblich Stiicke Leinwand gefuuden, Journal of the R. Asiatic Society, t XV. p. 271: ^Pieces

584 Amnerkuugen.

of linen are observed about the bones, and the whole skeleton seems to have been bound with a species of thong. « Aber war es wirklich Leinwand und nicht vielmehr Geflecht aus irgend einer bastartigen Pflanze? [vgl. hierzu oben S. 184ff.].

49. S. 164.

Die Zahl der Faden 360 entsprach offenbar der Zahl der Tage des altesten Jahres (Peter von Bohlen, Das alte Iiidien, 2, S. 270). Der Aegypter war so tief in Symbolik befangen, dass nichts fiir ihn ausserhalb der Religion lag, dass er das Realste, was es geben kann, die nach ausseren Verstandes- zwecken verfahrende Technik des Handwerks, durch Mystik heiligte und an den Himmel knupfte. Was politische und wissenschaftliche Romantiker des neuuzehnten Jahrhunderts gesucht und als Forderung aufgestellt haben, christlicher Staat, christliche Volkswirthschaft, christliche Astronomie u. s. w., war im alten Aegypten wirklich eininal vorhanden. Goethe, Farbenlehre, Zur Geschichte der Urzeit: »Stationare Volker behandeln ihre Technik mit Religion. « Interessant aber ist, dass in dem Bericht des Plinius, funfhundert Jahre nach Herodot, statt der Zahl 360 schon 365 erscheint, eine still- schweigende Verbesserung der Sage, durch welche zugleich die obige Deutung bestatigt wird. Audi die beiden agyptischen Maasse, die den Namen hinn und Jciti fiihrten, wurden in je 360 Theile zerlegt (Lepsius in der Zeitschrift fiir agyptische Sprache, 1865, S. 109), eine mystisch-religiose Einrichtung, da fiir die Praxis die Unterabtheilungen zu klein waren. Die Webekunst, bei welcher zwei entgegengesetzte Richtungen ein aus ihrer Durchdringung entstehendes Drittes erzeugen, bot iibrigeus der mythischen Phantasie der altesten Zeiten von selbst das Bild zwei'er Naturpotenzen, einer empfangenden uud einer zeugenden, und ihrer fruchtbaren Vermischung.

50. S. 165.

Ware die kolchische Leinwand iiber die lydische Hauptstadt Sardis ge- kommen, so hatte das Adjectiv vielmehr SapSi-^vov, SapSrqvixov lauten miissen. Da Herodot sagt, die Kolchier und Aegypter webten auf dieselbe Art, xata Tafrcd, gab es vielleicht auch in Kolchis ein Gewebe, dessen Faden aus 360 noch feineren bestanden, und hiess ein solches sardonisch nach dem lydischen und gaiiz allgemein iranischen Worte oapSi?, das Jahr? Wie Herodot bringt auch ein neuerer Naturforscher den agyptischen und kolchischen Flachs in Verbindung. linger, Botanische Streifziige auf dem Gebiet der Kulturgeschichte, Wiener Sitzungsberichte, Band 38, S. 130: »Die Leinpflanze ist nicht in Aegypten einheimisch, sondern daselbst eingefiihrt und zwar, nach der Natur der Pflanze zu urtheilen, aus viel nordlicher gelegenen Landern, wahrscheinlich aus Kolchis.« Aber letzteres doch gewiss nicht direct, sondern iiber Babylonien.

51. S. 166.

Ritter, Ueber die geographische Verbreitung der Bauniwolle u. s. w. (in den Abhandl. der Akad. der Wissensch. zu Berlin aus clern Jahre 1851), deutet S. 336 ff. die &0-6va:, od-ovta als baumwollene Stoffe, aber ohne einen haltbaren Grund anzufiihren und bloss auf eine verfehlte Etyraologie gestiitzt. Nach H. Brandes, Ueber die antiken Namen und die geographische Verbreitung

Anmerkungen. 585

der Baumwolle im Alterthuin, S. 106, bezieht sich der Ausdruck 60-ovv) »nicht sowohl auf einen bestimmten Stoff, als vielmehr auf bestimmte Arten oder Formen von Geweben, welche als Kleidungsstiick dienen konnten.« Mit anderen Worten also: die oftdvca konnen bei Homer sehr wo hi Leingewander sein, auch wenn spate Schriftsteller unverkennbar baumwollene darunter ver- stehen. [Vgl. hieriiber wie tiber die Baumwolle im Alterthum iiberhaupt O. Schrader, Handel sgeschichte und Waarenkunde I, 186 ff.]

52. S. 176.

Wie die europaische Urwelt in der Waldepoche sich Stricke schaffte, davon giebt nns eine Stelle der Odyssee 10, 156 ff. ein anschauliches Bild. Odysseus hat auf der Insel der Circe einen Hirsch erlegt, ein ungewohnlich grosses Thier, und es handelt sich darum, die Beute zu den Gefahrten am Meeresstrande zu schaffen. Er rafft Gezweig und Rutheu, pourcdc; TS X6foo<; TE, zusammen, flicht daraus einen klafterlangen, von beiden Enden wohlgedrehten Strick, itelajj.a loaTpecpe? ^jxcpoTepcuO-ev, bindet dem Thier damit die Fusse zu- samrnen, hangt es sich um den Nacken und tragt es so hinab zum schwarzen Schiffe. Damit vergleiche man folgendes Wort bei Nesselmann, Worterbuch der litauischen Sprache, S. 180: Jcardelus oder kardelis ein starkes Tau zum Anbinden der Holzflosse und Wittinnen (Art Flussfahrzeuge), meist von Bast oder Reisern geflochten: das Ankertau auf grosseren Schiffen; die Drittstange am Wagen, eine junge mit einer geflochtenen Oese ver- sehene Birke oder auch ein Strick, woran das dritte Pferd gespannt wird. Was in dem unentwickelten Litauen noch heute Branch ist, das iibten auch die Germanen in einem friiheren Zeitalter. Grimm, RA. 683: »das einfache Alterthum drehte statt der hanfenen Seile Zweige von frischem, zahem Holz«, ahd. wit, mhd. wide, lancwit, widen binden, nhd. Wiede, Lang- wiede, auch in den iibrigen deutschen Sprachen, sowie in den keltischen und slavischen, sich wiederfindend (die verschiedenen Formen bei Diefenbach, O. W. 1, 146). Die Wiede diente zum Zusammenbinden der Dacher und der Flosse, am Wagen und Joche, zur Koppelting der Thiere, zur Geisselung und als Seil beim Aufhangen der Verbrecher u. s. w. In jeder Hinsicht ent- tsprechend ist das lateinische vitis. Dieses Wort bedeutet nicht etwa die sich um einen Baum oder Stock rankende Pflanze, sondern, wie vitex, vimen und das griechische lisa, ein biegsames, dem Menschen zum Winden, Binden und Flechten dienliches Gewachs. Virgil sagt lentae vitis wie lenta salix. Wie der Sclave und Uebelthater mit der geflochtenen Wiede geschlagen wird, ja das mhd. Verbum widen geradezu schlagen bedeutet, so bildet bei den Romern die vitis in der Hand des Centurionen das Werkzeug der Zuchtigung fur un- gehorsame Soldaten, z. B. Liv. Epit. 57: quern militem extra ordinem depre- hendit, si Romanus esset, vitibus, si extraneus, fusiibus ceddit. Ein der Rebe ahnliches Rankengewachs, die Bryonie, lat. vitis alba, dessen Name wahr- scheinlich auf den Weinstock uberging, wird von Ovid ausdriicklich mit der WTeide zusammengestellt, Met. 13, 800:

Lentior et salicis virgis et vitibus albis -

und diente wie Ginster und Binse zum Korbflechten, Serv. ad V. G. 1, 165: quoniam de genistis vel junco vel alba vite solent fieri. Man vergleiche auch altn. $neis Zweig, mhd. sneise Schnur.

586 Anmerkungen.

*

Ein Schritt weiter war es, wenn der Bast der Baume, ein noch weiterer, wenn die Fasern der Ness el zu Seilen, Zaumen, Gtirteln, Zeugen, Kleidern,. Schildeu u. s. w. verarbeitet wurden. Die Massageten kleiden sich in Bastr Strab. 11, 8, 7: &|j.iTCXOVTtxt 8s- (ol Maoooqitat) TOU? TOW 8lv8pu>v <pXoioo?, und ebenso- die Gerraanen, Mela 3, 3, 2: viri sagis velantur, aut libris arborum, quamvis saeva hieme, und tragen Schilde von roher Baumrinde, Val. Flacc. 6, 97 (von den Bastarnen):

quos, duce Teutogono, crudi mora corticis armat.

Zu solchem Bastgeflecht diente besonders die Linde, die auch in alien Sprachen nach dieser Eigenschaft benannt ist. Das griechische cptXopa heisst Linde und Bast und ist sicher mit cpXoio? Rinde und cpeXXo? Kork verwandt. Theophr. h. pi. 5, 7, 5: zyzi 8s M- (•*] cpiXopa) TOV cpXo:6v ^pYjacjxov Tcpo? TE ta oyoivia xal 7ipo<; TOCC; xbtac. Also noch Theophrast kennt den Gebrauch des- Lindenbastes zu Stricken und zu Kisten. In der grossen Lindenregion Europas, in Weiss- und Kleinrussland und den an die Karpathen sich lehnenden Landschaften ist die Lindenrinde noch heut zu Tage in lebendiger Anwendung und dient je nach dern Alter des Baumes zu Wagenkorben und Flusskahnen, zu Matter, Stricken, Schuhen, Sacken, Sieben u. s. w Man be- rechnet die Zahl der hier und in dem waldreichen russischen Nordosten, in Wiatka u. s. w., zum Behuf der Schalung jahrlich gefallten Baume auf etwa eine Million; der Bast wird in Wasser geweicht und das Material ist fertig. Ahd. linta, ags. und altn. Und die Linde, altn. lindi der Giirtel; das Lind in deutschen Mundarten so viel als Bast, Lindschleisser in der alteren Sprache gleich Seiler (Grimm RA, S. 261 und 520). Von dem deutschen Lind kann das lateinische linteum nicht getrennt werden; nach Wackernagel wiirde auch das romanische barca die Barke aus dem niederdeutschen Borke, altn. borkr abzuleiten sein, doch scheint das griechische ^api?, welches vielleicht aus Aegypten stammt [aegypt. bari-t], das messapische ,Sapi? und lateinisch baris grosseren Anspruch zu haben. Das homerische nur im Dativ und Accusativ vorkommende Xtrl, Xlta (also fiir Xtvtt, Xivia) ziehen wir mit Pott gleichfalls hierher: es bedeutet ein groberes Tuch, urspriinglich wohl eine Matte au& Lindenbast: der weggestellte Wagen wird damit bedeckt, es wird auf den Sessel gebreitet und dariiber die schb'ne purpurne Sitzdecke, der Leichnam des Patroklus wird damit verhiillt und dariiber das weisse Leichentuch ge- worfen. Ob wir uns dabei im Sinne der Sanger uoch eine wirkliche Bast- matte oder schon ein grobes Leinenzeug zu denken haben, bleibt ungewiss. Lateinisch tilia Linde, tiliae Bast, franzosisch teiller Hanf brechen, italienisch tiglio Hanfrinde. Dem slavischen lipa, litauischen lepa die Linde entspricht gr. Xeiceiv schalen, XSTTTO? zart (durchgangig von Zeugen aus Flachs gebraucht,. XSTITOC ocpaofxata = linnene Gewebe), lit. lupti schalen, ahd. louft, loft Baum- rinde. Ebenso gehort lat. lieium ohne Zweifel in dieselbe Reihe mit lit. lunkas, russ. poln. czech. lyko der Bast. Wie lat. liber beweist, war Bast auch das alteste Schreibmaterial. Ulp. Dig. 32, 52: Librorum appdlaiione continentur omnia volumina, sive in charta, sive in membrana sint, sive in quavis alia materia: sed et si in philyra aut in tilia, ut nonnulli conficiunt, aut in quo olio corio, idem erit dicendum. Mit Anbruch der historischen Zeit ist dieser viel- gebrauchte Stoff tiberall im Verschwinden, aber manche Benennungen, die

Anmerkimgen. 587

ihm gegolten batten, gingen auf die neuen Pflanzen iiber, die an seine Stelle traten [vgl. hierzu oben S. 185 ff.].

Schon dem Flachse naher stehen die Gewebe aus den Fasern der ge- meinen wildwachsenden Nessel. Sie sind bei den Halbnomaden an der Grenze Asiens und Europas, einev Gegend, die bei dem stufenmassigen Zuriickweichen der alteren Kulturepochen nach Osten uns oft in tiber- raschender Weise die Gestalt Ureuropas vor Augen stellt, noch heut zu Tage ganz gewohnlich. Die Weiber der Baschkiren, der Koibalen, der Sagai- Tataren u. s. w. verarbeiten die urtica dioeca nicht bloss zu Netzen und Garnen, sondern auch zu einer Art Leinwand, s. Storch, Tableau historique et statistique de 1'empire de Russie, 1801, II. 249. Von den Baschkiren be- richtet Pallas, Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs,. St. Petersburg 1801, I. S. 448: »Ihr grobes Leinenzeug zur Kleidung verfertigen

sie grossentheils selbst, indem sie auch von der geineinen grossen Nessel

Garn spinnen. Diese Nessel wachst in dem fetten Erdreich bei den Wohnungen haufig und wird wie der Hanf im Herbst ausgerauft, getrocknet, danach etwas eingewassert, der Bast am meisten mit den Handen durch das Brechen der Stengel abgezogen und zuletzt in holzernen Morsern gestampft, bis nichts als- das Werg iibrig bleibt.« Ein Handelsbetrug, der in Turkestan oft vorkommtv besteht darin, dass Nesselfaden mit der Seide verwebt werden und das Zeng als reiner Damast verkauft wird. Nestor erzahlt an einer merkwiirdigen Stelle, Oleg habe, von Konstantinopel wegschiffend, den Schiffen der Russen Segel aus powoloka, denen der Slaven Segel aus Nesseln, kropiva, gegeben,. Schlozer, Nestor, III, S. 295 f. (Das erste Wort erklart Krug, Zur Mtinzkunde Russlands, St. Petersburg 1805, S. 109 ff. als verderbt aus »babylonisches Zeug«, d. h. Seide, vielleicht waren die Segel von Nesseln linnene mit Bei- behaltung des alterthiimlichen Ausdrucks, nur feinere, denn die- Slaven be- klagen sich, dass sie ihre gewohnlichen groben nicht bekommen haben, die die dem Sturme besser Widerstand geleistet batten.) Dass auch die Germanen Netze aus Nesselgarn strickten, lehrt die etymologische Verwandtschaft dieser beiden Worter, goth. nati, ags. net das Netz, ags. netele die Nessel n. s. w.; auch die Nessel, preuss. noatis, lit. notere, lett. ndtra, altirisch nenaid (redu- plicirt, Corrnac p. 126), scheint vom Nahen so benannt. Noch Albertus M. kennt den Gebrauch der urtica zu Geweben, de vegetabilibus ed. Jessen 6, 462: duas autem habet pelles (urtica), interiorem et exteriorem : et illae sunt, ex quibus est operatio, sicut ex lino et candbo. Und gleich darauf: sed pannus urticae pru- ritum excitat, quod non facit lini vel canabi. Auch das Chinagras, das wir jetzt aus Indien, Java, China beziehen, ist iiichts als die Brennnessel oder eine Varietat derselben und liefert Stoffe, die der Baumwolle in jeder Beziehuug iiberlegen sind.

Als der Flachs- den europiiischen Volkern zukam, da war es natiirlichr dass die vorhandenen Nameii des Bastes und der Nessel und der aus ihnen gearbeiteten Produkte auf die neue Gespinnstpnanze iibergingen. So erhielt das lateinische linteum den Sinn von Leinwand, wahrend im Deutschen Lind die Bedeutung Bast und Linde die des basttragenden Baumes bewahrte. Ein keltisches Wort fur Nessel ist kymbrisch dynat, danad, welches altkornisch linliaden, armorisch linad, lenad, linaden lautet (Zeuss2 1076). Das Primitiv

588 Anrnerkungen.

davon scheint in dera bei Dioscorides anfbewahrten dakischen ouv = v.vtSYj, urtlca (Diefenbach 0. E. S. 329) und mit demselben Wechsel von d und 1, wie bei dynad und linad, in dem griechischen X-.vov vorzuliegen. 1st die letztere Verrnuthung gegriindet, so wiirden die Griechen, als ihnen in vorhomerischer Zeit der Flachs und die Leinwand von Asien her zugetragen wtirde, ihre Be- zeichnung der Nessel und des Nesselgeflechts auf das ahnliche, wenn auch vollkornnmere Gespinnst aus Flachs angewandt haben. Der urspriingliche kurze Vocal wurde init der Zeit und in einigen Landschaften lang: Xlvov (der umgekehrte Vorgang ware nach den sonst beobachteten Gesetzen spraehlicher Entwickelung minder wahrscheinlich), und so lautet das Wort bei Aristo- phanes Pac. 1178 und beim Komiker Antiphanes (Athen. 10, p. 455) welch letztere Stelle Meineke init Unrecht durch Conjectur andert. In dieser jiin- geren Gestalt finden wir das Wort in Italien wieder: llnum\ von da kam es 211 den transalpinischen Vo'lkern, goth. lein u. s. w. Die deutsche Sprache hat noch zwei Ausdrucke fiir die Pflanze selbst, beide sichtlich vom Flechten und Weben entnommen und mit Wortern der Bedeutung Haar sich bertihrend: ahd. flahs und haru, gen. haraives (ersteres hat im litauischen pldukas und slavischen vlastt den Begriff Haar, im lit. plduszas den von feinem Bast; fahs das Haar, die Nebenform von flahs, ist eiris und dasselbe rnit dem griech. TCEXOC, raaxoc, welches letztere Wort der Scholiast zu Nic. Ther. 549 erklart: Tteoxo? 8s tov cpXoiov TYJS ^otdv-rjc, also Bast, TCSXOJ kammen, lat. pecto; haru, altn. hor, der Lein, halten wir fur identisch mit dem slav. kropiva, die Nessel, und dem alban. &srp = Hanf) [vgl. hierzu oben S. 185 ff.].

Unter den aus Schweizer Seen aufgefischten Gegenstanden haben sich auch Bundel geernteten Flachses, Stiicken linnenen Zeuges, aus Flachs ge- flochtene Matten u. s. w. gefunden. Da namhafte Naturforscher in den ge- nannten Ueberresten wirklich die Fasern des Flachses erkannt haben, so •diirfen wir an der Thatsache nicht zweifeln, obgleich bei Garrigou et Filhol, Age de la pierre polie, Paris et Toulouse s. a., 4°, p. 51 es vorsichtiger Weise nur heisst: le lin leur e'tait probablement connu, a moins qu' une autre plante a Scarce filamenteuse (die grosse Nessel?) ait pu leur fournir de quoi faire des vStements. Der Flachs war iibrigens nicht unser jetzt gebrauchlicher, sondern eine besondere Varietat. O. Heer in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Ziirich 15, 312: »Der Pfahlbauteulein ist nicht der gemeine Flachs. Der schmalblattrige Flachs, Linum angusiifolium Huds., der in den Mittelmeerlandern von Griechenland und Dalmatien weg bis zu den Pyrenaen zu Hause ist, darf als die Mutterpflanze des kultivirten Pfahlbautenleins be- zeichnet werden. Dass die Pfahlbautenleute ihren Flachssamen aus dem stid- lichen Europa bezogen, beweist das kretische Leimkraut« welches letztere sich namlich als Unkraut unter den Flachsresten findet. Danach also war der Schweizer Flachsbau erst von dem italischen abgeleitet [vgl. hierzu oben S. 184—185]. Je ausgebildeter wir uns iiberhaupt den Acker- und Obstbau bei den Bewohnern dieser Wasserbauten denken, desto tiefer in der Zeit mussen wir sie herabriicken. Man erwage wohl, dass die aus dem Grunde der Seen heraufgeholten Gegenstande, so interessant ihr Anblick sein mag, doch unmittelbar chronologisch nichts aussagen uud dass Alles, was iiber die Epoche dieser Kultur vermuthet worden ist, nicht der Betrachtung ihrer Beste, sondern anderweitigen oft sehr luftigen Erwagungen und Voraussetzungen

Anmerkuugen. 5891

entnornmen ist. Wenn es das Gliick so fiigte, dass sich mitten in einern dieser Flachsbiindel ein massaliotisches Geldstiick eingeschlossen fande, oder wenn eine giitige Fee uns einige wenige Worter der Sprache dieser Pfahlbauer, z. B. die Namen, mit denen sie den Flachs, den Weizen, den Pflug u. s, w. bezeichneten, vertrauen wollte welch ein heller Lichtstrahl fiele plotzlich in diese dunkle Welt! Wir wiirden uns nicht wundern, wenn sich dann er- gabe, dass diese rathselhafteu Urmenschen mit den steinernen Werkzeugen in der Hand Niemand anders als die Vater der uns seit Casar wohlbekannten Helvetier waren und dass die hohere Kultur, deren Spur wir bei ihnen finden,. von den Ufern des mittellandischen Meeres stammte.

53. S. 188.

Movers, Phonizier, 2, 3, 157 behauptet ganz grundlos: »Hanf zu Schiffs- seilen und Segel wurde in der ausgezeichnetsten Giite in Phonizien gezogen.« Das konnte hochstens von der Romerzeit wahr sein, wo auch der Hanf der karischen Stadt Alabanda im hochsten Rufe stand. Der an einer einzigen Stelle im Homer vorkommende Ausdruck aTtdpta ftir Schiffstaue, II. 2, 135:

xal SY] Soopa aeav]7i8 vsdiv xal aicdpta XeXovTou

lasst iiber den StofF, aus dem sie gefertigt M?aren, im Dunklen. Vergleicht man indess das verwandte Wort orcopic, lat. sporta der Korb, so wird glaublichv dass auch oicdpTov aus einer Binsen- oder Ginsterart gedreht war. Aber die airdpta TCov.va £OTpajj.|j.sva an den Leinwand-Harnischen der Chalyber bei Xeuo- phon Anab. 4, 7, 15 mo'gen hilnfenen Stoffes gewesen sein, da die Chalyber demjenigen Landstrich und Volksstamme nahe wohnten, wo der Hanf zuerst auftritt.

54. S. 189.

Neben dem allgemein europaischen Ausdruck haben die Slaven ein eigenthiimliches Wort fiir Hanf: russisch penka, poln. pienka, czechisch penek^ penka. Sie konnen dies, wie so vieles Andere, von den Skythen oder Sar- maten entlehnt haben, denn neupersisch und afghanisch beng, bang und schon vedisch lihanga der Hanf, zendisch banha Trunkenheit, Banga Name des Daeva der Trunkenheit , s. Justi, Handbuch, S. 209 [vgl. P. Horn, Grundriss d. np. Etym. S. 53]. Ein zweiter slavischer Ausdruck poskonl (so auch russisch und czechisch) stellt sich zu ahd. fdhs, gr. TCSOV-OC, das polnische ploskon zu ahd.. flahs ein merkwiirdiger Parallelismus beider Sprachgruppen. [Als altere Form der slavischen Worter sieht Miklosich, Et. W. S. 260 posk- an, das rait adh. fdhs, vgl. oben S. 186, kaum zu verbinden ist. Litauische Lehnworter aus plosk- siehe bei A. Bruckner, Die slav. Fremdw. im Lit. S. 119.] Bischof Otto von Barnberg fand bei den heidnischen Slaven in Pommern viel cana- pum, s. Herbordi vita Ottonis bei Pertz, Scr. 20 p. 745.

55. S. 196.

Wie die Lokrer mit den Siculern, sollte der attische Feldherr Hagnon mit den Barbaren am Strymon verfahren sein : er leistete ihnen den Eid, drei Tage nichts unternehmen zu wollen, warf aber beiNacht seine Befestigungen auf und grundete so Amphipolis (Polyan. 6, 53). Als die Perser Barke in Afrika vergeblich belagerten, schwuren sie den Barkaern zu, gegen einen zu zahlenden

.590 Anmerkungen.

Tribut die Belagerung aufheben zu wollen. Dies Versprechen sollte so laDge gelten, als die Erde, auf der sie stiinden, unter ihren Fiissen halten werde. Der Boden war aber kiinstlich unterhohlt, die Erde sank zusammen und die Stadt wurde iiberfallen und eingenommen (Herod. 4, 201). Durch buchstabliche Auslegung erwarb sich auch Dido den Boden zur Grundung von Karthago. Bei detn Monch von Corvey, Widukind, landet der Stamm der Sachsen zuerst in Hadeln. Einer ihrer Jiinglinge kauft den Thiiringern fur viel Gold einen Haufen Erde ab und wird als Betrogener ausgelacht. Hinterher aber bestreut er weit und breit das Land mit dem erkauften Staube und so gehort der Grund und Boden den Sachsen. Dieser Anspruch wird dann durch eine blutige Schlacht und die Niederlage der Thuringer bekraftigt. Auf ahnliche Art kam die Wartburg in den Besitz des Landgrafen von Thuringen. Zwolf Ritter, im Burgh of stehend, schwuren bei ihren Schwertern, dass sie auf landgraflichem Boden stiinden: sie selbst aber hatten vorher thiiringische Erde in den Burghof geschafft. Bei Naturvolkern mit noch unentwickeltem sittlichen Gefiihl wird die List bewundert, wie die Tapferkeit. Der Eid wird gefiirchtet, aber nur als Forrael, und so 1st auch das Eecht noch uuabtrenn- bar voin Symbol. Noch jetzt machen ungebildete Menschen den Eid un- wirksam, indem sie eine Art Gegenzauber anwenden, z. B. wahrend sie die rechte Hand zum Schwur erheben, die drei Finger der linken hinter dem Riicken nach unten ausstrecken u. s. w.

56. S. 225.

Laurus abgeleitet von luo, lavo. Derselben Herkunft ist Lavinia, Lavi- nium, die angeblich mit Lorbeer umpflanzte Siihnstadt Laurentum u. s. w. s. Schwegler, Romische Geschichte, 1, S. 319 f. Diese Herleitung wiirde noch sicherer sein, wenn wir mit Benfey das griechische SdcpvYj mit 8scpo>, 8e<Mu>, 8s^o> in der ursprunglichen Bedeutung benetzen, anfeuchten in Verbindung bringen diirften. Aber storend ist das thessalische §a6^va in dem zusammengesetzten Worte (Stpxi-Saux'^a^opstaa? bei Boeckh C. I. no. 1766, sowie das jetzt bei Nicander an zwei Stellen (Ther. 94 und Alexiph. 199) wiederhergestellte Sau^vo? fur Lorbeer. Andere haben das Wort daher von einer Wurzel mit der Be- deutung brennen ableiten wollen (Legerlotz in Kuhn's Zeitschr. 7, 293), wo denn der Lorbeer immer noch als lustrirender, nur nicht als durch Spiilen, sondern durch aromatische Raucherung reinigender Baum benannt ware (Paul. Epit. ed. O. Miiller, p. 117: itaque eandem laurum omnibus suffitionibus udhiberi solitum erat.) Stande danach das I im lateinischen laurus flir d, wie in anderen bekannten Fallen? Die Pergaer in Kleinasien sagten Xacpv-rj fiir SacpvYj nach Hesychius. Derselbe hat ein Wort, welches wegen der Ab- leitung mit r nahe an das lateinische heranreicht: Soapeia1 4j Iv TOI? TejjLTreot Sdcpvfj. Wenn das griechische aus einer asiatischen Sprache stammt, dann ist naturlich alle Bemtihung um etymologische Erklarung aus dem Griechi- schen vergeblich. Auch jxupto? (fxupoivv), jxoppivifj, fxopivfj) ist, weil von fxupov, fxuppa, ojxupva nicht zu trennen, ein orientalisches Wort. In der altesten Zeit wurden die Straucher, deren Blatter und ausschwitzendes Harz zu Wohlgeruch dienten, nicht genau unterschieden. Zu den im Texte angefiihrten Stellen ist noch Serv. ad. V. A. 3, 23 zu fiigen, wo Myrene, ein schones Madchen, Priesterin der Venus, weil sie einen Jungling heiraten will, von der Gottin

Anmerkungen. 591

in eine myrtus verwandelt wird. Dass im Namen der Myrrha, der Tochter des Cinyras, der Begriff Trauer steckte, wie Movers 1, 243 wollte, 1st nach •dem Obigen nicht glaublich [vgl. hierzu oben S. 235].

57. S. 227.

Schneider zu der ang. Stelle des Theophiast bemerkt: is (Plinius} igiiur <mi plura in suo libro scripta legit, aut aliunde inseruit Mithridatis nomen. Aber den Namen des Mithridates konnte Plinius doch nicht in seinem Exem- plar des Theophrast finden, der zweihundert Jahr vor Mithridates lebte. Beispiel gelehrter Zerstreutheit !

58. S. 231.

Sollte nicht umgekehrt der griechische Name TCU^O? erst von den Pro- dukten der feineren Holzteehnik und der Kunstschreinerei auf den Baum tibergegangen sein? Dass das Wort zu rctuaow gehort, dariiber kann kem Zweifel sein; der zu Grunde liegende Begriff kann aber nicht biegsam sein, wie Benfey im Wurzelworterbuch vermuthet, denn der Buchsbaum zeigt gerade •die entgegengesetzte Eigenschaft, ebenso wenig der des krausen, krummen Strauches, wie Grimm wollte, denn Trroaocu sagt gerade das Gegentheil aus: falten, schichten, ftigen, zurechtlegen, aus Tafeln zusammensetzen. Schon Homer hat TTTD^S? fiir die Lagen des Schildes, sv Tuvaxc UTOXTUJ fiir die Doppel- tafel, auf deren innerer Flaehe Zeichen eingegraben waren, Pindar OJJLVWV TCTo^aic fiir die wie bei kunstreichen Gefassen in einander greifenden Fugen •der Gesange u. s. w. Hat der Baum von solchen aus seinem Holz gefugten Kisten und Tafeln den Namen, so folgt, dass der Handel diese, sowie vielleicht Blocke des rohen Materials, den Griechen zufuhrte, ehe der Baum selbst ihnen zu Gesicht gekommen war, eine Bestatigung der im Text geausserten Ansicht. Der Name KuToupo?, Kotwpov konnte griechisch, nicht barbarisch sein, wenn namlich darin in aolischer Form das sehr alte Wort steckt, welches 3,1s vumvoc; bei den spateren Griechen den Oleaster, bei den Lateinern als cotinus irgend einen Strauch in den Apenninen bedeutete, bei den Sinopeern aber vielleicht den auf dem Gebirge wachsenden buxus bezeichnete [vgl. hierzu oben S. 235 f.J.

