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erifj.

Leben

des Künstlers

Asmus Jakob Carstens,

ein Beitrag

#

Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

von

Carl Ludwig Fernow.

Leipzig-, ißo6. t)«i Johann Friedrich Hartknoch.

Herr n

G e 11 e 1 1 i ,

Bankünsder und Mitgliede der Akademie der Künste in Berlin,

und

Herrn

Busch,

Herzogl. Mekleiibmgiscliem Hofbildhauer in Rom,

des

Künstlers vieljährigen Freunden,

freundschaftlich gewidmet

vom

Verfasser.

Vorrede,

las wahre Leben eines Künstlers be- steht in der Ausbildung seiner Anlagen und in der Ausübung seines Talents, Die äufseren Umstände, die es begleiten, sind nur in sofern bedeutend und merk* würdig , als sie auf die Entwickelung sei- nes Vermögens hindernd oder fördernd ein^virkten, als sie seinem Genius diese oder jene Richtung gaben, durch "welche

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der eigenthümliche Karaliter seiner Wer- ke, als vereintes Erzeugnis der Naturan- lage und Bildung, grofsentheils mit be- stimmt wird. Da nun in der Kunstge- schichte nur das "wissen swürdig ist, was irgend einen merklichen Einflus auf die Zustände der Kunst gehabt, ^^'^?^s für ihre theoretische und praktische , ihre techni- sche und ästhetische Entwickelung und Fortbildung fruclttbar ge^vesen ist, was sie richtig geleitet oder irre geführt hat: 60 kan auch nur solcher Künstler Leben der Geschichte angehören , welche durch .eine ausgezeichnete Eigenthümlichkeit ^der Anlagen , oder durch eine hohe Stufe •<ler Ausbildung irgend eines Theils der Kunst, oder durch eine besondere Rich- 'tung des Geschmaks, ihre Selbstständig- keit an den Tag gelegt, und so auf ir- ;gend eine Weise, sei es durch Hervor*

Iringung vorzüglicher Werke, oder durch Einführung einer besondern Methode, oder durch ihr ernstliches Hinstreben auf einen höheren oder untergeordnetea Kunstz^yek, ihr Dasein für die Kunst entAveder förderlich und nüzlich, oder durch eine zwekwidrige Richtung des Geschmaks nachtheilig und verderblich, erwiesen haben.

Der Kunstgeschichte ist so wenig mit blofsen Namen von Künstlern, die nichts Ausgezeichnetes geleistet haben, als der Kunst mit mittelmäfsigen Werken ge- dient. Beide sind da und schwinden, ohne eine Wirkung im Gebiete derselben zu hinterlassen. Was in der Kronik ei- nes Landstädtchens wichtig sein mag, ist unbedeutend in der Geschichte des Landes. So können viele Professoren und Direktoren in den Annalen eine;

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Kunstakademie glänzen, ohne dass dar- um ihre Namen in denAnnalen dcrKmist genant zu Werden verdienen; und im Gegentheil hält die Geschickte es zu^yei- len für Pflicht, den einzelnen von seinen Zeitgenossen verkanten Künstler der Nachwelt mit Achtung zu nennen , und ganze Kunstakademien mit Stillschwei- gen zu übergehen, wenn sie findet, dass diese, mit allem Prunk und Pomp ihrer liostspieligen Treibliausanstalten , doch die Kunst um nichts gefördert haben; jener hingegen in seiner Dunkelheit durch redliches Streben seinen Künstlerberuf in "wenigen aber schäzbaren Arbeiten auf ei- ne würdige Weise beurkundet hat. Ja, CS ist um so gerechter, dass die Geschich- te das Andenken solcher, in ungünstigen Zeitaltern und unter niederdrückenden Schiksalen mühsam vmd muthig emp&r-

strebender Kiins der ehre, da das oft der einzige Lohn ist, der ihnen zu Theile ■wird ; und da ihr Beispiel ähnHch gesinne- ten Jünglingen , denen es mit der Kunst heiliger Ernst ist, die aher unter glei- chem Drucke Avidriger Verhältnisse rin- gen, Trost und Muth einfiöfst, dem» Schilisale festes Ausharren entgegen zu setzen.

Der echte Kunsttrieb offenbart sich besonders auilallend, 'wo ungünstige Um» stände sich seiner Ent-vvickelung Avider« setzen , und er glänzt da um so heller rrmpor, ^vo alles sich vereint, ihn auszu- lösclien. So sehen wdr zuAveilen im itunstlosen unfreundlichen Norden, fern von Allem, was fähig wäre den schlum- mernden Trieb zu wecken und zu näh« ren , ein grofses Talent hervorgehen, und von allen Hüifsmittein entblöfst sich aus

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feich selbst entwickeln. Einmal zum Be- Wustsein erwacht, strebt es aus innerer I»Jothwendiglieit seine einzigen Bestim- mung nach ; Widerwärtigkeiten können ^s aufhalten, Hindernisse können sein Streben lange, ja für immer, vereiteln; die geistige Kraft kan im Kampfe mit der fisischen Übermacht des Schiksals er- liegen, aber den ingeborenen Trieb kan diese nur mit dem Leben vertilgen. Mehr als Ein von der Natur hochbegünstigter, aber vom Schiksale befeindeter Kunst- geist ist 50 ein Märtirer seines Triebes geworden. Oft aber ermüdet auch ein ausharrendes festes Streben die Tücken des Geschiks , und vielversucht im lan- gen hartnäckigen Kampfe dringt endlich der siegreiche Genius , wenn gleich spä- ter, nur um so reifer und geläuterter, ^um Ziele ; ein erhebendes Schauspiel

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für den Beobachter, und für denTüinst- 1er eine Quelle des höchsten und edelsten Seibötgenusses!

Den Anbiik eines solchen Kampfes mit allen ^'\'ider^Yärtigkeiten eines feind- seligen, aber durch beharliche Ausdauer endlich bezwungenen , Schiksales ge- \yährt das vorliegende Leben eines Künst- lers, den die Natur mit ihrer schönsten -Gabe, mit einer schöpferischen Bild- liraft reichlich ausgestattet, und mit ei- nem muthigen Geiste beselt hatte, den aber, am giüklich erreichten Ziele, ein /rüher Tod der Kunst entris , als er sich endlich tüchtig fühlte, reife, einer länge- ren Dauer würdige Früchte seines Stre- bens auf ihren Altar niederzulegen.

In dieser Hinsicht besonders schien dem Verfasser das Kunstleben des ver- ßtorbenen Carstens eine ausführliche

xn

Darstellung zu verdienen. Denn hat gleich dieser Künstler nur \venige ausge- führte Arbeiten liefern können, die hier und dort in den Händen einiger Liebha- ber zerstreut sind; hat er gleich nicht Ge- legenheit gehabt, durch ölten iliche Denk- mäler seiner Kunst die Spur seines Da- seins bei der Nachwelt zu erhalten, und dadurch nach seinem Tode ehrenvoll in ^ie Reihe der grofsen Künstler einzutre- ten, denen er am Geiste so nahe ver- wandt war : so ist doch eine Anzahl von Darstellungen in mehr und weniger aus- geführten Zeichnungen von ihm übrig, und jezt an einem öffentlichen , dem Kenner und Künstler zugänglichen "Or- te aufbewahrt, welche bevreisen, dass sehr wenige Künstler die Bahn der gro- fsen Meister des XVIten Jahrhunderts mk so viel Glük und Geist wieder betreten

xm

haben, als Carstens ^ und das3 er deshalb für unser Zeitalter eine sehr merk^vürdi- ge, Avenn gleich nur von '>venigen he* merkte, und von noch wenigeren nach Verdienst gekaute , Erscheinung war«.

Das aber, was den Verfasser vornem- lieh zu dem Entschlüsse bestimmte, ^as JLeben dieses Künstlers zu schreiben, war sein mehrjähriges vertrautes Zusam- menleben mit demselben, wärend dess €r Gelegenheit hatte, den cigenthümli- chen Genius des Künstlers , die Art und das Fortschreiten seiner Bildung, so wie das Verfahren desselben beim Hervor- bringen seiner Werke , nebst dessen Ge- danken und Ansichten von der Kunst, genau kennen zu lernen. Und da er je- nen Vorsaz schon bei des Künstlers Le* bezeit fasste, als er mit trauriger Gewis- heit das Ende desselben heranwahen $ah,

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so iionte er noch zu rechter Zeit uncf zum Theii aus dessen eigenem Munde, die Niichiie'uen sammehi, deren er be- durfte, um ihm auf dem Gebiete unserer im Fache der Künstlerbiografien noch nicht sehr angebaueten Runstlitteratur dieses kleine Denkmal der Freundschaft tu errichten, dessen friihere Ausfiihrung mehrere Umstände bisher verhinderten. Indem der Verfasser dabei auf einer Seite, auä Achtung für die Wahrheit und für" seinen Freund, der auch im Leben nie mehr scheinen "vvoUe, als er wirklich war, es sich zur Pili cht ^machte, strenge darauf zu achten, dass das Gefühl der Freundschaft die Walirhcit seiner Dar- stellung nur belebe, nicht verschönernd, entstelle, so niuste er doch auf der an- deren Seite, um gegen den Freund nicht, ungerecht zu sein^ dessen unermüdete*

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redliches Streben nach dem Hohen und Würdigen seiner Kunst, und dessen rei- ne uneigennützige Kunstliebe er kante, auch diese Tugenden bei der Schätzung seines Verdienstes , so 'vvie bei der Anga- be seiner Mängel die \yiderwärtigen Um- stände, mit denen der Künstler lebens- lang zu ringen hatte, mit in Anschlag bringen. Durchgängig aber "war sein Augenmerk vorzüglich auf den Gang der Entwickelung und Bildung desselben ge- richtet; denn es war ihm keines^veges darum zu thun, eine Lobschrift in der gewönlichen Form der Elogien auf sei- nen Freund zu schreiben, sondern ein treues Karakterbild von dem Kunstleben desselben darzustellen.

Wir besitzen der Lebensbeschreibun- gen von den merkwürdigen Künstlern al- ler Nazionen so viele; ^ber unter den-

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selben gibt es aiut höchst wenige, \vel- che den ästhetischen und artistischen Ka* riikter des Künstlers, Avie er sich ahn ä- lich cnt\^ ichelt und zu j?ciner Individua- lität ausgebildet hat, befriedigend darle- gen. VvViirscheinlich Ivomt dieses daher, dass die meisten dieser Lebensbeschrei- bcr, "wenn sie auch der Arbeit sonst ge- Avachscn waren , doch höchst selten eine so lange und innige Bekantschaft mit iii- yem Gegenstände unterhalten haben, dass $it im Stande gewesen Avärcn, densci- berr auf den verschiedenen Stufen seines Bihlungs ganges zu verfolgen. Grösten- iheils trugen sie ihre Lebensbeschreibun- gen aus mitgetheilten Nachrichten Ande- rer zusammen, oder musten sich mit einzehien unvolständigen Angaben, und halbwahren Sagen begnügen. Der Ver- fasser hatte jenen VorthcÜ; und wem*

ricl-

vielleicht seine Darstellung in dem, \yas

er für das Wesentliche einer solchen Ar-

« beit hält, einige Vorzüge vor manchen

anderen Lebensbeschreibungen dieser Art hat, so verdankt sie dieselben der ge- naueren persönlichen Bekantschaft mit dem Künstler.

Den Theil der Lebensbeschreibungj wo Carstens die Geschichte seiner frühe- ren Bildung bis auf seine Rükkehr von der ersten Wanderung nach Italien in ei» gener Person erzältj hat der Veafasser unmittelbar nach der mündlichen Erzä- lung desselben, und soviel als möglich mit dessen eigenen Ausdrücken niederge« schrieben. Es schien ihm, dass diese Nachrichten über seine frühere Bildung, die so manches enthalten, das der Künst- ler nur an sich selbst wahrnehmen kon- te , sich auch besser aus dem Munde des-.

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selben anhören wiijrden , ak aus der ver- mittelnden Erzälung eines Dritten.

Dass der Verfasser die Mishelligkeit zwischen dem Künstler und dem damali- gen Kurator der Berliner KunstaXademi« Freiherrn von Heinitz^ welche sich mit Niederlegung der von Carstens bei jener Akademie bekleideten Lehrstelle, und dem Verlust seiner in Rom drei Jahre hin- durch genossenen Pension endigte, hier ausführlich nebst den in des Künstlers Nachlas darüber vorgefundenen Doku- menten mitgetheilt hat, bedarf hoffent- lich jezt, da beide Theile todt sind, folg- lich alle persönlichen Rüksichten wegfal- len, keiner Entschuldigung; auch wüst« der Verfasser in der That nicht, bei wem €r sich deshalb zu entschuldigen hätte. Und in dem , was bei der Erzälung jenes Zwistes über denselben gesagt worden«

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glaubt er den Gesichtspunkt, aus -wel- chem diese Sache zu beurtheilen ist, rich- tig angegeben zu haben.

Es giebt in den Einrichtungen unserer gesejschaftlichen und politischen Verfas- sungen der unvereinbaren Gegensätze so nianche, wo nur ein Ris durch das Mis- verhältnis z\vischen Natur und bürgerli- cher Verfassung, oder zwischen innerer Nothwendigkeit undäufsererWilkür, den Streit derselben schlichten kan. Mustc nicht , um hier nur eines nahe liegenden merkwürdigen Beispieles zu gedenken, auch unser Schiller sein Dichterleben, das ihm unsterblichen Ruhm und unserer Litteratur einen höheren Glanz gab, erst durch eine gewaltsame Zerreifsung der Bande , die ihn an sein Vaterland und an einen Fürsten knüpften , der sogar unter di« kunstliebtfnden gezält wird, errin*

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gen? In den wohigeortlneten Planeten* eistemen unserer Staten, wo alles sich in strenger Ptangordnung und weiser Öko- nomie mechanisch um den Mittelpunkt der höchsten Gewalt drehet, blieb dem Kunstgenius keine eigene Bahn für sei- nen freien Kometenflug olYen; und da die Künste selbst keinen wesentlichen Be- etandtheil unserer bürgerlichen Verfas- sung ausmachen , da weder Kirche noch Staat ihrer mehr zu höheren Zwecken be- dürfen, so werden sie in derselben auch, etwa wie die Kinder Israels ohne Bürger- recht, blos geduldet; oder da, wo man ihnen einen besonderen Schuz angedei- hen lassen wolte, in den Ghetto einer Akademie zusammengepfercht, wo man sie nöthigt in das Getriebe der Statsma- echine mechanisch mit einzugreifen , und dem State nüzliche Handwerker zu er-

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ziehen. Darf man sich da AVimdern, ^venn ein Künstler von origineller Kraft, der sich einer höheren Bestimmung und der Würde seiner Kunst bewust ist, die akademische Stalfütterung ungeniesbar und ungedeihiich findet, und von der fri- schen duftenden Weide auf Ausoniens immer grünenden Fluren nicht wieder in den dumpfigen Pferch zurükkehren will? Kan man es dem Sänger des W^al- des verargen, dass er im kehrenden Früh* Hnge dem Käfig entflieht, wo er einen traurigen W^inter hindurch seines Gesan- ges Avegen gefüttert Avurde ?

Das zur schönen Kunst geborene Ge- nie ist unmittelbarer und enger mit det Natur verbunden, als der gewöhnliche, zum Statsbürger und getreuen Unterthan bestimmte, und zu mannigfaltigen Zwe- cken der Geselsehaft brauchbare Mensch,

IVIit dem entschiedenen Talente , das «i« ihm gab , hat er zugleich von ihr den aus- flchliessenden Beruf empfangen , auf eine bestimmte Weise für ein höheres Bedürf- nis der Menschheit zu wirken , das der Stat nicht besorgen kan, weil er warten mus , bis die Natur die dazu fähigen Gei- ster hervorbringt, das er aber befördern oder hindern kan, je nachdem er das Wirken solcher genialischen Kräfte in der Geselschaft begünstigt oder beschränkt. Pie erste Bedingung ihrer freien Wirk- «amkeit aber ut die, dass man den ech- ten Künstler von jedem Zwange konven- aioneller Verhältnisse , die nicht algemei- »e Verhältnisse der Humanität, der Sit- lichkeit und des Rechts sind, enthebe; denn Freiheit ist das Element des Genius, Eine zweite Bedingung ist, dass man V^eder den Künstler noch die Kunst aU

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£igenthum eines besonderen States , son- dern als der ganzen Menschheit angehö- rend betrachte. Die Musen lassen sich nur durch freie Gunst gewinnen, und wählen ihren Aufenthalt da am, liebsten, ^vo sie ihr göttliches Geschäft , den Men- schen menschlich zu bilden, zwanglos und ungestört üben können; und nur durch diese killige und gerechte Achtung für den höheren Naturadel des Genius lassen 4ich jene Wechselfälle vermeiden, wo der Künstler sich gezwungen sieht, entweder seinen Beruf zur Kunst det bürgerlichen Existenz, oder diese jenem aufzuopfern; ein Kampf, in welchem gcwönlich beide zu Grunde gehen.

Wenn man hingegen den von der Na«» tur entschieden ausgezeichneten Kunat^ ^eist, ohne Rücksicht auf seine Anlage, /rie jeden andern gewÖnlichen Mensche»

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behandeln will, für den die mit jener so oft im Widerspruch stehenden subordini- renden Zwangsformcn der bürgerlichen Verfassung sehr passend sein können, so werden jene Wechselfälle sich so oft erneuern, als die Natur ein grofses Talent hervorbringt, das im Drange dieses Wi- derstreits Muth und Kraft genug hat, seine Fesseln zu zerbrechen. Und wa- rend der Staat in künstlichen, mit gro- feen Kosten unterhaltenen Anstalten ver- gebens grofse Künstler zu erziehen be- müht ist, wrd er die verlieren oderküm* merlich zu Grunde gehen Jassen , die es allein werden konten.

Wenn es überhaupt möglich ist, dass künstliche Bildungsanstalten den Künsten da aufhelfen und gute Künstler ziehen können, wo kein höherer geselschaftli- eher l^wek ihr Bedürfnis fühlbar macht.

%vo "kein algemeines und freies Streben schlummernde Talente aufregt und den Wetteifer ^velit , so ist es allein mit dem liberalen Grundsätze völliger Uneigennü- tzigkeit, und gänzlicher Verbannung al- ler kleinlichen selbstischen Zwecke eines Eusschliefsenden Gebrauches, und bareif Vortheile fiir den Staat, möglich. Der Nutzen, den die Künste leisten, ist hö- herer Art; wer sie niederen Z^vecken dienstbar machen will, hascht ewig nur ihren Schatten. Selbst den höchsten Zwe* cken der Gesel^chaft, zu deren Beförde- rung sie am liebsten wirksam sind, der Voiksreligion und der öifentlichen und häuslichen Verschönerung des Lebens, wollen sie nur mit Freiheit dienen. Der Künstler kan nur als unabhäjigiger Welt- bürger, die Kunst nur als Gemeingut der Menschheit in Staten gedeihen; aber um

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»ie aus dieser Ansicht auch nur richtig be- trachten , geschweige zwekmäfsig bejian- deln zu können, mus zuvor das höhere Bedürfnis und der Sinn dafür noch erst entwickelt werden.

Noch in anderer Hinsicht möchte die- ee Lebensbeschreibung der Beherzigung junger Künstler zu empfehlen sein , näm- lich in Hinsicht auf die Methode des Stu- direns. Dieses ist fast durchgängig auf «wekwidrige Nachahmung gerichtet. Die schönsten Jahre des Jüjiglingsalters wer- den mit geistlosem Kopiren verschwen- det, wodurch die Selbstständigkeit des Talents vielmehr unterdrükt als geübt, und blos das Hand^verk der Kunst geför- dert wird. Diese bequeme Art mit lee- rem Kopf ein Künstler zu werden, he* günstigen vornemlich grofse Kunstsam- lungen und Gallerien. Wie im Lebea

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grofser Rcichthum und zu viel Befeuern- Üchkeit der Geistesbildung eher schädlich als nüzlich zu sein pflegen, so findet viel- leicht ein Gleiches auch in der Kunst #tatt. Nichts mus dem jungen Künstler ao wünschenswcrth sein, als die Gele- genheit Meisterwerke seiner Kunst zu sehen und zu studiren; und nichts ist fä- higer ihn z-ur Überwindung jeder Schwie- rigkeit und zum Streben nach einem ho- hen Ziele zu begeistern. Aber der in gro- fsen Kunstsamlungen zusammengehäufte Pceichthum vortreflicher Meister^verke al- ler Antn und aller Schulen, scheint in der Länge eine entgegengesezte Wirkung zu haben, und das eigene Emporstreben eines jugendlichen Talents, nicht durch INIangel an Nahrung, sondern durch Über- füllung, vielmehr zu unterdrücken, als zu begünstigen. Der §tete Anblik derseU

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ben, iJncl die Leichtigkeit sich ihn zaver-. «chaffcn, schwächt den belebenden En- thusiasmus ; und das Gefühl des Unver* mögens et^räs so "Trefiiche^ hervorzu- bringen löst ihn in den Reiz zum Kopi- ren auf, der sich mit der täuschenden Hofnung nährt, auf diesem Wege dereinst zur Hervorbringung ähnlicher Meister- •werke zu gelangen. So gehen dann die ichönsten Jahre des Jünglingsalters mit Kopiren verloren ; Hand und Auge wer- den geübt, aber der Kopf bleibt leer oder ist blos mit Reminiscenzen aus Kunst- Werken angefüllt, aus denen nie etwas Selbständiges und Eigenes entstehen kan. So geht schon frühe , ehe noch das Ver- mögen der Erfindung sich entwickeln tonte , manches Talent , das fähig ge^ve- aen wäre, seinen eigenen Weg zu gehen^ unter dem grofsen Haufen der Nachah-

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Hier verloren, und wird, besonders wenn auch die geistige Eildung vernachläfsigt bleibt, wenig mehr als eine K.op irm aschi- ne, oder ein sklavischer Nachtreter der Fusstapfen eines Andern.

Die vorliegende Lebensbeschreibung etellt dagegen das Beispiel eines Künstlers auf, der, alle Nachahmung fliehend, frü- he den Weg eigener Erfindung betrat, auf ^yelch€m er nicht nur eine hohe Stufe 3i uns tierischer Bildung erreichte, sondern auch seine Selbständigkeit von aller frem- den Manier frei erhielt, und blos durch betrachtendes Studium der besten Muster alter und neuer Kunst, sich einen eige- nen musterhaften Stil fchuf. Ist nun auch ein solches Verfahren nicht geradehin je- dem jungen Künstler zu empfehlen, da nicht jedes Kunsttalent mit dem hohen Grade schöpferischer Kraft von der Natur

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ausgerüstet ist, den diese Art zu studi- ren voraussezt: so ist doch ein so auftal- lendes Beispiel durchgängig selbständiger Bildung geeignet, in jungen Künstlern, die von dem herschenden Beispiele der Nachahmung so leicht hingerissen wer- den , das Gefühl der Selbständigkeit zu wecken , und sie gegen das geistlose, die Selbstthätigkeit so leicht einschläfernde Kopiren, mistrauisch zumachen. Jlafaels Gemälde in den Stanzen des Vatikan sind, «eit das Kopiren derselben weder zur Mode ge^Yorden ist, immer mit Gerüsten kopirender Künstler so umkgert, dass man selten zum freien Anblik der vor- züglichsten, Atx Athenischen Schule, Att Disputa, des Heliodor, des Burgbran- des , gelangen kan. Viele Portefeuilles voll Studien und Kopien nach Rafael werden seitdem in d.tr\ Werkstätten der

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Künstler disseits und jenseits der Alpen gefunden, aber in ihren Arbeiten -wird höchst selten eine Spur von Rafaels Gtist crbiikt; desto häufiger findet man die Manier der neueren französischen Schu- le, die sich durch Übertreibung, oder der akademischen Schulen, die sich durch Karakterlosigkeit auszeichnet, in densel- ben herschend.

Carstens lebte nicht lange genug, um seine selbstersvorbene höhere Bildung auch für andere durch seine Werke fruchtbar zu machen. Möchte Avenig* «tens die Darstellung seines Lebens für diesen Zwek nicht ganz verloren sein; möchte sie in manchem jungen Künstler den Begrif von der Würde seiner Bestim- mung erhöhen, und ihn zu dem Ent- schlüsse begeistern , welcher edlen , von der Würde ihres Berufs durchdrungenen

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(jemütliern so natürlich ist , zu. dem Ent^ Schlüsse , ohne Rücksicht auf den frivo- Jen Geist des Zeitalters und den Beifall der unverständigen Menge , nur nach \yahrer Vortreflichkeit zu streben, die allein, wie die Werke der alten Künstler, in jedem Wechsel des Modegeschmaks den Beifall der Kenner behauptet.

Weimar, im Februar ißoG.

Astnus

As

Jakoh Carstens v/mJe im Jalir i754 «im loteii JMni zu Sankt Curgen, einem Dorie nalie bei Schleswig , wo sein Vater Müller war, geboren, Er war der älteste von drei Brii- dejii, von denen der zweite in der Folqe das IIand%Ä'er]-.. des Vaters erlernte, und der jüng- ste, Namens Friedrich, sich gleiclifals der Kunst widmete. Seine Mutter %var die Tocli* ter eines Advokaten in Schleswig, und liattö in ihrer Jugend eine vorzügliche Erziehung erhalten , welche sie in den Stand sezte , iucll ilire Kinder besser zu erziehen , als unter Dorf- bewonern dieses Standes zu geschelien pilegt» Ihr Vater selbst hatte sie in mancherlei wissen« scliaftlichen Kentnissen und in der lateinischen Spiache unterwiesen; auch zeichnete, malte und stichte sie artig ; und obu-ouL die Ge- schäfte des Hauswesens ihr nur selten, und späterhin gar nicht mehr erlaubten, sich mit dergleichen Dingen zu beschäftigen, so wech-

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te sie doch die Neigung dazu zeitig in ihren Kindern; und seinem eigenen Geständnisse nach verdankte auch unser Asmus diesen frü- hen Anregungen, dass der Trieb zur Kunst sich schon im zarten Alter bei ihm ilufserte. Sie war dabei eine höchst rechtliche Frau von religiöser Gesinnung und sanfter duldsamer Gemüthsart, aber von schwiichlicher Gesund- heit; und mit den Anlagen zum Guten und Schönen, die eine so vorzügliche Mutter, de- inen Andenken dem Sohne stets theuer- war, in seine Brust gelegt hatte, empfing er leider auch von ihr den Keim des verzehrenden Brustübels , welchem sie selbst zeitig erlag, an dem unser Carstens zeitlebens litt und siech- te, und das sowohl ihn als seinen jüngsten Bruder, beide fast zu gleicher Zeit, in der Mitte des Lebens dahin raffte.

Jsmus ging bis in sein neuntes Jahr, w^o sein Vater starb, in die Scliule des Dorfes. Nach dem Tode desselben , wo der Mutter die Sorge für die Erziehung ihrer Kinder al- lein überlassen blieb, waid er in die Stadt- schide zu Schleswig geschickt, das nur eine halbe Stunde entfernt lag , die der Knabe je-, den Morgen hin, und jeden Abend zurük ging.

Mittags solte er bei einem Verwandten ui der Stadt speisen; aber da veileidete il\ui das iniite Beten am Tische, an das er zu Hause nicht jrevv"öhnt war , und dem er sich mit den Kin- dem des Verwandten unter%verfen nuiste, die- se liostgiingerei so sehr, dass er seine Miittei* bat, ilmi täs-lich für den Mittajj sein Essen mitzugeben, vrelches gewöhnlich nur ans But- tcibrod und Obst bestand., das er dann mei- stens in der nahen offenen Domhirche ver- ztlnte. Bald ward diese \värend der freien Mittagstunden sein Lieblingsaufenthalt , denn er fand in ihr Gegenstände, die seine Neigung Stiirher anzogen , als alle Ve]gnügungen und Spiele der Jugend,

Auf seinem Dorfe hatte der jung 3 AsmuS kaum Gelegenheit geliabt, einen schlechten Kupferstich, gesch\\eige ein Gemälde oder Bildwerk zu sehen. Die Holzschnitte soinei* Schulbücher, die Zeichnungen und gemalten Bliunen seiner Mutxer, waren die erste Nah- rung des Kunsttiiebes , der seit seinem sechs- ten Jahie, wo er zu schreiben anfing, sich thiitig in ihm regle. Er versuclite schon da- mals , alles w.is ihm vorh:im nachzuahmrn, 4md fand nielir Veignügen daran, einen Hund

oder Ochsen auf der Strafse, oder die IIolz- sclmitte in seinem Katecliismii« naclizuzeicli- iien , als die Züge und Buchstaben seiner Vor- schriften.

Diese ersten kindischen Bestrebungen des erv/achten Kunsttriebes erhielten nun, seit er den Dom in Schleswig betreten hatte, eine bessere Nahrung und höhere Pachtung. Dort fempfing er die ersten mächtigen Eindrücke der Kunst, welche sehr staik gewesen sein müs*- sen, da er sich ihrer mit allen Nebenumstän- den , nach mehr als dreifsig Jaiiren , noch sehr lebhaft erinnerte. JDoit auch entstand zuerlt in ihm der Vojsatz , dereinst ein Maler zu werden.

Unter andern unbedeutenden Schildei-ieieit und Sclinizwerkcn sind verschiedene GemäidÄ von Jiirlan Ovens , einem der besten Schüler üemhrands , der sich tim das Jahr 1675 ^^^ Holsteinischen aufliielt und dort mehi-ere Ge- mälde verfertigte, die vorzüglichste Zierde je- nes Domes. Diese Gemälde vornehmlich zo* gen den Sinn des damals eli - bis zwolfjähri* gen Knaben so an, dass er ihrem Anblik je- des andere Vergnügen nachsezte. Wärcnd seine Schulkameraden Mittags nach dem üu-

terriclit auf dem Kü'cliliofe spielten und i\en Ball sciilugen , sclilicli Asmiis n>It seinem kärg- lichen Mittr.gsmahle in den Dom, verzehrte es dort in der Stille , und hlcr.tcrte über Stüh- le und Bänke hin-\veg, um die -\vun.ueisr.mcn Gemälde 'in der Nähe zu schauen. Da vergas er dann alles um sich her; ein heifser Wimsch, auch einmal so etwas machen zuhönneu, er- füllte ihn ; und oft stieg dieses Veilangen zur Inbrunst. Die religiöseri Gefühle, die seine Mutter früh in seinem Herzen gepflegt h:itie, erwachten daun ; Thränen drangen ihm ins Augej und er betete mit inniger Sehnsucht^ Gott möchte ihm die Gnade verleihen, und , ihn dahin gelangen lassen , dass er aucii einst zu seiner Ehre so herrliche Bilder malen hon- te. So mächtig äufserte sich der Enthusias- mus für die Iiuiist, ^vt]cher das Gemüth des Künstlers lebensl.iug durchglühte und ziun rastlosen Streben begeisterte , schon in seinem Knabenaltei-. Er sezte dabei seine kindischen TJebungen immer fieissigor fort und zeichnete alle Gegenstände , am liebsten Gesichter und Gestalten , die ihm voi kamen , niclit ohne Aehnlichkeit nach. jMit Farben zu malen ^var noch ein Geheimnis für üin. Als die ^Mutter 4x£ immer wachsende Neigung des Knabea

jfeiir Kunst bemerkte , lelirte sie ilim das We- jiige , das sie selbst vom Malen "wusre, such- te ihm ilne Farbenmuschclu und Pinsel her- vor, und schenkte ihm dazu ein Büchlein, das allerlei Vorschriften zum Farbenmischen und Miniaturmalen enthielt. Welche neue Reizungen für seinen Trieb! Alle Leute, die ilun nahe kamen , musten ihm sitzen , und meistens gelangen seine j-ohen Nachahmungen so kentlich, dass er bald unter den einfältigen Leuten im Dorfe, die dergleichen niemals ge- sehen hatten, nicht geiinges Aufsehen mit sei- ner kindischen Kunst erregte.

In der Schule stand es dafür desto schlech- ter mit seinem Ruhme. Hier zeichnete er sich weder duich Fähigkeit zum Lernen, noch durch Fleis aus. Sein Geist "war gewünlicli abv\^esend, entweder im Dom hei Juiian Ovens Gemälden , oder zu Hause bei seinen Farben- muscheln. Bücher reizten ihn nur der Kupfer- stiche -wegen. Er leinte nie rechnen, und der Rechenmeister fand öfter Gesichter und Figu- jen , als Zalen auf seiner Tafel. Eben so we- a;ig wolten Latein und Gricliisch, zu dessen Erlciuung er in den lezten Jahren hinaufaük- te, in seinen Kopf. Er wüste unter den Ler-

nenclen immer .im wenigsten , und weder Scheltworte nock Drohungen vermochten ihn aus dieser anscheinenden Geistesdumpflieit avif- zurütteln; so dass die Lehrer ihn für einen erzdiunmen Jungen hielten. Aber auch das schien ihn wenig zu hämmern ; und als er einst, wo der Lehrer ihm profezeite, dass in seinem Leben nichts aus ihm ^verden -würde, das naive Bekentnis that, dass er besser als alle Schulhnaben lernen wolre , wenn man im Zeichnen und PkLilen Üntcrriclit gäbe , nnd der Lehrer ilini dasselbe mit einer derben Ohr- feige vergalt, da bekam er einen völligen Ab- scheu vor der losen Schixlspeise , und lernte noch v\*eniger als vorhin. In der That veilies Carstens mit sechzehn Jahren die Schule so unwissend , dass er in der Folge wenig oder nichts von dem dort Gelernten zn vergessen hatte.

Schon frülie hatte Carstens den Entschlus gefasst, ein ^lalei" zu werden, nnd die IMutter, welche von seinen Anlagen dazu täglich neue Beweise sah, willigte gern in sein Verlangen, zu einem Portraitmaler in die Lehi-e zu ge- hen. Eigentlich -war seine Neigung, ohne dass er es selbst "wusste , auf die Geschichi- jnalerei gelichtet , denn er wohe solche Bil'

s

der, wie die von Ovens , malen lernen, nntl glaubte, wenn man nur die Mensclien recht ülinlieli abmalen iiönne, so könne man ancli solche Bilder machen. Man trat deshalb mit einem der Zeit in Schles\vig seshaften, sogC" nantcn Kunstmaler, Namens Gewe » der ein wohlhabender, statischer Mann war, viel Ar- beit hatte , alles malte , und Lehrjungen und Gesellen liiell, in Unt( ^handlung. Da aber dieser ■wohlbestallte Kunstmaler sieben Lehr' jähre, und für jedes liundert Thaler Lehrgeld, bei des Lelulings eigener Kleidung und Bekö- stigung, zur Bedingung sezte, so zejschlug sich tler Handel als zu kostspielig ; denn das kleine Erbgut unseies Carstens wiiade auf diese Weise grofsentheils wärend der Lehrjahre dar- auf gegangen sein.

Auf einiger Fieunde Gutachten ward nun beschlossen, bei dem Ratli Tischhein in Cassel anzufragen, welcher der Zeit für einen der be» jiihmtcsten Maler in Deutschland galt, und dem Biiefe an ihn ward eines der besten Mi- jiiatur - Bildnisse des jungen Carstens beige- schlossen. Tischhein sezte gleichfals sieben Lehrjahre , jedoch ohne Lehrgeld , zur Bedin- gung ; dafür aber machte er zugleich eine an-

d«-e Forderung, die der Mutter sowolil als dem Sohne zu erniedrigend scliien, als dass sie sich hätten entschlierscn hünnen, dieselbe einzugehen. Der Lehrling nämlich solte, wä- rend der ersten diei Lehrjahre, zugleich die Stelle eines Bedienten vertreten , und hinter der Kutsche stellen, wann der Herr Ratli aus- führe. Carstens würde sich vielleicht dazu ver- standen haben, im Hause die Arbeiten eines Bedienten zu venichten ; aber zu dem Kut- sch enJienste honte er sein Ehrgefühl nicht ^iber^vinden , so gi'os auch sein Wunsch war, der Schüler eines so berühnuen INIeisters zu wei'den. Also zerschlug sich auch diese Un-% terhaudlung, und da man sogleich heinen an-» dem I^laler ^vuste, an den man sich hvitte wen- den können, so verlief ein Jalir, ohne dass für des Jünglings Unterkommen eine neue Entschtiefsung gefasst wurde» Li dieser Zeit staib seine Mutter: ein um so schraei-zliche- rer Verlust für ihn, da dies Eieignis zugleich auch seinem Sciiiksale eine ganz andei^e , sei- ner Neigung -sviderwrärtige , Richtung gab, Die INIülile san>t der ganzen Verlassenschaft 4er Altern w^urde vcikauft, und den Kindern, die das viiterliche Haus verlassen musten, wur» den Vormünder gesezt.

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Wie selir auch der jimg'e Carstens nun in geinfi Vormünder drang, ilui , dem ^Villen sei- jier Mutter gemäs , zu irgend einem Maler zu bringen, so Ivonte er sie docli nicht dazu he- ■vvegen. Sie wolten nicht zugeben , dass ihr Mündel sich einer nach, ihrer Meinung so un- nützen und brodlosen Kunst \vidme. Er sol- le, ihrer Absicht nach, entweder studircn, oder sich der Handelschaft widmen, oder ein Hand- werk lernen. Als er endiicli sah, dass alles Bitten umsonst, alle Hofnung zu seinem Zwe- cke zu s^elangen verioien -svar, so eiif er in der Verzweiflung zu dem , was er für das Er- träglichere hielt; er entschied sich für den Handel, so schmerzlich ihm auch der Gedan- ke war, der Kunst, Jie er über alles liebte, fiuf immer Lebewohl sagen zu müssen,

Carstens kam nun in seinem siebzehnten Jahre nach Eckerirföräe zu einem Weinhänd- ler Namens Bruyji in die Lehre. Ob-vvohl er nur von zartem Körperbau und schwächli- rher Gesundheit war, so schickte er sich doch mit unverdrossenem Muthe in seine neue La- ge, und veiriclitete auch die schw^ersten Aibei- ten im Weinkeller nach seinen Kiäften. Er hatte, indem er sich seinem Schicksale untei-

warf, wirldicli den Entsclilus gefasst, seine Neigung zur Kunst zu unterdrücken, und sich ganz den Pfiicliten seines neuen Berufs zu wid- men. Aber diese Täuscliung daueite niclit lan- ge. Ein \ui\vidersteliliclier Hang zog ilin ^vie- dcr starker als je zu ihr zurück , sobakl er in seiner neuen Lage die Möglichkeit sah , die- sen Grundtrieb seiner Sele zu befriedigen. Er fing insgeheim und mit grofsem Eifer seine Übungen im Zeichnen und Malen ^vieder an, und geizte niit jeder Freistunde, die ihm am Abend nach volbrachter Arbeit, und an Sonn- und Feiertagen, vergönnt v/ar, oder die er dem Sclilafe raubte. Glücklicher Weise sah ihm sein Lelirherr diese Bescliäftigung in sei- nen Erholungsstunden nach, weil er denLehr- linii danurcli vor andern scliiidlichen Neisrun- gen gesichert glaubte. Carstens maclite bald nähere Bekantschaft mit einem jxingen Stafher- maler , den er schon früher in Scliles wig ken- nen gelernt hatte, und eiliielt von demselben «inige Anleitung mit Ölfarben umzugehen. Sein erster Ycisuch, den er im ülmalen mach- te , w^a^ die Kopie eines Minervenkopfes in natürliclier Gröfse von Giusejjpe cVArpino, den ein Einw^ohner jenes Städtchens aus Italien mitgebracht hatte. Dieser Kopf, und ein Ge-

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mälde von Ahraham Dlepenheck, einem der "besten Scliüler des Fiuhens , welches scMafende Nirafen und einen sie belausclienden Satii: vor- stellte , sind nach nnsers Künstlers eigener Aussage alles gev.^esen, was er je von Gemäl- den Kopirt hat. Mit so Avenigen Ilülfsniittelii, und in einer so gebundenen Lage konte er freilich keine grofsen Fortschritte machen; in- dessen dienten sie -weiiigstens seinen Kunst- trieb zu beschäftigen , dessen höhere Bednrf- Jiisse ihm damals selbst nocli unbekant Ovaren.

Die Bildnisse unsers Carstens gelangen. almalich immer älmlicher und besser ; er mal- zte seinen Lehrheirn und verschiedene Vei- wandten desselben , vi''odurch er seiner Kunst endlicli auch die Gewogenheit der Hausfrau erwarb , die ihm Krökers liolilavjührenäen Siaffirmaler zum Geschenk vereinte. Dieses Buch war damals ein Schaz für ihn, aus dem er, in der grofsen Un^vissenlleit , woiin er sich noch befand, manches neue Licht für sei- nen Kunsttrieb schöpfte. So waren etvv'a drei Jahre seiner Lehrzeit verflossen , als Carstens in Handelsgeschäften nach Kiel geschickt wur- de ; und da ihm sein Kröker jczt kein Genüge mehr leistete, so ging er in d.ei\ dortigen

Bucliladen , iim irgend ein anderes INIalerbuch zu kaufen. Er fand da TVehhs Untersuchung gen des Schönen in der JVTalerei, Dieses Buch sclilos ilmi, dem bis daliin die liOlieren B.e£rio- nen der Kiuist nocli ganz fremd geblieben wa- ren , eine neue Welt auf. Er las darin Dinge, von denen er nie etwas gealmet harte, bekam eine Menge neuer Begriil'e und Aiisiclitea übei' die Kunst, lernte die Namen der grösten ähe* i-en und. neueren Maler, eines JiHchelang^do^ Rafael , Corre^gio , Carracci ,^Guido u. a. Jien« nen, imd war nieln-ere Woclien Inng %vie in einem Taumel von allen den neuen, grofi-ezi und wunderbaren Vorstellungen , die dieaea Buch in ihm geweckt hatte. Seine erliizte Fan- tasie träumte Tag und Nacht von den herii- chen Kunstwerken , die er darin beschrieben fand 5 und von denen er sich doch keine Vor- stellung machen konte. Er las das Buch üfter durch, bis ihm klar \rard, was er anfangs noch nicht verstanden hatte. Hier bekam er denn auch zuerst einen deutlichen Begrif von der IlistorieiiHialerei, die er von nun an als das Höchste und Bevvundernsvi'ürdigste ansah, wozu je ein Künstler gelangen könne. Er brante vor Begierde , ein Werk jener grofsen Äleister zu sehen , deren blofser N.unen ihn

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nüt oiner nnbegränzlen Eljrfiuclit erfüllte, und die seinen bisher so liocli gencliieten Ju- rian Oi'ens, von dem in jenem Werke iiiclit .einmal die Bede war, anf einmal in Scliatteu Stellten ; abci dieser Wunscli blieb für jezt nocli nnbeiViedigt. Indes belebte das Lesen des ^^(?Z?6/sclien Werkes seinen Tiicb zurKnnst immer stüriver, nnd gab ilim einen so liolien Und -wüTdigen Begrif von derselben, dass ihm dagegen alles Andeie nnbedeutend und niedrig erschien. Aber ^iese Entzücknngen sezten ihn zugleich in einen <]ualvolien Zustand. Er fühlte nun zum ejsten Malile lebhaft die Un- möglichkeit ein Kaufmann zu \?\'erden , und die innige Überzeugung von seiner natürli- chen und einzitren Bestimmun 2: zur Kunst; und doch sah er kein Mittel, sich aus den Verhält- nissen loszureifsen , die ihn fesselten , und ihm mit jedem Tage unerträglicher wurden. Er wüste nicht, was er beginnen solte, er lebte in peinlicher Unruhe, und weinte oft insgeheim Thranen dcsUnniuths uber sein wi- derwärtiges Geschik.

Die fünf Lehrjahre verliefen endlich , un4 Carspejis solte nun noch, dem Vertrage gemäs, seinem Lehiherrn zwei Julue als Küper die-

nen. Um diese Zeit ward er mit einem Ad- vokaten des Ortes bekaut , der ihn schon ans dem E-ufe eines gesehikten Konterfeiers kante, den er sich im Stadtchen erworben hatte. Die- ser äufserte ihm seine Yer^wunderung , wie er, bei so vieler Lust und Fähigkeit zur Malerei, sich habe zum Weinhandel entschliefsen kön- uen. Carstens klagte ihm darauf sein I.eid, wie' er dazu von seinen Vorm.ündern sei ge- zwungen worden, die duich;.us nicht hätten zulassen wollen, Jass er ein 3rlaler Avürde, welches doch immer, und auch noch jezt, sein sehnlichster \Yvinsch gewesen sei.

„Ei, erv/iederte ihm jener wüsten Sie deiui niclit, dass nach den Gesetzen kein Vormund seinen Mündel mit Gewalt ablialten darf, ein ehrsames Gewerbe, -was es auch sei, zu erlernen, sobald dieser einen ernstlichen Trieb dazu bezeigt ? Man hat Ihnen da gro- fses Unrecht gethan. Und was wollen Sie überhaupt bei der Handlung, wenn Sie nur wenig Vei-mügen haben? Da müssen Sie zeit- lebens andern Leuten dienen, und kommen nie zu etwas Eigenem."

Die Worte dieses Mannes fuhren iliui vrie ein Lichtsir.ihl durch die Sele. Er sah , dass

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liiau ilin auf , eine sclimälLclio Are um fünf Jali- re betrogen habe, und enisclilos sich auf der Stelle den Wciuhandel zu verlassen und noch Künstler tu. weiden, wie es ihm auch erge- hen möge, und obwohl er bereits zwei und zwanzig Jahre alt sei. Er wolte die Fesseln, die er zerreirsen honte, nicht melir tragen, was es ihm auch hoste, und sclirieb sogleich Seinen Vormündern einen Brief voll heftiger Vor\vürfe und bittei-er Klagen über ihr treu- loses Verfallen gegen ihn , w^orin er zugleich eyhlärte , dass luin nichts in der Welt ihn liin- ger abhalten solle, seinfcr unveriinderlicheii Neigung zn folgen; die unei'sezliche Zeit, die er um ihrcntwiilen habe verlieren müssen, möge dereinst ihr Gewissen brennen. Jene antworteten ihm darauf: sie hätten zu seinem Besten gerathen und gethan, was sie für Pflicht geachtet ; Vi^olie er sich nicht zum Gu- ten beq^iemcn, so solle er nur seinem Eigen- sinn« nachgehen, er werde es dereinst schon bereuen»

Einen hiüteien Stand hatte er dann noch mit seinem Lehrlieun , dem er gleichials sei- nen Entsclilus ejhlärte, und ihn seines Dien- stes 2u entlassen bat. Vejgebens suchte dieser ihn dur«h Güte und Ernst von seinem Vorlia-

be«

ben abzumahnen ; aber Carmens bebarrte und claaiig darauf ilm ziehen zu lassen, ^vo^u sich jener vor Ablauf der verdungenen z-^Aei Jahre auf keine Weise verstehen \volte. Arger und Umnutli über diese neuen Hindernisse zogen Sinn ein liitziges Fieber zu, von dem er jedoch wieder genas ; und seine Besserung v/urde durch des Lehrheirn Erklärung , dass er so- gleich frei abziehen könne » wenn er ihm für jedes der zwei Jahre vierzig Thaler zur Ent- schädigung bezale ., nicht wenig beschleunigt. Carstens ging mit Freuden diese Bedingung ein, kaufte sich mit achtzig Thalern von sei- ner Verbindlichkeit los , und kehrte im Soin-> mer 1776 nach Schleswig zurück, von w^o er im Herbst desselben Jahres nach Kopenhagen

•So war denn endlich, nach einer unglükU- chen fünfjährigen Verspätung, mit Mühe der eiste Schrit zum Ziele gewonnen,

In Kopenhagen fand Carstens den Maler Jpsen ^vieder, dessen Bekantschaft er schon früher in Schleswig gemacht hatte, w^o dersel- be sich bei dem voihiu genanten Kunstmaler (jeire im Ohnalen übte. Jpsen war in seinen früheren Jahien ein Seemann gewesen, hatte

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schon verscliiedene Pieisen zur See gemacht, und gleiclifals aus überwiegendem Triebe zur Kunst jenes raulie Gewerbe verlassen. Er maclite sich in der Folge als einen jreschikten

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Porträt - und Marinenmaler bekant. Als Car^ Stens nach Kopenhagen kam , war dieser Ijysen, der bereits seit 'einigen Jahien dort studirte, sein einziger Behauter daselbst, und er zog zu ihm in seine Wohnung.

Nun ging endlich auch der Wunsch , deii Carsten» so lange gehegt hatte, Werke von den grofsen Meistern zu sehen, die er bisher blos den Namen nach kante , in Erfüllung. J-psen führte ihn in die königliche Gemäldegal- lerie, wo der Aufseher, Ijjsens Tiennd., ihm auf des lezteren Empfehlung den freien Besuch der Gallerie erlaubte. So sehr aber auch die Menge tieflicher Malereien , die er dort sah, auf seinen Sinn wirkte, so bewundernswür- dig und unbegreiflich die Kunst ihm darin er- schien , so war ihre Wirkung doch gering gegen den mächtigen Eindruck, den die Abgüsse der alten Bildw^erke in dem Antikensale der Aka- demie auf ilm machten, als er diesen zuerst besuchte. Doch wir lassen jezt lieber den llünstler in eigener Person erzälen, was er

späterhin in Rom dem Verfasser über seinen Aufenthalt und sein Kunststudium in Kopen- hagen niittlieilte,

,,Da sagt er , sah ich nun das Hüchi ste und Vortreflichste , von dem ich so vieles gehört imd gelesen hatte , womit ich so oft meine Einbildungskraft erhizte, und wovoii ich mir doch keine Vorsteilung machen konte; und wie unendlich weit übertraf es meine Er» Wartung ! Alles was ich bisher von Kunst ge- sehen hatte , war mir nur als Menschenwerk erschienen, und ich dachte dabei, dass ich auch wohl dahin gelangen könne, dergleichen zu machen ; aber diese Gestalten ei*schienen. "mir als höhere Wesen von einer übeimensch- lichen Kunst gebildet; und fiel mir nicht 'ein zu denken, dass ich oder irgend ein ande- rer Mensch je dergleichen hervorzubringen Vei-möchte. Ich sah hier zum erstenmal den l'^^atikanischen A-pollo > den Laokoon , den Far- nesischen Herkules , den Borghesischen Fechter 11. a. und ein heiliges Gefühl der Anbetungi das mich fast zu Thränen bewegte, durchdrang jnich ; es war mir, als ob das höchste \Yeseüi 2u dem ich als Knabe im Dome zu Schleswig t>ft so innig gebetet hatte, mix liier wiikUcfe

crscliienen, und nun mein Gebet erliort sei. Ich liätte inir lieine grössere^ GiLickseligl..eic denken und wünsclien Ivönnen, als immei; in der Betraclitung dieser lierliclien Gestalten zu leben; und dieses Glücli war nun wiiklicli in meiner Gewalt. Ich machte mit dem Aufse- Iier des Antihensales den Vertrag, dasseimicli einliesse, so oft ich kommen "würde. Von nun an war ich fast täglich halbe Tage lang unter diesen Abgüssen , lies mich bei ihnen ein- schliefsen und betrachtete sie unaufliörlich, frezeichnet habe ich da niemals nach einer An-^ tike. Ich glaubte das Nachzeichnen würde mir zu nichts helfen, und wenn ich es ver- suchte , so war mir , als ob mein Gefühl da- bei erkalte. Ich dachte also , dass ich mehr lernen würde , weim ich sie recht fleissig be- trachtete und ilire Formen meinem Gedächt- iiis so fest einprägte, dass ich sie nachher wie- der aus der Erinnerung lichtig aufzeichnen Könte ; und dies war auch das Einzige , was ich nun für lange Zeit trieb. Zum Porträtma- len imd Nachzeichnen hatte ich, seit ich iu Jvopenhagen war, alle Lust verloren. Eher fväre es nVir möglich gewesen nach den Anti- hen zu modelliren; sie nacluiueiclmen ko:u« ißh «lieh nie entscliliefseu.

