"M^^^^i^ä^äüü^- c>-t> ■»;■•" ■.■'•■'':>i ''-■'■■i.'üi ■U '■.. t^/'"- \OUK Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Open Knowledge Commons (for the Medical Heritage Library project) http://www.archive.org/details/lehrbuchderphysiOObung -^^'^^^^^ ^^^xS-^^^jy^^^ LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN UND PATHOLOGISCHEN CHEMIE. IN FÜNFUNDZWANZIG VORLESUNGEN FÜR ÄRZTE UND STÜDIRENDE VON G. BUNGE. PROFESSOR IN BASEL. DRITTE VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE. LEIPZIG, VERLAG VON F. C.W.VOGEL. 1894. r , • B8g2 Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten. Inhaltsverzeichniss. Seite Vorwort zur dritten Auflage 1 Vorwort zur ersten Auflage 1 Erste Vorlesung. Vitalismus und Mechanismus 3 Zweite Vorlesung. Kreislauf der Elemente 15 Dritte Vorlesung. Erhaltung der Kraft 29 Vierte Vorlesung. Die Nahrungsmittel des Menschen. Begriff und Eintheilung der Nahrungs- stoffe. Die organischen Nahrungsstoffe: Eiweiss und Leim .... 44 Fünfte Vorlesung. Die organischen Nahrungsstoffe. Fortsetzung: Kohlehydrate und Fette. Ver- schiedene Bedeutung der drei Hauptgruppen der organischen Nahrungs- stoffe 62 Sechsie Vorlesung. Die organischen Nahrungsstoffe. Schluss: Die organischen Phosphor- und Eisenverbindungen "^8 Siebente Vorlesung. Die anorganischen Nahrungsstoffe 96 Achte Vorlesung. Die Genussmittel , ... 122 Neunte Vorlesung. Speichel und Magensaft 139 Zehnte Vorlesung. Die Verdauungsvorgänge im Darme. Der Pankreassaft und seine Ferment- wirkungen. Die Fermente im Allgemeinen. Die Wirkung des Pankreas- saftes^auf die Kohlehydrate, die Fette, die Eiweisskörper. Das Wesen und die Bedeutung der Peptone 162 IV Inhaltsverzeichniss. Elfle Vorlesung. Seite Darmsaft und Galle 184 Zwölfte Vorlesung. Die Resorptionswege und die nächsten Schicksale der resorbirten Nahrungs- stotfe 198 Dreizehnte Vorlesung. Das Blut 212 Vierzehnte Vorlesung. Die Lymphe 227 Fünfzehnte Vorlesung. Blutgase und Respiration. Verhalten des Sauerstoffes bei den Vorgängen der äusseren und inneren Athmung 238 Sechzehnte Vorlesung. Blutgase und Respiration. Fortsetzung: Verhalten der Kohlensäure bei den Vorgängen der inneren und äusseren Athmung. Hautathmung. Darmgase 264 Siebzehnte Vorlesung. Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels, Die Hippursäure, der Harnstoff, das Kreatin 286 Achtzehnte Vorlesung. Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels. Fortsetzung: Die Harn- säure, die Xanthiugruppe 305 Neunzehnte Vorlesung. Die Function der Niere und die Zusammensetzung des Harnes 323 Zwanzigste Vorlesung. Stoffwechsel in der Leber. Glycogenbildung 343 Einundzwanzigste Vorlesung. Die Quelle der Muskelkraft 359 Zweiundzwanzigste Vorlesung. Die Fettbildung im Thierkörper 370 Dreiundzwanzigste Vorlesung. Diabetes mellitus 383 Vierundzwanzigste Vorlesung. Die Infection 407 Fünfundzwanzigste Vorlesung. Das Fieber 420 Register 42S Vorwort zur dritten Auflage. Indem ich die vorliegende dritte Auflage dieses Lehrbuches der Oeffentlichkeit übergebe, sage ich allen verehrten Fachgenossen, die mich durch Zusendung ihrer Arbeiten in dem Streben unterstützt haben, Alles aus erster Quelle zu schöpfen, meinen wärmsten Dank. Die mühevolle Arbeit der genauen Quellenangabe ist mir durch diese freundliche Zuvorkommenheit wesentlich erleichtert worden. Wenn ich die Arbeiten nicht alle berücksichtigt habe, so bitte ich, daraus nicht schliessen zu wollen, dass ich den Werth derselben unterschätze. Viele der werthvollsten und exactesten Arbeiten mussten unerwähnt bleiben, weil es mir vorläufig noch nicht gelungen ist, dieselben in einer dem Plane meines Lehrbuches entsprechenden Weise zu ver- werthen. Ich bitte daher um gütige Nachsicht und fernere Unter- stützung. Basel, im Januar 1S94. Cr. Bunge. Vorwort zur ersten Auflage. Das vorliegende Lehrbuch hat nicht den Zweck, seinen Gegen- stand zu erschöpfen. Alle zusammenhangslosen Thatsachen, alles blos descriptive Material wurde fortgelassen. Für den Fachmann und pro- ductiven Forscher kann jede — vorläufig auch völlig zusammenhangs- lose — Thatsache von unberechenbarem Werth sein als Ausgangspunkt zu neuen Combinationen und Fragestellungen. Eine erschöpfende Zusammenstellung aller Thatsachen in einem Handbuche ist daher eine unschätzbar verdienstvolle Arbeit. Ein Lehrbuch dagegen hat die Aufgabe, den Anfänger in anregender Weise in den Gegenstand einzuführen, ihn mit den Hauptergebnissen der Forschung nach dem Zusammenhange der Erscheinungen vertraut zu machen. Eine Fülle zusammenhangsloser Thatsachen und blosser Beschreibung würde den Anfänger ermüden, abspannen und abschrecken ; er würde es nur zu oft beim blossen Anlauf bewenden lassen und das Studium zu keinem Abschluss bringen. Ist dagegen durch ein — auch noch Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 1 2 Vorwort. SO lückenhaftes — aber anregendes Lehrbuch das Interesse für den Gegenstand, die Freude am Erkennen des Zusammenhanges geweckt, so werden die Lücken nachträglich leicht durch häufiges Nach- schlagen in den Handbüchern, am Besten aber durch fle issiges Studium der Originalarbeiten ausgefüllt. Auch auf die Beschreibung analytischer Methoden, welche gleich- falls den Zusammenhang der Darstellung stören könnte, wurde meist verzichtet. Ich glaubte mich dazu um so mehr berechtigt, als wir allgemein anerkannte Handbücher der physiologisch und pathologisch chemischen Analyse bereits besitzen, wie namentlich das von Hoppe- Seyler, Leube und Salkowski, Neubauer und Vogel. An der Hand dieser Führer sollen die analytischen Methoden praktisch im Laboratorium gelernt und geübt werden. Dagegen habe ich mich gewissenhaft bemüht, Alles in meine Darstellung aufzunehmen, was schon heutzutage für eine zusammenhängende Darstellung reif ist. Ganz besondere Sorgfalt wurde auf die Citate verwandt. Die citirten Originalarbeiten sind so gewählt, dass von ihnen ausgehend, der Leser, welcher weiter in die physiologische Chemie eindringen will, leicht den Weg in die übrige Literatur finden und auch auf die Arbeiten aufmerksam werden wird, die bei meiner Darstellung keine Berücksichtigung finden konnten. Sollte es mir gelungen sein, durch meine Vorlesungen zum Stu- dium der Quellenliteratur anzuregen, so würde mir dieses die grösste Befriedigung gewähren und ich hätte meinen Zweck vollkommen erreicht. Was würde es dem Studirenden der Medicin denn nützen, ein ausführliches, erschöpfendes Lehrbuch der Physiologie auswendig gelernt zu haben! Nach wenigen Jahren wäre er ja doch so rathlos als zuvor. Unser Streben beim akademischen Unterricht muss vor Allem darauf gerichtet sein, die Schüler zum Fortschreiten mit der Wissenschaft zu befähigen. Sie wollen ja noch ein halbes Jahrhundert dem Fortschritte ihrer Wissenschaft folgen! Des- halb sorge man vor Allem für gründliche Vorkenntnisse in der exacten Naturwissenschaft — Physik und Chemie — und leite sie dann dazu an, mit Kritik und Nachdenken physiologische Arbeiten zu lesen. Die darauf verwandte Zeit und Mühe wird sie nie gereuen. Sie werden im späteren Leben stets im Stande sein, selbständig sich weiter zu helfen, und jedes medicinische Studium wird ihnen leicht fallen. Eine eingehendere Beschäftigung mit der exacten Natur- wissenschaft würde das medicinische Studium nicht verlängern und erschweren, sondern abkürzen, vereinfachen und erleichtern. Den Anfänger in Stand zu setzen, wo irgend das In- teresse für eine physiologisch-chemische Frage in ihm erwacht, sofort das Werthvollste im Originale nachzu- lesen — das ist die Aufgabe, die ich vor Allem bei diesen Vor- trägen mir gestellt habe. Basel, im Juli 1887. Gr. Bunge. Erste Vorlesung, Vitalismus und IVIechanismus. Meine Herren! Wir lesen es in tausend physiologischen Schriften und in der Einleitung zu jedem Lehrbuche der Physiologie, dass die physio- logische Forschung nur die eine Aufgabe habe, die Lebenserschei- nungen auf physikalische und chemische, d. h. also schliesslich auf mechanische Gesetze zurückzuführen. Es wird als Trägheit und Ge- dankenlosigkeit bezeichnet, wenn noch heutzutage ein Physiologe, wie einst die „Vitalisten", bei der Erklärung der Lebenserscheinungen zur Annahme einer besonderen ,, Lebenskraft" seine Zuflucht nimmt. Dieser Auffassung kann ich in gewissem Sinne nur beistimmen, nämlich in sofern als mit einem Worte nichts erklärt wird. In diesem Sinne betrachte auch ich die Lebenskraft als die bequeme Lagerstätte, wo nach dem Ausspruche Kant 's ,,die Vernunft zur Ruhe gebracht wird auf dem Polster dunkler Qualitäten". Wenn aber die Gegner des Vitalismus behaupten, dass in den lebenden Wesen durchaus keine anderen Factoren wirksam seien, als einzig und allein die Kräfte und Stoffe der unbelebten Natur, so muss ich diese Lehre bestreiten. Dass wir an den lebenden Wesen nichts Anderes erkennen, das liegt doch offenbar nur an unserer Be- schränktheit; es liegt einfach daran, dass wir zur Beobachtung der belebten und der unbelebten Natur immer nur ein und dieselben Sinnesorgane benutzen, welche gar nichts Anderes percipiren, als einen beschränkten Kreis von Bewegungsvorgängen. Eine Bewegung ist es, welche durch die Fasern der Sehnerven dem Gehirne zuge- leitet, unserem Bewusstsein als Licht und Farbe sich ankündigt, eine Bewegung ist es, die durch Vermittelung der Gehörnerven unserem Bewusstsein als Schall erscheint, Bewegungen und nur Bewegungen veranlassen alle Geruchs- und Geschmacks-, alle Temperatur- und 4 Erste Vorlesung. Tastempfindungen. Wenigstens lehrt es so die Physik; es sind die Hypothesen, welche bisher als die fruchtbringendsten sich bewährt haben. Zu erwarten, dass wir mit denselben Sinnen in der belebten Natur jemals etwas Aiideres entdecken könnten, als in der unbelebten — das wäre üllerdimjs eine Gedankenlosigkeit. Aber wir besitzen ja zur Beobachtung der belebten Natur einen Sinn mehr: es ist der innere Sinn zur Beobachtung der Zustände und Vorgänge des eigenen Bewusstseins. Dass auch diese im Grunde nur Bewegungsvorgänge seien, ist eine Lehre, die ich bestreiten muss. Es spricht dagegen schon die einfache Thatsache, dass die Zustände und Vorgänge in unserem Bewusstsein gar nicht alle räumlich ge- ordnet sind. Räumlich geordnet ist nur, was in unser Bewusstsein einzog durch das Thor des Gesichtssinns, des Tastsinns und des „Muskelsinns".') Alle übrigen Sinnesempfindungen, alle Gefühle, Afifecte, Triebe und eine unabsehbare Reihe von Vorstellungen sind niemals räumlich, sondern immer nur zeitlich geordnet. Von einem Mechanismus kann also gar nicht die Rede sein. Man könnte da- gegen einwenden, das sei nur Schein, in Wirklichkeit seien auch diese Dinge räumlich geordnet. Aber dieser Einwand ist ganz un- haltbar. Anzunehmen, dass die Objecte unserer Sinneswahrnehmung in der Aussenwelt räumlich geordnet seien, haben wir keinen anderen Grund als den, dass sie uns räumlich geordnet erscheinen, soweit wir dieselben durch Vermittelung des Tast- und Gesichtssinnes be- obachten. Für die gesammte Welt des inneren Sinnes fällt selbst dieser Scheingrund fort; es ist gar kein Grund für eine solche An- nahme vorhanden. Also der tiefste, der unmittelbarste Einblick, den wir gewinnen in unser innerstes Wesen, zeigt uns etwas ganz Anderes, zeigt uns Quali- täten der verschiedensten Art, zeigt uns Dinge, die nicht räumlich ge- ordnet sind, zeigt uns Vorgänge, die nichts mit einem Mechanismus zu schaffen haben. 1) Die Raumvorstellungen, welche mit den Gesichts- und Tastempfindungen verknüpft sind, werden vielleicht nur durch den complicirten Muskelapparat ver- mittelt , welcher bei allen Functionen der Gesichts- und Tastorgane mitspielt. Dasselbe gilt von den sogenannten „Gemeingefühlen". Es sind vielleicht einzig und allein die sensiblen Fasern der Muskelnerven, deren Functionen die Raum- vorstellungen veranlassen. Diese Ansicht ist zuerst von Steine ach (Beiträge zur Physiologie der Sinne. Nürnberg 1811) vertreten worden und von Jon. Mülleb (Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes. Leipzig 1826, S. 52) bekämpft, wie mir scheint mit unhaltbaren Gründen. Joh. Müller war in der Lehre Kant's vom Räume befangen, die mir gleichfalls unhaltbar scheint. Vitalismus und Mechanismus. 5 Die Gegner des Vitalismus, die Anhänger der mechanistischen Erklärung des Lebens pflegen gewöhnlich ihre Ansicht in der Weise zu begründen, dass sie sagen, je weiter die Physiologie fortschreite, desto mehr gelinge es, Erscheinungen, die man früher einer mysti- schen Lebenskraft glaubte zuschreiben zu müssen, auf physikalische und chemische Gesetze zurückzuführen; es sei also nur eine Frage der Zeit; es müsse schliesslich gelingen, den Nachweis zu führen, dass der ganze Lebensprocess nur ein complicirter Bewegungsvor- gang sei, einzig und allein beherrscht von den Kräften der unbe- lebten Natur. Mir aber scheint es, dass die Geschichte der Physiologie genau das Gegentheil lehrt. Ich behaupte: Umgekehrt! Je eingehender, viel- seitige?^, grüjullicher wir die Lebenserscheinungen zu erforschen streben, desto mehr kommen wir zur Einsicht, dass Vorgänge, die wir bereits geglaubt hatten, physikalisch und chemisch erkläreji zu können, weit verwickelterer Natur sind und vorläufig jeder mechanischen Erklärung spotten. Wir haben z. B. geglaubt, die Erscheinungen der Eesorption, der Nahrungsaufnahme vom Darm aus zurückführen zu können auf die Gesetze der Diffusion und Endosmose. Heutzutage aber wissen wir, dass die Darm wand bei der Resorption sich nicht verhält wie eine todte Membran bei der Endosmose. Wir wissen, dass die Darm- wand mit Epithelzellen bekleidet, und dass jede Epithelzelle ein Organismus für sich ist, ein lebendes Wesen mit äusserst verwickel- ten Functionen ; wir wissen, dass sie durch active Contractionen ihres Protoplasmaleibes die Nahrung aufnimmt in derselben räthselhaften Weise, die wir an den freilebenden einzelligen Thieren, den Amöben, den Rhizopoden beobachten. Am Darmepithel kaltblütiger Thiere will man es sogar gesehen haben, wie die Zellen Fortsätze ihres contractilen , nackten Protoplasmaleibes aussenden , Pseudopodien, welche die Fetttröpfchen der Nahrung ergreifen, dem Protoplasma einverleiben und weiter befördern in die Anfänge der Chylusbahnen. 0 So lange diese activen Functionen der Zellen unbekannt waren, blieb die Thatsache unverständlich, dass die Fetttröpfchen durch die Darm- wand hindurch in die Chylusräume gelangten, nicht aber äusserst 1) Eine Zusammenstellung der früheren Literatur über diesen Gegenstand mit eigenen Untersuchungen hat R. "Wiedersheim mitgetheilt in der „Festschrift der 56. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, gewidmet von der natur- forschenden Gesellschaft zu Freiburg i. B." Freiburg und Tübingen 1883; ferner G. H. Theodor Eimer. Biolog. Centralbl. Bd. 4. Nr. 19, S. 580, 1884 und Heidexhain, Pflüger's Archiv. Bd. 41. Supplementheft. 1888. 6 Erste Vorlesung. feinkörnige Pigmente, die man in den Darm brachte. Heutzutage wissen wir, dass diese Fähigkeit, bei der Nahrungsaufnahme eine Aus- wahl zu treffen, das Werthvolle sieh einzuverleiben, das Werthlose oder gar Schädliche zurückzuweisen, allen einzelligen Wesen zukommt. Es sei mir gestattet, auf eine in dieser Hinsicht interessante Be- obachtung näher einzugehen, welche Cienkowski ') an einer Amöbe, der Vampyrella gemacht hat. Die Vampyrella Spirogyrae ist eine mikroskopisch kleine, nackte, röthlich gefärbte Zelle, welche ganz structurlos erscheint: Cienkowski konnte keinen Kern in ihr 'wahrnehmen und die feinen Körnchen in dem Protoplasma sind vielleicht nur Nahrungsreste. Dieser mi- kroskopisch kleine Protoplasmatropfen sucht sich unter allen Wasser- pflanzen eine ganz bestimmte Algenart, die Spirogyra aus und ver- schmäht jede andere Nahrung. Man sieht ihn Pseudopodien aus- senden und auf den Conferven dahinkriechen, bis er auf eine Spiro- gyra trifft. Dann setzt er sich an die Cellulosewandung einer ihrer Zellen an, löst sie an der Berührungsstelle auf und saugt den Inhalt in sich hinein, wandert darauf weiter zur nächsten Zelle und wieder- holt dasselbe Manöver. Nie sah Cienkowski die Vampyrella andere Algen angreifen oder irgend welche andere Stoffe aufnehmen; Vau- cherien, Oedogonien, die er ihr absichtlich vorlegte, verschmähte sie stets. An einer anderen Monade, der Colpodella pugnax beobachtete Cienkoweki, dass sie sich ausschliesslich von der Chlamydomonas nährt: sie ,, sticht die Chlamydomonas an, saugt das heraustretende Chlorophyll und läuft davon". „Das Verhalten dieser Monaden" — sagt Cienkowski — ,,bei Aufsuchen und Aufnahme der Nahrung ist so merkwürdig, dass man Handlungen bewusster Wesen vor sich zu sehen glaubt." Wenn diese Fähigkeit der Nahrungsauswahl den einfachsten Zellen, dem formlosen, structurlosen Protoplasmatropfen zukommt — warum nicht auch den Epithelzellen unseres Darmes. Wie die Vampyrelle unter allen Wasserpflanzen die Spirogyra herausfindet, so unterscheiden auch die Epithelzellen unseres Darmes die Fett- tröpfchen von den Farbstoff körnchen. Wir wissen, dass die Epithel- zellen des Darmes eine ganze Reihe von Giften niemals hindurch- lassen, obgleich dieselben im Magen- und Darmsafte ganz leicht lös- lich sind. Wir wissen sogar, dass, wenn wir diese Gifte direct ins Blut injiciren, sie umgekehrt durch die Darmwand ausgeschieden werden. Auch die Functionen der Drüsen, die Vorgänge der Secretion 1) L. Cienkowski, Beiträge zurKenntniss der Monaden. Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. I, S. 203, 1865. Vitalismus und Mechanismus. 7 hatten wir bereits geglaubt auf die Gesetze der Endosmose zurück- führen zu können. Jetzt wissen wir, dass auch hier die Epithelzellen eine active Rolle spielen. Auch hier dieselbe räthselhafte Fähigkeit, eine Auswahl zu treffen, gewisse Stoffe aus dem Blute aufzunehmen, andere zurückzuweisen, das aufgenommene Material durch Spaltungen und Synthesen umzuwandeln und von den gebildeten Producten ge- wisse, ganz bestimmte in die Anfänge der Ausführungsgänge zu be- fördern, andere zurückzusenden in die Lymph- und Blutbahn. Die Epithelzellen der Milchdrüse sammeln aus dem ganz und gar anders zusammengesetzten Blute alle anorganischen Salze genau in dem Ge- wichtsverhältnisse, in welchem der Säugling ihrer bedarf, um zu wachsen und dem elterlichen Organismus gleich zu werden (vergl. Vorl. 7). Auf die Gesetze der Diffusion und Endosmose lassen sich diese Erscheinungen vorläufig nicht zurückführen. Und dieselben räthselhafteu Fähigkeiten wie die Epithelzellen des Darmes und der Drüsen besitzen alle Zellen unserer Gewebe. Denken wir an die Entwickelung unseres Organismus: durch fort- gesetzte Theilung aus einer einzigen Eizelle gehen alle Gewebs- elemente hervor, und in dem Maasse, als die Zellen sich durch Theilung vermehren, differenziren sie :sich nach dem Principe der Arbeitstheilung: jede Zelle erlangt die Fähigkeit, gewisse Stoffe abzuscheiden, andere anzuziehen und aufzuspeichern und damit die Zusammensetzung anzunehmen, deren sie zur Verrichtung ihrer Func- tionen bedarf. An eine chemisclie Erklärung dieser Erscheinungen ist gar nicht zu denken. Ebensowenig wie in der Physiologie des Stoffwechsels ist es bis- her in den übrigen Theilen der Physiologie gelungen, irgend welche Lebenserscheinungen auf physikalische und chemische Gesetze zu- rückzuführen. Wir haben geglaubt, die Functionen der Muskeln und Nerven auf die Gesetze der Elektricität zurückführen zu können und müssen jetzt bekennen, dass elektrische Vorgänge im lebenden Organismus bisher mit Sicherheit nur an einigen Fischen beobachtet sind und dass, selbst wenn sich elektrische Muskel- und Nervenströme mit aller Exactheit nachweisen Hessen, damit dennoch für die Erklärung der Muskel- und Nervenfunctionen noch herzlich wenig gewonnen wäre. Sie werden nun vielleicht denken — die Physiologie der Sinne ! Das ist doch das exacteste Gebiet. Da haben wir doch physika- lische Erklärungen! — Es ist wahr, das Auge ist ein physikalischer Apparat, ein optischer Apparat, eine Camera obscura. Das Netz- hautbild kommt im Augenhintergrunde zu Stande nach denselben 8 Erste Vorlesung. unwandelbaren Gesetzen der Eefraction, wie das Bild auf der Platte des Photographen. Aber das ist ja gar keine Lebenserscheinung. Das Auge ist dabei ja absolut passiv^. Das Netzhautbild kommt ja auch zu Stande am ausgeschnittenen, am todten Auge. — Eine Lebenserscheinung ist die Ent Wickelung des Auges! Wie kommt dieser complicirte optische Apparat zu Stande? Warum fügen die Zellen der Gewebe sich an einander zu diesem wundervollen Bau!? Das ist das grosse Räthsel, zu dessen Lösung bisher auch nicht ein- mal der erste Schritt gethan ist. Ja die Succession der Ent- wickelnngsstadien, die lässt sich beobachten und beschreiben; aber das Warum, der C au sal zusammen hang — darüber wissen wir absolut nichts. Eine Lebenserscheinung sind die Accommoda- tionsvorgänge am Auge. Da haben wir wiederum Muskel- und Nervenfunctionen, wieder die alten ungelösten Räthsel. Dasselbe gilt von den übrigen Sinnesorganen. Was sich physikalisch erklären lässt, das sind Vorgänge, bei denen die betreffenden Organe absolut passiv in Mitschwingungen versetzt werden durch die von aussen in sie eindringenden Bewegungsvorgänge. Und dasselbe gilt von allen übrigen Capiteln der Physiologie. Wir haben geglaubt, die Erscheinungen' der Blutcirculationen zurück- führen zu können auf die Gesetze der Hydrostatik und Hydrodynamik. Nun ja! Das Blut folgt den Gesetze» der Hydrodynamik. Aber das Blut ist bei der Bewegung absolut passiv. Die activen Functio- nen des Herzens und der Gefässmuskeln hat noch Niemand physika- lisch zu erklären vermocht. Die Vorgänge des respiratorischen Gas- austausches sucht man auf die Gesetze der Aerodynamik, der Ab- sorption und Diffusion zurückzuführen. Dieses wird vielleicht ge- lingen. Aber auch hier bandelt es sich gar nicht um eine Lebens- erscheinung. Ist der Blasebalg einmal in Bewegung, so streichen die Gase aus und ein nach den unwandelbaren Gesetzen der Dynamik. Aber wie ist der Blasebalg entstanden? Wie erhält er sich? Und wie setzt er sich in Bewegung? Die Gase verhalten sich bei dem Bewegungsprocesse absolut passiv. Ich behaupte: alle Vorgänge in unserem Organismus, die sich mechanistisch erklären lassen, sind ebensowenig Lebenserscheinungen, wie die Bewegung der Blätter und Zweige am Baume, der vom Sturme gerüttelt wird, oder wie die Bewegung des Blüthenstaubes, den der Wind hinüberweht von der männlichen Pappel zur weib- lichen. Hier haben wir einen Bewegungsvorgang, der für den Lebens- process unentbehrlich ist. Und dennoch wird Niemand ihn für eine Lebenserscheinung halten einfach aus dem Grunde, weil der Blüthen- Vitalismus und Mechanismus. 9 staub bei der Bewegung sich passiv verhält, — Ob aber die leben- dige Kraft der bewegten Luft die Bewegungsursache bildet oder das Sonnenlicht, aus welchem die Luftbewegung entsteht, oder chemische Spannkräfte, in welche das Sonnenlicht sich umgesetzt bat — das ändert am Wesen der Sache nichts. In der Activiiät — da steckt das Rüthsel des Lebens. ^) Den Be- griff der Äctivitüt aber haben wir nickt ans der Sin?ieswahrneh7nung ge- schöpft, sondern aus der Selbstbeobachtung. Wir übertragen das aus dem eigenen Bewusstsein Geschöpfte auf die Objecte unserer Sinnes- wahrnehmung, auf die Organe, die Gewebselemente, auf jede kleine Zelle. Das ist der erste Versuch einer psychologischen Erklä- rung aller Lebenserscheinungen. Wenn es also scheint, dass mit alleiniger Hülfe der Physik und Chemie wir die Lebenserscheinungen nicht zu erklären vermögen, so fragt es sich nur noch: was haben wir von den übrigen Hülfs- wissenschaften der Physiologie, was haben wir von den morphologi- scheji Disciplinen, der Anatoinie, der Histiologie zu erwarten? Ich behaupte, auch diese werden uns vorläufig der Lösung dieser Räthsel nicht näher bringen. Denn wenn wir mit Hülfe des Scalpells und des Mikroskopes die Organismen zerlegt haben bis auf die letz- ten Elemente, wenn wir schliesslich angelangt sind bei der einfachsten Zelle — dann liegt das grösste Räthsel noch vor uns. Die einfachste Zelle, der formlose, structurlose, mikroskopisch kleine Protoplasma- tropfen — er zeigt noch alle wesentlichen Functionen des Lebens: Ernährung, Wachsthum, Fortpflanzung, Bewegung, Empfindung — ja, selbst Functionen, welche das „Sensorium'', das Seelenleben der höheren Thiere wenigstens ersetzen. Ich erinnere nochmals an die Beobach- tungen an der Vampyrella, möchte mir aber erlauben, auf die noch auffallenderen Erscheinungen näher einzugehen, welche Ekgelmänn an den Arcellen beobachtet hat. -) Die Arcellen sind gleichfalls einzellige Wesen, aber in sofern complicirter wie die Vampyrella, als sie Kerne haben und eine Schale absondern. Diese Schale hat eine convex-concave Form. In der Mitte der concaven Seite der Schale befindet sich eine Oeflfnung, 1) Activitäl und Leben sind vielleicht nur zwei Worte für denselben Begriff oder vielmehr zwei Worte, mit denen wir keinen klaren Begrifl' verbinden. Und dennoch sind wir gezwungen, beständig mit diesen unklaren Begriffen zu operiren. Hier ist der Punkt, wo sich die schwierigsten Probleme berühren, an denen alle Denker gescheitert sind. 2) Th. W. E^■GELMA^N, Beiträge zur Physiologie des Protoplasmas. Pflüger's Archiv. Bd. IT, S. 307. 1S69. Vgl. auch Bd. 25, S. 288, Anm. 1. 18SI, Bd. 2G, S. 544. 1881, Bd. 30, S. 96 u. 97. 1SS3. 10 Erste Vorlesung. aus welcher die Pseudopodien hervortreten und am Rande der Schale als glashelle Protuberanzen zum Vorschein kommen. Bringt man einen Wassertropfen, der Arcellen enthält, unter das Mikroskop, so trifft es sich häufig, dass eine der Arcellen so zu sagen auf den Rücken fällt, d. b. mit der convexen Fläche die Unterlage berührt, so dass die am Rande der Schale hervortretenden Pseudopodien nirgendwo einen Anhaltspunkt finden. Dann sieht man an der einen Seite in der Nähe des Randes in dem Protoplasma Gasblasen ent- stehen; diese Seite wird specifisch leichter, sie hebt sich; das Thier kommt auf den gegenüberliegenden scharfen Rand zu stehen. Jetzt gelingt es ihm mit den Pseudopodien an die Unterlage sich anzu- heften .und umzukehren, so dass alle am Rande hervortretenden Pseudopodien die Unterlage berühren. Jetzt werden die Gasblasen eingezogen und das Thier kriecht dahin. — Bringt man einen Tropfen mit Arcellen an die untere Fläche des Deckgläschens der Gaskammer, so sammeln sie sich zunächst, der Schwere folgend, an der unteren Fläche das Tropfens. Finden sie hier keinen Anhaltspunkt, so ent- wickeln sie grosse Gasblasen, durch welche das ganze Thier speci- fisch leichter wird als das Wasser, und steigen in dem Wassertropfen empor. Kommen sie oben an der Glasfläche in einer solchen Stellung an, dass sie nicht Fuss fassen können, so werden die Gasblasen an der einen Seite verkleinert oder an der anderen vergrössert, bis- weilen auch gleichzeitig an der einen verkleinert und an der anderen vergrössert, bis die Thiere mit dem Rande der Schale die Glasfläche berühren und sich umkehren können. Sobald dieses erreicht ist, sieht man die Gasblasen verschwinden; das Thier kann nun auf der Glasfläche kriechend sich fortbewegen. Macht man sie durch vor- sichtige Berührung mit einer feinen Nadel von der Oberfläche los, so fallen sie zunächst wieder zur unteren Fläche des Tropfens hinab, entwickeln dann aufs neue Gasblasen , steigen empor und so fort. Und wie man sich auch bemühe, sie in eine unbequeme Lage zu bringen, immer wissen sie durch Entwicklung von Gasblasen an der entsprechenden Stelle von der entsprechenden Grösse sich in die zur Fortbewegung geeignete Lage zurückzuversetzen. Sobald dieser Zweck erreicht ist, verschwinden stets wieder die Bläschen. „Man kann nicht leugnen" — sagt Engelmann — „dass diese Thatsachen auf psychische Processe im Protoplasma deuten." Ob diese Auffassung Engelmann's berechtigt ist oder nicht — das wage ich nicht zu entscheiden. Ich gebe sogar unbedingt die Möglichkeit zu, dass diese Erscheinungen einst eine rein mecha- nische Erklärung finden werden. Ich habe diese Thatsachen nur Vitalismus und Mechanismus. 11 angeführt, um zu zeigen, mit wie verwickelten Lebenserscheinungen wir es selbst da noch zu thun haben, wo die mikroskopische Forschung bereits an der Grenze angelangt ist, und wie wenig es bisher ge- lungen, irgend welche Lebenserscheinungen mechanisch zu erklären. Denn wenigstens ebenso verwickelt, wie die Vorgänge in diesen ein- zelligen Wesen, sind die Vorgänge in jeder Zelle unseres Körpers. Jede der unzähligen, mikroskopisch kleinen Zellen, die unseren com- plicirten Organismus zusammensetzen — sie ist ein Wunderbau, ein Mikrokosmus, eine Welt für sich. Es ist eine bekannte Thatsache, dass mit einem „Samenthier- €hen", dieser kleinen Zelle, von welcher fünf hundert Millionen kaum den Raum einer Cubiklinie ausfüllen, alle körperlichen und geistigen Eigenthümlichkeiten vom Vater auf den Sohn sich vererben, ja, mit Auslassung des Sohnes wiederum durch eine kleine Zelle auf den Grosssohn. Wenn das wirklich ein rein mechanischer Process ist — wie unendlich wunderbar muss der Aufbau der Atome, wie unendlich verwickelt das Spiel der Kräfte, wie unendlich com- plicirt müssen die mannigfachen Bewegungen in dieser kleinen Zelle sein, welche allen späteren Bewegungen und der Entwicklung durch Generationen hindurch ihre Richtung vorschreiben! Und wie wird vollends dieser kleine Bau zum Träger der Seelenerscheinungen!? Hier lassen Physik, Chemie und Anatomie uns völlig im Stich. Wohl mag noch manches Jahrtausend dahinziehn über die Gene- rationen des Menschengeschlechts, es mag noch manche Denkerstirn sich furchen und manche eiserne Arbeitskraft erlahmen, bevor auch nur der erste Schritt zur Lösung dieser Räthsel gethan ist. Ebensowohl aber ist es denkbar, dass mit einem Schlage Licht über dieses Dunkel verbreitet wird. — Sie würden mich missverstehen, wenn Sie meine Auseinandersetzung so auslegen wollten, als bildete ich mir ein, eine für die Wissenschaft unübersteigbare Schranke im Voraus zu erkennen. Nein ! Die Wissenschaft — sie schrickt vor kei- ner selbstgesteckten Grenze zurück. Die Wissenschaft wird immer kühnere Fragen stellen und immer sichrere Antworten finden. Nichts kann sie aufhalten in ihrem Siegeslauf. — Selbst die Beschränkt- heit unserer Geistesgaben vermag es nicht! Auch diese sind einer Vervollkommnung fähig. Dass die fortschreitende Entwicklung und Veredelung, welche das gesammte organische Leben auf unserem Planeten bewegt, mit dem Auftreten unseres Geschlechts ihren Ab- schluss gefunden habe — dafür ist auch nicht der leiseste Vernunft- grund vorhanden. Es hat die Zeit gegeben, wo verständnisslos im ürmeer umherwimmelnde Infusorien die einzigen empfindenden Wesen 12 Erste Vorlesung. auf diesem Planeten waren, und es wird die Zeit kommen, wo ein Geschlecht unsere Erde beherrscht, welches uns in seinen geistigen Gaben ebenso hoch überragen wird, als wir mit unserem Verstände den Infusorien überlegen sind, die als erste Bewohner unseres Pla- neten das Urmeer belebten. — Der Fortschritt der Wissenschaft aber ist unbegrenzt. Wir müssen also unbedingt die Möglichkeit zugeben, dass die Plindernisse und Schwierigkeiten, die gegenwärtig noch bergehoch sich aufthürmen vor der physiologischen Forschung, schliesslich doch können überwunden werden. — Im Augenblick aber ist es gar nicht abzusehen, wie wir mit alleiniger Hülfe der Physik, Chemie und Anatomie einen wesentlichen Schritt weiter gelangen sollen. In der kleinsten Zelle — da liefen schon alle Räthsel des Lebens vor uns und bei der Erjorschung der kleinsten Zelle — da sind ivir mit den bishe- rigen Rülfsmilteln bereits an der Grenze angelangt. Aber wir können die Hülfsmittel vervollkommen! Wir können das Mikroskop verschärfen ! Die Zelle, die heute structurlos erscheint, wird morgen eine Structur hervortreten lassen. Die Zelle, die kern- los erscheint, wird bei Anwendung neuer Färbemethoden einen Kern zeigen. Und auch der Kern ist nicht mehr structurlos; er zeigt be- reits einen so complicirten Bau, dass die blosse Beobachtung und Beschreibung desselben bald die ganze volle Arbeitskraft vieler For- scher in Anspruch nehmen wird! Aber ein complicirter Bau ist keine Erklärung; er ist ein neues Räthsel: wie ist dieser compli- cirte Bau entstanden!? Und wird uns der Einblick in diesen Bau ein Verständniss gewähren auch nur für die einfachen Vorgänge, die wir an der Vampyrella, an den Arcellen beobachten? Wird er vollends das grosse Käthsel lösen, das grösste von allen — das Räthsel der Vererbung — der Vererbung durch eine kleine Zelle! Und wenn das schon von der kleinen Zelle gilt — wieviel mehr von unserem complicirten Organismus! — Und dennoch muss die physiologische Forschung mit dem com- plicirtesten Organismus, mit dem menschlichen beginnen: Es recht- fertigt sich dieses — auch ganz abgesehen von den Forderungen der praktischen Heilkunde — aus folgendem Grunde, und das führt uns zurück zu dem Ausgangspunkte unserer Betrachtung. Dass die physiologische Forschung mit dem complicirtesten Organis- mus, dem menschlichen beginnt, rechtfertigt sich aus dem Grunde, dass der menschliche Organismus der einzige ist, bei dessen Erforschung wir nicht bloss auf unsere Siiine angewiesen sind, in dessen innerstes Wesen wir gleichzeitig noch von einer anderen Seite her eindringe?i Vitalismus und Mechanismus. 13 — durch die Selbstbeobachtung, den iniici^en Si?in, um der von aussen vordringenden Physik die Hand zu reicheii. ,,Es ist wie in einem Bergwerke, wo von verschiedenen Seiten her die Arbeiter in Stollen vordringen, bis schliesslich durch das Gestein der eine die Haramer- schläge des anderen vernimmt." ') Die Fruchtbarkeit dieser Methode, welche gleichzeitig von zwei Seiten her das Räthsel in Angriff nimmt, hatte unser grosser Meister, Johannes Müller, bereits klar erkannt-}, und das von ihm auf diesem Wege entdeckte Gesetz von der „specifischen Sinnesenergie" ist ohne Zweifel die grösste Errungenschaft der Physiologie wie der Psychologie und die exacte Grundlage jeder idealistischen Philosophie, Ich meine das einfache Gesetz, dass ein und derselbe Reiz, ein und derselbe Vorgang der Aussenwelt, ein und dasselbe „Ding an sich" auf verschiedene Sinnesnerven einwirkend, stets verschiedene Empfindungen veranlasst („auslöst"), und dass verschiedene Reize auf denselben Sinnesnerv einwirkend stets dieselbe Empfindung ver- anlassen, dass also die Vorgänge in der Aussenwelt mit unseren Em- pfindungen und Vorstellungen nichts gemein haben, dass die Aussen- welt für uns ein Buch mit sieben Siegeln, dass das einzige unserer Beobachtung und Erkenntniss unmittelbar Zugängliche die Zustände und Vorgänge des eigenen Bewusstseins sind. Diese einfache Wahrheit ist das Grösste und Tiefste, was je der Menschengeist gedacht. Und diese einfache Wahrheit führt uns auch zum vollen Verständniss dessen, was das Wesen des Vitalismus aus- macht. Das Wesen des Vitalismus besteht nicht darin, dass wir uns mit einem Worte begnügen und auf das Denken verzichten. Das Wesen des Vitalismus besteht darin, dass wir den allein richtigen Weg der Erkenntniss einschlagen, dass wir ausgehen von dem Be- kannten^ von der Innenwelt, um das Unbekannte zu erklären, die Aussen- welt. Den umgekehrten und verkehrten Weg schlägt der Mecha- nismus ein — der nichts anderes ist als der Materialismus — er geht von dem Unbekannten aus, von der Aussenwelt, um das Bekannte zu erklären, die Innenwelt. Was den Physiologen immer und immer wieder dem Materialis- mus in die Arme treibt, ist die Thatsache, dass in der Psychologie auch nicht einmal der Anfang dazu gemacht ist, den Grad der Exact- 1) Dieses Bildes bedient sich — wenn ich nicht irre — Schopenhauer. 2) JoH. Müller vertheidigte bei seiner Doctordisputation die These: .,Psy- chologus nemo nisi Physiologus." Die Zeit wird kommen, wo auch die umge- kehrte These: „Physiologus nemo nisi Psychologus" keiner Vertheidigung mehr bedarf. 14 Erste Vorlesung. Vitalismus und Mechanismus. heit zu erreichen, an den wir uns durch das Studium der Physik und Chemie gewöhnt haben. Es lässt sich nicht leugnen, dass, ob- gleich unserer Beobachtung und Erkenntniss nichts so unmittelbar zugänglich ist, als die Zustände und Vorgänge des eigenen Bewusst- seins, dennoch gerade auf diesem Gebiete unser Wissen ein ganz und gar unsicheres und schwankendes ist. Es liegt dieses daran, dass das Object weit complicirter, die Zahl der Qualitäten unendlich viel grösser ist als in der den äusseren Sinnen erkennbaren Welt ; es liegt ferner daran, dass die Zustände und Vorgänge in unserem Bewusst- sein einem ununterbrochenen raschen Wechsel unterliegen; es liegt vor Allem daran, dass wir bisher kein Mittel ausfindig gemacht haben, die Objecte des inneren Sinnes quantitativ zu untersuchen. So lange dieser Zustand der Psychologie fortbesteht, werden wir zu befriedigenden Erklärungen der Lebenserscheinungen nicht gelangen. Es bleibt uns auf den meisten Gebieten der Physiologie vorläufig gar nichts anderes übrig, als mit aller Kesignation in der bisherigen mechanistischen Richtung weiter zu arbeiten. Die Me- thode ist durchaus fruchtbringand : wir müssen es versuchen, wie weit wir mit alleiniger Hülfe der Physik und Chemie gelangen. Der auf diesem Wege unerforschbare Kern wird um so schärfer, um so deutlicher hervortreten. — So treibt uns der Mechanismus der Gegenwart dem Vitalismus der Zukunft mit Sicherheit entgegen. Zweite Vorlesung. Kreislauf der Elemente.^) Die physiologische Chemie hat die Aufgabe, die chemischen Vorgänge in den lebenden Wesen und ihre Bedeutung für den Lebens- process zu erforschen. Bei der Betrachtung dieser Vorgänge werden wir uns auf den Menschen und die ihm nächstverwandten Thiere beschränken müssen, so verkehrt es auch erscheinen mag, mit der Untersuchung der complicirtesten Organismen zu beginnen, bevor wir in die chemischen Vorgänge bei den einfachsten einen Einblick ge- wonnen. Es bleibt uns nichts Anderes übrig; wir besitzen noch keine physiologische Chemie der niederen Organismen. Das Wenige, was bisher auf diesem Gebiete zu Tage gefördert worden, werde ich ge- legentlich in unsere Betrachtung des Stoffwechsels der höheren Thiere hineinflechten. Bevor wir nun aber an diesen Gegenstand herantreten, wollen wir die Elemente und Kräfte, die sich an dem Kraft- und Stoff- wechsel unseres Organismus betheiligen, auf ihrem Kreislaufe durch die belebte und unbelebte Natur verfolgen. Die Natur ist eine ein- heitliche, und wer sie im Einzelnen verstehen will, muss sie in ihrem Zusammenhange überschauen; er muss die grossen einheitlichen Ge- setze erfassen, welche die gesammte belebte und unbelebte Natur mit gleicher Nothwendigkeit beherrschen. 1) Dem Anfänger, der sich mit dem Gegenstande dieses Vortrages eingehen- der zu beschäftigen wünscht, sei vor Allem das bahnbrechende Werk von Liebig warm empfohlen: „Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physio- logie" 1840. 8. Aufl. 1865. Das Feuer wissenschaftlicher Begeisterung, durch wel- ches unser grosser Meister während seines Lebens zündend wirkte auf seine ganze Umgebung, strahlt uns noch jetzt aus jedem Blatte dieses Werkes entgegen. Wer auch den neueren Errungenschaften Rechnung tragen will, lese Adolf Mayer's Lehrbuch der Agriculturchemie. Heidelberg 1876. Dort findet sich eine sorgfältige Angabe der Quellenliteratur. 16 Zweite Vorlesung. Zwölf Elemente sind es, welche alle lebenden Wesen ohne Aus- nahme zusammensetzen: Kohlenstofif, Wasserstoff, Sauerstoff, Stick- stoff, Schwefel, Phosphor, Chlor, Kalium, Natrium, Calcium, Magne- sium, Eisen. Der Kolilenstoif findet sich an der Oberfläche unseres Planeten zum grössten Theil an Sauerstoff gebunden als Kohlensäure. Von dieser ist nur der kleinste Theil frei in der Atmosphäre und im Wasser absorbirt enthalten. Die Hauptmasse bildet, an Basen, namentlich Kalk und Magnesia gebunden, mächtige Schichten der Erdrinde. Nur ein verhältnissmässig kleiner Theil des Kohlenstoffes findet sich im freien Zustande als Steinkohle, eine noch weit geringere Menge als Graphit und Diamant. Die Steinkohlen sind bekanntlich Pflanzenreste und die Pflanzen haben ihren Kohlenstoff aus der Koh- lensäure der Atmosphäre bezogen. Wenn man also vom Graphit und Diamant absieht — deren Bildungsweise noch unbekannt ist — , so kann man sagen: alle Kohle auf unserer Erde ist entweder Kohlen- säure oder gewesene Kohlensäure; die Kohlensäure ist diejenige Verbindung, durch welche der Kohlenstoff bei seinen Umwandlungen immer und immer wieder hindurch muss. Auch in den Kreislauf des Lebens tritt die Kohle in dieser Form ein; nur in dieser Ver- bindung nimmt die Pflanze sie auf und bildet daraus die zahllosen Verbindungen, die ihren Organismus zusammensetzen. Mit der Pflan- zennahrung gelangt die Kohle in den Thierkörper und verlässt den- selben wiederum als Kohlensäure oder in der Form von Verbin- dungen, welche, wie der Harnstoff, ausserhalb des Organismus sehr bald unter Abspaltung von Kohlensäure zerfallen. Die Kohle geht also in derselben Form, in welcher sie in den Kreislauf des Lebens eintrat, wieder aus demselben hervor und kehrt in die Atmosphäre zurück, um den Kreislauf aufs Neue zu beginnen. Der Wasserstoff kommt im freien Zustande in der Natur nur in Spuren vor. Er findet sich in der anorganischen Natur fast aus- schliesslich als Wasser. Eine im Vergleich dazu verschwindend ge- ringe Menge tritt als Ammoniak auf. Ausschliesslich als Wasser und Ammoniak gelangt der Wasserstoff in den Organismus der Pflanze, betheiligt sich an der Bildung der organischen Stoffe, die dem Thier als Nahrung dienen, und geht aus dem Stoffwechsel der Thiere wie- derum als Wasser und Ammoniak hervor oder in Form von Verbindun- gen, die rasch unter Abspaltung von Wasser und Ammoniak zerfallen. Der Sauerstoff ist unter allen Elementen an der Oberfläche der Erde das verbreitetste: er bildet nahezu V4 von dem Gewichte der Atmosphäre, ^/g von dem Gewichte des Wassers und ungefähr die Kreislauf der Elemente. Kohlen-, Wasser-, Sauerstoff. 17 Hälfte von dem Gewichte der festen Erdrinde, welche fast ausschliess- lich aus Sauerstoffverbindungen zusammengesetzt ist. Der Sauerstoff ist das einzige Element, welches auch im freien Zustande in den Lebensprocess eintritt, aber nur zum Theil, in den Lebensprocess der Pflanze nur zum kleinsten Theil. Die Hauptmasse des Sauerstoffes gelangt in den Organismus der Pflanze als Kohlensäure und Wasser. Aus diesen Verbindungen spaltet bekanntlich die Pflanze unter der Einwirkung des Sonnenlichtes einen Theil des Sauerstoffes ab und bildet die Sauerstoff ärmeren, kohlenstoff- und wasserstoffreicheren Verbindungen, welche dem Thiere als Nahrung dienen und im Thier- körper wieder mit dem abgespaltenen Sauerstoff vereinigt werden. Als Resultat der Vereinigung kehren wiederum Kohlensäure und Wasser in die Atmosphäre zurück. Durch diesen Antagonismus der Thier- und Pflanzenwelt wird der Kohlensäure- und Sauerstoffgehalt der Atmosphäre constant er- halten : in dem Maasse als die Pflanze den Sauerstoffgehalt vermehrt, vermindert ihn das Thier, in demselben Maasse, als die Pflanze den Kohlensäuregehalt vermindert, vermehrt ihn das Thier. Es fragt sich nun: wird dieses Gleichgewicht für alle Zukunft gewahrt bleiben? Wenn dasselbe durch den Lebensprocess nicht ge- stört wird — könnten nicht in der unbelebten Natur Factoren mit- spielen, welche vermehrend oder vermindernd auf den Gehalt der Atmosphäre an diesen für die Erhaltung des Lebens unentbehrlichen Bestandtheilen einwirken? Was zunächst die Kohlensäure betrifft, so sind die Geologen darin einig, dass der Kohlensäuregehalt der Atmosphäre früher ein höherer gewesen. Es fragt sich : was sind die Ursachen dieser Ab- nahme? Sind die Ursachen noch heutzutage wirksam und haben wir für alle kommenden Zeiten eine ununterbrochene Verminderung dieser Nahrungsquelle der Pflanzenwelt zu befürchten? Die eine von den Ursachen der Kohlensäureverminderung liegt klar zu Tage: es ist die Bildung der Steinkohlenlager, welche be- kanntlich von Pflanzen stammen, die ihren Kohlenstoff der atmo- sphärischen Kohlensäure entnommen haben. Indessen scheinen diese Kohlenstoffmengen verhältnissmässig gering zu sein. Und wenn auch die Bildung der Steinkohlenlager noch heutzutage am Grunde der Meere vor sich geht, so kehrt doch andererseits die Kohlensäure der früher gebildeten ununterbrochen durch die Schornsteine der Fabriken und Locomotiven wieder in die Atmosphäre zurück. Von dieser Seite haben wir kaum eine Verminderung der Kohlensäure in unserer Atmo- sphäre zu befürchten. Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 2 13 Zweite Vorlesung. Weit bedenklicher ist eine andere Ursache der Kohlensäurever- minderung: es ist die Verdrängung der Kieselsäure aus den Gesteinen der festen Erdrinde durch die Kohlensäure der Atmosphäre, die Bin- dung der Kohlensäure an die Basen der Silicate. Die Gesteine, welche die feste Rinde unseres Planeten bilden, bestehen bekanntlich der Hauptmasse nach aus Silicaten und Carbonaten, aus Verbindungen der Kieselsäure und Kohlensäure mit Kalk, Magnesia, Eisenoxydul, Alkalien. Beide Säuren suchen sich nun gegenseitig aus ihren Ver- bindungen zu verdrängen und mit den basischen Bestandtheilen zu vereinigen. — Die Kieselsäure und die Kohlensäure — sie sind „die beiden Grossmächte beim Bau der Erde" und liegen in ewigem Kampfe mit einander unter wechselnden Siegen und Niederlagen. Sobald es der Kohlensäure gelingt, über die Kieselsäure einen vollständigen, endgültigen Sieg zu erringen, muss alles organische Leben auf un- serem Planeten erlöschen. In der Kälte bei Gegenwart des Wassers ist die chemische Ver- wandtschaft der Kohlensäure zu den basischen Bestandtheilen der Gesteine grösser als die der Kieselsäure; hier oben ist die Kohlen- säure die stärkere Säure; an der Oberfläche der Erde erkämpft sie einen langsamen aber sicheren Sieg. Jede Meereswoge, die am Felsen brandet, jede Welle, die das Kieselgestein des Flussbettes bespült, jeder Regentropfen, der zur Erde fällt — sie stehen mit der Kohlen- säure in ewigem Bunde, sie zersetzen langsam aber sicher auch das härteste Kieselgestein: die Kohlensäure verbindet sich mit den ba- sischen Bestandtheilen und die verdrängte Kieselsäure lagert sich mit einem Reste der noch übrigen Basen am Grunde der Gewässer und bildet allmählich als Thon, als Sandstein die mächtigsten Erd- schichten und Gebirgslager. Die Kohlensäure aber fällt an Kalk oder Magnesia gebunden gleichfalls zu Boden entweder vereinigt mit einem Theil der zersetzten Silicate als Mergel oder in besonderen Schichten als Kalkstein, als Dolomit. Die Hälfte des Gewichtes der mächtigen Kreidelager, der Kalksteinformationen, welche ganze grosse Theile der Erdrinde ausmachen, besteht aus Kohlensäure, welche aus der Atmosphäre stammt und dem Kreislaufe des Lebens für immer ent- zogen scheint. Aber ganz anders gestaltet sich der Kampf des beiden Säuren im Innern der Erde. Bei der dort herrschenden höheren Temperatur ist die Kieselsäure die stärkere Säure. Dort in der Tiefe ist ihr Gebiet, dort erobert sie die basischen Bestandtheile der Carbonate und die verdrängte Kohlensäure entweicht in Gasgestalt wiederum in ihr Gebiet, die Atmosphäre zurück. Solche auf der Flucht be- Kreislauf der Elemente. Kohlen-, Wasser-, Sauerstoff. 19 griffene Kohlensäure ist es, welche uaunterbrochen aus den Kratern aller thätigen Vulkane und auch sonst noch aus Spalten und Rissen an vielen Orten der Erde entströmt. Die Menge dieser in die Atmosphäre zurückkehrenden Kohlen- säure lässt sich nicht bestimmen. Es scheint jedoch, dass sie weit geringer ist als diejenige, welche beständig an Kalk und Magnesia gebunden und der Atmosphäre entzogen wird. Und wenn es wahr ist; dass unser Planet fortwährend erkaltet und seine Kinde verdickt so muss gerade diejenige Kraft, welche der Kieselsäure die Ober- hand verschafft, die Eigenwärme der Erde fortwährend abnehmen, dem vollständigen Siege der Kohlensäure schliesslich nichts mehr im Wege stehen — das organische Leben erlöschen. In ähnlicher Weise wie die Kohlensäure wird noch ein zweiter Bestandtheil der Atmosphäre dem Lebensprocess fortwährend ent- zogen und in der Erdrinde fixirt : es ist der Sauerstoff. Der Bestand- theil der Erdrinde, der ihn bindet, ist das aus dem Zerfall gewisser Silicate hervorgehende Eisenoxydul. Dieses oxydirt sich zu Eisen- oxyd, welches bekanntlich bereits mächtige Lager in der Erdrinde bildet und in noch grösserer Menge anderen Ablagerungen — Thon, Lehm, Sandstein, Schiefer — beigemischt ist. Ein Drittel des Sauer- stoffes in diesen gewaltigen Eisenoxydmassen stammt aus der Atmo- sphäre. Zum Theil kann dieser Sauerstoff wieder in die Atmosphäre zurückkehren. Wenn nämlich das Eisenoxyd mit sich zersetzenden organischen Stoffen in Berührung kommt, so oxydiren sich diese auf Kosten des Sauerstoffes vom Eisenoxyd. Als Endproduct der Oxy- dation kehrt Kohlensäure in die Atmosphäre zurück und kann in der Pflanze wiederum unter Abspaltung von Sauerstoff reducirt werden. Das Pflanzenleben aber ist der einzige Process, durch den an der Oberfläche unserer Erde Sauerstoff in Freiheit gesetzt wird, und es ist sehr fraglich, ob dieser eine Process allein hinreicht, alle Processe aufzuwiegen, durch welche Sauerstoff gebunden wird: Athmung, Ver- wesung, Verbrennung, Oxydation der Eisenverbinduugen und der Schwefelverbindungen. Es scheint also, dass ein wichtiger Nahrungsstoff der Pflanze, die freie Kohlensäure und ein für alle organischen Wesen unent- behrlicher Nahrungsstoff, der freie Sauerstoff, beständig im Abnehmen begriffen sind, dass somit langsam aber sicher für uns die Stunde herannaht, wo wir die Bedingungen unserer Existenz nicht mehr vorfinden, wo alles organische Leben auf unserem Planeten erlöschen muss. 2* 20 Zweite Vorlesung. Wir wenden uns nun zum Stickstoff, dem vierten und letzten der Elemente, welche dem Kreislauf des Lebens aus der Atmosphäre und ihren Niederschlägen zufliessen. Der Stickstoff ist charakterisirt durch seine geringe Verwandtschaft zu anderen Elementen. Aus diesem Grunde findet sich die Hauptmasse des Stickstoffes im freien Zu- stande auf der Erde. Als freies Element bildet er V^ der Atmosphäre. Nur eine verschwindend geringe Menge findet sich in der unbelebten Natur im gebundenen Zustande: es ist der ^ticksto^ des Ammoniaks U7id seiner Oxydationsprodncte, der salpetrigen Sänre und der Salpeter- säure. Hauptsächlich in diesen Verbindungen tritt der Stickstoff in den Lebensprocess ein. Die ganze grosse Masse des freien Stick- stoffes betheiligt sich nur wenig am Kreislauf des Lebens. Die meisten Pflanzen vermögen ihn nicht zu assimiliren. Es ist bisher nur von einigen Bacterien nachgewiesen, dass sie freien Stickstoff zu binden befähigt sind. Da nun die Menge des gebundenen Stickstoffes in der Natur eine sehr geringe ist und die übrigen Nahrungsstoffe der Pflanze nicht verwerth et werden können, wenn nicht gleichzeitig eine entsprechende Menge gebundenen Stickstoffes aufgenommen wird, so ist die Menge organischer Wesen, welche gleichzeitig auf unserem Planeten neben einander bestehen können, in erster Instanz abhängig von der Menge des vorhandenen gebundenen Stickstoffes. Es ist daher eine Frage von hohem Interesse, welche Factoren die Menge des gebundenen Stickstoffes vermehren und vermindern. Was zunächst den Lebensprocess selbst betrifft, so wird durch diesen — wenn wir von den erwähnten Bacterien absehen — die Summe des gebundenen Stickstoffes nicht verändert. Der Stickstoff tritt als gebundener — Ammoniak, salpetrige und Salpetersäure — in den Lebensprocess der Pflanze ein, betheiligt sich dort an der Bildung der complicirtesten organischen Verbindungen, gelangt in diesen haupt- sächlich als Eiweiss in den Thierkörper und verlässt diesen nach dem Zerfall des Eiweiss in der Form von Verbindungen, welche, wie der Harnstoff, die Harnsäure ausserhalb des Organismus rasch unter Ab- spaltung von Ammoniak zerfallen. Eine Ausnahme von dieser Regel machen die erwähnten Bac- terien. Man findet an den Wurzeln der Leguminosen kleine Knollen, welche dadurch entstehen, dass gewisse Bacterien mit den Legu- minosen in ein symbiotisches Verhältniss treten. Lässt man die Legu- minosen auf sterilisirtem Boden wachsen, so bilden sich diese Knöllchej nicht, die Pflanzen entwickeln sich langsam und unvollkommen un erweisen sich als eiweissarm. Bringt man dagegen ceteris paribi Kreislauf der Elemente. Stickstoff. 21 die betreffenden Bacterien in den Boden, so treten die Knöllehen auf, die Leguminosen entwickeln sich üppig und bilden weit mehr Eiweiss als dem gebundenen Stickstoffe des Bodens entspricht, i) Wir wissen ferner, dass auch in der unbelebten Natur Factoren wirksam sind, durch welche gebundener Stickstoff" erzeugt wird. Einen solchen Process hat man in den elektrischen Entladungen der Atmosphäre erknant. Durch zahlreiche Versuche ist festgestellt worden, dass durch elektrische Entladungen der Stickstoff mit dem Sauerstoff zu Salpetersäure sich vereinigt und dass beim Hindurchschlagen des elektrischen Funkens durch eine feuchte Atmosphäre Stickstoff und Wasserdampf zu salpetrigsaurem Ammon sich vereinigen. 2) 2N + 2H20 = NH4N02 Dieser Process vollzieht sich im Grossen bei jedem Gewitter. Mit dem Regenwasser gelangen die Producte in den Boden. Auf einen zweiten Process hat Schönbein aufmerksam gemacht: bei jeder Wasserverdunstung werden geringe Spuren salpetrigsauren Ammons in der Luft gebildet. Es könnte daher die an der Oberfläche der Pflanzen selbst fortwährend vor sich gehende Verdunstung eine Quelle des gebundenen Stickstoffes für die Pflanze abgeben. Wir sehen also, dass aus mehrfachen Quellen der Gesammtvor- rath an gebundenem Stickstoff fortwährend vermehrt wird. Es müsste daher das organische Leben auf unserem Planeten in immer zunehmen- der Ueppigkeit und Fülle sich entfalten, wenn nicht andere Ursachen wirksam wären, durch welche umgekehrt gebundener Stickstoff wie- derum frei gemacht wird. Dieses geschieht bei der V e r b r e n n u n g. — Die durch Menschenhand eingeleiteten Verbrennungen ganzer grosser Wälder — Jahrtausende hindurch fortgesetzt — sind ein Raub an dem Vorrath von gebundenem Stickstoff, dem Thiere und Pflanzen ihr Dasein verdanken; es wird dadurch die Summe des Lebenden ohne Zweifel vermindert. Die Fruchtbarkeit des Bodens muss auf dem ganzen Erdballe abnehmen. Aus diesem Grunde ist auch die neuprojectirte Leichenverbrennung zu verwerfen, wenngleich die dabei zerstörte Menge von gebundenem Stickstoff weit geringer wäre als die bei der Verbrennung der Wälder. Gebundener Stickstoff wird 1) W. 0. Atwater and C. D. Woods, Amer. ehem. journ. Vol. C. p. 365. 1884. Vol. 12. p. 526. ISftü and Vol. 13. p. 42. 1891. — H. Hellriegel u. H. Will- PAETH, Unters, üb. d. Stickstoffnahrung der Gramineen und Leguminosen. Berlin 1888. Diese Entdeckung ist vielfach bestätigt worden durch Versuche von Beyerink, B. Frank, Br^al, Berthelot, Nobbe u. A. 2) Berthelot, Bull. soc. chim. (2) T. 27. p. 338. Ann. chim. phys. (5) T. 12. p. 445. 1877. 22 Zweite Vorlesung. ferner zerstört beim Verpuffen von S c b i e s s p u 1 v e r oder anderen Sprengstoffen, welche sämmtlicb Derivate der Salpetersäure sind. In diesem Sinne kann man behaupten, dass jeder Schuss eines Feuerge- gewehrs tödtet, ja dass er gleich viel Leben vernichtet, mag die Kugel ein lebendes Wesen treffen oder nicht. Denn durch den Tod des Individuums wird kein Leben zerstört; aus dem Zerfall des Körpers blüht ebensoviel neues Leben wieder empor. Wird aber gebundener Stickstoff zerstört, so ist definitiv das Kapital vermindert, von dessen Grösse die Summe des Lebenden abhängt')- Die übrigen 8 Elemente bezieht die Pflanze aus dem Boden. Der Schwefel findet sich in der unbelebten Natur am meisten verbreitet als schwefelsaures Salz der Alkalien und alkalischen Erden. In dieser Form gelangt er in die Pflanze und betheiligt sich dort am Aufbau der Eiweissraoleküle in denen er 0,3 bis 2 "/o des Gewichtes ausmacht. Hauptsächlich in der Form des Eiweisses ge- langt er in den Thierkörper und geht dort aus der Spaltung und Oxydation des Eiweisses zum grössten Theil wiederum in der höchsten Oxydationsstufe als Schwefelsäure hervor. In dieser Form an Alkalien gebunden verlässt er den Thierkörper, um den Kreislauf aufs Neue zu beginnen. Ganz ähnlich ist der Kreislauf des Phosphors. Er findet sich in der unbelebten Natur nur als höchste Oxydationsstufe, als Phosphor- säure an Basen, namentlich Alkalien und alkalische Erden gebunden und gelangt nur in dieser Form in die Pflanzen. So verbreitet die Phosphorsäure auf der ganzen Erdoberfläche ist, so gering ist ihre Menge in den meisten Bodenarten. Wie der ge- bundene Stickstoff, so kann auch die Phosphorsäure auf einem Felde in so geringer Menge der Pflanze zur Verfügung stehen, dass alle übrigen Nahruugsstofife nicht können verwerthet werden. In selteneren Fällen gilt dieses auch vom Kali. An den übrigen Nahrungsstoffen tritt niemals Mangel ein. Es ist daher für die Landwirthschaft von hohem Interesse, festzustellen, welcher von den drei genannten Nah- rungsstoffen im Minimum auf einem Felde vorhanden ist. Der Menge des im Minimum vorhandenen Stoffes ■proportional ist die Fruchtbarkeit 1) Gegen diese meine Darstellung ist eingewandt worden, da gewisse Bac- terien gebundenen Stickstoff erzeugten, so sei die Verbrennung von Wäldern und Leichen kein Raub an dem Kapital der lebenden Natur. Das ist dieselbe Logik» als wenn jemand sagen wollte: diesen Mann darf man bestehlen, denn er ist ja erwerbsfähig. So lange es noch Felder giebt, auf denen das Ammoniak „im Mi- nimum" sich befindet, ist jede Verbrennung von Pflanzen- und Thierkörpern ein Raub an der lebenden Natur. Kreislauf der Elemente. Schwefel. Phosphor. Chlor. Kalium. Natrium etc. 23 eines Bodens. Dies ist das wichtige Gesetz , welches die Agricultur- chemie als „das Gesetz des Minimums" bezeichnet. Der im Minimum vorhandene Nahrungsstoff muss durch künstliche Düngung dem Felde zugeführt werden. Es ist meistens die Phosphorsäure. Daher die Düngung mit Knochenmehl, Apatit etc. In der Pflanze betheiligt sich die Phosphorsäure an der Bildung sehr complicirter Verbindungen: des Lecithins und der verschiedenen Nukle'ine, welche integrirende Bestandtheile jeder pflanzlichen und thierischen Zelle sind. In diesen Verbindungen und wohl nur zum kleineren Theil als phosphorsaures Salz gelangt der Phosphor mit der Pflanzennahrung in den Thierkörper und verlässt ihn in der- selben Form, in welcher er in die Pflanze eintrat — als phosphor- saures Salz. Der Kreislauf des Chlors ist ein sehr einfacher. Es findet sich in der Natur nur als Salz, hauptsächlich an Natrium und Kalium gebunden. In dieser Form tritt es in den Kreislauf des Lebens ein und aus. An der Bildung organischer Verbindungen betheiligt es sich gar nicht. Dasselbe gilt vom Kalium, Natrium, Calcium und Magnesium. Sie finden sich in der unbelebten Natur nur als Salze, treten als solche in die Pflanze, gehen mit den organischen Stoffen nur lockere Verbindungen ein und verlassen den Thierkörper wiederum als Salze. Das Eisen findet sich an der Oberfläche unserer Erde niemals als freies Metall, sondern der Hauptmasse nach an Sauerstoff gebunden als Oxydul und Oxyd. Von diesen beiden Verbindungen ist die erstere eine starke Base und bildet mit allen Säuren neutrale Salze. Das Eisenoxyd dagegen ist eine schwache Base und vermag ins- besondere die Kohlensäure nicht zu binden. Werden die Eisenoxydul- silicate durch die atmosphärische Kohlensäure zersetzt, so entsteht kohlensaures Eisenoxydul, welches in kohlensäurehaltigem Wasser löslich ist und mit dem Wasser überall im Erdboden vertheilt wird. Sobald es aber mit atmosphärischer Luft in Berührung kommt, oxy- dirt es sich zu Oxyd, die Kohlensäure wird frei und kehrt wieder in die Atmosphäre zurück. Das Oxyd aber wird, sobald es mit sich zersetzenden organischen Substanzen in Berührung kommt, reducirt und als kohlensaures Eisenoxydul mit dem Wasser fortgespült, bis es wiederum mit Luft in Berührung kommt, wieder in Oxyd um- gewandelt wird und aufs Neue zur Oxydation pflanzlicher und thie- rischer Reste dienen kann. Das Eisen ist also ein miermüdlicher Saue?'stoffüberi?'äge/\ Durch das Eisen ist dafür gesorgt, dass die Kohle nirgendwo in der Erde liegen bleibt, dass sie immer und 24 Zweite Vorlesung. immer wieder in die Atmosphäre zurückkehrt und den Kreislauf des Lebens aufs Neue beginnt. Etwas verwickelter gestaltet sich der Process der Sauerstoff- übertragung, wenn zugleich der Schwefel mitspielt. Der Schwefel wirkt gleichfalls als Sauer stojf üb ertrag er. Treffen die sich zersetzen- den organischen Stoffe zugleich mit Eisenoxyd oder Oxydul und mit schwefelsauren Salzen, z. B. Gyps, zusammen, so wird der Sauer- stoff nicht blos dem Eisen — und zwar vollständig — entzogen, son- dern auch dem Schwefel; es bildet sich Schwefeleisen. Dieses kann sich bei Luftzutritt wiederum zu Schwefelsäure und Eisenoxyd oxy- diren und aufs Neue als Sauerstoffüberträger wirken. — Den Schwefel zur Bildung des Schwefeleisens bei der Reduction der Eisenoxyde können die sich zersetzenden Thier- und Pflanzenreste auch selbst liefern, da sich stets schwefelhaltiges Eiweiss in ihnen findet. Im Grunde ist das derselbe Process, denn die organischen Schwefel- verbindungen haben sich durch Reduction aus schwefelsauren Salzen in der Pflanze gebildet. Ganz dieselbe Rolle wie in der Rinde der Erde spielt nun das Eisen auch in unserem Organismus — die Rolle des Sauerstoffüber- trägers. Nur findet sich das Eisen in unserem Organismus nicht als Oxydul oder Oxyd, sondern in Form einer organischen Verbindung, welche unter allen chemisch genauer untersuchten die complicirteste ist und wenigstens 700 Atome Kohlenstoff im Molekül enthält. Es ist der rothe Farbstoff des Blutes, das Hämoglobin, welches als Oxyhämoglobin genannte lockere Sauerstoffverbindung die Rolle des Oxydes spielt, als reducirtes Hämoglobin die Rolle des Oxyduls. Das Hämoglobin ist auch schwefelhaltig, und es könnte sein, dass auch der Schwefel im Hämoglobin — und überhaupt in allen Eiweiss- stoffen — seine Rolle als Sauerstoffüberträger beibehalten hat. Das Eisen allein hat jedenfalls nicht diese Function. Dazu ist die Menge des locker gebundenen Sauerstoffes zu gross, wie wir später ein- gehend besprechen wollen (vergl. Vorles. 14). Die ungeheuere Grösse des Hämoglobinmoleküls findet eine teleo- logische Erklärung, wenn wir bedenken, dass das Eisen 8 mal schwerer ist als das Wasser. Nur durch die Aufnahme desselben in ein so grosses organisches Molekül konnte eine Eisenverbindung geschaffen werden, welche leicht mit dem Blutstrom durch die Gefässe dahin- schwimmt. Das Hämoglobin wird erst im Thierkörper gebildet. In der Pflanze ist es nicht enthalten. Die Pflanze hat die Fähigkeit, an- organische Eisenverbindungen zu assimiliren und zum Aufbau com- Kreislauf der Elemente. Eisen. Silicium. 25 plicirter, noch nicht genauer gekannter organischer Verbindungen zu verwenden. Aus diesen entsteht im Thierkörper das Hämoglobin (vergl. Vorles. 6). In der Pflanze^) spielt das Eisen gleichfalls eine wichtige Rolle; wir wissen, dass die Bildung der Chlorophyllkörner ohne seine Gegenwart nicht zu Stande kommt. Lässt man Pflanzen in eisen- freien Nährsalzlösungen sich entwickeln, so sind die Blätter farblos, ergrünen aber sofort, sobald ein Eisensalz zur Lösung, in welche die Wurzel taucht, hinzugefügt wird. Ja, es genügt, das farblose Blatt mit einer Eisensalzlösung zu bestreichen, um die bestrichene Stelle nach kurzer Zeit ergrünen zu machen. Das Chlorophyll selbst ist eisenfrei, und wir wissen nicht, wie die Chlorophyllbildung mit der Eisenzufuhr zusammenhängt. Es scheint aber, dass die Pflanzentheile um so eisenreicher sind, je chlorophyllreicher sie sind. Boussingault^) fand in den äusseren grünen Blättern eines Kohlkopfes 0,0039 "/o Fe, in den innern „etiolirten" 0,0009 > Fe. In welcher Form und auf welchem Wege das Eisen den Thier- körper verlässt, ist noch nicht bekannt. Der Harn enthält meist nur unwägbare Mengen Eisen, wahrscheinlich als organische Verbindung. Die Excremeute enthalten stets bedeutende Mengen Schwefeleisen. Es lässt sich aber nicht entscheiden, wie viel davon blos unresorbirtes und wie viel mit den Verdauungssecreten und den Darmepithel aus- geschiedenes Eisen ist (vergl. Vorles. 6). Ausserhalb des Körpers wird das Schwefeleisen durch den atmosphärischen Sauerstoff in Schwefelsäure und Eisenoxyd übergeführt, und der Kreislauf ist vollendet. Ausser den genannten 12 Elementen sind noch die folgenden in einem grösseren oder kleineren Theil der Organismen, nicht aber in allen als integrirende Bestandtheile nachgewiesen: Silicium, Fluor, Brom, Jod, Aluminium, Mangan und Kupfer. Das Silicium kommt im freien Zustande in der Natur nicht vor; es findet sich nur als Kieselsäure. Diese Verbindung gehört — wie bereits dargethan — zu den verbreitetsten Bestandtheilen in der Rinde unserer Erde. Die Alkalisalze der Kieselsäure sind in Wasser löslich und die freie Säure tritt, wenn sie durch Kohlensäure aus gewissen Silicaten verdrängt worden, zunächst als Säurehydrat in einer scheinbar gelösten, sogenannten colloidalen Modification auf (vergl. Vorles. 4). In diesen beiden Formen wird wahrscheinlich die 1) Eine Zusammenstellung der botanischen Litteratur über die Eisenfrage findet sich bei Molisch : „Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen." Jena 1892. 2) BoüssiNGÄULT, Compt. rend. T. 74. p. 1356. 1872. 26 Zweite Vorlesung. Kieselsäure von den Pflanzen aufgenommen. Die höheren Pflanzen scheinen sämmtlich Kieselsäure zu enthalten. Unter den Kryptogamen sind die Schachtelhalme durch ihren Reichthum an Silicium ausge- zeichnet. Gewisse einzellige Algen, die Diatomeen, umgeben sich mit einem Kieselsäurepanzer. Nur in der Asche einiger Pilze will man die Kieselsäure vermisst haben. Es scheint jedoch, dass die Kieselsäure im Lebensprocess der höheren Pflanzen keine wichtige Rolle spielt. Dafür sprechen die folgenden Versuche an den siliciumreichen Gramineen: Weizen, Hafer, Mais, Gerste. Lässt man diese Pflanzen in kieselsäurefreien Nähr- salzlösungen wachsen, so dass sie nur sehr geringe Kieselsäuremengen aus dem Glasgefässe der Nährsalzlösung aufnehmen können, so ent- wickeln sie sich vollständig vom Samen zum Samen und zeigen keinerlei Abnormität. In der Asche so gezogener, normal gebildeter Maispflanzen fanden sich nur 0,7 % Kieselsäure, während unter ge- wöhnlichen Ernährungsverhältnissen durchschnittlich 20 ^/o darin ent- halten sind. ') Ob das Silicium in der Pflanze nur als Kieselsäure enthalten ist oder auch complicirtere Verbindungen eingeht, ist noch nicht ent- schieden. Das Silicium ist ein vierwerthiges Element wie die Kohle. Die Kieselsäure ist der Kohlensäure vollkommen analog zusammen- gesetzt. Es lag deshalb die Vermuthung nahe, dass das Silicium zahlreiche Verbindungen würde eingehen können, welche zur Kiesel- säure in derselben Beziehung stehen, wie die organischen Verbin- dungen zur Kohlensäure. In der That ist es Friedel und Laden- BUEG ') gelungen, eine Reihe derartiger Verbindungen darzustellen. In den Pflanzen aber konnten solche Verbindungen trotz mehrfacher Untersuchungen ■') bisher nicht nachgewiesen werden. Mit der Pflanzennahrung gelangt die Kieselsäure in den Thier- körper. Sie wird vom Darme aus resorbirt und durchwandert sämmt- liche Gewebe. Geringe Spuren lassen sich daher in allen Organen nachweisen. In den Harn der Pflanzenfresser geht sie in erheblicher Menge über und bildet bei Schafen bisweilen Blasensteine. Von Be- deutung scheint sie jedoch nur für die Entwickelung der Haare und 1) Sachs. Flora 1862. S. 52 und Wochenblatt der Annalen der Landwirth- schaft. 18(>2. S. 184. 2) C. Fbiedel und A. Lädenburg. Compt. rend. T. 06. p. 816. 1868 und T. 68. p. 920. 1869. Berichte der deutschen ehem. Ges. 1871, S. 901 und 1872. S. 319 und 1081 und die folgenden Jahrgänge. 3) Ladenburg. Berichte der deutschen ehem. Ges. Bd. 5. S. 56S. 1872. W. Lange ebend. Bd. 11. S. 822. 1878. Kreislauf der Elemente. Silicium. Pluor. Brom. Jod. Aluminium. 27 Federn zu sein, deren Asche stets reich daran ist. Das constante Vorkommen in den Hühnereiern spricht für die Unentbehrlichkeit der Kieselsäure in der Entwickelung der Vögel. Das Fluor ist als Bestandtheil einiger Pflanzen und Thiere nach- gewiesen worden, aber stets nur in sehr geringer Menge. Der Nach- weis ist schwierig ') und die Verbreitung in den Organismen viel- leicht weit grösser, als man nach den bisherigen Befunden erwarten könnte. Im Körper des Menschen und der Säugethiere findet es sich constant in den Knochen und Zähnen, wenn auch in einer nach unsern bisherigen Methoden quantitativ nicht bestimmbaren Menge. Auch im Blute von Säugern und Vögeln will man es nachgewiesen haben. -) In neuester Zeit hat G. Tammann ^) durch sehr sorgfältige Bestim- mungen im Hühnereidotter 0,001 %, im Kalbshirn 0,0007 o/o, in 1 Liter Kuhmilch 0,0003 Grm. Fluor gefunden. In 300 Ccm. Kuh- blut Hess sich qualitativ das Fluor nachweisen. Im Erdboden ist das Fluor als Flussspath und Apatit in geringer Menge überall ver- breitet. Die Pflanze leidet daher wohl niemals Mangel daran. Anders verhält es sich vielleicht mit der Nahrung der Thiere und Menschen. Es ist von hohem Interesse, den Fluorgehalt unserer Nahrungsmittel und unseren Bedarf an diesem Nahrungsstoffe genau festzustellen. Das erwähnte „Gesetz des Minimums", welches das Wachsthum der Pflanze beherrscht, gilt jedenfalls auch für das wachsende Thier. Es wäre denkbar, dass eine Milch trotz ihres Reichthums an den werthvollsten Nahrungsstoffen dennoch für das Wachsthum des Säug- lings völlig werthlos sein könnte, weil ihr die erforderliche Spur von Fluor mangelt. Brom und Jod. sind in vielen Seepflanzen enthalten und gehen auch in die Organe von Seethieren über. Eine Bedeutung derselben für irgend welche Lebensfunctionen ist nicht bekannt. Das Alumiuium gehört zu den verbreitetsten Elementen. Das Sesquioxyd desselben, die Thonerde, findet sich an Kieselsäure ge- bunden in fast allen krystallinischen Gesteinen, welche die Hauptmasse der grossen Gebirge unserer Erde ausmachen. Mit den Verwitterungs- producten dieser Gesteine ist sie über die ganze Erdoberfläche ver- breitet und findet sich in reicher Menge überall im Nährboden der 1) Siehe G. Tammann. Zeitschr. f. analyt. Chemie. Bd. 24. S. 328. 1885. Dort ist auch die frühere Literatur über die Methode des Nachweises von Fluor zu- sammengestellt. 2) G. Wilson. Trans, of the Brit. ass. for the adv. of sc. 1851. p. 67 und J. NiCLi:s. Compt. rend. T. 43. p. 885. 1856. 3) G. Tammann. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 12, S. 322. 1888. 28 Zweite Vorlesung. Kreislauf der Elemente. Mangan. Kupfer. Pflanzen. Es ist daher eine sehr auffallende Erscheinung, dass die Thonerde sich fast gar nicht am Stoffwechsel der lebenden Wesen betheiligt. In erheblicher Menge wurde sie bisher mit Sicherheit nur in wenigen Pflanzen nachgewiesen, insbesondere in einigen Ly- copodiumarten, in denen sie bis 57 "/o der Asche ausmacht. Ob sie für diese Pflanzenart unentbehrlich ist und welche Bedeutung ihr zukommt, wissen wir nicht, es sind noch keine Versuche zur Ent- scheidung dieser Frage ausgeführt worden. Im Thierkörper ist die Thonerde bisher nicht nachgewiesen. Mangan findet sich in der Asche einiger Pflanzen in erheblicher Menge, ohne dass es gelungen wäre, eine Bedeutung desselben für den Lebensprocess zu erkennen. In Spuren ist dieses Metall im Pflanzenreiche sehr verbreitet und gelangt bisweilen auch in den Thierkörper. In geringen Spuren sind auch die meisten übrigen Metalle bis- weilen in Pflanzen und Thieren gefunden. Sie dürfen deshalb nicht zu den integrirenden Bestandtheilen der betreffenden Organismen ge- rechnet werden. Beachtenswerth ist das Vorkommen von Kupfer in dem Blute gewisser Cephalopoden und Crustaceen. Es scheint, dass dieses Metall dort als organische Verbindung enthalten ist und eine ähnliche Rolle als Sauerstoffüberträger spielt wie das Eisen im Hämoglobin. Das Blut dieser Thiere ist blau gefärbt, entfärbt sich aber, sobald man ihm den Sauerstoff durch Auspumpen, Durchleiten anderer Gase oder Einwirkung reducirender Agentien entzieht. Beim Schütteln mit Luft färbt es sich aufs Neue blau. Die neuesten Untersuchungen über diesen Gegenstand sind von Fredeeicq ') ausgeführt worden , in dessen Mittheilung auch die ältere Literatur sich zusammengestellt findet. 1) L6oN Fk^id^ricq. Bulletins de l'ac. roy. deBelgicLue. 2. Ser, T. 46. No. 11. 1ST8. Compt. rend. T. 87. p. 996. 1878. Dritte Voriesimg. Erhaltung der Kraft. ') Mit dem Kreislauf der Elemente im innigsten Zusammenhange steht der Kreislauf der Kraft. Der letztere aber findet nicht auf der Erde seinen Abschluss. Die Kraft strömt mit dem Sonnenlichte unserem Planeten zu und strahlt, nachdem sie den Weg durch das Pflanzen- und Thierleben vollendet, wieder zurück in den unermess- lichen Weltraum. Zerstört aber wird die Kraft ebensowenig wie der Stoff. Die Kraft selbst lässt sich nicht direct beobachten und verfolgen. Wir wissen über die Kraft nichts weiter auszusagen, als dass sie die Ur- sache der Bewegung ist. Von der Bewegung aber lässt sich zeigen, dass sie niemals vernichtet wird. Ueberall, wo eine Bewegung auf- hört, ist dieses Aufhören immer nur ein scheinbares. Die uns sicht- bare Bewegung materieller Massen hat sich entweder in eine Bewe- gung der kleinsten Massentheile, der Atome umgesetzt oder in „latente Bewegung", in sogenannte „Spannkraft", aus welcher unter ge- eigneten Bedingungen jederzeit wieder dasselbe Quantum Bewegung hervorgehen kann. Fällt ein Stein zu Boden und bleibt ruhig liegen, so ist den- noch die Bewegung nicht aufgehoben. Die Stelle am Boden, wo er hinfiel, und der Stein selbst sind erwärmt worden und die Wärme ist bekanntlich eine Art der Bewegung. Wirft man einen Stein senk- recht empor, so steigt er mit abnehmender Geschwindigkeit aufwärts und kommt schliesslich zur Ruhe. In diesem Momente ist seine Be- 1) Ohne gründliche Kenntniss des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft ist ein erfolgreiches Studium der Physiologie nicht denkbar. Diese Kenntniss aber wird nur durch eingehende mathematische und physikalische Studien erworben. Dem Anfänger, der ein solches Studium bisher verabsäumt, diene dieser Vortrag zur vorläufigen Orientirung. 30 Dritte Vorlesung. wegung latent, sie ist als Spannkraft in ihm aufgespeichert. Vermöge dieser Spannkraft bewegt er sich nun wieder abwärts und langt unten genau mit derselben Geschwindigkeit an, mit der er zu steigen begann. Beim Steigen wird die Kraft der Bewegung, die sogenannte „lebendige Kraft" in Spannkraft umgesetzt, beim Fallen Spann- kraft in lebendige Kraft. Die Umsetzung der lebendigen Kraft in Spannkraft nennt man „Arbeit" und die Mechanik lehrt bekannt- lich, dass die Arbeit gemessen wird durch das Product des gehobenen Gewichtes mit der Hubhöhe und dass sie stets gleich ist der leben- digen Kraft, welche gemessen wird durch das Product der halben Masse mit dem Quadrate der Geschwindigkeit. Wird der hinauf- geworfene Stein in dem Momente, wo er am höchsten Punkte an- langt und zur Ruhe kommt, unterstützt, so kann die Kraft eine un- begrenzte Zeit als Spannkraft in ihm aufgespeichert bleiben. Sobald er aber der Unterlage beraubt wird, setzt sich die Spannkraft wieder in lebendige Kraft um; er fällt mit beschleunigter Geschwindigkeit und langt unten mit derselben Geschwindigkeit an, mit der er zu steigen begann. Von der lebendigen Kraft ist also nichts verloren gegangen. Schlägt er unten auf den Boden, so erzeugt er ein Quan- tum Wärme, welches unter geeigneten Bedingungen — z. B. durch Vermittelung einer Dampfmaschine — gerade hinreichen würde, den Stein zu derselben Höhe zu erheben, aus der er herabfiel. Also auch bei der Umsetzung der lebendigen Kraft bewegter Massen in die lebendige Kraft bewegter Atome und umgekehrt geht keine Kraft verloren. Durch vielfache von verschiedenen Forschern nach verschiedenen Methoden ausgeführte Versuche ist bekanntlich fest- gestellt worden, dass 425 Kilogrammometer Arbeit eine Wärmeeinheit erzeugen — d. h. 1 Kgrm. Wasser um 1 ^ C. erwärmen — und dass eine Wärmeeinheit gerade hinreicht wiederum 425 Kilogrammometer Arbeit zu leisten. Denken wir uns mitten durch den Erdball und seinen Schwer- punkt eine Röhre gelegt, von uns bis zu unseren Antipoden, und denken wir uns in der Mitte dieser Röhre einen Stein so zur Ruhe gebracht, dass der Schwerpunkt des Steines mit dem Schwerpunkt der Erde zusammenfällt, so müsste der Stein unbeweglich frei im Räume schweben. Würde aber der Stein durch den Verbrauch irgend einer lebendigen Kraft bis zu unserem Ende der Röhre gehoben, so wäre jetzt ein Vorrath an Spannkraft in ihm aufgespeichert. Vermöge dieser Spannkraft würde er sich, sobald er sich selbst überlassen bleibt, mit beschleunigter Geschwindigkeit zur Mitte der Röhre hin- bewegen. In dem Momente, wo sein Schwerpunkt mit dem der Erde Erhaltung der Kraft. 31 zusammenfällt, ist alle Spannkraft verbrauclit und in lebendige Kraft umgesetzt, er hat das Maximum der Geschwindigkeit erreicht. Diese lebendige Kraft kann nicht verloren gehen, sie treibt den Stein weiter, sie setzt sich wieder in Spannkraft um, es wird Arbeit geleistet, der Stein wiederum gehoben, bis zum anderen Ende der Röhre, bis zu den Antipoden. Jetzt ist die lebendige Kraft verbraucht, sie ist als Spannkraft im Stein enthalten. Vermöge derselben fällt der Stein wiederum mit beschleunigter Geschwindigkeit zum Schwerpunkt der Erde hin und steigt mit abnehmender Geschwindigkeit zu uns empor. Und wenn die Röhre luftleer ist, so muss der Stein bis in alle Ewig- keit hin- und her schwingen. Von seiner Bewegung kann nichts ver- loren gehen. Ist aber Luft in der Röhre, so wird der Stein bestän- dig einen Theil seiner lebendigen Kraft auf die einzelnen Luftmoleküle übertragen ; er wird in immer engeren Amplituden um den Schwer- punkt hin und her schwingen und schliesslich im Schwerpunkt zur Ruhe kommen. In diesem Momente ist die ganze lebendige Kraft der bewegten Masse des Steines in die lebendige Kraft der bewegten Luftmoleküle, die wir Wärme nennen, umgesetzt. Verloren aber ist nichts; es sind genau soviel Wärmeeinheiten erzeugt, als den bei der Hebung des Steines vom Schwerpunkt der Erde bis zum Ende der Röhre geleisteten Kilogrammometern Arbeit entsprechen. Denselben Vorgang wie in diesem fingirten, unausführbaren Ex- periment — nur in etwas complicirterer Form — beobachten wir an jedem schwingenden Pendel. Auch das Pendel würde ewig fortschwingen, wenn nicht durch die Reibung am Auf hängepunkte und an der Luft die lebendige Kraft der bewegten Masse in Wärme sich umsetzte. Benutzen wir diejenige Form der lebendigen Kraft, die wir als elektrischen Strom bezeichnen, dazu, eine chemische Verbindung zu zerlegen, z. B. das Wasser in seine Elemente, Wasserstoff und Sauer- stoff, so ist ein Theil der lebendigen Kraft verschwunden, aber nur scheinbar: er ist in diejenige Form der latenten Bewegung umge- wandelt, die wir als chemische Spannkraft bezeichnen und die der Fallkraft des gehobenen Steines vollkommen analog ist. Die chemische Spannkraft ist in den getrennten Atomen aufgespeichert. Fallen sie wieehr gegeneinander, so setzt sich die Fallkraft in die- jenige Form der lebendigen Kraft um, die uns als Licht und Wärme erscheint und die wir am Knallgasfeuer wahrnehmen. Diese ent- wickelte Licht- und Wärmemenge würde gerade hinreichen, in einer Thermosäule genau soviel elektrischer Bewegung zu erzeugen, als bei der Zerlegung des Wassers verbraucht wurde. Verloren ist nichts. Wir sehen also, dass die Natur einen Gesammtvorrath an bewe- 32 Dritte Vorlesung. gender Kraft besitzt, welcher in keiner Weise weder vermehrt noch vermindert werden kann. Kommt ein Theil des Stoffes zur Ruhe, so wird ein anderer Theil in Bewegung gesetzt, Massenbewegung wird in molekulare Bewegung und molekulare Bewegung in Massenbewe- gung, lebendige Kraft in Spannkraft und Spannkraft in lebendige Kraft umgesetzt. Die Summe alle/' Spannkräfte und lebendi(jen Kräfte aber bleibt ewixj dieselbe. Dieses Gesetz nennt man das Gesetz von der Erhaltung der Kraft. Alle Bewegungen an der Oberfläche unserer Erde — mit alleiniger Ausnahme der Ebbe und Fluth, welche mit der Drehung der Erde um ihre Achse zusammenhängen — lassen sich auf eine gemeinsame Quelle zurückführen, auf die Licht- und Wärmestrahlen der Sonne. Durch ungleiche Erwärmung der verschiedenen Schichten in der Luft und im Wasser entstehen alle Meeres- und Luftströmungen, die Stürme und Winde. Die Segelschiffe und Windmühlen werden durch Sonnen- strahlen bewegt. An der Oberfläche der Gewässer wird durch den Verbrauch der lebendigen Kraft der Sonnenwärme Wasserdampf ge- bildet und in die höheren Schichten der Atmosphäre emporgehoben. Verdichtet sich der Wasserdampf in den oberen, kälteren Regionen, so kommt die lebendige Kraft der Aetherwelle als lebendige Kraft des fallenden Regentropfens wieder zum Vorschein oder, wenn die Regentropfen sich sammeln, als lebendige Kraft der fliessenden Bäche und Ströme. Es ist Sonnenlicht, welches im Funken des Mühlsteins wiedererscheint; es ist Sonnenwärme, die in den erhitzten Hämmern und Sägen, Rädern, Achsen und Walzen aller vom Wasser bewegten Maschinen wieder hervortritt. Es fragt sich nun, wie verhält es sich mit den Kräften und Be- wegungen, denen wir im Lebensprocess der Organismen begegnen? Wir haben gesehen, dass die Pflanze beständig Kohlensäure und Wasser aufnimmt, den Sauerstoff aus diesen Verbindungen abspaltet und dadurch sauerstoffärmere Verbindungen bildet, welche eine grosse Ver- wandtschaft zum Sauerstoff haben. Es ist also ein grosser Vorrath von chemischen Spannkräften in der Pflanze aufgespeichert. Durch Verbrennung der Pflanze, durch Wiedervereinigung mit dem getrennten Sauerstoff, können wir diese Spannkraft in Wärme umsetzen und die Wärme durch Vermittelung von Dampfmaschinen in mechanische Ar- beit. Was ist nun die Quelle dieser chemischen Spannkräfte? Aus nichts können sie nicht entstanden sein. Die Kraft ist ewig. Mit der Nahrung aber wurde der Pflanze keine Spannkraft zugeführt. Kohlensäure und Wasser sind gesättigte Sauerstoffverbindungen ; sie können keine Bewegung erzeugen — ebensowenig wie der Stein, der Erhaltung der Kraft. 33 auf dem Boden ruht. Erst wenn durch den Verbrauch einer leben- digen Kraft der Stein gehoben wurde, kann er fallen und erst, wenn durch den Verbrauch einer lebendigen Kraft der Sauerstoff vom Kohlen- stoff und Wasserstoff in der Pflanze getrennt wurde, können chemische Spannkräfte in ihr entstehen, die sich in Licht und Wärme und me- chanische Arbeit umsetzen lassen. Die Kraft, welche die Abspaltung des Sauerstoffes in der Pflanze bewirkt, kann wiederum nichts An- deres sein, als das Sonnenlicht. Wir wissen, dass die Pflanze nur so lange Sauerstoff abspaltet, als das Sonnenlicht sie bescheint, und dass die Menge des abgespaltenen Sauerstoffs der Intensität des Lichtes proportional zu- und abnimmt. Diese Proportionalität wurde von Wol- koff i) durch folgenden einfachen Versuch nachgewiesen. Wolkoff zählte die Gasblasen, die aus Wasserpflanzen aufstiegen, wenn sie vom Lichte beschienen wurden. Die Lichtquelle bildete eine mattgeschliffene, vom Sonnenlichte beleuchtete Glasplatte. Die Wasserpflanzen befanden sich in einem verschiebbaren Glasgefässe, dessen Entfernung von der Lichtquelle beliebig geändert werden konnte. Bekanntlich ist die Intensität des Lichtes dem Quadrate der Entfernung vom leuchtenden Punkte umgekehrt proportional. Wol- koff fand nun, dass die Zahl der Sauerstoff blasen mit der Intensität des Lichtes in einfachem Verhältnisse zu- und abnahm. Dasselbe Resultat erhielt van Tieghem -) bei Anwendung irdi- scher Lichtquellen. Die Zahl der Gasblasen, die aus Wasserpflanzen sich entwickelten, nahm ab mit dem Quadrate der Entfernung des Kerzenlichtes. Es unterliegt also keinem Zweifel: alle Spannkräfte der Pflanzen - Stoffe sind umgesetztes Sonnenlicht. Es ist Sonnenlicht, das in dem Feuer des brennenden Holzes wiedererscheint. Es ist Sonnenlicht, das als Gasflamme, als Petroleumflamme uns bestrahlt. Dieses selbe Licht, das in diesem Augenblicke unsere Studirstube beleuchtet — es hat bereits einmal unsere Erde beschienen vor millionen und aber mil- lionen Jahren ; es hat millionen Jahre in der Erde geschlummert und kommt in diesem Moment wieder zum Vorschein. Der ganze unge- heuere Kraftvorrath, der in den mächtigen Steinkohlenlagern aufge- speichert liegt, der alle Maschinen, Fabriken und Locomotiven in Bewegung setzt — er ist nur die fixirte lebendige Kraft des Sonnen- lichtes, welches einst die üppig wuchernden Pflanzen der Urwelt beschien. Die von der Pflanze gebildeten Stoffe dienen dem Thiere zur 1) Al. von Wolkof]?, Jahrb. f. wissensch. Botanik. Bd. 5. S. 1. 1866. 2) VAN Tieghem, Compt. rend. T. 69. p. 482. 1869. Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 3 34 Dritte Vorlesung. Nahrung. Der Sauerstoff, welcher in der Pflanze durch die leben- dige Kraft des Sonnenlichtes aus dem Wasser und der Kohlensäure frei gemacht wurde, wird mit den dadurch erzeugten sauerstoffarmen Verbindungen im Thierkörper wieder vereinigt, und als Endproducte dieser Vereinigung werden wiederum Kohlensäure und Wasser aus- geschieden, dieselben einfachen Stoffe, welche der Pflanze als Nah- rung dienen. Die chemische Spannkraft der Nahrung ist also ver- braucht worden. Da aber eine Kraft nicht vergehen kann, so müssen wir das Auftreten einer äquivalenten Menge anderer Kräfte im Thier- körper erwarten. In der That wissen wir, dass alle Thiere erstens eine Temperatur besitzen, welche die ihrer Umgebung übersteigt, dass sie somit fortwährend Wärme erzeugen, und dass sie zweitens Bewegungen ausführen, Arbeit leisten. Die Summe der von einem Thierkörper geleisteten Arbeit und der von demselben abgegebenen Wärme muss daher genau äquivalent sein der mit der Nahrung aufgenommenen chemischen Spannkraft und der bei der Production dieser Spannkraft in der Pflanze ver- brauchten lebendigen Kraft des Sonnenlichtes. Die Schwierigkeiten, welche sich einem genauen experimentellen Nachweise dieser Aequivalenz entgegenstellen, sind sehr gross. Inner- halb der bisher erreichten Grenze der Genauigkeit aber lehren directe Versuche, dass in der That eine solche Aequivalenz besteht, dass die Summe der von einem Thiere producirten Wärme und Arbeit — in Wärmeeinheiten ausgedrückt — gleich ist der Wärmemenge, welche die Nahrung des Thieres bei ihrer Verbrennung ausserhalb des Or- ganismus liefert. Den ersten derartigen Versuch hat bereits im Jahr 1780 Lavoi- siEE ') ausgeführt. Es galt den Beweis zu liefern, dass die Verbren- nung die alleinige Quelle der thierischen Wärme sei. Ein Meerschwein- chen wurde in ein Eiscalorimeter gesetzt und die Menge des während 10 Stunden gebildeten Schmelzwassers gewogen. Siebetrug 341, 08Grm. Dasselbe Meerschweinchen wurde darauf unter eine mit Quecksilber abgesperrte Glocke gebracht. Durch die Glocke strich ein Luftstrom und ging darauf durch Kalilauge, welche die Kohlensäure zurück- hielt. Diese wurde quantitativ bestimmt. Im Mittel aus mehreren Versuchen ergab sich, dass das Meerschweinchen in 10 Stunden 3,333 Grm. Kohlenstoff als Kohlensäure ausschied. Die Verbrennungs- wärme der Kohle hatten Lavoisier und Laplace bereits früher mit Hülfe des Eiscalorimeters bestimmt. Aus ihren Zahlen berechnete sich, 1) Lavoisier et de lä Place, Memoires de l'acad. royale des scienceä. Annöe 1780. p. 355. Erhaltung der Kraft. 35 dass 3,333 Grm. Kohle 326,75 Grm. Eis schmelzen. Wäre Lavoisier's Voraussetzung, die thierische Wärme stamme aus der Verbrennung der Kohle in den Nahrungsstoffen, richtig, so müsste die beim Thier- versuch und bei der Verbrennung der Kohle bei gleicher Kohlen- säureentwicklung gefundene Wärmemenge oder Eiswassermenge gleich- gross sein. Thatsächlich war gefunden worden: 326,75 ■ '- — =0,96. 341,08 ' Dass die Uebereinstimmung eine so auffallende war, ist der reine Zufall. Jeder, der, mit unseren heutigen Kenntnissen ausgerüstet, den Versuch beurtheilt, wird zahllose Fehlerquellen an demselben leicht entdecken. Die Hauptfehler aber waren Lavoisier's hellem Verstände keineswegs entgangen. Lavoisier hatte bereits entdeckt, dass nicht aller inspirirte Sauerstoff in der exhalirten Kohlensäure wiederer- scheint, und sprach bereits die Vermuthung aus, dass der verschwun- dene Sauerstoff zur Bildung von Wasser diene. Lavoisier hatte ferner bereits beobachtet, dass die Körpertemperatur der Thiere im Eiscalori- meter am Schluss des Versuches geringer war als am Anfange, dass das Thier also während des Versuches zum Theil Wärme abgab, welche aus einer vor dem Versuche statt gehabten Verbrennung stammte, also nicht der während des Versuches ausgeathmeten Kohlen- säure entsprach. Aus beiden Gründen musste die gefundene Menge des Schmelzwassers grösser sein, als der entwickelten Kohlensäure entsprach. Die Pariser Akademie erkannte sehr bald, dass die Versuche Lavoisier's einer genaueren Wiederholung bedurften; sie stellte im Jahre 1822 eine Preisaufgabe über die Quelle der thierischen Wärme. Dieselbe fand zwei Bewerber: Despretz und Dulong- Die Arbeit Despretz's wurde gekrönt und erschien im Jahre 1824. ^) Die Arbeit Dulong's, die nach demselben Princip ausgeführt war, wurde erst nach seinem Tode gedruckt. -) Beide Forscher bedienten sich eines Wassercalorimeters. Aus einem Gasometer wurde atmosphärische Luft durch den Athmungs- raum des Thiers im Calorimeter geleitet und darauf in einen zweiten Gasometer hinein. Die Menge und Zusammensetzung der zugeführten 1) Despretz, ßecberches experimentales sur les causes de la chaleur ani- male. Paris 1S24; auch Ann. d. chim. et d. phys. T. 26. p. 337. 1S24. 2) Dulong, Memoire sur la chaleur animale. Ann. de chim. et de phys. Serie III. T. 1. p. 440. 1841. Vergl. auch Recherches sur la chaleur. trouvees dans les papiers de M. Dulong, Ann. de chim. et de phys. Serie III. T. VIII. p. 180. 1843. 3* 36 Dritte Vorlesung. Luft konnte also bestimmt und mit der Menge und Zusammensetzung der ausgetretenen Luft verglichen werden. Es wurde also die Menge des verbrauchten Sauerstoffes und der gebildeten Kohlensäure be- stimmt. Die letztere war geringer als dem Sauerstoffverbrauche ent- sprach. Der Ueberschuss wurde als zur Verbrennung von Wasserstoff verbraucht betrachtet. Als Verbrennungswärme des Wasserstoffes und des Kohlenstoffes wurden die von Lavoisier und Laplace bestimmten Zahlen benutzt. Die so berechnete Wärmemenge wurde mit der im Calorimeter gefundenen verglichen. Sowohl Despretz als auch Dulong fanden die erstere Zahl kleiner als die letztere. Die berechnete Zahl betrug in den Versuchen Dulong's nur 68,8 bis 83,3 o/o der gefundenen, in den Versuchen Despretz's 74,0 bis 90,4 7o. Unter den vielen Fehlerquellen dieser Berechnung seien folgende als die hauptsächlichsten hervorgehoben: 1. Die der Berechnung zu Grunde gelegten Zahlen von Lavoisier und Laplace waren, wie spätere genauere Bestimmungen ergeben haben, zu niedrig. 2. Die Verbrennungswärme der Nahrungsstoffe ist nicht gleich der Verbren- nungswärme ihrer Elemente, sondern etwas geringer, weil ein Theil der lebendigen Kraft zur Trennung der Elemente von einander ver- braucht wird. 3. Die Menge der exspirirten Kohlensäure musste zu gering gefunden werden, weil das Gas im Gasometer über Wasser abgesperrt war und das Wasser Kohlensäure absorbirt. 4. Die Ver- suchszeit war viel zu kurz ; sie betrug 2 Stunden. Die Verbrennungs- processe und die Sauerstoffaufnahme oder Kohlensäureausscheidung sind nicht in jedem Momente proportional. Nur in längeren Zeitab- schnitten findet annähernde Proportionalität statt. Die in den Geweben des Körpers enthaltene Menge Sauerstoff und Kohlensäure und die Menge der Zwischenstufen der Verbrennung ist in verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene. Mit Berücksichtigung gewisser Fehlerquellen hat später Gavar- RET^j die Zahlen Dulong's und Despretz's umgerechnet und statt der von dem letzteren berechneten 74,0 bis 90,4 "/«, die Werthe 84,7 bis 101,8, im Durchschnitt 93,3% gefunden. Die von den Versuchsthieren im Calorimeter ausgeführten Bewe- gungen müssen fast vollständig als Wärme zur Beobachtung gelangt sein; sie müssen sich in Wärme umgesetzt haben durch die Reibung der bewegten Organe an einander, durch die Reibung des Thieres an den Wandungen des Käfigs, durch die Reibungen, welche die fortgesetz- ten Erschütterungen im Wasser des Calorimeters hervorbrachten. 1) Gavarret, De la chaleur produite par las etres vivants. 1S55. Erhaltung der Kraft. 37 .Genauere Versuche, wie wir sie mit unseren gegenwärtigen Kenntnissen und Hülfsmitteln anzustellen im Stande wären, sind nicht ausgeführt worden. Wir sind durch die bisherigen Resultate bereits vollständig davon überzeugt, dass das Gesetz von der Erhaltung der Kraft auch auf dem Gebiete des animalischen Lebens volle Geltung hat. Unsere Körperwärme, unsere Bewegungen, alle unsere Lebens- functionen, soweit sie unseren Sinnen erkennbar sind — sie sind nur umgesetztes Sonnenlicht. Es fragt sich nur noch : wie verhält sich das Seelenleben ? Un- sere Sinnesemptindungen, Gefühle, Affecte, Triebe, Vorstellungen — sind auch diese nur umgesetztes Sonnenlicht? Oder sollen wir an- nehmen, dass die Welt des inneren Sinnes dem grossen einheitlichen Gesetze sich nicht fügt, dem die gesammte Welt der äusseren Sinne mit gleicher, unerbittlicher Nothwendigkeit gehorcht? Dass zwischen den psychischen Processen und gewissen mate- riellen Bewegungsvorgängeu in unserem Körper ein Causalzusammen- hang besteht, ist nicht zu bezweifeln. Die Sinnesempfindung wird durch einen Bewegungsvorgang im Nervensystem hervorgerufen. Die Folge des Willeusimpulses ist eine Muskelcontraction. Es fragt sich nur: welcher Art ist dieser Causalzusammenhang? Ist es wirklich ein Causalzusammenhang der Art, wie das Gesetz der Krafterhaltung ihn fordert, dass zwischen Ursache und Wirkung Proportionalität, Aequivalenz statt hat? Oder giebt es noch andere Arten des Causal- zusammenhanges ? Wir müssen vor Allem scharf unterscheiden zwischen der Ursache im engeren Sinne und der Veranlassung. Für das Verständoiss physio- logischer Vorgänge ist diese Unterscheidung von der grössten Wich- tigkeit. Deshalb sei es mir gestattet ein paar Beispiele anzuführen. Die Durchschneidung eines Fadens, an dem ein Gewicht aufge- hängt ist, bezeichnet der gewöhnliche Sprachgebrauch als die Ursache des Fallens. Die eigentliche Ursache aber ist die beim Heben des Gewichtes geleistete Arbeit. Diese ist der lebendige Kraft des fallen- den Gewichtes proportional. Ist die Hebung durch Muskelkraft be- wirkt, so stammt diese aus chemischen Spannkräften der Nahrung, die im Pflanzenleben aus der lebendigen Kraft des Sonnenlichtes hervor- gingen. Schlägt das fallende Gewicht auf den Boden, so kommt das Sonnenlicht als Wärme wieder zum Vorschein. Alle diese Kräfte: die lebendige Kraft des Sonnenlichtes, die chemische Spannkraft der Nah- rung, die lebendige Kraft der Muskelbewegung, die Spannkraft des ge- hobenen, die lebendige Kraft des fallenden Gewichtes und die Wärme, die bei der Umsetzung von Massenbewegung in atomistische Bewe- 38 Dritte Vorlesung. gung entsteht, sie stehen im Verhältniss von Ursache und Wirkung im engeren Sinne, sie sind quantitativ einander gleich ; sie sind ein und dasselbe Ding, das in verschiedener Gestalt in die Erscheinung tritt. Die Wirkung entsteht nur in dem Maasse, als die Ursache im engeren Sinne schwindet; die Wirkung ist die Ursache selbst in ver- änderter Form. Die Durchschneidung des Fadens ist nur der Anstoss, die Veranlassung zur Umsetzung des Ursache in die Wirkung, der Spannkraft in die lebendige Kraft. Die Veranlassung — auch „aus- lösende Kraft" genannt — steht in gar keiner quantitativen Beziehung zur Wirkung. Wir können das Gewicht an einem feinen Faden auf- hängen und diesen mit einem Rasirmesser durchschneiden oder wir können dasselbe Gewicht an einem dicken Strick aufhängen und eine Kanonenkugel hindurchschiessen — die lebendige Kraft des fallenden Gewichtes bleibt in beiden Fällen dieselbe. Die Bewegung einer Locomotive ist umgesetzte Wärme; die Wärme entsteht aus chemischen Spannkräften, aus der Verwandtschaft des Heizmaterials zum Sauerstoff; die chemischen Spannkräfte sind umgesetztes Sonnenlicht. Die lebendige Kraft der bewegten Locomo- tive wird vollständig zur Ueberwindung der Reibung verbraucht. Die Wärme, welche die Bewegung der Locomotive erzeugt, kommt in den erhitzten Schienen, Rädern und Axen wieder zum Vorschein. Es ist dieselbe Wärme, welche als Sonnenwärme in der Pflanze die chemische Spannkraft erzeugt hatte. Das Sonnenlicht, die chemische Spannkraft des Brennmaterials, die Wärme des Ofens, die lebendige Kraft der Locomotive, die Reibungswärme — sie sind alle quantitativ einander gleich ; sie sind ein und dasselbe Ding. Die Entzündungs- flamme aber beim Anheizen des Ofens ist nur der Anstoss zur Um- setzung der chemischen Spannkraft in Wärme; die Quantität der er- zeugten Wärme ist von ihr unabhängig. Wir können mit einem bren- nenden Zündhölzchen 1 Pfund oder 1000 Pfund Holz anzünden, wir können einen ganzen Wald anzünden: die entwickelte Wärme ist nur proportional der Menge der verbrauchten chemischen Spannkraft, sie ist ganz unabhängig von der Quantität der auslösenden Kraft. Beim Abschiessen einer Kanone ist die lebendige Kraft der herausfliegenden Kugel proportional der Menge des Schiesspulvers. Die chemische Spannkraft im Pulver ist die Ursache im engeren Sinne. Die Wärme des Funkens, der aufs Zündloch fiel, ist die Veranlassung. Etwas verwickelter ist der Vorgang an einem Percussionsgewehr. Der Druck auf den Drücker ist der Anstoss zur Umsetzung der Spann- kräfte in der Feder in die lebendige Kraft des fallenden Hahnes. Die lebendige Kraft, die Masgenbewegung des fallenden Hahnes setzt Erhaltung der Kraft. 39 sich, sobald der Haha dem Widerstände des Cylinders begegnet, in molekulare Bewegung um. Diese giebt den Anstoss zur Umsetzung der chemischen Spannkraft in dem Knallsilber des Zündhütchens in Wärme und Licht. Diese geben den Anstoss zur Umsetzung der che- mischen Spannkräfte des Schiesspulvers in die lebendige Kraft der herausfliegenden Kugel. Ausser der Ursache im engeren Sinne und der Veranlassung ist für das Zustandekommen einer bestimmten Wirkung meist noch ein Drittes erforderlich, das ich als Bedingung bezeichnen will. Eine solche Bedingung ist in dem letzten Beispiele für das Fortschleu- dern der Kugel die Umgebung derselben von den Wandungen des Flintenlaufes, welche nur nach einer Richtung einen Ausweg ge- statten. Für das Zustandekommen einer bestimmten Bewegung ist stets eine gewisse Constellation der umgebenden Gegenstände eine nothwendige Bedingung. Wir haben also dreierlei Ursachen zu unter- scheiden: die Ursache im engeren Sinne, die Veranlassung und die Bedingung. Bemerken muss ich noch , dass in gewissen ausnahmsweise!! Fällen zwischen der Veranlassung und der Wirkung Proportionalität statt haben kann. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Aufziehen einer Schleusse. Der bei der Hebung geleisteten Arbeit proportional ist der Querschnitt des fallenden Wasserstrahls und die lebendige Kraft des Wassers. Und dennoch ist das Aufziehen der Schleusse nur die Veranlassung zur Umsetzung der Spannkräfte des gestauten Wassers in die lebendige Kraft des fallenden. Denken wir uns eine Anzahl gleicher Gewichte an gleichen Fäden aufgehängt, so wird die bei der Durchschneidung der Fäden geleistete Arbeit der Zahl der durchschnittenen Fäden proportional sein, somit auch proportional der lebendigen Kraft der fallenden Gewichte. Und dennoch ist die Durchschneidung nur der Anstoss. Kehren wir nun zu der Frage zurück, welcher Art der Causal- zusammenhang psychischer und physischer Vorgänge ist. Der Willensimpuls und die Muskelcontraction stehen zu einander zweifellos nicht in dem Verhältniss von Ursache und Wirkung im engeren Sinne. Der Willensimpuls ist nur der Anstoss. Die Ursache im engeren Sinne sind die chemischen Spannkräfte der Nahrungs- stoffe, die im Muskel verbraucht werden, also umgesetztes Sonnenlicht. Aber auch nicht einmal den directen Anstoss zur Umsetzung der che- mischen Spannkräfte in die lebendige Kraft des Muskels bildet der Willensimpuls. Es ist wahrscheinlich noch eine lange Causalkette von Vorgängen im Gehirn, in der Nervenleitung und im Muskel da- 40 Dritte Vorlesung. zwischen eingeschaltet — ähnlich wie in dem angeführten Beispiele des Percussionsgewehres. Weit schwieriger ist die Frage nach der Art des Causalzusammen- hanges zwischen Sinnesreiz und Sinnesempfindung zu entscheiden. Eine quantitative Beziehung hat hier zweifellos statt. Mit der Inten- sität des Reizes wächst die Intensität der Empfindung. Aber nach welcher Function? Findet hier einfache Proportionalität statt? Diese Frage können wir nicht entscheiden, so lange wir kein Mittel besitzen, die Intensität der Empfindungen und überhaupt irgend welcher psychischer Zustände und Vorgänge zu messen, und es er- scheint beim gegenwärtigen Stande menschlichen Wissens und menscb- licher Geistesgaben ganz undenkbar, dass ein solches Mittel jemals könnte ausfindig gemacht werden. ') Deshalb werden wir auch die Frage nicht entscheiden können, ob die Seelenerscheinungen dem Ge- setze der Krafterhaltung folgen und ob sie umgesetztes Sonnenlicht sind. Als sehr wahrscheinlich muss ich es bezeichnen, dass auch zwischen Reiz und Empfindung eine Kette von Vorgängen in der Leitung und im Centralorgane eingeschaltet ist, wie zwischen Willen und Muskelaction. Ob der letzte Bewegungsvorgang, der als mittel- bare Folge des Reizes im Centrum anlangt, in die Empfindung sich umsetzt oder ob er nur den Anstoss giebt zur Entstehung der Em- pfindung — etwa aus chemischen Spannkräften — oder ob hier eine ganz neue, ganz besondere Art des Causalzusammenhanges statthatt — das können wir nicht entscheiden. Dennoch ist häufig die Vermuthuug ausgesprochen worden, den psychischen Functionen entspreche ein Verbrauch an chemischen Spannkräften, an Nahrungsstofifen. Man hat sogar auf experimentellem Wege einen Einfluss geistiger Anstrengung auf den Stofi"wechsel, auf die Menge der ausgeschiedenen Endproducte geglaubt nachweisen zu können. — Alle diese Versuche scheitern an der Unmöglichkeit, die geistige Anstrengung zu messen — ja auch nur zu entscheiden, ob eine Steigerung oder eine Abnahme eintritt. Ein Mensch, der sich in ein dunkles Zimmer einschliesstmitdem Vorsatze, ganz unbeschäftigt zu 1) Fechner (Elemente der Psychophysik. Leipzig 1860) kommt bekanntlich ausgehend von dem WEBEß'schen Gesetze, dass der Reizzuwachs dem bereits vor- handenen Reize proportional wachsen muss, um einen eben merklichen Empfin- dungszuwachs hervorzurufen, zu dem Resultate, dass die Empfindungen den Loga- rithmen der Reize proportional seien. Es ist oft genug darauf aufmerksam gemacht worden, dass die der Berechnung zu Grunde gelegte Annahme, es seien die eben merklichen Empfindungszuwüchse einander gleich, eine völlig willkürliche ist. Hier ist nicht der Ort dazu, auf diesen Gegenstand näher einzugehen. Erhaltung der Kraft. 