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LIVIÜS' GESCIIIOHTSWERK

SEINE KOMPOSITION

UND SEINE QUELLEN

EIN HILFSBÜCH

FÜR GESCHICHTSFORSCHER UND LIVIUSLESER

VON

WILHELM SOLTAU

LEIPZIG

DIETERICH'SCHE VERLAGS-BUCHllANDLUNG

THEODOR WEICHKK

1897

DRUCK VON H. L A U P P JB IN TÜBINGEN.

THEODOR MOMMSEN

ZUM

ACHTZIGSTEN GEBURTSTAG

Vorwort.

Mit der Herausgabe dieses Buches zu Theodor MoArasEN's achtzigstem Geburtstage wollte ich vor allem meiner herzlichen Freude darüber Ausdruck verleihen, dass meinem hochverehrten Lehrer das seltne Glück zu Teil geworden, ein so hohes Lebensalter in jugend- licher Schaffensfreudigkeit zu erreichen , zugleich aber auch dem Dank für Alles, was ich seiner Lehre mid seiner Forschung seit fast einem Menschenalter verdanke. Mommsen's Streben, mit der Fest- stellung der historischen Wahrheit auch die Genesis der Ueberliefenmg klarzulegen, ist bestimmend für die Arbeit vieler seiner Schüler geworden. Auch dieses Buch wird hoffentlich Zeugnis davon ab- legen.

Die vorliegende Untersuchung macht den Anspruch darauf eine abschliessende zu sein. Nicht als ob die Forschung überhaupt jemals abschliessen oder abgeschlossen werden könnte. Wohl aber in dem Sinne, dass sie den Zeitpunkt für gekommen erachtet, aus einer Fülle von Spezialuntersuchungen über römische Quellenkunde das Facit zu ziehen und eine gesichertere Grundlage für eine Ge- schichte der römischen Annalistik zu gewinnen. Nach den bisher ver- öffentlichten Einzelarbeiten konnte die Frage nach den Quellen der IIL V. Dekade des Livius im wesentlichen als gelöst angesehn werden und es galt jetzt, die sich daraus ergebenden Folgermigen auch für die L Dekade zu ziehn. Dass bei ihr nicht überall die gleiche Sicherheit der Ergebnisse zu gewimien sei, war vorauszu- sehn. Aber für die grosse Mehrzahl aller Abschnitte der L Dekade hatten die bisherigen Forschungen bereits soweit vorgearbeitet, dass ein zusammenfassender Abschluss der Untersuchung erwünscht erscheinen konnte, ja in seinen Ergebnissen den wissenschaftlichen Kreisen nicht weiter vorenthalten werden durfte. Die überall hinzugefügten Be-

Y\ Voi-woit.

«Tüiiduiiixen und Verweisunoren werden es selbst Forschem von ah- weichendem Standpunkte ermöglichen, dieses Hilfsbuch mit Erfolg zu benutzen.

Besonderen Dank spreche ich auch nn dieser Stelle Herrn Professor Crusius aus für den Anteil, den er an meiner Arbeit ge- nommen hat.

Professor Dr. Soltau, Oberlehrer am Gymnasium zu Zabern i./Elsass.

VII

Iiilialtöverzeichuis.

Seite

Vorwort V

Inhaltsverzeichnis VII

Abkürzungen VI!!

Quellenübersicht VIII

I. Einleitung. Die Befähigung des Livius zum Historiker. Ab- tassungszeit und Herausgabe seines Werkes. Litteraturüber-

sicht. Methode und Gang der Untersuchung 1

H. Polybius als Quelle der IV. und V. Dekade .... 21

III. Die hauptstädtischen Quellen in Livius' IV. und V. Dekade; Piso und Antias in der IE. Dekade 27

IV. Claudius und Antias in der IV. und V. Dekade. Ta- belle der Quellen der IV. und V. Dekade 34

V. Die Spuren dergriechischenGeschichtsschrei-

b-ung in der HI. Dekade 47

VI. D i e Q u e 1 1 e n d e s 21. u n d 22. B u c h e 8 56

VII. Coelius und Claudius im 23.— 30. Buch. Tabelle der

Quellen vom 23.— 30. Buch 70

VIII. DiepontifikalenQueUenderl. Dekade . . . 85

IX. DieLaudationenlitteratur 95

, X. Claudius 101

XI. Macer undTubero 105

XH. Die Quellen der II. Pen t ade 117

Xm. Die Quellen von Livius 2, 1—33 140

XIV. Die chronologischen Verschiebungen bei Li- vius im 5. Jahrhundert v. Chr. Ihre Bedeutung für

die Quellenanalyse 149

XV. DieQuellenvon2, 33—3, 65 156

XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66—4, 61) 164

XVIL Die Quellen des 5. Buches 173

XVni. LiviusundDionysvonHalicarnass 184

XIX. Livius und Dio Cassius 190

XX. Die Quellen des 1. Buches 193

XXI. Die Arbeitsweise desLivius. Sein Verhältnis zur griech- ischen Litteratur 201

XXII. Grundlinien einer Geschichte der römischen Anna- list ik, nach den für die einzelnen Annalisten nachgewiesenen

Fragmenten. Tabelle ihrer Fragmente 206

Register 220

Berichtigungen 224

VTTI

Abkürzungen,

welche in den Tabellen gebraucht sind:

Pol. = Polybius

pol. = polybianisch

P. = Piso

A. = Antias

M. = Licinius Macer

T. = L. Aelius Tubero

C. = Coelius Antipater

Cl. = Claudius Quadrigarius

R. = Reden, welche Livius selbständig ausgearbeitet hat.

Eine Quellenübersicht von

B. 2, 1—33

giebt

XIII

s.

148.

. 2, 33—3,

65

XV

s.

159.

162.

3, 66—4,

61

j,

XVI

s.

172.

. 5

j,

XVII

s.

181.

. 6-9

■n

XII

s.

137.

. 10

n

XII

s.

123.

127.

. 21

n

VI

s.

65.

. 22

VI

s.

68.

, 23—30

VII

s.

79.

(31.)

, 31—45

j,

IV

s.

43.

I. Einleitung.

Die , römische Geschichte" des Pataviners Titus Livius *) (59 v. Chr. bis 17 n. Chr.) ist nicht nur eines der umfangreichsten, sondern auch eines der am meisten gelesenen Bücher unter allen, welche uns aus dem Altertum erhalten sind. Fast zwei Jahrtausende hindurch ist dieses Werk ein Lieblingsbuch der gelehrten und gebildeten Ge- sellschaft gewesen. Schon Livius' Zeitgenossen staunten gewaltig über die Ausdehnimg seines Werkes und waren entzückt von der vollendeten Foi-m seiner Darstellung. Die Lauterkeit der Gesiimung imd der .wohlthuende Patriotismus des Verfassers verschafften ihm immer wieder neue Verehrer. Quintilian stellte Livius dem Herodot gleich. Nicht minder war die Renaissancezeit für ihn begeistert ^).

1) An Schriften allgemeineren Inhalts über Livius' Denk- und Schreib- weise seien hier erwähnt : Weissenbobn, Einleitung (Titi Livii ab urbe con- difa erklärt von Weissenbom 5. Aufl. 1871), J. M. Söltl, Titus Livius in seiner Geschichte (München 1832), Queck , Beiträge zur Charakteristik des Livius (Progr. Sondershausen 1847), F. X. Frühe, Die politiscne Ansicht des römischen Geschichtsschreibers Titus Livius (Constanz 1851) dazu Fleckeisen Jahrb. 65, 194, L. E. KöHLEB , De Titi Livii vita ac moribus (diss. Berol. 1851), M. Weingärtneb, de Titi Livii vita (diss. Berol. 1852), Taine Essai sur Tite Live (Paris 1856), Kallenbach, Ueber T. Livius im Verhältniss zu seinem Werk und zu seiner Zeit (Progr. Quedlinburg 1860) vgl. dazu Fleckeisen, Jahrb. 84, 385 , 0. Fabricius . Zur religiösen Anschauungsweise des Livius (Königsberg Progr. 1865), L. Vielhabeb, Livianische Studien (1871—1872), RrEMANN, Etudeß sur Tite Live et la litterature des Romains (2. Ausg. 1884), Enrico Cocchia saggio critico intomo alla vita e all'opera di Tito Livio (Roma 1896). Vor allem verdienen gelesen zu werden H. Nissen, Das Ge- schichtswerk des Titus Livius (Rhein. Mus. 27, 5-39) und Th. Mommsen Her- mes 5. 270. Auch die Charakteristiken von Niebuhb (röm. Geschichte 1, 3; 2, 609; Vorträge 1, 45), Schwegleb (röm. Geschichte 1, 103; 2, 10) und C. G. Lewis (Untersuchungen über die Glaubwürdigkeit der altrömischen Ge- schichte, übers, von Liebrecht 1, 47; 242) bieten Beachtenswertes.

2) Baboni, Tito Livio nel rinascimento (Pavia 1889). Soltau, Liviusquellen. 1

2 I. Einleitung.

Petrarca glaubt die grossen Männer Roms wiedererstanden zu sehen, wenn er Livius liest. Ja, Dante ist so fest von der historischen Sicherheit von Livius' Angaben überzeugt, dass er ihm keinen Irrtum zutraut '). Und als die historische Kritik seit dem vorigen Jahr- hundert anting Stein für Stein aus dem Prachtbau des livianischen Werkes herauszubrechen, blieb doch der Zauber, welchen die livi- anischen Schilderungen ausübten, selbst bei den Kritikern in Kraft. Niebuhr stellte des Livius' farbenprächtige Darstellmigsweise der- jenigen der venetianischen Meister an die Seite.

Diese Stimmung hat jetzt einer anderen Platz gemacht. Die Freude an Livius' edler humaner Gesinnung, an manchen rhetorischen Schönheiten, sowie das Interesse an den von ihm geschilderten Situa- tionen ist nicht stark genug geblieben, um das Gefühl der Ent- täuschung über den g e r i n g e n s a c h 1 i c h e n W e r t seines Gescliichts- werkes zurückzudrängen. Und diese imndere Wertschätzunoj eines einst allbeliebten Geschichtschreibers nimmt zu, je weitere Fort- schritte die Quellenanalyse seines Lihalts macht. Es hat sich bereits jetzt herausgestellt, wie germg seine Fähigkeiten als Geschichts- forscher gewesen sind. Die grosse Abhängigkeit, welche Livius, selbst bis auf die Ausdrucksweise hin, von seinen Quellen zeigi, stellt seiner Urteilsfähigkeit und seiner historischen Auffassungsgabe ein migünstiges Zeugniis aus.

Dem gegenüber sollte der Gescliichtsforscher , welcher, seiner Hauptpflicht genügend, Livius lediglich als ein Objekt seiner Quellen- untersuchungen behandelt, nicht vergessen, dass es schon für diese nächstliegende Aufgabe des Historikers nicht ganz gleichgültig ist zu beachten, welche Ziele Livius selbst bei Abfassung seines Werkes vor Augen gehabt hat.

Livius war seiner o-anzen Vorbildunsr nach in erster Linie Rhetor und Philosoph. Es ist allerdings nicht ausgemacht, ob er als Lehrer der Philosophie oder der Rhetorik öffentlich aufgetreten ist ^). Ueber-

1) Vgl. Petrarca lettere fam. XXIV, 8 ; Dante sagt : (Inferno c. XXVHI, 12) ,come Livio scrive chi non erra".

2) Wenn übrigens Seneca Controv. 10, 29, 2 von den Deklamationen von Livius' Schwiegersohn redet, und meint, die Leute hätten ihn non in ipsius honorem, sed in soceri gelobt, so wird m. E. daraus mit Sicherheit der Schluss gezogen werden dürfen, dass Livius vom selben metier gewesen ist.

I. Einleitung. 3

/

liefert ist aber von Seneca epist. IH, 5, 9 '), dass Uvius zahlreiche

pliilosophisthe Schriften verfasst hat. Wir lernen ihn ferner in seinen

Urteilen über Persönlichkeiten und Sittenzustände al.s einen feinen

Psychologen und Menschenkenner schätzen. Seine der stoischen An-

schauimg entsprechende Lebensauffassung beruht auf grilndlicheren

philosophischen Studien. Seine moralische Lauterkeit steht ott'enbar

in engem Zusammenhange mit dem Enist, mit welchem er sich der

Philosophie zugewandt hat.

Noch grösseren Wert hat er auf die Rhetorik gelegt.

Das zeigen weniger noch die livianischen Oitate Senecas und Quintilians, welche Anweisungen rhetorischer Art enthalten, als Zahl mid Ali der Reden, welche seinem Gescliichtswerk zur Zierde ge- reichen sollten. Ueber 400 z. T. recht lange Reden weisen die noch jetzt erhaltenen 35 von den 142 Büchern der ganzen römischen Ge- schichte auf und zwar sind diese nicht, wie bei fast allen friilieren Historikern, zum yi^OQ eTttSetxxcxov gehörig, sondern repräsentieren alle Arten von Reden. Es finden sich Gerichtsreden, Volksreden, Senatsreden, Ansprachen der Feldherrn, Gesandtenberichte u. a. m.

Gerade in diesen Reden zeigt sich die eigentümliche Ausbildmig und Veranlagimg des Livius. Seine Reden sind reine Deklamationen, wie sie einem Rhetor Ehre machen können.

Sie enthalten keine staatsmännische Weisheit, verraten nirgends eine besondere Vertrautheit mit staatlichen oder rechtlichen Ange- legenheiten. Sie zeigen überhaupt „eine durch keine Fachstudien getrübte Erkenntnis".

Cicero, der Meister der Beredsamkeit mid Stilistik, war das Ideal des Livius. Cicero, meint Livius, stehe über allen mid dami käme jeder andere nur 'ut quisque erit Ciceroni simillimus' (Quin- tü. 2, 5, 20).

Kein Wunder also, dass Livius auch die Ratschläge und An- weisimgen dieses seines Helden, den er sich beim Gange zmii Olymp der Berühmtheit ausersehen hatte, in Bezug auf seine weitere litte- rarische Thätigkeit befolgt hat, und dass er, seinen früheren Studien entsprechend, die Geschichtschreibmig nur als einen Zweig der Rhe-

1) Nomina adhuc Livium; scripsit enim et dialogos, quoH non magis philo- sophiae adnumerare possis quam historiae, et ex professo philosophiam couti- nentis libros.

1*

^ I. Einleitung.

torik ansah. Allerdings kannten die meisten Geschichtschreiber seit Theopomp kein andres Ideal Geschichte zu schreiben, als dieses. Doch bestehen auch so noch nicht geringe Abstufungen zwischen den einzelnen Geschichtschreibem der letzten Jahrhunderte vor Christo. Vor allem zwischen Livius imd den ältesten annalistischen Quellen, aber auch selbst noch zwischen ihm und seinem älteren Zeitgenossen Licinius Macer, welcher doch im Uebrigen auch schon die rhetorische Seite der Geschichtschreibung hinreichend kultiviert hatte. Und diese besondere Auffassung des Livius von den Aufgaben des Ge- schichtschreibers beruht, wie gesagt, auf dem Einfluss, welchen Cicero auf Livius ausgeübt hat.

Was sein Vorbild Cicero von der Bedeutung der Beredtsamkeit für die Geschichtschreibung hielt, ist bekannt. Cicero lässt sich, nicht etwa weil er besondere historische Forschungen gemacht hatte, sondern allein wegen seiner oratorischen Begabung von Atticus als den Historiker der Zukunft begrüssen. Postulatur, heisst es de leg. 1, 2, 5, a te iam diu vel llagitatur potius] historia. sie enim putant te ülam tractante effici posse, ut in hoc etiam genere Grae- ciae niliil cedamus. Ja, er lässt sich dieses sogar als eine Pflicht, die er dem Staate schulde, nahelegen (etiam patriae debere hoc munus). Die klassische Begründung dieser Selbstermahnung und Selbstüberhebung lautet aber: 'abest enim historia litteris nostris. potes autem tu profecto satisfacere in ea, quippe cum sit opus, ut tibi quidem videri solet, unum hoc Oratorium maxime.'

Diese Worte seines grossen Vorbildes darf man bei einer Be- urteilimg des Historikers Livius nicht ausser Acht lassen. Der philosophisch feingebildete Mann, der gewandte Rhetor glaubte imd von seinem Standpunkte sowie von dem eines Ciceros aus mit vollem Recht schon durch die Erfolge , . welche er als philoso- phischer Schriftsteller mid als gewandter Rhetor errmigen hatte, vor vielen andern berufen wie befähigt zu sein, eme römische Ge- schichte in grossem Stil zu schreiben ^). Fehlte es ihm daneben ja nicht an dem glühenden Patriotismus eines echten Römers, nicht an der rechten Gesinnung für den Wert, welchen die republikanische Staatsordnung namentlich auch für Rom, gehabt hatte. Und zugleich

1) Vgl. die Beurteilung C. Wachsmdth's Einleitung in das Studium der alten Geschichte 592.

I. Einleitung. 5

war diese Liebe zur Freiheit der Vorzeit so zeitgemüss gemildert, so zahmer Art '), dass sie Augustus nicht hinderte, den Livius auch als befreundeten Hofhistoriographen zu verwenden.

Es hiesse daher dem Livius Unrecht thun, wollte man ver- kennen, dass er sich vorzugsweise eine mehr formale Aufgabe gestellt habe. Das ihm von den Annalisten gebotene Material zu sichten, in eine gefällige Form umzugiessen. vor allem aber ilun durch Einlegung von Keden einen äusseren Schmuck zu verleihen: das war das Ziel, welches Livius erstrebt imd grösstenteils auch er- reicht hat. Denn unleugbar gehört er zu den bedeutendsten römischen Prosaisten. Seneca giebt nur Cicero imd Asinius Pollio vor ihm den Vorzug: vide tamen quam multos antecedat. qui a tribus vincitur, et tribus eloquentissimis.

Seine Quellen zu ergründen ist die Aufgabe dieses Buches. Es kann daher an dieser Stelle nicht weiter auf die bereits erwähnten formalen Vorzüge dieses Schriftstellers eingegangen werden. Viel- mehr solj jetzt möglichst gesondert von einer derartigen Betrach- tungsweise, allein d a s festgestellt werden, was Livius als Historiker, als Geschichtsforscher und Geschichtskenner, geleistet hat. damit dann um so schärfer auch das bestimmt werden kann, was Livius seinen Quellen verdankt.

' Eine sachliche Prüfung, inwieweit Livius überhaupt im Stande gewesen ist, ein wissenschaftliches Geschichtswerk über Roms Ver- gangenheit zu schreiben, hat. wie bemerkt ward, mehr und mehr die Thatsache klargelegt, dass ihm hierzu all imd jede Vorbedingmig gefehlt hat. Noch Niebuhr hatte trotz aller kritischen Bedenken, welche er vielen Erzählungen des Livius entgegenbrachte, doch die „eigentümliche Meisterhaftigkeit" des Livius. Zustände imd Vor- gänge zu schildern, lobend herv^orgehoben. Leider galt sein Lob gerade der völlig imhistorischen *) Ausmalung des Gallischen Brandes

1) Tacitus ann. 4, 33 f.

2) Gerade die älteren Schriftsteller wissen nichts von einem gallischen Brande: s. Thoubet, üeber den Gallischen Brand (Leipzig 1880). Daraus folgt nun zwar noch nicht, dass derselbe unhistorisch ist, wohl aber dass Livius' Darstellung aus der Luft gegriifen ist. Die Einzelheiten darüber sind Nach- büdungen der thucydideischen Schilderung von Athens Verwüstung durch die Perser (1, 89). Vgl. E. Zabncke, der Einfluss der griechischen Litteratur auf

ß I. Einleitung.

und es ist wohl in neuerer Zeit allgemein anerkannt , wie wenig- grade in derartigen Schilderungen Livius authentisch ist. Die Schlachtenschildennigen leiden selbst da, wo sie besserer Herkunft .sind, an allerlei Dunkelheiten und Ungereimtheiten, weil Livius sich nicht einmal selbst eine genügende Vorstellung von der Situation zu machen verstand. Seine Unkenntnis in militärischen Dingen ist ausserordentlich gross, wie das Nissen, Krit. Unters, über die Quellen der 4. und 5. Dekade des Livius S. 31 mit zahlreichen Belegen dargethan hat. Nicht minder bedenklich ist seine Vorliebe für eine breite Ausmalung der Einzelheiten des Kampfes , die Erwähnung von Ansprachen der Feldherrn, die Herzählung von Kriegslisten und Kriegsabenteuem aus den Zeiten, aus welchen keine glaubwürdigen Aufzeichnungen vorliegen ^).

Nicht besser steht es mit Livius' staatsrechtlichen Kenntnissen. Ueber die wichtigsten Fragen der Verfassungsentwickelung lässt er den Leser im unklaren, offenbar weil er sich selbst darüber nicht klar war: so über die Entwickelung der Centuriatcomitien ; über die Gültigkeit der Plebiscite ^), über Zahl und Ordimng der Tribus seit Servius ^). Die mit Cicero de republica 2, 12 übereinstimmende Erklärung von patricü 1, 8, 7 steht in schroÖstem Gregensatze zu 10, 8, 10 (= Festus 241).

Diese Mängel an militärischen und juristischen Vorkenntnissen sind natürlich ganz besonders bedenklich für einen Schriftsteller, welcher vorzugsweise die Aufgabe hatte, militärische und staatliche Vorgänge zu schildern.

Vielleicht hätte Livius manche Lücken seines Wissens auch nach diesen Richtungen hhi ergänzen und ausfüllen kömien, wenn er mit der wichtigsten Aufgabe eines Historikers, der genauen Durchforschung des Quellenmaterials, Ernst gemacht hätte.

Von einer Berücksichtigung der Urkunden findet sich im ganzen Livius keine Spur, wohl aber vom Gegenteil.

die Entwickelung der griecliisclien Prosa. (Leipzig 1888, S. 33 des Separat- abdruckes, S. 304 in den Commentationes in hon. Ribbeck.)

1) Vgl. Th. Stade, die Schlachtenschilderungen in Livius erster Dekade (Jena 1873).

2) Vgl. meine Schriften, Altrömische Volksversammlungen (1880) Ab- schnitt III— V und die Gültigkeit der Plebiscite (1884).

3) Vgl. Altrömische Volksversammlungen S. 375 548.

I. Einleitung. 7

Die lil)ri lintci. M!i<ristratsverzeichnisse, auf welche Livius iiiu h dem \'org}Uige seiner nächsten Quellen Licinius Macer und Fuhero ein entscheidendes Gewicht gele^ hat. hat er nicht eint^esehen, selbst da nicht, wo zwei Citate aus dieser seihen Urkunde sich Avidersprachen (4. 23. 2) I Seine Darstellung des ( 'ossussieges ändert er selbst dann nicht, nachdem ihn Augustus durch den Fund einer Inschrift von der Verkehrtheit seines Ansatzes überführt hat. Die karthagischen Verträge, über deren zeitliche Feststellung wichtige Kontroversen bestanden, hat er nie eingesehen. Den Bündnisvertrag mit Ardea, dessen Echtheit zu pnifen für mehrere Kontroversen 4. 1 f. von Bedeutimg war. kennt er nur aus Macer. Nie erwähnt er flie Stadtchronik, die amiales maximi. er kennt ihre Angal>en nur aus zweiter und dritter Hand.

Eine Kenntnis der von ihm lieschriebenen Oertlichkeiten darf an keiner Stelle seines Werkes vorausgesetzt werden.

Der Chronologie, der Gitmdlage alles historischen Wissens, brachte, er kein Verständnis entgegen. Bei allen Zeitansätzen folgte er vielmehr ziemlich urteilslos seinen jeweiligen Quellen. 3, 33 setzt er für das varronische Jahr 302 anno trecentesimo altero quam condita Roma erat, auch gibt er 4, 7. 1 zu 310 den varronischen Ansatz (anno trecentesimo decimo c[uam urbs Roma condita). ohne zti bedenken, dass das dritte Decemviraljahr, das er 3, 38 mitzählt, ihn konsequenter Weise auf das 311. Jahr hätte führen sollen. Später rechnet er dieses, andern aimalistischen Quellen folgend, überall mit ^).

Die hispanischen Feldzüge des 2. punischen Krieges sind grössten- teils um 1 Jahr vordatiert, die griechischen Jahresberichte daselbst werden um 1 Jahr verspätet gebracht. Ruhigen Blutes erwähnt Livius 27, 7 die olympischen Spiele von 208 v. Chr. unter dem J. 207 V. Chr. Den Tod des Africanus erzählt er 4 Jahre zu früh, trotzdem, wie er nachher selbst einsieht und bekennt, alle gewichtigen Autoren ilin später verlegen.

Recht dürftig ist seine Belesenheit in den Annalenwerken. so- wie seine allgemeine historische Vorbildung. Charakteristisch hier- für ist namentlich folgendes. Die beiden einzigen Berichte, in

1) Soltau, Römische Chronologie 269.

g I. Einleitung.

welchen Livius ausführlich von der Vorgeschichte seiner engem Heimat redet 5,33,5 luid 10,2 sind nachträglich aus andern Quellen') von Livius eingeschoben worden, waren ihm in allen Einzelheiten vorher fremd ^).

Die Schriften der älteren römischen Annalisten, eines Fabius, Cincius, Cato, Acilius, Cassius, ja Gellius und Tuditanus hat Li\ius nicht gekannt. Keine Spur führt darauf hin, dass er ihre Schriften auch nur nebenher eingesehen habe. Vielmehr sind ge-wichtige An- zeichen für das Gegenteil vorhanden.

Griechische Schriftsteller, welche sich mit der älteren römischen Geschichte befasst haben, sind ihm unbekannt. Selbst die ersten Bücher des Polybius kann er schwerlich mit einiger Aufmerksam- keit gelesen haben. Erst gegen Ende der III. Dekade berücksichtigt er ihn und wählt ihn dann bald zu seiner Hauptquelle.

Livius orientiert sich über den zu behandelnden Stoff in der Regel erst kurz vor der Niederschrift. Von Fall zu Fall wählt er sich unter wenigen Annalisten den einen aus, dessen Fühning er sich dami vorzugsweise oder allein anvertraut. Da er in allen Teilen seines Werkes den einmal gewählten Quellen mit Treue und Gewissenhaftigkeit nachschreibt, so war er schon im Interesse der Abwechskmg und Mannigfaltigkeit seiner Berichterstattmig gezwungen, ab mid zu mit der Quelle zu wechseln, mid andrerseits die Angaben seines Hauptberichterstatters oft wenigstens formell umzugestalten.

Diese letztere Thätigkeit musste ganz besonders der schrift- stellerischen Begabung des Livius entsprechen. Sein Talent war von wesentlich formaler Natur. Livius hatte sich dem entsprechend die Aufgabe gestellt, den ihm von einigen der angesehensten Amia- listen überlieferten Stoff in eine stilistisch mustergültige Darstellung zusammenzufassen , durch eine rhetorisch - lebendige Schildening

1) Vermutlicli aus Nepos' Geographischem Werk, vgl. überhaupt Hermes 29, 614; ausdi-ücklich bemerkt Livius 10, 2, 3 in quibusdam annalibus in- venio und höchstens 10. 2, 14 15 (rostra exercetur) ist ^^.elleicht eigener Zusatz des Livius. Selbst von der ersten Hälfte dieses Satzes lässt sich dieses mit Grund bezweifeln.

2) 5, 33, 5 f. steht in schroffstem Gegensatz zu 5, 33, 1 f.

I. Einleitung. 9

der Thaten der Kömer der Darstelkmg eine der patriotischen Auf- gabe ebenbürtige Fonn zu <;ebeii.

Dieser überall festgehaltene Plan bürgt auch für den rela- tiven Wert, welchen Livius Geschichtswerk für den Geschichts- forscher hat. Denn, je weniger selbständig ein Geschichtschreiber seinen Quellen gegenüber ist. je treuer und urteilsloser er sie aus- schreibt, desto wertvoller sind seine Berichte, in so weit sie uns die verloren gegangenen Quellen ersetzen können.

Um so notwendiger ist es aber auch, eine wissenschaftlich- gründliche Quellenanalyse des gesamten livianischen Ge- schichtswerkes zu geben. Nur dadurch wird es möglich sein, den objektiven Wert aller livianischen Berichte festzustellen und weiter durch Zerlegung des livianischen Sammelwerkes in die einzelnen annalistischen Bestandteile eine Geschichte der römi- schen Annalistik vorzubereiten ^).

Eine Quellenanalyse der ganzen römischen Geschichte des LiWus kann bereits jetzt, nach den Vorarbeiten des letzten Menschenalters, gegeben werden, die nachstehende Literaturübersicht wird wenigstens äusserlich darthim, was auf diesem Gebiete geleistet ist.

Nach Lachmanns gnmdlegender Arbeit de fontibus historia- nuu Titi Livü commentatio duplex (Gotting. 1822. 1828.) ruhte die Untersuchung längere Zeit und wurde zuerst wieder durch Arbeiten über die späteren Bücher des Livius aufgenommen. So bei Lucas, disputatio de ratione qua Livius usus est opere Polybiano

(Progr. Glogau 1854). L. Kieserling, de rerum Romanarum scriptoribus quibus T. Livius

usus est (Berlin 1858). W. Michael, in wie weit hat Livius den Polyb als Hauptquelle be- nutzt (Torgau 1859) vgl. desselben diss. Bonn. 1867.

1) Es wird jetzt wohl kaum mehr bestritten sein, dass Nitsch' Römische Annalistik einen überwundenen Standpunkt der Forschung repräsentiert. Vor- arbeiten zu einer Geschichte der römischen Annalistik enthalten meine Ab- handlungen 'Die Entstehung der annales maximi' Philologus 55, 257, 'Zur Geschichte der römischen Annalistik' Nord und Süd 1896 (Septemberheft), *Der Einfluss der römischen Laudationen auf die Annalistik' (deutsche Zeit- schrift für Geschichtswissenschaft Leipzig 1897 S. 105), -Der Einfluss der griechischen Literatur auf die römische Geschichtschreibung' (Zeitschrift f. d. geschichtlichen Unterricht I, 3 f.).

10

I. Einleituncr.

T i 1 1 in a n n s, disputationis, qua ratione Livius Polybii historiis usus

Sit, pars I (Bonnae 1860) und Fleckeisen N. Jahrb. 1861, 844. Nissen, kritische Untersuchungen über die Quellen der IV. und

V. Dekade des Livius (Berlin 1863). G. F. Unger, die römischen Quellen des Livius in der IV. und V.

Dekade. Phüologus Suppl. III, 2, 1. W. Soltau. die amialistischen Quellen der IV. und V. Dekade.

Phüologus 52, 664. Vgl. noch H. Peter zur römischen Gre-

schichtschreibung in Fleckeisen. Jahrb. 125, 97. Woldemar Schwarze, quibus fontibus Plutarchus in vita L.

Aemilii Paulli usus sit (Lips. 1891).

Ihnen reihen sich zalilreiche Arbeiten über die III. Dekade an: K. W. Nitsch, über die ersten Jahre des Hamiibalischen Krieges,

Allg. Monatsschrift (Kiel 1854) 67. Carl Peter, über die Quellen des 21. und 22. Buches des Li\Tius

(Progr. Pforta 1863). Carl Böttcher, kritische Untersuchungen über die Quellen des

Li\äus im 21. mid 22. Buch (Fleckeisen Suppl. V, 353).

E. Wölfflin, Antiochos von Syracus und Caelius Antipater (Winter-

thur 1870). Kessler, secundum quos auctores Livius res m Africa gestas descrip. (Kiel 1873).

F. Frieders dorff, Livius et Polybius Scipionis rerimi scriptores

(Gotting. 1869).

F. Friedersdorf f, das 26. Buch des Livius (Progr. Marien-

burg 1874). 0. Seeck, der Bericht des Livius über den Wmter 218/217

(Hei-mes 8, 152). E. W ö 1 f f 1 in, zur Geschichte des 2. punischen Krieges (Hermes 9, 122). W. Soltau, de fontibus Plutarchi in secvmdo hello Punico enar-

rando (Bonn 1870), namentlich S. 75 f. A. Vollmer, quaeritur unde belli Punici secundi scriptores sua

hausermt (Gotting. 1872).

G. Egelhaaf, Vergleichung der Berichte des Polybios und Livius

über den italischen Krieg der Jahre 218 217 bis zur Schlacht am Trasimenersee (Fleckeisen Suppl. 1879 X, 473).

I. Einleitunp. l\

0. Gilbert, die Fragmente des L. Coclius Antipater (Fleckeisen

1879 Suppl. X. 365). W. Sie ^1 in, die Fraifniente des L. Coelius Antipater (Fleckeisen

1879 Suppl. XI, 1). Th. Zielinski, die letzten Jahre des zweiten piinischen Krieges

(Leipzig 1880). v<rl- dazu Lehmann Hannibals Feldzug 202

V. Chr. in Fleckeisen N. Jahrb. 153, 573. Bucholz, Untersuchungen über die Quellen des Appian und Diu

Cassius für die Geschichte des z^veiten punisch'en Krieges

(Pyritz 1872). M. Posner. quibus auctoribus in hello Hannibalico enarrando usus

sit Dio Cassius (diss. Bonn. 1874). L. Keller, de Juba Appiani Cassiicpie Dionis auetore (Marburg), L. Keller, der zweite punische Krieg und seine Quellen (Mar- burg 1875). A. Baumgartner, über die Quellen des Cassius Dio für die ältere

römische Geschichte (Tübingen 1880). F. Luterbacher, de fontibus libronmi 2 1 et 22 Titi Livii (Argent. 1875). 0. Hirschfeld, Zeitschrift f. d. östr. Gynmasien 1877. 801. W. Pirogoff, Untersuchungen über römische Geschichte, insbe- sondre auf dem Gebiet der 3. Dekade des Livius (russisch!); ' vgL H. Haupt, Philol. Anz. 1882, 118. A. Vollmer, die Quellen der dritten Dekade des Livius (Progr.

Düren 1881). H. Hesselbarth, historisch-kritische Untersuchungen im Bereiche

der dritten Dekade des Livius (Progr. Lippstadt 1882). August Müller, de auctoribus rerum a M. Claudio Marcello in

Sicilia gestarum (diss. Halis 1882). J. B. Sturm, quae ratio inter tertiam T. Livii decadem et L. Coelii

Antipatri historias intercedat (Würzburg 1884). W. Streit, zur Geschichte des zweiten punischen Krieges nach der

Schlacht bei Cannae. Berliner Studien 6, 2 (Berlin 1887). F. Föhlisch, die Benutzung des Polybius im 21. und 22. Buch

des Livius (Progr. Pforzheim 1884—1885). Thouret, flie Chronologie von 218/217 v. Chr. (Rhein. Mus. 42.426). A. v. Breska, Quellenuntersuchmigen im 21. bis 23. Biuhe des

Livius (Progr. Berlin 1889).

12 I- Einleitung.

H. Hesselba rtli, historisch-kritische Untersuchungen zur dritten

Dekade des Livius (Halle 1889), dazu A. v. Breska, Wochen- schrift für klass. Philol. 1891, 294. C. Thiaucourt, Tite-Live depuis la seconde guerre punique

(Paris 1890). C. Thiaucourt, les causes et l'origme de la seconde guerre punique

(Paris 1890). M. Junipertz. der römisch-karthagische Krieg in Spanien 211 206

(Berlin Diss. 1892). E. von Stern, das hannibalische Truppenverzeichnis bei Livius 21,22

(Berlin 1891). K. Lehmann, der letzte Peldzug des hannibalischen Krieges. Leipzig

1894 (Fleckeisen Suppl. XXI, 527). Carlo Pascal, Studi Romani (Torino 1896). Enrico Cocchia, Tito Livio e Polybio imianzi alla critica storia

I— IV (Roma 1896). Fuchs, der 2. punische Krieg und seine Quellen (1894); vgl. dazu

W. Soltau, Berl. Philol. Wochenschr. 1895, 1645. W. Soltau, die annaKstische Quelle von Cicero de officiis III,

Wochenschrift f. klass. Philol. 1890, 1239. , zur Chronologie der hispanischen Feldzüge Hermes 1891, 408. , Coelius und Polybius im 21. Buche des Livius, Philologus

Suppl. VI, 702. , die Quellen des Livius im 21. und 22. Buche (Progr. Zabem

1894 und 1896). , die griechischen Quellen in Livius' Buch 23—30, Philologus 55, 508. , Livius' Quellen in der III. Dekade (Berlm 1894). , eine Doublette in Livius' 23. Buch, Hermes 29, 629. , zu Livius, Fleckeisen, N. Jahrb. 1896, 73. ^, Dione e Livio nella III IV e V decade, Rivista bim. di antichitä

Grecche e Romane dir, da Garofalo I, 1. , Claudius Quadrigarius PhilologTis 56, 432.

Vorzugsweise mit den Problemen, welche sich bei einer Quellen- analyse der I. Dekade ergeben, beschäftigen sich folgende Schriften: Carl Peter, das Verhältnis des Livius und Dionys zu einander

und den altem Annalisten (Progr. Anclam 1853) s. Philo- logus 33, 572.

I. Einleitung. 13

K. W. Nitsch, im Rhein. Museimi 23. 24. 25. Band, wiederholt

in K. W. Nitsch, die römische Annalistik von ilu'en ersten

Anlangen bis auf Valerius Antias (1873). Hermann Peter, Vetenim Hist. Rom. rell. (Leipzig 1871). Carl Peter, zur Kritik der Quellen der älteren römischen Geschichte

(Halle 1879). H. Nissen, der caudinisclie Friede. Rhein. Museum 25, 1. Theodor Mommsens Abhandlungen im Hemies 1, 212; 3, 304;

4, 1 ; 5, 228 bieten wichtige Beiträge zur Liviuskritik. Virck, die Quellen des Livius und Dionysius für die älteste Ge- schichte der Republik (Strassburg 1877). Heyden reich, Fabius Pictor und Li\äus (Progr. Freiberg 1878). G. F. Unger, die römische Stadtaera (München 1879). Eduard Meyer, Untersuchungen über Diodors römische Geschichte.

Rhein. Mus. 37, 610. Ernst Herzog, über die Glaubwürdigkeit der aus der römischen

Republik bis zum Jahre 387 d. St. tiberlieferten Gesetze

(Tübingen 1881). E. Luebbert, observ. crit. de T, Livi libri quarti fontibus (Progr.

Gissae 1872). E. Luebbert, de gentium Romanarum commentariis domesticis

(Progr. Gissae 1873). J. Kaerst, Krit. Unters, zur Geschichte des 2. Samnitenkrieges.

Fleckeisen, Jahrb. Suppl. XHI (1884). J. K a e r s t, die römischen Nachrichten Diodors u. s. w. Philol. 1889, 306.

A. Fraenkel, Studien zur römischen Geschichte. 1 . Heft (Breslau 1 884). Georg Klinger, de decimi Livü libri fontibus (diss. Lips. 1884). L. 0. Bröcker, Moderne Quellenforscher und antike Geschicht- schreiber (Innsbruck 1882).

B. Niese, de annalibus Romanis observ. I II Marburg 1887 1888. A. Volk mar, de annalibus Romanis (diss. Marb. 1890).

G. Thouret, über den gallischen Brand in Fleckeisen, Jahrb. Suppl. XI, 95 namentlich 136 f. (1880).

M. Voigt, leges regiae, Abh. der K. sächs. Gesellsch. d. Wissen- schaften 17, 682 f. (1879).

P. Binneboessel, Untersuchungen über Quellen und Geschichte

J4 I- Einleitung.

des zweiten Sainnitenkrieges von Caudium bis zum Frieden 450 a. u. c. (diss. Hai. 1893).

A. Kiessling, de Dionysii Halicarnassensis antiqu. auctoribus latinis (diss. Bonn. 1858).

A. J a c o b s o n, das Verhältnis des Dionys von Halicaniass zu Varro in der Vorgeschichte Roms (Progr. Dresden 1895).

0. Bock seh. de fontibus libri V et VI antiq. Rom. Dionysii Hali- carnassensis (diss. Lips. 1895).

0. Hirschfeld, Timagenes mid die gallische Wandersage (Sitz.

d. Berl. Akad. 1894, 331).

W. Soltan, die Entstehung der amiales maximi, Philologus 55, 257.

, der Annalist Piso, Philologus 56, 118.

, zur Geschichte der römischen Annalistik, Nord mid Süd 1896, 385.

, der Aimalist Tubero, Hermes 29, 631.

, nachträgliche Einschaltungen bei Livius, Hermes 29, 611.

, der Ehifluss der griechischen Litteratur auf die römische Ge- schichtsschreibung, Zeitschrift für den historischen Unterricht (Zürich 1897) 1, 3.

, die römischen Laudationen mid ihr Einfluss auf die Annalistik, in der deutschen Zeitschrift für Geschichtswiss. 1897 S. 105. Das Ergebnis aller dieser Untersuchungen in methodischer

Hmsicht lässt sich in folgenden Sätzen zusammenfassen:

1. Livius oiientiert sich nur für klemere Abschnitte über die Quellen.

2. Er folgt in der Regel nur emer einzigen Quelle ; gelegentlich fügt er am Schluss emes Abschnittes einige Angaben aus einer andern, namentlich aus der im nächsten Abschnitt benutzten Quelle, bei.

3. Livius nemit seine Hauptc|uelle selten ^) ; die Citate , welche er bringt, smd oft dieser Hauptquelle entlehnt.

4. Livius schreibt seine Quellen meist wörtlich aus. Er behält so- gar den Lapidarstil semer älteren Quellen bei. Li andern Fällen sucht er den Stoff, welchen ihm die Annalisten boten, stilistisch umzuformen ujid rhetorisch zu erweitern, besonders durch frei er- fundene oder ausgeschmückte Reden.

5. Bei diesem vorwiegend formalen Interesse des Verfassers zeigt sich nicht selten, dass er ein schwaches Gedächtnis für die sach-

1) So den Polybius nur 30, 45; 30, 10; 39, 52 und 45, 44 Tubero nur 4, 23 und 10, 9.

I. Einleitung. 15

liehen Einzelheiten hat und duss ihm die genügende AuffassungH- gabe für das Dargestellte mangelt.

Nur in Ueden arl)eitet Livius selbständiger. Es ist daher not- wendig, hier einige Bemerkimgen über den Zweck und die Kompo- sition der livianischen Reden ^) einzufügen.

Den Alten und den Humanisten galten die zahlreichen Keden in Livius 'Komischer Geschichte' ""') als (ilanzpunkte seines Werkes. Heutzutage wird anders geurteilt. Sachlichen Wert haben sie selten, an Kraft der Beredsamkeit und Gedanken stehen sie weit hinter den Reden des Thucvdides, des Cato, des Sallustius zurück. Ihre stilistische Gewandtheit, der Reichtum an Formen und Redewendungen verrät den gewandten Rhetor, den liebenswürdigen und fehlfühlenden Menschen. Für den Historiker haben sie allein dadurch einigen Wert, dass sich herausgestellt hat, dass Li\T[us nur höchst selten Reden einlegt, wo nicht bereits seine Quellen entsprechende Aus- führvmgen gebracht hatten. Das hat für die IV. und V. Dekade Nissen"''), für die I. Flierle gezeigt, imd ein gleiches ist auch das Ergebnis der Untersuchungen über die III. Dekade ^).

Bei der Verarbeitung des Gedankenganges, welchen seine Quellen von den Reden überliefert hatte, zeigt Livius allerdings eine grössere Freiheit, meistens sehr zum Schaden der Sache. Wer nur auf die äussere Glätte, auf den Wohllaut der Sprache und auf die gewandte Phraseologie achtet, der mag Qiiintilian 10, 1, 101 beistinuuen Livium in contionibus supra quam enarrari potest eloquentem. Wer dagegen nach Nissens Vorgang, Krit. Unters. 25 f., die Reden des Livius mit ihrem Originale bei Polybius vergleicht, der wird keinen er- freulichen Eintlruck empfangen. Livius erweitert seine Vorlagen, gibt statt des bestimmten Inhalts allgemeine Phrasen, setzt einige

1) Neben Weissenborn, Einl. 55 und Nissen, Kritische Untersuchungen 25 handelt hierüber am besten 0. Kohl, Ueber Zweck und Bedeutung der livi- anischen Reden (Progr. Barmen 1872); ferner F. Friedersdorff, de orationum operi Liviano insertarum origine et natura (Tilsit 1886).

2) Er folgte überhaupt getreu der grundlegenden Vorschrift Ciceros, Orat. 20, 66: 'huic generi historia finitima est, in qua et narratur omate, et regio saepe aut pugna describitur ; interponunturetiam contiones et h 0 r t a t i 0 n e s.'

3) Krit. Unters. 25.

4) Flierle a. 0. 74.

5) SoLTAU, Livius Quellen in der III. Dekade z. B. 13. 131.

IQ I. Einleitung.

elegante Wendungen ein, Avelclie den Lihalt verwässern; kurz die politische Rede geht allmählich in eine oratorische Deklamation über.

„Je umfangreicher die Reden sind, desto weniger bmdet sich Livius an seine Quelle". Meist erfindet er den Stoff zu ihnen frei oder er entlelint Gedanken dazu andern Quellen. An einigen Stellen ist es sogar noch nachzuweisen, woher Livius den Stoff zur Ver- vollständigmig semer Reden genommen hat. So ist der sachliche Teil der Rede des lokrischen Gesandten 29, 17 18, welche in den antiatischen Abschnitt 29, 1.5 20 eingeschoben ist, aus 29, 6 9 d. h. aus Coelius entlehnt^). Die Rede des Marcius 25, 38 enthält Elemente 2) aus Polyb. 10, 6, 2—6.

Der Form nach ist bei Livius ein Unterschied zmschen in- direkten mid direkten Reden zu machen.

Treffend ist beobachtet worden, dass die indirekten Reden sich durchweg nahe an die Ausführungen der Quellen anschliessen, sie geben oft eine Zusammmenfassung des Gedankenganges einer Rede, welche die Quelle des Livius gebracht hatte.

Bei den direkten Reden ist zwischen kurzen charakteristischen dicta') mid längeren Reden zu miterscheiden. Die ersteren sind natürlich fast immer authentisch, wenigstens nicht erst von Livius erfunden.

Dagegen bewegt sich Livius in den längeren direkten Reden am freisten. Hier bemüht er sich seme eigene rhetorische Kunst- fertigkeit zu zeigen mid eigene Gedanken den übernommenen bei- zumischen.

Für die Quellenanalyse des Livius folgt hieraus soviel: die direkten Reden smd, da meist freie Erfindung des LiA-ius, m der Untersuchmig bei Seite zu lassen *).

Für eme Quellenanalyse von Livius' Geschichtswerk ist es übrigens von Wichtigkeit zu wissen, ob Livius sem Werk als Ganzes, oder ob er es in kleineren Abschnitten herausgegeben hat. Namentlich

1) Der Beweis ist erbracht Soltau. Livius Quellen in der III. Dekade 48.

2) Hermes (1891) 26, 432.

3) Natürlich ist nicht jedes beliebige ermunternde Wort eines Feldherm aus einem älteren Annalisten abgeschrieben.

4) Sie sind unten in den Tabellen mit R gekennzeichnet.

I. Kinlfitunjf. 17

ist zuerst in Erwäoun^r /n zifhcii, in ww weit Li v ins seihst «ein Werk in versc liiedene Unterabteilun«^en «ro^liedert hat.

Im Allgemeinen steht sonel lest: Li\ius hiit mit der Heiaus- gabe seines Werkes, das er nach 727 begann (1, 19. ;-{). nicht bis zum Abschluss desselben im 142. Budi gewartet. Er war bereits zu seinen Lebzeiten, nach der Verötfentlichung eines Teiles, ein be- kannter und gepriesener Schrilt;steller (Plin. N. H. pi-aef. 1(>. Plin. ep. 2, 3).

Ausserdem ist klar, dass 1. 19, 3 nur vor 729, 9, 18, 9 wenig- stens vor 734 veröffentlicht sein muss \). Dagegen ist, um mir einen Umstand hervorzuheben, das 59. Buch erst nach 7H(i heraus- gegeben, da in ihm das damals gegebene Oesetz de maritandis ordinibus genannt ward. Die übliche Einteilung des Werkes in Dekaden rühi-t jedoch nicht von Livius her. Das ist bereits fiiih erkannt und bekannt ^) gewesen, und wird nicht zu bestreiten sein. Weder das Ende der L Dekade, noch das der IV. Dekade bildet einen nennenswerten Abschluss^).

Dagegen hat Livius einen Einschnitt nach der I. und III. Pentade gemacht, nicht minder zu Anfang der IIL und IV. Dekade. Nun gebot zwar die Bedeutung der Epochen, welche die Jahre 365, 490, 536, 554 in der römischen Gescliichte büdeten, diese Abschnitte auch äusserlich als solche zu markieren. Wenn dieses aljer durch eine besondere Einleitung zu Anfang des 6., 16., 21. und 31. Buches geschah, so ist doch die Absicht des Verfassers deutlich, mit ihnen auch einen neuen Abschnitt seines ganzen Werkes zu begimien.

Dagegen hat Livius weder am Schlüsse des 10. noch am Schlüsse <ies 35. Buches *) einen besonderen Abschnitt gemacht ; und sicher-

1) Zu beiden s. Weissenbobn, Einleitug 12.

2) So bemerkt es u. a. schon Petkaeca el>ist. variae 22 (p. 1061 Ba.s.).

3) Das 10. Buch schliesst mitten im 3. Samnitenkrieg, in dem Livius sonst eine wichtige Epoche der römischen Geschichtsentwickelung erkannte (10, 31. 10). Das 41. Buch erzählt die Iveignisse von 178 v. Chr.. ohne das« 179 v. Chr. einen erkennbaren Abschnitt gemacht hätte.

4) Auch wohl nicht am Schlüsse des 25. Buches; doch ist es immerhin möglich, dass Livius in den 5 ersten Büchern der III. Dekade Kims Ringen mit der punischen Macht bis zur Katastrophe der Scipionen darzustellen, her- nach ein Bild seiner Siege zu geben gesucht hat. Spuren einer nachträglichen Ueberarbeitung nach Abschluss der 5. Pentade weist Abschnitt V na« h.

Soltau, Liviusquellen. ^

18 I. Einleitung.

lieh ist er weit davon entfernt gewesen, die Fünfzahl bei der weiteren Gliederung seines Werkes in pedantischer Weise zu Grunde zu legen. Die Bücher 109 116 wurden später auch separat als civilis belli libri octo gelesen.

Unter Berücksichtigung dieser Thatsachen wird anzunehmen sein:

Livius gab zuerst die I. Peutade, dann Buch 6 15, dann Buch 16 20, darauf die IIl. Dekade und endlich Buch 31 45 gesondert heraus ^).

Einen wichtigen Beleg für die besondere Herausgabe einzelner Abteilungen des grossen Geschichtswerkes ist auch dem zu entnehmen, was neuerdings über spätere Einschaltmigen imd Verbesserungen nachgewiesen ist. Hätte Livius nicht bereits die L Pentade für sich herausgegeben, er hätte nicht 4, 20 jenen Excurs über Cossus mid 5, 33, 5 35, 4 denjenigen über die Gallier einschalten köimen, ohne im Uebrigen seine Ausführungen zu ändern. Nur das Bestreben, an den einmal fertig gewordenen mid herausgegebenen Ausführmigen nicht mehr zu ändern, hat ihn in der IL Pentade zu einer so ober- flächlichen Einschaltung wie 8, 24 und 10, 2 veranlassen köimen. Bei noch nicht erfolgter Herausgabe wäre es unerklärlich, weshalb Livius hier eine so äusserliche und störende Einschaltung unternom- men hätte ^).

Für eine separate Ausgabe der III. Dekade zeugen gleichfalls mehrere spätere Einschaltungen aus Polybius, welche zu einer teilweisen Ueberarbeitung des 24. und 25. Buches und zu grösseren Einlagen im 26. bis 29. Buch geführt haben ^).

Diese späteren Einschtibe, welche ohne Rücksicht auf das früher Erzählte, ohne Beachtung der Chronologie von Livius gemacht sind, sind zugleich ein Zeugnis für die Aeusserlichkeit seiner Arbeitsweise.

1) Das 45. Buch möchte ich trotz Nissen, Rhein. Mus. 27, 556 als End- punkt dieses Abschnitts festhalten. Der Inhalt des 46. Buches hat den Ab- schluss des Krieges zur Voraussetzung ; vgl. sonst Nissen, Rhein. Mus. 27, 554, der im Einzelnen noch manches Ansprechende über die Verteilung des Stoffes in den verlorenen Büchern beibringt.

2) Vgl. zu diesen Ausführungen Soltau, „Einige nachträgliche Einschal- tungen bei Livius" Hermes 29, 611.

3) Philologus 53, .588 f. und Soltau, Livius' Quellen in der IIL De- kade 6 f.

I. Einlt'itiinp. 1<>

Die vorstehende Untersuchun«; wird iid^ciidcii (hu\^ einschlagen.

Nach dem riclitigen (inindsatz, das.s die Forsi-hiing von dem Bekamiteren zu dem Unbekannteren weiter zu schreiten habe, wird zuerst in Kürze das Ergebnis der Quellenanalyse der IV. und V, De- kade gegeben werden. Nissens kritische Untersuchungen haben ja scharf die polybianischen Bestandteile des 31. 45. Buches ausge- schieden, über die annalistischen Quellen in Livius' IV. und V. De- kade aber habe ich selbst Philologus 52. 664 tlie gewünschte Sicher- heit gewonnen.

Viel imistrittener waren lange Zeit hindurch flie Ergebnisse bei der III. Dekade. Doch ist schliesslich auch hier eine reinliche Scheidung dessen gelungen, was der griechischen Historiographie, vorzugsweise also dem Polybius, angehört, was annalistischer Her- kunft ist. Die Arbeiten von Wölfflin. Böttcher, Zielinski, Hessel- barth u. a. bildeten die Grundlage, aus welchem mein Buch „Livius' Quellen in der III. Dekade" das Facit gezogen hat, dessen Ergeb- nisse, soweit ich sehe ^), in allen wesentlichen Einzelheiten anerkannt worden sind.

Nach einer Uebersiclit über die Forschungen zur III. Dekade wird daim den schwierigen Problemen, welche die I. Dekade bisher noch geboten hat. näher getreten werden können.

Hier waren vor allen Dingen die Bestandteile der haupt- städtischen pontifikalen Geschichtschreibung genauer zu bestimmen. Andrerseits aber musste es unsre Aufgabe sein, die Elaborate der jüngeren Annalisten, welche vielfach auf Familienüberlieferungen, auf tendenziöse Geschichtskonstruktionen, auf Laudationen zunickgiiigen, festzustellen, ehe auf die Quellen der einzelnen Bücher des Livius näher eingegangen werden konnte. Auch hier wieder war ein all- mähliches Rückwärtsgehn der Forschung förderlich; zuerst wurde die Herkunft der II. Pentade, dann diejenige der Bücher 2—5 ge-

1) Die genaue Abgrenzung des polybianischen von dem annalistischen Bestandteil ist kaum irgendwo (vgl. gegen Bethe, Ind. lect. Rostock 1895 S. 10 Fleckeisens .Jahrb. 1896 S. 73) beanstandet worden. Die indirekte Entlehnung einiger polybianischer Excerpte erkannten an Wachsmuth, Ein- leitung in d. Studium der alten Geschichte 593, A. M. A. Schmidt, Woch. f. klass. Philol. 1895, 767. Ueber Piso und Antias als Quellen des Livius urteilten zustimmend: A. M. A. Schmidt a. a. 0., A. Baue, Zeitschr. f. östr. Oyiiiii. 1896, 1013 und L, Holzapfel, Berl. phil. Wochenschrift 1895, 1515.

o *

20 !• Einleitung.

boten. Erst zum Scliluss. naclideni die Ergebnisse der Quellen- kritik bei Livius auch mit denen über die griecliischscbreil)enden Historiker zusammengestellt waren, wurde das 1. Buch einer Er- örterung unterzogen.

Das Ziel der Untersuchung beschränkt sich al)er nicht auf eine Analyse des livianischen Geschichtswerkes. Es reicht weiter. Es soll zugleich ein Bild der Annalistik vor Livius gegeben, das Fun- dament zu einer Geschichte der römischen Annalistik o-elegt werden. Dieser Aufgabe sind die letzten abschliessenden Al)- schnitte gewidmet.

21

IL PolybiTis als Quelle der lY. uiul V. Iiekade.

Alle Untersuchuntreii über die Quellen des Livins müssen von dem sicheren Fundamente der Nissenschen Forschung ausgehen, dass Polybius eine der ^vichtigsten Quellen in Livius' IV. und V. Dekade gewesen ist. Mit den in diesen Büchern behandelxen Gegenständen beschäftigen sich imgefähr 220 Fragmente des Polyl)ius und von diesen sind nahezu 100 in Livius' Darstellmig anzutretfen. Ausser- dem zeigt die vielfache Uebereinstimmung der livianischen Berichte mit Diodor und mit Appian, dass gleichfalls an jenen Stellen Poly- bius die Quelle des Livius war. Demi Diodors 28. bis 3L Buch kann mit geringen Ausnahmen als ein Auszug aus Polybius ange- sehen werden (Nissen. Krit. Unters. 113). Appian aber hat von den Libyka 67 ab, ferner in der syrischen, macedonischen und illyrischen Geschichte gleichfalls den Polybius ausgeschrieben ').

Aus der Zusammenstellimg der Fragmente des Polybius mit dei} livianischen Erzählungen gewinnt Nissen im allgemeinen folgen- des Resultat: Livius hat für die Verwicklungen Roms mit Mace- donien. Syrien und den hellenistischen Staaten, insoweit die Er- zählung in diesen Ländern selbst spielt, den Polybius fast ausschliesslich benutzt, für die Verhandlungen in Rom nur zum Teil. Die Spezialgeschichte imd die mannichfachen Excurse hat er in der Regel übergangen, für speci fisch röniisclie Er- eignisse ist er, soweit wir sehen, ihm nie gefolgt^).

Es kann nicht zweifelhaft sein (sagt Nissen, Krit. Unters. 49), dass Livius ausser Polybius keine weitere griechische Quelle ül)er jene Zeit benutzt hat. Da überall ferner die Berichte des Poly- bius durch ihren universalen Charakter, durch ihr Interesse an griechischen und nicht römischen Dingen sich scharf von der ein-

1) Nissen, Krit. Unters. 114. E. Hannak, Appianus und seine Quellen (Wien 1869) 146.

2) NissEjf, Krit. Unters. 20.

22 II. Polybius als Quelle der IV. und V. Dekade.

seitigen Berichterstattung der römischen Annalisten abheben, so ist es möglich, bestimmt nachzuweisen, welche Bestandteile in der IV. und V. Dekade polybianischer Herkmift sind, welche aus römischen Annalisten stammen. Nur bei ein oder zwei ganz unerheblichen Stücken, sagt Nissen 102, wird man zweifelhaft bleiben, welchem von beiden sie anzureihen sind.

Mit dem Gegensatz zAvischen einer römischen Chronik und einer griechischen pragmatischen Universalgeschichte ist von vom herein die Annahme unmöglich geworden, dass ein grösserer Teil des als annalistisch bezeichneten Restes überhaupt eine Stelle bei Polybius hätte eimielmien kömien.

Auf Grmid dieser Beobachtmigen hat Nissen ungefähr 40 grös- sere Abschnitte des 31. bis 45. Buches als dem Polybius entlehnt ausgeschieden. Es sind

V.)

31,

14-

-18

38,

1—27 (17. 23 CL

22-

-47

28—34

32,

4-

-6

(6 V.)

37—41 (41 Cl.)

9-

-25

39,

23—29

32-

-40

33—37

33,

1-

-21

(10. 14.

V. u.

Cl.>

46—53 (52 Cl.)

27-

-35

(30 V. u. Gl.)

40,

3—16

38-

-41

20—24

45-

-49

54—58

34,

22-

48-

-41 -52

41,

19—20 22—25

57-

-62

42,

5—6

35,

12- 25- 42-

-19 -39 -51

(14 Cl.)

11—18 (11 y.)

29—30 36—67 (66 A.)

36,

5-

-35

(17. 19.

21. 35 V.)

43,

17—23

41-

-45

44,

1—13 (13 V.)

37,

5-

-45

(34 V.)

23—46 (37 A.)

52-

-56

60

45,

4—12 19—20 25—34 (44, 19) ').

1) W. Schwarze, in seiner gründlichen Untersuchung quibus fontibus Plutarchus in vita L. Aemilii Paulli usus sit (Lips. 1891) ii-rt dooh darin, dass

II. Polybius alH QuelU« der IV. und V. Dekade. 23

El)en so wichti<<, wie dieses Resultat, ist das, was Nissen über die Arbeitsweise des Livius feststellen konnte. Ueberall hat Livius die polybianischen Berichte in der äusserlichsten Weise her- übergenommen; auf eine Verbindung und Verschmelzung der poly- bianischen Angaben mit denen seiner römischen Berichterstatter legt Livius keinen Wert. „Ueberall wo Nachrichten entweder in beiden wiederholt sijid oder sich gegenseitig kontrolieren lassen, zeigt sich, falls das Faktische stimmt, in der Auffassung und Darstellung des- selben eine totale Verschiedenheit; noch häufiger sind beide selbst •hinsichtlich des Faktischen gänzlich imvereinbar. " In der Regel hat Livius den Polybius frei übersetzt, nur darf dabei an keine Uel)er- setzungstreue im modernen Sinne gedacht werden (K. U. 20). In stilisti- scher Beziehung und in manchen Nebendingen erlaubt sich Livius eine grössere Freiheit. Bald kürzt er die doktrinäre Ausdnicksweise seines Originals, bald giebt er sachliche Erläutenmgen dazu oder er liefert eine freiere Umschreibung. Erleidet durch dieses Ver- fahren der griechische Bericht auch manche kleinere Verschiebungen und Trübungen, so haben doch weit mehr noch die rhetorische Neigimg und die Phantasie des Livius auf die Umgestaltimg des polybianischen Textes hingewirkt. Auch hat das mangelnde Ver- ständnis, welches Livius für militärische und staatsrechtliche Vor- gänge hat, manches Fehlerhafte in seine Uebertragung des griechi- schen Historikers gebracht. Nichtsdestoweniger ist überall die Anlehnung des Livius an sein Muster derart, dass nicht nur in ein- zelnen Ausdrücken, sondern in zahlreichen Wendungen und im gan- zen Stile die Uebertragung aus einem griechischen Historiker deut- lich hervortritt. In der Zeitrechnmig, in der Berücksichtigung des einseitig griechischen Standpunktes, in topographischen imd histori- schen Zusätzen verrät sich überall die Herleitung aus dem griechi- schen Original. Am deutlichsten aber ist die griechische Quelle erkennbar an den gi-iechischen Worten und Namen sowie an der oft recht eigentümlichen Wiedergabe derselben in ungeschickten lateinischen Wendungen (vgl. auch Philologus 53, 595).

er auch in 45 , 35 40 eine Benutzung des Polybius annimmt. S. dagegen Hermes 31, 158. Gegen einen andern Versuch, Nissens Resultate zu mo- difizieren bei MoMMSEN, Rom. Forsch. 2, 511, vgl. Ed. Meyeb, Rhein. Mus. (1881) 36, 120.