59. S. 237.

Benfey, 2, 372. Das m des semitischen rimman ging »durch eine sehr natiirliche Umwandlung« in das griechische Digamma iiber. Hesychius kennt noch fiir eine Sorte grosser Granatapfel den Namen ptjx^at. (Wenn freilich, was er hinzusetzt, das Wort laute besser ^pt^ai, und die vorausgehende Glosse: it|x^pa'.- £oiai. AloXsc? sicher ware, so wiirden andere Vermuthungen Platz greifen.) Dasselbe semitische Wort steckt vielleicht [?] im ersten Theil von opo^ax^o? (Schol. ad. Nic. Ther. 869: Xrfeioa 8e ojjioitoi; YJ ^avS-Yjotc TWV potaiv oder opo{3obi)(Yj (Hesych. opo^avc^i]' ^otavv] Tt<;. ol §s TY]? pota? toui; 08? evict xDttvoo?). Kunvo? gilt auch fiir die Bliite, aus der sich die Frucht entwickelt, Schol. ad. Nic. Alex. 610: xonvov cpaot TO avd-oc !•?) «irsp a5^^ev poia Ytvstat. Zu den Versen des Nicander, Alex. 489: Ppoxoi S' aXXots xaprcov aXt? cpoivcuBsa oiSYjc; Kp-qatSoc, o?va)TC7]C TS v.al 4jv ITpofjisvetov licooot

592 Anmerktiugen.

bemerkt der Scholiast: olvcojtY]?* e!§o? £ota<; v.al olvaSo?. xal upojjivsiov 5' e!So? poiac, u)v6jj.aas 8' aotvjv &TCO Ttvo? [Ipopivoo KpYjtoc;. Bei ai^Sf] erinnert Pott EF.2 4, 81 an das persische s§b=pomum, malum. Von dem Namen der Bliite ffoXaoauov (wohl auch ein orientaliches Fremdwort, s. Low. Aramaische Pflanzennamen^ S. 364) stammt bekanutlich das italienische balaustro, balaustrata u. s. w. und also auch unser Balustrade [vgl. hierzu oben S. 243 f].

60. S. 242.

Fiedler (Reise, 1, 625) erzahlt: »Als Konig Otto 1834 an den Thermo- pylen war, brachte ein altes Mtitterchen einen stattlichen Granatapfel und wiinschte dem Konig so viel gluckliche Jahre, als Kerne sich darin befanden.« Dies erinnert an Herodot 4, 143: Als Darius einen Granatapfel offnete und gefragt wurde, von welchem Ding er eine so grosse Anzahl wtinsche, als Kerne in der Frucht waren, erwiderte er, so viel Getreue, die dem Megabazus glichen^ und das werde er noch hoher schatzen, als Griechenland unterworfen zu seheu. Dieselbe Geschichte erzahlt Plutarch (Regum et Imp. apophthegm, in.), aber mit Bezug auf Zopyrus.

61. S. 260.

Solche xptva werden auch die Lilien sein, die man auf assyrischen Bas- reliefs gefunden haben will (G. Rawlinson, the five great monarchies, 1, 440), sowie diejenigen, nach deren Bilde die Saulenkuliufe des salomonischen Tempels gearbeitet waren. Auch die xptva, die Phidias auf dem Mantel des olympischen Zeus angebracht hatte (nach Pausan. 5, 11, 1 wenn es mit dem Text seine Richtigkeit hat), sind nicht als lilia Candida, sondern als stilisirte, allgemeine Blumenformen zu denken. Die agyptischen, rosenahnlichen, im Flusse wachsenden xptvsa werden als Nymphaea Nelumbo L. gedeutet.

62. S. 250.

Ueber £o8ov, ^poSov und die identischen Worter im Armenischen, Kur- dischen u. s. w. siehe die Citate bei Pott EF.a 2, 817. Das armenische vard fiihrt nach Spiegel (Beitrage 1, 317) auf ein altpersisches vdreda, aus dem, mit Verlust des schliessenden d, auf regelmassige Weise das heutige, schon im Huzvaresch vorkommende gul, die Rose, entstand. Auch Spiegel bestreitet die semitische Herkunft des Wortes. Fiir unzweifelhaft persisch muss Xeiptov = persisch laleh die Lilie (Benfey 2, 137) gelten [vgl. hierzu oben S. 258 f.]. Susa, die Winterresidenz der persischen Konige, sollte von dem Lilien- reichthum der Gegend den Namen haben, denn persisch oooaov = griechisch xptvov.

63. S. 251.

Rosa nach Pott aus poBea, Rosenstrauch, wie die italische Volkssprache Clausus aus Claudius u. s. w. machte. Nur mochten wir statt des Substan- tivums po^ea, wo zugleich ein Begriflfsiibergang vorausgesetzt wird, lieber da& Adjectiv poSea, £o8ta zn Grunde legen. Die Rose heisst seit alter Zeit poSsa xaXo^, schon im Hymnus an die Demeter; xdXo£ namlich zum Unterschied der edlen gefiillten Rose von der wilden. Dies war so gewcVhnlich, dass auch v.aXo£ allein schon ftir Rose gait, daher 7taXoxum<; N6fx<fY) und xoopf), die Nymphe oder das Madchen mit den Rosenwangen. Umgekehrt aber liess auch wohl

Anmerkungen. 593

die Volkssprache das Substantiv weg und sagte bloss vj £o&ea = rosa [vgl. hierzu oben S. 258]. Die Macedonier batten nach Hesychius ein eigenes Wort fiir Rose: a(3afva* poSa; Macedonien war ja fur den europaischen Welttheil auch das Vaterland dieser Kulturpnanze. Bei Zeuss2 p. 1076 findet sich fur rosa ein altkorniscbes Wort breilu (kambrisch &m7a, breilw), dessen Deutung und Verwerthung fiir die Kulturgeschichte wir genaueren Kennern dieser Sprache iiberlassen miissen. Ebenso dunkel ist p. 163 die kambrische Glosse: jfuon (rosae). Lilium statt lirium ging aus dem Streben nach Assimilation hervor; die neulateinischen Sprachen fiihlten hier umgekehrt das Bediirfniss nach Dissimilation und sagten giglio, lirio u. s. w. Das spanische und das portu- giesische azucena fiir weisse Lilie stammt aus dem Arabischen und ist also urspriinglich eins mit dem alttestamentlichen susan, Susannah, und dem Worte, das nach Stephanus von Byzanz dem Namen der persischen Hauptstadt Susa zu Grunde liegt. Die Araber waren Garten- und Blumenfreunde. Die Neu- griechen haben das Wort aufgegeben und sagen: die dreissigblattrige, Tp-.avT-xcpoXXea (Fraas, Synopsis, p. 76, ahnlich schon die spateren Griechen, s. Langkavel, Botanik der sp. Gr., S. 7), welches Wort auch ins Albanesische uberging ; die Lilie, xpivoc, fiihrt ungefahr den alten Namen, dessen sich auch die Walachen bedienen und den die altslavische Kirchensprache gleichfalls adoptirte.

64. S. 256.

Vergl. das ausfiihrliche Werk: M. J. Schleiden, Die Rose. Geschichte und Symbolik in ethnographischer und kulturhistorischer Beziehung. Leip- zig 1873, 8°.

65. S. 267.

Spater haben Hartmann in der Zeitschrift fiir agyptische Sprache 1864 S. 21 und Ebers, Aegyten und die Biicher Mose's, 1, S. 267 vermuthet, es konnte wohl aus irgend einem uns unbekannten Grunde den agyptischen Malern verboten gewesen sein, Kameele abzubilden, aber wenn das Kameel in Aegypten vorhanden gewesen ware, dann hatte es nicht in gauz Nordafrika bis auf die Romerzeit gefehlt, s. Barth, WTanderungen, S. 3 7. Auch die Huhner, auf die sich Ebers beruft, sind ein spat eingefiihrtes Kulturthier, s. unten den Abschnitt vom Haushahn. Auf die Dromedarknochen , die bei Bohrungen im agyptischen Boden neben anderen Thierresten augeblich gefunden worden sind, ist als auf ein viel zu vages und tausend Mdglich- keiten unterliegendes Argument vorlaufig noch nichts zu bauen. So bleibt es dabei, dass zu der angenommenen Zeit der Pharao dem Abraham noch keine Kameele geschenkt haben kann, wahrscheinlich aus anderen Griinden auch keine Esel, wahrend das Pferd, das zwar in Aegyten erst eingefiihrt ist, aber in einer Zeit, die den jiidischen Erinnerungen und Aufzeichnungen lange vorausging, unter den Geschenken uicht fehlen durfte [vgl. hierzu oben S. 279].

66. S. 268.

Movers, Phonizier, Th. II zu Anfang, ist der umgekehrten Meinung und leitet den griechischen Namen des Landes, 4] <I>oivntYj, von <potvt£ Dattelpalme ab, da Phonizien, Palastina, Idumaa und Syrien bei den Alten fiir palmen-

Vict. Helm, Kulturpflanzen. 7. Anfl. 3g

594 Anmerkungen.

reiche Lander galten. Allein, was wird dann aus <poivi£ Scharlach, welches Wort doch offenbar denselben Ursprung hat? Gesenius, der geneigt war, <poivi£ Purpur zum Ausgangspunkt zu nehraen (Monum. phoen. p. 338), konnte doch wenigstens eine leidliche griechische Etymologic (<pov»i, <po'.vo$ u. s. w.) fiir sich geltend rnachen. Wie aber soil c?otvi£ Palme aus dem Griechischen sich erklaren lassen? Dazu kommt der entscheidende Grund, dass Homer die Phonizier langst als ein die Meere befahrendes, Handel und Seeraub treibendes Volk kennt man erinnere sich nur der Lebensgeschichte des gottlichen Sauhirten Eurnaus , von der Bewunderung der Palme auf Delos aber noch erfiillt ist. [Griech. Ooiv:^ entspricht nebst lat. Poenus wahrscheinlich dem agyptischen Fenchu, das sich aber im Semitischen nicht nachweisen lasst. Das Land heisst agyptisch Kaft, Keftu. Vgl. jetzt ausfiihrlich iiber <J>oivi£- Poenus E. Meyer, Geschichte des Alterthums II, § 92.]

67. S. 269.

Plin. 16, 240: Palma Deli ah ejusdem dei (Apollinis) aetate conspicitur. Also die delische Palme stand noch zu Plinius Zeit: da nun die natiirliche Lebensdauer der Dattelpalme nicht so weit reicht und seit Odysseus Zeiten mehr als ein neues Exemplar das alte hat ersetzen miissen, so mag uns dies in andern Fallen, wo lange dauernde Baume gleichfalls von der mythischen und heroischeu Epoche abgeleitet werden, vorsichtig machen.

68. S. 274.

Gesenius im Thesaur. S. 345 findet im griechisch-lateinischen Palmyra eine Wiedergabe halb nach dem Sinne, halb nach dem Klange, ohne eine solche Halbirung durch irgend einen Grund wahrscheinlich machen zu konnen. Die Homer werden bei Eroberung Asiens den Namen doch schon vorgefunden haben, die Griechen des Seleucidenreiches aber konnten bei einer Ueber- setzung sich nicht des lateinischen palma bedienen. Movers 2, 3, S. 253 sagt: »den Namen Palmyra halte ich fiir eine Corruption von Tadmor.« Da aber ganz dieselbe Corruption bei dem altlateinischen Worte palma eintrat, so wird dieselbe wohl einen andern Namen bekoramen miissen Der Ueber- gang des d oder t in I vor einem m liegt ubrigens nahe, vergl. z. B. xadfiia, xa&fieia mit dem romanischen calamine, giallamina, deutsch Galmei, oder Patraos, jetzt Palmosa, oder arab. pers. elmds, russ. alma*, der Diamant, aus GcSdnac, oder den Flussnamen'zendisch HaStumant, griechisch Eiymandros, rait dem heutigen Hilmend u. s. w. [vgl. hierzu oben S. 280 f.].

69. S. 274.

Dies oiraSt£ orcdSixos beide Vokale sind lang ist insofern ein merk- wurdiges Wort, als es ganz in die Bedeutungen von 906/1$ eintritt. Es be- zeichnet den Palmenzweig angeblich mit der daran hangenden Frucht, dann die rothe, rothbraune] Farbe, endlich auch ein musikaltsches Instrument. Gellius 2, 26 erklart das Wort fiir ein dorisches: spadica enim Dorici vacant avulsum ex palma termitem cum fructu also nicht die mannliche Blutenrispe, die ojtdftf], eher die Datteltraube ; nach Plutarch. Symp. 8, 4, 3 bedeutete es den Palmenzweig, d. h, das Blatt, mit dem der Sieger gekront wird: 8oxu> JAOI jxvY)|Aoveuetv Iv TOC? 'Attixoi? &VSYVU>XW? evaYXQ?, oil Tipuito? Iv A-fjXci)

Anmerkungen. 595

&Y&va Ttotuiv iresoitaoe xXaSov TOO ispoo cpo^vtxo?' YJ xal aitd8i£ u>vofAaa$"/). Eine kiirzere Form erscheint bei Hesychius: orca* to tpotov TOO cpoivixo?. Unter den Lateinern braucht das Wort Vergil von der braunen Farbe der Pferde, die sonst mit badius, ital. 60/0, franz. &ow bezeichnet wird, Georg. 3, 82:

honesti

Spadices glaudque: color deterrimus albi.

Die Alten leiteten es von arcdco ab, wie die obigen Stellen des Gellius und Plutarch lehren; es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass es ein Lehnwort aus dem Semitischen ist. [Doch liegt ein Anhalt fur diese Anschauung Hehns unseres Wissens nicht vor.] Eine spatere Benennung fiir Palmzweig: {Sat?, [Satov, die im Neuen Testament gebraucht ist, stammt aus Aegypten: alt- agyptisch bd, koptisch p-rjt, s. Cha.mpollion, gramm. e*gypt. 1, p. 59. Benfey 2, 369. [Wiedemann. Samral. ag. W. bau\ vgl. auch oben S. 281]. Der eigent- liche lateinische Ausdruck ist das schon oben bei Gellius vorgekommene termes, wie die Stelle Ammian. Marcell. 24, 3, 12 lehrt: et quaqua incesserit quisquam, termites et spadica cernit adsidua, quorum ex fructu mellis et vim conficitur abundantia. Es wird vom griechischen tspjxa [= termo, terminus] abgeleitet sein und den als Siegespreis am Ziel aufgesteckten Zweig be- deutet haben.

70. S. 282.

Cypern, die alte Station der Seefahrer, erhielt den Namen von den Cypressen, die dem nahenden Schiffer von fern winkten, oder deren Holz von hier ausgefuhrt ward. Bekannt ist, wie auch sonst Inseln nach Baumen benannt sind, z. B. die Pityusen bei Spanien von der Fichte, TCITOC, oder Madeira vom Bauholz, a materie [vgl. hierzu oben S. 288]. Bitter, der am Anfang seiner schonen Monographic annimmt, die Cypresse habe in Afghanistan ihre wahre Heimat, und von hier aus sei sie mit dem alten Glauben ur- spriinglich ausgegangen, ist spater doch wieder geneigt, den Baum auch in Phonizien, in Kanaan, ja auf den agaischen Inseln fiir einheimisch zu halten (S. 577). Wurde aber dann wohl die Einbtirgerung in dem verwandten Klima Stiditaliens (s. weiter unten im Text; so schwierig gewesen sein, und wtirde dort der Baum an Wuchs und Kraft so merklich zurtickstehen? Letztere Erscheinung erklart ^ich leicht, wenn wir eine lange, von Afghanistan aus- gehende, allmahlig abnehmende Beihe voraussetzen, deren letztes Glied nach Nordwesten das Apenninenland ist. Auch dass die Insel Kreta in die urspriing- liche Verbreitungssphare eines Baunies, der in Griechenland selbst fehlte, ein- geschlossen gewesen sei, ist bei der Aehnlichkeit der Naturbedingungen hier und dort nicht glaublich. Die Cypressen auf dem Libanon mogen imponirend gewesen sein, da sie sich aber mit den Biesen im "Westgebiet des Indus nicht messen konnten, so erscheinen sie doch nur als secundar und von diesen abgeleitet [vgl. hierzu oben S. 288—289].

71. S. 285.

Auch sonst sind die Ursprungssagen von Psophis (bei Pausan. 1. 1. und Steph. Byz. s. vv. O^eia und ^Fuxpi;) bedeutungsvoll. Die berichtete Ver- anderung des Namens deutet, wie bei Kyparissia in Phocis, auf den Eintritt einer neuen Kulturepoche : der Ort, der friiher <!>%£«*, $irrfta, d. h. Eichen-

38*

596 Anmerkungen.

oder Buchenstadt hiess, und wo Alphesiboia, d. h. die Rinderbringende oder Rindernahrende waltete, wurde beim Uebergang zu veredelter Baumzucht Psophis genannt; Psophis aber war die Tochter des sikanischen Ko'nigs Eryx und gebar von Herakles, dern wandernden Vollbringer von Kulturwerken, den Echephron und Promachus. Auch hier, wie in der Sage von Meleager, tritt das einbrechende Waldleben in Gestalt des die Garten verwiistenden Ebers auf, der von Herakles bezwungen wird. Das Halsband und der Peplos der Harmonia (Movers, 1, 509 ff.), die Psophis als Tochter des Eryx, die Ver- ehrung der Aphrodite Erycina bei den Psophidiern, endlich die Cypressen oder Jungfrauen am Grabe des Alcmaon deuten unverkennbar auf phonizischen Einfluss. Auf welchem Wege dieser gekommen war, lehrt die Verkntipfaug rait Akarnanien (in dieser Landschaft lag ein anderes Psophis; nach Akar- nanien zog Alcmaon, gab dern Lande den Namen und kehrte von daher wieder) und mit Zakynthos (wo die Burg Psophis hiess und von dem Pso- phidier Zakynthos, dem Sohne des Dardanos, gegriindet sein sollte), also mit den Sitzen der Teleboer und Taphier, beide vom Leleger stain me, die wie es scheint, zuerst von Griechenland aus uach Sicilien schifften. Zum Bergbau musste der Ort Psophis friihe einladen, zufolge der eigenthumlichen Lage des Berges, die von Polybius 4, 70 genau beschrieben wird. E. Curtius (Pelo- ponn. 1, 400) vermuthet, eine Verwandlungssage habe sich an die psophidischen Cypressen angeschlossen. Dass in der Cypresse eine weibliche Gottheit wohnt, und dass umgekehrt die Jungfrau mit der Cypresse verglichen wird, ist religiose und Dichtersitte im Orient von der altesten bis auf die gegenwartige Zeit, Goethe im Westo'stlichen Divan:

Verzeihe, Meister, wie Du weisst,

Dass ich mich oft vergesse,

Wenn sie das Auge nach sich reisst,

Die wandelnde Cypresse.

An der Cypresse reinstem, jungem Streben,

Allschongewachsne, gleich erkenn' ich Dich.

Ueber die Cypresse als mystisches Attribut handelt vom kunstarchaologischen Gesichtspunkt in Weise Creuzers die Schrift von Lajard: Hecherches sur le culte du cypres pyramidal ches Us peuples civilises de Vaniiquite, Paris 1854, in 4°. Die bei den Alten zerstreuten Ziige des Mythus Vom Kyparissos, dem Liebling des Apollo, fasste zur Erlauterung eines pompejanischen Gemaldes Avellino zusarnmen: il miio di Ciparisso, Napoli 1841, 4°.

72. S. 286.

Wir kOnnen es uns nicht versagen, zu dem Ausdruck des Plinius: dotem filiae antiqui plantaria appellabant folgende Stellen aus Hebels Schatzkastlein herzusetzen: »Wenn ich die Wahl hatte, ein eigenes Kiihlein oder ein eigener Kirschbaum oder Nussbaum, lieber ein Baum.« »So ein Baurn frisst keinen Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nahrenden Saft der Erde und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein und frisches aus der Luft und schtittelt die Haare im Sturm. Auch konnte mir das Kiihlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kind und Kindes- kinder mit seinen Bliiten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen.« - »Wenn ich mir einmal so viel erworben habe, dass ich mir ein eigenes

Anmerkungen. 597

Gutlein kaufen und rueiuer Frau Schwiegerm utter ihre Tochter heiraten kann und der liebe Gott bescheert rnir Nachwuchs, so setze ich jedein meiner Kinder ein eigenes Baumlein und das Baumlein muss heissen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Ver- mogen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen und immer schOner werden und wie nach wenig Jahren das Biiblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht.« Bei den Arabern in Spanien herrschte die Sitte, bei Geburt eines Kindes ein sog. Silo in den Boden auszugraben, mit Getreide zu ftillen und dann luftdicht zu bedecken. Das Korn hielt sich viele Jahre in diesem unterirdischen Behalter und bildete des Kindes Eigenthum, wenn dieses erwachsen war, s. Murphy, the history of the mahometan empire in Spain, p. 262 der sich dafiir auf Jacob's travels in the south of Spain beruft. Derselbe, nur wie billig barbarisirte, Brauch gait bei den Kleinrussen am Dniepr: bei Geburt einer Tochter wurde ein Fasschen Branntwein in die Erde vergraben, dann bei der Hochzeit des Madchens hervorgeholt und von den Gasten mit Jubel geleert wobei natiir- lich dafur gesorgt war, dass noch andere und wieder andere mit jungerem Inhalt gefiillte Eimer oder Fasser die begeisterte Wuth unterhielten.

7B. S. 295.

Russisch Uen, poln. klon, Czech. Men, lit. ktiwas der Ahorn; altn. hlynr, hlinr (Schmeller 2, 465), mhd. liriboum, Umboum, nhd. die Lehne; altkornisch kelin, cambr. kelyn, armor. Men, kelennen (Zeuss8 p. 1077); mlat. clenus. Zu diesem nordischen Wort halte man die Stelle des Theophrast h. pi. 3, 11, 1: iv JJLEV §Y] (ye'vo?) tcp xoivip TtpooaYOpeuouoi o<pe'v3a}j.vov , i'tspov %k Cofiav, Tp£TOV §x xXivotpo^ov, to; ol Ttspl St^ipa. Dies war der Name bei dem Landvolk um Stagira, wie Theophrast wohl aus dem Munde seines Lehrers wusste: vielleicht drflckte die zweite Halfte des Wortes, nach dem Anlaut ip zu schliessen, den Begriff Baum aus. Ein anderes macedonisches Wort -(Xetvov, -(llvov (oder "fXscvcx;?), Theophr. 3, 3, 1: o^svSajivoc, YJV Iv jxlv tu> opet rcscpuxoiav ^(av xaXooatv, ev §£ ttj) TtsS'.u) YXscvov, 3, 11, 2: xaXouot S' a5tY]V evtot ^\sl\iov, 06 ocpsv^apivov, muss mit den obigen Ausdriicken verwandt sein. [Vgl. jetzt auch G. Meyer, Idg. F. I, 325]. Das lateinische acer, aceris (fur acesis) scheint eins mit av.aoTo<;- •/] ocpEvSapivo? bei Hesychius. Bekannt ist, dass unser Ahorn (o wegen des An- klangs an Horn) aus dem Lateinischen acer oder eigentlich aus dem Adjectiv acernus gebildet ist; aus dem Deutschen stamrnt wieder das slavische javor. [Vgl. tiber diese Worter jetzt H. Osthoff Etymologische Parerga I, S. 181 ff. Auch nach ihm hangt ahd. ahorn natiirlich durch Urverwandschaft zu- na'chst mit lat. acernus zusamraen. Das r am lat. acer aber sei urspriinglich und ginge also nicht auf s (*aces-is) zurtick, wie auch griech. axaoro? aus *axap-a-:o? hervorgegangen sei. Den Zusammenhang von ahd. ahorn , lat. acer, griech. axaato? mit acies, acus u. s. w. (s. u.) halt er aus lautlichen Griinden fiir nicht wahrscheinlich.] Ein echt slavisches Wort repina fQr Ahorn (auch albanesisch) ist von rlpij der Stachel gebildet, wie lat. acer und griech. o£6a von der Wurzel ak scharf sein (W. Tomaschek in der Zeitschr. f. d. 6'sterr. Gymn. 1875. S. 529).

598 Anmerkungen

74. S. 304.

Oder bestand nur die Zunge an der Wage aus einem Stiick Rohr? oder war das Mess en mit dem Rohr das Erste, und wurde der Name des Rohres in der Bedeutung Norm erst von daher auf die Wage ubertragen? [Eine urverwandte Benennung des Schilfes und Rohres liegt in altsl. trus-ti lit. truszis vor, die aber mit griech. Tpotavv], lat. trutina, wie H. glaubte, kaum zusammenhangen.]

75. S. 844.

Wir fiigen hier zur genaueren Ausfiihrung des im Text Gesagten noch einige sprachliche Bemerkungen an, wie sie uns gelegentlich sich ergaben.

Fr. Beckmann will in einer gelehrten Abhandlung tiber »Ursprung und Bedeutung des Bernsteinnamens Elektron« (in der Zeitschr. fur die Geschichte und Alterthumskunde Ermlands, I, Mainz 1860, S. 201 ff. und 633 ff.) sowohl den -/jXextcup Tirepuov als das YJXextpov und den aXextputuv von &Xsxw, a\s^'» ab- leiten, so dass alien diesen Benennungen der Begriff des Abwehrens zu Grunde lage. Ob nun mit der Bezeichnung ^Xextiop der Gott urspriinglieh als strahlend oder als abwehrend (etwa wie 'ArcsXXwv) gedacht worden, ist fiir unseren Zweck gleichgiiltig, der Bern stein name aber wurde sicher erst nach dem des Sonnengottes gebildet. Dass in spateren Zeiten das Elektron auch als phantastisches Heilmittel und wunderkraftiger Talisman gebraucht wurde, will gar nichts sagen, denn dasselbe geschah mit tausend andern Natur- objecten und namentlich mit alien Edelsteinen. Ebenso wenig hatte die gemma alectoria eine behutende oder abwehrende Kraft: sie half den Athleten nur desshalb, weil sie angeblich im Magen des Halmes sich fand und dieser ein streitbares Thier, SXextpoouv jAdj(ifjio<;, ist.

Das lateinische gallus, gallina stellen Pott und Leo Meyer mit dem griechischen orp(iXXu>, a^c\o<; zusammen, welches dunkle Wort im Griechischen selbst nur als Rest einer verschollenen Wurzel erscheint. Dass noch um das Jahr 500 vor Chr. in Italien aus einem dort sonst nicht erhorten Verbum der Art kurzweg das Wort gallus gebildet worden, ist schwer zu glauben. Wahrscheinlicher hat daher Curtius vermuthet, gallus sei eine Assimilation von gar-lus aus garrio, p)po«>. Allein auch gar-lus ware eine zu alterthiimliche Bildung, da die Wurzel hier ohne das ihr langst angewachsene Suffix, wie in garrulus, erschiene. Dazu kommt, dass garrire nie von der Stimme des Hahnes gebraucht wird, wie auch im Griechischen ftip&iv nicht. Vergleicht man das lateinische galla, der Gallapfel mit dem gleichbedeutenden griechi- schen XYJXIS, so kann man sich der Vermuthung nicht erwehren, auch in gallus stecke ein assimilirter Guttural, und der Vogel sei onomatopoetisch als der gackernde so benannt worden. Hesych. xaxa xaxt'a Y) opveov. [Indessen wiirde man bei einer Grundform gac-lus die Bewahrung des inlautenden c er- warten. Vgl. oben S. 136. O. Keller (Lat. Volksetymologie S. 51) und F. Marx in der Beilage zur Allgem. Z. 1897 Nr. 162, 163 S. 16 vermuthen volksthumliche Vermengung mit Gallus Gallier, vgl. Welscher, Indian; doch fehlt fiir die Annahme einer Einfiihrung des Haushuhns aus Gallien jeder Auhalt. Die Curtius'sche Deutung diirfte daher, unter der Annahme, dass gallus ursprtiuglich einen anderen Vogel als den Haushahn bedeutete, immer

Anraerkungen. 599

noch die wahrscheinlichere sein, wenn man vielleicht auch eher an ags. ceallian, engl. call (haufig von Vogelstirnmen , auch vom Hahneuschrei gebraucht), altsl. glagolati denken wird. Die Namen des Rabens und der Dohle alb. gal's, altsl. galica, russ. galka haben iibrigens mit letzterem Zeitwort wohl nichts zu thun, sondern gehoren zu serb. galiti se schwarz werden etc. (Miklosicb, Et. W. S. 60, G. Meyer, Et. W. S. 118).]

Das deutsche hana wird allgemein mit dem lateinischen canere ver- glicben, welches Verbum gerade vom Krahen des Hahnes gilt (gallicinium, canorum animal gallus gallinaceus). Dasselbe Verbum ist auch im Altkeltischen vorhanden und zwar, wie das lateinische, als reduplicirendes. Im Griechischen findet sich derselbe Wortstamm in erweiterter Gestalt: xava^-rj, xavdCu>, im schon angefiihrten Verse des Cratinus auch vom Hahn gebraucht: 6X?tyu>vo<; &Xsxtcop. Bedenklich ist nur, dass von dem hierbei vorauszusetzenden Verbum hanan sich weder im Germanischen , noch im Litauischen und Slavischen irgend eine Spur findet, ferner, dass das alteste und echteste deutsche Wort fur den Hahnengesang hruk, hruJcjan lautet, noch bei Goethe, Adler und Taube, vom Girren der Tauben:

Da kommt

Dahergerauscht ein Taubenpaar Und ruckt einander an.

Danach bleibt der Zweifel, ob nicht das deutsche hana irgend ein entlehnter siidlicher Name ist. Wenn irgendwo ein Wort im Gange war, wie das in der Glosse des Hesyehius steckende: Y]i%av&;' 6 ^XexTpoouv (von Gerland als Friih- sanger erklart, Pott EF.2 4, 283), so wiirde das deutsche nicht so auffallend einsam dastehen [vgl. hierzu oben S. 335].

Zu dem armorischen, nordfranzosischen , angelsachsischen coq, coco, liunischen und estnischen kukko, Jcuk stellen wir das zur Bezeichnung der jungen Brut dienende nordgermanische Wort, altn. kyhlmger, ags. cicen, cycen, haufig im Niederdeutschen, von wo es in der Form Kuchlein auch ins Neu- hochdeutsche gedrungen ist. Dasselbe Wort aber erscheint wiederum im alten Griechenland als der eigentlich populare Ausdruck fiir das Singen und Krahen des Hahnes. Sophokles nannte den Hahn xoxxo(36a<; b'pvts (Fr. 718 Nauck.), bei Aristophanes, Cratinus (Meineke 2, 1, 186: xovouSCstv tov aXextpoov' o5x ^vl^ovTat) und Theokrit, volksmassigen Dichtern, ist xoxxoCw, xox*6o8u> die ungezwungeue Bezeichnung fur den Hahnenschrei, deren sich auch die Redner Hyperides und Demosthenes bedienten (Poll. 5, 89). Das oberdeutsche Gockel- hahn u. s. w. mag aus dern Franzdsischen stammen.

Ueber einen ganz anderen Landstrich, namlich die weite slavisch-byzan- tinische Welt, ist ein ahnlicher, aber nicht identischer Name verbreitet: slav. Jcohotu gallus, koJcoSa, koks"i gallina, walachisch coeds, magyarisch kalcas, albane- sisch Jeokos, neugr. XOV.OTO;. Das Sanskritwort JeukJcuta gallus liegt raumlich und zeitlich zu entfernt, um damit in Verbindung gebracht zu werden [vgl. hierzu oben S. 335].

Nur bei einem Theil der slavischen Volker, die sprachlich auch sonst eine besondere Gruppe bildet, findet sich in altsl. pietlu, serbisch pijetao, croatisch petelin, russisch (mit anderem Suffix) pietuch. Dem Sinne nach iibereinstimmend litauisch gaidys (der Sanger, von giedoii singen), und das

600 Anmerkungen.

albanesische JcendJs (vom Verbum kmdfa singen, welches vermuthlich das ent- lehnte lat. cantor e 1st).