41 seio, kann sich unwillkürlich geistig mehr anstrengen, als wenn er sich an die Bücher setzt mit dem Vorsatze, alle Geisteskräfte anzuspannen — ganz abgesehen von den Gemüthsemotionen, welche wahrschein- lich an Kraftaufwand alle Geistesanstrengungen weit übertreffen und deren Eintritt wirnicht willkürlich herbeiführen oder vermeiden können. Wir müssen ferner bedenken, dass das Gewicht des Gehirns weniger als 2 o/o des Körpergewichtes ausmacht und dass nur ein Theil des Gehirns den geistigen Functionen dient. Selbst wenn der Stoffwechsel in diesem Organe bei gesteigerter psychischer Thätig- keit aufs lebhafteste gesteigert würde, so könnten wir doch nicht er- warten, diese Steigerung an einer Steigerung des Gesammtstoffwechsels erkennen zu können. Und auch wenn die Steigerung sich nachweisen Hesse, so dürften wir daraus doch nicht schliessen, dass die Geistes- arbeit umgesetzte chemische Spannkraft sei. Der Zusammenhang könnte ein indirecter sein. Mit Beachtung dieser Gesichtspunkte wird auch der Anfänger sehr wohl im Stande sein, an den bisherigen Arbeiten 0 über den Einfluss der Geistesarbeit auf den Stoffwechsel Kritik zu üben. Ueberblicken wir noch einmal die Resultate unserer bisherigen Betrachtungen, so stellt sich im Kraft- und Stoffwechsel der Pflanzen und Thiere der folgende Gegensatz heraus: 1. Die Pflanze bildet organische Stoffe; das Thier zerstört orga- nische Stoffe. Das Leben der Pflanze ist ein synthetischer, das Leben der Thiere ein analytischer Process. 2. Das Leben der Pflanze ist ein Reductionsprocess, das Leben des Thieres ein Oxydationsprocess. 3. Die Pflanze verbraucht lebendige Kraft und erzeugt Spann- kraft; das Thier verbraucht Spannkraft und erzeugt lebendige Kraft. Aber „die Natur macht keinen Sprung". Wie in morphologischer Hinsicht eine Grenze zwischen Pflanzen und Thieren sich nicht ziehen lässt, so verwischt auch in Bezug auf den Kraft- und Stoffwechsel der Gegensatz sich vollständig. Es giebt einzellige, chlorophyllfreie Wesen: Pilze und Bacterien, welche den Kohlenstoff aus der Kohlensäure nicht zu assimiliren ver- mögen. Derselbe muss ihnen als organische Verbindung— als Zucker, Weinsäure u. s. w. — zugeführt werden. Sie verhalten sich also wie 1) BoECKEß, Beitr. z. Heilkunde. 1849. Hammond, The Amer. journ. of med. Sciences 1856. p. 330. Sam. Haughton, The Dublin quarterly Journal of medical science 1860. p. 1. J. W. Paton, Journ. of anat. and physiolog. V. p. 296. 1871. LiEBERMEisTER, Handb. der Pathol. u. Therap. des Fiebers. Leipzig 1875. S. 196. Speck, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 15. S. 81. 1882. 42 Dritte Vorlesung. Thiere. Den Stickstoff aber können sie als anorganische Verbindung assimiliren, als Ammoniak, als Salpetersäure; sie verhalten sich also wie Pflanzen. Die Pilze und Bacterien, welche Gährungen, Spaltungs- processe veranlassen (s. unten Vorl. 10) verbrauchen chemische Spann- kraft und entwickeln lebendige Kraft: Wärme und Bewegung, ver- halten sich also wiederum wie Thiere. Sie bilden aber durch Synthese aus Ammoniak und Zucker Eiweiss, verhalten sich also wierderum wie Pflanzen. In unseren späteren Betrachtungen werden wir sehen, dass in jeder Zelle auch der höchstorganisirten Thiere neben den Spaltungsprocessen auch synthetische Processe verlaufen wie in den Pflanzenzellen. In der starren Cellulosehülle jeder Pflanzenzelle be- findet sich ein contractiler Protoplasmaleib, welcher athmet und „active" Bewegungen ausführt wie jedes Thier. In jedem Pflanzentheile findet Sauerstofi"verbrauch und Kohlensäureentwicklung statt wie in jedem Thiere. Nur in den chlorophyllhaltigen Pflanzentheilen wird dieser Oxydationsprocess durch den intensiveren Reductionsprocess verdeckt. Aber auch dieses geschieht nur, solange das Sonnenlicht die betreffen- den Theile bescheint. Im Dunkeln athmen auch die chlorophyllhal- tigen Pflanzentheile wie die Thiere. Die chlorophyllfreien thun es auch im Sonnenlicht. Der Gegensatz verwischt sich aber noch vollständiger. Es giebt hochorganisirte phanerogame Pflanzen, sogenannte Schmarotzerpflanzen, welche chlorophyllfrei sind und sich nur von den organischen Sub- stanzen nähren, welche andere Pflanzen gebildet haben. Die Monotropa z. B. ist ihrem morphologischen Bau nach eine Pyrolacee, ihrem Stoffwechsel nach ist sie ein Thier. Auf der anderen Seite giebt es chlorophyllhaltige Thiere. Ge- wisse Würmer (Planarien) und Coelenteraten (Hydra viridis) enthalten Chlorophyllkörner; sie suchen das Sonnenlicht und spalten im Lichte Sauerstoff ab ; im Dunkeln sterben sie bald. i)In neuester Zeit haben nun allerdings Geza Entz -) und Kael Bkandt ■') gezeigt, dass die Chlorophyllkörner nicht frei in den Gewebselementen der genannten Thiere enthalten sind, sondern in einzelligen Algen sich befinden, 1) P. Geddes, Compt. rend. T. ST. p. 1095. 1S78 und Proc. roy. soc. Vol. 28. p. 449. 1879. 2) GfeA Entz, Ueber die Natur der „Ghlorophyllkörperchen" niederer Thiere (Ungarisch 25. Febr. 1ST6. Deutsch im Biolog. Centralblatt. Bd. I. Nr. 21. S. 646. 20. Jan. 1882). 3) Karl Brandt, Verh. d. physiol. Gesellsch. Berlin 1S81. 11. Nov. Biolog. Centralblatt. Bd.I. Nr. 17. S. 524. Arch. f. Ar. u. Physiol. 1882. S. 125. Mitthei- lungen a. d. zoolog. Station zu Neapel IV. p. 191. 1883. Erhaltung der Kraft. 43 welche als ,,Symbionten" ') in diesen Thieren leben. Aber die Chloro- phyllkörner in den Pflanzen sind vielleicht auch nur Symbionten. Thatsache ist soviel, dass sie niemals auf anderem Wege in den Ge- weben der Pflanzen entstehen als durch Theilung aus bereits vor- handenen Chlorophyllkörnern. ') Ausserdem aber hat Engelmann ^) gezeigt, dass gewisse Infusorien, Vorticellen, diffus in ihrem Körper- plasma vertheiltes Chlorophyll enthalten, welches gleichfalls im Son- nenlichte Sauerstoff" abspaltet. Ein durchgreifender Gegensatz im Kraft- und Stofi'wechsel der Thiere und Pflanzen besteht also in keiner Hinsicht ^), und eine Tren- nung der physiologischen Chemie in eine Pflanzen- und Thierchemie wird sich in Zukunft nicht durchführen lassen. Die beiden Disciplinen verschmelzen immer mehr in dem Maasse, als sie fortschreiten. 1) unter Symbionten versteht man bekanntlich diejenigen Parasiten, welche ihren Wirth nicht schädigen , sondern ihm nützen und zugleich Nutzen von ihm empfangen. Ein bekanntes Beispiel der Symbiose ist das von Schwendener (Nägeli's Beitr. z. wissensch. Bot. Hft. 2, 3 u. 4. Leipzig 1860—1868) entdeckte Verhältniss von Algen zu Pilzen im Flechtenthallus. Die Entdeckung der viel- fachen Erscheinungsformen der Symbiose in neuerer Zeit ist ohne Zweifel eine Errungenschaft von grösster Tragweite für die gesammte Physiologie. Der Name Symbiose ist eingeführt worden von De Bary: „Die Erscheinung der Symbiose" Vortrag. Strassburg. Trübner 1S79. Eine interessante Zusammenstellung der Lit- teratur über diesen Gegenstand findet sich bei 0. Hertwig, die Symbiose oder das Genossenschaftsleben im Thierreich. Vortrag. Jena 1883. 2) Arthur Meter, „Das Chlorophyllkorn". Leipzig 1883. S. 55. A.F.W. ScmMPER, Jahrbücher für wlssensch. Botanik. Bd. 6. S. 188. 1885. Dort findet sich auch die ältere Litteratur zusammengestellt. 3) Th. W. Exgelmann, Pflüger's Archiv. Bd. 32. S. SO. 1883. Die Methode, deren Engelmann sich bediente, um das Auftreten von Sauerstoff nachzuweisen, war eine eigenthümliche. Sie beruht darauf, dass gewisse Bacterlen mit leb- haftem Sauerstoffbedürfniss die chlorophyllhaltigen Zellen umschwärmen. Vergl. hierüber die früheren hochinteressanten Abhandlungen Engelmann's in Pflüger's Archiv. Bd. 25. S. 285. 1881. Bd. 26. S. 537. 1881. Bd. 27. S. 485. 1SS2 und Bd. 30. S. 95. 1883. 4) Vgl. Cl. Bernhard, Le§ons sur les phenomenes de la vie, communs aux animaux et aux vegetaux. Paris 1878. Vierte Vorlesung. Die NahrungsstofTe des Menschen. Begriff und Eintheilung der Nah- rungsstofTe. Die organisclien NahrungsstofTe: Eiweiss und Leim. Unsere bisherigen Betrachtungen haben uns gezeigt, dass die Bestandtheile unseres Körpers einem beständigen Kreislauf, einem un- unterbrochenen Wechsel unterworfen sind. Die Stoffe, welche wir in unseren Körper aufnehmen, um die in diesem Kreislauf beständig er- littenen Verluste wieder zu ersetzen, nennt man Nahrungsstoffe. Das ist die Definition des Begriffes Nahrungsstoff, der wir noch heutzutage in den meisten Lehrbüchern begegnen. Diese Definition ist indessen einseitig; sie erschöpft nicht den Begriff des Nahrungsstoffes; sie stammt aus der Zeit vor der Entdeckung des Gesetzes von der Er- haltung der Kraft. Nach dieser Definition wäre das Wasser der wich- tigste Nahrungsstoff. Denn unser Körper besteht zu 63 ^jo aus Wasser, wir scheiden beständig durch Lungen, Haut und Nieren Wasser aus, und dieser Verlust kann nur durch Wiederaufnahme von Aussen ge- deckt werden. Dennoch lehnt sich gegen diese Auffassung schon die roheste Empirie, der gewöhnliche Volksinstinkt auf, indem es doch Niemandem einfallen wird, das Wasser für „nahrhaft" zu erklären. Weshalb ist nun das Wasser nicht nahrhaft? Einfach aus dem Grunde, weil mit dem Wasser keine Spannkraft in den Körper eingeführt wird. Das Wasser ist eine gesättigte Verbindung; sie kann keine Bewegung erzeugen — ebensowenig wie der Stein , der auf dem Boden ruht. Erst wenn durch den Verbrauch einer lebendigen Kraft der Stein vom Boden gehoben wurde, kann er fallen, und erst wenn durch den Verbrauch der lebendigen Kraft des Sonnenlichtes die Sauerstoffatome von den Wasserstoff- und Kohlenstoffatomen getrennt wurden, sind in der Pflanze die Spannkräfte aufgespeichert, aus welchen alle die Formen der lebendigen Kraft hervorgehen, welche das unseren Sinnen erkennbare animalische Leben ausmachen. Die Nahruagsstoife des Menschen. Begriff und Eintheilung. Eiweissstoffe. 45 Als Nahrungsstoffe werden wir also nicht blos diejenigen Stoffe bezeichnen, welche einen Ersatz bieten für verlorene Körperbestand- theile, sondern auch alle diejenigen, welche eine Kraftquelle bilden in unserem Körper. Es giebt Stoffe in unserer Nahrung, welche nie- mals zu integrirenden Bestandtheilen unserer Gewebe werden, wohl aber zu einer Quelle der lebendigen Kraft. Dahin gehören z. B. die in den vegetabilischen Nahrungsmitteln so verbreiteten organischen Säuren — Weinsäure, Citronsäure, Apfelsäure — , welche niemals am Aufbau irgend welcher Gewebselemente sich betheiligen, thatsäch- lich aber zu Kohlensäure und Wasser verbrennen unter Freiwerden von lebendiger Kraft, welche zur Verrichtung normaler Functionen Verwerthung finden könnte. Es gehören dahin vielleicht auch die Kohlehydrate. Auch diese scheinen nicht zum Aufbau der Gewebe verwandt zu werden, Wohl aber wissen wir, dass sie die Hauptquelle der Muskelarbeit sind. Deshalb circuliren sie beständig im Plasma des Blutes und der Lymphe durch alle Organe. Zwar finden sie sich auch abgelagert in Form von Glykogen in den Geweben, aber auch diese Ablagerungen können nicht eigentlich als integrirende Bestand- theile der lebenden Gewebselemente aufgefasst werden ; sie sind nur aufgespeicherte Vorräthe an Spannkraft, welche bei der Muskelarbeit verschwinden ; sie sind ebensowenig Theile unseres Organismus, wie die Steinkohlen Theile der Dampfmaschine sind. Auch die leimge- benden Substanzen in der Nahrung — Glutin , Chondrin , Ossein — sind niemals Ersatzmittel für verbrauchte Körperbestaudtheile, son- dern nur Kraftquellen. Die leimgebenden Stoffe unserer Gewebe bilden sich nicht aus den leimgebenden Stoffen der Nahrung sondern aus den Eiweissstoffen. Die Leimstoffe der Nahrung aber werden that- sächlich gespalten und oxydirt; sie liefern lebendige Kraft. Zu den Nahrungsstoffen muss ferner auch der inspirirte Sauer- stoff gezählt werden. Es ist der einzige Nahrungsstoff, der als freies Element in unsere Gewebe eintritt. Zu einem integrirenden Bestand- theil derselben wird er nie — es sei denn, dass der im Oxyhämoglobin der Blutkörperchen locker gebundene Sauerstoff als solcher aufgefasst werden dürfte — , wohl aber ist er die ergiebigste Kraftquelle. Wir werden daher drei Kategorien der Nahrungsstoffe unter- scheiden müssen: 1. Solche, die uns zugleich als Kraftquelle und als Ersatzmittel für verlorene Körperbestandtheile dienen. Dahin gehören die Eiweiss- stoffe, die Fette. 2. Solche, die uns nur als Kraftquelle dienen; dahin gehören die Kohlehydrate, die Leimstoffe, der Sauerstoff. 46 Vierte Vorlesung. 3. Solche, die uns nur als Ersatzmittel für verlorene Körperbe- standtheile, nicht aber als Kraftquelle dienen; dahin gehört das Wasser und die anorganischen Salze. Eine befriedigende, klar nnd scharf durchgeführte Eintheilung der Nahrungsstoffe lässt sich gegenwärtig noch nicht geben. Dazu sind unsere Kenntnisse noch viel zu dürftig. Wenn ein Stoff in unserem Körper gespalten oder oxydirt wird, so wissen wir nicht, ob die dabei frei werdende lebendige Kraft auch wirklich verwerthet wird zur Verrichtung normaler Functionen, oder ob sie als überschüssige Wärme nach aussen abgegeben wird. Im letzteren Falle könnte der Stoff nicht als Nahrungsstoff bezeichnet werden; er käme unserem Organismus in keiner Weise zu gut. Es gielt dieses zum Beispiel vielleicht vom Alkohol. Um den normalen Functionen zu dienen, muss ein Stoff zur rechten Zeit am rechten Ort in einem bestimmten Gewebselemente zerfallen und verbrennen. Wir sind aber noch nicht im Stande die Schicksale der aufgenommenen Stoffe so genau zu verfolgen. Es ist ferner zu bedenken, dass gewisse Stoffe der zweiten Gruppe indirect zum Aufbau von Gewebselementen beitragen können, indem sie die Stoffe der ersten Gruppe vor der Spaltung und Oxydation schützen. Die Bedeutung der Fette ist bald die der zweiten, bald die der ersten Gruppe, da sie in den Geweben nicht blos als Kraftvorrath aufgespeichert sind, sondern auch in anderer Beziehung eine wichtige Bedeutung haben. Die Kohlehydrate können, wie wir sehen werden, im Thierkörper in Fette sich umwandeln und damit aus der zweiten in die erste Gruppe übertreten. Kurz — die Eintheilung ist nur eine provisorische. Wir wollen nun die einzelnen Gruppen der Nahrungsstoffe etwas eingehender betrachten. Wir beginnen mit den Eiweissstoffen. Die Eiweissstoffe können insofern als die wichtigsten Nahrungs- stoffe aufgefasst werden, als sie die einzigen organischen Nahrungs- stoffe sind, von denen mit Sicherheit feststeht, dass sie nicht entbehrt werden können, dass sie durch keinen anderen Nahrungsstoff sich ersetzen lassen. Sie finden sich in jedem thierischen und pflanzlichen Gewebe, sie bilden den Hauptbestandtheil jeder Zelle, sie fehlen in keinem vegetabilischen oder animalischen Nahrungsmittel. Die in den verschiedenen pflanzlichen und thierischen Geweben vorkommenden Eiweissarten zeigen jedoch sehr verschiedene che- mische und physikalische Eigenschaften. Es fragt sich also: was be- zeichnen wir denn eigentlich mit dem Namen Eiweiss? Ist das über- haupt ein klarer Begriff? Was haben alle Eiweissarten mit einander Die Kahrungsstoffe des Menschen. Begriff und Eintheilung. Eiweissstoffe. 47 gemeinsam und was unterscheidet sie von allen übrigen organischen Stoffen? Allen Eiweisskörpern gemeinsam ist erstens die Zusammensetzung aus denselben 5 Elementen in Gewichtsverhältnissen, welche sich nicht sehr weit von einander entfernen. Dieselben schwanken nach den bisherigen Analj^sen der verschiedenen Eiweissarten innerhalb der folgenden Grenzen : c . . 50—55 "/o H . . . . 6,6-7,3 = N . . . . 15—19 = S . . . . 0,3-2,4 = 0 . . . . 19-24 = Die Eiweisskörper haben ferner alle mit einander gemeinsam, dass sie niemals im eigentlich gelösten Zustande auftreten. Klare eiweisshaltige Flüssigkeiten finden sich zwar vielfach im Pflanzen- und Thierkörper oder lassen sich künstlich darstellen. Dass aber das Eiweiss in denselben nicht eigentlich gelöst ist, geht daraus hervor, dass es nicht durch thierische Membranen diffiindirt. Derartige nur scheinbar lösliche Substanzen hat Graham') Coli oid- Stoffe („colloids") genannt. Giesst man eine Lösung von kieselsaurem Natron zu einem grossen Ueberschuss von verdünnter Salzsäure, so bleibt die freiwer- dende Kieselsäure scheinbar gelöst. Durch Dialyse kann man nun das gebildete Chlornatrium und die überschüssige Salzsäure fortdiffun- diren lassen; indem Dialysator bleibt eine klare scheinbare Lösung von reiner Kieselsäure. Die Menge der Kieselsäure kann 14*^/0 der Lösung betragen, ohne dass diese eine zähe, schwerflüssige Beschaffen- heit annimmt; sie ist leicht beweglich. Es genügt aber, durch diese Lösung ein paar Blasen Kohlensäure zu leiten, um die Kieselsäure zur Coagulation zu bringen; sie scheidet sich als gallertartige Masse ab. 2) Grimaux 3) stellte eine 2,26procentige Lösung von Kieselsäure dar, welche beständiger war und beim Durchleiten von Kohlensäure weder in der Kälte noch beim Erhitzen gerann, wohl aber beim Er- hitzen nach Zusatz von Kochsalz oder Glaubersalz. Thonerdehydrat löst sich in einer wässrigen Lösung von 1) Th. Graham, Philosophical transactions. Vol. 151. Part. I. p. 183. 1861. 2) Graham, 1. c. p. 204. 3) Grimaux, Comptes rendus. T. 98. p. 1437. 1884. 48 Vierte Vorlesung. Aluminiumsesquichlorid auf. Bringt man eine solche Lösung auf den Dialysator, so diffandirt das Chlorid fort und in dem Dialysator bleibt als klare, leicht bewegliche Flüssigkeit die Lösung der reinen Thon- erde. Diese Lösung coagulirt, sobald man eine kleine Menge eines Salzes hineinbringt. Eine 2- oder 3procentige Lösung von Thonerde wird durch wenige Tropfen Brunnenwasser zur Coagulation gebracht; sie gerinnt beim Uebergiessen aus einem Glase ins andere, wenn das Glas nicht unmittelbar vorher mit destillirtem Wasser ausgewaschen worden, i) In ähnlicher Weise, wie die Thonerde, lässt sich auch das Eisen- oxyd als blutrothe, klare scheinbare Lösung erhalten, welche gleich- falls grosse Neigung zur Coagulation zeigt. -) Grimaux fand, dass eine ammoniakalische Kupferoxydlösung sich ebenfalls wie eine CoUoidsubstanz verhält, dass sie nicht diffun- dirt und dass sie coagulirt wird durch Verdiinnen mit Wasser, durch die Einwirkung von Magnesiumsulfat, von verdünnter Essigsäure oder einer Temperatur von 40— 50'^ C. 3) Wie diese anorganischen CoUoidstofife, so haben auch viele orga- nische und sämmtliche Eiweisskörper die Fähigkeit in zwei Modi- ficationen aufzutreten: in der scheinbar gelösten und in der geronnenen. Die Bedingungen, unter denen die verschiedenen Ei- weissstoff'e aus der einen in die andere Modification übergehen, sind sehr verschiedener Art und bieten ein Eintheilungs- und Unterschei- dungsprincip für die sehr zahlreichen Eiweissarten. ^) Ein Theil der- selben kann unter Umständen durch das Wasser allein in Lösung erhalten werden; zu diesen Eiweisskörpern gehört das Serum- albumin und das Eieralbumin. Ein andrer Theil der Eiweiss- arten bedarf zu seiner Lösung noch der Chloralkalien ; dahin gehören die Globuline, welche im Blute, im Muskel, im Weissen und im Dotter des Hühnereies und wahrscheinlich im Protoplasmaleibe jeder Zelle sich finden. Bringt man Blutserum in den Dialysator, so diffun- diren die Salze, welche die Serumglobuline gelöst halten, fort, die Globuline scheiden sich als feinfiockige Coagula auf dem Dialysator 1) Graham, 1. c. p. 207. 2) Graham, 1. c. p. 2ü8. 3) Grimaux, 1. c. p. 1435. 4) Durch eine vollständige Aufzählung aller Eiweissarten und ihrer unter- scheidenden Reactionen fürchte ich den Anfänger zu ermüden. Ich verweise auf den Artikel ,, Eiweisskörper" in Ladenburg's Handwörterbuch der Chemie. In diesem Artikel hat E. Drechsel eine sehr übersichtliche Eintheilung und Be- schreibung der Eiweissarten geliefert nebst einer sorgfältigen Zusammenstellung der Literatur (249 Arbeiten). Die Nahrungsstoffe des Menschen. Eiweissstoffe. 49 ab, das Serumalbumin aber bleibt in dem reinen Wasser gelöst.') Noch andere Eiweissarten werden auch durch Chloralkalien nicht in Lösung erhalten, sie bedürfen dazu der basischen Alkalisalze, sie coa- guliren beim Uebersättigen dieser mit Säuren. Dahin gehören der Käsestoff der Milch und die künstlichen Alkalialbuminate. Es giebt schliesslich Eiweissarten, bei denen die Neigung zur Coagulation so gross ist, dass sie gerinnen, sobald in den Geweben, denen sie ange- hören, das Leben erlischt. Es beruht darauf die Gerinnung des Blutes und die Erscheinung der Todtenstarre des Muskels. Ja, es scheint, dass derartige ,, spontan" gerinnende Albuminate in jedem thierischen und pflanzlichen Gewebe, in jeder Zelle enthalten sind. Alle Eiweissarten ohne Ausnahme gehen aus der gelösten in die coagulirte Modification über durch die Einwirkung der Siedhitze bei neutraler oder schwach saurer Reaction und reichlicher Anwesenheit neutraler Alkalisalze. — Dieselbe Eigenschaft zeigen, wie erwähnt, die Kieselsäure und andere Colloidstoffe. Von den anorganischen Colloidstoffen wissen wir, dass sie nicht blos in den zwei genannten Modificationen auftreten, dass sie in der Natur noch in einer dritten Modification, in der krystalli- sirten sich finden: die Kieselsäure als Bergkrystall, die Thonerde als Rubin, das Eisenoxyd als Eisenglanz. Diese Thatsache berechtigt uns zu der Hoffnung, auch die Eiweiss- körper im krystallinischen Zustande zu erhalten. Nur wenn dieses ge- lingt, sind wir gewiss, chemische Individuen vor uns zu haben, und im Stande, die Zusammensetzung der verschiedenen Eiweissarten fest- zustellen und zu vergleichen. Die Analyse und Untersuchung der reinen Eiweisskrystalle und ihrer sämmtlichen Spaltungsproducte würde das Fundament der ganzen physiologischen Chemie bilden. Die Histiologen sind schon seit längerer Zeit dem krystallinischen Eiweiss auf der Spur. In den Samen und Knollen gewisser Pflanzen sieht man unter dem Mikroskope Körnchen abgelagert, welche das Aussehen unvollkommen ausgebildeter Krystalle haben und deshalb als Krystalloide oder Ale uronkrystalle bezeichnet wurden. Aehnliche Gebilde sieht man auch in dem Eidotter mancher Thiere, die sogenannten Dotterplättchen. Durch mechanische Mittel, Schütteln des zerkleinerten Materials mit Aether und anderen Flüs- sigkeiten, durch Schlämmen, Decantiren u. s. w. lassen sich diese 1) Aronstein, Ueber die Darstellung salzfreier Albuminlösungen. Dissert. Dorpat 1873 und Pflüger's Arch. Bd. 8. S. 75 1S73. Vergl. auch A. E. Büeck- HARDT, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 16. S. 322. 18S3 und G. Kauder, ebend. Bd. 20. S. 411. 1886. BuxGE, Phys. Cliemio. 3. Auflage. 4 50 Vierte Vorlesung. Krystalloide isoliren und in grösserer Menge gewinnen. Sie zeigen die Reactionen der Eiweissstoffe und zwar der zur erwähnten Gruppe der Globuline gehörigen: sie lösen sich in Kochsalzlösung. ij Maschke^) ist es gelungen, die Krystalloide der Paranuss (Bertholletia exeelsa) umzukrystallisiren. Dieselben lösten sich in Wasser bei 40 — 50 ^' C. und beim Einengen der Lösung schied sich das Eiweiss im Krystallen aus. Schmiedeberg ^) stellte krystallinische Verbindungen desselben Eiweisskörpers mit alkalischen Erden dar: die Krystalloide werden in destillirtem Wasser von 30 — 35 ^' C. zum grössten Theil gelöst. In der filtrirten klaren Lösung entsteht beim Durchleiten von Kohlen- säure ein Globulinniederschlag. Wird dieser Niederschlag mit Magne- sia und Wasser behandelt, so geht die Magnesiaverbindung des Glo- bulins in Lösung. Aus dieser Lösung scheiden sich, wenn sie bei 30 — 35 " C. eingeengt wird, ,,mohnkorngrosse, vorzüglich ausge- bildete, eigenthümlich glitzernde polyedrische Krystalle" aus — die Magnesiumverbindung des Globulins. Setzt man zur Lösung vor dem Einengen ein wenig Chlorcalcium oder Chlorbaryum, so erhält man in feinen Krystallen das Calcium- und Baryumsalz des Globulins. Dass die dargestellten Krystalle nicht freies Eiweiss, sondern Verbindungen des Eiweiss mit Stoffen von bekanntem Atomgewichte sind, gewährt den grossen Vortheil, dass wir im Stande sind, durch eine genaue Analyse dieser Verbindung das Molekulargewicht des Eiweiss zu bestimmen. Drechsel^) fand in den nach Schmiedebeeg's Angaben darge- stellten und bei llOi^ C. getrockneten Krystallen der Magnesiaverbin- dung 1,40 o/o MgO. Daraus berechnet sich das Molekulargewicht des Eiweisses: X 100—1,40 -= ,,4 ;^ = a8i7. Bei folgender Abänderung des ScHMiEDEBERö'schen Verfahrens gelang es Drechsel noch besser die Magnesiaverbindung zur Kry- stallisation zu bringen. Statt die Lösung einzuengen, brachte er sie in einen Dialysator und setzte diesen in absoluten Alkohol. Aus der Lö- sung schieden sich in dem Maasse, als Alkohol an die Stelle des Wassers trat, allmählich krystallinische Körner ab. Die Magnesiabe- stimmung in den bei 110 ^C. getrockneten Krystallen ergab 1,43 ''/u 1) Th. Wetl, Zeitschr. f. physiol Chem. Bd. 1. S. 84. 1877. Dort findet sich auch eine Zusammenstellung der früheren Literatur. 2) 0. Maschke, Botan. Zeitg. 1859. S. 411. 3) 0. ScHJUEDEBERG, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 1. S. 205. 1877. 4) E. Drechsel, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 19. S. 331. 1879. Die NahruDgsstoffe des Menschen. Eiweissstoffe. 51 MgO, also nahezu ebensoviel wie im ersten Präparat. Das Mole- kulargewicht des Eiweisses berechnet sich hieraus = 2757. Der Wassergehalt der beiden Präparate war dagegen ein ungleicher. Das erste Präparat hatte bei 110^ C. 7,7^0 Wasser abgegeben, das zweite 13,8«/o. Nach einer ähnlichen Methode mit Hülfe der Alkoholdialyse ist es Drechsel gelungen, auch eine Natriumverbindung derselben Glo- bulinsubstanz darzustellen. Dieselbe gab bei IIOOC. 15,5 o/o Wasser ab und enthielt im Trockenzustand 3,98 ^jo Na2 0. Hieraus findet man das Eiweissmolekül == 1496, also nahezu halb so gross wie bei der Berechnung aus der Magnesiaverbindung. Nimmt man das klei- nere Molekulargewicht an, so muss man sich denken, dass ein zwei- werthiges Magnesiumatom zwei Eiweissmoleküle verankert; nimmt man das doppelte an, so muss das Molekül zwei durch Natrium ver- tretbare Wasserstoffatome enthalten. Für eine genaue Bestimmung des Molekulargewichtes waren übrigens die eingeäscherten Eiweissmengen viel zu gering. Die absolute Menge der gewogenen MgO betrug 0,0050 und 0,0065 Grm. , die des NaoCOa betrug 0,0773 Grm. Es wäre von hohem Interesse, das Verhältniss des Schwefels zum Na- trium durch eine Reihe sorgfältiger Analysen, bei denen grosse Ei- weissmengen eingeäschert werden, genau zu bestimmen. Sollte auf ein Atom Natrium keine ganze Zahl von Schwefelatomen kommen, sondern eine ganze Zahl und ein Bruch, so müsste mit dem Nenner des Bruches die Grösse des Eiweissmoleküls multiplicirt werden, welche aus dem Natriumgehalte berechnet wurde. Einer solchen mühevollen Untersuchung hat sich bisher Niemand unterziehen wollen, und deshalb wissen wir auch nichts über die Grösse des Eiweiss- moleküls. Die eingehendsten Untersuchungen über die Eiweisskrystalle sind unter Drechsel's Leitung von G. Grübler^) ausgeführt worden. Es ge- lang ihnen die Krystalloide der Kürbissamen dadurch umzukrystalli- siren, dass sie bei 40" C. gesättigte Lösungen des Globulins in Salz- lösungen (Chlornatrium, Chlorammonium, Magnesiumsulfat) bereiteten, aus welchen dann bei sehr langsamem Erkalten das Eiweiss krystalli- nisch sich ausschied. Die so erhaltenen Krystalle waren reguläre Octaeder und hinter- liessen beim Verbrennen nur 0,11 — 0,18 ^/o Asche, welche aus Alka- lien, Kalk, Magnesia, Eisen und Phosphorsäure bestand. Beim Ein- äschern mit Aetzkali wurden 0,23 ^/o P2O5 gefunden. 1) G. Grübler, Ueber ein krystallinisches Eiweiss des Kürbissamen, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 23. S. 97. 18S1. 4* 52 Vierte Vorlesung. Die Elementaranalyse der GKüBLER'schen Eiweisskrystalle ergab im Mittel aus einer Reihe sehr gut übereinstimmender Analysen fol- gende Werthe: Eiweisskrystalle aus Chlornatriuni- Chlorammo- Magnesium- lösung niumlüsung sulfatlösung c 53,21 53,55 53,29 H 7,22 7,31 6,99 N 19,22 19,17 18,99 S 1,07 1,16 1,13 0 19,10 18,70 19,47 Asche .... 0,18 0,11 0,13 GßüBLER hat ferner eine krystallinische Verbindung desselben Eiweisskörpers mit Magnesia dargestellt: beim langsamen Erkalten einer bei 40*^ C. dargestellten Lösung des Eiweisses und der Magnesia in Wasser schieden sich dieKrystalle aus; sie zeigten folgende Zu- sammensetzung: Trocken- substanz Aschenfreie Substanz c H • N S 0 Asche MgO 52,66 7,20 18,92 0,96 19,74 0,52 0,45 52,98 7,25 18,99 0,97 19,81 Aus der procentischen Zusammensetzung berechnet sich die fol- gende Formel für die Magnesiumverbindung des Globulins: Cll7oHi'j2oN:j6o0332SsMg3. Leider waren auch bei dieser Analyse für eine genaue Magnesium- uud Schwefelbestimmung die eingeäscherten Eiweissmengen viel zu klein. Das absolute Gewicht des gewogenen schwefelsauren Baryts betrug 0,0521 Grm., das Gewicht der pyrophosphorsauren Magnesia 0,0166 Grm. Nimmt man nur ein Atom Magnesium in der Magnesiumverbin- dung an — wie Geübler bei seiner Berechnung gethan — so findet man die Grösse des Moleküls == 8848. Unsere Berechnung aber zeigt, dass auf ein Atom Magnesium genau 2^/3 Atome Schwefel kommen : X .32 _ 0,96^ __8_ 40 "~ 0,45' ^ "~ T* Das Molekül der Magnesiumverbindung muss also dreimal so gross angenommen werden. Es wäre denkbar, dass die 3 zweiwer- Die Nahrungsstoflfe des Menschen. EiweissstofFe. 53 thigen Magnesiumatome 4 Eiweissmolektile verankern und in jedem nur 2 Atome Schwefel enthalten sind. Jedes Eiweissmolekül hätte dann die Zusammensetzung: C292H4S1N90OS3S2. Wir gelangen also unter der obigen Voraussetzung zum kleinsten Molekulargewichte, welches die Analyse zulässt. Die Voraussetzung aber ist völlig willkürlich und das Molekulargewicht wahrscheinlich ein Vielfaches des berechneten. Nach der Methode von Drechsel und Grübler hat auch Ritt- hausen ^) krystallinisches Eiweiss dargestellt aus Hanf- und Ricinus- samen. Die Elementaranalyse ergab folgende procentische Zusam- mensetzung: Globulin aus Hanfsamen i Ricinussamen c H N S Asche 50,92 6,91 18,71 0,82 0,11 22,53 50,85 6,97 18,55 0,77 0,057 22,80 Zu den krystallisirbaren Eiweissverbindungen gehört auch der rothe Farbstoff des Blutes, das Hämoglobin. Dieser StoflF bildet den Hauptbestandtheil der rothen Blutzellen und ist die Verbindung eines Eiweisskörpers mit einem eisenhaltigen Körper von bekannter Zusammensetzung, dem Hämatin. Eine genaue Analyse vollkommen reiner Hämoglobinkrystalle ist von Zinoffskt-) ausgeführt worden. ZiNOFFSKY krystallisirte die aus Pferdeblut gewonnenen Hämoglobin- krystalle so lange um, bis der Trockenrückstand der Mutterlauge denselben Eisengehalt zeigte, wie die trockenen Krystalle. Die Ele- mentaranalyse dieser Krystalle ergab: c 51,15 H 6,76 N 17,94 S 0,389 Fe 0,336 0 23,425 1) Ritthausen, Journ. f. prakt. Chemie. N. F. Bd. 25. S. 130. 18S2. 2) 0. ZiNOPPKST, üeber die Grösse des Hämoglobinmoleküis. Dissert. Dorpat 35. Auch abgedruckt in der Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 10. S. 16. 1885. 54 Vierte Vorlesung. Aus Zinoffsky's Analysen berechnet sich das Verhältniss der Schwefelatome zu den Eisenatomen: 56 0,3358' ' Es kommen also genau 2 Atome Schwefel auf l Atom Eisen und die Formel des Hämoglobin findet man: C712Hll30N2I4O245FeS2. Zieht man davon das Molekül des Hämatin = C32H32N404Fe ab, so findet man die Formel des Eiweisskörpers: C680H109SN210S2O241. Im Hämoglobin des Hundeblutes fand A. Jaquet^) auf 1 Atom Eisen genau 3 Atome Schwefel. Die Analyse ergab die Formel: C758Hl203Nl95S3FeO21S. Nach Abzug des Hämatin findet man: C726H1171N194S3O214. Die Rechnung ist nicht ganz genau, weil die Spaltung des Hämo- globins in Eiweiss und Hämatin nur unter Aufnahme von Wasser und Sauerstoff zu Stande kommt."-) Es müssen also noch einige Wasser- stoff- und Sauerstoffatome zu obigen Eiweisslormeln hinzuaddirt wer- den. Dennoch sind dieselben vielleicht die genauesten, welche sich aus den bisherigen Eiweissanalysen berechnen lassen und mögen zur vorläufigen Orientirung dienen. Eine zwar amorphe, dennoch aber vielleicht reine Eiweissver- bindung hat Harnack 3) dargestellt und analysirt. Haenack tällte neutrale Lösungen von Hühnereiweiss mit Kupferlösungen, und es stellte sich das sehr beachtenswerthe Resultat heraus, dass, obgleich das Mengenverhältniss des Eiweisses und des Kupfersalzes ein sehr verschiedenes war, in den Niederschlägen das Eiweiss mit dem Kupfer- oxyd doch immer nur in zwei ganz bestimmten Gewichtsverhältnisseu vereinigt sich ausschied. Die Niederschläge enthielten entweder 1,34 bis 1,37, im Durchschnitt 1,35 Cu oder 2,56 bis 2,68, im Durchschnitt 2,640,0 Cu, in einem Falle also genau doppelt soviel Kupferatome als im anderen. Die vollständige Elementaranalyse ergab im Durchschnitt aus einer Reihe sehr gut übereinstimmender Bestimmungen: 1) Alpred Jaquet, Beilr. z. Kenntniss des Blutfarbstoffes. Diss. Basel 1889. 2) Siehe hierüber Max Lebensbaum, Wien. Sitzungsber. Bd. 95. Abth. 2 März- Heft 1887. In dieser unter Nencki's Leitung in Bern ausgeführten Arbeit ist auch die frühere Literatur ül)er die Spaltung des Hämoglobins zusammengestellt. Vergl. auch Hoppe-Setlek, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 13. S. 477. 1889. 3) E. Harnack, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 198. 1881. Die Nahrungsstoffe des Menschen. Eiweissstofi'e. 55 I. II. c 52,50 51,43 H 7,00 (3,84 N 15,32 15,34 S 1,23 1,25 Cu 1,35 2,64 Nach der ersten Analyse berechnet sich das Verhältniss der Schwefelatome zum Kupferatom: 63,4 1,36' ' Aus der zweiten Analyse findet man x = 0,938. Auch bei diesen Analysen waren die zur Kupfer- und Schwefel- bestimmung eingeäscherten Mengen viel zu klein, i) Eine genauere Bestimmung dieser Elemente ist dringend geboten. Harnack berech- net aus seinen Analysen für die erste Verbindung die Formel: C20-1H320N52O66S2C11. LoEW^) hat zwei Silberverbindungen des Hühnereiweisses dar- gestellt, die den Kupferverbindungen Harnack's entsprechen: die eine enthielt 2,2 bis 2,4o/o Ag, die andere im Mittel 4,3 % Ag. Aus Har- nack's Zahlen für den Kupfergehalt berechnet sich das Silberäquivalent = 2,3^/0 und 4,50/0. Diese Thatsachen sprechen dafür, dass Harnack's und LoEw's Präparate wirklich chemische Individuen gewesen sind. Leider hat Loew keine Elementaranalyse seiner Präparate ausgeführt. Franz Hofmeister ^j ist es schliesslich gelungen, das Hühner- eiweiss zur Krystallisation zu bringen. Das Weisse des Hühnereies enthält zweierlei Eiweissarten: zur Gruppe der Globuline und zur Gruppe der Albumine gehörige (vergl. oben S. 48). Fällt man die Glo- buline durch concentrirte Ammoniumsulfatlösung aus und lässt das Filtrat bei gewöhnlicher Temperatur langsam einengen, so scheiden sich Kugeln ab, die aus unvollkommen ausgebildeten Krystallnadeln bestehen. Durch Umkrystallisiren erhält man aus diesen Kugeln Al- bumin in schön ausgebildeten Nadeln. Die Analyse ergab die folgende Zusammensetzung C H N S 0 53,3 7,3 15,0 1,1 23,3 1) Vergl. 0. Loew, Pflüger's Archiv. Bd. 31. S. 393-395. 1883. 2) 0. Loew, 1. c. S. 402. 3) Franz Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Cfaem. Bd. 14. S. 165. 1889 und Bd. 16. S. 187. 1892. Vergl. auch S. Gabriel, ebend. Bd. 15. S. 456. 1891. 56 Vierte Vorlesung. Im Blutserum sind wie im Weissen des Hühnereies Albumine und Globuline enthalten (vergl. unten Vorles. 13). Bei der Albumi- nurie gehen beide in den Harn über, aber in sehr verschiedenem Mengenverhältniss. Bis auf die neueste Zeit war niemals eine Ab- scbeidung von krystallinischem Eiweiss aus dem Harne beobachtet worden; es scheint, dass eine Eiweissart die Krystallisation der an- deren stört. In einem Falle auffallend hochgradiger Albuminurie aber sahen Bteom-Bkamwell und Noel Paton^) fast nur Globulin im Harne auftreten. Dieses Globulin konnte leicht nach einer ähnlichen Methode wie der Hofmeisterschen zur Krystallisation gebracht werden und bisweilen schied es sich sogar spontan nach ein- oder mehrtä- gigem Stehen des Harnes als krystallinischer seidenglänzender Nieder- schlag ab, welcher unter dem Microskope aus schönen rhombischen Säulen bestehend sich zeigte. Die Analyse dieser Globulinkrys- talle ergab: C . . . . 51,9 H . . . . 6,9 N . . . . 16,1 S . . . . 1,2 0 . . . . 23,9 Stellen wir nun die angeführten Eiweissformeln zusammen: Hühnereiweiss C204H322 N52 Oee S2 Eiweiss im Hämoglobin des Pferdes . C68oHio98Niio024iS2 Eiweiss im Hämoglobin des Hundes . C72GH1171N194O214S3 Globulin aus Kürbissamen .... C292H4S1 N90 Oss S2 Diesorgfältifjsteii und genauesten unter allen bisherigen Analysen der reinsten Präparate verschiedene?' Eiweissarten ergeben also sehr abwei- chende quantitative Zusammensetzungen, insbesondere einen sehr verschie- denen Schwefelg ehalt. Eine gewisse Uebereinstimmung zeigen die Eiweisskörper — so- weit man sie bisher untersucht hat — in ihren Spaltungsproducten. Es scheint, dass die verschiedenen Eiweissarten aus denselben Verbin- dungen in verschiedenen Mengenverhältnissen zusammengesetzt sind. Beim Erhitzen mit Barytwasser spalten sie sich unter Wasseraufnahme in Verbindungen von meist bekannter Constitution. Die hauptsäch- lichsten sind Kohlensäure, Oxalsäure, Essigsäure, Ammoniak, Schwe- felwasserstoff, Schwefelsäure, eine Reihe von Amidosäuren: Aspara- ginsäure, Leucin, Tyrosin, sowie Lysin, Lysatin u. a. Die genannten Amidosäuren sowie Ammoniak, Lysin und Lysatin treten auch beim Kochen der Eiweisskörper mit Säuren und bei der Einwirkung von 1) Byrom-Beamwell and D. Noel Paton, Reports from the Laboratory of the Royal College of physicians. Edinburgh. Vol. 4. p. 47. 1892. Die Nahrungsstoffe des Menschen. Leimgebende Substanzen. 57 Fermenten auf. Wir werden auf diese Spaltungsproduete noch näher einzugehen haben in der Chemie des Harnes, wo wir im Zusammen- hange die Zersetzung der Stickstoffverbindungen im Organismus be- trachten wollen. (Vergl. Vorl. 17.) In den chemischen Eigenschaften den Eiweisskörpern sehr nahe verwandt ist eine zweite Gruppe der Nahrungsstoffe, die leimge- benden Substanzen. Ihre physiologische Bedeutung aber ist eine ganz andere. Die leimgebenden Substanzen bilden den Hauptbestandtheil der Bindegewebe, der Knochen und Knorpel und somit einen bedeutenden Theil der Nahrung des Fleischfressers und des Omnivoren. Die Leimstoffe haben mit den Eiweissstoffen gemeinsam, dass sie gleichfalls Stickstoff- und schwefelhaltige Colloidstoffe sind und gleichfalls in zwei Modificationen auftreten können, in der scheinbar gelösten, nicht diffundirbaren und in der geronnenen. Die Bedingungen aber des Ueberganges aus der einen Modification in die andere sind genau die entgegengesetzten. Alle Eiweisskörper gerinnen — wie be- reits erwähnt — in der Siedhitze bei neutraler oder schwachsaurer Reaction und Anwesenheit von Salzen; die leimgebenden Substanzen werden im Gegentheil unter diesen Bedingungen gelöst^) und beim Erkalten gerinnt wiederum die gebildete Leimlösung. Durch Mineral- säuren werden die Eiweisslösungen gefällt, die Leimlösungen dagegen nicht. Knorpelleim wird zwar durch sehr verdünnte Mineralsäuren gefällt, durch einen Ueberschuss aber gelöst, verhält sich also gerade umgekehrt wie die Globuline, welche von sehr verdünnter (1 p. M.) Salzsäure gelöst, von einem Ueberfluss aber wiederum gefällt werden. Wenn also die Eiweiss- und Leimstoffe unter entgegengesetzten Bedingungen gelöst oder geronnen sind, so kann es uns nicht be- fremden, dass im Organismus, unter gleichen Bedingungen, die einen immer nur in der gelösten, die anderen nur in der starren Modi- fication auftreten. Die Eiweissstoffe finden sich in unserem Körper nur in der flüssigen Modification. In diesem Zustande bilden sie den Hauptbestandtheil des Blutplasmas und der Lymphe, oder sie treten in jener eigenthUmlichen halbflüssigen Modification auf, welche allen denjenigen Gebilden gemeinsam ist, welche sich activ verhalten bei den Functionen unseres Körpers: der contractile Inhalt der Muskel- 1) Die leimgebende Substanz der Knochen wird erst, nachdem die phosphor- sauren und kohlensauren Kalk- und Magnesiasalze mit verdünnter Salzsäure in der Kälte extrahirt worden, durch siedendes Wasser gelöst, besonders leicht unter erhöhtem Druck. Die Kalk- und Magnesiasalze scheinen an die leimgebende Sub- stanz chemisch gebunden zu sein. 58 Vierte Vorlesung. fasern, die Axencylinder der Nervenfasern, der Protoplasnaaleib aller Zellen, welche wir uns im lebenden Gewebe nicht als starre Bau- steine zu denken haben, sondern in lebhafter amöboider Bewegung begriffen, i) Die leimgebenden Substanzen dagegen finden sich iu unseren Geweben nur in der starren Modification; sie bilden die Stützsubstanzen, das Gerüst unseres Körpers: Knochen, Knorpel, Bän- der, Bindegewebe aller Art. Hierbei muss ich mich jedoch gegen das Missverständniss ver- wahren, als wollte ich die leimgebenden Substanzen der Gewebe mit geronnenem Leim identificiren. Beim Uebergang der leimgebenden Gewebe in Leimlösungen handelt es sich um eine tiefgreifende Um- wandlung — vielleicht eine Spaltung unter Wasseraufnahme — und der Leim wird bei der Gerinnung nicht zu den leimgebenden Sub- stanzen regenerirt. Die procentische Zusammensetzung der Leimstoffe ist nahezu dieselbe wie die der Eiweissstoffe. Indessen ist es. für die ersteren doch charakteristisch, dass sie etwas ärmer sind an Kohlenstoff und etwas reicher an Sauerstoff: sie sind Producte der beginnenden Spaltung und Oxydation der Eiweissstoffe im Tliierkörper. Nach den bisherigen Analysen -) schwankt die procentische Zusammensetzung der Leim- stoffe innerhalb der folgenden Grenzen : Leim aus Knochen oder Knorpelleim Eiweiss Bindegewebe c 49,3—50,8 47,7—50,2 50—55 H 6,5—6,6 6,7—6,8 6,6-7,3 N 17,5—18,4 13,9—14,1 15—19 S 0,56(?) 0,4-0,6(?) 0,3—2,4 0 24,9-26 29,0—31,1 19-24 Thatsächlich wissen wir, dass gewisse kohlenstoffreiche aroma- tische Verbindungen, welche in Form von Tyrosin und Indol aus dem Zerfall der Eiweisskörper hervorgehen, in den leimgebenden Substanzen bereits fehlen. ^) Thatsache ist ferner, dass die Verbren- 1) Nur im Eidotter und in den Samen und Knollen der Pflanzen findet sich, wie bereits erwähnt, das Eiweiss in fester Form, in Krystalloiden abgelagert. Diese Krystalloide sind aber nicht integrirende Bestandtheile der lebenden Gewebe, son- dern todtes Material, der Nahrungsvorrath für das spätere Wachsthum des Keimes. 2) Siehe Fe. Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 2. S. 299. 187S. Dort findet sich die frühere Literatur zusammengestellt. 3) Das Fehlen des Tyrosin ist der Grund dafür, dass die Leimstoffe die allen Eiweissstofifen gemeinsamen MiLLON'sche Eeaction (Rothfärbung beim Kochen mit salpetersaurem Quecksilberoxyd und Zusatz von gelber Salpetersäure) nicht Die Nahrungsstofife des Menschen. Leimgebende Substanzen. 59 nungswärme der Leimstoffe geringer ist, als die der Eiweisskörper^), dass also ein Theil der mit dem Eiweiss in den Thierkörper ein- geführten Spannkräfte bei der Umwandlung in leimgebende Substan- zen bereits verbraucht ist. Wir müssen daher a priori erwarten, dass die Leimstoffe das Eiweiss der Nahrung nicht ersetzen, dass aus ihnen die Eiweisskörper der Gewebe sich nicht bilden können. Eine solche Um- wandlung würde der ganzen Richtung des thierischen Stoffwechsels zu- widerlaufen, welcher im wesentlichen ein Spaltungs- und Oxydations- process ist. Die Umwandlung von Leim in Eiweiss wäre ein synthe- tischer Reductionsprocess. Mit diesem Ergebnissderaprioristischen Re- (Juction stimmen auch die Resultate der Versuche Voit's-), welcher zeigte, geben. — Diese Eeaction zeigen alle aromatischen Oxysäuren und ihre Derivate, zu denen auch das Tyrosin gehört. — Dagegen treten unter den Spaltungspro- ducten der Leimstoffe Verbindungen auf, die den Eiweisskörpern fehlen. Aus dem Knochen- und Bindegewebsleim wird beim Kochen mit Alkalien und Säuren und bei der Fäulniss Amidoessigsäure (Glycin, GlycocoU) gewonnen, welche bisher unter den Zersetzungsproducten keines Eiweisskörpers sich nach- weisen liess. Aus dem Knorpelgewebe isolirte Schmiedeberg (Arch. f. experim. Path. u. Pharmakol. Bd. 28. S. 355. 1S91) in kleiner Menge eine Verbindung, welche beim Kochen mit verdünnten Säuren sich spaltet in Schwefelsäure, Essigsäure, Glucuronsäure und Glucosanim. Daraus erklären sich die älteren Angaben über das Vorkommen von Zucker oder ,,reducirenden Substanzen" unter den Spaltungs- producten des Chondrins. Ueber die Spaltungsproducte von Eiweiss und Leim ver- gleiche ferner : M. Nencki, üeber die Zersetzung der Gelatine und des Eiweisses bei der Fäulniss mit Pankreas. Bern 1S76 und Sitzungsberichte d. Ak. d.Wissensch. in "Wien., Math. -nat.Classe. Bd. 98. Abth. IL 9. Mai 1889. Jules Jeanneret, Journ. f . prakt. Chem. N. F. Bd. 15. S. 353. 1877. Leon Seliteenny, Sitzungsber. d. Ak. d. Wissensch. in Wien. Math.-nat. Classe. Bd. 98. Abth. II. b. 12. Dec. 1889 (aus dem Laboratorium von Nencki), Ed. Büchner und Th. Curtius, Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 19. S. 850. 1886 und R. Maly, Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. Math. -natur. Classe. Bd. 98. Abth. IL (i. Jänner 1889. 1) A. Danilevsky, Centralblatt f. d. med. Wissensch. 1881. Nr. 26 u. 27. 2) VoiT, Zeitschr. f. Biol. Bd. 8. S. 297. 1872. Die historische Einleitung zu dieser Abhandlung, welche uns die vielfachen Irrthümer darlegt, in die man bei den früheren Versuchen zur Entscheidung der Frage nach dem Nahrungswerthe des Leimes verfallen musste, ist in hohem Grade lehrreich und interessant. Vergl. auch die spätere Abhandlung über diesen Gegenstand: Zeitschr. f. Biologie. Bd. 10. S. 203. 1874. — Zum vollen Verständniss der Bedeutung der Nahrungs- stoffe können wir erst gelangen, nachdem wir zuvor sämmtliche Stoffwechsel- Yorgänge kennen gelernt. Es gehört daher eine Betrachtung über die Bedeutung der Nahrungsstoffe eigentlich in das Schlusskapitel der physiologischen Chemie. Dieser Missstand aber ist in keiner Weise zu umgehen. Jedes Kapitel der Phy- siologie setzt andere Kapitel voraus. Mir scheint es zweckmässig, für die Sub- stanzen, deren Schicksale und allmähliche Veränderungen im Thierkörper <3en Gegenstand aller weiteren Betrachtungen bilden sollen, von vorne herein ein Interesse zu wecken durch Hervorheben ihrer Bedeutung für den Lebensprocess. 60 Vierte Vorlesung. dass der Leim das Ei weiss der Nahrung nicht zu ersetzen vermag. Fütterte VoiT Hunde ausschliesslich mit Leim oder mit Leim und Fett, so schie- den sie mehr Stickstoif aus, als sie in der Nahrung aufnahmen, sie verbrauchten also die Eiweisskörper ihrer Gewebe. Wurde aber zu einer kleinen Eiweissmenge der Nahrung, welche allein nicht hin- reichte, eine Eiweissabgabe der Gewebe zu verhindern, Leim hinzuge- fügt, so war das Stickstoffgleichgewicht hergestellt. Der Leim hatte also die Eiweisskörper der Gewebe vor dem Zerfall bewahrt ; er wirkt „Eiweiss ersparend". Diese Eiweiss ersparende Wirkung kommt auch den Fetten und Kohlehydraten zu, aber, wie Voit's Versuche ge- lehrt haben, nicht in dem Grade wie dem Leim. In neuester Zeit ist man auf die Vermuthung gekommen, dass der Leim vielleicht das Eiweiss ersetzen könnte bei gleichzeitiger Aufnahme von Ty rosin. — Wir wissen jetzt, dass der Gegensatz im Stoffwechsel der Thiere und Pflanzen kein so durchgreifender ist, als man früher glaubte. — Es war daher a priori wohl die Mög- lichkeit zuzugeben, dass durch Synthese aus Leim und Tyrosin Ei- weiss sich bilde. Die ersten Versuche^) schienen sogar zu Gunsten dieser Annahme zu sprechen. Eine sorgfältige Wiederholung derselben ergab aber ein negatives Kesultat. Lehmann'^) fütterte zwei Ratten mit einem Nahrungsgemisch von Leim, Reisstärke, Butterschmalz, Fleisshextract und Knochenasche und 6 Ratten mit demselben Nah- rungsgemische und einem Tyrosinzusatze: sie gingen alle „ungefähr gleich schnell" nach 47 — 70 Tagen zu Grunde. Es scheint also auch nach diesen Versuchen, dass aus Leim kein Eiweiss entstehen kann. Wohl aber wissen wir, dass umgekehrt aus Eiweiss alle leimgebenden Gewebe des Körpers sich bilden. Dieses sehen wir an dem Wachsthum des Pflanzenfressers und des Säuglings, welche in ihrer Nahrung nur Ei- weisskörper und keinen Leim aufnehmen. Leim als solcher findet sich nur in der von der Kochkunst zu- bereiteten Nahrung des Menschen. Von den leimgebenden Geweben ist das Bindegewebe jedenfalls leicht verdaulich und somit ein werth- voUes Nahrungsmittel. Das Fleisch, welches zu einem bedeutenden Theile aus Bindegewebe besteht, verschwindet fast vollständig im Verdauungscanale des Menschen. Die Verdaulichkeit der Knorpel und Knochen wurde lange bezweifelt, bis Versuche in Voit's Laborato- rium 3} zeigten, dass Hunde von aufgenommenen Knorpeln nur einen 1) L. Hermann und Th. Escher, Vierteljahrsschrift der naturforsch. Ges. in Zürich 1876. S. 36. 2) Karl B. Lehmann, Sitzungsber.d. Ges. f. Morphol.u.Physiol. in München 1885. 3) J. Etzinger, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 10. S. 84. 1874. Die Nahrungsstoffe des Menschen. Leimgebende Substanzen. 61 ganz unbedeutenden Theil in den Fäces wieder ausscheiden. Auch von der leimgebenden Substanz der Knochen erschien ein bedeuten- der Theil — bis 53 "^/o — in den Fäces nicht wieder. Wieweit auch der Verdauungsapparat des Menschen befähigt ist, Knorpel und Knochen zu bewältigen, wissen wir nicht: es sind keine Versuche darüber an- gestellt worden. Mit den leimgebenden Substanzen wurde früherauch das „Kera- tin" zusammengestellt, der Hauptbestandtheil der Epidermis, Haare, Nägel, Klauen, Hufe, Hörner, Federn. Das Keratin aber unterscheidet sich von den Leimstoffen sowohl , als von den Eiweissstoffen durch seinen hohen Schwefelgehalt — es enthält 4—5 V Schwefel — , von den Leimstoffen insbesondere aber dadurch, dass unter seinen Spaltungsproducten Ty rosin auftritt. Dieser letzteren Eigenschaft nach gehört das Keratin zu den Eiweisskörpern. Wahrscheinlich sind die Keratine aus den verschiedenen Geweben nicht identisch und keine chemischen Individuen, sondern Gemenge verschiedener Stoffe. Als Nahrungsstoffe kommen die Keratine nicht in Betracht; sie schei- nen nach den bisherigen Untersuchungen für das Säugethier un- verdaulich zu sein. ') Gewisse Insecten können das Keratin verdauen. Die Raupe der Pelzmotte nährt sich, wie es scheint, fast ausschliess- lich von Keratin. Wo also das Keratin gelöst wird, kann es das Ei- weiss vertreten. Auch der Hauptbestandtheil des elastischen Gewebes, das „Ela- stin", welches früher gleichfalls mit dem Leimstoffen in eine Gruppe zusammengestellt wurde, nimmt eine Sonderstellung ein: es liefert bei seiner Spaltung eine kleine Menge Tyrosin. 2) Das elastische Gewebe wird von Hunden fast vollständig verdaut. 3) In Bezug auf den Menschen liegt ein Versuch vor, welchen Hoebac- ZEWSKI ■*) an einem Magenfistelkranken ausführte. Durch die Fistel in einem Säckchen eingeführtes Elastinpulver wurde binnen 24 Stunden theilweise gelöst. 11 Knieriem, Ueber die Verwerthung der Cellulose im thierischen Organis- mus. Festschrift. Eiga 1884. S. 6. Auch abgedruckt in der Zeitschr. f. Biologie Bd. 21. S. 67. 1885. 2) Ueber die Zusammensetzung und die Eigenschaften des Elastin siehe: R. H. Chittenden und A. S. Hakt, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 25. S. 368. 1889. Dort die frühere Literatur citirt. 3) Etzingek, 1. c. Vergl. auch L. Morochoavetz , St. Petersburger med. Wochenschr. 1886. Nr. 15. A. Ewald und W. Kühne, Verhandlungen des natur- histor. med. Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. I. S. 441. 1877 und Chittenden und Habt, 1. c. 4) HoKBAczEwsKi, Zeitscht. f. physiolog. Chemie. Bd. 6. S. 330. 1882. Fünfte Vorlesung. Die organischen Nahrungsstoffe. Fortsetzung: Kohlehydrate und Fette. Verschiedene Bedeutung der drei Hauptgruppen der organischen Nahrungsstoffe. Wir wenden uns nun zu zwei Hauptgruppen der Nahrungsstoflfe, welche insofern einen Gegensatz zu den beiden zuletzt besprochenen bilden, als sie Stickstoff- und schwefelfrei sind: die Fette und die Kohlehydrate. ') Sie haben mit einander gemeinsam die Zusammen- setzung aus denselben drei Elementen: Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Die quantitative Zusammensetzung aber ist bekannt- lich eine ganz verschiedene: die Fette sind weit ärmer an Sauerstoff, reicher an Kohlen- und Wasserstoff. Deshalb muss die Verbrennungs- wärme der Fette weit grösser sein. Aus der bekannten Verbrennungswärme des Kohlenstoffes und Wasserstoffes lässt sich die Verbrennungswärme der organischen Stoffe nicht genau berechnen, weil von der Wärmemenge, die durch Ver- einigung des Sauerstoffes mit der Kohle und dem Wasserstoffe frei wird, ein Theil zur Trennung der Wasserstoffatome von den Kohlen- stoffatomen und der Kohlenstoffatome von einander verbraucht wird. Diese Wärmemenge kann in verschiedenen Verbindungen sehr ver- schieden sein, weil die Atome in verschiedenem Grade der Festigkeit an einander gebunden und verschiedene Wärmemengen bei ihrer Bin- dung frei geworden sind. Metamere Verbindungen liefern bekannt- lich verschiedene Verbrennungswärmen. Deshalb sind die Verbren- nungswärmen der Nahrungsstoffe direct durch Verbrennung im Calori- 1) Die chemischen Eigenschaften der Kohlehydrate und Fette sind bei diesen und allen folgenden Betrachtungen als bekannt vorausgesetzt, weil diese Verbin- dungen in den Lehrbüchern der organischen Chemie meist mit genügender Aus- führlichkeit beschrieben werden. Die organischen Nahrun gsstoflfe. Verbrennungswärme. 63 meter bestimmt worden, zuerst von Frankland '), darauf nach einer vervollkommneten Methode von Stohmann-) und dessen Schüler Rechenbeeg 3) j schliesslich von Danilewsky^) und von Rubner-^). In der folgenden Tabelle stelle ich die von den genannten Autoren gefundenen Werthe zusammen. Bei jeder Zahl steht der Anfangsbuch- stabe vom Namen des Autors. Es sind ferner die Verbrennungswärme des Kohlenstofifes , Wasserstoffes und einiger Spaltungsproducte der Nahrungsstoffe mit in die Tabelle aufgenommen zum Zweck späterer Betrachtungen. Als Calorie wird die Wärmemenge bezeichnet, welche erforderlich ist, ein Gramm Wasser um 1 ** C. zu erwärmen. Verbrennnngswürme von 1 Grm. Substanz in Calorien. Wasserstoff F. und S.^) . Stearinsäure CisHsbOa Ech. Stearinsäure Run. Stearinsäure F. u. S Rinderfett D. . Olivenöl St. . Schweinefett Rub. Stearinsäure St. . Fett (von Menschen und verschie- denen Thieren im Durchschnitt aus einer Reihe einander sehr nahe liegender Zahlen (9319 bis 34462 9886 9745 9717 9686 9455 9423 9412 9429) St. . . 9372 Butter St. . . 9179 Holzkohle F. u. S. . 8080 Aethylalkohol F. u. S. . 7184 Aethylalkohol Berthelot 6980 Leucin St. u. L.") 6525 Leucin B. u. A.8) 6537 Püanzenfibrin D. . . 6231 Elastin St. u. L. 5961 Hämoglobin (d. Pferdes) D. . 5949 Pflanzenfibrin St. u. L. 5942 Serumaibumin St. u. L. 5918 Tyrosin , B. u. A. 5916 Hämoglobin (d. Pferdes) B. u. A 5915 Syntonin St. u. L. 5908 Hämoglobin St. u. L. 5885 Casein St. u. L. 5858 Casein Legumin Blutfibrin Vitellin Eieralbumin D. . . St. u. L. D. . . St. u. L. St. u. L. Milchcasein (3 Präparate St. 5754 bis 5693, im Mittel:) . . Eieralbumin B. u. A. Krystallisirtes Eiweiss aus Kürbis samen St. u. L Hippursäure St. u. L. Hippursäure B. u. A. Euttersäure F. u. S. Paraglobulin (aus Pferdeblutserum) Casein B. u. A. Krystallisirtes Eiweiss (aus Kürbis- samen von Grübler dargestellt) St Eieralbumin (2 Präparate St. 5565 u. 5597, Mittel:) Blutfibrin St. (3 Präparate 5487 bis 5536, Mittel:) Glutin (aus Hausenblase) D. . . Ossein B. u. A. Chondrin B. u. A. Pepton St, u. L. . Cofi"ein St. u. L. . Chondrin St. u. L. . Ossein St. u. L. 5855 5793 5772 5745 5735 5715 5690 5672 5668 5659 5647 5634 5629 5595 5577 5508 5493 5414 5346 5299 5231 5131 504O 1) Frankland, Philos. Mag. XXXII. p. 182. 1866. 2) Stohmann, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 19. S. 115-142. 1879 u. Land- wirthschaftl. Jahrb. 1S84. S. 513— 581. 3) v. Rechenberg, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 22. S. l- 45 u. 223-250. 1880. 4) E. Danilewskt, Pflüger"s Arch. Bd. 36. S. 237. 1885. 5) Rubner, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 21. S. 250 u. 337. 1885. 6) Favre et Silbeem.a.nn, Ann. d. chim. et d. phys. (3.) T. 34. p. 357. 1852. 7) F. Stohmann u. H.Langbein, Journ. f. prakt. Chem. N.F. Bd. 44. S.336. 1891. 8) Berthelot et Andr:^, Ann. de Chimie et de Physique. Serie 6. T. 22. p. 5 et 25. 1891. 64 Fünfte Vorlesung. Pepton (v. DuECHSEL dargestellt) D. 4914 Chondrin D 4909 Pepton 1) 4S7G Sarkosin St. u. L. . . . 4506 Stärke Rch 4479 Erythrodextrin Rch 4325 Glycerin St 4305 Kreatin (wasserfrei) St. u. L . 4275 Rohrzucker D. . . . 4176 Rohrzucker Ren. . . 4173 Maltoseanbydrid Rcii. . . 4163 Milchzuckeranhydrid Ren. . . 4162 Cellulose (aus schwedischem Fil- trirpapier) St 4146 Stärke St 4116 Rohrzucker St 3959 Milchzuckerliydrat Ci 2H22O1 1 , H2Ü Rch 3945 Dextroseanhydrid Rch. . . . 3939 Maltosehydrat Ci2H220n , H2O Rch 3932 Guanin St. u. L 3892 Milchzuckeianhydrid St. . . . 3877 Kreatin -I-H2O St. u. L Dextroseanhydrid St. . Milchzuckerhydrat St. . Dextrosehydrat CgHi206,H:0 R Essigsäure Asparaginsäure GlycocoU Bernsteinsäure Bernsteinsäure Aspagarinsäure Aspagarinsäure Harnsäure Harnsäure Harnsäure Harnstoff Harnstoff" Harnstoff' Harnstoff "Weinsäure Weinsäure Oxalsäure Oxalsäure F. u. S St. . St. . Rch. . St. . B. u.'A. St. u. L. St. u. L. Franke St. . St. u. L. D. . St. . Feaxkl St. . Rch. . Rch. . St. . 3714 3692 3667 3567 3505 3423 3050 2996 2937 2911 2899 2750 2645 2620 2542 2537 2465 2121 1744 1408 659 569 Die Verbrennungswärmen der stickstofffreien NahrungsstoflFe sind in unserem Körper dieselben wie im Calorimeter, weil die Endproducte der Verbrennung dieselben sind. Anders verhält es sich mit den stickstoffhaltigen Nahrungsstoffen. Der Stickstoff geht aus der Ver- brennung im Calorimeter als freier Stickstoff hervor, aus der Zer- setzung und Oxydation im Körper dagegen an einen Theil des Kohlen- und Wasserstoffes gebunden als organische Verbindung, beim Menschen hauptsächlich als Harnstoff. Die Menge des Harnstoffes, die aus dem Eiweiss sich bilden kann, beträgt ungefähr '/s von dem Gewichte des Eiweisses. Wir müssen also von der Verbrennungswärme des Ei- weisses V^ von der Verbrennungs wärme des Harnstoffes abziehen, um die Verbrennungswärme des Eiweisses in unserem Organismus zu er- halten. Die Zahl würde noch etwas zu hoch ausfallen, weil der Stick- stoff nicht blos als Harnstoff, sondern zum Theil als kohlenstoff- und wasserstoffreichere Verbindung unseren Körper verlässt. Wir müssen also von den Verbrennungswärmen der Eiweisskörper auf der obigen Tabelle wenigstens 800 Wärmeeinheiten abziehen und erhalten dann Zahlen, welche die der Kohlehydrate nur wenig übersteigen. Die Kohlehydrate sind also als Kraftvorrath für unseren Körper in quan- titativer Hinsicht den Eiweisskörpern nahezu gleichwerthig. Die Ver- brennungswärme der Fette dagegen ist doppelt so gross. Ueber die Verwerthung der mit den verschiedenen Nahrungs- stoffen in die Organe eingeführten Spannkräfte für die verschiedenen Functionen ist noch wenig bekannt. Da der Muskel vorwiegend aus Eiweissstoffen besteht, so lag die Vermuthung nahe, die Eiweissstoffe Die organischen Nahrungsstoffe. Verbrennungswärme. 65 seien auch das Arbeitsmaterial des Muskels. Diese Ansicht vertrat LiEBiG und stellte die stickstofffreien Nahrungsstoffe, die Fette und Kohlehydrate als „Respiratiousmitter' den Eiweisskörpern als „plas- tischen Nahrungsmitteln" gegenüber. Er lehrte, die ersteren dienten vorherrschend der Wärmeproduction. Heutzutage wissen wir, dass bei der Muskelarbeit die Stickstoffausscheidung nur wenig vermehrt wird, wohl aber sehr bedeutend die Kohleusäureausscheidung und Sauerstoffaufnahme, dass also der Muskel vorherrschend mit stickstoff- freiem Material arbeitet. Wir wissen, dass in den Muskeln ein Vorrath an Kohlehydraten in Form von Glycogen sich aufgespeichert findet und dass dieser Vorrath bei der Arbeit schwindet. Es scheint also, dassvorherrschend die Kohlfihi/drate dem Muskel als Kraftquelle dienen}) Die Fette und die Kohlehydrate können einander ersetzen, aber nur bis zu einer gewissen Grenze; ihre Rolle scheint nicht dieselbe zu sein. Dafür spricht das gleichzeitige Auftreten beider in der Milch aller Carni-, Omni- und Herbivoren. Es spricht dafür ferner das in- stinktive Verlangen nach einem Fettzusatz zu jeder an Kohlehydraten auch noch so reichen Nahrung und umgekehrt das Verlangen nach einem Zusatz von Kohlehydraten zur fettreichsten Nahrung. Die Fette sind jedenfalls die ergiebigste Wärmequelle. Ueber die Bedeutung der Körperwärme für die Lebensfunctionen wissen wir vorläufig soviel, dass alle chemischen Processe, somit auch der mit denselben zusammenhängende Kraftwechsel und die davon abhängigen Körperfunctionen intensiver sind bei erhöhter Temperatur. Dass ins- besondere die Functionen des Nervensystems und der Muskeln bei erhöhter Temperatur lebhafter verlaufen, lässt sich bekanntlich an poikilothermeu Thieren leicht demonstriren. Welchen Functionen unseres Körpers aber die Zersetzung und Oxydation der grossen Eiweissmengen dient, die durch keinen an- deren Nahruugsstoff zu ersetzen sind — darüber wissen wir vorläufig noch absolut nichts. Die Erfahrung zeigt, dass jeder gesunde arbei- tende Mensch, der seine Nahrung wählen kann, sich in irgend einer Form wenigstens 100 Grm. Ei weiss täglich verschafft. Nimmt er we- niger auf, so nähert er sich bald einer Grenze, wo er anfängt auch bei reichlicher Zufuhr von Fett und Kohlehydraten von den Eiweiss- körpern seiner Gewebe zu zehren. Die Fette und Kohlehydrate ver- mögen nur bis zu einer gewissen Grenze die Eiweisskörper zu ersetzen. ^j 1) Die Frage nach der Quelle der Muskelkraft wird in der 21. Vorlesung ein- gehend besprochen. 2) In neuester Zeit sind vielfache Versuche mitgetheilt worden, aus denen hervorzugehen scheint, dass bei sehr reichlicher Aufnahme von Kohlehydraten Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 5 66 Fünfte Vorlesung. Zwar wissen wir, dass die eiweissreichen Elemente unserer Ge- webe wie alle einzelligen Wesen einem raschen Wechsel der Gene- rationen unterliegen, dass Vermehrung, Tod des einen Theiles, Wachs- thum und Theilung des anderen in ununterbrochenem Fluge auf einander folgen. An dem unserer Beobachtung am unmittelbarsten zugänglichen Gewebe, an der Epidermis, sehen wir beständig die älteren Zellen absterben und durch Vermehrung von den tieferen Schichten aus ersetzt werden. Dasselbe ist für die Epithelzellen des Darmes und gewisser Drüsen nachgewiesen. Ein Blick auf einen Knochenschliff zeigt, dass fortwährend neugebildete concentrische Lamellenringe in die resorbirten älteren Systeme hineinwachsen. Auch von den Leukocyten werden wir bald bei der Betrachtung der Resorp- tionsvorgänge im Darme (Vorles. 12) sehen, dass sie einem raschen Wechsel der Generationen unterliegen. Warum sollte in den unserer Beobachtung unzugänglichen Geweben nicht dasselbe statthaben? Aber das Material der absterbenden Gewebselemente könnte für das Wachsthum der überlebenden verwerthet werden. Die Nothwen- digkeit eines täglichen Verbrauches von 100 Grm. Ei weiss ist nicht verständlich, so lange uns keine Körperfunction bekannt ist, zu deren Verrichtung die chemischen Spannkräfte des zerfallenden Eiweisses verwerthet würden. Da nun aber thatsächlich das Eiweiss unter den drei Haupt- gruppen der Nahrungsstoffe diejenige ist, welche durch keine andere ersetzt werden kann, so werden wir bei der Auswahl und Combination der Nahrungsmittel vor Allem auf den Eiweissgehalt derselben unsere Aufmerksamkeit richten müssen. Auf der folgenden Tabelle über- schaut man die mittlere Zusammensetzung ') der wichtigsten Nahrungs- mittel, nach aufsteigendem Eiweissgehalte geordnet. weit weniger als 100 Grm. Eiweiss nahezu — vielleicht sogar vollkommen — zur Erhaltung des Stickstoflfgleichgewichtes genügen. Es fragt sich nur, ob dieses auf die Dauer möglich ist bei angestrengter Arbeit und normalem Geschlechts- leben. Man lese hierüber C. Voit, E. Voit und Constantinidi, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 25. S. 232, 1888. Hirschfeld, Yirchow's Archiv. Bd. 114. S. 301. 1888 und Pflüger'sArch. Bd.44. S.428. 1889 und MuneoKümagawa, Virchow'sArch. Bd.ll6. S. 370. 1889. 1) Die Zahlen sind dem Werke von J. König, Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel. 2. Aufl. Berlin 1882 entnommen, in welchem alle bis- herigen Analysen erschöpfend zusammengestellt sind. Zusammensetzung der Nahrungsmittel. 67 Tabelle I. 100 Grm. der Nahrungsmittel im natürlichen^ ivassei^haltigen Zustande enthalten: Eiweiss Fett Kohle- hydrate Aeptel Möhre („gelbe Rübe" Daucus carota) . Kartoffel Frauenmilch Kohl (Savoyer, Wirsing, Brassica olera- cea, var. buUata) Kuhmilch Reis Mais Weizen Hühnereiweiss Fettreicher Fisch (Flussaal) . . . . Fettes Schweinefleisch Huhnereidotter Fettes Rindfleisch Magerer Fisch (Hecht) Mageres Rindfleisch Erbsen 0,4 1,1 2 2,4 3,3 3,4 8 10 12 13 13 15 16 17 18 21 23 0,2 0,1 4 0,7 4 0,9 4,6 1,7 0,3 28 37 32 26 0,5 1,5 1,8 13 9 20 6 7 5 77 71 70 58 Talbelle II. 100 Grm. Trockensubstanz; enthalten. Eiweiss Fett Kohle- hydrate Aepfel Kartoffeln .... Reis Möhre Mais Weizen Franenmilch . . . Kohl Erbsen Kuhmilch Fettes Schweinefleisch Fettreicher Fisch . . Hühnereidotter . . . Fettes Rindfleisch . . Mageres Rindfleisch . Hühnereiweiss . . . Fettarmer Fisch . . 2,4 8 9 10 11 14 18 26 27 27 28 30 33 39 89 89 90 0,6 1 2 5 2 30 5 2 29 71 67 65 59 6 2 2,5 79 87 89 82 81 81 48 56 62 38 Auf der folgenden Tabelle werden die Mengen der Nahrungs- mittel im natürlichen, wasserhaltigen Zustande angegeben, welche 5* 68 Fünfte Vorlesung. wir verzehren müssen, um 100 Grm. Eiweiss in unseren Körper ein- zuführen. Tabelle III. 100 Grm. Eiweiss sind enthalten in: 250U0 Grm. Aepfeln 9000 = Möhren 50OO = Kartoffeln 4200 = Frauenmilch 3000 ; Kohl 3000 = Kuhmilch 1250 = Eeis 1000 - Mais 800 S Weizen 750 ; Hühnereiweiss 750 = fettreichen Fisches (Aal) 650 = fetten Schweinefleisches 620 ; nuhnereidotter 600 = fetten Rindfleisches 550 ; mageren Fisches 480 ; mageren Rindfleisches 430 ' Erbsen Auf der folgenden Tabelle sind die Mengen der trockenen Nahrungsmittel angegeben, welche 100 Grm. Eiweiss enthalten. Tabelle IV. 100 Grm. Eiweiss sind enthalten in: 4200 Grm, trockener Aepfel 1250 ; = Kartoffeln 1100 s s Reis 1000 s 5 Möhren 90(1 5 ; Mais 700 5 - Weizen 550 ; = Frauenmilch 440 ; ; Kohl 370 S I Erbsen •370 ^ ; Kuhmilch 360 S s fetten Schweinefleisches 330 p I fetten Fisches 300 5 = Hühnereidotter 250 - = fetten Rindfleisches 112 = = mageren Rindfleisches 112 = s Hühnereiweiss 110 = ' fettarmen Fisches (Hecht) Wenn wir von den gegebenen Zahlen 100 abziehen, so erfahren wir aus dieser letzten Tabelle, wieviel andere feste Bestandtheile — Zusammensetzung der Nahrungsmittel. 69 hauptsächlich Kohlehydrate und Fette — wir mit verzehren müssen, um 100 Grm. Eiweiss aufzunehmen. Auf den folgenden zwei Tabellen sind diese Quantitäten an Kohlehydraten und Fetten getrennt ange- geben, in der Tabelle V nach aufsteigenden Kohlehydrat- und in der Tabelle VI nach aufsteigenden Fettmengen geordnet. Tabelle V. Zugleich mit 100 Grm. Eiweiss werden aufyenommen in. Kohle- hydrate Fette Kuhmilch .... Kohl Erbsen Frauenmilch . . . Weizen Mais Möhren Reis Kartofleln .... Aepfeln 140 220 230 270 580 740 820 990 1090 3300 107 21 170 14 46 20 11 8 0 Tabelle VI. Zugleich mit WO Grm. Eiweiss werden aufgenommen in. Aepfeln HUhnereiweiss . . . Hecht magerem Rindfleisch . Erbsen Kartofleln Reis Weizen Möhren Kohl Mais Kuhmilch fettem Rindfleisch . . Frauenmilch . . Hühnereidotter . . . Aal fettem Schweinefleisch Fette 2 3 7 7 8 11 14 20 21 46 107 150 170 200 220 250 Kohle- hydrate 3300 230 1090 990 580 820 220 740 140 270 Will man nach diesen Tabellen über den Werth der verschiedenen animalischen und vegetabilischen Nahrungsmittel ein Urtheil sich bil- den, so wird man noch Folgendes zu berücksichtigen haben. 70 Fünfte Vorlesung. Der Eiweissgehalt der meisten Nahrungsmittel ist nicht genau bestimmt worden. Man hat nur den Stickstoffgehalt bestimmt und aus diesem den Eiweissgehalt berechnet unter der Voraussetzung, dass in den Nahrungsmitteln keine anderen Stickstoffverbindungen sich finden, und dass alle Eiweissarten 16''/o Stickstoff enthalten. Beide Voraus- setzungen sind ungenau. Der Stickstoffgehalt der verschiedenen Ei- weisskörper schwankt, wie wir gesehen haben, zwischen 15 und 19 "/o. Die andere Voraussetzung, dass die Nahrungsstoffe keine anderen Stickstoffverbindungen enthielten, ist für die Samen der Cerealien und Leguminosen zutreffend. In diesen hat man bisher andere Stickstoff- verbindungen in irgend erheblicher Menge nicht nachweisen können. In den meisten übrigen Vegetabilien aber finden sich Ammoniak, Sal- petersäure, Amide, Amidosäuren u. s. w. in bedeutender Menge. Der Stickstoff dieser Verbindungen beträgt in gewissen Gemüsearten mehr als Vs des Gesammtstickstoffes. Einen sehr bedeutenden Fehler begeht man ferner, wenn man aus dem Stickstoffgehalte des Fleisches den Eiweissgehalt desselben berechnet. Das Fleisch enthält eine sehr bedeutende Menge leim- gebender Substanzen, und diese haben, wie ich bereits hervorgeho- ben, für die Ernährung eine ganz und gar andere Bedeutung als das Eiweiss, Die leimgebenden Substanzen der animalischen Nahrung können eher den Kohlehydraten der vegetabilischen als gleichwerthig betrachtet werden wie den Eiweisskörpern. Beurtheilt man also auf Grund der obigen Tabelle den Nahrungsstoff des Fleisches und der Vegetabilien nach ihrem Eiweissgehalte, so kommt man zu einer Ueberschätzung des Fleisches und einer Unterschätzung der Vege- tabilien. Auf der anderen Seite aber ist zu berücksichtigen, dass die Fleischnahrung viel vollständiger resorbirt wird als die vegetabilische Nahrung. — Es sind in neuerer Zeit durch sorgfältige Vergleichung der Stickstoffmengen in der aufgenommenen Nahrung und in den ausgeschiedenen Fäces genaue Bestimmungen der Resorbirbarkeit des Eiweisses der verschiedenen Nahrungsmittel ausgeführt worden. Es hat sich dabei herausgestellt, dass das Eiweiss des Fleisches fast vollständig verschwindet. Vom Eiweiss der Milch erscheint schon ein erheblicher Theil in den Fäces wieder. Noch weit grösser ist die Menge des unresorbirten Eiweisses nach Aufnahme von Vegetabilien. Auf der folgenden Tabelle überschaut man die Resultate dieser „Aus- nutzungsversuche". Dieselben sind sämmtlich an Menschen ausgeführt. Ausnutzung des Eiweisses. 71 Naliruns: ünresorbirtes Eiweiss in Pro- centen des auf- i^enonimenen') Autor Rindfleisch, dieselbe Versuchsperson Eier Milch und Käse Milch'), 4 Versuche an 4 verschie- denen Personen „Leguniinose" (Mehl von Legumi- nosen und Cerealien) .... Klebernudeln Mais Erbsen und Brod Nudeln "Wirsing (Brassica oleracea, var. bul- lata) Weizenbrod Eeis Münchener ßoggenbrod Weissbrod, dieselbe Versuchsperson Erbsen, enthülst und weichgekocht, dieselbe Versuchsperson .... Bohnen (reife Samen von Phaseolus vulgaris, weich gkeocht) . . . Weizenbrod aus Mehl aus ganz. Korn „Schwarzbrod" (Eoggenbrod) . . . Kartoffeln Harsford-Liebig-Brod Gelbe Rüben (Daucus carota) gekocht m (2,9 4,9 13,7 2,9 Idies. Ver- suchsperson 30,25 30,5 32,0 32,2 32,4 39,0 Rubxer") RUBXER RUBNER Rubxer Strümpell'') RüBNEE EUBNER WOROSCHILOFF*) RuBNER RüBNER Meyer^) RUBNER Mever RUBXER Rubner Prausxitz'') RUBXER RüBXER RUBXER Meyer Rubxer 1 ) Diese Zahlen sind etwas zu hoch, weil der Stickstoff in den Fäces nicht blos in der unresorbirten Nahrung enthalten ist, sondern auch in Stofifwechsel- producten, die in den Darm ausgeschieden werden. Nach Rieder's Versuchen mit stickstofffreier Nahrung beträgt die Menge des in den Darm ausgeschiedenen Stickstoffes 8% der dabei erhaltenen gesammten Stickstoffabgabe. Zeitschr. f. Biologie. Bd. 20. S. 478. 1884. 2) Max Rubnee, Zeitschr. f. Biol. Bd. 14. S. 115. 1879. Bd. 16. S. 119. 1880. Bd. 19. S. 45. 1883. 3) üeber die Ausnutzung der Milch vergl. auch W. Pracsnitz , Zeitschr. f. Biol. Bd. 25. S.533. 1889. 4) A. Strümpell, Deutsch Arch. f. klin. Med. Bd. XVII. S. 108. 1876. 5) "WoRoscHiLOFF, Botkin's Archiv. Bd. 4. S. 1. 1872 (russisch). Ein leider ganz ungenaues Referat dieser werthvollen Arbeit findet sich in der Berl. klin. Wochenschr. 1873. S. 90. 6) G. Meyer, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 7. S. 1. 1871. 7) W. Prausnitz, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 26. S. 227. 1890. 72 Fünfte Vorlesung. Nahrung Unresorbirtes Eiweiss in Pio- centen des auf- genommenen Autor Linsen 40 42,3 45,4 53,5 Strümpell Meyer HULDGREN und Landergeen^) HOFMANN^) Kleienbrod ßoggenkleienbrod Linsen, Kartoffeln und Brod . . . Wenn man die vorliegende Tabelle mit den Tabellen III und IV vergleicht, so könnte es kaum möglich erscheinen, dass ein Mensch in Form von Vegetabilien die zur Behauptung des Stickstofifgleich- gewichtes erforderliche tägliche Menge von wenigstens 100 Grm. Ei- weiss aufnimmt. Besonders ungeeignet erscheint die K arto ff e 1. Um in dieser Form 100 Grm. Eiweiss in den Magen einzuführen, mtissten wir 5 Kgrm. Kartoffeln verzehren. Um aber 100 Grm. Ei- weiss zur Resorption gelangen zu lassen, müssten wir mehr als 7 Kgrm. Kartoffeln bewältigen. Englische Statistiker geben in der That an, dass die irischen Arbeiter, die sich vorherrschend von Kar- toffeln nähren, im Durchschnitt täglich pro Kopf 4— 6V-2 Kgrm. con- sumiren. Dieses erscheint kaum glaublich. Die Versuchsperson Rub- ner's^), „ein kräftiger Soldat, welcher, in der bayerischen Oberpfalz zu Hause, an reichliche Kartoffelaufuahme gewöhnt war", konnte nicht mehr als 3 — 3V2 Kgrm. bewältigen, obgleich ihm die einförmige Nah- rung in der mannigfaltigsten Form zubereitet „mit Salz oder mit Butter, oder mit Essig und Oel als Salat oder auch in Form von Schnitzen oder geröstet verabreicht wurde und obgleich der Mann den ganzen Tag über ass"! Die verzehrten Kartoffeln enthielten nur 71,5 Grm. Eiweiss und von diesen blieben 23,1 Grm. unresorbirt, so dass der Mann sein Stickstofifgleichgewicht nicht behaupten konnte, sondern mehr Stickstoff durch die Nieren ausschied als vom Darm aus resor- birte, also von dem Eiweissvorrathe seiner Gewebe zehrte, d. h. einem langsamen Hungertode entgegenging. Ein skeptischer Beurtheiler wird indessen dennoch die Möglichkeit zugeben müssen, dass mancher irische Arbeiter 5 Kgr. Kartoffeln verzehrt und sein Stickstoffgleich- gewicht behauptet. Die individuellen Verschiedenheiten sind jedenfalls sehr gross. Hervorheben will ich noch, dass eine solche Nahrung von Er- 1) E. HüLDGREN u. E. Landergren, Nordiskt Medicinkt Arkiv. 1889. S. 2L 2) Fr. Hopmann, Die Bedeutung der Fleischnahrung und Fleischconserven. Leipzig 1880. S. 11 u. 44. 3) RuBNER, 1. c. Bd. 15. S. 146. Werth der vegetabilischen Nahrung. 73 wachsenen besser ertragen wird als von Kindern. Die Kinder haben einen eiweissreichen Organismus aufzubauen. Der Erwachsene hat nur den vorhandenen Vorrath zu behaupten und verrichtet seine Muskel- arbeit mit den Kohlehydraten, von denen mit der Kartoffelnahrung ein Ueberfluss eingeführt wird. Die grauenhafte Kindersterblichkeit im Proletariat ist vielleicht zum grossen Theil auf die Eiweissarmuth der Nahrung zurückzuführen. Am eiweissreichsten unter den wichtigeren vegetabilischen Nah- rungsmitteln sind die Leguminosen. Mit diesen lässt sich bei geeigneter Zubereitung das Stickstoffgleichgewicht behaupten. Das lehren die Selbstversuche Woroschiloff's'), welcher sich 30 Tage lang ausschliesslich von Erbsen, Brod und Zucker nährte, dabei täg- lich 1 — 3 Stunden hindurch in jeder Stunde 8528 Kilogrammometer Arbeit verrichtete und dennoch kein Eiweiss von seinem Körper verlor. Auch die Versuchsperson Rubner's -) erhielt sich bei der Ernährung mit Erbsen im Stickstoffgleichgewicht. Wenn die ausschliesslich vegetabilische Nahrung sich als unzureichend erweist, so liegt dieses vielleicht weniger an der Ei- weissarmuth als an der Fettarm uth. Ein Blick auf die Tabelle V (S. 69) zeigt uns, dass bei Ernährung mit Leguminosen und Cerealien das Verhältniss der Kohlehydrate zum Eiweiss dasselbe sein würde wie in der Milch. Nur an Fett würde die Nahrung viel ärmer sein als die Milch. Hiernach lässt sich a priori erwarten, dass mit Cerea- lien und Leguminosen unter Zusatz von Fett — vielleicht auch mit Cerealien und Fett allein — ein Mensch sehr gut bestehen könnte. Die Milch ist die normale Nahrung für den Säugling, nicht für den Erwachsenen. Der Erwachsene braucht — wie ich soeben ausein- andergesetzt habe — relativ weniger Eiweiss und relativ mehr Kohle- hydrate. Deshalb können wir a priori erwarten, dass das Verhältniss des Eiweisses zu den Kohlehydraten, wie es in den Cerealien sich findet, für die Ernährung des Erwachsenen gerade das normale ist, und dass diese Nahrung nur eines Fettzusatzes bedarf. Gewisse Er- fahrungen scheinen diese Annahme zu bestätigen. Die ländlichen Ar- beiter in einigen Gegenden Bayerns sollen sich ausschliesslich von Speisen nähren, die aus Mehl und Schmalz bereitet werden, und dabei die schwerste Arbeit leisten.-') Würde bei dieser Ernährungsweise auch 1) WOEOSCHILOFF, 1. C. 2) RuBSER, 1. c. Bd. 16. S. 125. 1880. 3) H. Eanke, Die bayr. Landwirthschaft in den letzten 10 Jahren. Fest- gabe u. s. w. S. 160. München 1872. Liebig, Sitzungsber. d. bayr. Akad. II. S. 463. 1869. Reden und Abhandlungen S. 121. Vgl. auch Ohlmüller, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 20. S. 393. 1884. 74 Fünfte Vorlesung. das Fett dem Pflanzenreiche entnommen — in Form von Oel, Oliven, Nüssen, Cacao — , so wäre das Ideal der Vegetarianer ') erreicht. Nach einer Untersuchung von Panum und Buntzen scheint es, dass sogar ein Fleischfresser mit Cerealien und Fett ernährt werden kann 5 ein Hund, welcher ausschliesslich mit Gerstengraupen und Butter ge- füttert wurde, „konnte während zwei Monaten bei unverändertem Körpergewichte gesund und munter erhalten werden".-) Leider ist diese Versuchszeit eine viel zu kurze gewesen. Die Fette aller Nahrungsmittel werden sehr vollständig resor- birt^), weit vollständiger als die Eiweisskörper. Dasselbe gilt von allen Kohlehydraten 4) mit alleiniger Ausnahme der Cellulose. Diese galt bis auf die neueste Zeit für völlig unverdaulich, bis auf den landwirthschaftlichen Versuchsstationen zunächst durch Versuche an Wiederkäuern ">} gezeigt wurde, dass 60 — 70 "/o der Holzfaser aus ihrem Verdauungscanale verschwinden. Auf der Versuchsstation Tha- rand ^) will mau sogar gefunden haben , dass von der Cellulose der Sägespäne und des Papiers, wenn sie mit Heu gemischt von Schafen gefressen werden, 30—80 ^/o zur Resorption gelangen. Versuche am Menschen hat zuerst Weiske') an sich und einer zweiten Versuchs- person ausgeführt. Er fand, dass von der Holzfaser der aus Möhren, Kohl und Sellerie bestehenden Nahrung die eine Versuchsperson 62,70/0 verdaute, die andere 47,3. Später führte auch Knieriem ^) Selbstversuche aus und verdaute von der zarten Holzfaser des Kopf- salats 25,3 *'/o, von der „schon ziemlich verhärteten Rohfaser der Scor- zonera" dagegen nur 4,4*^/0. Die letztere Zahl fällt schon in die Grenzen der unvermeidlichen Versuchsfehler. Auf die Frage, wie die Auflösung der Cellulose im Darme zu erklären sei, werden wir erst später bei Betrachtung der Verdauungsvorgänge einzugehen haben. 1) Eine eingehende Kritik des Vegetarianismus habe ich in einer kleinen Schrift veröffentlicht: „Der Vegetarianismus" Berlin, Hirschwald 1885. 2) Jahresberichte über die Fortschritte der Thierchemie. Bd. 4 über das Jahr 1874. Wiesbaden 1875. S. 365. 3) RuBNER, 1 c. Bd. 15. S. 189. 4) RüBNER, 1. c. S. 192. 5) Haübner, Zeitschr. f. Landwirthschaft. 1855. S. 177. Hennebebg und Stohmann, Beiträge z. Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer. 1860 Hft. I und 1863 Hft. IL 6) „Der chemische Ackersmann" 1860. S. 51 und IIS. 7) H. Weiske, Zeitschr. f. Biol. Bd. 6. S. 456. 1S70. 8) V. Knieeiem, Ueber die Verwerthung der Cellulose im thierischen Orga- nismus. Festschrift. Riga 1884. Auch abgedruckt in der Zeitschr. f. Biol. Bd. 21. S. 67. 1885. Werth der vegetabilischen Nahrung. 75 Als Nahrungsstoff kommt die Cellulose für den Menschen kaum in Betracht. Dagegen hat sie eine andere wichtige Bedeutung: sie wirkt als mecha7iischer Reiz zur Beförderung der Dai^mperistaltik. Bei Thieren mit langem Darme ist die Cellulose aus diesem Grunde ganz unentbehrlich. Versucht man es, Kaninchen mit cellulosefreier Nahrung zu füttern, so stockt die Fortbewegung des Darminhaltes, es kommt zur Darmentzündung und die Thiere gehen rasch zu Grunde. Fügt man dagegen Hornspäne zur selben Nahrung hinzu, so ist die Ernährung eine ganz normale.') Die Hornspäne sind, wie Knieriem durch besondere Versuche feststellte, absolut unverdaulich, können also nur durch ihre mechanischen Eigenschaften die Holzfaser ersetzt haben. Von drei Mäusen, welche ausschliesslich mit Milch gefüttert wurden, starb eine nach 47 Tagen, wie die Section ergab, an Darm- verschlingung.-) Die Section eines an Cellulosemangel zu Grunde gegangenen Ka- ninchens ergab Folgendes: „Im Magen befand sich nur Schleim und die Anfänge einer Entzündung in dem Pylorustheil ; der Dünndarm, von Schleim erfüllt, war in seiner ganzen Länge stark entzündet, ebenso der Blinddarm. Letzterer war stark mit Koth angefüllt, der die Consistenz eines Glaserkittes besass, fest an den Wandungen und den Falten des Blinddarmes haftete. Vergleicht man den Inhalt des Blinddarmes eines normal gefütterten Kaninchens damit, so ist der Unterschied in die Augen springend: es ist die Masse in dem Blind- darme ziemlich locker, sie fällt beim Rückbiegen des Darmes fast vollständig ab, und diese lockere Consistenz wird nur durch die Roh- faser veranlasst, es wird dadurch die Communication zwischen dem After und dem Magen offen gehalten, während bei dem verendeten Versuchsthiere eine solche kaum bestehen konnte." '^) Der kurze Darm des Fleischfressers bedarf eines mechani- schen Reizmittels für die Peristaltik nicht. Der Darm des Menschen hat bekanntlich eine mittlere Länge. Das Leben des Menschen wird daher durch Entziehung der Cellulose nicht direct gefährdet, wohl aber könnte auch bei ihm die normale Darmbewegung dadurch beein- trächtigt werden. Die Darmmusculatur atrophirt wie jeder andere Muskel, wenn ihm keine Arbeit aufgebürdet wird. Wir werden deshalb auch bei der Ernährung des Menschen darauf zu achten haben, dass 1) Knieriem, 1. c. S. 6 und 17 — 19. 2) N. LuNiN, Ueber die Bedeutung der anorganischen Salze für die Ernäh- rung des Thieres. Diss. Dorpat 1880. S. 15. Auch abgedruckt in der Zeitschrift f. physiol. Chemie. Bd. 5. S. 37. 1881. 3) Knikriem, 1. c. S. 17. 76 Fünfte Vorlesung. die Nahrung nicht zu arm an Holzfaser sei. Die in den wohlhabenden Klassen herrschende übertriebene Angst vor „unverdaulichen" Speisen kann zu einer allgemeinen Schwächung der Darmmusculatur führen Die habituelle Opstipation wäre vielleicht kein so verbreitetes Leiden, wenn wir von klein auf daran gewöhnt würden, eine an Holz- faser reiche Nahrung zu bewältigen. In neueier Zeit ist das cellulose- reiche Kleienbrod vielfach als Mittel gegen chronische Stuhlverstopfung mit Erfolg angewandt worden. Dass ausschliessliche Milchnahrung Stuhlverstopfung zur Folge haben kann, ist bekannt. Auf der anderen Seite wird hervorgehoben, dass die rasche Fort- bewegung des Darminhaltes durch die reizende Wirkung der Holz- faser einen Nachtheil mit sich bringe — die unvollständige Aus- nutzung der Nahrung. In der That haben die erwähnten Ver- suche Meter's gezeigt, dass es pecuniär vortheilhafter ist, sich von dem theueren, kleiefreien Brod zu nähren als von dem wohlfeilen Kleienbrod. ij Fr. Hopmann zeigte, dass durch Zusatz von Cellulose die Ausnutzung des Fleisches herabgesetzt wird."-) Es scheint mir jedoch, dass die Vortheile der celluloser eichen Nahrung die Nachtheile weit überwiegen. Auf der folgenden Tabelle überblickt man den Cellulosegehalt der wichtigsten vegetabilischen Nahrungsmittel des Menschen. Es ist in diäte- tischer Hinsicht nicht ohne Interesse, denselben zu kennen. Procentgehalt der Nahrungsmittel im natürlichen, wasserhaltigen Zustande an Holzfaser^) Procentgehalt der trockenen Nahrungsmittel an Holzfaser Cellulose Wasser Cellulose Eeisniehl . . . . Weizenmehl, feines Steinpilz . . . . Gurke Reis Zwiebel . . . . Kartoifel . . . . Blumenkohl . . . Spargel Möhren Melone Champignon . . . Aepfel (incl. Kerne) Eoggenmehl . . . Rettig Teltower Rübchen . 0,2 0,3 0,6 0,6 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,0 1,1 1,4 1,5 1,6 1,6 1,S 13 13 91 96 13 86 75 91 94 89 90 91 85 14 87 82 Reismehl . . . , Weizenmehl, feines Reis Roggenraehl . . . Roggen . . . . Weizen . . . . Mais Kartoffeln . . . . Haselnuss . . . . Linsen Bohnen . . . . Zwiebel . . . . Gerste Erbsen Wallnuss . . . . Steinpilz . . . . 0,2 0,4 0,7 1,8 2,4 2,9 2,9 3,1 3,4 4,1 4,1 5 6,2 6,4 6,5 6,6 1) G. Meter, Zeitschr. f. Biol. Bd. 7. S. 32 und 33. 1871. Vergl. auch Rübner, Zeitschr. f. Biol. Bd. 19. S. 45. 1883. 2) VoiT, Sitzungsber. d. bayr. Akad. 1 869 December. 3) Durchschnittswerthe, dem bereits citirten Werke von König entnommen. Bedeutung der Holzfaser. i ( Procentgehalt der Nahrungsmittel im natürlichen, Procentgehalt der trockenen ■wasserhaltigen Zustande an Holzfaser Nahrungsmittel an Holzfaser Cellulose Wasser Cellulose Kohl Gartenerbsen, grün, unreif Roggen Schwarzwurzel (Scorzonera) Erdbeeren Mais Weizen Erbsen Meerrettig Linsen Haselnuss Bohnen Weintraube (incl. Kerne) Birnen (incl. Kerne) . . Gerste Wallnuss Mandeln Himbeeren 1,8 1,9 2,0 2,3 2,3 2,5 2,5 2,6 2,8 3,0 3,3 3,6 3,6 4,3 5,3 6,2 6,6 6,7 90 78 15 80 88 13 14 15 77 12 3,8 14 78 83 14 4,7 5,4 86 Mandeln . . . Spinat .... Gartenerbsen, grün, Möhren . . . Aepfel .... Teltower Rübchen Schwarzwurzel . Rettig . . Meerrettig Blumenkohl Gurke , . Champignon Spargel Kohl . . Erdbeeren Melone . . Birnen . . Himbeeren 6,9 8,1 8,7 8,8 10 10 12 12 12 13 14 16 17 18 19 22 25 47 Ueber die Menge der Kohlehydrate und Fette, deren wir zu unserer täglichen Ernährung bedürfen, lässt sich keine Norm auf- stellen, da dieselben sowohl unter einander als auch durch das Ei- weiss vertretbar sind. Die Erfahrung hat gezeigt, dass arbeitende Menschen, die sich genügende Nahrung verschaffen können, täglich 50—200 Grm. Fett und 300—800 Grm. Kohlehydrate neben 100 bis 150 Grm. Eiweiss verzehren. Ein Blick auf die Tabellen V und VI (S. 69) zeigt uns, wie wir auf die verschiedenste Weise eine solche Nahrung combiniren können. Die Nahrung wird um so reicher an Kohlehydraten sein müssen, je angestrengter die Muskelarbeit, und um so reicher an Fett, je niedriger die Temperatur der Umgebung. Keisende im hohen Norden berichten übereinstimmend, dass sie sehr bald die Gewohnheit der nordischen Naturvölker acceptirt haben, täg- ich mit Behagen ein paar Pfund Butter oder Thran zu verzehren, und dass der frühere Widerwille gegen grosse Fettmengen sich sofort wieder einstellte, sobald sie in wärmere Zonen zurückkehrten. Die Neger auf den Plantagen der Tropenländer dagegen geniessen bei der schwer- sten Muskelarbeit eine an Fetten arme, aber an Kohlehydraten sehr reiche Nahrung. Sechste Vorlesung. Die organischen Naiirungsstoffe. Schluss: Die organischen Phosphor- und Eisenverbindungen. In unseren bisherigen Betrachtungen haben wir diejenigen orga- nischen Stoffe kennen gelernt, welche nach der gegenwärtigen Lehre der Physiologie für die Ernährung des Menschen erforderlich sind. Die Zahl derselben ist aber wahrscheinlich weit grösser. Zu den unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffen des Menschen gehören vielleicht noch gewisse PhosphorverMndungen. In allen thierischen und pflanzlichen Geweben, in jeder Zelle finden sich zwei complicirte organische Verbindungen, die sehr reich an Phosphor sind, die Lecithine und die Nucleine. Die Lecithine sind Verbindungen, die wir uns entstanden denken können durch Vereinigung eines Moleküls Glycerin mit zwei Molekülen Fettsäure (Stearinsäure, Palmitinsäure oder Oelsäure), einem Molekül Phosphorsäure und einem Molekül Cholin unter Austritt von vier Molekülen Wasser. •) Das Cholin ist eine Ammoniumbase, deren Constitution genau bekannt ist. Beim Erhitzen spaltet es sich in Glykol (Aethylenalkohol) und Trimethylamin. Der Spaltung entspricht die Synthese: Wurtz ■■^) stellte es dar durch Einwirkung von Aethylenoxyd und Wasser auf Trimethylamin. Wir müssen deshalb dem Cholin die Formel geben : H3C\^ CH2-CH2-OH HsC-^NC HsC-^ "^ OH 1) Siehe DiAKONOw, Centralblatt für die med. Wissensch. 1868. Nr. 1, 7, 28. Hoppe-Seylee, Med. ehem. Unt. Hft. 2. S. 221. 1867 und Hft 3. S. 405. 1868. Strecker, Ann. Chem. Pharm. Bd. 148. S. 77. 1868. Hundeshagen, „Zur Synthese des Lecithins". Inaug.-Diss. Leipzig 1883. E. Gilson, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 12. S. 585. 1888. 2) WuRTz, Ann. Chem. Pharm. Suppl. 6. S. 116u. 197. 1868. Compt. rend. T. 65. p. 1015. 1867 und T. 66. p. 772. 186S. Vergl. Baeyee, Ann. Chem. Pharm. Bd. 140. S. 306. 1866 und Bd. 142. S. 322. 1867. Die organischen Nahrungsstoffe. Lecithin. 79 Im Thierreiche ist das Cholin bisher nur als Lecithin aufgefun- den worden. Es wurde zuerst von Strecker 'j aus der lecithinhal- tigen Galle dargestellt und deshalb Cholin genannt. Liebreich -j fand es unter den Zersetzungsprodueten der phosphorhaltigen Verbindungen aus der Nervensubstanz (Gehirn). Diakonow zeigte, dass es ein Spal- tungsproduct des Lecithin sei. In den Geweben der Pflanzen findet sich das Cholin nicht blos als Lecithin, sondern auch in anderen Ver- bindungen. In den Senfsamen findet sich ein Alkaloid, das Sinapin, welches beim Kochen mit Alkalien in Sinapinsäure und Cholin zer- fällt. Aus dem Fliegenpilze (Amanita muscaria) stellten Schmiedeberg und seine Schüler-^) zwei Alkaloide dar, das Amanitin und das Muskarin, von denen das erstere mit dem Cholin als identisch sich herausstellte. Das letztere, ein heftiges Gift, unterschied sich von dem ersteren nur durch einen Mehrgehalt von einem Atom Sauerstoff, und in der That gelang es, durch Einwirkung von rauchender Salpeter- säure auf Cholin — sowohl das aus Fliegenpilzen als auch das aus dem Lecithin des Gehirns oder des Eidotters als auch das synthe- tisch dargestellte — ein um ein Atom Sauerstoff reicheres Alkaloid darzustellen, welches ähnliche Giftwirkungen zeigte, wie das Muska- rin, insbesondere dieselbe Wirkung auf das Herz. — Diese nahe Be- ziehung einer in jeder thierischen und pflanzlichen Zelle enthaltenen Substanz zu einem so heftigen Gifte ist eine Thatsache von hohem Interesse. Nach neueren Untersuchungen von Boehm^) ist indessen das durch Oxj^dation des Cholin künstlich dargestellte Muskarin mit dem im Fliegenpilze vorkommenden nicht identisch, sondern isomer: die pharmakologische Wirkung zeigt Verschiedenheiten. Das Cholin fand Boehm auch in anderen Pilzen und stellte es in grosser Menge aus den Pressrückständen der Baumwollensamen und Bucheckern dar. Die Lecithine haben mit den Fetten, denen sie in ihrer Zusam- mensetzung so nahe stehen, die Löslichkeit in Alkohol und Aether gemeinsam; auch sind sie mit Fetten in jedem Verhältniss misch- bar; zugleich aber haben sie die Fähigkeit, in Wasser schleimig zu quellen. Dadurch scheinen sie ganz besonders geeignet, die Einwir- kung der in Wasser gelösten Stoffe auf die unlöslichen zu vermitteln 1) Strecker. Ann. Cbem. Pharm. Bd. 123. S. 353. 1862. Bd. 148. S. 76. 1868. 2) Liebreich, Ann. Chem. Pharm. Bd. 134. S. 29. 1865. 3) Schmiedeberg und Koppe, Das Muskarin, das giftige Alkaloid des Fliegen- pilzes. Leipzig 1869. E. Harnack, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmokol. Bd. IV. S. 168. 1875. Schmiedeberg und Harnack, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. VL S. 101. 1876. 4) Boehm, Arch. f. exper. Pathol, u. Pharmakol. Bd. 19. S. 87. 1S85. 80 Sechste Vorlesung. und an den verschiedensten chemischen Processen in den Geweben sich zu betheiligen. Vorläufig aber wissen wir über die Bedeu- tung, welche den Lecithinen bei irgend welchen Lebensfunctionen zukommen könnte, noch absolut nichts. Eine Frage, die uns zunächst interessiren muss, ist die, ob die Lecithine unserer Gewebe aus den Lecithinen der Nahrung oder durch Synthese aus anderem Material — etwa aus Fett, Eiweiss und Phos- phorsäure — entstehen. Durch Versuche in Hoppe-Seyler's Labo- ratorium') wurde festgestellt, dass bei der künstlichen Pankreasver- dauung die Lecithine leicht unter Wasseraufnahme in Glycerinphos- phorsäure, Fettsäuren und Cholin zerfallen. Ob dieser Zerfall bei der normalen Verdauung ein vollständiger ist, oder ob ein Theil un- zersetzt resorbirt wird und wie gross dieser Theil ist, ob nur das unzersetzt Resorbirte beim Aufbau der Gewebe verwerthet werden kann, oder ob auch die resorbirten Spaltungsproducte wieder zur Vereinigung gelangen, ob schliesslich auch aus anderem Material Le- cithin sich bilden könne — darüber wissen wir noch nichts. Die Re- sorption des Lecithins oder seiner Spaltungsproducte ist jedenfalls eine vollständige: in den Fäces lässt sich weder Lecithin noch Gly- cerinphosphorsäure nachweisen. — Für die Uuentbehrlichkeit der Lecithine in der Nahrung scheint ihr Vorkommen in der Milch-) zu sprechen. Mit dem gemeinsamen Namen Nucleine^) hat man eine grosse Zahl sehr verschiedener organischer Phosphorverbindungen bezeich- net, welche in allen thierischen und pflanzlichen Geweben sich finden, besonders reichlich in den Kernen der Zellen. Die Nucleine sind noch wenig studirt, und wir haben keine Garantie dafür, dass die bisher dargestellten reine Substanzen, chemische Individuen gewesen sind. Alle Nucleine haben mit einander gemeinsam die Unlöslicbkeit in Alkohol, Aether, Wasser und verdünnten Mineralsäuren und die 1) A. BÖKAY, Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. I. S. 157. 1877. 2) ToLMATscHEFF, Med. ehem. Untersuchungen von Hoppe-Seyler. Heft 2. S. 272. 1867. 3) Die Nucleine wurden von Miescher zuerst in den Kernen der Eiter- körpercheu, darauf im Eidotter und Lachssperma entdeckt und untersucht. Med. ehem. Untersuchungen, herausgegeben von Hoppe-Seyler, Heft 4. S. 441 und 502. 1871. Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Basel. Bd. G. S. 138. 1874. Die eingehendsten Untersuchungen über die Nucleine aus neuester Zeit verdanken wir Kossel, Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 3. S. 284. 1879. Bd. 4. S. 290. 1880. Bd. 5. S. 152 und 267. 1881. „Untersuchungen über die Nucleine." Strassburg 1881. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 6. S. 422. 1882. Bd. 7. S. 7. 1882. Bd. 10. S. 250. 1886. Bd. 12. S. 241. 1888. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1891. S. 181. Die organischen Nahrungsstoffe. Nucle'ine. 81 Löslichkeit in Alkalieo. Aus allen spaltet sich der Phosphor als Phosphorsäure ab beim Kochen mit Wasser, rascher beim Kochen mit Alkalien oder Säuren. Die organischen Stoffe aber, die mit der Phosphorsäure gepaart sind, scheinen sehr verschiedener Natur zu sein und sind noch wenig untersucht. Die meisten Nucleme sind Ei- weissverbindungen, einige indessen auch eiweissfrei. Viele liefern bei ihrer Spaltung Xanthin, Hypoxanthin, Guanin und Adeniu, stickstoflf- reiche krystallinische Verbindungen, auf welche wir in der Chemie des Harnes näher eingehen wollen. Die bisher dargestellten Nuclein- präparate enthielten 3,2 — 9, 6^/0 Phosphor. Von den Eiweisskörpern — mit denen die Nucleine ähnliche Löslichkeitsverhältnisse zeigen und meist in denselben Gewebsele- menten vereinigt sich finden — lassen sie sich durch künstliche Ma- genverdauung (Vorles. 9 u. 10) trennen: die Eiweisskörper werden peptonisirt, die Nucleine dagegen nur schwer vom Magensafte an- gegriffen. Es scheint, dass die Nucleine meist nicht im freien Zu- stande in den Geweben vorkommen, sondern als Verbindungen mit Eiweiss — „Nucleoalburaine" — vielleicht auch mit Lecithin — und dass sie erst durch die Magenverdauung aus diesen Verbindungen sich abspalten. Ueber die Bedeutung der Nucleine für irgend welche Lebens - functionen wissen wir nichts. Die wichtige Frage, ob die Nucleine unserer Gewebe aus den Nucleinen der Nahrung entstehen, ob somit die Nucleine zu unseren unentbehrlichen Nahrungsstoffen gehören, oder ob die Nucleine in unserem Körper durch Synthese sich bilden, ist ebenso wenig ent- schieden, wie die Frage nach der Enstehungsweise der Lecithine. Für die erstere Annahme scheint das Vorkommen der Nucle'ine in der Milch ') zu sprechen. Für die andere Annahme spricht die ge- ringe Verdaulichkeit der Nucleine. In Hoppe- Seyler's Laboratorium angestellte Versuche -) ergaben, dass das Nucle'in bei der künstlichen Pankreasverdauung ebenso wenig angegriffen wird, wie bei der künst- lichen Magenverdauung. In den Fäces von Hunden liess sich reich- lich Nucle'in nachweisen. Eine quantitativ vergleichende Bestim- mung des Nucleins in der Nahrung und in den Fäces ist jedoch bis- 1) Das Nucle'in wurde als Bestandtheil der Milch von Lubavin nachge- wiesen. Hoppe-Seylee's Med. ehem. ünt. Hft. 4. S. 463. 1871. Ber. d. deutsch, ehem. Ges. Bd. 10. S. 2237. 1877 und Bd. 12. S. 1021. 1879. Hammaksten zeigte, dass das Nucle'in als „Nucleoalbumin" in der Milch enthalten ist. Zeitschr. für physiol. Chem. Bd 7. S. 227. 1883. 2) BoKAT, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 1. S. 157. 1877. Bunge, Phys. Chemie. 3. Autlage. 0 82 Sechste Vorlesung. her noch nicht ausgeführt worden. Deshalb wissen wir noch nicht, ob die Nucleine absolut unverdaulich sind oder ob ein Theil resor- birt wird und wie gross dieser Theil ist. Für die Entstehung der Nucleine sowohl als auch der Lecithine durch Synthese im Thierkörper spricht die folgende Beobachtung, welche Mieschek ') am Rheinlachs angestellt hat. Die Lachse wan- dern alljährlich vom Meere aus stromaufwärts, um im Oberrhein zu laichen. Der Eierstock wächst während dieser Wanderung von 0,4 auf 19 — 27 o/o des Körpergewichtes. Die Wanderung dauert 4 — 14 Monate. Während dieser ganzen Zeit nehmen die Thiere keine Nah- rung auf; der Verdauungscanal wird stets leer gefunden. Das Mate- rial zur Bildung der Eierstöcke kann daher nur von der Körpermus- culatur geliefert werden, welche die Hauptmasse des Körpergewichtes ausmacht. Miescher zeigte durch vergleichende Bestimmungen an Exemplaren mit gleich langer Wirbelsäule, dass die Muskeln in dem Maasse schwinden, als die Ovarien sich entwickeln und dass der grosse Seitenrumpfmuskel allein an Masse und an Eiweissgehalt hin- länglich abnimmt, um die Zunahme des Ovariums zu decken. Die Eier sind nun sehr reich an Nuclei'n und Lecithin, der Muskel da- gegen arm an diesen Verbindungen. Wohl aber findet sich im Muskel reichlich Phosphorsäure in anderer Form, vielleicht als Kalisalz an die Eiweisskörper locker gebunden. Miescher schliesst daraus, dass „aus dem Eiweiss, dem Fett und den phosphorsauren Salzen der Muskeln durch die eingreifendsten chemischen Umlagerungen die neuen für das Ei charakteristischen Combinationen entstehen". Zu den unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffen des Men- schen gehört vielleicht auch das Cholesterin. Das Cholesterin ist wie die Lecithine und Nucleine ein normaler Bestaudtheil aller pflanz- lichen und thierischen Gewebe und der Milch.'-) Auch vom Chole- sterin wissen wir nicht, ob es nur in der Pflanze gebildet und mit der Pflanzennahrung direct (beim Pflanzenfresser) oder indirect (beim Fleischfresser) in den Thierkörper gelangt, oder ob es auch aus an- derem Material im Thierkörper sich bildet. Das Cholesterin hat mit den Lecithinen und Fetten die Unlöslichkeit in Wasser, Löslichkeit in Aether und Alkohol gemein, unterscheidet sich aber durch die Un- 1) MiEsCHEE, „Statistische und biologische Beiträge zur Kenntniss vom Leben des Rheinlachses." Separatabdruck aus der schweizerischen Literatursammlung zur internationalen Fischerei-Ausstellung in Berlin 1880. S. 183 und Archiv für Anat. u. Physiol. 1881. Anatom. Abth. S. 193. 2) ToLMATscHEFF , Med. ehem. Unt. von Hoppe-Seyler Hft. 2. S. 272. 1867 und Schmidt-Mülheim, Pflüger's Archiv. Bd. 30. S. 384. 1883. Die organischen Nahrungsstoflfe. Cholesterin. Eisenverbindungen. 83 löslichkeit in siedender Kalilauge: es kann nicht „verseift" werden, denn es ist keine ätherartige Verbindung, sondern ein einwerthiger Alkohol von der Zusammensetzung: C25H4iOH-f-H20. Die chemische Constitution dieser Verbindung ist nicht bekannt. Ueber die p h y- siologische Bedeutung des Cholesterins wissen wir noch nichts. Zu den unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffen des Men- schen gehören schliesslich gewisse EisenTerbiiidungen. Unser Körper enthält eine nicht unbedeutende Menge Eisen, Durch Einäschern ganzer Thiere habe ich folgende Eisenmengen — auf 1 Kgrm. des Körpergewichtes berechnet — gefunden ') : Junges Kaninchen, 14 Tage alt . . . 0,044 Grm. Fe Junge Katze, 19 Tage alt .... 0,047 = = Nehmen wir denselben Eisengehalt für den menschlichen Organis- mus an, so berechnet sich für ein Körpergewicht von 70 Kgrm. eine Eisenmenge von 3,1 bis 3,3 Grm. Von diesem Eisen ist in unserem Körper der grösste Theil als complicirte organische Ver- bindung, als Hämoglobin, im Blute enthalten: unser Körper ent- hält nach Bischoff's "-) Bestimmung 7,1 bis 7,7 "/o Blut und das Blut nach C. Schmidt ^j 0,049 bis 0,051 "/o Fe und zwar fast ausschliess- lich als Hämoglobin. Die Menge anderer Eisenverbindungen im Blute ist verhältnissmässig sehr gering. Daraus berechnet sich die Menge des Eisens im Blute eines 70 Kgrm. wiegenden Menschen auf 2,4 bis 2,7 Grm. Wir müssen uns die Frage vorlegen: woraus bildet sich das Hä- moglobin des Blutes? In der Nahrung der meisten Wirbelthiere ist Hämoglobin nicht enthalten. Dasselbe fehlt vollständig in der Nah- rung aller Pflanzenfresser. Es fehlt ferner in der Nahrung derjenigen Fleischfresser, die von wirbellosen Thieren sich nähren. Nur in eini- gen wenigen Wirbellosen finden sich geringe Mengen Hämoglobin.