24 II, Polybius als Quelle der IV. und V. Dekade.

Das Ergebnis von Nissens Forschungen ist nicht gerade günstig tiir die Urteilsfähigkeit des Livius. Livius beschränkt sich so sehr darauf, den Polybius auszuschreiben und zu übersetzen, „dass er sogar die nötigsten Erklärungen beim Uebergang von einem poly- bianischen Ausschnitt zu einem andern bei Seite lässt, mit Polybius niiehrfach sich auf früher Erwähntes zurückbezieht, ohne dies selbst vorher erzälilt zu haben".

Man thäte jedoch Unrecht, Avollte man den Livius deswegen als einen Plagiator ansehen, weil er in so genauem Anschluss an Poly- bius einen wichtigen Teil seiner römischen Geschichte niedergeschrie- ben habe ^). Die meisten Historiker des Altertums wie des Mittel- alters haben keine andere Benutzung ihrer Quellen gekaimt als die einer sachlichen und formellen Entlehnung, wobei oft ganze Sätze im Wortlaut aus der Quelle herübergenommen wurden. Livius stand miter dem Einfluss desselben Grundgesetzes, welches die ganze Historiographie bis auf die Entwickelung der modernen Wissenschaft beherrscht.

Aus der Thatsache, dass Livius einen grossen Teil der IV. mid V. Dekade ohne wesentliche Modifikationen aus Polybius herüber- genommen hat, hat Nissen (K. U. 78) den weiteren Schluss ge- zogen, dass Livius seme übrigen Quellen gerade ebenso benutzte d. h., soweit sie lateinisch abgefasst waren, von der stilistischen Be- handlung abgesehen, emfach ausschrieb. Diese Behauptung bedarf jedoch für die römischen Quellen einer gewissen Emschränkmig. Selbstverständlich trifit sie auch für jene Fälle das Richtige, wo Livius staatsrechtliche Formeln, Prodigienverzeichnisse, Beamtenlisten wiedergiebt. Aber wenn auch Livius bei vielen anderen Notizen die knappe Form seiner armalistischen Quelle beibehält, so hat er doch ebenso oft bei Reden und Schilderungen von Kämpfen sich eine grössere Freiheit bewahrt. Vor allem aber ist zu beachten, dass Livius aus zwei Gründen sein dem Polybius gegenüber eingeschlagenes Verfahren bei lateinisch schreibenden Quellen modifi eieren musste. Bei der stilistischen Einförmigkeit der römischen Amialisten war es geboten, dass Livius häufiger mit semen Quellen wechselte und femer komite er bei einem solchen mehrfachen Wechsel der aima-

1) Nissen, Krit. Unters. 77.

II. Polybius alrt Quelle der IV. uii.l V. Pfkade. •_>•'»

listiscluMi Quelle um so weui^ror d'w /usiit/«- und Er^'änzun<,'«*ii tii-r vorher eüifresehenen Quelle bei der späteren unberikk.sichti«^ lasHen.

Die.se Benierkun<fen .sind zu beachten, wenn es <rijt. die anna- listischen Partien des Livius auf ihre Quellen zurilckzul'ilhren. Es ist hier voi- einer gewissen Uebertreibung in der Anwendung der von Nissen gefundenen, richtigen Beobachtungen zu warnen. In der Hauptsache dürfen auch sie als Hichtschnur gelten, wenn di»' anna- listi.schen Quellen nicht nur der IV. und V. Dekade, sondern auch der früheren Bücher ausfindig gemacht werden sollen. Die Fälle sind in der That sehr selten, da Livius bei der zusanmienhängenden Erzählung zwei verschiedenartige Berichte i n e i n an d e r g e a r 1) e i t e t hat: aber ganz ausgeschlossen ist diese Eventualität keineswegs.

Gegen die Ergebnisse der Nissen' sehen Forschungen ist mehr- fach, aber stets vergeblich, Sturm gelaufen worden. Bröcker z. B. bemühte sich ohne Erfolg, Nissen dadurch zu widerlegen ^), dass er wahrscheinlich zu machen glaubte, dass andere alte Historiker nicht in dem Masse wie Livius jeweilig einer einzigen Quelle gefolgt seien. Er wandte sich damit nur gegen die verkehrte Verallgemeinerung einer richtigen Beobachtung und noch dazu bei andern Schriftstellern, nicht bei Livius,

Carl Peter aber, welcher die ältesten und ausgezeichnetsten Untersuchungen über die Quellen des Livius herausgegeben hatte, hat in seinem Buch Zur Kritik der Quellen der älteren Römischen Geschichte" (Halle 1879) eigentümlicher Weise mehrfach seine eigenen wissenschaftlichen En-ungenschaften wieder bekämpft. Gerade Peter hatte gezeigt, wie vielfach und wie genau sich Dionys und Livius in der I, Dekade an ihre annalistischen Quellen angeschlossen, wie Poly- bius' Bericht wörtlich in die Erzählung des 21. und 22. Buches Auf- nahme gefunden hatte ^), und er hätte ja sich selbst untreu werden müssen, wenn er die genaue Anlehnung in Inhalt und Fonn, welche die alten Historiker bei ihren Schriften beobachtet haben, ernstlich hätte in Abrede stellen wollen.

Mit Recht dagegen hat sich Peter an einigen Stellen gegen den Missbrauch des Ein-Quellenprinzips ausgesprochen und vor dem

1) Moderne Quellen forscher u. antike Gescbichtschreiber (Innsbruck,! 882) 1 f.

2) Eb. 57—88.

26 II. Polybius als Quelle der IV. und Y. Dekade.

Schluss gewarnt, dass „wemi die Benutzung für irgend einen Teil bewiesen, hieraus auf die Benutzung für die ganze betreflPende Partie zu schliessen sei".

Hierin liegt das relative Verdienst solcher und älmlicher Schriften, welche Nissens Resultate zu bekämpfen suchten. Die Resultate selbst sind unanfechtbar, zumal sie nicht auf Schlüssen, sondern auf dem thatsächlichen Verhältnis des Livius zu Polvbius beruhen.

111. Die liauptstädtisclieu Uuellen iu Liviii.s" IV. und

y. Dekade.

Nachdem niit Nissen die polybianischen Bestandteile der IV. und V. Dekade ausgesondert worden sind, ist die Verteihmg der annalistischen Partien verhältnismässig leicht geworden. Allgemein war anerkannt, dass die Zahl der Annalisten, welche Li^^us in die- sen Büchern zu Rate gezogen hat, sehr gering sei, und dass Antias und Claudius wo nicht die einzigen, so doch die hauptsäclilichsten Gewährsmänner des Livius gewesen seien.

Allerdincrs, allein auf Gnmd der wenigen erhaltenen Fracmente, koimten die umfangreichen livianischen Abschnitte nicht einer be- stimmten Quelle zugeA\desen werden. Ein erster Versuch Ungers Philologus Suppl. III 2, 1, mit Hilfe einiger allgemeiner Kriterien eine Verteilung des Stoffes vorzunehmen, missglückte. Zu sichreren Er- gebnissen führte dagegen die Beobachtimg, dass sämtliche anna- listischen Angaben nach ihrer eigentümlichen äusseren und inhalt- lichen Beschafi'enheit eine dreifache Herkunft verrieten.

Im Philologus 52, 664 f. zeigte ich, dass ein scharfer Gegen- satz zwischen den ausführlicheren Kriegsberichten, welche mit der Lebhaftigkeit von Augenzeugen geschrieben zu sein scheinen, mid den hauptstädtischen, chronikartigen Angaben bestehe. Diese letz- teren waren zunächst einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Dabei wies ich nach, dass auch diese wieder nicht von ein und dem- selben Annalisten herrühren könnten, vielmehr in einer zwiefachen Bearbeitimg vorlägen. Die einen geben in einem trockenen Laj)idar- stil Angaben über ganz bestimmte, ein für allemal feststehende Rubriken. Diese sind: Berichte über Comitien, über Triumphe, wichtige Senatssitzungen, Angaben über Empfang imd Entsendimg von Gesandtschaften, Verteilung der Provinzen, prodigia, Spiele,

28 IIJ- Die hauptstädtischen Quellen in Livius IV. u. V. Dekade.

Todesfälle von Priestern, Priesterernennimgen '). Die meisten jener Berichte können nur für die Zeitgenossen, welche ein Interesse auch an untergeordneten Personalien hatten, und welche mit den Einzelheiten der Politik Roms Ijekannt waren, von Wert gewesen sein. Vor allem muss dabei auffallen, dass bei allen Angaben der Stadt römische Gesichtspunkt vorwaltet. Klar ist auch der pon- tifikale Ursprung dieser Angaben. Kurz, es sind Angaben des pontifikalen Jahrbuchs, wie sie auf Grrund der während des Jahres häufiger ausgestellten Pontifikaltafel (tabula jaontificis Cato fr. 77 P.) um die Jahreswende vom pontifex maximus zusammen- gestellt und öifentlich ausgestellt zu werden pflegten ^).

Von diesen kurzen Notizen der Pontifikaltafel heben sich meist recht deutlich die ausführlichen Berichte über hauptstädtische An- gelegenheiten ab. Auch sie behandeln zwar die gleichen Gegenstände, aber die Art der Ausführung, die Auswahl der Einzelheiten, der Standpunkt der Berichterstattung ist verschiedenartig. Während jene älteren Angaben der Pontifikaltafel nur kurz die Ankmift von Gesandten meldeten (legati venerunt), finden sich in der jüngeren Quelle ausführliche Darlegungen auf Grund von Beamten- und Ge- sandtenberichten. Statt der blossen Erwähnimg von Senats- oder Volksbeschlüssen werden hier diese hauptstädtischen Vorgänge mit oft ermüdender Breite geschildert. Statt eines „lustruni eo anno conditum " werden hier alle möglichen Einzelheiten über den Census erwähnt. Jene kurzen Angaben verdanken ganz offenbar einer an- dern Phase der Traditionsbildung ihren Ursprung, als diese ausführ- lichen Schilderungen, welche auf Grund von Akten mid Berichten die Geschichtserzählung zu verweitem suchten.

Ferner ist bemerkenswert: Die kürzeren Berichte des Stadt- buches werden bei Livius mehrfach von den ausführlicheren wieder aufgenommen, es kann meistens nicht eiimial von einer selbst nur äusserlichen Verarbeitung beider die Rede sein. Beide Arten von Angaben können also schwerlich derselben originären Quelle

1) Philologus 52, 665.

2) Diese diente, wie mein Aufsatz über die Entstehung der annales niaximi im Philologus 55, 257 f. zeigte, zunächst zu sakralen Mitteilungen des Pontifex Maximus; aus ihnen trug er dann (vgl. S. 269) um die Jahreswende einen zu- sammenfassenden Jahresbericht zusammen (etwa seit 250 v. Chr.). Dieses pontifikale Jahrbuch bildete den Ausgangspunkt der römischen Annalistik.

in. Die haui)tstädtischeu (.^lu-llen in Liviiis IV. u. V. Dt'katlf. 2'<

entnommen sein. \"ielmelir bieten sie Berichte aus einer ^anz ver- schiedenen Stufe der Quellenentwickolun«^. Jene fafebca das ponti- tikale Jahrbuch so gut wie unverfälscht wieder. Diese ent- stammen einer Zeit, da man das Bedürfnis empfand, der L)iirfti<^keit des Jahrbuches ein wenig abzuhelfen, indem man an Stelle der „litterae proconsulis" oder statt des stereotypen «legati venerimt" den Lihalt ihrer Berichte mit erklärenden Bemerkungen einsetzte.

Als Beleg dieser doppelten Bearbeitimg möge auf 39, 56, 6 und 39, 46, 5 hingewiesen werden. Die beiden Angaben, dass es Blut geregnet habe in area Concordiae imd in area Volcani, shid otfenbar identisch. „Hätte Livius die annales maximi (bezw. eine einzige hauptstädtische Quelle) benutzt, so hätte er wahrscheinlich darin nur eine Angabe gefimden (wie z. B. Liv. 40, 19, 2) und da- neben jüngere Quellen miberiicksichtigt gelassen ^). " Nach der emen hauptstädtischen Quelle erzählt Livius 34, 54, 3 richtig, dass die Aedilen des Jahres 194 v. Chr. zuerst scenische Spiele an den Megalesia aufgeführt hätten, während er 36, 36, 4 diese Behaup- tvmg auf Gnmd eines Zeugnisses des Valerius Antias wieder vei'warft.

Von diesen beiden hauptstädtischen Berichten gehört der ältere dem P i s 0 , der jüngere dem Antias an. Der Beweis hierfür kami zunächst negativ dadurch erbracht werden, dass gezeigt werden kami, dass von den drei, l^ei Livius IV. imd V. Dekade allein in Betracht konmienden Annalisten Piso, Antias, Claudius der letzte nicht die Quelle für diese Art von Angaben sein kann. Kein Fragment des Claudius trägt den Charakter der hauptstädtischen Amialistik. Claudius beschreibt Einzelkämpfe und Schlachten, giebt selbsterfundene Reden imd Briefe, überarbeitet polybianische Berichte imd erzählt Anekdoten ; aber die Notizen des pontifikalen Jahrbuchs fanden in dem roman- haften Geschichtswerke dieses llhetors keinen Platz.

Sodann weisen die genannten hauptstädtischen Berichte durch ihre Aehnlichkeit mit den Fragmenten von Piso und Antias bald auf die Benutzung des einen, bald auf die des andern hin. Piso fr. 35 (Plinius H. N. 3, 31) liegt zu Grunde bei Livius 39, 55, 4, wäh- rend 39, 56, 7 eine Ergänzung aus Antias (fr. 49) l)ietet. Die für die ältere Version so bezeichnenden Angaben über den Triumph 39,

1) LüTEEBACHER, Der Prodiglcnglaube und der Prodigienstil der Römer (Progi-. Burgdorf 1880) 45.

30 III. Die hauptstädtischen Quellen in Livius IV. u. V. Dekade.

6, 7 stimmen wöi-tlich mit Piso fr. 34 überein. Livius 40, 29 ist, wie Philologus 52, 669 zeigte, nur so zu erklären, dass Livius hier die abweichenden Angaben des Antias neben die des Piso gestellt hat (Plin. H. N. 13, 13, 84) ^). Daneben kommt vor allen Dingen in Betracht, dass Antias' Annalenwerk schon zu jener Art von Chroniken gehört, welche auf Grund der a n n a 1 e s maxi m i bereits eine ausführlichere und rhetorisch erweiterte Schilderung der römischen Geschichte gaben, bedeutend ausfuhrlicher als die ältesten Aimalisten, namentlich ein Piso, dessen Nüchternheit fast sprichwörtlich war. Dagegen konnte nur ein Annalist Avie Piso oder einer semer Zeit- genossen, welche vor Abschluss der annales maximi schrieben, sich mit den Angaben des alten pontifikalen Jahrbuchs begnügen, „Kein einziges der 45 pisonischen Fragmente trägt emen Charakter, wel- cher demjenigen des Stadtbuches widerspräche ! "

Gegenüber dem Einwände aber, dass Livius bei seiner geringen Belesenheit die Annalen des Piso nicht direkt benutzt haben werde, kami gezeigt werden, dass Livius, abgesehen von mancher Verwandt- schaft von pisonischen Fragmenten mit Stellen der letzten Dekaden, an einigen Stellen der L und III, Dekade den Piso so citirt, dass eine direkte Benutzung angenommen werden muss. Der Beweis ist Philologus 52, 670 und 56, 124 f, erbracht worden; namentlich Stellen wie 25, 39, 15 oder 9, 44, 2 machen die Amiahme einer indirekten Entlehnung unhaltbar. Auch die andauernde Ueberein- stimmmig von Liv. 9, 46 mit fr. 27 (Gellius N. A. 7, 9) und Livius 5, 13 mit Piso fr. 25 (Dionys 12, 9) führen auf das gleiche Er- gebnis hin.

Auf Grund dieser Erörterimgen habe ich Philologus 52, 676 sämtliche „hauptstädtische" Berichte der IV, und V, Dekade aus- geschieden und auf Piso und Antias verteilt. Das Resultat ist aus der Quellenübersicht am Schluss des nächsten Abschnittes (IV) er- sichtlich.

Werfen wir dabei schon hier auch einen kurzen Blick auf die verwandten Berichte der III. Dekade.

Hier treten dieselben hinter der ausführlichen Betrachtung der Kriegsereignisse mehr in den Hintergrund, Wie ich früher („Livius'

1) Die Hinweise auf Antias sind zahlreich und seine Autorschaft für der- artige hauptstädtische Berichte so anerkannt, dass weitere Belege unnötig sind.

III. Die hauptstädtischen (Quellen in Livius i\'. u. \'. Dekade. 31

Quellen in der III. Dekade" 35. 148) zeigte, sind die Spuren Pisos namentlich in den drei ersten Büchern ülteraus gering. Wohl nur 21, 62: 22, 33, 1—8; 36; 23, 30. 1—32, 4; 23, 39 imd 23, 41, 8—12 stammen aus ihm. Aus Antias wurden daselbst hergeleitet: 21, 16, 1—18, 1 23, 7, 4—12

21, 63 ' 23, 10

22, 32—35 23, 19, 8—25, 11 ') 22, 31, 8—11 23, 32, 5—34, 7 22, 32, 1—38, 5 23, 38

22, 54, 7—57, 12 23, 48, 4—49, 14 ''')

lieber die weiteren Bestandteile der pontifikalen Geschicht- schreibimg in der III. Dekade führte ich „Livius' Quellen in der III. De- kade" 35 37 folgendes aus. Wenig hervor tritt die Benutzimg dieser beiden Aimalisten sowohl im 24. und 25.. wie auch im 28. und 29. Buch. Li jenen nahmen die polybianischen Berichte über Syrakus, Tarent und Hispanien fast die Hälfte des Raumes ein; das 28. Buch füllt grösstenteils der hispanische Krieg, das 29. der sicilisch-afrikauische Feldzug. Nach den obigen Ausführungen über die hauptstädtischen Quellen der IV. und V. Dekade wird es keiner besonderen Rechtfertigimg bedürfen, wenn angenommen wird, dass die prodigia 24, 10; 24, 47, 12—16 imd 25, 7, 5—9 aus Piso stammen, ebenso wie die kurzen Berichte über Wahlen imd Senats- anordnungen 24, 43, 1—8; 25, 1, 1—3, 7; 25, 5; 25, 41, 8—13 und der Zusatz 24, 49, 7 8 nur aus jener älteren pontifikalen Quelle herübergenommen sein können. Dem Antias werden angehören: 24, 7, 10—9, 6 3) (Wahlen); 24, 11; 24, 43, 9—44, 8; 25, 5, 10—7, 4 (Senatsanordnungen), 24, 18 (Censur), 25, 3, 8—4, 11 (Prozess des Postumius). Noch mehr treten diese städtischen Be- richte im 28. und 29. Buch zurück. Abgesehen von den Schluss- kapiteln 29, 36—38, und dem Anfang vom 30. Buch *) bietet nur

1 Auch kleinere Abschnitte der Kriegsgeschichte 23, 14, 5 14, 13 und 23. 17 dürften nach „Livius' Quellen" 142 ihm zuzuweisen sein.

2) Vgl. hierzu noch Hermes 29, 629, eine Doublette in Livius' 23. Buch.

3) Vielleicht ist 24, 9, 6 ein pisonischer Zusatz. Zu 24, 12 s. Livius' Quellen 115.

4) Vgl. hierzu Livius' Quellen in der IIL Dekade 40; die Doubletten, welche daselbst nachgewiesen werden konnten, motivieren es, wenn 29, 36, 1 3; 29,38; 30, 2 aus Piso hergeleitet wurden, der Rest aus Antias.

32 III- Die hauptstädtischen Quellen in Livius IV. u. V. Dekade.

28, 10—11; 28, 45, 12; 29, 10—11 und 29, 13—14 piso- nische Angaben. Ja, die hauptstädtischen Ausführungen des Antias scheinen in diesen Büchern, wo der kriegsgeschichtliche Stoft' so reichlich floss, fast ganz bei Seite gelassen zu sein. 28, 9 (Triumph der Konsuln) imd 29, 15, 1 16, 3 (Bestrafung der Kolonien) sind, abgesehen von den durch Livius selbst sehr erweiterten und auf- gebauschten Senatsverhandlungen 28, 39 45 und 29, 16, 4 f., das einzige, was aus Antias' haujitstädtischen Berichten herübergenom- men ist ^).

Auch in dem 26. und 27. Buche, wo grössere Abschnitte diesen offiziellen Geschichtswerken entnommen sind, lassen sich die pisoni- schen und antiatischen Angaben unschwer von andern und unter einander scheiden. Die prodigia 26, 23, 3 8 wie die Angaben 26, 27, 1 9 (bez. schon Ende 26, 26) sind sicher der tabula pontificis mid damit direkt dem Piso entlehnt; auch wird die voraufgehende Ausführung 26, 21, 14 23, 3, wemi auch durch Livius rhetorisch ausgeschmückt und erweitert, im wesentlichen dieser gleichzeitigen Berichterstattimg entstammen ^). Den antiatischen Abschnitten ent- sprechen hier 26, 1 3 und die langatmigen Senatsverhandlungen über Campaner und Sikuler 26, 28 36, soweit dieselben nicht durch eigene oratorische Leistungen des Livius erweitert sind.

Im 27. Buche tragen ein solches annalistisches Gepräge 4 11; 21 25; 33, 6 38. Zunächst ist zu beachten, dass 27, 7, 1 6 offenbar aus andrer Quelle (Coelius s. Livius' Quellen 25) eingelegt ist, eine kritische Bemerkung, welche deutlich die trockenen pisonischen Angaben 27, 6, 13 27, 8, 10 unterbricht; der letzteren Quelle ge- hören auch 27, 4 sowie die prodigia von 27, 10, 11 11, 16 an, während die Angaben über Beamten mid Senatsverhandlmigen 27, 5, 1 6, 12 und 27, 8, 11 10, 10 auf die erweiterten annales maximi zurückgehen. Weiterhin ist in diesem Buche die ältere Chronik Pisos noch mehrfach ausgiebig benutzt: so 27, 21 23^) und 27, 36, 5 37, 15. Dagegen ist nicht minder klar, dass die

1) Dass Antias in diesen Büchern daneben auch für die Kriegsgeschichte verwendet ist, wird in VII gezeigt werden.

2) Der Anfang von 26, 21 ist dagegen wohl aus Antias entlehnt, der auch bei manchen Angaben des folgenden Kapitels neben Piso zu Rate gezogen ist.

3) 27, 22 wahrscheinlich mit Ergänzungen aus Antias.

III. Die hauptstätUischen Quellen in Livius IV. ii. V. Dekade. ;);^

Exkurse 27, 24, 1—25, 10 : 27, 33, 6—36, 4 und 27, 38«) zwar auch oftiziellen Aufzeichnun«(en, aber nicht jeiieiu älteren Jalirbuch angehören können.

Ausgedelinter ist endlich die Benutzung der jKjntifikalen Quellen im 30. Buch. Ab^esehn von 30. 2 wurden vuu mir ("Liviu-s Quellen' 37 und 134) die kleineren Einlugen 19, 1 lÜ: 21, 1 10 auf Piso bezogen. 30, 26 ist „das Urbild eines pisonischen .Jahres- berichtes"*), während 30, 27 wegen seines Gegensatzes zu dem pisonischen Bericht 30, 2 ^) aus der jüngeren pontifikalen Quelle stammen mrd. 30, 19,10 20,9 ist ebenfalls aus Antias herzuleiten, wie das Citat 30, 19, 11 zeigt. Femerist von mir (•Li^'ius Quellen' 42) der Versuch gemacht worden, auch die längeren hauptstädtischen Exkurse 30, 21. 11—24. 4 und 30, 38, 1—44, 3 grösstenteils auf diesen Aimalisten zurückzuführen. Der erstere giebt die Debatten im römischen Senat, ebenso wde 30, 40, 1 44, 1*). Hingegen sind die voraufgehendeu Kapitel, wenigstens aber 30, 38, 6 39, 8 das Prodigienverzeichnis imd das angehängte kurze Expose über die Thätiffkeit des Konsuls Claudius, wohl aus Piso entnommen, vielleicht auch die kurze Angabe über Scipios Rückkehr 30, 44, 12 45, 4.

1) Auch der Beginn des Kampfes mit Hasdrubal 27, 39 40 bez. 43 ist, wegen der vielfachen Beziehungen auf offizielle Berichte (27, 39, 1 litterae ex Gailia allatae 27, 39, 3 ; 40, 2 ; 43, 8) , wohl auf Antias zu beziehen (Livius' Quellen 129).

2) Zur Begründung diene der Vergleich von 30, 26, 1 mit Piso hei Cen- sorin de die nat. 17, 13.

3) Li\-iu8' Quellen 40.

4) 30, 41 enthält vielleicht Ergänzungen aus Piso.

Soltau, Liviusquellen.

34

IV. Claudius und Autias in der IV. und V. Dekade.

Nach Abzug der einerseits auf Polybius, andrerseits auf Piso und Antias zurückführbaren Abschnitte verbleibt in der IV. und V. Dekade noch ein Restbestand von nicht ganz 100 Kapiteln, welche meist die Kriege gegen die Völker nordwestlich von Italien beschreiben.

Von diesen mögen zuvörderst etwa 30 Kapitel ausgeschieden werden 34, 1—21, namentlich 34, 8—21 und 39, 8—19. Dieselben haben das Gemeinsame, dass m ihnen Cato und seme Berichter- stattmig so in den Vordergrund treten, dass ihre teilweise Herkimft aus seinen origines wemi auch durch andre vermittelt schwer- Kch geleugiiet werden kann. Da uns Catos origmes nicht erhalten sind, so ist es im Einzelnen nicht mit absoluter Sicherheit zu be- stinmien ^) , in wie weit die Erzählmig einer der beiden Quellen, welche Livius sonst m der IV. Dekade bei derartigen ausführlicheren Schildermigen emgesehen hat, gefolgt ist.

Li den übrigen ca. 60 Kapiteln wechselt ^vie das allgemein

1) Einer eingehenden Spezialuntersuchung warten diese Abschnitte noch. 34, 1, 1 8, 3 behandelt die Aufhebung der lex Oppia und ist, abgesehen von den Reden 34, 2 7, welche Livius selbst erfunden hat (Joedan Caton. qu. exst. p. LXI'V'} zweifellos aus Antias, ebenso der Schluss von 34, 8 und 34, 10: zu 34, 10, 2 wü-d für die Verlustangaben Antias citiert. 34, 9 und 34, 11—21 erzählen dann Catos Thaten in Hispanien. Auch hier sind die rhetorischen Einlagen 34, 13, 5 14, 4 Livius' eigene Arbeit. Der Rest wird dagegen direkt aus Claudius Annalen geflossen sein, welcher wahi'scheinlich Catos origines wie die Annalen von dessen jüngeren Zeitgenossen Acilius benutzt hat. Es folgt dieses auch aus 34, 15, 9, wo die Angabe des Antias nach einer andern anna- listischen Quelle . welche Catos origines eingesehen hatte , wiederlegt Avird. Dieser Annalist kann dort nur Claudius gewesen sein. Beim Bacchanalienpro - zess, welcher 39, 8 19 behandelt wird, sind natürlich die Reden 39, 15, 1 17, 1 auszuscheiden. Der Bericht über die Senatsverhandlungen 39. 18, 7 19, 7 ver- läugnet nicht seine Herkunft aus den pontifikalen Annalen. Dagegen ist wahr- scheialich die anschauliche und romanhafte Einleitung 39. 9 14 aus Claudius entnommen, welcher Catos Bericht dabei einsah.

rV. Claudiua und Antiaa in der IV. und V. Dekade. 35

auch von den verschiedensten Forschern ') anerkannt ist Livius mit der Benut/'ing des Antias und Claudius ab.

Eine Verteihmfr aller dieser Berichte unter beide ßchriftsteUer ist von mir Philologus 52, 678 f. gegeben worden. Die wichtigsten Argumentationen jenes Aufsatzes mögen hier Platz finden.

Die bisherigen Auseinandersetzungen über Antias, sowie die Be- schaffenheit der dem letzteren zugewiesenen Berichte lehrten, dass Antias die schon durch mancherlei Zusätze bearbeitete Stadtchronik zu Grunde legte, dass er damit private Aufzeichnungen aus ponti- fikalen Kreisen, Siegesbulletins, hauptstädtische Gertichte verar- beitete, vor allem aber antiquarischen und staatsrechtlichen Fragen sein Interesse zuwandte, gelehrte Exkurse darüber liebte. Vielfach behandelte er den überkommenen Stoff mit grosser Willkür und sub- jektiver Kritik. Aber die romanhafte Ausmalung der Schlacht- berichte ist nicht seine Sache. In dieser Beziehimg hat ja Claudius, wie es Hermes 1891, 408 ff', zu 25. 36—39; 26, 40—50; 27, 17—20; 28. 12—16; 28, 33 34 gezeigt wurde, das Menschenmögliche ge- leistet. In der That heben sich auch in der FV. und V. Dekade wieder diese claudischen Schlachtenbilder scharf von den dürftigeren Berichten ab, wie sie, mit übertriebenen Siegesbülletins ausgestattet, das Stadtbuch geboten, Antias reproduziert hatte.

34, 48, 1 sagt Livius, nachdem er die erlogenen Kriegsthaten des Konsuls F. Sempronius (Var. 560) geschildert hat: 'Scipionem alii coniuncto exercitu cum collega per Boionim Ligiu-umque agros populantem isse, quoad progredi silvae paludesque passae sint, scri- bunt, alii, nulla memorabiK gesta re Romam comitionim causa redisse'.

Der letzte Bericht gehört zweifellos demselben Verfasser (Piso) an, welcher 34, 46, 1 berichtet hatte: 'in Gallia L. Valerius pro- consul circa Mediolanum cum Gallis, Insubribus et Boiis, qui Do- rulato duce ad concitandos Insubres Padum transgressi erant, . . . depugnavit; decem milia hostium sunt caesa.' Denn wie konnte Scipio gleichzeitig grosse Erfolge erringen, wenn dieselben bereits unter Leitung des Proconsuls errungen waren? Dem gleichen Ver- fasser verdankt Livius die kurze Notiz 34, 42, 2 : L. Valerius consul cum post fusos circa Litanam silvam Boios quietam provinciam

1) So Ungeb, Philol. Suppl. III. 2, 14 f. und ihm gegenüber Soltaü, Philol. 52, 664, Nissen, krit. Unters. 43^47.

3*

IV. Claudius und Antias in der IV. und V. Dekade.

habuisset, comitiorum causa redit und 34, 22, 1 3. Es sind dies Berichte, welche so unzweideutig ihre Herkunft aus den gleich- zeitigen Aufzeichnungen der Pontifikaltafel verbürgen, dass es kaum nötig erscheint, auf die Umgebung, in der sie sich befinden, näher .einzugehen. Sowohl 34, 42 wie 34, 46, 1 3 stehen inmitten von Aufzeiclmungen, die der Pontifikaltafel entstammen.

Wohl vereinbar mit dieser llerlmnft ist auch die voraufgeheude Nachricht, dass Scipio sich an einem kurzen Verfolgmigszuge seines Kollegen mit beteiligt habe. Sie widerspricht der letzteren nicht, ist aber, insoweit sie von emem Plünderungszuge beider Konsuln spricht, offenbar aus den Erörterungen, welche 34, 43 gegeben wur- den, gefolgert (de provinciis cum relatum esset, senatus frequens in eam sententiam ibat, ut . . . consulibus ambobus Italia provincia esset), wahrscheinlich also mit jenen gleichfalls offiziellen Erörter- ungen auf die gleiche Gnmdquelle zurückzuführen.

Während so die gleichzeitige Pontifikaltafel und die offizielle Stadtchronik nicht \del zu erzählen wussten, ist es anders mit dem dritten Berichte, den Livius bietet. Derselbe steht m vollem Wider- spruch zu den beiden andern, die ja von keinen bedeutenderen Kriegs- erfolgen auch nur eines der beiden Consuln wussten. Hier lieisst der Boierhäuptling Boiorix, 34, 46 Dorulatus; die Zalil der bei Sempronius' Sieg Gefallenen (34, 47, 8: 11000) scheint nach 34, 46, 2 (10000) erfimden zu sein.

Ein Bruchstück emes solchen Geschichtsromans liegt auch in dem letzten der vorher geschilderten Bojerkriege vor Liv. 33, 36 37. Dort hat Livius in Uebereinstimmung mit der Triumphaltafel ') 33, 37, 9 berichtet: 'Marcellus consul Romam venit; triumphusque ei magno consensu patrum est decretus. Triumphavit in magistratu de Insubribus Comensibusque ; Boiorum triumphi spem coUegae reliquit, quia ipsi proprie adversa pugna in ea gente evenerat, cum coUega secunda.' Danach kami es nicht zweifelhaft sein, dass von den beiden widerstreitenden Berichten , welche Livius 33, 36 37 bringt, allein der erste dem wirklichen Sachverhalt entsprechen kann. Sicherlich wäre dem Konsul der Triumph vorenthalten worden, wenn er nach dem Lisubrerkrieg eine bedenkliche Niederlage erlitten hätte. Nicht minder ist klar, dass wenn L. Furius ebenso glänzend 1) M. Clautlius M. f. M. n. Marcellus cos. a.DLVn de Galleis Insubribus IV Non. Mart.

IV. Claudius und Antiar in «It-r |\'. und V. Dokadc. ;;7

gesiep^ hätte, auch ihm ein Triuin])h zu teil j^eworden wiire. Und auch darin zei<i^ sidi der zweite Bericht als unhistorisch, da.ss der- selbe von der verkehrten Voraussetzung aus<i;eht, dass Marcellus zu- erst zu den Insubreni. dann gegen die Boier gezogen sei'). l)a.s.s er nichts als thörichtes Detail enthält, braucht nicht weiter ausge- führt zu werden. Zu dieser Stelle luin citiert Livius zwei Annalisten, Valerius Antias imd Claudius. Wer von beiden hat die erste, wer die zweite Fassimg berichtet?

Beim Abschluss des ersten Kampfberichtes bemerkt Livius 33, 36, 12: 'nee ultra sustinuere certamen Galli, quin terga verterent atque effuse fugerent. m eo proelio supra XL milia hominum caesa Valerius Antias scribit, octoginta septem signa militaria capta et carpenta DCCXXXII et aureos torques multos. ex quibus unum magni ponderis Claudius in Capitolio lovi donimi in aede positum scribit. castra eo die Gallorum expugnata direptaque et Commu oppidum post dies paucos captum, castella inde duo de XXX ad consulem defecerunt.' Hier ist nicht allein Antias in der Weise citiert, dass er auch für die voraufgehende Erzählung als Zeuge zu gelten Ttiat. sondern es ist auch klar, dass er es ist, welcher hier die offiziellen Siegesbülletins ausschreibt, wie sie das Stadtbuch zur Motivierung der Triumphe zu geben pflegt.

Danach muss Claudius der Urheber jener zweiten romanhaften Schilderung der Thaten des Furius sein, jenes Berichtes, welcher von Anfang bis zu Ende als eine freie, freche Erfindimg anzu- sehen ist.

Eine gleiche Beobachtimg gestatten die Berichte über den Gallierkrieg von 557. Livius bringt bei einem grösseren Abschnitt aus den annales maximi (33, 21, 6—27, 5) auch einen längeren Bericht über die Streitigkeiten, welche im Senat stattgefunden haben sollen hinsichtlich der Triumphe der Consuln von 557 Q. Minucius und C. Cornelius (33, 22). Das Kesultat war: 'C. Cornelius de Insu- bribus Cenomanisque in magitratu triumphavit . . . . Q. Minucius consul de Liguribus Boisque Gallis in monte Albano triumphavit' (33, 23, 4 f.) C. Cornelius hatte dieser offiziellen Darstellung zu- folge Glänzendes geleistet, dagegen 'Q. Minucium in Liguribus levia

1) Liv. 33, 36, 15.

38 IV. Claudius und Antias in der IV. und V. Dekade.

proelia vix digna dictu fecisse, in Gallia magnum num erum iiiilitimi amisisse (33, 22, 7 f.) . . . oppiclorum paucomm ac vicoriim falsas et in tempus simulatas sine ullo pignore deditiones factas esse.' Es ist klar, dass dieser Bericht mittelbar aus den annales maximi und ihren Triumphalangaben, direkt aus Antias herzuleiten ist, wogegen der Parallelbericht 32, 29 30 aus keinem der beiden offiziösen Berichterstatter Piso oder Antias stammen kann. Dieser fällt daher, wie der soeben besprochene Phantasie-Bericht zu 558 (33, 37) dem Claudius zur Last. 32, 29, 5 30, 11 ist der Roman, 32, 31 der offiziöse Siegesbericht des Minucius, der zwar auch voller Ueber- treibimgen ist, aber doch in dieser Ausstattung vom Praetor M. Sergius ebenso gut verlesen worden sein wird (32, 31, 6), ^vie das BuUetm über ffispanien.

Wenn unten S. 44 (vgl. S. 30) mit Recht 35, 6, 1—7, 5; 35, 8 und 10 auf Antias, 35, 9 ; 35, 21 22 auf Piso zurückg eführt worden sind, wird es auch möglich sein, das Verhältnis der Kriegsberichte 35, 1 5 und 35, 11 zu der hauptstädtischen Tradition klarzustellen. Antias bei Liv, 35, 6, 1 beginnt: 'eodem fere tempore duonmi con- suliun litterae allatae sunt L. Conielii de proelio ad Mutinam cum Boiis facto et Q. Minuci a Pisis : comitia suae sortis esse ; ceterum adeo suspensa omnia in Liguribus se habere, ut abscedi inde sine pemicie socioriun et damno reipublicae non posset.' Mit diesen An- gaben scheint nmi die Erzählung 35, 3 5 ganz gut zu stimmen. Minucius war von den Ligurem umstellt und bedrängt, L. Cornelius Merula hatte einen Sieg bei Mutina errmigen, der allerdings nicht leicht erkauft war. Doch zeigen die weiteren offiziellen Aus- führmigen 35, 6 8 f., dass der Erfolg des L. Cornelius fragwürdiger Art war und dass daher der Siegesbericht 35, 4 5 wiederum freie Erfindung ist. Derselbe sucht hier, man möchte beinahe sagen, absichtlich die Nachricht des Stadtbuches Lügen zu strafen. Das zeigt ein Vergleich von 35, 6, 10: 'hostes e manibus emissos, quod equitibus legionariis et tardius datum sigiumi esset et persequi fugientes non licuisset' mit 35, 5, 12: 'postquam terga dabant et in fugam passim eflPundebantur, tum ad persequendos eos legionarii equites immissi.' Dass 35, 11, welches Livius, wie es scheint, nach- träglich mit der möglichst unpassenden Einführung 'diu niliil in Liguribus dignum memoria gestum erat' eingefügt hat, mit zu jenen

IV. n.miliii- und Antias in der IV. und V. Dokado. 39

freien ErHn(liin<f(.'ii von Kricj^'sbericliten «gehört, briiucht nicht be- sonders f^ezei}^ zn werden. Der Unsiiui, diisH 800 numidische Keiter durch ihre Streifzüge den im Engpass eingeschlossenen Konsul retten, ist zu iiandgreiflich. Es scheint dies die ronianhafte Schil- dening der Schicksale des Konsuls Minucius zu .sein, während li.'j, 3 sich der offiziellen Gesdiichtserzählimg des Aiitias, der 35, 2, 8 citiert wird, nähert. Wahrscheinlich ist also Antias Quelle für die ganze Darstellung 35, 2 3, wie er Quelle für das Schreiben der Konsuln 35, H. 1 *) i.st.

Das Erjjebnis dieser Erörteniuf'en über die Gallier- luid Li«;urer- Kriege 555 561 ist dieses: Livius begnügte sich zuweilen mit den kurzen, aber sachlich gehaltenen Angaben gleichzeitiger Anna- listik. wie sie ihm mit den Bemerkungen über prodigia, Spiele, \V"ahlen durch Piso übermittelt wurden. Meist gab er aber aus- führlichere Mitteilungen dei* überarbeiteten Stadtchronik, welche da- bei auf den trüberen Quellen der Beamtenberichte, Siegesbulletins und Berichte über Senatsdebatten beruhten. Für diese Angaben wird so otl Antias als Zeuge citiert (33, 36, 13; 33, 10, 8; 35, 2, 8; 36, 36, 4; 36, 38, 6), dass wir für alle derartigen Berichte ihn generell als Quelle annehmen können. Neben diesen zwei mehrfach auf gleichartif^e Anjjaben zurtickt^ehenden Berichten hat Livius eine Reihe von frei erfundenen Schlachtberichten gebracht, welche nur hie imd da sich den überlieferten Angaben anschlössen. Diese romanhaften Schilderungen glichen sich meist untereinander. Sie brachten Einzelheiten über die Aufstellung der Legionen, über die anfängliche Bedrängnis und den endlichen Sieg der Römer, über die Thaten einzelner Centurionen, über die Tageszeit der Schlacht und zeigten sich doch, soweit kontrolierbar, in allen diesen Einzelheiten nicht etwa nur als Entstellungen und Uebertreibungen, sondern als rein aus der Luft gegriffen. Da es absolut unwahrscheinlich ist, dass Livius ausser Piso, Antias, Claudius noch einen vierten Anna-

1) Liv. 35, 1 giebt wieder eine jener detaülierten Schlachtbeschreibungen, wie sie nur der Augenzeuge oder der Fälscher zu bieten vermag, wogegen 35, 2 mit den im Senat behandelten Fragen über Truppenaushebung auf das Stadt- buch hinweist. Jedenfalls hat (vgl. 37. 4, 3) die Angabe des Antias , dass Veteranen von Africanus' Heer durch Flamininus wieder angeworben seien, die Autorität der Stadtchronik für sich.

^0 IV. Claudius und Antias in der IV. und V. Dekade.

listen gebraucht haben sollte, so müssen diese Abschnitte auf" Claudius zurückgefühi-t werden.

Diese Schlussfolgerung wird bestätigt durch 33, 36, wo Claudius' Angaben dem Berichte des Antias, Avelcher den annales maximi entsprach, gegenüberstanden. Sie wird dadurch bestätigt, dass überall die von jenen romanliaften Schilderungen abweichenden Be- richte auf Antias und Piso zurückgeführt werden kömien, und end- lich dadurch, dass für eins der bedenklichsten jener Schlachtgemälde in der III. Dekade 25, 37 39 Claudius als Quelle citiert wird.

Die hier gegebenen Aufklärungen über die schriftstellerische Thätigkeit des Claudius werden auch dazu beitragen, die Herkunft der bedenklichen Schilderungen von Gallierkriegen aus dem 31. Buch klarzulegen. Nur der zweite jener 3 Kriege kann auf eine relative Glaubwürdigkeit Anspruch machen. Derselbe (31, 10) enthält nur das, was der Prätor L. Purins Purpuriö dem Senat über eine Er- hebung der Gallier und Ligiirer unter dem Karthager Hamilcar mitgeteilt, sowie das, was der Senat darauf verordnet hat. Die Grundzüge dieses Berichtes sind sicher authentisch, weil sie Anlass gaben zu einer Beschwerde in Karthago hinsichtlich der Umtriebe Hamilcars (vgl. dazu den aus den annales maximi stammenden Be- richt des Antias bei Liv. 31, 11). Gerade diesen Bericht bietet auch Zonaras 9, 15 (444 D), bez. Dio fr. 58, welcher vielfach aus Antias schöpft.

Der nicht minder glaubmirdige Bericht Piso's gibt zu 555 nur die Notiz (32, 7. 5) 'eodem anno Cn. Baebius Pamphilus, qui ab C. Aurelio consule aimi prioris provinciam Galliam acceperat, fernere ingressus Gallorum Insubrum finis prope cum toto exercitu est cir- cumventus'.

Hieraus geht hervor: der Konsul von 555 Aurelius ist dem 31, 11 erhaltenen Befehle nachgekommen und dem bedrängten Prätor L. Purins Purpuriö zu Hilfe geeilt, für Heldenthaten des Prätors L. Purins Purpuriö ist in einer glaub -würdigen Geschichte kein Raum. Der Siegesbericht 31, 21 ist erlogen. Für die Ungeschichtlichkeit desselben spricht übrigens auch eine der mächtigsten Nachrichten, welche 31, 21 bietet. Die Angabe, dass Hamilcar gefallen sei (31, 21, 18), wird durch 32, 30, 12 (Antias) imd 33, 23, 5 (Piso) Lügen gestraft. Mit dem erlogenen Siegesbericht 31, 21 fällt übrigens noch nicht direkt der Bericht über den erschlichenen Triumph des

IV. Claudius und Antias in dor IV. und V. Dekade. 4|

L. Furius Purpurio (31, 47 f.), der sowohl in dem kürzeren pisonisclien Bericht 31, 49, 8, \vie in der breiteren Fa.ssun^' der Stadtchronik 31, 47, 4 t". vorlienft. ^Vahrst•heiIllich hat hier Livius 31, 47. 4 f. die Angaben des Antias aus Claudius Bericht 31, 21 in freierer Weise ertränzt.

Die Tendenz dieser Erfindimg ist übrigens klar ausgesprochen bei Livius 31, 48, 12: 'data fato etiam quodani Furiae genti Gallica bella'!

Auch das Detail des ßoierkrieges 31, 2, 5 10 ist nach späteren Kriegsberichten zurechtgestutzt. Naiv gesteht Liv, 31, 2, 11 selbst ein 'nisi quod populatus est (consul) Boiorum finis et cmn Ingaunis Liguribus foedus icit, nihil quod esset memorabile aliud in provincia cum gessisset. Roniam rediit'.

Im 37. mid 38. Buche und ebenso auch im 42. bis 45. Buche weist Livius den griecliischen Angelegenheiten nach Polybius' Vor- gang einen bedeutenden Raum zu. Zwar war auch in diesen 6 Büchern Gelegenheit genug vorhanden, auf* die Verhältnisse von Hispanien, Gallien, Ligurien näher einzugehen. Aber sei es nun, dass dem Livius selbst die Erkenntnis aufgegangen war, wie über- aus erbärmlich sich jene erfimdenen Schlachtberichte neben den vortrefflichen Schilderungen eines Polybius ausmachen müssten, sei es, dass er bei der Fülle des Materials sich einer lobenswerten Kürze zu befleissigen suchte: kurz Lirius hat in diesen 6 Büchern jene romanhaften Kriegsberichte glücklicher Weise völlig bei Seite gelassen.

Anders ist es mit den Kriegsberichten der Bücher 39 41. Diese 3 Bücher behandeln die Ereignisse z^vischen dem syrischen und dem macedonischen Kriege, sie sind zu gut zwei Dritteln nicht den griechischen Angelegenheiten gewidmet imd somit annalistischen Quellen entnommen.

Hier musste Livius demnach auf grössere Abwechselung auch in den annalistischen Kriegsberichten bedacht sein und da durfte er schon manchmal etwas weniger wählerisch sein. Das 39. Buch behandelt die hispanischen Kriege von 567 571. Zum Teil mussten auch hier die kurzen Angaben des Stadtbuches genügen, sowie die speziellen Ausführungen, welche auf die dem Senat mitgeteilten Berichte zurückgehen. So stammt aus Antias (s. imten S. 45) 40, 1,

42 IV. Claudius und Antias in der IV. und V. Dekade.

3 4 und 40, 2, 5, welche Notizen die pisonischen Angaben zu 571 (39, 56, 1) bestätigen und ergänzen ^). Aus Piso ist auch der kurze Bericht zu 567 Liv. 39, 7. 6 7 entnommen.

Total verschieden von allen diesen Berichten ist 39, 30 31. Es ist dies wieder eines jener verschwommenen Schlachtgemälde ohne einen recht greifbaren Inhalt. Vor allem aber ist bedenklich, dass er in einem vollständigen Widerspnich mit den kurzen Triumphal- angaben 39, 42 steht. Hiemach triumphierten beide Prätoren de Lusitanis et Celtiberis. Nach der romanhaften Schildenmg hm- gegen waren die Lusitanier gar nicht beteiligt und hätte die ent- scheidende Schlacht im Gebiet der Carpetaner, d. h. in der Mitte Spaniens stattgefimden.

Die so gefundenen Resultate lassen keinen Zweifel bestehen, dass diese Berichte eine Erfindung des Claudius sind.

Entsprechende Beobachtungen lassen sich über die Hispanier- kriege des 40. und 41. Buches machen.

Im Einzelnen vergleiche man hierzu die Ausführungen Philo- logus 52, 687 f.

Namentlich die breitausgeführten Schilderungen der Siege des Q. Fulvius und des Tiberius Gracchus in Hispanien (40, 30 33; 40, 39 40 ; 47 50), sowie die offenbar in Anlehnung an Ennius *) erfolgte Darstellung des Istrerkrieges 41, 1 5 und 41, 10 11 können weder aus Piso noch aus Antias stammen, sind gegenüber manchen kürzeren Notizen älterer Annalen (s. Philol. 52, 688), nur aus einem romanhaften Annalenwerk , wie das des Claudius war, herzuleiten.

Auch die Ligurerkriege, welche die Heldenthaten des Q. Fulvius Flaccus 40, 41 und des L. Aemilius Paulus 40, 27 28 hervorheben, dürften gleicher Herkunft sein.

1) Auf um wies ja die Uebereinstimmung von Livius 39, 6, 7 mit Piso's Fragment bei Plinius 34, 3, 14 hin.

2) Bergk, kleine Schi-iften 1, 252, Lucian Müllee, <iuintus Ennius 177, L. Havet, l'histoire Romaine dans le dernier tiers des annales d'Ennius 1878. Gegen manche Ausführungen derselben spricht sich Vahlen Abh. der Berl. Akad. der Wissensch. 1886 S. 28 f. aus.

Quellen des Liviu« in der IV. und V. Di-kade.

43

Tabelle der Quellen des Livius in der IV. und V. Dekade '). 81. Buch.

14—18 Polybius 19—20 PISO

21, 1—22, 3 Cldudixs

22, 4—47, 3 Polybius 47, 4—49, 3 Antias 49, 4—50, 11 PISO.

32. Buch.

26 Antias

27 PISO

28 Antias 29, 1—4 PISO

29, 5—30, 11 Claudius

30, 11—31, 6 Antias 32—40 Polybius.

33. Buch.

1, 1—21, 5 Polybius (10, 8 A. 31—35 Polybius

10, 9 Gl.) 21, 6—9 PISO 22—23 Antias

24, 1—27, 5 PISO (25, 4—26, 5 A.) 27, 5—30, 7 Polybius 80, 8—11 Antias (8 Claudius)

34. Buch.

1 L.

2, 1—4 PISO

2, 5—11 Claudius

3—4 PISO

5 9 Antias, R. L.

10, 1—13, 9 Antias

1—3 PISO 4, 1—6, 5 Polybius 6, 5 8 Antias 7 PISO

8, 1 16 Antias

9, 1-5 PISO

9, 6—25, 12 Polybius

36, 1—13 Antias 36, 13—37, 8 Clcmdins 38—41 Polybius 42, 1—45, 5 PISO 45, 6—49, 8 Polybius.

1 Antias 2—7 R. L.

8 Antias

9 Claudius

10 Antias

11, 1 13, 4 Claudius

13, 5—14, 4 R. L.

14, 5 21, 8 Claudius 22, 1—3 PISO

22, 4—41, 7 Polybius 41, 8—10 Antias

1) R. = Reden, L. = Livius.

2) Vgl. Phüologus 52, 694.

42 PISO

43, 1—44, 5 Antias

44, 6—46, 3 PISO 46, 4—47, 8 Claudius 48, 1 Antias imd PISO 48, 2—52, 12 Polybius 53—55 PISO

56 Antias

57—59 Polybius, R. L.

60—62 Claudius (Polybius)*).

44

Quellen des Livius in der IV. und Y. Dekade.

35.

Buch.

1 Claudius

12—19 Claudius') (PolyMus)

2 3 Antias

20 Antias

4 5 Claudius

21—22 PISO

6, 1—7, 5 Antias

23—24 Antias

7, 6—8 PISO

25—39 PolyMus

8—10 Antias (9 PISO)

40—41 Antias

11 Claudius

42—51 PolyMus.

36.

Buch.

1 4 Antias

38—40 Antias, R. L.

5, 1—35, 11 PolyMus^)

41, 1—45, 8 PolyMus

36—38 PISO (36, 4 f. Antias)

45, 9 PISO.

37.

Buch.

1 2 Antias.

48—51 Antias

3, 1—4, 5 PISO

52—56 PolyMus

4, 6—45, 21 Polybius (34,

6 A.;

) 57, 1—59, 6 Antias

46—47 PISO

60 Claudius und Antias.

38.

Buch.

1—27 PolyMus

(23, 8 Claudius und Antias 28, 1—4 PISO 28, 5—34, 9 Polybius 35-36 PISO

0

37—41 PolyMus (41, 12—15

Claudius)

42 PISO

43, 1—44, 6 Antias, 44, 7—8 PISO

44, 9—50, 3 (Antias) R. L.

50, 4—60, 10 Antias. (56—57 Claudius).

39.

Buch.

1, 1 3, 3 Antias

17—21 Antias

3, 4-6 PISO

22, 1—23, 4 PISO (22, 10 Antias)

4 5 Antias

23, 5—29, 3 Polybius

6—7 PISO

29, 4—10 PISO

8 14 Claudius

30—31 Claudius

15—16 R. L.

32 PISO

1) Vgl. Hermes 26, 431. Vgl. jene Ausführungen auch zu einigen der fol- genden Stellen, welche polybianische Berichte enthalten und vielleicht dii-ekt aus Claudius stammen, wie 39, 51.

2) 36, 21, 10—11 ist annalistische Einlage. Auch in 36, 17 ; 21, 35 ver- mutet Nissen mit Recht einige Zusätze aus Antias. Auch die Rede 88, 17 kann annalistischen Ursprungs sein.

Quellen des Livius in der IV. und V. Dtkade.

33—37 Polybios, R. 36—37 L. i>l—i>2Chi((Uu.s',2L. (Polji)ius,

38 41 Antias Kutilius)

42 PISO 53 Polybius

43 Antias 54, 1—55, 3 Antias

44, 1-46, 6 PISO 55,6—56,6 PISO (56, 7 Antias). 46, 7—50, 11 Polybiiis

40. Buch

1—2 Antias

3, 1—16, 3 Polybius 8—15 K.L.

16, 4—17, 11 PISO

18, 1—20, 4 Antias (19 PISO)

20, 5—24, 8 Polybius

25—26 Antias

27—28 Claudius

29 PISO (29, 8—9 Antias)

30, 1—33, 9 Claudius

33, 9—35, 2 PISO

35, 3—37, 1 Antias

37, 1—7, PISO

37, 8—38, 9 Antias

39 41 Claudius

42, 1 5 Antias

42, 6—45, 5 PISO (44, 8—12

Antias) 45, 6 46, 16 Antias, R. L. 47 50 Claudius (50, 2 Antias) 51 52 Antias 53 PISO 54—58 Polybius 59 PISO.

1 5 Claudius

6 9 Antias

10 12 Claudius

13,1—17,9 PISO (15 Antias)

18, 1—19, 3 Antias

41. Buch.

19, 4—20, 13 Polybius

21, 1—22, 3 PISO

22, 4—25, 8 Polybius 26 27 Antias 28 PISO.

42. Buch.

1 2 Antias

3—4 PISO

5—6 Polybius (Claudius?)

7, 1—3 PISO

7, 3 9, 6 Antias

9, 7—10, 15 PISO 11, 1 Antias

11, 2—18, 5 Polybius

18, 6—19, 8 ^ (Antias)

20

PISO

21—22 Antias 23—24 (Claudius) 25—27 A:itias 28 PISO

29, 1—30, 7 (Polybius) L.

30, 8—31, 9 Antias 32, 1—35, 2 Claudius 35, 3—7 PISO

36—67 Polybius (66, 9 A.)

46

Quellen des Livius in der IV. und V. Dekade.

1 PISO

2 5 Antias

6—8 (Polybius) Claudius?

9, 1—3 PISO

9, 4—10, 8 Antias

43. Buch.

11, 1—14, 1 PISO 12 (Antias) 14, 2—16, 1 Antias 16, 2—10 Claudius? 17—23 Polybius.

44. Buch.

1, 1—13, 11 Polybius 20—22 Antias, R. L.

13,12— 16,8Antias(15,lCkM(?ms) 23—46 Polybius.

16, 8—19 5 PISO 19, 6 14 Claudius

1, 1—3, 8 Antias (3, 1—2 PISO) 3—4, 1 PISO 4, 2—12, 8 Polybius

12, 9—13 PISO

13, 1—15, 9 Antias 15, 10—16, 8 PISO 17, 1—18, 8 Antias

19, 1—20, 3 Polybius

20, 4 21, 8 Claudius

23-

(37, 8 Antias).

45. Buch.

21 Polybius (22—24 L.)

25—34 Polybius

35—40 Antias (37—39 R. L.)

41, 1—42, 1 R. L.

42, 2—4 PISO

42, 5—43, 10 Antias 44, 1—4 PISO 44, 4—18 Antias 44, 19—21 Polybius.

47

Y. Die Spuren der griecliisclieu (jescliiehtsclireibuiig iii der III. Dekade.

Aiisgeliend von den gesicherten Ergebnissen der bisherigen Forschimg, dass in allen griecliischen imd orientalischen Angelegen- heiten, imd lediglich in diesen, seit dem 31. Buche Polybius die einzige Quelle des Livius gewesen ist, und dass im 30. Buche auch derafrikanischeKrieg30, 3— 10; 30, 16; 30, 25; 30, 29,1— 36,6 aus Polybius direkt ') entnommen ist, gilt es jetzt rückwärts schreitend zu prüfen, in wie weit die voraut'gehenden Bücher Spuren emer Benutzyng des Polybius aufweisen.

Wie steht es vor allem mit einer direkten Benutzmig des Polybius diu'ch Livius in den voraufgehenden Büchern V In erster Linie würden hier wohl die Exkurse über Griechenland und Macedonien in Betracht kommen, da grade bei diesen Gegenständen Livius in der rV. Dekade stets dem Polybius folgt. Bei den Erzählimgen der dortigen Verhältnisse schliesst sich Livius in der IV. imd V. Dekade stets an Polybius an. Sollte er dies nicht auch in den früheren Büchern gethan haben*).

Von irgendwelcher Kunde der gleichzeitigen griechischen Ver- hältnisse 218—216 V. C. (z. B. von Polybius 5, 101—111) ist in Livius 21. und 22. Buch kerne Rede und sicherlich nicht aus Poly- bius stammen die griechischen Abschnitte des 23. imd 24. Buches. 23, 33 34 steht in scharfem Gegensatz nicht nur zu Polyb. 7, 9, sondern auch zu den daselbst mitgeteilten Vertragsbestimmungen zwischen König Pliilipp und Karthago. Die Thätigkeit des Flotten- führers L. Valerius Antias 23, 34, 9 weist auf eine ganz andere

1) S. ZiELmsKr, die letzten Jahre des 2. punischen Krieges 83. Soltau, Livius Quellen in der III. Dekade 3 f.

2) Die folgenden Ausführungen geben einen Auszug aus Philol. 53, 594 f.

48 V. Die Spuren der griech. Geschichtschreibung in der III. Dekade.

Herkunft hin. Auf einen hauptstädtischen Berichterstatter führt auch die Uebersicht über die Vorbereitmif'en zum macedonischen Krieire Liv. 23, 38, und Liv. 24, 40 steht der Siegesbericht über die Ver- treibung Philipps von Apollonia auf gleicher Stufe mit andern römischen Siegesberichten *). Der Berichterstatter geht hier durch- aus von römischem Standpunkte aus und verfolgt allein die Ab- sichten mid Thaten der römischen Führer , speziell des praefectus socium Q. Naevius Crista. Und ebenso sehr was erzählt wird, als was nicht erzählt wird, charakterisiert die römische Quelle. „Von Philipp hören wir nur. was dem römischen Feldherrn über ilm ge- meldet wurde" (Hesselbarth, Hist. krit. Unters. 484).

Auch schemt Polybius, dem Plutarch Aratos 51 folgt, manche Einzelheiten anders erzählt zu haben. Hier zieht sich Pliilipp nach dem Pelopomies zurilck imd beginnt daselbst weitere kriegerische Aktionen, bei Livius 24. 40, 17 Macedoniam petit magna ex parte inenni exercitu spoliatoque. Von 24, 40 ab schweigt Livius über die griechischen Angelegenheiten vollständig bis 26, 24. 1. Die grossen Erfolge Philipps bei Polyb. 8, 15 sind Livius unbekamit. Anders wird dies 26, 24, 1 f. Von hier ab ist, wie gezeigi werden soll, in denEpisoden über Griechenland Polybius direkte Quelle des Livius gewesen. So 26, 24, 1—26, 4; 27, 29, 9—33. 5; 28, 5, 1—8, 14 und 29, 12.

Klar ist hier überall, dass der Staudpunkt des Berichterstatters der eines Griechen ist, welcher ohne besondere Rücksicht auf die römischen Kriegsoperationen mehrfach die diplomatischen Beziehungen der Griechenstaaten unter einander, dami vornehmlich die Kriegs - Züge Philipps und der Aetoler behandelt. Kein römischer Annalist hat je die Züge Philipps gegen Maeder mid Dardaner beschrieben!

Zahlreiche Anzeichen sind ausserdem dafür vorhanden, dass Livius hier ein griechisches Original übersetzt. Charakteristisch für die aus Polybius entnommenen Abschnitte der IV. imd V. Dekade smd griecliische Namensformen , griechische Wörter imd vor allen Dingen kleme erklärende Zusätze (Nissen, Krit. Unters. 74). Solche sind Philol. 53, 595 zusanuuengestellt. Speziell für polybianischen Ursprung spricht namentlich 27, 30, 9 vgl. mit 32, 22, 11,

1) Vgl. Scott, Macedonien und Rom 12 f. Gegen einiges polemisiert Hesselbaeth, Hist. krit, Unters. 468 mit Recht.

V. Die Spuren der griech. Geschichtschreibunf^' in 'l«'r III. D^katl»'. 4<,)

Dazu komiiit (luiin die wörtliche Uebereinstinunun«^ polybianischer Fragmente mit eiiiij^eii der ^eiiuimten Abschnitte, was bei der inneren Verwandtschaft aller dieser Berichte von besonderer Wichtigkeit ist. Die 2<>. 24 «geschilderten Verliandlun<j;en entsprechen in manchen Dingen den sehr l)reiten Ausführungen des Polybius iil>er die Lage der Akarnanen 9, 39, so Liv. 26, 24, 15 = Polyl). 9, :{9, 2, Liv. 26, 25, 12 f. = Polyb. 9, 40, 4 f., Liv. 26. 26, 1 f. = Polyb. 9, 39, 2— 3 (vgl. noch 11, 6). Zu Liv. 27, 31 vergleiche man Polyb. 10, 26, zu Liv. 28, 5, 4 f. vgl. Polyl). 10, 41—42, zu Liv. 28, 7—8 vgl. Polyb. 11, 5 f., zu Liv. 28, 7, 8 vgl. Polyb. 11, 7.

Ausserdem ist auch die Episode über Masinissas Jugendschick- sale 29, 29, 6 33, 10 direkt aus Polybius herübergenommen. Die Beweismomente sind hier so zahlreich, dass es genügt, auf Zie- linski's Untersuchungen S. 104 und meine Ausführungen im Philo- logus (53, 589 vgl. Livius' Quellen in der III. Dekade) hinzuweisen.

