IN MEMORIAM
FLOR1AN CAJORI
KURZER ABRISS EINER
GESCHICHTE
DER
ELEMENTAR-MATHEMATIK
mit Hinweisen
auf die sich anschliessenden hoheren Gebiete
von
KARL FINK
Professor an der Realschule zu Tubingen
Tubingen 1890
Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung
Ft?
Druck von H. Laupp jr. in Ttibingoii.
/
V o r w o r t.
Wenn die Geschichte einer Wissenschaft Wert fur jeden
besitzt, welchen Beruf oder Neignng in nahere Beziehung zu
ihr bringt, — wenn die Kenntnis dieser Geschichte unab-
weislich fur alle ist, deren Wirksamkeit einer Weiterentwick-
lung wissenschaftlicher Prinzipien oder der Wege ihrer nutz-
bringenden Anwendung gilt, so ist die Bekanntschaft mil;,
dem Werden und Wachsen eines Wissenszweiges besonders
wichtig auch fur denjenigen, der die Elemente dieser Wissen-
schaft lehren oder in die hoheren Gebiete derselben lernend
eindringen will.
Die vorliegende Geschichte der Elementar-
mathematik beabsichtigt , Studierenden der Mathematik
einen historischen Ueberblick fiber die elementaren Teile
dieser Wissenschaft zu geben , und dem Lehrer der Ele-
mente Gelegenheit zu verschaffen , mit wenig Zeitaufwand
die ihm zum grossen Teil langst bekannten Dinge im 7ai-
sammenhang ubersehen und beim Unterricht in gelegenfc-
lichen Bemerkungen verwerten zu konnen. Die erfrischende
Kraft historischer Bemerkungen gerade fur den Elementar-
unterricht ist von keiner Seite bestritten worden , und
es gibt ja Lehrbiicher fur die mathematischen Elemente (es
seien unter den neueren nur die Baltzer'schen und Schubert'-
l W
schen genannt), welche der Geschichte der Wissenschaft, der
sie dienen, in besonderen Anmerkungen eine gebuhrende Stelie
einraumen. Es ist nun gewiss wunschenswert , dass gegeri-
uber Yereinzelten historischen Hinweisen eine zusainmen-
IV Vorwort.
hangende, freilich nicht fur die Hand des Schtilers bestiramte
Darstellung der Geschichte der Elementarmathematik geboten
werde, nicht als Ersatz der grossen Werke iiber Geschichte
der Mathematik, sondern nur als erstes, in den Grundtonen
besonders deutlich gehaltenes Bild der Hauptergebnisse mathe-
matischer Geschichtsforschung.
Hier ist der Versuch gemacht worden , die Geschichte
der einzelnen Gebiete mathematischen Wissens von einander
abzusondern , dergestalt , dass der Reihe nach iiber Zahlen-
systeme und Zahlzeichen , iiber das gemeine Rechnen , die
allgemeine Arithmetik und Algebra, die Geometric und Tri-
gonometric berichtet wird , um auf diese Art innerhalb des
engeren Kreises eines Sondergebiets der Elemente cine rasche
und sichere Orientierung zu ermoglichen. Allerdings kann
gegen ein derartiges Verfahren der Vorwurf erhoben werden,
dass auf solche Weise der kulturhistorische Gesamtiiberblick
einer gewissen Epoche notleidet. Allein man moge zugeben,
dass es sich bei einer Geschichte der Elementarmatbematik,
bei einem in so bescheidene Grenzen eingeschlossenen Schrift-
chen nicht um cine erschopfende Schilderung ganzer Zeit-
raume mit alien ihren in die Vergangenheit und Zukunffc
greifenden Wechselbeziehungen handeln kann.
Von vornherein ist darauf verzichtet worden, die nicht
minder interessante geschichtliche Entwicklung der Mechanik
und Astronomic darzustellen. Obwohl nicht geleugnet werden
kann, dass durch diese Abtrennung verwandter Gebiete dem
Ganzen das Geprage einer gewissen Abgeschlossenheit fehlt,
so darf doch die Hoffnung ausgesprochen werden, dass dieser
Mangel in einer Darstellung der elementaren Partien der
Mathematik, die sich mit jenen Zweigen nur wenig beriihren,
sich nicht allzu sehr fiihlbar machen wird gegeniiber dem
Bestreben, das Notwendigste in einem eng begrenzten Rahmen
zu bieten.
Im Interesse einer moglichst gedrangten Schilderung
Vorwort. V
mussten ferner die biographischen Notizen , welche einer
/ breiteren Darstellimg oft grossen Reiz verleihen , in einen
besonderen Abschnitt verwiesen werden ; dieser enthalt auch
als Anhang die Namen der Mathematiker der Gegenwart,
soweit sie an Hochschulen oder an den der Fortentwicklung
der mathematischen Wissenschaften in hervorragendem Masse
• dienstbaren Zeitschriften thatig sind. Dieser Anhang ins-
besondere will in keiner Weise Anspruch auf Vollstandig-
keit erheben.
Die Entstehung dieses Buches ist auf Anregnngen zu-
riickzufuhren , welche der Verfasser bei Gelegenheit der
h alb mon at lichen Zusammenkiinfte eines von Herrn Professor
Dr. A. 'Brill gegriindeten und geleiteten »mathematischen
Kranzchens« in Tubingen erhalten hat, und fiir welche hier
der geziemende Dank ausgesprochen werden soil, insbesondere
dem Vorsitzenden jenes Kranzchens gegeniiber, dessen Aus-
fiihrungen ftir einzelne Teile der vorliegenden Arbeit be-
stimmend geworden sind. Diese Vereinigungen haben dem
Verfasser erwiinschte Gelegenheit geboten , durch die den
verschiedensten Gebieten der Wissenschaft angehorigen Vor-
trage, durch jeweils sich anschliessende Diskussionen und Be-
sprechungen der jiingsten Litteratur in jene Gedankenkreise
einzudringen, welche heutzutage die hoheren Disziplinen der
Mathematik beherrschen. Das war denn auch fiir ihn der
Anstoss, seine Studien durch Eingehen auf die neueste (>?.-
schichte der Wissenschaft zu vervollstandigen. Die Ergeb-
nisse solcher Untersuchungen finden sich in diesen Blattern
niedergelegt, vielleicht in grosserer Ausdehnung, als es fiir den
nachsten Zweck des Buches notwendig und dem Titel entsprechend
erscheint. Aber bei dem Mangel einer derartigen Zusammen-
stellung wird man einen ersten Versuch, der als solcher wohl
auf eine freundliche Beurteilung Anspruch erheben darf,
angesichts der fortwahrend sich weiter spaltenden Wissen-
schaft fiir nicht ungeeignet halten7 wenn man noch beriick-
VI Vorwort.
sichtigt, dass es nicht wohl moglich erscheint, eine scharfe
Trennungsmarke zwischen der elementaren und hoheren Ma-
thematik zu errichten , da einerseits gewisse Problem e der
Elementarmatbematik nach und nach zur Entwicklung hoherer
Gebiete Veranlassung gegeben haben , und andererseits aus
den Errungenschaften eben dieser neuen Zweige ein belles
Licht auf elementare Teile gefallen 1st. Zudem mag es
manchem Studierenden und Lebrer angenehm sein, aucb bier
wenigstens das Grundlegende zu finden.
Die uberaus reicbe, namentlicb deutsche Litteratur, welcbe
dem Verfasser zur Verfugung stand , findet sicb in einem
eigenen Verzeichnis zusammengestellt und es ist auf diese
Zusammenstellung im Texte nur durch Nummern verwiesen,
um einer Ueberzahl der lastigen und das Auge ermiidenden
Fussnoten zu entgeben. In reichlicbem Masse ist vom Ver-
fasser das treffliche »Jahrbuch fiir die Fortschritte der Ma-
tbematik« benutzt worden, welches in iibersicbtlicber Grliede-
rung die neuesten Erscbeinungen der matbematiscben Litte-
ratur aufzahlt und bespricbt.
Tiibingen, im Juni 1890. K. Fink.
Inhalts-Uebersicht
Seite
Vorwort Ill
Allgemeiner TJeberblick 1
I. Zahlensysteme und Zahlzeichen .... 4
II. Gtemeiues Rechnen.
Ueberblick / 14
Erste Periode. Das Rechnen der altesten
Volker bis zu den Arabern.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen 18
2. Das Rechnen mit Bruchen 24
3. Angewandtes Rechnen 26
Zweite Periode. Vom 8. — 14. Jahrhundert.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen 27
2. Das Rechnen mit Bruchen 31
3. Das angewandte Rechnen 32
Dritte Periode. Vom 15.— 19. J,ahrhunde rt.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen 32
2. Das Rechnen mit Bruchen 38
3. Das angewandte Rechnen 39
m. Allgemeine Arithmetik and Algebra.
Ueberblick 47
Erste Periode. Von den altesten Zeiten bis
z u den Arabern.
1. Allgemeine Arithmetik 48
Operationszeichen der Aegypter 48. Die griechische Arith-
metik 49; Benennungen und Zeichen 49; zahlentheoretische
VIII tnhalts-Uebersicnt.
Seite
Untersuchungen 50 ; Reihen 52; das Irrationale 52; negative
Grossen 54; die grossen Zahlen bei Archimedes 54. Die
romische Arithmetik 55. Die indische Arithmetik 55 ; Be-
zeichnungen 55; negative Zahlen 56; das Potenzieren und
Radizieren 56; Kombinatorik 56; Reihen 57. Chinesische
Arithmetik 57. Arabische Arithmetik 57; »Algorithmus« 57;
Wurzelzeichen 58; Zahlentheoretisches 58; Reihen 58.
2. Algebra 59
Die Aegypter 59. Die Griechen; Form einer Gleichung
59; Gleichungen ersten Grads 60; Gleiehungen zweiten Grads
(Flachenanlegung) 60; Gleichungen dritten Grads 63; un-
bestimmte Gleichungen (das Rinderproblem des Archimedes;
Oiophant's Losungen) 63. Die indische, chmesische und ara-
bische Algebra 65.
Zweite Peri ode. Bis zur Mitte des sieben-
zehnten Jahrhunderts.
1. Allgemeine Arithmetik 72
Bezeichnungsweisen der Italiener und der deutschen Cos-
sisten 73; die irrationalen und negativen Grossen 76; Po-
tenzen 78; Reihen 79; Stifels Wurfelverdopplung 79;
Zauberquadrate 80.
2. Algebra ....... 81
Darstellung der Gleichungen 82; die Gleichungen ersten
und zweiten Grads 82 ; die vollstandige Losung der Gleich-
ungen dritten und vierten Grads auf italienischem Boden 85 ;
Arbeiten der deutschen Cossisten 86 ; Anfange einer Theorie
der algebraischen Gleichungen 87. .
Dritte P'eriode. Von der Mitte des sietjn-
zehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 88
Bezeichnungen 89; Pascal's arithmetisches Dreieck 89 ; die
irrationalen und komplexen Zahlen 90; Grassmann's Aus-
dehnungslehre 97; Quaternionencalcul 98; Logikcalcul 99 ;
KettenbruchelOO; eigentliche Zahlentheorie 101 ; Tafeln der
Primzahlenl07; symmetrische Funktionen 109; Elimination
1 09 ; Invariantentheorie 111; Wahrscheinlichkeitsrechnung 113;
Inhalts-Uebersicht. IX
Seite
Methode der kleinsten Quadrate 114; Kombinationslehre 115 ;
Reihen 116 ; Auflosung algebraischer Gleichungen 119 ; Kreis-
/ teilungsgleichung 123; Untersuchungen von Abel und Ga-
lois 126; Verwendung der Substitutionentheorie 127; die
Gleichung fiinften Grads 127; angenaherte Bestimmung
reeller Wurzelwerte 128; Determinanten 129; Differential-
rechnung und Integralrechnung 130 ; Differentialgleichungen
135; Variationsrechnung 138; Elliptische Funktionen 140;
Abelsche Funktionen 145 ; die strengere Richtung der Ana-
lysis 146.
IV. Geometrie.
Ueberblick 148
Erste Periode. Aegypter und Babylonier 149
Zweite Periode. Die Griechen 151
Geometrie bei Thales und Pythagoras 151; Verwendung
der Quadratrix zur Quadratur des Kreises und zu der Drei-
teilung des Winkels 152; dieElemente Euklid'sl54; Archi-
medes und dessen Nachfolger 155; die Lehre von den Kegel-
schnitten 158; ebene, korperliche und lineare Oerter 163;
die Flachen zweiter Ordnung 165; die stereographische Pro-
jektion Hipparch's 167.
Dritte Periode. Romer , Inder , Chinesen, Araber . 167
Vierte Periode. Von Gerbert bis Descartes .... 170
Gerbert und Leonardo 170; Widmann und Stifel 172;
Viete und Keppler 174; Losung von Aufgaben mit nur
einer Zirkeloffnung 176; Projektionsmethoden 177.
Funfte Periode. Von Descartes bis zur Gegenwart. 178
Descartes' analytische Geometrie 179; Cavalieri's Methode
der unteilbaren Grossen 184; Pascal's geometrische Arbeiten
186; Newton's Untersuchungen 187; Cramer'sches Paradoxon
189; Pascal'sche Schnecke und andere Kurven 189; analy-
tische Geometrie des Raums 190; einige kleinere Unter-
suchungen 191; Einfuhrung der projektiven Geometrie 193 ;
Mobius' barycentrischer Calcul 196 ; Bellavitis' Aequipollenzen
197; Pliicker's Untersuchungen 198; die Steiner'schen Ent-
wicklungen201 ; Malfatti's Aufgabe 202; v. Staudt's Geometrie
X Inhalts-Uebersicht.
Seite
der Lage 203; darstellendeGeometrie 204; formentheoretische
Entwicklungen und Geschlecht eineralgebraischen Kurve 206;
Raumkurven 208; abzahlende Geometrie 208; Theorie der
Flachenabbildung 209; Differentialgeometrie (Theorie der
KriimmungderFlachen) 210 ; Nichteuklidische Geometrie 213;
Pseudospharen 216; Geometrie von n Dimendonen 217;
Geometria und Analysis situs 218; Beruhrungstransforma-
tionen 218; geometrische Wahrscheinlichkeit 218; Geome-
trische Anschauungsmittel 218; die Mathematik der Neu-
zeit 220.
V. Trigonometrie.
Ueberblick 222
Erste Periode. Von den altesten Zeiten bis zu den
Arabern 222
Die Aegypter 222. Die Griechen 223. Die Inder 224.
Die Araber 225.
Zweite Periode. Vom Mittelalter bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts 226
Viete und Regiomontan 226 ; Tafeln der trigonometrischen
Funktionen 228; Logarithmen 229.
Dritte Periode. Von der Mitte des 17. Jahrhun-
derts bis zur Gegenwart 232
VI. Biographische Notizen.
a. Aelteste Zeit 234
b. Griechen 234
c. Romer 236
d. Inder 236
e. Araber 237
f. Klostergelehrte des Mittelalters 237
g. Vom Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts . . 237
h. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart . 240
i. Mathematiker der Gegenwart 251
VII. Litteratur-Verzeichnis 255
Register . . 261
Allgemeiner Ueberblick.
Die Uranfange der Entwicklung mathematischer
Wahrheiten gehen auf die altesten Kulturvolker, von deren
Litteratur Ueberreste vorhanden sind, auf die Aegypter
und Babylonier zurtick. Einerseits durch das praktische
Bedurfnis veranlasst, andererseits aus wirklichem Wissens-
trieb einzelner Kreise , so namentlich der Priesterkaste, ent-
sprungen, tauchten arithmetische und geometrische Kennt-
nisse auf, die wohl nur selten durch schriftliche Ueberlief erung
weiter gegeben wurden. Von letzterer besitzt man aus der
babylonischen Zeit nur einige wenige Spuren, aus der alt-
agyptischen Periode dagegen wenigstens ein Handbuch , das
des Ahmes, welches aller Wahrscheinlichkeit nach im 2. Jahr-
tausend vor Christo entstanden ist.
Die eigentliche Entfaltung mathematischen Wissens
beginnt, offenbar angeregt durch agyptischen und babyloni-
schen Einfluss, in der griechischen Welt. Sie aussert
sich vorwiegend als Geometric und tritt im Zeitalter eines
EuMid, eines Archimedes, Eratosthenes und Apollonius in die
erste klassische Periode ein, welche freilich nur
kurze Zeit andauert. Sie nahert sich in ihren Nachklangen
mehr der arithmetischen Seite, wird aber bald so vollstandig
von den hochgehenden Wogen stiirmischer Zeiten verschlungen,
dass Jahrhunderte dazu gehoren, bis in fremdem Boden aus
griechischen Werken, welche dem allgemeinen Verderben ent-
gangen sind, eine neue verheissungsvolle Saat Wurzel fassen
konnte.
Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 1
2 Allgemeiner Ueberblick.
Man hatte erwarten konnen, dass die Romer rait Be-
gierde das schone IJrbe der von ihnen besiegten Griechen
aUcV auf. Vlle^-' &fcis&igen Gebieten angetreten hatten , dass
3' .durch (lift».griechisclien Lehrer, denen sie willig
foktefr," $ieh auch fur griechische Mathematik
hatten begeistern lassen. Davon sind jedoch kaum Spuren
zu entdecken. Die Romer verstanden es allerdings sehr
gut, die praktischen Resultate griechischer Geometer und
Feldmesser fiir ihre staatsmannischen Zwecke zu verwerten
— und diese Ausniitzung geschah haufig durch Angehorige
der spatgriechischen Schulen selbst, - aber eine eigene
matnematische Forschung kennt die romiscne Geschichte
nicht ; ja sie hat sogar nicht selten griechisches Wissen
unverstanden und deshalb in entstellter Form spateren Zeiten
tiberliefert.
Wichtiger fiir die Weiterentwicklung der Mathematik
sind die Beziehungen griechischer Lehren zu den Forschungen
der I n d e r und A r a b e r. Die I n d e r zeichneten sich durch
eine hervorragende rechnerische Begabung aus; sie sind die
ersten Zahlentheoretiker gewesen und haben auf dem Gebiete
der Arithmetik eine Reihe ganz fundamentaler Entdeckungen
geraacht. Was sie noch besonders auszeichnet, ist. dass sie
fiir die Einfliisse der Wissenschaft westlicher Volker, der
Babylonier, und insbesondere der Griechen, nicht unempfanglich
waren, sondern das von aussen Aufgenommene ihrem System
angliederten und es selbstandig verarbeiteten. — Eine ahnliche
selbstandige Auffassung und Urteilskraft zeigen die A r aber
im allgemeinen nicht. Ihr Hauptverdienst , das aber ein
wirkliches Verdienst ist, besteht darin, dass sie mit wahreni
Bienenfleiss litterarische Schatze indischen, persischen und
griechischen Ursprungs sammelten und in ihre Sprache iiber-
trugen. Die Hofe muhammedanischer Fiirsten waren vom
9. bis 13. Jahrhundert gar haufig glanzende Heirnstatten
einer hervorragenden wissenschaftlichen Thatigkeit, und diesem
Das Mittelalter und die fceiie Zeit. 3
Umstande allein ist es zu verdanken, dass nach langer und
dichter Finsternis in verhaltnismassig kurzer Zeit der Wesjen
Europas fiir die mathematischen Wissenschaften erschlossen
wurde.
Die Klostergelehr samkeit des friihesten
Mittelalters war ihrer ganzen Art nach nicht dazu ange-
than, tiefer in mathematische Dinge einzudringen oder nach
zuverlassigen Quell en ftir mathematische Kenntnisse zu for-
schen. Es waren zunachst italienische Kaufleute,
deren praktischer Blick und bildsames Greschick aus dem
Verkehr mit dem muhammedanischen Westafrika und Stid-
spanien reichlichen Nutzen fiir die gewohnliche Rechenkunst
zog. Bald entwickelte sich eine eigentliche Forschung, und
der erste grosse Triumph der neu aufstrebenden Wissenschaft
bestand in der Lb'sung der Gleichung 3. Grads durch
Tartaglia. Aber auch die spatere Klostergelehrsamkeit
hatte sich eifrig bemtiht, namentlich westarabische Bildung
durch Uebersetzung von arabischen Schriften ins Lateinische
zu verbreiten.
Im 15. Jahrhundert erst tritt Deutschland durch
Peurbach und Regiomontanus in den grossen Wettbewerb
zur Forderung der Mathematik ein. Yon da ab bis zur Mitte
des 17. Jahrhunderts sind die deutschen Mathematiker zumeist
Rechner, d. h. Lehrer an Rechenschulen, und in zweiter Linie
erst Algebraiker, wobei freilich hervorgehoben werden muss,
dass es doch Geister gab, die in grossere Hohen hinaufstrebten.
Zu ihnen z'ahlt vor alien andern Keppler, zu ihnen gehoren
aber auch Stifel, Rudolff und BurgL Sicher ist, dass das
elementare Rechnen und die gewohnliche Algebra, wesent-
lich beeinflusst durch die italienische Schule, in dieser Zeit
auf deutschem Boden eine fiir die folgende Epoche gewinn-
bringende Ausbildung erreichten.
Die neue Zeit in der Greschichte der Mathematik
beginnt ungefahr Mitte des 17. Jahrhunderts. Descartes
1*
4 Allgemeiner Ueberblick.
entwirft die Grundlehren der analytischen Geometric, Leibniz
und Newton treten als Schopfer der Differentialrechnung auf.
Jetzt sind die Tage gekoinmen, wo die Geometric, seit ihrer
Verbannung aus griechischen Statten nur von einzelnen we-
nigen und auch von diesen oft nur unvollstandig in ihrer
wahren Bedeutung geschatzt, neben der Analysis in ein ge-
deihliehes Wacbstum eintritt und diese Schwesterwissenschaft
zur Ableitung ihrer Resultate aufs reichlichste ausbeutet, so
dass Jahre hereinbrechen , in welchen die Geometric durch
glanzende Entdeckungen|die Analysis wenigstens vortibergehend
in den Schatten zu stellen vermag.
Die einzigartige Wirksamkeit des grossen Gauss teilt
die neue Zeit in 2 Abschnitte. Vo r Gauss — die Festigung
der Methoden der Differential- und Integralrechnung und
der analytischen Geometric, sowie Vorbereitungen beschrank-
teren Umfangs fur spater auftretende Richtungen, — mit
Gauss und nach ihm die grossartige Entwicklung der mo-
dernen Mathematik, welcher Sondergebiete von ehedem un-
geahnter Machtigkeit und Tiefe angehoren. Zahlentheorie,
moderne Algebra , projektive Geometric beschaftigen die
Mathematiker des 19. Jahrhunderts und suchen, dem Drange
menschlicher Erkenntnis gehorchend, ihr Licht in Fernen
zu tragen, welche bis heute dem forschenden Geist noch
dunkel geblieben sind.
I. Zahlensysteme und Zahlzeichen.
Eine unerschopfliche Fulle von Einwirkungen der
Aussenwelt auf den menschlichen Geist hat ihren gesetz-
massigen Ausdruck bei der Bildung der Sprache und der
Schrift in Zahlen und Zahlzeichen gefunden. Aller-
dings wird ein Zahlen besonderer Art noch bei Volks-
stammen von sehr niederer Bildungsstufe, ja sogar bei Tieren
vorkommen konnen: »Auch die Ente zahlt ihre Jungen« 47).
I. Zahlensysteme und Zahlzeichen. 5
Wo aber die Art und Beschaffenheit der Gegenstande fiir
die Bildung der Zahl selbst unwesentlich geworden ist, da
erst hat das menschliche Zahlen begonnen.
Das alteste Zahlen war schon in seinen Anfangen ein
Rechnen, ein Zufiigen, wohl auch in besonders elementaren
Fallen ein Vervielfachen , ausgeftihrt an den der Zahlung
unterworfenen Gegenstanden selbst , oder an anderen leicht
zu beschaffenden Objekten (an Steinchen , an Muscheln , an
den Fingern). Dabei entstanden die Zahlworter. Die
haufigsten derselben gehoren ohne Zweifel mit zu den Ur-
gebieten der Sprache; ihre Gesamtheit erweiterte sich mit
der fortschreitenden Sprachentwicklung mehr und mehr, in-
dem die gesetzmassige Verbindung einzelner Glieder die Bildung
neuer Zahlen veranlasste und begiinstigte. So entstanden
Zahlensysteme.
Dass hiebei die Grundzahl 10 des dekadischen Systems
fiir die gewohnliche Zahlendarstellung fast iiberall von funda-
mentaler Bedeutung wurde, findet seine Erklarung in der
haufigen Benutzung der Finger bei der Durchfiihrung grund-
legender Rechnungsoperationen. Alle alten Kulturvolker
kannten das Fingerrechnen, und noch heute ist es bei man-
chen Naturvolkern in bemerkenswerter Ausdehnung ge-
brauchlich. Gewisse sudafrikanische Stamme lassen Zahlen,
welche 100 iibersteigen, durch drei Personen vorrechnen;
die erste zahlt Einer, die zweite Zehner, die dritte Hunderter
an den Fingern ab, und zwar je mit dem kleinen Finger
der linken Hand beginnend bis zum kleinen Finger der
Rechten fortschreitend. Die erste Person zahlt bestandig,
die iibrigen erheben einen weiteren Finger, sobald ein Zehner
oder ein Hunderter voll geworden ist16).
Einige Sprachen enthalten Zahlworter, denen
ein System mit der Basis 5 oder 20 zu Grunde liegt, ohne
dass jedoch solche System e eine vollstandige Ausbildung er-
fahren^hatten ; sie durchbrechen nur an gewissen Stellen das
6 I. Zahlensysteme
dekadische System. In anderen Fallen treten , besonderen
Bediirfnissen entsprechend , als Grundzahlen 12 und 60 auf.
Ein Undezimalsystem besitzen die Neuseelander, deren Sprache
fur die ersten Potenzen von 11 mit besonderen Wortern aus-
gestattet ist und demgemass 12 als 11 mit 1, 13 als 11 mit 2,
22 als 2 mal 11 darstellt16).
Beim sprachlichen Ausbau eines Zahlensystems
herrschen als bestimmende Operationen fur Zusammensetz-
ungen Addition und Multiplikation vor ; in selteneren Fallen
kommt die Subtraktion oder gar die Division zur Verwen-
dung. Es heist z. B. 18 im Lateinischen 10 4 8 (decem et
octo), im Griechischen 8 + 10 (Sxxw-xai-Sexa), im Franzo-
sischen 10 | 8 (dix-huit) , im Deutschen 8 | 10 (acht-zehn),
im Lateinischen 20 — 2 (duo-de-viginti), im Basbreton 3 . 6
(tri-omc'h), im Welsch 2 . 9 (dew-naw), im Aztekisch 15-f 3
(caxtulli-om-ey) , und 50 im Vaskischen »halb hundert», im
danischen »dritthalbmalzwanzig« 47).
Die schriftliche D.arstellung der Zahlen zeigt
uberall, wo sie nicht bei den ersten Anfangen stehen geblieben
ist, trotz grosster Mannigfaltigkeit in den Formen ein all-
gemeines Gesetz , nach welchem die ho here Stufe der
niederen im Sinne der Schrift vor angeht 47). So
steht beispielsweise in einer vierziffrigen Zahl die Ziffer der
Tausender bei den Phoniziern rechts, bei den Chinesen
o b e n ; erstere schreiben nemlich von rechts nach links, letz-
tere von oben nach unten. Eine auff'allende Ausnahme von
diesem Gesetz bildet die subtraktive Zahlendarstellung der
Romer in IV, IX, XL etc., wo also die kleinere Zahl i n d e r
Schrift der grosseren vorangeht.
Bei den Aegyptern kennt man Zahlendarstellungen
in der von rechts nach links verlaufenden hieratischen Schrift
und in Hieroglyphen. In letzterem Fall ist die Richtung der
Schrift wechselnd. Die Zahlen werdeu entweder alphabetisch
ausgeschrieben , oder es finden sich die Zahlzeichen fur jede
und Zahlzeichen. 7
Einheit so oft wiederholt, als Einheiten der betreffenden Art
dargestellt werden sollen. Aus einem Grabe in der Nahe
der Pyramiden von Gizeh stammen hieroglyphische Zahlzeichen,
welche 1 durch einen vertikalen Strich , 10 durch eine Art
Hnfeisen, 100 durch eine kurze Schneckenlinie, 10000 durch
einen deutenden Finger, 100 000 durch einen Frosch, 1 000000
durch einen sich verwundernden Mann darstellen. Bei den
hieratischen Zahlzeichen steht dem Gesetz der Grossenfolge
entsprechend die Ziffer fur die Einheit hoherer Stufe imiuer
rechts von der niedrigeren Stufe. Die Wiederholung der
Zeichen fur eine Einheit einer beliebigen Stufe fallt weg, da
besondere Zeichen fur alle 9 Einer, Zehner, Hunderter und
Tausender vorhanden sind. In der demotischen Hierogly-
phenschrift sind die Zahlen 1, 10, 32 dargestellt durch:
Von den hieratischen Zahlzeichen ist z. B. | = 1, 1 1 = 2,
Ml =8, — = 4, ==8, A = 10, A = 20, ^ = 40.
Die babylonische Keilschrift geht von links
nach rechts, was bei einer semitischen Sprache auflallig er-
scheinen muss. Dem Satz von der Grossenfolge entsprechend
stehen also in einer Zahl die Ziffern fur die Einheiten ho-
herer Stufe links von denen niederer Stufe. Die zur schrift-
lichen Darstellung beniitzten Zeichen bestehen der Hauptsache
nach aus dem Horizontalkeil >-, dem Vertikalkeii
dem Winkelhaken /. Die Zeichen werden neben einander,
oder zur Erleichterung der Uebersicht und der Raumersparnis
halber fiber einander geschrieben. Es stehen in der Zahlen-
keilschrift fur 1, 4, 10, 100, 14, 400 die Zeichen:
vv v V v
Bei Zahlen fiber 100 tritt ausser der blossen Nebeneinander-
stellung noch ein multiplikatives Verfahren auf ; es wird das
Zeichen, welches die Anzahl der Hunderter angibt, links vor
8 I. Zahlensysteme
das Zeichen fur 100 gesetzt. Bin Zeichen fur die Null
(fur fehlende Einheiten einer Stufe) besitzen die Babylonier
nicht. Von dem System mit der Grundzahl 60, das in den
Schriften der babylonischen Weisen (Astronomen und Mathe-
matiker) eine Rolle spielt, wird an anderer Stelle die Rede sein.
Die Phonizier, deren 22 Buchstaben aus hiera-
tischen Zeicben der Aegypter entstanden sind, scbrieben ent-
weder die Zahlworter ganz aus, oder sie gebrauchten besondere
Zeicben (fur die Einer vertikale, fur die Zebner horizontale
Stricbe). Bei den Syrern kam in verbal tnismassig sp'ater
Zeit die Sitte auf, durcb die 22 Bucbstaben ibres Alphabets
die Zahlen 1, 2, . . 9, 10, 20, ... 90, 100, ... 400 zu be-
zeicbnen; 500 war 400 -+• 100 etc. Die Tausender wurden
durcb Einer mit einem Komma unten rechts dargestellt.
Denselben Stempel tragt die Zahlenbezeicbnung bei den
Hebraern.
Die alteste griecbiscbe Zablenscbrei bung
benutzte (abgeseben von der Verwendung ausgeschriebener
Zablworter) die Anfangsbuchstaben der Grundzahlen (I fur 1,
TC fur 5, A fur 10, Ssxa) und setzte diese zu grosseren Zahlen
zusammen. Diese Zeichen fanden in dem byzantinischen
Grammatiker Herodianus (200 n. Cbr.) einen Darsteller; sie
beissen daher herodianische Zahlzeicben. Kurze
Zeit nach 500 v. Chr. kamen 2 neue Bezeichnungsarten auf.
Die eine benutzte die 24 Buchstaben des jonischen Alphabets
in ihrer natiir lichen Aufeinanderfolge zur Fixierung der
Zahlen von 1 bis 24; die andere stellte diese Buchstaben in
anscheinend beliebiger, aber ein fur allemal fest gewahlter
Ordnung fur dieselben Zahlen 1 bis 24 in den Text ein. Auch
bier ist von keinem besonderen Zeichen fur fehlende Ein-
heiten einer Stufe, von keiner Null die Rede.
Die Zahlzeichen der Romer sind diesem Volke
vermutlich von den Etruskern vererbt worden. Bemerkens-
wert ist das Fehlen der Null, die Verminderung eines Zeichens
und Zahlzeichen. 9
hoheren Wertes durch ein vorgesetztes Zeichen niedrigerer
Ordnung (IV = 4, IX = 9, XL - 40, XC - 90) , und zwar
gerade da, wo die Sprache ein solch auffalliges Verfahren
nicht andeutet, endlich die multiplikative Wirkung eines
Querstrichs uber Zahlzeichen (XXX = 30000, c = 100000).
Auch fur gewisse Briiche gab es eigene Zeichen und Namen.
Nach Mommsen sind die romischen Zahlzeichen I, V, X Nach-
bildungen des Fingers, der Hand, der Doppelhand. Zange-
meister geht davon aus, dass decem zusammenhange mit
decussare, das eine senkrechte oder schrage Kreuzung bedeute,
und behauptet, dass jede zum Zeichen einer dekadischen Ein-
heit als Kreuzung hinzutretende gerade oder krumme Linie
die entsprechende Zahl verzehnfache. In der That sind auf
Denkmalern die Bildungen fur 1, 10 und 1000, ebenso die
fiir 5 und 500 nachgewiesen worden *).
Von ganz besonderem Interesse fur die Elementar-
arithraetik ist die Zahlen s chrif t der Inder, weil diese
Arier unzweifelhaft das jetzt herrschende Positionssystem
zuerst anwendeten und auszubilden vermochten. Ihre altesten
Zahlzeichen fiir 1 bis 9 waren wohl abgekurzte Zahlworter , und
zwar sollen vorwiegend Buchstaben aus dem 2. Jahrhundert
n. Chr. als Ziffern beniitzt worden sein. Die Null ist sp'a-
teren Ursprungs ; sicher nachgewiesen ist ihr Auftreten erst
seit 400 n. Chr. Die Zahlenschreibung erfolgte, meist inner-
halb des Rahmens der Stellungsregel, in verschiedener Weise.
Eine Art, iiber welche Aryabhatta berichtet, stellte die Zahlen
1 bis 25 durch die 25 Konsonanten des Sanskritalphabets dar,
die darauf folgenden Zehner (30, 40 100) durch Halb-
vokale und Zischlaute. Eine Reihe von Vokalen und Diph-
thongen bildete Multiplikatoren aus Potenzen von 10 ; so wird
ga = 3, gi = 300, gu = 30 000, gau = 3 . 1016 gesetzt16). Hier
findet das Positionssystem keine Verwendung, wohl aber bei
") Sitzungsberichte der Berliner Akademie vom 10. November 1887.
10 I. Zahlensysteme
zwei anderen Verfahren der Zahlenschreibung , welche den
Rechnern des siidlicheii Indiens angehoren. Beide Darstel-
lungen zeichnen sich dadurch aus, dass ein- und dieselbe
Zahl auf mehrfach verschiedene Art zusammensetzbar 1st.
Es werden Rechnungsregeln im Gewand leichter Diclitung
dem Gedachtnis zuganglicher und behaltlicher. Das war fur
die indischen Mathematiker um so wichtiger, als sie schrift-
liche Zahlenarbeit moglichst zu vermeiden suchten. Die eine
Darstellungsweise bestand in ihren Grundziigen darin , dass
das Alphabet in Gruppen zu je neun Zeichen die Zahlen von
1 bis 9 mehrfach vertrat , wobei gewisse Vokale die Nullen
vorstellten. Wiirde man etwa diesem Verfahren gemass im
deutschen Alphabet die Zahlen 1 bis 9 durch die Konsonanten
b, c, . . . z bezeichnen, so dass nach zweimaligem Durchzahlen
z = 2 den Schluss bildete, ware ferner die Null durch jeden
Vokal oder jede Vokal^rkniipfung vertreten, so konnte die
Zahl 50501 durch »sagen« oder »siegen« und noch durch
einige andere Worter im Texte eingefuhrt werden. — Die
andere Art der Zahlendarstellung beniitzt typische Worter
und verbindet sie nach dem Stellungssystem. Es war abdhi
(eines der 4 Meere) = 4, surya (die Sonne mit ihren 12
Wohnungen) = 12, agvin (die beiden Sohne der Sonne) = 2.
Die Zusammensetzung abdhisuryagvinas bedeutete die Zahl
2124 16).
Der Sanskrit-Zahlensprache eigentumlich sind besondere
Worter fur die Yervielfachung sehr grosser Zahlen. Arbuda
bezeichnet 100 Millionen, padma 10000 Millionen; daraus
entsteht maMrbuda = 1000 Millionen, mahdpadma — 100 000
Millionen. Eigens gebildete Worter fur grosse Zahlen gehen
bis 1 017 und sogar noch weiter. Die ungemeine Ausdehnung des
dekadischen Zahlensystems im Sanskrit streift an eine gewisse
Zahlenspielerei, eine Sucht, das Unendlichgrosse zu erfassen.
Von diesem Bestreben, das Unendliche in den Bereich der
Zahlen anschauung und -Darstellung hereinzuzwingen, finden
und Zahlzeichen. 11
sich auch Spuren bei den Babyloniern und Griechen. Es
mag diese Erscheinung in mystisch-religiosen Vorstellungen
oder philosophisclien Spekulationen ihre Erklarung finden.
Die altchinesischen Zahlzeichen beschrankten
sich auf eine ziemlich geringe Anzahl von Grundelementeri,
welche in ein vollkommen ausgebildetes Zehnersystem einge-
ordnet wurden. Dabei fand die Vereinigung bald durch
Addition, bald durch Multiplikation statt. Es war 16) san = 3,
che = 10; che san bedeutete 13, san che aber 30. In spaterer
Zeit entstanden durch fremdlandischen Einfluss zwei neue
Arten der Zahlendarstellung, deren Ziffern Aehnlichkeit mit
den altchinesischen Zeichen aufweisen. Die aus ihnen gebil-
deten Zahlen werden jedoch nicht von oben nach unten,
sondern wie bei den Indern von links nach rechts geschrieben,
mit der hochsten Rangstufe beginnend. Die eine Art, die
Kaufmannsziffern umfassend, findet sich nie gedruckt,
sondern nur in Schriftstiicken geschaftlicher Natur. Gewohnlich
stehen in zwei Zeilen tibereinander geordnet die Rang- und
Wertziffern, wenn notig, mit einer Null in Gestalt eines
kleinen Kreises. In dieser Bezeichnung ist 1 1 = 2, X = 4,
_L = 6, + = 10, ft = 10000, o = 0, und daher
II X
ft oo + J-= 20046.
Bei den Arabern, diesen gewandten Uebermittlern
morgenlandischer und griechischer Rechenkunst an die west-
lichen Volker , reicht die Sitte , Zahlworter auszuschreiben,
bis in den Anfang des 11. Jahrhunderts herein. Jedoch
hatten sich schon verhaltnismassig fruhzeitig aus den Zahl-
wortern Abkiirzungen gebildet: die Diwanizif fern. Im
achten Jahrhundert lernten die Araber das Zahlensystem der
Inder und ihre Ziffern mit Einschluss der Null kennen. Aus
diesen Ziffern entstanden unter den Westarabern , die sich
auch mit ihrer ganzen Litteratur in einen gewissen Gegen-
satz gegen die ostlichen Stammesverwandten setzten, die
Gobarziffern (Staubziffern) als Varianten. Diese heut-
12 I. Zahlensysteme
zutage bei den Arabern selbst vollig vergessenen Gobarziffern
sind die Stamraeltern der modernen Ziffern47), welche sich
zunachst aus den Apices des frfihen Mittelalters ableiten
lassen. Die Apices , deren man sich beim Abakusrechnen
bediente, kommen in den westeuropaischen Handschriften
vom 11. und 12. Jahrhundert in vielfaltigen Variationen vor,
nachdem sie durch Gerbert und Gerhard von Cremona eine
weitere Verbreitung erlangt hatten.
Das Rechnen der westlichen Volker, durch
Klosterschulen yom 9. Jahrhundert an in massigem Umfang
gepflegt, fand ausserhalb des Abakus stets mit romischen
Ziffern, also ohne Verwendung eines Zeichens fur die Null
statt. Bis urns Jahr 1500 hiessen die romischen Bezeich-
nungen geradezu deutsche Ziffern, im Gegensatz zu
den damals noch seltener angewandten Zeichen arabisch-
indischen Ursprungs, welche eine Null (arabisch as-sifr,
Sanskrit sunya das Leere) besassen. Letztere hiessen Z i f f e r n.
Erst vom 15. Jahrhundert an treten in Deutschland diese ara-
bisch-indischen Ziffern haufiger anDenkmalern und Kirch en auf,
sind aber zu jener Zeit noch nicht Volkseigentum geworden 116).
Jedoch soil der alteste Grabstein mit arabischen Ziffern (in
Katharein bei Troppau) schon aus dem Jahr 1007 stammen;
sicher bekannt sind derartige Grabdenkmaler in Pforzheim von
1371, inTJlm von 1388. Einen haufigen und freien Gebrauch
der Null im 13. Jahrhundert zeigen Tafeln fur die Berechnung der
Londoner Haf en zeit und der nachtlichen Mondscheindauer 4 2).
Im Jahr 1471 erschien in Koln ein Werk Petrarkas mit
Numerierung durch indische Ziffern am Kopf der Blatter;
1482 wurde das erste deutsche Rechenbuch mit derselben
Zahlenbezeichnung in Bamberg gedruckt. Ausser der im
grossen und ganzen heute noch gewohnlichen Ziffernform,
die schon in einem Rechenbuch von 1489 ausschliesslich auf-
tritt, sind in der Zeit des Kampfes zwischen romischer und
und Zahlzeichen. 13
indischer Zahlenschreibung auf deutschem Gebiet fur 4, 5, 7
folgende Formen gebrauchlich gewesen:
A
Die Abstaramung der modernen Ziffern illustrieren unten-
stehende Beispiele, welche in dieser Reihenfolge dem Sanskrit,
H
I y ? d
% u/ V A
7 4 ^ 8
^ y r $
den Apices, dem Ostarabischen , den westarabischen Gobar-
ziffern , den Ziffern des 11., 13. und 16. Jahrhunderts ent-
nommen sind|f).
Mit dem 16. Jahrhundert erst hatte die indisclie Stellungs-
arithmetik und ihre Zahlenbezeichnung bei alien Kultur-
volkern des Westens volligen Eingang gefunden. Erfullt
war damit eine der unerlasslichen Vorbedingungen fur die
segensreiche Entfaltung der gemeinen Arithmetik im Schul-
unterricht weiter Volkskreise, im Dienste des Handels und
Verkehrs.
14 II. Gemeines Rechnen.
II. Gemeines Rechnen.
A. Ueberblick.
Die einfachsten Zahlworter und das elementare Zahlen
sind zu alien Zeiten Gemeingut des Volkes gewesen. Ganz
anders aber verhalt es sich mit den verschiedenen Rechnungs-
verfahren, die sich aus dem blossen Zahlen ableiten lassen,
und rait deren Verwertung zur Losung zusammengesetzter
Aufgaben. Was vom gewohnlichen Rechnen heutzutage jedes
Kind mit Sicherheit inne hat, ist erst im Verlauf langer
Perioden aus dem geschlossenen Kreis besonderer Kasten oder
kleinerer Gemeinwesen hinabgedrungen ins Volk, um hier
einen wichtigen Teil der allgemeinen Bildung auszumachen.
Bei den Alten war von einem Unterricht der Jugend, soweit
er sich nicht etwaauf das Gebiet der Leibesubungen erstreckte,
fast gar nichts zu entdecken. Es bemuhte sich nur das
reifere Alter, hn Umgang mit Priestern oder Philosophen
eine hohere Bildung zu erlangen, und diese bestand zum Teil
gerade aus dem grundlegenden Wissen der heutigen Yolks-
schulen : man lernte lesen, schreiben, rechnen.
An den Beginn der ersten Periode in der histo-
rischen Entwicklung der gemeinen Arithmetik treten die
Aegypter. Ihnen legen griechische Schriftsteller die Er-
findung der Feldmessung, der Sternkunde, der Arithmetik
bei. Ihrer Litteratur gehort auch das alteste Recbenbuch
an, das des Ahmes, welches in ganzen und gebrochenen
Zahlen operieren lehrt. Die Babylonier verwerten ein Sexa-
gesimalsysteminihrer Stellungsarithmetik, welch letztere auch
den Zwecken einer religiosen Zahlensymbolik dienen muss.
Das gewohnliche Rechnen derGriechen hatte, namentlich
in der altesten Zeit, einen massigen Umfang, bis sich durch
die Thatigkeit ihrer philosophischen Schulen eine eigentliche
Mathematik mit vorwiegend geometrischem Charakter ent-
Ueberblick. 15
wickelte. Trotzdem wurde rechnerische Ausbildung nicht
gering geschatzt. Davon zeugt die Forderung Platans in
seinem idealen Staatsleben, dass die Jugend im Lesen, Schreiben
und Rec linen unterrichtet werden mtisse.
Die Arithmetik des Romervolkes hatte eine rein
praktische Richtung ; ihrem Uebungsfeld gehorte eine Menge
oft recht verwickelter Aufgaben aus Streitfallen uber Fragen
des Erbrechts, des Privatbesitzes und der Zinsentschadigung
an. Das Bruchrechnen ist bei den Romern duodezimal.
Ueber das alteste Rechnen der In der konnen nur Vermu-
tungen ausgesprochen werden. Dagegen ist die indische
elementare Arithmetik seit Einfiihrung des Stellungssystems
aus Werken von Schriftstellern dieses Volkes selbst ziemlich
genau bekannt. Die Mathematiker des indischen Volkes
haben die Grundlagen der gewohnlichen Rechnungsverfahren
der Gegenwart ausgebildet. Der Einfluss ihrer Wissenschaft
ist in der gleichfalls auf dem Zehnersystem fussenden chi-
nesischen Arithmetik fiihlbar, in noch viel hoherem Masse
aber bei den Arabern, die neben dem indischen Ziffer-
rechnen zum Teil auch ein Kolumnenrechnen betrieben.
Die Zeit vom 8. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts
bildet die zweite Period e. Es ist dies eine merkwiirdige
Uebergangsperiode, ein Zeitraum der Verpflanzung alter Me-
thoden in neuen, fruchtbaren Boden, aber auch des Kampfes
der erprobten indischen Rechnungsweisen gegen mittelalter-
lich schwerfallige und umstandliche arithmetische Operationen.
Anfangs konnte nur in Klostern und Klosterschulen einiges
arithmetisches Wissen, aus romischen Quellen geschopft, ent-
deckt werden. Dann aber gingen neue Anregungen von den
Arabern aus, so dass sich vom 11. bis 13. Jahrhundert der
Gruppe der Aba cist en mit ihren seltsamen komplementaren
Methoden eine Schule der Algorithmiker als Anhanger
indischer Rechenkunst entgegenstellte.
Erst mit denf 15. Jahrhundert, der Zeit des
16 II. Gemeines Rechnen.
Eindringens in die griechischen Urschriften, der raschen Ent-
wicklung der Astronomic, des Aufbliihens der Ktinste und
der Handelsbeziehungen, beginnt auch die dritte Periode
in der Geschichte des gemeinen Rechnens. Schon im 13.
Jahrhundert gab es neben den Dom- und Klosterschulen,
welche sich nur um ihre religiosen und kirchlichen Bediirf-
nisse kiimmerten, eigentliche Rechenschulen. Ihre Grtindung
ist auf die Bediirfnisse des lebhaften Verkehrs deutscher
Stadte mit italienischen Kaufleuten, die zugleich gewandte
Rechner waren, zuriickzufiihren. 1m 15. und 16. Jahrhundert
erfuhr das Schulwesen durch den Humanismus und die Re-
formation eine wesentliche Forderung. Es wurden Latein-
schulen, Schreibschulen , deutsche Schulen fur Knaben, ja
auch fur Madchen eingerichtet. In den Lateinschulen be-
kamen nur die obersten Klassen in einer Wochenstunde
Rechenunterricht ; man u'bte die 4 Species, die Bruchlehre
und hochstens noch die Regeldetrie, was nicht als gar wenig
erscheinen mag, wenn man bedenkt, dass auf den Umversi-
taten jener Zeit im Rechnen haufig auch nicht viel weiter
vorgeschritten wurde. In den Schreibschulen und deutschen
Knabenschulen lernte man etwas Rechnen, Zahlenschreiben
und Numerieren , namentlich den Unterschied » deutscher
Zahlen« (in romischer Schrift) von den Zahlen in »Figuren«
oder »Zyphern« (nach indischer Art). In den nur fur die
hoheren Stande errichteten Madchenschulen lernte man gar
kein Rechnen. Tiichtige Kenntnisse im Rechnen konnten
nur in den Rechenschulen erworben werden. Die be-
riihmteste dieser Unterrichtsanstalten besass N urn berg.
In den Handelsstadten gab es Rechenmeister-Innungen, welche
sich die Verbreitung arithmetischer Kenntnisse angelegen
sein liessen. Aber auch die eigentlichen Mathematiker und
Astronomen arbeiteten mit an der Ausbildung der Methoden
fur das gemeine Rechnen. Trotz dieser Beihilfe hervorragender
Manner war es im 16. Jahrhundert doch noch nicht zur
Ueberblick. 17
Aufstellung einer Theorie des Rechenunterrichts gekommen.
Was vorgemacht war, musste nachgemacht werden. In den
Rechenbuchern fanden sich nur Regeln und Beispiele, aber
fast nie Begrundungen oder Herleitungen.
Das 17. Jahrhundert fiihrte keine wesentliche
Aenderung dieser Zustande herbei. Schulen bestanden wie
fniher, wo sie nicht durch die Schrecken des dreissigjahrigen
Kriegs verschlungen word en waren. Die Rechenmeister schrieben
ihre Rechenbiicher , erfanden wohl auch Rechenmaschinen,
am ihren Schulern eine Erleichterung zu verschaffen , oder
sie verfassten arithmetische Unterhaltungsschriften und Ge-
dichte. Eine Probe hievon aus Tobias Beutels Arithmetica,
welche 1693 in 7. Auflage erschien, ist folgende116:
»Numerieren lehrt im Eechen
Zahlen schreiben und aussprechen.« —
»In Summen bring en heisst addieren,
Dies muss das Wortlein Und vollfuhren.* —
» Wie eine Hand an uns die andre wdschet rein
Kann eine Species der andern Probe seyn.« —
Eine Vervollkommnung erfuhr die kaufmannische Arithrnetik
durch die Ausbildung der Wechsel- und Rabattrechnung,
und das Multiplizieren durch. ein abgekiirztes Yerfahren. Die
Unterrichtsmethode war aber die gleiche geblieben , d. h.
der Schiller rechnete nach Regeln , ohne dass der Versuch
gemacht wurde, ihm das Wesen derselben auseinanderzusetzen.
Das 18. Jahrhundert brachte als erste und wich-
tigste Neuerung die gesetzliche Regelung der Schul-
verhaltnisse durch besondere Schulordnungen und die
Errichtung von Lehrer-Seminarien (das erste 1732 in Stettin
verbunden mit dem Waisenhaus). Als Reorgariisatoren der
hoheren Schulen traten die P i e tis t e n und Philantropen
auf ; erstere griindeten Realschulen (die alteste 1738 in Halle
errichtet) und hohere Burgerschulen ; letztere suchten in ihren
» Schulen der Aufklarung« durch Verbesserung der Methode
Weltburger von moglichst allgemeiner Bildung zu erziehen.
Fink, Gesch. der Elomentarmathematik.
18 II. Gemeines Rechnen.
Die arithmetischen Uebungsbiicher dieser Zeit ent-
halten eine Vereinfachung der Division (das Unterwarts- oder
Untersichdividieren), sowie eine ausgiebigere YTerwendung des
Kettensatzes und der Dezimalbrtiche. Daneben entstehen aucli
Handbticner der Methode, deren Zahl sicb im 19. Jahrhundert
rasch mehrt. Namentlich ist es der Elementarunterricbt,
der darin berticksichtigt wird. Nach Pestalo8#i (1803) ist
die Grundlage des Recbnens die A n s c h a u u n g , nacb Grube
(1842) die allseitige Zab Ibeban dlung, nacb Tanck
und Knilling (1884) das Zahl en. Bei Pestcdossi's Method e
wird »der dekadische Aufbau unseres Zahlensystems, der doch
so viele Rechnungsvorteile in sicb schliesst, gar nicbt beriihrt.
Addition, Subtraktion imd Division treten nicht als gesonderte
Uebungen auf, das sprachliche Beiwerk erstickt fast die
Hauptsache in den Satzen, namlich die aritbmetiscbe Wahr-
heit« 116). Grube hat eigentlich aus Pestalo00i's Aufstellungen
nur die aussersten Folgerungen gezogen. Sein Stufengang
»ist in mehrfacher Hinsicht mangelhaft, seine Uebungen sind
zweckwidrig« 116). Fur das Zahlprinzip spricht die geschicht-
liche Entwicklung der Arithmetik : das erste Rechnen war
zu jeder Zeit ein Anschauen und Zahl en.
B. Erste Periode.
Das Rechnen der altesten Vblker bis zu den Arabern.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen.
Wenn von einem nicht ganz sicher zu erweisenden
Fingerrechnen abgesehen wird, so war das altagyptische
Rechnen nach einem Bericht Herodots ein Operieren mit
Steinchen auf einem Rechenbrett, dessen Reihen senkrecht gegen
den Rechner standen. Vielleicht beniitzten auch die Bab y-
1 o n i e r ein ahnliches Hilfsmittel. Im gewohnlichen Rechnen
der letzteren herrscht wie bei den Aegyptern das dekadische
System ; nebenbei findet sich aber auch, namentlich im Bruch-
Erste Periode. Das Rechnen nrit ganzen Zahlen. 19
rechnen , ein Sexag esimalsy stem. Es entstand wohl
ohne Zweifel bei der Verarbeitung astronomischer Beobach-
tungen der babylonisclien Priester 16). Die Lange des Jahres
von 360 Tagen gab Veranlassung zur Teilung des Kreises
in 360 gleiche Teile , deren einer den scheinbaren taglichen
Weg der Sonne an der Himmelskugel darstellen sollte. Wenn
daneben die Konstruktion des regularen Sechsecks bekannt
war, so lag es nahe , je 60 dieser Teile wieder als Einheit
zu fassen. Die Zahl 60 hiess Soss. Zahlen des sexagesimalen
Systems wurden wieder nach der dekadischen Regel verviel-
facht ; so gab es ein Ner = 600, ein Sar = 3600. Das von
babylonischen Priestern aufgestellte Sexagesimalsystem trat
auch in ihre religiosen Spekulationen ein, indem jeder ihrer
Gotter seiner Rangordnung entsprechend durch eine der
Zahlen 1 bis 60 bezeichnet wurde. Vielleicht teilten die Baby-
lonier auch ihren Tag in 60 gleiche Teile, wie dies fur den
Vedakalender der alten Inder nachgewiesen ist.
Die griechische Element armathematik be-
ntitzte jedenfalls schon zur Zeit des Aristophanes (420 v. Chr.)
das Fingerrechnen und das Operieren auf einem Rechenbrett
in den Fallen des gewohnlichen Lebens. Ueber das Finger-
rechnen berichtet Nikolaus Rhabda von Smyrna (im 14.
Jahrhundert). Vom Kleinfinger der Linken bis zum Klein-
finger der Rechten waren 3 Finger zur Einer rech nung , 2
weitere zur Zehner-, die 2 nachsten zur Hunderter- und die
3 letzten zur Tausenderdarstellung bestimmt. Auf dem
Rechenbrett, dem Abax (aj3a£ ; Staubbrett), dessen
Kolumnen gegen den Darsteller senkrecht standen , wurde
mit Steinchen operiert, welche in verschiedenen Reihen
verschiedenen Stellungswert besassen. Die Multiplikation
erfolgte so, dass in jedem Faktor mit der hochsten Rangstufe
begonnen und aus den Teilprodukten die Summe gebildet
wurde. Man rechnete also (in moderner Darstellung) :
2*
20
II, Gemeines Rechnen.
126.237 = (100 + 20 + 6) (200 + 30 + 7)
20 000 + 3000 + 700
+ 4 000 + 600 + 140
+ 1 200 + 180 + 42
29 862.
Das Fingerrechnen der Romer reicht nach Plinius
zuruck bis auf Konig Numa; dieser liess em Janusstandbild
ausfiihren, dessen Finger die Zahl der Tage eines Jahres
(355) darstellten. Damit zusammenhangend nennt Boethius
dieZahlen Ibis9 Fin gerzahlen, 10, 20, 30 ... Gelenk-
zahlen, 11, 12, ... 19, 21, 22, ... 29, ... zusammen-
gesetzte Zahlen. Beim elementaren Unterricht beniitzten
die Romer denAbakus, ein gewo'hnlich mit Staub bedecktes
Brett, auf welchem man Figuren zeichnen, Kolumnen ziehen
und mit Steinchen hantieren konnte. Oder es wurde der
Abakus, wenn er nur zum Rechnen bestimmt war, aus Metall
gefertigt und mit Einschnitten versehen (in der untenstehenden
schematischen Zeichnung die vertikalen Linien), in welchen
beliebige Marken (die Querstriche) verschiebbar waren.
t I i 1 1 i t t I
Ixl
|> c i i e
c>
t
Erste Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 21
Die Kolumnen ai ... av , bi . . . b? bilden ein System
von 1 bis 1000000; auf einer Kolumne a befinden sich 4
Marken, auf einer b liegt nur eine Marke. Jede der 4 Marken
bedeutet eine Einheit, die obere einzelne Marke aber 5 Ein-
heiten des betreffenden Rangs. Ferner ist eine Marke auf
ci = ^L, auf 02 = -fs, auf cs = ^, auf a — -fa, auf cs — ^
(bezogen auf die Einteilung des As). Der Abakus der
Figur stellt die Zahl 782192 4- & + A 4- ^ = 782 192 H
dar. Dieser Abakus reichte zur Ausrechnung der Resultate
einfacher Aufgaben aus. Daneben wurde auch das Einmal-
eins getibt. Fur grossere Multiplikationen gab es T abellen ;
eine solche ist durch Victorius (um 450 n. Chr.) bekannt
geworden. Aus Boethius , der die Abakusmarken Apices
nennt, erfahrt man auch etwas liber die Multiplikation
und Division. Von diesen Operationen wurde die erstere
wahrscheinlich , die letztere sicner komplementar aus-
gefiihrt. Bei Boethius heisst DinSerentia die Erg'anzung
des Divisors zum nachsten vollen Zehner oder Hunderter;
die Differentia ist also fur die Divisoren 7, 84, 213 beziiglich
3, 6, 87. Das wesentlicbe dieser komplementaren Division ersieht
man aus folgendem in moderner Weise dargestellten Beispiel:
257
_ 257
10
60 4- 57
- 10 +
117
14
20 — 6
20 — 6
20 — 6
117
5
30 + 17
K i
47
20-6
20 — 6
20 — 6
47
2
12 + 7
2 +
19
20 — 6
20 — 6
20 — 6
19
1
+ -5
14
14
- -.
14 14
Dem Abakus der Romer ahnelt der Swan pan der
C h i n e s e n. Diese Rechenmaschine besteht aus einem Rahmen
mit gewohnlich 10 eingesetzten Drahten. Ein Querdraht
22
II. Gemeines Rechnen.
zerschneidet jeden der 10 Drahte in 2 ungleiche Stiicke ;
jedem kleineren Stuck sind 2, jedem grosseren 5 Kugeln auf-
gereiht. - Die chinesischen Rechenbiicher geben keine Vor-
schriften fur das Zuzahlen und Abziehen, wohl aber fiir das
Vervielfachen , das wie bei den Griechen mit der hochsten
Ordnung beginnt, und fur das Teilen, welches in der Gestalt
einer wiederholten Subtraktion auftritt.
Das Rechnen der I n d e r nach Einfiihrung der Stellungs-
arithmetik besitzt schon eine Reihe zweckmassiger Regeln
fiir die Ausftihrung der Grundoperationen. Die Subtraktion
erfolgt bei kleinerer Minuandenziffer durch Entlehnen und
durch Zuzahlen (ahnlich wie bei der sogenannten osterreichischen
Subtraktion). Bei der Multiplikation, fiir welche mehrere
Ausfiihrungsarten gelten, wird in einigen Fallen das Produkt
durch Zerlegung des Multiplikators in Faktoren und nach-
herige Addition der Teilprodukte hergestellt. In anderen
Fallen ist ein schematisches Verfahren eingeschlagen, dessen
Eigenart das Beispiel 315 . 37 = 11655 zeigt. Das Resultat
dieser Multiplikation ergibt sich durch Addition der innerhalb
des Rechtecks sich befindenden Ziffern in der Richtung der
schragen Linien.
/
/ 9
/
/ 3
1 /
X 5
2 /
/ 1
/
/I
B/
//5
Ueber die Division finden sich nur wenige Aufzeichnungen.
Wahrscheinlich wurden aber keine komplementaren Methoden
angewendet.
Ueber arabisches Rechnen berichtet als altester
Schriftsteller Alchwarizmt. Die Anlehnung an indisches
Rechnen tritt ganz klar hervor. Es werden 6 Operationen
gelehrt. Das Addieren und Subtrahieren fangt bei
Erste Periode Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 23
den Einheiten der hochsten Rangstufe , also links , an ; das
Halbieren beginnt rechts, das Verdop peln wieder links.
Die Multiplikation erfolgt nach dem Verfahren, welches
die Araber Tatstha (es bleibt stehen) nannten16). Die Teil-
produkte werden, mit der hochsten Stelle des Multiplikandus
begimiend, ii b e r die zugehorige Ziffer des letzteren geschrieben
imd jede Ziffer des Produkts, zu welcher noch Einheiten eines
spateren Teilproduktes treten (im Sand oder Staub) ausge-
wischt und verbessert, so dass nach Vollendung der Rechnung
das Ergebnis fiber dem Multiplikanden steht. In der Divi-
sion, die nie komplementar ausgeftihrt wird, steht der Di-
visor unterhalb des Dividenden tmd riickt wahrend der
Rechnung nach rechts vor. Quotient und Rest erscheinen
iiber dem Divisor in y^1 = 28{f, etwa folgendermassen 1 6) :
13
14
28
461
16
16
Wie Alchwarizml rechnet auch Alnasawi ; durch ihre Metho-
den ist die elementare Arithmetik der Ostaraber charakterisiert.
Im Wesen damit ubereinstimmend, in der Ausfuhrung
dagegen mehr oder weniger abweichend, rechneten die West-
araber. Ilm Albannd lehrt ausser dem indischen Ziffer-
rechnen eine Art Kolumnenrechnen 16). Von rechts nach links
gehend werden die Kolumnen in Gruppen zu je dreien zu-
sammengefasst ; eine solche Gruppe heisst takarrur ; die An-
zahl aller zum Einschreiben einer Zahl notigen Kolumnen
ist der mukarrar. Sonach ist fur die Zahl 3849922 der
takarrur = 2, der mukarrar =7. — Von Alkalsddi ist eine
Schrift bekannt: »Aufhebung der Schleier der Wissenschaft
des Gubar« ]6). Die urspriingliche Bedeutung von Gubdr =
Staub ist hier tibergegangen in die des schr if t lichen
24 H- Gemeines Rechnen.
Rechnens mit Ziffern. Besonders eigentuinlich ist , dass
beim Addieren, Subtrahieren (= tarh, taraha = wegwerfen)
und Multiplizieren die Resultate uber die der Operation
unterworfenen Zahlen geschrieben werden , also wie in fol-
genden Beispielen:
OQQ AK.
193 + 45 - 238 : ~ ; oder 238 — 193 = 45:
45 193
1 1
Multiplikationsregeln finden sich bei Alkalsadi melirere, unter
ilinen eine mit fortriickendem Multiplikator. Bei der Di-
vision steht das Resultat unten.
I. Beispiel: 7.143- 1001:
1001
21
28
_
43
II. Beispiel: 1001
—^~ = 143 :
32
1001
_777
143
777
2. Das Rechnen rait Br lie hen.
Ahmes gibt in seinem Rechenbnch eine grosse Anzahl von
Beispielen, welche die Art, wie die Aegypter mit gebrochenen
Zahlen rechneten, iibersehen lassen. Durchaus wird mit Stamm-
brtichen gerechnet, d. h. mit Briichen, deren Zahler 1 ist. Ftir
diesen Zahler findet sich daher ein besonderes Zeichen, in der
Hieroglyphenschrift o, in der hieratischen Schrift ein Punkt,
so dass in letzterer ein Stammbruch durch semen Nenner mit
dartibergesetztem Punkt dargestellt wird. Ausserdem finden
sich noch fur J und f die Hieroglyphen I und ^5 in
der hieratischen Schrift entsprechen den Briichen |, |, J und {
gleichfalls besondere Zeichen. — Die erste Aufgabe, die Ahmes
lost, besteht darin, einen Bruch in Stammbruche zu zerlegen ;
er findet z. B. f = £ + TV A = wu + sio + Tf o- Diese
Zerlegung, eigentlich eine unbestimmte Aufgabe, wird von
Erste Periode. Das Rechnen mit Brtichen. 25
Ahmes nicht allgemein, sondern nur in besonderen Fallen
gelost.
Die Briiche der Babylonier gehoren samtlich in
das sexagesimale System ; sie waren dadurch von vornherein
gleichnamig und man konnte mit ihnen wie mit ganzen
Zahlen rechnen. In der schriftlichen Darstellung setzte man
nur den mit einem besonderen Zeichen versehenen Zahler.
— Die Griechen schrieben einen Bruch so, dass auf den
einmal rechts oben gestrichenen Zahler in derselben Linie
der zweiinal gestricbene Nenner zweimal folgte, also 1% xa" xa"
= J-J. Bei Stammbriichen blieb der Zahler weg, der Nenner
wurde nur einmal gesetzt: 8" = ^. Die zu addierenden
Stammb ruche stehen unmittelbar neben einander16): £" xrj"
ptfTax8" = f + 2*F + TT^ + rf? = AV Beim eigentlicben
Rechnen machte man von den Stammbriichen einen weit-
reichenden Gebrauch , in spaterer Zeit auch von den Sexa-
gesimalbriichen (bei Winkelberechnungen). Von einem eigent-
lichen Bruchstrich ist aber nirgends die Rede; und da, wo
ein solcher aufzutreten scheint, bezeichnet er nur das Resultat
einer Addition, nicht aber ein Teilen*).
Die Bruchrech nung der Romer bietet ein
Beispiel fur die Beniitzung des Duodezimalsystems. Unter
den Bruchen (Minutien) batten fa T2^, • • • ii besondere
Namen und Zeichen. Die ausschliessliche Verwendung dieser
Duodezimalbriiche47) riihrte davon her, dass der As, eine Kupfer-
iniinze von 1 Pfund Gewicht, in 12 Unzen eingeteilt wurde.
Die Unze hatte 4 Sicilici und 24 Scripuli. Es war 1 = as,
|- = semis, \ = triens, J = quadrans etc. Besondere Namen
(ausser den Zwolfteln) hatten noch die Briiche ^¥, -fa, -f-y,
TJ¥, ¥J?. Die Addition und Subtraktion solcher Briiche
war verhaltnismassig einfach, die Multiplikation derselben
aber sehr umstandlich. Der grosste Nachteil dieses Systems
*) Tannery in Bibl. Math. 1886.
26 II- Gemeines Rechnen.
bestand darin, dass alle Teilungen, die nicht in dieses Duo-
dezimalsystem passten , entweder nur hochst miihsam oder
aber nur ungenau durch Minutien dargestellt werden konnten.
In den Rechnungen der Inder kommen gleichfalls
Briichevor, und zwar Stammbriiche und abgeleitete
Briiche. Der Nenner steht imterhalb des Zahlers, ist aber
von diesem nicht durch einen Strich getrennt. Die indischen
Astronomen rechneten mit Vorliebe in Sexagesimalbriichen.
Im Rechnen der Ar a b er gibt A khwarizmi fur Halbe, Drittel,
.... Neuntel besondere Worter (aussprechbare Briiche).
Alle Briiche mit Nennern , welche den Zahlen 2, 3, .... 9
ganz fremd sind , heissen stumme Briiche; sie werden
durch Umschreibung ausgedriickt , z. B. T2T als 2 Teile von
17 Teilen. Alnasawi schreibt gemischte Zahlen in 3 Zeilen
unter einander, zu oberst die Ganzen, darunter den Z'ahler und
unter diesen den Nenner. Fiir astronomische Rechnungen
wurden auch hier ausschliesslich Briiche des Sexagesimal-
systems benutzt.
3. Angewandtes Rechnen.
Das praktische Rechnen der alten Volker umfasste ausser
den gewohnlichsten Fallen des taglichen Lebens auch astrono-
mische und geometrische Aufgaben. Von den letzteren soil hier
abgesehen werden, weil sie anderweitig Erwahnung finden. — In
Ahmessind. Gesellschaftsrechnungen aufgefuhrt, auch einfachste
Reihen zusanimengerechnet. Theon von Alexandrien lehrt
die Quadratwurzel aus einer Anzahl von Winkelgraden unter
Anwendung der Sexagesimalbriiche und des Gnomons an-
nahernd bestimmen. Den Romer beschaftigten Zins- und
Erbrechnungen am meisten. Die Inder haben schon die
Methode des falschen Ansatzes (der Regula falsi) und der
Regeldetri ausgebildet und beschaftigen sich daneben noch
mit Mischungs-, Brunnen- und Reihenaufgaben , welche von
den Arabern weiter ausgebildet werden.
Erste Periode. Angewandfces Rechnen. 27
Neben dem praktischen Rechnen hergehend zeigen
sich schon wiederholt Spuren zahlen theor etischer Be-
trachtungen. Die Aegypter waren imstande, die Teil-
barkeit einer Zahl durch 2 zu erkennen. Die Pythagoraer
unterschieden gerade und ungerade, befreundete, vollkoramene,
uberschiessende und raangelhafte Zahlen16). Von 2 befreundeten
Zahlen musste jede gleich der Summe der aliquoten Teile der
andern sein (220 = 1 + 2 + 4+5+10+11+ 20+22
+ 44 + 55 + 110 = 284, und284 = 1 + 2 + 4 + 71 + 142).
Eine vollkoramene Zahl war gleich der Summe ihrer aliquoten
Teile (6=1+2 + 3). War die Summe der aliquoten Teile
grosser oder kleiner als die Zahl selbst, so nannte man letz-
tere uberschiessend oder mangelhaft (8 > 1 + 2 + 4; 12<1
+ 2 + 3 + 4 + 6). Ausserdem hat Euklid iiber Teilbar-
keit, uber das grosste gemeinschaftliche Mass und das kleinste
Gem einvielf ache von seinem geometrischen Standpunkt aus-
gehend griindliche Untersuchungen angestellt. Den Indern
war die Neunerprobe und das Kettenbruchverfahren bekannt ;
von ihnen ging dieses Wissen zu den Arabern iiber. So
unscheinbar diese Anfange in ihrem antiken Gewande sein
mogen, so tragen sie doch schon den Keim der grossartigen
Entwicklung in sich , den das 19. Jahrhundert der Zahlen-
theorie gebracht hat.
C. Zweite Periode. Vom 8. bis 14. Jahrhundert.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen.
In den Klosterschulen, den Episkopal- und Privatschulen der
Merovinger und Karolinger Zeit waren es wohl ausschliesslich
Monche, welche den Unterricht leiteten. Die eigentlichen
Klosterschulen hatten haufig nur geringe Bedeutung fur die
Forderung mathematischen Wissens; dagegen scheinen die
bischoflichen und Privatschulen , letztere nach italienischem
Muster eingerichtet , sehr segensreich gewirkt zu haben42).
Der erste , welcher von arithmetischem Wissen der Monche
28 II- Gremeines Rechnen.
etwas ahnen lasst, 1st Isidorus von Sevilla. Dieser Kloster-
gelehrte beschrankt sich darauf, Vermutungen iiber die Ab-
stammung der romischen Zahlworter !anzustellen, und spricht
von der Art des Rechnens seiner Zeitgenossen gar nicht.
Ebenso verkiindet Beda der Ehrwurdige nur Ansftilirliches
iiber das Fingerrechnen ; er lehrt die Zahlen mit Hilfe der
Finger darstellen, von der Linken zur Rechten fortschreitend,
und setzt dabei eine gewisse Bekanntschaft mit dem Finger-
rechnen schon voraus, indem er als Vorganger Plutarch,
Macrobius, Juvenal, Quintilian nennt. Dieser » Calculus di-
gitalis«, im Orient und Occident nach der vollig gleichen
Art auftretend, hat wohl bei den kirchlichen Festrechnungen
der Friester jener Zeit eine Hauptrolle gespielt, wenigstens
werden Computus digitalis und Computus ecclesiasticus haufig
in demselben Sinne gebraucht 42).
Ueber die eigentlichen Grundoperationen aussert sich
Beda nicht. Alkuin halt zwar die damals schon unter den
Gelehrten allgemein verbreitete Einteilung der Wissenschaften
in ein Trivium (Grammatik , Dialektik, Rhetorik) und em
Quadrivium (Arithmetik, Musik, Geometric und Astronomic)
fur etwas sehr wichtiges, rechnet aber wie Beda und Hrabanus
Maurus eifrig mit Fingern oder mit roniisch geschriebenen
Zahlen in sehr schwerf alliger Art 42). Erst Grerbert gibt in
seiner »Regula de abaco computi« eigentliche Rechenvor-
schriften, indem er sich dabei an den arithmetischen Teil des
Boethius anlehnt. Was er lehrt, ist ein reines Abakusrechnen,
das durch sein Ansehen weite Verbreitung erlangt. Gerberts
Abakus, genau beschrieben von seinem Schiller Bernelinus,
war eine Tafel , welche fur die Entwerfung geometrischer
Figuren mit blauem Sand bestreut, zum Rechnen aber in 30
Columnen eingeteilt wurde, von denen 3 zum Bruchrechnen
bestimmt waren. Die iibrigen 27 Kolumnen waren von rechts
nach links in Gruppen zu je dreien abgeteilt ; am Kopf jedcr
Gruppe stand ebenfalls von rechts nach links S (singularis),
Zweite Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen
29
D (decem), C (centum). Die beniitzten Zahlzeichen, die so-
genannten Apices, sind Zeichen fur 1 bis 9, aber ohne Null.
Beim Rechnen auf diesera Abakus konnten die Zwischen-
operationen verwischt werden, so dass schliesslich nur das
Resultat stehen blieb ; oder man operierte mit Marken, welche
der Schildmacher gefertigt hatte. Die Ausfiihrung der Grund-
operationen erfolgte meist durch Erganzen , und hiefur ist
besonders die Division charakteristisch. Die Bildung des
Quotienten ^ = 33J mag diese komplementare Division er-
lautern.
C
D S
6
4
1 | 9 | 9
1.
9.
9.
4.
1.
6.
1.
4.
4.
9.
1.
6.
4.
1.
9.
4.
1.
3.
4.
7.
1
1.
4.
1.
1.
4.
1.
1.
1.
1.
3
3
C
D
6
1
9 | 9
1.
9.
9.
1
3
3
10 — 4
199
10
10
7
3
1
1
1
99 + 40
139
79
9 + 28
37
19
13
7
1
33
In dem gegebenen Beispiel steht links die vollstandige Ausfiihrung
der komplementaren Division; die im Portgang der Rechnung auszu-
wischenden Ziffern sind durch einen rechts beisresetzten Punkt be-
30 . II. Gremeines Rechnen.
zeichnet. — Rechts findet sich die Abakusdi vision ohne Bildung der
Differenz im Divisor, darunter die Andeutung der komplementaren
Division in moderner Darstellung.
Im 10. und 11. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe
von Schriftstellern meist geistlichen Stands liber das Abakus-
rechnen mit den Apices , aber ohne die Null und ohne die
indisch-arabischen Methoden, wobei die Apices an den Abakus
selbst oder an die Darstellung einziffriger Zahlen gebunden
waren, wahrenjd im fortlaufenden Text namentlich bei mehr-
ziffrigen Zahlen roniische Zahlzeichen stehen. Der Gegensatz
zwischen Apices- und romischer Bezeichnung ist so auffallend,
dass z. B. Odo schreibt: »Mag man 5 mal 7 oder 7 mal 5
nehmen, so entsteht XXXV « (die 5 und 7 in Apices ge-
schrieben) 16).