J,^Yavencl des ersten Winters liürte icli eine Vorlesung über die Anatomie, die der Profes- sor TViedcnliau-pt auf der Akademie in däni- sclier Sprache hielt. Vieles in seinen Vorle- sungen verstand ich da-nals nicht , v/eil icK noch zu ^venig Dänisch wüste, aber ich lern- te es doch, durch die Art, wie er diese Wis- senschaft demonstrirte, mit den Augen. Er las nämlich einen Abend über einen Theil des Körpers, und erklärte ihn an elnein Skeletund an einer Anatomieiigur , die er selbst verfertigt hatte. Am folgenden Abend wiederholte er die selbige Vorlesung , und lies dazu von einem lebenden Modelle alle Be^vegungen und Ver- xichtimgen desselben Theiles mehrmals ma- chen , so dass die Zuhörer nicht nur die Gelenk© der Glieder nebst der Lage und Anheftung de»: Muskeln in Failie, sondern auch die Bcwegunge» mit den dadurch entstehenden Veränderungen in den Formen derselben, sehen und begreifen konten. Durch Hiilfe dieser Vorlesungen, die ich im folgenden Winter ziun zweiten male und mit mehr Nuzen hurte, und durch das fortgesezte Betrachten der Antiken , bekam ich almälich ein richtiges Verständnis des Körpers ■imd einen Eegrif von schöner Foim , so' dass ich nun auch lebendige Gestalten, -^v© all§s

weit unbes'timter und undeutlicher ersclieint,. Ijesser verstehen lernte , ohne dass ich nöthig gehabt hätte , zum Nachzeichnen meine Zu- flucht zu nehmen, welches mir bei dem stärk- sten Triebe zur Kunst doch immer zuwider war, und mir eine unwürdige Art zu stiidireii schien. So trieb ich es etwa zwei Jahre lang-, und habe in dieser Zeit nichts weiter gezeich- iiet, als die Figuren und Stellungen der Anti- llen, die ich, nach der Betrachtung, oft und aus verschiedenen Ansichten, zu Hause aus dem. Gedächtnisse v/iederholte. Ich hatte schon lange den Trieb selbst etwas zu erfinden , der durch die Komposizionen anderer junger Künstler noch mehr angereizt w^urde; auch fehlte es mir in der Vorstellung nicht an Bil- dern; aber ich honte mir anfangs hcines so zur Deutlichheit bringen und fest halten, dass, ich es litätte aufzeichnen Können. Denn, w^^^. ich gleich dazu den Kürpei; sclion genugsam taute, so war ich doch noch nicht im Standes, eine Figur in jeder vorkommenden Stellung zu denken, noch w^eniger sie aus dem Kopfe «u zeichnen. Übei-dies fehlte es mir auch noch gänzlich an Kentnis von den Pi<>goln der Per- fpektiv, der Komposizion, der Beleuchtung %nd, Drappirung, Ich suchte mir zwar immer

im Betracliten der GemÄlde "iiiid Statuen von diesen Dingen zu merken , so viel ich. konte , aber das ging natürlicher Weise im Anfange, wo ich gleichsam alles selbst erfinden muste, sehr langsam. Doch glaubte ich es auf keine andere Weise lernen zu können , und da ick sah, dass ich doch almälich vveiter kam, so verlor ich den Muth nicht ; im Gegentheil feuerten mich diese Schwierigkeiten nur noch mehr an, und der Gedanke, sie aus eigeneii. Ixraft besiegen zu können, und meine Kunst keinem Lehrer schuldig zu sein , sclmieichelt* meinem Ehrgeize.'*

„Eald nach meiner Ankunft in Kopenhagen, ging ich auch einigemal auf die Kunstakade- mie und sah, wie dort in den verschiedencÄ Klassen nach Köpfen, Händen ^und Füfsen, nach Modelzeichnuhgen , Gipsen und endlick nach der lebendigen Natur gezeichnet wurde ; aber es w^olte mir nicht in den Sinn , auf diese zerstückelte Artzustudiren, wenn ich dadurch auch in kürzerer Zeit hätte zu meinem Zwe- cke gelangen können. Dazu kam 'noch eine ge- wisse Scham , dass ich , der schon so alt war als ich zur Kunst kam, in den untersten Klas- sen unter kleinen Jungen sitzen gölte j dwjii

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von unten nmste jeder anfangen , der auf der Al^ademie studiren wolte. Das Zeichnen nack dem Leben gefiel mir zwar , und ich wind» auf die Akademie gegangen sein, "svenn ich gleich damit hatte anfangen können ; doch schien mir der Herl , welcher zum Modell stand, obwohl er sonst gut gebauet war, gegen die Antiken , von denen ich schon höhere Begriffe von Schönheit erlangt hatte , so unvoUkom- jnen und gemein, dass ich dachte, ich könte wohl eine bessere Figur zeichnen lernen, wenn ich mich blos an diese hielte. Ich nahm mir also vor, die Akademie lieber nicht zu be- suchen , sondern für mich allein zu studijen, so viel auch die andern jungen Hünstier mir von der Notluvendigkeit und Nüzlichkeit des akademischen Studiums vorredeten/'

jjUni diese Zeit ward ich mit einena gefchick- ten jungen Bildhauer Namens Tf'^ohJer zms Mag- debtirg bekant, der einige Jahre lang iiiRom gewesen war, und daselbst verschiedene Sta- tuen in halber Lebensgröfse nach den Antiken in Thon modellirt, sie dann stükweise ge- braut und so mit zurük gebracht hatte. Die- ser lieh mir öfter solche Theile von seinen Ko- pien in meine Wohnung, wo ich sie bei mei-

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Men eigenen Erfindungen zu Ratlie zog. Denn da ich jezt fleissig zu koraponiren anfing , so fand ich bald, >voran es mir hauptsächlich fehlte , wenn ich meine entworfenen Figuren weiter ansfüliren ^volte : ich konte mir näm- lich wohl das Ganze , aber nicht immer alle Theile deutlich genug vorstellen. Aber ich aulite nicht , bis ich es auch dahin brachte, um nicht ein blosser Shizzenniacher zu wer- den. Vorzlglich benuzte ich auf diese Art zu Kleinen Studien den Borghesischen Fechter. Durch diese stete Uebung meiner Einbildungs- kraft mir alle Gegenstände rund vorzustellen, und mir Formen und Umrisse derfelben van allen Seiten wohl einzuprägen, Ts-obei mich die anatomischen Kenntnisse, die ich bereits hatte , nnterstiizten , gelangte ich endlich da* hin, dass ich einen Theil , 'v/enn ich ihn ein- mal in verschiedenen Ansichten und Lagen von allen Seiten recht durchs tudirt, und eini- gemal die Anwendung davon in eigenen Er- findungen gemacht hatte, nachher in den vor- nehmften Stellungen und Venichtungen ziem- lich richtig aus der Vorstellung aufzeichnen konte ; und was ich auf diese Weise einmal recht begrüien hatte , vergas ich nicht leicht wieder. So studirte ich alle Theile des Kui-

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pers melirmal mit der Anwendung in eigenen !prliiidiingen diircli, und erwarb dadurch mei- |ier Vorstellungskraft eben die Uebung und Fertigkeit, welche andere Künstler durch vie- les Nachzeiclinea iiios in Hand und Auge brin- gen ; welches mir in der Folge für die Leich- tigkeit im Erlinden undKomponiren sehrnüz- licii gewesen ist.'^

sjWenn nun jiuch das , was ich anfangs auf diese Weise hervorbrachte, sehr stümperhaft und schlecht war , so konte ich nun doch we- nigstens meine eigenen Erfindungen schon jjothdürftig ausdrücken , die sich anfänglich blos auf Koraposizion^n von einer oder zwei Figuren einschränkten. Mein erster Versuch in ei«:enen Erfiudun2:en, den ich wirklich aus- fährte, war, soviel mir noch erinnerlich ist, der Tod des Aschylus. Ich weis nicht mehr, •wie ich gerade auf dieses Thema gekommen •Vvar, aber diis weis ich noch, dass es mir er- schrecklich sauei* ward, bis ich damit zu Stan- de kam ; denn ich kante noch keine einzige Fi.egel der Kunst, oder die ich etwa schon kan- te, wüste ich doch noch nicht anzuwenden. Aber diese Bedürfnisse und Verlegenheiten, ^ie ich tdglich empfand, trieben mich immer

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^ehX' an, aiif alle Weise Belehrung zu suclien; alles was icli las und fall, auf meine Stiidieu anzu-\venden ; und andere, die mehr ^vusten als ich, um Rath zu fragen. So lernte ich -sre- nigstens die ersten Hauptregeln der" Komposi- zion kennen: wie man malerisch gruppiren, die Figuren zusammen verbinden, den Einfall des Lichts vortheilhaft wählen , Licht und Schatten in Massen zusammen halten, Löcher, durchschnittene Gliedmafsen, gerade Linien und Winkel vermeiden müsse u. s. w. , die ich denn, so gut als ich konte, in Ausübung brachte. Eines der ersten Kunstbiicher , die ich in Kopenhagen las , waren des Du Bos Be- trachtungen, w^oraiis ich im Allgemeinen viel Nüzliches lernte , und Begriffe von den höhe-. Ten Z^vecken der schönen Künste bekam , die ich mir noch nie in Verbindung gedacht hatte. Aber weit lehneicher und nüzlicher war mir des Gerhard Lairesse grosses jMalerhuch , das ich duch ipsen erhielt, der es auf einer seiner Seefahrten aus Holland mitgebracht hatte. Ich lernte bald soviel Hollandisch, dass ich den JLairesso verstehen konnte. Da fand ich denn ij^her alle Gegenstände der Kunst ausführliclie Belehrung von einem praktischen Künstler, gerade so wie sie mi;- notii that, Besondv-vs

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'Richtig War mir das , Tvas icli darin über die malerisclie Anordnung der Figuren in einer Komposizion zur Bezweclxung der Deutlick- lieit las , und das ich aucli in den Kupfersti- chen nac^ R-afaels Logen , die ich gerade um jene Zeit erhielt, und die von nun an meine vorneliiusten Wegweiser in der Komposizion wurden , bestätigt fand. So ward mir von al- len Theilen der Kunst der Begrif einer ma- lerischen Komposizion am ersten deutlich. Nächstdem las ich noch den DePiles, aus dem ich die Leben der grossen Maler hennen lern-« te, und was ich sonst an Kunstbüchern erhal- ten konte, mit groster Aufmerhsainheit. Die- se liefsen inich zwar oft im Stiche , wenn ich mich bei ihnen E^aths eiholen wolte , doch war mir das Lesen derselben von grossem Nu- zen, denn sie vej-anlafsten mich zum Nachden- hen. Da ich die Akademie nicht besuchte , so hatte ich auch lauge keine Gelegenheit die Be- tantschaft der älteren Künstler nnd Professo- xen zu machen; ich wai- auch zu scheu, sie zu suchen, weil ich noch so ganz Anfänger war; ich muste mich also wohl an Bücher halten. Diese einsame und mühselige Art "zu studiren, imd gleichsam alles selbst zu entdecken , brach- te mich zwar nur langsam weiter, aber sie hatte

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unter andern Voitlieilen aucli Jen, dass icli von rillem Sclilendrian der akademisclien Kom- pohlrlvunst frei blieb, unddurcli keine Manier auf Irwege geleitet wurde. Muster wie üa/ae/^ Logen konten midi nicht irre leiten. Um die-« se Zeit fing icli aucli an, -Ubei-setzungen von alten Autoien zu lesen, soviel ich deren hab- haft werden konte ; sie sind aucli nachlier im* mer meine liebste Lektüre geblieben."

ö-

„Tch mochte ungefähr vier Jahre lang In Kopenhagen gevv'csen sein, als ich zufälliger Weise dem Grafen ßloltke bekant wurde, der- ©ine schöne Samlung von Gemälden besas , die ich öfters besuchte. Da er mich schon zu mehreren Malen in seiner Gallerie getroffen hatte, so lies er sich einst mit mii- ins Ge- spräcli, luid verlangte et^vas von meliier Ar- beit zu sehen. Icli brachte ihm nach einiiier Zeit eine von meinen Komposizionen, welche Adavi und Eva nr^ch der Miltonschen Dich- tung neben dem Bamne der Erkenntnis vor- stellte, hinter welchem der Teufel im Verbor- genen lauerte. Die Zeichnung fand des Gra- fen Beifall, und ergab mir den Auftrr.g , sie ilim in Ölfarben auszumalen , mit dem Erbie- ten, dass ii mir sechzig Thuler dafür geben

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Volle. Ich fing mein Gemälde mit grofs6ift Eifer an, und machte es so gut und fleifsig, als ich konte. Na-ch zwei Monaten war es fertig/'

,,Der Graf -war inzwischen auf eines seiner Landgüter, siebeii Meilen von Kopenhagen' entfernt, gegangen. Wo er sich gewönlich "wärend des Sommers aufliielti Da ich das Geld nütliig hatte, so entschlos ich mich, ihm mein. Bild selbst zu überbringen. Ich kam auf dem Gute anj überreichte dem Grafen; der sich ineiner kaum zu erinnern schien, mein Ge- mälde; er betrachtete es eine Zeitlang, xmd sagte endlich : ,,Es ist recht gut, mein Freund, dass er das Bild gemalt hat ; aber ich habe ei- ne Gallerie von lauter Meisterstücken, unter ■welchen ich doch seine Malerei nicht aufliän- gen kann. Nehme er sein Bild in Gottes Na- men w^ieder mit sich, er wiid schon einen Liebhaber dazu finden/' Dauiit gab er mir mein Bild zuriick und ein Papierchen , worin er acht I)ukateh gewickelt hatte. Diese Auf- nahme hatte ich nicht erw^^rtet, sie war mir liränkend., und ich antwortete dem Grafen: j,Ew. Excelleriz , ich bin ein Anfänger , -^er trst etwas lernen "will; ich glaubte, Sie wür« >jleh das Bild blos zu meiner Aufmunterung bfe^

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stellt haben , und die Eine, die Sie mir da-- diucli erzeigten, liat mich angespoint, alle meine Kräfte darraif zu'verwenden. 'Ich weis vv'ohl, dass es in ilwer schönen Samliing hci- nen Platz verdient ; hängen Sie es wohin Sie "wollen. Es würde mir eine Schande sein, wenn ich das Bild wieder nach Hause tragen müste." Aber diese Vorstellung war frucht- los , der Graf -wiederholte , ^vas er mir gesagt hatte, und ging in sein Kabinet. Mit Schani und Arger, dass meine Arbeit verschmäjiet: wiude, nahin ich sie zurücli. Die acht Du- taten , so nöthig ich sie gehabt hätte , lies ick auf dem Tische liegen , w^eil es mir schimpf- lich schien sie anzunehmen, und so kelute ich gerades Weges wieder nach Kopenhagen um. So ungünstig dieser erste Ausflug mit meiner Kunst auch abgelaufen w^ar, so schlug er mich doch nicht nieder; ich verschmerzte bald die getäuschte Erwartung und seztemein« Übungen im Kompouiren fleifsig fort."

sJDer Aufseher der Moltkeschen Gemälde- samlung, dem ich meine schlechte Aufnahnje bei seinem HeiTu erzälte , verschaffte mir bald ciarauf die Bekantschaft des Kammerherrii von T^'^arnstüdt s eines der grösten KunstUcb*

liaber und Ktlnstlerfrennde in Kopenliageia; Er hatte diesem , der gleiclifals aus Sclileswig geburtig v/ar, den Vorfall zwischen dem Gra- fen lind dem jungen Sclileswiger Maler erzält. Der Kanimerherr von PT^arnstlidt kam zu mir in meine Wohnung und begrüfste mich als sei- nen Landsmann. Ich muste ihm das Bild zei- gen , das ich für den Grafen IVIoltke gemalt Jiatte ; er lobte es , und that mir das Anerbie- ten, mich dem Erbprinzen Friedrich behaut S.U machen. Da dieser Prinz zugleich Präsi- dent der K-unstahp.demie war, so honte mir sei- ne Behantschaft von mächtigem Nutzen sein. DerErbpiinz sandte auch wirklich nach einigen Tagen und lies mich mit dem bewusten Bilde zu sich iiifen» Er empfing mich mit Gute, be- zeugte meiner Arbeit seinen Beifall und sagte mir, er wolle das Bild behalten. Auf des Prinzen Befragcri^ ob ich auf die Akademie o-ehe , erwiederte ich , dass ich erst für niicli einen guten Grund legen wolle, um sodann die Akademie mit desto mehr Nutzen besuchen zu können. Er billigt« das, und entlies mich ^ütig mit dem Zusätze, dass ich recht fleissig fort Studiren solle; er "werde sich meiner er- innern. Am folgenden Tage empfing ich eine Allweisung auf hundert Tlialer von ilun. So

ward

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ward icli mit meinem GlücKe wieder versülant, iiud erliieltmelir Geld und Eine für ineiii Bild, als icli gelioiFt hatte , und was mir nocli Avicli- tiger ^var, die Bekantscliaft 4es Erbpiinzen, die mir auch w-ahrsclieinlich in der Ziihunfc vortheilliaft gewesen sein würde , wenn nicht späterliin ein Yorfail diese Aussicht zerstört hatte."

„Mein eigenes Vermögen war nun beinahe darauf gegangen , und ich sah mich genöthigt, für Geld zu arbeiten, %Tcnn ich langer in Ko- penhagen leben wolte. Ich suchte also meine so lange verabschiedete Porträtmalerei wieder liei-vor, auch zeichnete ich Porträts niitRöthel in einer säubern gef^illigen Manier, die viele Liebhaber fanden und mir gut bezalt 'vvurden, 8d dass ich noch z-wei Jahre lang von diesem Erwerb nicht nur in Kopenhagen recht gut le- ben und dabei studiren, sondern auch noch etw^as erübi'igen honte. Indessen hatte ich auch im Erfinden und Komponiien, V\-elche8 ich fleissig mit immer wachsender Leiden- schaft trieb, merkliche Fortschritte gemacht, und %vard mit deni Professor Stanley bekant, einem vortreflichen Zeichner und Komponi- sten, der ein reiclics Talent zur Erfindung hat- «e. Stanley besuchte mich und sah meine 3

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bisherigen Versuclie in der Kunst , unter denen er eine Komposizion , die ihm vorzüglich ge- rathen schien: dett Tod Balders und iTie all» Götter um ihn Idagen ^ auswähhe» um sie mit auf die Akademie zunehmen, und in der näch- sten Versamhmg der Professoren vorzulegen. Er brachte mir nach einiger Zeit meine Zeich- imng zurüch, die den Beifall der Professoren erhalten hatte, und lud mich gleichsam imNa- jtlen aller ein , die Akademie zu besuchen. Dazu hatte ich aber jezt, wo ich sah, dass ich für mich selbst weiter kam , noch weit weni- ger Lust als ehemals ; im Gegentheil hatte ich gegen das akademische Studiren einen gewis-» sen Widerwillen gefafst, und mein ganzes Streben war schon jezt dahin gerichtet, bei ei- ner Austeilung mit um den Preis zu werben» und durch die That zu zeigen , dass man auch ohne Akademie Künstler werden könne. Ich erklärte also : ich habe so lange für mich stu- dirt, ich sei schon zu alt, um noch jezt ein Zögling der Akademie zu werden , und wolle dort nicht mit Knaben in einer Klasse sitzen ; wenn man mich aber gleich in den Modellsaal anlassen wolte , so wäre ich niclit abgeneigt, die Akademie zu besuchen. Eigentlich schlug icU diesen Mittelweg^ nur dariun vor« wiil

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ich durch den Einflus de» Eibpiinzen in der Folge zu einer Reise nach Rom befördert zu werden hoffte, und dazumuste man nothwen- dig ein Zögling der Akademie sein. Ohne die- se lockende Aussicht hätte ich mich -wolil scliwerlich daraui eingelassen. Meine Bedin- gung fand Schwierigkeiten , weil man nicht vom Herkömlichen abweichen wolte. Znlezt %vard es dahin vermittelt , dass ich zuerst dei* blofsen Förmlichkeit wegen auf vierzehn Tag« die Gipsklasse besuchte , dort eine Zeichnimg machte, und dann in den Modeilsaal ging, wo ich imgefähr ein Jahr lang nach dem Nackten gezeichnet habe. Da ich aber nie Lust zum Nachzeichnen hatte, so besuchte ich die Stun- den sehr nachlässig, und mag in allem kaum ein Duzend Akte gezeichnet haben."

„Wärend ich so Scheines halben die Aka- demie besuchte, kam die Zeit der Aussieüung; heran , zu welcher ich zum erstenmal eine Zeichnung nach eigener Erfindung verfertigte, den Aeolus und Odysseus vorstellend , wie dieser mit dem leeren Windschlauch zurück- Kommt, und vom ^eo/u^ unwillig weggewie- »en wird. Meine Zeichnung stach durch eine gewisse wilde Grosse , und durch einen star-

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Iven Effekt,. Jen ich ilir gegeben lip.tte, vor den übaigen liervor , so dass auch d«r Erb- piinz Friedrich sie bemeriite, sich meine]- \vie* der eiinneite , und mir ein ermunterndes Lob ertheike."

,, unfrei

.ihr um dieselbisre Zeit w^ird ich auch

mit dem Professor ylbilgaard behaut, der eini* ge Jahre vorher aus Italien znrüch gekoxrimeii v\'ar> und jezt in Kopenhagen den B.uf eines der vorzüglichsten Maler seiner Zeit behaup- tete. Derselbe hatte meine Zeichnung von Balders Tod, die Stanley juit auf die Akade- mie genommen hatte, geselren und, wie die- ser mir sagte, besonders günstig darüber ge- ig-theilt. Vielleicht kam er dadurch auf den Gedanken, mich zu seinem Schüler zn haben; wenigstens w^ard mir verschiedentlich von Leuten, die wohl mit ihm behaut waren, der Antrag dazu gemacht. Ich liaLte aber keine Lust, irgend eines JMaiers Schüler zu werden, und Wolte den Wink, dass es mir nur Ein Wort bei ihm kosten v/ürde, nicht verstehen^. Mein Selbstgefühl sagte mir, dass ich auch oh* ne einen Meisler Künstler werden könne ; nnd mein Ehrgeiz , dass es mir zu grofserem Ruh- me gereichen würde, es durch mich selbst gc-^ worden zu sein. Da icli aber sehr wolü ein-

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sah, (la<55 mir d.izu tiocli sehr riel feTilö , iiiid dass ich ini Praktischen, vornehmlicu in der BehandUing der Farben imd den Handgriffen des Malens, von Ahilgaard , der ein vortrefiir clier Kolorist war und seinen Pinsel nieister* lieh führte, noch vieles lernen honte, das ich vielleicht ohne ihn nie lernen ^vl■rJ•de ; so wol- le ich die Gelegenheit benutzen, dann und wann seine Werhstätte zu besuclicn , und wo möglich ihn selbst malen zu selien. Er malte eben damals die vorireflicheu ^Eilder ans der Dänischen Gcscliiclite für den grofsen Ritter- saal im hüniglicheii Schlosse , wo sie naclilier nufgestelk wurden. ') Sein Koloi'it , beson- ders im Nahten, war fast so schön, Avie in Vaul l^eroneses und T/::/a7W Gemälden , und icli habe es auch nachher bei keinem neueren Maler schöner gesehen; aber sein Stil in der Zeichnung gefiel mir nicht; seine Figuren schienen mir übcimäfsig lang und dünne, mit magern spindelfö3migen Extremitäten ; er v/ar im Erfinden uiiiauchtbar , und komronirte init

♦) Diese vortreir.chen i\!alereien , ' welche. w:i7-,nnj\fi- Pvuhm f.uch bei der Xacliweit bewahrt haben \^i:r- dcn , sind leider in dem unglücklichen Schlcsbran- de 1794, samt dem S.ile, In welchem sie ar,?-

, gestellt waren, ein Raub der Flammen gevrordsn.

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Mühe. Es "war mir also blo» dämm zu tliim, dass ich ilim seine Kunstgriffe im Farbennii- schen und Malen ablernen könte, da sich das Kolorit selbst doch eigentlich nicht erlernen, iondern nur durch Auge und Gefühl an der* Katur und an guten Mustern der Sinn dafür bilden läfst. Ich ging öfter in sein Studium, in der Hofnung , ihn einmal beim Malen zu treffen; aber das wolte mir lange nicht gelin- gen, denn er lies sich nicht gern auf die Hand sehen, und nahm heine Künstlerbesuche an wann er malte ; bis eines Morgens , wo ich früher als er in seine Werkstatt kam , nnd wegen mehrerer giofser Gemälde, die in der« «elben standen , nicht von ihm bemerkt wur- de. Ich verhielt mich ruhig, bis er im Malen begriflPen W^ar, und trat dann zu ihm; er kon- te nun nicht wohl aufliören, und ich blieb gegen zwei Stunden lang bei ihm , nnd sah ihn malen. Hätte mir ein solches Zusehen von grofsem Nutzen sein sollen, so hätte es wenigstens öfter, und mit mancher mündli- chen Eiläuteiun^ verbunden, geschehen müs- sen , aber es blieb bei dem einzigen Male, das dennoch nicht ganz ohne Vortheil für mich w^ar. Wahrscheinlich aber verlor ich zugleich fii»ch die verstohlene Art, wie ich diese A]?-

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sieht errelclu hatte , die Gunst des auf seinen Vorzug eifersüchtigen Künstlers, wovon ick mich biald zu überzeugen Gelegenheit hatte.**

„Abilgaard hatte meinen y:/eo/«Jauf der Aus- Stellung nicht gesehen , aber ihn loben geh(>rt, und scliickte deshalb zu mir, dass ich ihm die Zeichnung zeigen möchte. Ich brachte sie ihm. Er betrachtete sie lange aufmerksam oh- ne ein Wort zu sagen, und als ich ihn endlich bat, mir sein Urtheil darüber zu äussern, sag- te er mir: ich würde es in Zeichnung und Komposizion wohl noch w^eiter bringen kön- nen; dadurch aber werde ich noch kein Maler; und doch sei am Ende das Malen die Hauptsa- che , tmi ein tüchtiger Künstler zu werden. Er fragte nach meinem Alter, und als ich ihm sag- te, dass ich bereits acht und zwanzig Jahre alt sei, entschied er: da sei ich schon viel zu alt , ujn noch ein Künstler zu werden. Das Olmalen erfordere viele und lange Übung, und da ich es nicht schon in der Tilgend gelernt habe, so werde ich es schwerlich je mehr ler- nen. Ich sagte ihm , wie ich ohne meine Schuld so spät zur Kunst gekommen sei; ich hoffe aber, dass es mir bei meinem grofsen Triebe noch gelingen werde , durch Fleis und

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Eifer clas Versäumte naclizuholen. Allein es scliien, als ob er vorsezlicli meinen Mutli iiie- dersclilagen, und mir dieKmist verleiden wol- le ; denn er Leliauptete : das sei vergebens ; man müsse in der Jugend malen lernen , und es sei gut, dass ich den Wcinliandel gelernt habe, so bliebe mir docli eine Zuiluclit, wenn ich einst sehen würde, dass es mit der Kunst nicht ginge. Dies brachte mich endlich auf,, so dass ich mich nicht enthalten konte ihm zu sagen: ich hätte geglaubt, eine ande- re Aufmunterung von ihm zu erhalten; ich w^isse %vohl, dass ich noch wenig könne, aber ich fühle auch, dass es mir nicht an Talent und Eifer fehle, um nicht noch ein Künstler >2u ^veiden. Das Olmalen allein mache auch noch keinen grofsen Künstler aus. jMichelan- ^elo habe nicht in Ol malen können, tmd sei doch einer der gröfsten Künstler in der Welt ge^vesen; er solle mir r.lso auch nicht den Muth dazu benehmen. So rollte ich voll Un- willen meine Zeichnung zusammen , ging nach Hause und spannte mir eine LeiuAvand zw^ölf Fufs hoch auf, um darauf meinen Aeo^ lus in Ol zu malen. Ich arbeitete tätlich von früh bis in die Nacht , und in [weniger als zwei IMonathen v/ar mein Bild fertig. Es ge-

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fiel denen , die es sali^n , und maclite sogar Aufsehen wiegen der Dreistigkeit, die ich ge- habt hatte, mich gleich an eine Arbeit in so grofseni Maasstabe zu wagen, und ^vegen des drohenden trotzigen Charakters im Jeolus ; auch der Rupferstecher Clemens y der in Rom sre^vesen war , sah ihn und sagte, man solte glauben , icli hätte Michelangela s Werke in der Sixtinischen Kapelle gesehen. Er führt© auch den Maler Juel zu mir und wiederholt» dasselbe. Durch ein so schmeichelhaftes Lob ermuntert erzälte ich ihnen, wie mich der .Professor Abilgaard abgefertigt habe, unddass ich troz ihm doch noch ein Künstler "werden wolle. Juel hatte es nachher dem Ahilgaard wieder gesagt und mit ihm gescherzt, er solle den kleinen Holsteiner (so nantenmich in Ko- penhagen gewönlich die Künstler) nicht zu sehr aufbringen, der habe keine Paihe , bis ce nicht eben so gut malen ^vürde, vrie er. Dies zog mir ^Z^i/^aarJ^ Ungnade zu ; aber fürmicli war es die grOste Aufmunterung , und für meinen Ehrgeiz, der keinen vor sich zu lassen Wünschte, ein mächtiger Sporn; obwohl ich einsah, wie weit ich ;nocli im Malen zurück war, und dass ich ihn darin nie erreichen •W'üfde.*«

„Bei der nächsten Ausstellung hatte «i» Künstler von denen, die um den gicfsen Preis TV'etteiferten, eine Zeichnung gemacht, die unter allen bei weitem die beste war, und je- der erwartete, dass demselben der erste Preis würde zuerkant werden. Aber bei der Aus- theilung erhielt ihn ein anderer, dessen Zeich- nung weit unter jener war, und an den nie- mand gedacht hatte. Da dieser Vorgezogen© ein Verwandter von Ahilgaard war , so er- klärten aus diesem Umstände alle jungen Künst- ler , die , ihrer Überzeugung nach nuA'-erdiente» Begünstigung, die demselben widerfuhr. Mir ward für eine Modellzeichnung die grofse sil- berne Medaille zuerkant. Obgleich ich um den grofsen Preis nicht mitgew^orben liatte, also bei der Vertheilung desselben persönlich gar nicht interessirt war, so nahm ich mich doch des durch die parteiische Austheilung Zurückgesezten und seiner Sache mit so grofsem Eifer an, als wenn ich selbst der Zurückgesez- te gewesen wäre. Ich erklärte öffentlich: dass ich die silberne Medaille nicht annelimen "Würde, wenn der, welcher nach aller Über- zeugung die goldene verdient hätte , dieselbe nicht erhielte. Auf einer Akademie , wo das Verdienst nach Gunst bestimmt werde , woll«

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ich keinen Preis verdienen. Ich ging auch niclit auf die Akademie an dem Tage , wo di« Preise ausgetheilt wurden. Der Erbprinz Friß" «iric/i vevtlieilte dieselben auch dasmal, w^ie ge- ^vühnIich. Als ich aufgerufen wurde und nicht dawar, ward vorgewendet, dass ich kjank sein möchte, und die mir zuerkanta Medaille ^va^•d mir von der Akademie zuge- sandt. Aber ich behairete fest auf meinem Entschlus, wies sie zurück und erklärte zu- gleich: ich wüide nie wieder einen Fufs in die Akademie sezen, sie möge ihie Medaillen nur immer nach Gunst vertheilen , ich verlange keine davon. Ein solcher Troz war unerhört, und wurde durch eine förmliche Verweisung von der Akademie bestraft. Das Dekret mei- ner Verweisung ward an alle Thüren der Aka- demie angeschlagen; doch lies der Professor pT-'iedeivelt es am -folgenden Morgen wieder abreissen. Mir war diese Ver'vveisung gleich- gültig; denn ich hatte mich selbst schon frei- willig ver%viesen. Ich sah wohl ein, dass ich. durch dies Betragen die Gunst des Erbpriii» zen , und alle -Vortheile , die ich von dersel- ben für die Zukunft hoffen konte, auf immer versclierzt hatte; doch achtete ich diese Auf- opferung damals für nichts, gegen die Genug-

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tlimmg, die icli darin empfand. Icli war mei- nem Gefülile gefolgt, das sich gegen jede Un- gerecliiigleeit empörte, und hier uin so mehr, da ich einen xslann für den Urheber derselben liielt, der auch meinen Tiieb zur Kunst hatte unterdrüclien wollen, statt denselben durch AufmunLernrig und lehrrciclie Berathung zu Unterstützen."

„War mir nun gleich der Zutritt zur Aha- demie föjmlich verboten , so verlor sie doch jüen verwiesenen Rebellen nicht ganz aus den Augen, und es würde Iciclxt gewesen sein, aiiich wieder mit ihr auszusöhnen. Da ich im gtudiien eifrig fortfulir, luid durch immer besser gelingende Komposizionen die Aufmerk- samkeit der jungen Ivünstler sov/ohl, als der Professoren, rege erhielt, so that man mir im folgenden Jahre , als die Zeit der Preisbewer- bung herankam, von Seiten der Akademie den Antrag, ob ich mit um den Preis weihen \vol- le, mit dem Zusätze: man sei von meinen Fähigkeiten überzeugt, dass icli ge^vis die gol- dene Medaille erhalten würde. Des Vorgefal- lenen solle nicht mehr erwähnt %vei'den. Mit der Erlangung des grofsen Preises ist zugleich eine sechsjäLrige Pension und die Sendung pach P».om verbunden. Dieses ehrenhaften Au-

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träges, der micli nur stolzer maclite, und die- ser so ■wü.nsc]iens\vertlien Aussichten ungeacli" tet , beharrete ich iu meinem stansinnigen Trotze und gab zur Antw^ort: ich sei einmal von der Aliademie ver%viesen, und lioffe auch ohne sie nach R-oni zu kommen ; überdem be- dürfe icli keiner ^Medaillen ; meine Kunst sei mir diuxli sich selbst Aufmunterung und Be- lohnung genug. Alle diese Vorfalle veidop" pelten meinen Eifer und meinen Muth. Den freundschaftlichen Umgang mit Stanley, der mir selir leln-aeich %var, sezte ich fort, und zeichnete oder malte soviel Portiäts , als sich. m.ir nur darboten , um mir Reisegeld zu er- sparen; denn von nun an \v?-y eine Reise nach Italien das höchste Ziel meiner Wünsche* Und obgleich ich von Jugend auf eine schwcäch- liche Gesundheit hatte, so schadeten mir doch, diese Anstrengungen nicht. Meine Leiden- schaft für die Kunst war so gros , dass ich oft auch im \Yinter in der Nacht aufstand nnd arbeitete, ^venn mich die Gedanken an eine angefangene Arbeit nicht ruhen liefsen, und dann gegen Morgen halb erstarrt -wieder zu Bette- ging."

„Icli hatte nun gegen sieben Jahre in Ro- penliagen zugebracht; mein kleines Erbtheii,

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das in 1500 Tlialern bestand, war in den ei- sten fünf Jaliien darauf gegangen, und nach- her lebte ich vom Portiätiren. Wärend der lezten zwei Jalire befand sich auch mein jüng- ^t€r Bruder , der in Schleswig die Malerei ge- lernt hatte, bei mir, und machte unter mei- ner Anleitung Weitere Fortscliritte in der Kunst, Er hatte noch einige hundert Thaler von dem Seinigen übrig , und ich hatte unge- fähr eben soviel vom Gewin meiner Aibeiteii erspart. Mir schien, der günstige Zeitpunkt cei nun gekommen, w^o ich endlich das gro- sse Ziel meiner Wünsche , eine Reise nach Ita- lien, erreichen könne. Jugendlicher Muth, leidenschaftliche Kunstliebe und Unerfahren- heit stellten uns die Ausführung als leicht vor. Mit unserm Gelde w^olten w^ir die Reise bi» '' Rom machen , und dort hofften wir leicht Gelegenheit zu finden, soviel zu verdienen, als wir ziun Unterhalt bedürften. In Ropen- ha^en studirte damals auch der Bildhauer Busch aus Mecklenburg -Schwerin, der von gleichem Eifer für seine Kunst beselt, troz der schwache» Pension, die sein Fürst ilim gab, sich ent- «chlos, die Reise nach Roiu mit uns z\x mA\ cken."

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„Wir drei braclien also im Frülijalir x785 von Kopenhagen auf. Ein Pferd, das wir ge- jneinscliaftlicli zu diesem Zweck gekauft Lat- ten , trug unser Gepäck ; ms'iy Wanderten zu Fufse. So zogen wir über Lübeck und Ham- burg bis Nürnberg , wo wir uns aber man* cherlei Ursachen wegen trennten. Busch nahm das Pferd, sezte seine Ftelse allein fort, und ge- langte glücklich nach Rom. Mein Bruder und ich reisten mit der Post weiter über Augsburg» Jnspiück , Verona , bis Mantua , %vo vrir im Junius ankamen, und acht Tage äu verweilen beschlossen , um die Werke des Julius Roma" nus drtselbst zu sehen.'*

„Hier sah ich endlich , was ich so lange zu gehen gewünscht hatte, ein grofses Werk det neuem Malerei, und erhielt daraus zueist ei* nen anschaulichen Begrif von der Freskomale* 1-ei und von der romischen Schule. Dazu wa- ren es die Arbeiten von Rafaeh bestem Schü- ler, und sie gaben mir eine deutlicheie Ideo Von den Werken seines grofsen Meisters , als ich bis daliin aus den Kupferstichen nach den- selben gehabt hatte. Diese Malereien waren ganz für mein Gefühl , gros, voll feuriger Fan- tasie und von geisueicher Erfindung, ernst und

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liräitig im Stil. Es kam mir vor, als ob icli jezt zum ersten male v/alire Malerei siihe, die ich ganz verstand und fülilte. Nach meiner Weise Kunstwerke zu studiien , die einen aiiäclitigcn Eindruck auf micli machten, den iclidaurend in mir zu bewahren, und fürmei- tie eigenen liunstfibungen zu benutzen %vünsch- te , blieb ich zu halben und ganzen Tagen im ■Pallast del Te ^ und suchte den giofsen un.d kraftvollen Stil dieser kühnerfundenen Werke meiner Einbildungskraft so fest einzuprägen, dass die Voistellung derselben mir immer le- bendig blieb, und nachher, wo ich wieder mehrere Jrihrc lang im Noiclen von Deutsch- land , von allen Kunstwerken abgeschnitten, schmachten mufste, mir wie ein Leitstern Voi'leuchtete , und mich auf rechter Baliu erhielt. So blieben wir vier Wochen lang in Mantua."

j,In dem Gasthause, vro wir eingekehrt wa* 3'en, speisete Mittags gewöhnlich ein Kammer- diener des derzeitigen Kommandanten von Mantua, Grafen von Breisach, Da wir kein, Wort Italienisch verstanden, geschweige spra- chen, so ^var es uns erw^ünscht, dort einen, Deutschen zu ßnden , der uns bei dem Wiithe

al«

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als Dolmetsclier diente, und uns über das, WMS \vi]- zu wissen verlangten, Auskunft gab, %vofür icli ilun zur Erkentliclikeit sein Por- tiät zeichnete, Dieser mochte seinem HeiTn crzalt haben, dass sich ein paar deutsche Künstler in Mantua befanden, die nach Rom reisen wolten; denn der Kommandant lies uii» eines Tages zu sich rufen. Ich ging allein zu ilim, und fand einen Greis von ehrw"ürdigem Anseilen, der mich freundKch mit der Anredö empfing, er freue sich immer, wenn er Deut- sche sehe , und wünsche , dass er uns T\orin aiüzlich sein könne. Ich erzälte ihm, V\ir seien. aus Liebe zur Kunst aus Dänemark nach Ita- lien gCAvandert, und wolten nun weiter bi» Pvom gehen, um da die Werke JMlclidangtlo' 5 und Rafaels zu Studiren; hier habe Julius üo- nianus uns länger verweilt, als v>'ir gevs^olr. Er fragte unter andern auch nach unscrn öko- nomischen Umsiünden. Unser Geld, erwie- derte ich ihm, sei freilich schon ziemlich zu- sammengesciuiiülzen , indessen hoftcu wir bis Rom damit auszureichen, wo wir schon Gc* legenheit finden würden etw^as zu vcidiehen, und uns ein paar Jahre in E.om zu erhalten» Der alte General schüttelte seinen giauenKopf und S3gtc: das selten wir nur nicht hoffen; 4

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es sei in Rom so voll von Künstlern Jie ein- ander, um zu leben, das Brod wegkabalirten. Von den Italienern sei olmeliin nichts zu ver- dienen, und die italienisclien Künstler lebten selbst nur von den Fremden ; %venn wir liei- x\e Pension oder keine ganz besondern Em- pfehlungen hätten , so würden wir schw^erlich Arbeit finden , und wenn ^vir auch die fanden, SO würden w^ir so schleclit dafür bezalt wer- den , dnss wir davon kaum leben, geschweige studiien honten. Wir solten also ja nicht so aufs Gerathewohl daliin gehen , sondern lie- ber nach Mailand zurückkehren, da würde es schon leichter etwas zu verdienen geben ; wenn war da unsern Beutel gefüllt hätten, könten wir leicht nach Rom kommen. Er bot mir zugleich ein Empfehlungsschreiben an sei- nen alten Freund und Kriegskameraden , den General Stein, an, der in Mailand komman- clirte. Der Ratli des alten Generals machte so- viel Eindruck auf mich, dnss ich mich ent- schlos ihn zu befolgen, so sehr er auch ^egen ünsern Plan w^'ar. Ich erhielt das Empfeh- lungsschreiben , und wir gingen einige Tage darauf nach Mailand ab. Am Morgen nach unserer Ankunft trug ich, voll guter Hofnun- gen, lueiuen Brief ziuu Gen^jial SU'in, Ich

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ward sogUich vorgelassen. Seine Excellenz lies sich gerade irisiren ; ich iibeneiclite mei- nen Brief mit einem mündlichen Em^ fehl de« Grafen von Breisach. Als er den Brief gelesen liatte, warf er ihn anf den Tisch und sagte : ich weis nicht was der alte NaiT denht, dass er mir solche Leute auf den Hals schikt. Ich hann mich nicht um euch bekümmern; seht zu wie ihr weiter kommt ! Nach diesem Em- pfange sah ich , dass da nichts zu erw^arten sei, machte dass ich foit kam, und theilte nach der Zurückkunft ins Wirtlishaus meinem Bruder den leidigen Bescheid mit. Wir sa- iien nun, dass es um unsere schonen Hofnun- gen geschehen war. Nichts blieb uns jezt übrig, als unsern Plan aufzugeben, und sobald als möglich nach Deutsehiand zurück zu keh- ren, ehe unser Geld noch r()llig aufgezehrt wäie. So viel Muth wir bei der Hinieise hat- ten , als wir dui ch Deutscliland Hiit vollem Beutel zogen, so muthlos waren w^ir jezt ger worden, als unsef Geld zur Neige ging, und wir die Erfahrunsr sremacht hatten , w^ie es sich in einem Lande reis't, dessen Sprache man nicht versteht. Der blofse Gedanke o]me Geld in jenem Lande zu sein , schreckte uns zurück. Wir blieben nur ein paar Tage in Mailand,

besaiten einige Kirchen, und das bewunderns- •Würdige Abendnialil des Leonardo da Vinci, Von allem, was ich in Mailand gesehen habe» erinnere ich mieh nur noch dieses Gemälde» lebhaft, und der Zeichnung von der Schule von Athen in der Ambrosianischen Bibliotheh» Diese fand ich aber unter meiner Erwartung ; sie schien mir für ein Werh von Ha/aeZ^ Hand zu unfest gezeichnet; ich jhatte.die hilhnen und festen Umrisse des Julius Romanus noch zu lebhaft im Gedächtnis. Als ich nachher das ausgeführte Gemälde davon im Vatik;iu sah , da erkante ich 'Rafaels Grüfse und sah ein, dass die Athenlensische Schule die erste Roniposizion in der Welt sei/'

„Wir fanden in Mailand zufällig einen: deutschen Malergesellen, einen guten armen Teufel , der sich an uns schmiegte imd aus freiem Willen mit uns durch die Kirchen und Klöster lief, und als wir w^egreisen ^volten> sich [erbot, uns, für freie Zehrimg hin und zurük, durch die italienische Schweiz bis in die deutsche zu begleiten. Da %vir in Italien immer von den Wirthen betrogen wurden^, weil %vir nicht handeln konten, so nahmen wii' ihn mit, und er war [uns von so gutena

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Nutzen 'iintei*\veges , dass wir melu- durcK ihn ersparten , als er uns kostete , und ich konte mein italienisclies Wörterbuch, das mir we- nig geholfen hatte, ruliig in der Tasche be- halten.«

„Wir zogen zu Fus über den Gotliard zu- Tük durch die gev/altige und erhabene Scli-vvei- Äcrnatur, die luis den mühsamen Beigw^eg in der brennenden Sommerhitze vergessen lies ; aber wir stiegen doch mit betrübtem Herzen, dass wir das s&hOne Italien sobald wieder hat- ten verlassen müssen, ohne Florenz und Pvoiu zu sehen, aiif der deutschen Seite den Berg hinab. In Altorf verlies uns unsei- Führer, imd kehrte wieder nach Mailand zurück. Wir fuhren über den Vierwalds tädtersee bis Brun- nen, luid gingen über Zug nach Zürch. Un- ser Geld %var, als w^ir dort ankamen, bis auf wenige Batzen zusammen gesclimolzen ; doch wanderten wir mit Sonnenuntergang getrost in Zürch ein. Wir trugen wärend der ganzen Reise unser Gepäck auf dem Rücken , und ich führte alle meine Kompoß?:ioncn und Zeich- nungen von Kopenliagen aus in einem Porte- feuille bei mir."

„Mit diesem ging ich am folgenden Mor- gen gerades Weges zum Dichter Gesner, den

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ich aus seinen radiiten Blättern aucli als Künst- ler kante. Icli erzälte ihm, unsere Abenteuer, unsere Verlegenheit, und meine Absicht in Zürcli einige von meinen Korapofizionen zu verkaufen, oder Arbeit zu suchen, damit -wir Geld zur Fortsetzung unserer E.eise bekämen. Gesner nahm mich liebreich auf, bezeigte sein Wohlgefallen an meinen Kompolizionen und sagte, er -würde sie mir gern alle abkaufen, wenn er nicht das Haus voll Kinder hätte , die ihm verboten viel Geld auf seine Kt^mstiiebha- beiei zu verv^^enden ; er wolle mich aber ei- nem seiner Freunde empfehlen, der mir gewis eiriige Zeichnungen abnehmen Avürde. Dies war der Zunftmeister Heide^s^er , an den mir Gesner ein Blätchen ga^. Der Herr Zunftmei- ster empfing mich anfangs etwas steif und gra- Vitätisch, aber er ward bald freundliclier und kaufte mir drei Zeiclpiungen ab. Ich lies ihn selbst den Pieis bestimmen; er gab mir vier Laubthaler für jede. Dafür hätte ich sie sonst freilich nicht weggegeben ; aber ich war jezt /roh, dass-ich wieder etwas Geld bekam. GeS' ner empfahl mich auch an Lavater , für den ich verschiedene Poiträts zeichnen muste, und unter diesen auch den berühmten Musiker ^ Reiciiharti der sich damals in Zürch befand.

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So bekam ich bald über zwanzig Laubtbaler zusammen. Auch Lavater nahm mich recht fieundlich auf; aber über die Kunst honten wir niclit viel mit einander sprechen, ohne in Streit zu jrerathen; da schwazte er viel ins Ge» lag hinein, was fi\r mich hcinen Sinn hatte, und nreine Meinungen kamen ihm eben so abenteuerlich vor. Er schien mir ein Schwär- mer, ich ihm ein Sonderling in der Kunst. Mit Gesner hingegen konte ich mich besser unterhalten; er liatte richtige Begriffe von der Kirnst, schwärmte niclit, luid hegte grofse Achtung für die Altezi.*'

„iVlit dem erworbenen Gelde eilten wir imn von Zürch weiter, und zogen %vieder, ohne uns irgendwo aufzuhalten, ganz Deutsch- land zu Fufse durch bis Lübeck , wo wir üu Herbste desselben Jahies anlangten, und fürs erste zu bleiben beschlossen; denn unser Geld war zu Rande, und wir kamen ziemlicli schlecht im Zeuge dort an."

„Das war das Ende unseres abenteuerli- chen Zuges nach Italien, den w/ir mit so glän- zenden Iloinungen und Aussichten unternah- men. Hatten wir nun aucli unsern Zweck niclit eneiciit, so war doch die Reise nicht

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ganz vergebens. Icli hatte Julius Romanus, Xjconardo da Vinci und die Scluveiz gesellen, drei Gegenstände , die einen nnanslöscliliclien flindrucK auf mein Gefühl machten , die mir in der Folge , \vo ich wieder Jahre lang von allen Runstw^erhen abgeschieden lebte, immer lebendig vorschwebten, luid auf meine Kunst einen wesentlichen Einflus gehabt haben."

Hier endet des Künstlers eigene Erzälung, und der Verfasser nimt nun den Faden dersel" ben wieder auf,

Carstens blieb fast fünf Jahre lang in Lü' beck, und erwarb dort seinen Unteihalt mit Porträtmalen, dem einzigen Kunstz^yeige, der bei dem Publikum jener Ilandelstadt eiuiges Interesse hatte. Er trennte sich aber schon in den ersten Jahren von seinem Bruder, der, gleich unbesorgt um Gegenwart und Zukunft, jiur zu oft die Uneigennützigheit misbrauchte, mit welcher Carsten^, der kaum für sich selbst das Nothdürftige ej-werben konte. Alles brü-. derlich mit ihm theilte, bis es ihm endlich unmöglich ward , den Bruder länger axif seiue Kosten zu ernähren. Dieser \vandte sich nun nach Stralsund und Greifswald, wo er durch PorträtmaJen und Unterricht im Zeichnen sei-

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ncn Unteilialt, wlewolil meistens kümmerlich^ er-\varb.

Im Jalire 1^736 kam der Verfasser dieser La-« bensbesclireibung nach Lübeck, nnd machte bald darauf des Künstlci-s Bekantschaft. Gleich- heit der Neigungen knüpfte bald eine innigo Freundschaft zwischen beiden. Der Verfasser war damals noch ein Jüngling; frühe schon von einem lebhaften Triebe zur Kunst beselt, ^ber in einem Lande geboren , avo dieser Trieb keine Nahrung finden konte, hatte er bis dahin noch nie Gelegenheit gehabt, ein Kunstwerk der höheren Gattung zu sehen, ge- schweige einen Zweck der Kunst zu erkennen, der w^eiter ginge, als auf die blofse Nachah- mung des Wirkuchen. Wer die prosaischen Gegenden Niederdeutschlandes keiuit, wo der Verfasser seine Jugend verlebt hat, die üker- mark, Pommern und Mecklenburg , der wird wissen, welche Seltenheit dort Kunstwerke sind, und dass nian da wohl, so \vie der Ver- fasser, sein z^van2igstes Jahr verleben kann, ohne je ein historisches Gemälde, oder sonst ein gutes Kunstwerk gesehen zu haben.

Carstens lehrte ihn zuei-st eine höhere Sfä- Tc der Kunst keimen. Der immer resre Enthu-

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siasinns des Künstlers tlieilte sicli der Empfäng- , liclikeit des jüngeren Freundes mit, imd der gleiche Trieb, welcher unter ihnen bald das enge und doch freie Verhältnis des Lehrenden lind Lernenden erzeugte, knüpfte zugleich das Band ihier Freundschaft mit jedem Tage fester. Die Kunst yvar der stete Gegenstand ihier Un- terhaltungen, ihrer Lbungen, ihrer Wünsche und Plane für die Zukunft; und so verflossen ihnen, in einer von aussen sehr beschrankten Lage, w^elche beide, doch auf verscliiedene Weise, gefesselt hielt, zwei glückliche Jahre vereinten Strebens und Genusses , die ihnen in der Folge das Schiksal noch einmal, aber freiei', schöner und in vef'doppeltem Mafse, in Fvoni zu wiederholen vergönn'te.

Da Carstens im Treffen sehr gliicklich war, und mit einer bestirnten schönen Zeich- nung eine saubere und gefällige Ausführung verband , so fehlte es ihm in Lübeck selten au Arbeit, und er hat dort eine sehr giofse Menge von Porträts theils gemalt, theils ge- zeichnet; doch \var es nie, besondeis in Öl- farben, die Kunst des Pinsels und des Kolo- rits , wodurch er sich auszeichnete ; gefälliger ■und Sehr fleissig gearbeitet waren seine Minia-

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turen. Wer sein höheres Talent, seinen feu- rigen, strebenden Geist, und seinen Sinn für das Grofse kante, der muste diese Geduldpro- ben des pünktelnden Fleisses noch mehr be- \vundcrn , den er auf Arbeiten verwendete, die ihn gar nicht interessirten , die ihm viel- mehr herzlich zmvider waren ; aber er muste auch bedauern, dass ein Künstler mit solchen Talenten etwas Grofses zu leisten, die Köstli- che Zeit auf söiclie Weise verschwenden mu- ste; denn man kann wohl sagen, dass die. fünf in Lübeck verlebten Jahre dem Künstler eben so lumüz verloren gingen, als jene fünf Jahre , die er früher bereits beim Weinhandel verloren hatte. Zwar sezte er sein Studium der Historieiunalerei immer gleich eifrig fort, er komponirte , zeichnete, entwarf eine Alen- ge von Erfindiuigen , die ihm beim Lesen alttr lind neuer Dichter seine fruchtbare Einbil- dungskraft darbot ; aber es gebrach ilim doch an allen den Hülfsmitteln , \velche den Künst- ler -Reiter fördern, an Nahrung für seinen Kunstsinn, tuid an, aller Aufmunterung von aussen. Er hatte über vier Jahre in Lübeck gelebt, seine Portefeuillen, selbst die grauen Wände seines kleinen Zimmers, waren mit jnehr oder -\veniger ausgeführten Komposizio-

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jien und flüchtigen Entwürfen angefüllt, und dock -war ausser -wenigen näheren Sekanten, mit denen er unrging, niemand, der dies kö- iicje Talent in ikni kante. Freilicli waren seine eingezogene Lebensweise, sein köckst scklickter Anzug bei einer kleinen unansekn- licken Figur, seine gänzlicke Unfäkigkeit sich persünlick bemerkt und sein Talent geltend 7.V. macken, welcke ikeils in der früker rer- jiacklässigien Bildung seines Äussern, tkeils in seiner allen Sckein veiacktenden Denkart ikren Grund katten, und ikm den Anstrich einer gewissen Rusticitüt gaben, eben so viele tJrsacken, dass nienaand etwas Hökeres in ikni aknete , und dass er aucli den v/enigen Ken- nern, die für liökere Kunst Sinn und Interes- se kaben , tuibemerkt blieb, bis erst spat ein günstiger Zufall ihn einem derselben bekant mackte , der seinem Sckiksale eine günstigere Wendung gab.

Ein gvufseres Hindernis seines Fortkom- jneus aber w%''.r sein siecker, kränkelnder Kör- per, der mit seinem feurigen Temperamente und rastlos tkätigen Geiste in einem für iliu Verderbliclien Misverkältnisse stand, und ilin /oft Wockeii und Monate lang ziun Arbeiten

iihfälilg machte. Seine KranWieit war, wie bereits bemeikt worden, ein Brustübel, wo- zu er den Keiiii mit auf die Welt gebracht hat- te, das sich von Zeit zu Zeit in heftigen An* fällen meldete, und in Lübeck einigemal zu einem Grade stieg, der seinem Leben Gefallt drohte. Dies öftere Kranhüegen , wodurch ilim manche Arbeit entging, manche kostspil- lige Kur erwuchs , und ein überläsriger Bi u-' der , der in soiglosem Müssiggange auf seine Kosten lebte , sezton ihn öfter in Schuid-en, die zwar nie beträchtlich waren, von denen er sich aber doch nie wieder gänzlich frei rna* clien honte. Alle diese Widei-wärtigheiten, mit dezien . er unablässig zu kämpfen hatte, waren doch nicht im Stande seinen Mutli nie- derzuschlagen. Auch in leidenden Zuständen war sein Sinn immer heiter, und sein GeisG schwebte kmnmerfrei in den höheren Regio- nen der Kunst,' wo das Bedürfnis ihn nichc ejTeichte.

Wenn die Ausübimg der Kunst ihn nicht bescliäftigte, so las er die alten Dichter und Gcscliichtschreiber, die in Übersetzungen vor- handen waren. Unter den Dichtern %vareu für seine Phantasie Homer, die alten Tra^^iket und Schakspear y und für sein Gefühl Pimlari

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Ossian und Klopstock in den OJen seine Lieb- lingslektüi e. Auch die Mythen der skandina- vischen Dichtungen , die er in Kopenhagen kennen gelernt hatte, liebte er ihres gaofsen lind fantastischen Inhalts Avegen. Dies waren die Quellen , aus denen er den Inhalt seiner Komposizionen schöpfte. Die Kupferstiche nach den Weihen des Rajael , MicheJangeloy Julius üomanus i ' Polidor > Annihal Carraccij Pietro Testa yvc^reu die Hiilfsmittel und Mu- ster, nach denen er seinen Stil zu bilden such- te. Aber immer waren Rom und die Origina- le der unvolkommenen Nachbildungön , mit denen er sich jezt kümmerlich behelfen mu- ßte, das Ziel, nach w^elchem er mit steter Sehn- sucht hinblickte; und nur wenn, bei seiner hofnungslosen Lage, und ohne alle Aussicht sich ihr zu entreifsen, Zweifel in seiner Sele «Ulfstiegen , dass er jenes Ziel vielleicht nie er- leichen werde , konte er traurig werden und sich über sein unglückliches Schiksal bekla- gen ; dann übermannte ilui wohl auf Augen- blicke das zu lebhafte Gefühl des Schnierzens, den er sonst männlich zu ertragen wüste. Nie wird der Verfasser den rührenden Moment vergessen, wo Carstens eines Abends, als das ftunstgespräch lange bei jenen geliebten Ge-

gffnständen verweilte, und seine Selmsuclit nach Italien mit ungewölinliclier Leidenschaft- lichkeit in ihm aufgeregt war, von inniger Welimuth übermannt, jenem weinend um den Hals fiel, lind sein w^idriges Geschieh anklag- te, das ihn an einen Ort gebannet habe, wo sein brennender Trieb sich unbefriedigt in sicli selbst verzehren , %vo er seine Zeit an elende Porträtarbeit verschwenden müsse , und vielleicht nie ans Ziel seiner Wünsche gelau- gen werde. Aber nie holte man ihn über \'\'iderw\ärtigkeiten klagen , so drückend sie sein mochten; selbst sein siecher Körper war ihm nur als Hindesnis für seinen Kunstnieb lästig ; am wenigsten bekümmei ten ihn zeit- liche Güter. Überhaupt war wolü nicht leicht ein Künstler in dieser Hinsicht uneigennützi- ger , gleichgültiger gegen baren Gew^in , als Carstens. Seine Kunst allein WMr ilim alles ; sie w^^r sein Element, seine P«.eligion, seine Seligkeit, sein Dasein. Er -würde mit Freu- den auf alle äusseren Vortheile verzichtet, al- len Bequemlichkeiten des Lebens , an die er ohnehin nicht gewöhnt war, allem Gewin durch seine Kunst entsafijt, in Dürftigkeit sre-

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lebt, und sich glücklich gefühlt linben , wenn er um diesen Preis die Befriedigung seines Strebens hätte erkaufen können.

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Bei dieser Verziclitung auf alles," was aus- ser seiner iiunstsfäre lag, war aber Carstens um so eifejsüclitiger auf die Er^verbung jedes Gutes innerhalb derselben» und er besas in Jiohem Grade jene Leidenschaften, welche ge- Wölnilich mit grofsen Aailagen verbundensind : einen fem igen Ehrzeiz , der nur nach dem Vortieflichen strebt, und der eifersüchtige Ne- benbuler jedes andern wird, den er auf seiner Laufbahn noch vor sich erblicht; den Stolz jedes- er^vol•bene Verdienst nur dem eigenen Streben zu verdanhen; nur durch wahre Tref- lichkeit zu bestehen, und jed^en Schleicliwcg SEU Puihm und Gewin , so wie jeden der dar- auf hiiecht , zu verachten.