An dieser letzten Stelle aber hat Livius nicht mn- den Polybius direkt ausgeschrieben, sondern auch durch die imgeschickte Art der Einfügimg des Exkurses an einer völlig verkehrten Stelle, fast 30 Kapitel "zu spät ^) , verraten , wie ihm die sonstigen Darlegungen des Polybius über jene Vorgänge bei der Ausarbeitung des Vorher- gehenden durchaus unbekannt waren. 29, 34, 1 schliesst sich direkt an 29, 29, 4 an: mit den dazwischenstehenden 5 Kapiteln haben die Worte von 29, 34, 1 nichts zu thun. Auch zeigt die Uebersclu'ift, welche Livius 29, 29, 5 dem Abschnitte vorangestellt hat, dass er diesen Auszug aus Polybius zu ganz andern Zwecken gemacht und vorrätig hatte, nämlich um durch ihn gelegentlich dar- zuthun, welche wechselvollen Geschicke Masinissa vor 204 durch- gemacht habe. Im Uebrigen ignoriert er daselbst den Poly- bius, ja „die Frage, warum Livius diesen Exkurs nicht etwa 28, 35 oder mindestens sonst irgendwo vor 29, 4, 7 gebracht hat, kann nur dahin beantwortet werden, dass ihm Polybius vorher un- bekaimt war. "

Was aber von den polybiauischen Abschnitten des 29. Buches'') anzunehmen ist, das muss auch für die voraufgehenden polyl)ianischen Excerpte gelten. In der That bietet die mehrfach verkehrte, überall

1) 29, 29, 5 statt etwa 29, 4, 7 oder noch früher, s. Philol. 53, ')91.

2) Neben 29, 29, 6—33, 10 auch 29, 12, s. Philol. 53, 597. Soltau, Liviusquellen. 4

50 V. Die Spuren der griech. Geschichtschreibung in der III. Dekade.

ungeschickte Einfügung derselben eine hinreichende Handhabe, um diesen Beweis zu stützen. Näheres s. Hermes 26, 408 f., Philologus 53, 589, 'Livius' Quellen in der HL Dekade' 6. Livius 26, 24, 1—26, 4; 27, 29, 9—33, 5; 28, 5—8 sind spätere Eiiüagen aus Polybius; sie setzen nicht eine Kunde des polybianischen Werkes zu der Zeit, da Livius die 2. Hälfte der HI. Dekade ausarbeitete, voraus, sondern vielmehr das Gegenteil.

Somit stände es also fest, dass Livius in den Büchern 23 bis 29 das polybianische Geschichtswerk, abgesehen von diesen erst später eingeschobenen Exkursen über Gnechenland und Afrika, nicht benutzt habe ') , Avenn anders in jenen Büchern weiterliin keine solche Abschnitte enthalten wären, welche eine nähere Verwandt- schaft mit Polybius aufwiesen.

Diese Voraussetzmig trifft jedoch kemeswegs zu. Vielmehr ist andrerseits oifenkmidig, dass Livius noch weiter an manchen Stellen der HL Dekade eine grosse Verwandtschaft mit Polybius verrät. So vor allem

1) Li der Beschreibung der Einnahme von Syrakus (24. 4 7 ; 21—39; 25, 23—31) und von Tarent (25, 7—11), soA\äe

2) in den zahlreichen hispanischen Exkursen 25, 32 36 ; 26, 17—20: 26, 41—51; 27, 17—20; 28, 12—18 f.

Bei der ersten Klasse Hegt ein ähnlicher Ausweg nahe, wie bei den soeben besprochenen Abschnitten über Griechenland: sie smd nach Abschluss der 5. Pentade in die Erzählung eingefügt worden. Der gesamte syrakusanische Abschnitt ist aus einer überaus äusserlichen Kombination zweier Berichte zu erklären. Der ältere ging auf die von Polybius benutzte griechische Quelle und auf amialistische Angaben zurück, der andere bietet ausführKchere Er- gänzungen, ist aus Polybius direkt herübergenommen" (Soltau 'Livius' Quellen' 22).

„Livius 24, 4 behandelt nach Polybius denselben Gegenstand, wie 24, 5 und man würde nichts vermissen, wenn nur eins der beiden Kapitel dastände. Das polybianische 24, 21, 2 f. erzählt das 24, 7, 7 Gesagte noch einmal. Der annalistische Bericht 24, 27, 4 setzt einen Kriegszustand voraus, wie er erst nach 24, 33, welches polybianisch ist, eintrat." „24, 33, 2 setzt nach Appius' Zug gegen 1) Auf das 21. und 22. Buch gebt erst der folgende Abschnitt näher ein.

V. Die Spuren der grioch. Geschichtschreibung in «ler III. Dekade. 51

Leontini 24. ;^0. 1 ein. wo schon 24, 27. 8—9 stehen geblieben war. " Auch bei der Ineinanderschiebiing des polybianischen 24, 30—35 mit anderen Znsätzen 24. 36 39 felilt es nicht an Wiederhohmgen und bikongruenzen.

Wie steht es aber um die Herlamft der hispanischen Berichte ? Zimächst zeigt schon die andauernde wörtliche Uebereinstinnnung zwischen den Worten des Livius und den Fra^mienten des Polvl)ius, dass die Annahme der Quellengemeinschaft keine richtige Erkläiimg des Problems biete. So

1) Liv. 25, 36, 7 = Polyb. 8, 38.

2) Liv. 26, 41 = Polyb. 10, 6. Liv. 26, 42, 2—5 (41, 1) = Polyb. 10. 7. 1—8, 5. Liv. 26, 42, 5 = Polyb. 10, 9, 1. Liv. 26, 42, 6—9 = Polyb. 10, 10. Liv. 26, 42, 10 = Polyb. 10, 11, 1—3. Liv. 26, 42, 7 = Polyb. 10. 11, 4—5. Liv. 26, 43 = Polyb. 10, 11, 5—8. Liv. 26, 44, 1—3 = Polyb. 10, 12, 2—3. Liv. 26, 44, 4—45, 6 = Polyb. 10, 13. Liv. 26, 46 = Polyb. 10, 14—15. Liv. 26, 47, 1—2 = Polyb. 10, 17, 6—10. Liv. 26, 47,3-4 = Polyb. 10, 17, 11— 15.

3) Liv. 26. 49, 7—16-= Polyb. 10, 18. Liv. 26, 50 = Polyb. 10, 19. Liv. 26. 51, 1—9 = Polyb. 10, 20.

4) Liv. 27. 17, 1—19, 7 = Polyb. 10, 34—40. Liv. 28. 12, 10—13 = Polyb. 11. 20, 1—2. Liv. 28, 13 = Polyb. 11. 20, 3—21, 6. Liv. 28, 14, 1—9 = Polyb. 11, 21, 7—22, 6. Liv. 28, 14, 10—15, 12 = Pol. 11, 22, 7—24, 9.

5) Liv. 28, 17, 1—4 = Polyb. 11, 24, 1—3. Liv. 28, 18, 6—8 = Polyb. 11, 24, 4.

6) Liv. 28, 24—26 = Polyb. 11, 25—27. (Liv. 28, 27. 1—29, 12 = Polyb. 11, 28—30.)

7) Liv. 28, 32 = Polyb. 11, 32. Liv. 28, 33 = Polyb. 11.33. Eine derartige Uebereinstimmung zwischen Livius imd Polybius

könnte schwerlich durch Quellengemeinschaft erklärt werden ').

Aber selbst, wenn die der polybianischen Erzählung durch Livius eingefügten Zusätze an manchen Stellen mit gutem Gnnide

1) Vgl. hiei-zu gegen Fkiedersdoeff's Dissertation seine eigene Abhand- lung 'das 26. Buch des Livius' (Marienburger Progr. 1874)23; ferner Heeb- WAGEN, commentatio critica de T. Livii XXVI, 41, 18 44, 1 fNüraberger Pro- gr. 1869) und Soltau, Hermes, 26, 408, Philologus 53. 598—606.

4*

52 V. Die Spuren der griech. Geschichtsclireibung in der ITI. Dekade.

auf einen älteren authentischen Bericht zurückgeführt werden könnten, müsste die Möglichkeit einer Quellengemeinschaft abgewiesen werden, da Livius an mehreren Stellen das geistige Eigentum, die eigensten Gedanken des Polybius wiedergibt.

Die Beschreibung von Karthagena ist von Polybius 10, 10 nicht aus einer andern Quelle abgeschrieben, sondern auf Grund umfassenderer Erkundigungen und nach persönlichen Eindmcken entworfen worden. Dass sich die Darstellung des Livius 26, 42, 6 10 vielfach an diese Darstellung? anschliesst. zeio-t bestinunt die Abhängigkeit des Livius von Polybius.

Fraglich kami somit nur soviel sem, ob Polybius hier überall direkt oder indirekt von Livius ausgeschrieben ist.

Auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Livius mit seiner Methode der Quellenbenutzmig mehrfach gewechselt hätte, müsste geleugnet werden, dass die hispanischen Abschnitte direkt aus Polybius entlehnt sind, und zwar aus folgenden Gründen:

1) Wo Limis seinem Hauptbericht Angaben aus anderen Quellen beimischt, da lässt er meist durchblicken, dass er andere Quellen eingesehen habe oder dass die gebotenen Zusätze mit dem Uebrigen in emem gewissen Gegensatze ständen. Betrachtet man nun die Zusätze, welche Livius den polybianischen Berichten über Hispanien hinzugefügt hat, so Avird man eme abweichende Arbeitsweise antreffen.

2) Während in den direkt aus Polybius entlehnten Stellen so gut wie nie griechische Namensformen, schwerfällige Umschreibungen und Gräcismen fehlen, finden sich solche in den hispanischen Ab- schnitten nirgends. Selbst an Stelle der von Polybius 10, 19 gegebenen Summe von Talenten findet sich Liv. 26, 47, 7 der römische Ansatz m Pfimden.

3) Die Allgabe des Livius 29, 35, 2 lässt emen sicheren Schluss auf die von Livius daselbst benutzte Quelle zu. Livius hatte näm- lich zweimal von einem Reitergefecht bei Utica z^\äschen Scipio und den Karihagem berichtet 29, 28, 10—29, 29, 4 mid 29, 34—35, zweimal von der Verwüstung der Felder, zweimal von der Einnalime einer reichen Stadt und der Entsendung der dort gemachten Beute nach Sicilien, endlich zweimal von dem Fall des Reiterobersten Hanno. Das war selbst einem Livius zu viel und er memte: 'duos eodem nomine Carthaginiensium duces duobus equestribus proeliis interfectos non

V. Die Spuren der griech. GeschichtHchreibung in <1ct III. Dekade. 53

onines auctores sunt, veriti, credo, ne t'alleret bis reiata eadem res; C a e 1 i u s qiiidem et V a 1 e r i ii s captum etiani Hannonem tradunt.' Dar- aus t^eht. wie ich Phil()lo«rns ."iS, 592 f. zeif^c. hervor, dass hier eine Doul)iette Yorlie<i^t. die Livius aus einer ihm liedeutsam erscheinen- den Quelle entnommen hat, die aber im Gegensatz zu Coelius und Antias stand. Livius folgte also einer kombinierenden Quelle, welche weder Coelius noch Antias. aber natürlich auch nicht Polybius war *). Schon hieraus ergibt sich, dass nur Claudius der Urheber dieses Be- richtes gewesen sein kann.

Nun aber enthält auch dieser Bericht, wie ich Philologus 53, 593 nachwies, polybianische Bestandteile. Auch wird wohl nur durch eine solche Aimahme die bedenkliche Doublette an dieser Stelle er- klärlich; Livius, welcher an der Wiederholung derselben Erzählung Anstoss nahm, würde dieselbe, wenn sie ihm zwei verschiedene Quellen geboten hätten, schwerlich zweimal erzählt haben, oder wenn er dieses dennoch gethan hätte wenigstens die Namen der Gewährsmänner zur Beglaubigimg hinzugefügt haben. Nur wenn seine Hauptquelle bereits beide Erzählungen neben einander bot. kurz wenn sie eine Kontamination von polybianischen imd anna- listischen Elementen enthielt, ist die Entstehung der Doublette er- klärlich. Der Kompilator erkannte bei der Verschiedenartigkeit der polybianischen und annalistischen Version über jenes Reitergefecht die Identität der erzählten Vorgänge nicht und stellte beide Berichte neben einander, anstatt sie zu verarbeiten.

4) Entscheidend endlich für die indirekte Herleitung der polybi- anischen Abschnitte, wie für die Annahme eines lateinischen Bearbeiters ist die verschiedene Chronologie, die in den griechischen und hispa- nischen Abschnitten herrscht. Jene Episoden hat Livius mn ein Jahr zu spät angesetzt, die hispanischen Berichte meist um ein Jahr zu früh.

Eine Erklärung für die überaus sonderbare Vorschiebung der griechischen Ereignisse um 1 2 Jahre ist dann nicht schwer zu geben, wenn bei diesen eine direkte Benutzung des Polybius stattgefunden hat. Polybius hat bei seiner schwerfälligen synchro- nistischen Geschichtsdarstellung in der Regel 2 Jahre einer Olym- piade in einem Buche zusammengefasst und dabei dann die Ereig-

1) Denn Polybius 29, 29, 6 f. ist erst niichträglich eingeschoben.

54 V. Die Spuren der gi-iech. Geschichtschreiburig in der III. Dekade.

nisse eines römischen Amtsjahrs mit dem ein halbes Jahr früher be- gimienclen Olympiaclenjahr geghchen ^).

Während mm aber die griechischen Exkurse um ein Jahr vor- geschoben sind, stehen die hispanischen Berichte 212 209 v. Chr. bei Livius um je ein Jahr früher eingereiht, als sie bei Polybius (211 208) augesetzt sind. Dieser Gegensatz gegen Polybius wie gegen die bei den griechischen Abschnitten von Livius befolgte Me- thode zeigt zur Genüge, dass es imdenkbar ist, dass Polybius auch hier direkt benutzt ist.

Livius folgte hier offenbar einer römischen Quelle, welche mitCato*) 219 V. Chr. als erstes Kriegsjahr ansetzte, eine Rechnung , welcher auch Polybius (3,20,2) Beifall zollte. Dieselbe setzte 206 v. Chr. als 14. Jahr des Krieges an und verlegte die sonstigen Zeitangaben, nach diesem Ansatz umrechnend, mehrfach imi ein Jahr zu friili.

Nun könnte man geneigt sein, diese Rechnung , welche, trotz- dem sie sich vielleicht an eme polybianische Angabe anlehnt, doch derjenigen des Polybius völlig widerspricht, dem Livius selbst zuzu- schreiben. In der That rechnet Livius nicht selten nach Kriegs- jahren. So 27, 22, 1; 28, 10, 8; 29. 13, 1 und schon 23, 20. 18; 24, 9, 7. Aber gerade nach allen diesen Stellen ist 218 erstes Jahr des zweiten pimischen Krieges, und diese Angaben treten in einen nicht auszugleichenden Gegensatz zu den vorhergenannten Datie- nmgen der hispanischen Feldzüge. Nach 24, 9, 7 ist z. B. 214 v. Chr. das 5. Jahr, während 28, 16, 14 der ins Jahr 207 v. Chr. ge- hörige, aber unter 206- v. Chr. erzählte Feldzug 'quarto decimo amio post bellum initum' angesetzt wird, mid dieses obenein, nach- dem eben vorher 28, 10, 8 das Jahr 206 v. Chr. als das dreizehnte bezeichnet war. Dass dieser Schi'iftsteller, welcher die polj'bianischen Abschnitte mit verkehrten Zeitangaben dem Livius übermittelt hat, auch hier wieder kein anderer als Claudius war, folgt aus 25, 39, 11 f.; dort ist für den polybianisch-annalistischen Bericht 25, 32 39 Claudius citieri. Er ist an der Stelle der Urheber der falschen Chronologie. Näheres s. Hermes 1891, 429 f.

Fassen wir die Resultate der Untersuchung noch einmal kurz

1) MoMMSEN, röm. Forsch. 2, 353. Niese, Gott. gel. Anz. 1887, 832. SOLTAU, Fleckeisen Jahrb. 1888, 299, Röm. Chronol. 261, Philol. 53, 606.

2) Non. s. V. duodevicesimo p. 100-

V. Die Spuren der griech. Geschichtechreibung in der III. Dekade. 55

zusaninien. Livius hat erst mit dem 30. Butli «Itii l'olybius (vom 14. Buche ab) reiifehnässit:^ benutzt und zwar, abi^eseheii von den griechisch-orientalischen Anj^elegenheiten, nur noch für den afrika- nischen Krieg in den dahren 203/202 v. Chr. d. i. von 30, 3 ab. Alle griechischen Abschnitte, welche in den Büchern 24 29 direkt aus Polybius herübergenommen sind, sind nachträglich, nach Abschhiss des 29. Buches, eingeschoben und zwar so, dass auf einen Zusam- menhang mit den umstehenden Ereimissen gar nicht oder nicht ge- nügend geachtet worden ist. Meist scheint Livius. nachdem ihn seine annalistischen Quellen im 23. und 24. Buch über griechische An- gelegenheiten schlecht imterrichtet hatten, diese ganz bei Seite gelassen zu haben, in der Absicht spätere Nachträge aus Polybius zu bringen. Nur bei dem Kampf um S}Takus hatte er vorher schon einige Ausfülirimgen nach Coelius gegeben und hernach, nicht zmn Vorteil der Sache, einige dieser Kapitel neben den neueingeführten Abschnitten aus Polybius stehen lassen.

Ausser >bei diesen griechischen Angelegenheiten, zu welchen auch die Belagenmg von Syrakus imd die Einnahme von Tarent gerechnet werden muss. hat Livius dem Polybius im 23. 29. Buch nichts entnommen.

Schon von 25, 32 ab bis gegen das Ende des 28. Buches kommen zwar grössere Absclinitte polybianischen Inhalts vor, doch entstammen sie nirgends direkt dem griechischen Original, N-ielmehr entnahm sie Livius nur der lateinischen Bearbeitimg des Claudius ). Diese Abschnitte tragen nicht, wie sämtliche hellenische Exkurse, Spuren späterer Einschiebung an sich. Damit steht vortrefflich im Ein- klang das Resultat der Untersuchungen über die Quellen des 21. und 22. Buches, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll. Auch dort sind ja stets gewichtige Gründe gegen eine direkte Benutzung des Polybius erhoben worden, und auch dort kann der Beweis erbracht werden, dass kein anderer als Claudius das Medium zwischen Li\äus und seinem gi'iechischen Original gewesen ist.

1) Gegen einige Einwände von Holzapfel (Berl. philol. Wochenschrift 1895, 491) und Zielinski (lit. Centralbl. 1895, 658) vgl. meinen Aufsatz 'Clau- dius Quadrigarius' Philologus 56, 418 f. und unten S. 62.

56

YL Die öiiellen des 21. und 22. Buches.

Ueberaus zahlreich sind die Abhandlungen, welche sich mit den Quellen des 21. und 22. Buches beschäftigen (vgl. die Uebersicht S. 10 12). Vor allen Dmgen wurde die Frage, ob und inwieweit die griechische Historiographie Livius' Darstellung beemflusst habe, viel- fach eröi-tert und längere Zeit recht verschieden beantwortet. Ein- gehend beschäftigten sich mit diesem Problem meine Abhandlungen 'eme annalistische Quelle in Cicero de officiis III' (Wochenschrift für klass. Philologie 1890 S. 1239), 'Coelius und Polybius im 21. Buche des Livius' (Philologus Suppl. VI, 701) und meine Programmabhand- lung 'die Quellen des Livius im 21. und 22. Buch' (Zabern 1894 und 1896). In letzterer ward folgendes ausgeführt:

Bei den Erg-ebnissen des voraufo-ehenden Abschnittes über das Verhältnis von Livius zu Polybius in den späteren Büchern der III. Dekade muss es von vornherein als unwahrschemlich angesehen werden, dass Livius für den italischen Krieg von 218 216 V. Chr. eme völlig andere Methode eingeschlagen, daselbst sogar für italische Ereignisse das vollständige polybianische Werk einge- sehen und ausg-eschrieben haben sollte. Es kommt aber hinzu, dass in den mit Polybius besonders nahe verwandten Abschnitten des 21. und 22. Buches die Gräcismen und erläuternden Redewen- dungen, welche sich sonst überall da linden, wo Livius den Polybius überträgt, vollständig fehlen, und weiter, dass eme Fülle von ge- ringeren Bedenken gegen eine Benutzung des vollständigen polybi- anischen Werkes in diesen beiden Büchern insoweit bestehen, als Livius überall eine Unkenntnis selbst der wichtigsten Angaben des Polybius verrät, z. B. der römisch-karthagischen Verträge Poly-

M. Dir gii.'ll.'ii .U's 21. und 22. Buches. 57

bius 8, 120 f. L)t'riirti<;e Tluitsaclien niilit zu beachten iim^ ^anz bequem sein, fördert aber die Erkenntnis de.s Thatbestandes nieht.

Hier ist aber vor allem die Fraj^^e nach einer direkten Benutzung des Polybius von der andern zu trennen, ob überhaupt polybiani.sche Bestandteile in LiWu-s' Darstellung überfrangen sind. So gewsa jene zu verneinen ist. ebenso sicher ist die zweite zu bejahen.

Die Abhängigkeit des Livius von Polybius kann bei drei Arten von Berichten nicht geleugnet werden:

1) da. wo Livius den eigenen Gedankengang, das geistige Eigen- tum des Polybius wiedergiebt; so Livius 21, 19, 1 5 = Poly- bius 3, 29, Livius 21, 21, 9—22, 5 = Polybius 3, 33, so namentlich auch bei den von Polybius eingelegten Reden. Man vergleiche zu Livius 21, 18, 4—12 = Polybius 3, 21. Limis 21. 39—44 = Po- lybius 3, 60—64;

2) da, wo Livius nach Polybius militärische Ausfühnmgen giebt, die zweifellos der persönlichen Anschaumigsweise des Polybius ent- stammen. So vor allem Livius 22. 45 47 = Polybius 3, 113 115;

3) da, wo von Livius ein noch heute vorhandener annalistischer Bericht mit Polybius' Bericht kontaminiert ist. Denn an diesen Stellen ist es undenkbar, dass Livius und Polybius aus gleicher Quelle geschöpft haben, da ja die Qualität beider Quellen des Livius bekamit ist. Solche Stellen sind, wie gezeigt werden soll, Livius 21, 31—38; 21, 52—56; 22, 58—61.

Zu diesen drei Fällen mögen hier noch einige Erläuterungen gegeben werden.

1. Es ^vird nie gelingen, glaubhaft zu machen, dass Polybius die Gründe, welche er 3, 29 für die Entscheidung der Römer an- geführt hat, wörtlich abgeschrieben habe. Wenn irgendwo, so giebt er dort sein eigenes Urteil. Gleichwohl ist es auch der schärfsten Kritik nicht gelungen, irgend eine Verschiedenheit zwischen Li- vius 21, 19, 1 6 und diesen Angaben des Polybius ausfindig zu machen. Nicht minder ist nach Polybius' Angaben 3, 33 unzweifel- haft, dass er das Verzeichnis der hannibalischen Tmppen aus der lacinischen Inschrift {il\i-Bl; yap eöpovie; inl Aaxivtq) tyjV YpatpTjV xautr^v £v yaXxw|Jiaa'. xaxaT£TaY(ji£vy]V Ott:' 'Avv(j3ou) ^) entnouunen

1) Aller Wahrscheinlichkeit nach (v^l die Gegenüberstellung Zielixski,

58 VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches.

habe. Wie albern Aväre sein Tadel gegenüber den a^ioTicaxco? «jjeuSo- ixevots Twv a\jy'{poc<:pi(üv^ wenn gerade seine Hauptquelle Silenus dieses Verzeichnis genau ebenso geboten hätte. Wenn Böttcher (S. 373) annimmt", sagt Hesselbarth (Hist. Kr. Unters. 2) „schon Silenus habe das Verzeiclinis gehabt, natürlich nicht von der Tafel, sondern von Hannibal selbst, so bezichtigt er damit Polybius einer Fhmkerei, die niemand verborgen bleiben konnte, welchem Silenus zur Hand war. " Nach E. von Stern's ^) Untersuchung über 'das hamiibalische Truppenverzeichnis bei Livius' (Berlin 1891) ist aber nicht mehr zu leucnien, dass Livius' Bericht keine wesentlichen Differenzen zu Po- lybius aufweist und durchaus von jenem abhängig ist. Desgleichen ist längest erkannt, dass trotz aller Freiheit, mit der sich Livius in den emgelegten Reden zu bewegen pflegt, die in Livius 21, 39 44 gegebenen Reden im Gedankengang vielfältig von Polybius abhängig smd ^). Nun aber ist doch schwerlich anzunehmen , dass bei der- artigen Ansprachen der beiden Feldherrn Polybius sich eng an seine Quelle gebunden hat. Mag es immerhin möglich sein, dass Silenus, der Begleiter des Hannibal, den Gedankengang emer Rede Hamii- bals mito-eteilt hat. Dieser Redewettstreit zwischen Hannibal und Scipio ist sicher das geistige Eigentum des Polybius, dessen Einfluss auf Livius wahrlich nicht deshalb hätte abgeleugnet werden dürfen, weil Livius die zweckmässige Reihenfolge der Reden mit einer mi- passenden vertauscht.

2. Als dem Polybius durchaus eigentümlich dürfen ferner auch die militärischen Erörtenmgen über Aufstellung und Manövi'ieren

ki-it. Unt. 166) auch schon 21. 26, 3—29, 7. Die Notiz 21, 28, 5 ist nach Li- vius' ausdrücklicher Angabe (quidam . . . tradunt) eine Variante aus einer an- deren Quelle. Ausserdem sind aber nur 21, 26, 6; 27, 5 Einlagen in den po- lybianischen Bericht, gerade diese aber sind ebenso wie 21 , 28, 5 dem anna- listischen Berichte, welchem Süius Italiens 3, 442 f. folgt, eigentümlich und stehen im Gegensatz zu Polybius.

1) Vgl. dazu meine Rezension deutsche Litteraturzeitung , 1892 S. 1202.

2) BöTTCHEK, Krit. Unters. 393 sagt: „Die Rede (Scipios) bei Livius stimmt in grossen Zügen mit der Angabe bei Polybius überein ..." „Die Erzählung von dem auf Hannibals Anstiften stattfindenden Zweikampfe der Gallier stimmt so sehr mit Polybius 3, 62 überein, dass dieselbe fast als ein Auszug seiner ausfülu-licheren Darstellung erscheinen könnte. Ebenso ist die Uebereinstimmung in der Ansprache Hannibals an seine Truppen, wenn man die rhetorischen Neigungen des Livius berücksichtigt, nicht zu verkennen."

VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches. ,-,9

des Heeres gelten. So vor allem 8, 11:5 IIa. Selbst hier wäre es denkbar, dass eine besonders gut unterrichtete Quelle, sei es Silenus, sei es Fabius, über die Aufstellung des einen Heeres die genaue.ste Auskinit't zu erteilen im Stande gewesen wäre. Die Manöver beider Heere aber vermochte in der Weise nur ein Polybius zu schildern, der mit der Kunde des karthagischen Berichterstatters die Ausführungen römischer Augenzeugen zu verbinden und zu vergleichen in der Lage war. Da nun gerade an dieser Stelle die genaueste Uebereinstinmumg mit Livius 22, 45 47 besteht, so wird auch hier die A))hängigkeit des Livius von Polybius angenommen werden müssen.

3. Bisher aber ist noch zu wenig beachtet , dass auch alle diejenigen Abschnitte mit NotAvendigkeit von Polybius abhängig sein müssen, in welchen ein im übrigen wörtlich mit Polybius übereinstimmender Abschnitt mit einem annalistischeu , auch ander- weitig überlieferten Berichte ineinander gearbeitet ist. Glücklicher- weise ist die Existenz eines solchen besonderen annalistischeu Be- richtes an drei Stellen nachweisbar: Liv. 21, 31, 2 38, 1 ent- spricht, abgesehen von 31, 6; 31, 9—32, 7; 37, 2—4 genau') der polybianischen Erzählung 3, 47 f. Gerade jene Exkurse aber, welche den polybianischen Bericht störend unterbrechen, sind in einem annalistischen Bericht bei Ammianus 15, 10 erhalten, wie das Wölfilin ('Antiochus von Syrakus und Caelius Antipater' 50 f.) bewiesen hat^). Zum Ueberfluss wird die Selbständigkeit dieser annalistischen Einlage noch durch Silius Italiens Pun. 3, 466 f., der gerade nur die nichtpolybianischen Angaben bietet und damit an der Stelle seine Unabhängigkeit von Livius bezeugt, erwiesen. Auch ist klar, dass ohne jene Zusätze 21, 31, 9 f. kein Mensch daran denken würde, dass Hamiibal, nachdem er schon die Isere überschritten und in die 'Allobrogeninsel' vorgedrungen war, durchs Dürancethal aufwärts gezogen sei. Nach Polybius' Bericht ist dieses geradezu ausgeschlossen. Nicht minder bietet des Livius' Bericht

1) Vgl. Philologus Suppl. VI, 714 f. Fohlisch 'Ueber die Benutzung des Polybius im 21. und 22. Buche des Livius' (Progr, Pforzheim 1885 S. 3), der treffend auf einige Missverständnisse des Livius aufmerksam macht, vne sie bei der Uebertragung des griechischen Textes vorkommen konnten: so Li- vius 21, 35, 5 = Polyb. 3, 53, 9.

2) S. auch Philol. Suppl. VI, 708 f.

60 "VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches.

über die Trebiaschlacht ein anschauliches Beispiel dafür, dass zAvei ganz heterogene Berichte, ein annalistischer und der polybianische, kontanuniert vorliegen. Hier ist Li\aus 21, 52, 1 55, 3 im Wesent- lichen gleich Polyb. 3, 69 74, die annalistischen Zusätze aber gibt Appian Ann. 7 nach eigener Quelle.

Ein dritter Abschnitt des Livius, welcher sich zwar an Polyliius anlehnt, mit ihm aber einen annalistischen, auch sonst überlieferien Bericht kombüiiert, liegt 22, 58 61 vor. An dieser Stelle ist aber nicht nur die Thatsache der Kombination, sondern auch der Name des Annalisten, sowie derjenigen Quelle, aus welcher Livius direkt geschöpft hat, nachweisbar. Livius 22, 58 61 bietet ebenso wie Cicero de officiis 3, 113 115 zwei von einander abweichende Be- richte über die Deputation gefangener Römer, welche von Hannibal wegen der Auslösung von 8000 Gefangenen nach Rom geschickt war, so^vie über den Versuch derselben, den Eid zu umgehen. Beide Schriftsteller geben beide Erzählmigen in derselben Reihenfolge. Cicero citiert für die erste den Polybius, bei der zweiten den Acilius. Livius 22, 60, 5 deutet den Uebergang zum zweiten Quellenbericht mit den Worten 'est et alia de captivis fama' bestimmt genug an. Ist es nun schon wenig wahrscheinlich ^), dass Cicero hier, wo es gar nicht darauf ankam, eine zweifache Version eines historischen Vorgangs zu geben, zuerst den Polybius, dann den Acilius aufgeschlagen habe, so ist es doch völlig undenkbar, dass Cicero mid Livius hier ganz selbständig diese beide Erzählungen in gleicher Weise kontaminiert haben sollten. Trotzdem ist eme solche Ineinanderschiebung zweifellos vorhanden. Nach Ciceros Bericht liegt der Hauptgegensatz zwischen beiden Berichten teils in der Zahl der Gesandten (bei Polybius einer unter 10 Gesandten, bei Acilius alle 10 Gesandten), teüs in Bezug auf die Mitwirkung des Senats. Zu diesem letzten Punkte bemerkt Polybius .bei Cicero: Htaque decrevit senatus, ut ille veterator et callidus vinctus ad Han- nibalem duceretur', und Livius 22 , 61 , 4 sagt von dem Einen zurückgebliebenen: 'quod ubi innotuit relatmnque ad senatum est, onmes censuerunt comprehendendmn et deducendum ad Hannibalem esse.' Acilius dagegen soll Cicero zufolge erzählt haben, die nota

1) Vgl. zu dieser Ausführung Wochensclmft für klassische Philologie 1890 S. 1239.

VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches. fJl

censoriii habe ilie Eidbrüchigen «getroffen, ja in iUt ausiUhrlicheren Wiederijabe seiner Worte durch Livins 22, 61, 5 wird berichtet: 'de iis dedendis magna contentione actum in senatu esse, victosque paucis sententiis qui dedendos censuerint, ceterum proximis censori- bus . . ., Omnibus notis ignominiisque confectos esse.' Nun tritt aber gerade der soeben genannte charakteristische Zug, worin sich die polybianische Version von der acilischen sowohl bei Cicero als bei Livius imterscheiden soll, bei Polybius selbst ganz in den Hinter- gnmd. Er sagt nur ganz allgemein 6, 58, 12 oib xal TaöTa npo- ^e|xevoo toü^ |Jiev ivvea twv Trpeaßs'jtwv sösXovxtjv xata lov opxov dvaywpoövTa; d^£7i£|X'];av x. i. X. Das Subjekt ist liier Tü)[ia:o: (I5 7) und wenn auch anfänglich 5) vom Senat die Rede ist imd es natürlich war. auch weiterliin vorzugsweise an den Senat zu denken, 80 war doch erst durch die Gegenüberstellung des poly- bianischen mid des acilischen Berichtes der Uebersetzer ge- zwungen, den Senat hineinzusetzen. Es kommt hinzu, dass auch Gellius X. A. 6, 18 beide Erzählungen kombiniert vorgefimden haben muss, weil er die nota censoria aus der zweiten in die erste Fassung übertragen hat. Dass beide Berichte dem Cicero me dem Livius in einer lateinischen TJebertragung vorgelegen haben, zeigt auch die Aehnlichkeit im Ausdruck: Liv. 22, 58, 8 = Cic. de off. 3, 32, 113. Ueberdies ist die Uebereinstimmung in dem Verhältnis der Quellen an dieser Stelle und Livius 25. 32 39 augenscheinlich. An beiden Stellen ^vird erst ein grösserer polybianischer Abschnitt, dann ein Stück aus Acilius fjetjeben: an beiden Stellen ist die Grenze zwischen den zwei Berichten nicht scharf" inne gehalten und Polybius Bericht in lateinischer Uebersetzung ^viedergegeben. War an der späteren Stelle Claudius, der Uebersetzer und Bearbeiter des Acilius, Quelle des Livius, so auch vorher im 21. und 22. Buche *). Claudius müsste auch hier bei den Berichten über römische Nieder- lagen die nur kurzen Berichte des Acilius durch grössere polybianische Einlagen ergänzt haben (s. oben S. 54 und 55).

Also: die nicht abzuweisende Thatsache, dass Livius 22,58 f. und Cicero de officiis den polybianischen Bericht (ß, 58) aus einer

1) Ueberall zeigen sich im 3. Buche von Cicero de officiis Spuren der utzur S. 1239.

Benutzung gerade dieses Annalisten. S. Wochenschrift f. klass. Philol. 1890

62 VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches.

gememschaftliclien lateinischen Quelle entnommen und in derselben Quelle bereits die Angaben des Acilius vorgefunden haben, gibt auch hier eine Lösimg des Rätsels, wie Livius im 21. und 22. Buche, trotz unleugbarer Abhängigkeit von der polybianischen Berichter- stattung, doch nicht den Polybius selbst eingesehen haben wird.

Wenn aber dieses Resultat, wonach die polybianischen Abschnitte nur durch die Yerniittelung des lateinisch schreibenden Bearbeiters des Acilius. durch Claudius, dem Li^^us überkommen sind, von Zielinski 88 deshalb verworfen Avird, weil Claudius Quadrigarius den 2. punischen Krieg in höchstens 3 Büchern beschrieben habe, so haben neuere üntersuchmigen wohl dazu beigetragen, auch diesen Einwand zu entkräften. Denn an den wichtigsten Stellen der IIL mid IV. Dekade, wo Claudius citiert Avird, wird hinzugefügt, dass hier jene Schrift gemeint sei. in welcher er dem Acilius folge oder ihn übersetze. Allerdings lag es in dem Wortlaute dieser Erklärmig nicht mit Notwendigkeit, dass Livius damit ein anderes Werk als des Claudius' amiales gemeint habe, in welchem dieser dem Acilius gefolgt sei. Aber selbstverständlich behält die so natürliche mid emfache Literpretation , dass Livius damit auf ein anderes -Werk als die amiales Bezug nehme, daneben ihre Berechtiguno;, und diese muss nach den Ergebnissen unsrer Untersuchung als die allein richtige bezeichnet werden '). In der That kaim ein Werk, das mit solcher Ausführlichkeit die Ereignisse des zweiten punischen Krieges, miter Uebertragmig der acUischen Chronik mid grösserer Abschnitte aus Polybius darstelte, nicht mit jenem Annalenwerk identisch sein, das mit dem gallischen Krieg beginnend die frühere Geschichte Roms bis auf die Zeit der Gracchen mehr summarisch behandelte.

Ferner ist es erwünscht, schon hier darüber keinerlei Zweifel gelassen zu sehen, dass zu den polybianischen Bestandteilen auch noch 4 weitere Berichte gehören, nämlich Liv. 21, 5; 21, 18, und der hispanische Krieg 21, 60 61 ; 22, 19 22. Die grosse Verwandt- schaft dieser Kapitel mit Polybius ist längst erkannt ^), nicht minder oft aber aus klemen Differenzen der Schluss gezogen worden, dass

1) Näheres über die Beschaffenheit dieser Schrift bietet mein Aufsatz , Claudius Quadrigarius' PhUologus 1897, 418 f.

2) Zu 21, 5 vgl. FöHLiscH, Ueber die Benützung des Polybius im 21. und 22. Buche des Livius (Progr. Pforzheim 1884) 6 f.

VI. Dil- guclleu des 21. und 22. Buches. »i;i

die Aelinlichkeit hier vielmehr aus Quelleii«;enieinsthatt zu erklären sei. Wenn jedoch gezeigt werden kann. da.s.s die uideugl)ar vor- handenen kleinen Abweichungen und Zusätze ohne Zwang auf den Uebersetzer imd Bearbeiter zunlckgeführt werden köiuien, so wird nicht mehr in Frage kommen dürfen, dass auch hier |)olybiani.sche Excerpte in der Uebertragmig des Claudius dem Livius zu Gnuide liegen. Das hat zu 21, 5 imd 21, 18 meine Prograramabhandlung s. 8 gezeigt '). Zu den hispanischen Abschnitten 21, 60 fil und 22, 19 22 sei aber noch folgendes bemerkt: eine völligere Ueber- einstimmung als zwischen 21, 60. 1 61. 4 und Polyb. 3, 76 be- steht, könnte man sich nicht wünschen, und ebenso vne bei 21. 60, 1—61, 4 ist auch 22. 19. 1—20, 3 und 22. 22 em Bericht, welcher nur Elemente der polybianischen Erzählung (3. 95 f.) enthält. Die von Böttcher K. U. 424 hier vorgebrachten Bedenken wiegen ins- gesamt leicht. Die meisten beziehen sich auf Abweichungen, welche teils Flüchtigkeitsfehler, teils Abschreiberverderbnisse sind ^). Bei einer indirekten Benützung des Polybius haben natürlich keine Be- deutung Einwände, wie der, dass Livius den Bericht über die Er- folge des Ser\ilius (Polyb. 3, 96) nicht gekannt habe, oder dass bei einer freieren üebertracmnsc auch kleinere Zusätze bei der Wiedergabe von Einzelheiten nicht vermieden werden konnten. Beide polybianische Berichte aber 21, 60. 1—61, 4 und 22, 19—22 scHiessen grössere annalistische Einlagen in sich, die, wie Zabenier Progr. (1894) S. 9 gezeigt ward, nicht in Polybius' Quelle gestanden haben, sondern vielfach das von Polybius Gesagte wiederholen, mid weisen damit wieder nicht auf eine gemeinsame Quelle, sondern auf den annalistischen Bearbeiter einiger polybianischer Exkm'se hin.

Diese etwas ausführliche Wiedergabe der Argiunentationen meiner Abhandlung über die Quellen des Livius ini 21. und 22. Buch werden dem nicht übei-flüssig erscheinen, der bedenkt, dass es sich hier lun eine der wichtigsten Fragen der livianischen Quellen- kritik überhaupt handelt. Es wäre ebenso verkehrt anzunehmen, dass Polybius wie Livius in fast wörtlicher Anlehnung eine gemein- same Quelle ausgeschrieben hätten, wie andrerseits eine direkte Be- nutzung des vollständigen Polybius durch Livius schon in diesen

1) Zu 21, 7—9 v^l. Zaberner Prog. 6, 10 Amii. 2.

2) Eb. 9 Anm. 3.

64 VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches.

Büchern und bei rein italischen Vorgängen zu vertreten. Die

grösseren polybianischen Ausschnitte , welche sich hier ini Livius

finden, hat Livius nur kontaminiert mit annalistischen Angaben in

der lateinischen Bearbeitung des Claudius gekannt. Aus Claudius

stammen daher folgende Abschnitte:

21, 5 (wahrscheinlich auch 21, 7, 1—9, 2)

21, 18, 2—19, 5

21, 21, 9—22, 5 22, 19—22

21, 26, 3—29, 7 22, 45-47

21, 31, 1—38, 1 22, 58

21, 39, 1—44, 9 (Reden, vielfach selbständiger) 22, 61

21, 46, 5—48, 10

21, 52—56

21, 58—61

Daneben war es für das 21. Buch möglich ^) auch grössere coelianische Abschnitte als solche festzustellen. Die oranz ei^en- tümliche Chronologie, zufolge welcher für den Söldnerkrieg 5 Jahre, für Hamilkar und Hasdrubal 9 + 8 Jahre (zusammen also 22 Jahre seit dem Schluss des 1. punischen Krieges) angesetzt und damit Hannibals hispanische Feldzüge unter Hasdrubals Oberbefehl ver- legt werden müssen, ist em Charakteristikum für Coelius ^), der dann auch die Belagerung von Sagunt ins Jahr 218 v. Chr. zu zwängen sucht. Ferner werden die Ausführungen des Coelius, wie Zielinski ('zweiter pmi. Krieg' 122 f.) erwiesen hat, durch die Betonmig des Gegensatzes zwischen Hanno und den Barcineni gekennzeichnet. Demnach müssen 21, 1 4; 6; 9, 3 14, 4 aus Coelius stammen an der letzteren Stelle aber wird 21,11,3 12, 3 wohl nur indirekt, direkt aus Antias entnommen sein. Durch Fragmente ist ferner die gleiche Herkunft sichergestellt bei 21, 22, 5 bis etwa 24, 5, sowie für 21, 49 51 ^). Varientenangaben .aus Coelius zu den polybianischen Berichten finden sich 21, 38, 6: 46, 10; 47, 4.

1) Vgl. zu dem folgenden SoltaU, 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 79 f. und namentlich auch Pliilologus Suppl. VI, 702 f.

2) Der Beweis im Einzelnen ist erbracht in meiner Programmabhandlung Zabern 1894 S. 11 f.

3) Es war ein eigentümlicher Missgriff J. B. Stukms (quae ratio inter ter- tiam T. Livi decadem et L. Coeli Antipati'i historias intercedat, Würzburg 1884) den Versuch zu wagen, Coelius aus der Zahl der direkten Quellen des Livius

VI. Dif Qut'llt'n dfs 2\. uml 22. Buches.

()5

Danach sind unter Beachtim«^ der in lll S. 31 gefundenen lie- sultate folgende Quellen des 21. Buches festgestellt:

21. Buch

Polybianisch

Direkte Quellen

1,1— 5.1

1, 4—5

Coel. (1, 4—5 Claudi

5,1— H. 1

5, 2—6, 1

Cl.

6

Coel.

7,1— 9.2

7, 1 f.

Cl.

9,3—11,3

Coel.

11,4—12,3

A.

12,4—14,1

Coel. (13 R. Liv.)

14.2—4

Coel.

15,1—2

15. 1—2

Cl.

15,3—6

Liv. (6 A.)

16,1—18.1

A.

18,2—14 19, 1—5

18. 3 f.

19. 1—5

(c.

19.6—20,9

A.

21.1-8

Coel.

21, 9—22, 5

21. 9—22. 4

Cl.

22,5-9 23—24

i Coel.

25,1—26,2

25, 4

A. (25, 4. 5 PISO) (25, 6-10 Cl.)

26,3-9

26, 7—9

(a

27,1—29,7

27, 1—29, 7

30

R. Liv.

31—37

32, 8—37, 6

Cl.

38

(Cincius, Coelius) Liv

39—44

40—44

Cl. (R. Liv.)

zu eliminieren, bez. nur eine nachträgliche Kenntnisnahme des Coelius zuzu- gestehen. Der Gegenbeweis ist von mir- Philologus Suppl. VI, 708 f. erbracht worden. Wer mit Sturm die kleinsten Differenzen zwischen Livius und Coelius als gewichtige Argumente gegen eine Benutzung des letzteren durch jenen an- sieht, der hat allerdings so wenig Verständnis von der schriftstellerischen Thätigkeit des Livius, dass ihm eine richtige Quellenanalyse bei diesem Hi- storiker nur misslingen kann.

Soltau, Liviusquellen. 5

66

VI. Die Quellen den 21. und 22. Buches.

21. Buch

Polybianisch

Direkte Quellen

45,1—46,4

Coel.

46,5-47,3

46, 5—47, 3

Cl. (46, 10 Coel.)

47,4—5

Coel.

47,6—48,10

47, 6—48, 8

Cl.

49—51

Coel.

52—56

52—55

Cl.

57

A.

58

Cl. (58, 1—3 A.)

59—61

60, 1—5; 61, 1—7

Cl. (60, 7—9 A.)

62

PISO

63

A.

Für das 22. Buch steht ausser den bereits besprochenen poly- bianischen Partien (19—22; 45—47; 58—61) fest, dass 22, 32—40 ') auf hauptstädtischen Quellen beruht, mit Ausnahme des pisonischen 22, 36, 6 f. also aus Antias stammt : aus letzterem smd auch die gleich- faUs pontifikalen Berichte 22, 1, 4—20; 22, 10—11; 22, 54—57 herttbergenonunen ^).

Durch Fragmente des Coelius, sowde nach den sonst für die coelianische Berichterstattung charakteristischen Anschauungen können 22, 48 51 mid der dazu gehörige emleitende Bericht 22, 43 44 diesem Annalisten zugewiesen werden. Im Emzelnen vgl. Zaberner Progr. 1894 S. 18. Liv. 22, 50, 11 ist näniHch gleich Coelius fr. 22, 22, 51, 1 gleich Coelius fr. 25. Die Verwandtschaft von 22, 51, 7 mit 22, 48, 4 zeigt aber, dass hier em zusammenhängen- der Bericht aus Coelius zu statuieren ist. Die emleitenden Kämpfe zur Schlacht bei Camiae erzählt Livius zweimal ganz ähnlich 22, 41 42 = 22, 43 44. Ein solches Verhältnis, dass zwei Anna- listen eine Episode ähnlich erzählen, weist auf Coelius und Antias

1) Nur gegen Schluss scheint Coelius zu Grunde zu liegen, s. Zaberner Pro- gramm 1896 S. 18.

2) 22, 1 und 22, 10—11 mit der Modifikation (s. Zaberner Progr. 1894 S. 21 f.), dass manche Elemente dieses Berichtes schon Coelius geboten hatte.

VI. Dit' Quellen des 21. und 22. Buches. r>7

hin. Aiitias «;al( mehrfach rhetoriflch erweiterte Darstellungen auf Grund der coelianischen Tradition '). In diesem Falle ist dtr ein- fachere zweite Bericht, welcher bis zum Be^nn der Schhicht selbst führt, dem roelius zuzuweisen.

Auch 22. 52 53 geht noch einmal wieder auf die 22, 50 f. nach Coelius berichteten Vorgänge ein, kann also nicht aus diesem stammen. Die Verwandtschaft von 22. 52, 3 mit 22, 58, 4 führt hier auf Claudius, desgleichen die dreistelligen Namen 22, 53 und die besondere Hervorhebung des Seipio 'iuveniß fatalis dux huiusee belli' 22, 53, 6.

In 22. 2—30. wovon ja 22. 19—22 als polybianisch bereits oben nachgewiesen ward, ist abwechselnd der polybianische Bericht des Claudius und derjenige des Coelius ausgeschrieben worden^).

Nicht auf Polybius beruht 22, 3, 10—6, 12. Hier findet sich zweimal eine Uebereinstimmung mit Coelius^). 22, 8. 5 7 führt nach Vergleich mit Coelius' Angaben l)ei Liv. 22, 31, 8 gleichfalls auf ihn hin. Die daneben bestehende Verwandtschaft mit Polybius ist aus der gemeinsamen Benutzimg des Fabius durch Coelius und Polybius zu erklären. Fabius wird von Livius 22, 7, 4 für die annalistischen Angaben als Gewährsmann angeführt. Dagegen steht dieser coelianische Bericht in manchem Gegensatz zu dem einleiten- den 22, 2, 1 3, 4 und dem abschliessenden 9. 9, 1 6, welche durch ihre Verwandtschaft mit Polybius *) auf Claudius hinleiten. Der spezielle Beweis ist Zabemer Progr. 1894 S. 19 gegeben worden. Namentlich ist Gewicht darauf zu legen, dass die verkehrten Worte 22, 3, 6 auf einem Missverständnis von Polyb. 3, 82, 1 beruhen.

Für Liv. 22, 12—18 liegt Polybius 3, 88—94 zimi Vergleich vor. Eine engere Verwandtschaft zeigen Liv. 22, 12 = Polyb. 3, 88, 7—90, 7, Liv. 22, 14 = Polyb. 3, 92, 6—7, Liv. 22, 16, 7—18, 4

1) 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 52 zeigte, „dass in. den historischen Berichten der ersten Hälfte des 29. Buches Coelius und Antias abwechselnd ausgeschrieben worden sind, zugleich aber, dass Antias eine gewisse Verwandt- schaft mit der coelianischen Tradition verrät."

2) Die folgende Auseinandersetzung schliesst sich eng an meine Beweis- führung Zabemer Progr. 1894 S. 19.

3) 22, 3, 10—14 = Coelius bei Cicero de divin. 1, 35, 77; 22. 5. 4—8 und 6, 1 = eb. 1, 35, 78 (vgL Zabemer Progr. 1896 S. 11».

4) Auf die gleiche Quelle sind die einleitenden §§ 22, 1, 1 4 zu beziehen.

68

VI. Die Quellen des 21. und 22. Buches.

wenigstens vielfach verwandt mit Polyb. 3, 93 94. Dagegen fehlen die Ausführungen von Liv. 22, 13 und 15, 5 16, 6 im Polybius. Die Motivierung von Hannibals Zug nach Campanien ist durchaus verschieden bei Polybius 3, 9, 11 und Liv. 22, 13. Eine genaue Beachtung der Uebergänge von der einen zur andern Quelle im Livius (Zabemer Progr. 1894 S. 19), sowie der dabei sich zeigenden Inkongruenzen führt darauf hin, eine abwechselnde Benutzung des polybianischen Berichts 22, 12; 14; 17,4 7und des Coelius 22, 13; 15 17, 3; 18 anzunehmen. Besonders in die Augen fallend ist die Doublette 22, 17, 6 (tum vero insidias rati esse) und 22, 18, 1 (cete- nim et insidias esse ratus). Dass Livius hier neben der polybiani- schen Erzählung einen selbständigen, wenn auch vielfach verwandten amialistischen Bericht eingesehen hat, zeigt ein Vergleich von Appian Ann. 14—15 mit Liv. 22, 16—18.

Ein gleicher Wechsel zwischen Claudius und Coelius ist von mir Zabemer Progr. 1894 S. 20 für 22 . 24 31 nachgewiesen worden. Nur der Anfang 22, 23, 9 24, 10 zeigt grössere Ver- wandtschaft mit Polybius, dessen Bericht ja Livius bei den hispani- schen Ereignissen 22, 19 22 gefolgt ist. Dagegen ist 25 30 durchaus coelianischen Ursprmigs ^), wie das auch die Verwandt- schaft mit Plutarchs Fabius zeigt. In 22, 31 wird Coelius citiert und durch die pontifikalen Angaben 22, 31, 8 f. widerlegt; der voraufgehende Absclinitt weist inhaltlich auf die entsprechende Be- richterstattung des Coelius 21, 49 51 hin.

22. Buch

Polybianisch

Direkte Quellen

1,1-4

1, 1-4

Cl.

1,4-20

A. (1, 8-12 Coel.)

2,1—3,6

2, 1—3, 6

Cl.

3,7-7,5

7,6—8,7

Coel.

9,1—9, 6

9, 1—9, 6

Cl.

1) Nur wird bei den rhetorischen Ausführungen 22, 25, 1 26, 7 eine haupt- städtische Quelle (Antias) hinzugezogen sein.

VI. Di.' Quollen des 21. und 22. Buclies.

69

22. Buch

Polybianisch

9,7—11.9

12,1—13,1

12

13,2-11

14,1—15.10

14

15.11-18.10

17, 4—7

19—22

19, 1—20, 3: 22

23,1—23.8

23,9—24.14

23—24

25—26

27,1—31,7

31,8—11

32,1-35,7

36,1—36.5

36,6—9

37,1—38.5

38.6-13

39

40,1—4

41-, 5—42, 12

43—44

45—47

45—47

48,1—50, 1

50,1—3

50,4—51,9

52, 1—54. 1

54,1—57,12

58

58

59—60

61,1—10

(Acilius)

61,11 15

61, 11 15

A. (10, 1—7 Coel.)

Cl.

Coel.

Cl.

Coel. (17, 4—7 Cl.)

Cl. (21 A.)

Coel.

Cl.

A.

Coel.

A. (Liv.)

A. (33, 1—8 PISO)

Varianten, Liv.

PISO

A.

Coel. (V)

K. Liv.

Coel.

A.

Coel.

Cl.

Coel.

Liv.

Coel

Cl.

A.

CL

(59—60 R. Livius).

70

VII. Coeliiis und Claudius im 23. I)is 30. Buch.

Nachdem in der III. Dekade einerseits die Bestandteile, welche auf Polybius und der griechischen Historiographie beruhen, ausge- schieden (V), andererseits die hauptstädtischen Berichte , welche in letzter Instanz auf die Pontifikaltafel zurückgehen, genügend ge- kennzeiclinet sind (III), kommt es darauf an, festzustellen, wo Livius die sonst noch in der III. Dekade benutzten Annalisten Coelius und Claudius ausgeschrieben hat. Die Erzählungen dieser beiden Amia- listen entbehrten nicht eines rhetorischen Schmuckes. Beide legten vielfach die Berichte zeitgenössischer Schriftsteller zu Grrunde. Bei Coelius findet sich eine Benutzung von Silenus, Fabius , Cato und einer Laudatio Marcelli, bei Claudius ist neben der Herübemahme polybianischer Kapitel die Benutzung von Acilius mid Cato er- weislich. Beide haben auch wohl ffele^entlich Ennianische Schil- derimgen bei der Auvsmalimg historischer Situationen nicht ver- schmäht '). Dennoch ist ihr Charakter und ihr historischer Wert durchaus verschieden.

Coelius hat allerdings das Bestreben gehabt, nicht nur durch gelegentliche Uebertragung griechischer Quellen über den zweiten pmiischen Krieg die Erzählung der römischen An nalen zu bereichern, sondern er suchte auch, che in diesen letzteren gefundenen Situa- tionen mit Hilfe von Stellen aus Dichtern und Historikern lebhafter auszumalen. So finden sich in semer Beschr'eibmig der Schlacht bei Cannae Erinnerungen an Ennius (Livius 22, 51). Durch CoeHus' Vermittelung ist bei Appian die Schlacht bei Zama in eine Reihe von Einzelkämpfen aufgelöst, welche mehr den homerischen als den

1) Für Coelius vgl. H. Ha.GEN, Ennius und Livius in Fleckeisen Jahr- bücher 109, 271 und Sieglin, die Fragmente des L. Coelius Antipater (Leipzig 1897) 53 f., für Claudius s. Soltau, 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 130 f. und Philologus 52, 689.

VII. (.'(irliii, und ChiiKliu- im 23. bis 30. Burh. 71

haiinibalistlu'u Sclilacntrii (■iirsjiifrlK.'ii. Es ist Coi'liiis' Werk, wenn der Einjifjin«; des getiiii«^eiieii Hyphax so geschildert wird wie bei Herodot 1,87, woCynis den Croesus hegrilsst. Al)er wie iinhi.storisch ciuch dieses Detail sein mag nnd wie klar dadurcli die A))sicht des Coelins wird, mehr auf .stilistische Schönheit als auf historische Trene zu achten, so darf doch nicht unbeachtet bleiben, dass Coelius im üljrigen die älteren Quellen mit Sorgfalt benutzt hat ').

Von einem ganz andern Charakter waren die Aimalen des Claudius. Die obigen Ausführmigen (IV) über die aimalistischen Qnellen der IV. nnd V. Dekade haben klar gezeigt, dass das Be- streben dieses Scribenten dahin gerichtet war, die trockenen Sieges- bulletins der Stadtchronik durch lebensvolle Schilderungen der Thaten der römischen Heerführer zu ersetzen. Seme Spezialität war die Schilderung von Gefechten. Er schilderte das Terram, er führte aus, wie das römische Heer durch grosse Gefahren hindurch und nach mancherlei klemen Misserfolgen regelmässig den Sieg er- fochten habe. Vor allem aber lag es ihm am Herzen, die Thaten einiger der berülmitesten Geschlechter zu feiern. Die Scipionen, so"wie die ümen verwandten Gracchen, die Claudii Marcelli und die Claudii Nerones, femer die Fulvii suchte er zu erheben. Bei den Einzelheiten der Schlachtgemälde Hess er semer Phantasie freien S'pielraum. Es machte ihm nicht viel Gewissensbisse, Vorgänge, welche seine Quellen sjiäter erzählten, mit einigen Umändeningen in eine frühere Zeit zu verlegen.

Der voraufgehende Abschnitt hat gezeigt, wie Claudius noch in einer andern Hinsicht thätig gewesen ist, mn der Armut der römischen Annalen abzuhelfen. Er nahm manche polybianische Ab- schnitte mit in seine Geschichtsdarstellung auf. Abgesehen von diesen polybianischen Excerpten ist bei ihm die Benutzung griechischer Historiker zwar nicht nachweislich, wohl aber ist klar genug, dass er seine rhetorischen Schilderungen, seinen Stil und seine Ausdrucks-

1) Xachdem von mir Philol. Suppl. Yl, 704 gezeigt ist, in welchem Masse Coelius die Quelle von Livius' 21. und 22. Buch gewesen ist, kann in Bezug auf die späteren Bücher nicht weiter auf die Gegenargumente von Sturm (quae ratio inter tertiam T.Livii decadem et L. Coelii Antipatri historias intercedat Würz- burg 1884) eingegangen werden. Die Voi-aussetzung Stijrm's, dass jede kleine formelle oder .sachliche Verschiedenheit gegen eine direkte Benutzung des Coelius spreche, ist nicht diskutabel.

72 VII. Coelius uud Claudius im 23. bis 30. Buch.

weise nach griechischen Schriftstellern gel)ildet hat. Er war ein Vertreter der rhetorisierenden Geschiclitschreibung der ciceronischen Zeit: Cicero scheint an ihm Gefallen gefunden zu haben, da er aus ihm allein die historischen Beispiele in der Schrift de officiis nahm (S. Wochenschrift für klassische Philologie 1890, Seite 1239—1245).

Diese allgemeine Charakteristik der beiden wichtigsten Quellen des Livius in der III. Dekade erleichtert es auch hier, die einzelnen Abschnitte, welche aus Coelius, welche aus Claudius entnommen sind, mit ziemlicher Sicherheit zu tremien. Es kommt aber noch em anderes wichtiges Hilfsmittel hinzu. Die Annalen des Claudius scheinen sich in der Zeit von Livius und Dionysius einer gewissen Beliebt- heit erfreut zu haben, sind aber später seltener gelesen worden. Jedenfalls haben sie keine Spuren in den Schriften der späteren griechischen Historiker, welche die römische Geschichte behandelt haben, hinterlassen.

Anders ist dies mit Coelius: sem Werk galt diesen letzteren so sehr als die Hauptquelle des zweiten punischen Krieges, dass sowohl Appian wie Dio, welche später den Polybius excer- pierten, diesen für den zweiten pimischen Krieg noch vernach- lässigten. Vor allem ist festzuhalten, dass Appian in der Annibaike, in der Iberike imd in seiner Libyke den grösseren Teil aus Angaben des Coelius zusammengesetzt, wahrscheinlich nach einer epitome Coe- liana geschrieben hat. Auch Dio hat das Werk des Coelius benutzt '), und Diodor hat jedenfalls, nachdem er Fabius bei Seite legte, einen Annalisten eingesehen, welcher Auszüge aus Coelius brachte.

Auf Grund dieser Ergebnisse war es mir in meinem Buch über 'Livius' Quellen in der III. Dekade' gelmigen, die aus Coelius herüber- genommenen Partien in Livius 23. bis 30. Buche festzustellen.

Zuerst musste dabei beachtet werden, dass Livius in den zahl- reichen Abschnitten über den hispanischen Krieg neben den poly- bianischen Exerpten, welche er in der Uebertragung des Claudius ausschrieb, den Coelius mit herangezogen hat^). So 24. 41 42;

1) S. Dione e Livio nella III IVe V Dacade (Riv. bimestr. di Antichitä Greche e Romane, di Garofalo, I, 1 (Nov. 1896 . Vgl, weiter 'Livius QueUen' VI, S. 90.

2) Nur ganz vereinzelt fügte er Angaben aus Antias hinzu. So 26, 17 und 26, 47, 6 f. Die an letzterer Stelle gegebenen Summen weichen von dem poly- bianischen Bericht (10, 17 f.) ab und entsprechen den sonstigen Angaben bei Antias. Der Gegensatz zwischen dem hauptstädtischen Bericht über die hi-

VII. Coelius um! Cliiudiu- im '2'6. bis 30. Huch. ~'.\

24, 48, 1—49, « •): 2«5. 18-20; 26, 48; 28, 19—23; 28, 3U, 1—81 1. -|.

Danehen war (\)elins, weini auch in j^erinj^ereni Uinfant^e. im afrikani-schen Krie^ von Livius nehen Polyhiu.s henntzt worden. Da- selbst wird mehrfach die nach Polybius angefangene Erzähhmi; be- endijjft oder ergänzt durdi kleinere Abschnitte aus Coelius. Die Schilderun«; der (.Tefan*;emiahme des Syphax 30. 11 12 oder die Vorgäu»;e nach der Schlacht bei Zama 80. 87 sind »oeiiaiiischen ürspnmgs, ferner 30, 44.

Noch mehr bevorzugte Livius das Geschichtswerk des Coelius bei der Vorgeschichte des afrikanischen Krieges. Dieser Aimalist hatte, wie die Fragmente des Coelius zeigen, die Vorbereitung zu jener Expedition in romanhafter Weise mit manchen Uebertreibungen dargestellt; grade dem aber entspricht manches im LiNans. Anderes ist dadurch für Coelius sicher gestellt, dass Appian imd Diodor mit ihm übereinstimmen; an einigen Stellen (z. B. 29, 6 9) zeigen jene Berichte, dass sie iu*sprünglich aus griechischer Quelle stammen, was gleichfalls für Coelius beweisend ist, da Livaus keine griech- ischen Quellen ausser Polybius benutzte, Coelius aber bekanntlich dem Silenus "imd wohl auch anderen griechischen Schriftstellern folgt ^). Aus Coelius schöpfte Livius also 29, 1, 1 1, 14; 29, 3, 6 4, 10; 29, 6 9 : diese drei Abschnitte bilden sogar ein unter sich zusammen- hängendes Ganze*). Femer 29, 21, 2—3; 29, 22, 1—12; 29,25, 1—4 (laut Citat), 29, 27, 14—28, 9 und (laut Citat) 29, 35, 2.