Zur Zeit des Abakusrecbnens kam die eigentiimliche Gewohnheit
auf, gewisse im romischen Zeichensysteme fehlende Zahlgrossen durch
besondere Zeichen auszudriicken , und dieser Gebrauch zog sich weit
ins Mittelalter hinein. So findet man z. B. in den Greifswalder Stadt-
biichern 250 stets mit CCC^ aufgezeichnet 4'2)-
Die Abacisten mit ihren wundersamen Divisions-
methoden beherrschten das abendlandische Rechnen bis zum
Beginn des 12. Jahrhunderts vollstandig. Dann aber voll-
zog sich ein volliger Umschlag. Der Abakus, der Erbe des
Computus, d. h. der altromischen Rechnungsweise und Zahlen-
schreibung sollte dem Algorithmus mit seiner bewussten
Anwendung der Null und den einfacheren Rech-
nungsweisen, allerdings nicht ohne langeren Kampf ,
weichen 42). Man ging bei den Westarabern in die Schule.
Unter den Namen solcher, welche arabisches Rechnen verbrei-
teten, ragt der Gerhards von Cremona besonders hervor,
weil er eine Reihe von Schriften griechischer Autoren und
dazu noch solche arabischer Originalschriftsteller ins Latei-
nische iibertrug. Es bildete sich nun die Schule der
Algorithmiker, welche im Gegensatz zu den Abacisten
keine komplernentare Division, dafiir aber das indische Stel-
Zweite Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 31
lungssystem rait der Null besassen. Das nachhaltigste fur
die Verbreitung indisclier Methoden leistete Fibonacci in
seinem » liber abaci «. Dieses Buch ist »die Fundgrube ge-
wesen, aus der die Rechenmeister und Algebristen ihre Weis-
heit geschopft haben; es ist dadurch iiberhaupt die Grundlage
der neueren Wissenschaft geworden« 47). Es enthalt unter an-
derem die vier Spezies fur ganze und gebrochene Zahlen in
ausfiihrlicher Darstellung. Besonders hervorzuheben ist, dass
es neben der gewohnlichen ;Subtraktion mit Entlehnen auch
das Abziehen mit Erhohung der nachsten SubtrahendenziiFer
unieinslehrt, dass also Fibonacci als der Schopfer der eleganten
Zuzahlmethode anzusehen ist. — Wie Alchwarismi, so hat
auch Leonardo Fibonacci sechs Operationen, die Addition, Sub-
traktion, Duplation, Mediation, Multiplikation und Division.
Voriibung fur die Multiplikation bildet das Auswendiglernen
des Einmaleins , fiir das Dividieren das des Einsineins , in
folgender Form 115) :
J de 1 est 0 et reman et 1
£ . . 2 ... 1 . ... 0
i . . 20 . . . 10 . ... 0
u. s. fort bis ^ von 1, 2, ... 130.
Die Art seiner Division bildet den Ausgangspunkt fur das
spatere Uebersichdividieren. Bei der Ausfiihrung dieser
Regel riickt der Divisor nicht nach rechts ; der Dividend wird
nicht gestrichen ; die Reste stehen iiber dem Dividenden, der
Quotient darunter, das Resultat daneben.
2. Das Rechnen mit Bruchen.
Auch hier hat Fibonacci, nachdem durch die Abacisten
Beda, Gerbert und Bcrnclinus ausschliesslich romische Duo-
dezimalbruche gepflegt worden waren , eine neue Grundlage
schon durch seine Voriibungen fiir die Division geschaffen.
32 II. Gemeines Rechnen.
Er fiihrt den Bruchstrich und damit die moderne
Schreibweise gewohnlicher Briiche ein ; er lelirt auch einen
Bruch in eine Summe von Stamrnbriichen zerlegen. Be-
sonders zweckmassig ist im Falle kleiner Zahlen seine
Methode zur Bestimmung des Hauptnenners : der grosste
Nenner wird mit jedem folgenden multipliziert , und stets
das grosste gemeinschaftliche Mass jedes Paars von Faktoren
weggelassen. (Beispiel: das kleinste Gremeinvielfache von
24, 18, 15, 9, 8, 5 ist 24 . 3 - 72 | . 5 = 360.)
3. Das angewandte Rechnen.
Das Rechnen der Abacisten hatte als Mittelpunkt die
Bestimmung des Datums fur das Osterfest, die Osterrech-
nung. Ausserdem finden sich angeblich von Alcuin ge-
schriebene »Aufgaben zur Verstandesscharfung« , die an
ronrische Muster erinnern. Auch hier bietet Leonardo Fibonacci
das hervorragendste (die regula falsi); nur gehoren seine
Aufgaben mehr ins Gebiet der Algebra als in das der nie-
deren Arithmetik.
Zahlentheoretische Untersuchungen dtirfen von der
Schule der Abacisten nicht erwartet werden. Dagegen kannte
der Algorithmiker Leonardo die griechischen Betrachtungen
iiber die Primzahlen und die Neunerprobe, fiir welch letztere
er einen selbstandigen Beweis lieferte.
D. Dritte Periode. Vom 15. bis 19. Jahrhundert.
1. Das Rechnen mit ganzen Zahlen.
Wahrend das 14. Jahrhundert im grossen ganzen nur
Reproduktionen aufzuweisen hat, beginnt eine neue Zeit reger
Thatigkeit mit dem 15. Jahrhundert durch Peurback und
Begiomontanus in Deutschland, durch Lucas Pacioli in Italien.
— Was die Einzelausfuhrungen angeht, so steht bei der
Addition die Summe bald iiber, bald unter den Posten; die
Subtraktion kennt »Dazulegen« und, »Entlehnen«; bei der
Dritte Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 33
Multiplikation herrschen verschiedene Darstellungsweisen; im
Dividieren hat sich noch keine feste Methode ausgebildet.
Der Algorithmus Peurbacris nennt folgende arithmetische
Operationen: Numeratio, Additio, Subtractio, Mediatio, Du-
platio , Multiplicatio , Divisio , Progressio (arithmetische und
geometrische Reihen, dazu das Ausziehen der Quadratwurzel,
welche vor Erfindung der Dezimalbrtiche mit Hilfe von sexa-
gesimalen Briichen bestimmt wurde). Sein »Uebersichdivi-
dieren« hat noch das Riicken des Divisors; es wird folgender-
massen ausgefiihrt (links die Erklarung der Ausfiihrung, rechts
Peurbachs Division, wobeidieim Verlaufder Rechnung auszu-
wischenden Ziffern unten rechts mit einem Punkt versehen sind) :
36
8479 235
6_
24T
12
12 A-1
9 1.3.4.
-os- 2.2.9.9
?o 847 9;| 235
-BT 3666
15
49
30
19
Gesprochen wurde in diesem Fall etwa: 36 in 84 zweimal,
2.3 = 6, 8 — 6 = 2 tiber 8 geschrieben ; 2.6 = 12,24 — 12
= 12 iiberschreiben, 2 streichen etc. Die Prufung der Rich-
tigkeit des Resultats findet wie bei den iibrigen Operationen
durch die Neunerprobe statt. Diese bei mundlicher Dar-
stellung durchaus nicht schwerfallige Methode des Uebersich-
dividierens wird noch in Rechenbtichern gefunden, die kurz
vor Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind.
Im 16. Jahrhundert war der Rechenstoff in die Latein-
Fink, Gesch. der Elementarinathematik. 3
34 11. Gemeines Rechnen.
schulen in ziemlichem Umfang eingedrungen ; aber an die
grosse Menge der Volksjugend dachten vor 1525 weder
Schul- noch Staatsmanner. Die erste treffliche Verordnung
dieser Art ist die bayrische »Schuelordnungk de anno 1548«,
welche auch in den Dorfschulen das Rechnen als obligato-
rischen Lehrgegenstand einfuhrte42). — Es war das Rechnen
(von einem etwaigen Fingerrechnen abgesehen) e i n Rech-
nen auf Linien mit Marken oder ein Zifferrechnen.
In beiden Fallen kam zuerst die Einiibung des Numerierens
in Ziffern. Um eine Operation in Marken auszufuhren, zog
man eine Anzahl horizontaler Parallelen auf geeigneter Unter-
lage. Von unten nach oben hatte eine Marke auf der 1.,
2., 3., . . . Linie den Wert 1, 10, 100,...., zwischen den
Linien aber bedeutete sie 5, 50, 500, . . . Wie die Zahl
X — 41 096|- dargestellt wurde,
^ ^ zeigt nebenstehende Figur.
X O — Beim Abziehen legte
man den Minuenden, beim
po Q O Vervielfachen den Multi-
^O plikanden auf. Die Divi-
sion wurde als successive Subtraktion behandelt. Dieses
Linienrechnen verliert sich im 17. Jahrhundert vollstandig,
um dem eigentlichen schriftlichen Rechnen oder Zifferrechnen,
von welchem es gleich zu Anfang in besseren Rechenschulen
begleitet war, zu weichen.
Im gewohnlichen Handel und Verkehr des Mittelalters bediente
man sich auch der weit verbreiteten Kerbenrechnung. Am Anfang
des 15. Jahrhunderts war in Frankfurt am Main diese ftechnungs-
fiihrung ganz gewohnlich, und in England erhielt sie sich sogar bis
ins 19. Jahrhundert herein. »Wenn man bei einem Kaufmann Gegen-
stande auf Borg nahm, so wurde der Betrag durch Striche auf einem
Stabchen angedeutet und dasselbe hernach der Lange nach gespalten,
so dass von den zwei zusammenpassenden Teilen der Glaubiger den
einen, der Schuldner den anderen behielt, somit beide gegen (Jeber-
vorteilung gesichert waren«17).
Dritte Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 35
Im Zifferrechnen unterschieden die Rechner des 16.
Jahrhunderts meist mehr als 4 Operationen; einige zahlten
deren 9, nemlich die 8 von Peurbach genannten und dazu
als 9. Operation das Radizieren, das Ausziehen der Quadrat-
wurzel nach der Formel (a + &)2 = a2 + 2ab+ &2, das Ausziehen
der Kubikwurzel nach (a + b)z = a6 4- (a + 6)3a& + b*. Defi-
nitionen kamen vor, waren aber vielfach nur Umschreibungen.
So sagt Grammateus : »Multiplicatio oder Mehrung beschreibt
ein zal durcb die andere multipliciren oder mehren. — Sub-
tractio oder Abziehung offenbart die zal zu subtrahiren oder
ziehen ein zal von der andern, dass da werde gesehen die
vbrig« »•).
Die Addition fand statt wie heutzutage. Beim Ab-
ziehen pflegte man fur den Fall einer grosseren Subtra-
hendenziffer in Deutschland diese Ziffer zu 10 zu erganzen
und zur Minuendenziffer zu legen, gleichzeitig aber die be-
nachbarte Subtrahendenziffer hoherer Ordnung um 1 zu ver-
mehren (Zuzahlmethode Fibonacci's). In ausfuhrlicheren
Btichern wurde fur diesen Fall auch das Entlehnen gelehrt. Die
Multiplikation, der stets die Einiibung des Einmaleins voran-
ging, erfolgte in mannigfacher Weise. Am haufigsten multi-
plizierte man wie heute mit treppenixirmigem Einriicken nach
links. Luca Pacioli schildert 8 Multiplikationsarten, worunter
die eben erwahnte, dann zwei altindische ; die eine ist die auf
Seite 22 dargestellte, die andere die kreuz- oder blitzartige. Bei
letzterem Verfahren bildete man alle Produkte mit Einern,
alle mit Zehnern, alle mit Hundertern. Die Multiplikation
243. 139 =-9. 3 -f 10(9.4 -f 3. 3) + 100 (9. 2 + 3. 4+ 1.3)
4- 1000 (2 . 3 -f 1 . 4) + 10 000 . 2 . 1
hatte in der Darstellung die Form:
2 4, 3
36 If. Gemeines Rechnen.
In deutschen Biichern finden sich ausserdem zwei bemerkens-
werte Arten der Vervielfachung, von denen eine links be-
ginnt (ahnlich wie bei den Griechen) und die entstehenden
Produkte nach einander in die richtige Stelle einschreibt,
wie untenstenendes Beispiel 243 . 839 zeigt.
ft ^ i..
040 Erklarung :
166867 839 . 243 = 2 . 8 . 104 -f 2 . 3 . 103 4- 2 . 9 . 10
3^2 + 4 . 8 . 103 + 4 . 3 . 102 + 4 . 9 . 10
14 + 3.8. 102 + 3.3.10 + 3.9.
2
203877
Beim Teilen herrschte das Uebersichdividieren (Ueber-
warts-Dividieren) ; es wurde ausschliesslich geiibt , obwohl
Luca Pacioli schon 1494 das Untersich- (Unterwarts-)
Dividieren in moderner Form lehrte.
Nach Ausfiihrung der Rechnung verlangte man histo-
rischer Ueberlieferung geniass eine Probe. Anfangs war
dies die Neunerprobe. Wegen ihrer Unzuverlassigkeit,
die schon Pacioli vollstandig erkannt hatte, empfahl man die
Ausfiihrung der entgegengesetzten Operation. Im Lauf der
Zeit wurde die Anstellung einer Probe ganz unterlassen.
Eigentliche Operationszeichen waren noch nicht im Ge-
brauch; sie kamen erst im 18. Jahrhundert aus der Algebra
hertiber in die elementare Arithmetik. Doch hat Widmann
in seinem Rechenbuch die Zeichen -f und — , die wahrscheinlich
schon langer im Gebrauch der Kaufleute waren, da sie auch
in einem Wiener Manuskript des 15. Jahrhunderts auftreten 3 1).
In spaterer Zeit hat Wolf das Zeichen — .— fur minus. Im
Numerieren soil Rudolff zuerst das Wort »Million« gebraucht
haben 81), nach anderen ist dies Stifel gewesen 116) oder aber
Pacioli (in seiner »Summa de Arithmetica« 1494). Fur die
Italiener soil das Wort » Million « ursprunglich ein konkretes
Mass , namlich eine Tonne Goldes bedeutet haben. Eigen-
Dritte Periode. Das Rechnen mit ganzen Zahlen. 37
ttimlicher Weise finden sich die Worter » Billion , Trillion,
Quadrillion, Quillion, Sixlion, Septilion, Oktilion, Nonilion«
schon 1484 bei Chuquet, wahrend das Wort »miliars« (gleich
1000 Millionen) auf Jean Trenchant von Lyon (1566) zuruck-
zufuhren ist 78).
Das 17. Jahrhundert ist besonders erfinderisch an in-
stru men tale n Hilfsmitteln zur mechanischen Ausfuh-
rung der arithmetischen Grundoperationen. Die Neper'schen
Rechenstabe suchten die Erlermmg des Einmaleins iiber-
fliissig zu machen. Es waren dies vierkantige Prismen, welche
auf jeder Seite das kieine Einmaleins einer der Zahlen 1,
2, ... 9 trugen. Zum Quadrat- und Kubikwurzelausziehen
benutzte man St'abe mit aufgeschriebenen Quadraten oder
Kuben der einzifferigen Zahlen. Eigentliche Rechenmaschinen,
welche durch blosse Kurbeldrehung die Resultate lieferten,
aber deshalb sehr kunstlich und kostspielig ausfallen mussten,
sind von Pascal, Leibniz, Matthaus Hahn (1778) erstellt worden-
Eine Erleichterung anderer Art sollten die R e c h e n-
tafeln bilden. Da gab es Resolvierungstabellen , daneben
aber auch gewaltige Einmaleinstafeln , wie diejenige des
Herwart von Hohenburg, aus welch er dieProdukte von je zweien
der Zahlen 1 bis 999 unmittelbar abgelesen werden konnten.
Fur das methodische Rechnen des 18. Jahrhu nder ts
sind die arithmetischen Schriften der beiden Sturm, die von
Wolf und Kdstner bedeutsam. Man suchte im Interesse des
kaufmannischen Rechnens die Multiplikation und Division
durch Rechenvorteile abzukiirzen, ohne dass dadurch wesentlich
neues gewonnen wurde, wenn man nicht etwa dazu das so-
genannte Kopfrechnen oder mundliche Rechnen zahlen will,
das in den letzten Jahrzehnten dieses Zeitraums als selbstan-
dige Uebung auftritt.
Das 19. Jahrhundert hat als Neues im elementaren
Rechnen nur die Einfiihrung der sogenannten osterreichi-
schen Subtraktion (durch Zuzahlen) und Division
38
II. Gemeines "ftechnen.
gebracht, Methoden, welche schon Fibonacci vorbereitet hat.
Man berechnet 323 — 187 = 136, indem man spricht: 7 und 6,
9 und 3, 2 und 1; und 43083:185 folgendermassen :
185
43083J132"
163
1
1679
2737
1
1
621
1058
2
184
437
2
1
2
46
69
0
23
Bei geniigender Uebung hat dieses Verfahren gewiss eine
betrachtliche Zeitersparnis zur Folge, namentlich im Falle
der Bestimmung des grossten gemeinschaft lichen Masses zweier
1 R^7 C\ 2 ^ 7O
oder mehrerer Zahlen, wie das Beispiel
zeigen mag.
2. DasRechnen
2737
mit Brtichen.
119
Das Bruchrechnen wurde am Anfang dieser Periode
fur sehr schwierig gehalten. Zuerst lehrte man das Lesen
der Bruche: »Es ist zu merken, dass ein ieglicher Bruch hat
zwo figuren darzwischen ein linien. Die ober wiirt genannt
der zeler und die under der nenner. Die aussprechung der
Bruche ist also : nenne zum ersten die obere Figur, darnach
die under mit dem Wortlein theyl als ftheyl«. (Grammateus
1518) 116). Dann kamen Regeln tiber das Gleichnamigmachen
der Bruche, uber das Kiirzen, Multiplizieren und Dividieren ;
bei letzterem wurde zuerst gleichnamig gemacht. Mehr findet
sich bei Tartaglia, der den kleinsten Hauptnenner zu finden
weiss, bei Stifel, der die Division durch einen Bruch ver-
mittelst seines reciproken Werts ausfiihrt, und noch bei
einigen andern.
Die Ein fuh rung der Dezimalbriiche war der
Idee nach vorbereitet durch die Systeme der Sexagesimal-
und Duodezimalbriiche, denn der Vorteil in ihrer Anwendung
beruht eben darauf, dass die Operationen mit gebrochenen
Dritte Periode. Das Rechnen mit Briichen. 39
Zahlen in der einfachsten Weise ohne weitere Vorbereitung
durch solche mit ganzen Zahlen ersetzt werden konnen. Eine
Bezeichnung, wie sie bei Dezimalbrtichen gebrauchlich ge-
worden ist, kennt schon Eudolff 3 *) ; er lasst bei der Divi-
sion ganzer Zahlen durch Potenzen von 10 die erforderliche
Anzahl von Stellen »mit einer virgel« abschneiden. Die
vollstandige Kenntnis der Dezimalbriiche stammt von Simon
Stevin her, der das Positionssystem auch unter die Einheit
beliebig weit fortsetzt. Die Zehntel, Hundertel, Tausendel ....
werden Primes, Sekondes, Terzes ... genannt; 4,628
wird 4o_ 6j_ 2^ Ss_ geschrieben. (In den Zeigern ^, j_, 2_, ^
deutet der Strich an, dass die Indices in einen kleinen
Kreis eingesetzt zu denken sind.) Jobst Biirgi benutzt wohl
unabhangig von Stevin in seiner Sinustafel Dezimalbriiche
in der Form 0.32 fur 0,32 und 3.2 fur 3,2. Die Einfuhrung
des Kommas ist auf Keppler zuriickzufiihren. Im praktischen
Rechnen wurden die Dezimalbriiche, abgesehen von logarith-
mischen Berechnungen, riur bei der Zinseszinsrechnung und in
Reduktionstabellen angewendet; ins gewohnliche Rechnen
gingen sie mit Einfuhrung dezimaler Wahrungssysteme im
Anfang des 19. Jahrhunderts iiber.
3. Das angewandte Rechnen.
Das angewandte Rechnen hatte in der Ueber-
gangsperiode des Mittelalters aus lateinischen Schriften vieles
in oberflachlicher und unvollst'andiger Weise aufgenommen;
das 15. und 16. Jahrhundert hat auch nach dieser Richtung
Besseres aufzuweisen. Schon das Bamberger Rechen-
b u c h von 1483 tragt ein ausschliesslich praktisches Geprage
und zielt nur auf Fertigkeit im Rechnen der kaufmannischen
Kreise hin. Diejenige Losungsart, welche in den Rechen-
biichern iiberall die erste Stelle behauptete, war die Regel-
detri, auch Kaufleutregel, goldene Regel 16) genannt. Die
Darlegung der Regeldetri war eine rein mechanische; der
40 II. Gemeines Rechnen.
Gedanke an die zugehorige Proportion trat so weit zuriick,
dass sogar gute Rechenmeister 4fll2S>20fl? statt 4 fl :
20 fl = 12 n : x $ zu schreiben vermochten 116). Fur die
Dreisatzregel mit indirekten Verhaltnissen fiuden sich wohl
Beispiele, aber keinerlei Erklarungen. Aufgaben aus dei
zusammengesetzten Regeldetri (regula de quinque etc.) wurden
successive durch lauter Dreisatze gelost. — Die Berechnnng
des mittleren Zahlungste r m i n s findet sich bei Tartaglia
undiWidmanninderheute noch gebr'auchlichen Art. Uebrigens
herrscht gerade in Widmanris Rechenbuch von 1489 in den
Regeln und Benenimngen noch vielfach grosse Dunkelheit
und Uniibersichtlichkeit , so dass gar nicht selten dieselbe
Sache unter verschiedenen Namen auftritt; er fiihrt auf:
» Regula Residui, Reciprocationis , Excessus, Divisionis, Qua-
drata, Inventionis, Fussi, Transversa, Ligar, Equalitatis, Legis,
Augmenti , Augmenti et Decrementi , Sententiarum, Suppo-
sitiones, Collections, Cubica, Lucri, Pagamenti, Alligationis,
Falsi«, so dass Stifel sich spater nicht enthalten konnte, der-
artige Dinge geradezu als lacherlich zu erklaren 114). - Tei-
lungs- und Mischungsaufgaben loste man durch so
viele Dreisatze, als die Zahl der zu unterscheidenden Gruppen
betrug. Fiir die Zinseszinsrechnung gibt Tartaglia
vier Wege an, darunter stufenweise Berechnung von Jahr zu
Jahr, oder Ausrechnung unter Beniitzung der Formel b = aqn
ohne Aufstellung derselben. — Die Wechselrechnung
wurde in ihrer einfachsten Gestalt gelehrt. Die Wechsel-
briefe selbst sollen von Juden , die im 7. Jahrhundert aus
Frankreich vertrieben in die Lombardei einwanderten , ge-
braucht worden sein. Ghibellinen, welche aus der Lombardei
flohen, fuhrten den Gebrauch der Wechsel in Amsterdam ein,
von wo sich ihre Anwendung weiter verbreitete 116). 1445
wurden die Wechselbriefe nach Niirnberg gebracht. - - Der
Kettensatz, in seinem Wesen eine indische Methode, die
Brahmagupta beschreibt, bildete sich im 16. Jahrhundert
Dritte Periode. Angewandtes Rechnen. 41
aus, gelangte aber erst zwei Jahrhunderte spater zu allge-
meiner Anwendung. Die Art der Darstellung war eine ver-
schiedene. Pacioli und Tartaglia schreiben alle Zahlen in
eine wagrechte Reihe und multiplizieren Glieder gerader und
Glieder ungerader Ordnung je in ein Produkt zusammen.
Ebenso verfahrt Stifel, nur setzt er alle Glieder vertikal
unter einander. Bei Eudolff, der auch den Vorteil des Ktir-
zens oder Hebens kennt, findet sich die moderne Art, den
Kettensatz darzustellen , nur stelit das Gliederpaar mit dem
unbekannten Glied am Schluss.
Durch Kaufleute kam aus Italien ein Rechenverfahren
nach Deutschland, welches im 16., mehr aber noch im 17.
Jahrhundert eine hervorragende Stelle einnahm. Diese
welsche Praktik, wie sie bald genannt wurde, fand ihre
Verwendung bei der Entwicklung des Produkts zweier Glieder
eines Dreisatzes, besonders wenn diese mehrsortige Grossen
waren. Der Multiplikator wurde mit dem Bruch , der ihm
etwa zugehorte, in Summanden zerlegt, die auf moglichst
einfache Weise aus einander ableitbar sein mussten. Wie
richtig Stifel die wahre Bedeutung und Leistungsfahigkeit
der welschen Praktik erkannte, davon zeugt der Ausspruch116):
»Die Wellisch Praktik ist nichts anderes, denn eine kunstliche
und kurtzweilige erfindung mangfaltiger forteil bey der Regel-
detri. Aber doch, wer die Welsch praktik nicht weist, der
bleibe bey der einfeltigen Regeldetri, so findet er eben das,
welches jener findet durch die Wellisch practicam«. — In
dieser Zeit finden sich auch schon Preistabellen und
Zinstafeln (Rechenknechte) im Gebrauch ; ihre Einfiihrung
ist wohl auch den Italienern zuzuschreiben. - - Auf Beispiele
fiir die Regula virginum und Regula falsi stosst man im
16. Jahrhundert auch in den Schriften fur den gemeinen
Rechenunterricht, in welche gewohnlich das gesamte Wissen
des Schriftstellers eingetragen wurde. Die Bedeutung dieser
Regeln liegt aber nicht im Bereich der elementaren Arithmetik,
42 II. Gemeines Reehnen.
sondern in dem der Gleichungen. — Ebenso enthielten einige
arithmetische Schriften Angaben uber die Herstellung von
Zauberquadraten , und die meisten derselben brachten als
Zugabe arithmetische Ratsel und Scherzfragen (von Eudolff
»Schimpffrechnung« genannt). Letztere sind haufig nur Ein-
kleidungen von algebraischen Gleichungen (Aufgabe vom
Hund und Hasen, vom Fass mit drei Zapfen, von der zu erra-
tenden Zahl, welche durch gewisse Operationen verandert
worden ist etc.).
Das 17. Jahrhundert brachte wesentliche Neuerungen
nur auf dem Gebiet des kaufmannische n Rechnens.
Wahrend bei alien Zinsrechnungen mit gesuchtem Endwert
schon das 16. Jahrhundert im Besitz der richtigen Methoden
war, kamen fur den Fall, dass der Barwert zu bestimmen
war, also in der Rabattrechnung, meist grobe Verstosse
vor. Man rechnete den Rabatt in 100, etwa wie in folgen-
dem Beispiel 116) : »100 Thaler geben nach 2 Jahren 10 Thaler
Zinsen; soil man nun die 100 Thaler gleich bezahlen, so ziehe
man die 10 Thaler ab«. Kein geringerer als Leibniz hat
darauf hingewiesen, dass der Rabatt auf 100 gerechnet
werden miisse. Seine Mebhode begegnete bei der grossen
Menge der Rechenmeister dem Missverstandnis , dass wenn
bei Rabattrechnungen unter Annahme von 5 °/o fur 1 Jahr
A abgezogen werden mtisse, der Abzug fur 2 Jahre /T be-
trage. Erst im 18. Jahrhundert einigten sich nach langem
heftigen Streit Mathematiker und Rechtsverstandige auf die
richtige Formel. - - In der Wechselrechnung waren die
Hollander den iibrigen Volkern wesentlich uberlegen. Sie
besassen besondere Schriften iiber dieses Gebiet der kauf-
mannischen Arithmetik und waren durch sie mit den Grund-
ztigen der Arbitragerechnung vollig vertraut. - - Eben fur
den Gebrauch des kaufmannischen Rechnens wurden im 18.
Jahrhundert Rechenvorteile fur die Ausfuhrung der Grund-
operationen und der angewandten Beispiele in grosser Anzahl
Dritte Periode. Angewandtes Rechnen. 43
erfunden. Die Wechsel- und Arbitragerechnung erfuhr durch
Clausberg eine eingehende Begriindung und Durchfuhrung.
Eine besondere Beriicksichtigung fand neben dem schon be-
kannten Kettensatz die Reesische R e g e 1 , die man n i c h t
als identisch mit der Kettenregel gelten Hess. Das hollandisch
geschriebene Buch von Bees war 1737 ins Franzosische und
aus dieser Sprache 1739 ins Deutsche tibertragen worden.
Beim Aufbau der Reihen wurde nach Bees mit dem Frage-
glied begonnen; im Ausrechnen kam erst das Wegschaffen
der Briiche und das Kurzen, dann folgten die tibrigen Ope-
rationen, Multiplikation und Division.
Das Gebiet derKapital- und Zinsrechnungen er-
weiterte sich durch die Errichtung von Versicherungs-
instituten zu einer sogenannten politischen Rechen-
kunst, in welcher Wahrscheinlichkeits- und Rentenrechnung
die hervorragende Stelle einnehmen.
Die ersten Spuren der Vorbedingungen zur Entwicklung
einer politischen Rechenkunst 65) fuhren auf den romischen
Prafekten Ulpian zur tick, welcher etwa in der Mitte des 2.
Jahrhunderts eine Tafel der Lebensdauer romischer Unter-
than^n entwarf. Von dem Vorhandensein eigentlicher Ver-
sicherungsinstitute findet sich aber bei den Romern keinerlei An-
zeichen. Erst im Mittelalter zeigen sich einige Vorlaufer in
den Rechtseinrichtungen der Leibgedinge und des
Gildenkaufs. Vom 14. Jahrhundert ab entstanden eigent-
liche Reise- und Unfallversicherungen, welche sich verpflich-
teten , gegen Vorausbezahlung einer gewissen Summe den
Versicherten aus tiirkischer oder maurischer Grefangenschaft
loszukaufen.
Im Gildenwesen des Mittelalters kam der Gedanke
der Association zu gegenseitiger Unterstutzung bei Feuers-
brunst, Viehverlust und ahnlichem schon deutlich zum Aus-
druck. Noch in hoherem Masse war das der Fall bei den
nach der Reformation entstehenden Handwerker-
44 II- Gemeines Reclmen.
z ti n f t e n , welche formliche Kranken- und Begrabniskassen
einrichteten.
Als Vorlaufer der Rentenversicherung hat man die
Ton tin en anzusehen. Der italienische Arzt Lorenzo Tonti
veranlasste in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu Paris eine
Anzahl Personen, Geldsnmmen zusammenzulegen, deren Zinsen
jahrlich unter die noch lebenden Mitglieder verteilt werden
sollten. Die franzosische Regierung betrachtete ein solches
Verfahren als ein bequemes Mittel, Geld zu bekommen und
gnindete 1689— 1759 zehn Staatstontinen, die aber 1770 samt-
lich wieder eingingen, da sich herausgestellt hatte, dass diese
Art von Staatsanlehen nicht vorteilhaft sei.
Unterdessen waren zwei Schritte geschehen, welche dem
Versicherungswesen einen dnrch die Friichte der mathemati-
schen Wissenschaften gesicherten Grund und Boden ver-
schaiften. Pascal und Fermat hatten die Grundzlige der
Wahrscheinlichkeitsrechnung entworfen , und der
hollandische Staatsmann de Witt beniitzte ihre Methoden, um
auf Grund der Geburts- und Todeslisten einiger Stadte Hol-
lands die Prinzipien der Rentenversicherung in einer beson-
deren Abhandlung niederzulegen. Andererseits brachte Sir
William Petty 1662 in einem Werk iiber politische Arith-
metik die ersten wertvollen Untersuchungen tiber die a 1 1 g e-
meine Sterblichkeit bei, wodurch John Graunt zur Auf-
stellung von Totenlisten veranlasst wurde. Auch von dem
Breslauer Geistlichen Kaspar Neumann wurden im Jahr
1692 Totenlisten veroffentlicht , und diese erregten solches
Aufsehen, dass die konigliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu London den Astronomen Halley beauftragte, diese Tafeln
zu priifen. Auf das Neumann 'sche Material gesttitzt, kon-
struierte Halley die erste vollstandige Sterblichkeitstabelle
fur die verschiedenen Altersstufen. Da diese Tafel, welche
allerdings erst ein halbes Jahrhundert spater die verdiente
Anerkennung fand, das Fundament fur alle spateren Arbeiten
Dritte Periode. Angewandtes Rechnen. 45
dieser Art abgegeben hat, so heisst Halley mit Recht der
Er finder der Sterblichkeitstabellen.
Die ersten Versicher ungsin stitute der neueren
Zeit entsprangen dem englischen Unternehmungsgeist.
In den Jahren 1698 und 1699 entstanden zwei unbedeutendere
Gesellschaften, deren Wirksamkeit eine nur beschrankte blieb.
Allein im Jahr 1705 trat in London die »Amicable« auf,
welche erst 1866 an eine neue Gesellschaft iiberging. Die
» Royal Exchange « und » London Assurance Corporation «, zwei
altere Associationen fur Feuer- und Seeversicherung, nahmen
1721 die Lebensversicherung inihren Geschaftskreis auf, und
sie bestehen heute noch. — Bald stellte sich auch bei den Leitern
soldier Institute das dringende Bediirfnis nach verlasslichen
Sterblichkeitstabellen ein, was die Veranlassung wurde, dass
Halleys Werk durch Thomas Simpson der Vergessenheit
entrissen wurde, und dass James Dodson nach der Halley' schen
Methode die erste Pramientafel fur Lebensversicherungen
mit steigender Skala entwarf. Die alteste Gesellschaft, welche
diese auf wissenschaftlichem Boden erwachsenen Neuerungen
als Basis beniitzte, ist die 1765 gegriindete »Equitable So-
ciety for the Assurance of Life and Survivorships. «
Wahrend am Anfang des 19. Jahrhunderts in England
schon 8 Lebensversicherungsgesellscha ften ihre
segensreiche Thatigkeit ausiibten, gab es auf dem Kontinent
um dieselbe Zeit, trotz mannigfacher Forderung des Versiche-
rungswesens durch Leibniz, die Bernoullis, Euler u. a., kein
einziges Institut dieser Art. In Frankreich entstand 1819
»la compagnie d'assurances generates sur la vie«. In Bremen
war die Gnindung einer Lebensversicherung durch die Kriegs-
wirren des Jahres 1806 vereitelt worden. Erst 1828 konsti-
tuierten sich die zwei altesten deutschen Gesellschaften , die
eine in Liibeck, die andere in Gotha unter der Leitung von
Ernst Wilhelm Arnoldi, dem »Vater des deutschen Versiche-
rungswesens.«
46 IT. Gemeines Rechnen.
Das 19. Jahrhundert hat die Litteratur der Sterblichkeits-
t a f e 1 n wesentlich bereichert ; es bestehen solche von den Englandern
Arthur Morgan und Farr, von dem Belgier Quetelet, von den Deutschen
Brune, Heym, Fischer, Wittstein und Schefler. Die neueste Errungen-
schaft auf diesem Gebiet ist die nach den Bestimmungen des inter-
nationalen statistischen Kongresses zu Budapest von 1876 entworfene
Sterbetafel, welche die Sterblichkeit der Bevolkerung des deutschen
Reiches in den zehn Jahren 1871 bis 1881 darstellt. — Fur die Weiterent-
wicklung und Forderung des Lebensversicherungswesens sorgt das
1849 in London gegriindete »Institute of Actuaries*, eine akademische
Lehranstalt mit Priifungen in alien Fachern des Lebensversicherungs-
wesens. Auch in Berlin besteht seit 1868 ein »Kollegium der Lebens-
versicherungswissenschafU, aber ohne Lerngelegenheit und Priifungen.
Einen Ueberblick des Lebensversicherungswesens der Gegenwart
und seiner Entwicklung in Deutschland liefern folgende Zusammen-
stellungen55). Es gab in Deutschland:
am Anfang des Jalires L.V.Anstalten vers. Personen mit der Summe rund
1852 12 46 980 170 Mill. Mark
1858 20 90128 300
1866 32 305433 900
Es betrug ferner im Jahr 1868:
die Zahl der
das vers. Kapital die ganze vere.
L.V.Anstalten
auf den Kopf
Summe
Deutschland 34
21 Mark 1050
Mill. Mark
Grossbritannien u. Irland 170
300 „ 9000
M
Frankreich 16
33 „ 1245
M
dem ubrigen Europa 25
3 „ 600
5J
den V. St. von N.Amerika 55
169 „ 5400
>»
der ubrigen Welt 30
3/4 „ 750
»
im Ganzen 330 13V2 Mark 18045 Mill. Mark.
Was das 18. Jahrhundert rnehr entwickelt oder neu
geschaffen hat, wird im 19. Jahrhundert weiter gefordert.
Das Schwergewicht des praktischen Rechnens liegt in der
kaufmannischen Arithmetik. Dies spricht sich auch in einer
ungemein reichen Litteratur aus, welche sich fiber alle
Einzelheiten eingehend verbreitet hat, als wesentlich neu
jedoch nur die Zinsberechnungsmethoden bei Kontokorrenten
enthalt.
47
III. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
A. Ueberblick.
Die Uranfange der allgemeinen Grossenlehre bilden die
erste schone Frucht von speziellen Zahlen- und Grb'ssen-
betrachtungen ; sie sind bis zur altesten Zeit zuriickzuverfolgen,
und nur allmahlich hat sich ihr Kreis vergrossert und ver-
vollstandigt. Die erste Periode dieser Entwicklung er-
streckt sich bis zu den A r a b e r n und begreift die Wissen-
schaft dieses Volkes noch in sich; ihre Leistungen gipfeln in der
vollstandigen Losung der quadratischen Gleichungen mit einer
Unbekannten und in der versuchsweisen, meist geometrischen
Losung von Gleichungen dritten und vierten Grads. Die
zweite Periode umfasst den Anfang der Ausbildung ma-
thematischer Wissenschaften bei den westlichen Volkern
vom 8. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Den Anfang
dieses Abschnitts bildet Gerberts, den Schluss Kepplers Zeit.
Die Rechnung mit allgemeinen Grossen erhalt gestaltlich
eine wesentliche Vereinfachung durch zweckmassige Wahl
von kurzen Bezeichnungen zur Bildung von Formeln ; materiell
besteht die bedeutendste Errungenschaft in der rein rechner-
ischen Losung der Gleichungen dritten und vierten Grads
durch Wurzelgrossen.
Mit Leibniz und Newton beginnt die dritte Periode
(von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart).
Im ersten grosseren Abschnitt dieser Periode wurde
durch die Entdeckung der Methoden der hoheren Analysis
ein neues Licht iiber bis dahin nur unvollstandig erforschte
Gebiete verbreitet. Am Schluss dieses ersten Abschnittes
erscheinen die Kombinatoriker, welche sich den grossen Ge-
sichtspunkten eines Leibniz fern hielten. Daher traten Aus-
lander, alien voran Euler, mit mehr als 700 Abhandlungen
aus alien Zweigen der Mathematik, und Lagrange die Fiihrung
48 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
auf dem Gebiet der reinen Analytik an. Den Anfang des
zweiten Abschnitts der dritten Periode ziert der Name
des grossen Gauss, der aus den Werken Newtons und Eulers
die erste Nahrung fur den in ihm schaffenden Genius zog.
Von ihm aus ergeht durch die Veroffentlichung von mehr als
50 grosseren und einer Anzahl kleinerer Abhandlungen nicht
bloss rein mathematischen, sondern auch astronomischen und
physikalischen Inhalts eine Menge von Anregungen nach den
verschiedensfcen Seiten bin. Es entstehen neue Teilgebiete,
in welchen Manner wie Abel , Jacobi , Cauchy , Dirichlet,
Riemann, Weierstrass und andere eine Reihe der schonsten
Entdeckungen gemacbt haben.
B. Erste Periode.
Von den altesten Zeiten bis zu den Arabern.
1. Allgemeine Arithmetik.
Wie sparlich auch die Nachrichten sind, welche die Ent-
wicklung der mathematischen Kenntnisse bei den altesten
Volkern zu schildern vermogen , so finden sich doch schon
bei den Aegyptern einzelne Versuche, die Ausfuhrung der
Grundoperationen durch Zeichen in der Schrift anzudeuten.
Aus Hieroglypheninschriften 16) kennt man als Zeichen
der Addition ausschreitende Beine, welche nach der Rich-
tung gehen, nach welcher die abgebildeten Vogel etc. sehen.
Die Andeutung der Subtraktion besteht in drei parallelen
horizontal gelegten Pfeilen. Das Gleichheitszeichen ist <^
Daneben finden sich auch Rechnungen, welche erkennen lassen,
dass die Aegypter imstande waren, einfache Aufgaben aus
dem Gebiet der arithmetischen und geometrischen Reihen zu
erledigen. — Das letztere gilt auch fur die Babylonier.
Diese nahmen an , dass wahrend der 15 Tage zwischen
dem Neumond und Vollmond die Beleuchtungszunahme der
Mondscheibe, die in 240 Teile geteilt wurde, an den 5 ersten
Erste Periode. Allgemeine Arithmetik. 49
Tagen durch eine geometrische , an den folgenden 10 aber
(lurch eine arithmetische Reihe dargestellt werden konne.
Von den 240 Teilen waren am 1., 2., 3., ... 15. Tage sichtbar
5 10 20 40 1.20
1.36 1.52 2.08 2.24 2.40
2.56 3.12 3.28 3.44 4.
Die Aufzeichnung ist im sexagesimalen System geschehen,
so dass 3 . 28 = 3 . 60 + 28 = 208 zu nehmen ist 16). Ausser-
dem kennt man aus altbabylonischen Denkmalern die 60
ersten Quadratzahlen und die 32 ersten Kubikzahlen in sexa-
Sfesiinaler Ausdrucksweise.
Sehr viel reicher wird die Ausbeute griechischer
Schatze. Schon der Name der ganzen Wissenschaft, y) [Aaibj-
Tixif], entstammt der griechischen Sprache. Zur Zeit Platons
umfasste das Wort |Jia{K][j,aTa alles das, was des wissenschaft-
lichen Unterrichts ftir wert erachtet wurde. Erst durch die
Peripatetiker bekam das Wort seine besondere Bedeutung,
indem als mathematische Wissenschaften die Rechenkunst
(Logistik) und Arithmetik, die ebene Geometric und Stereo-
metric, die Astronomic und Musik aufgezahlt wurden. Bei
Heron von Alexandrien insbesondere ist die Logistik nur
elementares Rechnen, die Arithmetik aber eine zahlentheore-
tische Wissenschaft 78).
Die griechische Arithmetik und Algebra tr'agt fast aus-
schliesslich ein geometrisches Gewand, ohne dass je-
doch, namentlich in spaterer Zeit, die rein arithmetische und
algebraische Betrachtungsweise ganz zu vermissen ware.
Aristoteles16) kennt die Darstellung von Grossen, auch wenn
diese keine Strecken sind, durch Bubstaben des Alphabets;
er sagt namlich an einer Stelle: »Wenn A das Bewegende,
B das Bewegte, T die Weglange, A die Zeit ist etc.« Bis
auf Pappus hatte sich schon eine Art Buchstabenrechnung
ausgebildet, da er imstande war, so viele allgemeine Grossen
zu unterscheiden, als grosse Buchstaben im Alphabet vorhanden
Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 4
50 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
waren (die kleinen Buchstaben a, (3, y, . . . standen fiir die
Zahlen 1, 2, 3, . . .). Aristoteles hat auch ein besonderes
Wort fiir »stetig« und eine Erklarung fur kontinuierliche
Grossen. Am weitesten ist Diophant gegangen. Von ihrn
gibt es schon Bezeichnungen ftir bekannte und unbekannte
Grossen. Hippocrates nennt das Quadrat einer Grosse $6va|itg
(Vermogen), ein Wort, das als potentia ins Lateinische iiber-
ging und spater seine spezifiseh mathematische Bedeutung
erlangt hat. Diophant legt alien Potenzen der Unbekannten bis
zur sechsten besondere Namen bei und fiihrt sie in Abkiirzungen
ein, so dass #2, #3, #4, x5, #6 als §a, xff, §§3, Sxu, xxo auf-
treten. Das Zeichen fur bestimmte Zahlen ist (JL°. In der
Subtraktionbenutzt Diophant das Zeichen rj> (ein umgekehrtes 41);
als Gleichheitszeichen gilt t als Abkurzung von KGOI, gleich«.
Ein Glied eines Ausdrucks heist eWoc, ; dieses Wort ging als
species ins Lateinische iiber und wurde bei der Bildung des
Titels arithmetica speciosa = Algebra benutzt16). — Die For-
meln finden sich gewohnlich in Worten ausgesprochen und
geometrisch dargestellt, so lange es sich nur um Ausdriicke
zweiter Dimension handelt. Dieser Art sind die zehn ersten
Satze im zweiten Buch Euklids , unter ihnen die Figuren,
beziehungsweise wortlichen Anfiihrungen fur die Ausdriicke
= (a 4- b) a 4- (a 4- b)b.
Die Geometric war den Griechen auch ein Mittel fur
zahlentheoretische U n t er such ungen. Davon
zeugen zunacht die Auf zeichnungen iiber Gnomonzahlen.
Bei den Pythagoraern hiess der Rest eines Quadrats, aus deni
eine Ecke quadratisch ausgeschnitten war, ein Gnomon. EuMid
wandte diese Bezeichnung auch auf eine Figur ABCDEF an,
welche aus dem Parallelogramm ABCB' dadurch erhalten wird,
dass fiir D auf CB', E auf BBf, F auf AB', das Parallelo-
gramm DEFB' abgeschnitten wird. Die pythagoraische
Gnomonzahl ist 2n -f 1 ; denn wenn ABCB' ein Quadrat ist,
Erste Periode. Allgemeine Arithmetik. 51
so wird das Quadrat uber der Strecke DE = n Einheiten
zum Quadrat tiber BC = n -f 1 durch das Quadrat (BE) = 1 . 1
A F
und die Rechtecke (AE) = (CE) = 1 . n erganzt, da man hat :
n* -f 2n + 1 = (n + I)2. - - Fur die stete Verwendung geo-
metrischer Versinnlichung sprechen auch Ausdriicke wie
Flachen- und Korperzahlen als Produkte der Mass-
zahlen von Raumgrossen mit zwei und drei Dimensio nen.
Was bis zum 3. Jahrhundert vor Christo in der Zahlen-
lehre bekannt war, fasst Euklid ubersichtlich zusammen. Er
spricht in seinen Elementen von »Grossen«, ohne jedoch
diesen Begriff zu erklaren, und versteht darunter ausser
Linien, Winkeln, Flachen und Korpern auch die natiirlichen
Zahlen 108). Der Unterschied von grad und ungerade, von
Primzahlen und zusammengesetzten Zahlen, das Verfahren zur
Bestimmung des kleinsten Gemeinvielfachen und des grossten
gemeinschaftlichen Masses , die Erstellung rationaler recht-
winckliger Dreiecke nach Platon und den Pythagoraern — alle
diese Dinge sind ihm gelaufig. Won Eratosthenes riihrt ein
Verfahren (»das Sieb«) zur Aussonderung der Primzahlen her;
es besteht darin, dass man von 3 ab alle ungeraden Zahlen
aufschreibt und dann alle Vielfachen von 3, 5, 7, ... streicht.
Diophant gibt an , dass Zahlen von der Form a2 -f 2ab -f &2
ein Quadrat bilden, aber auch , dass solche von der Form
(a2 + 62) .(c2 +
d^
ohne dass iiber den von ihm bentitzten Weg etwas sicheres bekannt
geworden ware. Auch Heron kennt solche Naherungswerte
(| statt y/2", || statt y/3~); er scheut durchaus nicht vor
der Miihe, eine Quadratwurzel angenahert zu bestimmen, zu-
riick, begniigt sich aber in den meisten Fallen mit der be-
kannten Naherung y^a2 + b = cHb^. So setzt er y/63 =
y/82 — 1 =8 — T^. Fur den Fall, dass grossere Genauigkeit
erforderlich war, suchte Heron **) eine Formel von der Gestalt
*) Montucla I, S. 208. Montucla sagt, dass er einen Archi-
tekten gekannt habe, welcher der festen Zuversicht lebte, die s/jfals
ein Verhaltnis endlicher ganzer Zahlen darzustellen zu konnen und der
versicherte, er sei auf diesem Wege schon zur 100. Dezimale gediehen.
*') Tannery in Bord. Mem. IV (1881).
54 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
\a2+ b = 0++-p + 7 + . . . aufzustellen. Gelegentlich wird
von ihm auch die Identit'at ^a^b — a^b benutzt ;er findetzB.
y/108 = y/GTs = 6 ^ = 6 . If = 10 + J + TV Ausserdem findet
sich in Herons Stereometrica das erste Beispiel einer Quadrat-
wurzel aus einer negativen Zahl, nemlich %/81— 144, welche aber
vomRechner ohne weiteres als 8 weniger y1^- eingesetzt wird,
iibereinstimmend mit der Thatsache, dass bei den Griechen
negative Grossen unbekannt waren. Diophant
rechnet wohl mit Differenzen, aber nnr mit solchen, in wel-
chen der Minuend grosser als der Subtrahend ist. — Ein
anderes Verfahren, die Quadratwurzel auszuziehen, ist aus Theon
bekannt ; es stimmt mit dem heutzutage gebrauchlichen
uberein, nur benutzt es, wie dies bis zur Entwicklung der
Dezimalbriiche iiblich blieb, die babylonischen Sexagesimal-
briiche.
Ausserdem findet man bei Aristoteles Spuren der K o m-
binatorik, und bei Archimedes einen Versuch der Dar-
stellung einer Grosse, die tiber alle Grenzen hinaus wachst,
zunachst durch seine Erweiter un gdesZahlensystems,
dann durch seine Sandrechnung. Archimedes fasst die
acht ersten Rangordnungen des dekadischen Systems zu einer
Oktade zusammen; 10000.10000 Oktaden bilden eine Pe-
riode, und diese Perioden werden wieder nach demselben
Gesetz zusammengeordnet. — In der Sandrechnung lost Archi-
medes die Aufgabe, die Zahl der Sandkorner zu bestimmen,
welche eine Kugel fassen kann , die das ganze Weltall ein-
schliesst. Er setzt dabei voraus , dass 10 000 Sandkorner
erst den Raum eines Mohnkornes einnehmen, und findet als
Gesamtzahl aller Korner 1000 Myriaden derachten Periode seines
Systems. Es ist moglich, dass Archimedes bei diesen Be-
trachtungen von der Absicht geleitet wurde, dem Gebiet
beliebig kleiner Grossen, die in seinen Reihensummierungen
auftraten, ein Gegenstuck zu schaffen, das allerdings gewohn-
licher Rechnung nicht mehr zuganglich war.
Erste Periode. Allgemeine Arithmetik. 55
In den Bruchstficken, welche man von Schriften r 6 m i-
scher Feldmesser (Agrimensoren) kennt, finden sich nur
wenige arithmetische Partien , nemlich solche iiber Vielecks-
und Pyramid alzahlen. Offenbar sind sie griechischer Abstam-
mung, und ihre zum Teil mangelhafte Abfassung beweist,
dass bei den Roniern fiir derartige Dinge kein voiles Ver-
standnis vorhanden war.
Reich ist die Ausbeute an arithmetischen Dingen aus
den Schriften der indischen Mathematiker. Ihre Bezeich-
nungsweise ist eine schon ziemlich ausgebildete 16). Bei Arya-
Wiatta heisst die unbekannte Grosse gulika (»Kiigelchen«),
spater yavattavat oder abgekiirzt ya (»so viel als«) ; die be-
kannte Grosse heisst rupaka oder ru (»Munze«). Soil zu
einer Grosse eine andere addiert werden, so steht diese der
ersteren ohne besonderes Zeichen nach. Aehnlich wird bei
der Subtraktion verfahren , nur erhalt in diesem Fall der
Coefficient des Subtrahenden einen Punkt iibergesetzt, so dass
positive Grossen (dhana = Vermogen) und negative (kshaya
= Schulden) unterschieden werden. Auch die Potenzen einer
Grosse erhalten besondere Namen. Es ist die zweite Potenz
varga oder va, die dritte ghana oder gha, die vierte va va, die funfte
va gha ghata, die sechste va gha, die siebente va va gha ghata
(ghata bedeutet Addition). Die irrationale Quadratwurzel heisst
karana oder ka. In den Qulvasutras, welche zu den
religiosen Schriften der Inder zahlen, dabei aber teilweise
arithmetische und geometrische Ausfiihrungen enthalten, tritt
karana mit Zahlwortern zusammen ; es ist dvikarani = y/2~>
trikarani = ^/3 , da9akarani = y/10. - - Sollen mehrere Unbe-
kannte unterschieden werden, so heisst die erste ya; die ub-
rigen werden nach Farben genannt: kalaka oder ka (die
Schwarze), nilaka oder ni (die Blaue), pitaka oder pi (die
Gelbe) ; es bedeutet also ya ka bha die Grosse x . y, da
bhavita oder bha die Multiplikation angibt. Fiir »gleich«
ist zwar auch ein Wort vorhanden; es wird aber in der
56 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Regel niclit benutzt, well das blosse Unt ereinanderstellen
zweier Ausdrticke ihr Gleichsein bezeichnet.
Die Erweiterung des Zahlengebiets durch die n e g a-
tiven Z a h 1 e n ist den Indern sicher gelungen. Sie rechnen
mit denselben und finden sie als Wurzelwerte von Gleichungen,
wo sie freilich als eigentliche Losungen nicht gelten. Bhds-
kara weiss sogar, dass eine Quadratwurzel eine positive und
eine negative Grosse sein kann, auch dass J—a nicht furs
gewohnliche Zahlengebiet existiert; er sagt: »Das Quadrat
einer positiven wie einer negativen Zahl ist positiv, und die
Quadratwurzel aus einer positiven Zahl ist zwiefach, positiv
und negativ. Es gibt keine Quadratwurzel aus einer nega-
tiven Zahl, denn diese ist kein Quadrat« 16).
Zu den Grundoperationen der Inder, deren sie 6 zahlten,
gehorte das Potenzieren und Radizieren. Letzteres
lehrt Aryabhatta fur die Quadrat- und Kubikwurzel nach
den Formeln (a + 6)2 und (a-f &)8, und er spricht in der Aus-
fuhrung von Gruppen zu 2 , bezw. 3 Stellen. Die Bezeich-
nungen Aryabhattas sind fur die Quadratwurzel varga mula,
fur die Kubikwurzel ghana mula (mula — Wurzel, auch von der
Pflanze). Umformungen von Ausdriicken mit Quadratwurzeln
waren auch bekannt. SMsJcara wendet die Formel
V^+T/T = \/±(a f l/^zff) + V^(a—[^d^T)
an; ebenso ist er imstande, Briiche, deren Nenner Quadrat-
wurzeln enthalten, mit rationalem Nenner zu versehen. An-
naherungsweise berechnete Quadratwurzeln stimmen in einigen
Fallen nahezu mit griechischen Angaben iiberein.
Aufgaben iiber Versetzungen, welche bei den Griechen
nur in Spuren nachzuweisen sind , beschaftigen die Inder in
ziemlich weit gehender Weise. Bhdskam hat Formeln fiber
Permutationen undKombinationen ohneund mit Wiederholung ;
er kennt auch eine gute Anzahl zahlentheoretischer Satze,
die auf quadratische und kubische Reste, sowie auf rationale
rechtwinklige Dreiecke Bezug haben. Auffallend ist jedoch,
Erste Period e. Allgemeine Arithmetik. 57
class man bei den Indern nichts fiber vollkommene, befreun-
dete, mangelhafte und iiberschiessende Zahlen erfahrt. Ebenso
verscb wind end ist die Kenntnis der figurierten Zahlen, welche
gewisse griechische Kreise mit Vorliebe pflegten. Dagegen
findet man bei Aryabhatta, Brahmagupta und Bhdskara arith-
metische Reihen, sowie die Reihen I2 + 2a + 32 + . . . , !3 + 23
+ 3s + • • • summiert. Bei Bhdskara tritt auch die geometrische
Reihe auf. — Was das Rechnen mit der Null betrifft, so weiss
Bhdskara , dass •— = oo ist.
Auch die Chinesen zeigen in ihrer Litteratur einiges
von arithmetischen Untersuchungen, wie denn z. B. von Tschu
schi JciJi im Jahr 1303 die Binomialcoefficienten fur die acht
ersten Potenzen als alteMethode angegeben werden. —
Mehr findet sich bei den Arabern. Hier stosst man zu-
vorderst auf den Nam en Alchwarizmls, dessen Algebra, wahr-
scheinlich durch Atelhart von Bath ins Lateinische iibersetzt,
mit den Worten beginnt16): »Gesprochen hat Algorithmic.
Dieser Algorithmi ist kein anderer als Alchwarizvm ; sein Name
hat sich also heute in der Form »A1 gorithmus« von der
Erinnerung an seinen Trager vollstandig abgelost und ist ein
vielgebrauchter Ausdruck fur jedes haufig angewandte und
nach bestimmten Regeln verlaufende Rechnungsverfahren
geworden.
Noch im Anfang des 16. Jahrhunderts tritt in einem gedruckten
mathematischen Werk ein »philosophus nomine Algorismus« auf,
Beweis genug, dass der Verfasser die wahre Bedeutung des Wortes
Algorithmus kennt. Aber dann verschwindet diese Kenntnis vollig,
und erst in unserem Jahrhundert wurde sie von Remand und Bon-
compagni wieder neu entdeckt*).
Alchwariztm hat sich an griechischen und indischen
Mustern gebildet. Eine bekannte Grosse nennt er Zahl,
die Unbekannte dschidr (Wurzel), das Quadrat derselben mal
(Vermogen). Bei Alkarchi findet sich ka b (der Wiirfel) fur
*) Fortschritte 1887, S. 23.
58 IH- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
die dritte Potenz, und es werden daraus ferner gebildet mal
mal = x4, mal ka'b = x5, ka'b ka'b = x6, mal mal ka'b=x7 etc.
Er behandelt auch einfache Ausdriicke mit Wurzelgrossen,
ohne aber die Leistungen der Inder auf diesem Gebiet zu
erreichen. Bei Alchaijdmi findet sich eine Stelle, aus welcher
zu ersehen ist, dass das Radizieren stets auf die Anwendung
der Formel (a + b)n zuruckgefuhrt wurde. Neues bringt
ATkalsddi * 6) durch die Einfuhrung eines Wurzelzeichens.
Statt, wie es urspriinglich Sitte war, das Wort dschidr v ojr
die Zahl zu setzen, aus welcher die Quadratwurzel gezogen
*werden sollte, verwendet Alkalsddi nur den Anfangsbuchstaben
•=*- dieses Wortes und setzt ihn fiber den Radikanden, also
A. ^ 2
2 =v/2~, 12 = y/21, t = V^
Bei den Ostarabern beschaf tigten sich die Zahlen-
theoretiker in besonderer Weise mit der Auffmdung ratio-
naler rechtwinkliger Dreiecke und mit der Aufgabe , ein
Quadrat zu finden, das um eine gegebene Zahl vergrossert
oder verkleinert, wieder Quadrate gibt. Es wird z. B. von
Alchodschandi geradezu ein Teil der Theorie von den qua-
dratischen Resten erlautert , dazu noch der Satz bewiesen,
dass unter Voraussetzung rationaler Zahlen die Summe zweier
Kuben nicht wieder eine dritte Potenz sein kann. Auch von
kubischen Resten war einige Kenntniss vorhanden, wie die
Verwendung der Neunerprobe zur Bildung von Potenzen bei
Avicenna beweist. Dieser Mathematiker stellt Satze auf,
welche sich kurz in der Form
(9w±l)2 = 1 (mod 9) , (9^+2)2 = 4 (mod 9),
(9w+l)3 = (9n f 4)3 = (9^+7)3 EE 1 (mod 9) etc.
darstellen lassen. Albannd hat Ausfuhrungen ahnlicher Art,
welche eine Achter- und Siebener-Probe begriinden.
Aus dem Gebiet der Reihen kannten die Araber jeden-
falls arithmetische und geometrische Progressionen, dazu auch
die Reihen der Quadrat- und Kubikzahlen. Griechischer
Einfluss ist hier unverkennbar.
Erste Periode. Algebra. 59
2. Algebra.
Das Buch des Ahmes bringt aus der agyptischen
Litteratur Beispiele von Gleichungen ersten Grads, bei deren
Losung schon gewisse systematise!! gewahlte Wege einge-
schlagen werden. Die Unbekannte x heisst Hau (der Haufen) ;
eine Gleichung 76) tritt wie folgt auf : Haufen sein f , sein ^,
sein f, sein Ganzes, es gibt 37, d. h. \x + \x -f \x -f a?— 37.
Die Griechen kennen in alterer Zeit die Losung von
Gleichungen nur in geometrischer Gestalt. Fur Gleichungen
ersten Grads finden sich zwar, von den Proportionen abge-
sehen, nirgends ausgefiihrte Beispiele, welche unzweideutig
zeigen wiirden , dass der Verschwindungswert einer linearen
Gleichung mit einer Unbekannten etwa durch den Schnitt
zweier Geraden bestimmt worden ware ; wohl aber bieten
die Ausfuhrungen an Gleichungen zweiten und dritten Grads
eine reiche Fulle Stoffs dar. In der Bezeichnungsweise geht
Diophant am weitesten. Bei ihm heissen die Coefficienten
der Unbekannten TcXfjSo^. Sind mehrere Unbekannte zu unter-
scheiden, so gebraucht er fur sie Ordnungszahlen : 6 Tupfiftos
dtpiftjjL^, 6 SeuTspo^, 6 Tptio?. Eine Gleichung76) erscheint
bei ihm in abgekurzter Form:
*°p5aaray] ^"6 r|> [A5tp, d. h. 2x* + x*= ±x— 12.
Diophant teilt die Gleichungen nicht nach dem Grad, sondern
nach der Anzahl ihrer wesentlich von einander verschiedenen
Glieder ein. Zu diesem Zweck gibt er bestimmte Vorschriften
dariiber, wie man Gleichungen auf ihre einfachste Form
bringt , nemlich auf diejenige , bei welcher beide Seiten der
Gleichung nur positive Glieder haben. — Angewandte Auf-
gaben , welche zu Gleichungen ersten Grads fiihren , finden
sich bei Archimedes und Heron; letzterer hat sogenannte
Brunnenaufgaben, die an gewisse Stellen im Rechenbuch des
Ahmes erinnern. — Die Gleichungen zweiten Grads hatten meist
60 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
die Gestalt von Proportionen, und dieses Hilfsmittel zu Ope-
rationen im Gebiet einer geometrischen Algebra war den
Griechen sehr geliiufig. Sie verstanden zweifellos Gleichungen
von der Form
a a' V
-ff x = b, ^T,x +jr,y + . . . = m,
wo alle Grossen linear sind, durch Figuren darzustellen. Jede
Aufstellung von Mittelgrossen in zwei gleichen Verh'altnissen
oder einer Proportion bestand eigentlich in nichts anderem
als in der Losung einer Gleichung. Die Schule der Pytha-
goraer kannte das arithmetische, geometrische und harmonische
Mittel zweier Grossen, d. h. sie loste geometrisch die Glei-
chungen
a -f b „ 7 2ab
x* —,x* = ab,x=^l.
Nach Nikomachus hat Philolaus den Wiirfel mit seinen 6
Flachen, 8 Ecken und 12 Kanten die geometrische Harmonie
genannt, weil er nach alien Richtungen gleiche Abmessungen
darbiete ; daraus soil der Name harmonisches Mittel, harmo-
nische Proportion abgeleitet worden sein; in der That ist
12 — 8 _12 _ 2.6. 12
8 — 6 ~ 6 =6+12'
Die Zahl der verschiedenen Proportionen wurde sp'ater bis
auf zehn vermehrt, ohne dass allerdings dadurch wesentlich
neues geleistet worden ware. Grundliche Auseinandersetzungen
uber die Proportionen, d. h. uber die geometrische Losung
von Gleichungen ersten Grads und von rein quadratischen
Gleichungen, gibt EuJclid^ zunachst nicht als Frucht eigener
Arbeit, sondern als Bericht uber ausfuhrliche Darlegungen,
die dem Eudoxus zu verdanken sind.
Eine ganz hervorragende Beachtung verdient die Losung
der Gleichung zweiten Grads auf geometrischem
Weg durch dieFlachenanlegung, welche bei den Alten ,
besonders bei EuMid, eine ausgedehnte Verwendung fand.
Erste Periode. Algebra.
61
Um nach EuJclids Art die Gleichung
#2 -f aoc = 62
zu losen, stellt man die Aufgabe zunachst folgendermassen :
£ B H
D
F KG
»An die Strecke AB = a das Rechteck (DH] von bekannter
Flache = 62 so anzulegen, dass (CH) ein Quadrat wird«. Die
Figur zeigt fflr Cff=J, dass (JF!fl> = ic2 + 2x . % + (j)2 == 6s
+ (j)2 ist; aber mit Hilfe des pythagoraischen Satzes ist
62 + (j)2— c2, woraus EH— c — J + a?, also o;=c — | sich er-
gibt. Die durch Flachenanlegung erhaltene Losung, bei
welch er die Quadratwurzel stets positiv genommen wird, ist
demnach nichts anderes als eine konstruktive Darstellung
des Wertes
In derselben Weise lost Euklid alle Gleichungen von der Form
und bemerkt dabei, wo in moderner Schreibweise l/fr*IL(a\ 2
auftritt, dass die Bedingung fiir die Moglichkeit der Losung
b>% ist. Negative Grossen werden nirgends beriicksichtigt ;
jedoch ist Grund vornanden anzunehmen, dass im Fall zweier
positiver Losungen die Griechen dieselben wohl beachteten,
und dass sie ihre Losungsweise auch auf quadratische Glei-
chungen mit Zahlencoefficienten anwandten 124). Durch Hin-
zuziehung der Proportionslehre konnten nicht nur die Glei-
chungen von der Form #2 + ax + 62 == 0, sondern auch die
allgemeineren
(52 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
fiir a als Verhaltnis zweier Strecken gelost werden ; dies thut
Apollonius mit Hilfe eines Kegelschnitts, der die Gleichung hat :
Die Griechen waren also imstande, jede allge-
meine Gleichung zweiten Grads mitzwei wesent-
lich ve rschiedenen Coefficient en , die auch
Zahlenwerte erhalten konnten, zu losen und
deren positive Wurzelwerte geometrisch darzu-
stellen.
Die drei Hauptformen der erst aus geometrischer Ein-
kleidung herauszulosenden Gleichungen zweiten Grads, welche
vollstandig hehandelt wurden, waren also
#2 -f px = q, x* = pan + q, px - xz -f q.
Die Losung bestand in einer Flachenanlegung, d. h. es
war die Aufgabe zu losen , an eine gegebene Strecke ein
Rechteck so anzulegen, dass es entweder eine gegebene Flache
erhalte , oder um ein Gewisses grosser oder kleiner werde als
diese gegebene Flache. Fiir diese drei Forderungen ent-
standen die Kunstausdrucke TiapapoM) , uTisppoXyj, gXXeupts,
welche nach Archimedes in enge Beziehung zur Kegel-
schnittslehre traten *) .
In spaterer Zeit, bei Heron und Diophant, hat sich die
Auflosung der Gleichungen zweiten Grads schon teilweise
von der geometrischen Darstellung losgelost, um in eine
eigentliche Rechenaufgabe iiberzugehen (unter Yernachlassi-
gung des zweiten Zeichens bei der Quadratwurzel).
Die Gleichung dritten Grads spielte in ihrer Abhangig-
keit von geometrischen Problemen bei den Griechen eine
grosse Rolle. Besondere Beruhmtheit erlangte die Aufgabe
von der Wiirfelverdopplung (der Multiplikation des
*) Tannery in Bord. Me'm. IV.
Erste Period e. Algebra. 63
Wiirfels), welche nichts anderes als die Losung der fort-
laufenden Proportion a : x = x : y = y : 2a, d. h. die Losung
der Gleichung x3 = 2as (allgemein x3 —^a*) verlangt. Diese
Aufgabe war sehr alt und stand bei hervorragenden Geistern
in besonderein Ansehen ; davon zeugt eine Stelle bei Euripides,
der den Konig Minos iiber das neu zu erbauende Grabmal
des GlauTsos sagen lasst le) :
»Zu klein entwarfst du mir die konigliche Gruft;
Verdopple sie; des Wiirfels doch verfehle nicht«.
Die von Hippokrates, Platon, Mendchmus, Archytas und an-
deren ersonnenen zahlreichen Losungen der Gleichung #3 = 2a3
erfolgte stets geometrisch, und es erweiterte sich der Gesichts-
kreis nacb dieser Seite bin mit der Zeit so betrachtlich, dass
Archimedes beim Studium seiner Kugelteilungen Gleicbungen
von der Form
xz — ax2 + b2c = Q
durcb den Scbnitt zweier Linien zweiten Grads loste , und
dabei auch zugleich untersuchte, welche Bedingungen zu
erfiillen seien, damit zwischen 0 und a kein Wert oder einer
oder zwei Werte sich befinden. Da die Reduktionsmethode,
nach welcher Archimedes die Gleichung #3 — a%2 -f b*c — 0
erhalt, sich mit ziemlicher Leichtigkeit auf alle Klassen von
Gleiehimgen dritten Grads anwenden lasst, so gebiihrt das
Verdienst, diese Gleichungen begriffsmassig
aufgestellt und eine Hauptgruppe derselben
durch geometrische Methoden gelost zu haben,
unstreitig den Griechen 124).
Von unbestimmten Gleichungen findet sich die
erste Spur bei Archimedes als Rinderproblem (Problema
bovinum).
Diese Aufgabe, im Jahr 1773 von Lessing als erstes von vier noch
ungedruckten Stiicken zur griechischen Anthologie aus einem Kodex
der Bibliothek zu Wolfenbuttel verfiflPentlicht, ist in 22 Distichen ge-
geben , und rtihrt aller Wahrscheinlichkeit nach unmittelbar von
54 III- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Archimedes her, der durch dieses Beispiel zeigen wollte, wie man von
einfachen Zahlengrossen ausgehend leicht durch Ineinanderflechten
der Bedingungen zu sehr grossen Zahlen gelangen kdnne. Der An-
fang dieses Gedichtes arithmetischen Inhalts lautet in der Ueber-
setzung 62) :
»Auf gabe ,
welche Archimedes unter Epigrammen fand , und den in Alexandrien
mit der Untersuchung derartiger Dinge Beschaftigten iibersandte in
dem an Eratosthenes, den Kyrenaer, gerichteten Brief:
Berechne, o Freund, die Menge der Sonnenrinder,
Sorgfalt dabei anwendend, wenn du an Weisheit Teil hast:
Berechne, in welcher Zahl sie einst weidete auf den Fluren
der sicilischen Insel Thrinakien, vierfach in Herden geteilt,
wechselnd an Farbe, die eine von milchweissem Aussehn,
von schwarzer Farbe die zweite erglanzend,
braungelb sodann die dritte, die vierte scheckig; in jeder
Herde waren die Stiere iiberwiegend an Menge
in folgendem Verhaltnisse stehend: die weisshaarigen
nimm, o Freund, als gleich der Halfte, und dem dritten
Teile der schwarzen und samtlichen braunen;
die schwarzen aber gleich dem vierten Teil
und dem fiinften der scheckigen und dazu der samtlichen braunen;
die noch iibrigen scheckigen aber betrachte
als gleichkommend dem sechsten und siebenten Teile
der weissen Stiere und wiederum samtJicher braunen« etc.
Im ganzen bietet die Auf gabe 9 Gleichungen mit 10 Unbekannten :
* = a + 1) y + * y = a + 4) v + *
v = (4 + I) a + e x' == (I + 4) (2/ + 2/0
y = a + 1) (« + «o »' = (* + *) (* + ^)
--
vy + s = -- g-
Nach Amihor wird eine Losung erzielt, wenn man die PelVsche Glei-
chung t* — 2 . 3 .7 . 11 . 29 , 353 u2 = 1 unter der Bedingung u = o
(mod 2.4657) behandelt, wobei ein Kettenbruch mit 91gliedriger
Periode erscheint. Die Zahl aller Stiere ergibt sich alsdann zu
5916837175686, eine Zahl, welche immerhin noch viel kleiner ist als
diejenige, von welcher in der Sandrechnung des Archimedes die Rede ist.
Erste Periode. Algebra. 65
Am engsten mit derartigen Gleichungssystemen verkniipft
1st aber der Name Diophants. Er sucht seine unbestimmten
Gleichungen nicht in ganzen , sondern nur in rationalen
Zahlen (negative Grossen wie uberall ausgeschlossen) zu be-
friedigen und bildet also Losungen von der Form —^ , wo
p und q ganze positive Zahlen sein mtissen. Es scheint, dass
Diophant auf diesem Gebiet nicht nach allgemeinen Methoden,
sondern mehr nach sinnreichen Einfallen verfahren ist;
wenigstens lassen die von ihm bekannt gewordenen Losungen
unbestimmter Gleichungen ersten und zweiten Grads keinen
andern Schluss zu. Diophants Thatigkeit scheint von fruheren
Arbeiten, namentlich von solchen des Heron und HypsiTdes
nicht unwesentlich beeinflusst worden zu sein. Es darf an-
genommen werden, dass schon in vorcbristlicher Zeit eine
unbestimmte Analytik bestand, auf welcher Diophant weiter-
bauen konnte*).
Die indische Algebra erinnert in mannigfacher Hin-
sicht an Diophant und Heron. Wie bei Diophant werden
negative Wurzeln einer Gleichung nicht als Losungen zuge-
lassen, aber, was gegen Diophant ein Fortschritt ist, in be-
wusster Weise beseitigt. Auch die Umformung der Gleichungen,
die Vereinigung der Glieder mit gleichen Potenzen der Un-
bekannten, geschieht wie bei Diophant. Die schriftliche Dar-
stellung der Gleichungen ist nach Bhaskara folgende 76j :
Ja bha 2 \ Ja j | Eu 30
Ja bha 0 | Ja 0 | Eu 8'
d. h. 2x2— x + 30 = O,*?2 + §x + 8 = 8.
Gleichungen ersten Grads treten nicht bloss mit einer, sondern
auch mit mehreren Unbekannten auf. Wesentliche Fort-
schritte lasst die indische Behandlungsweise der Gleichungen
zweiten Grads erkennen. Zunachst wird a#2 -f bx — c als
einzige Hauptform anstatt der drei griechischen Formen
*) P. Tannery in Mem. de Bord. 1880.
Fink, Gesch. der Elemeutarmathematik. 5
66 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
ax* -h bx — c, bos + c — ax2, ax* + c = bx aufgestellt, daraus
4aV + 4=abx = 4ac und ferner (2ax + &)2
gebildet, woraus
folgt. Noch weiter geht Bhdskara, der die Quadratwurzel
mit zwei verschiedenen Zeichen nimmt und auch weiss, wann
sie nicht ausgezogen werden kann; jedoch werden von ihm
zwei Wurzelwerte als Losurigen nur dann zugelassen , wenn
beide positiv sind und zwar offenbar deshalb , weil seine
quadratischen Gleichungen ausschliesslich in angewandt rech-
nerischer und geometrischer Einkleidung auftreten. Auch
Gleichungen dritten und vierten Grads lost Bhdskara in
Fallen, wo diese Gleichungen durch zweckdienliche Umformung
oder Einfuhrung von Hilfsgrossen auf den zweiten Grad
zuriickgefuhrt werden konnen.
Besonders hervorragend ist die unbes timmte Ana-
lytik der Inder. Hier werden im Gegensatz zu Diophant
nur Losungen in g a n z e n positiven Zahlen zugelassen. Die
unbestimmten Gleichungen ersten Grads mit zwei und mehr
Unbekannten lost schon Aryabhatta, und nach ihm Bkdskara,
durch ein Yerfahren, bei welchem der Euklid'sche Algorithmus
der Aufsuchung des grossten gemeinschaftlichen Masses be-
nutzt wird, so dass diese Losungsweise wenigstens in den
Grundziigen mit der Losung nach dem Kettenbruchverfahren
ubereinstimmt. Unbestimmte Gleichungen zweiten Grads,
z. B. solche von der Form xy —• ax + by + c, werden ent-
weder dadurch gelost , dass zunachst y ganz willktirlich ge-
wahlt und daraus x gefunden wird; oder man benutzt geo-
metrische Betrachtungen zur Losung unter Zuhilfenahme der
Flachenanlegung ; oder aber man verwendet die cyklische
Methode 16), welchezwar nicht notwendig zum Ziele fuhren
muss, wohl aber bei geschickter Wahl der Hilfsgrossen
ganzzahlige Werte geben kann. Diese cyklische Methode
Erste Periode. Algebra. 67
besteht darin , dass zunachst statt ax* + b = cy* eine
Gleichung aoD* + \ = y'* gelost wird, und zwar mit Hilfe einer
empirisch angenommenen Gleichung aA2 + B = O2, aus der
durch Losung unbestimmter Gleichungen ersten Grads andere
Gleichungen derselben Form a An -f Bn = Cn sich ableiten
lassen , die dann auch durch geschickte Kombination eine
Losung von ax2+l=y* ergeben sollen.