Diese Triebfedern vrirhlen schon fiühe in ilun, so bald sein Talent zum eigenen Bewust-» sein gelangte, wie sowohl seine Art zu studi- ren» als seine Fehde mit der Kunstakademie in Kopenhagen beweiset. Sie wurden -jedoch von der entschiedenen Geradheit und E.edlich« lieit seines Charakters s-o beherscht , dass sie sich immer in den Schranken eines gerechten Selbstgefühls erhielten , und nie in Dünkel und Anmafsung ausschweiften. Aber lag in der natürlichen Offenheit seines CharakteiSj dass , er die Regungen diese? Selbstgefühles,

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Axe andiere kliiglicli TerscKweigen , oline Arg äusserte, wodmcli er bei manchen, die von sicli auf andere schliefsen, nickt selten in den Verdaclu der Eitelkeit und Anmafsung gerietb, die doch seiner Denkweise völlig fremd wa.- len. So hatte er schon damals , wo er doch von der Stufe, die er spateihin eneichte, noch weit entfernt war, ein richtiges VorgefühZ von dem was ihm en-eichbar sein, und wa» ihm uneneichbar bleiben würde , indem er äusserte: Vor allen übiigen Künstlern, selbsc vor dem Jnnihal Carracci , den er doch in je- ner Zeit vorzüglich hoch schäzte , fürchte ec 8ich nicht ; wenn er nur Gelegenheit habe sich in Rom auszubilden, so hoffe er sie wohl zu erreichen; aber I^'Iichelangelo und Rajael seien so gros , dass er sich glücklich schätzen wür- de , vrenn er daiiin gelange, dass man es der- einst seinen Arbeiten ansehe , er sei nicht un- rühmlich in ihre Fusstapfen getreten. Diesen grofsen aber bescheidenen Wunsch, der auiS der Fülle seiner Verehrung für jene Künstler, und seines Enthusiasmus für die Kunst quoll, hat er nach dem Urtheile der Kenner in sei- nen zu Rom verfertigten Arbeiten wirklich, und mehr als irgend ein anderer unter des treuem, erreicht»

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Von den Komposizioiien nnsers Carsteni aus jener Zeit kann dei- Verf.isser nur die an- f üliren , -welche er gesehen hat, und deren er sich noch deutlich erinnert* Sie werden ihm Veranlassung geben, über den früheren Stil des Künstlers und die derzeitige Stufe seiner Ausbildung einige Beinerhungen zu machen* Es sind die nachstehenden :

Achill, dem der Geist des Patroklas im Trau-' vie erscheint; nach Homer.

Mtin Bakchanal von fünf bis sechs Figuren, die um eine Statue des Bahchus tanzen.

Sokrates, der dem Alzihiades in der Schlacht hei Potidaea das Lehen rettet; mit Bistet lavirte Federzeichnung.

Odysseus, der vor der Grube voll Opferhlü* tes die Schatten der abgeschiedenen Selen, heschivort nach dem Xlten Buche der* Odyssee.

Locket der dem Hother erscheint und ihm die drei Walkyrien zeigt, die in ihrer Höhle den Spies härten, mit dem er Bai- ilern erlegen soll ; aus Ewalds Tmuersfiel; Balders Todt

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Hermann aui Äer Schlacht zuriickkehrenä, dem Thnsnelde den Kranz reicht; ans Klop* Stocks Hermanns Schlacht.

Der Geist Cathmors , der als Ersch&inung Sulmallen voräberschueht , die ihre Arme nach ilini ausstreckt ; aus Ossians Temora^

Cassandra vor dem Pallast des Pelops in Ar- gos , sitzend auf einem TVagen und iveis* sagend; nacli dem Agamemnon des Aeschy los ( befindet sich unter dem Nachlas des Künstlers auf der Weimarischen Biblio- llielv).

jimor , der einen ruhenden Jager in sein Netz zieht; allegorische Idee des Künstlers.

Ossian und Alpin zur Harfe singend; ailJ Ossians leztem Liede (unter dem Nachlas des Künstlers auf der Weiinarischen Bi- bliothek).

Cott Vater von Zeit und Ewigkeit getragen; schwebende Gruppe.

Die vier Elemente; allegorische Darstellung,

Die vier Jahreszeiten ; desgleichen.

Die vier Alter des menschlichen LehenS nach der Musik der Zeit tanzend ; desgleichen»

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Ncch. andere 'allegorlscfie Darste?lu7i^e7i, 3e- ren Iiilialt dem Verfasser niclit mehr erin- nerlich ist.

Carstens hatte vom Anfange seines Stndi- rens, seitdem er zuerst die Antiken sah, den Stil deiselben in seiner Zeiclmnng nacl) zuah- men getrachtet, der sich behantlich duicli den Charahter idealischer Individualität von dem Stil der modernen Kunst, der, wo si.e sich ohne Einflus der Antike gebildet hat, Darstel- lung wirklicher Individualität ist , unterschei- det. An antiken Formen hatte er lange aus- schliessend Auge und Geschmak gebildet; wie denn auch schon von Natur Sinn für Grufse, Hoheit und Kraft die vorhersehende Stimmimg seines Gemüths war. Das Niedliche, Zierli- che, wenn es nichts weiter war; selbst das Scjiöne, ohne Grosheit und interessante Be- deutung, maciite wenig Eindruck auf ilin, Solte das Zärtliche ihn rühren, so muste ' es anit Hoheit verbunden sein; es muste einen pathetischen Chaiakter annehmen, und aucli jmr so gelang ihm der Ausdruck desselben : die erschlaffenden Rührungen des Sentimenta- len waren seiner energischen Natur eben so aiiwiiiera als jeße moderne, ^ffehtiite Grazi®

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«3er Hof- und Kabiuetsmaler, wie er sie zu nennen pflegte, seinem auf Waliilieit ruhen- den Scliönlieitssinne ; gegen das Tändelnde, Spielende , Charakterlose , eiferte er bei jeder Gelegenheit.

Zunächst den Antillen, die er stets für die höchsten Muster des Stils hielt, waren vor- züglich Michelangelo' s \Yerke , die er jedoch blos aus Kupferstichen kante» seinem noch, ungebildeten Sinne für kraftvolle Gröfse zu- sprechend, und er war lange unentschieden, ob er jenem, oder dem Rafael, in seiner Schäzung den höchsten R.ang einräumen sol- le. Sein lichtiger Verstand, sein treuer Na- tursinn sprach für diesen; sein Gefühl, seine Fantasie für jenen. Späterhin inPiom entscliied sein leiferes Urtheil für Rafael, ohne da«bß sich seine Verehrung für JVIichelungelo des» halb vermindert hätte.

Nachdem er die Werke des Julius Roma- 71US in Mantua gesehen hatte , behauptete die- ser für lange Zeit eine fast ausschliefsende Herschaft über seinen Geschmak. Das Poe- tischkühne in den Erfindungen desselben , das Teuer seiner Fantasie , die Kraft seines Stils reizte ilin zu älinlichen Kunstschöpfungen,

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docii war er, weHU man auch den Einfltis dic- kes Genius auf den seinigen erkante, doch nie eigentlich Nachahmer desselben.

Schon in dieser Periode hatte Carstens ei- jie gewisse Vorliebe zu allegorischen DarsteU Jungen gefasst, die er auch noch lange nach- Iier hegte. Zum Theil hatten ihn die BLuter des Pietro Testa , die er damals , ihrer Origi- iialität und ihres Gedanhenreichthums vregen, sehr hoch schäzte , zum Theil auch, nach sei-« nem eigenen Geständnis, Vf^inkehnanns J er- such einer Allegorie, auf diesen Abweg gelei^ tet, und um so leichter, da er schon seiner- Gemiithsait nach Bedeutung und Tiefe des Sinnes in Kunstwerhen liebte, und ein Fieund von simboKschen Darstellungen war, von Je- nen zur Allegorie in der Hunst nur ein Icich-' ter tJbergang ist. Hiezu ham noch, dass die gigantische Gröfse in Michelangelo'' s Gottva- ter, Projeten und Sihillen , ihn zur Ileivor- biingung ähnlicher Paesengestalteu begeisterte, zu denen er in Ci^r Meen"welt der Simbolik und Allegorie den scliichlichsten Stof zu hn-i den glaubte. So gerieth er denn auf Gegen-» Stände, w^ie unter den oben erwähnteu : Gott" vater mit Zeit und Ewigkeit j die Elementes,

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«lie Jahrszeiten , und andere , von denen in der Folge die Rede sein ^vi^d.

Was man aber auch bei manchen seiner^ allegorischen Darstellungen wider die Wah' der darzustellenden Gegenstände mit Recht sa gen mag, so "vvar es doch eine lobenswerthe Eigenschaft seiner AUegoricen , dass er die Be« deutuiijr soviel als möglich in die Gestalten legen amd denselben einen giofsen, den Ideen angemessenen, Charahter zu geben suchtCj lind dass er nie in den Fehler gelehr fwitzig zu allegorisiren j und Wirkliches mit Allego- rie zu vermischen, verfallen ist; ja einige seiner allegorischen Komposizionen sind in ilii er Alt vortreflich zu nennen , wenft man nicht die ganze Gattung verweifen will, welches wohl niemand im Erntete wollen wird. Überhaupt zeigen die oben angeführten Kom- posizionen, dass Carstens am lieb: ten heroi- sche und ernste Stoffe der alten Fabel vrählte, zu deren Darstellung eine dichtende Fantasie erfordert wird; und dergleichen Gegenstände gelangen ilim auch am besten.

Da unser Künstler in seinem Studium von der Antike, alio vom Ideale, imd nicht von tler Naclialumuig des Wirkliclicn ausgegangen

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xn^ar, so tragen die Arbeiten seiner früheren Periode auch mehr den Charakter jener als die- ser an sich. Man sieht inihn^ das Streben nach der reinen Form und dem schönen Uni- iris der alten Bildwerke, meistens gefällige Stellungen» Gro heit und einen kräftigen Cha- rakter der Gestalten, zugleich aber auch ein© rohe Härte, die in kraftvollen Menschen das Streben nach Bestimtheit anfangs immer be- gleitet ; und oft einen Mangel an jener , nur der schönen Natur eigenen und aus ihr zu schöpfenden Individualität , die , in Vereini* gung mit dem Ideale , die Vollendung des Stils und der Kunstbildung ausmacht.

Es giebt eigentlich nur zjj'-ei Wege zu 'die- ser Vollendung zu gelangen: Entweder die Kunst geht, w^ie in ihrer ursprünglichen Ent- wickelung der Fall ist , von der treuen Nach- ahinung der individuellen Natur zur freien Nachbildimg ihrer Gegenstände nach allgemei- lien Gesetzen über, und erhebt sich auf diese Weise endlich von der wirklichen Individua- lität zur ideali chen. Oder die Kunst geht, wie in der Periode ihrer völligen Ausbildung der Fall ist, vom Ideale aus, und steigt von der Hohe desselben zur Wiiklichk^it herabj

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um die^e durch das Ideal zu läfttem, und aus iliv neue Individualitäten für ihre Darstellun- gen zu schöpfen. Den ersten Weg nahm die alte Kunst, und auch die neuere bis auf ilo/aei» "vveun man den früheren Einflu' der alten Jxunst «uf dieselbe, der bis dahin unbedeutend war, iiicht in Anschlag bringen will. Nur findet l>ei beiden der Urtter=chied statt, dass die alte Runst sich auf diesem Wege ursprünglich als Plastik, die neuere hingegen als JVIalerei aus- gebildet hat. So wurde jene schon, durchili- le grüfsere Beschränktheit in der Nachahmung des Wirhlichen, frühe zum Ideale getrieben, diese lüngegen ward durch ilire vorzügliche Fähigkeit, das Wirkliche darzustellen, auch, stärker an da. selbe gefesselt j und diese, scliou durch aas Materiale einer Jeden Kunst be- stirnte , pLichtung ward auch durch die Ge- genstände ihrer Anwendung bcitatigt. Die äl- tere Kunst durchlief , nach einer glücldichen Entwickelung, ungestört den ganzen Kreis ih- rer Ausbildung; die neuere hingegen begann zv/r"- ebenfals ihre Ent^vickelung glücklich, aber , nicht so wie jene durch ihr Objekt be- giir. r'-t tmd empor gehoben, blieb sie an der Schwelle des Ideals stehen, ohne es in seiner Hoheit zu erschwingen; oliae aircli nur iüx

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einen einzigen Cliaraliter ein bestirntes Knnst- iJeal al< festen Tipus auszubilden. Den zirei" teil Weg musten alle alten Künstlei-, Bildner ,und Maler , nehmen , nachdem die alte Kunst ihren Gipfel erreicht hatie , wenn ?ie ihre Vor- gänger nicliL blo". hopiren, oder leeieFoiirien- Schönheit ohne Charaiiter bilden wolten. Die" sen Weg ging anch, ohne es selbf^t zu wissen, durch seinen Genius geleitet, tinser üünstlet in seiner Ausbildung,

Noch ein dritter Weg ist durch Verbindung jene]- beiden möglich, indem der Künstler gleich anfangs in seinem Studium Ideal und JSfitur i Antike und Fiajael , den man gewisser- mafsen als den Repräsentanten der Natur anse- hen hann, zu veieiuigea strebt. Diesen Weg schlagen gewöhnlich die Neuern ein, welche Antihe, Ilafael und Natur zugleich studiren. Aber aus diesen vtjschiedenen Stoffen ein or- ßanisches Ganze zu, schaflen, ist ein Problem, dessen glücldiche Lösung nur dem Genie gelingt.

Frühe ergriffen auch , wie schon bemerkt; worden, Michelangelo'' s Werke den Geist un- «ers Künstlers, und die Wirlumg dnvon zeigte uob. auffallend in dem Stil seiner FoiUitn. Ex

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3ti'ebte lange der gigantischen Gröfse jenes Mei- sters n.ich, die energische Gemüther in der fiüherei; Periode ihrer Bildung so mächtig an- zieht, und machte sich die Grosheit seiner Verhältnisse, die Breite seiner Foniien zn ei- gen; aber sein walues Gefühl vermied glück- lich das Gewaltsame und Übertriebene der Stellungen in den Gestalten des Bnonarroti^ und folgte mehr den gemälsigten, schünen Be- wegungen der Antike^ Diesen Einfliifs der ^tz- tiken und des IMichelangelo auf -seinen Ge- schmack belierschte doch immer die eigen- thümliclic Vorstellungsart seines Genies, Die- se Selbständigkeit unter der Macht fremden Einflusses ist auch in seinen früheren Versu-< clien sichtbar; und nie mangelte seineii Ge-^ stalten Leben , Charaktci- undi Ausdruck , denn sie waren achte Geschöpfe der Einbildungs- kraft; nicht einer blos mechanischen Fertig- keit, die gel ade der schwächere Theil seiner J\unst war , so dass ihm das Darstellen ausser sich mehr Schwierigkeiten machte als die Er- findung, die er immer ganz im Kopfe geord- net vollendete, ehe er daran ging sie aufzu- zeichnen,

Carstens kante zwar den menschlichen Kör- per zierr.iich genau, und versüiuiue keine Ge-

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legenheit , wo er das Nalvte an lebenden Ge- staiteii sehen konte, z. B. beim Bade^ mit sei- xieii Freunden, die er entMeidet raanclierlei Stellungen und Bewegungen maclien lies , die ihm für seine Zwecke dienlich waren, imd «US denen er das Wesentliche mit einem schnel- len Bliche aufzufassen geübt war. Doch fehl- te es ihm noch an jener gründlichen Kentnis der Anatomie, die dem Künstler schon beim Entwerfen seiner Gestalten so sehr zu statten Komt, aber zur j-lchtigen Ausffihrung noch unentbehilicher ist , und woiin unter allen Neueren Michelangelo der gelehrteste und

erofste war. Seine Kentnis der Anatomie er- o

streckte sich nur auf das richtige Verhältnis der Tlieile und Glieder , und auf die Hauptfor- men derselben, so wie sie in der Antike dem Zweck der Schönheit untergeordnet erscheint, ohne genauere Andeutungen der Zufälligkei- ten , die in der Mannigfaltigkeit der Gestalten gefunden werden, und die der Künstler gleich- fals kennen nnifs. Sie war vielmehr konven- zionell und dürftig, als wahr und gründlich, und für ihn als Maler unzureichend. Er fühl- te dies auch selbst genug, und sparte keine Aufmerksamkeit und Mühe, das früher Ver- säumte naclizulioien. Hätte er Gelegenheit ge-

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habt, grofse Arbaiten auszufülireir, so würde er diesen Tiieil früher in seine Gewalt gebracht haben. Denn wonn ein grofses Werk auch danim , weil es gros ist, nicht mehr Kunst- Verdienst hat , so ist es doch schwerer und der Künstler lernt melir dabei.

In der Persjjcktlv , so wie in der Lehre von LicJit und Scliatten war Carstens in dieser Zeit nocli blofser Naturalist; docii half er sich, wo sein Augenniafs ilm im Stiche lies , ziemlich. gut dadurch, dass er sich die Figur in Tlion jnodellirte, iind die Wirkung der Beleuchtung daran bemerkte. Plan und Grund eines Ge- mäldes perspektivisch aufzuzeichnen verstand er noch nicht, und er hütlietesich darum auch sehr vor solchen Gegenständen , "wo derglei- chen nothwendig w^ar.

Im Kolorit yv^Y er verhältnismäfsis" ammei- stcn zurück geblieben. Seine bedrängte Lage erlaubte ilim selten einen Versuch in Ölfarben zu machen , um so mehr, da er auf keinen Ab- saz eines historischen Gemäldes rechnen konte. Was er sonst mit Wasseifarben kolorirte, v/ar z-war ziemlich roh und hart; dech s:elan2: ihm von Anfang an die Wassermalerei besser als das ülmaleu, v/orin er sich zv/ar in der Folge »ock merklich gebessert, es über doch nie zu

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teiniger Volll-vOmmenlieit o;eT3raciit liat. Sei* Silin war für die Pielze des Kolorits weiiiget einpfäiiglicli , obgleicli es ilini uii.lit an aichti- gen Grundsätzen über dasselbe feMte; nur hon- te er dies|?lben iiiclit geiiiigeiid ausüben, weil ihm dazu sowohl die Kentnis Uer nothigeil Handgiiffe i, als die nur durch viele Übung zu eilaugende Fertigkeit mangtlte, In diesem Punkte bestätigte die Folge > -was i]im ^hil- gaard vorher gesagt hatte. Carstens suchte sich über diesen unverschuldeten Mangel durch manciieilei Sophismen t\\ trösten J so hätte ei* gern die schon von andern aUsgesohnene Bc-» hauptung vertheidigt, dass die Erfindung der Ölmalerei den Veifall der Kunst befördert ha- be, dadurch dass sie den Fleis zu sehr aufs l'inseln lenkte; oder er behauptete, sie schicke sich eigentlich nicht wohl für den grofsen Stil; oder er führte JiTiclielafigelo's Sprüchlein an j -der sich mit ilim in gleichei* Lage be* fand : Die Ölmalerei sei -eines JVTannes un- würdig und eine Arheit für PT^'eiher. Wenn man ihm diese Ausflüchte aber nicht gut heis* sen woltCj so ergab er sich am Ende dochgtit* willig, und gestand, dass er es nicht Von Her* 2en 50 meine.

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in cler Au'sjühruvg War er gleiclifals seilt schlicht und kunstlos, aber doch sauber und fiei-' fsiü:, wenn ej- woke. iVlan könte sagen : Gedanke undKomposizion waren der Abdruck seines in- iiernPieichthunis ; die Ausführung seiner Erfin-' diingen \var das Bild seiner äussern Armutli und Beschränkung. Es w^ar ihm blos darum zu thun » seinen Gegenstand in der Zeichnung möglichst bestimmt und deutlich auszudrückenj seine Figuren wohl zu runden > und das Gan- ie in Übereinstimmung zu bringen. Übrigens zeichnete er ohne Manier und ohne die afftk* tii'te Meisterschaft vieler neueren Zeichner und. Konturenschreiber, die auf Geist Anspruch macht, aber selten mehr ist als mechanische Fertigkeit eines Schreibmeisters.

So strebte und rang Carstens unter den un* 'günstigsten Terhäitnisseu , ohne Aussichten ei- ner besseren Zukunft, wärend seines fiinfjäh» ligen Aufenthalts in Lübeck, und der Verfas» ser -war, in den zwei leztcn Jahren desselben, täglicher Augenzeuge des oben Gesagten. Sein Eifer für die Kimst blieb sich jedoch immei' gleich. Er kämpfte um sie^ wie um sein Da* Sein ; auch war sie w^irklich eine Hauptbedin* ijimg desselben, und nur ihrentwejg^en hatt#

das Leljen, clas ilim wenig an3ere Freuden dar- bot, noch einen Reiz für ilin. In ihr vergas er Unglüch nnd Leiden; aber es war ihm doch iinr),iüglich in einer solchen Lage weitere Fortschritte zu machen. Aller Hiilfsmittel entblofst , aller Nahrnngsqnellen für seinen Kunstsinn beraubt, verzehrte sich seine Krafü in mühevollen Bestrebungen , die seinen 7 rieb Ewar beschäftigen , aber nie befriedigen honten.

Mangel an Nahrung seines Kunsttiiebes brachte ihn dazu, dass er sich dam<ils oft mit Dingen beschäftigte, die ausserhalb seiner Sfü- je lagen xuid zu denen er keine Anlagen hatte. So trieb er Poesie ; machte Oden , Ditiramben, Trauerspiele, Epigramme, Satiren, Shalden- gesänge etc. , die abei- meistens Wiederhlänge der Erinnerung aus Pindar y lilo-pstock, So' ■phokles , Stolherg , Gerstenherg u. a. waren. Es fehlte daiin nicht an mancher eigenen Idee» aber die Sprache wolte ihm nicht gehorchen. Auch im Felde der Filosofie trieb er sich ein« Zeitlang um , obgleich er ein zu konkreter, zu plastischer Kopf war, um spekulative Ideen anders als bildlich zu fassen. Durch Lessings Schriften, besonders durch die berühmten Fragmente, iixe üaia in die ü^de geiiethen,

WAid

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ward er veranlafst , auch sein Religionssistem hervor zu suclien , das seit seiner Kindlieit ziemlich geruhet hatte. Doch da er ein hel- ler, heiterer Kopf war , zwar jedes Enthnsias- mus fähig, aber ohne den mindesten Hang zu Schwärmerei und ^distik, so zog er sicli bald ganz vernünftig aus dem -Handel, und State nach der Lehre der neiiesten Runstweisheit die Kunst in der Religion (oder vielmehr in einem phantastischen Gespenster brütenden Misticis- mus) zu suchen, suchte und sezte er seine Re- ligion in der Kunst. Nacliher fing er auch an, Kants Kritik der reinen Vernunft zu studiren, "worin er aber nicht weiter kam als in die Lehre von Raum und Zeit; und die Ausbeute dieses Streifzuges war eine simholische Darstel- lung dieser heiden Formen in einer malerischen Komposizion, derentwillen er manchsiiei An* fechtungen in Scherz und Ernst erfahren raus- te. Ihrer w^ird in der Folge erwähnt Vv erden.

Endlich schien es, als ob das Sclühsal un- serm Künstler einmal lächein wolle. Ein gün- stiger Zufall verschaffte ihm die Behaiitschafc des Dichters Overheky den ein Freund zu Car- stens ii\\\\te , mn ihm die Komposizionen des- selben sehen zu lassen. Overbek w^rd ange-

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nelim überiasclit , in einem elenden schwarz beräjiclierten Zimmer, und unter einer so iin- sclieinbaren Hülle einen Geist zu finden, der mitHomer , SojyJiokles , Ossian, S h ake sp e ar etc, in vertrauter Bekantschaft lebte , und Scenen aus ihren Weiken in eigenen Erfindungen dar- stellte. Der edle Dichter, von des Künstlers unwürdiger Lage unten ichtet, interessirte sich lebhaft für Carstens , und führte ihm nach einigen Tagen den Rathsheirn lilathaeus Rod- dezn, einen der reichstbegüterten Männer je- ner Stadt, der mit wninier Liebe zur Kunst die Einsichten eines Kenneis veieint, und selbst eine ausgewählte Samlung von Gemäl- den besizt. Ein solcher Kunstfreund honte den Werth des Talents , das er da im Yerboi'- genen fand, nicht verkennen ; er sah aber auch zugleich die Hindernisse, die es niederdrück- ten. Er w^iederholte seinen Besuch bei Car^ stens , lud ihn zu sich, suchte durch nähere Bekantschaft sein Zutrauen zu gew^innen, un- terrichtete sich genauer von seiner Lage , und jieth ihm , eine Stadt zu verlassen , wo sein Talent ev\'ig ein todtes Kapital für ihn bleiben würde, und an einen Ort zu gehen, der für die Ausbildung und Anwendung desselben bes- ser geeignet sei; wozu er ihm Berlin vor-

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schlug. Carstens bedurfte dieser AufFoderung iiiclit, da er selbst schon lange diesen Wunscli LriLte, zu dessen ErfiiUung ihm nur die IMittel gebrachen. Aber auch diesem Hindernisse Jiatte der edle Mann abzuhelfen beschlossen. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass des Künstlers sittlicher Charakter ihn der Unter- stützung, die sein Talent bedurfte, noch wür- diger mache , that er demselben das Anerbic- then , nicht alleizi seine Schulden, die etwas über hundert Thalcr betragen mochten , zu be- zalen, sondern ihn auch in den Stand zu se- tzen, dass er die R.eise nach Berlin maclien, und dort wenigstens ein halbes Jahr leben Kön- ne, um sich indessen behant zu niachen, und sicli günstigere Aussichten für die Zukunft zu be- reiten. Von der Wiedererstattung dieses Gel- des solte nie die Rede sein ; nur äusserte dei* edle Geber, um das Anselien eines Gesclienks zu vermeiden, dass es ihm lieb sein würde, einmal nach der Bequemliclikeit des KiinstlerSj als freie Erkentlichkeit , etwas von dessen Aibeit für seine Sämling zu empfingen. Die» ist in der Folge nicht geschehen , obgleich Car- stens sicli zu\veilen selbst daran mahnte , und den Namen seines Wohlthäters nie ohueDank- gefülil nante. IMoge der edle Mann es dem

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Verfasser vej*reilien, dass er dieser niensclien- freundiiclien Handlung au seinem Freunde hier üfFentlicli gedenkt. Sie 1-iatte zu viel Einflus auf das Scliiksal unsers Kunstlers , als dass sie in dem Leben desselben mit Stiliscli weisen übergangen werden konte ; und die Pflicht der Gerechtigkeit fodert den Dank, den ein edles durch sein eigenes Bewustsein hinlänglich be- lohntes Gemüth verschmähen darf. Ein gros* ses Talent ist selten; noch seltener ist viel* leicht derEdelmuth, der es aus seiner Verbor* genheit hervorzieht und aus reiner Kunstiieb« uneigennützig untexstüzt.

Duich diese unerwaitele Hülfe wurde Ca;* stens auf einmal seiner Noth entrissen , und zu. neuen Hofnungeri beseelt, dass endlich sein Schiksal eine bessere Wendung nehmen werde. Um aber nicht ganz mi\-orbereitet nach Berlin y.u kommen , sandte er gegen den Herbst 1787 seine allegorische Darstellung der vier Elemen- te in Ol gemalt an den derzeitigen Kurator der Akademie , den Minister Freiherrn von HeinitZi mit der Bitte, diesem Bilde in der bevorste* liendcn Ausstellung einen Plaz zu vergönnen» Er ei-hielt dafür ein verbindliches Antwort* schreiben des Ministers, und ging dann im fol-» g-endeii Frühjahr 1788 selbst nach Berlin,

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Die Pveise des Künstlers nach Beilin nnter- br^'^cli nun aiicli das innige "V'eiliältnis , das zwischen ihm und dem Verf.-irser bis dahin ge- waltet hatte, filr mehrere Jahre. Carstens ^vaI liein Freund vom Briefschreibe^i, daher erfuhr IUI}- selten und zuf^illig einer etwas von dem sindein ; doch blieb dessungeachtet ihre Freund- schaft dieselbe. Auch der Verfasser verlies Lübeck bald nachher und ging in andere Ge- genden Deutschlands ; er hau also von den Le- bensumständen des Künstlers v/ärend der nächst- folgendeu secbs Jahre nur die Hauptmcmente Xnittheilen , die er in der Folge , als ein gün- stiges Geschik beide wieder in R.om vereintej aus mündlichen Erziilungen des Kiinstleis ge- sammelt, zum Tlieil auch, nach dem Tode desselben, von einem seiner Freunde in Ber" liu erhalten hat.

Carstens lebte wärend der zwei ersten Jah- re in Berlin ziemlich imbekanf, er Vv^ustesich, wie schon oben gesagt Vv'orden , nicht persön- lich geltend zumachen, und Avolte blos durch seine 'Ai-beiten bekant werden, wozu er so- gleicli keine Gelegenheit fand. Ja er geiieth für eine Zeitlang in so elende Umstände, dass ei- im eigentlichen Sinne auf Brod und Was-

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Ser besclnänlit war, da er lieinen Verdienst als durcli ein paar Zeichenstunden hatte , die ihm schlecht bezalt wurden. Sein schwächli- cher Körper honte sich bei dieser magern Ge- fängnishost nicht aufrecht erhalten; er üel in eine schwere Krankheit, die ihn dem Tode na- he brachte ; doch seine Natur siegte diesmal noch, und er genas wieder. In der Folge er- hielt er öfters Bestellungen für Buchhändler, durch die er seinen Unterhalt nothdüiitig ge- wan. Späterhin trat er auch in maurerisclie Ve] bindungen , die ihm z\var für seinen Zweck Keine w^esentliclien Voitheile brachten, aber ihm doch die Bekantschaft manches wohlwol- lenden Mannes verschaften und ihn in einige Familien einfülirten, deren Umgang ihn der Einsamkeit entriss, nnd das Gefühl seiner be- drängten Lage , wenn auch nicht tilgte , doch milderte.

Er hatte sich vorgesezt, in Berlin keine Porträts zu malen, sondern sich blos als Histo- rienmaler zu zeigen, theils um dadurch nicht aufs neue von seinem IIaupts4;udium zu sehr abgezogeti zu weiden, iheils um alle für ihn nr.chtheiligen "^^ergleicliungen mit andern Kiinstlern, die sich in diesem Fache, das er so Jange nur des Brodes wegen und nie mit Lust

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getrieben hatte, hervortliaten , und besser als er in Ol malten , zu vermeiden. Dagegen war er fest entsclilossen, im historischen Fache, ■v\-ozu er seinen Beruf und seine Fälligkeit kan- te , keinem den Vorzug zu lassen ; und er liar- rete nur auf eine günstige Gelegenheit, wo er sich auf eine ausgezeichnete Art bemerkt machen honte. Diese ergab sich denn auck in der Folge.

Von den Arbeiten, welche Carstens in Ber- lin für Buchhändler gezeichnet hat , sind dem Verfasser ausser den mitologischen Vorstellun- gen von seiner eigenen Erfindung zu Randcrs J\Titologie i die aber durch den Stich verpfuscht worden sind, und ausser den Umrissen, die er zu der Götterlehre von JMoriz nach antiken Steinen dem Holzschneider Unger auf die Stö- cke gezeiclmct hat, die aber auch nachher von Tassasrt in Kupfer geäzt sind, keine bekant geworden. Von diesen lezteren war er nur mit den Ungerscheii Holzschnitten zufrieden, nicht mit Tay^a^rt^chen Nachstichen. Carstens legte auf seine für Buchhändler gemachten Ar- beiten , die , wie er sagte , noch überdies von den Kupfeistechern verhunzt ^vurden , nicht den geringsten Werth, und sie sind fast alle

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ohne seinen Namen gestoclien worden. Über- haupt war das Moderne sein Fach niclit , und das Vignettenwesen verabscheute er als einen elenden Trüdel der Kunst, zu dennurdieNotli ihn zwingen honte«

Zur zweiten Kunstausstellung seit seines Aufenthalts in Berlin , hatte er eine grofse und reiche Komposizion verfertigt, die gegen zwei» hundert Figuren entlüelt , tmd den Sturz der jEvgel voistellte. Er \viililte diesen Gegen- stand , weil er ihm Gelegenheit gab , den Reichthum seiner Fantasie und seine Kunst in der Komposizion zu entfalten; Es war eine frei umrissene, mit Bister lavirte Federzeich- nung, die einen Bogen vom grofsten Format anfüllte, und wiirend der Ausstellung die Auf' inerhsamkeit der Kenner und Künstler vorzüg- lich auf sich zog.

Durch diese Zeichnung, die in der Folge ein reicher Kmistlicbliaber Namens jlleier in Hamburg kaufte, hoffte Carstens seine Auhiali- me und Anstellung bei der Akademie der Kün- ste zu bewirken; nicht dass es ihm um die- se Anstellung selbst zu thun ge%vesen Aväre, denn er liassre schon von Kopenhngen hei- die Kunstakademien, imd hielt sie für zwecklose-

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Anstalten; sondern blos, weil er tLirln ein Mittel sali, seinen gi-oCsen Zweck, den er nie aus dem Gesichte verlor, zu erreiclien. Da nun aucli der Akademie bei dieser Gelegenlieit der Vor-wuif gemacht v/urde , dass sie so viele unufitze Besoldungen und Pensionen eitheile, und einen Künstler von so aussrezeichneten Talenten ohne Unterstützung lasse , so geschah ihm auch Avi^klich der Antiag, eine Lehrstel- le bei der Akademie anzunehmen. Er machte für seine Anstellung zur Bedingung, nicht von dem akademischen Senat oder dem Di- rektorium der Akademie , sondern nur unmit- telbar von dem Kuiator derselben , FreiheiTn von Heinitz, .abzuhängen. Die Akademie hat- te Schwierigkeiten , diese Bedingung einzuge- hen , und er machte sich dadurch die Glieder dei'selben eben nicht zu Freunden, %venn sie auch dem ^linister , der ihn indes näher ken- nen gelernt hatte, nicht misfiel. Entilich wur- den die Scluvierigkeiten hinweggeräumt, oder viölmehr stillschweigend beseitigt , und der Professor TW^oriü.^ , damaliger Sekretär der Aka« demie , der sich bei dieser Gelegenheit als Car- stens Freuud erwies , war Vermittler der Sa- che. Seine Bestallung als Professor bei der Akademie der Künste und mechanischen wissen-

go

Schäften (wie sie sich selbst nennet) wurde ihm unterm 2i. Mai 1790 ausgefertigt; da aber jener Bedingung der Unabhängigheit vom Di- lehtoriuni der Akademie in demselben nicht er- wähnt war, so weigerte sich Carstens, die Bestaüung anzunehmen, und trug sie wieder ,2um Minister zur n eh. Docli nahm er sie end- licli auf die mündliche Versiclierung des Mini- Steis , dass derselbe deshalb mit HJorltz spre- chen, und die Sache seinem Veiiangen gemäs zur Flieh tiglieit bringen werde, so an, wiesle ausgefertigt war. Er glaubte, das Ehrenwort des Ministers hönne ihm genügen. Die Folge dieser Auszieichnung war, dass Carstens die meisten Professoren der Akademie -wider sich hatte, unter denen, nach seiner eigenen Aus- sage, der alte CJiodoiviecki , den er als einen giofsen Künstler in seinem Fache ehite , sich allein immer als Avahier Freund gegen ihn be- ti'a gen hat.

Carstens ^var also nun als Professor der Akademie mit einem Jahrgehdlt von liumlert und fünfzig Thalern angestellt, und erhielt, seinem eigenen Wunsche ^emäs , den Unter- sicht in der Gipsklasse. Er hatte diese ge- wählt, weil er darin mit keinem andern Leh-

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rer in Ziisammenstos kam, und nach seinen eigenen Grundsätzen unterweisen konte. Auch er^vaib er sich bald die Zuneigung seiner Schüler. Im folgenden Jahre ward ihm auf Verwendung des Ministers , der ihm wohl weite, sein Gehalt mit hundert Thalern aus der Akademiekasse vermehrt , wodurch er denn wenigstens vor Mangel und Noth ge- sichert \va]-.

In Berlin fand sich mm Carstens zwarwde- der von manchem treiiichen Werke der Kunst umgeben , und iii der Nahe einer Akademie, wo Kunst gelehrt und getrieben wird, aber er fand doch dort nichts Ne(ies , das so vorzüg- lich ge'vvesen wäre, als %vaserin Kopenhagen, Mantua und Pvlailaud bereits gesehen und sei- nem Geiste angeeignet hatte. Das höhe- re Bedürfnis desselben blieb also auch hier noch immer unbefriedigt. Der Aufenthalt in Berlin konte demnach für Carstens wohl er- munternd, und du3ch seine Folgen für ihn wichtig, aber für seine- fernere Ausbildung nur von geringem Nutzen sein; im Gegentheil muste jedes laiigere Säumen in Berlin dieselbe versp.ueu. Er hatte also ■wohl recht, %venn er aus allen Kräften strebte , sich von dort den

Weg nach Rom zu bahnen , und alles , was sich ihm in Berlin Günstiges darbot, nur als Mittel zu diesem Zweche zu benutzen.

Doch wiihte wärend seines dortigen Auf- cnthalies ein anderes Bildungsmittel wohlthätig auf ihn ; zwar weniger fruchtbar, als der be- geisternde Eindruck treilicher Kunstweike, aber doeli für den hunstfähigen, strebenden Geist höchst wichtig und belehrend: der Um- gang mit denkenden, kentnisreichen Künst- lern, und dasUrtheil eines am Küchsten der Kunst gebildeten und gereiften Geschmackes. Dieser Yortheil %vard ihm in Berlin durch den vertrauten Umgang mit Jen beiden Gebriidern Gsnelli, Baukünstler und Landschaftsmaler, zu Theil. Carstens war bereits dort, als diese beiden Künstler im Jahre 1739 "^'^-^ Born zu- rückkamen. Er war kurz vorher von einem schv.-eien Krankenlager erstanden, als er ihre Bekantschaft machte. Rom, wohin immer seine Wünsche gerichtet, und woher diese Künstler eben zurückgekehrt waren , beförder- te ihre gegenseitige Annäherung. Wie auf ei- ner öden Haide Reisegefährten, die ei« gleicher Weg zusammenführt, schnell vei'traut ^ver- den, so knüpfte auch dort, wo, bei allem

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Tieiben der Kunst, wahre Kunst und der Sinn dafür so selten sind, Gieiclilieit des Zweckes und der Neigung bald das Band inniger Freund- schaft. Der Trieb zu lernen von der einen, so wie das Bedürfnis sich mitzutheilen von der andei-ii Seite, fand in diesem engeren Ver- hältnisse gleiche Befriedigung. Die Kunst war der unerschöpfliche Gegenstand ilirer Unter- haltungen daheim und auf Spaziergv^ngen« Carstens legte seine Erfindungen und Entvv^ür* fe, woran er immer iruclitbar war, deu bei* den Freunden zur Beurtheilung vor ; bei wel- cher Gelegenheit dann alle Theile der Kunst in Lehre undiAusübung öfter und alseitig zur Sprache kamen. Jene Künstler dagegexi theil- ten ihm die Ausbeute ihrer in Italien erAvorbe"- nen Einsichten und Erfalirungen , so wie ihre Urtheile von Werhen mit, die Carstens ent- weder nur dem Namen nach, oder hüchstena aus unzureichenden Abbildungen kante ; und zu den nüthigen Verdeutlichungen war immer ein Stück Kreide und ein Tisch bereit, der dann mit Stellungen, Gewändern, Trachten, Theilen des Körpers etc. bezeichnet wurde» Der Baukünstler Genelli, der über bildende Kunst viel gedacht liatte, selbst ein fertiger Zeichner der menschlichen Gestalt war, und

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seinen Gesclmiük an Jen Weiken der Alten und Fiafaels gebildet hatte , ward auf diese Weise iinserni Carstens vorzü glich nüzlicli. Er berichtigte nianclien seiner Kunstbegriffe, Märte ihm manche Dunkelheit auf, und such- te auch seine Neigung zu allegorisclien Dar- stellungen zu mäfsigen ; aber Carstens konte sich noch niclit sogleich von dieser Lieblingssünde trennen, der er aucli noch in Rom einige Op- fer brachte , bis ihn endlich eine reifere Über- zeugung und Rafaels Voibild ganz wieder auf das wahre Ziel dramatischer Darstellung zu- rück ^vies, von dem er sich in den leztenjah- xen nicht inchr entfejnt hat. Carstens eikante und schäzte den belehrenden Ujngang dieses Freundes so hoch , dass er noch in Hom zu- weilen sagte: alles, was er von der Kunst wisse, verdanke er dem älteren Genelli.

Auch in der Perspektiv, die Carstens bis dahin noch stümperhaft ohne Kentnis der Re- geln übte, "wolte Genelli ihn unterweisen. Vielleicht aber mochte der Unterricht dessel- ben zu gelehrt und wissenschaftlich für ihn sein : sein uu^vissenschaftlicher Kopf konte diese Lehre damals nicht fassen. Erst in Rom lernt« «r diese nothwendige Hülfswissen-

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Schaft der Kunst von seinem Freunde pp'ein- hrenner, der sie ihm auf eine einfachere Art miizutlieilen wüste, so dass er sie nun sehr leicht begrif , und in der Folge jedesmal die Scene seiner Komposizionen vorlier perspek- tivisch aufzeichnete, und auf derselben seine Figiuen , so^vohl nach dem Augpunht, als nach dem Standpunkt derselben im Bilde, richtig anordnen honte. Dadurch erhielten seine Darstellungen nun auch in dieser Hin- sicht die nöthige Wahrheit und Gründlichheit, die ihnen bis dahin oft gemangelt hatte.

Nebenden alten Schriftstellern, deren fleis- siges Lesen so lehneich für seinen Geist war, und von denen er, soviel in Übersetzungen zu haben waren , sich almälich eine kleine Sam- lung zulegte , die er auch in der Folge mit nach Fiom brachte, suchte er zugleich seinen Geschmak an Abgüssen geschnittener Steine zu bilden ; und gew^is "V^'ar dieses- Studium nicht ohne grofsen Nutzen für ihn. Er lei nte ihnen, die schöne Gruppirung einzelne!* Gestalten, die schönen Stellungen ab, die man oft in seinen Komposizionen findet; zugleich war diese Kultur seines Schönheitssinnes das beste VerwaliTungsmittel gegen die gewaltsam ge-

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drehten Stellungen , zu denen das Studium der Werlie des Micliclangc-lo so leicht verleitet. Zur Anschaffung der Übersetzungen alter Schriitsteller wandte er den grosten Tlieil des Geldes an, das er mit Arbeiten für Buch- händler verdiente.

Sein Fjcund Cenelli ward ihm auch noch auf andere Weise für seinen Zweck nüziich, indem er ihm in Berlin eine grofse Arbeit zu- wandte ; die einzige , die urtser Künstler zu machen Gelcgenlieit gefunden hat.

Genelli erhielt nämlich vom INlinister vcn Heinitz d^n Auftrag , ihiv einen Saal in dem von Dö;7'£7/<?schen Hause zu ve3 zieren, und den zur Ausführung tauglichen Maier vorzuschla- gen. Genelli brachte dazu unsern Carstens in Vorschlag,, als den fähigsten, den erkenne, der am besten in seine Ideen eingehen , und auch in seinen Forderungen am billigsten sein •Würde. Der Ministe^: genehmigte die Wahi, und fGenelli najuu mit C-arst^ns die nuthigen Verabredungen vv^cgen der Ausführung des Fla- ues , den er zur Verzierung dieses Sales im Sin- ne halte. In der That war auch die Federung, die Carstens für eine so beträchtliche Arbeit machte, so unvcrhältnifsmäfsig niedrig, dasü

sie,

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sie , nach dem in Beilin für dergleiclien Ar- beiten übliclien Fiifse, -wenigstens sechsmal hoher g-eschäzt %vorden wäre. Aber Carstens foderte ahsichtlicli so -v%-emg, um sich den JMi- nister desto mehr zu verbinden, der auch ein- sah, dass der Künstler mit einer so geringen Eezalung , wovon er kaum vrärend der Arbeit; leben konte, nicht belohnt sei. Er suchte ihnr also seinen Fleis auf andere Weise zu vergel- ten; so z. B. bekam Carstens hdd darauf die eben ervTdhnte Zulage von hunueVt Thalern; ?uch \Tandte iiim der Minister eine Zeichen- •tunde zu bei einer Verwandten, der Frau von W . . . j die sich damals in Berlin auf- hielt und dem Künstler bald so gewogen wurde , dass sie nachlier stets seine nachdrük- lichste Fürsprecherin bei dem Minister war,, lind vrahrscheinlich auch zu seiner späterhin, erfolgten Reise nach Italien thatig mitgewirkt hat. Ausserdem hatte sich Carstens auch da- durch bei dem INIinister in Gunst zu setzen gewust, dass er ihm immer seine neuen Kom- posizionen brachte, und sie dem Urtheile des« selben untervfarf , yvo es denn nie an heund- licher Aufnahme und ermunterndem Lobe fehlte, und wobei Carstens jede günstige Ge»

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legenheit benuzte, um eine Reise nach E.oni in Anregung zu bringen.

Da der Saal im Hause des Marscliall Dor~ ville die beträclitlicliste Arbeit ist, womit der Künstler sich wärend seines Aufenthalts in Berlin zu zeigen Gelegenheit gehabt, und zu- gleich die einzige Arbeit von einigem Umfan- ge, die er im Grofsen ausgeführt hat, so wird eine ausführliche Beschreibung derselben hier nicht unzwechmäfsig sein.

Der Saal hat die Form eines ablängen Viereck^ von 41 Fus zu 24, bei einer Höhe von 14 ; und nur Ein Licht auf einer der klei- neren Seiten, durch ein sogenäntes veneziani- gches , dreiflügeliches Fenster. Der Baukünst- ler lies den Arcliitrav, der den Bogen des Fen- sters stüzt, um alle vier Wände laufen, und durch parweise gestellte Pilaster stützen, die auf ein Podium , so hoch als die Brustlehne des- Fensters , gestellt sind. Jede lange Wand d«s Sales w^urde dadurch in fünf Felder abge- theilt , dreren eines der Kamin des Sales ein- nalim; in den übrigen neun Feldern ^vurde auf dunklem Grunde Komus der Gott des X.^- hensgenusses dargestellt, ungefähr vv^ie FHq- strat üin beschreibt; aber in neun gesteigei-

t«n Momenten , von der Voibereitimg zu sei- nem Tanz, bis zu dem, wo ej- berausclit und Ermüdet einscblmnmert , und gleichsam zum Genius des Todes -wird. lu dem Raum übeir den beiden Tliüien der sclimalen Wand , dera Fenster gegenüber, wurden drei einiaibigo Malereien, weis auf blauem Grunde, nach diei Epigrammen auf den Amor aus der grie- cliischen Antbologie angebracht. Den Kaum über dem .Architrav hatte der Künstler, den un- tern Feldern entsprechend , durch Karyatiden abgetheilt , die den Karnies tragen , und zwi- schen diesen , über jedem der unteren Felder lind dem Spiegel, an der schmaien Seite des Sales den mitleren lunettenförmigen Bogen de? Fensters w^iederholt. In diesen elf lunetten* förmigen Abtheilungen wurden J-pollo , I\Ine- Viosyne und die neun IMust-n in der Ordnung, wie sie vor Herodots Büchern folgen, abge- bildet, auf Sokkeln sitzend, die den Namen derselben mit goldenen Chaiakteren enthalten. In den Feldein über der Thüre behamen ein Greif und ein Sßnx, einfarbig gemalt, ihren Plaz.

Diese Arbeit, obgleich die erste der ArC für ihn, war unserm Künstler vorzüglich wohl ^^elungen: die Zeichnung in einem edien StiJ^,

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äie Stellungen der Figuren gefällig und von sclioner Mannigfaltigkeit, das Kolorit laiifti- gfer und weniger roll als gewölmlicli ; "vvie ihm denn überhaupt in Wasser und Fresko besser, als in Ölfarben zu malen gelang. Die Gewänder sind mit G-eschmach angeordncs lind lassen die Fennen des Nackten sehr gut durchscheinen; aber in den Falten noch 'mei- stens zu kleinlich und ohne schöne Wahl. Auch hatte er, nach seinem eigenen Geständ- nis, damals noch keinen durchgängig be- stimmten Begrif von einem schönen Gewände ; diesen erwarb er erst später in Rom. Vor- Tsüglich gerathen w^ar ihm das Kolorit der Ge- wänder, und die nach dem Einfall des einzi- gen Fensterlichtes angenommene Beleuchtung ; nnd in dieser ganzen Arbeit war weniger frem- der Einflus auf seinen Geschmack sichtbar, als in seinen meisten andern Arbeiten aus jener Periode seiner Bildung- Wegen der Kürze der Zeit, in v/eiclior der Saal fertig sein muste , hatte Carstens sich «einen Bruder zur Mithülfe nach Beilin kom- men lassen. Dieser hat den gröfsien Theil der Karyatiden 'grau in grau gemalt, die aber schlecht gerathen sind; desto schöner sind die

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übrigen Monoclaromen von des Künstlers ei- gener Hand. An diesem Säle, der mit dem, Schlüsse des Jalires 1790 fertig \vurde, arbei-* tete Carstens anhaltend wärend der schlim- men Jahreszeit, in stetem Luftzuge sitzend, und zog sich dadurch ein schweres Augenübel zu, -vVoran er lange zu heilen hatte, und das sich erst in B.om abnälig wieder verlor. Aber ^eine nun etwas gebesserte Lage, und nocl^ melir die Aussicht zu einer Reise nach Italien, die ihm vornehmlich durch diese Arbeit zu- gesichert wurde, erhielten ihm die Munter- keit der Sele ; und das Interesse an seiner Ar- beit lies ihn aller üngemächlichkeiten verges- sen. Ob die hier beschriebenen Gemälde in dem Säle des Dorvilleschen Hauses noch jezC vorhanden sind, ist dem Yeriasser unbekant.

Carstens lies keine Gelegenheit vorbeige- -hen, wo er bei dem INliiüster sein Gesuch» ihm zu einer Reise nach R^om beförderlich zu «ein , erneuern konte ; aber es bedurfte eines vielfältigen Treibens, ehe es ihm gelang, den Minister lebhaft dafür zu interessiren und in Thätigkeit zu setzen. Wahrscheinlich würde er es auch nie dalün gebracht haben, wenn Glicht endlich die Arbeit jenes Sales den IMini-

sttY ZU einer besonderen EjT^entliclil^clt rer- xnoclit liättc. Als Carstens die erste Figur fer- tig gemalt hatte , und der Minister nun das Werk ent teilen sali, kam er einst zuir. Ri'inst- 1er aufs Genwte , sah seiner Arbeit eine Zeit- lang zu , kloplte ihm freundlich auf die Schul- tern, und gab ihm sein EhrenTVOrt, dass et ihn, sobald der Saal fertig sein -würde, dem Könige auf.7 angelegentlichste empfehlen, und i^im dessen Unterstützung 7ur Reise nach Rom auswirken wolle. Dei- Minister hielt ledlick Wort, und lüs^te sein Versprechen bei der Einweihung des Sales , wo die königliche Fa* milie gegenw^ärtig war, und wo er zu jenem Zvvecke auch unsern Künstler eingeladen hat» t€. Er stellte diesen dem Könige persönlicl^ vor , machte ihn auf die Güte der Arbeit auf- merksam , empfahl den Künstler wiegen seiner ausgezeichneten Talente, die er in Rom völ» lig auszubilden wünsche, der besonderen Gna»- de und Unterstützvmg Sr. Majestät, und «hielt ^uch auf der Stelle die mündliche EinwilK- gung des Königs. Carstens fühlte sich in je* nem Augenblicke tausendfach für seine Arbeit belohnt, und glaubte endlich am Ziele seiner Wünsche zu sein. Indes verzögerte sich doci^ die wirkliche EifüUung derselben zu seinen;!

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l^ofsen Verdnisse noch bis ins folgende Jahr, ▼veil die für ihn bestimmte Pension eines von Rom zuiükkelirenden Künstleis, welche 200 Thaler betiug, nicht eher erledigt wurde.

Endlich ward auch dieses Hindernis ge- hoben, und. Carstens tiat nun im Sommer des Jahres 1792, unter günstigeren Zeichen und mit einem zw^ei Jahre lang zu geniessenden Jahrgehalt von 45o Reichsthalern, seine zwei- te Walfarth nach Rom an, wo er auch gegen den Herbst desselben Jahres glüklich anlangte. Sein Bruder blieb , w^iewohl höchst ungern, in Berlin zurüh und besorgte indessen, an des Abwesenden Stelle, den Unterricht in der Gipshlasse. Dies erhellet aus einem Schreiben des IVIinisters von Heinitz an Carstens vom 22. Jun. 1791 , wo es unter andern heist : „so TVürde ich gerne sehen , wenn Sie ihre Reise bis daliin ( bis zur Erledigung jener Pension) aussezten, und wärend dieser Zeit ihren Bru- der noch mehr zustuzten, damit derselbe, in Ihrer Abw^esenheit , Ihre Stelle aUiier desto besser verwalten kann."

Da von ,diesem Bruder unsers Carstens, der ihm so oft die Sorge für seinen Unterhalt erschwerte, und in soferja auch als eines der

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Hindernisse seines Fortliommens anzuseilen ist/ in der Folge nicht weiter die Rede sein ■wird, &o mögen liier, der Volständiglieit we- gen, einige Nacluicliten von demselben einen Piaz linden.

Friedrich Carstens , etwa aclit Jalire jün- ger als Asnius , war nicht ohne Talent nnd strebenden Geist , und möchte leicht unter günstigeren Umständen, wenn auch kein gro- fser, doch ein geschihter Künstler geworden sein ; aber er hatte doch weder den hohen Sinn noch das reiche, schöpferische Talent; auch wo es Sehw^ierigkeiten zu besiegea galt, nicht die moralische Kraft und den unerschüt- terlichen (jleichmuth, die unsern Jsnius in jeder Widerwärtigkeit aufrecht erhielten. Er war -eines jener Halbtalente, die unter begün- stigenden Umständen und richtiger Leitung zuweilen wohl gedeihen, denen aber die an- geborene Kraft und der sicher leitende Trieb fehlt, um sich durch alle Hindernisse glük- iich durchzu^vinden ; die daher unter w^ider- wärtigen Einflüssen leicht eine schiefe Pach- tung annehmen. Sein Bruder Asmus , der ihm Eum Vorbilde diente, stand doch eigentlich zu hoch für ihn , und indem er jenem nach- strebte, verfehlteer, was für ihn erreichbai

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WUT. Was er geliont Iiätte, genügte ihm nicht; und -was ihm genügt hätte, -war über sein Vemaögen. Dies entzweite ihn mit sei- ner Knnst und mit sich selbst, nnd v/arf ihn. in mancherlei schädliche Zerstreuungen. Bei- den Brüdern mangelte Erziehung für die Weit und Bildung fürs Leben in der Sfäre , zu wel- cher die Kunst sie erliob ; sie stieisen also oft da an, wo Gewandtere iaei hiuduichgingen. Indessen drang doch Asmus überall mit seineni geraden treflichen Charakter durch ; dabei hat- te er sich selbst eine innere Bildung gegeben, und eine Welt in seiner Brust erschauen, die ihn unendlich über alle die erhob , welche, bei innerer Leerheit, ihm an aussei er Bildung überlegen w^aren ; und w^enn ihm dieses gleich wenig fürs Leben mit andern nüzte, so war' es ihm desto wichtiger für die Knnst, die al- lein sein -wahres Leben ausmachte. Unter die- sen Umständen %var es natürlich, dass sein Weith selten richtig erkant, dass sein Selbst- gefülil oft harten Prüfungen imterworfen war, werfn er fast überall nichtiges Scheinrerdiensü dem Avahren vorziehen sah. Doch dachte er darum von den ^lensclien und der Welt nicht eben sclilechter; er sah es als den gewöhnli- chen Lauf derselben an, dem mrai sich fügea

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müsse, olme ron ihm sein Glück zu erwiar- ten. Sein Nvidriges Scliiksal machte ihn dar- um auch weder kleinmüthig, noch sein ge- kränhtes Selbstgefühl ihn trotzig. Bei jenem hingegen war unzeitiges Selbstgefühl in mis- verstandenen Dünhel ausgeartet, dessen An- sprüche w^eder vom Glüch noch von den Men- schen anerkant wurden. Dies machte ihn un- gerecht gegen alle, selbst gegen seine Freund« mistrauisch, und erbittert gegen das Schik- sal; ja auch auf seinen Bruder, der ihn bei eigener Armuth mehrere Jahre hindurch erhal- ten , und seinen Müfsiggang nachsichtig ge- duldet hatte, dem er den grüsten Theil seiner Bildung als Künstler verdankte, warf er zu- lezt einen Groll , weil dieser ihn nicht mit sich nach Italien schleppen wolte ; er mied also auch von der Zeit an die Freunde seines Bruders, die dieser in Berlin zurück lies; und da sein geringer Verdienst nicht hinreicht© ilin zu erhalten, so starb er endlich, von al- ler Welt entfreundet und zurückgezogen, im 36ten Jahre seines Alters, im äussersten Eien» de, an der Auszehrung.