Nachdem so für das 28. bis 30. Buch die Spuren des Coelius überall mit genügender Sicherheit klargelegt werden konnten, wurde mit Hilfe der Fragmente wie aus der Uebereinstimmung mit Appian ('Livius' Quellen in der IIL Dekade' 63 f.) gezeigt, in wie weit in Livius 23. bis 27. Buch Coelius beachtet worden war. Eine Gruppe für sich bildeten die wenigen Kapitel, welche den Seekampf und die sardinisch-sicilischen Angelegenheiten behandelten, so 23, 40, 1—41, 7; 24, 1—3 (der Abfall von Locri undCroton^); weiter

spanischen Feldzüge 23, 48 und der coelianischen Erzählung derselben Vorgänge 24, 41 42 ist Hennes 29, 629 von mir dargelegt worden.

1) Zu 24, 48—49 vgl. 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 64.

2) Zu den übrigen Stellen vgl. eb. 23 und Phüol. 53, 615 f.

3) Philologus 53, 628.

4) 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 46 f.

5) Vgl. Philologus Supplement VI, 702 f., namentlich 708—709.

7^ VII. CoeUus und Claudius im 23. bis 30. Buch.

die Ergänzungen zu den Kämpfen um Syracus 24, 5; 24. 7, 1 9; 24, 27, 4—28, 9^); 24, 36, 3—39, 13; 25, 31, 12—15; 25, 40, 1—41, 7; 26, 39 (Seeschlacht bei Tarent) und 26, 40 (Ende des sicilischen Krieges); vgl. auch 27, 7, 1 6 den kritischen Exkurs derselben Herkmift und dazu Philol. 53.

Auch über den italischen Krieg hat Livius einzehie Abschnitte aus Coelius entlehnt. Es sind folgende ^) :

23, 6, 1— 5 25, 20. 1—4

23, 6, 8— 7, 3 26, 4, 1—3

23, 11, 1—14, 4 26, 6, 9—7, 10

23, 15, 1—6 26, 11,10—11

24, 13 26, 16, 1—3 24, 19, 1—20, 8 26, 38

24, 44, 9—47, 11 27. 12. 1—6

25, 15, 4—17 27, 15, 2—16, 16 25, 16, 5—25 27, 25, 11—29, 8 25, 17, 4—5

Endlich möge beachtet werden, dass dort, wo Livius wie 22, 9, 7—10, 10; 23. 11 und 25, 12 die Berichte über die Thätigkeit

1) Vgl. Philologus 53, 621 f.

2) Zur Begründung sind die betr. Abschnitte meines Buches 'Livius' Quellen in der III. Dekade' S. 145 f., S. 112 f. nachzusehen. 23, 6, 1—5; 7, 1—3 ist nach dem Citat aus Coelius (23, 6, 8) diesem zuzuweisen. Zu 23, 11 14 (wie zu 23, 40-— 41) vgl. 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 66 und 137—139. Die älteren Berichte über die campanischen Kämpfe 23, 15, 1 6; 24, 13 und 24, 19, 1 20, 8 sind eb. 140 und 116 f. auf Coelius zurückgeführt worden, stehen jedenfalls im Gegensatz zu den aus Antias und Claudius geflossenen Parallelberichten; bei diesen wie bei 24, 45—47; 25, 15, 4—17; 25. 16,5—25 (bez. 25 , 17 , 4 5) weist die Uebereinstimmung mit Appian (vgl. 'Livius' Quellen' 122) auf Coelius hin. Bei 26. 6, 9 7. 10 vgl. noch Fleckeisen's Jahr- bücher 1896, 73 gegen E. Bethe (incl. lect. Rost. L895. 10). 26, 11, 10—11 ist laut Citat aus Coelius, desgleichen auch wohl die Variante 26, 16, 1 3 (s. auch 'Livius' Quellen' 129). Auf ihn wird auch bei der genauen Ueberein- stimmung von Appian, Ann. 45 mit Liv. 26, 38 dieses letztere zu beziehen sein. Aus demselben Grunde führte ich 'Livius' Quellen' 114 die kurzen Abschnitte des 27. Buches auf Coelius zurück. Bei 27, 15. 2 16, 6 kommt die Verwandt- schaft mit Plutarch Fabius 21 23 hinzu: diese vita ist grösstenteils dem Coe- lius entlehnt (vgl. Zaberner Progr. 1896). Dass 27, 25 29 nur aus Coelius stammen kann, ist aus der Art des Citats 27, 27, 12 zu schliessen, wie 'Livius' Quellen' 69 erwiesen ward.

VII. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Kuch. 75

des Decemvir Q. Fiil)ius Pittor und Einzelheiten aus den Quinde- cemvirahikten mitteilt, er dieses indirekt aus Coelius thut, V^l. Zieliiiski 'die letzten Jahre des 2. punischen Kriej^es' 124 und Soltau, 'Linus' Quellen' H5.

Für die Arbeitsweise des Ldvius ergibt sich auch hier wieder eine verwandte Methode, wie er sie üi der IV. und V. Dekade be- folgt hat. Livius wählte sich für eine bestimmte Materie Eine Hauptquelle aus, oder wo sich ihm zwei verwandte Berichte dar- boten — zog er subsidiär eine zweite Quelle mit herzu. Für griechische und afrikanische Angelegenheiten folgte er, nachdem er erst einmal den Polybius zu Kate gezogen hatte, allein oder vorzugsweise diesem Berichterstatter, indem er nur aus dem bisher für hellenische Angelegenheiten zu welchen ja auch die sicilisch-sardinischen Vorgänge gehörten - benutzten Annalisten Coelius einige Er- gänzungen hinzufügte. Für den hispanischen Krieg folgte er vor- zugsweise dem Claudius, subsidiär wieder dem Coelius. Das Ver- fahren, für die hauptstädtischen Vorgänge neben Antias auch Piso heranzuziehen, entspricht in der III. Dekade demjenigen in der IV. und V.'

Selbst bei der Schilderung des italischen Krieges ist Livius von diesem Prinzip nur wenig abgewichen. Wie er in der IV. und V. Dekade für die norditalischen Kämpfe gegen Gallier. Ligurer und Illyrier, Antias und Claudius zu Rate zog, so hat er in der III. Dekade Coelius und Claudius meist nach einander mid ab- wechselnd ausgeschrieben.

In welcher Weise und in welchem Umfange dieses geschehen ist, das soll sogleich gezeigt werden. Zuvor soll nur auf die wenigen Ausnahmen einu'etfanoren werden, bei denen Livius liier daneben noch eine dritte Quelle mit herangezogen hat, den Antias.

Am ausführlichsten ist dieses da geschehen, wo am wenigsten Thatsächliches zu berichten war : im 23. Buch, bei der Quasihistorie des Jahres 215 v. Chr. Da wurde nach Antias von Forderungen der Campaner gefabelt (23, 6, 6), von denen Coelius nichts zu be- richten wusste (23, 6, 8); imd vielleicht wurden auch nach ihm 23, 10 Angaben über den römerfreundlichen Decius Magius nach- getragen '(Livius' Quellen' 146).

Bei den weiteren Kämpfen dieses Jahres in Campanien wies

76 VII. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch.

ich "Livius' Quellen' eine dreifache Berichterstattung nach. Nur 23, 15, 1 6 gehört liier Coelius an. Von zahlreichen Siegen und Kämpfen uni Nola wusste Coelius, der vielmehr erst bei Li\4us

24, 13. 8 von dem Abfall der Nolaner zu berichten fand, nichts. Statt dessen hat Liviiis, wie 'Livius' Quellen' 143 gezeigt ward, Avahr- scheinlich kürzere Abschnitte 23, 14, 5 13 und 23, 17 aus Antias eingelegt, welche den coelianischen Bericht in offizieller Ergän- zung luid Bearbeitung boten.

Auch bei der Darstellung der kriegerischen Vorgänge der Jahre 213 und 212 V. Chr. weist Livius deutlich genug auf diese dritte Quelle hin, s. 'Livius' Quellen' 117 129, Der Zweikampf z^vischen Crispinus und Badius kann weder auf Coelius (vgl. App. Ann. 38) noch auf Claudius (vgl. dessen Bericht 23, 46, 11) zurückgehen, und gleicher Herkunft sind die pontifikalen Angaben über den Tod des Gracchus

25, 16, 1—4 f. (bez. 17, 3—4). Das ganze Kapitel 17 ist der Auseinandersetzung mit der dreifachen Tradition bei Coelius, Claudius, Antias gewidmet. Auch bei 26, 11, 1 13, 3 ist wahrscheinlich das Bild von den Kämpfen bei Rom 26, 11, 1 7 aus hauptstädtischem Bericht und ebenso die eine von den beiden 26. 16 unterschiedenen Versionen: die Tifteleien 26, 16, 4 (und daneben auch 26, 12) weisen ziemlich deutlich auf die pontifikale Quelle hin. Ln Einzelnen s. 'Livius' Quellen' 127. Ln übrigen aber ist hier, wie schon 26, 4 f., eine dreifache Berichterstattung zu tremieu. 26, 11, 10 13 wird der vorher verworfenen Tradition des Coelius unter seinem Namen gedacht. 26, 7 ist nach Fleckeisen Jahrb. 1896, 73 f. gleichfalls aus ihm bez. aus einem Bericht geschöpft, welcher mit Polybius auf die gleiche Quelle (Fabius) zurückgeht, und ebenso vielleicht auch einige kürzere Einlagen (wie 26, 4, 1 3; 26, 6, 9 17;

26, 16, 5 13). Der Hauptbericht des Livius stammt aber weder aus Coelius noch aus Antias, er gehört den romanhaften Schildermigen des Claudius an, vne das soo-leich gezeigt werden ward.

Zur Ergänzimg ist endlich Antias' Chronik auch am Ende des

27, Buches herangezogen. Es galt den Eindruck zu schildern, welche die Nachricht vom Siege am Metaurus in Rom selbst ge- macht habe (27, 51), und dazu war entschieden der pontifikale Be- richt der geeignetste : er wusste zu erzälilen , wie die Tempel di'ei Tage lang gefüllt und alles voll Dankes gewesen sei. Aus andern

VII. Cot'lius und Claudius im 23. bis 30. Buch. 77

GrUmk'ii war auch der Abschlu.ss des dann t'()l«4en<leii spanischen Berichtes aus Aiitias her<rekitet (vj^'l. Phikil. 53, H()9 A. 48). Man beachte u. a. die iil)ei-triel)enen Sie^es))ulletins 28, 8, 6.

Dabei sei noch auf meine Ausfülirun<^'en über die Sophonisbe- episode 30, 12 15 "Livius' Quellen' 54 f. hinjjfewiesen. Auch sie er- gibt, dass Livius neben Coelius, dessen Bericht z. B. 30, 13 vor- wiegend zu Grunde liegt, die i)ikanterp Dar.stellung des Antias ein- gesehen hat.

Ich hatte nämlich eb. 52 gezeigt, wie. .schon Jii den histo- rischen Berichten der ersten Hälfte des 29. Buches Coelius und Antias abAvecliselnd ausgeschrieben worden sind, zugleich al)er, dass Antias eine geu^isse Verwandtschaft mit der coelianischen Tradition ven-ät. Antias kannte die coelianische Er- zählung, verband aber mit ihr die offiziellen Berichte und gestaltete sie mehrfach in willkürlicher Weise um." Dasselbe Verhältnis liegt auch 30, 12 15 vor.

Um endlich festzustellen, in Avelchem Umfange Claudius vom 23. bis zum 30. Buche benutzt worden ist, darf wohl soviel betont werden, dass auf Grund der bisherigen Untersuchmigen über die III. bis V. Dekade drei Kriterien für die Autorschaft des Claudius entscheidend sind, ein negatives und zwei positive :

1. üeberall wo weder die hauptstädtische Berichterstattmig des Piso oder Antias vorliegt , noch auch die bei Appian . Dio, Plutarch (vit. Fab.) vertretene Berichterstattimg des Coelius mit Livius' Bericht Verwandtschaft zeigt, ist eine Benutzung des Claudius a priori wahrscheinlich ;

2. dort, wo sich polybianische Abschnitte in latemisclier Ue))ertragung und ergänzt durch annalistische Zusätze finden, sind sie em sicheres Anzeichen für jenen Claudius, welcher Abschnitte aus Polybius und Acilius ins Lateinisch ^ übertragen hat');

3. überall, wo wie in der IV. und V. Dekade^) freierfundene Schlacht- berichte die Thaten einzelner angesehener Geschlechter, so der ComeHi Scipiones einschliesslich der den Scipionen venvandten älteren Gracchen, der Claudii, der Fulvii, zu er]iel)en suchten,

1) S. oben V S. 51 f.

2) Vgl. Philologus 52, 680 f., 688 f. 'Livius' Queüen' 130.

78 "^^11- Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch.

sind die Ausführungen des Claudius von Livius ausgeschrieben, von ihm höchstens rhetorisch erweitert worden.

Auf Grund des 2. Kriterums konnte namentlich die Mehrzalil der hispanischen Kriegsberichte diesem Scribenten gutgeschrieben werden. Das ist geschehen in V S. 52.

Aus den unter 1 und 3 angegebenen Merkmalen folgt nun für die geschichtliche Tradition über den italischen Krieg 215 204 V. Chr. folgendes:

Im 23. Buch ') sind die romanhaften Schildermigen von Capuas Abfall 23, 1 4; 8—9 ebenso wie die unhistorischen Schlachtbe- richte, welche des Marcelhis (23, 15, 7—17. 1 nebst 23, 18, 1—19, 7; 23, 41, 13—48, 3) und des Gracchus Heldenthaten (23, 35—37) zu schildern wussten, höchst wahrscheinlich aus Claudius entnommen.

Aus ähnlichen Gründen wurden ('Li\dus' Quellen' 112 f.) 24, 14, 2 17, 1 die unhistorische Schilderung vom Tode des Gracchus und des Revanchekampfes 25, 13, 1 15, 3 (bez. 15, 18—20), sowie die Erzählungen von den Siegen des M. Claudius Marcellus 27, 1 2^) und 27, 12, 6 15, 1 dem Claudius zugewiesen. Der besonderen Anpreisung der Thaten des C. Claudius Nero ist 24, 17, 1 8; 25, 22, 5—16 und 27, 41—42; 27, 46, 1—50, 2 gewidmet, während die Fulvier 25, 20, 5—22, 4 3); 26, 4—6 und 26, 8—10 henw- gehoben \\'Tirden.

An allen diesen Stellen sprechen ausserdem gewichtige Gründe dafür, dass weder Antias noch Coelius die Urheber dieser Scliildermigen sein können. Im Einzelnen ist dieses von mir 'Livius' Quellen' 112—131 gezeigt worden.

Noch sind ausser einigen Variantenangaben *) zwei Kampfes-

1) Vgl. dazu 'Livius' Quellen' 139 f. 148.

2) 27, 2 war der erdichtete Sieg des Marcellus , welcher die Niederlage des Fulvius 27, 1 wieder ausgleichen sollte. Ueber die Qualität der Marceller- siege s. Fleckeisen Jahrb. 1896, 129 (Napos und Plutarchos).

3) Allerdings wird hier die Niederlage des Cn. Fuhäus geschildert. Aber dieser Bericht ist doch dem Fulvius günstiger ('Livius' Quellen' 119), als die pontifikale Tradition des Antias 26, 2, 8 f. ; 25 , 21 wird Fulvius mehr durch die Soldaten zum Kampf gedi-ängt. Liv. 25, 21, 9 (dux stultitia et temeritate Cen- tenio par, animo haud quaquam comparandus) kann sehi- wohl ausschmückende Zuthat des Livius sein.

4) So 25, 17, 1 2; 6 7 zufolge meines Nachweises ('Livius' Quellen' 121 f.), dass der historische Bericht von Coelius und Antias den Fall des Gracchus nach Lucanien verlege ; vielleicht auch 26, 47, 5 f. und 30, 37, 13.

\1I. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch. 79

schildenmgen dem Claudius entlehnt worden '): 25, 19, 9—17 enthält den Schwindelbericht vom Fall des Centenius, (Ut nur eine Doublette von 22, 8 ist, 30, 18 aber weiss von den ausserordentlichen Kriei^s- leistimgen des weiter kaum Ijekannten Prokonsul M. Cornelius gegen Mago zu erzählen. Derartige detaillierte Schlachtberichte finden sich l)ei keinem sonstigen Annalisten. Die genaue Bezeich- nung der einzelnen Legionen mid der einzelnen Offiziere soll den Eindruck des Authentischen machen, eriimert auch wirklich an die tagebuchartigen Memoiren Cäsars: zu 30, 18 vergleiche man z. B. die Darstellung der Nervierschlacht !

Im Folgenden soll jetzt eine Uebersicht über die aus Coelius mid Claudius geschöpften Abschnitte des 23. 30. Buches gegeben werden. Die wenigen polybianischen Einlagen sind mit hinzugestellt. Ueber die. hauptstädtischen Berichte von Piso und Antias s. oben III. Nur soweit dem Antias Ergänzungen zur Kriegsgeschichte entnommen sind, sollen dieselben auch hier notiert werden.

23. Buch.

1—4 Öl. 18, 1—19, 7 Cl.

5 L. 19, 8—20, 3 (C.) A.

6, 1—7, 3 C.

(6, 6—7 A.) 26—29 Cl.

7, 4—12 A.

8—9 Cl. 35—37 Cl.

10 A. 38 A.

11, 1—14, 4 C. 39 P.

14, 5—13 A. 40, 1—41, 7 C.

15, 1—6 C. 41, 8—12 P.

15, 7—17, 1 Cl. 41, 12—48, 3 Cl.

17 (18, 10—16) A. 48, 4—49, 14 A.

24. Buch.

1—3 C. 5 C.

4 Polybius 6 Polybius

1) Ueber 24, 20, 9—16, welches vielleicht auch noch dem Claudius ent- nommen worden ist, siehe Livius Quellen 116. Es ist der Abschluss des clau- dischen Berichts von 24, 17, 8.

80 VII. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch.

7, 1—9 C. 27, 4—28, 9 C.

29, 1—36, 2 Polybius

9, 7—11 C. 36, 3—39, 13 C.

40 A.

43, 1—14, 1 C. 41—42 C.

14, 2—17, 8 Gl.

18 A. 44, 9—47, 11 C.

19, 1—20, 8 C. 47, 12—16 P.

20, 9—16 Gl. 48, 1—49, 6 G.

21, 1—27, 3 Polybius 49, 7—8 P.

25. Buch.

7, 10—11, 20 Polybius 20, 1—4 C.

12, 1 P. (vgl. 7, 9) 20, 5—22, 4 Gl.

12, 2—15 G. 22, 5—16 A.

13, 1—15, 3 Gl. 23, 1—31, 11 Polybius 15, 4—17, 7 G. 31, 12—15 G.

(aus A. 16, 1—4; 17, 3—4; aus 32, 1—39, 11 Gl.

Gl. 16, 1; 17, 1—2; 6—7) 39, 12—18 Gl. P. A.

18, 1—19, 8 A. 40, 1—41, 7 A. (G ?)

19. 9—17 Gl. 41, 8—13 P.

26. Buch. 4, 1—3 G. 17 A.

4, 4—6, 8 GL 18—20 G.

6, 9—7, 10 G.

8—10 Gl. 24, 1—26, 4 Polybius

11, 1—9 A.

11, 10—13 G. 38—40 G.

12, 1—13, 3 A. 41—51 Gl.

13, 4—19 Livius (Varianteu 47, 5—10; 49, 1—6 14—15 Gl. C. A.)

16 G. (16, 4 A.)

27. Buch.

1—2 Gl. (2 A.?) 12, 6—15, 1 Gl.

7, 1—6 G. 15, 2—16, 16 G.

17, 1—20, 8 Gl.

12, 1—6 G.

VII. Coeliuf- und t'liuiiliii> im 2'.i. bis 30. Buch. Hl

25, 11-29, 8 C. 43-44 A.

29, 9—33, 5 Poljbius 45 Livius

4t), 1— 5U, 2 Cl. 41-42 Cl. 50, 3-51, 13 A.

28. Buch.

1, 1—2, 14 Cl. 30, 1—31, 7 C.

2, 14—4, 7 A. 32— 3r, C].

5—8 Polybius

^ 45, 13—46, 1 C.

12, 10—19, 1 Cl. 46, 2—6 A.

19—23 C. 46. 7—16 C. (14 A). 24—29 Cl. (27—29 L.)

29. Buch.

1, 1—14 C. 21, 4—13 A.

I, 15—3, 6 Cl. 22 C. (22, 10 Clodius?) 3, 6—4, 10 C. 23—24 A.

5 A. 25, 1—4 C.

6—9 C. 25, 5—27, 13 Cl.

27, 14—28, 9 C.

12 Polybius 28, 10—29, 5 Cl.

29, 6—33, 10 Polybius

21, 1—3 C. 34—35 Cl. (35, 2 C. A.)

30. Buch.

3— 10 Polybius. (3, 6; 6, 8 A.) 36, 7—11 A.

II, 1—12, 10 C. 37, 1—6 Polybius 12, 11-15, 14 A. (13 auch C.) 37, 7—12 C.

16 Polybius (16, 12 A.) 37, 13 Cl.

17 A.

18 Cl. 44, 1—3 Livius

44, 4—11 C.

24, 5—25, 12 Polybius 44, 12—45. 4 P.

45, 5 Polybius

29. 1—36, 6 Polybius (29, 7 A.) 45, 6—7 Livius.

Soltau, Liviusquellen.

82 VII. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch.

Der vorstehenden Tabelle ist noch eine Bemerkimg hinzuzu- fügen über den Grad der wissenschaftlichen Sicherheit, welcher den durch sie zum Ausdruck gebrachten Ergebnissen iimewohnt.

Die vortreffliche sachgemässe Anzeige meines Buches 'Livius' Quellen m der III. Dekade', welche A. Bauer in der Zeitschr. f. östr. Gymnas. 1896 S. 1012 gegeben hat, hebt hervor, dass meine Schrift „an dem Fehler so vieler Quellenmitersuchungen leide, dass sie in der Benennung der Primär- imd Mittelquellen zu weit gehe mid zu viel im Ehizelnen auf bestimmte Gewährsmänner zurück- führen wolle."

Zwar sollte es eigentlich gerade die Aufgabe jeder derartigen Quellenuntersuchungen sein, nur bestimmte Resultate zu geben, nicht bei allgemeinen Vermutmigen stehen zu l^leiben. Aber aller- dings, ehe spezielle Angaben ohne genügende wissenschaftliche Siclier- heit gemacht Averden, wäre es, das ist Bauer einzuräumen, vielleicht besser gewesen, an manchen Stellen die 'ars nesciendi' zu üben.

Wenn dieses auch liier wieder vmterlassen worden ist, so bedarf es einer begründenden Rechtfertigung, welche zeigt, wodurch denn die wissenschaftliche Sicherheit der obigen Angaben auch im Ein- zelnen gewährleistet werde.

In der That darf nicht verschwiegen werden, dass die ge- fmidenen Resultate nicht durchweg mit gleicher Sicherheit aufrecht erhalten werden können.

Treffend bemerkte Bauer, dass die Beantwortung der Frage, „wie das unstreitig vorhandene polybianische Gut in diesen Büchern zur Kenntnis des Livius gelangt sei, noch die meisten Chancen einer befriedigenden und eiuigermassen sicheren Lösung biete". Nur hätte er daneben anerkennen sollen, dass eben diese Feststellmig dessen, was im Livius polybianischen Ursprungs sei und darauf kommt es für den Historiker doch allein an von mir bereits mit absoluter Sicherheit gegeben worden sei. Hier konnte z. B. ein Versuch, auch nur ein einziges Kapitel (26, 7) weiterhm als poly- bianisches Eigentum zu erklären, mit der grössten Bestimmtheit zurückgewiesen werden ^).

1) Siehe gegen E. Bethe, Index lect. (Rostock 1896 S. 10 f.) Fleckeisen Jahrb. 1896, 73.

VII. Coelius und Claudius im 28. bis 30. Buch. g3

Daneben hürf^t die sachliche Ei<(enarti^keit der hauptstädtischen Annalistik diit'ür, dass es keinem einfallen könnte, sie als polyhi. misch oder clandisch anznsehen. Mir wenigstens ist nicht bekannt, dass von irgend einer Seite der von mir Philol. 52, f)H4 gegebene Nach- weis dafür, was unter hauptstädtischer oder pontifikaler Aimalistik zu verstehen und nach welchen Gesichtspunkten die ältere Bear- beitimg dieser Aufzeichnungen durch Piso von der jüngeren des Antias zu scheiden sei , beanstandet worden ist ^). An einigen wenigen Stellen mag man ja zwischen Piso und Antias schwanken, aber vom Standpunkt des Historikers ist auch dieses selbst meist völlig irrelevant.

Aifch der Nachweis, dass, soweit sich noch sonstige Angaben griechischer Quellen (Silenus , Eumachos von Neapolis) im Livius vorfinden, Coelius der Vermittler z^aschen griechischen Schrift- stellern und Livius war ^), kann vernünftiger Weise nicht beanstandet werden.

Daneben aber mag zugestanden werden, dass, wenn auf Grund mancher Fragmente oder aus der Vei-wandtschaft des Livius mit Appian oder Plutarch geschlossen worden ist, dass an nicht wenigen Stellen Coelius direkte Quelle des Livius gewesen ist, dieses Re- sultat nur einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit besitzt. Namentlich ist es an mehreren Stellen (z. B. 21. 3 4; 22, 1; 22, 38—40; 23, 11—14 u. a. m.) nicht ausgeschlossen, dass Antias, die Angaben des Coelius tiberarbeitend, die direkte Quelle des Livius gewesen ist. Nicht überall gelang es so scharf wie beim 29. Buch ('Livius' Quellen' 46) die Kapitel, welche direkt auf Coelius zurück- gehen, von der antiatischen Bearbeitung zu trennen.

Am wenigsten sicher sind endlich die Ergebnisse, welche bei einer Untersuchung mancher Kriegsberichte des 23. 27. Buches gewonnen worden sind. Hier vermag zwar derjenige, welcher die Eigen- art eines Coelius oder eines Claudius klar durchschaut hat, mit einer ziemlichen Sicherheit eine subjektive Entscheidung zu geben. Auch haben die Aufstellungen über das, was für Claudius charak-

1) Dagegen sprach sich zustimmend aus u. a. A. 1\T. A. Schmidt, Wochen- schr. f. klass. Phil. 1895, 771.

2) Vgl. Soltau, die griechischen Quellen in Livius 23. bis 30. Buch Philo- logus 55, 626 f.

6*

84 Vn. Coelius und Claudius im 23. bis 30. Buch.

teristisch ist, immerhin die Willkür der Entscheidung begrenzt. Aber ebensowenig wie das Eigentum des Coelius völlig von dem des Antias geschieden werden kann, können auch die Grenzen zwischen Coelius und Claudius überall mit absoluter Gewissheit ge- zogen werden. Hier möge dann der Leser in jedem einzelnen Fall die spezielle Begründung beachten und den Grad der Sicherheit, mit welchem die Entscheidimg bemessen ist, selbst nachpriifen. Ohne Begründung ist keine einzige Aufstellung gemacht worden.

85

VIII. Die poiitilikalen Uuellen der I. Dekade.

Die Möglichkeit, aucli für alle Teile der I. Dekade die Quellen festzustellen, konnte bestritten werden bei der geringen Ajizahl von Fragmenten, welche über die Geschichte der ersten beiden Jahr- hunderte der römischen Republik handeln. Auch müs^sten dahin gehende Versuche schon deshalb Bedenken erregen, weil bisher nicht allzuviele Spezialarbeiten diesen livianischen Abschnitten gewidmet ge- wesen sind, und ausserdem gleich bei einer der am meisten behandelten Partien (über die ersten republikanischen Zeiten bis zur Stiftung des Tribmiats) die bisherigen Ergebnisse sehr widerspruchsvoll lauten.

In der That wäre es kaum möglich, eine Analysienmg der I. Dekade zu geben, ohne die gesicherten Resultate, welche über die späteren Dekaden gewonnen worden sind.

Nachdem jedoch bei diesen, namentlich bei den letzten 15 Büchern soviel klar hervorgetreten war, dass sämtliche annalistischen Berichte in zwei sehr verschiedenartige Bestandteile geschieden werden komiten, dass die auf pontifikaler Chronistik beruhenden Annalen eines Piso und eines Antias in einem scharfen Gegensatz standen zu den Machwerken der rhetorisierenden Annalenschreiber, vor allen Dingen des Claudius, ist auch die Sachlage bei der I. Dekade weniger verzweifelt geworden.

Eine sorgfältigere Betrachtimg der verschiedenartigen Geschichts- darstellung in den einzelnen Abschnitten der ersten Dekade \nrd zu der gleichen Erkenntnis führen, dass sich auch hier überall die in letzter Instanz auf pontifikale Aufzeichnungen zurückgehenden Jahresberichte von den rhetorischen Schildenmgen jüngerer und jüngster Annalenschreiber scheiden lassen.

Jene verraten teils noch den trockenen Lapidarstil der alten Pontifikaltafel, teils zeigen sie in der mangelnden stilistischen Ver-

gg VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade.

knüpfung der Einzelberichte, dass auch sie auf einer Bearbeitmig ähnlicher, relativ alter Chroniknotizen beruhen. Der Standpunkt aller dieser Berichte ist derjenige der Pontifices und der Optimaten.

Davon durchaus verscliieden sind die Berichte einer rhetorisch ausgeschmückten Geschichtschreibung-, welche überall durch die Lebhaftigkeit der Darstellung und das bestinmite Detail ül)er die beschriebenen Situationen den Eindruck hervorzurufen suchte, dass der Berichterstatter bei dem Erzählten zugegen gewesen wäre ^).

In der III. bis V. Dekade sind dieser Art vorzugsweise die breiten Exkurse des Claudius, der auch seit Ende des 5. Buches seine Aimalen begamien erst mit der AUiaschlacht nicht selten von Livius ausgeschrieben ist. In der I. Dekade und namentlich in den ersten Büchern smd dagegen L i c i n i u s M a c e r und L. A e 1 i u s T u b e r 0 die Repräsentanten jener modernen Amialistik bei Livius gewesen, deren Schilderungen oft mehr einem historischen Roman, als geschichtlichen Berichten gleichen.

Andererseits darf nicht verkannt werden, dass die Scheidung der pontifikalen und der rhetorisch-annalistischen Abschnitte gerade in der I. Dekade auch einigen eigenartigen Schwierigkeiten begegTiet.

Zmiächst muss bedacht werden, dass ja auch der Hauptver- treter der ersteren, Valerius Antias, keineswegs alles rednerischen Schmuckes entbehrte, und dass derselbe grade bei manchen Schil- denmgeu einer sagenhaften Vergangenheit sich weniger eng an seme pontifikalen Vorlagen gebmiden haben wird, als später. Dieses er- schwert es in manchen Fällen, die Grenze zwischen beiden Arten von annalistischen Darstellungen zu ziehen und zwar umsomehr, als ja auch die jüngsten Annalenschreiber keineswegs überall die ältere Tradition vernachlässigt haben. Tubero wenigstens greift, wie gezeigt werden kami ^) , mehrfach auf die Angaben der ältesten Annalisten, Fabius und Piso, zurück.

Hier wird es erst mit Hilfe anderer Kriterien ^) mögKch sein.

1) Für die Beibehaltung des Wortlautes der pontifikalen Aufzeichnungen sind z. B. charakteristisch 2, 16 oder 3, 30, 7—8; 4, -34, 6; 5, 13, 4—8. Für die geringe stilistische Verbindung mancher pontifikaler Berichte ist zu ver- gleichen 6, 1; 7, 1; 8, 1; 10, 1 u. s. m.

2) Fleckeisen Jahrb. 1897, 416.

3) Vgl. namentlich Abschnitt IX XI XIV und meinen Aufsatz 'Macer und Tubero' Fleckeisen Jahrb. 1897, 409 f.

Vlll. Di.' puntitikaloi (..lu.'llni ,i.T 1. D.kailr. >7

die Entscheiduiii; iuuli im Einzelnen mit der erforderlichen Sicher- heit zu tlillen.

Aber :iuch noch Uiicli einer iin(U'm Seite hin erwachsen dem- jenigen, wehher die Quellen der ersten Dekade schürfe)- zu sondern sucht, grössere SchAvierigkeiteu als in den späteren Dekaden. Hier waren die Angaben des Piso und Antias meist schon an der Art, wie sie sich zu den Aufzeichnungen der Pontifices gestellt hatten, imschwer von emauder zu scheiden. Piso bot für die späteren Zeiten im Wesentlichen nicht viel mehr als die gleichzeitig niederge- schriebenen Notizen des pontifikalen Jahrbuchs^). Antias dagegen gab eine a u s f ü h r 1 i c h e r e U e b e r a r b e i t u n g cler älteren Chronik - notizen, vielfältig ,auf Grund von Akten imd Privatberichten " die offiziellen Angaben erweiternd.

Gerade dieser charakteristische Gegensatz fällt für die Zeit, welcher die I. Dekade des Livius gewidmet ist, fort. Denn nirgends benihen die Angaben über die beiden ersten Jahrhmiderte der Repu- blik auf gleichzeitigen Aufzeichnungen der Pontilikaltafel. „Nicht nur die späteren Prodigienberichte, sondern überhaupt alle Arten von Angaben, welche noch sonst auf der späteren Pontifikaltafel enthalten waren, fehlen in Livius' I. Dekade" ^) so gut wie ganz.

Soweit hier eine Jahr für Jahr mit gleicher Kegehnässigkeit er- zählende Berichterstattvmg pontifikaler Art vorliegt, beruht sie auf Rekonstruktion : auf die mn das Jahr 120 v. Chr. zusammengestellten annales maximi ').

Um so Avichtiger ist es, die für die Eigentümlichkeiten der Pisonischen Amialen sonst noch gefundenen Kennzeichen zu beachten mid mit ihrer Hilfe die direkte Herkimft einiger livianischer Ab- schnitte aus ihm darzuthun.

Die Annalen Pisos zeichneten sich durch ihre strenge Sachlich- keit, durch einen Mangel an stilistischer Verbindung der einzelnen Nachrichten, durch die Kürze der Kriegsberichte aus. Daneben traten, trotz ihrer amialistischen Anordnung, die Eponymen mehr

1) Philologus 52, 666.

2) Philologus 55, 264.

3) Gegenüber den vielfach irrigen Vorstellungen von einer ausgedehnten historiographischen Thätigkeit des Pontifikalkollegiums ist mein Aufsatz über die annales maximi einzusehen Philol. 55, 271 f., wodurch auch die Einwände von CiCHORiDS Pauly-Wissowa unter 'annales maximi') beseitigt werden.

gg "VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade.

in den Hintergrund. Die Erzählung der älteren republikanischen Geschichte war mit Intervallangaben versehen, was darauf schliessen lässt , dass eme konsequent nach Eponymen geordnete Berichter- stattung nicht stattgefunden hat.

Aus dieser Beschaffenheit der pisonischen Annalen folgt zuerst negativ zweierlei

1) dass Piso bei den breit ausgemalten Kriegsberichten der I. De- kade nicht benutzt ist, mid

2) dass Piso selbst in den zahlreichen Jahresberichten ^), welche streng nach Eponymen geordnet sind, nicht Haupt- oder all- einige Quelle gewesen sein kami.

Dagegen verrät sich die direkt-pisonische Herkunft teils durch die Art der Ausdrucksweise, teils durch die Beschaffenheit der chronologischen Angaben in folgenden Abschnitten:

2, 8, 6—9, 1 zu V. 245 (vielleicht schon 2, 7, 5—8, 5).

2, 18, 1 5 zu V. 253 (2, 18, 5 apud veterrimos auctores T. Lar-

cium dictatorem primum . . . mvenio). 2, 19, 1 4 zu V. 254 (2, 19, 2 nee ultra bellum Latinum glis-

cens iam per aliquot annos dilatum). 2, 21 zu V. 257—259 (vgl. 2, 21, 1 und 2, 21, 4).

2, 40, 10—41, 2 zu V. 267—268 (nach dem Citat aus Fabius 2, 40, 10, welches letztere schon bei Piso gestanden haben könnte).

2, 51, 1—3 zu V. 277 : 2, 58, 1—2 zu V. 283") (Piso auctor est . .).

3, 23, 7 zu 295 (apud plerosque auctores . . . nuUa apud ve- tustiores scriptores eins rei mentio).

3, 30, 7 8 zu V. 297 (tricesimo sexto anno a primis tribunis plebis

decem creati sunt). 3, 31, 1—2 zu V. 298—299 (3, 31, 8 zu V. 300). 3, 32, 1—33, 1 zu V. 301—303 (3, 33, 1 amio trecentesimo altero

quam condita Roma est, iterum mutatur forma ciAdtatis). Vgl. 4, 7, 1.

1) Diese Ausführungen stehen im Wesentlichen auch schon Philologus 56, 124 127. Zur Begründung des obigen vgl. auch das voraufgehende das. 118 f.

2) In meinem Aufsatz über die annales maximi Philologus 55, 273 stellte ich derartige, in letzter Instanz auf die annales maximi zurückgehende Jahres- berichte aus dem 6. 10. Buche zusammen. Siehe unten S. 91 f.

3) Weniger sicher ist, ob 2, 15 16 direkt aus Piso stammt. Im Wesent- lichen ist der Bericht entschieden pisonisch ; 2, 32, 3 ist Piso indirekt benutzt.

VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade. 89

Weiter bietet das A. Biuli (vielleicht iil);j;e.sel)eii von :?. '».'). 1 4) keine pi.soiiischen Bestandteile. Im 4. Buch ist au.s.ser ge- legentlichen Zusätzen') nur ein grösserer Abschnitt den annales vetustiores direkt entnommen: 4, 30 (= V. 324 32<)). dazu etwa noch die Variante 4. 34, (i 7 (classi quoque ad Fidenas pugnatum cum Veientibus quidam in annales rettulere) "). Noch dürftiger ist Fiso in der zweiten Hälfte des fünften Buches vertreten. Die roman- haften Schilderungen der Gallierkatastroj)he siiul auf einem ganz anderen Gnmde gewachsen, als auf dem der „älteren Annalen. "

Allenfalls könnten im livianischen Bericht 5, 49, 8 50, 8 und 5, 55, 3 5 auf Piso zurückgehen. ebensowoM aber auch auf andere Weise (z. B. durch Antias) dem Stadtbuch entnommen sein. Dagegen sind wahrscheinlich mehrere sakrale Mitteilungen zu An- fang dieses Buches, so 5, 13, 4 8, die genau mit Piso bei Dionys 12, 9—10 übereinstimmen, soAvie 5, 16, 8—17. 3 imd 5, 21, 8—9 aus Piso herzuleiten. Die letzte Erzählmig führt sich schon selbst als eine Einlage ein : 'inseritur liuic loco fabula', die erste Erzählmig ist aber eine Doublette aus älterer Quelle für das bereits aus pon- tifikaler" Berichterstattung gebotene 5, 15'). Auch 5, 31 ist \nel- leicht gleicher Herkmift. Anderes, wie 5, 27 die Erzählung von dem faliskischen Schulmeister, stand wahrscheinlich ähnlich auch schon im Piso, ist aber direkt einer andern Quelle (dem Antias ohne Zweifel) entlehnt.

Ebenfalls beschränkt ist die Benutzung der pisonischen Aimalen m der II. Pentade des Livius. Hier haben die grösseren Kriegsbe- richte mit ihren kapitellangen rhetorischen Ausführungen *) die kürzeren Berichte der annales maximi zeitweise völlig verdrängt. Das ganze 10. Buch ist so eine Sammlung von romanhaften, völlig unhistorischen Schilderungen, zwischen die sich mu- hie und da als Variante eine Anofabe aus Piso oder Antias verloren hat. Aus einem

1) So ist wohl schon 4, 22 7 und 4, 29, 7—8 aus älteren Annalen nach- getragen.

2) Vielleicht noch einige Zeilen weiter 4, 35. 1 4.

3) An dieser Stelle werden zuerst die prodigia im Allgemeinen erwähnt, dann der "interpres fatis oblatus senior quidam Veiens'. Darauf folgt 5, 17, 1 noch einmal : 'ingens haberi captivus vates coeptus'.

4) Ich erinnere u. a. an 9, 1 12 an die Caudinische Katastrophe oder an die P]pisode über Fabius und Papirius 8, 30 37.

90 VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade.

dieser letzteren stammt 10, 1; 10, 23: 10. 31, 1—9 mid 10. 46, 10 47, 7. Von diesen trägt aber allein die zweite Hälfte des letzten Abschnitts 10, 47, 3 7 jenen eigentümlich pisonischen Charakter. 10, 46, 10 f. stammt, mit seinen genauen Verlustan- gaben, eher aus Antias, ebenso wie der Kriegsbericht 10, 31. Piso ist also in diesem ganzen Buche höchstens dann eingesehen worden, wemi es galt eüiige Zusätze nachzutragen, wie z. B. 10, 9, 12 14; 10, 47, 3—7, vielleicht auch 10, 23, 11—13. Doch ist selbst da nicht absolut sicher festzustellen, ob alle diese Bemerkungen ihm direkt oder indirekt entnommen sind, wenn auch wegen der aus Piso direkt entlehnten Abschnitte 9, 46 mid 10, 9, 12 14 das erstere wahr- scheinlicher ist.

Noch weniger ist eine sichere Entscheidung bei den vorauf- gehenden Büchern 6 9 möglich. In diesen komite zwar, \\'ie ich in meinem Aufsatz über 'die Entstehmig der aimales maximi'- (Philologiis 55, 257) gezeigt habe, mit Leichtigkeit das ausge- schieden werden, was auf die pontifikale Geschichtschreibimg und Geschichtsrekonstruktion zurückging. Auch leidet es keinen Zweifel, dass die überwiegende Mehrzahl jener daselbst zusammengestellten ca. 60 Abschnitte (meist von kleinerem Umfange) nicht aus Piso herstammen kann ; aber völKge Sicherheit ist hier nicht zu geAvümen. Lassen die aus der III. V. Dekade dem Antias zugewiesenen Kapitel einen Analogieschluss zu, so wird bei den meisten dieser Kapitel der I. Dekade gleichfalls Antias der Autor gewesen seia, in dessen Bearbeitung die Berichte der Stadtchronik dem Livius zugeflossen sind.

Jedenfalls ist die Zahl der pisonischen Abschnitte im 6., 7. mid 8. Buch ^) sehr gering, auch ist sie kaum an irgend einer Stelle der Art, dass die Annahme emer mdirekten Entlelmung ausge- schlossen wäre.

Dagegen ist ja, wie soeben bemerkt wurde, eine direkte Be- nutzung Pisos am Ende des 9. und zu Anfang des 10. Buches anzunehmen.

9, 44, 3 wird Piso citiert, 9, 46 stimmt im Wortlaut mit Piso fr. 27 und 10, 9, 12 14 muss Livius gleichfalls seine Amialen

1) Wahrscheinlich sind aus Piso 6, 4, 4—6; 6, 5—6, 3; 8, 15, 6-9; 8, 17, 6—12 vielleicht schon von 8, 16, 3 ab, 8, 22, 1—4 ; 8, 25, 1—4. Bei anderen Stellen so 7, 6, 1—6 und 7, 27—28 ist dieses schon fraglicher.

VIII. Die pontifikalen Quollen der 1. Dt'kade. 91

vor Augen gehabt haben. Dabei ge\vinnt es an Wahr-scheiiilicli- keit, dass Livius gerade in diesem Budie ancli einige der durch den bekannten pisouischen Lapidarstil ausgezeiclineten Abschnitte direkt aus ilim entlehnt hat. So 9, 20; 26, 1—5; 28, 7 f.').

Der jedenfalls nur begrenzten Benutzung Pi.sos in der I. Dekade steht gegenüber die bei weitem ausführliche. Ausnutzun«; der zweiten poutitikalen Quelle. Wenn nicht zu leugnen sein wird, dass Antias in den Berichten der IV. imd V. Dekade der Hauptrepräsentant der amiales maximi und ilirer erweiterten und überarbeiteten Berichte der Pontifikaltafel ist. so wird auch bei der I. Dekade ein Gleiches angenommen werden dürfen.

Soweit hier zahlreiche Abschnitte „auf eine planraässig ange- legte Chronik" zumckgehen, welche verschiedene Menschenalter hin- durch gleichmässig weiter geführt worden ist, werden die Spuren der durch Antias überarbeiteten Stadtchronik auzuerkennen sein.

So z. B. in jenen Jahresberichten, welche (wie Liv. 6, 1 ; 7,1; 10, 1) in ermüdender Gleichförmigkeit, aber sachlich und glaub- würdig stets über dieselben Angelegenheiten Bericht erstatten. So breite "Angaben über die Erwählung der Konsuln , eventuell mit Hinzufügung der Interregna, kurze Angaben über kriegeri.sche Er- folge und Triimiphe, über Anlage von Kolonien, über ädilicische Multen, Weihgeschenke und Tempelweihen"'^).

Die Elemente aus denen diese Berichte zusanunengesetzt waren, waren von der einfachsten Art. Von irgend einem Versuch '), einen pragmatischen Zusammenhang zwischen den Begebenheiten herzu- stellen", ist keine Rede.

Auf Grmid dieser Erwägimgeu haben meine Aufsätze Philol. 55, 273 und 56, 128 eine grosse Anzahl von Kapiteln des 2. bis 10. Buches auf diese pontifikale Quelle bezogen. Es sind folgende: 2, 33, 3—34, 8 zu V. 261—263 2, 36 zu V. 263 2, 42—43 zu V. 270—274

1) Auch 9, 42, 1 2, hinter welchem ein anderer Bericht eingeschoben ist, den Livius 'in quibusdam annalibus' fand, könnte sehr wohl dieser Her- kunft sein.

2) Philologus 55, 273.

3) Eb. 274.

92

YIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade.

2, 48, 1—4; 49, 9—12 zu V. 275—276 2, 51, 4—52, 8 (53) zu V. 278—279 2, 60 zu V. 283

2, 62, 1—64, 2 zu V. 284—285

3, 1, 1—2, 1 zu V. 287—289 3, 3, 7—10 zu V. 289

3, 5, 12—15 zu V. 290

3, 8, 10—11 zu V. 292

3, 10, 5—7 zu V. 293

3, 22. 1 zu V. 294

3, 22, 2—23, 7 zu V. 295

3, 24, 10—11 zu V. 295

3, 30, 2—8 zu V. 297')

3, 32—34 zu V. 301—303. Erst nach der überaus breiten tendenziös wie rhetorisch ausge- schmückten Schilderung des Ausgangs der zweiten Dezemvirn folgen dann gegen Schluss des Buches emige Abschnitte, wie sie bereits das Stadtbuch geboten haben wird; so

3, 55 zu V. 305

3, 57, 7—10 zu V. 305

3, 65, 1—4 zu V. 306

3, 65, 5 f. zu V. 307

3, 71—72 zu V. 308 2)

4, 7, 1—2; 4—6 zu V. 310 4, 8 zu V. 311

4, 11 zu V. 312

4, 12, 1—5 zu V. 313

4, 21 25 (abgesehen von kleineu pisonischen Einlagen 4, 25

zu V. 318—322) 4, 29, 7—30, 12 zu V. 323—327 (4, 30, 13 31, 1 wahrscheinlich aus Piso) 4, 31 zu V. 328

4, 44. 11—45. 4 zu Y. 334 und 335 4, 47. 7—8 zu V. 337—338

1) Vielleicht standen ganz ähnliche Ausführungen wie 3, 32 33 nicht nur bei Piso, sondern auch bei Antias.

2) Doch wahrscheinlich rhetorisch durch Livius erweitert.

VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekml.-. 93

4, 51, 7—53. 13 zu V. 341—344

4, 58 zu V. 347—348

4, 59, 1 10 zu V. 348

4, 61 zu V. 349 imd 350 (5, 1 zu V. 351)

5, 10, 1—9 zu V. 353 5, 13, 1—2 zu V. 354

5, 13, 9—17. 10 zu V. 355—357') 5, 24. 1—3 zu V. 359 5, 27, 1—28, 5 zu V. 360 5, 31, 1—33, 4 zu V. 362—363. Vielleicht dass auch noch in dem reich ausgeschmückten Phan- tasiebild, welches Livius von der Gallierkatastrophe entwirft, kleinere Fragmente der Stadtchronik angehört haben, ^vie z. B, 5, 49, 8 50, 8 oder 5, 55.

In Livius' 6. 10. Buch gehören dem Antias an:

-368

Liviu.«

; 6, 1; 6, 4, 3—6

zu

Varronisch

365

6, 4, 7—12

zu

366

n

6, 5, 6 6, 3

zu

n

367-

•n

(6. 10. 6—9)

(zu

»

368)

•n

6, 11. 1

zu

n

369

n

6. 21

zu

?)

371

.,

6. 22, 1—5

zu

n

372

6, 30

zu

n

375

B

6, 31

zu

V

376

T

6, 36. 1-6

zu

»

384

n

7. 1. 1—6

zu

n

388

1)

7. 1, 6—10

zu

T)

389

n

7, 2, 1-3

zu

n

390

7, 3, 1—5

zu

n

391

T!

7. 6. 1—6

zu

n

392

f)

7, 9, 1—3

zu

n

393

n

7, 12, 1—5

zu

»

395

1) Im einzelnen bleibt hier mehrfach zu untersuchen, was direkt dem Piso entnommen, was einer jüngeren Quelle, vermutlich also dem Antias ent- lehnt ist. Oben S. 89 wurde 5, 13, 4—8; 16, 8—17, 3 aus Piso hergeleitet, ebenso später 5, 21, 8—10.

94 VIII. Die pontifikalen Quellen der I. Dekade.

Livius 7, 12, 6—9 zu Varroiiisch 396

7, 15, 8-16,3; 16, 7— 9 zu 396-397

« 7, 17 zu 398

« 7, 21-22 zu 401-402

7, 26, 12-15 zu 405

7, 27, 1—4 zu 406—407

7, 27, 5—9 zu 408

7, 28, 1—6 zu 409

7, 28, 6—10 zu 410

8, 1, 1—2, 4 zu 413

8, 13, 1—9 zu 416

« 8, 15 zu 417

8, 16, 1—6 zu 418

8, 16, 12—14 zu 419

8, 17, 1—5 zu 420

8, 17, 6—12 (Piso?) zu 422

8, 22, 1—4 zu 426

8, 25, 1—4 zu 428

8, 29, (1—10) 11—14 zu 429

8, 37, 3—38, 1 zu 431 (432)

9, 21 zu 436—438

« 9, 25 zu 440

9, 28, 2—30, 10 zu 441—443

9, 38, 1—3 zu 444

9, 41, 1—7 zu 446

9, 42, 1—2 zu 447

9, 43, 22—44, 2 zu 448

9, 44, 5; 16 zu 449

9, 45 (46 Piso) zu 450

10. 1, 1—6 zu 451

10, 1, 7-2, 2 zu „" 452

10, 9, 3-9 zu 454

10, 15, 1—6 zu 457

r, 10, 23 zu 458

10, 31, 1-9 zu 459

10, 46, 10-47, 7 zu 461

95

JX. Die Laudatioueiilitteratiir.

Em Vergleich der Kriegsberichte, welche clie amialistischen Quellen des Li\aus in der IV. und V. Dekade bieten, mit denen, welche sich in der I. Dekade finden, zeigt, dass ein bedeuten- der Gegensatz zwischen denselben besteht, namentlich in Hinsicht auf die Genauigkeit der Einzelheiten, des Persönlichen, der Lokal- beschi-eibmig. Abgesehen von den Absclmitten, welche Livius dem Polybius entlehnt hat, gibt Livius in den letzten Büchern meist nur kurze Angaben über die Schlachten, welche die Römer gegen die Völker des Westens und des Nordens geschlagen haben. Nur ver- einzelt, namentlich bei den Thaten der Fidvier, Claudier, Cornelier unterbrachen ausführlichere rhetorische Schilderungen von römischen Erfolgen die meist eintönige Herzälilung der Annalen. Sie waren das Werk des Claudius.

In der ersten Dekade, namentlich bei den zunächst in Betracht kommenden 5 letzten Büchern derselben, ist dieses anders.

Auch hier werden wieder einige Schlacht- und Siegesberichte, welche von den Thaten römischer Helden so zu erzählen ^vussten, als wäre der Autor selbst mit dabei gewesen, auf Claudius zurückge- führt werden können (X). Aber weit umfangreicher sind die Ab- schnitte, welche der Familiengeschichte einiger der angesehensten anderen Geschlechter gewichnet sind; gerade diese rhetorischen Schil- deningen aber sind charakteristisch für die erste Dekade ^).

So heben sich z. B. die Berichte über das, was die Licinier Bedeutendes für Rom gethan haben, bestimmt genug von der sonstigen

1) Im Allgemeinen vergleiche man Fridericus Vollmee, laudationum fune- brium Romanorum historia et reliquiarum editio (Lips. 1891), bez. schon die ältere verdienstliche Schrift H. Graffius, de Romanorum laudationibus comm. (Dorpati 1862), Marquardt Handbuch 7^ 357. Im Besonderen möge man auch folgende Schriften beachten: MoMMSEN, Rom. Forsch. 1,45; 54; Nitsch, Rhein. Mus. 23, 613; 24, 151; daneben Hüebnee, Hermes 1, 440 f.

96 IX. Die Laudationenlitteratur.

Berichterstattung ab. 6, 34 42 ist fast nichts anderes ^) als eine laudatio des bekannten Volkstribmis, wobei auch ein anderer Licinier C. Licinius (6, 39, 3) lobend erwähnt und Einzelheiten über die Verwandten des Volkstribuns (6, 34, 5 f.) vorgebracht werden. Diese, ,wie XI noch aus andern Gründen darlegen wird, zweifellos aus Licinius Macers Annalen geflossenen Faniilienberichte ^) werden 7, 9 vervollständigt unter ausdrücklichem Hinweis auf diesen Autor (7, 9, 4) : 'Macer Licinius (dictatorem) comitiorum habendorum causa et ab Licinio consule dictum scribit . . . quaesita ea propriae fa- miliae laus leviorem auctorem Licinium facit, cum mentionem eins rei in vetustioribus amialibus nullam inveniam' etc. Aehnlicher Her- kunft sind die Erzählungen über seinen Geschlechtsgenossen P. Li- cinius Calvus 5, 12; 5, 18; 5, 20.

Noch ausgedehnter ist die Benutzung eines fabischen Familien- berichtes, der wenigstens oft nur durch die Vermittlung der jüngsten Annalisten Macer mid Tubero ^) dem Livius bekamit geworden ist. Das zeigen die seltsamen Verdrehungen der Wahrheit, welche Livius nach diesen beiden 10, 9, 10; 10, 11, 9 vorbringt, dies die überaus breiten sonstigen Schilderungen von den Thaten des Fabius RuUianus. So im 10. Buche 10, 13; 10, 15, 7—11; 10, 21, 11—22, 9, in den voraufgehenden 8, 18 ; 8, 39, 16 *), namentlich aber bei der Episode Fabius-Papirius 8, 30, 1—37, 2; ferner 9, 22—25; 9, 33 35; 9, 41, 8 20. Livius selbst ist die vielfach einseitige Art der Berichterstattung, sowie dass derartige Triibmigen der historischen Wahrheit den Laudationen ihre Entstehung verdankten, keineswegs unbekannt geblieben. Das zeigt 8, 40, 4 'vitiatam memoriam funebribus laudibus reor falsisque imaginum titulis'.

Mehrfach finden sich mit solchen Angaben emer fabischen laudatio diejenigen einer Schrift verbunden, welche die Decier zu feiern suchte. So 7, 34, 1—37, 4; 8, 9 ; 9., 40, f.; 10, 16—17;

1) 6, 36, 1 6 und der Sclüuss von 6, 38 (vgl. 6, 38, 9 ut scripsere qui- dam) ist aus einer zweiten Quelle eingelegt, wie die zweistelligen Beamten- namen zeigen, aus Antias (nicht aus Tubero).

2) Vgl. auch Ed. Luebbert, de gent. Rom. commentariis domesticis, Grissae 1873.

3) Fleckeisen Jahrb. 1897, 409 f.

4) Der dort citierte Beiücht der 'quidam auctores' wird dann zu Gunsten einer Erzählung über die fiktiven Grossthaten eines M. Fabius bei Seite gelassen.

IX. Dio Lauiiiitiontnlittorutur. 97

10, 22; 10, 25, 17—26, 4; 10, 27, 1—29, 4. Es ist augenschein- lich, ilass diese rhetorischen Schihlerun^en nicht den iilt«'ren pouti- fikiilen Berichten anf^ehüren kihmen. Da sie obenein eine Bekannt- schaft mit den von Macer gebrachten fabischen Berichten verraten, z. T. nur eijie ergänzte Ueberarbeitung der fabischen Laudationen- angal)en bieten ^), so können sie kaum einem andern als dem jüngsten Annalisten, dem T u b e r o , ihre Einfühnuig in die römische Gescliidits- darstellimg verdanken.

Weniger ausgiebig benutzt finden sich in Livius' 10. Buch Spezialberichte über die Po stumii (10, 32 f.) und die Atilii (10, 35 f.). Laudationenangaben über die letzteren hatte Tubero fr. 8 u. 9 ausge- schrieben imd bei der Erzählung des Postumius wird wohl derselbe Autor*) die direkte Quelle des Livius gewesen sein; wahrschein- lich aber wird dieselbe schon früher durch den Familienhistoriographen A. Postumius Albiiius in die Litteratiir eingeführt sein. Ihr Wider- spruch mit Fabius und Claudius ist durch Liv. 10, 37, 13 f. bezeugt.

Dagegen hat eine andere annalistische Quelle des Livius die weder dem fabischen noch dem decischen Geschlecht günstig war die Thaten der V o 1 u m n i e r in den VordergTmid zu stellen ge- sucht: 10, 18—20; 10. 29, 5—20; 10. 40—42.

Aus dem 2. 5. Buche sind nicht so zahlreiche Abschnitte, wie in den letzten Bilcheni der I. Dekade, auf Berichte zu beziehen, welche der Familiengeschichte des einen oder des andern angesehenen Geschlechtes gewidmet waren. Nur selten, und dort meist auf ältere Tradition zuilickgehend, tritt das fabische Geschlecht in den Vorder- giTind. So z. B. bei den sich häufenden Fabierkonsulaten 269 276. Einer rhetorisch ausgeführten Spezial-Schrift über die Fabier ver- danken jedoch auch hier eüiige Abschnitte ihre Entstehung, so 2, 44, 7—47, 12; 2, 48, 5—49, 8; 2, 50; 3, 2, 2—3, 6. Manches weist auch bei diesen Abschnitten auf Licinius Macer hin (vgl. oben S. 96 mid XI). Doch ist eme definitive Entscheidmig der späteren Spezialuntersuchung vorzubehalten.

In ganz anderer Ausdehnung sind jedoch zwei weitere patricische Gesclilechter in Livius' I. Pentade berücksichtip-t : die Quinctier imd die S e r v i 1 i e r.

1) Das ist z. B. 10, 24 f. der Fall.

2) Vgl. zu dieser Behauptung Fleckeisen Jahrb. 1897 'Macer u. Tubero' V. Abschn.

Soltau, Liviusquellen. 7

98 IX- Die Laudationenlitteratur.

Die Quinctier sind vornehmlich in folgenden Abschnitten verherrlicht:

2, 64, 5 65, 7 die Einnahme von Antium durch T. Quinctius.

3, 4, 7 5, 12 des T. Quinctius' Sieg über die Aequer. 3, 11, 3 13, 10 der Prozess des Caeso Quinctius.

3, 19 21 die vermittelnde Thätigkeit des L. Quinctius Cincinnatus. 3, 25 29 die Diktatur des L. Quinctius Cincinnatus (zu An- fang der Quästor T. Quinctius Capitolinus).

3, 65, 5 70, 14 der Aequersieg des T. Quinctius Capitolinus,

4, 12 16 sechstes Konsulat des T. Quinctius Cajjitolinus (Spu- rius Maelius).

4, 17 20 die That des Cossus, L. Quinctius Cincinnatus ma- gister equitum.

4, 26 T. Quinctius Pennus Consul (vgl. 4. 31—34).

4, 40 41 Freisprechung des T. Quinctius.

Auch 6, 12 13 und 7, 39 41 ist em Quinctier die Haupt- person bei der Schilderang der militärischen Vorgänge.

Die Servilier feiern u. a. 4, 46 47; 5, 8 9*).

Die Qualität der Berichte über die Quinctier ist offenkundig. Entweder es sind Reden und rhetorische Ausftthnmgen, welche die vermittelnde und patriotische Gesinnmig der Quinctier preisen : dann ist ihr später Ursprung nicht zu bestreiten oder sie sind erv/eis- lich falsch : dann beruhen sie natürlich ebenfalls auf späten Ansätzen.

3, 67 68 bietet eine Rede des T. Quinctius Capitolinus. deren Effekt 3, 69, 1 bezeichnend genug so charakterisiert wird: 'raro alias tribuni popularis oratio acceptior plebi quam tunc severissimi consulis fuit.' 3, 27 enthält allgemeine Anordnungen und Ermah- nungen des Diktators, 3, 19 eine eindringliche Ansprache des Cmcin- natus. Mehrere andere grössere Abschnitte haben nur den Zweck, die wohlwollende und vermittelnde Thätigkeit einzelner Quinctier hervorzuheben; sie enthalten keine Einzelheiten von sachlicher Be- deutung. So 3, 19 21, wo die zügellose Plebs durch allerlei staatsrechtliche Erwägungen in Zaum gehalten wird mid wieder eine der tuberonischen Erzählung^) Liv. 10, 15, 8 f. entsprechende

1) Von den vorhergenannten Stellen ist auch 2. 64—65 den Thaten eines Serviliers gewidmet. 4, 13 ist Cincinnatus dictator, C. Servilius Ahala ma- gister equitum, vgl. 4, 26 f.

2) S. oben S. 96 und 10, 9, 11 und 10, 11. 9.

IX. Dil- Lauthitiononlitt^ratur. 99

Nacliricht von einer beubsichtif^en, aber nicht effektuierten Wieder- wahl des Konsuls vorkonunt. 3, 69 70 ffilit ausser einer nichts- sagenden Schlachtbeschreibung eine Erzählung ähnlich derjenigen in 3, 20. wie es einem Quinctier gelungen, den Widei^stand der Tri- bunen zu bezwingen. Auch 4. 40 41 ist eine durch Reden aufge- bauscht« Gerichtsverhandlung vor der Plebs: der wesentliche Grnmdder Freisprechung wird erst 4. 41, 12 der Erzählung äusserlich angehängt.