Die chine si sche Algebra hat, wenigstens in der
frtihesten Periode, mit der griechischen das gemein, dass die
Gleichungen zweiten Grads geometrisch gelost werden. In
spaterer Zeit scheint sich auch ein Naherungsverfahren fiir
die Bestimmung von "Wurzelwerten hoherer algebraischer
Gleichungen ausgebildet zu haben. Zur Losung der unbe-
stimmten Gleichungen ersten Grads haben die Chinesen selb-
standig eine Method e ausgebildet. Sie fuhrt den Namen der
»grossen Erweiterung« und ihre Erfindung wird Sun tse, der
im dritten Jahrhundert n. Chr. lebte, zugeschrieben. Diese
Methode I'asst sich am besten durch folgendes Beispiel kurz
charakterisieren : Gesucht sei eine Zahl #, welche durch 7,
11, 15 geteilt bezw. die Reste 2, 5, 7 liefert. Man suche
&i, &2, ks so, dass
wird; man erhalt z. B. ki=2, fa = 2, ^3 = 8 und bildet ferner
11 . 15 . 2 = 330, 330 . 2 = 660,
15 . 7.2- 210, 210. 5 = 1050,
7 . 11 . 8 = 616, 616 . 7 = 4312,
660 + 1050 + 4312 = 6022;
ist eine Losung der vorgelegten Gleichung*).
In der Schreibweise der Gleichungen wenden die Chinesen
ebensowenig wie die Inder ein Gleichheitszeichen an. Die
*) L. Matthiessen in Schlomilch's Z. XXVI.
5*
68 III. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
positiven Coefficienten sind rot , die negativen schwarz ver-
zeiclinet. Neben dem Absolutglied steht in der Reg el tde,
neben dem Coefficienten der ersten Potenz yuen; das iibrige
lasst das Beispiel 14#3 — 27#=17 erkennen16), wo r und s
die Farbe der Coefficienten andeuten:
r 14 oder r 14 oder r 14
r 00 r 00 r 00
s 27 ymn s27 s 27 yuen
rll tde rll tde r!7.
Die Schuler der Inder und Griechen zugleich sind die
A r a b e r. Sie beniitzen die Methoden dieser ihrer Vorganger
und vervollkommnen sie besonders nach der rechnerischen Seite
bin. Hier findet man zunachst den Ursprung des Wortes
Algebra, und zwar in den Scnriften Alchwarizm/is, der von
»Aldschebr walmukdbala« im Tit el eines seiner Werke spricht.
Dieser Ausdruck bezeichuetzweibeider Ordnungder Grleichungen
verwendete Hauptoperationen der Araber. Wenn man aus
Xs + r — x2 + px + r die neue Gleichung x3 = xz + px
bildet, so ist dies AlmuMbala; die bei den Alten sehr wich-
tige Umformung , welche aus px — q = x2 die Gleichung
px-=x* + q liefert, hiess Aldschebr, und dieser Name ubertrug
sich auf die Wissenschaft , welche Gleichungen iiberhaupt
behandelt.
Die alteren Araber schrieben ihre Gleichungen in fort-
laufendem Texte aus , z. B. Alchwarismi 76) (in lateinischer
Uebersetzung) :
Census et quinque radices equantur viginti quatuor
(x* -f 5,2? =24),
und Alchaijdmi:
Cubus, latera et numerus aequales sunt quadratis
(x* + Ix + c — asc*).
In spaterer Zeit entstand fur die Algebra eine ziemlich weit
gefiihrte Zeichensprache , und diese machte bei den West-
arabern die bedeutendsten Fortschritte. Die Unbekannte x
Erste Periode. Algebra. 69
war dschidr, ihr Quadrat mdl-, durch die Anfangsbuchstaben
dieser Worter erhielt man die Abkiirzungen .2?=^, #2 = ~o.
Grossen , welche ohne weiteres auf einander folgen , werden
addiert; far die Subtraktion ist em besonderes Zeichen vor-
handen. » Gleich « wird durch den Endbuchstaben von adala
(gleichsein) bezeichnet, nemlich durch ein finales lam, hier
mit 8 gegeben. Bei Alkalsddi™} sind 3#2 = 12x + 63 und
\x* + x — 1\ dargestellt durch
630-S ?. *78cr-«
12 * ; 1 i,
und die Proportion 7 : 12 = 84 : x erhalt die Form:
^ . • . 84 . • . 12 . • . 7.
Schon Diophant hatte die Gleichungen nicht nach ihrem
Grad, sondern nach der Anzahl ihrer Glieder gruppiert. Ganz
ausgepragt findetsich dieses Einteilungsprinzip bei den Arabern.
So bildet Alchwarizrm 76) fur die Gleichungen ersten und
zweiten Grads folgende sechs Gruppen:
x 2 = ax (»ein Quadrat ist gleich Wurzeln«),
x* = a (>ein Quadrat ist gleich einer Zahl«),
ax=b, x* -\- aos = b, x2 + a = bx, ax -f b = a:3,
(»Wurzeln und eine Zahl sind gleich einem Quadrat«).
Gleichungen des ersten Grads wussten die Araber nach
vier verschiedenen Methoden aufzulosen, von denen jedoch
nur eine besonderes Interesse erregt, weil sie in der modernen
Algebra als Naherungsmethode fur Gleichungen hoheren
Grads ausgebildet worden ist. Diese ihrem Ursprung nach
indische Losungsart, welche sich namentlich bei Ibn Albanna
und Alkalsddl findet , und dort »Methode der Wagschalen«
heisst, ging in die lateinischen Uebersetzungen als »regula
falsorum«, »regula falsi« iiber. Ist z. B. die Gleichung
ax + b = 0
gegeben 76), und sind z\ und £a beliebige Zahlenwerte, setzt man
ferner az\ +b = y\, az* + b= yt, so ist, wie leicht zu sehen,
#2 y\ — z\ y*
70
III. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Ibn Albanna beniitzt folgende schematische Darstellung zur
Berechnung des Wertes von x:
yf
c7*
Die geometrische Darstellung, welche fiir yi als negative
Grosse einige Aehnlichkeit mit einer Wage hat?, ware fiir
^ ^ ?/2, OA=x folgende:
Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass
x — #1 y\
x — #2~ «/2 '
d. h. dass die Fehler der Substitutionen sich verhalten wie
die Fehler der Resultate, und diesen Satz fand wahrscheinlich
der erste Entdecker der Methode durch geometrische Be-
trachtungen ahnlicher Art.
Bei den Gleichungen zweiten Grads gibt Alchwari#mt
zuerst eine rein mechanische Losung (ohne negative Wurzeln,
die zwar bekannt sind, aber nicht zugelassen werden), dann
eine Probe durch geometrische Darstellung. Auch eine Unter-
suchunguber die Anzahl der Losungen wird angestellt. Im Falle
oder x = --
x* 4- c =
~~ c
erhalt Aldiwarizmi zwei, eine oder keine Losung, je nachdem
ist. Den geometrischen Nachweis fiir die Richtigkeit der
Losung einer Gleichung wie z. B. a?2 + Zoc =15 (# = 3) liefert
er auf zweierlei Art , entweder durch eine vollkommen
Erste Periode. Algebra.
71
symmetrische Figur oder mit Hilfe des Gnomons. Ftir
'=1 ist
A
im ersten Fall x* + ±.\.x+ 4.(J)2= 15 + 1, 0+12 = 16;
im zweiten hat man or? + 2 . 1 . x + I2 = 15 f 1. — Durch
Alkalsdcfc erfahrt die Theorie der Gleichungen zweiten Grads
insofern noch eine Erweiterung, als von ihm Gleichungen
der Form ax*n + bxn + c = 0 gelost werden.
Gleichungen von hoherem als dem zweiten Grad, wie sie
den Arabern durch geometrische oder stereometrische Auf-
gaben in griechischen Mustern aufstiessen, wurden von ihnen
nicht mehr rechnerisch , sondern nur noch geometrisch
mit Hilfe der Kegelschnitte gelost. Am meisten systematisch
ist hier Omar Alchaijami 76) vorgegangen, der folgende Glei-
chungen dritten Grads geometrisch lost:
Seine Ausdrucksweise ist dabei folgende:
»Ein Kubus und Quadrate sind gleich Wurzeln« ;
»ein Kubus ist gleich Wurzeln, Quadraten und einer Zahl«,
wenn die Gleichungen
XB -f- pa;2 = qx, x3 = px* + qx + r
dargestellt werden sollen.
Alle binomischen Formen nennt Omar ei nfache Gleichungen,
72 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
die trinomischen und quadrinomischen aber zusammen-
gesetzte Gleichungen. Letztere konnte Omar nicht mehr
losen, auch niclit geometrisch , wofern sie bis zum vierten
Grade anstiegen.
Die unbestimmte Analytik der Araber muss auf Diopkant
zuriickgefiihrt werden. Bei der Losung von unbestimmten
Gleichungen ersten und zweiten Grads gibt Alkarchi wie
Diophant ganze und gebrochene Zahlen, und schliesst nur
irrationale Werte aus. Von Satzen fiber pythagoraische Drei-
ecke kannten die Araber eine ziemliche Anzahl, ohne jedoch
dieses Gebiet vollig systematisch durchforscht zu haben.
C. Zweite Periode.
Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
So lange die Pflege der Wissenschaften bei den west-
lichen Volkern fast ausschliesslich an die Kloster gebunden
war, also vom 8. bis 12. Jahrhundert, kann von einer For-
derung der allgemeinen Zahlenlehre nichts entdeckt werden.
Wie in der gelehrten lateinischen Welt vom Ende des 5. Jahr-
hunderts ab, zahlteman sieben freie Kiinste, das Trivium (Gram-
matik, Rhetorik, Dialektik) und das Quadrivium (Arithmetik,
Geometric, Musik, Astronomie) 78). Allein erst arabischer Ein-
fluss, der teils unmittelbar, teils durch Schriften wirkte,
zeitigte in Italien, dann auch in Deutschland und Frankreich
eine Blutezeit mathematischer Thatigkeit, deren Einfluss in
der ganzen Litteratur jener Zeit ein hervorragender war.
Findet doch Dante im vierten Gesang der Gottlichen Ko-
modie mitten unter den Leuten »stillen, ernsten Blicks,
in ihren Ztigen hohe Wtirde tragend«, einen Euklid und
Ptolemaus, einen Hippokrates und Avicenna.
Es entstanden als weitere Entwicklung von beruhmten
Kloster-, Dom- oder Stiftsschulen, oder- auch in seltenen
Fallen unabhangig von ihnen, die ersten Hochsch u len42)
zu Paris, Oxford, Bologna, Cambridge, welche sich
Zweite Periode. Allgemeine Arithmetik. 73
im Lauf des 12. Jahrhunderts die einzelnen Fakultaten an-
gegliedert batten und vom Anfang des 13. Jahrhunderts an als
»Studia generalia« beriihmt wurden111). Bald erwuchsen auch
Hochschulen in Deutschland (Prag 1347, Wien 1365, Heidel-
berg 1385, Koln 1388, Erfurt 1392, Leipzig 1409, Rastatt
1419, Greifswalde 1456, Ingolstadt 1472, Tubingen und
Mainz 1477 gegriindet), auf welchen der mathematische
Unterricht lange Zeit nur ein Anhangsel der philosophischen
Lehrthatigkeit bildete. Als den ersten Fachprofessor der
Mathematik an einer deutschen Hochschule hat man Jokann
von Gmunden anzusehen , der vom Jahr 1420 ab in Wien
nicht rnehr , wie dies sonst iiblich war, tiber alle philosophischen,
sondern nur noch uber mathematische Facher Vorlesungen hielt.
1. Allgemeine Arithmetik.
Noch Fibonacci schreibt mathematische Regeln in Wortern
oder stellt sie durch Strecken dar. Bei Pacioli dagegen, der
seinem Vorganger an rechnerischer Erfindungsgabe weit
nachsteht, finden sich f (ir plus , minus , radix oder res die
Abkiirzungen .p., .m., R. Schon zehn Jahre vor Luca Pacioli,
nemlich im Jahr 1484, hatte Nicolas Chuquet, wahrscheinlich
auf den Forschungen Oresmes fussend, ein Werk veroffent-
licht, in welchen nicht bloss die Zeichen p und ™ (fur plus
und minus), sondern auch Ausdriicke wie
JB*.10, E*. 17 fiir l/W^Jl
neben der Cartesischen Exponentenbezeichnung , der soge-
nannten Harriot'schen Zeichenregel und den Ausdrticken
»equipollence«, »equipollent« (fiir Aequivalenz und aequi-
valent) auftraten*).
Die eigentliche Zeichenarithmetik bildete sich auf
deutschem Boden aus. Fiir die deutsche allgemeine Arith-
") A. Marre in Bone. Bull. XIII. (Fortschr. 1881. S. 8.)
74 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
metik und Algebra, fur die »deutsche Coss« sind die Zeichen
4- und ftir plus und minus charakteristiscb 114) ; sie
waren allgemein im Gebrauch, als man in der italienischen
Schule noch lange p~ und m scbrieb. Das alteste Vorkommen
dieser Zeichen ist in einer Handschrift der Wiener Bibliothek
(»Regule Cose vel Algobre«) aus der Mitte des 15. Jahr-
hunderts nacbgewiesen. Im Anfang des 17. Jahrhunderts
steht bei Eeymers und Faulhaber - -~ , bei Peter Both -:-:-
als Minuszeicben.
Im 13. und 14. Jahrhundert wurde bei den Italienern
in Anlehnung an die Araber der Verlauf einer Rechnung
ganz in Worten dargestellt. Jedoch bildeten sicb nacb und
nacb Akurzungen heraus, und Luca Pacioli kennt solche ftir
die neunundzwanzig ersten Potenzen der unbekannten Grosse.
In seiner Zusammenstellung steht ftir die absolute Zahl, ftir
x, #2, a?3, <#4 . . . . immer numero oder n°, cosa oder co, censo
oder ce, cubo oder cu, censo de censo oder ce . ce, primo relato
oder j?° . r°, censo de cubo oder ce . cu
Die Deutschen bentitzten Zeichen eigener Erfindung.
Rudolff und Biese benennen die absolute Zahl und die Po-
tenzen der Unbekannten folgendermassen : Dragma, in der
geschriebenen Abktirzung cp ; Radix (oder Coss) hat das
Zeichen x (ein r mit einem Schnorkel), Zensus 5, Cubus ein c
mit oben angehangtem langem 1-formigem Schnorkel (bier
und im folgenden einfach mit c wiedergegeben) , Zensus de
Zensu (Zensdezens) §j, Sursolidum |3 oder fj, Zensikubus § c,
Bissursolidum MJ3 oder 33J3, Zensus Zensui de Zensu (Zens-
zensdezens) %%%, Cubus de Cubo cc.
Ueber die Herkunft des x der Mathematiker stehen sich zwei An-
sichten gegeniiber. Nach der einen ist das Zeichen x ein r (radix),
das nach und nach mit einem Schnorkel versehen immer mehr dem
x ahnlich wurde, wahrend die urspriingliche Bedeutung in Vergessen-
heit geriet, so dass es ein halbes Jahrhundert nach Stifel von alien
Rechnern als x gelesen wurde114). Die andere Erklarung23) kniipft
claran an, dass es in Spanien Regel ist, ein arabisches s durch ein
1
Zweite Periode. Allgemeine Arithmetik. 75
lateinisches x uberall da zu ersetzen, wo es sich um Wiedergabe
ganzer Worter und Satze handelt, z. B. um die Grosse 12x, im Ara-
U~
bischen 12, gleich 12 xai (eigentlich 12 sai). Es ware so das x der
Mathematiker eine Abkiirzung des arabischen sai = xai als Bezeich-
nung der Unbekannten.
Von den alteren Cossisten114) werden die im obigen er-
wahnten Abkiirzungen ohne Erklarung eingefiihrt ; Stifel da-
gegen fiihlt das Bedurfnis, seinen Lesern die notigen Auf-
klarungen zu geben. Das Wort »Wurzel« (fiir die erste
Potenz der Unbekannten) erklart er mit Hilfe der geome-
trischen Progression, »weil alle folgenden Glieder aus dem
ersten hervorwachsen wie aus einer Wurzel« , setzt fiir
#°, x1, x*, xs, .... die Bezeichnungen 1, 1 #, 1 j, 1 c, 1 33, . . . .
und nennt dies »cossische Zahlen«, die man ins Unendliche
fortsetzen konne, indem jeder eine bestimmte Rangzahl (»ex-
ponens«) zukomme. In der deutschen AuvSgabe von Eudolffs
Coss schreibt Stifel »die Cossische progresz« bis zur siebzehnten
Potenz fortschreitend erst in der schon angegebenen Weise,
dann aber auch folgendermassen :
. i . ia lam imm etc.
Dasselbe schreibt Stifel noch mit den Buchstaben 35 und ^.
Die grosste Armaherung an unsere heutige Bezeichnung findet
sich bei Biirgi und Reymers, wo mit Hilfe der »Exponentes«
oder »Charakteristici« das Polynom
Sx6 + I2x6— 9#4 + 10^3 + 3x-2 4- 7^ — 4
30 dargestellt wird:
VI V IV III II 10
8 + 12 9 + 10 + 3 + 7-4.
Fiir a?, x2, xs, x*, ... steht bei Scheubel pri., sec., ter.,
guar., quin., bei \Eamus I, q, c, bq, s als Abkiirzung von
latus, quadratus, cubus, biquadratus, solidus.
Das Produkt (7#2— 3x 4- 2) (5^-3) = 35^3—36^2+ 19^-6
stellt sich in seiner Entwicklung bei Grammateus, Stifel und
Eamus folgendermassen dar :
76 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Grammateus:
1 x. — 3 pri. + 2N
durch 5 pri. — 3 N
Stifel:
7j_3^+ 2
5^-3
—21 a?. +
10 pn.
Q pri. — 6.N
35 c— 15
•j + 10#
.) + 9rc- 6
35 ter. — 36 x. +
19 pri. — 6N
Ramus :
7 q— 3Z +
5Z —
35 c— 3C
2
3
35 c — 15 g— 10 I
— 2lq+ 9 I — 6
35 c — 36g+ 19 Z— 6.
Fur das Wurzelausziehen erfand die deutsche Coss
ebenfalls schon im 15. Jahrhundert ein besonderes Symbol.
Erst stand «4 statt yT; dieser der Zahl vorgesetzte Punkt
wurde bald durch einen angehangten Strich ausgezogen.
Schon Riese schreibt einfach »/4. Bei Rudolf findet sich
v/4« fur JT. Den ersten Schritt zu einer allgemeineren Auf-
fassung der Wurzelgrossen macht Stifel in seiner »Arithmetica
integra« , wo die zweite, dritte, vierte, funfte Wurzel aus
sechs bezeichnet wird mit y/j6, y/c6, y/^6, ^§6, wahrend
anderswo als Wurzelzeichen die Formen vorkommen:
2/f V, V.
Diese Zeichen, von welchen die zwei ersten bei Rudolf, die
drei andern in einem Werke Stifels auftreten, bedeuten die
dritte und vierte, beziehungsweise die zweite, dritte und vierte
Wurzel aus der Zahl, welcher sie vorgesetzt wurden.
Ueber die Rechnung mit Wurzelgrossen gibt Rudolff
einige Regeln, aber ohne Beweise. Eine irrationale Zahl
heisst bei ihm wie bei Fibonacci »numerus surdus«. Auf-
gefiihrt finden sich Satze wie
x(\/a + (/b)
a — b
Zweite Periode. Allgemeine Arithmetik. 77
Stifel geht auf die Irrationalitaten mit besonderer Vorliebe
ein, und bezieht sich sogar auf die Betrachtungen EuMids,
wahrt aber bei seinen Entwicklungen stets eine wohlbegriin-
dete Selbstandigkeit. Von Irrationalitaten unterscheidet Stifel
Haupt- und Ne ben art en. Zu den ersteren zahlen die
n
einfachen Irrationalen oder Medialen von der Form ^o", die
zusammengesetzten Irrationalen :
05*0 + 0p, 4 + 06, 012 4-012,
die zusammengesetzten Radikale :
die gleichsam zusammengesetzten Irrationalen (08 10 - 0j6)
und die gleichsam zusammengesetzten Radikale:
0 • 06 — 08 = v/plTHT^
Nebenarten von irrationalen Grossen sind nach Stifel Aus-
driicke wie
02 + 03 + 05, 02 + 0j4 + 03,
05 . 06 + 2 . — . yjc . 08 + 0}12
Die Kenntnis der negativen Grossen hat Fibonacci
offenbar von den Arabern erhalten, aber wie sie lasst er
negative Grossen als Wurzeln einer Gleichung nicht zu. Pacioli
spricht die Regel aus: minus . minus gibt plus, wendet sie
aber nur auf die Entwicklung von Ausdriicken der Form
(P — 2) (r ~ s) an- In derselben Anschauung bewegt sich
Cardano ; er kennt negative Wurzeln einer Gleichung, nennt sie
aber aestimationes falsae oder fictae und legt ihnen keine
selbstandige Bedeutung bei. Bei Stifel heissen die negativen
Grossen numeri absurdi. Erst Harriot betrachtet negative
Grossen fur sich und lasst sie die eine Seite einer Gleichung
bilden. Die Rechnung mit negativen Grossen beginnt also
eigentlich erst im 17. Jahrhundert. Mit den irrationalen
Zahlen verhalt es sich ahnlich; erst Stifel rechnet sie unter
die eigentlichen Zahlen.
78 IlL Aligemeine Arithmetik und Algebra.
Von imaginaren G r o s s e n ist kaum die Rede. Car-
dano beweist gelegentlich :
(5 + ^=15) . (5-^-11,) = 40.
Bombelli geht wesentlich welter. Er spricht sich zwar nicht
aus iiber das Wesen der imaginaren Grossen, von denen er
-j-y/IIT »piu di meno«, — y/— i »meno di meno« nennt, wohl
aber gibt er Regeln zur Ausrechnung von Ausdriicken der
Form a-\- &\/^T, wie sie bei der Losung der Gleichung dritten
Grads auftreten.
In der Potenzrechnung war die italienische Schule
friihzeitig ziemlich weit gelangt. Schon Nicole Oresme*7)
stellt die Rechnung mit gebrochenen Exponenten auf; in
seiner Schreibweise ist
_
er kennt die Formeln:
aw=(a»)n, a".pw-
In den Umformungen von Wurzeln hat Cardano den ersten
wichtigen Schritt vorwarts gethan, indem er
also y/a2 — b = p2 — q_ = c, a2 — b = CB setzt. Bombelli er-
weitert diese Bemerkung und setzt
_
woraus \/a2~\- b^=p2-i- q folgt. Er findet im Zusammenhang
mit der Gleichung xs= 15^+4 folgendes :
In diesem Fall wird namlich
durcn Addition pz — 3pq=2, und mit q_ — 5 — p2 ferner
4j?3 — 15jp=2, also p = 2 und g=l.
Das zahlenmassige Quadrat- und Kubikwurzelausziehen
Zweite Periode. Allgemeine Arithmetik. 79
erfolgt schon von Grammateus nach arabischer oder vielmehr
indischer Weise ; im Quadratwurzelausziehen wird zu Zwecken
der Klasseneinteilung iiber die 1., 3., 5., . . . . Ziffer, von
rechts nach links gerechnet, je ein Punkt gemacht. Das
Wurzelziehen dehnt Stifel ziemlich weit aus ; er stellt, aller-
dings einzig zu diesem Zweck, eine Tafel der Binominal-
coefficienten bis (a+b)7 auf, in welcher z. B. die Zeile fur
(a + 6)4 heisst:
1§§ . 4 6 4 1 .
Die Theorie der Reihen geht in dieser Periode uber
das, was den Arabern gelaufig war, nicht hinaus. Peurbach
summiert die arithmetische und geometrische Reihe. Stifel be-
trachtet die Reihe der naturlichen, der geraden und ungeraden
Zahlen, und leitet aus ihnen Potenzreihen her ; von solchen
Satzen kennt er durch Cardano das Theorem, dass 1 + 2
+ 22 4- 23 + . . +2"-1 = 2n— 1 ist. Die geometrischen
Reihen kommen bei Stifel in einer Anwendung vor, welche
sich in EuMid bei derLehre von den Medialen nicht findet 114).
Bekanntlich werden zwischen zwei Grossen a und b n geo-
metrische Mittel durch die Gleichungen
a Xl X2 Xn-l Mn
X\ ~~ X2 ' ~ 0?3 Xn b ^
ntl
eingeschaltet, wo q = [/"~<[_ ist. Stifel interpoliert fiinf geo-
b
metrische Mittel zwischen 6 und 18 auf folgende Art : ^=3 ;
1 3 9 27 81 243 729
6 ^139968^648^108^194411337408 18
wobei die letzte Zeile aus der vorhergehenden durch Multi-
plikation mit 6 erhalten wird. — Diese Losungsart wendet
Stifel zur Wurfelv erdopplung an und wahlt als
Kante des gegebenen Wiirfels 6 ; dann sind zwischen
6 und 12 drei geometrische Mittel einzuschalten , und da
80
III. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
# ~ y 'i » so wird die Kante des gesuchten Wurfels
x — 6^/2" = Y/c432. Diese Lange wird von /%/e/ elementar-
geometrisch au£ folgende Weise konstruiert : In dem recht-
A FE D
winkligen Dreieck ABC mit der Hypotenuse BC sei AB=6,
AC=12; mache AD = DC, AE=ED, AF=FE, FJ=JE,
JK-=JC—JL, ^jSTistdas erste, AL das zweite geometrische
Mittel zwischen 6 und 12. — Diese Konstruktion, welche Stifel
fiir vollkommen richtig halt, 1st eine Naherungskonstruktion,
da ^4^-7,5 statt 6 ^2" = 7,56, AL = 3^10 = 9,486 statt
yT = 9,522 wird.
Auch einfache zahlentheoretische Dinge sind Stifel be-
kannt, so Satze uber vollkommene und Diametralzahlen (5 1st
Diametralzahl zu 3 und 4, well 32 -f- 42 = 52) und fiber
Zauberq uadrate.
11
24
7
20
3
4
12 25
8
16
17
5
13
21
9
10
18
1
14
22
23
6
19
2
15
Zweite Periode. Allgemeine Arithmetik. 81
Diese magischen Quadrate sind schachbrettartige Figuren, in
welche die Glieder einer arithmetisclien Reihe so eingeordnet werden.
dass die Summe der in einer Zeile, Reihe oder Diagonale stehenden
Zahlen immer dieselbe wird. Ein magisches Quadrat mit ungerader
Stellenzahl, das leichter als ein solches mit gerader Felderzahl zu kon-
struieren ist, kann man folgendermassen erhalten: »Man setze die 1
unter die mittelste Zelle und die iibrigen Zahlen in ihrer natiirlichen
Reihenfolge diagonal in die leeren Felder. Stosst man auf eine schon
besetzte Zelle, so gehe man in senkrechter Richtung um zwei Felder
herab« n6). Vielleicht sind die magischen Quadrate schon bei den
Indern bekannt gewesen ; jedoch gibt es keine sicheren Biirgschaften
dafiir 7T). Moschopulus ist der erste bekannte Autor, der fiber Zauberqua-
drate geschrieben hat. Er gibt zur Herstellung dieser Gebilde be-
stimmte Regeln , welche viel spater durch Lahire und Mollweide
weiteie Verbreitung gefunden haben. — Fur das Mittelalter waren die
Zauberquadrate ein Stuck der sehr verbreiteten Zahlenmystik. Erst
Stifel betrachtete sie vom Standpunkt seiner Wissenschaft aus; aber
weder er noch Adam Biese vermochten ein einfaches Verfahren zur
Aufstellung der magischen Quadrate anzugeben. Man darf jedoch
annehmen, dass einigen dentschen Mathematikern gegen Ende des
16. Jahrhunderts (z. B. dem Niirnberger Rechenmeister Peter Moth)
solche Regeln bekannt waren39). Im Jahr 1613 veroffentlichte Sachet
in seinen »Problemes plaisants* eine allgemeine Methode fur die
Quadrate von ungerader Seitenzahl, gestand aber ausdriicklich ein, dass
es ihm nicht gelungen sei, die Aufgabe fur die geraden Seitenzahlen zu
losen 77). Erst Frenide kam wesentlich liber Sachet hinaus. Er gab
(1693) Regeln fur ungerade und gerade Quadrate; ja er erfand sogar
solche Quadrate, welche nach Streichung der ausseren Reihen magische
Quadrate bleiben. — Die fruher zerstreuten Regeln sammelte Moll-
weide 1816 in einer Schrift (de qnadratis magicis), welche sich durch
einfache und wissenschaftlich-iibersichtliche Darstellung auszeichnet.
Neuere Arbeiten rlihren her von Hugel (Ansbach 1859), von Pessl
(Amberg 1872), der einen magischen Zylinder bttrachtet, und von
Thompson (Quart. Journ. X), durch dessen Regeln das Zauberquadrat
mit der Seitenzahl pn aus dem von der Seite n abgeleitet wird 39).
2. Algebra.
Gegen Ende des Mittelalters stellt sich dem gemeinen
Rechnen (Ars minor) die Ars major, Arte maggiore, Algebra
oderCoss gegenuber 114). Die Italiener nennen die Lehre von
Fink, Geach. der Eleraentarmathematik. Q
82 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
den Gleichungen entweder einfach Algebra wie die Araber,
oder auch ars magna , ars rei et census (seit Leonardo sehr
gebrauchlich und bei Eegiomontanus eingefuhrt), la regola
della cosa (cosa = causa), ars cossica oder regula cosae. Die
deutschen Algebraiker des 15. und 16. Jahrhunderts schreiben
coss oder regula coss, auch Algebra, oder, wie die Griechen,
Logistik. Viete sagt arithmetica speciosa, Eeymers arithme-
tica analytica, und im Abschnitt von den Gleichungen speziell
»von der Aequation«. Die Darstellungsweise der Gleichungen
entwickelt sich allmahlich zur modernen Gestalt. Das »Gleich-
sein« wird iiberall, auch bei alien Cossisten, durch Worte
ausgedriickt; erst Mitte des 17. Jahrhunderts kommt ein be-
besonderes Zeichen dafiir in allgemeineren Gebrauch. Bei-
spiele der verschiedenen Darstellung von Gleichungen finden
sich im folgenden:
Cardano: Cubus p 6. rebus aequalis 20, xs+ 6#=20;
Viete: IC—SQ + IGJVaequ. 40, x* —
Eegiomontanus :
16 census et 2000 aequales 680 rebus, 16 x* + 2000 = 680 #;
XXVIII XII X VI III I 0
Beymers: Igr 65532 + 18 -f- 30-^-18 +12-±- 8,
-f 18a?10 — 30^?6 — 18a?3 +12#— -8;
Descartes : #2 X)a^ — 5&, 2* = az — b 2 ;
8«
=0;
Hudde : XB 20 qx . r, x* = qx-\-r.
Zur Zeit Eulers hatte sich die letzte Umgestaltung in die
moderne Form schon vollzogen.
Zweite Periode. Algebra. 83
Die Gleichungen ersten Grads bieten keine Veran-
lassung zu Bemerkungen ; doch moge die besondere Gestalt
der Proportion bei Grammateus und Apian 3 1) hervorgehoben
werden. Ersterer schreibt: »Wie sich hadt a zum &, also
hat sich c zum d«, und letzterer setzt
4 __ 12— 9 — 0 furT42 = -£-.
Die Gleichungen zweiten Grads lost Fibonacci ganz in
der Weise der Araber. Cardano spricht von zwei Wurzeln
einer quadratischen Gleichung, auch wenn eine derselben
negativ ist ; er betrachtet sie aber nicht als eine wirkliche
Losung. Eudolff kennt nur positive Wurzeln, und Stifel sagt
ausdriicklich, dass mit Ausnahme des Falls der quadratischen
Gleichung mit zwei positiven Wurzeln jede Gleichung nicht
mehr als eine Wurzel haben konne. Im allgemeinen wird
bei der Ausrechnung so verfahren, wie es Grammateus*1) in
dem Beispiel 12# + 24 — 2J-§ x2 verlangt: »Thue also: teile
24 N durch 2^f sec., so kommen lOf a (lOf = a). Teile
auch 12 pri. durch 2Jf sec., so entspringen 5f b (5f = b).
Multipliziere das Halbteil b in sich, so wird ^~-, zu dem
addiere a als lOf , so werden gefunden ~ff^ aus welchem
radix quadrata -f J, das addiere zum halben Teil b als ff ,
werden 7 die Zahl 1 pri. — Proba. Sprich 12 mal 7 ist
84 N, dazu addiere 24 JV, werden 108 N. Also sollen 2J$ sec.
gemultipliziert durch 49 auch machen 108 N*.
Diese »deutsche Coss« * 14) ist wohl zwischen 1520 und 1530
durch Hans Sernecker zu Leipzig und Hans Conl ad zu Eisleben
gepflegt worden, jedoch hat man von diesen beiden Rechnern
keine Aufzeichnungen gefunden. Die Wiener Hochschule gab
Grammateus die Anregung, im Jahr 1518 das erste deutsche
Lehrbuch der Algebra zu veroffentlichen unter dem Titel:
»Eyn new kunstlich behend vnd gewiss Rechenbuchlin | vff
alle Kauffmannschafft. Nach Gemeynen Regeln de tre.
Welschen practic. Regeln falsi. Etlichen Regeln Cosse. .
Buchhalten . . Visier Ruthen zu machen. « Adam Riese, der
6*
84 HI. Allgemeine Arithinetik und Algebra.
1518 sein Rechenbuch heransgegeben liatte , brachte aucli
1524 »die Coss« handschriftlich fertig; sie blieb Manuscript
und wurde erst 1855 zu Marienberg wieder aufgefunden. —
Vollen Beifall errang die 1525 in Strassburg gedruckte Coss
von Christof Rudolff. Diese mit vielen vollstandig gelosten
Beispielen versehene Schrift fuhrt sich folgendermassen ein:
»Behend vnd Hiibsch Rechnung durch die kunstreichen regeln
Algebre | so geineinicklich die Coss genennt werden. Da-
rinnen alles so treulich an Tag geben | das auch allein ausz
vleissigem Lesen on alien miindtliche vnterricht mag begriften
werden. Hindangesetzt die meinung aller dere | so bisher
vil vngegriindten regeln angehangen. Einem jeden liebhaber
diser kunst lustig vnd ergetzlich Zusamen bracht durch
Christoffen Eudolff von Jawer.«
Das Hauptwerk der deutschen Coss ist Michael Sti/els
»Arithmeticaintegra«, gedruckt zu Nurnberg 1544. In diesem
Buche werden neben der gewohnlicheren Rechnung nicht nur
die Irrationalen ausfuhrlich behandelt, sondern es fypden sich
auch Anwendungen der Algebra auf die Geometric. Noch
erschien auch von Stifel im Jahr 1553 »die Cosz Christqffs
Rudolfs Mit schonen Exempeln der Cosz Gebessert vnd sehr
gemehrt«, mit reichhaltigen Anhangen eigener Bearbeitung,
welche zumeist auch eine Konzentration des Inhaltes der Coss
bezweckten. In berechtigt selbstbewusster Weise hebt Sti/el
hervor: »Denn es ist mein fleiss in sollichen sachen [ das
ich (wa ich kan) auss vielfeltigkeit mache ein einfeltigkeit.
Also hab ich auss vilem Regeln der Coss ein einige Regel
gemacht | vnd auss vielem extrahiren auch vast ein gleich-
formige weise gestellet vnzalbar lichen extrahirens.«
Stifels Schriften wurden von spateren mathematischen
Autoren der verschiedensten Lander reichlich ausgebeutet,
haufig ohne Nennung seines Namens. Es geschah dies in
der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts von den Deutschen
Christof Clavius und Scheubel, den Franzosen Ramus, Peletier
Zweite Periode. Algebra. 85
und Salignac, dem Niederlander Menher und von dem Spanier
Nunez j so dass man wohl sagen kann , dass der Geist der
deutschen Coss ani Ende des 16. und Anfang des 17. Jahr-
hunderts mit alleiniger Ausnahme Italiens die Algebra der
europaischen Lander beherrschte.
Ein hervorragendes Interesse beansprucht die Geschichte
der rein ari t hmetischen Losung der Gleichungen
dritten undvierten Grads, welche auf it alien is chem
Boden gelang. Den ersten Vorstoss machte Fibonacci an der
Gleichung x3 4- 2#2 + 10# = 20, die er zwar nur durch An-
naherung losen konnte ; aber sie wurde ihm Veranlassung zu
beweisen , dass der Verschwindungswert von x nicht durch
Quadratwurzeln allein dargestellt werden konne , selbst wenn
letztere in zusammengesetzter Form, etwa als
gewahlt wiirden. Die erste vollstandige Losung der Gleichung
x9 -f mx = n riihrt von Scipione Ferro her, ist aber verloren
gegangen47). Der zweite Entdecker ist nicht Cardano, sondern
Tartaglia; er stellte am 12. Februar 1535 far die Gleichung
x* + mx — n die seither unter dem Namen seines Neben-
buhlers so beruhmt gewordene Formel auf. Im Jahre 1541
war Tartaglia imstande, jede beliebige Gleichung dritten
Grads zu losen. Cardano lockte 1539 seinen Gegner Tar-
taglia nach Mailand in sein Haus , und be^turmte ihn
so lange mit Bitten , bis letzterer ihm sein Geheimnis
unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute. Cardano
wurde wortbriichig; er veroffentlichte Tartaglia's Losung
im Jahr 1545 in seiner Ars magna , allerdings nicht
ohne den Namen des Entdeckers zu nennen. Cardano hatte
auch die Genugthuung , die Losung der Gleichung vierten
Grads, welche seinem Schiller Ferrari gelungen war, eben-
falls in seiner Ars magna den Zeitgenossen kundgeben zu
diirfen. Das Verdienst Bombelli's war es, die Wurzeln der
86 HI. Allgemeine Arithmetik vmd Algebra.
Gleichung dritten Grads im sogenannten irreducibeln Fall
durch Umformung der Irrationalitaten (s. Seite 78) in der
einfachsten Gestalt darzustellen. Von den deutschen Rechnern
ist es Rudolff , der auch einzelne Gleichungen dritten Grads
lost, ohne sich iiber den eingeschlagenen Weg zu aussern.
Stifel ist schon in den Stand gesetzt, iiber die »cubiccoss«,
d. h. die Lehre von den Gleichungen dritten Grads aus Car-
dano's Werk kurz zu berichten. Die erste vollstandige Dar-
legung der Tartaglia-scJien Losung von Gleichungen dritten
Grads rtihrt von Faulhaber (1604) her.
Die alteren Cossisten114) hatten Gleichungen ersten,
zweiten , dritten und vierten Grads (so weit sie sich nur
durch Quadratwurzeln losen lassen) zu einer Tafel mit 24
verschiedenen Formen geordnet. Das eigentumliche Gewand
dieser »Regeln«, d. h. der Gleichungen mit ihren Losungen,
lassen folgende Beispiele (aus Hiese) erkennen:
»Die erste Regell Ist wann Radix vergleicht wird
Numero oder Dragma genannt, sol numerus in radicem ge-
teylt werden, was dan ausz solcher teylung komen wirtt,
musz herichten die Frag.«
(ax — b gibt x = —•).
»Die Sechzehende R e g e 1 Ist so vurgleicht wirt, § dem
c vnd g§, so teyl ab die minstenn Zwei durch §§ alsz § vnd c
darnach medir c, fure denn halben Teil in sich, das Produkt
addir zum §, extrahir radicem quadrati Vnd nim von solchm
den halbenn teyl des c, so hastu berichtigung der frag.«
(ax* + = ex*, ax* + bx = c, x — ^/(|)2 f~c _ |^
Die vierundzwanzig Formen der alteren Cossisten fasst
Eiese in »acht equationes« zusammen, aber tiber die Doppel-
deutigkeit der Quadratwurzel ist er noch nicht ganz im Klaren.
Erst Sti/el, der diese acht Gleichungen nur als eine einzige
gelten lasst, sagt ausdriicklich , dass eine Gleichung zweiten
Zweite Periode. Algebra. 87
Grads nie mehr als zwei Losungen haben konne ; diese stellt
er allerdings nur fiir den Fall x* = ax — b auf. — Um vorliegende
Gleichungen auf eine der acht Formen Eieses zu reduzieren,
berichtet Eudolff von »vier Cautelen«, aus denen deutlich zu
ersehen 1st, welche Miihe es kostete, die Coss Schritt fiir
Schritt welter zu entwickeln. Hier folgt als Beispiel
»Die erst cautel. Wann in vergleichung zweier
zalen | bey der einen gefunden wiirt ein quantitat | bei der
andern auch eine der vorigen im Namen gleich. Alszdann
(angesehen die zeichen -f vn — ) musz eine | ausz den gleich
benenten quantitaten | addiert oder subtrahirt werde von je
einer der vergleichten zalen in sunderheit . . . das zu voll-
bringen hab achtung das + zu subtrabiren vnd das — zu
addiren.«
(Aus 5z2 — 3z 4- 4 = 2#2 + 5x folgt 3#* = Sx — 4).
Die ersten Beispiele von Gleichungen mit mehreren Un-
bekannten trifft man bei Eudolff, der sie gelegentlich benandelt.
Aucb bier gebt Stifel entschieden weiter als seine Vorganger.
Ausser der ersten Unbekannten \x fubrt er 1J., 15, 10,...
als »secundae radices « oder weitere Unbekannte ein und gibt
Andeutungen iiber die durcb Ausfiibrung der Grundoperationen
notwendig werdenden neuen Bezeicbnungen, wie&vA (=8xy),
\Al ( = «/2) u. a. m.
Cardano , dessen Name durch sein selbstsiicbtiges Spiel
im Verkebr mit Tartaglia in ein nicht giinstiges Zwie-
licbt geruckt worden ist , hat dennoch unzweifelhafte
Verdienste, namentlicb um die angenaberte Losung von
Gleichungen hoheren Grads nach der Eegula falsi, die er
Regula aurea nennt. Auf dieser Bahn ging Viete weiter,
indem er fiir algebraische Gleichungen beliebig hohen Grads
eine Annaherungsmethode entwickelte, deren Erfindung ge-
wohnlich Newton zugeschrieben wird. Mit solchen An-
naherungsmethoden, namentlicb der Regula falsi, beschaftigten
88 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
sich auch Reymers und Burgi erfolgreich. Man kann daher
sagen, dass am Anfang des 17. Jahrhunderts wirksame Me-
thoden vorhanden war en, um die Werte der positiven reellen
Wurzeln algebraischer Gleichungen mit beliebiger Genauigkeit
zu bestimmen.
Die eigentliche Theorie der algebraischen Glei-
chungen geht in besonderer Weise auf Viete zuriick.
Viete kannte (unter der Voraussetzung nur positiver Wur-
zeln) die Beziehungen der Coefficienten der Gleichungen
zweiten und dritten Grads zu den Wurzeln ; er machte ferner
die iiberraschende Entdeckung, dass eine Gleichung fiinfund-
vierzigsten Grads, welche aus trigonometrischen Entwicklungen
hervorgegangen war, dreiundzwanzig Wurzeln besitze (er ver-
nachlassigt bei dieser Abzahlung den negativen Sinus).
Auch in deutschen Schriften finden sich vereinzelt Angaben
iiber die analytische Theorie der Gleichungen, wie z. B. Bilrgi
den Zusammenhang eines Zeichenwechsels mit einer Wurzel
der Gleichung erkannt hat. So unbedeutend diese ersten
Anklange an neuere Theorien auch scheinen mogen - - sie
sind gewiss die Vorarbeiten fur Ideen gewesen , welche die
folgenden Zeitraume beherrschten.
D. Dritte Periode.
Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Als ausseres Zeichen einer imnier wirksameren Arbeit
auf dem Boden der mathematischen Wissenschaften tritt an
den Beginn dieser Periode die Griindung von Akademien und
Koniglichen Gesellschaften. Die alteste gelehrte Gesellschaft*),
die Accademia dei Lincei, bildete sich auf Anregung eines
romischen Privatmannes , des Fiirsten Cesi, schon im Jahr
1603 ; ihr gehorte unter anderen beruhmten Gelehrten auch
Galilei an. Die Londoner Konigliche Gesellschaft entstand
1665, die Pariser Akademie 1668, die zu Berlin 1700.
*) Fortschritte 1887, S. 11.
Dritte Feriode. Bezeichnungen. 89
Mit der fortschreitenden Entwicklung der reinen Mathe-
matik tritt der Gregensatz der Arithmetik, die es mit diskreten
Grossen zu thun hat, zur eigentlichen Algebra, in welcher
kontinuierliche Quantitaten auftreten, immer deutlicher hervor.
Sowohl zahlentheoretische wie algebraische Untersuchungen
erreichen mit der Zeit eine grossartige Ausdehnung.
Der machtige Anstoss, den Viete's Entwicklungen gegeben
batten, wirkte namentlich in den Arbeiten Harriot's nacb.
Dieser gab, gestiitzt auf Viete's Satze, in seiner » Artis analy-
ticae praxis « vom Jabre 1631 eine Theorie der Gleichungen,
in welcher auch die Bezeichnungsweise mannigfache Verbes-
serungen erfuhr. Von Harriot riihren die Zeichen > und <
fur »grosser« und »kleiner« her; er schrieb auch stets #2 fiir xx^
x9 fiir xxx etc. Bei Harriot und Oughtred findet sich gleich-
zeitig das Zeichen X fur »mal« , woftir Descartes einen
Punkt setzt, wahrend Leibniz 1686 die Multiplikation durch
^ und die Division durch ^ andeutet, obwohl schon in den
Schriften der Araber der Quotient a dividiert durch b in den
Formen a — &, a/6, oder ~ auftritt. Die Schreibweise a : b
erscheint zuerst bei Clairaut in einem Werk, das nach seinem
Tod im Jahr 1760 veroffentlicht wurde. Wallis ^rwendet
1655 das Zeichen oo fiir Unendlich. Descartes macht von
der Schreibart an (fiir positive ganze Exponenten) umfas-
i
senden Gebrauch. Wallis erklart die Ausdrucke x~n und xn
n
als gleichbedeutend mit 1 : ow und Jx] aber erst Leibniz und
Newton erkennen die grosse Bedeutung einer zweckmassigen
Zeichensprache und suchen dieselbe in ihrem Teil zu fordern.
Die Potenzen eines Binoms beschaftigten Pascal in
einer Schrift vom Jahr 1653, welche »das arithmetische
Dreieck« enthalt, das allerdings, im wesentlichen wenigstens,
schon mehr als 100 Jahre fruher von Stifel angegeben worden
war. Dieses arithmetische Dreieck ist eine Tafel der Binomi-
nalcoefficienten in folgender Form:
90 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
1
1
1
1
1
1
1
2
3
4
5
6
1
3
6
10
15
21
1
4
10
20
35
56
1
5
15
35
70
126
1
6
21
56
126
252
\
so class die nie von links unten nach rechts oben ziehende
Diagonale die Coefficienten der Potenz (a -f b)n enthalt. Die-
selbe Tafel bentitzt Pascal zur Aufstellung der figurierten
Zahlen und der Kombinationen einer gegebenen Anzahl von
Elementen. Fur den binomischen Satz gab Vandermonde
1764 einen elementaren Beweis, ebenso Euler in seiner »An-
leitung zur Algebra« im Jahr 1770 fur beliebige Exponenten.
Eine Reihe interessanter Forschungen, meist der zweiten
Halfte unseres Jahrhunderts angehorig , hat sich mit dem
Wesen der Zahl und mit Erweiterungen des Zahl-
begriff s beschaftigt. — Wahrend bei den Alten eine »Zahl«
nur aus der Gesamtheit der naturlichen Zahlenreihe ausge-
hoben werden konnte , sind im Laufe der Zeit die Grund-
operationen der Arithmetik von den ganzen auf diegebrochenen,
von den positiven auf die negativen, von rationalen und
reellen auf irrationale und imaginare Zahlen ausgedehnt worden.
Fur die Addition der naturlichen , oder der ganzen ab-
soluten Zahlen, von Newton und noch von Cauchy oft kurz-
weg »Zahlen« genannt, gilt das associative und das kom-
mutative Gesetz, d. h. es ist
Ihre Multiplikation gehorcht ausserdem auch dem distribu-
tiven Gesetz, so dass man hat:
a . b . c — (a.&).c; a . b = b . a ; (a + b) . c = a . c + b . c.
Dritte Periode. Die irrationals Zahl.
Diesen direkten oder thetischen Operationen entsprechen als
inverse oder lytische Rechnungsverfahren die Subtraktion
und die Division; ihre Anwendung auf alle natiirlichen Zahlen
notigt zur Einfiihrung der Null, der negativen und gebro-
chenen Zahlen, welche im Verein mit den natiirlichen Zahlen
den grossen Korper der rationalen Zahlen bilden , innerhalb
dessen alle vier Grundoperationen unbeschr'ankte Giiltigkeit
besitzen, wenn der eine Fall der Division mit Null ausge-
schlossen wird.
Die Erweiterung des arithmetischen Gebiets durch Ein-
fuhrung der negativen Grossen hatte im 1 6. Jahrhundert
begonnen. Vieta unterschied affirmative (positive) und nega-
tive Grossen. Aber erst Descartes wagte es, in seiner Geo-
metrie einen und denselben Buchstaben sowohl fur positive
als fur negative Zahlen werte in die Rechnung einzufuhren.
Das Irrationale war durch Euklid auf Grund geo-
metrischer Ueberlegungen dem mathematischen System ein-
verleibt worden ; seine Auffassung erhielt sich wahrend aller
folgenden Jahrhunderte, und erst in neuester Zeit 108) ist
durch Forschungen von Weierstrass, Dedekind, G. Cantor und
Heine eine Theorie der irrationalen Zahlen auf arithmetischem
Boden geschaffen worden.
Weierstrass61) geht vom BegrifF der ganzen Zahl aus.
Eine Zahlengrosse besteht aus einer ReihegleichartigerDinge;
die Zahl ist also nichts anderes als »die zusammengesetzte
Vorstellung von Eins und Eins und Eins etc.« 89). Durch
Subtraktion und Division gelangt man zu negativen und ge-
brochenen Zahlen. Unter den letzteren gibt es solche, die
auf ein bestimmtes System, z. B. auf unser dekadisches
Zahlensystem bezogen , aus unendlich vielen Elementen be-
stehen, und doch durch Transformation andern, aus einer
endlichen Anzahl von Elementen zusammengesetzten Zahlen
gleichwertig werden (0,1333 ... = T\). Diese Zahlen sind
noch einer Veranschaulichung fahig. Es kann aber bewiesen
92 HI. Allgemeiue Arithmetik und Algebra.
werden, dass jede aus unendlich vielen Elementen bekannter
Art gebildete Zahl, welche jene Elemente in bekannter end-
licher Anzahl enthalt, eine ganz bestimmte Bedeutung hat,
mag sie einer wirklichen Deutung fahig sein oder nicht.
Wenn eine derartige Zahl nur durch die unendliche Reihe
ihrer Elemente und nicht auf andere Weise vorgestelit
werden kann, so ist sie eine irrationale Zahl.
Dedekind**) ordnet alle positiven und negativen,
ganzen und gebrochenen , also alle rationale!! Zahlen
nach ihrer Grosse in ein System oder einen Zahlenkorper E
zusammen. Eine bestimmte Zahl a zerlegt dieses System R
in die zwei Klassen A\ und Az init je unendlich vielen Zahlen,
so dass jede Zahl in Ai kleiner ist als jede Zahl in Az ; a
ist entweder die grosste Zahl in Ai oder die kleinste in At.
Diese rationalen Zahlen konnen den Punkten einer Geraden
eindeutig zugeordnet werden. Dabei stellt sich heraus, dass
diese Gerade ausser den von rationalen Zahlen uberdeckten
Punkten noch unendlich viele andere Punkte enthalt; d. h.
das System der rationalen Zahlen hat nicht dieselbe Stetig-
keit wie die Gerade, und erhalt sie erst durch Schaffung
neuer Zahlen. - - Das Wesen der Stetigkeit findet Dedekind
in folgendem Axiom : »Zerfallen alle Punkte der Geraden in
zwei Klassen von der Art, dass jeder Punkt der ersten Klasse
links von jedem Punkt der zweiten Klasse liegt, so existiert
ein und nur ein Punkt, welcher diese Einteilung aller Punkte
in zwei Klassen, diese Zerschneidung der Geraden in zwei
Stiicke hervorbringt. « Auf dieser Annahme fussend gelingt
es , die neuen , die irrationalen Zahlen zu schaffen.
Eine rationale Zahl a erzeugt einen Schnitt (Ai\Az), be-
stehend aus Ai und A 2, mit der charakteristischen Eigen-
schaft, dass es in A\ eine grosste, oder in Az eine kleinste
Zahl a gibt. Jedem der unendlich vielen Punkte der Geraden,
welche nicht von rationalen Zahlen belegt sind, oder in welchen
die Gerade nicht von einer rationalen Zahl geschnitten wird,
Dritte Periode. Die irrationale Zahl. 93
entspricht ein und nur ein Schnitt (^4.i|^2), und jeder dieser
Schnitte definiert eine und nur eine irrationale Zahl a.
Diesen Unterscheidungen zufolge »bildet das System R aller re-
ellen Zahlen ein wohlgeordnetes Gebiet von einer Dimension ; hiermit
soil weiter nichts gesagt sein, als dass folgende Gesetze herrschen24) :
I. 1st a ^> p, und p ^> y, so ist auch a ^> y. Wir wollen sagen,
dass die Zahl p zwischen den Zahlen a, y liegt.
II. Sind a, y zwei verschiedene Zahlen , so gibt es immer un-
endlich viele verschiedene Zahlen p, welche zwischen a, y liegen.
III. Ist a eine bestimmte Zahl , so zerfallen alle Zahlen des
Systems JR in zwei Klassen A\ und Ai, deren jede oo viele Individuen
enthalt; die erste Klasse A\ umfasst alle die Zahlen ai, welche a
sind ; die Zahl a selbst kann nach Belieben der ersten oder der zweiten
Klasse zugeteilt werden, und sie ist dann entsprechend die grosste
Zahl der ersten oder die kleinste Zahl der zweiten Klasse. In jedem
Falle ist die Zerlegung des Systems B in die beiden Klassen At, A*
von der Art, dass jede Zahl der ersten Klasse A\ kleiner als jede Zahl
der zweiten Klasse At ist, und wir sagen, dass diese Zerlegung durch
die Zahl a hervorgebracht wird.
IV. Zerfallt das System jR aller reellen Zahlen in zwei Klassen
At, Az von der Art, dass jede Zahl ai der Klasse Ai kleiner ist als
jede Zahl 1x2 der Klasse Az, so existiert eine und nur eine Zahl a,
durch welche diese Zerlegung hervorgebracht wird (das Gebiet H> be-
sitzt die Eigenschaft der Stetigkeit).«
Nach J. Tannery's Behauptung finden 108) sich die Grundgedanken
von Dedekinds Theorie schon in J. Bertrand's Lehrbiichern der Arith-
metik und Algebra, eine Aufstellung, welche von Dedekind entschieden
zuriickgewiesen worden ist25).
G. Cantor und. Heine89) stellen behufs Einfuhrung der ir-
rationalen Zahlen den Begriff der »Fundamentalreihe« auf.
Eine solche besteht aus unendlich vielen rationalen Zahlen
ai, aa, as, ... anfr, . . ., und hat die Eigenschaft, dass fur
eine heliebig klein angenommene positive Zahl e ein Stellen-
zeiger m existiert, so dass fur n ^ m der absolute Betrag
des Unterschieds zwischen dem Glied an und irgend einem
folgenden Grliede kleiner ist als £ (Konvergenzbedingung der
Reihe der an). Irgend zwei Fundamentalreihen lassen sich
94 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
in Bezug auf Grosser, Gleich oder Kleiner mit einander ver-
gleichen; dadurch erhalten sie die Bestimmtheit einer Zahl
in gewohnlichem Sinne. Die durch eine Fundamentalreihe
definierte Zahl heisst eine »Reihenzahl.« Eine Reihenzahl
ist entweder identisch mit einer rationalen Zahl, oder sie ist
es nicht; im letzteren Fall definiert sie eine irrationale
Zahl. Das Gebiet der Reihenzahlen besteht aus der Gesarnt-
heit aller rationalen und irrationalen, d. h. aller reellen
Zahlen, und nur aus diesen. — Auch hier kann das Gebiet
der reellen Zahlen auf die Gerade bezogen werden, wie G.
Cantor gezeigt hat.
Die Erweiterung des Zahlengebiets durch die imagi-
naren Grossen kniipft an die Auflosung der Gleichungen
an, insbesondere an die des dritten Grads. Die italienischen
Algebristen des 16. Jahrhunderts nannten sie »unmogliche
Zahlen «. Als eigentliche Losungen einer Gleich ung treten
die imaginaren Grossen zuerst bei Albert Girard (1629) auf.
Von Descartes stammen die Ausdriicke »reell« und »imaginar«
als charakteristische Bezeichnungen fur die Verschiedenartig-
keit der Wurzeln einer Gleichung. Moivre und Lambert
fiihrten die imaginaren Grossen in die Trigonometrie ein,
ersterer durch seinen beruhmten Satz iiber die Potenz
(cos 9 + isw$)n, der iibrigens nach Hankel zuerst von Euler
aufgestellt worden sein soil.
Die grossten Verdienste urn die Auf klarung des Wesens
der imaginaren Grossen hat sich Gauss 49) erworben. Von
ihm stammt das Zeichen i fur y/— T; er nennt a 4- bi eine
»komplexe« Zahl mit der »Norm« a2 + 52. Der Name »Modul«
fur die Grosse Ja*fb* riihrt von Argand her (1814), der Name
»reduzierte Form« ftir r (cos cp + i sin cp) statt a -f U von
Cauchy , endlich die Benennung »Richtungscoefficient« fiir
den Faktor cosy 4- isiny von Hankel. Gauss, dem es 1799
noch lediglich ratlicher schien, die komplexen Zahlen beizu-
Dritte Periods. Komplexe Zahlen. 95
behalten als sie zu verwerfen 108), hat durch seine Darlegungen
fiber die imaginaren Grossen in der Anzeige zur zweiten
Abhandlung iiber die biquadratischen Reste die Einfuhrung
derselben bei arithmetischen Operationen in siegreicher Weise
verfochten.
Die geometrische Bars tell u ng komplexer Grossen
wurde durch die Bemerkungen verschiedener Mathematiker
des 17. und 18. Jahrhunderts vorbereifcet, unter ihnen besonders
durch Wallis*9), welcher bei Gelegenheit der Losung geo-
metrischer Aufgaben auf algebraischem Weg zu der Erkenntnis
kam, dass, wenn gewisse Annahmen fiir ein Problem zwei
reelle Losungen als Punkte einer Geraden lieferten, andere
Annahmen zwei » unmogliche« Wurzeln als Punkte auf
einer zur ersten senkrechten Geraden ergaben. Die erste
; befriedigend durchgefiihrte Darstellung komplexer Grossen
n einer Ebene hat Argand 1806 aufgestellt49). Seine Ver-
ffentlichung wurde jedoch nicht einmal in Frankreich
rewiirdigt. Im Jahr 1813 erschien in Gergonne's Annalen
on dem Artillerieoffizier Frangais in Metz der Abriss einer
?heorie der imaginaren Grossen, deren Grundgedanken aber
wf Argand zuruckgefiihrt werden konnten. Obwohl Argand
eine Theorie durch spatere Arbeiten verbesserte, drang sie
.och erst durch, als Cauchy fur dieselbe in die Schranken
rat*). So kam es, dass Gauss 1831 denselben Gedanken
loch einmal ausfuhren und durch sein gewaltiges Ansehen
ie Darstellung der imaginaren Grossen in der »Gauss'schen
Cbene« binnen kurzem zum Gemeingut aller Mathematiker
nachen konnte.
Durch Gauss und Dirichlet sind allgemeine komplexe
' a h 1 e n in die Arithmetik eingefiihrt worden. Die fun-
.amentalen Untersuchungen Dirichlefs aber die komplexen
welche mit Andeutungen der Beweise in den Berichten
*) Houel, s. Fortschritte 1874,
96 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
der Berliner Akademie von 1841, 1842 und 1846 enthalten
sind, erfuhren wesentliche Erweiterungen durch Eisenstein,
Kummer und Dedekind. Gauss hatte in der Entwicklung der
reellen Theorie der biquadratischen Reste Veranlassung ge-
funden , komplexe Zahlen von der Form a + bi einzufiihren,
und Lejeune Diriclilet hat die Theorie solcher Zahlen so aus-
gebildet, dass in der neuen Lehre dieser komplexen Zahlen,
wie in der reellen Theorie, Primzahlen, Kongruenzen, Rest-
satze, Reziprozitat etc. auftreten, nur zeigen hier die Satze
grossere Mannigfaltigkeit und Zusammensetzung, bieten aber
auch dem Beweis grossere Schwierigkeit 18a). — Statt der
Gleichung #?4 — 1 = 0, welche als Wurzeln die Gauss' schen
Einheiten liefert, hat Eisenstein die Gleichung x'A — 1 = 0
benutzt und komplexe Zahlen a + frp (p eine dritte Einheits-
wurzel) betrachtet, deren Theorie mit derjenigen der Gauss' schen
Zahlen a + bi Aehnlichkeit hat , jedoch in verschiedenen
Dingen von ihr zu trennen ist. Kummer gieng zum allgemei-
neren Fall fiber unter Zugrundlegung der Gleichung asn — 1 — 0,
so dass komplexe Zahlen von der Form
a = aiAi 4- azAz -f as As + . . .
entstehen, wo die a,- ganze reelle Zahlen, die At Wurzeln
der Gleichung xn — 1 = 0 sind. Kummer hat auch dem
Begriff der idealen Zahlen aufgestellt, d. h. solcher Zahlen,
welche Faktoren von Primzahlen sind und die Eigenschaft
haben, dass es immer eine Potenz dieser idealen Zahlen gibt,
welche eine wirkliche Zahl liefert. Es existiert z. B. fur eine
Primzahl p keine Zerlegung j?3 — A . B (wo A von p und
p2 verschieden sein soil); allein in der Theorie der aus den
dreiundzwanzigsten Einheitswurzeln gebildeten Zahlen gibt es
Primzahlen p, welche der obigen Bedingung genugen. Es
ist dann p das Produkt zweier idealen Zahlen , deren dritte
Potenzen die zwei wirklichen Zahlen A und J5 sind, so dass
man hat p* = A.B. — In der spateren, durch Dedekind ge-
Dritte Periode. Grassmann's Ausdehnungslehre. 97
gebenen Entwicklung sind die Einheiten die Wurzeln einer
beliebigen irreduciblen Gleichung mit ganzen Zahlencoeffi-
cienten. Fur den Fall der Gleichung x2 — # + 1 = 0 ist
i(l + «y/3~), also das p Eisenstein's , als eine ganze Zahl zu
betrachten.
Dem Wesen komplexer Zahlen nachspurend gelangten
jB. Grassmann, Hamilton und Scheffler zu eigenartigen Ent-
deckungen. Grassmann, der iibrigens im wesentlichen Deter-
minantensatze entwickelte, untersuchte in seiner »Ausdeh-
nungslelire« Addition und Multiplikation komplexer Zahlen;
Hamilton schuf auf ahnlichem Weg den »Quaternionencalcul«,
eine namentlich in England und Amerika beliebte Rechnungs-
weise, deren Berechtigung durch ihre verhaltnismassig einfache
Anwendbarkeit auf Probleme der Spharik, der Krummungs-
theorie, der Mechanik erwiesen worden ist.
Der vollstandige Doppeltitel*) von H. Grassmann's im
Jabr 1844 erschienenern Hauptwerk ist : »Die Wissenschaft der
extensiven Grosse oder die Ausdehnungslehre, eine neue math e-
matische Disziplin, dargestellt und durch Anwendungen erl'au-
tert. Erster Teil, die lineale Ausdehnungslehre enthaltend. —
Die lineale Ausdehnungslehre, ein neuer Zweig der Mathe-
matik, dargestellt und durch Anwendung auf die iibrigen Zweige
der Mathematik, wie auch auf die Statik, Mechanik, die Lehre
vom Magnetismus und die Krystallonomie erlautert«. Die bei-
falligen Urteile iiber dieses merkwiirdige Werk von Gauss, der
findet, dass »die Tendenzen des Buchs teilweise denjenigen
Wegen begegnen, auf denen er selbst seit einem halben Jahr-
hundert JjHidle«, von Grunert und von Mobius, der in Grass-
mann » ein en Geistesverwandten hinsichtlich der Mathematik,
nicht auch in Beziehung auf Philosophic « erblickt und
Grassmann zu seiner »vortrefflichen Schrift« begluckwunscht,
*) V. Schlegel, Grassmann, sein Leben und seine Werke.
Fink, Gesch. der Elementarmatheraatik. 7
98 Hi. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
waren nicht imstande, demselben einen grosseren Leserkreis
zu schaffen , so dass noch im Jahr 1853 Mobius schreiben
kann, »Bretschneider in Gotha sei der einzige Mathematiker,
der ihm versichert habe, dass er die Ausdehnungslehre
durchgelesen. «
Den ersten Anstoss zu semen Betrachtungen erhielt Grassmann
aus der Geometric, indem er sich daran gewohnte, fiir den Fall, dass
A, B, C Punkte einer Geraden sind , AB 4~ BC = AC zu setzen35).
Damit verband er Satze, welche das Parallelogramm als Produkt zweier
anstossenden Seiten gelten lassen und kam so zu neuen Produkten,
fur welche die gewohnlichen Gesetze der Multiplikation gelten, soweit
nicht Faktoren zu vertauschen sind, in welch letzterem Falle die Vor-
zeichen umgekehrt werden miissen. Eingehendere Betrachtungen fiihrten
Grassmann dazu, als Summe mehrerer Punkte den gemeinsanien Schwer-
punkt, als Produkt zweier Punkte die zwischen ihnen liegende endliche
Strecke, als Produkt dreier Punkte die Flache ihres Dreiecks und als
Produkt von vier Punkten das Yolumen ihrer Pyramide anzusehen.
Durch das Studium des »Barycentrischen Calculs« von Mobius wurde
Grassmann noch weiter gefordert. Das Produkt zweier Strecken , die
ein Parallelogramm bildeten, wurde ausse res Produkt genannt (die
Faktoren sind nur mit Zeichenwechsel vertauschbar), das Produkt einer
Strecke und der senkrechten Projektion einer andern auf sie bildete
ein inneres Produkt (die Faktoren sind ohne Zeichenwechsel ver-
tauschbar). Die Einfuhrung der Exponentialgrosse fiihrte zum Ausbau
des Systems, von welchem H. Grassmann in Grunerfs Archiv (1845)
eine kurze Uebersicht erscheinen liess.
Hamilton118) verbreitet sich tiber die fur seine Entwick-
lungen so charakteristischen Werte i, j, ~k zuerst in einer
Mitteilung an die Akademie zu Dublin 1844. Die »Lectures
on Quaternions« erschienen 1853, die ^Elements of Quater-
nion s« 1866. — Von einem festen Punkt 0 werde eine
Strecke 18) nach dem Punkt P mit den rechtwinkligen Koordi-
naten a;, y, z gezogen. Bedeuten nun i, j, k feste Coefficienten
(Einheitslangen auf den Axen), so heisst
V = ioc + jy 4-
ein Vektor, und dieser additiv verkntipft mit der Bremen
Grosse« oder dem »Skalar« w erzeugt die Quaternion
Dritte Periode. Logikcalcul. 99
Q = w+ ix -\-jy-\-~kz.
Die Addition zweier Quaternionen erfolgt nach der gewohn-
lichen Formel:
Aber fur den Fall der Multiplikation 1st
1 — ^ — 1^= — 1, i=jk= — kj, j = lei = — ik, Jc — ij = — ji
zu setzen, so dass man erh'alt:
Q . Qr = ww — xx — yy — zs + i(wx' -j- xw' + yz - -
yw -i-zx' — s'x)
BW' + xy — yx).
Denselben Gegenstand betreffend veroffentlichte Scheffler 1846 sein
erstes Werk: »Ueber das Verhaltnis der Arithmetik zur Geometries
ferner 1852 den »Situationscalcul« und 1880 die »Polydimensionalen
Grossen.« Fiir ihn 117) ist der Vektor r im dreidiinensionalen Raum
dargestellt durch
a.e .e , oder r =.x-\-y V— i -\-e \/— i . v/
oder r = x~.i-~s.i.ii fiir t= v/^T und ti =' v'-f-
als Drehfaktoren um Winkel von 90° in der xy- und #£-Ebene. Fiir
die Multiplikation gilt bei Scheffler das distributive Gesetz nicht
immer, d. n. es ist nicht immer a(b 4- c) dasselbe wie db -\- ac.
Untersuchungen iiber den Umfang des Bereichs, inner-
halb dessen unter gewissen Voraussetzungen die Gesetze der
arithmetischenElementaroperationen Giiltigkeit besitzen, haben
zur Auf stellung eines Logikcalculs97) gef iihrt. Zu dieser
Art von Untersucbungen gehoren ausser Grassmann's »Formen-
lebre« (1872) Noten von Gayley und Ellis, und insbesondere
die Werke von Boole und Schroder.
Ein kleines Teilgebiet der modernen Zahlentheorie oder
7*
100 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
hoheren Aritlimetik, die sich im wesentlichen in die Theorie
der Kongruenzen und der Formen spaltet, bilden die Ketten-
b r ti c h e. Der zur Bildung solcher Briiche fiihrende Algo-
rithmus, wie er auch bei der Bestimmung des grossten ge-
meinschaftlichen Masses zweier Zahlen beniitzt wird , reicht
in die Zeiten Euktids zurtick. Die Zusammenstellung der
Teilquotienten zum fortlaufenden Bruch riihrt von Gataldi
her, der im Jahr 1613 mit Hilfe dieses Verfahrens den
Wert von Quadratwurzeln bestimmte, aber die Eigenschaften
der neuen Briiche nicht naher untersuchte.
Zur Darstellung der Naherungswerte von Ketten-
brtichen * ') liefert Daniel Schwenter den ersten wesentlichen
Beitrag. Er beschaftigt sich damit, einen Bruch, der in
grossen Zahlen gegeben ist, zu heben, und stellt bei dieser
Gelegenheit die zur successiven Erstellung der Naherungs-
bruche erforderlichen Regeln in der heute noch gebrauchten
Form auf. Auch Huygms und Wallis arbeiteten in diesem
Grebiet ; von letzterem riihrt die mit einem Beweis versehene
allgemeine Formel her , welche die Zahler und Nenner der
Naherungswerte
Pn
in folgender Weise verbindet:
qn an gw__i + n qn~2
9
Die grosste Bereicherung erfuhr die Lehre von den Ketten-
briichen im Verlauf des 18. Jahrhunderts durch Euler , der
denNamen »fractio continua« auf brachte (von »Kettenbriichen«
spricht man erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts). Er be-
miihte sich namentlich, unendlich fortlaufende Kettenbriiche
in unendliche Produkte und Reihen zu entwickeln, und kam
so unzweifelhaft zu dem Bestreben, die Naherungswerte
Dritte Periode. Zahlentheorle.
inindependenter Form darzustellen, d. h. ein allgemeines
Gesetz zu finden, vermoge dessen die Berechnung eines belie-
bigen Naherungswertes ohne Feststellung der vorangehenden
Naherungswerte moglich ware. Obwohl Euler sich der Auf-
findung eines solchen Gesetzes nicht riihmen konnte, schuf er
doch einen besondern Algorithmus zu diesem Zweck, der ihn
aber dem erstrebten Ziele nicht wesentlich naher brachte,
weil er trotz des Vorgangs von Cramer der Verwendung von
Determinanten aus dem Wege ging, um sicli dafiir inniger
an die reine Kombinatorik anzuschliessen. Von diesem Ge-
sichtspunkt aus wurde dasselbe Problem namentlich von
Hindenburg und seinen Scniilern BurcMardt und Rofhe in
Angriff genommen. Jedoch kennen die Kombinatoriker die
Berechnung des Kettenbruchs nur von e i n e r Seite her,
wahrend das independente Darstellungsverfahren gestatten
muss, den verlangten Naherungswert von beiden Seiten, von
vorn wie von hinten, zu berechnen, was nach Lejeune Dirichlet
unter Umstanden von grosser praktischer Bedeutung sein kann.
Erst die neuere Zeit hat in dieses Gebiet die Determinants n-
rechnung, allerdings auch ein kombinatorisches Symbol, eingefiihrt,
und zwar stammt die erste Anregung hiezu von dem danischen Ma-
thematiker Eamus (1855) her. Auch Heine, Mobius und S. Gunther
stellten ahnliche Untersuchungen an; es bildeten sich »Kettenbruch-
determinanten.« — Die IrrationaKtat gewisser unendlicher Ketten-
briiche108) wurde von Legendre untersucht, der ebenso wie Gauss den
Quotienten zweier Potenzreihen in der Form eines Kettenbruchs dar-
stellen lehrte. Durch Anwendung unendlicher Kettei^Piiche lasst sich
zeigen, dass die Grossen ex (fiir rationale Werte von x), ferner e, u, u2
nicht rational sein konnen (Lambert, Legendre, Stern).* Erst in der
neuesten Zeit ist durch Hermite die transcendente Natur von e, durch
F. Lindemann die von n klargelegt worden.
In der eigentlichen Zahlentheorie haben deren alteste
Vertreter EuMid und Diophant ziemlich schwierige Aufgaben
iiber Eigenschaften der Zahlen gelost; ein weiteres Vordringen
war aber nicht moglich, so lange ohne ziffernmassige Dar-
102 5IL- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
stellung und fast nur mit einer im geometrischen Gewand
auftretenden Algebra untersucht werden musste64). Bis auf
Viete und Sachet ist in zahlentheoretischen Dingen kein
wesentlicher Fortschritt zu verzeichnen. Ersterer loste meh-
rere zahlentlieoretische Probleme. Letzfcerer gab in seinem
Werk: »Problemes plaisants et delectables« eine fein durch -
gefiihrte Bearbeitung der unbestimmten Gleichungen ersten
Grads. Am Beginn der neueren Zeit sind die ersten Steine
zur Festlegung des Fundaments der Zahlentheorie von Fermat
beschafft worden, der sich an Diophant gebildet hatte und
auch dessen von Sachet bearbeiteten Werken wertvolle Zu-
satze einverleibte. Die grosse Menge von Satzen , welche
auf ihn zuriickzufuhren sind, hat er meist ohne Beweis ge-
geben, z. B. folgende Behauptungen :
»Jede Primzahl von der Form 4w + 1 ist die Summe
zweier Quadrate ; eine solche von der Form Sn + 1 besitzt zu
gleicher Zeit die drei Formen y* + £2, y2 + 2#2, y2 — 2#2 ;
jede von der Form Sn + 3 stellt sich als y* + 2^2, jede von
der Form Sn -f- 7 als y* — 2^2 dar.« Ferner: »Jede belie-
bige Zahl kann durch Addition von drei Trigonalzahlen,
von vier Quadratzahlen , funf Pentagon alzahlen etc. gebildet
werden. «
Bewiesen wird durch Fermat, dass der Inhalt eines pytha-
goraischen rechtwinkligen Dreiecks , also beispielsweise eines
solchen mit den Seiten 3, 4 und 5, keine Quadratzahl sein
kann. Auch i«wohl Fermat der erste, welcher die Auflosung der
Gleichung x2 — Ay2 = 1 gekannthat, wenigstens legte er diese
Aufgabe ddn englischen Mathematikern vor, unter denen Lord
Brounker eine Auflosung fand, welche in die Werke von Wallis
iibergegangen ist. — Viele der S'atze Fermafs gehoren zu den
»schonsten Lehrsatzen der hoheren Arithmetik*), und haben
das Eigne, dass sie durch Induktion leicht entdeckt werden, ihre
*) G a u s s , Werke, II. S. 152.
Dritte Periode. Zahlentheorie. 103
Beweise hingegen ausserst versteckt liegen und nur durch sehr
tief eindringende Untersuchungen aufgespiirt werden konnen.
Gerade dies 1st es, was der hoheren Arithmetik jenen zauber-
ischen Reiz gibt, der sie zur Lieblingswissenschaft der ersten
Geometer gemacht hat, ihres unerschopflichen Reichtums nicht
zu gedenken, woran sie alle andern Teile der reinen Mathe-
matik so weit ubertrifft«.
Nach Fermat nahm Euler zahlentheoretische Studien ernst-
lichwiederauf. Vonihm stammt unter anderem die erste wissen-
schaftliche Losung der Schachbrettaufgabe , welche verlangt,
dass der Springer eines Schachbretts, von einem bestimmten
Feld ausgehend, nach und nach alle vierundzecbszig Felder
einfach besetzen soil, ferner der Satz, dass das Produkt der
Summe von vier Quadraten in ein anderes ahnliches Produkt
eberifalls die Summe von vier Quadraten gibt. Er findet
auch Beweise zu verschiedenen Fermat' schen Satzen, ferner
die allgemeine Auflosung der unbestimmten Gleichung zweiten
Grads mit zwei Unbekannten unter der Yoraussetzung des
Bekaimtseins einer speziellen Losung, und behandelt eine Menge
unbestimmter Gleichungen , fur welche er scharfsinnige Lo-
sungen entdeckt.