^) Es sind also fast ausschliesslich die von Wirbelthieren sich nährenden Raubthiere, welche Hämoglobin in ihren Verdauungscanal einführen. Aber auch bei diesen wird das Hämoglobin des Blutes wahrschein- lich nicht aus dem Hämoglobin der Nahrung gebildet. Das Hämo- globin zerfällt rasch durch die Einwirkung der Verdauungsfermente, 1) Bunge, Zeitschr. f. ßiolog. Bd. 10. S. 319— 323. 1874. 2) Th. L. W. Bischoff, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. 7. S. 331. 1855 und Bd. 9. S. 65. 1857. 3) C. Schmidt, Charakteristik der epidemischen Cholera. Leipzig und Mitau 1850. S. 30 u. 33. 4) E. Ray Lankester, Pfiuger's Archiv. Bd. 4. S. 315. 1871 und Proceedings of Royal Soc. N. 21. p. 70. 1872. 6* 84 Sechste Vorlesung. das Eisen spaltet sich als Hämatin ab, und ob von dem Humatin ein Theil zur Resorption gelangt, wissen wir nicht; es sind bisher keine quantitativen Versuche zur Entscheidung dieser Frage angestellt worden. Jedenfalls erscheint nach Aufnahme hämoglobinreicher Nah- rung Hämatin reichlich in den Fäces, Woraus bildet sich also das Hämoglobin? Da man in der Asche aller Nahrungsmittel anorganische Eisen- salze fand, so nahm man an, das Eisen sei als Salz in unserer Nahrung enthalten, und lehrte, das Hämoglobin entstehe durch Synthese aus Eisensalzen und Eiweiss. In dieser Meinung wurde man bestärkt durch die Erfolge, welche man bei der Behandlung der Chlorose mit an- organischen Eisenpräparaten zu erzielen glaubte. Ein Beweis für die Wirksamkeit des Eisens gegen Chlorose, welcher den Anforderungen der Wissenschaft genügte, ist bisher nicht erbracht worden. Die Chlorose ist bekanntlich ein Leiden, welches häufig auch ohne ärztliches Zuthun schwindet. Ein Beweis dafür, dass durch Darreichung von Eisenpräparaten derHäraoglobinmangel rascher beseitigt werde, könnte nur auf statistischem Wege geführt werden. M Ein zuverlässiges und ausreichendes statistisches Material aber ist bisher nicht gesammelt worden. Auch wäre das Sammeln mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft, da dieses Leiden nur selten in Krankenhäusern behandelt wird. In neuester Zeit hat man geglaubt, den Nachweis eines Causalzusammenhanges zwischen der Aufnahme von Eisenpräparaten und der vermehrten Hämoglobinbil- dung dadurch exacter führen zu können, dass man Zählungen der Blutkörperchen vor und nach der Darreichung des Eisens ausführte oder photometrisch den Hämoglobingehalt im Blute bestimmte. Aber man vergisst, dass man auf diesem Wege doch gleichfalls immer nur das post hoc, niemals das propter hoc beweisen kann.-} Das post hoc Ij Man lese hierüber C. Liebekmeister, „üeber Wahrscheinlichkeitsrech- nung in Anwendung auf therapeutische Statistik" in R. Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge. Nr. 110. 1877. Ed. Hagenbach-Bischofp, Die Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die therapeutische Statistik und die Statistik überhaupt. Verhandl. d. naturforschenden Ges. in Basel. Th. 6. Hft. 3. S. 516. 1878. A. FicK, Medicinische Physik. Braunschweig 1885. Anhang: Ueber Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf medicinische Statistik. 2) Es ist ferner zu bedenken, dass durch Bestimmungen des Hämoglobingehal- tes in der Volumeinheit des Blutes niemals Zu- oder Abnahmen der absoluten Hämoglobinmengen im Gesammtblut sich feststellen lassen. Bei gleicher ab- soluter Menge der Blutkörperchen kann ihre Menge in der Volumeinheit des Blutes eine sehr verschiedene sein, weil der Inhalt des gesammten Gefässsystems beständig sehr grossen Schwankungen unterworfen ist, wobei ein Theil des Plasma aus dem Blutgefässsystem in die Lymphräume und wieder zurückfliesst. Das Die organischen Nahrungsstoffe. Chlorose. Resorption des Eisens. 85 lässt sich weit besser und einfacher an der zunehmenden Röthung der Wangen, Ohren und Schleimhäute erkennen. Das propter hoc ist nur statistisch zu beweisen. Dieser Beweis ist bisher nicht geliefert worden. Indessen ist es doch beachtenswerth, dass es sehr wenige Heil- mittel giebt, an deren Wirksamkeit fast alle Aerzte so felsenfest glauben, wie an die Wirkung des Eisens gegen Chlorose. Auch ist das Eisen keines von den Mitteln, welche heute empfohlen, morgen allgemein gepriesen und nach zwei Jahren wieder vergessen sind. Der Gebrauch des Eisens ist so alt als die Geschichte der Medicin. Die skeptischsten Aerzte, die den Werth aller anderen Heilmittel be- zweifeln — sie glauben wenigstens an das Eisen. Sie versichern uns, die Chlorose, die oft ein so hartnäckiges Leiden sei, weiche fast aus- nahmslos in wenigen Wochen einer dreisten Eisenbehandlung.^ Wenn wir einen Causalzusammenhang zwischen der Darreichung von Eisenpräparaten und der Vermehrung des Hämoglobin bei der Chlorose zugeben, so bleibt doch die Frage immer noch offen: ist der Zusammenhang wirklich ein so directer und einfacher, wie man gewöhnlich annimmt? Liefern die Eisenpräparate wirklich das Ma- terial zur Hämoglobinbildung? Oder wirkt das Eisen vielleicht in irgend einer anderen Weise — nur indirect — fördernd auf die Hämo- globinbildung oder hemmend auf die Hämoglobinzerstörung? Gegen die Annahme, dass die Eisenpräparate als Material zur Hämoglobinbildung verwerthet werden, lassen sich folgende Einwände erheben. Erstens wissen wir nicht, ob die anorganischen Eisenpräparate überhaupt resorbirt werden. Die sorgfältigsten Untersuchungen zur Entscheidung dieser Frage hat Hamburgee -) an einem Hunde an- relative Verhältniss der Blutkörperchen zum Plasma kann sich ändern, ohne dass die absolute Menge der Blutkörperchen im Gesammtblute sich ändert. Vergl. Andreesen , üeber die Ursachen der Schwankungen im Verhältniss der rothen Blutkörperchen zum Plasma. Diss. Dorpat 1883. 1 ) Die Möglichkeit ist unbedingt zuzugeben, dass ein vorurtheilsfreier Mensch mit gutem Gedächtniss ein reiches statistisches Material sammeln und einen logisch richtigen Schluss daraus ziehen kann, ohne je schriftlich ein statistisches Pro- tokoll aufzunehmen. Tausend und aber tausend Erfahrungen auf anderen prak- tischen Gebieten, die es gleichfalls mit verwickelten Lebenserscheinungen zu thun haben — in der Landwirthschaft, im Gartenbau, der Viehzucht, Jagd, Fischerei — sind thatsächlich auf diesem Wege gewonnen und nachträglich durch die Wissen- schaft bestätigt worden. Auf der anderen Seite aber sind wir in der Wissenschaft vollkommen berechtigt, keinen Schluss zu acceptiren , so lange uns das Material nicht vorgelegt wird, aus welchem der Schluss sich ziehen lässt. 2) E. W. Hamburger, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 2. S. 191. 1878. 86 Sechste Vorlesung. gestellt. Dem Thiere war zuvor eine Gallenfistel angelegt worden. Leider aber „musste der Versuch, die Galle zu sammeln, aufgegeben werden, weil die Galle nur zeitweilig ausfloss und die Fäces nicht gallenfrei wurden." Der 8 Kgrm. schwere Hund bekam täglich 300 Grm. Fleisch, welche 15 Mgrm. Fe enthielten. Während des ganzen Ver- suches, welcher 12 Tage dauerte, hatte der Hund also 180 Mgrm. Fe aufgenommen. Davon erschienen im Harn 38,4, im Kothe 136,3 und in der Galle 1,8, zusammen .176,5 Mgrm. Darauf wurden an den folgenden 9 Tagen zu derselben Nahrung täglich 49 Mgrm. Fe als Eisenvitriol hinzugefügt. Auf diese 9 Tage folgten wiederum 4 Tage, an denen nur das frühere Quantum Fleisch gereicht wurde. Es waren also an den 13 Tagen aufgenommen worden im Fleisch 195 Mgrm., im Eisenvitriol 441, zusammen 636. Ausgeschieden wurden im Harn 58,4, im Kothe 549,2, in der Galle 0,8, zusammen 608,4. Die Mehrausscheidung im Harn ist sehr unbedeutend. Vor der Aufnahme von Eisenvitriol betrug an den letzten 6 Tagen die tägliche durchscimütliche Eisenuvsscheidmuj im Harn 3ß Mgrm. Diese Menge blieb nach der Eingabe von Eisenvitriol in den ersten 5 Tagen unver- ändert. An den folgenden 6 Tagen stieg sie ein wenig, täglich im Durchschnitt um 2 Mgrm., im Ganzen also um 12 Mgrm. und sank dann wieder auf die Norm zurück. Bei einem zweiten in derselben Weise angestellten Versuche hatte Hamburger ein ganz ähnliches Resultat. Die Differenzen zwischen Einnahmen und Ausgaben berechtigen zu keinem Schlüsse; sie liegen innerhalb der Grenzen unvermeidlicher Versuchsfehler. Auch aus der geringen Mehrausscheidung im Harn lässt sich kaum mit Sicherheit irgend etwas folgern. Sehr beachtens- werth ist es, dass in beiden Versuchen die geringe Mehrausscheidung erst nach einigen Tagen eintrat. Es ist diese Thatsache vielleicht in demselben Sinne zu deuten, wie die Resultate der Untersuchungen Kobeet's 0 und Cahn's -) über die Resorption der Mangansalze, aus denen hervorgeht, dass das gesunde Darmepithel die Mangansalze nicht hindurchlässt, dass sie in den Organismus erst gelangen, wenn das Epithel angeätzt worden.-') Es scheint also, dass anorganische Eisenverbindungen gar nicht resorbirt werden.^) 1) KoEERT, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XVI. S. 378-380. 1883. 2) Cahn, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XVIII. S. 141—143. 1884. 3) Vergl. Fr. Voit, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 29. S. 396. 1893. 4) Zu dem gleichen Schlüsse war bereits vor Hamburger V. Kletzinsky ge- langt, wenn auch durch weniger genaue Versuche. Zeitschr. d. k. k Ges. d. Aerzte zw. Wien. Jahrg. 10. Bd. 2. S. 281. 1854. Die organischen Nahrungsstoffe. Resorption des Eisens. 87 Ein skeptischer Beurtheiler wird indessen mit diesem Schlüsse nicht befriedigt sein. Er wird erstens einwenden: die Eisenmenge, deren der Organismus zur Hämoglobinbildung bedarf, ist vielleicht so gering, dass sie innerhalb der Fehlergrenzen eines quantitativen Stoffwechselversuches fällt. Er wird ferner einwenden: aus der man- gelnden Mehrausscheidung des Eisens durch die Nieren lässt sich über- haupt nicht auf die Unresorbirbarkeit des Eisens schliessen ; es ist sehr wohl denkbar, dass das Eisen resorbirt, aber auf einem anderen Wege ausgeschieden worden. Die Frage nach der Resorbirbarkeit der Eisen- verbindiingen lässt sich nicht entscheiden, so lange die Vorfrage nach den Ausscheidimgswegen des Eisens nicht sicher entschieden ist. Die Menge des Eisens, die unter normalen Verhältnissen im Harn erscheint, ist stets sehr gering. Sie beträgt beim Menschen 0,5 bis 1,5 Mgrm. im 24 stündigen Harn.') Reichliche Mengen finden sich dagegen in den Fäces. Es bleibt aber unentschieden, wie viel von diesem Eisen unresorbirtes und wie viel in den Darm wieder aus- geschiedenes Eisen ist. Deshalb muss man die Eisenmenge in dem Kothe hungernder Thiere bestimmen. Bidder und Schmidt '-) fanden im täglichen Harn einer hungernden Katze 0,0014 bis 0,0017 Grm. Fe, im Kothe 6 bis 10 mal mehr. Es fragt sich: auf welchem Wege ist das Eisen in den Koth gelangt? Es ist oft behauptet worden, das Eisen gelange mit der Galle in den Darm. Ich habe mich davon nicht überzeugen können. In der Galle des Rindes, Schweines, Hundes und Menschen habe ich nach Einäscherung grosser Mengen stets nur un- wägbare Spuren Eisen gefunden. Hamburger -^ fand in der 24 stün- digen Galle mit Fleisch gefütterter Hnnde nur quantitativ nicht be- stimmbare Eisenmengen, und nach Aufnahme von Eisenvitriol in den Magen liess sich keine Vermehrung nachweisen. Von den übrigen in den Darm sich ergiessenden Secreten ist nach den bisherigen Ana- lysen der Magensaft das eisenreichste und weit eiseureicher als die Galle. Es könnte auch sein, dass das Eisen durch die Darmwand aus- geschieden wird. Werden Eisensalzlösungen ins Blut oder unter die Haut injicirt, so kommen sie an der Daimfiäche wieder zum Vorschein. Daraus folgt aber nicht, dass die als Endproducte aus dem normalen Stoff- wechsel hervorgehenden Eisenverbindungen denselben Weg einschla- gen müssen. 1) N. Damaskix, Arbeiten a. d. pharmakol. Inst, zu Dorpat. Bd. 7. S. 58. 1891. 2) Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoflwechsel. Mitau und Leipzig 1852. S. 411. 3) Hamburger, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 4. S. 248. 1880. 88 Sechste Vorlesung. Buchheim und Mayer ^) fanden wenige Stunden nach Injection von Eisensalzen in die Jugularis nüchterner Thiere die Darraschleim- haut mit eisenoxydreichem Secret bedeckt. Dieser Thatsache scheint die Beobachtung Quincke's -) zu widersprechen, welcher nach Injec- tion von milchsaurem Eisen in die Jugularis in dem nach Thiry's Methode isolirten Darmstücke (vergl. Vorles. 11) kein Eisen auftreten sah. Aber das isolirte Darmstück braucht nicht alle normalen Func- tionen bewahrt zu haben. Auch braucht die Eisenausscheidung ja nicht in allen Abschnitten des Darms vor sich zu gehen. Die neuesten Untersuchungen über die Wege, auf denen das Eisen in den Darm gelangt, hat Fritz Voit 3) angestellt. Er isolirte bei Hunden ein Stück des Dünndarms in ähnlicher Weise wie bei den Versuchen Thiry's (Vorles. 11), nur mit dem Unterschiede, dass beide Enden des isolirten und gereinigten Darmstückes zugenäht wurden, das Darmstück reponirt und die Bauchwunde geschlossen. Nachdem die Thiere 3 Wochen gelebt hatten, wurden sie getödtet und das Eisen in dem Inhalte ^) des isolirten Darmstückes bestimmt, sowie in dem Kothe, welcher von dem übrigen Darm während des Versuches gebildet worden. Es w^urde bei Fleischnahrung nahezu die gleiche Eisenmenge in dem Kothe und in dem Inhalte des aus- geschalteten Darmstückes gefunden, wenn man die Eisenmenge auf gleich grosse Darmflächen berechnete. Fügte man zur Fleischnah- rung Ferrum reductura hinzu, so stieg dadurch die Eisenmenge in dem Inhalte des isolirten Darmstückes nicht. Im besten Einklänge mit diesen Beobachtungen Voit's und Mayer's über das Eisen stehen die Beobachtungen Cahn's über das Mangan. Wurden Kaninchen Mangansalze ins Blut injicirt, so traten sie im Harn, im Magen- und Darminhalt auf und Hessen sich auch in der abgewascheneu — vom Blut durch Ausspülung der Blut- gefässe mit Kochsalzlösung befreiten — Darmwand reichlich nachweisen. Wurden dagegen lange Zeit hindurch vom Magen aus Mangansalze eingeführt, so liess sich in d er abgewaschenen Darmschleimhaut kein Mangan nachweisen und überhaupt in keinem Organe und Gewebe; es ging auch nicht in den Harn über. 1) Aug. Mayer, De ratione, qua ferrum mutetur in corpere. Dissertatio. Dorpati 1S50. 2) H. Quincke, Du Bois's Archiv. 186S. S. 150. 3) Fritz Voit, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 29. S. 325. 1893. 4) Untersuchungen des Inhaltes so isolirter Darmstücke hatten schon vor Fr. Voit Hermann (Pflüger's Arch. Bd. 4G. S. 93. lSS9j und W. Ehrenthal (ebend. Bd. 4S. S. 74. 1891) ausgeführt. Die organischen Nahrungsstoffe. Resorption des Eisens. 89 Das in der Darmwand nachgewiesene Mangan ivar also zweifel- los auf dem Wege der Ausscheidung begriffen. Bedenken wir, wie empfindlich die Methoden sind, die uns zum Nachweise des Mangans in der Asche zu Gebote stehen, so lässt sich gegen den Schlnss, dass die Mangansalze vom Darme aus nicht resorbirt werden, wohl kaum ein Einwand erheben. Leider lässt sich das Eisen auf seinen Resorptions- und Excre- tionswegen nicht mit derselben Sicherheit verfolgen, weil es einen normalen Bestandtheil aller Gewebe und Excrete bildet. Nach Injection von Eisensalzen ins Blut treten Vergiftungssym- ptome auf — Sinken des Blutdruckes, Darmerscheinungen, ähnlich den durch Arsen und Antimon hervorgerufenen, Störungen der will- kürlichen Bewegungen durch Lähmung des Centralnervensystems — .^) Ein Theil des Eisens wird durch die Nieren ausgeschieden und ver- ursacht Nierenerkrankung. -) Von alledem beobachtet man nach Ein- führung der Eisensalze in den Magen nichts. Auch diese Beobach- tung spricht für die Unresorbirbarkeit des Eisens vom Magen aus. Indessen ein Einwand — wenn er auch gesucht erscheinen mag — bleibt doch noch offen. Es wäre möglich, dass das Eisen bei der Re- sorption vom Darme aus — etwa auf dem Wege durch die Leber — in eine organische Verbindung umgewandelt würde, welche unschäd- lich ist und nicht durch die Nieren zur Ausscheidung gelangt. Eine solche Umwandlung wäre nicht ohne Analogie. Wenn also die Unresorbirbarkeit der Eisensalze noch nicht mit aller Exactheit sich beweisen lässt, so wird sie durch die angeführten Argumente doch in hohem Grade wahrscheinlich. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Resultate Hamburger's über das Eisen in demselben Sinne zu deuten sind, wie die ganz un- zweideutigen Resultate Cahn's über das Mangan. Welches Eisensalz in den Magen eingeführt wird, ist für die Resorbirbarkeit ziemlich gleichgültig, Sie werden alle im Magensafte in Chlorür und Chlorid umgewandelt. Bei der Berührung mit der Darmwand, welche stets alkalisch ist durch kohlensaures Natron, wird das Chlorid in Oxyd umgewandelt, welches durch die Anwesen- heit organischer Stoffe gelöst bleibt, das Chlorür wird in kohlen- saures Eisenoxydul umgewandelt, welches in der Kohlensäure und in den organischen Stoffen gleichfalls löslich ist. — Die Unresorbir- barkeit ist also jedenfalls nicht aus der Unlöslichkeit zu erklären. — Schliesslich werden die Eisenverbindungen unter der Einwirkung der 1) Meter und Williams, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XIII. S. 70. 1880. 2) KOBERT, 1. C. 90 Sechste Vorlesung. Schwefelverbindungen und der reducirenden Agentien — des nas- cirenden Wasserstoffes und anderer leicht oxydabler Spaltuugspro- ducte — in Schwefeleisen übergeführt und mit den Fäces ausge- schieden. Die Verbindungen der Eisenoxyde mit organischen Säuren müssen sich ganz ebenso verhalten. Zu den organischen Säuren sind auch die Eiweisskörper zu rechnen. Die Eisenalbuminate werden durch die Salzsäure des Magensaftes gleichfalls sofort unter Bildung von Eisenchlorür oder Chlorid zerlegt. ') Unsere Nahrumj muss also ganz andere Eisenverbindungen ent- halten, Verbi?idu?igen, die im Verdauungscanale nicht zerstört werden, resorbirbar sind imd das Material zur Hämoglobinbildung liefern. Um diese Vorstufen des Hämoglobin kennen zu lernen, habe ich die Eisenverbindungen des Eidotters und der Milch untersucht.-) Der Eidotter enthält kein Hämoglobin; er muss aber eine Vorstufe desselben enthalten, denn das Hämoglobin bildet sich aus seinen Be- standtheilen bei der Bebrütung, ohne dass von aussen etwas hinzu- kommt. Die Milch als ausschliessliche Nahrung des Säuglings muss gleichfalls das Material zur Blutbildung enthalten. Extrahirt man den Dotter der Hühnereier mit Alkohol und Aether, so geht kein Eisen in diese Extracte über. Alles Eisen befindet sich in dem Rückstande, welcher '/s der Trockensubstanz des Eidotters ausmacht und aus Eiweisskörpern und Nucleinen besteht. In diesem sehr eisenreichen Rückstande ist das Eisen nicht als salzartige Ver- bindung enthalten. Dieses lässt sich dadurch beweisen, dass das Eisen mit salzsäurehaltigem Alkohol nicht extrahirt werden kann. Alle salzartigen Verbindungen des Eisens mit anorganischen und orga- nischen Säuren — zu welchen letzteren auch das Eiweiss zu rechnen ist — geben an salzsäurehaltigen Alkohol sofort das Eisen ab. Der in Aether unlösliche Rückstand des Eidotters löst sich leicht in sehr verdünnter (1 p. M.) Salzsäure. Fügt man zu dieser Lösung Gerb- säure oder Salicylsäure, so entsteht ein weisser Niederschlag. Setzt man aber zu derselben Lösung nur die kleinste Spur Eisenchlorid, 1 ) Wenn es in Bezug auf die Eesorbirbarkeit gleichgültig ist, welches Eisen- präparat eingegeben wird, so hat man in der medicinischen Praxis bei der Aus- wahl der Präparate doch auf andere Umstände Rücksicht zu nehmen. Insbe- sondere wird man darauf bedacht sein müssen, die Magenschleimhaut zu schonen. Die Eisensalze wirken in saurer Lösung ätzend, nicht aber in alkalischer. Des- halb sind die Eisenpillen zu bevorzugen, bei denen das Eisen von Gummi umhüllt ist, welches erst im Darme gelöst wird, wo das Eisen auf die mit alkalischem Darmsaft benetzte Darmwand nicht mehr ätzend einwirken kann. 2) G. Bunge, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 9. S. 49. 1884. Die organ. Nahrungsstoffe. Resorption des Eisens. Organ. Eisenverbindungen. 91 schüttelt durch und fügt mm Gerbsäure oder Salicylsäure hinzu, so tritt sofort Blau- resp. Rothfärbung auf. Das Eisen ist in dem Eidotter als nucleoallniminarticje Verbindung enthalten. Bei der Verdauung des Eidotters mit künstlichem Magen- safte werden die Eiweisskörper peptonisirt und das Eisen findet sich in dem unverdaulichen, ungelösten Rückstande, dem Nuclein. 0 Aus diesem Nucle'in ist das Eisen gleichfalls durch salzsäurehaltigen Al- kohol nicht extrahirbar. An wässerige Salzsäure wird es langsam abgegeben, um so schneller, je concentrirter die Salzsäure. In Ammoniak ist das eisenhaltige Nuclein löslich. Setzt man zur ammoniakalischen Lösung etwas Ferrocyankalium und übersättigt darauf mit Salzsäure, so fällt zunächst ein weisser Niederschlag her- aus, welcher sich allmählich blau färbt, um so rascher, je grösser der Salzsäureüberschuss und je concentrirter die Salzsäure. Setzt man zur ammoniakalischen Lösung statt des Ferrocyankaliums Ferrid- cyankalium und darauf Salzsäure, so bleibt der herausfallende Nieder- schlag weiss. Das Eisen spaltet sich also als Oxyd, nicht als Oxydul aas der organischen Verbindung ab. Fügt man zu der ammoniakalischen Lösung des eisenhaltigen Nucleins einen Tropfen Schwefelammonium, so tritt anfangs keine Farbenveränderung ein: erst nach einiger Zeit beginnt eine leichte Grünfärbung, welche langsam an Intensität zunimmt, bis schliesslich am folgenden Tage die Flüssigkeit schwarz und undurchsichtig ist. Die Farbenveränderung verläuft um so rascher, je grösser die Menge des zugesetzten Schwefelammoniums. Ammoniakalische Lösungen künstlicher Eisenalbuminate geben mit Schwefelammonium die Farben- Teräuderungen fast augenblicklich. Das Eisen ist also in dem Nuclein des Eidotters fester gebunden als in den salsartigen Eisenalbuminaten, aber weit lockerer als in dem 1) Das Nuclein des Eidotters wurde zuerst von Miescher dargestellt. Der Gang der Darstellung war jedoch von dem meinigen abweichend, und ich vermuthe, dass das Eisen aus der Verbindung durch die Einwirkung der Salzsäure des Magensaftes zum grössten Theil abgespalten war. Sonst hätte die bedeutende Eisenmenge Miescher nicht entgehen können. Bei meiner Darstellung wirkte das Pepsinferment nur sehr kurze Zeit auf die Lösung der Nucleoalbuminate in sehr verdünnter Salzsäure ein. Bei Miescher's Darstellung wirkte ein 3—4 p. M. HC enthaltender Magensaft (10 Co. rauchender Salzsäure auf 1 Liter Wasser) 18 bis 24 Stunden bei 40" C auf den mit Aether und Alkohol extrahirten Eidotter ein. Bei meiner Darstellung betrug der Salzsäuregehalt nur wenig mehr als 1 p. M. und die Erwärmung auf Körpertemperatur wurde unterbrochen , sobald die Nucle'in- verbindung des Eisens als wolkige Trübung aus der Lösung sich auszuscheiden begann. (Siehe Miescher in Hoppe-Seyler's Med. ehem. Unt. S. 504 u. 454.) 92 Sechste Vorlesung. Humatin, in welchem es mit den gewöhnlichen Reagenlien nicht nach- weisbar ist. Die Elementaranalyse des eisenhaltigen Nuclein ergab folgende Zusammensetzung : Diese Verbindung ist ohne Zweifel die Vorstufe des Hämoglobins. Denn andere Eisenverbindungen sind in erheblicher Menge 'im Ei- dotter nicht enthalten. Ich habe deshalb für diese Verbindung den Namen Hämatogen (Bluterzeuger) vorgeschlagen. ') Denkt man sich den Phosphor als Phosphorsäure aus dem Hämatogen abgespalten, so bleibt ein Molekül zurück, welches denselben Eisengehalt hat wie das Hämoglobin. Das Hämoglobin des Hühnerblutes enthält 0,34 % Fe. 2) Nach derselben Methode, nach welcher ich aus Hühnereiern das Hämatogen dargestellt hatte, wurde in Kossel's Laboratorium •^) eine ganz ähnliche Verbindung aus Karpfeneiern gewonnen. Die Ele- mentaranalyse dieser Verbindung ergab: Präparat I. Präparat II. C 48,0 47,8 H 7,2 7,2 N 14,7 12,7 S 0,30 P 2,4 2,9 Fe 0,25 Die Eisenverbindungen der Milch zu isoliren, ist mir bisher noch nicht gelungen. Ich möchte über dieselben vorläufig nur soviel aus- sagen, dass es gleichfalls organische Verbindungen sind. Dasselbe gilt von unseren wichtigsten vegetabilischen Nahrungsmitteln, den Cerealien und Leguminosen. Auch in diesen ist das Eisen nicht als salzartige, sondern als festere organische Verbindung enthalten. Das- 1) Der Name Hämoglobinogen wäre passender, aber zu lang. Gegen den Namen Hämatogen ist eingewandt worden, dass derselbe als Adjectivum in den medicinischen Sprachgebrauch bereits eingeführt sei — „hämatogener Icterus" — . Da aber nach neueren Forschungen ein hämatogener Icterus nicht existirt, so wird auch das Wort bald entbehrlich sein. 2) A. Jaqüet, Beitr. z. Kenntniss des Blutfarbstoffes. Diss. Basel 1889. 3) G. Walter, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 15. S. 489. 1891. Die organ. Nahrungsstoffe. Resorption des Eisens. Organ. Eisenverbindungen. 93 selbe gilt wahrscheinlich ganz allgemein von allen Nahrungsmitteln der Thiere. Dass es unter diesen organischen Eisenverbindungen unserer Nah- rung welche geben muss, die resorbirbar und assimilirbar sind, ist also a priori klar. Für die Eisenverbindung des Eidotters ist es von SociN^) direct durch folgende Versuche nachgewiesen worden. SociN fütterte Mäuse mit einer künstlichen Nahrung, die keine anderen Eisenverbindungen enthielt als die des Eidotters, und sah die Thiere bei dieser Nahrung bis zu 100 Tagen leben und an Kör- pergewicht zunehmen. SociN zeigte ferner, dass im Harn von Hunden, welcher in der Norm nur Spuren von Eisen enthält, nach ausschliesslicher Fütterung mit Eidotter ganz bedeutende Eisenmengen — bis zu 12 Milligr. — auftraten. In Schmiedeberg's Laboratorium -) wurden Resorptions versuche gemacht mit einer künstlich hergestellten organischen Eisenverbin- dung, einem Eiweisskörper, welcher das Eisen in einem ähnlichen Grade der Festigkeit gebunden enthielt, wie das Hämatogen. Der Verdauungscanal eines Hundes wurde durch mehrtägige ausschliess- liche Milchnahrung und darauffolgende Verabfolgung von Glauber- salz vollständig gereinigt. Darauf wird eine gewogene Menge der künstlichen Eiweissverbindung mit genau bestimmtem Eisengehalte in den Magen eingeführt. Das Thier erhält keine Nahrung mehr und wird nach zwei Tagen getödtet. In den Fäces und im gesamm- ten Inhalte des Verdauungscanales wird das Eisen bestimmt. Es wird etwas weniger als die Hälfte des eingegebenen wiedergefunden. Be- denkt man, dass auch beim hungernden Thiere bedeutende Eisen- mengen in den Darm ausgeschieden werden, so muss man aus diesen Versuchen schliessen, dass weit mehr als die Hälfte des eingeführten Eisens resorbirt worden war. Bei einem in derselben Weise angestellten Controlversuche mit milchsaurem Eisen wurde mehr als das eingeführte Eisen im Verdauungscanale wiedergefunden. Der Controlversuch bestätigt also die erwähnten Resultate Hamburger's. Die Resorption der künstlichen Eiweissverbindung des Eisens ist ein sehr beachtenswerthes Ergebniss. Nur würde es übereilt sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass das resorbirte Eisen auch assi- 1) C. A. SociN, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 15. S. 93. 1891. 2) Pio Marfoei, Sulla preparazione artificiale di una combinatione assorbibile del ferro con l'albumina. Milane 1S92; oder Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 29. S. 212. 1892. 94 Sechste Vorlesung. railirt und zur Hämoglobinbildung verwerthet werde. Es könnten in dieser letzteren Hinsicht doch Unterschiede zwischen dem künstlichen Präparate und den Eisenverbindungen unserer Nahrung, den normalen Vorstufen des Hämoglobins, bestehen. Kehren wir nun zu der Frage nach der Wirkung des Eisens gegen Chlorose zurück. Unsere bisherigen Betrachtungen haben drei Annahmen als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen, die wir in Ein- klang bringen müssen: 1. Die anorganischen Eisenpräparate fördern die Hämoglobinbildung bei Chlorotischen. 2. Die Eisensalze werden gar nicht resorbirt. 3. Unsere Nahrung enthält nur organische Eisen- verbindungen. Es scheint mir, dass folgende Hypothese mit allen drei An- nahmen vereinbar ist und keiner Thatsache widerspricht. Wir müssen annehmen, dass durch die Eisenpräparate die organischen Eisenver- bindungen in irgend einer Weise vor der Zersetzung im Verdauungs- canale geschützt werden. Ich erwähnte bereits, dass Schwefelammo- nium allmählich das Eisen der organischen Eisenverbindung abspaltet. Schwefelalkalien bilden sich nun auch im Darme, insbesondere bei Verdauungsstörungen, welche zu den constanten Symptomen der Chlo- rose gehören. Sind aber anorganische Eisenverbindungen zugegen, so werden diese sofort den Schwefel der Schwefelalkalien binden, bevor derselbe auf die organischen Eisenverbindungen einwirken kann. Die organischen Eisenverbindungen werden vor der Zersetz- ung bewahrt und gelangen zur Resorption. Im besten Einklänge mit meiner Hypothese steht die Erfahrung der Aerzte, dass das Eisen nur gegen die typische Chlorose als wirk- sam sich erweist, nicht gegen andere Formen der Anämie. Bei allen denjenigen Formen der Anämie, bei welchen die Ursachen der ge- störten Blutbildung jenseits der Darmwand ihren Sitz haben, müssen die unresorbirbaren Eisenpräparate natürlich unwirksam sein. Zu meiner Hypothese stimmt schliesslich auch die Angabe — in welcher die meisten Aerzte einig sind — , dass das Eisen nur in grossen Dosen als wirksam sich erweist. Es sind bedeutende Eisen- mengen erforderlich, um die im Darm gebildeten Schwefelalkalien unschädlich zu machen. Als Material zur Hämoglobinbildung wür- den sehr geringe Mengen ausreichen. Indessen muss ich ausdrücklich betonen, dass ich mit meiner Hypothese nur die Art der Eisenwirkung, nicht das Wesen der Chlo- rose habe erklären wollen. Die Aetiologie der Chlorose bleibt nach wie vor völlig dunkel. Die Verdauungsstörungen brauchen keines- Die organischen Nahrungsstoife. Chlorose. 95 wegs das Prius bei der Krankheit zu sein. Virchow: ') hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei Chlorotisehen, deren Leichen zur Aut- opsie gelangen, eine mangelhafte Ausbildung des Gefässsystems, ins- besondere des Herzens und der grossen Arterienstämme sich zeigt, und ist der Ansicht, dass dieses nicht erst die Folge des Blutmangels ist, dass „es sich nicht um Atrophie, sondern um Aplasie oder ge- nauer Hypoplasie handelt". Auch die Prädisposition des weiblichen Geschlechtes in der Zeit der Pubertätsentwicklung spricht gegen die Annahme, das es sich um Störungen im Verdauungsapparate han- dele. Die Verdauungsstörungen hindern nur den Organismus, durch die ihm zu Gebote stehenden Mittel der Selbstregulirung das Leiden zu überwinden. Auch auf den HAMBURGER'schen Versuch möchte ich nun noch einmal zurückkommen. Die geringe Mehrausscheidung des Eisens durch die Nieren, welche nach der Aufnahme des Eisensulfates in den Magen beobachtet wurde, ist vielleicht gleichfalls im Sinne meiner Hypothese zu deuten. Die anorganischen Eisensalze hatten die organischen Eisenverbindungen der Fleischnahrung im Darme vor der Zersetzung geschützt. Thatsächlich erschien das Eisen im Harn nicht als anorganisches Salz, sondern in einer organischen Ver- bindung. ') 1) ViRCHOw, Ueber die Chlorose und die damit zusammenhängenden Ano- malien im Gefässapparate, insbesondere über Endocarditis puerperalis. Vortrag. Berlin 1ST2. 2) Dass das Eisen im Harn als organische Verbindung und zwar als Farb- stoff enthalten ist, hat zuerst G. Harley angegeben. Verhandlungen der physi- kalisch-chemischen Gesellschaft in Würzburg. Bd. 5. S. 1. 1855. Siebente Voiiesimg. Die anorganischen Nahrungsstoffe. Bei unseren bisherigen Betrachtungen über die Nahrungstoffe sind noch ganz unberücksichtigt geblieben die anorganischen Nahrungsstoffe: die Salze und das Wasser. Bei der Beurth eilung der Frage nach dem Bedarf des Menschen an anorganischen Salzen haben wir streng zu unterscheiden zwischen dem noch im Wachsen begriffenen und dem ausgewachse- nen Organismus. Dass der erstere zum Aufbau seines Körpers der anorganischen Salze in grosser Menge bedarf, ist a priori klar. Die Qualität und Quantität dieses Bedarfes erkennen wir am besten an der Zusammensetzung der Milch. Ein 6 — 7 Kgrm. ') schwerer mensch- licher Säugling nimmt täglich ungefähr einen Liter Milch auf. Darin sind enthalten-): K2O 0,78 Grm. NajO 0,23 = CaO 0,33 = MgO 0,06 = re203 0,004 = P2O0 0,47 = Cl 0,44 = 1) Dieses Gewicht erreicht der Säugling gewöhnlich im sechsten Monat. Ich habe für die obige Tabelle dieses Stadium gewählt, weil man dadurch zu sehr anschaulichen Zahlen gelangt. Man braucht an den Zahlen nur das Komma um eine Stelle nach rechts zu verrücken, um die Menge anorganischer Stoffe zu er- fahren, deren ein Erwachsener bedarf, unter der Voraussetzung, dass der Bedarf dem Körpergewicht proportional ist. Die so gewonnenen Zahlen haben jedoch nur einen Werth als Maximalzahlen. Die weiteren Betrachtungen (S. 102) machen es wahrscheinlich, dass der Bedarf des Erwachsenen an anorganischen Nahrungs- stoffen weit geringer ist. 2) G. Bunge, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 10. S. 316. 1S74. Die anorffanischen Nahrungsstoffe. 97 Von hohem Interesse wäre es, die Zusammensetzung der Milch- asche und der Gesammtasche des Säuglings zu vergleichen. Leider aber besitzen wir keine Analyse der Gesammtasche eines menschlichen Säuglings. Eine vergleichende Analyse der Hundemiichasche und der Gesammtasche eines saugenden, 4 Tage alten Hundes ergab die fol- genden Zahlen i), die ich mit einer Analyse der Blutasche zusammen- stelle. Ich füge auch noch die Analyse der Gesammtasche eines sau- genden jungen Kaninchens und einer saugenden jungen Katze hinzu: 100 Theile Asche enthalten Saugende junge Thiere Hunde- milch Hundeblut Hunde- blutserum Kaninchen] Hund Katze KiO 10,8 8,5 10,1 10,7 3,1 2,4 NaaO 6,0 8.2 8,3 6,1 45,6 52,1 CaO 35,0 35,8 34,1 34.4 0,9 2,1 ^IgO 2,2 1,6 1,5 1,5 0,4 0,5 Fe2Ü3 0,23 0,34 0,24 0,14 9,4 0,12 r205 41,9 39,8 40,2 37,5 13,3 5,9 Cl 4,9 7,3 7,1 12,4 35,6 47,6 Die Zusammenstellung ergiebt das überraschende Resultat, dass das Verhältniss der verschiedenen anorganischen Stoffe zu einander in der Milch fast genau dasselbe ist wie im Gesammtorganismus des Säuglings. Die Uebereinstimmung ist um so auffallender, als die quan- titative Zusammensetzung der Blutasche eine ganz und gar andere ist. Die Epithelzelle der Milchdrüse aber bezieht ihre Nahrung nicht direct aus dem Blute, sondern aus den diffundirten Bestandtheilen der Zwi- schenflüssigkeit und in dieser ist die Zusammensetzung der Asche noch weit abweichender. Dass die Milchasche etwas kalireicher und natronärmer ist als die Gesammtasche des Säuglings, lässt sich teleo- logisch erklären: das wachsende Thier wird nämlich — wie ich durch eine Reihe von Analysen gezeigt habe -) — relativ immer kalireicher und natronärmer; es hängt dies wahrscheinlich mit der relativen Zu- nahme der kalireichen Muskeln und der relativen Abnahme der natron- reichen Knorpel zusammen. Der höhere Chlorgehalt der Milch erklärt sich vielleicht daraus, dass die Chloride nicht blos zum Aufbau der Organe dienen, sondern auch zur Bereitung der Verdauungssecrete und dass die mit den Verdauungssecreten in den Darm gelangten Chloride nicht wieder vollständig resorbirt werden. Es scheint ferner, dass die Chloride auch bei der Nierensecretion eine Rolle spielen. Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels können nicht 1) Bunge, 1. c. p. 326 und Du Bois's Archiv. 1886. S. 539. 2) Bunge, 1. c. p. 324. Bunge, Phys. Chenfie. 3. Auflage. 7 98 Siebente Vorlesung. einfach als wässerige Lösung zur Ausscheidung gelangen ; es müssen stets auch Chloride mit diffundiren.^) Es spricht dafür unter Anderem die Thatsache, dass die Diuretica zugleich auch die Chlorausscheidung steigern. Die Epithehelle der Milchdrüse sammelt also ans dem ganz und gar anders zusammengesetzten Blutplasma alle anorganischen Bestand- theile genau in dem Geu'ichtsve?'hältnisse, in welchem der Säugling ihrer bedarf, um zu wachseji und dem elterlichen Organismus gleich zu iverden. Diese eine Thatsache ist hinreichend, alle bisherigen Versuche einer mechanischen Erklärung der Drüsenthätigkeit zu widerlegen. Man darf auch nicht etwa einwenden, die Milchsecretion richte sich nicht nach der Zusammensetzung des Säuglings, sondern umgekehrt, der Säugling baue seine Gewebe auf, entsprechend der Zusammen- setzung der Milch. Denn die eingeäscherten jungen Hunde waren nur 4 Tage alt, waren also bereits mit einer der Milchasche entsprechend zusammengesetzten Asche geboren. Auch finden wir eine ähnliche Zusammensetzung der Gesammtasche bereits bei den niederen Wirbel- thieren, welche keine Milchdrüsen haben. Auf einen Unterschied in der Zusammensetzung der Asche des Säuglings und der Milch muss ich jedoch noch aufmerksam machen. Er betrifi't das Eisen. Die Menge desselben ist, wie die obigen Zahlen zeigen, in der Milchasche weit geringer als in der Asche des Säuglings. Bei einer zweiten Analyse der Hundemiichasche fand ich nur 0,100/0 Fe-iOa, also weniger als Vs von dem Eisengehalt der Asche des jungen Hundes. Noch auffallender ist der Unterschied in der fol- genden Analyse, bei welcher ich einen Hund wenige Stunden nach der Geburt einäscherte, noch bevor er gesogen hatte, um die von der Milchnahrung ganz unbeeinflusste Zusammeosetzung der Asche fest- zustellen und sie mit der Zusammensetzung der Milchasche derselben Hündin zu vergleichen, von welcher das Junge stammte.'-) Das Er- gebniss war folgendes: Neugebore- ner Hund Hunde- milch Neugebore- Hunde- ner Hund | milch K20 . . . . Na-zO .... CaO ... . MgO .... 11,42 10,64 29,52 1,82 14,98 8,80 27,24 1,54 Fe203 . . . P2O5 .... Cl 0,72 39,42 8,35 0,12 34,22 16,90 1) Nur unter pathologischen Bedingungen, in gewissen fieberhaften Krank- heiten, namentlich bei der Pneumonie, fehlen bisweilen die Chloride im Harn. Siehe hierüber Vorles. 25, Schluss. 2) G. Bunge, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 13. S. 399. 1889. Die anorganischen Nahrungsstoflfe. Eisen. 99 Nur das Eisen macht eine auffallende Ausnahme von der Ueber- einstimmung in der Aschenzusammensetzung. Die Zweckmässigkeit dieser Uebereinstimmung besteht offenbar darin, dass dadurch die grösstmögliche Sparsamkeit erzielt wird. Der mütterliche Organismus giebt nichts ab, was von dem Säugling nicht verwerthet wird. Jeder üeberschuss an einem Aschenbestandtheil in der Milch könnte beim Aufbau der Gewebe des Säuglings keine Anwendung finden ; er wäre verschleudert. Diese ganze wunderbare Zweckmässigkeit scheint nun vollständig vereitelt zu sein durch den geringen Eisengehalt der Milch ! Derselbe ist 6 mal geringer als der der Asche des Säuglings. Somit scheint der mütterliche Organismus von allen anderen anorganischen Stoffen dem Säugling 6 mal so viel abzugeben, als er braucht. Nur Ve kann zum Aufbau der Organe verwerthet werden, ^e sind ver- schleudert ! Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruches ist folgende: der Säugling bekommt seilten Eisenvorrath für das Wachsthum der Organe schon bei der Geburt mit auf den Lebensweg. Die folgenden Analysen zeigen, dass der Eisengehalt des Gesammtorganismus bei der Geburt am höchsten ist und mit dem Wachsthum des Thieres allmählich ab- nimmt. Auf 1 Kgrm. des Körpergewichtes kommen: Kaninchen, gleich naeh der Geburt getödtet . . 120 Milligrm. Fe Kaninchen, 14 Tage alt 44 = - Hund, 10 Stunden alt 112 Hund, aus demselben Wurfe, 3 Tage alt .... 96 = = Hund, aus einem anderen Wurfe, 4 Tage alt . . 75 = = Katze, 4 Tage alt 69 Katze, 19 Tage alt 47 Im besten Einklänge mit diesen Zahlen stehen die folgenden Be- stimmungen') des Eisengehaltes der blutfreien Lebern eines neu- geborenen und zweier ausgewachsener Hunde. Auf 100 Gewichtstheile der bei 110 '^ C. getrockneten Leber kommen: Neugeborener Hund 391 Milligrm. Fe Ausgewachsene Hunde { o ao I Der Eisengehalt der Leber ist also beim neugeborenen Thiere 5 bis 9 mal so gross als beim ausgewachsenen. Die Zweckmässigkeit dieser Einrichtung ist vielleicht in Folgendem zu suchen: Die Assi- 1) St. Zaleski, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 10. S. 453. 1886. 100 Siebente Vorlesung. milation der organischen Eisenverbindungen ist offenbar eine sehr schwierige (vergl. Vorles. 6). Deshalb geht der mütterliche Organis- mus mit dem erworbenen Vorrath äusserst sparsam um. Das Quan- tum, welches an den Organismus des Kindes abgegeben werden muss, kann auf einem zweifachen Wege dorthin gelangen: durch die Pla- centa und durch die Milchdrüse. Der erstere Weg wird vorgezogen als der sicherere. Würde die Hauptmenge der organischen Eisen- verbindungen durch die Milchdrüse abgegeben, so könnte sie im Ver- dauuungscanale des Säuglings noch vor der Resorption ein Raub der Bacterien werden. Gelangt sie dagegen durch die Placenta in den Organismus des Kindes, so ist sie demselben definitiv gesichert. Unsere bisherigen Betrachtungen haben uns also gezeigt, wie für die Zufuhr aller anorganischen Salze zu den Geweben des Säuglings aufs Beste gesorgt ist. Wir wissen jetzt genau, welcher Salze das wachsende Säugethier bedarf, und in welcher Menge jedes einzelne zugeführt werden muss. Wir können daher jetzt an die Frage heran- treten, ob das Kind, wenn es von der Milch zu anderen Nahrungs- mitteln übergeht, auch in diesen die anorganischen Nahrungsstoffe in genügender Menge erhält. Zur Beantwortung dieser Frage stelle ich in der folgenden Tabelle die zuverlässigsten Bestimmungen der Aschenbestandtheile in den wichtigsten Nahrungsmitteln mit den Ana- lysen der Milchasche zusammen. Die Nahrungsmittel sind nach auf- steigendem Kalkgehalt geordnet: Auf 100 Gewichtstheile der 1 rockensuh stanz ' kommen: K2O IN;a20 CaO 1 MgO Fe203| l'aOs 1 Gl«) 1 1 ' Eindfleisch . . . 1,66 0,32 0,029 0,152 0,02 1,83 0,28 Weizen . . 0,62 0,06 0,065 0,24 0,026 0,94 ? Kartoffel . . 2,28 0,11 0,100 0,19 0,042 0,64 0,13 Hühnereiweiss 1,44 1,45 0,130 0,13 0,026 0,20 1,32 Erbsen . . 1,13 0,03 0,137 0,22 0,024 0,99 ? Frauenmilch 0,58 0,17 0,243 0,05 0,003 0,35 0,32 Eidotter . . 0,27 0,17 0,380 0,06 0,040 1,90 0,35 Kuhmilch . . . 1,67 1,05 1,51 0,20 0,003 1,86 1,60 Man ersieht aus der vorliegenden Tabelle, dass die übrigen Nah- rungsmittel alle anorganischen Bestandtheile in ebenso reichlicher Menge oder noch reichlicher enthalten als die Milch. Der Kalk ist der einzige anorganische Nahrungstoff, für den wir zu sorgen haben 1) Der Chlorgehalt der Cerealien und Leguminosen ist bisher niemals richtig bestimmt worden. Die gefundenen Werthe sind viel zu niedrig. Siehe hierüber Behaghel VON Adlerskron, Zeitschr. f. analyt. Chemie. Bd. 12. Hft. 4. 1873. Die anorganischen Nahrungsstoffe. Kalk. 101 bei der Auswahl der Nahrungsmittel des Kindes. Bei Ernährung mit Fleisch und Brod würde ein Kind wahrscheinlich die zum Wachs- thum seines Skeletts erforderliche Kalkmenge nicht erhalten. Reicher daran sind schon die Leguminosen. Das einzige Nahrungsmittel, wel- ches der Milch in seinem Kalkgehalte gleichkommt, ist der Eidotter. Dieser sollte daher den Kindern als Surrogat verabfolgt werden in den Fällen, wo Milch nicht zu beschaffen ist oder nicht vertragen wird. Bedeutende Kalkmengen finden sich im Brunnenwasser; wir wissen jedoch nicht, ob diese assimilirbar sind; in den Nahrungs- mitteln findet sich der Kalk an organische Stoffe gebunden. Deshalb ist es auch irrationell in Form anorganischer Verbindungen Kindern Kalk zu verordnen. Es geschieht tagtäglich in der ärztlichen Praxis, dass rachitischen Kindern ein paar Theelöffel voll Kalkwasser ver- schrieben werden. Dieses ist schon deshalb verkehrt, weil die ver- ordnete Kalkmenge viel zu gering ist. Eine gesättigte Kalklösung ent- hält weniger Kalk als die Kuhmilch! In einem Liter Kuhmilch fand ich 1,7 Grm. CaO; ein Liter Kalkwasser enthält nur 1,3 Grm. CaO. Das Wesen und die Ursachen der Rachitis sind noch völlig dunkel. Thatsache ist es, dass man künstlich durch Fütterung wach- sender junger Thiere mit kalkarmer Nahrung eine Verarmung der Knochen an Kalksalzen und eine abnorme Biegsamkeit und Brüchig- keit derselben hervorbringen kann. Auch will man bei einigen der- artigen Versuchen wirkliche Rachitis erzeugt haben mit allen charak- teristischen Erscheinungen dieser Krankheit. *) Ebenso aber ist es Thatsache, dass Kinder rachitisch erkranken, die an kalkreicher Nah- rung niemals Mangel gelitten haben. Hier liegt es nahe, zu ver- muthen, dass die Kalksalze in Folge gestörter Verdauung nicht ge- nügend resorbirt,-) oder trotz genügender Resorption in Folge abnor- mer Vorgänge in den knochenbildenden Geweben nicht assimilirt worden seien. Solange sorgfältige und zuverlässige Untersuchungen über den Stoffwechsel rachitischer Kinder, verglichen mit dem gleich- altriger und gleichgenährter gesunder nicht vorliegen, sind alle Spe- 1) Ekwin VoiT, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 16. S. 55. 1880. Dort findet sich auch die frühere Literatur zusammengestellt. Siehe ferner: A. Baginsky, Vir- chow's Arch. Bd. 87. S. 301. 1882 und Seemann, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 5. S. 1 und 152. 1882. 2) Bei den Untersuchungen über die Resorbirbarkeit der Kalkverbindungen stösst man auf dieselbe Schwierigkeit wie bei den Eisenverbindungen (siehe Vorles. 6) : der Kalk wird zum grössten Theil in den Darm ausgeschieden, nur zum kleineren Theil durch die Nieren. Siehe hierüber Fr. Voit, Zeitschr. f. Biol. Bd. 29. S. 325. 1893. Dort auch die früheren Arbeiten referirt. Vergl. ferner Rudel , Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 33. S. 80 u. 90. 1893. 102 Siebente Vorlesung. culationen über die Berechtigung der einen oder der anderen Theorie völlig fruchtlos. Ebensowenig wie für die Entstehung der Rachitis ist es für die Entstehung der Osteom alacie trotz mehrfacher exeprimenteller Untersuchungen bisher gelungen eine befriedigende Erklärung zu finden, i) Die vorgelegte Tabelle zeigt uns ferner, dass die Milch 7 bis 14mal weniger Eisen enthält als die übrigen Nahrungsmittel. Dieses mussten wir erwarten. Unsere Betrachtungen über den hohen Eisen- gehalt des Neugeborenen haben uns bereits gelehrt, dass die Eisen- menge der Milch für das Wachstum der Organe nicht ausreicht. Es ergiebt sich daraus die praktisch wichtige Erkenntniss, dass in der Nahrung von Kindern nach der Säuglingsperiode und in der Nahrung von Blutarmen die Milch nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Die Hauptnahrung muss viel eisenreicher sein. Die vorgelegte Tabelle zeigt uns schliesslich, dass die Kuhmilch im Verhältnisse zu den organischen Nahrungsstoffen weit reicher ist an anorganischen Salzen als die Menschenmilch. Dieses erklärt sich teleologisch daraus, dass das Kalb weit rascher wächst als der menschliche Säugling. Es wird dadurch wahrscheinlich, dass der ausgewachsene Organismus mit sehr geringen Salzmengen sich er- halten könnte. Was den ausgewachsenen Organismus betrifft, so ist a priori überhaupt nicht einzusehen, wozu er der beständigen Zufuhr von Salzen bedarf. Die Bedeutung der anorganischen Salze ist eine ganz und gar andere als die der organischen Nahrungsstoffe. Die letzteren dienen uns als Kraftquelle; es werden chemische Spann- kräfte mit ihnen in unsere Gewebe eingeführt, welche bei ihrer Spaltung und. Oxydation in alle diejenigen Formen der lebendigen Kraft sich umsetzen, welche das unseren Sinnen erkennbare Leben ausmachen. Die organischen Nahrungsstoffe nützen uns also gerade durch ihre Zersetzung. Die Nothwendigkeit ihrer beständigen Er- neuerung ist nicht blos ein Erfahrungssatz : sie ist auch a priori un- mittelbar einleuchtend. Ganz anders die anorganischen Salze. Diese sind bereits gesättigte Sauerstoffverbindungen oder Chloride, die gleichfalls keine Verwandtschaft zum Sauerstoff besitzen. Es kön- nen durch ihren Zerfall und ihre Oxydation keine Kräfte im Körper frei werden; sie können in keiner Weise abgenutzt und unbrauch- bar werden. Wozu also die Erneuerung? — Auch das Wasser ver- hält sich anders als die Salze. Das Wasser dient zur Ausscheidung 1) H. Stilling und J. von Mering, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1889. S. 803. L. Gelpke, „Die Osteomalacie im Ergolzthale." Basel 1891. Die anorganischen Kahrungsstofife. Sake. 103 der Endproducte des Stoffwechsels. Die Nieren können die Stick- stoffverbindungen nur in wässeriger Lösung absondern. Die Diffusion der Gase in der Lunge ist nur möglich, so lange die Lungenober- fläche feucht ist. Die Exspirationsluft ist mit Wasserdampf gesättigt. Die Wasserverdunstung an der Hautoberfläche spielt die wichtigste Rolle bei der Wärmeregulirung. Die Nothwendigkeit einer beständigen Wasserzufuhr ist also gleichfalls a priori klar. — Anders die Salze. Es wäre doch denkbar, dass, wenn nur die organischen Nahrungs- stoffe und das Wasser stets in genügender Menge zugeführt würden, die aus dem Zerfall der Gewebe hervorgehenden anorganischen Salze wiederum zur Neubildung der Gewebe Verwerthüng finden könnten. Selbst wenn kleine Verluste unvermeidlich wären — durch Ausschei- dung mit den Fäces in Folge ungenügender Resorption der Verdauungs- secrete, Abschuppung der Epidermis, der Haare u. s. w. — so Hesse sich doch erwarten, dass der ausgewachsene Organismus seinen vor- handenen Vorrath an Salzen mit Zähigkeit zurückhalten und mit einer sehr geringen Zufuhr auskommen könnte. A priori lässt sich die Noth- wendigkeit einer beständigen Zufuhr erheblicher Salzmengen für den ausgeivachsenen Organismus nicht deduciren. Es käme somit auf den Versuch an. Wir könnten einem aus- gewachsenen Thiere lange Zeit ausschliesslich organische Nahrungs- stoffe und Wasser darreichen und beobachten, wie lange es dabei bestehen kann und welche Störungen auftreten. — Dieser fundamen- tale Stoffwechselversuch war bis auf die neueste Zeit nur einmal gemacht worden und zwar von dem Assistenten Voit's in München, Förster. ^ Forster stiess bei dem Versuche, aschenfreie Nahrung darzu- stellen, auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Aschenfreie Kohlehy- drate und Fette lassen sich zwar gewinnen. Dagegen ist es bisher nicht gelungen, das Eiweiss von allen anorganischen Stoffen zu be- freien. Selbst das krystallinische Eiweiss enthält in geringer Menge noch alle Aschenbestandtheile. Forster bediente sich bei seinen Ver- suchen der Fleischrückstände, die bei der Bereitung des LiEßiG'schen Fleischextractes gewonnen werden. Nachdem dieselben noch mehr- fach mit destillirtem Wasser ausgekocht worden, enthielten sie auf 100 Theile Trockensubstanz 0,8 Asche. Mit diesem salzarmen Eiweiss nebst Fett, Zucker und Stärkemehl fütterte Forster 2 Hunde. Er fütterte ferner 3 Tauben mit Stärkemehl und Casein, welches gleich- falls nur sehr wenig Salze enthielt. 1) J. Forster, Zeitschr. f. Biologie. Bd. li. S. 297. 1873. 104 Siebente Vorlesung. Forster beobachtete nun, dass die Thiere bei dieser Nährung auffallend rasch zu Grunde gingen. Die 3 Tauben lebten 13, 25 und 29 Tage. Von den beiden Hunden war der eine „nach 36 Tagen so elend, dass er bei Fortsetzung des Versuches wohl in kurzer Frist um- gekommen wäre, während der zweite schon nach 26 Tagen dem Ver- enden nahe war". Bei völligem Hunger leben Hunde 40 — 60 Tage. Sie gehen also, wie es scheint, bei blosser Entziehung der anorganischen Salze schneller zu Grunde wie bei Entziehung aller Nahrungsstoffe. Forster schliesst aus seinen Versuchen, dass auch das ausge- wachsene Thier bedeutender Mengen anorganischer Salze zu seiner Ernährung bedarf. Gegen diesen Schluss muss der folgende Einwand erhoben werden. Forster hatte einen Umstand ganz unberücksichtigt gelassen — die Bildung freier Schviefelsäure aus dem Schwefel des Eiweisses. Das Eiweiss enthält V2 — 1 V2 ^h Schwefel, welche bei der Spal- tung und Oxydation des Eiweisses in die höchste Oxydationsstufe, in Schwefelsäure übergeführt werden. 80 0/0 von dem Schwefel der Nahrung erscheinen in dieser Form im Harne. Unter normalen Ver- hältnissen wird diese Schwefelsäure an die basischen Salze, welche mit jeder animalischen und vegetabilischen Nahrung aufgenommen werden, gebunden. Die animalische Nahrung enthält basisch phos- phorsaure Alkalien, kohlensaure Alkalien und Alkalialbuminate, die vegetabilische, ausserdem noch „pflanzensaure" — weinsaure, citro- nensaure, apfelsaure u. s. w. — Alkalien, welche bei der Verbrennung im Thierkörper in kohlensaure sich umwandeln. Diese Basen sättigen die aus dem Schwefel des Eiweisses sich bildende Schwefelsäure. Sind dagegen die basischen Salze bei der Darstellung der aschen- freien Nahrung entfernt worden, so findet die aus dem Zerfall des Ei- weisses in den Geweben entstehende stärkste Mineralsäure keine Basen zu ihrer Sättigung vor, sie greift also zu den Basen, welche inte- grirende Bestandtheile der lebenden Gewebe bilden, sie reisst einzelne Bausteine aus den Zellen heraus und führt zu ihrer Zerstörung. ') Das scheint mir die Ursache des raschen Verendens der FoRSTER'schen Versuchsthiere gewesen zu sein. Insbesondere finde ich in dieser An- 1) Wir -werden später (vergl. unten Vorles. 16) sehen, dass dem Organismus des Hundes die Fähigkeit zukommt, sich gegen die zerstörende Wirkung freier Säuren durch Abspaltung von Ammoniak aus den stickstoffhaltigen organischen Verbindungen zu schützen. Aber diese Fähigkeit hat wie jede Fähigkeit ihre Grenze, und es ist sehr fraglich, ob das schützende Ammoniak stets gerade in den Gewebselementen zur Stelle ist, in welchen die frei werdende Schwefelsäure ihre zerstörende Wirkung entfaltet. Die anorganischen Nahrungsstoffe. Salze. 105 nähme eine Erklärung für die auffallende Erscheinung, dass die Hunde rascher zu Grunde gingen wie bei völligem Hunger.') Die Richtigkeit dieser aprioristischenDeduction wurde von Lunin^) auf experimentellem Wege geprüft. LuNiN fütterte einen Theil seiner Versuchsthiere mit aschenfreier Nahrung, den andern Theil ceteris paribus mit einem Zusatz von kohlensaurem Natron, welcher gerade hinreichte, die aus dem Eiweiss der Nahrung sich bildende Schwefelsäure zu binden. Es kam darauf an, mit einer möglichst grossen Zahl von Thieren zu experimentiren, weil nur dadurch die zufällig mitspielenden Fac- toren eliminirt werden und ein sicherer Schluss sich ziehen lässt. Er stellte daher die Versuche an Mäusen an, weil für eine grosse Zahl grösserer Thiere die nöthige Menge aschenfreier Nahrung darzustellen nicht möglich gewesen wäre. Die aschenfreie Nahrung wurde folgendermaassen hergestellt. Durch Fällen verdünnter Milch mit Essigsäure und Auswaschen des feinflockigen Coagulums mit essigsäurehaltigem Wasser wurde ein Gemenge von Fett und Casein erhalten, welches nur 0,05 — 0,08 Asche in 100 Theilen Trockensubstanz enthielt, also lOmal weniger als die Fleischrückstände Forster's. Zu diesem Gemenge wurde als Reprä- sentant der dritten Hauptgruppe der Nahrungsstoffe Rohrzucker hin- zugefügt, welcher aschenfrei war. Mit dieser Nahrung und destillirtem Wasser lebten 5 Mäuse 11. 13, 14, 15 und 21 Tage. Bei völligem Hunger lebten 2 Mäuse 4 Tage, 2 nur 3 Tage. Nun wurden 6 Mäuse mit derselben aschenfreien Nahrung und einem Zusatz von kohlensaurem Natron gefüttert. Diese lebten 16, 23, 24, 26, 27 und 30 Tage, also doppelt so lange wie die Thiere, welche keine Base zur Sättigung der gebildeten Schwefelsäure er- halten hatten. Man könnte den Einwand erheben: Die Thiere lebten länger nicht in Folge der Neutralisation der Schwefelsäure, sondern weil sie doch wenigstens einen anorganischen Nahrungsstoff erhalten hatten. Dieser Einwand wird durch den folgenden Versuch widerlegt, bei welchem 7 Mäuse statt des kohlensauren Natrons ceteris paribus eine genau äquivalente Menge Chlornatriums erhielten, also ein neutrales Salz, welches die Schwefelsäure nicht neutralisiren konnte. Die 1) G. Bunge, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 10. S. 130. 1ST4. 2) N. LuNiN, lieber die Bedeutung der anorganischen Salze für die Ernährung des Thieres. Diss. Dorpat 1S80. Auch abgedruckt in der Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 5. S. 31. ISSl. 106 Siebente Vorlesung. 7 Mäuse verendeten nach 6, 10, 11, 15, 16, 17, 20 Tagen. Sie lebten also, obgleich sie zwei anorganische Nahrungsstoffe, das Chlor und das Natrium erhalten hatten, nur halb so lange wie die Thiere, welche blos einen anorganischen Nahrungsstoff, das Natrium, erhalten hatten, und nicht länger als die Thiere, welche aschenfreie Nahrung erhalten hatten. Die Versuche stehen also im besten Einklänge mit meiner aprio- ristischen Erklärung. Zur Controle wurden noch zwei parallele Ver- suchsreihen mit Chlorkalium und kohlensaurem Kali angestellt, welche genau dasselbe Resultat ergaben. Durch Verhinderung des Auftretens freier Schwefelsäure war also die Lebensdauer der Thiere verdoppelt worden, aber dieselbe war immer noch eine auffallend kurze. Woran waren die Mäuse zu Grunde gegangen, bei denen die Säurewirkung nicht die Todesursache ge- wesen sein konnte? War vielleicht die Zusammensetzung der orga- nischen Nahrungsstoffe keine genügende? Zur Entscheidung dieser Frage wurden ceteris paribus zu dem- selben künstlichen Gemenge der organischen Nahrungsstoffe alle an- organischen Salze der Milch hinzugefügt, genau in dem Gewichtsver- hältnisse, in welchem sie die Milchasche zusammensetzen, und in demselben Verhältnisse zur Menge der organischen Stoffe wie in der Milch. Mit einem solchen Nahrungsgemenge lebten 6 Mäuse 20, 23, 23, 29, 30 und 31 Tage, also nicht länger als mit dem kohlensauren Natron allein. Von 3 Mäusen, welche ausschliesslich mit Kuhmilch gefüttert wurden, starb eine nach 47 Tagen, wie die Section ergab, an einer Darmverschlingung (vergl. oben S. 75); die beiden anderen lebten in der Gefangenschaft 2V2 Monat, nahmen an Körperumfang bedeutend zu und waren noch vollkommen munter, als die Versuche unterbrochen wurden. Dieses ist eine sehr beachtenswerthe Thatsache. Mit Milch allein können die Thiere leben. Fügt man aber alle Bestandtheile der Milch zusammen, welche nach der gegenwärtigen Lehre der Physiologie zur Erhaltung des Organismus erforderlich sind, so gehen die Thiere rasch zu Grunde. Sollte der Milchzucker durch den Rohrzucker nicht vertretbar sein? Oder sind die anorganischen Bestandtheile in der Milch an die organischen chemisch gebunden und nur in dieser Ver- bindung assimilirbar? Bei der Ausfällung des Käsestoffes durch Essig- säure war die kleine Albuminmenge der Milch in Lösung geblieben. Sollte dieses Albumin durch den Käsestoff nicht ersetzbar sein? Oder enthält die Milch ausser Eiweiss, Fett und Kohlehydraten noch andere organische Stoffe, die gleichfalls für die Erhaltung des Die anorganischen Nahrungsstoffe. Salze. Kochsalz. 107 Lebens unentbehrlich sind? Es wäre lohnend, die Versuche fortzu- setzen. Die Frage nach dem Bedarf des ausgewachsenen Thieres an anorganischen Salzen ist also noch nicht entschieden. Zur Ent- scheidung derselben müssten wir zunächst genau alle unentbehrlichen organischen Nahrungsstoffe kennen. Wir müssten ferner im Stande sein, diese organischen Nahrungsstoffe in einer Form zu combiniren, welche dem Geschmackssinn der Versuchsthiere auch bei lauge fort- gesetzten Versuchen zusagt. Wir müssten schliesslich im Stande sein, die aus dem Eiweiss hervorgehende Schwefelsäure ohne Zufuhr an- organischer Basen zu sättigen — etwa durch eine unschädliche or- ganische Base wie das Cholin. — Aber selbst dann wäre die Frage wahrscheinlich nicht zu entscheiden, weil es nicht in unserer Macht steht, die Base dorthin gelangen zu lassen, wo die freie Schwefel- säure auftritt oder weil die mit der künstlich eingeführten Base ge- bildeten schwefelsauren Salze normale Salze aus den Geweben ver- drängen (vgl. unten Seite 108). Die Frage erscheint also vorläufig unlösbar. Nur eines der anorganischen Salze möchte ich noch einer ein- gehenderen Betrachtung unterziehen, weil dasselbe eine Ausnahme- stellung einnimmt. Es ist das Kochsalz. Es ist eine sehr auffallende Thatsache, dass unter allen anorga- nischen Salzen unseres Körpers wir nur eines der anorganischen Natur entnehmen und zu unseren organischen Nahrungsmitteln hinzufügen — das Kochsalz. Von allen übrigen Salzen genügen uns diejenigen Mengen, welche in unseren organischen Nahrungsmitteln bereits ent- halten sind. Wir brauchen für dieselben niemals zu sorgen. Ver- schaffen wir uns die organischen Nahrungsstoffe, so bekommen wir die anorganischen Salze mit in den Kauf. Nur das Kochsalz macht eine Ausnahme. Diese Ausnahme ist um so auffallender, als unsere Nahrung keineswegs arm ist an Kochsalz. Alle vegetabilischen und animalischen Nahrungsmittel enthalten ganz bedeutende Mengen Chlor und Natron. Warum genügen uns diese Mengen nicht? Warum greifen wir zum Steinsalz? Bei den früheren Versuchen zur Beantwortung dieser Frage war eine Thatsache ganz unberücksichtigt geblieben, welche mir sehr ge- eignet erscheint, uns der richtigen Lösung auf die Spur zu bringen. ^) Ich meine die Thatsache, dass unter den Thieren das Verlangen nach einem Salzzusatz zur Nahrung nur an Pflanzenfressern beobachtet 1) G.BüNGE, Zeitschr. f. Biol. Bd. 9. S. 104. 1873. u. Bd. 10. S. 110 u. 295. 1874. 108 Siebente Vorlesung. wird, niemals an Fleischfressern. Unsere carnivoren Haussäugethiere, die Katze und der Hund, ziehen ungesalzene Speisen den gesalzenen vor und legen gegen stark gesalzene Speisen entschiedenen Wider- willen an den Tag, während die herbivoren Hausthiere bekanntlich sehr begierig nach Salz sind. Dasselbe wird auch an wildlebenden Thieren beobachtet. Es ist ja bekannt, dass die wildlebenden Wieder- käuer und Einhufer salzhaltige Felsen und Pfützen, Salzefflorescen- zen u. s. w. aufsuchen, um das Salz zu lecken, und dass Jäger ihnen an solchen Orten auflauern oder Salz ausstellen, um sie anzulocken. Dieses wird übereinstimmend in zahlreichen Reiseberichten von den Pflanzenfressern aller Länder und Zonen angegeben. An Raubthieren ist etwas derartiges niemals beobachtet worden. Dieser Unterschied ist um so auffallender, als die Kochsalzmengen, welche der Pflanzenfresser mit seiner Nahrung aufnimmt, auf die Ein- heit des Körpergewichtes berechnet, meist nicht viel geringer sind als die, welche der Fleischfresser aufnimmt. Ein bedeutender Unter- schied stellt sieh dagegen in Bezug auf einen anderen Aschenbestand- theil der Nahrung heraus. Es ist das Kali. An Kalisalzen nimmt der Pflanzenfresser wenigstens 3— 4 mal soviel auf als der Fleisch- fresser. Diese Thatsache führte mich auf die Vermuthung, dass der Kalireichthum der Pflanzennahrung die Ursache des Kochsalzbedtirf- nisses bei den Pflanzenfressern sei. Wenn nämlich ein Kalisalz, zum Beispiel kohlensaures Kali, in wässeriger Lösung mit dem Kochsalz, dem Chlornatrium, zusammen- trifft, so findet eine theilweise Umsetzung statt; es bildet sich Chlor- kalium und kohlensaures Natron. Nun ist bekanntlich das Chlor- natrium der Hauptbestandtheil unter den anorganischen Salzen des Blutplasma. Wenn also Kalisalze durch Resorption der Nahrung ins Blut gelangen, so erfolgt auch dort die Umsetzung. Es bildet sich Chlorkalium und das Natronsalz der Säure, die an das Kali gebunden war. Statt des Chlornatrium enthält also das Blut jetzt ein anderes, zur normalen Zusammensetzung des Blutes nicht gehöriges — oder jedenfalls nicht in so grosser Menge gehöriges — Natronsalz. Es ist ein fremder Bestandtheil oder ein Ueberschuss eines normalen Be- standtheiles — z. B. kohlensaures Natron — im Blute aufgetreten. Die Niere aber hat die Function, die Zusammensetzung des Blutes constant zu erhalten, also jeden abnormen Bestandtheil und jeden Ueberschuss eines normalen zu eliminiren. Deshalb wird das gebildete Natronsalz zugleich mit dem Chlorkalium durch die Niere ausgeschie- den und das Blut ist an Chlor und Natron ärmer geworden. Dem Organismus ist also durch Zufuhr von Kalisalzen Kochsalz entzogen Die anorganischen Nahrungsstoflfe. Kochsalz. Kalisalze. 109 worden. Dieser Verlust kann nur durch Wiederersetzung von aussen gedeckt werden. Es erklärt sich daraus, dass Thiere, die von kali- reicher Nahrung leben, ein Bedürfniss nach Kochsalz haben. Die Kichtigkeit dieser Deduction habe ich auf experimentellem Wege geprüft. Es wurden bei vollkommen constanter Diät an einem Tage ceteris paribus Kalisalze in den Organismus eingeführt. Die Folge war eine sehr auffallende Vermehrung der Chlor- und Natron- ausscheidung. Ich habe diese Versuche an mir selbst angestellt und zwar mit allen Kalisalzen, die bei der Ernährung des Menschen in Betracht kommen. 18 Grm. K2O als phosphorsaures oder citronen- saures Salz allmählich im Laufe des Tages in drei Dosen eingenom- men, entzogen dem Körper 6 Grm. Kochsalz und ausserdem noch 2 Grm. Natron, weil die Kalisalze nicht bloss mit dem Chlornatrium sich umsetzen, sondern auch mit anderen Natronverbindungen, mit Natronalbuminat, mit kohlensaurem, phosphorsaurem Natron. Die Kalimenge, welche bei diesen Versuchen in den Körper ein- geführt wurde, war keineswegs ein sehr grosse; sie war weit geringer als die Kalimengen, welche mit den wichtigsten vegetabilischen Nah- rungsmitteln aufgenommen werden. Und dennoch waren damit dem Organismus 6 Grm. Kochsalz entzogen worden. Das ist ungefähr die Hälfte des Kochsalzes, welches in den 5 Litern Blut eines Menschen enthalten ist. Dass die übrigen Gewebe an diesem Verluste mitbe- theiligt waren, ist nicht zu bezweifeln. Zunächst aber wird wohl vor- herrschend das Blut davon betroffen, und ich denke mir, dass wenn dieser Verlust des Blutes durch eine verhältnissmässig geringe Ab- gabe der übrigen Gewebe gedeckt worden, eine erneute Kalizufuhr wiederum eine erneute Natronabgabe zur Folge haben müsste. Ver- suche dieser Art sind noch nicht ausgeführt worden. Es ist noch nicht festgestellt, bis zu welcher Grenze der Organismus bei fortgesetzter Kalizufuhr fortfährt Natron abzugeben. Es ist nicht zu bezweifeln, dass bald eine Grenze eintreten wird, wo der Körper das noch übrige Natron mit Zähigkeit zurückhält. Aber auch diejenigen Chlor- und Natronmengen, deren Abgabe ich thatsächlich beobachtet habe, scheinen mir hinreichend, um das Bedürfniss nach Wiederersatz zu erklären, welches die Aufnahme kali- reicher Vegetabilien hervorbringt. Bei der wichtigen Rolle, welche dem Kochsalz im Organismus zukommt — z. B. bei der Bildung der Verdauungssecrete, bei der Lösung der Globuline — kann schon eine geringe Abnahme gewisse Functionen beeinträchtigen und das Be- dürfniss nach Deckung des Verlustes zur Folge haben. Wie ich bereits hervorhob, war die Kalimenge, die ich bei mei- 110 Siebeate Vorlesung. nen Versuchen aufnahm, keine sehr grosse: sie betrug 18 Grm. Ein Mensch, der sich vorherrschend von Kartoffeln nährt, nimmt im Laufe des Tages bis 40 Grm. Kali auf. Es erklärt sich daraus, warum die Kartoffel uns ohne Salz ganz ungeniessbar erscheint und überall in der Welt nur mit stark gesalzenen Zuthaten genossen wird. Wie die Kartoffel, so sind auch alle anderen wichtigen vegetabilischen Nah- rungsmittel, die Cerealien, die Leguminosen sehr reich an Kali, und es erklärt sich daraus die Thatsache, dass die hauptsächlich vonVege- tabilien lebende Landbevölkerung mehr Kochsalz verbraucht als die viel animalische Nahrung consumirende Bevölkerung der Städte. Für Frankreich ist es statistisch festgestellt, dass die Landbevölkerung pro Kopf dreimal so viel Kochsalz consumirt als die Bevölkerung der Städte. Es fragt sich nun: wie verhalten sich die Völkerschaften, welche gar keine Pflanzennahrung aufnehmen? Es giebt doch ganze Völker, welche als Jäger, Fischer, Nomaden von rein animalischer Nahrung leben! Von diesen müssen wir erwarten, dass sie eine Abneigung gegen das Salz haben wie die carnivoren Thiere. Dieses ist in der That der Fall. Ich habe zur Entscheidung dieser Frage eine sehr grosse Zahl von Reisewerken durchstöbert und vielfach mündlich und brieflich Erkundigungen bei Reisenden aus neuerer Zeit eingezogen. Es hat sich dabei herausgestellt als ein durchgehendes, ausnahms- loses Gesetz, dass zu allen Zeiten und in allen Ländern diejenigen Völker, welche von rein animalischer Nah7'ung leben, das Salz entweder gar nickt kennen oder, ivo sie es kennen leimeii, verabscheuen, während die vorherrschend von Vegetabilien sich ?iährenden Völker ein unwider- stehliches Verlange?i daimach tragen und es als unentbehrliches Lebens- mittel betrachten. Dieser Unterschied tritt bereits in den uralten Opfergebräuchen der Griechen und Römer zu Tage, indem die Opferthiere den Göttern stets ohne Salz, die Feldfrüchte dagegen mit Salz dargebracht wur- den. Den Juden gebot das mosaische Gesetz ausdrücklich, die dem Pflanzenreiche entnommenen Gaben mit Salz ihrem Gotte zu opfern.'} Die indogermanischen Sprachen haben kein gemeinsames Wort für Salz, ebensowenig für die Thätigkeiten des Ackerbaues, während die auf Viehzucht bezüglichen Ausdrücke sich meist auf ge- meinsame Wurzeln zurückführen lassen. Es erscheint darnach wahr- 1) Die Quellen für diese und alle folgenden Angaben über den Salzgebrauch oder Nichtgebrauch der verschiedenen Völker finden sich genau citirt in meiner Arbeit: „Ethnologischer Nachtrag zur Abhandlung über die Bedeutung des Koch- salzes u. s. w." Zeitschr. f. Biol. Bd. 10. S. 111. 1874. Die anorganischen NahrungsstoflFe. Kochsalz. 111 scheinlich, dass die indogermanischen Völker, so lange sie „als ein undifferenzirtes Ganzes in ihrem Ursitz auf dem Scheitel und den Abhängen des gewaltigen Bulur-Tagh weidend umherzogen, von dem Salze noch nichts gewusst haben". Sie haben es erst kennen gelernt nach ihrer Trennung beim Uebergang zum Ackerbau und zur vege- tabilischen Nahrung. Die Germanen finden wir in der Zeit, die Tacitus uns schildert, gerade im Begriff zur Ansässigkeit und zum Ackerbau überzugehen. Dem entsprechend wissen sie noch nichts von einer regelrechten Salzgewinnung, aber die Begierde nach Salz ist bereits erwacht, denn Tacitus berichtet von wtithenden Ausrottungs- kriegen, die einzelne Stämme mit einander führten um die Salzquellen an ihrer Grenze. Die finnischen Sprachen haben bis auf den heutigen Tag kein Wort für Salz. Die Westfinnen, welche jetzt Ackerbau treiben, gebrauchen das Salz und bezeichnen dasselbe mit dem germanischen Worte. Die Ostfinnen dagegen, welche noch gegenwärtig als Jäger und Nomaden leben, gebrauchen bis auf den heutigen Tag kein Salz. Dasselbe gilt von allen übrigen Jäger-, Fischer- und Nomadenvölkeru im nördlichen Kussland und in Sibirien. Dieses liegt nicht etwa daran, dass sie das Salz nicht kennen oder sich nicht verschaffen können. Nein, sie haben einen entschiedenen Widerwillen gegen das Salz. Stein- salzlager, Salzseen, Salzefflorescenzen giebt es in allen Theilen Sibi- riens. Die sibirischen Jäger interessiren diese Salzlager aber nur insofern, als die Rennthierherden an solchen Orten sich zu versam- meln pflegen, um das Salz zu lecken. Die Jäger aber verzehren ihr Fleisch ohne Salz. Dieses wurde mir mündlich und brieflich von einer grossen Zahl sibirischer Reisender mitgetheilt über alle Völker Sibiriens. Der Mineraloge C. von Ditmae, welcher in den Jahren 1851 bis 1856 ganz Sibirien durchreist und lange Zeit unter den Kam- tschadalen gelebt hat, schreibt mir: „Oft, wenn ich auf der Reise jenen Leuten {Kamtschadalen, Koräken, Tschuktschen, Aiiios, Tungusen) von meinen gesalzenen Speisen zu schmecken gab, hatte ich Gelegen- heit, in ihren verzogenen Gesichtsmuskeln das grösste Unbehagen zu lesen." Von den Kamtschadalen erzählt Ditmae, dass sie sich haupt- sächlich von Fischen nähren und dieselben für den Winter in grosse Erdgruben zusammenwerfen, wo dann der ganze Vorrath in eine „schrecklich riechende Gallerte" sich umwandelt. Diese „für jeden Europäer entsetzliche und gewiss ungesunde Lieblingsspeise der Kam- tschadalen" veranlasste die russische Regierung, durch strenge Maass- regeln das Salzen der Fische einführen zu wollen. Es wurde bei Peterpaulshafen eine Vorrichtung zur Gewinnung des Salzes aus Meer- 112 Siebente Vorlesung. Wasser getroffen und das Salz zu äusserst billigen Preisen den Kam- tschadalen geliefert. Die Kamtschadalen, ein ungewöhnlich folgsames Volk, gehorchten wohl und es wurden die anbefohlenen Fischmengen mit loyalster Gewissenhaftigkeit gesalzen. Aber — gegessen haben sie dieselben nicht! Sie blieben bei ihren verfaulten Fischen. Und zur Zeit, wo Ditmar in Kamtschatka war, hatte die russische Regie- rung ihre Bemühungen bereits als unausführbar aufgegeben. Nur „alte Leute erzählten noch wie von schrecklicher Landplage". Von den Abkömmlingen der Russen in Kamtschatka erzählt Ditmar, dass sie zwar europäische Küchengewächse anbauen, aber „nur in geringer Quantität", dass „der kamtschadalische Speisezettel bei ihnen der beliebteste und somit auch der Salzgebrauch ein verschwindend ge- ringer geworden". Nur in Peterpaulshafen werden Gemüse und Cerea- lien in Menge verzehrt; dort fehlt auch die Salzdose auf keinem Tische. Der Astronom L. Schwarz theilte mir mit, dass er selbst auf seiner Reise im Lande der Tungusen drei Monate lang ausschliess- lich von Rennthierfleisch und Federwild gelebt hat: er fühlte sich bei dieser Nahrung vollkommen wohl und hat durchaus kein Bedürfniss nach Salz empfunden. Man könnte nun aber dennoch auf die Vermuthung kommen, dass die Abneigung der sibirischen Naturvölker gegen das Salz nicht eine Folge der animalischen Nahrung sei, sondern in irgend einer Weise mit dem nordischen Klima zusammenhänge. Ich berufe mich daher zur Begründung meiner Ansicht auf die folgenden Angaben über Völker, welche in warmen Ländern von animalischer Nahrung leben und kein Salz gebrauchen. In Ostindien, im Nilgherry-Gebirge, wurde ein Hirtenvolk, die Tu das, erst in diesem Jahrhundert entdeckt. Ein verderblicher Kranz von fieberbringenden Sümpfen hatte die Engländer bis dahin verhin- dert, zu ihnen hinaufzudringen. Das genannte Volk kannte vegetabi- lische Nahrung gar nicht ; es lebte von der Milch und dem Fleische seiner Büffelherden — vom Salze aber wusste es nichts. Die Kirgisen leben gleichfalls von Fleisch und Milch und ge- brauchen niemals Salz, obgleich sie Bewohner der Salzsteppe sind. Dieses theilte mir Dr. P. Baron Maydell mit, der in den Jahren 1845 und 1847 die Kirgisensteppe durchreist hat. Genau dasselbe erzählt von den Numidern bereits Sallust: Numidae plerumque lacte et ferina carne vescebantur et neque salem neque alia irritamenta gulae quaerebant. Die Nordküste Afrikas ist gleichfalls reich an Salz. Die anorganischen Nalirungsstoffe. Kochsalz. 113 Unter ähnlichen Verhältnissen wie die Numider zur Zeit Sallüst's leben noch heutzutage gewisse Beduinenstämme auf der arabi- schen Halbinsel. Von diesen heisst es in Wrede's Reise: „Die Beduinen essen das Fleisch ohne Salz und scheinen sogar den Gebrauch des Salzes lächerlich zu finden," Die Buschmänner im südlichen Afrika leben als Jäger und gebrauchen kein Salz. Die Negerstämme dagegen sind Ackerbauer, Das Innere Afrikas ist arm an Salz, Heutzutage werden die Neger durch den lebhaften Salzhaudel, den die Europäer unterhalten, und durch Salzsiedereien an den Küsten mit Salz genügend versorgt. Von Reisenden aus älterer Zeit schildert Mungo Park das Salzbedürfniss der Neger folgender- maassen: „In den inneren Gegenden ist das Salz die grösste aller Leckereien, Einem Europäer kommt es ganz sonderbar vor, wenn er ein Kind an einem Stück Steinsalz lecken sieht, als ob es Zucker wäre. Dies habe ich oft gesehen, obgleich die ärmere Klasse der Ein- wohner im Inneren so sparsam mit diesem köstlichen Artikel ver- sehen ist, dass, wenn man von einem Manne sagt: ,,„Er isst Salz zur Mahlzeit"", man dadurch andeutet, dass er ein reicher Mann ist. Ich selbst habe die Seltenheit dieses Naturproductes schmerzlich empfun- den. Der beständige Genuss vegetabilischer Nahrung erregt eine so schmerzliche Sehnsucht nach Salz, dass sie sich gar nicht genug be- schreiben lässt." An der Sierra-Leone- Küste war die Begierde der Neger nach Salz so gross, dass sie Weiber, Kinder und Alles, was ihnen lieb war, weggaben, um es zu erhalten. Die Indianerstämme Nordamerikas waren zur Zeit der Ent- deckung bekanntlich Jäger und Fischer. Dem entsprechend gebrauch- ten sie kein Salz, obgleich die Prärien Nordamerikas reich daran sind. Nur einige Stämme am unteren Laufe des Mississippi waren schon zur Zeit des ersten Eindringens der Spanier eifrige Ackerbauer, Von diesen wird auch berichtet, dass sie schon damals Kriege um Salzquellen geführt haben. Die Mexikaner waren Ackerbauer und verstanden sich auf die regelrechte Salzgewinnung, Dasselbe wird von den Eingeborenen be- richtet, die CoLUMBus auf den westindischen Inseln antraf. Die Hirten der südamerikanischenPampas, welche nur von Fleisch leben und Pflanzenkost als thierisch verschmähen, gebrauchen kein Salz, obgleich die Pampas mit zahllosen Salzseen und Salzefflores- cenzen überdeckt sind. Die benachbarten Araucaner dagegen, welche schon zur Zeit der Entdeckung Amerikas Ackerbauer waren, benutzten sowohl das Kochsalz des Meeres als auch das Steinsalz der Berge. Bi-.NGE. Phvs. Chemie. S.Auflage. 8 114 Siebente Vorlesung. Die Eingeborenen Neu-HoUands waren Jäger und gebrauch- ten kein Salz. Von den Bewohnern der Osterinseln finde ich die Angabe: „Die Nahrung scheint fast gänzlich aus dem Pflanzenreiche genom- men zu werden." Zugleich aber heisst es: „Der Einwohner der Osterinseln trinkt mit Wohlbehagen das uns Erbrechen erregende Meerwasser." Dasselbe wird auch von den Bewohnern der Gesell- schaftsinseln und Otaheitis angegeben. Die meisten Völker der australischen und ostindischen Inselwelt leben von gemischter Kost und empfangen schon mit den Seethieren, die sie verspeisen, genügende Kochsalzmengen. Nur von einem Volke der tropischen Inselwelt finde ich die Angabe, dass dasselbe Acker- bau treibt und fast ausschliesslich von kalireichen Feldfrüchten sich nährt. Es sind die ßattas auf Sumatra. Bei diesem Volke muss daher das Verlangen nach Salz ein sehr lebhaftes sein. Ich habe lange vergeblich nach einer Angabe darüber die Reisewerke durch- sucht, bis schliesslich in einem Kapitel, wo ich es am wenigsten er- warten durfte, in einem Kapitel, welches von dem Gerichtsverfahren handelt, ich der Angabe begegnete, dass die feierliche Eidesformel bei diesem Volke lautet: „Dass meine Ernte verderben, mein Vieh sterben und ich nie Salz getiiessen möge, wenn ich nicht die Wahrheit sage." Wir sehen aus allen angeführten Thatsachen, dass zu allen Zeiten, in allen Welttheilen und Klimaten, unter den Repräsentanten aller MenschenraQcn es sowohl Völker giebt, die Salz gebrauchen, als auch solche, die keins gebrauchen. Das einzige Gemeinsame bei den Völ- kern, die Salz gebrauchen, bei allen sonstigen Verschiedenheiten, ist nur die vegetabilische Nahrung, und das einzige Gemeinsame bei denen, die kein Salz gebrauchen, ist nur die animalische Nahrung. Wir sehen, dass ganze Völkerschaften beim üebergange vom Noma- denleben zum Ackerbau anfangen, das Salz zu gebrauchen, und dass umgekehrt salzgewohnte Völker, wenn sie auswandern und unter car- nivoren Völkern sich niederlassen, den Salzgebrauch verlernen. Wir sehen, dass europäische Reisende, wenn ihnen auf der Reise in frem- den Welttheilen der Salzvorrath ausgeht, diesen Mangel gar nicht ver- spüren bei animalischer Nahrung, dass sie dagegen eine „schmerz- liche Sehnsucht" nach Salz empfinden bei vegetabilischer Nahrung. Der Causalzusammenhang zwischen vegetabilischer Nahrung undKoch- salzbedürfniss ist also nicht zu bestreiten. Man könnte nur noch be- zweifeln, ob es wirklich der Kalireichthum der Vegetabilien ist, der dieses Verlangen hervorruft. Der Kalireichthum ist doch nicht das Einzige, was die vegetabilische Nahrung von der animalischen unter- Die anorganischen Nahrungsstoffe. Kochsalz. 115 scheidet. Deshalb berufe ich mich zur Begründung meiner Ansicht auf die folgende Thatsache. Es giebt ein wichtiges vegetabilisches Nahrungsmittel, welches sehr arm ist an Kalisalzen: es ist der Reis. Der Reis enthält 6 mal weniger Kali als die europäischen Cerealien (Weizen, Roggen, Gerste), 10 — 20 mal weniger als die Leguminosen und 20 — 30 mal weniger als die Kartoffel. Wenn wir in Form von Reis 100 Grm. Ei weiss auf- nehmen, so nehmen wir in dieser Nahrung nur 1 Grm. K2O auf. Wollten wir aber in Form von Kartoffeln 100 Grm. Ei weiss aufneh- men, so müssten wir über 40 Grm. K2O mit aufnehmen. Wir müssen daher erwarten, dass Völker, die neben ihrer Fleischnahrung vonVege- tabilien nur Reis gemessen, ein Verlangen nach Kochsalz nicht haben können. Dieses ist in der That der Fall. Es wird dieses übereinstim- mend angegeben von gewissen Beduinenstämmen auf der arabischen Halbinsel und von einigen Volksstämmen auf den ostindischen Inseln. Den Gehalt der verschiedenen vegetabilischen und animalischen Nahrungsmittel des Menschen und der Thiere an Kali und Natron überschaut man auf der folgenden Tabelle. Tabelle I. Avf lOOO Gewichtstheüe Trockensubstanz kommen: Nach aufsteigendem Kaligehalte geordnet: Nach aufsteigendem Natron- gehalte geordnet: K2O NaaO Reis .... ßinderblut . . Hafer "j Weizen I Roggen [ Gerste J Hundemilch Frauenmilch Aepfel . . . Erbsen . . . Herhivorenrailch "Wiesenheu Rindfleisch Bohnen Erdbeeren Klee . . Kartofi'eln 1 0,03 2 19 5—6 0,1—0,4 5—6 2—3 5-6 1-2 11 0,1 12 0,2 9-lT 1—10 6-18 0,3 — 1,5 19 3 21 0,1 22 0,2 23 20-28 0,1 0,3-0,6 Reis . Aepfel Bohnen Erbsen Klee . Hafer "j Weizen l Gerste | Roggen / Kartoffeln Wiesenheu . Frauenmilch . Hundemilch Herbivorenmilch Rindfleisch . Rinderblut . . Na20 0,03 0,07 0,13 0,17 0,17 0,1—0,4 0,3—0,6 0,3—1,5 12 2-3 1-10 3 19 Aus der Tabelle II ersieht man, dass das Raubthier, welches sich von ganzen Thieren nährt, Kali und Natron stets nahezu in äqui- valenten Mengen aufnimmt. Dieses gilt nicht blos von den Säuge- 116 Siebente Vorlesung. thieren, sondern von der ganzen Wirbelthierreihe.O In dem blutleeren Fleische geschlachteter Thiere dagegen kommen auf ein Aequivaleut Natron 4 Aequivalente Kali. Es ist daher beachtenswerth, dass die von animalischer Nahrung ohne Salzzusatz lebenden Völker beim Schlachten der Thiere jeden Blutverlust sorgfältig vermeiden. Dieses wurde mir von vier Naturforschern,- die in verschiedenen Gegenden des nördlichen Russland und Sibiriens unter carnivoren Völkern ge- lebt haben, übereinstimmend mitgetheilt. Die Samojeden tauchen beim Verspeisen eines Rennthieres jeden Bissen zuvor in Blut. Die grön- ländischen Eskimos sollen, wenn sie einen Seehund erlegen, sofort die Wunde verstopfen.'-^) Bei den Massai, einem Volksstamme im öst- lichen Aequatorialafrika, welche in der Zeit, wo sie Kriegsdienste leisten, vom 17. — 24. Jahre ausschliesslich von animalischer Nahrung ohne Salz leben, bildet während dieser Zeit das Blut das „vornehmste und beliebteste Nahrungsmittel".'^) Tabelle II. Auf 1 Aequivalent NaiO kommen. Aequivalente Aequivalente K2O K2O Rinderblut .... 0,U7 Gerste 14—21 Hühnereiweiss . . 0,7 Hafer-. . 15-21 Huhnereidotter 1,0 Reis . . 24 Gesammtorganismus Roggen . • 9—57 der Säugethiere . 0,7—1,3 Wiesenheu 3—57 Carnivorenmilch . . 0,8—1,6 Kartoifeln . 31—42 EunkelrUbe . . . 2 Erbsen . 44-50 Frauenmilch . . 1-4 Erdbeeren 71 Herbivorenmilch . . 0,8—6 Klee . . 90 Rindfleisch .... 4 Aepfel . 100 Weizen 12-23 Bohnen . 110 Auch in der Milch des Fleischfressers sind die beiden Basen in äquivalenten Mengen enthalten. In der Milch des Pflanzenfressers und des Menschen dagegen tiberwiegt gewöhnlich — wie die Ta- belle II zeigt — das Kali sehr bedeutend. Man ersieht daraus, dass 1) A. VON Bezold, „Das chemische Skelett der Wirbelthiere". Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie. Bd. 9. S. 241. 185S. G. Bunge, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 10. S. 318. 1874. 2) Die genaueren Quellenangaben finden sich Zeitschr. für Biologie. Bd. 10. ö. 115. Anm. 1874. 3) H. H. JoHNSTON, „Der Kilima-Ndjaro" deutsch von W. v. Freeden. Leip- zig 1886. S. 386, 390 u. 401. Die anorganischen Nahrungsstoffe. Kochsalz. 117 der Mensch und der Pflanzenfresser eine Nahrung, in welcher das Verhältniss von Kali zu Natron gleich 4 — 6 Aequivalenten zu 1 Aequi- valent ausmacht, sehr wohl ertragen ohne einen Salzzusatz. Auch giebt es viele Vegetabilien, in denen das Verhältniss nicht höher ist. In dem Wiesenheu, einem Gemenge der verschiedensten Futterkräuter, ist das Verhältniss bisweilen, wie obige Tabelle zeigt, nur gleich 3 Aequivalenten zu l Aequivalent. Thatsächlich nehmen viele wild- lebende herbivore Säugethiere niemals Salz auf, wie z. B. Hasen und Kaninchen. Auch den herbivoren Haussäugethieren wird in vielen Gegenden niemals Salz verabfolgt. Ein lebhaftes Bedürfniss nach Salz wird bei diesen Thieren wohl auch nur erwachen bei ausschliess- licher Ernährung mit den kalireichsten und zugleich natronärmsten Vegetabilien, z. B. mit Klee. Die wildlebenden Pflanzenfresser werden es vielleicht ibstinctiv vermeiden, ausschliesslich von den kalireich- sten Vegetabilien sich zu nähren. Die Hausthiere aber werden dar- unter leiden, wenn man ihnen sehr kalireiches Futter ohne Kochsalz- zusatz reicht. Ich will nicht behaupten, dass sie dabei nicht existiren könnten. Aber die Erfahrung der Landwirthe lehrt, dass die Thiere mehr fressen und besser gedeihen, wenn man ihnen Salz verabfolgt und dass bisweilen sogar deutlich nachtheilige Folgen der Kochsalz- entziehung zu Tage treten.^) Auch vom Menschen behaupte ich nicht, dass er bei vorherrschend vegetabilischer Nahrung ohne Kochsalz nicht existiren könnte. Aber wir wtirden, wenn wir kein Salz hätten, gegen die Aufnahme grosser Mengen der kalireichsten Vegetabilien — z. B. Kartoffeln — eine Ab- neigung haben. Der Salzgenuss ermöglicht es uns, den Kreis unserer Nahrungsmittel zu erweitern. Es ist sehr beachtenswerth, dass gerade diejenigen Nahrungsmittel, in welchen nach der Tabelle II das Verhältniss von Kali zu Natron das höchste ist — Roggen, Kartoff'eln, Erbsen, Bohnen — , die vorherr- schende Nahrung des europäischen Proletariats ausmachen. Die Un- gerechtigkeit der Salzsteuer geht hieraus zur Evidenz hervor. Denn je ärmer ein Mensch ist, desto mehr ist er auf vorwiegende Ernährung mit den kalireichsten Vegetabilien angewiesen, desto grösser wird sein Salz- consum sein. Die Salzsteuer ist eine indirecte umgekehrte Progressiv- steuer, wie sie mit allem Raffinement nicht ärger kann ersonnen werden. 1) Baeräl, Statique chimique des animaux, appliquee specialement ä la question de remploi agricole du sei. Paris 1850. Boüssingault, Ann. de Chim. et dePhys. Serie III. T. 22. p. 116. 1848. Demesmäy, Journal des Economistes. 1849. T. 25. p. 7 et 251. Desaive, Ueber den vielseitigen Nutzen des Salzes in der Land- wirthschaft. Deutsch von Protz. Leipzig 1852. 118 Siebente Vorlesung. Im Uebiigen muss ich hervorheben, dass die Salsmengen, die wir zu unseren Speisen hinzufügen, viel zu gross sind. Das Kochsalz ist nicht blos ein Nahrungsstoflf, sondern auch ein Genussmittel und verleitet, wie jedes Genussmittel, leicht zur Unmässigkeit. Ein Blick auf die Tabelle III zeigt uns, wie gering die Kochsalzmenge ist, die wir zu den meisten Nahrungsmitteln hinzuzusetzen brauchen, um das Verhältniss der Alkalien dem in der Milch gleich zu machen. Bei Ernährung mit Cerealien und Leguminosen beispielsweise würden 1 — 2 Grm. Kochsalz am Tage genügen, bei Ernährung mit Reis ein paar Decigramme. Statt dessen geniessen die meisten Menschen 20 — 30 Grm. täglich und häufig noch weit mehr. Tabelle III. Auf 100 Grm. Eiweiss kommen: KoO NasO ßinderblut Reis 0,2 Grm. 1 = 2 = 2-5 = 5-6 . 42 = 2 Grm. 0,03 = 0,3 = 0,05—0,3 = 1-2,4 = OJ » Rindüeiscli Weizen 1 Roggen \ Erbsen J Frauenmilch Kartoffel Wir müssen uns die Frage vorlegen: Sind unsere Nieren wirk- lich darauf eingerichtet, so grosse Salzmengen zu eliminiren? Bürden wir ihnen nicht eine zu grosse Arbeit auf und könnte dieses nicht schädliche Folgen haben? Bei Ernährung mit Fleisch und Brod ohne Salzzusatz scheiden wir in 24 Stunden nicht mehr als 6 bis 8 Grm. Alkalisalze aus. Bei Ernährung mit Kartoffeln und dem entsprechen- den Zusatz von Kochsalz werden täglich über 100 Grm. Alkalisalze durch die Nieren getrieben. Sollte damit nicht eine Gefahr verbun- den sein? Der Genuss alkoholischer Getränke, welcher ohnehin zu den Ursachen der chronischen Nephritis gezählt wird, hat gleichfalls unmässigen Kochsalzgenuss zur Folge, wie überhaupt eine Unnatür- lichkeit und Schädlichkeit die andere nach sich zieht. Dies sind Fragen, auf welche ich die Aufmerksamkeit der praktischen Aerzte lenken möchte. Kein Organ unseres Körpers wird so erbarmungslos misshandelt wie die Niere. Der Magen reagirt gegen Ueberbürdungen. Die Niere muss Alles über sich geduldig ergehen lassen. Ihre Misshandlung Die anorganischen Nahrungsstoffe. Kochsalz. 119 macht sich erst fühlbar, wenn es bereits zu spät ist, die verderblichen Folgen zu beseitigen. Noch möchte ich darauf aufmerksam machen, wie gering die Arbeit ist, welche bei Ernährung mit Reis den Nieren aufgebürdet wird. Nur 2 Grm. Alkalisalze gelangen in 24 Stunden zur Ausschei- dung. Der Vorzug des Reises, von welchem seit Jahrtausenden die Majorität der Menschheit — Perser, Inder, Chinesen, Japanesen — sich ernährt hat, der Kartoffel gegenüber ist evident. Sollte der Reis nicht als Krankenspeise bei Nierenleiden anzuwenden sein? Dasselbe gilt von Magenleiden, denn die Kalisalze reizen heftig die Magen-' Schleimhaut^) und der Reis ist so arm daran wie kein anderes Nah- rungsmittel. — Ich kann die Betrachtungen über das Kochsalz nicht verlassen, ohne zum Schluss noch einer Vermuthung Ausdruck zu geben, welche sich mir immer und immer wieder aufdrängt, zu deren Prüfung ich auch bereits eine Reihe mühevoller Untersuchungen ausgeführt habe, ohne dass ich es bisher gewagt hätte, mit derselben an die Oeffent- lichkeit zu treten, weil ich mir sehr wohl dessen bewusst bin, wie sehr diese Vermuthung dem Vorwurfe des Phantastischen ausgesetzt ist, so lange das Beweismaterial noch ein so dürftiges und lücken- haftes ist. — Ich bin der Ueberzeugung, dass der auffallend hohe Kochsalzgehalt der Wirbelthiere und unser Bedürfniss nach einem Kochsalzzusatz zur Nahrung eine befriedigende Erklärung nur finden in der Descendenzlehre. Werfen wir einen Blick auf die Vertheilung der beiden Alkalien, Kali und Natron, auf der gesammten Oberfläche unserer Erde. In unseren einleitenden Betrachtungen über den Kreislauf der Elemente erwähnte ich bereits des Kampfes der Kohlensäure mit der Kiesel- säure um den Besitz der Basen (s. oben S. 18). In diesem Kampfe zeigt die Kohlensäure eine grössere Verwandtschaft zum Natron, die Kieselsäure zum Kali. Bei der Verwitterung der Silicatgesteine geht das Natron als kohlensaures Salz in Wasser gelöst aus dem Zer- setzungsprocesse hervor und sickert mit dem Wasser in die Tiefe. Das Kali dagegen bleibt mit anderen Basen, namentlich Thonerde, an Kieselsäure gebunden als unlösliches Doppelsalz an der Erdober- fläche liegen. Gelangt das kohlensaure Natron mit den Quellen, Bächen und Flüssen ins Meer, so setzt es sich mit den Chloriden der alka- lischen Erden um: es bilden sich Kochsalz und unlösliche kohlensaure alkalische Erden, welche zu Boden sinken und allmählich als Kalk- 1) G. Bunge, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 9. S. 130. 1S73 und Pflüger's Archiv. Bd. 4. S. 277 u. 2S0. 1S71. 120 Siebente Vorlesung. Stein, Kreide, Dolomit ganze Gebirgsformationen bilden. Deshalb ist das Meerwasser reich an Kochsalz, arm an Kalisalzen, die Oberfläche des Festlandes reich an Kalisalzen, arm an Kochsalz. Nach dem Kochsalzgehalte der Umgebung aber richtet sich der Kochsalzgehalt der Organismen. Das Natron verhält sich in dieser Hinsicht anders als das Kali. Das Kali ist ein integrirender, unent- behrlicher Bestandtheil jeder pflanzlichen und thierischen Zelle. Jede Zelle hat die Fähigkeit, auch der kaliärmsten Umgebung das nöthige Quantum dieser Base zu entnehmen und zu assimiliren. Deshalb sind alle Meeres- und Landpflanzen reich an Kali. Das Natron dagegen scheint keine so wichtige Eolle zu spielen. Viele Pflanzen des Fest- landes enthalten nur Spuren von Natron. 0 Natronreich sind blos die Meerespflanzen, und die Pflanzen, welche am Meeresufer und auf den eingetrockneten Meeresbecken, den Salzsteppen wachsen. Diese Regel hat nur wenige, scheinbare Ausnahmen. So sind z. B. die Chenopo- dium- und Atriplexarten kochsalzreich. Aber diese sind Schuttpflanzen, sie gedeihen nur auf kochsalzreichem Boden, haben ihre nächsten Verwandten unter den Bewohnern der Salzsteppe und sind selbst wahr- scheinlich von dort aus eingewandert. Von unseren Culturpflanzen ist natronreich nur die Runkelrübe, gleichfalls eine Chenopodiacee; diese ist ursprünglich am Meeresstrande beimisch. Dasselbe gilt von den wirbellosen Thieren. Auch unter diesen sind nur die Meeresbewohner und ihre nächsten Verwandten auf dem Festlande kochsalzreich. Die typischen Repräsentanten der Festlandbewohner, die Insecten, sind sehr arm an Kochsalz. Durch eigene Analysen habe ich mich davon überzeugt, dass sie nicht mehr Natron enthalten, als die Pflanze, die sie ernährt. Die Wirbelthiere des Festlandes sind sämmtlich auffallend kochsalzreich trotz der kochsalzarmen Umgebung. Aber auch diese Ausnahme von der Regel ist nur eine scheinbare. Wir brauchen uns nur der Thatsache zu erinnern, dass die ersten Wirbelthiere auf unse- rem Planeten sämmtlich Meeresbewohner waren. Ist der hohe Koch- salzgehalt der jetzigen Festlandbewohuer nicht ein Beweis mehr für den genealogischen Zusammenhang, welchen anzunehmen wir durch die morphologischen Thatsachen gezwungen werden!? Thatsächlich hat doch jeder von uns in seiner individuellen Entwickelung ein Sta- dium durchgemacht, in welchem er noch die Chorda dorsalis und die Kiemenspalten der meerbewohnenden Vorfahren besass. Warum sollte nicht auch der hohe Kochsalzgehalt unserer Gewebe ein Erbstück aus jener Zeit sein? 1) G. ßuKGE, Liebig's Annaleu. Ed. 172. S. 16. 1874. Die anorganischen Nahrungastoffe. Kochsalz. 121 Wäre diese Auffassung richtig, so müssten wir erwarten, dass die Wirbelthiere in ihrer individuellen Entwickelung um so kochsalz- reicher sind, je jünger sie sind. Dieses ist thatsächlich der Fall. Durch zahlreiche Analysen habe ich mich davon überzeugt, dass ein Säuge- thierembryo kochsalzreicher ist, als das neugeborene Thier und dass dieses nach der Geburt immer ärmer an Chlor und Natron wird in dem Maasse, als die Entwickelung fortschreitet. — Das natronreichste Gewebe unseres Körpers ist der Knorpel. Dieser ist zugleich das älteste Gewebe. Es ist histiologisch vollkommen identisch mit dem Gewebe, welches in dem Skelet der meerbewohnenden Selachier noch heutzutage während des ganzen Lebens persistirt. Das Skelet des Menschen wird bekanntlich gleichfalls ursprünglich als ein knorpeliges angelegt und schon vor der Geburt zum grössten Theil durch ein knöchernes verdrängt. Teleologisch ist diese Erscheinung nicht zu erklären. Sie erklärt sich nur aus der Descendenzlehre. Man kann nicht etwa annehmen, das knorpelige Stadium müsse durchlaufen wer- den, damit aus dem Knorpel der Knochen entstehe. Dieses ist that- sächlich nicht der Fall. Das Knochengewebe entsteht nicht aus dem Knorpelgewebe. Der Knorpel wird vollständig resorbirt und vom Peri- chondrium aus wächst das Knochengewebe in den Raum hinein, den der Knorpel einnahm. Und nun kommt hinzu, dass das älteste Ge- webe, der Knorpel, zugleich auch das natronreichste ist. Das sind Thatsachen, die eine ungezwungene Erklärung nur in der Annahme finden, dass die Wirbelthiere des Festlandes aus dem Meere stammen und noch gegenwärtig im Begrifife sind, sich allmäh- lich der kochsalzarmen Umgebung anzupassen. Diesen Process der Anpassung halten wir künstlich dadurch auf, dass wir zu den Resten greifen, die unser ursprüngliches Element, die Salzfluth, auf dem Fest- lande zurückgelassen — zu den Salzlagern. Achte Vorlesung. Die Genussmittel. Ausser den Nahrungsstoffen nimmt jeder Mensch und jedes Thier noch andere Stoffe auf, welche uns weder als Kraftquelle dienen noch als Ersatzmittel für verlorene Körperbestandtheile. Wir nehmen die- selben nur auf wegen der angenehmen Wirkung, die sie auf die Ge- schmacks- und Geruchsnerven und andere Theile des Nervensystems ausüben. Diese Stoffe bezeichnet man als Gewürze und Genussmittel. Sie sind uns ebenso unentbehrlich wie die Nahrungsstoffe. Es ist nämlich eine sehr beachtenswerthe Thatsache, dass unsere wichtigsten 07^ganischen Naluninffsstoffe absolut geruch- und geschmacklos sind. Kiechen können wir nur flüchtige Stoffe, schmecken nur, was in Wasser sich löst. Unsere organischen Nahrungsstoffe haben keine von beiden Eigenschaften. Sie sind nicht im geringsten flüchtig und fast sämmtlich unlöslich im Wasser. Die Fette mischen sich bekanntlich gar nicht mit Wasser, die Eiweisskörper quellen nur, gehen aber nicht in Lösung. Von den Kohlehydraten sind nur die Zuckerarteu löslich ; diese haben einen süssen Geschmack. Wenn wir also die Nahrung überhaupt schmecken, schmeckt sie uns süss, angenehm. Da aber die meisten Nahrungsstoffe auf unsere Sinne nicht einwirken können, so sind die Geschmacks- und Geruchsorgane so eingerichtet, dass die flüchtigen und löslichen Stoffe, welche mit den Nahrungsstoffen ver- einigt in der Natur sich finden, bei ihrer Einwirkung auf die Nerven- endapparate angenehme Empfindungen auslösen. Diese Empfindungen veranlassen uns nicht blos zur Aufnahme der Nahrung; sie befördern auch die Verdauung. Dass schon die blosse Vorstellung duftender und wohlschmeckender Speisen die Speichel- secretion vermehrt, ist eine alltägliche Erfahrung. Dass auch die Secretion des Magensaftes dadurch gesteigert wird, lässt sich an Magen- fistelhunden beobachten. Es genügt ihnen aus der Entfernung ein Stück Fleisch zu zeigen, um die Secretion des Magensaftes zu vermehren. Die Genussmittel. 123 Es wird dadurch wahrscheinlich, dass die Thätigkeit auch aller übri- gen Verdauungsdriisen reflectorisch durch angenehme Geruchs- und Geschmackseindrücke angeregt und überhaupt alle Bewegungsvor- gänge, die bei der Verdauung und Resorption eine Rolle spielen, be- fördert werden. Eine wohlthuende Erregung der Sinne erfreut das Gemüth und wirkt schon dadurch indirect günstig auf alle Organe des Körpers. Umgekehrt ist es eine bekannte Thatsache, dass üble Geruchs- und Geschmackseindrücke Verdauungsstörungen hervorrufen, die sich bis zum Erbrechen steigern können. Die Unentbehrlichkeit der Genussmittel ist also nicht zu be- zweifeln. Die Aufnahme geschmack- und geruchloser Nahrungsstoffe würde uns bald beim besten Willen unmöglich sein. Der Mensch begnügt sich nun aber nicht damit, wie das Thier, die Genussmittel nur in derjenigen Menge zu consumiren, in welcher sie mit den Nahrungsstoffen vereinigt in der Natur sich finden; er trennt künstlich die Genussmittel von den Nahrungsmitteln und ge- niesst sie für sich allein oder mit einer verhältnissmässig geringen Menge von Nahrungsstoffen. Daraus erwächst für den Menschen die Gefahr der Unmässigkeit. Es ist damit der Regulator beseitigt, wel- cher beim Thier durch das eintretende Sättigungsgefühl zugleich der weiteren Nahrungsaufnahme und der weiteren Aufnahme von Genuss- mitteln ein Ziel setzt. So lange es sich nur um solche Genussmittel handelt, die blos auf den Geschmacks- und Geruchssinn wirken, ist die Gefahr der Unmässigkeit nur gering. Denn je intensiver eine Ge- schmacks- und Geruchsempfindung ist, desto leichter stumpfen unsere Nerven dagegen ab — wir werden ihrer überdrüssig. Der Mensch isolirt aber auch diejenigen Genussmittel, die nicht durch die Wirkung auf die Sinne uns locken, sondern durch die Wirkung auf die Hirn- functionen — die Narkotica. Er weiss sie herauszufinden, auch wenn sie durch Geschmack und Geruch sich gar nicht verrathen und nur in Pflanzentheilen vorkommen, die als Nahrung gar keinen Werth haben — Opium, Thee, Kaffee, Haschisch u. s. w. Ja, wenn die Natur ihm das Gift nicht bereitet, so stellt er es künstlich dar aus unschädlichen Stoffen, ja selbst aus Nahrungsstoffen, wie den Alkohol aus dem Zucker. — Der bewusste Wille greift störend ein in die Harmonie der unbewussten Triebe und wird zur Quelle grenzenlosen Elends. Solange über etwaige chemische Vorgänge, durch welche die Ge- nussmittel auf das Nervensystem einwirken, noch nichts bekannt ist, gehört eine Betrachtung derselben nicht in die physiologische Chemie, sondern in die specielle Nervenphysiologie und Toxicologie. Nur 124 Achte Vorlesung. einige der Genussmittel will ich etwas eingehender besprechen, weil dieselben immer noch vielfach für Nahrungsmittel gehalten werden. Dahin gehören vor Allem die alkoholischen Getränke. Wir wissen , dass der Alkohol zum grössten Theil in unserem Körper verbrannt wird. Nur ein kleiner Theil wird unverändert durch die Nieren und Lungen wieder ausgeschieden. ') Der Alkohol ist also zweifellos eine Quelle der lebendigen Kiaft in unserem Körper. Daraus folgt aber noch nicht, dass er auch ein Nahrungsstoff sei. Um diese Annahme zu begründen, müsste zuvor der Nachweis geführt werden, dass die bei seiner Verbrennung frei werdende lebendige Kraft verwerthet werde zur Verrichtung einer normalen Function. Es ist nicht genug, dass chemische Spannkräfte in lebendige Kraft sich umsetzen. Die Umsetzung muss zur rechten Zeit am rechten Orte vor sich gehen, an ganz bestimmten Punkten ganz bestimmter Gewebs- elemente. Diese Gewebselemente sind gar nicht darauf eingerichtet mit jedem beliebigen Brennmaterial gespeist zu werden. Wir wissen nicht, ob der Alkohol etwa in den Muskeln oder Nerven zur Ver- richtung ihrer Functionen die Kraftquelle abgeben könne. (Vergl. Vor- les. 21 Schluss.) Man wird nun einwenden, als Wärme müsse die aus der Ver- brennung des Alkohols stammende lebendige Kraft unserem Körper doch jedenfalls zu Gute kommen, auch wenn kein einziges Organ diese Kraft zur Verrichtung seiner Functionen verwerthe; es müssten durch die Verbrennung des Alkohols andere Nahrungsstoffe erspart werden. Aber auch dieses ist nicht zuzugeben. Denn wenn auch der Alko- hol auf der einen 'Seite die Wärmequellen vermehrt, so vermehrt er auf der anderen Seite die Wärmeabgabe. Durch die lähmende Wir- kung, die er auf die Gefässnervencentra ausübt, kommt es zu einer Erweiterung der Gefässe, insbesondere der Hautgefässe und somit zu einem vermehrten Wärmeverlust. Das Gesammtresultat ist jeden- falls eine Herabsetzung der Körpertemperatur, die thätsächlich nach- gewiesen ist. Ueberhaupt hat der Alkohol nur lähmende Eigenschaften. Alle Er- 1) ViCT. SuBBOTiN, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 7. S. 361. 