Noch bedenklicher steht es mit der historischen Richtigkeit von 2, 64 f., C, 70 f., 4, 17 f. Die Einnahme von Antiuni. Avelche sich 2. 64 65 findet, ist zwar nicht die Erfudung einer einzelnen Quelle, sondern stand schon bei den verschiedensten Annalisten. Sie hat als RealgTund die (möglicher Weise historische) Deduktion von Kolonisten (3, 1) auf einen Teil des volskischen Gebiets von Antium. Aber darum sind weder die Einnahme, noch gar die theatralischen Einzelheiten des Kampfes historisch. Der Sieg und der Triimiph des T. Quinctius CapitoHnus scheinen nach 3, 70, 14 recht fraglich ge- wesen zu sein*). Noch schlimmer steht es bekanntlich ^) um den Cossussieg unter 317 und die Beteiligning eines Quinctiers dabei miter "jenem Jahre, worüber Livius 4, 17 f. zu erzählen weiss.

Diese Gebilde der jüngsten Amialenschreiber sind damit wohl genügend als ganz wertlose Laudationenberichte gekennzeiclmet, deren Ausführlichkeit in merkwürdigem Gegensatz zu ihrer Glaub- würdigkeit steht. Ihre formelle und sachliche Verwandtschaft weist auf einen einzigen Autor hin, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, vor allem das Qumctische Geschlecht, nebenbei auch die Ser- vilier hervorzuheben.

In der ganzen III., IV. und V. Dekade finden sich Absclmitte verwandter Art wohl noch bei Claudius, nicht aber bei einem an- dern Schriftsteller, weder in den polybianischen noch in den pisonischen und antiatischen Schildermigen. Weiter macht schon die Tendenz der Erzählungen dieser Laudationenberichte es unmöglich, irgend welche grössere Bestandteile auf Licinius Macer zurückzuführen. Kömite schon danach nur der Ciceronianer Tubero in Frage kommen, so entscheidet vollends für ihn, dass schon an zweien jener Abschnitte

1) Triumphum nee ipsos postulasse nee delatum is ab senatu aeeipio, nee traditur causa spreti aut non sperati honoris.

2) Vgl. Soltau, Rom. Chi-onologie 380. 470.

7*

\QQ IX. Die Laudationenlitteratur.

der politische Parteistandpunkt auf Tubero als Quelle hinweist'). Gegenüber dem demokratischen Bericht 4, 49, 7 51, 1 aus Macer wird nach XI die abschwächende Schilderung nur auf Tuberos Einfluss hergeleitet werden können, welcher auch 4, 45, 5 49, 6 vielfältig die licinischen Angaben überarbeitet und gelmdert hat ^). Dass der Parteistandpunkt Tuberos durchaus der Gesinnung ent- spricht, welche die Berichte über die Wirksamkeit des Caeso Quinctius (3, 11, 3 13, 10), die Reden und die Thätigkeit des L. Quinctius Cin- cinnatus (3, 19 21; 25—29), sowie die Erzählung von der Frei- sprechung des T. Qumctius Capitolinus (4, 40 41) zur Schau tragen, bedarf keiner weiteren Beo-ründunor.

1) 4, 13, 7 werden die libri liiitei citiert, welche Livius nur in den An- gaben des Macer oder des Tubero kennt (vgl. 4, 7, 12; 4, 20, 8; 4, 23, 2). Da Macer nicht in Frage kommen kann (abgesehen etwa von der Variante 4, 16, 3 6) so bleibt Tubero als allein denkbare Quelle des Livius übrig.

2) Auf die Thätigkeit eines solchen Annalisten hat im Einzelnen Lueb- bert hingewiesen in seinen 'observationes criticae de T. Livi libri IV. fontibus' (Gissae 1872) S. 16. 4, 46, 11 folgt den jüngsten Annalisten.

101

X. Claudius.

Nachdem zuerst die Bedeutung der beiden ])ontifikalen Quellen Piso und Antias für LiA-ius' I. Dekade gewürdigt, sodann die ganz andersartigen Laudationenbericlite der jüngsten Annalisten beleuchtet worden sind, A^ärd es erwünscht sein, noch besonders des Annalisten Claudius zu gedenken, welcher zu den wichtigeren Quellen des Livius allerdings erst von der zweiten Hälfte der I. Dekade ') ab gehört.

Die von Livius erwähnten Citate der I. Dekade beziehen sich auf denselben Claudius Quadrigarius, welcher in den späteren Büchern benutzt ist, und von welchem sich manche Excerpte bei Gellius und den Grammatikern finden. Auch gab es von diesem Autor nur Ein Annalenwerk: daneben wahrscheinlich was nur für die III. Dekade in Betracht kommt eine rhetorische laudatio der Scipionen, namentlich zu Ehren des älteren Africanus^).

An dieser Stelle soll nmi vornehmlich auf einige für sein Werk charakteristische Darstellungen der IL Pentade hingewiesen werden.

Ich zeigte in meiner 'Rom. Chronologie' 358, dass die von Livius bis V. 459 berichteten elf Galliereinfälle nur zur Hälfte wirklich historisch gewesen seien. Die fünf von Polybius 2, 18 f. nach Cato erwähnten Galliereinfälle gehören in die Jahre 394, 405, 425, 455 und 459. Alle übrigen Gallierkriege sind nur durch falsche An- Sätze von Livius' Quellen in sein Geschichtswerk hineingeraten; ja es war im einzelnen möglich zu zeigen, dass grade die von Poly- bius erwähnten Intervalle und ihre irrige Uebertragung in die nach Konsulatsjahren geordnete städtische Chronik jene fehlerhafte Ver- vielfältigung verursacht haben. Wenn dies aber richtig ist, so kann auch mit gi;tem Grunde angenommen werden, dass es ein luid

1) Seine Annalen begannen erst mit Roms Einnahme vaiT. 364.

2) Vgl. S. 62 u. meinen Aufsatz 'Claudius Quadrigarius' Philologus 56, 432.

102 X. Claudius.

dieselbe Quelle, der gleiche Annalist gewesen ist, welcher die verkehrten chronologischen Ansätze verschuldet hat. Dazu kommt, dass ja mehrere jener verkehrten Zeitangaljen unterein- ander m Beziehung stehen. Der tumultus von 404 sollte offenbar der Kampf sein, welcher im 12. Jahre nach 393 erfolgt war. Von den beiden tumultus von 39B und 422 zeigte ich 'Rom. Chronologie' 364 f., dass sie von einem Annalisten angesetzt seien, welcher die Dikta- torenjahre nicht mitzälilte und zugleich l)ei 396 wie Polybius (12 + 13 4- 30 =) 55 Jahre vor 455 = 396') einen Kampf mit den Galliern ansetzte. Schon diese Indicien führen darauf hin, dass Claudius der Urheber aller dieser Kampfesberichte gewesen sein wird. Claudius hatte sich bei der Geschichtserzählimg der hispanischen Feldzüge 536 548 ein verkehi-tes chronologisches System gebildet mid zwar vorzugsweise miter Berücksichtigimg der Angaben des Polybius. Wenn hier bei den 'tumultus Gallici' gleichfalls die An- sätze des Polybius benutzt erschemen und ähnliche chronologische Verschiebungen hervorgebracht haben, wie in Livius Buch 25 28, so ist die Folgerung gestattet, dass auch hier wieder dieselbe Hand des Claudius mit im Spiele war. Keine andere Quelle des Livius ausser Claudius verrät eine Kunde des Polybius. Aber es folgt dies auch aus der Beschaffenheit jener fehlerhaft angesetzten Be- richte selbst. Zu dem GalKereinfall von 387 sagt Livius: 'bellatum cum Gallis eo anno circa Anienem flumen auctor est Claudius, inclitamque in ponte pugiiam, qua T. Maulius Gallum . cmn quo provocatus manus conseruit, in conspectu duorum exercituimi caesum torque spoliavit, tum pugnatam. pluribus auctoribus magis adducor, ut credam decem haud minus post annos ea acta, hoc autem anno in Albano agro cum Gallis dictatore M. Furio signa conlata'. An dieser Stelle ist es also Claudius, welcher einen Angriff der Gallier 387 angesetzt hatte. Livius verwarf zwar diese seme Angabe, brachte aber dann unter 393 (7, 9) eine Erzählmig. welche durchaus dem Fragmente 10 des Claudius entspricht. Auch der Zweikampf des Jahres 405 (Livius 7, 26) ist ganz ähnlich wie Claudius fr. 12 erzählt, und wenn der Bericht auch hier an richtiger Stelle 405, nicht 404 erscheint , so ist er doch offenbar eine Ergänzung der

1) Die 4 Diktatorenjahre zählen bei dieser Rechnung natürlich nicht mit.

X. Claudius. 1(H3

von Liviiis 7. 24 unter 404 geschilderten Känipfe : jener von Liviu.^ selbst über 404/405 vei-teilte Gallierkanipf ist vielmehr aus chro- nologisehen und stilistischen Gründen auf einen einzigen Bericht, welchen Claudius unter dem .lahre 404 brachte, zurilckzuführen. Weniger sicher ist die Herkunft der Gallierkriege bei Livius 7, 12, 5 15, 8. Klar ist zwar, dass die Erzählung von dem 'Galliens tu- miiltus' 394 (7, 11, 4) nicht aus Claudius stammen kann, welcher denselben ja teils imter 387 teils bei 393 schon absolviert hatte. 7. 11, 4 12, 9 geht vielmehr in letzter Listanz auf die pontifikale Gesdiichtschreibimg zurück, ist ein (ev, durch Tubero erweiterter) Bericht des Antias '). Die darauf folgende phrasenhafte Schilderung der Kämpfe (zu 396) steht dann aber in einem scharfen Gegensatze zu den kurzen annalistischen Angaben vorher und nachher. Sie entspricht durchaus den sonstigen Kampfesberichten des Claudius^) und die soeben- erwähnten chronologischen Erwägiingen weisen noch bestimmter auf ihn hin.

Somit ist auf Claudius zurückzuführen:

1) Livius 6, 42, 5 6.

2) 'Livius 7, 9, 6—10. 14.

3) Livius 7, 12. 10— 15, 8.

4) Livius 7, 23, 1—25, 1.

5) Livius 7, 26, 1—13. Vgl. auch 8, 17, 6—7.

Ersvägungeu ganz anderer Art führen darauf hia, dass auch im 8. und 9. Buche des Livius grössere Kriegsberichte aus Claudius entnommen worden smd. Li meiner Abhandlung „Eine annalistische Quelle m Cicero de officiis IIP (Wochenschrift für klassische Philo- logie 1890 Nr. 45, 1239—1245) zeigte ich, dass der Amialist, welcher von Cicero bei seinen jener Schrift eingestreuten Beispielen aus der römischen Geschichte benutzt worden ist, kein anderer als Claudius war. Es wird weiter unten (in XII) gezeigt werden, dass danach mehrere mit Cicero's Angaben übereinstimmende Berichte, z. B. einige Kapitel über die caudinische Katastrophe, gleichfalls aus Claudius hergeleitet werden müssen.

Ausserdem zeigt die Aehnlichkeit einiger Fragmente des Claudius über jene Zeit (vgl. fr. 14 = Livius 8, 19, 13; fr. 15 = Gell. N.

1) Rom. Chronologie 361 und oben S. 93.

2) Vgl. Soltau, 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 131.

1Q4 . X. Claudius.

Att. 6, 11, 7 = Livius 8. 27 (vgl. fr. 16 = Gell. N. Att. 2, 19, 7), dass auch an diesen Stellen Claudius Quelle des Livius gewesen ist. Der Gegensatz, in Avelcliem diese Kampfesbericlite z. B. zu der bekannten Scliilderung der Schlacht zwischen Latineni und Römern 8, 8 f. stehen, ist augenscheinlich. In dieser letzteren besitzen mr zwar auch keine gleichzeitigen Berichte, sondern nur das Pro- dukt der antiquarischen Studien eines Amialisten der späteren Zeit. Aber dieselben sind doch durch und durch sachlich gehalten, geben eme Fülle von wertvollen Notizen über die römische Mani- pularordnung, kurz sind ebenso gedankenreich, Avie jene rhetorischen Schlachtgemälde des Claudius gedankenarm smd.

105

XI. Macer und Tubero ).

Ausser den beiden pontifikalen Quellen hat Li\ius in der ersten Pentade allein, in der zweiten wenigstens vorherrschend *) noch zwei der jüngsten Aimalisten eingesehn und seiner' Methode entspre- chend — auch ausgeschrieben. Es sind C. Licinius Macer und L. Aelius Tubero.

Diese beiden wichtigsten Quellen von Livius' I. Dekade erfor- dern eine besonders emgehende Betrachtung.

Für die Art der Benutzung dieser beiden Schriftsteller zeugt die entscheidende Stelle Livius 4, 23, 1 : 'Eosdem consules insequenti anno rßfectos Juliuni tertium Verginium iterum apud Macrum Li- c i n i u m invenio. Valerius Antias a t q u e ') Tubero M. Manlium et Q. Sulpiciuni consules in eum annuni edunt. ceterum in tarn discre- pante editione et Tubero et Macer libros linteos auctores profitentiu*: neuter tribunos militum eo anno fuisse traditum a scriptoribus anti- quis dissunulat. Licinio libros haud dubie sequi linteos placet ; [ et] Tubero incertus veri est. sit inter cetera vetustate incomperta hoc quoque in incerto positum'. Die Art und Weise, Avie Livius hier bei einer besonders schwierigen Kontroverse, offenbar unter Anwendung der ihm zu Gebote stehenden kiitischen Hilfsmittel, die Wahrheit zu ergründen sucht, bürgt dafür, dass er die für diesen Fall ihm notwendig erscheinenden Quellenwerke, soweit er derselben habhaft werden konnte, zu Rate gezogen hat. Gerade diese Stelle ist also besonders beweiskräftig für die Beschaffenheit der von ihm l)enutzten Annalisten und seine Wertschätzung derselben. Livius hält es hier

1) Dieser Abschnitt giebt vielfältig Auszüge aus meinem Aufsatz 'Macer und Tubero' Fleckeisen Jahrbücher 1897, 409 f.

2) In diesen daneben den Claudius , welcher seine Geschichtsdarstellung erst mit der Gallierkatastrophe begann.

3) Nicht 'et Q. Tubero', s. Hermes 29, 631 f.

10(5 XI- Macer und Tubero.

sogar für überflüssig, die Berichte der 'scriptores antiqui' bez. den Piso nachzuschlagen '). Auch die ihm noch wertvoller erscheinen- den libri lintei sieht er nicht persönlich ein, trotzdem ihre Angaben bei Macer und Tubero sich widersprachen. Die schwerwiegenden Widersprüche seiner Quellen glaul)t er, trotzdem er dabei sich be- denkliche Blossen giebt, nicht übergehen zu dürfen, weil sowohl Macer als Tubero kritische Erörterungen über diesen Punkt geboten hatten.

Danach ist mit Notwendigkeit anzunehmen, dass für Einzelheiten der mnern römischen Geschichte, vor allem bei Fragen über einzelne Persönlichkeiten, Macer und Tubero, die Grundlage von Livius' Ge- schichtswerk gebildet haben. Ganz dasselbe folgt aus Livius 10, 9, 10 und aus den Stellen (vgl. 4, 7, 10; 4, 20, 8; 9, 38, 13; 9, 46, 2), an welchen Licinius Macer allein von Livius bei derar- tigen Angaben genannt worden ist, nämlich dass Livius vorzugsweise die Vertreter der jüngeren Annalistik, welche ihm zugleich die An- gaben der libri lintei boten, bevorzugt hat. Bei der Uebereinstim- mmig semer jüngsten Quellen erwähnt er die ältere von beiden oder gar nur die libri lintei (4, 13, 7),

C. Licinius Macer, ein Zeitgenosse des Sisemia, ist der Haupt- vertreter der nachsullanischen Annalistik.

Ganz besonders gut sind wir über seine Parteistellung unter- richtet, da uns eine Rede desselben bei Sallust (Hist. fragm. III, 82 Kritz) erhalten ist, und Ciceros Hass gegen ihn vor allem dem ge- fährlichen Gegner der Optimatenherrschaft galt. Wenn ein Mann, welcher so inmitten der heftigsten Parteikämpfe stand und als Vor- kämpfer der Plebs für die Rechte des Tribmiats und der sonstigen Volksfreiheiten eintrat, Geschichte schrieb, so kann dies kaum anders als mit jenem Gifte und Hasse geschehen sein, welcher die miter- driickten Demoki-aten nach Sullas Tod erfüllte. Macer war auch em begabter Redner und, wie selbst der Hass Ciceros zugestehen muss, ein sehr sorgfältiger Sachwalter ^). Höchst wahrscheinlich ist also in seiner Geschichtsdarstellung das rhetorische Element stark vertreten gewesen. Die Leidenschaftlichkeit und die Entschlossenheit,

1) Neuter tvibunos milituiu eo anno fuisse traditum a scriptoribus antiquis dissimulat.

2) Brutus 67, 238.

XI. Miic.T un<l Tubei-o. 1((7

mit welrher der von der Verurteihinix Bedrohte noch durch einen Selbstmord seinen feindlichen Hichtorn zu ent<;ehen wusste. um woiiitr- stens seiner Familie das Vcrmöixen zu retten, ist charakteristisch für diesen Mann, welcher wohl mehr dem Parteihasse als der Gei-echti^- keit seiner Richter erlegen ist.

Vorzugsweise die Zeiten zu er<>Tiinden . von denen niiui lushi-r am wenigsten ANiisste. und dabei ein Bild von jenen Kämi»fen zu entwerfen, welche, ^vie namentlich der Kampf um die plebejischen Hechte und Freiheiten, für ihn imd seine Partei den grössten Wert hatten : das war die Aufgabe, welche sich INIacer in seinem Annalen- werke gestellt hatte.

Von Bedeutmig für die Art der Schriftstellerei Macers ist auch das, was Cichorius über seine Fasten festgestellt hat. Cichorius') zeigte, dass die verschiedenen Fastenlisten des Livius, Dionysius. Diodorus, flie fasti Capitolini. die Fasten des Idatius, des Chronicon Paschale und des Chronographen verschiedener Herkunft seien. Die trotzdem be- stehende üebereinstimmung in den nomina der Beamten gewinnt zwar dadurch an historischer Glaubwürdigkeit, immerhin ist aber die Verschiedenheit in den cognomina der Art, dass sie auf verschiedene Redaktionen zm-ückgeführt werden muss. Bei diesen findet nach Cichorius eine Üebereinstimmung statt zwischen Idatius und dem Chronicon Paschale, mid deren Quelle führt auf dieselbe Fastenliste, welcher Livius und Dionys ihre dreistelligen Konsulnamen entnom- men haben. Diese Grundquelle kann nur Liciuius Macer sein.

Etwas weniger bestimmt ist unsre Kunde über Tubero ^).

Cicero sagt pro Ligario 4, 10 von diesem Lucius Tubero, er sei ein 'homo cum ingenio tum etiam doctrina excellens' und erzählt 7, 21 von ihm 'domi una eruditi, militiae contubemales (im Bundes- genossenkrieg), post adfines ^), in omni denique vita familiäres: magimm etiam nnculum, qnod iisdem studiis semper usi sunuis'. Bei diesem Urteile Ciceros dürfen wir annehmen, dass der Amialist Tubero eine ähnliche rhetorische und juristische Ausbildimg wie Cicero genossen, dass er einen ähnlichen Parteistandpimkt wie Cicero

1) De fastis 208 (diss. Lips. 1886).

2) Hei-mes 29, 631 zeigte ich, dass nicht sein Sohn Quintus, der Jurist, sondern eben Lucius TuVjero der Historiker gewesen sei.

3) Er hatte Ciceros Schwester geheii-atet.

108 ^I- Macer und Tubero.

vertreten habe, dass ihm (Ue Hilfsmittel des ciceronischen Bekann- tenkreises, eines Atticus, Nepos, Varro, zu Gebote standen, vor allem aber, dass er eine gleiche Auffassung von der Aufgabe des Histori- kers gehabt habe, wie sein Freund, welcher als Redner und Politiker .einen höheren Ruhm erlangt hat.

Bekanntlich betrachtete Cicero es als Hauptaufgabe ') des Hi- storikers, den geschichtlichen Stoff in eine gefällige und schwung- volle Form zu bringen. Da nun wie Ciceros wegwerfendes Urteil de legibus 1, 2, 6 zeigt, die Ijisherigen Leistungen auf dem Gebiete der Geschichtschreibung den dahin gehenden Anforderungen Ciceros in keiner Weise entsprachen, so hoffte Cicero von sich und seinen in der Beredtsamkeit ausgebildeten Freunden, dass sie hier Abhilfe schaffen würden. Recht naiv lässt er sich bekamitlich de legibus 1, 2, 5 von seinem Freund Atticus den Wunsch nahe legen, dass er selbst, Cicero, der ersehnte Retter auf dem Gebiete der römischen Geschichtschreibung sein möge ^).

Was Cicero auf diesem Gebiete zu leisten die Zeitumstände nicht vergönnten, das hat sein Freund Tubero nachholen können, und wenn Cicero durch sein Beispiel und seine Vorschriften auch nur einigen Einfluss auf Tubero ausgeübt hat, so wird angenommen werden müssen, dass auch dieser vorzugsweise auf eine rhetorische und lebendio-e Darstellungsweise Wert g-eleo-t hat. Weiterhin kann dieser sich dem Einflüsse seines grösseren Freundes nach mehreren Seiten hm kaum entzogen haben.

Tubero gehörte wie Cicero zur Optimatenpartei und zwar zu jener beschränkten Sorte, welche für die berechtigten Bestrebungen anderer Parteien, auch selbst derer in der Vergangenheit, kein Ver- ständnis zeigten. Bezeichnend für diese Kreise ist der Hass , mit dem sie ül)er die edlen Bestrebungen der Gracchen aburteilten, und es ist kaimi anzunehmen, dass beide über die demokratischen Bestrebungen früherer Zeiten gerechter beurteilt haben werden. Da-

1) De leg. 1, 2, 5 : 'potes autem tu profecto (so lässt er sich durch Atticus anreden) satisfacere in ea, quippe cum sit opus , ut tibi quideni videri solet, unum hoc Oratorium maxime, Orator 20, 66 huic generi historia finitima est, in qua et narratur ornate et regio saepe aut pugua describitur ; interponuntur etiam contiones et hortationes.'

2) 'Postulatur a te iam diu vel flagitatur potius historia.'

XI. Macer uml Tubero. 109

mit ist aber die Tendenz gegeben, welche Tuberos Darstellung der älteren römischen Geschichte kennzeiciinet.

Ganz besonders ist endlich zu beachten, dass Tubero als Zeit- genosse und Bekannter des Varro wie des Atticus die ausführlichen und gi'ilndlichen Studien derselben ül)er die römischen Gentes be- achtet haben muss. Bekanntlich ist durch die Sorge für die Ima- gines und durch die Ausljreitung der Sitte, die Thaten der Ver- storbenen und ihrer Vorfahren in Laudationen zu feieni '), das In- teresse für die Geschichte der einzelnen Gentes mehr imd mehr wach genifen worden. Aber eine systematische Behandlung der einzelnen Geschlechter ist erst durch Atticus' "'^) und Varros . Schriften erfolj^.

^Veml demnach bei Livius Mitteilungen vorkommen, welche eine besondere Kunde angesehener römischer Geschlechter der älteren republikanischen Geschichte verraten, so Avird vorzugsweise an den Eüifluss von Atticus und Varro zu denken sein, deren Angaben aber direkt vorzugsweise ^) aus Tubero in LiA-ius' Darstellung überge- gangen sind.

Die Beachtimg der hier heiTorgehobenen Merkmale für Macer und Tubero Avird es ermöglichen, grössere Abschnitte der I. Dekade einem dieser beiden Annalisten zuzuweisen.

In fast allen Büchern der I. Dekade finden sich, neben den kurzen Jahresberichten, welche nicht selten einzelner Gesetze und staatsrechtlicher Dinc^e Envähnmicr thmi, läntjere Abschnitte, welche den Verfassungsstreitigkeiten während des Ständekampfes gewidmet sind. Solche sind z. B. 2, 23—32 (1 secessio) , 2, 54—58 (lex Pu- blilia Voleronis) , 3, 11—14 (Caeso Quinctius), 3, 34—61 (Sturz der DecemAÖm), 4, 2 8 (leges Canuleiae), 4, 13 16 (Sp. Maelius). 4, 48 51 (lex agraria), 5, 2 7 (die Einführung von Winterfeldzügen), 6, 14—20 (M. Manlius), 6, 34—42 (leges Liciniae), 7, 18 (Wahl von zwei patricischen Konsuln), 8, 18 (Giftmischerp rozess). 8, 28 (Aufhebmig des Nexum), 9, 33 34 (Censur des Ap. Claudius), 10, 6 9 (lex Ogulnia).

Nicht alle Berichte atmen durchweg denselben Geist. Nament-

1) S. meinen Aufsatz 'Die römischen Laudationen und ihr Einfluss auf die An- nalistik' in der deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1897, 105.

2) Nepos Atticus 18, 7.

3) Einige solcher Fälle besprach IX S. 97—100.

IIQ XI. Macer und Tubero.

lieh m den Reden mancher Gegner der Plebs kommen gemässigt aristokratische Anschauungen zum Vorschein; und wenn die Bestre- bungen des Sp. Maelius oder des M. Manlius nach der Alleinherrschaft in scharfen Worten getadelt werden, so liegt hierin noch kein An- zeichen dafür vor, dass ein demokratischer Schriftsteller bei Livius zu Grmide liegt. Aber in der grösseren Anzahl jener Erzählungen der Verfassmigskämpfe ist die demokratische Tendenz so oflenkundig vorherrschend, dass nur em demokratischer Parteigänger die Quelle des Livius gewesen sein kann. Da Licinius Macer der emzige An- nalist gewesen ist, welcher diesen Parteistandpunkt vertreten hat, muss er der Urheber jener demokratischen Auslassmigen gewesen sein. An den wichtigsten Stellen ist dies ohnehin schon äusserlich gut bezeugt. So vor allem 6, 34 42 ^) mid 4, 2 8, sowie in dem 2iahverwandten Bericht über die lex Ogulnia 10, 6 9. Die beiden Familiengeschichten der Licinier 6, 34, 5 11 und 6, 36 37 ge- hören, wie IX hervorhob, eher in eine laudatio der Licinier, elienso 6, 39, 3 die Erzählung von der Ernennung des Licinius zum magister equitum mit dem Zusatz : 'id aegre patres passos accipio'. Die grosse Sympatliie, welche überall den Fordenmgen des Plebs entgegen ge- bracht \\ard, weist nicht minder bestimmt auf den gleichen Urheber hm.

Die Erzählung von den leges Canuleiae geht von der Ansicht aus, dass die Wahl der Militärtribunen eine wesentliche En'ungen- schaft der Plebs in den ständischen Kämpfen gewesen sei mid die notwendige Folsjermig liiert' on war die, dass die Patricier suchen mussten, den Plebejern diesen Vorteil dadurch streitig zu machen, dass sie die Wahl von Konsuln durchsetzten. Gerade dies ist die Tendenz üi dem Berichte, welcher 4, 7, 12 auf Licinius Macer be- zogen wird: 'Licinius Macer auctor est et in foedere Ardeatino et in linteis libris ad Monetae inventa'. Gleich nach dem Bericht über die lex Ogulnia 10, 9 mid in den folgenden Kapiteln wird Macer (10, 9, 10 mid 10, 11. 9) citiert.

Während aber in diesen Abschnitten schon die äussere Bezeu- gung für Macer spricht, muss an andern die überaus gehässige An- feindimg des Adels als Kennzeichen dieses Annalisten genügen. Be- kanntlich wissen weder Cicero ^) in seinen früheren Schriften, noch

1) Mit Ausnahme von 6, 36, 1—6.

2) Cornel. fr. 24 (65 v. Chr.) und de republica 2, 61.

\1. Miioer und 'liihero. ] 1 ]

Diodor etwas von einer Wiederwahl des Deceinvir Appius Clau- dius oder etwas von einer Frevel tli:it «gerade dieses Mannes jj;e<;en eine Jun«;trau. Mit Recht ist daher angenommen worden, dass erst in späterer Zeit die Einzelheiten der Verflfiniaei)isode erfunden sind, welche ja, in ihren Grundzügen gewiss alt, zeigen soll, welche Willkür bei dem Fehlen der tribunicischen Hilfe möglich sei '). Kaum irgend ein anderer Schriftsteller war aber von einem solchen Hass gegen die Machthaber erfüllt ^vie Macer, und zugleich besass er eine so tüchtige juristische und rednerische Bildung. \We sie der Verfasser von Liv. 3, 44 50 verrät. Nur ein Parteimann wie dieser hat jene angesehenen Gesetzgeber der Kömer so in den Staub ziehen können, weil sie die tribuuicische Gewalt nicht wiederhertrestellt hatten. Sulla, w^elcher der Provokation zum Trotz zahlreiche römische Bürger hingemordet, die tribuuicische Gewalt lahmcreleirt und trotz seiner hohen AVürde schamloser Wollust ergeben war ^) : er ist das Prototyp jenes Appius Claudius, wie er bei Livius handelt und redet. Damit ist aber zugleich auch festgestellt, wer der Urheber jener alles Mass überschreitenden gehässigen Schilderungen der Claudier. speziell der Appii Claudii (so abgesehen vom Decemvir der Konsuln von 259, 283. 405) gewesen ist. Es wäre eine strafbare Leicht- gläubigkeit, wollte man darin originale Bestandteile der alten Stadt- ckronik finden. Wenn Macer ohne quellenmässige Gnmdlage den Decemvir Appius Claudius zum Repräsentanten der verwerflichsten Tyrannis gemacht hat, so ist damit sein Hass gegen dessen Ge- schlecht und seine Absicht, dieses Geschlecht zum Vorkämpfer des volksfeindlichen Adelsregimeuts zu machen, so weit konstatiert, dass demselben Annalisten auch bei den nächsten Verwandten des De- cemvir die gleiche Tendenz zuzutrauen ist ^).

1) Vgl. Liv. B. 45, 8 'non, si tribunicium auxilium et provocationem plebi Romanae, duas arces libertatis tuendae. ademistis, ideo in liberos quoque no- stros coniugef-que regnum vestrae libidini datum est ?'

2) Plutarch Sulla 35 f.

3) Es darf hier wohl darauf hingewiesen werden, dass zwei Appii Claudii zu den heftigsten und wahrscheinlich auch bedenklichsten Parteigängern des Sulla gehört haben. Appius Claudius Pulcher, Praetor 665 , floh vor Cinna. der ihm sein Heer abwendig machte ; er wurde, da er den Tribunen Widerstand leistete, abgesetzt, später aus dem Senat gestossen und fiel im Heere Sullas vor Rom 672 (Plutarch Sulla 29). Sein Vetter Appius Claudius Pulcher C. f. wurde 675 auf Vorschlag Sullas zum Konsul ernannt (Cicero pr. Plane. 21, 51).

112 XL Macer und Tubero.

So kaiiii es denn kaum fraglich sein , dass auch Liv. 5, 2 f. ; 5, 18 21; 9, 33 34; 9, 42 aus Macer stammen. Schon vorher werden gelegentliche gehässige Bemerkimgen über die Clautlier (2, 28—30: 2, 56—61: 3, 15; 3, 58; 4, 6), wenigstens in letzter Listanz ^). denselben Ursprung haben. Liv. 5, 18 22 Aveist in doppelter Beziehung auf den gleichen Ursprung lün: auf der einen Seite die Substituierung des jimgeu P. Licmius Calvi;s an Stelle seines Vaters zimi Militärtribun (5, 18), daneben der ßedekampt zwischen dem letzteren und Appius Claudius (5, 20). 9, 33 34 mid 9, 42 stammen zweifellos aus der den Claudieni femdlichen Quelle und was auf das gleiche Resultat hinführt aus dem- selben Annalisten, welcher den demokratischen Bericht über die zeitliche Begrenzung der censorischen Gewalt (4, 24) verfasst hat.

Es war nur natürlich, dass eme so schroff-demokratische Auf- fassmig des römischen Ständekampfes, wie sie Lichiius Macer ver- trat, eme Reaktion hervorrufen musste. Das rhetorisch-begeisterte Eintreten für die Crrmidrechte des römischen Volkes komite zwar nicht gut direkt bekämpft werden. Wohl aber war es möglich, diese Auifassung dadurch in Schatten zu stellen, dass die ver- mittelnde Thätio-keit der cremässio-ten Aristokraten, der 'cives boni' im ciceronischen Sinne, hervorgehoben und andererseits die Ehr- geizigen, welche nach der Tyramiis getrachtet, gebührend gebrand- markt wurden. Dass eine solche Tendenz der Anschauung der cicero- nischen Kreise entsprach, ist bekamit mid schon deshalb würde man als Vertreter jener verfassungsgeschichtlichen Schilderungen, welche neben manchen demokratischen Elementen doch die mässigende Hand des wohlgesimiten Optimaten verraten, auf Tubero zurück- zuführen geneigi: sein. Es kommt aber hmzu . dass nach Macer kein anderer Amialist ausser Tubero sein Interesse den Verfassimgs- fragen zugCAvandt hat. Claudius, der einzig.e bekannte Annalist, welcher voraussichtlich sonst noch nach Macer und vor Livius ge- schrieben hat, hat die Ereignisse vor 364 nicht behandelt, noch überhaupt sich xie\ um derartige interne Dmge bekümmert. In der III. IV. und V. Dekade konunen zahlreiche Kriegsberichte von Claudius vor; aber abgesehen von dem Scipionenprozess (Liv. 39,

1' Vgl. 0. BocKSCH de fontibus libri V et VI antiquitatum Romauorum Dionysü Halicarnassensis quaestiones variae (Lips 1895) 172.

XI. Macer und Tubero. 113

54 f.) ist keine verfassiingsgeschichtliche Ausfilhrung auf ihn zurück- zuführen.

Für die Autorschatt Tuberös bei einigen dieser optiniatisch ge- färbten Berichte über Verfassimgskämpfe spricht vor allem aber noch Ein Umstand.

Es ist von Volkmar 'de annalibus' der allerdings völlig ver- fehlte Versuch gemacht worden, grössere Abschnitte von Dionys aus Livius herzuleiten. Der richtige Gnmdgedanke aber, welcher ihn zu diesem Irrtum brachte, war der, dass Livius wie Dionys an manchen Stellen gemeinschaftlich unter dem Einflüsse der Allein- herrschaftsbestrebungen Cäsars geschrieben haben. Diese Thatsache ist, wenn eine direkte Entlehnung abgewiesen werden muss, nur so zu erklären, dass beider Quelle ein Schriftsteller gewesen ist, welcher in der Zeit von Cäsars Emporkommen geschrieben hat*). Dieser kann nun aber kein anderer als Ciceros Zeitgenosse und Freund Tubero gewesen sein.

Das beste Beispiel dafür, wie äusserlich Livius einen demokra- tischen und einen optimatischen Bericht, welcher den ersteren be- kämpfte, kombiniert hat. bietet Liv. 4, 48 51 ^). Näheres s. auch hier Fleckeisen Jahrb. 1897, 424.

Zwei von konservativem Abscheu erfüllte Schilderungen über Versuche, die Tyrannis zu erringen, finden sich 4, 13 16 imd 6, 11. 14 20. In beiden Fällen sind die Grundzüge der Erzälilung alten Ursprungs. Aber beide livianische Berichte bieten zweifellos die jüngste Fassung jener Erzählungen.

Am einfachsten liegt die Sache bei den Manlianischen Un- ruhen. Keine Spur vom demokratischen Mitgefühl für die verschuldete plebs hat den Berichterstatter beseelt: 'acceptus extemplo in tu- multuosam turbam et ipse tiuuultimi augebat' (6, 14. (i).

Bald verfährt Manlius (6, 11, 2: 'patriciae gentis vir et inclitae famae') wie ein Catilina, bald werden seine ehrgeizigen Pläne denen Cäsars gleichgestellt: 6, 18, 16; 6, 19, 5 f.

Die herrschende Klasse war nach Livius auch hier so klug,

1) Von dem, was Volkmab S. 3 ausgeführt hat, weist übrigens vieles mehr auf Sulla als auf Caesar hin. S. darüber oben S. 111.

2) Vgl. Ed. LuEBBERT , observ. crit. de T, Livii libri quarti fontibus 17 (Gissae 1872).

Soltau, Liviusquellen. o

114 ^- Macer und Tubero.

wie im Jahre 63 v. Chr., und es klingt fast wie eine Rechtfertigungs- rede Ciceros, weim 6, 19, 2 gesagt wird: 'magna pars vociferantur Sei-vilio Ahala opus esse, qui non in vincla duci iubendo inritet publicum hostem, sed imius iactura civis finiat intestinum bellum. decurritur ad leniorem verbis sententiam, vim tamen eandem habentem, ut videant magistratus, ne quid ex perniciosis consiliis M. Manli respublica detrimenti capiat.'

Ziemlich ähnlich ist die Sachlage bei der Maeliusepisode 4, 13 16. Zwar herrscht auch hier im Livius dieselbe Tendenz: 4, 13, 2 wird behauptet 'framento namque ex Etruria privata pecunia per hospitum clientiumque ministeria coempto , quae ipsa res ad levandam publica cura annonam impedimento fuerat.'

Auch Maelius will nicht nur das Konsulat, sondern 'de regne agitare: id unum dignum tanto apparatu . . praemium fore.' Ebenso wird 4, 13, 11 (wie schon 14, 13, 6) von dem Senat erkannt 'opus esse non forti solum viro, sed etiam libero exsolutoque legum vinclis.' Wie Scipio Aemilianus nach Cicero de orat. 2, 25, 106 'de Ti. Graccho interroganti responderat iure caesum videri,' so der würdige Diktator L. Quinctius Cincinnatus 'Maelium iure caesum pronuntia- vit (4, 15, 1).' Ausserdem ist hier die Autorschaft einer der beiden jüngsten Amialisten, Macer oder Tubero, so gut wie bezeugt (4, 13, 7: 'nihil enini constat, nisi in libros linteos utroque anno relatimi inter magistratus praefecti nomen), da nur diese beiden die libri lintei benutzt haben. Bei dieser Sachlage mid der eben er- wähnten optimatischen Färbung des Berichts kami also nur Tubero die Quelle sein.

Kurz sei hier noch ein vierter grösserer Abschnitt erwähnt, welcher neben den demokratischen Partien des Licinius Macer die mässigende Hand eines aristokratischen Ueberarbeiters verrät: Liv. 2, 23—32.

Scharf scheidet sich dieser Bericht von dem vorausgehenden wie von dem folgenden. Während Liv. 2, 19 die Schlacht am See Regillus ins Jahr 255 setzt, schreibt er 2, 22, 2 'maturavit Romanus, ne proelio uno cum Latino Volscoque contenderet ; h a c i r a consules in Volscum agrum legiones duxere.' Livius folgt also der 2, 21, 3 genannten Quelle, welche jene Schlacht ins Vorjahr (258) setzte. Dieses that Licinius Macer und er also, oder ein von ihm ab-

XJ. Macer und Tubero. 115

hän«^«;er Aiiualist (vgl. Dionys <>. 1 1 ), kann allein hier die Quelle des Livius gt'.veseii sein. Andererseits /cijrt b i 2, 32 nicht nur die einfachere Art der Berichterstattung, sondern auch eine prinzij)iell wichtige Ditierenz in der Schilderung der secessio plehis, dass Livius die bisherige Quelle verlässt. Nach Livius 2. 82, 1 behalten die Konsuln das ganze Heer unter Waffen, nach Dionys H, 4:^ ist dagegen das diktatorische Heer vorher schon entlassen worden.

Nicht minder wichtig ist ein anderer Gegensatz zwischen Livius 2, 20 und 2, 30. Nach 2, 20, 3 ist Marcus Valerius Poplicolae frater gefallen. Trotzdem heisst es Liv. 2, 30, 5 Marc um Valerium dictatorem Volesi filium creant und nach Livius' Ansicht kaim dies kein anderer sein, als der 2, 20 genannte.

Ganz zweifellos sind nun in diesem Abschnitt 2, 23 32, der auf einen der beiden jüngsten Annalisten Macer oder Tubero zu- rückgehen muss, solche Bestandteile enthalten, welche die demo- kratische Tendenz des ersteren verraten. So besonders Liv. 2, 23 24.

Derselbe leidenschaftliche Gegner des Adels redet 2, 27 imd manches aus 2, 28 30 stammt gleichfalls von ihm her. Aber schon an diesen letzten Stellen ist Fremdartiges beigemischt ; 2, 28, 2 wird das schlaffe Vorgehen der neuen Konsuln getadelt: 'unum hercule \irum . . , qualis Appius Claudius fuerit, momento tempo- ris discussurum ülos coetus fuisse.' 2, 28, 9 stacheln die jungen Senatoren die Konsuln zimi energischen Eingreifen an, und Appius Claudius scheint die Person zu sein, mit welcher Livius' Darstellung sympathisiert. Endlich Avird der glücklich vermittelnden Stellung des Diktators M. Valerius imd seiner Erfolge ausserhall) wie imier- halb der Stadt gedacht (2, 31, 7). Ein Quellenwechsel bei Lirius ist auch aus einem Vergleich mit Dionys 6, 33 f. herzuleiten. Der Inhalt von Liv. 2, 28, 1—29, 4 fehlt bei Dionys grösstenteils, und Diktator wird nach ihm nicht Marcus (Liv. 2, 30), sondern Ma- nius Valerius Poplicola. Diese letzte Differenz ist von piinzipieller Bedeutung. Bei der Persönlichkeit des Diktators scheiden sich che Quellen. Die ältesten Berichte erwähnten den Tod des Marcus Valerius am Regülus und nannten trotzdem den Diktator von 260 auch Marcus Valerius, indem sie sich wie Dio-Zonaras 7. 14 A mit der Annahme halfen £x tfjs ÜOTrXtxöXa auyYevsia; Yevop.£vo?. Dio, der vielfach dem Antias folgte, kannte keinen Manius Valerius

\\Q XI. Macer und Tubero.

und ojBfenbar hat Antias als den Ahnherrn aller der zahlreichen Marci Valerii Maximi keinen Manius annehmen können ^). Anders die Annalisten nach Antias: sie substituierten einen Manius, den sie, wie Dionys 6, 39, einen Bnider Poplicolas nannten. Das hatte die Quelle des Dionys Licinius Macer und nach ihm Atticus in seinem 'liber annalis' gethan ^). Aber schon die ebengenannte Schilderung der Schlacht am Regillus zeigt, dass die Schriftsteller nach Licinius Macer auch einen andern Ausweg kamiten. Sie Hessen den Marcus Valerius nicht fallen, sondern von seinen Wunden wieder erstehen. Dann komite der Bruder Poplicolas sehr wohl der Diktator von 260 sein wemi anders nicht noch feinere Genealogen ^) einen eigenen Stammvater der Valerii Maximi herausklügelten.

Diese jüngste Quelle kann nur Tubero sein, der mit Varro, dessen Ansichten durch Juba vermittelt in Plutarchs Poplicola zu Grunde liegen, Marcus Valerius Maximus in der Schlacht am Regillus verwimdet hinsinken, im Jahre 260 aber als Diktator wieder erstehen Hess.

Auf Grund der hier für Macer und Tubero festgestellten Kri- terien komite es auch orelingren, bei der Geschichte des Decemvirats 3, 36 60 die Angaben der beiden jüngeren Armalisten auseinander zu halten*). JedenfaUs sind sie allein die Quellen von Livius 3, 36 65 mid Dionys 10, 50 11, 50 gewesen.

1) Wohl nach Antias wird dagegen Manius Valerius M. f. als ältester Diktator citiert, Liv. 2, 18, 6. Vgl. auch unten S. 142.

2) Diese Schrift bildet die Grundlage der fasti Capitolini.

3) Vgl. BocKSCH, de fontibus Dionys. Haue. 269 ; es ist wohl M. Valerius Messala Rufus, welcher de familüs schrieb (Plin. N. H. 35, 8).

4) Vgl. über die Einzelheiten Flbckeisen Jahrb. 1897, 428 f.

117

XII. Die Uiielleu der zweiten Peiitade.

Wie schon S. 18 ausgeführt ward, hat Livius die fünf ersten Bücher gesondert herausgegeben. Die gallische Eroberung war nicht nur eine der wichtigsten Epochen der republikanischen Geschichte, sondern niit ihr begann wenigstens nach Livius' Ansicht ein neuer Abschnitt für die römische Geschichtschreibung. Der gallische Brand hatte, wie er glaubte, alle historischen Dokumente vernichtet Erst seit ihr, meinte er, könne von den Anfäncren einer trlaubwürdiijen Geschichte die Rede sein.

Dementsprechend versah er die zweite Pentade, deren Erzählung übrigens sachlich mit dem Ende des 10. Buches keinen Abschnitt machte, sondern bis zum Ende des 15. Buches (d. i. bis zu Beginn des 1 . punischen Krieges) weitergeführt ward, mit einer kurzen Vor- rede: 'Quae ab condita urbe Roma ad captam urbem eandem Ro- mani sub regibus primum, consulibus deinde ac dictatoribus decem- virisque ac tribunis consularibus gessere, foris bella, domi seditiones, quinque libris exposui, res cum vetustate nimia obscuras, velut quae magno ex intervallo loci vix cemuntur, tmu quod parvae et rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarmn, et quod, etiam si quae in commentariis pontificum alüsque publicis privatisque erant monumentis, incensa urbe pleraeque interiere. clariora deinceps certioraque ab secunda origine velut ab stirpibus laetius feraciusque renatae urbis gesta domi militiaeque exponentur.'

Daraus ergibt sich auch mancherlei für die Art und Weise, wie Livius sein Quellenmaterial für den folgenden Zeitraum beur- teilt und nach welchen Gesichtspunkten er die Auswahl getroffen hat.

Livius hielt die Geschichtstradition für die Zeiten nach Roms Eroberung für \'iel gesicherter, weil sie auf zeitgenössische Berichte

118 ^I- I^iß Quellen der zweiten Pentade.

zurückging. Er hielt aber auch für sachlich bedeutender (clariora) das, was seit der Wiedererstehung der Stadt geschehen war. und seine Absicht, gerade die berühmten Kriegsthaten der Römer zu schildern, wurde noch dadurch gefordert, dass der Ständekampf imd die inneren Verhältnisse von jetzt ab sehr hinter den Ereignissen der äusseren PoKtik zurücktraten. Abgesehen von der licinisch- sextischen Bewegimg, welche Livius nach licinischen Spezialberichten recht ausführlich behandelt hat (6, 34 42), treten die inneren Ver- hältnisse von jetzt ab ganz hinter den Kriegsereignissen zurück.

Seine soeben erwähnte Absicht, die 'berühmteren' imd 'historisch gesicherteren' (clarioria ceiiioraque) Thaten der Römer darzustellen, musste ihn hier zu einer besondem Beachtung der jüngeren, rheto- risch darstellenden Annalistik führen. Wer die Grossthaten des römischen Volks im 4. Jahrhundert schildern wollte, konnte dies wenigstens nach Ansicht eines Historikers der augusteischen Zeit') nicht anders, als dass er auch die Thaten der hervor- ragendsten Staatsmänner und Heerführer in das rechte Licht stellte. Das vermochte Livius aber nicht nach den Berichten der ponti- fikalen Geschiclitschreibmig des Piso oder des Antias. Charakteristisch für diese relativ alte Berichterstattung ist 10, 37, 14: 'Fabius ambo consules in Samnio et ad Luceriam res gessisse scribit, traductuni- que in Etruriam exercitum, sed ab utro consule, non adiecit,' oder 10, 17, 11 ^). Dieselbe nannte offenbar meist noch nicht ein- mal die Namen der Konsuhi, welche sich als Heerführer hervor- thaten, Hessen alles melir Persönliche bei Seite, kaimten noch keine Teüung der Provinzen. Um diese Lücke auszufüllen, musste Livius solche Quellen heranziehen, welche die Familientradition und die Laudationenlitteratur eingehend berücksichtigt hatten, mithin neben Macer vor allem Tubero und Claudius. Vorzugsweise im 10. Buche, aber auch in nicht wenigen Abschnitten des 7. 9. Buches tritt die Benutzimg solcher Quellen ganz besonders in den Vordergrund.

1) Offenbar unter dem Einfluss dieser geistigen Strömung hat Livius später, gewissermassen bei der zweiten Auflage, 9, 17 19 die Parallele zwischen Alexander und den römischen Heerführern eingelegt. Vgl. Hermes 29, 613.

2) J. Kaekst, 'Die römischen Nachrichten Diodors und die konsularische Provinzialverteüung in der älteren Zeit der römischen Republik' (Philol. 1889, 306 f.) zeigt, wie die Provinzentrennung bei den Konsuln erst spät durch- gefühi't ist.

XII. Dit' gu.'ll.Mi ilfi- zweiten P.'iitade. 110

Vor allen Dingen ist im 10. Buch eine hiudatio der Fabier stark l)t'iiut/,t und wie S. 9(> gezei«^t wurde sowohl von Mater wie von Tubero ausiresch rieben, durch sie dem Livius übermittelt worden. So 10, 9. 10; 10. 11, 9; 10, 13'); 1<>. 1."., 7 11: Ki. 21. 11 22,9. Die drei letzten Stellen behandeln mit einer enuüdenden VVeit- schweifi'^keit dasselbe Thema: die Wiederwahl des Q. Fabius Maxi- mus und zwar in ähnlicher Weise. Zu 456 lieisst es 10, 13, 5: 'hie terror, cum inlustres viri consulatum peterent, omnes in Q. Fabium Maximimi primo non petentem, deinde . . . etiam recusantem con- vertit; . . . iusta suffra<(atio visa. omnes quae su])ererant centuriae Q. Fabium P. Decium consules dixere.' Aehnlich lautet 10, l'>, 7 f. und 10, 22, 1 f.

Unzweifelhaft verraten alle diese Darstellungen der Volksbe- liebtheit des Fabius dieselbe Hand, und nicht minder ist klar, dass hier die Citate 10, 9, 10 (Macer Licinius ac Tubero) und 10,11,9 (ut scripsere, quibus aedilem fuisse eo anno Fabium Maximum placet) die direkte Herkunft derartiger Schilderimgen bezeugen. Wenigstens bei diesen beiden Citaten. wahrscheinlich aber auch an den ähnlichen, immer wieder auf einander Bezug nehmenden Stellen werden beide Annalisten die für Fabius so ehrende Schilderung gebracht haben. Nur hat offenbar 10, 22 mehr Tubero als Macer das Wort. Während lO, 15 schon durch seine Gehässigkeit gegen Appius Claudius die Feder Macers verrät ^), werden 10, 22, 7 die Verdienste und Vor- züge desselben gepriesen. Auch tritt hier mehr die Trefflichkeit des Decius in den Vordergnmd. Eine reinliche Scheidung dessen, was dem einen, was dem andern angehört, dürfte übrigens, bei der hier offenkundigen Verwandtschaft der Erzählungen beider, auch noch in einigen andern Fällen verwandter Art. schwer festzustellen sein. So bei den Variantenangaben 10, 3, 3; 10, 5, 14 und dem Bericht 10, 11, 4, welcher wie die beiden voraufgehenden An- gaben zu Gunsten des M. Valerius Einzelheiten vorbringt; alle drei erinnern formell durchaus an die Ausführungen der fabischen Laudation in den vorher erwähnten Angaben von Macer und Tubero *).

1) Auch die Erzählung von den Erfolgen des Fabius in Samnium stammt der Hauptsache nach daher. Zu allem vgl. Klingek de X. Livii libri fönt.

2) Vgl. XI. S. 111.

3) 10, 5, 14 non petentem atque adeo etiam absentem creatum tradidere quidam 10, 11, 4 M. Vulerium eonsulem omnes sententiae centuriaeque dixere.

120 ^^- l^i^ Quellen der zweiten Pentade.

Bei weitem das wahrscheinlichste ist, dass Tubero hier den fabisch- licinischen Bericht durch Angaben aus den Familienberichten der Valerie r ergänzt hat. So allem dürfte die merkAvürdige Besprechung über Abweichungen in den Fasten 10, 3 ihre hinreichende Erklänmg finden. Tubero hat nämlich, wie u. a. 4, 23, 3 zeigt, mehrfach auch den Valerius Antias zu Rate o-ezogen.

Dieselbe fabische laudatio hat, Avie schon IX hervorhob, auch in den voraufgehenden Büchern zahlreiche Spuren hinterlassen. So 8, 18 über Fabius' Aedilität, 8. 30. 1—36, 2 die Episode vom Diktator Papirius mid seinem Reiteroberst Fabius, 9, 22 24, die in einen Sieg verwandelte Niederlage bei Lautulae *), ferner 9, 33 35 und 9, 38, 4—39, 11,

Auch 8, 39, 16 hatte Livius den dem Fabius Maximus günstigen Bericht über das erste (wahrscheinlich fiktive ^) Konsulat des Fabius Maximus eingesehen, daim aber bei Seite gelegt. Er erkannte dort eben selbst schon: 'vitiatam memoriam funebribus laudibus reor falsisque imaginum titulis, dum familia ad se quaeque famam rerum gestarum honorumque fallenti mendacio trahunt' (8, 40, 4).

Es ward bereits in Kap. IX erwiesen, dass Livius die soeben ge- nannten Berichte einer rhetorisch ausgeschmückten 'laudatio Fabiormn' aus Macers Amialen übernommen habe. Die Sicherheit dieses Er- gebnisses wurde nur dadurch m etwas beeinträchtigt, dass gerade auch aus einigen solcher Stellen (10, 9, 10; 10, 11, 9) hervorging, wie Tubero neben Macer eingesehen worden war. Doch ist an den meisten der genannten Stellen die Autorschaft des Licinius auch schon aus andern Gründen sicher gestellt. Liv. 8, 18, 2 bringt die für diesen Schrift- steller charakteristischen^) Variantenangaben über cognomina, des- gleichen eine dictatura clavi figendi, eine Spezialität Macers.

Für denselben Ursprung spricht bei der längeren fabischen Episode 8, 30. 1 36, 2 die demokratische Tendenz, namentlich 8, 35, 5 f. Bei 9, 38—39 ist beachtenswert, dass 9, 38, 16 „Macer Licinius " so citiert wird, dass er für den Tenor des voraufgehenden Berichts Hauptquelle gewesen sein muss. Nicht minder charak-

1) Vgl. 9, 23, 5. Bei der Ausmalung der Kämpfe namentlich 9, 24 , aber auch schon 9, 22, 4 f. ist auch Claudius benutzt worden; vgl. sogleich S. 180 f. 2j Vgl. Soltau, Rom. Clironologie 839. 3) CiHOKivs de fastis 85 f.

XII. Die Quellen der zweiten Pentade. 121

teristisdi für ihn ist 9, 33 f. die gehässige SchiMening tles Appius Claudius uiid die heftige Erkläning gegen eine filnfjiihrige Census- periode '). Dass Macer auch in den nächsten Kapitehi (hiut Citat 9, 46, 3 8) eingesehen ward, ist bekannt.

Dagegen vN-ird 9, 36 37 die fabelhafte Ausschmückung des Zuges über den ciminischen Wald in Wahrheit eine Sammlung von Ungereimtheiten nicht auf Macer beruhen, der, wie der 9, 38 f. aus ihm (vgl. 9, 38, 16 Macer Licinius) entnommene Be- richt zeigt, den Hauptkampf an den Vadimon, zwischen ciininischem Wald und Tiber, verlegt (9, 39. 5), nicht bei Perusia noch bei Sutrium nördlich vom ciminischen Wald. Das Quellenverhältnis i.st hier also folgendes: die ältere pontifikale Quelle 9. 37. 11 38. 3 (Antias) hatte den Hauptkampf nach Perusia verlegt (9, 37, 11), Macer (9, 38. 4 39, 11) an den Vadimon nahe beim Ciminius; der 9, 40 folgende dem Decius und Valerius, wie dem Papirius günstig gestimmte Bericht, welcher somit wohl Tuberos Werk ist. folgte Antias, während eine 4. rhetorische Quelle, die nur noch Claudius sein kann, jene Jagdgeschichten von einem Zug über den ciminischen Wald erfand. Die ältere bei Diodor 20, 35 erhaltene Version kennt nur die erste Fassimg.

Die Sicherheit der Annahme, dass an den übrigen soeben ge- tlannten Stellen Macer die direkte Quelle des Livius gewesen sei. nicht etwa der ihn überarbeitende Tubero, wird noch dadurch er- höht, dass die in IX gebotenen Ausfühnmgen über weitere Lauda- tionenberichte im Livius auch bestimmte Merkmale für diesen jüngsten Amialisten ergeben haben.

Tubero hat, wie 10, 9, 10: 10. 11, 9 zeigt, die fabische Fa- milientradition, welche Macer geboten hatte, auch seinerseits be- nutzt, ihr aber nicht nur einige Angaben über die Valerier hinzu- gefügt, sondern vor allem auch eine Lobschrift auf die Decier ein- gesehen *) und ihre Berichte mit denen der Fabier ineinander gearbeitet.

Die ausdrückliche Erklänmg des Livius 10, 17, 11, dass die eine seiner Quellen d. i. Macer die Grossthaten des Jalires 458 dem

1) Auch die verwandte Einlage 9, 42, 3 (in quibusdam annalibus invenio) und die Angaben über Fabius 9, 42, 6 f. verraten dieselbe Herkunft.

2) S. oben IX S. 95.

122 ^I- ^^6 Quellen der zweiten Pentade.

Fabius allein, die andere zwischen Fabius und Decius verteile, während noch zwei andere Quellen von den Thaten derselben nichts wussten, weist darauf hin, dass die den Decius vorzugsweise beriick- sichtigende Erzählung 10, 16 17 aus jenem Annalisten stanunt, welcher flie fabische Laudation überarbeitete.

Das gleiche Quellenverhältnis charakterisiert den livianischen Bericht 10, 24—29, 4 >).

Wenn auch anfangs noch die fabische Tradition vorherrscht, so kommt doch sehr bald mehr Decius zu Wort (z. B. 10, 24, 8 f.) und diese dem Decius günstige Stimmung nimmt von dem Quellen- wechsel 2) 10, 25, 13 ab stetig zu (z. B. 10, 25, 17; 26, 4). Vor allem aber bietet 10, 27 28 ein Ehrenblatt des decischen Gre- schlechtes: die Todesweihe. Die Variantenangaben erleichtem eine weitere Scheidung der fabischen, aus Macer stanmienden Tradition und des decischen Berichtes, welcher nach IX nur durch Tubero in jenen liineingetragen sein kann. 10, 26, 5 deutet an, dass Livius sowohl die älteren pontifikalen Berichte, welche noch von keiner Provinzentrennung etwas wussten, wie die Quelle bei Seite gelassen habe, welche den Gregensatz zwischen Fabius und Decius schärfer hervorgehoben und weiter ausgemalt hatte (d. i. Macer). Anderer- seits werden diese Berichte (10, 30, 7 in pluribus annalibus), welche den Thaten beider Konsuln gerecht zu werden versuchten d. i. Macer und Tubero, einem dritten gegenübergestellt, welcher nicht nur andere Entstellungen bot, sondern auch die besondere Mit- vdrkung des fälsclilich L. Volumnius berichtet hatte.

Die Spuren einer den Deciern günstigen Berichterstattmig finden sich auch im 7. und 8. Buche. Liv. 7, 34 37 erzählt die Grossthaten, welche der Vater Decius Mus genau nach dem Vorbilde des Q. Caedicius bei Cato (vgl. Gell. N. A. 3, 7) gethan haben soll, 8, 6, 8 16 und 8, 9 10 berichten von seine.r Todesweihe.

Es wird kaimi geleugnet werden können, dass diese Aus- führungen genau so wie m den Laudationen imd Familiengeschichten die Thaten der Decier preisen und nur aus derartigen Spezialbe- richten in die Annalen hineinsreraten sein kömien, Ist aber der

1) Natürlich abgesehen von den Variantenangaben 10, 28, 5 13.

2) In utrumque auctores sunt; ab Ap. Claudio praetore retractum quidam videri volunt.

Xll. l>i. g lullen der zweiten Pontadi-. 123

Annalist, welcher im 1<». Ruih die faltistlu'n Laudation.sberichto des Macer mit decischen An<;al)en älinlicluT Herkunft erjjänztc, Tuheru gewesen, so ist ein «jleidies auch für die hier «^enjinnten decischen Familienherichte anziuiehnien. Nur kann hier noch ein Scliritt weiter geganijen werden. Beide Erzählun<;en «gehören en^ mit dem vorauf j^ehemlen und nachfolt^enden zusammen. Die Tliat des Tri- bunen Decius 7. 34 f. ist nur eine Episode der l)reitan<;ele<^en Kanipfesschilderuujjj von 7. 32 ab, und auch das Einleitun<jsstück gehört abgesehen von den Ixeden') (7, 30) dazu. Es ist ferner zwar möglich, dass nicht nur 7. 38, 1^3, sondern überhaupt 7, 38, 1 10 ein rhetorisch erweiterter Quellenbericlit -ist , welchen Livius etwa aus Antias entnommen haben könnte. Jedenfalls aber hat der unhistorische Laudationenbericht 7, 39 41, welcher den T. Quinctius und M. Valerius Corvus in den Vordergrund stellt ^) , die gleiche Herkunft ^^^e 7, 32 f. Die Quinctier wie die Valerier zu feiern, war, wie IX gezeigt hat, die Absicht Tuberos.

Auch 8, 8 kann nicht von dem späteren Schlachtbericht ge- tremit w^erden, weist ohnedies durch seinen antiquarischen Lihalt (ausserdem auch durch 8, 10, 11 12) auf den Zeit- luid Studien- genossen Varros hin: auf Tubero.

Die einerseits über die pontiükalen Quellen (VIH), andererseits über Macer und Tubero (IX und XI) festgestellten Ergebnisse wird zunächst für das 10. Buch, folgende Uebersicht veranschaulichen.

10, 1. 1—2, 2 A. 10, 9, 10—11 M. und T.

10, 2, 3—15 Nepos^) 10, 9, 12—14 P.

10, 3 (M.) T. 10, 10, 1—5 A.

10, 10, 6—11, 6 T.

10, 5, 13—14 T. 10, 11, 7—10 M.

10, 6, 1-9, 2 M. ^)

10, 9, 3—9 A. 10, 12, 9—13, 1 A.

1) Diese sind im Einzelnen wohl livianische Arbeit, doch vergl. hier Thucyd. 1, 32 und Zakncke, d. Einfluss d. gr. Litteratur 35.

2) Diese Angaben werden durch Livius selbst 7, 42, 3 genügend charakteri- siert : aliis annalibus proditum est neque dictatorera Valerium dictum, sed per consules omnem rem actam . . . nee in T. Quincti villam, sed in aedis C. Manli nocte impetum factum.

3) Hermes 29, 615.

4) Einige Zusätze (wie 10, 6, 3 f.) vielleicht aus Tubero.

]^24 ^ll- ^iß Quellen der zweiten Pentade.

10, 13, 2—13 M. 10, 21, 11—22, 9 (M.) T.

10, 13, 14 A. 10, 23 A.

10, 14 M. ') 10, 24, 1—25, 13 M. (T.)

10, 15, 1—6 A. 10, 25, 14—26, 4 T.

10, 15, 7—11 M. 10, 26, 5—15 Varianten (Livius)

10, 15, 12 Livius 10, 27—28 T.

10, 16—17 T. 17, 11—12 Va-

rianten 10, 31, 1—9 A.

10, 21, 1—10 A. 10, 46, 10—47, 9 A. (47, 3—7 P.)