Einen keltischen Namen des Hahnes neben cere bietet das kornische Vocabularium bei Zeuss2 p. 1074: chelioc, colyek, altirisch coileach. Zeuss deutet es zweifelnd als salax, p. 849 und 816. Das bei Marcellus Erapiricus (E. Meyer, Geschichte der Botanik, II, S. 312) vorkommende calocatanos = Papaver silvestre fande hier seine erwiinsclite Erklarung (Hahnenblume, wie eoquelicot s. Diez s. v.: nach v. Martens, Italien, 2, 40, hiessen die purpur- violetten Blumen der Campanula Speculum L. in der Gegend von Verona cantagaletti oder cuchetti). [Jaba-Justi S. 339 verweisen auf kurd. kelebab, kelley-shir, qulu ,cog', Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 73 verweist auf griech. *aXeu>, lat. calare.]

Auch an dunklen, ganz vereinzelten Benennungen fehlt es auf euro paischem Boden nicht: so das altkambrische, kornische und bretonische iar, yar die Henne [ir. eirin Huhnchen] und fur den gleichen Begriff das litauisohe wiszia, lettische ivista. Altpreussisch hiess der Hahn gertis, die Henne gerto, der Habicht gertoanax. [Desgleichen in Asien: pers. makian, Pamird. makian, bei den Finnen mordv. saras] osset. vasdg ist wohl der Schreier: scrt. vd$ krachzen, osset. vas vom Hahne gesagt. Vgl. Tomascbek, Centralas. Stud. II, S. 38, Hubschmann, Etym. u. Lautl. d. osset. Spr. S. 31.]

Sicher sind viele der obigen Ausdriicke nur Onomatopoien. Die Erklarung durch unabhangig von einander entstandene Klangnachahniungen reicht indess allein nicht aus. Sie widerlegt sich. durch den Umstand, dass jene Bezeichnungeu offenbar reihen- und zonenweise auftreten, und durch ihre zu nahe Ueberein- stimmung. WSren sie nicht gewandert, sondern auf jedem Boden von selbst entstanden, so wtirde sich eine viel grossere individuelle Mannichfaltigkeit zeigen, denn jedes Volk hort anders und liebt andere Lautcombinationeu. Nichts spricht dagegen ein Nachbar dem andern leichter nach, als Onomato- poien, Interjectionen, Ausbruche des Affects, emphatische und elementare Ausdrticke aller Art. Und wenn der herumziehende Handelsmann oder Arzt diese beiden Hauptmissionare der Kultur unter feindlichen Barbaren und der gefangene Sclave oder das geraubte Madchen den Hahn in ihrer Muttersprache z. B. als Sanger zu bezeichnen gewohnt waren, so werden sie ihn den Barbaren in deren Sprache, wenn sie diese radebrechen gelernt hatten, wohl auch nicht anders benannt und gedeutet haben. So hat sich das griechische xXa>Ceiv. lat. glocire, glocidare (Columella 5, 4: glocientibus: sic enim appellant rustici aves eas quae volunt incubare) wohl auch nicht ohne Hiilfe von Entlehnuug so weit durch alle europaischen Sprachen, auch durch die slavischen, verbreitet.

76. S. 347.

In dem spat auftauchenden nepioTepd die zahme Taube fand Benfey 2, 106 eine Superlativ- und Cornperativbildung von pri lieben, so dass es »sehr verliebt« bedeutete. Wir ziehen vor, an slav. pero penna, prati, pariti volare, zendisch parena, perena Feder, Fltigel , neupers. par, kurdisch per, ahd. farn oder farm, ags. fearn (Farnkraut, d. h. das gefiederte; litauisch und slavisch reduplicirt: lit. papdrtis, poln. paproc, russ. paporot; altgallisch ratis, nach keltischer Art fur pratis, altirisch rath, raifh, altcornisch reden, cambr. rhedyn]

Anmerkungen. 601

zu denken. Das slavische golqbi hat ein zu genau lateinisches Aussehen, als dass es nicht aus der Sprache der Weltherrscher und des Christenthums enlehnt ware, zumal da im litauischen gulbe der Schwan die Form und Be- deutung vorliegt, in der allein das Wort in diesem Osten ursprunglich sein konnte. Die Erweichung des c zu g, auch sonst nicht unerhort, hat kein Gewicht gegen die kultur-historischen Griinde, die ftir die Entlehnung sprechen [vgl. obeu S. 348], Das Litauische weist noch zwei Taubennamen auf, beide, wie es scheint, von nur lokalem Gebrauch: karwelis und balandis. Ich weiss nicht, ob letzteres zum ossetischen baldn (nach dem andern Dialekt balon, baluon [oben S. 348]) gehalten werden darf; es ist auch ins Livische tiber- gegangen (Wiedemann im Bulletin der Petersburger Akademie, 1859, S. 694), wahrend das Lettische und das Estnische ihre Benennungen der zahmen Taube aus dem Germanischen genommen haben, Litauer und Slaven be- nennen den Auerhahn nach der Taubheit: lit. Icuriinys taub und Auerhahn, si. gluchu surdus, russ. glucharj, poln. gluszec, slov. hluchan u. s. w. der Auer- hahn. Da dieser Vogel aber in der Pfalz wirklich wie taub zu sein pflegt, so ist das Verhaltniss von taub zu Taube ein anderes. [Griech. cpdij/, das Hehn mit Pott aus cpepo^ai erklaren wollte, und 'fdboa sind dunkel. Da die Taube die uralte Bringerin des Todes ist, und die cpatta (iiicht die nepwtepd) der furchtbaren Persephone, der Beherrscherin des Hades geweiht ist (vgl. Lorentz a. o. a. O. S. 32), so konnte man daran denken , <pdaocc (: cpovo?, l-rce- cpv-ov) als die »todtende« zu deuten. Aus cpdoaa entlehnt ist das altrussische fasa (Miklosich, Fremdw. in den slav. Sprachen S. 87), wahrend die Beziehungen zu mittelgr. cpapjTe TO atjxa TYJ? cpdao-rjc, mlat. facha, facheta, fdkecha, pers. (arab.) fdkht (s. Pott in Lassens Z. IV, 28) nicht deutlich sind. Eine interessante Reihe geht von scrt. kapota aus. Dieses Wort ward in den iranischen Sprachen urn ein r-Suffix erweitert: pers. kdbutar; dann trat Verlust des in- lautenden p ein: pers. kautar, afgh. kewter und koutery, kurd.kotir etc. (Pott in Lassens Z. IV, 20, Tomaschek, Centralas. Stud. II, 39, Jaba-Justi S. 345, P. Horn, Grundriss d. np. Et. S. 187). Zu diesen Formen tritt dann in Europa das altpr. keutaris Ringeltaube. Altcorn. cudon wage ich zunachst nicht hier- her zu stellen. Altir. chiad-cholum bei Zeuss2 1074 ist ein Irrthum: in der Handschrift steht fiad-cholum wilde Taube (Paul u. Braunes Bd. XV, 548). Altpr. poalis erinnert, wie schon H. hervorhob, an rceXeta. Goth, dhaks Tceptatspd (vgl. acfalla = dhacfalla Taubenfalle in der Lex Salica) ist noch dunkel (vgl. Uhlenbeck Et. W. d. gotischen Sprache und u. S. 602) ; doch kehrt das Suffix auch sonst in germ. Vogelnamen wieder: ahd. "hdbuh, nhd. Jcranich, lerche. Verhaltnissmassig selten sind bei den Namen der Taube onomato- poetische Bildungen wie in alb. vito (neben pelister etc.), den romanischen piccione etc., lat. turtur, griech. tpyYcuv, hebr. tor.]

77. S. 351.

Wenn der Aristoteliker Clytus in seiner Schrift iiber Milet (bei Athen. 12 p. 540) von Polykrates erzahlte, derselbe habe die Producte aller Lander auf Samos zusammengebracht: 6tt6 tpocp-r]<; ta uavta^oS-sv aovdcYsw xuva<; jxev e| 'HTcsipou, alY«<; 8s iv. Sv,6poo, Ix Ss MiX-fj-coo Ttpo^aTa, 6; 8e Iv. StxeXtac, so sieht man, dass der Tyrann sich die Verbesserung der landwirthschaftlichen Thierracen an gelegen sein liess, was ihm dann als tpocptj verdacht wurde, aber fur den Pfau ist aus dieser Nachricht nichts zu schliessen. Dieser kann namlich aus einem

602 Amnerkungen.

eutgegengesetzten Grunde nicht erwahnt sein, entweder well er bereits auf der Insel sich vorfand, oder well er dem Polykrates und den Samiern noch unbekannt war; auch ist er ein blosses Luxusthier, das wobl zu der tpixpYj, nicht aber in den Zusammenhang der okonomischen Bemiibungen desTyrannen passte.

78. S. 352.

Da Antipbon im J. 411 bingerichtet wurde, so wiirden freilich die dreissig und mebr Jahre auf ein friiheres Datum der Bekanntschaft Atbens mit den Pfauen ftihren, als das von uns vermuthungsweise augenommene Jahr 440. Aber die Rede tiber die Pfauen ruhrte schwerlich von Antiphon her und wurde wohl erst nach dessen Tode, wenn auch nicht lange nacbher, verfasst.

79. S. 374.

Ein iiberaus weit durch Europa verbreiteter Name eines Jagdvogels geht von lat. accipiter Habicht aus. Dieses Wort, das entweder so viel als »der scbnell fliegende« (vgl. u>xo-7tsrr]<; vom ?pvj£ bei Hesiod und oben iin Text S. 374 &£owcepiov, schon LXX Habicht), oder (vgl. Holthausen Indog. Forsch. V, 274) soviel als der »Taubensto"sser« (*aci-piter, *aco-: got. ahdks, -piter: lat. pelere) bedeutet, wurde dann volksetymologisch von aceipere abgeleitet und desshalb aucb in der Form acceptor (schon Lucilius, vgl. O. Keller, Lat. Volks- etymologie S. 50) gebraucht. Vgl. die altesten Belege fur accipiter als Jagd- vogel zusammengestellt im Archiv f. lat. Lexicographic IV, 141 u. 324. Eine sehr schwierige Frage ist, ob die romanischen span, azor, prov. austor, frz. autour, it. astore nur aus acceptor, beztiglich aus einem noch weiter ver- stiimmelten *auceptor (auceps) abstammen, oder ob und in wie weit an ihrer Bildung auch das zuerst von Firmicus Maternus iiberlieferte astur Sperber (auch inschriftlich aus Augsburg als Gladiatorenname neben Palurnbus Astir; vgl. 0. Keller a. a. 0. S. 314) betheiligt ist. Vgl. tiber diese Worter neuer- dings G. Korting, Lat.-rom. W. No. 866, G. Paris, Romania XII, G. Baist, Z. f. frz. Spr. u. Lit. XIII, 184 S. Ein Zusammenhang zwischen diesem astur und griech. aatspta-, bei Aristoteles gestirnt, gefleckt, ein Beiname des lepa£, auch selbstandig als Benennung einer Art Raubvogel gebraucht, ist kaum an- zunehmen. Jenes accipiter kehrt aber auch im Sud-Osten Europas wieder. Aus demselben ist alb. k'ift Sperber, Huhnergeier entlehnt; ferner stammt aus lat. *accipitarius ngr. ^^ptipt, 4s'f tlpi epervier, autour, und daraus wieder alb. ksifte'r Habicht. Vgl. weiteres bei G. Meyer, Et. W. S. 226. Hingegen haben nichts rnit accipiter die altsl. jastr<>bu Habicht, nsl. astreb, poln. jastrzqbi u. s. w. zu thun, die Miklosich, Et. W. S. 101 zu slovakisch jastriti scharf sehen stellt. - Ein haufiges mlat. Wort ist capus. Die alteste Erwahnung bei Servius ad. lib. X Aeneid. lautet: Campaniam a Tustis conditam, visa falconis augurio, qua Tusca lingua Capys dicitur, unde est nominata Campania. Dass dieses capus irgendwie mit dem ahd. habuh zusammenhangt, ist sehr wahrscheinlich ; doch sind die Beziehungen nicht klar. Neuerdings (vgl. Uhlenbeck Beitrage XXI, 18) hat man habuh als »Huhnertoter« (*kapo-ghno, *kapo- Huhn in scrt. kapinjala Haselhuhn, vgl. brahma-ghna Brahmanentoter) zu deuten versucht. Ueber das spanische vielleicht aus capus erwachsene gavilan Sperber siehe Diez iin Worterbuch u. G. Meyer, Et. W. S. 406. Ueber falco, girfako, wio. * Ispai und sacer vgl oben S. 375 f.

Anmerkungen. (503

Der litanische und lettische Name wannagas, wannags fur Habicht 1st offenbar dem Germanischen erborgt: es 1st em heiliger Raubvogel, »dem Wan n en an die Hauser ausgehiingt worden, dass er in ihnen niste« (Grimm S. 50), wannoweho, ivannunwechel, lateinisch tinunculus von Una Gefass. Wanne ist das entlehnte lateiuische vannus: Wort und Sitte stammen ans Italien. [? vgl. mein Reallexikon S. 212]. In den im Text angefiihrten Buche von Layard finden sich S. 366 ff. neben ausfiihrlichen und sehr interessanten Nachrichten fiber die Falkenjagd im heutigen Orient auch eine Anzahl dort gebrauchlicher Nainen fiir Arten und Spielarten dee Vogels. Darunter ist tschark wohl das griechische xtpxoc, slav. krecet. Dieser tschark, der gewohn- liche Falke der Beduinen, »greift seine Beute immer auf dem Boden an, ausser dem Adler, auf den man ihn auch in der Luft stossen lasst. Er geht hauptsachlich auf Gazellen und Trappen, aber auch auf Hasen und anderes Wild.« Also Hasenjagd mit Falken, wie bei Ktesias; bei der Gazellenjagd pflegen Wind- hund und Falke zusamnieuzuwirken. [Indessen ist das hier genannte tschark sicher orientalischen Ursprungs, vgl. oben 8. 374 und hat nichts mit griech. xipxo?, slav. Jcrecet weisser Edelfalke zu thun, die beide wohl zu der schall- nachahmenden Wurzel krek, krik (vgl. oben S. 335 kerk} gehoren. Zu den oben S. 376 genannten altarab. saqr Sakerfalke ware noch auf np. sekere, iskere, pehl sakra Jagdhabicht zu verweisen gewesen, die aber von P. Horn, Grdz. d. np. Et. S. 174 aus dem Iranischen selbst erklart werden. Oder ist hier die Quelle des Wortes zu suchen?]

80. S. 386.

Fraas in seiner Synopsis florae classicae behauptet mit Unrecht, die Alien hatten den weissen Maulbeerbaum schon gekannt. Aeschylus spricht nur von weissen, rothlichen und dunkelrothen Beeren, die in verschiedenen Stadien der Reife zu derselben Zeit, tatkou XP^VOU» am Baume hangen; Ovid erklart in seiner Verwandlungsfabel nur den Ursprung der rothen Farbe, wie er z. B. auch das schwarze Gefieder des Raben durch Metamorphose aus dem fruheren weissen entstehen lasst; die Geoponica 10, 69 lehren nur, wie man durch Pfropfen auf eine Xeuxiq, d. h. eine Weisspappel, den Maulbeeren eine weisse Farbe geben konne, ein Kunststuck neben hundert anderen ahn- lichen, von denen diese Saramlung voll ist. Das ganze Mittelalter hindurch ist von Morus alba in Europa keine sichere Spur zu finden, s. Ritter, Erd- kunde 17, 495, der sich vergeblich nach einer solchen bemiiht hat. Auch bei Albertus M. de Vegetabilibus 6, 143 wird nur Morus nigra beschrieben, nicht Morus alba wie der neueste Herausgeber annimmt.

81. S. 393.

Wenn corylus, corulus in lateinischer Weise aus cosilus entstanden und also gleich ahd. hasal und dem von Zeuss2 p. 1077 erschlossenen altgallischen cosl ist, so konnte xaatavov dasselbe Wort in einer pontischen Sprache sein, nnr mit anderem Suffix. Das albanesische afs Nuss, Nussbaum eriimert an die Glossen des Hesychius: apua' ta -/jpaxXecuttxa xdpoa und a5apa' ta novtixa xdpua [vgl. hierzu oben S. 398]. Ueber die romanischen Ausdriicke, ital. mar- ronne, franz. marron weiss auch Diez nichts Sicheres. Nach Movers I, 578, 586 ware ^lAofSaXYj der semitische Name der phrygischen Cybele und bedeutete

(504 Anmerkungen.

grosse Mutter; in der That war der wachsame, d. h. friihbliihende, zuerst aus dem Wittterschlafe erwachende Mandelbauro aus dem Blut der Gotter- mutter entstanden [vgl. hierzu oben S. 395]. Auf eiue einheimisch griechische Ableitung aber fiihrt das lakouische jiuvtfjpo? , fxotkvjpo? = Nuss, Mandel, welches mit dem seltenen lateinischen nuceres, nucerum (gen. pi., Coelius bei Charis. 1, 40) identisch zu sein scheint [?]. Halten wir fxuoaou, (Jto^a, lat. mucus dazu, so war die Bedeutung wohl weiche, schleimige Frucht, wie auch eine Art Pflaume myxa, myxum hiess.

82. S. 402.

Die Mistel, ahd. masc. mistil, war in der Druidenreligion eine hochheilige Pflanze und die doch nur geringen Spuren einer gleichen Anschauung im germanischen Mythus werden wohl nur ein Reflex aus dem Keltenlande sein, zumal da der slavische Volksglaube die Mistel ganz unbeachtet lasst. Eine andere von den Druiden zu aberglaubischer Heiluug gebrauchte Pflanze hiess samolus (Diefenbach 0. E. 416); denken wir uns dieses Wort nachmals seines anlautenden s entkleidet (durch Uebergang iu h), so stimmt es zu dem litauisch-slavischen Namen der Mistel, lit. amalis, emalas, lett. atnuls, preuss. emelno. slav. omela. Franz, griotte, Sauerkirsche, lautet italienisch agriotta und ist folglich von acer abgeleitet; merise Vogelkirsche scheint, wie ital. amarina, amarasca, marasca, auf amarus zuriickzugeheu. Magyarisch heisst die saure Kirsche medgy, der Kirschbanm medgyfa. Woher dies?

88. S. 412.

Neuere haben in diesem Rhododendron des Plinius eine unserer Rho- dodendronarten, wie zuerst Tournefort, oder Azalea pontica finden wollen (s. E. Meyer, Botanische Erlauterungen zu Strabo's Geographic, S. 52 ff. und Langkavel, Botanik der spateren Griechen, S. 65). Man mag nun in Wirk- lichkeit die schadliche Wirkung des pontischen Honigs ableiten von welcher Pflanze man wolle, die Alten verstanden unter Rhododendron immer Nerium oleander und man darf ihnen kein anderes Gewachs unterschieben, von dem sie nicht reden wollten oder konnten [vgl. hierzu oben S. 413 f.J

84. S. 412.

Mit dem neuesten Herausgeber, 0. Ribbeck, an die Authenticity t des Culex zu glauben, hindert uns der Charakter des Gedichts, der viel mehr aberwitzige Ueberreife, als jugendliche Unreife ausspricht. Gleich die Anfangs- verse konnen nur von Einem geschrieben sein, der bereits die Georgica und und die Aeneis, oder wenigstens die Eclogen vor Augen hatte: posterius graviore sono tibi musa loquetur nostra, dabunt quom maturos mihi tempora fructus, ut tibi digna tuo poliantur carmina sensu,

und erinnern an die Rede Friedrichs des Grossen an seine Generale bei Be- ginn des siebenjahrigen Krieges: Jetzt eroffnen wir den siebenjahrigen Krieg! Schon das Wort rhododaphne ist verdachtig; hatte der junge Vergil es gekannt, dann wurden wir es wohl auch bei den Spatern, z. B. bei Ovid, lesen, zumal es so schon in den Hexameter ging.

Anmerkungen. 605

85. S. 414.

So urtheilt Benfey, 2/79, der luoidxY], icwtaxtov als m-ehlreich erklart. Nach der Glosse des Hesychius: j}tata£' 6 (3aotXeo<; rcapa Tlspaa:? wollten Friihere in dem Wort so viel als regiae nuces sehen, wie man xdpoa {BaaiXcxdi fur eine Art Niisse oder Walniisse sagte (persisch pe'shddd, pehlewi peshddtj Pischdadier, zendisch paradhdta). Der Anlaut wechselt iibrigens zwischen -r, <p, p, ja <L; nach Stepb. Byz. lag am Tigris eine Stadt ^rcax-fi, genannt nach den dort wachsenden Pistazien. Auch T^pl^tvftoc, tsppivftoc 1st wohl ein persisches Worf, worauf auch der Wechsel zwischen (3 und JJL fuhrt, der bei persischen Namen im Griechischen einzutreten pflegt. S. Pott, Kurdische Studien, in Lassens Zeitschr. 6, S. 63 f. Das dort angefiihrte kurdische dariben kann doch schwer- licb, da es sich um einen in Kurdistan einheimischen machtigen Waldbaum handelt, aus dem Griechischen entlehnt sein. Polak, Persien, 2, 155: »Kur- distan besitzt neben zahlreichen Terebinthaceen, welche das bekannte Sakkes- harz liefern, grosse Eichenwalder.« [Vgl. hierzu oben S. 423 f.].

86. S. 418.

Die Orangenkultur ist fiir das jetzige Italien ein wichtiger Productions- zweig geworden. Nach einem Vortrag von Langejibach in der Berliner Ge- sellschaft fiir Erdkunde, gehalten am 2. November 1872, fiihrte Palermo im Jahre 1864 22 Millionen Kilogr. Siidfruchte aus, im Jahre 1867 schon 37 Mill., jetzt gegen 60 Millionen. Bei Palermo bringt eine Hectare Agrumi 3600 Franken Bruttoertrag. Die Ausfuhr geht zu zwei Dritteln nach den Vereinigten Staaten.

87. S. 453.

Aelian, freilich kein besonderer Gewahrsmann, erklart das Wort direct fiir ein iberisches, N. A. 13, 15: xovixXo<; ovojjia aotur oox elju 81 TioiTjrty; ovojxdttov, o&ev xal ev rjj8e i~fl aDYYP01^ ^oXdttu) T*/JV liroovujxiav TYJV &p^Yj<;, ^viisp ouvyl|3ir]pe<; o: 'Ecrtlpioi s^svi'5 ol, uap5 ol; xal ybttwt te xal &3tt 7rd|i.n:oXo^. Der iberische Volksstamm, seine Zweige und deren Ausbreitung, seine Sprache in ihren altesten Resten und ihrem heutigen jiingeren Bestande, erwarten noch immer ihren Kaspar Zeuss, der sie, wie dieser die Urspriinge der mitteleuropaischen Volker und die Sprache der Kelten, mit den Mitteln und der Methode der modernen Wissenschaft aus dem Dunkel, das sie bedeckt, emporhobe. Aber die baskische Sprache ist seit W. Humboldt in den Handen franzosischer und spanischer oder einheimischer Dilettanten geblieben; in Deutschland, wo die formale Ausriistung eher zu erwarten ware, hat nur die germanische Ur- geschichte seit Zeuss iippig gewuchert, ohne dass mit wenigen Ausnahmen die Grenzen, die dieser grosse Forscher vor mehr als vierzig Jahren sicher umschrieben hatte, verruckt oder umgeworfen waren. Aus der Flut ent- gegengesetzter Hypothesen und Berichtigungen haben sich »die Deutschen und die Nachbarstamrne« immer wieder hergestellt unter anderen Beispielen nur eins : wo sind die Skythen mongolischen Stammes geblieben und sind sie nicht wieder Iranier geworden, wie Zeuss mit wenigen Meisterstrichen fest- setzte? Der orphische Vers, den Stokes auf die keltische Gramraatik anwandte:

Zso? ^px^lj Zeus }J.eo3a, Aio? 85 ex ^divia Tc'ioxTat

gilt auch fiir jenes ethnographische Werk, das im Hintergrunde blieb, indess die nebenbuhlerische »Geschichte der deutschen Sprache" mehrere Auflagen

Anmerkungen.

erlebte und ihrem Inhalt nach in populare Handbiicher tiberging kein gutes Zeichen! Ware . dies war es, was wir sagen wollten von jener viel- geschaftigen meist vergeblichen Bemiihung etwas mehr den Iberern oder Albanesen [vgl. oben S. 544 f.] zu Theil geworden, einem Gebiet, wo die iiber- einanderliegenden , halbvergrabenen Ruinen die reichsten Entdeckungen ver- sprechen !

88. S. 458.

Was die Zoologie nach dem heutigen Stande der Forschung tiber die ursprungliche Verbreitung des Lepus Cuniculus zu sagen weiss, findet sich in gelehrter Vollstandigkeit in der Monographie von J. F. Brandt : Untersuchungen iiber das Kaninchen u s. w. (Melanges biologiques der Petersburger Akad. der Wissensch. T. 9. 1875). Da die Kaninchen leicht verwildern und dann den ursprunglich wilden so ahnlich werden, dass sich zwischen beiden kein Unter- schied entdecken lasst (S. 481), so ist es nnmoglich, aus ihrer jetzigen Ver- breitung irgend welche Schlusse zu ziehen. Zwar finden sich in Westeuropa von Portugal bis England und Deutschland angebliche oder wirkliche fossile Reste des Kaninchens, die aus der Diluvialzeit stammen , doch das ist lange her und die zunehmende Erkaltung des Nordens brachte dem gegen niedere Teraperaturen empfindlichen Thierchen inzwischen den Untergang. In der historischen Zeit kann es in Griechenland und Italien im wilden Zu- stand nicht gelebt haben, da sonst die Griechen und Ro'mer dariiber nicht geschwiegen hatten; dagegen erscheint es iiberall in iberischen Landen und eng an die iberische Race gebunden. [A. Nehring aussert sich (brief lich) iiber das alteste Verbreitungsgebiet des Kaninchens, wie folgt: »Das Kaninchen hat seine eigentliche Heimat in den westlichen Mittelmeerlandern, namentlich in Spanien und Portugal, sowie, nach fossilen Resten zu schliessen, auch wohl in Italien, Frankreich und Sudengland. Aus Deutschland sind mir keiue sicher bestimmten fossilen Kaninchen-Reste bekannt; nach Deutschland scheint das Kaninchen erst in der historischen Zeit durch den Menschen ge- bracht zu sein.«]

Von dera Tyrannen Anaxilas von Rhegion, der sich auch der Stadt Zankle (seitdem Messaua genannt) bemachtigte, wird berichtet, er habe die Hasen in Sicilien einheimisch gemacht und desshalb einen Hasen auf seine Munzeii gesetzt. Fehlte dies Thier bis dahin auf der Insel? Man konnte an Kaninchen denken, die der Tyrann etwa bei Messina angesiedelt hatte, aber die Miinzen zeigen deutlich einen in volleni Lauf begrifienen Hasen.

Noch ein griechischer Name des Kaninchens Xe(3v)pi<;, den Strabo auf keine Localitat beschrankt (tu>v Yeu>p6x">v tafiSsaw o5? evict Xeph]p(8a<; jipoaaYopeoooot), wird von Erotianus nach dem Grarninatiker Polemarchus ftir massaliotisch erklart: o cPu>}xaioi jiev xouvixXov xaXooa:, MaaoaXidaTat 81 Xe^YjpiSa. Wenn es wirklich ein altgriechisches Wort Xinopt?, der Hase gab, so konnte daraus bei den an der spanischen und provencalischen Kiiste seit friiher Zeit angesiedelten Griechen mit erweichtem Labial ein Xs^-qpt? erwachsen, wie Xe^vjpi? in der anderen Bedeutung Hiilse, Balg mit Xeiceiv schalen, Xono? Schale, Balg ver- wandt ist. Liegt aber nur das lateinische lepus zu Gruude, so hatten wir hier eins der Worter, wie sie in der sicilisch-italiotischen Kolonialsprache vorkameu, namlich einen gracisirten lateinischen Ausdruck, dessen Form durch

Anmerkungen. 607

jenes andere \s$f\pi<; Balg bestimmt wurde, der aber dann nicht ausschliesslicli massaliotisch sein wiirde. Dass laurix, welches in den romanischen Sprachen [doch vgl. ptg. loura Kaninchenhohle] und im Mittellatein verschwunden 1st, in althochdeutschen Glosseu sich wiederfindet: lorichi, lorichin in der Be- deutung cuniculus, ist merkwiirdig genug. Wenn iibrigens laurix nichts als andere Form oder Aussprache von Xef3iqpic ware Raum fur diese Ver- muthung fande sich genug in dem Gebiet der uns unbekannten Mundarten zwiscben Gades und Massilia , dann miisste entweder aucb laurix griechisch- romisch oder auch Xep^pi? ein iberisches Wort sein. Einen hiibschen Bei- trag zur Volksetymologie liefert die litauisch-slavische Entstelluug von cuni- culus: lit. kralikas, russ. korolek, krolik, poln. krolik u. s. w., d. h. kleiner Konig. Der grosse Karl hat es sich wohl nicht traumen lassen, dass sein Name einst jenseits der Oder zur Bezeichnung des Kaninchens dienen wiirde! Vielleicht sind diese Ausdriicke aber nur Uebersetzungen des irn altern Deutsch ge- brauchlichen kuniglein, mhd. kunolt, s. Pott, Doppelung, S, 82 f., Formen, die gleichfalls der Volksetyraologie ihr Dasein verdanken [Sic. Xenopt?, Xep-qpi's ist wohl sicher das lat. lepus, dessen Deutuug Bugge in Bezzenb. B. XIV. 67 versucht. Laurix mochte Tomaschek, Z. f. ostr. Gymn. 1875 mit dem im Canton Tessin gebrauchlichen legorra Alpenhase vermitteln. Engl. rabbit ist dunkel (vgl. Kluge-Lutz English Etymology); das im Text S. 456 genannte lapin mo'chte Grober (vgl. Korting, Lat.-rom. W.) aus dem Germanischen als Thier mit Lappenohren deuten. Lit. triuszkis Kaninchen stellt Miklosich Et. W. S. 363 zu russ. trusii Feigling, Base, Kaninchen. Vgl. noch altfr. conil und ngriech. xoovsXt, v.oovd8c, alb. kunavje Kaninchen.

89. S. 458.

»Als Alkmene, so erzahlt Antonius Liberalis 29, den Herakles nicht ge- baren konnte, weil die Moiren und Eileithyia die Geburt hinderten, iiber- listete die Galinthias (bei Ovid. Met. 9, 306 ff. heisst sie Galanthis) die Gottinnen, so dass die Geburt erfolgeu konnte, und wurde von diesen zur Strafe in ein Wiesel, faX-?), verwandelt. Aber Hekate empfand Mitleid mit ihr und machte sie zu ihrer heiligen Dienerin. Und als Herakles erwachsen war, gedachte er ihrer Hiilfeleistung und errichtete ihr neben dem Hause ein Heiligthum uud brachte ihr Opfer. Diesen Brauch beobachten die Thebaner noch bis heute und bringen vor dem Feste des Herakles zuerst der Galin- thias Opfer.« Bei Aelian N. A. 15, 11 heisst es dagegen: »das Wiesel, habe ich gehort, war einst ein Mensch, tibte Zauberei und Vergiftung und war ziigellos in unerlaubter Liebe; der Zorn der GOttin Hekate verwandelte sie in dieses bo'se Thier. Also habe ich erzahlen horen«. In umgekehrter Wen- dung wird in der Fabel 32 des Babrius das Wiesel von der Aphrodite in ein schones Madchen verwandelt, verrath sich aber am Hochzeitstage als das, was sie wirklich ist, ein Wiesel. Eine Anspielung darauf kam schon beim Komiker Strattis vor, der von 01. 92 bis nach 01. 99 Stiicke auffuhrte (Meineke Fr. com. gr 2, 2. 790).