Von den Erfindungen unsers Künstlers wä- lend der vier Jahre seines Aufenthalts in Bei>

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litt sind, ans Ä'tangel ausfülivllcliercT Nacli- äicliten von jener Periode seines Lebens, nur die folgenden zu des Verfasser^ Kunde ge- langt :

Der bereits oben erwähnte Sturz der Engel.

Der in Schwertnuth versuiikene ^jax, Tek-^ messa und der kleine Eurysakes ; acquarel- lirte Zeichnung.

Bakchus , der dem Amor aus seiner Schale zu trinken gieht ; wurde in Rom in Le- bensgrofse von ihm in Ol gemalt.

Die drei Parzen , nach dem Buche des Schik- suis das Lehen der Sterblichen spinnend.

Sokrates im Korbe an der Decke schu-ebenii und mit dem Bauer Strepsiades filosoß.' read; nach den PVolken des Aristojanes.

Das Gastmal des Plato , wo Alzibiades den Sokrates krönt; nach Pausanias. Eine dei; schönsten Komposizionen des Künstlers^ wozu er die Idee bereits in Lübeck ge- fasst und entworfen hatte.

Oedipus von den Furien gequält; nach So- fokles. Blofser Umris auf einer ziini Ol- i»alen zubereiteten Holztafel ; ebcufaJs ei-

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ne der besten Komposizionen aus dieser Periode.

Besuch der Argonauten hei dem Kentauren Chiron i wo Chiron und Orfeus im Gesän- ge wetteifern. Dies war die lezte Rom- posizion des Künstlers in Berlin.

Aufser diesen Arbeiten verfertigte Carstens auch eine in Bister ausgeführte Zeichnung von der Schlacht hei Hoshach , vi^elche die Akade- mie für aoo Fithlr. kaufte, uiu sie stechen zu lassen, wo er dann, nach wirklicher Vollen- dung des Stiches , noch loo Rthlr. erhalten solte. Beides ist jedoch nicht erfolgt. Ein Kenner, der diese Zeichnung gesehen, urtheil- te davon, dass sie, mit andern Aibeiten des Künstlers A-erglichen , unbedeutend sei; wel- ches um so leichter zu glauben ist, als das Moderne aufs erhalb seines Kreises lag. Wahr- Bcheinlich hatte ihn zu der Walil dieses Stof- fes auch blos die Auffoderung der xikademie an die Künstler , Gegenstände dej- braudenbur- gischen Geschichte zu behandeln, vermocht. Auch verfertigte er, als Mitbe\veiber zu der im Frühjahr 1792 angesezten Konkurrenz ein ^IVIodeU zu einem Standhilde Friedrichs IL zu ]Pjerde. Derselbe Kenner urtheilte darüberj

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dass sein Modell unter den aufgestellten zwar das beste , aber docli nur ein niittelmäfsiges Werk gewesen sei ; doch liabe der Künstler daiin gezeigt, dass er mechanisch eben so fertig mit dem I^Iodellirbeine als mit dem Giif- fel umzugehen Vvuste. Diese Fertigheit im INIodelliren hatte der lulnstler in Kopenhagen erworben, wo er zu seiner Übung, und- mit jungen Bildhauern zur Wette, veischiedene Figuren in Wachs und Thon modelLirt hatte; und sie war ihm für seine Darsteiiungen von grofsem Vortheile ; denn er erwai b sich da- durch eine volkomnere Anschauung des Pain- dcn; und ^vo er sich aus Mvingel perspehtivi- sclier und optischer Keiitnis nicht zu ratlien >vuste, da modelliite er die Figur. Dies that er auch späterliin noch zu-weilen.

So hatte nun Carstens unter den ungün- stigsten äusseren Veihältnissen, mit denen er von Jugend auf zu kämpfen hatte , troz allen Hindernissen, die ihn immer von seinem Zie- le zu entfernen suchten , und mit einem 'sie- clien Körper, der ihn oft Wochen und IVIona- te lang aufs Lager warf, durch unermüdetes Streben und Fangen , nicht nur alle jene Hin- dernisse endlich siegrf.'ich. überwunden, scn-

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clein auch in seiner Aasbildung als Künstler die Stufe erreicht, die er in Deutchland er- Teiclien honte. Nur ein Verlust war unter solchen Schiksalen unvermeidlich und uner- sezlich, der Yerlust der besten Jahre seines Lebens, und die davon unzertrenliche Ver- säumnis dei- hinreichenden Übung im Malen, die in späteren Jahren nicht wieder nachzuho- len war. Er selbst fühlte dies nur alzuwolil, •wie er überhaupt seine Mängel eben so rich- tig erhante, als seine Vorzüge; und da er auf kein langes Leben rechnen durfte, so eilte et zu retten, was noch zu retten Avar, und zu eneichen was sich nach einer solchen Veispä- tung noch eaTeichen lies. Er war acht und dreifsig Jahre alt , als er nach Italien ging.

Sein dortiger Aufenthalt soke zwar nur twei Jahre dauern ; der Nutzen davon wüj de also sehr beschränkt gewesen sein ; aber er hoffte, Avenn er nur einmal in Rom sei, ent- weder eine Verlängerung seiner Pension zu er- halten , oder wenn ihm das nicht gelänge, durch eigenen Fleis Mittel zu finden , um sei- nen Aufenthalt daselbst zu verlängern, und möglich für immer zu behaupten. Auch die- sen Plan, dem sic^i in der Folge grofse Schwie-

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rigiÄciten entgegnen stellten, sezte er zulez^ mit seinem ausliairendem Mutlie glüklicli durch.

Damit es nicht den Anschein habe, dass die Behauptung , Carstens habe in Deutsch- land als Künstler nichts mehr lernen können anmafsend sei, so wollen Avir diesen Punkt noch etwas genauer beleuchten. Im liolorit und im Ölmalen war er freilich damals noch sehr zuiük; w^ean man also auch zugeben wol- te , er hätte beides in Berlin noch besser ler- nen können , obgleich schwer zu sagen sein dürfte von wein, oder nach welchen Zvlustern ; da geschikt Malen und gut Koloriren z-svei wesentlich verschiedene Dinge sind; so war «r doch uiiter seinen damaligen Umstanden aufser Stande, diesen Theil der Kunst do3t zu üben ; dazu hätte es wenigstens für einige Jahre einer sorgenfreien Lage bedurft, um die nöthigen Studien zu machen, und einige sei- ner Komposizionen als Gemälde auszuführen ; woran aber dort nicht zu denken war. Dafür war unser Künstler in Erfindung und Kompo- sizion schon vortreflich zu nennen, wie meh- rere seiner in Berlin verfertigten Komposizio- nen bew^eisen, obwohl er auch darin sich in Italien noch sehr j^ebessert hau In ditscjii

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wicliiigen Theile <ler Kunst, der den nieislou

so scliv^er gelin^^t, hatte Carstens seine eigent- iiclie Stärke. Durch beständige Lbung hatte er sein glilkliches Talent zur Erfindung zu ei- ner groisen und sicheren Fertigkeit ausgebil- det ; denn sein ganzes 1 reiben der Kunst war wenig mein* als ein stetes Erfinden und Koni- poniren gewesen. Auch im Stil der Zcicli- iiung besas er unstieitig einen reineren Ge- schmak, als irgend jemand unter den damali- gen Künstlern, nicht blos Berlins, sondern Deutschlands ; und was ihm , für die Ausbil- dung des grofsen Stils , in dem er arbeitete, noch gebrach , das konte er nur im Angeeicli- te der Antiken und Rafaels erlangen. Au den- selben Mustern konte er auch nur den reinen und schönen Stil des Gewandwuifes und der Falten studiren, den er gleichfals noch nicht o-chörig ausgebildet hatte. Er miiste , zur vOl- li^^en Entfaltung seines Geistes , zur völligen B-einigung und Ausründung seines Gesclimaks, nun noch die Melster%verke selbst im Grofsen. sehen und studiien, die er so lange nur in schlechten Abbildungen gekaut hatte ; so wie der Baukünstler nur durch den Anblik der al- ten Tempel zu Paestum , ^grigent, Segest u»d Athen» der Landschaftmaler nur aus der

italie-

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italienischen Natur selbst nicht aus Kupferwer- ken und Prospekten den ^vallren begeisterndeu Eiudruk ihrer eigenthiiniliclien Grüfee und Schönheit erhalten kan. Ein Künstler, der so eiiistlich wie Carstens nach dem Höchsten strebte , konte auch nur von dem Höclisten lernen. Wie mächtig und entschieden a,ber die eigene Anschauung der Werke liafacls , ]VU- chelangelo's und einiger Antiken von höchster Schönheit auf seine Einbildungskraft w^irkte; l/vie aufFallend seine eiste löniische Arbeit von der lezten berlini^chen absticht, -sverden. wir in der folgenden Periode seines Kunstle- bens in Ftom sehen. Wir folgen nun dem Künstler nach Italien,

Carstens verlies ini junius des Jaines 1793 Berlin , in Gesellschaft des Architekten IVeln- hremier aus Carlsruh, nnd des Malers Cahot aus Kopenhagen, die beide gleichi.ils nach Rom gingen. Sie nahmen ihren We^ über Dresden und Nürnberg. In Dresden sah Car^ stens die dort aufgehäuften Schatze der Kunst, welche dem deutschen Künstler zu einer nüz- lichen Vorschule dienen, und besuclite auch den damaligen Direktor der Akademie Casaiio- ifUt der ihn mit einer vornehmen JQirektor-

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miene empfinge die jedocli ilim , der den Künstler nur nacli seineu Werken schäzte, eben so wenig Ehrfurcht einfloste , als die Ar- beiten desselben. Unter den Produhten neue- rer Künstler, die er in Diesden zuerst sah, war seine Aufmerksamheit vornehmlich auf IMengsens Werke gerichtet , den er bis dahin nur aus seinem algemeinen Rufe kante. Aber sie machten keinen Eindruk'auf ihn ; er fand sie unter seiner Erwartung und dem grofsen Namen dieses Künstlers nicht entsprechend. Doch lies er dem grofsen Altargemälde dessel- ben die Gerechtigkeit widerfahren, dass es ein verdienstvolles , meistCDliaft gemaltes Bild sei. Weil Carstens in den Werken des Mengs ge- rade das vermisste, was er, als das Wesentli- che der Kunst, am höchsten schäzte, und oh- ne welches er sich durchaus keinen grofsen Künstler denken konte : Poesie der Erfindung, kräftig schönen Stil, aus der Natur des Inhalts geschöpfte Motive , bedeutende Gestalten, le- bendige Bewegung , ausdrucksvolles Handeln und schöne Einheit des Ganzen ; hingegen blos das in seinen Werken fand,, was er, auch in hoher Vollkommenheit, nur als das Unterge- ordnete ansah , welches ohne das Höhere we- nig Wcfth für ihn hatte ; so konte er nie.

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und auch naclilierin Rom nlclit, wo erdessen Werke iu der Hirclie S. Eusehio , in der Villa Alhaniy und in der Camera de"" ■papiri im Vatikan sali, eine grofse Meinung von Men^s fassen. Er fand ihn nur gros in Vergleicliung mit den jMalern der Zeit, wo jyjengs gelebt hatte, und achtungiwerth durch sein ernftes redliches Streben. Carstens hatte überhaupt eine gewisse Antipatliie gegen die Werke des Jl'Iejigs , zo wie dieser sie gegen die Weike ß'Iichelangelo^s gehabt hatte; und bei beiden Lig sie in der entgegenge.'ezten Grund- stimmung ihres ästhetischen Gefühls, die ^ll6 Kultrir nicht ganz zu tilgen vermag ; es -war vornehmlich die Karakterlosigkeit und Kälte der Mengsischen Maleieien , die ihm vs'icer- stand. Er pflegte zu sagen, IVIeiigs sei ein sehr geschikter Maler, der alles gelernt habe, %vas sich von der Kunst lernen läfst ; aber man sehe es allen seinen Werken an, dass er in seiner Jugend zur Kunst geprügelt -wor- den sei, und nie aus eigenem Triebe Künst- ler geworden wäre.

In Nürnherg erfreueten ihn , durch ihre ehrwürdige Einfalt und altdeutsche P».edlich- keit s die Werke Alhrecht Dürers , für der» et

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stets eine innige Verelining liegle , \n\ä den ev nacli IVIicJielangelo und ila/ßeZ für ^as giörste Kunstgenie der Neuern hielt.

In Florenz trennte sicli Carstens von seineil B.eisegefälirten , um sich einen Monat lang dort aufzulialten, und die herrlichen Runstschätze, die es in so grofser Menge besizt , näher ken- nen zu lerneiiv Er fand hier Nahrung die Fül- le für seinen Geist, und bekani einen würdi- gen Vojgeschniah von dem, was ihn in Rom erwartete. Die Werke der alten Florentiner vor Michelangelo und R.afael, des Ghihertit JVLasaccio , Gldrlandajo u. a. , die ihm bis da* hin noch unbekant %varen, zogen ihn ganz be- sonders an durch ihre kunstlose, gemüihvoUe Einfalt und Wahiheit, und er sch.izte sie un- endlicli höher als die kuustgelehrtcn Werke der späteren Florentinischen Schule nöc/i ilZi* cJielangelo , die keine i-pur jener Vorzüge mehr hat; und so sehr ihn auch immer die originel- le Gj'osheit ihres Stifters hinris , so konte er doch an der Manier der Nachahmer desselben, eines Vasari , Salviati , BroKzino u. n. t kein© Freude finden.

Aus den Bildwerken Michelangelo'' s in der fiapelle dtt' dajyositi der Xiiiche »S. Lor en*^

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z o spracli ihn zuerst der erhabene Geist dieses Künstlers in seiner eigenen Gestalt nnd aus sei- nen eigenen Werken an ; er sah diese ausseror- dentlichen Gebilde der neueren Kunst, deren Grufse von der Grüfse der Antiken so auffal- lend verschieden ist, oft, und zeichnete sich zum Andenken eine der liegenden Figuren. 'Doch blieb er auch unter so vielen Genüssen nicht ganz unthätig; im Gegentheil regten sie seine hervorbringende Bildkrafi nur desto star- ker auf. Er entwarf Vv'ärend seines dortigen Aufenthalts eine reiche Komposizion , die Schlacht der Kentauren ufid JLapitJien in ge- wischter Rüthehnani^r darstellend, die sich noch xinter seinem Nachlasse befindet, und als Übergang zur folgenden Periode seiner Bildung merkwürdig ist. Man möchte sagen , dafs der kurze Aufenthalt in Florenz schon sichtbar auf ihn gewirkt habe; denn der Stil in dieser Kom- posizion ist freier und schöner , als in der Zeichnung von den Argonauten.

Die nächste Veranlassung zu derseibengab ihm ein yon Ftonr zurükkeln'ender deutscher Künstler, dessen Bekantscliaft er in Florenz 3uachte, imd der sich ein tüchtiger Kg^mponi- jer au sein dünkte, wofür er auch in Pvora

unte^" seinen Landsleuten gegolten hatte. Bei- de kamen bald tiefer ins KunstgespräcK ; bei welcher Gelegenheit denn jener ihm erzälte, wie man in Piom zu homponiren pllege, wel- clien Apparat von Thonmodellen und Wachs- figuren und Gliedermiinnernund Beleuchtungs- tasten etc. man dazu brauche, und wie grofse Vojtheile diese von den Fianzosen eingeführte Methode gewäre. Carstens behauptete dage- gen, das sei eine erbärmliche ahademisdhe Er- findung zum Notlibehelf für Leut? , die hein Talent hätten , und doch der Natur zum Troz Historienmaler werden solten ; man müsse sei- iie liomposizionen ira Kopfe fertig machen, W^o siclis leichter hin und ]ier scliieben hisse, als im Puppenhasten ; vv^er seine Bilder nicht im Kopfe erfinde , der werde nie ein gescheites Werk zu Stande bringen, und wer dazu tau- ge, der könne alles solchen Rüstzeuges ent- behren. Jener, der nur dre übliche Kompo- nirmethode kante , fand die Foderung, dass der Künstler alles im Kopf haben solle, etwas nbertriebeir, und meinte, das Uefse sich leich- ter sagen als thun; er möchte ^.vohl Jen sehen, der eine Komposizion von vielen Figuren, oh- ne alle Hüifsmittel, blos nach der Vorstellung, «uwühre. Carstens sagte ihm darauf ; der An-

blik so vieler Kunstwerke habe ihm ohneliin schon Lust gemacht, etwas Eigenes zu erfin- den, und da er bereits seit einiger Zeit ein Tlicma dazu im Kopfe habe, so lade er ihn ein, am folgenden Morgen zu ihm zu kom- men, wo er seine Komposizion aufzeichnen •»volle. Der Fremde kam , und Carstens ent- warf nun an dem und den folgenden Tagen, in seiner Gegenwart, jene reiche , aus mehre- ren Gruppen und vielen Figuren bestehende Komposizion , und zeichnete sie sogleich in dem ersten Entwurf© aus , ohne sie auf ein an- deres Papier überzutragen ; %vorauf jener ihm versicherte: Er habe freilich das Versprochen« geleistet, aber das sei nicht eines Jeden Sache; und er würde in Rom keinen Künstler finden, der auf seine Art komponire.

Im September des Jahres 1792 kam unser Künstler endlich in P*.om an , wo er, ausser feinen Iveisegefährten , auch seinen alten Freund , den Bildhauer Busch aus Meklenburg- Schwerin, wiederfand, der bereits neun Jahre in Fcom zugebracht hatte , und durch seine ge- naue Kentnis des Ortlichen und L Diichen dem neuen Aiikonilinge sein- nüzlich wai J,

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Wojiin Carstens' seine ersten Gänge mach- te , last sich leiclit errathen. Sein eigentliches Pvom schlos der Yntilian ein. Alles Grofsennd Trefliclie alter und neuer Kunst, was sonst noch i'enen Sitz der Künste schmüht, war für ihn gleichsam nur die Glorie, die diesen Lichtpunkt umflos.

Der erste Eindruck , den er in der Sixtini- schen Kapelle empfing , wo der Schöpfergeist JVLichelangeJo's in seiner ganzen Erhabenlieit waltet, war, w^ie man sichs bei seiner Em- pfänglichkeit nir Gröfse liberhaupt, und vor- züglich fiir die eigenthüniliche Gröfse jenes Künstlers, der schon so lange sein Voibild ge- wesen war, vorstellen kann. Er fand diese Werke liber sein E]"vvarten ; nicht in der Grö- fse des Stils oder dea' Kraft des Ausdrucks ; denn da liatte e]' das Höchste erwartet , darin leisteten sie ihm blos Genügen ; sondern in der Malerei, besonders in ^en Darstellungen, der Deche , die er besser gemalt und kolorirt fand, als er dejn Uli chel an gelo ZYigetYPiMt hätte, \'on dessen Kolorit er immer viel Böses gehört hatte. T}(iS jü77gste Gericht fand er, besonders in der imtern H.ilfte, .herbe und ivifreiindlich, aber doch nicht so trocken und hölzern kolo-

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liit, als er sicli nacli dem hart lunrissenen Hupfeisticlie des Georg Mantiianus ^ des einzi- gen erträgliclien , den nian bis jczt von diesem Werke hat , *) vorgest'ellt hätte. Im Stile der Zeichnung schiizte er die Malereien an derDe- the hoher als das jiingste Gericht, das einen uaerschopfiiciien Fveichthum von Wissenschaft und £:roise Schünhciten in einzelnen treflichen

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Gruppen enthält , -aber als nialerischo Honipo- sizion kein schönes, mit Einem Blick zu um- fassendes. Ganzes ausmacht, obgleich Plan und Zusammenhang im Gedanken und der Anord', nu7ig nicht zu verkennen sind.

Bei Rafael war es iiim ganz anders , als er zuerst die Stanzen und Logen besuchte. Ihn hatte er sich gerade so gedacht, %vie er ihn fand. Freundlich wie ein ^Iter Behauter er- schien ihm derselbe, und er empfand ganz die hohe Heiterkeit und R.uhe, die dieser göttlich© Genius über alle seine Werke ergossen hat. Der Anblik von Rafaels Freskogemäiden -w^ar

*) Vielleicht ist jezt auch der p^rofie, aus elf Folio« platten bestehende, Stich des Kwp^erstecher Metz, eines iu Eiigiand zum Künstler gebildeten Deut- schen, vollendet

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woliltliiitig fiir sein GefüKl und seinen Schön- heitssinn, der sicli unter den drückenden Ver- hältnissen eines kummervollen Lebens , und im Steten K'^mpfe mit widrigen Scliiksalen, nur wenig hatte regen, nie mit Fieilieit entfalten können. JVHcJielangelo wirkte ^vie ein gewal- tiger Riesengeist , der jedes Selbstgefühl zer- nichtet, und zu dem man nur mit Ehrfurcht hinaufblicken dari , spannend auf seine Fanta- sie; Rafael kam ihm traulich mit menschli- chen Gefühlen als Fjeund entgegen. Er fühl- te sich beiden gleich tief untergeordnet ; aber ß-'Iichelangelo^s kühne furchtbare Hoheit war nicdejschlagcnd, Rafaels edle heitere Gröfse w^ar aufmunternd für ihn. Jener zog ihn an wie der Magnet das Eisen, unwid eis teh lieh durch die Päesenkraft seines plastischen Genies ; dieser, wie ein hoher liebender Genius den verwandten befreundeten Geist anzieht. Jener war in seiner Eigentliiimlichkeit eben so un- erreichbar als gefährlicji für ihn ; diesem, wenn gleich nicht weniger unerreichbaren, durfte er doch mit Vertrauen folgen. Von je- nem kehrte er immer voll Bewunderung und leidenschaftlich gespannt, oft mit scharfen aber w^ohlthätigen Lekzionen für seine Unwis- senlieit in der gründlicheren Rentnis des Jiör-

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per», zurucK; von diesem immer belehrt, er- m.'.ntert, zur Tliätirlieit gestimir.t, und auf seiaen Fort^cliritt zum Besseren vertrauend. Jener war, nach dem eigenen Ausdrucke de« liilustlers, ein strenger Lehrmeister, der ihn. bei jeder Lehziou mit der Nase auf die Gram- matik sties ; dieser ein freundlicher Mentor, der ihn unaufhorlic^i auf die Natur hinwies, luid ihm zeigte , wie er sie studiren solle.

Das ungefalir waren die Empfindungen und Gedanken, die sich, bei öfterer Betrachtung und genauerer Kentnis beider ?vleister, aus den Eindrücken ilirer Werke auf sein Gemüth er- zeugten imd die TJaximen begründeten, die ihn bei dem fortgesezten Studiiun derselben leiteten ; wovon wir liier das Bemerkenswer- tlie sogleich mit anführen v/ollen, um in der Folge denselben Gegenstand nicht noch einmal berühren zu dürfen.

In der ersten Zeit besuclite Ca?-^t<?n,j den Va- tikan so oft, bis er die \Verke beider Künst- ler hinlänglich kennen gelernt, und seine Neu- gier völlig bcfiiedigt hatte. In der Folge ging er gewöhnlich alle Wocbc einmal morgens in den Vatikan , wo er aliein und ungestört der aufnTCiksamen Betrachtung derselben einig©

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Stunden widmete, und die Resultate dieses Studiums dann in seinen eigenen Arbeiten an- zuwenden suclite. Er verrichtete dort im ei- gentlichen Sinne seine religiöse Andacht vor höheien Geistern , und sah es ungern , wenn er von zudringlichen Plauderern darin ge- 6turt v/urde.

Da er nun auch das Wesen und den eierent-

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liehen Zweck seiner Kunst immer wahrer er- tante und einsehen lernte, dass üa/a^^Z gerader und zuverläfsiger auf denselben hinweise als ß^IicJielangelo , den er nur für das gründliche Verständnis der Formen , und für das höhere Feld der plasüschen Simbolik, welche grofse und charaktc] volle, durch sich selbst bedeu- tende , selbständige Idealbildungen fodert, als ein erhabenes Vojbild erh;mte ; -wo hingegen Tiajacl im eigentlichsten Gebiete seiner Kunst, in der dramatischen Darstellung einer aus sich selbst motivirten , in sich selbst geschlossenen, sich durch sich selbst erhiärenden Kandiunir, ihm das höchste, einzig der Nachfolge würdi- ge Muster schien : so ward ihm Fiafael cnd- licli der wichtigere, klassischere von beiden. Dabei fühlte er z;igleich auch die Nothwcn- digkeit, seineu überwiegenden Hang ztuuldea-

len und Grofsen auf das gehörige Verluütnis mit Schonlieit und Natur lierabzustiuimen, lind die Allegorie nicht mehr als einen Kunst* zweck, sondern nur als ein Hülfsmittel zur anschaulichen Darstellung einer tdee in den FaiLen .-inzusehen, wo der unmittelbare Aus- druck natürlicher ^Zeichen nicht hinreicht. Zu dieser Überzeugung brachten ihnTornehm« lieh Rajaels Werke. Er äusserte mehr als ein- mal, dass JMichelano^elo's Werke so spannend auf seinen Geiit Avirkten, dass er unmittelbar nachher nicht iu die Stanzen zxi h.afaal gehen konte , ohne eine gewisse Verstimmung 211 fühlen , die ihn unfähig niachte , sie mit der gewohnten Lust zu sehen. Es ging ihm hier- in wie dem Landschaf tinalcr Hess von Zürch, der an die machtigen Eindrücke der grofsen und küimen Alpennatur ge-w^Ohnt v\v.r , und als er sich unmittelbar aus ihr in die heiteren, schonen Gegenden des mittlem Italiens vei- sezt.sah, diesen anfangs keinen Geschmack ab* gewinnen konte.

Unter allen antiken Bild^verken , die Car* Stens in Fi.om kennen lernte , machten keine so grofsen Eindruck auf ihn , als die sogenauteu a&lQisen auf dem (puhinalischen Hügel , beson-

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ders der scliönere von beiden , den die alte In- schrift am Fuägcstelle ein Werk des Phidias jienut. Er sezte diesen über alle Antilven, selbst über den Vatiknnisclien Apollo , weil er nirgends so viel liraftvolle GruLe, Scliönlieit lind hohe Reinheit des Stils vereint fand, als in diesem vollkommensten Heroenideale; und er ging niclit leicht über Jil ont e C avallo , ohne eine Weile vor diesen bewundejiiS''.vür- digen Weihen stehen zu bleiben. Auch zeigte sich dieser Eindruck auf seine Fantasie auffal- lend in seiner ersten römischen Arbeit, von der ^veiter unten die Rede sein v/ird.

Carstens besuchte bald nach seiner Ankunft auch die Werkstätten der bekantesten, damals in pLom lebenden fremden und einheimischen Künstler, um die Erzeugnisse der Gegenwart, and seine mitrtrebenden Genossen in der Kunst, näher kennen zu leinen. Von deutschen Künstlern seines Faches befanden sich de3zeic iu Rom nur Angelika Kaufmann , der Maler iVLüUer y mit dem er durch Busclt nähere Be- kantschaft machte, ScJimiJt aus Darmstadt, der sich gegenwäatig in Neapel aufliält, und ■Rehherg , der als Professor der -Beiliner Akade- mie seit mehreren Jähren in Pvom lebte undbe-

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auftragt war, über die von der Aliademie dorthin gesandten jungen KünEtler eine Art von Aufsiclit zu füluen, ilue Studien erforderr liehen Falles zu leiten, ihre Arbeiten nnclizu- selien , und darüber, so wie über Fleis uuii Aufführung dej-selben, zu berichten. Es schien als ob die Akademie diesen Auftrag nicht blos auf ihre jungen Z(*glinge , die einer solchen Aufsicht und Führung in Rom noch w^olii be- dürftig sein können, eiiiichränken, sondern auch ältere Künstler, die von ihr dorthin ge- sendet wurden, dieser Masregel unterwerien W^olte. Dies bewirkte bald zwischen Carstens und ReJiberg ein gespanntes Veihiiltni:, Cai' sens glaubte keines Aufsehers zu bedürfen, und hatte wohl Recht, so zu glauben. Rehherg hingegen meinte , seine Obliegenheit auch ait ilim erfüllen zu müssen ; vielleicht war er so- gar vom Minister selbst dazu beauftragt. Aber Carstens suchte ihm dieselbe dadurch zvi er- schweren, dass er sich allem Umgange und al- ler nähern Bekantschaft mit ihm entzog. Er Wolte auch in Pt-om von der Akadem.ie völlig Unabhängig sein, imd selbst von sich das Nü- thige an den Minister berichten. Da ^veiter unten von den Verhältnissen un ers Fiünstlers mit der Berliner Akademie und dem Kurator

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derselben noch ölter die Rede sein wird, so- war liier die voiiiiufige Andeutung desselben nicht ganz zu übergehen.

Von den Tranzosen befanden sich um 1792 noch mehrere geschihte Zugiinge der David- sehen Schhle in R-om , als Gagjieraux , Fahre, des Tvlarees i Jjlanchard; und Berge/- der Savo- Jarde , der aber nicht zu ihr geholte. Unicr den Engländein zeichnete sich vorzüglich Durno aus ; Hamilton malte in seinem holien Alter nicht mehr. Unter den Italienein mach- ten damals Cades , Lundi, und vornehmlich Cav-allucci das meiste Aufsehen ; die alteren Akademiker von S. Luha vs inden wenig mclir geachtet; Benvenutimxdi Camoccini, die gegen- wärtig blühen, waren damals noch nicht be- kant. Aus d.ei\ Weihen dieser Künstler konto man den damaligen Zustand der Historienma- lerei in Fcöm so ziemlich übersehen, CarsUn: sah sie nnd "vvard wenig davon erbauet; er fand unter allen nicht einen einzigen Gefälu- ten auf seinem Wege, nnd fürchtete, dass er Piich in R.oin Averde eben so idlein wandehi müssen, als er vorhin gew/mclelt hati?e ; doch lies er sich dadurch nicht irre machen, und obwolü er den Widerstreit voj her sali, den er

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bei seinen Kunstgenossen en'egen würde , so liofte er docli aiicli in dem Sitze der Künste lind des Gescliruacks Henner zu linden , die ihm Gerechtigkeit -widerfahren liefsen. Lber- lisupt^ hatte er den Grundsaz : ein Künstler dem es mit seiner Kunst Ernst sei, und dei' nach w^ahrem Failime strebe, müsse sich nie nach dem Gesclimach seiner Zeit ricliten, son- dern seiner Überzeugung und den klassischen Mustern folgen, wenn er auch das Unglück licitte von seinen Zeitgenossen verhaut zu wer- den. Carstens betrog sich wedei- in der einen Erwartung , noch in der andern ; er fand Nei- der und Schi.tzer seines Verdienstes, Wieder- sacher und Freunde seiner Grundsätze und sei- nes Gesclunacks ; doch davon in der Folge, und hier nur noch Einiges über seinen Em» pfang unter den Landsleuten, die er in Fcom vorfand.

Die wenigen Berühningspunhte , die der Deutsche und Italiener für einandfer haben, und die Übereinstimmung jener in Sprache, Sitten und Zweck, machen dass die meisten der in Rom lebenden deutschen Künstler un- ter sich eine enggeschlossene Landsmannschaft bilden, und sich, der dortigen Lebensweise gemäs, täglich in einem eigenen Speise- luid 9

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Kaffchause versammeln , also aucli fast täglicli einander seilen und spieclien. Nur wenige, meistens allere Künstler, die schon viele Jah- re in Rom gelebt , die dort eigene Familien- veihäknisse , oder näheien Umgang mit Ita- lienern , oder sonst eine Ursache liaben sich abzusondern, machen davon eine Ausnahme. So leben die Deutschen sowohl, als die Künst- ler andeier Nazionen ; jede für sich. Ein neuer Ankümling , der gewöniich schon ir- gend einen früheren Bekanten in ,F».orn hndet, ■wird also dort sogleich mit den meioitu Landsleuten behaut; da aber deren immer nur eine gelinge Zahl ist, so leinen sie in dem täglichen Beisammensein einander bald^ aus- wendig, und wie verschieden sie auch sonst durch Heimat, Religion, Gesinnung und Sitte nach den verschiedenen Gegenden. Deutsclilands sein mögen, so nehmen doch ilire Kunstansichten, ihre Urtheile, und ihr gesellsciiaftiicher Ton bald eine gewisse Gleich- förinigkeit an, die sich fortwährend eihält, lind der sich jeder Hinzuhonnuonde almälicli anschliefst. Doit wird bald jeder Dünkel, je- de Pedanterie abgelegt; kein Professorstolz darf da seine Anmalsungen laut weiden lassen. Vüilige Gleichheit, imd gröste Freimüthigkeit

ohne Pvüclisiclit in Knnstiirtlieileii sind der Geist dieser freien Künstler - Piepublik, die ?ber .uicli , gleich andein R.epnbliken, oft in. Faiteien getlieilt ist, welche einander durch luigei echte Urtheile bekämpfen und befeinden. Nachtheiliger jedoch als diese, ist der unter dem grofsen Haufen der Künstler waltende i^unft- und Ilandwerksgeist , Welcher in dem ]Ma:i<jel an Geistesbildung seinen Grund h.\t. ]Mit den un\vürdigen Begriffen von Kunst, und dem Dünkel , die diesem Geiste eigen sind, ist gewönlich auch eine gewisse Ptoheit und Gemeinheit der Sitten vergesellscliaiter, die nicht nur selbst alle Bildung verschmähet, sondern a; cli das Streben Anderer, Avelche sich dem herschenden Zunft- und Ilandwerks- gciste nicht fügen wollen, anfeindet und ver* spottet. Dieser unlobiiche Ton in Kunst und Sitte, der zur Zeit, ;tis Carstens nach Roni kam, dort noch ziemlich im Schwanke -wai-, ehe die Revoluzion die meisten der dort leben- den Künstler versclieuchte, hat sich in den lezten Jahren merklich gebessert, so dass die, welche damals zur i>Iajorität gehörten, jezt nur noch als Ausnamen zu be4:rachten sind ; und der Vorwurf, den man sonst den mei« «en deutschen Künstlern mit Recht machfta

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iontc , dass es ilinen ah Erziehung und nötiii- ger Bildung mangele , iiiag^ vielleiclit jezt nur nocli die kleinere Zahl treffen.

In einem so engen und gleichgestimmten Kreise ist natiirlich die Aufmerksamkeit auf den neuen Ankömling tan so stärker, als dar- in jede freYnde Eigenthümlichkeit und Beson- derheit um SU auffallender absiiclit.

Carstens war ganz dazu geeignet, die Auf*- merksamkeit seiner römischen Landsleute auf sich zti heften. Sein schliclites , unansehnli- ches Äusseres, das aber doch einen besondc' ren Schnitt hatte ; freine natäiliche Geradheit, di« immer sprach wie sie dachte; seine dmth- aus eigenen Ansichten der Kunst ; seine frei- müthigen, und v/o es ein herschendes Vorur- tlieii zu bekämpfen galt, oft selir deiben und schneidenden Ürtheile; seine sarkastische V«/v- spottung alles akademischen K unstschlendrians ; dabei seine Unbekantschaft mit allem, was in der Geselschaft als herküniiich und angenoju-* nien gilt, und die Kontraste einer für das Le- ben völlig vernachlässigten, und blos auf die Kunst gerichteten Bildung, waren in dieser Vereinigung eine zu sonderbare Erscheinung, als dass man sobald mit üir hatte fertig wer«

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den können. Indes würde seine blofse Indivi- du.'ilität, so scltsp.m sie sein moclite, wie jede ?-ndere Sondcibarkeit , bald den Heiz der Neu- heit verloren haben, wenn nicht seirce, den gangbaren Meinungen über Kunst, meistens v/i- «iersprecheriden Äusserungen , vereint mit dem * imgewöhnliclien Stile seiner eigenen Arbeiten, die Aufmerhsamkeit auf ilin fortdauernd rcje erhalten hätten.

Einige seiner Äusserungen, über die neue- sten Kunstfabrihate, die er in Rom entstehen f :,h , über die dort herscliende xiletliode zu siuciiren und zu homponiren , werden hinrei- Ciien zu zeigen, da£.s er sich damit vmter sei- lu^n Landsieuten, die ^röstentheils nach der- prlben zu Werhe gingen, eben nicht sehr be- liebt machen honte.

So zum Beispiele fand er in den Arbeiten aller dortigen Künstler keine Spur, dass sie Txajaels und J^Iichelan^elo's Werke , die ihnen so nahe vor den Augen standen, auch nur ge- sehen , geschweige studirt hätten; im Gegen- theil fast überall nur geistloses Machwetk ohne Karakter und Ausdruck, Pinselei, ge- schminktes Kolorit und prunkende Armselig- keit. Das Modelzcichnen, dem die deutsrhea

Künstler in R.om besonders eifrig ergeben wa- ren , ei Klärte er für zvveclJos, und bcliaupte- te es gehöre blos znni Abece der Kunst ; wer in Rom stndiren Avolle , müsse dieses bereits inne liaben und die Natur lesen können. Dem Histoiienmaler sei es ohncliin für seine Eifin- dungen unnütz ; da derselbe von tausend Ak- ten, die er nach dem Model gezeichnet habe, doch keinen einzigen in einem histoiischeiL Bilde brauchen könne; ja er fand, dass die grösten Aktzeichner nicht einmal einen Akt zu zeichnen verständen , da sie nie das wirklich vor ihnen stehende Model in seiner Individua- lität treu nachzeichneten, sondern statt dessel- ben immer nur eine und dieselbe Figui- , zu der sie den Leisten in Hopfe hätten , in der gegebenen Stellung mechanisch wiedeiholLen, dass also das Aktzeiclinen, w^orauf man eine so grofse Wichtigkeit^ lege , worin man ein go grofses Verdienst setze , im Grunde nichts weiter sei, als ein geselschaftlicher Abend-» Zeitvertreib. Die licrschende Ilomponirmetho- de hielt er für veiueiblich , und den Geist ^-^ahrer Kunst tödtend ; in den durch sie her- vorgebrachten Arbeiten fand er ein widriges Gemisch von Antike, gemeiner Modelnatur, von hier und dort zusammengesuchten Armen,

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Beinen und Gewandfetzen ; tlieatrallsclie Stel- lungssuclit in der Gruppirung , nnnatüi licli gespieiztes Handeln , und übertriebenen oder nichtssagenden Ausdruck. Besonders spottete er laut und bitter über den dazu eingetüLnea Apparat, durch -welchen der geistigste Iheil der llunst, das Ei linden, auf ein blos mecha- nisches Puppenspiel ziuiick gebracht sei; wo man die ganze Komposizion aus kleinen Wachs- luid Thoniigürchen in einem Gukkasten zu- sammen bauet , lun ein kolossales Bild danacli zu malen. Die nach einem solchen Puppen- tlieater fabrizirtcn Gemälde, v.'ozu die eiuzel- 3ien Tlieilc von haiudert Orten lieibci ge- schleppt, taid ohne innere Verbindung zusam- mengesezt ^varen, pflegte er sehr drastisch ei- nen ekelhaften Haufen unverdauter Exciemen- te zu nennen.

INIan kann sich vorstellen , wie derglei- chen Äusserungen denen gefallen musten , die selbst in solchen Misbräuchen das Heil der Kunst suchten. Da indesi;en viele derselben Wahrheiten enthielten, die sich nicht hinw-e? disputirtu Hessen, weil Carstens seine Be- hauptungen immer auf Rafaels Werke stüzte, so muste mau sich auf eine andere Art gegea

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ihn n'idten; man erwartete also, dass er selbst etwas von seiner eigenen Arbeit aufstelle, um es sodann durch die Hechel der schärfsten Kri- tik zu ziehen. Man wolte die Foderung : dass der Künstler selbst leiste was er von andern verlangt, und besser mache was er an andern tadelt, in aller Strenge an ihn lichtiu, ob- gleich vi'enige seiner Gegner im Stande geAve- sen sein w^ürden, ihr Genügen zu leisten, Carstens lies auch nicht lange auf sich war- ten ; denn da er so frei voin Herzen gespro- chen hatte, so fühlte er selbst die Verbind- lichheit, seine dreisten Behauptungen durch die Tliat zu rechtfertigen. Er endigte noch in demselben Jahre eine grofse Zeichnung von einer ;iufs neue entwoifenen Komposizion des- selben Gegenstandes , den er in Berlin zulezt bearbeitet hatte: den Besuch der Argonauten heim Keyitauren Chiron.

Carstens hatte schon in Berlin den Vor- satz , diesen Gegenstand in einem Gemälde auszuführen ; aber die frühere Komposizion desselben gefiel ihm nicht mehr; er hatte sie deshalb auch in dieser zweiten Bearbeitung so verändert, dass nur .die drei Hauptgruppen des Jason und Chiron , des Teleus mit dem kleinen jichilleSi und des Herkules mit dem Hylas, im

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Wesentlichen dieselben blieben. In der äkeren. Kömposizion sind die Helden, theiis stehend, tlieils sitzend, gruppenweise durch die geräu- mige Hohle auf dem unebenen felsigen Boden zerstreut, ^vodurch dos Ganze zwar eine male- rische, aber zugleich etwas theatralische An- ordnung erhalten hat, welche, nebst der zu grofsen Zerstreuung der Tiguren dem Künstler vielleicht misfallen mochte; denn in der spä- teren Komposizion sind alle Figuren dichter auf gleichem Grunde zusammen gedrängt, und bilden nun , in dem langen und niedrigen Rniun der sie einschliesst, und wo last alle Figuren sich auf gleicher Linie befinden, ein zwar minder theatralisches , aber auch nicht so malerisch ajigeoidnetes Ganzes, und die Komposizion scheint mehr zu einem halberho- benen VYerhe, als zu einem Gemälde geeignet. Aber das, wodurch diese erste römische Arbeit unsers Künstlers von seiner lezten berlinischen sich am auffallendsten unterscheidet , ist der Stil der Zeichnung, so dass man dem Anschei* iie nach dafiii- halten würde, dass ein P^.aun^ melirerer Jalire zwischen beiden liege. Die Figuren der meisten Helden in der älteren Zeichnung sind von hleir,lichen , etwas kur- zen Verhältnissen, wohl st.irh, aber ohne ei-'

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gentliclie Grosheitund die Aiisfülirurig ist zwar ileissig, aber dabei kleinlich und trocken; in der spateren hingegen ist der Stil durchgängig gros lind entwickelt; die Heldengestalten ha- ben ganz den mächtigen Karakter, der ihnen gebiirt; ihre Bildung vereint Adel und Schön- heit, und jnan sieht im Ganzen unverkenbar den gi'ofsen Einflus der Kolossen auf ßl o nte cavallo, besonders in den Dioscuren selbst, die sich brüderlich umfassen , und in dem An- fühi er Jason, liberhaupt ist der Karakter die- sei- Zeichnung durch die stiengidealcn, brei- ten, sauftgeründeten Formen, und durch die klaren sehr reflektirtcn Schattenmafsen etwas maimoraitig, und das Ganze macht aeix Ein- druck, als ob es. nach einem erhobenen Wer- ke gezeichnet sei. Die K()pfe der Helden ha- ben säiiitUch eine sci-;öne bedeutungsvolle In- dividualität, und der durch die Aufmerksam- keit auf den Gesang des Orfevs über das Gan- ze verbreiteten Ruhe ungeachtet doch einen sehr lebendigen , beseelten Ausdruck.

Als Carstens diese ZeicLnung vollendet hat- te, sahen seine Landsleute vvohl, dass sie es mit keinem Anhinger und mit keinem blofsen Scliwützer zu thun hatten. Denn wer hatte

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bis daliin •wolil eine solclie Romposizion als Erstlings nibeit in Rom aufgestellt? Aber er hatte manclien empfindlichen Flech zn hart ge- troffen, als d.iss man sich hatte mit ihm ver- söhnen können, ^vozu er selbst freilich anch nicht die Hand bot; und was man laut als treflich winde gepriesen haben, y\renn Carstens mehr Ilochaclitnng für den akademischen Schlendrian und für den herschenden Zunft- geist seiner Kunstgfnosseu bezeigt hätte, ward nun, als man dem Giinzeii nichts anhaben hon- te , im Einzelnen si-cuge gemustert und geta- delt; da Avar ein Arm ^u dick, dort ein Fus zu klein, hic3- ein Knie zu sclimal, dort ein IMuskel zu bieit, da ein Ge%Tand zu anlie- gend etc. Alle diese Fehler des JEiuzelnen gab Carstens, der nie ein Modell bei der Ausfüh-» rnng seiner Komposizionen brauclite , sondern alles aus dem Vorrathe seiner Kenntnisse nahm, willig dem Tadel preis , immer stiebend , die Mängel und Felder seiner lezten Arbeit, die er selbst oder andere dara-n entdeckten, durch Stete Aufmerksamkeit auf die Natur in den fol- gencien zn vermeiden. Übeihaupt -wurde ihm nie oder höchst selten das Ganze seiner Koni- posizionen getadelt, sondern immer nur Un-» lichtigkeiten einzelner Theile ; nicht als ob

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^AS Ganze seiner Kornposizionen immer so unta» delig gewesen wäre, sonclejii weil fast nie- mand von einöm als Einlieit aus der Fantasie liervor^^egangcnen Bilde einen Begrif , also auch für die Idee dieser Einlieit Keinen Sinn Latte ; und weil den meisten der Gedanke selbst so %venig galt, dass man nur auf das Einzelne der Zeichnung und Ausführung und auf das Mach- werk sah. Viele Künstler waren dei- Meinung, dass der Inhalt sehr gleichgültig , das Rlaleii hingegen die eigeniliche Ilnuptsache sei. Er- findung federte oder vielmehr kante man nicht. Die Komposizion hielt man für ein nothwen- <liges Übel, deni man sich unterwerfen müsse,' weil man ohne sie doch kein historisches Bild malen könne, xind die beliebte Komponirme- thode w^ar ein Mittel, sich dieses Übel soviel als möglich zu e] leichtern. Mancher kam auch •yv^ohl durch sie, ohne selbst zu wissen wie, 2.U einer schönen Gruppe, für welche oft die Bedeutung erst nachher gesucht wurde. Car- sten': im Gegentheil hatte das Schiksal, in den Arbeiten anderer Künstler fast immer das Gan- ze schlecht zu finden, und vergebens Gedan- ken und ErhuGimg darin zu suchen. Er sah nui" Kornposizionen die auf dem Papier durch mühsames Künsteln, oder durch Zu-

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«ammcnsclucben biegsamer W.-'.clispiippen ent- standen waren ; oft fand er einzelne Theile vorzüglich geratlien; aber sie maclijfen 'kein Ganzes ; noch öfter waren viel Zeit nnd Kunst an einen unmalerischen oder luibedentenden Gegenstand verschwendet; Nebensachen wä- ret! bis zur Tauscliuiig vortrcflich gemaltj so dass die Haupttheile dagegen weit zurück-' blieben ; die Gewänder und Stoffe ^v£Ten Heis- send neu , al)er unter ilmen blil-.te überall der hölzerne Gliederniann her\or ; auch in den bes- ten Arbeiten f;-.nd er nur einen grofscn Ani- wand von technischer Kunst und Uiechaiu- schen Fei tigheiten, oliue Wahrheit, Bedeu- tung und Geist. Bei so widerstrciiendcn An- sichten und Bestrebungen war hein Einver- ständnis zwischen ihm und seinen Kraistge- nossen möglich, unter denen jedoch die vor- züglichsten Künstler anderer Nazionen, be- sonders die Italiener und Engländer seinen Verdiensten Gerechtigheit w^iderfaliren liefsen; indes die meisten seiner Landsleute, solange er lebte , seine erhläitcn Gegner waren. Jen© beurtheilten ihn blos nach seinen Arbeiten oh* xie Nebenrüclisichten , und ohne Ecziehunqcn auf sich selbst; diese hatte er duich seine «txengen Grundsätze und Urtheile gegen sich

aufgebraclit. Hätten sie ihm zugestanden, dass er mit diesen ein guter Künstler sei, so ■vvürden sie dadurcli ihier eigenen Kunst das Verdammungsurtlieil gesprochen haben.

Wir haben nun gesehen, wie unser Künst- ler in R-om seine höheren Studien mit Erfolg begann, und in welch Vej-Iiältiiis ihn die ei- genen Ansichten seiner Kunst mit seinen dor- tigen Landsleutcn setzten.

Wichtiger als das w^ar für ihn sein Ver- hältnis mit der Berliner Ahademie und dem Ktirator derselben; denn davon hing die Dau- er seines Aufenthalts in E.om ab, die nur auf zwei Jahre festgesezt war, die er inzwischen noch auf eine längere, wo raüglich auf Le- benszeit auszudelinen hofte. Dazu sah er nur zwei Wege : entweder er rnuste durch gutes Vernehmen mit dem Minister von Ileiuitz es dahin zu bringen suchen, dass ihm ein be- ständiger Aufenthalt in Ptom mit Beibehaltung seiner Pension vom Könige verwiliiget wer- de; oder er muste sich, wärend der vergönn- ten Zeit, solche Aussichten für die Zukunft be- reiten, dass er es nöthigen Falles ohne Ge-

fahr wagen köntc, jene Verhältnisse mit Ber- lin au zeneifsen, und, unabhängig durch sich

^4-3

selbst , seiner Kirnst zu leben. Dass es ilim auf dem ersten ^Yege gelingen Avürde , hatte wenig Wahrscheinlichkeit; denn theils erns- te er, dass strenge staatsvsärth schaftliche Grundsätze keine so liberale Handlimgs\A'eise gestatten , theils verst.'.nd er sich zu wenig daiaiif, die Gnade der Grofsen, die auch von der strengsten Fiegel begünstigende Ausn.'ih- men zu machen weis, zu erschmeicheln, und mächtige Fiirspreclier hatte er nicht. Alles« was er zu erlangen hoffen konte, war Verlän- gerung seines Aufentlialts in Rom auf ein oder zwei Jahre über die bestirnte Zeit hinaus. Doch auch damit w^ar schon viel gewonnen ; denn je länger er seine Pension in Rom ge- niefseu konte, desto mehr Zeit erhielt er, sich in Rom bekant zu machen und sich da- durch eine unabhängige Lage zu begiündeu. Auf diese Verlängerung derselben war denn sein Streben zunächst gerichtet; und wenn er nicht immer die zweckmäfsi^sten Mafsrejrelii dafür wählte, so \vählte ej- wenigstens sol- che , die seiner Denkungsart gemäs waren. Aus diesem Gesicht-punkteniuä inan des Künst- lers JJetragen gegen den Minister und die Aka- demie betrachten, das sonst leicht aU tadelns- Werth und undankbar erscheinen konte, wie

i44

es ihm ancli vom Minister selbst, der es ans deinem andern Gesichtspunkte ansehen duii- te , in der Folge, wo es z^Tisc]len iimen ziun Bruche kam , hart vorgeworfen "vvurde.

Carstens hielt Kunstahademieen für öffent- liche Anstalten zur Unterstützung und Förde- rung des Talents, das. unter dem Drucke un- günstiger Glüksumstände ringt , und glaubte durch die Beweise, die er von dem seinigeu bereits gegeben, einer solchen Unterstützung Würdig zu sein. Dabei sah er die Kunst nicht als ein Eigcntlium dieses oder jenes Staates, sondern als ein Gemeingut der Menschheit an, zu dessen Beförderung jeder Staat nach Ver- mögen dass Scinige beitragen müsse ; und be- hauptete, das der Künstler nicht dieser oder jener Akademie die ihn gebildet, nicht die- sem oder jenem Füisten der ihn unterstüzt habe, sondern der Menschheit angehö3-e ; und dass «r nur da mit ganzem Erfolg seinen Zweck ejfüllen könne, wo ihm alle Mittel zu seiner höheien Ausbildung zu Gebote stehen; ^vo die grösten Meisterwerke der Kunst, ei- ne schönere Natur und ein Himmel, der das Gedeihen alles Schönen begünstigt, ihn stets wmgjeben. Diese begeisternden Umgebungen

fand

14-5

fand er in Rom melir als irgendwo vereint, und G3anen befiel ihn, Vy-ann er daian daciite, dafs er diesen glücklichen Wohnsitz , diesen Himmel der Kunst nach einigen Jahren wieder veilassen , und in den traurigen Norden zurück- kehren solte , dem er kaum entllohn war. Je öfter er sich di'ese trübe Aussicht vergegen- wärtigte, desto lebendiger ward sein Absclieu dagegen, desto fester sein Vorsaz, nie wieder zurückzukehren ; lieber alles aufzuopfern und aufä neue, wenn es sein müsse, mit Mangel lind Notli zu kämpfen, als zurückzukehren. An seinen kränklichen Korper, der dies eben so dringend foderte , dachte er dabei nur zu- lezt; denn keine eigennützige Absiciit, son- dem reine Liebe zur Kunit beseelte ihn, und bewog ihn so z-aliandeln, wie er handelte ; ja er war übeizeugt, dass er aus P£iclit gegen seine Kunst und gegen seine Bestinamingniclii; anders handeln dürfe.

Carstens betraclitete seine Angelegenheiten aus dem hülicren Gesichtspunkte, aus den:i je- der Künstler sie betrachten mus , dem seine Kunst die höchste Bestimmung seines Daseins ist. Aber dies kann wieder der Gesichtspunkt einer Akademie sein, der, als einer Erzie-

lO

hnngsunstah für den Staat i die Pflicht, dem- «elben nüzliche Bürger zu erziehen , als höch- ste , obliegt, und die diesen Zweck auch durch ihren Namen, Akademie derineclianisclisnpT^is' senschajten , deutlich genug ankündigt ; noch kann es der Gesichtspunkt eines Ministers sein, der , als Kurator dieser Akademie, sicK blos als „Staatshaushalter der zuiu Wohl des St-iats ihm anvertrauten Gelder" betrachten darf. Unter solchen Beschränkungen bleibt für höhere Zwecke der Menschheit, die noch über die Sfäre des Staatsbürgers , der nur Bür- ger dieses oder jenes Staates sein kann, hin- äusliegen, der Regel nach nichts zu thuft übrig. Nur wenn der üoer die Staatszwecl.e freiwaltende Regent den höheren Zweck der Menschheit in jene mit aufnähme, die Kiiust-^ akademieen von jeder Beschränkung auf be- sondere Staatsbedüifnisse befjeiete , sie durch eine den Zwecken wahrer Kiuiat angemessene Einiichtung zu Bildungsanstalten des Talents erhöbe, und in den Stand sezte, den hülfbe- dürftigen jungen Künstler von ausgezeichne- ten AiiLigeii auf eine seinen Fleis am besten fördernde Weise thätig zu, unterstützen ; aber ohne andere Verbijidlichkeitcn von Seiten des Künstlers, als die, welche ein wohlgesinne-

14-7

tes Gemutli für empfangene Woliltliaten sich selbst freiwillig dankbar auflegt : nur dann vv'iiiuen vielleiclit Akadeinieen der Kunst den Nutzen wiiklich leisten, den man bisher ver- gebens von ihnen erv^^artet hat; sie würdea sich dann wenigstens nicht mehr so armselig darauf beschränken , nur Professoren und Zei- chenmeister für ihr eigenes Bedüifnis zu bil- den, sondern vielmehr iiireu Rulini Jaiin su- chen , der Welt recht viel grofse und gcschik- te Künstler ei zogen zuhaben ; und jedej Künst- ler würde lieber in dem Lande leben j dem er seine Bildung verdankt , als sonst iigendwu, sobald er die Aussicht hätte , in demsclbcu auch Arbeiten zu finden, worin er s. ine Kunst zeigen kann ; und jene ermunternde Theiinah- me, die mehr als Geldgswin den wahren Künstler spornt, der nur in dtr Aciitung der Zeitgenossen und der Nachwelt seine Be- lohnung sucht.