1871. DxjvRt, Procee- dings ofroyalSoc. Vol. 20. p. 268. 1872 und The Practitioner Vol. 9. p. 28. 1872. Anstie, Practitioner. Vol. 13. p. 15. 1874. Are. Schmidt, Centralbl. f. d. medic. Wissensch. 1875. Nr. 23. H. Hedbach, Ueber die Ausscheidung des Weingeistes durch den Harn Fiebernder. Diss. Bonn 1875. C. Binz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. Bd. 6. Hft. 5 — 6. 1877. H. Heubach, Quantitative Bestimmung des Alko- hols im Harn. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. Bd. 8. S. 446. 1878. G. Bodländek, Pflüger's Arch. Bd. 32. S. 398. 1883. Die Genussmittel. Der Alkohol. 125 scheinungen, die bei oberflächlicher Beobachtung- als erregende Wir- kung des Alkohols gedeutet werden, lassen sich auf Lähmuugser- scheiuungen zurückführen. ') Der Laie sagt, der Alkohol erwärme ihn bei kaltem Wetter. Dieses Wärmegefühl beruht erstens darauf, dass — wie bereits erwähnt — durch Lähmung der Gefässnervencentra der Blutzufluss zur Körperoberfläche vermehrt wird, zweitens vielleicht darauf, dass die Centralorgane, welche die Kälteempfindung vermitteln, gelähmt, abgestumpft werden. Die scheinbar erregende Wirkung, die der Alkohol auf psychi- schem Gebiete äussert, ist gleichfalls nur eine Lähmungserscheinung. Diejenige Gehirnfunction nämlich, welche bei der beginnenden Läh- mung zunächst geschwächt wird, ist das klare Urtheil, die Kritik. In Folge dessen prävalirt das Gemüthsleben, befreit von den Fesseln der Kritik. Der Mensch wird offenherzig und mittheilsam; er wird sorglos und lebensmuthig — er sieht eben nicht mehr klar die Gefahren. Vor Allem aber äussert sich die lähmende Wirkung des Alkohols darin, dass er jede Art des Missbehagens und jedes Schmerzgefühl betäubt und zwar zunächst die bittersten Schmerzen, die psychischen Schmer- zen, den Kummer, die Sorgen. Daher die heitere Stimmung, die sich der trinkenden Gesellschaft bemächtigt. Niemals aber wird ein Mensch durch geistige Getränke geistreich. Dieses Vorurtheil beruht auf einer Selbsttäuschung; es ist gleichfalls nur ein Symptom der erwähnten Läbmungserscheinung: in dem Maasse als die Selbstkritik sinkt, steigt die Selbstgefälligkeit. Als Lähmungserscheinung sind auch die leb- haften Gesticulationen und unnützen Kraftanstrengungen der Trunkenen zu deuten. Die hemmende Schranke ist beseitigt, welche der Nüchterne jedem Anlass zu unnöthigen Bewegungen entgegenstellt, um seine Kräfte zu schonen. Damit hängt auch die zunehmende P u 1 s fr e q u e n z zu- sammen, welche gewöhnlich als Beweis für die „erregende" und „be- lebende" Wirkung des Alkohols geltend gemacht wird; sie „hängt gar nicht von der Alkoholwirkung ab, sondern wird durch die Situation 1) Man lese hierüber die kurze und klare Darstellung in üchmiedeberg's Grundriss der Arzneimittellehre. Aufl. 2. Leipzig. Vogel. 18S3. S. 25 — 27. Vergl. Zimmerberg, Diss. Dorpat 1869. Maki, Diss. Strassbui-g 1884. H. Dreser, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 27. S. 87. 1890. P. vok der MtJHLL u. A. Jaqdet, Corre- spondenzblatt f. Schweizer Aerzte. 1891. No. 15. S. 457 und E. Kräepelin, Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena 1892. Fischer. Die ältere Ansicht, nach welcher der Alkohol in kleinen Dosen „erregend" wirken soll, wird von C. Binz („Der Weingeist als Heilmittel." Sonder- abdruck aus den ,, Verhandlungen des VII. Congresses für innere Medicin zu Wies- baden 1888." Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann 1888) vertreten. 126 Achte Vorlesung. herbeigeführt, in der die alkoholischen Getränke gewöhnlich consumirt werden. Sie ist Folge des lebhaften Gebahrens und bleibt nach den bisherigen Untersuchuugen bei völliger Ruhe des Körpers aus". 0 Eine Lähmungserscheinung, die irrthümlich als Erregung gedeutet wird, ist ferner die Betäubung des Müdigkeitsgefühles. Es ist ein festgewurzelter Glaube, der Alkohol stärke den Müden zu neuer Arbeit und Anstrengung. Das Müdigkeitsgefühl ist das Sicherheits- ventil an unserer Maschine. Wer das Müdigkeitsgefühl betäubt, um weiterzuarbeiten, gleicht dem, der gewaltsam das Ventil verschliesst, um die Maschine überheizen zu können. Dass das Vorurtheil von der „stärkenden" Wirkung des Alkohols so unausrottbar ist, erklärt sich aus den Erfahrungen der Gewohn- heitstrinker. Wer einmal an regelmässigen Alkoholgenuss gewöhnt ist, der wird in der That durch den Alkohol leistungsfähiger, als er bei plötzlicher, vollständiger Entziehung sein würde. Erklären lässt sich diese Thatsache vorläufig nicht, sie ist aber der Wirkung anderer Narkotica auf den daran Gewöhnten vollkommen analog. Der Morphiophag kann weder arbeiten, noch essen noch schlafen, wenn man ihm das Morphium entzieht; er wird durch das Morphium „gestärkt". Ein Mensch aber, der an kein Narkoticum gewöhnt ist, wird auch durch kein Narkoticum leistungsfähiger. Besser als durch alle wissenschaftlichen Deductionen und Ex- perimente wird die völlige Nutzlosigkeit, ja Schädlichkeit auch der massigsten Alkoholdosen bewiesen durch die tausendfachen Massen- experimente, welche bei der Verpflegung der Heere gemacht worden sind und welche bereits festgestellt haben, dass die Soldaten in Kriegs- und Friedenszeiten, in allen Klimaten, bei Hitze, Kälte und Regen alle Strapazen der aiigestrengtesten Märsche am besten ertragen, wenn man ihnen vollständig alle alkoholischen Getränke entzieht. 2) Zum gleichen Resultate ist man auch in der Marine gelangt, ebenso auf den Kauffahrteischiffen, von denen Tausende in England und Amerika in See gehen ohne einen Tropfen alkoholischer Getränke an Bord. Die meisten Walfischfahrer sind vollständige „Abstainers". Dass auch geistige Anstrengungen jeder Art am besten er- fragen werden, wenn man vollständig auf alle alkoholischen Ge- tränke verzichtet, giebt jeder zu, der den Versuch gemacht hat. Der Alkohol stärkt also niemanden ; er betäubt nur das Müdigkeitsgefühl. 1) Schmiedeberg, 1. c. S. 2G. Zimmerbeeg, Unt. üb. den Einfluss des Alko- hols auf die Thätigkeit des Herzens. Diss. Dorpat 1869. 2) Siehe A. Baer, Der Alkoholismus. Berlin 1878. S. 103—108. Dort findet sich eine genaue Angabe der Quellen. Die Genussmittel. Der Alkohol. 127 Zu Gunsten der alkoholischen Getränke wird häufig geltend ge- macht, dass sie „den Stoffwechsel verlangsamen". Eine ge- ringe Verminderung der Stickstoffausscheidung, somit des Eiweisszerfalles, geben allerdings einige Autoren an nach Aufnahme massiger Alkoholmengen beobachtet zu haben, i) Es ist aber nicht zu verstehen, wie man daraufhin den Genuss alkoholischer Getränke empfehlen will. Warum soll man denn den „Stoffwechsel verlang- samen"!? Ist denn nicht gerade der Stoffwechsel, der Zerfall der organischen Stoffe die Quelle der Kraft in unserem Körper? Die Intensität dieses Stoffwechsels, dieser Umsetzung von Spannkraft in lebendige Kraft wird beständig regulirt durch einen complicirten Nervenapparat, der bald hemmend bald anregend einwirkt, je nach den Bedürfnissen, die in den einzelnen Organen sich geltend machen. In diesen selbstregulirenden Nervenmechanismus durch Gifte störend eingreifen zu wollen, ist um so thörichter, als wir über die Art seiner Thätigkeit noch so gut wie gar nichts wissen. Was haben wir für ein Urtheil darüber, ob der Stoffwechsel zu rasch oder zu langsam vor sich geht!? Ausserdem aber muss nach den neuesten und genauesten Ver- suchen am Menschen dem Alkohol die behauptete eiweissersparende Wirkung gänzlich abgesprochen werden. -) Unter diesen Versuchen seien die musterhaft exacten Selbstversuche Miuea's hervorgehoben. MiuRA brachte sich mit einer Nahrung von Eiweiss, Fett und Kohle- hydraten nahezu ins Stickstoffgleichgewicht. Er liess darauf einige Tage einen Theil der Kohlehydrate aus der Nahrung fort und ersetzte sie durch ein Quantum Alkohol, welches die gleiche Verbrennungs- wärme lieferte. In Folge dessen stieg die Stickstoffausscheidung um ebensoviel wie an den Tagen, wo er ceteris paribus das gleiche Quan- tum an Kohlehydraten fortliess ohne sie durch Alkohol zu ersetzen. Der Alkohol war also ohne allen Einßuss auf den Eiweisszerfall ; er wirkte nicht eiweisser sparend wie die Kohlehydrate. In grösseren Dosen wirkt der Alkohol nicht nur nicht vermin- dernd, sondern sogar vermehrend auf die Stickstoffaus- scheidun g.^j Der Alkohol scheint in dieser Hinsicht ähnlich zu 1) A. P. FoKKER, Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde 1871. p. 125. Imm. Münk, Verh. d. physiolog. Ges. zu Berlin. 3. Jan. 1879. L. Eiess, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 2. S. 1. 1880. 2) Parkes, Proceedings of the royal soc. Vol. 20. p. 402. 1872. H. Keller, Zeitschr. f. pbysiol. Chem. Bd. 13. S. 128. 1888. Stammeeich, üeb. d. Einfl. d. Alkohols auf den StoÖ'wechsel des Menschen. Diss. Berlin 1891. K. Miüra, Zeit- schrift f. klin. Med. Bd. 20. S. 137. 1892. 3) Imm. Münk, 1. c. 128 Achte Vorlesung. wirken, wie gewisse intensive Gifte, namentlich Phosphor und Arsen, welche eine vermehrte Stickstoffausscheidung bei gleichzeitiger Ver- minderung der Sauerstoflfaufnabme und Kohlensäureausscheidung be- wirken und dadurch zur Verfettung der Organe führen. Es scheint, dass es unter der Einwirkung dieser Gifte zur Bildung von Fett aus Eiweiss kommt. Es spaltet sich der Stickstoff mit einem kleinen Theile des Kohlenstoffes aus dem Eiweissmoleküle ab und der stick- stofffreie Rest wird als Fett in den Geweben abgelagert. Diesen Process werden wir später eingehender zu besprechen haben (s. Vorles. 22). Die Verfettung der Organe beim Trinker ist vielleicht zum Theil auf eine ähnliche Wirkung zurückzuführen. Leider haben die bisherigen Untersuchungen über den Einfluss des Alkohols auf die Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung noch keine un- zweideutigen Resultate ergeben, i) Sehr verbreitet ist das Vorurtheil, dass alkoholische Getränke die Verdauung fördern. In Wirklichkeit ist das Gegentheil der Fall. Es kann jeder leicht an sich beobachten, dass die Zeit, welche nach einer Mahlzeit verfliesst, bis wiederum Hunger sich einstellt, eine verschieden lange ist, je nachdem zur Mahlzeit alkoholische Getränke genossen wurden oder nicht; sie ist bei gleich reichlicher Mahlzeit bedeutend länger, wenn Wein oder Bier dazu getrunken wurde. Die hemmende Wirkung der alkoholischen Getränke — und zwar auch massiger Mengen Bier oder Wein — auf die Verdauung ist übrigens auch an einer Magenfistelkranken 2), an mehreren anderen Personen mit Hülfe der Magenpumpe '■^) und durch zahlreiche andere Versuche ^) constatirt worden. In England leben gegenwärtig 5 Millionen Menschen in jeder Berufsarbeit gesund und rüstig, lebensfroh und lebensmuthig ohne einen Tropfen Alkohol und die Statistik der Lebensversicherungs- gesellschaften zeigt, dass diese Enthaltsamen bedeutend länger leben 1) Die vielcitirten Versuche von Boeck und Bauer (Zeitschr. f. Biolog. Bd. 10. S. 361. 1874) gestatten keinen sicheren Schluss, weil die Versuchsdauer eine zu kurze war. Dasselbe gilt noch mehr von der Arbeit von Wolfees (Arch. f. d. ges. Physiologie. Bd. 32. S. 222. 1883). N. Simanowsky und C. Schoumoff (Pflüger's Arch. Bd. 33. S. 251. 1884) zeigten, dass durch Alkoholaufnahme die Oxydation des Benzol zu Phenol im Organismus herabgesetzt wird. 2) F. Kretschy, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XVIII. S. 527. 1876. 3) WiLH. Buchner, ebend. Bd. 29. S. 537. ISSl. 4) Emil Schütz, Prager med. Wochenschr. 1885. Nr. 20. Bikfalvi, Maly's Jahresbericht f. Thierchemie. 1885. S. 273. Massanori Ogata, Arch. f. Hygiene. Bd. 3. S. 204. 1885. Klikowicz, Virchow's Arch. Bd. 102. S. 360. 1885. Die Genussmittel. Der Alkohol. 129 als die massigen Trinker.') Die Versicherungsgesellschaften ge- währen deshalb den Enthaltsamen 10 bis ib^/o Prämienrabatt. An- gesichts dieser Thatsache ist über die Frage nach dem Werthe des Alkohols als Genussmittel kein Wort weiter zu verlieren. Bei den bisherigen Betrachtungen habe ich vorzugsweise die Wirkungen des Alkohols bei sogenanntem massigem Gebrauch im Auge gehabt. Die Folgen des unmässigen Alkoholgenusses zu schil- dern, kann hier meine Aufgabe nicht sein.-) Es ist ja bekannt, dass der Missbrauch alkoholischer Getränke ein ganzes Heer von Krank- heiten zur Folge hat, dass kein Organ unseres Körpers von seiner zerstörenden Wirkung verschont bleibt. 3) Es ist ebenso bekannt, dass 70 — 80 »^/o der Verbrechen und 10— 40 "/o der Selbstmorde in den meisten civilisirten Ländern dem Alkohol zugeschrieben werden. Bedenkt man, dass die Trunksucht durch den Vorsatz der Massig- keit noch niemals geheilt worden ist, sondern nur durch die Ver- meidung des ersten Glases, bedenkt man ferner, wieviel durch die Macht des Beispiels gewirkt werden kann, so muss jeder gewissen- hafte Mensch sich verpflichtet fühlen, mit zu arbeiten an der Aufgabe der vollständigen Beseitigung aller alkoholischen Getränke, und zwar vor Allem durch das eigene Beispiel.^) 1) Eine Zusammenstellung des zuverlässigsten statistischen Materials findet sich bei James Whyte: „Does the use of alcohol shorten liefe?" Manchester 1889. Deutsch von M. von Stern. Zürich bei Schabelitz. 1890. 2) Man lese hierüber die lehrreiche Zusammenstellung in dem umfangreichen Werke von A. Baer, „Der Alkoholismus. Seine Verbreitung und seine Wirkung auf den individuellen und socialen Organismus, sowie die Mittel ihn zu bekämpfen." Berlin 1878. Ferner die in London erscheinenden Zeitschriften: „The Medical Temperance Journal", das Organ eines Vereins von 4U2 Aerzten und 109 Studenten der Medicin, welche alle das Gelübde der völligen Enthaltung abgelegt haben, und „The alliance news", sowie die seit 1891 bei Tienken in Bremerhaven er- scheinende „Internationale Monatsschrift zur Bekämpfung der Trinksitten." 3) Man lese hierüber Legrain, Heredite et Alcoholisme. Paris 1891. Laurent, Les habitu^s des prisons de Paris. Paris 1890. J. Sendtner, prakt. Arzt in Mün- chen, Ueb. Lebensdauer u. Todesursache bei den Biergewerben. Ein Beitrag zur Aetiologie der Herzerkrankungen. München 1891. Verlag von J. F. Lehmann. Demme, üeb. d. Einfluss d. Alkohols auf den Organismus des Kindes. Stuttgart 1891. Ad. Strümpell, Ueber die Alkoholfrage vom ärztlichen Standpunkte aus. Vortrag in der Versamml. deutscher Naturforscher u. Aerzte in Nürnberg 1893. Berliner klin. Wochenschr. Jahrg 30. S. 933. 1893. Auch als Separatabdruck bei Vogel. Leipzig 1894. 4) Die Geschichte des Kampfes wider den Alkohol lehrt, dass die Mässig- keitsvereine aller Art nichts ausgerichtet haben, während diejenigen Vereine, welche das Princip der vollständigen Euthaltung vertreten, die glänzendsten Erfolge aufweisen. In Nord-Amerika haben die Enthaltsamkeitsvereine bereits in BusGE, Phys. Chemie. 3. Auflage. 9 130 Achte Vorlesung. Von der Frage nach der Wirkung des Alkohols als Genussmittel streng zu scheiden ist die Frage nach seinem Werthe als Arznei- mittel. Als Arzneimittel ist er vorläufig nach Ansicht vieler Aerzte nicht zu entbehren. Gerade seine lähmenden Eigenschaften sind es, die ihn hier v^rerthvoU erscheinen lassen. Er ist ein mildes An- ästheticum und wirkt beruhigend durch Herabsetzung der krank- haft gesteigerten Reflexerregbarkeit („Nervosität*')- Der Alkohol wird ferner alsAntipyreticum angewandt. Beweise günstiger Wirkungen auf den Verlauf fieberhafter Krankheiten sind bisher nicht geliefert worden. ') Selbstverständlich für jeden denkenden Menschen ist es, dass alkoholische Getränke immer nur gegen acute Leiden verordnet werden dürfen, zur Linderung vorübergehender Zustände, niemals gegen chronische Leiden, aus demselben Grunde, aus welchem man nicht Morphium und Chloralhydrat gegen chronische Leiden verordnen darf, es sei denn, dass es sich um Euthanasie handelt. Es wird von vielen Aerzten mit der Verordnung alkoholischer Ge- tränke ein empörender Missbrauch getrieben, und es giebt kaum einen Gewohnheitstrinker, der sich nicht auf die Autorität der Aerzte be- riefe, um sein Laster zu entschuldigen. Es ist dringend zu wünschen, dass der Alkohol auch in den Fällen, wo seine arzneiliche Anwendung gerechtfertigt erscheint, durch andere Mittel ersetzt werde, weil es kaum möglich ist, bei der ur- theilslosen Menge den festgewurzelten Aberglauben von der „stärken- den", „belebenden", „erregenden" Wirkung des Alkohols auszurotten, so lange er immerfort als Heilmittel empfohlen wird. — Hoffen wir, dass die in England und Amerika errichteten Krankenhäuser, in denen grundsätzlich ohne Alkohol behandelt wird, allmählich durch ein reiches statistisches Material die Frage nach der Entbehrlichkeit des Alkohols als Arzneimittel zur Entscheidung bringen. fünf Staaten: Maine, Jowa, Kansas, Nord- und Süd-Dakota das vollständige Ver- bot der Production und des Verkaufes alkoholischer Getränke durchgesetzt, und in den übrigen Staaten fordert eine täglich wachsende Partei das Gleiche. In England beträgt die Zahl derer, die das Gelübde der völligen Enthaltsamkeit ab- gelegt haben, 5 Millionen, in Schweden 300 OUU, in Norwegen 100 OUü, in Dänemark 50 000, in der Schweiz 7000. Siehe J. N. Stearns. „Temperance in all nations." New- York 1893. 1) Die detaillirten Dogmen, welche über die Wirksamkeit der verschiedenen alkoholischen Getränke bei verschiedenen Krankheiten aufgestellt werden, wider- legen zu wollen, wäre ein verkehrtes unternehmen. Es ist der oberste Grundsatz der Dialektik, dass der Behauptende zu begründen hat. Man fordere die Herren nur auf, ihre Lehren zu begründen. Die völlige Unhaltbarkeit derselben tritt dann sofort zu Tage. Die Genussmittel. Der Thee und der Kaffee. 131 Weit unschädlichere Genussmittel als die alkoholischen Getränke sind der Thee und der Kaffee. Sie wirken nicht lähmend, sondern fördernd bei jeder geistigen und körperlichen Anstrengung. Die Ge- fahr der Unmässigkeit ist bei ihrem Gebrauche kaum vorhanden. Zwar werden einzelne Personen hin und wieder schädliche Folgen unmässigen Kaffee- und Theegenusses unmittelbar an sich verspüren. Auch kann der fortgesetzte Missbrauch dieser Getränke bisweilen zu Erkrankungen führen. Aber in diesen Fällen ist es den betreffenden Personen stets leicht, den Gebrauch dieser Genussmittel aufzugeben. Der Arzt macht die Erfahrung, dass das Verbot von Thee und Kaffee in der Regel befolgt, das Verbot des Alkohols aber fast ausnahms- los nicht befolgt wird. Der Mensch wird niemals zum Sclaven des Thees oder Kaffees, und jedenfalls ist noch nie jemand durch Kaffee- oder Theetrinken in einen unzurechnungsfähigen Zustand gerathen oder gar zum Verbrechen getrieben worden. Der Thee und der Kaffee enthalten bekanntlich einen gemein- samen wirksamen Bestandtheil, das Coffein oder Thein, welcher in naher Beziehung steht zu demXanthin, einer stickstoffreichen, krystallisirbaren Verbindung, die in geringer Menge einen constanten Bestandtheil aller Gewebe unseres Körpers bildet. Wir werden das Xanth in in der Chemie des Harnes näher kennen lernen (s.Vorles. 18). Das Coffein ist ein dreifach methylirtes Xanthin und lässt sich aus diesem künstlich darstellen, i) Es ist eine wunderbare und überraschende Erscheinung, dass die verschiedensten Völker aller Welttheile vollkommen unabhängig von einander das Coffein in den verschiedensten Pflanzen und Pflan- zentheilen ausfindig gemacht haben. Die Araber haben es in der Kaffeebohne sich zu eigen gemacht, die Chinesen im Thee, die Ein- geborenen Centralafrikas in der Colanuss (Cola acuminata), die Süd- afrikaner im Buschthee, den Blättern einer Cyclopiaart, die Einge- borenen Südamerikas im Paraguaythee (Hex paraguayensis) und in den Samen der Paulinia sorbilis, einer brasilianischen Schlingpflanze, die Indianer Nordamerikas im Apalachenthee, den Blättern mehrerer Ilexarten ! Diese Erscheinung ist um so auffallender, als das Coffein sich weder durch seinen Geruch, noch durch seinen Geschmack ver- rathen kann. Und nun kommt hinzu, dass dieses so gesuchte und begehrte Genussmittel in einer so nahen und einfachen Beziehung zu einem Bestandtheil unserer Gewebe steht. Sollte dieses nur Zu- fall sein? Oder sollen wir uns denken, dass das Coffeinmolekül ver- 1) Emil Fischer, Liebig's Annalen. Bd. 215. S. 253. 1882. 132 Achte Vorlesung. möge seiner ähnlichen Constitution befähigt ist, in dieselben Gewebs- elemente einzudringen, in welchen das Xanthin vorkommt, und dort eine ähnliche, aber durch seinen complicirteren Bau modificirte Rolle zu spielen und dadurch die erregende Wirkung auszuüben? Das Coffein wird in den Geweben unseres Körpers zum grössten Theil zerstört. Eine in Dragendorff's Laboratorium zu Dorpat angestellte Untersuchung ') ergab, dass die bei gewöhnlichem Kaflfee- und Theegenusse aufgenommene Coffeinmenge — eine Tasse Kaflfee enthält etwa 0,1 Grm. Coffein und ebenso viel ist in 2 — 10 Grm. ge- trockneter Theeblätter enthalten — nicht in den Harn übergeht. Erst wenn 0,5 Grm. eingeführt werden, lässt sich das Coffein im Harne nachweisen. Auf den Eiweisszerfall in unserem Körper ist das Coffein von keinem Einfluss; die Stickstoffausscheiduug wird durch dasselbe weder vermehrt, noch vermindert, wie VoiT-^) durch sorgfältige Versuche gezeigt hat. Auf alle Untersuchungen über die Coffeinwirkung einzugehen ist hier nicht der Ort. Ich verweise auf die Compendien der Phar- makologie. Das Coffein ist nicht der einzige wirksame Bestandtheil im Thee und Kaffee. Ausser diesem gemeinsamen Bestandtheil sind im Thee ätherische Oele, im Kaffee gewisse aromatisch riechende Stoffe enthalten, die beim Rösten der Bohnen sich bilden. Daraus erklären sich die Verschiedenheiten in der Wirkung der beiden Ge- tränke. Einen dem Coffein in chemischer Hinsicht sehr nahe stehenden und ähnlich wirkenden Bestandtheil enthält die Cacaobohne. Es ist das Theobromin, ein zweifach methylirtes Xanthin. In den Samen der Paulinia sorbilis, welche zur Bereitung der in Südamerika als Genussmittel sehr beliebten Guaranapaste dienen, sind das Theo- bromin und das Coffein vereinigt. Die Wirkung des Theobromins auf den Muskel und auf das Centrainer vensystem hat in neuester 1) RiCH. Schneider, Ueber das Schicksal des Caffeius und Theobromins im Thierkörper , nebst Untersuchungen über den Nachweis des Morphins im Harn. Diss. Dorpat 1884. Schutzkwer (Das Coffein und sein Verhalten im Thierkörper. Diss. Königsberg 1883) fand von ü,2 Grm. Cofiein, die einem Hunde subcutan injicirt worden, nur 0,012 im Harn wieder. Maly und Andreasch (Studien über Caffein und Theobromin. V. Abhandlung. Monatshefte der Chemie. 1883. Maiheft) fanden von 0,1 Grm., die einem kleinen Hunde in den Magen eingeführt wurden, 0,066 im Harn wieder. 2) C VoiT, Unt. üb. d. Einfl. des Kochsalzes, des Kaffees und der Muskel- bewegungen auf den Stoffwechsel. München 1860. S. 67 — 147. Die Genussmittel. Die Fleischbrühe und das Fleischextract. 133 Zeit FiLEHNE 0 studirt und mit der Wirkung des Xanthins und des Coffeins verglichen. Er kommt zu dem beachtenswerthen Resultate, „dass der chemischen Reihe: Caffein (Trimethylxanthin), Theo- bromin (Dimethylxanthin), Xanthin auch eine pharmakologische Reihe der Wirkungen entspricht". Ein Monomethylxanthin ist nicht bekannt. Die Cacaobohne ist nicht nur ein Genussmittel, sondern zugleich ein sehr werthvolles Nahrungsmittel: sie besteht zur Hälfte ihres Gewichtes aus Fett und enthält ausserdem noch ca. 12 o/o Ei weiss. Die Chocolade sollte zur Verproviantirung des Heeres im Kriege Verwerthung finden. Es ist kaum möglich, in anderer Form bei gleich geringem Gewichte und Volumen soviel Nahrungsstoff mit sich zu führen. Das unschädlichste unter allen Genussmitteln ist jedenfalls die Fleischbrühe oder das Fleischextract. welches letztere nichts an- deres ist, als eingedampfte Fleischbrühe. Eine narkotisirende Wirkung der Extractivstoffe des Fleisches konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Sie wirken, wie es scheint, nur auf die Geschmacks- und Geruchsnerven. Diese wohlthuende Wirkung kann niemals überschätzt werden. Nur darf man der Fleischbrühe nicht irgend welche „näh- rende", „stärkende" Eigenschaften zuschreiben. Es herrscht in dieser Hinsicht die wunderlichste Begriffsverwirrung nicht nur unter Laien, sondern auch unter Aerzten. Es sei mir deshalb gestattet, auf diesen Gegenstand etwas näher einzugehen. Bis auf die neuere Zeit war die Meinung sehr verbreitet, die Fleischbrühe enthalte die werthvollsten Nahrungsstoffe des Fleisches. Man nannte deshalb die Fleischbrühe auch „Kraftbrühe". Man ver- band damit die unklare, mystische Vorstellung, dass eine ganz geringe Stoffmenge — eine Messerspitze Fleischextract liefert einen Teller Bouillonsuppe — eine ergiebige Kraftquelle abgeben könne, dass die Extractivstoffe des Fleisches gleichsam „concentrirte Kraft" seien. Fragen wir uns also: welche Stoffe könnten es denn sein, die der Fleischbrühe den Nahrungswerth ertheilen? Der einzige Nah- rungsstoff, den das Muskelfleisch an siedendes Wasser abgiebt, ist der Leim. Das Eiweiss wird bekanntlich beim Sieden coagulirt, das Gly- cogen ist im Fleische, wenn es nicht ganz frisch ist, bereits in Zucker und dieser weiter in Milchsäure gespalten. Aber auch die Menge des Leims ist eine sehr geringe. Dieses geht schon daraus hervor, dass 1) Wilhelm FiLEHNE, Du Bois' Arch. 18S6. S. 72. Dort findet sich auch die frühere Literatur zusammengestellt. Vergl. auch Kobert, Arch. f. experim. Path. u. Pharmakol. Bd. XV. S. 22. 1882. 134 Achte Vorlesung. eine wässerige Lösung, die nur l**/o Leim enthält, beim Erkalten ge- rinnt. Eine solche Gerinnung sieht man wohl in Bratensaucen ein- treten, nur selten aber in den Bouillonsuppen. Die Fleischbrühe ent- hält also gewöhnlich weit weniger als l*^/o Leim. Bei der Darstellung des Fleischextractes wird der Uebergang grösserer Leimmengen in die Lösung möglichst vermieden, weil der Leim als eminent fäulniss- fähige Substanz die Haltbarkeit des Präparates beeinträchtigen würde. Die übrigen Bestandtheile der Fleischbrühe sind Zersetzungsproducte der Nahrungsstoffe, Producte der Spaltung und Oxydation im Thier- körper. Sie dürfen als Nahrungsstoffe nicht betrachtet werden, weil sie keine lebendige Kraft mehr erzeugen können oder nur so geringe Quantitäten, dass sie gar nicht in Betracht kommen. Nichtsdestoweniger ist bis auf die neueste Zeit behauptet wor- den, das Kreatin und Kreatinin'), welche zu den Hauptbestand- theilen des Fleischextractes gehören, seien „das Arbeitsmaterial des Muskels". Diese Behauptung fand ihre Widerlegung durch die Unter- suchungen Meissner's -) und Voit's ^), welche übereinstimmend zeigten, dass das Kreatin und Kreatinin nach ihrer Aufnahme in den Orga- nismus im Laufe der nächsten 24 Stunden unverändert und ohne Ver- lust im Harne wiedererscheinen. Ein Stoff, der weder gespalten noch oxydirt wird, kann keine Kraftquelle bilden — auch ganz abgesehen davon, dass die Menge des Kreatin und Kreatinin, die in der Fleisch- brühe aufgenommen wird, eine so geringe ist, dass sie als Arbeits- material des Muskels gar nicht in Betracht käme. Es ist ferner behauptet worden, dass ein Zusatz von Fleisch- extract den Nahrungswerth vegetabilischer Nahrungsmittel erhöhe, diesen „den vollen Nahrungswerth des frischen Fleisches gebe". Auch diese Behauptung wurde von Voit und seinen Schülern ^) widerlegt, welche durch Versuche an Thieren und am Menschen zeigten, dass die ungünstige Ausnutzung vegetabilischer Nahrungsmittel durch einen Fleischextractzusatz nicht verbessert und die Eiweisszersetzung im Körper nicht vermindert wird. Man hat schliesslich, um dem Fleischextracte dennoch einen Werth als Nahrungsmittel zuzusprechen, auf den bedeutenden Gehalt 1) Ueber die chemische Constitution und die physiologische Bedeutung dieser Verbindungen siehe unten Vorlesung 17, 2) G. Meissnee, Zeitschr. f. rationelle Medicin. Bd. 24. S. 97. 1865. Bd. 26.' S. 225. 1866 und Bd. 31. S. 283. 1868. 3) C. Voit, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 4. S. 111. 1868. 4) Eknst Bischopf, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 5. S. 454. 1869 und C. Voii, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 4. S. 359 u. 360. 1870. Die Genussmittel. Die Fleischbrühe und das Fleischextract. 135 desselben an ,,Näbrsalzen" hingewiesen. Aber an Salzen haben wir ja in unserer Nahrung, wie ich bereits dargethan habe (S. 100 u. 101 j, niemals Mangel, sondern stets einen Ueberfluss. Selbst für den wach- senden Organismus könnte höchstens an einem anorganischen Nah- rungsstoff Mangel eintreten — an Kalk. Gerade an Kalk aber ist das Fleischextract sehr arm. Die Asche desselben enthält nur 0,23 ^lo CaO.O Mehr als 30 Grm. Fleischextract wird wohl kaum jemand ver- zehren. Dieses Quantum ist aus einem Kilogramm Fleisch dargestellt und enthält blos 0,015 Grm. Kalk, soviel als in 10 Ccm. Kuhmilch enthalten sind! Es blieb also nichts übrig als das Fleischextract für ein Genuss- mittel zu erklären. Es wird bis auf den heutigen Tag behauptet, das Fleischextract wirke erregend und erfrischend wie die anerkannten Genussmittel, der Thee und der Kaffee. Bisher aber konnte eine Wir- kung des Fleischextractes auf die Muskeln oder Nerven nicht nach- gewiesen werden. Den einzigen Versuch dazu hat Kemmerich"-) ge- macht. Kemmerich berief sich auf den Kaligehalt des Fleischextractes und behauptete auf Grund seiner Versuche, die Kalisalze wirkten in kleinen Dosen erregend auf die Herzthätigkeit, in grossen Dosen da- gegen lähmend. Er warnt daher vor unmässigem Genuss des Fleisch- extractes. Mit den Kalisalzen verhält es sich folgendermaassen.3) Die erregende Wirkung auf die Herzthätigkeit, die Kemmerich beob- achtet hat, war gar keine Kaliwirkung, sondern einfach dem Umstände zuzuschreiben, dass Kemmerich seine Versuche an Kaninchen anstellte. Die Kaninchen sind bekanntlich schreckhafte Thiere: man kann ihnen injiciren, was man will, die indifferentesten Stoffe, Zuckerlösung, Kochsalzlösung — es tritt immer eine Pulsbeschleunigung ein. Ja, es genügt das blosse Einführen der Schlundsonde, um diese Wirkung hervorzubringen. Durch zahlreiche Versuche an Hunden und Menschen habe ich mich überzeugt, dass nach Einfü/wuny von Kalisalzen in den Magen niemals auch nur die geringste Pidsbeschleunigung eintritt. Die läh m ende Wirkung auf das Herz brachte Kemmerich da- durch zu Stande, dass er Kaninchen eine im Verhältniss zu ihrem geringen Körpergewicht ganz unsinnig grosse Menge Kalisalze in den Magen einführte. Wenn man einem Kaninchen von 1000 Grm. Kör- 1) G. Bunge, Pflüger's Arch. Bd. 4. S. 238. 1871. 2) E. Kemmerich, Pflüger's Arch. Bd. 2. S. 49. 1869. 3) G. BüNGE, ebend. Bd. 4. S. 235. 1871 und Zeitschr. f. Biologie. Bd. 9. S. 130. Anmerkung 1873. Eine Bestätigung meiner Resultate hat in neuerer Zeit K. B. Lehmann geliefert: Arch. f. Hygiene. Bd. III. S. 249. 1885. 136 Achte Vorlesung. pergewicht 5 Grm. Kalisalz in den Magen injicirt, so ist das so viel, als wenn man einen Menschen 300 Grm. Kalisalze verschlucken Hesse! Es kommt hinzu, dass Kaninchen nicht erbrechen können. Bei Hunden durch Einführung von Kalisalzen in den Magen Herzlähmung zu be- wirken, ist ganz unmöglich, weil diese Thiere sich grösserer Kali- salzmengen sofort durch Erbrechen wieder entledigen. Dasselbe gilt vom Menschen. Durch mehrfache Selbstversuche habe ich mich da- von überzeugt, dass diejenüjen Dosen (ca. 12 Grm.), welche gerade noch ertragen toerden, ohne Erbrechen zu bewirken, ganz ohne Einßuss auf die Herzthätigkeit sind. In den Fällen, wo thatsächlich Menschen durch Aufnahme von Kalisalzen in den Magen vergiftet worden sind, ist der Tod nicht durch Herzparalyse eingetreten, sondern durch eine Gastroenteritis. Die Kalisalze haben eine locale, ätzende Wirkung. Man findet die Magenschleimhaut bei Thieren, denen Kalisalze inji- cirt worden, stets hyperämisch, bisweilen auch mit Ekchymosen be- deckt. Werden die Kalisalze in sehr co ncen tri rt er Lösung ein- geführt oder gar in Pulverform — wie es in allen Vergiftungsfällen geschehen war — so kann es zur Gastritis mit tödtlichem Ausgang kommen. Die Herzlähmung durch Kalisalze kann bei allen Thieren leicht herbeigeführt werden, tveiin man die Salzlösung direct ins Blut injicirt. Durch eigene Versuche habe ich mich davon überzeugt, dass, wenn man einem mittelgrossen Hunde 0,1 Grm. KCl in die Jugularis injicirt, fast augenblicklich das Herz still steht. Auch nach subcutaner Injection kann man den Herzstillstand bewirken. Niemals aber geht der Lähmung eine Pulsbeschleunigung voraus, sondern stets eine Ver- langsamung. Um die völlige Unschädlichkeit der Kalisalze bei ihrer Aufnahme vom Magen aus zu beweisen, bedarf es übrigens keiner Versuche: man braucht sich nur dessen zu erinnern, wie gross die K'ülimengen sind, die wir mit den meisten vegetabilischen Nahrungsmitteln ver- zehren. Ich erwähnte ja bereits, dass ein Mensch, der sich vorherr- schend von Kartoffeln nährt, im Laufe des Tages über 50 Grm. Kali- salze aufnimmt! Die Kalisalze der Fleischbrühe können also weder in grosser Menge lähmend, noch in kleiner Menge erregend auf das Herz wirken. Und selbst wenn wir die erregende Wirkung der Kalisalze zugeben könnten, so wäre immer noch nicht einzusehen, weshalb wir um der Kalisalze willen Fleischbrühe gemessen sollten, da wir mit jeder Nahrung mehr Kalisalze aufnehmen als mit diesem Genussmittel. 5 Gramm Fleischextract liefern einen Teller Bouillonsuppe und enthalten nur Die Genussmittel. Die Fleischbrühe und das Fleischextract. 137 0,5 Grm. Kali, soviel als in einer einzigen kleinen Kartoffel ent- halten ist. Wir sehen also, dass der einzige Versuch, welcher bisher gemacht wurde, eine erregende Wirkung des Fleisch extractes auf experimen- tellem Wege nachzuweisen, gescheitert ist. Dass die organischen Bestandtheile des Fleischextractes eine Wirkung auf die Muskeln und das Nervensystem ausüben, ist oft be- hauptet, aber niemals begründet worden. Was insbesondere das Kreatin und Kreatinin betrifft, so hat Voit mitgetheilt, dass 6,3 Grm. Kreatin und 8,6 Grm. Kreatinin, einem Hunde beigebracht, durchaus keine Wirkung beobachten Hessen.^) In neuester Zeit will KoBERT -) eine Wirkung des Kreatin auf den Muskel nachgewiesen haben, aber die Versuche sind mit sehr grossen Dosen an Fröschen angestellt worden und die Resultate keineswegs unzweideutig. Auf die Muskeln des Menschen können die kleinen Kreatinmengen, die mit der Fleischbrühe aufgenommen werden — ca. 0,2 Grm. in einem Teller Suppe — gar keine Wirkung ausüben. Dieses lässt sich — auch ganz abgesehen von der Beobachtung Voit's am Hunde — schon a priori deduciren. Unsere Muskeln enthalten circa 3 p. M. Kreatin. 3) Die Gesammtmusculatur eines erwachsenen Mannes, welche ca. 30 Kgrm. wiegt, enthält somit ca. 90 Grm. Ausserdem findet es sich im Ner- vensystem und im Blut. Von der geringen Kreatinmenge, die wir mit einer Fleischbrühe aufnehmen und die thatsächlich in dem Maasse, als sie resorbirt, auch durch die Nieren wieder ausgeschieden wird, wissen wir nicht, ob sie überhaupt in die Muskeln gelangt. Wir müssen erwarten, dass die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoff- wechsels beständig aus dem Muskel hinausbefördert werden ins Blut, nicht aber umgekehrt aus dem Blute in den Muskel. Und selbst wenn eine ganz geringe Menge in die Musculatur gelangt, so kommt sie gar nicht in Betracht im Vergleich zu den 90 Grm., die bereits da- rin sind. Die Möglichkeit, dass einer von den übrigen organischen Be- standtheilen des Fleischextractes — die wir ja noch gar nicht alle kennen — eine Wirkung auf die Muskeln oder Nerven ausübe, muss ein skeptischer Beurtheiler unbedingt zugeben; nachgewiesen aber ist eine solche Wirkung bisher in keiner Weise. Wir wissen über die 1) C. Voit, Ueber die Entwicklung der Lehre von der Quelle der Muskel- kraft u. s.w. S. 39. 1870 oder Zeitschr. f. Biologie. Bd. 6. S. 343. 1870. 2) KoBERT, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XV. S. 56. 1882. 3) Fr. Hofmann, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 4. S. 82. 1868. M. Perls, Deutsch, Arch. f. klin. Medic. Bd. 6. 243. 1869. 138 Achte Vorlesung. Die Genussmittel. Wirkung der Fleischbrühe absolut nichts anderes, als dass sie den meisten Menschen ancjeiiehm schmeckt und riecht. Diese Thatsache aber genügt vollkommen, alle „Erfahrungen"? die man über die „erfrischende", „belebende" und „stärkende" Wir- kung der Fleischbrühe gemacht haben will, zu erklären; sie genügt auch vollkommen, das Fleischextract als werthvoUes Genussmittel zu empfehlen. Neunte Vorlesung. Speichel und Magensaft. In unseren bisherigen Betrachtungen haben wir die Nahrungs- stoffe kennen gelernt. Wir wollen nun ihre Schicksale in unserem Körper, die allmählichen Veränderungen, die sie nach Aufnahme in denselben erleiden, verfolgen. Die erste Flüssigkeit, mit welcher die Nahrung nach ihrer Auf- nahme in den Verdauungscanal in Berührung kommt, ist der Speichel *), bekanntlich das Beeret dreier grösserer paariger Drüsen imd der kleinen Drüsen in der Schleimhaut der Mundhöhle. Die Menge des in 24 Stunden secernirten Speichels ist eine sehr bedeutende, nach einer annähernden Schätzung von Bidder und Schmidt -) ca. 1500 Ccm. Man könnte deshalb erwarten, dass diesen Secreten eine wichtige Rolle in dem Verdauungsprocesse zukomme. Bisher aber konnte eine solche nicht nachgewiesen werden. Auf die meisten Nahrungsstoffe wirkt der Speichel gar nicht ein; nur das Stärkemehl wird durch denselben in Dextrin und Zucker gespalten. Aber auch diese Ein- wirkung ist eine sehr unbedeutende ; sie kommt gar nicht in Betracht im Vergleich zu der energischen, stärkespaltenden Wirkung des Pankreassaftes. Die Zeit der Einwirkung des Speichels ist eine sehr kurze. Das Speichelferment kann seine volle Wirkung auf das Stärke- mehl nur ausüben bei der schwach alkalischen Reactiou, die dem 1) Die Vorgänge der Secretion sind an den Speicheldrüsen durch die Arbeiten Bernard's, Ludwig's und Heidekhain's so eingehend studirt worden wie an keiner anderen Drüse, und die Resultate dieser Untersuchungen gehören zu den werth- voUsten Errungenschaften der neueren Physiologie. Ueber die chemischen Vor- gänge bei der Drüsenthätigkeit aber haben diese Arbeiten nichts zu Tage geför- dert. Deshalb glaube ich, dieselben hier übergehen zu dürfen, um so mehr als sie in allen Lehrbüchern der Physiologie eingehend referirt sind. 2) Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau und Leipzig 1852. S. 14. 140 Neunte Vorlesung. normalen Speichel zukommt. Durch den sauren Magensaft wird diese Wirkung sofort abgeschwächt oder gar völlig aufgehoben. ^) Es ist also nur ein ganz geringer Theil der aufgenommenen Stärke, welcher durch das Speichelferment gespalten wird. Aber selbst diese geringe Wirkung kommt nicht dem Speichel aller Säugethiere zu; sie fehlt den Carnivoren, wie schon a priori aus teleologischen Gründen er- wartet werden musste. Da nun auch bei den Carnivoren die Menge des secernirten Speichels eine sehr reichliche ist, so folgt schon daraus, dass in der stärkespaltenden Function nicht die Hauptbedeutung des Speichels zu suchen ist. Mau hat auf die Frage nach der Bedeutung des Speichels dadurch eine Antwort zu finden gehofft, dass man Hunden alle Speicheldrüsen exstirpirte 2), um zu beobachten, welche Störungen in Folge dessen eintreten würden. Es Hessen sich aber keinerlei nachtheilige Folgen constatiren. Nur wurde bemerkt, dass die Hunde mehr Wasser als sonst zu der gewohnten und genau regulirten Nahrung aufnahmen. Es scheint, dass die Bedeutung des Speichels hauptsächlich eine mechanische ist. Es wird durch die Einwirkung desselben der Bissen feucht und schlüpfrig gemacht und auf den Schlingact vorbereitet. Zugleich wird durch die beständige Secretion die Mundhöhle rein- gespült. Würden Speisereste in der Mundhöhle zurückbleiben, so könnten die aus ihrer Zersetzung hervorgehenden Säuren die Zähne angreifen. Dieses wird durch die Bespülung mit dem alkalischen Speichel verhindert. Wenn diese Auffassung die richtige ist, so müssen wir erwarten, dass die Speicheldrüsen den im Wasser lebenden Säuge- thieren fehlen, deren Nahrung stets in einem bereits schlüpfrigen Zu- stande aufgenommen und deren Mundhöhle durch das Wasser aus- gespült wird. Dieses ist thatsächlich der Fall. Den Cetaceen fehlen die Speicheldrüsen vollständig und beiden Pinnipediern sind sie nur rudimentär entwickelt. Im Magen wirkt auf die aufgenommene Nahrung ein zweites Secret ein, der Magensaft, welcher von allen übrigen Verdauungs- secreten sich unterscheidet durch seine saure Reaction. Diese saure Reaction wird durch freie Salzsäure hervorgebracht. Den Beweis dafür hat Carl Schmidt 3) geliefert. Er bestimmte quantitativ genau 1) 0. Hammaesten, Referat Panum's im Jahresbericht über die Leistungen der ges. Medicin. Jahrgang VI. Bd. I. 1871. 2) C. Fehr, Ueber die Exstirpation sämmtlicher Speicheldrüsen beim Hunde. Diss. Giessen 1862. 3) BiDDEE und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau und Leipzig 1852. S. 44 u. 45. Speichel und Magensaft. 141 die Menge des Chlors und aller Basen: Kali, Natron, Kalk, Magnesia, Eisenoxyd und Ammoniak. Es erwies sich, dass nach Sättigung aller Basen mit Salzsäure noch ein Quantum dieser Säure übrig blieb, welches 2,5 — 4 Grm. im Liter Magensaft betrug. Cael Schmidt be- stimmte ausserdem die Menge der freien Säure durch Titration und fand fast genau dieselbe Zahl wie bei der Gewichtsanalyse. Fragt man nun nach der Bedeutung dieser freien Säure, so ist die Antwort, welcher man bei den meisten Autoren begegnet, die, die Salzsäure diene der Eiweissverdauung. Die Eiweisskörper und die ihnen nächstverwandten Leimstoffe sind nämlich die einzigen Nahrungsstoffe, welche durch den Magensaft verändert werden. Sie werden in Peptone') umgewandelt, welche sich von den Eiweiss- und Leimstoflfen dadurch unterscheiden, dass sie die colloidalen Eigen- schaften eingebüsst haben, nicht mehr gerinnbar sind, leichter durch thierische Membranen diffundiren und somit besonders geeignet schei- nen zur Resorption ins Blut. Diese peptonisirende Wirkung wird einem Fermente, dem „Pepsin", zugeschrieben.-) Das Pepsin aber ist nur wirksam bei Gegenwart freier Säuren. Deshalb glaubte man bis auf den heutigen Tag die Bedeutung der freien Salzsäure nur darin suchen zu müssen, dass die Pepsinwirkung durch dieselbe er- möglicht wird. Mit dieser Annahme können wir uns indessen nicht befriedigt erklären. Wir wissen, dass das Pankreasferment noch energischer als der Magensaft die Eiweisskörper peptonisirt, und zwar am ener- gischsten bei schwach alkalischer Reaction. Wozu wird nun den Labdrüsen diese ungeheure Arbeit aufgebürdet, aus dem alkalischen Blute die freie Mineralsäure abzuscheiden, wenn der Organismus mit weit einfacheren Mitteln, mit der Abscheidung eines alkalischen Se- cretes zum Ziele gelangt?! Die freie Mineralsäure muss eine andere Bedeutung haben. 1) Die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung der Peptone wird später behandelt werden (s. Vorlesung 10 u. 12). 2) lieber die Versuche zur Isolirung des Pepsins siehe unten Vorlesung 10. Neben dem Pepsin wird noch ein anderes Ferment, das „Labferment" im Magensafte angenommen, welches die Gerinnung der Milch im Magen bewirken soll Ueber die physiologische Bedeutung der Labgerinnung ist nichts bekannt. Deshalb übergehe ich sie hier und verweise auf die Arbeiten von Hämmaesten, TJpsala Läkareförennings Förhandlingar. 8. p. 63. 1872. 9. p. 363 u. 452. 1874. (Die Arbeiten sind ausführlich referirt in Maly's Jahresbericht für Thierchemie.) „Zur Kenntniss des Case'ins und der Wirkung des Labfermentes". Upsala 1877. Alex. Schmidt, Beitrag zur Kenntniss der Milch. Dorpat 1874. Ueber die Fermente im Allgemeinen siehe unten Vorlesung 10. 142 Neunte Vorlesung. Heutzutage, wo unsere Kenntniss der Fäulnissprocesse und der Mittel zur Bekämpfung derselben so grosse Fortschritte gemacht und wo wir erkannt haben, dass zu den stärksten Antisepticis die freien Mineralsäuren gehören, liegt die Vermuthung nahe, auch der freien Salzsäure des Magensaftes diese Bedeutung zuzuschreiben. Sie hat die Aufgabe, die mit der Nahrung in den Magen gelangenden Mikroorganismen zu tödten, welche durch Einleitung von Zer- setzungsvorgängen im Verdauungscanal einen Theil der Nahrung schon vor der Resorption zerstören und durch die gebildeten Zer- setzungsproducte lästige Symptome hervorbringen oder gar als Krank- heitserreger das Leben gefährden könnten N. SiEBEß 0 in Nencki's Laboratorium zu Bern bestimmte die Concentration der Salzsäure, welche hinreichte, die Entwickelung von Fäulnissorganismen in fäulnissfähigen Substanzen zu verhindern, und kam zu folgenden Resultaten: Wurden in einen offenen Kolben von V2 Liter Inhalt 50 Grm. fein zerhacktes Fleisch mit 300 Ccm. 0,1 ^jo Salzsäure gebracht, so zeigten sich nach 24 Stunden nur spärliche Kokken und Stäbchen; nach 48 Stunden waren die Organismen etwas vermehrt; am dritten Tage zeigte die Flüssigkeit üblen Geruch und schwach saure Reaction. Wurde der Versuch ceteris paribus mit 0,25 "/ü HCl angestellt, so zeigten sich „erst am 7. Tage einzelne unbewegliche Organismen, am 9. Tage starke Schimmelbildung". Bei einem dritten Versuche, welcher ceteris paribus mit 0,5 "/o HCl angestellt wurde, trat bis zum 7. Tage „keine Spur von Fäul- niss" ein. Zu demselben Resultate kam auch Miqüel -), welcher fand, dass 0,2—0,3 Grm. Mineralsäure hinreichen, um 100 Ccm. Fleischbrühe fäulnissunfähig zu machen. Im speichelfreien Magensafte eines Hundes — aus der Magen- fistel nach vorhergegangener Unterbindung sämmtlicher Speichel- drüsen gewonnen — fand C. Schmidt^') in 8 Analysen 0,25—0,42^0 HCl, im Mittel aus allen 8 Analysen 0,33 0/0. Heidenhain ^) fand im Secrete der Fundusdrüsen des Hundemagens '") durch Titration in 36 Bestimmungen 0,46—0,58, im Mittel 0,52 0/0 HCl. In Hoppe- 1) N. SiEBER, Journal f. praktische Chemie. Bd. 19. S. 433. 1879. 2) MiQUEL, Centralbl. f. allgem. Gesundheitspflege. Bd. 2. S. 403. 1884. 3) BiDDER und Schmidt, 1. c. S. 61. 4) Heidenhain, Pflüger's Arch. Bd. 19. S. 153. 1879. 5) Die Methode zur Gewinnung des Secretes der Fundusdrüsen wird später besprochen. Siehe unten S. 151. Speichel und Magensaft. 143 Setler's Laboratorium ') wurde die freie Salzsäure im Magensafte bestimmt, welcher einem Menschen mittelst der Magenpumpe ohne Wasserzusatz entnommen war; es wurden 0,3 *'/o HCl gefunden. Wir kommen also zu dem überraschenden Resultate, dass de?' Salzsäuregehalt des Magensaftes genau der Menge entspricht, welche erforderlich ist, die Entwickelung der Fermentorganismen zu hemmenl Diese Uebereinstimmung kann nicht zufällig sein! Man könnte dagegen einwenden, der Magensaft werde durch den Speichel und die aufgenommenen Speisen verdünnt. Auf der anderen Seite aber ist zu bedenken, dass durch die beständige peristaltische Bewegung des Magens immer neue Theile seines Inhaltes mit der secernirenden Wandung in Berührung treten und somit der Einwirkung einer Salzsäure von der zur Tödtung der Bacterien erforderlichen Concentration ausgesetzt sind. In der That kommt es unter normalen Verhältnissen niemals zu erheblichen Zersetzungsvorgängen im Magen. Ist dagegen unter pathologischen Bedingungen die Secretiou unter- drückt, so können die Gährungs- und Fäulnissprocesse einen hohen Grad erreichen. Die antiseptische Wirkung des Magensaftes war bereits vor mehr als 100 Jahren Spällänzani -) aufgefallen. Uebergoss er Fleischstück- chen mit Magensaft, so sah er nach tagelangem Stehen niemals Fäul- niss eintreten. Wurden dagegen die Fleischstückchen ceteris paribus mit Wasser übergössen, so war sehr bald ein unerträglicher Fäulniss- geruch wahrnehmbar. Eine Schlange hatte eine Eidechse verschluckt. Nach 16 Tagen öffnete Spallanzani den Magen der Schlange. Die Eidechse war halbverdaut, aber Hess keinen Fäulnissgeruch erkennen. Spallanzani beobachtete sogar, dass der Magensaft nicht blos die Fäulniss verhindert, sondern bereits eingetretene Fäulniss wieder aufhebt. Brachte er verschiedenen Thieren faules Fleisch in den Magen, so fand er, dass nach einiger Zeit das Fleisch seine faulen Eigenschaften, insbesondere den Fäulnissgeruch verloren hatte. Für die Annahme, dass in der antiseptischen Wirkung des Magen- saftes die Hauptbedeutung desselben zu suchen sei, spricht auch die Thatsache, dass es eine ganze Reihe niederer Thiere giebt, bei denen 1) DioNYS SzABo, Zeitschr. f. physiolog. Chemie. Bd. 1. S. 155. 1877. 2) Spallanzani, Experiences sur la digestion. Trad. par Senebier. Nouvelle edition. Geneve 1784. p. 95, 97, 145, 320 — 330. Die Schrift ist auch in deutscher Uebersetzung erschienen „Versuche über das Verdauungsgeschäft u. s. w." Leip- zig 1875. Sie sei jedem angehenden Physiologen warm empfohlen als Muster voll- kommen vorurtheilsfreier Forschung, streng logischer Schlussfolgerung, uner- schütterlicher Skepsis und reiner Freude am Erkennen der Wahrheit. Dasselbe gilt von allen übrigen Schriften Spallanzani's. 144 Neunte Vorlesung. in den Anfang des Verdauungscanais ein Drüsensecret ergossen wird, welches sehr reich ist an freien Mineralsäuren, aber gar keine Ver- dauungsfermente enthält und auf keinen der organischen Nahrungs- stoflFe chemisch verändernd einwirkt. Diese wichtige Thatsache wurde zuerst von dem Zoologen Troschel i) beobachtet. Troschel befand sich mit seinem Lehrer Johannes Müller auf einer zoologischen Keise in Messina und untersuchte eine dort im Meere vorkommende grosse Schneckenart, Dolium galea. Da ereignete es sich, dass eines dieser Thiere während der Untersuchung plötzlich aus der Mund- öfifnung einen Strahl einer glashellen Flüssigkeit ausspritzte, der auf den Fussboden des Zimmers fiel. Der Fussboden war mit Kalk- platten bedeckt und die Flüssigkeit bewirkte sofort ein lebhaftes Auf- brausen von Kohlensäure. Troschel sammelte eine reichliche Menge dieses Secretes von einer grösseren Zahl der Schnecken. Das Ge- wicht einer Schnecke beträgt 1 — 2 Kgrm., und die zwei grossen Drüsen, welche das saure Secret in die Mundhöhle ergiessen und deshalb von den Zoologen als „Speicheldrüsen" bezeichnet werden, haben zusammen ein Gewicht von 80 — 150 Grm. Beim Anfassen des „Rüssels" der Thiere „an seinem trompetenartig erweiterten Ende" spritzen sie das Secret heraus, und man konnte dasselbe in einem vorgehaltenen Glase auffangen. Die Menge war meist eine geringe, betrug jedoch in einem Falle „volle 6 Loth preussischen Gewichtes". Es war also leicht, die zur Untersuchung erforderliche Menge zu gewinnen. Troschel übergab, nach Bonn zurückgekehrt, das gesammelte Secret dem Chemiker Boedeker zur Analyse. Boedeker fiel es sofort auf, dass „die Flüssigkeit nicht die mindeste Spur von Zer- setzung, Gährung, Schimmelbildung, Fäulniss oder dergleichen zeigte, obgleich sie ein halbes Jahr in einem Stöpselglase aufbewahrt war", und dass sie „keinen Geruch besass". Die Analyse ergab eine so grosse Menge Schwefelsäure, dass nach Sättigung aller vorhan- denen Basen — Kali, Natron, Magnesia, etwas Ammoniak und sehr wenig Kalk — noch 5,7^0 H-iSOi übrig blieben! Ausserdem enthielt das Secret noch 0,4 ^lo Salzsäure! Diese Resultate von Troschel und Boedeker wurden durch Panceri und de LucaM bestätigt. Sie fanden in drei Analysen des Speichels von Dolium galea 3,3, 3,4 und 4,1 ^o freier Schwefelsäure. 1) Teoschel, PoggendorflPs Annalen. Bd. 93. S. 614. 1854 oder Journal für prakt. Chem. Bd. 63. S. 170. 1854 (aus dem Monatsbericht der Berliner Akademie. August 1854). 2) S. DE LucA et P. Panceri, Compt. rend. T. 65. p. 577 et 712. 1867. Magensaft. 145 Ausserdem wiesen sie noch bei einer Reihe anderer Schnecken solche Secrete mit freier Schwefelsäure nach. In neuester Zeit hat Maly ') den „Speichel" von Dolium galea untersucht. Er bestimmte die freie Säure durch Titration und fand in zwei Bestimmungen 0,8 und 0,98 "/o H2SO4. Eine verdauende Wirkung auf irgend welche Nahrungsstoffe hatte das Secret nicht. Eiweiss und Stärkemehl blieben ganz unverändert. Fredericq-) fand auch bei Octopus die „Speicheldrüsen" sauer reagirend. Das Extract derselben wirkte nicht verdauend. Wir müssen uns nun die Frage vorlegen: Wie ist diese auf- fallende Erscheinung, die Absonderung der stärksten freien Mineral- säuren aus den alkalischen Geweben zu erklären? Dass das Gewebe der Magenschleimhaut in der That alkalisch reagirt, hat Brücke 3) durch folgenden Versuch gezeigt. Er löste bei einem eben getödteten Kaninchen die Muscularis des Magens eine Strecke weit ab und schnitt mit der krummen Scheere ein Stück aus dem Drüsenparenchym heraus, ohne ganz bis an die innere Schleim- hautoberfläche vorzudringen. Dieses Stück konnte zwischen blauem Lacmuspapier zerquetscht werden, ohne einen rothen Fleck zu er- zeugen, während ein solcher sofort bei Berührung der inneren Schleim- hautfiäche entstand. Das Material zur Bildung der Salzsäure in den Labdrüsen liefert ohne Zweifel das Blut in Form von Chlornatrium, welches den Haupt- bestandtheil in der Asche des Blutplasmas und der Lymphe bildet. Daneben ist im Blute und in der Lymphe kohlensaures Natron ent- halten. Sie reagiren daher alkalisch. Wodurch wird nun die Salz- säure aus dem Chlornatrium des alkalischen Plasmas frei? Zwei Annahmen sind überhaupt nur denkbar. Entweder es wird die Salzsäure von dem Natron getrennt durch den Verbrauch einer lebendigen Kraft, oder es wird die Salzsäure aus der Verbindung mit dem Natron verdrängt durch eine andere Säure. Was die erstere Möglichkeit betrifft, so ist uns nur eine Art der lebendigen Kraft bekannt, welche ausserhalb des Organismus die Salz- säure aus dem Chlornatrium in wässeriger Lösung abzuspalten vermag — der elektrische Strom. Es gab in der Entwickelung der Physio- logie eine Periode, in der man sehr geneigt war, Alles, was sich nicht erkläre» Hess, der Elektricität zuzuschreiben. Damals glaubte man 1) Malt, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. Mathem -naturw. Classe. Wien 1880. Bd 81. Abth. 2. Sitzung vom 11. März. S. 376. 2) LfioNFßfeDßRiCQ.Bulletinsderac.roy.deBelgique. 2.S^r. T. 46. No. 11. 1878. 3) BrCcke. Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 37. S. 131. 1859. Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 10 146 Neunte Vorlesung. auch das Auftreten der freien Salzsäure im Magensafte aus der An- nahme elektrischer Ströme in den Labdrüsen erklären zu müssen. Heutzutage sind wir davon abgekommen ; es ist kein Grund zu einer solchen Annahme vorhanden. Was die zweite Annahme betrifft, die Verdrängung der Salzsäure durch eine andere Säure, so stand ihr bisher das Vorurtheil im Wege, eine Säure könne nur verdrängt werden durch eine stärkere Säure. Es fragt sich: ist dieses Vorurtheil begründet? Und was heisst über- haupt eine stärkere und eine schwächere Säure? Die plausibelste Definition ist offenbar die: von zwei Säuren ist diejenige die stärkere, zu deren Trennung von derselben Base mehr lebendige Kraft ver- braucht wird und bei deren Wiedervereinigung mit der Base daher auch wiederum mehr Kraft frei wird. In diesem Sinne ist — wie die calorimetrischen Versuche gezeigt haben — die Schwefelsäure stärker als die Salzsäure, die Salzsäure stärker als die Milchsäure, diese stärker als die Kohlensäure. Irrig aber ist der Schluss, dass die schwächere Säure die stärkere niemals verdrängen könne. Aus den Arbeiten Jul. Thomsen's ') geht unzweifelhaft hervor, dass jede Säure von jede?' anderen einen 2 heil aiis ihren Verbindungen mit den Basen verdrängt. Ja, es kann sogar die schwächere Säure den grös- seren Theil der vorhandenen Basen binden. Bringt man zu einer Lö- sung von schwefelsaurem Natrium verdünnte Salzsäure, so wird Wärme absorbirt, die Temperatur der Lösung sinkt, weil die schwächere Salz- säure die stärkere Schwefelsäure verdrängt hat; es ist bei der Tren- nung der Schwefelsäure vom Natron mehr Wärme verbraucht worden, als bei der Vereinigung mit der Salzsäure frei wurde. Mit Hülfe des Calorimeters lassen sich diese Vorgänge quantitativ genau verfolgen. Aus der bekannten Verbindungswärme der Salzsäure und der Schwe- felsäure mit dem Natron und der beobachteten Temperaturverminde- rung bei der Einwirkung von Salzsäure auf schwefelsaures Natron lässt sich genau berechnen, wie viel Schwefelsäure durch die Salz- säure verdrängt wird. Thomsen fand, dass wenn äquivalente Mengen Salzsäure und schwefelsaures Natron auf einander einwirken, die Salz- säure ^3 des vorhandenen Natrons bindet und der Schwefelsäure nur Vs übrig lässt. Die schwächere Säure bindet doppelt soviel als die stärkere. Die Stärke in dem definirten Sinne ist also nicht maass- gebend. Wir sind gezwungen uns einen neuen Begriff von der ver- schiedenen Stärke der chemischen Anziehung zu bilden, und Thomsen hat für diesen Begriff den Namen „A vidi tat" — von avidus, be- 1) Julius Thojisen, Thermochemische Untersuchungen. Poggendorff''s Ann. Bd. 138—143. 1869—1871. Magensaft. 147 gierig — eingeführt. Die Avidität der Salzsäure ist also doppelt so gross als die der Schwefelsäure. Die Avidität der organischen Säuren fand Thomsen weit geringer. Die Avidität der Oxalsäure ist 4 mal geringer als die der Salzsäure, die der Weinsäure 20 mal, die der Essigsäure 33 mal geringer. Wenn also äquivalente Mengen Salzsäure, Essigsäure und Natron in wässe- riger Lösung auf einander einwirken, so wird die Essigsäure nur Vsi des vorhandenen Natron binden, die Salzsäure ^^j-a. Wenn aber mehr als ein Aequivalent Essigsäure auf ein Aequivalent Salzsäure und Natron einwirkt, so wird mehr als Vs^ des Natron an Essigsäure ge- bunden werden, um so mehr, je grösser die Menge der anwesenden Essigsäure. Diese Erscheinung bezeichnet man als „Massen Wir- kung". Durch Massenwirkung vermag auch die Säure von der ge- ringsten Avidität die Basen zu binden und die Säuren von der grössten Avidität zu verdrängen. Die Avidität keiner Säure ist = 0. Selbst die schwache Kohlensäure muss durch Massenwirkung von jeder anderen Säure einen kleinen Theil verdrängen. Wir müssen schliesslich annehmen, dass auch die schwächste Säure, das Wasser, von den stärksten einen Theil aus den Salzen austreibt. Lösen wir neutrales Chlofnatrium im Wasser, so wird neben dem NaCl eine kleine Spur HCl und NaOH in der Lösung enthalten sein. An gewissen Metallsalzen, welche schwer lösliche basische Salze bilden, lässt sich die Verdrängung der stärksten Mineralsäuren durch die Massenwirkung des Wassers demonstriren. Verdünnen wir eine Lösung von salpetersaurem Wismuth mit viel Wasser, so scheidet sich basisches Salz aus und die Lösung enthält freie Salpetersäure. Unter- stützt wird die Massenwirkung der schwachen Säure noch durch die Verwandtschaft der starken Säure zum Wasser. Die Verdrängung starker Mineralsäuren durch schwache orga- nische Säuren lässt sich auch auf anderem als thermochemischem Wege beweisen. Maly') brachte in den untersten Theil eines hohen Cylinders eine Lösung von Kochsalz und Milchsäure und schichtete vorsichtig Wasser darüber. Nach längerer Zeit wurde die oberste Schicht abgehoben und analysirt. Es stellte sich heraus, dass mehr Chlor in derselben enthalten war als das Aequivalent des vorhandenen Natriums. Es war also auch freie Salzsäure in das Wasser diffundirt. Wenn wir diese Tbatsachen beachten, so liegt in der Abscheidung der freien Salzsäure aus dem alkalischen Blute nichts Befremdendes mehr. Wir wissen, dass das Blut stets freie Kohlensäure enthält. 1) Malt, Liebig's Annalen. Bd. 173. S. 250— 257. 1874. 10^ 148 Neunte Vorlesung. Diese vermag durch Massenwirkung eine kleine Menge Salzsäure aus dem Clilornatrium frei zu machen. Die Menge mag verschwindend gering sein. Aber sobald diese kleine Menge freier Salzsäure, welche der freien Kohlensäure das Gleichgewicht hält, fortdiffundirt , muss durch die Massenwirkung der Kohlensäure wiederum eine neue kleine Menge Salzsäure frei werden und so fort. In (hm Avftreton der freien Salzsäure liegt also niehts Räthsel- haßes. Räthselhaft ist nur die Fähigkeit der Epithelzelle, die aus dem Chlornatrium frei gewordene Salzsäure stets naeh der einen Seite zu befördern — in den Ausführungsgang der Lahdrüse — , das gebildete kohlensaure Natron stets ?iach der anderen Sdfe — zurück in die Lymph- und Bluthahnen. — Diesem Räthsel aber begegnen wir über- all in den lebenden Geweben. Jede Zelle hat die Fähigkeit, in zweck- mässiger Weise die Stoffe anzuziehen oder abziistossen und nach ver- schiedenen Richtungen zu vertheilen.^) Es ist also kein neues Räthsel, vor dem wir stehen bei dem Versuche, das Auftreten freier Salzsäure in den Labdrüsen zu erklären, und schliesslich „besteht jede Natur- erklärung darin, ein scheinbar neues Räthsel auf altbekannte Räthsel zurückzuführen". Auch in den „Speicheldrüsen" von Dolium galea scheint die Massenwirkung der Kohlensäure die Mineralsäuren frei zu machen. De Luca und Panceri sahen aus den Drüsen, wenn sie angeschnitten und unter Wasser getaucht wurden, einen lebhaften Strom von Gas- blasen aufsteigen. Das Gas wurde von Kalilauge vollständig absor- birt, war also reine Kohlensäure. Eine Drüse, welche 75 Grm. wog, entwickelte, durch Wasser abgesperrt, 200 Ccm. Kohlensäure, also nahezu das Dreifache ihres Volumens. Es ist hierbei noch zu beden- ken, dass die Sperrflüssigkeit eine bedeutende Menge Kohlensäure zurückhielt und dass die Drüse selbst mit Kohlensäure gesättigt blieb. Es war also mindestens das 4 fache Volumen Kohlensäure in der Drüse absorbirt gewesen. Da das Wasser bei gewöhnlicher Temperatur aus einer Atmosphäre von reiner Kohlensäure ungefähr sein gleiches Vo- lumen Kohlensäure absorbirt, so müssen wir schliessen, dass in der Drüse die Kohlensäure unter mehr als 4fachem Atmosphärendrucke stand! Oder wir müssen annehmen, dass die Kohlensäure zum Theil locker gebunden war. Eine genaue Bestimmung des Kohlensäure- druckes, welcher den Austritt des Gases aus der Drüse verhindert, würde darüber Aufschluss geben. Es ist sehr wohl möglich , dass auch in den Epithelzellen der 1) Vergl. oben S. 7 u. 98 und unten S. 157 — 158 und Vorlesung 19. Magensaft. 149 Labdrüsen viel Kohlensäure frei wird, etwa durch eine Fermentwir- kung oder durch Oxydation organischer Verbindungen. Indessen sind wir nicht einmal gezwungen, der schwächsten Säure, der Kohlensäure, die Verdrängung der starken Mineralsäure zuzu- schreiben. Es wäre sehr wohl möglich, dass in den Epithelzellen der Drüsen durch Fermentwirkungen organische Säuren aus neutralen or- ganischen Verbindungen frei werden — z. B. Milchsäure aus dem neu- tralen Zucker, der ein constanter Bestandtheil des Blutplasma und der Lymphe ist. Es wäre sogar möglich, dass die stärkste Mineral- säure, die Schwefelsäure, direct durch eine Fermentwirkung aus einer neutralen Schwefelverbiudung — z. B. aus dem Eiweiss — frei würde. Dass dieses möglich ist, wird man zugeben, wenn man sich eines Beispiels aus der organischen Chemie erinnert. Ich meine die Spal- tung eines Glycosids, der Myron säure. Das myronsaure Kali, also eine neutrale Verbindung, spaltet sich durch Einwirkung eines Fer- mentes in Zucker, Senföl und saures schwefelsaures Kalium. Das saure schwefelsaure Kalium zerfällt in wässeriger Lösung, wie Gea- HAM^) gezeigt hat, sofort in freie Schwefelsäure und neutrales schwefelsaures Kalium. — Ausserdem könnte freie Schwefelsäure auch durch Oxydation aus neutralen organischen Schwefelverbindungen entstehen. Welcher von allen diesen denkbaren Processen thatsächlich in dem Drüsengewebe die starken Mineralsäuren frei werden lässt, wissen wir vorläufig nicht. Ich habe auf alle diese Möglichkeiten nur aufmerksam gemacht, um zu zeigen, dass wir nicht nöthig haben zur Elektricität unsere Zuflucht zu nehmen. Die Absonderung der freien Salzsäure geht nicht in allen Drüsen der Magenschleimhaut vor sich. Die Schleimhaut der Pylorusgegend — welche sich schon für das blosse Auge durch die blasse Farbe von der übrigen Schleimhaut unterscheidet — liefert ein alkalisches Secret, welches nur das Pepsin enthält. Die Drüsen der übrigen Schleimhaut liefern ein saures Secret, welches sowohl das Pepsin als auch die freie Säure enthält. Dieses wurde von Klemensiewicz -) und von Heidenhain 3) auf folgendem Wege bewiesen. 1) Graham, Liebig's Ann. Bd. 77. S. 80. 18S1. Bei einem Diffusionsversuche mit saurem schwefelsaurem Kalium difiundirte im Verbältniss zum Kali mehr Schwefelsäure , als dem sauren Salze entspricht , und in der Diffusionszelle kry- stallisirte ein wenig neutrales schwefelsaures Kalium heraus. 2) Rudolf Klejieksiewicz, Sitzungsberichte der Wiener Akad. Math.-nat. Classe. Bd. 71. Abth. III. S. 249. 1875. 3) Heidenhain, Pflüger's Archiv. Bd. 18. S. 169. 1878 und Bd. 19. S. 148. 1879. 150 . Neunte Vorlesung. Durch eine Schnittwunde in der Linea alba wird der Magen eines seit 36 — 48 Stunden nüchternen Hundes aus der Leibeshöhle gezogen, durch zwei parallele Schnitte die Pyloruszone unter Vermeidung der grossen Blutgefässe resecirt, die beiden Schnittränder werden nach den Regeln der chirurgischen Darmnaht vereinigt und der verklei- nerte Magen reponirt. Darauf wird der resecirte Pylorus an dem einen Ende blindsackförmig zusammengenäht, mit dem anderen Ende in die Bauchwunde eingenäht. Durch sorgfältige Anwendung des antisep- tischen Verfahrens der Wundbehandlung und völlige Nahrungsent- ziehung in den nächsten Tagen gelingt es, die Thiere nach diesem schweren operativen Eingriff am Leben zu erhalten. Von den Hei- DENHAiN'schen Versuchshunden konnte einer 10 Wochen lang beob- achtet werden. Das in dem isolirten Pylorus abgeschiedene, zäh- schleimige, glashelle Secret reagirte stets alkalisch und wirkte, mit Salzsäure von 0,1 "/o versetzt, peptonisirend auf Eiweisskörper. Da die verdünnte Salzsäure für sich allein bei Körpertemperatur die Ei- weisskörper nicht in Peptone umwandelt, so muss in dem Pylorus- secret ein Ferment angenommen werden. In ähnlicher Weise wie den Pylorus hat nun Heidenhain auch einen Theil der übrigen Magenschleimhaut isolirt. Er schnitt ein rhom- bisches Stück aus dem Fundus des Magens heraus, nähte die Schnitt- ränder des letzteren zusammen, formte aus dem isolirten Stücke einen Blindsack und nähte ihn in die Bauchwunde ein. Einer der so ope- virten Hunde konnte 5 Wochen beobachtet werden. Das in die Bauch- wunde abgeschiedene Secret war, wie bereits erwähnt, stets sehr reich an freier Salzsäure und wirkte energisch peptonisirend, enthielt also auch das Ferment. Man ist in der Verfolgung der Frage nach dem Orte des Auf- tretens der freien Salzsäure noch weiter gegangen und hat ganz be- stimmte Zellen der Fundusdrüsen, die sogenannten Belegzellen, als die Bildungsstätten bezeichnet. Die für diese Annahme beigebrachten Gründe sind indessen keineswegs zwingend. Auf die umfangreiche Literatur ') über diesen Gegenstand näher einzugehen, würde mich hier zu weit führen. Wir müssen uns nun die Frage vorlegen: wenn es möglich ist, die Versuchsthiere nach Resection des Pylorus oder eines grossen Theiles des Fundus am Leben zu erhalten, sollten sie nicht auch die Resection des ganzen Magens überleben ? Und würden wir nicht auf 1) Eine ZusammensteUung dieser Literatur findet sich in dem von Heiden- hain abgefassten Kapitel „Physiologie der Absonderungsvorgänge" in Hermann's Handbuch der Physiologie Bd. V. Th. I. Leipzig. Vogel. 1883. Magen functionen. 151 diesem Wege am ersten hoffen dürfen, ein Urtheil zu gewinnen über die Bedeutung der Magenfunctionen? Der Chirurg Czeeny und seine Assistenten Kaiser und Sckiba haben in der That diese kühne Vivisection an Hunden ausgeführt. Im Jahre 1878 veröffentlichte Kaiser") die Resultate der gemeinsamen Operationen und theilte mit, dass von den Hunden, welchen der Magen „fast vollständig" exstirpirt worden, einer 21 Tage gelebt habe, ein zweiter — am 22. December 1876 operirter — noch am Leben sei. Man hatte den Thieren anfangs nur kleine Mengen Milch und ge- hacktes Fleisch verabfolgen dürfen, weil sie grössere Mengen erbrachen. Der zweite Hund aber bedurfte im zweiten Monat nach der Opera- tion keiner besonderen Pflege mehr; er „frass mit den anderen Hun- den gemischte Nahrung, ohne zu erbrechen". Sein Körpergewicht, welches vor der Operation 5850 Grm. betrug, war bis zum 23. Januar auf 4490 Grm. gesunken und stieg darauf bis zum 10. September auf 7000 Grm. Im Jahre 1882 waren Ludwig und sein Schüler Ogata"-) in Leip- zig mit Untersuchungen über die Magenfunctionen beschäftigt. Es er- wachte in ihnen der Wunsch zu erfahren, was wohl aus dem Czerny- schen Versuchshunde geworden sei. Ludwig schrieb Czerny nach Heidelberg und dieser beantwortete die Anfrage in zuvorkommendster Weise dadurch, dass er den Hund selbst lebend und wohlbehalten nach Leipzig sandte. Es war ein vollkommen gesundes, „lebensfrohes" Thier. Es frass das verschiedenartigste Futter mit regem Appetit. Der Koth zeigte normale Beschaifenheit. Das Körpergewicht wuchs in Folge der reichlichen Fütterung und die Verdauung schien in kei- nem Punkte der eines gewöhnlichen Hundes nachzustehen. Mit Zu- stimmung Czerny's wurde der Hund im Frühjahre 1882 getödtet. „Bei der Section ergab sich, dass an der Cardialseite ein kleiner Theil der Magen wand noch vorhanden war, welcher eine kugelige mit Speisen gefüllte Höhle umschloss". Der Hund hatte also mehr als 5 Jahre so gut wie ohne Magen gelebt! Ludwig und Ogata ^) schlugen einen anderen Weg ein, um die Magenfunctionen aus dem Verdauungsprocess auszuschalten und die dabei eintretenden Abweichungen von der Norm zu beobachten: sie führten durch eine in der Nähe des Pylorus beim Hunde angelegte Fistel die Nahrung direct in das Duodenum ein und verschlossen 1) F. F. Kaisee, in Czerny's Beiträgen zur operativen Chirurgie. Stuttgart 1878. S. 141. 2) M. Ogata, Du Bois' Arch. 1883. S. 89. 3) M. Ogata, 1. c. p. 91. 152 Neunte Vorlesung. darauf den Pylorus durch einen gestielten dünnwandigen Gummiball. Der Stiel ragte aus der Magenfistel hervor. Durch diesen Stiel wurde der Ball mit Wasser unter einem gewissen Druck gefüllt, welcher hinreichte, durch Anpassung des elastischen Balles an alle Erweite- rungen und Formveränderungen des Duodenums und des Pylorus einen vollkommenen Verschluss zu erzielen, so dass kein Magensaft in den Darm eintreten konnte. Auf diese Weise konnten sehr grosse Nahrungsmengen — zer- rührte Hühnereier, fein zerhacktes Fleisch — auf ein Mal direct in das Duodenum injicirt werden, ohne dass Störungen eintraten. Zwei Injectionen am Tage genügten, das Körpergewicht des Hundes zu erhalten. Die Nahrung wurde meist vollständig ausgenutzt und der Koth zeigte die Beschaffenheit des normalen bei gleicher Ernährung vom Magen aus. Nur bisweilen zeigte die mikroskopische Unter- suchung des Kothes das Bindegewebe des Fleisches weniger voll- ständig ausgenutzt als in der Norm. Es war indessen nicht gleich- gültig, in welcher Form die Nahrung eingeführt wurde. So wurde z. B. das zerhackte Fleisch nur dann vollständig ausgenutzt, wenn es roh eingeführt wurde. War es dagegen gekocht worden, so wurde es „schon nach wenigen Stunden wenig oder gar nicht ver- ändert durch den After ausgestossen". Zerhackte Schweinshaut ver- hielt sich umgekehrt. Diese wurde im weichgekochten Zustande weit vollständiger verdaut als im rohen. Ludwig und Ogata schliessen aus ihren Versuchen, dass „zur Befriedigung der Bedürfnisse, welche die Verdauung zu erfüllen hat, der Magen weder als Vorrathskammer noch als Erzeuger des Lab- saftes unumgänglich nothwendig sei^'. Der Versuch, den Hunden nach Ausschaltung des Magens faules Fleisch — welches normale Hunde sehr gut vertragen — in den Darm einzuführen, ist nicht gemacht worden. Die Hauptbedeutung der Magenfunction wäre hierbei sofort zu Tage getreten. Die antiseptische Fähigkeit des Magensaftes hat leider wie jede Fähigkeit ihre Grenze. Gewisse Bacterien und zwar auch pa- thogene zeigen, insbesondere im Sporenstadium, eine solche Resistenz gegen chemische Agentien, dass sie von der Salzsäure in der Concentration, wie sie im Magen auftritt, nicht getödtet werden. So beobachtete Falk i), dass Tuberkel virus bei der Einwirkung des Magensaftes intact blieb. Milzbrandcontagium — Milz milz- brandiger Thiere — wurde sowohl durch Magensaft als durch 0,11 o/o HCl zerstört. Die Sporen der Milzbrandbacterien aber wurden meist 1) Falk, Virchow's Arch. Bd. 93. S. 117. 1883. Mikroorganismen im Magen. 153 durch verdünnte Salzsäure oder Magensaft nicht unwirksam gemacht; nur in einigen Fällen geschah dieses. Diese Angaben wurden durch FeanrI) bestätigt. Der „Kommaba cillus", welcher die Cholera verursachen soll, wird durch verdünnte Salzsäure sehr leicht getödtet. Deshalb gelingt es nicht, Thiere durch Einführung der Kommabacillen in den Magen zu inficiren. Wohl aber gelingt es choleraähnliche Zufälle zu erzielen durch Injection von Reinculturen dieses Bacillus in den Dünndarm oder durch Injection in den Magen nach vorhergegangener Injection von Sodalösung. -) Die Bacterieu, welche die Milchsäure- und B utter säure - gährung hervorbringen, scheinen resistenter gegen Salzsäure zu sein. Jedenfalls finden sie sich häufig, vielleicht sogar ganz constant im Darme des Menschen ^), und nach Aufnahme von Kohlehydraten findet wohl auch stets schon im Magen eine geringe Milchsäure- und Butter- säuregährung statt. Dass diese Zersetzung auch durch nicht organisirte, „ungeformte" Fermente zu Stande komme, ist oft behauptet, aber noch niemals sicher nachgewiesen worden. ^) In den normalen Fäces des Menschen finden sich constant noch mehrere andere Bacterienspecies.^) In neuester Zeit hat Nencki mit seinen Schülern*^) den Darm- inhalt, welcher aus einer Fistel am untersten Ende des Dünndarmes bei einer Patientin herausfloss, auf Mikroorganismen untersucht. Er fand darin bei Fleischnahrung 6 verschiedene Bacterienarten, eine Hefenart und einen Schimmelpilz. Bei vegetabilischer Nahrung (Erbsen) fanden sich gleichfalls Hefenpilze — aber keine Schimmel- pilze — und 6 Arten Bacterien, von denen nur eine mit den bei Fleisch- nahrung beobachteten identisch war. Diese Mikroorganismen wurden zum Theil in Reinculturen gezüchtet, um den Antheil festzustellen, der jeder Species an den Zersetzungsvorgängen im Darme zukommt. 1) Edmund Frank, Deutsche med. Wochenschr. 1S84. Nr. 24. Vergl. auch Heem. Hambukgeb, üeb. d. Wirli. d. Magensaftes auf pathogene Bacterien. Diss. Breslau 1S9(). Dort findet die gesammte Literatur sich zusammengestellt. 2) NiCATi ET EiETSCH, Rcv. scicntif. 1 8S4. II. p. 658 oder Semaine medicale. 18. sept. 1884. R. Koch, Deutsche med. Wochenschr. 1884. Nr. 45. 3) H. Nothnagel, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1881. Nr. 2. und Zeit- schrift f. klin. Med. Bd. 3. S. 275. 1881. 4) Siehe hierüber Ferdinand Hueppe, Mittheilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte. Bd. 2. S. 309. Berlin 1884. Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Cham. Bd. 26. S. 40. 1882. 5) Siehe hierüber Berthold Bienstock, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 8. S. l. 1884. L. Briegeb, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 8. S. 306. 1884. 6) Macfadyen, Nencki u. Sieber, Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 28. S. 325-342. 1891. 154 Neunte Vorlesung. Wenn unter pathologischen Bedingungen, beim sogenannten Ka- tarrh des Magens, die Abscheidung der freien Salzsäure unterdrückt ist, die Menge des vom Oberflächenepithel gelieferten alkalischen Schleimes vermehrt, in hochgradigen Fällen vielleicht sogar ein al- kalisches seröses Transsudat in den Magen abgeschieden, so wird die Acidität des Mageninhaltes sehr herabgesetzt ; die Reaction kann so- gar alkalisch werden und dann wuchern ungestört alle Fermentorga- uismen. 0 Insbesondere kommt es zu einer sehr reichlichen Bildung von Milchsäure und Buttersäure. Auch Essigsäure wurde nachge- wiesen. Diese ist wahrscheinlich aus Alkohol entstanden durch die oxydirende Einwirkung des Sauerstoffes der verschluckten Luft. Der Alkohol entsteht durch Gährung aus den Kohlehydraten. Als Gäh- rungsferment scheinen nicht bloss Hefepilze, die thatsächlich im Magen- inhalte vorkommen, sondern noch gewisse Bacterien -) zu wirken. Die Gase, welche bei den Gährungsvorgängen im Magen gebildet werden, sind Kohlensäure, Wasserstoff und Sumpfgas. •') Ihre Menge kann unter pathologischen Bedingungen eine bedeutende Höhe erreichen und zur Ausbildung der Ektasie wesentlich beitragen. Fe. Kuhn^) sah in einem Falle von Magenerweiterung aus einem Liter Mageninhalt ausserhalb des Körpers bei Körpertemperatur in 4 Stunden 4 Liter Gas sich entwickeln. Dieses Gas hatte folgende Zusammensetzung : CO2 20,0 0/, 0 . . • • 8,3 (?) H . . . . 30,9 CH4 . . . . 0,3 N . . . . 40,5 CO . . . . Spur. Bisweilen kommt es im Mageninhalt auch zur Bildung von Schwefelwasserstoff. ^) Gelangen die im Magen gebildeten organischen Säuren in den Oesophagus, so bringen sie durch Reizung der katarrhalisch afficirten Oesophagus- und Rachenschleimhaut ein brennendes Gefühl hervor. 1) In der Abhandlung von W. de Bary, „Beitr. zur Kenntniss der niederen Organismen im Mageninhalte" (Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 20. S. 243. 1885) finden sich die unter pathologischen Bedingungen im Mageninhalte vorkommenden Mikroorganismen beschrieben und die frühere Literatur über diesen Gegenstand zusammengestellt. 2) L. Beieger, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 8. S. 308. 1884. 3) G. Hoppe-Seyler, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 50. S. 82. 1892. 4) Franz Kuhn, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 21. S. 584 u. 585. 1S92. 5) J. Boas. Deutsche med. Wochenschr. 1892. Nr. 49. S. 1110. Mikroorganismen im Magen. 155 das sogenannte Sodbrennen. Dieses Synaptom pflegt man gewöhn- lich durch Verabfolgung von kohlensaurem Natron oder Magnesia zu bekämpfen, ohne zu bedenken, dass die Ursache des Symptoms da- durch nicht beseitigt, sondern vermehrt wird. Die freien Säuren werden durch das Medicameut neutralisirt und die Pilzwucherung und Gährung verläuft um so intensiver. — Die einzige richtige Be- handlung des Sodbrennens würde darin bestehen, den Patienten hungern zu lassen, bis der leer gewordene Magen durch die nor- male Salzsäure desinficirt wird. In neuester Zeit hat man vielfach mit Hülfe der Magenpumpe den Mageninhalt bei den verschiedensten Krankheiten untersucht. 0 Es hat sich dabei herausgestellt, dass häufig die freie Salzsäure im Magensafte der Patienten fehlt-), niemals aber das Pepsin. Es ist deshalb auch häufig verc/ümtte Salzsäure gegen Dyspepsie verordnet worden. Viele Aerzte wollen günstige Erfolge damit erzielt haben. Ich möchte indessen dennoch vor gar zu dreister Verabfolgung freier Salzsäure, insbesondere vor fortgesetzter Verabfolgung bei chronischen Magenleiden warnen. Die Salzsäure wird zum Theil im freien Zu- stande durch die Nieren wieder ausgeschieden. Wir wissen nicht, ob wir diesem Organ nicht eine übermässige Arbeit aufbürden und welche Störungen im Nierengewebe hervorgebracht werden. Wir wis- sen auch nicht, in welche Gewebe sonst noch die Salzsäure auf dem Wege vom Magen zur Niere eindringt und welche Abweichungen vom normalen Chemismus sie dort veranlasst. Eine Herabsetzung der Alka- lescenz ist niemals ein indifferenter Eingriff, denn von dem Grade der Alkalescenz hängt die Intensität der Oxydations- und Zersetzungsvor- 1) Man lese hierüber 0. Minkowskt. Mittheilungen aus der med. Klinik zu Königsberg i. Pr. 18S8. S. 148. Dort findet sich die frühere Literatur kritisch besprochen. 2) Es ist oft angegeben worden, dass die freie Salzsäure bisweilen zum Theil oder vollständig durch Milchsäure ersetzt sei, auch im normalen Magen- safte, besonders häufig aber bei gewissen Krankheiten. Man hat darauf sogar Diagnosen gründen wollen ; insbesondere sollte das Fehlen der freien Salzsäure für den Pyloruskrebs charakteristisch sein. Man hat auch eine Reihe be- quemer Reactionen zum Nachweis der freien Salzsäure angegeben. Aber weder haben diese Reactionen sich bewährt, noch hat sich die Angabe bestätigt, dass die Salzsäure constant bei gewissen Krankheiten fehle. Ebensowenig ist es er- wiesen, dass der normale Magensaft jemals Milchsäure enthält. Es scheint, dass die Milchsäure, die man im Magen findet, niemals aus den Labdrüsen stammt, sondern stets aus den Kohlehydraten der Nahrung. Eine Kritik der umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand findet sich bei A. Cahn und J. von Meeing. Die Säuren des gesunden und kranken Magens. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXIX. S. 233. 18S6. 156 Neunte Vorlesung. gänge ab, wie wir nach Analogie der chemischen Processe ausserhalb des Körpers anzunehmen berechtigt sind. So lange wir alle diese Vorgänge noch so wenig zu überschauen im Stande sind, dürfen wir nur mit der äussersten Vorsicht beim Verabfolgen derart energischer Agentien wie der freien Mineralsäuren zu Werke gehen. Der Arzt wird in den meisten Fällen besser thun, den Patienten hungern zu lassen, bis die ganze Wand des leeren Magens durch Bespülung mit dem unverdünnten normalen Magensafte selbst desinficirt worden. Sogar bei anämischen, geschwächten Individuen wird man mehr er- reichen, wenn mau abwartet, bis nach längerer vollständiger Nah- rungsentziehung der Magen desinficirt und die normale Secretion wie- der in Gang gebracht worden ist, und dann allmählich das Versäumte nachholt, als wenn man künstlich Salzsäure oder gar noch Pepsin- präparate und „Pepsinwein" (!) einführt und den Patienten überredet, Nahrung aufzunehmen, gegen die sein Instinct sich sträubt. Die Ver- abfolgung von Pepsinpräparaten hat keinen Zweck, ebenso wenig die von Pankreatinpräparaten. Noch möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es irrationell ist, während der Mahlzeit Getränke zu sich zu nehmen, weil der Magensaft allzu sehr verdünnt wird und seine desinficirenden Eigen- schaften einbüsst. Es ist eine altbewährte, wichtige diätetische Regel, nicht eher zu trinken, als ein paar Stunden nach dem Essen, wenn wirklicher Durst sich einstellt. — Es ist beachtenswerth , dass der gesunde Instinct der Kinder gegen die Suppen sich sträubt. — Zur Zeit herrschender Choleraepidemien wird man alle voluminösen Spei- sen vermeiden und das Getränke auf ein Minimum reduciren müssen, damit der ganze Mageninhalt mit der Salzsäure von der nöthigen Con- centration imprägnirt werden kann. Eine Frage, welche den Physiologen und Aerzten viel Kopfzer- brechen verursacht hat, ist die, warum denn der Magen nicht sich selbst verdaut. Die Gewebe der Magenwand bestehen doch aus lauter ver- daulichen Stoffen: Eiweiss und Leim. Sobald das Leben erlischt, tritt in der That die Selbstverdauung ein. In der menschlichen Leiche findet man häufig einen Theil der Magenschleimhaut erweicht oder aufgelöst, und zwar ist diese Erscheinung besonders hochgradig bei den Leichen gesunder, kräftiger Individuen, die während der Ver- dauung eines plötzlichen Todes gestorben sind. Die frühere Lehre, dass die „Magenerweichung" ein pathologischer Process intra vitam sei, ist definitiv widerlegt worden. i) Dass der Verdauungs- 1) Man lese hierüber Elsässee, Die Magenerweichung der Säuglinge. Stutt- gart und Tübingen 1846. Dort findet sich die frühere Literatur kritisch besprochen. Selbstverdauung des Magens. 157 process in der Leiche nicht weiter fortschreitet, ist nur der Abküh- lung zuzuschreiben. Tödtet man einen Hund während der Verdauung und bringt ihn in einen auf Körpertemperatur erwärmten Raum, so findet man nach ein paar Stunden nicht blos den Magen vollkommen aufgelöst, sondern auch noch einen Theil der angrenzenden Organe, Leber und Milz. Warum geht diese Auflösung nicht schon im leben- den Thiere vor sich? Diese Frage hatte bereits J. Hunter ^) auf- geworfen und dahin beantwortet, das Lebensprincip , „Living prin- ciple", verhindere die Selbstverdauung. Cl. Bernaed '-) glaubte diese Auffassung durch folgenden Versuch widerlegen zu können. Er brachte den Schenkel eines lebenden Frosches in die Magenfistel eines lebenden Hundes. Der Schenkel wurde sehr bald verdaut, während der Frosch leben blieb. Den Frosch hatte also das „Lebensprincip" nicht ge- schützt. Pavt^) brachte das Ohr eines lebenden Kaninchens in die Magenfistel eines Hundes. Auch vom Kaninchenohr war nach einigen Stunden ein grosser Theil verdaut, die Spitze gänzlich aufgelöst. Pavy '^j glaubte eine Erklärung für die Widerstandfähigkeit der lebenden Magenschleimhaut in dem Blutreichthum derselben gefunden zu haben. Die beständige rasche Durchströmung der Gewebe mit dem alkalischen Blute und der alkalischen Lymphe lasse das Pepsin, welches nur in saurer Lösung peptonisiren kann, nicht zur Wirkung kommen. Unterbricht man die Circulation, so tritt die Selbstverdauung ein. Pavy zeigte, dass nach Unterbindung der Blutgefässe des Magens bei Hunden ein Theil der Schleimhaut verdaut wurde, bei Kaninchen sogar Perforation des Magens eintrat. Oeffnete er einem Hunde den Magen und schnürte von der gegenüberliegenden Wand einen Theil durch eine Ligatur ab, so dass das abgeschnürte Stück in den Magen Der Ansicht ElsIsser's, dass die Magenerweichung ein postmortaler Process sei, haben sich nach ihm die hervorragendsten pathologischen Anatomen und Kliniker angeschlossen. Nur als eine höchst seltene, ausnahmsweise Erscheinung ist eine schon vor dem Tode eingetretene Erweichung und Perforation des Magens con- statirt worden. Man lese z. B. W. Mayer, Gastromalacia ante mortem. Diss. inaug. Erlang. Leipzig 1871. 1) J. HüNTER, On tbe digestion of the stomach after death. Philosophical Transactions. 1772 June 18th. und Observations on certain parts of the animal oeconomy. London 1786. 2) Cl. Eernard, Legons de physiologie experim. etc. II. p. 406. Paris 1856. 3) F. W. Pavy, On the gastric juice etc. Guy's Hospital Reports. Vol. II. p. 265. 1856. 4) F. W. Pavy, On the immunity, enjoyed by the stomach from being digested by its own secretion during life. Philosophical Transactions. Vol. 153. Part. I. p. 161. 1863 und On gastric erosion. Guy's Hospital Reports. Vol. 13. p. 494. 1868. Vgl. auch Gaetano Gaglio. Lo Sperimentale. Settembre 1884. 158 Neunte Vorlesung. hineinragte, so wurde dieses Stück verdaut wie ein verschluckter Bissen. Payy schliesst aus diesen Versuchen, die Alkalien des Blutes verhinderten die Selbstverdauung. Diese Erklärung ist allgemein accep- tirt worden. Aber der Schluss ist nicht richtig. Die Alkalien sind doch nicht das Einzige, was mit dem Blute den Epithelzellen zuge- führt wird! Die Drüsenzellen empfangen mit dem Blute Alles, was ihre Lebensfunctionen unterhält. Wird die Nahrungszufuhr abgeschnitten, so müssen auch diejenigen Lebensfunctionen erlöschen, die der Ein- wirkung des Pepsinfermentes Widerstand leisten. Warum verdaut denn das Pankreas nicht sich selbst? Das Pankreasferment ist ja auch in neutraler und alkalischer Lösung wirksam. Wir stehen hier vorläufig noch vor einem Räthsel. Aber es ist kein neues Räthsel: wie die Epithelzelle der Labdrüse die freie Salz- säure abscheidet und selbst alkalisch bleibt, so scheidet auch die Epithelzelle der Pankreasdrüse das Ferment ab und bleibt selbst fer- mentfrei. Sehen wir denn nicht dasselbe an jeder Pflanzenzelle! Der Zellsaft, der die Lücken des Protoplasmaleibes erfüllt, ist sauer, die Zelle selbst, wie jedes contractile Protoplasma, alkalisch. Der Zell- saft ist häufig lebhaft gefärbt, die Zelle selbst, die den Farbstoff pro- ducirt hat, farblos. Sobald aber das Leben erlischt, sobald die unserem Auge erkennbaren Lebenserscheinungen, die amöboiden Bewegungen, aufhören, schwindet auch die räthselhafte Fähigkeit, die Stoffe zu trennen; die Gesetze der Diffusion treten ungestört in Kraft: das Proto- plasma imbibirt sich mit dem Farbstoffe. — Dieselbe völlig unerklärliche Fähigkeit, die Stoffe in zweckmässiger Weise zu trennen und zu ver- theilen, zeigt jede Zelle unseres Körpers (vergl. oben S. 148 u. Vorles. 19). Pävy beruft sich zur Begründung seiner Ansicht, dass das cir- culirende Blut nur durch seine Alkalescenz die Selbstverdauung verhindere, darauf, dass nach Einführung grosser Säuremengen in den Magen auch bei ungestörter Circulation die Selbstverdauung ein- tritt. In diesem Falle, meint Pavy, reichen die Alkalien nicht mehr hin, die Einwirkung der Säure zu verhindern. Er injicirte 3 Unzen (= 93 Grm.) Salzsäure, welche 3 Drachmen (= 12 Grm.j HCl (!!) ent- hielten, in den Magen eines Hundes und unterband darauf mit Ver- meidung der Gefässe den Pylorus und den Oesophagus (!) Der Hund verendete nach einer Stunde und 40 Minuten und die sofort ausge- führte Section ergab Auflösung der Magenschleimhaut und Perforation der Magenwand an der Cardia. Aber dieser Versuch berechtigt zu gar keinem Schlüsse. Die Menge der eingeführten Salzsäure war eine viel zu grosse. Pavy hätte die Zerstörung der Magenwand ebenso gut durch Kalilauge bewirken können. Selbstverdauurg. Eundes Magengeschwür. 159 Es ist vielfach versucht worden, die Entstehung des Ulcus ven- triculi rotundum aus der Selbstverdauung zu erklären. Aber die Gefahr der Selbstverdauung ist keineswegs so gross, als man früher zu glauben geneigt war. Zahlreiche Beobachtungen haben gezeigt, dass die Magenwand nach mechanischen Verletzungen der verschie- densten Art eine ausgesprochene Tendenz zur raschen Heilung hat. Den besten Beweis dafür liefern die günstigen Erfolge der Magen- resection am Thiere und am Menschen. ') Die plausibelste Hypothese über die Entstehung des Ulcus ventriculi hatViECHOw"^) aufgestellt, indem er annimmt, dass eine Circulationsstörung irgend welcher Art das Prius bei dem Processe sei. Panum^) gelang es in der That, bei Hunden durch embolische Verstopfung kleinster Arterien der Ma- genschleimhaut hämorrhagische Infarcte mit nachfolgender Geschwtirs- bildung zu erzeugen. Dieses Resultat steht im besten Einklänge mit den erwähnten Versuchen Pavt's. Aber bei dem runden Magenge- schwür des Menschen hat sich nur in ganz ausnahmsweisen Fällen eine vorhergegangene thrombotische oder embolische Verstopfung nach- weisen lassen. Man hat deshalb zu der Annahme seine Zuflucht ge- nommen, das runde Magengeschwür werde durch einen abnorm gesteigerten Säuregehalt des Magensaftes oder Mageninhaltes hervorgebracht. Aber diese Annahme entbehrt jeder thatsächlichen Stütze. Auch ist es sehr beachtenswerth , dass das Ulcus ventriculi meist am Pylorus und an der kleinen Curvatur seinen Sitz hat, nur ganz ausnahmsweise am Fundus, wo die Acidität am stärksten ist. — Die Aetiologie des Ulcus ventriculi rotundum ist noch völlig dunkel. — Zu den Functionen des Magens gehört auch die Resorption der Nahrungsstoffe. Dieselbe beginnt ohne Zweifel schon in diesem Ab- schnitte des Verdauungscanais. Die neuesten und sorgfältigsten Unter- suchungen über diese Function verdanken wir J. von Meeing ^) und 1) Vergl. oben S. 151 die Versuche von Czeknt u. Kaiseb, ferner V. R. Hackee, „Die Magenoperationen an Prof. Billroth's Klinik.' Wien 1886 und Th. Billkoth, Ueber 12-4 vom November 1878 bis Juni 1890 in meiner Klinik und Privatpraxis ausgeführte Resectionen am Magen und Darmcanal u. s. w. Wiener klin. Wochen- schrift. Nr. 34. 1891. 2) VißCHOw in seinem Archiv Bd. 5. S. 281. 1853. 3) Panüm, Virchow's Archiv. Bd. 25. 1862. 4) J. VON Mering unter Mitwiikung von Dr. äldehoff und Dr. Happel, Ueb. die Function des Magens. Separatabdruck aus den Verhandlungen des III. Con- gresses für innere Medicin zu Wiesbaden 1893. Wiesbaden. Bergmann. 1893. Ueber die älteren Versuche siehe H. Tappeiner, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 16. S. 497. 1880. B. VON Anrep, Du Bois' Arch. 18SI.S.504. R. Meade Smith, ebend. 1884. S. 481. (Versuche an Fröschen.) 160 Neunte Vorlesung. seinen Schülern. Mering legte bei Hunden Duodenalfisteln an und brachte darauf in den Magen Wasser oder Lösungen von Nahrungs- stoffen. Liess er die Thiere reines Wasser trinken, so floss bereits, während sie tranken, reichlich Wasser aus der Fistelöffnung und zwar „stets in Portionen oder schussweise". „Brachte man den Finger an den Pylorus, so konnte man deutlich fühlen, wie sich derselbe in kurzen Intervallen öffnete und schloss. In einer Minute öffnete sich der Pylorus 2—6 Mal, um jedes Mal Wasser in einer Menge von mehreren (2—15) Ccm. zu entleeren." Durch mehr als 100 Versuche wurde festgestellt, dass, wenn die Thiere ein gemessenes Volumen Wasser tranken, stets nahezu das gleiche Volumen aus der Duodenal- fistel wieder ausfloss, „zuweilen einige Cubikcentimeter mehr, auch weniger". So flössen beispielsweise bei einem grossen Hunde nach Aufnahme von 440 Ccm. Wasser im Laufe der nächsten 30 Minuten 445 Ccm. wieder ab. Mering schliesst aus seinen Versuchen, dass kein Wasser in nennenswerther Menge vom Magen aus resorbirt wird. Ein naheliegender Einwand ist jedoch der, dass die Speichel- secretion nicht berücksichtigt wurde. Ein grosser Hund secernirt in einer Stunde 30 — 90 Ccm. Speichel'), welche in den Magen gelangen. Wenn also durch die Duodenalfistel ebensoviel abfliesst, als in den Magen aufgenommen wurde, so folgt daraus, dass ein dem secernir- ten Speichel gleiches Volumen Wasser im Magen resorbirt worden ist. Es ist zu wünschen, dass die Versuche mit vorhergegangener Ex- stirpation oder Unterbindung der Speicheldrüsen oder Ableitung des Speichels durch Fisteln nach aussen wiederholt würden. Es ist ferner einzuwenden, dass der Magen sich anders verhält, wenn die Flüssig- keit, statt durch die Duodenalfistel abzufliessen, in den Darm gelangt. Mering berichtet darüber Folgendes: „Wird die Duodenalfistel derart verschlossen, dass der Magen- inhalt nicht nach aussen, sondern nur in den Darm treten kann, so dauert es wesentlich länger, bis das zugeführte Wasser den Magen völlig verlässt. Während z. B. bei einem Hunde mit offener Fistel 500 Ccm. in höchstens 30 Minuten den Magen passirten, fanden sich bei demselben Hunde nach Verschluss der Fistel noch nach 60 Minu- ten nennenswerthe Mengen von Flüssigkeit im Magen. Bringt man von der Fistel aus Nahrung, z. B. 250 Ccm. warme Milch innerhalb 15 Minuten in das Duodenum und führt dann 500 Ccm. Wasser in den leeren Magen, so fliessen in der nächsten halben Stunde nur einige Ccm. Flüssigkeit aus, während bei leerem Darm die zuge- 1) BtDDER und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau und Leipzig 1852. S. 12 u. 13. Magenfunctionen. 161 führten 500 Ccm. in weniger wie 30 Minuten aus der Fistel abge- flossen waren." „Dieses Verhalten erklärt sich offenbar dadurch, dass die An- füllung des Dünndarmes reflectorisch die Entleerung des Magens verlangsamt." Wir müssen die Möglichkeit zugeben, dass, wenn unter normalen Verhältnissen durch diesen Reflexmechanismus die Entleerung des Magens verlangsamt wird, auch die Wasserresorption vom Magen aus eine erbebliche ist. Bei den Thieren mit der Duodenalfistel dagegen schien in der That die Resorption nur sehr unbedeutend zu sein, was schon dar- aus hervorging, dass sie „dauernd von Durst gepeinigt wurden. Die- selben tranken Wasser literweise, ohne dass der Durst nachliess; ja, je mehr sie tranken, um so schlimmer wurde der Durst und zwar wohl deshalb, weil noch ein geringer Ueberschuss von Flüssigkeit in Folge stattgehabter Secretion ausgeschieden wurde." Wurden den Duodenalfistelhunden Lösungen von Nahrungsstoffen — Traubenzucker, Maltose, Rohrzucker, Milchzucker, Dextrin, Pepton — in den Magen injicirt, so erschien ein Theil dieser Stoffe in der aus der Fistel fliessenden Flüssigkeit nicht wieder. Vom Trauben- zucker verschwanden bis 20 o/o, vom Pepton 60 o/o. Aus einer Lösung von 30 Gm. Kochsalz in 400 Ccm. Wasser wurden 6,5 Gm. im Magen resorbirt; das Volumen der ausfliessenden Kochsalzlösung betrug 787 Ccm. Aehnlich wie die Kochsalzlösung verhielt sich mit Wasser verdünnter Alkohol: ein Theil des Alkohols verschwand und das Volumen der ausfliessenden Flüssigkeit war stark vergrössert. Dass mit der Resorption der gelösten Substanzen eine Ausschei- dung von Wasser in den Magen Hand in Hand geht, lehrte auch noch der folgende Versuch: Einem 7 Kgr. schweren Hunde wird in der Morphiumnarkose der Pylorus unterbunden. Darauf werden 1 00 Ccm. einer 66''/o Trauben- zuckerlösung in den leeren Magen injicirt und sofort der Oesophagus unterbunden. Nach 9 Stunden werden im Magen 400 Ccm. Flüssig- keit mit 9 o/o Zucker gefunden. Aus den interessanten Versuchen Mering's ergiebt sich noch eine ganze Fülle neuer Gesichtspunkte und fruchtbarer Fragenstellungen insbesondere in Bezug auf die Symptomatologie und Therapie der Pylorusstenose und Magendilatation, deren eingehendere Erörterung ich dem Studium der Originalmittheilung überlasse. Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. | ^ Zehnte Yorlesimg, Die Verdauungsvorgänge im Darme. Der Pankreassaft und seine Fermentwirkungen. Die Fermente im Allgemeinen. Die Wirkung des Pankreassaftes auf die Kohlehydrate, die Fette, die Eiweiss- körper. Das Wesen und die Bedeutung der Peptone. Die Zeit des Verweilens der aufgenommeneu Speisen im Magen der Menschen ist bekanntlich eine sehr verschiedene. Sie hängt nicht blos von der Qualität der Nahrung ab; sie wächst auch mit der Quantität. Auch die mechanische Beschaffenheit, der Grad der Zer- kleinerung ist von Einfluss, ferner der Grad des vorhergegangenen Hungers und überhaupt die ganze augenblickliche ,, Stimmung" des Magens, welche aus vielfachen physischen und psychischen Momenten sich zusammensetzt. Die zahlreichen Beobachtungen an Menschen mit Magenfisteln i) haben gezeigt, dass die verschiedenen Speisen im gesunden Magen 3 — 10 Stunden verweilen. Unter pathologischen Be- dingungen ist die Zeit oft eine weit längere, wie die neueren mit Hülfe der Magenpumpe gewonnenen vielfachen Erfahrungen ergeben haben. Die Entleerung des Magens geht ganz allmählich in kleinen Portionen vor sich. Dieses wurde von W. Busch 2) an einer Frau beobachtet, welche in Folge einer Verletzung durch das Hörn eines Stieres eine kurze Strecke unter dem Duodenum einen Anus praeter- naturalis hatte, aus welchem der Mageninhalt ausfloss, ohne in die andere Oeffnung des Dünndarmes gelangen zu können. Die ersten 1) W. Beaumont, Neue Versuche und Beobachtungen über den Magensaft und die Physiologie der Verdauung. Deutsch von B. Luden. Leipzig 1834. 0. von Geünewaldt, Succi gastrici humanl indoles physic. et ehem. etc. Diss. Dorpati 1853. Ann. Cham. Pharm. Bd. 92. S. 42. 1854. E. v. Schröder, Succi gastrici humani vis digestiva. Diss. Dorpati 1853. F. Keetschy, Deutsches Archiv t. klin. Medio. Bd.XVm. S. 527. 1876. Jul. Uffelmann, Arch. f. klin. Med. Bd. XX. S. 535. 1877. 2) W. Busch, Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol Bd. 14. S. 140. 1858. Die Fermente. 163 Portionen der aufgenommenen Nahrung erschienen schon nach 15 bis 30 Minuten in der Fistelöffnung. Im Darme wirken auf die Nahrungsstoffe sofort drei neue Se- crete ein, welche sämmtlich alkalische Reaction haben: der Pankreassaft, der Darmsaft und die Galle. Dadurch wird der saure Speisebrei, der sogenannte Chymus, allmählich neutralisirt und reagirt im unteren Theil des Darmes nur noch schwach sauer, bis- weilen sogar alkalisch J) — Fassen wir zunächst die Pankreaswirkung ins Auge. Das Pankreas ist die Verdauungsdrüse /.ux k^oyj^v. Ihr Secret hat, soweit unsere Kenntniss reicht, keine andere Wirkung, als eine verdauende; es wirkt chemisch verändernd ein auf alle Gruppen der Nahrungsstoffe und macht sie zur Resorption geeignet. Die Eiweiss- körper werden peptonisirt, das Stärkemehl gespalten in lösliche Kohle- hydrate, die Fette in Glycerin und Fettsäuren. Deshalb fehlt ein dem Pankreassafte analog wirkendes Secret fast keinem Thiere. Die Wir- bellosen haben weder eine Pepsinverdauung, noch eine Gallensecre- tion. Ein der Pankreaswirkung analoger Process aber findet sich überall, wo man darnach geforscht hat.-) Selbst bei den niedrigsten Organismen, den Bacterien, ist er noch erkennbar: eine bacterien- haltige Flüssigkeit wirkt auf alle drei Hauptgruppen der Nahrungs- stoffe wie der Pankreassaft. Nur bei einigen Darmparasiten wurden die Pankreasfermente vermisst.^) Dieses ist teleologisch vollkommen klar : die Thiere schwimmen ja beständig in fertig verdauter Nahrung. Bevor wir nun auf die Wirkungen des Pankreassecretes beim Säugethier und beim Menschen näher eingehen und die chemischen Veränderungen, die dasselbe durch seine Fermente auf die drei Grup- pen der Nahrungsstoffe ausübt, ausführlicher besprechen, wollen wir 1) Ueber d. Reaction des Darminhaltes siehe A. Macfadyen, M. Nencki und N. Siebeb, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 28. S. 319. 1891. Dort auch die frühere Literatur citirt. Vergl. ferner ScHMicT-MtJLHEiM, Du Bois's Arch. 1879. 8.56 und Gley et Lämbling, Revue biologique du Nord de la France. T. I. 1888. Sepa- ratabdruck: S. .3. 2) Hoppe - Seyler , Ueber Unterschiede im chemischen Bau und der Ver- dauung höherer und niederer Thiere. Pflüger's Arch. Bd. 14. S. 395. 1877. Vergl. ferner die zahlreichen und umfangreichen Arbeiten über diesen Gegenstand von F. Plateau aus den Jahren 1874 — 1877 und die um dieselbe Zeit erschienenen Arbeiten von Fn^DiiKiCQ und Krckenbeeg. Eine Zusammenstellung der Literatur über die Verdauung der niederen Thiere findet sich bei Krükenberg, „Vei'gleichend physiologische Vorträge" IL „Grundzüge einer vergleichenden Physiologie der Ver- dauung". Heidelberg 1882. 3) L. Frädericq, Bulletins de l'acad. roy. de Belgique. 2 ser. T. 46. No. 8. 