Diese Verwandlungssage ist weit gewandert und klingt in den Namen wieder, die das Wiesel in vielen europaischen Sprachen tragt. Es heisst das Jungferchen, ital. donnola, neugr. vofxcptka, Schonthiertein, Schondinglein, danisch den kjonne (= pulchra), altenglisch fairy, spanisch comadreja Gevatterin (= commatercula),

608 Anmerkungen.

baskisch andereigerra (andrea = Frau), albanesisch »des Bruders Frau«, slav. nevestuka die Braut oder das Madchen u. s. w. Die Namen in vielen italie- nischen Mundarten gehen auf das lateinisehe bellula zuriick (Flechia im Ar- chivio glottogolico italiano II. p. 47 ff.). Keltische Worter sind ness (Zeuss2 49) und eds (St. ir. gl. 259). Kornisch-bretonische Benennungen bei Zeuss2 1075 scheinen die Begriffe frohlich, geschwind zu enthalten. Dunkle Namen sind portugiesisch iourao, spanisch garduna, litauisch teberiksztis (mehr das braune Wiesel), szarmonys, szermonys (mehr das weisse, identisch mit dem deutschen Hermelin aus Harm [vgl. noch rhatororn. karmuin]), altpreussisch mosuco (deutsch Mosch, Mtisch), albanesisch bukljeza. Sie mogen euphemistische Um- schreibungen enthalten, denn das Wiesel wird wegen seiner Beweglichkeit und seines unterirdischen Thuns als damonisches Wesen empfunden, ein solches aber darf nicht genannt werden, sonst ist es da. Auch mustela, die Mausfangerin, ist aus euphemistischer Ausweichung zu erklaren. Lateinisch felis erscheint in dem kymrischen bele der Marder, woraus franzosisch belette das Wiesel (s. Diez unter diesem Wort und Diefenbach 0. E. p. 259), deutsch Bille, Bilchmaus, ahd. pilih, litauisch pele, altpreussisch peles die Maus, slav. pluchu glis u. s. w. [Da aber felis auf ein urspriingliches faeles hinweist (vgl. Bezzenbergers B. XV, 129), so wird es von cymr. bele zu trennen sein. Das letztere Wort wird entweder mit griech. ^oik^ oder mit ahd. pilih, pilch, nihd. bilch verbunden, so zuletzt von H. Osthoff Etym. Parerga I, S. 185. Doch iibersieht Osthoff, dass die deutschen Wo'rter von Palander Ahd. Thiernamen S. 60 aus guten Grimden als Entlehnungen aus altsl. pluchu angesehen werden. Uebrigens konnte man fur griech. yaXv], falls es von cymr. bele abgesondert werden muss, auch an Beziehungen zu griech. ydXux;, YaXowg Mannes Schwe- ster, lat. glos, phryg. y^apo?, altsl. zluva denken. Bretonisch Jcaerell geho'rt zu kaer schon, alb. bukljeza (bukl'ezs) wird zu alb. bukur schon gestellt; doch vgl. G. Meyer, Et. W. S. 51, wo auch tiber die romanischen Bezeichnungen ge- sprochen wird. Wie auch zigeun. borf Braut und Marder bedeutet, wie ung. menyet zu meny Schwiegertochter gehort, so liegt es nahe, ahd. mard-ar, ags. meard, altn. mordhr (vgl. Bezzenb. B. XV, 130): lit. martl Braut, Schwieger- tochter und altpr. mosuco zu altpr. moazo der Mutter Schwester, lit. mosza des Mannes Schwester zu stellen. Im Altsl. heisst der Marder kuna, Jcunica = lit. kiaune (griech. xaovax-rj? ein Handelswort). Slav, lasa, lasica Wiesel hat wohl mit laskati schmeicheln und russ. lastocka Schwalbe (Miklosjch Et. W.) nichts zu thun. Vgl. weiteres in meinem Reallexicon S. 954 ff.]

90. S. 462.

Fr. Mttller in den Sitzungsber. der philosophisch-hist. Klasse der Wiener Acad., Bd. 42, 1863. S. 250 deutet das zendische, im Vendidad oft vor- kommende gadhwa mit Katze, und Spiegel in Kuhns Zeitschrift 13, 369 stimmt ihm bei. Dagegen ist von Justi eingewandt wordeu, dass die Huzva- resch-Uebersetzung gadhioa mit Hund wiedergiebt und dass die Katze erst im Mittelalter in Asien erschienen ist. In der That kamen sammtliche asiatische Namen des Thiers, sowohl in den semitischen Sprachen, als im Armenischen Ossetischen, Persischen, Tiirkischen u. s. w. in letzter Instanz aus dem byzan- tinischen Griechisch, welches selbst wieder den seinigen dem Lateinischen entnommeu hat. Dass catus in alien romanischen Sprachen vorhanden ist

Anmerkungen. 609

und nur im Walachischen fehlt [doch rum. catusa? vgl. G. Meyer I. F. VI, 117] 1st bedeutsam fiir die Chronologic des Wortes : es trat auf, als Dacien bereits eine Beute der Barbaren geworden und die dortige lateinische Sprache isolirt war. Ueber andere ziemlich weit verbreitete Formen, ital. micio, deutsch Mieze, slavisch macka u. s. w. s. Diez, Weigand und Miklosich unter diesen Western. Wie in Miezchen kleine Marie, im bohmischen macek kleiner Matthias steckt, so heisst in Russland die Katze waska d. h. kleiner Basilius oder mischka, d. h. Michelchen. (S. auch Albert Ho'fer, Deutsche Namen des Katers, in der Germania 2, 168 und iiber den bei Germanen und Kelten weit- verbreiteten Namen Buse, Bise Grimni im Worterbuch). [Auch im Osten und Sudosten Europas: z. B. lit. puiii und alb. piso; ebenso in iranischen Sprachen: np. puSek, kurd. piSih, afgh. pi$o, Pamird. piS etc. (vgl. P. Horn, Grundriss d. np. Etym. S. 72). Nach Tomaschek freilich gehoren diese Worter zu scrt. puccha Schwanz (Centralas. Stud. II, 762), wie arab. Sundrd, aram. hmnara aus griech. oaivoopoc Schwanzwedler. Vgl. auch G. Meyer, Et. W. S. 339 und Hommel, Namen der Saugetiere S. 314. Die Verbreitung des Wortes cattus begreift in sich auch fast alle finnischen Sprachen (Ahlqvist, Kulturw. S. 22), erlischt aber in den turkotatarischen Idiomen, wo nur turk. Jcedi. In Indien heisst die Katze scrt. mdrjdra und viddla. Sie tritt dort als Mausefangerin sehr spat auf. Vgl. M. Miiller, Indien S. 227-234. Merk- wiirdig ist das 'kadis der Nuba-Sprache auf dem Gebiet des alten Aethiopien (Lepsius Nubische Gr., S. 337). Ebenda heisst in anderen Dialekten die Katze sab, womit Brugsch den Namen des athiopischen' Konigs Sabako verbindet.]

91. S. 463.

Wir folgen hier der gewohnlichen Annahme, wonach tasso, taxo, iaxus aus dem Deutschen ins Romanische und Mittellatein gekommen ist. Grimm leitete das Wort Dachs schon in der Grainrnatik 2, 40 vom mhd. Verbum dehsen den Flachs schwingen, linum verier e, eircumagere, ab. Die Wurzel ist idg. teks (oben S. 524); der Dachs ware demnach der Baumeister, der Kiinstler. Bei Aristoteles de gener. anim. 3, 6 begegnet Tpo^oc, in welchem Wort vielleicht nicht sowohl einfach der Laufer, als der Dreher, der Laufer in die Runde zu liegen scheint (vgl. tpoxos das Rad, die Topferscheibe, und der Laufer in der Miihle, bei den Seilern u. s. w.).

Indess bleiben Zweifel, ob^nicht das Wort Dachs vielmehr keltisch und das Thier schon bei den Volkern dieses Narnens popular war. Das Dachsfett, dem ein alter Volksaberglaube besondere Wirkung zuschreibt, wird schon bei Serenus Sammonicus gepriesen:

nee spernendus adeps, dederit quern bestia meles>

wo meles doch nur Dachs sein kann. Marcellns Empiricus verschreibt gleich- falls eine Dosis Dachsfett, adipis taxoninae: also schon im vierten Jahrhundert mtisste das deutsche Wort ins Latein gedrungen sein. Noch weiter zurtick, etwa 100 Jahr vor Chr., weist das Citat aus Afranius bei Isidor. 20, 2: Taxea lardum est gallice dictum-, unde et Afranius in Rosa: Gallum sagatum pingui pastum taxea. Also mit Dachsfett genahrt?

Nicht weiter^ fahren andere Namen des Thieres. Die Englander sagen badger d. h. Komhandler, die Franzosen ebenso Uaireau, d. h. Uadarius, die Italiener grajo (vielleicht = agrarius\ die Skandinaven und Niederlander grSv-

Vict. Hehn, Kulturpflanzen. 7. A^ifl. 39

610 Anmerkungen.

ling, grevinc, d. h. Graber, lauter Euphemismen. Das danisch-schwedische brock lautet auch englisch so und kambrisch und kornisch broch; wenn dies Entlehnung 1st, lief das Wort auf dem bezeichneten Parallelkreis von Ost nach West, d. h. von Skandinavien nach Britannien, etwa niit den Danenzugen, oder in umgekehrter Richtung von den alten Briten zn den Nordgermanen? - Das russische barsuk, poln. borsuk scheint persischen oder tiirkischen Ur- sprungs, wie auch bars der Leopard ein asiatisches Wort ist ; mit dem letztern fallt das magyarische borz der Dachs zusammen. Das slav. javzii und die litauischen Worter: altpreuss. wobsdus, lit. obszrus, lett. apsis sind dunkel, ob* gleich gewiss einst bedeutsam. [Die Sippe brock etc. scheint im Keltischen zu wurzeln: ir. brocc etc. bedeutet »der Spitze» ; vgl. Thurneysen, Kelto-romanisches S. 50 und altgallische Ortsnamen wie Brocomago, Broccomaza = altndd. Thdhs- Mm: dachs. Slav, jazvu gehort zu jazva Hohle, lit. obszrus aber ist von W. ger, altsl. zirq »vorare« abzuleiten (vgl. Miklosich, S. 102 u. 63). Alb. vje'Ztitz Dachs oder Hamster vielleicht: vi&- stehlen (doch vgl. G. Meyer, Et. W. S. 474.)] Unverkennbar ist die spate Einwanderung des Hamsters von Osten. Er fehlt noch in vielen Theilen Dentschlands, ist aber in den kornbauenden Landern Osteuropas haufig. Das russische chomjak, poln. chomik, und noch naher das bei Miklosich verzeichnete chomestaru animal quoddam gaben dem deutschen Hamster, ahd. hamastro, hamistro Entstehung. Auch das russische karbysch Hamster weist den Lauten nach auf eine tataiische Quelle. Alt- preussisch duikis, lit. balesas [riebst staras und szalciias], beide unverstandlich [vgl. hierzu oben S. 469 f.].

92. S. 464.

Dasselbe gilt von der sprachlichen Produktion: die Sprache benutzte den Abstand der hochdeutschen und niederdeutschen Lautstufe, um zwischen Katze und Kater zu unterscheiden, und ftigte mit einer Art Ablaut hinzu : die Katze kiezt, hat gekiezt, d. h. hat Junge geworfen.

93. S. 470.

Das griechische poupaXc?, £ou£aXos ist unzweifelhaft so viel als Reh, An- tilope, Gazelle, nicht ein Thier aus dem Geschlecht der Rinder. Schon bei Aeschylus Fr. 322 Nauck.:

Xeovto^opTav (io6|3aXiv vsaitspov,

die dem Lowen zum Frasse dienende junge Antilope. Denjenigen Thieren, sagt Aristoteles de part. anim. 3, 2, denen das Horngeweih zum Schutze nichts hilft, gab die Natur ein anderes Rettungsmittel, die Schnelligkeit, so den Hirschen, den Antilopen, poupdXot?, und Rehen, Sopxdoi, welche letztere sich zwar zuweilen mit den Hornern zur Wehr setzen, vor den starken Raub- thieren sich aber schleunigst auf die Flucht begeben. Besonders in Afrika sind diese Thiere heimisch. Dort leben nach Herod ot 4, 192 ^ap^oi xai CopxaSs? xal poo^dXte? xal ovoi, und Polybius 12, 3, 5 setzt hinzu: wer hat uns nicht von den grossen Katzen Afrikas und der Schonheit der Antilopen, £oo£dXu>v xdXXo?, und der Grfisse der Strausse, otpooO-wv {XSY^Y), berichtet? In Italien begann das Volk mit diesem griechischen Wort die Auerochsen und Wisente der germanischen Walder zu bezeichnen, die mit dem fluchtigen Rehe nichts gemein haben, Mart. Epigr. 23, 4:

illi cessit atrox bubalus atque bison.

Aumerkungen.

Plinius tadelt dies als Missbrauch, indem er bemerkt, die bubali seien viel- mehr afrikanische Thiere, raehr dem Kalbe und Hirsche ahnlich, 8, 38: quibus (uris) inperitum volgus bubalorum nomen inponit, cum id gignat Africa vituli potius cervique quadam similitudine. Die Verwechselung, die wohl durch den Anklang an bos, bovis in der ersten Halfte des Wortes entstanden war, erhielt sich trotz Plinius in den folgenden Jahrhunderten, wie wir aus Stellen spaterer Schriftsteller ersehen, und als unter den Longobarden die Buffel in Italien erschienen, war der Name ganz fertig. Die Geschichte des Wortes wiirde auf diese Weise ganz natiirlich verlaufen, wenn die slavischen Sprachen nicht storend eintraten und uns irren mochten: slav. byvolu, russisch bujvol, der Auerochs, polnisch bawol, bulgarisch bivol, magyarisch bival, alban. buat, gr. poDpaXo?. »Dass diese Worter zusammengehoren , ist nicht zu bezweifeln: ob aber und wo Entlehnung stattgefunden, mochte schwer zu bestimmen sein« (Miklosich [der aber im Et. W. S. 27 ebenfalls von (3o6(3aXos ausgeht]). Aller- dings mussten die Slaven in der Urzeit beide Arten wilder Stiere in ihren Waldern kennen und benennen, aber als sie in die Donaulander ruckten, waren dort die Auerochsen doch wohl schon selten und wurden es im Laufe des Mittelalters dort und in der Urheimat des Stammes immer mehr. Sie vergassen den alten Namen und nahmen spater den griechisch-lateinischen an, etwa wie bei den Germanen der Elch ganz verschollen war und spater durch das slavisch-litauische El en wieder ersetzt wurde. Bei der Gestaltung des Wortes wirkte der Anklang an volu Stier wahrscheinlich mit. (Noch andere Nainen und Zusammenstellungen bei Pott E. F.2, II, 1, 808 f.). Wir fiigen noch hinzu, dass diejenigen, die geneigt sein mochten, in den Worten des Paulus Diaconus wegen der Erwahnung der -equi silvatici auch die bubali als nordeuropaische Auerochsen zu fassen, die Einfuhrung der Buffel in Italien bis auf die Zeit der Araber oder der Kreuzziige herabriicken miisseu. Letzteres nahm auch Humboldt an, Kosmos 2, 191: »von dem indischen Biiffel, welcher letzte erst zur Zeit der Kreuzzuge in Europa eingefuhrt wurde. « Link lasst den Buffel mit den Horden des Attila kommen.

94. S. 478.

In Niirnberg erscheint schon seit Jahren eine »Allgemeine Hopfenzeitung« in 4°. Dieses ohne Zweifel sehr interessante Blatt ist uns leider me zu Ge- sicht gekommen. Gewiss enthalt es liber die im Text behandelten schwierigen Fragen vollstandige Aufklarung da doch nicht anzunehmen ist, dass die Verfasser bloss auf die vortheilhafteste Production und den Preis an den ver- schiedenen Markten geachtet und nicht danach gefragt haben werden, woher das Kraut, das ihnen Nahrung und Beschaftigung giebt, urspriinglich stammt, von wem es benannt ist und wer es zuerst dem Bier beigemischt hat.

95. S. 4S4.

Sprechend fur die Haltung des Soldatenstandes in dem romischen Kaiser- staat ist folgende kleine Scene aus den Metamorphosen des Apulejus (gegen Ende des 9. Buches). Ein hortulanus geht mit seinem unbeladenen Esel die Strasse entlang nach Hause. Da kommt ein baumstarker Soldat, miles e legione, ihm entgegen und fragt mit herrischem Ton, wohin er den Esel fiihre? Der Bauer, des Lateinischen unkundig (denn wir befinden uns in griechischen

39*

Anmerkungen,

Land en), erwidert nichts, sondern geht ruhig seines Weges weiter. Ueber dies Still schweigen ergrimmt, schwingt der Soldat die vitis, die er in der Hand fuhrt, uber den Riickeu des Esels und seines Herrn. Da entschuldigt sich der Bauer flehentlich, er habe wegen Unkeiintniss der Sprache nicht ver- standen, was der gestrenge Herr gesagt habe. Darauf spricht der Soldat griechisch: wohin bringst du diesen Esel? Jener entgegnet: in das nachste Dorf. Ich aber, versetzt der Soldat, habe den Esel fur mich nothig; er soil das Gepack unseres Kommandanten, praesidis nostri, aus dem Kastell her- schaffen helfen. Darauf ergreift er den Ziigel des Thieres, urn dasselbe ab zufiihren. Alle Bitten helfen nichts, der Soldat kehrt im Gegentheil seine vitis um, um dem Bauern mit dem dicken und knotigeu Ende den Schadel zu spalten. Drauf wird weiter erzahlt, wie der Bauer, zur Verzweiflung ge- bracht, sich ermannt, den Soldaten durchpriigelt, ihm die spaiha abnimmt, ihn braun und blau geschlagen liegen lasst und sich nach vollbrachter That voll Angst im Dorfe bei einem Freunde versteckt. Andere Soldaten aber sind ihrem halbtodten Kameraden zu Hiilfe gekommen, die Obrigkeit wird auf die Beine gebracht, der Versteck des Thaters eutdeckt und dieser in den publicus career geworfen, um dort seine Hinrichtung zu erwarten Ro~mischer »Militarismus«, an den .der angebliche uorddeutsche nochlange nicht heranreicht !

96. S. 502.

Die Benennung tiirkischer Weizen und die weite Verbreitung des Mais nicht bloss in der Levante, sondern auch in Ostasien und im innern Afrika haben schon ofter die ketzerische Behauptuug hervorgerufen , dieses Korn stamme gar nicht aus Amerika, sondern sei ein alter Besitz der 6'stlichen Erdhalfte. Fraas in der synopsis florae class, fuhrt allerlei unzureichende Griinde dafiir an; die gleiche Ansicht von Bonafous widerlegt Alph. De Can- dolle in der geographic botanique S. 943 ff. ausfiihrlich mit siegreicher Argu- mentation. Tiirkisch bedeutete am Anfang des 16. Jahrhunderts nur iiber- haupt fremdlandisch oder fiber Meer gekommen: die geographischen Begriffe waren zu jener Zeit noch zu unbestimmt, um West- und Ostindien und von beiden das Land der Tiirken genau zu unterscheiden. Noch jetzt heisst der doch gewiss aus Araerika stammende Truthahn bei den Englandern turkey-cok, wie der Mais turkey-corn, bei den Deutschen kalkutischer Hahn, als ware er aus Kalekut zu uns gebracht worden, wahrend ihn die Tiirken agyptisches Huhn nennen (Pott, Beitrage, 6, 323).

97. S. 502.

Wenn es wahr ist, dass in einer altagyptischeu Abbildung Holcus Sorgum erkennbar ist (A. Tbaer, die alt-agyptische Landwirtschaft, Berlin 1881, S. 19) und KoTner davon in Mumiengrabern gefunden sind, dann hatte sich diese Frucht im Laufe der Zeiten aus Aegypten in die obern Nilgegenden zurtick- gezogen. Denn der arabische Arzt aus Bagdad, Abd-Allatif, der im Jahre 1161 geboren war und dessen Beschreibung Aegypteiis S. de Sacy heraus- gegeben hat, sagt S. 32 ausdriicklich, beide Arten Mohrhirse fehlten in Aegypten, mit Ausnahme der oberen Gegenden des Said, wo besonders der dochn angebaut werde. Und, was noch auffallender ist, selbst Prosper Alpinus fand dort gegen Ende des 16. Jahrhunderts kein anderes Brod als Weizen-

Anmerkungen. 613

brod: ibi enim nulla alia panis genera cognoscuntur gaum ex tritico parata. Auch ware es zu Plinius' Zeit, wenn sich Sorgum in Aegypten fand, nicht nothig gewesen, nach Indien zuruckzugreifen. Da aber unter der Herrschaft der Romer der Verkehr der Hafen am rothen Meer rnit Indien nicht unbe- deutend war, so konnte ein aus Oberagypten stammendes Korn irrthiimlich als ein iiber Aegypten aus Indien emgefiihrtes angesehen werden. [Letztere Annahme scheint die richtige zu sein, da sich das Vorkommen der Mohrhirse im alten Aegypten bestatigt. Vgl. dariiber Wonig, Die Pflanzen im alteii Aegypten. Die Geschichte des Mohrhirse ist neuerdings behandelt im Hand- buch des Getreidebaues von Kornicke u. Werner I, S. 300 ff.]

98. S. 509.

0. Hartwig in seinen schonen Kultur- und Geschichtsbildern aus Sicilien behauptet mit Bezug auf die arabische Kultur in Sicilieu, wo neue Gewachse eingefuhrt werden, musse der Ertrag nothwendig steigen. Ware dieser Satz ganz wahr, so wiirde er fur die Gesamrnt-Kulturgeschichte von hochster Be- deutung sein. Aber er unterliegt vielfachen Einschrankungen. Einwanderer konnen die Gewachse mitbringen, fur die sie eine Vorliebe haben und die in der Heimat vielleicht die vortheilhaftesten waren: sie setzen die gewohnte Kultur traditionell fort. Eine Kultur kann momentan und unter gunstigen Umstanden Vortheil bringen und wird dann aus Tragheit beibehalten, auch wenn die Conjuncturen, unter denen die Einfuhrung gescbah, langst voriiber sind. Auch die Gewerbe- und Handelsgesetzgebung, die Art und das Mass der Besteuerung, Regierungsacte aller Art geben dera Landbau Richtungen, die mit dein natiirlichen Beruf des Bodens nicht immer im Einklang sind. Man sieht, die Rechnung muss in jedem einzelnen Fall immer besonders gemacht werden.

99. S. 514.

Als Arthur Young Frankreich bereiste, kurz vor der Revolution, war die Kartoffel eiue dort fast uoch unbekannte Frucht und unter hundert Bauern batten sich, wie er sagt, gewiss neunundneunzig geweigert, sie auch nur in den Mund zu nehmen.

100. S. 514.

Moltke in seinen Reisebriefen aus der Ttirkei macht die feine Bemerkung, die Tabakspfeife sei der Zauberstab gewesen, der die Tiirken aus einer der turbulentesten Nationen zu einer der ruhigsten gemacht habe. Unnatur ist aller- dings die erste grobe Form, unter der sich der Mensch dem blinden Triebe entzieht, und so konnen wir alle Abscheulichkeiten, die wilde Volker gegeii ihren Korper veriiben, hochschatzen und als eine Reguug der Freiheit be- griissen. Opium, Tabak, Branntwein Hanf, Fliegenpilz u. s. w. brechen die Wildheit, aber ersetzen sie durch Stumpfheit, Wenn Moltke's Beobachtung richtig ist, dann werden auch unsere Socialdemokraten nachstens zahru werden, denn man sieht sie selten anders, als mit dem Cigarren-Stumpf im Munde.

101. S. 517.

Auch Link, Urwelt 1, 428, war der Meinung, der Apfelbaum unserer Garten stamme nicht von dem europaischen wilden ab. Der Name des Apfelbaumes hat darin besonderes Interesse, dass er bei Kelten, Germanen,

614 Anmerkungen.

Litauern und Slaven derselbe 1st und also einen naheren Zusammenhang des aussersten westlichen Gliedes, des keltischen, mit dem germano-slavischen, als mit dem italischen Starnme, mit beweisen hilft: altkeltisch dball (wo all ableitendes Element ist), angelsachsisch tippel, altn. epli (apaldr, Apfelbaum), ahd. aphul, lit. obulas, altpreussisch woble, der Apfel, lit. dbulys, altpr. wdbalne der Apfelbaum, altslavisch jdbluko, dbliko der Apfel, jdblani, ablaut, der Apfel- baum. Wenn die in Mitteleuropa von Osten her einbrechenden indogerma- nischen Schwarme, deren Vortrab die nachmaligen keltischen Volker bildeten, den Baum in den neu erkampften Landstrichen vorfanden und ihre rohe Zunge an dessen sauren zusammenziehenden Friichten Gefallen fand, so konnte es leicht geschehen, dass sie den Namen von dem Jager- und Fischervolke an- nahmen, das ihnen zuerst auf europaischem Boden entgegentrat, den Finnen. Den Namen der Frucht bei diesen kennen wir naturlich nur in seiner jiingsten Gestalt und wissen nicht, welche Veranderungen er seitdem erfahren hat: estnisch ubin, uvin oder in dem anderen Dialekt aun, oun, livisch umars, finnisch omena, magyarisch alma (ebenso ttirkisch). Wenn erst das Studium der finnischen Idiome so weit gediehen ist, dass aus Vergleichung der ver- schiedenen Zweige dieses Sprachstammes feste Lautgesetze sich ergeben, nach welchen auf die Urform eines gegebenen Wortes geschlossen werden kann, dann wird sich auch entscheiden lassen, ob die in den obigen Narnensformen enthaltenen Anklange nur zufallig sind oder einen wirklichen Zusammen- hang beurkunden. Griechisch und lateinisch hat der Apfel eigentlich keinen individuellen Namen, denn griech. jxaXov, lat. tnalum bedeutete die grossere Baumfrucht iiberhaupt und fixirte sich erst allmahlig ftir den Apfel ; ebenso das lateinische pomum; auch hat malum den Schein eines Lehnwortes aus dem Griechischen. Der in den siidlichen Halbinseln einheimische wilde Birnbaum die Arkader sollten wie von Eicheln so auch von Birnen sich genahrt haben hiess a/P^S ^X£P^°?> der kultivirte OYXVY) (schon bei Homer) und xo^xvY] (nach Hesychius), auch arcwx;, die Frucht aiuov; aus der Verglei- chung des letzteren mit dem lateinischen pirus, pirum erhellt, dass im griechi- schen Wort ein o ausgefallen (etwa wie 16$ das Gift lateiiiisch virus lautet) und das a nur ein Vorschlag ist, wie ihn das Griechische liebt. Das latei- nische WTort ging zu den Kelten und Germanen tiber, zum Beweise, dass in der Heimat beider Volker der Birnbaum urspriinglich nicht wuchs. Litauer und Slaven aber haben fiir die Birne ihren eigenen Ausdruck: lit. Jcridusze, altpr. crausios, slav. gruSa, chruSa. Da nicht anzunehmen ist, dass die Slaven einen Baum sollten gekannt und benannt haben, der in den milderen Wohn- strichen der Kelten und Germanen fehite, so muss dies grusa ein Lehnwort sein aber woher? vermuthlich aus einer der pontischen oder kaspischen Sprachen,denn mit <*XP"?> ^XP^0? kann es doch nicht zusammengestellt werden? Auch die Albanesen haben ein eigenes Wort fiir die Birne: darfe. Im heutigen Europa ist Nordfrankreich, besonders die Normandie, das eigentliche Apfel- und Birnenland, das nicht bloss die meisten, sondern auch die feinsten dieser Fruchte tragt und wo der aus ihnen bereitete Cider (cidre, ital. sidro, tidro aus sicera, otxepa, welches selbst wieder ein altsemitisches Wort ist) den Wein als allgemeines Volksgetrank vertritt. Weiter nach Siiden, von wo sie doch stammen, ist es diesen Obstbaumen weniger wohl, eine keineswegs vereinzelte, aber daruin nicht minder merkwtirdige Erscheinung.

Anmerkungen. 015

[Herr Prof. Engler aussert sich uber die beiden Baume folgender- massen: »Von dem Apfelbaum finden sich schon Samen in den Pfahlbauten der Schweiz. Doch ist unser Kulturapfel (P. Mains L.) nicht aus einer Art entstanden, sondern aus einigen: der im Kaukasus und dem siidlichen Altai vorkommenden P.pumila Mill., der ebenfalls im Orient heimischenP. dasyphylla Borkh. und der in Sibirien heimischen P.prunifolia Willd., von welcher nament- lich der Astrachaner Apfel hergeleitet wird. Der in Mitteleuropa verbreitete Holzapfel, P. sylvestris Mill, ist an der Entwickelung des Kulturapfels nur wenig betheiligt. Auch die Kulturbirnen stammen von verschiedenen Arten ab, von P. Achras Eichn. in Centralasien , P. Persiea Pers. in Syrien und Persien, P. cordata Desv. und P. elaeagrifolia Pall, im Orient. (Vgl. Focke in Engler und Prantl, Natiirliche Pflanzenfamilien, III. 3. S. 22— 24.)«

Die nordeuropaischen Namen des Apfelbaumes stammen nicht aus dem Finnischen, sondern gehen wahrscheinlich auf den Namen der von Vergil als apfelreich gepriesenen Stadt Abella in Campanien zuriick (vgl. Verg. Aen. VII, 740: et quos maliferae despectant moenia Abellae). Die Bezeichnuug (malum) AMlanum ware zunachst ins Keltische (ir. dball, uball, ubull; vgl. schon bei Stokes Irish Gl. 555 aus Cormacs Glossary, Book of Leinster: Aball, now, from a town of Italy called Abellum, i. e. it is thence that the seed of the apples was brought formerly«) und von hier noch vor der ersten Lautver- schiebung ins Germanische, dann weiter ins Litauische (lit. obulas) und Slavi- sche (altsl. jdbluko} gedrungen. Diese Ansicht fand unter anderen die brief - liche Zustimmung V. Hehns. Anderer Meinung ist A. Fick, welcher Vergl. W. I4, 349 das irische und germanische Wort fiir urverwandt ansieht und das litu-slavische Wort fiir entlehnt aus dem Keltischen betrachtet »Die Be- ruhrung der Kelten und Slavoletten fand an der unteren Donau statt«. Noch anders urtheilt R. Much Z. f. osterr. Gymn. 1896 S. 608, der zwar eineii Zusammenhang zwischen Abella und den nordeuropaischen Apfelnamen an- erkennt, aber den Ort von der Frucht, nicht die Frucht nach dem Ort be- nannt sein lasst. Die Formen der romanischen Sprachen it. melo, rum. mer, rat. meil, wall, meleie weisen auf ein volksthiimliches lat. mtlum (auch = alb. mots), das man doch nur als Lehnwort aus ion. jj/rjXov auffassen kann. Hieraus ergiebt sich wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch lat. malum = dor. jjiaXov auf Entlehnung beruhe. Im Orient muss die Kultur des Apfelbaums sehr alt sein. Das Aegyptische und die westsemitischen Sprachen (hebr. tappuah, agypt. d/ph.) einerseits, sowie das Syrische und Armenische (syr. hazzura, armen. xnjor) andererseits haben einen gemeinsamen Namen des Apfelbaums. Vgl. dariiber F. Hommel, Aufsatze und Abh. Miinchen 1892, S. 167. Nach Hubschmann starnmt das syrische Wort aus dem Armenischen (Armen. Gr. I S. 305). Sollte nicht auch das griech. fxf|Xov zunachst der Apfel gewesen und erst dann auf andere grossere Baum- fruchte iibertragen worden sein? Jedenfalls konnen unter den jjiYjXeat, jAYjXa, die Od. VII, 115fF. und XI, 589ff. ohne weiteren Zusatz neben oyxvat, poiat, ooxat, IXaiou genannt werden, doch nur Apfelbaume verstanden werden. WTas die Birne betrifft, so steht griech. oyxVYl edler Birnbaum in Ablauts- verhaltniss zu a^-pac, «)(_-epSo<; wilder Birnbaum. Als Mittelstufe wurde sich *engh- ergeben, das zu ursl. *v$zu Ulme (poln. wiqz Riister, serb. vjaz Ulme; vgl. alb. w9-5 t»8i Ulme) stimmen wtirde. Starker Bedeutungswechsel bei

Anmerkungen.