Euler (ebenso wieKrafft), beschaftigte sich auch mit befreun-
deten Zahlen 103). Dieselben, von Jamblichus als den Pythagoraern
bekannt erwahnt (s. S. 27), auch von dem Araber Tabit ibn Kurra auf-
gezeichnet, regten Descartes zur Auffindung eines Bildungsgesetzes an,
welches van Schooten wiedergibt. Diese Vorschrift erweiterte Euler,
indem er davon ausging , dass zwei befreundete Zahlen die gleiche
Anzahl von Primfaktoren besitzen mussen, und dass die Summe aller
Teller der einen Zahl die andere ergeben soil. Es sind beispielsweise
220 = 22 . 55 und 284 = 22 . 71 befreundete Zahlen, weil man als Teiler-
summe dieser Zahlen findet:
1 + 2 + 4 + 5 + 10 + 11 + 20 + 22 + 44 + 55 + 110 = 284,
1 + 2 -}- 4 -f- 71 + 142 = 200.
Die Aufstellung befreundeter Zahlen hangt entweder von der Losung
der Gleichung xy -{-ax -\-~by -f- c = 0 oder von der Zerlegung der qua-
dratischen Form ox2 -j- bxy -f- cy~ ab.
104 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Nachst Euler war es Lagrange, der manclies zahlentbeo-
retisch interessante Resultat zu veroffentlichen vermochte.
Er zeigte, dass eine beliebige Zabl als Summe von vier oder
weniger Quadraten darstellbar ist, und dass eine reelle Wurzel
einer algebraischen Gleicbung beliebigen Grads in einen Ketten-
bruch verwandelt werden kann. Er lieferte aucb einen ersten
sehr schonen Beweis dafiir, dass die Gleichung x* — Ay* = \
immer in ganzen Zahlen losbar ist, und entdeckte eine all-
gemeine Methode zur Ableitung von Satzen iiber Primzahlen.
Nun aber fiihrt die Entwicklung der Zahlentbeorie in
zwei gewaltigen Spriingen aufwarts zu Legendre und Gauss.
Des ersteren wertvolle Abhandlung: »Essai sur la theorie
des nombres« , nur wenige Jabre vor Gauss' »Disquisi-
tiones arithmeticae « erscbienen , bringt eine Zusammen-
fassung der bis dabin veroffentlichten Resultate nebst eigenen
Entwicklungen , unter ihnen als Glanzpunkt das quadra-
tische Reciprocitatsgesetz, oder, wie es Gauss nannte,
das »Tbeorema fundamentale in doctrina de residuis qua-
dratis«. Dieses Gesetz gibt eine Beziebung zwiscben zwei
ungeraden und ungleicben Primzablen an und kann folgender-
massen ausgesprocben werden:
Es sei (~) der Rest, welcher sich bei der Division von
n— 1
m~~z~~ durch n ergibt, und (-^-) der Rest der Division von
OT — 1
n~% durcb m, welcbe Reste stets + 1 oder -—1 sind.
» Welches64) dann aucb die Primzablen m und n sein mogen
man erbalt stets , falls nicbt beide von der Form 4# + 3
sind, (-^-) = (^-). Sind aber beide von der Form 4# + 3,
so bat man (-^) = — (^).«
Diese zwei FaJle sind in der Formel entbalten:
I n\ , 1X^^. ^i1 / m \
= (—1) 2 2 I
\ m I \ n I
Dritte Periode. Zahlentheorie. 105
Nach der schon Sachet gelungenen vollstandigen Behandlung
der unbestimmten Grleichungen ersten Grrads mit zwei Unbe-
kannten, welche unter Anwendung der Gauss' schen Schreib-
weise in der Form x=a (mod &), gleichbedeutend mit
-|- = y -f a, auftritt, handelte es sich um Losung der Kon-
gruenz #?2 = m (mod n). Einzelne besondere Falle der voll-
standigen Losung kannte schon Fermat; er wusste, unter
welchen Umstanden + 1, 2, + 3, 5 quadratische Reste oder
Nichtreste einer ungeraden Primzahl m sind 7). Fur die Falle
— 1 und +3 riihren die Beweise von Euler, fiir + 2 und +5
von Lagrange her. Euler war es auch, der vier Satze mit- <•
teilte , welche das quadratische Reciprocitatsgesetz in seiner
ganzen Allgemeinheit umfassen, ohne dass er jedoch einen voll-
standigen Beweis dazu lieferte. Auch der beruhmte Beweis
von Legendre (in »Essai sur la theorie des nombres«, 1798)
ist noch unvollstandig. Gauss erbrachte, ohne indes die
Arbeit von Euler zu kennen, im Jahr 1796 den ersten ein-
wurfsfreien Beweis, der zugleich die Eigentumlichkeit besitzt,
dass er die Prinzipien der spater angegebenen Beweisfuhrungen
in sich schliesst. Gauss stellte fur dieses wichtige Gesetz nach
und nach nicht weniger als acht Beweise auf, von denen
der sechste, der Zeit nach der letzte, fast gleichzeitig durch
Caucliy, Jacobi und Eisenstein vereinfacht wurde ; durch Eisen-
stein wurde insbesondere gezeigt, dass das quadratische, ku-
bische und biquadratische Gesetz einer einzigen Quelle ent-
stromen. Im Jahr 1861 veroffentlichte Kummer mit Hilfe
der Formenlehre zwei Beweise fiir das quadratische Recipro-
citatsgesetz, welche der Verallgemeinerung fur wte Potenzreste
fahig waren. — Bis jetzt sind fiinfundzwanzig verschiedene \
Beweise des quadratischen Reciprocitatsgesetzes veroffentlicht I
worden; sie benutzen entweder Induktion und Reduktion,
oder die Lehre von der Kreisteilung, Funktionentheorie oder
Formenlehre. Ausser den erwahnten acht Beweisen von Gauss
zahlt man vier von Eisenstein, zwei von Kummer, je einen
106 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
von Jacobi, Cauchy, Liouville, Lebesgue, Genocchi, Stern,
Zeller, Kronecker, Bouniakowsky , Sobering, Petersen, Voigt^
JBusche, Pepin.
So wesentlich auch die Erlangung derartiger Erfolge
an eine Mitarbeit verschiedener Matbematiker aus verschie-
denen Zeiten gebunden war : unbestritten gebiihrt Gauss das
Verdienst, in seinen »Disquisitiones arithmeticae« von 1801
das Bedeutendste fur die grundlegende Entwicklung der
Zablentheorie geleistet zu haben. Spatere zahlentheorische
Untersuchungen wurzeln in dem Boden, welcben Gauss zu-
bereitet und fur weitere Ausbeutung geeignet hinterlassen
hat. Von solchen , erst nach Einfiibrung der Tbeorie der
elliptiscben Transcendenten ausgefuhrten Arbeiten seien bier
erwabnt die Satze Jacobi's uber die Anzabl der Zerlegungen
einer Zabl in zwei, vier, secbs und acht Quadrate26), sowie
die Untersuchungen Dirichlet's uber die Gleichung
Xn -f yn = zn.
Die Beschaftigung mit der Zahlentheorie bildete DirichleVs
Lieblingsstudium 63) ; er war der erste , welcher an einer
deutschen Universitat Vorlesungen fiber Zahlentheorie hielt,
und welcher sich riihmen konnte, nach unablassigem Studium
der Disquisitiones arithmeticae auch die schwierigsten Partien
derselben mit ihren hinter starren Methoden verborgenen
tiefen Gedanken durchsichtig und verstandlich gemacht zu
haben, was einem Legendre nach seinem eigenen Gestandnis
misslungen war. -
Dirichlefs friiheste Abhandlung: »Memoire sur I'impos-
sibilite de quelques equations indeterminees du cinquieme
degre« (1825 der franzosischen Akademie eingereicht) be-
schaftigt sich mit dem von Fermat ohne Beweis aufgestellten
Satz, dass »die Summe zweier Potenzzahlen von gleichen
Exponenten niemals einer Potenz von demselben Exponenten
gleich sein kann , wenn diese Potenzen hoher sind als die
Dritte Periode. Faktorentafeln. 107
zweite.« Euler und Legendre batten diesen Satz fur dritte
und vierte Potenzen bewiesen, Dirichlet betrachtet die Surame
zweier fiinften Potenzen und beweist, dass fiir ganze Zahlen
x6 -f 2/B nicht gleich az5 werden kann. Die bohe Bedeutung
dieser Arbeit liegt in ibrer engen Beziebung zur Theorie
der Formen hoherer Grade. — Dirichlet's weitere Leistungen
im Gebiet der Zahlentbeorie bezieben sich auf elegante Be-
weise von Gauss1 sclien Satzen tiber biquadratiscbe Reste und
deren Reciprocitatsgesetz , welcbe 1825 durch die Gottinger
gelebrten Anzeigen veroffentlicbt worden waren , sowie auf
die Bestiminung der Klassenanzabl der quadratiscben Formen
fiir jede gegebene Determinante. Seine »Anwendungen der
Analysis auf die Zablentheorie sind in abnlicber Weise
Epoche macbend, wie die Descartes' schen Anwendungen der
Analysis fiir die Geometric; sie wiirden auch, ebenso wie
die analytiscbe Geometric, als Schopfung einer neuen mathe-
matischen Disziplin anerkannt werden miissen, wenn sie sich
nicht bloss auf gewisse Gattungen, sondern auf alle Probleme
der Zahlentheorie gleichmassig erstreckten« 6S).
Die vielfache Beschaftigung mit Zahleneigenschaften und
Gesetzen der Zahlen batten im 17. Jahrhundert auch dahin
gefiihrt, die Zahlen auf ihre Divisoren bin zu untersuchen 102).
Fast zwei Jabrtausende lang war des Eratosthenes »Sieb« das
einzige Verfahren zur Bestimmung der Primzablen geblieben.
Im Jahr 1657 gab Fr. v. Schooten eine die ersten zebn
Tausend umfassende Taf el der Primzahlen beraus. Eine
Erweiterung biezu bracbte Pell elf Jahre spater, indem er
i eine Tabelle der kleinsten Primfaktoren (mit Ausnabme von
2 und 5) fiir alle Zahlen bis 100 000 fertigte. In Deutsch-
iland blieben diese Tafeln fast unbekannt, daber gab Poetius
im Jahr 1728 selbstandig eine von 1 bis 100000 reichende
Faktorentafel heraus. In der Folgezeit fand dieses Beispiel
wiederholt Nachahmung ; die Kriiger'sche Tafel von 1746
108 111. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
geht bis 100000, die Lamberfsche von 1770, welche zuerst
die in neueren Tafeln gebrauchliche Einrichtung zeigt, bis
102000. Von den zwischen 1770 und 1811 berechneten
secns Tafeln ist die von FelJcel wegen ihres eigentiimlichen
Schicksals merkwiirdig ; der Druck wurde vom k. k. Aerarium
in Wien bis 408000 gefordert; dann aber wurde der Rest
des Manuscripts zuriickbehalten , und der schon gedruckte
Teil desselben zur Anfertigung von Patronen fiir den letzten
Tiirkenkrieg des 18. Jahrhunderts benutzt. — Im Jahr 1817
erschien in Paris die » Table des diviseurs pour tous les
nombres du ler, 2e, 3e million «. OreUe iiberreichte in den
vierziger Jahren der Berliner Akademie Faktorentafeln fiir
die vierte, ftinfte und sechste Million, die aber nicht gedruckt
wurden. Der durch sein recbnerisches Talent bekannte Dase
sollte, von Gauss dazu bestimmt, die siebente bis zehnte Mil-
lion berechnen, starb aber 1861 vor Vollendung der Arbeit.
Seit 1877 lasst die British Association die Anfertigung solcner
Tafeln durch Glaisher mit Beihilfe zweier Rechner fortsetzen.
Der Druck der Faktorentafel fur die vierte Million wurde
1879 vollendet.
Im Jahr 1856 veroffentlichte K. G. Reuschle durch eine
Korrespondenz mit Jacobi dazu veranlasst, seine Tafeln zurn
Grebrauch fiir die Zahlentheorie. Sie enthalten die Zerlegung
der Zahlen 10W — 1 in Primfaktoren bis n = 242 , ferner
eine Anzahl ahnlicher Zerlegungen in Primfaktoren fiir
Zahlen von der Form an — 1, und eine Tafel der Zerlegung fiir
Primzahlen p — Qn + 1 in die Formen
p = A2 + 3£2 und 4p = O2 + 27 M\
wie sie in der Lehre von den kubischen Resten und in der
Kreisteilung auftreten.
Von grosster Bedeutung fiir den Fortschritt der algebra-
ischen und geometrischen Wissenschaft zugleich war die
Dritte Periode. Elimination. 109
Entwicklung der Lehre von den symmetrischen F u n k-
tionen, der Eliminations theorie und der Lehre von
den Invarianten algebraischer Formen, wie sie
sich durch Uebertragung der Auffassung der projektiven
Geometric auf die geometrische Gebilde darstellenden Glei-
chungen und Gleichungssysteme herausbildete 13).
Die ersten Formeln zur Berechnung von symmetrischen
Funktionen (der Potenzsummen) der Wurzeln einer algebra-
ischen Gleichung in den Coefficienten derselben riihren von
Nezvton her. Auch Waring stellte ahnliche Berechnungen
an (1770) und entwickelte ein Prinzip, auf das Gauss (1816)
selbstandig kam, vermoge dessen sich beliebige symmetrische
Funktionen in den elementarsymmetrischen Funktionen aus-
driicken lassen. Direkt erreicht man das nach einem von Cayley
und Sylvester (1853) ausgebildeten Verfahren unter Beniitzung
der von Cayley herriihrenden Regeln u'ber das G e w i c h t
ymmfetrischer Funktionen. — Diealtesten Tafeln symmetrischer
Funktionen (bis zum zehnten Grad reichend) sind von Meyer-
Hirsch in seiner Aufgabensammlung (1809) veroffentlicht
worden. Die Berechnung derselben, welche auf sehr muh-
same Weise erfolgte, wurde durch Cayley und Brioschi wesent-
ich vereinfacht.
Die Resultante zweier Gleichungen mit einer Unbe-
iannten, oder was dasselbe ist, zweier Formen mit zwei ho-
nogenen Veranderlichen, wurde von Euler (1748) und von
Besont (1764) berechnet. Beiden gebiihrt das Verdienst,
lie Bestimmung der Resultante auf die Losung eines Systems
inearer Gleichungen zuruckgefiihrt zu haben91). Bezont
fthrte den Namen »Resultante« ein (de Morgan schlug
Eliminante« vor) und bestimmte den Grad dieser Funktion.
Inch Lagrange und Poisson beschaftigten sich mit Fragen
ler Elimination; ersterer stellte (1770) die Bedingung fur
nehrere gem einsame Wurzeln auf; letzterer gab eine Method e
;ur Bildung symmetrischer Funktionen der gemeinsamen Werte
110 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
der Wurzeln eines Systems von Gleichungen. - - Die weitere
Forderung der Eliminationstheorie erfolgte namentlicli durch
Jacobi, Hesse, Sylvester, Cayley, Gauchy, Brioschi, Gordan.
Jacobi' s Abhandlung 80), welche die Resultante als Determi-
nante darsfcellte, verbreitete zugleich Licht tiber die der Re-
sultante angehorigen Coefficientenaggregate und iiber die
Gleichungen, in welch en die Resultante und ihr Produkt mit
einer andern teilweise willkiirlichen Funktion als Funktionen
der gegebenen zwei Forinen dargestellt werden. Dieser Ge-
danke Jacobi' s gab Hesse den Anstoss zur Ausftihrung wich-
tiger Arbeiten, zunachst tiber die Resultante aus zwei
Gleicliungen, welche er 1843 nach der schon frtiher von
Sylvester angegebenen dialytischen Methode neu entwickelte,
dann 1844 »iiber die Elimination der Variabeln aus drei
algebraiscben Gleichungen mit zwei Veranderlichen« und
kurz darauf iiber die Wendepunkte ebener Kurven. Den
Hauptwert legte Hesse bei diesen Untersuchungeu nicRt auf
die Gestalt der Endgleichung , sondern auf den Einblick in
die Zusammensetzung derselben aus bekannten Funktionen.
So kam er zur Funktionaldeterminate dreier qua-
dratischer Grundformen, und weiterhin zur Determinate der
zweiten partiellen Differentialquotienten der kubischen Form,
zu ihrer Hesse' 'schen Determinante, deren geometrische
Deutung das interessante Ergebnis lieferte, dass im allge-
meinen Fall die Wendepunkte einer ebenen Kurve wterOrdnung
durch den vollstandigen Schnitt derselben mit einer Kurve
von der Ordnung S(n — 2) erhalten werden. Dieses Resultat
war vorher nur von Kurven dritter Ordnung bekannt; fur
siehatte es Pliicker gefunden. Von Hesse stammt ferner das erste
grossere Beispiel derHerausschaffung von Faktoren aus Resul-
tanten, soweit diese Faktoren der eigentlich zu losenden Frage
fremd sind. Die Eliminationstheorie immer weiter ausbauend
gelangte Hesse 1849 dazu, die lange gesuchte Gleichung vier-
zehnten Grads, von welcher die Doppeltangenten einer Kurve
Dritte Periode. Invariantentheorie. Ill
vierter Ordnung abbangen , frei von alien uberschiissigen
Faktoren darzustellen.
Die von Hesse 1843 benutzte besondere Eliminations-
metbode ist die von Sylvester 1840 veroffentlicbte dialy-
t i s c h e Metbode ; sie liefert die Resultante zweier Funktionen
mter und nter Ordnung als eine Determinante, in welcber die
Coefficienten der ersten in n, und die Coefficienten der zweiten
in m Zeilen auftreten. Sylvester war es auch, der (1851) fiir
die Funktion , welcbe die Bedingtmg fur das Yorbandensein
zweier gleichen Wurzeln einer algebraiscben Grleichung aus-
driickt, den Namen »Discriminante« einfiibrte; bis dahin
pflegte man nach dem Yorgang von Gauss » Determinante
der Funktion « zu sagen.
Der fiir alle Gebiete der heutigen Mathematik so wich-
tige Begriff der Invarianz gebt mit seinen ersten An fa ngen
bis auf Lagrange zuriick91), welcber 1773 bemerkte , dass
der Discriminante der quadratiscben Form ax* -f 2bxy 4- cy2
beim Uebergang von x zu x + \y Unveranderlicbkeit zu-
komnit. Diese Unveranderlicbkeit der Discriminanten bei
linearer Transformation wurde fiir binare und ternare qua-
dratische Formen von Gauss (1801) vollkommen erwiesen ;
allein dass der Discriminante im allgemeinen und stets In-
varianz zukomme, erkannte und bewies zuerst G. Boole (1841).
Cayley fand 1845 , an die Abbandlung Boole's ankniipfend,
dass es nocb andere Funktionen gebe , welcben bei linearer
Transformation invariante Eigenscbaften zukomraen, lebrte
solcbe Funktionen bestimmen und nannte sie » Hyperdetermi-
nanten«. Diese Entdeckung Cayley' s entwickelte sich rasch
zu der machtigen Invarianten tbeorie, namentlicb durch
die Abhandlungen von Cayley, Aronhold, Boole, Sylvester,
Hermite, Brioschi, dann durcb Clebsck, Gordon u. a. — Nacb
Erscbeinen der ersten Cayley'schen Arbeit lieferte Aronhold
1849 einen wicbtigen Beitrag durcb Bestimmung der Inva-
rianten S und T einer ternaren Form und durch Entwick-
112 HI. Allgerneine Arithmetik und Algebra.
lung ihrer Beziehung zur Discriminante derselben Form.
Von 1851 ab erschien eine Reihe wichtiger Abhandlungen
von Cayley und Sylvester. Letzterer schuf damit zugleich
einen grossen Teil der jetzt herrschenden Terminologie , vor
allem den Namen »Invariante« (1851). Im Jahr 1854 ent-
deckte Hermite sein Reciprocitatsgesetz, welches aussagt,
dass jeder Covariante oder Invariante vom Grad p und der
Ordnung r einer Form mter Ordnung auch eine Covariante oder
Invariante vom Grad m und der Ordnung r einer Form
pter Ordnung entspricht. — ClebscJi und Gordan beniitzen die
von Aronhold fur biriare Formen eingefiihrte Abkiirzung K
bei ihren fundanaentalen Entwicklungen, z. B. bei der syste-
matischen Ausbildung des in seinen Anfangen schon Cayley
bekannten Prozesses der Ueberschiebung zur Bil-
dung von Invarianten und Covarianten, bei dem Faltungs-
prozess zur Bildung von Elementarcovarianten und bei der
Aufstellung simultaner Invarianten und Covarianten, insbe-
sondere der Kombinanten. — Den wichtigsten Fortschritt der
Neuzeit innerhalb dieser Theorie bildet wohl Gordan' s Satz
iiber die Endlichkeit des Formensjstems,
der aussagt, dass es nur eine endliche Anzahl von Invarianten
und Covarianten einer binaren Form oder eines Systems
solcner Formen gibt. Gordan hat auch ein Verfahren zur
Aufstellung des vollstandigen Formensystems angegeben und
dasselbe fiir den Fall der binaren Formen fimfter und sechster
Ordnung durchgefiihrt.
Um auf die grosse Bedeutung der Invariantentheorie fiir andereZweige
der Mathematik mit einern Worte hinzuweisen, moge es geniigen anzu-
fiihren, dass von Clebscli die Theorie der binaren Formen auf die der ter-
naren (insbesondere fiir Gleichnngen in Liniencoordinanten) iibertragen
worden ist, dass die Form dritter Ordnung auf einer Raumkurve
dritter Ordnung ihre Darstellung findet, wahreud binare Formen vierter
Ordnung in der Theorie der ebenen Kurven dritter Ordnung eine
grosse Rolle spielen, und zur Losung der Gleichung vierten Grads,
sowie zur Transformation des elliptischen Integrals erster Gattung
Dritte Periode. Wahrscheinlichkeitsrec hnung. 113
auf die Hermite'sche Normalform dienen, endlich dass die Kombinan-
ten bei der Umformung von Gleichungen fiinften und eechsten Grads in
wesentlicher Weise eingefiihrt werden konnen. Forschungsresultate
von Clebsch, Weierstrass, Klein, Bianchi, Burckhardt haben die grosse
Bedeutung der Invariantentheorie fur die Lehre von den hyperellip-
tischen und Abel'schen Funktionen erwiesen. Diese Theorie hat ferner
durch Christofel und Lipschitz in der Darstellung des Linienelements>
durch Sylvester, Halphen und Lie in Gestalt der Eeciprocanten oder
Differentialinvarianten in die Theorie der Differentialgleichungen,
durch Beltrami's Differentialparameter in die Lehre von der Flachen-
jrummung Eingang gefunden. — Auch irrationale Invarianten sind
durch Arbeiten von Hilbert aufgestellt worden.
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung66) entstand
unter den Handen von Pascal und Fermat. Im Jahr 1654
h_atte ein Spieler, der Chevalier de Mere, an Pascal zwei An-
fragen geschickt , welche sich aufs Spiel bezogen und folgender-
massen lauteten : »Mit wie viel Wiirfen kann man im Brett-
spiel hoffen , zwei Sechsen zu werfen« ; und : »in welchem
Verhaltnis muss man die Einsatze verteilen, wenn man das
Spiel in einem gegebenen Moment unterbricht?«. Diese zwei
Fragen , deren Losung fur Pascal ein leichtes war , gaben
ihm die Veranlassung, die Fundamente einer neuen Wissen-
schaft zu legen, welche von ihm » Geometric du hasard« ge-
nannt wurde. Auf die Einladung Pascal's wendete auch
Fermat solchen Fragen seine Aufmerksamkeit zu und ver-
wertete die Kombinationslehre in dem neuen Grebiet. Dem
Beispiel der zwei franzosischen Mathematiker folgte unver-
weilt Huygens ; er schrieb 1658 ein kleines Werk uber
Hazardspiele. Der erste, welcher die neue Rechnungsart
auf die okonomischen Wissenschaften anwandte, war der
Grosspensionar Jean de Witt, der beriihmte Schiller Descartes1.
Er berichtete 1671 uber die Art, wie man die Hohe der
iLebensrente auf Grund einer Sterblichkeitstafel zu bestim-
men habe. Auch Hudde machte Veroffentlichungen iiber den-
selben Gegenstand. — Eine zusammenfassende Behandlung
Fink, Gesch. der Eleuieiitarmatheinatik. 8
114 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
erfuhr die » Rechnung fiber den Zufall« durch Jakob Bernoulli in
der acht Jahre nach dem Tod des Verfassers (1713) gedruckten
»Ars conjectandi«, die allerdings fast begraben blieb, bis sich
Condor cet ihrer annahm. Seit Bernoulli bat es kaum einen
bedeutenden Algebraiker gegeben, der nicht fiir einzelne Be-
tracbtungen aus dem Gebiet der Wahrscbeinlichkeitsrechnung
Zeit gefunden h'atte.
Fur die Metbode der kleinsten Quadrate hat
Legendre den Namen geschaffen in einer 1806 fiber diesen
Gegenstand erschienenen Abhandlung. Die erste Veroffent-
lichung von Gauss iiber das gleicbe Gebiet erfolgte 1809,
obwobl er die ganze Methode schon 1795 besass. Es ist
dies also eine Gauss' sche Methode , namentlich deshalb , weil
Gauss sie zuerst in ihrer heutigen Gestalt ausbildete und in
grossem Massstab praktisch verwertete. Die aussere Veran-
lassung dazu bildete die Entdeckung des ersten kleinen Pla-
neten , der Ceres, am 1. Januar 1801 durch Piazzi. Gauss
berechnete nach neuen Methoden die Bahn dieses Himniels-
korpers so genau, dass derselbe gegen Ende des Jahres 1801 in
der N'ahe des von ihm angegebenen Ortes wieder aufgefunden
werden konnte. Die an diese Arbeit sich anschliessenden
Ausfuhrungen erschienen 1809 als »Theoria motus corporum
coelestiuna« etc. Dieses Werk enthielt die Bestimmung des
Orts eines Himmelskorpers fiir eine beliebige Zeit unter
Voraussetzung der bekannten Bahn, ferner die Losung der
schwierigen Aufgabe, aus drei Beobachtungen die Bahn zu
finden. Um die so bestimmte Bahn einer grosseren Zahl
von Beobachtungen mb'glichst anzupassen, verwendete Gauss
das von ihm 1795 erfundeneVerfahren. Dasselbe sollte »Beob-
achtungen, welche zur Bestimmung von unbekannten Grossen
dienen, so kombinieren, dass die unvermeidlichen Beobachtungs-
fehler dem Wert der gesuchten Zahlen moglichst wenig
schaden«. Zu diesem Zweck machte Gauss, folgende Vor-
Dritte Periode. Kombinationslehre. 115
schrift31): »Man lege jedem Fehler ein von seiner Grosse ab-
hangiges Moment bei, multipliziere das Moment jedes mog-
lichen Fehlers in dessen Wahrscheinlichkeit und addiere die
Produkte. Der Fehler, dessen Moment diesem Aggregat
gleieh ist, wird als mittlerer bezeichnet werden m\issen.«
Als willkiirliche Funktion des Fehlers, welche Moment des
letzteren werden soil, hat Gauss das Quadrat als einfachste
Funktion dieser Art gewahlt. — Laplace machte im Jahr
1812 einen ausfiihrlichen Beweis fur die Richtigkeit des
Gauss'schen Verfahrens bekannt.
Zur Kombinationslehre finden sich elementare
Aufstellungen aus dem 16. Jahrhundert, z. B. von Cardano.
Eine erste grossere Arbeit riihrt von Pascal her. Er kniipft
an sein arithmetisches Dreieck an, urn die Anzahl der Kom-
binationen von m Elementen zur wten Klasse zu bestimmen.
Leibniz und Jacob Bernoulli brachten durch ihrellntersuchungen
viel neues bei. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde
dieses Gebiet von einer Anzahl deutscher Gelehrter mit Vor-
liebe gepflegt: es entstand unter der Fiihrung Hindenburgs
die »kombinatorische Schule«31). Die Anhanger dieser ma-
thematischen Richtung kniipften an die Entwicklung des
binomischen Lehrsatzes an. Ihnen alien durch systematische
Begrundung iiberlegen ist Hindenburg, der die Polynome in
eine erste Klasse von der Form a + 5+c + d-f... und in
eine zweitea -f bx + cxz -f efa?3 + . . . einteilte. Er erganzte das
schon Bekannte und lieferte zu einer Reihe von Satzen die
noch mangelnden Beweise, so dass er der Schopfer des Systems
der kombinatorischen Analysis genannt werden darf.
Die kombinatorische Schule, innerhalb deren ausser dem bedeu-
tendsten Vertreter der Kombinatorik noch Escheribach, Bothe und beson-
ders Pfaff zu nennen sind, erzeugte eine sehr umfangreiche Litteratur
und wusste sich durch ihre formell eleganten Resultate in ein gewisses
Ansehen zu setzen. Sie stand aber mit ihren Bestrebungen so weit
8*
116 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
ausserhalb des Bodens der namentlich von franzosischen Mathematikern
wie Lagrange und Laplace gepflegten neuen und fruchtbaren Methoden,
dass sie zunachst wenigstens auf die weitere Entwicklung der Mathe-
matik im Anfang des 19. Jahrhunderts ohne Einfluss blieb.
Im Gebiet der unen dlichen Reihen sind viele Falle,
die meist auf die geometrische Reihe zuriickfuhren, von Euklid,
und in umfangreicherem Masse von Apollonms behandelt worden.
Das Mittelalter hatte nichts wesentliches hinzugefugt; erst
die neuere Zeit lieferte Bereicherungen dieses Zweigs mathema-
tischen Wissens. — Saint - Vincent und Merkator entwickelten
unabhangig von einander die Reihe fur log (1 + #), Gregory
die fur arc tg x, sin x, cos x, sec x, cosec x. Bei dem letztge-
nannten Schriftsteller finden sich in der Behandlung der
unendlichen Reihen auch die Ausdriicke »konvergent« und
» divergent «. Leibniz wurde durch seine Beschaftigung mit end-
lichen arithmetischen Reihen auf unendliche Reihen gefiihrt.
Er fuhlte zugleich das Bediirfnis, naheres iiber Konvergenz und
Divergenz der Reihen zu erfahren; ebenso Newton, der die
unendlichen Reihen ahnlich wie Apollonius zur Losung al-
gebraischer und geometrischer Probleme benutzt, namentlich
zur Berechnung von Flacheninhalten, demnach als Ersatz von
Integrationen.
Die von Leibniz neu eingefuhrten Ideen wurden durch Jakob
Bernoulli und Johann Bernoulli weiter entwickelt. Ersterer
bildete Summen von Reihen mit konstanten Gliedern, letzterer
gab eine allgemeine Formel der Entwicklung einer Funktion
in eine unendliche Reihe. Eigentliche Konvergenzkriterien
gab es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht; nur fur alter-
nierende Reihen hatte Leibniz ein Erkennungszeichen der
Konvergenz angegeben.
In der zunachst sich anschliessenden Zeit erfuhr die
formelle Behandlungsweise der Reihen eine wesentliche
Forderung. Moivre schrieb fiber rekurrente Reihen und er-
schopfte ihre wesentlichen Eigenschaften fast vollstandig.
Dritte Periods. Reihen. 117
Besonderer Bekanntschaft erfreuen sich die Reihen von Taylor
und Maclaurin. Letzterer lieferte einen strengen Beweis von
Taylor's Reihe, gab vielfache Anwendungen derselben und
stellte neue Sunimenformeln auf. Die grosste formale Gre-
wandtheitin derBehandlung unendlicher Reihen weistEuler auf,
der sich aber wenig um Konvergenz und Divergenz kiimmert.
Eider leitete die Exponentialreihe aus der Binomialreihe ab und
entwickelte als der erste rationale Funktionen in Reihen, die
nach sinus und cosinus der ganzen Vielfachen des Arguments
fortschreiten86). Dabei definierte er die Coefficienten einer
trigonometrischen Reihe durch bestimmte Integrale, ohne diese
wichtigen Formeln auf die Darstellung willkurlicher
Funktionen durch trigonometrische Reihen anzuwenden. Dies
geschah erst durch Fourier, dessen Untersuchungen von
Riemann und Cauchy vervollstandigt und durch Dirichlet zu
einem vorlaufigen Abschluss gebracht worden sind, insofern
letzterer durch strenge Methoden eine wissenschaftliche
Begriindung lieferte und namentlich allgemeinere und
kompliziertere Untersuchungen tiber Konvergenz der Reihen
anstellte 68). Von Laplace riihren Reihenentwicklungen mit
zwei Variabeln her, namentlich solche in rekur rente Reihen.
Legendre veranlasste durch die Einfuhrung der Kugel-
funktionen eine nicht zu unterschatzende Erweiterung der
Reihentheorie.
Mit Gauss bricht auch hier wie in fast alien anderen
mathematischen Gebieten die Zeit exakter Behandlungsweise
an , die Zeit der Aufstellung der einfachsten Konvergenz-
kriterien, der Untersuchung des Rests und der Fortsetzung
der Reihen uber ihren Konvergenzbereich hinaus. Die Ein-
leitung hiezu bildet die beruhmte Reihe von Gauss:
I g 4.
'
die zwar schon Euler behandelt, aber nicht in ihrem ganzen
118 III. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Umfang gewiirdigt hatte86). Die ganz allgemein angenommene
Benennung dieser Reihe als »hypergeometrische Reihe« riihrt
von J. F. Pfaff her, der sie fur die allgemeineren Reihen in
Vorschlag brachte, bei welchen der Quotient eines Glieds in
das folgende cine rationale Funktion des Stellenzeigers ist.
Nach Wallis gebrauchte JEuler denselben Namen fur Reihen,
in denen jener Quotient eine ganze Funktion ersten Grads
des Stellenzeigers ist*). Gauss, wahrscheinlich veranlasst
durch astronomische Anwendungen, gab an, dass seine Reihe
unter Voraussetzung gewisser spezieller Werte fur a, J3, y
fast alle damals bekannten Reihen zu ersetzen imstande war ;
er untersuchte die wesentlichen Eigenschaften dieser Funktion
und gab fur Reihen uberhaupt ein wichtiges Konvergenz-
kriterium. — Abel verdankt man wichtige Untersuchungen
iiber die Stetigkeit der Reihen.
Der Begriff der gleichmassigen Konvergenz von
Reihen ist aus dem Studium des Verhaltens der Reihen in
der Nahe ihrer Sprungstellen entstanden und wurde fast
gleichzeitig von Stokes und Seidel aufgestellt. Letzterer nennt
eine Reihe dann gleichmassig konvergent, wenn sie zwar
eine diskontinuierliche Funktion einer Grosse x darstellt, von
der ihre einzelnen Glieder kontinuierliche Funktionen sind,
aber in der Nahe der Sprungstellen so beschaften ist, dass
man Werte von x angeben kann, fur welche die Reihe be-
liebig langsam konvergiert 86).
Die Zeit der Entdeckung wirksamer Konvergenz- und
Divergenzkriterien86) beginnt mit Cauchy (1821). Seine Unter-
suchungsmethoden , sowie die zwischen 1832 und 1851 von
Raabe, Duhamel, de Morgan, Bertrand, Sonnet, Paucker ver-
offentlichten Satze uber unendliche Reihen mit positiven
Gliedern stellen spezielle Kriterien auf, denn sie vergleichen
durchweg das nie Reihenglied mit besonderen Funktionen
*) Riemann, Werke, S. 78.
Dritte Periode. Losung algebraischer Gleichungen. H9
von der Form a", w*, n (log n)k und anderen. Kriterien von
wesentlich allgemeinerem Charakter wurden zuerst durch Kum-
mer (1835)aufgefunden, und von Dini (1867) verallgemeinert.
Dini's Forschungen blieben zunachst wenigstens in Deutsch-
land ganz unbekannt. Sechs Jahre spater entdeckte Paul
du Bois Reymond, von demselben Grundgedanken ausgehend
wie Dini, abermals die Hauptresultate des italienischen
Mathematikers, arbeitete sie griindlicher aus und vermehrte die-
selben wesentlich zu einem System von Konvergenz- und Diver-
genzkriterien erster und zweiter Art, je nachdem sie das allge-
meine Glied an der Reihe, oder den Quotienten an + i : an der
Untersuchung zu Grunde legen. Wesentlich vervollstandigt
und zum Teil berichtigt wurden die Resultate Du Bois Eey-
mond's in neuester Zeit duroh A. Pringsheim.
Nachdem die Auflosung der algebra is ch en
Gleichungen dritten und vierten Grads gelungen war, konnte
an den Ausbau des Systems algebraischer Gleichungen iiber-
haupt Hand angelegt werden. Tartaglia, Cardanus und Ferrari
hatten die Schlusssteine in die Briicke eingefugt, welche von
den Gleichungen zweiten Grads zur vollstandigen Losung der
Gleichungen dritten und vierten Grads sicher hinuberleitete.
Aber es vergingen Jahrhunderte, bis durch einen Abel helles
Licht iiber die hoheren Falle ausgegossen wurde.
Viete hatte zur Losung von Gleichungen ein Mittel er-
funden, das Aehnlichkeit mit dem Radizieren besitzt, und
diese Methode wurde von Harriot und Oughtred weiter ent-
wickelt , ohne dass es gelungen ware , sie weniger miihsam
zu machen77). Harriot's Name ist auch mit einem Satze
(der Zeichenregel) verkniipft, welcher das Bildungsgesetz der
Coefficienten einer algebraischen Gleichung aus ihren Wurzeln
enth'alt, obwohl dieser Satz erst von Descartes angegeben und
von Gauss allgemein bewiesen wurde.
Da es an sicheren Methoden zur Bestimmung der Wurzeln
120 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
von Gleichungen hoheren Grads fehlte, so suchte man wenigstens
diese Verschwindungswerte in moglichst enge Grenzen einzu-
schliessen. Das wollten de JBeaune und Schooten ausfiihren, aber
brauchbare Methoden rlihren erst von Maclaurin (1659) und
Newton (1722) her. So gelang es denn, die reellen Wurzeln
einer algebraischen Gleichung wenigstens zwischen beliebig enge
Grenzen einzuschliessen. — Um zur allgemeinen Losung
einer algebraischen Gleichung zu gelangen , versuchte man
entweder, die vorgelegte Gleichung als das Produkt mehrerer
Gleichungen niedrigeren Grads darzustellen , was von Hudde
weiter verfolgt wurde, oder man war bestrebt, eine Gleichung
geraden Grads durch Quadratwurzelausziehen auf eine solche
zu reduzieren , deren Gradzahl die Halfte des Grads der ge-
gebenen Gleichung ist, und diesen Weg betrat namentlich
Newton, ohne besondere Erfolge verzeichnen zu konnen.
Auch Leibniz hatte sich ebenso ernstlich wie Newton
bemiiht, in der Theorie der algebraischen Gleichungen einen
Schritt vorwarts zu thun. In einem seiner Brief e gibt er
an, dass er sich lange damit beschaftigt habe, die irrationalen
Wurzeln einer Gleichung beliebigen Grads durch Wegschaf-
fung aller Mittelglieder aus der Form xn = A zu finden, und
dass er der Ueberzeugung sei, man konne auf diese Weise
zur vollstandigen Losung der allgemeinen Gleichung wten
Grads gelangen. Dieser Weg der Transformation der
allgemeinen Gleichung geht auf [Tschirnhaus zuriick und
findet sich 58) als »Nova methodus« etc. in den Leipziger
Acta eruditorum vom Jahr 1683. In der Gleichung
xn + Axn~* + Bxn-* + ... + MX + N--= 0
setzt Tschirnhaus
y = a + (fo? 4- T^a + • • • + pa? — 1 ;
die Elimination von x aus diesen beiden Gleichungen liefert
fur y ebenfalls eine Gleichung wten Grads, in welcher man die
Dritte Periode. Losung algebraischer Gleichungen. 121
unbestimmten Coefficienten a, (3, y, . . . dazu verwenden kann, der
Gleichnng in y gewisse spezielle Eigenschaftenzu verleihen, z. B.
einige Glieder zum Verschwinden zu bringen. Mit den y sind
dann im allgemeinen auch die x bestimmt. Durch diese Methode
wird die Losung der Gleichungen dritten und vierten Grads
auf die einer Gleichung zweiten, beziehungsweise dritten
Grads zuruckgefiihrt ; allein die Anwendung auf die Gleichung
fiinften Grads fuhrtschon auf eine Gleichung vierundzwanzigsten
Grads , von deren Behandlung , die vollstandige Losung der
Gleichung fiinften Grads abhangig ist.
Nachdem auch gegen Ende des 17. und Anfang des 18.
Jahrhunderts De Lagny, Eolle, Laloubere und Leseur ver-
gebliche Anstrengungen gemacht hatten, mit strengen Losungs-
tnethoden iiber die Gleichung vierten Grads hinauszukommen,
nahm Euler 1749 das Problem in Angriff. Er suchte zu-
nachst die Gleichung vom Grad 2n in zwei Faktoren je vom
Grade n zu zerlegen mit Hilfe der Einfiihrung unbestimmter
Coefficienten; aber die von ihm erhaltenen Resultate waren
nicht befriedigender als die seiner Vorganger, indem eine
Gleichung achten Grads bei dieser Behandlung auf eine
Gleichung siebzigsten Grads fiihrte. Doch konnte Euler bei
solchen Arbeiten als eine schone Frucht seiner Miihe den Be-
weis des Satzes betrachten , dass jede Gleichung geraden
Grads in lauter rationale Faktoren zweiten Grads zerlegt
werden kann.
In einer aus dem Jahr 1762 stammenden Arbeit griff
Euler das Problem direkt an. Von den Gleichungen zweiten
und dritten Grads ausgehend vermutete er, dass eine Wurzel
der allgemeinen Gleichung wten Grads aus n — 1 Radikalen
nten Grads mit untergeordneten Quadratwurzeln zusammen-
gesetzt werden konne. Er bildete derartige Ausdrticke und
suchte durch Coefficientenvergleichung seinen Zweck zu er-
reichen, was auch bis zum vierten Grad keine Schwierigkeiten
bot; aber schon beirn fiinften Grad war Euler genotigt,
122 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
sich auf besondere Falle zu beschranken. So erhielt er aus
#5 _ 40^3 _ 72^2 + 50# + 98 = 0
folgenden Wert:
— 31— a ! /
+ -- 18 + 10l/:T7 -f v/-- 18 -- 10 I/IT?.
Einige Aehnlichkeit mit diesem Euler'scken Verfahren
besitzt das von Waring (1779). Um die Gleichung /(#) = 0
vom Grad n zu losen, wird
x = a yp + o yp* + c Jp* + . . . + g \Jpn ~
gesetzt; nach Wegschaffung der Radikale ergibt sich eine
Gleichung nten Grads F(x) = 0 und durch Coefficientenver-
gleichung entstehen die zur Bestimmung von a, &, c, . . . q und p
notigen Gleichungen.
Auch Bezout stellte eine Methode auf. Er eliminierte aus
den Gleichungen
yn — I = 0, ayn ~ 1 + ~byn ~ 2 + . . . + x = 0
die y und erhielt eine Gleichung nten Grads f(x) = 0. Das
weitere Verfahren benutzte Coefficientenvergleichung. Bezout
war ebensowenig wie Waring imstande, auf dem angegebenen
Weg eine allgemeine Gleichung funften Grads zu losen, wohl
aber gab ihm diese Frage den Anstoss zur Verbesserung der
Eliminationsmethoden.
Tschirnhaus hatte mit seiner Transformation
daunt angefangen , die Wurzeln der allgemeinen Gleichung
als Funktionen der Coefficienten zu studieren. Derselbe
Zweck kann auch durch eine andere , allerdings von der
ersten nicht prinzipiell verschiedene Methode erreicht werden,
Dritte Periode. Kreisteilungsgleichung. 123
nemlich durch Resolventenbildung. Auf diesem
Weg gelangten Lagrange, Malfatti und Vandermonde nnab-
hangig von einander zu Ergebnissen, welche im Jahr 1771
veroffentlicht wurden. Lagrange's inhaltsreiche Arbeit gibt
eine Analyse aller damals bekannten Methoden, Gleichungen
zu 16'sen und beleuchtet die Schwierigkeiten, welcbe sich bei
Ueberschreitung des vierten Grads erbeben. Ausserdem gibt
er Methoden zur Bestimmung der Grenzen der Wurzeln und
der Zabl der imaginaren Wurzeln, sowie Naherungsmethoden.
So batten alle vor Beginn des 19. Jahrbunderts zur
Losung der allgemeinen Gleichung wten Grads angewendeten
Mittel nur Misserfolge gezeitigt , und namentlich angesicbts
der Arbeit von Lagrange sagt Montucla 77) : »Das alles ist ganz
geeignet, den Eifer derjenigen abzukublen, welche geneigt
sind, diesen neuen Weg zu wandern. Muss man denn ganzlich
an der Losung dieses Problems verzweifeln ?«
Da die allgemeine Aufgabe sich als unnahbar erwies,
versuchte man es mit besonderen Fallen und erzielte auf
diesem Wege in der That mehrere schone Resultate. De
Moirre brachte die Losung der Gleichung
w»_l na — l.n2— 9
ny + 2T3-- W* + -^TBTTT^'^ + ' ' ' = a
fiir ganze und ungerade n in die Form:
Euler untersuchte die symmetrischen Gleichungen und Bezout
stellte die Bedingungzwischenden Coefficienten einer Gleichung
wten Grads auf, welche erftillt sein muss, damit dieselbe in
die Form yn + a = 0 iibergefiihrt werden kann.
Einen besonders bedeutungsvollen Schritt that Gauss
mit der Losung der Kreisteilungsgleichung
a?n _ 1 = 0,
124 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
wo n eine Primzahl 1st. Gleichungen dieser Art stelien in
engster Beziehung zur Teilung des Kreisumfangs in n gleiche
Teile. 1st nemlich y die Seite des einem Kreis vom Halb-
messer 1 einbeschriebenen regularen Vielecks mit n Seiten,
und 2 die Verbindungsstrecke der ersten und dritten Ecke
dieses Vielecks, so findet sich :
y = 2 . sin — . z — 2 sin — .
n n
Setzt man aber
27c .271/271; . 2ri\n
x = cos 1- i sin — . ( cos - + i sin — — 1 ,
n n \ n n I
so ist die Gleichung xn — 1 = 0 als algebraischer Ausdruck
der Frage nach der Konstruktion des regularen w-Ecks zu
betrachten.
Von Gauss6*) wurde folgender sehr allgemeine Satz bewiesen :
»Ist n eine Primzahl, und hat man die Zahl n — 1 in Prim-
faktoren a, 6, c, ... zerlegt, so dass n — 1 — aa b$ cf . . . ,
dann lasst sich die Losung der Gleichung xn — 1 = 0 iramer
zuriickfiihren auf diejenige mehrerer Gleichungen niedrigeren
Grads, nemlich auf a Gleichungen vom Grad a, auf {3 Glei-
chungen vom Grad &, etc.« So wird beispielsweise die Losung
der Gleichung x75 — 1=0 (die Teilung des Kreisumfangs in
73 gleiche Teile), da n — 1-72-23 . 32 ist, dadurch erhalten,
dass man drei quadratische und zwei kubische Gleichungen
behandelt. x17 — 1 =0 fuhrt wegen n — 1 = 16 = 24 auf
vier Gleichungen zweiten Grads ; man kann also das regulare
Siebenzehneck elementargeometrisch konstruieren, eine That-
sache, welche vor Gauss niemand geahnt hatte.
Ins einzelne ausgefuhrte elementargeometrische Kon-
struktionen des regularen Siebenzehnecks sind zuerst von
Dritte Periode. Kreisteilungsgleichung. 125
Pauker und Erchinger aufgestellt worden*). Eine bemerkens-
werte Konstruktion derselben Figur riihrt von v. Staudt her.
Fur den Fall, dass die Primzahl n die Form 2™ -j- 1 hat, wird
die Auflosung der Gleichung xn — 1 = 0 immer auf die von m qua-
dratischen Gleichungen zuriickgef iihrt , von denen man sogar nur
m — 1 notig hat , wenn es sich um die Konstruktion des regularen
w-Ecks handelt. Zu beachten ist hiebei, dass nur fiir m = 2k
(k eine ganze positive Zahl) der Ausdruck 2m -f- 1 eine Primzahl sein
kann, aber, wie B. Baltzer 79) gezeigt hat, nicht notwendig sein muss.
Wahlt man der Reihe nach fiir m die Zahlen
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 16, 212, 223,
so ergeben sich fiir w = 2w»-j-l die entsprechenden Zahlen:
3, 5, 9, 17, 33, 65, 129, 257, 65537, (2)2 12 4. 1, (2)223 -f 1,
von welchen nur 3, 5, 17, 257, 65537 Primzahlen sind; die iibrigen
Zahlen sind zusammengesetzt ; insbesondere haben die zwei letzten
Werte fur n beziehungsweise die Faktoren 114689 und 167772161.
Es lasst sich also der Kreis in 257 oder 65537 gleiche Teile teilen,
dadurch dass man beziiglich 7 oder 15 quadratische Gleichungen auf-
lost, was durch Konstruktion elementargeometrisch moglich ist.
Beachtet man die Zerlegungen:
255= 28— 1 = (24 — 1) (24-f 1)= 15. 17, 256 = 28,
65535 = 216 — 1 = (28 - 1) (28 + 1) = 255 . 257, 65536 = 218,
so ist ersichtlich, dass der Kreis elementargeometrisch, d. h. nur unter
Anwendung des Zirkels und Lineals, in
255, 256, 257; 65535, 65536, 65537
gleiche Teile geteilt werden kann. Unmittelbar lasst sich diese Reihe
nicht fortsetzen, da n =. 232 -J- 1 keine Primzahl ist.
Die Moglichkeit der elementargeometrischen Konstruktion des
regularen 65535-Ecks erhellt aus folgender Zerlegung:
65 535 = 255 . 257 = 15.17. 257.
Ist nun der Kreisumfang gleich 1 gesetzt, so wird
16 IT == T5T> T6TT FF7 == 6663T»
also ist ^^^y des Umfangs durch Ausfiihrung elementar-geometrischer
Operationen bekannt.
Gauss, Werke, II, S. 187.
126 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Nachdem Gauss schon in seiner friihesten wissenschaft-
lichen Arbeit, der Doktordissertation , den ersten seiner Be-
weise fur den wichtigen Satz, dass jede algebraische Gleichung
eine reelle oder komplexe Wurzel hat , gegeben , sprach er
in der grossen zahlentheoretischen Abhandlung von 1801 die
Vermutung aus, dass es unmoglich sein diirfte, allgemeine
Gleichungen von hoherem als dem vierten Grad durch Wurzel-
grossen aufzulosen. Fur diese Vermutung lieferten Euffini
und Abel den strengen Beweis, und diesen Untersuchungen
ist es zu danken, dass die fruchtlosen Bemtihungen, auf al-
gebraischem Weg zur allgemeinen Auflosung der Gleichungen
zu gelaugen, ein Ende erreichten. Dafiir trat die von Abel
formulierte Frage in den Vordergrund : » Welches sind die
Gleichungen gegeben en Grads, diesich algebraisch losen lassen?«
Eine solche Gruppe von Gleichungen bilden eben die
Gauss'schcn Kreisteilungsgleichungen. Aber Abel
gelangte zu einer wichtigen Veraligemeinerung durch den Satz,
dass eine irreducible Gleichung immer dann durch Radikale
losbar ist, wenn von zwei Wurzeln derselben die eine sich ra-
tional durch die andere ausdriicken lasst, wofern gleichzeitig
der Grad der Gleichung eine Primzahl ist; wenn letzteres
nicht der Fall ist , so kommt die Auflosung auf die Losung
von Gleichungen niedrigeren Grades zuriick.
In diesen Abel'schen Gleichungen ist also eine wei-
tere grosse Gruppe von algebraisch losbaren Gleichungen
irgend eines Grades abgegrenzt. Aber die Frage nach den
notwendigen und hinreichenden Bedingungen fur die algebra-
ische Lb'sbarkeit einer Gleichung fand ihre Beantwortung erst
durch den jugendlichen Galois, dessen Untersuchungen in
dem Satze gipfeln : »Ist der Grad einer irreducibeln Gleichung
eine Primzahl, so ist diese Gleichung uriter alleiniger An-
wendung von Wurzelgrossen losbar, sobald die Wurzeln
dieser Gleichung aus zwei gegebenen unter ihnen sich ra-
tional herleiten lassen.«
Dritte Period e. Substitutionentheorie. 127
Abels Untersuchungen fallen zwischen 1824 und 1829,
diejenigen von Galois in die Jahre 1830 und 1831. Ihre
fundamental Bedeutung fur alle weiteren Arbeiten in diesem
Gebiete 1st unbestrittene Thatsache; allein die Frage nach
dem allgemeinen Typus der algebraisch losbaren Gleichungen
harrt noch ihrer Beantwortung *).
Galois, welcher sich auch um die Theorie der in der Lehre
von den elliptischen Funktionen auftretenden Modularglei-
chungen besondere Verdienste erworben hat, fiihrte den BegrifF
einer Gruppe von Substitution en79) ein. Die Wichtig-
keit dieser Neuernng und ihre Ausbildung zu einer form-
lichen Substitutionentheorie, wie sie Cauchy als erster
in den »Exercices d'analyse etc.«, wo er von »Systemen kon-
jugierter Substitution en « spricht, gegeben hat, wurde durch
geometrische Betrachtungen wesentlich gefordert. Das erste
Beispiel hiefur lieferte Hesse 80) durch seine Untersuchung
fiber die neun Wendepunkte der Kurve dritter Ordnung. Die
Gleichung neunten Grads, von welcher sie abhangen, gehort
zur Klasse der algebraisch losbaren, und zwar besteht zwischen
je zweien von den Wurzeln und einer durch sie bestimmten
dritten eine algebraische Relation als Ausdruck der geome-
trischen Thatsache, dass die neun Wendepunkte zwolfrnal zu
je dreien in einer Geraden liegen. Fiir die Ausbildung der
Substitutionentheorie haben in neuerer Zeitbesonders-STrowec&er,
Klein, Noefher, Hermite, Jordan, Capelli, Sylow gewirkt.
An den vielfachen Bestrebungen , die Gleichung
fun ft en Grads zu losen, haben sich die meisten Algebra-
iker der neueren Zeit beteiligt. Ehe die Unmoglichkeit der
algebraischen Losung bekannt war , hatte Jacobi schon
im Alter von 16 Jahren einen Versuch in dieser Richtung
unternommen ; aber ein wesentlicher Fortschritt war erst von
Abhandlungen von Abel und Galois, deutsch von Maser.
128 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
der Zeit an zu verzeichnen, als man die Auflosung der Glei-
chung fiinften Grads mit der Lehre von den elliptischen
Funktionen in Verbindung setzte67). Mit Hilfe von Trans-
formationen, wie sie einerseits von TscMrnhaus, andererseits
von E. S. Bring (1786) angegeben worden sind, kann man
es err-eichen, dass die Wurzeln der Gleicbung fiinften Grads
nur von einer einzigen Grosse abh'angig erscbeinen, dass also
der Gleichung nacb Hermite die Form t6 — t — A = 0 bei-
gelegt werden kann. Durcb Riemann'sche Methoden wird
die Abhangigkeit der Wurzeln dieser Gleichung von dem
Parameter A veranscbaulicbt ; andererseits ist es moglich,
durch Potenzreiben diese fiinf Wurzelwerte mit beliebigem
Grad der Annaherung zu berechnen. Im Jahr 1858 losten
Hermite und Kronecker die Gleicbung funften Grads durcb
elliptiscbe Funktionen, aber obne Beziebung zur algebraischen
Theorie dieser Gleicbung, wabrend Klein zu einer moglicbst
einfacben Losung durcb transcendente Funktionen unter Be-
nutzung der Theorie des IJcosaeders gelangte.
So ist also die Auflosung von allgemeinen Gleichungen nten
Grads fiir n >> 4 durch transcendente Funktionen moglich geworden,
und die hiebei vorkommenden Operationen sind folgende *) : Auflosung
von Gleichungen niedrigeren Grads; Losung von linearen Differential -
gleichungen mit bekannten singularen Punkten; Bestiminung der
Integrationskonstanten durch JBerechnung von Periodicitatsmoduln
hyperelliptischer Integrale, fiir welche die Verzweigungspunkte der
zu integrierenden Funktion bekannt sind ; endlich die Berechnung von
Thetafunktionen mehrerer Veranderlichen fiir besondere Werte der
Argumente.
Die Durchfuhrung der zur vollstandigen Losung einer
algebraischen Gleichung fuhrenden Methoden ist in vielen
Fallen zeitraubend und muhsam ; deswegen besitzen die
Anweisungen zur genaherten Bestimmung reeller
Wurzelwerte eine nicht zu unterschatzende Bedeutung,
*) L i n d e m a n n , s. Fortschritte 1884.
Dritte Periode. Beterminanten. 129
namentlicli soweit sich dieselben auf transcendente Gleichungen
ansdehnen lassen. Die allgemeinste Naherungs-
m et h o d e 1st die von Newton (an Barrow 1669 mitgeteilt),
zu welcher anch Halley und Raphson auf anderem Wege
gelangten77). Fur die Losung von Gleichungen dritten und
vierten Grads sind besonders jene Naherungsmethoden geeignet,
welche Johann Bernoulli in den »Lectiones calculi integralis«
ausgefuhrt hat. Weitere Naherungsmethoden riihren von
Daniel Bernoulli, Taylor, Thomas Simpson, Lagrange, Le-
gendre und anderen her.
Auch auf graphischem oder mechanische ra Wege konnen
Verschwindungswerte einer Gleichung angenahert bestimmt werden.
C. V. Boys*) beniitzt hiezu eine Maschine, die aus einem System von
Hebeln mit Wagschalen besteht; Cunyngham*} eine kubische Parabel
mit einer Tangentenskala auf einem Lineal; C. Reuschle**) eine Hy-
perbeltafel mit zugehoriger Gelatine-Tafel , so dass die Wurzelwerte
als Schnitt einer Hyperbel und Parabel abgelesen werden konnen.
Derartige Methoden, namentlich fur Gleichungen dritten und vierten
Grads berechnet, riihren noch her von Bartl, JR. Hoppe und OeJcing-
Zur Auflosung der Gleichungen war im 17. Jahrhundert
ein Algorithmus erfunden worden, der sich seitdem in alien
Gebieten der Mathematik das Heimatrecht erworben hat -
der Algorithmus der Determinanten. Die erste Anre-
gung zur Rechnung mit den gesetzmassig gebildeten Aggre-
gaten, die man jetzt nach dem Vorgang von Caudiy Deter-
minanten nennt, ist im Jahr 1693 von Leibniz gegeben
worden 4aJ. Er bentitzte die von ihm der Hauptsache nach
schon in der Form
an, ai2, . ... am
(Z21, &22, .... ttzn
*) Nature XXXIII, 166. — **) 0. Boklen, Math. Mitteilungen,
1886, S. 102. — f) Fortschritte 1883; 1884.
Fink, Gescli. der Elementarmathematik. 9
130 HI. Allgemeine Arithinetik und Algebra.
aufgestellten Aggregate zur Bildung der Resultante von n
linearen Gleichungen mit n—\ Unbekannten und von zwei
algebraischen Gleichungen mit einer Variabeln. Als zweiter
Erfinder gilt Cramer (1750), weil er anfing, ein System der
Rechnung mit Determinanten auszuarbeiten. Weitere Satze
riihren her von Bezout, Vandermonde, Laplace und Lagrange.
Einen wesentlichenFortschritt bewirkten Gauss' »Disquisitiones
arithmeticae«, welche Cauchy zu vielen neuen Betrachtungen
Veranlassung gaben, so nanientlich zur Entwicklung des allge-
meinen Gesetzes uber die Multiplikation zweier Determinanten.
Jacobi leistete vermoge seiner »Meisterschaft in der
Technik« auch fur die Determinantenlehre hervorragendes,
indem er eine ausgebildete Theorie der Ausdrucke schuf,
welche von ihm als »Funktionaldeterminanten« bezeichnet
wurden. Die Analogic dieser Determinanten mit den Differential-
quotienten fuhrte ihn zu dem allgemeinen »Prinzip des letzten
Multiplikators«, der bei fast alien Integrationsproblemen eine
Rolle spiel t26). Von Hesse wurden besonders eingehend sym-
metrische Determinanten betrachtet , deren Elemente lineare
Funktionen der Koordinaten eines geometrischen Gebildes sind.
Er beobachtete ihr Verhalten bei linearer Transformation der
Variabeln und ihre Beziehungen zu solchen Determinanten,
welche durch eine einzige Randerung aus ihnen hervorgehen 80).
Spatere Abhandlungen riihren her von Cayley uber schiefe
Determinanten, von Nachreiner und S. GuntJier uber Bezieh-
ungen zwischen Determinanten und Kettenbrachen.
Eine der grossartigsten neuen Erscheinungen dieser
Periode bildet das Auftreten der Differentialrechnung.
Die vorbereitenden Ideen dieser Erfindung treten in deutlichen
Umrissen zuerst bei Cavalieri auf71), der in dem Werke
»Methodus indivisibilium« eine Raumgrosse als Summe von
unendlich vielen einfachsten Raumgrossen der nachst niederen
Dimension, z. B. ein en Korper als Summe von unendlich
Dritte Periode. Differentialrechnung. 131
vielen Ebenen betrachten lehrt. Das Missliclie dieser Auffassung
wurde von dem Erfinder der Methode wohl gefuhlt, aber erst
von Pascal, der eine Flache aus unendlich vielen, unendlich
schmalen Rechtecken zusammensetzt, von Fermat und Eoberval
verbessert ; nur stellte sich bei alien Yerfahrungsweisen der
Uebelstand heraus, dass man die auftretenden Reihen selten
zu summieren vermocnte. Von Keppler war die Bemerkung
gemacht worden, dass sich eine Funktion in der Nahe eines
grossten oder kleinsten Werts nur sehr wenig andern kann.
Aus diesem Gedanken leitete Fermat ein Verfahren her , um
das Maximum oder Minimum einer Funktion zu bestimmen.
Eoberval behandelte die Aufgabe, an eine Kurve eine Tan-
gente zu legen , und forderte sie dadurch , dass er (1640)
die krumme Linie durch Zusammensetzung zweier Bewegungen
erzeugte und zur Konstruktion der Tangente das Parallelo-
gramm der Geschwindigkeiten anwandte. Barrow, der Lehrer
Newton's, benutzte diese Vorarbeiten mit Beriicksichtigung
der Descartes' schen Koordinatengeornetrie. Als Geschwindig-
keitsparallelogramm wahlte er das Rechteck, und zugleich
fuhrte er wie Fermat unendlich kleine Grossen als Zuwachse
der abhangigen und unabhangigen Veranderlichen mit beson-
deren Zeichen ein. Auch gab er die Regel, dass unbeschadet
der Richtigkeit einer Rechnung die hoheren Potenzen unendlich
kleiner Grossen gegen die erste Potenz derselben vernachlassigt
werden diirfen. Mit Bruchen und Wurzelausdriicken unendlich
kleiner Grossen vermochte aber Barrow nicht zu rechnen ; er
musste darauf Bedacht nehmen, sie durch Umformung zu ent-
fernen. Wie seine Vorganger, war Barrow nur in den einfacheren
Fallen imstande, den Wert eines Quotienten zweier unendlich
kleiner Grossen oder einer Summe von unendlich vielen solcher
Grossen zu bestimmen. Die allgemeine Losung derartiger
Fragen erfolgte durch Leibniz und Newton, die Begriinder
der Dif f er en tialr echnung.
Leibniz gab zunachst fur die in ihren ersten Anfangen
9*
132 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
schon eingefiihrte Rechnung mit unendlich kleinen Grossen
weitere Beispiele und Regeln fur zusammengesetztere Falle.
Durch Summierung nach alter Weise 3 1) fand er die einfachsten
Satze der Integralrechnung, welche er unter Anwendung eines
langgezogenen S als Summenzeichen folgendermassen schrieb :
Aus der Thatsache, dass das Suinmenzeichen J die Dimension
erhoht , zog er den Schluss , dass durcli Differenzenbildung
die Dimension erniedrigt werden mtisse, dass also, wie er in
einem Manuscript vom 29. Oktober 1675 schreibt,
aus I I — ya sofort I = ^a folge.
•7 d
Leibniz priifte die Kraft seiner neuen Betrachtungsweisen
an geometrischen Problemen; er suchte beispielsweise die
Kurve zu bestimmen , fur welche »die Abschnitte der Axe
bis zu den Fusspunkten der Normalen sich wie die Ordinaten
verhalten«. Hiebei Hess er die Abscissen x in arithmetischer
Reihe fortschreiten und bezeichnete die konstante Diffe-
/V|
renz der Abscissen anfangs mit ,, spater mit dx ^ ohne
(A
sich tiber die Bedeutung seiner Bezeichnung ausfuhrlicher
auszusprechen. Im Jahr 1676 hatte Leibniz sein neues
Rechnungsverfahren so weit gefordert, dass er imstande war,
geometrische Aufgaben, welche durch andere Methoden nicht
bezwungen werden konnten, zu losen. Erst 1686 jedoch ver-
oflfentlichte er einiges iiber seine Methoden , deren grosse
Tragweite von Jakob Bernoulli sofort erkannt und verwertet
wurde.
Was Leibniz bei der Ausfiihrung seiner Methoden zu er-
klaren unterlassen hatte, nemlich was man sich unter seinen
Dritte Periode. Differentialrechnung. 133
unendlicb kleinen Grossen vorzustellen habe, findet sich
bei Newton klar ausgesprochen, und das sichert ihm in dieser
Hinsicht eine theoretische Ueberlegenheit. Von einem Quo-
tienten zweier unendlich kleinen Grossen spricht Newton als von
einem Gr enzwert71), welchem sich das Verhaltnis der ver-
schwindenden Grossen nahert, je kleiner diese werden. Aehn-
liches gilt fur eine Summe von unendlich vielen solcher Grossen.
Zur Bestimmung des Grenzwertes ersann Newton einen beson-
deren Algorithmus , die Fluxionsrechnung, welche mit
Leibnizens Differentialrechnung wesentlich identisch ist. Bei
Newton kommt die Veranderung der Variabeln durch ein
Fliessen zustande; er sucht die Geschwindigkeit zu be-
stimmen, mit welcher sich die Funktion "andert, wenn die
Aenderung an der Variabeln eine gegebene Geschwindigkeit
besitzt. Diese Geschwindigkeiten heissen Fluxionen und
werden mit x , y , e (statt wie bei Leibniz mit dx, dy, dz)
bezeichnet22); die Grossen selbst sind die Flu en ten, und
die Fluxionsrechnung bestimmt also zu gegebenen Bewegungen
die Geschwindigkeiten, oder sie sucht umgekehrt die Bewe-
gungen zu finden, wenn das Gesetz ihrer Geschwindigkeiten
bekannt ist. Die hierauf beziigliche Schrift Newton's wurde
1671 als »Methodus fluxionum« vollendet, aber erst nach
seinem Tod im Jahr 1736 herausgegeben. Den Begriff der
Fluxion hat Newton einer Arbeit Napier's entlehnt22).
Nach der Ansicht von Gauss11) hat sich Newton viel
grb'ssere Verdienste erworben als Leibniz, dem er zwar hohes
Talent zuspricht, das sich aber allzusehr zersplittert habe.
Es scheint, dass dieses Urteil nach beiden Seiten hin nicht
ganz den wirklichen Verhaltnissen entspricht. Leibniz lasst
es an der gentigenden Beleuchtung gerade desjenigen Vor-
gangs fehlen, welcher Newton zu einer seiner wichtigsten
Neuerungen, zum Begriff der Grenze gefuhrt hat. Da-
gegen ist Newton in der rein analytischen Begriindung und
Durchfuhrung seiner Fluxionslehre nicht imnier ganz klar,
134 HI Allgemeine Arithmetik und Algebra.
wahrend Leibniz sicli durch Einfuhrung der selir angemessenen
Bezeichnungen J" und dx, sowie durch Aufstellung der Regeln,
wie mit diesen Zeichen zu operieren ist , ein Hauptverdienst
erworben hat. »Heute dfirfte die Meinung feststehen , dass
die D iifer en tial- und Integralrechnung von Newton und Leibnitz
unabhangig gefunden worden ist; dass Netvton ohne Zweifel
der erste Erfinder ist, dass Leibniz seinerseits selbstandig
diese Rechnungsart entdeckte, angeregt durch die von Newton
ihm mitgeteilten Resultate, aber ohne von Newtons Methoden
etwas zu wissen , und dass endlich Leibniz die Prioritat der
ersten Veroffentlichung hat71).«
Der systematische Ausbau der neuen Rechnungsweise
machte ein Eingehen auf den Begriff des Unendlichen not-
wendig. Allerdings sind fiir die Naturerklarung die For-
schungen fiber das Unmessbargrosse nur mussiger Natur *),
wahrend es sich mit den Fragen fiber das Unmessbarkleine
ganz anders verhalt. — Das Unendlichkleine62) erscheint
bei Keppler, [ebenso bei Cavalieri und Wallis unter schwan-
kender Form , der Hauptsache riach als »unendlich kleiner
Nullwert«, d. h. als eine Grosse, welche kleiner ist als jede
gegebene Grosse, und welche die Grenze einer gewissen end-
lichen Grosse bildet. Systematisch ffihren in dieser Richtung
Euler's »indivisibilia« weiter. — Mit »Unbegrenztkleinem« ope-
rieren Fermat, Boberval, Pascal, insbesondere aber Leibniz
und Newton, doch so, dass haufig eine abgektirzte Redeweise
den wahren Sinn der Entwicklung verdeckt oder wenigstens
verdunkelt. Bei JoJiann Bernoulli, cle Lhospital, Poisson
erscheint das Unendlichkleine als eine von Null verschiedene
Grosse, welche doch kleiner als jeder angebbare Wert werden
muss, d. h. als »pseudo-unendlichklein«. — Lagrange 71) hat den
Versuch gemacht, durch Aufstellung von Derivationen, welche
freilich im Grunde mit Netvton's Fluxionen identisch sind,
*) Riemann, Werke, S. 267.
Dritte Periode. Integralrechnung. 135
das Unendlichkleine ganz zu vermeiden, aber seine Ausfiih-
rungen haben nur dazu gedient, das Bediirfnis nach einer
tieferen Begriindung der Theorie des Unendlichkleinen,
welcher Taquet und Pascal im 17., Madaurin und Carnot
im 18. Jahrhundert vorgearbeitet hatten , immer dringender
hervortreten zu lassen. Diese Begriindung verdankt man den
Untersuchungen Cauchy's; durch sie wurde in klarer Weise
der Sinn von Satzen festgestellt , welche den Ausdruck »un-
endlicliklein« enthalten, und damit war eine sichere Grund-
lage fiir die Differentialrechnung geschaffen.
Die Integralrechnung wurde zunachst durch Cotes
weitergefiihrt, der rationale algebraische Funktionen zu inte-
grieren lehrte. Legendre besch'aftigte sich mit der Integration
von Reihen, Gauss mit der angenaherten Bestimmung von
Integralen, Jacobi mit der Reduktion und Auswertung viel-
facher Integrate. — Allgemeines uber bestiramte Inte-
grale hat man besonders Dirichlet zu verdanken, der in
semen Yorlesungen diese Theorie mit grosser Vorliebe be-
handelte 63) , die zerstreuten Resultate derselben in ein zu-
sammenhangendes Ganzes verschmolz und durch eine neue
eigenartige Integrationsmethode bereicherte. Die Einfuhrung
eines diskontinuierlichen Faktors gestattete ihm, fiir die ge-
gebenen Grenzen der Integrationen andere, weitere, namentlich
auch unendlich weite Grenzen einzufuhren, ohne dadurch
den Wert des Integrals zu andern. — Durch die neueren
Untersuchungen ist das Integral ein Mittel geworden , das
dazu dienen kann, Funktionen zu definieren oder neue Funk-
tionen zu erzeugen.
Im Gebiet der Differ en tialgleichung en reichen
die nennenswerten Arbeiten zuruck auf Eiccati. Das Ver-
dienst desselben bestand hauptsachlich darin, Newton 'sche
Philosophic in Italien eingefiihrt zu haben, Eiccati inte-
136 IIT. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
grierte die nach ihm benannte Differentialgleichung in be-
sonderen Fallen und diskutierte die Frage nach der Mog-
lichkeit der Erniedrigung der Ordnung einer gegebenen
Differentialgleichung. Daniel Bernoulli gab eine vollstandige
Losung von Riccati's Gleichung. Auch Trembley leistete
Beitrage zur Entwicklung der Lehre von den Differential-
gleichungen. Eine ausfiihrliche wissenschaftliche Behandlung
erfuhr diese Lehre aber erst durch Lagrange , namentlich so
weit dies die partiellen Differentialgleichungen betrifft, von
denen D'Alembert und Euler die Gleichung
d*u d2u
dt* dx2
behandelt hatten. Auch Laplace schrieb fiber diese Differential-
gleichung, ausserdem noch uber die Reduktion der Losung
linearer Differentialgleichungen auf bestimmte Integrale.
Auf deutschem Boden hatte der mit Gauss befreundete
J. F. PJaff, nachst Gauss der bedeutendste deutsche Mathe-
matiker jener Zeit, feinsinnige Untersuchungen fiber Differen-
tialgleichungen angestellt 12) , welche fiir Jacobi den An] ass
zur Einfiihrung des Namens »Pfqff*sches Problem « bildeten.
Pfaff fand auf einem eigenttinilichen Wege die allgemeine
Integration der partiellen Differentialgleichungen des ersten
Grads fiir eine beliebige Anzahl von veranderlichen Grossen.
Ankniipfend an die Lehre von den gewohnlichen Differential-
gleichungen ersten Grads init n Variabeln, fiir welche in
besonders einfachen Fallen Integrationen von Monge herriihren,
gibt P/o^zun'achst deren allgemeine Integration und betrachtet
dann die Integration der partiellen Differentialgleichungen
als besonderen Fall von jener, wobei allerdings die allgemeine
Integration der Differentialgleichungen jeden Grads zwischen
zwei Variabeln als bekannt vorausgesetzt wird *). - — Auch Jacobi
*) Gauss, Werke III, 232.
Dritte Periode. Differentialgleichungen. 137
forderte die Theorie der Differentialgleichungen erster Ordnung.
Es handelte sich darum, unbekannte Funktionen 20) so zu be-
stimmen , dass ein Integral, welches diese Funktionen und
deren Differentialquotienten auf vorgeschriebene Weise ent-
halt, ein Maximum oder Minimum erreiche. Die Bedingung
hiefiir bildet das Verschwinden der ersten Variation des In-
tegrals, was wieder seinen Ausdruck in Differentialgleichungen
findet, aus welchen sich die unbekannten Funktionen be-
stimmen. Urn aber entscheiden zu konnen, ob ein wirkliches
Maximum oder Minimum eintritt, ist es notig, die zweite
Variation auf eine zur Untersuchung ihres Zeichens geeignete
Form zu bringen. Dies fiihrt auf neue Differentialgleichungen,
welche Lagrange nicht zu losen vermochte , von denen aber
Jacobi imstande war zu zeigen, dass ihre Integration aus der
Integration der zur ersten Variation gehorigen Differential-
gleichungen abgeleitet werden kann. Jacobi hatte den be-
sonderen Fall eines einfachen Integrals mit einer unbekannten
Funktion untersucht; seine Angaben sind von Hesse voll-
standig bewiesen worden. Die allgemeine Untersuchung der
zweiten Variation unternahm Clebsck, und ihm gelang es
sogar fur den Fall vielfacher Integrale zu zeigen, dass zur
Reduktion der zweiten Variation neue Integrale nicht erfor-
derlich sind. Clebsch forderte auch, einigen Andeutungen
Jacobus folgend, die Losung des Pfaffschen Problems, indem
er es auf Systeme gleichzeitiger linearer partieller Diffe-
rentialgleichungen zuriickfuhrte , deren Angabe ohne Inte-
gration moglich ist. Von anderen Untersuchungen ist eine
der wichtigsten die Aufstellung der Gleichung
auf welche ftirichlet bei seinen Arbeiten uber das Potential
gestossen war. Die neueren Jntersuchungen uber Differen-
tialgleichungen, besonders dber lineare, von Fuchs, Klein
138 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
und Point-Care stehen in enger Beziehung zur Funktionen-
und Gruppentheorie, sowie zur Theorie der Gleichungen und
der Reihen.