1878. W* 164 Zehnte Vorlesung. uns doch vor Allem darüber klar werden, was wir denn eigentlich über die Natur und das Wesen der Fermente wissen. Das Wort haben wir bereits mehrfach gebrauchen müssen. Jetzt ist es doch endlich Zeit, uns die Frage vorzulegen, welchen Begriff wir damit verbinden. Halten wir uns zunächst an das, was wir thatsächlich beobachten. Die Fermente hat wahrscheinlich noch niemand gesehen. Was wir sehen und beobachten, ist nur der Vorgang, zu welchem das hypo- thetische Ferment den Anstoss giebt. Dieser Vorgang besteht in allen Fällen darin, dass eine complicirte Verbindung in einfachere zerfällt unter Freiwerden von lebendiger Kraft, von Wärme. Es wird also bei allen diesen Vorgängen Spannkraft in lebendige Kraft umgesetzt. Die Atome gehen aus einem labilen in ein stabileres Gleichgewicht über. Es werden stärkere Affinitäten gesättigt. Bedienen wir uns der früher (S. 37 — 39) definirten Terminologie, so müssen wir sagen: Die Ursache im engeren Sinne ist die in dem complicirten Moleküle auf- gespeicherte Spannkraft, die Wirkung ist lebendige Kraft, und wir fragen nach der „Veranlassung", dem „Anstoss", der „auslösenden Kraft". Diese wird in gewissen Fällen als Ferment bezeichnet, aber nicht in allen. Fragen wir uns also: was haben die auslösenden Kräften in allen derartigen Processen mit einander gemeinsam und was unterscheidet sie von einander? Eine Reihe von Beispielen wird dieses klar machen. Das Salpetersäure- Triglycerid, sogenanntes Nitroglycerin, zer- fällt in Kohlensäure, Wasser, Stickstoff und Sauerstoff: 2[C3H5(ON02)3] = 6CO2 + 5H-20 + 6N + 0. Es findet eine sehr bedeutende Wärmeentwickelung statt. Die Atome gehen aus einem sehr labilen in ein stabiles Gleichgewicht über. Denn der Sauerstoff, welcher zum Stickstoff eine sehr geringe, zum Kohlenstoff und Wasserstoff eine sehr grosse Verwandtschaft hat, war, an Stickstoff gebunden, in das Molekül eingetreten und geht, an Kohlenstoff und Wasserstoff gebunden, aus dem Zerfall hervor. Den Anstoss giebt eine mechanische Erschütterung — Stoss, Schlag — , also eine Bewegung oder Wärme — Entzündung, also wiederum eine Bewegung. Chlor Stickstoff zerfällt mit Explosion und bedeutender Licht- und Wärmeentwickelung in die Elemente: NCI3 + NCI3 = N2 + CI2 + CI2 + CI2. Auch hier findet eine Umlagerung aus dem labilen in ein sta- bileres Gleichgewicht statt. Es werden stärkere Affinitäten gesättigt. Wir sind aus vielfachen Gründen zu der Annahme gezwungen, dass Die Fermente. 165 die Elemente im unverbundenen Zustande nicht aus einzelnen isolir- ten Atomen bestehen, sondern zu Molekülen vereinigt sind. Die Ver- wandtschaft der Stiekstoffatome zu einander und der Chloratome zu einander ist offenbar stärker, als die Verwandtschaft der Chloratome zu den Stickstoffatomen. Den Anstoss zu der Umlagerung bildet eine mechanische Erschütterung oder eine Temperaturerhöhung. Der dem Chlorstickstoff analog zusammengesetzte Jodstickstoff explodirt be- sonders leicht, wenn gewisse periodische Erschütterungen, Wellen- bewegungen von bestimmter Geschwindigkeit und Wellenlänge auf ihn einwirken. Es lässt sich zeigen, dass er nicht auf einer tief-, wohl aber auf einer hochtönenden Platte oder Saite explodirt. Es ist diese Erscheinung offenbar analog dem Mittönen gewisser, elasti- scher Gegenstände, welche von den Wellen getroffen werden, die von einem anderen tönenden Gegenstande ausgehen. Dieses Mittönen tritt bekanntlich nur ein bei einer bestimmten Tonhöhe. So können wir uns auch denken, dass, wenn die Wellenbewegung, welche auf ein zersetzbares Molekül einwirkt, eine bestimmte Wellenlänge hat, die Atome des labilen Moleküls in Mitschwingungen versetzt und so weit aus ihrer labilen Gleichgewichtslage entfernt werden, dass sie in die stabilere Gleichgewichtslage übergehen. Den Anstoss zur Explosion des Chlorstickstoffes kann auch die Berührung mit gewissen Stoffen geben. Als solche werden angegeben Phosphor und sauerstofffreie Phosphorverbindungen, Selen, Arsen, gewisse ganz bestimmte Harze — andere Harze sind wirkungs- los — fette Oele u. s. w. Auch hier können wir uns denken, dass bei der Berührung gewisse Bewegungen entstehen, dass etwa die Wärme- schwingungen — welche bekanntlich auch bei gewöhnlicher Tempe- ratur schon sehr intensiv sind — durch die Constellation der zusam- mentreffenden Moleküle in bestimmte Bahnen gedrängt werden, einen gewissen Rhythmus annehmen. Chlorsau resKali zerfällt in Chlorkalium und Sauerstoff. Den Anstoss giebt eine Temperatursteigerung. Diese Steigerung aber braucht lange nicht so hoch zu sein, wenn gewisse Stoffe zugegen sind: Braun- stein, Eisenoxyd, Kupferoxyd. Durch die Anwesenheit dieser Stoffe werden vielleicht die Wärmewellen so modificirt, dass die Atome des chlorsauren Kalis leichter in Mitschwingungen gerathen und die labile Gleichgewichtslage verlassen, Wasserstoffsuperoxyd zersetzt sich in Berührung mit Platin, Gold, Silber, Braunstein u. s. w. Man spricht in diesen Fällen von einer „Contactwirkung" oder „katalytischen Wirkung". Wir können uns den Vorgang ganz ebenso denken wie bei den vorhergegangenen 166 Zehnte Vorlesung. Beispielen. Wir können aber auch bei diesem wie bei den früheren Beispielen die Vorgänge uns folgendermassen hypothetisch zurecht- legen: der Stoff, welcher „katalysirend" wirkt, übt eine Anziehung aus auf eines der Atome in dem labilen Molekül. Es kommt nicht zur Vereinigung mit dem Atom. Aber die Atome in dem Molekül werden aus der labilen Gleichgewichtslage gebracht und gehen in eine sta- bilere über. Der Traubenzucker zerfällt in A 1 k o h o 1 und Kohlensäure: CeHnOe = 2CO2 + 2C2H6O. Hierbei findet eine direct nachgewiesene Temperatursteigerung statt. Damit im Einklänge steht die gleichfalls direct nachgewiesene Thatsache, dass die Verbrennungswärme des Alkohols geringer ist als die der Traubenzuckermenge, aus welcher er entstand. Es ist also ein Theil der im Zucker aufgespeicherten Spannkräfte bei der Spaltung in lebendige Kraft, in Wärme umgesetzt worden. Die Atome des Zuckers sind aus einer labilen in eine stabilere Gleichgewichts- lage übergegangen. Es sind stärkere Affinitäten gesättigt worden. Das Wesen der auslösenden Kraft ist in diesem Falle noch unbe- kannt. Thatsache ist soviel, dass die Umsetzung nur zu Stande kommt, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: erstens die Anwesen- heit lebender Hefezellen und zweitens eine gewisse Temperatur — 10— 40^0. — Nach Analogie der bereits angeführten Beispiele müssen wir vermuthen, dass auch in diesem Falle ein Bewegungsvorgang den Anstoss bildet. Die Bewegung könnte von den Lebensfunctionen der Zelle ausgehen. Wir können uns aber auch denken, dass in dem Stoffwechsel der Zelle gewisse Stoffe auftreten, welche ähnlich wirken wie die katalysirenden Substanzen in den angeführten Bei- spielen. — Man bezeichnet die Hefezellen als „Ferment". Rohrzucker zerfällt in äquivalente Mengen Dextrose und Lävulose. Auch hierbei ist eine Wärmeentwickelung direct nachge- wiesen. 1) Auch bei dieser Zersetzung spielt die Hefe eine Rolle. Es ist aber nicht die lebende Zelle dazu erforderlich : es genügt ein wässeriges Extract aus den mit Aether getödteten Hefezellen. Wir können annehmen, dass die Atome innerhalb irgend welcher Mole- küle in diesem Extracte in schwingender Bewegung sich befinden oder das verschiedene Moleküle gegen einander schwingen und dass die Resultante dieser Bewegungen den Anstoss giebt zum Zerfall der Rohrzuckermoleküle. Man hat die vorläufig noch unbegründete An- nahme gemacht, dass es ein einziges chemisches Individuum in dem 1) A. Kunkel, Pflüger's Archiv. Bd. 20. S. 509. 1S79. Die Fermente. 167 Hefenextract sei, dessen Anwesenheit die Bedingungen für das Zustande- kommen des Zersetzungsprocesses bilde, und hat diesem „Fermente" den Namen „Invertin" gegeben, i) Auf die Versuche, die Fermente zu isoliren, werde ich später eingehen. Stärkemehl zerfällt beim Kochen mit verdünnten Säuren in Traubenzuckermoleküle. Bei diesem Processe ist die Wärmeentwick- lung nicht direct nachweisbar. Wir müssen sie aber annehmen!* weil die Verbrennungswärme des Traubenzuckers geringer ist als die des Stärkemehls. Den Anstoss bildet vielleicht eine Bewegung, welche entsteht, indem die Wärmebewegung durch die Constellation der Säure- und Stärkemoleküle in bestimmte Bahnen gelenkt wird. Oder wir müssen annehmen, dass die Zuckermoleküle, aus denen das Stärkemolekül sich zusammensetzt, von den Säuremolekülen ange- zogen werden, dass es zu keiner Vereinigung oder nur zu einer vor- übergehenden Vereinigung kommt, dass aber die Zuckermoleküle aus ihrer labilen Gleichgewichtslage herausgerissen werden und in eine stabilere Gleichgewichtslage übergehen und zwar mit den Elementen des Wassers. Es findet beim Uebergang von Stärke in Zucker be- kanntlich Wasseraufnahme statt, ebenso beim erwähnten Zerfall des Rohrzuckers und wahrscheinlich bei allen derartigen Zersetzungen. Auf diesen Punkt komme ich noch zurück. Das Stärkemehl kann auch schon bei niederer Temperatur zer- fallen und zwar in Maltose und Dextrin, wenn dasselbe mit gewissen Stoffen zusammentrifft, die in der keimenden Gerste oder im Spei- chel und im Pankreassafte enthalten sind. Auch hier redet man von Fermenten und denkt an chemische Individuen. Aber diese hypo- thetischen Stoffe sind vielleicht nur die Bedingungen für das Zu- standekommen einer Art der Bewegung, welche den Anstoss zum Zerfall des Stärkemoleküls bildet. Eine Wärmeentwicklung lässt sich beim Zerfall des Stärkemehls durch Fermente nicht nachweisen. Malt"^) beobachtete sogar eine Wärmeabsorption. Dieses ist folgen- dermassen zu deuten. Das Stärkemehl ist in Wasser unlöslich, die Spaltungsproducte dagegen sind löslich. Es muss bei ihrer Lösung — wie stets beim Uebergang aus dem festen in den flüssigen Aggregat- zustand — Wärme gebunden werden. Diese gebundene Wärme ist grösser als die bei der Spaltung frei werdende. Dass bei der Spal- tung Wärme frei wird, folgt mit Nothwendigkeit aus der Thatsache, 1) Eduard Donath, Berichte der deutschen ehem. Ges. Bd. 8. S. 795. 1875 und Bd. U. S. 10S9. 1878. M. Barth, ebend. Bd. 11. S. 474. 1878. 2) Malt, Pflüger's Arch. Bd. 22. S. 111. 1880. 168 Zehnte Vorlesung. dass die Verbrennungswärme der Maltose und des Dextrins geringer ist als die einer äquivalenten Menge Stärkemehl. Hoppe-SeylerO und seine Schüler-) haben gezeigt, dass amei- sensaurer Kalk durch Einwirkung gewisser Bacterien unter Wasser- aufnahme zerfällt in kohlensauren Kalk, Kohlensäure und Wasserstoff: /H /OH C-0* C=0 \o NO ^^>Ca + 2H0H = = >Ca-i-2H2^ = CaC03 + CO2 + H2O + 2H2 c=o 0=0 \H \0H Bei diesem Process findet Wärmeentwickelung statt. Tödtet man die Bacterien durch Aether, so dauert die Zersetzung dennoch fort. Dieses Ferment verhält sich also wie das „Invertin". Sainte-Claike Deville und Debeay^) haben die wichtige Entdeckung gemacht, dass dieselbe Zersetzung der Ameisensäure in Kohlensäure und Wasser- stoff auch durch fein vertheiltes Iridium, Rhodium oder Ruthenium — durch Reduction auf nassem Wege gewonnen — veranlasst wird. In derselben Weise dargestelltes Platin oder Paladium hatten die Wirkung nicht. Wir sehen also, dass eine lebende Zelle, eine organische Substanz und ein Metall ei?i und dieselbe Wirkung hervorn/fen. Der Zersetzung der Ameisensäure vollkommen analog ist die unter denselben Bedingungen zu Stande kommende Zersetzung der Essigsäure in Kohlensäure und Sumpfgas: /CH3 /OH C=0 0=0 \o \o >Ca + 2H0H= >Ca+2CH4=CaC03 + C02-f-H20-f 2CH4. 0=0 0=0 \CH3 \0H Auch bei diesem Processe muss Wärme frei werden. Denn die Verbrennungswärme des Sumpfgases ist geringer als die einer äqui- valenten Menge Essigsäure. Wir sehen aus allen angeführten Beispielen, dass wir von den Fermenten nichts anderes wissen als von den „katalysirenden" Sub- stanzen. Es sind Stoffe, deren Anwesenheit erforderlich ist für das 1) Hoppe-Seylek, Pflüger's Arch. Bd. 12. S. 1. 1876. 2) Leo Popoff, Pflüger's Arch. Bd. 10. S. 113. 1875. 3) H. Sainte-Claire Deville et H. Debeay, Compt. reud. T. LXXVIII. 2. p. 1782. 1874. Die Fermente. 169 Zustandekommen derjenigen Bewegung, welche den Anstoss giebt zum Uebergang eines Atomcomplexes aus einem labilen in ein sta- bileres Gleichgewicht. Wir reden von einer katalytischen Wirkung, wenn der Stoff, dem diese Wirkung zugeschrieben wird, eine bekannte anorganische Verbindung oder ein Element ist. Sind es dagegen un- bekannte organische Stoffe, so reden wir von einer Fermentwirkung. Zwischen der Wirkungsweise organisirter, „geformter" Fermente — lebender einzelliger Wesen — und nicht organisirter, „ungeformter" Fermente einen wesentlichen Unterschied anzunehmen, liegt vorläufig kein Grund vor. Hypothetisch können wir uns den Process der Fer- mentation in beiden Fällen ganz gleich zurecht legen. Etwas That- sächliches aber wissen wir über die Rolle der ungeformten Fermente ebenso wenig wie über die der geformten. Die Spaltung durch organisirte Fermente scheint innerhalb der lebenden Zelle vor sich zu gehen und die dabei frei werdende leben- dige Kraft im Lebensprocess der Zelle Verwerthung zu finden. Da- für spricht die Thatsache, dass die Alkoholgährung um so intensiver verläuft, die in der Zeiteinheit gespaltene Zuckermenge um so grösser ist, je geringer der Sauerstoffzutritt. Bei Sauerstoffzutritt ist die Quelle der lebendigen Kraft zur Verrichtung der Lebensfunctionen eine dop- pelte: Spaltung und Oxydation. Bei Sauerstoffentziehung versiegt die eine Quelle; die andere wird um so mehr ausgenutzt. ^ Dieses ist eine Thatsache von unberechenbarer Tragweite für das Verständniss der Lebensfunctionen auch der höheren Thiere. '-) Bei allen Fermeutwirkungen verläuft der Spaltungsprocess, wie ich bereits erwähnte, stets unter Wasseraufnahme. Deshalb kommen diese Processe auch nur bei Gegenwart von Wasser zu Stande. Die Ausnahmen von dieser Regel sind nur scheinbar. So zersetzt sich der Traubenzucker Cti Hl 2O6 bei der Alkoholgährung in 2C2H6O und 2CO2, also scheinbar ohne Wasseraufnahme. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Kohlensäure nach Analogie aller anderen zwei- basischen Säuren in der wässerigen Lösung zwei Hydroxyde haben muss: 1) Bkefeld, Landw. Jahrb. v. Nathusius und Thiel 1874. Heft 1. Verhandl. d. Würzburger phys. med. Gesellsch. N. F. Ed. 8. S. 96. 1874. Pasteür, Etudes sur la biere. Paris 1876. Chapitre VI. p. 229. Hoppe-Seyler, Ueber die Einwirkung des Sauerstoffes auf Gährungen. Festschrift. Strassburg 1881. Nencki, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XXI. S. 299. 1886. 2) Die von A. Fränkel (Virchow's Arch. Bd. 67. S. 283. 1876) beobachtete Thatsache, dass bei Hunden in Folge behinderter Sauerstoffzufuhr die Eiweiss- zersetzung auf das Doppelte steigt, ist vielleicht eine analoge Erscheinung. Vergl. auch Herm. Oppenheim, Pflüger's Arch. Bd. 23. S. 490 ff. 1880. 170 Zehnte Vorlesung. /OH C=0 =C02+H20. \0H Die ButtersäuregähruDg: CeHisOe = C4HSO2 + 2CO2 + 2H2 und die Milchsäuregährung;: Cr,Hi20G ==2C3Hg03 seheinen gleichfalls Aus- nahmen zu bilden. Nach Analogie anderer Gährungen aber müssen wir auch diese Processe unter Wasseraufnahme verlaufend uns vor- stellen. Man lese hierüber die Abhandlungen von Hoppe-Seyler') und Nencki.'-) Man hat sich vielfach bemüht, die ungeformten Fermente zu iso- liren. Es gelingt in der That, aus fermenthaltigen Lösungen Nieder- schläge zu gewinnen, denen die fermentirende Eigenschaft noch an- haftet. Aber wir haben keine Garantie dafür, dass diese stets amor- phen Niederschläge chemische Individuen seien. So oft man sie einer Elementaranalyse unterworfen hat, ergab sich eine Zusammensetzung, welche der der Eiweissstoffe und Peptone sehr ähnlich ist. Wir können gar nicht wissen, ob das Ferment nicht vielleicht blos einen kleinen Bruchtheil des analysirten Stoffgemenges ausmacht, so klein, dass er das Resultat der Analyse kaum beeinflusst. Alle Fermente haben mit einander gemeinsam die Löslichkeit in Wasser, die Fällbarkeit aus dieser Lösung durch Alkohol oder Ammo- niumsulfat und die Wiederlöslichkeit nach der Fällung in Wasser. Die meisten lösen sich auch in Glycerin und werden aus dieser Lösung durch Alkohol gefällt. ^j Darauf beruhen zunächst alle bisherigen Ver- suche zur Isolirung der Fermente. Die angeführten Eigenschaften aber theilen mit den Fermenten noch viele andere Bestandtheile der Ge- webe und Secrete. , Deshalb mussten zur weiteren Trennung noch andere Mittel angewandt werden. Gewisse Fermente, z. B. das Pepsin, diffandiren nicht durch Membranen^), und alle haben eine grosse Neigung, beim Herausfallen indifferenter Niederschläge mitgerissen zu werden.^) Auch diese Eigenschaft wurde bei den Versuchen zur Isolirung verwerthet. Eine Beschreibung aller dieser Methoden würde 1) Hoppe-Seyler, Pflüger's Arch. Bd. 12. S. 14. 1S76. 2) Nencki, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 17. S. 105. 1879. 3) V. Wittich, Pflüger's Arch. Bd. 2. S. 193. 18Ü9 und Bd. 3. S. 339. 1870. 4) Kbasilkikow, Medicinsky Wjestnik 1864. Eine kurze Notiz über diese Arbeit giebt Diakonow in HoppE-SETiiER's Med. chem. Unt. S. 241. Siehe ferner A. ScHÖFFEE, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1866. S. 641. v. Wittich, Pflüger's Arch. Bd. 5. S. 443. 1872. Olof Hammarsten, Om pepsinets indiffusibilitet. üp- sala läkareförennings förhaudlingar. Bd. 8. p. 565. 1873. 5) Brücke, Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 43. S. 601. 1861. A. v. Heltzl, Beiträge zur Lehre der Verdauungsfermente des Magensaftes. Dorpat 1864. Die Fermente. 171 mich hier viel zu weit führen. Ich verweise auf die Arbeiten von Brücke^), Danilewskt -), Cohnheim^), Aug. Schmidt^), Hüfner-^), Malt 6), Kühne'), Barth §) und 0. Löw.^) Jedes Ferment entfaltet das Maximum seiner Wirksamkeit bei einer ganz bestimmten Temperatur. Diese Temperatur muss für die Verdauungsfermente der kalt- und warmblütigen Thiere eine ver- schiedene sein. Das müssen wir a priori aus teleologischen Gründen erwarten und das lehrt die directe Beobachtung. Extrahirt man die Magenschleimhaut eines vor Kurzem getödteten Säugethieres mit verdünnter Salzsäure — 2 — 3 pro Mille — , so er- hält man einen sogenannten künstlichen Magensaft, welcher bei Körpertemperatur alle Eiweissarten rasch peptonisirt. Bei ge- wöhnlicher Temperatur ist diese Wirkung nur sehr unbedeutend und hört meist bei 10" C. schon vollständig auf. Bei 0" C. konnte nie- mals auch nur eine Spur von Verdauung constatirt werden. Fick und MuRisiER '<*) fanden nun, dass der aus der Magenschleimhaut des Frosches, Hechtes und der Forelle dargestellte Magensaft noch bei 0« regelmässig lösend auf geronnenes Eiweiss wirkte. Hoppe-Seyler i^) bestätigte diese Resultate: er fand, dass künstlicher Magensaft vom Hechte Fibrinflocken bei 15" schneller verdaute als bei 40", am schnellsten ungefähr bei 20". „Einige Grad über 0" war die Einwir- kung langsamer als bei 15", aber noch sehr deutlich." Fick und Hoppe-Setler schliessen aus diesen Thatsachen, dass der Magensaft der Warmblüter ein anderes Ferment enthalte, als der der Kaltblüter. Wie das aus verschiedenen Quellen stammende Pepsin, so zeigen auch die aus verschiedenen Quellen stammenden, Stärkemehl spal- 1) Brücke, Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 37. S. 131. 1859 und Bd. 43. S. 601. 1861. 2) A. Danilewskt, Virchow's Arch. Bd. 25. S. 279. 1862. 3) J. CoHNHEiM. Virchow's Arch. Bd. 28. S. 241. 1863. 4) Aug. Schmidt, üeber Emulsin und Legumin. Diss. Tübingen 1871. 5) EüFNER, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 5. S. 372. 1872. 6) Maly, Pflüger's Arch. Bd. 9. S. 592. 1874. 7) Kühne, Verhandlungen des naturhistor. med. Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. 1. 1876 und Bd. 3. S. 463. 1886. Kühne u. Chittenden, Zeitschr. f. Biologie. N. F. Bd. 4. S. 428. 1886. 8) M. Barth, Zur Kenntniss des Invertins. Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 11. S.474. 1878. 9) 0. Low, Pflüger's Arch. Bd. 27. S. 203. 1S82. 10) MuRisiER, Verhandl. der physik. med. Gesellschaft zu Würzburg. Bd. 4. S. 120. 1873. 11) Hoppe-Sevler, Pflüger's Arch. Bd. 14. S. 395. 1877. Vergl. auch M. Flaum, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 28. S. 433. 1892. 172 Zehnte Vorlesung. tenden Fermente, die sogenannten diastatischen Fermente, bei ver- schiedenen Temperaturen das Maximum ihrer Wirksamkeit. Das dia- statische Ferment des Pankreas und des Speichels wirkt am schnellsten bei 37— 40" C. das der keimenden Gerste bei 54— 630C.') Beim Erwärmen fermenthaltiger wässeriger Lösungen auf mehr als 70" C. werden die ungeformten Fermente ebenso zerstört, wie die geformten. Die Lösungen erweisen sich dann, auch wenn sie wieder abgekühlt sind, als unwirksam. Im trockenen Zustande dagegen kann man die Fermente sehr hohen Temperaturen aussetzen, ohne dass sie unwirksam werden. Hüpner '-) erwärmte sein getrocknetes Pankreas- ferment auf 100 »^C., ohne dass es unwirksam wurde. Alexander Schmidt ^) und Salkowski zeigten, dass dieses auch vom Pepsin gilt. Salkowski^) erhitzte Pepsin bis 150^ C., Pankreasferment und Inver- tin Stunden lang bis 160« C. und zeigte, dass sie darauf abgekühlt und mit Wasser zusammengebracht, wieder wirksam waren. Man hat darin ein Mittel zur Unterscheidung der ungeformten Fermente von den geformten zu finden geglaubt. Neuere Forschungen aber haben gezeigt, dass gewisse Bacterien im Sporenzustande Temperaturen von 110 — 1400 C. ertragen, ohne dass das Leben und die Entwickelungs- fähigkeit erlischt.^) Die Resistenzfähigkeit gegen absoluten Alkohol ist gleichfalls als eine Eigenthümlichkeit der ungeformten Fermente bezeichnet wor- den, welche sie von den geformten unterscheide. Aber auch diese Fähigkeit kommt gewissen Bacteriensporen zu. Koch ^) zeigte, dass beispielsweise die Sporen der Milzbrandbacterien 110 Tage in abso- lutem Alkohol aufbewahrt werden können, ohne dass sie getödtet wer- den. Dagegen scheint Aether bei längerer Einwirkung — 30 Tage — alle Sporen zu tödten, während die ungeformten Fermente nach den bisherigen Versuchen dadurch nicht unwirksam werden. Wie der Aether sollen auch Blausäure, Chloroform, Benzol, Thymol, Terpen- tinöl und Fluornatrium ') nur die geformten Fermente tödten, die un- geformten nicht unwirksam machen. 1) J. Kjeldähl, Meddelelser fra Carlsberg Laboratoriet Kjöbenhavn 1879. Maly's Jahresbericht für Thierchemie. 1S79. S. 382. 2) HüFNER, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 5. S. 372. 1872. 3) Alex. Schmidt, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1876. Nr. 29. 4) Salkowski, Virchow's Arch. Bd. 70. S. 158. 1877 und Bd. 81. S. 552. 1880. Vergl. auch Hüppe, Mittheil. d. Kaiserl. Gesundheitamtes. Bd. I. 1881. 5) E. Koch und Wolpfhügel, Mittheil. d. Kaiserl. Gesundheitsamtes. Bd. I. 1881. Max WoLFF, Virchow's Arch. Bd. 102. S. 81. 1885. 6) Robert Koch, lieber Desinfection. Mittheil. d. Kaiserl. Gesundheitsamtes I. Berlin 1881. 7j M. Akthus et Ad. Huber, Arch. de physiologie. Octobre 1892. Die Verdauungs Vorgänge im Darme. Kohlehydrate. 173 Nach diesen Betrachtungen über die Fermente im Allgemeinen kehren wir nun zum Paiikreassafte und seinen Fermeutwirkungen zurück. Ich erwähnte bereits, dass der Fankreassaft auf alle drei Hauptgruppen der Nahrungsstoffe einwirkt. Zur Erklärung dieser drei Wirkungen hat man drei verschiedene Fermente angenommen. Es liegt aber vorläufig kein zwingender Grund dazu vor. Hüfner ') er- hielt bei seinen vielfachen Bemühungen zur Isolirung der Fankreas- fermente stets Fräparate, denen alle drei Fermentwirkungen zukamen. Was zunächst die Wirkung auf die Kohlehydrate betrifft, so ist besonders eingehend die Umwandlung des unlöslichen Stärke- mehls studirt worden. Der Process der Stärkeverdauung ist keines- wegs so einfach, als man früher geneigt war anzunehmen. Bis auf die neueste Zeit war man der Meinung, es werde das Stärkemehl sowohl durch die Verdauungsfermente des Speichels und Pankreas- saftes als auch durch das Ferment der keimenden Gerste, die „Dia- stase" in derselben Weise verändert wie beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure, wobei bekanntlich das Stärkemehl unter Wasserauf- nahme vollständig in Traubenzucker (Dextrose) umgewandelt wird und nur vorübergehend als Zwischenproduct Dextrin auftritt. Neuere Forschungen -) aber haben gezeigt, dass die Menge des gebildeten Zuckers nur die Hälfte vom Gewichte der Stärke aus- 1) HüFNEB, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 5. S. ;) Legt man bei einem lebenden Hunde die Stelle blos, wo der Ductus thoracicus in die Halsvene mündet*^), so kann man in den 1) A. Röhrig, Ber. d. sächs. Ges. d. Wissensch. Math. phys. Classe. Bd. 26. S. 1. 1874. 2) Zawilski, Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig Jahrg. 11. 1876. S. 147. 3) VON Mering, Du Bois' Arch. 1877. S. 379. 4) Ad. ScHMiDT-MtJLHEiM, ebend. S. 549. 5) Ueber die ersten Wege der P'etttröpfchen bei der Resorption vergl. oben S. 5 und 6. 6) üeber die Methode der Operation und die Controle durch die später ausgeführte Section siebe A. Röhrig, 1. c. p. 12 u. 13 und Schmidt -Mülheim, 1. c, p. 559—561. Die Resorptionswege. Der Zucker. Die Fette. 199 Ductus eine Canüle einführen und die Menge des in der Zeiteinheit ausfliessenden Chylus bestimmen. Es stellte sich nun die überraschende Thatsache heraus, dass diese Menge während der Verdauung nicht grösser ist als beim nüchternen Thiere. ') Der Unterschied besteht nur darin, dass die Flüssigkeit beim nüchternen Thiere durchschei- nend ist, beim verdauenden dagegen durch die Füllung mit Fett- tröpfchen weiss und undurchsichtig. Die Menge des Zuckers dagegen wurde im Chylus während der Verdauung von Stärke und Zucker nicht grösser gefunden als beim hungernden Thiere — 0,1 bis 0,2 o/o — .-) Der Zuckergehalt des Chylus war stets derselbe wie in der Lymphe aus dem Halsstamme und im Serum '^) des arteriellen Blutes. Der Zucker des Chylus war also mit den Bestandtheilen des Blutplasma durch die Wandungen der Darm- capillaren in die Chylusbahnen übergetreten. Vom Darm aus war kein Zucker in den Chylus gelangt. Aus dem Ductus thoracicus eines Hundes, der 100 Grm. Trau- benzucker und 100 Grm. Stärke verzehrt hatte, flössen während der nächsten 4^2 Stunden nach dieser Mahlzeit 350 Ccm. Chylus mit nur 0,45 Grm. Zucker.-») Wir werden also zu dem Schlüsse gezwungen, dass der Zucker vom Darme aus direct in die Blutcapillaren und ins Pfortadersystem gelangt. Nun aber sehen wir, dass der Zuckergehalt im Blute auch nach Aufnahme einer an Kohlehydraten reichen Mahlzeit nicht steigt. Ein erwachsener Mensch hat ca. 5 Liter Blut und in jedem Liter 0,5 bis 1,5 Grm. Zucker, selten mehr als 2 Grm., im Gesammtblut also nicht mehr als höchstens 10 Grm. Dieses Quantum bleibt das gleiche beim Hunger und bei reichlichster Nahrungszufuhr. Nach einer an Kohle- hydraten reichen Mahlzeit können im Laufe weniger Stunden bis 400 Grm. Zucker ins Blut gelangen. Wo bleibt dieser Zucker? Er kann nicht immer in dem Maasse, als er resorbirt wird, auch sogleich als Kraftquelle verbraucht werden, insbesondere wenn der Körper ruht und nicht viel Wärme zu produciren braucht. Der Zucker muss also irgendwo und in irgend einer Form aufgespeichert werden als Vorrath an Spannkräften für spätere Leistungen. 1) Zawilski, 1. c. p. 161 u. 162. 2) VON Mering, I. c. p.398ff. und p. 382-384. 3) Die Blutkörperchen enthalten keinen Zucker oder doch nur sehr geringe Mengen. Siehe von Mering, 1. c. p. 382 und A. M. Bleile, Du Bois' Arch. 1879. S. 62ff. •1) VON Mering, 1. c. p. 398. 200 Zwölfte Vorlesung. Es liegt nahe, an das Glycogen zu denken, ein colloides Kohle- hydrat, welches wir später näher werden kennen lernen (siehe unten Vorles. 20) und welches in der Leber und in den Muskeln aufge- speichert ist. Wir wissen, dass diese Glycogenvorräthe beim Hunger und bei der Arbeit allmählich schwinden (siehe unten Vorles. 20 u. 21) und nach Aufnahme von Kohlehydraten rasch wachsen. Aber als Glycogen allein können die grossen Zuckermengen, die häufig in kurzer Zeit vom Darm aus ins Blut gelangen, nicht auf- gespeichert werden. Der Glycogenvorrath in der Leber beträgt beim Menschen niemals mehr als ca. 150 Grm. Ein gleiches Quantum kann in der gesammten Muskulatur aufgespeichert werden. Dieser Vorrath aber ist zur Zeit, wo wir dem Körper wieder neue Kohle- hydrate zuführen, noch lange nicht verbraucht; er verschwindet erst nach mehrwöchentlichem Hunger. Wenn wir also nach einer reich- lichen Mahlzeit im Laufe weniger Stunden bis 400 Grm. Zucker ins Blut eintreten lassen, so kann nur ein kleiner Theil davon als Gly- cogen aufgespeichert werden. Wir müssen annehmen, dass ein grosser Theil weiter umgewandelt wird in Fett. Als Fett können sehr grosse Nahrungsvorräthe im Bindegewebe aller Organe aufgespeichert werden. Wir werden später (Vorles. 22) sehen, dass thatsächlich Kohlehydrate in Fett umgewandelt werden in unseren Geweben. Wir müssen uns also beim gegenwärtigem Stande unseres Wissens folgende Vorstellung über das Verhalten des resorbirten Zuckers in unserem Körper bilden: Der Zucker ist ein wichtiger Nahrungsstoff; er ist eine wichtige Kraftquelle für die Muskeln und wahrscheinlich für alle contractilen Gebilde. Deshalb ist dafür gesorgt, dass er beständig in bestimmter Menge mit dem Blute durch alle Gewebe circulirt. Steigt seine Menge im Blute über 3 pro Mille, so wird er durch die Niere aus- geschieden. (Vergl. Vorles. 23.) Dieser Verlust des kostbaren Nah- rungsstoffes wird dadurch verhütet, dass die Leber und die Muskeln jeden Ueberschuss über die Norm, welcher bei rascher Kesorption ins Blut gelangt, sofort als Glycogen aufspeichern. Tritt in Folge des Verbrauches bei der Arbeit und Wärmeproduction ein Sinken des Zuckergehaltes im Blute unter die Norm ein, so geben die Mus- keln und die Leber sofort einen Theil des Glycogens als Zucker wieder dem Blute zurück. Reicht der Glycogenvorrath nicht aus, so wird Fett in Zucker umgewandelt und dem Blute zugeführt. Wir werden später (Vorles. 20) die Gründe kennen lernen, welche für eine solche Umwandlung sprechen. Thatsächlich sieht man auch nach lange fortgesetztem Hunger, wenn der Glycogenvorrath schon Die Resorptionswege. Der Zucker. Die Fette. 201 lange verbraucht ist, den Zuckergehalt des Blutes immer constant bleiben. Auch aus Eiweiss wird wahrscheinlich Zucker gebildet (s. Vorles. 20), Es fragt sich mm: wenn für die Constanz des Zuckergehaltes im Blute so gut gesorgt ist, warum begegnen wir nicht ähnlichen Vorrichtungen zur Regulirung des Fettgehaltes? Der Fettstrom er- giesst sich frei in die Vena anonyma — also fast direct ins Herz! Kann daraus nicht auch eine Gefahr erwachsen? Das Blut wird in der That häufig vom Fettstrom überschwemmt. Entzieht man einem Hunde ein paar Stunden nach Aufnahme einer fettreichen Mahlzeit Blut und defibrinirt dasselbe, so erscheint nach Senkung der Blut- körperchen das abgeschiedene Serum milchweiss und bisweilen setzt sich oben eine förmliche Rahmschicht ab. Dennoch ist dieser Fett- reichthum des Blutes völlig ungefährlich, weil die Fetttröpfchen so klein sind, dass sie ungestört durch die Capillaren circuliren. All- mählich verschwindet das Fett wieder aus dem Blute, offenbar da- durch, dass es die Wandungen der Capillaren durchwandert und in den Zellen des Bindegewebes abgelagert wird (vergl. Vorles. 22). Denn an eine Zerstörung des Fettes innerhalb der Blutbahn ist nicht zu denken. Wir wissen, dass im Blute keine Ox3^dationsprocesse verlaufen (siehe Vorles. 15). Ganz anders verhält sich das Fett, welches unter abnormen Be- dingungen ins Blut gelangt. Bei Knochenbrüchen — durch Zer- trümmerung des fettreichen Knochenmarkes — oder bei Verletzung fettreicher Weichtheile werden häufig Fetttröpfchen in die Lymph- bahnen hineingesogen und mit dem Lymphstrom ins Blut geführt. Ist die Fettmenge bedeutend, so verstopfen die grossen Fetttropfen in weiter Ausdehnung die Lungencapillaren ; es entsteht Lungen- ödem und es kommt vor, dass die Verletzten unter den Erschei- nungen zunehmender Athemnoth sterben. Auch zur Ausscheidung von Fett durch die Nieren kann es kommen, und das Auftreten von Fetttropfen im Harn nach Knochenbrüchen ist keine Seltenheit. Man könnte nun fragen, warum denn dieses aus den Geweben ins Blut gelangende Fett nicht auch zu kleinsten Tröpfchen emul- sionirt wird, da das Blut doch kohlensaures Natron und andere ba- sische Alkalisalze enthält. Die Antwort hierauf wird man finden, wenn man sich der bereits (S. 176) erwähnten Thatsache erinnert, dass das kohlensaure Natron nur solches Fett zu emulsioniren ver- mag, welchem etwas freie Fettsäure beigemengt ist, nicht die neu- tralen Glyceride des frischen Fettes. Frischer aber kann das Fett gar nicht sein, als wenn es unmittelbar aus dem lebenden Gewebe in den Blutstrom hineingerissen wird. 202 Zwölfte Vorlesung. Die Frage, ob alles Fett vom Darme in die Chylusbahnen über- tritt, oder ob ein Theil auch direct durch die Wandung der Blut- capillaren der Darmzotten ins Blut gelaugt, konnte bisher noch nicht mit Sicherheit entschieden werden. Jedenfalls aber scheint der letz- tere Theil nur unbedeutend zu sein. Zawilski fand in dem Blute eines mit fettreicher Nahrung gefütterten Hundes, bei welchem der Chylusstrom nach aussen abgeleitet war, nur sehr wenig Fett. Wäre die Fettmenge, welche in die Blutcapillaren der Darmzotte eintritt, eine erhebliche, so könnte man erwarten, dass nach Aufnahme fett- reicher Nahrung der Fettgehalt im Pfortaderblute nachweislich höher sei als im arteriellen Blute. Vergleichende Bestimmungen, welche an beiden Blutarten in Heidenhain's^) Laboratorium ausge- führt wurden, ergaben einen ganz gleichen Fettgehalt. Im Mittel aus 5 Analysen der Blutproben von 5 Hunden wurde gefunden: Trocken riick- stand Fettgehalt im Gesammtblut Fettgehalt im TrockenrUckstand Carotis Pfortader .... 22,34 > 22,84 = 0,86 «,'0 0,85 = 3,650/0 3,35 s Es bleibt uns noch die Frage zu besprechen übrig, welche Wege das Ehveiss nach der Resorption einschlägt. Bei den Versuchen zur Beantwortung dieser Frage stösst man auf besondere Schwierig- keiten, weil die Eiweisskörper ja bereits den Hauptbestandtheil des Blutes und der Lymphe ausmachen. Bedenken wir, wie gross die Blutmenge ist, welche in der Zeiteinheit die Capillaren des Darmes durchströmt, so können wir gar nicht erwarten, eine Zunahme des Eiweissgehaltes im Blute in Folge der Resorption vom Darme aus nachweisen zu können. Ludwig und Schmidt-Mülheim schlugen deshalb einen anderen Weg ein. Sie unterbanden den Ductus tho- racicus und fanden, dass in Folge dessen die Eiweissresorption in keiner Weise gehindert wurde, dass also das Eiweiss den anderen Weg, den durch die Pfortader einschlägt. Es sei mir gestattet die Beschreibung eines dieser Versuche 2) wörtlich anzuführen: „Körpergewicht des Hundes 14,37 Kgrm. Der durch 4tägiges Hungern vorbereitete Hund setzt unmittelbar vor der Operation seinen Harn ab. Es werden nunmehr die Hals- und Armvenen und Lymph- stämme beider Seiten unterbunden. Eine Stunde nach der Opera- tion frisst der Hund 400 Grm. und am nächsten Nachmittage aber- 1) Heidenhain, Pflüger's Arch. Bd. 41. Supplementbeft. S. 95. 1888. 2) Schmidt-Mülheim, 1. c. p. 5G5. Vers. V. Die Resorptionswege. Das Eiweiss. 203 mals 400 Grm. Fleisch. Sein Befinden bleibt ein vorzüglicbes. 48 Stunden nach der Operation wird das Thier durch Eröffnung der Carotiden getödtet. Bei der Obduction findet sich eine vollkommene Absperrung des Chylus von der Blutbahn. Der Inhalt des Ver- dauungsapparates besitzt 7,37 Grm. N. Hieraus ergiebt sich, dass nach völlige?^ Unterbrechung des Chylusstromes 583,24 Grm. Fleisch resorbirt worden sind. Der nach der Operation secernirte Harn enthält 21,95 N, also ein der resorbirten Nahrung entsprechendes Quantum". Vier andere in derselben Weise ausgeführte Versuche ergaben dasselbe Resultat. Wir sehen also, dass auch das Eiweiss wie alle in Wasser gelösten Nahrungsstoffe durch die Waiidungen der Darm- capillareji direct ins Blut gelangt. Es drängt sich uns nun die Frage auf: Mass alles Eiweiss, um diesen Weg einschlagen zu können, vorher peptonisirt worden sein oder kann ein Theil des Eiweisses auch als solches resorbirt werden'^ A priori steht der Annahme, dass Eiweiss unverändert resorbirt werde, nichts im Wege. Wenn thatsächlich mikroskopisch sichtbare Fetttröpfchen — ja sogar ganze Leucocyten — die Blutcapillaren verlassen und die Gewebe des Körpers durchwandern — warum sollte nicht auch ein Eiweissmolekül seinen Weg durch die Capillar- wand finden? Einen experimentellen Beweis haben Voit und Bauer ^) zu führen versucht. Eine Dünndarmschlinge lebender Hunde oder Katzen wird „durch vorsichtiges Streichen von ihrem Inhalte gesäu- bert", darauf ein abgemessenes Stück an beiden 'Enden durch dop- pelte Ligatur abgebunden, in dieses abgebundene Stück eine Eiweiss- lösung injicirt und die Schlinge reponirt, die Bauchwunde geschlossen. Der Eiweissgehalt der injicirten Lösung war bekannt; die Menge der injicirten Lösung wurde durch Zurückwägen der Spritze be- stimmt. Nach einigen Stunden wird das Thier getödtet und die Menge des Eiweisses in dem unterbundenen Darmstücke bestimmt. Es ergab sich, dass stets eine bedeutende Menge verschwunden war — von injicirtem Hühnereiweiss in 1 — 4 Stunden 16 — 33'^/o, vom Eiweiss des „sauren Muskelsaftes", Acidalbumin, 28 — 95 "/o — . Den naheliegenden Einwand, dass das Pepsin und Pankreas- ferment aus der Dünndarmschlinge nicht vollständig entfernt war, weisen Voit und Bauer zurück. Denn sie fanden den Rest des Eiweisses in der abgebundenen Darmschlinge stets vollständig durch Siedhitze coagulirbar; es war kein Pepton neben dem Eiweiss vor- handen. 1) C. Voit und J. Bauer, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 5. S. 562. 1869. 204: Zwölfte Vorlesung. VoiT und Bauer haben ferner hungernden Hunden Eiweiss- lösungen ins Rectum injicirt und aus der gesteigerten Harnstoffaus- scheidung auf die Resorption des unveränderten Eiweisses geschlos- sen. Denselben Schluss zieht aus ähnlichen Versuchen Eichhokst.') Gegen diese Versuche kann der Einwand erhoben werden, dass das Pankreasferment vielleicht bis in das Rectum gelange. Frei von diesem Einwände sind dagegen die Versuche von Czerny und Lat- SCHENBERGER "-) , wclchc an einem Menschen mit widernatürlichem After an der Flexura sigmoidea experimentirten. Von der Fistel aus konnte das Rectum reingespült werden. Wurde nun eine Eiweiss- lösung injicirt und darauf nach 23 — 29 Stunden wieder ausgespült, so zeigte es sich, dass 60 — 70 "/o des Eiweisses verschwunden waren. Zum gleichen Ergebniss gelangten durch einen ähnlichen Versuch an Menschen Nencki und seine Schüler. =') Einige Autoren sind soweit gegangen, zu lehren, es könne nur das unverändert resorbirte Eiweiss verwerthet werden als Ersatz für verbrauchtes Eiweiss der Gewebe, die Peptone dagegen fielen einer raschen weiteren Zersetzung anheim und könnten nur als Kraftquelle dienen. Gewisse Thatsachen scheinen allerdings für diese Lehre zu spre- chen. Ein hungerndes Thier geht sehr sparsam mit seinem Eiweiss- vorrathe um. Die Harnstoffausscheidung ist sehr gering. Nach einer eiweissreichen Mahlzeit dagegen erscheint schon im Laufe des näch- sten halben Tages eine dem aufgenommenen Eiweiss nahezu ent- sprechende Stickstoffmenge im Harn wieder. Man könnte a priori erwarten, dass, wenn man einem Hunde soviel Eiweiss giebt, als er an einem Hungertage zersetzt, und reichlich stickstofffreie Nahrung dazu, dass dann das Stickstoffgleichgewicht gewahrt bleibe. Es könnte a priori gleichgültig erscheinen, ob das nöthige Eiweiss der Nahrung oder den Geweben entnommen wird. Thatsächlich aber ist dieses nicht der Fall. Wenn man einem Hunde soviel Eiweiss giebt, als er im Hunger zersetzt hat, so scheidet er mehr Stickstoff aus, als er in der Nahrung aufnahm; er zehrt also zugleich noch von seinen Geweben. Erst wenn man ihm die 3 fache Eiweissmenge giebt, ist das Stickstoffgleichgewicht hergestellt.^) Ludwig und Tschiriew^) injicirten einem Hunde defibrinirtes 1) Hermann Eichhorst, Pflüger's Arch. Bd. 4. S. 570. 1871. 2) V. Czerny und J. Latschenberger, Virchow's Arch. Bd. 59. S. 161. 1874. 3) A. Macpadyen, M. Nencki und N. Sieber, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 28. S. 344 u. 345. 1891. 4) VoiT, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 3. S. 29 u. 30. 1867. 5) S. TscHiRiEw, Arbeiten aus dem physiolog. Institut zu Leipzig. 1874. S. 441. Die Resorptionswege. Das Eiweiss. 205 Blut von einem anderen Hunde in eine Vene. Dadurch stieg die Stickstoffausscheidung nur unbedeutend. Gaben sie dagegen dem Hunde dasselbe Quantum Hundeblut zu fressen, so stieg die Stick- stoffausscheidung entsprechend der Aufnahme. Zum gleichen Resul- tate kam durch ähnliche Versuche Förster. ^) Das Eiweiss verhält sich also ganz verschieden je nach dem Wege, auf welchem es ins Blut und in die Gewebe gelangt. Das vom Darm aus aufgenommene wird rasch zersetzt. Diese Thatsache suchte man zu Gunsten der Ansicht zu ver- werthen, dass die Peptone nicht assimilirbar seien. Das vom Darme resorbirte Eiweiss sei zum grössten Theile peptonisirt und müsse deshalb rasch weiter zerfallen. Nur der Theil des Eiweisses, wel- cher als solcher resorbirt sei, könne zum Aufbau von Gewebselemen- ten verwerthet werden. Die Thatsachen müssen aber doch wohl anders gedeutet werden. Denn wir wissen jetzt, dass die Peptone nach der Resorption zu Eiweiss regenerirt werden können. Es ergiebt sich dieses aus fol- genden Versuchen. Plosz-) fütterte einen 10 Wochen alten Hund 18 Tage lang mit einer künstlich zusammengesetzten Milch, in welcher das Casein und die Eiweisskörper durch Peptone ersetzt waren. Das Thier befand sich bei dieser Ernährungsweise ,,sehr wohl" und das Körperge- wicht stieg von 1335 auf 1836 Grm., also um 37,5 o/o. Dass eine so bedeutende Zunahme des Körpergewichtes ohne Wachsthum der eiweisshaltigen Gewebe zu Stande gekommen sei, ist sehr unwahr- scheinlich. Es muss also Eiweiss aus den Peptonen der Nahrung sich gebildet haben. Einen zweiten Versuch stellten Plosz und Gyergyai ^j an einem ausgewachsenen Hunde an. Das Thier bekam 6 Tage lang ein künst- liches Nahrungsgemisch, welches kein Eiweiss, statt dessen Peptone enthielt. Während dieser Zeit nahm das Körpergewicht des Thieres ein wenig zu und die Stickstoffausscheidung war etwas geringer als die Aufnahme. Auch dieser Versuch kann nicht gut anders ge- deutet werden als dahin, dass Eiweiss aus den Peptonen sich ge- bildet hatte. Das in den Geweben des Thierkörpers abgelagerte Eiweiss kann also aus einer zweifachen Quelle stammen: aus dem unverändert 1) J. FoESTER, Zeitschr. f. Biolog. B. 11. S. 496. 1875. 2) P. Plosz, Pfiüger's Arch. Bd. 9. S. 323. 1874. Vergl. auch Maly, ebend. Bd. 9. S. 609. 1874. 3) P. Plosz und A. Gyergyai, Pflüger's Arch. Bd. 10. S. 545. 1875. 206 Zwölfte Vorlesung. resorbirten und aus dem durch Regeneration der Peptone gebildeten. Es fragt sieh nun: in welchem quantitativen Verhältniss stehen beide zu einander? wie gross ist der Theil des Nahrungseiweisses, welcher im Darme peptonisirt wird? Schmidt-Mülheim i) suchte der Lö- sung dieser Frage auf folgendem Wege näher zu rücken. Er fütterte 6 Hunde mit gekochtem Fleisch, tödtete sie 1, 2, 4, 6, 9 und 12 Stunden nach der Fütterung und untersuchte den Inhalt des Magens und Darmes. Er fand stets sowohl im Magen als im Darme be- deutend mehr Pepton als gelöstes Eiweiss. Es scheint somit, dass der grösste Theil des Eiweisses erst nach vorhergegangener Pepto- nisirung zur Resorption gelangt. Was sind nun die weiteren Schicksale der resorbirten Peptone? Im Blute verdauender Thiere findet man sie entweder gar nicht oder nur in sehr geringer Menge. Schmidt-Mülheim giebt als Maximum 0,028 "/o des Serums an, Hofmeister fand bis 0,055 «/o des Gesammt- blutes. Im Blute nüchterner Thiere finden sie sich nicht.-} Auch im Cbylus sind sie — wie zu erwarten — nicht nachweisbar, selbst zu einer Zeit nicht, wo sie im Blute sich finden.^) Injicirt man Pepton ins Blut, so geht dasselbe in den Harn über ^), und im Blute ist schon nach 10 bis 16 Minuten kein Pepton mehr nachweisbar. °) Hofmeister hat ferner gezeigt, dass auch nach subcutaner Injection im Laufe von 6 bis 9 Stunden der grösste Theil — bis 72 o/o — des Peptones im Harne wieder erscheint.'^) Da der normale Harn niemals Pepton enthält, so muss das vom Darm resorbirte Pepton durch irgend welche Ursachen am Ueber- gaug in den Harn verhindert werden. Der grösste Theil gelangt offenbar gar nicht als solches in den grossen Kreislauf, sondern wird schon früher in Eiweiss umgewandelt. Es fragt sich: wo vollzieht sich diese Regeneration des Peptons zu Eiweiss? Es liegt nahe, an die Leber zu denken. Betrachtet man die Peptone als Spaltungs- producte des Eiweisses, so wäre die Bildung von Eiweiss aus Pepton der in der Leber sich vollziehenden Bildung von Glycogen aus Zucker 1) ScHMiDT-MüLnEiM, Du Bois' Arch. 1S79. S. 43. 2) Schmidt-Mülheim, Du Bois' Arch. 1880. S. 38—42. Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 149. 1881 und Bd. 6. S. 6ü— 62u. 66. 3) Schmidt-Mülheim, Du Bois' Arch. 1880. S. 41. Hofmeister, Arch. f. exp. Tath.u. rbarm. Bd. XIX. S. 17. 1885. 4) r. Plosz und A. üyergyai, Pflüger's Arch. B. 10. S. 552. 1875. Fr. Hof- meister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 131. 1881. 5) Schmidt-Mülheim, Du Bois' Arch. 1880. S. 46— 48. B'ano, Du Bois' Arch. 1881. S. 281. 6) Fr. Hofmeister. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 132-137. 1881. Die Resorptionswege. Das Eiweiss. 207 analog. Aber das Pfortaderblut enthält entweder gar kein Pepton oder nicht mehr als das arterielle Blut.') Es bleibt daher nur die Annahme übrig, dass die Umwandlung der Peptone zu Eiweiss zum gj^össtcn Theil bereits in der Darmwand vor sich geht. Damit stimmen die von Hofmeister beobachteten That- sachen. Hofmeister untersuchte mit äusserster Sorgfalt die Organe verdauender Hunde und fand, dass die Magen- und Darm wand die einzigen Körpertheile sind, in denen constant während der Ver- dauung Peptone sich nachweisen lassen. In den meisten Fällen fan- den sich Peptone in geringer Menge auch im Blute und in 4 Fällen unter 10 in der Milz. In allen übrigen Organen und Geweben konnte niemals Pepton nachgewiesen werden.-) Hofmeister hat ferner ge- zeigt, dass die Aufspeicherung der Peptone in den Wandungen des Verdauungscanais stets nur in der Mucosa statt hat, niemals in der Muscularis.^j Schliesslich hat Hofmeister die wichtige Thatsache festgestellt, dass das Pepton in der Magen- und Darmwand sehr bald einer Um- wandlung unterliegt. 4) Der Magen eines eben getödteten Thieres wurde durch Schnitte in der grossen und kleineu Curvatur in zwei symmetrische Hälften getheilt, oder ein Stück der Darmwand durch zwei Längsschnitte in zwei möglichst gleiche Theile. Die Schleim- haut wurde mit verdünnter Kochsalzlösung rein gewaschen, die eine Hälfte gleich in siedendes Wasser geworfen, die andere erst, nach- dem sie zuvor einige Zeit in einer feuchten Kammer bei 40*^ C. ge- legen hatte. Stets wurde in der ersten Hälfte weit mehr Pepton gefunden als in der zweiten. Waren 2 bis 3 Stunden verflossen, bis die zweite Hälfte ins siedende Wasser kam, so erwies sie sich voll- kommen peptonfrei. Dass das Pepton in der Schleimhaut weiter ge- spalten wird, ist schon aus teleologischen Gründen sehr unwahrschein- lich. Es bleibt kaum eine andere Annahme übrig als die, dass das Pepton in der Mucosa des Verdauungscanales zu Eiweiss regenerirt wird. Dieses ist wahrscheinlich ein Lebensvorgang. Dafür spricht die folgende von Hofmeister beobachtete Thatsache. Wurde die eine Hälfte des Magens gleich in siedendes Wasser geworfen, die andere aber auf einige Minuten in Wasser von 60 "C. und darauf zwei Stunden bei 400C. erhalten, so war der Peptongehalt in beiden Hälften der 1) Schmidt-Mülheim, Du Bois' Arch. 1880. S. 43. 2) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 6. S. 51. 1882. 3) Hofmeister, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XIX. S. 9 u. lU. 1885. 4) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 6. S. 69 — 73 und Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XIX. S. 8—15. 1885. 208 Zwölfte Vorlesung. gleiche. Eine Temperatur von 60 "C. vernichtet erfahrungsgemäss das Leben thierischer Zellen, zerstört aber nicht die ungeformten Fermente. Es muss also die Umwandlung des Peptons in Eiweiss durch die „vitale" Function der „überlebenden" Zellen des ausge- schnittenen Magens zu Stande gebracht worden sein. Im besten Einklänge mit diesen Resultaten Hofmeister's steht ferner die folgende Beobachtung, welche Salvioli i) in Ludwig's Laboratorium zu Leipzig gemacht hat. Einem eben getödteten Hunde wird eine Dünndarmschlinge mit dem zugehörigen Stücke des Mesen- teriums herausgeschnitten. In das Darmstück wird 1 Grm. Pepton in 10 Ccm. Lösung gebracht und die Enden werden geschlossen. Darauf wird in den zugehörigen Zweig der Arteria mesenterica — nach vor- hergegangener Unterbindung der Collateralgefässe — ein Strom er- wärmten, defibrinirten und mit Kochsalzlösung verdünnten Blutes geleitet, welches aus dem entsprechenden Venenzweige wieder heraus- fliesst. Während der Durchleitung „vollführt der Darm sehr lebhafte Zuckungen". Nachdem die Durchleitung 4 Stunden gedauert, wird der Darminhalt untersucht: es finden sich in demselben „etwa ein halbes Gramm gerinnbares Eiweiss, aber nur Spuren von Pepton". Das durchgeleitete Blut enthielt gleichfalls kein Pepton. Wurde da- gegen dem durchzuleitenden Blute Pepton hinzugefügt, so verschwand es nicht aus demselben während des Durchleitens. Das Pepton ver- schwindet also in der Darmwand auf dem Wege vom Darminhalt zum Blute. Zu einer bereits erwähnten Beobachtung über das Verhalten der Peptone muss ich jetzt noch einmal zurückkehren und dieselbe etwas eingehender besprechen. Wir haben gesehen, dass die Regeneration der Peptone zu Eiweiss in der Darmwand meist keine ganz voll- ständige ist. Ein Theil der Peptone geht gewöhnlich bei der Ver- dauung unverändert in das Blut über. Wir müssen uns fragen: was ist das weitere Schicksal und die Bedeutung dieses Theiles? Wir müssen vor Allem fragen: Warum geht dieses Pepton nicht in den Harn über, da das künstlich ins Blut gebrachte doch sofort diesen Weg einschlägt? Hopmeister 2) musste diese Thatsache auffallen, denn nach seiner Berechnung war die Peptonmenge, welche nach subcutaner Injection ins Blut gelangte und in den Harn überging, weit geringer als die Peptonmengen, welche im Blute verdauender Thiere gefunden werden und nicht in den Harn übergehen. (Vergl. oben S. 206.) Das vom Darm aus ins Blut gelangte Pepton verhält 1) Gaetäno Salvioli, DuBois' Arch. 1880. Suppl. S. 112. 2) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 148. 1881. Die Resorptionswege. Das Eiweiss. 209 sich also anders als das auf irgend einem anderen Wege dorthin ge- langte. Zur Erklärung dieser Thatsache nimmt Hofmeister an, dass das vom Darm aus ins Blut gelangte Pepton nicht im Plasma, son- dern in den Lymphzellen enthalten sei. Die Gründe, die ihn zu dieser Annahme bewegen, sind folgende: 1. Im Eiter finden sich be- deutende Peptonmengen und zwar sind sie dort vorherrschend oder vielleicht sogar ausschliesslich in den Eiterzellen — die ja mit den Lymphzellen, den farblosen Blutkörperchen oder Leucocyten iden- tisch sind — enthalten.') 2. Bei der Untersuchung des Blutes eines verdauenden Thieres erwies sich das Serum als peptonfrei, während die oberste Schicht des Blutkuchens — welche .stets die Hauptmenge der Leucocyten enthält (vergl. Vorles. 13) — 0,09 "/o Pepton ent- hielt.-) 3. Der procentische Peptongehalt der Milz — die bekannt- lich sehr reich an Leucocyten ist — wurde stets höher gefunden als der des Blutes vom selben Thiere. 4. „Das adenoide Gewebe, wel- ches bei nüchternen und hungernden Thieren eine massige Zahl Lymphzellen enthält, ist bei verdauenden Thieren strotzend von den- selben erfüllt". 3) 5. Die Zellen im adenoiden Gewebe verdauender Thiere zeigen mehr Kerntheilungsfiguren als bei nüchternen Thieren.^) Schliesslich hat Hofmeister's Schüler J. Pohl ^) gezeigt, dass während der Verdauung eiweissreicher Nahrung die Zahl der Leuco- cyten im Blute wächst, nicht aber während der Resorption von Kohle- hydraten, Fetten, Salzen und Wasser. Pohl hat ferner gezeigt, dass dieser Zuwachs von Leucocyten aus der Darmwand stammt. Denn die Zahl der Leucocyten war stets in den Darmvenen weit grösser, als in den entsprechenden Darmarterien. Es scheint also, dass die Lymphzellen nicht blos die Transport- schiffe für die Peptone im Blutstrom bilden. Ihre Vermehrung und ihr Wachsthum scheint mit der Resorption und Assimilation der stick- stoffhaltigen Nahrung aufs Innigste zusammenzuhängen. Da die Zahl der Leucocyten in unserem Körper doch eine constante ist, so muss in dem Maasse als das Eiweiss resorbirt und neue Zellen durch Theilung erzeugt werden, auch eine entsprechende Menge alter Lymph- zellen absterben und zerfallen. So erklärt sich vielleicht zum Theil die erwähnte Thatsache, dass die Resorption grosser Eiweissmengen eine rasche Zersetzung entsprechender Eiweissmengen zur Folge hat. 1) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 4. S. 274fiF. 1880. 2) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 6. S. 67. 1882. 3) Hofmeister, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 150. 1881. 4) Hofmeister, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. Bd. XIX. S. 32. 1885. Vergl. auch Bd. XX. S. 291-305. 1885 und Bd. XXII. S. 306. 1887. 5) Julius Pohl, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 25. S. 31. 1888. Bunge, Phys. Cliemie. S.Auflage. 14 210 Zwölfte Vorlesung. Indessen sind wir nicht gezwungen anzunehmen, dass alles Pe- pton, welches in der Darm wand verschwindet, in den Lymphzellen des adenoiden Gewebes in Eiweiss umgewandelt wird und dass diese Umwandlung nur durch eine Assimilation, durch ein Wachsthum und eine Theilung der Lymphzellen zu Stande kommt. Heidenhain ^) hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Kerntheilungs- figuren, die man an den Lymphzellen des adenoiden Gewebes wahr- nimmt, eine zu geringe ist, um eine solche Annahme zu rechtfertigen. Heidenhain meint, dass die Umwandlung der Peptone in Eiweiss vielleicht zum grossen Theil bereits in den Epithelzellen erfolge und von diesen an das Blutplasma der Capillaren abgegeben werde, welche unmittelbar unter den Epithelzellen die Darmzotten umspinnen. Wir müssen uns nun die Frage vorlegen, was geschieht mit dem Theil des Peptons, welcher vom Darme ins Blut gelangt ist? Der- selbe verschwindet, wie bereits erwähnt, sehr bald wieder aus dem Blute ohne in den Harn überzugehen. Wo wird er also in andere Stoffe umgewandelt? Im Blute selbst vollzieht sich die Umwand- lung nicht. Hofmeister 2) entnahm der Carotis eines verdauenden Hundes unmittelbar nach einander zwei Blutproben. Die erste wurde sofort auf Pepton untersucht, die zweite, nachdem sie zuvor 2V2 Stun- den bei 370 c. aufbewahrt worden. Der Peptongehalt beider Proben wurde genau gleich gefunden. Hofmeister hat ferner einem leben- den Hunde die Carotiden und Crurales in möglichster Ausdehnung biosgelegt und oben und unten unterbunden, ebenso die Seitenäste. Nach einer halben Stunde wurden die unterbundenen Arterienstücke herausgenommen und der Inhalt entleert. Es ' Hess sich Pepton in demselben nachweisen. Also im Blute verschwindet es nicht; es muss somit von den Capillaren aus an die Gewebe abgegeben wer- den. Damit stimmt die Thatsache, dass während der Verdauung, wo das Arterienblut erhebliche Mengen Pepton enthielt, das Blut der entsprechenden Venen frei davon befunden wurde. ^) Mit Hülfe der so gewonnenen Kenntniss über das Verhalten der Peptone in unserem Körper sind wir nun auch im Stande, das bisher ganz räthselhafte Auftreten von Pepton im Harne bei verschiede- nen Krankheitsprocessenzu erklären. Wir haben gesehen, dass die Peptone in den Barn übergehen, sobald sie auf einem anderen Wege als vom Darm aus ins Blut gelangen. Dieses ist nun offenbar der Fall bei allen denjenigen pathologischen Processen, bei denen 1) Heidenhain, Pflüger' s Ar eh. Bd. 41. Supplementheft. S. 72— 74. 1888. 2) Hofmeistee, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. Bd. XIX. S. 23. 1885. 3) Hofmeister, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. Bd. XIX. S. 30. 1885. Die Kesorptionswege. Das Ei weiss. 211 es zur Pepton iirie kommt. Es handelt sich wahrscheinlich bei allen diesen Vorgängen um einen Zerfall absterbender Gewebsele- mente unter Bildung von Peptonen, welche ins Blut resorbirt wer- den^), so in Krankheitsprocessen, bei denen Eiteransammlung und Zersetzungen im Eiter eine Rolle spielen: bei eitrigen Pleura- und Peritonealexsudaten , Abscessen verschiedenen Sitzes, bei frischer Gonitis, bei Meningitis cerebrospinalis epidemica, Pyelonephritis, Bronchoblennorrhoe und einigen Fällen von Phthise mit ausgedehnter Cavernenbildung und Stockung des Secretes u. s. w. Auch das Auf- treten von Pepton im Harn im Lösungsstadium der croupösen Pneu- monie ist ähnlich zu erklären : das Pepton gelangt bei der Resorption der Lungenexsudate ins Blut. Thatsächlich konnte Hofmeister in den infiltrirten Partien pneumonischer Lungen einen „beträchtlichen Peptongehalt" nachweisen. 3) Siehe Em. Mäixner, Prager Vierteljahrschr. Bd. 143. S. 75. 1879. Hof- meister, Zeitschr. f. physiol. Chem. B. 4. S. 265. 1880. R. v. Jäksch, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 6. S. 413. 1883. H. Pacanowski, ebend. Bd. 9. S. 429. 1885. 14' Dreizehnte Vorlesung. Das Blut. Nachdem wir in unseren bisherigen Betrachtungen die Nahrungs- stoffe bis zu ihrem Eintritte ins Blut verfolgt haben, wollen wir nun dem Blute selbst unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Diejenige Erscheinung, welche uns bei der Untersuchung des Blutes zunächst und am auffälligsten entgegentritt und zugleich der chemischen Analyse die grössten Schwierigkeiten und Hindernisse in den Weg legt, ist die Gerinnung. Sobald das Blut die Gefässe des lebenden Thieres verlässt, geht ein Theil der Eiweissstoffe aus der scheinbar gelösten in die ge- ronnene Modification über. Die Menge dieser CoUoidstoffe — ge- wöhnlich Faserstoff oder Fibrin genannt — ist verhältnissmässig unbedeutend. Sie beträgt gewöhnlich nur 0,1 — 0,4'Vo vom Gewichte des Blutes. Dennoch wird durch den Uebergang dieser kleinen Menge in den geronnenen Zustand das ganze Blut in eine zusammenhängende Gallertmasse umgewandelt. Diese Gallertmasse zieht sich beim ruhigen Stehen allmählich zu- sammen, bisweilen auf die Hälfte des ursprünglichen Volumens, und presst die Zwischenflüssigkeit aus sich heraus, während die Blut- körperchen fast vollständig zurückgehalten werden. So kommt es zur Trennung des geronnenen Blutes in den „Blutkuchen" und das „Serum". Das Serum ist also Plasma minus Faserstoff; der Blutkuchen besteht aus den eng aneiaander gerückten Blutzellen, deren Zwischensubstanz der kleinere Theil des Serums mit den ge- ronnenen Eiweisskörpern bildet. Wenn man dagegen das Blut während der Gerinnung mit einem Stabe schlägt, so scheiden sich die gerinnenden Stoffe in Form von Fetzen und Fasern ab, die am Stabe haften und allmählich um den- selben sich aufwickeln, so dass man sie mit dem Stabe herausnehmen kann. So erhält man das sogenannte „defibrinirte" Blut, welches flüssig bleibt, von einem Rest noch suspendirten Faserstoffes durch Coliren getrennt werden kann und aus dem Serum mit den darin suspendirten Blutzellen besteht. Blutgerinnung. 213 Bedenkt man, wie gross die Neigung der Colloidstoffe zum Ueber- gang in die geronnene Modificatiou ist (vergl. oben S. 47—49), so kann uns diese Erscheinung der Gerinnung nicht befremden. Auch ist sie durchaus nicht etwas dem Blute Eigenthümliches. Lymphe und Chylus sind gleichfalls gerinnbar. Der Eintritt der Todtenstarre im abgestorbenen Muskel beruht auf einem ganz ähnlichen Vorgange, und wahrscheinlich geht in jedem absterbenden thierischen und pflanz- lichen Gewebe ein Theil der scheinbar gelösten Eiweissstoffe in die geronnene Modification über. Die Blutgerinnung ist also keine Lebens- erscheinung; sie ist ein Process der beginnenden Zersetzung im ab- sterbenden Blute. Man könnte daher meinen, eine Betrachtung der Blutgerinnung gehöre nicht in die Physiologie. Eine physiologische Bedeutung kann der Blutgerinnung in sofern zugesprochen werden, als dieselbe ein Act der Selbsthülfe des Organismus ist bei eintretender Gefahr des Verblutens nach Gefäss- verletzungen. Durch die Gerinnung an der verletzten Stelle wird die Blutung gestillt. In pathologischer Hinsicht aber beansprucht eine Unter- suchung der Ursachen und des Wesens der Blutgerinnung jedenfalls ein hohes Interesse. Denn bekanntlich kommt es unter pathologischen Bedingungen zur Gerinnung des Blutes innerhalb der lebenden Ge- fässe, und dieser Vorgang führt zu Störungen der verschiedensten Art, die häufig sogar zur Todesursache werden. Es ist daher eine Frage von grösster Wichtigkeit: was verhin- dert den Eintritt der Gerinnung unter normalen Verhältnissen inner- halb der lebenden Gefässe? Was ist überhaupt das Wesen des Pro- cesses? Was scheidet sich aus und unter welchen Bedingungen? Wir sind trotz vielfacher Untersuchungen noch nicht im Stande diese Fragen in befriedigender Weise zu beantworten. Fassen wir das Wenige, was wir thatsächlich beobachten können, näher ins Auge. Wir wissen zunächst, dass die Berührumj des Blutes mit der normalen lebenden Gefässwand die Gerinnwuj verhindert.^) Unter- bindet man einem lebenden Thiere ein Blutgefäss an zwei Stellen, so gerinnt in dem abgebundenen Stücke das stagnirende Blut auch nach Ablauf mehrerer Stunden nicht, wohl aber nach wenigen Mi- nuten, sobald man es aus dem Gefässstücke herausfliessen lässt. Brücke zeigte, dass, wenn man einer Schildkröte das Herz nach Unterbindung der Gefässstämme ausschneidet, in dem fortschlagenden Herzen das Blut nicht gerinnt. Wurden in einzelne der Gefässstämme kleine Glasröhren gebracht, welche der Gefässwand eng anlagen, 1) E. Brücke, Virchow's Arch. Bd. 12. S.Slu. 172. 1857. 214 Dreizehnte Vorlesung. SO dass das Blut nur mit dem Glase, nicht mit der Gefässwand in Berührung kam, so gerann das Blut in diesen Gefässstämmen, in welche die Glasröhren eingeschoben waren, nicht aber in den an- deren Gefässstämmen und im Herzen. Ueberhaupt sah Brücke jeden Fremdkörper, den er ins lebende Blut brachte, mit einem Gerinnsel sich umgeben. Unterbindet man ein Blutgefäss, so gerinnt nach einiger Zeit das Blut von der Unterbindungsstelle bis zum Abgang des nächsten Zweiges. Stets geht die Gerinnung von der Unterbindungsstelle aus, wo das Endothel durch die Quetschung verletzt und verändert ist. Auch kann man annehmen, dass das gesammte Endothel von der Unterbindungsstelle bis zur Abgangsstelle des nächsten Zweiges un- genügend ernährt ist, weil in Folge der Stagnation des Blutes nicht beständig die erforderlichen specifischen Nahrungsstoffe neu zugeführt werden, so dass das Endothel diejenige normale Beschaffenheit ein- büsst, welche die Blutgerinnung verhindert. So erklärt sich auch die Entstehung der Thromben^) in Folge atheromatöser Degeneration der Intima, in Folge der Compression eines Gefässes durch eine Geschwulst u. s. w. Wir wissen ferner, dass der BluUjerinnung stets ein Absterbe?i und Zerfallen von Leucocyten vorausgeht. Es scheint, dass die Zer- fallproducte der Leucocjten in irgend einer Weise an dem Zustande- kommen des Gerinnsels sich betheiligen. 2) Mantegazza machte dar- auf aufmerksam, dass spontan gerinnbar nur solche Flüssigkeiten sind, welche Leucocyten enthalten — Blut, Lymphe, pathologische Transsudate ^) — und dass diese Flüssigkeiten ihre Gerinnbarkeit ein- 1) üeber die Entstehung der Thromben siehe die Arbeiten Virchow's in dessen gesammelten Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin. Frankfurt a. M. 1856. S. 59— 732, ferner F. W. Zahn, Virchow's Arch. B.62. S.81. 1875 und J. C. Eberth und C. Schimmelbüsch, Virchow's Arch. Ed. 103. S. 39. 1886 u. Bd. 105. S. 331. u. 456. 1886. Dort findet auch die übrige Literatur sich zusammengestellt. 2) Die Ansicht, dass der Faserstoff aus dem Zerfall der Leucocyten her- vorgehe, ist zuerst vertreten worden von William Addison, The London Medical Gazette. New series. Vol. L For the session 1840—1841. p. 477 und 689 und von Lionel S. Beal, Quarterly Journal of microscopical science. T. 14. p. 47. 1864, hierauf von Paolo Mantegazza, Ricerche sperimentali sull'origine della fibrina e suUa causa della coagulatione del sangue. Milane 1871. Ein ausführ- liches Referat dieser Arbeit von Boll erschien im Jahre 1871 in dem Centralbl. f. d. med. "Wissensch. S. 709 und im Jahre 1876 veröflentlichte Mantegazza seine Arbeit in deutscher Sprache in Moleschott's Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. Bd. 11. S. 523—577. Vergl. auch E. Tiegel. Notizen über Schlangenblut, Pflüger's Arch. Bd. 23. S. 278. 1880. 3) Mantegazza, Moleschott's ünt. z. Naturlehre. Bd. 11. S. 552 u. 557. Blutgerinnung. 215 büssen, sobald es gelingt, die Leucocyten aus ihnen zu entfernen. Johannes Müller 0 batte gezeigt, dass, wenn man Froschblut mit Zuckerlösung verdünnt und filtrirt, die grossen rothen Blutkörper- chen auf dem Filter bleiben, das Filtrat aber gerinnt. Jon. Müller hatte hieraus geschlossen, dass die gerinnenden Stoffe aus dem Plasma stammen. Mantegazza aber zeigte, dass bei diesem Versuche die kleinen und weichen farblosen Blutkörperchen durch die Filterporen hindurchschlüpfen und dass, wenn es mit Hülfe besonders feinen Filterpapieres gelingt, auch die farblosen auf dem Filter zurückzu- halten, das Filtrat nicht gerinnbar ist. 2) Zog Mantegazza durch die Vene eines lebenden Thieres einen Seidenfaden, so fand er denselben schon nach zwei Minuten mit Leucocyten besetzt und „den Faserstoff um sie herum in der Bildung begriffen". Dauerte der Versuch länger, so umgab sich der Faden mit einem starken weissen Gerinnsel, welches stets vollgepfropft war mit Leucocyten. Ebenso verhielten sich andere Fremdkörper, welche in das strömende Blut gebracht wurden, und zwar war das an ihnen abgelagerte Gerinnsel um so bedeutender, je rauher ihre Oberfläche, je leichter die Leucocyten an ihnen hängen blieben. An einem blanken, dünnen Platindraht bildete sich kein Gerinnsel.^) Zum gleichen Resultate kam durch ähnliche Versuche Zahn.^) Führte er Glasstäbchen mit vollkommen glatter Oberfläche ins Herz lebender Thiere ein, so veranlassten sie keine Gerinnung. Machte er aber zuvor einen Feilenstrich auf dieselben, so bildete sich an dieser rauhen Stelle ein Gerinnsel. Zahn zeigte ferner, dass auch der Thrombenbildung stets eine Anhäufung und ein Zerfall von Leuco- cyten vorausgeht. Sehr eingehende Untersuchungen über die Beziehung der farb- losen Blutzellen zur Gerinnung hat schliesslich Alexander Schmidt ^) 1) Johannes MüLLEE, Handb. d. Physiologie des Menschen. 4. Aufl. Coblenz 1844. Bd.I. S. 104. 2) Mantegazza, 1. c. p. 556. 3) Mantegazza, 1. c. p. 55S— 563. 4) F. WiLH. Zahn, 1. c. S. 104—112. 5) Eine Zusammenstellung der HauptresuUate seiner umfangreichen Arbeiten tiber die Blutgerinnung hat Alexander Schmidt veröffentlicht unter dem Titel: „Die Lehre von den fermentativen Gerinnungserscheinungen in den eiweissartigen thierischen Körperflüssigkeiten." Dorpat. C. Mattiesen. 1876. Die späteren Un- tersuchungen Alex. Schmidt's über die Blutgerinnung finden sich in den Doctor- dissertationen seiner Schüler: L. Biek und J. Sachsendahl 1880, N. Bojanus und Ferd. Hoffmann 1881, Ed. von Samson-Himmelstjerna und N. Heyl 1882, H. Feiertag, F. Slevogt, Fe. Rauschenbach und Ed. von Götschel 1883, 0. Groth und "VV. Grohmaxx 1884 und Jakob von Samson-Himmelstjeena 1885. 216 Dreizehnte Vorlesung. ausgeführt. Er fand ein besonders günstiges Objeet zum Nachweis dieser Beziehung in dem Pferdeblute. Das Pferdeblut ist durch zwei Eigenthümlichkeiten vor dem Blute der übrigen bisher untersuchten Warmblüter ausgezeichnet: erstens gerinnt es langsamer und zwei- tens senken sich die rothen Blutkörperchen weit rascher. Deshalb gelingt es nach Senkung der rothen Blutkörperchen das Plasma von oben abzuheben, bevor die Gerinnung eintritt. Noch mehr verzögert wird die Gerinnung bei Anwendung von Kälte. Lässt man das Blut aus der Vene des Pferdes direct in ein mit Eiswasser umgebenes Gefäss fliessen, so senken sich die rothen Blutkörperchen vollständig und die specifisch leichteren, langsamer sich senkenden farblosen bilden über den rothen die sogenannte „graue Schicht". Man kann jetzt den grössten Theil des Plasma abheben und filtriren. Hierbei bleiben die farblosen Zellen — in Folge der starren Beschaffenheit, die sie in der Kälte angenommen und die sie hindert, sich der Form der Filterporen anzupassen und hindurchzuschlüpfen — auf dem Filter und man erhält als Filtrat das reine, klare Plasma, welches nun auch in der Wärme nur sehr langsam gerinnt und ein sehr spärliches Ge- rinnsel abscheidet. Fügt man zu diesem Plasma wieder Leucocyten vom Filter hinzu, so bildet sich ein derbes Gerinnsel. Lässt man das ganze Blut, dessen Gerinnung durch Abkühlung verhindert wurde, bei Zimmertemperatur gerinnen, so entsteht die härteste Gallertmasse in der erwähnten „grauen Schicht". Mein Dorpater College hat wiederholt die Freundlichkeit gehabt, mir diese Versuche am ungeronnenen Pferdeblute zu zeigen. Man ist überrascht von der ungeheuren Menge der Leucocyten. Ihre Zahl ist ohne Zweifel weit grösser als im defibrinirten Blute. Noch mehr aber ist man überrascht durch die ungeheure Mannigfaltigkeit der Formen: von den kleinsten, die rothen Blutzellen in ihrem Durch- messer kann übertreffenden farblosen Blutkörperchen, wie man sie im defibrinirten Blute zu sehen gewohnt ist, bis zu grossen, granu- lirten, gelblich gefärbten, kernhaltigen Zellen mit mehr als doppel- tem Durchmesser — Schmidt's „Körnerkugeln"') — finden sich alle Uebergangsformen. Nach vollendeter Gerinnung sind diese Körner- Vergl. auch 0. Hammarsten, Pflüger's Arch. Bd. U. S. 211. 1877 und Bd. 30. S. 437. 1883 und L. Fredericq, Bullet, de l'Acad. royale de Belg. Ser. 2. T. 64. No. 7. Juillet 1877. Annales de la soc. de med. de Gand. 1877. Recherches sur la Constitution du plasma sanguin. Gand. Paris. Leipzig 1878. 1) Eine Abbildung dieser ,. Körnerkugeln -^ und ihrer Zerfallproducte findet sich in der Dissertation von Georg öemmer, Ueber die Faserstofl'bildung im Am- phibien- und Vogelblute und die Entstehung der rothen Blutkörperchen der Säuge- thiere. Dorpat, Mattiesen. 1874. Blutgerinnung. 217 kugeln verschwunden. Schmidt und seine Schüler geben an , den Zerfall derselben in Körnerhaufen ') und den allmählichen üebergang letzterer in das Faserstoflfgerinnsel unter dem Mikroskope verfolgt zu haben. Im Blute anderer Säugethiere scheinen diese Körner- kugeln und ihre Uebergangsformen zu den gewöhnlichen farblosen Blutzellen weniger zahlreich zu sein und rascher zu zerfallen, so dass es schwer ist, sie unter dem Mikroskope zu Gesicht zu bekommen.^) Ob die zerfallenden Leucocyten selbst einen Theil des Materials liefern zur Bildung der gerinnenden Substanzen oder ob nur ge- wisse Zerfallproducte nach Art der Fermente den Anstoss geben zum Üebergang gewisser Eiweissstoflfe des Plasma in die geronnene Mo- dification — das zu entscheiden fehlt es noch an genügend sicher festgestellten Thatsachen. Als besonders wichtig und beachtenswerth möchte ich noch fol- gende Beobachtung hervorheben. Es scheint, dass im Blute nach bereits erfolgter Abscheidung des Faserstoffes ein Theil der Gerin- nung bewirkenden Substanzen noch übrig ist. Alexander Schmidt zeigte, dass, wenn man defibrinirtes Blut oder Serum hinzufügt zur Lymphe oder zu serösen Transsudaten, die für sich allein nur langsam gerinnen und sehr wenig Faserstoff liefern, sehr bald die ganze Flüssigkeit in eine Gallertmasse sich umwandelt. Die Pleura- flüssigkeit und der Liquor pericardii vom Menschen und vom Pferde sind nicht selten vollkommen frei von Lymphzellen und somit auch nicht gerinnbar. Auf Zusatz von Blutserum aber gerinnen auch diese Flüssigkeiten. In derselben Weise erklärt sich auch die Thatsache, dass nach Transfusion von defibrinirtem Blute Gerinnung in den Ge- fässen eintritt. Armin Köhler •■) zeigte, dass, wenn man einem Ka- ninchen Blut entzieht, dasselbe defibrinirt und demselben Thiere in die Gefässe injicirt, der Tod durch Gerinnung in den Gefässen ein- 1) Die Körnchen im Plasma des Pferdeblutes hat auch Mantegazza be- obachtet: 1. c. p. 563. 2) In neuester Zeit hat man mit Hülfe der vervollkommneten Mikroskope im Blute kleine Körnchen und Plättchen entdeckt, die man für präformirte Gebilde hält und denen man eine Betheiligung an der Bildung des Blutgerinnsels zu- schreibt. Alexander Schmidt erklärt diese Gebilde für nichts anderes als die Zerfallproducte seiner „Körnerkugeln". Siehe hierüber G. HAYEM,Comtes rendus. T. 8G. p. 58. 1S7S. J. BizzozERo, Virchow's Arch. Bd. 9U. S. 261. 1882. M. Löwit. Sitzungsberichte der Wiener Akad. Bd. 89. S. 270 und Bd. 90. S. 80. 1884. L. C. WooLDRiDGE in den „Beiträgen zur Physiologie, Carl Ludwig zu seinem siebzig- sten Geburtstage gewidmet von seinen Schülern." S. 221. Leipzig. Vogel 1887. und R. MosEN. Du Bois' Arch. 1893. S. 352. 3) Armin Köhler, Ueber Thrombose und Transfusion, Eiter und septische Infection und deren Beziehungen zum Fibrinferment. Dorpat 1877. 218 Dreizehnte "Vorlesung. tritt. Das ist der Grund, aus dem man von der therapeutischen An- wendung der Bluttransfusion vollständig zurückgekommen ist.'} Einen beachtenswerthen Beitrag zur Erklärung der Blutgerinnung haben in neuester Zeit Akthus und Pages-) geliefert durch den Nachweis, dass die Blutgerinnung vollständig verhindert wird, wenn man durch Zusatz einer kleinen Menge Oxalsäuren oder Fluornatriums den Kalk aus dem Blutplasma ausfällt. Aus diesen Betrachtungen über die Blutgerinnung wird man er- sehen, wie gross die Schwierigkeiten sind, welche jeder chemischen Untersuchung des Blutes, insbesondere jedem Versuche einer ge- trennten quantitativen Analyse des Plasma und der Blutzellen sich entgegenstellen. Das reine unveränderte Plasma, wie es Alexander Schmidt aus dem Pferdeblute darzustellen gelehrt hat, ist bisher noch nie- mals analysirt worden. Man hat sich damit begnügt, das Serum zu analysiren und aus der Zusammensetzung des Serums auf die des Plasma zu schliessen. Man addirte zum Serum den Faserstoff hin- zu und glaubte damit die Zusammensetzung des Plasma festgestellt zu haben. Heutzutage wissen wir, dass die Kechnung keine so einfache ist. Wir wissen nicht, welche Bestandtheile des Plasma an der Bildung des Gerinnsels sich betheiligt haben und welche Zer- fallproducte der Lymphzellen in das Serum übergegangen sind. Wir wissen nicht, was wir vom Serum abziehen und was wir hinzu addiren sollen, um die Zusammensetzung des Plasma zu erfahren. Auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen wir ferner bei dem Versuche, die rothen Blutkörperchen vom Serum zu befreien und im reinen Zustande zu analysiren. Die Mittel, deren der Che- miker sich bedient, um einen Niederschlag von einer Lösung zu trennen, sind hier nicht anwendbar. Die grossen Blutkörperchen der Amphibien lassen sich zwar auf dem Filter sammeln, nicht aber die der Säugethiere. Es liegt dieses nicht nur an ihrer Kleinheit. Die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass sie weit grösser sind als etwa die Krystalle eines Niederschlages von schwefelsaurem Baryt oder oxalsaurem Kalk, die nicht durch's Filter gehen. Die rothen 1) Eine sehr interessante kritische Zusammenstellung der Literatur über die Bluttransfusion hat E. von Bergmann in Form eines Vortrages veröffentlicht: „Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium." Berlin. Hirschwald. 1883. Vergl. auch A. Landeeer, Virchow's Arch. Bd. 105. S. 351. 1886. 2) Maurice Arthus. Recherches sur la coagulation du sang. These Paris. 1890. Arthds & PAGt:s, Arch. de physiol. norm, et pathol. T. 22. p. 739. 1890. Vergl. auch Gürber, Sitzungsber. der Würzburger physiol. med. Gesellsch. 18, Juni. 1892. Blutanalyse. 219 Blutkörperchen gehen durch's Filter, weil sie vermöge ihrer weichen, nachgiebigen Beschaffenheit der Form der Filterporen sich anpassen. Es bleibt somit nur die Methode des Decantirens übrig. Mit dem Decantiren allein aber kommt man nicht zum Ziele. Es muss mit dem Decantiren das Auswaschen verbunden sein. Womit aber soll man auswaschen? Die gewöhnliche Waschflüssigkeit, das Wasser, ist hier nicht anwendbar. Denn sobald die rothen Blutkörperchen mit Wasser in Berührung kommen, diffundirt der rothe Farbstoff, das Hämoglobin, welches ihren Hauptbestandtheil bildet, in die Zwischenflüssigkeit, und es bleiben von den Blutzellen nur die sogenannten „Stromata", verkleinerte, blasse, runde, sehr schwach lichtbrechende, specifisch leichte Beste übrig.') Wendet man statt des Wassers eine verdünnte Salzlösung von bestimmter Concentration an — z. B. eine Kochsalzlösung von IV2 bis 3"/o — so tritt keine mikroskopisch sichtbare Veränderung der Blutkörperchen ein. In concentrirteren Salzlösungen schrumpfen sie, in verdünnteren quellen sie und geben Hämoglobin an dieselben ab. Durch Decantiren und Auswaschen mit einer verdünnten Salz- lösung kann man also die Blutzellen des defibrinirten Blutes voll- ständig von allen Serumbestandtheilen befreien. Es fragt sich nur: haben die Blutkörperchen nach dieser Operation noch die ursprüng- liche Zusammensetzung? Müssen wir nicht befürchten, dass das Salz oder Wasser aus der Waschflüssigkeit in die Blutzellen diffundirt und dass umgekehrt Bestandtheile der Blutzellen in die Wasch- flüssigkeit übergetreten sind? Sicher ist nur so viel, dass kein Hä- moglobin ausgetreten ist. Dieses müsste sich durch seine intensive Färbekraft sofort verrathen. Sehr wahrscheinlich wird dadurch, dass auch die schwer diffundirbaren eigentlichen Colloidstofife, die Eiweiss- körper der Blutzellen nicht ausgetreten sind. Wir sind also im Stande, auf diese Weise die Summe des Hämoglobins und des Ei- weisses in den Blutkörperchen einer gewogenen Menge Blut quan- titativ zu bestimmen. Bestimmt man ausserdem noch die Summe von Hämoglobin und Eiweiss im Gesammtblut und den Eiweissge- halt des Serums, so hat man alle Zahlen, um das Gewichtsverhält- niss von Serum und Blutkörperchen im Gesammtblut zu berechnen. Dieses ist die von Hoppe-Seyler -) vorgeschlagene Methode 1) Ueber die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Stromata siehe: L. WooLDßiDGE, Du Bois' Arch. 18S1. S. 387. 2) Hoppe-Seyler, Handb. d. physiologisch u. pathologisch chemischen Ana- lyse. § 272. Auti. 5. S. 441. Berlin. Hirschwald, 1883. Sehr erleichtert wird die 220 Dreizehnte Vorlesung. der quantitativen Blutanalyse. Ein Beispiel^ wird die Art der Berechnung klar machen: In 100 Grm. defibrinirten Schweineblutes wurden gefunden: 2) is'ssl ^^**®^= ^^'^^ Ei weis + Hämoglobin. In den Blutkörperchen von 100 Grm. desselben Blutes wurden gefunden: 1) 15,04] 2) 15,13> Mittel: 15,07 Eiweiss + Hämoglobin. 3) 15,05) In dem Serum von 100 Gramm Blut waren also enthalten: 18,90—15,07 = 3,83 Grm. Eiweiss. In 100 Grm. Serum wurden durch directe Bestimmung gefunden: 2) l'lt] ^^^"®'* ^'^^ Eiweiss. Hieraus berechnet sich die Menge des Serum in 100 Grm. defi- brinirten Blutes: 3 83 -2 100 = 56,6 0/0 Serum. 6,77 100—56,6 = 43,4 o/o Blutkörperchen. Jetzt braucht man nur eine Analyse des Gesammtblutes und eine Analyse des Serums auszuführen und ist im Stande, von jedem Be- standtheile zu berechnen, wie er sich auf die beiden Componenten des defibrinirten Blutes vertheilt. Um die Zuverlässigkeit dieser Methode zu prüfen, habe ich an demselben Blute das Verhältniss des Serum zu den Körperchen zu- gleich nach einer anderen Methode bestimmt. Wir sind nämlich im Stande dieses Verhältniss zu bestimmen, sobald wir von irgend einem Bestandtheil des Serums mit Sicherheit nachweisen können, dass er nicht in den Körperchen vorkommt. Dieses gilt für gewisse Blut- arten vom Natron. Schon frühere Versuche von C.Schmidt 2) und Hoppe-Seyler's Schüler Sachaejin^) hatten es wahrscheinlich ge- Ausführung dieser Methode durch die Anwendung der Centrifugalkraft (siehe L. VON Bäbo. Liebig's Ann. Bd. 82. S. 301. 1852). Denn ohne dieselbe würde die wiederholte Senliung der Blutkörperchen zum Zweck des Decantirens der Zwischen- flüssigkeit Wochen in Anspruch nehmen und selbst bei Anwendung niedriger Temperatur Zersetzung und Austritt von Hämoglobin nicht zu vermeiden sein. 1) G. Bunge, Zur quantitativen Analyse des Blutes. Zeitschr. f. Biol. Bd. 12. S. 191. 1876. 2) C. Schmidt, Charakteristik der epidemischen Cholera. Leipzig und Mi- tau 1850. 3) G. Sachaejin, Zur Blutanalyse. Virchow's Arch. Bd. 21. S. 387. 1861. Blutanalyse. 221 macht. Durcli die folgenden von mir ausgeführten Analysen wird es unzweifelhaft festgestellt. Trennt man mit Hülfe der Centrifugalkraft die Blutkörperchen des defibrinirten Schweineblutes vom Serum, so setzt sich am peripheren Ende des centrifugirten Cylinders ein dicker Blutkörper- chenbrei ab, welcher sehr arm ist an Natron. Er enthält 7 mal we- niger Natron als das Serum. Wenn also dieser Brei nur zu V" ^^^ Zwischenflüssigkeit besteht, so ist durch den Natrongehalt der Zwi- schenflüssigkeit der Natrongehalt des Breies gedeckt. Unter dem Mikroskope war deutlich eine erhebliche Menge Zwischenflüssigkeit zwischen den Blutkörperchen erkennbar. Falls also die Blutkörper- chen überhaupt Natron enthielten, so war die Menge eine verschwin- dend geringe und wir konnten keinen grossen Fehler begehen, wenn wir aus dem Natrongehalte des Blutes und des Serums die Menge des Serums berechneten. Die Analyse und Rechnung ergab Folgendes: Im Gesammtblut 1) 0,24031 ...^^ , ^ ^,^^ ,, ,, ^ 2) 0 24091 ^^^^^^^' 0,2406 o/o NasO. Im Serum 1) 0,42831 ...^^ , ^ ,^„^,, ., ^ 2) 0 42601 ^^'ttßl- 0,4272^/0 Na20. Ml£i. 100 = 56,3 o/o Serum. 0,4272 ' ' 100—56,3 = 43,7 "/o Blutkörperchen. Die Zahlen stimmen überraschend genau mit den für dasselbe Schweineblut nach Hoppe- Setler's Methode gewonnenen überein. Bei einer in derselben Weise ausgeführten Analyse des Pf er de - blutes fand ich nach Hoppe-Seyler's Methode 46,50/0 Serum und 53,5^/0 Blutkörperchen. Bei der Berechnung aus dem Natrongehalte: 46,90/0 Serum und 53,1 0/0 Blutkörperchen. Diese Uebereinstimmung kann nicht zufällig sein. Wir müssen daraus schliessen, dass 1. Hoppe-Seylers Methode richtige Werthe liefert und dass 2. im Blute des Pferdes und Schweines das Natron nur in der Zwischenßüssitjkeil sich findet. Leider gilt dieser letztere Satz nicht von allen Blutarten. Im Hunde- und Rinderblute findet sich das Natron auch in den Körper- chen. Die sehr bequeme und genaue Methode, aus dem Natron- gehalte das Verhältniss der Blutzellen zur Zwischenflüssigkeit zu be- rechnen, ist aber in sofern von unschätzbarem Werthe, als wir mit Hülfe derselben im Stande sind, an gewissen Blutarten die Ge- nauigkeit anderer Methoden zu prüfen, welche auf alle Blutarten anwendbar sind. 222 Dreizehnte Vorlesung. Auf der folgenden Tabelle stelle ich die Resultate meiner Blut- analysen zusammen: lOOO Gewichtstheile dejibrinirten Blutes enthalten: 436,8 Körper- cheu rein Pferd Ri 563,3 531,5 468,5 318,7 Serum Körper- chen Serum Körper- cheu 681,3 Serum Wasser Feste Stoffe .... Eiweiss u. Hämoglobin And. organische Stoffe Anorganische Stoffe . K2O Na-iO CaO MgO Fe203 Gl P2O5 276,1 160,7 151,6 5,2 3,9 2,421 0 0 0,069 0,657 0,903 517,9 45,3 38,1 2,8 4,3 0,154 2,406 0,072 0,021 0,006 2,034 0,106 323,6 207,9 2,62 0 1,02 420,1 48,4 0.13 2,08 1,76 191,2 127,5 123,6 2,4 1,5 0,238 0,667 0 0,005 0,521 0,224 622,2 59,1 49,9 3,8 5,4 0,173 2,964 0,070 0,031 0,007 2,532 0,181 1000 Gewichtstheile der Körperchen enthalten: Schwein! Pferd 1 Rind 1000 Gewichtstheile des Serums enthalten: Schwein Pferd Rind Wasser Feste Stoffe .... Eiweiss u. Hämoglobin And. organische Stoffe Anorganische Stoffe . K2O Na20 CaO MgO Fe203 Gl P2O5 632,1 367,9 347,1 12,0 8,9 5,543 0 0 0,158 1,504 2,067 608,9 391,1 4,92 0 1,93 599,9 400,1 387,8 7,5 4,8 0,747 2,093 0 0,017 1,635 0,703 919,6 80,4 67,7 5,0 0,273 4,272 0,136 0,038 3,611 0,188 896,6 103,4 0,27 4,43 3,75 913,3 86,7 73,2 5,6 7,9 0,254 4,351 0,126 0,045 0,011 3,717 0,266 Um auch von der Zusammensetzung des Menschenblutes ein Bild zu geben, führe ich die bis auf den heutigen Tag unübertroffenen Analysen meines verehrten Lehrers Cael Schmidt ') an, bemerke je- doch, dass die von demselben angewandte Methode zu hohe Werthe für den Gehalt des Blutes an Körperchen ergeben musste. 1) C. Schmidt, Charakteristik der epidemischen Cholera. Leipzig und Mitau 1850. S, 29 und 32. Blutzusammensetzung. 223 Blut eines 25j'ähin(jen Mannes. 1000 Grm. Blut. 513,02 Blntzellen. "MTasser . . . 349 60 bei 1200 nicht'flü'cht.Stoffe 163,'33 Hämatin Blutcasein u. s. w. . tmorgan. Bestandtheile 7,70 Cincl. 0,512 Eisen) 151,89 3,74 (excl. Eisen) Chlor 0,898^ Schwefelsäure . 0,031 Phosphorsäure . 0,695 Kalium 1,586 Natrium 0,241 phosphors. Kalk 0,048 — Magnesia 0,031 Sauerstoff. . . . Ö,2v6j }=S ChlorkaUum . . 1,887 schwel eis. Kali 0,068 phosphors. Kali 1,202 — Natron 0,325 Natron 0,175 phosphors. Kalk 0,048 — Magnesia 0,031 Summe 3,736 486,98 Intercellularfluidum (Plasma). TV'asser 439,02 bei 1200 nicht flüchtige Stoffe 47,96 Fibrin Albumin u. s. w unorganische Bestandtheile 3,93 39,89 4,14 Chlor 1,722 Schwefelsäure . 0,063 Phosphorsäure . 0,071 Kalium 0,153 Natrium 1,661 phosphors. Kalk 0,145 — Magnesia 0,106 Sauerstoff. . . . 0,221j schwefeis. Kali 0,137 Chlorkalium . . 0,i75 Clilomatrium . . 2,701 phosphors. Natr. 0,132 Natron 0,746 phosphors. Kalk 0,145 — Magnesia 0,106 Summe 4,142 Dichtigkeit = 1,0599. 1000 Grm. Blutzellen 1000 Grm. Intercellularfluidum (Plasma) Wasser 681,63 bei 1200 nicht flucht. Stoffe 318,37 Hämatin 15,02 (incl. 0,998 Eisen) Blutcasein u. s. w. . . 296,07 unorgan. Bestandtheile . 7,28 (excl. Eisen) Chlor 1,750 Schwefelsäure . 0,061 Phosphorsäure . 1,355 Kalium 3,091 Natrium 0,4<0 phosphors. Kalk 0,094 — Magnesia 0,060 Sauerstoff. . . . 0,401 schwefeis. Kali 0,132 Chlorkalium . . 3,679 phosphors. Kali 2,343 - Natron 0,633 Natron 0,341 phosphors. Kalk 0,094 — Magnesia 0,060 Summe der unorganischen Bestandtheile (excl. Eisen) Dichtiekeit = 1,0886. Wasser 901,51 bei 1200 nicht flüchtige Stoffe 98,49 Fibrin 8,06 Albumin u. s. w 81,92 unorganische Bestandtheile . 8,51 Chlor 3,536 Schwefelsäure . 0,129 Phosphorsäure . 0,145 Kalium 0,314 Natrium 3,410 phosphors. Kalk 0,298 — Magnesia 0,218 Sauerstoff .... 0,455 =\ f schwefeis. Kali 0,281 ChlorkaUum . . 0,359 Chlomatrium . 5,546 phosphors. Natr. 0,271 Natron 1,532 phosphors. Kalk 0,298 — Magnesia 0,218 Summe der unorganischen Bestandtheile 8,505 Dichtigkeit = 1,0312. 1000 Grm. Serum Wasser 908,84 bei 120« nicht flüchtige Stoffe .... 91,16 Albumin u. s. w unorganische Bestandtheile 82.59 8,57 Chlor 3,5651 Schwefelsäure . 0,130 Phosphorsäure . 0,140 Kalium 0,317 1 Natrium 3,438' phosphors. Kalk 0,300 — Magnesia 0,220 Sauerstoff .... 0,45S — \ f schwefeis. Kali . 0,283 Chlorkalium . . 0,362 Chlornatrium . . 5,591 phosphors. Natr. 0,273 Natron 1,545 phosphors. Kalk 0,300 — Magnesia 0,220 Summe der unorganischen Bestandtheile 8,574 Dichtigkeit = 1,0292. 224 Dreizehnte Vorlesung. Bhii eines 30 jährigen iveiblichen Individuums. 1000 Grm Blut. 396,24 Blutzellen AVasser 272,56 bei 1200 nicht flucht. Stoffe 128,08 Hämatin Blutcasein u. s. ■w. . Tinorgan. Bestandtheile (5,99 (incl. 0,489 Eisen) 113.14 3,55 (excl. Eisen) Chlor 0,643 Schwefelsäure . 0,029 Phosphorsäure . 0,362 Kalium 1,412 Natrium 0,G48 phosphors. Kalkl . — Magnesia I "i"^'-' Sauerstoff. . . . 0,370 schwefeis. Kali . 0,062 Chlorkalium . . 1,353 phosphors. Kali . 0,835 Kali 0,340 Natron 0,874 phosphors. Kalk 1 — Magnesia/"'"* Summe der unorganischen Bestandtheile 3,550 (excl. Eisen) 603,76 Intercellularfluidum fPlasma) Wasser • . . . 551,99 hei 1200 nicht flüchtige Stoffe 51,77 Fibrin Albumin u. s. w unorganische Bestandtheile 1,91 44,79 5,07 Chlor 2,202 Schwefelsäure . 0,060 Phosphorsäure . 0,144 Kalium 0,200 1 Natrium 1,916 f~"i phosphors. Kalk 1 ^^^ — Magnesia )"'•-"-'- Sauerstoff. . . . 0,211 Schwefels. Kali . Chlorkalium . . Chlornatrium . . phosphors. Natr. Natron phosphors. Kalk) lesiaj 0,131 0,270 3,417 0,267 0,648 0,332 Summe der unorganischen Bestandtheile 5,065 Dichtigkeit = 1,0503. 1000 Grm. BlutzeUen 1000 Grm. Intercellularfluidum AVasser 6K7,8S hei 120" nicht flucht. Stoffe 312, 12 Hämatin 18.48 (incl. l,229Eisen) Blutcasein u. s. w. . . 284,68 Tinorgan. Bestandtheile . 8,96 (excl. Eisen) Chlor 1,6231 Schwefelsäure . 0,072 Phosphorsäure . 0,913 Kalium 3,565 Natrium 1,635 phosphors. Kalk) . „,„ — Magnesia! "'■='1° Sauerstoff. . . . 0,933j schwefeis. Kali . 0,157 Chlorkalium . . 3,414 phospliors. Kali 2,108 Kali 0,857 Naü-on 2,205 phosphors. Kalk 1^ „ , „ — Magnesia j'-'''^'° Summe der unorganischen Bestandtheile (escl. Eisen des Blutfarbstoffs) . . . 8,959 Dichtigkeit = 1,0883. Wasser 914,25 bei 1200 nicht flüchtige Stoffe 85,75 Fibrin 3,16 Albumin u. s. w 74,20 unorgan. Bestandtheile . . . 8,39 Chlor 3,647 Schwefelsäure . 0,100 Phosphorsäure . 0,237 Kalium 0,332 Natrium 3,173 phosphors. Kalkl „ __. - Magnesia! 0,ooO Sauerstoff' .... 0,351 f seh wef eis. Kali. 0,217 Chlorkalium . . 0,447 Chlornatrium . . 5,659 phosphors. Natr. 0,443 Natron 1,074 phosphors. Kalk 1 — Magnesia jO>ooO Summe der unorganischen Bestandtheile 8,390 Dichtigkeit = 1,0269. 1000 Grm. Senim AVasser 917,15 bei 120« nicht flüchtige Stoffe .... 82,85 Albumin u. s. w unorganische Bestandtheile 74,43 8,42 Chlor 3,659 Schwefelsäure . 0,100 Phosphorsäure . 0,238 Kalium 0.333 Natrium 3.183 phosphors. Kalk\ ^_^ — Magnesia! "''3°- Sauerstoff. . . . 0,351 J schwefeis. Kali . 0,218 Chlorkalium . . 0,448 Chlornatrium . . 5,677 phosphors. Natr. 0,444 Natron 1,077 phosphors. Kalkl . _,_ - Magnesia! 0'5o2 Summe der unorganischen Bestandtheile 8,416 Dichtigkeit = 1,0261. Blutzusammensetzung. 225 Genauere quantitative Bestimmungen der organisclien Be- standtheile der Blutkörperchen haben Hoppe-Seyler und seine Schüler ausgeführt.^) 100 Gewichtstheile organische?^ Stoffe in den rothen Blutkörperchen enthalten : Mensel I tenblut II Hande- blut Igel Oans Coluber natrix Oxyhämoglobin . Eiweissstoffe u. Nucleiu Lecithin Cholesterin .... 86,8 12,2 0,7 0,3 94,3 5,1 0,4 0,3 86,5 12,6 0,6 0,4 92,3 7,0 0,7 62,7 36,4 0.5 0,5 46,7 45,9 1 0,9 Das Hämoglobin -) ist also der einzige unter den organischen Bestandtheilen , welcher den Blutkörperchen eigenthümlich ist. Er bildet zugleich die Hauptmasse derselben, -Vio der Trockensubstanz. Die Zusammensetzung des Hämoglobin und die Frage nach seiner Entstehung haben wir bereits besprochen (siehe oben S. 53 und 83 bis 95). Auf die Bedeutung des Hämoglobins bei der Athmung werden wir bald näher einzugehen haben (Vorles. 15). Auch die Zersetzungsproducte werden wir später noch zu betrachten haben (Vorles. 19 und 20). Die organischen Substanzen im Serum sind Eiweiss, Fett, Seifen, Cholesterin, Lecithin, Zucker, Harnstoff, Kreatin und ein gelber, in Alkohol und Aether löslicher Lutein genannter Farbstoff. Unter den Eiweissstoffen, welche die Hauptmasse der organischen Substanzen ausmachen, sind zwei Gruppen zu unterscheiden: die Albumine und die Globuline. Erstere sind in Wasser löslich, letztere unlöslich, löslich dagegen in verdünnter Kochsalzlösung. Unterwirft man daher das Blut der Dialyse, so diffundiren die Alkalisalze fort und die Globuline fallen heraus, während die Albu- mine gelöst bleiben (vergl. oben S. 48). Das Mengenverhältniss beider ist ein sehr wechselndes. Beim Hmiger sinkt die Menge der Albu- mine und es wächst die Menge der Globuline. Es scheint, dass die 1) Hoppe-Seyler, Med. ehem. Unters. S. 391 und Gustav Jüdell, ebend. S. 386. Berlin 1868. 2) Eine Beschreibung aller physikalischen und chemischen Eigenschaften des Hämoglobin würde dem Zwecke dieses Lehrbuches widersprechen. Ich verweise auf die Arbeiten Hoppe- Setler's in dessen „Med. ehem. Untersuchun- gen." Berlin 1866 — 1871 und auf die Arbeiten Hüpner's und seiner Schüler in der Zeitschr. für physiol. Chemie und in den letzten Jahrgängen des Journals f. prakt. Chem. Vergl. auch Nencki und Sieber, Arch. f. exper. Path. und Pharm. Bd. XVIII. S. 401. 1884 und Bd. XX. S. 325 u. 332. 1886. Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 15 226 Dreizehnte Vorlesung. Globuline diejenige Form bilden, in welcher das Eiweiss aus einem Organ in das andere transportirt wird. Wir wissen, dass beim Hunger die edleren Organe, die,,Lebenscentra", auf Kosten der übrigen Organe, hauptsächlich der Skeletmuskeln, gespeist werden.^) So fand beispiels- weise VoiT 2), dass eine Katze nach IStägigem Hunger vom Gewichte des Hirns und Rückenmarks 3,2^/0, von dem des Herzens nur 2,6^0 verliert, von dem Gewichte der Skeletmuskeln dagegen 30,5 o/o. Mischer zeigte bei den bereits erwähnten (S. 82) Versuchen am Rhein- lachs, dass dieses Thier während seines Aufenthaltes im Süsswasser keine Nahrung aufnimmt und die Geschlechtsorgane, Eierstöcke und Hoden, auf Kosten der Muskeln entwickelt. Miescher macht zugleich darauf aufmerksam, dass zu dieser Zeit die Menge der Globulinsub- stanzen des Blutes, welche den Globulinsubstanzen des Muskels so ähnlich seien, zunehmen, und dass diese Zunahme ihr Maximum er- reiche zur Zeit, wo das absolute Wachsthum der Eierstöcke auf dem Höhepunkte angelangt sei.^) E, Tiegel*) fand im Blutserum von Schlangen mit leerem Verdauungskanal stets nur Globuline und keine Albumine, im Blute verdauender Schlangen dagegen stets beide Ei- weissarten, Dass auch bei hungernden Säugethieren die Globuline im Blutserum auf Kosten der Albumine wachsen, hat Miescher's Schüler A. E. Burckhardt ^) gezeigt. Im besten Einklänge hiermit steht die Beobachtung Danilews- ky's*^), dass unter den Muskeln eines Thieres diejenigen am globulin- reichsten sind, welche am wenigsten arbeiten. Es scheint, dass die Muskeln nicht blos Bewegungsorgane sind, sondern zugleich auch Vorrathskammern für das Eiweiss. 1) Siehe Chossat, Mem. presentes par divers savants ä l'acad. des sciences de l'institut de France VIII. p. 438. 184:3. Bidder und Schmidt, die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. S. 327. 1852. 2) C. VoiT, Zeitschr. f. Biolog. ßd. 2. S. 355. 1866. 3) F. MiESCHER-RüscH, „Statistische und biologische Beiträge zur Kenntniss vom Leben des Rheinlachses". Separatabdruck aus der schweizerischen Litera- tursammlung zur internationalen Fischereiausstellung in Berlin 1880. S. 211 und Compte rendu des travaux presentes ä la soixante-septieme session de la societe Helvetigue des sciences naturelles, reunie ä Lucerne les 16, 17 et 18 septembre 1884. p. 116. 4) E. Tiegel, Pflüger's Arch. Bd. 23. S. 278. 1880. 5) Albrecht Eduard Burckhardt, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XVI. S. 322, 1883. Die scheinbar widersprechenden Angaben G. Salvioli's (Du Bois' Arch. 1881. S. 268) erklären sich wahrscheinlich daraus, dass die Hungerzeit bei diesen Versuchen nur eine sehr kurze war. Auch hat Salvioli eine andere Methode zur Trennung der beiden Eiweissarten angewandt. 6) A. Danilewsky, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 7. S. 124. 1882. Vierzelinte Vorlesimg. Die Lymphe. Die Stoffe, die aus dem Blute in die übrigen Gewebe dringen, um von den Gewebselementen als Nahrung verwerthet zu werden, gelangen nicht direet durch die Capillarwand in diese Elemente. Sie treten zunächst in die Lymphräume, welche alle Gewebe durch- ziehen. Ebenso können die Endproducte des Stoffwechsels jeder Zelle nicht direet aus dieser ins Blut; sie müssen zunächst in die Lymphe, welche alle Gewebselemente umspült. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet nur die BowMAN'sche Capsel im Nierengewebe, welche sieb direet an die Wandungen der Blutgefässe des MALPiGHi'schen Knäuels anschmiegt, ohne dass Lymph- räume dazwischen nachweisbar wären. Es scheint hier auf eine be- sonders rascbe und vollständige Abgabe von Harnbestandth eilen aus dem Blute an die Harnkanälchen anzukommen. Bedenkt man, wie gross die Menge des Harnstoffes ist, die auf diesem Wege ausgeschieden wird, bedenkt man ferner, dass immer nur ein kleiner Bruchtheil des gesammten arteriellen Blutstromes durch die Nieren geht und nur kurze Zeit in dem Nierengewebe verweilt, so erscheint eine derartige Einrichtung durchaus nothwendig. In den übrigen Organen scheint eine so rasche Stoffabgabe aus dem Blute nicht nothwendig. Die meisten Physiologen haben sich deshalb die Vorstellung gebildet, es werde beständig eine grosse Menge Plasma durch die Capillarwände an die Lymphräume abge- geben, dieses Plasma durchströme die Gewebe, und jedes Gewebs- element entnehme demselben die Stoffe, deren es bedarf. Für die Richtigkeit dieser Auffassung schien der Umstand zu sprechen, dass die qualitative Zusammensetzung der Lymphe dieselbe ist wie die des Plasma. Nur in quantitativer Hinsicht macht sich ein Unterschied geltend in dem Sinne, dass die Lymphe bei gleichem Gehalte an anorganischen Salzen und gleicher Zusammensetzung der 15* 228 Vierzehnte Vorlesung. Salze stets einen weit geringereu Gebalt an Eiweiss aufweist als das Plasma des Blutes. Ueber die Art des Durcbtrittes der Plasmabestandtbeile durch die Capillarwand batte man keine klare Vorstellung. An eine Dif- fusion durfte man nicbt denken ; dabei bätte das colloidale Eiweiss die Blutbabn nicbt verlassen können. Auch an eine Filtration konnte man nicht denken. Dabei hätten alle Plasmabestandtbeile im gleichen Verhältnisse, das ihnen im Blute zukommt, auch in die Lymphräume übergeben müssen. Man dachte sich daher ein Mittelding zwischen Diffusion und Filtration und glaubte daraus erklären zu können, dass die Lymphe reich ist an diffundirbaren Bestandtheilen, an Salzen, und relativ arm an nicht diffundirbaren, an Eiweisstoffen. Ueber das Wesen dieses Processes konnte man nur eine höchst unklare Vorstellung haben und eben deshalb „stellte ein Wort zur rechten Zeit sich ein": man nannte ihn „Transsudation", die Lymphe ein „Transsudat des Plasma". Von diesen Vorstellungen musste man abkommen, sobald man anfing die Vorgänge quantitativ zu verfolgen, den Lymphstrom zu messen. Durch den Ductus thoracicus eines 10 Kgr. schweren Hundes fliessen in 24 Stunden ca. 600 C. C. Lymphe, i) Nehmen wir an, dass beim Menschen der Lymphstrom ebenso langsam sei wie beim Hunde, so berechnet er sich proportional dem Körpergewicht auf ca. 4 Liter. Die geringe Lymphmenge, welche durch den Ductus thoracicus dexter s. minor ins Blut fliesst, kommt dagegen wenig in Betracht. Dieser Lymphstrom ist viel zu träge, um die Annahme zu recht fertigen, alle Gewebselemente schöpften aus ihm ihren Nahrungsbedarf. Eine einfache Rechnung wird das beweisen. Das normale Plasma entbält nur 1 bis 2 Gramm Zucker im Liter. Die 4 Liter transsudirten Plasmas würden somit im Laufe eines ganzen Tages höchstens 8 Gramm Zucker den Geweben zuführen. Damit kann deren Bedarf nicht gedeckt werden. Thatsächlich werden im Laufe eines Tages 500 bis 1000 Gramm Zucker vom Darm aus ins Blut aufgenommen (Vorles. 12). Im Blute selbst werden sie nicht zerstört (Vergl. Vorles. 15). Sie müssen also durch die Capillarwände in die Gewebe gelangen. Es folgt daraus, dass eine sehr concentrirte Zuckerlösung durch die Capillarwand in diejenigen Gewebe befördert 1) Siehe Heidenhain, Pflüger's Arch. Bd. 49. S. 216. 1891. Dort sind alle Bestimmungen über die Lymphmengen beim Hunde zusammengestellt. Vergl. auch oben Vorles. 12. Die Lymijhe. 229 wird, wo ein lebhafter Verbrauch des Zuckers als Kraftquelle statt hat, wie in den Muskeln, oder wo eine Aufspeicherung von stikstoff- freiem Material als Glycogen, als Fett sich vollzieht, wie in der Leber, im Bindegewebe. Ein anderes Beispiel'): Die Milch rasch wachsender Thiere ist sehr reich an Kalk. Die Hundemilch enthält 4 bis 5 Gramm Kalk im Liter. 2) Eine Hündin von 20 bis 30 Kgr. Körpergewicht secernirt in 24 Stunden reichlich 72 Liter Milch und darin sind also 2 bis 2V2 Gramm Kalk enthalten. Ein Liter Plasma enthält nur ca. 0,2 Gramm Kalk 3), also 10 bis 12 mal weniger. Wenn also die Epithelzellen der Milchdrüsen ihr Material zur Milchbereitung dem transsudirten Plasma entnehmen sollten, so müssten wenigstens 10 Liter Plasma in 24 Stunden die Milchdrüse durchfliessen. Daran ist gar nicht zu denken: durch den ganzen Körper des Thieres fliessen nur 1 bis 2 Liter Lymphe — wieviel weniger durch die Milchdrüse! Es folgt daraus, dass durch die Wandungen der Blutcapillaren in den Milchdrüsen eine sehr kalk- reiche Flüssigkeit muss ausgeschieden werden, dass also die Endothel- zellen der Capillarwand eine Auswahl treffen, wie jede Zelle, wie jedes lebende Wesen. Dass der Capillarwand thatsächlich die Fähigkeit zukommt, Stoffe in viel concentrirterer Lösung abzuscheiden, als sie im Plasma enthalten sind, sieht man an den Capillaren der Niere. Das Plasma enthält höchstens 1 Gramm Harnstoff im Liter, der Harn kann 40 Gramm und mehr enthalten.'*) Heidenhain ^) hat gezeigt, dass nach Inj ection von Zuckeriösung ins Blut der Zuckergehalt in der Lymphe höher steigt als im Blutplasma. Die Capillarwand in jedem Organe, in jedem Gewebe lässt eine Flüssigkeit von besonderer Zusammensetzung aus dem Blute heraus- treten, entsprechend den verschiedenen Bedürfnissen, im Muskel eine zuckerreiche, in den Milchdrüsen eine kalkreiche u. s. w. Fliessen alle diese verschiedenen Flüssigkeiten nach Verbrauch der speci- 1) Diese zwei Beispiele habe ich bereits auf dem internationalen Physiologen- congresse zu Basel im September 1889 bei der Discussion, die sich Heidenhain's Vortrage anschloss, gegen die herrschende Vorstellung vom Plasmastrom geltend gemacht. 2) Bunge, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 10. S. 301 u. 303. 1874. 3) Ich habe in 1 Liter Serum vom Hundeblut 0,176 CaO gefunden. Für das Plasma muss die Zahl etwas höher angenommen werden, weil mit dem Faser- stoff etwas Kalk herausfällt. 4) Siehe unten Vorles. 19 die Zusammensetzung des Menschenharnes bei Fleischnahrung. 5) Heidenhain, 1. c. p. 63 ff. 230 Vierzehnte Vorlesung. fischen Stoffe in die Hauptlymphstämme wieder zusammen, so ist dafür gesorgt, dass eine dem Plasma ähnliche Zusammensetzung daraus resultirt. Die Zusammensetzung der Lymphe in den Lymphräumen der verschiedenen Gewebe ist also wahrscheinlich eine sehr verschiedene. Die Analyse der Lymphe aus den grossen Lymphstämmen kann uns dartiber niemals Aufschluss geben. Will man an der alten Diffusionstheorie festhalten und die Ca- pillarwand als todte Membran, als passiv bei dem Processe betrachten, so kann man sich denken, dass die Gewebselemente aus der Lymphe die specifischen Stoffe, deren sie bedürfen, aufnehmen und in eine un- lösliche oder collo'idale Verbindung überführen, die beim Diffusions- process nicht mehr mitspielt, z. B. den Zucker in Glycogen, in Fett, die löslichen Kalkverbindungen in unlösliche. Dadurch würde die Lymphe den specifischen Stoff stets in geringerer Concentration ent- halten als das Blut, und neue Mengen würden beständig nach den Gesetzen der Diffusion aus dem Blute durch die Capillarwand in die Lymphe eindringen, ohne dass Wasser mit diffundirt. — Es ist aber kein Grund vorhanden, die „activen" Functionen, die man allen anderen Zellen zuspricht, den Endothelzellen der Capillarwand abzusprechen. Jedenfalls ist die alte Vorstellung von dem Plasmastrome aufzu- geben. Ebensowenig wie die Nahrungsstoffe den verschiedenen Gewebs- elementen durch einen allen gemeinsamen Plasmastrom zugeführt werden, ebensowenig werden die Endproducte des Stoffwechsels durch den gemeinsamen Lymphstrom ins Blut zurückgeführt. Wir müssen vielmehr annehmen, dass diese direct durch den angrenzenden Lymph- raum in die nächsten Capillaren eindringen. Von dem wichtigsten End- producte des Stoffwechsels, der Kohlensäure, lässt sich dieses ganz sicher nachweisen. Die Kohlensäurespannung ist in den grossen Lymph- stämmen geringer als im Blute (vergl.Vorles. 