Ban men 1st nicht auffallend. Falls das lat. pirus an griech. QHCIOC (&-TCIO-O?) anzukmipfen 1st, kann das Verhaltniss nur auf Urverwandtschaft beruhn, da es griechische Dialekte mit erhaltenem inter -vocalischem o, aus denen pirus hatte entlehnt sein konnen, nicht giebt. Im Albanesischen heisst der wilde Birnbaum gofitss (nach G. Meyer aus dem Slavischen gorinica: goru Berg), der edle darts, vgl. darbdn Bauer Birnenzuchter und oben S. 545. Auf das Indigenat des Baumes nicht nur im siidlichen Europa weist auch der Umstand hin, dass in den Schweizer Pfahlbauten neben Aepfeln wilde Birnen gefunden wurden. Noch heute verstehen slavische Volker aus den Fruchten des wilden Birnbaums ein angenehmes Getrank zu bereiten.

Hinsichtlich der Kultur des Birnbaums ist der Norden Europas vom Suden und Siidosten her beeinflusst worden: lat. pirus, das auch in den keltischen Sprachen erscheint, ist aber nicht vor dem neunten Jahrhundert in die germanischen Sprachen entlehnt worden (ags. peru, ahd. bira etc.; vgl. noch goth. bairabagms , das aber Maulbeerbaum bedeutet.) Lit. gruszia, kridusze aber, preuss. Jcrausy, altsl. grusa scheinen aus kurd. korfehi, kureshi (vgl. Jaba-Justi S. 331) entlehnt zu sein.]

102. S. 519.

Der Jager, schweigsain und scheu (»Im Felde schleich ich still und wild«), gleicht noch dem Raubthier. Thierzucht aber ist schon voll Menschlichkeit: man sehe z. B. das Bild von Heinrich Burkel in der Neuen Pinakothek in Miinchen: Schafheerde in der romischen Campagna. Der Hirt geht vor an, die Heerde folgt; er halt ein neugebornes Lamm behutsam in den Armen, noch andere tragt das Pferd in gleichschwebenden Korben ; die Mutter gehen zu beiden Seiten und blQken hinan. Wie human und idyllisch !

108. S. 521.

Neben der Farbe gelten auch die oculi truces, die torvitas luminum, die XapoiroTY]? T(bv ojjLfxdta>v fiir ein Merkmal der germanischen und anderen Bar- baren des Nordens. Erst die Kultur, die das innere Leben weckt, beseelt auch das Auge, das bei den Wald- und Steppenbewohnern noch den eigen- thiimlich frischen Blick des Jagdthieres oder den scharfen des Raubvogels hat. Vamb<§ry, Globus 1870, S. 29 vom Kurden: »Besonders sind es seine Augen, diese ewig funkelnden, auf Unheil oder Trug sinnenden Lichter, (lurch welche er unter hunderten von Asiaten erkennbar wird. Es ist merkwurdig, dass sowohl der Beduine, wie der Turkmene durch diese Kennzeichen unter seinen ansassigen Stammesgenossen ebenso auffallt. Ist es der unuberwind- liche Hass gegen vier Wande oder der grenzenlose Horizont, oder das Leben im Freien, welche diesen Glanz in die Augen der Nomaden hineinzaubern?«

Anhang. Vorrede zur zweiten Auflage.

Der Verfasser gegenwartiger Schrift schmeichelte sich mit der Hoffnung, ein Buch geschrieben zu haben, das indem es dem Ge- lehrten genug that, doch zugleich lesbar und verstandlich ware, etwa wie iiber der Thur franzosischer Wirthshauser steht: id on loge a pied et a cheval. Doch das mag in Frankreich angehen, bei uns 1st das Unternehmen gefahrlich. Der Fachmann zuckt die Achseln und ruft mitleidig: ein elegantes Buch und man weiss, was er darunter versteht; der sogenannte Gebildete sagt: ganz inter- essant, nur Schade, dass so viel Griechisch drin ist vom Latein ist nicht die Rede, denn das wird ja auch auf Realschulen gelehrt und wer thut nicht so, als ob es ihm gelaufig ware? Nun konnte es bei dieser zweiten Auflage nicht meine Absicht sein, dem Erstern zu Gef alien mein Buch kiinstlich ins Ungeniessbare umzuarbeiten ; auch ist ja der deutsche Buchermarkt mit dieser Waare hinreichend versehen; wohl aber liess sich zum Behufe leichterer Aufnahme von Seiten derer, die so ungliicklich sind, ohne Griechisch aufgewachsen zu sein, manches Citat deutsch wiedergeben oder ganz unterdriicken. Dies that ich zwar mit Widerstreben und je nach der Stimmung in ungleichem Ma ass, und fiirchte dadurch, was ich an Gunst von der einen Seite gewonnen, von der andern verloren zu haben. Hat es doch ein wohlwollender Beurtheiler meinem Buche nachgeruhmt, dass es eine Sammlung einschlagender , authentischer Stellen der alten Schriftsteller ihrem Wortlaut nach enthalte auf diesen Vorzug muss ich nun zum Theil verzichten.

Schlimmer aber, als der Widerstreit der Form, ist bei dem ge- wahlten Gegenstande der der historisch - kritischen und der natur- wissenschaftlichen Methode und des aus dieser sich ergebenden Inhalts. Die Naturwissenschaft fuhlt sich als Herrin der Zeit und wie sie sich die Philosophic jetzt selbst besorgt und nach schimpf- licher Entlassung der speculativen Metaphysik mit ganz leichten

618 Anhang.

Verstandesabstractionen, insbesondere der Kategorie der Causalitat - in deren Wesen es liegt, nie zum Ziele zu fiibren , ihr Bediirfniss deckt, so hat sie auch die Deutung der Vorzeit in eigene Hand ge- nommen und sieht das Thun des Historikers als Verirrung, ja als Em griff in ihre Rechte an. Indess, noch ist die Zeit nicbt gekommen, so nahe sie sein mag, wo es nur noch Realgymnasien geben wird, wo alle Scholastik und Idealitat abgethan sein wird und wir Alle werden Arnerikaner geworden sein. So sei es, ehe es zu spat wird, an dieser Stelle dem Verfasser gestattet, sich und sein Gebiet gegen einige Urtheilsspriiche beriihrater Naturforscher mit gebuhrender Be- scheidenheit zu verwahren.

Herr Professor Grisebach , der in den Gottinger Gelehrten An- zeigen, 1872, Stiick 45, zu meinem Buche einige kritische Bemer- kungen macht, will zwar, wie er sagt, den Werth historischer und sprachlicher Forschungen nicht bestreiten, in der That aber schlagt er ihn sehr gering an. Den jetzt in Siideuropa vorhandenen Kastanien- waldern gegeniiber findet er z. B. die historischen Griinde, die fur Einfiihrung des Kastanienbaumes sprechen, ,,schwachu; wenn also die Alten bis nahe an das Augusteische Zeitalter hinan fiir diesen Baum keinen Namen haben und seine Friichte, die doch jedem Dorf- kinde hatten bekannt sein miissen, rait Walniissen und Mandeln verwechseln, auch ihm ausdriicklich kleinasiatischen Ursprung zu- sprechen, so scheint ihm dies von keinem Gewicht im Hinblick auf die heutige Verbreitung der Kastanie. Ich habe umgekehrt dar- aus den Schluss gezogen: da die Kastanie damals dem Volke noch fremcl war, so kann sie erst wahrend der inzwischen ver- flossenen Zeit gekommen sein. Herr Professor Grisebach meint, da die grosse Citrone fiir die Frucht des Cederbaumes gehalten und da- nach benannt worden sei, so sei auf solche Beweise aus Namen iiber- haupt wenig zu geben. Auch hier folgere ich umgekehrt: diese Ver- wechselung beweist, dass der Citronenbaum damals noch nicht in Italien sein konnte; bei einem einheimischen Gewachs ware sie un- moglich. Herr Professor Grisebach wirft mir einen Widerspruch in meinen eigenen Ansichten vor, indem ich zuerst das Klima der Lander am Mittelmeer als Folge ihrer Lage aufgefasst, dann aber die immergrune Vegetation derselben als ein. Werk der Kultur dar- gestellt habe. Allein, an jener ersten Stelle in der Einleitung warnte ich nur, wie die Worte besagen, vor einer Ueberschatzung des Ein- flusses der Walder; an derandern entnahm ich allem Vorhergehenden das Resultat, dass aus einem iiber und iiber waldbedeckten Lande

Anhang. 619

an der Hand des Menschen ein mil orientalischen Kulturgewachsen iiber und iiber bepflanztes hervorgegangen sei. Dass Italien noch zur Zeit der Griechen und der romischen Erinnerang dichte, dunkle Walder von ungeheurem Umfa,ng besass, erhellt aus den auf Seite 428 und 429 angefiihrten Stellen; dass diese Walder spater durch eine allgemeine Gartenkultur verdrangt waren, 1st gleichfalls unzweif el- haft. Nun ware es gewiss einseitig, den Einfluss dieser Beschattung des Bodens, der Verdunstung und Ausstrahlung zu leugnen (s. dariiber die klassische Stelle bei Humboldt , Central-Asien ,2,1 30). Sicher waren die Sommerregen damals, wenn auch eine Ausnahme, doch eine haufigere; sicher fand das einwandernde Hirtenvolk fur seine Kinder innerhalb der Waldregion zahlreichere und saftigere Wiesen vor, als spater den Romern, die ihre Thiere mit dem Laub der Baume fiittern mussten, zu Gebote standen. Da Italien nach Varros Aus- spruch ein grosser Baumgarten geworden war und die Pflanzungen vorzugsweise aus immergrunen Gewachsen bestanden *worunter z. B. das allerwichtigste, die Olive, von Herrn Professor Grisebach selbst aus dem Orient abgeleitet wird , so wa,r es nicht zuviel gesagt, wenn ich behauptete, Griechenland und Italien seien erst im Laufe der Geschichte wesentlich hnmergrime Lander geworden. ,,Die Myrtengebtische , fahrt der Herr Kritiker fort, auf den unbebauten Inseln Dalmatiens, der Lorbeer bei Algesiras in Andalusien, die Ver- breitung des Oleanders in der nordafrikanischen Kiistenlandschaft sind sprechende Beweise fiir Wanderungen, die, von jeder mensch- lichen Ansiedelung unabhangig, dem selbstandigen Walten der Natur angehoren." Allein die jetzt unbebauten dalmatinischen Inseln waren in einer fiir diese Gegenden gliicklicheren Zeit Landeplatze der Fischer und Schiffer mit aphrodisischen Heiligthiimern , neben denen die Myrte nicht fehlen durfte, Andalusien war Jahrhunderte lang romisch und ebenso Nordafrika, dessen Garten sogar noch zu vandaliseher Zeit gepriesen wurden. Wo ist am Ufersaum des Mittelmeeres un- beriihrte Wildniss, wo fehlt die Nachlassenschaft von zwei oder drei Jahrtausenden menschlichen Schaffens? Die siideuropaischen niacchie sind Reste einer Ian gen und alten Kultur, gleichsam vegetative Ruinenf elder , die in ihrem jetzigen Stande zu erhalten die Hirten und ihre Ziegen sich angelegen sein lassen. Im einzelnen hatte ich noch manche Behauptung des Herrn Kritikers abzulehnen. So kann der Pinienwald von Ravenna nicht ,,ursprunglich" sein, denn er be- deckt einen Boden, der zu Prokopius' Zeit noch Meer war u. s. w. Ware iibrigens zu der Zeit, wo ich mit meinem Buch hervortrat,

620 Anhang.

Professor Grisebachs Vegetation der Erde" schon geschrieben ge- wesen, so hatte vielleicht manche meiner Ansichten eine bestimintere oder eine minder bestimmte Fassung erhalten. Ich habe dies jetzt nachzuholen gesucht so weit mir dies moglich war. Denn, um dies auch meinerseits zu gestehen, die entsprechenden Partien unserer Untersuchungen gehen schwer mit einander. Er leitet die Flora des Mittelmeeres rein aus den meteorologischen Pro- cessen ab, und wie sie heute beschaffen ist, so war sie, ehe der Fuss eines Menschen jenen Boden betrat, - - das immer gleiche Pro- dukt unwandelbarer geographisch4dimatischer Verhaltnisse ; ich finde grosse Veranderungen kulturhistorisch bezeugt und auf diese die Aufmerksamkeit zu lenken, war die Absicht meines Buches. Die Ausspriiche der Alten wiirdigt der Naturforscher kaum eines Blickes ; die Schliisse aus der Sprache, aus Namen und Sagen halt er, wenn er auch hoflich genug ist, es nicht herauszusagen, fur Hirngespinste, es musste denn sein, dass sie rnit den Satzen des Naturforschers uber- einstimmen, in welchem Falle sie eine angenehme gelehrte Verzierung abgeben. Er beruft sich auf Karl Ritter und Alph. De Candolle, die schon vor mir den Weg linguistischer Untersuchung zuweilen mit Erfolg betreten hatten. Wir konnen Ritter allenfalls gelten lassen, obgleich die Sprachforschung nicht gerade die starke Seite des grossen Geographen war, aber was De Candolle darin versucht hat, ist als ganzlich unkritisch auch ganzlich werthlos. Benennungen in ihrer alteren und ihrer jiingsten Gestalt, mit entstellenden Druck- fehlern, ohne Riicksichtauf Geschichte und Verwandtschaft der Sprachen und auf die in ihnen geltenden Lautgesetze aus Worterbiichern zu- sammenraffen und nach blossen ausseren Gleichklangen gegeneinander halten und gruppiren, ist ein so thorichtes Beginnen, dass die Botaniker je eher je lieber diese Koketterie mit einer ihnen vollig unzuganglichen Argumentations weise aufgeben sollten.

Ein anderer Professor, Herr 0. Heer in Zurich, hat in einem eigenen Aufsatz: ,,Ueber den Flachs und die Flachskultur im Alter- thum" (Neujahrsblatt, herausgegeben von der Naturforschenden Gesell- schaft auf das Jahr 1872) das bezugliche Kapitel meines Werkes mit andern, zuweilen auch mit denselben Worten wiedergegeben wobei ich dem Naturforscher manche historische und philologische Irrthiimer nicht zu hoch anrechnen will. Er hat mich stillschweigend aus- geschrieben und benutzt gleichwohl die Gelegenheit, auf mich un- freundliche Seitenblicke zu werfen. Es hat ihn verdrossen, dass ich mich iiber die Pfahlbauten mit so massiger Begeisterung auslasse, -

Anhang.

1st denn die Schweiz an Merkwiirdigkeiten so arm, dass sie noting hatte, so geizig zu sein? Ich hatte vermuthet, die Bewohner der genannten Sumpf- und Wasserbauten mochten wohl helvetische Kelten gewesen sein: ,,dass diese Ansicht unrichtig ist, erwidert er, beweist der ganze Zustand der damaligen Kultur." Das eben ist's, was ich leugne : der ganze Zustand beweist dies keineswegs. Die Indoeuropaer standen bei ihrer Einwanderung in Europa auf einer viel niedrigern Kulturstufe, als diejenige ist, die wir aus den Resten der Pfahlbauten erschliessen ; bis zu den letztern ist schon ein bedeutender Fortschritt, bewirkt, wie ich glaube, durch Einniisse aus dem Suden. Herr Professor Heer scheint sich unter Helvetiern nur die des Casar oder der ersten romischen Kaiser denken zu konnen: ich meine, wie sich von selbst versteht, nur deren Vorfahren, die noch kein Gerath aus Metall von Italien her kennen und brauchen gelernt hatten. Viel angenehmer, als die Sache rationell anzusehen, ist es natiirlich, sich in ungemessener Urzeit ein mystisches Kulturvolk im Herzen Europas zu traumen und Geschichte und Geologie, historische Chronologic und Palaontologie in triibem Nebel durcheinander fliessen zu lassen. Letzteres thut Herr Professor Heer auch andern Ausfuhrungen meines Buches gegeniiber: Myrten-, Lorbeer- und Mastixblatter, behauptet er, seien schon in den altesten Tuffen am Fuss des Aetna entdeckt worden. Auch Andere haben gesagt, in den Schichten der Provence liege, ich weiss nicht mehr, ob der Feigen- oder der Olivenbaum, noch Andere haben sogar Knochen des Haushuhns in der Tertiar- oder Quaternarzeit Europas nachgewiesen (der zoologische Garten, 1874, S. 28). Wenn dies keine Tauschungen, sondern Thatsachen sind, so habe ich wenigstens keinen Beruf sie zu deuten. Ich habe Italien genommen, wie es war, als in historischer Zeit sich hier die erste hohere Kultur entwickelte ; welche Pflanzen es in einer fruhern Erd-Epoche trug, ist mir gleichgiiltig. Wenn im Boden Gronlands eine siidliche Vegetation begraben liegt, so thut dies dem Factum keinen Abbruch, dass erst die danischen Kolonisten manches mit- gebrachte armliche Kiichengewachs mit ausserster Miihe dort haben erziehen mussen. . Erst also hatte Herr Professor Heer aufzeigen miissen, dass von den altesten Tuffen des Aetna oder den diluvialen Travertinen Toskanas in der That ein ununterbrochener vegetativer Zusammenhang bis auf die Zeit geht, wo die geschichtlichen Zeug- nisse beginnen. Kann er diesen Nachweis fiihren, so will ich gern einraumen, dass mich meine historischen Mittel an diesem Punkte falsch berathen haben.

622 Anhang.

Langst batten Anthropologen und Ethnologen die Lehre von der Einwanderang der indoeuropaischen Volker aus Asien und ihrer ur- spriinglichen Einheit als ein Joch empfunden, das sie bei ihren Operationen mit Menschenracen, Lang- und Kurzschadeln, Stein- und Bronzealter u. s. w. in der freien Bewegung hinderte. Da geschah es, dass in England, dem Lande der Sonderbarkeiten, ein origineller Kopf es sich einfallen Hess, den Ursitz der Indogermanen vielmehr nacb Europa zu verlegen; ein Gottinger Professor eignete sich aus irgend einer Grille den Fund an ; ein geistreicher Dilettant in Frank- furt stellte die Wiege des arischen Stammes an den Fuss des Taunus und malte die Scenerie weiter aus. Danacb also hat Asien, der ungeheure Welttheil, die officina gentium, einen grossen Theil seiner Bevolkerung von einem seiner vorgestreckten Glieder, einer kleinen, an Naturgaben armen, in den Ocean hinausreichenden Halbinsel er- halten! Alle iibrigen Wanderungen, deren die Geschichte gedenkt, gingen von Ost nach West und brachten neue Lebensformen , auch wohl Zerstorung ins Abendland, nur diese alteste und grosste ging in umgekehrter Richtung und uberschwemmte Steppen und Wlisten, Gebirge und Sonnenlander in unermesslicher Erstreckung! Und die Statte der ersten Urspriinge, zu der uns wie in die Kinderzeit unseres Geschlechts dunkle Erinnerungen zuriickfuhren, die Statte der friihesten sich regenden Fertigkeiten und noch unsicheren Schritte, wo, wie wir ahnen, Arier und Semi ten neben einander wohnten, ja vielleicht gar eins waren, - - sie lag nicht etwa im Quellgebiet des Oxus, am asiatischen Taurus oder indischen Kaukasus, sondern in den sumpfigen, spur- und weglosen, nur von den Fahrten der Elene und Auerochsen durchbrochenen Waldern Germaniens! Auch die alteste Form der Sprache diirften wir nicht mehr in den Denkmalern Bactriens und Indiens suchen - - da ja die Volker dorthin erst durch eine lange, zerriittende Wanderung gelangt waren , sie klange uns vielmehr aus dem Munde der Kelten und Germanen entgegen, die unbewegt und regungslos auf dem Boden ihrer Entstehung verharrten! Und worauf stiitzt sich dieser ungeheuerliche Gedanke? Auf einige ab- gerispene, leicht gewogene Observationen , von denen keine einzige einer nahern Untersuchung Stand halt. Dass nun die grosse, laut verkiindigte Entdeckung in den Reihen der Naturforscher bereit- willigen Glauben fand, kann nicht iiberraschen. Eine ethnologische Zeitschrift hat meinem Buche in hochmuthigem Ton den Vorwurf gemacht, es wiederhole noch immer das alte Marchen von der arischen Wanderung. Also nicht bloss die Richtung der Wanderung

Anhang. 623

1st eine andere geworden, es hat ganz und gar keine Wanderung gegeben; ja, wie nicht undeutlich zu verstehen gegeben wird, die arische Verwandtschaft iiberhaupt und die ganze Sprachvergleichung ist ein Trugbild , um das der Ethnologe am besten tbut sich nicht mehr zu kiimmern. Dies Alles ist, wie gesagt, nicht zu verwundern; dass sich aber auch Sprachforscher gefunden haben, die ihre Zu- stimmung nicht verweigerten , erklare ich mir in Goethes Weise: ,,sollte aber eben hieraus nicht hervorgehen, dass wir den Kreis schon durchlaut'en haben, indem uns die Wahrheit anwidert, der Irrthum aber willkommen erscheint?" Mit andern Worten: im Grunde ist es nur die Neuheit, die hier als Anziehung wirkt: alter Wein und die Bliite der jiingern Lieder wird gepriesen, sagt Pindar, und ahnlich schon Vater Homer:

Denn so ists bei den Menschen: am meisten immer gef alien Solche Gesange dem Horer, die als die neusten erscheinen.

Der Verfasser hat dieser zweiten Auflage die fruheste Geschichte eines der wichtigsten gezahmten Thiere, des Pferdes, eingefiigt. Die dort aufgestellte Ansicht, das Pferd habe sich erst nach dem Auszug der Indoeuropaer zuerst von den Turken zu den Turaniern (d. h. den nomadischen Iraniern), dann von diesen an den Euphrat und weiter an den Nil und, nach anderer Richtung zu den europaischen Gliedern des grossen Stammes verbreitet, in deren Behandlung des Thieres noch die iranische Herkunft durchblicke, diese Ansicht wird vielleicht weder den Beif all der Zoologen noch den der Alter- thumsforscher finden. Je alter eine Erwerbung der Kultur ist, um so schwieriger ist es, Ort und Stunde ihrer Geburt zu ermitteln und ihre ersten Lebenswege zu verfolgen. Wenigstens enthalt die in Rede stehende Monographic eine Anzahl beglaubigter historischer Aussagen, die dem, der diese Untersuchung wieder aufnehmen will, zu Statten kommen werden.

Im Uebrigen hat der Verfasser sein Buch nach den Einsichten, die er seit dem Erscheinen der eisten Ausgabe gewonnen, verbessert und erganzt, und wiinscht ihm in dieser zweiten Gestalt so viel Freunde, als es sich in seiner ersten wider sein Erwarten erworben hat, Zum Schlusse aber und ehe er die Feder niederlegt, sei es ihm noch erlaubt, auf eine interessante Stelle des Livius hinzuweisen, wonach Pflanze. Thier und Mensch bei Versetzung unter einen andern Himmel ausarten, 38, 17: ,,bei Pflanzen und Thieren ist die den Artcharakter aufrecht haltende Vererbung ohnmachtig gegen die durch Boden und Klima bewirkten Veranderungen " (in frugibus pecudibusque

624

Anhang.

non tantum semina ad servandam indolem valent, quantum terrae proprietas coelique, sub quo aluntur, mutant). Und welter: ,,Alles entwickelt sich vollkommener an dem Orte seines Ursprungs; bei Versetzung auf einen fremden Boden verwandelt es seine Natur nach den Stoffen, die es aus diesem aufnimmt" (generosius in sua quic- quid sede gignitur; insitum alienae terrae in id quo alitur natura vertente se degenerat). Eine wie lange Glosse Hesse sich an diese Worte kniipfen! Arzneipflanzen freilich pflegen in ihrem Vaterlande am kraftigsten zu sein, aber auch manche unserer Obstbaume ge- deihen im mittlern Europa vielleicht nur desshalb am besten, weil die Veredelung der Frucht, auf die es uns Menschen allein ankommt, doch nur eine Krankheit des ganzen Baumes ist. Die Beispiele aus der Menschen welt, die der romische Geschichtschreiber noch welter anfiihrt, gehoren in das reiche Kapitel von dem Einfluss veranderter Umgebung auf Charakter und Sitte der Eingewanderten.

Berlin, im Marz 1874.

Der Verfasser,

WORTREGISTER.

(Die Buchstabenfolge 1st die des lateinischen Alphabets; ch = x steht hinter c,

t h = ft hinter *.)

A.

maced. 593. aball, uball, ubull ir. 613

bis 615.

'A(3dvTic, 'Afxavtia 577. abattichim (abattiMm) hebr.

311, 319.

Abella malifera 615. abluko , ablam, jablvko,

jablani slav. 614, 615. abricot frz. 426. 'ApoSwv, 'Ap.o8u>v 577. accipere 602. accipiter, acceptor 602. acer 597, 604. acernus 597 acetum 79. actes 597. ricnua 558. acfus 558.

557, 597.

scrt., afpa altp. 36, 53.

545.

j altsl. 205. , cr/epSo? 545, 614, 615.

a^aena ostiran. 348. a^fjsinak osset. 348. &8d[JLa<; 594. adaschim hebr. 211. adolere 121. arfor, adoreus 553, 557.

Viet. Hehn, Kulturpflanzen

36.

36.

aes 565.

Aetoler 56.

Africae aves, gallinae Afri-

canae, Afra avis 360. Agathyrsen 17. ager 59. offer arbustusj ager arvus,

ager pascuns 125. 315.

598.

byz., ngriech. 315, 320, 321.

aghru iran. 546. 196. 561.

thrak. 546. = awpoc byz. 320. ngriech. 210. ngriech. 480. Agrios 67. agriotta it. 604. agrius, agre 190. 59.

)(xi6v(ov 580. Agurke 316. ahaks (acfalla) goth. 375,

601, 602. ahorn ahd. 597. ajdaj hajda, hajdina slav.

506.

a/a scrt. 581. 7. Aufl.

134.

551.

551.

aTXoopoc, alsXoopo? 458 bis 460.

aljiaota 126.

a?6Xoi Tco§a<; 36.

aloXorccuXot $poY£? 40.

a!pa, l4-atpo5o^at 551, 553.

aTaaxo? 223.

ati5 armen. 581.

aiva slav. 246.

a!£ 553, 581.

af« goth. 565.

8cxdu.a<; 36.

Akarnanen 56.

597. goth. 79

aketi lit. 63.

dxpoocpaXeic 50.

akrs goth. 59.

&%tea, OCXTYJ 15.

aX armen. 528, 547.

dlan ags. 121.

Alanen 11, 12, 44, 522.

'AXotpoSioi 121, 547.

akauni armen. 348.

'AXauvoi 528.

a/6a sacerdotalis 165.

Albanesen 13, 57, 544 ff.

Albanien, 'AXjAYjvri 577.

albarquq arab., albaricoque span., albercocco, albi- cocco, bacocco it. 426. 40

626

Wortregister.

Albizzia Julibrissin 511. albus, 4X<po'c 344, 348. alces 467.

Ale, ale 150, 152, 159. Ale, Ahlbaum, Ahlkirschen

380.

alectoria gemma 324, 598. &Xetata, aXeopov 553, 557. aXeiaov 159.

334, 598. aXexTwp, aXextpoujv 325,

326, 334, 358, 361, 598. 'AXextcup, 'AXexTpucov 323,

325, 334. aXextoptc 326, 334.

326, 334. 63, 553. Aleuaden 60.

alev, alevabagms goth. 578. alfdfa span. 407. SXcpt, aXcpi<cov549, 553, 557. alica 496, 557. alipedes 36.

alium, allium 196, 205. ullcaravia arab. 208. Allermannsharnisch 195,

202.

alma magy. 614. russ. 594.

326. Aloe, Agave americana 2,

514.

&Xu>Y] 557. alpiz ahd., a(/e* ags., dlft

altn. 344. fl/u pers., alou kurd. 380,

428.

'AXop-q 563. "AXoc, "AXoc 528. alus lit. 151, 159. alvei, alvearia 582. am agypt. 279. amalisj emalas lit., o/nwZs

lett., emelno preuss. 604. <3t|j.aX6c maced. 561. 4jidjia£o<: 73. amandula, amandola 395.

ap.au>, afx-rjTOC 63. amarenaj amareUa 403. amarina, amarasca it. 604. amarus 395, 604. £fia£a 134.

dfxa|ocpopir]tot olxot 137. amazza Vasino it. 411. ajAf] 128, 575.

- 554.

48.

afJLjJ.1 209. amputare 435. ajxtota 388.

91, 92, 124.

amygdala 387, 390, 391, 395, 603. amurca 113. 73. -: 73. anas 364. anchunsmero, ancsmero ahd.

158.

andereigerra , andrea bask. 608.

405, 409.

567. Angeln 45. dng6z'd osset. 398. anguria it. 316. an/ana, a/ya scrt. 160. Anis 494. Anke 157. anser 368.

135.

w^t sumerisch 135. 561, 562. dntis lit. 364. avd-pa^ 405.

anut ahd., enerf ags., ond altn. 364. 577. 582. uv 598. 134.

Apfelbaum 614 ff. Apfelsine 447. aphul ahd., appel ags., epZi apaldr altn. 614.

a/n'/e mlat. 582.

;, aTCiov 614, 616. c 50. Aprikose 426. apsis lett. 610. . apwynys, apyna i lit. 480,57 0. aguicelos 299. dr alb. 564. Araber 27, 28, 508 ff. apaxoc, apaj(oc 215, 219. amnc/o, arangus it. 445. arare 59, 548. arau;» ahd. 213, 218, 219. arbaiths goth. 556. Arbusen; or6«2 slav. 317. arbos, arbustum 405, 409. arbutus^ arbutum 405, 409. arcaM armen. 563. arculum, inarculum 240. afs alb. 398, 603. area 557. argant alb. 564. ar#a« altir. 563. argentum 563. Argos 60. arjan goth. 59. dries 551, 553. Arim aspen 55. Aristaeus 111. apxtoc 544. dcpjxsviaxa, armeniaca, arme-

niacum malum 425 f. Armenien, Armenier 32,

546 ff.

armentum 64. armoracia 494, 495. armud slav. 246. apvec 551. <5cpd(o, ftpoov 59, 63, 123,

128.

arur armen. 547. apotpov 59, 63, 548. apotpov &OT6YUOV, KYJXTOV 59. apoopa 59, 123. arp agypt. 91. «> 375. 375, 557. drti lit. 59.