Wie sehr Carstens mit dieser Denkait an- Stofsen würde , wenn er sie in Beziehung aui »ich in Ausübung bringen wolte, war leichc vorherzusehen ; indessen scheute er sich dar- um nicht, sie eben so laut gegen den Minister ,zu bekennen 4^ gegen jeden andern; und di*

I4Ö

Art , wie ev es sowohl anfangs , als In dei Fol- ge tliat, zeigt, dass er nicht gesonnen w^ar, ihm die Verlängerung seines Aufenthalts iu Fcoui durch hriechcndes Betragen abzuschinei- eheln.

Bei seiner Abreise von Berlin Tvar ilirnvom Minister aufgegeben worden, nach seiner An- kunft in Rom einen Reisebericht einzusenden» und darin von dem , -\vas er tinterwegs iu Be- zug auf Kunst und Kunstakademien bemer- ikenswerth gefunden , Nachaiclit zu .ertlieilen-. Carstens verzögerte die Erfüllung dieses Auf* träges absichtlich so lang-e als möglich, und fast bis ans Ende der ihm fiir Ptom verw^iilig- ten Zeit , damit die Kürze derselben um so mehr auflalle ; und er honte dann aucli für die Vollendung angefangener Arbeiten um so elier eine Verlängerung begehren. Erst im Januar 1794 sandte er seinen Pveisebericht an den Mi- nistej- ab, der zwar nach desselben eigener Er- Märung weitLäuftig genug war, aber ihn doch darüber, dass Carstens so lange nichts von sich verlauten lassen, hein^sweges zufriedenstellte, wie des Ministers nachstellende Antwort un- term 26. Jun. desselben Jalires deutlich genug MX erhennen giebt.

^49

„Hochctlelgebohmer Herr, Sehr geehrter Herr Professor*.

Seit dem weitläuftigen Reisebericht, w^el-

chen der Herr Professor Carstens beisei-

r.er Anhiuift in ilo »i entworfen, nnd nnteiTn

Cyci'u Januar i~94 allhiey eingesandt hat, ist

?aisser dem Rapport des Herrn Professo-

ris Rehh er g , welcher das Daseyn des

Henn etc. C^r^ ten j bestättiget, weder eine

Auskunft über dessen Studiiun, noch eine Ee-

stattigung über dessen Fieis und Fortschritte in

der Kunst, durch Einsendung einiger seiner

Aibeiten, allhier eingegangen. Ich kann niclit

timhin , de:n HeiTn etc. Carstens meine Ver-

TvunderuniT darüber um so meLr zu bezeugen,

als Dieselben die nur auf zv/-ei JrJire be^villi<T-

o

te i;nd nun ihre Endschaft eneichte, zu Jlirer mehreren Bildun.^ bewilligte Unterstützuns: a d ZOO FLthh. , auf diese ganze Zeit ohne die geringste Auskunft tou Ihnen zu geben, still-. schweigend genossen haben.

In der Erw^artung , der Heu Professor Carstens werde von nun an von seinen Ar- beiten einsenden, und Auskunft über die zw^eclanäfsige Vei'vv'endung seiner Zeit geben, habe ich die Unterstützung nocli bis zura 51»

Mcty i"95. und also nocli auf Ein Jahr, nach dessen Ablanf seine Znräclikunft und Wieder- jintretung seines hiesigen J k a d e viis chen Lehr "Amtes erv/artet wird, bewilligt, deren Anszalilung aber Sogleich aufliüren wird, -wenn der Herr Carstens nicht von seinen Ar- beiten etwas einschicket. Der ich hochach- tend verbleibe

Euer Hochedelgebohrnen

Berlin

ergebenster

d. 26tenJuny 1794. Fr. von Heinitz.

Der unfreundliche Ton dieses Briefes , der allenfals gegen einen der akademischen Zucht so eben entlassenen Z(>gling geziemt hatte, nicht aber gegen einen Künstler wie Carstens, der -y^^arlich weder eines Spornes noch einer Aufsicht bedurfte , bestärkte diesen nui- noch mehr in seinem Vorsatze , ein Verhältnis auf- zuheben , ^vo ein uniiberaler Tnspekzionsgeist ilm über seinen Fleis , seine Foitschviite und die z^veckmäfsige Verwendung seinei Zeit, \in- ter Drohungen zur Rechenschaft ziehen wol- le. Doch hielt er seine Empfindlichkeit dar-t iibci- jezt noch zuiiik, -weil er des guten Ver- nehmens mit dem Minister noch bedurite, um

1.51

Zeit zur Erreicliung seines ZweKs zu gewin- nen, des Zwecks, sich in F«.oin bekant zu ma- chen, den er am besten duich eine öffent- liche Ausstellung seiner Arbeiten zu errri- clien liofte.

Er ant\vortete deshalb dem Minister un- term i2ten August 1794» tl^'^ss er von seinen Ar^ beiten darum noch niclits nacli BeiUn einge- sandt habe, weil er gesonnen sei, tou den- selben in Ptom eine Aufstellung zu maclien, und sie dem Uj tlieile der dortigen Künstler imd Ivunsthcnncr zu unrerwerfon, deren Aussprüche dann über seinen Fleis', sei- ne Foriscluitte und die zweclimäfsige An- Tvendung seiner Zeit imp?.rtheiisch entschei- den würden. Der Minister billigte dieses Vorhaben in einem Schi eiben vom 22ten Sep- tember desselben Jahres, \Torin es lieifst : jjch ATÜl dieses wohl ^zulassen , erv/arte jjober , da^s Sie diese Arbeiten bei Ihrer re- ,.,tour ?l\\\icy jjr o diicir e n werden, damit „solche alsdenn bei der jjächsten Runstaas- ,. "Stellung auch allliier ausgestellt werden kön- j.nen."

Im Sommer des Jahres i7()4 machte Carstens in Gesellschaft zweier Hünstier, Hummeh xind.

ir^2

KügelcJ ens > *) eine Fusreise nach Neapel. Dort sali er die Schor.lieit und Pracht der ita- lienischen Natur in ihrer reichsten üppigsten Fülle.; &o "Nvie er bereits zehn Jahre früher, auf seiner Wanderung duicli die Schweiz,' die Kunst der Natur im erhabenen Stile be\Yun- dert hatte. Unter allen Gegenständen der Kunst in Neapel reizten die alten in Pom-peji und Hsrculanuin ausircgrabenen Gemälde seine Neugier am stärksten ; und er eilte in den er- sten Tagen nach Poitici hinaus, sie zu bcfiie- digen. Er fand in ihnen den schönen Sinn der alten Kunst, die Anmuth der Stellungen, die Heiteiheit, welche auch den geringsten Wer- ten des Alterthums eigen sind ; er fand sie als Verzicrungsgemälde artig und gescliinahvoU, aber doch im Wesentlichen unter dem Begrif, den er nach dem PiufeA^on ihnen gefafst hatte; er hielt sie als Denhmäier der alten INIalerei,

•) Hummel, in Neapel geboren, ein Schüler IFilh» Tisclibniits y lebt gegeuwlirtig in Casse.l.

Kclgslchen , von Baccharacli am Rhrin, Histo- rien- und Portriitmaler, ging von Ron: nacii Rus-- land, von woher er nacii zeTinjährigeni Aufenthalt -wieder zurück gekehrt ist, und g^gcnv/ärtig in Dresden lebt.

io3

von der uns niclits Vortrefliclics übrig geblie- ben ist, für selir nierkv/ürdig ; aber lür den Künstler nur von sehr geringem Nutzen. Noch weniger %volte er in dieser Hinsicht den alten- Vasengeni.ilden einräumen, von deren hohen Kunstvortreflichheiten die Altertliums- forsclier, die selten befugte Kunstrichter sind, vor einiger Zeit so grofses Auflieben machten und Nachbildungen der berühmtesten Meister- werke des Alterthums darin erkennen wolten, Carstens meinte, wenn uns von der Kunst des Altertlmms niclics , als jene Vasen und jene Maiereien, übiig geblieben wäre, so würden sie dem neueren Künstler allerdings \-on vv^esentlichem Nutzen sein honnen ; da auch an dem geringsten Werhe des Alterthums noch Spuren des Kunst- und Schönheitssinnes der Aken sichtbar seien. Wer sie aber jezS Zinn Gegenstande des Kimststudiums machen \volte, würde gerade so thüricht handeln, wie die, welciie die Werke Rajc-cls und seiner Zeitgenossen vernachlässigen, mid sich einen Cimahue, G'iotto und ß'Iantegna zum Muster W'ählen wolten. Gröfsere Genugthuung gab ilim Tizians berühmte Danae. Nie hatte ihn dp.s Kolorit eines Gemäldes so ganz befriedigt, so zur ßevrunderung hingerissen; er sprach

i5f

steis iJiit Begeisterung davon. Dies Gemälde versöhnte ihn nicht nui- wieder mit der Ölma- lerei, gegen die er seit langer Zeit einen ge- wissen Unwillen liegte, weil sie die Aus- übung der Kunst so sehr erschwere; es erreg- te auch den Eiitschlus in ihm , sich mit neuem rieisse darin zu üben, und auch diesen Theil der Kunst noch, wenn möglich, in seine Ge- walt zu^ bringen.

Kaum hatte Carstens nach einem Aufent- lialte von einigen Wochen Neapel wieder ver- lassen, als der grofse Ansbiuch des Vesuv er- folgte, 'v/elcher das am Fufse des Eerges ge- legene Städtchen T or r e del G r e c o dmcli einen danibej- hingev/älzten Lavastrom zer- 5t(">rte. Er helnte sogleich wieder, in Gesel- schaft des Bildhauers -Busch , nach Neapel zu- rück, um diese giofse Natuierscheinung, oder wenigstens die zerstöienden Wirkungen der- selben, in der Nähe zu sehen. Die Wuth des Berges hatte sich bereits gelegt , aber die ganz veränderte Scene zeigte die Spuren ihier S'hrcchlichen Verherung. Die Spitze des Aschenkegcls , wclciier <len Gipfel des Beiges bildet, v/ar in sich selbst zusammen gestürzt. Das unglückliche reichbevölkerte Stadtchen,

das Carstens viei' Woclicn fnilier nocli vorn Jubel fiuliclier Eiiiwolinei', vom lärmenden Spiel zalloser Kinder erscliallen hörte, war jezt ein Schauplaz der grauenvollesten Verwü- stung, ein Chaos von Schlacken und Trüm- mern, aus dessen Schlünden noch die tief uu' ten glühende Lava hervordampfte, und auf dex Oberiläclie die Sohlen des Wanderers brante.

Im September des Jahres 1794 harn auch der Verfasser dieser Blatter nack R.om , und hatte die Freude , nach einer sechsjiuiric;ci\ Trenntuig dort seinen alten Freund am Ziele seiner Wünsche wdedei zufinden. Dessen Ge- stalt ^var durch Krankheit etwas hinia!li£;cr geworden ; aber er war noch eben so lebhaf- ten , feurigen Blickes und Geistes , dabei hei- terer, zufriedener und auch gesunder, als in jenen Zeiten der Tiübsal. Beide Freunde leb- ten nun wieder in deiselben innigen Vertrau- lichkeit, wie eliemals in Lübeck; zuerst in einer Wohnung beisammen, nachher getiennt, als Carstens, der zu seiner Kunstausstellung einer geraumigen Werkstätte bedurfte , in das Haus des verstorbenen Malers Battoni zog. Aber auch dort hatte der Verfasser , der das theoretische Studiuiu der Hmiät und die Spra-

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clie und Litcr<atur Italiens zum Hauptzweck seines Aufenthalts in Piom maclite, seinen be- etäucligen Aibeitstiscli in der Wcilistntte des Künstlers , und braclite da gewölinlicli seinen Tag zti. Jeder arbeitete ungestört für sicli, und in diesem tiigüclien Bcisaninienlcbcn , das vier Jalire später duicb den Tod des Künstlers «iiterbrochcn wurde, sali der Verfasser alle folgenden Aibeitcn desselben vor seinen Au- gen entstellen. Aucli ihre gemeinschaftlichen Spaziei'gänge \varen, Avie das in Rom gcAvuhn- licli ist, Studium und Kuiistgenus. An Stoff zur Unterhaltung in Stunden der Mufse ge- brach es nie; v^^ic könte es aucli denen, die sich in B-om mit der Kunst beschäftigen, je daian gebrechen? Die eigenen Ideen, und Er- findiuuren des Künstlers , die Arbeiten ande-

o

3er, die Eetrachtnug alter und neuer Weihe, die dadurch veranlassten Beraerhungen, JJr- theile und Gedanken boten ihn reichlich ge- nug dar. Wie interessant und lehrreich ein solcher Umgang mit taleiitvollen Künstieru ist; wie glüchliche Blicke er in die innere geheimnisvolle Werkstatt des schaffenden Ge- nius, und in das W*-sen der Kunst gestattet; wie wichtige Aufschlüsse er dem Foischer

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giebt, deren TVis dem Künstler gewülinlicli ein Rätlisel bleibt, obgleiclx er selbst diese Wirkungen hervorbringt, wird jeder wissen, der mit walnliaft genialisclien Künstlern lang« in älinlicben Verlialtnissen gelebt bat.

So wMrd es auch dem Verfasser möglicli, ^^n Gang , ö.e\\ der Künstler in seinem- Ausbil- dung nalnn , die Fortschritte, die er machte, die Art, wie er seine Werhe hervorbrachte, seine Absicht bei jeder i.rbe*it, die Zeiilolge derselben, seine Gedanken, Bemerkungen und Urtheile ü.bcr Kunst imd Kunstweike, seine Wünsche und Ecstrebungen , aufs genaueste kennen zu lernen. Carstens v/ar überdies voh so natürlich gerader, offener Gemüthsa:!t, das» er für einen Freund kein Gelieimnis hatte, sondern demselben über alles , auch das , was ihn selbst anging, seine innersten Gedankeii nnd Gefühle mittheiite. In der That hatte er auch keine Neigungen und Vorsätze, deren er sich hätte vor andern schämen, und die er des- halb hätte verhehlen dürfen. Hatte er ja zu- vveilen nüthig, geheim zil handeln, so "war es nur, um die Erreichung seines iluustzwe- ckes gegen Kindernisse, die ungünstige Ver- haltnisse ilim entgegen stellten , giücklicii

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Jurclizusetzcn ; aber ancli dann wurden seine naliereu Freunde mit ins Vertrauen gezogen.

Carstens liatte die Ausstellung seiner Ar- beiten auf den riüliliug 1796 aiigesezt. Er hatte W'ärend dej" verflossenen z\Tei Jaliie eine Anzahl Zeichnungen verfertigt , und arbeitete auch noch den folgenden Winter hindurch Äeifsig für diesen Zwech, um seine Ausstel- Ijmg so mannigfaltig und bedeutend als mög- lich zu machen. Was seinen Aibeiten an ma- teriellen und technischen Vorzügen einer liunstreichen Ausführung gebiach, muste er durch Peeichthuni an Erfindung und Fülle gei- stigen Gehalts zu eisetzen suchen.

Die Zeit dieser Ausstellung, von deren günstigem oder ungünstigem Erfolg Carstens die Entscheioung seines ferneren Schihsales erwartete, ham endlich heran. Die Aufnah- me, die sie im Publikum finden würde, sol- te ihn bestimmen, ob ei' es wagen dürfe, sei- ne Vcrbinduiigen mit Beilin im Notbfalle zu :^erreifsen und in Rom zu bleiben, oder ob er der Fessel, die ihn zog, folgen, und nach Berlin zurüchhchren müsse..

Einige Monate vor derselben, unterm 51. Januar 1795 meldete er dem Minister, dass er

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nunimBegiif sei, seine Kimstausstellung zu erüfnen; dabei suchte er noch um fernere Yer- läng-erune: seines UjLiubes imd seiner Gehalts-» zulasre an, um verschiedene noch unvollende- te Arbeiten endigen zu können. In diesem Briefe äufserte er sich nun auch freier über manches, -svas er nach seiner Zurückhunft in Berlin erwarte, und was er über die Berlinf^r- akademie , ihre Einrichtung und Z-\vecke, sonst auf dem Herzen hatte. Da Carstens nichts von der Kunst verstand , seine Gedan- ken in glatte, unmasteLüche Worte fu klei- den , sondern schriftlich wie mündlich gerade heraus sagte , was und wie er es dachte , so konte seine Freinuahigkeit dem Minister, Ak:y eine solche Sprache nicht zu hoien gcwohaf "WMr, nicht anders als höchst anmaisend und dünkelliaft erscheinen; und er erliielt von demselben eine Antwort voll herber Zurecht- weisungen , die , er mochte sie nun verdient haben oder nicht , auf jeden Fall dazu geeig- net waren , die Auflösjing des schon längst gelockerten Verhältnissos zwischen beiden zu beschleunigen.

Der Verfasser kann hier blos die Antwort des iNliuisters mittheilen, äa sich von deua

i6o

%'orliiii crwälintcn Briefe des Künstlers, auf W-elclien jene sich Uezielit, keine Abschrift X'orgcfundenlia t.

„Hocliedclgcbolnner und sehr geehrter Herr P r ofe ssor I

Auf Euer IlocliedeVcfeboiiruru Sclireiben vom 5iten vorigcu Monats habe ich Dero nur unterm 2tcu August vorigen Jahres bereits ianoezeif^te Juten tion^ von Ihren aufrefer- tiirteu Aibeiteu uoit eine Ausstelhmg zu vtr- anstalten, abermals ersehen. Es thut mir leid, dass Sie j bei ilirem beinahe dD evjührigen Auf- enthalt in Fiom die gute Zeit^ \ oriibeigehcii Lassen, ohne Ihre Arbeiten zu vollenden, und dass Sie dazu jezt eine Verliingeiung Ihres Dortseyns verlangen; diese Erlaubnis kann ich Ihnen nicht geben ; w^enigstens kann der Zuschufs ad 200 Rthlr. jährlich, v\de es Ihnen bereits uuteim cöten Juny vorigen Jahies er- öffnet worden, nur noch bis ulto Jllay die- ses Jahres fortdauern.

Was Ihre Überzeugung anbetrift, dass des Königs Majesiiit eine Gaileiie von Ihnen mah- len lassen werden; so niufs ich gestehen, dass sie mir sehr sonderbar und als ein Zeichen

von

Von gi'orserElnbildiiilgvorliömt, vrelcli«, wie CS mir scheinet, sehr zugenommen haben nuifs, ©bwohl der Anblick so vieler Meisterstücke, wie in Fiom beisammen sind, die schöne; Tu- gend der Bescheidenheit auszuüben veranlas- sen sollte. Bildergallerien sind übrigens schon hier, und f<ir Jedermann zum freyen ZutritC eröffnet* *}

Über den Satz, wenn eine Nation erst Sinn für das Schone hat, dies Schöne zum natürli" chen Bedürfnis für sie werde, bin ich mit Euer Hochedelgebohrnen einig; was aber Ihr© Aufserung betriff, dass es Ihrer mehreren Aus- bildung an Wiederantretung Ihres Postens bei der hiesigen AKademie nicht bedurft hätte»

*) Carstens hatte unter G alle rin , nach dem Be- yrif, (Jen dies Wort in Rom hat, Bios einen Saal verstandin, wie z. B. der vön Annibal Carracci ausgemalte Saal im Palast Famese, welcher auch Ict G etile'.- ia ciei Carracci heisstj Der Mini- ster hingegen nahm das Wort in der Bedeutung, wie man es nur in Deutschland braucht, und glaub- te, Carstens verlange, der Künig solle von ihm eU lie ganze Büdergallerie malen lassen , welches al- lerdings- §ine abenteuerliche Foderupg geweseii wäre.

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t'62

tmd dass Sie bei Ilirer Abreise dazu hinlängli- clie Kentnisse gehabt haben , so müssen Si« mij- vergönnen , mein Urtheil hierauf zurück- zuhalten, bis ich sprechende Beweise hierüber gesehen und in Gemeinschaft mit Kennern j^eprüft haben werde. Es wird alsdann auf ei- jje nähere ErMärung erfolgen * ob man Ihnen die Bezahlung eines Gehalts c ontinui ren Kann, oder Ihnen lieber selbst überlassen will, iüx Ihre R.echnung zu malen.

Von Ihrer Vorschnelliglieit inBeurtheilung der hiesigen Akademie und deren Befü- llungen nach Gemeinnützigheit werden Sie bei ihrer Zurückhunft vielleicht etwas nachlassen. Wenn Sie näher erfahren und w^ahrnehmen, dass Sie wirklich gemeinnütziger geworden, ui^d dass man einen Unterschied zwischen ^Akad emien und Kunstschulen gemacht hat ; ^er vermeintliche Schaden wird daher wohl iiicht so grofs seynj als Sie ihn, von Rom •aus, sehen.

Dass man Genie unterstützen müsse, da- ^nit bin ich Ihrer Meinung , und das wird auch ferner geschehen ; man mufs aber dem Urthei- ie der c q m-p eten ten Richter : wer ein G e - « i e sei und Talent habe ? nicht vorgreifen

lös

atiä sich nicht aus eigener Macht dazu er- heben.

Es verbleibt übrigens dabei, wie es bereits gesagt worden , dass Ihre Unterstützung u / ^ay dieses Jahres auflioret j es sei dann, das» man über Ihre einzusendenden Arbeiten ein eben so vortheilhaf.es Unheil fällen honte, ftls Sie es sich selbst jetzt schon geben, und iogar von Abwesenden verlangen, ohne voll Ihren Arbeiten gezeigt 2u haben. . Überdem Ilaben Sie ja auch Ihr Versprechen, ein hiejr fehizzirtes Stück *) dort nach Mustern äuszu* fahren i nicht erfüllt. Der ich verbleibe Euer Hochedelgebohrnen Berlin Ä. 23. Tebr. 1795, ergebener

Trh. V. Heinitz»**

tarstens fühlte sich durch diesen Brief be* Jeidigt und lies ihn unbeantwortet; ein Beweis* €a->s der Minister ilin mißverstanden hatt«» Jn der That niüste er auch ein höchst eingebil* deter anmafsender Thor gewesen sein, wenil sein Brief an den Minister das wirklich ent*

*) Die Zeichiamg von den Ar^nmUm»

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halten hätte, Was (lle?er darin fand. Aber lia» türliclie und konvenzionelle ISlensclien verste* hen einander selten; -weil jene immer gegen die Form verstofsen , die die-:en meistens wich- tiger als die Sache ist. Auch hier -waltete ein solches Misverstdudnis ob. Ein Brief des Künstlers» wovon sich noch der Entwurf, mit Bleistift geschrieben, imter den hinterlassenen Papiren desselben befindet, der nach seiner Ausstellung geschrieben , und entweder an sei* jiert Bruder oder sonst an einen vertrauten Freund in Berlin gerichtet ist, giebt dar- über hinreichende Auskunft. Es heilst in demselben :

„Was dir der G. R, M. wegen meines 3ßriß-

les an den Minister versichert hat, so homr auf die Deutung, die man einer Sache giebt, sehr vieles an. Ich habe den Minister um Ver- längerung meines Hierseins gebeten, um mei- ne übrigen angefangenen Arbeiten zu vollen- den , inid mir Studien nach Antiken zu zeich- nen, die mir für dort unentbehrlich wären. Auch habe ich gesagt, dass ich inderllofnung zurückkäme, dass seine Majestät ein grofses Werk von mir würden ausführen lassen , wel- cheß sich auf eijie Äufserung des Ministers gQ>

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gen mlcli vov meiner Abreise bezieht; "v^rellich. dnfür halte, dass öfFentUch aufgestellte Kumt;- weihe das einzige Mittel sind, bei einem Vol- lie das Gefühl des Schönen zu erregen ; und dass, um blos meinen eingeschränkten Posten bei der Akademie zu versehen, es meiner Aus- bildung nicht bedurft hätte; dass mir die Aka- demien übeiall, wo es auf Bildung des Ge- schmacks ankäme, unzweclimäfsig schienen ; und dass iie,. auf die Weise wie alle be- schaffen sind, dem Wiederaufblühen der Ifiün- ste entgegen seien; dass zu uncern Zeiten die Akademien mir blos als eine Befriedigung der Eitelkeit der Regenten vorkämen, zu dereu Hofstaat fie mit gehörten, die alles gethan zu haben glaubten , wenn sie mit vielen Kosten Akademien unterhielten, und dass demunge-^ achtet bei öffentlichen oder grofsen Werkeij nicht gefragt werde, wer der be sere Küntler 5ei, sondern wer es für den geringsten Preis inache ; dass man wünschen solte , das? diese Tirannei, wodurch das Genie schon in der Wiege verkrüppelt, imd dem Staate eine Men- ge nüzlicher Bürger entzogen wird, eiijmal ein Ende nehane .und in Wahrheit, Lieber, wenn man die Menge Akademien in Europa Äufiiälütj solle man leicht glauben, dass grofs^

Jiürtstlerkolonien von Nora Zembla bis nacH 4em Voigebiige der guten Hofnung ausgesandt weiden könten ? Als man keine Akademien. Jiatte, waren grofse Künstler da, die von den ^Mächtigen ilirey Zeit mi^ grof'en Gelegenliei« Iren ihr Genie anzuwenden unteystuzt wurden} da hingegen die Akademien gemacht haben, dass die Kun^t bis zum Vignettenklara herab- gesunken ist.^ d?s§ man das Genie, wo es sich ans Tageslicht heiToi gearbeitet , unterstützen solte; dass auf diese Weise zwar wenige aber gute Künstler sein würden, die durch ihr© Werke den guten Geschmack mehr beföidern Würden, als viele schlechte; und dass eine sol- che Unterstützung hülfsbedürftiger Talente ei- tlem Monarchen eben soviel Ehre bringe, als tine gewonnene Schlacht, Schau, da hast (^u den ganzen Bettel J Ich weis wohl, dass die er Brief unklug scheint, aber ich habe di* Wahrheit nach meiner Überzeugung gesagt. Jezt auch einen Auszug aus des Mini ters Schreiben : Dass Seine Excellenz sich verwun- dern, dass ich nach Verlauf von dreien Jahren meine Arbeiten noch nicht vollendet ^diesd 3Zeit ist für einen Künstler hier kurz. Hier wundert man sich, dass ich in so kurzer Zeit ioviti, und Arbeiten von diesem Gehalt ge-

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inacht habe); äa?s der Zusclms von 2oo Tliä^ lern hiemit aufhöre ; dass sie sich sehr w^un- derii über meine grofse Anmafsung^en, und- dass sie dort schon mit Gallerien hinlänglicU ▼ersehen wären. Dass meine einzublendenden Aibeiten ausweisen würden, ob ich die übri-» ge Hälfte meiner Pension nochfeniergcnief en, oder man mich für meine eigene Rechnung werde malen lassen (Ich habe mich auch so- gleich hieian gehalten) ; mit meiner vor^chnel* len Beurtheilung der Akademie w^ürde ich bei meiner Zurückkunft eines bessern inne wer* den (HeiT, ich glaube, hilf meinem Unglau« ben I) und da ; ich einen Unterschied zwischen, einer Akademie und einer Ruzist-.chule machen »lüsse (dieses ist denn freilicli ein Anderes. Ich habe das Ding immer für eine Akademie gehalten ; es sind ja so viele Rektoren und Professorerl und obendrein zwei Direktoren dabei. Ich meinte, dass ihr Zweck sei, die schönen Künste im Lande blühen zu machen. Handwerker kann ich nicht imtenichten; ich bin mit iliren Bedürfnissen unbekant , und kann nur da.- lehren , was ich gelernt habe). Ferner: da^? die dortigen kompetenten Rich- ter darüber urtheilen w^erden, ob ich ein Ge- nie sei (ich habe mich ja in meinem Briefe

»icht dafür ausgegeben, soncfern vom Genie ißberUaupt gesproclien ': Dieses ist der Inhalt des Schreibens vom Minister, Pemunge- aclitet, -wenn mir Seine Jlxcelleiiz xneinGelialc kier in Rom lassen vv^ill , will ich gern dafür von meiner Arbeit hinüber senden. Für die S50 Thaler will ich alle Jahr eine ausgeführte liistorirche Zeichnung, oder alle zwei Jahre eine Malerei liefern ; für 250 Thaler kann ich Iieine Malerei liefern; die:e hortet viel Zeit und die Runsthedürfnisse sind theuer Oder wenn man mir die 450 Thaler liefse , weite ich alle Jahre ein Gemälde dafür einsenden. Wenn du es für gut finde^t, so melde dieses an den JVIinister, denn ich kann auf seinen Brief nicht antworten. Ich verlange dieses auch nicht eher, bis man von andern das, was ich ge-, schrieben, bestätigt gefunden hat. Ich kann von meinen Arbeiten jezt nichts aufs Ungew^lsse hinüber schicken, weil ich hier davon leben inu'=. Wenn man mich ferner unterstüzt, so will ich auch Arbeiten dafür liefern , deun füy nichts verlange ich kein Gehalt. ^— Du must anir die Güte des Ministers nicht vorrücken. Ein Mann in Lübek, dem ich ganz fremd war, hat dort meine Schulden bezalt und mir Reise-, geid nach Berlin gegeben, und das uncrif^eld-.

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lieh: aus seinem Beutel, aus blofser Liebe zur l^unst. Meine Reise nach Rom hätte mij- bei- nahe eii\ Auge gekostet. Lbcidem ist dir be^- kant, dass ich bei einem Ilare doch nicht nacb B-om gekommen wäie. Ich habe alle Hocli* Achtung für den Mi^ister , aber ich kanon ihij so wenig Uebea , wie er irgend einen IVIen-. echeii in der Welt Lieber kann» und unsere Verbindlichkeiten gehen gegen einander auf} ich habe s^ein^ G\i,te iiicht umsonst genos? sen" -f-

Im April 1795 eröfnete Carstens seine Aus* Stellung, und lud das römische Publicum da- zu durch eine Anzeige ein , die eine vou dem Künstler selbst gemachte Erklärung seiner Ar«« beiten enthält , und den Verfasser einer nähe<v ren Beschreibung überhebt:

„Nachsiehende Kunstwerke sind im Haus© des verstorbenen Pompeo B.attonl zur c»ffeutU% chen Beurtheiluug ausgestellt:

1) Die Üherfahrt , eiue Malerei in Tempe» ra. Me^ajysnteSy ein reicher junger Wpllüst* ling (erzalt Lucian in ein.em Aufsätze von glei«« eher Überschrift) sträubte sich, in der Blütlie meiner Jahre zu sterben; aber er rauste niij an>«

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dem Sterbliclien dem Todtenfiilirer Merttir in den Ol kus foljjen. Als ciesei beim Aeakus ankam und seine Tocitenliste übergab , lelilte J^Iegajtentes. Der ist mir davon gelaufen, sag- te Merkur; ich eile zurück, ihn wieder einzu- holen Merkur i der Cyniker Cyniskus, und der Schuster Midi liohlten ihn ein , als et ebeTi das Licht der Oberwelt eireirbte, Lande» ihn und brachten ihn zur Barke des CAcrott zurück, Jezt versprach er der Parze, Heka-» tomben zu opfern , wenn sie ihm nur auf kur» ^e Zeit wieder zur Oberwelt zurückzukehren vergönnte. Aber die Schiksalsgöttinnen sin4 unerbittlich , und der Tod kennt kein Ansehea der Person. Die Parze befahl ihm einzustei- gen und Purpurmantel und Diadem am Ufer zurückzulassen. Man bemächtigte sich seiner, als er nicht gutwillig folgen wolte , mit Ge- walt, und der Filosof Cyniskus band ihn nn den Mastbaum. Jezt war die Barke voll und Charon $ties ab. Der Schuster RlicUly de* jioch am Ufer stand, rief, man solle ihn mit- nehmen, indem es unbillig sei, einen schon seit gestern Gestorbenen, der die Welt mit Fjreuden verlassen habe , so lange am Ufer war- ten ?u lassen. Charon erw^iderte , der Kahn sei Voll, ei müsse warten. So schwimm« icli

mnflber, rersezte der Schuster, und stürzte «ich in den Aclieron. Klotho befahl ihn so-* gleich einzunehmen, und als Charon sichabei> mals über Mangel an Plaz beschw^erte , lies ihn die Parze sich auf den Nacken des Tirannen. setzen. Die Fahrt geht von statten und Klo-^ tho übeiiieset die Todtenliste, Das übrige ey- Jdärt sich von selbst,

Z) Die Parzen, eine Malerei in Tempera, Die furchtbaren Göttinnen , die liber alles ge-- bieten, sind liier an den Grenzen der Schö- pfung sitzend und das Scluhsal der Sterbli- chen singend, dargestellt. Atrojjos zerreisst den Faden ; und hinter ihnen ist für den fclofsen Verstand nichts als undurchdringU'* cKes Dunliel,

3) Zeit und Raum , eine Malerei in Tempe-» ya. Eine anschauliche Darstellung dieser ab« ftrahten Formen der Sinnlichkeit ; in ihnen bc- linden sich alle Erscheinungen. Der Raum iimfafst das Weltall ; die Zeit ist ewig jung, nur die Dinge in ihr verändern sich,

4) Das Gastmal des Plato , Malerei in Ac-i quarell. Der Inhalt ist folgender : Ein junget Teicher Athener , Namens A^athon > der iji dex^

Trauerspielen den Preis erlialten hatte , ludsei- jie Freunde , den Sokrates , den Arzt Eryxirha' chus, den Aristofanes u. a. zu einem Gastmale. jilzihiades , welclien Agathon, seinen Stolz sclieuqnd, nicht einf:^eladen hatte, kam-w^ärend des Males ungebeten. Er war berauscht und hatte die Stirne mit kühlenden Kränzen lim- wunden. Die Gäste rückten aus einander, txnd er nahm seinen Plaz an der Seite des So' lirates i den er nach einer vortreflichen Rede bekränzte, worin er sagte, dass von allen Sterblichen nur Sokrates dies verdiene. Ari- sto fanes , der hinter dem Tische sitzt, betrach» tet aufmerksam den Alzihiades.

5) Der Parnas, Malerei in Acquarell. Die neun ßlusen umtanzen die Grazien nach der I^eier des A-poUo,

6) Die Helden im Zelt des Achilles vor Tro- ja, Malerei in Acquarell. Der Inhalt ist aus dem neunten Gesänge der Ilias genommen, und steUt die Gesandschaft der von den Tro" janern bedrängten Grichen an den zürnenden Achill vor. Dieser endet so eben seine Pvede voll Unmuth wider den Agamemnon. Ajax ist unwillig über den unbiegsamen Karakter des Schill; der alte Fönix beweint das unvet'

tneidllclie Unglück, der Glichen; Odysseus sizi niedergeschlagen und verlegen, weil seino Überredungskunst fniclulos gewesen ist. Audi die Herolde stehen bekümmert , und Patroklos sieht gedankenvoll auf seinen erzürnten Freund hin.

7) Die Argonauten i eine Zeichnung nach dem Gedicht gleiches Namens, das dem Or/iew-S suseschrieben wird; Als die Argonauten auf ihrem Zuge nach Kolchis an der Küste von JVIagnesia vorbeifuhren, schlug Peleus , einer der Helden, seinen Gefährten vor, den dort wohnenden Chiron zu besuchen und seinen kleinen Achill zu sehen. Die Helden -landeten und kamen zur Grotte des Chiron, der sie fieundlich empfing und be',virtliete. Sie for- derten den Chiron und Orjeus zu einem Wett streit im Gesänge auf. Chiron nahm zuerst die Leier und besang der Kentauren herliche Tilg- ten. Darauf ergrif der Sohn der Kallio-pe das Saitenspiel und sang den dunkeln , erhabenen Hymnus vom alten Chaos ; er sang den Streit der Elemente, das Geschlecht derunsteibiichen Götter, die den hohen Olymp, und der macht- losen Menschen, die in Völkerschaften zer- streut, den Erdkreis bewohnen. Sein Gesang zähmte die wilden Thiere : sie kamen in di»

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Grotte , liorcliten und scheuetcn die Menscliea iiicht mehr. Chiron , der dies gewahr wird, zeigt es dem Jason Und stampft vor Fieuden mit dem Hufe den Boden. Man sieht hier die v^ornehmsten Helden des grauen Alterthuins beisammen > den Jason ^ den Herkules mit sei* jiem Lieblinge Hylas , die beiden Dioskure?i, die beiden Söhne des Boreas mit Fittichen hin- ter den Ohren , den Peleus mit dem jungen Achill u. a.

8) Achill und Priam, eine Zeichnung. Det Inhalt ist aus dem lezten Gesänge der Illas ge- nommen und bekant genug. Nur die Gruppe im Hintergrunde i^t nach dem Filostrat hinzu- gefügt. Es ist Polyxejia, die vom Merkur hereingeführt wird. Dieser Autor sagt, dass die Alten die Gew^ohnheit liatteuj sich von ih* 3 em jüngsten Kinde begleiten zu lassen » und dass Achill bei dieser Gelegenheit zum ersten Male die Polyxena sah.

9) D.ie Gehurt des Lichts, eine Zeichnung. Nach dem Sanchoniaton , einem alten Fünizi- sclien Autor. Ftas (die Urhraft der Dinge) «eugte mit Neitha (der Nacht) den Fanes (das J.icht). Nachdem das Liclit geboren war, ^ing aus dem Atl\ejtn des Ftas das PVcltei her*

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vor, 'worin der Keim zu allen Schöpfungen lag. Es wurde durch die Wärme des Feuers ausgebrütet ; Himmel Und Erde entstandert und alle Dinge entwicl^elten sich. Ftat zeigt hier dem J/p~eltei seine Bahn ins Uner* melsliche.

ao) Ganjmed , eine Zeiclmnng. Sinnbild eines in der Blfithe seiner Jahre vom Tode hin weggerafften Jünglings.

ii) Sokrates im Korbe; nach der Komödie des Jristofanes : diepf'^oiken. Er dispiitirtniit dem Bauer Scre-psiades, der in die Schule des Sokrates gekommen war, lun von ihm die Dialektik zu lernen."

Wärend der Ausstellung dieser Kunstw-erke, die gegen zwei Monate lang besucht wurde, verfertigte Carstens, um nicht so viele Zeit müfsig zu verlieren, eine neue Zeichnung, die Nacht mit ihren Kindern , nach der Dich- tung des Hesiodus , vorstellend. Die Naclits als Mutter der übrigen Gestalten, ist die Hauptfigur der Komposizion, und macht für sicli mit den in ihrem Schofse ruhenden Ge- hirn des Schlafs und des Todes eine herliche Gruppe. Der Künstler hatte die Idee dersel- ben srhon fr 'her, in Moritzens Götterlehre, Km Kleinen abtrebiidet. Jlim schwebte dabei

die Besclu-eibuh^ ^es Päufamas Von eineir ^llin?» liehen Abuilduiig auf dem sogenanten Kasten d-es Cyvs€ius vor* wo die beiden Genien xnit den Worten karakterisiit sind: „dei* Tod schien nnr zu schlafen ^ der Schlaf hin* gegen schlief wirhlich.' Der Ausdruck die* fes leinen Unterschiedes gelang unserm Künst- ler sehr glücklich. Der Genius des Schla* fes ruht in sich selbst tusarnmengesunken im i&ewand« der Mutter, in der wahren Stellung; eines schlafenden Kindies ; der Tod hingegen ist stehend» mit der gesenkten Fackel in dei: Rechtens sein Haupt in den Schoos der Mut* ler lehnend, gebildet, und so der scheinhars Schlaf desselben schön und treffend bezeichnet. Der Nacht zur Linken sizt Nemesis, die ernsto unbestechliche Göttin der Wiedervergeltung, die der Künstler imch dem Ausdruck des He- sioduB, der sie „eine GeiCsel der Sterblichen*« nennt, mit einer Geifsel in der Rechten gebil- det hat. Sie karakterisirt sich demnächst durch die Linke, mit der siis das Gewand des Busens auf die Art hält, wie schon die Alten sie ab- fcubllden pflegten. Zunächst hinter beiden sizt das geheimnisvolle, selbst d&n Göttern furchtbare und unvenn eidliche Schiksal, ganz tn Gewand gehüllet, so dass wiaii der Gestalc

ielbsf.

177

•selbst niclits erblikt. Es liält ein aufgesclila-

gen

es Biicli, aus welclieni die Parzen das

Scliiksal der Sterblichen singen.

Das Urtlieii der Kunstverständigen über diese in ihrer Art merkwürdige Ausstellung fiel für Carstens so günstig und elirenroli aus, als er es nur erwarten konte , und seine Ab- sicht sich in R-oni auf eine vortlieilhafte Art bekant zu machen , die ihn hauptsachlich zur Ausstellung seiner Arbeiten bewogen hatte, ward dadurch erreicht. Das Ungewöhnliche einer Ausstellung, worin kein Ölgemälde ZrU sehen war; die Neuheit so vieler noch nie behandelten Gegenstünde; der in unseru Zei- ten ganz ungewöhnliche Stil der Koniposlzion und Zeichnung, der die Römer durch seine Ähnlichkeit mit dem Stile ihrer alten grofsen Meister überi'aschte; der Reicliihura an origi- neller Erfindung, der sich in diesen Darstel- lungen offenbarte, eiTCgten , "wie jede uner- wartete und fremdaitige Erscheinung, zuerst ein verwundeindes Aufsehen, das sich bald, nach öfterer Ansicht, in allgemeinen Beifall verwandelte.

Besondere Gunst fanden die Carstcvischen Arbeitejii bei den_italieirischen und engländi- 12

178

sehen Künstlern , wegen des ernsten grofsen Sinnes der aus ihnen sprach. Die talentvolle- sten unter den damals aufstrebenden Italienern, die sich seitdem zu wackeren Künstlern aus- gebildet haben, Canioccini , Benvenuti u^^A dex Mailänder Bossi , schäzten ihn, suchten seine näheie Behantschaft, zogen ihn über ihre Ent- w^ürfe zu Rath, und ehren noch nach seinem Tode sein Andenken. Ganz anders benahmen sich die meisten deutschen Künstler, beson- ders die welche damals in der Zunft das gro- fse Wort führten, bei dieser Gelegenheit ge- gen ihn ; sie traten auch hier als seine Gegner und Verhleinerer auf, bespöttelten seine Aus- stellung, behrittelten seine Aibeiten, und machten sich duich diese -kleinliche Rache ih- rer gekiänkten Eitelkeit nur lächerlich, ohne dem Künstler zu schaden. Einige machten je- doch davon eine ehrenvolle Ausnahme, und der talentvolleste unter diesen , pj'^ächter von Stuttgard, bezeigte seine Hochschätzung ge- gen Carstens dadurch, dass er seine in Frank- reich angenommene Manier gänzlich -wieder ablegte, und denselben Weg einschlug, den er Carstens mit so glücklichem Erfolg wan- deln sah.

i79

Klüglicli hatte Carstens kein Olgemälae mit ausgestellt. Auf diese Weise vermied er jede Vergleicliung die zu seinem Naclitheile ausschlagen muste, und führte zugleich eine andere herbei, die auf jeden Fall Ehre trach- te , und wo er keinen Nebenbuler zu fürchteil hatte. Denn da man Kunstw'-erke und Künst- ler sogern vergleichungs\veisc beurtheilt, so hatte er nun den Vortheil, nur niit Fiafanl und IVIichelangelo verglichen zu werden, und soweit er dabei auch zuiückstehen moclite, so ^var es schon rühmlich für ilm , dass man überhaupt seine Arbeiten zu einer solchen Ver- gleichung geeignet fand. Da nun diese Ver- gleicliung überdies so günstig für ihn ausfiel, dass im Publikum nur Eine Stimme war, kein Neuerer habe mit so vielefii Glük die Baha der alten Meister wieder betreten , so konte er in der That keinen besseien Erfolg von sei- ner Ausstellung wünschen. Diesem aber wür- de er gerade entgegen gewirkt haben, wenn er eine oder mehreie seiner Komposizionen in Ölfarben ausgeführt hätte ; dann hätte die Ver* gleichung eine andere , auf jeden Fall für ihn nachtheilige , Wendung genommen. Jeder Maler und Pinsler hätte des Fiünstlers Arbeic nur mit seiner eigenen verglichen, und di«

übrigen Vorzüge derselben überselieii. Aber irerade dadurcli, dass Carstens in einem Felde auftrat, das jezt niemand bearbeitete, gew^an rer, dass Künstler selbst, die sonst jedes Mit- bewerbers Arbeiten mit unbarmlierziger Stren- ge beuitbeilen und eifersüchtig jeden Fehl dar- an erspähen, ihm willig Gerech ligheit wider- fahren liefsen. Von der Nacliahniung der oh- Iten . Meister war derzeit unter den Künstlern so w^enig die Rede, dass mit den Gedanken /daran auch alle Ansprüche darauf rerscliAvun- den waren. Der Künstler äusserte sich darü- ber selbst in einem Briefe an eiiicn Freund folgendergestalt : „Der Grund v/ariun ich iiein Ölgemälde zur Aussteiluiig gehabt habe, ist, •weil es hier eine Menge Piiisler giebt , die zur- gleich auch grofse Schreier sind, und die das ffanze Verdienst der Kunst nicht im Koloiit (^ denn das wäre w^as reelles ), sondern im me- chanischen Handwerh setzen , und die mir nicht hätten Geiechtigkeit wiederfahren lassen, weil man blos dieses und nichts anders ah meinen Arbeiten w^ürde beurtlieilt haben ; dar- um habe ich nur in Tempera un* Aquarell ge- arbeitet, imi diesen Leuten nicht in die Queer »u kommen/'

18-1

Der Verfasser, der vielfältig und fast tag- lich Gelegenheit liatte, den Eindrnck zu be- obachten, -welchen die Carstensch.en Arbeiten hervorbrachten, und die Urtheile der Kenner aiud Künstler, die mehrnial zur Betrachtung, derselben zurückhehrten , zu vernehmen, sclirieb eine ausführliche und beurtheilende Anzeige dieser Kunstausstellung für Deutsch- land, in welcher er tlieils das ürtheil des Pu- blikums , tlieils seine eigene Überzeugung mit- theilte, und die im 6ten Stück des Deutschen ßlerkuis für 1795 abgedruckt ist. Diese An- zeige ward ohne des Künstlers iNIitwissen ge- schrieben ; ihr Zvreck war, ihm dadurch viel- leicht in Berlin einen Dienst zu leisten , imd er erfuhr nicht eher etwas davon, als in dem Augenblicke der Absendiuig, wo der Verfas- ser ihm den versiegelten Brief zeigte, der si« einschlos. Zu lesen bekam er sie erst verschie- dene Monate später, als das erwähnte Stück des Merkurs nach K.om kam, vv'o damals die meisten Deutschen sich zu einer Journalgesel- schaft vereinigt hatten, deren Besorgung der Arzt Doktor Domeier, im Gefolge des Prin- zen Augusi von England, übernommen hatte. In Fiom ^var diese Anzeige den Gegnern des Künstlers ein Dorn im Auge ; da ihnen aber

18^

^e Feder wenigei? geläufig war, als die Zun- ge , so konten sie nur diese dagegen in Bewe- gung setzen, und musten darauf Verzicht lei- sten, ihre feindselige Gesinnung gegen Cav Stens öffentlich kund zumachen, bis sie, glük- liclier Weise , obwohl erst zwei Jahre später, •WO jene Anzeige längst vergessen war, im so- genauten Maler JVIüller das gewünschte Organ fanden, um die Schale ihres lächerlichen Zor- nes über den Verfasser sowohl, als über den Künstler auszugiefsen, w^ie weiter unten er- zält werden w^ird, In Berlin that die Anzeige von der Car5tensc\\€.i\ Ausstellung für den Au- genblick die beabsichtigte Wirkung, obgleich sie nicht die gewünschten Folgen hatte. Der Künstler erhielt den nachstehenden Brief vonr Minister e'o/z Heinitz, dessen fteundlicher, ai*-» tiger Ton von dem harten imd bitteren des lezten Briefes auffallend absticht:

Hochedelgeholirner Herr, Vielgeehrter Herr P r ofe ssor !

Mit besonderem Wohlgefallen habe ich in dem 6ten Stück des diesjährigen neuen Mer-. kuis eine vortheilhafte Beurtheilung derjeni-^ gen Kunstsachen gelesen, welche Euer Hoch-

1.83

edelgebolinien in diesem Jalire in Rom ausge- stellt haben.

Ich stehe nun zwar in der Er\vartung, dass Ener Ilochedelgebohrnen nach meinen mehr- maligen AufFoderungen , diese Saclien nunmeh- TO anch zu der hiesigen Ausstelinng einsenden "werden, und ich vermuthe , daas sie zu dem Ende schon von Pioni aus hieher unterweges »ind.

Solte aber diese meine Venniithung unge- gründet seyn , so mufs ich bitten , diese Kunst- sachen gleich nach Empfang dieses Schreibens auf das Schleunigste anhero abgehen zu lassen, damit solche nocli zu rechter Zeit, gegen die in der Mitte des Se-ptemhris zu eröffnende Ausstellung allhier eintreffen hömirn.

Die diesjährige Kunstausstellung wird be- sonders merhwürdig seyn, -weil sich die va- terländisclien Künstler bestreben -werden , sol- che durch Weike zu verschönern , -welche auf die gemeinschaftliche Fever des Königlichen Geburts - Tages und. des nurcli Seine KönigUr che Majestät be-wirkteu Friedens, Bezug ha- ben, und ich hoffe daher, dass Seine Königli- che Majestät Höchstselbst diese Ausstellung mit Dero höchsten Ge.c:enwart bteliren -vverden.

'V Dies -wird daliev ziisrleicli die erwünsclite Gelegenheit Seyn , die in obgedaditem Jour- nal sclion so vortlieilliaft beurtlieilten Runst- saclien Seiner Künigliclien Majestät selbst vor Augen zu stellen und Hoclistdieselben mit Euer Hocliedelgebolirnen Talenten und Gescliicli- liclilieit zu ihrem künftigen Vortheil näher be- Kant zu machen.

Ich erwarte also mit umgehender Post ei- ne" zuverlässige [Nachricht , ob und wann die mehrgedachteiiKunstsachen entweder von dort schon abgegangen sind, oder des nächsten noch abgehen sollen, so wie ich auch nun- niehro über die eigentliche Zeit Ihrer Zurück- Jiunft einer bestimmten Erklärung entgegen sehe. Am liebsten v\'ürdc es mir seyn , Avenu Sie mit Ihren Kunstsachen zugleich ^zu Anfang S ej? temh r is allhier eintreffen könnten. Der ich hochaclitend verbleibe

Euer Ilochedelgcbohrnen

B e r 1 i ü den 18. July 1795,

ergebenster Fr. V. Heinitz/

Carstens konte nach dem Empfange dieses einladenden Schreibens nicht wohl umhin.

einige seiner Arbeiten zur Ausstellung nacli Ber- lin zu senden ; vielleicht wirkten sie ihm den langem Aufenthalt in Korn aus. Indessen zog sich doch die ihm Vv'irkiich bestirnte Frist im- mer enger zusammen ; ja der Minister wünsch- te sogar, dass seine Rückkunft mit den einzu- sendenden Runstsaclien zugleich erfolge. Er muste sich also über seinen hingst gefafsten Entschlus, in Rom zu bleiben, bestimmt er- üiren , und es darauf ankommen lassen , ob man ihn auch dann noch, gegen Einsendung jähi lieh dafür zu liefernder Arbeiten , ferner un- terstützen, oder seinem eigenen Scliiksale über- lassen wolls. Die günstige Aufnahme seiner Aussteliimg in R.om , die Schätzung, die erda- clurch unter den Kiinstlcrn erworben, die Be- iantschaften mit reichen Fremden, und der Absatz einiger Arbeiten an einige derselben, hatten seinen Muth nicht wenig gestallt, lind Hessen ihn hoffen, dass seine Kiuist ihn, ohne anderer Unterstützung zu bedürfen, in. Rom ernähren würde. Er beschlos ilso , dem Minister gerade aus zu melden , dass er, um ganz seiner Hunst leben und in seiner Ausbil- dung immer weiter fortschreiten zu honnen, den Entschlus gefasst habe, niclit nach Berlin zuiückzukehien, sondern in ilonr zu bleiben.

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JZugieicIi sandte er cirei seiner vorzüglicliste» Arbeiten : die Überfahrt, die Helden im Zeit des Schill vor Troja, und Achill und Priainus, mit der Post nacli Berlin ab. Da auch von diesem Briefe des Künstless sicli keine Absclirift vor- gefunden hat , so kann man das Wesentliche seines Inhalts nur aus der unten folgenden Ant- wort des Ministers ersehen,

- Die abgesendeten drei Stücke langten zur gehörigen Zeit in Berlin an, und das dortig© Publikum sah sie in der Kunstausstellung des- selben Jahres. Dass sie sehr gut von demsel- ben aufgenommen worden, bezeugt das unten mitsretheilte Schreiben des Ministers ; lebhaf- ter aber drückt es ein Brief von einem seiner dortigen Freunde aus, der sich unter den nach- gelassenen Pa|nc3en des Künstlers vorfand, und aus dem hier einige Stellen angeführt zu ■Wrerden verdienen :

,, Deine Bilder haben, lieisst es dort den Professionsneid unserer abgeiechnet, allgemein soviel Aufsehen erregt, dass du bei- nahe, imd besonders der kraftvollen männli- chen Figuren halber, bei unseren Schönen die ;mgebetete Angelika verdi'ängt zu haben schei- nest. Verachte auch diesen Sieg nicht, auf

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den du wolil scKwerlicli gerecliiiet hattest; kann zu Giöfserem führen , wenn du es nicht etwa versclimähest, unsere kindisch hleine Aftergröfse zum Gefühl ilirer Nichtigkeit [za erheben, und uns Geschmak an der liohen Gymnastik edlerer Gladiatoren in der Kunst beizubringen. Du hast \venigstens den An- fang dazu gemacht, und dem sicheren Eigen«» dunkel, der einen so gewaltigen Stos ver^ sezt, dass ich im Ernst glaube, es sei dir mög- lich, niclit nur zu unterm Vortlieil und zum Gedeihen der Kunst überhaupt, sondern auch zu deinem eigenen, eine w^ohlthätige E.evolu- tion zu bewirken. Aber wenn ich die Hof- nüng , dich wiederzusehen, nach dem Massta- be der Wahrscheinlichkeit berechne, so furche te ich. Du mein Asmus wirst nie wieder-» 'ionimen ; und du hast recht, aber wir sind zu beklagen.'*

j.Den Eindruck dir zu beschreiben, den deine Eilder auf mich gemacht haben , würde ich mich lunsonst bemühen. Ich sah in ihnen noch mehr als deine Bilder, ich sah Dich selbst, den edelsten Ausfius deiner Gedanken, den Ausdruck deiner reinsten Gefühle, das Fiesultat deines Fleisses seit drei Jahren; ick

glaubte dich nie veniiisstzu'liaben;icli hätte* dich in nieinena Nachbar umarmen können, hätte er nur das Maul gehalten."

„Weisst du, was mir in deinen Bilderh am meisten gef.ällt? Es ist, bei der Ruhe der Scenen selbst, die individuelle, im Stillen thätige Selenhraft harahteristiscli, überall im Gott, im Helden, v/ie in der Volhskarikatur wirken zu sehen. Jeder ist so unbekümmert über sich, so ganz einig mit sich, dass man fühlt: dies sind v/ahre Menschen, und der- Gedanke dringt sich nnwillkühalich auf, dass, wenn es für den Alexander ein Glück gewesen, wäre , einen Sänger zu finden . w^ie Homei", es ein ungleich grüfseres Glük für diesen | sein Tvürde, endlich eizien Maler zu finden, der ■wie Du, mein Asmus, so lein ihn fühlt , so erhaben in seiner heroisclien Einfachlieit und Unbefangenheit ihn darstellt. O male den gan- zen unsterblichen Homer und werde selbst un- sterblich! wenigstens die nicht seltenen ruhi- geren Scenen; du bist dazu geboren, das iiT- nige Grosgefühl, das Homer seinen Göttern und Helden giebt, das überhaupt dem Alter- thum eigen ist, gros und innig nachzufühlen, auszufühlen und lebendig darzustellen.*'

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Nach dem kurzen Sonnenbliclie, den die im D. Merkur niitgetheilte Ankündigung der Carstenschen Ausstellung lierrorgelockt hatte, brach nun, auf die entscheidende Erklärung des Künstlers nicht nacii Berlin zurückzukeh- ren, das Gewitter von dort her desto heftiger los. Er erhielt einen Brief vom Minister, der nicht niu' den Unwillen desselben aufs leblxaf- teste ausdrückte, sondern auch den Ersatz dei* Wärend seines dreijährigen Aufenthalts in Rom der Akademie gekosteten Summe von dem Künstler forderte. Der Zusammenhang in der Erzälung dieses in dem Leben des Kanstlerä so w-ichtigen Vorganges macht es noihw en- dig, auch diesen Brief nebst der Antvrort det Künstlers > von ^velcher sich glüklicher Wei- se eine Abschrift vorgefunden hat, lüer mit- sutheilen. Beider Theile Gründ^i und Gegen- gründe liegen darin vor Augen , mid -wenn der Leser die verschiedenen Standpunkte des JMinisters und des Künstlers , und die davon abhängigen Ansichten eines jeden, inr Auge hat, so "wird auch er den Standpuriki. und &i& Ansicht finden , .lus welchen aliein dieser Zwist richtig beurtheilt werden karai ; und da mochte sich ^vohl ergeben, dass jeder an sei- ner Steile und für seinen Zweck nicht wohl

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anders als so handeln lionte nnd durfte, und dass die hier obw^altende Ungebühr vielmehr in der MishälLigkeit der Veifassungen unserer Zeit mit künstlerischen Zwecken, als in dem eigenen Betragen der Handelnden liege.