16). Auch ist der Lymph- strom viel zu träge, um die grossen Kohlensäuremengen rasch genug fortzuschaffen. Nur dadurch, dass die Kohlensäure direct in die Blut- bahn eindringt, können 800 bis 1000 Gramm dieses Gases in 24Stunden der Lunge zugeführt und hinausbefördert werden. Ebenso aber wie mit der Kohlensäure verhält es sich wahrscheinlich mit dem Harn- stoffe und mit allen übrigen Endproducten. Wir müssen annehmen, dass auch diese nicht mit dem Lymphstrome ins Blut gelangen, sondern direct durch die Capillarwände. Es fragt sich nun: welche Bedeutung hat denn überhaupt die Lymphe? Wozu die Lymphräume? Könnte denn nicht in allen Or- Die Lymphe. 231 ganen der Stoffaustausch ebenso vor sich gehen wie in den Malpighi- schen Knäueln der Niere? Erstens haben die Lymphräume einen grob mechanischen Nutzen, indem sie den Blutgefässen die Möglichkeit gewähren, ihr Lumen zu ändern und damit den Druck zu reguliren. Wären die Blutgefässe von unnachgiebigen Geweben umschlossen, so wäre dieses nicht möglich. Es muss etwas da sein, was ausweichen kann und den Schwankungen der Gefässlumina sich anpassen. Zweitens müsste, falls jedem Gewebselemente ein Capillargefäss unmittelbar anläge, wie im Glomerulus Malpighii, das Capillargefäss- system derart erweitert werden, dass die Blutcirculation zu sehr ver- langsamt würde. Aus diesen Erwägungen erkennt man indessen nur den Nutzen der Lymphräume, nicht der grossen Lyrapbgefässe. Es bleibt immer noch unverständlich, wozu die Flüssigkeit aus den Lymphräumen sich in immer grössere Gefässe sammelt, die schliesslich in den Blutstrom münden. Wäre es denn nicht genügend, wenn die Nahrungsstoffe durch die Capillarwand der Blutgefässe in die Lymphräume träten und um- gekehrt die Endproducte des Stoffwechsels aus den Lymphräumen direct durch die Capillarwand ins Blut? Wozu der besondere Lymph- strom? Für die Beantwortung dieser Frage bietet sich uns ein Finger- zeig in der Thatsache, dass in die Lymphbahnen überall Drüsen eingeschaltet sind, in denen fortwährend Lymphzellen durch Theilung gebildet werden. lieber die Functionen der Lymphzellen, der Leucocyten ist noch wenig Sicheres bekannt; doch zweifelt Niemand daran, dass ihnen eine wichtige Bedeutung zukommt. Wir wissen, dass sie durch die Capillarwand austreten können und die Gewebe durchwandern. Wir sehen sie überall in grosser Zahl auftreten, wo schädliche Stoffe sich bilden, Fremdkörper, Gifte oder Mikroorganismen in die Gewebe ein- dringen, so bei der Entzündung und bei pathologischen Processen aller Art, die mit Gewebszerfall einhergehen. Es scheint, dass sie die Aufgabe haben, die Zerfallproducte zu beseitigen^), die schäd- lichen Stoffe unschädlich zu machen. Feste Partikel, auch eingedrun- gene Mikroorganismen-), sieht man sie mit ihrem Protoplasmaleibe 1) Eine Zusammenstellung der Literatur über das Verhalten der Leucocyten unter normalen und pathologischen Bedingungen findet sich in der Monographie von Herm. Bieder, Beitr. z. Kenntniss der Leucocytose. Leipzig, Vogel. 1892. 2) Die Ansicht, dass die Leucocyten mit den eindringenden Mikroorganismen einen Kampf zu bestehen haben, die sogenannte Phagocytenlehre, ist bekanntlich 232 Vierzehnte Vorlesung. umfliessen. Es ist wahrsclieinlicb, dass sie auch flüssige und gelöste Stoffe aufnehmen und umwandeln. Ihre Rolle bei der Eiweissresorp- tion, bei der Regeneration der Peptone zu Eiweiss in der Darm- wand und beim Transport der Peptone, welche als solche ins Blut gelangen, habe ich bereits erwähnt. Nun gehen beständig Lymphzellen zu Grunde. Wir wissen z. B. aus den Untersuchungen von Stöhr '), dass ununterbrochen aus dem adenoiden Gewebe der Tonsillen, der Zungenbalgdrüsen sowie der Follikel der ganzen Darm- und Bronchialschleimhaut Leucocyten massenhaft durch das Epithel auswandern. Stöhr vermuthet, dass es sich um ein Ausstossen „verbrauchten Materials" handelt. Für diese Leucocyten muss ein Ersatz geschaffen werden durch Neubildung in den Lymphdrüsen und durch Zufuhr junger Zellen mit dem Lymphstrom ins Blut. Schliesslich könnte den Lymphdrüsen vielleicht noch die Be- deutung zukommen, die aus allen Geweben zusammenfliessende ver- schiedene Lymphe einer Umwandlung zu unterziehen und dem Plasma ähnlicher zu machen, bevor sie dem Blutstrom sich beimischt. Eine durch die Stoffwechselvorgänge in den Geweben veränderte Flüssig- keit könnte ohne solch eine vorhergegangene Assimilirung beim Ein- tritt in den Blutstrom die Blutkörperchen zerstören oder sonst schä- digend einwirken. Dass in den Lymphdrüsen schädliche Stoffe aller Art, auch Mikro- organismen zurückgehalten und am Eintritt ins Blut, an der weiteren Verbreitung durch die Gewebe gehindert werden und dass damit die Anschwellung der Lymphdrüsen nach Infectionen zusammenhängt, ist ja bekannt. Auf der folgenden Tabelle stelle ich als Beispiele für die Zu- sammensetzung der Lymphe einige der zuverlässigsten Ana- lysen zusammen. Ich füge noch einige Analysen der „patholo- zuerst von El. Metschnikofp vertreten worden: Arbeiten aus dem zoolog. Inst. zuW^ien. Bd. 5. Hft. 2. 1883. Biolog. Centralbl. Bd. 3. 1883-84. Virchow's Arch. Bd. 96. S. 177. 1884. Bd. 97. S. 502. 1884. Bd. 107. S. 209. 1887. Bd. 109. S. 176. 1887. Bd. 113. S. 63. 1888. Annales de l'Institut Pasteur. 1887. p. 321 et 1888. p. 604. Diese Lehre ist vielfach bestritten worden. Siehe darüber Baumgärten, Berliner klin. Wochenschr. 1884. S. 818 und Centralbl. f. klin. Med. 1888. Nr. 26 und Weigert, Fortschr. d. Med. 1887. S. 732 und 1888. S. 83. Für die Lehre Metschnikofp's dagegen spricht eine hochinteressante Beobachtung, welche in neuester Zeit von Vaillard und Vincent gemacht wurde: Annales de l'Institut Pasteur. Annee 5. p. 34. 1891, 1) Ph. Stöhr, Biolog. Centralbl. Bd. 2. S. 368. 1882. Sitzungsber. d. physik. med. Ges. zu Würzburg. 19. Mai 1883. Virchow's Arch. Bd. 97. S. 211. 1884. Die Lymphe. 233 ßq ?5 o ^ X M X ^ ( >^ U9\ix\^ ui9ino UOA snjiqg UOA sn^iqg sua^u J saino uioA aqcTiuiq raoA aqcIuLfT [U9Up UOA mnaasin^ji XaiKHOg -Q si[X!UTdsoaq -aj90 jonbiq; 3uni -qB^ j3qosi| -■jq'B'ja.uaA leq Snn.iqtju -qosia^j; laq jaSnnji laiaq HaiAas-acWOH epunfi "sniep UOA uaTAag -ajciojj ranj[as:jn{q- laiKHJg "Q apnnjj iuoa -ajdojj sn|j{qQ na^a^dntjq^na •nia -A snjXqo g _ o laiMHOg -Q uaqosuaj\[iuoA ■RiusT^yttjnjq' C^ 00 CO «^ lO CO — . lO '-' <=> o t— 00 ■•-I C5 -- ca -^ a:, »^ >i£^ 'm --^ 'ö a ^ !» O JH o o oo ;^, > H UO >- .r-l fcfl - ^ ou « . '"' 5b ^ t3 CO 3 j- i- s- &! .^ o c a - «^ . o St-" 2a -S^ocß « ^'fa 5 =c « o m 'ö „.22 ^ ti " a -' 3 d g « «^ e.g Ph-S - E*-* o 0^ ^ -.^-^ 03 cß OJ ü ^ ^ a.s rt"^^ "^ . «o-gpTä^'^gg o S)3üoot>o ^ CO ö ü 234 Vierzehnte Vorlesung. «-. r-< er ■-! -^a Hj [- 3 M ft (— ( "25 ^ OD St od ä cd o B.y^ , ^ "" a Caq 00 >— O: ^Im^o.!^. .,•, c:* m tri CD oijv'j o CO ": 3 2 , T B a CO I— I — -d H-: I sa • I ^ fB J5 I ^. b3 G w & m" ^ §: r' a oo P' s 2 ^ Ol o -J 2- f^ '^ S^ O GOg p-d CO p« B 7^.=» cog S.td CO o 2^ CO &| - OQ ^Wm o M fo § \^^°^^^ 00 5; r^ '„ S* cT =^ tn 2. C» K r- *^ & ta ^^srs P CD j; :~ CO w C6 tn «! '^ CD CO 'S. r* O 1 ?" P P- o^ I-I "^ ö 2. '1 -^ C5 Ol g5_ CO J5 O O O 05 00 O I -T" I J^i^ -^ -J OJ -J — 1 CO o — ~lj *. »f». Gl — ' C2 CO *• Ö W & cp p. Erste Function Zweite Function Nach dem Tode HtH p i-d Analyse von GoKUP- ! Beranez Wachsmuth HOPPE- Seyler Analyse von Scherer Hammarsten Mittel aus 17 Analysen <1 X X X Fleura- transsudat M Feritoneal- transsudat X Hautödem Hiinkammer- flüssigkeit 2. » Fleura- transsudat Feritoneal- flüssiffkeit Oedem der Füsse >- CS Die Lymphe. 235 ••s I— I ~^ «8 -C! -ei X X CS -ö ? — M ^3 ' a ^ ? o ^ ■> a X "rt H ö ^ i 2 c j_^ ^ _, > P4 o "ig ^ « CJ __; •tS^ s ^ ^ > ö :=! C-( ^ .2 ^ t- O fO CO 00 o ro CO 00^ IT« <:ßeo i I t^ CO iO sä .5 ■ > u 5 „ a, "43 ^ 'S ► CO i o «2 o CO o • bn rn a p»l :ej -a o Tl Oh in « bD s s " o.SPS OD .^) Da nun, wie erwähnt, das Wasser bei Körpertemperatur aus einer Atmosphäre von reiner Kohlensäure nur circa 50 Volumprocente Kohlensäure aufnimmt, so kann das venöse Blut, welches unter einem Kohlensäuredruck von nur 5 o/o, also V20 einer Atmosphäre steht, nicht mehr als etwa ^0/20 = 2 '/-i Volumenprocente Kohlensäure ein- fach absorbirt enthalten. Die übrigen 36 — 46 Volumprocente müssen chemisch gebunden sein. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Blutasche (s. oben S. 222) lehrt uns, dass die Stoffe, welche die Kohlensäure binden, die Alkalien sein müssen, das Natron und das Kali. Fassen wir zunächst die Zwischenflüssigkeit des Blutes ins Auge. Die Asche des Plasma ist niemals analysirt worden. Für das Serum, dessen Aschenzusammensetzung von der des Plasma nicht sehr weit abweichen kann, fand ich folgende Werte: 1000 Grm. Hundeblutserum enthalten:'^) 1) Gustav Stbassbükg, Pflüger's Arch. Bd. 6. S. 65. 1872. 2) Moritz Nussbaüji, ebend. Bd. 7. S. 296. 1873. 3) Die Abbildung und Beschreibung des Apparates findet sich bei Strass- BÜRG, 1. c. S. 69. 4) Strassbubg, 1. c. 5) Die Analyse ist bisher nur zum Theil publicirt worden: Zeitschr. f. Biol. Ed. 12. S. 204. 1876. 266 Sechzehnte Vorlesung. Die geringe Kalimenge können wir unbeachtet lassen, sie stammt vielleicht zum grössten Theil aus dem Zerfall der Leucocyten und ist im Plasma des lebenden Blutes nur in Spuren enthalten. Auch die kleinen Kalk- und Magnesiamengen können wir unbeachtet lassen ; sie sind zum grossen Theil an die Albuminate und Nucleoalbuminate gebunden und betheiligen sich vielleicht gar nicht an der Bindung der Kohlensäure. Die Hauptmasse der Kohlensäure ist im Plasma jedenfalls an Natron gebunden. Von den 4,341 Natron reichen 3,463 hin, die einzige starke Mineralsäure des Plasma, die Salzsäure zu sättigen. Der Rest von 0,87S Natron vermag 0,623 Grm. Kohlensäure = 316 Ccm. Kohlensäuregas — auf OoC. und 760 Mm. Quecksilber- druck berechnet — fest zu binden und ausserdem noch ein gleiches Quantum bei der Bildung des doppelt kohlensauren Salzes. Im Liter Blutplasma können somit 632 Ccm. Kohlensäure gebunden sein, d. h. 63 Volumprocente. Wir müssen aber bedenken, dass die Kohlen- säure sich mit den übrigen schwachen Säuren — Phosphor säure, Eiweiss, vielleicht noch vielen anderen, deren jede einzelne wenig ausmacht, deren Summe aber doch in Betracht kommt — in die 0,878 Natron theilen muss, somit niemals volle 63 Volumprocente aus- machen kann. Thatsächlich wurden bisher im arteriellen Hundeblut- serum 43 — 57 Volumprocente Kohlensäure gefunden. Im Serum des venösen Blutes muss der Kohlensäuregehalt noch höher sein. Dort ist das disponible Natron vielleicht fast ausschliesslich mit Kohlen- säure gesättigt. Wie gross der Antheil an dem Natron ist, welcher der Kohlen- säure zufällt, hängt von der Massenwirkung, dem Partiardruck der Kohlensäure ab. ') In den Geweben, wo durch Oxydation und Spal- tung Kohlensäure frei wird, ihr Partiardruck steigt, muss sich doppelt kohlensaures Natron bilden, auf Kosten des Natron albuminate s und des zweibasisch phosphorsauren Natrons (Na2HP04), welches letztere die Hälfte seines Natrons abgiebt und in das saure Salz (NaH2P04) tibergeht. In den Lungenalveolen, wo in Folge der beständigen mechanischen Ventilation der Partiardruck der Kohlen- säure abnimmt, muss das Blut durch Diffusion einen Theil seiner Kohlensäure abgeben; die Massenwirkung der Kohlensäure im Blute wird geringer, die Massenwirkung der übrigen Säuren relativ grösser: es bildet sich wiederum Natronalbuminat und zweibasisch phosphor- saures Natron (Na2HP04), auf Kosten des doppelt kohlensauren Natrons. Sobald die Menge der freien Kohlensäure nur ein wenig l) N. ZuNTz, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1867. S. 527. F. C. Donders, Pflüger's Arch. Bd. 5. S. 20. 1872. Vergl. auch J. Gaule, Du Bois' Arch. 1878. S. 469. Blutgase und Respiration. Die Kohlensäure. 267 abnimmt, nimmt auch die Menge der locker gebundenen Kohlensäure ab und zwar sehr bedeutend. Der Nutzen dieser Einrichtung besteht darin, dass der Kohlensäuregehalt des Blutes innerhalb weiter Grenzen schwanken kann, ohne dass der Gesammtdruck der Gase sich erheb- lich ändert. Eine Aenderung der Spannung um 2,6 "/o einer Atmo- sphäre bewirkt eine Aenderung im Kohlensäuregehalte des Blutes von 8 Volumenprocenten. Es wird dadurch ermöglicht, grosse Kohlen- säuremengeu in kurzer Zeit aus den Geweben in die Lungen zu transportiren. Dass das Ei weiss in der That mit der Kohlensäure um den Besitz des Natrons kämpft, haben Hoppe-Seyler und sein Schüler Sertoli 1} gezeigt: das Eiweiss treibt im Vacuum aus einer Lösung von einfach kohlensaurem Natron Kohlensäure aus. Es ist jedoch die Menge der ausgetriebenen Kohlensäure, wie a priori in Anbetracht des hohen Molekulargewichtes vom Eiweiss erwartet werden muss, sehr gering. -) Das Vorkommen von phosphorsauren Alkalien im Plasma ist oft bezweifelt worden, s) Man hat die Phosphorsäure in der Asche dem Lecithin und Nuclein geglaubt zuschreiben zu müssen. Indessen ist die Phosphorsäuremenge dazu zu gross, wenigstens im Hunde- blute. Im Rinder- und Schweineblute ist sie allerdings weit geringer. ^) Jedenfalls aber ist es nur ein geringer Theil der Alkalien, welcher im Plasma an Phosphorsäure gebunden ist. In den Körperchen dagegen spielt das phosphorsaure Alkali ohne Zweifel eine wichtige Rolle bei der Kohlensäurebindung. Die Verdrängung der Phosphorsäure aus dem Besitze des Natrons durch die Kohlensäure und umgekehrt lässt sich durch einen sehr einfachen Versuch demonstriren. Setzt man zu einer Lösung von Na2HP04 ein paar Tropfen Lacmustinctur, so färbt sich die Lösung rein blau. Leitet man nun Kohlensäure hinein, so nimmt die Lösung eine rothe Färbung an; die Kohlensäure bewirkt diese Farbenver- änderung nicht — wie ein Controlversuch lehrt — ; dieselbe ist durch die Bildung von NaH2P04 hervorgebracht. Daneben hat sich NaHCOs gebildet. Lässt man das Gefäss offenstehen, so entweicht allmählich die Kohlensäure, die Massenwirkung der Phosphorsäure wird relativ 1) E. Sertoli, Med. ehem. Unters, von F. Hoppe-Seyler, Hft. III. Berlin. 1S68. S. 350. 2) Hoppe-Seyler, Physiologische Chemie. Berlin 1879. S. 503. 3) Sertoli, 1. c. 4) Siehe G. Bunge, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 12. S. 206 und 207. 1876 und Sertoli, 1. c. 268 Sechzehnte Vorlesung. grösser, sie bemächtigt sich wiederum des zweiten — ihr von der Kohlensäure geraubten — Natronäquivalents und die blaue Farbe tritt wiederum hervor. Sehr beschleunigen kann man diesen Process durch Auskochen der Kohlensäure. Die Kohlensäure findet sich im Blute nicht nur im Plasma, son- dern auch in den Körperchen, in letzteren jedoch in geringerer Menge. Dieses folgt aus der einfachen Thatsache, dass das Gesammt- blut ärmer an Kohlensäure ist als das Serum. Der Unterschied ist jedoch nicht gross genug, um alle Kohlensäure dem Serum zuschrei- ben zu können.^) Aus dem Serum lässt sich die Kohlensäure eurch Evacuiren nicht vollständig entfernen — ein Beweis, dass die Menge der nicht flüchtigen schwachen Säuren weniger beträgt als das Aequivalent der soeben von uns berechneten 0,9 p. M. Natron. — Wohl aber lässt sich mehr als die Hälfte entfernen -j — ein Beweis, dass es sich nicht blos um einen Uebergang des doppelt kohlensauren in ein- fach kohlensaures Natron handelt, sondern auch um eine theilweise Verdrängung der fest gebundenen Kohlensäure durch die anderen schwachen Säuren: Eiweiss, Phosphorsäure u. s. w. Aus dem Gesammtblute dagegen lässt sich die Kohlensäure vollständig auspumpen, s) Ja man kann sogar, wie Pflüger ^) ge- zeigt hat, noch einfach kohlensaures Natron zum Blute hinzufügen und auch aus diesem wird die Kohlensäure im Vacuum ausgetrieben. Zur Erklärung dieser Thatsache müssen wir annehmen, dass entweder Säuren aus den Körperchen ins Plasma diffundiren oder kohlensaures Natron aus dem Plasma in die Köperchen. Was die Säuren der Blutkörperchen betrifft, so müssen wir erstens an die Phosphorsäure denken, an welcher die Körper- chen jedenfalls weit reicher sind als das Plasma (vergl. oben S. 222). Von der grossen Phosphorsäuremenge der Körperchen kann nur der kleinste Theil als organische Verbindung in ihnen enthalten sein. Zweitens müssen wir an das Oxy hämoglobin denken, welches, wie Peeyer '") gezeigt hat, aus kohlensaurem Natron Kohlensäure im Vacuum austreibt. Es ist viel darüber gestritten worden, ob die Abgabe der Kohlen- 1) Alexander Schmidt, Bericlite über die Verhandlungen der königl. sächs. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig. Math. phys. Classe. Bd. 19. S. 30. 1867. 2) Pflxjger, üeber die Kohlensäure des Blutes. Bonn 1864. S. 11. 3) Setschenow, Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 36. S. 293. 1859. 4) PFLtTGEK, 1. C S. 5ff. 5J "W. PßEYEK, Die Blutkrystalle. Jena 1871. Blutgase und Respiration Die Kohlensäure. 269 säure aus den Lungeucapillaren an die Alveolenluft einfach nach den Gesetzen der DiflFusion erfolgt, oder ob wir ausserdem noch beson- dere excretorische Kräfte im Lungengewebe annehmen sollen. Für die erstere Annahme sprechen die Ergebnisse der folgenden Unter- suchung Pflüger's und seiner Schüler Wolffberg') und Nussbaum.-) Erfolgt die Kohlensäureabgabe in den Lungenalveolen einfach nach den Gesetzen der Gasdififusion, so müssen wir a priori erwarten, dass, wenn man einen Lungenlappen durch Verschluss des entspre- chenden Bronchialastes absperrt, der Kohlensäuredruck in dem ab- geschlossenen Lungenraum so lange steigt, bis er dem Kohlensäure- druck in dem zufliessenden venösen Blute das Gleichgewicht hält, und dass dann auch das abfliessende Blut, das arterielle Blut der Lungenvenen, in den betreffenden Lungenlappen dieselbe Kohlen- säurespannung hat. Die Versuche Wolffberg's und Nussbaum's haben in der That gezeigt, dass unter diesen Bedingungen der Kohlen- säuredruck in den Alveolen derselbe wird wie im zufliessenden ve- nösen Blute. Die Absperrung eines Lungenlappens gelang folgendermaassen. Es wurde beim tracheotomirten Hunde ein elastischer Katheter 3) in einen Ast des einen Bronchus hineingeschoben. Der Katheter war doppelwandig. Die äussere aus Kautschuk bestehende Wand war an dem in den Bronchus geschobenen Ende verdünnt, so dass sie beim Aufblasen an diesem Ende sich kolbenförmig erweiterte, während der übrige dickere Theil der Wand nicht nachgab. Durch diese kolbenförmige Erweiterung wurde der luftdichte Verschluss bewirkt. In den anderen Lappen derselben Lunge und in der gesammten an- deren Lunge ging unterdessen die Ventilation ungehindert vor sich, so dass es zu keiner Kohlensäurestauung im Blute kommen konnte. Der Kohlensäuredruck war also auch in den Blutgefässen des abge- sperrten Lungenlappens der normale. Nachdem die Absperrung ge- nügend lange gedauert hatte, konnte durch das innere Rohr des Katheters eine Gasprobe herausgesogen und zur Analyse aufgefangen werden. Es stellte sich im Mittel aus zahlreichen Bestimmungen für die abgesperrte Lungenluft ein Kohlensäuredruck von 3,84*^/0 einer Atmosphäre heraus, für das Blut aus dem rechten Herzen 3,81 o/o. Dass die letztere Zahl niedriger ausgefallen ist als bei den erwähnten Versuchen Strassbueg's, welcher 5,4 % gefunden hatte, erklärt sich 1) WoLFFBERG, Pflügcr's Arch. Bd. 4. S. 465. 1871 und Bd. 6. S. 23. 1872. 2) NüsSBAüJi, ebend. Bd. 7. S. 296. 1873. 3) Eine Beschreibung und Abbildung des „Lungenkatheters" findet sich bei WoLFFBERG, Pflüger's Arch. Bd. 4. S. 467ff. 1871. 270 Sechzehnte Vorlesung. daraus, dass Strassburg's Thiere nicht tracheotomirt waren und dass in Folge der Tracheotomie die Ventilation der Lunge weit vollstän- diger und die Kohlensäurestauung im Blute geringer ist. Unter normalen Verhältnissen wird — falls der Gasaustausch ein- fach nach den Gesetzen der Diffusion erfolgt — in den Lungenal- veolen der Kohlensäuredruck niemals höher sein können als in dem abfliessenden arteriellen Blute. Dieses hat ja seinen Kohlensäuredruck mit der Alveolenluft ins Gleichgewicht gesetzt. War die Ausgleichung eine vollständige, so muss der Druck der gleiche sein; war sie un- vollständig, so muss der Druck in den Alveolen niedriger sein. Nie- mals hann er höher sein. Wäre dieses der Fall, so mtissten wir aus- treibende Kräfte im Lungengewebe annehmen. Wie stimmen nun zu dieser Deduction die Thatsachen? Den Kohlensäuredruck im arteriellen Blute des Hundes fand StkassbuegI) 2,2— 3,8 ^/o, im Durchschnitt 2,8% einer Atmo- sphäre. Der normale Kohlensäuredruck in den Lungenaiv eolen lässt sich nicht bestimmen, wohl aber können wir einen Minimalwerth für denselben feststellen, indem wir den Kohlensäuredruck in der gesammten Exspirationsluft — einem Gemenge der Alveolenluft mit der atmosphärischen Luft — bestimmen. Sollte es sich herausstellen, dass dieser Minimalwerth höher ist als der Kohlensäuredruck im arteriellen Blute, so wäre damit die Annahme widerlegt, dass der Gasaustausch einzig und allein durch Diffusion erfolge: wir wären gezwungen, ausserdem noch besondere austreibende Kräfte anzu- nehmen. Der Kohlensäuregehalt in der Exspirationsluft des Hundes ist meines Wissens nur einmaj bestimmt worden. Wolffberg^) fand 2,4 — 3,4, im Durchschnitt 2,8 o/o. Wolffbeeg's Hund war tracheo- tomirt. Beim normal athmenden Hunde würde die Kohlensäurespan- nung in der Exspirationsluft höher sein und in der Alveolenluft noch höher als in der Exspirationsluft. Eine Wiederholung der Versuche ist dringend zu wünschen. Die bisherigen Thatsachen sind noch einigermassen vereinbar mit der Theorie, dass der Gasaustausch in den Lungen einfach nach den Gesetzen der Diffusion erfolge. Beim Menschen ist der Kohlensäuregehalt in der Exspirationsluft weit höher: Vieeordt^) fand in der Exspirationsluft bei normaler Athmung 4,6 ^/o, bei möglichst tiefer Exspiration 5,2 o/o Kohlensäure. 1) Stbässbürg, 1. c. p. 77. 2) WoLFFBEEG, Pflüger's Arch. Bd. 6. S, 47S. 1871. 3) ViEEOEDT, Physiologie des Athmens. Heidelberg 1845. S. 134. Blutgase und Respiration. Die Kohlensäure. 271 Der Kohlensäuredruck im arteriellen Blute des Menschen ist nicht bekannt. Ueberraschen muss die Vollständigkeit, mit der die Ausgleichung der Spannungsdifferenz zu Stande kommt in der kurzen Zeit, während welcher das Blut durch die Capillaren der Lunge strömt. Es erklärt sich diese Erscheinung, wenn wir bedenken, wie gross die Oberfläche ist, an welcher der Austausch vor sich geht. Nach einer annähern- den Schätzung des Anatomen Huschke beträgt die innere Oberfläche der Lungen des Menschen 2000 Quadratfuss und diese ganze grosse Fläche ist dicht besponnen mit dem Capillarnetz. Auf sehr grosse Schwierigkeiten stiess man bei dem Versuche, den Kohlensäuredruck in den Geweben zu bestimmen. A priori müssen wir annehmen, dass der höchste Druck dort herrschen wird, wo die intensivste Kohlensäureentwickelung statt hat, also wahr- scheinlich in den Zellen, in den Muskelfasern, in allen activen Ele- menten — dort wo die meiste lebendige Kraft frei wird. In den Gewebselementen selbst lässt sich nun aber der Kohlensäuredruck nicht direct bestimmen. Deshalb hat man den Partiardruck dieses Gases in den Flüssigkeiten zu bestimmen gesucht, welche am un- mittelbarsten mit den Gewebselementen in Berührung kommen. Man hat zunächst an die Lymphe gedacht. Man erwartete a priori, es müsse die Lymphe, welche so langsam die Gewebselemente umspült, weit vollständiger mit Kohlensäure sich sättigen als das Blut, welches in raschem Strome durch die Capillaren eilt. Thatsächlich ist dieses nicht der Fall. Strassburg ') fand die Kohlensäurespannung in der Lymphe stets geringer als im venösen Blute. Es scheint also, dass der Kohlensäurestrom aus den Zellen in die Säfte nicht einfach den Gesetzen der Diffusion folgt. Warum diffundirt die Hauptmasse direct ins Blut? Der Zweck ist klar: die Kohlensäure gelangt so am raschesten in die Lunge. Der Grund ist vorläufig noch nicht er- kennbar. Strassburg hat ferner die Kohlensäurespannung in dem Harne von Hunden bestimmt und ungefähr = 9 **/o einer Atmosphäre gefun- den, in der Galle = 7 o/o. Er hat schliesslich auch die Kohlensäure- spannung in den Geweben der Darmwand zu bestimmen gesucht, in- dem er lebenden Hunden atmosphärische Luft in eine abgebundene Darmschlinge injicirte und nach V2 — ^ Stunden eine Probe der Luft analysirte: er fand 7 — 9'/2^/o Kohlensäure. Aus allen diesen That- 1) Stbassbürg, 1. c. p. 85—91. Vergl. auch J. Gaule, Du Bois' Arch. 1878. S. 474-476. 272 Sechzehnte Vorlesung. Sachen folgt, dass die Kohlensäurespannung in den Geweben höher ist als im Blute, wie wir a priori annehmen mussten. Es fragt sich nun: was wird geschehen, wenn wir ein Thier in eine Atmosphäre bringen, in welcher der Kohlensäuredruck bereits ebenso hoch ist als im venösen Blute? Die Athmung muss nun sistirt werden — aber nur für einen Augenblick. Denn in den Ge- weben setzt sich die Kohlensäureentwickclung ununterbrochen fort. Es kommt zu einer Stauung. Der Kohlensäuregehalt steigt in den Geweben und im Blute über die Norm, und nun geht auch die Ab- gabe durch die Alveolenwand in Folge der eintretenden Spannungs- differenz wieder vor sich. Eine Stauung der Kohlensäure im Blute und in den Geweben wird aber schon weit früher eintreten, schon lange bevor der Kohlen- säuregehalt in der eingeathmeten Luft dem der normalen Alveolen- luft gleich ist. Je geringer die Differenz der Kohlensäurespannung im Venenblute und in der Alveolenluft, desto langsamer wird die Kohlensäureabgabe aus dem Blute an die Alveolenluft erfolgen, desto grösser muss die Stauung der Kohlensäure im Blute und in den Ge- weben sein. Die abnorm hohe Kohlensäurespannung in den Geweben bringt Störungen hervor, zunächst in gewissen Theilen des centralen Nerven- systems. Vor Allem wirkt der steigende Partiardruck der Kohlen- säure auf das Athemcentrum; es werden stärkere Athembewegungen ausgelöst. Ist die Kohlensäurespannung so hoch, dass die verstärkte Athembewegung sie nicht zu beseitigen vermag, so wirkt sie auch auf andere Theile des centralen Nervensystems und die Thiere gehen schliesslich unter den Symptomen der Narcose zu Grunde. Lässt man Thiere im abgeschlossenen Räume ein künstliches, sauerstoflfreiches Luftgemenge einathmen, so tritt der Tod durch Kohlensäurevergiftung ein, schon lange bevor der Partiardruck des Sauerstoffes auf die Norm gesunken ist.^) Vergleicht man die Volumina der ein- und ausgeathmeten Luft bei der normalen Athmung, so findet man das letztere stets grösser. Es erklärt sich dieses daraus , dass die Luft in der Lunge erwärmt und der Körpertemperatur entsprechend mit Wasserdampf nahezu ge- sättigt worden ist. Die Menge des Wassers, welche im Laufe des Tages auf diesem Wege unseren Körper verlässt, beträgt 400 — 800 Grm. ; sie wechselt mit der Trockenheit der eingeathmeten Luft. 1) W. Müller, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. zu Wien. Math. nat. Classe. Bd. 33. S. 136tf. 1859. P. Bert, La pression barom^trique. Paris 1878. p. 983. C. Friedländer und E. Herter, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 2. S. 99. 1878. Blutgase und Respiration. Die Kohlensäure. 273 Vergleicht man dagegen die ein- und ausgeathmeten Luftvolu- mina, nachdem sie getrocknet, auf gleiche Temperatur und gleichen Druck gebracht sind, so erweist sich das ausgeathmete Luftvolumen meist als etwas kleiner. Dieses erklärt sich leicht, wenn wir über- legen, dass bei der Verbrennung der Nah^ungsstojfe nur die Kohle- hydrate ein dem verbrauchten Sauerstoffe gleiches Volumen Kohlen- säure liefern, die Eiweissarten dagegen und die Fette ein kleiiieres. Die Kohlehydrate enthalten bekanntlich genau soviel Sauer- stoff, als zur Sättigung des Wasserstoffes erforderlich ist. Soll also das ganze Molekül zu Kohlensäure und Wasser oxydirt werden, so müssen auf jedes Kohlenstoffatom genau zwei Sauerstoffatome auf- genommen werden. Zwei Atome, also ein Molekül Sauerstoff, bilden mit einem Atom Kohle ein Molekül Kohlensäure. Eine gleiche An- zahl von Molekülen nimmt aber bekanntlich ein gleiches Volumen ein. Folglich muss das bei der Verbrennung der Kohlehydrate gebildete Kohlensäurevolumen dem verbrauchten Sauerstoffvolumen gleich sein. Die Fette dagegen enthalten weit weniger Sauerstoffatome als zur Sättigung der Wasserstoffatome erforderlich sind: in der Stearin- säure (CisHseOi) können von den 36 Wasserstoffatomen nur 4 durch den vorhandenen Sauerstoff gesättigt werden; es müssen zur voll- ständigen Verbrennung des Wasserstoffes noch 16 Atome des inspi- rirten Sauerstoffes verbraucht werden; diese erscheinen in der Ex- spirationsluft nicht wieder. Auch das Glycerin (CsHsOa) enthält 2 Atome Wasserstoff mehr, als durch den vorhandenen Sauerstoff ge- sättigt werden. Es muss also zur vollständigen Verbrennung der Fette weit mehr Sauerstoff aufgenommen werden, als zur Verbrennung ihres Kohlenstoffes erforderlich ist. Deshalb erscheint nicht aller in- spirirte Sauerstoff in der exspirirten Kohlensäure wieder. Dasselbe gilt von den Eiweisskörpern. 100 Grm. Ei weiss enthalten 7 Grm. Wasserstoff. Um diese zu Wasser zu verbrennen, sind 7x8 = 56 Grm. Sauerstoff erforderlich. 100 Grm. der Eiweiss- arten aber enthalten höchstens 24 Grm. Sauerstoff. Es muss also auch zur Oxydation des Wasserstoffes Sauerstoff inspirirt werden, nicht blos die zur Oxydation der Kohle erforderliche Menge. Nur ist beim Eiweiss die Berechnung verwickelter, weil auch in den stick- stoffhaltigen organischen Endproducten Wasserstoff- und Sauerstoff- atome austreten und weil auch zur Oxydation des Schwefels Sauer- stoff verbraucht wird. Das Verhältniss des exspirirten Kohlensäurevolumens zum inspi- rirten Sauerstoffvolumen bezeichnet man als „respiratorischen Quotienten". Bunge, Phys. Chemie. 3. Auflage. 18 27J: Sechzehnte Vorlesung, In der Nahrung des Pflanzenfressers tiberwiegen die Kohlehydrate. Deshalb wird bei diesem der respiratorische Quotient nahezu = 1 sein. Beim Fleischfresser dagegen, dessen Nahrung arm ist an Kohle- hydraten, reich an Eiweiss und Fetten, muss der respiratorische Quo- tient erheblich kleiner sein als 1. Man findet gewöhnlich ungefähr 2/4. , Der aus der Zusammensetzung der Nahrung berechnete respira- torische Quotient wird nur dann mit dem thatsächlich gefundenen ^) übereinstimmen, wenn die Bestimmung der Respirationsgase während eines längeren Zeitabschnittes — womöglich 24 Stunden — ausge- führt wurde. In kurzen Zeitabschnitten kann das Verhältniss sich sehr bedeutend verschieben, weil die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäureabgabe zeitlich nicht zusammenfallen. Es kann beispiels- weise aus den Kohlehydraten ein bedeutender Theil der Kohle ohne Sauerstoffaufnahme als Kohlensäure sich abspalten — in ähnlicher Weise wie bei der alkoholischen und buttersauren Gährung — und die gebildeten sauerstoffarmen Nebenproducte werden später oxydirt, wenn die früher abgespaltene Kohlensäure bereits ausgeathmet ist. Auf diese Weise kann es kommen, dass das ausgeathmete Kohlen- säurevolumen eine Zeit lang grösser ist als das eingeathmete Sauer- stoffvolumen, der respiratorische Quotient grösser als 1. Bei Pflanzenfressern kommt es vor, dass bisweilen auch das ganze in 24 Stunden exspirirte Kohlensäurevolumen grösser ist als das in- spirirte Sauerstoffvolumen. Dieses erklärt sich folgendermassen. Die Pflanzennahrung enthält organische Säuren, welche sauerstoffreicher sind als die Kohlehydrate und deshalb bei ihrer Oxydation zu Kohlen- säure und Wasser ein geringeres Sauerstoffvolumen verbrauchen, als 1) Eine Abbildung und Beschreibung der Apparate, welche zur quantitativen Bestimmung des Gasaustausches in längeren Zeitabschnitten dienen, insbeson- dere des Eegnault und PiEisET'schen und des PETTENKOFER'schen Kespirations- apparates findet sich in jedem Lehrbuche der Physiologie. Wer die Beschrei- bung aus der Originalmittheilung kennen lernen will, findet die berühmte grosse Arbeit von Kegnault und Eeiset in den Ann. de chim. et de phys. T. 26. 1849 auch separat unter dem Titel: Recherches chimiques sur la respiration des ani- maux des diverses classes. Paris. Bachellier 1849. üebersetzt in Liebig's Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 73. S. 92, 129 und 257. 1850. Die Beschreibung des PETTEN- KOFER'schen ßespirationsapparates findet sich in Liebig's Ann. d. Chem. u. Pharm. II. Supplemeutband. S. 1. 1862. Dieser Apparat wurde insbesondere für Versuche am Menschen construirt. Für kleinere Thiere hat Voit den Apparat ein wenig moditicirt. Die genaue Abbildung und Beschreibung findet sich Zeitsch. f. Biolog. Bd. 11. S. 541 if. 1875. Eine Modification des Apparates von Regnault und Reiset zur Untersuchung der Respiration von Wasserthieren haben Jolyet und Regnard beschrieben: Archives de physiologie normale et pathologique. Serie II. T. 4. p. 44. 1877. Blutgase und Respiration. Die Hautathmung. 275 dem gebildeten Kohlensäurevolumen entspricht. So giebt die Wein- säure mit 2V2 Volum. Sauerstoff 4 Volum. Kohlensäure: CjHeOe + 5 0 = 4 CO2 + 3 H2O. Aber noch aus einer anderen Quelle kann es zu einer Kohlensäureentwickelung ohne Sauerstoflfaufnahme kommen. Die Kohlehydrate können im Darme der Sumpfgasgährung unterliegen: CeHuOe = 3 CO2 -f- 3 CH4. Die Kohlensäure wird vom Darme aus resorbirt und durch die Lungen ausgeathmet, das Sumpfgas aber bleibt unoxydirt. (Vergl. unten S. 281 u. 284). Es ist wichtig, alle diese Bedingungen zu kennen, von denen der respiratorische Quotient abhängt. Bei den Stoffwechselversuchen gewährt die Grösse dieses Quotienten manchen Anhaltspunkt zur Beurtheilung der chemischen Vorgänge in den Geweben. In unseren bisherigen Betrachtungen haben wir unter der Ath- mung immer nur die Lungenathmung verstanden. Es bleibt uns noch die Frage zu erörtern übrig, ob beim Menschen neben der Lungen- athmung auch eine Hautathmung besteht. Bei niederen Thieren, auch bei gewissen niederen Wirbelthieren ist eine Hautathmung nicht zu bezweifeln. Bei den Amphibien ist der Gasaustausch durch die Haut sogar weit bedeutender als der durch die Lungen. Dieses war bereits Spallanzäni ') bekannt. Spallanzani constatirte an mehreren Amphibienarten, dass sie nach Exstirpation der Lungen länger lebten als nach Ueberfirnissung der Haut. Gegen diesen Ver- such muss der Einwand erhoben werden, dass die Ueberfirnissung der Haut auch in anderer Weise schädlich gewirkt habe. Deshalb sind die Versuche Spallanzani's mit vielfachen Abänderungen-) wiederholt wurden. Fubini bestimmte die gesammte Kohlensäure- ausscheidung bei normalen Fröschen und verglich sie mit derjenigen von Fröschen, denen die Lungen exstirpirt waren. Er fand die letztere nur wenig geringer. Auch gegen diesen Versuch kann noch der Einwand geltend gemacht werden, dass nach Exstirpation der Lungen die Kohlensäureausscheidung durch die Haut nicht mehr die normale sei, sondern durch eine vicariirende Thätigkeit gesteigert. Deshalb construirte F. Klug einen besonderen Apparat, in welchem der Kopf und der übrige Körper des Frosches in getrennten Räumen sich befanden. Die Trennung wurde durch eine Kautschukplatte bewirkt, durch welche der Kopf hindurchgesteckt war. Auch diese 1) Spallanzani, Memoires sur la respiration, traduits par Senebier. Geneve 1803. p. 72. 2) Siehe hierüber F. Fübini, Moleschott's Unt. z. Naturlehre. Bd. 12. S. 100. 1878 und Ferd. Klug, Du Bois' Arch. 1884. S. 183. Dort findet sich die frühere Literatur kritisch zusammengestellt. 18* 276 Sechzehnte Vorlesung. Versuche ergaben, dass durch die Lungen nur ein sehr geringer Theil der Kohlensäure ausgeschieden wird. Die genauesten Bestimmungen tiber die Kohlensäureausscheidung durch die Haut beim Menschen hat H. Aubert ^) ausgeführt. Die Versuchsperson sass nackt in einem luftdicht geschlossenen Kasten, dessen Deckel aus einer Kautschukplatte bestand. Durch eine runde Oeffnung in diesem Deckel war der Kopf der Versuchsperson hin- durchgezwängt, so dass der Rand luftdicht den Hals umschloss. Durch diesen geschlossenen Raum wurde nun ein Luftstrom geleitet. Die Luft war vor dem Eintritt kohlensäurefrei gemacht worden und strich nach dem Austritt durch Kugelapparate mit Barytlösung. Die Ver- suche dauerten 2 Stunden. Aus der in dieser Zeit von der Baryt- lösung absorbirten Kohlensäure wurde die 24 stündige Menge be- rechnet. Es ergab sich aus 7 Versuchen, dass der Mensch in 24 Stunden durch die Haut im Maximum 6,3 Grm., im Minimum 2,3, im Mittel 3,9 Grm. Kohlensäure ausscheidet. Diese Kohlensäuremenge ist verschwindend gering im Vergleiche zu der durch die Lungen ausgeschiedenen, welche beim Menschen in 24 Stunden 800 bis 1200 Grm. beträgt. Ja, man muss daran zweifeln, ob die gefundene kleine Kohlensäuremenge wirklich gas- förmig durch die Haut ausgeschieden worden. Es liegt die Ver- muthung nahe, dass dieselbe aus der Zersetzung der Hautsecrete und der abgestossenen Epidermis stamme. Noch mehr sind die Angaben über die Aufnahme kleiner Sauerstoflfmengen durch die Haut des Menschen zu bezweifeln. Es ist bis auf die neueste Zeit behauptet worden, dass durch die Haut nicht blos Kohlensäure ausgeschieden werde, sondern auch gewisse gasförmige complicirtere organische Verbindungen. Man hat sich so die schädlichen Folgen des Aufenthaltes vieler Personen in engen Räumen zu erklären gesucht. Man dachte sich: diese „orga- nischen Dämpfe haben nur eine sehr geringe Tension, die Luft er- reicht für sie sehr bald den Sättigungspunkt und kann dem Orga- nismus nichts weiter davon abnehmen, wenn sie nicht wieder rasch gewechselt und erneuert wird. Das Zurückbleiben, die Anhäufung dieser Dämpfe im Körper, so gering auch ihre Menge sein mag, kann eben so leicht auf gewisse Nervenpartien und durch diese selbst auf den gesammten Stoffwechsel wirken, als sie in die Luft übergegangen auf unsere Geruchsnerven wirkt, und uns unter Umständen selbst zum Erbrechen reizt." '-) 1) H. AuBERT, Pflügers Arch. Bd. 6. S. 539. 1872. 2) PETTENKOPEKjLiebig's Ann. d.Chem. u Pharm. II. Supplementbd. 8.5. 1862. Blutgase und Respiration. Die Hautathmung. 277 Diese Vorstellung von den schädlichen Folgen der „unterdrückten Hautthätigkeit" ist so alt als die Geschichte der Medicin, und bis auf den heutigen Tag spielt das „perspirabile retentum" eine grosse Rolle in der Aetiologie gewisser Krankheiten. Pettenkofer wurde durch diese Vorstellung dazu bewogen, bei seinen Arbeiten über die Respiration das Princip von Regnault und Reiset zu verlassen und einen neuen Respirationsapparat zu construiren, in welchem durch' den Aufenthaltsraum der Versuchsperson oder des Versuchsthieres beständig ein frischer Luftstrom streicht. Pettenkofer hatte gefunden, dass, wenn durch den Aufenthalt vieler Personen in einem Zimmer der Kohlensäuregehalt in demselben auf 0,1 o/o steigt, die Luft be- reits „zu riechen anfängt", und dass, wenn der Kohlensäuregehalt auf l"/o steigt, die Luft „Jedem fast unerträglich wird". Wenn er dagegen in einem Zimmer Kohlensäure aus doppeltkohlensaurem Natron mit Schwefelsäure entwickelte, bis die Kohlensäure in der Luft 1^0 betrug, so befand er sich in einer solchen Zimmerluft „längere Zeit" vollkommen wohl. Die Kohlensäure ist also nicht das Schäd- liche in der sogenannten „schlechten Luft"; wohl aber, meint Petten- kofer, ist sie ein Maass für die Anhäufung der uns unbekannten schädlichen Perspirationsproducte. Alle Bemühungen, diese schädlichen Perspirationsproducte nach- zuweisen, sind bisher gescheitert. Die neusten Versuche wurden im hygienischen Institute zu Amsterdam von Heemans ') ausgeführt. Eine Versuchsperson begab sich in einen luftdicht geschlossenen Eisen- blechkasten. Die ersten Empfindungen von Unwohlsein traten ein, wenn der Kohlensäuregehalt in der Luft über 3 o/o stieg. Dyspnoe trat jedoch erst bei 5,3'J/o Kohlensäure ein. Wurde die Kohlensäure durch Absorption fortgeschafft, so waren keine Beschwerden mit dem Aufenthalte im Kasten verbunden, auch wenn der Sauerstoffgehalt bis auf 10*^/o sank. Um nun die vermeintlichen organischen Perspi- rationsproducte zu entdecken, wurde Luft durch den Kasten und dann durch Absorptionsapparate geleitet. Beim Durchleiten durch titrirte Schwefelsäure wurde der Titre stets unverändert gefunden. Wurde die Luft über glühendes Kupferoxyd geleitet, so stieg dadurch nicht der Kohlensäure- und Wassergehalt. Ebenso wurde der Titre einer kochenden — sauren oder alkalischen — Chamäleonlösung un- verändert gefunden auch beim langsamen Durchleiten von vielen Litern der Kastenluft gegen Ende des Versuches. Auch das Conden- sationswasser, welches durch Abkühlen der ausströmenden Luft mit 1) J. Th. H. Heemans, Arch. f. Hygiene. Bd. I. S. 1. 1883. 278 Sechzehnte Vorlesung. Eis erhalten wurde, änderte den Titre kochender Chamäleonlösung nicht; ebensowenig thut dieses das Condensationswasser von den Wänden des Kastens. Auch die Prüfung mit dem Geruchssinn gab stets ein negatives Resultat. Auf die Reinheit des Körpers und der Kleidung der Versuchsperson war die grösste Sorgfalt verwandt wor- den. Heemans kommt daher zu dem Resultate, dass, wenn gesunde Menschen übelriechende Stoffe an die Atmosphäre abgeben, dieses durch Zersetzungs Vorgänge an der unreinlich gehaltenen Körperober- fläche und Kleidung geschieht, nicht durch die normale Perspiration. Die Aerzte, welche an der Vorstellung von der Schädlichkeit des „perspirabile retentum" festhalten, berufen sich auf die folgen- den zwei Thatsachen: 1. Die Erkrankung von Thieren, deren Haut durch Ueberfi missen imperspirabel gemacht wurde, und 2. die tödtliche Wirkung ausgedehnter Hautverbrennungen. Aber auch diese Thatsachen müssen anders gedeutet werden. Die Erkrankung und der Tod überfirnisster Thiere lässt sich aus einer vermehrten Wärmeabgabe erklären.*) Die Ueberfirnis- sung scheint die Vasomotoren zu lähmen: die Hautgefässe erweitern sich, die Körperoberfläche wird über die Norm erwärmt und die Wärmeabgabe vermehrt. In Folge dessen sinkt die Körpertemperatur und die Thiere gehen durch Abkühlung zu Grunde. Bei th eil- weis er Ueberfirnissung lässt es sich nachweisen, dass die über- firnissten Hautstellen wärmer sind als die übrige Haut. Im Calori- meter giebt ein überfirnisstes Thier mehr Wärme ab als ein normales. Verhindert man die Abkühlung, indem man die überfirnissten Thiere in Baumwolle einwickelt oder in einen warmen Raum bringt, so erkranken sie nicht und bleiben leben. Auch erkranken in Folge der Ueberfirnissung nur solche Thiere, welche eine zarte Haut und im Vergleich zum geringen Körpergewicht eine grosse Oberfläche haben, z. B. Kaninchen. Grössere Thiere mit derber Haut, z. B. Hunde, bleiben bei vollständiger Ueberfirnissung der ganzen Körperoberfläche vollkommen gesund. Senator-) in Berlin hat sogar den kühnen Versuch nicht ge- scheut, Menschen zu überfirnissen. Zwei Patienten, Rheuma- tikern — „für welche die Unterdrückung der Hautthätigkeit mit Vor- liebe als ursächliches Moment in Anspruch genommen wird, denen also ein Eingrifif auf die Haut erst recht verderblich hätte werden müssen" — wurden die Extremitäten in Heftpflaster eingewickelt und fast der ganze Rumpf dick mit CoUodium bestrichen, dem etwas 1) W. Laschkewitsch, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1868. p. 61. 2) H. Senator, Virchow's Arch. Bd. 70. S. 182. 1877. Blutgase und Respiration. Die Hautathmung. 279 Ricinusöl zugesetzt war, um ihm die Sprödigkeit zu nehmen. Frei blieb nur die Haut des Kopfes, Halses, Gesässes und der Scham- gegend. In diesem Zustande verblieb der eine Patient zwei mal 24 Stunden, der andere volle 8 Tage! Der dritte Versuch wurde an einer Patientin mit Pemphigus chronicus ausgeführt. Der ganze Kör- per, selbst das Gesicht wurde mit ,,dem gewöhnlichen käuflichen Theer dick bestrichen" und der geschorene Kopf mit Oleum rusci überzogen. Dieser luftdichte Ueberzug blieb volle 10 Tage auf der Haut! Bei keinem de?' drei Patienten Hessen sich irgend welche Stö- rungeji in Folge der Ueberßrnissung nachweisen. Was schliesslich die Erklärung der tödtlichen Wirkung ausge- dehnter Hautverbrennungeu betrifft , so sind wir auch hier keineswegs gezwungen zum perspirabile retentum unsere Zuflucht zu nehmen. Es sind in neuester Zeit mehrfach andere Erklärungen versucht worden. Wir wissen, dass schon massige Steigerungen der Temperatur verändernd und zerstörend auf die Blutkörperchen ein- wirken.i) Das führte zu der Vermuthung, es könnten die Blutkör- perchen, welche während der Verbrennung die Capillaren der Haut passiren, durch die gesteigerte Temperatur zerstört werden und ihre Zerfallproducte könnten die später nach der Verbrennung eintreten- den Symptome indirect veranlassen. In der That fand man nach Verbrennungen einen Bestandtheil der Körperchen, das Hämoglobin in dem Plasma des Blutes und sah das Hämoglobin oder seine Um- wandlungsproducte in den Harn übergehen.-} Nach Hoppe- Seyler's 3) und Tappeiner's ^) Untersuchungen ist jedoch die Menge des Hämo- globins, welche im Plasma des Blutes nach Verbrennungen sich findet, sehr unbedeutend und fehlte sogar in einem Falle mit tödtlichem Ausgange vollständig. Auch im Harne treten der Blutfarbstoff und seine Umwandluugsproducte nicht constant auf. Sehr beachtenswerth ist dagegen die folgende von Tappeiner beobachtete Thatsache: er fand das Blut von Patienten mit ausgedehnter Hautverbrennung weit reicher an Körperchen und ärmer an Plasma als das normale Blut. Diese Eindickung des Blutes erklärt sich aus der Ausscheidung von Lymphe an der verbrannten Hautfläche und ist vielleicht die erste Ursache aller Symptome und des Todes. 1) Max Schultze, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 1. S. 26. 1865. 2) "Wertheim, Wiener med. Presse. 1868 Nr. 13. Ponfick, Berl. klin. Wochen- schrift 1877. Nr. -16. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1880. Nr. 11 u. 16. v. Lessek, Virchow's Arch. Bd. 79. S. 248. 1880. 3j Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 1 u. 344. 1881. 4) Tappeiner, Centralbl. f. d. med. Wissensch. Bd. 19. S. 385 u. 401. 1881. 280 Sechzehnte Vorlesung. Wir sehen also, dass kein einziger zwingender Grund vorliegt, eine Ausscheidung irgend welcher gasförmiger Producte durch die Haut des Menschen anzunehmen. Ueberhaupt sind unsere Kenntnisse von dem Chemismus der Hautthätigkeit noch sehr dürftig, lieber die chemische Zusammensetzung des Schweisses^) wissen wir nichts Sicheres, und es liegt vorläufig kein Grund vor, der Schweisssecre- tion eine andere Bedeutung zuzuschreiben als die der rein physi- kalischen Wirkung bei der Wärmeregulirung. Die Wasserverdunstung an der Körperoberfläche ist das wirksamste Mittel zur Abkühlung. Wir dürfen nicht vergessen, wie ungeheuer gross die Wärmemenge ist, welche das Wasser bei dem Uebergang aus dem flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand bindet. Vielen Säugethieren, z. B. den Hunden, fehlt bekanntlich die Schweisssecretion; eine ergiebigere Wasserverdunstung an der Lungenoberfläche ersetzt dieselbe. Bevor wir nun das Kapitel über die Athmung und das Verhalten der Gase in unserem Körper schliessen, müssen wir noch die Gase, welche im Verdauungscanal auftreten, ihre Entstehung und ihr Ver- halten unter physiologischen und pathologischen Bedingungen näher kennen lernen. Die Gase im Verdauungscanal stammen aus einer 4 fachen Quelle: 1. wird mit dem Speichel, mit Speisen und Getränken beständig atmosphärische Luft verschluckt; sie wird zum Theil wieder durch den Oesophagus entfernt; zum Theil aber gelangt sie auch in den Darm; 2. entstehen Gase durch Gährungsprocesse im Magen- und Darminhalte; 3. diffundiren Gase aus den Geweben der Darmwand in den Darm und 4. wird Kohlensäure frei beim Neutralisiren des kohlensauren Natrons des Darmsaftes. Folgende Gase sind bisher im Verdauungscanale des Menschen und der Säugethiere nachgewiesen worden-): 0, N, CO2, H, CH4 und H2S. 1) Siehe hierüber 0. Funke, Moleschott'ö Unt. z. Naturlehre d. Menschen und der Thiere. Bd. 4. S. 36. 185S und W. Leube, Ueber den Antagonismus zwischen Harn- und Schweisssecretion und dessen therapeutische Bedeutung. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. VII. S. 1. 1870. Dort findet sich auch die frühere Literatur zusammengestellt. Vergl. auch A. Käst, Ueber aromatische Fäulnissproducte im menschlichen Schweisse. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 11. S. 501. 1887. P. Argutinsky, Pflüger's Arch. Bd. 46. S. 594. 1890 u. E. Gramer, Arch. f. Hygiene. Bd. 10. S. 231. 1890. 2) Planer. Sitzungsber. d. k. Akad. d. W. zu Wien. Bd. 42. S. 307. 1860. E. Buge, ebend. Bd. 44. S. 739. 1862. C. B. Hofjiann, Wiener med. Wochenschr. 1872. Tappeiner, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 6. S. 432. 1882. Zeitschr. f. Biolog. Bd. 19. S. 228. 1883 und Bd. 20. S. 52. 1884. Arbeit, aus dem patholog. Inst, zu München, herausgegeben von 0. Bolliger, Stuttgart. F. Enke 1886. S. 215. u. 226. Blutgase und Respiration. Gase im Yerdauungscanal. 281 Der Sauerstoff gelangt nur durch verschluckte Luft in den Yerdauungscanal und verschwindet schon im Magen fast vollständig zum Theil durch Vereinigung mit den reducirenden Substanzen, welche aus den schon im Magen beginnenden Gährungsprocessen hervor- gehen, insbesondere mit dem aus der Buttersäuregährung stammenden nascirenden Wasserstoff, zum Theil durch Diffusion in die Gewebe der Magenwand. In den aus dem oberen Theile des Darmes gewon- nenen Gasen konnten bisweilen noch Spuren von Sauerstoff nach- gewiesen werden, in den aus den unteren Theilen keine Spur. Planer injicirte in die unterbundene Dünndarmschlinge eines lebenden Hun- des atmosphärische Luft und schon nach 1 V2 Stunden war aus der Luft die Hälfte des Sauerstoffes verschwunden und durch Kohlen- säure ersetzt. Bei einigen Fischen spielt die Diffusion des verschluck- ten atmosphärischen Sauerstoffes durch die Wandungen des Verdau- ungscanales eine wichtige Rolle in dem Respirationsprocesse.^) Der Stickstoff gelangt gleichfalls mit der verschluckten atmo- spärischen Luft in den Verdauungscanal , diffundirt aber nicht in die Gewebe der Darmwand, weil in diesen der Partiardruck des Stickstoffes wohl stets nahezu derselbe ist wie in der atmosphärischen Luft. Wir müssen im Gegentheil annehmen, dass umgekehrt aus den Geweben der Darmwand Stickstoff in den Darm diffundirt. Es wird dieses namentlich im unteren Theile des Darmes in dem Maasse ein- treten, als durch Gährung andere Gase entwickelt werden und der Partiardruck des Stickstoffes in dem Gasgemenge sinkt. Thatsäch- lich sind die Darmgase stets reich an Stickstoff. Der Wasserstoff bildet sich in grosser Menge durch Gährungs- processe, vor Allem neben Kohlensäure durch die Buttersäure- gährung. Buttersäuregährung lässt sich im Inhalte des Dünndarmes und Dickdarmes stets nachweisen.-) Das Sumpfgas entsteht, wie bereits erwähnt (S. 275), neben Kohlensäure durch Spaltung der Cellulose. Es sind dieses aber nicht die beiden einzigen Gährungs- processe, durch welche CO2, H und CH4 im Darme gebildet werden. Rüge fand in den Gasen aus dem Mastdarme lebender Menschen Sumpfgas auch nach ausschliesslicher Fleischkost, und Tappeinek fand in den Mastdarmgasen von Schweinen, die 3 Wochen ausschliess- lich mit Fleisch gefüttert waren, reichlich Sumpfgas und Wasser- stoff. Diese Gase gehen nicht blos aus der Zersetzung von Kohle- 1) Eeman, Ann. d. Physik. Bd. 30. S. 113. 1808. Leydig, Arch. f. An. und Physiol. 1853. S. 3. Baumert, Chemische Untersuchung, über die Respiration des Schlammpeitzgers. Breslau 1855. 2) Vergl. RuBNEK, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 19. S. 84 ff. 1883. 282 Sechzehnte Vorlesung. hydraten hervor, sondern auch aus der von Eiweisskörpern. Kunkel i) fand, dass die bei der künstlichen Pankreasverdauung ohne Aus- schluss der Fermentorganismen entwickelten Gase bis zu 60 "/o H und 1,6 "/o Sumpfgas enthielten, und Tappeiner-) zeigte, dass sterilisirte Nährsalzlösungen mit Pepton und Fibrin, wenn sie mit etwas Darm- inhalt inficirt wurden, Gasgemenge entwickelten, welche bis 40"/oH und bis 19*^/0 CH4 enthielten. Beachtenswerth ist es, dass bei einem derartigen Versuche Tappeiner's aus einer Peptonlösung sich ein Gas- gemenge entwickelte, welches 99,650/oC02 enthielt neben 0,14 H und 0,21 CH4. Es scheint, dass im Darme Gähruugen verlaufen, bei denen aus Eiweiss nur Kohlensäure sich entwickelt ohne ein anderes Gas. Kohlensäure wird ferner in grosser Menge entwickelt bei der Neutralisation des sauren Chymus durch das kohlensaure Natron des Darmsaftes. Wenn es statthaft ist, die von Carl Schmidt für den Hund angegebene Menge der täglich auf die Einheit des Körper- gewichtes secernirten Salzsäure des Magensaftes auf den Menschen zu übertragen, so lässt es sich berechnen, dass täglich durch Neu- tralisation der Salzsäure 6 Liter Kohlensäure in unserem Darme frei werden. Hierzu kommt die bisweilen vielleicht noch weit grössere Menge, die bei der Neutralisation der Milch- und Buttersäure frei wird, welche beständig aus den Kohlehydraten der Nahrung im Darme sich bilden. Durch diese grossen Kohlensäurevolumina werden wir indessen nicht belästigt. Denn der Absorptionscoefficient der Kohlensäure ist ein sehr hoher und der Partiardruck der Kohlen- säure in den Geweben der Darmwand ist wohl niemals höher als etwa 100/0 einer Atmosphäre. Sobald also der Kohlensäuregehalt der Darmgase über 10 ''/o steigt, muss die Diffusion in das Blut be- ginnen. Der Kohlensäuregehalt der Darmgase beträgt meist 20 bis 50 0/0 und mehr. Es muss also beständig ein lebhafter Kohlensäure- strom vom Darme aus in das Blut statt haben. Dass die Resorption der Kohlensäure schon im Magen beginnt, hat Mering bei seinen be- reits erwähnten Versuchen mit den Duodeualfistelhunden gezeigt. (Vgl. oben S. 159.) Die im Verdauungscanal entwickelte Kohlensäure wird durch die Lunge exhalirt. Ein sehr lästiges Gas ist dagegen der Wasserstoff. Sein Absorptionscoefficient ist ein sehr geringer. Deshalb werden Patienten mit chronischen Verdauungsstörungen, welche zur Flatulenz disponirt sind, bei der Regelung ihrer Diät darauf achten müssen, 1) KüNKEL, Verhandl. d. physikal.-med. Gesellsch. in Würzburg. N. F. Bd. S. S. 134. 1S74. 2) Tappeiner, Arb. a. d. patholog. Inst, in München. Bd. I. S. 218. 1886. Blutgase und Respiration. Gase im Verdauungscanal. 283 solche Nahrungsmittel zu vermeiden, welche das Material zur Butter- säuregährung abgeben. In dieser Hinsicht scheint nach den Be- obachtungen Ruge's und Tappeiner's Milch ganz besonders schädlich zu sein. Damit stimmen auch die Erfahrungen vieler Patienten über- ein. Ebenso werden stärkemehlreiche, schwer verdauliche Speisen zu vermeiden sein, weil durch sie die Kohlehydrate in grosser Menge bis in den unteren Theil des Dünndarmes gelangen, wo die alka- lische Reaction die Buttersäuregährung begünstigt. Man wird gut thun, die Kohlehydrate in Form gekochter Früchte zu verabfolgen, weil sie auf diese Weise zugleich mit Säuren in den Darm gelangen und weil die Säuren die Buttersäuregährung hindern. Es giebt viele Patienten, welche Cerealien, Leguminosen und Kartoffeln nicht ver- tragen, wohl aber gekochte Früchte und den so leicht verdaulichen Reis, welcher offenbar schon im oberen Theile des Darmes fast voll- ständig resorbirt wird. Im Folgenden stelle ich die Absorptionscoefficienten der Darmgase zusammen. Sie sind von Bunsen für die Temperatur von 150 c. bestimmt. Bestimmungen für Körpertemperatur liegen leider nicht vor. N . . . . 0,01478 CH4. . . . 0,03909 H . . . . 0,01930 CO2 . . . . 1,0020 0 . . . . 0,02989 H2S . . . . 3,2326 Die Menge des Schwefelwasserstoffes in den Darmgasen ist sehr gering, quantitativ nicht bestimmbar. Es ist jedoch denkbar, dass die in dem Darme entwickelte Menge bisweilen grösser ist, als man nach diesem geringen Gehalte in den Darmgasen erwarten könnte. Wir dürfen nicht vergessen, wie hoch der Absorptionscoefficient des Schwefelwasserstoffes ist, mehr als 100 Mal höher als der des Sauer- stoffes, welcher ja so leicht diffundirt. Der Schwefelwasserstoff muss in dem Masse, als er frei wird, auch sofort ins Blut diffundiren. Planer injicirte Hunden mit Wasserstoff verdünntes Schwefelwasser- stoffgas ins Rectum und beobachtete schon nach 1 — 2 Minuten Ver- giftungserscheinungen. Bei abnormen Zersetzungen im Darminhalte unter pathologischen Bedingungen könnte bisweilen Schwefelwasser- stoff in grösserer Menge auftreten. — In den bei der künstlichen Pankreasverdauung von Fibrin ohne Ausschluss der Bacterien auf- tretenden Gasen fand Kunkel bis l,9"/o H2S. — Bei den häufigen Symptomen des Magen - Darmkatarrhs und der anhaltenden Stuhl- verstopfung: Kopfschmerz, Schwindel, Uebelkeit spielt vielleicht bis- 28i Sechzehnte Vorlesung. weilen eine Vergiftung durch Schwefelwasserstoff mit. Senator 0 berichtet uns folgenden Fall, den er für eine unzweifelhafte Schwefel- wasserstoffvergiftung hält. In dem Harne eines mit acutem Darm- katarrh Behafteten Hess sich Schwefelwasserstoff nachweisen, ,, indem er eine bleihaltige Visitenkarte deutlich braun färbte". Ebenso war beim Aufstossen des Patienten der Geruch nach Schwefelwasserstoff deutlich erkennbar. Der Patient wurde wiederholt von Schwindel- anfällen betroffen, wobei er Beklemmung in der Herzgrube und Ver- dunkelung des Gesichtes empfand. Aehnliche Symptome sollen auch bei Personen auftreten, die beim Entleeren von Abtrittgruben Schwefel- wasserstoff haltigen Gasen ausgesetzt gewesen sind. Ueber die Schicksale des resorbirten Wasserstoffes und Sumpfgases wissen wir noch wenig sicheres. Sie müssen entweder oxydirt werden oder in der Exspirationsluft wiedererscheinen. Eine in ZuNTz' Laboratorium 2) in Berlin an tracheotomirten Kaninchen ausgeführte Untersuchung ergab, dass die Exspirationsluft dieser Thiere stets Wasserstoff und meist auch Sumpfgas enthält, sogar mehr als die in derselben Zeit per anum entleerten Gase. Ob aller Wasserstoff und alles Sumpfgas, welche vom Darme aus resorbirt werden, in der Exspirationsluft wiedererscheinen oder ob ein Theil im Körper oxydirt wird, ist noch nicht entschieden. Für die Theorie der inneren Athmung wäre die Entscheidung dieser Frage von hohem Interesse (vgl. oben S. 249—263). Die quantitative Zusammensetzung der Darmgase ist natürlich eine sehr verschiedene, je nach der Nahrung und je nach dem Zustande des gesammten Verdauungsapparates, insbesondere der Widerstands- fähigkeit gegen die Entwicklung der Fermentorganismen. So fand bei- spielsweise ßuGE in den Mastdarmgasen ein und desselben Menschen: Nach Milch- diät: Nach 4täg-iger ausschliess- licher Ernäh- rung mit Le- guminosen: Nach 3 tägiger ausschliess- licher Ernäh- rung mit Fleisch: 0 N H CH4 CO2 H2S 36,71 54,23 9,06 18,96 4,03 55,94 21,05 Spur 64,41 0,69 26,45 8,45 1) Senator, Berliner klinische Wochenschr. Jahrg. 5. S. 254. 1868. 2) B. Tacke, Ueber die Bedeutung der brennbaren Gase im thierischen Or- ganismus. Inaug.-Diss. Berlin 1884. Auch Berichte der deutsch, ehem. Gesellsch. Bd. 17. S. 1827. 1884. Blutgase und Respiration. Gase im Verdauungscanal. 285 Tappeiner 1) fand die Gase, welche der Leiche eines Hingerich- teten eine halbe Stunde nach dem Tode entnommen wurden, folgender- maassen zusammengesetzt. Magen Ileum Dickdarm Mastdarm 0 N H CH4 CO2 9,19 74,26 0,08 0,16 16,31 1 67,71 3,89 28,40 7,46 0,46 0,06 91,92 62,76 0,90 36,40 1) Tappeinee, Arb. a. d. patholog. Inst, in München. Bd. 1. S. 226. 1886. Siebzehnte Vorlesung. Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwecliseis. Die Betrachtung der Athmungsvorgänge hat uns gezeigt, dass die Hauptmasse des Kohlenstoffes als Kohlensäure durch die Lungen aus unserem Körper ausgeschieden wird. Der Rest des Kohlenstoffes schlägt einen anderen Weg ein ; er verlässt unseren Körper im Verein mit der Hauptmasse des Stickstoffes in Form einer Reihe sehr stickstoffreicher Verbindungen durch die Nieren. Unter diesen stick- stoffhaltigen Endproducten bilden beim Menschen die Hauptmasse: der Harnstoff, die Harnsäure, dieHippursäure, das Kreatin und das Kreatinin. Ein nicht unerheblicher Theil des Stickstoffes erscheint ausserdem im Harn als anorganische Verbindung, als Am- moniaksalz. Wir wollen nun die Entstehung dieser Endproducte im Thier- körper verfolgen, soweit es beim gegenwärtigen Stand unseres Wis- sens möglich ist. Wir beginnen mit der Hippursäure, weil die Ent- stehungsweise dieser Verbindung eingehender studirt und besser be- kannt ist als die irgend eines anderen stickstoffhaltigen Endproductes. Die Constitution der Hippursäure ist uns genau bekannt; sie ergiebt sich am unzweideutigsten aus der folgenden Darstellungs- weise: CeHö — CO— N<|]-}-CH2Cl— COOH= Benzamid Monochloressigsäure C6H5-CO-N<^H,_ _ coOH+HCl. Hippursäure Beim Kochen mit starken Mineralsäuren oder mit Alkalien und bei der Einwirkung von Fermenten spaltet sich die Hippursäure Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels. Hippursäure. 287 unter Wasseraufnahme in Benzoesäure und Amidoessigsäure (Glycocoll): CoH5-CO-N<^g.^ C00H+H20= Hippursäure CoH5-COOH+H-N<^H.^_CooH. Benzoesäure Amidoessigsäure. Durch Vereinigung unter Wasseraustritt wird die Hippursäure aus den beiden Spaltungsproducten wieder hergestellt, wenn man die- selben bei hoher Temperatur unter erhöhtem Druck auf einander ein- wirken lässt. Zu diesem Zwecke werden sie im trockenen Zustande in eine Glasröhre eingeschmolzen und die Röhre wird auf mehr als 160» C. 12 Stunden erhitzt. 0 Durch Vereinigung von Benzoesäure und Glycocoll entsteht die Hippursäure auch im Thierkörper: führt man in den Magen eines Menschen oder Thieres Benzoesäure ein, so erscheint Hippursäure im Harne. Das Glycocoll zur Bildung derselben stammt ohne Zweifel aus der Zersetzung der Eiweisskörper in den Geweben. Freies Gly- cocoll konnte zwar bisher nirgendwo im Thierkörper nachgewiesen werden; ebensowenig lässt es sich bei der künstlichen Zersetzung des Eiweisses gewinnen. Wir wissen aber, dass die nächsten Abkömm- linge des Eiweisses, die leimgebenden Substanzen bei ihrer Zersetzung sowohl durch Fermente als auch durch Säuren und Alkalien reich- lich Glycocoll liefern. Mit einer Säure gepaart tritt das Glycocoll, wie wir gesehen haben, auch in der Galle auf, als Glycocholsäure. Die Hippursäure findet sich auch ohne künstliche Zufuhr von Benzoesäure stets reichlich im Harne der Pflanzenfresser. Das Ma- terial zur Bildung derselben liefern offenbar die vielerlei aromatischen Verbindungen, welche in den Pflanzengewebeu enthalten sind, und welche im Thierkörper durch Oxydation der am Benzolkern haften- den Seitenkette zu Carboxyl in Benzoesäure sich umwandeln. (Vergl. oben S. 261.) Kleine Mengen von Hippursäure finden sich indessen auch im Harne von Hunden bei reiner Fleischnahrung und beim Hunger. -j In diesem Falle stammt die Benzoesäure aus den aroma- tischen Radicalen, welche im Eiweissmolekül enthalten sind.^j Beim 1) V. Dessaignes, Journ. pharm. (3) XXXII. p. 44. 1857. 2) E. Salkowski, Berichte der deutsch, ehem. Ges. Bd. 11. S. 500. 1878. 3) E. und H. Saikowski, ebend. Bd. 12. S. 107,648,653. 1879. Zeitschr f. physiolog. Chem. Bd. 7. S. 161. 1882. E. Salkowski, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 9. S. 229. 1885. Vergl. auch Tappeiner, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 22. S. 236. 1886 und K. Baas, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 11. S. 485. 1887. 288 Siebzehnte Vorlesung. Menschen beträgt die Menge der Hippursäure im 24 stundigen Harne gewöhnlich weniger als 1 Grm., steigt aber nach Genuss gewisser Vegetabilien, namentlich Beeren und Früchten bis auf mehrere Gramme. Die Tbatsache, dass in den Magen eingeführte Benzoesäure als Hippursäure im Harne wiedererscheint, wurde bereits im Jahre 1824 von WöHLER ^) entdeckt. Diese Entdeckung wurde später durch viel- fache Versuche bestätigt und musste Aufsehen erregen, denn es war der erste synthetische Process, dessen Zustandekommen im Thier- körper sicher constatirt wurde. Seitdem ist noch eine grosse Reihe anderer Synthesen im Thierkörper entdeckt worden: ich er- innere an die Bildung der gepaarten Schwefelsäuren und Glycuron- säuren, an die Entstehung von Glycogen aus Zucker. Auch die Bil- dung von Eiweiss aus Pepton gehört wahrscheinlich hierher. Noch andere Synthesen werden wir bald kennen lernen. Es haben diese synthetischen Processe im Thierkörper in den letzten zwei Decennien das Interesse der Physiologen und Chemiker in hohem Grade in Anspruch genommen und zwar aus einem zwei- fachen Grunde: erstens standen diese Thatsachen im Widerspruche zur herrschenden Lehre Liebig 's vom durchgreifenden Gegensatz im Stoffwechsel der Pflanzen und Thiere; zweitens aber sind die Syn- thesen im Thierkörper für den Chemiker ein vollständiges Räthsel, obgleich gerade der rasche Fortschritt unserer Kenntniss der Synthe- sen organischer Verbindungen die Haupterrungenschaft, den grössten Triumph der Chemie unserer Tage bildet. Wir sind ja bereits im Stande, eine ganze grosse Reihe zum Theil sehr complicirter orga- nischer Verbindungen, die das Pflanzen- und Thierleben erzeugt, künst- lich Atom für Atom aus den Elementen aufzubauen, und die weitere Darstellung aller übrigen — auch der complicirtesten — wird nicht mehr bezweifelt; sie ist nur noch eine Frage der Zeit. Für die Er- klärung der synthetischen Vorgänge in der lebenden Zelle aber ist damit noch immer nichts gewonnen. Denn alle künstlichen Synthesen werden nur zu Stande gebracht durch Anwendung von Kräften und Agentien, die im Lebensprocess niemals eine Rolle spielen können: hoher Druck, hohe Temperatur, starke galvanische Ströme, concen- trirte Mineralsäuren, freies Chlor u. s. w. — alles Factoren, welche das Leben jeder Zelle augenblicklich vernichten. Beispielsweise die künstliche Synthese der Benzoesäure und des Glycocolls zur Hippursäure wurde, wie wir sahen, dadurch zu Stande 1) Berzelids, Lehrbuch der Chemie. Uebers. von Wöhler, Bd. 4. S. 376. Anm. Dresden 1831. Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels. Hippursäure. 289 gebracht, dass man beide Substanzen im trockenen Zustande im zu- geschmolzenen Rohre auf 160^ C. erhitzte. Also hoher Druck, hohe Temperatur, Abwesenheit von Wasser. Im Thierkörper genau das Gegentheil: Anwesenheit von Wasser — überall, in jedem Gewebs- element, in jeder Zelle — , gewöhnlicher Druck und gewöhnliche Temperatur — auch die Kaltblüter bilden Hippursäure. Wir sehen also, dass dem Thierkörper ganz andere Mittel und Wege zu Gebote stehen, zum gleichen Ziele zu gelangen. Die Erforschung derselben wäre von hohem Interesse nicht bloss für den Chemiker — diesem wären neue Methoden an die Hand gegeben zu immer complicirteren Verbindungen aufzusteigen — sondern auch für den Physiologen — über eine ganze, grosse Keihe der dunkelsten Stoffwechselvorgänge würde mit einem Schlage Licht verbreitet. Deshalb hatten Schmiedeberg und ich in einer gemeinsamen Untersuchung i) uns die Aufgabe gestellt, an einem Beispiele, an der Bildung der Hippursäure die Bedingungen zu studiren, unter denen eine Synthese im Thierkörper zu Stande kommt. Um die Benzoesäure und die Hippursäure auf ihren verborgenen Wegen durch die Gewebe des Thierkörpers verfolgen zu können, be- durften wir vor Allem einer scharfen Methode zum Nachweis und zur Bestimmung derselben. Nach vielfachen Versuchen gelang dieses. Wir sind jetzt im Besitze einer Methode -), welche uns in Stand setzt, die genannten Säuren von allen anderen Bestandtheilen des Thier- körpers zu trennen und ohne erheblichen Verlust in reinen Krystallen auf die Wage zu bringen. Um nun an die Untersuchung der Bedingungen für die Synthese herantreten zu können, musste zunächst die Frage entschieden wer- den: wo, in welchen Organen, in welchen Geweben vollzieht sich die Synthese? Es lag nahe, an die Leber zu denken. Dort bildet sich ja thatsächlich eine andere mit Glycocoll gepaarte Säure — die Gly- cocholsäure (siehe Vorles. 20) — und überhaupt ist die Leber häufig als der Ort synthetischer Processe bezeichnet worden. Wäre diese Vermuthung richtig, so müsste nach Ausschaltung der Leber aus dem Kreislaufe in das Blut eingeführte Benzoesäure unverändert in dem- selben circuliren und unverändert durch die Nieren ausgeschieden werden. An Säugethieren Hess der Versuch sich nicht ausführen, weil nach Unterbindung der Lebergefässe die Hauptmasse des Blutes im 1) BüNGE und ScHMiEDEBEKG, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. VI. S. 233. 1870. 2) Die Beschreibung der Methode findet sich 1. c. S. 23-1 — 239. ErrsGE, Phys. Chemie. 3. Auflage. 19 290 Siebzehnte Vorlesung. Pfortadersysteme sich staut nud die Circulation in den übrigen Or- ganen fast vollständig sistirt wird. Hunde starben 30 — 50 Minuten nach Ausführung dieser Operation. Man kann sagen , sie beginnen zu sterben, sobald die Pfortader unterbunden ist. Wir stellten deshalb die Versuche an Fröschen an. Diese er- tragen die vollständige Exstirpation der Leber sehr gut; sie über- leben die Operation 3—4 Tage. Ja, man sieht sie während dieser Zeit mit fast ungeschwächter Kraft umherspringen. Wenn man nun diesen entleberten Thieren durch Injection in den Rückenlymphsack. Benzoesäure beibringt, so bilden sie stets Hippursäure, besonders reichlich, wenn man ausser der Benzoesäure noch GlycocoU injicirt. Ohne vorhergegangene Injection von Benzoesäure lässt sich im Orga- nismus und in den Ausscheidungen des Frosches niemals auch nur die geringste Spur von Hippursäure nachweisen. Es folgt daraus mit Noth wendigkeit, dass die Leber nicht der Ort, jedenfalls nicht der ausschliessliche Ort der Hippursäurebildung ist. Wir fragten nun weiter: kommt die Synthese vielleicht erst in der Niere zu Stande? Diese Frage Hess sich an Warmblütern ent- scheiden. Hunde überleben die Unterbindung beider Nieren mehrere Stunden, und die Circulation in den übrigen Organen ist während dieser Zeit nicht wesentlich gestört. Wir injicirten so operirten Hunden GlycocoU und Benzoesäure ins Blut, tödteten sie nach Verlauf von 3 — 4 Stunden durch Verbluten und untersuchten sowohl das Blut als auch die Leber und die Muskeln auf Hippursäure. Niemals aber liess sich auch nur eine Spur davon nachweisen — wir fanden überall nur Benzoesäure. Es scheint somit, dass ohne die Nieren alle übrigen Organe miteinander nicht im Stande sind GlycocoU und Benzoesäure zu vereinigen, dass somit die Niere der Ort der Syn- these ist. Ein skeptischer Beurtheiler wird indessen mit diesem Schlüsse sich nicht beruhigen. Es bleibt immer noch ein Einwand offen. Es bleibt der Einwand offen, dass die Unterbindung der Nieren ein gewaltiger operativer Eingriff ist, welcher direct oder indirect Stö- rungen aller Art in allen Theilen des Organismus hervorbringen kann — Störungen, die wir gar nicht alle zu überschauen vermögen. Wir müssen deshalb die Möglichkeit zugeben, dass Störungen auch in den uns noch unbekannten Geweben hervorgebracht worden sind, in welchen die Synthese zu Stande kommt. Es blieb somit nur noch eine Hoffnung übrig, dennoch den unumstösslichen Beweis zu führen, dass die Niere der Ort der Hippur- säurebildung sei — zu zeigen , dass die von allen übrigen Organen Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels. Hippursäure. 291 getrennte, die ausgeschnittene Niere für sich allein die Synthese zu Stande bringt. Diese Hoffnung wurde in der That erfüllt. Wir tödteten einen Hund durch Verbluten, schnitten die Nieren heraus, fügten zum defibrinirten Blute Gycocoll und Benzoesäure und leiteten dasselbe durch eine der Nieren, indem wir es unter annähernd normalem Drucke in die Arterie eintreten und aus der Vene herausfliessen Hessen. Das aus der Vene geflossene Blut wurde in das Reservoir zurückgegossen, aus welchem es in die Arterie trat, und so das Durchleiten Stunden lang fortgesetzt. In dem durch- geleiteten Blute Hess sich stets Hippursäure nachweisen, ebenso in der durchströmten Niere und in der Flüssigkeit, welche während des Durchleitens aus dem Ureter floss. In der anderen Niere dagegen und in einem Theile des Blutes, welcher nicht durchgeleitet worden, Hess sich niemals eine Spur von Hippursäure nachweisen. Es war also in de?' aiisgeschnitteiien, überlebenden Niere Hipj)ursänre gebildet icorderi}) Fügten wir zum durchgeleiteten Blute nur Benzoesäure, und kein Glycocoll, so war die Menge der gebildeten Hippursäure nur gering, sehr reichlich dagegen, wenn zugleich noch Glycocoll hinzugefügt wurde. Es hatten also thatsächlich die beiden Bestandtheile unter Wasseraustritt sich vereinigt. Ob wir während des Durchleitens die Niere und das Blut auf Körpertemperatur erwärmten oder auf Zimmer- temperatur abkühlen Hessen, war gleichgültig: in beiden Fällen kam die Synthese zu Stande. Auch bewahrte die ausgeschnittene Niere auffallend lange die Fähigkeit Hippursäure zu bilden. In einem Versuche hatten wir die Niere 2 mal 24 Stunden in einem Eisschrank liegen lassen; wir leiteten Blut von einem anderen Hunde durch, welches vor 24 Stunden entleert worden war. Dennoch wurde auch in diesem Versuche noch etwas Hippursäure gebildet. Wir fragten uns nun: ist das lebende Gewebe der Niere für das Zustandekommen der Synthese wirklich unentbehrlich? Kommt es überhaupt auf die geformten Elemente und auf eine bestimmte histio- logische Anordnung an, oder betheiligt sich die Niere an dem Pro- cesse nur vermöge ihres Gehaltes an gewissen chemischen Bestand- theilen? In letzterem Falle wäre es vielleicht möglich, diese Be- standtheile zu isoliren und dann künstlich die Synthese zu bewirken. Wir zerstörten also das Nierengewebe. Wir zerhackten die Niere und zerstampften sie dann zu einem möglichst homogenen Brei. Wir fügten zu diesem Brei Blut mit Glycocoll und Benzoesäure und Hessen das Gemenge unter häufigem Umschütteln stehen. Wir modificirten 1) Eine Bestätigung dieses Resultates hat durch sorgfältige Versuche in PFLtJGER's Laboratorium Wilh. Kochs geliefert, Pfiüger's Arch. Bd. 20. S. 64. 1879. 19* 292 Siebzehnte Vorlesung. den Versuch in mehrfacher Weise, Hessen verschiedene Temperaturen einwirken , sorgten für reichlichen Sauerstoffzutritt — niemals aber wurde auch nur eine Spur ven Hippursäure gebildet. Dieser Versuch ist in Pflügek's Laboratorium von Kochs 0 wiederholt worden. Kochs fand, wenn die Niere nur zerhackt worden war, eine sehr kleine Menge Hippursäure. Wurde dagegen die Niere nicht nur zerhackt, sondern ausserdem noch „mit grossen Glasstücken in einem Mörser zu einem fast homogenen Brei zerrieben", so Hess sich keine Spur von Hippursäure auffinden, ebenso wenig, wenn die Niere vor dem Zerhacken bei — 20» C. gefroren und bei 40» wieder aufgethaut war. Es scheint also nach diesen Versuchen , dass nur die lebenden Zellen der Niere die Synthese zu Stande bringen, nicht ein chemischer Bestandtheil derselben. Wir legten uns nun die Frage vor, ob auch die Zellen des Blutes für das Zustandekommen der Synthese unentbehrlich sind. Wir leiteten also Serum, welches durch Centrifugiren von allen zeHi- gen Elementen befreit war, mit Glycocoll und Benzoesäure durch die ausgeschnittene Niere. In diesem Falle wurde keine Hippursäure gebil- det. Also auch die Zellen des Blutes spieleji bei der Synthese eine Rolle. Wir fragten nun weiter: welcher Art ist die Rolle der Blut- körperchen bei diesem Processe? Wirken sie vielleicht nur als Sauer- stoffträger? Zur Entscheidung dieser Frage leiteten Schmiedeberg und Arthur Hoffmann^) durch die Niere mit Glycocoll und Benzoe- säure versetztes Blut, in welchem der Sauerstoff durch Kohlen- oxyd verdrängt war. In diesem Falle wurde keine Hippursäure gebildet. Die Blutkörperchen wirken also in dem synthetischen Pro- cesse auch als Sauerstoffüberträger. Ob sie nur als Sauerstoffüber- träger wirken, bleibt unentschieden. Auch kann man gegen den Versuch noch einwenden, dass das Kohlenoxyd möglicher Weise nicht blos den Sauerstoff verdrängt, sondern giftige Wirkungen auf die Nierenzellen ausgeübt habe. Dass in der That gewisse Gifte den Zellen die Fähigkeit rauben können, Synthesen zu bewirken, geht aus dem folgenden Versuche von Schmiedeberg und Hopfmann her- vor. Sie leiteten durch die Niere Blut, dem ausser Glycocoll und Benzoesäure noch Chinin zugesetzt war. In diesem Versuche wurden nur sehr geringe Mengen Hippursäure gebildet. Wir wissen aus den Versuchen von C. Binz^), dass das Chinin die amöboiden Bewegungen 1) Wilhelm Kochs, 1. c. p. 70 ff. 2) Arthur Hofpmann, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. Bd. VII. S. 239. 1877. 3) C. BiNz, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 3. S. 383. 1867. Die stickstoffhaltigen Endproclucte des Stoffwechsels. Harnstoff. 293 der Zellen aufhebt. Derselbe Eingriff also, welcher die uns sicht- baren Lebenseigenschaften der Zelle aufhebt, raubt ihr auch die Fähigkeit, Synthesen zu Stande zu bringen. In Bezug auf den Ort der Hippursäurebildung im Thierkörper möchte ich noch hinzufügen, dass die ausschliessliche Bildung in der Niere nur am Hunde nachgewiesen ist. Schmiedeberg und ich haben bereits gezeigt, dass Frösche auch nach Exstirpation der Nieren Hippursäure bilden. Später hat Salomon-) gefunden, dass auch gewisse Säugethiere die Hippursäure nicht ausschliesslich in der Niere bilden. Salomon fand im Blute, in den Muskeln und in der Leber nephrotomirter Kaninchen nach Eingabe von Benzoesäure reich- lich Hippursäure. Als Hippursäure wird, wie erwähnt, beim Menschen nur ein sehr unbedeutender Theil des Stickstoffes ausgeschieden. Die Haupt- masse des Stickstoffes erscheint beim Menschen und allen Säuge- thieren im Harne als Harnstoff. Die Menge des ausgeschiedenen Harnstoffes wird deshalb als Maass des Eiweissverbrauches im Körper betrachtet. Als Eiweiss wird die Hauptmasse des Stickstoffes ein- geführt. Der Harnstoff besteht nahezu zur Hälfte seines Gewichtes aus Stickstoff. In den 100 Grm. Eiweiss, die ein Mensch täglich verbraucht, sind ca. 16 Gr. Stickstoff enthalten. Dem entsprechen 34 Gr. Harnstoff. Das ist ungefähr die Menge, die thatsächlich im 24 stündigen Harne des Menschen gefunden wird. Die Constitution des Harnstoffes ist uns bekannt. Die Bildung desselben aus Chlorkohlenoxyd (COCI2) und Ammoniak sowie aus Kohlensäureäthyläther und Ammoniak lehren übereinstimmend, dass der Harnstoff als Amid der Kohlensäure, Carbamid (CO[NH2]2) zu betrachten ist. Beim Erhitzen mit Säuren oder Alkalien oder durch Einwirkung von Fermenten geht der Harnstoff unter Aufnahme von 2 Molekülen Wasser in kohlensaures Ammon über. Der Harnstoff ist eine neutrale, krystallisirbare, in Wasser sehr leicht lösliche Ver- bindung. Es fragt sich nun, wie entsteht aus dem Eiweiss der Harn- stoff? Welche Zwischenstufen treten dabei auf? Recapituliren wir zunächst, was wir aus unseren bisherigen Betrachtungen über die Umwandlung des Eiweisses in unserem Körper bereits wissen. Wir haben gesehen, dass dasselbe durch die Verdauungsfermente in Peptone umgewandelt wird, dass die Peptone wahrscheinlich Spaltungs- producte sind und dass bei fortgesetzter Einwirkung der Verdauungs- fermente oder anderer Spaltungsfermente ein Theil des Stickstoffes 1) W. Salomon, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 3. S. 365. 294 Siebzehnte Vorlesung. in Form von Amidosäuren sich abspaltet: als Amidocaprousäure oder Leucin 0 (C5Hio[NH2]COOH), als Tyrosin, eine aromatische Amidosäure (CüH4^^ tt /-kttt ^r vom Gesammtstickstoff, bei entleherten dagegen nur 3 bis ß^lol Ganz im entgegengesetzten Sinne ändert sich nach der Leber- exstirpation der relative Gehalt des Harnes an einer anderen Stick- stoflfverbindung — an Ammoniak. Im Harne normaler Gänse betrug das Ammoniak 9 bis 18 0/0 des Gesammtstickstoff es, im Harne entleberter 60 bis 60 0/0 ! Hieraus zieht Minkowski den Schluss, ,,dass das Ammoniak eine normale Vorstufe der Harnsäure sei und dass die synthetische Um- ivandlung des Ammoniaks in Harnsäure im Organismus der Vögel nur bei erhaltener Leberfunction stattfinden kann." MINKOWSKI sagt nicht, dass die Leber der Ort der Harnsäurebildung sei. Es wäre denk- bar, dass die Functionen der Leber nur indirect mitspielen bei der Bildung der Harnsäure in anderen Organen. In diesem Sinne könnte die folgende von Minkowski beobach- tete, höchst wichtige Thatsache gedeutet werden. Es fand sich im Harne der entleberten Gänse eine sehr grosse Menge Milchsäure. Im normalen Harn der Gänse konrtte Minkowski keine Milchsäure nach- weisen, im Harne der etitleberten war ihre Menge so bedeutend, dass sie das Aequivalent der ausgeschiedenen grossen Ammoniakmenge be- trug und den Harn stark sauer machte. Die Leberexstirpation hat also thatsächlich in irgend einer, uns noch völlig unerklärlichen Weise das Auftreten grosser Mengen Milch- säure zur Folge, und die Verhinderung der Harnsäurebildung in irgend einem Organe ist vielleicht erst indirect die Folge des Auftretens der Säure. Wir haben ja bereits gesehen, dass im Organismus der Die stickstoffhaltigen Endproducte des Stoffwechsels. Harnsäure. 319 Säugethiere Säuren die Harnstoffbildung hemmen und die Ammo- niakausscheidung vermehren. Warum sollten die Säuren im Orga- nismus der Vögel nicht dieselbe hemmende Wirkung auf die Harn- säurebildung ausüben? Thatsächlich gelang es Minkowski bei einer normalen Gans durch Darreichung von Natriumcarbonat die Ammo- niakausscheidung von 1 1 "/o des Gesammtstickstoffes auf 3 "/o herab- zudrücken. Noch möchte ich anführen, dass bei Leberkrankheiten des Men- schen, insbesondere bei der acuten Leberatrophie und bei der Phosphor Vergiftung das Auftreten grosser Milchsäuremengen im Harne beobachtet worden ist.^) Sollte die vermehrte Ammoniakaus- scheidung bei der Lebercirrhose (vergl. oben S. 300) nicht auch vielleicht darauf zurückzuführen sein? Auf die Acidität und den Milchsäuregehalt des Harnes bei der Lebercirrhose ist meines Wis- sens bisher nicht geachtet worden. Ferner möchte ich bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, dass auch beim Diabetes mellitus das Auftreten grosser Mengen einer organischen Säure — Oxy buttersäure — im Harne und zugleich eine vermehrte Ammoniakausscheidung beobachtet wurde. '-^) Auch die Annahme, dass das Ammoniak die normale Vorstufe des Harnstoffes und der Harnsäure sei, kann bezweifelt werden. Es ist denkbar, dass der Stickstoff, welcher in der Norm als neutrale Verbindung aus dem Eiweissmolekül sich abspaltet, unter dem Ein- fluss der abnormen Säure als Ammoniak aus dem Spaltungsprocesse hervorgeht. Die von Minkowski beobachteten Thatsachen können also in sehr verschiedenem Sinne gedeutet werden. Minkowski selbst neigt zu der Ansicht, dass in der Norm in der Leber die Hauptmasse der Harnsäure durch Synthese aus Ammoniak und einem stickstofffreien Paarling sich bilde, und vermuthet, dass dieser letztere die Milch- säure 3) sei. Zur Begründung dieser Auffassung macht Minkowski 1) ScHULTZEN und PtiEss, Annalcu des Charite-Krankenhauses. Bd. 15. 1869. 2) E. Hallervobden, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XII. S. 268. 1880. E. Stadelmann, ebend. Bd. XVII. S. 419. 1883. Minkowski, abend. Bd. XVIII. S. 35 u. 147. 1884. Külz, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 20. S. 165. 1884. H. Wolpe, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 21. S. 138. 1886. 3) Die von Minkowski im Harne der entleberten Gänse gefundene Milch- säure war die optisch active Fleischmilchsäure. Bekanntlich giebt es drei isomere Milchsäuren : die Aethylenmilchsäure (CHa[0H]CH2C00H) oder Hydracrylsäure, welche im Thierkörper nicht nachgewiesen ist, und die beiden Aethylidenmilchsäur en (CH3CH[0H]C00H). Von diesen beiden letzteren ist die eine, die Gährungsmilchsäure, welche bei der Gährung des Milch- zuckers in der Milch sich bildet und bei der Gährung der Kohlehydrate im 320 Achtzehnte Vorlesung. geltend, dass das Ammoniak und die Milchsäure wahrscheinlich aus der gleichen Quelle stammen, aus dem Eiweiss. Die Milchsäure war, wie erwähnt, stets dem Ammoniak äquivalent; ihre Menge wuchs mit dem Eiweissgehalt der Nahrung und war unabhängig von der Zufuhr an Kohlehydraten; sie wuchs also unter denselben Be- dingungen, unter denen in der Norm die Harnsäuremenge wächst. Aus der reichen Fülle der von Minkowski festgestellten That- sachen möchte ich noch die folgenden hervorheben. Im normalen Harne der Vögel findet sich neben der Harnsäure und dem Ammoniak, welche die Hauptmasse der Stickstofifverbin- dungen bilden, stets noch eine kleine Menge Harnstoff. Der in dieser Form ausgeschiedene Stickstoff beträgt etwa 2—4 "/o vom Ge- sammtstickstoff. Nach Exstirpation der Leber blieb das Verhältniss des Harnstoffes zum Gesammtstickstoff unverändert. Der im Harne der Vögel mif tretende HarnstoJJ' wird also nicht in der Leber gebildet. In Bezug auf den Ort der Harnstoffbildung bei Säugethieren darf hieraus natürlich nichts geschlossen werden. Wird in den Organismus normaler Vögel künstlich Harnstoff eingeführt, so erscheint der Stickstoff desselben, nach den bereits erwähnten Versuchen von Meyer und Jaffe als Harnsäure im Harne wieder. Minkowski injicirte nun seinen entleberten Gänsen Harn- stofflösungen subcutan oder in den Magen: der Harnstoff erschien unverändert im Harne wieder. Auch diese Thatsache scheint dafür zu sprechen, dass in der Leber durch Synthese Harnsäure gebildet werde — kann indessen auch anders gedeutet werden. — Hoffen wir, dass Versuche mit künstlicher Durchblutung der ausgeschnittenen Vogelleber uns bald Klarheit über diese Frage bringen werden. Im besten Einklänge mit der Annahme, dass die Harnsäure oder doch ein Theil der Harnsäure bei den Vögeln in der Leber gebildet werde, steht die von Meissner^) und von Schröder 2) übereinstim- Darme, optisch unwirksam. Die andere, die Fleischmilchsäure ist optisch wirksam, sie dreht die Polarisationsebene nach rechts. Diese wird aus den Muskeln erhalten (vergl. Vorles. 21) und ist vielfach in pathologischen Producten: im Harne bei Phosphorvergiftung und Leberatrophie, bei Osteomalacie in den Knochen, bei Puerperalfieber im Schweisse und in verschiedenen pathologischen Transsudaten gefunden worden. Die eingehendsten Untersuchungen über die isomeren Milchsäuren haben J. Wislicenus (Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 166. S. 3. 1873 und Bd. 167. S. 302 u. 346. 1873) und E. Erlenmeyer (ebend. Bd. 158. S. 262. 1871 und Bd. 191. S. 261. 1878) ausgeführt. In diesen Arbeiten findet die ge- sammte Literatur über die isomeren Milchsäuren sich zusammengestellt. 1) G. Meissner, Zeitschr. f. rat. Med. Bd. 31. S. 144. 1868. 2) W. VON Schröder, Beiträge zur Physiologie, Carl Ludwig zu seinem 70. Geburtstage gewidmet von seinen Schülern. Leipzig 1887. S. 98. Das Xanthin und Hypoxanthin. Guanin. Adenin. 321 mend festgestellte Thatsache, dass der normale Harnsäuregehalt der Leber bei Vögeln stets grösser ist als der des Blutes. In Bezug auf den Ort der Harnsäurebildung bei Säugethieren gestatten diese Versuche an Vögeln keinen Schluss. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass auch bei Säugethieren die Hauptmasse der Harnsäure in der Leber gebildet werde. Die Thatsache, dass bei der Lebercirrhose die Harnsäureausseheidung nicht vermindert ist •), spricht dagegen. In allen Geweben unseres Körpers, hauptsächlich in den Kernen der Zellen finden sich in kleiner Menge zwei stickstoffreiche Basen, von denen man nach ihrer emprimirischen Formel erwarten musste, dass sie in naher genetischer Beziehung zur Harnsäure ständen. Ich meine das Xanthin und das Hypoxanthin oder Sarkin. -) Sie unterscheiden sich von der Harnsäure blos durch den geringeren Sauerstoffgehalt: Harnsäure C0H4N4O3 Xanthin C5H4N4O2 Hypoxanthin . . . . C5H4N4O. Indessen ist es bisher nicht gelungen, die drei Verbindungen in einander überzuführen. 3) Für eine gewisse Uebereinstimmung in der Constitution^) spricht jedoch die Thatsache, dass das Xanthin wie die Harnsäure bei der Oxydation Alloxan liefert, bei der Einwirkung rauchender Salzsäure Glycocoll. In naher Beziehung zum Xanthin steht eine Verbindung, welche als häufiger Begleiter des Xanthin und Hypoxanthin in den Geweben auftritt und wie diese aus dem Nuclein der Zellkerne sich abspaltet — das Guanin ^'•) (C5H5N5O). Dieses wird durch die Einwirkung von salpetriger Säure in Xanthin umgewandelt. In neuester Zeit hat Kossel^) noch eine vierte stickstoffreiche 1) J. HoRBACZEwsKi , Sitzuiigsbei'. d. Ak. d. Wissensch. in Wien. Math, nat. Cl. Bd. 98. Abth. III. Juli 1889. Separatabdruck S. 3-7. 2) "KossEL, ZeitscLr. f. physiol. Chemie. Bd. 6. S. 422. 1882. Bd. 7. S. 7. 1882. 3) Die Angabe Strecker's. es lasse sich durch nascirenden Wasserstoff die Harnsäure zu Xanthin und Hypoxanthin reduciren und das Hypoxan- thin durch Salpetersäure zu Xanthin oxj'diren, konnte Emil Fischer nicht be- stätigen (Ber. der deutschen ehem. Ges. Bd. 17. S. 328 u. 329. 1884). Vergl. auch KossEL, Zoitschr. f. pbysiol. Chcm. Bd. 6. S. 428. 1882. 4) Ueber die Constitution des Xanthin siehe Emil Fischer, Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 215. S. 253. 1882. Ber. d. deutsch, ehem. Ges. Bd. 15. S. 453. 1882 u. Arm. Gatjtier, Compt. rend. T. 98. p. 1523. 1884 (Synth ese des Xanthins). 5) A. KossEL, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 7. S. 16. 1882. Bd. 8. S. 404. 1884. 6) KossEL, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 10. S. 250. 18S6. BUKGE, Phys. Chemie. 3. Auflage. 21 322 Achtzehnte Vorlesung. Adenin. Base als Bestandtheil der Zellkerne entdeckt und dieselbe Adenin genannt. Das Adenin hat die Zusammensetzung C5H5N5 , ist also der Blausäure polymer und verhält sich zum Hypoxanthin wie das Guanin zum Xanthin: es wird durch salpetrige Säure in Hypoxan- thin umgewandelt. Das Xanthin findet sich in sehr geringer Menge constant im menschlichen Harne') und bildet in seltenen Fällen Blasensteine. Zweifellos gehören das Xanthin, Hypoxanthin, Guanin und Ade- nin , welche man gewöhnlich mit dem gemeinsamen Namen „Xan- thinkörper" bezeichnet, zu den Vorstufen des Harnstoffes oder der Harnsäure. 2) Ihre Menge in den Geweben ist viel zu gross und ihre Menge im Harne viel zu gering, als dass man annehmen dürfte, sie würden unverändert ausgeschieden. Das Guanin ist wie das Kreatin ein substituirtes Guanidin. Alle Gründe, welche für die Umwand- lung des Kreatin in Harnstoff angeführt wurden, gelten auch für das Guanin. 1) Neubauer, Zeitschr. f. analytische Chemie. Bd. 7. S. 225. 1868. 2) Vergl. Stadthagen, Virchow's Arch. Bd. 109. S. 390. 1887. Dort findet sich die gesammte Literatur über die Xanthinkörper und ihre Beziehung zur Harnsäurebildung zusammengestellt. Neiinzelinte Vorlesung. Die Function der Niere und die Zusammensetzung des Harnes. In unseren letzten Betrachtungen haben wir die Endproducte kennen gelernt, in denen die Hauptmasse des Stickstoffes durch die Nieren unseren Körper verlässt. Die Ausscheidung der stickstoff- haltigen Endproducte des Stoffwechsels ist jedoch nicht die einzige Function der Nieren. Die Nielsen haben überhaupt die Aufgabe, die Zusajnmensetzung des Blutes constant zu erhalten, alles aus dem Blute SU entfernen^ was nicht zur normalen Zusammensetzung des Blutes ge- hört, jeden abnormen Bestandtheil und jeden normalen, sobald seine Menge die Norm übersteigt. Diese Function wird gewöhnlich den Epithelzellen der Harn- canälchen zugeschrieben. Mir scheint aber, dass wir mit demselben Rechte auch an die Zellen der Capillarwand denken könnten. Es liegt kein Grund vor, der Capillarwand eine passive Rolle bei dem Secretionsprocesse zuzuschreiben. Wir wissen, dass sie aus mosaik- artig aneinandergefügten Zellen besteht und dass jede dieser Zellen ein lebendes Wesen ist, ein Organismus für sich, dem wir a priori ebenso complicirte Functionen zuzuschreiben berechtigt sind wie den Epithelzellen der Harncanälchen. Die Zellen der Capillarwand und die Epithelzellen unterziehen sich der Aufgabe, die zur normalen Zusammensetzung des Blutes nicht gehörigen Stoffe hinauszubefördern, unbekümmert um alle Ge- setze der Diffusion und Endosmose, unbekümmert um irgend welche Löslichkeitsverhältnisse. Sie scheiden alles Werthlose, Ueberschüs- sige aus: Krystalloid- und Collo'idstoffe, lösliche und unlösliche, alka- lische und saure. Zucker und Harnstoff sind beide in Wasser leicht löslich und leicht diffundirbar; sie circuliren beide beständig mit dem Blute durch die Capillaren der Niere. Der Zucker, ein werthvoller Nahrungs- stoff, wird zurückgehalten, der Harnstoff, ein Endproduct, wird aus- geschieden. Der Zweck ist klar, der Grund ist nicht zu erkennen. 21* 324 Neunzehnte Vorlesung. An eine mechanische Erklärung ist vorläufig nicht zu denken. Ueber- steigt die Menge des Zuckers die Norm, so wird auch er hinaus- befördert. Eiweisskörper bilden bekanntlich den Hauptbestandtheil des Blutplasma. Niemals aber werden sie vom gesunden Epithel hin- durchgelassen. Die normalen Eiweisskörper des Plasma treten nur dann in den Harn über, wenn das Nierenepithel durch pathologische Processe verändert oder wenn seine Ernährung gestört wurde durch gehemmte Blutcirculation und .gehemmte Sauerstoffzufuhr. 0 Das normale, genügend ernährte Epithel aber verweigert den normalen Eiweisskörpern des Plasma den Durchtritt. An der colloidalen Be- schaffenheit der Eiweisskörper liegt das nicht. Denn sobald man einen fremden, nicht zur normalen Zusammensetzung des Plasma gehörigen Eiweisskörper in das Blut gelangen lässt — Eiereiweiss, Kaseinlösung — so erscheint er im Harne wieder.-) Ja, nicht blos Colloidstoffe, sondern auch absolut unlösliche, mit Wasser nicht mischbare Substanzen werden durch die Zellenthätig- keit in die Anfänge der Harncanälchen befördert, wenn sie nicht zur normalen Zusammensetzung des Blutes gehören, wie fremde Fett- arten (Leberthran), überschüssiges Cholesterin, Harze u. s. w. Wird das Blut zu stark alkalisch — etwa durch Verbrennung „pflanzensaurer" Alkalien zu kohlensauren — so scheiden die Nie- renzellen den Ueberschuss der kohlensauren Alkalien aus dem Blute ab. Wird die Alkalescenz des Blutes herabgesetzt — etwa durch das Freiwerden von Schwefelsäure und Phosphorsäure bei der Zer- setzung des Eiweisses, der Nucleine und Lecithine — so nehmen die Nierenzellen die neutralen Salze des Blutes auf, zerlegen sie in saure 1) Heidenhain in Hermann's Handbuch der Physiologie. Bd. 5. Th. I. S. 337 u. 371. Leipzig. Vogel. 1883. 2) J. Forster, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 11. S. 526. 1875. Dort auch die früheren Angaben von Bernard, Lehmann, Stokvis und Creite citirt. Siehe ferner: R. Neu- MEiSTER, Zur Frage nach dem Schicksal der Eiweissnahrnng im Organismus. Sitzungsber. der physikal. med. Ges. z. Würzburg. 1889. Die Albuminurie tritt als Symptom so vieler und ganz verschiedener Krankheiten auf und kann so verschiedene Ursachen haben, dass ihre Besprechung am besten der speciellen Pathologie überlassen wird. Die Chemie vermag vorläufig am wenigsten zur Er- klärung der Albuminurie und ihres Zusammenhanges mit den übrigen Symptomen der betreffenden Krankheiten etwas beizutragen. Eine Zusammenstellung unseres gegenwärtigen Wissens über die Albuminurie hat H. Senator geliefert: ,.Die Albuminurie in physiologischer und klinischer Beziehung und ihre Behandlung." Aufl. 2. Berlin. Hirschwald. 1890. In Bezug auf die Methoden des Nachweises von Eiweiss im Harn verweise ich auf das bewährte Handbuch der physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse von Hoppe Seyler. Die Function der Niere. 325 und alkalische, befördern die sauren Salze in den Harn, die alka- lischen zurück ins Blut, bis die normale Alkalescenz des Blutes wiederhergestellt ist (vergl. oben S. 5—7, 97—98, 14S, 156—158). Die Epithelzellen in den verschiedenen Abschnitten der Harn- canälchen zeigen bekanntlich eine verschiedene Form und Grösse. Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass den verschiedenen Abschnitten der Harncanälchen verschiedene Functionen zukommen, dass gewisse Harnbestandtheile nur in dem einen Abschnitte ausgeschieden werden, andere in einem anderen. Thatsächlich wissen wir, dass der Car- minfarbstoff, wenn er ins Blut gelangt, in die MALPiGHi'sche Kapsel ausgeschieden wird^), Indigo 2) und Gallenfar bstoff ^) in die gewundenen Canälchen und die HENLE'schen Schleifen. Die Harnsäure sieht man bei Vögeln nur im Epithel der gewundenen Canälchen , nicht in dem der anderen Abschnitte. *) Der Zweck dieser letzteren Erscheinung ist einleuchtend: würde die Harnsäure in die MALPiGHi'sche Kapsel abgeschieden, so könnte sie dort Concremente bilden und liegen bleiben; die in die gewundenen Canälchen ausgeschiedenen Krystalle dagegen werden beständig durch die in die MALPiGHi'sche Kapsel ausgeschiedene Flüssigkeit fortgespült. Räthselhaft ist der Bau der MALPiGHi'schen Knäuel — ein Bau, wie er in ähnlicher Weise in keiner anderen Drüse wieder- kehrt. Die Erweiterung der Arterien zum Capillarsystem und die Wiedervereinigung zu einem austretenden Gefässe, welches enger ist als das eintretende, scheint darauf angelegt, den Blutstrom zu verlangsamen und den Druck zu erhöhen. Welche Bedeutung aber dieser Vorkehrung für die Harnbereitung zukommt und welche Be- standtheile im MALPiGHi'schen Knäuel gebildet oder ausgeschieden werden, — darüber können wir vorläufig nicht einmal Vermuthungen aufstellen. Ein Einfluss des Blutdruckes auf die Qualität und Quan- tität des gebildeten Transsudates lässt sich in keinem Organe des Körpers nachweisen.'') 1) Chrzonsczewski, Virchow's Arch. Bd. 31. S. 189. 1864. Wittich, Arch. f. mikrosk. An. Bd. 11. S. 77. 1875. 2) Heidenhain-, Arch. f. mikrosk. An. Bd. 10. S. 30. 1874. Pflüger's Arch. Bd. 9. S. 1. 1875. 3) MöBius, Arch. f. Heilk. Bd. 18. S. 84. 1877. 4) Wittich, Virchow's Arch. Bd. 10. S. 325. 1856. N. Zalesky, Unt. über den urämischen Process und die Function der Niere. Tübingen 1865. S. 48. Meiss- KER, Zeitschr. f. rationelle Med. (3). Bd. 31. S. 183. 1867. 5) Siehe hierüber Paschdtin, Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1872. S. 197 und Emminghaus, ebend. 1873. S. 50. 326 Neunzehnte Vorlesung. Ein directer Einfluss des Nervensystems auf die Epithelzellen, wie er für die Speicheldrüsen festgestellt und auch für die übrigen Verdauungsdrüsen wahrscheinlich ist, konnte für die Nieren bisher nicht nachgewiesen werden. Die Nierennerven scheinen nur auf die Gefässe zu wirken. — Dieser Unterschied konnte a priori erwartet werden. Die Verdauungsdrüsen bilden ihr Secret aus den normalen Bestandtheilen des Blutes. Der Anstoss zur gesteigerten Thätigkeit der Epithelzellen kann somit nicht vom Blute ausgehen, sondern vom Verdauungscanale, wo das Bedürfniss nach vermehrter Secre- tion sich geltend macht. Dazu bedarf es der vermittelnden Nerven- leitung. Ganz anders in den Nieren. Der Anstoss zur gesteigerten Thätigkeit der Nierenzellen muss von den abnormen oder über die Norm vermehrten Bestandtheilen des Blutes selbst ausgehen, welche zu entfernen die Aufgabe der Nierenthätigkeit ist. Es bedarf dazu keiner Nervenleitung.^ Wir müssen a priori erwarten, dass die Nierenthätigkeit um so lebhafter vor sich geht, je mehr auszuscheidende Stoffe im Blute enthalten sind und je grösser die Blutmenge, welche in der Zeit- einheit die Niereu durchströmt. Damit stimmen alle beobachteten Thatsachen. Was den Querschnitt der Nierengefässe vergrössert und die Geschwindigkeit des Blutstromes vermehrt — Durchschnei- dung des Splanchnicus und Reizung des Rückenmarks — vermehrt auch die in der Zeiteinheit ausgeschiedene Harnmenge. Was den Querschnitt verkleinert und die Stromgeschwindigkeit vermindert — Splanchnicusreizung, mechanische Verengerung der Nierenarterie, Durchschneidung des Halsmarkes — vermindert auch die Harnmenge. Einen besonderen, directen Einfluss des Blutdruckes in den Nie- renge fassen auf die Harnsecretion anzunehmen liegt vorläufig kein Grund vor. Aus dieser Betrachtung über die Function der Nieren ergiebt sich, dass die Zusammensetzung des Harnes eine sehr mannig- fache und wechselnde sein muss. Ausser den stickstoffhaltigen Endproducten, deren Menge hauptsächlich von der Zufuhr an Eiweiss abhängt und sehr grossen Schwankungen unterliegt, enthält er constant die bei der Zerstörung der organischen Nahrungsbestand- theile übrig bleibenden anorganischen Salze, ferner die aus der Oxydation und Spaltung der Eiweissstoffe, Nucleine und Lecithine hervorgehende Schwefelsäure und Phosphorsäure, schliess- lich noch gewisse schwer oxydable stickstofffreie Stoffwechselpro- 1) Vergl. W. VON Schrödee, üeber die Wirkung des Cofleius als Diureticum. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XXII. S. 39. 1886. Zusammensetzung des Harnes. 32: ducte, namentlich aromatische Verbindungen und Oxalsäure. Ausser den in grösserer Menge auftretenden und näher untersuchten Stoffen finden sich im Harne noch sehr zahlreiche Stoffe, welche in sehr geringer Menge erscheinen und deshalb noch kaum gekannt sind. Es kommen ferner noch zahlreiche Stoffe hinzu, die nicht regelmässig, sondern nur bisweilen unter gewissen, meist noch nicht gekannten, normalen und pathologischen Bedingungen auftreten, schliesslich noch Stoffe aller Art, die zufällig mit der Nahrung oder als Medicamente in den Körper eingeführt und nicht zerstört wor- den sind. Um nun zunächst ein Bild von der Zusammensetzung des nor- malen Harnes zu gewinnen, seien zwei Analysen angeführt, welche ich an dem Harne eines und desselben gesunden jungen Mannes bei animalischer und bei vegetabilischer Nahrung ausgeführt habe.