Wortregister.

627

Artischoke 516.

ticptoxoTCOC 555.

apto? 557.

apto? CojAttY]<; 555.

apoa, aoapd 398, 603.

•arundo 306.

arvum 59.

ao£eotoc b)z. 141.

Aschlauch, Eschlauch 193,

205.

Asebi 288. asellus 579. a3Y]jj.o<; 563. -asforo, asfiori it. 265. cma taurin. 551. 5st7as lit. 579. asilus goth. 562, 563. -asinus 132, 135, 136, 579,

580.

Aspar alan. 317. yAoitev8o<; 547. aspest np., aspast pehl. 406,

409.

<*ssa ags , ass engl. 580. assan altir. 580. Assyrer 30. Assyria mains 442. eXaia 109.

371, 602. ^&-<t> 602. as/Mr 602. aszwa lit., asvinan preuss.

36.

«/ turko-tat 55. all scrt. 364. «<A/r ir. 573. atisk goth. 553. «/&a scrt., adhka iran. 562. «fon, athon hebr. 135, 579. aTpaxto? 561. attojiac, SiaCofxai 562. «j<ufcu slav. 561, 562. aty, qt$, qtica, qtuka altsl.

364.

aube frz. 165. <tuca it. 462. auceps 602. •auclan, aucte preuss. 157.

auhsa goth. 200. duksas lit. 562, 563. aurantlum Olisiponense 447 ailrkeis golh. 495. aurum, aurora 446, 562. awsfs preuss. 562. auslu, auzrenas etrur. 563. auspicia ex avibus, ex tri-

pudiis 327. a'MS<i lit. 561, 562. Ausuco, Ausancala illyro-

venet. 563. Avar en 12. avasa scrt. 553. avellanae nuces 390. ave.ua 553. awilys lit. 582. awi£a, atvizos lit. 553, 570. &4iviQ 568.

ayas scrt., ayanh iran. 565. ozor span., austor prov.,

autour frz., astore it. 602. azafran span. 265. a.su altsl. 546. azucena span , portug. 593.

B.

6a, 6aw agypt., ^YJT kopt.

595.

6a6o preuss. 559. bacan ags. 555. badger engl. 609. badius\ bijo it., baifrz. 595. ^aSpoa 378'. baira-bagms goth. 386, 616.

ta paia, sopi-y] tuiv

ngriech. 281, 295. balandis lit , baldn, balon,

baluon osset. 348, 601. 396, 397.

5Apxd8e<; 392. bdlas syr. 244. ^aXaooTtov; balaustro, balau-

slrata it., Balustrade 244,

592.

balesas lit. 610. Balkh 12.

Balsamine 511.

bdhi lit. 348.

baner , 6a unirit , 6a untf,

6ai/ne agypt. 279. banha, Baiiga zend. 589. banja poln. 318. baraczk magy. 426. 6arc<7, Borke ; 6orA;raltn. 586. barelleli, barillen schweiz.

428.

^aptc, baris 586. barit agypt. 586. barizeins goth. 63. barrus 353. 6ar«, barsuk russ., borsuk

poln., 6or2 magyar. 610. 6ar8- alb. 552. £>aoiuxa xdcpoa, basilicon

388, 397, 605. bassal, bussal agypt. 204. Bastarnen 47. bat npers. 368. Bataver 46.

pdroc, pcma 383, 386. battich arab. 319. 6afts alb. 218, 219. bebrus lit., preuss., 6e6rw

slav. 15. Becher 494. b&dah pers., bedd Pamird.

409

Beete 494. beh kurd., bd pehl., bihir

buchar., beh pers. 247. Beil 567. pecpay.e? 376. beist goth. 555. ^•ypta 73. belche mhd. 375. bele kymr., belette frz. 608. Bellerophontes, Melerpanta

577.

bellula 608.

belokamennaja slav. 141. 6en, benk kurd. 414. bendak, pandek orient. 389. beng, bang npers , afgh. 589. bed ags., bygg altn. 159. 40*

628

Wortregister.

herds hebr., berdtd, berotd

arara, brot arab., burdsu

assyr. 288, 289. B^pooO- 289. berser altfrz. 369. Besser 67. Beute 582. bezalim (blsdlim} hebr. 192,

204.

bhanga scrt. 589. biail altir., bahell altkorn.

566, 567. bianchi it. 97. biber 467. biber, Bibrax, Bibracte alt-

kelt. 15

bibere 150, 159. ptpXivoc otvo? (p6pXtvo<;,

ptfipXivos) 568, 569. bibur ahd., 6z'6er mhd., beofor

ags., ii'r altn. 15. bidens 128. Bier; 6ior ahd., betfr ags.,

6/drr altn. 150, 159, 480. Bignonia Catalpa 513. bihal ahd. 567. PIXOC, pixtov 216, 220. bilda altn. 567. Bille, Bilchmaus bilih, bilich

ahd. 159, 608. birinff, birang pers. 497. Birne 6Uf. Birsch, birschen 369. {Ji'oir)vov, pfoivov, ngriech.40 1 . biset, 6w frz. 342. pio-ca£ 605. fct'ya/ magy. 591. blaireau frz. 609. 6o6ru, bebru, blbru slav. 15. 6o6u slav. 218 220, 559,

560.

poeo? 167. BoYfpoc, Margus, Morawa

577.

boffu slav. 44. Bohne 55, 560. boisseau frz. 231. 6«le, 6oiter frz. 231.

196, 201, 205. BoXp-q 196.

boles schigmim hebr. 101. Bolle 200. Bordeauxwein 78. bordeitz wal. 529. bori zig. 608. bortnik russ., bartnik poln.

582.

6os 64, 611. pooxaSe? 345. bo8t alb. 236. 6os/an alb., ptTtooTavia ogr.,

bos: an tiirk. 320. po'Tpu? 91, 92. botnim, batnim hebr., butnu

assyr., botum, botm arab.

414, 423. Bottcher 575. botte frz. 575. poupaXoc, poupaXi?, bubalus

470, 610, 611. Pouxspa? 410. POOTCXY^ 69, 568. bouquette frz. 505. POD? 64

boussole frz. 231. bouteille frz. 575.

, POUTIOV, POTIC, POTIVVJ

575.

, butyrum 155, 160. 39. PpapoXov, ppapoXo? 377,

378, 380. brace, bracisa, bracii 149,

152, 159, 186. Braciaca Mars 159. bradigalo 466. braga, braha, braja slav.,

broga lit. 152. brahmaghna scrt. 602. braSino altsl. 63. bratus 289. PpaS-o 289. Brauen; briuwan ahd. 151,

159. Braun, Breien, Brey, Breyn,

Brein sudd. u. osterr. 560.

breilu altkorn., breila, breiha

kambr. 593.

breith, brith kymr. 17, 539. ppivttov messap. 545. breskva, praskva , broskvina

Slav. 426. Bpsrtavoi 539. brico it., Ppuov Hes., borrico

span. 581. 6ricnz, 6rzM alb. 545. 6n'n.s armen. 497. Britten, Briten 17. Ppt'Ca thrak., ngriech. 543,

552, 554. brocc ir., brock kambr.-korn. ;

brock dan.-schwed., engl.

610. Brocomago, Broccomaza

gall. 610.

], Popa, Ptppouaxaj 553.

ngriech. 553. Ppojxo? 551, 553. Ppuifxo?, Ppcojj.a)8-r]<;, Ppojjia»-

&qS 551, 553. feroon, 6r<^o, 6rtf altir. 556. Brot 555.

a ngriech. 210, altsl., berdo russ., 6ro?o

sudsl. 561, 562. bruinne, bru. bronn altir. 566. brunjo goth., brunja slav-,

Briinne 566. Brundisium 545. bruoh. ahd. 186. Pputov thrak.- phryg. 145,

151, 159, 546. bruthe ir. 546. bruwele lit. 151. bruxula span. 231. bsa kauk. 236. bual alb. 611.

167, 309, 569.

568. bucail frz. 505. Buche 397. Buchweizen ; boekwyt niederL

505.

Wortregister.

629

Budinen 521.

buhsa, puhsa ahd. 231.

luisson frz., luscione it. 231.

bukljeza (btikVezs) 608.

buJcur alb. 608.

buky slav. 525.

bnlbus 205.

Bulgaren 1 2.

lullace engl. 378, 380.

bura, buris 554, 557.

Bura 309.

burdo , burdus; burdihhm

ahd., burdon rand., fcord-

esel mndl. 581.- Burgunderwein 77. burgus 467. burruSj burricus 581. J3'jpoa, £k>paY]d ngrieeh. 424. Base, Bise 609. bushel engl. 231. (B6a30<;, pasaivoc;, puaoivetd

170, 187, 403. buxte frz., 6«s*o it. 231. busu assyr. 375. Butte 575. Butter 494. biitze mhd. 140 Buxentum 230. btixus, buxum 227, 228, 235,

236.

bus hebr. 167. byvolu altsl., bujvol russ.,

bawol poln , ta'tW bulg.

611.

C.

taballus 53.

ca6o 53.

Caecuber 82.

caelia, cerea\45, 148, 152.

caepa capitata 193.

caera, caerach ir. 553,

cailech ir., ceiliog kymr,

chelioc korn. 335, 600. cmnnen ir., cenin kyrar. 205. $dkhd, fanku scrt. 554. falamajo, calaniita, cala-

mistro it. 303.

cilamine, giallamina 594.

calare 600.

Caledonier 46.

calocatanos 600.

calvae nuces 390.

m/x 140, 141.

cnman armen. 208.

fami scrt. 546.

caminata 141.

camisin 173, 176, 186.

camisia clizana 178.

camnet altpr. 53.

Cfimum 160.

fana scrt. 190, 546.

canape it., canapa rum. 190.

candetum gall. 558.

canere 599.

can HI, cana, canalis 304 bis

306. cannabis, cannibus 188 bis

190.

Cannae 309. Canon 306.

cantagaletti, cuchettt it. 600. cantare 600. coper 553.

capreolus', caprinlo it. 551. caprificus 550. capuccio it. 516. mlat. 602. 195, 205. capvtium 494, 516. fam 528. caracallae 176. carbasus 174. carrfo 71. carro&o, carruba it , caroute,

carouge frz. 451. caryota, caryotis 273, 274. fas faso scrt. 554. castagne it. 391. castaneae nuces 387 ff. ca£ ir., ca/A kymr., caz bret.

467.

catinus 494, 580. catulus 467.

««* 462, 466, 467,

608, 609.

catusa rum. 609. COM/W 494, 516. ceallian ags., ca// engl. 599. cece it. 212. ir. 554.

russ. 212. ceaWc altengl. 210. cedro it. 443. ce faff Hone it. 272. cegla, cz'A/apoln., bohm.141. ce//a 494. demeri, Kemerica altsl., Semer

klruss. 409. centenum 554. Centner 494.

ce/ja, cepe, caepa 195, 205. cepati, cepiti, cep, cepina

Slav. 434, 435. cepulla 200. cerasus, ceraseus 400 bis

404. cere, cerc-dae altir. 331,

600.

cercitis 112 teremsa, teremica, deremtka

russ. 195. cereolum 377. derC, fsfmA Pamird. 427. cervesia, cervisia 149, 160. &-saft' slav. 202. tesuniik, tesrilci slav. 202. ceM^, cedw, fecWu; kymr.

210.

ceya venet. 545. cj'cen (^y^en) ags. 599. a'cer; Richer 212, 215, 218,

219, 220. ciconia 335. ci'cfa ir. 539. Cider; cj'dre frz., czWr<?, stWro

it. 614.

fikht scrt. 350. cipe ags. 205. cipolla it. 200. fi'ras scrt. 402. cirbhata, cirbhati, cirbhitd

scrt. 319. citriuolo it., citrouille frz. 315.

630

Wortregister.

citrulus 320.

citrus, malum citreum, citrosa

vestis, citratus 438, 440,

445.

cive, civette frz. 202. dale frz. 140. claratuni) claretitm, cldrtt 82. Clausus, Claudius 592. cleda proven^. 140. clenus mlat. 597. cletd kelt., cleta mlat. 140. cliath ir., cluit kymbr. 140. clufe ags., clove engl. 205. -dun 136. coclea 136. Codes 136. cocomero it. 316. coeds' wal. 599. coczka poln , totovice Czech.

212.

coe?-, godappel altengl. 247. coerin ags. 159. coiYce ir., ceirch, kymr 553. co// ir. 398. colliciae 557. coZum altir., colom kyrar.'u.

altkorn. koulm bret. 346. columla, columbus 344, 348,

380.

coins 561, 562. comadreja span. 607. corn'/ altfrz. 607. coppa it. 559. coy frz., core armor. 330,

599.

coguelicot frz. 600. coriis, corbita, corbitare 315. corcAa span. 576. corean armen. 553. cornu 400.

cornus 400, 402, 409. coronopus 247. cortex 576. corvus 335.

corylus, corulus 398, 603. cotana, coctana 100, 247. cotognata it., cotignac frz.

246.

cotone it. 509.

cotonea mala 240, 246, 247.

cottana, cozzana, chutina&hd.

247.

covinus, covinnus 49. cracca vicia 216. crates 557. creamh ir. 195. tremiga slav. 141. critic frz. 378. £rje$nja, crsinja altsl. 401,

403.

crisuommolo it. 426. crocire, croci'are 331. Cromlech 140. crow engl. 335. crudarium 164. driiniftje, frunu altsl. 386. cuccuzza it. 315. cucuma 494. cucumis 314 bis 321. cucurbita 315, 319. cucfon korn.j^^wiAan kambr.

601.

culcitae 176. CM# tubet. 427. cultnus 549.

cuZM/re,ags., cw/yerengl 348. cumera, cumerum 315. cuminum 206, 580. cuniculus, xovwXo?, xouvix-

Xo<;, xovixXo? 453, 454,

467, 605. cw/>a, xuTCf], cuparius 574,

575.

cupressus, c. Tarentina 286. cupresseta 287. cy#a scrt. 552. cymbinum 494. Cypern 595. cz^pyti, cz'idpas lit. 434,

435.

Ch.

216.

94, 546.

140.

41.

62, 567. 280. 568.

271. 73.

channel engl. 306. chanoine, chanoinesse

306.

Chanteclers 323. X«pa? 511. Xapfxo? 111. charpuz tat. 317. charrub arab., 453. .. ;; chdruz hebr. 563. chataro, chazza ahd. 467. Chaussee 141.

hebr. 192, 196.

219. 539.

cheminata ahd. 141. X^v 368. chgneau frz. 306. X£"> 538 f. ferbuz npers. 320. 547.

frz., mengl. 212, 219. rhichhira ahd. 219. X^pa 557. XtXiot 539. chi/our kurd. 380. Chinagras 183, 587. Xttcuv, xtO-cov 61, 164, 170. XXajJiui; 544, 546. chfebu slav. 555. chmett, chmell slav. 477 bis

480.

xnjor armen. 6 1 5. -Xnos venet. 546. chomjak russ., chomifc poln.

610.

choniestaru slav. 610. 496, 557. ngriech., slav. 477, 480. Chorasmier 34.

245. 426.

VVortregister.

631

63, 562. X"da npers. 583.

539.

chumil ahd. 580. XMTW^ZCUV., jjomlak tat., <?wwz-

/eA wog., komld ung. 480. XojJ-oviKa TOC ngriech., yimiko

alb. 321.

chuo-smero ahd. 160. churn, churuh, churiis npers.

330.

X?nol txftosc 539. 546.

D.

dactylus 274, 281. Dachs 463, 610. 8a8a 440. daeza iran. 546.

235, 236, 412, 590. jJLatvojxevY] 226. dqga slav. 574. daghwa kauk. 335. Daher, Daer 34, 48. Daken 17, 56. SdxToXo<; 274, 281. -dama thrak. 546. §d|JiaXi<;, SajidXY] 64. 8a|iaoxY]v6v 378. Damasci 377. Damhirsch 205. damsin, damson engl. 378. daprdnu, duprdnu&asyr. 235. darSan alb. 616. Dardaner 545. darBe alb. 545, 614, 616. dariben, darizeitun, darifiki

kurd. 423, 605. dqti, dunati altsl. 318, 320. da«e fivs., dattero it,

span. 274. Daube, Dauge 574. daubs goth. 342.

cpopstoai; 235, 590. 590.

defrutum 159. 546. dehsen inhd. 609. Astvf], AIVYJ 42. deismo ahd. , dhoesma ags.

555, 556. deivas preuss. 16. delirare 549. Delmatia, Dalmatia, Del-

minium 545. del'me, del'e alb. 545.

derenii russ. 403. dess ir. 200. deus 16.

deutsch, Deutschland 538 dexter 200.

dhorra, dochn arab. 502. dz alb. 545. diSwas lit. 16. di/fefl, de/?e, difna arab. 41 2. dthsala ahd. 525. dik kurd. 330. StxeXXa 1 28. dikuSa russ. 507. Stjjidxai 47. Dimallum 545. dimkas lit. 197. Ato? pdXavo? 387 bis 397. digldj daqual&r&m. 280, 281. dz'ma lit. 560. -dizos thrak. 546. dog a, §OXY] 574. do^dn kurd. 374. Dolmen 14.0. 86X1x0? 219. domenica de rosa 255. Sojxoi; 546. donnola it. 607. 86po 269. dpA agypt. 615. dragios preuss. 159. draigen, draighin ir, kymr. 380. altn. 159. •ov 127.

dreskiu lit. 435. dr&e lit. 561. drungus 467

druppa 112 8po? 392. Suapsta 235, 590.

, dub, Dubis altir. 342. goth., dufe ags., d<^a

altn. 342. dud tiirk., duds alb., dud

rum., TOUT xal Tia 386. dulb, dulbar npers. 293. dulbend npers. 510. 86v dak. 185, 588. Dung, Diinger 529. Durak 428. duracina, Scupaxtvd ; dura-

kina, durdk arab. 425, 428. durmer ahd. 581. durus 428. diirvd scrt. 560. dutkis preuss. 610. dymki klruss. 205. dyinii- altsl. 205. dynat, danadkymr. 185,587,

588. dynja altsl. 318, 320.

E.

ea/M, ea/oci ags. 159, 480. earfe, earfan ags. 213. eds altir. 608. eiwr 353. Eburonen 624. eczet magy. 79. ech altir. 36. echalas frz. 571. echalotte frz. 193. s/STXY] 557. e^o venet. 546. edere 573.

338.

9S.

ahd. 63.

Xo? 272.

434. Iglius, oglus lit. e^o 546. 'effdz hebr. 398. ehuscalc alts. 36,

632

Wortregister.

Elbe, Eibschutze : eip schwab.

14, 525.

o? 335, 599.

113. eipYio 127. eirin ir. 600. Eisen; eisarn goth. 566. SxatovidcpoXXa 251. ekid alts. 79. •?)Xa 360, 377, 378. elah hebr. 423. iXaia, IXafo], eXaiov 106,

109, 119, 120, 121, 124,

235, 578. IXatocpoto? 107. 4]Xaxdtif) 561. iXarrj 186, 296, 297. Elch, Elen 611. */]XexT(op 'TTiEptouv, YjXextpov,

'HXextpa, 'HXexipocov 325,

334, 598. 'EXeofrepto? 73. eXcpoc, e'Xrcoc 156. elix 557.

169.

elmds arab., pers. 594. i alb. 553.

557. sXujxo? 558. *em gedolah hebr. 395. iacpocu 435.

efjupotoc, Ijxcpoteuw 434. YjjJLiovoi; 133, 135. empeltar proven9- 434. evSevSpo? 125. endrina span. 378. Eneter 57, 133 dngoiz armen., anaozd osset,

nigozi georg., ^egoz hcbr.

398.

ent alb. 562. «nter, ente frz., en/ar proven9-,

enten niederl. 433. 4o altir. 524, 525. eoh ags. 36.

«p, £^cna gallisch 36, 52. 17.

Ephyra 60. ITCITOVO? 167. Epopeus 110. sito^o? 79. equus 36, 51, 53. scrt. 553.

Y] xapua 388,

397, 398. eras lit. 551. erba spagna it. 407. Erbse 494. erda alts. 409. Erdrauch 197. Ips^vO-o? 212—219, 423. erezata zend. 563. er^n kymr., iruinenn bret.

560.

Erigone 67. epivso? 100, 578. erkan arraen. 556. s'pxo?, ipxo? CcXcuYjC 126,

128.

erman, herman kurd. 244. epvatc? 73.

agypt. 91. t ahd. 409.

243.

i, ervilia 213, 218, 494. eS armen. 135. e£ek, esik turko-tat. 135. esca 573. escregne frz. 529. Esche 14. ess ir. [?] 200. : essedn, essedum 49. Essig; ezih ahd., cA;id alts.,

ocec? ags. 79. Esten 44. I'TVO? 219. T|tpiov 531. Etrasker 58. Etymandros 594. Eu^oixal ^dcXavoi 396. Eucalyptus 513.

S'JtTCICOS 40.

Euneos 567. 411. 40.

Euretice 440. eva lett. 525. evallere 557. ezir kurd. 102.

F.

faba 218, 219, 559, 560. <pdxY)ts mgriech., facha, fa-

chela, fakecha mlat. 601. fagus 397.

fahs ahd. 186, 588. 589 fairy altengl. 607.

, cpaxo? 212, 218, 219. npers. 601. 'j falcone it., faucon

frz. 375. FaZco 375. falconetto it. 373. falcho ahd., /a/&e altn. 375,

602.

Falerner 82. Falernus ager 94. fal'kue, fekua alb. 375. Fallen 375. /atfere 577. /a/o ahd. 375. cpaXo? 348. fnlx 375. ?pa^ 338, 661. /ar, farina, farrago, farreusy

farsio 63, 557. cpapou 562. /ara« athiop. 53. (papaaxoi 576. /arn, farm ahd., /earn ags.r

Farnkraut 600. cpapo? 167, 179, 187. fasa altruss. 601. cpaoiavoc, cpaoiavixo? 361,

362.

cpaoioXo? 219. cpaoxetat, cpaoxtvia 176. cpdaoa, cpaaoo-f6vo<; 338, 601. fastuca sicil. 416. 601.

^vjYta 577. 397. felis, feles 458, 460, 608.

Wortregister.

633

o?, cpXotoc 586. Fenchel 494. Fenchu agypt. 594. fenestra, Fenster 141. jerte arab. 53. Jfa kambr. 559. ffuon kambr. 593. Jiad-cholum altir. 601. Jiber 15. ficas 100, 101, 102, 281,

550.

Jicus duplex, bifera, Rumina- lis; cauneae, caricae f. 96, 97.

Jides 577.

Jieno d'Ungheria it. 407. fieri 577.

Jiga ahd. 102, 247. cpiXoaoxos 96. Jilum 561. cpiXopa 586. Filz 15.

Fimrael, femella 189. fin altir. 90, 94. Finnen 18. fistula 303. j?ttfa* ahd. 302. Flachs (neuseeland.) 183. Jlahs ahd. 186, 588, 589. Flasche 494, 575. Flegel, flagellum. 494. flihtu ahd. 562. Jiins ahd. 218. cpXuiaxa, (pXaoxi, ngriech.

320.

Jbcaccia it. 555. /ocu* 555. fodere 128. 555. , Oow'xYj 593.

cpoivix'.ov; <poivtxY]d ngriech. 214, 268, 275, 280, 281, 293, 294.

kopt. 187. Jokka arab. 144.

529. folium 106.

folt-chiap altir. 205.

<povoc, ercscpvov, cpovf], cp

594, 601. forhana ahd. 528. /orcto 64. formento it. 551.

'fcuooouv 187. Jotus goth. 571.

cpooxac 144.

Frankische Maus 463. /rafA zend. 293. Jroment frz. 551.

Fruh 425.

frumentum 551. ftua-oi alb. 247. /u/o goth. 52. fullones 182. fumaria 197. /unrfo 538, 539. fungus 577.

cpDU>, cpoXtY], cpoX-

cpotov, cp6aic, «p5jj.a 106, 119, 577.

furetlo it., /wre< frz. 455. /wr/wr 557. fusus 581.

cputeoou, cputaXia 123. fyrs ags., /t/ra, /urze engl. 550.

fysliq kurd., fustaq arab , fsloul armen., fsst'zk alb. 423.

G.

<7ad hebr. 207. gadhwa zend. 608. yaggia di Costantinopoli it.

511.

^aidjw lit. 599. FatoaTOt 566. galaga arab. 205. alb. 599. 455, 458, 608. galgo span. 369. galica, galka slav. 599. ^ato' sg serb. 599. ^oZ/ altir. 344. galla 598.

gallicus canis 369. Gallier 47.

Gallinaria silva 572. gallus, gaUina, gallicinium^

gallinaceus 579, 598,

599.

GaZ/us 598. Galmei 594.

s 608. 553. Y«voc thrak. 93. ganta; gante frz., ganta

proven 9., gante westf. 366,

368.

ganzo ahd. 366. yarduna span. 608. gdrledc ags., garHck engl.,

geirlaukr altn., gairleog

altir. 202.

garofolo, garofano it. 511. garriOj garrulus 598. yarroboj algarrobo span.,

alfarroba port. 451. #a«r slav. 368. Gaspar 317, 320. gavilan span. 602. #a#d<s altpr. 549, 552. gay Us altpr., gaidriis lit.

542.

•faz asset. 368. gdunje slav. 247. YY] 197.

109.

, 4lt^"'l» itecp uteu- 124.

ahd. 205. ge'd ir., gwydd kymr. 364,

368.

Geier 375. geirfalki altn. 375. g&8 altir. 368. YeXapoc phryg. 608. geleils lit., ^e/so preuss. 567.

205.

Gelonen 17. gelso it. 385.

219.

634

Wortregister.

gendum npers. , ghidim

Pamird. 553. genus 546. ger ahd. 566. gerjalco it., gerifalte span.,

girjalc proven?., gerfaut

frz. 375, 602. gersta ahd. 59. gertis, gerto, gertoanax

preuss. 600. •p)p6u> 598.

gesmino, gelsomino it. 509. Geten 56.

196. yhiles, keras kurd., keras

armen. 402. ffjak (g'ak} alb. 158 gjalpe (g'alpz) alb. 158. gjaschte (g^sts) alb. 158. gieddti lit. 599. Gier, gierig 375. giglio it. 593. gigrann ir. 368. gija lit. 561. glle lit. 396. 0rin sumero-akk. 307. g*ini lazisch 91. gini arraen. 91 93. gjdta, got, goto. altn. 539. glrna, girnos lit. 556. git, gith 207. giutan goth. 538, 539. glagolati altsl. 599. glans regia, glans 389, 396. YXelvov, -fXlvov 597. glocire, glocidare 600. glomus 561. YXuiooa, Y^X51:* Y^^X^5-

557.

YXoopoc, Y^oopea phryg. 563. gluchu altsl., glucharj russ.,

gluszec poln., hluchan

sloven. 601. Gockelhahn 599. #o/er hebr. 285, 288. ^o/H* hebr. 288. YoiS 207, 208.

golqbi Slav. 339, 346, 348,

601. golimbanprQ\iss.,/tolub klruss.

348.

YOJXOC, Y0^"?1 ngriech. 579. goritss alb. 616. slav. 616. altir. 364, 368. Gothen (Gutos Gutans)<Gau-

tar, Gotar 12, 538, 539. Gothen (skandinavische) 45. graculus 331. grachu altsl., goroch russ.,

groch poln., hrdch czech.,

grah, grahor, grahorica

slov.,YP«X°^ ngriech. 215,

216, 218. gradu slav. 216. graeca nux 390. Ypa'fiov, graphium 435. Fpouxot, Graeci 55. ^rq/o it. 609. Granada 242. granato it. 242. granatum malum 240 ff. grano saraceno 505. granum 63. grdvan scrt. 556. gravling, greving skand.,

niederl. 609, 610. grdhra scrt. 375.

a , grecucha , grecicha

russ., hrecka klruss. 506.

«» greffer frz. 434. ^rzAraz lit. 506. griotte frz. 604. ^ro£s alb. 216, 218. grozdu altsl. 90. Grucken 506.

grusa, chrusa slav. 614, 616. gruszia lit. 616. Grutze 560.

poln. 506. 554, 557.

554.

guisne, guigne frz , guinda span. 410.

npers. 258, 592.

lit. 344, 348, 601. gulth goth. 562, 563. Yujrr), Y^TCaptov 529, 530. Gurke 316, 320. guru scrt., ingruo; griuivlt

lit. 556. guth goth. 583. ^M2, gaz, waz, us sum. 368. gwenn, gwiniz bret. 549,

552

g'wino georg. 90. Gybl, Gubel phonic., Gobel

hebr., Guft/a assyr. 568,

569. gyrus, gyrare mlat. 375.

H.

haba sabin. 559. habaro ahd. 553. Habicht; hapuh, habuh ahd.,.

haukr altn., heafoc ags.

370, 375, 601, 602. Hadad-Rimmon 237. Haetumant 594. hafela, heafola ags. 195V

205.

hafr altn. 553. hagre altschwed. 553. halare, anhelare 205. Halja goth. 38. halka, alka iran. 325, 334,.

335.

Hall, hat, halhus 528 Halle 528. haloin kelt. 528. harna 575. hamar ahd. 565. hamidi ahd. 186. Hamster; hamaslro, hamis/ro-

ahd. 469, 610. hamster frz. 463. //ana goth., ^ano ahd., Aona

ags., ^ant altn. 329, 330,

335, 599. hanaf&hd.,hanep Ags^

altn. 189, 190. hanhi finn. 368.

Wortregister.

63^

hansa, hansi scrt. 365, 368. harbuz, garbuz, arbuz, karpus

poln. 320. hardi alb. 91. haricska magy. 506. harjis goth., heri ahd. 528 harinc, herinc, hdring ahd.,

hcering ags. 528. Hartriegel 14. haru ahd., hdr altn. 186,

588.

hasal ahd. 398, 603. hataka scrt. 563. Hataka 563. haubith goth., hfafod ags.,

haujuth, hofud altn. 195,

205.

haurn goth. 453. JiauS, haoiich kurd. 583. Aau armen. 357. hazanra zend. 539. hazzura syr. 615. htbauc altkymr. 370, 374. hebo, hepo finn., hebu, hobu,

hobune estn. 53. Heidenkorn, Heidekorn 506. /iefo agypt. 159. heleco, helk, alkuz kauk.

335.

Helico 550. Hellenen 51. herneju wal. 477. hemera ahd. 409. Heneter 53. henna ahd. 330. Hermelin 608. Hibiscus syriacus 511. Hilmend 594. Hilwan 428. himma goth. 547. hindevdne npers. 317. hinn agypt. 584. hinnus 581. Hippobotos 32. hiranya scrt. 563. Mrs alb. 160. hirnibolla ahd. 205. hirquitallus,hirquitallire55 1 .

hirri ahd. 559.

At'u/b ahd., h£ope ags. 479.

Atven korn., ivin bret. 524,

525.

Afa{/« goth. 555. Meithra goth. 140. hlynr, hlinr altn. 597. Aoe* korn., hwyad kambr.

364, 368. hoha goth., huohili ahd.

554.