Der Brief des Ministers lautet folgender- niaafsen:

Hocliedelgebolirner Hoclizuehrender Herr P r ofe s sor!

Mit Euer Hochedelgebohrn Schreiben sine dato, welches den 5iten August allhier eingegangen ist, habe ich die von Denensel- ben zu der diesjährigen hiesigen Kunstausstel- lung eingesandten 5 Stücke, nämlich

1. Die Überfahrt, ein Gemälde in Tem- pera.

2. Die Helden vor Troja, in AcquareÜ.

3. Achill und Priaraus , eine Zeichnung.

(wovon jedoch das iste Stück wiegen schleck» ten Einpackens ziemlich beschädigt angekom- men) zu recht erhalten, und es sind diese 5 Stücke, nachdem ich das Beschädigte mit al- lem Fieis wieder ausbessern lassen, mit den

andern zur Kunstausstellung eingegangenen Sa- chen vortlieilliaft expoiiirt, und niclit nur von der A kad emie , sondern auch von dem gesamten hiesigen Puhlico sehr gut aufge- nommen worden.

Mit Befremden aber ersehe ich zugleich aus Ihrem Schreiben, dass Sic

1. Die kostenfreie Zurüchsenduug dieser 5 Stücke, falls die Akademie solche nicliB für den von Ihnen bestirnten ansehnli- chen Preis an sich behalten will, verlan- gen ; und dass Sie

2. Statt ihre, gegen die Akademi e h.'.ben« de Yerbindiichkeiten zu erfüllen, denEnt- schlufs gefafst haben , es lieber darauf an- kommen zu lassen, in Rom zu bleibenj und dort für ilire Rechnung zu malen.

Ich gestehe Ihnen ganz aufrichtig , dass ich äiese Äusserung von Ihnen nicht erwartet hät- te. Ich will Ihnen nicht einmal zu Gemütlie führen , welchen grofsen Undank Sie dadurch gegen das Cur atorium der Akade mi e an - den Tag legen , welches Sie , als einen Auslan- der , des schwachen akademischen Fonds ©hneraclitet , vorzüglich und nach äufsersteu Kräiten, sowohl hier als in Rom unterstüzt

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hat, sondern ich will blos dabei stehen

bleiben,

dass es nirgends, und am wenigsten in dem Preussi-;chen Staat , Sitte iit, willlüihrlicK und eigenmächtig gegenseitige Verbind- lichlieiten aufzuheben.

Sie wui den nach Ihrem vielfiütigen Verlan- gen zum ordentlichen Lehrer bei der Akade- mie bestellt, und mit einem jährlichen Ge- halt von 250 Tlialer auf den von des Königs Majestät höchst Selbst vollzogenen Etat der Akademie gebracht.

Hicnächst vrurden Sie auf Ihr inständig- stes, oft Aviederholtes Ansuchen gegen Ihr hei- liges Versprechen :

der Akademie nach Ihrer erfolgten mehreren Ausbildung in Fiom desto er- sprieslichere und nüzliche Dienste zu leisten Behufs Ilires Studirens in Rom nicht nur, mit gänzlicher Eeibehalluiig Ihrer Pr oj e s s or at- Besoldung ad 2.^0 Thalcr jährKch , von den Obliegenheiten Ihres Lehramts anfäiiglicli auf 2 , und hernach auf 3 Jahre disfensirt, son- dein es wurde Ihnen auch auf diese 5 Jalire zu Ihrer Unterstützung und zu besserer Fortse- tzung:

393

tÄung Ilirer Studien in ß 0 m eine jälirliclie Beiliülfe von 200 Tlialeru aus der Aka d e mi- schen Casse bewilligt, ja es ^vurdeii bogar, elie Sie von liier abreisetena bei Ihrer dan-iali* ^ea gi-of:>en Dürftigkeit nnd Veilegenlieit Ilire Schulden au5 der ahad e mi ^chen Casse mic aoo Tlialern bezahlt, und Sie verpflichte* len sich ' dagegen unterm aßten ]VI a y 1792 schriftlich !

dass Sie diese 100 Tliäler nach Ihrer Zu- aückkiinft, in effectu baar oder tt?r- m i n weise , von Ihrem Gehalt wieder zu-^* lückbezalen vs^olten.

Solchergestalt haben Sie lediglich in der Erwartung, dass Sie Ihr mündliches unA schriftliches Versprechen als ein ehrlicher Mann pünktlich erfüllen würden, in dem Zeitraum von 3 "Jahren eine für die Fonds der Aka» dem ie sehr ansehnüxjhe Geldsumme, nem.lichf Srom 1, Ju n. x"^?. bis ult. IVIay 1795 450 Thl.

1795 1794 450 --

1794 1795 450

und pro i7|^| annoch 112— i2gT.

auch bei Ihrer Abreise im Jahre

1792 zu Bezalung Ihrer Schulden: 100— »

mitliin überhau^ exhalten J562-— 12-^ »3

194

Tragen Sie sich mm selbst, wie Sie ^lese l^rofse Wohlthaten erliant -welclie nüzliche Dienste Sie in diesem ganzen Zeitranm der Akademie für jene ansehnliche Geldsumme geleistet haben?

Beinahe ein ganzes Jahr liefsen Sie verstrei- chen , ehe Sie einmal von Ihrer Ankunft in lß.om wnd von Ihrer dortigen Existenz et- was meldeten, und aaistatt Iluer Verbinulich- iieit gemäs von Ihren Arbeiten etwas einzusen- den lind Aiishunft über die zwechmäfsige Ver* Wendung Ihrer Zeit zu geben, schihten Si« erst im Frühjahr 1795 *) einen Reisebericht ein, der viel Worte enthielt, aber m'eine ge» spannte Erwartung wenig befriedigte.

Seit diesem Reisebericht liefsen Sie wieder 17 Monathe **) hingehen, ohne von Sich und Ton Ihren dortigen Arbeiten etW4S hören und sehen zu lassen.

Ich bezeugte Ihnen darüber in meinem. Schreiben vom 26, Juny 1794 meine gerechte Verwunderung, und ohnerachtet damals schon

•) Solte heissen : 1794.

**) Solte hetsf en : 7 Monate*

^95

der Termin Ihres Urlaubs ur\A tier Ilineniuu^ auf 2 Jahre bewilligten Uiiterstütziinc^ in Rom zu Ende gegangen war, verlängerte ich docli, aus Wohlwollen für Sie , Ihren Urlaub und die Unterstützung von 200 Thalern noch auf ein Jahr, nemlich bis zum 31. JVI a y 1795, je- doch unter der ausdrücklichen Bedingung:

dass Sie wärend dieser Zeit von Ihren Ar- beiten etwas einsenden, nach Ablauf jenes verlängerten Termins aber wieder zurück- kommen und, Ihrer Verbindlichkeit ge- mäs , Ihr hiesiges akademisches Lehr- amt wieder antreten sollten.

Auch diese Bedingung haben Sie weder in dem einen noch dem andern Punkt erfüllt, sondern nur den ersten, als ich nicht durch Sie seihst, sondern durch öffentliche Blätter von Iliren in üom ausgestellten KiiustNrerken un- I tferrichtet wurde , schikten Sie mir die Ein- [ gangs erwähnten drei Stilcke auf meine an- derweitige Aufforderung ein, ob Sie mir gleich unterm £ten August 1794 schriftlich versprochen hatten,

alle Ihre Arbeiten mit nach Berlin brin- gien zu wollen.

als welches leztere icli» dieser Zusage gfmäfc-, und iiacli meiner Ihnen daaauf eitheiltcii Fie" Solution vom 22ten September 1794 noch immer erwartet hatte, und wodurch die yika» demie die ansehnliche Summe von über joo Thalern hätte ersparen hönnsn. Welche sie iixt den Transp ort dieser 3 Stücke hat bezaieii Biüssen.

Nach diesem actenmUhigeti Hergang, deu ich mit Fleis vorausgeschickt habe, um Sie zu dem eigenen Gefühl Ihres Unrechts zu brin- geii , mus ich Ihnen , mein Herr ! deelari" ren, wie ich ea als Staatshaushalter der vonSr. Königlichen Majestät mir blos zum Wolil des Staats anvertrauten Gelder vor Allerliüchstde- nenselben und vor meinem eigenen Gewissen nicht verantworten kann, eine Summe von 1562 Thaler ganz umsonst , und noch d^zu an einen Ausländer, wegzuschenken.

Da Sie, mein Herr, die Verbir.dlichkeiten, unter welchen Ilmen jene Summe bezalt wor- den, nicht erfüllt haben, da Sie vielmehr nach dem Genus dieser Wohlthat der Akademie den Dienst aufkündigen; so nehme ich zwar diese Aufkündigung an, und entlasse Sie hie- niit in Sr. Königlichen Majestät Nahmen Ihre? bisherigen nka de mischen Lehramtes,

igf

'Df^egen fordere ich, von wegen Sr. Kö« rif;l. Majestät, die indebite genossene 1563 Tlialer von Ilinen liiemit zurück , und erwar- te binnen drei Monatlien Ihre bestirnte Erhlä- annii , in welcher Art Sie die Künigl. Akade* mie-C as s e deshalb befriedigen wollen ?

Bis dahin werde ich Ihre eingesandte 3 Stücke bei der Akademie as s er vi ren las* sen , ur.d Sie können darüler, wenn Sie die Akademie- Casse erst befriedigt haben, dis* p o n i reu.

Erfolgt aber diese Befriedigung nach Ablauf des gedachten dreimonaihlichen Termins nicliM so werde ich nicht nur diese Stücke plus l ici tanti allhier verkaufen und de» Ertrag davon auf ihre Schild der 1225 Tha« 1er *) abschreiben lassen, sondern mir ancl| vorbehalten in Ansehung de7TVü«kstandes, Si© auf gesetzmäfsigen X'S'egen zl dessen ebenmäfsi* gen Bezahlung zu belangen.

Ich verharre

Euer Hochedelgebohrnen

Berlin

ergebenstet

d. igten Dec. 1795- j-,. ^^n Heinitz.

*^ Solte dea obigen zu folge heissea 1562 Thalcr,

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Carstens füHlte sicli durcli diesen Brief un* 'würdig behandelt; ihm wurde Pflichtverges» eenheit und Wortbrüchigkeit vorgeworfen, obwohl er sich bewiist war> die Pflicht seiner Ausbildung , die er für seine erste und gröfst© hielt, gewissenhaft erfüllt zu haben. Solte er dafür büssen, dass sie mit der zweiten, die er blos alsi Mittel zur Erfüllung der ersten ansah, unverträglich ward? Er fühlte die Verbind- lichheit für empfangene Wolüthaten ; aber er fühlte auch die Pflicht der Selbsterlialtung, so- bald diese Wohlthaten sich in Fesseln für ihn verwandelten, und ihn in die Leibeigenschaft einer Kunstakademie zu werfen drohten. Am meisten aber enrpörte ihn dieFoderung des Er- satzes der an ihn als einen Ausländer, ohne al* len Nutzen für den Staat, ganz umsonst ge- wandten Jdirgelder, und im Unterlassungsfal- le die Drohung, sich dafür an seinen Kunstsa- chen schadlos zu halten, und für den P^est ihn gerichtlich zu belangen. Er honte ein© solche Foderung nicht mit der höniglichen Milde und Grosmuth zusammenreimen, die ihn einer Unterstützung zur Ausbildung sei- nes Kunsttalents würdig, gefunden hatte. In dieser Stimmung jeines gehränhten, entrüste- Üii Selbstgefühles scluieb er djem Minis-

t9r unfein» 2oten Februar 1796 die folgend» Antwort :

,,Aus Euer Hochfreiherrlichen Excellenz zu- lezt au mich ergangenem Schreiben vom iQteii Decen>ber vergangenen Jahres , \vclches mir IleiT Rehberg am ß« d. M. hat zustellen lassen, ersehe ich, dass meine Arbeiten nicht nur von der AKadeniie, sondern auch von dem gesam- ten Publikum sehr gut sind aufgenommeu worden. Ich hätte also , «lach einem Schrei- ben vom 2^. Februar 1795, wo es lautet:

Es wird alsdann (nemlich, wenn Hoch- dieselben in Gemeinschaft mit Kennerit meine Arbeiten würden geprüft haben) ei- ne nähere Erklärung erfolgen , ob man Ih- nen die Bezalung eines Gehalts kontinui- ren kann, oder Ihnen lieber überlassen will, für Ilire Rechnung zu malen.

Am Ende desselben Briefes heifst es ferner:

Es verbleibt übrigens dabei, wie es' bereits gesagt worden, dass Ihre Unter-' Stützung ultimo May dieses Jahres auf- hört, es sei denn, das3n>an über Ihre ein- zusendenden Arbeiten ein eben so vortheil- haftes Urtheil fällen honte, als Sie es sich Selbst schon gebe^i.''

Sio6

Ich hätte also, der guten Aufnnlime meiner Arbeiten gemäs, statt meiner Entlassung einft fernere Pension zu erwarten gehabt. In dem Schreiben vom ig. Jul. 1795 lautet es :

Dies wird die erwünschte Gelegenheit seyn , die in obgedachtem Journal schon so vortheilhaft beurtheilten Kunstsacheit Seiner Rönigl. Majestät Selbst vor Augen zu stellen , und Hochstdieselben mit Euer Hocliedelgebohrnen Talenten und Geschik- lichkeit zu ihrem künftigen Vortheil na^ Ker bekant zu machen,

Hievon gescliieht nicht allein das Gegentheil, sondern ich werde noch dazu auf eine höchst ungerechte Weise behandelt. Mir wird sogar der Vorwurf gemacht, der Akademiecasse, \ve- gen des Porto für meine übersandten Arbeiten, Kosten verursacht zu haben, obgleich dies t,etztc auf den eigeneh Willen Euer Excellenz geschehen ist, indem Hochdieselbenin gedach- tem Briefe sich folgendergestalt erklären :

Solte aber diese meine Vermuthung (nem- lich dass meine Arbeiten schon unterwe- ges sein möchten) ungegründet sein, so muss ich bitten , diese Kunstsaclien gleich nach Empfang dieses Sphteibens auf daa

SeKleunlgste anhero abgehen zu lassen, da- mit solche nocli zu rechter Zeit , gegen die in der Mitte des Septembers zu eröi* nende Ausstellung allhier eintreffen kön- nen.

Jeder billige Beurtheiler mus hieraus erse^ ten, dass ich nichts anders gethan habe , ala ■was von mir verlangt ist ; dass mir also jener Vorwurf nicht mit Recht gemacht werden Jionte. Überhaupt sticht der glimpfliche Ton dieses Briefes sehr meihlich von dem ab, der in den andern beiden henscht, welches mich iuf die Vermuthung führt, dass es nur darum zu thun gewesen ist, mir meine Arbeiten auf eine gute Art abzulochen, und mich sodann, wie jezt geschieht, meinem Schiksal zu über- lassen.

Es -wird mir in dem lezten Schreiben Un» danhbarkeit gegen das Quratoriuni vorge- "Worfen. Dieses kann ich nur von Sr. Excei- ienz verstehen , weil ich bis diese Stund© nicht weis, ab noch sonst' jemand dazu ge- hört. Ich mus also dagegen erinnern, dass ich Höch anderthalb Jahre hier mit kranken Au- gen, als Folge meiner dort geleisteten Dienste, liabe stuvUieu müssen. .Der Saal im Hause des

Heirn MayscltaU v. Dorville, den icli für Euer Excellenz gemalt habe, mag für mick reden. Hier haben Hochdieselben , als ich di© erste Figur malte, aus eigenem freien Willen, mir zur Ausbildung meines Runsttalents, ein» Reise nach Rom versprochen, welches auck nach Vollendung dieser ansehnlichen Arbeit in eben diesem Säle, von Allerhöchst Seiner Ma- jestät bewilliget wurde. Mein Hieiseyn bürgt für die Waiirheit. Ich habe die von Seinei: Rönigl. Majestät zu meiner Ausbildung mir geschenkte Pension nützlich und gewissenhaft angew^endet, und Euer Excellenz als Staats» iaushalter sind dieserhalb ausser Verantwor- tung. ^Vas mir Seine Majestät geschenkt ha- ben, gleichviel aus welchem Beutel, kan» jnir keiner wieder abfordern ; und was habea meine Kunstwerke damit zu schaffen, die, .nachdem die Akademie die Vortheile der Aus- ■Stciiung davon eingezogen, in Beschlag ge- .ftommon werden?

Was den schwachen akademischen Fonds betriff, so habe ich nie die Einnahiue Uiid Ausgabe eiiahien. Dass er aber anselmiich aeiu mus, beweisen die vielen Subjekte, liie 4avoa miteihaiten werden. Wenu ü^uei ij*-

SOS

ceUenz es mit mehrcTen yvle mit mir machen» 60 wird sich der Fonds vermehren.

Da von gegenseitigen Verbindlich"keiteii die Rede ist, so dienet darauf zur Antwort: dass ich gegen die Akademie nie Verbindlich- keiten gehabt habe. Ich habe für eine mittel« mäfsige Besoldung, unabhängig vom Direk- torium, guten Untenicht ertheilt. Ich bin nicht einmal Mitglied. \Yenn ich Verbind- lichkeiten habe , so sind diese gegen Euer Ex- cellenz, Aber ich habe oben schon gezeigt. -weil ich aus Gerechtigkeit gegen mich selbst dazu genöthigt werde , wie sich diese gegen- seitige Verbindlichkeit aufliebt.

Izt folgt in dem Briefe von Hochdencn» selben eine Unwahrheit, oder wenigstens ein kthum. Es heifst :

Sie wurden, nach Ihrem vielfältigen Ver*

langen, zum ordentlichen Lehrer bei deif

Akademie bestellt.

Wo ist nur eine Zeile davon aufzuweisen? im Gegentheil habe ich die mir zugeschikte Bestallung zu Euer Excellenz zurück gebracht. Ich wolte diese Stelle nicht anders annehmen, als unter der mir vom Herrn Professor Moritz Versprochenen ünabhängigjieit vom- JJiitkt^^

riiun. Euer Excellenz haben mlcli dahin rer* mögt, die Bestallung zurückzunelimen , indem Sie mit dem H. Professor Moritz sprechen, nnd die Sache in Ordnung bringen ^volLen ; wel- ches auch geschehen. Dieses heifst doch war» lieh nicht vielfältig bitten.

Ich habe nun im Nahmen Seiner Königli- chen Majestät meine Entlassung eilialten, und die mir zu meiner Ausbildung ( als ^voran icl» niit allem Eifer aibeite) von Seiner Königl. Majestät allei gnädigst bewilligte Pension, hat diesem gemäs , vom igten December vergan- genen Jahres an , aufgehört. Es sind von mir an die Akademiehasse hundert Thaler zu beza- len , die sie mir zur Bezalung meiner Scliul- den geliehen, imd wofür ich meine Hand- schrift ausgestellt habe. Nun aber komme» mir noch fiir die Monate August, September, Oktober, November, bis den igten Deceniber als dem Tage meiner Entlassung, von der» von Allerhöchst Seiner Majestät mir zu mei- ner Ausbildung geschenkten Pension , noch aus der Akademiekasse circa jiinj und sieben- zig Thaler^zu. Diese von hundert abgezogen, bleiben jiinj und zwanzig , die ich nach post- freiem Wiedei empfang jneiiier Aibtiten 50»

gleich ai:sz.ililen weide. So lange dieses niclit

o-esclielieii , habe icli die Sainn^e von dreihun- o

dert Zeclunen baar von der Bcrlinisclieu Ah?.- dcmie zu fodein, die kein Pteclit an meinen Arbeiten hat, also dieselben auch weder in Be- schlag nehmen, noch veraukzioniren kan. Ich \%'ill nicht , dass sie unter diesen billigen Preis verkauft w^erden, und solte dieses den- noch geschehen, so werde ich mich (iffentlich darüber, als über eine Ungerechtigkeit eines .öfFcntlichen Coilegiums g^egen einen Privat- mann , beschweren.

Übrigens mus ich Euer Excellenz sagen, üass ich nicht der Berliner Akademie, sondern der Menschheit angehöie ; und nie ist es mir in den Sinn gekommen, auch habe ich nie versprochen, mich für eine Pension, die man mir auf einige Jahre zur Ausbildung meines Talents schenkte , auf Zeitlebens zum Leibei- genen einer Akademie zu verdingen. Ich ksn »nich nur hier, unter den besten Kunstwerken e in der Welt sind, ausbilden, luid werde jiach meinen Kiaften foi tfahren, mich mit mei« Iien Arbeiten vor der Welt zu rechtfertigen, I^asse ich doch alle dortigen Vortheile fahren, und ziete üinen die Airauth, eine ungewisse

206

Zuliunft, tmd vielleiclit ein kränMiches , liiilf- loses Alter, bei meinem sclion jezt scliwäclili- chen Körper vor, um meine Pflicht und mei- nen Beruf zur Kunst zu erfüllen. Mir sind meine Fälligkeiten von Gott anverti-aut; ich jnus darüber ein gewissenhafter Haushaltet sein, damit, wenn es heifst: Thue Rechnung von deinem Haushalten \ ich nicht sagen darf : Herr, ich habe das Pfund so du mir anver- trauet, in Berlin vergraben.

Da ich Euer Excellenz stets als einen wahr- iieitliebenden Mann gekant und geschäzt habe, so habe ich auch keinen Anstand genommen, die Wahrheit freimüthig zu schreiben, und ich werde sie auch im Nothfalle öffentlich be* kennen, um mich vor der Welt eben so zu rechtfertigen, als ich vor mir selbst gerecht- fertigt bin.

Mit tiefster Ehrerbieturg verharre

Euer hochfreiherrlichen Excellenz

ganz ergebensÄV Carstens.

Vielleiclit war die Drohung strenger Mafs- yegeln in dem lezten Briefe des Ministers ein tlofser Versuch gewesen, den Abtrünnigen ili

£07

seine Dienstpflicht zuTücliznsclireclien; viel- leicht ei kante er nach des Künstlers Verthei- digung die Unbilligkeit derselben , wenig- stens die Schwierigkeit sie in Ansübnng zu bringen; wie dem sei, der Künstler empfing ein Antwortsclireiben des Ministeis in eint m sein' geniäfsigten Tone, woiin diesei seine Ansprüche at.f den Künstler zwar nicht aus- drücklich ziirücknalim , aber doch dmch die Anerkennung des vorhin ihm streitig gemach- ten Eigenthums seiner Gemälde, den Ungi'unfil derseioen stillschweigend eingestand.

Dieses Schreiben, mit dem der Briefv\'ech- Sel beider sich endigte, lautet folgenderinafsen:

Hocliedelgebohrner

" ' Vielgechrter Herr F r ofe ssor!

Aus Euer Hochedelgebohrnen Schreiben vom £oten v. ?*I. habe ich zwar ersehen, dass Dieselben Ihre indejt enden z von der Akw de Tille zu beweisen gesucht, und Ihre zur Ausstellung eingesandten Gemälde, auch das n'ch angeblich zu fordern habende Gehalt reclam'irt haben; allein ich beziehe mich lediglith auf das an Dieselben unterm igten D e G«mh er v. J. erlassen» Schreiben , oi^j»

£08

mich in Ilire weitläuMgen D eductio nen

einzulassen, und bemerke nur noch , Jass Sie jiicht nxxr bis ultimo Mali 1795 Ihr völli- ges Gehalt und Zuschus, sondern auch noch iii Rthlr. 12 gl. an Gehalt pro 1795/6 ei hal- ten haben, -welche nach Ihrer eigenen schrift- lichen Anweisung untejm i3ten Januar 1796 für Ihre Rechnung an den hiesigen Hof-Bau- rath Itzig gegen dessen Quitung bezalt wor« den, an welchen Sic Sich also zu halten, und ttbrigens Ihre Gemälde allenfalls zurück zu schicken erbötig bin, vrenn Sie das ausgelegte Porto restituiren, und solche ebenfalls auf Ihre eigene Kosten zurück veilangen , und da- zu jemanden, um solche in Empfang zu neh- men, covim ittiren.

Der ich hochachtend bin

Euet Hochedelgebohinen

Berlin den sgten Martii 1796.

ergeben stfer Fr, V. Heiniti^

Carstens trieb, nach dieser ihm genüge 11- clen Erklärung des Minister« , die Zuriickfode« lung seines Eigenthumes nicht weiter , sonsc Würde es ihm leicht gew^se» sein « auch die»

nacii

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nach obigem Eingeständiussc sichtbar unge- rechte , Ziiniathiing der Wiedeierstattuiig des Porto zu er\veiseu ; aber er hasste den Streit, ^var froh jener Veibiiidung glüchlich entledigt zu sein , und lies seine Kunstsachen fürs erste noch in den Handeu der Akademie, hoffend, dass vielleicht in Berlin ein Käufer derselben sich fände , in welchem Fall er gesonnen Vvar, lieber die hundert Thaler daran einzubüfsen, ?.ls eine so unangenehme Streitsache, wo er jeden Schritt zu seinem Rechte mit Mühe und Vn drus erringen musie , noch weiter fortzu- führen.

So \var nun das Verhältnis zwischen un- serm Künstler und der berliner Kunstahauvuiie völlig aufgehoben. Sein Z\veck, unabhängig von allen liindernden Beschiänhungen in Rom ganz seiner Kunst zu leben, v.Mr erreicht. Er veitrauie seinen Kräften mit Muth , arbeitete fleissig mit der ihm gew^ohnlichen Heiterkeit und Zufriedenheit des Gemüths ; und da, der liereinbrechenden Kriegsunruhen ungeachtet, Ftom doch noch immer von Fremden besucht •wurde, unter denen seine Arbeiten Lit^bhaber und Käufer fanden , so konte er damals we- nigstens der Zukunft unbekümmert entgegen sehen. Schon wärend seiner Ausstellung kauf- 14

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te Lord Bristol das Gastmal des Plato und die Parzen von iliin , und trug ihni die Ausfüh- rung des Ganimed in Ölfarben auf. Die Zeich- nung des Sokrates im Koihe , die der Künstler noch einmal machte, erhielt etwas später der Graf von Reventlau aus Holstein, und die Nacht mit ihren Kindern führte der Künstler im folgenden Jahre für den Baron f o/z Knutk aus Danemark in Ölfarben aus.

Ausser den bereits angeführten, verfertig- te der Künstler wärend des Jahres 1795 iioeh nachstehende Komposizionen :

Die Zurückhringung des entflohenen JVIega- ■pentes. Ein früherer Moment aus der Lu- zianischen Erzälung die Uhej-faJirt , ali Go genstüch zu dem bereits erwähnten Bikle dieses Namens ; acquarellirte Zeichnung.

Bacchus der den Amor - aus seiner Schale tränkt ; Carton mit Figuren in Lebens- grosse nach einer früher entworfenen Idee, . den der Künstler nachher gleichfalls für

- den Dänischen Baron von Knuth in Ölfar- ben ausführte.

Her Kam-pf Jupiters mit den Titanen; acqua- rellirte Zeichnung, die ein Hr. Hess aus Zürch von dem Künstler häuft«.

Das Orakel des Amfiaraos ^ tlieils nach Fi- lostrat , tlieils nach des Riiiistleis eigener Idee ; Zeiclinung in schwarzer und wel- fser Kreide.

Die Lapithen oder das Gastmal , nach einem Luzianischen Aufsatze gleiches Namens; acquarelli] te Zeichnung.

Helena , Priam und die AUesten auf dem Skiiischen T or. , nach Homer; acquarel- lirte Zeichnung.

und im Jahre 1796 :

Fingais Kampf mit dem Geiste von Jiodai Acquarelgemälde nacli Ossian, das der Künstler späterhin für die hunstliebende Dichterin Friederike Brun aus Kopenhaf^cn in Ölfarben ausführte. Das Acquarelge- mälde kaufte nach des Künstlers Tode der Dohtor Ekmann aus Gothenburg.

Persei:* und Andromeda unter den Aetiopen, nach Filostrat ; Umris.

Dante'' s Hölle ^ Scene aus dem fünften Gesän- ge derselben, wo dei- Dichter die beiden Liebenden Francesca und Paolo zu sick lieranwinhi ; Umris.

- Homer singt seine Lieder vor einer Volksver- saminlung ah; Zeiclinung in Rütliel , für einen Engländer Namens Hillcry.

Odlpus in Colon mit seinen beiden Töclitern im Hain der Eiimenide-n, von Theseus be- ^vill^omnlt, nach So-phokles; Zeichnung iu schwarzer Kreide.

Die HexcnluLclie nach GötJie's Faust ; Umris.

Jasons jiiikunjt in Jcikos , nach Pindar : Umris.

Dies ^var das lezte gesiuide Jahr des Künst- lers , \Y9 er, ohne bedeutende Siöriuigen von seinem schwächlichen Gesundheitszustände zu erleiden, seine Kunst mit gt-wohntem Eifer üben honte; ja er fühlte sich noch starh ge- nug einige kleine Lusti^eisen zu Fus in die um- liegenden Gegenden nacli Fraskatii Alhano und Tivoli zu machen , auf welchen der Ver- fasser ihn gewohnlich begleitete, und wo der Künstlt?j' seinen GcibL dmch den Genus der schonen Natur in den imermesiichen -Aussich- ten des Albanerberges und .den Zaubergi-otien. des Anio , so wie seinen Körper durch die bal- samischen Weine von Alhano, JVIarino und Monte Ciuve crquichic. Gern machte er

einen solchen AusPaig nach der YollenJunq einer Arbeit, tUe ihn eine Zeitlang ernstlich und anhakcaJ beschäftigt hatte, und wo et dann einiger Mufse und Zersn-eunng bednrrte, lim die Werlvstatt seines Geistes wieder auszn- Ififten tmd einem neuen Bilde Plaz zu machen. Aber auch in solclicn Zwischenzeiten war er nie müfsig; denn nicht lluhe, nur Abwechse- lung der Beschäftigung fodcrt der abgespannte Geist. Er gJng dann .umher; sah lumstw^er- he ; beobaclitete und studiite die N;".tur ini Le- ben mit hüu stierisch cm Bliche ; las ; fasste neue Ideen, oder bildete bereits gefasste wei- ter aus, brachte andere zur völligen Fteife , so dass er sie nur aufs Papier T/ericn durfte. So schuf er dann seine besten und reichsicn Kom- posizionen dem Scheine nach auf den ersten Wurf; aber sie v\ aren darum nichts weniger als Erzeugnisse des Augenblichs. Er trug man- che deiselben INIonate, sogar Jahre lang in sich; tiberdachte, ei-wog, ordnete daran ; lies sie so wieder über andern Beschäftigungen ei- ne Zeitlang itrhen ; rief sie dann anfs neue jicrvor, durciiuachte, veihcsscrte, bestimmte Charaktere, Aitsdruck, Farben etc., bis er sie in allsn Theilen zur gehörigen Klarheit und P>.eifeaussrebildet hatte., und das Ganze endlich

rji4 . '

$0 bestimmt und deutlicli vor seinem inneren Bliclie da stand, dass er es, %vie der Dicliter 8^in im Hopfe fertig gediciitetes Weik, aufs Papier hinwerfen lionte, ohne etwas am We- sentlichen nachzuändein. Und da er sich durch lange und vielfältige IJbung auch die dazu jiöthige Fertigheit und Sicherheit im Aufzeich- jien erworben hatte, so fühlte er die meisten seiner Komposizionen hernach über dem er- sten Entwürfe aus. Was er nicht auf solche Weise vorher im Kopfe völlig ausgeaibeiiet hatte, gelang ihm selten zu Dank; ja einige- mal veileidete er sich eine Idee blos daduich, dass er sie früher entwerfen wolte , als sie ihm zui- Tülligen Klarheit gediehen war Die- ses zu grofser Fertigkeit ausgebildete Vermö- gen, seine Eihndungen ganz in der Einbil- dungskraft zu vollenden, gab seinen Komposi- tionen den Charakter achtei-, aus ihrem Keim organisch entwickelter Kunstschöpfungen ; es gab ihnen jene Klajhcit des Ausdi ucks , jene Einheit der Daistellung , die sich durch keine Jiomponii'methode eikünsteln lässt, und sich bis auf jede einzelne Gestalt erstreckte ; so dass es schwer sein möchte, in der i\Ienge seiner Komposizionen eine .charakteilose , oder mit sicii selbst nicht einige Figur zu finden.

«i5

Man sieht liicrans , dass Carstens nichts •weniger als ein Improvisatore oder Skiz- zist in seiner Kunst war, \vie es deren so manche giebt, deren brausende Fantasie nur im Taumel der Begeisterung schaffen, aber nichts Gereiftes vollenden kann ; oder die das Komponiren und Figurenzeichnen zu einem solchen Giade mechanischer Fertigkeit ge- bracht haben, dass sie von jedem aufgegebe- nen Gegenstande aus dem Stegi^eife ein Bild zu cnfvverfen vermögen. Allerdings ein be\vun- dernsw^ürdiges Talent, das nicht blos cen Un- erfahrnen blendet, sondern auch dem Henner Beifall entlockt; das aber nacli dem Mafsstabe ächten Kunstverdienstes gewürdigt, nur einer geringen Schätzung werth ist. Denn solche Stegereifsarbeiten, selbst die besten, sind und können der Natur der Sache gern äs nicht mehr sein, als glücklicli verbundene Pvcminiscen- zen einer sclinell reproduzirendeii Einbiluungs- kraft, mit freier, technisch geübter Hand ent- worfen, wie die Blätter des berülmiten La Tage, des Florentiners Sabatßlli , und des Engländers Flaxman; \Yunder des Augenblicks, die zwar ihre Urheber berühm^t gemaclit Ha- ben, aber bei nälterer Prüfuns: mit kunstver- «tindigeiu Sinne nach Zwecken der Kunst,

öi6 ,

wesenlosen Träumen gleich in Nichts ver- dunsten.

Unserm Künstler war es unmöglich ein leeres Maschinenwerh \on Menschenfiguren ohne Sinn und Bedeutung aufzuzeichnen; und er hatte einen entschiedenen Widerwillen ge- gen Werhe solcher Art, soviel Kunst, Ge- schiklichheit und Fleis daran auch verschwen- det sein mochte. Er schäzre darum auch jenes Improvisorentalent, das manchen Künstlern ohne Erfindungsgabe so bewunderns - und be- neidens würdig vorkomt, gar nicht ; vielmehr hielt er dafür, es sei mit Gründlichheit, Tie- fe und Bedeutsamheit unverträglich.

Wenn Carstens desungeachtet, in der frü- heren Periode seinei- Seibstbildung die Blätter des La Tage sehr hoch sc'«.äzte und fleis.igstu- dirte , so geschah dies, \veil die vorzügliche- ren derselben -wirldich mit maleiischcm Sinne entworfen sind , und -weil bei vielem wilden Feuer de/ Fantasie zucleich eine gründlichere , Kentnis des* niensclilichcn Körpeis aus ihnen hervorblicht. Er honte also damals noch vie- le5 aus ihnen lejnen.

Die Entwfirfe unseres Künstlejs unt-er- scheiden sich von den Entwürfen geistvoller

217

sowohl als Llos mechaniscliersldzzirten, auch dadurcli, dass in ihnen, so wie in den Ent- 'würfen der älteren Künstler , dio gewöhnlich auch mit der Absicht, sie auszuführen , erfun- den sind, nichts blos mechanisch hingeschrie- ben, sondern jode Liiüe darin von des Künst- lers Gefühl und von der lebendigen Vorstel- lung des Gegeustandes beseelt ist; und dass sie, bei gänzliclicm Mangel an jener mechani* sehen Schreibehunst den Geist wirldich habeua den dic-rC curcli eine freie und sichere Hanti blos affehdrt.

Die Arbeiten des Künstlers im folgenden Jahre 1797 wai cn :

Eteokle^y der in den Kajn-nf eilt 3 nach des AschrJus Sieben vor Theben; Acquarel- gem.^:de.

Die Fuizaiy ver-inderte Wiecerhohmg der schon flüher einmal ausgeführten Ideedcr- selber in Acquarel; wurde nach des Künst- lers Tode von dem D. Ilkruann aus Go- thenburg gekauft.

Scene aus dem Trauerspiel in Yorkshire von Shahspeare; ümris.

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OedijJus entdekt, dass er mit seiner Mut' ter in frevelhafter Ehe lebt , nach dem So- phokles; Zeicliiuuig in schwarzer und \veirser Kreide.

7 ier und zwanzig Darstellungen aus der Ge- schichte de: Argonautenzuges nach Pindar, Orfeus und Afollonlus -von Rhodus ; in Umrissen entwerfen.

Diese Umrisse , die nach des Künstlers To- de von dem Tiroler Koch in Rom , ob^voh^ nicht glücklich , in Kupfer geäzt worden sind, waren eigentlich , so wie alle übrigen von dem Künstler in Umris hiuterlassenen Erfindungen, nicht bestirnt in dieser Gestalt zu bleiben. Carstens war Vyälieus , sie, mit Andeutung der Licht- und Schattenmassen, selbst in Kupfer zu ätzen, und als eine Folge liistoiischer Skiz- zen herauszugeben. So würden diese vier und zwanzig Darstellungen einen zusammenhan- genden Bilderkreis der Argonautik ausgemacht Jiaben. Aber der Tod verhinderte ihn an der Ausführung. Man hat daljer sehr Unrecht ge- ihan, diese unvollendet gebliebene Carstensche Argonautik mit den Umrissen Flaxuians und anderer, die weclei- maleiisch erfunden, noch zur malerischen Ausführung tauglich, sondern

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blos ?.ls Spiele einer bilJleinden F;nitasie zube- tracliten sind, in Vergleicliuiig zu steilen, mit denen sie nichts weiter gemein liaben, alsdass sie Umrisse sind. Der Künstler hat jeden die- ser Umrisse als. ein zur Ausiühiimg bestirntes Eild gedacht und als mnleriiche Komposizion angeordnet, welches auch ein Kunstverständi- ges Ai:ge auf 3.en ersten FjUck daran bemerkt, lind welclies auch die Ursache ist, dass man- che derselben sich in dem blofsen Umiisse nicht gut ausnehmen, weil darin die maleri- sche Komposizion sich niclit mit gehüri£;er Deutlichkett auseinancersezt.

Der Inhalt dieser vier und zw^anzig Dar* Stellungen ist folgender ;

i) Jason heiirt als zwanzigjähriger Held von dem Gebirge Pelioii , wo der Kentaur Chiron ihn erzogen hatte, nach Jolkos zu- TiicK, um sich des vom Pc-Zm^^ ihm ent- xissenen Trones wieder zu bemächtigen. Er erscheint in göttergleicher Gestalt und Schönheit in Jolkos, w^o er dem Peliasanl dem Maihtjlaze begegnet, der ilm an dem unbeschuheten Fufse und an den zwei Speren erkennt , die Jß.^n?? trug." Das Volk ist verwunuert und Pelias bestürzt über

seine Ankunft. Der Stof zu dieser Dar- stellung ist aus Plndars znerter pythischer Ode genommen.

2) Jason tiitt in die Hohle aes Orjeus , um iliin zur -MitiaiLli nach liclchis einzu- laden.

3) Beide Kommen bei diCn anderen Helden auj v/clche bereits am Ufer des Anaurus versammelt sind , und werden von ihnen froh begrufst.

4) Die Helden ziehen die fertig gezimmer- te yirgo ins Me^r. Tiphys , der Steuer- mann, leitet die Arbeit, und O'-fcus er- muntert die Arbeitenden durch Spiel und Gesang»

5) Jason opfert vor der Abfarth dem Nep- tun und den. anderen Meergüttern. Her- kules und Ancaeiis todten die Opfesstiei^e, und Idnion vei-Kündet den Helden eine glül'diche Farth.

6. Besuch der Argonauten beim Kentauien, Chiro7i , der den jungen ^ic/i/// erzog. Chi- ron und Orjeus ^vetteifern in Gesungen. Ein Hirsch tritt in die Hohle und horcht

2,2, 1

den Tonen tlo3 Oifeus. Clnron dariiber verwundert , erkennt ilnn den Preis zu.

7. AbscLied der Helden von den Lemnierin- nen, bei denen sie eine Zeitlang gelebt und sicli gütlich getlian hatten.

3. Die Helden landen an der Insel CycikuS bei den Doloven. Ihr Konig empfangt si« gastfreundlich, bcwirthet sie und n-iach ihnen Geschenke.

9) Kampf der Argonauten mit den riesenhaf- ten Bewouern des B.irengebiiges.

10) Jason opfert der Rltea auf dem Berge Dindymus , \un sie wegen des Todeö des unvorsezliclver Weise getödteten Künigä Cycihus zu versölmen. Die übrigen Hel- den tanzen den der Fuiea geheiligten Waf- fentanz tiach der Leier des Orjeus.

li) Hylas , der ausgegangen w.ir , \\m Was- ser zu schöpfen , wird von der Nimfe £/t- flate , die sich in ihn verliebt, in die Flu- ten ihrer Quelle hinabs^ezogen.

x2) Die Argonauten bei den B> bryciern. Toilux und ihr König Amyliiis niesieusich im laustkanipf mit Schlagrienien. Vollux erlegt den Ainyxus.

15) Kaiais und Zetes , die Sölme des Boreas, verjagen die Harpyen von dem Tisclie des

blinden Königs Lineas.

14) Die Argonauten laufen in den Fasis ein, und e]blicken in der Ferne die Burg des Aetes. Jctes mit seinen beiden Töcliteru Calciopea und Wl^dea konit ihnen zürnend auf seinem glänzenden Sonnenwagen ent-

15) Medra, Priesterin der Hekate , verliebt sicli in Jason. Beide kommen Naclits im Tempel der Hekate zusammen. Sie ent- deckt ihm ihre Liebe und giebt ihm ein Gefäs mit Salbe nebst andein Zaubermit- teln zur glücklichen Ausführung seines Unternehmens. >

16) Jason pflügt das Feld mit den feuer- schnaubenden Drachen zum Erstaunen des Königs.

17) Er biingt das glnklich eroberte goldene Vlies zu seinen Gefährten zurück. JVIedea Orjeus , die Dioskuren und JVIopsus he glei- ten ihn.

lg) Jttes schikt der mit dem Jaso7i entflohe- nen Meäea seinen Sohn Jhsyrtus mit ei-

225

ner Flotte nach. Er holt sie an der Mün- dung des Ister ein. ßledea giebt ilirem Bruder im Tempel der Diana eine nacht- liclie Zusammenkunft, wo Jason ihn tüdtet. JMedea leuclitet zum Mcu de ilues Bruders , »Verhüllt aber ilir Antlitz , um ihn nicht zu sehen.

19) Die Argonauten landen im Hafen von yiäa , dem \Yohncrteder C/'/ce, der Schwe- ster des Actes. Jason und IVlLÄea nähern sich der Circe , und bitten um Aufnahme. Circe aber weist sie erzürnt über den Mord des Ahsyrtus von ihrer Insel foit. Me- dea , um nicht erkant zu sein, hat ihr Ge- sicht verhüllet.

20) Die Argonauten fahren durch die Meer- enge von Sicilien , wo Scylla und C/za-

rihdis sie zu verschlingen djohen. Aber Thetis i die Gattin des Peleus mit ihren Nimfen besänftigt die Wellen und führt sie glühlich hixidurch. Juno und JMinei' va auf einer Wolke und Vulkan auf einem nahen Berge sehen der kühnen Fartli zu.

21) Sie landen an der Insel der Fiiaken , \a"0 sie bereits die Flotte der Kolchier finden.

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die ihnen nacligesandt war. Der König Alkinous entsclieidet auf Anrathcn seiner Gemalin , dass Jlledea mit Jason ziehen soll, wenn ihre Verbindung isereits vol- zogen sei. Medea wiift sich fjeudig dem Jason in die Arn^.e; und der Hauptmann der Rolcliier, der wegen des schlecliten Erfolgs seiner Sendung niciit wieder zu- xückzulieliren "sragt , bleibt mit seinen Scliiflen und Leuten bei den Faaken,

22) Die Argonauten v/crden in den See Tri- tonls versclilagen , aus dem sie Leinen Ausweg linden Können. Sie stellen dLen grofscn Dreifuß des Jpollo ans Ufer, um die Gottlieiten des Sees zu vej-sulinen. Triton^ der Gott des Sees, erhebt sich aus den Vv''ellen und giebt dem Eufem eine Erdsclioiie mit der Weissagung, dass sei- ne Nachkommen in Libyen herschen sol- len , und zeigt ilinen die Ausfai th aus dem See.

S5) Der^ Pviese Talus auf der Insel Kreta, widersezt sicli ilirer Landung, und wirft Felsenstiicke aul die Argo herab. JMedea be-wirkt durcli ihren Zauber , dass er sich mit dem Fus an einen Stein stöst, und

sich

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öich ^ie Adev am Knöcliel verwundet, aus der er sich verblutet und stirbt. Die Helden Linden auf Kreta und entsündigen sieb wTEgen des ermordet^en Ahsyrtus.

a4) Sie gelangen nun glüklick w^ieder uacli Jolkos , und Jason , von seinen Geführten, begleitet, überreicht dem Pelias das gol- dene Vlies.

Wärend so Carstens 3 ganz mit s einet Kunst beschäftigt, und vonden vorzügliclistea Künstlern und Rennern geschäzt , mit jeder- mann in Frieden zu leben glaubte, zog auf einmal der Maler JMülter , der sich bis dahin, im Umgänge immer freundschaftlich gegeii ihn erwiesen hatte, durch einen weiten Um* weg, von Deutschland aus, feindselig gegea ilin zu Felde. Es erschien, im dritten Jahr- gange der Hören für 1797 , ein Schreihen Mal'' ierSi das, der Überschrift zufolge, gegen deii Verfasser der oben erwähnten K"acliriclit von der Ausstellung der Carstenschen Kunstwerke im Deutschen JMerkur, gerichtet, eigentlicli aber und hauptsächlich auf den Künstler ge- münzt war, und diesen durch Herabwürdi- gung seiner Werhe und Vernichtung seines Künstlernamens vor dem Publihuni aufs ein« ^5

pfindKcliste liiänken solte; der Verfasser jener Nachricht solte , zur wohlverdienten Strafe, blos in ein lächerliches Licht gestellt werden, dass er die, nach 7H«Z/er^ Versicherung armse- ligen, schlechten, nur Spott und Verachtung, höchstens Mitleid verdienenden , Arbeiten sei- nes Freundes so lobpreisend angezeigt hatte.

Man muste es , ohne von den Umständen näher unterrichtet zu sein , sonderbar finden, dass gegen jene, bereits vor zwei Jahren er- schienene Anzeige im Merhur erst jezt, oder Tielmehr jezt noch, wo das Publikum dieselbe •über tausend andere Lesereien des Tages längst rergessen hatte , ein so heftiger Gegner auf- stand; dass ein Künstler in Rom mit ei- nem andern Künstler daselbst, über dessen dort vorhandene Arbeiten , in Deutschland ei- nen Streit ausfechten wolte , der nur in Rom geführt und nur dort entschieden werden hon- te. Aber Neid und gereizter Eigendünkel ver- leiten oft zu Ungereimtheiten , die jedem auf- fallen , nur dem nicht , der sie begeht.

Die Sache ging folgendergestalt zu t Zwei deutsche Künstler, die ihr Ansehen unter ih- ren Landsleuten hauptsächlich auf ihren länge- xen Aufenthalt in Rom , auf ihre Fertigkeit ei- nen Akt zu zeichnen» und auf das grofse Wort,

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clas sie, als würdige Repräsentanten desZunfr- geistes in der deutsclien Landsmannschaft ge- wöhnlich führten , zu gründen suchten , wa- ren immer erklärte Gegner von Carstens ^ -weil er ihre Ansprüche , ihr Modelzeichnen , iliren Zunftgeist und ihr grofses Wort nicht aner- kennen wolte. Diese wackeren Zunftgenossen hatten einmal, im Gespräch mit Müller, jener Anzeige der Cai-stenschen Ausstellung im Mer- kur erwähnt, von der Müller » der mit den ■Tibrigen Deutschen wenig Umgang hatte , und auch an ihrer Journalgesellschaft nicht Thcil nahm , bis dahin nichts gehört hatte. Sie er- regten seine Neugier, dieselbe zu lesen, und wüsten zugleich seine Eitelkeit, seinen Künst- Wstolz , der etwas zu früh auf erträumten Lor- beer^ eingeschlummert war, und seinen un- friedlichen Satir, der sich gern zuweilen den Spas machte , seinen Bekanten unversehens ein Bein zu stellen, dergestalt aufzureizen, dass er, noch ehe er jene Anzeige gelesen hatte, et- was gegen dieselbe zu scliieiben beschlos. Der Verfasser hatte beieits erfahren, was gegen ihn und Carstens im Werke sei , als er unter einem Verwände von einen? jener beiden Künstler um das Stück des Merkur, worin jene Anzei- ge enthalten ist, ersucht wurde. Et sandte

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es demselben mit der Antwort, dass llmi die Absiclit, zu der es' dienen solle, bel-.ant sei» d:iss er aber darum keinen Anstand nehme, es mitzutlieilen.

Verschiedene Monate' später erschien danit im 3ten imd 4tcn Stüche des dritten Jalirgan- ges der Hören jenes Schreiben des Maler T\IiiU hr> das, mit mehr Mäfsigung abgefafst, viel- leicht des Schreibers Absiclit erreicht, un^ dem Künstler in der Meinung des deutscheri Publikums geschadet hätte; so aber lagen der böse Wille und der unedle Zweck darin zil klar anr Tage, dass nicht jeder unbefangene Le- ser sie sogleich erkant hätte. Dies war auch die Ursache, dass es auf den darin Angegriffe- nen selbst nur wenig Eindruck machte, alsa auch diesen Zvveck, ihn persönlich zu krän- ken, verfehlte. Carstens beruhigte sich, so- bald er die Schrift gelesen hatte, durch die Überzeugung , dass sie zu boshaft und zu hä- misch sei, um auf verständige Leser einen Eindruck zu machen, der ihm nachtheilig sein könte; und so fand auch der Verfasser jede Vertheidigvmg des Künstlfers, dem er eigent- lich diese Kränkung zugezogen hatte, nach icifliclier Überlegung unnütliig. Ja, er hatte

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in c'rT Talge, nach seiner Rükkelir in Deutsch- land,'.voliin er den Nachlas des Küijstlers mit sich brachte 3 die Genugthuung, das Kunstverdienst feines verewigten Freundes von wahren Ken- nein aiierhant, die unbilligen Anfechtungen der ^Iiilbrsch.en Schmähschrift üfFentlich ge- misbilligt, *) und so des Künstlers Namen und Andenken von jeder Makel, die d?.s Gift des Neides darauf gesudelt hatte, völlig gereinigt zu sehen.

Aber ein furchtbarerer Feind , als Neid und scliÄdcnfrohe Schmähsucht , denen wahres Ver- dienst nicht erliegt, jenes Übel, das fortdau- ernd an seinem Leben nagte, grif ihn iin Herbste des selbigen Jahres mit verstärkter Ge- walt an , und warf ihn auf ein lang-wierig€« Krankenlager, wo er auf^erdem noch an einem durch Ilämorihoiden entstandenen Fistelscha- den eine höchst schmerzhafte Operazion erlei- den muste. Die von dieser Krankheit zurück- gebliebene Schwäche führte ein schleichendes Fieber herbei, das ihn den Winter hindurch nur selten verlies und, mit nächtlichen Seh wei-

^) S, Winkelmann und sein Ji»hrhund«rt . herausgsg. von Goethe. S, 374.;

sen und einem hartnacKlgen Husten vergesell- schaftet, dergestalt entkräftete, dass er nur noch in den "Vormittagsstunden arbeiten kon- te. Unter diesen ungünstigen Umständen ver- fertigte er noch gegen Ende desjjahres die oben bereits angeführte Zeichnung aus dem Ö di- jjus Tyrannus des Sophokles, die lezte sei- ner ausgeführten Romposizionen , deren Inhalt eigentlich weniger zur malerischen Darstel» lung, als für die Bühne geeignet ist, weil er im Bilde sich nicht durch sich selbst ver- ständlich ausdrücken Kann^ Der Künstler er- lante seinen Fehlgriff sobald er die Zeich-^ jiung geendigt hatte , und er ward ihm Veran- lassung zu sehr treffenden Bemerkungen über die Wahl des Gegenstandes, diesen höchst wichtigen von wenigen Künstlern hinreichend beachteten und erwogenen Theil ihrer Kunst, wo auch die Kentnis des Grundsatzes nicht im* jner vor MisgrifFen sichert, w^enn das Urtheil des Künstlers durch ein zu lebhaftes Interesse an der Handlung befangen ist, die, auch wenn sie ein malerisches Bild giebt, darum noch. nicht immer zur malerischen Darstellung taugt, wenn nicht auch dies Bild den ganzen Inhalt und Sinn der Handlung sichtbar vollständig ausdrückt. Leider konte er von den Einsich*

^5*

ten, die dieser Fall ihm aufsclilos, keine An- Wcndiui^r mehr machen.

Carstens hofte seine Genesung von derWie- deiliehr des Frülilings , und vermöge der bei ßcliwindsüchtigen so gcv^-öhnlichen Tauschung um so zuversichtlicher, je sichtbarer die Ent- kräftung und Abzehrung seines Körpers zu- nahm. Wirklich hatte er in den ersten Mo- naten des Jahres 1798 einige leidliche Wochen, die einen kurzen Anschein möglicher Besse- rung gaben , und wo er , nach der Lesung dee ins Deutsche übersezten Hesiodus, den er kurz zuvor erhalten hatte , auch noch in einer neu» en Komposizion eine Idee des goldenen Zeit' alteis 3 oder des durch das Dichterideal ver- edelten Naturzustandes der Menschen entwarf, aber nicht mehr Zeit gewan, sie zu endigen j denn Brustübel, Fieber und Schwäche kehr^ ten aufs neue zurück.

Schon die Wahl eines so heiteren , gefälli- gen Gegenstandes zu einer Zeit, wo sein Kör- per vmunterbrochen litt, imd der hereinbre- chenden Zerstörung zu erliegen anfing, be- w^ies die noch immer imgeschwächte Kraft und Heiterkeit seines Geistes ; und das Bild, das der Künstler in jenen Augenblicken der

Ä55 -

ErleicliteruMg davon entworfen hat, ist ei- nes der aiimutliigsten , die je des Künstlers Fantasie beschäftigt haben. Darum ist es ein "wahrer Verlust, dass es hat unvollendet bleiben müsfen. Gedanke und Anlage sind so glücklich , dasr. mit einer in demselben Mafs© gelungenen Ausführung ein Meisterwerk dar- aus entstehen konte. Den Gedanken des Kunst* lers wird die folgende Beschreibung ausführ* Hcher darlegen.