^) Es Zusammensetzung des 24 stündigen Harnes bei Ernährung mit: Fleisch Brod Volumen Harnstoff' Harnsäure Kreatinin K2O NaaO CaO MgO Cl SO32) P2O5 1672 Ccm. 67,2 Grm. 1,398 = 2,163 = 3,308 = 3,991 = 0,328 = 0,294 = 3,817 = 4,674 = 3,437 = 1920 Ccm. 20,6 Grm. 0,253 = 0,961 = 1,314 = 3,923 = 0,339 = 0,139 = 4,996 = 1,265 = 1,658 = wurden fast sämmtliche Harnbestandtheile bestimmt, welche in der Norm in grösserer Menge auftreten. Der eine Harn war bei zwei- tägiger ausschliesslicher Ernährung mit Rindfleisch am zweiten Tage gesammelt worden. Das Rindfleisch war gebraten mit etwas Koch- salz genossen worden, als Getränk nur Brunnenwasser. Der zweite 1) In der physiologischen Literatur findet sich meines Wissens keine Harn- analyse, bei welcher in demselben Harne alle wichtigeren Bestandtheile be- stimmt wurden. Deshalb erlaube ich mir diese Analysen mitzutheilen, welche bei Gelegenheit eines Stoffwechselversuches ausgeführt, bisher aber nicht veröffent- licht wurden. 2) Es war die gesammte Schwefelsäure, mit Einschluss der gepaarten, be- stimmt worden. Der Harn wurde mit Salzsäure und Chlorbaryum zum Sieden erhitzt. 328 Neunzehnte Vorlesung. Harn war bei ausschliesslicher Ernährung mit Weizenbrod, Butter, etwas Kochsalz und Brunnenwasser am zweiten Tage gesammelt worden. Beide Harne reagirten stark sauer. Berechnet man das Aequi- valent der starken Säuren und Basen, so findet man, dass in beiden Harnen die Schwefelsäure und das Chlor allein hinreichen, alle anorganischen Basen zu sättigen. 3,308 K2O = 2,177 Na20 3,991 Na20 = 3,991 Na20 0,328 CaO = 0,364 Na20 0,294 Mgü = 0,455 Na20 6,987 NaaO 1,314 K2O = 0,865 Na20 3,923 NaaO = 3,923 Na^O 0,339 CaO = 0,376 Na20 0,139 MgO = 0,216 Na20 5,380 Na20 3,817 Cl = 3,337 NaoO 4,674 SO3 = 3,622 Na20 6,959 Na20 4,996 Cl = 4,368 Na20 1,265 803 = 0,980 Na20 5,348 Na20 Ausser der Schwefel- und Salzsäure enthalten nun aber die Harne noch sehr bedeutende Mengen Phosphorsäure und Harnsäure, ferner noch etwas Hippursäure und Oxalsäure. Sie müssten also freie Mineralsäuren enthalten, wenn dem Organismus nicht fol- gende Mittel zu Gebote ständen, das Auftreten starker Säuren im freien Zustande im Harne zu verhüten. Erstens die Bildung von Ammoniak (vergl. oben S. 296). In den vorliegenden Analysen ist leider das Ammoniak nicht bestimmt worden. Der normale Harn enthält gewöhnlich 0,4—0,9 Grm. Um die 1,6G Grm. Phosphorsäure des Brodharnes in das saure Ammoniaksalz umzuwandeln genügen gerade 0,4 Grm. NHs , den 3,44 Grm, P2O5 des Fleisehharnes sind 0,8 Grm. Ammoniak äquivalent. Ein zweites Mittel zur Verminderung der Acidität des Harnes besteht darin, dass ein Theil der Schwefel- säure durch Paarung mit aromatischen Verbindungen aus einer zwei- basischen in eine einbasische Säure sich umwandelt (vergl. oben S. 259 und unten S. 332—334 und Vorles. 20). Alkalisch wird der normale Harn nur nach Aufnahme vege- tabilischer Nahrungsmittel, welche Kalisalze verbrennlicher Säuren enthalten. Besonders reich daran sind die sauren Früchte und Beeren: sie enthalten die sauren Kalisalze der Weinsäure, Citron- säure, Apfelsäure und anderer organischen Säuren. Nach Verbren- nung der Säuren erscheint das Kali als kohlensaures Salz im Harne. Zusammensetzung des Harnes. 329 Der Harn reagirt stark alkalisch und braust auf Zusatz von Säuren. Ein stark alkalischer Harn wird ferner excernirt nach Genuss von KartoflPeln, weil die Kartoffel arm ist an Eiweiss — somit wenig Schwefelsäure liefert — und reich an apfelsaurem Kali, welches zu kohlensaurem verbrannt wird. Die wichtigsten vegetabilischen Nah- rungsmittel dagegen, die Cerealien und Leguminosen liefern einen ebenso sauren Harn wie das Fleisch, weil sie reich sind au Eiweiss und Phosphorverbindungen. Es ergeben sich hieraus einige Winke in Bezug auf die Diät von Personen, die zur Bildung von Harnsäuregries und Harnsäure- concrementen in der Blase disponirt sind. Wir sind zwar — wie ich bereits dargelegt habe (S. 306—308) — über alle Bedingungen der Harnsaureausfällung noch nicht im Klaren; soviel aber wissen wir bereits, dass ausser dem Harnsäurereichthum die Acidität des Harnes in Betracht kommt. Man wird also die Patienten solche Nahrungsmittel vermeiden lassen, die sehr eiweissreich sind und dabei arm an Basen, welche die aus dem Eiweiss gebildete Harn- säure und Schwefelsäure sättigen können. In dieser Hinsicht er- scheint mir als das schädlichste Nahrungsmittel der Käse. Bei der Bereitung des Käse sind die basischen Alkalisalze in die Molken übergegangen und der Käsestoff liefert bei seiner Verbrennung im Organismus grosse Mengen Harnsäure, Schwefelsäure und Phosphor- säure, welche nicht genügend mit Basen gesättigt werden. In ge- wissen Gegenden Sachsens, im Altenburgischen, wo die Landbevölke- rung viel Käse geniesst, sollen Blasensteine aus Harnsäure sehr häufig sein. ^) In der Schweiz sind Blasensteine selten, obgleich auch dort der Käse zur Volksnahrung gehört, vielleicht deshalb, weil neben dem Käse viel Früchte genossen werden. Einen sehr sauren und harnsäurereichen Harn liefern ferner gesalzenes Fleisch und gesalzene Fische, weil beim Einsalzen die basischen Salze — basisch phos- phorsaures und kohlensaures Alkali — in die Lake übergehen und neutrales Kochsalz an die Stelle tritt. Von russischen Aerzten habe ich mir sagen lassen, dass in gewissen Gegenden Russlands, wo das Volk viel von gesalzenen Fischen sich nährt, Harnsteine häufig vor- kommen. Will man bei den Patienten durch Zufuhr von Alkalien die Bildung von Harnsäuresedimenten in der Blase verhindern oder bereits gebildete Concremente allmählich lösen, so ist es jedenfalls 1) Lehmann, Sitzungsber. der Ges. f. Natur- und Heilkunde zu Dresden 1868. S. 56. Eine Zusammenstellung vieler Angaben über die geographische Ver- breitung der Steinkrankheit findet sich bei W. Ebstein, Die Natur und Behand- lung der Harnsteine. Wiesbaden 1884. S. 145— 156. 330 Neunzehnte Vorlesung. rationeller den Genuss von Früchten und Kartoffeln zu verordnen als den Gebrauch alkalischer Mineralwässer, von denen wir gar nicht wissen, welche Störungen ihre fortgesetzte Aufnahme hervorbringen kann. Da das Lithionsalz der Harnsäure in Wasser leichter lös- lich ist als das Natron- oder Kalisalz, so hat man geglaubt, die harnsaure Diathese behandeln zu müssen mit Darreichung von einigen Decigrammen Lithioncarbonates oder gar von Mineralwässern, die einen Centigramm Lithion im Liter enthalten. Bei dieser naiven Idee handelt es sich einfach um ein Ignoriren des BEßTHOLLET'schen Gesetzes. Wir wissen, dass in Lösungen von Basen und Säuren jede Säure auf alle Basen sich vertheilt nach Maassgabe ihrer Massen. Von der Harnsäure wird also nur der allerkleinste Tb eil an Lithion gebunden sein, der grösste Theil an die verhältnissmässig so grosse Menge von Natron, die wir als Kochsalz einführen. Der grösste Theil des Lithion aber wird an das Chlor des Kochsalzes, an Schwefel- säure und Phosphorsäure gebunden im Harne auftreten. Die Löslich- keit der Harnsäure wird nicht vermehrt werden. Unter pathologischen Bedingungen kann bekanntlich der Harn alkalisch werden durch die Umwandlung des Harn- stoffes in kohlensaures Ammon. Wir wissen, dass dieses im entleerten Harne beim längeren Stehen an der Luft regelmässig ein- tritt und dass diese Umsetzung durch gewisse Bacterien ^) bewirkt wird. Gelangen diese Organismen in die Blase, so vollzieht sich die Umsetzung schon dort, der Harn wird alkalisch, und die alka- lischen Erden, welche im sauren Harne gelöst waren, fallen als phosphor saurer Kalk und phosphorsaure Ammoniak- magnesia heraus. Hierdurch kann es zur Bildung von Harn- steinen kommen. Soviel über die Keaction des Harnes und die Stoffe, von denen dieselbe abhängt. Wir haben nun alle Bestandtheile kennen gelernt, welche in erheblicher Menge den normalen Harn zusammensetzen. Es bleibt mir noch übrig, von den zahllosen Stoffen, welche daneben 1) Siehe hierüber P. Cazenecve et Ch. Livon, Compt. rend. T. 85. p. 571. 1877. R. V. Jaksch, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 5. S. 395. 1881. W. Ledbe, Sitzungsber. d. phys. med. Soc. zu Erlangen vom 10. Nov. 1884. S. 4. und Virchow's Arch. Bd. 100. S. 540. 1895. Das Ferment lässt sich aus den Bacterien extra- hiren, während des Lebens aber geben sie es an die umgebende Flüssigkeit nicht ab. Siehe hierüber Musculus, Compt. rend. T. 78. p. 132. 1874 und Pflüger's Arch. Bd. 12. S. 214. 1876. A. Sheridan Lea, Journ. of physiol. Vol. 6. p. 136. 1885. Es scheint also, dass bei der Umwandlung von Harnstofi' in kohlensaures Ammon chemische Spannkraft in lebendige Kraft sich umsetzt und dass diese lebendige Kraft im Lebensprocess der Fermentorganismen verwerthet wird (vgl. oben S. 169). Harnfarbstoffe, ürobilin. 331 in geringer Menge auftreten, einige hervorzuheben, über deren Be- deutung und Entstehung wir bereits etwas wissen. Zunächst die Harnfarbstoffe. Die auffallenden Verschieden- heiten in der Färbung des Harnes unter verschiedenen normalen und pathologischen Bedingungen haben seit je her die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich gezogen. Man hoffte diese Verschiedenheiten der Färbung verwerthen zu können für diagnostische Zwecke. Die vielfachen Bemühungen aber , die betreffenden Farbstoffe chemisch zu isoliren und ihre Eigenschaften zu studireu, scheiterten an dem Umstände , dass ihre Menge stets nur eine sehr geringe ist. Man hat sich deshalb bisher damit begnügen müssen, diese zahlreichen Farbstoffe mit lateinischen und griechischen Namen zu belegen. Mit einer Herzählung dieser Namen will ich nicht ermüden — ich könnte doch nichts Bestimmtes und Sicheres über dieselben aussagen. Nur auf einen der Harnfarbstoffe will ich näher eingehen, weil er der einzige ist, dessen Zusammensetzung wir kennen, und weil wir sogar seine Enstehungsweise in unserem Körper angeben können. Ich meine das von Jaffe^) entdeckte Ürobilin oder Hydrobilirubin. Jaffe fand diesen rothbraunen Farbstoff constant im normalen Harne, in etwas grösserer Menge im Fieberharn. Der Stoff ist charakterisirt durch sein Absorptionsspectrum und durch die grüne Fiuorescenz, welche seine ammoniakalische Lösung, namentlich nach Zusatz von Chlorzink annimmt. Die Zusammensetzung dieses nur in sehr geringer Menge aus dem Harn dargestellten Farbstoffes wäre unbekannt ge- blieben, wenn es Malt -) nicht gelungen wäre, denselben künstlich durch Einwirkung von nascirendem Wasserstoff auf den Hauptfarbstoff der Galle, das Bilirubin darzustellen. Aus dieser Darstellung erklärt sich das constante Vorkommen des Ürobilin im Darminhalte. Denn auch im Darme wirkt, wie wir gesehen haben (S. 281), beständig nascirender Wasserstoff auf den Gallenfarbstoff ein. Die Fäces des Menschen sind hauptsächlich durch Ürobilin braun gefärbt und ent- halten meist keinen unveränderten Gallenfarbstoff mehr. Es wäre möglich, dass auch das im Harne auftretende Ürobilin aus dem Darme stammt. Gezwungen aber sind wir zu dieser Annahme nicht. Das ürobilin könnte sich auch in anderen Organen gebildet haben. That- sächlich fand Jaffe das Ürobilin in der menschlichen Galle. Hoppe- 1) M. Japf6, Virchow's Arch. Bd. 47. S. 405. 1869 und Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1868. S. 241. 1869. S. 177 und 1871. S. 465. 2) R. Malt, Centralbl. f. d. med. "Wissensch. 1871. Nr. 54. Ann. d. Chem. Bd. 163. S. 77. 1872. 332 Neunzehnte Vorlesung. Seyler 0 hat später gezeigt, dass auch aus dem Hämatin durch aascirenden Wasserstoff Urobilin sich darstellen lässt. Es ergiebt sich hieraus für die drei Farbstoffe ein einfacher genetischer Zusammen- hang ') : Hämatin C32H32N4 04Fe Bilirubin C32H36N4O6 Urobilin C32H40N4O7. Zu den Harnfarbstoffen wird gewöhnlich auch der Indigofarb- stoif 3) gerechnet, obgleich er nicht als solcher im Harne auftritt, sondern in einer farblosen Verbindung, als indoxylschwefelsaures Alkali. 4j Versetzt man den Harn mit concentrirter Salzsäure und mit einem oxydirenden Agens — Chlorkalk, Bromwasser — so spaltet sich die gepaarte Schwefelsäure und das Indoxyl wird zu Indigo oxydirt: 2C8H6NKSO4 +02= C10H10N2O2 + 2HKSO4. Indoxylschwefelsaures Kalium Indigblau Die Menge des so gebildeten Indigo ist meist sehr gering, fehlt aber im menschlichen Harne nur selten vollständig. Durch Aus- schütteln des Farbstoffes mit Chloroform erhält man eine schön blaue Lösung. lieber den Ursprung des Indigo im Thierkörper können wir nicht im Zweifel sein. Wir wissen, dass die Muttersubstanz der ganzen Indigogruppe, daslndol, durch Bacterienfäulniss aus dem Ei- weiss sich abspaltet und constant im Darminhalte sich findet.^) Das resorbirte Indol wird in den Geweben zu Indoxyl oxydirt. Dieses ist ein der Oxydation des Benzol zu Phenol vollkommen analoger Vorgang: C8H7N -t- 0 = CsHeCOHjN. Indol Indoxyl. Das Indoxyl aber vereinigt sich wie die meisten aromatischen 1) Hoppe-Seyler, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. Bd. 7. S. 1065. 1874. 2) Dieser genetische Zusammenhang wird in dem folgenden Vortrage ein- gehender bebandelt. Dort wird auch das Auftreten von Blut- und Gallenfarb- stoff im Harne unter pathologischen Bedingungen besprochen. 3) Ueber die Synthese und die chemische Constitution des Indigblau siehe Adolf Baeyer, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. Bd. 13. S. 2254. 1880 u. Bd. 14. S. 1741. 1881. 4) E. Baumann und L. Brieger, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 3. S. 254. 1879. Dort findet sich auch die ältere Literatur über die indigobildende Sub- stanz des Harnes angeführt. 5) S. Radziejewsky, Du Bois' Arch. 1870. S. 37. W. KtJHNE, Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 8. S. 206. 1875. Nemcki, ebend. Bd. 8. S. 336. 1875. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 8. S. 417 u. Bd. 9. S. S. 1884. Indigofarbstofif. Gepaarte Schwefelsäuren. 333 hydroxylirten Verbindungen — Phenol, Kresol, Brenzkatechin u. s. w. — unter Wasseraustritt mit der Schwefelsäure (vergl. oben S. 259). Jaffe') zeigte, dass nach subcutaner Injection von Indol die ge- paarte Indoxylverbindung reichlich im Harne erscheint. In grösserer Menge hat man die Indoxylverbindung ferner im Harne auftreten sehen bei Ileus. Es könnte sein, dass dieses Auf- treten grösserer Indigomengen auch in diagnostischer Hinsicht sich verwerthen Hesse, dass der Abschnitt des Darmes, an welchem der Verschluss eingetreten, daran erkennbar wäre. Jaffe zeigte näm- lich, dass bei Hunden eine vermehrte Ausscheidung der Indoxyl- verbindung nach Unterbindung des Dünndarmes eintrat, nicht aber nach Unterbindung des Dickdarmes. Es erklärt sich dieses daraus, dass das Eiweiss, welches das Material zur Indolbildung liefert, nicht bis in den Dickdarm gelangt, sondern schon früher resorbirt wird. Bei Unterbindung des Dünndarms dagegen stagnirt das Eiweiss und unterliegt der Fäulniss. Dem entsprechend hatte Jaffe die ver- mehrte Indigoausscheidung auch beim Menschen nur bei Verschluss des Dünndarmes beobachtet, nicht bei Koprostasen im Dickdarm. Wie das Indol so entstehen auch alle übrigen aromatischen Ver- bindungen, die als gepaarte Schwefelsäuren im Harne auftreten durch Eiweissfäulniss im Darme. Baumann -) zeigte, dass, wenn man den Darm eines Hundes durch Eingabe von Calomel reinigt und desinficirt, die gepaarten Schwefelsäuren aus dem Harne vollständig verschwinden. Steigert man die Darmfäulniss dadurch, dass man die antiseptische Salzsäure des Magensaftes durch Eingabe von Cal- ciumcarbonat neutralisirt, so sieht man die Menge der gepaarten Schwefelsäure im Harne wachsen.^) Man ersieht hieraus, dass die Bestimmung der gepaarten Schwefelsäuren im Harne in vielfacher Hinsicht diagnostisch sich verwerthen lässt. Wir gewinnen dadurch einen Einblick in die Intensität der Bacterienfäulniss im Darme. Will man z. B. zum Zweck einer Resection den Darm zuvor des- 1) M. Jappe, Virchow's Arch. Bd. 70. S. 72. 1877. 2) E. Baumann, Die aromatischen Verbindungen im Harne und die Darm- fäulniss, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 10. S. 123 — 133. 1SS6. Diese kurze und klare Darstellung Baümann's sei dem Anfänger besonders empfohlen. Ausgehend von derselben wird man leicht den Weg zur gesammten Literatur über das Ver- halten der aromatischen Verbindungen im Thierkörper finden. Vgl. auch Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 15. S. 264 u. 265. 1891. 3) A. Käst, üeb. d. quantitative Bemessung der antiseptischen Leistung des Magensaftes. I'estschrift zur Eröffnung des neuen allg. Krankenhauses zu Ham- burg-Eppendorf. 1889. Vergl. die Einwände von C. von Noorden, Zeitschr. f, klin. Med. Bd. 17. Hft. 6. 1890. 334 Neunzehnte Vorlesung. inficiren, so kann man an dem Schwinden der gepaarten Schwefel- säuren erkennen, dass die Desinfection gelungen sei.') Es fragt sich nun: wo, in welchen Organen kommt die Paa- rung der im Darme gebildeten aromatischen Verbindungen mit der Schwefelsäure zu Stande? Soviel steht fest, dass es nicht erst in der Niere geschieht. Denn nach Einführung von Phenol findet sich Phenolschwefelsäure im Blute.^) Das Phenol ist ein heftiges Gift. Das phenolschwefelsaure Salz dagegen wirkt nicht giftig. Baümann empfiehlt daher schwe- felsaures Natron als Gegengift bei Phenolvergiftungen; er hatte gefunden, dass Hunde, denen man Phenol durch Einpinselung der Haut beibringt, dieses Gift besser ertragen und mehr Phenol- schwefelsäure liefern, wenn man ihnen gleichzeitig schwefelsaures Natron eingiebt. Dieses wäre nicht zu erklären, wenn die Paarung erst in der Niere vor sich ginge. In der Leber fand Baumann weit mehr gepaarte Schwefelsäure als im Blute. Es wird hierdurch wahrscheinlich, dass in der Leber die Synthese erfolgt, dass die vom Darme kommenden giftigen aro- matischen Verbindungen dort einer Umwandlung in unschädliche Ver- bindungen unterliegen, bevor sie in den allgemeinen Blutstrom ge- langen (vergl. unten Vorles. 20). Wir haben in den bisherigen Betrachtungen nur zweierlei Schwe- felverbindungen als Bestandtheile des Harnes kennen gelernt: die Salze der gewöhnlichen zweibasischen Seh wefesäure und der einbasischen gepaarten Schwefelsäuren. Die Menge der in letzterer Form auftretenden Schwefelsäure beträgt im Harne des Menschen im Durchschnitt Vio von der Menge der ungepaarten Schwefelsäure. 3) Die Zahl der Schwefelverbindungen im Harne ist aber eine weit grössere. Fällt man den mit Essigsäure angesäuerten Harn mit Chlorbaryum, so fällt die einfache Schwefelsäure heraus. Wird nun das mit Salzsäure stark angesäuerte Filtrat zum Sieden erhitzt, so spalten sich die gepaarten Schwefelsäuren und es fällt auch dieser Theil der Schwefelsäure als Barytsalz heraus. Wird das Filtrat hiervon eingedampft und mit Salpeter geschmolzen, so erhält man noch eine bedeutende Menge Schwefelsäure. Diese dritte Gruppe der Seh wefel Verbindungen enthält beim Menschen ungefähr 10 — 20o/o des gesammten im Harne ausgeschiedenen Schwe- fels. Noch weit bedeutender ist die Menge dieser organischen Schwe- 1) A. Käst u. H. Baas, Münchener med. Wochenscbr. Jahrg. 1888. Nr. 4. 2) Badmann, Pflüger's Arch. Bd. 13. S. 258. ISTü. 3) R. V. D. Velden, Virchow's Arch. Bd. 70. S. 343. 1877. Taurin. Cystin. 335 felverbinduDgen beim Hunde und Kaninchen.*) Was wissen wir nun über diese organischen Schwefelverbindungen? In welcher Beziehung stehen sie zum Ei weiss einerseits und zur Schwefelsäure andererseits? Es ist vorläufig nicht viel, was sich zur Beantwortung dieser Fragen aussagen lässt. Versuchen wir es, unser lückenhaftes Wissen zusammenzufassen und zu überschauen. In den schwefelreicheren Eiweissarten, z. B. in den Albuminen des Serums und des Hühnereiweisses müssen wir zweierlei, in ver- schiedener Weise gebundene Schwefelatome annehmen 2), oxydirte und unoxydirte. Erhitzt man das Eiweiss mit Kalilauge, sospal- tet sich das eine Schwefelatom als schwefelsaures Kalium ab, das andere als Schwefelkalium. Das letztere ist leicht beim Kochen mit alkalischer Bleioxydlösung erkennbar: es fällt als schwarzes Schwe- felblei heraus. Die schwefelärmeren Eiweissarten — z.B. der Käse- stofif, das Eiweiss der Hämoglobine, das Legumin der Hülsenfrüchte — geben diese Reaction nicht. Unter den organischen Spaltungspro- ducten des Eiweisses im Thierkörper begegnen wir dem oxydirten Schwefelatom als Taurin, dem unoxydirten als Cystin. Kocht man das Cystin mit alkalischer Bleioxydlösung, so fällt schwarzes Schwe- felblei heraus. Das Taurin, welches wir ja bereits als Amidoäthy- sulfonsäure kennen gelernt haben (S. 190), kann diese Reaction natür- lich nicht geben. Das Cystin hat die Zusammensetzung: CsHeNSO-i.^) Im nor- malen Organismus kommt es nicht vor.*) Nur unter gewissen nicht näher bekannten abnormen Bedingungen erscheint ein sehr bedeu- tender Theil des ausgeschiedenen Schwefels als Cystin im Harne. Es scheint aber, dass auch im normalen Stoffwechsel bei der Bildung der schwefelhaltigen Endproducte als Durchgangsstufe eine Verbindung auftritt, welche dem Cystin sehr nahe steht, von dem- selben sich nur unterscheidet durch einen Mehrgehalt von einem Atom Wasserstoff— das Cystein. Es erscheint nämlich im Harne 1) Siehe Von und Bisceoff, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers. Leipzig 1860. S. 279. Von, Zeitschr. f. Biol. Bd. 1. S. 127 u. 129. 1865. Bd. 10. S. 216. Anm. 1874. Salkowski, Virchow's Arch. Bd. 58. S. 460. 1873. Kunkel, Pflüger's Arch. Bd. 14. S. 344. 1877. R. Lupine, Gu^kin et Flavaed, Eevue de medicine T. I. p. 27 et 911. 1882. 2) Die neuesten und sorgfältigsten Untersuchungen über das Verhalten des Schwefels in den Eiweisskörpern hat A. KRtJGER (Pflüger's Arch. Bd. 43. S.244. 1888) ausgeführt. Leider ist jedoch Kküger bei seiner Untersuchung nicht von reinem Material ausgegangen. Vergl. oben b. 181 u. 182. 3) E. KüLz, Zeitschr. f. Biol. Bd. 20. S. 1. 1884. 4) Stadthagen, Zeitschr. f. physiolog. Chem. Bd. 9. S. 129. 1884. 336 Neunzehnte Vorlesung. von Hunden nach Einführung von Brombenzol ein substituirtes Cyste'in. Das Cyste'in betrachtet Baumann'), dem wir die ein- gehendsten Untersuchungen über die Entstehung des Cystin verdan- ken, als eine Milchsäure, in welcher ein H durch NH2 und das OH durch SH ersetzt ist: CH3 i^NH2 r ^^ einem Falle weniger als Vso von der Menge der Neutralfette. Es folgt hieraus, dass avf dem Wege von der Daj'mjläche zum Ductus thoracicus eine Synthese der Fettsäuren mit Glycerin erfolgtJ) Etwas Genaueres über den Ort 1) EiDDER und Schmidt , Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau u. Leipzig 1S52. S. 333. Pettenkofer u. Voit, Ann. d. Chem. u. Pharm. Suppl. II. S.361. 1862. 2) Munk, Virchow's Arch. Bd. SO. S. 17. ISSO. 3) Munk, 1. c. p. 28 ft'. 4) Zu demselben Resultate kommt auch 0. Minkowski (Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. XXI. S. 373. 1886), welcher Gelegenheit hatte, Versuche an einem Patienten anzustellen, bei welchem offenbar in Folge von Ruptur eines Chylus- gefässes hochgradiger Ascites eingetreten war. Durch Punction wurde eine grosse Menge Chylus entleert. Nachdem diesem Patienten freie Erucasäure war ein- gegeben worden, Hess sich das neutrale Glycerid dieser Säure im^ Chylus qualitativ nachweisen. 374 Zweiundzwanzigste Vorlesung. der Synthese wissen wir vorläufig nicht. Wir müssen an die Epi- thelzellen, das adenoide Gewebe der Darm wand oder die Lymph- drüsen des Mesenteriums denken. Nach einer vorläufigen Mittheilung von Ewald') kommt diese Synthese auch in der ausgeschnittenen, überlebenden Darmschleimhaut zu Stande. Aus welcher Quelle das Glycerin zu dieser Synthese stammt, wissen wir nicht. Jedenfalls ersieht man aus dem Versuche Munk's, dass das Glycerin in den Fetten unseres Körpers nicht immer aus den Fetten der Nahrung zu stammen braucht. Es könnte auch aus der Spaltung von Eiweiss und Kohlehydraten hervorgehen. Ueberhaupt sind uns die Schicksale des Glycerins in unserem Körper noch gänzlich unbekannt und wir können zur Zeit nicht sagen, was aus dem Glycerin wird, welches im Darm aus den Fetten sich abspaltet. Bringt man grössere Mengen Glycerin in den Magen eines Menschen oder Hundes, so tritt Durchfall ein und von dem resorbirten Glycerin geht ein Theil unverändert in den Harn über.-) Kleinere Mengen — beim Hunde höchstens 1,5 Grm. auf 1 Kgrm. des Körpergewichtes — werden ertragen ohne diese Folgen. MuNK hat schliesslich noch den Nachweis geführt, dass das synthetisch gebildete Fett auch in den Geweben des Körpers abge- lagert wird. 3) Ein 16 Kgrm. schwerer Hund wurde durch 19tägigen Hunger unter Verlust von 32^/0 des Anfangsgewichtes fettarm gemacht. Darauf erhielt er im Laufe von 14 Tagen 3200 Grm. Fleisch und 2850 Grm. Fettsäuren aus Hammeltalg. Dabei stieg das Körper- gewicht wieder um IT^o. Als dann der Hund getödtet wurde, zeigte er einen ausserordentlich entwickelten Panniculus adiposus, reichliche Fettablagerung in den Eingeweiden und exquisite Fettleber. Aus den mit Messer und Schere abtrennbaren Fettablagerungen konnten durch Auslassen fast 1100 Grm. eines bei Zimmertemperatur festen Fettes gewonnen werden, welches erst bei 40*^ anfing zu schmelzen, während normales Hundefett schon bei 20° dickflüssig wird. Es folgt hieraus, dass die eingeführten Fettsäuren mit im Körper gebil- detem Olycerin vereinigt und abgelagert worden sind. Wollte man die Fettablagerung in dem Sinne deuten, dass die eingeführten Fett- säuren nur eiweissersparend gewirkt hätten, und alles abgelagerte Fett ausschliesslich aus dem Eiweiss stamme, so wäre es nicht zu 1) C. A. Ewald, Du Bois' Arch. 1883. S. 302. 2) B. Luchsinger, Experimentelle und kritische Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Glycogens. Inaug.-Diss. Zürich 1875. S. 38ff. Mdnk, Virchow's Arch. Bd. 80. S. 39ff. 1880. L. Aknschink, Zeitschr. f. Biol. Bd. 23. S. 413. 1887. 3) J. MüNK, Du Bois' Arch. 1883. S. 273. Die Fettbildung im Thierkörper. Eiweiss. 375 versteben, warum nicht normales Hundefett, sondern Hammeltalg ab- gelagert wurde. MuNK bat noch einen zweiten Versuch'), mit R ü b ö 1 fiitterung an einem durch Hunger fettarm gemachten Hunde angestellt. In diesem Falle wurde ein Fett in den Organen abgelagert, von wel- chem V5 bei Zimmertemperatur flüssig waren. Beim Erwärmen auf 23*^ löste sich Alles und bei 14"^ schied sich wieder ein körnig-kry- stallinischer Bodensatz ab. Dieses Fett enthielt 82,4^0 Oelsäure und 12,50/0 feste Säuren, während normales Hundefett nur 65,8Vo Oel- säure und 28,8 7o feste Säuren im Mittel aufweist. Ueberdies Hess sich Erucasäure (C22H42O2) — ein Bestandtheil des Rüböls, der im Thierfett fehlt — darin nachweisen. Zwei ganz ähnliche Versuche mit gleichem Resultate hatte be- reits vor MuNK Lebedefp -) an zwei Hunden ausgeführt, von denen der eine mit Leinöl, der andere mit Hammeltalg gefüttert wor- den war. In den Geweben des ersteren fand sich ein Fett, das bei 0" noch nicht erstarrte, in denen des zweiten ein Fett, dessen Schmelz- punkt über 50*^ lag. Aus allen diesen Versuchen geht also ganz unzweifelhaft her- vor, dass das Nahrungsfett als solches resorbirt und abgelagej't wird. Wir wenden uns nun zur zweiten Frage, ob aus dem Eiweiss Fett im Thierkörper sich bilden könne. Auf die Vermuthung, dass das Fett auch aus dieser Quelle stamme, musste man durch die Be- obachtung der unter pathologischen Bedingungen auftretenden fet- tigen Degeneration kommen, bei welcher in den Zellen und Fasern der Gewebe Fett an die Stelle des Eiweiss tritt. Als zwin- genden Beweis aber für die Entstehung von Fett aus Eiweiss dürfen wir diese Thatsache nicht gelten lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass im lebenden Körper jedes Gewebselement direct oder indireet mit jedem anderen im stofflichen Austausche steht. Wir müssen die Möglichkeit zugeben, dass bei der fettigen Degeneration das Ei- weiss oder seine Zersetzungsproducte aus den degenerirenden Ge- webselementen auswandern und Fett oder seine Componenten aus anderen Gewebselementen einwandern. Ein Beweis für die Entstehung des Fettes aus Eiweiss bei der fettigen Degeneration konnte erst erbracht werden durch eine genaue quantitative Untersuchung des gesammten Stoffwechsels bei einem Processe der Fettmetamorphose, welcher in kurzer Zeit alle Organe 1) J. MuNK, Virchow's Arch. Bd. 95. S. 407. 1884. 2) A. Lebedepf (Laboratorium von Salkowski in Berlin), Med. Centralbl. 1882. Nr. 8. 376 Zweiundzwanzigste Vorlesung. des Körpers ergreift — bei der Ptiosplior Vergiftung. Die sorg- fältigste Untersuchung über diesen Vorgang hat in Voit's Laboratorium zu München J. Bauer') ausgeführt. Bauer bestimmte bei hungern- den Hunden die Stickstoff- und Kohlensäureausscheidung und die Sauerstoffaufnahme. Er vergiftete sie darauf mit Phosphor, welcher während mehrerer Tage in kleinen Dosen eingegeben oder in Oel gelöst subcutan injicirt wurde, und es zeigte sich, dass in Folge dessen die Stickstoffausscheidung auf das Doppelte stieg 2), während die Kohlensäureausscheidung und die Sauerstoffaufnahme auf die Hälfte sanken. Es wurde also unter der Einwirkung des Phosphors aus einer grossen Eiweissmenge der Stickstoff mit einer geringen Kohlenstoffmenge abgespalten, ein stickstofffreier Rest aber unver- brannt im Körper zurückgehalten. Wenn die Thiere einige Tage nach der Eingabe des Phosphors zu Grunde gegangen waren, so er- gab die Section eine allgemeine Verfettung aller Organe. In einem Falle enthielten die trockenen Muskeln 42,4^/0 , die trockene Leber 30 ''/o Fett, während im normalen trockenen Hundemuskel nur 16,7^/0 und in der normalen trockenen Leber nur 10,4^/0 Fett gefunden wurden. Es war also bei der Phosphorvergiftumi Fett aus Eiweiss gebildet worden. Der Einwand, dass das Fett aus dem fettreichen Bindegewebe in die Muskeln und die Leber könnte eingewandert sein, ist zurückzuweisen, denn der Hund hatte vor dem Beginn der Phosphorvergiftung bereits 12 Tage gehungert und starb am 20. Hun- gertage. Nach 12tägigem Hunger aber ist erfahrungsgemäss bei Hunden das mit blossem Auge sichtbare Fett im Unterhautzellge- webe und im Mesenterium beinahe vollständig geschwunden. Aehnlich wie der Phosphor scheinen die demselben chemisch so nahe verwandten Elemente Arsen und Antimon zu wirken, welche letzteren jedoch nicht als freie Elemente eingeführt zu werden brauchen, sondern auch im oxydirten Zustande vermehrte Stickstoff'- ausscheidung und fettige Degeneration der Organe hervorrufen.^) 1) JoH. Bauer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 7. S. 63. 1871 und Bd. 14. S. 527. 1878. 2) Die vermehrte Stickstoffausscheidung nach PhosiDhorvergiftung wurde be- reits vor Bauer nachgewiesen durch 0. Storch, „Den acute Phosphorforgiftning" etc. Diss. Kjobenhavn. 1865. Ein Keferat der Arbeit findet sich im Deutsch. Archiv f. klin. Med. Bd. II. S. 264. 1867. Einen Theil des Originals hat F. A. Falck in deutscher Uebersetzung abdrucken lassen im Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. Bd. VII. S. 377. 1877. Eine Bestätigung der Resultate Storch's und Bauer's wurde in neuerer Zeit geliefert von Paul Cazeneuve, Revue mensuelle de medec. et de Chirurg. IV. p. 265 u. 444. 1880. 3) Gähtgens, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1875. S. 529. Kossel, Archiv f. exper. Path. u. Pharmak. Bd. V. S. 128. 1876. Gähtgens, ebend. Bd. V. S. 833. Die Fettbildung im Thierkörper. Eiweiss. 377 Wie diese Wirkuug zu erklären sei, darüber können wir vorläufig auch nicht einmal Vermuthungen aussprechen. Die Untersuchungen über die Phosphorvergiftung beweisen nur die Entstehung von Fett aus Eiweiss unter diesen ganz bestimmten abnormen Bedingungen. Es fragt sich: findet diese Umwandlung auch unter normalen Bedingungen statt? Ganz unzweifelhaft wird die Entstehung von Fett aus Eiweiss unter normalen Bedingungen durch folgenden, einfachen Versuch bewiesen, welchen Fk. Hofmann') an niederen Thieren, an Fliegen - maden anstellte. Es gelingt leicht, die im Sommer haufenweise auf einen Cadaver gelegten Eier der Museida vomitoria ohne Ver- unreinigung abzuheben. Von einem Quantum so gewonnener Eier benutzte Hofmann einen Theil zur Bestimmung des Fettgehaltes. Den anderen Theil der Eier Hess er auf Blut sich entwickeln. Der Fettgehalt des Blutes war gleichfalls bestimmt worden. Nachdem die Maden ausgewachsen waren, wurde auch in ihnen der Fettgehalt bestimmt. Es stellte sich heraus, dass der Fettgehalt in den aus- gewachsenen Maden 10 mal so gross war als in den Eiern und dem Blute zusammengenommen. So entwickelten sich beispielsweise in einem Versuche in 52 Grm. Blut, welche 0,017 Grm. Fett enthielten, 0,02 Grm. Eier mit 0,001 Grm. Fettgehalt, und die ausgewachsenen Maden enthielten 0,201 Grm. Fett. Dieses Fett kann sich nur aus dem Eiweiss des Blutes gebildet haben. Wir dürfen nicht an den Zucker des Blutes denken, denn 50 Grm. Blut enthalten nur selten mehr als 0,07 Grm. Zucker und auch diese viel zu geringe Menge musste sich sehr rasch zersetzt haben. Ausserdem hatten die Maden „lange nicht alles Blut verzehrt". Dass auch beim Säugethier unter normalen Ernährungsver- hältnissen Fett aus Eiweiss sich bilden könne, haben Pettenkofer und VoiT^j aus folgenden Versuchen an Hunden geschlossen. Sie fütterten dieselben mit sehr grossen Mengen reinen Muskelfleisches und bestimmten mit Hülfe des Respirationsapparates sämmtliche Ein- nahmen und Ausgaben. Es ergab sich, dass aller Stickstoff des Fleisches in den Ausgaben wiedererschien, nicht aber aller Kohlen- stoff. So erhielt beispielsweise in einem Versuche ^) ein 34 Kgrm. 1876 und Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1876. S. 321 und Salkowsky, "Virchow's Arch. Bd. 34. S. 73. 1865. 1) Fkanz HoFMA>'N, Zeitscbr. f. Biolog. Bd. S. S. 159. 1872. 2) Pettenkofer und Von, Liebig's Ann. Suppl. II. S. 361. 1862. Zeitschr. f. Biolog. Bd. 6. S. 377. 1870 und Bd. 7. S. 433. 1871. Vergl. auch Erwin Voit, Münchener med. Wochenschr. 1S92. Nr. 26. 3) Zeitschr. f. Biolog. Bd. 7. S. 487. 1871. 378 Zweiundzwanzigste Vorlesung. schwerer Hund täglich 2500 Grm. Fleisch; er schied sämmtlichen Stickstoff dieser Fleischmenge aus, von den damit aufgenommenen 313 Grm. Kohle aber nur 271 Grm. Es fehlten also 42 Grm. Diese waren als stickstoflffreie Verbindung im Körper zurückgeblieben — wie Pettenkofer und Voit schliessen — als Fett. Man könnte nur noch einwenden: warum gerade als Fett — warum nicht als Glycogen? Die Menge des Glycogens, welche im Körper des Fleisch- fressers aufgespeichert wird, ist ja nicht unbedeutend und schwankt innerhalb weiter Grenzen. Böhm und Hopfmann^} fanden bei der Katze 1,5 — 8,5 Grm. pro Kgrm. des Körpergewichtes. Die 42 Grm. Kohle entsprechen ca. 100 Grm. Kohlehydraten. Wollen wir also annehmen, sie seien in dieser Form aufgespeichert worden, so müsste ein Zuwachs an Glycogen von 3 Grm. pro Kgrm. des Körpergewichtes stattgehabt haben, was nicht unmöglich scheint. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieser Glycogenzuwachs an einem Tage statt- gehabt haben müsste. Das Thier hatte am vorhergegangenen Tage dasselbe Futter erhalten. Eine so grosse Aenderung des Glycogen- gehaltes war also nicht wahrscheinlich. Zur sicheren Entscheidung der Frage müssten die Versuche längere Zeit fortgesetzt werden. Die Frage, ob die im Körper zurückgehaltene Kohle als Fett oder Glycogen aufgespeichert worden, Hesse sich ferner sicher ent- scheiden, wenn es möglich wäre, eine genaue Stofifwechselgleichung für den Sauerstoff aufzustellen. Der Unterschied im Sauerstoff- gehalte des Fettes und Glycogens ist ein sehr grosser. Aus der Menge des im Körper verbliebenen Sauerstoffes müsste sich also be- rechnen lassen , in welcher Form die Kohle abgelagert worden. Vorläufig aber haben wir keine Methode, den Sauerstoffgehalt der Nahrung direct zu bestimmen, und auch der inspirirte Sauerstoff wird nach Pettenkofek's Methode aus der Differenz berechnet. Gegen den Versuch von Pettenkofer und Voit muss schliess- lich noch geltend gemacht werden, dass das Fleisch doch wohl nicht ganz frei von Fett und Kohlehydraten war. Die Bildung von Fett aus Eiweiss im Organismus des Säugethieres unter normalen Verhältnissen ist also noch nicht sicher bewiesen.^) Sie ist aber in hohem Grade wahrscheinlich, weil sie bei niederen Thieren unter 1) Böhm und Hoffmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. VIII. S. 290. 1878. 2) Die übrigen Versuche, welche für die Bildung von Fett aus Eiweiss gel- tend gemacht werden, sind gleichfalls nicht unzweideutig. Vergl. noch Subbotin, Virchow's Arch. Bd. 36. S. 561. 1866 und Kemmerich, Centralbl. f. d. med. Wissen- schaft. 1866. S. 465 und 1867. S. 127. Vergl. auch die Kritik von Pflügek, Püüger's Arch. Bd. 51. S. 229 und 317. 1891. Die Fettbildung im Tbierkörper. Eiweiss. 379 normalen und beim Säugethier unter pathologischen Bedingungen thatsäehlich zu Stande kommt. Für die normale Bildung von Fett aus Eiweiss muss ferner geltend gemacht werden, dass aus Eiweiss — wie wir gesehen haben (S. 356 — 357) — Glycogen und aus Gly- cogen und überhaupt aus Kohlehydraten — wie wir gleich sehen werden — Fett entsteht. Eine chemische Erklärung der Bildung von Fett aus Eiweiss ist vorläufig nicht möglich. Jedenfalls dürfen wir uns den Process nicht so einfach vorstellen, als würde das Fett gleichsam als ein präfor- mirtes Radical aus dem riesengrossen Eiweissmoleküle abgespalten. Es handelt sich um tiefgreifende Spaltungen, Umwandlungen und darauffolgende Synthesen, über deren Verlauf wir vorläufig auch nicht einmal Vermuthungen aufstellen können. Es bleibt uns nun noch die dritte und letzte Frage zu entschei- den übrig, ob auch die Kohlehydrate im Thierkörper in Fett sich umwandeln. Von den sehr zahlreichen Untersuchungen, welche zur Entscheidung dieser Frage angestellt wurden, seien nur die folgen- den angeführt, welche ganz unzweideutige Resultate ergeben haben. N. TscHERWiNSKY ') Stellte Versuche mit jungen Schweinen an. Zu einem dieser Versuche wählte er zwei 10 Wochen alte Ferkel aus einem Wurfe, von denen Nr. I 7300 Grm. wog und Nr. 11 7290 Grm. Man konnte also annehmen, dass beide nahezu gleich viel Fett und Eiweiss enthielten. Nr. I wurde getödtet und das Fett im ganzen Thiere bestimmt, ebenso der Stickstoff und aus dem Stick- stoffe das Maximum an Eiweissstoffen berechnet. Nr. II wurde hier- auf 4 Monate mit Gerste gefüttert. Die Gerste war analysirt wor- den. Die Menge der verzehrten Gerste wurde bestimmt. Es wurde ferner durch Analyse der gesammelten Excremente die Menge des unverdaut gebliebenen Fettes und Eiweisses bestimmt. Auf diese Weise wurde constatirt, wieviel Fett und Eiweiss das Thier in den 4 Monaten resorbirt hatte. Darauf wurde das 24 Kgrm. schwer ge- wordene Thier getödtet und der Eiweiss- und Fettgehalt im ganzen Körper bestimmt. Nr. II enthielt 2,52 Kgrm. Eiweiss und 9,25 Kgrm. Fett Xr. I = U.96 "^ ^ :^ 0,69 = - Angesetzt waren also .... 1,56 = = ? 8,56 = « In der Xabrung aulgenommen . 7,49 s = = 0,66 = » Differenz —5,93 +7,90 2) N. TscHERwiNSKY, Landw. Vcrsuchsstationen. Bd. 29. S. 317. 1883. Aehn- liche von anderen Autoren angestellte Versuche ergaben dasselbe Resultat. Siehe hierüber: F. Soxhlet, Zeitschr. d. landwirthschaftlicben Vereins in Bayern 1881. August-Heft. B. Schulze, Landw. Jalu'b. 1882. 1, 57. St. Chamewsej, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 20. S. 179. 1884. 380 Zweiundz wanzigste Vorlesung. Es waren also 7,9 Kgrm. Fett im Körper angesetzt worden, die nicht aus dem Fett der Nahrung stammen konnten. Aus den 5,93 Eiweiss der Nahrung, die nicht als Eiweiss angesetzt waren, konnten die 7,9 Kgrm. Fett nur zum allerkleinsten Theil gebildet worden sein. Es müsse?i also ivenifjstens 5 Kgfm. Fett avs den Kohlehydraten der Nahrmuj entstanden sein. Diese Quantität ist so gross, dass alle Zweifel und Bedenken schwinden müssen. Völlig hinfällig ist ins- besondere der naheliegende Einwand, die dem ganzen Versuche zu Grunde gelegte Annahme von der Gleichheit im Eiweiss- und Fett- gehalte beider Thiere sei eine willkürliche. Einen anderen Weg zur Entscheidung der Frage schlugen Meissl und Strohmer >) ein. Sie fütterten ein zum Fettansatz besonders dis- ponirtes Thier, ein 1 Jahr altes, 140 Kgrm. schweres, verschnittenes, männliches Schwein der Yorkshire-Race 7 Tage mit einer an Fett und Eiweiss armen, an Kohlehydraten reichen Nahrung, — mit Reis. Das Thier erhielt an jedem Tage die gleiche Menge von 2 Kgrm. Der Reis war analysirt worden. Harn und Fäces wurden gesammelt und analysirt. Am 3. und 6. Versuchstage wurde das Thier in den Pet- TENKOFER'schen Respirationsapparat gebracht, um auch die Kohlen- säureausscheidung zu bestimmen. Es stellte sich heraus, dass von dem täglich aufgenommenen Kohlenstoffe 289 Grm. und von dem Stickstoff 6 Grm. im Körper verblieben. Den 6 Grm. Stickstoff ent- sprechen 38 Grm. Eiweiss mit 20 Grm. Kohle. 269 Grm. Kohle müssen somit täglich als Fett im Körper zurückgeblieben sein. — Als Glycogen kann nicht an jedem Tage eine so grosse Kohlen- stoffmenge aufgespeichert worden sein. — Woraus könnte sich nun dieses Quantum Fett gebildet haben? Verdaut waren von der täg- lichen Nahrung 5,3 Grm. Fett und 104 Grm. Eiweiss. Von letzterem waren 38 Grm. als solches angesetzt worden. Die übrigen 66 Grm. Eiweiss und die 5,3 Grm. Fett können nicht 269 Grm. Kohle zum Ansatz des Fettes geliefert haben. Dasselbe muss also aus den Kohlehydraten stammen. Da die Meinung oft vertreten worden ist, es käme die Bildung von Fett aus Kohlehydraten nur bei Herbivoren und Omnivoren, nicht bei Carnivoren zu Stande, so sei noch des folgenden Ver- suches kurz erwähnt, den Rubner '-) an einem Hunde mit Hülfe des Respirationsapparates angestellt hat. Das Thier hatte zwei Tage gehungert und wurde darauf mit Rohrzucker und Stärke gefüttert. 1) E. Meissl und F. Strohmer, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. in Wien. Bd. 88. III. Abth. 1883. Juli-Heft. 2) Max Rubner, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 22. S. 272. 1886. Fettleibigkeit. 381 Es wurde eine bedeutende Menge Kolilenstoff zurückgehalten. Sie war viel zu gross, als dass sie als Glycogeu konnte angesetzt worden sein. Es war also Fett aus Koklehi/drate?i gebildet woi'deii. Die Bildung von Fett aus Kohlehydraten ist für den Chemiker ein vollständiges Räthsel und beweist besser als alles Andere, dass in der thierischen Zelle ebenso verwickelte synthetische Processe verlaufen als in der Pflanzenzelle. Es ist vielfach versucht worden unsere Kenntniss über die Bil- dung der Fette zu verwerthen zur Entscheidung der Frage nach den Ursachen der Fettleibigkeit beim Menschen und nach den Mitteln zur Bekämpfung und Verhütung derselben. Man ist hierbei in den verhängnissvollen Irrthum verfallen, die Ursache der Fettlei- bigkeit in einer zu reichlichen Nahrungsaufnahme oder gar in einer unpassenden Zusammensetzung der Nahrung — einer zu reichlichen Aufnahme von Kohlehydraten oder von Fetten — zu suchen. Dass ein Mensch alles isst, was ihm schmeckt und soviel ihm schmeckt, ist etwas durchaus Gesundes und Normales und führt bei sonst nor- maler Lebensweise niemals zur Fettleibigkeit. Warum will man eine normale Function anschuldigen, die Ursache eines pathologischen Processes zu sein! Die Ursache der Fettleibig keit ist in allen Fällen ohjie Ausnahme ein ungenügender Gebrauch der Muskeln. Ein Mensch, der sich körperlich anstrengt, wird bei keiner Ernährungsweise fett- leibig. Dass die Disposition zur Fettleibigkeit eine sehr verschiedene sein kann, ist unbedingt zuzugeben. Daraus'folgt aber nichts weiter, als dass eben nicht jeder ungestraft die Organe, welche die Hälfte unseres Körpergewichtes ausmachen, darf atrophiren lassen. Eine Disposition zur Fettleibigkeit, die nicht durch Muskelanstrengung könnte überwunden werden, kommt nicht vor. Man zeige mir auch nur einen einzigen fettleibigen Feldarbeiter! Man darf nicht sagen, dass diese Leute alle schlecht ernährt seien ! Viele von ihnen nähren sich so gut, als Menschen überhaupt sich nähren können. Jedenfalls ist ihre Nahrung niemals arm an Kohlehydraten, meist auch nicht arm an Fetten. Unterstützt wird der Fettansatz bekanntlich durch die Aufnahme von Alkohol. Eine befriedigende Erklärung dieser Alkoholwirkung lässt sich vorläufig nicht geben. Es liegt nahe, dem Alkohol, als einer leicht verbrennlichen Substanz, eine ersparende Wirkung auf die organischen Nahrungsstoffe zuzuschreiben, welche ja sämmtlich in Fett sich umwandeln können. Es könnte aber auch sein, dass der Alkohol in ähnlicher Weise die Fettbildung befördert, wie wir es an anderen Giften gesehen haben: Phosphor, Arsen, Antimon, 382 Zweiundzwanzigste Vorlesung. (vergl. oben S. 127—128 und S. 375—377). Zum grossen Theil ist die begünstigende Wirkung des Alkohols bei der Fettbildung darauf zurückzuführen, dass derselbe durch seine lähmende Wirkung auf das Gehirn den Menschen träge macht, unlustig zu jeder Anstrengung. Die Therapie') der Fettleibigkeit ist also eine sehr einfache. Man verbiete den Patienten vollständig alle alkoholischen Getränke und verlange, dass sie sich körperlich anstrengen. In vielen Fällen wird das Verbot des Alkohols allein schon genügen. Die Freude an der Muskelarbeit erwacht damit von selbst. Bei bereits einge- tretener Verfettung und Schwäche des Herzens wird man allerdings in Bezug auf die Verordnung von Muskelanstrengungen mit Vorsicht zu Werke gehen müssen und nicht plötzlich forcirte Bewegungen anrathen. Ueberhaupt ist die Fettleibigkeit nicht durch eine kurze sogenannte Cur, etwa durch sportmässiges Bergsteigen während weniger Wochen im Jahre zu bekämpfen. Die Cur muss solange dauern als das Leben und einfach darin bestehen, dass die Muskeln zu dem gebraucht werden, wozu sie von der Natur bestimmt sind. Das gerade will aber der reiche Patient nicht, ebenso wenig wie auf seinen Alkohol verzichten. Deshalb haben die Aerzte die wun- derlichsten Entfettungscuren ersonnen, durch welche vielleicht schon viele tausend Menschen zu Tode curirt worden sind. Das Verkehrte bei allen diesen Curen besteht darin, dass man eine Abnormität durch die andere zu compensiren sucht: die ungenügende Muskel- arbeit durch ungenügende Nahrung oder abnorm zusammengesetzte Nahrung oder gar durch unvollständige Verdauung der Nahrung — salinische Abführmittel — die Aufnahme von Alkohol durch Ent- ziehung der Kohlehydrate oder der Fette u. s. w. — Man soll nur die erste Abnormität vollständig und für immer beseitigen und im Uebrigen nicht störend eingreifen in die Selbstregulirung des Or- ganismus. 1) Vergl. G. Gaertner, Ueber die therapeutische Verwendung der Muskel- arbeit und einen neuen Apparat zu ihrer Dosirung. Wien 1887. Selbstverlag des Verfassers. Oder: Allgem. Wiener medicinische Zeitung. Nr 49 u. 50. 1887. Dreiimdzwanzigste Vorlesung. Diabetes mellitus. In unseren Betrachtungen über den Stoffwechsel in der Leber und über die Quelle der Muskelkraft haben wir das Verhalten der Kohlehydrate in unserem Körper und die Verwerthuog derselben unter normalen Verhältnissen kennen gelernt. Wir sind jetzt darauf vorbereitet, an die sehr verwickelten Untersuchungen über das Ver- halten der Kohlehydrate unter pathologischen Bedingungen heran- zutreten. Ich meine insbesondere die Untersuchungen über die Ur- sachen und das Wesen des Diabetes mellitus, welche alle Ge- biete der physiologischen Chemie berühren und eine Literatur') hervorgebracht haben, die bereits eine ganze, grosse Bibliothek bildet und mit deren Keferat man dicke Bände füllen könnte. Wir wollen uns bei diesen Betrachtungen auf die chronische Form das Diabetes beschränken. Eine vorübergehende Glycosurie tritt als Folgeerscheinung — bisweilen als ganz nebensächliches Sym- ptom — bei Leiden der allerverschiedensten Art-) auf — bei In- fectionskrankheiten, Störungen der Verdauungsthätigkeit, Neuralgien, Hirnerschütterungen , Gehirnhämorrbagien , Cerebrospinalmeningitis, 1) Eine Zusammenstellung der wichtigsten Arbeiten über den Diabetes melli- tus findet sich bei Cl. Berxaed, Legons sur le diabete. Paris 1877. Ed. Külz. Beiträge zur Pathologie u. Therapie des Diabetes mellitus. Marburg 1874 u. 1875. Frerichs, üeb. d. Diabetes. Berlin 1884. Frerichs hat nicht weniger als 400 Fälle von Diabetes selbst beobachtet und seine reichen Erfahrungen in diesem Werke übersichtlich, klar, kritisch und vor Allem mit classischer Objectivität nieder- gelegt. Dasselbe sei auch dem Anfänger warm empfohlen. Reichen Stoff zum Nachdenken und zu neuer Fragestellung wird er aus demselben schöpfen. Vergl. auch F. W. Pavy, Unters, üb. den Diabetes mellitus. Deutsch von W. Langenbeck. Göttingen 1864. J. Seegen, Der Diabetes mellitus. Aufl. 2. Berlin 1875 u. Arnoldo Cäntani, Der Diabetes mellitus. Deutsch von S. Hahn. Berlin 1880. 2) Eine übersichtliche Zusammenstellung und Beschreibung aller Formen der transitorischen Glycosurie findet sich bei Frerichs, Lc. p. 25—61. 384 Dreiundzwanzigste Vorlesung. epileptischen Anfällen, psychischer Erregung, bei Vergiftungen mit den verschiedensten Stoffen 0 u. s. w. Eine befriedigende Erklärung für den Zusammenhang der Glycosurie mit allen diesen Störungen ist bisher nicht gefunden worden und es würde uns viel zu weit führen auf alle Krankheiten, zu deren Symptomen die transitorische Glycosurie gehört, hier einzugehen. Aber auch wenn wir uns auf diejenige tiefgreifende chronische Stoffwechselanomalie beschränken, welche man als Diabetes im engeren Sinne bezeichnet, so kann es nicht unsere Aufgabe sein, ein vollständiges Bild dieser Krankheit mit ihren äusserst mannig- faltigen und wechselnden Symptomen und Folgekrankheiten zu ent- werfen. Wir stellen uns nur die Aufgabe, die Hauptresultate der experimentellen Untersuchungen zusammenzufassen, welche zur Entscheidung der Frage nach den Ursachen und dem Wesen dieser Krankheit ausgeführt worden sind. Die pathologische Anatomie giebt uns bisher keinen Auf- schluss. Es giebt kein Organ, welches nicht bei der Obduction der Leichen Diabetischer bisweilen anatomische Veränderungen gezeigt hätte; aber es giebt auch kein Organ, das nicht häufig bei der Ob- duction solcher Leichen normal erschienen wäre. Auch lässt es sich nicht immer mit Sicherheit entscheiden, ob die gefundenen anatomi- schen Veränderungen die Ursache oder erst die Folge des geänderten Chemismus sind. -) Wir wollen uns daher darauf beschränken, die Versuche zu be- sprechen, welche von Seiten der physiologischen Chemie zur Lösung der Diabetesfrage gemacht worden sind. Man ist hierbei stets ausgegangen von dem am meisten in die Augen springenden Symptom, dem Auftreten des Zuckers im Harn. Der normale Harn enthält, wie bereits erwähnt, keinen oder nur Spuren von Zucker. Beim Diabetes treten oft sehr bedeutende Mengen auf: sie schwanken von wenigen Grammen bis zu 1 Kgrm. im 24 stündigen Harn. Dieser Zucker ist stets der rechtsdrehende Traubenzucker. 3) Bei vielen Patienten schwindet der Zucker aus 1) Unter diesen Stoffen muss das Phloridzin hervorgehoben werden, dessen diabetische Wirkung auch auf glycogenfreie Thiere bereits erwähnt wurde. S. 355, 2) Eine sehr übersichtliche und lehrreiche tabellarische Zusammenstellung von 55 Sectionsbefunden findet sich bei Frerichs, I.e. p. 144—183. 3) J. Seegen giebt an, in einem Falle von „Diabetes intermittens" links- drehenden Zucker im Harne gefunden zu haben. Centralbl. f. d. med. "Wissen- schaft. 1884. Nr. 43. Vergl. E. Külz, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 27. S. 228. 1890. Dort eine kritische Zusammenstellung aller Angaben über das Vorkommen von linksdrehendem Zucker im Harne. Diabetes mellitus. 385 dem Harn bei Ausschluss der Kohlehydrate aus der Nahrung — „leichte Form" — bei anderen dauert die Zuckerausscheidung auch bei ausschliesslicher Fleischnahrung fort — „schwere Form". — Wir fragen also, was ist die Ursache des Auftretens so grosser Zucker- mengen im Harn? Zwei Annahmen sind überhaupt nur denkbar. Entweder die Nieren haben die Fähigkeit eingebüsst, den Uebertritt der normalen Zuckermenge des Blutes in den Harn zu verhindern, oder die Nieren- function ist die normale, aber die Menge des Zuckers im Blute ist über die Norm gesteigert. Wir müssen uns für die zweite Annahme entscheiden. Denn wäre die erstere richtig, so müsste die Zuckermenge im Blute beim Diabetiker unter die Norm sinken. 0 Sie wurde aber thatsächlich stets über die Norm gesteigert gefunden. Das normale Blut des Menschen und des Hundes enthält 0,05 bis 0,15 7o Zucker, das Blut des Dia- betikers 0,22 bis 0,44 >. -) Steigert man beim Hunde künstlich durch Injection von Zuckerlösung den Zuckergehalt des Blutes auf mehr als 0,3 Vo, so geht Zucker durch die normalen Nieren in den Harn über. Beim Diabetes konnten Erkrankungen der Nieren, wenigstens in den ersten Stadien des Leidens niemals nachgewiesen werden. Es steht also sicher fest: Die Ursache des Außretens von Zucker im Harn beim Diabetes ist eine abnorme Steigerum) der Zuckermenge im Blute. Wir fragen nun weiter: wodurch ist die Menge des Zuckers im Blute gesteigert? Auch auf diese Frage sind nur zwei Antworten denkbar: entweder handelt es sich um eine vermehrte Zuckerbildung oder um eine verminderte Zuckerzerstörung. Die erstere Annahme ist unhaltbar. Denn woraus sollte denn die grosse Zuckermenge sich bilden? Aus den anderen Kohle- hydraten der Nahrung — dieses wäre ja ein ganz normaler Processi Aus den Fetten — dieses ist thatsächlich nicht der Fall. Diabetiker vertragen sehr grosse Fettmengen. Sie verdauen und zerstören die- 1) Ein solches Sinken des Zuckergehaltes im Blute unter die Norm findet beim Phloridzindiabetes statt. (Vergl. oben S. 356). Dieser ist daher ein ganz anderer Proccss als der ..natürliche" Diabetes und kann zur Erklärung des letzteren nicht direct verwerthet werden. Beim Phloridzindiabetes bandelt es sich wahrscheinlich um Störungen in den Nierenfunctionen. Vergl. Minkowski, Berl. klin. Wochenschr. IS92. Nr. 5. Separatabdruck S. 6— S und „Untersuchungen üb. d. Diabetes mellitus". Leipzig. Vogel. 1S93. S. 64 ff. 2) Carl Bock und Fror. Albin Hoffmann, Experimentelle Studien über Diabetes. Berlin 1874. S. 61. Frerichs, 1. c. p. 269. BcxGE, Phys. Chomie. 3. Auflage. 25 386 Dreiundzwanzigste Vorlesung. selben sehr vollständig. ') Es bleiben also nur noch die Eiweisskörper übrig. Wollen wir annehmen, ein Diabetiker verzehre im Laufe eines Tages 300 Grm. Eiweiss-) — eine kaum zu bewältigende Menge — so könnten sich daraus doch nicht mehr als etwa 200 Grm. Zucker bilden. Denn ein grosser Theil des Kohlenstoffes muss doch mit dem Stickstoff sich abspalten. Dadurch aber, dass allmählich im Laufe des Tages 200 Grm. Zucker ins Blut gelangen, wird kein Mensch diabetisch , solange die Zuckerzerstörung die normale ist. Bei einem Menschen, der sich von Kartoffeln nährt, bilden sich tag- täglich 600 bis 1000 Grm. Zucker aus dem Stärkemehl der Nahrung und doch geht kein Zucker in den Harn über. Es bleibt also nur die Annahme übrig: die Ursache der Steige- rung des Zuckergehaltes im Blute beim Diabetes ist eine vei^minderte Zuckerzerstörung. Völlig aufgehoben ist die Fähigkeit, den Zucker zu zerstören, niemals; sie ist nur mehr oder weniger herabgesetzt. Külz^) hat gezeigt, dass auch bei hochgradigem Diabetes die Menge des Zuckers im Harn stets weniger beträgt, als den Kohlehydraten der Nahrung entspricht. Nun fragen wir weiter: wodurch ist die Fähigkeit, den Zucker zu zerstören, herabgesetzt? Auch auf diese Frage scheinen nur zwei Antworten möglich. Uns sind nur zwei Processe bekannt, durch welche die Zerstörung der Nahrungsstoffe in unseren Geweben zu Stande kommt: die Spaltung und die Oxydation. Einer dieser beiden Processe muss herabgesetzt sein. Was zunächst die Oxydation betrifft, so konnte nach den bis- herigen Beobachtungen und Versuchen eine Herabsetzung dieses Processes beim Diabetes nicht festgestellt werden. Die Endproducte der EiweissverbrennuDg sind die normalen, das Fett scheint voll- ständig zu Kohlensäure und Wasser oxydirt zu werden. Versuchs- weise eingeführte „pflanzensaure" und milchsaure Salze erschienen 1) Pettenkoper und Voit, Zeitschrift f. Biolog. Bd. .3. S. 406, 408, 416, 428, 436. 1876. L. Block (Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 25. S. 470. 1880) fand, dass von 120 bis 150 Grm. Fett nur 9 Grm. im Koth beim Diabetilier wieder- erschienen. 2) Die Menge des 24 stündigen Harnstoffes beträgt beim Diabetiker selten mehr als 100 Grm., entsprechend 300 Grm. Eiweiss. Pettenkoper und Voit (1. c. p. 424) fanden bei einem hochgradig Diabetischen, den sie „nach Geschmack und Belieben essen liessen", 46 bis 80 Grm. Harnstoff. 3) KüiiZ, Beitr. z. Fathol. und Therap. d. Diabetes mellitus. Marburg 1874. S. 110—119. Diabetes mellitus. 387 als kohlensaure Salze im Harn wieder.^) Benzol wird zu Phenol oxydirt. ■-) Sogar gewisse Kohlehydrate — Lävulose, Inolin, Inosit — und der den Kohlehydraten so nahe stehende Mannit werden zer- stört. ^) Warum kann nur der Traubenzucker nicht oxydirt werden? Gegen die Annahme einer gehemmten Oxydation spricht auch noch der Umstand, dass bei Krankheiten, welche thatsächlich mit Störungen der äusseren und inneren Athmung verbunden sind, nie- mals eine Zunahme des Zuckers im Blute und ein Uebergang von Zucker in den Harn sich nachweisen Hessen^), ebensowenig bei künst- lichen Respirationsstörungen. '") Es scheint somit nur die Annahme übrig zu bleiben, der Trauben- zucker könne deshalb nicht zerstört werden, weil seine Spaltung ge- hemmt sei; die Spaltung müsse der Oxydation voraus gehen; sei erstere gehindert, so könne letztere nicht zu Stande kommen, ob- gleich weder die äussere noch die innere Athmung gestört sei. Diese Ansicht suchte 0. Schultzen ß) durch vergleichende Be- obachtungen am Diabetiker und am Phosphorvergifteten zu stützen. Bei der Phosphorvergiftung ist thatsächlich, wie wir bereits gesehen haben (vergl. oben S. 376) , die Oxydation herabgesetzt. Dennoch tritt beim Phosphorvergifteten kein Zucker im Harn auf, statt dessen Milchsäure, welche Schultzen für ein normales Spaltuugsproduct des Traubenzuckers hielt. Schultzen sagte also: der Phosphorver- giftete hat das Oxydationsvermögen eingebüsst, nicht aber das Spal- tungsvermögen, der Diabetiker umgekehrt das Spaltungsvermögen, nicht aber das Oxydationsvermögen. Deshalb erscheint im Harne des Phosphorvergifteten das normale Spaltungsproduct, im Harne 1) 0. Schultzen, Berliner klin. Wochenschr. 1872. Nr. 35. Nencki u. Siebee, Zeitschr. f. prakt. Chem. Bd. 26. S. 34. 1882. 2) Kencki und Sieber, 1. c. p. 36. 3) E. KüLz, Beitr. z. Pathol. u. Therap. d. Diabetes meUitus. Marburg 1874. S. 127—175. Der Versuch mit Mannit scheint mir nicht beweisend, weil nach Aufnahme desselben „Borborygmen, Flatus und Diarrhoe- eintraten. Es ist mög- lich, dass der eingeführte Mannit im Verdauungscanal durch Gährungsorganismen zum grössten Theil zerstört wurde. Kleine Mengen Hessen sich unverändert im Harne nachweisen. In Bezug auf den Inosit vergl. auch E. Külz, Sitzungsber. d. Ges. z. Beförderung d. ges. Naturw. z. Marburg. 1876. Nr. 4. 4) V. Mering, Arch. f. Physiol. 1877. S. 381. 5) Senator, Virchow's Arch. Bd. 42. S. 1. 1868. 6) 0. ScHDLTZEN, 1. c. Schou vor Schultzen wurde die Ansicht, dass der Zucker nur nach vorhergegangener Spaltung oxydirt werden könne, ausgesprochen in einer aus C. Ludwig's Laboratorium veröffentlichten Arbeit von Scheremet- jEWSKi (Arb. aus d. physiol. Anstalt z. Leipzig. Jahrg. 186S. Leipzig 1869. S. 145). Vergl. auch Nencki und Sieber, 1. c. p. 39. 25* 388 Dreiundzwanzigste Vorlesung. des Diabetikers — trotz ungestörter Oxydation — der unveränderte Traubenzucker. In gleichen Sinne könnte auch der folgende Versuch von Petten- KOFER und VoiT^) gedeutet werden. Dieselben zeigten mit Hülfe ihres Respirationsapparates, dass ein Diabetiker weniger Sauerstoff aufnahm und Kohlensäure ausschied als ein Gesunder bei gleicher Ernährung. Nicht weil die Sauerstoflfaufnahme herabgesetzt war, wurde weniger Zucker zerstört, sondern umgekehrt, weil die Bildung oxydabler Spaltungsproducte vermindert war, konnte weniger Sauer- stoff verbraucht werden. Diese Theorie hat etwas Bestechendes. Indessen lassen sich doch Bedenken dagegen erheben. Gegen die Annahme, dass die Spaltung der Oxydation vorausgehen müsse, spricht die in unserer früheren Betrachtung über die innere Athmung (S. 262) bereits er- wähnte Thatsache, dass gewisse Substanzen nach Einführung in den Organismus mit Glycuronsäure gepaart im Harn erscheinen. Die Glycuronsäure ist zweifellos ein Oxydationsjjroduct des Zuckers, nicht aber ein Spaltumjsproduct. Noch sind alle 6 Kohlenstojfatome bei- sammen und doch hat die Oxydation bereits begonnen. Nur die Paarung hindert ihre Vollendung. Sobald der Paarling abgespalten wird, so ist die Oxydation durch nichts mehr aufzuhalten. Nencki und Siebee sagen: „Wir zweifeln nicht daran, dass, wenn der Diabetiker Zucker in Milchsäure zu spalten vermöchte, er ihn hernach auch vollständig oxydiren würde." 2) Aber die Milch- säure ist offenbar gar nicht das normale Spaltungsproduct des Zuckers im Organismus. Die Fleischmilchsäure, welche constant in den Organen vorkommt, stammt, wie bereits erwähnt (S. 320), wahrschein- lich aus dem Eiweiss. Wir wissen über die Richtung und Reihen- folge, in welcher unter normalen Verhältnissen die Spaltung und Oxydation des Zuckers im Organismus verläuft, vorläufig noch nichts und das ist ein Haupthinderniss, über die Abweichungen im Chemis- mus des Diabetikers auch nur zu einer fruchtbaren Fragestellung zu gelangen. Sehr beachtenswerth ist das Auftreten von Substanzen im dia- betischen Harn, welche offenbar Producte unvollständiger Oxydation sind: Oxybuttersäure, Acetessigsäure und Aceton.^) Sie 1) Pettenkoper und Voit, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 3. S. 428, 429, 431 u. 432. 1867. 2) Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 26. S. 37. 1882. 3) Stadelmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 17. S. 419. 1883 und Zeitschr. f. Biolog. Bd. 21. S. 140. 1885. Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Diabetes mellitus. 389 stammen wahrscheinlich aus den Eiweisskörpern , denn ihre Menge ist unabhängig von der Zufuhr von Kohlehydraten und wächst mit dem Ei Weisszerfall. ') Sie treten nicht in allen Fällen von Diabetes auf, sondern nur in gewissen, hauptsächlich zu den schweren ge- hörigen Fällen, bei denen eine vermehrte Eiweisszersetzung statt hat (siehe nächste Seite). Die Oxybutter säure im diabetischen Harn ist die links- drehende Betaoxybuttersäure (CHs— CH(OH)— CH-i— COOH). Die Acetessigsäure (CH3 — CO — CH2 — COOH), welche sich künst- lieh durch Oxydation aus der Betaoxybuttersäure darstellen lässt, zerfällt leicht in Aceton und Kohlensäure: CH3— CO— CH2— COOH = CH3— CO— CH3 4- CO2. Die Acetessigsäure und das Aceton im diabetischen Harn sind daher wahrscheinlich im Organismus auf demselben Wege entstanden. In den letzten Stadien des Diabetes, beim Coma (s. unten S. 401 bis 404), wächst die Menge der Oxybuttersäure, während die Menge des Aceton abnimmt.-) Auch dieses scheint für eine zunehmende Herabsetzung des Oxydationsvermögens zu sprechen. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass das Auftreten von Oxybuttersäure, Acetessigsäure und Aceton nicht eine Eigenthümlich- keit des Diabetes ist, sondern auch bei vielfachen anderen Leiden beobachtet wurde. 3) Das Auftreten dieser anomalen Stoffwechsel- producte steht mit dem Wesen der diabetischen Erkrankung vielleicht in gar keinem directen Zusammenhange, sondern nur mit gewissen Complicationen, welche häufig zum Diabetes hinzutreten. Auf der anderen Seite aber ist zu bedenken, dass alle die Krank- heiten, bei denen Acetonurie beobachtet wurde — fieberhafte Infec- tionskrankheiten, Carcinom, Psychosen mit Inanition u. s. w. — ein Pharm. Bd. 18. S. 35 u. 147. 1884. E. KüLz, Zeitschr. f. Biol. Bd. 20. S. 165. 1884 und Bd. 23. S. 329. 1886 u. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 18. S. 291. 1884. RüD. VON Jaksch, Ueber Acetonurie u. Diaceturie. Berlin. Hirschwald. 1885. H. WoLPE, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 21. S. 138. 1886. Feeeichs, 1. c. p. 114—118. 1) G. Rosenfeld, Deutsche med. Wochenschr. 1855. Nr. 40. Wolpe, 1. c. p. 150 u. 155. Dort auch die frühere Literatur citirt. Ferner M. J. Rossbach, Correspondenzblatt des allgem. ärztlichen Vereins für Thüringen. 1887. Nr. 3. Chem. Centralbl. 1887. S. 1437. 2) Wolpe, Unters, üb. d. Oxybuttersäure des diabetischen Harnes. Diss. Königsberg 1886. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 21. S. 157. 1886. 3) R. V. Jaksch, Ueber Acetonurie u. Diaceturie. Berlin 1885. S. 54—91. KüLZ, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 23. S. 329. 1886. A. Baginsky, Du Bois Arch. 1887. S. 349. 390 Dreiundzwanzigste Vorlesung. Schwinden der Gewebe, eine allgemeine Cachexie, kurz einen ver- mehrten Zerfall stickstoffhaltiger Gewebsbestandtheile mit einander gemeinsam haben. — Auch beim hungernden Gesunden^) ist das Auf- treten von Acetessigsäure im Harne beobachtet worden. — Ein ver- mehrter Eiweisszerfall scheint nun auch beim Diabetes einzutreten. Wenigstens wurde in drei Fällen der schweren Form durch sorgfäl- tige Versuche constatirt, dass der Diabetiker mehr Stickstoff aus- schied als ein Gesunder, der genau die gleiche Nahrung aufnahm. Den ersten derartigen Versuch stellte Gaehtgens ''^) auf der Klinik zu Dorpat an, der zweite wurde von Pettenkofer und Voit 3) aus- geführt, der dritte auf Frerichs' Klinik.^) Man könnte diese Versuche dahin deuten, dass der vermehrte Eiweisszerfall beim Diabetiker erst die Folge der ungenügenden Zuckerzerstörung sei; weil die chemische Spannkraft des Zuckers nicht ausgenutzt werde, müsse das Eiweiss herhalten, um die nöthige lebendige Kraft zur Verrichtung der Functionen zu gewinnen. — Dieses wäre dem Verhalten der normalen Muskeln vollkommen analog, welche ja — wie wir sahen — gleichfalls den Eiweissvorrath an- greifen, sobald der Vorrath an stickstofffreier Nahrung ein ungenü- gender ist. — Aber diese Erklärung ist nur eine teleologische, keine physikalisch-chemische, keine Erkenntnis« desCausalzusammenhanges. Wir müssen die Möglichkeit zugeben, dass der vermehrte Eiweiss- zerfall die erste Störung im Chemismus der Organe bildet, welche den Marasmus der Gewebe und alle übrigen Störungen einleitet. Wir müssen ferner die Möglichkeit zugeben, dass das Auftreten der Oxy- buttersäure, der Acetessigsäure und des Acetons beim Diabetiker nicht eine Folge gehemmter Sauerstoffzufuhr ist, ebensowenig wie bei den genannten anderen Krankheiten. Der Sauerstoffzutritt zu den Geweben ist vielleicht der normale, aber die Menge der gebildeten Zerfallproducte ist über die Norm gesteigert und der Theil derselben, welcher unvollständig oxydirt ins Blut gelangt, kann dort nicht weiter oxydirt werden, weil, wie wir bereits sahen (vergl. oben S. 249), im Blute keine Oxydationen mehr Statt haben. 1) Man lese hierüber die interessante Angabe in dem Berichte über die in Berlin an dem „Hungerkünstler", Herrn Cetti, angestellten Untersuchungen. Berliner klinische Wochenschrift. 1887. Bd. 24. S. 434. 2) Carl Gaehtgens, üeber den Steif Wechsel eines Diabetikers, verglichen mit dem eines Gesunden. Diss. Dorpat 1866. 3) Pettenkofer und Voit, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 3. S. 400, 408, 412—414 u. 425. 1867. Dort auch die frühere Literatur S. 425— 426 zusammengestellt. 4) Feepjchs, 1. c. p. 276 ff. ■"'•N Diabetes mellitus. 391 Sehr merkwürdig ist die bereits erwähnte, von Külz') beobach- tete Fähigkeit des Diabetikers , den Unksdrehenden Zucker zu zer- störe?!. Külz zeigte, dass nach Aufnahme von 100 Grm. des links- drehenden Fruchtzuckers bei einem mit der leichten Form des Diabetes Behafteten kein Zucker im Harne auftritt, bei einem mit der schweren Form Behafteten die Zuckermenge im Harne nicht steigt und der ausgeschiedene Zucker nur aus rechtsdrehendem Trauben- zucker besteht. Ebenso wie der Fruchtzucker verhält sich das Inulin. Das Inulin findet sich in der Alantwurzel, den Wurzeln der Cichorie und des Löwenzabn und in den Knollen der Georginen und spielt dort dieselbe Rolle wie das Stärkemehl in den Knollen der Kartoffel. Das Inulin steht zur Lävulose in derselben Beziehung wie das Stärke- mehl zur Dextrose. Beim Kochen mit verdünnten Säuren wird das Inulin in Lävulose gespalten wie das Stärkemehl in Dextrose. Diese Spaltung erleidet das Inulin offenbar auch im Organismus. Thatsäch- lich verschwindet es im Organismus des Diabetikers wie die Lävulose. Der Rohrzucker spaltet sich bekanntlich beim Kochen mit Säuren, sowie durch Fermente in gleiche Mengen Lävulose und Dextrose. Dem entsprechend beobachtete Külz, dass beim Diabe- tiker der schweren Form nach Einfuhr von Rohrzucker die Zunahme der ausgeschiedenen Dextrose nahezu die Hälfte des eingeführten Rohrzuckers betrug. Ebenso verhielt sich wahrscheinlich auch der Milchzucker; nur waren die Versuchsergebnisse nicht so deutlich, weil der Milchzucker zum grossen Theile im Darme in Milchsäure gespalten wird. Diese beschränkte Fähigkeit des Diabetikers, nur den links- drehenden, nicht den rechtsdrehendeu Zucker zu zerstören, ist keine isolirte Erscheinung in der lebenden Natur. Wie die Zellen des Diabetikers, verhalten sich auch gewisse Pilze und Bacterien.^) Peni- cillium glaucum verzehrt von der optisch unwirksamen Milchsäure, welche aus gleichen Mengen rechts- und linksdrehender Milchsäure 1) Külz, 1. c. p. 130—167. Vergl. auch Wokm-Müller, Pflüger's Arch. Bd. 34. S. 576. 1884. Bd. 36. S. 172. 1885. S. de Jong, Over omzetting van milk- suiker by diabetes mellitus. Diss. Amsterdam 1886 und Franz Hofmeister, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 25. S. 240. 1889. 2) Pasteur, Compt. rend. T. 46. p. 615. 1858. T. 51. p. 298. 1860. T. 56. p. 416. 1863. J. A. LK BEL, Compt. rend. T. 87. p. 213. 1878. T. 89. p. 312. 1879. T. 92. p. 843. 1881. J. Lewkowitsch, ßer. d. d. ehem. Ges. Bd. 15. S. 1505. 1882. Bd. 16. S. 1569, 2720, 2722. 1883. Vergl. auch Em. Bourquelot. Compt. rend. T. 100. p. 1404, 1466. T. 101. p. 68, 958. 1885. Maümenö, ibid. T. 100. p. 1505. T. 101. p. 695. 1885. H. Leplay, T. 101. p. 479. 1885. 392 Dreiundzwaiizigste Vorlesung. besteht, nur die linksdrehende und lässt die rechtsdrehende übrig; ebenso lässt dieser Pilz von einem Gemenge links- und rechtsdrehen- der Mandelsäure nur die rechtsdrehende übrig. Saccharomyces ellip- so'ideus dagegen verzehrt nur die rechtsdrehende Mandelsäure und lässt die linksdrehende übrig; ebenso verhält sich eine gewisse Bac- terienspecies. Gegen optisch inactive Weinsäure und Glycerinsäure verhält sich Penicillium glaucum umgekehrt v^ie gegen Milchsäure und Mandelsäure: es lässt die linksdrehende Weinsäure und Glycerin- säure übrig. Nach allen unseren bisherigen Betrachtungen können wir also nur soviel als feststehend ansehen: beim Diabetes ist die Fälligkeit, den rechtsdrehenden Zucker zu zerstören, herabgesetzt. Da nun zweitens feststeht, dass in der Norm die Hauptmasse des Zuckers in den Muskeln zerstört wird, so liegt es nahe, das Wesen des Diabetes in einer Störung der chemischen Vorgänge in den Muskeln zu suchen. Ungenügender Gebrauch der Muskeln, sitzende Lebensweise wer- den häufig als Ursache des Diabetes angegeben. Damit im Einklänge steht die Thatsache, dass die Krankheit relativ häufig — in mehr als oO'J/o aller Fälle — bei Fettleibigen auftritt. Die Fettleibigkeit ist stets eine Folge ungenügender Muskelanstrengung. (Vergl. Vor- lesung 22 am Schluss.) Auch sind bereits therapeutische Erfolge bei einigen Fällen von Diabetes durch Muskelanstreugung erzielt worden. 1) (Vergl. unten S. 404.) Die chemischen Vorgänge in den Muskeln aber stehen unter dem Einfluss des Nervensystems und in der That sprechen zahl- reiche Beobachtungen dafür, dass die Störungen, welche die Sym- ptome des Diabetes hervorbringen, vom centralen Nervensystem aus- gehen. Der Diabetes tritt bisweilen nachweislich unmittelbar nach Kopfverletzungen auf oder bei organischen Hirnleiden (Blutungen, Tumoren, Sclerosen), ferner bei sonstigen Nervenleiden, Psychosen u. s. w. Bisweilen geben einmalige heftige Gemüthserregungen den Anstoss zum Ausbruch der Krankheit oder heftige Neuralgien u. s. w. Bei der Obduction der Leichen Diabetischer zeigt kein Organ so häufig pathologische Veränderungen wie das Gehirn. Seegen-), welcher über 1000 Fälle von Diabetes behandelt hat, giebt an, dass „bei 90 von 100 Kranken Störungen im Gebiete des Nervenlebens nachweissbar" sind und fügt hinzu: ,,Bei den zahl- 1) KüLZ, 1. c. I. p. 179—216 u. II. p. 177—180. 2) J. Seegen, Die Zuckerbildung im Thierkörper, ihr Umfang und ihre Be- deutung. Berlin, Hirschwald. 1890. S. 263. Diabetes mellitus. 393 reichen Fällen von erblichem Diabetes beobachtet man, dass von Mitgliedern einer und derselben Familie einige psychisch erkrankt sind, meist an Melancholie leiden, die nicht selten zum Selbstmord führt, während andere Glieder dieser Familie diabetisch sind." Viel Verwirrung ist in der Diabeteslitteratur dadurch entstanden, dass mau das Wesen des chronischen Diabetes, des sogenannten ,,natür liehen" Diabetes zu erklären gesucht hat aus den Beobach- tungen, die man über den „künstlichen" Diabetes anstellte. Gl. Beknard hat bekanntlich gezeigt, dass ein Stich in den Boden des vierten Ventrikels — etwa in der Mitte zwischen Acusticus- und Vagusursprung — Uebergang von Zucker in den Harn zur Folge hat. Dieser künstliche Diabetes ist offenbar ein ganz anderer Process als der natürliche. Er dauert nur wenige Stunden. Tödtet man nach Ablauf dieser Zeit, wenn der Harn wieder zuckerfrei geworden, das Thier, so findet man die Leiber glycogenfrei. Macht man ein Thier durch Hunger glycogenfrei (vergl. oben S. 355), so ist der Zucker- stich unwirksam.*) Injicirt man einem normalen durch Hunger glycogenfrei gemachten Thiere eine Traubenzuckerlösung in eine Mesenterialvene, so erscheint nur sehr wenig Zucker im Harne. Sehr gross ist dagegen die Zuckermenge im Harne, wenn man die Leber durch den Zuck er stich glycogenfrei gemacht und darauf die Injection in die Mesenterialvene ausführt. -) Der künstliche Diabetes kommt also dadurch zu Stande, dass die Leber in Folge einer Innervationsstörung die Fähigkeit einbüsst, das Glycogen zurückzuhalten. Das Blut wird mit Zucker tiberschwemmt, und der Zucker geht in den Harn über. Hätte der natürliche Diabetes dieselbe Ursache wie der künst- liche, hätte auch beim natürlichen Diabetes die Leber ihre normale Function eingebüsst, regulirend auf den Zuckergehalt des Blutes ein- zuwirken, zur Zeit der Resorption die Kohlehydrate aufzuspeichern, bei eintretendem Mangel Zucker an das Blut abzutreten — so müssten wir erwarten, dass beim Diabetiker der Zuckergehalt des Blutes bald über die Norm steigt, bald unter die Norm sinkt. Dieses ist nicht der Fall. Der Zuckergehalt im Blute des Diabetikers wurde bei 1) Leopold Seelig, Vergleichende Untersuchungen über den Zuckerver- brauch im diabetischen und nicht diabetischen Thiere. Diss. Königsberg 1873. Dort auch die früheren Arbeiten von Pavy und Dock citirt. Eine Bestätigung dieser Resultate lieferte Lüchsingee, Exper. u. krit. Beitr. zur Physiol. u. Pathol. des Glycogens. Diss. Zürich 1875. S. 72. Dort auch die frühere Literatur citirt. 2) Naunyn, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 3. S. 98. 1875. Dort finden sich die früheren Arbeiten in dieser Richtung kritisch zusammengestellt. 394 Dreiundzwanzigste Vorlesung. zahlreichen von verschiedenen Forschern ausgeführten Bestimmungen stets gesteigert gefunden. Gegen diese Deduction iiönnte man einwenden: Der Diabetiker isst so oft und soviel, dass die Resorption der Nahrung niemals unter- brochen, das Blut beständig mit Zucker überschwemmt wird. Wir müssen deshalb suchen, die Frage ganz directzu entscheiden; wir müssen untersuchen, ob die Leber des Diabetikers noch Gljxogen enthält. Dieser Weg zur Entscheidung der Frage ist in der That betreten worden. KtJLz 1) untersuchte die Leber aus der Leiche eines Diabetikers. Dieser hatte an der „schweren Form" gelitten und längere Zeit vor seinem Tode strenge Fleischdiät eingehalten. 34 Stunden vor dem Tode hatte Patient die letzte Nahrung zu sich genommen und 28 Stun- den in der Agonie gelegen. 12 Stunden nach dem Tode fand die Section statt. ,,Etwa der zehnte Theil der Leber" diente zur Glycogen- bestimmung und lieferte bei unvollständiger Extraction 0,7 Grm. Glycogen. Den Glycogengehalt der ganzen Leber schätzt Külz auf lü bis 15 Grm. Ausserdem enthielt die Leber reichlich Zucker, welcher zum Theil gleichfalls aus Glycogen hervorgegangen war. -) Der Glycogengehalt während des Lebens muss also ein ganz be- deutender gewesen sein. V. Meeing 3) hatte auf Feekichs' Klinik Gelegenheit, die Leber von 4 Diabetikern zu untersuchen. „Bei zweien derselben, welche an Fhthisis zu Grunde gingen und 20 resp. 18 Stunden vor dem Tode keinen Zucker (welcher vorher beträchtlich war) mehr im Urin hatten, fanden sich weder Glycogen noch Zucker in der Leber, ob- gleich in dem einen Falle die Untersuchung sofort nach dem Tode begonnen wurde. In den beiden anderen Fällen, wo die Diabetiker plötzlich starben und der aus der Blase nach dem Tode erhaltene Harn stark zuckerhaltig war, fand sich in der Leber sowohl Gly- cogen als Zucker in reichlicher Menge." M. Abeles^) untersuchte in E. LuDwia's Laboratorium zu Wien die Organe von 5 Leichen Diabetischer. Bei zweien, von denen der eine an Lungenphthise, der andere an ausgedehnter Furunculosis mit 1) Külz, Pfiüger's Arch. Bd. 13. S. 267. 1876. Vergl. auch die älteren An- gaben von Kühne, Virchow's Arch. Bd. 32. S. 543. 1865 und M. Jaffe, ebend. Bd. 36. S. 20. 1866. 2) Zur genauen Bestimmung des Glycogens muss die Leber unmittelbar nach dem Tode in siedendes Wasser geworfen werden, um die Fermentwirkung auf- zuheben, durch welche sonst das Glycogen gesi^alten wird. 3) V. Mering, Pfiüger's Arch. Bd. 14. S. 284. 1877. 4) M. Abeles, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1885. S. 449. Diabetes mellitus. 395 raetastatischer purulenter Pericarditis zu Grunde gegangen war, fand sich in keinem der untersuchten Organe Glycogen. In den übrigen Fällen waren die Patienten im Coma gestorben. Die Organe ge- langten „erst viele Stunden nach dem Tode" zur Untersuchung. Die Leber wurde in zwei Fällen untersucht. Es fand sich beide Male etwas Glycogen: 0,16 Grm. und 0,59 Grm. In den Muskeln wurde kein Glycogen gefunden. Auf Feeeichs' Klinik ist man selbst vor dem Experimente nicht zurückgeschreckt, die Leber lebender Diabetiker auf ihren Glycogen- gehalt zu untersuchen.') Diese Versuche sind so wichtig, dass ich die leider sehr spärlichen Angaben wörtlich mittheile: „Es geschah dies durch Prof. Ehelich mittelst eines feinen, sorgfältig desinficirten Troicarts, welcher in das Leberparenchym ein- gestossen wurde. Nach der Entfernung des Stilets fanden sich in der Troicartröhre bald nur wenige Tropfen Blut, gewöhnlich auch einige Leberzellen, bald isolirt, bald in Gruppen vereinigt; gelegent- lich auch etwas grösseres, wurmförmiges Stück der Lebersubstanz, welches in Alkohol gehärtet und nach Einschluss in Collodium ge- schnitten wurde. Wir waren auf diese Weise 3 mal in die Möglich- keit gebracht, das Lebergewebe während seiner Function genauer zu untersuchen. In allen 3 Fällen hatten die betreffenden Personen, gesunde wie diabetische, reichlich gegessen und insbesondere viel Amylaceen genossen. Die Function erfolgte 4 7-2—572 Stunden nach der Mahlzeit." „In dem ersten Falle, welcher einen gesunden, nur dem Alkoholis- mus etwas ergebenen Mann betraf, zeigten sich reichliche Glycogen- mengen. In den peripheren Partien der Acini waren die Zellen ver- fettet, enthielten indessen ebenfalls Glycogen.'' „Der zweite Fall betraf den Diabetiker Dn. Hier waren die Leberzellen fast frei von Glycogen, nur in einzelnen Zellen zeigte sich ein leicht bräunlicher Hauch, Spuren von Glycogen anzeigend." „Im dritten Fall, die Diabetica Mit. betreffend, waren in den Leberzellen ziemlich reichliche Glycogenmengen vorhanden. Die Ver- theilung des Glycogens war keine gleichmässige. Partien, die arm daran waren, wechselten mit reicheren. Im Umkreise der Acini fand man häufige grosse Glycogenkugeln, welche manchmal fast die ganzen Zellen erfüllten. Diese bestanden jedoch nicht aus reinem Glycogen, sondern vorwiegend aus Trägersubstanz, wie ihre mehr gelbliche Farbe erwies. Sie waren nicht als Kunstproducte anzu- l) Frebichs, 1. c. p. 272. Dazu Abbildungen der mikroskopischen Leber- präparate. 396 Dreiundzwanzigste Vorlesung. sehen, die der Alkohol erzeugt, weil sie in gleicher Weise auch an Trockenpräparaten hervortraten. Die Kerne waren im Allgemeinen frei von Glycogen, nur an einer Stelle schien es, als ob um den Nucleolus sich Glycogen abgelagert hätte. Es würde dies an bota- nische Befunde erinnern, wo ebenfalls Stärkeablagerung um die Nucleolen beobachtet wurde." „Die Untersuchung der Trockenpräparate, die von wiederholten Functionen herrührten, lieferte dasselbe Ergebniss, d. h. Glycogen- mangel bei Fall II, massige Glycogenmengen bei III." Ich glaube auch diese Thatsachen wiederum nur dahin deuten zu können, dass der Diabetes nicht eine einheitliche Krankheitsform ist. Gewissen Formen desselben, insbesondere der Glycosurie bei Erkrankungen der Oblongata mögen ähnliche Störungen zu Grunde liegen wie dem künstlichen Diabetes, jedenfalls aber nicht allen Fällen. Sehr beachtenswerth ist auch die Thatsache, dass bei ausge- dehnter Erkrankung der Leber, bei Leber cirrhose, Phosphorvergif lung kein Zucker in den Harn übergeht. Feeeichs vermochte bei Leber- cirrhose in Fällen, wo die spätere Leichenöffnung eine vollständige Entartung der Leber ergab, auch nach Aufnahme grosser Mengen von Traubenzucker, keinen Zucker im Harne nachzuweisen. i) Bei der Phosphor Vergiftung konnten auf Feeeichs' Klinik nur in 2 Fällen nach Darreichung von 100 bis 200 Grm. Traubenzucker geringe Mengen davon im Harne nachgewiesen werden, während in 17 an- deren Fällen das Resultat ein negatives war. ,,In allen Fällen von Phosphorvergiftung, in welchen die Leber vorgeschrittene fettige Entartung der Zellen erkennen liess, zeigte sich keine Spur von Glycogen und von Zucker in der Leber." ^) Aus einer gestörten Glycogenablagerung in der Leber allein lässt sich also jedenfalls der Diabetes nicht erklären. Die Muskeln Diabe- tischer sind meines Wissens nur in zwei Fällen auf Glycogen unter- sucht worden — wie bereits erwähnt mit negativem Resultat.'^) Wenn also der von Beenaed entdeckte künstliche Diabetes den natürlichen nicht zu erklären vermag, so verspricht dagegen eine andere Art des künstlichen Diabetes, welche gegenwärtig in den Vordergrund der Diabetesforschung getreten ist, uns der Lösung des Problems wesentlich näher zu bringen — der Diabetes nach Exstir- pation des Paukreas. 1) Feeeichs, 1. c. p. 43. 2) Feeeichs, 1. c. p. 45. 3) Abeles, 1. c. Diabetes mellitus. 397 Schon lange war es aufgefallen, wie häufig bei der Section der Leichen von Diabetikern pathologische Veränderungen des Pankreas gefunden wurden. Insbesondere Feeeichs') hat darauf aufmerksam gemacht und gezeigt, dass unter 55 Leichen Diabetischer 11 sich fanden, bei denen ausgesprochene, makroskopisch erkennbare Ver- änderungen am Pankreas vorhanden waren. Der experimentelle Nach- weis des Zusammenhanges aber, der Versuch, bei Thieren das Pan- kreas zu exstirpiren und die Folgen zu beobachten, konnte erst in neuester Zeit durchgeführt werden, nachdem die operative Technik und die Methoden der aseptischen Wundbehandlung die zu einem so gewaltsamen Eingriffe erforderliche Vollkommenheit erreicht hatten. J. VON MEEiNa und 0.- Minkowski"^) haben mehr als 50 Hunde operirt und ausnahmslos in allen Fällen, ivo die vollständige Exslit'- pation des Pankreas gelungen war und die Operation länger als 24 Stunden überlebt wurde, hochgradigen Diabetes der schweren Form eintreten sehen mit allen charakteristischen Symptomen, abnorm ge- steigertem Durstgefühl, hochgradiger Gefrässigkeit, Polyurie^ rapidem Kräfteverfall. Die Zucke rausscheidung begann mitunter schon 4— 6 Stunden nach der Operation, meist später, oft erst am folgenden Tage. Nach 24—48 Stunden erreichte sie ihren Höhepunkt; sie stieg dann bis auf 5 — ll^o des Harnes, noch ehe die Thiere irgend welche Nahrung erhalten hatten. Selbst nach Ttägigem Hunger oder bei ausschliess- licher Fleischnahrung schwand der Zucker nicht aus dem Harne. Nach reichlicher Fütterung mit Fleisch und Brod entleerte beispiels- weise ein Hund von 8 Kgrm. Körpergewicht längere Zeit hindurch täglich 70 — 80 Grm. Zucker. In einzelnen Fällen traten auch grössere Mengen von Aceton, Acetessigsäure und Oxybuttersäure im Harne auf. Der Zuckergehalt des Blutes erwies sich als beträchtlich erhöht, er betrug in einem Falle am 6. Tage nach der Operation 0,3 "/o, in einem anderen Falle am 27. Tage 0,46 »/o. Der Glycogengehalt der Organe schwand frühzeitig bis auf Spuren. Mit der Nahrung eingeführter rechtsdrehender Trauben- zucker erschien ohne Verlust im Harne wieder. 1) Frerichs, 1. c. p. 144—183. Vergl. auch die Krankengeschichten S. 238 bis 248. 2) J. VON Mering u. 0. Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 26. S. 371. 1890. Minkowski, Berl. klin. Wochenschr. 1892. Nr. 5 und Unt. üb. d. Diabetes mellitus nach Exstirpation des Pankreas. Leipzig. Vogel. 1893. In dieser letzteren Arbeit findet sich die übrige einschlägige Literatur ziemlich voll- ständig citirt. 398 Dreiimdzwanzigste Vorlesung. Linksdrehender Zucker wurde zum grossen Theil ver- werthet, zum Theil aber in rechtsdrehenden umgewandelt und durch die Niere ausgeschieden.') Bei Fütterung mit linksdrehendem Zucker wurde Glycogen in der Leber und in den Muskeln abgelagert. Diese Angaben von Meeing's und MiNKOWSki's sind vielfach von anderen Autoren bestätigt worden, so insbesondere von Lepine^) und Hedon.3) Fragen wir uns nun, wie der Zusammenhang zwischen der Exstir- pation des Pankreas und den Symptomen des Diabetes zu erklären sei, so ist die nächstliegende Annahme die, dass in der Norm die zuckerbildenden Nahrungsstoffe im Darme durch den Pankreassaft eine gewisse vorbereitende Umwandlung erfahren, ohne welche ihre Zerstörung in den Geweben unmöglich ist, und dass folglich nach Wegfall des Pankreassecretes der Zucker unzersetzt bleibe. Gewisse Verdauungsstöruagen treten allerdings nach Wegfall des Pankreas ein; die Untersuchung derFaeces pankreasloser Hunde zeigt, dass sehr viel Fett, Eiweiss und Stärkemehl unresorbirt bleibt. Die Symptome des Diabetes aber können daraus nicht erklärt werden, weil die blosse Unterbindung der Ausführungsgänge ohne Exstirpation des Pankreas keinen Diabetes zur Folge hat. Ja, in einigen Fällen war der grösste Theil der Drüse exstirpirt, nur ein kleines, weit vom Duodenum entferntes Stück des Pankreas übrig geblieben und doch kam es nicht zur Glycosurie. Ueberhaupt tritt der Diabetes meist nur nach vollständiger Exstirpation ein. Bleibt auch nur ein kleines Stück der Drüse übrig, so tritt gewöhnlich gar kein Diabetes ein oder nur die leichte Form desselben, d. h. es schwindet der Zucker aus dem Harn beim Hunger oder bei ausschliesslicher Fleischnahrung, um nach Verabfolgung von Brod wieder aufzutreten. Bei vollkommen pankreaslosen Hunden aber dauert, wie erwähnt, die Glycosurie auch bei lange fortgesetztem Hunger fort. Es kann sich, also gar nicht um irgend welche Störungen im Darme handeln. Die Drüse muss neben der Bildung des Verdauungssecretes noch andere Functionen haben, deren Forlfall die Zuckerzerstörung hindert. Bevor wir aber nach dieser Function forschen, muss noch ein 1) Minkowski, ünt. üb. d. Diabetes mellitus nach Pankreasexstirpation. Leipzig. Yogel. 1893. S. 6Sff. Yergl. Fe. Yoit , Zeitschr. f. Biol. Bd. 28. S. 353 u. Bd. 29. S. 147. 1892. 2) Lupine, Wiener med. Presse. 1S92. Nr. 27—32. Dort auch die meisten der früheren Publicationen Lepine's erwähnt. 3) H^DON, Arch. de physiol. Avril. 1892. Comptes rendus. T. 112. p. 1027. 1891 et T. 115. p. 292, 1892. Compt. rend. soc. biolog. T. 43. p. 268. 1891 et T. 44. p. 307 et 678. 1892. Diabetes mellitus. 399 naheliegender Einwand beseitigt werden, dass nämlich bei der Ope- ration unvermeidliche Verletzungen anderer Organe, insbesondere des Plexus solaris die Glycosurie veranlassen. Dagegen spricht die That- sache, dass man beliebige einzelne Theile des Pankreas Stück für Stück entfernen kann, ohne dass Glj^cosurie eintritt. Erst wenn der Rest der Drüse exstirpirt wird, treten die Symptome des Diabetes auf. Die Exstirpatiou des Plexus solaris ohne Entfernung des Pan- kreas bewirkt keinen Diabetes, sondern nur Acetonurie und vorüber- gehende Glycosurie. ') Besonders überzeugend ist folgender Versuch. Der unterste Theil am absteigenden Ast des Pankreas beim Hunde ist nicht mit dem Duodenum verwachsen, sondern liegt frei im Mesenterium. Diesen Theil der Drüse kann man so abtrennen, dass er an einem langen mesenterialen Stiele, in welchem die zugehörige Arterie und Vene verlaufen, frei beweglich wird. Man kann dann diesen Drüsentheil aus der Bauchhöhle herausnehmen und unter der Haut neben der Schnitt- wunde einheilen lassen, ohne dass die Blutcirculation in demselben gestört wird. Einige Zeit nach Ueberstehung dieser Operation wird die Bauchhöhle wieder geöffnet und die ganze übrige Drüse exstirpirt. Nur das kleine isolirte Drüsenstück bleibt unter der Haut und im Zusammenhunge mit den Blutgefässen. Nach dieser Operation tritt kein Diabetes ein. Man kann den Thieren grosse Mengen Kohle- hydrate verabfolgen, ohne dass Zucker im Harne auftritt. Das kleine unter die Haut transplantirte Drüsenslück verhindert den Diabetes. Sobald man aber dieses subcutane Pankreasstück entfernt, tritt sofort die Zuckerausscheidung in grösster Intensität auf. „Es ist also auf diesem Wege möglich, durch einen ganz geringfügigen, nur wenige Minuten dauernden Eingriff, welcher ohne Eröffnung der Bauchhöhle ausführbar ist, und bei welchem von irgend welchen Nebenverletzungen absolut nicht die Rede sein konnte, einen bis zum Tode der Thiere andauernden Diabetes schwerster Form zu erzeugen." Dieser Ver- such ist Minkowski mehrfach gelungen mit dem gleichen Erfolge. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass das Pankreas durch irgend welche Functionen, die mit den Vorgängen im Darme nichts zu schaffen haben, direct oder indirect die Zuckerzerstörung beeinflusst. Wir müssen somit annehmen, dass entweder der Zucker des Blutes beim Durchströmen durch die Drüse in dieser eine für seine Zerstörung vorbereitende Umwandlung erleide, oder dass aus der Drüse ein Stoff in das Blut und in die Gewebe gelangt, welcher in anderen Organen direct oder indirect die Zerstörung begünstigt. 1) Lustig, Arch. per le scienze mediclie. Vol. 13. Fas. II. 1889. 400 DreiundzwanzJgste Vorlesung. Die erstere Annahme wird schon a priori dadurch unwahrschein- lich, dass der Theil des Gesammtblutes, welcher die Drüse passirt, immer nur ein geringer ist, insbesondere in den Versuchen, wo nur ein kleiner Bruchtheil, V'o der ganzen Drüse den Diabetes verhin. derte. Zum Ueberfluss sind in Steicker's Laboratorium ') verglei- chende Zuckerbestimmungen in dem zu- und abfliessenden Blute der Pankreasdrüse ausgeführt worden. Man fand keinen Unterschied. Es bleibt also nur die andere Annahme übrig. Es muss die Drüse einen Stoff abgeben, der die Zuckerzerstörung beeinflusst. Dieser Einfluss kann ein sehr indirecter sein. Wir können uns z. B. denken, dass dieser fragliche Stoff bei den Functionen gewisser Theile des centralen Nervensystems eine Rolle spielt und dass von diesen Nerven- centren aus der Stoffwechsel in den Muskeln beeinflusst werde, deren Nahrungsmaterial der Zucker bildet. Dieses wäre nicht ohne Ana- logie. Ich erinnere an die neueren Forschungen über die Exstirpation der Schilddrüse, welche tiefgreifende Störungen in den Functionen des centralen Nervensystems zur Folge hat. Auch diese Störungen werden verhütet, so lauge noch ein Stück von der Schilddrüse übrig ist, oder in die Bauchdecke transplantirt wird.-) Damit wären wir wieder bei unserer früheren Hypothese (S. 392) angelangt, dass Störungen in den Functionen des centralen Nerven- systems die Ursache des Diabetes seien. Ich betone indessen nochmals, dass die verschiedenen Formen des Diabetes verschiedene Ursachen haben können. Jedenfalls braucht nicht in allen Fällen eine Erkrankung des Pankreas das Prius zu sein. Selbst wenn in allen Fällen von Diabetes eine pathologische Veränderung des Pankreas nachweisbar wäre, könnte sie ebenso- wohl die Folge als die Ursache von nervösen Störungen sein. Sehr zu wünschen ist es, dass bei allen Sectionen von Leichen Diabetischer das Pankreas einer sorgfältigen mikroskopischen Untersuchung unterworfen werde, um jede Art einer beginnenden Degeneration zu entdecken. Bisher hat man sich meist mit der makro- skopischen Untersuchung des Organes begnügt. Für die Verschiedenheit der Diabetesformen '■') scheint auch der verschiedenartige Verlauf und Ausgang der Krankheit zu sprechen. 1) Pal, Wiener klin. Wochenschrift, IS91. Nr. 4. 2) Siehe A. VON EiSELSBERG, Wiener klin. Wochenschr. Jahrg. 5. S. 81. 1892. Dort auch die frühere Literatur citirt. 3) Einen interessanten Versuch, die verschiedenen Diabetesformen zu charalc- terisiren und zu gruppiren, hat Fedr. Albin Hoffmann gemacht: Verhandlungen des Congresses für innere Med. Fünfter Congress. Wiesbaden 1SS6. S. 159. Vergl. auch KtJLZ, 1. c. I. p. 217 u. II. p. 144. Diabetes mellitus. 401 Zwischen der transitorischen , symptomatischen Glycosurie und den chronischen Formen des Diabetes kommen alle Uebergänge vor. Dem entsprechend sieht man auch bisweilen leichtere Formen des chronischen Diabetes definitiv und vollständig heilen wie die sym- ptomatische Glycosurie. Vorübergehend kann die Glycosurie beim chronischen Diabetes — wie bereits erwähnt — häufig zum Schwin- den gebracht werden durch Entziehung der Kohlehydrate. Bei gleich- zeitiger Muskelanstrengung werden bisweilen sogar massige Mengen von Kohlehydraten ertragen, ohne dass Zucker in den Harn über- geht. In anderen Fällen dagegen dauert auch bei ausschliesslicher Ernährung mit Eiweiss und Fett die Zuckerausscheidung fort. Die leichten Formen des Diabetes gehen häufig in die schweren über. Nicht selten aber treten schon bei den leichten Formen tödtliche Complicationen ein. Auch bei den schweren Formen ist der Verlauf ein sehr verschiedener: in einigen Fällen ist er ein acuter: der Tod tritt nach wenigen Wochen ein, in vielen Fällen nach 1 — 2 Jahren, in anderen erst nach 10 — 20 Jahren. Gewöhnlich ist mit der Gly- cosurie Polyurie verbunden — das tägliche Harnvolumen kann bis auf 12 Liter steigen — und die Patienten werden von beständigem Durst gequält ; bisweilen aber tritt der Zucker im Harn ohne Polyurie und vermehrtes Durstgefühl auf. Feerichs') hat mehr als 30 Fälle beobachtet, in welchen die Harnmenge nicht über 1700 — 2000 Ccm. hinausging, während die Zuckermenge 4 — 6, ja 8 ^jo betrug. In ein- zelnen seltenen Fällen sieht man den Diabetes mellitus in einen Diabetes insipidus "-) — Polyurie ohne Glycosurie — übergehen. Der Tod tritt beim Diabetes durch Complicationen sehr verschiedener Art ein — durch einfachen Marasmus, Lungenphthise, allgemeine Furunculose oder Carbunkelbildung, Nephritis u. s. w. — häufig unter den Erscheinungen des Coma diabeticiim. Bei diesem letzteren Symptomencomplex will ich etwas ein- gehender verweilen, weil derselbe durch neuere Forschungen eine 1) Frerichs, 1. c. p. 192. 2) Man ersieht hieraus, dass die Polyurie beim Diabetes mellitus nicht eine Folge der Glycosurie zu sein braucht, jedenfalls nicht in allen Fällen, sondern das Ergebniss einer besonderen Nervenstörung sein kann. — Ueber den Diabetes insipidus siehe Külz, Beitr. zur Pathol. u. Therap. des Diabetes mellitus und insipidus. Bd. II. Marburg 1875. Dort findet sich S. 28—31 die frühere Literatur über den Diabetes insipidus zusammengestellt, insbesondere auch über das Vor- kommen von Inosit im Harne bei dieser Krankheit Vergl. auch Külz, Sitzungs- bericht d. Ges. z. Beförd. d. ges. Naturw. zu Marburg 1876. Nr. 4. Ueber die chemischen Eigenschaften des Inosit siehe Maqüenne, Compt. rend. T. 104, p. 225, 297 et 1719. IS87. Bunge. Phys. Chemie. 3. Auflage. 26 402 Dreiundzwanzigste Vorlesung. durchaus befriedigende chemische Erklärung gefunden hat. Die bereits erwähnten abnormen Harnbestandtheile: Oxybuttersäure, Acet- essigsäure und Aceton, welche in kleinerer Menge auch in früheren Stadien der Krankheit häufig sich nachweisen lassen, treten beim Coma in vermehrter Menge auf. Mit der Entstehung dieser Sub- stanzen hängen die Hirnsymptome, wie wir gleich sehen werden, zusammen. Zwar kommt ein comatöser Zustand beim Ausgang der Krank- heit auch ohne Auftreten dieser abnormen Stoffwechseiproducte vor. In diesen Fällen aber findet das Coma eine Erklärung in ander- weitigen Complicationen : acuter Herziusufficienz, Gehirnblutungen, Nephritis u. s. w. In den meisten Fällen dagegen lassen sich beim Coma diabeticum die genannten Substanzen im Harne nachweisen und diese Art des Coma glaubten die meisten Autoren aus einer narkotisirenden Wirkung^) dieser Substanzen, insbesondere des Acetons erklären zu können, welches in ähnlicher Weise betäubend wirkt, wie der Alkohol, Aether und andere Stoflfe aus dieser Gruppe. Genauere Versuche aber zeigten, dass die narkotische Wirkung des Acetons keine genügend intensive ist, um das Coma diabeticum zu erklären ^}, insbesondere, wenn man bedenkt, dass das Aceton aus dem Eiweiss stammt und dass die Menge des zerfallenden Eiweisses nicht gross genug ist, ein zur Erzeugung des Coma genügendes Quantum zu liefern. Die Wirkung des Acetons ist der des Aethylalkohols sehr ähn- lich, aber etwas weniger intensiv. Hunden kann 1 Grm. Aceton auf 1 Kgrm. Körpergewicht in den Magen eingeführt werden, ohne irgend eine Wirkung zu äussern. Gaben von 4 Grm. auf 1 Kgrm. bewirken ähnliche Rauscherscheinungen wie der Aethylalkohol, insbesondere schwere Störungen der Bewegung. Die tödtliche Gabe des Acetons beträgt 8 Grm. auf 1 Kgrm., die des Aethylalkohol 6—8 Grm. ^j Um also einen Menschen von 70 Kgrm. mit Aceton zu vergiften, müssten 500—600 Grm. auf ihn einwirken. Diese können sich nicht aus zerfallendem Eiweiss bilden. Gegen die Erklärung des Coma diabeticum aus der narkotischen Wirkung des Acetons spricht ferner der bereits erwähnte Umstand, 1) Eine Zusammenstellung der gesammten Literatur über diese Frage findet sich bei v. Buhl, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 16. S. 413. 18SÜ und bei Rudolf von Jaksch, Ueber Acetonurie und Diaceturie. Berlin. Hirscbwald. 1SS5. Vergl. auch Fkerichs, 1. c. p. 114—120. 2) Siehe Peter Albertoni (Schmiedeberg's Laboratorium), Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 18. S. 218. 1884. Dort eine vollständige Zusammenstellung der sehr zahlreichen früheren Versuche. 3) Albertoni, 1. c. p. 223, 224, 226. Diabetes mellitus. 403 dass die Menge des Acetons im Harne bisweilen gerade im Stadium des Coma abnimmt, dagegen die Vorstufe, die Oxybuttersäure zu- nimmt und dass die Oxybuttersäure nicht betäubend wirkt, 'j Eine sehr befriedigende Erklärung des Coma diabeticum haben dagegen Stadelmann -) und Minkowski ^) geliefert. Sie führen das- selbe zurück auf eine Sättigung der Alkalien des Blutes durch die unvollständigen Verbrennungsproducte, welche einen sauren Charakter haben wie die Oxybuttersäure. Der Symptomencomplex beim Coma diabeticum ist in der That ein ähnlicher, wie der, welchen Fe. Waltek^j an Thieren beobachtete, die er durch Mineralsäuren ver- giftete. Injicirte Walter einem Kaninchen verdünnte Salzsäure in den Magen, so trat Dyspnoe ein, das Thier „verlor die Fähigkeit sich frei fortzubewegen, es verharrte, wohin man es auch setzte, ruhig in seiner Lage" und ging unter den Erscheinungen des Collaps zu Grunde. Wurde dagegen, wenn diese Vergiftungssymptome bereits eingetreten waren, den Thieren kohlensaures Natron subcutan injicirt, so erholten sie sich wieder. Walter hat im Blute der mit Säuren vergifteten Thiere die Kohlensäure bestimmt und nur 2—3 Volum- procente gefunden. Das ist, wie ich bei unserer Betrachtung über die Blutgase berechnet habe (S. 265), die Kohlensäuremenge, welche einfach absorbirt im Blute enthalten ist. Das Blut enthielt also bei den vergifteten Thieren keine Alkalien mehr, die die Kohlensäure binden konnten ; dieselben waren durch die Salzsäure gesättigt. ^) Das Blut war also des Transportmittels für die Kohlensäure beraubt; es kam zu einer Stauung derselben — vielleicht auch gewisser Vor- stufen derselben — im Gehirn und daraus erklären sich die Sym- ptome. Walter hat ferner, wie ich in einer früheren Betrachtung bereits erwähnte (S. 297), gezeigt, dass die Säurezufuhr die Ammoniak- menge im Harn vermehrt. Ganz ähnliche Erscheinungen beobachtet man nun auch beim 1) WoLPE, Unters, über die Oxybuttersäure des diabetischen Harnes. Diss. Königsberg 1886. Arcb. für exper. Path. und Pharm. Bd. 21. S. 138. 1886 und O.Minkowski, Mittheilungen aus der medicin. Klinik zu Königsberg i. Pr. 1888. S. 174. 2) Stadelmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 17. S. 443. 1883. 3) 0. Minkowski, 1. c. 4) Fr. Walter (Schmiedeberg's Laboratorium), Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 7. S. 148. 1877. 5) Walter spricht in seiner Arbeit von Alkalientziehung. Eine solche ist durch seine Versuche nicht nachgewiesen. Die durch die Säure gesättigten Alkalien bleiben vielleicht zum grössten Theil als neutrale Salze im Blute, bis durch eine Spaltung in den Nieren die Säure abgeschieden, die Base aber im Blute zurückgehalten wird. 26* 404 Dreiundzwanzigste Vorlesung. Coma diabeticum. Was die Salzsäure beim Thierversuche bewirkt, das bewirkt beim Coma diabeticum die Oxybuttersäure. Auch beim Coma diabeticum sieht man Dyspnoe eintreten. Auch beim Diabe- tiker ist die Ammoniakmenge im Harn vermehrt (vgl. oben S. 319j und diese Vermehrung erreicht den höchsten Grad im Stadium des Coma. 0 Minkowski hat auch die Kohlensäure im Blute eines coma- tösen Diabetikers bestimmt und nur 3,3 Volumprocente gefunden ! Das Blut war der Art. radialis kurz vor dem Tode des Patienten entnommen, 2) Das Leichenblut reagirte deutlich sauer und enthielt grosse Mengen Oxybuttersäure und Fleischmilchsäure. Zum Schluss sei es mir gestattet auch in Bezug auf die Therapie des Diabetes vom Standpunkt des Chemikers ein paar Bemerkungen zu machen. Solange uns die Ursachen der verschiedeneu Diabetesformen gänzlich unbekannt sind, kann von einer rationellen Heilmethode natürlich nicht die Rede sein. Es handelt sich nur darum, die qual- vollsten Symptome zu lindern. Mit Recht ist man darauf ausgegangen, die Menge des unzer- störten Zuckers im Körper herabzusetzen, weil er ja nicht nur werth- los ist, sondern durch seine Circulation in allen Geweben Störungen bewirkt, einzelne Organe, insbesondere die Nieren unmässig über- bürdet und das quälende Durstgefühl hervorruft. In dieser Hinsicht ist vor allem Muskelarbeit als das rationellste Mittel anzurathen. KüLzO hat, wie bereits erwähnt, gezeigt, dass in manchen Fällen die Zuckerausscheidung durch Muskelarbeit stark herabgesetzt werden kann, Bouchaedat will sogar in mehreren Fällen bleibende Erfolge mit dieser Behandlungsweise erzielt haben. Es gelingt dieses aber keineswegs in allen Fällen. Auch dieser Umstand scheint für eine Verschiedenheit der Diabetesformen zu sprechen. Will man die Zufuhr von Kohlehydraten vermindern, so wird man auf Ersatz bedacht sein müssen. Eine ausschliessliche Eiweiss- diät ist zu verwerfen, weil dadurch Acetonurie erzeugt und die Ge- fahr des Coma vergrössert wird (vergl. oben S, 389 u, 390). Solange 1) Minkowski, 1. c. S. 179. 