Um die noch fehlenden Abschnitte festzustellen, ist es vor allen Dingen notwendig zu beachten, wie Livius an verschiedenen Stellen nicht etwa nur zwei (Macer, Tubero) oder drei (ausser beiden Antias) ausführliche Aimalen werke ausgeschrieben, sondern da- neben noch einen vierten Annalisten benutzt hat. 10, 18, 7 erklärt Livius, nachdem er erzählt hat, dass Appius, von den Feinden be- drängt, seinen Kollegen Volumnius zu Hilfe gerufen habe ^) : 'litteras ad colleo-am accersendum ex Samnio missas in trinis amialibus invenio, piget tarnen id certum ponere, cum ea ipsa inter consules populi Romani . . . disceptatio fuerit, Appio abnuente missas, Vo- lumnio adfirmante Appi se litteris accitimi.' Dieser neuen Version folgt Livius dami 10, 18 19, andernfalls hätten die Ausführmigen dieser Kapitel keinen Simi. Es ist die dem Appius ungünstigste, dem Volumnius günstigste Fassung. Auf diese vierte Quelle hatte bereits auch 10, 17, 11 hmgewiesen: 'huius oppugnatarum urbium decoris pars maior in quibusdam annalibus ad Maximum tra- hitur: Murgantiam ab Decio, a Fabio Ferentinum Romuleamque oppugnatas tradunt. sunt qui novorum consulum lianc gloriam faciant, qui dam non amborum, sed alterius L. Volumini: ei Samnium provinciam evenisse.' Demi die erste Erzählung ist die dem Fabius günstigste des Macer, welcher Livius 10, 16 17 die zweite des Tubero vorgezogen hatte. Die dritte ist die der älteren Quellen, welche noch kerne getremiten Provinzen der Konsuln ansetzten, die vierte endlich eine solche, welche dem Volumnius günstig war.

1) Wie unten gezeigt werden wird, wahrscheinlich mit einer Einlage (10, 14, 13 f.) aus Claudius.

2) Vgl. die ähnlichen Ausfühi-ungen Fleckeisen Jahrb. 1897. 'Macer und Tubero' Abschnitt V.

XJI. Die Quellon der zweiten Pcntade. 125

Dieser folgt Livnus nicht nur 10, 18 19, sondern er brinfj^t. dieser Quelle zu liebe, sogar 10, 20 eine Wiederholung der Kämpfe in Samnium, deren Kiüimestitel ja Macer wie Tubero dem Fabius und Decius gut schrieben.

Diese \nerte Quelle, welche den Volumnius zu feiern suchte, kann nur Claudius gewesen sein. Die völlig unhistorische Aus- malimg der Schlachten erinnert auch hier an die gleichartigen Schildeiimgen , Avelche in der 3. 5. Dekade auf diesen Annalisten zurückgeführt werden komiten. Claudius ist gemeint in der 10, 30, 4 6 kurz skizzierten, aber z. T. bei Seite gelassenen Quellenangabe '), welche zu Gimsten des L. Volumnius seine Teilnahme an der Schlacht bei Sentiniuu fingierte, während er in Wirklichkeit in Samnium ge- fochten hatte.

Diese Thatsache, dass Li\'ius neben den beiden auf fabischer und decischer Familientradition beruhenden Annalisten, Macer und Tubero. die Annalen des Claudius, welcher den Volumnius in den Vordercrnmd stellte, ausschrieb, ermöglicht auch eine Scheidung der Quellenberichte 10, 38 46. Nachdem dort zuerst die Thätigkeit der Konsuln in den Vordergrund gestellt und der Absicht des Konsuls Carvilius dem Papirius zu Hilfe zu eilen gedacht worden war, nimmt die weitere Schlachtbesclireibmig 10, 40 f. keine Notiz weiter von diesen Vorbereitungen ^). Statt des Konsuls treten jetzt L. Volumnius, L. Scipio und Sp. Nautius als die eigentlichen Sieger hervor. Auch die Scipionen zu feiern war ja eine der Hauptauf- gaben der claudischen Historiographie ^).

Auch am Ende hebt sich dieser claudische Bericht deutlich von dem nachfolgenden ab. Derselbe endigt 10, 43, 8 mit den Worten 'sie ad Cominium, sie ad Aquiloniam gesta res.' Nichtsdesto- weniger erzählt Livius noch einmal eine Schlacht zwischen Aqui- lonia und Cominium. Es stört ihn nicht im geringsten, dass er schon 10, 42, 4 und 10, 43, 8 erzählt hatte, wie beide Städte er- obert waren. 10, 44, 2 wiederholt sich ches nach einer nochmaKgen Schlacht zwischen beiden Städten: 'uterque .... consul captimi

1) Ueberhaupt ist, wie ebendas. gezeigt ward, 10,29, 4—30 grösstenteils aus Claudius entnommen.

2) Nur sucht 10, 41. 6 Sp. Nautius noch die Feinde durch die erdichtete Angabe zu täuschen 'captum Cominium. victorem collegam adesse.'

3) So in der ganzen UI. Dekade; s. oben S. 77.

126 ■^^^- ^^^ Quellen der zweiten Pentade.

oppidum diripiendum militi dedit, exhaustis deinde tectis igiiem iniecit, eodemque die Aquilonia et Cominiimi deflagravere.'

Ausser den Volumniern suchte Claudius wenigstens in der III. Dekade die Thaten der Scipionen und Fulvier zu verherr- lichen. Dies kann uns einen Fingerzeig geben, welchen Ursprung die ohen noch bei Seite gelassenen Schilderungen von Siegen des Legaten Fulvius und des Konsuls Scipio haben. Die letzteren (10, 12) smd ja m ihrer Unhaltbarkeit längst durch die Scipionen- inschrift dargethan. Auch erinnert die Aufstellung und das Ma- növer 10, 5, 6 an die später von Polybius bei der Schlacht von Zama erzählten Vorgänge, was bei der bekannten Beziehung des Claudius zu Polybius ebenfalls auf diesen Scribenten hm weist, der die Farben für seine unhistorischen Ausmalungen der Vorzeit oft genug aus griechischen Schriftstellern entnahm.

Wem aber verdankt Livius den von Claudius abweichenden Be- richt 10, 38—39 und 10, 43—46?

Die Quelle, welche unter manchen Wiederholungen 10, 43 ein- setzt, ist dieselbe, welcher Livius 10, 38 39 den Anfang seiner Erzählung von den Thaten des Papirius entnahm. Diese ist kerne andere ') als jene gleichfalls den Papiriern so günstige Quelle, welche Livius 9, 13, 6 15, 9 ausschrieb. Es istTubero; Macer war den Papiriern ungünstig gesimit ^), Claudius' Fragmente aber divergieren mit 9, 13 f.

Auch 10, 32 37 wird aus demselben Annalisten stanmien. Der grössere Teil 10, 32 34 mid 10, 36, 1 37, 12 ist nichts anderes als eine laudatio des Konsuls Postumius, welche noch dazu doppelt bedenklich ist, da selbst ein Claudius (10, 37, 13) von einer grösseren Niederlage des Postumius in Apulien gesprochen hatte. Obenein hatte nach Claudius der andere Konsul in Etrurien gefochten. Auch für die Thaten des Atilius lagen übertreibende Berichte aus Familiennachrichten der Atilii diesem Amialisten vor ^). Tubero hat die übertriebenen Schilderimgen über das Ende des M. Atilius Regulus in die Litteratur eingeführt, und so ist auch hier seine Autorschaft wahrscheinlich. Weder Claudius noch eine pontifikale Quelle könnte ja in Frage kommen: Macer hat zwar Licinier und Fabier zu

1) Ebenso Fleckeisen Jahrb. 1897. 'Macer und Tubero' Abschnitt V.

2) Das geht aus 8, 30 37 hervor. Näheres s. ebend.

3) Tubero fr. 7—8.

XII. Die Quellen der zweiten Pentade. 127

erheben Lresucht. andere Gentil^eschichten aber hat er hei Seite gelassen.

Die Likkeii tlfr ^fi'm'ln'iicii TaheHc wären demnach in toli^cndcr Weise zu ergänzen:

10, 4. 1—5, 12 ri. 10, 30, 4—7 Varianten aus M. T.

10. 11. 11—12, 8 Cl. 10, 32, 1—37, 12 T.

10, 37, 13 Varianten aus Cl.

10, 18—20 Cl. A. (Fabius).

(10, 18, 7 Varianten nach A.M.T.) 10. 38. 1—40, 5') T.

10, 40, 6—43, 9 Cl.

10. 29, 1—30. 3 (8—10) Cl. 10. 43, 10—46, 9 T.

Während so alle einzelneu Abschnitte des 10. Buches mit ge- nügender Sicherheit einer bestimmten Quelle zugewiesen werden können, ist dieses bei einigen Berichten des 6. 9. Buches bisher noch nicht gelungen.

Li Kap. \TII smd allerdings zalilreiche Kapitel auf che pontifikale Geschichtschreibung zuilickgeführt und wenigstens mehrfach ist dort eine Scheidung von Antias und Pisos Berichten vorgenommen worden. Auch ist durch Kap. IX bis XI, sowie durch die Ausfühnmgen dieses Abschnittes bei mehreren grösseren Exkursen festgestellt, ob sie aus Claudius oder aus einem der andeni beiden jüngsten Anna- listen stammen. Ja, selbst die sonst vielfach verwandte Berichter- stattung von Macer und Tubero konnte doch bei der verschiedenen Tendenz, welche beide Annalisten verfolgten, meist hinreichend ge- schieden werden. Doch harren in jedem Buche noch manche Ab- schnitte der näheren Bestimmung. lieber diese soll in folgendem Auskunft gegeben werden. Nicht Weniges lässt sich auch hier mit grosser Wahrscheinlichkeit feststellen: einiges wird h3^othetisch bleiben und soll als solches gekennzeichnet werden.

Die noch nicht einer bestimmten Quelle zugewiesenen Ab- schnitte des 6. Buches enthalten die Kämpfe des Camillus.

Nach 6, 2 soll Camillus die Volsker zuerst im Jahre 365 geschlagen haben. Als Beleg für die Grösse seines Sieges wird von Livius 6, 4, 3 hingewiesen auf die 'tres paterae aureae' 'quas cum titulo nominis

1) Diese Grenzlinie ist nur eine ungefähre.

]^28 ^11- I^iß Quellen der zweiten Pentade.

Camilli ante Capitolimn iiicensum in Jovis cella constat ante pedes Junonis positas fuisse.' Diese Angabe stammt in dieser Form aus einem Annalisten, welcher die Schalen nicht mehr gesehen hat. Denn in cella Jovis und zugleich ante pedes Junonis können sie nicht gestanden haben und die ganze Angabe verrät einen Mann, welcher nicht mehr eine klare Vorstellung von der Beschaffenheit der einzelnen Teile des im Jahre 82 v. Chr. abgebrannten capitolinischen Tempels besass. Damit ist gegeben, dass hier nur Tubero oder Claudius die Quelle gewesen sein kann, weder Antias noch Macer. Tubero nmi könnte allenfalls eine ältere Nachricht herübemehmend und mit seinen nicht mehr ganz klaren Jugenderimienmgen konfundierend eine solche Nachricht geboten haben. Ebenso gut aber kömite sie auch von dem Rhetor Claudius herrühren, dessen Spezialität es ja war, der auf dem Kapitol aufgestellten Weihgeschenke zu gedenken. Was von beiden richtig ist, wird sich sogleich zeigen lassen. Es folgt nämlich 6, 6, 3 f. ein zweiter Bericht über Siege, welche Ca- millus als Diktator gegen Volsker und Etrusker erfochten haben soll, hier aber unter dem Jahre 368. Manche Einzelheiten kehren in beiden Erzählungen ähnlich wieder. So 6t 2, 6: 'iustitio indicto dilectum iuniorum habuit' ; 6, 7, 1 : 'iustitio indicto dilectuque habito' ; 6, 3, 2 : 'Etruria prope omnis armata Sutrium, socios populi Romani, obsidebat' ; 6, 9, 7 : 'profecti ab urbe Sutrium Furius et Valerius partem oppidi iam captam ab Etruscis invenere'. Beide Male werden hier die gleichen Vorgänge erzählt, beide Male in ähnlicher Weise. Nicht minder klar ist der Anlass, welcher zu emer zeitlichen Ver- schiebung dieser Vorgänge führte. Die erste Erzählung, welche sich auch in manchen Einzelheiten an die ältere Tradition bei Diodor 14, 117 anscliliesst, folgt dieser auch darin, dass sie jene Vorgänge in mi- mittelbarem Zusammenhang mit der Befreiung Roms bringt. Die zweite knüpfte an die Wiedergewinnmig (6, 7 V. 368) und die Kolonisierung von Satricum (6, 16 V. 369) an, welche auch Diodor wahrscheinlich ^) zu den Militärtribunen von 368 gesetzt hat ^). Noch

1) Die Vermutung Matzats (Rom. Chronologie 2, 104 A. 8), dass bei Dio- dor 15, 27 SapStüviav aus Säxpixov verderbt ist, trifft das Richtige. Vgl. auch C. P. BuRGEK, 'Sechzig Jahre aus der älteren Geschichte Roms 418 358', histor. krit. Forsch., in den Verh. d. k. Ak. v. Wien 1891 S. 146 f.

2) Die kurze Notiz 6, 10, 6 9 (eodem anno ab Latinis Hernicisque res

XII. Die Quellt-n der zweiten Pentade. 129

aber wird, bevor hier eine Entsclieiduiig getrofien wird, der 3. Be- richt über die Grossthaten des Caiiiilhis zu berücksiclitifjfen sein 6, 22, 6 27, 1. Zu V. 372 hatten Livius' Annalen ') die Eroberun«^ und Zerstörung der neugegrimdeten Kolonie Satricimi berichtet. Es folgt dann die Wiedereiimaluue durch Camillus, ein überaus rhetorisches Machwerk oline viel Inhalt, aber andererseits auch ohne jene be- kamiten Erfindungen des Claudius, welcher sich ja gewöhnlich das Ansehen gibt, als wäre er über das Schlachtfeld und die Einzel- heiten des Kampfes sehr genau imterrichtet. In dem eng mit diesem Kampf um Satricum verbundenen Bericht über die Kämpfe um Tuscidiun veiTät sich (z. B. 6, 26, 4) der gute Antiquar.

Wer hier beachtet, wie Tubero sich häufiger an ältere Quellen anschliesst, diese allerdings mit rhetorischer Breite erweitert, während Claudius seme Schlachtberichte mehr frei ei-findet, der wird mit grosser Zuversicht 6, 22, 6 27, 1 auf Tubero, die beiden ersten Exkurse über die Grossthaten des Camillus, welche noch dazu in die Zeit der Ohnmacht Roms gehören, auf Claudius beziehn.

Vor allem kommt hier noch ein Umstand hinzu, der für Tubero entscheidet. Die Erzählmig des pränestinischen Krieges ist nicht zu trennen von der voraufgehenden Erzählung über den Kampf gegen Tusculum (s. 6, 21, 9). Nmi ist 6, 28 29 durch die besondere Anpreisimg der Tliaten der Quinctier charakterisiert mid kann also nach IX nm* aus Tubero stammen. Derselbe wird somit auch für den voraufgehenden Kriegsbericht als Quelle anzusetzen sein.

6, 27 ist durch seine dreistelligen Eponymen und daneben auch durch seme demokratische Tendenz wohl hinreichend als Machwerk des Licüiius Macer gekennzeichnet.

Nur hypothetisch möchte ich endlich 6, 32 auf Antias, 6, 33 auf Claudius beziehen. Die in dem letzten Kapitel erzählten Kriegs- thaten der Militärtribunen L. Quinctius und Servius Sulpicius sind jedenfalls rein fiktiv und der Stil weist auch auf diesen rhetorisie- renden Annalisten hin.

Im 7, und 8. Buche sind mehrere ausführliche Schilderungen enthalten, deren Herkunft nur z. T. mit Sicherheit bestimmt

repetitae etc.) ist äusserlich in den Zusammenhang eingeschoben, vermutUch aus Antias. 1) 6, 22, 4. Soltau, Liviusquellen. 9

j^gQ Xn. Die Quellen der zweiten Pentade.

werden kann. So 7 , 4 5 die Solinesliebe des T. Manlius, 7 , 6, 7—8, 7 der Hernikerkrieg , 7, 19, 6—20, 9 der Etruskerkrieg. 8, 12 14 letzte Kämpfe gegen Latium, 8, 19 21 die Kämpfe um Privemum, 8, 25, 5—27, 11 (bez. 8, 22, 5—23, 17); 8. 29, 1-9.

7, 4 5 ist mit grosser Wahrscheinlichkeit aus Claudius her- zuleiten. An verschiedenen Stellen (6, 42 und 7, 10 vgl. auch 8, 7) tritt das Literesse des Claudius für die Schicksale der Manlier hervor. Dazu kommt die romanhafte Inscenierung der Ueberraschung des Tribuns. Cicero de officiis 3, 31, vrelcher wie Philolog. Wochen- schrift 1890, 1239 f. bemesen ward, aus Claudius die Anekdoten dieses Buches entnahm, zeigt ohnehin grosse Verwandtschaft mit Livius' Erzähkmg.

Dagegen ist bei 7, 6, 7 7. 7 und 7. 19, 6 20, 9 keine ge- nügende Sicherheit zu gewinnen. 7, 6, 7 12, welches durch seine demokratische Tendenz ^) auf Macer hinweist , ist wohl sicherlich nicht mit dem ganz andersartigen Kampfesbericht 7, 7 8 gleicher Herkunft. Der letztere erümert in Einzelheiten an eine dichterische Darstellimg: 7,8, 1 'tunc inter primores duorum populomm res geritur . . . tandem equites alius alirnn increpantes . . . clamore renovato inferunt pedem' etc. Dieser Umstand, wie überhaupt die frei erfundenen Einzelheiten des Kampfes (7, 7, 6 duum milium planicies castra Romana ab Hemicis dirimebat) weisen auf Clau- dius hin. Dagegen ist 7, 19. 6 20, 9, die Darstellung des Etnisker- krieges , mit ihrem vorzugsweise antiquarischen Lihalt über die Be- deutung der Caeriten mid ihre besondere Rechtsstellung, mit Wahr- scheinlichkeit dem Tubero zuzuweisen.

Der grössere Teil des Latmerkrieges 8, 6, 8 11, 12 ^viirde S. 122 aus Tubero hergeleitet^). Nur von der Episode von Manlius Vater und Sohn (8, 6, 16 8, 8, 1) kann das Gleiche nicht mit derselben Sicherheit gesagt werden. Vielmehr ist es mehr als wahrscheinlich, dass dieselbe eine Einlage aus anderer Quelle ist. Sie unterbricht wenigstens den Zusammenhang wenig passend. Nach 8, 6, 13 hätte man sogleich den Beginn des Kampfes erwarten sollen. Es

1) Man beachte auch den Seitenhieb auf Ap. Claudius 7, 6, 12 'quia dissuaserat legem . . . dictatorem consensu patrieiorumServilius dicit'. Macer wird 7, 9, 4 citiert.

2) Dazu gehört als Einleitung 8, 3, 8—10 und vielleicht 8, 2, 5—3. 5 ; 8, 11, 1 4 ist eine Variante, vielleicht aus Claudius.

XII. Die Quellen der zweiten Pentade. 1:51

koiiiiiit hinzu, dass iiutli hier wieder der Zweikami)t" ähnlich aus- gemalt ist, wie bei den Einzelkiinipten des Vaters Manlius luid des M. Valerius Cor^1ls; an beiden Stellen war Claudius Quelle des Livius (vgl. X)').

Weniger einfach ist die Sachlage bei den folgenden Kapiteln 8, 12—16. Im Philologiis 55, 274 hatte ich 8, 13, 1—9; 8, 15; 8, 16, 1 6; 8, 16, 12 14 der pontitikalen Geschichtsschreibung zugewiesen. Auch wird jeder, welcher die eigentümliche Darstellung dieser Art von Aimalistik beachtet, zu ähnKchen Ergebnissen kommen. Nur wäre es wohl möglich, dass an einigen Stellen die Angaben des Antias in überarbeiteter Fassung vorliegen.

Beachtenswert ist, dass von Livius zweimal die Neuordnung Latimns erzählt wird und zwar mit einigen nicht unbedeutenden Abweichungen: 8, 11, 13 12, 3 und 8, 14. Dass der zweite die pontifikalen Angaben genauer wiedergibt als der erste, ist augen- scheinlich. Der letztere mengt ohnedies schon manches Spätere hinein, so Bemerkungen über die Verteilung des eroberten Landes.

Aber nicht nur dieses weist darauf hin, dass hier zwei ver- schiedene Quellen nach einander ausgeschrieben sind, sondern noch mehr zeigt dies die Verschiedenheit des Inhalts. Nach der Quelle von 8, 11 ist der Krieg schon 414 abgeschlossen, die Quelle von 8, 14 setzt den Schluss des Latinerkrieges 416.

Somit können die Berichte 8, 12 16 nicht aus der ersten Quelle des Livius stammen, wogegen 8, 11 notwencUger Weise noch derselben zuzusprechen ist.

Aber auch 8, 12 16 ist nicht aus ein imd demselben Anna- listen entlehnt. 8, 13 erzählt manches aus dem Kampf gegen Pedum zum zweiten Male. Man vergleiche 8, 12, 7 = 8, 13, 4—5 8, 12, 8=8, 13, 6

Die demokratische Tendenz, sowie die Bezugnahme von 8, 12, 12 auf 8, 11, 13 führt bei 8, 12, 4—17 auf Macer. 8, 13—16 ist abgesehen von der Hede (8, 13, 10) f. und einer Einlage in 8, 16

1) Dazu kommen stilistische Eigentümlichkeiten. Wie 8, 8, 1 'custodiae vigiliaeque et ordo stationum intentiorisque ubique curae fuit' lautet auch 5, 47, 11 'inde intentiores utrimque custodiae esse et apud Gallos.' 5, 47, 11 stammt aber aus Claudius (vgl. Gell. N. A. 17, 2, 26).

9*

132 ^11- ^^^ Quellen der zweiten Pentade.

(s, darüber uuteu A. 1), ein zusammenhängender Bericht des Antias.

Weiter ist noch 8, 38 40 jener merkwürdige Bericht zu be- sprechen, welcher im Gegensatz zu den übrigen Annalen unter dem Jahre 432 nichts von den Thaten des Q. Fabius Maximus zu erzählen wusste und alle Siegesglorie von diesem Manne auf M. Fabius übertrug. Da Macer wie Tubero überall die Thaten des Fabius Maximus feiern, so kann jener Schlachtbericht nur aus Claudius stammen, der sich auch sonst so m dem Zug über den cimiuischen Wald 9, 36, 2 cheses weniger berühmten Bruders des berühmten Maximus angenommen zu haben scheint^).

Auch 8, 19, 4 f. ist ein zusammenhängender Bericht, an dessen Schluss 8, 19, 13 Claudius citiert wird. Um so weniger aber kami die folgende Erzählimg über die Bezwmgung von Privemum aus Clau- dius stammen. Eine Angabe wie 8, 20, 3 (eo ipso die Kai. Qumcti- libus) ist seinen Aimalen fremd und führt auf die Annalen Macers, der hier direkt oder in Tuberos Bearbeitung vorliegen muss. Auch bestehen Widersprüche zwischen beiden Berichten. 8, 20, 1 lässt beide Konsuln vor Privemum liegen, während nach 8, 19, 13 nur der eine Konsul dorthin gezogen ist, ohne dass die Rückkehr des Plautius nach Privernum erwähnt war. Danebst ist zu beachten, dass der tumultus Gallicus 8, 20, 2 zum Jahre 425 nicht der Rech- nung des Claudius entspricht ").

Endlich noch die Darstellung der Veranlassimgen , welche den zweiten Samnitenkrieg herbeigeführt haben 8, 22, 5^23, 17; 8, 25, 5 27, 11. Li X ward gezeigt, dass der Bericht 8, 27, nach seiner Verwandtschaft mit den Fragmenten des Claudius (15. 16) zu urteilen, aus diesem Aimalisten entnommen ist. Schwerlich aber dürfte diese Er- zählimg von der voraufgehenden Unterwerfmig von Palaepolis zu trennen sein. Dagegen stammt der Anfangsbericht über die Kämpfe gegen diese Stadt 8, 22, 5—23, 12, wemi auch aus jmiger Quelle, so doch nicht von Claudius. 8, 22, 5 und 8, 23, 10 ist von zwei Städten (Palaepolis und Neapolis) die Rede, bei Claudius allem von Palae- polis; auch kennt nur Claudius die Teilnahme Tarents (8, 25, 7; 27. 11) Mit Wahrscheinlichkeit kann daher 8, 22, 5 f. aus Tubero herge-

1) Auch die Jagdgeschichte von M. Fabius 8, 16, 6 11 wird wohl den gleichen Ursprung haben. Zu 9, 36 s. oben S. 121.

2) Vgl. hierzu meine Rom. Chronolocrie 358 und oben S. 102.

XII. Die Quellen der zweiten Pfntmif. 1:^3

leitet werden, «lern die «gelehrten Notizen ill>er dif lltikunft dieser Städte 8, 22. 5 f. vmd die rhetorischen Stellen wohl iinstehn würden.

Im 9. Buche lassen sich zunächst eini<;e Al)schnitte des Licinius Macer ausscheiden.

9. 22 24 ist ein zusammenhängender Laudationenbericht zu Ehren der *;ens Fabia. Nicht einmal die Konsuln des .Jahres 439 werden i^enannt. nur der Diktator Q. Fabius und sein ma^j. eq. Q. Aulius sind die Helden der Darstellimg. l)is dann der letztere einem C. Fabius. der sich aufs Siegen noch besser versteht. Platz machen muss. Die bei Diodor 19. 72 so anschaulich geschilderte Nieder- lage von Lautulae wird imter seinen Händen nach einem ersten imentschiedenen Tretfen zu einem glänzenden Siej;. Nur nebenher verweist er 9, 23. 5 auf die abweichende Tradition: 'invenio apud quosdam ^) adversam eam pugnam fuisse atque in ea cecidisse Q. Aulium magistnim equitum.' Oflenbar boten also bereits mehrere Quellen des Linus die Wahrheit durch die gefälschte Geschichte über- tüncht. Der Hauptbericht über des Fabius Thaten Avird. mit Rück- sicht auf die Herkunft der übrigen Fabierthaten " . auf Licinius Macer bezogen werden dürfen. Dagegen sind wahrscheinlich schon einige Einzelheiten über den Kampf in der Nähe von Lautulae *), sicherlich aber 9. 24 aus jener Quelle, welche fabrikmässig allerlei alberne Kriegslisten und Schlachtenabenteuer zu produzieren ver- stand: aus Claudius. Die Verwandtschaft von 9. 24 mit andern vSchildenmgen des Claudius (wie z. B. 9, 36) ist schwerlich zu leugnen. 9, 26. 5 22 ist dagegen wieder ein Bericht, welcher durch seine demokratische Tendenz und durch mancherlei %villkürliche Handhabung des Quellenmaterials die Thätigkeit Macers verrät. Er behandelt die Diktatur des C. Maenius 'quaestionibus exercendis'. Die capi- tolinischen Fasten (C. I. L. I p. 445) bezeichnen ihn als 'dictator

1) Zu diesen gehört wohl auch der (etwas verklausulierte) pontifikale Bericht 9, 25, 5 'simul ad Lautulas pugnatum audierunt, pro victis Romanos habuisse.' S. auch Klimke, Diodorus Siculus und die römische Annalistik (Progr. Königs- hütte 1881) 25, der 2. Samnitenkrieg (Progr. Königshütte 1882) 9.

2) Namentlich die Kriegslist 9, 23, 6 14, welche ja zu der bedrängten Lage des Konsuls wenig passt. Mit Recht macht auch Binneboessel in , Un- tersuchungen über Quellen und Geschichte des zweiten Samnitenkrieges von Caudium bis zum Frieden 450 v. Chr." S. 8 darauf aufmerksam, dass der Kampfesbericht 9, -22, 4 f. an Homer (IL XVI 394; 419; 466; 485; 546; XVIII 232) d. h. an Ennius erinnere. Claudius liebt es diesen nachzuahmen.

J34 ^^- ^i^ Quellen der zweiten Pentade.

rei gerendae causa.' Schon diese willkürliche Umdeutung der Dik- tatur ist charakteristisch für Macer, mehr noch die Art, wie der strengen Rechtlichkeit der Oberbeamten aus plebejischem Geschlecht C. Maenius, M. Folius, Q. Publilius Philo gedacht wird.

Ueberhaupt hat Livius die Annalen Macers ^) von hier ab bis ans Ende des Buches, auch abgesehen von den bereits besprochenen Ab- schnitten 9, 33 34 und 9, 38 39, noch mehrfach berücksichtigt, ohne jedoch längere Zeit diesen Annalisten allein zu beachten. Meistens fügt er aus ilim einige Varianten zu den Angaben des Antias hinzu.

So ist 9, 28, 6 der Zusatz, dass Poetelius ein 'dictator clavi- figendi causa' sei, zweifellos eine jener quasiwissenschaftlichen Ver- mutungen, durch welche Macer die Geschichte bereichert hat^), und auf ihn geht daher auch die abweichende Ansicht zurück, dass nicht Poetelius, sondern Junius Nola gewonnen habe (9, 28, 5),

Möglich ist auch, dass 9, 29, 6 f., eine scharfe Seitenbemerkung gegen Appius Claudius aus ilim herstammt, sicher dass wie 9, 46, 3 8 (wo Licinius citiert wird) so auch 9, 42, 3 5 die Notiz, welche Livius über Appius 'in quibusdam annalibus' fand, in ihm ihren Ursprung hat ^).

Unentschieden mussdie Herkunft von 9, 31, 1 33, 2 ; 9, 41, 8 20 und 9, 43 bleiben. 9, 41, 8 f. steht insoweit mit der antiatischen Er- zählung 9, 41, 1 in Widerspruch, als diese Decius, nicht auch Fabius in Etrurien kommandieren lässt. Die Bevorzugung des Fabius 9, 41, 8 1 macht auch liier die Autorschaft Macers wenigstens wahrscheinlich.

Auch 9, 43 wird wohl nur aus Macer oder aus Tubero stam- men können, ist vielleicht eine Kombination aus den verwandten Be- richten beider. Im Allgemeinen liegt hier der pontifikale Bericht mit seinen Siegesbulletins und Triumphalangaben vielfach zu Grunde, aber er ist rhetorisch überarbeitet und erweitert.

Dagegen ist 9, 31 durch Claudius fr. 22 für diesen sicher-

1) Ob 9, 27 aus Macer stammt oder ob Livius in den Einzelheiten der Schlacht dem Claudius folgt, muss unentschieden bleiben. Jedenfalls ist der Bericht junger Herkunft, "wie ein Vergleich mit Diodor 19, 76 zeigt.

2) Vgl. oben S. 112.

3) Auch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Livius den einen Siegesbericht über die Thaten des Postumius, für den er 9, 44, 7 eine zweite Quelle citiert (alii . . . alii) aus Macer nahm. Von 9, 42 bis 9, 46 wird neben den pontifikalen Angaben fast durchweg Macer eingesehen. Vielleicht stammt daher auch einiges von 9, 44, 6 15 aus ihm.

XII. Die Quellen der zweiten Pentatle. 135

gestellt; und wuhrlich, das schauderhafte Morden sowie anderes Detail des Schlathtberichtes 9, 32 (besonders 9—12) sind ^'leiclifalls von der Art, dass hier nur Claudius der Urheber sein kann. Zonaras, der in der Kegel die Fassimg des Antias wiedergiebt, verzeichnet 8, 1 eine Niederlage der Römer.

Eine besonders eingehende Behandlung verdient endlich 9, 1 16.

Zur caudinischen Katastrophe') sind Fragmente des Claudius er- halten, welche einige wichtige Fingerzeige darbieten. Liv. 9, 5, 2 sagt : 'itaque n o n , ut vulgo credunt C 1 a u d i u s q u e etiam scribit, foedere pax Caudina, sed per sponsionem facta est.' Daraus geht hervor, dass alle die Teile des livianischen Berichtes, welche von einer 'sponsio' reden, nicht aus Claudius stammen, dagegen weisen auf ihn die Angaben über ein 'foedus' hin. Zu beachten dabei ist, dass Claudius inkonsequenter Weise von 600 Geiseln gesprochen hat. Das geht teils aus der Polemik des Livius gegen ihn ^), teils aus fr. 20 hervor: 'cum tantus, inquit, arrabo penes Samnites populi Romani esset, arrabonem dixit sescentos obsides.'

Weiter erzählt Claudius fr. 21 (= Gell. N. Att. 1, 25, 6): 'C. Pontium Samnitem a dictatore Romano sex horarum indutias postulasse.' Bei Livius ist es der Konsul Papirius, von welchem nicht Pontius, sondern die aus der Stadt geschickten Gesandten Frie- den erbitten; nach 9, 15, 4 befand sich Pontius nicht unter ihnen.

Schon hieraus folgt, dass der einem der jüngsten Annalisten gehörige Bericht über die Revanchekämpfe 9, 12, 9 16, 19 nicht aus Claudius herrühren kann. Obenein erwähnt Livius 9, 15, 8 ausdrücklich die abweichende Ansicht des Claudius als Variante: 'haud ferme alia mutatione subita rerum clarior victoria populi Romani est, si quidem etiam, quod quibusdam in annalibus invenio, Pontius Herenni filius, Samnitium ünperator, ut expiaret consulimi ignominiam, sub iugum cum ceteris est missus. Cetenmi id minus miror obscurum esse de hostium duce dedito missoque : id magis mi-

1) Vgl. Nissen über die caudinische Niederlage, Rhein. Mus. 25, 42 (1870). *- C. P. BuRGEE, de bello cum Samnitibus secundo (diss. Lugd. 1884). Kaebst,

Fleckeisen Jahrb. suppl. XIII, 725 f.

2) Livius sagt 9, 5, 3 im Sinne seiner Hauptquelle, welche Claudius wider- legt: 'quid enim aut sponsoribus in foedere opus esset aut obsidibus'! Auch ist Claudius die Inkonsequenz wohl zuzutrauen, dass er neben dem foedus noch von 'sponsores' gesprochen hat.

136 -^II- D^^ Quellen der zweiten Pentade.

rabile est ambigi, Luciusne Cornelius dictator cum L. Papirio Cursore magistro equitum eas res ad Caudium atque inde Luceriam gesserit . . ., an consulum Papiriique praecipuum id decus sit.' Livius hatte in dem bisherigen, in sich zusammenhängenden Bericht nur der Thaten der Konsuln, speziell des Konsuls Papirius Cursor gedacht.

Zum Uebei-fluss widerspricht übrigens auch 9, 14, 3 f. dem eben genaimten claudischen Fragment und 9. 14, 14 15 setzt eine andre Situation voraus wie Claudius fr. 19.

Endlich erklärt Livius 9, 16, 11 noch einmal auschücklich, dass er dieselbe von Claudius abweichende Quelle bis dahin ^) benutzt habe: 'inde ad triumphum decessisse Romam Papirium Cursorem scribunt, qui eo duce Luceriam receptam Samnitesque sub iugum missos auetores sunt.' Der von Claudius abweichende Bericht kann niu: einem der beiden jüngsten Annalisten M a c e r oder T u b e r o angehören ^).

Macer wird wahrscheüilich der Urheber der scharfen juristischen Distinktion von 'foedus' und 'sponsio' sein, er die Angaben über emen fniheren Rücktritt mid Antritt der Magistrate 9, 7. 12 8. 1 geboten haben. Aber im Uebrigen ist die rhetorische Schilderung, welche frei von demokratischen Invektiven ist, wohl erst der Macers Angaben über- arbeitenden Schilderung Tuberos zu verdanken. Gerade die Geschlech- ter der Papirier und Postmnier lagen Tubero am Herzen ^). und das nebenbei eingestreute Lob des Decius ^) weist ebenfalls auf ihn hm.

Aus denselben Gründen Avird aber anzunehmen sem. dass auch 9, 4, 1 7, 5 gleicher Herkunft ist. Der Bericht reicht aber weiter: er umfasst auch 9. 7. 5 8. 1 mid nach den Reden (9, 8 9) die feierliche 'deditio': vielleicht nur die kurzen Angaben über den Verlust von Satriciun und Fregellae 9, 12, 5 8 smd aus anderen Quellen (Antias?) eingeschoben. Hernach beginlit wieder der gleich- artige Bericht des voraufgehenden Berichterstatters, jenes Annalisten,

1) Die Thaten der Konsuln von 435 gaben seine beiden Quellen ähnlich an: 9, 16, 1 'co-nvenit iam inde per consules reliqua belli perfecta.'

2) Die Reden 9, 3, 5—13; 9, 4, 8—16; 9. 8—9 sind natürlich grösstenteils des Livius' eigenstes Werk und scheiden für die Untersuchung aus.

3) Wie S. 126 zu 10, 38—40 und 10, 32—37 gezeigt wurde.

4) 9, 10, 3 'Postumius in ore erat, eum laudibus ad caelum ferebant, de- votioni P. Decü consulis, aliis claris facinoribus aequabant.'

XII. Die Quellen der zweiten Pentade.

1:^7

welcher im Gegensatz zu Claudius den juristischen Erörterungen Macers beipflichtete und sie nach Art rhetorischer Laudationen erweiterte. Dagegen ist 9. 1, 1 3. 7 ^) aus Claudius' Annalen geschöpft, stammt sicherlich wenigstens nicht aus der von 9, 3, 8 beginnenden Quelle. Der zweite Bericht setzt die Anwesenheit des Herennius Pontius voraus (9, 3, 8 4, 1 und ebenfalls 9, 12, 2), der frühere lässt ihn 'in absentia' konsultieren. Ausserdem ist die Schilderung des Kriegsschauplatzes und der Lage des Heeres 9, 2 so nichtig, dass sie kaum einem andern Scribenten zugeteilt werden kann. Von der Amialistik selbst eines Antias heben sich derartige Berichte scharf srenugr ab.

Die Quellen der zweiten Pentade. 6. Buch.

1 A.

2, 1-4, 3 Cl.

4, 3—5, 5 A. 4,

5, 6—6. 3 PISO

6, 3—10, 5 Cl.

10, 6—11, 1 A.

11, 2—10 T.

12, 1—5 Livius 12, 6—13, 8 T. 14—20 (M.) T. 21, 1—22, 5 A.

22, 6—27. 1 T. 27 M. 4—6 PISO 28—29 T.

30—32 A. 33 CL? 34—35 M. 36, 1—6 A. 36, 7—42, 4 M. 42, 5—8 Cl. (5 Claudius) 42, 9—10 M.

7. Buch.

1. 1—2, 3 A. [2, 4—13 Varro ')] 3, 1—4 (3. 9) A. [3, 4—8 Cincius] 4—5 Cl.

6, 1—6 PISO 6, 7—12 M. 7—8 CL? 9, 1—3 (5) A. 9, 4 M. (Macer)

1) Abgesehen von den grösstenteils durch Livius selbst eingelegten Reden 9, 1.

2) S. Hermes 29, 613 und Oeendi, Progr. von Bistritz 1891. [ ] be- zeichnet nachträgliche Einlage. Ausgeschriebene Namen in ( ) beziehen sich auf Citate.

^3g XII. Die Quellen der zweiten Pentade.

9, 6—11, 3 Cl. 23—24 Cl.

11, 3—11 A. (T.) 25 A.

12, 1—9 A. 26, 1-12 Cl.

12, 10-15, 8 Cl. 26, 13—28, 10 A. (P.?)

15, 8—17, 13 A. 29 T.

18, 1—19, 6 M. (19, 1—4 A.?) 30 (T.) Livius

19, 6—20, 9 T. ? 31—41 T.

21—22 A. (22, 3 Varianten) 42 Varianten: Livins.

8. Buch.

1, 1—2, 4 A. 20, 1-21, 10 (M.) T.?

2, 5-3, 5 T.? 21, 11-22, 4 A. (R?) [3, 6-7 Nepos] 22, 5-23, 17 T.?

3, 8—6, 16 T. (4, 1—6. 7 R.) (23, 17 Variante A.) 7 Cl. [24 Nepos]

8, 1-11, 1 T. 25, 1-4 A. (R?)

11, 1-4 Cl. 25, 5-27, 11 Cl.

11, 5—16 T. 28 M.

12, 1-3 A. 29, 1-10 M. (T.)

12, 4—17 M.? 29, 11—14 A.

13, 1-16, 5 A. (15, 6-9PISO) 30, 1-36, 2 M. (T.)

16, 6—12 Cl. (17, 6—7 CL?) 37, 3—38, 1 A. 16, 12-17, 12 A. (R?) 38, 2-39, 15 Cl.

18, 1—19, 3 M. 39, 16—40, 5 (M. T.) Livius

19, 4—14 Cl.

9. Buch.

1, 1—3, 7 Cl. [17—19 Lirius]

(1, 3-11 R.) 20 BISO

3, 8—12, 4 T. 21 A.

(3, 10—13; 4, 8—16; 8—9 R. 22—23 M. (22 Cl.)

Livius); 5, 3 Claudius 24 Cl.

12, 5—8 A. 25 A.

12, 9-15, 8 T. 26, 1-5 BISO

15, 8—11 Livius (Varianten nach 26, 5—22 M.

CL) 27, 1—28, 1 M. oder CL ?

16 T. 28, 2—30, 10 A. (28, 5—6 M.)

XII. Die Quellen der zweiten Pentade. 139

31, 1—33, 2 Cl. 41. 8—20 M. ?

33, 3—34. 2<5 M. (H. Livius) 42 A. (3—6 f. M.)

35 M.? 43. 1—21 M.?

36, 1—37, 10 Cl. 43, 22—44, 2 A.

37, 11 12 Varianten M. A. 44, 3—6 (PISO) Lmus

38, 1—3 A. 44, 7—15 M.V 38, 4—39, 11 M. (Macer) 44, 16—45, 18 A.

40, 1—17 T. 46 PISO (3—7 Macer). 40. 18—41, 7 A.

Ueber die Quellen des 10. Buchs vgl. S. 123 und 127.

140

XIII. Die üuellen von Liviiis 2. 1 33.

Die jetzt folgende Quellenanalyse des I. Pentade wird zunächst von dem ersten Buche absehn, das überhaupt der Quellenkritik be- sondere Schwierigkeiten bietet.

Die Behandlung der livianischen Berichte in den 4 folgenden Büchern soll in 4 Abschnitten erfolgen :

1) 2, 1 33 die Zeit von der Vertreibung der Könige bis zur Stiftung des Tribunats,

2) 2, 34 3, 65 die Zeit zwischen der 1. und 2. secessio plebis,

3) die Quellen des 4. Buches 3, 66 4, 61 und

4) die Quellen des 5. Buches.

Die bisher gefundenen Ergebnisse über die geringe Zahl und den Charakter der weiterhin von Livius eingesehenen Annalenwerke ist von grossem Wert für die Erforschung der Quellen dieser Bücher. Nur vier Annalisten sind hier von ihm eingesehen worden: Piso mid Antias vertreten die ältere pontifikale Tradition, Macer und Tu- bero suchten, durch ihre antiquarischen Studien unterstützt, eine aus- führlichere Schilderung des Ständekampfes zu geben; der letztere bemühte sich daneben durch die rhetorische Schilderung der Siege des Römervolkes und durch die Anpreisung der Thaten einiger der hervorragenden Familien, der Fabier, Quinctier, Servilier, die längst- vergessenen Zeiten durch eme anschauliche Darstellung den Zeit- genossen wieder in Erinnenmg zu bringen.

Wenden wir uns zuerst dem so vielfach umstrittenen Anfang des 2. Buches (2, 1—33) zu.

Was Livius in diesem halben Buche behandelt hat, ist von Dionys bedeutend ausführlicher im fünften und sechsten Buche seiner Archäologie dargestellt worden. Um eine solche Kürze zu erzielen, musste Livius oft die breiten rhetorischen Schilderungen der jüngeren

XITI. Die guellon von Lävius 2, 1—38. 141

Annalisteu bei Seite lefj^en, der Darstellung der älteren Annalisten folgen. Li der Tliat tragen auch mehrere Kajjitel jenen unverkenn- baren Typus der pisonischen Annalen, wie er selbst noch bei der Darstellung historischer Zeiten in der vierten und fünften Dekade diesem Chronisten eigen ist. So gehört ihm an 2. 8 '). wo Livius viel- leicht nur den consul suö'ectus Sp. Lucretius aus jüngerer (Quelle einsdiiebt, im Uebrigen aber das erzählt, was er 'apud quosdam veteres auctores' (2, 8, 5) fand. Auch 2, 8, 9 ist bezeichnend für Pisos Erzälüimgsweise (vergl. Censorin de die natali 17, 13). Den glei- chen Charakter tragen die Berichte über die .lahre 249 bis 253 Liv. 2, 16, 1 18, 5, sowie der Anfang von 2, 19 und die Jahresberichte 256—259, welche Livius 2, 21 bietet.

Mit diesen Darstellungen steht in vielfachem Gegensatz die mit allem möglichen Detail ausgeschmückte Schilderung der secessio plebis, welche bereits in XI als ein Produkt der jüngsten Quellen, Macer imd Tubero, nachge^viesen worden ist. Vor allem ist hierbei zu beachten . dass der Berichterstatter von Liv. 2, 22, 2 (s. h a c ira) den Kampf mit den Latinern am See Regillus, wie die von Liv. 2," 21, 3 zurückgemesene Quelle, ins Jahr 258 setzt. Dies that Licinius Macer, wie noch ausführlicher in XIV nachgewiesen werden Avird "). Es folgt hieraus, dass Livius, da alle seine chrono- logischen Ansätze vor 2, 22 denen Macers widersprechen, diesen im Anfang des 2. Buches überhaupt nicht benutzt haben kann.

Kaum braucht noch weiter darauf hingewiesen zu werden, wie auch sonst vieles gegen eine Benutzung Macers in diesem Abschnitte spricht. In den meisten Fällen fehlen die cognonüna und von einer demokratischen Tendenz kann in den Berichten zu Anfang des zwei- ten Buches keine Rede sein. Im Gegentheil: die spätere, dem Li- cinius entlehnte Schilderung von der Schuldennot der Plebs tritt bei Livius 2, 23 f. ganz imvermittelt auf.

Die übrige Erzählung zerfällt in folgende Absclmitte:

1) Liv. 2, 1 2 die Gründung der Republik bis zur Verbannung des Collatinus,

2) die Erzählung von Brutus' Strenge und Heldentod von 2, 3, 1 7, 4 ;

1) Bez. wohl schon 2, 7, 5 f.

2) Näheres über diese chronologischen Differenzen s. in meiner 'Rom. Chronologie' 470, und H. ViRCK, die Quellen des Livius und Dionysios (Strass- burg 1877) 18 f.

142 XIII. Die Quellen von Livius 2, 1—33.

3) die Porsena-Episode 2, 9—15,

4) (Ue Schlacht am See RegiUus 2, 19—20.

Der 4. Abschnitt, welcher die Schlacht am See Regillus be- schreibt, nimmt eine besondere Stellung ein. Er kann erstlich weder aus der Quelle (Tubero s. oben S. 115) stammen, welche den Dik- tator von 290 mit Liv. 2, 30 'Marcus Valerius Volesi filius' nannte, andrerseits aber kann dies, nach den voraufgehenden Erörterungen, auch nicht Licmius Macer sein. Der letztere schon deshalb nicht, weil Livius die auf Gellius und Licinius zurückgehende wunderbare Geschichte von der Erscheinimg der Dioskuren nicht beachtet. Livius hat hierin also die spätere, aus griechischen Geschichtsbüchern entlehnte Fälschung ignoriert und ist oÖenbar einer einfacheren Version gefolgt ^). Auch Livius 2, 19, 6 erzählt, unbekümmert um rationalistische Bedenken (vgl. Dionys 6, 2; 11), wie der hochbetagte Tarquinius Superbus selbst mitgekämpft habe und ver^amdet aus der Schlacht geführt worden sei.

Führen schon diese Momente auf Antias hüi, so stinmit gut dazu das an dieser Stelle (2, 20, 1 ff.) hervortretende Literesse für die Familie imd die Person des 'M. Valerius Publicolae frater' ^), so- wie die nicht aus Piso genommene, aber auf Grund von Piso (fr. 21) erzählte Verleihung von Belohnungen an die Tapfersten (2, 20, 12).

Dagegen ist das Quellenverhältnis Liv. 2, 1 7 und 2, 9 15 zweifellos em anderes.

Von einer besonderen Hei'vorhebung des valerischen Geschlechtes, wie das nicht nur im allgemeinen für Antias anzunehmen ist, son- dern sogar durch die Fragmente erweisbar ist ^) , findet sich bei Livius nichts'*). Die allgemein bekannte Anekdote über die Ver-

1) Auch kennt Livius nicht die von den jüngeren Annalen gebrachten Einzelheiten über Sextus und Titus Tarquinius, welche nach Dionys 5, 61; 6, 5 ; 6, 11 mit am Kampfe teilgenommen haben sollen. Nach Livius früheren Angaben 1, 60 ist Sextus längst gestorben. Ueber die Sage von den Dioskuren vgl. Zaencke, Der Einfluss der griech. Litteratur auf die Entwickelung der römischen Prosa, Leipzig 1888, S. 24.

2) Bezeichnend ist namentlich 2, 20, 2 'ut cuius familiae decus eiecti reges erant, eiusdem interfecti forent.'

3) Vgl. fr. 17. 18 (s. dazu Peter V. H. R. R. 245). Zu Antias als Quelle von Liv. 23, 34, 9 s. Soltau, 'Livius Quellen in der in. Dekade' 136. Im All- gemeinen s. KiESSLiNG, de Dionysi auct. lat. 26; Caklo Pascal, 'Studi Ro- mani' 33 geht viel zu weit, wenn er diese Tendenz des Antias bestreitet.

4) So findet sich keine Spur von den Angaben des Antias (Ascon. in Pison. p. 13 Or.) über die Auszeichnung des Valerius Maximus.

Xlir. Die Quellen von Livius 2. 1—33. 14:i

legun«? des Wohnsitzes von l'uhlicolii nach der Vclia kann scliun in den früheren Annalen nidit ilheri^fan^en worden sein.

Hier ist ihi.s Verhältnis des Livius zu seinen Quellen inchrtach auch deshall) verkannt worden, weil über die Quellen von Plutarchs Publicola und demnach auch v( m I )ion ys l)isher verkehrte Anschau- ungen verbreitet waren.

Es war ein verhängnisvoller Irrtum '), dass es seit Kiessling (de Dionysii llalic. auct. lat. 24) für ausgemacht galt, dass Plutarch im Publicola fast nur ein Excerpt aus Antias gebe. Diese Ansicht ist unhaltbar ^).

Wenn vielmehr angenommen werden darf, dass P l u t a r c h s Publicola teils auf Dionys, teils auf Jubas Uebertragung var- ronischer Angaben zurückgeführt werden muss, dass aber Antias entweder vermittelst Varros Schriften, oder direkt durch Jul)a stark benutzt ist, so sind alle Schwierigkeiten gehoben, und zugleich er- geben sich daraus wichtige Folgerungen für die Quellen von Dionys imd Livius.

Besonders zu l)eachten ist, dass Dionys, welcher in der ganzen Anlage "luid in den wichtigeren Hauptberichten so in der Verknü- pfung der tarquinischen Verschwörung mit der Verbannung des CoUa- tinus und sodann beim Kampf gegen Porsenna mit Plutarch ühereinstinunt. \äelfältig ebenfalls auf VaiTO zurückgeht. Aus Varro ist von Dionys namentlich das entnommen, was eine antiquarische Quelle verrät ^).

Daneben bleibt natürlich die frühere Vermutung von Nitsch. dass Licinius Macer die Hauptquelle von Dionys 5, 1 f. gewesen sei, in Geltung (vgl. Virck, Quellen d. Livius und Dionysios 36). Und ausserdem ist mehr als bisher mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auch Tuberos Annalen subsidiär herangezogen sein werden.

Zunächst weisen manche Einzelheiten, in welchen Dionys von dem varronischen Berichte in Plutarchs Publicola abweicht, deutlich

1) Der leider auch die sonst so sorgfältige Untersuchung von Bocksch, (de V. et VI. 1. Dionysii fönt.) irre geführt hat. Irrig auch H. Petkr, die Quellen Plutarchs.

2) Vgl, Korber, de fönt. Flut, in v. Rom. (Berol. 1885).

3) Gegen eine zu ausgedehnte Benutzung Varros durch Dionys wendet sich mit Recht Alwin Jacobson, 'Das Verhältnis des Dionys von Halicarnass zu Varro in der Vorgeschichte Roms' (Programm Dresden 1895).

144 Xin. Die Quellen von Livius 2, 1—33.

auf Licinius hin. So ist es Licinius Macer ') , nach welchem die Einweihung des kapitolinischen Tempels von Dionys 5, 35 in das 2. Konsulat des Horatius (247) verlegt wird; nach ihm wird auch von Dionys die Schlacht am See Kegillus in das Jahr 258 gesetzt und bei der Thatsache, dass Licinius Macer die libri lintei und ähn- liche zweifelhafte Quellen bei seinen Fastenangaben benutzt hat, ist es wohl auch das wahrscheinlichste, dass Dionys 6 , 32 auf Macers Autorität hin den Diktator von 260 Manius Valerius genamit habe.

Nicht minder wichtig sind die Folgerungen, welche sich hieraus für die Quellen des Livius ergeben.

Wie zu erwarten war, zeigt sich Livius unabhängig von der Tradition Varros, wie sie bei Dionys und Plutarch vorliegt. Er stellt noch nicht, wie diese, einen pragmatischen Zusammenhang zvvrischen der Verbannung des Collatinus und der Verschwörung zu Gunsten der Tarquinier her. Er lässt noch nicht, wie Varro, die gesamte gesetzliche Neuordimng zu Beginn der Republik als ein planmässiges Werk des Publicola erscheinen. Kurz, von einer Kunde von Varros Schrift 'de gente populi Romani' kann bei Livius hier ebensowenig, wie überhaupt von einer direkten Benutzmig varronischer Schriften ^) die Rede sein.

Wenn nichtsdestoweniger auch Livius 2, 1 7 einige Bemerkun- gen enthält, welche an Varros Altertumskunde erinnern, so erfordert dies eine andere Erklärung. Diese v^drd sich finden lassen, wemi auch noch eine zweite Art der Verwandtschaft, die ZAvischen Varro und Livius besteht, beachtet wird. Wie Dionys und Plutarch, so zeigt auch Livius 2, 4 eine auffallend genaue Kunde der Familien- verhältnisse des Brutus. Wie kam eine derartige spezielle Nach- richt, z. B. dass die Gemahlin des Brutus eine Schwester der Vi- tellier war, in die römischen Annalen ? Es scheint mir nicht zweifel- haft zu sem, dass eine solche genaue Kunde der Vorgeschichte des jimischen Hauses erst dann weitem Kreisen zugänglich war, nach- dem Atticus seine Schrift über das junische Geschlecht herausge- geben hatte, welcher 'M. Bruti rogatu luniam familiam a stirpe ad

1) Vgl. meine römische Chronologie S. 470 und vor allem unten Ab- schnitt XIV 'die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrhunderts v. Chr.'

2) In Livius 7, 2 ist der antiquarische Exkurs spätere Einlage, wahrschein- lich allerdings aus Varro (s. Hermes 29, 613 und oben S. 137 A. 2).

XIII. Die (.^uclii'n von Livius "J. 1 ö:{. 145

hanc aetatem ordiiie eiiiuueraverit, notans, qui a quoque ortiis, quos honores qiiibiis(|ne tt'mporihus cepissef (Ne|ios Atticus 18).

Durch wen alier küniieii derartige Angaben aus den Scliril'ten des Atticus dem Livius überaiittelt sein? Nur ein einziger Annalist war ein unmittelbarer Zeitgenosse des Atticus: Lucius Aelius Tubero. Nur er stand zugleich auch unter dem Einflüsse der varronischen antiquarischen Studien. Somit ist Tubero für LiWus 2, 1, 1 7, 4 als Quelle anzusetzen, abgesehen von einigen wenigen Einlagen aus einer andern Quelle '). Ueberall finden sich in diesen Kapiteln die dem Tubero charakteristischen Eigentümlichkeiten. An vaiTonische Weis- heit erinnert Livius 2, 1, 11 (qui patres quique conscripti essent, vgl. Paul. Diac. p. 7, Festus p. 254) oder 2, 5, 10 über Vindicius (vgl. Popl. 7) oder 2, 5, 2 3 über den campus Martins und die Tiber- insel, an Atticus Livius 2, 4, 1 f. ; abgesehen hiei-von aber hat Livius 2, 1 14 mit Ciceros Schritt de re publica und ihrer älteren Quelle Fi so unleugbar mehr Verwandtschaft, als mit Varros Schriften und den übrigen Quellen des Dionys. Dabei fehlt jedoch nirgends das für den jüngeren Annalisten bezeichnende rhetorische Element, z. B. 2, 1, 4 f.; 2, 2, 3—8: 2, 6, 7.

Tubero hat offenbar, wie sein Freund Cicero, bei den nicht nur unsicheren, sondern auch direkt sagenhaften Berichten über die bei- den ersten Jahre der Republik die späteren, breit ausgeführten Er- zählungen mehr bei Seite gelassen; er legte die Angaben einiger der älteren Annalisten wie Piso zu Grunde, führte diese in lebendiger rhetorischer Weise aus und that namentlich manche antiquarischen und genealogischen Kenntnisse, wie sie im Varronischen Kreise cursier- ten, hinzu.

Auch 2, 9 13, die Porsena-Episode, welche Lirius ins 2. Jahr

der Republik, nicht wie Dionys-Macer ins 3. Jahr verlegt, kann aus

chronologischen Gnlnden nicht aus Macer stammen, und da in ihr

alle Spuren der valerischen Tradition fehlen, so bleibt n u r Tubero

für sie als Quelle übrig. Die rhetorische Ausführung 2, 12 stimmt

gut zu dieser Annahme, ebenso che gelegentliche Envähnmig antiqua-

1) So ist es möglich, dass bei dem altertümlichen Schlachtbericht vom Walde Arsea Livius auch ältere Annalen eingesehen hat. Vor allem aber enthielt auch die kurze Erzählung von der Gründung der Republik pisonische Partien. Man beachte z. B. den wörtlichen Anklang 2, '2, 6 mit Piso bei Gell. N. A. 15, 29.

Soltau, Liviusquellen.

146 XIII. Die Quellen von Livius 2, 1—33.

rischer Angaben: die 'prata Mucia' (2, 13, 5), die Sitte 'bona Por- sinnae regis vendendi' 2, 14, 1 f. (= Fest. p. 322) u. a. m. Vielleicht stammt auch noch der friedlich-freundliche Abschluss der Porsena- erzähluno- und die Aufnahme flüchtiger Etrusker im vicus Tuscus (2, 14, 5 9) aus derselben Quelle, jedenfalls aber nicht mehr 2, 15. Daselbst wird ganz unmoti-sni-t erzählt : 'eo anno (248) postremum legati a Porsiima de reducendo in regnum Tarqimiio veneiimt'. Statt der Antwort ^^^rd eine Gesandtschaft der angesehensten Senatoren er- wälmt (missi confestim honoratissünus quisque e patribus) und diese AA-issen durch ihre Beredsamkeit, durch die Beteuerimg, dass Rom mit der Freiheit stehe und falle, den König so zu ilihren, dass er von seinem Plane absteht und noch obeneiii Geiseln und Landerwerb herausgiebt.

Es bedarf keiner weiteren Begründmig, ^*ie Avenig dieses zu der Fassung, der Li\äus bisher folgte, passt.

Andrerseits ist klar, dass dieser späte Ansatz der friedlichen Auseinandersetzung mit Porsena zAvar eine Kenntnis der abweichen- den chronologischen Theorie, dass der Kampf mit Porsena nicht 246. sondern 247 gefallen sei, zur Voraussetzmig hat, keinesAvegs aber aus Macer selbst stammen kami, da Livius dessen Zeitangaben m der ersten Hälfte des 2. Buches konsequent vernachlässigt. Hier liegt vielmehr der Versvich vor, zAAäschen beiden Zeitansätzen zu la- vieren. Die Angaben von einem späteren Friedensschluss haben zu einer regelrechten Doublette geführt, deren Urheber nach den soeben gegebenen Ausführungen allein noch A n t i a s sein könnte. Und auf wen dürfte die naive Anpreisung der schönen Theorie, dass der Senat der Hort der Freiheit sei, besser passen, als auf Antias, den Ver- treter der pontifikalen Geschichtsanschaumig !

An kleineren Einlagen sind noch beachtenswert 2, 17, die recht moderne Scliildermig von der Einnahme A'On Pometia, welche in die pisonischen Abschnitte zur Erweiteiimg eingeschoben ist '), viel- leicht auch 2, 18, 8 11. Wemi diese beiden Kampf berichte, welche die kürzeren Ausführungen unterbrechen, schon aus dem 2, 19, 2 f. eingesehenen Antias stammen Avürden, so wäre zugleich erklärt, Avie Livius 2, 18, 6 zu der Variante kam: 'consulares ^) legere: ita lex

1) SCHWEGLEK, Rom. Gesch. 2, 702, Nitsch, Rom. Annalistik 55.

2) Wenn nicht auch die aktive Wahlfähigkeit, sondern nur die passive

XIII. Die Quellen von Livius 2. 1 33. |47

iubebat de dictatore creando lata, eo iuagi.s adducor, nt credani Lar- ciimi, qui coiisularis erat, potius (juaiii M'. Valeriiun M. filiiun Vo- lesi nepotem, qui nondum consul fiierat, moderatorem et nia^strum consulibus oj)positum; quin si maxiiiie ex ea faniilia legi dictatorein vellent, patrem miüto potius M. Valerium spectatae virtutis et con- siilarem Wnim legissent'. Die Ansicht, dass M*. Valerius Maximus der erste Diktator gewesen sei, welche auch das elogium C. J. I. p. 284 gebracht hatte ^), stammt nach allgemeiner Annalime aus der valerischen Familientradition und wird daher in irgend einer Form auch von Antias vertreten seiii.

Indem aber Livius dort die abweichende Angabe des Antias heranzog, hat er einerseits ihm die folgenden Sclilachtberichte 2, 19, 3 20, 13 entnommen, andrerseits aber hier noch seinen eigenen Stand- punkt gewahrt und sich gegen die Autorität des Antias ausgesprochen. Dass er dabei in seiner Polemik sehr glücklich gewesen wäre, kann man nicht gerade sagen. Seine Argumentation wäre in sich selbst zerfallen, wenn er gewusst oder beachtet hätte, dass nach einer weit- verbreiteten Ansicht (so im elogium) auch ein Sohn des Volesus Manius hiess.