Kurze Zeit nach der Entdeckung der Differential- und
Integralrechnung , nemlicli im Jahr 1696 , legte Johann
Bernoulli*) den Mathematikern seiner Zeit eine Aufgabe
der Variationsrechnung vor: es sollte diejenige Kurve
gezogen werden, auf welcher ein Korper voni gegebenen
Punkt A zu einem andern gegebenen Punkt B in der kiir-
zesterf Zeit fallt ; es war also eine Funktion zu finden, deren
Integral ein Minimum wird. Die Anregung zu dieser Auf-
gabe hatte die Optik geliefert. Huijgens hatte die Wellen-
theorie des Lichts entwickelt und Joliann Bernoulli unter
bestimmten Voraussetzungen die Different! algleichung der
Balm des Lichtstrahls gefunden. Fur eine solcbe Bewegung
suchte er nach einem andern Beispiel und kam auf die Cy-
kloide als Brachistochrone , d. h. auf die obige Fassung der
Aufgabe, fiir welche bis Ostern 1697 Losungen von dem
Marquis de I' Hospital , von Tscliirnhaus , Newton , Jakob
Bernoulli und Leibniz eingingen. Nur die beiden letzteren haben
das Theorem als Maximal- und Minimal-Aufgabe behandelt.
Die Methode Jakob Bernoulli's blieb bis auf Lagrange zur
Behandlung ahnlicher Falle die herrschende. Als eigent-
licher Begriinder der Variationsrech'nung ist demnach Jakob
Bernoulli anzusehen. — In jener Zeit }) nannte man alle Auf-
gaben, welche die Aufstellung einer Maximal- oder Minimal-
eigenschaft von Funktionen verlangten, isoperimetrische
Problem e. Zu den altesten Aufgaben der genannten Art
gehorten nemlich solche, bei denen aus einer Klasse von
Kurven gleichen Umfangs eine mit einer Maximal- oder
Minimaleigenschaft ausgeschieden werden sollte. Dass der
*) Reiff, s. Math. Mitteilungen vonBoklen; 1887, S. 90,
Dritte Periocle. Variationsrechnung. 139
i
Kreis unter alien isoperitnetrischen Figuren ein Maximum
der eingeschlossenen Flache gibt, soil sclion Pythagoras ge-
wusst haben. Bei Pappus findet sich eine Reihe von Satzen
uber Figuren gleichen Umfangs. Auch im 14. Jahrhundert
batten sich italieniscbe Matbematiker mit Fragen dieser Art
beschaftigt. Zur Ausbildung einer Wissenscbaft aber fiihrten
erst die analytisch-geometriscben Losungen des isoperimetri-
scben Problems, wie solche von Jakob Bernoulli zuerst, dann
spater auch von Brook Taylor (1717) und von Colin Ma-
claurm .(1742) berstammen. — Eider untersucbte bei der
Bebandlung desselben Problems zunacbst in der Weise Jakob
Bernoulli's, kam aber, nacbdem er sicb acbt Jahre mit dem
Gegenstand beschaftigt batte, durch eine rein analytiscbe
Methode 1744 (in seinem beriibmten Werk : »Metbodus in-
veniendi lineas curvas« etc.) zu einer neuen und allgemeinen
Losung, welcbe zeigt, wie man aus der Variation einer
Kurvenordinate diejenige der Funktion ableiten kann, welche
einen grb'ssten oder kleinsten Wert annebmen soil. — Den
letzten wesentlicben Schritt von der punktweisen Variation
Euler's und seiner Vorganger zur gleicbzeitigen Variation
aller Ordinaten der gesucbten Kurve unter der Annahme
variabler Grenzen des Integrals that Lagrange (»Essai d'une
nouvelle methode« etc. 1760 und 1761). Seine Methoden,
die sich als etwas neues schon ausserlich durcb Einfuhrung
des 6 fur die Aenderung der Funktion kennzeichneten, fanden
spater Aufnahme in Euler's Integralrechnung. Seitdem bat
die Variationsrechnung zur Losung von Aufgaben der Kriim-
mungstheorie schatzenswerte Dienste geleistet.
Die Anfange einer eigentlichen Funktionentbeorie,
vor allem die der elliptischen und AbeVschen Funktionen,
fuhren auf Fagnano, Maclaurin, d'Alembert und Landen zurtick.
Es wurden Integrale algebraischer Irrationalitaten behandelt,
namentlich solche von Quadratwurzeln aus Polynomen dritten
140 HI- Allgemeine Arithmetik und Algebra.
und vierten Grads; aber keine dieser Arbeiten lasst ahnen,
dass man es hier mit den Anfangen einer die gesamte Al-
gebra beherrschenden Disciplin zu thun hat 60). Bestimmtere
Gestaltung nehmen die sich entwickelnden Ideen unter den
Handen Euler's und Legendre's an. Nachdem lange Zeit die
Kreisfunktionen (sin x, cos a?, . . .), ferner der Logarithmus,
insbesondere fur analytische Zwecke der hyperbolische Lo-
garithmus mit der Basis e und als darin eingeschlossen die
Exponentialfunktion ex die einzigen bekannten transcendenten
Funktionen gewesen waren, suchte man einerseits besondere
transcendente Funktionen grundlich zu studieren — dies ge-
schah durch Legendre, Jacobi und Abel ; - - andererseits die
allgemeine Theorie der Funktionen einer imaginaren Variabeln
auszubilden , und auf diesem Gebiet erzielten Gauss, Cauctiy
Dirichlet, Eiemann, Liouville, Fucks, Weierstrass besondere
Erfolge.
Die ersten Anzeich en einer Beschaftigung mit den ellip-
tischen Funktionen kniipfen sich an die Bestimmung
des Lemniskatenbogens, wie sie namentlich in der Mitte des
18. Jahrhunderts versucht wurde. Dabei machte Fagnano
die Entdeckung, dass zwischen den Grenzen zweier den Kurven-
bogen ausdriickenden Integrale, deren eines den doppelten
Wert des andern hat, eine algebraische Beziehung einfacher
Natur stattfindet. Es konnte dadurch der Lemniskatenbogen,
obwohl eine Transcendente hoherer Art, wie ein Kreisbogen
durch geometrische Konstruktion verdoppelt oder halbiert
werden 26). Die Erklarung dieser merkwiirdigen Erscheinuug
gab Euler. Er stellte ein allgemeineres Integral auf als Fag-
nano (das sogenannte elliptische Integral erster Gattung),
und zeigte, dass zwei solche Integrale in ein drittes der-
selben Art vereinigt werden konnen, so dass zwischen den
Grenzen dieser Integrale eine einfache algebraische Beziehung
stattfindet, ahnlich wie der Sinus der Summe zweier Bogen
aus den gleichnamigen Funktionen der einzelnen Bogen al-
Dritte Periode. Elliptische Funkiionen. 141
gebraisch zusammengesetzt werden kann (Additionstheorem).
Nur hangt das elliptische Integral nicht bloss von der Grenze,
sondern noch von einer andern zur Funktion gehorigen Grosse,
deni Mo d ul ab. Wahrend Euler nur Integrate mit gleichem
Modnl in Beziehung setzte, betrachteten Landen und Lagrange
solche mit verschiedenen Moduln, indem sie zeigten, dass es
moglich ist, durch eine einfache algebraische Substitution ein
elliptisches Integral in ein anderes derselben Gattung zu ver-
wandeln. Immerhin aber ist die Aufstellung des Additions-
theorems ein mindestens ebenso hobes Verdienst Euler's wie
seine Umgestaltung der Theorie der Kreisfunktionen durcb
die Einfiihrung der imaginaren Exponentialgrossen.
Die Entstehung 1 8a) der eigentlicben Theorie der ellip-
tischen Funktionen und der Thetafunktionen fallt zwi-
schen 1811 und 1829. Von Legendre riihren zwei systematische
Werke her, die »Exercices de calcul integral*, 1811-1816,
und die Jacobi und Abel nicht bekannte » Theorie des fonctions
elliptiquesc, 1825—1828. Jacobi veroffentlichte 1829 die
»Fundamenta nova theoriae Functionum Ellipticarum«, deren
Resultate zum Teil gleichzeitig von Abel gefunden worden
waren. Legendre hatte erkannt, dass es sich bei derartigen
Untersnchungen um ein en neuen Zweig der Analysis handle
und er setzte Jahrzehnte ernster Arbeit daran, ihn zur
Entfaltung zu bringen. Ausgehend von dem Integral, das
von einer Quadratwurzel vierten Grads in go abh'angt, be-
merkte Legendre, dass solche Integrale sich auf kanonische
Formen zuruckfuhren lassen. Fur das Radikal wurde
gesetzt, und die drei wesentlich verschiedenen Gattungen der
elliptischen Integrale waren F (cp), E (cp) und TU (9) ; sie hangen
ab von der Amplitude cp und dem Modul k, das letzte
ausserdem noch von einem Parameter n.
142 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
Trotz der schonen Untersuchungen Legendre's iiber
elliptische Integrale bot ihre Theorie docli noch mehrere
ratselhafte Erscheinungen dar. Man hatte bemerkt , dass
der Grad der die Teilung des elliptisclien Integrals be-
dingenden Gleichung nicht der Anzalil der Teile wie in der
Kreisteilung, sondern dem Quadrat derselben gleich ist. Die
Losung dieser und ahnlicher Fragen blieb Jacobi und Abel
vorbehalten. Von den vielen fruchtbringenden Ideen dieser
zwei hervorragenden Mathematiker sind es namentlich zwei,
welche, beiden angehorend, in besonderer Weise die beruhrte
Theorie gefordert baben.
Erstlich bemerkten Abel und Jacobi unabhangig von
einander, dass es nicht zweckmassig sei, das elliptische Inte-
gral erster Gattung als Funktion seiner Grenze zu untersuchen,
wie es seitdem geschehen war, sondern dass man die Betrach-
tungsweise umkehren miisse , und die Grenze als Funktion
zweier von ihr abhangenden Grossen einzufiihren habe. Anders
ausgedruckt : Abel und Jacobi fiihrten statt der inversen die
direkten Funktionen ein. Abel nannte sie <];, /, F, und Jacobi
sin am, cos am, A am, oder wie man auch wohl schreibt
sn, en, dn.
Ein zweiter erfinderischer Gedanke, der sowohl Jacobi
als Abel angehort, ist die Einfuhrung des Imagi-
naren in diese Theorie. Wie Jacobi selbst versicherte,
war es gerade diese Neuerung, welche die Losung der Ratsel
einer friiheren Theorie ermoglichte. Es stellte sich heraus,
dass die neuen Funktionen an der Natur der trigonometrischen
Funktionen und der Exponentialfunktionen Teii haben. Wah-
rend die einen nur fiir reelle, die andern nur fiir imaginare
Werte des Arguments periodisch sind, haben die elliptischen
FunkU©nen zwei Perioden. Es darf wohl bemerkt werden,
I, wie allerdings erst durch AbeVs Arbeiten verstandlich
geworden ist, schon Gauss zu Anfang des 19. Jahrhunderts
das Prinzip der doppelten Periode erkannt hat.
Dritte Periode. Elliptische Funktionen. 143
Von diesen zwei Pundamentalideen ausgehend , batten
Jacobi und Abel, jeder in seiner Art, weitere wichtige Bei-
trage zur Theorie der elliptischen Funktionen geliefert.
Legendre hatte eine Transformation eines elliptischen Inte-
grals in ein Snderes von derselben Form angegeben; eine
zweite~vori ihm aufgefundene Transformation kannte Jacobi
nocb nicht , als dieser nach Ueberwindung bedeutender
Schwierigkeiten zu dem wicbtigen Resultat kam, dass sich
in der Theorie solcher Funktionen eine Multiplikation aus
zwei Transformationen zusammensetzen lasse.
AM hatte sich den Aufgaben zugewendet, welcbe die
Teilung und Multiplikation der elliptischen Integrale betreffen.
Das eingehende Studium der doppelten Periodicitat fiihrte
ihn zu der Entdeckung, dass die allgemeine Teilung des ellip-
tischen Integrals mit beliebiger Grenze immer algebraiscb
moglich ist, sobald die Teilung der vollstandigen Integrale
als geschehen vorausgesetzt wird. Die Losung des Problems
wurde von Abel auf die Lemniskate cjigewendet, und dabei
stellte dich lieraus, dass die Teilung der ganzen Lemniskate
der Kreisteilung vollig analog ist, und in denselben Fallen
wie letztere algebraisch geleistet werden kann.
Eine andere wichtige Entdeckung AbeTs kam dadurch
zustande, dass er in den aus Funktionen mit einfachem Ar-
gument abgeleiteten Formeln fur elliptische Funktionen eines
vielfachen Arguments den Multiplikator unendlich werden
liess. Dadurch entstanden die hochst merkwiirdigen Aus-
driicke, welche elliptische Funktionen durch unendliche Reihen
oder Quotienten unendlich er Produkte darstellen.
Bei seinen Untersuchungen liber die Transformation hatte
Jacobi angenommen, dass die ursprtingliche Veranderliche
durch die neue rational ausdriickbar sei. Abel trat auch in
dieses Gebiet ein . unter der allgemeineren Annahme , dass
zwischen diesen beiden Grossen eine algebraische Gleichung
stattfinde, und das Ergebnis seiner Arbeit war, dass diese
144 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
allgemeinere Aufgabe mit Hilfe des von Jacobi vollstandig
behandelten besondern Problems gelost werden konne.
Aber auch einzelne AbeFsche Untersuchungen erfuhren
Forderungen durch Jacobi's Arbeiten. Abel hatte die Theorie
der allgenaeinen Teilung gegeben, aber die wirkliche Durch-
fiihrung erforderte die Aufstellung gewisser symmetrischer
Wurzelfunktionen , welche nur im besonderen Fall geleistet
werden konnte. Jacobi gab die Losung derselben Aufgabe
so, dass die Bildung der erforderlichen Wurzelfunktionen ohne
weiteres, und zwar einfacher als bei Abel, geschehen konnte.
Als Jacobi dieses Ziel erreicht hatte, stand er schon allein
auf dem weiten Feld des neuen Wissenszweigs, denn Abel
war kurze Zeit vorher im Alter von nur 27 Jaftren ins
Grab gesenkt worden.
Die spateren Leistungen Jacobi s gipfeln in der Einftihrung
der Thetafunktion. Schon Abel hatte die elliptischen
Funktionen als Quotienten unendlicher Produkte dargestellt.
Diese Produkte konnte Jacobi als spezielle Falle einer ein-
zigen Transcendenten darstellen, welche allerdings schon,.
friiher franzosischen Mathematikern bei physikalischen Unter-<7
suchungen aufgestossen, aber von ihnen vernachlassigt worde^v
war. Jacobi erforschte ihre analytische Natur, brachte sie
in Zusammenhang mit den Integralen zweiter und dritter
Gattung und bemerkte insbesondere, dass die Integrate dritter
Gattung, obwohl von drei Elementen abhangig, durch die
nur zwei Elemente enthaltende neue Transcendente dargestellt
joe ' •»***
werden konnen. Die Durchfiihrung dieser Berechnung ^JW
der ganzen Theorie einen hohen Grad von Uebersichtlichk'.
und Klarheit ; es konnten nun die elliptischen Funktionen "
sn, en, dn als gleichnamige Quotienten der Jacobi' schen neuen
Transcendenten 61, 62, 63, @4 dargestellt werden.
Was Abel in der Theorie der elliptischen Funktionen
geleistet hat, ist einehervorragende, jedoch nicht seine grosste
Leistung. Die glanzendsten Erfolge erzielte er in der Theorie
Dritte Periode. Abel's Theorem. 145
der nach ihm benannten AbeVsfiher* F p n k *-i oj^ft n , deren
erste Eutwicklung in die Jahre 1826 — 1832 fallt.
»AbeVsc7ie Theorem « ist von seinem Entdecker in verschie-
denen Formen dargestellt worden; den allgemeinsten Aus-
druck enthalt der nach des Verfassers Tod von der fran-
zosischen Akademie preisgekronte Aufsatz: »Memoire sur
une propriete generale d'une classe tres-ebendue de fonctions
transcendentes« (1826). Seiner Form nach ist es ein Problem
der Integralrechnung ; die Integrale . hangen ab von einer
irrationalen Funktion y, welche mit x durch eine algebraische
Gleichung F(x,y) — 0 verbunden ist. Abel's Fundamentalsatz
sagt aus, dass eine Summe solcher Integrale sich durch eine
bestimmte Anzahl p von ahnlichen Integralen ausdrucken
lasst, wo p nur von den Eigenschaften der Gleichung
F (x,y) = 0 abhangt. (Dieses p ist das Greschlecht der Kurve
F(oc, y) — 0 ; der Begriff des Geschlechts stammt aber erst
aus dem Jahr 1857). Fur den Fall, dass
+ Cx* + Dx + E,
ist, fiihrt das Abel'sche Theorem auf Legendre's Satz fiber die
Summe zweier elliptischen Integrale. Hier ist p — 1. Wird
y =
wo auch A = 0 sein kann, so ist p = 2, und so fort. Fiir
p — 3 oder > 3 sind die hyperelliptischen Integrale nur be-
sondere Falle der AbeUschen Integrale gleicher Klasse.
Nach dem Tode Abel's fuhrte Jacobi diese Betrachtungen
in den » Considerations generales de transcendentibus Abeli-
anis« (1832) weiter und zeigte fur hyperelliptische Integrale
beliebiger Klasse, dass die direkten Funktionen, auf welche
Abel's Satz sich bezieht, nicht Funktionen einer Verander-
lichen sind, wie die elliptischen Funktionen sn, en, dn, son-
dern Funktionen von p Variabeln. — Einzelabhandlungen von
Fink, Gesch. der Elenientarmathoiuatik. 10
146 HI. Allgemeine Arithmetik und Algebra.
wesentlicher Bedeutung fiir den Pall p = 2 haben Eosenham
(1846) und Goepel (1847) zu Verfassern.
Bedeutungsvoll fiir die Entwicklung der ganzen Funk-
tionentheorie sind zwei auf Gauss und Caucliy fussende
Arbeiten Riemann's geworden. Cauchy hatte durch strengere
Methoden und die Einf iih.ru ng der imaginaren Variabeln
»den Grund zu einer wesentlichen Verbesserung und Um-
gestaltung der gesarnten Analysis gelegt« 63). Riemann
baute auf diesem Fundamente weiter und schrieb die »Grund-
lagen fiir eine allgemeine Theorie der Funktionen einer ver-
anderlichen komplexen Grosse« im Jahr 1851, und die » Theorie
der Abel'schen Funktionen «, welche sechs Jahre spater erschien.
Zur Behandlung der AbeTschen Funktionen beniitzt Riemann
vielfache Thetafunktionen, deren Theorie auf die allgemeinen
Principien der Lehre von den Funktionen einer komplexen
Variabeln gegriindet ist. Er geht aus von Integralen algebra-
ischer Funktionen allgemeinster Form und betrachtet deren
inverse Funktionen, d. h. die Abel'schen Funktionen von p
Veranderlichen. Dann wird eine Thetafunktion von p Va-
riabeln definiert als Summe einer p-fach unendlichen Exponen-
tialreihe, deren allgemeines Glied ausser von den p Variabeln
von 3p — 3 wesenttichen Moduln abhangt. So lasst sich
zeigen, dass die Abel'schen Funktionen einen algebraischen
Zusammenhang mit Thetafunktionen geeigneter Argumente
haben.
Auf Grund der Gauss'schen und Abel'schen Arbeiten
sowie der Cauchy 'schen Entwicklungen iiber Integrationen
in der imaginaren Ebene hat sich eine strengere Rich-
tung ausgebildet, welcher Bolzano, Weierstrass, G. Cantor,
Heine, Dedekind, P. Dubois-Reymond, Scheefer, Pringsheim,
Holder, Pincherle und andere angehoren. Diese strengere
Richtung hat ihre Aufgabe namentlich darin gefunden, die
Dritte Periode. Funktionentheorie. 147
Grundlagen der Arithmetikinsbesondere durcli eine neue Ein-
fiihrimg der irrationalen Grossen, die der Funktionentheorie
durch Betrachtungen fiber Stetigkeit und Unstetigkeit, ebenso
die Fundamente der Reihenlehre durch Untersuchungen fiber
Konvergenz und Divergenz zu einwurfsfreien Theorien aufzu-
bauen, sowie der Differentialrechnung durch Aufstellung von
Mittelwertsatzen grossere Scharfe zu verleihen.
Zur Theorie der Thetafunktionen lieferten nach
Riemann besonders Weierstrass, Weber, Nother, W. Stahl,
Frobenius und andere Beitrage.
Nach Riemann hat sich von der Theorie der Abel'scken
Funktionen eine Theorie der algebraischen Funk-
tionen und Punktgruppen auf algebraischen Kurven
abgelost, welche durch Untersuchungen von Brill, Noiher und
Lindemann auf dem Restsatz und dem Riemann- Rock'scken
Satz errichtet wurde, wahrend neuerdings Weber und Dede-
Jcind an die im ersten Anhang zu Dirichlet geschaffene Theorie
der Idealzahlen anschlossen.
Die iiberaus reiche Entwicklung der allgemeinen Funk-
tionentheorie in der jtingsten Vergangenheit hat ihre Friichte
auf den verschiedensten Gebieten mathematischen Wissens
gezeitigt und lasst .unzweifelhaft erkennen, dass sie ein
sicheres Fundament fur die Arbeit der Zukunft geschaffen hat.
10*
148
IV. Geometrie.
A. Ueberblick.
Die altesten Spuren der Geometrie finden sich bei den
Aegyptern und Babyloniern. In dieser erst en
P e r i o d e ist geometrisches Wissen fast ausschliesslich prak-
tischen Zwecken dienstbar. Aus den Kreisen agyptischer und
babylonischer Priester und Weisen wurde die Geometric auf
griechischen Boden verpflanzt. Hier spielt die z w e i t e
P e r i o d e , eine klassische Zeit philosophischer Auffassung
von geometrischen Vorstellungen als Trager einer allgemeinen
Grossenlehre, gekniipft an die Namen eines Pythagoras, Era-
tosthenes, Euklid, Apollonius und Archimedes. Die zwei letz-
teren sind es namentlich, deren Arbeiten nach Richtungen
weisen , welche erst die Neuzeit vollkommen scharf hat er-
kennen lassen. Apollonius gibt in seinen Kegelschnitten das
erste folgenreiche Beispiel einer Geometrie der Lage, wahrend
Archimedes sich meist auf dem Boden der Geometrie des
Masses bewegt.
Kurz war die Glanzperiode griechischer Geometrie, und
doch dauerte es Jahrhunderte lang, bis die geistige Kraft
der grossen Alexandriner sich in ihren Nachfolgern ins Un-
bedeutende verloren hatte. Dann aber kamen mehr als
tausend Jahre einer ziemlich trostlosen Zeit , die sich im
besten Falle darauf beschrankte, bei den Griechen geome-
trisches Wissen zu entlehnen, soweit dasselbe verstanden
werden konnte. Die Geschichte konnte fiber diese vielen
Jahrhunderte mit Stillschweigen hinweggehen, wenn sie nicht
die Pflicht hatte, den diistern und unergiebigen Zeiten in
ihrem Zusammenhang mit Vergangenheit und Zukunft Auf-
merksamkeit zu schenken. Zunachst sind es in dieser d r i 1 1 e n
P e r i o d e die Romer, Inder und Chinesen, welche
griechische Geometrie in ihrer Weise verwerten; dann die
Erste Periode. Aegypter und Babylonier. 149
Araber als geschickte Vermittler zwischen der altklassischen
und einer neuen Zeit.
Die vierte Periode umfasst die begitmende Entwick-
lung der Geometric bei den westlichen Volkern. Durch arabische
Schriftsteller gelangten die Schatze einer langst verflossenen Zeit
in die Mauern von Klostern und unter die Hande von Lehrern
an neugegriindeten Schulen und Universitaten , ohne jedoch
sofort einen Gegenstaud des allgemeinen Unterrichts zu bilden.
Die hervorragendsten Geister dieser Periode sind Viete und
EJeppler; sie weisen in ihrer Betrachtungsart schon auf die
fiinfte Periode hin , die mit Descartes ihren Anfang
nimmt. Nun werden die kraftigen Mittel der Analysis in
die Geometrie eingefiihrt: es entsteht die analytische
G-eometrie. Der Anwendung ihrer bestechenden Methoden
widraeten sich fast ausschliesslich die Geometer des 17. und 18.
Jahrhunderts , bis in der sogenannten neuen oder projek-
tiven Geometrie und der Geometrie der krummen
F lac hen Disciplinen entstanden, die ebenso wie die analy-
tische Geometrie iiber die Geometrie der Alten weit hinaus-
ragen, insbesondere durch die Wege, welche zu fast unbe-
grenzter Verallgemeinenmg erkannter Wahrheiten dienen.
B. Erste Periode.
Aegypter und Babylonier.
In demselben Buch des Ahmes, welches iiber das elementare
Rechnen der Aegypter Aufschluss gegeben hat, finden sich
auch geometrische Abschnitte, Flachenberechnungen einfachster
Art mit beigefugten Figuren. Die Begrenzung dieser Zeich-
uungen ist entweder gradlinig oder kreisformig; es finden
sich gleichschenklige Dreiecke, Rechtecke, gleichschenklige
Trapeze und Kreise 16). Die Flache des Rechtecks ist richtig
bestimmt; als Masszahl fiir die Flache des gleichschenkligen
Dreiecks mit der Grundlinie a und dem Schenkel b fiudet
150 IV. Geometrie.
sich aber Jafr, mid furs gleichschenklige Trapez mit den
Parallelseiten a', a" und der Nichtparallelen I 1st der Inhalt als
J (a -f a") . b angegeben. Diese Naherungsformeln werden
durchgehends beniitzt und gelten offenbar fiir vollkommen
richtig. Die Ausmessung des Kreises erfolgt durch den auf-
fallend genauen Wert rc = (16 : 9)2 = 3,1605.
An geometrischen Konstruktionsaufgaben ragt eine durch
ihre praktische Bedeutung hervor; es 1st die Forderung,
einen rechten Winkel abzustecken. Die Losung dieser bei
Anlegung von Tempeln und Palasten so wichtigen Aufgabe
gehorte zum Beruf der Seilspanner oder Harpedonapten,
und diese beniitzten dazu ein Seil, dessen Lange durch Knoten
so in drei Teile zerlegt war, dass diese Strecken (vielleicht
den Zahlen 3, 4, 5 entsprechend) ein pythagoraisches Drei-
eck bildeten16).
Bei den Babyloniern fiihrte figurliche Darstellung
durch religiose Deutung zu einer formlichen Vorbedeu-
tungsgeometrie , welche Dreiecke , Vierecke , rechte
Winkel, Kreise mit dem einbeschriebenen regularen Sechseck
und der Teilung des Umfangs in 360 °, sowie einen Wert
7i = 3 kannte.
Stereometrische Berechnungen, d. h. Bestimmungen des
Inhalts von Fruchtspeichern , gibt Alimes; jedoch ist aus
seinen Angaben nichts genaueres zu erfahren, da liber die
Formen der berechneten Rauminhalte keine Angaben gemacht
sind.
Was projektivische Darstellungen betrifft, so lassen agyp-
tische Wandskulpturen keine Spur von perspektivischen
Kenntnissen nachweisen. Es wird z. B. ein quadratischer
Teich im Grundriss dargestellt ; die am Ufer stehenden
Baume *und wasserschopfenden Manner aber sind ini Aufriss,
gleichsam nach aussen umgelegt, dem Bilde eingefiigt 121).
151
C. Zweite Periode.
Die Griechen.
Bei einem Ueberblick uber die griechische Geometrie
will es da und dort scheinen, als ob Untersuchungen, die an
bekannte Satze in ganz einfacher Weise anschliessen , den
Griechen nicht bekannt gewesen waren, oder als ob sie nicht
geniigende Begriindung erfahren batten, wenn sie sich schein-
bar zusammenhangslos zwischen anderen Dingen eingeschaltet
finden. Der eine Grund fiir diese Erscheinung ist ohne
Zweifel darin zu suchen, dass eine Reibe bedeutender Scbriften
alter Geometer verier en gegangen ist. Ein anderer, nicbt
minder wichtiger Erklarungsgrund diirfte der sein, dass vieles
bloss durcb miindlicbe Ueberlieferung weiter gegeben wurde ;
und letztere erfolgte jedenfalls nicbt in der fast starren und
abstossenden Art, in welcber die meisten Beweise der Griecben
abgefasst wurden, um die aufgestellten Wahrbeiten unanfecht-
bar zu macben.
Bei Tholes fiihren die Spuren der Geometrie auf Aegypten
zuriick , obne dass man erwarten darf , alles zu finden,
was den Aegyptern bekannt war. Tholes nennt die Satze
liber Scheitelwinkel, iiber die Winkel an der Grundlinie eines
gleicbschenkligen Dreiecks, tiber die Bestimmung eines Drei-
ecks durch eine Seite und zwei anliegende Winkel und iiber
den Winkel im Halbkreis. Er verstand auch die Hobe von
Gegenstanden mit Hilfe ihres Schattens, der mit dem Objekt
ein rechtwinklig gleichscbenkliges Dreieck bilden musste, zu
bestimmen, so dass sicb scbon bier die Grundziige der Aehn-
lichkeitslebre entdecken lassen. Die Satze finden sich bei
Tholes entweder gar nicht oder wenigstens nicbt in der spater
geforderten Strenge bewiesen.
Einen bedeutenden Fortschritt in dieser Richtung hat Pytha-
goras und seine Schule gemacht. Dem Pythagoras selbst ist
152 IV. Geometrie.
unstreitig der Satz iiber das rechtwinklige Dreieck zuzuschreiben,
den er wohl am Dreieck mit den Seiten 3, 4, 5 erkannte, ohne
ihn strenge zu beweisen. EuMid hat den ersten scharfen Beweis
dieses Satzes erbracht. Was von sonstigen Dingen dem Pytha-
goras personlich, was seinen Schulern beizulegen ist, kann
nur schwer entscliieden werden. Die Pythagoraer bewiesen,
dass die Winkelsmnme im ebenen Dreieck = 2 R ist. Sie
kannten den goldenen Schnitt und die regularen Figuren,
soweit diese zur Begrenzung der fiinf regelmassigen Korper
dienten. Auch regulare Sternpolygone waren bekannt , von
diesen wenigstens das Sternfiinfeck. Bei den pythagoraischen
Flachenanlegungen spielte der Gnomon eine grosse Rolle.
Dieses Wort bedeutete urspriinglich den vertikalen Stab, der
durch seinen Schatten die Stunden anzeigte, dann auch den
mechaniscli hergestellten rechten Winkel. Bei den Pytha-
goraern ist der Grnomon die Bestfigur, welche von einem
Quadrat iibrig bleibt, nachdem eine Ecke quadratisch ausge-
schnitten worden ist. Sp'ater, bei EuMid, ist der Gnomon
auch ein ahnlich ausgeschnittenes Parallelogramm (s. S. 51).
Die Senkrechte zu einer Geraden heisst pythagoraisch »eine
nach dem Gnomon gerichtete Linie« 16).
Auch ausserhalb der pythagoraischen Schule waren geo-
metrische Kenntnisse verbreitet. Anaxagoms soil als der erste
ein Quadrat zu bestimmen versucht haben , dessen Flache
gleich derjenigen eines gegebenen Kreises ist. Es ist anzu-
nehmen , dass er wie die meisten seiner Nachfolger an die
Moglichkeit der Losung dieser Aufgabe glaubte. Oinopides
lehrte, wie man von einem Punkt ein Lot auf eine Gerade
fallt, und wie man an eine Gerade in einem gegebenen Punkt
einen gegebenen Winkel anlegt. Hippias von Elis sucht
gleichfalls die Quadratur des Kreises , ferner die Drei-
teilung des Winkels und konstruiert zu diesem Zweck die
Qu ad r a t rji x.
Zweite Periode. Die Griechen.
S
153
Diese krumme Linie entsteht wie folgt : Auf einem durch die zu
einander senkrechten Durchmesser OA und OB ausgeschnittenen Kreis-
quadranten liegen die Punkte A, . . . K, L, . . . B. Der Halbmesser
r = OA dreht sich mit gleichformiger Geschwindigkeit um 0 aus der
Lage OA in die Lage OB. Gleichzeitig geht eine stets zu OA parallele
Gerade g mit gleichformiger Geschwindigkeit aus der Lage OA iiber
in die Lage der Kreistangente in B. 1st K der Schnitt von g mit
OB fur den Zeitpunkt, in welchem der bewegliche Halbmesser nach
OK fallt, so trifft die durch K mit OA gezogene Parallele den Halb-
messer OK in einem Punkt K", und dies ist ein Punkt der Quadratrix.
1st P der Schnittpunkt der Quadratrix mit OA, so folgt teils unmittel-
bar, teils durch einfache Betrachtungen, dass
eine
Bogen AK _ OK
Bogen~JX = = OL"
Beziehung, welche die Aufgabe der Winkelteilung lost,
und
OP =
oder
OP
OA
OA ' Bogen AB '
woraus ersichtlich ist, dass die Quadratur des Kreises von dem Ver-
haltnis abhangt, in welchem der Halbmesser OA durch den Punkt P
der Quadratrix geteilt wird ; ware dies Verhaltnis elementargeometrisch
konstruierbar, so hatte man damit die Quadratur des Kreises gefunden.
— Es scheint, dass die Quadratrix zunachst fur die Dreiteilung des
Winkels erfunden, und dass erst spater ihre Beziehung zur Qua-
dratur des Kreises entdeckt worden iet77), worauf namentlich Dinos-
154 IV". Geometrie.
Das Theorem der Quadratur des Kreises tritt auch bei
Hippokmtes auf ; er sucht durcli Betrachtung halbmondartiger,
aus Kreisbogen bestehender Figuren zum Ziel zu gelangen.
Von besonderer Wichtigkeit 1st, dass Hippokmtes ein Ele-
mentarbuch der Mathematik geschrieben hat (das erste dieser
Art), in dem er Punkte durch einen , Strecken durch zwei
Buchstaben des grossen Alphabets bezeichnet, ohne dass man
zu sagen vermochte, wer diesen Gebrauch zuerst eingefiihrt
hat.
Philosophisch vertieft wird die Geometrie durch Platon, wel-
cher das Bediirfnis fiihlt, Definitionen und Axiome aufzustellen
und die Arbeit des Forschers durch Einfiihrung der analy-
tischen Methode zu erleichtern.
Eine systematische Darstellung der Ergebnisse aller alteren
Forschungen auf dem Gebiet der elementaren Geometrie, ver-
mehrt um die Frtichte eigener ergiebiger Arbeit, gibt Euldid in
den dreizehn Biichern der »Elemente«, die allerdings nicht bloss
iiber ebene, sondern auch fiber r'aumliche Gebildeund algebraische
Untersuchungen berichten. » Was je zum Preise der Mathematik
gesagt wurde, was man ihrer Darstellung an Kraft, Durch-
sichtigkeit und Scharfe nachriihmt, gilt alles in erster Linie
von diesem Werk des grossen Alexandriners. Definitionen,
Axiome und Schlusse fiigen sich Ring an Ring wie zu einer
Kette, fest und undehnbar, von bindender Gewalt, aber auch
kalt und hart, einen produktiven Sinn zuriickstossend und
selbstandiger Regung keinen Raurn gebend. Es gehort ein
gereifter Verstand dazu, die klassischen Schonheiten dieses
grossten Denkmals griechischen Scharfsinns zu wiirdigen.
Der Tummelplatz fur den unternehmungslustigen Sinn der
Jugend ist es nicht; sie zufesseln ist ein Terrain geschickter,
wo sich hoffen 1'asst, noch neues, unerwartetes zu entdecken« 13).
Das erste Buch der »Elemente« verbreitet sich iiber die
Lehre vom Dreieck und Viereck , das zweite Buch iiber die
Zweite Periode. Die Griechen. 155
Anwendung des pythagoraischen Satzes zu einer grossen Reihe
von Konstruktionen , welche eigentlich arithmetisclier Natur
sind. Das dritte Buch bringt die Kreislehre, das vierte ein-
und umbeschriebene Vielecke am Kreis. Die Proportionen,
erlautert mit Hilfe von Strecken, fallen das fiinfte Buch und
finden ihre Verwendung im sechsten Buch zum Beweis der
Satze iiber die Aehnlichkeit der Figuren. Das siebente, achte,
neunte und zehnte Buch sind vorwiegend zahlentheoretischer
Natur; diese Bucher enthalten nemlich das Messen und Teilen
der Zahlen, den Algorithmus zur Bestimmung des kleinsten
Gemeinvielfaehen und grossten gemeinschaftlichen Masses,
ferner Primzahlen, die geometrische Reihe, inkommensurable
(irrationale) Grossen. Hierauf folgt die Stereometrie : im elften
Buch die Gerade, die Ebene, das Prisma; im zwolften die
Berechnung von Pyramide, Prisma, Kegel, Cylinder, Kugel;
im dreizehnten regulare Vielecke nebst den aus ihnen zu
bildenden regularen Korpern , deren Anzahl EuMid bestimmt
auf fiinf angibt, • Ohne das Verdienst Euklid's um die
Abfassung dieses unverganglichen Werkes ira geringsten zu
schmalern, darf angenommen werden, dass einzelne Teile aus
einer griindlichen Vorarbeit anderer hervorgewachsen sind.
Dies gilt mit ziemlicher Sicherheit vom flinften Buch, dessen
erster Verfasser Eudoxus sein soil.
Nicht durch ein grosses Sammelwerk wie EuMid, wohl
aber durch eine Reihe wertvoller Einzelabhandlungen hat
Archimedes einen berechtigten Anspruch auf nahere Schil-
derung seiner geometrischen Leistungen. Bei den Untersuch-
ungen iiber die Kugel und den Cylinder nimmt er an, dass
die Gerade die kiirzeste Entfernung zwischen zwei Punkten
sei. Aus dem Arabischen kennt man eine kleine geometrische
Schrift des Archimedes, bestehend aus funfzehn sogenannten
»Wahlsatzen«, von denen einige fin* die Vergleichung gerad-
linig und kreisformig begrenzter Figuren, fur die Dreiteilung
156 1V- Geometrie.
des Winkels und die Aufstellung von Doppelverhaltnissen
Bedeutung haben. Von besonderer Wichtigkeit 1st die archi-
medische Kreismessung, in welcher fur TU die Grenzen 3f und
3^ angegeben werden. Diese wie viele andere Resultate
leitet Archimedes durch die Exhaustionsmethode ab,
die bei den Alten in der Regel an Stelle der modernen In-
tegration trat 19). Die gesuchte Grosse , z. B. die von einer
Kurve umschlossene Flache, konnte als Grenzwert fiir den
Inhalt ein- und umbeschriebener Polygone, deren Seitenzahl
durch Halbierung stets vermehrt wurde, betrachtet werden,
und man bewies, dass der Unterschied zweier benachbarten
Polygone bei unbegrenzter Fortsetzung dieses Verfahrens
kleiner werden muss als eine beliebig kleine gegebene Grosse ;
dieser Unterschied wurde also gleichsam erschopft und so
das Resultat durch Exhaustion gewonnen.
Das Gebiet elementargeometrischer Konstruktionen erfuhr
durch Apollonius eine Bereicherung in der Losung der Auf-
gabe, einen Kreis zu konstruieren, der drei gegebene Kreise
beruhrt, und durch die systematische Durchfiihrung des
Diorismus (der Abgrenzung oder Umgrenzung) auch bei
schwierigeren Aufgaben in seinen Kegelschnitten, aus welch en
zu ersehen ist, dass Apollonius nicht bloss die Bedingungen
fiir die Moglichkeit der Losung uberhaupt angibt, sondern
insbesondere die Grenzen von Losungen bestimmt wissen will.
Von Zenodorus haben sich mehrere Satze liber Figuren
gleichen Umfangs erhalten ; er spricht beispielsweise aus, dass
der Kreis einen grosseren Inhalt hat als jedes regulare Viel-
eck von gleichem Umfang, dass unter alien isoperimetrischen
Polygonen gleicher Seitenzahl das regulare den grossten In-
halt hat, und ahnliches. - - Hypsikles hat als Neues die Ein-
teilung des Kreisumfangs in 360 °. - - Von Heron stammt
ein Buch iiber Geometrie (nach Tannery ein Kommentar zu
Euklid's Elementen), welches sich in ausgedehnter Weise mit
der Berechnung ebener Figuren befasst. Hier findet sich fiir
Zweite Periode. Die Griechen. 157
den Inhalt A des Dreiecks aus den Seiten a, £>, c und fur
2s = a + 6 + c die Formel
A = ys (s — a) (s — b) (s — c)
entwickelt. In der Kreisrechnung steht meist ~ als Nahe-
rungswert fiir TC; jedoch kommt auch in dem »Buch der
Ausmessungen« TT = 3 vor.
In der Periode nach Beginn der christlichen Zeitrechnung
wird die Ausbeute iramer geringer. Nur noch einzelnes ist
nennenswert; so zunachst ein Satz von Serenus uber Trans-
versalen des Dreiecks, der seinem Sinn nach aussagt, dass ein
harmonisches Strahlenbiischel von jeder beliebigen Geraden
in einer harmonischen Punktreihe geschnitten wird. Im
Almagest tritt der Satz vom Sehnenviereck auf, der gemein-
hin als ptolemaischer Lehrsatz bekannt ist, und ein
sexagesimal geschriebener Wert TC = 3 . 8 . 30, d. h.
Q OA -i n
- 3 = 3'14166 .....
< 6060 W
In einer besonderen Abnandlung uber Geometric deutet
Ptolemdus an, dass er die Parallelentheorie Euldid's nicht
fiir unanfechtbar bait.
Zu den letzten Tragern griecbiscber Geometric geboren
Sextus Julius Afrikanus, der die Breite eines Flusses durcb
Anwendung abnlicber recbtwinkliger Dreiecke bestimmt, und
Pappus. Des letzteren Name ist durch die »Sammlung« sebr
bekannt geworden. Dieses Werk, urspriinglich aus acht
Biicbern bestebend, von denen das erste ganz und das zweite
zum grossten Teil verloren gegangen ist, scbildert den Inhalt
der mathematischen Schriften, die zur Zeit des Verfassers in
besonderem Ansehen standen, und versieht diese an einzelnen
Stellen mitZusatzen. Da sein Werk augenscheinlich mit grosser
Gewissenhaftigkeit abgefasst wurde, so ist es fiir die alte
158 IV. Geometrie.
Zeit eine der zuverlassigstenQuellenmathematischerGeschichts-
forschung geworden. Der geometrische Teil der »Sammlung«
enth'alt unter anderera Abhandlungen tiber die drei verschie-
denen Mittel zweier Strecken, Jiber isoperimetrische Figuren,
Kreisberiilirung und Aehnlichkeit bei Kreisen, insofern wenig-
stens bewiesen wird, dass alle Verbindungsgeraden der End-
punkte paralleler und gleich- oder entgegengesetzt gerichteter
Halbmesser zweier Kreise sic a je in einem festen Punkte der
Zentrale schneiden.
Hervorragendes leisteten die Griechen nicht bloss auf dem
Gebiet der elementaren Geometrie; sie sind auch die Schopfer
derLehre von denKegelschnitten. Und wie fiir jenes
Gebiet der Name EuMiti's, soist fur dieses der Name des Apol-
lonius von Pergae zum wahren Streitruf geworden. Mit Apol-
lonius beginnt allerdings die Lehre von den Kurven zweiter Ord-
nung nicht, so wenig wie mit Euklid die Euldid'sche Geometric ;
aber was die »Elemente« fiir die Elementargeometrie bedeuten,
das sind die »acht Biicher der Kegelschnitte« fiir die Linien
zweiter Ordnung. — Nur die vier ersten Biicher der Apollonischen
Kegelschnitte sind im griechischen Text erhalten; die drei wei-
teren wurden durch arabische Uebersetzungen bekannt ; das achte
Buch ist bis jetzt nicht aufgefunden und gilt als verloren, sein
Inhalt jedoch wurde nach Angaben des Pappus von Halley
wiederhergestellt. — Im ersten Buch ist von der Erzeugung der
Kegelschnitte durch ebene Schnitte an Kreiskegeln, von kon-
jugierten Durchmessern, von Achsen und Tangenten die Rede.
Das zweite Buch handelt insbesondere von den Asymptoten;
diese erhalt Apollonius dadurch, dass er auf einer Tangente
vom Beriihrungspunkt aus die halbe Lange des parallelen
Durchmessers abtragt und den Endpunkt mit dem Mittelpunkt
der Kurve verbindet. Das dritte Buch enthalt Satze iiber
Brennpunkte und Sekanten, das vierte iiber den Schnitt von
Kreisen mit Kegelschnitten und von solchen Linien unter
Zweite Period e. Die Griechen. 159
sich. Damit 1st die elementare Theorie der Kegelschnitte
bei Apollonius abgeschlossen. Die nun folgenden Biicher
enthalten Einzeluntersuchungen als Anwendung der in den
vier ersten Buchern entwickelten Methoden. So handelt das
ftinfte Buch von den kfirzesten und langsten Linien, welche
von einem Punkt nach dem Umfang eines Kegelschnitts ge-
zogen werden konnen , also von den Normalen durch einen
beliebigen Punkt in der Ebene der Kurve zweiter Ordnung;
das sechste von gleichen und ahnlichen Kegelschnitten , das
siebente in besonderer Weise von den Parallelogrammen, die
aus konjugierten Durchmessern konstruiert werden konnen,
und von dem Satz fiber die Summe der Quadrate konjugierter
Durchmesser. Das aehte Buch enthielt nach Halley eine
Reihe von Aufgaben, die sich an Hilfssatze des siebenten
Buchs aufs engste anschlossen.
Die erste Anregung zur Entwicklung der Lehre von den
Kegelschnitten wird bis auf Hippocrates zuriickgeleitet 124);
dieser fuhrte das Theorem der Wurfelverdopplung auf die
Konstruktion von zwei mittleren Proportionen x und y zu
zwei gegebenen Strecken a und b zuriick :
fl 1* W
-=- — -y gibt x2 = ay, y2 = boa , woraus folgt :
oc y o
xz = a*b —• — . a3 = m . a3.
a
Archytas und Eudoxus scheinen durch Konstruktion in der
Ebene Kurven gefunden zu haben , welche den obigen Be-
ziehungen gentigten, aber sich von Kreisen und Geraden unter-
schieden. Mendchmus suchte fur die schon aus ebenen Kon-
struktionen bekannten neuen Kurven eine Darstellung durch
Schnitte an Rotationskegeln und wurde in diesem Sinne der
Entdecker der Kegelschnitte. Er bentitzte nur Schnitte senk-
recht zu einer Erzeugenden eines geraden Kreiskegels, und es
war die Parabel der »Schnitt am rechtwinkligen Kegel«
160 IV. Geometrie.
(dessen erzeugender Winkel = 45 ° 1st) , die Ellipse der
»Sehnitt am spitzwinkligen Kegel«, dieHyperbel der »Schnitt
am stumpfwinkligen Kegel«. Diese Namen gebraucht auch
Archimedes noch , obwohl er weiss , dass die drei Kurven
sich an jedem Kreiskegel durch ebene Schnitte erzeugen
lassen. Erst Apollonius fiihrt die Namen » Ellipse «, »Parabel«,
»Hyperbel« ein. — Schon Mendchmus vielleicht, jedenfalls
aber Archimedes bestimmte die Kegelschnitte durch eine lineare
Gleichung zwischen Flachen, welche sich in der Form y^ = kxxi
darstellen lasst. Der halbe Parameter war bei Archimedes
und wohl auch schon bei seinen Vorgangern »das Stiick bis zur
Axe«, d. h. das Stiick der Kegelschnittsaxe vom Scheitel der
Kurve bis zum Schnitt mit der Achse des Kegels. Die Be-
nennung »Parameter« ruhrt von Desargues (1639) her5a).
Es ist nachgewiesen worden m), dass Apollonius die Kegelschnitte
durch eine Gleichung von der Form y2 = px -j- «#2 darstellte, x und y
als Parallelcoordinaten betrachtet und jedes Glied als eine Flache
dargestellt. Daraus wurden andere Gleichungen ersten Grads zwischen
Flachen abgeleitet und so analytisch-geometrische Gleichungen unter
Benutzung einesParallelcoordinatensystems erhalten, dessen Anfangs-
punkt durch geometrische Betrachtungen eine Verlegung gestattete,
gleichzeitig verbunden mit einer Vertauschung der Axen, so dass hier
schon einzelne Grundgedanken der fast 2000 Jahre jiingeren analy-
tischen Geometrie sich offenbaren.
Das Stadium der Kegelschnitte erfolgte stets nur so lange
auf dem Kegel selbst , bis eine planimetrische Grundeigen-
schaft die Moglichkeit zuliess, die weitere Untersuchung in
der Ebene vorzunehmen 124). Auf diese Weise war bis Archi-
medes eine Reihe wichtiger S'atze bekannt geworden , so die
Lehre von den konjugierten Durchmessern und die Beziehung
der Kegelschnitte auf sie als Axen mit Hilfe von Gleichungen
ersten Grads zwischen Flachen, so auch der sogenannte
Newton'sche Potenzsatz, also der Satz, dass die Rechtecke
aus den Abschnitten zweier durch einen beliebigen Punkt
in vorgeschriebener Richtung gezogenen Sekanten eines
Zweite Periode. Die Griechen. 161
Kegelschnitts in konstantem Verhaltnis stehen ; ferner Satze
iiber die Erzeugung eines Kegelschnitts durch seine Tangenten
oder als Ort zu vier Geraden , und ebenso der Satz tiber
Pol und Polare. Aber diese Satze wurden stets nur auf einen
Hyperbelast angewendet. Es ist eines der wesentlichsten
Verdienste des Apollonius, seine eigenen und die schon be-
kannten Satze konsequent auf beide Hyperbelaste ausgedehnt
zu haben. Seine ganze Betrachtungsweise rechtfertigt es. wenn
man ihn den bedeutendsten Vertreter der griechischen Kegel-
schnittslehre nennt, umsomehr, als sich aus seinem Haupt-
werk erkennen lasst, dass bei den Alten auch der Lehre von
den projektivischen Punktreihen und Strahlenbuscheln durch
verschiedene Satze und Anwendungen wesentlich vorgearbeitet
worden ist.
Mit Apottonius schliesst die Zeit neuer Entdeckungen
im Bereich der Kegelschnittslehre ab. In spaterer Zeit finden
sich nur Anwendungen langst bekannter Theoreme auf nicht
zu schwierige Aufgaben , wie ja die L 6 sung von Auf-
g a b e n schon in den altesten Zeiten der griechischen Geo-
metric eine Rolle spielte und die Veranlassung zur Aufstellung
nicht bloss der Kegelschnitte , sondern auch von Kurven
hoherer als der zweiten Ordnung wurde. Unter der Zahl der Auf-
gaben, die sich ihres klassischen Wertes wegen von Geschlecht
zu Geschlecht vererbten und stets neue Anregung zu weiteren
Forschungen gaben, ragen namentlich drei durch ihre Wichtig-
keit hervor: die Wtirfelverdopplung oder allgemeiner
die Multiplikation des Wtirfels, die Dreitei-
lung d e s Winkelsund die Quadratur des Kreises.
Das Auftreten gerade dieser drei Theoreme ist fur die Entwick-
lung der ganzen Mathematik bedeutsam geworden. Das erste
verlangt die Losung einer Gleichung dritten Grads ; das zweite
fiihrt (fur gewisse Winkel wenigstens) auf ein wichtiges Ge-
biet der Zahlentheorie, nemlich auf die Kreisteilungsgleichungen,
und erst Gauss (s. S. 123) hat den Beweis geliefert, dass eine
Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 11
162 IV". Geometrie.
endliche Anzahl von Operationen mit Hilfe von Zirkel und Lineal
ein regulares w-Eck nur dann zu konstruieren gestatten, wenn
n — 1 = 2^ (p eine beliebige ganze Zahl) 1st. Die dritte
Aufgabe endlich reicht uber das Gebiet der eigentlichen Al-
gebra hinaus, denn Lindemann*) hat im Jahr 1882 gezeigt,
dass TU nicht Wurzel einer algebraischen Gleichung mit ganz-
zahligen Coefficienten sein kann.
Die Multiplikation des Wurfels, algebraisch gesprochen
die Bestimmung von x aus der Gleichung
& B H
x3 — — . as — m . a3,
a
heisst auch die Delische Aufgabe, weil Platon mit den
Deliern iiber diese Aufgabe in Meinungsaustausch gestanden
sein soil. Mit der Losung dieser Aufgabe beschaftigten sich
besonders Platon, Archytas und Menachmus; letzterer loste
sie durch Kegelschnitte (Hyperbeln und Parabeln). Apotto-
nius konstruierte zum gleichen Zweck einen besonderen
mechanischen Apparat.
Unter den Losungen iiber die Dreiteilung des Winkels
ragt das Verfahren des Archimedes hervor. Es bietet ein
Beispiel dar fur sogenannnte Einschiebungen, deren sich
die Griechen bedienten, wenn eine Aufgabe nicht durch
Lineal und Zirkel losbar war. Des Archimedes' Verfahren
besteht in folgendem: Soil der Bogen AS des Kreises vom
Mittelpunkt M in drei gleiche Teile geteilt werden, so zieht
man den Durchmesser AE, und durch S eine Sekante, welche
den Kreis in C und den Durchmesser AE in D derart
schneidet, dass CD gleich dem Halbmesser r des Kreises wird.
Es ist dann Bogen CE = J- AS. Die Ausfiihrung besteht
nach den Regeln der Einschiebung darin, dass man auf einem
Streifen eine Lange = r abtragt und denselben dvrch B
*) Mathem. Annalen, XX, S. 213.
^weite Periode. Die Griechen.
B
M
163
gehen lasst, wahrend ein Endpunkt D der Strecke r auf den
Durchmesser AE gleitet. Bei Bewegtmg des Streifens wird
in einer gewissen Lage der andere Endpunkt von r auf den
Umfang des Kreises fallen und damit 1st der Punkt C be-
stimmt.
Dieselbe Aufgabe lost Pappus seinem eigenen Zeugnis
gernass nach dem Beispiel der Alten durch Kegelschnitte,
wie denn iiberhaupt die Linien zweiter Ordnung in zum
grossten Teil verlorenen Schriften des Apollonius eine aus-
giebige Verwendung zur Losung von Aufgaben finden. Es
wurdendabeidie Kegelschnitte haufig korperliche Oerter
genannt, im Gegensatz zu den ebenen Oertern, nemlich
zur Geraden und dem Kreis. Es gab aber auch dariiber
hinausgehend lineare Oerter, und das waren alle iibrigen
Kurven, von welchen eine ganze Anzahl untersucht wurde.
Diese Benennung der Oerter findet sich namentlich bei
Pappus, der im siebenten Buch angibt 124), dass eine Aufgabe
eine ebene, korperliche oder lineare heisst, je nachdem zu
ihrer Losung ebene, korperliche oder lineare Oerter verwertet
werden miissen. Es ist jedoch in hohem Grade wahrscheinlich,
dass die Oerter ihre Namen von Aufgaben erhielten, dass
also die Einteilung der Aufgaben in ebene, korperliche und
lineare der Benennung der zugehorigen Oerter voranging.
Znnachst ist anzunehmen, dass von » linear en Aufgaben und
Oertern « erst gesprochen wurde, nachdem die Namen » ebene
und korperliche Aufgaben und Oerter « sich eiugeburgert
hatten. Ebene Aufgaben waren solche, die bei der geome-
11*
164 IV. Oeometrie.
trischen Behandlung sich als abhangig von Gleichungen ersten
oder zweiten Grads zwischen Strecken erwiesen, die also durch
einfache Flachenanlegung, das griechische Ersatzmittel fiir
die Auflosung der quadratischen Gleichung, gelost werden
konnten. Die von Gleichungen dritten Grads zwischen Strecken
abhangigen Aufgaben fuhrten auf die Verwendung von Ge-
bilden mit drei Dimensionen, wie z. B. die Wiirfelverdopplung,
und wurden als korperliche Aufgaben bezeichnet ; die zu ihrer
Losung dienenden Oerter (die Kegelschnitte), waren korperliche
Oerter. Erst in einer Zeit, wo die Bedeutung des »eben«
und »korperlich« vergessen war, entstand der Name »lineare
Aufgaben« fur solche, deren Behandlung (durch »lineare
Oerter«) auf Gleichungen fiihrt, die nicht mehr vom ersten,
zweiten oder dritten Grad sind, welche sich also nicht mehr
als lineare Beziehungen zwischen Strecken , Flachen oder
Rauminhalten darstellen lassen.
Von linearen Oertern verwendet Hippias die viel-
leicht von Dinostratus erfundene Quadratrix zur Dreiteilung
des Winkels und zur Quadratur des Kreises (s. S. 152).
Eudoxus kennt die Schnitte des Kreiswulstes , welche durch
Ebenen parallel der Axe der Wulstflache entstehen , insbe-
sondere die Hippopede oder Achterkurve 72). Besondere Be-
riihmtheit erlangten die Spiralen des Archimedes, deren Be-
trachtung seinen schonen Untersuchungen fiber die Quadratur
der Parabel wurdig an die Seite tritt.
Schon Konon hatte die »Archimedische Spirale« durch
die Bewegung eines Punktes erzeugt , der sich mit gleich-
formiger Geschwindigkeit auf dem Halbmesser OA eines
Kreises ~k von 0 aus entfernt, wahrend sich OA ebenfalls
gleichformig um 0 dreht. Aber erst Archimedes entdeckte
einige der schonen Eigenschaften dieser Kurve ; er fand, dass
wenn nach einmaligem Umlauf die Spirale dem Kreis k vom
Halbmesser OA in S begegnet (wo BO Tangente der Spirale
in 0 ist), die von J50 und der Spirale begrenzte Flache ein
Zweite Periode Die Griechen. 165
Drittel des Inhalts des Kreises k wird; ferner dass die an die
Spirale im Pimkt B konstruierte Tangente von einer auf
OB in 0 errichteten Senkrechten eine Strecke gleich dem
Umfang des Kreises k abschneidet 77).
Die einzige nennenswerte Erfindung des Nikomedes ist
die Konstruktion der Conchoide, welche er beniitzte, urn
das Problem der zwei mittleren Proportionalen , oder
was dasselbe ist , der Multiplikation des Wiirfels zu losen.
Die Kurve ist der geometrische Ort des Punktes x auf #,
wenn die durch einen festen Punkt P gehende bewegliche
Gerade g eine feste Gerade h in Y so schneidet, dass XY
eine konstante Lange behalt. Nikomedes untersuchte auch
die Eigenschaften dieser Kurve und verfertigte einen aus
Linealen bestehen^den Apparat zur mechanischen Erzeugung
seiner krummen Linie.
Ebenfalls zur Multiplikation des Wurfels diente die
Cissoide des Diokles. Sie kann folgendermassen erzeugt
werden: Durch den Endpunkt A des Halbmessers OA eines
Kreises k geht die Sekante AC und trifft k in (7, den zu OA
senkrechten Halbmesser OB in D ; X auf AC ist ein Punkt
der Cissoide, wenn DX — DCgemacht wird. — Von Geminus
riihrt der Nachweis her, dass ausser der Geraden und dem
Kreis auch die von Archytas erdachte gemeine Schrauben-
linie die Eigenschaft der Verschiebbarkeit in sich selbst besitzt.
Organisch verbunden mit der Geometrie der Ebene ent-
wickelte sich auch die Geometrie des Raums, zunachst
als elementare Stereometric, und dann in den Satzen tiber
Flachen zweiter Ordnung. Die Kenntnis der fiinf re-
gularen Korper und der ihnen zugehorigen umbeschriebenen
Kugel geht jedenfalls bis zu den Pythagoraern zuriick. Nach
den Aussagen des Timdus von LocrilG) besteht das Feuer
aus Tetraedern, die Luft aus Oktaedern, das Wasser aus
Ikosaedern, die Erde aus Wurfeln, und das Pentagondodekaeder
166 IV. Geometrie.
bildet den Umriss des Weltalls. Ueber diese funf kosmischen
oder platonischen Korper soil Theatet zuerst ein zusammen-
hangendes Ganzes veroffentlicht haben. Eudoxus gibt an,
dass eine Pyramide (oder ein Kegel) J des Primas von gleicher
Grundflache und Hohe sei. Das elfte, zwolfte und dreizehnte
Buch der Elemente Euldid's bieten die gewohnliche Stereo-
metric in kurzer Zusammenfassung (s. S. 155). Archimedes
fuhrt dreizehn halbregulare Korper ein, d. h. Korper, deren
Begrenzungsflachen regulare Yielecke von zwei oder drei ver-
schiedenen Gattungen sind. Ausserdem vergleicht er Ober-
flache und Inhalt der Kugel mit den entsprechenden Grossen
des umbeschriebenen Cylinders und erh'alt dadurch Satze,
welche er hoch genug schatzt, um den Wunsch zu aussern,
die Kugel mit dem Benihrungscylinder auf seinem Grabdenk-
mal eingemeiselt zu ernalten. — Von sp'ateren Mathematikern
schreiben HypsiTdes und Heron tiber Berechnungsaufgaben
an regularen und nichtregularen Korpern. Auch Pappus be-
richtet uber stereometrische Untersuchungen, von denen aber
als neu nur die Berechnung des Kubikinhalts eines Um-
drehungskorpers mittelst der Meridianfigur und des Wegs des
Flachenschwerpunkts derselben hervorzuheben ist. Er kennt
also einen Teil des Satzes, der spater den Namen der Guldi-
nischen Regel erhalten hat.
Von Flachen zweiter Ordnung kannten die Griechen die
elementaren Umdrehungsflachen , also die Kugel , den senk-
rechten Kreiscylinder und Kreiskegel. EuJdid spricnt nur
von Umdrehungskegeln , Archimedes dagegen von beliebigen
Kreiskegeln. Ausserdem untersucht Archimedes noch »recht-
winklige Konoide« (Umdrehungsparaboloide), »stumpfwinklige
Konoide« (einmantelige Rotationshyperboloide) und »langliche
und breite Spharoide« (Rotationsellipsoide um die grosse und
kleine Achse). Er bestimmt die Art ebener Schnitte und
den Kubikinhalt von Abschnitten solcher Drehflachen. Wahr-
Dritte Periode. Romer, Inder, Chinesen, Araber. 167
scheinlich wusste Archimedes auch , dass diese Drehflachen
den geometrischen Ort fur einen Punkt bilden , dessen Ent-
fernungen von einein festen Punkt und einer gegebenen Ebene
ein konstantes Verhaltnis haben. Nach Proclus 72), der eine
gewisse Bedeutung als Ausleger EMifts besitzt, waren auch
Wulstflachen bekannt , welche dadurch entstehen , dass ein
Kreis vom Halbmesser r um eine in seiner Ebene liegende
Axe so rotiert, dass sein Mittelpunkt einen Kreis vom Halb-
messer e beschreibt; und zwarwurden die Faller = e betrachtet.
Auch in Projektionsmethoden 121) waren die Griechen
nicht unerfahren. Schon Anaxagoras und Demokrit sollen
die Gesetze des Fluchtpunktes und der Verjiingung wenigstens
fur die einfachsten Falle gekannt haben. Hipparch bildet
die Himmelskugel von einem Pol aus auf ihre Aequatorebene
ab ; er ist also der Erfinder der s tereographischen Pro-
jektion, welche unter dem Namen des Ptolemaus bekannt
geworden ist.
0. Dritte Periode.
Romer, Inder, Chinesen, Araber.
Bei keinem andern Volk des Altertums erreichte geo-
metrisches Wissen eine so hohe Stufe wie bei den Griechen.
Ihre Errungenschaften auf diesem Gebiet verpflanzten sich
zum Teil auf fremden Boden, jedoch nicht so, dass dort (etwa
mit Ausnahme der rechnerischen Seite) , wesentlich neues
entstanden ware. Haufig wurde das von den Griechen Ererbte
nicht einmal vollig verstanden und blieb deshalb in der Lit-
teratur des fremden Volkes begraben , bis von Descartes an
eine ganz neue Zeit mit machtigeren Hilfsmitteln den alten
Schatzen wieder nachforschte und sie gewinnbringend aus-
beutete.
Den Romer n geht selbstandige Verarbeitung mathe-
168 IV. Geometrie.
matischer Wahrheiten fast ganzlich ab. Was sie von den
Griechen erhielten, wurde einzig und allein praktischen Zwecken
dienstbar gemacht. Zu diesem Ende iibersetzte man einzelne
Abschnitte aus EuMid und Heron. Man sammelte zur Er-
leichterung des Geschafts der Feldmesser oder Agrimensoren
wichtige geometrische Regeln in einem grosseren Werke, von
dem sich Bruchstiicke als Codex Arcerianus erhalten haben.
Aus diesern Codex 1st der Wert TU = 3J bekannt geworden,
der, obwohl ungenauer als das Heronische TC = 3^, doch im
Duodezimalsystem eine bequemere Rechnung gestattete. -
Ein besonderes Werk iiber Geometrie hat BoetMus hinterlassen,
aber der Inhalt desselben ist so durftig, dass anzunelimen ist,
er habe eine altere mangelhafte Bearbeitung griechischer
Geometrie als Quelle beniitzt.
Obwohlauch die indische Geometrie in Abhangig-
keit von der griechischen steht, hat sie doch infolge der
Beeinflussung durch die arithmetische Denkweise der Inder
ihre Eigentumlichkeiten. Die Qulvasutras enthalten geome-
trische Partien. Diese lehren die bei den Aegyptern schon
bekannte Seilspannung , d. h. sie verlangen die Absteckung
rechter Winkel mit Hilfe eines Seils, das durch einen Knoten
in die Abschnitte 15 und 39 geteilt ist, und dessen Enden
an einer Strecke = 36 befestigt werden (15 2 4- 362 = 392).
Sie kennen auch den Gebrauch des Gnomon und beschaftigen
sich ferner mit der Figurenverwandlung und der Verwendung
des pythagoraischen Lehrsatzes zur Multiplikation eines ge-
gebenen Quadrats. Statt der Quadratur des Kreises tritt eine
Zirkulatur des Quadrats auf 16), indem ein Kreis gesucht wird,
der gleich einem gegebenen Quadrat ist. Dabei wird der
Kreisdurchmesser = f der Diagonale des Quadrats gesetzt,
woraus TC = 3J (der bei den Romern auftretende Wert) folgt.
In andern Fallen wird so verfahren, dass TC = 3 sich ergibt.
Die Schriften AryabJiattas enthalten zwar einige falsche
Dritte Periode. Romer, Inder, Chineaen, Araber. 169
Formeln zur Berechnung der Pyramids und der Kugel (fur
die Pyramide V — \G-~K], sonst aber eine Reihe vollstandig
richtiger geometrischer Satze. Aryabliatta gibt fur TU den
Naherungswert fg fff — 3,1416. — Brahmagupta lehrt die
rechnende oder Heronische Geometrie und kennt insbesondere
die Dreiecksformel A -~ \5 (s — a) (s — &) (s — c)i
furs Viereck die Formel i = \/(s — a) (s — b) (s — c) (s — d),
welche er unrichtiger Weise auf ein beliebiges Viereck an-
wendet. Bei ihm findet sich auch neben TU = 3 der Wert
TC — Y/To, ohne dass man zu sagen vermochte , wie dieser
Wert gefunden wurde. — Bhdskam pflegt ebenfalls nur die al-
gebraische Geometrie. Ftir TC gibt er nicht nur den griechischen
Wert " und den von Aryabhaita f |f f f , sondern aucn einen
Wert TC = JJJ = 3,14166 . . . Geometrische Beweise kennt
BMskara nicht ; er stellt den Satz auf, fiigt die Figur dazu
und schreibt: »Sehet!« 16).
Bei BMskara ist eine Uebertragung der Geometrie aus
Alexandrien nach Indien unzweifelhaft nachweisbar, und viel-
leicht reichte dieser Einfluss noch weiter ostlich zu den
Chinese n. In einem chinesischen Werk liber Mathematik,
das vielleicht einige Jahrhunderte nach Christo verfasst
wurde, tritt der pythagoraische Lehrsatz an dem Dreieck mit
den Seiten 3, 4, 5 auf; es wird die Seilspannung angedeutet;
die Ecken einer Figur werden griechischer Uebung zufolge
mit Buchstaben bezeichnet; TC ist = 3, gegen Ende des 6.
Jahrhunderts == M gesetzt.
Zu den Arabern gelangte griechische Geometrie teils
unmittelbar, teils durch Vermittlung der Inder. Die Ehr-
erbietung jedoch, welche sie den klassischen Werken grie-
chischer Abstammung entgegenbrachten, konnte den Mangel
an eigener Triebkraft fur neue Ideen nicht ersetzen ; und so
gelang es den Arabern in keinem Punkt der theoretischen
170 IV. Geometrie
Geometrie, namentlich auch nicht in der Lehre von den
Kegelschnitten, fiber das hinauszukommen, was die Bliitezeit
mathematischer Wissenschaft bei den Griechen hervorgebracht
hatte124). - - Von Einzelheiten moge nur weniges erwahnt
sein. Bei Alchwariztm 16) findet sich ein Beweis des pytha-
goraischen Satzes, der nur darin besteht, dass ein in acht
rechtwinklig gleichschenklige Dreiecke zerlegtes Quadrat
benfitzt wird. Im ganzen lehnt sich AMiwarwm^ mehr an
griechische als an indische Quellen an. Die Einteilung der
Vierecke ist die euklidische ; die Berechnungen sind nach der
Art Heron's durchgefiihrt. Neben dem griechischen Wert
TC = M treten die indischen Werte TC = f f f f J und it — y/To
auf. - AMI Wafd hat ein Buch iiber geometrische Kon-
struktionen geschrieben. In demselben finden sich Zusammen-
ordnungen von mehreren Quadraten zu einem einzigen, sowie
die Beschreibung von Vielflachnern nach Angaben von
Pappus. - - Mit der Dreiteilung des Winkels beschaftigten
sich nach griechischem Muster Tdbit ibn Kurrah, Alkuhi
und As-Sagani. Bei spateren Mathematikern zeigt sich ins-
besondere die Gewandtheit, eine geometrische Aufgabe auf
die Losung einer Gleichung zuruckzufuhren , und dies ist in
der That das Gebiet, in welchem die Araber durch geome-
trische Losungen zwar schone, aber nicht theoretisch bedeut-
same Resultate erzielten.
E. Vierte Periode.
Von Gerbert bis Descartes.
Bei den westlichen Volkern findet man die ersten Spuren
der Geometrie in den Werken G-erbert's, der als Sylvester II.
den papstlichen Stuhl bestieg. Gerbert stiitzt sich , wie es
scheint, auf den Codex Arcerianus, nennt aber ausserdem auch
Pythagoras und Eratosthenes 16). Was hier gelehrt wird, ist
fast ausschliesslich Feldmessung, wie bei Boethius. Weiteres
erfahrt man erst aus Leonardo's (Fibonacci's) Practica geo-
Vierte Periode. Von Gerbert bis Descartes.
metriae 47) von 1220, in welchem Werk auf EuMid, Archi-
medes, Heron und Ptolemdus Bezug genommen wird. Die
Verarbeitung des von den Alten iiberkommenen Stoffs ist in
Leonardo's Schrift eine ziemlich selbstandige, wie namentlich
die Rektifikation des Kreises zeigt, wo dieser Mathematiker
unabhangig von Archimedes mit Hilfe des regularen 96-Ecks
n - 1440 : 458J- = 3,1418 bestimmt.
Wenn schon bei den Alten eine eigentliche Theorie
der Sternpolygone nicht nachgewiesen werden kann, so ist
es nicht zu verwundern, dass auch das friihere Mittelalter
kaum etwas davon aufzuweisen hat. Sternvielecke hatten
zunachst nur eine mystische Bedentung; sie wurden verwendet
in der Teufelskunst als Drndenfuss, ferner in der Baukunst
und Heraldik. Eingehender beschaftigte sich mit stern -
formigen Polygonen Adelard von Bath in der von ihm kom-
mentierten Euklidischen Geometrie ; die Theorie dieser Figuren
beginnt erst mit Begiomontanus.
Die erste deutsche mathematische Schrift ist die von
Konrad von Megenberg in mittelhochdeutscher Sprache ab-
gefasste > deutsche Sphara«, wahrscheinlich in Wien vor der
Mitte des 14. Jahrhunderts geschrieben. Der erste ge-
druckte populare Leitfaden der Geometrie erschien noch im
15. Jahrhundert anonym und brachte in sechs Blattern ein-
fache Konstruktionsregeln fur das Bauzeichnen. Der Anfang,
enthaltend die Konstruktion des Lotes BC zu AB mit Hilfe
des rechtwinkligen Dreiecks ABC, in welchem BE die Hy-
potenuse AC halbiert, lautet folgendermassen 42) :
»Aus der geometrey etliche nutzparliche stueck, die her-
nach geschriben sten. 1. Zum ersten behend ein gerecht
winckel mass zu machen So mach zwen riss uber einand an-
gefert wie du wilt unn wo die riss uber einander geen da
setz ein .e. Darnach setz ein zirckel mit einem ortt auf den
Punkt . c . unn zeuch in auf als weit du wilt unn mach auf
yde linj ein punckt. Das sein die puchstaben .a. I.e. daz
172 IV. Geometrie,
alles ein weiten sei Darnach mach ein linj von .a. in claz
. 6 . und vom . I . in das . c . So hastu ein gerecht winkel-
mass des ein excnipel hie stet.«
Diese nicht bei EuMid, sondern erst bei ProTdus auf-
tretende Konstruktion eines rechten Winkels scheint urns
Jahr 1500 viel verbreiteter gewesen zu sein als die Euklidisclie
Ausfuhrung mit Hilfe des Winkels im Halbkreis. So soil
Adam Eiese durch seine Kenntnis dieser letzteren Konstruk-
tion einen Baumeister gedemiitigt haben , der seine rechten
Winkel nur nach der Weise des ProMus zu zeichnen vermochte.
Als sehr alte geometrisehe Druckwerke in deutscher Sprache
kennt man auch »Dz Puechlen der fialen gerechtikait« des Mathias
Boriczer (1486) und Albrecht Diirer's »Underweysung der messungmit
dem zirckel und richtscheyt* (Niirnberg 1525). Das erstere dieser
beiden Werke gibt in wissenschaffclich durftiger Weise Regeln iiber
eine spezielle Aufgabe der gothischen Baukunst, das letztere dagegen
bietet eine selbstandigere Arbeit dar und beansprucht als solche mehr
Jnteresse *).
Fur die Verbreitung geometrischer Kenntnisse in Deutsch-
land sorgten besonders Widmann und Stifel. Widmann1 s
Geometrie begiunt wie die »Elemente« mit Erklarungen :
»punctus ist ein klein Ding das nit zu theilen ist. — An-
gulus ist ein Winkel der da gemacht ist vo zweien lini« 31).
Die Vierecke tragen arabische Namen, ein sprechendes Zeugnis
dafiir, dass durch arabische Vermittlung altgriechisches
Wissen in den Westen gebracht wurde. Jedoch ist Widmann ,
durch romische Schriftsteller (Boethius) verleitet, zu manchen
Irrtumern gekommen , wie er denn z. B. den Inhalt des
gleichseitigen Dreiecks von der Seite a zu J aa angibt.
In Rudolfs Coss kommt Stifel bei Grelegenheit der Lehre
von den Potenzen auf einen Punkt zu sprechen, der in der
modernen Geometrie erst seine voile Wiirdigung gefunden hat,
nemlich auf die Berechtigung der Zulassung von mehr als
G ii n t h e r in Schlomilch's Zeitschr. XX. HI. 2.
Vierte Periode. Von Gerbert bis Descartes. 173
drei Dimensionen. »Dieweil wir aber seyen in der Arithme-
tica | da vns viel dings erlaubt wirt zu dichten | das sonst
gar kein gestalt hat | wirt auch dis erlaubt | das die Geo-
metria nicht zulasset | Nemlich das wir corperliche Linien
vnd superfices setzen | vnd iiber den cubum hinauss faren |
gleych als weren mehr denn drey dimensiones | welchs doch
auch weder die Natur ist. . . . Es hat aber sollichs guten
glympff | von wegen des lieplichen vnd wunderbarlichen
brauchs der Coss«107). — Stifel behandelt ferner nach Ptolemdus
die Berechnung von regelraassigen Vielecken , nach Euklid
die Konstruktion reguiarer Korper. Er spricht sich auch
iiber die Quadratur des Kreises aus; letzteren sieht er als
ein Vieleck von unendlich vielen Seiten an und erklarfc die
Quadratur fur unmoglich. Nach Albreclit Durer's »Under-
weysung« etc. erhalt man die Quadratur des Kreises, wenn
die Diagonale des Quadrats zehn Teile misst, wie der Kreis-
durchmesser deren acht hat ; d. h. es wird TC = 3 J- ange-
nomnien. Ausdrucklich wird dabei hervorgehoben , dass es
sich hiebei nur um eine Naherungskonstruktion handelt:
»Von noten wer zu wisen quadratura circuli | das ist die
vergleychnus eines cirkels | vnnd eines quadrates | also das
eins als vil inhielt als dz ander | aber soliches ist noch
nit von den gelerten demonstrit Mechanice | aber
das ist beyleyfig | also das es im werck nit | oder gar
ein kleyns i'ele | mag diese vergleychnuss also gemacht
werden« 27).