Holunder 14. Honig 154. hop jo ahd., hoppe niedd.,

hop niederl. , feldhoppe

476, 478—480. Hophop 478. hordeum 59, 560. Hornung 401. houblon frz. 476, 479. hrains goth. 259.

hramsa ags., ramsen, ramson,

buckrams engl. 195. hrisk wal. 506. hrokr altn., hroc altengl ,

hruoh ahd. 335. hruk, hrukjan goth. 331,

335, 599. hubalus mlat. 476. Aw§sre alb. 204. humall altn., humala, humal

finn., estn. 477, 480. humid cer., komld mordv.,

hombel lapp., «wzaZ lir.,

umala wotj. 480. humlo, fiumolo, humulus, hu-

melo, umlo, Jumlo 474,

477, 478, 479. humus 568. Hunnen 12. huon ahd. 330. Awpa mlat. 476. huron span. 455. hus ahd. 583.

hvairban goth., hverfa altn.

315.

hvaiteis goth. 549, 552. goth 552.

hverfette ags. 319. Hyksos 26.

J.

jagoda,jagodicije altsl. 386. jajin,jain hebr. 70, 91, 92. Japygen 57. tar, ^ar kambr., korn., bret.

600.

'lap§avo? 92. jarden hebr. 92. *arn altir. 565. iasg ir. 573. jastrqbii altsl., jastreb nsl.r.

jastrzqbu poln. 602. jastriti Slovak. 602. Jatnana mat assyr. 288. javor slav. 597. jawds, jawai, jawiend lit

58.

Jaxartes 34. jazva slav. 610. jazvv. slav. 610. Jazygen 1 1 . ipvjva 93.

Iberer 18, 48, 140. ibhar, ibar, jubar altir. 525-- ,;We/ slav. 578. jelt, jela slav. 525. le'pafc 370, 374, 376. tspo? 376. jeY, <fec/e, JiV'eni armen.-

120.

jiewd lit. 525. !XTI?, xti? 458. Illyrier 56, 57, 545. IfiaXta, l|xaXi? 553. zwzft altir. 157. Immaradus 568. impfen ; impjon, impiton ahd.,

impfetenmhd ,z/wptanags.,.

433—435. imputare, pulare, amputare

435.

Indian 598. indi alb. 561, 562. indzaru russ. 102. Ingvaeones 545.

636

Wortregister.

tvvoc, two?, ytwo? 581.

inpotus 433.

\nrhamia, \nhmn, 't'nim'w

agypt. 244. intiisgan , intrusgjan goth.

434, 435. intschir buch., {nf5ir afgh.

102.

?nu assyr. 91. I'nzns preuss. 525.

257.

ior altn. 36. to; 614.

155.

a 40.

40.

iitn6&ajj.oi

bcaoxopootat Ilaiovec 40. OpYjtxioi 43. airo 48. tirrccuv xsvtops? 40, 41.

43.

, ''xxo? 36. 37. t 34. 43. 557.

ischak russ. 580. !ox«£ 95. ishira scrt. 376. Ismarischer Wein 67. Ismaros, Ismaris 567 f. issur hurri assyr. 375. laTo^oeu? 557. ioto? 561, 562. istiiba, izba altsl. 141. iTs'a,^? 15, 569, 570, 585. itrlaukr altn. 202. iuglans 387 390. iuffum 561. Jwfcn armen. 547. ew/ armen. 121. iumentum 52, 64. Jungferchen (Wiesel) 607. Jute 183.

iya, iha ahd., «y, eo/i ags. 525.

iva slav. 525.

ivus mlat., if frz , z'ya span.,

portug. 525. U6? 401. izvisil slav. 141.

H.

A:a, kau alb. 545. xa^dtXXf]? 53. Kabes, Kappes 494, 516. kabud npers. 348. kabutar, kautar npers., kew-

ter, koutery afgh., kotir

kurd. 601. Kabylen 131.

xa^XY]^ xo'^Xa^ 216, 218. xd/po? 557, 558, 560. kqdlli slav. 561, 562. kadis Nuba-Spr. 609. ^jxsia 594. 62.

kaerell, Jcaer bret. 608. Kaft, Keftu agypt. 594. kahrkdpa zend. 331. xaipooetov, xottpooooecuv 167,

185.

fca/ss tiirk. 428. xdxa 598. kakas magy. 599. kakra finn. 553.

a5Xf]Tcx6<; 305. kurd. 320. xaXsco 600.

kalja, Jcalli finn-estn. 155. ka\in armen. 396. kdlinda scrt. 320. xdXt^oi; maced. 94. Kalk 141.

Kalkutischer Hahn 612. KaXXia? 334. KaXXtxapjro? 111. Kalmuk - Targuten , Kal-

muken 18. 141.

dXo£ 248, 592. kalupa lit. 141. kamara, komara altsl. 141. 571.

kamina altsl., komnata russ.,

poln. 141. kammonhebr., kamdna aram.,

y^afxav pun., kamdnu assyr.

206, 208.

xdtjxov, camum 146, 147. kana finn. 330, 335. xava)(Y], xavcxCw, xova^oc,

xava^uiv 599. kanap*, kanep armen., kanab

npers. 190. Kdvat 306. kanapis lit., konapios preuss.

190.

xdvaatpov, xdvtotpov 304. kdncana scrt. 266. Kaneel 306.

xdveov, xdvstov, xavo>v 304. , kzrp alb. 190. liv., kanep estn. 190.

190.

xdvY] 190,304,307. Kanne, Kannengiesser 306,

494.

xavow 561. Kanone 306. Kanonisches Recht 306. kafit/ moksa-mordv. , ka/it

ersa-mordv. 190. kaneh hebr. 190, 306. kapdla scrt. 205.

126.

195, 205. kapinjala scrt. 602. xatrvtoi; 197. kapota scrt., kaputar npers.

348, 601. xdrcpo? 553.

kapus, kapusta slav. 516. XOCTCO? 205. Kapuzinerkresse 513. karagu, kergu tiirk. 374. kardnu assyr. 91. karbe, karve mhd , caraway

engl. 208. karbysch russ. 610. Karde 494. kardelus, kardelis lit. 585.

Wortregister.

637

258. Karer 60, 293. karkom hebr. , karkuina

assyr. (?) 261, 266. karkti, karkaii, krokati lit ,

Slav. 331. Karmanicn 31. karmu assjr. 90. karn.uin rhato-rom. 608. xdpoivov 91. xotpov, careum 208. xapJiooCia ngriech., karpuz,

charbuz tiirk. 317, 320,

321.

karszulis lit. 348. xdprr] 64. xap6a 396, 397. y.apo§f)d, xapoSta ngriech.

397.

xapooosv§pov 397. xapoioioc, xapuam? 274. kdrw6 lit. 545. karwelis lit. 601. kaSa rass. 507. Rase 494.

kask, kasktni armen. 395. Kaspar 317. xdooojjia 14. Kaatafxcuv 389. Kastanienbaum (Aesculus

Hippocastanum) 393,398. xdotavov, xaotdviov, xaatd-

vatov 389, 395—397, 603. Kaotavic, Kaotavla, Kaofta-

vaiYj, Kaoravaia, Kaata-

va'ixov xdpoov 389, 395. fcafrYs goth., Aro£/w slav. 580. xdtta 462, 467. xaovdxv]<; 608. kauris westfinn. 553. kaurn goth. 63. kavkt alb. 320. kavun, kabun turko-tat. 320. kawkassajapafmaruss. 233. kawon poln. 318. ^az turko-tat. 368. kazza ahd., A;of.2e mhd.,

kalte mnd., mndl. altfries.,

kottr altn., Ara<

schwed., catte ags. 467. keekers, licut-kekers preuss.

212, 215, 218. kedi turk. 609. xe§pojJLV)Xa 441. xs§poc, cedrus 440. xscpaX-fj 195, 205.

£Cf>aXa>T6v 195. 215, 218, 558,560. xsipstv 527. XY]xt<: 598. Kelch 494. kelebab , kelley - shir , <yWw

kard. 600.

kelikn goth., celicnon gall. 141. kelin altkorn., kelyn kambr.,

kelen^kelennen armor. 597. Keller 494. kemendte mhd. 141. xYj}xo<; thrak. 546. tendte, ksnd<M alb. 600. kefie, kite cerem. 190. kenevir bulg., kender magy.

190.

xivtpov 60. k'eps alb. 205.

, xarcoi; 205. fcepfi lit. 555. xepdfua 141. xipajxoc, Kepajxe!*; 560. xepac 400, 402. xlpaoo*;, xepdota, xepaaoc

399—403, 409. Kepaaooc 400. xepaxia, xep«Tta, xepateia,

xepcuvia, cerates 450— 453. Kerbel 494. Kep8a> 334. xepxi'c, xpsxetv, xpoxv), xpoxa

561, 562. | xepxoc 331.

kermusze lit. 195. I terp alb. 186, 588. | k'erii alb. 403. kertus lit. 463. i Kessel 494. k'etsi bujnuzu tiirk. 453.

keutaris altpr. 601. lit. 608. osset. 331. Kicher 212, 215. xt§aXov 196. kiddik, kidk, koddik nordd.

210.

Kiezen 610. k'ift alb. 602. xixc, xtxt 209. Kikonen 48.

kindtir, kendir, kandyr turko- tat. 190.

kjonne den danisch 607. Kirgisen 18, 21. xtpxoc 603. Kirnis lit. 402. kirno altpr., kirna lit. 402. Kirsche ; kirsa ahd. 401 , 403. Kirschlorbeer 511. kischuim, kissuim (qis§uim)

hebr. 311, 319. kiti agypt. 584. Kitim hebr. 288. kitonet, ketontt hebr. 164. xtTpdY'fuXov 315. xttptov, xitps'ai 441. Kitze; chitte mittelengl., ket-

lingr altn. 467. klak altsl. u. serb. 141. k len russ., klon poln., klen

czech. 597.

klepas lit., klaips lett. 555. Ultl altsl. , kUtis lit. 140. klewas lit. 597. xXtpavov, xpi^avov, xp'.pdvf),

xpi^avcutoc 555. Klieben, Klauben 202. xXtvotpo^ov 597 xXco^co 561. xXo>Cstv 600. xXoTOTTOoXoc 40. kmin poln., tmin russ. 206. Knaster 306. XVYJXOC xvif]x&c 265, 266. Knoblauch ; chlopolouh, chlo-

volouhj chlobolouh ahd.

202, 205.

638

"Wortregister.

kobyla slav. 53.

6c, xo^oSsto, xoyo 539. 247. v 245. Jcofi altn., co/a ags., Kobe,

Kofen, Koben 530. xoYX^l 614. kogut, kohut slav. 330. Kohl; cAdZ ahd. 494, 516. Kohlrabi 516. xoitapiat. ocvSove? 176. xoxxojJiYjXa, jAYjX

426 xoxxcov, xoxxaXoc,

298, 380.

xoxxopetaYjd ngriech. 423. xoxxu^oai;, xoxxoCco 599. xoxxt>Yea 420, 421. xoxx6|j.Y]Xov 377, 378, 380. xoxxo£ 426. kokomare alb. 320. kokor&Si ho\s1 k. i trasz alb.

423, 424. •kokdS alb. 599. XOXOTOC ngriech. , kokotu, kokosa, kokosi slav. 599. koliba, kolibu altsl. 141. KoXocpuwa rciooa 420. KoXoxaaia 'A&fjva 312. xoXoxojjia 320. xoXoxovfta, xoXoxuvTY) 312,

313, 320. xoXoxoO-fjd , xoXoxuO-i

ngriech. 321.

oXofx^a, xoXojx- 344. oi; 312. xojxapoc, xdjjiopoc, xdjiapo^

405, 409. komld magy. 480. x6jj,(xi 209. kdmorii altruss., komon

czech. 53. kont slav. 53. konoplja altsl. 190. xuivo? 297, 298. xov6C^ 145, 475, 569. Kopf 575.

Korallenbaum 513. koreshi, kureahi kurd. 616. xopsooat 559. Koriander 494. xoptavvov 207. Korinthen 81. Kork 575. kork Pamird., cirk afgh.,

kurk, kerge kurd. 335. xop^xa, xoupjju 147, 148. korombWt alb. 380, v.opofXfjXYjd ngriech. 380. koros kurd. 335. xopDfx^o^ 344. xopDcp-fj 315. Kcupuxo? 261. kostt slav. 317, 320. xotcvoc, cotintts 109, 409,

581.

apfp. ngriech. 298,

303.

xot5jj.apa ngriech. 409. xoovsXi, xoovdoi ngriech.,

kunavje alb. 607. xoojta ngriech. 320. xoop|j.aSf]a ngriech. 281. kraguj altsl., kargo bulg.,

kragulj nslov , kraguj

russ. 374.

Krahe, Krahen 335. kraka altn. 331. kralikas lit., korolek, krolik

russ., krolik poln. 607. xpdjjL^Y], crambe 560. xpdvsia, xpavnov 399, 400,

402, 409. Kranich 375, 601. krastavi, krastavicl slav.

318. kratsavets alb. 321.

krava altsl. 545. xpdCou, xpcoCco 331, 335. kretet slav. 603. KpYjt'.xa xdarava 396. kridusze lit., crausios preuss. 614, 616.

krichaytos preuss. 378.

Krieche; chriah, chrichboum ahd., kriech mhd., krike, kreke mnd. , krikon schwed., krichele, kricheln, krekf.nbaum nhd. 378, 380.

xptjxvoi; 555.

xptjAvov 557.

xptvov, xptvoc 249, 259, 592, 593

xpwc 218.

xptO-Y| 59, 560.

y.oi'O'ivor; olvoi; 145.

tfrk'um armcn., karkum npers. 266.

XpOXOTTSTlXo? 261.

xpoxoc, crocus 260, 261,

266.

xpoxcoto': 260. KpojjLUouv, KpejJiooav, xpojXDOv

194, 201, 204. kropiva slav. 186, 587, 588. krosna slav. 561, 562. xpo>Cstv 331. Krug 494. krsna scrt. 348. krulu altsl., krot russ. 463. krysa russ. 463. alb. 602. 7t6ap.oc,, iruavoc 219,

559.

Kuban 317. Kubel 575. Kuchlein 599. xu8u>vYja Y] a^P'-01 ngriech.

424. KoScoviov jXY]Xov, KuScuvia:

|j.Y]Xi§£<; 245, 247. 440.

t 246.

;u) 219, 320. Kufe 494. xucpt 209.

kukko, kuk finn., estn. 330. kukkuta (kukkuti) scrt. 599. kukumatst? alb. 409. kukunare alb. 303.

Wort register.

639

tViCa 315, 320. Kukuruz 502. •kulumbri alb. 380. Jcumbuh alb. 380. kume, kumelys lit. 53. xojuvov 203, 205. Kumme, Kumpen, Kumpf

494. Kiimmel; chumil ahd., cumi-

num 206, 208, 494. kuna, kunica altsl. 608. Kiiniglein; kiinolt mhd. 607. kunku\ kungul alb. 321. kunkuma scrt. 266. Kunkel 561, 562. xoicdpioooc, 'A^-Yjva Koica-

piooia 284, 285, 288. Kuppel 575. Korcpo^ 288. xop£i- 315. Kiirbiss 318. kurek wotj., kurok syrj.

335.

kurluk tat. 507. kurrat avab., fjourath armen.

204.

kurtinys lit. 601. kuru, kura slav. 330. y.OTivo? 591. XDUOOC, cytisus 405, 407 bis

410.

Kotajpoc, KuTcopov 591. •kvrghti kurd. 374. kwietys, kwietz/iat lit. 549. kyklingr altn. 599.

L..

lacerna, lacinia 186.

laxde altpr. 398.

Xdcpvv] 590.

lagella ahd., %reZ mhd.,

lagena 580. Z'atftf alb. 398. /azr, Idrach ir. 52. ZaZa, /a/e/i npers. 259, 592. /a/) in frz. 456. Larisa, Larissa 60. larix 420.

/a^a, lasica slav. 608. laserpitium 191. laskati slav. 608. lastocka slav. 608. Latiner 58. Lattich, lactuca 494.

215, 218. lett. 538. altn., Zeac ags., louh

ahd. 200, 205. Zaun'o? 454, 607. laurus 235, 413, 590. laurus insana 226. Lavendel 494. Lavina, Lavinium, Lauren- turn 590.

lavo, luo 235, 590. lazda lit. 398. lazzeruolo it. 509. lebedi slav. 344. 606, 607. ; 219. Ugate alb. 545. legorra tessin. 607. legumen 219. Lehne 597. lein goth. 588. Leine 186. Xslo? 187. Xeipiov 249, 250, 258, 259,

592. Xecpo? 259. leithus goth., fid ahd., lid

ags. 151, 159. lekeis, leikeis goth., lekari

slav., liaig altir. 17. Xev.tpov 326. Leleger 56.

toie, ^/zerf, /enrt ir. 186. lenis 212. /en.?, lendis 212. /ens, fenti* 212, 218, 494. lenszis lit., f$sta, leca, leSta,

leca slav., /encse magy.

212, 218. lenta lit. 186. /en^ws 212, 420, 423. lentiscus 420, 423.

Xineiv, XSTCTOC, Xereta 6cp«3- jxata 186, 586, 606.

Xeicopi? 606, 607.

lepus 606.

Lerche 375, 601.

teska altsl. 398.

Xsuxea, Xeuxata 164.

Xeox-yjvoct 387.

Lewcomca, Lingonica 176.

XsoxoTCwXo? 42.

Leute 538.

few 576.

/caw* lett. 220.

/i, 7»»a scrt. 186, 187.

/i&er 586.

Liber, Libera 72.

libisticum 494.

libum 555.

Tjiburnicum oleum 115.

Libycae volucres 360.

Lidnian'i, Licinia oliva 114.

/t'ciwn 186, 561, 586.

Liebstockel 494.

/%e frz. 576.

/tef/, lietas, lyti, lytus, lietus lit. 539.

Lietuwa, Lieluwis lit. 539.

ligo 128, 557.

Liguses, Ligyer, Ligurer 58.

Liguses asperi 57.

Ligusterbaum 513.

lijaii, liti slav. 539.

XtXJJLOC, XtXfXYjtYjp 557.

Xixvov 557.

lilac span. , it. , lilas frz.

510.

lilium 251, 593. limes decumanus 1 1 . Limone; limun arab., limo-

nata it. 444. lin ir., llin kymr., lin korn.-

bret. 186. lin ir. 186. Vinar&t alb. 210. Unas lit., linu slav. 186. linboum, limboum mhd. 597. /t'rcc? altir., /inn, lionn, lean,

l/yn kelt. 151, 159.

640

Wortregister.

Lind, Lindschleisser; linta

ahd., lind&gs., altn. 186,

586, 587. lindi altn. 586. line ags., Una altn., Una ahd.

186.

Xtveoc, Xivaia 186. linhaden altkorn. , linad,

lenad, linaden armor. 587. Xivov 167, 168, 185, 186,

588.

Xtvothopv]£ 168. Linse; linsi ahd., linse mhd.

212, 218, 485, 494. linteae vestes 172. linteata hgio 172. lintei libri 170, 182. linter 186.

linteum 185, 186, 586. linteus thorax 170. linum 170, 185, 186, 588. lipa slav., lepa lit. 186, 586. /zVa 548, 557. lirio rom. 593. Xtotpov 128. XiTat 17. Litauen 539. Xm, Xfta 185, 186, 586. liudan goth. , ljudu slav.,

Ivdis preuss. 538. Hugos lit. 545. lividus 380. //t'aw kymr., lien korn.-bret.

186. lobia kurd., loubiaj armen.

219.

Xopoi 219.

logoro it., leurre frz. 375. (dia) loit ir. 186. Lokrer 56. Aoxpuiv ouvO'Yjfi.a 56.

J'op£» l'°Pa alb- 545.

387. 606.

lorichi, lorichin ahd. 607. loschak slav. 580. Xtwtoc 259. /ou/<, /q/f ahd. 186, 586.

545. /oura ptg. 607. ioza slav. 93. /W&M altsl., stidsl., lubenica

serb. 318, 320. lubu slav. 318. /u£an goth. 200. luku slav., /Hfcaz lit. 200. lunkas lit., /#&o russ., poln.

186, 586. luoder mhd. 375. Lupine 410. lupinus 478. lupti lit. 186, 586. lupulus mlat., lupolo, luppolo

it. 476, 478, 480. lupus salictarius 476, 478,

480. /us altir., llysiau kymr., les

korn. 200. Aooioc; 73. lutertranc lit. 82. /M«a altsl. 545. Luzerne, Luserne, schwe-

dische Luzerne ; luzerne

frz., lamer do prov. 407. Luzerna, Luserne, Lucern

407. Lykier 11.

a, macek slav. 609. mac/ ahd. 63. Madeira 595. madhu scrt. 91. ^aSpoa 377, 378, 380. Magnolie 513. mai pers., mei kurd. 91. majan ahd. 63.

jj-ootr/jpia 405. Maira 67. Makedonen 56, |j.dxsXXa 128. mdkian npers , makian Pa-

mird. 600.

maf alb., mal rum. 545. ir., lett. 545.

malan goth., meljq slav.r

mdlti lit., wze/ alb., molere

63, 548, 556, 559. malina 378. wallas finn. 159. raa/nos lit. 59, 558, 559. jAaXocpo'poc 125. fAaXov, jJ.7]Xov, malum 204,

240, 314, 614, 615. maluensis Dacia 543. Malz 151, 159. Mamaliga 502. jj.ajj.aiic 73.

mami, mamir kurd. 335. mamuli kank. 335. w?a», mand alb. 386. manaseths goth. 539. mandere 395. mando bask. 53. mandorla it. 391. mannus 53, 581. fxavcsia, mantia dak. 386. mantelia, mantela, mantele

173.

marasca it., merise frz, 604. marascino rosolio 400. marcisia 149. mardar ahd., meard ags.r

mdrdhr altn. 608. mare^e, marefe alb. 409. margh osset. 328. fxapYOt 36. mdrjdra scrt. 609. marille ostr.-bair. 428. marka gall., ???arc ir., maraha,

meriha ahd. 52, 149. Markte 140. Marmelade 246. marmotte d'Allemagne frz.

469.

Maron, Maroneia 567, 568. marrone it., marron frz. 603.. wzartz lit. 608. Maschel, masculus 189. wzas/o, maslica slav. 158,

578.

massa 555. Massageten 11, 12, 34.

Wortregister.

641

Massiker 82. jjLC/.-3Ta^, |Aa3ta£u> 420. jj.(/.3ti|, fxaatcc 423. fxaoTtyY) 420, 423. fxaott^o^cupa ngriech. 423. mstekki Kurd., jxaanxi

ngriech., mastih alb. 423. Mauer 140. Maulthier 205. jAtt£a 555. mazare rum. 220. mec"ka slav. 544. wiecAu slav. 544. Meder, Medien 31, 32. medgy, medgyfa magy. 604. jAYjStxY] uoa, medica 406 f. jj.Yj8iv.6v jJiaXov 441. jj.Yj5tv.6r opvi?, MY^OC 325,

353. jjiBo?:; medu, medari, medv*i-

nica slav. 153. mediis, midus lit. 153. Meerrettig 494. Meyap^v odxpoa 195 Meile 494. melagrano it. 242. melanthium, melaspermonWl , melarancio it. 445. Melas, Melantheus, Melan-

thios 67. peXeaYpfc 328, 359, 360,

361.

Melek Taus 358. melga, melica it. 503. JxeXt 160.

mdia azedarach it. 509. meliaca, muliaca it. 426. tuelicae gallinae 328. jxeXifj 524. melimela 246. jj.eXtvYj 59, 558, 559. MEXivcxpafot 558. metis, meles 458, 460, 609. Melisse 494. MeXttYj 66. jxeXmov 153. melo , melopepones , fXYjXo-

Tienwv 313, 314, 319. Viet. Hehn, Kulturpflanzen

melo it., mer rum., wietV rat.,

meleie wal. 615. jjLTjXofxsXt 246. Melone 318. weXr armen. 547. membrillo span. , marmelo

portug. 246. Msfxvwv 334. menyet, meny magy. 608. Menzana 545. mercatus 140. meregha zend., murgh npers.

328. merenn ir., merwydden kymr.

386.

Mergel, marga 494. /«£.v alb. 53, 545. mesiti, meSati slav. 580. fxe'oiuXov 402. Messapier 53. meszka lit. 544. fxetaXXov 62, 567. metere, messis 557.

[AETOp^lOV 127.

Meth; jxs^o 135, 153.

mi do it. 609.

mid altir., merfaltkambr.153.

miel alb. 63.

mielga span. 399.

Micze 609.

milica mlat. 503.

TOi/ttA goth. 154, 160.

mi Hum 59, 558.

|JUjj.aixoXov 405, 409.

Minyer 56.

mir serb., kroat. 141.

Mirabelle; mirabella it. 378.

mischka russ. 609.

Mispelbaum, -japanischer

513.

Mistel; mistil ahd. 604. mitkon arab. 389. jxito? 561.

WJIM, WZI'M^ agypt. 465. m\zgu, iinsku, mfitQ slav.

136, 580. mladina Czech., molodi russ.,

mladu altsl. 159. 7. Aufl.

slav., piwa-maltan

preuss. 159.

moazo altpr., nufoea lit. 608. modru altsl. 380. modith alb. 220. Mohn 312. Mohre 516. moh alb. 615. mollusca nux 390. fxdiXo 199, 200. Mongolen 12, 20. mor, wort, moreni armen.

386. mor hebr. , murrdh aram.

160. jxopa, jJ-ttipa, fxopsa, mora,

morus, morum 383 386. moras mhd. 82. fxopYtov 572. pioptai 109.

Mortel, mortarium 141. Mosch, Musch 608. moschetto it. 373. fxooxoc 63. mostarda it., moutarde frz.

209. mosiico preuss. 608.

, JJLOOUVOI, Moot'voixot

562. 388.

205. armen., wtwrd npers.

235.

mrecht, brecht altir. 539. rurishk kurd. 322. wmc scrt. 136. mucus 604. JJLUX^ 136> 580. Muhle, Muller 556.

|JLOUXY]pOC 604.

136. 63.

span. 581. mulsum 135. ///«/(« 134, 136, 580. Munze, menlha 494. rwur poln. 141. mur altir. 140. 41

642

Wortregister.

Murgentinum 572.

fxopixf] 235.

jAOpov, fxoppa, ojxi'pva 158,

160, 235, 590. Myrrha 591. Mupotvoc, Mopto«Wov 236.

JX/'pTOC, |Al'pTOV, fXOpatVY],

jioppiVY], [AopivY], Myrene,

235, 236, 590. wiurfws 235. muscoiu rum. 136. musculus 467- Musin 19.

mtf& alb. 136, 580. Moaot, Myser 68, 136. muss friaul., musso venez.

136.

jxoooo), |x6|a 604. mustela, mustella 449, 458,

608.

mustum 209. musukkan sum.-akkad. etc.

280.

Mutt, modius 494. JXDTTOI; 136. muzzarelli it. 469. , wyxum 604.

N.

Nabataer 29.

noon's weps., karel. 559.

Nahen 587.

vaTO, vaimov, napus 208,

209. war npers., enar kurd., nurn

armen. 244. nareng1 npers., waran^'arab.,

vepivtCtov byzant. 445. narodu slav. 538. vapoc, vrjpo?, vYjptov 411,

413, 414. nati goth., net, netele ags.

587.

nutra lett. 587. Naukratische Kranze 221 f. nauris finn., nan's, nairis

estn. 559.

slav. 561, 562.

Nelke 511.

nenaid altir. 185, 587.

veio, VYJ^-O) 561.

wen' it. 97.

vepovtoXoxoO-Yja ngriech. 320.

Nesaion, Nesaea, NYJOO?,

Nisaea, Nisiaea, Nioatot,

Nioo? 33. wess kelt. 608. vvjooa 364. neveslulca slav. 608. Nt'yooCa 398.

mH slav. 561.

noatis preass. 587.

noc armen., no/, nal, wo5

npers. 289. noci it. 391. notere lit. 587. nuceres, nucerum 604. nucleus 136. vojjuptTa ngriech. 607. Numidicae aves 360. Numidicae guttatae 360. Nuragen 140. nux castanea, graeca, nuces

calvae, Thasia 387 ff. nytis lit. 561.

O.

oazil bret. 572.

Mulcts, obulys lit. 614, 615.

obssarus lit. 610.

occare; ocet altkorn.,

63, 557. ocec? ags., ocltu altsl., oce< rum., ocat serb. 79. Z 303. 215.

frz. 511. Oenotrer 572. ocpvic 63.

545» 614, 615.

^<;reA;poln. 316. Ohm, Ahm 575. oignon frz. 202. olxETi? 338. oivdt? 338. olvac, oivapov 570.

Oineus 66.

OivwvY] , OtvoYj , Olvtcx^at,

Otvouaaou, Olvecuv 66. Otvcuitei; 68. olvcuTCY] 592. o'voc, otvYj, ^olvoc 70, 71,

91 94 Oivoutpia, Olvcotpot,

73.

Oinotropoi 337. otooc, olao?, oiaov,

olautvoc 572.

36, 602,

61 altn. 151, 159. oleandro, leandro it. 413. oleastella 114. o/ewm 112, 150, 159, 578. oleum Liburnicum 115. o/tva 112, 235, 578. oliva russ. 578. oliva felix, vivax 109, 110. oliva Liciniana, Licinia^.

SaUentina, Sergio, 114. oXjAO? 557. O^M, olovina altsl., o/ neusL

olovin rum. 152, 159 oXovftoc, oXovO-o? 101. oXopa 553, 557, 558. olut finn. 159. owe/a slav. 604. omena finn., umars liv. 614. o)}x6Xtvov 164. onager 21.

ovoc 135, 136, 579, 580. onus 136.

onychinum 377, 378. opulus 572.

Opuntiencactns 2, 513. rfr altir. 562. or frz. 446. orange frz. 445,^446. orarium 173. orchis 112.

cpotuiv op)(aTOi 127.

558.

altsl. 398. Orestheus 66.

Wortregister.

643

133, 134. Orgel, organum 580.

tv8a, opiv- v 496, 497.

73.

^oc, opo^ax)(Y] 591. opopo? 213, 218. Opoxapoov 388. oraz serb. 335. Oppo'c, fcpo? 155, 160. <irt armen. 91. orthampelos 73. opoCa, opoCov 496, 552. osier frz. 572. osTto Slav. 579. Osmanen 13. vspn, osbn armen. 219. osrcpta 219. ootlov 317, 320. ost-hleifr altn. 555. ^otpaxfc 298. oslrovu slav. 546. oftovf], 60-ovta 164, 166,

584, 585. ovalio 113.

altsl. 553.

S so.

597. oxygala 157. 80. 378.

v 374, 602. Ozolae 194. oz'ys lit. 581.

P.

rca)(D<; 155.

payyim phonic, paggd syr.,

paksha scrt. 186.

palar$ alb. 348.

paled 557.

^o/i 73.

pallacaj pallacana 197.

pallidus 342.

Palm, Palmenberg 236.

272, 274, 275, 280,

281, 353, 357, 594. palmare, tunica palmata 272. Palmaria, Palmarola 272. palmes 272.

paVmowoje derewo russ. 236. palmula 275^

Palmyra, Palmira 274, 280. palumbuSj palumbes, palumba

342, 344, 348, 380. Palumbus 602. pamplemousse frz. 445. panciera it , Panzer, pantex

566. pane c?z zucchero it., /?azn

de swc/"e frz. 555. panicum 557 559. panis, pane 557, 559. Pannonier 56. TravoTcXia 169. panteffdna venet. , ponliane

friaul. 468. popdrtis lit., paproc poln.,

paporot russ. 600. Paphlagonier 133. Pappel, lombardische 513. icaieicta ngriech. 368.

420.

finn. 559. c 309. thrak. 546.

46.