Li>aus' Quellenauswahl war 2, 1 21 durch die chronologischen Abweichungen, welche Macer brachte, sehr erschwert. Er seufzt 2, 21, 4 'tanti errores inplicant temporum aliter apud alios ordinatis magistratibus, ut nee qui consules secundum quosdam, nee quid quo- que anno actum sit, in tanta vetustate non rerum modo, sed etiam auctorum digerere possis'. Nicht minder dadurch, dass bei Antias die valerische Familientradition alles überwucherte. So hielt er sich anfangs neben Piso an Tubero. welcher wenigstens in chronolo- gischer Hinsicht mit diesem harmonierte und von Antias' Familien- verherrlichung absah. Erst beim Abzug des Porsena und namentlich

Wählbarkeit gemeint sein sollte, so wäre 'consularem' zu erwarten. So müsste wenigstens in der lex gestanden haben (ita lex iubebat de dictatore creando lata). Falls man dagegen mit Mommsen (Rom. Staatsrecht 2, 129) 'legere' als Perfekt übersetzt, und auch an die aktive Wahlfähigkeit denkt, so schwindet zugleich das Bedenken wegen der Wahl des Larcius, der damals noch nicht consularis' war. Livius hat allerdings, so oder so, seine Quelle missverstanden. 1) C. I. L. I p. 248 : Primus (=: prius) quam uUum magistratum gereret. dictator dictus est; triumphavit de Sabinis; nur wird im elogium W. Va- lerius 'Volusi f.' nicht 'Volusi nepos' genannt. Vgl. oben S. 115.

10*

I.jt8

Xni. Die Quellen von Livius 2, 1—33.

bei der Schlacht am Regillus wandte er sich stetig dem Antias zu, den er vielleicht auch schon bei der verwandten Schildenmg der Schlacht beim Walde Arsea eingesehen hatte, indem er bei ilir den tralati- cischen einfacheren Bericht des pontifikalen Annalisten vorzog.

Das Ergebnis, übersichtlich zusammengestellt, ist demnach fol- gendes :

1, 1—7, 4 T. (6 A.)

7, 5—8, 9 P.

9—14 T.

15 A.

16, 1—18, 5 P. (17, 3—7 A.?

18, 6 7 Variante nach A.

18, 8—19, 3 P.

19, 3—20, 13 A. 21 P.

22—27 M.

28, 1—8 (M.) T.^)

28, 9—33, 3 T. (32, 3 PISO)

Anfangs Tubero, Piso ,

dami Piso, Antias,

endlich Macer, Tubero.

1) D. h. der von Macer herrührende, aber von Tubero überarbeitete Be- richt hat vorzugsweise Livius' Darstellung beeinflusst. So vielleicht schon zu 2, 26, wie ein Vergleich mit dem rein licinischen Bericht des Dionys 6, 29 f. zeigt. Hiei'zu sowie überhaupt zu 2, 22, 1 38, 3 sind die Ausführungen S. 114 f. zu vergleichen.

149

XIY. Die cliroiiologisclieu Yerseliiebungeii des 5. Jalir- huiiderts v. Chr.

Mit Glück sind bereits von andern') die chronologischen Ver- schiebungen, welche sich bei der Tradition des 5. Jalurhunderts v. Chr. finden, dazu verwandt worden, um friihere und spätere Elemente zu scheiden. Es Hess sich nämlich feststellen, dass, entsprechend den soeben besprochenen verschiedenen Ansätzen über die 1. Dik- tatur, durch das ganze 5. Jahrhmidert v, Chr. zerstreut verschie- dene Zeitansätze für dieselben Fakta in den Annalen vorkoumien; diese können nur aus der Verschiedenartigkeit der Quellen erklärt werden-.

In meiner röm. Chronologie 470 stellte ich über die verschie- denen Zeitangaben folgende Tabelle zusammen:

Richtige Ansätze älterer Ansätze s p ä t e r e r Aimalen, gewon- Amialeu und Fastenangaben: nen durch Rücki'echnung:

253 .. . 1. Diktatur 256

255 ... 2. Diktatur, Schlacht am See Regillus . 258 277 . . . Fabier-Niederlage , Begmn des 40jährigen

Friedens mit Veii 278/280

296, 297 Sieg über die Aequer am Algidus ... 299 308 . . . Krieg gegen Aequer rmd Volsker . . . 311 317 . . . Gesandtenmord, Krieg gegen Veii und Fidenae 319/20

(326) . . Sieg des Cossus 328

(327) . . 20jähriger Friede mit Veii 329

347 .. . Ablauf des Friedens. (Neuer Krieg 349) . 348

358 . . . Veiis Eroberung 358

364 . . . Roms Zerstöinmg 364

1) NiTSCH, Rom. Annalistik 43 f. Zur Begründung s. SoLTAU, Röm. Chro- nol. 460.

150 ^V. Die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrh. v. Chr.

Sicherlich früh ist die Verschiebung der Vorgänge des Cossus- sieges von 326/327 in die Jahre 328/329 und es sind denn auch die Berichte, welche die Cossusthat und den folgenden Friedensschluss nach 328/29 verlegen, z. T. aus besseren Quellen entnommen. So- gar schon vor dem Abschluss der Stadtchronik') (130 v. Chr.) sind dieselben dort fixiert gevt^esen, keineswegs erst durch einen späteren Annalisten. Und gleichfalls wohl mindestens bereits in der Stadt- chronik, wenn nicht schon vorher bei Piso mid älteren Annalisten, ist der ca. ins 50. Jahr vor dem 2. Frieden mit Veii fallende 1. Friedens- schluss von 277 nach 280 verlegt worden. Unter 326—329 waren nun die sonst unvermeidlichen Doubletten z. T. dadurch vermieden worden, dass die offiziell später angesetzten Ereignisse von 326/327 in der Stadtchronik ausgelassen wurden. Unter 277 280 ging es dagegen nicht ohne einige Dittographien ab. Bei 277 wurde zwar die alte Fabiemiederlage beibehalten, aber der Revanchefeldzug der Römer ward auf mehrere Jahre ausgedehnt. Ganz einfach schloss der eine jener pontifikalen Berichte 2, 51 den Vejenterfeldzug 277 mit zwei Kämpfen 'ad Spei' und 'ad portam Collinam', während der andere einen Kampf am Janicukmi unter 278 ausführte. Der jüngste Bericht endlich erzählte noch einen Kampf vor den Thoren Veiis (2, 53), ehe der 40jährige Friede abgeschlossen Avurde (2, 54, 1).

Wie schon bei diesem die jüngere Tradition durch ihren eigen- tümlichen Zeitansatz sich von der alten abhebt, so noch schärfer bei den übrigen durch Rückrechnung gewonnenen Ansätzen: sie sind sicherlich erst spät und miter Nichtachtung der offiziellen Ansätze der annales maximi, wie sie Piso und Antias in der Stadt- chronik fanden, in die römische Geschichte eingeführt worden. Sie bilden daher regelrechte Doubletten zu den altern Erzähkmgen. Von der Emsetzung der Diktatur (256 statt 253) und der Schlacht am See Regillus (258 statt 255) ist dieses in XIII gezeigt worden, auch ist dieses von dem dionysischen Ansätze der Tempelweihe (247 statt 245) bekannt. Zu zeigen bleibt dies noch von der Einleitung des Vejenterkrieges 348, sowie von den Kämpfen gegen die Aequer am Algidus 299 (statt 296 und 297) mid 311 (statt 308).

1) Das zeigt der Ansatz Diodors (12, 80), dessen Quelle (Fabius II) vor Piso schrieb. Vgl. Soltau, Fleckeisen Jahrb. 1886, 479, Rom. Chrono- logie 377.

XIV. Die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrh. v. Chr. 1 .', 1

An^'en.scheinlich ist dieses besonders zu 'MS. Zu :U7 bemerkte Livius 4, 58, 1 'eo anno, (piia tempus induciaruni cum Ve- ienti populo exierat, per le<(atos fetialesque re.s rejjeti coej)- tae .... ab senatu imi)etratum, quia diseordia inte.stina lahorarent Veientes, ne res ab iis repeterentur'. Dieselbe <;ute (Quellt- tVihrt dann 4, 61, 2 nach Erwähnung der Eponymen von 349 fort: *ab iis primum circimisessi Vei siuit', genau entsprechend dem Sclahiss- satze des voraul'gehenden Kapitels 'et lege perlata de indicendo Veientibus hello exercitum magna ex parte voluntariuni novi triljimi militum consulari potestate Veios duxere'. Die Lücke zwischen Ab- lauf der Watienstandsfrist und dem Beginne des Kneges hat aber ein ganz andersartiger annalistischer Bericht auszufüllen gesucht, welcher auch inhaltlich dem voraufgehenden widerspricht. 4. 58. 2 betonte, der Senat habe Mitleid mit der inneren Lage Veiis gehabt, dagegen heisst es 4, 58, 6 ganz unvermittelt : 'Veiens bellum motum ob superbum respousum Veientis senatus'.

Ein crleicher. unvermittelter Gegensatz besteht zwischen den livianischen Berichten zu 308 (3, 66—70) ') und 311 (4, 9 f.). Nachdem 308 der Ansturm der Volsker, die Evmahnungsrede des Konsuls T. Quinctius und sein grosser Sieg über Aequer und Volsker erzählt war, berichtet Livius über die perfide Schlichtimg des Rechts- streites zwischen Ardea und Aricia. Trotz der empfindlichen Schä- digung bleiben jedoch die Ardeaten friedlich. Dagegen heisst es zu 311 (4, 9, 1): 'dum haec Komae geruntur, legati ab Ardea veniunt pro veterrima societate renovatoque foedere recenti auxilium prope eversae urbi implorantes'. Woher die Angabe von einem er- neuten Bündnisse, welches zwar 4, 7, 10 nemit, wenig jedoch zu dem vorhergehenden 3, 71 passt? Dieses sagt ims Livius 4, 7, 12 'Licinius Macer auctor est et in foedere Ardeatino et in linteis libris ad Monetae inventa'. Danach muss also auch dieser spätere Kriegsbericht 4, 9 t. auf Macer beruhen, Macer kann dagegen schAverlich zugleich jenen fniheren Volskerkrieg 3, 67 f. geboten haben, ebensowenig die Notiz 4, 7, 4 6.

Ein verwandtes Verhältnis ist bei den Berichten unter 317

1) Wahrscheinlich bis 3, 72; die Erzählung von Scaptius' falschem Zeug- nis verrät denselben aristokratischen Berichterstatter wie das Voraufgehende. Vgl. S. 172 A. 1.

152 XIV. Die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrh. v. Chr.

uiid 320 anzunehmen. Unter beiden Jahren wird Mamercus Aemilius zum Diktator ernannt, in beiden Fällen sind die Vejenter zu be- kämpfen. Ja, es scheint in Livius' Quellen auch das zweite Mal ernst hergegangen zu sein, da er hervorhebt (4, 24, 6): 'bellumque tanto maiore quam proximo conatu apparatum est, quanto plus erat ab omni Etruria periculi, quam ab duobus populis fuerat'. Dann aber bricht Livius ab : 'ea res aliquante expectatione omnimn tran- quillior fuit' imd 'dictator, ne nequiquam creatus esset, materia quaerendae hello gloriae adempta in pace aliquid operis edere, quod monumentum esset dictaturae, cupiens, censuram minuere parat'. Das heisst soviel wie: Livius Hess, um Wiederholungen zu vermeiden, hier einen nochmaligen Vej enterkrieg, den eme semer jüngeren Quellen bot, bei Seite und acceptierte statt dessen, was er daneben von der friedlichen Thätigkeit des Diktators verzeichnet fand^).

Auch der Sieg am Algidus hat eine parallele Verschiebung er- fahren. Der dreimalige Sieg ^) an derselben Stelle unter den Jahren 296, 297 imd 299 ist offenbar ein Zeichen dafür, dass durch einen Quellenwechsel eine Vervielfältigung der Thatsachen ent- standen ist. Es ist sicher, dass hier unter 297 der ältere Bericht ge- boten wird, dagegen ist wohl die Erzähhuig unter 299 besser als die- ienige unter 296. Wie das zu erklären ist. soll sosdeich gezeigt werden. Ueber die Herkunft der einzelnen Ansätze steht nun so viel fest : Die Berichte unter 256 und 258, welche die Ereignisse von 253 und 255 um drei Jahre vorgeschoben haben, stammen, wie all- gemein anerkannt ist, aus Licinius Macer. Ganz derselben Herkimft ist, wie gezeigt ward, der Bericht unter 311 (Liv. 4, 9 f.). Jeden- falls kann auch nur er die Quelle gewesen sein, welche unter 320 einen neuen Vejenterkrieg angesetzt hat, der aber dann von Livius auf Grund der zu 317 eingesehenen Quelle verworfen ward. Somit dürfte es wohl nicht als zu kühn angeselien werden, Avenn auch die Berichte unter 280 (2, 53), die gleichfalls jüngerer Herkunft sind, auf Licmius bezogen werden. Die Schilderungen von 280 sind

1) Es kann kaum fraglich sein , dass dieselbe Quelle auch den folgenden Bericht über die Minderung der Censur gegeben hat. Dieser stammt aus Licinius Macer (vgl. oben zu 9, 33 und 9, 42 Abschnitt XII S. 121 und vor- her S. 109).

2) 3, 25—29 ; 3, 30 ; 3, 31.

XIV. Die chronologischt'u Verschiebuugen de» 5. Jiihrh. v. Chr. 153

nur erfunden, um die Erwähnung des folgenden Friedensschlusses zu niotiWeren luid widerstreiten den älteren Ansätzen, welche den Krieg schon mit 277 oder 278 enden lassen. Und endlich ist auch die gleiche Herkimft des Berichts von 848 (Liv. 4. 58, ti f.) wahr- scheinlich gemacht worden.

Diesen verschobenen Berichten des Licinius gegenüber sind einerseits zwar die echten Ansätze unter 326 '327 über die Cossus- that und den Friedensschluss mit Veii in der älteren annalistischen Tradition versch^NTinden , andererseits aber die alten Berichte der Stadtchronik ziemlich miverfälscht anter 253 (2, 18), 255 (2, 19), 277/78 (2, 51), 317 (wenigstens der Gesandtenmörd 4, 17. 1—4 ist alt) an richtiger Stelle festgehalten. so\A'ie auch die schon nahezu historisch sicheren Angaben 347 (Ablauf des 20jährigen Waifen- stillstands) und der Begimi des lOjährigen Krieges 349 korrekt wiedergegeben. Diese Angaben der älteren pontifikalen Tradition sind gleichfalls diejenigen des Antias gewesen das zeigt seine Ansetzung der ersten Diktatur unter 253') bez. des Regillersieges 255 (2, 19), dasselbe jene Erweiterungen der ])ontifikalen Tradition über den Kampf am Janiculum 278, some einige Angaben zu 347 (4, 58, 1). Auch den früheren Volskerkrieg unter 308 scheint Antias festgehalten zu haben (S. 172 A. 1). Daneben aber hat Antias jedenfalls die schon früh den offiziellen Ansätzen entsprechende Verlegimg der Cossusthat nach 328 geboten (vgl. Valer. Max 3, 2, 4 Pseudovictor 25), sowie Kämpfe gegen Veii 4, 21 f. (318/9).

Bemerkenswerter Weise finden sich aber die richtigeren An- sätze auch in einer der jüngeren Quellen. Die Berichte über die Fabiemiederlage 276,77, den Aequersieg 308 und die Cossusthat 317 sind derart, dass sie schon die Hand vieler Annalisten verraten, ja auf eine solche Quelle hinweisen, welche schon die verscho- benen Ansätze Macers kamite, dann aber sie bekämpfte. Dieser letzteren dürfte auch die breite Schilderung von Quinctius' Sieg auf dem Algidus 296 entstammen, während die kürzeren Angaben zu 297 aus pontifikaler Quelle entlehnt sind. Die Doublette hiei-von unter 299 gehört al)er auch der jüngeren Quelle an, die sich hier bei den dreistellig-en Namen und der demokratischen Tendenz, wie

1) Die Diktatur des M'. Valerius 253 Liv. 2, 18, 6 kann doch schwerlich ihm abgesprochen werden, vgl. S. 115. 147.

154 XIV. Die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrh. v. Chr.

schon aus clironologischen Gründen zu vermuten war, als Macer*) herausstellt (3, 31, 5—8).

Die innere Verwandtschaft jener jedenfalls jungen Berichte, welche unter 296, 308, 317 chronologisch richtig angesetzt, im Uebrigen aber in höchst unhistorischer Weise breit ausgemalt sind, zeigt sich auch darin, dass an allen 3 Stellen die Mitglieder des quinc tischen Geschlechtes gefeiert werden. Es sind lediglich Bruchstücke einer rhetorisch ausgeschmückten laudatio der Quinctier.

Dass ausser Macer in der I. Pentade des Livius nur Tubero diese Gattung von Familientradition eifrig benutzt, wo nicht gar selbst kultiviert habe, steht fest (vgl. IX) und schon danach mtisste er als Quelle hierfür angenommen werden. Es kommt aber hmzu, dass Tubero, im steten Verkehr mit Cicero stehend, wie dieser auch die älteren Quellen, vor allen Dingen Pisos ^) Annalen berücksichtigt haben wird. Liv. 4, 23 vertritt Tubero gegenüber Macer den Ansatz des Antias; er beruhigt sich aber nicht dabei, sondern indem er die Autorität der 'Hbri lintei' bekämpft, beachtet er zugleich die An- gaben der 'scriptores antiqui'.

Tubero gab also zwar ausführliche Laudationenberichte, suchte sie aber chronologisch mit den älteren Anualenangaben möglichst in Emklang zu bringen, indem er allzukühne Vermutungen des Licinius Macer und der 'libri lintei' '') abwies.

Das Resultat dieser Erörterung ist, übersichtlich zusammenge- stellt, folgendes:

Macer !Macer

1) Auch der doppelte Friedensschluss mit Porseria 246 (2, 13, 4) und 248 (2, 15, 7) ist wohl aus der Benutzung zweier verschiedener Quellen, welche ähnliche chronologische Differenzen zeigten , herzuleiten. Vgl. XIII S. 146. Dionys 5, 34 und Plutarch Popl. 19 erwähnen ihn gleichfalls, aber nach jüngeren Annalisten.

2) Ich zeigte im Philologus 56, 118 f., dass Piso die annalistische Quelle von Cicero de re publica gewesen sei.

3) Vgl. 4, 23, 3 'Licinio libros haud dubie sequi linteos placet Tubero

incertus veri est'.

4) Zur weitei-en Begründung vgl. die Abschnitte VIII IX XI und S. 160 f.

Livius *) :

2, 18, 1—5

253

PISO

Dionys 5. 70 256

2, 18, 6

Antias

2, 19

255

Antias

Dionys 6, 2 258 = Liv. 2, 21, 3

XIV. Die chronologischen Verschiebungen des 5. Jahrb. v. Chr. 15;

2, 50

2, 51. 1—3

2. 51. 4 f.

3, 25—29 3, 30

3, 66—70

4, 17, 1-4 4, 17—19

276—7

277 278 296 297 308

\ 817

Tubero

PISO

Antias

Tubero

Antias

Tubero

PISO

Tubero

[4, 30, 4 PISO] 326 fasti Capit.

4, 58, 1—5 4, 61, 2

347 iPISO) Tubero 349 (PISO) Antias niemals Macer

Liv. 2. 53 279

Liv. 2, .54, 1 2ö0

Liv. 3. 31. 3 299 (Dionys 10, 43 f.)

Liv. 4, 9—10 311

Liv. 4, 21—22 319

Liv. 4, 23, 6 320

Liv. 4, 31—34 328

Liv. 4. 35, 2 329

Liv. 4, 58, 6 348

Maoer

Antiiw

Antias

(Macer)

Macer

Antias

Macer

Tubero

.\ntias

Macer

meist M a c e r , daneben in den

späteren Ansät!zen auch Antias und

vereinzelt Tubero.

Die ziemlich einfache Folgerung, welche aus diesem Quellen- verhältnis für Dionys entnoimuen werden kann, ist die, dass Dionys anfangs durchweg dem Macer folgt, daneben aber an mehreren Stellen, an welchen Tubero breite Schlachtberichte einstellte (so Dio- nys 10, 22 f. zu 296). auch diesen benutzt hat. Der Uebergang wurde hierbei dadurch erleichtert, dass ja schon Antias in den späteren An- sätzen zu 319 und 328 die durch eine verkehrte Rückrechnimg gewon- nenen Zeitbestimmungen bot, und Tubero dort, wo Antias und Macer den gleichen Ansatz hatten, auch diesen aufnahm, somit also für die späteren Ansätze nicht mehr Macer allein als Urheber der chrono- logischen Verschiebung in Frage kam, sondern ebenso auch Antias, zuweilen selbst Tubero. Damit verliert allerdings die Beachtung jener chronologischen Verschiebungen ihren absoluten Wert; eine relative Bedeutmig behält dieses Kriterium aber auch dann noch. Nur durch die Beachtung derselben wird an einigen Stellen mit genügender Sicherheit Aelteres und Neueres geschieden, und damit die Erkemitnis angebahnt werden können, wo Doubletten anzusetzen sind.

156

XY. Die üuelleii von 2, 33-3. 65.

Die Vorgänge nach der ersten secessio bis zum Sturz des Decem- virats V. 261 305 werden von Livius 2, 33 3, 65 behandelt. Schon S. 109 wurde festgestellt, dass emige Abschnitte über Verfassmigs- kämpfe aus Macer entnommen seien. So 2, 55, 1 58, 1 die Durch- setzung der lex Publilia Voleronis, wozu im Wesentlichen wohl auch schon 2, 54, 4 f. die Erzähkmg von der Freisprechung der Konsuln gehört, welcher Vorgang die publilische Rogation veranlasste. Schwerlich wird ferner diesem Autor das abzusprechen sein, was über die agrarische Motion emes Tribunen Sp. Licinius 2, 43, 3 44, 6 ausgeführt wird. Auch die weiteren Kemizeichen der licinischen Ge- schichtsanschauung und Geschichtsbildung, die günstige Beurteilung der Fabier ') und der Hass gegen Appius Claudius fehlen nicht. Dionys 8, 90 folgt dort einer aristokratisch gesimiten Quelle, übergeht die tribunische Agitation, nachdem er ihrer vorher (8, S7) aus der gleichen Quelle wie Livius 2, 42 gedacht hatte. Nicht minder ge- hören in den Kreis der demokratischen Tendenzgemälde des Lici- nius Macer die Schilderung der tribunischen Aktionen nach dem Sturz der Decemvirn 3, 58 59; 64; 65, 7 11.

Aus Angaben fabischer Laudationen und somit direkt oder m- direkt ebenfalls aus Macer müssen nach IX grössere Teile von 2, 44, 7 50, 11 hergeleitet werden. Sie behandeln bekanntlich die Kämpfe mit Veii, welche dann bis 54, 1 weitergeführt werden; an letzterer Stelle wird der Abschluss eines Waffenstillstandes auf 40 Jahre erwähnt. Hier bildet 2 , 51 den einfachen älteren aimalistischen Bericht zu den Jahren 277 und 278. Zuerst wird noch einmal ^) die Niederlage der Römer bez. die Vervollständi-

1) Vgl. 2, 4.3, 6 'Fabio aliquanto plus negotii cum civibus quam cum hostibus fuit', 2, 43, 11.

2) Denn das dürfte doch undenkbar sein , dass die Quelle des kurzen Jahresberichts 2, 51, 1 3 den Fall der Fabier ausgelassen hätte. Die Ein-

XV. Die Quellen von 2, 83—3, 65. l.',7

gung derselben nach ilt'ui Fall der Fabier. dann die .siegreiche Ab- wehr berichtet. Dagegen dürfte die Verschiebnng de.s Veienter- krieges nach 279 (2,53, 1 3). wie XIV nachwies, anf den chrono- logischen Ansatz Macers zunkkznfilhren sein.

In den voranfgehenden Kriegsberichten sind nur kleinere Stücke aus älteren Annalen eingelegt, so 2, 48, 1 4, die Jahresübersicht von 275, vielleicht auch 2, 49, 9 12.

Alles übrige stammt aus einer 'laudatio Fabiorum'.

Doch genügt dieses nicht, um den ganzen Abschnitt dem Macer zuzuschreiben. Vielmehr ist auch hier die Möglichkeit zu berück- sichtigen, dass Tubero, der ja die Berichte Macers über das fabische Geschlecht vielfältig benutzt hat ^), von Livius zu Rate gezogen sem könnte. Vielleicht bringt folgende Uebersicht über die Einzelaus- führungen mehr Licht.

Es war bei dem Charakter der Laudationenlitteratur nur er- klärlich, dass dem Fall der Fabier eine Erzählimg ihrer früheren <jrrossthaten vorausgeschickt wurde. Dass darin jedoch Livius des Guten zu viel gethan habe, dürfte ausgemacht sein. Dem ersten Bericht über ihren Sieg (2, 45 47) entspricht nun zwar der Anfang von 2, 50, 1 'rursus cum Fabiis erat Veienti populo sine ullo maioris belli apparatu certamen', keineswegs aber gehört die da- zwischenstehende Erzählung von dem Auszug der Fabier zwischen beide hinein. Diese tritt nicht nur störend zwischen die beiden Teile des früher zusammenhängenden Berichtes, sondern sie enthält auch manche Wiederhohmgen, und weist damit auf eine anderweitige Herkimft hin. 2, 48, 5 gedenkt der 2, 46, 6 f. erwähnten Thaten noch einmal. Femer hätte man nach dem Auszug der Fabier eine sofortige Erwähnung ihres Kampfes erwartet. Statt dessen folgt erst ein Sieg des Konsuls L. Aemilius über die Vejenter. Schon in der voraufgehenden Schlacht hatte die gens Fabia, damals unter der offiziellen Leitmig eines fabischen Konsuls, Grosses geleistet : 'Fabiiun nomen, Fabia gens maxime enituit' (2, 45, 16), 'popiilares iam esse Fabii . . salubri reipublicae arte' (2, 47, 12); nur hierzii ist

leitungsworte (cum haec accepta dades est, iam C. Horatius et T. Menenius consules erant) deuten klar darauf hin, dass in Livius' Quelle auch unter den Konsuln von 277 des Falles der Fabier gedacht worden war. 1) S. 10, 9, 10 und überhaupt IX S. 96 f.

158 XV. Die Quellen von 2, 33—3, 65.

der Gegensatz 2, 50, 1 verständlich, dass der zweite Feldzug 'sine ullo maioris belli apparatu', also mehr auf eigene Hand imter- nommen sei; zu 2, 49 bildet 2, 50, 1 keinen rechten Gegensatz. Dies führt dazu 2, 44, 7 47, 12 und 2, 50 als ein zusammen- hängendes Ganze sowohl von der kurzen annalistischen Emlage 2, 48, 1^ 4 zu trennen als auch den mittleren Laudationenbericht emer besonderen Relation zuzuweisen. Gibt er sich doch in semem Anfange (Thaten des Caeso Fabius) deutlich als eine Wiederholung von 2, 46, 6 zu erkemien!

Die verschiedene Herkunft jener beiden, den Fabiern günstigen Absclmitte zeigt auch ein Vergleich mit Dionys 9, 20. Nachdem Dionys 9, 16 f. zuerst die Erzählung des Livius zu 276 (2, 49, 9) rhetorisch erweitert gegeben hatte, erzählt er den Anfang von 277. Er gibt dabei zuerst die schlichte ältere Version vom Untergang der Fabier ^), dann den Liv. 2, 50 entsprechenden Bericht. Eme Er- zählmig wie 2, 49, 1 f. ist Dionys fremd.

Dionys folgte hier überall ein und derselben rhetorisch er- weiterten Darstellung und mit ihr stimmt Livius 2, 44, 6 47, 12 und 2, 50 überein; dazwischen verliess Livius diese ausführliche Quelle und schob dafür die zu der Quelle des Dionys nicht stim- mende Geschichte von dem Auszug der 306 Fabier'^) (2, 49) aus einer zweiten rhetorischen Quelle ein. Diese letztere ist Macer, die erste Tubero.

Wichtiger noch als dieses partielle Resultat ist das allgememere über die Art und Weise, wie Livius und Dionys zu arbeiten pflegten.

Ueberall, wo hier Livius den kürzeren Bericht pontifikaler Her- kimft ausschrieb, so 2, 48, 1—4; 2, 51—52; 2, 54, 1 l^) hat Dionys, ohne dass er oft sachlich viel Neues bietet, den rhetorisch überarbeiteten, durch manche Personalnotizeu ausgezeichneten Be- richt. Livius wechselt mit der Quelle, er folgt bald dem Antias, bald jenem rhetorischen Annalisten, in dem A^dr Tubero erkannt haben.

Dagegen lässt Dionys die Einzelheiten des licinischen Berichtes oft bei Seite, so die tribunischen Agitationen 2, 44, 1 6 (vgl. da-

1) Dionys 9, 19, vielleicht nach Fabius Pictor.

2) Dionys 9, 15 sprach nicht nur von 306 Fahiern, sondern von 4000 Clienten !

3) Ebenso auch zu Anfang des 3. Buches. Die Verschiedenheit vsdi-d überall hervortreten.

XV. Die Quellen von 2. 33—3. 65. 159

gegen Diony.s 9, 5) und die spezielle Scliildennig des Au.szugs der Fabier 2, 48, 6 f. (vgl. Dionvs 9, 15). Besonders charakteristisch für Dionvs ist seine kürzere Abfertigung der publili.schen Rogationen gegenüber dem licinischen Berichte bei Livius 2, 55 58. Der An- lass, welchen Volero hatte, seinen Antrag zu stellen, wird von Livius 2, 54 f. ausführlich, von Dionys etwas kürzer (9, 39; 41 Z. 11) erAvähnt. Erst als es gilt, die vennittelnde Thätigkeit des zweiten Konsuls T. Quinctius ') hervorzuheben, wird Dionys aus- führlicher (9, 43 49). Bei der dann folgenden Schilderung der Kriegsereignisse desselben Jahres (283) gibt Dionys die für Tubero charakteristische Hervorhebung der Thaten des Quinctius, während Livius den Misserfolg des Appius Claudius breiter schildert, hierin dem Licinius folgend (kürzer Dionys 9, 50).

Noch bleibt zu envähnen, dass Livius dort, wo er die älteren Berichte des Antias gibt, zuweilen auch abweichende Fastenangaben aus den Berichten, welche dem Dionys vorlagen, citiert ^), dabei also sichere Spuren der Berücksichtigung einer zweiten, jüngeren Quelle bietet. Um so weniger wird anzunehmen sein, dass das Citat aus Piso 2, 58, 1 diesem indirekt entlehnt ist, wie dieses allerdings bei einigen ungenauen früheren Citaten 2, 32, 3 bez. 2„ 33, 3 (beides nach pisonischen Berichten) anzunehmen sein wird.

Danach gewimien wir für 2. 41 bis 2, 60, unter Beachtung der Resultate von Philologus 56, 128 (oben S. 91) folgendes Ergebnis:

42, 1—43, 2 Antias

43, 3—44, 6 Macer

44, 7—47, 12 Tubero 48, 1—4 Antias

48, 5—49, 12 Macer (49, 9—12 A?)

50 Tubero

51—52 Antias (51, 1—3 PISO)

53, 1—54, 3 Macer (54, 1—3) (Antias)

54, 4—58, 1 Macer 58, 1—2 - PISO

1) Vgl. dazu unter IX die besondere Beachtung dieses Geschlechtes durch die jüngsten Annalisten.

2) Philologus 56, 127. S. auch S. 165.

160

XV. Die Quellen von 2, 33—3, 65.

58, 3—60, 5 Macer

61 (Macer) Tubero.

Auch für die auf die publilische Rogation folgenden Abschnitte 2, 62 3, 33 sind die wichtigsten Quellenfragen bereits durch die Aus- führungen von VIII, IX und XI entschieden worden:

2, 62, 1—64, 2 Antias

2, 64, 3—65, 7 Tubero

3, 1, 1—2, 2 Antias 3, 2, 2—3, 6 Macer 3, 3, 7—4, 6 Antias

5, 12—6, 1

7, 6—8

8, 10—11

10, 5—7

10, 8—11, 2

11, 3—13, 10

19, 1—22, 1

22, 2—23, 7

23, 7

24, 1—9 24, 10—11 25—29 30, 1—6

30, 7—31, 2

31, 3—8

32—33

Antias (cit.)

PISO ?

Antias

Antias Macer '') Tubero

Tubero Antias

PISO, Tubero Macer ? PISO Tubero Antias

Antias (PISO) (Aiitias) Macer Antias (PISO).

Die noch nicht erledigten Abschnitte behandeln teils ausführ- licher die Kriegsgeschichte (3, 4, 7 5, 12; 3, 8, 1 9), teils die

1) Mit grosser Walirscheinlichkeit wird diese nochmalige Berührung der Pest aus pontifikaler Quelle direkt auf Piso bezogen werden dürfen.

2) Dieser demokratische Stimmungsbericht wird im Wesentlichen dem Macer angehören, aber durch Livius rhetorisch ausgeschmückt sein. Dasselbe gut von 8, 24, 1—9.

XV. Die Quellen von 2, 33—3. 65. jCl

innere Geschichte (die Pest 3, 6, 1 7, o; die k'x Terentiliu 8, 9. 1 10, 4), ausserdem die Episode von Appius Herdonius (3, 1 I f.).

Weiter ist klar, dass 3, 4, 7—5, 12, d. i. der dem Antias von Liviiis 3. 5, 12 gecijenübergestellte Bericht, nicht aus Antias stammen kann. Auch folgt aus IX, dass diese Erzählung, welche ein besonderes Ehrenblatt aus der Geschichte der Quinctier bildet (vgl. 3, 4, 10; 5. 8; 5, 10), aus Tubero stammen wird. Namentlich spricht die antiquarische Angabe 3, 4, 1 "Furios Fusios scrijisere quidam' etc., sowie die Dreistelligkeit der Konsulnamen für ihn. Der o-leiche Wechsel der Quellen wird 3, 8 zu statuieren sein, nur dass hier die Heldenthaten, welche Q. Fabius als praefectüs urbi (I) verübt haben soll, indirekt auf fabische Laudatioueu (s. 10, 9, 10), tlirekt also wohl auf die tuberonischen Annalen hinführen. 3, 8, 10 ist dann Ergänzung aus Antias.

In den darauffolgenden Berichten über die inneren Unruhen verraten mehrfach demokratische Ausführungen die Thätigkeit des Licinius Macer. So wohl schon 3, 6. 8 9 die Erwähnimjj der Thätigkeit der plebejischen Aedile '), vor allem aber 3, 9, 1 10, 4 der Antrag des Terentilius Harsa (bez. die Fortsetzung'') 3, 10. 8 bis 11, 2), ferner die Bemühungen, die lex Terentilia zu vereiteln 3,. 14. Auch die Schilderung der Lage Roms, der Plebs und ihrer Gesinnung nach der Besetzimg des Kapitols durch Appius Herdonius (3, 15 16) ist von der gleichen Tendenz behen-scht: „die Plebs mit ihren Forderungen ist doch das kleinere Uebel gegenüber Sklavenunmhen und Aufständen" ^). Aber sowohl die Angabe, dass die Plebejer ihren Posten verlassen hätten, wie die Ermahnimgsrede des P. Valerius (3, 17) weisen auf eine andersartige aristokratische Quelle Irin und gar 3. 18, 8 die Notiz 'P. Volumnius consularis vidit cadentem' (P. Valerium inter primores) zeigt die Herkunft: eine laudatio der Volumnier war von Tubero , der Quelle von Liv, 10, 32 37, eingesehn. mid Tubero, der von 3, 19, 1 ab als Quelle nachgewiesen ward, ist auch hier schon der Gewährsmann des LiviiLS.

In ähnlicher Weise, durch einen Quellenwechsel, nämlich durch

1) 'Circumitio ac cura aedilium plebi erat : ad eos summa rerum ac maiestas consularis imperii venerunt.'

2) S. oben XI und S. 160 A. 1.

3) 3, 16, 4 'tantum superantibus aliis ac raergriitibiis iiuiHs lu'iuo tribuncK aut plebem timebat: mansuetum id malum etc'.

Soltau, Liviusquellen. 1 1

162 ^V. Die Quellen von 2, 33—3, 65.

eine Beachtung der tuberonischen Annalen neben Macer, ist auch wohl die zweifache Erwähnung der Pest 8, 6, 2 und 3. 6, 8 zu erklären, nach- dem obenein schon 3, 5, 14 die prodigia aus Antias hergezählt waren. Noch aber fehlt der Abschnitt, welcher auf die secessio plebis folgt: 2, 33, 3 41, 12. Dieselben Gegenstände sind von Dionys

6, 91 96: 7, 1 8, 80, also in einer überaus breiten Weise be- handelt worden. Diese Beobachtimg lässt schon a priori vermuten, dass Livius hier die rhetorischen Ausm almigen der jüngsten Aima- listen bei Seite gelassen hat. Schon der äusseren Form nach war m Kap. VIII (S. 91) 2, 33, 3—34, 8 auf Antias bezogen. 2, 36 ist nach Cic. de div. 1, 26 em altes Erbstück der Annalistik seit Fabius. Dass durchweg hier die pontifikalen Quellen') zu Grunde liegen, zeigt weiter auch die konsecjuente Erwähmmg zweistelHger Namen. Vielleicht dass bei emigen rednerischen Ausführungen (so 2, 37 38; 41) Remhiiscenzen aus jüngeren Quellen, welche Livius z. B. 2. 41. 11 (vgl. Dionys 8, 77) emsah, mit verwertet smd.

Speziell dafür, dass Livius den Bericht über Coriolan, der im wesentlichen einheitlichen Charakter trägt, aus Antias schöpfte, kaim zweierlei angeführt werden. Vor allem der Umstand, dass die bei Dionys vertretene jüngere Annalistik zwar von Spielen kurz vor und bald nach der Katastrophe Coriolans wusste (6, 10; 17;

7, 71), aber die Verbindung dieser Spiele mit der Coriolansage nicht kamite. Gerade Antias dagegen hatte eingehend über die Spiele zu Anfang der Republik im Zusammenhange mit den politischen Er- eio-iiissen Bericht erstattet. Sodami aber ist die Uebereiustimmuno- von Liv. 2, 33, 9 mit Cicero pro Balbo 23, 53 bezeichnend'''): Cicero hat nicht selten antiquarische Notizen aus Antias entlehnt.

Für die S. 160 noch übergangenen Kapitel ist also anzusetzen:

2, 33, 4—37, 1 A. 3, 6, 2—7 T.

2, 37—38 R. Livius 3, 6, 8—7, 5 M.

2,39,1— 40,12 A. 40,10— 41, 2P. 3, 8, 1—8, 9 T.

(40, 11 Fabius) 3, 9, 1—10, 4 M.

2, 41 A. (41, 11—12 M.) 3, 14—16 M.

3, 4, 1—5, 12 T. (4, 1—6 A?) 3, 17—18 T.

1) d. h. Antias und zuweUen (so vielleicht 2, 40, 11 14) Piso. Der Quellen- vreclisel ist 2, 40, 10 angedeutet: 'perisse tradunt alii alio leto'. So wohl auch 2, 41, 10 durch die Worte 'sunt qui patrem auctorem eius supplicii ferant'.

2) Cicero gibt dort nur zweistellige Konsulnamen ohne cognomina.

XV. Die Quellen von 2, 33—3, 65. 163

Dazu sind <l:inii weit«'!- die Ergebnisse iiljer die Quellen von Livius' Darstellimg des zweiten Decemvirates zu stellen. In Fleck- eisen's Jalirbücheni 1897, 426 f. zei<^e ich, dass nicht nur :-{, 44 49, welches nach XI aus Macer stammt, sondern auch die demokratischen Partieen, welche vorhergingen, grösstenteils aus diesem Annalisten herzuleiten sind. Mehrfach ist Livius daneben der gemässigteren Ueberarbeitung Tuberos gefolgt. Es wird daher anzusetzen sein:

34 A. 56, 1—57, 6 M.

35, 1—38, 12 M. (36, 4 f T.) 57, 7—10 A.

38, 13—42, 10 (M.) T. (39—41 R.) 58—59 M.

43. 1—51, 10 M. 60—63 T.

51, 11—55, 1 T. 64 M.

55 A. 65 A. (5—11 M.).

11

164

XVI. Die auellen des 4. Buches (3. 65—4. 61).

Bereits iii meiner Abhandlung über Piso (Philol. 56, 118 f.) zeigte ich, dass ziemlich viele Jahresberichte des 4. Buches, welches die Geschichte nach dem Sturze der Decemviru bis zu den Anfängen der Belagermig Veiis enthält, auf die pontifikale Annalistik d. h. auf Antias zurückgehn. Charakteristisch für diese Berichte ist ihre Form: sie enthalten zwar nicht wenige sachliche Einzelangaben, meiden aber meist eme rhetorische Breite, mid sehen von einer pragmatischen Verknüpfung der einzelnen Notizen ab.

Wie a. 0. gezeigt ward, hat Livius an einigen Stellen daneben, vielleicht durch die grossen Verschiedenheiten seines sonstigen Quellen- materials bewogen, die 'annales vetustiores' Pisos selbst eingesehen. Nur so scheint es erklärlich zu sein, wemi Livius 4, 34, 6 zu seinem ausführlichen Bericht über den Fidenatenkrieg den Zusatz brachte : 'classi quoque ad Fidenas pugnatum cum Veientibus quidam in amiales rettulere'. Auch verraten die nächsten Kapitel abgesehen etwa von der Schildermig der „contiones seditiosae" 4, 35, 5 f. den gleichen Ursprung schon durch ihren Stil ^). Aus Piso dürften auch wohl die kurzen Schlussbemerkungen 4, 25, 6 8; 4, 47, 7 8; 4, 58, 1 5 stammen, und schliessKch wird die Einsetzung eines alten Berichtes 4, 30, welcher den Konsul Quinctius nennt, trotz- dem als Eponymen Gaius Servilius Ahala mid L. Papirius Mugi- lanus (4, 30, 12) vorangestellt sind, nur durch- die Benützung eines derartigen älteren Berichtes genügend erklärt^).

Aus Antias stammen im wesentlichen:

1) 4, 35, 2 'Veientibus annorum viginti indutiae datae et Aequis triennii, cum plurium annorum petissent et ab seditionibus urbanis otium fuit' ; femer 4, 17, 1—4; 4, 87, 1—2. Vielleicht ist (vgl. Phüol. 56, 121) auch der An- fang von 4, 7 durch Angaben Pisos veranlasst.

2) Vgl. Matzat , Rom. Chronologie 1, 198, Soltau, Rom. Chronologie 370. 379.

XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66—4, 61). 16')

4, 8 (7. 4—6) 4. 31

4, 11, 2—12, 5 4, 44, 11—45, 5

4, 21, 1—9 (4, 47, 7—8 neben PlJSO)

4, 22 4, 51, 7—52, 8 (53)

4, 23, 4—6 (4, 58, 1—5 neben PISO)

4, 25, 1—5 (6—8 PISO?) 4, 59, 1 10

4. 29. 6—30. 16 (neben PISO) 4, 60, 9—61, 9

Bei allen diesen Stellen ist aber ein ähnlicher Vorbehalt wie

5. 159 zu machen.

Livius orientierte sich über den Wert seiner Quellen von Fall zu Fall. Namentlich ist dies auch bei dem 4. Buche deutlich. Da setzt er z. B. 4, 17 die Cossusthat 317 an, ohne zu >vissen oder zu beachten, dass die Mehrzahl seiner sonstigen Quellen diesen Sieir ins Jahr 328 verlegte ^). Die Folgen dieser Arbeitsweise konnten nicht ausbleiben. Oft geriet Livius so gerade im 4. Buch in eine missliche Lage. 4, 23 vermag er sich zwischen den Widersprüchen seiner Quellen nicht mehr zurecht zu finden, wie der daselbst einge- schobene Exkurs zeigt; der S. 164 zu 4, 30 erwähnte Widerspruch ist gleichfalls nur bei seiner Kritik- und Ratlosigkeit erklärlich.

Wenn nun auch diese Thatsache einerseits malmt, eine mög- lichst einfache, weniger komplizierte Arbeitsweise bei Livius voraus- zusetzen und in der Regel bei einem Jahresbericht nur einen einzigen Annalisten als Quelle anzunehmen, so muss doch andererseits be- tont werden, wie die mancherlei Widersprüche seiner Quellen an mehreren Stellen des 4. Buches ihn dazu geführt haben, zur Kontrole auch ein zweites Annalenwerk einzusehen.

Dieser Arbeitsweise verdanken wir nicht nur mehrere kritische Exkurse **), sondern auch zahlreiche Angaben aus einer jüngeren Quelle in den sonst kurzen pontifikalen Berichten. Namentlich hat Livius, sei es im Zusammenhang mit den Vorarbeiten, oder auch durch Nachschlagen bei der Ausarbeitung, dreistellige Fastenangaben ein Kriterium der jüngeren Annalistik *) zuweilen auch dort ge- bracht, wo er den älteren Chroniken des Piso oder des Antias folgt.

1) Erst in der viel später eingefügten Note 4, 20, 5 f. gedenkt er auch des späteren Ansatzes. Vgl. Hermes 29, 611 f.

2) 4, 7, 10; 4, 20; 4, 21, 9; 4, 23; 4, 29, 5; 4, 34, 6; 4, 61, 10.

3) Vgl. oben S. 107. 120. 141.

166 XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66-4. 61).

Man vergleiche: 4, 30, 15 31, 1, wo der in den Fasten fehlende Konsulname Quinctius zu 327 nach älteren Annalen (Piso) geboten wird, während 4, 31, 1 T. Quinctius Pennus ex consulatu schon dem 4, 31 34 nach jüngeren Annalen ausführlicher erzählenden Be- richt entstammt, oder 4, 61, 1 und 4, 61, 4, wo die dreistelligen Tribunennamen in die ältere pontifikale Erzählung eingelegt sind.

Es wäre verkehrt, an diesen mid älmlichen Stellen der Theorie zu liebe, dass Livius in der Regel nur Einer Quelle folge, entweder (he kurzen amialistischen Angaben der pontifikalen Quellen auf Macer oder Tubero zu beziehen, wie es andererseits unrichtig wäre, die dreistelligen Fastenangaben selbst den 'annales vetustiores' zuzu- schieben.

Ausserdem zeigen manche sonstige kleinere Einlagen aus einem jüngeren Annalisten, wie Livius m der That häufiger als sonst neben seinem Hauptbericht eine zweite Quelle zu Rate gezogen haben wird.

Während z. B. 4, 7, 1 2 m die Hchiische Erzähhmg (vgl. 4, 7, 12) mit ausdrücklicher Hervorhebmig einer andern Quelle ') die richtigere Anschaumig älterer Annalen eingesetzt ist, wird 4, 21, 9 bei der Erwähmmg des Diktators Q. Servilius nach jüngeren Annalen hinzugefügt cui Prisco alii, alii Structo fuisse cognomen tradmit. Hier sah also Livius bereits, da die älteren Annalen keine cogTio- mina brachten, die 4, 23, 1 citierten Quellen Macer und Tubero ein. Eine gleichfalls kritischeBemerkungausjüngerer Quelle bringt 4, 61, 11.

Um so weniger wird es zu beanstanden sein, die gleichfalls als fremde Einschübe kenntlichen Ausführungen über tribunicische Ak- tionen, welche den pontifikalen Abschnitten beigegeben sind, zmnal bei ihrer demokratischen Tendenz, auf Macer zu beziehen. So in 4, 21—22 ; 4, 23, 4—6 ; 4, 25. Grösstenteils liegen hier Abschnitte aus Antias zu Gnmde, die jedoch in manigfachem Gegensatz zu den ihnen beigefügten Schildermigen über innere Unruhen stehen. Nach- dem z. B. 4, 23, 6 von ganz besonderen Kriegsvorbereitungen die Rede gewesen war, fährt 4, 23, 7 fort 'ea res aliquanto expectatione omnium tranquillior fuit' und es folg't dann der schon oben ^) aus

1) 4, 7, 2 'sunt qui propter adiectum Aequorum Volscorumque bello et Ardeatium defectioni Veiens bellum . . . tribunos niilituni tres creatos dicant'.

2) Vgl. S. 112 und Fleckeisen's Jahrbücher 1897 , S. 422. Vgl. 9, 33 Macers Ausführuncren.

XVI. Die Quellen des 4. Buches (8, 66—4, 61). I(i7

Macer lier<releitete Exkurs über die Verkürziin;^ <ler ('eiisur. Auf den antiiitischen Bericht 4, 25, 1—8 fol^t eine rhetorische Au.s- ftthrunj^ über den tribunicischen Antra<^ 'ne cui albuui in vestimen- tuni addere petitionis liceret causa', welche ebenso wie die 4, 26, 2 besprochene Variante über die cognoniina des T. Quinctius die lici- nische Herkunft andeutet. Ganz ähnlichen Inhalts und von dem gleichen Urheber dürfte 4, 35, 4 11^) sein. Um so weniger wird es beanstandet werden können, dass das ausführliche Stimmungsbild (4, 58), wne die Plebejer dem Vejenterkrieg entgegengewirkt hätten, sowie der entsprechende Bericht über die Gewinnung der Plebs durch die Soldzahlung 4, 60 aus Macer in die kurzen Annalenangaben eingefügt sind. Es kommt hinzu, dass gerade dort nach chronolo- gischen Gründen Macer als die Quelle des Livius anzusetzen ist. Wer 329 den zwanzigjährigen Frieden mit Veii ansetzte, musste nach Ausflüchten suchen, um den Abschluss desselben erst Ende 348 anzusetzen ').

Hierher gehören Weiter die Episoden aus der Geschichte des Ständekampfes 4, 42, 10 44, 10; 4, 54, 1 58, 6 welche, wie sich zeigen wird, nicht nur in einem inneren Znsammenhange stehen. Sie enthalten eine Darstellung der Parteikämpfe, durch welche die Zahl der Quästoren auf vier erhöht und das passive Wahlrecht für zwei Stellen auch den Plebejern emgeräunit wurde. 4, 42, 10 44, 9 berichtet, wie diese Rechte trotz aller Anfeindungen der Patrizier errungen seien und 4, 54, 1 56, 3 erzählt, wie dieselben durch die mutigen Vorkämpfer der Plebs , die Icilier (54 , 4 , 9) , noch er- weitert seien. Die Tendenz, welche alle diese Berichte durchzieht, lässt es kaum zAveifelhaft bleiben, dass Macer der Gewährsmann des Livins gewesen ist. Auch weisen andere Indicien auf ihn hin. Zu- erst die Erwähnung von Fällen, wie die Patrizier durch Konsul- wahlen oder durch patrizische Militärtribunen sich an der Plebs zu rächen gesucht und dadurch die Leidenschaft des Volkes nur

1) Auch der 20jährige Watfenstillstand unter 329 (4, 35, 2) ist nach XIV. dem Macer zuzusprechen, doch stand er schon bei Antias.

2) Dass andrerseits mehrfach kurze Notizen aus pontifikalen Quellen in Macers oder Tuberos Berichte eingestreut sind , ist bekannt ; vgl. 4, 7, 1 2 ; 4. 34, 6—7 ; 4, 37, 1—2.

3) Auch die kürzere Schilderung der traurigen Lage der Plebs 3, 65, 5 11 ist vielleicht der Feder Macers entflössen. Vgl. S. 163.

Ißg XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66^, 61).

noch mehr erregt haben sollen. Eme derartige Anschauung über das Militärtribunat ist bezeichnend für Macer (s. S. 110). Femer erwäge man die Verwandtschaft von 4, 43 44 und 4, 54 mit der licinischen Darstellung 6, 34 f. Auch dürften wohl die Einzelheiten über mehrere sonst weniger bekannte plebejische Geschlechter (4, 44, 2 ; 49, 11) erst durch Macer in die Chronik eingeführt sein. Vor allem al^er zeigt die Chronologie, dass dieser Annalist der Urheber war. Die pontifikale Tradition brachte die ständische Kämpfe um ein Ackergesetz und den Krieg um die Carventanische Burg unter 344 (4, 53) , die Er- zählungen unter 345/6 sind z. T. nichts anderes als eine Doublette des voraufgehenden Berichts').

Endlich dürfte auch 4, 9, 1 11, 2 aus Macer entnommen sein. Die Erzählung beginnt 4, 9, 1 mit dem vorher genannten 'foedus', dessen Erwähnung nach 4, 7, 12 eine Spezialität dieses Schriftstellers gewesen ist. Die Feigheit der Plebs von Ardea „nihil Romanae plebi similis" veranlasst jenen Annalisten zu emer günstigen Be- merkung über die römische Plebs. Die Moral aber der ganzen Er- zählung, dass die Römer durch die Tötung der Häupter der Opti- matenpartei sich den dauernden Dank der Ardeaten verdient hätten, spricht deutlich genug für den Urheber (4, 10, 6). Es ist derselbe Licinius, welcher dies ausführt (demptamque iniuriam iudicii tanto beneficio populi Romani Ardeates credebant) und welcher vorher (4, 6, 11) der Plebs ein so schönes Zeugnis ausstellt, neben dem unbeugsamen Freiheitsstreben ihre politische Masshaltung anpreist.

Mit Recht dürfte daher 4, 9, 1 11, 2 derselben Quelle zuge- wiesen werden, welche den Anfang dieses Buches geschrieben hat.

4, 1 7 ist aber, wie XI gezeigt hat, ein zusammenhängender Ver- fassungsabschnitt des Licinius ^), der 4, 7, 12 citiert wird.

Damit ist die eine Hälfte des 4. Buches analysiert. Es sind meistens die durch Antias überarbeiteten und. vielfach erweiterten annales maximi, mit Ergänzungen aus den Fasten Macers und aus seiner Schilderung der Verfassungskämpfe.

1) Dagegen ist der dann folgende Kriegsbericht 4, 56, 4 f., vor allem aber das Eingreifen des Militärtribunen Servilius Ahala aus Tubero entnommen, welcher ja überall als Vertreter des servilischen Greschlechtes fungiert (vgl.

5. 98).

2) Vgl. SoLTAU, 'Macer und Tubero' 418. Die Reden 4, 2 5 sind natürlich z. T. Livius' eigenes Werk (vgl. S. 15).

XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66—4. 61). in<)

In einer viel breiteren und rhetorisch ausgesclimückten Dar- steUun^ lie^ clie Beschreibunt? der Kriege mit Volskern, Aequeni, Veieutern vor. Besonders bemerkenswert ist, dass in fast allen der- artigen Abschnitten von 3, 66 4, 44 Q u i n c t i e r die Hauptrolle .spielen wie in der S. 113 auf Tubero zurückgeführten Episode 4,12,6 16,2. So 3, 66—70; 4. 17—20; 4, 26, 1—29, 5; 4, 32, 1—34, 5; 4, 38 41. Aber auch sonst weisen diese Abschnitte mannigfache Be- züge zu einander und ebensoviele Abweichungen von der pontifikalen Annalistik auf.

Abgesehen von der Schilderung der versöhnlichen Thiitigkeit, welche T. Quinctius gleich nach dem Decemvirat ausgeübt haben soll einem inhaltlosen rhetorischen Machwerk 3, 66 70 , gruppieren sich die übrigen Kampfgemälde um die Thaten des Cossus. Die dabei in Livius' Berichten bemerkensAverten chronologischen Ver- schiebungen, auf welche in XIV hingewiesen ward, geben emen Fingerzeig, wie das Verhältnis der Quellen zu einander ist ^).

Kein einziger annalistischer Bericht hat die Cossusthat, welche laut Inschrift 326 geschehen ist, in dieses Jahr seines Konsulats gesetzt. "Alle Quellen ausser Livius 4, 17 f. verlegen sie 20 Jahre vor den letzten Krieg mit Veii: 328. Hierher vor allen schon Diodor 12. 80. welcher die älteste fabische Annalistik vertritt, und es scheint, dass auch Piso wie Antias keinen andern Ansatz gekannt haben. Die wohl sicherlich dem Piso gehörige, eigentümliche Nachricht 4, 34, 6 'classi quoque ad Fidenas pugnatum cum Veientibus' zeigt, wann dieser Vertreter der 'annales vetustiores' den Hauptkampf an- gesetzt habe. Für Antias' gleichmässige Rechnung bürgten noch die Angaben des Val. Maxim. 3, 2, 4 und des Auetor de vir. ill. 25, welche Cossus als Reiterführer siegen lassen '''). Und endlich hat ja XIV gezeigt, wie der Ansatz unter 328 der Ausgangspunkt der Rück- rechnung Macers gewesen ist.

Bleibt schon hiernach nur Tubero übrig für jene merkwürdige anderweitige Ansetzung der Cossusthat, so sprechen daneben auch wichtige positive Gründe für seine Urheberschaft. Tubero hatte,

1) Vgl. namentlicli Mommsen, Rom. Forsch. 2, 236 f. und meine Rom. Chi-o- nologie 460 f.

2) Beide haben mehrfach Antias benutzt. Zum Auetor de vir. ill. vergl. Rosenhauer : symbolae ad quaest. de fönt, libri qui inscribitur de viris illustri- bus (Campoduni 1882) 44.

170 XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66—4, 61).

wie zu 2, 1 33 Abschnitt XIII gezeigt war, auf die Angaben der älteren Annalen eines Piso u. a. zurückgreifend, die Tilteren Zeitan- sätze 245 Tempelweihe, 253 1. Diktatur, 255 Regillerschlacht) beibe- halten. Er hatte ferner, wie XV zeigte, den Kampf der Fabier mit Veii schon 276 angesetzt, offenbar um dann den 40jährigen Frieden voraussichtlich schon gleich nachher, nach 277 zu verlegen. Die Folge davon war, dass er den Wiederbeginn der Kämpfe mit Veii mid Fidenae, welche durch den Gesandtenmord veranlasst waren, ins Jahr 316/317 verlegen musste. Wohl nur so ist es erklärlich, wenn Livius 4, 1 7 den Gesandtenmord und folgeweise auch den Zweikampf des Cossus in eine so frühe Zeit gesetzt hat.

Die ältere Annalistik, wie sie Diodor repräsentiert, erzählte, ohne die Einzelheiten dieses Krieges über verschiedene Eponymen zu verteilen, alles fortlaufend miter emem Jahr. Diodor gab des- halb auch die ganze Katastrophe vom Gesandtemnord bis zur Cossusthat imter einem Jahr. Der pragmatisierenden Thätigkeit späterer Annalisten verdanken wir ihre Zerlegung '): sie fanden bei der Unsicherheit der älteren Annalen hinsichtlich der Epo- nymen der einzelnen Ereignisse einen freien Spielraum für ihre Konjekturen.

Die bekamite Erörterung des Livius 4, 20, welche erst später eingelegt worden ist ^) , zeigt übrigens , dass Livius . als er 3 , 17 niederschrieb, den Inhalt seiner andern Quellen noch nicht gekannt hat, dass er weder im Antias noch im Macer bis 328 weitergelesen hatte. Da er bei diesen, welche die Cossusthat ins Jahr 328 ver- legten, unter 317 über sie nichts finden komite, so musste er sich wohl oder übel allem an Tubero halten. Die besondere Hei*vor- hebung der Thaten der Quinctier (4, 17, 9; 11) weist gleichfalls auf diesen Annalisten hin (s. IX).

Wenn aber 3, 17, 4 20, 4 aus Tubero stammt^), so auch die Fortsetzung dieses Berichtes 4, 31 34. Die Worte 4, 32, 4:

1) Hiedurcli wird auch die Kontroverse von Nie e Hermes 13, 412 und MoMMSEN, Rom. Forsch. 2, 241 A. 19 erledigt. Momjisen sah recht, dass dieses Faktum in den ältesten Annalen nicht gefehlt haben könne , aber unter Eponymen fixiert ist es erst später.

2) Hermes 29, 611.

1) Vielleicht fand die erste Version über die Motive des Gresandtenmords 4, 17, 1 4 in einer seiner pontifikalen Quellen (Piso).

XVI. Dif Qii.'ll.«n des 4. Buches (8. 66-^. Ol). 171

'A. Conieliuni eimdeiii in acio tor«'. (|Mi p rio rt- licl lo ttil>iimis niilituin Lurte Tüluiiiniü rejjfe Veientiuiii in con.sjx'ttn dnoinni t'x<'rcitnnm occisü spoliii o])imii .levis Fcivtrii tcniplo intulcrif weisen direkt auf 4. 19. 2 f. und 4. 20, 2 [\ir\. auch 4. M2, 11) hin. l)a<regen steht 4, 32, 3 im Ge<ren.satz zu dem Berichte des Licinius Macer 4, 23, 5. Auch 4. 32 34 spielt wieder ein Quinctnis die HauptroUe (4.32,9; 33, 3: 33, 9), wie 4, 17 f.

Kaum wird sodann geleugnet werden können, dass 4, 25 29 mid 4, 37, 3 41, 12 im Charakter, iii der rhetorisclien Ausmalmiir der Einzelheiten, verwandt sind. Ueberall tritt, wie IX hervorhob, das Qiiinctische Geschlecht so sehr in den Vorde'rcrnmd . dass es fast den Anschein hat, als läse man Familienchroniken der Quinctier, bez. der ihnen verwandten Servilier. Nach der eindrmgtichen Er- mahnimgsrede des Q. Servüiiis Priscus 4, 26, 8 wird erzählt, wie T. Quinctius den A. Postumius Tubertus 'socerum suum. severissimi imperii vinmi' zum Diktator ernannt habe und fortan wird auch die Thätigkeit der Familie der Postumier häufiger erwähnt (Sp. Postumius Albus 4, 27, 8; 28, 8; 29, 5). Besonders bezeiclinend ist femer die Art und Weise, wie 4, 42, 10 f. wieder auf alle diese (hier derselljen späten annalistischen Quelle zugewiesenen) Erzählungen Bezug nimmt, Dej Bericht von dem Misserfolge des M. Postmnius (s. auch 4, 40, 4) bezieht sich auf die Erzählung 4, 31; die als Ausgleich 4, 41, 11 hen'orgehobenen Thaten des T. Quinctius haben die Erzählungen 4, 26, 11; 27, 2 f., und weiter auch 4, 32, 9 f. zur Voraussetzimg. Die quinctische Familientradition zeigt namentlich noch 4, 41, 12: 'pro- fidsse ei Cincuinati patris memoria dicitur, venerabilis viri, et exactae iam aetatis Capitolinus Quinctius suppliciter orans, ne se brevi reliquo vitae spatio tam tristem nimtium fore ad Cmcimiatimi paterentur'.

Wenn einerseits diese besondere Beachtung der Familientradition einiger weniger patrizischer Geschlechter in allen genannten Be- richten beachtet, anderseits ihre sachliche und formelle Verwandt- schaft berücksichtigt wird, so darf es nicht fraglich sem, dass sie abgesehen von einzelnen rhetorischen Ausfilhrimgen des Livius im wesentlichen das Werk des Tubero sind').

1) 3, 71 72 beruht auf einer älteren Anekdote, welche wohl sicherlich auch schon in der pontifikalen Tradition bei Antias zu finden war; doch ist

172

XVI. Die Quellen des 4. Buches (3, 66—4, 61).

Das gewonnene Resultat gibt fol

3, 66 T. 4

3, 67—68 R. Livius 4

3, 69—70 T. 4

3, 71—72 (A.) T. 4

4

4 4 4 4

4, 1 M.

4, 2—5 R. Livius

4, 6 M. (T.)

4, 7, 1—2; 4—6 PISO (A.)

4, 7, 3; 7—12 M. (12 Macer) 4

4, 8 A. 4,

4, 9, 1—11. 2 M. 4

4, 11, 2—12, 5 A. 4

4, 12, 6—16, 2 T. 4

4, 16, 3— 8 M. (T.) 4

4, 17, 1—4 PISO 4

4, 17, 4-20, 4 T. 4

[4, 20, 5—11 Livius] 4

4, 21, 1—9 A. 4

(21, 9—10 Varianten M. T.) 4

4, 22 A. (mehrfache Zusätze M.) 4

4, 23, 1—3 Varianten M. A. T. 4

4, 23, 4—6 (A.) M. 4

4, 24 M. 4

4, 25, 1—5 A. 4

^ende Tabelle übersichtlich an; 25, 6—8 PISO

25

26 29 31 32 34 35 37 37 42 44 45 47 48 49 51 54 56 58, 58, 59 59 60 61

9—14 M. 1—29, 5 T.