Ueber die Kreisberechnung erschien 1584 von Simon van der EycJce
eine Schrift, in welcher fiir n der Wert y^1 angegeben war. Durch
Berechnung der Seite des regularen 192-Ecks fand Ludolf van Ceulen
im Jahr 1585, dass n < 3, 142505 < VW se1'- In seiner Erwiderung
bestinimte S. v. d. EycJce n zu 3,1446053, worauf L. v. Ceulen 1586 fur
n als obere Grenze 3,1427232, als untere 3,14103 angab. L. v. Ceulen }s
Nachlass enthieit n auf 34 Stellen berechnet, und dieser Wert der
»LudolfschenZa,h\« kam auf seinGrabmal in derKirche von St. Peter
in Leyden. Ceulerfs Forschungen regten u. a. Swllius and Huygens
174 IV. Geometrie.
zu weiteren Arbeiten an. Erst durch die Theorie der stark konver-
genten Reihen ist es moglich geworden, n auf 500 und mehr Dezi-
malstellen zu berechnen*).
Ein Wiederaufleben der Geometrie kniipft sich an Viete's
und Keppler's Wirksamkeit. Mit diesen Forschern fangt
eine Zeit an, deren mathematischer Sinn fiber die Arbeiten
der Alten hinauszugehen beginnnt 19). Viete vervollstandigt
die analytische Methode Platon's; er lehrt in sinnreicher
Weise die geometrische Konstruktion der Wurzeln von
Gleichungen des zweiten und dritten Grads ; er lost auch die
Aufgabe tiber den Beruhrungskreis zu drei gegebenen Kreisen
auf elementare Weise. — Noch Hervorragenderes leistet
Keppler. Fur ihn bildet die Geometrie den Schliissel zu den
Geheimnissen der Welt. Er betritt sicheren Schritts den
Weg der Induktion und schliesst sich bei seinen geometrischen
Untersuchungen in freier Weise an EuMid an. Keppler ist
der Begriinder der Symbolik des »goldenen Schnitts« , jener
Aufgabe des Eudoxus, welche im sechsten Buch der Elemente
EuMid's die Fassung hat: »Eine begrenzte Gerade im aussern
und mittleren Verhaltnis zu teilen« 104). Diese Aufgabe, von
welcher Keppler neben »proportio divina« die Bezeichnung
»sectio divina« einfuhrt, ist in seinen Augen von so honer
Bedeutung, dass er zu dem Aussprucn kommt : » die Geometrie
hat zwei grosse Schatze ; einer ist der Satz des Pythagoras,
der andere die Teilung einer Linie im aussern und mittleren
Verhaltnis. Den ersten kann man einer Masse Goldes ver-
gleichen, den andern einen kostbaren Edelstein nennen.«
Die Ausdrucksweise »Goldener Schnitt« ist erst neueren Urspmngs ;
sie findet sich in keinem der Lehrbiicher des 18. Jahrhunderts , und
scheint durch Uebertragung aus dem gemeinen Rechnen gebildet
worden zu sein. In den Eechenbiichern des 16. und 17. Jahrhunderts
heisst die Regel de tri haufig »die goldene Regel«. Seit Anfang des
19. Jahrhunderts trat diese goldene Regel vor dem sogenannten
*) D. Bier ens de Ha an in Nieuw. Arch. I.
Vierte Periode. Von Gerbert bis Descartes. 175
Schlussrechnen der Pestalozzi' schen Schule mehr und mehr in den
Hintergrund, und in der Folge erschien statt der »goldenen Begel«,
die kein Reckenbuch mehr kannte, in den Elementarbuchern der
Geometric urn die Mitte des 19. Jahrhunderts ein »goldener Schnitt*,
wohl unstreitig im Zusammenhang mit gleichzeitigen Bestrebungen,
welche daraaf abzielten, dieser geometrischen Konstruktion die Wich-
tigkeit eines Naturgesetzes beizumessen.
Besonders studierte Keppler, veranlasst durch seine astro-
nomisclien Spekulationen , die regularen Vielecke und
Sternpolygone. Keppler spricht schon von Gruppen
elementar konstruierbarer regularer Vielecke, nemlich von
den Reihen der Polygone mit den Seitenzahlen 4.2", 3 . 2",
5.2n, 15.2" (von n= 0 an) und sagt, dass ein regulares
Siebeneck nicht mit Hilfe des Kreises und der Geraden allein
konstruierbar sei. — Unzweifelhaft ist auch, dass Keppler
fiber die Kegelschnitte des Apollonius gut unterrichtet und
in der Losung von Aufgaben mit Hilfe dieser Kurven erfahren
war. Bei ihm findet sich zum ersten Mai die Bezeichnung
»Brennpunkte« fur die Punkte der Kegelschnitte, welche der
fruhere Sprachgebrauch als »puncta ex comparatione«, »puncta
ex applicatione facta« , »umbilici« oder »Pole« bezeichnet
hatte*); ferner die Benennung »Excentricitat« ftir das Ver-
haltnis des Abstandes eines Brennpunktes vom Mittelpunkt
zur grossen Halbaxe der Kurve zweiter Ordnung , und der
Name »excentrische Anomalie« fiir den Winkel POA, wo
OA die grosse Halbaxe einer Ellipse ist, und P der Punkt,
in welchem die zum Kurvenpunkt P gehorige Ordinate den
Kreis tiber der grossen Axe triift Ba).
Auch durch stereometrische Untersuchungen , welche in
bescheidenem Grad von Diirer und Stifel betrieben worden
waren, ragt Keppler iiber seine Zeitgenossen hervor. In seiner
Harmonice Mundi handelt er nicht bloss von den fiinf regu-
laren platonischen und dreizehn halbregularen archimedischen
*) C. Taylor in Cambr. Proc. IV.
IV. Geometrie.
Korpern , sondern auch noch von Sternpolygonen mid vom
zwolfeckigen und zwanzigeckigen Sterndodekaeder. Dazu
komrnen Inhaltsberechnungen von Korpern , die sich durch
Umdrehung von Kegelschnitten um Durchmesser, Tangenten
oder Sekanten erzeugen lassen. Solche Bestimniungen von
Rauminhalten wurden auch durch Cavalieri und Guldin aus-
gefiihrt. Ersterer benutzte eine gliickliche Umformung der
Exhaustionsmethode, letzterer erweiterte eine Regel, die schon
Pappus kannte, ohne deren genauen Beweis zu geben (s. S. 166).
In diese Zeit fallen die altesten bekannten Versuche zur
Losung geometrischer Aufgaben mit nur einer Zirkel-
offnung, ein Bestreben, das erst durch Steiner's »geome-
trische Konstruktionen, ausgefiihrt mittels der geraden Linie
und eines festen Kreises« (1833) einen streng wissenschaftlichen
Ausdrnck fand. Dieersten Anzeichen solcher Konstruktionen*)
gehen bis auf Abul Wd/a zuriick. Von den Arabern ver-
erbten sie sich auf die italienische Schule , wo sie in den
Arbeiten von Leonardo da Vinci und von Cardano auftreten.
Letzterer erhielt die Anregung dazu von Tartaylia, der in
seinem Problemen-Duell gegen Cardano und Ferrari derartige
Ausfiihrungen verlangte. Sie treten auch auf in der »Reso-
lutio omnium Euclidis problematum« (Venedig 1553) des
Benedicts, eines Sch tilers Cardano' s, in der »Geometria
deutsch« und in einer Fiinfeckskonstruktion von Dilrer.
Dieser gibt in seiner » Under wey sung « etc. eine geometrisch
genaue Konstruktion des regularen Funfecks, dann aber auch
eine genaherte Konstruktion derselben Figur »aus unverrucktem
zirckel zu machen.«
Dieses Verfahren lehrt zur Konstruktion eines regularen Ptinfecks
iiber AB um A und S Kreise konstruieren mit AB, welche sich in
C und D schneiden ; der Kreis um D mit DA schneidet die Kreise um
A und E in E und F, und die gemeinsame Sehne CD in Gr ; dieselben
Kreise werden von FG und EG in Jund H geschnitten; A/und BH
*) G u n t h e r in Schlo'rnilchs Zeitschr. XX.
Vierte Periode. Von Gerbert bis Descartes.
177
sind weitere Seiten des regularen Piinfecks. (Die Berechnung dieses
symmetrischen Ffinfecks lief ert fur den Winkel ABH 108° 20', wahrend
der Umfangswinkel des regularen Funfecks = 108° ist).
Bei Durer und alien denjenigen, welche nach ihm iiber geometrische
Konstruktionsregeln schrieben, findet sich auch eine nahernngsweise
Konstruktion des regularen Siebenecks: »Die Siebenecksseite ist die
Halfte der Dreiecksseite«, wahrend aus der Rechnung sich die halbe
Dreiecksseite als das 0,998fache der Siebenecksseite ergibt. — Auch
Daniel Schwenter lieferte Konstruktionen mit einer Zirkeloffnung in
»Geometriae practicae novae* (Niirnberg 1667).
Durer hat, wie aus der schon mehrfach angefiihrten Schrift:
»Underweysung der Messung etc.« ersichtlich geworden ist, entschie-
dene Verdienste um die Entwicklung der Lehre von den hoheren
Kurven. Er gab eine allgemeine Auffassung des Asymtotenbegriffs
und fand als neue Formen hoherer Kurven gewisse cyklische Kurven
und Muschellinien.
Yom 15. Jahrhundert an machen die Projektionsmethoden
einen weiteren Fortschritt. Jan van Eyck 121) befolgt in dem
grossen Gentner Altarbild perspektivische Gesetze , z. B. die
Anwendung des Fluchtpunkts, aber ohne diese Satze mathe-
matisch erfasst zu haben. Dies trifft erst bei Albrecht Durer
zu, der in seiner »Underweysung der messung mit dem zirckel
and richtscheyU Aug- und Distanzpunkt beniitzt, und das
Fink, Geach. der Elementarmathematik.
12
178 IV. Geometrie.
perspektivische Bild durch Grund- und Aufriss konstruieren
lehrt. - - In Italien 1st die Perspektive durch den Architekten
Srunelleschi und den Bildhauer Donatello ausgebildet worden.
Das erste Werk fiber diese neue Lehre riihrt von dem Bau~
meister Leo Battista Alberti her. »In demselben erklart er
das perspektivische Bild fur den Schnitt der Sehstrahlenpyra-
mide mit der Bildflache, gibt ein Instrument zu seiner Her-
stellung an , welches aus einem Rahmen mit einem quadra-
tischen Netz von Faden und einem gleichen Liniennetz auf
der Zeichenflache besteht, und teilt das Verfahren des Distanz-
punktes als von ihm erfunden mit , mittelst dessen er dann
den quadratisch getafelten Boden abbildet« 121). Weitere Aus-
bildung erfuhr dies Verfahren durch Piero delta Francesco*,
der die Fluchtpunkte beliebiger horizontaler Geraden ver-
wertete.
Auf deutschem Gebiet wurde die Perspektive be-
sonders eifrig in Niirnberg gepflegt, wo der Goldschmied
Lencker einige Jahrzebnte nach Durer dessen Darstellungs-
verfahren ausbildete. Die erste franzosische Perspektive ver-
dankt man dem Maler J. Cousin (1560), der im »Livre de
la perspective« den Aug- und Distanzpunkt , daneben nach
Piero die Fluchtpunkte horizontaler Geraden anwendet.
Wesentlich weiter geht Guido Ubaldi, indem er den Flucht-
punkt von Scharen paralleler Geraden beliebiger Richtung
einfiihrt. Was Ubaldi nur ahnen lasst, wird von Simon
Stevin in den Hauptziigen klar erfasst; er legt durch einen
Fundamentalsatz den Grund zur Ausbildung der Lehre von
der Kollineation.
F. Fiinfte Periode.
Von Descartes bis zur Gegenwart.
Seit Apollonius war eine Reihe von Jahrhunderten ver-
flossen, und doch hatte niemand die Hohe griechischer Geo-
metrie ganz zu erreichen vermocht, teils weil verhaltnismassig
Fiinfte Periode. Descartes' analytische Geometric 179
wenige Quellen, und diese selbst nur schwer und oft nur auf
Umwegen zuganglich waren , teils aber auch , well man den
griechischen Untersuchungsmethoden fremd, aber glaubig
staunend gegenuberstand. Aus diesem Zustand der teilweisen
Lahmung, des hilfsbediirftigen und Hilfe suchenden Miihens
wurde die Geometric von Descartes erlost, nicht etwa durch
blosses Zufiigen verwandter Gedanken zur alten Raumlehre,
sondern vermittelst einer in ihrer Einfachheit genialen Ver-
kniipfung der Algebra mit der Geometrie, wodurch eine
neue Schopfung entstand: die analytische Geometrie.
Vorbereitend batten viele Geometer, alien voran Apollonius,
die wicbtigsten elementaren Kurven, die Kegelscbnitte , auf
ibre Durchmesser und Tangenten bezogen und diese Beziebung
durch Gleichungen ersten Grads zwischen Flachen ausgedriickt,
so dass gewisse Relationen zwischen Strecken stattfanden, die
nicbts anderes als Abscissen und Ordinaten waren.
In den Kegelschnitten des Apollonius finden sich Ausdrucke,
die mit »ordinatim applicatae« und » abscissae « tibersetzt
wurden. Den ersteren dieser Ausdrucke ersetzte Fermat
durch »Applikate«, andere schrieben statt dessen »0rdinate«.
Abscisse und Ordinate heissen seit Leibniz (1692) » Coordi-
nates 5a).
Schon im 14. Jahrhundert findet sich als Lehrgegenstand
der Hochschulen eine Art Coordinatengeometrie , die »Lati-
tudines formarum«. Es bedeutete 42) »latitudo« die Ordinate,
» longitude « die Abscisse eines auf ein rechtwinkliges Coor-
dinatensystem bezogenen veranderlichen Punktes, und die
verschiedenen Lagen dieses Punktes bildeten die »figura«.
Die Kunstworter »Lange« und »Breite« waren offenbar dem
astronomischen Sprachgebrauch entnommen worden. In Aus-
ubung dieser Kunst beschrankte sich Oresme auf den ersten
Quadranten, in welchem er Gerade, Kreise und sogar die Pa-
rabel behandelte, aber immer derart, dass nur ein posi-
tiver Wert einer Coordinate beriicksichtigt wurde.
12*
180 'IV. Geometrie.
Zu den Vorgangern Descartes' gehoren ausser Apollonim
insbesondere Viete, Oresme, Cavalieri, Eoberval und Fermat,
der bedeutendste uriter ihnen auf diesem Gebiet ; aber nirgends,
auch von Fermat nicbt, war ein Versuch gemacht worden,
mehrere Kurven verschiedener Ordnung gleichzeitig auf ein
Coordinatensystem zu beziehen, das hochstens fur eine der
krummen Linien spezielle Bedeutung hatte, und gerade dies
hat Descartes systematisch gethan.
Der Gedanke, durch welchen Descartes die arithmetischen
Gesetze der Geometrie dienstbar gemacht, wird von ihm selbst
folgendermassen ausgesprochen 74) :
»Alle Probleme der Geometrie lassen sich auf Ausdriicke
reduzieren, die man konstruieren kann, wofern die Lange von
nur einigen Strecken bekannt ist. Und da die ganze Arith-
metik nur vier oder funf Operationen umfasst, nemlich die
Addition, die Subtraktion, die Multiplikation , die Division
und das Wurzelausziehen, das man als eine gewisse Art der
Division betrachten kann, so hat man in der Geometrie, um
die gesuchten Linien zu finden, nur folgendermassen zu ver-
fahren : Man addiert zum gegebenen Ausdruck andere be-
kannte Strecken , oder subtrahiert dieselben von ihm ; oder
man wahlt, um die Beziehung zu den Zahlen noch auffalliger
zu machen, eine beliebige Strecke als Einheit. Sucht man
dann zu dieser und zwei andern gegebenen Strecken eine
vierte, welche sich zu einer der beiden verhalt, wie die an-
dere zur Einheit, so hat man dasselbe gethan wie bei der
Multiplikation*); oder aber man sucht eine vierte Strecke,
welche sich zu einer der beiden gegebenen verhalt wie die
Einheit zur andern **), so hat man dividiert ; oder man sucht
eine oder zwei oder mehrere mittlere Proportionate zur Ein-
heit und irgend einer andern Strecke, so hat man die zweite,
*) c:a===b: 1, c = ab.
**) c : a = 1 : b, c = a : b.
Fiinfte Periode. Descartes' analytische Geometrie. 181
dritte, . . . Wurzel ausgezogen *). — Ich scheue mich nicht,
diese Ausdriicke der Arithmetik in die Geometrie einzufiihren,
um mich bestimmter ausdriicken zu konnen. Man moge be-
merken, dass ich unter a2, bs und ahnlichen Grossen fiir ge-
wohnlich einfache Strecken verstehe , und ich nenne sie nur
Quadrat oder Kubus, um mich der gelaufigen algebraischen
Ausdriicke zu bedienen.« (Es ist a2 die dritte Proportionate
zur Einheit und a, oder 1 : a = a : a2, und ahnlich b :&2 = bz : 63),
Diese Betrachtungsweise arithmetischer Ausdriicke hat
die von Descartes gemachten geometrischen Entdeckungen
wesentlich beeinflusst. Wie schon ApoUonius Punkte eines
Kegelschnitts durch parallele Sehnen nebst deren in der
Rich tun g des konjugierten Durchmessers gerechneten Ab-
standen von einer demselben System angehorigen Tangente
bestimmt, so ist bei Descartes jeder Punkt einer Kurve der
Schnitt zweier Geraden. ApoUonius und alle seine Nachfolger
verwenden jedoch solche Scharen paralleler Geraden nur zu-
fallig und stets nur in der Absicht, eine bestimmte Eigen-
schaft der Kegelschnitte besonders deutlich hervortreten zu
lassen ; Descartes dagegen lost diese Systeme paralleler Ge-
raden von den Kurven los , weist ihnen eine selbstandige
Existenz zu und erreicht so fiir jeden Kurvenpunkt eine Be-
ziehung zweier Strecken vorgegebener Richtung, die nichts
weiter ist als eine Gleichung, und das geometrische Studium
der Eigenschaften dieser Kurve kann durch die Untersuchung
der Gleichung nach den Methoden der Algebra ersetzt werden.
Die fundamentalen Elemente zur Bestimmung eines Kurven-
punkts sind seine Coordinaten, und durch langst bekannte
S'atze war evident, dass ein Punkt der Ebene durch zwei,
ein Punkt des Raumes durch drei Coordinaten festgelegt
werden kann.
Descartes' » Geometrie « ist nicht etwa ein Lehrbuch der
*) \:a = a:b==b:c = c:cl—... gibt a=
182 IV. Geometrie.
analytischen Geometrie74), sondern nur ein kurzer Abriss,
der die Grundlagen dieser Disciplin in grossen Ziigen an-
deutet. Unter den drei Biichern, welche das ganze zusammen-
setzen, handeln bloss die zwei ersten von der Geometrie; das
dritte ist algebraischer Natur und enthalt die beriihnite
Zeichenregel, an einem einfachen Beispiel erklart, sowie die
Auflosung der Gleichungen dritten und vierten Grads nebst
der Konstruktion ihrer Wurzeln durch Kegelschnitte.
Den ersten Anstoss zu seinen geometriscben Ueberlegungen
verdankt Descartes, wie er selbst sagt, einer Aufgabe, die nacb
den Berichten des Pappus scbon EuJdid und Apollonms be-
schaftigte. Es ist die Aufgabe , den Ort zu drei , vier oder
mehreren Geraden zu finden. Sind die in vorgeschriebenen
Richtungen gemessenen Abstande eines Punktes P von den
Geraden ^1,^2, . . . gn beziebungsweise ei, 62, . . . en, so soil sein
fur 3 Gerade: — ^-- = fc,
ae&
I /M 1
lur 4 Gerade:
es 64
fiir 5 Gerade: -
et 65
u. s. f. Von den Griechen rubrt die Losung der zwei ersten
Falle ber, welche Kegelschnitte liefern. — Kein Beispiel hatte
die Vorziige der neuen Methode besser zeigen konnen als
dieses. Fiir den Fall von drei Geraden bezeichnet Descartes
eine Entfernung mit y, den Abstand des Fusspunktes der-
selben von einem festen Punkt der zugeborigen Geraden mit
x und beweist dann, dass jede andere in Frage kommende
Strecke leicht konstruierbar ist. Ferner gibt er an, »dass
wenn man nacb und nacb y um unendlicb wenig wacbsen
lasst, aucb os um unendlicb wenig wacbst und man auf diese
Weise unendlicb vielePunkte des fraglichen Orts bekommt«.
Fiinfte Periode. Descartes1 analytische Geometric. 183
Die Kurven, welche Descartes nach und nach kennen
lehrt, teilt er merkwurdigerweise so ein, dass die Linien erster
und zweiter Ordnnng eine e r s t e , die dritter und vierter
Ordnung eine zweite, die funfter und sechster Ordnung eine
dritte Gruppe bilden, und so fort. Erst Newton nennt eine
Kurve, welche durch eine algebraische Gleichung wten Grads
zwischen ihren Parallelcoordinaten bestimmt ist, eine Linie
wter Ordnung, oder auch eine Kurve (n — l)ter Gattung.
Die Einteilung in algebraische und tr anscendente
Kurven hat Leibniz eingefuhrt ; vor ihm hiessen nach dem
Vorgang der Griechen die ersteren geometrische, die
letzteren mechanische Linien6").
Unter den Anwendungen, die Descartes macht, ragt das
Tangentenproblem hervor, und dies behandelt er in eigen-
tumlicher Weise : er beschreibt um den auf der #-Axe ge-
legenen Fusspunkt der im Kurvenpunkt P errichteten Normale
einen Kreis durch P und druckt aus, dass dieser Kreis die
Kurve im Punkte P in zwei aufeinanderfolgenden Punkten
schneidet, d. h. er stellt die Bedingung auf, dass nach der
Elimination von x die Gleichung in y eine Doppelwurzel hat.
Eine natiirliche Folge der Annahme des Descartes'1 schen
Coordinatensystems war auch die Zulassung von negativen
Wurzeln bei algebraischen Gleichungen. Diese negativen
Wurzeln hatten nun eine reale Bedeutung; man vermochte
sie darzustellen und musste sie deshalb den positiven Wurzeln
gieichberechtigt zur Seite geben.
In der unmittelbar auf Descartes folgenden Zeit erfahrt
die Geometric durch Cavalieri, Fermat, Roberval, Wallis,
Pascal und Newton Bereicherungen , nicht zunachst durch
blosse Anwendung der Coordinatengeometrie , sondern noch
vielfach auf dem Wege der altgriechischen, zurn Teil wesentlich
vervollkommneten Methoden. Das letztere gilt in besonderem
Sinn von Cavalieri, dem Erfinder der »Hethode der unteil-
184 IV- Geometric.
baren Grossen« *) , welche nach kurzer Zeit durch die Inte-
gralrechnung verdrangt wurde, hier aber ihre Stelle finden
mag, da sie ausschliesslich im Dienste der Geometrie stand.
Cavalieri beschaftigte sich gerne mit der Geometrie der
Alten. So ist er z. B. der erste gewesen, welcher einen be-
friedigenden Beweis der sogenannten Guldin'schen Regel, die
schon Pappus anfuhrt , beibrachte. Sein Hauptbestreben
ging darauf aus, ein allgemeines Verfahren zur Bestimmung
von Flachen und Kubikinhalten , sowie von Schwerpunkten
zu finden, und zu diesem Zweck formte er die Exhaustions-
methode um. Da Cavalieri' s Methode, die er im Jahr 1629
schon besass, noch heutzutage in elementaren Fallen die In-
tegration mit Vorteil zu ersetzen imstande ist, so mo'ge hier
ihr Wesen in kurzen Ztigen geschildert werden 74).
1st y = f(x) in rechtwinkligen Coordinaten die Gleichung
einer Kurve, von welcher eine zwischen einem Kurvenbogen,
der #-Axe und den zu XQ und x\ gehorigen Ordinaten gele-
gene Flache bestimmt werden soil, so teilt Cavalieri den
Unterschied xi — 00$ in n gleiche Teile ; ein solcher Teil sei
A, und n werde sehr gross genommen. Ein Element der
Flache ist alsdann = liy = h .f(x) und die ganze Flache wird
+ riK).
0
Fur w = oo erhalt man offenbar nichts anderes als
dx.
Aber dies ist nicht die Grosse, welche Cavalieri zu bestimmen
*) In franzosischen Werken » Methode des indivisibles*, urspriing-
lich in demWerk: »Geometria indivisibilibus continuorum nova qua-
darn ratione promota«; Bologna 1635.
Funfte Periode. Cavalieri's Methode der unteilbaren Grossen. 185
sucht; er bildetnur denQuotient en aus der gesuchten
Flache und dem Rechteck mit der Grundlinie
xi — tfound der H 6 h e ?/i , so dass die zu bestimmende Grosse
die folgende ist:
-f nh) /0*° + nh)
n . Ji . f(oc\ ) n f(oo\ )
Cavalieri wendet diese Formel, die er iibrigens in voller
Allgemeinheit nach Analogiegriinden aufstellt, nur an, wenn
/(a?) von der Form Axm (m — 2, 3, 4) ist. Die Ausdehnung
auf weitere Falle erfolgte durch Roberval, Wallis und Pascal.
In den einfachsten Fallen liefert' die Methode der unteilbaren
Grossen folgende Ergebnisse 74). Fiir ein Parallelogramm wird die
unteilbare Grosse oder das Flachenelement eine Parallele zur Grund-
linie; die Anzahl der unteilbaren Grossen ist proportional der Hohe;
daher kann alsMass fiir die Flache des Parallelogramms das Produkt
aus den Masszahlen der Grundlinie und Hohe gelten. Der entsprechende
Schluss gilt fiir das Prisma. Um eine Dreiecksflache mit dem Parallelo-
gramm von derselben Grundlinie und Hohe zu vergleichen, wahlt man
wieder eine Zerlegung in Elemente durch Parallelen zur Grundlinie
in gleichen Abstanden von einander; die Elemente des Dreiecks sind
dann, vom kleinsten beginnend, 1,2,3, ... n, die des Parallelogramms
n, n, ... nt also der Quotient
Dreieck
Parallelogramm n . n n2 2
woraus fiir n= oo der "Wert £ folgt. Fiir die entsprechenden Korper
erhalt man ebenso
Pyramide I2 + 22 + . . . + rc2 _ _ $n(n -j- 1) (2n -f • 1)
Prisma ns n9
1 1 ^ 1 >v " 1
»= 00
Diese geometrisch-analytische Methode Cavalieris wurde
186 rV. Geometrie.
nach Verfluss einiger Jahrzehnte von der fur alle Falle ohne
weitere Vorbereitung brauchbaren Integralrechnung ganz in
den Hintergrund gedrangt. Zunachst aber trat Roberval,
von dem Tangentenmethoden bekannt sind, ganz in die Fuss-
stapfen Cavalieri's. Wallis beniitzte die Arbeiten Descartes'
und Cavalieri's gleichzeitig und betrachtete besonders Kurven,
deren Gleichung die Form y = xm hat, indem er fur m ganze
und gebrochene, positive und negative Zahlen einsetzte. Sein
Hauptverdienst besteht darin , dass er in einer lichtvollen
Abhandlung Descartes' Erfindung wurdigte und dieselbe zu-
ganglicher machte. In diesem Werk definiert Wallis auch
die Kegelschnitte als Kurven zweiten Grads, was vor
ihm nicht in derselben entschiedenen Weise geschehen war.
Pascal erweist sich als talentvoller Schiller von Cavalieri
und Desargues. In der 1639 verfassten , aber erst 1779
veroffentlichten » Geometrie der Kegelschnitte « Pascal's findet
sich das ^PascaVsche Theorem « vom Sehnensechseck , vom
»Hexagramma mysticum«, wie er es nannte , welches Bessel
1820 noch einmal entdeckte, ohne von der friiheren Arbeit
Pascal's eine Ahnung zu haben *) ; ferner der auf Desargues
zuriickgehende Satz, dass wenn eine Gerade einen Kegel-
schnitt in P und §, die Seiten eines demselben angehorigen
Sehnenvierecks in A, B, C, D trifft, die Gleichung besteht:
PA_._PC QA^ QC
PB .PD QB .QD'
Pascal's letztes Werk beschaftigt sich mit einer Kurve
die von ihm Roulette, von Roberval Trochoide, spater allge-
mein Cykloide genannt wurde. Schon Bouvelles (1501) kannte
die Konstruktion dieser Kurve. Galilei hat sich, wie aus
einem Brief an Toricelli vom Jahr 1639 zu ersehen ist, ein-
*) Bianco in Torino Att. XXI.
Fiinfte Periode. Newton's Thatigkeit. 187
gehender mit Rollkurven beschaftigt, und zwar zum Zweck
der Konstruktion von Briickenbogen. Die Quadratur der
Cykloide und die Bestimmung des Volumens des der Axe zu-
geordneten Umdrehungskorpers ftihrte Roberval aus, die Tan-
gentenkonstruktion aber Descartes. Im Jahr 1658 war Pascal
imstande, die Bogenlange eines Segments der Cykloide , den
Schwerpunkt dieser Flache und den zugehorigen Rotations-
korper zu bestimmen. Spater erscheint die Cykloide in der
Physik als Brachystochrone und Tautochrone, da sie sowohl
einen auf ihr fallenden Korper in kiirzester Zeit von einem
Punkt zum andern gelangen lasst, als auch einen auf ihr
pendelnden materiellen Punkt immer in derselben Zeit an
seine tiefste Stelle fiihrt. - - Mit isoperimetrischen Problemen
hatten sich unter anderen Jakob und Johann Bernoulli abge-
geben ; aber nur der erstere erzielte bei solchen Studien
wirkliche Erfolge, indem er eine strenge Methode zur Losung
derartiger Aufgaben anzugeben vermochte , welche durch
Johann Bernoulli nur eine unbedeutende Vereinfachung er-
fuhr (s. S. 138).
Die auf Pascal* s Thatigkeit folgenden Jahrzehnte wurden
noch zum grossen Teil durch die Beschaftigung mit Tan-
genten - und den dazu gehorigen Normalenpro blemen
ausgefullt, aber gleichzeitig entwickelte sich die allgemeine
Theorie der ebenen Kurven mehr und mehr. Barrow
gab ein neues Verfahren zur Bestimmung der Tangenten ;
Huygens beschaftigte sich mit der E volute einer Kurve und
bezeichnete den Weg zur Berechnung des Kriimmungshalb-
messers. ' Durch die Betrachtung der kaustischen Linien kam
Tschirnhausen auf die Evolventen, und Maclaurin konstruierte
den Kriimmungskreis in einem Punkt einer algebraischen
Kurve. Die wichtigste Bereicherung dieser Theorie erfolgte
durch Newton's »Enumeratio linearum tertii ordinis« (1706).
Diese Abb and lung stellt den Unterschied algebraischer und
188 IV- Geometric.
transcendenter Kurven fest; dann betrachtet sie eingehend
die Gleichung einer Kurve dritter Ordnung und findet daraus
zahlreiche solcher Kurven, welche sich als »Schatten« von
funf Typen darstellen lassen, was eine wesentliche Forderung
der Perspektive in sich schliesst. — Newton wusste auch
Kegelschnitte aus funf Tangenten zu konstruieren ; er kam
auf diese Entdeckung durch das Bestreben, ohne analytische
Geometrie »nach Art der Alten« zu untersuchen. Ferner
betrachtete Newton mehrfache Punkte einer Kurve im End-
lichen und Unendlichen, und gab Regeln zur Untersuchung
des Verlaufs einer Kurve in der Nahe eines ihrer Punkte
(•» Newton' sches Parallelogramm« oder »analytisches Dreieck«),
sowie zur Bestimmung der Ordnung der Beriihrung zweier
Kurven in einem ihrer Punkte. (Ueber Oskulationen hatten
auch Leibniz und Jakob Bernoulli geschrieben; Plucker nannte
(1831) die Stelle, wo zwei Kurven & aufeinanderfolgende
Punkte gemein haben, »einen &-punktigen Kontakt« ; in dem-
selben Fall hatte Lagrange 1779 von einem »Kontakt (k — l)ter
Ordnung« gesprochen) 5a).
Weitere Arbeiten lieferten Newton's Schiller Cotes und
Maclaurin, sowie Waring. Maclaurin 18a) machte interessante
Untersuchungen uber entsprechende Punkte auf einer Kurve
dritter Ordnung und zeigte dadurch, dass die Theorie eben
dieser krummen Linien vrel umfassender sei als die der Kegel-
schnitte. Euler trat ebenfalls in diese Untersuchungen ein
durch seinen Auf satz »Surune contradiction apparente dans la
theorie des courbes planes « (Berlin 1748), worin gezeigt
wurde, dass durch acht Schnittpunkte zweier Kurven dritter
Ordnung der neunte vollstandig bestimmt ist. Dieser Satz,
der das PascaVsche Theorem fur Kegelschnitte einschliesst,
fuhrte die Punktgruppen oder Systeme von Punkten des Schnitts
zweier Kurven, in die Geometrie ein. — Dieser Euler'sche Satz
wurde 1750 von Cramer, welcher sich vorzugsweise mit den
Singularitaten der Kurven beschaftigte, bei seinen Arbeiten uber
Funfte Periode. Pascal'sche Schnecke und andere Kurven. 189
den Schnitt zweier algebraischen Kurven hoherer Ordnung
bemerkt; daher tragt der scheinbare Widerspruch zwischen
der Zahl der eine ebene algebraische Kurve bestimmenden
Punkte und der Zahl der unabhangigen Sehnittpunkte zweier
Kurven derselben Ordnung den Namen » Cramer }sches Para-
doxon«. Der Widerspruch wurde erst 1818 von Lame durch
das Prinzip, das seinen Namen tragt, gelost69).
Teils im Anschlusse an bekannte Resultate der griechischen
Geometric, teils unabhangig davon, wurden einige besondere
algebraische und transcendente Kurven untersucht. Eine
Linie, welche dieselbe Entstehung hat wie die Conchoide des
Nicomedes, wenn die Gerade durch einen Kreis ersetzt wird,
hat von Roberval den Namen »Lima£on de Pascal« er-
halten ; ein besonderer Fall dieser Schnecke ist die C a r d i o i d e
des 18. Jahrhunderts. — Wenn mit Bezug auf zwei gegebene
Punkte A, B ein Punkt P der Bedingung geniigt, dass eine
lineare Funktion der Entfernungen PA und PS einen kon-
stanten Wert hat, so ist der Ort fur P ein Des cart es'sches
Oval, diese Kurve hatte Descartes bei seinen dioptrischen
Arbeiten aufgefnnden. Fur PA . PS = const, ergibt sich
die C a s s i n i 'sche Linie, welche der Astronoin Ludwigs XIV.
an Stelle der Keppler' schen Ellipse als Planetenbahn betrachtet
haben wollte. Cassini's Linie kann in besonderen Fallen
eine Schlinge bilden, und diese Form wurde von Jakob Ber-
noutti 1694 Lemniscate genannt. — Mit der Betrachtung
der Logarithmischen Linie y = ax hing die von
J. Bernoulli, Leibniz u. a. gegebene Untersuchung der
Gleichgewichtsfigur eines nicht dehnbaren, biegsamen Fadens
zusammen; sie lieferte die Kettenlinie (catenaria, 1691).
— Die Gruppe der von Archimedes erfundenen Spiralen
wurde im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts durch die
hyperbolische, parabolische und logari thmische
S pi rale, sowie durch den Lituus von Cotes (1722) erweitert.
190 IV. Geometrie.
— Tschirnhausen definierte 1687 eine von der griechischen
verschiedene Quadratrix als Ort eines Pimktes P, der auf
LQ \\ SO und gleichzeitig auf HP II OA liegt (GAB ist ein
Quadrant), wo L den Quadranten und M den Halbmesser OS
gleichfo'rmig durchlauft. — Auch ganze Systeme von Linien
und Flachen wurden betrachtet; dazu gehoren die Unter-
suchungen uber Evolventen und Evoluten , allgemein fiber
Enveloppen, wie man sie Huygens, Tschirnhausen , Joliann
Bernoulli, Leibniz u. a. verdankt. Die Betrachtung des
Strahlenbiischels eines Punktes der Ebene und des Ebenen-
biischels einer Geraden im Raum ist von Desargues 1639
eingefuhrt worden 8a).
Die Verallgemeinerung der Descartes' 'schen Coordinaten-
methode auf den Raum von drei Dimensionen erfolgte beson-
ders durch Schooten, Parent und Glair aut 69). Parent lieferte
die Darstellung einer Oberflache durch eine Gleichung zwischen
den drei Coordinaten eines Raumpunktes, und Clairaut ver-
vollkommnete in wesentlichster Weise diese Neuerung 1731
durch eine klassische Abhandlung iiber Raumkurven. Kaum
dreissig Jahre spater begriindete Euler die analytische Theorie
der Krummung der Flachen und die Einteilung der Flachen
nach Grundsatzen, welche den in der Ebene gebrauchlichen
analog sind. Er gibt Transformationsformeln fur Raumcoor-
dinaten und eine Diskussion der allgemeinen Gleichung der
Flachen zweiter Ordnung , deren Einteilung er aufstellt. -
Statt der Euler'schen Benennungen: »Elliptoid, elliptisch-
hyperbolische , hyperbolisch-hyperbolische , elliptisch-parabo-
lische, parabolisch-hyperbolische Flache« haben sich durch
Biot und Lacroix die jetzt gebrauchlichen Namen : »Ellipsoid,
Hyperboloide, Paraboloide« eingebiirgert Ba).
Auch Einzeluntersuchungen sind erw'ahnenswert. Wallis
betrachtete 1663 ebene Schnitte und lieferte die Kubatur
eines Konoids mit horizontaler Richtebene, dessen Gerade eine
Fiinfte Periods. Analytische Geometrie des Raums. 191
vertikale Leitgerade und einen vertikalen Leitkreis schneiden.
Yon Wren ruhrt eine Untersuchnng des zweimanteligen Ro-
tationshyperboloids her (1609), das er »Cylindroid« nannte.
Das Gebiet der Raumkurven, von welchen den Griechen die
gemeine Schraubenlinie des Archytas und die ihrer Entstehung
nach der Archimedischen ebenen Spirale entsprechende spha-
rische Spirale bekannt waren, fand eine Erweiterung durch
die Linie, welche den Meridian en einer Kugel unter gleichen
Winkeln begegnet. Nonius hatte diese Kurve 1546 fiir un-
eben erkannt, Snellius 1624 ihr den Namen »Loxodromia
sphaerica« gegeben. — Das Problem der kiirzesten Linie
zwischen zwei Punkten einer Flache, welches auf Raumkurven
fuhrt, die das 19. Jahrhundert »geod*atische Linien« genannt
hat, wurde von Johann Bernoulli 1698 gestellt und von ihm
selbst erfolgreich in Angriff genommen. — In einer Arbeit
von Plot uber die Schraubenlinie aus dem Jahr 1724 findet
sich zum ersten Mai der Ausdruck »Ligne a double cour-
bure«, »Linie doppelter Krummung« fur »Raumkurve«. -
Meusnier gab 1776 und 1780 Satze uber die Benihrungsebenen
von Regelflachen und uber die Krummung einer Flache in
einem ihrer Punkte als Vorbereitung der nicht lange nachher
beginnenden machtigen Entwicklung der Flachentheorie6a).
Noch sind einige kleinere Untersuchungen in diesem
Zeitraum zu erwahnen. Der algebraische Ausdruck fur den
Abstand der Mittelpunkte des umbeschriebenen und einbe-
schriebenen Kreises eines Dreiecks wird von William Chappie
(1746), nach ihm von Landen (1755) und Euler (1765) be-
stimmt*). — Meister berechnet 1769 die Flachen von Polygonen,
deren von je zwei benachbarten Ecken abgegrenzte Seiten
einander durchsetzen, so dass der Umfang eine gewisse Zahl
von Doppelpunkten aufzuweisen hat und das Vieleck in
Fortschritte 1887, S. 32,
192 IV. Geometrie.
Zellen mit einfachen oder vielfachen positiven oder negativen
Flachen zerfallt. Ueber die Flachen derartiger singul'arer
Polygone hat spater Mobius 1827 und 1865 Untersuchungen
angestellt 6a). • — Saurin betrachtet die Tangenten in den viel-
fachen Punkten einer Kurve, und Ceva, von statischen Satzen
ausgehend, Transversal en an geometrischen Figuren. Stewart
dehnt Ceva's Satze weiter aus, wahrend Cotes das harmonische
Mittel der von einem festen Punkt aus gerechneten Abschnitte
einer Sekante zu einer Kurve nter Ordnung berechnet. Auch
Carnot bereichert die Transversalentheorie. Lhuilier lost die
Aufgabe, in einen Kreis ein w-Eck zu beschreiben, dessen
Seiten durch n gegebene Punkte gehen. Von Brianchon
stammt der Satz iiber das Tangentensechsseit eines Kegel-
schnitts, welcher dem Pascal1 schen iiber das Sehnensechseck
dualistisch beigeordnet ist. Die Uebertragung dieser beiden
Satze auf die Kugelobernache erfolgte durch Hesse und
Thieme. Bei Hesse wird ein PascaTsches Sechseck auf
der Kugel durch sechs Punkte gebildet, die auf dem Schnitt
der Kugel mit einer Kegelflache zweiter Ordnung liegen,
wobei die Spitze des Kegels in den Kugelmittelpunkt fallt.
Thieme w'ahlt einen geraden Kreiskegel. — Der fur die
elementare Schulgeometrie bestimmte Uebungsstoff hat unter
anderem eine Vermehrung durch zahlreiche Satze iiber den
nach K. W. Feuerback (1822) genannten Kreis, iiber Gegen-
mittellinien des Dreiecks , iiber den Grebe' schen Punkt und
die Brocard' schen Gebilde (zum Teil schon von Crelle 1816 ent-
deckt, von Brocard 1875 neu wieder eingefiihrt) erfahren 68).
Die Theorie der regularen geometrischen Gebilde erhielt
ihre wichtigste Erweiterung durch Gauss, welcher merkwiir-
dige Satze iiber die Moglichkeit oder Unmoglichkeit elemen-
tarer Konstruktionen von regelmassigen Vielecken entdeckte
(s. S. 123). Poinsot bearbeitete die Lehre von den regel-
massigen Polyedern, indem er Betrachtungen iiber die fiinf
platonischen Korper anstellte, und besonders iiber die vier
Funfte Periode. Projektive Geometrie. 193
» Keppler-Poinsof schen regularen Korper hoherer Art«, nem-
lich die vier Sternpolyeder , welche zu je zweien aus dem
Dodekaeder und Ikosaeder entspringen. Die Fortsetzung
dieser Betrachtungen erfolgte dnrch Wiener, Hessel und Hess
unter Aufhebung gewisser beschrankender Voraussetzungen,
so dass eine ganze Reihe von Korpern, welche in weiterem
Sinn als regelmassig gelten konnen, den oben genannten sich
angliedern lasst. — Entsprechende Studien fur den vierdimen-
sionalen Raum sind von Scheffler, Rudel, Stringham, Hoppe,
Schlegel angestellt worden. Sie haben ergeben, dass in einem
solchen Raum sechs regelmassige Gebilde existieren, von
denen das einfachste als Begrenzung funf Tetraeder aufzuweisen
hat. Die Umgrenzung der iibrigen ftinf Gebilde erfordert
beziehungsweise 16 oder 600 Tetraeder, 8 Hexaeder, 24 Ok-
tae'der, 120 Dodekaeder95). — Noch mag erwahnt sein, dass
im Jahr 1849 durch E. F. August das Prism a to id in die
Stereometric eingefuhrt wurde, und dass Schubert und StoU
das Apollonische Beruhrungsproblem so verallgemeinerten,
dass sie die Konstruktion der sechzehn Bertihrungskugeln zu
vier gegebenen Kugeln anzugeben vermochten.
Die projektive Geometrie, wohl auch weniger
bezeichnend nenere Geometrie oder Geometrie der Lage ge-
nannt, ist im wesentlichen eine Schopfung des 19. Jahrhun-
derts. Die Descartes' sche analytische Geometrie hatte im
Verein mit der von Leibniz und Newton geschaffenen hoheren
Analysis eine Reihe wichtiger Entdeckungen im Gebiet der
Raumlehre zu verzeichnen gehabt ; allein sie war nicht dazu
angethan, fur rein geometrische Satze einen befriedigenden
Beweis zu fuhren. Beziehungen spezifisch geometrischer
Art batten sich aber namentlich im konstruktiven Zeichnen
auffinden lassen. Auch Newton's Aufstellung seiner funf
Haupttypen von Kurven dritter Ordnung, als deren Projektion
die vierundsechzig iibrigen Typen aufgefasst werden konnen,
Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 13
194 IV. Geometrie.
hatte einen Anstoss nach derselben Richtung hin gegeben.
Nach wichtigeren Vorarbeiten von Carnot erfolgte die Ent-
wicklung der neuen Disciplin durch Poncelet, Chasles, Steiner
und v. Staudt] sic entdeckten »dieuberstromende Quelle tiefer
und eleganter Satze, die sich mit iiberraschender Leichtigkeit
zu einem organischen Ganzen vereinigten, zu dem graziosen
Auf bau der projektiven Geometric, die insbesondere hinsiclitlicli
der Theorie der Kurven zweiter Ordnung als das Ideal eines
wissenschaftlichen Organismus gelten kann« 1S).
Ihre friiheste Entfaltung fand die projektive Geometric
auf franzosischem Boden durch die » Geometric descriptive «
von Monge, dessen erstaunliche Vorstellungskraft, unterstiitzt
von den Methoden der darstellenden Geometrie, cine Menge
zur Klassifikation der Raumgebilde verwendbare Eigenschaften
der Flachen und Kurven entdeckte. Sein Werk schuf »f in-
die geometrische Wissenschaft den bis dahin unbekannten
Begriff der geometrischen Allgemeinlieit und der geometriscnen
Eleganz« 48), und die Bedeutung seiner Arbeiten ist nicht nur
fur die Lehre von der Projektivitat, sondern auch fiir die Ent-
wicklung der Tneorie der Krummung von Flachen eine fundamen-
tale geworden. Zur Einftihrung des Imaginaren in die Betrach-
tungen der reinen Geometrie hat Monge ebenfalls den Austoss
gegeben, und sein Schiller Gaultier hat diese Untersuchungen
weitergefiihrt , indem er z. B. die Potenzlinie zweier Kreise
als Sekante derselben durch ihre reellen oder imaginaren
Schnittpunkte definierte.
Die so erzielten Resultate der Schule Monge's, welche stets
der reinen Geometrie naher verwandt waren als der Descar-
tes'schen analytischen Geometrie , bestanden vornehmlich in
einer Reihe neuer interessanter Satze uber Flachen zweiter
Ordnung, gehorten also demjenigen Gebiet an, in das vor
Monge schon Wren (1669), Parent und Euler eingetreten
waren. — Dass Monge die analytischen Methoden nicht gering
schatzte, davon zeugt seine » Application de 1'Algebre a la
Fimfte Periode. ProjeVtive Geometrie. 195
geometric* (1805), durch welche er, wie Plucker sagt, »die
Gleichung der geraden Linie in die analytische Geometrie
einfiihrte, dadurch den Grund zur Verbannung aller Konstruk-
tion aus derselben legte und ihr jene neue Form gab, durch
welche ihre weitere Ausbildung moglich wurde«.
Wahrend Monge sich bei seinen Arbeiten mit Vorliebe
im Raum von drei Dimensionen bewegte, studierte Carnot
insbesondere die Grossenverhaltnisse an Figuren mit Trans-
versalenschnitten, und grtindete durch Einfiihrung des Nega-
tiven eine » Geometrie deposition*, welche aber nicht identisch
ist mit dem, was heute » Geometric der Lage« genannt wird.
Nicht die bedeutendste, aber fur die elementare Schulgeometrie
bemerkenswerteste Darlegung Carnofs ist die iiber das voll-
standige Viereck und Vierseit.
Monge und Carnot hatten die Hindernisse, welche sich
einer uaturgemassen Entwicklung der Geometrie auf ihrem
eigenen Felde entgegenstellten , beiseite geraumt , und nun
konnten neue Ideen in wohl vorbereitetem Boden einer raschen
Entwicklung sicher sein. Die Saat ging von Poncelet aus.
Sein imJahr 1822 erschienenes Werk: »Traite des proprietes
projectives des figures « untersucht die Eigenschaften der
Figuren, welche bei einer Projektion derselben unverandert
bleiben, d. h. ihre invarianten Eigenschaften. Die
Projektion geschieht hier nicht, wie bei Monge, durch parallele
Strahlen einer vorgeschriebenen Richtung, sondern durch
Zentralprojektion, also nach Art der Perspektive. Dadurch
kam Poncelet zw Einfiihrung der perspektivischen Axe
unddes perspektivischen Mittelpunkts (nach Chasles
Axe und Zentrum der Homologie) in die Betrachtung ebener
Figuren, nachdem schon Desargues die Fundamentalsatze hiefiir
aufgestellt hatte. Schon 1811 war en durch Servois der Ausdruck
»Pol einer Geraden«, durch Gergonne 1813 die Benennungen
»PolareeinesPunktes«und »Dualitat« gebraucht worden; aber
Poncelet entwickelte 1818 einige Bemerkungen De Lahire'svow.
13*
196 IV. Geometrie.
Jahr 1685 uber das gegenseitige Entsprechen von Pol und
Polare bei Kegelschnitten zu einer Methode, welche Figuren
in ihre polar reciproken uberfiibrte. Gergonne erkannte in
dieser Theorie der reciproken Polaren ein Prinzip,
dessen Anfange schon dem Viete, Lansberg und Snellius aus
der spharischen Geometrie bekannt waren; er nannte es das
Prinzip der Dual it at (1826). Gergonne stellte auch
1827 dem Begriff derOrdnung einer ebenen algebraischen
Kurve denjenigen der Klasse dualistisch gegenuber; die
Linie ist niei Ordnung, wenn sie von einer Geraden der
Ebene in n Punkten getroffen wird, und sie ist wter Klasse,
wenn von einem Punkt der Ebene n Tangenten an sie ge-
zogen werden konnen 5a).
Wahrend im weiteren Verlauf in Frankreich nur Chasles
sich in eingehender Weise der Fortfuhrung der neuen Dis-
ziplin annabm, ging die reichste Entwicklung derselben vom
dritten Dezennium des 19. Jabrhunderts ab auf deutschem
Boden vor sicb, wo fast gleichzeitig die drei grossen Forscber
Mobius, Plilcker und Steiner auf den Plan traten. Und von
dieser Zeit ab scbeidet sicb aucb * 3) die durcb Steiner, v. Staudt
und Mobius vertretene synthetiscbe , mebr konstruierende
Richtung von der durcb Plucker, Hesse, Aronhold und Clebsch
besonders entwickelten analytiscben Seite der neueren Geometrie.
Der »barycentrische Calcul« brachte im Jabr 1827
das erste Beispiel bomogener Coordinaten und damit eine bis
dahin in der analytischen Geometrie unbekannte Symmetric
der entwickelten Formeln. Mobius ging in diesem Calcul
davon aus , dass man jeden Punkt P in der Ebene eines
Dreiecks ABC als Scbwerpunkt des letzteren anseben kann ;
dabei geboren den Punkten A, I?, C entsprecbende Gewichte
zu, welche nicbts anderessind, als die bomogenen Coordinaten
des Punktes Pin Bezug auf die Ecken des Fundamentaldreiecks
AEG. Durch diesen Algorithmus fand Mobius auf dem Wege
Fiinfte Periode. Projektive Geometrie. 197
der Rechnung eine Menge geometrischer Satze, namentlich
solche, die invariante Eigenschaften ausdrucken, wie die Satze
fiber Doppelschnitts- und Dreiecksschnittsverhaltnisse. Die
analytisch gefundenen Satze suchte Mobius auch geometrisch
zu beweisen, und zu diesem Zweck fiihrte er mit aller Kon-
sequenz das »Prinzip der Zeichen« durch, welches ausdriickt,
dass fiir A, 1?, C als Pimkte einer Geraden AIR = — _ZL4,
AB + BA - 0, AS + BC -f CA = 0 ist.
Unabhangig von Mobius, aber von denselben Prinzipien aus-
gehend, kam Bellamtis zu seiner neuen geometrischen Method e der
Aequipollenzen*). Zwei gleiche und gleichgerichtete parallele
Strecken AB und CD heissen aquipollent (nach der Bezeichnung von
Cayley AB = CD). Durch diese Annahme wird die ganze Theorie auf
die Betrachtung von Strecken, welche von einem festen Punkt aus-
gehen, zuriickgefiihrt. Ferner wird verlangt, dass AB -f BC = AC
sei (Addition). Endlich soil fiir die Strecken a, b, c, d und deren
Neigungen a, p, y, 8 gegen eine feste Axe die Gleichung a = be : d
nicht nur eine Beziehung zwischen Langen sein, sondern auch anzeigen,
dass a = p -f- y — 8 ist (Proportion). Fiir d = 1 und a = 0 wird dann
a = be, d. h. das Produkt der absoluten Werte fur die Langen ist a = be,
und zugleich ist a = p-|-Y (Multiplikation). — Die Aequipollenz ist
demnach nur ein besonderer Fall der Gleichheit zweier Objekte, voll-
zogen an Strecken 108).
Mobius fiihrte ferner die Betrachtung der ein- und
mehrdeutigen Verwandtschaft zweier geometrischen
Gebilde ein. Die eindeutige Verwandtschaft, bei welcher je
einem Punkt eines ersten Gebildes nur stets ein Punkt eines
zweiten Gebildes entspricht, und einem Punkt des zweiten
wieder nur ein Punkt des ersten, nannte Mobius Collinea-
tion; er konstruierte sich nicht bloss ein collineares Abbild
der Ebene, sondern auch des gewohnlichen Raums.
Die neuen und fundanientalen Gedanken, welche Mobius
*) Bellavitis, Saggio di Applicazioni di un Nuovo Metodo di
Geoinetria Analitica (Calculo delle Equipollenze). Ann. Lomb, Veneto,
t. 5. 1835.
J98 IV. Geometrie.
im barycentrischen Calcul niedergelegt hatte, blieben lange
Zeit fast ganz unbeachtet und griffen deshalb nicht sofort
in die Gestaltung der geometrischen Anschauungen ein.
Gunstigeren Boden fanden die Arbeiten Pliicker's und Sterner' s.
Letzterer »hatte in der unmittelbareu geometrischen Anschau-
ung das hinreichende Hilfsmittel und den einzigen Gegenstand
seiner Erkenntnis erblickt, wahrend Plucker in der Identitat
der analytischen Operation und der geometrischen Konstruktion
die Quelle seiner Beweise suchte und geometrische Wahrheit
nur als eins der vielen denkbaren Gegenbilder analytischer
Beziehung betrachtete« 20).
In spaterer Zeit (1855) beschaftigte sich Mobius auch
mit Involutionen hoheren Grads; eine solche mten
Grads besteht aus zwei Gruppen von je m Punkten: J.i, J.2,
As, . . . Am; J5i, J52, Bs, ... Bm, welche zwei Figuren so
bilden , dass dem Iten, 2ten, 3ten, . . . mten Punkt einer
Gruppe als Punkten der ersten Figur der Reihe nach der
2te, 3te, 4te, ... Ite Punkt derselben Gruppe als Punkte der
zweiten Figur mit derselben bestimmten Verwandtschaft ent-
sprechen. — Die Involutionen hoheren Grads hatte vor Mobius
schon Poncelet (1843) betrachtet, ausgehend von dem durch
Sturm 1826 bekannt gegebenen Satz, dass durch die Kegel-
schnitte der Flachen zweiter Ordnung u — 0, v — 0, u + \v = 0
auf einer Geraden sechs Punkte A, A', 5, B', C, O in In-
volution bestimmt werden , d. h. so , dass in den Systemen
ABCAB'C und A&C'ABC je A und A, B und B', C
und (7, aber auch A' und J., B' und Jfr, C' und C ent-
sprechende Punktpaare sind. Dieses wechselseitige Entsprechen
dreier Punktpaare einer Linie hat Desargues schon 1639 mit
dem Namen »Involution« bezeichnet 5a).
Plucker ist der eigentliche Begriinder der analytischen
Richtung neueren Stils, und dies ist er dadurch geworden,
dass er »das Prinzip derDualitat analytisch formulierte und
Fiinfte Periode. Projektive Geometrie. 199
in seinen Konsequenzen verfolgte« 13). Die »analytisch
geometrischen Un tersuchungen« erschienen 1828.
Durch dieses Werk wurde die Methode der symbolischen
Bezeichnung und der unbestimmten Coefficienten fur die
Geometrie geschaffen , wodurch man von der Notwendigkeit
befreit war, bei der Betrachtung der gegenseitigen Verhalt-
nisse zweier Gebilde stets auf das Coordinatensystem Ruck-
sicht nehmen zu mtissen, so dass mit den Gebilden selbst
operiertwerdenkonnte. — Das»System der analy tischen
Geometrie« von 1835 bringfc neben der ausgiebigen An-
wendung der abgekiirzten Bezeichnung eine vervollstandigte
Einteilung der ebenen Kurven dritter Ordnung; und in
der »Theorie der algebraischen Kurven« von 1839
traten ausser einer Untersuchung iiber ebene Kurven vierter
Ordnung jene analy tischen Beziehungen zwischen den gewohn-
lichen Singularitaten ebener Kurven auf, welch e allgemein
als » Plucker 'sche Formeln« bekannt sind.
Diese Plucker' schen Formeln *), welche zunachst nur fur
ebene algebraische Kurven und deren vier sich paarweise
dualistisch entsprechende Singularitaten (Riickkehrpunkt,
Doppelpunkt, Wendetangente , Doppeltangente) Giiltigkeit
haben, sind von Cayley auf Kurven mit hoheren Singularitaten
ausgedehnt worden. Mit Hilfe von Reihenentwicklungen
leitete er vier »Aequivalenzzahlen« ab, welche erkennen lassen,
wie viefe der elementaren Singularitaten von einem singu-
laren Punkt hoherer Ordnung absorbiert werden , und wie
der Ausdruck fiir das Geschlecht der Kurve davon beeinflusst
wird. Bestatigt, erweitert und in den Beweisen vervollkommnet
wurden Cayley 's Resultate durch Arbeiten von Noiher, Zeuthen,
Halphen und Smith. Die aus der Cayley1 schen Anschau-
ungsweise entspringende fundament ale Fr age, ob und
*) A. Brill, Ueber Singularitaten ebener algebraischer Kurven
und eine neue Kurvenspecies, Mathem. Annalen XVI,
200 IV. Greometrie.
durch welche Konstanten'anderungen aus einer Kurve mit
hoherer Singularitat eine solche mit den entsprechenden
elementaren Singularitaten hergestellt werden kann, fur welche
die Plucker'schen und die Geschlechtsformeln dieselben sind,
hat durch A. Brill ihre endgiiltige Entscheidung gefunden.
Plucked s grosstes Verdienst bildet wohl die E i n f ii h r u n g
der Geraden als Raumelement. Das Prinzip der
Dualitat hatte dazu gefuhrt, neben dem Punkt in der Ebene
die Gerade, im Raum die Ebene als bestimmendes Element
einzufuhren. Plucker beniitzt auch im Raume die Gerade
zur systematischen Erzeugung von geometrischen Gebilden.
Seine ersten Arbeiten in dieser Richtung wurden 1865 der Konig-
lichen Gesellschaft in London vorgelegt. Sie enthielten schon
Satze uber Komplexe, Kongruenzen und Regelflachen mit
einiger Andeutung der Beweisfiihrung. Die weitere Aus-
ftihrung erschien 1868 als »Neue Geometric des Raums, ge-
griindetauf dieBetraehtung der geraden Linie als Raumelement «.
Die linearen Komplexe hatte Plucker selbst noch behandelt ;
an der Vollendung der Theorie der Komplexe zweiten Grads
verhinderte ihn der Tod. Die Weiterfuhrung der Lehre von
den Komplexen erfolgte besonders durch F. Klein 69).
Die im letzten Werke Plucker's enthaltenen Resultate
haben besonders auf den Unterschied der ebenen Geometric
und der Raumgeometrie ein helles Licht geworfen 18a). Die
krumme Linie der Ebene tritt entweder als einfach unend-
liches System von Punkten oder von Geraden auf ; in dem
Raum kann die Kurve als einfach unendliches System von
Punkten, Geraden oder Ebenen betrachtet werden; aber von
anderem Gesichtspunkt aus ist diese Raumkurve ersetzbar
durch eine abwickelbare Flache, deren Riickkehrkante sie ist;
besondere Falle der Raumkurve und der abwickelbaren Flache
sind die ebene Kurve und die Kegelflache. Ein weiteres
Raumgebilde, die allgemeine Flache, ist einerseits ein zwei-
Fiinfte Periodc. Projektive Geometrie. 201
fach unendliches System von Punkten oder Ebenen, anderer-
seits aber als spezieller Fall eines Komplexes ein dreifach
imendliches System von Geraden, den Tangenten der Flache;
als besonderer Fall entsteht hier die windschiefe Flache oder
Regelflache. Ausserdem tritt noch die Kongruenz als
zweifach, derKomplex als dreifach unendliches System von
Geraden auf. — Die Raumgeometrie umfasst eine Anzahl
von Tbeorien, zu welchen die ebene Geometrie nichts analoges
aufzuweisen hat. Dazu gehoren die Beziehungen einer Raum-
kurve zu den Flachen, welche durch sie gelegt werden konnen,
oder einer Flache zu den auf ihr liegenden Linien doppelter
Krummung. Zu den Krummungslinien einer Flache bietet
sich in der Ebene nichts entsprechendes dar; und der Be-
trachtung der Geraden als ktirzester Verbindungslinie zweier
Punkte der Ebene stehen ina Raum zwei umfassende und
schwierige Theorien gegeniiber , jene der geodatischen Linie
auf einer gegebenen Flache, und jene der Minimalflache
zwischen gegebener Umgrenzung. Es ist besonders noch die
Frage nach der analytischen Darstellung einer Raumkurve,
welche Schwierigkeiten bietet, da ein solches Gebilde nur fur
den Fall, dass es der vollstandige Schnitt zweier Flachen ist,
durch zwei Gleichungen zwischen den Coordinaten x, y, z
dargestellt werden kann. Gerade nach dieser Richtung hin
gehen neuere Untersuchungen von Nother, Halphen und
Valentiner.
Vier Jahre nach den »analytisch geometrischen Unter-
suchungen« Plucker's^ im Jahre 1832, trat Steiner mit der
»systematischenEntwicklungderAbhangigkeit
geometrischer Gestalten« vor die Oeffentlichkeit. Die
ganze Lehre von den Kegelschnitten fand Steiner konzentriert
in dem einzigen Satz (mit seinem dualistisch entsprechenden),
dass eine Kurve zweiter Ordnung, als Schnitt zweier kollinearen
oder projektivischen Biischel entsteht, und so wurde durch
202 IV. Greometrie.
ihn die Lehre von den Kurven und Flachen zweiter Ordnung
im wesentlichen abgeschlossen, dafiir aber die Aufmerksamkeit
auf die algebraischen Kurven und Flachen hoherer Ordnung
gelenkt. Diesen Weg hat Steiner selbst mit Erfolg betreten;
dafiir spricht die » Sterner* sche Flache«, dafiir zeugt ein
Aufsatz, welcher 1848m den Berliner Abhandlungen erschien.
In ihm wurde die Theorie der Polaren eines Punktes in Bezug
auf eine krumme Linie eingehend behandelt, und dadurch
eine mehr geometrische Theorie der ebenen Kurven ausge-
bildet, welche durch die Arbeiten von Grassmann, Chasles,
Jonquieres, Cremona ihre Weiterfiihrung gefunden hat69).
Steiner und Plucker haben ihre Namen auch mit einem geome-
trischen Problem in Verbindung gebracht, das in seiner einfachsten
Gestalt der Elementargeometrie angehort, aber mit seinen Verallge-
meinerungen in hohere Gebiete eindringt. Es ist dies die Malfatti'sche
Aufgabe122). Malfatti stellte 1803 folgendes Theorem: »Es soil ein
gerades dreiseitiges Prisma drei cylindrische Aushohlungen erhalten,
so zwar, dass die drei Cylinder mit dem Prisma einerlei Hohe haben
und deren Inhalte die grosstmoglichsten werden, die nach der Aus-
hohlung also iibrig bleibende Masse ein Minimum werde.« Diese Auf-
gabe reduzierte er auf die jetzt allgemein als »Malfatti'sches Problem*
bekannte Forderung, in ein gegebenes Dreieck drei Kreise so einzu-
beschreiben, dass jeder Kreis zwei Dreiecksseiten und die zwei andern
Kreise beriihrt. Er berechnet die Halbmesser xi, X2, xs der gesuchten
Kreise aus dem halben Umfang s des Dreiecks, dem Halbmesser p des
einbeschriebenen Kreises, den Abstanden ai, at, as; 61, &2, &a der Ecken
des Dreiecks von dem Mittelpunkt des einbeschriebenen Kreises und
dessen Beruhrungspunkten auf den Seiten, und findet
xi = ~ (s -f ai — p — a2 — as),
x* = ^(s + «2 — p — ai — as),
ohne den Gang der Rechnung anzugeben; wohl aber fiigt er eine
Fiinfte Periode. Projetftive Geometrie. 203
einfache Konstruktion bei. Mit der Losung dieser Aufgabe beschaftigte
sich auch Steiner. Er gab (ohne Beweis) eine Konstruktion, fiihrte
an, dass es zweiunddreissig Losungen gebe, und verallgemeinerte das
Problem, zunachst so, dass die drei Geraden durch drei Kreise ersetzt
wurden. Dieselbe Verallgemeinerung betrachtete auch Plucker. Aber
Steiner behandelte ausserdem die entaprechende Aufgabe fur den Raum :
zu dreien auf einer Flache zweiter Ordnung gegebenen Kegelschnitten
drei andere zu bestimmen, welche je zwei der gegebenen und der ge-
suchten Kurven beriihren. Diese allgemeine Aufgabe wurde von
Schellbach und Cayley analytisch, von Clebsch mit Hilfe des Additions-
problems der elliptischen Funktionen gelost , wahrend die einfachere
Aufgabe in der Ebene von den verschiedensten Seiten in Angriff ge-
nommen wurde, so von Gergonne, Lehmus, Crelle, Grunert, Scheffler,
Schellbach (der eine besonders elegante trigonometrische Losung auf-
stellte) und Zorer. Der erste vollkommen gelungene Beweis der
Steiner 'schen Konstruktion riihrt von Binder*) her.
Nach Steiner sind es noch v. Staudt und Chasles, welche
sich um die Entwicklung der projektiven Geometrie verdient
gemacht haben. Michel Chasles veroffentlichte 1837 als
»Aper9u historique sur 1'origine et le developpement des
methodes en geometrie« ein Werk, in welchem altere und
neuere Methoden zur Ableitung vieler interessanten Resultate
Verwendung finden, von denen allerdings mehrere der wich-
tigsten, unter ihnen die Einfiihrung des Doppelverhaltnisses
(Chasles' »anharmonisches Verhaltnis«), der reciproken und
collinearen Verwandtschaft (Chasles' »Dualitat« und »Homo-
graphie«) teils auf Steiner, teils auf Mobius zurtickgeleitet
werden mussen.
Die »Geometrie der Lage« von v. Staudt erschien
1847, seine »Beitrage zur Geometrie der Lage«
1856 — 1860. Diese Schriften bilden einen gewissen Gegen-
satz zu denen von Steiner und Chasles, die stets mit metrischen
Beziehungen und besonders mit Doppelverhaltnissen arbeiten,
wahrend v. Staudt die Aufgabe zu losen versucht, »die Geo-
Programm Schonthal 1868.
204 IV. Geometric.
metrie der Lage zu einer selbstandigen Wissenschaft zu machen,
welche des Messens nicht bedarf«. Rein von Lagenverhalt-
nissen ausgehend entwickelt Staudt alle Satze, welche niclit
unmittelbar von der Grosse geornetrischer Gebilde handeln.
v. Staudt hat namentlich die fundamentals Aufgabe der
Einfiihrung des Imaginaren in die Geometric vollstandig ge-
lost. Die friiheren Arbeiten von Poncelet, Chasles und anderen
batten allerdings komplexe Elemente benutzt, aber dieselben
nur in mehr oder minder unbestimmter Weise definiert, und
namentlich komplex-konjugierte Elemente nicht von einander
gesondert. v. Staudt bestimmt die komplexen Elemente als
Doppelelemente involutorischer Verwandtschaften. Jedes
Doppelelement wird durch den Sinn charakterisiert, in welchem
man durch die Verwandtschaft von einem zum andern ge-
langt. — Auch diese v. Staudfsche Anregung ist nicht sofort
furs allgemeine fruchtbar geworden , und erst spateren Ar-
beiten blieb es vorbehalten, sie dem grosseren Kreise" durch
Ausfiihrung der ursprunglichen knappen Fassung zuganglicher
zu machen.
In den »Beitragen« etc. hat v. Staudt auch gezeigt, wie die
Doppelyerhaltnisse von je vier Elementen eines Grundgebildes erster
Stufe (die v. Staudt'schen »Wurfe«) dazu benufczt werden konnen,
die absoluten Zahlen aus der reinen Geometrie abzuleiten 108).
Mit der projektiven Geometrie ist die neuere darstel-
lende Geometrie aufs engste verknttpft. Jene schopfte
wahrend ihrer Entwicklung die ersten Krafte aus Betrach-
tungen der Perspektive, — diese bereicherte sich spater
wieder durch Friichte, welche die Ausbildung der projektiven
Geometrie gezeitigt hatte.
Die Perspektive der Renaissance 121) fand ihre For-
derung hauptsachlich durch franzosische Mathematiker , zu-
nachst durch Desargues, der fur die bildliche Darstellung
von Objekten Coordinaten benutzte , und zwar so , dass zwei
Axen in der Bildflache lagen, wahrend die dritte Axe eine
Funfte Periode. Darstellende Geometric. 205
Nonnale der Bildebene war. Die Resultate Desargues* waren
allerdings fiir die Theorie wichtiger als fur die Praxis. -
Mehr Erfolghatte Taylor mit einer »linear perspektive« (1715).
In derselben wird eine Gerade durch ihre Spur und den
Verschwindungspunkt, eine Ebene durch Spur und Verschwin-
dungsgerade bestimmt. Diese Art der Darstellung wurde
durch Lambert zu verschiedenen Konstruktionen in sinnreicher
Weise beniitzt, so dass in der Mitte des 18. Jahrhunderts
raumliche Gebilde allgemeiner Lage schon perspektivisch ab-
gebildet werden konnten.
Aus der Perspektive des 18. Jahrhunderts erwuchs die
»darstelle nde Geometrie« zunachst durch ein Werk
Premier's, das ausser praktischen Anweisungen eine besondere
theoretische Abteilung enthielt, versehen mit Beweisen fiir
alle Falle der betrachteten Darstellungsmethoden. Eben in
der » description « oder Darstellung ersetzt Frezier die Zentral-
projektion durch die senkrechte Parallelprojektion,
»die man sich durch herabfallende Tropfen Tinte veranschau-
lichen soll« 121). Das Bild der Projektionsebene heisst Grund-
riss oder Aufriss, je nachdem die Bildebene horizontale oder
vertikale Stellung hat. Mit Hilfe dieser » description « stellt
Premier Ebenen, Polyeder, Flachen zweiten Grads, sowie
Durchdringungen und Abwicklungen dar.
Seit Monge tritt die darstellende Geometric als geson-
derte Wissenschaft auf. Die » Lemons de geome'trie descrip-
tive« (1795) bilden die Grundpfeiler der darstellenden Geometric,
indem sie Horizontal- und Vertikalebene mit dem Grundschnitt
einfuhren, Punkte und Gerade durch zwei Projektionen,
Ebenen durch zwei Spuren darstellen lehren. Darauf folgt
in den »Le£ons« die Menge der Schnitt-, Beriihrungs- und
Durchdringungsaufgaben , welche durch Kombinationen von
Ebenen mit Polyedern und Flachen zweiter Ordnung entstehen.
Mange's Nachfolger, Lacroix, Hachette, Olivier und J. de la
Gournerie, machten Anwendungen dieser Methoden auf die
206 IV". Geometric.
Flachen zweiter Ordnung, die Regelflachen und die Krum-
mungsverhaltnisse von Kurven und Flachen.
Gerade zu der Zeit, als die Entwicklung der darstellenden Geo-
metrie in Frankreich ihre ersten schonen Erfolge aufzuzahlen hatte,
entstanden die technischen Hochschulen. ImJahr 1794 wurde
in Paris die »Ecole centrale des travaux publics* gegriindet, aus welcher
1795 die »Ecole poly technique « hervorwuchs. Weitere technische
Schulen, die im Lauf der Zeit zu Hochschulen sich erweiterten, er-
richtete man 1806 in Prag, 1815 in Wien, 1820 in Berlin, 1825 in
Karlsruhe, 1827 in Miinchen, 1828 in Dresden, 1831 in Hannover,
1832 in Stuttgart, 1860 in Zurich, 1862 in Braunschweig, 1869 in
Darmstadt, 1870 in Achen. In diesen Unterrichtsanstalten erfolgte in
besonderer Weise die Ausniitzung der Resultate projektiver Geometric
zur Fdrderung der darstellenden Geometrie, am konsequentesten durch-
gefuhrt von Fiedler, dessen Lehr- und flandbucher, teils Originale,
teils Uebertragungen aus dem Englischen, in der geometrischen Lit-
teratur eine hervorragende Stelle einnehmen.
Der technischen Bedeutung der darstellenden Geometrie hat sich
seit Jahren auch eine kiinstlerische Seite organisch angegliedert, und
diese ist es besonders, welche durch Arbeiten iiber Axonometrie ( Weis-
bach 1844), Reliefperspektive, Photogrammetrie und Beleuchtungslehre
eine Forderung zu verzeichnen hat.
Das zweite Viertel unseres Jahrhunderts ist die Zeit, wo
formentheoretische Entwicklungen im Verein mit
geometrischen Konstruktionen neue bedeutende Resultate ent-
decken liessen. Einerseits durch Jacobi, andererseits durch Pon-
celet und Sterner angeregt, behandelte Hesse80) (1837—1842)
unter Anwendung der Transformation homogener Formen die
Theorie der Flachen zweiten Grads, deren Hauptaxen er kon-
struierte. Von ihm wurden die Begriffe der »Polardreiecke« und
»Polartetraeder«, der »SystemekonjugierterPunkte« aufgestellt,
als geometrischer Ausdruck analytischer Beziehungen. Dazu
kam die lineare Konstruktion des achten Schnittpunktes dreier
Flachen zweiten Grads, wenn sieben derselben gegeben sind,
ferner unter Benutzung Steiner' scher Satze die lineare Kon-
Funfte Periode. Das Geschlecht einer KurvO. 20?
struktion einer Flache zweiter Ordnung aus neun gegebenen
Punkten. Clebsch ging, mit seinen Arbeiten an die englischen
Geometer Sylvester, Cayley , Salmon anknupfend, wesentlich
weiter als Hesse. Seine grossartigen Leistungen in der In-
variantentheorie, die Einfiihrung des Begriffs des Geschlechts
einer Kurve, die Anwendung der Theorie der elliptischen und
Abel'schen Funktionen auf die Geometric, auf das Studium
der rationalen und elliptischen Kurven sichern ihm einen
hervorragenden Platz unter denen, welche die Wissenschaft
von der Ausdehnung gefordert haben. Als algebraisches
Hilfsmittel benutzte Clebsch im Anschluss an Hesse mit
Hebe den Satz uber die Multiplikation von Determinanten in
seiner Anwendung auf geranderte Determinanten. Seine Ar-
beiten 20) uber die allgemeine Theorie der algebraischen Kurven
und Flachen begannen mit der Bestimrnung derjenigen Punkte
einer algebraischen Flache, in welchen eine Gerade sie vier-
punktig beriihrt ; dieselbe Frage hatte auch Salmon behandelt,
aber nicht in so iibersichtlicher Weise. Wahrend nun auf
englischem Boden zur Theorie der Flachen dritter Ordnung
mit ihrem System von siebenundzwanzig Geraden weiterge-
schritten wurde, unternahm es Clebsch, den Begriff des » Ge-
schlechts* fur die Geometric fruchtbar zu machen. Dieser
Begriff, dessen analytische Eigenschaften Abel nicht fremd
waren, findet sich zuerst in Riemann's » Theorie der AbeTschen
Funktionen« (1857). Clebsch spricht nun auch vom Geschlecht
einer algebraischen Kurve nter Ordnung mit d
Doppel- und r Riickkehrpunkten , und bestimmt es als die
Zahl p = £ (n — 1) (n — 2) — d — r. Zu einer durch ein
bestimmtes p charakterisierten Klasse von ebenen oder raum-
lichen Kurven gehoren alle diejenigen, welche sich durch
eine eindeutige Transformation in einander iiberfuhren lassen,
oder welche die Eigenschaft haben, dass je zwei unter ihnen
sich Punkt fur Punkt eindeutig entsprechen. Es besteht dann
der Satz, dass nur diejenigen Kurven, welche dieselben 3p — 3
208 IV. Geometric.
Parameter haben (fur Kurven dritter Ordnung: denselben
einen Parameter), rational in einander ubergefuhrt werden
konnen.