Die Komposizion des Ganzen gehört zu ei- ner Gattung, der die Theoretiker nicht sehr ge- wogen sind, w^eil sie sich, wie alle Übergän- ge, nicht bequem in eines der gew^öhnlichen Fachw^erke der Malerei einschieben läfst, viel- leicht auch weil man w^irklich noch wenig Vortrefliches in derselben hat , zu der Gattung nämlich, wo Figuren und Landschaft von gleichem Interesse, von gleicher Bedeutung für die Darstellung der Idee, also einander nicht unter- sondern beigeordnet sind. Aber das Genie bildet wie die Natur, ohne sich imi die Abtheilungen und Unterabtheilungen einer nach Klassen ordnenden Theorie zu kümmern. Wäre früher ein Künstler aufgestanden , dessen Genius den Gei^t eines Rafad und Claude in

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sich vereinte , und hätte in dieser Zwi-chen'> gattung niehreie vortiefliche Werke geschaf- fen., so würde auch die Theorie ein eige- nes Fach dafür angelegt habei^, und nie* mand würde gegen dieselbe etwas einzuwen- den haben.

Der Künstler hat '^ich die Scene seiner Un» SchiiMswek als ein weites reizendes Thal ge- dacht, das zur Seite von waldigen Hügeln und Felsenwänden begränzt und von einem Strome durchflössen ist. Unter den Bäumen» weiche «Jen Abhang der Hügel bekleiden , ragen G^ wäch-e südlicher HiÄimek -. triebe » Pinien und Dattelpalmen hervor. Almälich erweitert sicU das Thal zu einer reichen anmuthigeir Land- schaft , deren fernen Horizont Meer und Ge« birge begränzen. Fruchtbare Bäiune durch B.e-» bengehänge verbunden, wie in üampaniens glücklichen Gefilden, schmücken die nähe- iren Gründe und zeigen die üppige Fülle der Natur*

Zur Linken des F.e-chauers im Vorgrundo sizt unter einem schattenden Platanus , andern ein Reb^nstock sich hinauf^ chlingt , und die iinIiUG^.tL)aren A'.te deiseluen niit schwellei;i< den Xiaubea schiauckt eine glückliche Fauii*

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lie der clies Paradies bewohnenden NaturkiH- der. Ein junger kraftvoller Mann hält ein Kind, die erste süfse Frucht seiner Liebe, schaukelnd und dalend auf dem Schofse ; ihm gegemlber sizt die blühende Gattin desselben, und hält dem spielenden Kinde, um es ansick zu locken, eine volle Traube hin. Neben dem jungen Manne sizt der Vater Ider Familie, ein «hl würdiger Greis , den Kopf auf die Hand ge« Stüzt , lind sieht freundlich den Spielen des kleinen Enkels zu. Ihm zur Seite steht ein Jüngling im Begiif , eine von dem Baume her-» abhängende Traube für eine jüngere Schwe-» ster zu pflücken, die sich an ihn schmiegt* Hinter der Mutter des Kindes sizt eine andere be- Teits erwachsene Schwester und blickt nach ei-» ner andern Gruppe hin, welche die Mitte des Bildes einnimt. Eine Mutter tränkt hier ihren neugebornen Säugling an der vollen Brust und blickt liebend auf ihn nieder; ein älterer Kna- be, der hinter ihr steht, blickt über ihre Schulter und tändelt mit dem Kleinen ^ und ein dritter jüngererliegt neben der Mutter und liält, gleichfalls nach dem kleinsten blickend, einen Apfel in der Hand. Ihnen zur Seite liegt 9.ui dem Rasen hingestreckt und schlummernd der Vatex dieser Meinen Familie. Hinter ili«

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nen sieht man einen Knaben, der Beeren von einem Strauche pflückt. Rechts dem Beschau- er , auf dem zweiten Grunde befinden sich ei« nige Figuren in sitzender, liegender und ste- hender Stellung, theils Früchte essend, tlieils scherzend. Weiterhin tanzen auf einem Ra' senplatze sechs Figuren Haud in Hand einen Reigen, und nicht ^veit von diesen sieht man in einer hervortretenden Krümmung des Flus- ses verschiedene badende und schwimmende Fisruren, nebst andern am Ufer, welche lau- fen und einander haschen. Alle Figuren sind, wie im Stande, so auch im Kostüme der Na- tur, völlig unbekleidet , und auch in der Land- schaft ist noch kein Werk menschlieher Kunst sichtbar.

Die Heiterkeit imd Freiheit des Geistes, ^ie Carstens in dieser lezten Darstellmig zeig- te, und der Tiieb , sich mit seiner Kunst zu beschäftigen, blie'uen ilim auch da noch, als er. sich nicht mehr aufser dem Bette erhalten konte. In liegender Stellang und mit zittern- den Händen versuchte er noch, zur Verkür- zung der Zeit , einige Ideen aufzuzeichnen, bis ihm bald auch dazu die Arme ihre Kraft ▼ersagten. Der Yeiiassei besizt noch die sieben

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Blätter, die cfer steibende Künstler in dieser Lage bezeichnet hat; seclis derselben enthalten Scenen homerischer Schlachten , und das sieben- te Stellt dar , wie Verres» römischer Praetor in Sicilien die Bildsäule der Diana von dem Marktplaz zu S eheste entführen läfst, JEs sind, ach wache , mit unsicherer Hand zitternd hin- gezeichnete Entwürfe, in denen man die Ab- sicht das Künstlers blos ahnden Kann , weil die Hand sie nicht mehr bestirnt anzudeuten vermochte. Dies völlig heitere Bewustsein behielt er bis zu dem lezten Augenbliche, wo der stete Reiz des Hustens , dem die ohnmäch- tige Brust nicht mehr entgegen wirhen honte, ihn in einem Blutsturz erstickte ; und sein Iqz- tes Gespräcii mit dem Verfasser , der ihn wä- rend seines lezten Krankenlagers fast nie ver- lies , etwa eine Stunde vor seinem Tode , be- traf einen mitologiichen Gegenstand , über den er z-sveifelhaft war , und aus seinem Hederich Auskunft zu haben wünschte.

So verglomm endlich auch der lezte schwache Funken seines edlen aber jam- mervollen Lebens ; und Carstens starb, völ- lig entkräftet und fast bis zur Mumie aus- gedüirt, am 25teii Mai 17981 nachdem ei

nur eben sein vier und vierzig-^tei Jahr rol> endet liatte.

Die Öfnung seine; Leiclinäme? , die der Arzt] nacli den römisclien Verordnungen füi pflichtmäfsig liielt, zeigte, -was olineliin kei- nes Beweises mehi- bedurfte, den höchsten Grad dieses Übeb, die gänzliche Zerstörung der edelsten Eingeweide , undj die fisische Unmög- lichkeit seines längeren Lebens.

Carstens wurde nicht, wie sonst bei der Bieerdigung der Protestanten in Rom gevröhn- lith ist, Abends bei Fackelschein, sondern früh beim Aufgange der Sonne, von w^enigea Deutschen, die im Leben seine Freunde gewe- sen waren , begleitet , an dem gewöhnlichen Oite, neben der Piramide des Cestius, begia- ben. Nach Hinabsenkung des Sarges sprach der Vei-fasser an der oiienen Gruft die nach* Stehenden Worte :

Landsleute und Freundet

Ich würde das Gefühl der Freundschaft ent- weihen, wenn ich hier, am Grabe meines Freundes, seinem Werth eine studirte Lobre- de halten wolte. Dir alle habt Carstens gekan:, tind hont ilira das Zeusrnis nicht versa-^en.

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dass er ein edler Menscli, ein verdienstvoller Künstler war. Das wird allen, die ihn se-

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nauer kanten , sein Andenken wertli eilialten. Ihr wifst > Was er mir war. Ich habe in ihm meinen treuesten, geliebtesten Freund verlo ren, \ind werde diesen Verlust, so lange ich lebe , betrauern. Ein siecher Körper und «in trübes Scliiksal waren die Gefährten seines Da- seins von Jugend auf; sie liefsen ihn wenig Freuden des Lebens geniefsen» und hinderten ihn, das Ziel zu erreichen, das die Natur selbst durch ein grofses Talent ihm bestirnt hatte. Aber sein heiterer, muthiger Geist war eben so sehr über die Widerwärtigkeiten des Lebens > als über die Schwächen seines Körpers erhaben; jene trug er mit männlicliem Gleichmutli , diese mit Geduld. In der Kunst fand er den höheren Zweck und Genus seines Daseins; in ihr fand er reichlichen Ersatz für alles , was Schiksal und Glük ilim Stiefmütter* lieh versagten; in ihr vergas er jedes niedere Bedürfnis; selbst in den schmerzlichen Leiden seiner lezten Krankheit linderte die Unterhal- tung mit ihr seine Schmerzen und erheiterte seinen Geist. Frühe hat der Tod dem Wir- ket der edlen, nach Vollkommenheit streben- den Sele, die in dies-^r gebrechlichen Hülle

woTinte , ein Ziel ^esezt. Carstens wusl'-, dass er tiein hohes Alter eiTeichen würde, utid mehr als einmal liatte er den Tod in der Nähe gesehen; aber dieser hatte, auch in den lezten Augenblicken, nichts Furchtbares für ihn. Im Bewustsein eines schuldlosen Lebenswan- del^ sah er ihm mit ruhiger Fassung entgegen, oline Hofnung und ohne Furcht einer Zukunft, von der er nie etwas erwartet, die nie auf das Denken und Handeinseines selbständigen Gei- stes Einflus gehabt hatte , und die ihn auch in seiner Todesstunde -weder mit frohen noch bangen Ahndungen täuschte. Wohl wünschte er ein längeres Leben auf der freundlichen Er- de , um wenigstens Ein öffentliches » würdi- ges Denlunal seiner Kunst zu hinterlassen; denn auch ihn begeisterte, -wie jeden Edleren, der Gedanke , im Gedächtnis der Nachwelt zu leben, und durch Werke [des Geistes unsterb- lich zu sein. Aber die Parze durchschnitt es in der hofnungsvoUesten R.eife, und die Yor- Äbungen seiner Kraft zu grufseren , der L^n- sterblichkeit würdigen Werken, sind der ein- zige Nachlas des auf derlMitte seiner Laufbahn dahin gerafften Künstlers, Geist und Staub des Entschlafenen! theurer, geliebter Brnder und Freund I ich trenne mich auf immer von

tli?\ Du l^elp-st zurücl-iiii d.en Sclioos der ewi- gen Natur s ^vo}^in ai!cii -wir dereinst, frük-er oder später, dir fol°;en. Ich ti-enne micli auf immer von dir., aber deine Freundscliaft , dei- ne Liebe, dein strebender Geist und dein red* iiclies Herz werden mir und allen, die dicfe kanten, unveigeslicli sein.

0

Näcli dem Verluste seines Jabrgeliälts lebtfe Carstens von seiner Kunst mit einem zwat Siicht reiclilichen, docii für seine wenigen Be- (äürfnisiie ebenzureiclienden AuskomTnen. Aber seiti lezres achtmonatliche» K3-ankenl?:ger er* schöpfte bald den Meinen Vorraih seines Gel* des , und brachte ihn in Noth und Schulden-. Er sandte deshalb noch leinigs Monate vor sei» iiem En'de drei seiner Arbeiten : -d^en Kamjjf Fingah mit (lern Lodageistc , die Parze?! und den JMusentanz , an den Künsthändler Fraueir- hoh in Nüi^iherg , tun dies^ben zu verhau« feil. Dieser behielt sogleich das lez'te 5 w^ofür das Geld erst nach des Künstlers Todeeiutrai; ^ie beiden andern blieben dort zurück, bis sich vielleicht ein Liebhaber dazu fände. Wä- re Carstens gesund gewesen ^ so würde auch

<rr.

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er, wie maiiclier andere fremde Ktinstler, der •w'äreiul der Revoluzion ohne andere Mitlei, als die seine Kunst ilim darbot, in Rom ans- liarrete, sicli diircli diese tj'aurige Zeit glük- licli Iiindiucli ge-vvunden haben. Aber, -wenn er langer so siechend fortleben mnste , so wa.- reii Mangel und Elend sein unvermeidliches Loos. Zu einer Zeit, avo fast jeder in Verle- geniieit gerieth, und nieiiiand das Ende jenes Zustandes absehen honte , wo würde deinoth- leidende Kranke da einen helfenden Freund gefunden haben? In dieser Hinsicht war es gewis eine wolilthätige Fügung der Dinge fiir ihn, dass er schon im Anfange jener Begeben- heiten starb.

So endete früher, als der Gang der NaUir CS fodert, dieser edle Genius, in der vollen Reife seiner gebildeten Kraft , seine hurze, aber rühmliche Laufbahn. Wenige wurden von der Natur durch Anlagen, die einen gio- fsen Künstler möglich machen, so ausgezeich- net begünstigt; aber auch gegen wenige hat sich zu gleicher Zeit das Zeitalter so ungün- stig, das Glüh so stiefmütterlich, das Geschik so w^iderwärtig , und die Parze so feindselig erwiesen, als gegen ilm. Jeden Schritt zuiu 16

Ziele musLe er dem Sclilksale liarixiäclüg ab- liämpfen , oder diucli. jnüliseliges Ausliariea abverdienen. Wohin hätte er gelangen kön- nen, wenn Zeitalter, Glück und Gesundheit sein Streben beflügelt hätten !

Ein der Kunst günstiges Zeitalter, wo Kunstsinn und Gcschmak sich gegenseitig be- leben, hebt oft auch beschränkte Talente zum' Vortreflichen empor. Ilüheie , urkräftige Ge- nien bilden blühende Schulen um sich her, w^ mancher der sonst unbemerkt geblieben wäre, glänzend seine Bahn durchkieiset, dem dunkeln Planeten gleich , der Liclit und Schwungkraft von der Sonne seines Sistems empfängt. Im Gegen theile wird es auch dem grösten Talente unmöglich sein, die Hinder- nisse, die ein ungünstiges Zeiiaiier seinen Be- strebungen entgegen üLciit, zu riberwindcn, wenn es nicht durch günstige Umstände be- sonders unteistüzt ■wüd. D;i nun auch dies sich nur sehen ereignet, so kann man wohl annehmen, dass in einem, der Kunst ungün- stigen Zeitalter, wie z. B. das uasrige ist, ei- ne Menge glüklicher Talente sich selbst und der Welt völlig unbekant bknbt, und dahin «chwiiidet, ohne je ilue BvStimumng geahn*

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dct zu haben; ja, dass rucli von denen, die sich ihrer selbst bewust Averden , nur wenige sich entwickehi, und von diesen wefiigen nnr höchst selten Eines zu glühlicher Ausbil- dung gelangt; keines vielleicht das wird, wa$ es in einem bessern Zeitalter, unter gliihliche- ren Umgebungen geworden wäre. So ent- scheidend ist der Einilus des Zeitgeistes und der Umstände auf die Entwichelung des Men- schen! und doch verni;ig auch wiederum iJire höchste Begünstigung nichts, wo die Nattir den Beruf versagt hat.

Wenn nun, unter solchen Umständen, das Seltenste der Natur, ein achtes Kunstgenie in. der Welt erscheint, das mit aller Stärke des Instinkts die einzige Bestimmung seines Da- seins fühlt, und deiselben vom Glüke unbe- günsligt entgegen stiebt, so last sich vorher- sehen, dass es in einer, auf seinen Zweck gar nicht berechneten Ordnung der Dinge , wie die unsrige ; bei einem, dem Geiste wahrer Kunst so widerstrebenden Zeitgeiste, wie der lierschende, überall Widerstand finden, stets mit Hindernissen kämpfen, unglüklich sein, und v\de eine Erscheinung aus einer andern Welt, seinem Zeitaller ewig ficmd bleiben

werde. Jiiescs war., sein ganzes Leben liin- tlurcli, lias Loos imsejs Künsiiers , der bei gleicher CJugescluneidiglieit sich dem gangba- ren Knnstleisten anzupassen, mit zwei Aka- demien zerfiel, den unter seinen, grösten- theils von dem Geiste des Zeitalters befange- nen , oder von Natur am Geistesauge geblen- deten Kmistgenossen nur ■wenige verstanden, lind den der Tod hinw^egris , als er die Stufe der Ausbildung erstiegen hatte, wo er durch reifere Aibeiten den Namen eines grofseu Künstlers veidienen honte. So verkümmert die Pflanze einer milderen Zone unter einem rauhen und feindlichen Ilimuielstriche. Wann sie endlich bei mühsamer Pflege spät und kümmerlich ihreBlüthen entfaltet,- so ist auch ihre Kraft erschöpft, und sie welkt hin"", o^n© ein Samenkorn für künftige Geschlechter an» zusetzen.

Wir können nicht wisstii , wie oft in der geheimen Werkstatt der Natur alle die Bedin- gungen glücklich znsamit'ien ucircn, unter de- nen es ihrer Bildkrait gelingt, die höchste Fülle und Harmonie fisischen und geistigen Lebens zum Kcinie eines neuen Daseins zu ge- statten , das den Schöpft rgeist einer höheren, Teredelien Natur in sich tragt. Aber wir dür«

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feil glauben , (Tass ancli ihr dns Vollvomnit^nc nur selten gelingt. UnentUicli fcltoner aber noch fügt es sicli, dass zu jeneTi inneren Be- dingungen mich die äusseren sich , in der Fol- ge des Lebens, glüklicli beisammen ßnden, damit es sich frölich gedeihend entwicliele, und in der vollen Blütlie des Strebens die Her- lichheit seiner 'Schöpferhjnft unverhümmert vor Weit und N?.chv/eit entfalte. Darum ist denn auch ein durch Natur und Bildung glük- iich in sich vollendeter Kunstgenius eine der seltensten Erscheinungen, die nur die glüLli- chen Zeitalter der Kirnst durch ilire Gegen- ^vart crfieuct , und einer wolilthäfigeu Gott- heit gleich, duich die Herlichheiten ihrer Kunstschöpfungen, Jahrhunderte lang die Welt b^eligt.

Bequem last sich nun hier , .im Ende sei- ner Lauibahn , des Künstlers gesauites Vermö- gen , das wir in den verschiedenen Zeiträu- nien seines Lebens sich unter mancherlei Hin- dernissen entwichein , troz allen WiJerv/artig- heiten strebend fortwrxjisen , und einer frucht- reichen E3ntc: vergebens entgegen reifen sahn, in Einer Übersicht zusammen fassen. Am be- sten ina^ dies geschehen j w^eun wir eiaixela

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darlegen , was er in jedem Tlieile der Kunst geleistet hat. Denn dd die Kunst ein zusam- jnengeseztes , aus inanclierlei wissenscliaftli- clien und teclmisclien , materiellen und geisti- gen Elementen organiscli bestehendes Ganzes ist, das durch jedes Künstlers eigenthüraliclie Bildkraft auf eine andere Weise gemischt und gestaltet wird, so last sich ein Kunstvermö- gen zwar wohl im Ganzen aufs Ungefähr scliä- tzen , und nach seinen hervorsteclienden Zü- gen charakterisiren, aber doch eigentlich nur dann richtig würdigen, v/enn mau es nach den verschiedenen Theilen der Kunst im Ein- zelnen prüft. Wer die Kunst nicht als einen blofsen Mechanismus , sondern als ein orga- nisches Erzeugnis betrachtet, "^der wiid auch bei einer solchen Zeigliederung den lebendi- gen Geist des Ganzen nie aus den Augen ver- lieren. Und damit uns das hier um so weni- ger widerfahre, betrachten v^ir zuforderst Jen Stil seiner Werke, in dem sich, wie in der risiognomie einer Bildung, Geist und Cha- yakter des Ganzen ausdrückt.

Stil, Die Individualität des eigenen Subjekts »bgereclmet, die kein Künstler in seinen Wer-

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hen ganz verlängnen Knnn , scheint dns Ei- genthüniliclie seines Stils, und die wesentli- clie Verscliiedenlieit desselben von dem Stile der alten Mr. Icr , nach denen Carstens sich vor- nehmlich gebildet hat, darin zu liegen, dass jene , deren Kunst sich , im Dienste der christlichen, auf den Stamm des Judenthums gepfiopften Religion, von der untersten Stufe der Nachahmung almälich durch V\'ahrheit luid Schonhtiit bis zur idealischen Freiheit aus- gebildet hatte, fast immer nur biblische und kirchliche Gegenstände behandelten , deren jüdischer Grundciiarahter, in ilncn Stil über- gehend, denselben durchaus bestimmte, so dass er von dem späteren Einflus der Antike nur eine geringe Modilikazicn annahm. Sie traten daher auch aus ihrem Kreise, vrenn sie Gegenstände des heidnischen Alterthumes dar- stellen wolten , wie Rafael, als er die Fabel der Psyche in der Farnes'aia bildete , yvo kei- ne Darstellung derselben den wahren Charak- ter der Antike tiägt, so vortreflich sonst in Anderem Betracht jenes \Yeik ist. Et-\vas bes- ser behandelte schon Julius Roinanus antike Stoffe, besonders der üppigen Art; vcr allen Künstlern jener Zeit aber hatte Polidor , durch vieles Studium alter Biidw^cTke, den Stil ücr-

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selben angenommen; melir jedocli durch gliik- liclie Naclialimung ihres Gesclimaks, als durch W«ihre , freie Aneignung ihres Geistes,

Carstens , der seinen Stil ganz auf den der Antike gegründet, und unter den Einflüssen der Weilie ]\lichelarigelü''s und Fiafaels weiter ausgebildet hatte, übte seine Kunst nur an Gegeiaständen des liciunisclien Alterthumes, am liebsten der heroisclien Zeit; dahei- aucli sein Stil Vorzugs v/eise den Charakter dersel- ben trägt, obwohl in der Romposizion iia- fael, den er für den grüsten Meister der dra- matischen Darstellung crkante , fast ausschlie- fsend sein Vorbild war.

Diese Grundbestr.ndtheile des Stils , die er duich lar.ges Studium in seine Eigenthünilicli- . Keit aufgenommen und damit veisclimolzen hat, findet m.an in allen A^'beiten unseres Künstlers. Wäre Carstens in den Fall gekom- men, biblische Gcgenstär.de darstellen zu jnüssen , so Würde er vvahrscheinlicli zuviel von dem sich angeeigneten Charakter des gii- chischen Alterthums hineingebracht haben, wenn er auch nicht seine Juden ganz in Gri- clten verwandelt hätte, wie neulicli Benvenw tl von Arezzo in seinem sonst in vielem Bc-

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traclit lobenSM'eitlien Gemitlde der Judich, die ihrem Volke das Haupt des Holofernes zeigt, getlian hat, wo Judith gleich einer Juno er- scheint, eine Menge blonder Jünglinge und Mädchen giichische Bildung und Tracht zeigeuj lind blos der Hohepriester diuxh seine behantö Amtshleidiing an das Judentlium erinnert.

Unser Künstler hat also diirch sein Beis]3iel nicht nur diejenigen "widerlegt, welche be- haupten, der Stil der alten Maler des XVIteu Jahrhunderts schicke sich nicht mehr für die Kunst unserer Zeiten: eine Sage, die man sonst wohl iji R-oni von Künstlern zu hürcii pflegte, welche im Ernste glaubten, der Stil der Akademie von S. JLuca, oder jen^r de? neuen französischen Schule, sei unsern Zeiten angemessener; sein Beispiel kann auch dieje- nigen eines Besseren belehren, v/elche indem eben so grofsen Wahn stehen : dass die Ge- genstände des heidnischen Aitertliumcs , so "vtIg der Stil der alten Kunst, nicht mein- für die unsrige taugen , die sich nur an Gegenständen der christkatolischen Religion zu einer noch nie erreichten Höhe erheben, und nur durch diese eines all<remeinen Interesses fähis: sein ivönne. In derTliat, eine Behauptung , die in

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dem Augenblicke um so sonderbarer klingt, wo man sicli froh fiililt, dass die abgesclimak- ten, bis zum Ekel wiederliolien Darstellune:en aus der k-atolisclien Mitologie und, Martii-olo- gie endlicli einmal aufgebort haben, die bil- denden Künste zu beschäftigen, und man kann w^ohl sagen zu misbrauchen, und wo man eben bemühet ist, dieselben wieder ei- jier besseren Bestimmung zuzuführen; eine Behauptung, die sich auf den Wahn grün- det, dass die bildenden Künste r;ur im JJien- Ste der Religion gedeihen und blühen kön- nen, und dass wahres Kunstgefühi nur durch rnistisclie Pveligionsgefühle zu erwecken sei. Aber diese frommen Kunstfieunde bedenken nicht, dass unser Zeitalter (der Deutsche spricht von dem seinigen) eben so wenig mehr durch christliche als durch heidnische Mitologie zu begeistern ist; dass also auch beide, in Hinsicht auf religiöses Interesse, der li-unst gleich ferne liegen ; so wie der seit gestern' Todte , so todt ist Avie der, welcher vor Jahrliunderten starb. Sie bedenken nicht, dass Vergangenheit nie wieder Gegenwart wer- den kann , und dass es eben so unmöglich sein w^ürde , die Jlunst \vieder zu iiuer ein- fältigen Kindheit, als unsere Zeit zu dem kin-

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disclien Geist und Glauben der Zeiten zurück- zuführen, der jene entwickelt hat; ^velche» doch geschelien müste, wenn ihr frommer Wunsch in Erfüllung gehen soke.

Die freigewordene Kunst, der Stütze aber auch zugleich des Z\v.uige6 der Fv.eligion ent- hoben, mus hinfort auf sich selbst rulien, w^ie sie denn in der Tliat aucli immer auf sich selbst geruhet, und statt ihr Interesse von der Religion zu erborgen, A'ielmehr dieser selbst durch ihren Sinnenzauber ein allgemeineres Interesse gegeben hat. Wenn die Kunst zu ih- rer Eut-»vickeUing der Volksreligionen bedurf- te, so haben dagegen diese der Kirnst ihre fe- stere Gründung und ihre Verschönerung zu verdanken. Sie hat der alten die Bilder ihrer Gottheiten und Heroen, der neuen ihre Plerr- gütter , Kruziiixe, Madonnen und Heiligen- bilder geschaffen, damit das Volk glaube und anbete. Religiöses und Runstgefühl kunneu auf diese Weise wohl in Eins zusammeufliefsen; dadurch aber gewinnt weder. das. eine noch das andere, vielmehr müssen beide in dieser Ver- mischung noth\vendig ihre Lauterkeit einbüs- sen. D.iruui ist es auch immer dahin gekom- men, dass in jeder Volksreli^ioa endlich nur

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noch der Pübel dem Bilderdienste tTeu geblie- ben ist. Der Vernünfiic;e aber hat in den Göt- ter- und Heiligenbildern immer nur die schöne lind erkabene Idee bewundert, das treflichc ode}' schlechte Kunstwerh gesehen.

Walire, reire Religion ist ft-.r bildend© Kunst ganz unfruchtbar. Ihr über alle An- schauung eihabener , nur dem Geiste be\vuster Gegenstand verschmälit jede bildliche Daistel- lung. Volksreligionen können also nur indem, was sie zu Volksreligionen nucht, in der sin- IJclien Einkleidung des Lbersinlichen , in ikren Sagen und Fabein, der Kunst einen braucliba- aen Stoif darbieten, und ihre Entwickelung und Ausbildung begünstigen. So sind denn auch v/irklich einige Voiksreligionen alter und neuer Zeit der Boden, oder, da die Kunst ihren eigenen Boden hat, eigentlich nur der Diin^er gewesen, der die zarte Pflanze der Kunst aus ihrem Keim hervorgetrieben , ge- nährt und ihre Biüilie entwickelt bat. Das Samenkoin aber, aus welcliem diese Pil^nze emporwuciis, ist eigener Natur und edlerer Abkunft, Es stammt von den edelsten Kräften der Humanität, ui'id rciit nur da, wo ditse sich harmoiiiscli entfalten. Der Stoff aliör Volksreligionen im Gegcntheil erzeugt sich aus

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sinnliclieii Anlagen clcr Menscliennnttir, Ge- fühl der Abliänf];iglieit von stärkeren Natur- mäcliten, Unwissenheit, Furcht und Hofnung sind seine Elemente, die, wenn sie sicli mit Religionsidecn gatten , den Aher^lauhen s-ebä-« rcn, der dann, gleich einer Schmarotzej-pflan- ze, die sich an alles hängt, woraus sie Nah- 3ung saugen kann, auch an der Kunst empor- W'uchcrt, den Stamm derselben eine Zeitlang lustig umgrünt, aber heimlich ilire Lebens- Kraft austrocknet und verzehrt; wie es der neueren Kunst im Dienst der Kirclie ergangen ist. Dass die alte Kunst nicht ein gleiches Schiksal hatte, komt daher, weil sie selbst nach ihrem Dedüifuisse die Mitologie der alten Volksreligion gestaltete, imd auf diese Weise mitten im Dienste derselben ihre Selbs.tändig- keit auf eigenem Eoden behauptete. Sie war, •was die Kunst im Dienste einer Religion seil» soll, Simbolik des L-bersiniichen duich die schönsten würdigsten Bilder der Natur. Die neuere Kunst liin^zecren hat der Volksrelip-ion

•G^Ö

T

blos gedient imd in diesem Dienste ihre Selb- ständigkeit veiloren. Nun raus sie, von je- ner absretrennt und sicii selbst wiederirecreben, erst diese wiedersuchen, und auf ilirem eige- nen Boden Wurzel fassen.

So soll denn auch der Künstler , wie Car- stens in wahrer Erhentnis seines Zw^eches wirk- licli tliat, seine Kunst hinfort nicht in der Re- ligion , sondein seine Religion , d. i. den Ge- genstand seiner reinsten Liebe, seines eürig- sten Stiebens, seiner seligsten Gefühle, in sei- ner Kunst finden. Seinen Schöpfer mag er als das höchste , heiligste Wesen im Geiste und Herzen verehren; aber nur das Schöne und Er- habene der Natur, das Gi'oPse und VTiirdige der Menschheit können die leinen Quellen sei- ner künstlerischen Begeisterung sein; oder er läuft Gefahr, ein Abgötter zu \^ erden, der vor Seinem eigenen Machweik niedcrknieL , wie es manchen katolischen Künstlern wirklich er- gangen ist. Die Kunst selbst wird ihn dann Äur Wahl solcher Gegenstände leiten, die ihr Streben nach dem Ideale plastischer Schönheit VOizüglich, und auf die mannigfaltigste Wei- se begünstigen, also vor allen zu den Gegen- ständen der alten Mitologie , wo Geschichte und Fabel , Göttliches und Menschliches , Dich- tung und Plastik, sich wunderbar vereinigen; die bereits von den Alten der Kunst so glück- lich zugebildet sind> und an denen ihre Künst- ler das Ideal der Scluaiheit, das der Kunst al- ler Zeiten Vorbild imd Leitsiei u sein soUj cnt-.

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wickelt haben. Hier hat der Kiinstler ein iiu- eudliches Feld voll des glükliclisteii Stoffes, "WO sein Streben nach dem Ideale durch nichts beschränkt wird. Hier hat er übejdies den grofsen Vonheil neu sein, und eii>en Stil bil- den zu können, der, wenn er gelän£;e, jed« Foderung des leinsten Kunstgeschniaks zu be- friedigen fdhig sein müstc. Dazu sind "vveder der Geist und Zweck der katolischen Ileligion ■überhaupt, noch die Gegenstände iiirer jü- dischchristlichen Mitologie und Martirologie tauglich , was auch hier und dort auftauchende Schwärmer darüber fantasiien mügen.

Unser Hünstier vrar auf dem rechten Wege zu diesem Ziele. Da er die Gabe , den eigen- thümlichen Harakter der Dinge aufzufassen, in hohem Grade besas, so hatte er sich aus den KunstJenkmälern der Alten, mit Beihülfd des fieissigen Studiums ihrer Scliriftsteller ei- ne seiner Kunst völlig angemessene Vorstel- lung vom gricliischeu Alterthume daraus er- worben, w^elcher gemäs alles, was er bildend dachte, sicli in seiner plastisch diclitendeti Fantasie kunstmäfsig'gestaltete. Seine gänzli- che Unbekantschaft mit den künstlichen, aller ■wahren Kunst widerstrebendtn, Verhältnissen,

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Sitten und Manieren der lieutigen Welt hatte diese reine Ansicht des Alteitliums vojzüglicli in ihm begünstigt» Der ewige Widerstreit des Modernen mit dem Antiken , der gewöhn- lich dadurcii geschlichtet ^vird , dass man je- nes nach diesem , oder dieses nach jenem mo- delt und ziistuzt, wodurch denn ein harahter- loses Gemisch von beiden entsteht, war für ihn gar nicht da. Das Modernste, Avas je auf seinen Geist cingewirht hatte,, waren die Wer- ke ]\'IicheIa7!gelo''s und Fiafaels ; aber auch die- »e wirlitcu nur nach dem früheren Einfius der Antiken auf ihn. So bildete er sich endlich «inen Stil, der ganz dazu geeignet w^ar, eine Schul-e zu begründen ; wie denn auch sei- ne Weike selbst schon eine Schule in der höheren Bedeutinig des W'ortes, d. i. einen eigenen musterhaften Kreis genialischer Kunst- gebilde ausmachen, in denen sich, neben den stufengängigen Fortschritten des Künstlers, der Geist des Altenhums mit der Darstel- liingsweise der neueren Kunst vereint, treuer und reiner spiegelt, als in irgend einer der bckanten Kunstschulen.

Z e i c h IL n n g. Seit Carstens sich ganz der Kunst widmete, liat er nie mehr einen Gegenstand nacligezcich-

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net. Er stncllrte blos betraclitend , iiKaem er den Gegenstand seines StuiJinins oft und alsei- tig aufs genaueste beobachtete ; die Gestalt nebst dem Karaliteristi sehen desselben seiner Einbildungskraft einzuprägen, und dann von dem so Aufgefafsten in eigenen Arbeiten die Anwendung zu machen suchte.

Dass er in diesem Verfahren nicht blos mit dem Gedächtnisse die Foruien undUmiisse der Gegenstände aus^veiicig leinte, sondern sie le- bendig in seinen Sinn aufnahm und seiner Bild- !kraft aneignete, bev\"eist die Art der Anwen- dung; noch mehr aber das eigene innere Le- ben seiner Bildungen. Auch ham ihm dabei das plastische Vermögen seiner Einbiidungs- liraft, das Bild der Gegenstände nicht blos als einen Schemen auf der Fläche, sondern als vrirklich rund aufzufassen , sehr zu statten» Er begrif dadurch um so leichter die Formen der Gestalt auch innerhalb des Umrisses. In* dessen hatte doch diese Art zu studiren auf den Karahter seiner Zeichnung einen sichtbaren Eiuflus. Er stjebte in den Fonnen nach Be* stimtheit, in den Verhältnissen nach Grofse, in den Umrissen nach Schönheit; durchgängig nach Idealität, Diese Zwecke^ hat er auch im »7

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Ganzen glül^licli etreiclit. BesriiTitlieit, Gfö" fse, Sclionlieit kommen in seiner Zeichnung dem Auge überall entgegen; und seine Gestal- ten sind immer idealischer Natur. Aber der prüfende Blick des Kunstrichters vermisst in vielen die durchgängige Korrektheit. In dem Streben nach grofsen Veihältnissen sind ihm zuweilen die äufseren Gliedei", besonders die Füfse, zu kl^^in gerathen; -v\'elclies auch dem JVIichelangelo nicht selten begegnet ist, der ihn eigentlich auch zu diesem Fehler verleitet hat. Den Foimen und Gelenken der Glieder fehlt zuweilen das gründliche Verständnis, w^eslialb es auch den Umrissen an durchgangi- ger Richtigkeit felilt. Seine Gestalten > denen nie Leben und Ausdruck mangelt, bewegen sich fast immer natüjlich und gefällig ; und seltener ist in diesem Punkt die Richtigkeit verlezt.

Es ist nicht zu zYS-^eifeln, dass ein Künstler von vorzüglichen Fähigkeiten nicht auch ohne Nachzeichnen, auf dem Wege blofser Betrach- tung und fleissiger Uebung in eigenen Erfin- dungen , endlich dahin gelangen könne , die jnenschliche Gestalt in jeder Stellung und An- sicht volkommen richtig zu zeichnen. Um

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aber nach der blöfsen Vo) Stellung eine Zeicli- niing so nuszufüliren , dass sie in allen Theilen felilerfiei, und wie nacli der Natur ansstudirt erscheine, ist nothwendig, dsss der Künstler die Gegenstände, die er darzustellen hat, bis in ihre kleinsten Theile nicht blos durch das Ar.ge , sondern auch juit dem Veistande ihre Konstiuhzion duichaus so gründlich und ge- nau henne, als ob er selbst sie erdacht und ge- schaffen habe. So duichaus gründlich, ver- mittelst seines tiefen anatomischen Studiums, kante vor allen anderen ^lithelangelo den menschlichen Körper; und dadurch ist er auch, in dr. Darstellung desselben, vor allen andern 50 bewundernswürdig und uneireichbar gro=.

Da nun aber C arstens hei weiiem nicht die- se tiefe und gründliche , sondern nur einö nothdürftige Keiitnis der Anatomie besas , und auch in der Persjyektiv , der zweiten Grund-* kentnis des Malers, ohne %velclie keine strenge Richtigkeit der Zeichnung möglich ist, prak- tisch nicht hinlänglich regeliest war, so kon- te alle Übung und Fertigkeit seiner Einbil- dungski aft, alle Treue seines Gedächtnisses, ihn nicht vor manchen Unrichtigkeiten im Ein- zelnen schützen , so sehr er «uch dagegen a.uf

seiner Hat war. Aberdie^e Mängel, die nicht soAVohl seiner An zu studiren , als vieljuehr sei- ner stets beschrankten Lage, die ihn an der Erwerbung der nöthigen Hülfskentnisse hin- derte, beizumessen sind, werden durch einen eigenthümlichen Vorzug, durch die individu- elle Einheit des Rarahters , durch die Bedeut- samheit und den lebendigen Ausdruck seine* Gestalten , die auch den Figuren der korrek- testen Zeichner so oft fehlen , vergütet. Da- mit begegnete auch Carstens seinen tadelsüch- tigen Gegnern, welche behaupteten, er könne wohl komponiren , aber nicht zeichnen. In- dem er ihnen zugestand, dass im Einzelnen sei- ner Arbeiten manche Unrichtigkeit zu tadel* sein möge, zeigte er ihnen, dass ihre eigene Zeichnung im Grunde noch viel schlechter seij, weil daran , aller nach Modellen mühsam aus- studirten Korrektheit der Theile ungeachtetj das Ganze nichts tauge.

ff^ahl des Stoffes,

Bei der grofsen Mannigfaltigkeit in der Wahl der Gegenstände für eine Darstellung ist es merkwürdig, dass der Künctler nie ei- nen Stof aus der römisclicn Geschichte behau-

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delt liat, die jezt fast ausscliliefseud das Feld der fraiizüsisclien Schule geworden i't. Car^ stens beliandelte jeden für malcii clie Darstel- lung günstigen Stof, der sein Kunstinteresse in -V'OTzüglichem Grade erregte; und so finden wir ihn bald mit einem Stoffe aus der nordi- schen INlitologie und der Ossianisclien Welt, bald mit der Idee eines neueren Dichters be- schäftigt; am liebsten aber behandelte er Ge- genstände des grichi-clien Alterthums aus der homerischen Welt, und was der nahe liegt, lind zu ihnen hehrte er immer wieder zurück, weil sie die einfache, ruhige Grüfte und die reine Idealschünheit , nach der er strebte , vor allen andern begünstigten. Er vermisste diese Eigenschaft an den Gegenständen der römischen Geschichte , die zwar dem Maler Gelegenheit darbieten , Reichthum , Pracht und theatrali- schen Pomp zu zeigen, ihm aber den höheren Federungen, die Er zu leisten strebte, im- günstig imd widerstrebend schienen. Da über- dies das römische Kostiün die Freiheit des Künstlers auf mancherlei Art beschränKt, und ein eigenes Studium fodert, so hielt er es, be- sonders in seiner La^^e, für zweckwidrig, auf das Studium - olcher Dinge , welche den höhe- ren Zweck der Kunst vielmehr beschränken,

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eis befördern , viel Zelt und Miilie zu verwen- den. Weaii der Künstler hier nicht blo3 in Bezug auf ich unheilte, «^o würde sich wider jene Behauptung manchem einwenden lassen; da in ihrer Art auch die römi-che Geschichte jintreitig ein fruchtbares und leiches Feld ma- lerischer Stoffe darbietet. Nur mü^te auch der Stil solcher Darstellungen seinen eigenen von jdem Stile der grichi?chen Heroen weit ganz verschiedenen Karakter haben ; der jedoch so schwer nicht zu finden sein dürfte , da schon ^afael und Julius Romanus denselben in der Schlackt Konstantins und einigen andern Wer- Iven aus den römischen Denkmälern glüklich in die Malerei übeitiagen haben. Vergleicht man aber beide Arten de? Stils mit dem Ideale, so i t nicht zu läugnen , dass iin Algemeinen. des Künstlers obiges Urtheil über die Gegen- stande des lömischen Alterthums gegründet, und seine Bemerkung, dass auch die gricJii- sehen Krieger als Helden » die römischen Hehlen aber nur als Krieger gebildet werden können, sehr richtig ist, und das Verhältnis, worin beide zum Ideale stehen, treffend bezeichnet. In der That w^ird auch die durch die alten Dichter und Rünsr^ei zum, Ideal veredelte He- roenwelt der Grieben für die bildende Kunst

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immer ein günstigeres Feld, und für den Ge- »cliüiak eine reinere und reichere Quelle der Scliüukeit sein, als das kriegerische Zeitalter der Ktiuier, dem, bei allem Heroismus de^ Muthes und der Gesinnung, doch eine gewis- se durch die Kunst nicht genug veredelte P«.o- heit anhängt, die mit der Reinlieit des Ideales nicht -wohl verträglich ist.

Aus derselben Ursache hat unser Künstler auch keine Gegenstände der biblischen Ge- schichte behandelt. Zv^-ar liielt er das patriar- chale Zeitalter der ebräischen Vorwelt für ei- ne ergiebige Quelle malerischer Bilder; und durcli Fiajaels trefliche Darstellungen in den Logen des Vatikan war es ihm noch lieber geworden; aber dennoch blieb es seinem duich grichische Kunst und Dichtung gebil- deten Sinne weniger genügend, als das schü- nero Alterthum der Grichen. Zu Gegenstän- den der christlichen Mitologie oder gar der Legenden und des Marterthums hätte er sich noch \veniger verstanden. Diese waren ihm, wie jedem Menschen von unbefangenem Gei- ste und gesunder Empfindung, ihres unbe- deutenden , oft albernen , oder häslichen und «Jißihaften Inhalts wegen zuwider; und aus.

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jtner meinte er, seien die besten Momento «chon von guten Künstlern so gut, und von Eclilecliten so oft daigestellt worden, daisman daran für immer genug habe.

Man hat dem Künstler vorgeworfen , das9 «r zu sehr darauf ausgegangen sei, neue, un« behaute Gegenstände darzustellen. Wenn die- ser Vorwurf auch durch die Menge neuer, von ilim zuerst behandelter Stoffe gegründet schei- nen möchte, so ist er es doch in der That nicht. Seine so häufige Wahl neuer, unge- wöhnlicher Gegenstände hatte einen andern Grund, und der Verfasser kann hier um so eher ein Wort 2Hir Berichtigung dieses Mis- Verstandes sagen, als er des Künstlers Gedan- iien über diesen Punkt, und die nähere Vei an* lassung zu mehreren seiner Erfindungen sehr wohl kennt.

Carstens gehörte freilich nicht zu denen, welche behaupten , in der Historienmalerei ^omme auf den Inhalt nur w^enig, das Meiste auf die Ausführung an ; der Künstler thue da- Iier wohl, sich immer in dem Kreise bekanter, also auch von Meistern und Stümpern bereits bis zum Überdrus behandelter Gegenstände herumzudrehen (wozu freilich die Maler im

IM««ste der Kirclie genÖtliigt sind). Im Ge- gentlieile hielt er dafür, dass die WaLl des Iiilialts und die Poesie der Erßndiing die Ilaupt- saclie ; und , wo sie misiungen oder vernacli- lässigt ^vorden, ein Kunstwerk auck bei der besien Ausführung niittelmäfsig sei; und dass es dem erfindenden Künstler frei stehen luüs- ee, das Gebiet der Kunst mii: neuen Gegen* ständen zu bereichern > die der malerischen Darstellung fähig und würdig sir.-d, ohne Fcücksi&ht ob die Gegenstände allgemein be- kant seien , oder nicht. Darum aber glaubte %r doch keines\veges , dass das Neue , blos als solches, irgend einen Weith habe; und um mit Eelesenheit zu prunken, hat er gewis nie einen unbekanten Stof gewählt. Dass Carstens so viele neue Gegenstäiide behandelt hat, war eine natürliche Folge seiner vertrauteren Be- kantschaft mit den alten Schriftstellern, die wohl wenige Künstler so atxfmerksam und wiederholt gele-en haben. Wärend des Lesens entstanden ihm vmgesucht Bilder die Mengej unter derren er nur die festhielt, die seinen Darstellunj^itrieb vorzüglich reizten,, und ihm zur malerischen Behandlung vorzüglich geeig« jiet schienen. Dies w^ar besonders der Fall, wana ei einen jiiten odei jieue^n &cluiftstell^

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zum erstenmale las. So z. B. entstand eine seiner lezteii und schönsten Komposizionen, die nielirervväliutc Scene aus dem Vten Gesän- ge der Dantescnen Hölle , durch Schlegels Dar- stellung dieses Gedichts in den Hören , aus de« er dasselbe zuerst kennen lernte , da er italie- nische Dichter in ihrer eigenen Sprache nicht lesen honte. So fasste er die Idee zn einer Darstellung der Scene , wo Verres das Bild der Diana von dem Markte zu Segest entfüh- ren last , die ihn noch aul seinem Sterbelageif beschäftigte, aus der in Goldhagens grlchischer lind römischer Antologie übersezten Steile einer fiede des Cicero gegen Verres, wo diese Ge- walthandlung ausführlich erzahlt ist, die er kuiz vorher zuerst gelesen , und wozu ihm überdies die neueste Kuustplünderung Pioms Bilder und Empfindungen ^enug dargeboten liaLte. Der Verfasser könte die ähnliche Ent- stehung von mehreren Komposizionen des Jlünstiers, die er entweder sogleich aufzeich- nete, oder noch eine Weile in Gedanken trug, angeben. Überhaupt kam Carstens nicht leicht in den Fall, einen Gegenstand zu wählen, der ihn nicht lebhaft interessirt, dessen Bild sich ihm nicht von selbst dargeboten hatte. Denu ^a er immer nur zunächst für sich arbeitete.

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so konte er auch in der Wahl der zu bearbei- tcnJeii StcftG ganz seinem Antriebe folgen ; lind er wüste diese Freiheit , die grofeen, vielbeschäftigten Malern selten zu Theil ge- Avorde«. ist, zu schätzen; doch hätte er für die Yortheile ihrer Abhängigkeit gern einen Tlu'il derselben hingegeben. In früheren Zei- ten, wo ei mehr allegoiisirte, und von der Grofse des 3IicheIangelo begeistert, diesem nachzustreben versuchte, mochte er öfter in dem Falle gewesen sein, nach GegensiänJen zu suchen, die ihm Veranlassung zu grofsen, mächtigen Gestalten gaben ; und so erhielten auch noch später einige seiner vorzüglichsten Erfindungen dieser Art, die Schö-pjungsp-uj)-pe^ der Lodageist , und die Sacht mit ihren Kin-^ dem, ihr Dasein.

Wenn Carstens ausserdem zu^veilen Ge^» genstände behandelt hat, die entv^eder seiner Kunst überhaupt , oder seinem Vermögen jiicht angemessen %varen, so nius man diese Ffille als Misgrifte der Beurtheilung betrach- ten, zu denen irgend ein lebhaftes Interesse an solphen Gegenständer^ ihn verleitete, und dergleichen den gröiten Riinstlern, dichten- den und bildenden, wohl zuweilen begegnen.

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El wüste besser als viele, was seine Kunst fodert, und was sein liunstvermügen am be- sten Leistete ; aber vom W issen zur Ausübvmg giebt es nianclierlei Irvi^ege, Avelche j^iül'.lich zu vernieiuen auch das gebildetste Genie niclit iiiunei kalte iiüiige Besonnenheit genug iiat,

Ausdruck. Wenn wir in Hinsiclit auf diesen Tlieil der K-uiibt die grofsen Maier unter den neue- ren mustern, so finden wir, auTstj hajael, l^einen der in demselben allumfassend zu nen- nen wäre, der das \ermogen, für jeden Jiarakter die ihm entsprecbende Bildung zu er- finden, in seinem ganzen Umfange besessen hätte. Ihm allein gelang der Ausdruck jedes üarakters , jeder Gemüthsbewegung und Lei- denschaft, durch die ihr entsprechende Fi-^ eiognomie und Gebeide , und selbst in ver- wandten Karakteren viäederholte er sich nicht; daher auch in allen Werken Rajaels, ein paar üöpfe ausgenommen, die er vorseziich wie- derholt hat, keine Fisiognomie zweimal vor- liomt. Alle anderen grofsen Maler sind im fl- sioo^nomisclien Ausdjuck mehr oder weniger beschränkt, ihnen gelingen nur Karaktere ei- DLCi gewissen Gattung. Leonardo da Vinci

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hat zu wenig grofse Wer!ke liinterlassen, um sein Vermögen für den Austiruck ganz zu ent- falten. Nach seinem Abendmal zu urtheilen, ^val• es allerdings von grofsem, nacli der Ein- förmigkeit seiner weibliclien Fisiognomien aber, nur von beschränktem Umfange. Auch D ominichino , nach Rafael der gröste Meister im Ausdruck, noch mehr aber Correggio , Pai' megi^iano y Guido t Guercino , Alhano , haben, ihien beschränktgn Kreis, man könte sagen ihre eigene Familie von Gesichtern, gevv-isse Lieblingsfisiognomien , Mienen und Stellun- gen , die sie zu wiederholen nicht müde wer- den. Rafael gleicht dem grofsen, universel- len Schauspieler, der sich in jeden Karakter versetzen kann, dem jede Pcolle gelingt; die arideren Künstler gleichen guten , aber be- schränkten Schauspielern, deren Talent nui- in einem oder w^enigen Fächern, nur in gew^is* sen Fvollen glänzt.

Sclnverlich lassen sich in diesem Theile die jedem Talente von der Natur gesezten Schränken durch Kunst überschreiten ; da der Ausdruck der Karaktere und Affekte lediglich vom Gefühle abhängt. Wem das Talent des Ausdrucks versagt ist, der wird es diuch kein

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Stieben erlangen, liöclistens wird iLm nur e:--: Xie Übertreibung davon gelinj^en ; er ist zuf dramatisclien Malerei nicht berufen. Nur wer es besizt, findet niclit allein die Fisiognomie des Karakters, sondern aucli in jedem lalle das richtige Maaä des Ausdrucks. Darum ist auch das Vermögen Individualität zu^ erschaf- fen die eigentliche Grundlage und der sicher-, ste Priilstein des plastischen Genies , so wie der fisioguomische Ausdiuck die Grundlage je- der andern Art des Avisdrucks ist. Er ist das Bleibende, an welcliem der pathognomische und mimische Ausdnick vorübergehend er- scheinen. Wahrer bestimmter Karakteraus- druck wird daher auch seltener gefunden , als der wahre Ausdruck bestimmten Leidens und Handelns , der auch an karakteilosen Gestalten erscheinen kann , obgleich er dann nur wenig Theilnahme ciregt. Dieser last sicli der Natur ableinen ; der Künstler darf ihn nur richtig auffassen , und treu nachbilden. Jenen mus seine Einbildungskraft erfinden. Gemüthsbe- Avegungen von gleicher Art und Handlungen 7,u gleicher Absicht haben aucli eine gleichför- mige Art ihres Erscheinens. Der Karakter al- lein ist individuell; ist er das nicht, so ist rr unbestimmt. Eigenthüralicli und bedeutend

kann also aucK eine Fisiognomie nur dadurch sein, dass sie einen bestimmten eigentliümli- clien liaiakter ausdrückt.

Carstens besas das Talent , einem gegebe- nen Karakter gemäs die demselben entspie- cliende Fisiognomie in seiner Einbildungskraft aufsteigen zu lassen , in einem liolien Gjade ; er v\'dr also auch in der Karakteristik seiner Kopfe glücklich; und war auch sein Kreis nicht allumfassend wie Rafaelsr so war er doch un-.fassender als der Kreis irgend eines der obengenanten Maler. Fähig alles auszu- drücken was ihn lebhaft und innig gerührt, oder durch ein liolies Interesse begeistert hat- te, zog er, bei seiner vielseitigen Empfäng- lichkeit , Vieleii mit Glück in seinen Ki eis ; lind eigentlich lag aufserhalb desselben nur das , was der natürlichen Stimmung und Em- pfindungsweise seines Gemütlis als vml.cdeu- tend oder fremdartig widerstand. Daliin ge- Lüj te zuförderst alles Affektlrte , Gezierte, Ge- meine. Frivole, Wollüstige; dann auch das blos Liebliche, Tändelnde, Empfindsamzärt- liche, Zieilichschöne. Jenes w^ar der Wahr- heit und Würde, dieses dem Ernste seiner Empfindung, so wie alles Moderne seinem Geschxnack , zuwider.

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KinJer Vommeti nur selten in seinen Da!.- Btellniigen voi ; auch kante er die Natur der- eclben nur aus der zweiten Hand, vornelim- lieh aus Rafaels drallen , kräftigen Buben und. ' aus Flamingos Rindern. Der kleine Achill in

d«n Argonauten^, so wie Tod und Schlaf in der Nacht g^ehören «schon ins Knabenalter. Auch junge weibliche Gestalten hat er nur we- nige gebildet; doch gelang ihm der Ausdruck zarter jun^fiäulichei- Unschuld und Schönheit in den Köpfen dei^elben sehr w^ohl, wie sei- ne Polyxena in Priam und Achill, die Grazien im ßlusentanz , einige weibliche Figuren ia der Schlacht der Kentauren und Lapithen , und im Eteokles zeigen. Doch gelang-en ihm noch besser weibliche Gestalten im Karakter ideali- scher Wesen, die hohe Schönheit, mit Ernst und Grofse vereint, fodern; wie in der Nacht, der Nemesis, den Erynnien und Parzen, deren Individualität er selb t -ei fand , und die ein^m Maler sanfter Weiblichkeit, einem Guido, Do- minichino, schw-erlich gelungen \vären. Eine seiner vorziiglichsten weiblichen Bildungen ist die traumdeutende Priesterin in dem Orakel des Amfiaraos. Ohne Ausnahme gehörten dio Karaktere jedes Alters und jeder Klasse vom «tärkeren Geschlecht, vorzüglicU aber Helden

und

273

lind Jlts, seinem Kreise an. Aus dem frühe- sten Jünglingsalter sind sein Ganinied, und Jiylas in den Argonauten, aus dem reife- ren : der rükwärtsblickenae Jüngling im So' lirates i die Jünglinge im Homer und im Ja- son , die vorzüglichsten. Mänliclie Gestalten von der vejscliiedensten Individualität ßnden. sich vornehmlich in den beiden Barken und in der Hölle. Wie sich der Künstler homeri- sche Helden gedacht hat, sieht man in den^;- sonauten, im Achill und Priam , im Zelte .Achills, im Kamjjje Jupiters mit den Titanen^ in den beiden Oedipen, im Jason imd Et-sO" Tdes ; die beiden lezten besonders gehoien so wie sein Fingal zu dem Gelungensten in die- ser Gattung. Oedipus in Kolon y Homer, der sitzende Alte im Yoigmnde und der fönizischg Jiaujman in demselben Bilde , und Priam zu den Fiissen Achills, zei^a^en wie er das Alter in ehrw^ürdigen Greisen , sein Fta^ in dev Schö- pfung sgruj)-pe und der JL,odageist , wie er es in dem erhabenen Karakter übci-menschlicher Wesen auszudrücken wüste. Dass Carste?2S in seinen allegorischen Erfindungen den Karakter der abstrakten Wesen immer symbolisch durch die Gestalt auszudrücken suchte, und darin Baeisteiis glükUch war, ist schon an einer an-

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S74

dern Stelle beniei\kt worden , und wir dürfen liier nur an seine Nacht , an die Nejuesis in derselben, an seine Furien und Parzen, an die pT'inde in der Dantischen Hölle , an den JVLorjeus im Orakel des Amßaraos , an die Schöjyfungsgruppe und den Lodageist erinnern.