2) In Bezug auf die genaueren Angaben über die Ausführung dieser Ver- suche verweise ich auf die hochinteressante Originalarbeit. Dieselbe enthält auch beachtenswerthe kritische Bemerkungen über die neueste Diabetesliteratur. 3) KüLz, 1. c. I. S. 179—216 (dort auch die ältere Angabe von Trodsseau und BoucHARDAT citirt) und Bd. II. S. 177—180, Vergl. auch Dr. Karl Zimmer (prakt. Arzt in Karlsbad), „Die Muskeln eine Quelle, Muskelarbeit ein Heilmittel bei Diabetes. Karlsbad 1880 und v, Mering, Verhandl. d. Congresses f. innere Medicin. Fünfter Congress. Wiesbaden 1886. S. 171. Diabetes mellitus. 405 man von der Theorie ausging, das Wesen des Diabetes bestehe in der Unfähigkeit, den Zucker zu spalten, suchte man die fertigen Spaltungsproducte als Nahrung einzuführen. Aber die normalen Spaltungsproducte des Zuckers sind uns nicht bekannt (vergl. oben S. 388), und selbst wenn sie uns bekannt wären, könnten wir durch ihre Zufuhr den Zucker doch nicht ersetzen, weil ja gerade in dem Momente der Spaltung lebendige Kraft frei wird, die bei der Ver- richtung der Muskelfunctionen und anderen Leistungen Verwerthung findet. Nichts desto weniger hat man geglaubt durch tägliche Zu- fuhr von 5—10 Grm. (!!) Milchsäure die 300—800 Grm. Kohle- hydrate, deren ein Mensch bedarf, ersetzen zu können! Grössere Mengen Milchsäure darf man nicht eingeben, weil sie die Verdauung stören würden. Man hat ferner, ausgehend von einer irrigen Voraussetzung 0. Schultzen's 1) , welcher das Glycerin für eines der normalen Spaltungsproducte des Zuckers hielt, durch diesen Stoff den Zucker zu ersetzen gesucht. Das Glycerin hat vor der Milchsäure voraus, dass sein süsser Geschmack-) den Diabetikern zusagt; indessen ist die Menge, welche man gemessen lassen darf, sehr beschränkt. Nach grösseren Dosen tritt Durchfall ein und ein Theil des resor- birten Glycerins geht unverändert in den Harn über (vgl. oben S. 374). Deshalb gebe man doch den Diabetikern das Glycerin in der natürlichen Verbindung — als Fett. ^) Fette werden von Diabe- tikern sehr gut vertragen (vergl. oben S. 385) und bilden den besten Ersatz für die entzogenen Kohlehydrate. ^) Die Darreichung linksdreh ender Kohlehydrate ist meines Wissens noch niemals ernstlich versucht worden. Da der Diabetes vorherrschend eine Krankheit der Reichen ist, so dürften wohl Pa- tienten sich finden, welche im Stande wären, mit dieser kostbaren Nahrung sich die letzten Tage des Lebens zu versüssen. 1) 0. ScHüLTZEN, Berliner klinische Wochenschr. 1S72. Nr. 35. 2) In dieser Hinsicht — zur blossen Befriedigung des Geschmackssinnes — hat man bekanntlich neuerdings durch Sacharin einen Ersatz für den entzogenen Zucker zu bieten gesucht. Ueber die hierbei gemachten Erfahrungen siehe E. Kohlschütter und M. Elsasser, Arch. f. klin. Med. Bd. 41. S. 178. 1887. 3) Bei der Verabfolgung von Fetten kann eine sehr grosse Mannigfaltigkeit und Abwechselung erzielt werden. Ich erlaube mir, auf die folgenden Nahrungs- mittel aufmerksam zu machen : Fettreiche Fische — unter denen viele, nament- lich gewisse Seefische, die Verdauungsorgane durchaus nicht belästigen — Eidotter, süsser Bahm — von dem geringen Milchzuckergehalte desselben wird ja die Hälfte vom Diabetiker verwerthet — Mandeln, Nüsse, Kakao, Oliven. 4) Pettenkofer und Voit, Zeitschr. f. Biolog. Bd. III. S. 441. 1867. 40G Dreiundzwanzigste Vorlesung. Diabetes mellitus. Wesentliclie Besserungen im Zustande der Diabetiker, insbeson- dere Herabsetzung der Zuckerausscheidung werden bekanntlich durch Brunnenkuren, durch den Gebrauch von alkalischen Wässern, insbesondere Kaisbader Wasser erzielt. Eine Erklärung für diese Wirkung glaubte man darin zu finden, dass eine gesteigerte Alkales- cenz des Blutes die Verbrennung begünstigt (vergl. oben S. 250). Die Erklärung erscheint noch plausibler, wenn wir uns der abnormen Säuren erinnern, welche thatsächlich im Blute des Diabetikers auf- treten. Aber directe Versuche haben gezeigt, dass die blosse Zufuhr kohlensaurer Alkalien ohne die an den Brunnencurorten übliche Lebensweise die Zuckerausscheidung nicht herabsetzt. ') Die bisherigen Versuche, das Coma diabeticum durch Injection von kohlensaurem Natron ins Blut zu bekämpfen, haben gleichfalls keine günstigen Resultate ergeben. -) Eine wesentliche Besserung durch Zufuhr von Alkalien kann schon a priori nicht erwartet werden, weil eine solche Behandlung doch immer nur eine Bekämpfung des Symptomes, nicht der Ursache ist. 1) Frerichs, 1. c. S. 263. Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Chem. Bd. 26. S. 33. 1882. Vergl. auch Külz, I.e. I, 31 u. II, 154 Dort die gesammte frühere Literatur zusammengestellt. 2) 0. Minkowski, Mittheilungen aus der medicinischen Klinik zu Königs- bergi. Pr. 1888. S. 183—186. Vieriindzwanzigste Vorlesung. Die Infection. Den alten Streit, ob die Infectionskrankheiten durch lebende Wesen, durch ein ,,Contagium vivum" hervorgebracht werden oder einfach durch Gifte, durch todte Stoffe, chemische Individuen, haben die rastlosen Forschungen der letzten Decennien zu Gunsten des Contagium vivum entschieden. Wir wissen, dass es verschiedene, ganz bestimmte Bacterienarten sind, deren Eindringen in die Gewebe unseres Körpers die verschiedenen Infectionskrankheiten hervorruft. Nun aber tritt die weitere Frage an uns heran: Bringen die Bacterien die Symptome der Infectionskrankheiten hervor durch die mechanischen Störungen, welche ihre Wanderungen durch die Gewebe zur Folge haben, oder müssen wir an giftige Stoffwechselproducte denken? Und immer mehr bricht die Ueberzeugung sich Bahn, dass die letztere Annahme die richtige ist.^) Die Beweise dafür sind folgende: 1. Bei gewissen Infectionskrankheiten dringen die pathogenen Bacterien gar nicht in die inneren Organe ein, sondern bleiben an den afficirten Schleimhäuten wie bei der Diphtherie 2) oder auf der Wundfläche wie beim Tetanus '^), und doch kommt es zu einer All- gemeininfection. 2. Gewisse pathogene Bacterien lassen sich ausserhalb des Kör- pers in künstlichen Nährlösungen züchten. Man kann dann durch Fil- tration die Lösung vollständig von den Bacterien trennen und zeigen, dass die Injection einer solchen Lösung in den Organismus gesunder Thiere 1) Eine Zusammenstellung der älteren Literatur über diese Frage findet sich bei P. L. Pandm, Virchow's Arch. Bd. 60. S. 301. 1874. 2) LoEFFLER, Deutsche med. Wocheisch. Jahrg. 6. S. 81. 1890. 3) Vaillard et Vincent, Annales de l'Institut Pasteur. Annee 5. p. 1. 1891. 408 Vierundzwanzigste Vorlesung. ähnliche Vergiftiingssymptome hervorbriagt wie die Impfung mit den betreffenden Bacterien. (Vergl. unten S. 413.) Dieselbe Aufgabe, welche früher die Gegner des Contagium vivum sieh stellten, tritt also jetzt an die Anhänger desselben heran: die Gifte zu isoliren, als chemische Individuen darzustellen, ihre Eigen- schaften zu erforschen und ihr Verhalten zu den Bestandtheilen der Gewebe zu studiren. Der Morphologe hat seine Schuldigkeit gethan; man appellirt wiederum an den Chemiker, Man l]at zunächst an stickstoffhaltige organische Basen, an Alkaloide gedacht. Dieses lag ja nahe, weil die intensivsten orga- nischen Gifte in die Gruppe der Alkaloide gehören und weil auch aus dem Stoffwechsel der Bacterien stickstoffhaltige Basen hervor- gehen können. Durch Zersetzung des Eiweisses, der Nukleine oder durch eine Umwandlung der in den thierischen Geweben präformirten stickstoffhaltigen Basen, des Kreatin, des Cholin, der Xanthinkörper könnten leicht giftige Basen entstehen. Den ersten Versuch, eine durch Bacterienfäulniss entstandene giftige Base zu isoliren, haben Bergmann und Schmiedeberg ') ge- macht. Sie stellten aus gefaulter Hefe das schwefelsaure Salz einer organischen Base in Krystallen dar, von welchen 0,01 Grm., einem Hunde in die Vene injicirt, Erbrechen und blutige Durchfälle bewirkte. Von den späteren, sehr zahlreichen Versuchen, giftige Alkaloide aus den Stoffwechselproducten der Bacterien zu isoliren -), will ich nur diejenigen hervorheben, bei welchen ein wohlcharakterisirtes chemisches Individuum gewonnen wurde und sich als intensiv giftig erwies. L. Briegee^) stellte aus faulem Fleisch und Fisch zwei Basen dar, die in naher Beziehung zum Cholin stehen und wahrscheinlich aus dem in allen thierischen Geweben als Lecithin vorkommenden Cholin sich gebildet hatten: das Neu r in und eine dem Muscarin isomere Base. (Vergl. oben Vorles. 6 S. 78 u. 79.) 1) E. Beegmann und 0. Schmiedeberg, Centralbl. f. d. med. Wissenschaft. 1868. p. 497. Bergmann, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. I. S. 373. 1872. 2) Eine Zusammenstellung der sehr umfangreichen Literatur findet sich bei F. Gkäbner, Beitr. z. Kenntniss der Ptomaine. Diss. Dorpat. 1882. M. Nencki, Journ. f. prakt. Chem. N. F. Bd. 26. S. 47. 1882. L. Beieger, lieber Ptomaine. Berlin. Hirsch wald. 1885. Weitere Unt. üb. Ptomaine. 1885. ünt. üb. Ptomaine. Dritter Theil. 1886 u. Virchow's Arch. Bd. 115. S. 453. 1889. Vergl. auch F. Selmi, Sülle ptomaine ed alcaloidi cadavorici e loro importanza in tossicologia. Bologna 1878 und Gatjtier, Cours de Chimie. T. III. Chimie biologique. Paris 1892. p. 261—270. 3) L. Beieger, Ueb. Ptomaine. Berlin. Hirschwald. 1885. S. 34—36 u. S. 48. Die Infection. 409 Das Neurin erwies sich als identisch mit dem von Hofmann ') und von Baeyer"-) synthetisch dargestellten, welches sich vom Cholin durch einen Mindergehalt von ein Mol. Wasser unterscheidet und als Trimethylvinylammoniumhydroxyd betrachtet werden muss: Beide Basen zeigten ähnliche Giftwirkungen wie das Muscarin des Fliegenpilzes. BßiEGER 3) stellte ferner aus faulendem Fleisch, Käse und Leim — in kleiner Menge auch aus frischen Eiern und frischem mensch- lichen Gehirn — eine Base von der empirischen Zusammen- setzung C5H14N2 dar, deren Constitution nicht genügend festgestellt werden konnte. Beim Kochen mit Natronlauge entwickelte sie Di- methyl- und Trimethylamin. Bbieger nennt sie Neuridin. Auch diese Base brachte bei Fröschen und Kaninchen ähnliche Intoxications- erscheinungen hervor wie das Muscarin. 2 Milligr. des salzsauren Salzes in den Rückenlymphsack eines Frosches injicirt wirkten tödt- lich. Beim Kaninchen betrug die Dosis letalis 0,04 Grm. auf 1 Kgr. Körpergewicht. Eine weitere Base, welche Brieger-*) in kleiner Menge aus ^Mo- nate altem, faulem Pferdefleisch isolirte, ist das Methyl-Guanidin. N -"-^ H-N = C(^ ^9,^' Die Giftigkeit dieser Verbindung war bereits Baumann und Gergens ') aufgefallen: 1 Milligr,, in den Rückenlymphsack eines Frosches injicirt, bewirkte bereits deutliche Vergiftungserscheinungen, bestehend in fibrillären Zuckungen der Rückenmuskulatur; grössere Dosen bewirkten krampfhafte Streckbewegungen der Extremitäten, welche oft in tetanische Streckung übergingen ; 0,05 Grm. bewirkten den Tod, welcher nach einer längeren — bis dreitägigen — Dauer der Muskelsymptome eintrat. Brieger injicirte einem Meerschwein- chen subcutan 0,2 Grm. aus faulem Fleisch dargestellteij Methyl- 1) A. W. Hofmann, Compt. rend. T. 47. p. 558. 185S. 2) Baeyer, Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 140. S. 311. 1S66. 3) Bkieger, 1. c. p. 20-30, 51, 54, 57, 61. 4) Brieger, Unt. üb. Ptomaine. Dritter Theil. Berlin 18S6. S. 34fif. Vergl. HoFPA, Sitzungsber. d. phys. med. Ges. zu Würzburg. Jahrgang 1889. S. 101 und 102. 5) Baümakn u. GEEGE^^s, Pflüger's Arch. Bd. 12. S. 205. 1876. 4:10 Vierundzwanzigste Vorlesung. guanidins und sah das Thier nach vorhergegangener Lähmung der Extremitäten unter allgemeinen klonischen Krämpfen nach 20 Minuten verenden. Es liegt nahe, zu vermuthen, dass das Methylguanidin aus dem Kreatin sich gebildet habe. (Vergl. oben S. 303.) Auf die übrigen, sehr zahlreichen Basen, welche man aus den Stoffwechselproducten der Bacterien isolirt hat, werde ich nicht ein- gehen, weil sie entweder niemals in reinem Zustande dargestellt wurden oder in so geringer Menge, dass ihre chemischen Eigenschaften und physiologischen Wirkungen kaum geprüft werden konnten — wie das Mydale'in, Typhotoxin, Mydatoxin, Gadinin etc. etc. — oder weil sie als gar nicht giftig sich herausstellten wie das Methylamin, Dimethyl- amin, Trimethylamiu, Tetramethylendiamin (Putrescin), Pentame- thylendiamin (Cadaverin) etc. Die Untersuchung dieser letzteren hat einen werthvoUen Beitrag geliefert zum Material für eine künftige Physiologie des Stoffwechsels der Bacterien. 0 Zur Aetiologie und Symptomatologie der Infections- krankheiten aber hat sie vorläufig nichts beigetragen. Bei den ersteren aber, den giftigen Basen haben wir nicht immer eine genügende Garantie dafür, dass die Giftigkeit wirklich den Basen selbst zukommt und nicht den Verunreinigungen. Es scheint nach den bisherigen Untersuchungen, dass die Basen um so indifferenter gegen den Thierkörper sich verhalten, je vollständiger man sie ge- reinigt hat. Sehr zu wünschen ist es, sowohl für die Erforschung des Stoff- wechsels der Bacterien als auch besonders für die Aetiologie der Infectionskrankheiten, dass in Zukunft alle Untersuchungen über die Stoffwechselproducte der Mikroorganismen an „Reinculturen" aus- geführt werden, so dass man stets sicher weiss, welche Species den betreffenden Stoff gebildet hat. Ferner ist dringend zu wünschen, dass die chemische Zusammensetzung' der Nährlösung vor der Aussaat der Bacterien genau festgestellt werde. Der Anfang zu solchen exacten aber mühevollen Untersuchungen ist bereits von Brieger -), Koux und 1) Hierher gehört auch die von Nencke aus faulender Gelatine dargestellte, dem Collidin isomere Verbindung. Sie ist die erste der organischen Basen, welche aus den Stoffwechselproducten der Bacterien isolirt wurden. Nencki, „üeb. die Zersetzung der Gelatine und des Eiweisses bei der Fäulniss mit Pankreas". Festschrift. Bern. 1876. S. 17. Vergl. auch S. Adeodato Garcia, Zeitschr. f. physiolog, Chem. Bd. 17. S. 543-595. 1893. 2) Brieger, Weitere Unt. üb. Ptomaine. Berlin 1SS5. S. 67 ff. u. Unt. üb. Ptomaine. Dritter Theil 1886. S. 84 ff. Die Infection. •111 Yeesin '), Löfflee-), Kitasato und Weyl^), Tizzoni und Cattani^), Nencki mit seinen Schülern und Anderen gemacht worden. Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, ob die Giftwirkungeu der Basen, welche man aus den Stoffwechselproducten der Bacterien isolirt hat, wirklich die Symptome der Infectionskrankheiten erklären können, so müssen wir uns von vornherein sagen, dass eine voll- ständige Uebereinstimmung gar nicht zu erwarten ist. Ja, wir können bereits zum Voraus angeben, in welchem Sinne ein Unterschied sich herausstellen muss. Schon die erste charakteristische Erscheinung aller Infections- krankheiten, die Incubation, muss bei der künstlichen Erzeugung der Krankheitssymptome durch Injection eines fertigen Stofifwechsel- productes der pathogenen Mikroorganismen wegfallen. Kommt die Infection durch das Eindringen einer kleinen Menge von Mikroorganis- men zu Stande, so muss natürlich eine gewisse Zeit verfliessen, bis diese Organismen sich vermehren, in die Blutbahn gelangen und in die Centralorgane eindringen, deren Functionsstörungen die auffallenden Symptome der Infectionskrankheiten zur Folge haben. Bei der In- jection eines Giftes dagegen — insbesondere eines löslichen Salzes giftiger Basen — müssen die Störungen sogleich eintreten, das ganze Symptomenbild viel rascher verlaufen. Wir müssen ferner nicht vergessen, dass das injicirte Gift nicht in alle Organe, Gewebe und Gewebselemente zu gelangen braucht, in welche die Bacterien eindringen, und dass umgekehrt die Bacterien nicht überall hingelangen, wohin das injicirte Gift diffundirt. Wir müssen schliesslich bedenken, dass unter den Stoffwechsel- producten jeder Species der pathogenen Mikroorganismen wahrschein- lich mehr als ein Gift auftritt und dass die verschiedenen Krank- heitssymptome einer und derselben Infectionskrankheit durch ver- schiedene Gifte können erzeugt sein oder durch Combinationen zweier oder mehrerer Gifte. Die künstliche Injection eines chemischen In- dividuums könnte diese Symptome nicht hervorbringen. Aber auch wenn wir dieses Alles berücksichtigen, so ist es doch unwahrscheinlich, dass die bisher untersuchten Fäulnissalkaloide die Symptome der Infectionskrankheiten hervorbringen, einfach deshalb^ weil sie viel zu wenig giftig sind. Wir müssen bedenken, in wie 1) E. Roüx et A. Yersin, Annales de l'Institut Pasteur. Anneell. p. 6-42. 1888. 2) F. LoEPFLER, Deutsch. Med. Wochenschr. Jahrg. 16. p. 109. 1890. 3) S. Kitasato u. Th. Weyl, Zeitschr. f. Hygiene. Bd. S. S. 404. 1890 und Kitasato, ebend. Bd. 10. S. 267. 1891. 4) Tizzoni u. Cattani, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 27. p. 432. 1890. •il2 Vierundzwanzigste Vorlesung. hohem Grade dem Organismus die Fähigkeit zukommt, schädliche Stoffe aller Art in dem Maasse, als sie sich bilden, auch hinauszu- befördern. Deshalb dürfen wir bei der Erklärung der Symptome von Infectionskrankheiten nur an sehr intensive Gifte denken. Die Giftigkeit der Fäulnissalkaloide, der sogenannten Ptomaine und Toxine ist vielfach überschätzt worden, weil man an kleinen Thieren experimentirte, insbesondere an Mäusen. Man muss nicht vergessen, dass das Körpergewicht einer Maus blos 10 — 17 Grm. beträgt. So waren beispielsweise vom T et an in — einer Base, die zuerst von Beieger aus den Stoffwechselproducten der Tetanus- bacillen isolirt und für das specifische Tetanusgift gehalten wurde — 3 Centigrm. des salzsauren Salzes erforderlich, um bei subcutaner Injection eine Maus zu tödten, d. h. 2 — 3 Grm. auf 1 Kgrm. Körper- gewicht. Bei einem Meerschweinchen (circa V2 Kgrm.) waren 0,5 Grm. — also 1 Grm. auf 1 Kgrm. — subcutan „nur von geringer Wirkung" ; das Thier blieb leben.') Von den „filtrirten Tetanusculturen" da- gegen — d. h. von der durch Filtration von den Tetanusbacillen vollkommen befreiten Nährflüssigkeit — genügte nach Tizzoni und Cattani^) 1/10 Tropfen, um mittelgrosse Kaninchen durch Tetanus zu tödten. Vaillard und Vincent 3) geben an, dass 1 Ccm. der filtrirten Reinculturen der Tetanusbacillen in Bouillon nur 0,025 Grm. organischer Substanz enthielt und dass dieses Quantum — von dem das Gift doch nur einen Theil ausmachte — hinreichte, tausend Meer- schweinchen zu tödten oder hunderttausend Mäuse! Aehnliche Beobachtungen sind auch an anderen Reinculturen pathogener Bacterien gemacht worden. Die Flüssigkeiten, in welchen die Bacterien gelebt haben, enthalten viel intensivere Gifte wie die Alkaloide, die man daraus isolirt hat. Nach diesen intensiven Giften ist in den letzten Jahren rastlos geforscht worden. Man stiess dabei auf dieselben Schwierigkeiten, wie bei dem Bestreben, die Fermente zu isoliren (vergl. oben Vorles. 10 S. 170). Die Giftstoffe lassen sich von gewissen Eiweisskörpern nicht trennen. Der erste Forscher, welcher zu dem Schlüsse kam, das von den Bacterien producirte Gift „hafte den Eiweissstoffen an", war Panum.^) 1) S. KiTASATO u. Th. Weyl, Z. f. Hygiene. Bd. 8. S. 407. 1890. 2) Tizzoni u. Cattani, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 27. p. 437. 1890. Vergl. auch S. Kitasato, Z. f. Hygiene. Bd. 10. S. 267. 1891. 3) Vaillard et Vincent, Annales de l'Institut Pasteur. Annee V. p 15. 1891. 4) Panüm, „Bibliothek for Laeger". Bd. 8. S. 253—285. 1856. Referirt in Schmidt's Jahrb. 1859. S. 213— 217 u. Virchow's Arch. Bd. 60. S. 334. 1874. Die Infection. 413 Er sagt: „Es scheint fast, dass man, verleitet durch den Wunsch, einen krystallisirten Körper zu finden, tibersehen bat, dass Verunreinigungen mit krystallisirten fremden Stoffen ebenso wohl Verunreinigungen sind, wie die Gegenwart von Stoffen, welche die Krj^stallisatiou eines Körpers hindern, dessen Fähigkeit zu krystallisiren nicht selbstfolglich ist." ') Roux und Yeesin"-) filtrirten Bouillonculturen von Diphtherie- bacillen durch Thonfilter: das bacterienfreie Filtrat war noch wirk- sam; 2 Ccm. tödteten bei subcutaner Injection ein Kaninchen. Wurde dagegen diese Lösung 10 Minuten auf 100 ^ C. erwärmt, so war sie unwirksam: 35 Ccm. konnten einem Kaninchen direct in eine Vene in- jicirt werden ohne schädliche Folgen. Die genannten Autoren ver- muthen daher, der wirksame Bestandtheil könnte etwas den hydro- lytischen Fermenten ähnliches sein. Er hatte mit den Fermenten ferner gemeinsam die Eigenschaft, von indifferenten Niederschlägen wie phos- phorsaurem Kalk mitgerissen zu werden. 0,02 Grm. eines solchen feuchten Niederschlages, welche weniger als 0,0002 Grm. organischer Substanz enthielten, tödteten bei subcutaner Injection ein Meerschwein- chen im Laufe von 4 Tagen. Vom Magen aus wirkt das Gift nicht, obgleich es dialysirbar ist. LöFFLEß3) stellte aus einem Fleischbrei, in welchem eine Rein- cultur von Diphtheriebacillen gezüchtet worden, das wirksame Gift dar nach derselben Methode, nach welcher gewöhnlich die Fermente isolirt werden: Extraction mit Glycerin und Fällung mit Alkohol. Das so erhaltene Gift brachte nach subcutaner Injection bei Meer- schweinchen die gleichen Localerscheinungen hervor wie die Ein- impfung der Bacillen. L. Beieger und C. Feänkel^) machten ähnliche Versuche mit Culturen von Diphtherie-, Typhus-, Tetanus-, Cholerabacterien, mit Sta- phylococcus aureus, mit wässerigen Auszügen aus den Organen an Milz- brand gestorbener Thiere. Stets fanden sie die giftigen Eigenschaften an gewisse Eiweissniederschläge gebunden, welche durch Fällen mit Alkohol oder mit concentrirter Lösung von Ammonsulphat gewonnen wurden. Durch Erwärmen über 60 ^ wurden die Substanzen unwirk- sam, vertrugen aber wohl das Eindampfen bei 50". 1) Virchow's Arch. Bd. 60. S. 332. 1874. 2) E. Roux et A. Yeksin, Annales de l'Institut Pasteur. Annee II. p. 642. 1888 und Annee III. p. 273. 1889. Vergl. S. Dzierzgowski et L. de Rekowski. Archives des sciences biologiques, publikes par l'institut imperial de medicine experimentale ä St. Petersbourg. T. I. p. 167. 1892. 3) LöFFLER, Deutsche med. Wochenschr. Jahrg. 16. S. 109. 1890. 4) L. Brieger u. C. Fränkel, Berlin, klin. Wochenschr. Jahrg. 27. S. 241 u. 268. 1890. 414 Vi er undz wanzigste Vorlesung. Wassermann und PeoskauerO wiederholten die Versuche von BßiEGER und Feänkel und stellten aus filtrirten Reinculturen von Diphtheriebaeillen Eiweissniederschläge dar, von denen circa 10 Milli- grm. bei subcutaner Injection Kaninchen im Verlaufe von 3 — 4 Tagen tödteten. TizzONi und Cattani^) stellten aus filtrirten Reinculturen von Tetanusbacillen durch Ausfällen mit schwefelsaurem Ammonium einen Eiweisskörper dar, von welchem 4 Milligrm. bei subcutaner Injection ein 2 Kgrm. schweres Kaninchen unter ,, allen Zeichen des Tetanus" tödteten. Auch Vaillaed und Vincent 3) erhielten aus filtrirten Tetanus- culturen einen Eiweisskörper, welcher aus wässerigen Lösungen durch Alkohol gefällt oder von indifferenten Niederschlägen wie phosphor- saurem Kalk mitgerissen wurde. Dieser Eiweisskörper war jedoch weniger giftig als die filtrirten Reinculturen, aus denen er darge- stellt wurde. Während von letzteren ein Quantum, welches nur 0,000025 Grm. organischer Substanz enthielt, hinreichte, ein Meer- schweinchen zu tödten, waren von der mit dem Kalkniederschlage herausgefallenen Substanz 0,00015 Grm. dazu erforderlich. Es wird also durch die Operationen zur Isolirung des Giftes das- selbe bereits theilweise zerstört. Auch Kitasato ^) gelang es niemals, einen Niederschlag zu erhalten, welcher giftiger war, wie die filtrirten Reinculturen, von denen er ausging. Hier zeigt sich wiederum eine Analogie mit den hydrolytischen Fermenten. Frischer Magensaft und Pankreassaft oder frisch bereitete Extracte aus der Magenschleimhaut oder Pankreasdrüse sind stets wirksamer, als die daraus isolirten Fermente. Die giftigen Stoffwechselproducte der Bacterien sind also wie die hydrolytischen Fermente sehr labile Verbindungen. Dieselbe Beobachtung machten auch Wassermann und Proskauer (1. c). Unter den Ausscheidungsproducten der Tub erkelbacillen findet sich gleichfalls eine Substanz, welche durch Alkohol und durch concen- trirte Ammouiumsulphatlösung fällbar, in Wasser wieder löslich ist. Durch Essigsäure und Kochsalz entsteht aus der wässerigen Lösung ein Niederschlag, welcher beim Erwärmen verschwindet. Die Sub- stanz ist diflfundirbar, sie ist löslich in Glycerin und aus dieser Lösung 1) A. Wassermann u. B. Proskauer, Deutsch, med. Wochenschr. Jahrg. 17. S. 585. 1891. 2) Tizzosi u. Cattani, Arch. f. experiment. Path. Bd. 27. p. 447. 1890. 3) L. Vaillard et H. Vincent, Annales de l'Institut Pasteur. Annee 5. p. 15, 19 et 20. 1891. 4) S. Kitasato, Zeitschr. f. Hygiene. Bd. 10. S. 296. 1891. Die Infection. 415 durch Alkohol fällbar. Dieser Substanz, welche nach allen ange- führten Reactionen zu den Vorstufen der Peptone, den sogenannten Albumosen gehört, haftet die Giftwirkung an. Die subcutane In- jection einer kleinen Menge (circa 1 Milligrm.) bewirkte bei einem gesunden Menschen eine Temperatursteigerung auf 39,1 " C; bei einer lupösen Patientin bewirkte eine 5 mal kleinere Menge eine Tempera- tursteigerung auf 40,4 0 C. ^) N. Sieber -) stellte aus einer Reincultur von Streptococcus pyo- genes einen Albumoseniederschlag dar, von welchem 0,013 Grm., einem Kaninchen subcutan injicirt, eine Temperatursteigerung von 39,2 0 auf 40,6 « bewirkte. Nach allen angeführten Thatsachen sind also die giftigsten Stoff- wechselproducte der Bacterien entweder Eiweisskörper oder Stoflfe, welche ähnliche Löslichkeitsverhältnisse aufweisen wie die Eiweiss- körper und deshalb mit ihnen zusammen ausgefällt werden. Die meisten Autoren, die sich mit diesem Gegenstande beschäftigt haben, nehmen das erstere an und nennen deshalb diese giftigen Stoffe Toxal- l)umine. Die Toxalbumine sind nicht ausschliesslich Producte des Stoff- wechsels der Bacterien. Man ist ihnen im Thier- und Pflanzenreiche bereits vielfach begegnet. So sind alle Forscher^), welche in neuester Zeit das giftige Secret der Schlangen untersucht haben, zu dem Resultate gelangt die wirksamen Bestandtheile seien Eiweisskörper. Ein ähnliches Verhalten wie das Gift der Schlaugen zeigt nach den Untersuchungen von Mosso ^) das Gift, welches im Blutserum der Muräniden enthalten ist. Mosso erklärt es für wahrscheinlich, dass dieses Gift ein Eiweisskörper sei. Zum gleichen Resultat kommt 1) R. Koch, Deutsch, med. Wochenschr. 1891. Nr. 3 und Nr. 43. Martin Hahn (Nencki's Laboratorium), Berl. klin. Wochenschrift. 1891. Nr. 30. Dort finden sich die früheren Arbeiten über das Tuberkelgift citirt. Vergl. M. C. Helmän, Archives des sciences biologiques, publiees par l'institut imperial de medecine experimentale ä St. Petersbourg. T. I. p. 139. 1892. 0. Büjwid, ebend. p. 213 u. W. Kühne, Z. f. Biol. Bd. 29. S. 24. 1892. 2) N. Sieber, Arch. des sciences biologiques. T. I. p. 285. 1892. 3) R. NoRRTS "Wolfenden, Journ. of physiology. T. 7. p. 327 and 357. ISSfi. S. Weir Mitchell and Edwaed Reichert, Researches upon the venoms of poi- sonous serpents. Smithsonian contributions to knowledge. 647. Washington 1886. p. 186. Brieger u Fränkel, Berl. klin. Wochenschr. Jahrg. 27. S. 271. 1890. 4) A. Mosso, Acad. dei Lincei. T. 4. p. 665. 1888 und Arch. f. experimen- telle Path. u. Pharm. Bd. 25. S. 111. 1889. ü. Mosso, Rendiconti della r. accad. dei Lincei 1889. 5, 1. Sem. pag. 804. 416 Vierundzwanzigste Vorlesung. KOBERT 1) bei Untersuchung des Spinnengiftes. Die in Siid-Russland vorkommende grosse Giftspinne Lathrodectes tredecimguttatus ent- hält in allen Theilen ihres Körpers, sogar in den Beinen und in den unentwickelten Eiern ein Gift, welches bei Einführung ins Blut an Intensität der Wirkung selbst das Strychnin und die Blausäure weit übertrifft. Dieses Gift ist vom Magen aus unwirksam und wird durch Kochen vernichtet. Auch im Pflanzenreiche scheinen die Toxalbumine verbreitet zu sein. So wurde nachgewiesen, dass die intensiv giftigen Bestand- theile der Samen von Abrus precatorius -) (Jequirity) und von Ricinus communis '■^) sowie das Gift eines Pilzes , der Amanita phalloides ^) nach ihrem ganzen chemischen und physikalischen Verhalten zu den Toxalbuminen gehören. Von dem Toxalbumin der Amanita phalloides wirken bei intravenöser Injection 0,5 Milligr. pro Kgrm. Körper- gewicht, vom Toxalbumin der Abrussamen 0,01 bis 0,02 Milligrm. tödtlich. 5) Da die Toxalbumine mit den hydrolytischen Fermenten, den sogenannten Enzymen, die Löslichkeitsverhältnisse und viele andere chemische Eigenschaften gemeinsam haben, lag es nahe, zu ver- muthen, dass auch die Giftigkeit beiden gemeinsam sei. Rousst^'j fand, dass die Injection von Invertin in das Blut von Hunden Fieberanfälle bewirkt; es genügte weniger als V2 Milligrm. auf 1 Kgrm. Körpergewicht, eine Temperatursteigerung bis 42'^ C. hervorzurufen. H. HiLDEBEANDT ') zeigte, dass die subcutane Injection grösserer Mengen (0,1 Grm.) Pepsin, Invertin, Diastase mittelgrosse 1) KoBEET, Sitzungsberichte der Naturforscher-Gesellschaft zu Dorpat. Bd. 8. S. 362 u. 440. 1889. 2) SiDNEY Martin and R. Nokris Wolfenden, Proceed. of the Rot. Soc. of London. Vol. 46. p. 94 and 100. 1889. Sophie Glinka, Beitr. z. Kenntniss des giftigen Princips der Jequiritysamen. Diss. Bern. 1891. Dort auch die frühere Literatur citirt. Nencki, Schweizer Wochenschr. f. Pharmacie. 1891. Nr. 29. Separatabdruck. S. 5. Heinr. Hellin, Der giftige Eiweisskörper Abrin. Diss. Dorpat. 1891. P. Ehelich, Deutsch, med. Wochenschr. 1891. Nr. 44. 3) H. Stillmaek, Ueber Ricin. Diss. Dorpat. 1888. P. Ehrlich, Deutsch, med. Wochenschr. 1891. Nr. 32. 4) KoBKRT, Sitzungsber. der Nat. Ges. zu Dorpat. Bd. 9. S. 541 ff. 1891. Dort findet sich eine übersichtliche Zusammenstellung unserer Kenntnisse über die verschiedenen Gifte in den verschiedenen Pilzen. 5) KoBERT, ebend. Bd. 9. S. 116 und 553. 1891. 6) RoussY, Gaz. des höp. Nr. 19 et Nr. 31. 1891. Vergl. das Gutachten, der Acad. über diese Arbeit vorgelegt von ScHtJTZENBERGEE, Gaütier und Häyem. Bull, de l'acad. de Medecine. Serie 3. T. 22. p. 46S. 1889. 7) H. Hildebrandt, Virchow's Arch. Bd. 121. S. 1. 1890. Die Infection. 417 Kaninchen tödtet ; der Tod trat nach 2 bis 4 Tagen ein. Bei Dosen zwischen 0,05 und 0,1 erfolgte der Tod bisweilen erst nach einer oder mehreren Wochen. Bei Emulsia und Myrosin war bereits eine Dosis von 0,05 Grm. sicher tödtlich und zwar in 2 bis 4 Tagen. Bei Hunden waren von Pepsin und Invertin relativ grössere Dosen, nämlich pro Kgrm. 0,1 — 0,2 Grm. erforderlich, um den Tod herbei- zuführen. Bei allen Versuchen trat eine Temperatursteigerung von durchschnittlich 2'^ C. ein. Man könnte nun weiter fragen: wenn die hydrolytischen Fermente toxisch wirken, sollten nicht auch die Toxalbumiue hydrolytisch wirken und vielleicht gerade dadurch ihre toxische Wirkung in den Geweben entfalten? Dieses scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Directe Versuche haben gezeigt, dass das Diphtherie- und Tetanus- gift nicht hydrolytisch wirken. ') Es ist mehrfach angegeben worden, dass auch gewisse Producte der künstlichen Eiweissverdauung, gewisse Peptone und ihre Vor- stufen, die sogenannten Albumosen, toxisch wirken. -) Diese Wirkung zeigt sich nur bei directer Einführung in das Blut, vielleicht deshalb, weil beim Durchtritt durch die Darrawand die Peptone in Eiweiss- körper zurückverwandelt werden. Aber auch bei directer Injection ins Blut werden die toxischen Wirkungen — Narkose und Sinken des Blutdruckes — nur durch sehr grosse Dosen — 0,3 Grm. pro Kilo des Körpergewichtes — hervorgebracht. Die Giftigkeit ist also jedenfalls eine sehr geringe. Es ist ferner sowohl bei diesen Ver- dauungsproducten des Eiweisses als auch bei den Enzymen stets zu bedenken, dass die Giftwirkung vielleicht nur einer Beimengung von Toxalbuminen zuzuschreiben ist, welche aus dem Stoffwechsel von Bacterien stammen. Es ist dringend za wünschen, dass die Versuche mit vollkommen sterilisirtem Ausgangsmaterial unter streng antisep- tischen Cautelen wiederholt werden. Wir haben in unseren bisherigen Betrachtungen die den Tox- albuminen und Enzymen gemeinsamen Eigenschaften ins Auge ge- fasst. Es zeigen sich indessen auch Unterschiede sowohl der Toxalbu- miue und Enzyme als auch der Toxalbumine unter einander. Einige Toxalbumine sind in Wasser unlöslich wie die Globuline, 1) L. Vaillakd et H. Vincent, Annales de Tlnstitut Pasteur. Annee 5. p. 20. 1891. 2) Schmidt- Mülheim, Du Bois' Arch. 1880. S. 50— 54. Fano, ebend. 1881. S. 277. W. Kühne u. Pollitzer, Verhaudl. d. Nat.-Med. Vereines zu Heidelberg. N. F. Bd. III. S. 292. 1886. R. Neümeister, Z. f. Biologie. N. F. Bd. 6. p. 284. 1888. BcNGE, Phys. Chemie. 3. Auflage. 27 418 Vierundzwanzigste Vorlesung. SO die giftigen Eiweissniederschläge, welche aus Culturen der Typhus- bacterien und des Staphylococcus pyogenes aureus gewonnen wurden. Die meisten Toxalbumine dagegen sind wie die Fermente in Wasser löslich, aber nicht dialysirbar. Eine Ausnahme machen das Gift der Klapperschlange i)und das Gift der Tuberkelbacillen, welche dialysirbar sind. Das Tetanus- und das Diphtheriegift dialysiren langsam. Temperaturen über 50"^ C. machen viele Toxalbuminlösungen unwirksam. Doch giebt es einige, welche Temperaturen von 60" und mehr ertragen, sogar kurzes Erwärmen auf 100" C., so z. B. das Gift der indischen Cobra- Schlange und das Toxalbumin der Tuberkel- bacillen. Es liegt nahe zu vermuthen, dieser Unterschied beruhe darauf, dass die durch Siedhitze unwirksam gemachten Toxalbumine zu den eigentlichen Eiweisskörpern gehören, die durch Siedhitze nicht unwirksam gemachten dagegen zu den Peptonen. -) Wenn diese An- nahme richtig ist, so muss man erwarten, dass die durch Siedhitze nicht zerstörbaren Toxalbumine dialysirbar seien. Dieses trifft beim Tuberkelgift zu. Trocken können die Toxalbumine wie die Fermente hoch erhitzt werden, z. B. gewisse Schlangengifte bis auf 115" C, ohne ihre Giftigkeit einzubüssen. Absoluter Alkohol macht gewisse Toxalbumine, z.B. das Schlangen- gift nicht unwirksam. Andere verlieren dagegen allmählich ihre Wirksamkeit. So wird nach Kitasato das Tetanusgift unwirksam, wenn 70 "/o Aethylalkohol eine Stunde oder 60 "/o Aethylalkohol 24 Stunden einwirken. Alkalien und Säuren schwächen oder zerstören die Wirksamkeit vieler Toxalbumine. So wird die Giftwirkung des Schlangengiftes durch Alkalien geschwächt. Tetanusgift wird von freien Alkalien zerstört: von freiem Natron genügt eine 0,3 procentige Lösung, von kohlensaurem Natron eine 3,7 procentige, in einer Stunde das Tetanus- gift zu zerstören; von freiem Ammoniak muss eine einprocentige Lösung 24 Stunden einwirken. Von der Salzsäure genügt eine Lösung von 0,365 > in 24 Stunden und von 0,55 "/o, in einer Stunde das Tetanusgift zu zerstören. Das Gift der Muräniden wird durch Essig- säure und Salzsäure zerstört, ebenso durch Magensaft. Wird aber das giftige Serum durch die Bauch wand in den Dünndarm injicirt, so erfolgt der Tod. Auch das Spinnengift ist vom Magen aus un- wirksam, ebenso das Tuberkel- und das Tetanusgift. Ich will die Betrachtung der Toxalbumine nicht verlassen, ohne 1) William Heidenschild, Unt. üb. d. Wirkung des Giftes der Brillen- und Klapperschlange. Diss. Dorpat. 1886. 2) S. Weir Mitchell u. Edward T. Keichert, I. c. Die Infection. 419 noch einer Beobachtung zu erwähnen, welche vielleicht eine grosse Tragweite hat. Es sind in neuerer Zeit mehrfach Angaben gemacht worden über das Vorkommen von Eiweisskörpern im normalen Blute, welche gewissen Bacterien gegenüber als Toxalbumine sich verhalten, und es ist versucht worden, daraus die Erscheinungen der Immunität zu erklären. ') Indessen sind diese Untersuchungen noch nicht reif für eine zusammenfassende Darstellung. 1) Eine Zusammenstellung der Literatur über diesen Gegenstand findet sich bei R. Stern, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 18. S. 46. 1891. Vergl. auch den beim XI. Congress für innere Medicin zu Leipzig gehaltenen Vortrag von H. Buchner, abgedruckt in der Berliner klinischen Wochenschr. 1892. Nr. 19 und H. Buchner, Arch. für Hygiene. Bd. 17. S. 112 u. 138. 1893. 2V Fünfimdzwanzigste Vorlesung. Das Fieber. Fast alle Infectionen führen zu dem Symtomencomplex, den man als Fieber bezeichnet. Unter diesen Symptomen ist bekannt- lich die Temperatursteigerung dasjenige, welches der Messung am besten zugänglich und deshalb am eingehendsten studirt wor- den ist. Teleologisch findet diese Temperatursteigerung eine Erklä- rung in der Annahme , dass durch sie pathogene Mikroorganismen getödtet oder doch wenigstens in ihrer Entwicklung gehemmt und die pathogenen Eigenschaften abgeschwächt werden. De Simone*) fand, dass die Vermehrung des Streptococcus Erysipelatos schon bei 39 bis 40" C. gänzlich aufhört und dass er bei 39,5 bis 41 oc. abstirbt. Bard und AuBERT^) sahen aus dem •Bacteriengemisch der Fäces bei längerer Einwirkung von Fiebertemperaturen alle Arten bis auf den Bacillus coli communis verschwinden. A. Fränkel^) fand, dass ein zweitägiges Wachsth um bei 42 ^C. oder ein 4 bis ötägiges Wachstbum bei 41" C. die Virulenz der Sputum- septikämiekokken vollständig aufhebt. Pasteur*) fand, dass Milzbrandbacillen durch längere Einwir- kung einer Temperatur von 42 bis 43*^0. ihre pathogenen Eigenschaften einbüssen, ja noch mehr, dass mit solchen Bacterieu geimpfte Thiere gegen wirkliche Milzbrandinfection immun werden. 1) Fr. de Simone, II Morgagni 1885. Nr. 8— 12. 2) L. Bard et P. Aubert, Gazette hebdomadaire de Medecine et de Chirurgie. Nr. 35. p. 418. 1891. 3) A. Fränkel, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 10. Hft. 5 u. 6. 1886. 4) Pasteur avec la collaboration de M. M. Chamberland et Roux. Comptes rendus. T. 92. p. 432, 662, 666 et 1379. 1881. Das Fieber. 421 G. und F. Klemperee i) erwärmten Bouillonculturen von Pneumo- kokken 2 bis 3 Tage lang auf 41 bis 42^0. und fanden, dass die Injection dieser Culturen Kaninchen gegen die Infection mit Pneumo- kokken immun macht. Diese Ergebnisse gewähren uns also nicht bloss ein Verständ- niss für die Bedeutung des Fiebers, sondern deuten auch an, wie wir uns das Zustandekommen der Immunität nach den Infections- krankheiten zu erklären haben. Wir müssen hierbei noch bedenken, dass man beim Fieber ja immer nur Durchschnittstemperaturen gemessen hat. Es ist sehr wohl möglich, dass in gewissen Gewebselementen und vielleicht gerade dort, wo die Bacterien sitzen, die Temperatur weit höher steigt. Die Temperatursteigerung im Fieber wäre also einer von den Processen der Selbsthülfe und Selbstregulirung , denen wir so viel- fach im Organismus begegnen.'-) Was nun die mechanistische Erklärung der Temperaturstei- gerung betrifft, so hat man vor Allem an einen gesteigerten Stoff- wechsel gedacht. Alfred Vogel 3) fand im Jahre 1854 nach Liebig's Titrirmethode, dass die Stickstoffausscheidung bei fieber- haften Krankheiten gesteigert ist. Diese Angabe ist später vielfach bestätigt worden."*) Der Stickstoffausscheidung entsprechend ist, wie a priori zu erwarten war, auch die Schwefelsäureausscheidung gesteigert. °) 1) G. u. F. Klemperer, Berliner klin. "Wochenschr. 1891. Nr. 34 und 35. 2) Wenn diese Auffassung von der Bedeutung des Fiebers richtig ist, so muss die Behandlung der fieberhaften Krankheiten mit kalten Bädern und anti- pyretischen Medicamenten verkehrt erscheinen. Zur Orientirung über diese Streit- fragen seien die folgenden Abhandlungen empfohlen : Unverricht, Deutsche med. Wochenschr. Jahrg. 13. S. 452 und 478. 1887 und Jahrg. 14. S. 749 und 778. 1888. LiEBERMEisTEE, cbeud. Bd. 14. S. 1 und S. 26. 1888. Naunyn, Arch. f. experimen- telle Path. u. Pharm. Bd. 18. S. 49. 1884. Arnaldo Cantani, üeb. Antipyrese. Vortrag. Verhandlungen des X. Internat, med. Congresses. Berlin. Hirschwald. 1891. S. 152. Eine kritische Zusammenstellung der Literatur üb. d. Wirkung der antipyretischen Arzneimittel findet sich bei Gottlieb, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 26. S. 419. 1890. Bd. 28. S. 167. 1891. 3) A. Vogel, Zeitschr. f. rationelle Med. N. F. Bd. 4. S. 362, 1854 und Klinische TJnt. üb. d. Typhus. Erlangen 1860. 4) Eine Zusammenstellung der sehr umfangreichen Literatur findet sich bei Senator, ünt. üb. den fieberhaften Process. Berlin. 1873. S. 94ff. und bei Naunyn, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 28. S.49. 1884. Vergl. ferner L.RiEss,Virchow's Arch. Bd. 22. S. 127. 1886. Hirschfeld, Berliner kl. Wochenschr. 1891. Nr. 2. G. KlempereRj Deutsche med. Wochenschr. 1891. Nr. 15. 5) FüRBRiNGEK, Yirchow'8 Arch. Bd. 73. S. 39. 1878. 422 Fünfundzwanzigste Vorlesung. Liebermeister') und Leyden'-) fanden auch die Kohlen- säureausscheidung beim Fieber gesteigert. Diese am Menschen angestellten Beobachtungen wurden mehrfach durch Thierversuche bestätigt. 3) Dabei wurde neben der vermehrten Kohlensäureaus- scheidung auch eine vermehrte Sau er st off aufnähme festgestellt. *) Es ist indessen fraglich , ob dieser gesteigerte Stoffwechsel die Ursache der Temperatursteigerung ist. Denn erstens kann bekannt- lich beim Gesunden eine sehr bedeutende Steigerung des Stoffwechsels eintreten — z. B. bei angestrengter Muskelarbeit — ohne gesteigerte Temperatur, weil dem Organismus vielfache Mittel zu Gebote stehen, durch vermehrte Wärmeabgabe die vermehrte Wärmebildung zu compensiren. Zweitens tritt die Stoffwechselsteigerung gar nicht bei allen Fiebern auf. Vielfache Versuche an Thieren und am Men- schen haben gezeigt, dass häufig im Fieber nicht mehr Sauerstoff aufgenommen und Kohlensäure ausgeschieden wird als im fieberfreien Zustande, bisweilen sogar weniger.^) Deshalb muss die Temperatursteigerung beim Fieber noch andere Ursachen haben als bloss die Steigerung des Stoffwechsels. Es bleibt nur die Annahme übrig, dass die Wärmeabgabe vermin- dert sei. Diese Annahme fand den entschiedensten Vertreter in L. Traube % 1) LiEBEEMEisTER , Dcutsches Archiv für klin. Med. Bd. 7. S. 75. 1870 und Bd. 8. S. 153. 1871. Handbuch d. Pathologie u. Therapie des Fiebers. Leipzig. Vogel. 1875. 2) Leyden, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 5. S. 237. 1869 u. Bd. 7. S. 536. 1870. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1870. Nr. 13. 3) SiLUJANOFP, Virchow's Archiv. Bd. 53. S. 327. 1871. A. Feaenkel, Ver- handlungen d. physiolog. Ges. z. Berlin. 1894. 4. Febr. E. Leyden u. A. Fkaenkel, Centralbl. f. d. med. Wissenschaft. 1878. S. 706. Virchow's Archiv. Bd. 76. S. 136. 1879. 4) CoLASANTi, Pflüger's Archiv. Bd. 14. S. 125. 1876. D. Finklee, ebend. Bd. 29. S. 89. 1887. A. Lilienfeld, ebend. Bd. 32. S. 293— 356. 1883. 5) Senator, Virchow's Archiv. Bd. 45. S. 351. 1869. Unt. üb. d. fieberhaften Process u. seine Behandlung. Berlin. Hirschwald. 1873. Du Bois' Arch. 1872. S. 1. Werthheim, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 15. S. 173. 1875. Wiener med. Wochenschr. 1876, Nr. 3— 7. 1878. Nr. 32, 34 u. 35. Fr. Kraus, Zeitschrift f. kl. Med. Bd. 18. S. 160. 1891. A. Loewy, Virchow's Archiv. Bd. 126. S. 218. 1891. 6) L. Traube, Allgem. med. Centralzeitung. Jahrg. 1863. 1. Juli, 8. Juli u. 22. Dec. u. Jahrgang 1864. 23. März. Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie. Berlin. Hirschwald. 187 1. Bd. IL S. 637 u. 679. Eine Zusammen- stellung der zahlreichen Autoren, welche schon vor Traube — wenn auch weniger klar und entschieden — die verminderte Wärmeabgabe beim Fieber vertreten haben, sowie eine sorgfältige Angabe der einschlägigen Literatur findet sich bei Maragliano, Zeitschr. f. klin. M. Bd. 14. S. 309. 1888. Das Fieber. 423 welcher lehrte, es trete üeim Fieber eine Zusammenziekung der peri- pheren Blutgefässe ein, in Folge dessen eine verminderte Blutzufuhr zur Haut, daher verminderter Wärmeverlust und Stauung im Innern des Körpers. Ed. Maragliäno ') hat diese Verengerung der Hautgefässe mit Hülfe des Mosso'schen Plethysmographen bei verschiedenen fieberhaften Krankheiten nachgewiesen. Er zeigte, dass die Blut- gefässe der Haut schon anfangen sich zu contrahiren, noch bevor die Temperatursteigerung erkennbar ist, dass mit der fortschreitenden Gefässcontraction die Temperatur zu steigen anfängt, dass beide gleichzeitig ihr Maximum erreichen, dass dem Sinken der Tempe- ratur eine Erweiterung der Blutgefässe voraageht und dass die Tem- peratur zur Norm zurückkehrt, wenn die Erweiterung der Blutgefässe ihren Höhepunkt erreicht hat. Die verminderte Wärmeabgabe, namentlich in den ersten Stadien des Fiebers, ist vielfach durch directe Versuche mit Hülfe des Calorimeters an Thieren und am Menschen nachgewiesen worden.-) In welcher Weise das Nervensystem an dem Zustandekom- men der Stoflfwechselsteigerung und der verminderten Wärmeabgabe durch die Haut sich betheiligt, hat man sich vielfach vergeblich be- müht auf experimentellem Wege zu entscheiden. Zahlreiche Thier- versuche haben gezeigt, dass durch mechanische Verletzung oder elektrische Reizung gewisser Hirntheile — z. B. des medianen Theiles des Corpus striatum u. A. — eine anhaltende Temperatursteigerung hervorgebracht wird und dass dabei auch eine Steigerung des Stoff- wechsels eintritt. Es ist dieses jedoch ein von dem Fieber ver- schiedener Process, weil dabei keine Gefässverengerung und keine verminderte Wärmeabgabe eintritt, s) 1) Maragliäno, I.e. p. 316— 319. 2} Senator, ünt. üb. den fieberhaften Process und seine Behandlung. Berlin. Hirschwald. 1873. Carl Rosenthal, Du Bois' Archiv. 1888. S. 1. J. Rosenthal, Berliner Min. Wochenschr. 1891. ö. 785 u. Internat. Beiträge z. wissenschaftl. Medicin. Festschrift. R. Virchow gewidmet. Berlin. Eirschwald. 1891. Bd. I. S. 413. 3) Eine eingehendere Besprechung dieser Versuche gehört nicht in dieses Lehrbuch. Ich verweise auf die folgenden Abhandlungen: J. Ott, Journal of nervous and mental Diseases 1884 und Therapeutic Gazette. September 15. 1887. The Medical News. December 10. 1887. Aronsohn u. Sachs, Pflüger's Arch. Bd. 37. S. 232. 1885. H. Girard, Archives de Physiologie. Serie III. T. 8. p. 281. 1886 et Serie IV. T. 1. p.312 et 463. 1888. White, Journ. of Physiology. Vol. 11. Nr. 1 and 2. 1890. ügolino Mosso, Arch. f. experimentelle Pathologie u. Pharmakol. Bd. 26. S.316. 1890. 424 Fünfundzwanzigste Vorlesung. Von den beiden Factoren, welche die Temperatursteigerung beim Fieber bewirken, der vermehrten Wärmebildung durch gesteigerten Stoffwechsel und der verminderten Wärmeabgabe, ist jedenfalls der zweite der wichtigere, weil die Fiebertemperatur bisweilen, wie er- wähnt, auch ohne den ersten Factor zu Stande kommt. Einige Autoren sind soweit gegangen, den ersten Factor, den gesteigerten Stoffwechsel, überhaupt nicht als Ursache der Temperatursteigerung gelten zu lassen, sondern denselben als Folge der erhöhten Tempe- ratur zu betrachten. Directe Versuche an Thieren und am Menschen haben gezeigt, dass, wenn man künstlich die Temperatur steigert, indem man die Wärmeabgabe durch warme Bäder hindert, die Harn- stoffausscheidung steigt. ') Es ist jedoch sehr fraglich, ob diese bei künstlicher Tempe- ratursteigerung beobachtete Harnstoffvermehrung zur Erklärung der lebhaft gesteigerten Stickstoffausscheidung beim Fieber ausreicht. Die künstliche Harnstoffsteigerung war stets viel geringer als die beim Fieber und blieb in einigen Versuchen ganz aus. 2) Gegen die Erklärung der Stoffwechselsteigerung als Folge der Temperatursteigerung spricht ferner die Thatsache, dass die ver- mehrte Stickstoffausscheidung beim Fieber nicht der Temperatur- steigerung parallel läuft, sondern in der Regel nach der Krise ihr Maximum erreicht. ^^ In manchen Fällen ist während des fieberhaften Zustandes die Temperatursteigerung nur unbedeutend und nach dem Aufhören des Fiebers tritt eine massenhafte Harnstoffausscheidung auf. So wurden in einem Falle von Febris recurrens am 2. Tage nach der Krise 47,8 Grm. Harnstoff ausgeschieden *), in einem Falle von Typhus exanthematicus am dritten und vierten Tage nach der Entfieberung zusammen 160 Grm. Harnstoff.^) Bisweilen tritt die ver- mehrte Eiweisszersetzung bei Infectionskrankheiten schon früher auf als die Temperatursteigerung, c) 1) Bartels, „Greifswalder med. Beitr." Bd. 3. S. 36. 1865. Naunyn, Berl. klin. Wochenschr. 1869. S. 42. Du Bois' Archiv. 1870. S. 159. Schleich, Arch. f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 4. S. 82. 1875. P. Richter, Vichow's Archiv. Bd. 123. S. 118. 1891. 2) C. F. A.Koch, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 19. S. 447. 1883. N. P. Sima- NOWSKY, Zeitschr. f. Biol. Bd. 21. S. 1. 1885. 3) Anderson, Edinb. med. Journ. 1866. Febr. p. 708. Vergl. Wood and Marshall, Journ. of nerv. and. ment. Diseases. 1891. Nr. 1. 4) A. Pkibram u. J. Robitschek, Prager Vierteljahrsscbr. Bd. 104. S. 318. 1869. 5) Naunyn, Arch. f. exper. Pathologie u. Pharm. Bd. 18. S. 83. 1SS4. 6) Sydney-Ringer. Lancet. Aug. 6. 1859. Das Fieber. 425 Schimanski') zeigte, dass bei Hühnern nach Eiterinjectionen bisweilen die Temperaturerhöhung ausbleibt und dennoch sehr be- deutende Vermehrung der Stickstoffausscheidung eintritt. Lilienfeld '^) fand, dass nach pyrogenen Injectionen eine Steigerung der Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe auch dann eintritt, wenn man die Steigerung der Temperatur durch kalte Bäder ver- hindert. Es ist also nach allen diesen Versuchen die Annahme nicht halt- bar, dass die Steigerung des Stoffwechsels eine Folge der Temperatur- steigerung sei. Dagegen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Stoff- wechselsteigerung — insbesondere in den späteren Stadien des fieberhaften Processes — zum Theil zurückzuführen sei auf das Ab- sterben afficirter Gewebselemente, welche zersetzt und aus- geschieden werden müssen. Dieses Absterben einzelner Gewebs- elemente lässt sich direct anatomisch nachweisen. 3) Zu den absterbenden Gewebselementen gehören auch die rothen Blutkörperchen. Für ihren vermehrten Zerfall spricht das vermehrte Auftreten von Urobilin.i) (Vergl. oben S. 331 u. 349.) Die Leukocjten dagegen sind bei den meisten Infectionskrank- heiten vermehrt wie bei so vielen anderen Störungen, welche mit vermehrtem Gewebszerfall einhergehen. Es scheint, dass die Leuko- cjten in vermehrter Menge auftreten müssen, um die Zerfallproducte unschädlich zu machen. Directe Versuche haben gezeigt, dass die Einführung fremder Stoffe der verschiedensten Art die Zahl der Leukocyten steigert. '") Im Zusammenhange mit dem vermehrten Eiweisszerfalle steht wahrscheinlich auch das Auftreten von organischen Säuren — flüchtigen Fettsäuren '^) und Milchsäure ") — sowie die Abnahme der Alkalescenz und der Kohlensäure im Blute und der Uebergang von Aceton, 1) Schimanski, Zeitschr. f. physiol. Cham. Bd. 3. S. 396. 1879. 2) A. LiLiEKFELD, Pflüger's Arch. Bd. 32. S. 293. 18S3. 3) Eine Zusammenstellung dieser Untersuchungen findet sich bei Lieber- MEiSTEE, Handb. der Patholog. u. Therapie des Fiebers. Cap. 4. S. 437. Leipzig. Vogel. 1875. 4) Georg Hoppe-Seyler, Virchows Arch. Bd. 124. S. 30. 1891 u. Bd. 128. S. 43. 1892. In der ersteren Abhandlung findet sich die gesammte Literatur über das Auftreten von Urobilin unter pathologischen Bedingungen zusammengestellt. 5) Eine Zusammenstellung der gesammten, sehr umfangreichen Literatur über das Verhalten der Leukocyten findet sich in der Monographie von H. Rieder, Beiträge zur Kenntniss der Leukocytose. Leipzig. Vogel. 1892. Vergleiche auch Vorles. 14. S. 231-232. 6) VON Jaksch, Klinische Diagnostik. Aufl. 2. S. 59. 1889. 7) Minkowski, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 19. S. 209. 1885. 426 Fünfundzwanzigste Vorlesung. Acetessigsäure , Oxybuttersäure ^) und flüchtigen Fettsäuren ^j in den Harn. (Vergl. oben S. 389 u. S. 402.) Der Kohlensäuregehalt im arteriellen Blute kann bis auf 10,7 Volum- procente sinken. 3) Mit dem Auftreten der organischen Säuren hängt vielleicht auch die vermehrte Ammoniakausscheidung beim Fieber zusammen. Dieselbe kann bis auf 2,7 Grm. pro die ansteigen. '*) (Vergl. oben S. 297 u. 403.) Das Auftreten von Säuren im Blute, die Abnahme der Alkalescenz und der Kohlensäure ist auch bei der Einwirkung anorganischer Gifte — Arsenik, Phosphor u. A. — beobachtet worden^) und es scheint daher, dass die als Stoifwechselproducte der pathogenen Bacterien auftretenden Gifte, welche die fieberhaften Infectionskrankheiten hervor- rufen, in ähnlicher Weise den Chemismus des Blutes stören. Eine zwar nicht constante, bei hohem Fieber aber sehr häufige Störung des Stofi'wechsels ist die Albuminurie. ") Der Zusammen- hang derselben mit den übrigen Veränderungen des Chemismus im Fieber ist noch nicht aufgeklärt. Es liegt nahe zu vermuthen, dass der Organismus sich der Infectionsstofi'e oder auch der pathogenen Mikro- organismen selbst durch die Nieren zu entledigen sucht, dass diese Gifte auf die Niere als Reiz wirken und die Albuminurie veranlassen. Es wird in der That angegeben, dass im Harne Fiebernder giftige Stoffe nachweisbar seien.') Brieger und Wassermann ^j 1) Deichmüller, Centralbl. f. klin. Med. 1882. Nr. 1. Seifert, Verhandl. d. Würzburger phys. med. Ges. Bd. 17. S. 93. 1883. Litten, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 7. Suppl. p. 82. 1884. Penzoldt, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 34. S. 127. 1884. V. Jaksch, lieber Acetonurie u. Diacetonurie. Berlin 1885. Külz, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 23. S. 336. 1887. 2) VON Jaksch, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 10. S. 536. 1886. 3) JuL. Geppert, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. II. S, 355. 1881. Vergl. auch Minkowski, 1. c. 4) Hallervorden, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 12. S. 249. 1880. Dort sind auch die früheren Arbeiten von Düchek u. Koppe citirt. Vergl. auch BoHLAND, Pflüger's Arch. Bd. 43. S. 30. 1888 u. G. Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 17. S. 30. 1892. 5) Hans Meyer u. Fr. Williams, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 13. S. 70. 1881. Hans Meter, ebend. Bd. 14. S. 313. 1882 u. Bd. 17. S. 304. 1883. 6) Eine Zusammenstellung der Literatur findet sich bei Senator, Die Albu- minurie. Aufl. 2. Berlin. Hirschwald 1890. Vergl. auch Hübener. üeb. Albuminurie bei Infectionskrankheiten. Diss. Berlin. 1892. 7) Aus der umfangreichen Literatur seien die folgenden Arbeiten hervorge- hoben: BoucHARD, Legons surles auto-intoxications. Paris 1887. F. Selmi, Accad. delle scienze di Bologna. 1879 und Ann. di chim. e di farm. T. 8. p. 3, 1888. Vergl. auch die abweichenden Angaben von E. Bonardi, Riv. Clinica. 1890. p. 389. 8) Brieger u. Wassermann, Charite-Annalen. Jahrgang 17. S. 834. 1892. Das Fieber. 427 stellten aus dem Harn einer Erysipelas-Patientin ein Toxalbumin dar, mit welchem Meerschweinchen vergiftet wurden. Die pathogenen Mikroorganismen selbst konnten bisher in der Niere nachgewiesen werden bei Pyämie, Milzbrand, Rotz, Diphtherie, Scharlach, Erysipelas, Pneumonie, Typhus abdominalis und recurrens.^) KoNjAjEFP -) konnte beim Typhus abdominalis die specifischen Bacillen nicht nur in der Niere nachweisen, sondern bisweilen auch im Harn. Neumann '^) fand in 11 Fällen von 48 beim Typhus abdominalis die Typhusbacillen im Harn. Karlinski ^) giebt an, dass die Typhus- bacillen im Harn viel eher als im Kothe sich nachweisen lassen. Während sie im letzteren nicht vor dem 9. Krankheitstage auffindbar waren, gelang ihr Nachweis im Harne oft schon am dritten Tage. In 21 von 44 Fällen wurden Bacillen gefunden. Eine weitere Veränderung im Stoffwechsel, welche bei fieber- haften Krankheiten häufig auftritt, ist die oft sehr auffallende Ver- minderung der Chlorausscheidung. Insbesondere bei der croupösen Pneumonie sieht man bisweilen das Chlor fast vollständig aus dem Harne verschwinden. ^) Diese Armuth des Harnes an Chloriden ist immer nur eine vorübergehende; sie dauert nicht länger als höchstens 3 Tage. ^) Es ist bisher noch nicht gelungen, diese Erscheinung zu erklären und mit den übrigen Fiebersymptomen in Zusammenhang zu bringen. 1) RiBBERT, Deutsche med. Wochenschr. 1889. Nr. 39. S. 805. Dort auch die Literatur über diese Frage zusammengestellt. 2) KoNjAjEFP, Jescheniedielnaja klinitscheskaja Gazeta. 1888. Nr. 33 — 38. Referirt im Centralblatt für Bacteriologie u. Parasitenkunde. Bd. 6. S. 672. 1889. 3) H. Neümann, Berliner klin. Wochenschr. 1890. Nr. 6. 4) J, Karlinski, Prager med. Wochenschr. 1890. Nr. 35 u. 36. 5) J. F. Heller, Heller's Archiv für physiologische und pathologische Chemie und Mikroskopie. Bd. 4. S. 523. 1847. Redtenbachjer , Zeitschr. der Ges. der Aerzte in Wien. 1850. S. 373. S. Moos, Zeitschr. f. rationelle Med. N. F. Bd. 7. S. 291. 1855. Ernst Unruh, Virchow's Arch. Bd. 48. S. 227. 1869, Röhmann, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 1. S. 513. 1880. R. Klees, (Over chloorvermindering in de urine etc. Diss. Amsterdam. 1885) sucht nachzuweisen, dass die verminderte Chlorausscheidung bei den acuten Krankheiten mit der gestörten Nierenfunction (Albuminurie) zusammenhängt. 6) C. G. Lehmann, Lehrb. d. physiol. Chem. Bd. 2. S. 395. Leipzig 1850. Sacli-Eegister. Absorptionscoefficienten der im Thierkörper vorkommenden Gase 283. Acetessigsäure 388—390. 426. Aceton 388—390. 402—404. 425. Acidalbumin 178. Adenin 322. Adenoides Gewebe der Darmwand 207—210. Aethylalkohol als Nahrungsmittel 124. 127. 369. — als Genussmittel 125 — 129. — als Arzneimittel 130. — , Einfluss auf die Ausbildung der Fettleibigkeit 128. 381. — Resorption vom Magen aus 161. Aethylbenzol 261. Aetbylenalkohol 78. AetEylenmilchsäure 319. Aethylenoxyd 78. Aethylideumilchsäure 318. 319. Aethylscbwefelsäure 259. Albumin 48. 225—226. 236, s. auch Eiweiss. Albuminurie 324. 426. Albumosen 178. 417. Aleuronkrystalle 49. Alexine 419. Alizarinblau 351. Alkalien, Bedeutung für die Oxyda- tionsvorgänge 250. 406. Alkohol siehe Aethylalkohol. Alkoholgährung 166. 169. 368. Allantoin 311. Alloxan 311. 321. Aluminium 27. Amauitin 79. Ameisensäure, Gährung 168. Amidoessigsäure 59. 190. Amidosäuren 56. 178—180. 294—295. 316. Amidozimmtsäure 260. Ammoniak, Bedeutung für den Lebens- process 20—22. — , Auftreten im Thier- körper 286. 295—301. 318-320. 328. Ammonium, ameisensaures 299. 316. — , carbaminsaures 297. — , citron- saures 296. — , kohlensaures 296—301. 316. 330. Amöben 5. 6. 9. 10. 11. Amphibien, Athmung derselben 275. 366. Amphioxus 347. Amylum 173—174. Anämie 95. Anaerobiose 246, Aum. 1. 365. 366. Anorganische Nähr ungs Stoffe 96—121. Antimon 376. Antiseptische "Wirkung der Mine- ralsäuren des Magensaftes und des Speichels der Schnecken 142—145. 152—156. — der Galle 196. 197. Anus praeternaturalis 162. Arbeit 30—37. — der Muskeln 359— 369. — des Geistes, Zusammenhang mit dem Stoffwechsel 37—41. Arcella 9. 10. 11. Aromatische Verbindungen 258 — 263. Arsen 128. 376. Arsenwasserstoff 350—352. Arthritis 306. 308. 317. Sach-Register. 429 Ascaris mystax, Sauerstoff bedürfaiss 366. Asche der Nahrungsmittel 96—121. Asparaginsäure 56. 294. 316. Athmung, äussere und innere 238 — 285. Ausnutzung der Nahrungsstoffe im Verdauungscanal 60. 61. 70—77. Avidität 146. Bacterieu im Magen 142 — 143. 152— 155. — als Fermente 163. 168. 172. 175. 330, Anm. Bauchspeichel 163. 173—180. Belegzellen 150. Benzoesäure 259. 261. 286—293. 310. Benzol, Oxydation im Thierkörper 253 —254. 259—261. 263. 387. Benzylalkohol, Verhalten im Orga- nismus 250. 261. Bertholletia excelsa, Eiweisskry- stalle aus den Samen 50. Bilirubin 191. 331. 332. 347—352. Biliverdin 191. 347. Bindegewebe 57—60. Blasen steine aus Kieselsäure 26. — aus Harnsäure 306—308. 329—330. — aus Phosphaten 330. — aus Oxalaten 341—342. — aus Xanthin 322. — aus Cystin 337. Blut 212—226. — , Menge im Körper des Menschen 83. — , quantitative Analyse 218—225. Blutfarbstoffe 225.347. — im Harn 279. 349—350. Blutfaserstoff 178. 181. 212—218. Blutgase, Vorl. 15. 16. S. 238—272. Blutgerinnung 212—218, Blutkörperchen, rothe 218—225. — , Function derselben bei den syntheti- schen Processen 292. — , farblose, s. Leucocyten. Blutkucheu 210. Blutplasma 212—218, Blutplättchen 217. Blutserum 212. 218—226. Bluttransfusion 218. Brenzcatechin 258. 259. 261. Brod, Ausnutzung 71. 76. Brombenzol 336. Buttersäuregährung 153—154. 170. 254. 368. Butylchloral 263. Cacaobohne 132. Calorie 63. Campher 262. Campherol 262. Camphoglycuronsäure 262. Capillargefässe, Function derselben 323. Carbamid 293—304. Carbaminsäure 297. 298. Ca sein 50. Cellulose 74—77. 174—175. Cerealien, Werth derselben als Nah- rungsmittel 73 — 74. Cerebrospinalflüssigkeit 235. 236. Chinin 292. Chlor, Ausscheidung im Fieber 427. Chloral 263. Chlorammonium 296. Chlornatrium 107—121. Chlorophyll 25. 41—43. Chlorose 84—95. Chlorstickstoff 164. Chlorwasserstoff siehe Salzsäure. Chocolade 133. Cholalsäure 189. 190. 194. 347. Cholera 153. Cholesterin 82. 83. 191. — im Blute 23. Cholin 78—80. 408. Chondrin 58—61. Chylurie 201. Chylus 198-203. 233. Chymus 162—163. 173—183. Cirrhosis hepatis 300. 319. 321. 396. Coagulation der Ei Weisskörper 48. 49. Cobitis 281. Coffein 131 — 132. Collidin 410, Anm. Colloidstoffe 47—48. Coma diabeticum 401 — 404. Concremente in den Gallenwegen 191. — aus Harnsäure 306—308. 329—330. siehe auch Harnsteine. Contactwirkung 165. 168. 169. Cuminsäure 262, 430 Sach-Register. Cyanamid 303. Cyausäure 297. 309. Cymol 262. Cystein 335-337. Cystin 335—337. Cystinurie 337. Darm, Veidauungsvorgäuge in dem- selben; Vorles. 10. 11. —.Resorption. Vorles. 12. Darmfistel 184—186. 204. Darmgase 280—285. Darmparasiten 163. 185. 365—366. Darmperistaltik, Einfluss der Nah- rung auf dieselbe 75—76. Darmsaft 184—188. Descendenzlehre 119—121. Dextrin 167 — 174. Dextrose, siehe Traubenzucker. Diabetes insipidus 401. Diabetes mellitus, 319. 356. 383— 406. Diastase 167. 172. 173. Diathese, harnsaure 306. 308. Diffusion 5—7. Dioxybenzol 261. Dolium galea 144—145. 148. Dotter des Hühnereies 90—92. Dotterplättchen 49. Drüsen, Function derselben 7. 97.98. 145—150. 158. 323—326. 343. Ductus thoracicus 198—203. Dünndarm 184—188. Dyspepsie 154 — 156. Eidotter 90. Eieralbumin 48. Eisen, Kreislauf desselben 23 — 25. — , Vorkommen im Hämoglobin 24. 83. 92. 240. 241. — , Bedeutung für das Pfianzenleben 24. 25. — , Resorption und Assimilation im Thierkörper 83 — 95. 98-100. 102. — im Harn 95. — , giftige Wirkung 89. — , Verhalten in der Leber 99—100. 352. Eisenoxyd, colloidale Eigenschaften 48. 49. Eisenoxydul als Sauerstoffüberträger 257. Eisenpräparate als Medicament 89. 90. Eiter, Pepton in demselben 209—211. Eiweissstoffe 46—57. — , krystalli- sirte 49—56. — , Spaltungsproducte derselben 56. 283—285. 322. — , Be- deutung für den Lebensprocess 65—66. — , Gehalt der verschiedenen Nahrungs- mittel daran 67—69. — , Ausnutzung 70—73. — , Verdauung durch das Pankreas 177—180. — , Resorption 70—73. 202—211. — im Blute 225— 226. — im Muskel 226. — in der Lymphe und in serösen Transsudaten 236. — , Uebergang in den Harn 324. — als Quelle der Muskelkraft 363. Elastin 61. Elemente, chemische; Kreislauf der- selben 15 — 28. Embryo, Athmung desselben 247. — , Gallensecretion 194. Emulgirung der Fette im Darme 175 —177. 186—188. Endosmose 5—7. Entfettungscuren 381—382. Entozoen 163. 185. 365—366. Epithelzellen des Darmes und der Drüsen 5—7. 98. 148. 158. 292. 323— Erstickung 243. 245. 272. [326. Erucasäure 375. Essigsäure 56. — , Sumpfgasgährung Exspirationsluft 270. [168. Faserstoff des Blutes 178. 181. 212—218. 236. Fäulniss 179. Federn 26. 61. Fermente 164—172. 330, Anm. 413. 414. 416. 417. Fette, Bedeutung als Nahrungsstoffe 62—77. — , Verdauung durch den Pan- kreassaft 175 — 177. — , Emulsionirung 176—177. 185—186. — , Resorption 5—6. 75. 177. 187. 195. 196. 198— 202. 370—375. — im Blute 201. 202. — , Arbeitsmaterial des Muskels 363. — , Bildung im Thierkörper 200. 370— 382. — , Umwandlung in Kohlehydrate 357. 358. Sach-Kegister. 431 Fettleibigkeit, Aetiologie 381. — , Therapie 382. Fettmetamorphose 375—377. Fettsäuren, freie ; Verhalten im Thier- körper 372—374. Fibrin siehe Faserstoff. Fieber 420—427. Firnissung der Haut 278—279. Fleisch als Nahrungsmittel 70. Fleischbrühe 133—138. I'leischextract 133—138. Fleischmilchsäure 318—320. 367— 368. Fliegenmaden, Fettbildung in den- selben 377. Fluor 27. Fötus, AthmuDg desselben 247. — , Gallensecretion 194. Frauenmilch, Zusammensetzung 67— 69. 96. Fruchtzucker siehe Lävulose. Crährung 166. 168— 170. 330, Anm. 368. GähruDgsmilchsäure 153—155.319. Galle 188—197. Gallenfarbstoffe 191. 346—352. Gallenfistel 188, Anm. 195. Gallensäuren 189—191. 194. 197. 346—352. Gallensteine 191. Gase im Blute 238—275. — im Ver- dauungscanal 280—285. Gaspumpe 238. Gastromalacie 156 — 157. Genussmittel 118. 122—138. Gerinnung der Colloidstoffe 48—49. — der Eiweisskörper 48. 49. — des Leimes 57. — des Blutes 49. 212—218. Gicht 306. 308. 317. Gifte, Resorption und Ausscheidung derselben 6. 7. 89. 343. Globulin 48—53. 56. 178. 225—226, 236. Glucosamin 59. Glutin 58—61. Glycerin 78. 373. 374. 405. Glycerinphosphorsäure 80. Glycin siehe Glycocoll. Glycocholsäure 189. 190. Glycocoll 59. 190. 194. 262. 286—294. 309. 310. 321. Glycogen 200. 353—358. 362. 363. 393—396. Glycol 78. Glycosurie 383—406. G ly cur on säure 59. 262. 263. 388. Grahambrod siehe Kleienbrod. Grubengas siehe Sumpfgas. Guanidin 303. 322. Guanin 81. 321. Gummi, thierisches 192. Haar 26. 61. Hämatin 55. — , Vorkommen in den Fäces 84. 191. — , Beziehung zum Gallenfarbstoff 332. 347. 352. Hämatogen 90—93. Hämatogener Icterus siehe Icterus. Hämatoidin 348. Hämatoporphyrin 348. Hämoglobin 24. 53—55. 83—86. 225. — , Verbindung mit dem Sauerstoff 240—244. — , mit Kohlenoxyd und mit Stickoxyd 241. — , Vorkommen 347. — im Muskel 367. — , Hämoglobin- urie 279. 349-351. Harn, Vorl. 17—19. — , Reaction des- selben 307. 324. 328—330. Harnfarbstoffe 331—333. Harnsäure 305—322. 329. Harnsedimente 306—308. 329—330. 337. 341. Harnsteine aus Harnsäure 306 — 308. 329—330. — aus Phosphaten 330. — aus Xanthin 322. — aus Cystin 337. — aus Oxalaten 341. 342. Harnstoff 293—304. 311—313. 316. 320. 322. 330. Haut, Function derselben 275—280. — , Verbrennung derselben 279. Hautathmung 275 — 280. Hefepilz 153. Hemialbumose 178, Anm. Hepatitis interstitialis 300. Hippursäure 261. 286—293. 310. Holzfaser 74—77. 174—175. Hornstoff 61. Hunger 204. 225—226. 355. 371. 390. 432 Sach-Register. Hydra viridis 42. Hydrobilirubin 331. 332. 349. 352. 425. Hydrochinon 261. Hypoxanthin 81. 315. 316. 321. Icterus 195. 349 — 352. Ileus 75. 333. Inanitiou siehe Hunger. Indigo 332. 333. Indigschwefelsäure als Sauerstoff- überträger 256. Indol 58. 332. 333. Indophenolblau 351. Indoxyl Schwefel säure 259. 332. 333. Infection Vorles. 24. S. 407—419. Inosit 387. 401. Anm. lusecten, Athmung derselben 246 — 247. Inulin 387. 391. luvertin 167. Johanniswürmchen, Leuchtorgane 246. Iridium, katalytische Wirkung 168. Kaffee 131—132. Kalium, chlorsaures 165. Kalisalze 108—110. 114-120. 135— 137. Kalk 100—101. 135. Kartoffel, Werth als Nahrungsmittel 72, 73. HO. 115. 117. 119. Käse 329. Käsestoff 49. Katalyse 165. 168. 169. Keratin 61. Kieselsäure 18. 19. 25. 26. 47. 49. 119. Kinder, Nahrungsbedürfniss derselben verglichen mit dem Erwachsener 73. 96—102. Kleienbrod 72. 76. Knochen 58. 61. 101. Knochenbrüche, Uebergang von Fett aus dem Mark ins Blut 201. Knorpel 58—61. 121. Kochsalz 107—121. Kohlehydrate, Bedeutung als Nah- rungsstoffe 62—77. — , Wirkung des Pankreassaftes auf dieselben 173—175. — , Resorption 74. 198-201. —, Ver- halten im Thierkörper 353—358. 362. 367. 36S. 379-381 u. Vorles. 23. Kohle noxyd, Verbindung mit Hämo- globin 241. — , Oxydation 253. 254. 258. — , Giftwirkung 292. Kohlensäure, Verhalten an der Erd- oberfläche 16 — 19. — , Verhalten im Blute und in den Geweben bei der Athmung 264—285. — , Gehalt im Blute 264—266. — , Ausscheidung durch die Haut 275—280. — , Quan- tität der täglichen Ausscheidung beim Menschen 276. — , Verhalten im Ver- dauungscanal 280-282. Kohlenstoff, Kreislauf desselben 16— 19. Kommabacillus 153. Körperwärme 65. 364—366. Körnerkugeln 216. Kraft, Erhaltung derselben 29—41; — , „lebendige" 30. — , „auslösende" 37—40. Kr eatin und Kreatinin 134. 137. 302 — 304. 327, Kresol 259. Krystalloide des Eiweisses 49. 50. Kupfer 28. Kupferoxyd, colloidale Eigenschaften 48. Kupferoxydul als Sauerstoffüberträ- ger 256. Kürbissamen, Eiweisskry stalle daraus 51. Labdrüsen 140 — 161. Labferment 141. Lachs, Stoffwechsel desselben während der Wanderung im Rhein 82. 226. 355. Lampyris 246. Lathrodectes 416. Lävulose 387. 391. Lebenskraft 3 — 14. Leber 99. 188. 189. 200. 299—302. 317. 334. 343—358. 393—396. Leberatrophie, acute 319. 339. Lebercirrhose 300. 319. 321. 396. Lebervene, Blut derselben 344. Sach-Register. 433 Lecithin 78—80. 82. 191. —im Blute 225. Leguminosen, Samen derselben als Nahrung 73. — , Assimilation des freien Stickstoffes 20. Leichenverbrennung 21. 22. Leim und leimgebende Gewebe 57—61. 70. 134. 178. Leinöl 375. Leuchämie 314. Leuchtorgane 246—247. Leucin56. 178—180.294.295.316. Leucocyten 209—210.214-217. 231. 232. 315. 425. Leukämie 314. Licht als Kraftquelle für die lebenden Wesen 32—41. Lieberkühn'sche Drüsen 184—188. Liquor cerebrospinalis 235. 236. — pericardii 217. 234. Lithium als Mittel gegen Harnsäure- steine 330. Lutein 225. Lymphe 213. 214. 217. 227-237. Lymphkörperchen 209. 210. 214— 217. 231—232. Lysatin 56. 304. Lysatinin 304. Lysin 56. Magen 140 — 162. — , Exstirpation 151. Magenerweichung 156. Magenfistel 162. Magengeschwür, rundes 159. Magenkatarrh 154. Magenkrebs, Diagnose 155. Magensaft 140—159. — , künstlicher 171. Mangan 28. 88. 89. Mannit 387. Maltose 167. 174. Massenwirkung 147. 229. Materialismus 3—14. Mechanistische Erklärung des Le- bens 3—14. Mesitylen 261. Mesoxalylharnstoff 311. Methylguanidin 409. BusGE, Phys. Cliemie. S.Auflage. Mikroorganismen im Magen 142 — 143. 152—155. 231. 232. Milch 67—71. 73. 75. 80. 81. 82. 92. 96— 102. 106. Milchsecretion 98. Milchsäuren 153—155. 318—320. 339. 367. 368. 387. 388. 391. 405. Milchzucker 391. Miilon's Reaction 58. Milz, Vorkommen von Harnsäure in derselben 314. 315. 317. Minimum, „Gesetz des Minimums" 22. Monotropa 42. Mucin 191. Muräniden, Gift im Blute 415. 418. Museida vomitoria 377. Muscarin 79. 408. 409. Muskel, Stoffwechselvorgänge in dem- selben 226. 299. 354. 359—369. 392. Muskelkraft, Quelle derselben 64. 65. 244. 245. 359—369. Muskelstarre 49. 213. 368 Anm. Myronsäure 149. Nahrungsmittel, Zusammensetzung 67—69. — , Ausnützung 70—77. Nahrungs s to f f e, Begriff und Ein- theilung 44 — 46. — , Organische 46 — 95. — , Anorganische 96—120. — , Bedeu- tung 64—77. — , Ausnutzung 70—77. Narkotika 123—130. Natrium 107 — 121. — Vorkommen in den Blutkörperchen und im Plasma 220 —221. — , kohlensaures 176. 177. 186 —188. 266-268. — , phosphorsaures 176. 266—268. 307. Neurin 408. 409. Neuridin 409. Niere, Function derselben; Vorles. 17 bis 19. 118-119. Nitroglycerin 164. Nitrotoluol 263. Nuclein 80—82. 90-93. 315. 321. Nucleoalbumin 81. 91. 0 c t op u s , Speicheldrüsen bei demselben 145. Obstipation 76. Orthonitrotoluol 263. 28 434 Sach-Register. Osteomalacie 102. Oxalsäure 56. — , Verhalten im Orga- nismus 258. — , Vorkommen im Blute 260. — , Spaltungsproduct des Eiweisses 56. — der Harnsäure 311. 312. —, Vor- kommen im Harn 340 — 342. Oxalurie 341. Oxalursäure 312. Oxalylharnstoff 312. Oxybuttersäure 319.388—390.402- 404. 426. Oxydation im Thierkörper; Ort der- selben 244—249. — , Erklärung der- selben 249—263. — »Quelle der Muskel- kraft 364—369. — , Störung derselben beim Diabetes 386—392. Oxyhämoglobin 240—244. 268. Ozon 251—254. Palladium wasserst off, Activirung des Sauerstoffes durch denselben 253 bis 254. Pankreas 163. 173—180. —, Diabetes nach Exstirpation desselben 396—400. Pankreatin 156. Parabansäure 312. Paranuss, Eiweisskry stalle daraus 50. Parapepton 178. Parasiten des Darmes 163. 185. 365— 366. Pelzmotte 61. Pepsin 141. 149. 155—156. 170—172. Peptone 141. 177-183. 203-211.417. Peptonurie 21 1. Perspiration 275—280. Pflanze, Kraftwechsel in derselben 32 — 34. 41—43. Pfortader, Blut derselben 198. 199. 202, 344. — , Unterbindung 289. 290. 301. 317. 344—345. Phenol, Verhalten im Thierkörper 258. 259. 263. 333—334. Phenolschwefelsäure 258. 259. 333 — 334. Phenylamidopropionsäure 260. Phenylessigsäure 261. Phenylpropionsäure 261. Phloridzin 356. 385. Phosphor, Kreislauf desselben 22. — , Verhalten des freien im Organismus 258. 319. 376. 387. 396. Phosphorsäure 22. 266—267. 307. 326-329. Phosphorverbindungen, orga- nische 78-82. 90—92. Phtalsäure 2öl. Pilze, Stoffwechsel derselben 42. — im Magen 142. 143. 152—156. Placenta, Gasaustausch in derselben 247. Planarien, Chlorophyllgehalt dersel- ben 42. Plasma des Blutes 212— 218. 223. 224. Plastische Nahrungsmittel 65. Platin, katalytische Wirkung 165. Pleuraflüssigkeit 217. 234. Pneumonie, cröupöse 211. Polyurie 401. Propepton 178. Propylbenzol 261. Psychische Vorgänge, Zusammenhang derselben mit dem Kraft- und Stoff- wechsel 37—41. Psychophysik 40. Ptoma'ine 407—412. Pylorusdrüsen 149—150. Pyrogallol 252. 258. Pyrogallussäure 252. 258. Quotient, respiratorischer 273. Rachitis 101. Reducirende Substanzen im Blute 245. 249. — in den Geweben 254. Reductionen im Darm 365. — im Thierkörper 254. 263. 351. Reis, Werth als Nahrungsmittel 115. 118. 119. Resorption der Nahrung 5—7. 159— 161. 198—210. 370—375. Respiration, Vorl. 15. 16. S. 238 bis 285. Respirationsapparate 274. Respirationsmittel 65. Respiratorischer Quotient 273. Rhachitis, siehe Rachitis. Rhizopoden 5. 6. 9. 10. 11. Sach-Register. 435 Rhodan 339. Rhodium, katalytische Wirkung 1 68. Rohrzucker 166. 391. Rüböl, Verhalten im Thierkörper 375. Ruthenium, katalytische Wirkung 168. Sacharin 405. Salicylaldehyd, Verhalten im Orga- nismus 250. Salicylsäure 259. Salmiak 296. Salpeter, Bildung 254. Salpetersäure 20—22. Salpetrige Säure 20—22. Salze, anorganische, Bedeutung bei der Ernährung und im Stoffwechsel 96—121. 135. —, Ausscheidung durch die Niere 118—119. 324—330. Salzsäure im Magensafte 140 — 159. Salzsteuer 117. Sarkin 321. Sarkosin 303. 304. Sauerstoff, Kreislauf desselben 16— 19. 23. — , Bedeutung als Kahrungs- stoff 46. — , Einfluss auf die Gährung und auf die Eiweisszersetzung 169. — , Verhalten bei der äusseren und inneren Athmuug 239— 263. —, Menge im Blute 239—240. — , Verbindung mit dem Hämoglobin 240—244. — , Ver- brauch in den Geweben 244—249. — , Bedarf an Sauerstoff bei verschiedenen Organismen 241. 246. 365-367. — , Activirung 251 — 254. — , Verhalten im Oxyhämoglobin 257. — im Verdauungs- canal 281. 365. — , Verbrauch im Mus- kel 364—369. Sauerstoffüberträger 256—258. Säuren, Wirkung der freien 403—404. Schilddrüse 400. Schlammpeitzger 281. Schlangen, Harnsäurebildung bei den- selben 317. — , Gift derselben 415. 418. Schmarotzerpflanzen 42. 43. Schnecken, Function der „Speichel- drüsen" 144—145. 148. Schrotbrod, siehe Kleienbrod. Schwefel, Kreislauf desselben 22—24. — im Eiweiss 51—56. 182. 335. — , Ver- halten im Stoffwechsel 104—106. — , Ausscheidung in der Galle 194. — im Harn 326-339. Schwefelalkalien im Darme 94. Schwefeleisen im Darme 25.90. 94. 195. Schwefelsäure 104—106. — im Spei- chel der Schnecken 144—145. 148. — im Harne 326—328. — gepaarte 258— 259. 332—334. Schwefelverbindungen im Darme 90. 94. — im Harne 332—339. Schwefelwasserstoff 283—284. Schweiss 280. Secretion, siehe Drüsen. Sedimente im Harne 306—308. 329— 330. 337. 341, Sedimentum lateritium 307. Seifen, Vorkommen in der Galle 191. — im Chylus 373. Selbstverbrennung des Heues 255. Selbstverdauung des Magens 156 — 159. Serum des Blutes 212—227. 254-256. Serumalbumin 48. 50. 225-226. 236. Serumglobulin 49. 50. 225—226. 236. Silicium 25 — 26. Sinapin 79. Sodbrennen 155. Spaltungsprocesse 164 — 169. 364— 369. 386—392. Spannkraft 29. — , chemische 31. Speichel 139—140. Speicheldrüsen 139 — 140. — , Ath- muug in denselben 248. — d. Schnecken 144—145. 148. Spermatozoon 11. 12. Sporen der Bacterien 172. Spulwurm 366. Stärkemehl, Zersetzung 139 — 140. 167. 173 — 174. 185. 186. Stickoxyd, Verbindung mit Hämoglo- bin 241. — als Sauerstoffüberträger 256. Stickstoff, Kreislauf desselben 20 — 22. — im Blute 238. — im Verdauungs- canal 281. — , Ausscheidung des freien 238-239,Anm. —, gebundener 20—22. — , Entstehung und Zerstörung des- selben20— 22. — , Stickstoff haltigeEnd- 28* 436 Sach-Register. producte des Stoffwechsels 71, Anm. 286—339. Stromata der rothen Blutkörperchen 219. Stuhlverstopfung 75—76. Sulfocyankalium 339. Sumpfgas 168. 175. 275. 281—285. Symbiose 43. Synthesen im Thierkörper 84. 258. 259. 262. 263. 288—293. 295. 296. 373. Taurin 189. 19ü. 194. 335. 337. 338. Taurocholsäure 189. 190. 197. Temperatur, Einfluss auf den Stoff- wechsel 366. Tetanin 412. Thee 132—134. Thein 131—132. Theobromin 132. Thonerde 27. 47. 49. Thromben 214. Todtenstarre 49. 213. Toluol 261. Toluylendiamin 352. Toluylsäure 261. Toxalbumine 412-419. Toxine 407—412. Tracheen 246—247. Transfusion des Blutes 218. Transsudate, seröse 217. 234—237. Traubenzucker, Gährung 166. — , Entstehung aus Stärke bei der Ver- dauung 174. — , Vorkommen im Blute und in der Lymphe 201. 371. — im Harne 339. 340. Trichinose 339. Trimethylamin 78. Tuberkelgift 414. 415. 418. Tyrosin 56. 58. 59. 60. 61. 178—180. 260. 294. 295. Ulcus ventriculi rotundum 159. Unterschweflige Säure 338. ürobilin 331. 332. 349. 352. 425. Vampyrella, Verhalten bei der Nah- rungsaufnahme 6. 174. 175. Vena advehens der Vogelniere 317. Vena Jacobsonü bei den Vögeln 317. Vegetabilische Nahrungsmittel 72 — 77. Vegetarianismus 74. Verbrennung der Haut 279. Verbrennungsp r 0 cess im Thier- körper, Ort desselben 244 — 249. — , Erklärung dess. 249—263. — , Quelle der Muskelkraft 364—369. Verbrennungswärme der Nahrungs- stoffe 62—64. Verdaulichkeit verschiedener Nah- rungsstoffe; siehe Ausnutzung. Verdauung, Vorles. 9—11. Vererbung 11 — 12. Vitalismus 3—14. Wärme, thierische, Quelle derselben 34 — 37. — , Bedeutung für die Lebens- functionen 65. — , Regulirung durch die Wasserverdunstung 280. Wasser, Bedeutung als Nahrungsstoff und im Stoffwechsel 102. 103. — , Aus- scheidung durch die Lungen 272. Wasserstoff, Kreislauf desselben 16. — , Entwicklung bei der Gährung der Ameisensäure 168. — bei der Butter- säuregährung des Traubenzuckers 254. — , nascirender, als Reductionsmittel und Erzeuger von activem Sauerstoff 253—255. — , Verhalten im Verdauungs- canal 281—285. Wasserstoffsuperoxyd 165. Winterschläfer 355. Xanthin 81. 131. 133. 308—309. 315. 321. Xylol 261. Zelle, chemische Vorgänge in derselben 5—7. 10—12. 98. 148. 158. 323—325. — , Lebensdauer derselben 66. Zimmtsäure 261. Zuckerstich 393. Autoren-Register. Abeles, M. 340. 354. 394. 396. Abelmann 177. Addison, William 214. Aeby, C. 355. Afonassiew, N. 249. 352. Albertoni, Peter 402. Aldehoff, G. 159. 354. Anderson 424. Andre 63. Andreasch 132. Andreesen 85. V. Anrep, B. 159. Anstie 124. Argutinsky 280. Arnold 195. Arnschink, L. 374. Aronsohn 423. Aronstein 49. Arthus, M. 172. 218. Astaschewsky 368. Atwater, W. 0. 21. Aubert, H. 276. 366. Aubert, P. 420. Auerbach, Alx. 260. Baas, H. 260. 2S7. 334. V. ßabo, L. 220. Baer, A. 129. Baeyer, Adolf 78. 309. 332. 409. Baginsky, A. 101. 389. Balfour, J. M. 188. Barbier], J. 294. Bard, L. 420. Barral 117. Bartels 307. 308. 314. 424. Barth, M. 167. 171. de Bary, A. 43. de Bary, W. 154. Bauer, J. 128. 203. 376. Baumann, E., Activirung des Sauer- stoifs 252—257; Verhalten der aroma- tischen Verbindungen im Thierkörper 258—261 ; gepaarte Schwefelsäuren 259. 333 — 334; Indoxylschwefelsäure 332; Cystin 336. Methylguanidin 409. Baumert 281. Baumgarten 232. Baumgärtner, J. 246. Bayer, Heinrich 189. Beal, Lionel S. 214. Beaumont, W. 162. Bechamp, J. 182. Behaghel von Adlerskron 100. le Bei, J. A. 391. Beneke, S. W. 337. V. Bergmann, E. 218. 349. 408. Berlinerblau, M. 353. 367. Bernard, Cl., gemeinsame Functionen der Pflanzen und Thiere 43 ; Speichel- drüsen 139; Selbstverdauung des Ma- gens 157; Wirkung des Pankreassaftes auf Fette 175; Kohlenoxyd 241; Pyro- gallol 258; Glycogen 353. 354. 362; Diabetes 383. Bert, P. 243. 244. 272. Berthelot 21. 63. Beyerink 21. V. Bezold, A. 116. Bidder, Frdr. 87. 139. 140. 142. 160. 177. 188. 189. 195. 226. 373. Bienstock, Berthold 153. Bikfalvi 128. 438 Autoren-Register. Billroth, Tii. 159. Binz, C. 124. 125, 292. Birk, L. 215. Bischoff, Ernst 134. Bischoff, Th. L. W. 83. 335. Bizzozero, J. 217. Bleue, A. M. 174. 199. Block, L. 386. Blondlod 188. 195. Boas, J. 154. Bock, Carl 385. Bodländer, G. 124. Boeck 128. Boecker 41. Boedeker 144. Bohland 426. Böhm, R. 79. 353. 354. 368. 378. Bojanus, N. 215. Bokay, A. 80. 81. BoUiger, 0. 280. Bonardi, E. 426. Bossard, E. 294. Bouchard 426. Bouchardat 404. Bourgeois 294. Bourquelot, Em. 391. Boussingault 25. 117. Brandt, Karl 42. Breal 21. Brefeld 168. Brieger, L. 153. 154. 259. 332. 408— 415. 426. Brown, Horace T. 174. Brücke, E., Labdrüsen 145; Fermente 170. 171; Spaltung des Stärkemehls 173; Emulgirung der Fette 177; Zwi- schenstufen zwischen Eiweiss und Pep- ton 178; Blutgerinnung 213; Glycogen 353. Buchheim 88. 296. Buchner, Ed. 59. Buchner, Hans 419. Buchner, Wilh. 128. Buhl 401. Bujwid, 0. 415. Bunge, G. 74. 83. 90. 96. 97. 98. 105. 107. HO. 116. 119.120.135.220.229. 246. 267. 289. 308. 366. Buniva 311. Bunsen 238. Buntzen 74. Burckhardt, A. E. 49. 226. Busch, W. 162. Byrom-Bramwell 56. Cahn, A. 86. 155. Cantani 383. 421. Cash, Ph. 187. Cattani 411. 412. 414. Cazeneuve 330. 376. Cech, C. 0. 316. Chamberland 420. Chaniewski, St. 379. Chittenden 61. 171. 178. 182. Chossat 226. Chrzonsczewski 325. Cienkowski, L. 6. Claus, A. 311. Clausius 251. Cleve 190. Cohnheim, J. 171. 249. Constantinidi 66. Colasanti 422. Copeman 188. Coranda 297. Cordua, Herrn. 348. Corvisart 178. Coutaret, L. 172. Cramer, E. 280. Curtius, Th. 59. Czerny, V. 151. 159. 204. Dähnhardt, C. 234. Damaskin 87. Danilevsky, A. 59. 171. 173. 183. 226. Danilewsky, B. 63. Debray 167. Deichmüller 426. Demant, Beruh. 185. Demesmay 117. Demme 129. Desaive 117. D espretz 35. Dessaignes, V. 287. Deville, H. Sainte Ciaire 168. Diakonow 78. 170. Dick, R. 349. Autoren- Register. 439 Dock, F. W. 393. Donath, Eduard 167. Donders, F. C. 266. Dragendorff 132. 346. Drechsel, E. 48. 50. 52, 57. 297. 304. Dreser, H. 125. Drosdoff 344. Duchek 426. Dulong 35. Dumas 298. Dupre 124, Dzierzgowski, S. 413. Eberth, J. C. 214. Ebstein, W. 308. 329. 337. Eck, N. V. 301. Ecker, Alx. 248. Edwards, Henri Milue 247. Ehrenthal, W. 88. Ehrlich, P. 254. 351. 416. Eichhorst, Hermann 203. Eimer, G. H. Theod. 5. Eiseisberg, A. von 400. Elsässer 156. Elsässer, M, 405. Emich, Fr. 197. Emminghaus 325. Engelmann, Th. W. 9—11. 43. Entz, Geza 42. Erlenmeyer, E. 320. Erman 281. Escher, Th. 60. Etzinger, J. 60. 61. Ewald, A. 61. Ewald, C. A. 374. Falck, F. A. 376. Falk 152. Fano 206. 417. Favre 63. Fechner 40. Feder, Ludwig 297. Fehr, C. 140. Feiertag, H. 215. Fick, A. 84. 171. 359—360. Filehne, Wilhelm 133. Finkler 246. 422. Finn, Benj. 356. Fischer, Emil 131. 309. 312. 321. Flaum 171. Flavard 335. Fleischer, R. 314. Fleischl, E. 346. Flügge, C. 344. Fokker, A. P. 127. Forster, J. 103, 205. 324. Frank, Edmund 153. Fränkel, A. 169. 243. 244. 420. 422. Fränkel, C. 413. 415. Frankland 63. Fredericq, Leon 28. 145. 163. 216. Frerichs 192. 355. 383. 384. 385. 389. 390, 395. 396. 397. 401. 402. 406. V. Frey, Max 177. 362. 367. Friedel, C. 26. Friedländer, C. 272. Fubini, F. 275. Funke, 0. 280. Fürbringer 340. 341. 421. Crabriel, S. 55. Gad, Job. 177. Gaehtgens 376. 390. Gaertner, G. 382. Gaglio, Gaetano 157. 258. 340. 341. 367. Garcia 410. Garrod 308. Gaule, J. 266. 271. Gautier, Arm. 321. 408. Gavarret 36. Geddes, P. 42. Geissler 227. Geppert, J. 238. 243. 244. 426. Gergens 409. Giacosa, P. 253. 260. 261. 315. Girard, H. 423. Gilson, E. 78. Gley 163. 188. 197. Glinka, Sophie 416. Gmelin, Bernhard 294. Goldmann, E. 336. 337. V. Gorup-Besanez 192. 234. V. Götschel, Ed. 215. Gottlieb 421. Gräbner, F. 408. Graham, Th. 47. 149. 239. Grimaux 47. 48. 58. 311. 440 Autoren-Register. Grohmanu, W. 215. Groth, 0. 215. Gruber, G. 173. Grübler, G. 51. V. Grünewaldt, ü. 162. Gscheidleu 339. Gubler 233. Guörin 335. Gumlich, G. 426. Gunuing, J. W. 246. Gürber 218. Gyergyai 205. 206. Habermann 294. Hacker, V. R. 159. Hagenbacb-Bischoff, Ed. 84. Hahn, Martin 298. 301. 415. Hallervorden, E. 297. 300. 319. 426. Halliburton 235. Hamburger, E. W. 85. 87. 95. Hamburger, Herrn. 153. Hammarsten, Olof, Nucleoalburain in der Milch 81 ; Speichelferment 140; Labferment 141; Pepsin 170; Cholal- säure 189; Menscheugalle 190; Mucin 192; Blutgerinnung 216; Lymphe 234. Hammerbacher, F. 341. Hammond 41. Hanau, Arthur 187. Happel 159. Harley, G. 95. 346. Harnack, E. 54. 79. Hart, A. S. 61. Haubner 74. Haughton, Sam. 41. Hayem, G. 217. Hedon 398. Heidenhain, R. Resorption 5; Spei- cheldrüsen 139; Magensaft 142. 149. 150; Pankreassaft 173; Lieberkühn- sche Drüsen 188; Fettresorption 202. Peptonresorption 210; Lymphe 228. 229. 237; Function der Nieren 324— 325; Rhodanbildung in den Speichel- drüsen 339; Gallensecretion 352. Heidenschild, W. 418. Hellriegel, H. 21. Helman, C. 415. Heller, J. F. 427. Hellin, Heinr. 416, V. Heltzl, A. 170. Henneberg 74. 175. Henninger, A. 182. 183. Hensen, V. 234. 253. H ergenhahn, E. 355. Hermann, L. 60. 88. 241 361. Hermann, M. 349. Hermans, J. Th. H. 277. Heron, John 174. Herroun, E. F. 188. 190. Harter, E. 258. 272. Herth, Robert 178. 182. Hertwig, 0. 43. Heubach, H. 124. Heuss, E. 339. Heyl, N. 215. Hildebrandt, H. 416. Hill 309. Hirschfeld 66. 421. Hlasiwetz 294. Hoffa 409. Hoffmann, Arthur 292. Hoffmann, Ferd. 215. Hoff mann, Fr. Albin 236. 353. 378. 385. 400. Hofmann, A. W. 409. Hofmann, Franz 72. 76. 137. 307. 371. 377. H Ofmann, K. B. 280. Hofmeister, Fr. 55. 58.178.183 206 —211. 297. 391. Höhne, Joh. 346. Hoppe-Seyler, F., Handbuch derphy- sioiog. u. patholog. ehem. Analyse 1 ; Magensaft 143 ; Verdauung bei niederen Thieren 163; Gährung der Ameisen- säure und Essigsäure 168; Einwirkung des Sauerstofis auf Gährungen 169; Wasseraufnahme bei Gährungsproces- sen 170; Magensaft kaltblütiger Thiere 171; Cellulosegährung 175; Darmsaft 187; Galle 190. 192. 193; quantitative Blutanalyse 219—221. 225; Hämoglo- bin 54. 225; Oxyhämoglobin 240. 241. 257; Kohlenoxyd- und Stickoxydhämo- globin 241; Lymphe und seröse Trans- sudate 233 — 235; Sauerstoff in den Secreten 248 ; Activirung des Sauer- Autoren-Register. 441 Stoffes 252—255 ; Verhalten der Kohlen- säure bei der Athmung 267 ; Verände- rung des Blutes nach Hautverbren- nungen 279; Vorstufen des Harnstoffes 297 ; Darstellung des ürobilin aus Hä- matin 332 ; Gallensäuren im Harne 346; Verbreitung der Gallenfarbstoflfe im Thierreiche 347; Kohlehydrate im Blute 355, Hoppe-Seyler, G. 154. 349. 425. Horbaczewski, Job. 61. 303. 309. 313. 315. 321. Hübener 426. Huber 172. Hueppe, Ferdinand 153. 172. Hüfner, G. 171. 172. 173. 225. 240. 241. 244. Huldgren, E. 72. Hundeshagen 78. H unter, J. 157. Jacobsen, Oscar 190. 191. 192. Jaquet, Alfred 54. 92. 125. 241. 250. Jatf6, M. 263. 316. 331. 333. 335. 348. 394. V. Jaksch, R. 211. 330. 389. 401.425. 426, Jeanneret 59. 294. Johnston, H. H. 116. Jolyet 274. 365. de Jong, S. 391. de Jonge 261. Jüdell, Gustav 225. Juvalta, N. 261. Kaiser, F. F. 151. 159. Kant 3. 4. Karlinski, J. 427, Käst, A. 280. 333. 334. Kauder, G. 49. Kausch, W. 355. Keller, H. 127. Kellner, 0. 361. Kemmerich, E. 135. 378. Kjeldahl 172. Kitasato, S. 411. 412. 414. Klees, R. 427. Klemensiewicz, Rudolf 149. Klemperer, F. 421. Klemperer, G. 421. Kletzinsky 86. Klikowicz 128. Klug, Ferd. 275. V. Knieriem, W. 61. 74—75.294.296. 316. Kobert 86. 89. 133. 137. 415. Koch, C. F. A. 424. Koch, R. 153. 172. 415. Kochs, Wim. 291. 292. Köhler, Armin 217. Kohlschütter, G, 405. Kolbe 190. 309. Kölliker 195. Konjajeff 427. König, J. 66. 76. Koppe 79. Kossei 80. 263, 321. 376. Kraepelin, E, 125, Krasilnikow 170, Kraus, F. 422. Kretschy, F. 128. 162. Krüger, Alb. 182. 335. Krukenberg 163. Kufferath 346. Kuhn, Franz 154. Kühne, W. Elastisches Gewebe 61 ; Fer- mente 171. 173;Pankreassaft 178. 179; Peptone 179. 182. 417; Indol 332; Gallenfarbstoff und Blutfarbstoff 349 ; Hämoglobin im Muskel 366; Glycogen 394; Tuberkelgift 415. Külz, E. Glycurousäure 263; Oxybut- tersäure319; Cystin 335; Rhodan339; Zucker im normalen Harn 339; Gly- cogen 353—356. 362; Diabetes 356. 383. 384. 386. 387. 389. 391. 392. 394. 400. 401. 404. 406. 426. Külz, R. 241. Kumagawa, Muneo 66. Kunkel, A. 166. 194. 282. 335. 351. 352. Kupffer, C. 246. Kutscheroff 190. Lachowicz, Br. 246. Ladenburg, A. 26. Lambling 163, 188. 197. Landerer, A. 218. Landergren, E. 72. 442 Autoren-Register. Landwehr, H. A. 59. 192. Langbein, H. 63. Langhans, Th. 348. Laplace 34. Laschkewitsch, W. 278. Lassaigne 311. Latschenberger, J. 204. Latschinoff 1S9. Laurent 129. Lavoisier 34. 244. 361. Lea, A, Sheridan 330. Leared 339. Lebedeff, A. 375. Lebensbaum, Max 54. Leeds 253. 260, Legrain 129. Lehmann 329. Lehmann, C. G. 427. Lehmann, Karl B. 60. 135. 185. Lehmann, F. 175. Leo, Hans 239. Lepine 335. 398. Leplay, H. 391. Lesnik, M. 263. V. Lesser 279. Leyden 422. Leydig 281. Leube, W. 2. 184. 280. 330. Lewkowitsch, J. 391. Liebermeister 41. 84. 421. 422. 425. Liebig, Agriculturchemie 15; Einthei- lung der Nahrungsstoffe 65; Vegeta- bilische Nahrung 73; Verhalten des Sauerstoffes im Blute 240; Harnstoff' im Muskel 303; Harnsäure 309. 311. Quelle der Muskelkraft 359. Liebreich 79. Lilienfeld, A. 422. 425. Lindberger, V. 197. Litten 426. Livon 330. Löbisch 337. Loeffler, S. 407. 411. 413. Lohrer, Julius 296. Lossnitzer 173. Low, 0. 55. 171. 182. Löwit, M. 217. Löwy, A. 422. Lubavin 81. de Luca, S. 144. 148. Luchsinger, B. 352. 355. 374. 393. Ludwig, C. Resorptionswege der Nah- rungsstoffe 198. 202. 208; Speichel- drüsen 139; Functionen des Magens 151. 152; Spaltung der Fette im Ma- gen 175; Eiweisszersetzung 204; Ort des Sauerstoffverbrauches im Thier- körper 245. 249; Gaspumpe 238; Gas- wechsel bei der Muskelarbeit 362; Diabetes 387. Ludwig, E. 309. 394. Lukjanow 194. 243. Lunin, N. 75. 105. Lustig 399. Macfadyen, 153. 163. 180. 204. V. Mach, W. 316. Magnus, G. 244. Maixner, Em. 211, Maki 125. Mallevre, Alfr. 175. Maly, R., Spaltungsproducte von Ei- weiss und Leim 59. 294; Coffein und Theobromin 132; Speichel von Dolium galea 145; Freiwerden der Salzsäure in den Labdrüsen 147; Wärmeabsorp- tion bei Fermentwirkungen 167; Iso- lirung der Fermente 171 ; Peptone 181. 204; Gallenfarbstoffe 191; antisep- tische "Wirkung der Galle 197; Lösung der Harnsäure 308; Urobilin 331. Manning, T. D. 185. Mantegazza, Paolo 214—217. Maquenne 401. Maragliano 422. 423. Marcet 175. 176. Marchö, 362. Marfori, Pio. 93. 258. 341. Märker 173, Martin, Sidney 416, Marshall, John 240. 241. 424. Maschke, 0. 50. Massen 301. 302. Maumenö 391. Mayer, Adolf 15. Mayer, Aug. 88. Mayer, B. W. 157. Meade Smith, R. 159. Autoren-Register, 443 Medicus, L. 309. 312. Meissl, E. 380. Meissner, G. 134. 178. 302. 320. 325. V. Mering, J., Chondriu 60; Osteoma- lacie 102; Mageüsäuren 155; Resorp- tion vom Magen aus 159; Verdauung der Stärke 173, 174; Resorption der Kohlehydrate 198—199; Verhalten des Chloralhydrates und Butylchloralhy- drates im Thierkörper 263 ; Glycogen 354. 356. 358; Diabetes 356. 387. 394. 397. 404. Metschnikoff 232. Meyer, Arthur 43. Meyer, G. 71. 76. Meyer, Hans 89. 258. 262. 316. 426. Meyer, Lothar 240—242. Miescher 80. 82, 91. 226. 355. Millon 58. Mills, Wesley 340. Minkowski, 0. 155. 177. 316—320. 345. 346, 350. 352, 353. 373, 385. 388. 397—400. 403. 404. 406. 425. 426. Miquel 142. Mitchell, S. Weir 415. 418. Miura, K. 127. Möbius 325. Moddermann 341. Moers 339. Molisch 25. Moos, S. 427, Moritz, F, 356, Morochowetz, L. 61, Moscatelli, Regulus 340. Mosso, A. 415, Mosso, U, 259. 415. 423. Muck 339. Mühll, P. von der 125. Müller, Friedrich 195. Müller, Johannes 4. 13. 144. 215. Müller, Wilh. 243. 272. Munk, Imm. 127, 297, 339. 372—375. Muntz, Th. 255. Murisier 171. Musculus 173. 174. 263. 330. 354. Nägeli 173. Nasse, H. 233. Nasse, 0. 173. 353—355. Naunyn, B., Oxydation aromatischer Verbindungen im Thierkörper 254. 261 ; Harnsäure 313; Function der Leber 345. 346. 350. 352. 353; Glycogen 356; Diabetes 393; Fieber 421. 424. Nencki, M., Hämoglobin 54. 225; Spal- tungsproducte von Eiweiss und Leim 59. 294; Milchsäuren 153. 339; Bac- terien im Darm 153; Reaction des Darminhaltes 163; Vorkommen von Amidosäure im Darminhalt 180; Re- sorption des Eiweisses 204; Einfluss des Sauerstoffes auf Gährungen 169; Wasseraufnahme bei Gähruugspro- cessen 170; Wirkung des Pankreas- saftes auf Fette 175; Anaerobiose 246; Bedeutung der Alkalien für die Oxy- dationsvorgänge 250; Ozon 255 ; Acti- virung des Sauerstoffes 253. 255; Verhalten aromatischer Verbindungen im Thierkörper 260. 261; Vorstufen des Harnstoffes 294. 298. 301; Indol 332; Hämatoporphyrin 348; Diabetes 387. 388. 406; Ptomaine 408, 410. 416, Neubauer, C. 1. 312. 322, 340, 341, Neumann, H. 427. Neumeister, R. 178. 183. 324. 417. Nicati 153. Nicles, J. 26, Niemann, A, 337. Nobbe 21. Noorden, C. von 333. Nothnagel, H. 153. 349. Nowak 239. Nussbaum, Moritz 265. 269. Oertmaun, E. 248. Ogata, Massanori 128, 151, 175. Ohlmüller, Wilh. 73. Oppenheim, Herm. 169. 361. Ostwald, W. 242. Ott, J. 423. O'Sullivan, C, 173. Pacanowski, H. 211. Pages 218. Pal 400. Panceri, P. 144. 148. Panum 74. 159. 407, 412. 444 Autoren-Register. Parkes 127. Paschutin, Victor 172. 325. Pasteur 169. 391. 420. Paton, D. Noel 56. 168. Paten, J. W. 41. Pavy, F. W. 157. 383. 393. Pawlow 301. 302. Payen 173. Penzoldt, Fr. 314, 426. Paris, M. 137. Peters 357. Pettenkofer 239. 274. 276. 314. 361. 365. 372. 373. 377. 385. 388. 405. Pfeffer 257. Pflüger, Gaspumpe 238; Blutgase 239. •260 ; Ort der Oxydation im Thierkörper 245. 248; Sauerstoffentziehung beim Frosch 366; Fettbildung 378. dela Place 34. Planer 280. Plateau, F. 163. Plosz, P. 205. 206. Podolinski 173. 241. Poehl, A. 183. Pohl, Jul. 209. Pollitzer 417. Ponfick 279. Pop off, Leo 168. Prausnitz, W. 71. 355. 356. Preusse, C. 253. 259. 261. 336. Prövost 298. Preyer, W. 194. 240. 241. 268. Pribram, A. 424. Prior 315. Proskauer, B. 414. Quevenne 233. Quincke, Georg 177. Quincke, H. 88. 184. 348. 350. Radenowitsch 252. Radziejewski 294. 332. Radziszewski, Br. 247. 255. Ranke, H. 73. 314. 315. Ranke, J. 188. ' Rauschenbach, Fr. 215. Ray-Lankester, E. 83. 367. V. Rechenberg, C. 63. V. Recklinghausen, F. 348. Redte nbacher 427. Rees 233. Regnard 274. 365. Regnault 274. 365. Reichert, Edward 415. 418, Reiset, J. 239. 274. 365. Rekowski, L. de 413. Ribbert 427. Richter, P. 424. Rieder, Herrn. 71. 231. 425. Ries, L. 127. 313. 319. 339. 421. Rietsch 153. Ritthausen 53. Robin, Charles 348. Robitschek, J. 424. Robson, Mayo. 188. Roger, G. H. 343. Röhmann, F. 195. 427. Röhrig, A. 198. Rosenfeld, G. 389. Rosenthal, Carl 423. Rosenthal, J. 423. Rossbach, M. J. 389, Roussy 416. Roux, E. 411. 413, 420. Rubuer, Max, Verbrennungswärme der Nahrungsstotfe 63; Ausnutzungsver- suche 71 — 77; Gährung im Darm 281 ; Einfluss der Temperatur der Umgebung auf den Stoffwechsel 366; Fettbilduug aus Kohlehydraten 380, Rudel, G. IUI. 308. Rüge, E. 280. Sacharjin, G. 220. Sachs 26. 357. Sachsendahl, J. 215. Saikowsky 377. de Saint-Martin, L. 243. Salkowski, E., „Die Lehre vom Harn" 1; Fermente 172; Tauriu 194. 325; Bedeutung der Alkalien für die Oxy- dationsvorgäuge 250; Verhalten der Aethylschwefelsäure im Thierkörper 259; Verhalten des Phenol im Thier- körper 260; Hippursäure 287; aroma- tische Spaltungsproducte des Eiweisses 287; Vorstufen des Harnstoffes 294. 296. 297; Lösung der Harnsäure 308 ; Autoren-Register. 445 Allantom 311; Harnsäureausscheidung bei Leukämikern 314; ludol 332; or- ganische Schwefelverbindungen im Harn 335. 338; Oxalsäure 340; Hä- mato'idin und Bilirubin 34S; Assimi- lation der Fette 375. Salkowski, H. 287. Salomon, W. 293. 300. 355. Salvioli, Gaetano 208. 226. 236. V. Samsou Himmels tjerna, Ed. 215. V. Samson Himmelstjerna, J. 215. Schaffer, Fr. 260. Scharling 361. Schenk, Felix 361. Scheremetjewski 387. Scherer 234. Scheube, Botho 308. Schiff 355. Schimanski 425. Schimmelbuscb 214. Schimper, A.F.W. 43. Schleich 424. Schlösing, A. 255. Schlösing, Th. 256. Schmidt, Alexander, Labferment 141; Pepsinfermeut 172; Blutgerinnung 215 —218; Blutgase 238. 268; Ort der Oxydation im Thierkörper 245. Schmidt, Aug. 124. 171. Schmidt, Carl, Eisengehalt des Blutes 83; Ausscheidungswege des Eisens 87. Speichel 139. 160; Magensaft 140. 142; Pankreassaft 177; Galle 188. 189. 195; Blutanalyse 220. 222; Stoffwechsel beim Hunger 226; Lymphe 233; patholo- gische Transsudate 234; Liquor cere- brospinalis 235; Stoffwechsel des Fleischfressers 373. Schmidt-Mülheim, Ad. 82. 163. 178. ISO. 183. 198. 202. 206. 207. 417. Schmiedeberg, 0., Eiweisskrystalle 50; Zusammensetzung des Knorpels 59; Amanitin und Muscarin 79; Alko- holwirkung 125. 126; Bedeutung der Alkalien für die Oxydationsvorgänge 250; Glycuronsäure 262. 263; Hippur- säurebildung 289— 292; Vorstufen des Harnstoffes 297; unterschweflige Säure 338; Fäulnissalkaloide 408. Schneider, Rieh. 132. Schöffer, A. 170. 264. Schönbein 21. 251. Schotten, C. 260. Schoumoff, C. 128. V. Schröder, E. 162. V. Schröder, W. 259. 297—301. 316. 317. 320. 326. Schnitze, Max 246. 279. Schnitzen, 0. 254. 261. 294. 314. 319. 339. 340. 387. 405. Schulze, B. 379. Schulze, E. 173. 294. Schunck, Ed. 312. Schütz, Emil 128. Schützenberger 294. Schutzkwer 132. Schwann 188. 195. Schwarzer, Aug. 173. Schwendener 43. Scriba 151. Sczelkow 240. 362. Seegen, J. 239. 340. 357. 383. 384. 392. Seelig, Leopold 393. Seemann 101. Seguin 361. Seifert 426. Selitrenny, Leon 59. Selmi, F. 408. 426. Semmer, Georg 216. Senator, H. 278. 284. 313. 324. 387. 421—423. 426. Sendtner, J. 129. Sertoli, 267. Setschenow 268. Sieb er, Nadina 142. 153. 163. 180. 204. 225. 250. 253. 339. 348. 387. 388. 406. 415. Silbermann 63. Silujanoff 422. Simanowsky, N. 128. Simon, Th. 339. Simone, Fr. de 420. Slevogt, F. 215. > Smith, Ed. 361. Smith, R. Meade 159. So ein, C. A. 93. 355. Socoloff 190. Soret 251. 446 Autoren-Register. Soxhlet, F. 379. Spallanzani 143. 275. Speck 41. 361. Spiro, P. 194. 367. Stadelmann, Ernst 191. 300. 319.337. 349. 352. 388. 403. Städeler 191. Stadthagen 314. 322. 335. Stammreich 127. Stearns, J. N. 130. Steinberg 314. Steinbach 4. Steiner, J. 177. 196. Stern, Hans 301. 317. 345. Stern, R. 419. Stilling, H. 102. Stillmark, H. 416. Stöhr, Ph. 232. Stohmann 63. 74. 175. Stolnikow 301. Storch, 0. 376. Strassburg, Gustav 265. 270. 271. Strecker, Adolf 78. 79. 189. 190. 303. 309. 321. Stroganow, N. 243. 245. Strohmer, F. 380. Strümpell, Ad. 71. 129. 338. Subbotin, Vict. 124. 378. O'Sullivan, C. 173. Sydney-Ringer 424. Szabo, Dionys 143. Tacke, B. 284. Tammann, G. 27. Tappeiner, H. 159. 175. 189. 279 —285. 287. Tarchanoff 349. 351. Tauber, E. 260. Thanhoffer 196. Thierfelder, Hans 178. 262. Thiry 183—188. Thomsen, Julius 146—147. Thudichum 191. Tiegel, E. 214. 226. van Tieghem 33. Tizzoni 411. 412. 414. Tolmatscheff 80. 82. Traube, L. 422. Traube, Moritz 245. 253. 256. Trifanowsky 190. 192. Troschel 144. Trousseau 404. Tscherwinsky, N. 379. Tschiriew, S. 204. 249. Turby, H. 185. V. Udränszky, L. 340. 346. Uffelmann, Jul. 162. Unruh, Ernst 427. Unverricht 421. Vaillard 232. 407. 412. 414. 417. Valentin 355. Valentini 350. 353. Vauquelin 311. V. d. Velden, R. 334. Vella, L. 185. Vierordt 270. 361. Vincent 232. 407. 412. 414. 417. Virchow 94. 159. 214. 348. Vogel, A. 421. Vogel, Jul. 1. Voit, C, Leim 59—61; Eiweissminimum bei der Ernährung des Menschen 66; Einfluss der Holzfaser auf die Aus- nutzung der Nahrung 76; Kaifeewlr- kung 132; Fleischextract 134. 137. 138 ; Verhalten des Kreatin und Krea- tinin im Thierkörper 137. 302. 304; Galle 195; Resorption des Eiweisses 203; Zersetzung des Eiweisses 204; Hunger 226 ; Ausscheidung freien Stick- stoffes 239; Respirationsapparat 274; Vorstufen des Harnstoffes 298; Harn- säuresedimente 307 ; Harnsäureaus- scheidung bei Leukämie 314; orga- nische Schwefel Verbindungen im Harn 335; Winterschlaf 355; Glycogen 355; Quelle der Muskelkraft 359. 360. 361. 363; Gaswechsel beim Menschen, quan- titativ bestimmt 365 ; Einfluss der Tem- peratur der Umgebung auf den Stoff- wechsel 366; Fettbildung 370. 372. 373. 377; Phosphorvergiftung 376; Diabetes 386. 388. 405. Voit, Erwin 66. 101. 297. 377. Voit, Fr. 86. 88. 101. 398. Autoren-Register. 447 Volhard, J. 303. Vossius, Adolf 351. Wachsmuth 234. Walter, Friedrich 240. 297. 403. Walter, G. 92. Warrington, R. 255. Wassermann, A. 414. 426. Weigert 232. Weiske, H. 74. 175. Weiss, Giov. 173. Wenz, J. 185. Wertheim 279. 422. Westphalen, H. 188. Weyl, Th. 50. 411. 412. White 423. Whyte, J. 129. Wibel, F. 339. Wiedemann, G. 262. Wiedersheim, R. 5. Wiesner 357. Willfarth, H. 21. Williams 89. 426. Wilson, G. 27. Windston 188. Winogradsky, S. 255. Wislicenus, J. 320. 359. 360. Wissokowitsch, W. 367. Wistinghausen 196. V. Wittich 170. 177. 188. 325. Wöhler 288. 309—311. Wolfenden, R. Norris 415. 416. Wolfers 128. Wolff, Max 172. Wolffberg, Siegfried 264. 269. 270. 356. Wolffhügel 172. v.Wolkoff, AI. 33. Wolpe, H. 319. 389. 403. Wood 424. Woods, CD. 21. Wooldridge, L. C. 217. 219. Worm Müller, J. 243. 391. Woroschiloff 71. 73. Wright 356. Wurtz 78. Teo, Gerald F. 188. 190. Yersin, A. 411. 413. Zabelin 313. Zahn, F.W. 214. 215. Zaleski, St. 99. 258. 353. 367. Zalesky, N. 325. Zawilski 198. 199. Zimmer, Karl 404. Zimmerberg 125. 126. Zinoffsky, 0. 53. Zuntz, N. 175. 247. 266. Zweifel 194. 247. Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig. COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES This book is due on the date indicated below, or at the expiration of a definite period after the date of borrowing, as provided by the library rules or by special arrangement with the Librarian in Charge. DATE BORROWEO DATE DUE DATE BORROWED DATE DUE c*! M A C28(3.52) 100M '■A^^ :--'>i| 1 QP514 % 5^^-'-^ ' B882 r Dii