Die schwierige Theorie der Raumktirven69) ver-
dankt ihre ersten allgemeinen Resultate Cayley, welcher Formeln
aufstellte, die den Plucked schen fur ebene Kurven geltenden
Gleichungen entsprechen. Ueber Raumkurven dritter und
vierter Ordnung hatten Mobius, Chasles, v. Staudt Arbeiten
geliefert. Allgemeine Betrachtungen tiber Raumkurven finden
sich aus neuerer Zeit in Aufsatzen von Nother und Halphen.
Die Grundlagen der abzahlenden Geometric69)
finden sich in Chasles' »Methode der Charakteristiken« (1864).
Chasles stellte fur rationale Gebilde einer Dimension eine
Korrespondenzformel auf, welche im einfachsten Fall
folgenden Inhalt hat: Liegen zwei Punktreihen Ei und Rz
auf einer Geraden so, dass jedem Punkt x von Ri im ganzen
a Punkte y in Hz entsprechen, und wiederum jedem Punkt
y von J?2 immer p Punkte x in Ri, so hat das aus Ri und
Rz zusammengesetzte Gebilde (a -f p) Coi'ncidenzen , oder es
kommt (a + p) mal vor, dass ein Punkt x mit einem ent-
sprechenden Punkt y zusammenfallt. — Das » Chasles'sche
Korrespondenzprinzip« ist 1866 durch Cayley auf dem Weg
der Induktion auf Punktsysteme einer Kurve hoheren Ge-
schlechts ausgedehnt, und diese Erweiterung von Brill*)
bewiesen worden. Wesentliche Erganzungen dieser auf all-
gemeine algebraische Kurven sich beziehenden Abzahlungs-
formeln (Korrespondenzformeln) sind von Brill und Zeuthen
gegeben und durch Einfuhrung des Geschlechts in eleganter
Form dargestellt worden. Eine ausfuhrliche Behandlung der
Fundamentalaufgabe der abzahlenden Geometric, »zubestimmen,
wie viele geometrische Gebilde von gegebener Definition einer
*) Mathem. Annalen VI.
Fiinfte Periode. Abbildung. 209
hinreichenden Zahl von Bedingungen genugen« en thai t der
»Kalkiil der abzahlenden Geometrie« von H. Schubert (1879).
Die einfachsten Falle der eindeutigen Verwandtschaft oder
eindeutigen Abbildung beziehen zwei zusammengefallene
Ebenen auf einander ; es sind dies die von Poncelet studierte
Aehnlichkeitund die von Mobius, Magnus und Chasles behan-
delte Kollineation 69). In beiden Fallen entspricht einem Punkt
wieder ein Punkt, einer Geraden erne andere Gerade. Von diesen
linearen Transformationen gingen Poncelet, Pliicker, Magnus,
Stciner zu den quadratischen iiber, indem sie zunachst ein-
deutige Verwandtschaften zwischen zwei getrennten Ebenen
untersuchten , d. h. die eine Ebene eindeutig auf die andere
abbildeten. Die *Steinerf8cke Projektion« (1832) beniitzte
zwei Ebenen Ei und Ez, daneben zwei windschiefe Gerade gi
und gz. Ziebt man nun durch einen Punkt Pi oder Pz von
Ei oder Ez die Gerade Xi oder Xz, welche sowohl gi als gz
schneidet, und bestimmt den Schrrittpunkt Xz oder Xi mit
Ez oder Ei, so sind Pi und Xz, Pz und Xi entsprechende
Punkte. Auf diese Weise entspricht jeder Geraden der einen
Ebene ein Kegelschnitt in der andern. — PliicJcer hatte (1847)
einen Punkt des einmanteligen Hyperboloids , ahnlich der
Festlegung eines Punktes in der Ebene, durch die Abschnitte
bestimmt, welche von ihm aus auf den zwei durch ihn
gelegten Erzeugenden bis zu zwei festen Erzeugenden bin
geniessen werden. Dies war ein Beispiel einer eindeutigen
Abbildung einer Flache zweiter Ordnung auf die Ebene.
Die eindeutige Beziehung einer beliebigen Flache zweiter
Ordnung auf die Ebene untersuchte Chasles 1863, und diese
Arbeit bezeichnet den Anfang der eigentlichen T h e o r i e
der Flachenabbildung, welche sofort ihre weitere
Entwicklung fand, als Clebsch und Cremona unabhangig von
einander die Abbildung der Flachen dritter Ordnung lieferten.
Cremona's wichtige Resultate fanden Erganzungen durch
Fink Qeach. der Elementarmathematik. 14
210 IV. Geometrie.
Cayley, Clebsch, Rosanes und No'ther, welchem man den
wichtigen Satz verdankt, dass jede » Cremona'sche Transforma-
tion«, die als solche bin und zuriick eindeutig ist , durch
Wiederholung einer Anzahl quadratischer Transformationen
erzeugt werden kann. - - Nur in der Ebene ist die Gesamt-
heit aller rationalen Umformungen oder Cremona' schen Trans-
formationen bekannt ; fur den Raum ist erst ein Anfang zur
Entwicklung dieser Theorie gemacht worden57).
Ein besonders wicbtiger Fall eindeutiger Korrespondenz
ist der einer konformen Abb il dung einer Flache auf
die Ebene, weil bier Aebnlichkeit in den kleinsten Teilen
zwischen Original und Bild stattfindet. Der einfachste Fall
derselben , die stereographiscbe Projektion , war schon Hip-
parch und Ptolemdus bekannt. Konform wird auch die
Abbildung nacb reciproken Radien , welche dadnrcb charak-
terisiert ist, dass stets zwei entsprechende Punkte Pi und Pz
auf einem Strahl durcb den festen Punkt 0 liegen, und zwar
so , dass OPi . OPt = const, ist ; dadurch wird jede Kugel
im Raum im allgemeinen wieder in eine Kugel iibergefuhrt.
Diese Transformation, von Bellavitis 1836 und Stubbs 1843
studiert, ist besonders zur Bebandlung von Fragen der mathe-
matischen Physik benutzt worden ; W. Thomson nennt sie
daber »das Prinzip der elektriscben Bilder«. Die Untersu-
cbungen von Lambert und Lagrange tiber Abbildungen, vor
allem aber die von Gauss fiihren zur Krummungstheorie
himiber.
Ein weiteres Teilgebiet der Geometrie, die D i f f er e n t i a 1-
geometrie (Theorie der Krummung der Flachen), betracbtet
im allgemeinen nicbt zunachst die Flache in ihrer Ge-
samtheit, sondern sie studiert die Eigenschaften derselben in
der Umgebung eines gewohnlichen Flachenpunktes und sucbt
Fiinfte Periode. Differential geometrie. 211
sie mit Hilfe der Differentialrechnung dureh analytische
Formeln zu charakterisieren.
Die ersten Versuche, in dieses Gebiet einzufiringen, riihren
von Lagrange (1761), Euler (1766) and Meuhier (1776) her.
Ersterer hatte die Differentialgleichung der jVIinimalflachen
aufgestellt, die beiden letzteren fanden Satze fiber Krummungs-
radien und Zentraflachen. Aber von grundlegender Bedeutung
fur dieses an merkwurdigen Entdeckungen reiches Gebiet
sind die Untersuchungen von Monge, Dupin und besonders
die von Gauss geworden. In der »Application de 1'Analyse
a la Geometries (1795) behandelt Monge Flachenfamilien
(Cylinderfliicben, Kegel- und Umdrehungsflachen, Enveloppen
mit den neuen Begriffen der Charakteristik und der Riick-
kehrkurve) und stellt als bezeichnend fur sie partielle Diffe-
rentialgleicbungen auf. — Im Jahr 1813 erschienen die
»Developpements de Geometrie« von Dupin; sie enthielten
die Aufstellung der Indicatrix eines Flachenpunkts , sowie
An sf iih run gen fiber die von Monge eingefuhrten Krummungs-
linien und die Asymptotenkurven.
Gauss widmete der Differentialgeometrie drei Abhand-
lungen; die beriihmteste derselben (»Disquisitiones generales
circa superficies curvas«) erschien 1827 ; die beiden andern
(»Untersuchungen liber Gegenstande der hoheren Geodasie)
wurden 1843 und 1846 veroffentlicht. In den »Disquisitiones
etc.«, zu deren Ausfiihrung Gauss die Anregung nicht bei
Monge, sondern in seinen astronomischen und geodatischen
Untersuchungen gefunden hatte13), wird die spharische Ab-
bildung einer Flache eingefiihrt. Die eindeutige Beziehung
zwischen der Flache und einer Kugel wird dadurch hergestellt,
dass als entsprechende Punkte die Fusspunkte paralleler Nor-
malen gelten, wobei man sich freilich meist auf einen Teil
der gegebenen Flache zu beschranken hat, wenn die Ein-
deutigkeit erhalten bleiben solL — Darauf folgt die Ein-
14*
212 IV. Geometric.
fiihrung der krummlinigen Coordinate!! einer Flache und die
Aufstellung des Kriimmungsmasses als reciproker Wert des
Produkts der beiden Hauptkriimmungshalbmesser in dem be-
treffenden Punkt. Das Kriimmungsmass wird erst in gewohn-
lichen rechtwinkligen Coordinate!!, dann aber auch in krumm-
linigen Coordinaten der Flache aufgestellt. Von letzterem
Ausdruck wird gezeigt, dass er sich bei einer Verbiegung
der Flache ohne Dehnung und Faltung nicht andert (dass
er eine Biegungsinvariante ist). Hieran reiht sich die Be-
trachtung der geodatischen Linien , und die Berechnung der
totalen Kriimmung in einem Flachenpunkt und des Excesses
eines aus geodatischen Linien gebildeten Dreiecks (Curvatura
integra, Totalkriimmung).
Die grossen Gesichtspunkte der »Disquisitiones etc.« von
1827 haben nach den verschiedensten Seiten hin frucht-
bringende Anregungen ausgesandt. Jacobi bestimmte die
geodatischen Linien des dreiaxigen Ellipsoids. Mit Hilfe
der elliptischen Coordinaten (der Parameter von drei durch
den zu bestimmenden Punkt gelegten Flachen eines ortho-
gonalen S}^stems von Flachen zweiter Ordnung) gelang ihm
die Integration der partiellen Differ entialgleichung , so dass
die Gleichung der geodatischen Linie als Relation zwischen
zwei Abel'schen Integralen auftrat. Die Eigenschaffcen der
geodatischen Linien des Ellipsoids lassen sich besonders leicht
aus den eleganten Formen ablesen, welche Liouville gegeben
hat. — Durch Lame wurde die Theorie der krummlinigen
Coordinaten, nachdem er schon 1837 einen Spezialfall behan-
delt hatte, 1859 zu einer Theorie fur den Raum ausgebildet
in den »Le£ons sur la theorie des coord onnees courvilignes«.
Der Ausdruck fur das Grauss'sche Kriimmungsmass als
Funktion krummliniger Coordinaten hat den Anstoss zum
Studium von sogenannten Diiferential-Invarianten oder Diffe-
rential-Par ametern gegeben. Es sind dies gewisse Ausdriicke
Fiinfte Periode. Nichteuklidische Geometric. 213
der partiellen Ableitungen von einer oder mehreren Funk-
tionen, welche sich bei der Transformation der Variabeln
ahnlich verhalten wie die Invarianten der modernen Algebra.
Vorbereitend haben hier Sauce, Jacobi, C. Neumann, Halphen
eingegriffen ; eine allgemeine Theorie hat Beltrami*) ge-
schaffen. Diese Lehre, sowie die der Beruhrungstransforma-
tionen von Lie, bewegt sich im Grenzgebiet zwischen der
Geometrie und der Lehre von den Differentialgleichungen 69).
An Probleme der mathematischen Theorie des Lichts schliessen
sich gewisse Untersuchungen iiber Strahl ensy ste me und fiber die
Eigenschaften unendlich d tinner Strahlenbundel an, wie
sie zunachst Dupin, Malus, Ch. Sturm, Bertrand, Transon, Hamilton
ausfiihrten. Die beriihinten Arbeiten Rummer's (1857 und 1866) ver-
vollstandigen Hamilton's Resultate iiber Strahlenbundel und betrach-
teten die Zahl der Singularitaten eines Strahlensystems und seiner
Brennflache. Eine interessante Anwendung zur Untersuchung des
Strahlenbiindels zwischen der Linse und der Netzhaut, gegriindet auf
die Betrachtung der unendlich diinnen Normalenbiindel von Ellip-
soiden, gab 0. Boklen**).
Nichteuklidische Geometrie. So unbegrenzt
auch die Verehrung war, welche Jahrhundert um Jahrhundert
den »Elementen« EuMid's gezollt - - eine verwundbare Stelle
hatte geometrischer Scharfsinn doch entdeckt; und diese
Stelle69) bildet das elfte Axiom (nach Harikel von Euklid
selbst zu den Postulaten gerechnet) , welches aussagt , dass
zwei Gerade sich auf der Seite schneiden , auf welcher die
Summe der inneren Gegenwinkel kleiner als zwei Rechte ist.
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hatte Legendre ver-
sucht, dieses Axiom dadurch zu beseitigen, dass er es aus
den iibrigen zu beweisen trachtete; seine Schlussfolgerungen
erwiesen sich aber als nicht einwurfsfrei. Diese Anstrengung
*) Mem. di Bologna; VIII.
**) Kronecker's Journal, Band 46. Fortschr. 1884.
214 IV. Geometric.
Legendre's war ein Anzeichen von dem nunmehr beginnenden
Suchen nach einer in sich widerspruchsfreien Geometrie —
nacheiner Hyper-Euklidischen oder Pangeometrie. Auch hier
war unzweifelhaft Gauss der erste, der erkannte, dass jenes
Axiom nicht bewiesen werden konne. Obwohl aus seinem
Briefwechsel mit Wolfgang Bolyai und Schumacher deutlich
zu ersehen ist, dass er auf diesem Gebiete schon friihzeitig
bestimmte Resultate erzielt hatte, konnte er sich zu keinen
Veroffentlichungen bieriiber entschliessen. Die eigentlichen
Bahnbrecber fiir die Nicbteuklidische Geometrie wurden
Lobatschewsky und die beiden Bolyai. Die Berichte uber die
Forschungen Lobatschewsky 's erscbienen zuerst im Kurier von
Kasan 1829 — 30, dann in den Abbandlungen der Universitat
Kasan 1835 — 1839, endlicb als »GeometrischeUntersuchungen
uber die Tbeorie der Parallellinien« 1840 in Berlin. Von
Wolfgang Bolyai™) wurde 1832—1833 fiber denselben Gegen-
stand ein zweibandiges Werk berausgegeben : »Tentamen
Juventutem studiosam in elementa Matbeseos purae etc.«
Beide Scbriften waren fiir die mathematiscbe Welt lange
Zeit so gut wie nicbt vorbanden, bis im Jahr 1866 E. Baltzer
in seinen »Elementen« auf Bolyai hinwies. Fast gleichzeitig
erfolgte ein plotzlicher machtiger Vorstoss zur Erforscbung
der »neuen Welt« durcb Eiemann, Hdwiholtz und Beltrami.
Man erkannte11), dass von den zwolf euklidiscben Axiomen
neun wesentlich arithmetischen Inhalts sind, also fur jede Art von
Geometrie Geltung besitzen; jeder Geometrie angehorig ist
aucb das zebnte Axiom iiber die Gleichheit aller rechten
Winkel. Das zwolfte Axiom (zwei Gerade oder allgemeiner
zwei geodatische Linien scbliessen keinen Raum ein) gilt nicbt
fur die Geometrie auf der Kugel, das elfte Axiom (zwei Gerade,
geodatische Linien, schneiden sich , wenn die Summe der
korrespondierenden Gegenwinkel kleiner als 2 E ist) gilt in
dieser Fassung nicbt allgemein fur die Geometrie auf
einer Pseudosphare, sondern nur fiir die in der Ebene.
Fiinfte Periode. Nichteuklidische Geometrie. 215
Riemann sucht in der Schrift: »Ueber die Hypothesen,
welche der Geometrie zu Grunde liegen«*), in die Frage ein-
zudringen, indera er den Begriff einer niehrfach ausgedehnten
Grosse formt; und nach diesen Untersuchungen sind die
wesentlichen Kennzeichen einer w-fach ausgedehnten Mannig-
faltigkeit die folgenden :
1. »Jeder Punkt in derselben lasst sich durch n veran-
derliche Grossen (Coordinaten) bestimmen.
2. Die Lange einer Linie ist unabhangig von Ort und
Richtung , so dass jede Linie durch jede andere messbar ist.
3. Um die Massverhaltnisse in einer solchen Mannig-
faltigkeit zu untersuchen, ist fur jeden Punkt das von ihm
ausgehendeLinienelement darzustellen durch die entsprechenden
Differentialien der Coordinaten. Dies geschieht verraittelst
der Hypothese, dass das Langenelement der Linie gleich sei
der Quadratwurzel aus einer homogenen Funktion zweiten
Grads von den Differentialien der Coordinaten. «
Gleichzeitig veroffentlichte Helmholtz**) in den »That-
sachen, welche der Geometrie zu Grunde liegen«, folgende
Postulate :
1. vEin Punkt einer ^-fachen Mannigfaltigkeit ist durch
n Coordinaten bestimmt.
2. Zwischen den 2n Coordinaten eines Punktepaares be-
steht eine von der Bewegung des letzteren unabhangige
Gleichung, welche fur alle kongruentenPunktepaaredieselbeist.
3. Es wird vollkommen freie Beweglichkeit der festen
Korper vorausgesetzt.
4. Wenn ein fester Korper von n Dimensionen sich urn
n — 1 feste Punkte dreht, so fuhrt die Drehung ohne Umkehr
in die Anfangslage zuriick.«
*) G6ttinger Abhandlungen, XIII; 1868. Fortschritte 1868.
'*) Fortschritte 1868.
216 'IV. Geometrie.
Die gewohnliche Geometrie hat hierin die genugenden
Grundlagen einer widerspruchsfreien Entwicklung, wenn sie
noch hinzufiigt, dass der Ratim drei Dimensionen hat und
. unondtaflr ausgedehnt 1st.
Eines der iiberrasch ends ten Resultate neuerer geometrischer
Forschung war der Nachweis der Gultigkeit der Nichteuklid-
ischen Geometrie auf den Pseudospharen oder Flachen
von konstanter negativer Krummung 18a). Auf einer Pseudo-
sphare gilt beispielsweise , dass eine geodatische Linie (der
Geraden in der Ebene, dem Grosskreis auf der Kugel ent-
sprechend) zwei von einander verschiedene nnendlich feme
Punkte hat, dass es durch einen Punkt P zu einer gegebenen
geodatischen Linie g zwei parallele geodatische Linien gibt,
von denen aber nur je ein in P beginnender Zweig die g
im Unendlichen schneidet, wahrend der andere Zweig der g
gar nicht begegnet; dass die Summe der Winkel eines geo-
datischen Dreiecks kleiner als zwei Rechte ist. Damit ist
eine Geometrie auf der Pseudosphare gegeben , welche mit
der spharischen Geometrie in der gewohnlichen oder euklidischen
Geometrie zusammengrenzt. Diese drei Geometrien haben
gemeinsam, dass sie fur Flachen von konstanter Krummung
gelten; je nachdem der konstante Wert der Krummung po-
sitiv, Null oder negativ ist, handelt es sich um die spharische,
Euklidische oder pseudospharische Geometrie.
Eine neue Darstellung derselben Theorie verdankt man
F. Klein. Nachdem die projektive Geometrie gezeigt hatte,
dass bei der Projektion oder linearen Transformation alle
Lageneigenschaften und auch einige metrische Beziehungen
der Gebilde erhalten bleiben, war man bestrebt, fiir die me-
trischen Eigenschaften einen Ausdruck zu finden, der einer
linearen Transformation gegeniiber sich invariant verhalten
wiirde. Nach einer vorbereitenden Arbeit von Laguerre,
Fiinfte Periode. Geometric von n Dimensionen. 217
der den »Begriff des Winkels projektiv« raachte, fand Cayley
1859 die allgemeine Losung dieser Frage , indem er »jede
metrische Eigenschaft einer ebenen Figur als in einer pro-
jektiven Beziehung zwischen dieser und einem festen Kegel-
schnitt enthalten« betrachtete. Klein gelang es , fiber die
Cayley'sche Theorie hinausgehend auf Grund der Betrachtung
der Massbestimmung im Raum zu zeigen, dass aus der pro-
jektiven Geometric mit spezieller Massbestimmung in der
Ebene eine elliptische, parabolische und hyperbolische Geometric
gefolgert werden konnen *), welche im Grunde dasselbe sind
wie die spharische, Euklidische und pseudospharische Geo-
metric.
Das Bediirfnis nach moglichster Verallgemeinerung und
die stete Vervollkommnung des analytischen Apparats hat
zu Versuchen gefiihrt , eine Geometrie von n Dimen-
sionen aufzubauen ; jedoch sind vorlaufig nur einzelne
Beziehungen betrachtet worden. Von Lagrange 69) rtihrt die
Bemerkung her, »dass man die Mechanik als eine Geometrie
von vier Dimensionen ansehen konne«. Plucker suchte den
Begriff des beliebig ausgedehnten Raums in ein anschauliches
Gewand zu kleiden ; er wies darauf hin, dass fur den Punkt,
die Gerade oder die Kugel, die Flache zweiter Ordnung als
Raumelement, der gewahlte Raum beziiglich drei, vier oder
neun Dimensionen haben mtisse. Die erste Untersuchung67),
welche eine andere Auffassung als die Plucker'sche gibt, und
»das Element der beliebig ausgedehnten Mannigfaltigkeit als
ein Analogon zum Punkt des Raums betrachtet« , gab
H. Grassmann in seinem Hauptwerk : »Die Wissenschaft
der extensiven Grosse oder die lineale Ausdehnungslehre«
(1844), das aber fast ganz unbeachtet blieb, ebenso wie seine
»geometrische Analyse* (1847). Dann folgten aber Eiemann's
Fortschritte 1871.
218 IV. Geometrie.
Untersuchungen fiber mehrfach ausgedehnte Mannigfaltig-
keiten in der Schrift: »Ueber die Hypothesen etc.« und sie
bildeten wieder den Ausgangspunkt fur eine Reihe neuerer
Arbeit en.
Eine »Geometria situs« im weiteren Sinn hat Gauss dem
Namen nach wenigstens geschaifen ; man kennt von ihr jedoch
kaum viel mehr als einzelne experimentelle Wahrheiten 13).
Die von Eiemann angeregte » Analysis situs« suclit das
Bleibende zu bestimmen gegenuber von Transformationen,
die durch Zusammensetzung aus unendlich kleinen Verzer-
rungen entstehen 57). Sie dient zur Losung von Aufgaben
-der Funktionentheorie. — Durch Lie sind die allerdings schon
vori Jacobi betrachteten B e r ii h r u'n gstransforma-
t i o n e n ausgebildet worden. Eine Beriihrungstransformation
ist analytisch durch jede Substitution defmiert, welche die
Werte der Coordinaten a?, y, z und der partiellen Differential-
qnotienten dz : doo = p, dz : dy = q durch Grossen derselben
Art OB ', y , /, p, q ausdrtickt. Bei einer derartigen Trans-
formation gehen Beriihrungen zweier Gebilde wieder in solche
iiber67). -- Auch eine »geometrische Wahrscheinlichkeits-
lehre« ist durch Sylvesterund. Woolhouse geschaifen worden*);
Crofton bentttzt sie fiir die Theorie von willktirlich im Raum
gezogenen Geraden.
In einer Geschichte der elementaren Mathematik hat
auch wohl ein Seitengebiet Anspruch auf Beriicksichtigung,
welches freilich als eigentlicher Wissenszweig nicht gelten
kann, aber doch bis zu einem gewissen Grade die Entwick-
lung der geometrischen Wissenschaft widerspiegelt : die
Geschichte geometrischer Anschauungsmittel14).
Gute bildliche oder korperliche Darstellungen der Systeme
*) Fortschritte 1868.
Fiinfte Periode. Geometrische Anschauimgsmittel. 219
von Raumelementen fordern den Unterricht und haben haufig
zur raschen Verbreitung neuer Ideen beigetragen. In der
That findet man schon in den Berichten iiber geometrische
Arbeiten von Euler, Neivton, Cramer zahlreiche Figurentafeln.
- Das Interesse an der Anfertigung von Modellen scheint
sich zuerst in Frankreich ausgebildet zu haben , und zwar
infoige des Beispiels und der Thatigkeit Mange's. Im
Jahr 1830 besass das Conservatoire des arts et metiers in
Paris eine ganze Reihe von Fadenmodellen fur Flachen zweiten
Grads, Konoide und Schraubenflachen. Weiteren Vorschub
leistete diesen Bestrebungen JBardin (1855) ; er liess zur Er-
lauterung des Steinschnitts , der Verzahnungen und anderer
Dinge Modelle aus Gyps und Faden herstellen. Seine Samrn-
lung wurde von Muret betrachtlich erweitert. Diese Arbeiten
franzosischer Techniker fanden aber bei den Mathematikern des-
selben Landes wenigBeifall,wogegen die Englander, namentlich
Cayley und Henrici im Jahr 1876 in London selbst gefertigte
Modelle zur Ausstellung neben anderen wissenschaftlichen
Apparaten der Universitaten Cambridge und London brachten.
In Deutschland hat die Anfertigung von Modellen einen
Aufschwung erst von der Zeit an genommen, als die Methoden
der projektiven Geometrie in die darstellende Geometric auf-
genommen wurden. Pliicker , der durch Zeichnungen von
Kurven dritter Ordnung schon 1835 sein Interesse fur ge-
staltliche Verhaltnisse bekundet hatte, stellte 1868 die erste
Modellsammlung grosseren Umfangs zusammen ; sie bestand
aus Modellen von Komplexflachen vierter Ordnung und wurde
durch Klein um einige weitere auf demselben Gebiet vermehrt.
Eine spezielle Fl'ache vierter Ordnung, die Wellenflache flir
optisch zweiaxige Kristalle , wurde 1840 von Magnus in
Berlin und Soleil in Paris hergestellt. Im Jahr 1868 ent-
stand das erste Modell einer Fl'ache dritter Ordnung init
ihren siebenundzwanzig Geraden unter den Handen von Chr.
Wiener. - - Modelle von Flachen vierter Ordnung und von
220 IV. Geometrie.
gewissen Brennflachen entstanden in den sechziger Jahren
durch Kummer. Sein Schiller Schwarz stellte ebenfalls eine
Reihe von Modellen her, unter ihnen Minimalflachen und die
Zentraflache des Ellipsoids. Bei Gelegenheit einer Versamm-
Inng von Mathematikern in Gottingen fand eine ansehnliche
Ausstellung von Modellen statt, welche weitere Erfolge dieser
Art hervorrief.
In weiteren Kreisen haben die durch A. Brill, F. Klein
und W. Dyck veranlassten Arbeiten im mathematischen
Seminar der Mtinchner technischen Hochschule Anerkennung
gefunden ; dort erschienen seit 1877 uber hundert Modelle
der verschiedensten Art , welche nicht bloss in dera mathe-
matischen Unterricht , sondern auch in Vorlesungen uber
Perspektive, Mechanik und mathematische Physik forderlich
wirken.
Auch von anderer Seite sind neuerdings derartige An-
schauungsmittel vervieifaltigt worden, Flachendritter Ordnung
von Rodenberg, Fadenmodelle von Flachen und Raumkurven
vierter Ordnung von Rohn, H. Wiener und anderen.
Betrachtet man die geometrische Wissenschaft im ganzen,
so lasst sich nicht leugnen, dass auf ihrem Gebiet der Unter-
schied zwischen neuerer analytischer und neuerer synthetischer
Geometrie im wesentlichen nicht mehr besteht. Inhalt und
Schlussweise beider Richtungen haben sich nach und nach
ganz ahnlich gestaltet. Nicht nur die synthetische Methode
benutzt raumliche Anschauung ; auch die analytischen Dar-
legungen sind nichts anderes als ein klarer Ausdruck raura-
licher Beziehungen. Und seit die metrischen Eigenschaften
der Gebilde als Beziehungen derselben zu einem Grundgebilde
zweiter Ordnung, zum unendlich fernen Kugelkreis dargestellt
und dadurch in die Gesamtheit der projektiven Eigenschaften
Fiinfte Periode. Die Neuzeit. 221
eingeordnet worden sind, gibt es statt analytischer und syn-
thetischer Geometric nur noch eine projektive Geometric,
welche in der Raumwissenschaft die erste Stelle einnimmt 57).
Die letzten Jahrzehnte der Entwicklung nainentlich
deutscher Mathematik haben dieser zu einer leitenden Rolle
verholfen. Es lassen sich im allgemeinen zwei Gruppen zu-
sammengehoriger Arbeiten erkennen20). Bei den zu einer
Richtung gehorigen Abhandlungen »konzentriert sich nach
der Art eines Gauss oder Dirichlet die Forschung auf mog-
lichst exakte Umgrenzung der einzufuhrenden Begriffe« in
der Fnnktionentheorie, Zahlentheorie und der mathematischen
Physik. Die Untersuchungen der andern Richtung gehen,
wie dies bei Jacobi und Glebsch zu beobachten ist, »von einem
kleinen Kreis bereits erkannter Grundbegriffe aus und richten
ihr Augenmerk auf die Beziehungen und Folgerungen, welche
aus ihnen hervorspriessen« , um der neueren Algebra und
Geometric zu dienen.
Im ganzen darf man wohl sagen, dass die mathematische
Wissenschaft 1 8a) »von den Zeiten der griechischen Geometric
an in stetem Fortschritt begriffen war. Die Errungenschaften
eines EuMid, Archimedes nnd Apollonius werden heute noch
ebenso bewundert wie ehedem. Descartes* Coordinatenmethode
ist von dauerndem Wert. Aber nie ist die Mathematik eif-
riger, zielbewusster und erfolgreicher gepflegt worden als in
diesem Jahrhundert, in der letzten Halfte desselben : in der
Gegenwart. Die Fortschritte sind ungeheuer, das Arbeitsfeld
grenzenlos, die Zukunft voll schoner Hoffnung«.
222
V. Trigonometrie.
A. Ueberblick.
Die Trigonometrie ist von den Alten zu Zwecken der
Astronomic entwickelt worden. In der ersten Periode
wird ein Teil der trigonometrischen Grundformeln, allerdings
nicht in der modernen Form , von Griechen und Arabern
aufgestellt imd zu Berechnungen benutzt. Die z w e i t e
Periode, welche von der Zeit des allmahlichen Aufsteigens
mathematisclier Kenntnisse im fruhesten Mittelalter bis zur
Mitte des 17. Jahrhunderts reicht, festigt die Kenntnis der
Rechnung mit Winkelfunktionen und erzeugt Tafeln, in denen
die sexagesimale Teilung durch Dezimalbriiclie ersetzt wird,
was fur die rein rechnerische Seite dieser Disziplin einen
grossen Fortschritt bedeutet. Wahrend der dritten Periode
bildet sich die ebene und spharische Trigonometrie weiter
aus. Namentlich sind es die Polygonometrie und Polyedro-
metrie, welche als fast vollstandig neu dem Ganzen sich an-
fugen. Dazu kommen noch die projektiven Formeln, die in
engster Beziehung zur projektiven Geometrie eine Reihe in-
teressanter Ergebnisse geliefert haben.
B. Erste Periode.
Von den altesten Zeiten bis zu den Arabern.
Der Papyrus des AJimes 16) spricht voneinem Quotienten,
S eqt genannt. Nachdem man bemerkt hatte, dass die grossen
Pyramiden alle nahezu gleiche Neigungswinkel besitzen , ist
die Annahme wahrscheinlich gemacht worden, dass dieser
Seqt identisch ist mit dem cosinus des Winkels, den die Kante
einer grossen agyptischen Pyrarnide mit der Diagonale der
quadratischen Grundflache bildet (dieser Winkel ist fast immer
Erste Periode. Die Griechen. 223
gleich 52°). Bei agyptischen GrabdenkmaLern , die steilere
Wande besitzen, scheint der Seqt gleich der trigonometrischen
Tangente des Neigungswinkels einer Seitenflache gegen die
Grundflache zu sein.
Eigentlich trigonometrische Untersuchungen zeigen sich
erst bei den Griechen. Hypsikles gibt die Einteilung des
Kreisumfangs in 360 °, die allerdings babylonischen Ursprungs
ist, aber erst durch die Griechen ausgebeutet wurde. Seit
Einfiihrung dieser Kreiseinteilung waren auch die sexa-
gesimalen Briiche in alien astronomischen Rechnungen des
Altertums (mit alleiniger Ausnahme Heron's) zu finden,
bis endlich Peurbach und Eegiomontan die Dezimalrechnung
anbahnten. — HipparcJi war der erste, der eine Sehnentafel
verfertigte, von welcher freilich nur die Nachricht ihrer ehe-
maligen Existenz iibrig geblieben ist. Bei Heron finden sich
eigentliche trigonometrische Formeln mit Verhaltniszahlen
zur Berechnung der Inhalte regularer Vielecke und zwar
werden samtliche Werte von ctg (2rc : n) fiir n = 3, 4, ... 11, 12
numerisch bestimmt *). Menelaus schrieb sechs Biicher iiber
Sehnenberechnung ; diese sind aber wie die Tafeln Hipparcli's
verloren gegangen. Dagegen kennt man drei Biicher der
Spharik von Menelaus aus arabischen and hebraischen Ueber-
setzungen. Diese Spharik enthalt Transversalensatze und
Kongruenzsatze fiir das spharische (und fiirs ebene) Dreieck,
ferner fiir das spharische Dreieck den Satz, dass a + b + c < 4J?,
« + P + r > 2-K ist-
Die wesentlichste Schopfung des Ptolemdus besteht
in der Einfiihrung einer formlichen spharischen Trigono-
metric fiir astronomische Zwecke. Die dreizehn Biicher
der »grossen Zusammenstellung« , welche die Ptolemaische
Astronomic und Trigonometric enthalten, gingen in die ara-
*) Tannery in Mem. Bord. 1881.
224 V". Trigonometrie.
bische, dann in die lateinische Sprache iiber, und bei letzterer
Uebertragung entstand durch Verschmelzung des arabischen
Artikels al mit einem griechischen Wort der Ausdruck
» Almagest «, der heutzutage fur das grosse Werk des Ptole-
mdus gang und gabe ist. — Wie Hypsildes, so teilt auch Ptole-
mdus den Kreisumfang nach altbabylonischer Weise in 360 °t
aber jeder Grad wird von ihm nochmals halbiert. Als neues
findet sich bei Ptolemaus die Einteilung des Kreisdurchmessers
in 120 gleiche Teile, aus welchen Unterabteilungen nach dem
sexagesimalen System in zwei Abstufnngen gebildet werden.
In den spateren lateinischen Uebersetzungen heissen diese
Sechzigstel erster und zweiter Stufe bezuglich partes minutae
primae und partes minutae secundae ; hieraus entstanden die
spateren Benennungen »Minuten« und »Sekunden«). Aus-
gehend von seinem Satz u'ber das Sehnenviereck berechnet
Ptolemaus die Sehnen der Bogen von J/20 zu 1/2°. Dann aber
entwickelt er auch einige Satze der ebenen, und insbesondere
der spharischen Trigonometrie, wie z. B. Satze uber das
rechtwinklige spharische Dreieck.
Einen weiteren, nicht unwesentlichen Fortschritt hat die
Trigonometrie. durch die Arbeiten der I n d e r zu verzeichnen.
Die Einteilung des Kreisumfangs stimnit mit der babylonisch-
griechischen uberein ; aber im weiteren zeigt sich eine wesent-
liche Abweichung. Es wird nicht nach griechischer Weise
der Halbmesser sexagesimal geteilt, sondern es wird der Kreis-
bogen, welcher dieselbe Lange wie der Halbmesser hat, in
Minuten bestimmt; so ergibt sich fur den Inder r = 3438
Minuten. — Statt der ganzen Sehnen (jiva) werden die
halben Sehnen (ardhajya) in Beziehung zum Bogen gesetzt.
In diesem Verhaltnis der halben Sehne zum Bogen hat man
die hervorragendste Forderung der Trigonometrie durch die
Inder zu erblicken. Sie kannten also dem Begriff nach schon
das, was man jetzt den Sinus eines Winkels nennt. Ausser-
Erste Periode. Die Araber. 225
dem berechneten sie die dem Sinus versus und Cosinus ent-
sprechenden Verh'altniszahlen und belegten sie mit besonderen
Namen. Der Sinus versus hiess utkramajya, der Cosinus kotijya.
Die Inder kannten ferner den Satz, dass sin 2a -f cos 2a = 1 ist.
Sie verwerteten aber ihre trigonometrischen Kenntnisse nicht
zur Losung von Dreiecksaufgaben in der Ebene, als Hilfs-
mittel geometrischer Aufgaben , sondern es war ihnen die
Trigonometrie untrennbar mit astronomischen Berechnungen
verkniipft.
Wie irn ubrigen mathematischen Wissen, so waren die
Araber auch in der Trigonometrie Schiller der Inder und
insonderheit der Griechen, aber nicht ohne eigene bedeutende
Leistungen. Albattdm ist sich wohl bewusst, dass die Ein-
fiihrung der halben an Stelle der ganzen Sehnen, wie sie irn
Almagest auftreten, also die Rechnung mit dem Sinus eines
Winkels bei den Ausfiihrungen einen wesentlichen Vorteil be-
deutet. Ausser den im Almagest auftretenden Formeln erscheint
bei Attmttam die furs spharische Dreieck geltende Beziehung
cos a — cos b cos c + sin b sin c cos a. In der Betrachtung
rechtwinkliger Dreiecke aus Anlass der Schattenmessung treten
die Quotienten sin a : cos a und cos a : sin a auf ; dieselben werden
durch ATbattdni, von Grad zu Grad ausgerechnet, in eine kleine
Tabelle zusammengestellt. Hierin liegen die Anfange der Rech-
nung mit Tangenten und Cotangenten ; diese Namen kommen
jedoch erst viel sp'ater vor. Die Entstehung der Benennung
»Sinus« kniipft an Albattam an. Sein Werk fiber die Be-
wegung der Sterne 16j wurde durch Plato von Tivoli ins
Lateinische ubertragen, und diese Uebersetzung enthalt das
Wort »Sinus« fiir die halbe Sehne. Im Indischen hiess die
halbe Sehne ardhajya oder auch jiva (das urspriinglich nur
fiir die ganze Sehne gebraucht wurde) ; letzteres Wort
ubernahmen die Araber einfach dem Lautklang nach als
dschiba. Dieselben Konsonanten dieses Wortes, das im Ara-
Fink, Gesch. der Elementarmathenmtik. 15
226 V. Trigonometric.
bischen keine eigene Bedeutung hatte, konnten auch dschaib
= Busen , Einschnitt gelesen werden , und diese Aussprache,
welche sich, wie es scheint, bei den Arabern verhaltnismassig
bald einbiirgerte, tibersetzte Plato von Tivoli treffend mit
Sinus. Damit war der erste der modernen Namen gonio-
metrischer Funktionen eingefiihrt.
An astronomischen Tafeln fehlte es zu jener Zeit nicht. AMI
Wafa, von welchem der Quotient sin a : cos a der zum Winkel
a gehorige »Schatten« genannt wurde, berechnete eine Sinustafel
fur die urn je J/2 ° wachsenden Winkel, ebenso eine Tangenten-
tafel, die aber nur zur Bestimmung der Sonnenhohe diente.
Etwa gleichzeitig entstanden die hakimitischen Sinustafeln,
welche Ibn Junus von Kairo auf Veranlassung des agyp-
tischen Herrschers Al-Hakim entwerfen musste16).
Unter den Westarabern war es der beruhmte Astronom
Dschdbir ibn Aflah oder Geber , welcher eine vollstandige
(zunachst spharische) Trigonometrie auf eigenem Wege und stets
gestiitzt von strengen Beweisen in seiner durch Gerhard von
Cremona lateinisch herausgegebenen Astronomic veroffentlichte.
Diese Arbeit entn'alt eine Beihe von Formeln fiber das
rechtwinklige spharische Dreieck; in der ebenen Trigono-
metrie geht sie aber nicht iiber den Almagest hinaus und
rechnet sogar fur diesen Fall mit den ganzen Sehnen, also
so wie es Ptolemdus gelehrt hatte.
C. Zweite Periode.
Vom Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
Von auslandischen Mathematikern hat fur die spharische
Trigonometrie in dieser Zeit Viete am meisten geleistet, in-
dem er neue Falle des spharischen Dreiecks behandelte, z. B.
denjenigen, der einen Winkel in den drei Seiten auszudrucken
gestattet. Dabei bietet sich ihm Veranlassung , die zwei
Grundformeln der spharischen Trigonometrie aufzustellen und
Zweite Periods. Regiomontan's Trigonometrie. 227
die von Snellius entwickelte Theorie des Supplementardreiecks
ganz wesentlich dadurch vorzubereiten , dass er ein Dreieck
in ein zweites transformiert, von dem zwei Seiten gleich den
entsprechenden . Winkeln des ersten, imd die dritte Seite das
Supplement des dritten Winkels des urspriinglichen Dreiecks
wird 19).
In Deutschland wurde das trigonometrische Lehrgebaude
namentlicli durch Regiomontan gefordert und in seinen Grund-
ziigen mit so sachkundigem Geschick entworfen, dass sich
die von ihm konstruierte Anlage im grossen ganzen bis auf
den heutigen Tag erhalten hat. Schon Peurbach hatte
die Absicht, eine Trigonometrie zu schreiben, war aber vor
Ausfiihrung seines Planes gestorben. Regiomontan bracbte
die Idee Peurbach's zur Ausfiihrung, in dem er eine vollstan-
dige ebene und spharische Trigonometrie verfasste.
Nach einer kurzen Einleitung geometrischen Inhalts beginnt
das erste Buch von Regiomontan1 s Trigonometrie mit dem
rechtwinkligen Dreieck, fur welches er durch den Sinus allein
die zur Berechnung notigen Formeln ableitet und letztere
mit Zahlenbeispielen verdeutlicht. Die Satze des rechtwink-
ligen Dreiecks werden zur Berechnung des gleichseitigen und
gleichschenkligen Dreiecks benutzt. Dann folgen die Haupt-
falle des schiefwinkligen Dreiecks , von denen der erste
(a aus a, &, c) sehr umstandlich behandelt wird. Das zweite
Buch enthalt den Sinussatz und eine Reihe von Dreiecks-
aufgaben. Das dritte, vierte und funfte Buch bringen die
spharische Trigonometrie mit vielen Anklangen an Menelaus ;
insbesondere werden die Winkel aus den Seiten berechnet. Der
von Regiomontan mit besonderer Weitschweifigkeit behandelte
Fall des ebenen Dreiecks (a aus a, &, c) erfuhr eine ktirzere
Behandlung durch Rhaeticus, der die Formel ctg |- a= (5 — a) : p
(p der Halbmesser des einbeschriebenen Kreises) aufstellte.
In diesem Zeitraum entstanden auch die Neper* schen Gl ei-
c h u n g e n oder Analogien. Sie driicken eine Beziehung aus
15*
228 "V". Trigonometric.
zwischen der Summe oder Differenz zweier Seiten (Winkel)
und der dritten Seite (dem dritten Winkel) mit der Summe
oder Differenz der beiden Gegenwinkel (Gegenseiten).
Von neueren Benennungen ist, wie erw.ahnt, der Name
»Sinus« der alteste. Die Ende des 15. oder Anfang des 16.
Jahrhunderts eingefuhrte Verktirznng »Cosinus« fur comple-
nienti sinus riihrt von dem Englander Grunter (gesfc. 1626)
her. Die Nameri »Tangente« und »Sekante« hat Thomas
Fink (1583) zuerst beniitzt; der Name »Sinus versus « war
schon fruher im Gebrauch 5).
Von einigen Schriftstellern des 16. Jahrhunderts , z. B.
von Apian, wurde » Sinus rectus secundus« statt Cosinus ge-
schrieben ; Rhaeticus und Viete haben »perpendiculum« und
»basis« statt Sinus und Cosinus 83). Die Zahlenwerte des Cosinus,
dessen Logarithmen von Keppler »Antilogarithmen« genannt
wurden, finden sich zuerst in der von Rhaeticus herausgegebenen
Trigonometric des Kopernikus berechnet*).
Die vermehrte Gewandtheit im praktischen Rechnen und
das Bedtirfnis genauerer Zahlenwerte fur astronomische Zwecke
erzeugten im 16. Jahrhundert ein Streben nach moglichster Ver-
vollkommnung der trigonometrischen Tafeln. Die Ausfiibrung
dieser Tabellen war sehr imihsam, so lange man ohne Loga-
rithmen rechnete. Musste doch Rhaeticus allein zu diesem
Zweck zwolf Jahre lang einige Rechner anstellen und Tau-
sende von Gulden darauf verwenden31).
Die erste Sinustafel deutschen Ursprungs stanimt von Peur-
bach her ; er setzte den Halbmesser = 600 000 und schritt von
10' zu 10' weiter (bei Ptolemaus warr = 60, bei einigen Arabern
r = 150 genommen). Regiomontan berechnete zwei neue Sinus-
tafeln, die eine fur r = 6000000, die andere, von der aber
keine Ueberreste mehr vorhanden sind , fur r — 10 000 000.
*) M. Curtze in Schlomilch's. Zeitsclir. XX.
Zweite Periodc. Logarithinen. 229
Dazu kam noch von Eec/iomontan eine Tangententafel aller
ganzen Grade fiir r = 100 000. Die beiden letzten Tafeln
bilden offenbar einen Uebergang vom sexagesimalen zum
Dezimalsystem. Eine von Minute zu Minute fortschreitende
Sinustafel fiir r = 100 000 fertigte Apianus.
Bewundernswiirdiges leistete auf diesem Gebiet die un-
ermudliche Bebarrlichkeit des Joachim Ehaeticus. Er setzte
die trigonometrischen Funktionen nicht zu den Kreisbogen
in Beziehung, sondern ging vom rechtwinkligen Dreieck aus
und sprach daher »perpendiculum« ftir Sinus, »basis« fiir
Cosinus. Er berechnete (teils selbst, teils durch seine Ge-
hilfen) die erste Sekantentafel, ferner Sinus-, Tangenten-
und Sekantentafeln von 10" zu 10" fiir den Halbmesser
r= 10000 Millionen, und spater noch fiir r = 10 18. Nach
seinem Tod wurde das ganze Werk von Valentin OtJio im
Jahr 1596 in einem Band von 1468 Seiten herausgegeben 31).
Mit der Berechnung der Zahlenwerte fiir trigonometrische
Funktionen gab sick auch Bartliolomaus Pitiscus ab. Im
zweiten Buch seiner Trigonometrie spricht er sich iiber der-
artige Berechnungen aus. Seine Tafeln enthalten die Werte
fiir den Sinus, die Tangente und Sekante links, und fiir
die Komplemente des Sinus , der Tangente und Sekante (so
sagt er fiir Cosinus, Cotangente, Cosekante) rechts. Daneben
stehen Proportional teile fiir 1' oder auch fiir 10". Der ganzen
Berechnung ist ein Halbmesser r = 10 2B zu Grunde gelegt.
Die Arbeit des Pitiscus erschien am Anfang des 17. Jahr-
hunderts.
Die Tafeln der Zahlenwerte goniometrischer Funktionen
hatten nun allerdings einen hohen Grad der Zuverlassigkeit
erlangt, aber ihre eigentliche Bedeutung und Brauchbarkeit
erreichten sie doch erst durch Einfiihrung der L o g a r i t hm e n.
Als Erfinder der Logarithm en gilt Neper, obwohl nicht
mit vollem Recht, denn Keppler versichert in glaubwiirdigster
230 v- Trigonometric.
Weise, Burgi habe v o r Neper die Berechnung der Logarithmen
gekannt, er sei nur mit seiner Veroffentlichung zu spat ge-
kommen. Fur Burgi als ersten Erfinder spriclit auch seine
allgemeinere Betrachtungsweise. Er wollte alle Rechnungs-
operationen durch Anwendnng der Logarithmen erleichtern,
wahrend sich Neper nur mit den Logarithmen trigonometrischer
Funktionen beschaftigte.
Burgi wurde zu seinem Verfahren durch Vergleichung
der Reihe 0, 1, 2, 3, ... mit der andern 1, 2, 4, 8 ...
oder 2°, 21, 22, 23 . . . geleitet. Erbemerkte, dass es mit Riicksicht
auf die Ausrechnungen am zweckmassigsten sei, fiir die zweite
Reihe die Grundzahl 10 zu w'ahlen, und er berechnete hie von aus-
gehend die Logarithmen gewohnlicher Zahlen , dachte aber
erst an eine Veroffentlichung, als sich Neper's Ruhni in
Deutschland namentlich durch Keppler's beifallige Aeusserungen
zu verbreiten anfing. Burgas »Geometrische Progress Ta-
bulen« erschienen 1620 in Prag31) und enthielten die Loga-
rithmen der Zahlen 10 8 bis 10 9 von 10 zu 10 fortschreitend.
Den Ausdruck »Logarithmus« gebraucht j&^r^nicht; er nennt
der Ausfuhrung im Druck entsprechend die Logarithmen
»rote«, die Numeri »schwarze Zahlen«.
Neper ging von der Bemerkung aus, dass, wenn im Kreis
mit den zu einander senkrechten Halbmessern OAo und OAi
(r = 1) der Sinus SoSi \\ OAi von 0 bis Ao in Intervallen fort-
rtickt , die eine arithmetische Reihe bilden , sein Wert in
geometrischer Progression abnimmt. Das Stuck OSo nannte
Neper urspriinglich den »Numerus artificialis« , spater die
Richtungszahl oder den »Logarithmus«. Die erste Veroffent-
lichnng iiber das neue Rechnungsverfahren , in welchem
r— 107, log sin 90°= 0, log sin 0°= -f oo wurde, so dass
also die Logarithmen zunahmen bei abnehmendem Sinus, er-
folgte 1614 und erregte grosses Aufsehen. Henry Briggs
hatte Neper's Werk eingehend studiert und machte die wich-
tige Bemerkung, dass es fiir die Rechnung forderiicher sei,
Zweite Periode. Logarithmen. 231
die Logarithmen mit den Zahlen wachsen zu lassen. Er
machte den Vorschlag, log 1 — 0, log 10 = 1 zu setzen, und
Neper erklarte sich damit einverstanden. Die auf Grund
solchen Aenderungsvorschlages ausgearbeifete Logarithmen-
tafel von Sriggs fur die gewohnlichen Zahlen von 1 bis 20 000
und von 90 000 bis 100000 war auf vierzehn Dezimalstellen ge-
rechnet. Die vorhandene Liicke fiillte der hollandische Buch-
handler Adrian Vlacq aus; seine Tafel, im Jahr 1628 er-
schienen, enthalt die Logarithmen der Zahlen von 1 bis 100 000
auf zehn Dezimalstellen. Mit dieser Tafel hatte Vlacq unter
dem Namen seines Freundes de Decker die Logarithmen auf
dem Kontinent eingefiihrt. Unterstiitzt von Vlacq und Gelli-
Irand leitete Briggs auch noch die Ausrechnung einer Sinus-
tafel auf vierzehn, einer Tangenten- und Sekanten-Tafel auf
zehn Dezimalstellen, und zwar von 36" zu 36". Diese Tafeln
erschienen 1633. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts ver-
offentlichte Claas Vooght eine Tafel des Sinus , der Tangente
und Sekante mit ihren Logarithmen, und zwar, was besonders
merkwurdig ist, ganz in Kupfer gestochen.
/ Damit war furs logarithmische Rechnen ein fiir alle Zeiten wert-
/volles Tabellenmaterial geschaffen. Erweitert wurde dasselbe durch
/die Einfiihrung der stets nach Gauss benarmten Additions- und Sub-
traktionslogarithmen, deren Erfinder nach Gauss' eigener Angabe
{^LeonelU ist. Dieser hatte zur Ausfiihrung eine Tafel mit vierzehn
Dezimalen vorgeschlagen ; Gauss hielt dies fiir unzweckmassig und
berechnete sich fiir seinen Gebrauch eine Tafel mit fiinf Dezimalen *).
Im Jahr 1875 bestanden 553 verschiedene Logarithmentafeln mit
zwischen 3 und 102 Dezimalstellen. Nach der Haufigkeit geordnet
stehen obenan die siebenstelligen Tafeln, dann folgen die mit fiinf,
sechs, vier und zehn Stellen. Die einzige Tafel mit 102 Stellen gehort
einem Werk von H. M. Parlchurst an (Astronomical tables, New- York 1871).
Untersuchungen iiber die in Logarithmentafeln auftretenden Fehler
hat J. W. L. Glaisher **) gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass
*) Gauss' Werke III, S. 244. P o r r o in Bone. Bull. XVIII.
**) Fortschritte 1873.
232 "V. Trigonometric.
jede vollstandige Tafel direkt oder indirekt nach einer inehr oder weniger
sorgfaltigen Durchsicht von der Tafel abgeschrieben worden ist, welche,
im Jahr 1628 veroffentlicht, die Ergebnisse vonBriggs' Arithmeticaloga-
rithmicavon 1624 fiir die Zahlen 1 bis 100000 anf zehn Stellen angibt.
Glaisher findet in den ersten sieben Stellen 171 Febler, von denen 48 auf
das Intervall 1 bis 10000 fallen. Diese von Vlacq herriihrenden Irr-
tiimer verschwanden erst nach und nach. Von den Fehlern in Vlacg's
Tafel zeigen sich noch 98 bei Newton (1658), 19 bei Gardiner (1742),
5 bei Vega (1797), 2 bei Collet (1855), 2 bei Sang (1871). Von den
durch Glaisher gepriiften Tafeln stellten sich 4 als vollig fehlerfrei
heraus, namlich die von Bremiker (1857), Schron (1860), Collet (1862)
und Bruhns (187Q). — Beitrage zur raschen Berechnung der gemeinen
Logarithmen riihren von Koralek (1851) und R. Hoppe (1876) her;
letzterer stiitzt sich auf den Satz, dass jede positive Zahl in em un-
endliches Produkt verwandelt werden kann108).
D. Dritte Periode.
Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Nachdem Regiomontan die Grundziige der ebenen und
spharischen Trigonometric aufgestellt, und seine Nachfolger
fur Erleichterung des Rechengeschafts durch Ausfuhrung von
Tafeln der Zahlenwerte trigonometrisclier Funktionen und
durch Schaffung eines brauchbaren Logarithmensystems ge-
sorgt hatten, konnte der innere Ausbau dieser Hilfswissenschaft
wahrend der dritten Periode ins einzelne weiterschreiten.
»
Wichtige Neuerungen riihren in erster Linie von Euler her,
der die ganze spharische Trigonometric aus einigen einfachen
Satzen ableitete 6). Die goniometrischen Funktionen definiert
Euler als blosse Zahlen , um sie fiir Reihen einfiihren zu
konnen, in deren Grliedern Kreisbogen auftreten, von welchen
die trigonometrischen Funktionen nach gewissen Gesetzen fort-
schreiten. Von ihm ruhrt auch eine Anzahl teils ganz
neuer, teils wenigstens in der Ausdrucksweise vervollkomm-
neter trigonometrischer Formeln her. Diese werden dadurch
besonders iibersichtlich, dass Euler die Elemente des Dreiecks
Dritte Periode. Projektive Formeln. 233
mit a, 6, c, a, (3, y bezeichnet. So konnten Atisdriicke wie
sin a, tg a eingefuhrt werden, wahrend man friiher besondere
Buchstaben zum gleichen Zweck benutzte 6). — Lagrange
und Gauss haben sich bei der Ableitung der spharischen
Trigonometrie auf einen einzigen Satz beschrankt. Das
Gleichungssystem
. a . b + c .a 6 — v
sin ^ sin — — =sm^ cos ^-±
mit den zugehorigen Relationen wird gewohnlich auch unter
Gauss' Namen aufgefiihrt, obwohl diese Gleichungen zuerst
von Delambre 1807 veroffentlicht wurden (von Mollweide
1808, von Gauss 1809) 45). Aehnlich liegen die Dinge bei
der PofhenoV schen Aufgabe; sie wurde von Snellius 1614,
von Pothenot 1692, von Lambert 1765 bearbeitet 6).
Die Hauptsatze der Polygonometrie und Polyedrometrie
wurden im 18. Jahrbundert aufgestellt. Von Euler stammt
der Satz uber den Flacheninhalt der Normalprojektion einer
ebenen Figur in eine andere Ebene, von Leosell der Satz uber
die Projektion eines polygonalen Zugs. Lagrange, Legendre,
Carnot und andere stellten trigonometrische Satze iiber Viel-
flache (besonders iiber das Tetraeder), Gauss iiber das spha-
rische Viereck auf.
Das 19. Jahrhnndert brachte der Trigonometrie eine
Reihe neuer, sogenannter projektiver Formeln.
Neben Poncelet, Steiner, Gudermann 1st besonders Mobius zu
nennen, der eine Verallgemeinerung der spharischen Trigono-
metrie in der Weise vorgenommen hat , dass in Dreiecken
Seiten oder Winkel 180 ° iiberschreiten konnen. Die wesent-
liche Forderung, welche in neuerer Zeit trigonometrische
Entwicklungen anderen mathematischen Wissenschaften ge-
bracht haben, moge nur mit diesem einen Worte angedeutet
sein ; die ausfiihrliche Schilderung derselben wilrde erheblich
ins Gebiet anderer Wissenszweige tibergreifen.
234
VI. Biographische Notizen.
a. Aelteste Zeit.
1. Ahines, zwischen 2000 und 1700 v. Chr., Verfasser des altesten
agyptischen Rechenbuchs.
b. Griechen.
2. Thales von Milet, 640—548, einer der sieben Weisen Griechen-
lands, lebte langere Zeit in Aegypten und brachte von dort her ma-
thematische Kenntnisse nach Griechenland.
3. Pythagoras von Samos schuf in Grossgriechenlancl eine Schule,
welche durch ihre zahlreichen Anhanger und deren geschlossenes Auf-
treten auch eine politische Bedeutung gewann. Wahrscheinlich ist
Pythagoras 569 geboren, 510 in Italien aufgetreten und 470 bei einem
Aufstand gegen seine Schule getotet worden. Zweifellos hielt sich
Pythagoras langere Zeit in Aegypten auf; weniger sicher ist eine
Reise nach Babylon.
4. Anaxagoras von Klazomene, 500—428, von 464 ab in Athen ;
Lehrer des Euripides und Perikles.
5. Oinopides von Chios, etwas jiinger als Anaxagoras.
6. Demokritus von Abdera, etwa 40 Jahre jiinger als Anaxagoras.
7. Hippias von Elis, alterer Zeitgenosse des Sokrates, geboren etwa
460, em wegen seiner Eitelkeit beruchtigter Sophist.
8. Hippocrates von Chios lebte in der zweiten Hal fte des 5. Jahr-
hunderts in Athen.
9. Theodorus von Kyrene, uni 400, aus der Schule der Pythagoraer,
in mathematischen Dingen Lehrer des Platon.
10. Platon 429—348, aus einer der angesehensten athenischen
Familien, Schiller des Sokrates, verbrachte viele Jahre auf Reisen und
kam so nach Kyrene an der Nordkiiste Afrikas zu Theodorus , nach
Aegypten und Grossgriechenland.
11. Archytas von Tarent, 430—365, befreundet mtt Platon, Staats-
mann und Feldherr.
12. Thedtet von Athen, Zeitgenosse und Freund des Platon.
13. Eudoxus von Knidos, 408—355, Schiller des Archytas und des
Platon, bekannt als Geometer, Astronom, Arzt, Staatsmann.
14. Mendchmus zwischen 400 und 300, Schiller des Eudoxus.
VI. Biographische Notizen. 235
15. Dinostratus, Bruder des Menachmus.
16. Aristoteles von Stagira, 384 — 322, Schopfer der peripathetischen
Schule, von 343—340 Erzieher Alexanders des Grossen.
17. Autotykus, ein alterer Zeitgenosse des Euklid.
18. Enklid wirkte um 300 in Alexandrien. Hauptwerke: Die
Elemente in dreizehn Biichern ; die drei Biicher der Porisraen (aus
Pappus bekannt); dieDaten; das Buch der Teilung der Figuren;
vier Biicher fiber die Kegelschnitte ; zwei Biicher fiber Oberflachenorter
(die letzten drei Schriften sind nur in wenigen Bruchstficken bekannt).
19. Archimedes, wahrscheinlich 287 in Syrakus geboren, stand in
Beziehung zu den Alexandrinern und wurde 212 bei der Einnahme
seiner Vaterstadt von einem romischen Soldaten geto'tet. Von seinen
nur zum Teil erhaltenen Schriften sind zu nennen: zwei Biicher vom
Gleichgewicht der Ebenen (mit einer Abhandlung fiber die Quadratur
der Parabel); zwei Bficher von der Kugel und vom Cylinder; die
Kreismessung; die Spiral en; die Konoide und Spharoide; die Sandzahl ;
zwei Bucher von den schwimmenden Korpern; Wahlsatze.
20. Eratosthenes von Kyrene in Nordafrika, geboren 275, gestorben
194, wirkte meiat in Alexandrien als Vorsteher der Bibliothek unter
Ptolemaus Euergetes. Abgesehen von philosophischen und gramnia-
tischen Abhandlungen schrieb er fiber Geographie, Erdmessung, Chro-
nologic und Wtirfelverdopplung.
21. Apollonius von Perga in Pamphilien, zwischen 300 und 200.
Seine Hauptwirksamkeit in Alexandrien fallt in die Regierungszeit
des Ptolemaus Philopator. Sein Hauptwerk, die acht Bucher der
Kegelschnitte, trug ihm den Beinamen des grossen M a the-
matikers ein. Ausserdem schrieb er unter anderem zwei Bficher
vom Verhaltnisschnitt (aus einer arabischen Uebersetzung be-
kannt) und Abhandlnngen fiber den bestimmten Schnitt, fiber Berfih-
rungen und ebene Oerter (samtlich verloren).
22. Nilcomedes, Dioldes, Perseus, Zenodorus, Hypsi/fcles und Hipparch,
zwischen 200 und 100.
23. Heron von Alexandria. Seine Hauptthatigkeit spielte sich urns
Jahr 100 v. Chr. ab. Als von ihm herruhrend wird eine Mechanik
und ein Lehrbuch der Feldmessung genannt.
24. Geminus von Rhodus (wahrscheinlich kurze Zeit nach Heron)
schrieb eine Astronomic und ein grosseres mathematisches Werk von
unbekanntem Titel.
25. Serenus von Antissa, vielleicht zwisehen 100 und 200 n. Chr.,
betrachtete Schnitte an Kegeln und Cylindern.
26. Menelaus von Alexandria, um 100 n. Chr., Astronom, der auch
236 VI. Biographische Notizen.
in Rom Beobachtungen angestellt hat. Er verfasste drei Biicher
der Spharik (teilweise aus arabischen und hebraischen Uebersetzungen
bekannt) und sechs Biicher fiber die Berechnung der Sehnen
(verloren).
27. Elandins Ptolemaus von Alexandria. Seine Haupfcwirksamkeit
fallt in die erste Halfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Die drei-
zehn Biicher der grossen Z usammenstellung enthalten ein
astronomisches und trigonometrisches Lehrgebaude.
28. Nikomachus von Gerasa, Theon von Smyrna und Thymaridas,
zwischen 100 und 150 n. Chr. in Alexandrien.
29. Sextus Julius Afrikanus im Anfang des 3. Jahrhunderts.
30. Pappus von Alexandrien lebte ungefahr am Ende des 3. Jahr-
hunderts. Er war .Vorsteher einerSchule und verfasste eine»Samm-
lung« in acht Biichern. (Nach Chasles lebte er gegen Ende des 4.
Jahrhunderts).
31. Jamblichus aus Chalcis in Colesyrien, lebte am Anfang des 4.
Jahrhunderts.
32. Diophantus von Alexandria schrieb am Anfang des 4. Jahr-
hunderts ein arithmetisches Werk in dreizehn Biichern.
33. Theon von Alexandrien (Bearbeiter der Euklidischen Elemente
und des Almagests) und seine gelehrte Tochter Hypatia wirkten in
der zweiten Halfte des 4. Jahrhunderts.
34. ProJdos von Byzanz (lat. ohne Zweifel Proculus) geboren411 n. Chr.
zu Konstantinopel, gestorben zu Athen 485 ; der bedeutendste der N eu-
platoniker. Er heisst auch der Lykier, weil er von lykischen Eltern
stammte. Seine Bildung hatte er in Alexandrien erworben. Von
seinen mathematischen Werken ist das bedeutendste der Kommentar
zu Euklid's Elementen.
35. Eutokius, um 550, Kommentator mehrerer Schriften Euklids.
c. Rbmer.
36. Sextus Julius Frontinus , Hyginus , Balbus , Nipsus , Epaphro-
ditus, Vitruvius Bufus, die bedeutendsten romischen Feldmesser, lebten
zwischen 50 und 150 n. Chr.
37. Ancius Manlius Severinus Boethius (oder Boetius), um 500 n. Chr.
d. Inder.
38. Aryabhatta, geboren 476 n. Chr.; Brahmagupta, geboren 598;
BMskara, geboren 1114, Astronomen.
VI. Biographische Notizen. 237
e. Araber.
39. Hunain ibn Ishdk; Muhammed ibn Musd Alch warizmi ; Musd
ibn Schdkir und seine drei Sohne; Tabit ibn Kurra in Bagdad; Mu-
hammed ibn Dschabir Albattani oder Albategnius; Abu'l Wafa Albuz-
dschdm; AlMhi; As-Sdgdm; Uebersetzer und Bearbeiter mathematischer
Werke , sowie Astronomen zwischen 800 und 1000 , meist in Bagdad.
40. Abu Muhammed Alchodschandi aus Chodschanda in Chorasan ;
Ibn Smd (Avicenna); Albiriini; AbiVl Dschud; Alnasawi ; AlJcindi;
AlJcarcM; Omar Alchaijdmi; Algebraiker und Zahlentheoretiker zwischen
900 und 1100 n. Chr.
41. Ibn Junus; Ibn Alhaitam (Alhazen), Astronomen in Aegypten
(Kairo) um 1000 n. Chr.
42. Dschabir ibn Aflah (Geber) im 11. Jahrhundert Astronom in
Sevilla; Ibn Albannd zwischen 1250 und 1300; AlJcalsddi zwischen
1400 und 1480, westarabische Mathematiker.
f. Klostergelehrte des Mittelalters.
43. Isidorus, 601—636 Bischof von Sevilla; Beda, starb 735 in
einem Kloster am Tyne; Alcuin 796—804 Abt des St. Martin Klosters
in Tours ; Hrabanus Maurus, Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz,
starb 856 ; Eemigius von Auxerre gestorben 908 ; Odo, Abt von Cluny,
gestorben 942; Gerbert, Abt des Klosters Bobbio an der Trebbia, Me-
tropolitan von Bheims, starb als Papst Sylvester II 1003; Bernelinus,
Schiller Gerbert's; Vertreter der alteren Klostergelehrsamkeit.
44. Johannes von Sevilla, um 1150; Atelhart von Bath um dieselbe
Zeit; Plato von Tivoli, Gerhard von Cremona ; Uebersetzer und Erklarer
arabischer Schriften im 12. Jahrhundert. Barlaam und Maximum Pla-
nudes am Anfang des 14. Jahfhunderts.
45. Johannes von Holywood (lateinisch : de Sacro-Bosco) .stammt
von Holywood in Yorkshire, lehrte um die Mitte des 13. Jahrhunderts
in Paris Philosophic und Mathematik; starb 1244 oder 1256 in Paris.
— Roger Bacon 1214—1292 (1294), studierte in Oxford und Paris ;
lehrte in Oxford. — Thomas Bradwardine 1290—1349; Erzbischof von
Canterbury.
46. Moschopulus, ein Byzantiner des 14. Jahrhunderts.
g. Vom Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
47. Leonardo aus Pisa , Fibonacci (Sohn des Bonacco) genannt,
um 1220; Luca Pacioli (Paciuolo) geboren etwa 1445 im obern Tiber-
thai, Franziskanermonch , Lehrer der Mathematik u. a. in Neapel,
238 VI. Biographische Notizen.
Mailand, Venedig, Rom, wo er nicht lange nach 1514 starb; Nicole
Oresme, gestorben 1382 als Bischof von Lisieux in der Normandie ;
Francesco Maurolico 14)94 — 1575 in Messina, verdient um die Wieder-
herstellung der Schriften antiker Mathematiker ; Scipione Ferro 1496
bis 1525; Nicolo Tartaglia 1500 oder 1501— 1557; Hieronimo Cardano
von Mailand, 1501 — 1576, und sein Schiller Ludovico Ferrari; Bombelli
um 1580; Barozzi 1537—1604; Pietro Antonio Cataldi 1548—1626;
italienische Mathematiker.
48. Francois Viete ( Vieta) 1540—1603, Hugenott, Rat Heinrichs IV.
49. Johannes Schindel (Joannes de Praga) geboren in Koniggratz
zwischen 1370 und 1375, wurde 1410 Rektor der Prager Hochschule,
starb 1450. Der Humanist und nachmalige Papst Enea Silvia feierte
ihn als hervorragenden Astronomen und Mathematiker.
50. Nicolas Chuguet, um 1500.
51. Johann von Gmunden, gestorben 1442 als Astronom in Wien.
52. Georg von Peurbach (oder Peuerbach), geboren 1423 zu Peuer-
bach bei Linz, gestorben 1461 in Wien. Bearbeiter des Almagest.
53. Regiomofltanus (Johannes Muller), geboren 1436 zu Konigs-
berg in Franken, Schiller Peurbach's, kam im Gefolge des Kardinals
Bessarion nach Rom, Venedig und Padua, trat dann in die Dienste
des Konigs Matthias Corvinus von Ungarn, lebte von 1471 — 1475 in
Niirnberg und starb 1476 in Rom, wohin er durch Papst Sixtus IV
zur Kalenderverbesserung berufen worden war.
54. Nikolaus von Cusa, Kardinal, geboren 1401 zu Cues bei Trier,
gestorben 1464 als Bischof von Brixen. Er studierte in Padua und
ubersetzte griechische Schriften ins Lateinische. Von ihm stammen
neun mathematische und vier astronomische Werke.
55. Johann Werner, Geistlicher in Niirnberg, 1468—1528.
56. Albrecht Durer 1471—1528, Maler. JanvanEyck 1385—1440,
niederlandischer Maler. Brunelleschi 1377-1446; Donatella 1386—1468 ;
Leo Battista Alberti 1404—1472; Piero della Francesca um 1500;
Camillo Aggrippa, Baumeister unter Papst Gregor XIII; italienische
Baumeister. Guido Ubaldi 1545-1607, Bernardino Baldi 1553—1617,
Verfasser der Lebensbeschreibungen von rnehr als zwei Hundert Mathe-
matikern des Altertums und Mittelalters; italienische Mathematiker.
57. Johann Widmann von Eger, um 1490 ; Johann ScheyU (Scheu-
belius) von Kirchheim, Professor der Mathematik in Tubingen, 1494
bis 1570; Jakob Kobel, Stadtschreiber zu Oppenheim, um 1520; Gram-
mateus (Heinrich Schreiber) um 1520; Adam Riese, geboren 1492 zu
Staffelstein in Franken, gestorben 1559 zu Annaberg; Petrus Apianus
(Bienewitz) gestorben 1552 als Professor der Astronomie inlngolstadt;
VI. Biographische Notizen. 239
Simon Stevin, geboren 1548 zu Brugge, gestorben 1620 als hollandischer
Deichinspektor. Petrus Bamus (Pierre de la Ramee), geboren 1515 bei
Soissons, gestorben 1572 in Paris; Peter Both, gestorben 1617 als
Rechenmeister in Niirnberg. Verfasser von elementaren Rechenbiichern
und Algebraiker.
58. Gerhard Mercator, geboren 1512 zu Rupelmonde in Flandern,
gestorben 1594 zu Duisburg als Cosmograph des Herzogs von Jiilich.
59. Christof Rndolff aus Jauer in Schlesien, bildete sich auf der
Wiener Hochschule aus; um 1530.
60. Michael Stifel, geboren 1487 in Esslingen, erst Augustiner-
monch, trat 1522 der Reformation bei und war ein vertrauter Freund
Luthers. Nach einem wechselvollen Leben als Pfarrer und Lehrer
der Mathematik starb er 1567 in Jena.
61. Jost Burgi (Justus Byrgius), geboren 1552 zu Lichtensteig in
Toggenburg, kam als wandernder Uhrmacher nach Kassel , wo er
Gehilfe des Astronomen Rothmann wurde. Spater trat er in die
Dienste Kaiser Rudolfs II und kam in Prag mit Keppler in nahe
Beruhrung. Er starb 1632 in Kassel.
62. Johann FaulJiaber, Kriegsbaumeister und Lehrer der Mathe-
matik in Ulm 1580—1635.
63. Lord John Napier (Neper) von Merchiston in Schottland,
1550—1617.
64. Henry Briggs 1560 — 1630, Professor der Astronomic am Gresham
College in London, spater in Oxford.
64a. Philips van Lansberg, geboren 1561 zu Gent ; Arzt und Pre-
diger zu Antwerpen, gestorben 1632 zu Middelburg.
65. Henry Gellibrand, Professor der Astronomic am Gresham Col-
lege, 1597—1637.
66. Nikolaus Beymers, astronomischer Schriftsteller, Schiller Burgi's,
bis zu seinern 18. Jahr Schweinehirt ; Hofmathematikus des Kaisers
Rudolf II in Prag, starb wahrscheinlich 1599 auf der Flucht, wahrend
er der Rache Tycho Brahe's, den er mit Schmahungen iiberhauft hatte,
zu entgehen versuchte.
67. Georg Joachim (Bhaeticus), geboren 1514 zu Feldkirch im Vor-
arlberg, studierte in Wittenberg, spater bei Kopernikus in Frauenburg.
Er lehrte in Niirnberg und Leipzig und starb 1576 zu Kaschau in Ungarn.
68. Ludolf van Ceulen, geboren 1540 in Hildesheim in Sachsen,
gestorben 1610 in Ley den, wo er lange Jahre hindurch das Amt eines
Lektors an der vom Prinzen Moriz von Nassau mit der Universitat
verbundenen Genieschule inne hatte. Auf seinem Grabstein, der aller-
dings verloren gegangen ist, von welchein aber au8 einem alten Werk
240 VI. Biographische Notizen.
eine genaue Beschreibung erhalten 1st, stand die Zahl TC auf 34 Dezi-
malstellen eingegraben.
69. Bartholomdus Pitiscus, geboren 1561 zu Schlaune in Schlesien,
gestorben 1613 als kurpfalzischer Oberhofprediger in Heidelberg.
70. Johann Keppler, geboren am 27. Dezember 1571 in Weil
derStadt, 1589 Schiller Mastlins in Tiibingen, 1594 Lehrer der Mathe-
matik und Moral in Graz, 1600 Gehilfe Tycho Brahe's in Prag, 1601
dessen Nachfolger, 1612 Professor am Gymnasium in Linz, 1626 in
Ulm, 1628 bei Wallenstein in Sagan ; 1630 starb er in Regensburg,
wo er vor dem versammelten Reichstag seine Gehaltsanspruche bei
dem Kaiser geltend zu machen versuchte.