Obgleicli der feurigen Fantasie des Künst- lers heftig bewegte Scenen und Affekte viel- leicht angemessener waren, so zog doch oft sein Gefühl die Daistellung luhiger oder ge- jnäfsigter Momente vor , welches in diesen «inen innigeren Genus fand , als in heftigen und stürmischen. An Darstellungen von Blut- tind Mordscenen , an denen die neue französi- sche Schule so gern ihr kaltes Feuer Vibt, fand er am wenigsten Gefallen; an solchen niim- lich , wo ein Mord als Hauptliandlung aus- schliefsend das Gefiihl in Anspruch nimt; an Schlachten hingCj^cn, w^o das Getümmel strei- tender Kräfte zugleich die Fantasie lebhaft be- schäftigt, nahm er grofses Gefallen Konstan- tins Schlacht war immer ein Gegenstand der Be\vunderung und des Studiums für ihn , so oft er den Vatikan besuchte. Aus dejnselben Grunde gefiel ihm unter allen Darstellungen des Kindermordes auch nui- die Rajaalisahe,

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Bei dieser Vorliebe für ruhige Sceiien ver- stand er zugleich die Kunst, sie durch Man- nigfaltigkeit des Ausdrucks so interessant zu machen, dass sie den Betrachter oft länger fesselten, als andere Bilder, die ihr llauptin- , teresse dem Gegenstande verdanken. In dieser Hinsicht sind seine Argonauten heim Chiron und sein Homer merkwürdig. Beide Bilder habeil gemeinschaftlich, dass eine vcisamnief- te Menge mit Aufmeiksr.nikeit auf etwas horcht, das ihre Gemüther angenehm be\vegt. In derai einen sind es Helden, die dem Gesänge des Orfeus , in dem andein Hörer gemiscliter Art, die dem Gesänge Homers horchen. Das Inter- esse in diesen Darstellungen , wo eigentlich nicht gehandelt wird, ^vo blos etwas vori^eht, hat der Künstler zuforderst durch die Men^e schöner Gestalten und bedeutender Fisio^no-

o

jnien bewirkt, und nächstdem durch den man- nigfaltigen Ausdruck einer und deiselben Em- pfindung auf so vielen und so verschiedenen Gesichtern , der von mancherlei kleinen , aus den Umständen sich ergebenden , Motiven unters tüzt \vird.

Zu dieser Gattung ruhiger Darstellungen gehören auch: die ISacht mit ihren Kindern;

0-6

die Parz&n ; (lr,s Zeit Schills ; die s-cliwebende Schöffungsgrujype ; der in Scliwerimvtli ver- . sunliene ^jflx, und das Orakel des Amfiarüos, Es sind Drirscellungen ohne bestimmten Mo- ment, und man kann sie als stehende Erschei- nungen betrachten, die der Künstler vor das Auge des Betrachtenden rücht; in dem lezteu machen die Erscheinungen in den Piorten der Träume gleichsam ein Bild im Bilde aus.

Zu den ruhigeren Scenen mit bestimmieir» Moment gehören: das Gastmal des Plato ; die heiden Barken; AcliilL und Triam; Oedip in Jxolon ; Jasons Ankuvjt In Jolkos; Helena auf dem Skäisclien Thore; Solüntcs im Korhe und die Hexenküche aus Laust. Und \velche Ver- schiedenheit der Beliandlungsweise in so ver- schiedenen Gegenständen ! Die Luzianische Laune in den beiden Barken; die heitere Fest-' lichkeit in dem Gastmale , wo Alzihiades den Sokrates bekränzt j und der komische Ernst in dei- Scene aus den M olken , wo Äristofanes diesem berühmten Weisen eine Apotheose an" derer Art bereitet; dann wieder die Innigkeic des Gefühls in dem Jammer der beiden hülflo- gen Greise des flehenden Priuni tmd des blin- den, heimatlosen, mit Fluch belasteteai Qc

lUp; dann der Gegensatz dcv Emp&ndnngen im scll^velbetrof^eneu Telias uikI dem froJx er- staunenden VolVve bei Jasons plOzliclier Göttcr.- eysclieinung in Jolkcs mit äclit Pindarisclier Begeisterung , legen des Künstleis Vennügen, S-einen Gegenstand in* den bedenrendsten Zü- gen aufzufassen, und ilim den eigentliümli- clien Ton abzugewinnen , liiu) eicbend an den Tag. So viele glüklicli gelungene Erfindun- gen düifen -vTolil für einige andere minder ge- lathene Naclisicht fodern. Zu diesen rechnen wir: den ßlusevtanz; den Kamjjj Achills mit dem Skamandcr ; Zelt und Fiaum^ und die Sce- ne' aus dem Oeuijjus Tyraunus.

Geben wir von den rulüg bewegten Sce- nen stuien\veise zu den stärker bev\-egLen, lie- Toisclien und patlictiscben fort bis zu denen, welche" Gesichte einer dichierischen Fantasie darstellen , also auch einen ?iiinstler fordern, dessen Einbildiingsloaft dergleiclien dichteri- sche Stone pi.iitisch zu bearbeiten w^eis , so werden w^ir erst da den Künstler in seiner ei- gentlichen Heimat . finden. Mit Gegenständen dieser Art, die hühne Grosheit, Heldensinu und Pathos vereixiigen , besclnäftigte sich seine Taniasie am liebsten, und die Dursteliung der-

S7Ö

selben gelang ihm besonders glüliUcli. Dies beweisen der Engelsturz; der Titanenkam-pf ; die Kentauren- und La-pitlienschlacht und das Lnzinnische Gegenstück derselben das Gast- vial; Eteokles i der von den Iinien gequälte Oedijy; das Trauers-piel in Yorkshire ; vor al- len aber seine Holle nacli Dante, eine der lez- ten Komposizionen und zugleich die fantasie- jcichste, kühnste und gereifteste Dichtung seines Genius, die leider, wie nianclie andere seiner Erfindungen blos Uniris ^geblieben ist; clenn er zeiclniete gern jedes Bild, so wie es in seiner Vorstellung gereift war, sogleich auf, damit es nicht wieder von anderen Ge» genständen verdunkelt würde; und so sam- melte sich eine Menge von Entwüifen, die er ausgeführt haben würde, wenn er länger ge- lebt hätte.

In den vier und zwanzig Darstelhmgen aus der Ar^onautik linden sich Scenen jeder Jiicr angegebenen Gattung.

I\ o l o r i t.

Wir fassen unter dieser Ueberschrift Ma- len und Koloriren zusammen , obwohl beide eigentlich wie Mittel und Zweck verschieden

2-9

sind. IMalen , als ein blo5 tecliiiisclier Thcil der Kunst, last sich durch Kentnis der Hand- grilFe , Lbuns^ und I leis erlciiien, und auch bescliränkte Köpfe ohne wahres Kunsttalent Können es darin zu giofser GcschikLichkeit bringen. Kolorireii sezt eine besondere Anla- ge voraus, die in der Empfindung gegriindeü, und ein wesentlicher Bestandtheil des Kunst- talents ist, der den Künstler zum Maler, und den Maler zum Künstlei- maclit; die Anlage nämlich: den eigenthümlichen Stojf und die Farbe der Gegenstände unter den Einflüssen des Lichts und der Luft mit Eiupfindnng auf- zufassen, und in der Nachbildung mit harak- teristischer Wahiheit auszudrücken. Diese Anlage ist das Talent zum Koloristev , das je- doch ^veit seltener zu sein scheint, als man dem Anscheine nach vermuthen solte, da Far- ben fast auf alle Menschen einen lebhaften Eindruck machen. Genauer betrachtet findet man aber auch, dass es nicht sowohl die Wahrlieit der Faibe , als vielmehr die karakts- ristische TJahrheit des Stojfes ist, was man im Kolorit der meisten Maler venuisst; und besondejs des Stoffes, der unter allen am schweisteu nachzualimen ist , des Fleisches, das so wenige Maler mit einer den betastenden

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Blick befriedigenden Tauscl^ung auszudrücken veiuioclit haben.

Dnss Carstens in diesem Theile der Kunst »m weitesten zurückgeblieben ist , haben Avir bereits iu seinem Leben angemerkt. Schon der Anlage nach gehörte er zu den Künstlern, die mehr von den Formen als von den Farheiz der Erscheinungen gerührt w^erden» also auch dem Zuge dieser Empfänglichkeit folgend, ih" ae Aufmerksamkeit mehr auf jene als auf diese richten. Er selbst hatte die Bemerkung an ßich gemacht, dass er an allem, was ihn in der Natur anzog, immer nur Form, .Karakter und Ausdruck sah, und von den Farben und ilijcu Wiikungen nichts \vahrnahn) , M^enn er nicht Torsezlich seine Aufmerksamkeit darauf D-ichtete. Dieser Zug allein kann beweisend dass Carstens , dei" durch Naturanlage ein Kiinst^ 1er war, nur durch Fleis ein Maler geworden «ein würde. Da nun vorzügliche Talente auch in solchen Dingen , die aufserhalb ihrer eigentlichen Bestimmung liegen, durch ernst" liches Stieben , und durch die tief eindringen- de Kraft ihres Geistes weiter kommen , als ge- wöhnliche Köpfe, so ist nicht zu zweifeln, dfiss Carstens auch im Kolorit dasEj-forderliche,

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•würde _s:elel5tct haben, %venu die Umstand» Üun vcrgünnt hätten, auf diesen Tlieil de» Kunst das gehörige Studium zu wenden. Abe« zu dem, dass er schon in seiner ganzen Kunst- bildi;ng durch widrige Un-:stände so verspätci "Wurde, dass er seine Laufb.tim erst in den Jah- ren beginnen honntc, wo gewöhnlich andere Künstler bereits ihre Schulübungen vollende« haben, homnit noch, dass er nur selten Gele- genheit hatte , die Ölmalerei zu üben , die docla gerade, ihrer Schwierigheit wegen, unter al- len Arten zu malen am meisten Übung lodert. Da er überdies nie die Anleitung eines Meisters in derselben genossen hatte, so \var er nicht einmal dahin gelangt, alle zu ihrer Ausübung nöthigen IlandgrifTe kennen zu lernen, daher denn auch die wenigen Versuche und Übun- gen, die er daiin machen honte, nicht den gewünschten Erfolg hatten. Hätte dessunge- achtet Cat■st^?ls auch nur in späteren Jahren mehr Ölgemälde im Grofsen auszuführen Gele- genheit gehabt, oder hätte er länger gelobt, £ö Würde er es, aller fiiilieren Versäumnisse un- geachtet, noch dahin gebracht haben , seinen Darstellungen, v\'enn auch heine vortrefliche, doch eine ieidliclie, ihrem ern^ten Ilarakter ge- nügende Ausführung zu geben. Ev wüi'de

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clann auch Mittel gefimclen haben , die Hand- griffe lind Behandlungsweisen zu erlernen, ^velche zur Hervorbringung gewisser Wirkun- gen notliwendig sind ; sein geübter Blick und gereiftes Urtheil hätten den Mangel an Übung in kürzer Zeit ersezt. Das zeigen schon die ■wenigen Ölgemälde, die der Künstler in R.oni verfertigt hat, deren jedes neue Fortschritte zeigte, besonders das lezte, Fingais Kam-pf Ttiit dem Lodageiste > wo des Heldeu Figur in der Rüstung, nebst einigen andern Theilen des Bildes, in Koloiit und Behandlung so gut gelungen \var, dass auch Kenner und gute Maler selbst davon bef)iedigt wurden.

Diese unglückliche Beschränkung seines Strebens , wodurch er in einem so wesentli- clien Theile der Kunst hinter sich selbst zu* 1 ückzubleiben gezw^ungen w^urde, und anderer- seits die übermäfsige Wichtigkeit, die der grofse Haufen der Maler, der die Kunst blos von ihrer technischen Seite kennt, mit Gering- schätzung ihrer höheren Theile , aufs blofse Malen und Pinseln legt, ohne doch einen rich- tigen Begrif vom Kolorit zu haben, war eine der gröfsten Unannehmlichkeiten, die seine frühere "\^ersäuninis ihn empfinden lies. Auch

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griffon ihn seine Gegner ani liebsten von die- ser Seite an. Indessen lies er sich deii Vor- ■wnrf, dass er niclit malen könne, da er von Leuten kam, die selbst nur geistlose Pinsler waren, wenig anfechten, und kehrte eben so wie bei denen, die ihm vorwarfen, er könne nicht zeichnen, ihre Waffen g^egen sie selbst zurück. Indein er ihnen willig zugestand, dass er schlecht male, führte er ihnen zu Ge- müth, dass sie es, nur in anderer Art, nicht weniger schlecht machten, als er; imd dass ihre Maler -und Pinselkunst, auf die sie sich soviel zu gute thäten , wenig nütze, da ihr Kolorit nichts tauge ; imd wer diese lezte Be- hauptung nicht einräumen wolte, den verwies er auf Tizian.

Da Carstens für blofsen Farbenreiz wenig Empfänglichkeit hatte, so war ihm auch die matej-ielle Wahiheit und gesniide Frisclie des Koloiits die Hauptsache ; wo diese mangelte, da hatte alle Kunst des Pinsels und der Farben keinen Werth in seinen Augen. Darum zog er axich die Malerei al Iresco der Ölmalerei vor, und behauptete, sie sei dem grofsen Stile angemessener als diese. Dass er in jener mehr geleistet haben würde, zeigte sowohl die Ar-

284 . ,

beit im melirerwalinten Dorvilleschen Haus© in Betlin, als auch die erste Barke nncli Lu- ziany die er in Leimfarben ausführte, uu,d die ilim besser gerieth , als alles, was er in Ölfar- ben gemalt hat, den I'ir.gal ausgenommen. !Die Tone des Naktcii an der 'Menge unbeklei- deter Gestallen sind darin mit, mannigfaltiger Verschiedenheit abgestuft ; dabei w^hr im Ein- zelnen und von kräftiger Harmonie im Gan- zen, und die Behandlung ist frei und doch sorgfaltig. Ein Beweis , dass es dem Künstler eigentlich nicht an lichtigen Begriffen des Ko- lovirens , sondern nur an Kentnis und KimsU der Oinialeiei mangelte.

G e w a n cl.

Ein hunstmiifsig schönes Gewand ist eine dej; schwersten Aufgaben der Kunst, die nur wenige Maler glücklich gelöst haben. Die Idee dazu ist zwar in den alten Bildwerken auf mannigfaltige Weise zur Jiüclisten Schönheit ausgebildet; da aber die Malerei ein anderes Bedürfnis der Bekleidung ihrer Gestalten liat, als die Plastik, so mus sich auch der Stileines schönen Gewandes in beiden auf verschiedene Wci»c ausbilden. Bei den älteren Malern hn-

285

det iiiait scliön seit Glotto eine gute tmd rich- tige Gjiindlage dazu ; «iber erst JMichelangelo lind Rafael haben es zu der Grofse und Schön*- lieit ausgebildet, die der Idealstil d.er M.derai fodert; besonders hat es durch den Iczten die Grazie erhalten, die es o;leichsam an dem Le- ben der Gestalt, an der Anmuth ihrer Bewe- eunjren Antheil nehmen lassen, und wodurcli CS fähig vsärd , nicht nur die Schönheiten , die CS verhüllet, zu ersetzen, sondern aucii durch eigenthümliche Schönheiten und Reize die Lust der Betrachtung zu erhöhen. Dieser reine und. echöne Stil des Ge-wrandes hat sich aber nur in Rafaels unmittelbarer Schule erhalten. In del* Schule des Garracci hat es weder der gröste Meister, noch der gröste Schüler derselben» weder Aiinihal noch Dominicliino , in solchem Sinne gebildet; und späterhin scheint die Idee eines schönen Ge\7andes sich ganz verloren zii haben.

Carstens hatte über diesen Tlifcil der Kunst in Deutschland zu keinem bestimmten Bcgrif gelangen können ; und er selbst fühlte diesen Mangel mn so lebhafter, je mehr er einsah, wie unentbehrlich ein sicherer, und reiner Ge- schmack in Gewändern für den grofsen Stil der Malerei ist. Alles, was er darin vor sei-

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nei' Fieise nach Italien vernioclite, hat er in dem Dort nie sehen Saal in Berlin an den doi t gebildeten Musen zu leisten gestrebt, wovon sich noch niehreje Studien unter seinem Nach- las gefunden haben, die sowohl im Wurfe als in der Wahl der Falten deutlich genug veira- .then, dass ihm dabei noch Keine sicher leiten- de Idee vorgeschwebt hat.

!Diese eiw^arb er erst in E.om durch fleifsi- ^es Betrachten der Werke JMichelangelo^s und Hafaels. Seine früheren Gewänder haben oft den Fehler, dass sie auf erhobenen Theilen zu dicht und glatt anliegen , so dass man sie fast iiicht auf dem Nahten , das dadurch bedeckt er- scheinen soll, bemerkt. In diesen Fehler ver- fallen gewöhnlich die , welche den Gew^andstil der alten Bildwerke unverändert in die Male- rei übertiagen wollen. Späteihin erkante und Veiniied er diesen Fehler, und gab ihnen den vrahien llar^kter eines malerischen Gew"andes. Wie sehr Carstens sich endlich dem reinen und Schönen Gewandstile Rofaels genähert hat, zeigen Sokrates im Ixorhe , das Orakel des Avi' fiaraos , das ausgefülute Ölgemälde der Nacht mit ihren Iiindern , Jason in Jolkos , Eteokles, 4ie lezten Farzen , das Zelt Achills » Priani und

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Achill und die schönen Gewandstudien zum Ho» mer f die sich in seinem Nachlasse befinden.

Der Wurf des Gewandes mus in der Anla* ge schon durch die Idee des Künstlers bestirnt sein ; aber die Wahrheit und Schönheit det Brüche und Falten lassen sich nur dem durch die Absicht und den Geschmack des Künstierä geleiteten Zuialle absehen; daher auch der Künstler bei der Auslülirung durchaus seine Gewänder über dem Gliedermanne werfen mus. Carstens hatte, nach vielfältigen Versuchen und fleissiger Übung im Gewandwerfen , end- lich auch zu diesem Geheimnis den Schlüssel glüklich gefunden, und verfuhi-, wie bei al- lem , auch bei seinen Gewandstudien sclir ein- fach. Sein ganzer Kunstapparat dazu bestand in einer etw^a drei Palmen hohen , hölzernen Gliederpuppe , einigen leinenen Hemden für die untere Bekleidung und einigen gröfserea Stücken für das Übergewand. Mit diesen ge- ringen Hülfsmitteln, auf die der geringste Schüler Davids mit vornehmer Verachtung lierabgeblickt hätte, warf er alle seine Gewän- der, und würde auch grofse Bilder damit aus- geführt haben, wie er an seinem lebensgiofsen, in Ölfarben gern alten Bacchus gezeigt hat, des-

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ßen PurpurgeWiind weder im Wurf noch in den Falten seine geringe Abkunft venietls." Den liostspilligen Apparat der tranzösisclieu Schule zum Drappiren , welche sich nicht nur lebensgrofser , sehr hünstlich gearbeiteter Glie- derpuppen mitjMashen und Pcirühen, sondern auch kostbarer Gewänder aller Ait in man- clierl-ei Stoßen und Farben bedient, die eine ganze Theatergarderobe ausmachen, derge- stalt, dass d'cr Aufwand für die blofsen Zu- yüstungen allein schon die Kosten eines Ge- jnäldes übersteigt, fand er unnütz, und die Widitigkeit , die von vielen auf diesen Trödel gelegt wird, lächerlich.

Auffliegende GeWäudcr, die ganz aus der Idee gemacht w^erden müssen , richtete Carstens immer ein besonderes Augenmeik. Die Gele- genheit, sie zu Studiren, fand er bei windi- gem Wettei-; und wenn an solchen stürmi- schen Tagen irgend ein Rirchenfest gefeiert wurde, so versäumte er nicht leicht dahin zu gehen, und an der ab - und zustrümenden Menge das Fliegen, Flattern und Bauschen der Gewiinder zu beobachten. In seinem IVlu- sentanze sind die fliegenden Gewänder vorzüg- lich wohl gerathen; auch in- einigen andern

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Bildern z. B. in Raum und Zeit, in der Schö- pfung , im Lodageist, index Ilulle , finden sich dergleichen mit guten Partien.

jB e i w e r k.

Mit dem Beivrerke aller Art, das in histo- lischen Bildern vorhomt , >vuste Carstens sich ziemlich zu behelfen , obgleich er nicht , >vio manche Künstler zu tlimi pfiegen, ein beson- deres Studium auf Gefäfse, Geräüiscbaften und Architektur gewandt hat, da ihm früher di© Gelegenheit, späterhin aber die Zeit dnzu man- gelte. Er liebte in den Nebensachen die Spar- samkeit, imd brachte nichts Überflüssiges au« blofsem Prunk an; aber -^vas davon erforder- lich -war, ■v\\lhlte und bildete er, dem IrJialte gemäs , mit richtigem Urtheile ; auch erforder* ten die Gegenstände , die ei- gewöhnlich bear- beitete, keinen gjofsen Aufwand an derglei- chen Dingen. Nie verfiel er in den bei neue- xen Künstlern, besonders der französischeix Schule, die das Tiieatraiische liebt, so gemei- nen Fehler, aus imverständiger Prachtliebe Scenen aus den Zeiten des frühen, kunstarmeii Altei thmns mit einem Grunde von reicher und prächtiger Architektur, z. B. Scenen aus denj *9

stga

-Zeitalter des Rcmulus mit Tempeln und Sau» lehlialien hoiiuthisclier Oidiiung aus dein Zeit- alter Augusts oder Hadrians zu verziereru Seine Gebäude waren immer, wie das Zeitalter seines Gegenstandes sie foderte, und er brauch- te dazu keiner fremden Beiliülfe , wie viele Historienmaler, welclie die Architelitur in ih- ren Gemälden von einem Bauhünstler aufzeich- nen lassen, der dann gewöhnlich nur darauf denkt, 5e//i<? Kunst geltend zu machen , ohne zu fj-agen , ob sie zu der Darstellung passt; W^ärend der Maler sich freut, sein Gemälde mit einer so reichen Architektur geschmückt MX sehen, durch die er bei denen, die nicht wissen, däss er mit einem fremden Kalbe ge- billigt hat, einen höheren Begrif von seiner Gescliicklichkeit zu erregen hofft.

Nur einmal, so viel der Verfasser v^eis^ und zwar in dem Gastmal des Plato , hat Car- !;tens sich fremder Hülfe bedient. Sein Freund Oenelli hatte ihm zu dieser Komposizion den iestlich geschmükten architektonischen Hinter- j^rund entworfen. In der Folge aber , wo er selbst die perspektivischen Gründe seiner Bil- der zu zeichnen wüste , erfand er auch die Ar- chitektur, die' er dazu bedürfte, immer selb st^

wie in der Helena auf dem Slxähclien Thore, in Zelte Achills , im Ga^tmal der Filoofen, in der Hexenküche t im Trauerspiel in York" ^hire, im Homer, Jason, Kteokles und ver- «cliiedenen Blättern der Argonautik, wo man überall sieht, dass er nacli der kunstlosesten Einfachheit strebte, um dadurch in den Dar- stellungen aus der Argonautenfarth , aus dem Trojanischett und Thebanischen Kriege den Karakter des hohen Alterthuins noch deutli- cher hervorzuheben.

Geistesbild ung,

Carstens war, wie so viele andere Künstler, ohne alle vorbereitende Geistesbildung zur Kunst gekommen. Der dürre Schulunterricht glitt fruchtlos an seinem nur für Bilder em- pfänglichen Sinne ab; und die Menschen, un- ter denen er seine Jugend verlebte, niocluea biedre, redliche Leute sein; aber seinAufseres muste unter ihnen eben so ungebildet bleiben, wie sein Geist, imd er trug die Spuren ver- säumter Jugendbildung zeitlebens an sich. So jiachtheilig ihm dies fürs Leben war, wo äu- fsere Bildung so viel entscheidet, so vortheil- haft war es ihm dagegen für seine Kunst, Die

völlige UiiLel'iantschfift mit dem modernen Zeitgeiste maclite ilin nur desto fähiger, den Geist des Alterthums "walir und rein aufzuias» sen. Das Wenige, was «r Ton der -wirldiclieii Welt kennen gelernt hatte, die einfaclie Sitte und der gerade Sinn des Landmanns, stand mic j^nem in keinem Widerspruche. Er brachte also sein Talent rein und unbefangen zur Kunst, und empfing ihre ersten tiefen , unauslosclili- chen Eindrücke, >velclie die Richtung dessel- ben für immer bestirnten , von den besten Wer- ken des Alterthums. Daraus erklärt sich, wie Carstens, in der Unwissenheit seines Geistes, gleicli anfangs so glücklich den geraden Weg zihn Ziele einschlug, dass er auch in der Fol- ce keinen Schritt wieder zurück thun durfte,

o

Sich selbst überlassen fülilte er mit jedem Scliritte das Bedürfnis der Belehrung, und jnuste sie , da er keinen Lehrer hatte , aus Kunstbüchern schupfen. So fielen ihm zufäl- lig 1/J^ehhs Untersuchungen in die Hände. Die- se warfen das erste Samenkorn höherer Bildung in seinen Geist, und schlössen ilim mit einer höheren Ansicht der Kunst zugleich die Ge- schichte derjelben auf, %vo er die gröfsten Meister der alten und neuen Rimst kennen xmd bewundern lernte, und an ilinen seinen Kunst*

i95

cntliusia^mus entzündete. Bald foderte auch der Trieb eigener Erfindung Nahrung und Stof ; durch ihn ward er zu den Dichtern des Alterthuins geführt. Den Ovidlernle crzuersC Jiennen; diesem folgten bald Homer und vSo- fhokles. Sein Aufenthalt in Kopenhagen gab ihm Gelegenheit , die Mitologie des Shandina- vischen Alterthiuns kennen zu lernen ; um die- selbe Zeit wurden auch Ossian und Shakspea* re in deutschen Übersetzungen behaut. KIojJ' Stocks Namen ertönte von allen Zungen ; sein ]\Iessias, seine Oden, seine HermansschlachC sprühten Funhen der Begeisterung umher. Unter diesen Einflüssen bildete Carstens, wä- rend der früheren Periode seines Kunststrebens, Geist und Fantasie , und übte seine Darstel- lungshraft an den verschiedenen Karakteren des nördlichen und südlichen Alterthumes. Späterhin, wo almälich mehrere deutsche Übersetzungen von Grichen und Römern er- schienen, erw^eiterte und verinnigte sich seine Behantschaft mit ihnen immer mehr , und in Rom las er nichts anders mehr als seine Über- setzungen alter Schriftsteller, so dass endlich seine Vorstellungsart sieh dem Sinne der Alten immer treuer anschmiegte, und sein Geist fii ihrer Welt völlig heiiiiicch ward.

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Bei dem Reiclithume an malerisclien BH« dein, die Carstens durch vieles Lesen der al« ten Dichter und Geschichtschreiber in dieVor- rathshammer seines Geistes gesammelt hatte, lam es ihm immer wunderlich vor, wenn er andere Künstler klagen hörte , dass es ilineii an Stoff ziun Komponiren gebreche , und wenn sie danach bei andern herumfi agten. Aber diese Künstler lasen nichts oder wenn sie auch lasen, so kamen ihnen doch, aus Mangel an Darstellungstalent , keine Bilder. Sie kompo- nirten daher auch nicht aus Drang imd Einge- bung ihrer Fantasie, sondern nur mechanisch auf dem Papier; nicht aus Interesse an dem Gegenstande, sondern nur um ein Bild zuma- ßen, und daran ihre Malerkunst zu zeigen. Eine solche Unwissenheit und Geistesleeiheit mancher Künstler, die auf den Namen Histo- rienmaler Anspruch machen, könte unglaublich scheinen; aber sie erklärt sich, wenn man «ieht, mit wie vernachläfsigter Erziehung und Geistesbildung, mit was für gemeinen, hand- werksmäfsigen Begriffen von ihrer Kunst eine Menge junger Künstler, wovon die wenig- sten ein entschiedenes Talent besitzen, auf j^kademien heranwächst, und die Laufbahn «einer Studien yoUendet, ohne je den Trieb

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einer edlen Wisbegierde und das Bedürfnis der Geistesbildung zu fühlen. Carstens war zu seiner Zeit der einzige Künstler in Rom, der eine kleine, aber zweckmäfsigeKiinstlerbiblio- tliek besas, welche die besten Übersetzungen der Alten entliielt. Er machte, durch eine li- berale Mittheilung derselben, in vielen seiner Landsleute das Bedürfnis des Lesens alter Schriftsteller rege, und seine Komposizionen so vieler neuer Gegenstände, besonders aus Luzian und den alten Tragikern , brachten dieselbe Wirkung bei mehreren jungen italie- nischen Künstlern hervor, die meistens eben. SO unwissend aufwachsen , und ihre Kentnis malerischer Stoffe aus dem Kreise von Bildern schon lange gangbarer Gegenstände , oder höch- stens aus der römischen Gescliichte schöpfen. Doch hat sich auch in dieser Hinsicht , wie in der Richtung des Kunstgeschmacks überhaupt, in dem lezten Jahrzehend unter Deutschen so- •vv'olil als Italienern manches vortheilhaft geän- dert. Kunst und Künstler sind in ilirer Aus- bildung sichtbar fortgeschritten, und die wie- dererwachte Theilnahme an Darstellungen aus dem klassischen Alterthume hat beide wiedei"^ auf ihr walirQS Ziel hingewiesen.

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K u n s t s t r e h e n.

Die eigentliümliclie Natur dieses Kimstgei- stes , den -wir bislier duTch. die verschiedenen wissenschaftlichen und technischen Theile der Kunst begleitet haben, zeigt sich auch indem eigenen, von den gewöhnlichen Lehrwegen ganz abweichenden Gange , den er zu seiner Ausbildung gleich anfänglich eingeschlagen, den er immer beharlich fortgesezt , und auf dem er endlich in mehreren wesentlichen Tlici- len der Hunst einen hohen Grad der Volkom- menheit erreicht hat. In dem Leben eines Künstlers von so entschiedenen Anlagen, und so durchaus eigener , troz den ungünstigsten Umständen glüklich durchgeführter, Selbstbil- dung ist nichts merkwürdiger, als zu sehen, wie er ward, was er geworden; und deshalb ist auch in vorliegender Lebensbeschreibung dieser Punkt. mit besonderer Aufmerksamkeit beachtet und nichts übergangen worden , yv^s auf des Künstlers Bildung Einilus gehabt haben mag. So bliebe denn nun , irm nichts unberührt zu lassen , was zur volständigen Ausführung un- sers Vorhrtbens dienen kann , nur noch übrig, den vom Künstler in seiner Ausbildung geijom- menen Weg selbst näher zu prüfen.

C()7

Das Eigene seines Kunststrebens best?.nd vomeliralicli darin, dass er nicht den ge-wöhn- lichen Weg der zur eigenen Erfindung alniä- lich fortschreitenden Nachahmung ging , son- dern sogleich mit dem Erfinden begann; in- dem er die Kunstwerl^e, so "wie die Gegen- stände der Natur, die ihm zu Vorbildern dien- ten, nie nachbildete, sondern blos, durch un- abläfsiges aufmerhsames Betrachten, Fonii und, Karakter derselben mit der Einbildungskraft; aufzufassen, und das so Gelernte dann in eige- nen Erfindungen -wieder anzuwenden strebte» Da er nun bei diesem Verfahren ein so vor- züglicher Künstler geworden, so dringen sich die Fragen auf: Ist der von Carstens einge- schlagene Weg künstlerischer Bildung zweck- mäfsig an sich, also auch n.ndern zur Nachfol* ge zu empfehlen? oder war er es ulosfürihn? und würde er nicht auf dem gewöhnlichen V/ege der Nachahmung eher und besser zuia 2iele gelangt sein?

Viele haben erkant , dass in der Kunst mn: Ein Zweck, so wie Ein Stil der wahre sei, und daraus folgern wollen, dass auch nur ein Weg zu demselben führe. Aber über den In« halt des einen, wie über den Gang des au-

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dem , sind wolil nur wenige einverstanden ge- wesen ; und wie maiicliejlei Wege nnd Lehr- arten auch bereits Knnstschulen und Akade- mien eingeschlagen , oder einzelne Künstler durch Beispiel und Lehre zur Richtsclmur auf- gestellt haben, so scheint doch diese Aufgabe noch von niemand so glüklich und überzeu- gend gelöst, dass eine zuverläfsige Regel des Kunststrebens allgemein anerkant und einge» führt wäre; denn noch bis jezt folgt darin jed© Akademie, jede Schule und jeder Künstler ei- genen Vorschriften und R.egeln.

Es ist zu glauben, dass die alten Künstler auch hierin gründlicher, übereinstimmiger und mit glüklicliereni Erfolge verfahren sind ; W^enigstens last die in ihren Werken durch- gängig herschende Übereinstimmung des Stils und Geistes , die aucli auf den verschiedenen Bildungsstufen der Kunst, aller Mannigfaltig- keit ungeachtet, im Wesentlichen immer die- selben sind , auf ein durchgängig übereinstim- mendes Verfahren schliefsen, das ein zusam- jmenhängendes Lehrgebäude von Grundsätzen und R.egeln voraussezt ; statt dass in der neu- ereu Kunst jede Schule ihre eigenen Zwecke, ihre eigenen R-egeln, und ihre eigene LehrarE

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befolgte lind nocli befolgt» Es bedarf -wohl Keines Erweises, weichen UHclitheiligen Eiix- flus dieses unbestimmte Schwanken der Kur.st zwischen so verschiedenen Zwecken , Regeln lind Lehrarten auf die Bildung des jungen Künstlers haben» wie sehr es ihm den geraden, und sichern Fortgang zum Ziöle erschweren müsse. Aus ihm sind alle Manieren und Aus- schweifungen dfv neueren Kunst entstanden; und so ist der vielleicht am glüklichsten, der sich von allen Einseitigkeiten und Inhüraern der herkömlichen Verfahrungsarten frei erhält, und unter der Leitung seines eigenen Genius einen Weg findet, der seine Eigenthümlichkeit rettet, und ihn endlich, ^venn auch langsam und mühevoll, doch sicher ans Ziel führt.

Im Kunststreben überhaupt ist die Yeifah- rungsart für die zweckmäfsigste zu achteui durch Avelche der Künstler auf dem geradesten Wege sich dem Ideale seiner Kunst in allen, Theilen am meisten nähern kann. Das Ideal ist in beiden bildenden Künsten wesentlich dasselbe ; aber in jeder hat es seinen eigenen. Karakter. (Der Bildner findet das seine in der Antike ; den Maler weiset Rafael dai auf hin«) In jeder Kunst mus also das Verfolueu diudi

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den eigenthunüichen Zweck derselben bestirnt werden. Denn da , bei dem gemeinschaftli- clien liöheren ZwecL aller (nur durch diesen Zweck verwandten) schönen Künste, jede der- selben noch ihren besonderen Zwech hat, der durch das Material der Kunst bedingt ist, so mfjssen auch zu seiner Erreichung die Mit- tel verschiedener Art sein; daher ist es auch eben so nothwendig, dass der Künstler die Schranken seiner Kunst , über die hinaus er sich in das Gebiet einer andern verwandten Kunst verirren würde , als dass er inner- halb derselben ihr ganzes Vermögen genat^ kenne.

Diese , durch den Zweck der Kunst selbst bestirnte, und wie er unwandelbare , Verfah- Tiingsart inus dem besonderen Verfahren der Künstler in ihrem Streben zum Grunde liegen. Das besondere Verfahren jedes Künstlers aber wird durch die eigentliümliche Natur und Be- schaffenheit seiner Anlage , durch das gröfsere ©der geringere Maas nachahmender oder schö- pferischer Bildkraft bestirnt.

So ergiebt sich denn, dass es für jedeKunsü rwar nur eine Richtschnur des Verfahrens ge- be , dass aber mehrere Künstler sehr wohl ver-

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scliiedene Wege nach dem gemeinsamen Ziele eiiischhc^en kunnen, ja, -bei der Veischiedeu- heit iliier Anlagen und Fälligkeiten, sogar mäisen, wenn sie zweckraäfsig verfahren ■wollen.

ID^S Talent zu einer und derselben Kunst kann auf mannigfache Weise verschieden sein, sowohl in Hinsicht der herschenden Fmpfin- diingsart, als des Grades seiner Kraft. Das nachahmende Talent, dessen untere Gradesich in blofses Handwerk verlieren , und das scJiö- -pferische Talent, dessen höhere Grade mau vorzugsv.'eise durch das Wort Genie bezeich- net, beschränken einander wechselseitig in der Kunstanlage auf die mannigfaltigste Art , und bringen jene zaliosen Abstufungen hervor, ■welche zwisclien dem Höchsten und Niedrig- sten , zv.'ischen dem Genie eines Ulichelangeio und Rafael, und dem armseligen Talent eines römischen Wapen- und Gurkenmalers liegen.

Da nun alle übrigen Verschiedenheiten des Talents vornemlich in der Empfindungsart aa Künstlers und der davon abhängigen Pachtung auf diese oder jene Ait von Gegenständen ge- gründet scheinen : so ■würde die für jeden, Künstler z-yyeckmälsigste Verfahrungsart iii'.*I-

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ner AiisbiMung hauptsäclilicli nacli dem ihm eigen thiimiichen Verhältnisse des schöpferi- schen Talents zu dem nachahmenden, und der daraus entspringenden relativen Grofse seiner Kunstanlage zu bestimmen sein. Denn \vie es Ungereimt \väre, mit einem bios nachahmen- den Talente den Weg der Erfindung einzu- schlagen, so Würde ^es auch zweckwidrig sein, ein schöpferisches Talent wie ein nachahmen- des, zu behandeln, und es nicht so frühe als möglich seiner angeborenen höheren Bestim- mung entgegen zu führen.

Ein nachahmendes Talent kanil luir durch ßelssiges Nachahmen , ein eiTindendes nur duTcli frühe, fleissige Übung in eigenen Erfin- dungen zwechmäfsig gebildet werden. Und wie jenes sich durch mühsamen Fleis und durch die Begierde alles was ihm gefällt nachzubilden, zu erhennen giebt, so wird im Gegentheil jenes sich bald durch den Wider- willen gegen alles bloJ"se Nachrihmen uttd durch den Trieb verrathen, etwas Eigenes hervor- zubringen, v»'cichcr in schöpferischen Geistern immer durch den Anblik eines vortrefiichen Werkes auf das lebhafteste erregt wird.

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Ein Kunsttalent ohne Eigenthömliclikeit, wenn es auch ein erfindendes wäre, ist nn*- «elbst.indig , also von der Natur selbst auf die Nachahmung anderer angewiesen ; darum las- sen sich auch mehrere der Art nach einer gleichfönnigen Verfahrungs weise behandeln. Für sie giebt es nur Einen Weg , auf dem je- des nach dem Mafse seiner Kraft fortschreitet : der Weg der Nachahmung^ Wer dann niohr Kopf besizt, erhebt sich über dieselbe, und wie sonderbar es auch klinge ! lernt erfin^ den i d. h. nach Schulregeln und mit wissen- schaftlicher Technik wohl ausgerüstet und ge- übt j eine Komposizion kunstmäfsig zusam- menstellen; also eigentlicli nur komjponiren, nicht erfinden. Solche Arbeiten können künst- lich gruppirt, konekt gezeichnet, tüchtig ge- malt und gefällig kolorirt sein; aber der le- bendige Geist, der karakteristische Ausdruck schöner und bedeutender Individualität, die Einheit im Einzelnen und Ganzen mangeln ^ es sind Werke des Fleisses, nicht des Genies. Auch dieser Weg hat einen Rafael aufzuvv^ei- sen, der als Beispiel gezeigt hat, vvas genielo- ser Fleis , von einem denkenden Verstände s:e- leitet, von einer gründlichen Technick unter- «tüzt, imd von den Umständen begünstigt»

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durcli eifriges Streben nacli Voltommenhekzu erroiclien vermag : Rajael Mengs , den Re- praesentaiiten aller geschikteit Hüiistler.

Carstens Iwtte bereits frülie, als Knabe und Jüngling, Auge und Hand im Technisclieuder Zeiclmung, wenn auch niclit auf kunstmäfsige, sclxulgereclite Weise* doch, nothdüiftig geübt, tind war inzwischen, bis er sich, ganz der Kunst widmen kont«, zu dem Alter gelangt, wo -gede Selenkraft sich völlig entwickelt hat, WO also auch das Talent der Erfindung, das in ihm noch schlummerte , nur der eisten Anrei- zung bedurfte, um in seiner ganzen Stärke zu erwachen. Dies geschah, sobald er nach Ko- penhagen kam, beim Anbiick so fieier trelli- cher Kunstwerke ; und von der Zeit an em- pfand er auch, bei immer w-e.cli&cnder Leiden- schaft für die Kunst, einen entschiedenen Wi- dcrwill-en gegen alles jS'achzeicliiien, das ihm «iiie unwürdige j den Geist tüdtcnde Bescliäfti- ^ung schien. !Nur im steten aufmerksamen Betrachten derielben fand er Nahrung und Be- friedigung für seinen Kunsttrieb, -Nyomit er dann, sobald seine dürftigen Kentnisse der menschlichen Gestalt es ihm gestatteten,, auch die Übung des Eründens verband. Soüessein

Trieb

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Trieb ihn selbst den Wes: finden, der seiner Anlage am znträglichbten war; auf dem er die eisten Scliritte zwar langsam und miilievoll, lind liaum nieiKlicli in den ersten Jalnen, zii- rüchlcgte ; danij aber, als er es endlich dahin gebracht hatte, ein Bild seiner Erfindung aus- dii'cken zu können , auch um so schneller und sicherer vorwärts ging, und im leichteren Ge- lingen sein ausdauerndes Streben belohnt sah.

Wäre Carstens früher, ehe er sich seiner Selbständigheit bewust ward, unter der Anlei- tung eines Meisters zur Kunst gekommen, so \vürde dieser ihn auf den ge%v6hnlichen Weg der Nachahmung geführt, und ei /ürde auf demselben den technischen Tlieil in kürzerer Zeit schulmäfsig geleint haben; ob er aber auch aus dieser Schule so rein und unbefangen , so eigenthümüch und selbständig wieder hervor- gegangen wäre , als er sich auf seinem eigenen Wege erhielt ?

Bei seinem Verfahren, nichts nachzuzeich- nen, sondern alles durch Betrachtung aufzu- fassen, und die so erworbenen Kentnisse in eigenen Arbeiten anzuwenden , hatte Carstens den Vortheil, dass er sein Darstellungsvermö- ^\n unaufhörlich an neuen Gegenständen übte^ 20

5o6

niid dadiircli zu einem Grade von Feitiglieiti Gewandlieit und Klarheit ausbildete, den ein Künstler auf dem gewölmliclicn Bildiings\vege iiiclit leiclit erlangen wird. Indem er den Geist und Stil seiner Vorbilder auffafste, Itonte er leichter die tadelhaite Manier derselben vermei- den. Geübt, die Bilder seiner Fantasie vorder inneren Anschauung festzulialten , und seine Komposizionen im Kopfe anzuordnen , honte er ihnen leichter die schöne Einheit geben, die blos auf dem Papier erfundene und geordnete Komposizionen selten erhalten : und da er auf diese Weise auch in der Ausführung fast gar heiner mechanischen Hülismittel bedurfte, so ging auch von dem Geist und Feuer seiner Er- findungen um so ^veniger verloren. Daher auch Carstens i durch eigene Erfahrung von der Vorzüglichheit seines Verfahrens überzeugt, behauptete : der Künstler müsse dahin streben, in seinen Werken alles, das Gewand ausge- nommen, aus der Idee und nichts nach Model- len zu bilden; je mehr der Künstler im Stand« sei, das Modell zu entbehren, desto vorzügli- cher würden seine Bilder geratlicn. Wenn nun auch diese Dehauptung, in dem Sinne des Künst- lers verst-anden, und beider Voraussetzung de» ^rforderliclien Talent», an sich richtig ist,

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f.-.nd sie doch bei fast allen Künstlern denstärl^- steu Widerspruch; ja ininclie glaubten, sie sei eine blofse Pralerei, und Carstens selbst bedie- ne sich heimlich eines Modells; obgleich er die rdchtigheit seiner Behanptung dadurch zu be- v/eisen suchte, dass er zeigte, es hOnne für Fi- guren im Idealstile liein Modell brauchbar sein, ■weil in jenen die Natur eine ganz andere sei, als in der Wirklichheit ; und dass gcr.ide in die schwierigsten Stellungen, die fliegenden und sch^vebenden , kein iNIodell zu setzen sei, da- her man diese, eben so ^vie die fliegenden Ge- wänder, aus der Idee bilden müsse. Wenu es nlso möglich sei,^ das Schvrerere , das v\ir nie sehen , sondern uns b'os einbilden hünnen, aus der Idee zu bilden, so müsse es mit dem Leichteren , das wir taglich zu sehen und zu beobachten Gelegenheit haben, um so eher möglich sein.

Die Ursache, warum Carstens Aem Gebrauch des Modells bei der Ausführung so abhold war, und so sehr auf das Bilden aua der Idee drang, lag in seiner Überzeugimg, dass auf diese Wei- se allein die Darstellung ein durcliaus orga- nisch gebildetes Ganzes werden könne; darauf zwecks© auch von jeher, vielleicht ohjie e*

So8

selbst zu wissen , seine eigene Ausbildung ab. Er fühlte , dass seine Einbildungskraft das, was sie niclit anscliaulicli begriffen und zu ili- lem Eigentlium verarbeitet hatte , auch in der Vorstellung nicht zur gehörigen Klarheit zu bringen, und was sie nicht zur Klarheit brach- te » auch nicht anfser sich d'Jirzustcllen vermoch- te. Da er nun in der Natur und in anderen Kunstwerken nie etwas finden konte , vv^as sei- iier Idee und dem gegenwärtigen Falle der An- wendung völlig entsprach; und da er zugleich bemerkte , dass Modelle , statt das Bild seiner Vorstellung zu berichtigen , es vielmehr durch ihr wirkliches Dazwischentreten nur verdun- kelten und verwirrten, so sah er, um die In- tegrität seiner Darstellungen zu retten, kein anderes Mittel, als dahin zu streben, dass sei- ne Einbildungskraft so viel als möglich zum ei- genen Bcsiz aller der Theilanschauungen ge- lange, welclie das Ganze ausmaclien; und er wolte lieber Gefahr laufen, in der Richtigkeit einzelner Theile zu fehlen, als die lebendig« Einheit des Ganzen, die ihm das Wesentliche eines Kunstwerks war, durch Einflickung fremdartiger Theile zu zerstören. Und so führ- te Carstens auch wirklich immer seine Erfin- dungen blos nach der Ide« au», ohne ein Mo-

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dell zu Rathe zu ziehen. Alles, T\'as er sich bei da Ausführung im Nothfalle erlaubte, war, dass er einen Blick auf die lebendige Natur oder auf ein Kunsfwerk that, um die Form oder Be- wegung eines Theiles in seiner Yorstelhing zu berichtigen. Statt eines Modelles trat er dana lieber selbst einen Augenblick vor den Spiegel, weil eine Stellung oder Bewegung, damit sie wahr sei, von dem, der sie machen soll, moti-: virt und empfunden werden mus. Dafür aber war er bei jeder Gelegenheit, wo er Menschen thätig und handelnd sah, desto aufmerksamer auf Bew^egung und Ausdruck; und auch in dieser Hinsicht war Rom, -wo ein kunstsinni- ger Beobachter keinen Gang ^urch dieStrafsen machen kann, ohne auf eine iVIenge malerischer Bilder aller Art zu stofsen, für ihn die vor» tieflichste Schule der Hunst.

Schon vorhin haben w-ir der Hindernisse er- wähnt, welche machten, dass Carstens in der Zeichnung nicht zu durchgängiger Richtigkeit gelangte, und gezeigt, dass sie nicht in der Art seines Studirens, sondern in derUnzulän^lich- keit seiner anatomischen und perspektivischen Hülfskentnisse gegründet Ovaren. Eben so we- nig ist es jener beizumessen 3 dass er kein vor^

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aügUcher Maler und Koloiist ge-wovden ist. Hätten ilin die umstände nicht immer c;cnin- derti auf diesen Tlicil der Kunst sein Streben zu liciilen und die dazu erforderüclien Iland- giifl^e hcnnen zu lernen, so ^viirde er acich dar- in seiner TerfAlirun2:sart treu jrebileben sein^ Er wi':rde nie ein Gemälde liopirt , aber die Torziirliclisten ileicsig betrachtet, die dadurch erworbenen Einsichten in eigenen Arbeiten zur Ausübung: gebraclit, und auch so sein Kolorit mit den übiigcn Theilenseiner Kunst in die ge- hörige Übereinstimmung gesezt haben.

Erwägt man nun noch, dass Carstens ^er^de ^ie fünf besten Jahre seiner Jugend, wo er ei- gentlich die wissenschaftlichen, und techni- schen Theile der Kunst hätte in seine Gewalt bringen sollen, beim Weinhandel verloren ; dass er erst im drei und zwanzigsten Jahre zur Kunst gehommen ; dass er darin von Anfang fin sein eigener Lehrer und Leiter gewesen; dass er nachher wieder in Liübech fünf Jahre; und dann in Berlin noch vier Jahre fast gan25 unnüz versäumt hat, so dass er eigentlich nur die sieben Jahre seines Aufenthalis in Koj^cn- Iiagen., und die lezten sechs Jahre seines Le- "bens ift Rom mit Nutzen für seinen Zweclihat

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verwenden l^önnen; dass er dabei sein ganzes Leben liinduicli mit Armuth und KranWieit ge- kämpft ; dass e:^ ihm fast immer an den noth- "wendigsten Mitteln zu seiner Ausbildung ge- mangelt; und dass er die so spät betretene Lauf- bahn schon in der INIitte des Lebens wiederhat verlassen müssen: so findet mau in dem Zu- sammenflusse so vieler widerwärtiger Untstäii- de der Ursachen genug, -warum Carstens nicht ganz der grofse Künstler vv^erden können , zu dem die Natur ihm alle Anlagen verliehen hat- te», tmd der auch aus dem , v\'as er troz allen diesen Hindernissen durch imermüdetes Streben dennoch wirklich geleistet hat» so rülimlick hervorleuchtet.

So würde iich denn aus dem bisher Gesag- ten ergeben, dass der von unserm KüiTstler zu seiner Selbstbildung genommene Weg für ihn der rechte und angemessenste war, und dasa derselbe auch Anderen Künstlern von so ent- schiedenen Anlagen, die eigenthüraliche Erfin- dungsgabe mit einer gleich energischen Einbil- dungskraft verbinden, als zweckmäfsig zu em- pfehlen sein dürfte , da auf ihm das Talent der Erfindung frühe und unabläfsig geübt und die Eigenthümlichkeit von allen schädlichen Ein*

Aussen "hersclicnder Manieren rein erhalten wird ; nurmüste die Gelegenlieit frühe die Hand- griflPe des Technischen und die Kentnis der Hülfswissenschaften zu erwerben , die unserni Künstler unglücklicher Weise gemangelt hat, damit verbunden sein. Als allgemein gangbar würde jedoch dieser Weg nie zu empfehlen, roch weniger zu einer breiten Heerstrafse für die Zöglinge der Kunstschulen und Akademien auszuweiten sein, weil in solchen Anstalten, der Regel nach , nur nachahmende nicht Schö- pferische Talente gebildet werden , daher auch .vornehmlich auf das Vermögen jener, nicht dieser, der Bildungsplau derselben berechnet werden mus.

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VV enige Tage vor fscinem Tode sezte Carstens in seinem lezten Willen den Verfasser zum Erben seines s.imtliclien Kunstnaclilasses ein, und gab ihm sowolil dadurch, als durch den .mündlich, geäufserten Wunsch, dass dieser Nachlas nicht zerstreut, sondern beisammen er- halten, imd dereinst in irgend einer Kunstsam- Inng aufbewahi t werden möchte, damit doch Etwas von dem Wenigen, was sein Schiksal ihm zu leisten vergönnt habe, die Spur sei- nes Daseins erhalte, w^ann er selbst nicht mehr sein w^iirde , den lezten Beweis sei- nes durch eine vieljährige Freundschaft be- giündeten , nie durch Misverständjiisse ge- tiübten Vertrauens. Und der Verfasser hatte auch, bald nach seiner Fiükkehr aus Italien, Gelegenheit diesen Wunsch seines verstorbe- nen Freundes, glühlicher als er gehoft, in Weimar zu erfüllen. Der Herr Gelieimerath Von Göthe nahm die Carstenschen Zeichnun- gen in leiue Runstaustellung des Jahres 1304

auf, wo sie den Beifal des regierenden Her- zogs erliielten und Denselben bewogen , die Samlung für die öfFentiiche Bibliothel'i seiner Residenz anzukaufen , wo sie gegenwärtig aufbewahrt wii d. Wir tlieilen hier das Ver- zeichnis derselben mit^

Sohates , der dem Alzihiades in der Schlacht hei Pctidaea das Lehen rettet; i788- (^» 66.)

'Jiass-andra vor dem Patast des Pelops in Ar* gcs, weissagend i 1788' ( S- 67.)

Ossian und Alpin zur Harfe singend; 1788«

(S. 67.) Ajax, Tehnessaund Eurysakfs; 1789« ( S*

107O

J)gr Kam-pf des Achilles mit den Flüssen, und oben über der Scene die versammel- ten Götter (ist oben S. 107 anzuführen vergessen worden).

Jiakchiis , der dem Amor aus seiner Schale zu trinken gieht; erster Entv/urf; 1790. ( S. 107O

Die drei Parzen» erster Entwurf; 1792. (ß»

107O

315

t)ieselhen vcYdudcn ; 179?. (5.21"'.)

Sokrates im Korhe ; 1791. ( o. lo"". )

Umrisse zu dem Gastmale des Pinto , von dem ausgeführten Gemälde abKalKivt ; 1793. (S. 10-.)

Oedipus von den Fiuieti gequält, erster Ent- ■\viiri; i"^9o. ( S. 107. )

Besuch der Argonauten hei dem Kentauren Chiron; 1-91. ( S. log.)

Scldacht der Kentauren und Lnpithen ; 1792I (8. 117. )

Jle^uch . der Argoraziten hei dem Kentauren Chiron, veränderte Kompcsizion; 1792. CS. r50.)

Ganimed vom Adler Jujpiters em-por getragen:

Die Gehurt des Lichts; 1794. ( S. 174.)

Vie Helden im Zelt des Achill; 1794. (S. ^72.)

Die Überfahrt, oder der Tiran^ nach dem Luzian; i794- (S. 169.)

Die Nacht mit ihren Kindern; 1795. (S. 175.)

5i6

Die Ztn'tikhringung det ejitfloherten IVle^a-- 1'ientes t Gegenstük zur Übeifartj 1795. (S. 210.)

Das Orakel des Amfiaraos ; 1795. (S. 2ii.)

Die La-pithen, oder das Gastmal; 1795» (S. 211.)

Helena , Priam und die Ältesten auf dem Sküischen Thore ; i795' (S. 2ii.)

Fingqls Kampf mit dem Geiste von Loda; 1796. (S. 211.)

Perseus und Andromeda unter den Ätiopen; 1796. (S. 211.)

Dante" s Hölle ; 1796. (S. 211.)

Homer t der seine Lieder in einer Volksver- samlung singt ; 1796. (S. 2i2. )

Ödip in Kolon; 1796. (S. 2i2. )

Die Hexenküche; 1796. ( S. 212. )

Jasons Ankunft in Jolkos ; 1796. ( S. 212. )

Kteokles ) der in den Kampf eilt ; ^'J'^'J. (S.

2^7.) Scene aus dem Trauerspiel in Yorkshire nach

Sliakspeaie ; 1797. ( S. 217. )

517

Scene aus dem ÖiUpus Tirannus des Sojokles; ^-j^i. (S. 2180

Nebst mehreren unvollendeten Entwürfen inid Studien yon Gewandern, aus seiner irü- lieren und spateren Zeit, unter denen sich vornehmlicli die Studien zum Homer und i\x Dante^s Holle duicli d-'u reinen Stil, und durch die sorgfältige Ausfüluuno^, womit sie verfertigt sind, auszeichnen.

Verbess eritii gen.

S. 2!/ 2. I lies: mechanisch skizziitei

321 Z. 1 V. mit. yimykus,

844 Z. 2 V. uiit, staken,

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