145, 569. paras hebr. 53. paradhdta zend., ptehddd npers., ptshddt pehl. 605. parena, perena zend., par

npers., ptr kurd. 600. Tiaptdc 73. parus russ. 179. pusci 559.

pascha rosata, rosarum, pas- qua rosa, rvgiada it. 255. TCaaaaXo? 73. pasteyue frz. 316. pa*e alb., p«^a bulg. 368. pater 573. Patmos, Palmosa 594.

pato, pata span. 368.

paupulare 357.

/?rtUMS, pauo 274, 353, 357.

Pavus, Pavo 354.

pecora it. 462.

peche frz. 426.

571.

pedamenlum, pedum

yp^ov 200. iteixeiv 527. peikabagms goth. 214, 281.

526, 588.

Tie'xo?, TCSOXO? 588, 589. rcexTcfv, pectere, pecten 527,

588.

rcs'Xa, cpeXa 542. Pelasger 56, 542. pel's alb. 52.

pele lit., peZes preuss. 608. eXEidtBsc 235, 338,

342, 348, 601.

542.

pelister alb. 601. peZ/es 434. UcXo?, TtsXios, iceXXo?,

342, 348. pslum alb. 348. Pelzen 433. penelopae 359.

penka russ., pienka poln.,

penek, penka Czech. 589. pepano, be'bano ahd., beben,

pfeben mhd. 320. TceTTtov, pepo; usjtovi, rcercovia

ngriech. 313, 316, 319,

320.

perethu zend. 293. TCepiaiepd, weptotspo? 338,

343, 600.

Ttsptotepal Xeoxai 343. itspiorepscov, neptatepotpo-

cpelov 345. rcepxvoc 528.

pero, praft, pariti slav. 600. persica; pesca it. 426. 41*

644

Wortregister.

persicum malum 426.

Ilepotxa xdpoa 388.

peru ags., lira ahd. 616.

pescanoci it. 426.

peska lit. 215.

pelt agypt. 187.

pesuku altsl., pesok russ.,

piasek poln. 215. ^*a£f lit. 527. rcetdXa 64. peter e 602. Peter silie 494. Petitpas 356. petlu altsl., pijetao serb.,

petelin Croat. 599. TCetpirr)<; byzant. 374. petuch russ. 581. pethemo, pfedamo ahd., p/e-

c?e/n mhd. 320. Peucetiner, Picentiner 572. TteoxT] 235, 296, 297, 302. pfaewtn, pfawm huot mhd.

356.

Pfebe 318. Pfefferbaum 513. Pfeiler, pilariwn 141. pfenich mhd., penile altniedd.

559.

Pferd 494. Pfirsich 426.

Pflug; pUgr altn. 556, 557. pforro ahd., porr ags., pof

alb. 205.

Pforte, porta 141. Pfosten, postis 141. Pfropfen, Pfropfreis, propago

433.

Pfund 494. phaselus, faseolus, phasiolus

219.

phe'Set hebr., cpotot pun. 187. phisel, phiesel mhd., pisalis,

pisale 141. Phonicier 61, 70. phriima, pflumo ahd., plume

ags. 381. Phryger 11. Phytios 66.

piccione rom. 601.

Picea sativa 299.

Picti, Pictones, Pictavi 17,

539-

pfeper alb. 320. pjeite alb. 428. pietlu slav. 330. pigs nose engl. 555. piffva russ. 102, 246, 247. Tttxeptov 155. 7tjxpo8d<pvf] ngriech. 413. pila, pilum 557. piYt'A ahd., bitch mhd. 608. TtlXoc, pilleus, pi/eus 15. j»ma scrt. 302. pinguis 155. pinj-dand Pamird. 560. rctvco, potus^potare 152, 159,

573.

rctvov Tclvo? 151, 152. pinsere, pisere, pisum 214,

215, 218, 549, 557. pinus 302. /?zd oberit. 557. I pioche frz. 128. pipar ahd. 15. pw-e, pi alb. 152. pirw slav. 152^ pirus, pirum 386, 614, 616 pis ags. 190. jD*'£, puS syrj., wotj. 190. piscis 573. pwA scrt. 553. piSeno altsl. 553. i pzso alb. 609.

, ittoo?, retoov 214, 218.

«, piston npers. 423. Tuotcmov,

xia ngriech. , psittacium

423, 605. pistiku altsl. 423. p^ Pamird. 302. pitadrV) pi.ta-da.ru, pitu-ddru

scrt. 302. iriTDt? 298. pituita 302. 557.

296, 297, 302, 595. Pityusen 595. pivo, piti slav., piwis altpr.

151, 152, 159, 480. piwamaltan altpr. 159. pk, pg hieroglyph. 187. TcXaxooc, placenta 555. Platane (amerikanische) 29 5r

513. TiXdctavoc, TCXatdviaTO?, pla-

tanus 293, 296. ptaiino slav. 186. itXatos 293, 296. pldvkas lit. 186, 588. plaumorati (ploum Rueti)

556.

plauszas lit. 186, 588. TrXIxu), plecto 562. Plent, polenta 507. ;>ZevZi altsl. 562. Plethron 558.

TCXYj£lTt7lOC 40.

pljak (pl'ak) alb. 542.

icXtv^o? 141, 218.

plinuta altsl., plita russ.,

plyta poln., plyta lit. 141. ploskon poln. 589. pl'uar, pl'ug alb. 557. p/wcM slav. 159, 608. plvgu slav., plug arum. 556. p/flrti slav. 15. poalis preuss. 601. pochmiel poln. 479. TtoScoxssc 36. poduSwa slav. 14. Poenus 594. poganka poln., pohanka^

pohanina czech., pohdnka

magy. 506. TCOXO? 526. Polei, pulegium 494. polenta 553. TtoXt? 17, 538. pollen 553, 557. itoXto? 553, 555. 7to>Xo<; 52.

pomata it., Pommade 158. Pomeranze 445.

Wortregister.

645

Porno di Paradiso, (fAdamo

445.

Pompelmuse 445. pomum 194, 203, 614. TTovtixov xdpoov, Ponticae

nuces 388. populus 17. populus 538. jiorca 557. Tropo? 546. porrum 196, 205. TtopTt? 64. portogallo it. , rcopTOyaXed

ngriech., protokale alb.,

portoghal kurd. 446, 447. porumb€ rum. 380. posca 80, 573. poskorii slav. 589. poforeit., podar span., possen

frank. ,potenniedd., nieder-

land. 435.

uoupveXfjd ngriech. 380. povololca russ. 587. pra$na scrt. 562. praecoqua,praecocia,Kpa.iY.b-

xta 425, 426. Ttpajjivtoi; otvoc 569. IJpaaiai 196. Ttpdoov, Tipaatd 196, 204,

205.

prosit, prazu slav. 196. pr$deno , prqdivo , prgslica,

prqsti slav. 561. Preussen 44. pri scrt. 600. TrptaSvjXa dak. 476. TCpcot 425. -pOjJievEtov 592. rrpoaxecpdXoua 176. proso slav., prossan preuss.

559, 560.

;rpoo}xvov 377, 381. prunus 376, 377, 381. prugnolait., prunellefrz. 378. Pruzzi 44.

^ivofxai 572. ] 605. 595, 596.

169. 557.

TCTDOV 557.

TCTOOOto, 7tTOX£«;, TTtUXTO? 235,

591.

puccha scrt. 609. lit. 609.

235. pullus 342. pM/s 553, 555. Punicum malum (cpotvtxouv

fxaXov) 240, 241, 244. pupa lit. 220, 559. rcup 551. purae lit. 550. 298.

550, 551, 557 puSek npers., piclk kurd.,

p^oafgh.,jt>i*Pamird. 609. puSika, puSka, putskari slav.,

puska magy. 231. puszis lit. 302. puteus 140. TCU^O?, TCD^tvo? 225, 228,

235, 236, 591. 7to£ivoi atpaxrot 236. Iluloo? 230. puzza ahd. , fewtee mhd.,

Pfutze 140. pyro altsl., pyrei russ., pyr

czech., pure preuss. 550.

qanu bab.-assyr. 190, 307. qaton hebr. 100 quairnus goth. 555, 556.

R.

raft, ro6, rabota slav. 556. ra66z< engl. 607. radius 561.

'a 494.

258.

radastai lit. 258. raaVo slav. 548. ragas, ragutis, ragdtine lit.

401. rajata scrt. 563.

rallum 557.

Barasel, Rams; ramsen, ram- son engl. 195. Ranunkel 511. ropor, rapum 559, 560. rapidus 468. pditD?, pacpavo?, pecpavo?,

pacpavic, ^acpdvvj 559, 560. Raps, caulus rapt 516. rastrum 557. rai frz., ra«o it. 468. rdtas lit. 218. ralis gall., ro*#, raifA altir.,

reden altkorn. , rhedyn

kambr. 600. Ratte, Ratz; rato, ratta ahd.

468.

ratha scrt. 218. raz bret. , rata mir. , raddn

nir. 468

Rebe;repa,re6«ahd.90, 570. re/r altn., rdf schwed., rdv

dan. 362

Reine-Claude 378. Reinhart; renard frz. 334. renso it. 175. ^80> 243, 424. repa slav. 560. reps alb. 560. reptna, »*€p(/ slav. 597. pfjps, pfjpt kopt. 259. Rettich, radix 494. revitovo zrino slav. 214. rAeda 490. rhododuphne, rhododendron

410, 604. r//u*, rhois 424. rhygen, rhyg kambr. 552. ridicae 73. riguet frz. 552. £i>£oci 591. rimmon hebr., rumwdn arab.r

rumdn amh. 243, 591. Rimmon 237. £tC« 258. Robinia 513. rocco ahd., ru^r altn., ryg&

ags. 552.

646

Wortregister.

£o8dxtva, poSav.ivtd, poSa-

xivsa ngriech. 425. ToSeia ToSoirrj 248. rocfr'tf slav. 538.

410.

243,

250, 258, 426, 592, 593. rq/a altn. 559. £otd, £od 237, 238. potSia, £o'i8Y]d ngriech. 244. roma, romeira portug., ro-

mano it., romaine frz. 241,

242.

rope lit. 559. ros, roris 424. rosa 251, 258, 592, 593 roiaria, rosalia 255. Rossj (Flass) 24. 420, 424.

424. rosz magy. 552. rota 218.

ro<; rotes apholes ahd. 243. roz rass., rez Czech. 552. Rube 59, 516, 560. Riibsen, rapicium 516. £68ta 243.

p68-/)v, puoo'v 243, 244. ruffis preuss., rugys, rugial

lit. 552. ruma, ficus Ruminalis, Ru-

minus, Rumina 577. rumpi 573. runcare 557.

Runkel, Runkelrube 560. runo slav. 527. rtdP alb. 91. rusalija slav. , pooodXia

byzant. 255, 256. Rassalken 255f. ruvali slav. 527.

Saale 528. sab Naba-Spr. 609. «a6o/a, sabajum 146. Sabellische S tarn me 58.

Sabos , Sabazios ,

568.

Sabus 571. sacer 376. sacer mlat., sagro it., sacre

frz., span., *acfcers mhd.

376. Saflor; safflow, zaffer engl.

265.

sag armen. 368. saggina it. 503. sagro it. 373. saffurn, sagulum 178, 179. sahasra scrt. 539.

arab. -pers., ^atn Pa-

mird., ^zn kurd. 374.

565. oaivoupog 609. Saken 11, 34. oexxxoc 62. saksan tammi finn., iuwo

mordv. 525. sa/ 528. Salassi 528. Salbe 158. Sallentina 114. saZ< goth., sa^r altn. 528. samo ahd., sewig altsl., semen

preuss., semu lit., semen

63.

samolus 604. san, sanna asset. 91, 190,

546. oavarcat, aavocTmv thrak.-

skyth. 546. Sancus 571. sanguis 158. «a/?pe frz. 128. saqr arab. 376, 603. sdra scrt. 160. Saracenen 29. saraceno grano, ble~ sarrazin

rom. 505.

laparcdpat 543, 546. saras mordv. 600. SdpSet<; 547.

SapStaval pdXavoc 387, 396. 584.

EapSovotov Xtvov 165. odpt? awapov 209. sarimsak turko-tat. 205. sarirej sarrire 557. Sarmaten 17, 44, 45. saroy [?] armen. 289. sarpere, sarmentum 557. sarpis scrt. 156, 158. *«rynpers., sarw pehl., selbi,

selvi kurd. 289. Sarvistan, Selvistan 289. sarytii russ., sareta nord-

turk. 374. sassajuolo it. 345. *at alb. 554. Satren 67. Saiir goth. 205. scalogno it. 193. Scantiana vitis, Scantia silva

572.

scero ahd. 463. scraf ags. 529. scranna ahd. 529. screona mlat. 529. Schalotte 193. Scheffel, scaphum, scapilus

494. schikmim, schikmot hebr.

382.

oxlvo? 106, 420, 423. Schlehe; sleha ahd., s/eAe

mhd. 378, 380. Schmeer; smero ahd. 158,

160.

Schmerl 375.

Schmieden,Geschmeide 525 Schmutz 158. o^olvoc 558. Schonthierlein, Schonding-

lein 607.

Schweinsnase 555. seb npers., siw kurd. 244,

592.

sebocc altir. 369, 370, 374. seca/«, sicale; secdre rum.

551, 554. secare 554. Segs alb. 244.

Wortregister.

647

Segel; segel ags., seyl altn.

179, 188. segolo, segala it., seigle frz.

551.

segusius canis 369. seA ahd. 554. sei'6 altir. 559. Seidel; situla 494, 575. o-fjxaXi, otxXt ngriech. 551,

554. £ekere, i§kere npers., Sakra

pehl. 603. osxooa 100, 319. seldi slav. 528. selku, §elkovica altsl. 386. .veto* lett. 562. se/vz'alb., se/w' ttirk., selvija

bulg.,oeX(:i[vi ngriech. 289. sem, sim npers. 583. Semben 44. Semele, Se|A£Xfj 568. oejuSaXi? 557. Semiten 56.

341. phryg., semu altsl.

547.

stol, sdol, sedl altir. 179. serere 548. sent altsl. 528. serum 160. seschen agypt. 259. tti hebr., s$, stn 6Y agypt. 187. oeoeXts 209. sess ir. 200. sell lit. 559. oeoiXov 494. sex 158, 200. o-fdxa ngriech. 414. ocpdXXstv 577. 577.

577.

shidchi agypt. 244. otpfoq 244, 592. sicera, otxepa 614. jSicyon olifera , Sicyonias

baccas 110. •Sichel, seca/e 494. fltfrq 237, 238, 244.

, StSouoaa, 238.

Siegwurz 195, 202. Sigynnen 35, 54. atxo?, otxua, oixoo?, osxoa,

oexoslOO, 312, 316,318,

319, 577.

sild altn., silU lit. 528. otXt 209. silicernium 559. si%o 557.

siliyua graeca^ syriaca 451. Silo slav. 14. Silphion 112. silubr goth. 563. oifA^Xot 135. simila, similago 553, 557.

sinapis , sinape sinapi

208, 209. otv8a>v 187.

Stvamxa xdpua td 388. sinteins goth. 151, 214. &/?£/& serb. 244. siramarg armen. 357. siraplis preuss. 563. «V* armen. 258. otaapov 209. sisern armen. 218. sisu assyr. 53. oitoc 550, 552, 553, 557. siula ahd. 14. siwdk, siwy slav. 342. sizer, sezer nordit. 215. sizjak, sizyi russ. 342. oxajxcuvta 208. oxdictstv, oxarcavY] 128. skar^du altsl. 196. oxdpxYj thrak. 564. skatts goth., skotu slav. 52. OXYJVYJ des Orestes 222. oxiXXa 196. Skind alb. 423. oxopoSov, oxop^ov 196, 204. slad slav. 159. *7awa slav. 216. slanutuku slav. 216, 220. Slaven 43.

slivovica slav., sliv

neusl. 378, 379, 380. §lor arraen. 380. slywa lit. 380. smairthra goth. 160. smakka, smakkabafftns goth.

102, 577. smayate scrt. 479. smejq $$ altsl. 479. ajrf]Vf) 135. smerlo it., esmirle proven9-,

smeriglione it. 375. smiegen ahd. 479.

ofxiXo? 477,479, 525. ajxiXfj 525. lit. 215. a|uvu?, ojxivuf) 128. smoky, smokuvi, smokva slav.

102, 578. smoku altsl. 102. swoV, smdrja schwed. 158. smykati s$ altsl. 479.

235.

alln., sneise mhd. 585. soc frz. 554. socc altir., «oc neuir., swch

kymr., socA korn., *owM,

*o<fA bret. 554. sotivo, sobevica, soczewica,

soczka, sofovice slav. 212,

219.

sogan tarko-tat. 205. so ha altsl., socha czech.,

pososcyna kleinruss. 554. sokolu slav., sakzlas lit. 376. soku altsl. 220. Seller, solarium 141. somaro it. 579. sommaco it., sommdq arab ,

ooujx'xxi byzant. 421. sonkur npers. 374. Sonnenblume 317. nor a, sdros lit. 559. sorgo it. 503. soSanndh (susan, susannah)

hebr., SoSaneld syr., sausan,

susan arab., SuSun armen.,

susan pers. 249, 259, 593.

648

Wortregister.

kopt. 259. sosonu altsl. 259. oooxXou , ooox(X

280.

Souoa 259, 592. ooooov 592. orcdStS, aita 274, 594,

595.

arcaco 595. sparawari ahd. , sparaviere

it., fyervier frz. 375. Spargel 494. oirdptov 589. orcdthr], spatha 561. Speicher, spicarium 494. spelza ahd., speft niederd.

555.

Spindel 61. spionia, spinea 573. .s/>or<« 589. OTtopt? 589. srebro slav. 563. srupu slav. 557. CTa<poX*rj 91. **5&tes lit. 561, 562. stanu slav. 561, 562. staros lit. 610. oteXex0? 66.

orf]jjuov, stawen 561, 562. Sterz 507. ottpt 209.

slav. 549.

209.

tenacissimn 164. stipula 549. sftva 557. Stoppel 549. Storch 375. stramenta 176. Strasse, vt'a s/rato 140. strigare 557. atpo^tXo? 298. Strom 546. otpou&ta 247. StpujxcDV 546. strutheum malum 246. Stabe; stufa stuffa, stuba

it. 141.

stuot ahd., sloe? ags-> altn.,

stodas lit, sfarfo slav. 24,

52.

stupea messis 171. ot'jpa^, storax 421, 422. sthavi scrt. 562. stt&er 576. subsericus 187. subula 14. SMCUS 380. sudarium 173. st/efes 73. suere, sutor 14. ooyxotjpiov byzant. 374.

ooxojxopoc, ouxo- a 382 bis 385, 577. ngriech. 385, , T6Xv] 577. ouxtvo? &v-f]p 97. ooxov, TUXOV, aox-rj 100, 101,

124% 312, 319, 577. sum hebr , <wn arab., oooji

pun., 5Mwiu [?] assyr. 192,

204.

summatu assyr. 348. Sundrd arab., Sunndrd arara.

609.

supparus 173, 187. surdu, surda assyr., sum.

375. suri 73.

surio, surro ahd. 202, 205. §urman sumer.-akkad , Swr-

menu assyr., §urbind syr.

288.

ou?, sus 577.

sus hebr., susjd aram. 53. susina it. 378, 380. swatan, swete ags. , sicats

schott. 159. Svatovit 44. sveklu slav. 494. swogunas lit. 202, 205. szaka lit. 554. szannonys , szermonys lit.

608.

szczitr poln. 463 szeiwa lit. 561.

Syringe 510. syrit altsl. 160. szalc&ias lit. 610.

T.

', iaor fin.-estn. 152.

40.

Tadmor 274, 280, 353. taeda 440. tdt ngriech. 553. taivas finn., taevas estn.r

<oyas liv. 16. tahshan scrt. 524. ta/Ja, io/a 197. to/yoa 462. idmar, tamar , fower hebr.

269, 274, 281. Tanais 34. Taouc, tau><; 274, 350, 357^

358.

taphphuah hebr. 615. far perm., lur wotjak. 364^ Tarantas 317. Tarpan 52. TaptY]03ia Y«XY] 455. tatarka czech., kleinruss.,

tatdrkam&gy,, tattari&nn.y.

tatri estn. 506. Taterkorn, Tatelkorn 506. Taube, taub 601. taopoi;, taurus 64. tava'fc ostjak., tavok, tauq

turko-tat. 335. taxo, taxus, tasso, taxeusy.

taxonicus 609. taxus 524, 525. tedzrev npers. 362. tegula 141, 494. teiller frz., tiglio it. 186r

586. TEtx°? 546.

T£XT(UV 524.

<c^a 561

TYjXt? 410.

temetum 93. 557. kurd. 358.

434.

Wortregister.

649

tlpjitvO-o?, Tpejju- 0-oc, terebinthus 418, 423, 424, 605.

T?psjivov 141.

Tergeste, Triest 545.

tlpjJLa 595.

termes, termo, terminus 595.

termites 274.

tero 553.

terSsre alb. 553.

terwe, tarwe mittelndd. 560.

terzeruolo it. 373.

tesati altsL 524.

Tstapoi, tatupat 362, 363, 364.

opov 315, 316, 321

Scov, tetpatov, tetrao 363.

tetrevi, teterevt, felrja, teter$ altsl., teterev, teterja russ., cietrzew poln., tepefy Czech., teterwa, fytaras lit., tatanois preuss., tettera, tetteris lett. 362.

feJn finn., tedder estn. 364.

*X'-< agypt. 120.

Teukrer 68.

texere 561.

//AWerschwed., tuir dan. 356.

ft'ftt'a 303.

tibialia vel coxalia Una 178.

Tiegel, iegula 141, 494

Ti'fYj 557.

/?'&, ty«& magy., cfo'& kurd. 330.

Tilaventum , Tagliamento 577.

iilia 186, 586.

TiXXetv, tiXXeoS-at 527.

tina 574, 603.

tinunculus, tina 603.

ft'ntw 225.

tirnpauma ahd. , dernlein, dierlein 403.

tisii, tisa, tis slav. 525.

tittiri scrt. 363.

<?'«u assyr. 101.

tma russ. 540.

togei tamul. 350.

Tomate 514

tomenta 176.

<ona proven9., ion/ie frz., Tonne 494, 574.

Topferscheibe 560.

topiarii 230.

<o^o it. 462.

tor hebr. 601.

fowrao portug. 608.

TO£OV 524, 525.

Tpa^o? 57, 65.

traduces 573.

rpayoc, Tpa^av 550, 551.

trama 561.

trangul alb. 321.

transvectio equilwn 113.

trapetum, trapetus 111, 112.

trementina it. 423.

423. altsl. 141.

treSnoti nslov., tresnuti russ., trestati, trestina rass., treska, tresku, tresnqti altsl , *res& bulg., triska'i, treskati croat. 434.

tpiavtacpoXXsa ngriech. 593.

Triglav 44.

tr intense 553.

fripudium solistimum 327.

friticum 553, 557.

triiiszkis lit. 607.

troclea 136.

po/6( 62, 609. Troglodyten 529. ahd. 90. v, tpuCto 338, 601.

trugti, altsl. 545.

frti&ur, /ri/A;^' lit. 434.

tr^stt altsl. 598.

/rz^stt rass. 607.

fruszfe lit. 598.

Tputavrj, trulina 598.

trzemcha, trzemucha poln. 195.

tschnkir tttrk. 376.

tschark, fargh npers., tsdrgh, . 374, 583,603.

tschindr, tschandl pers. 293.

Tschaka 502.

tseresznye magy. 401.

tSotSobanuze alb. 453.

tughan turk. 374.

tuir end altir. 553.

tiiirinqm zend. 160.

/ti&atf Slav. 561, 562.

tukkijim hebr. 349.

TOXOV 100, 101, 577.

rt*to scrt. 386.

toXat 176.

Tulpe, tuUpano it. 510.

Tulpenbaum 513.

turner e 538.

tunica 60.

June ahd. 529.

turcium, turcicum frumentum

505.

Tiirken 12, 18, 50, 509. turkey cock, turkey -corn engl.

612.

Turkmenen 20. top6<; 160. turris, Thnrm 141. turtur 601. Tusker 73. fuz armen. 101. tyky, tykva altsl. 100, 318,

319, 577.

Tyrus, Sor, Sar 577. fzeni armen. 102.

ngriech. 423. byzant. 374.

til, ft.

Thahshem altndd. 610.

114.

alb 403. alb. 551.

40. 410. Thesproten 56. thidurr , thidr, thidhr altn»

362, 363.

•8-tefs, J?£ra alb. 218. tAfudci goth. 17, 538. Thogarma 133.

650

Wortregister.

@paxe?17,43,56,57,67,543. ftofAO? 205. •8-6a> 197.

U.

ubba estn. 559. w&in, uviri) awn, ounestn. 614. udis lit. 561. Tf]?, TEOC, /7ye 568. 6cpalvu> 561, 562. ug6 lit. 91. 6to<;, 6ff], 6wv, otrjv 73, 93,

568.

616?, 66? 568. vksus russ., ukuosas lit. 80. wZez slav. 582. ulpicum 196.

umdrs liv., omena finn. 614. Umbrer 58. ungere, unguere 157. wmo 202, 205. «r»MS 205. Svvic 557. uochumil, uochunrilo, uoqe-

milo ahd. 479, 568. 317.

108. oicepo? 557. upupa 478. Uranos 16. Urartu 547. urceus 495. wrsws 544. urus 467. wrvara scrt. 553. *7«7 etr. 562, 563. uslo russ. 562.

pers. 406, 409. 73.

ttf&a russ., w/fa serb. 364. uva 91. wz/V/rtturko-tat., udsiimmong.

91.

V. W.

va scrt., vayati 562. vaf scrt., vas osset. 600. vacca 64.

Wadmal 181.

waganso ahd., wagnis

preuss. 63.

wain athiop., arab. 70, 91. vaj magy., wuoj lapp., woi

finn.-estn. 157, 160. waiwaras, wowere lit., ve-

vare preuss , veverica slav.

455.

van go, 128.

ivannags, wannagas lit. 603. wannoweho, wannunwechel

ahd.; Wanne 603. vannus 557, 603. varannio regis 38. vard, vardeni arinen., ward

arab., varddh aram., vert

kopt. 258, 592. varedd zend. 258. vans mhd. 53. Warnen 45. Varunas 16. warstas lit. 63. vasdg osset. 600. vascuium 575. waska russ. 609. Weben;z/;e6anahd.561,562. Webstuhl 61. Weichsel 401. Weide 93. Weiler 140. vein goth. 90, 94. Wein wilder, Vitis Labrusca

512.

Velia 527. velibqdu russ., weloblundis

altpr. 581. vellus, vellere 527. Welscher 598. vent alb. 91, 92-94. Veneter 51.

werpti, warpstg lit. 561. verticillus 561. vertragus canis 369. ue?-2:a it. 516. Weymouthskiefer 513. via calcata 141.

poln., v/a« serb. 615.

vicia 216, 220, 494.

Wicke: wiU lit. 216, 494.

viddla scrt. 609.

We, wio ahd. 376.

w'eB alb. 610.

Wiede, Langwiede 585.

Wiedehopf 478.

alb. 610. vieo, vitis, vimen, vitez, vilta

90, 93, 569, 570, 585. wtho ahd. 376. wihsalanM., Weichsel 401. villas, [?], villare mlat. 140. vilvan goth. 527. uzna Laticina, Gazitina,

Gazetic-Ji) Gazeta 84. t'ina Raetica 75. vinaigre frz., vinegar engl.

79.

vinalia rustica, prior a, 72. Windhund 369. Vindobona 549. m'no slav. 90, 94. vinum lat., yini«umbr.,volsk.,

7ttntA;u5 osk., umw falisk.

71, 90, 93, 94, 569,570. vinum moratum 82. passum 569. -.*• Praetutianum 74.

Pucinum 74. Wintspiel 205. vto/o 257. virga lanata 113. viridarii 230. virus 614. visciola it. 401. viscu's, viscum 401. visnja, vi§rii slav., wyszne

lit. 401. n'.son 467- Vistula, Visula; Vi*/a slav.

401.

visula 572.

wi's.2^ lit , oHsta lett. 600. ?i7/< ahd., wide, widen, lane-

wit mhd. 585. witesa ahd., Wistkummel

208.

Wortregister.

651

vitis alba 585.

- Aminaea, Aminea 572.

- Allobrogica, Biturica,

Biturigiaca, helvena- cia, elvenaca, helven- naca 78. spionia 74.

vito alb. 601.

vitulus 64.

vib, vfii alb. 615.

viverra 455.

vlasu slav. 186, 588.

wobsdus lit. 610.

woble, wobalne preuss. 614.

woid-ma finn.-estn., wuoitet, wuoitas lapp., woitoa, ivuoitelee finn. 157.

volu slav. 611.

vomer 557.

vomis 63.

vorsus 63, 557.

vratilo, vreteno slav. 561.

vrihi scrt. 496, 543.

vrka scrt. 554.

urwus alb., (Bpoo(3a ngriech. 210.

uwZ/a goth., wilna lit. 527.

w$rcas lit. 90, 94.

vyse, wns^e preuss. 553.

X.

^wpte'pi, £ecptepi ngriech. 602. , 4t[J.ppai 244, 591.

|ivopo8a ngriech. 244. £oXoxspaTY]d ngriech. 453. 3.

Y.

, yavasa scrt. 59.

^ ynne-leac ags. 205. £r altn. 524. yw kyrar. 524.

Z. zajferano it., azafran arab.

265. zaffrone it. 265.

tiirk., C^Y*VO? byzant. 374.

aVfti, «'o/e lit. 544. 544, 546. Zamolxis, Zalmoxis 544. zappa it., sappe frz. 128. zaranya zend. 563. zarddlu parsi., zerdale kurd.,

z€rdtli turk.-pers. 428. z'ebenksztls lit. 608. z'eglys lit., ^a^'eZ poln.

179.

Ceta 58, 557. Zeiber tyrol. , cibara slov.

378. Zeidler 582.

apoupa 58. al uotxiXai 546

Druckfehler.

altsl. 396. altsl. 567. zelije, zelenu slav. 547. CeXxta 547. Zelter 494.

CefxsXev, zemelo phryg. 568. Ceto 159.

zerdeli bulg., serb. 428. Cstpata thrak. 546. Ceojj.a phryg. 547. Ziegel 141. Zieser 215.

thrak. 94, 546. lit. 219, 220. Zirq, altsl. 610. ^ffto, ziti slav. 550, 553. zZaio slav. 562, 563. zluva slav. 608. CooYiovep 64. zrwno altsl. 63. Zriinuvu slav. 556. zucchero it. 509. Cuyaiva 64. ZupiSte, zupiliSte altsl., ^wpa

poln. 529, 530. zurd npers. 560.

uftos, zythum 143,

144, 159, 160.

altsl. 546. Zwetsche 378. Zwiebel 494.

S. 32, Z. 9 v. o. lies aptOTO?. S. 53, Z. 18 v. u. alb. mss. S. 235, Z. 22 v. u. TIUXVO?. S. 266, Z. 3 v. o. XVYJXO?. S. 288, Z. 20 v. u. hebr. beroS. S. 319, Z. 12 v. o. scrt. cirbhata, ctrbhati, cirbhita, S. 368, Z. 19 v. o. cymr. gwydd; Z. 22 v. o. slav. j S. 396, Z. 2 v. u. ^dcXavot. S. 525, Z. 1 v. o. ags. w. S. 552, Z. 3 v. u. alb. barb. S. 571, Z. 15 v. u. franzosische.

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