71. Michael Mdstlin 1550—1631, Professor der Mathematik in
Tubingen.
72. Daniel Schwenter, geboren 1585 zu Nurnberg, gestorben 1636
als Professor der gesamten orientalischen Sprachen und der Mathe-
matik an der Universitat Altdorf.
73. Benjamin Ur sinus (Behr) starb als Professor der Mathematik
in Frankfurt an der Oder 1634.
74. Paul Guldin, geboren 1577 zu St. Gallen von protestantischen
Eltern, wurde 1597 zu Freisingen Jesuit und starb 1643 als Lehrer
der Mathematik in Graz.
75. Thomas Harriot, geboren in Oxford 1560, gestorben in London 1621.
76. William. OugUred 1574-1660.
77. Claude Gaspard Sachet de Meziriac, geboren in Bourg-en-Bresse
1581, beschaftigte sich mit unbestimmter Analytik; gestorben 1638-
78. Gregoire de Saint -Vincent, Jesuit, geboren in Brugge 1584,
gestorben in Gent 1667.
79. Albert Girard 1590-1634.
80. Willibrord Snell (Snellius) van Roijen, 1591—1626; seit 1613
Professor der Mathematik in Leyden.
81. Gerard Desargues, geboren in Lyon 1593, Architekt, gab Vor-
lesungen in Paris von 1626 — 1630; gestorben 1662.
82. James Dodson, geboren 1597, gestorben 1657 in London.
h. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
83. Rene Descartes, geboren 1596 in der Nahe von Tours, gestorben
1650 in Stockholm. Er kam 1612 nach Paris, ging 1617 zur Armee
des Prinzen von Oranien; bei Beginn des 30jahrigen Kriegs trat er
als Freiwilliger ins bayrische Heer ein, verliess dasselbe 1621, ver-
brachte dann fiinf Jahre auf Reisen, und studierte unterdessen immer
VI. Biographische Notizen. 241
Mathematik. 1628 ging er nach Holland ; 1637 erschien seine wichtige
Entdeckung als »Discours de la me'thode pour bien conduire sa raison
et chercher la ve'rite' dans les sciences*; 1647 erhielt er eine Pension
von Frankreich als Anerkennung seiner Leistungen ; 1649 ging er auf
Einladung der Konigin Christine nach Schweden und starb wenige
Monate nachher.
84. Bonaventura Cavalieri, geboren in Mailand 1598, Jesuit, starb
1647 als Professor der Mathematik in Bologna.
85. Cessius Magnus, Professor der Mathematik an der Universitat
Upsala, gestorben 1679.
86. Antoine de Laloubere, Jesuit, 1600—1664.
87. Pierre de Format, geboren in derNahe von Montauban 1601,
gestorben in Toulouse 1665.
88. Florimond de Beaune 1601—1652.
89. Gilles Personnier, genannt Roberval, geboren in Roberval 1602,
gestorben in Paris 1675 als Professor an der Dniversitat.
90. Bernard Frenide de Bessy 1605—1675 in Paris, Freund Fermat's.
91. Evangelista Torricelli, geboren in Faenza 1608, gestorben 1647.
92. John Pell, geboren 1610m Southwyke (Sussex), gestorben 1685
in London; erst Professor der Mathematik in Amsterdam und Breda,
dann Cromwell's Resident in der Schweiz, endlich Geistlicher,
93. JohnWallis, geboren in Ashford 1616, gestorben als Professor
der Geometric in Oxford 1703.
94. Michel- Ange Ricci, geboren 1619, starb 1692 als Kardinal in Rom.
95. William Lord Brouncker, einer der Griinder der Royal Society
of London, 1620—1684.
96. Franz van Schooten 1620—1661 Professor in Leyden. Er gab
1649 Descartes' »Ge'ome'trie« mit Anmerkungen lateinisch heraus;
ferner besorgte er eine Ausgabe von Viete's Werken.
96a. Giovanni Domenico Cassini, geboren 1625 zu Perinaldo bei
Nizza, gestorben 1712 als Direktor der Sternwarte zu Paris.
96b. Jean de Witt, geboren 1625, Freund Descartes' und eifriger
Verbreiter von dessen neuen Methoden; Grosspensionar der Republik
Holland; wurde 1672 in einem Volksaufstand getotet.
97. Nikolaus Merkator, geboren 1620 in Holstein, lebte meist in
England, ging 1683 nach Frankreich, baute die Wasserkunste in Ver-
sailles, erhielt keine Bezahlung und starb 1687 in Armut in Paris.
98. Rene Francis Walter de Sluze, Kanonikus von Liege, 1622—1685.
99. Vincenzo Viviani, Schiller Galilei's, geboren 1622 in Florenz,
gestorben 1703.
100. Blaise Pascal, geboren zu Clermont 1623, gestorben zu Paris
Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 16
242 VI. Biographische Notizen.
1662. Mit 16 Jahren schrieb er iiber Kegelschnitte , mit 18 Jahren
konstruierte er seine Rechenmaschine. Spater widmete er sich ab-
wechslungsweise mathematischen und physikalischen Sfcudien und reli-
gioseri Meditationen.
101. Johann Hudde, Biirgermeister von Amsterdam, 1633 — 1704.
102. Christian Huygens, geboren in Haag 1629, gestorben 1695.
(Die Schreibweise »Huygens« findet sich aufLinsen, die Huygens 1685
gescnliffen hat).
103. Isaac Barrow, geboren in London 1630 , gestorben in Cam-
bridge 1677.
104. Gerhard Kinckhuysen aus Holland, 1630—1679.
105. Christopher Wren 1632-1723, Professor der Mathematik in
Oxford, dann Generalinspektor der Kgl. Gebaude in London.
106. Johann Christof Sturm 1635—1703, Professor der Mathematik
in Altdorf. Sein Sohn Leonhard Christof Sturm, 1669—1719, starb
als herzoglich meklenburgischer Baudirektor.
107. James Gregory, geboren 1638, gestorben 1675 in Edinburgh.
108. Philippe de Lahire 1640—1718 in Paris.
109. Isaac Newton, geboren in Lincolnshire 1642, gestorben in
Kensington (London) 1727.
110. Gottfried Wilhelm Leibniz, geboren 1646 zu Leipzig; 1666
in Nurnberg, 1672 in Paris, 1673 in London, dann bis 1676 wieder
in Paris. Im Oktober 1676 reiste er iiber London, wo er mit Collins
verkehrte, nach Amsterdam , kam in nahere Beriihrung mit Hudde
und erreichte im Dezember 1676 Hannover; 1678 — 1684 Briefwechsel
mit Tschirnhaus; 1693 bis zu seinem Tod Korrespondenz mit Johann
Bernoulli. Leibniz starb am 14. November 1716.
111. Jean Ceva 1648—1737.
112. Ehrenfried Walter von Tschirnhaus (Tschirnhausen), geboren
1651 zu Kisslingswalde beiGorlitz; 1668 Schiller Descartes' in Leyden ;
1675 in Paris (enger Verkehr mit Leibniz), von 1700 an in Dresden;
gestorben 1708.
113. Michel Eolle, geboren 1652, gestorben 1719 in Paris.
114. Jakob Bernoulli 1654—1705 in Basel. Johann Bernoulli, Bruder
des vorigen, 1667—1748, Professor der Mathematik in Groningen und Basel.
Nikolaus Bernoulli, geboren 1695, seit 1726 Professor in Petersburg.
Daniel Bernoulli 1700—1782, Professor in Petersburg und Basel.
Johann Bernoulli (der jiingere) 1710—1790, Professor in Basel;
Sohne des Johann Bernoulli.
115. Edmund Halley, geboren 1656, gestorben 1724 als Astronom
in Greenwich; einige Zeit Professor der Geometric zu Oxford.
VI. Biographisehe Notizett. 243
116. Joseph Saurin, geboren 1659, gestorben 1737 in Paris.
117. Guillaume Franc ois Antoine L'hospital, Marquis de St.-Mesine,
1661-1704 in Paris.
118. Antoine Parent 1666—1716 in Paris.
119. Abraham de Moivre, geboren 1667 in Vitry, gestorben 1754
in London.
120. Jacopo Francesco Count Biccati, geboren in Venedig 1676,
gestorben in Treves 1754.
121. Pierre Raymond de Montmort 1678—1719 in Paris.
122. Christian Wolf, geboren 1679 in Breslau; 1707— 1723 Professor
der Mathematik in Halle , dann (wegen Irreligiositat vertrieben) in
Marburg, von 1740 an wieder in Halle; er starb 1754.
123. Giulio Carlo Count de Fagnano 1682—1766.
124. Boger Cotes, geboren 1682, gestorben 1716 in Cambridge.
125. Frangois Nicole 1683-1758 in Paris.
126. Brook Taylor, geboren 1685, gestorben 1731 in London.
127. Amede Francois Frezier, geboren 1682, gestorben 1776 in Brest.
128. Christlieb von Clausberg, geboren 1689 zu Danzig, gestorben
1751 zu Kopenhagen.
129. Colin Maclaurin, geboren 1698, gestorben in York 1746.
130. Georg Wolfgang Krafft, geboren 1701 in Tuttlingen, gestorben
1754 als Professor der Mathematik und Physik in Tubingen.
131. Gabriel Cramer, geboren 1704 in Genf, lehrte dort Mathe-
matik; gestorben 1752 in Bagnols (De'partement du Gard).
132. George Buffon 1707—1788, Intendant des kgl. Gartens und
Naturalienkabinetts zu Paris.
133. Leonhard Euler, geboren in Basel 1707, gestorben in Peters-
burg 1783; Sohn eines Pfarrers, Schiller Johann Bernoulli's; 1725 in
Petersburg, 1741 in Berlin, 1766 wieder in Petersburg, wo er ein oder
zwei Jahre spater erblindete, ohne seine Thatigkeit aufzugeben.
134. Thomas Simpson 1710—1761, Professor der Mathematik zu
Woolwich.
135. Jean Paul de Gua 1713-1785, gestorben in Paris.
136. Alexis Claude Clairaut 1713—1765 in Paris.
137. Abraham Gotthelf Kdstner, geboren 1714 zu Leipzig, 1739
bis 1756 Lehrer an der dortigen Universitat, 1756—1800 Professor der
Mathematik und Physik in Gottingen.
138. Jean-le-Bond D'Alembert 1717—1783 in Paris.
139. Matthew Stevtart, geboren 1717, gestorben 1785 in Edinburgh.
140. John Landen, geboren 1719 bei Peterborough, gestorben 1790
zu Milton.
16*
244 VI. Biographische Notizen.
140a. Albrecht Meister, geboren 1724 zu Weikersheim (Hohenlohe),
gestorben 1788 als Professor in Gottingen.
141. Johann Heinrich Lambert, geboren 1728 zu Miihlhausen im
Elsass, arbeitete sich aus driickenden Verhaltnissen empor; seit 1765
Oberbaurat und Mitglied der Akademie in Berlin, wo er 1777 starb.
142. Etienne Bezout, geboren 1730, gestorben 17>3 in Paris.
143. Giovanni Francesco Guiseppe Malfatti, geboren 1731 zu Ala,
gestorben 1807 als Professor der Mathematik an der Universitat Ferrara.
1 44. ' rharlm A nyu tfc^Vandermonde 1735—1796 in Paris, Direktor
des Conservatoire pour les arts et metiers.
145. Christof Friedrich von Pfleiderer, geboren 1736 in Kirchheim
u. Teck, gestorben 1821 in Tubingen; 1766-1782 Professor der Ma-
thematik und Physik an der Militarakademie zu Warschau, dann in
der gleichen Eigenschaft Professor in Tubingen.
146. Joseph Louis Lagrange, geboren in Turin 1736, gestorben
in Paris 1813; 1758 griindete er die Turiner Akademie; von 1766 an
war er zwanzig Jahre in Berlin; 1787 kehrte er nach Paris zuriick
und wurde 1797 Lehrer an der Ecole poly technique;
147. Jacques-Andre Mallet, geboren 1740 in Genf, Professor der
Astronomie, starb 1790 dort.
148. Karl Friedrich Hind enburg, geboren 1741 zu Dresden, gestorben
1808 als Professor an der Universitat Leipzig.
149. Jean Antoine Condorcet, geboren zu Ribemont (Picardie) 1743,
vergiftete sich 1794 im Gefangnis.
150. Johann Friedrich Pfaff, geboren 1765 in Stuttgart, vollendete
seine Studien in Gottingen und spater bei dem Astronom Bode in
Berlin; 1789 Professor der Astronomie in Helmstadt; gestorben 1825
als Professor in Halle.
151. Wilhelm Eschenbach, geboren 1764 in Leipzig, gestorben
1797 zu Madras als englischer Kriegsgefangener.
152. William Wallace, geboren 1768, gestorben 1843 als Professor
der Mathematik an der Universitat zu Edinburgh.
152a. Jean • Baptiste Maria Meusnier, geboren 1754 zu Paris, ge-
fallen 1793 als Divisionsgeneral bei der Verteidigung von Kassel gegen
die Preussen.
153. Heinrich August Rothe, geboren 1773 zu Dresden, gestorben
1842 als Professor in Erlangen.
154. Gaspard Monge, geboren 1746, gestorben 1818 in Paris.
155. Jean Trembley, geboren 1649 in Genf, gestorben 1811.
156. Pierre Simon Laplace, geboren in der Normandie 1749,
gestorben in Paris 1827.
VI. Biographische Notizen. 245
157. Simon Antoine Jean Lhuilier, geborenin Genf 1750, gestorben
1840; studierte in Warschau und Tubingen bei Pfleiderer, seit 1796
Professor an der Akademie in Genf.
158. Andrien Marie Legendre, geboren in Toulouse 1752; 1795
Professor an der Ecole normale in Paris; gestorben 1833.
159. Nicolas Carnot, geboren in Nolay 1753, gestorben im Exil
Magdeburg 1823. 6T /^
160. ^3$rrtg Argand, geboren in Genf 1765; gestorben 1800.
161. Louis Arbogaste, geboren in Genf "174^ gestorben 1&H
162. Lacroix 1765—1843.
163. James Jvory, geboren in Dundee 1765, gestorben 1845.
164. Jean Baptiste Joseph Fourier, geboren in Auxerre 1768, ge-
storben in Paris 1830.
165. Jean Nicolas Pierre Hachette, geboren 1769, gestorben in
Paris 1834.
166. Karl Brandan Mollweide, geboren 1774 in Wolfenbiittel, ge-
storben 1825 als Professor der Mathematik in Leipzig.
167. Etienne Louis Malus 1775—1812, Paris. Erst Offizier, dann
Examinator an der polytechnischen Schule.
168. Zecchini Leonelli, geboren 1776 in Cremona, gestorben 1847
als Direktor des physikalischen Kabinetts in Corfu.
169. Sophie Germain 1776-1831 in Paris.
170. Wolfgang Botyai de Bolya, geboren 1775 zu Bolya im Szekler-
land in Siebenburgen , kam 1797 nach Jena, spater nach Gottingen,
wo er mit Gauss einen dauernden Freundschaftsbund schloss ; 1802
Professor der Mathematik zu Maros-Vasarhely ; er dichtete fiinf Trauer-
spiele, verfasste aber auch zahlreiche mathematische Abhandlungen,
unter denen die wichtigste : »Tentamen Juventutem studiosam in ele-
menta Matheseos purae etc.«, 1832 und 1833 in zwei Banden erschienen.
Bolya trat 1849 in den Ruhestand und starb 1856.
171. Karl Friedrich Gauss, geboren den 30. April 1777 zu Braun-
schweig. Er besuchte von 1788—1792 das Gymnasium , wo Herzog
Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig auf ihn aufmerksam
wurde und in Folge davon den talentvollen Schuler von 1792—1795
im Collegium Carolinum ausbilden liess. Die Universitat Gottingen
besuchte er 1795 —1798, kehrte dann nach Braunschweig zuriick, von
wo aus er die Helmstadter Bibliothek benutzte und in Verkehr mit
Johann Friedrich Pfaff trat. Sein beriihmtes Werk: »Disquisitiones
arithmeticae«, erschien 1801. Als besonders grundlegende Abhand-
lungen sind noch hervorzuheben : »Theoria motus corporum coelestium
etc.« von 1809, »Disquisitiones generales circa seriem inf.« von 1812,
246 VI. Biographische Notizen.
»Disquisitiones generales circa superficies curvas« von 1827, »Unter-
suchungen iiber Gegenstande der hohern Geodasie« von 1843 und 1846.
Gauss starb am 23. Februar 1855 in Gottingen.
172. Simeon Denis Poisson, geboren 1781, gestorben 1840 in Paris.
173. Charles Dupin, geboren 1781 zu Varzy, gestorben 1873 in Paris.
174. Charles JulienBrianchon, geboren 1785 ; franzdsischer Artillerie-
offizier.
175. Jean Victor Poncelet, geb. 1788 in Metz, gest. 1867 in Paris.
176. Augustin Louis Cauchy 1789—1857 in Paris.
177. August Ferdinand Mflbius, geboren 1790, seit 1816 Professor
der Astronomie in Leipzig, wo er 1868 starb.
178. JEphraim Salomon Unger, geboren 1788 zu Coswig in Anhalt,
gestorben 1870 als Professor an der Realschule zu Erfurt.
179. Bernhard Bolzano, Weltpriester und Professor in Prag,
1781-1848.
180. Amadeo Plana, geb. 1781 zu Voghera, gest. 1864 zu Turin.
181. Friedrich Christian von Biesse, geboren 1790 zu Consfeld,
gestorben 1868 als Professor in Bonn.
182. Charles Babbage, 1792—1871, Professor in Cambridge.
183. Michel Chasles, geboren 1793 zu Chartres, gestorben 1880
als Professor an der Sorbonne zu Paris.
184. Joh. Jos. Ign. von Hoffmann, geboren zu Mainz 1777, seit 1806
Professor in Aschaffenburg, wo er 1866 starb.
185. August Leopold Crelle, geboren 1780 in Eichwerder (Wriezen
a. d. Oder), gestorben 1855. Begriinder des Journals fur reine und
angewandte Mathematik (1826).
186. Friedrich Schwerd, geboren 1792 in Rheinhessen, 1817 Professor
in Speyer, gestorben 1871.
187. Theodore Olivier 1793—1853. Professor der Geometrie am
Conservatoire des arts-et-me'tiers.
188. N. J. LobatschewsJcy, geboren 1793 zu Makarief im Bezirk
Nischni-Nowgorod, 1802 Schiiler des Gymnasiums zu Kasan; 1827—1846
Professor und Rektor der Universitat Kasan: gestorben 1856.
189. Gabriel Lame, geboren 1795 in Tours, gestorben 1870 in Paris.
190. Geminiano Eiccardi, geboren 1794 zu Modena, starb dort
1857 als Professor an der Universitat.
191. A. J. H. Vincent, geboren 1797, gestorben 1868 in Paris.
192. Ernst Ferdinand August, geboren 1795 zu Prenzlau, gestorben
1870 als Direktor des Kollnischen Realgymnasiums in Berlin.
193. Jakob Steiner, geboren am 18. Marz 1796 in Utzendorf bei
Solothurn , lernte erst im 14. Jahr schreiben, besuchte Pestalozzi's
VI. Biographische Notizen. 247
Erziehungsanstalt zu Iferten und studierte von 1818 — 1821 in Heidel-
berg; dann wurde er Privatlehrer in Berlin, wo die beiden Humboldt
ihn in die Berliner Gelehrtenwelt einfuhrten. Jakobi verschaffte ihm
1834 eine ausserordentliche Professur an der Universitat Berlin. Steiner
starb am 1. April 1863 in Bern.
194. Julius Plttoker, geboren 1801 in Elberfeld; 1826 in Bonn,
1834 in Halle, von 1836 an wieder in Bonn. Bis 1846 arbeitete er
auf mathematischem Gebiet, dann als Physiker, um in den letzten
Jahren seines Lebens wieder zur Mathematik zuriickzukehren. Er
starb 1868 in Bonn.
195. Niels Henrik Abel, geboren den 5. August 1802 in Norwegen.
Er studierte in Christiania und hielt sich sodann, auf einer wissen-
schaftlichen Reise begriffen, sechs Monate in Berlin und zehn Monate
in Paris auf, von wo er wieder zunachst nach Berlin, und dann nach
Christiania zuriickkehrte. Wahrend die Nachricht von seiner Berufung
an die Universitat Berlin unterwegs war, starb er am 6. April 1829.
196. Charles Francois Sturm, geboren in Genf 1803, gestorben 1855
als Lehrer an der polytechnischen Schule in Paris.
197. Karl Gustav Jakob Jacob! , geboren am 10. Dezember 1804
in Potsdam, lehrte schon in seinem 21. Jahr an der Berliner Univer-
sitat, wurde 1827 nach Konigsberg berufen und lebte, durch korper-
liches Leiden veranlasst, von 1843 ab im Ruhestand in Berlin, wo er
am 18. Februar 1851 starb.
198. Gustav Peter Lejenne-Dirichlet, geboren am 13. Februar
1805 zu Duren in der Rheinprovinz, vollendete seine mathematische
Ausbildung von 1822 an in Paris, kehrte 1826 nach Deutschland zu-
ruck und wurde durch Alexander von Humboldt's Vermittlung an die
Universitat Breslau berufen. Doch trat er schon zwei Jahre spater in
den Lehrkorper der Berliner Universitat ein, dem er 27 Jahre ange-
horte. Im Herbst des Jahres 1855 wurde er der Nachfolger von Gauss
in Gottingen, wo er am 5. Mai 1859 starb.
199. Joseph Plateau, geboren zu Briissel 1801, gestorben als Pro-
fessor der Physik zu Gent 1883; im Jahr 1843 erblindete er und hielt
von da ab keine Vorlesungen mehr.
200. Ludwig Oettinger, geboren 1797 zu Edelfingen beiMergentheim,
gestorben 1869 als Professor in Freiburg.
201. Johann August Grunert, geboren 1797 zu Halle a. S., seit
1833 Professor in Greifswalde, gestorben 1872.
202. Jean Marie Constant Duhamel, geboren 1797 zu St. Malo,
gestorben 1872 in Paris.
203. L. A. Jaques Quetelet, geboren 1796 zu Gent, gestorben 1874
zu Brussel^ als Direktor der Sternwarte.
248 VI. Biographische Notizen.
204. Karl Heinrich Graeffe, geboren 1799 zu Braunschweig, erst
Juwelier, studierte dann 1826 in Zurich, starb dort 1873 als Professor
an der polytechnischen Schule.
205. Adhemar Jean Claude de Saint- Venant, geboren 1797, gestorben
1886 zu Venddme.
206. Johann Bolyai de Bolya, Sohn des Wolfgang Bolyai, geboren
1802 zu Klausenburg in Siebenbiirgen, ein tiefdenkender Mathematiker,
leidensohaftlicher Violinspieler und geschickter Fechter; er starb 1860
zu Maros-Vasarhely als K. K. Hauptmann im Geniekorps.
207. Karl Georg Christian von Staudt, geboren 1798 in Ro then-
burg an der Tauber, gestorben 1867 als Professor in Erlangen.
208. Karl Wilhelm Feuerbach, geboren 1800 zu Jena, gestorben
1834 als Professor der Mathematik am Gymnasium in Erlangen.
209. Heinrich Ferdinand Scherk, geboren 1798inPosen, gestorben
1885 in Bremen.
210. Gustave Froment, gestorben 1865 in Paris.
211. Domenico Chelini, geboren 1802 zu Gragnano, gestorben 1878
als Professor in Bom.
212. Friedricli Eduard Thieme, geboren 1805 zu Leipzig, gestorben
1878 zu Plauen.
213. Jean Baptiste Brasseur 1802—1868, Professor zu Liittich.
214. Graf Libri-Carucci della Sommaja, geboren 1802 in Florenz,
gestorben 1869 zu Fiesole.
215. Giusto Bettavitis, geb. 1803 zu Bassano, gest. 1880 in Padua.
216. Ernst Wilhelm Grebe, geboren 1804 bei Marbach in Ober-
hessen, gestorben 1874 in Cassel.
217. Sir William Rowan Hamilton 1805—1865 in Dublin.
218. August de Morgan, geb. in Madras 1806, gest. in London 1871.
219. James Booth, gekoren 1806, gestorben 1878 in Buckinghamshire.
220. Joseph Liouville, 1806— 1882; Professor an der polytechnischen
Schule in Paris.
221. Hermann Gunter Grassmann, geboren in Stettin 1809, gestorben
1877 als Professor der Mathematik am Gymnasium in Stettin.
222. James Mac Cullagh, geboren 1809, gestorben 1846 in Dublin.
223. Evariste Galois, geb. 181 Ij, gefallen im Duell 1832 zu Paris.
224. Ludwig Otto Hesse, geboren in Konigsberg 1811, gestorben
1874 zu Miinchen als Professor an der polytechnischen Schule.
225. Adolf Gopel, geboren 1812 in Rostok, gestorben 1847 in
Berlin, Lehrer am Werder-Gymnasium.
226. J. de la Gournerief geboren 1814, gestorben 1833 in Paris.
Von 1849 ab Lehrer der darstellenden Geometrie an der Ecole polyt.
VI. Biographische Notizen. 249
227. George Boole, geboren 1815, gestorben in Cork 1864.
228. Francois Joseph Lionnet 1805 — 1884 in Paris.
229. Barnaba Tortolini 1808— 1874, Professor an derSapienzain Rom.
230. Karl Anton Bretschneider, geboren 1808 zu Schneeberg im
Erzgebirge, gestorben 1878 in Gotha.
231. Karl Gustav Reuschle, geboren 1812 zu Mehrstetten (Wiirt-
temberg), gestorben 1875 als Professor am Gymnasium in Stuttgart.
232. F. S. Richelot, geboren 1808 in Konigsberg, gestorben 1875
als Professor dort.
233r Christian von Frisch, 1807—1881 in Stuttgart, Oberstudienrat
und Reitor der Realschule dort.
234. Eduard Heis, geboren 1806 zu Koln, gestorben 1877 als Pro-
fessor der Astronomie zu Minister.
235. Bernhard von Gugler, geboren 1812 zu Niirnberg , gestorben
1880 als Professor am Polytechnikum in Stuttgart.
236. Joseph Alfred Serret , geboren 1819 in Paris, gestorben 1885
als Professor an der Sorbonne.
237. August Wiegand 1814—1871 , Lehrer der Mathematik an der
Realschule zu Halle.
238. Karl Johann Malmsten, geboren 1814 zu Uddetorp in Schweden,
gestorben 1886 zu Upsala.
239. Jean Claude Bouquet 1819—1885 in Paris.
240. Jules Jamin, geboren 1818, gestorben 1886 in Paris.
241. Savino Realis 1818—1886 in Turin.
242. F. Cattaneo, gestorben 1873 als Rektor der Universitat Pavia.
243. Karl Wilhelm Borchardt, 1817—1880 in Berlin, gestorben
als Professor an der Universitat.
244. Benjamin Peirce, gestorben 1880 zu Cambridge (Massachusetts).
245. Eduard Stmon Heine, geboren 1821 in Berlin, gestorben 1881
als Professor in Hailed
246. Albert Briot, geboren 1817 zu Sainte-Hippolyte, gestorben
1882 als Professor an der Sorbonne in Paris.
247. Ernest Quetelet, geb. 1826 zu Brussel, gest. 1878 zu Ixelles.
248. Gottfried Friedlein, geboren 1828 zu Regensburg, gestorben
1875 in Hof als Rektor der Studienanstalt.
249. Franz Woepcke, geboren zu Dessau 1826, gestorben 1864 in Paris.
250. Paul Du Bois-Reymond, geboren 1831 in Berlin, gestorben
1889 als Professor an der polytechnischen Schule in Charlottenburg.
251. Georg Friedrich Bernhard Riemann, geboren 1826 in Breselenz
(Liineburger Heide), trat in Beziehung zu Gauss, Jacobi, Dirichlet,
Steiner ; 1858 Prof, in Gottingen, starb 1866 zu Selasca am Lago Maggiore
250 VI. Biographische Notizen.
252. Wilhelm Unverzagt, geboren 1830 zu Bad Ems, gestorben 1885
in Wiesbaden.
253. Alfred Enneper , geboren 1830, gestorben 1885 als Professor
in Gottingen.
254. Pietro Boschi, geboren 1833 zu Rom, gestorben 1887 als
Professor an der technischen Hochschule in Bologna.
255. Emile Sour, geboren 1831, gestorben 1866 in Paris als Pro-
fessor an der polytechnischen Schule.
256. Gustav Boch, Professor in Halle, gestorben 1866 in Venedig.
257. Karl Hattendorf, geboren 1834, gestorben 1882 als Professor
am Polytechnikum zu Aachen.
258. William Spottiswoode 1825—1883 in London.
259. Ferdinand Gotthold Eisenstein 1823—1852 in Berlin.
260. Henry Smith, geboren in London 1826, gestorben in Oxford
als Professor der Geometrie 1883.
261. Rudolf Friedrioh Alfred Clebsch, geboren 1833 zu Konigsberg
in Preussen, sudierte dort unter Neumann, Richelot und Hesse; 1858
Professor in Karlsruhe, 1863 in Giessen, 1868 in Gottingen, wo er
1872 starb.
262. Edmond Laguerre, geb. zu Bar-le-Duc 1834, gest. 1886 in Paris.
263. Hermann Hankel, geboren 1839 zu Halle, gestorben 1873 in
Schramberg als Professor an der Universitat Tubingen.
264. G. H. ttalphen, geboren in Rouen 1844, seit 1873 an der po-
lytechnischen Schule in Paris, gestorben 1889.
265. Carlo Alberto Castigliano, Ingenieur der oberitalienischen
Eisenbahnen ; 1847—1884.
266. Karl Gustav Axel Harnack, geboren 1851 in Dorpat, gestorben
1888 als Professor am Polytechnikum in Dresden.
267. Ettore Caporali, geb. 1855 zu Perugia, gest. 1886 zu Neapel.
268. Ludwig Kraus, geboren 1857 zu Turnau in Bohmen, gestorben
1886 zu Arco.
269. Ludwig Scheefer, geb. in Konigsberg 1859, gest. in Miinchen 1885.
270. Heinrich Bichard Baltzer, geboren 1818, gestorben 1887 als
Professor in Giessen.
271. Johann Georg Bosenhain, geboren 1816, gestorben 1887 als
Professor in Konigsberg.
272. Karl Snell, geboren 1806 zu Dachsenhausen, gestorben 1887
als Professor zu Jena.
VI. Biographische Notizen.
251
i. Mathematiker der Gegenwart,
welche an deutschen oder auslandischen Hochschulen wirken Oder als
Schriftsteller thatig sind.
(Die beigesetzte Zahl, z. B. 15, bezeichnet das Geburtsjahr, z. B. 1815;
der Ort den gegenwartigen Aufenthalt.)
Adams, W. London.
Affolter, Fr. G. Zurich. 1.
Amstein, H. Lausanne.
Appell, Paris.
August, Berlin.
Bachmann, P. 37. Munster.
Battaglini, Neapel.
Bauer, G. 20. Munchen.
Baur, C. W. v. 20. Stuttgart.
Beltrami, E. 35. Pavia.
Bertrand, Paris.
Betti, Pisa.
Bertini, Pavia.
Biehler, Paris.
Bjerknes, C. A. 25. Christiania.
Biermann, 0. 58. Prag.
Bjorling, Lund.
Bobek, K. Prag.
Boklen, 0. Reutlingen.
Bolza, 0 P?eife«rg^^.
Boncompagni, B. Rom.
Bonnet, Paris.
Boussinesq, Paris.
Braunmuhl, A. v. Munchen.
Brill, A. 42. Tubingen.
Brioschi, E. Mail and.
Brisse, Ch. Courbevoie (Seine).
Brocard, H. Monpellier.
Bruns, H. 48. Leipzig.
Burmester, L. Munchen.
Cantor, G. 45. Halle.
1 Cantor, M. 29. Heidelberg.
Capelli, A. Neapel.
Caspary, F. Berlin.
Casey, Dublin.
Casorati, F. 35. Pavia.
Catalan, Liege.
Cayley, A. 21. Cambridge.
Christo/el, E. B. 29. Strassburg.
Crane, C. Stuttgart.
Craig, T. Baltimore. . --
Cremona, Rom.
Ctortee, M. Thorn. /
E. 51. Briinn.
Darboux. 42. Paris.
DedeJcind, R. Braunschweig.
Dingeldey, Fr. Darmstadt.
Dracft, C. A. v. 39. Marburg.
Durege, H. 21. Prag.
W. Munchen.
Engel, F. 61. Leipzig.
Enestrom. Stockholm.
Escherich, G. v. 49. Wien.
Favaro, Padua.
Fiedler, 0. W. 32. Zurich.
Finstenvalder, S. Munchen.
Folie, Briissel.
Fouret, Paris.
Fricke, R. Braunschweig.
Frege. Jena.
Frischauf, J. 37. Graz.
Frobenius, F. G. Zurich.
.Fwcfa?, L. 35. Berlin.
Fuhrmann, KSnigsberg.
252
VI. Biographische Notizen.
Gegenbauer, L. Innsbruck.
Geiser, C. F. Zurich.
Gibson, Glasgow.
Gierster, J. Miinchen.
Gilbert, Louvain.
Glaisher, Cambridge.
Gundelfinger, S. Darmstadt.
Gunther, S. 48. Miinchen.
Gordan, P. 37. Erlangen.
Goursat, E. 58. Paris.
Graefe, F. Darmstadt.
Gram, Kopenhagen.
Grunwald, Prag.
Guccia, Palermo.
Gylden, Stockholm.
Hamburger, M. Berlin.
Hammer, E. Stuttgart.
HaucJc, G. Berlin.
Hart, H. Blackheath.
Haton de la Goupilliere, Paris.
Hazzikadis, AthSn.
Heffter, L. Berlin.
Heger, R.
Heiberg, J. L. Kopenhagen.
Helmholtz, H v. 21. Berlin.
Henneberg, Darmstadt.
Hensel, 60. Berlin.
Henoch, Berlin.
Hermite, G. 22. Paris.
Hess, A. E. 43. Marburg.
Hess, W. Bamberg.
HeWwer, G. 54. Berlin.
Hilbert, D. 62. Konigsberg.
Hirst, London.
Hoffmann, J. C. V. Leipzig.
Holder, 0. 59. Tubingen.
Hoist, Christiania.
Holzmuller, G. Hagen.
Hoppe, R. 16. Berlin.
Humbert, Paris.
Hurwitz, A. 59. Konigsberg.
Jolles, Aachen.
Jonquieres, Paris.
Jordan, C. Paris.
Joubert, Angers.
Iserikrahe, C. Bonn.
Jung, Mailand.
Jurgens, Aachen.
Kantor, S. Prag.
Kiepert, L. Hannover.
Killing, W. 47. Braunsberg.
KinMin, H. 32. Basel.
JKto, B. 38. Marburg.
JSCfem, F. 49. Gottingen.
Kneser, A. Breslau.
Knoblauch, J. 55. Berlin.
Konig, J. Budapest.
Koenigs, Paris.
Konigsberger, L. 37. Heidelberg.
Korkine, A. N. Petersburg.
Kortum, H. 36. Bonn.
, E. 59. Berlin.
, F. Berlin.
Kowalevski, Sofie. 58. Stockholm.
Krause, M. Dresden.
Krazer, H. 58. Strassburg.
.Km/, H. Freiburg i. B. .
Kronecker, L. 23. Berlin.
Kummer, E. E. 10. Berlin.
Lampe, Berlin.
Laurent, Paris,
iasyfca, W. Prag.
Lazarus, Hamburg.
Leaute, Paris.
JCe Paige, Liege,
ievy, M. Paris.
Lie, S. Leipzig.
VI. Biographieche Notizen.
253
Lieber, E. Stettin.
Liguine, Odessa.
Lindelof, L. L. 27. Helsingfors.
Lindemann, F. Konigaberg.
Lippich, F. 38. Prag.
Lipschitz, R. 32. Bonn.
London, F. Breslau.
Loria, G. 62. Genua.
Lorberg, Strassburg.
Lucas, E. Paris.
Luroth, J. 44. Freiburg.
Maisano, Messina.
v. Mangoldt, H. Aachen.
Mannheim, A. Paris.
Mansion, P. Briissel.
Marie, M. Paris.
Markof, A. Petersburg.
Matthiessen, L. 30. Rostok.
Maurer, L. Strassburg.
Mayer, A. 39. Leipzig.
Maynz, Ludwigslust.
MehmJce, R. Darmstadt.
Meissel, Kiel.
Mellin, Helsingfors.
Mertens, F. Graz.
J%er, F. Clausthal.
Michaelis, Berlin.
Migotti, Czernowitz.
Milinowski, Weissenburg.
MinJcowsfa, H. 64. Bonn.
Minnigerode, 37. Greifswald.
Mittag-Leffler, 46. Stockholm.
Molien, Dorpat.
Moutard, Paris.
, F. Berlin.
, H. Metz.
, E. 46. Giessen.
Neumann, C. 32. Leipzig.
, M. 44. Erlangen.
d'Ocagne, Cherbourg.
d'Ovidio, E. Turin.
Paolis, Pisa.
Papperitz, E. Dresden.
Pasch, M. 43. Giessen.
Perrin, Mans.
PeschJca, G. A. v. 36. Briinn.
Petersen, J. Kopenhagen.
Pmo, Neapel.
P^car^, C. E. 56. Paris.
Pa'cfc, G. Prag.
Piltz, Jena.
Pincherle, S. Bologna.
Pochhammer, L. 41. Kiel.
Poincare, H. 54. Paris.
Pringsheim, A. 50. Miinchen.
Pr«/m, F. 41. Wiirzburg.
Eausenberger, 0. Frankfurt a. M.
Bayleigh, Lord, Witham (Essex).
.Re^, R. Heilbronn.
Eesal, H. Paris.
Beuschle, Stuttgart.
Reye, Th. 38. Strassburg.
Ribaucour, Philippeville (Algier).
Roberts, S. London.
Roberts, S. 0. Newcastle-on-Tyne.
Eo&erfe, W. R. W. Dublin.
Rodenberg, C. Hannover.
Rohn, K. Dresden.
Rosanes, J. 42. Breslau.
Rosochatius, Berlin.
Roth, 45. Strassburg.
.Rwfeb, F. Zurich.
Runge, Hannover.
Saalschiitz, 35. Konigsberg.
Salmon, 19. Dublin.
Schdfer, H. 24. Jena.
, W. Karlsruhe.
254
VI. Biographische Notizdn.
Scheibner, W. 26. Leipzig.
Schering, E. 33. Gottingen.
-$M$, L. 18. Bern.
Schlegel, V. Hagen.
Schlesinger, 0. Berlin.
Schlomilch, 0. Dresden.
Schonfties, A. Gottingen.
Schonholzer, Bern.
Schottky, Zurich.
Schroder, E. Karlsruhe.
Schroter, H. 29, Breslau.
Schubert, H. 48. Hamburg.
Schumann, Berlin.
Sc/wr, F. 56. Dorpat.
Schwarz, H. A. Gottingen.
Schwering, K. Coesfeld.
Segre, C. Turin.
SewfeZ, Th. L. v. 21. Munchen.
Selling, E. 34. Wurzburg.
Simon, H. Strassburg.
Sonine, N. Warschau.
, H. 43. Tubingen.
W. Aachen.
, 0. 57. Rostock.
Staudigl, R. Wien.
Stephanos, C. Athen.
M. A. Bonn,
, L. Freiburg i. Br.
/, Bensheim.
Stolz, 0. 42. Innsbruck.
Stroh, E. Munchen.
Studniclca, Prag.
Study, EJ Marburg,
tftarw, R. 41. Munster.
Sylow, Friedrichshald.
^, J. J. 14. Oxford.
Tannery, P. Bordeaux.
Tchebychef, P. 21. Petersburg.
Teixeira, Porto.
Thieme, H. Posen.
Thomae, J. 40. Jena.
r/zome, W. 41. Greifswald.
Toeplitz, Breslau.
Treutlein, Karlsruhe.
Unferdinger, Briinn.
Unger, F. Leipzig-Reudnitz.
Valentiner, H. 50. Kopenhagen.
Veronese, Padua.
Voigt, W. Gottingen.
Von der Muhll, K. Basel.
Voss, A. Munchen.
Wdlsch, Prag.
Wangerin, A. Halle.
Wassilieff, Kasan.
Weber, H. 42. Marburg.
TFecMmd, L. Karlsruhe.
Weier, E. 18. Kiel.
Weierstrass, C. 15. Berlin.
Weiss, W. Prag.
TTetew, C. Berlin.
Weiler, A. Zurich.
Weingarten, 36. Berlin*
Weinmeister, Ph. Tharandt.
Weissenborn, H.
, Em. 48. Wien.
, Ed. Prag.
, Ch. Karlsruhe.
Wiener, H. 57. Halle.
Wiltheiss, Halle a. S.
Winckler, A. Wien.
TToZ/, Zurich.
Wolfskehl, P. Darmstadt.
P. Stuttgart.
Zeller, Markgroningen.
Zeuthen, H. G. 39. Kopenhagen.
Zolotareff, Petersburg.
255
VII. Litteraturverzeichnis,
auf welches sich die Hinweise des Buches beziehen.
(Die in grosserem Urat'ang benutzten Aufsatze und Werke sind mit
* oder ** bezeichnet.)
I. Anton, Geschichte des isoperimetrischen Problems. 1888.
*2. Bachmann, Die Lehre von der Kreisteilung. 1872.
2a. Ball, A short history of Mathematics. 1888.
3. Balsam, Des Apollonius von Perga sieben Biicher uber Kegel-
schnitte. 1861.
4. Baltzer, Einfuhrung der komplexen Zahlen. Kronecker,
Journ., Bd. 94.
4a. Baltzer, Theorie und Anwendung der Determinanten. 1881.
*5. Baltzer, Die Elemente der Mathematik. 1885.
5a. Baltzer, Analytische Geometric. 1882,
6. Bauer, Gedachtnisrede auf 0. Hesse. Munchner Abh. 1882.
*7. Baumgart, Ueber das quadratische Reciprocitatsgesetz. Sch lo-
rn ilch, Zeitschrift, Bd. 30, historisch-litterarische Abteilung.
8. Binder, Das Malfatti'sche Problem. Programm SchSnthal 1868.
9. Bohmer, (Jeber die Cissoide des Diokles. 1874.
10. Bretschneider, Die Geometric und die Geometer vor Euklid. 1870.
II. Brill, A. Ueber das elfte Axiom des Euklid. 1883. (Eand-
schriftlich eingesehen).
12. Brill, A. Das mathematisch-physikalische Seminar in Tu-
bingen. Aus der Festschrift der Universitat zum K6nigs-Jubilaum 1889.
*13. Brill, A. Antrittsrede in Tubingen. 1884. (Handschr. einges.)
*14. Brill, A. Ueber die Modellsammlung des mathematischen
Seminars der Universitat Tubingen. 1886. Mathematisch-naturwissen-
schaftliche Mitteilungen von 0. Boklen. 1887.
15. Cantor, G. Ueber die Ausdehnung eines Satzes aus der Theorie
der trigonometrischen Reihen. Math. Ann. Bd. 5.
**16. Cantor,^. Vorlesungen uber Geschichte der Mathematik. 1. 1880.
17. Cantor, M. Mathematische Kulturbilder.
256 VII. Litteraturverzeichnis.
•^ 18. Cayley, A. On multiple algebra. Quaterly Journal of Math. 1887.
18a. Cayley, A. Address to the British Association etc. 1883.
**19. Chasles, Aper9u historique sur Torigine et le developpement des
ruethodes en ge'ometrie. 1875.
*20. Clebsch, Versuch einer Darlegung und Wiirdigung seiner
wissenschaftlichen Leistungen von einigen seiner Freunde (Brill, Gor-
dan, Klein, Liiroth, A. Mayer, Nother, Von der Muhllj. Math. Ann., Bd. 7.
21. Clebsch, Zum Gedachtnis an Julius Pliicker. Abh. der Gottinger
Akademie, Bd. 16.
22; Cohen, Das Prinzip der Infinitesimal methode und seine Ge-
schichte. 1889.
23. De Lagarde, Woher stammt das x der Mathematiker? Got-
tinger Nachr. 1882.
*24. DedeJcind, Stetigkeit und irrationale Zahlen. 1872.
25. JDedekind, Was sind und was sollen die Zahlen? 1888.
^ *26. Dirichlet, Gedachtnisrede auf Jacobi. Crelle, J., Bd. 52.
*27. Durer, »Vnderweysung der messung | mit dem zirckel vn richt-
scheyt | in Linien ebnen vnnd gantzen corporen | durch Albrecht Durer
zusamen getzogn | vnd zu nutz alln kunstlieb habenden mit zu ge-
horigen figuren | in truck gebracht | im jar MDXXV«. (Besteht aus
»vier Buchlein«.)
28. Enneper, Elliptische Funktionen. Theorie und Geschichte. 1876.
28a. Ermann, Aegypten und agyptisches Leben im Altertum. 1885.
29. Faa di Bruno, Einleitung in die Theorie der binaren Formen.
Deutsch von T. Walter. 1881.
30. Friedlein, Die Zahlzeichen und das elementare Rechnen der
Griechen und Romer und des christlichen Abendlandes vom 7. bis
13. Jahrhundert. 1869.
*31. Gerhardt, Geschichte der Mathematik in Deutschland. 1877.
32. German, Das irregulare Siebeneck des Ulmer Mathematikers
Joh. Faulhaber. 1876.
33. Giesing, Leben und Schriften Leonardo's da Pisa. 1886.
34. Graeffe, Die Geschichte der Variationsrechnung vom Ursprung
der Differential- und Integralrechnung bis auf die heutige Zeit. 1825.
35. Grassmann, Die Ausdehnungslehre von 1844 oder die lineale
Ausdehnungslehre, ein neuer Zweig der Mathematik. 2. Auflage, 1878.
36. Gilnther, Vermischte Untersuchungen zur Geschichte der mathe-
matischen Wissenschaften. 1876.
37. Gunther, Zur mathematischen Theorie des Schachbretts. Grunert
Arch. Bd. 56.
38. Gunther, Zur Geschichte der deutschen Mathematik im 15.
Jahrhundert. Schlomilch Z. XX. HI.
VII. Litteraturverzeichnis. 257
39. Guniher. Ueber magische Quadrate. Grunert, Arch. Bd. 57.
40. Gunther, Die geometrischen Naherungskonstruktionen Albrecht
Diirer's. 1886.
41. Gunther, Beitrage zur Erfindungsgeschichte der Kettenbruche.
1872.
*42. Gunther, Geschichte des mathematischen Unterrichts im deutschen
Mittelalter bis zum Jahr 1525. 1887.
43. Gunther, Winkelteilung, speziell Trisektion. 1877.
44. Hamilton, Elements of quaternions. 1866.
45. Hammer, Lehrbuch der ebenen und sphar. Trigonometrie. 1885.
46. Hankel, Die Enjwicklung der Mathematik in den letzten Jahr-
hunderten. 1869.
**47. Hankel, Zur Geschichte der Mathematik im Altertum und
Mittelalter. 1874.
48. Hankel, Die Elemente der projektivischen Geometric in syn-
thetischer Behandlung. 1875.
49. Hankel, Die komplexen Zahlen. 1871.
50. Heiberg , Einige von Archimedes vorausgesetzte elementare
Satze. Schlomilch Z. Bd. 24. HI. Abt.
51. Hoffmann und Natani, Mathematisches Worterbuch, 1858—1867.
52. Hoppe, R. Differentialrechnung. 1865.
53. Hutzelsieder, Das Apollonische Taktionsproblem im Raum. 1885.
54. Isety, Essai sur 1'histoire des mathe'matiques dans la Suisse
fran9aise. 1884.
*55. Karup, Theoretisches Handbuch der Lebensversicherung. 1871.
56. Kdstner, Geschichte der Mathematik. 1796—1800.
1*57. 2£lein,¥. Vergleichende Betrachtungen iiber neuere geometrische
Fotschungen. 1872.
*58. Klein, F. Vorlesungen iiber das Ikosaeder und die Auflosung
der Gleichung funften Grads. 1884.
59. Klugel, Mathematisches Worterbuch. 1803—1808. 1823—1836.
*60. Konigsberger, Geschichte der Theorie der elliptischen Trans-
cendenten in den Jahren 1826—1829. 1879.
61. Kossak, Die Elemente der Arithmetik. 1872.
*62. Krummbiegel und Amthor, Das Problema bovinum des Archi-
medes. Schlomilch Z. Bd. 25. HI. A.
*63. Kummer, Gedachtnisrede auf Lejeune-Dirichlet. Berl. Abh. 1860.
*64. Legendre, Zahlentheorie, deutsch von Maser. 1886.
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*66. Libri, Histoire des sciences mathdmatiques en Italie depuis la
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Fink, Gesch. der Elementarmathematik. 17
258 VII. Litteraturverzeichnis.
67. Lipschitz, Lehrbuch der hoheren Analysis. 1877.
68. Lieber, Ueber die Gegenmittellinie, den Grebe'schen Punkt und
den Brocard'schen Kreis. 1886—1888.
*69. Loria, Die hauptsachlichsten Theorien der Geometrie in ihrer
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70. Luroih, Zur Erinnerung an Karl Friedrich Gauss. 1877.
*71. Luroth, Rektoratsrede. Freiburg 1889.
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73. Majer, Proklos iiber die Definitionen bei Euklid. 1881.
74. Marie, Histoire des Sciences Mathematiques et Physiques.
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75. Martius, C. G. L. v. Staudt. Grunert Arch. Bd. 49.
**76. Matthiessen, Grundziige der antiken und modernen Algebra
der litteralen Gleichungen. 1878.
**77. Montuda, Histoire des Mathematiques. 1799—1802.
78. Mutter, Historisch-etymologische Studien iiber mathematische
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*79. Netto, Substitutionentheorie. 1882.
*80. Noether, Otto Hesse, Schlomilch Z. Bd. 20. HI. A.
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**82. Ohrtmann und Mutter, Fortschritte der Mathematik.
83. Pfleiderer, Trigonometrie. 1802.
*84. Poggendorf, Biographisch-litterarisches Handworterbuch. 1862.
85. Pringsheim, Allgemeine Theorie der Divergenz und Konvergenz
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*86. Eeiff, Geschichte der unendlichen Reihen. 1888.
87. Eeye, Ueber die synthetische Geometrie im Altertum und in
der Neuzeit. Rektoratsrede. Strassburg 1886.
88. Bichter, Adressbuch der Professoren der Universitaten und
technischen Hochschulen. 1889.
89. Easier, Die neueren Definitionsformen der irrationalen Zahlen.
1886.
90. Sachs, Ueber die Aufgabe des Malfatti, ihre Erweiterungen
und Losungen. 1884.
*91. Salmon, Lineare Transformatjonen. Deutsch von Fiedler. 1877.
92. Schanz, Der Kardinal Nikolaus von Cusa als Mathematiker. 1872.
93. Schlegel, Ueber Entwicklung und Stand der w-dimensionalen
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94. Schlegel, System der Raumlehre. 1875.
95. Serret, Essai d'une nouvelle me'thode etc. 1878.
VII. Litteraturverzeichnis. 259
96. Schmidt, Aus dem Leben zweier ungarischen Mathematiker.
Grunert Arch. Bd. 48.
97. Schroder, Der Operationskreis des Logikcalculs. 1877.
98. Schroder, Ueber die formalen Elemente der abaoluten Algebra.
1874.
99. Schroder, Abriss der Arithmetik und Algebra. 1874.
100. Schubert, Kalkiil der abzahlenden Geometrie. 1879.
101. Schubert, Die Quadratur des Zirkels. 1889.
102. Seelhoff, Geschichte der Faktorentafeln. Hoppe Arch. Bd. 70.
103. Seelhoff, Befreundete Zahlen. Hoppe Arch. Bd. 70.
104. Sonnenburg, der goldene Schnitt. 1881.
105. Stahl, H. Ueber die Behandlung des Jacobi'schen Umkehrprob-
lems der Abel'schen Integrale. 1882.
105a. Staigmuller , Lucas Paciuolo, cine biographische Skizze.
Schlomilch Z. Bd. 34. HI. A.
106. Stifel, »Arithmetica Integra. Authore Michaele Stifelio. Curii
praefatione Philippi Melanchtonis. Norimbergae apud Johan. Petreium.
Anno Christi MDXLIIII.«
*107. Stifel, »Die Coss Christoffs Rudolffs. Hit schonen Exempeln
der Coss. Durch Michael Stifel Gebessert vnd sehr gemehrt
Gegeben zum Habersten | bei Konigsperg in Preussen | den letzten tag
dess Herbstmonds | im Jar 1552 . . . . Zu Amsterdam Getruckt bey
Wilhelm Janson. Im Jar 1615«.
*108. Stolz, Vorlesungen iiber allgemeine Arithmetik. 1885. 1886.
109. Sturm, Die Entwicklung der Geometrie. Eektoratsrede.
Munster 1886.
110. Suter, Geschichte der mathematischen Wisaenschaften von
den altesten Zeiten bis Ende des 16. Jahrhunderts. 1871.
111. Suter, Die Mathematik aiaf den Universitaten des Mittel-
alters. 1887.
112. Teige, Ein Beitrag zur Lebensgeschichte des Magister Joannes
de Praga. Schlomiloh Z. Bd. 18. HI. A.
113. Treutlein, Das Eechnen im 16. Jahrhundert. Schlo'milch Z.
Bd; 22. HI. A.
**114. Treuilein, Die deutsche Coss. Schlomilch Z. Bd. 24. HI. A.
115. Unger, Entwicklung der Eechenkunst von ihrem Ursprung
bis ins Reformationszeitalter. 1883.
**116. Unger, Die Methodik der praktischen Arithmetik. 1888.
117. Unverzagt, Ueber die Grundlagen der Rechnung mit Quater-
nionen. 1881.
17*
260 VII. Litteraturverzeichnis.
118. Unverzagt, Theorie der goniometrischen und longimetrischen
Quaternionen. 1876.
*119. Voss, Karl Friedrich Gauss. 1877.
120. Weissenborn, Das Trapez bei Euklid, Heron, Bahmagupta.
Schlomilch Z. Bd. 24. HI. A.
**121. Wiener, Lehrbuch der darstellenden Geometrie. 1884.
*122. Wtttstein, Geschichte des Malfatti'schen Problems. 1871.
123. Zangemeister, Entstehung der romischen Zahlzeichen. Sitzungs-
berichte der Berliner Ak. 1887.
**124. Zeuthen, Die Lehre von den Kegelschnitten iin Altertum.
Deutsch von v. Fischer-Benzon. 1886.
261
Register.
Bemerkung: Die in Klammern stehenden Zahlen beziehen sich auf
die Nummern der biographischen Notizen.
Abacisten 30.
Abakus 19, 20, 28.
Abbildung 209.
Abel (195).
Abel'sche Funktionen 145.
Abscisse 179.
Aba'] Dschud (40).
Abtfl Wafa (39).
Abzahlende Geometrie 208.
Additionslogarithmen 231.
Agrippa (56).
Ahmes (1); 1, 14.
Aehnlichkeit 209.
Akademien 88.
Albanna (42).
Albattani (39).
Alberti (56).
Albiruni (40).
Alchaijami (40).
Alchodschandi (40).
Alchwarizmi (39).
Alcuin (43).
Algebra, Entstehung des Worts 68.
Algebra, agyptische 59 ; griechische
59 ; indische 65 ; chinesische 67 ;
arabische 68.
Algorithmus 57.
Algorithmiker 30.
Alhazen (41).
Alkalsadi (42).
Alkarchi (40).
Alkindi (40).
Alkuhi (39).
Allgemeine kompleze Zahlen 95.
Almagest 224.
Alnasawi (40).
Analysis situs 218.
Analytische Geometrie 179.
Anharmonisches Verhaltnis 203.
Anaxagoras (4).
Anschauungsmittel . geometrische
218.
Antilogarithmen 228.
Apianus (57).
Apices 12, 29.
Apollonius (57)i
Aequipollenz 197.
Arbogaste (161).
Archimedes (19).
Archimedische Spirale 164.
Archytas (11).
Argand (160).
Aristoteles (16).
Arithmetisches Dreieck 89.
Aryabhatta (38).
As-Sagani (39).
Atelhart (44).
Auflosung algebraischer Gleich-
ungen 119.
August (192).
Ausdehnungslehre 97, 217i
Aeusseres Produkt 98.
Autolykus (17).
Avicenna (40).
Babbage (182).
Bachet (77).
262
Register.
Bacon (45).
Balbus (36).
Baldi (56).
Baltzer (270).
Barlaam (44).
Barozzi (47).
Barrow (103).
Barycentrischer Calcul 196.
Beda (43).
Bellavitis (215).
Benennung der Kegelschnitte 159.
Benennung der Flachen zweiter
Ordnung 190.
Bernelinus (43).
Bernoulli (114).
Beriihrungstransformationen 213,
218.
Be"zout (142).
Bhaskara (38).
Billion 37.
Binomischer Lehrsatz 89.
Boethius (37).
Bolyai (170), (206).
Bolzano (179).
Bombelli (47).
Boole (227).
Booth (219).
Borchardt (243).
Boschi (254).
Bouquet (239).
Bour (255).
Bradwardine (45), 11.
Brahmagupta (38).
Brasseur (213).
Bremrpunkt 175.
Bretschneider (230).
Brianchon (174).
Brianchon's Satz (192).
Briggs (64).
Briot (246).
Brocard'sche Gebilde 192.
Brouncker (95).
Briiche, agyptische 24, griecbische
25, romische 25, indische und
arabiscbe 26, bei Grammateua 38.
Bruchstrich 32.
Brunelleschi (56).
Buffon (132).
Burgi (61).
Caporali (267).
Cardano (47).
Cardamsche (Tartaglia's) Fortnel 85.
Carnot (159).
Cassini (96a).
Cassini'sche Linie 189.
Castigliano (265).
Cataldi (47).
Cattaneo (242).
Cauchy (176).
Cavalieri (84).
Ceva (111).
Ceva's Satz 192.
Chasles (183).
Chelini (211).
Chuquet (50).
Cissoide 165.
Clairaut (136).
Clausberg (128).
Clebsch (261).
Collineation 197.
Computus ecclesiasticus 28, 32.
Conchoide 165.
Condorcet (149).
Coordinaten 179.
Cosinus 228.
Coss 83.
Cotangente 225.
Cotes (124).
Cramer (131).
Cramer'sches Paradoxon 189.
Crelle (185).
Cullagb (222).
Cykloide 186.
D'Alembert (138).
Darstellende Geometrie 204.
De Beaune (88).
De la Gournerie (226).
Delische Aufgabe 162.
Demokritus (6).
Demrgues (81).
Descartes (83).
Descartes' Oval 189.
Determinanten 129.
Dezimalbriiche 38.
Dialytische Methode 111.
Differentialgeometrie 210.
Differentialgleichungen 135.
Differential-Invarianten 212.
Differentialrechnung 130.
Register.
263
Dinostratus (15).
Diokles (22).
Diophant (32).
Diorismus 156.
Dirichlet (198).
Discriminante 111.
Distanzpunkt 178.
Division, komplementare 21, 29.
6'sterreichische 37.
Diwaniziffern 11.
Dualitat 196, 198.
Du Bois-Reymond (250).
Duhamel (202).
Duodezimalsystem 25.
Dupin (173).
Dodson (82).
Donatello (56).
Doppelverhaltnis 203.
Dreieckszahlen 52.
Dreiteilung des Winkels 161, 162.
Diirer (56).
Ebene Oerter 163.
Einschiebungen 162.
Einteilung des Kreisumfangs 223.
Eisenstein (259).
Elemente Euklid's 154.
Elimination 109.
Elliptische Coordinaten 212.
Elliptische Funktionen 140.
Enneper (253).
Epaphroditus (36).
Eratosthenes (20).
Eschenbach (151).
Eudoxus (13).
Euklid (18).
Euler (133).
Eutokius (35).
Excentricitat 175.
Exhaustionsmethode 156.
Fagnano (123).
Faktorentafeln 107.
Faulhaber (62).
Fermat (87).
Ferrari (47).
Ferro (47).
Feuerbach (208).
Feuerbach's Satze 192.
Fibonacci (47).
Fingerrechnen 5, 19, 20.
Flachenanlegung 61.
Flachen zweiter Ordnung 165.
Fluchtpunkt 177.
Fluxionsrechnung 133.
Formentheoretische Ent wick lun gen
206.
Fourier (164).
Francesca (56).
Frenicle (90).
Fre'zier (127).
Friedlein (248).
Frisch (233).
Froment (210).
Frontinus (36).
Fiinfeckskonstruktion von Diirer
176.
Funktionentheorie 139.
Galois (223).
Gauss (171).
Geber (42).
Gebrochene Exponenten 89.
Gellibrand (65).
Gemeinvielfaches, kleinstes 27.
Geminus (24).
Geodatische Linien 212, 216.
Geometria situs 218.
Geometrie der Lage 203.
Geometrie von n Diinensionen 217.
Geometrische Reihen 52, 57.
Gerbert (43).
Gerhard (44).
Germain (169).
Geschlecht einer Kurve 207.
Girard 79.
Gleichheitszeichen 82.
Gleichung funften Grads 127.
Gnomon 50, 152.
Gobarziffern 11.
Goldener Schnitt 174.
Gopel (225).
Graffe (204).
Grammateus (57).
Grassniann (221).
Grebe (216).
Gregory (107).
Grunert (201).
Grosser- und Kleinerzeichen 89.
264
Register.
Gua (135).
Gudermann (192a).
Gugler (235).
Guldin (74).
Guldin'sche Regel 166, 184.
Hachette (165).
Halley (115).
Halphfo (264).
Hamilton (217).
Hankel (263).
Harmonische Proportion 60.
Harnack (266).
Harpedonapten 150.
Harriot (75).
Hattendorf (257).
Heine (245).
Heis (234).
Heron (23).
Hesse (224).
Heteromeke Zahl 52.
Hexagramma mysticum 186.
Hindenburg (148).
Hipparch (22).
Hippias (7).
ffippokrates (8).
Hoffmann (184).
Hochschulen 72.
Hrabanus Maurus (43).
Hudde (101).i
Hunain (39).
Huygens (102).
Hyginus (36).
Hypatia (33).
Hypergeometrische Eeihe 118.
Hypaikles (22).
Jakobi (197).
Jamblichus (31).
Jamin (240).
Ideale Zahlen 96.
Imaginare Grossen 78, 94.
ludikatrix 211.
Inneres Produkt 98.
Integralrechnung 135.
Invariantentheorie 111.
Involution 198.
Joannes de Praga (49).
Johannes von Sevilla (44).
Johann von Gmunden (51).
Irrationale Grossen 52, 76, 91.
Isidorus (43).
Isoperimetrisches Problem 138.
Junus (41).
Ivory (163).
Kastner (137).
Kegelschnittslehre des Apollonius
158.
Keilschrift 7.
Keppler (70).
Kerbenrechnung 34.
Kettenbriiche 100.
Kettenlinie 189.
Kinckhuysen (104).
Klasse einer Kurve 196.
Kobel (57).
Kollineation 209.
Kombinatorik 54, 56, 115.
Kombinatorische Schule 115.;
Konforme Abbildung 210.
Konoide und Spharoide des Archi-
medes 166.
Konstruktion mit einer Zirkel-
6'ffnung 176.
Konvergenz und Divergenz der
Reihen 117, 118.
Korrespondenzformel 208.
Krafft (130).
Kraus (268).
Kreisteilungsgleichung 123.
Krummlinige Coordinaten 212.
Krumrnungsmass 212.
Kriimmungstheorie 210.
Kubische Reste 57.
Kurven, algebraische und trans-
cendente 183.
Lacroix (162).
Laguerre (262).
Lagrange (146).
Lahire (108).
Laloubere (86).
Lambert (141).
Lam<§ (189).
Landen (140).
Lansberg (64a).
Laplace (156).
Lebensversicherung 45.
Register.
265
Legendre (158).
Lehrer-Seminarien 17.
Leibniz (110).
Lemniskate 189.
Leonardo (47).
Leonelli (168).
L'hospital (117).
Lhuilier (157).
Libri (214).
Lineare Oerter 163.
Linie wter Ordnung 183.
Lionnet (228).
Liouville (220).
Lobatechewsky (188).
Logarithmen 229.
Logarithmische Linie 189.
Logikcalcul 99.
Logistik 49.
Loxodrome 191.
Ludolf van Ceylen (68).
(• Ludolfsche Zahl 173.
Maclaurin (129).
Magische Quadrate 80.
Magnus (85).
Malfatti (143).
Malfatti'sches Problem 202.
Mallet (147).
Malmsten (238).
Malus (167).
Mass, grosste's gemeinschaftliches
97 QQ
&i, OO.
Mastlin (71).
Mathematik 49.
Maurolico (47).
Maximus (44).
Meister (140a).
Megenberg's deutsche Sphara 171.
Menachmus (14).
Menelaus (26).
Mercator (58).
Merkator (97).
Methode der kl einsten Quadrate 1 1 4.
Methode der unteilbaren Grossen
184.
Meusnier (152a).
Million 36.
Minim alflachen 211.
Minuszeichen 36, 73, 74.
Minuten 224.
Mobius (177).
Modelle 219.
Moivre (119).
Mollweide (166).
Monge (154).
Montmort (121).
Morgan (218).
Moschopulus (46).
Musa (39).
Napier (63).
Naherungsmethoden zur Losung
von Gleichungen 128.
Negative Exponenten 89.
Negative Grossen 54, 56, 77, 91.
Negative Wurzeln 183.
Neper (63).
Neper'sche Gleichungen 227.
Neunerprobe 27, 32, 33, 36, 58.
Newton (109).
Nichteuklidische Geometrie 213.
Nicole (125).
Nikolaus von Cusa (54).
Nikomachus (28).
Nikomedes (22).
Nipsus (36).
Normalenbundel 213.
Null, Entstehung 9.
Odo (43).
Oettinger (200).
Oinopides (5).
Olivier (187).
Ordinate 179.
Oresme (47).
Oskulation 188. .
Osterrechnung 28, 32.
Oughtred (76).
Pacioli (47).
Pangeometrie 214.
Pappus (30).
Parameter 160.
Parent (118).
Pascal (100).
Pascal's Schnecke 189.
Pascal's Theorem 186.
Peirce (244).
266
Register.
Pell (92).
Perseus (22). .
Perspektivische Axe und perspek-
tivischer Mittelpunkt 195.
Peurbach (52).
Pfaff (150).
Pfleiderer (145).
Pitiskus (69).
Plana (180).
Plateau (199).
Plato (44).
Platon (10).
Pluszeichen 36, 73, 74.
Plucker (194).
Plucker'sche Formeln 199.
Poisson (172).
Pol und Polare 195.
Polardreieck und Polartetraeder
206.
Poncelet (175).
Potenz 50, 78.
Potenzsatz Newton's 160.
Pothenot'sche Aufgabe 233.
Praktik, welsche 41.
Primzahlen-Tafeln 107.
Prismatoid 193.
Projektion von Steiner 209.
Projektive Geometric 193.
Proklos (34).
Proportion 83.
Pseudospharen 216.
Ptolemaus (27).
Ptolemaischer Lehrsatz 157.
Punktgruppen 147.
Pyramidalzahlen 52.
Pythagoras (3).
Pythagoraischer Lehrsatz 152.
Quadratische Reste 57.
Quadratrix 152, 190.
Quadratur des Kreises 161, 173.
Quadratwurzel 53.
Quaternionen 98.
Quetelet (203), (247).
Rabattrechnung 42.
Radizieren 35, 56.
Ramus (57).
Raumgeometrie 190.
Raumkurven 190, 208.
Realis (241).
Realschulen 17.
Rechenbrett 19.
Rechenkunst, politische 43.
Rechenstabe 37.
Rechentafeln 37.
Rechnen: altagyptisches 18, baby-
lonisches 18 , griechisches 19,
chinesisches 22 , indisches 22,
arabisches 22, auf Linien 34.
Reciprocitatsgesetz , quadratisches
104.
Reciprocitatsgesetz der Invarianten-
theorie 112.
Regeldetri 26, 39.
Reesische Regel 43.
Regiomontanus (53).
Regula falsi 26, 69, 87.
Regulare Korper 165, 192.
Rhaeticus (67).
Reihen, arithmetische 48, 79 ; geo-
metrische 48, 79; unendliche 116.
Reniigius (43).
Resultante 109.
Reuschle (231).
Reymers (66).
Riccardi (190).
Riccati (120).
Ricci (94).
Richelot (232).
Riemann (251).
Rinderproblem 63.
Riese (57).
Riesse (181).
Roberval (89).
Roch (256).
Rolle (113).
Rosenhain (271).
Roth (57).;
Rothe (153).
Roulette 186.
Rudolff (59).
Rufus (36).
Sacro-Bosco (45).
Saint-Venant (205).
Sandrechnung des Archimedes 54.
Saurin (116).
Scheefer (269).
Scherk (209).
Register.
267
Scheybl (57).
Schimpffrechnung 42.
Schindel (49).
Schwenter (72).
Schwerd (186).
Sehnentafel 223.
Sekante 228. ,
Sekantentafel 229.
Sekunden 224.
Seqt 222.
Serenus (25).
Serret (236).
Sexagesimalsystem 19.
Sextus (29)
Sieb des Eratosthenes 51.
Simpson (134).
Sinus 224, 225.
Sinnssatz 227.
Sinustafel 226, 228, 231.
Sluze (98).
Smith (260).
Snell (80), (272).
Spharik des Menelaus 223.
Spiralen 164, 189.
Spottiswoode (258).
Staudt (207).
Steiner (193).
Stellungsregel fiir Zahlen 6.
Sterblichkeitstafeln 44, 46.
Stereographische Projektion 167,
210.
Sternpolygone 175.
Sternpolyeder 193.
Stevin (57).
Stewart (139).
Stifel (60).
Strahlenbundel 213.
Strengere Richtung der Analysis
146.
Substitute onentheorie 127.
Subtraktion 50.
Supplementardreieck 226.
Symmetrische Funktionen 109.
Systeme konjugierter Punkte 206.
Tabit (39).
Tangente 225, 228.
Tangenteutafel 226, 228, 231.
Tangentenproblem 183.
Tartaglia (47).
Taylor (126).
Technische Hochschulen 206.
Teilungsrechnung 40.
Thales (2).
Theatet (12).
Theodorus (9).
Theon (28), (33).
Theorie der algebraischen Gleich-
ungen 88.
Theorie der reciproken Polaren 196.
Thetafunktionen 144.
Thieme (212).
Thymaridas (28).
Tontinen 44.
Torricelli (91).
Tortolini (229).
Transformation algebraischer Glei-
chungen 120.
Trembley (155).
Trigonometric 222.
Trochoide 1&6.
Tschirnhaus (112).
Ubaldi (56).
Uebersichdividieren 33, 36.
Umhullungslinien 187.
Unbestimmte Gleichungen 64, 65,
66, 102, 103, 105.
Unendliche Reihen 52.
Unendlichkleines 134.
Unger (178).
Untersichdividieren 36.
Unverzagt (252).
Ursinus (73).
Vandermonde (144).
Van Eyck (56).
Van Schooten (96).
Variationsrechnung 138.
Versichernngsinstitute 45.
Viete (Vieta) (48).
Vincent (78), (191).
Vitruvius (36).
Viviani (99).
Vollstandiges Viereck undVierseit
195.
Vorbedeutungsgeometrie der Ba-
bjlonier 150.
268
.Register.
Wahrscheinlichkeitsrechnung 113.
Wahrscheinlichkeitslehre (geoxne-
trische) 218.
Wallace (152).
Wallis (93).
Wechselrechnung 40, 42.
Werner (55).
Wesen der Zahl 90.
Widmann (57).
Wiegand (237).
Witt (96b).
Wolf (122).
Woepcke (249).
Wren (105).
Wiirfe, v. Staudt's 204.
Wurfelverdopplung 62, 79, 161.
Wurzel 75.
Wurzelzeichen 58, 76.
X der Mathematiker 74.
Zahlbegriff 90.
Zahlen 5.
Zahlen: befreundete 27, 103; voll-
kommene 27 ; iiberschiessende 27;
mangelhafte 27.
Zahlensysteme 5, 6.
Zahlentheorie 101.
Zahlungstermin, mittlerer 40.
Zahlworter 5.
Zahlzeichen 7, 8, 9, 11.
Zauberquadrate 42, 80.
Zeichen fur Unendlich 89.
2eichenregel Harriot's (Descartes1)
119, 182.
Ziffern, Abstammung der modernen
13.
Zinseszinsrechnung 40.
Zinstafeln 41.
Zuzahlmethode 31, 35, 37.
Erganzungen und Berichtigungen.
Seite 4, Zeile 20 setze: »moderne Algebra, Fanktionentheorie,
projektive Geometrie . . .«
Seite 7, Zeile 4 v. u. fehlt hinter dem Zeichen fur 14 ein Punkt.
Seite 99, Zeile 2 v. u. ist der Name »Charles Peirce* beizufiigen.
Seite 108. Zu den altesten Faktorentafeln gehoren auch die von
Gauss (Werke II) erwahnten Burckhardt'schen Tafeln.
Seite 127, Zeile 8 v.u. lies : »Hermite, Betti, Serret, Poincare, Jordan . . .«
Seite 129, Zeile 20 ist anzufiigen: »Auch Lalanne und Mehmke
haben sich hier verdient gemacht.«
Seite 138, Zeile 1 lies: ^Pomcare«.
Seite 141, Zeile 3 v. u. lies II (cp) statt n (9).
Seite 142, Zeile 19 lies 9 statt fy.
Seite 142, Zeile 20 lies : ». . . auch wohl nach Gudermann schreibt .. .«
Erganzungen und Berichtigungen. 269
Seite 144, Zeile 1 v. u. Nach anderer, wohl massgebender An-
sicht liegen die grossten Erfolge Abel's auf algebraischem Gebiet und
auf dem Gebiet der elliptischen Funktionen.
Seite 146, Zeile 14 statt : »vielfache Thetafunktionen* lies : »Theta-
funktionen mit mehr Argumenten«.
Seite 146, Zeile 12 v. u. lies: »ausser von p Variabeln von ge-
wissen --~ Konstanten abhangt, die auf 3 p — 3 Moduln reduzier-
a
bar sein miissen, was man bis jetzt noch nicht ausfuhren kann«.
Seite 146, Zeile 4 v. u.: Bolzano ist als Zeitgenosse von Gauss
vor Abel zu nennen.
Seite 146, Zeile 3 v. u. setze nach Dubois-Reymond : »Dini*.
Seite 147, Zeile 9 lies : »Noiher, H. Stahl, SchottJcy, Frobenius . . .«
Seite 147 ware auch noch der wichtigen Theorie der elliptischen
Modulfunktionen, allgemein der Theorie der Funktionen mit Trans-
formationen in sich (der Fuchs'schen und Klein'schen Funktionen) und
ihres Zusammenhangs mit der Theorie der linearen Differential-
gleichungen Erwahnung zu thun. Fur die Ausbildung dieser Gebiete
habeninsbesondere-Ddde&md, Fuchs, Schwarz, Poincare, Klein gearbeitet.
Seite 152 fehlt in der Figur der Quadratrix ein P.
Seite 167, Zeile 5 v. u. lies: »bis von der Zeit der Renaissance,
besonders aber von Descartes an . . .«
Seite 209, Zeile 12 ist »d. h. dieeine Ebene . . . abbildeten«zustreichen.
Seite 209, Zeile 4 v. u. ist »sofort« zu streichen.
Seite 210, Zeile 1 statt »welchem« lies »welchen«.
Seite 211, Zeile 8 statt »Entdeckungen« lies »Beziehungen« .
Seite 211, Zeile 9 v. u. lies: »zu denen Gauss die Anregung
in seinen etc.«
Seite 212, Zeile 11 setze: »Krummung (curvatura integra)«.
Seite 212, Zeile 12 streiche »(Curvatura integra, Totalkrummung)«.
Seite 212, Zeile 19 lies: »eines Systems von confocalen Flachen
zweiter Ordnung)«.
Seite 212, Zeile 9 v. u. lies »Formeln« statt »Formen«.
Seite 214, Zeile 15 v. u. lies »bis erst Riemann, dann im Jahr etc.«
Seite 215, Zeile 6 lies: »Mannigfaltigkeit von konstantem Krum-
mungsmass auf.«
Seite 216, Zeile 1 lies: »die raumliche Geometric etc.«
Seite 216, Zeile 4 lies »unbegrenzt« statt »unendlich«.
Seite 246, Zeile 3 v. u. lies: »192a. Christof Gudermann, geboren
1798 zu Winneburg bei Hildesheim, gestorben 1852 als Professor der
Mathematik an der Akademie zu Munster.
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