6—30, 16 PISO (30 A.) A.

1—34, 4 T. 6—7 PISO

1—37, 1 M. 35, 1—2 A? 1—2 PISO 3—42, 9 T. 10—44, 10 M. 11—45, 5 A. 6—47, 6 T. 7—8 PISO (A.?) 1—49, 6 T. 7—51, 6 M. 7—53, 13 A. 1—56, 3 M. 4—57, 12 T. 1—5 (PISO) A. 6—14 M. 1—10 A. 11—60, 8 M. 9—61, 9 A. 10—11 Variante (M.?)

sie vielleicht auch von Tubero, dem Livius bis 3, 70 folgte, ausführlicher be- handelt worden und so auch in dessen Fassung auf Livius' Darstellung von Ein- fluss gewesen. Dionys 11, 52 hat seinen entsprechenden Bericht jedenfalls aus einer rhetorischen Quelle (vermutlich aus Tubero) entlehnt.

173

XVll. Die üuelleu des 5. Buches.

Iiilialtlich zerfällt das 5. Buch in drei Abschnitte: 5, 1 18 enthält die Kämpfe um Veii bis zu seiner Erobenmg. 5, 19 33 die Einzelheiten der Eiimahme, sowie die darauf folgenden Ereig- nisse bis zum Vordringen der Gallier. 5, 34 55 die Gallierkatastrophe.

Umfangreich sind im ersten Abschnitte die Teile'), welche der älteren Berichterstattimg angehören. Dieses Ursprungs smd 5, 10, 2—9; 5, 12, 3—14, 7; 5, 16—17.

Der ganze Abschnitt 5, 12 17 scheint sogar aus der gleichen Quelle herzustammen. Doch weist auf der einen Seite die genaue Uebereinstimmung von 5. 13 mit Piso fr. 25 bestinunt genug auf diesen Annalisten hin, nicht minder die einsill)ige Ausführung im Lapidarstü 5, 13. 1 f. 13. 9. 16. 8—17, 1. Und daneben ist es, schon durch die Verwandtschaft von 5, 15 mit dem Fragment der anhales maximi bei Gell. N. A. 4, 5 kamn anders denkbar, als dass Antias hier der Gewährsmann war^). Wahrscheinlich hat Li^dus, wie oft in der III. bis V. Dekade, auch hier die beiden verwandten Relationen neben einander gebraucht^). Nur 5, 17, 2 5 scheint schon ein Zusatz zu sein aus der 5, 18 eingesehenen Quelle, welche ganz andersartig ist. Die offizielle Anschaumig Avar die, dass durch Anlegung des albanischen Emissärs der Zorn der Gottheit gesühnt sei. Damit steht in Widerspruch 5, 17, 2 'nihil profecto aliud esse quam magistratus vitio creatos Latinas sacrumque in Albano monte non rite concepisse'. Diese Version ist nur erfunden, um die folgende Wahlaktion, der P. Licinius Calvus seine Ernennung verdankt, in

1) Im zweiten Abschnitte ist namentlich 5, 31, 1 33, 4 derselben Her- kunft. Die kurze Einlage 5, 21, 8 10 wurde Philologus 56 , 125 aus Piso hergeleitet.

2) Vorausgesetzt, dass die Argumentation Philol. 52, 665 f. das Richtige getroffen hat.

3) Eine solche Annahme ist auch bei Liv. 5, 31 32 höchst wahrscheinlich.

174 XVII. Die Quellen des 5. Buches.

Scene zu setzen und gehört daher, wie diese selbst (5, 18) dem Herold der Thaten dieses Geschlechtes Licinius Macer an ').

Voraussichtlich stammen aus demselben Annalisten auch die demokratischen Schilderungen der Reden und Agitationen bei Ver- urteilung der Konsulartribunen 5, 10, 10 12, 3. Die Gesinnung des Berichterstatters geht aus den Schlussworten hen'or: "bis orationibus mcitata plebs (Sergium et Menenium) denis milibus aeris gravis reos condemnat . . : in hos versa ira populi cooptationis tribmiorum fraudisque contra legem Treboniam factae memoriam obscuram feeit'. Die Umgelnmg der lex Trebonia 'haud dubie patriciorum opibus' imd die dafür an den Führern der patrizischen Partei genommene Rache bilden das Thema der Erzähhmg. Die Moral, dass selbst die unter patrizischen Einfluss kooptierten Volkstribunen der plebs treu bleuten, ist em nicht misszuverstehendes Argument jenes Mannes, welcher die tribunicischen Rechte nach der sullanischen Reaktion voll wiederherzustellen trachtete.

W^emi dieses aber richtig ist, so ist damit auch die Quelle von 5, 8, 1 10. 1 gegeben, welche Kapitel den Misserfolg und die Schuld der Militäriribunen Sergius und Menenius ausführlich dar- stellen mid damit nur die Gnmdlage für die weitere Darstellimg 5, 11 bieten.

Allerdings ist die Erzählung von dem Hader der Feldlierm vor Veü viel älteren Urspnmgs. Die einander feindhchen Konsulartri- bunen, die vor der Stadt lagern, erinnern nicht nur oberfläclilich an die hadernden Fürsten Achilleus und Agamemnon (vgl. Liv. 5, 8, 4 f.). „Wird doch auch vor Veü das Lager des Einen angegriffen, während der andere ruhig zusieht, ohne ihm zu Hilfe zu kommen ^). " Die Darstellung Macers fusste also in der Schilderung der Kämpfe vor Veü auf älteren Amialen, ebenso wie das von der voraufgehenden Erzählung 5, 7 der Fall ist, welche, wie sogleich gezeigt werden soll, zwar gleichfalls jüngeren amialistischen Ausfühnmgen folgt, aber doch gewiss nicht dem Licünus Macer. Nur die Verwendimg

1) Auch einige Bemerkungen über des Calvus' Vater 5, 12, 7 12 bez. 5, 13, 2 3 stammen wohl aus ihm.

2) E. Zakncke , der Einfluss der griechischen Litteratur auf die Ent- wickelung der römischen Prosa (Leipzig 1888) 12. Zakncke weist damit auf den Einfluss hin. den Ennius' dichterische Schilderung auf die Annalisten aus- geübt hat.

XVII. Die Quellen des 5. Buches. 175

der untjlücklichoii Kiuiipfe vor Veii zur Verherrlichuiifjf der Plebs und ihrer Erfolf^e iui Kiuupfe j^"e«^eii die Patrizier ist eine licinische Erfindung; und träjirt von AnfiUijL? l)is zu Ende seine Signatur.

Der Ant'iint^ des Buches behandelt die Klagen über die Ein- t'ühruiiu- (kr Winterieldzüge bei dem Heere von Veii. Die Kapitel 3 b füllt eine Rede des Appius Claudius, welcher diese Massregel verteidigt ; sie ist natürlich Livius' Werk. Der konservativen Tendenz dieser Rede entspricht übrigens auch der Inhalt von 5, 7 : selbst die unglücklichen Kämpfe vor Veii werden als Argument für die Not- wendigkeit von Appius' Vorschlag hingestellt. Das gute Beispiel des Senats imd des Ritterstandes wirken stärker;, als die tribimici- schen Agitationen.

Die Sachlage ist hier genau wie an allen den Stellen, an welchen ein demokratischer Bericht Macers und ein solcher liegt zu Anfang des Berichts 5, 2 zweifellos zu Grunde durch Tuberos „wohl- gesinnte " Schriftstellerei teils abgeschwächt, teils widerlegt worden ist.

Auch ein äusserliches Merkmal gibt es für die Benutzung dieser jüngsten Amialisten. Sicherlich liegt hier der Bericht desselben Schriftstellers vor, welcher 5, 10, 1 M. Furius Camillus i t e r u m Konsulartribun werden lässt, während dieser 5, 14, 5 (nach Antias) erst damals zum zweiten Male diese Würde iame hatte. Weder die pontifikale Quelle daselbst, noch Diodor kennen ihn unter 351 als Konsulartribun, vielmehr ist er, wie Valerius Maximus 2, 9, 1 und Plutarch Cam. 2 berichten, damals einer der Censoren ^) gewesen.

Li der Geschichte der Einnahme von Veii 5, 19 28 können verscliiedene Wiederholungen imd Inkongruenzen einen genügenden Fingerzeig geben, wo neue Quellenberichte einsetzen ^).

Bekanntlich hatten die Römer einen Minengang bei Veii ge- graben. Dieser sollte, wie Livius 5, 19, 10 erzählt, auf der Burg ausmünden. Das alte pontifikale Märchen, das Livius 5, 21, 8 9 wolil aus Piso ^) einschiebt, hatte diese merkmirdige Art von Minen-

1) So die Fasten zu 351; auch der licinische Bericht 6, 37, 6 spricht wie 5, 1, 2 von 8 Tribunen (s. auch 5, 2, 10 octoiuges).

2) Vgl. E. DwoRSKi, die livianische Schilderung der Belagerung von Veii (Progr. Czemowitz 1875).

3) Auch Antias wird dasselbe gebracht haben, aber da mehrfach (vgl. S. 89) kleine Zusätze aus Piso anzusetzen sind, wird auch diese (die Erzählung 5, 21, 7 und 5, 21, 10 unpassend unterbrechende) Anekdote eine Einlage aus ihm sein.

176 XVII. Die Quellen des 5. Buches.

bau damit motiviert, class das siegverheissende Opferstück von der Burg für den Diktator geraubt werden solle. Nach rationelleren Deu- tungen sollte er dagegen den Römern den Besitz der Burg in die Hände spielen, und in diesem Falle war dann, wie das 5, 21, 7 an- deutet, ein weiteres Bestürmen der Mauern überflüssig. Das war nun allerdings den späteren Annalisten doch wieder zu dürftig und sie fingierten daher die heftigsten Kämpfe, wobei dann natürlich wieder der 'cuniculus' eine recht überflüssige Rolle spielte. Den vermittelnden Uebergang zwischen diesen verschiedenen Versionen bildet 5,21,4: 'haec precatus superante multitudine ab omnibus locis urbem ad- greditur, quo minor ab cuniculo ingruentis periculi sensus esset.'

Danach ist anzusetzen:

5, 21, 8—9 älteste Quelle: Piso;

5, 21, 10—17 (5, 22, 3—8) zweite pontifikale Quelle: Antias;

5, 19; 5, 21, 1 7 jüngere Quelle.

Diese jüngere Quelle ist zweifellos Tubero. Ausserdem ist 5, 18, wie schon gezeigt ward, ein Stück der licinischen Familiengeschichte; das Gleiche gilt von dem Bericht über die Senatsverhandlungen 5, 20, bei denen nur Appius Claudius ^) und Licinius Calvus hervortraten. Vgl. auch die Notiz 5, 22, 2.

Gegenüber der demokratischen Tendenz dieser Kapitel sticht 5, 23 die Erzählung vom Triumph des Camillus deutlich genug ab. Sie stammt also nicht aus Macer. 5, 23 brmgt mehrfach die- selben Momente, wie sie 5, 19, 1 f. mid 5, 22, 6 f. bereits gegeben hatten. 5, 19, 6 erwähnt das Gelöbnis der aedes Matris Matutae. 5, 22, 6 die Dedikation des Junotempels ^). Auf beide Punkte geht 2, 23, 7 noch einmal wieder ein. Die dem Camillus günstige Ge- sinnung ist deutlich, vgl. 5, 23, 4 f. Vielleicht wird daher 5, 23, 1 24, 3 auf Tubero, der die pontifikale Erzählung überarbeitete, zurückgeführt werden dürfen.

5, 27, 1 28, 5 ist seinem ganzen Inhalt nach ein Stück der annales maximi, mithin aus Antias; ebenso 5, 31, 1 33, 4. Nur ist es wahrschemlich, dass die dreistelligen Fastenangaben zu 5, 31, 8 32, 2 Emlagen aus jüngerer Quelle (Macer) sind, wie dass

1) Charakteristisch für Licinius Macer s. Fleckeisen's Jahrb. 1897, 431.

2) Der Schluss von 5, 22, vielleicht schon von 5, 22, .3, sicher von 5, 22, 6 ab (inde fabulae adiectum est), geht auf die pontifikale Quelle über.

XVII. Die guell.'n des 5. IJuches. 177

5, 31, 1 t". aus Piso stammt. Das macht die doppelte Erwähnung des Kriegs gegen Volsinienser und Salpinaten (5, 31, o und 5, 32, 3 f.) walirscheinlich (s. auch oben S. 89).

Zwei Abschnitte harren nach der näheren Bestimmung 5, 24, 4 2G, lU und .■). 28, 5—30, 8.

Die Tendenz von 5, 24, 4 25, 10 ist aristoki-atisch. Es kam dem Verfasser darauf an zu zeigen, wie erbännlidi die Tribüne und ihr Anliang gehandelt hätten, als sie den Plan gefasst hatten, nach Veii überzusiedeln. Andererseits ist die demokratische Gesinnimg des Verfassers von 5, 29 30 oöenkundig. Beide Aimalisten mussten allerdings das Verlassen der Hauptstadt tadeln. Aber die milde Art, wie dies an zweiter Stelle geschieht imd der Zusatz, dass das verständige Einlenken des Senats ^) der plebs das Nachgeben er- leichtert habe, zeigt, welcher Gesimiung der zweite Verfasser war.

Am sch^^^erigsten ist endlich die Herkunft von 5,25,11 26.10 und 5, 28, 5 13 festzustellen. Die Erzähkmg von dem Aequer- krieg 5, 28, 5 13 und den Lorbeeren, welche sich Sp, Postumius geholt haben soll, zeigt Spuren poetischer Ausmalung^), vielleicht in Erimierung an die eunianische Darstellung, und trägt damit die Spuren der Laudationenlitteratur an sich. Die Postimiier wurden oben- ein besonders von Tubero berücksichtigt.

5, 25, 11 26, 10 ist dagegen vermutlich schon ein Stück jenes pontifikalen Berichtes, welcher 5, 27 deutlich genug hei-vortritt und kann hypothetisch auf Antias bezogen werden. Auch mehrere zwei- stellige Eigennamen 5, 26, 2, welche sonst ^) mit cognomina gesetzt worden sind, sprechen für die gleiche Herkunft.

Die Untersuchung über die Quellen der Gallierkatastrophe 5, 33 bis 55 wird nur scheinbar dadurch erschwert, dass jetzt zu den \äer bis- her von Livius eingesehenen Annalisten noch ein fünfter, Claudius, hinzutritt. In Wirklichkeit wird sie dadurch, zmnal bei den glück- licher Weise erhaltenen Fragmenten des letzteren vereinfacht.

Zunächst lehrt schon eine oberflächliche Durchsicht, dass die

1) 5, 30, 7 'quia non vi agebant' etc.

2) 5, 28, 10 'proeliumque ante lucem sed luna pernox erat cominis- 9um est, et haud incertius diurno proelium fuit' 5, 28, 13 'nuntium . . . litt-erae a Postumio laureatae secuntur.

3) So ist P. Cornelius wahrscheinlich derselbe , welcher 5, 24, 1 P. Cor- nelius Scipio heißst.

Soltau, Liviusquellen. 12

]^yg XVII. Die Quellen des 5. Buches.

pontifikalen Berichte nur in sehr geringem Umfange herangezogen sein können. Dieses ist der Fall nur in der Einleitung 5, 33, 1 4 (bez. 35, 4 f.) '), sowie in dem durch die lange Rede des Camillus (5, 50, 8 55, 1) unterbrochenen Schlussabschnitt 5, 49, 8 55, 5. Da selbst in diesen kürzeren, sachgemässen Mitteilungen bereits die Spuren der jüngeren Geschichtsbildung auftreten ^) namentlich 5, 50, 6 7 so ist nicht Piso, sondern Aiitias als Quelle hierfür anzusetzen.

Weiter ist beachtenswert, dass in der ganzen Erzählung der Gallierkämpfe keine Spur einer demokratisch-gefärbten Berichter- stattimg zu finden ist. Ueberall ist Camillus, der von den Tribmien geschmähte Aristokrat, der Heros, welchem Rom alles verdankt. Die Idee der Tribmien, nach Veii überzusiedeln, wird nur oljenhin berührt (5, 50, 8), die überaus mirdige Haltung des Patriziats bei der Em- nahme wird m erhebender Weise geschildert, kein Versehen der Adelspartei bei dem schweren Unglücksfall hervorgehoben^). Auch der von Diodor 14, 113, 8 erwähnte bedeutsame Einspruch des Volkes e-esen das Senatusconsultum ^vird von Livius 5, 36, 10 verschwiegen.

Daraus folgt, dass Macer, wenn überhaupt, nur in ganz ge- ringem Umfange zu Rate gezogen sem kann.

Um so erwünschter ist es, dass bei der Analysierung von Liv. 5, 36 49, bei welchen Livius demnach teils Tubero teils Claudius seine Mitteilungen verdanken muss *), ziemlich viele Fragmente des letzteren die Feststelhmg erleichtern.

Vor allem ist die Autorschaft des Claudius für 5, 46, 4 49, 7 gesichert.

Die Fragmente des Claudius stimmen hier an folgenden Stellen mit Livius überein :

fr. 4 = Liv. 5, 46, 8—10 fr. 5 = 5, 47, 11 fr. 6 - 5, 48, 4. .

1) 5, 33, 5—35, 3 ist spätere Einlage; siehe oben S. 18 und Hermes 29, 611.

2) Vgl. E. Zarncke, 'der Einfluss der griechischen Litteratur auf die Ent- wickelung der römischen Prosa' S. 34. Buegeb, 'Sechzig Jahre' 33.

3) Das Unrecht der Fabier wird eingestanden, aber in der mildesten Form : 5, 36, 9.

4) Kaum braucht hier noch einmal auf das Resultat aller Spezialunter- suchungen über Roms Einnahme hingewiesen zu werden; sie zeigen, dass Livius und Dionys die jüngste und am meisten gefälschte Tradition bieten. Vgl. überhaupt Thoueet, der gallische Brand (Leipzig 1882) S. 115 f.

XVII. Dil- Quellen des 5. Buches. 179

Zu 5, 47, 4 f, v«xl. tV. 7.

Wie jeder leicht erkennt, sind es hier aber nicht nur einzelne aus dem Zusanuuenhang herausgeto'itteue Sätze, die Li^^us jener Quelle entlehnt, sondern der Tenor der Erzählung gehört einem ein- heitlichen Berichte an. Das bestätigt ein Vergleich mit Dionys. 13, 7 12, welcher die Gleichheit der Quelle bis mindestens in den Anfang von 5, 49 verbürgt^).

Weniger sicher ist die Herleitung von 5, 37 39 aus Claudius. Eine in die Augen fallende Aehnlichkeit von Claudius fr. 3 (Gell. N. A. 17, 2, 10 'sole, inquit, occaso') mit Liv. 5, 39, 2 und 7 ist namentlich deshalb beweiskräftig, weil nach den übrigen Berichten (Diodor 12, 115 x^ xsTapiTr] 5' i^|i.epa, Polyb. 2, 18 xpcai xf^? [xa/rji; T^fiepac; lioxspov) die Gallier erst mehrere Tage später bei der Stadt eintreffen. Auch macht die ganze Schlachtschildenmg weiterhin einen ähnlichen Eindruck, wie zahlreiche verwandte Kampfberichte bei Claudius. Die Spuren seiner nichtssagenden Rhetorik finden sich an manchen Stellen, so namentlich dort, wo die Phrasen den Ausfüh- rungen, welche Livius nach verständigeren Quellen gewählt hatte, widersprechen. So steht 5, 37, 2 'hoste ab Oceano terranmique ultimis oris bellum ciente' in Widerspruch zu allen Angaben des Livius 5, 33 35. 5, 38, 1 ('nee auspicato nee litato instruunt aciem') erscheint völlig im vermittelt imd kann doch auch nicht die folgende Unif^ehimcp durch die Gallier motivieren. Wenn ebendaselbst von der Ausdehnung der römischen Schlachtreihe und der Schwäche des Zentrums die Rede ist, so spielt auch dies keine Rolle bei dem späteren Verlauf der Schlacht. Kurz, es sind die Bausteine der früheren Quelle um irgend welcher rhetorischen Effekte willen gehörig durcheinander geworfen, und das ist ja charakteristisch für einen Claudius. Uebrigens möge bedacht werden, dass bei dem eigent- lichen Verlauf der Schlacht die verschiedenen Berichte nicht so sehr von ei nander verschieden gewesen sein werden. Selbst Diodor 12, 114, 4 11 berichtet hier, trotz mehrerer Abweichungen, manche Züge der späteren Tradition entsprechend.

1) Die Variante 5, 46, 11 ('seu quod magis credere libet, non prius profectum ab Ai'dea, quam conperit legem latam, quod nee iniussu populi mutari finibus posset, nee nisi dictator dictus auspicia in exercitu habere lex curiata lata est dictatorque absens dictus') stammt voraussichtlich aus pontifikaler Quelle, sie giebt das staatsrechtliche Gutachten der leitenden Kreise.

12*

130 XVII. Die Quellen des 5. Buches.

Bei der Feststellung von 5, 40 45 ^) ist vor allem zu beachten, dass zu Anfang wie gegen Ende dieses Abschnittes deutliche Spuren eines Quellenwechsels vorhanden sind. Nachdem bereits 5, 39 die Vorkehnmgen wegen Sicherung des Kapitols imd der Heiligtümer erzälilt und namentlich die Aufgabe der jungen Kriegsmannschaffc (5, 39, 10) gegenüber den 'seniores' (5, 39, 13) ausgeführt war, be- gimit 5. 40 noch einmal wieder dasselbe Thema, hier mehrfach auf die Angaben der annales maximi (5, 40, 7 f.) zurückgehend, 5, 41 ist eine erweiterte Wiedergabe von 5, 39, 13.

Andererseits ist klar, dass der Anfang von 46, 4 („Veis In- terim") nicht passend gewählt ist. nachdem kin-z vorher 5, 45. 4 8 über Veii gesprochen war. Das Ungeschickte des Ausdiiicks erscheint noch gravierender, wenn man beachtet, dass 5, 46, 1 und 5, 47, 1 noch einmal wieder die entsprechende Uebergangsphrase ^) bieten.

Nun wird von Livius 5 , 43 , 6 45 , 8 manches fälschlich schon in che Zeit der Belagerung gesetzt, was nach der älteren Tradition bei Diodor 14. 117 nach erst der Befreimig Roms ge- scliehen war. Es hat hier also eine chronologische Verschiebung der Ereignisse stattgefimden, wie sie am leichtesten durch den Ueber- gang von der einen Quelle zu einer andern erklärt werden kann^).

Noch aber ist zu beachten, dass dieser sonst emheitliche Ab- schnitt 5, 40 45 an einer Stelle deutlich die Spuren einer zweiten Quelle verrät,

Livius 41, 10 43, 2 zeigt ein merkwürdiges Schwanken zwischen zwei prinzipiell abweichenden Anschauimgeu : nach 5, 43, 1*) ist in Rom alles durch die Feuersbrunst vernichtet ; dagegen 5, 42, 1 heisst es : 'necßiaquam perinde atque m capta urbe prima die aut passim aut late vagatus est ignis'. Livius folgte also zuerst einer Quelle, welche, wie mehrere der älteren Annalisten, die Schrecknisse der Okkupation

1) Zu vergleichen ist Bvhger. Sechzig Jahre aus der älteren Geschichte Roms, 45 f. In wichtigen Punkten sind allerdings seine Resultate zu be- anstanden.

2) 'Romae Interim plerumque obsidio segnis' . . . 'Interim arx Romae Capi- toliumque in ingenti periculo fuit'.

3) Auch die kurze Notiz 5, 46, 1 3 . welche mit -Romae interim' einge- fügt wird, ist wie 5, 41, 3 aus einer besonderen Quelle , welche Einzelheiten über die Fabier brachte. Vermutlich aus Antias.

4) 'Cum inter incendia ac ruinas ,captae urbis nihil superesse praeter arma- tos hostes viderent'.

XVII. Di.' Qu.-llen dfs 5. Buches. 181

und des .«jallischen Bmiides" in raiissigen Grenzen hielten'). Nun wissen wir einerseits, wie Claudius eine Venvilstunp der Stadt an- nahm, bei der alle Dokumente und Urkunden verloren i;ef?ant?en sein sollen*), andererseits dass Cicero nirgends von einem „Brande" Roms geredet hat'). Es liegt also nahe anzunehmen, dass auch Tubero zu denen gehört haben wird, welche die Schrecknisse des Brandes nicht zu arg übertrieben hatten. Somit dürfte 5, 40, 1 42,2 dem letzteren, die Schilderimg des Brandes 5, 42, 3 43, 4 dem Claudius angehören. Auf diesen ist jedenfalls auch der thörichte Versuch der Gallier, die Burg zu erstürmen, zurückzuführen, welcher Zug gleichfalls sicher dem ciceronischen Kreise ft-emd war*).

Der Uebergang von dem claudischen Bericht zu der 5, 44 45 benutzten, von diesem abweichenden Quelle ist 5, 43, 4 zu suchen. Claudius motivierte den Abzug mit dem durch den Brand verur- sachten Mangel, der von 5, 43, 4 benutzte Aimalist d. i. Tubero, 'quod ex agi'is per eos ipsos dies raptmu omue Veios erat'.

Das Ergebnis veranschaulicht folgende Tabelle: 1—2 T. (2 M.) 21, 8—9 P.

3—6 R.' Livius 21, 10—22. 8 A. (22, 1—3 M.)

7 T. 23 T.

8, 1—12. 3 M. (10. 2—9 A.?) 24, 1—3 (A.) T.? 12, 4—6 (13) A. 24, 4—25, 10 T.

12, 7—12 M. 25, 11—26, 10 A.?

13 P. 27, 1—28, 5 A.

14, 1—16, 7 A. 28, 5—28, 13 T.

16, 8—17, 1 P. 29—30 M.

17, 2—5 M. 31, 1—7 P. 17, 6—10 A. 31, 8—33, 4 A.

18 M. [33, 5—35, 4 Nepos]

19 T. 35, 4—36, 11 A.?

20 M. 36, 11—40, 1 Cl. 21, 1—7 T. 40, 1—42, 2 T.

1) Der fünf Zeilen lange Zwischensatz 5, 42, 1 zeigt das Dilemma , in welchem Livius sich befand.

2) Das Citat Plutarchs Numa 1 (KXoJSidc v.i; iv iXiyym xp'^vwv) beziehe ich mit Schwegler, Rom. Gesch. 1, 39; 2, 11 auf diesen Annalisten, welcher mit V. 364 seine Chronik begann.

3) Thouret, Ueber den Gallischen Brand, 112.

4) Thouret 118. Cicero pro Caecina 30, 88, spricht von einem Minengange.

182 XVII. Die Quellen des 5. Buches.

42, 3—43, 4 Cl. 49, 8—50, 7 A.

43, 4—45, 8 T. 50, 8—55, 1 R. Livius 46, 1—3 A. 55 A.

46, 4—49, 7 Cl. (46, HA.)

Bei AbscMuss dieser mit besonderen Schwierigkeiten verknüpften Untersuchung über die Quellen der I. Pentade des Livius verlohnt es sich wohl noch einmal kurz die Frage zu erörtern, iuAvieweit die hier gewomienen Resultate auf wissenschaftliche Sicherheit Anspimch erheben können. (Vgl. oben S. 82.)

Der feste Ausgangspunkt aller Untersuchung muss das sein, was die Analyse der IV. und V. Dekade über das Wesen mid die Darstellungsweise der auch in der I. Pentade häufiger benutzten beiden AmiaHsten Piso und Antias ergeben hat ^). Wie bei der

IV. und V. Dekade heben sich die Berichte, Avelche im Wesentlichen nichts anderes sind als ein Auszug oder eine erweiternde Umschreibung der pontifikalen Aufzeichuimgen scharf ab von „den breit aus- geführten Schilderungen von Kriegsereignissen, wie sie sich an vielen andern Stellen des Livius finden". Mögen auch die Annalen des Antias manche Reden mid rhetorische Ausmalungen, namentlich bei der Erwähnmig von Senatsverhandlungen mid Ge- sandtenberichten, enthalten haben, so ist doch m der III., IV. und

V. Dekade keine Stelle zu nennen, welche auf Antias zu beziehen wäre, welche zugleich breite Kampfesschilderungen und Schlacht- gemälde enthielte, wie sie im Uebrigen ja in keinem Buche des Livius ganz fehlen. Dass die Zahl solcher rhetorischer Elaborate mehr mid mehr abnimmt, je mehr wir uns den historischen Zeiten des 2. Jahrhunderts nähern, gibt wahrlich zu denken.

„Selbst noch in den ausführlichen Jahresberichten des 2. Jahr- hunderts behandelte die Stadtchronik die kriegerischen Vorgänge und sonstige auswärtige Angelegenheiten überaus kurz und summa- risch. Es ist daher bei der Geschichte der voraufgehenden Jahr- hunderte schwerlich anders gewesen ^). "

Auch äusserlich unterscheiden sich die Berichte der haupt- städtischen Amialistik meist deutlich genug von denen anderer Anna- listen. Die älteren Angaben stechen ab durch ihren Lapidarstil und

1) Philologus 52, 669 f. 677 f. und oben S. 27. 85.

2) Philologus 55, 272.

XVII. Di." Quellen des 5. Buches. 183

(lurili eine ])edantisthe Kegelmässi^keit bei Anordnung des Stoffs. Selbst aber noch in den Abschnitten aus Antias wird eine i>rag- matische V'erkm'lpfung der Einzehmgaben verniisst. Der pontitikale Gesichtspunkt der Berichterstattung verleugnet sich selten.

Dem gegenüber stehen ') in der I. Pentade die aimalistischen Schildenmgen von Licinius Macer und L. Aelius Tubero. Beide ge- hören jener Art von Historikern an, welche in einer stilistisch-ge- wandten und rhetorisch-wohlklingenden Darstellimgsweise eine Haupt- aufgabe des Geschichtsschreibers sahen. Beide aber unterscheiden sich untereinander wieder sowohl durch die Verschiedenartii^keit des Parteistandpimktes , als durch die abweichenden Ziele, welche sie sich bei der Darstellung der Vorzeit gestellt hatten. Macers demo- kratischer Standpunkt, seine Bemühung durch die Schildermig, wie die plebejische Rechte erstritten seien, seinen Zeitgenossen ein Spiegel- bild ihrer eigenen Zeitkämpfe zu bieten, lässt an zahlreichen Stellen seine Thätigkeit erkemien, während andererseits der Nachweis, dass Tubero bei seinem aristokratischen Standpunkt vorzugsweise die Thaten einzelner Patriziergeschlechter der Quinctii, Servilii, Furii, Postumii zu verherrlichen gesucht hat, in nicht wenigen Fällen seine Autor- schaft sicherstellt. Mit Hilfe chronoloo-ischer Untersuchungen, durch Beachtung der Fastenangabeu, der Citate, sowie der Fugen, wo ein- zelne Berichte an- und ineinandergeschoben waren, war es endlich möglich, die Ergebnisse so zu vervollständigen, dass in den meisten Fällen ein Schwanken vermieden werden konnte, dies alles natür- lich unter der einen Voraussetzung, wenn der Ausgangspunkt der Untersuchung, dass Livius in diesen Büchern nur diese vier Anna- listen benutzt hat, das Richtige getroffen hat und festgehalten werden darf (s. darüber oben XL S. 105).

Nicht unwichtig ist dabei, namentlich für die ersten Bücher der Pentade, ein Vergleich mit den entsprechenden Partien von Dionys, wodurch mehrfach das gefmidene Ergebnis eine erAvünschte Be- stätigung erhalten wird. Dieser Betrachtung werden wir uns jetzt zuwenden.

1) Abgesehen von einigen der letzten Kapitel des 5. Buches, wo bereits Claudius Quelle des Livius war.

184

XYIII. Liviiis imd Dionys.

Es wäre unbillig, wollte man an dieser Stelle eine erschöpfende Quellenanalyse von Dionys' Archäologie^) verlangen. Andererseits je- doch ist es notwendig, dass die für Livius gefundenen Ergebnisse auch mit den Forschungen, welche über Dionys vorliegen, in Ver- bin dmig gesetzt und die aus jenen sich ergebenden Folgerungen auch für die Quellen des Dionys verAvertet werden. Dies soll hier in ge- drängter Kürze geschehen ^).

Dionys B. 5 11 behandelt den Lihalt von Liv. 2. und 3. Buch, also in 7 Büchern das, was Livius trotz zeitweise grosser Ausführ- lichkeit schon in zweien absolviert hat. Ja, die 4 Bücher 5 8 be- handeln den Lihalt von nur 40 livianischen Kapiteln^).

Vor allen Dingen hat Dionys diese Ausführlichkeit durch zahl- reiche Reden, welche er vor Livius voraus hat, erreicht. Der vor- trefflichen Untersuchung von Flierle *) verdanken wir Klarheit dar- über, welcher Herkunft diese smd. Dionys pflegte seme Reden nicht willkürlich zu erfinden. Er schob sie dort ein, avo bereits seine Quellen solche erwähnten. „Die Hauptgedanken zu seinen Reden, das Thatsächliche in denselben, nahm er aus seinen Vor- lagen ; aber im Emzelnen verarbeitete, erweiterte, schmückte er diese Gredanken in freier Weise nach rhetorischen Gesichtspunkten aus."

1) Vgl. dazu A. KiESSLiNG, De Dionysi Halicarn. ant. auct. lat. (diss. Bonn. 1858), Moritz Voigt, Leges regiae Abhandl. d. kgl. sächs. Gresellschaft der Wissensch. VII, 682 (1879), G. Thouket, der gallische Brand, Fleckeisen Suppl. XI, 95, A. VOLKMAE, De annalibus Rom. qu. (Marb. 1890), 0. Bocksch, De fönt. lib. V. et VI. Dionysii Halle, qu. (Lips. 1895).

2) Vom 12. Buche liegt Dionys nur fragmentarisch vor ; von da ab kann sein Werk an dieser Stelle nicht mehr eingehend berücksichtigt werden, lieber Einzelheiten s. XIIII— XVII.

3) Recht ausführlich hat Livius zwar über das 2. Decemvirat (B, 35 bis 61), und über die secessio plebis (2, 22 32) gehandelt , wenn auch nicht im entferntesten so wie z. B. Dionys 6, 22 90.

4) 'üeber Nachahmungen des Demosthenes, Thucydides und Xenophon in den Reden der Römischen Archäologie des Dionys von Halicamass' (Leipzig 1890), namentlich S. 84. Vgl. Wochenschrift f. klass. Philol. 1891 S. 951.

XVIII. Livius uml Dionys. Jgf,

Seme Reden enthalten zahlreiche Nachahmungen der üeden des Demosthenes, des Thucydides und des Xenophon.

So bietet ti. 6 9 manche Gedanken aus Xenophon. Die Rede des Appius Claudius 6, 59 64 enthält vieles aus Thucydides 1, 140, die Rede des L. Jimius Bnitus i\ 72 78 manche Gedanken aus Demosthenes 'pro Corona'. Die si);iteren Reden des Appius Claudius weisen zahlreiche Entlehnungen aus Demosthenes' Philippischen Reden auf ^). Ueberhaupt ist die ganze zweite Hälfte des 6. Buchs 6. 45 90 nichts als eine Sammlung von Reden, deren Gedankengang vielfältig den genannten griechischen Schriftstellern nachgebildet ist.

Auch liebt Dionys zuweilen grössere Exkurse allgemeinerer Art. So 7, 68 73 über die römischen Spiele, 5, 70 74 über die Dik- tatur, 9. 41 über die lex Publilia u. a. m.

Mehrmals schaltet er einen grösseren Exkurs dort ein, wo in der Ueberlieferung bedeutende Gegensätze vorhanden Avaren. Er folgt dabei nicht dem Beispiele des Livius, Avelcher, nach Auswahl des l)e- sonders glaubhafterscheinenden Autors, dem Hauptberichte höchstens einige Varianten anhängt. Vielmehr gibt er zuerst die ihm selbst richtig erscheinende Fassung und fügt dann die weniger glaubhafte " Tradition in gleicher Ausführlichkeit hinzu ^).

Vor allen Dingen aber hat Dionys' Werk dadurch einen solchen Umfang erhalten, dass er, noch abgesehen von derartigen Exkursen, durchweg die jüngeren und jüngsten Quellen ausschreibt. Zeitweise folgt er allein dem Licinius Macer und L. Aelius Tubero, ohne auch nur die oft bedeutsam abweichenden Anschauungen von Piso, Antias oder noch älteren Quellen zu beilicksiclitigen.

Das hat sich vor allem mit voller Sicherheit liei den Ijedeutenden chronologischen Abweichungen zu Anfang der republikanischen Ge- schichte gezeigt. Dionys kennt nicht einmal den berühmten älteren Ansatz der Tempelweihe, V. 245, er verlegt sie zwei Jahre später (5, 35). Dementsprechend sind ihm auch die von LiNaus gebilligten Ansätze der Einführunjif der Diktatur 253, der Reoillerschlacht 255

1) Vgl. dazu überall Flierle a. a. 0. 31. 33. 39 f.

2) Dionys 8, 79 o jxsv o5v ut^-avtü xepoc ttöv 7rapa5£5o|i£v(i)v öjiep xoö dvSpög XcYtüv ToiöoJs daxcv 5äT ik %al töv ^yoaov Tii.'Vavöv . . . . |jir) jtapsXO^Iv. Ganz ähn- lich 12, 4 oi [lev tri rad'avcüxatoc [iot. 5oy.oövT£5 ypd-^ei'v Ttepi xfjg Mat?>iou ■cs/Lsuxfjg oOto) TiapaSsSwxaat ^sysad-w 5s xai 6 5oxo)v ^txov sTvai \ioi mO-avög Xöyos, cp y-ixpr^nct: l\i-c/.:og v.'x: Ka>.::oöpvioc. Vgl. ferner 2, 38 ; 4, 7 ; 9, 18—22.

j^gg XVIII. Livius und Dionys.

imbekamit. Die ersten Säciüarspiele , welche Aiitias (vgl. meine Rom. Chronol. 389, Censor. de die nat. 17) ins Jahr 245 verlegt, kennt Dionys nicht. Er beschreibt den Beginn der Spiele erst 7, 68 f.

Es ist daher erklärlich genug, dass Dionys 5. Buch, abgesehen von einigen Abschnitten über den Beginn der Republik 245/246 keine nähere Verwandtschaft mit Livius dort verrät, wo dieser sich der ältesten Annalistik bei Piso zugewandt hatte (vgl. Kiessling a. 0. 13). Selbst die Abschnitte Tuberos in Liv. 2, 1 15 zeigen keine bedeutende Aehnlichkeit mit Dionys' 5. Buch, da dieser daselbst, wie S. 189 ausführen wird, vorzugsweise dem Licinius gefolgt ist und obenein noch eine anticßiarische Quelle (Varro) eingesehen hat, welche natürlich dem Livius unbekamit war ^).

Anders ist das Verhältnis zwischen Dionys und Livius in der Schilderung der grossen Verfassungskämpfe 260/261 und 304/305, bei denen der letztere ja durchweg die demokratischen Schilderungen Macers zu Grunde gelegt hat, mehrfach aber dieselben in der Ueber- arbeitmig Tuberos benutzte. So ward schon durch Volkmar die Aehnlichkeit Liv. 2, 23—32 (1. secessio) mit Dionys 6, 22— 45 2), Liv. 3, 36 63 (3. Decemviratsjahr) mit Dionys 10, 58 bis 11, 50 hervorgehoben. Li beiden Abschnitten ist nicht nur das Verhältnis des Livius zu Dionys, sondern auch dasjenige beider zu ihren Quellen nahe verwandt. Beide schreiben die breiten Ausmalungen der jüngsten Amialisten Macer mid Tubero aus. Nur wechselt Livius mit den Erzählungen seiner Quellen ab und zu, wie das mehrfache Likongruenzen beim Uebergang von der emen zur andern zeigen. Dionys hingegen gibt einen mehr einheitlichen Bericht. Er legt oft Macer zu Grunde mid legt dessen Angaben erweiternd manche Einzelheiten aus Tubero ein. Lii Besonderen vgl. Vollonar 'de annalibus' 24 65^).

1) Vgl. S. 144. Livius hat nirgends antiquarisclae Werke eingesehen. 7, 2 ist eine spätere Einlage und vielleicht gab er die doi-tigen Notizen nur nach mündlichen Belehrungen, welche er von dem Altertumsforscher Cincius empfing. In letzter Instanz gehen sie allerdings auf Varro zurück. Vgl. S. 1B7 A. 2.

2) Dagegen hört die nahe Verwandtschaft bei Liv. 2, 33, das aus Antias stammt, auf. Dionys 6, 46 90 bleibt bei seiner ausführlicheren Quelle (vor- zugsweise also bei Maeer) und lässt daneben seiner Rhetorik freien Lauf.

3) Abgesehen von der falschen Schlussfolgerung, welche Volkmak 65 zu Liv. 2, 23 32 zieht, giebt er das Verhältnis des Berichtes des Dionys zu dem des Livius richtig so an : 'at vero ex ea Liv. narrationis parte , quam uno tenore proferre sprevit, nonnuUa' excerpsit , ut aliis locis ea inspergeret'. S. auch oben S. 158.

XVIII. Livius und Dionys. 187

An lindern Stellen wieder verlässt er die parteilichen Ausfilhriingen Macers und folgt dauernd dem Tubero.

Die ebenfalls mit Reden und Exkursen reichlich ausgestatteten Bücher 7 und 8 enthalten mu* die Geschichte der Jahre 261 bis 273, also das, was bei Livius in 11 Kapiteln 2, 33 43 zusammenge- fasst ist. Die grosse Rede des Appius Claudius 7, 48 53 ist nach Flierle 43 aus manchen Bnichstücken der philippischen Reden kom- poniert. Coriolans Rede an die Volsker 8, 5 f. ist nach Thucydides 6, 89 f. gebildet. Die Reden des Minucius 8,. 23— 28, des Mar- cius 8, 29—35, sowie die Reden der Frauen 8, 39—42 ; 45— 46; 48— 53 enthalten gleichfalls viele fremde Remiiiiscenzen. 7, 68 73 ist eine freie Erörtermig des Dionys über die römischen Spiele.

S. 162 ward der grosse Kontrast hervorgehoben, in dem die breiten Schilderimgen von Coriolans und Cassius' Katastrophe, welche Dionys bietet, zu der schlichten, und doch anziehenden Darstellung des Livius 2, 33 41 stehen. Abgesehen von den Reden 2, 37 38 ist Livius' Darstellung nichts anderes als ein Ausschnitt aus der pontifi^alen Geschichtschreibung '), von welcher die Erzählmigen der ältesten Annalisten hier wenig verändert mit aufgenommen worden sind.

Dass Dionys hier nicht nur die jüngsten Annalisten beachtet, son- dern nur allein sie ausgeschrieben hat, zeigt der prinzipielle Gegensatz, in welchem er daselbst durchweg zu Livius' Bericht stehf^). Alle andern Quellen kennen nur einen C n e i u s Marcius Coriolanus. Bei Dionys (wie bei seinem Ausschreiber Plutarch Coriolan 3 f.) heisst erGaius. Livius 2, 39 nimmt nur einen einzigen Zug Coriolans gegen Rom an, wogegen Dionys 8, 18 f. mehrere Feldzüge aufzählt.

Wo Livius hier die ältere Erzählung oder die abweichende Ueberlieferung anderer Annalisten giebt, da findet sich die letztere sicherlich bei Dionys ausführlich, meist ohne dass eine andere An- sicht erwähnt ist. Livius 2, 34, 7 stand z. B. bei Antias nur 'magna vis frumenti ex Sicilia advecta '), Dionys' Quellen Gellius xmd Licinius,

1) Meist aus Antias. 3, 36 wird so auch bei Piso (vgl. Cic. de div. 1, 26 'omnes hoc historici') gestanden haben (vgl. 2, 33, 3).

2) Vgl. auch KiESSliiNG a. 0. 13. Fabius Pictor wird meistens nur in- direkt citiert und widerlegt.

3) Ein Motiv der Ueberlieferung, welches Liv. 4, 52 unter dem Jahre 343 (etwa 407 v. Chr.) brachte , also auf historischer Grundlage beruhte und von da durch die Sage zurückdatiert ist.

188 XVIII. Livius und Dionys.

letzterer sicherlich sein Hauptgewährsmann'), brachten dagegen das Märchen von der Getreidesendimg des Dionys zu Coriolans Zeit 7, 1. Dionys 8, 59 kennt nur die gewaltsame Todesart Coriolans, welcher Livius 2, 40, 10 die schlichte Ueberliefermig des ältesten Almalisten vorzieht. Aehnlich ist das Verhältnis Dionys 8, 78 und Liv. 2, 41, 11 bei Sp. Cassius.

Dionys 9, 1—10, 54 behandelt die Greschichte der Jahre V. 274 302; er fasst sich von jetzt ab viel kürzer als m den voraufgehenden Büchern, welche durchschnittlich nur die Ereignisse von je 5 Jahren enthielten.

Trotzdem hat Dionys auch hier die trockene pontifikale Bericht- erstattung grösstenteils bei Seite gelassen. Besonders klar zeigt dieses die Darstellung der Fabierkatastrophe. Auch ihr \Aädmet er einen längeren Exkiu's 9, 19 22, in welchem er die Gründe aus- einandersetzt, weshalb er die ältere Tradition, welche die Faliier „sacrorum causa" ausziehen lässt, verwerfe. Dionys selbst folgt dann 9, 20 21 der jüngsten, welche Livius 2, 50 nach Tubero bietet. Vorher hatte Dionys 9, 15 kürzer als Livius den Auszug der Fabier nach dem fabischen Laudationenbericht bei Macer (Livius 2, 48, 5 49, 8) gebracht. Sowohl der zwischen der älteren und der jüngsten Fassung stehende Bericht des Zonaras 7, 17 D, wie die von Livius einge- streuten kürzeren Jahresberichte (2, 48, 1 4; 2, 49, 9 12) wahr- scheinlich beide aus Antias sind von Dionys bei Seite gelassen (S. 158).

Auch in den darauffolgenden Schilderungen, welche den ein- fachen Berichten des Antias bei Livius 2, 51, 1 52 bez. 2, 54, 1 4, näher stehen, finden sich doch manche charakteristische Gegensätze. Liv. 2, 51, 2 wird gesagt 'ut primo pugnatum ad Spei sit aequo' Marte, Dionj'S 9, 24 Z. 15 macht daraus einen Sieg. Bei Servilius' Freisprechung weiss er wieder allein (9, 33), dass keine einzige Tribus für seme Verurteilung gewesen sei.

Dagegen stimmt Dionys 9, 34 genauer mit dem licuiischen Bericht Liv. 2, 53 überein, vor allem aber mit der Schilderung der

1) Es ist fraglich, ob Dionys die Annalen des Gellius benutzt hat. Häufig jedenfalls nicht. Dagegen hat Macer sich jedenfalls oft der Tradition bei Gellius angeschlossen (vgl. fr. 11; 12;) vgl. auch fr. 8, wo Gellius indirekt citiert ist.

2| 9, 29 32 ist eine von Dionys frei erfundene Rede (vgl. übrigens Liv. 2, 52, 7 'plebem oratione feroci refutando').

XVIII. Livius uiul Dionys. 189

KäniptV' um die i)ublilische Hojjfatioii, welche /wiir «gedrungener ge- halten, aber im Wesentlichen gleichen Ursprungs ist ').

Grosse Verwandtschaft besteht aucli wie zu erwarten war zwischen den tuberonischen Berichten im Livius (2, 64 65; 3, 11, 3—13. 10; 3, 19, 1—22, 1; 3, 25—29) und Dionys 9, 55 f.: 10, 5 f.; 10. 17 f.: 10. 22 f.).

Zmn Schluss ist noch einmal zum 5. Buche des Dionys zurück- zukehren. Es ward Ijereits vorher (S. 186) die Thatsache hen-orge- hoben, dass Dionys im 5. Buch durchweg mit den Jahresberichten bei Liv. 2. 8; 2, 15 21 keine Berührung aufweise. Weder Piso noch Antias kömien also dort zu den von ilini emgehend berück- sichtigten Almalisten gehören. Aber auch der von Livius weiter ausgeschriebene Tubero ist, wie XIII zeigte, in jenem Buche bei Dionys nur nebenbei beachtet worden. L i c i n i u s M a c e r ist die haupt- sächlichste annalistische Quelle, welche Dionys daselbst seinen Aus- führmigen zu Grunde legt. Daneben war nun aber, wie XIII her- vorhob, mit der Thatsache zu rechnen, dass Dionys in der ersten Hälfte .des 5. Buches oft mit Plutarchs Publicola dort übereinstinmit, wo dieser nicht auf Dionys direkt beruht (Bocksch a. 0. 231).

Die zweite Quelle in Plutarchs Publicola war durchweg varroni- scher Herkimft, war Juba, welcher Antias imd die Schrift de gente populi Romani für die Schilderungen der Königszeit und der Gründung der Republik zu Rate gezogen hat. Daraus folgt, dass auch Dionys im 5. Buche, wie das bereits für die früheren Bücher feststeht, var- ronische Schriften, vor allem seine Antiquitates, benutzt hat.

Doch allein mit der Behauptung, dass eine varronische Schrift die Quelle des Dionys hier gewesen sei, ist noch nicht viel erreicht. Es kommt darauf an zu untersuchen, ob nicht eine reinliche Scheidmig dessen möglich ist, was den Annalisten Licinius und Tubero, was dem antiquarischen Forscher angehört. Diese zu bewerkstelligen, bedarf es einer Spezialuntersuchung, und das um so mehr, als neuer- dings von A. Jacobson („das Verhältnis des Dionys von Halicarnass zu Varro) gut gezeigt ist", dass die früheren Arbeiten von Kiessling u. a. sich vielfacher Uebertreibungen schuldig gemacht haben.

Eine weitere Erörterung dieser Frage gehört nicht in dieses Buch.

1) Vgl. XV S. 159. Dabei ist natürlich die Deutung der lex Publilia im Einzelnen auf die Rechnung des Dionys zu setzen.

190

XIX. Livius imd Dio Cassius.

Kurz mögen noch die Folgenmgen berührt werden, welche sich aus der hier gegebenen Analysierimg des Li\-ius für die Quellen von Dio Cassius (\:>ez. Zonaras) ergeben.

Fast in kanonischem Ansehen stand lange Zeit hindurch die Hypothese, dass Dio Cassius im Wesentlichen nur einen Auszug aus Livius" Greschichtswerk biete ').

Diese Ansicht . im Emzelnen schon früher angezweifelt ^), ist nach den hier gefundenen Resultaten mihaltbar geworden.

Ein frilherer Aufsatz von mir^) hatte bereits die Ergebnisse der Untersuchimgen über die III. Dekade daliin zusammengefasst, dass Dio abgesehen von einigen Emlagen über griechische Ver- hältnisse, die vielleicht aus Polybius stammen bei der Dar- stellung; des 2. punischen Krieges Coelius und Antias, nicht aber den Livius oder den Polybius benutzt habe. Und ferner hatte ich daselbst gezeigt, dass auch in der IV. imd V. Dekade für che dem Livius entsprechenden Abschnitte nicht Livius die eigentliche Quelle Dios gewesen sem kami. Viehnehr ist neben Antias mid einer ge- leo-entlich emgesehenen griechischen Quelle^) bei allen griechischen Ano-elegenheiten allehi Polybius sem Gewährsmann gewesen.

Dabei ist natürlich stets zu bedenken, dass Dio als gebildeter Mann nicht nur selbständig manche Zusätze, staatsrechtliche Er-

1) NissEX. Kritische Untersuchungen über die Quellen der 4. und 5. De- kade 308. Baumgaktkee. Ueber die Quellen von Dio Cassius für die ältere römische Geschichte (Tübingen 1880), Klikgee. de X Lirä lib. fönt. 65.

2) z. ß. von Posxee : quibus auctoribus in hello Hannibalico enarrando usus sit Dio Cassius (Bonn 1874).

3) Soltau, Dione e Livio nella III. lY. e Y. Decade (Rivista bim. di Antichitä Grecche e Romane dii-. da Garofalo 1).

4) Mit Recht hat Baumgaetnee auf Acilius hingewiesen (üeber die Quellen von Dio Cassius 58).

XIX. Liviiis und Dio Cassius. 191

läuterungeil und Exkurse anderer Art, eingeschoben hat, sondern auch dass L)i(» Linus' und Polybms' Geschichtswerke gekannt hat und ihnen gelegentlich aucli wohl eine Berichtigung entnonnuen haben wird. Doch hat Dio in einigen besonders bemerkenswerten Fällen gerade nicht den Livius, sondern den Polybius zu Rate gezogen.

Bei der Schlacht am Ticinus, wo aller Wahrscheinlichkeit nach im Uebrigen Coelius Quelle Dios gewesen ist ^), ist zum Schluss die Errettung des Konsuls Scipio durch seinen 17jährigen Solm erwähnt. Es ist wahrscheinlich, dass schon Coelius daselbst diese Familien- tradition der Scipionen „quod et plures tradidere auctores et fama obtinuit" erwähnt hat, sicher aber, dass Dio hier nicht nach Linus 21, 46, 8 10, (intercursu tmu primum pubescentis filii propulsatum), sondern nach Polybius 10, 3 den Coelius korrigiert hat. Denn aus ihm stammt die Angabe des Zonaras 8, 23 C. über das damalio-e Lebensalter des Jünglings, Livius kennt dasselbe dort nicht.

Auch die I. Dekade des Livius ist von Dio veniachlässio-t worden.

Die trockenen Annalennotizen Pisos (Livius 2, 8 f.) fehlen in der Form bei Dio ebenso wie die Laudationenberichte von Livius' 10. Buch, nicht minder auch die verwandten Schilderungen der vorauf- gehenden Bücher. Beides wäre unerklärlich, wenn Dio den Linus häaifiger beachtet und regelmässig ausgeschiieben hätte ').

Selbst die Annalen des Licinius Macer sind von Dio nicht, oder nur wenig berücksichtigt worden. Das zeigt u. a. ein Vergleich von Liv. 6, 34 f. mit Zon. 7, 24. Bei Dio Zonaras wird die agrarische Frage kaum bertihrt ^). Ebenso lässt die Erzälilung des Decemvirats Zon 8, 18 die breiten Ausmalungen von Macer mid Tubero bei Seite.

Eine Spezialuntersuchung über die Quellen von Dio Zonaras wird zu dem Ergebnis fuhren, dass auch für die ältere römische

1) Jedenfalls nicht Livius. Zonaras 8, 24 giebt die Reden von Hannibal und Scipio in derselben Reihenfolge wie die fabische Tradition bei Poly- bius 3, 62 65 , nicht wie Livius. Ebensowenig ist daselbst aber Polybius Hauptquelle; s. Posner, 'quibus auctoribus in hello Hannibalico enarrando usus Sit Dio Cassius' (Bonn 1874) 69 f.

2) Klingee, a. 0. 65—70 kommt beim 10. Buche des Livius zu dem gleichen Ergebnis.

3) Nur die offenbar alte Anekdote von den beiden Fabierschwestern Liv. 6, 34, 5 stand ähnlich auch bei Dio , ist übrigens dort nicht aus Livius entnommen.

•j^92 XIX. Livius und Dio Cassius.

Geschichte Antias eme der wichtigsten Quellen Dios gewesen ist ^). Ausserdem hat Baumgartner mit Recht eme mehrfache Benutzimg des Dionys angenommen ^).

Daneben ist wahrscheinlich auch hier eine gi'iechische Quelle, vielleicht der Gewährsmann des Claudius, A eil ins, von Limis em- gesehen worden^). Daraufhin weist u. a. Zon. 7, 23; 7, 25 D. *). Nur darf die Benutzung desselben nicht in zu ausgedehnter Weise angeuonuuen werden. Hauptquelle Dios war überall Antias. Be- sonders belehrend hierfür ist namentlich ein Vergleich von Liv. 10, 32 47 (bez. der oben S. 127 nachgewiesenen Quellen) mit Zon. 8, 1 (Klmger a. 0. 68).

1) Wenn Antias die Quelle Dios war, so lassen sicli auch unschwer manche der mit livianischen Motiven übereinstimmenden Bemerkungen bei Dio-Zonoras, welche Baumgartner a. 0. 3 5 erwähnt hat, erklären.

2) a. 0. 1 f.

3) Nicht Claudius selbst; Dio-Zonaras zeigt in der Erzählung des 2. pu- nischen Krieges keine Kenntnis des Claudius gehabt zu haben. (Vgl. Soltau, 'Livius' Quellen in der III. Dekade' 110.) Folglich zeugt die Aehnlichkeit einzelner Erzählungen des Zonaras mit Livius' I. Dekade , dass sie eine ge- meinsame Quelle hatten. Claudius aber übertrug bekanntlich den Acilius.

4) Auf eine gemeinsame Quelle führt auch der Umstand hin, dass Zonaras hier nur die tumultus Gallici bringt , welche Claudius ansetzte , nicht die sonstigen Berichte des Livius über Gallierkriege (vgl. oben X).

193

XX. Die Uiiellen des 1. Buches.

Wer (lie Quellen von Livius' 1. Buch mit wissenschaftlicher Griindlichkeit feststellen wollte, müsste zugleich die viel ausführ- licheren Berichte des Dionys, des Plutarch (Romulus und Nunia) lind die zerstreut bei antiquarischen Schriftstellern wie Varro, Festus u. a. erhaltenen Angaben einer Pi-üfung imterziehen. Das kann die Aufgabe dieses Abschnittes nicht sem.

Nichtsdestoweniger wird auch von dieser Untersuchung gefordert werden können, dass sie eine genügende Handhabe bieten werde, zu bestimmen, welche Quellen Livius bei seinem ersten Buche gekamit und benutzt habe. Auszugehen ist dabei von der Thatsache, dass Livius in. den übrigen Büchern der ersten Pentade nur vier Quellen einge- sehen hat : Piso, Antias, Macer, Tubero. Selbst die (im übrigen un- wahrscheinliche) Möglichkeit, dass Livius noch einen der älteren Anna- listen für das erste Buch benutzt haben könnte, kann von vorn- herein abgewiesen werden, da Livius zu den zahlreichen ausführ- lichen Fragmenten, welche grade von Fabius, Cincius, Cassius über die Königszeit vorhanden sind, keine nähere Beziehmig verrät, als eben alle andern späteren Annalisten, die Urspnmgsgeschichte aber kürzer fasst als jene.

Von den vier genannten Quellen können aber wieder zwei aus- geschieden werden. Weder Piso noch Macer ist im ersten Buche des Livius ^) eingehend berücksichtigt worden.

1) 1 3 behandelt die Vorzeit, 4 16 Romulus' Regierung, 17—18 die Wahl Numas, 19 21 seine Regierung, 22 26 die Episode der Horatier und Curiatier 27—31 enthält Tullus' Herrschaft und Tod, 32—33 Ancus' Regierung, 34, 1—35, 6 Tarquinius' Ankunft und Erhebung, 35, 7—38, 7 seine Kriege, 39 41 die Er- hebung des Servius, 42 44 seine Verfassung, 45 Episode über den Dianakult, 46 48 seinen Tod, 49, 1—56, 3 Kriege des Superbus, 56, 4— 60, 4 seine Vertreibung. Soltau, Liviusquellen. 13

194 XX. Die Quellen des 1. Buches.

Es kann kein Zufall sein, dass Livius, abgesehen von wenigen Stellen, welche sogleich zu besprechen sind, mit den 17 Fragmenten des Piso, welche die Königszeit behandeln, keine nähere Verwandt- schaft zeigt.

Speziell den Gründungsmythus erzählt Li^^us nicht entfernt so genau, vne er bei Piso fr. 3 (vgl. Dionys 1, 79) behandelt sein soll. 1, 1 Aviderspricht Piso fr. 2, das von Piso fi-. 4, 7, 8, 12, 14, 15 Erzählte fehlt bei Livius: die von jenem fr. 15 vorgetragene Hypothese, dass Tarquioius Superbus der Enkel des Priscus gewesen sei. ist Livius zwar nicht völlig unbekamit (1, 46. 4), vnvd von ihm aber oranz bei Seite o-elassen. Aehnlich ist das Quelleuverhältnis 1.11.9. wo der Angaben Pisos (fr. 5) nur nebenbei als Variante gedacht vrird ^). Am nächsten sind Liv. 1, 12, 8 f. mit Piso fr. 6 (bei Van-o 1. 1. 5, 148 imd Dionys 2, 42) mid 1, 31. 5 mit fr. 13 (PHn. 28, 14) verwandt : doch auch hier ist keine in die Augen fallende Konkordanz. Möglich ist es, dass Livius. welcher ja später mehrfach in der ersten Dekade die Annalen des Piso selbst eingesehen und gelegentlich be- nutzt hat. auch schon beim ersten Buche ihn gelesen und einige Einlagen 'ihm entlelmt hat. Doch spricht auch manches dagegen. Gerade der von Livius 1, 55, 8 citierte Beiicht Pisos (fr. 16), dem Dionys 4, 50 ^) folgt, wird von Livius verworfen und die blosse Er- wähmmg Pisos macht eine direkte Entlehnung noch keineswegs wahr- scheüilich. Deim derjenige Schriftsteller^), welcher das Citat aus Fabius brachte, wird sehr wahi-scheinlich auch schon selbst die über- triebeneu Ansätze eines Piso als solche gekennzeichnet haben.

Schon die ganze Anlage und Tendenz der pisonischen Annalen mussten Livius bei der Königsgeschichte vor ihm stutzig machen.

Livius war nicht so abgeschmackt, um mit pisonischer Naivität die Märchen von der Massigkeit des Romulus wiederzuerzählen, oder um andererseits allerlei rationalistische Deutungen ernsthaft zu nehmen.

Auch Licinius Macer ist von Livius im ersten Buche bei Seite

1) 'Sunt qui eam ex pacto tradendi, quod in sinistris manibus esset, de- recto arma i^etisse dicant et fraude visam agere sua ipsam peremptam mercede'.

2) Und nach ihm hat so Plutarch, Popl. 15.

3) Die Hervorhebung der fabischen Version geht an mehreren Stellen (so 1. 44. 2 und 10, 37. 14) auf Tubero zurück und ist voraussichtlich auch 1, 55, 7 des gleichen Ursprungs. Eine indii-ekte Benutzung Pisos durch Tubero konnte auch 2. 82, 3 nachgewiesen werden (oben S. 159).

XX. Die Quellen des 1. Buches. 195

gelassen worden. Da.s i'ohrt vor ulleni daraus, dass die allerdings nicht zahlreiilien Fra»;mente desselben über die Konigsgeschichte überall in einem so fundamentalen Gegensatz zu Livius stehen, dass Livius hier nicht einmal die abweichenden Berichte des Licinius ein- gesehen haben kann. Man vgl. zu fr. 1 und 2 Liv. 1, 4, 7 f., zu fr. 3 und 4 Liv. 1, 19. 6, zu fr. 5 (vgl. Dionys 2, 50—51) Liv. 1. 14, zu fr. 8 (vgl. Dionys 4, 6) Liv. 1, 34, 1.

Besonders aber musste auch die Art und Weise , ^ne dieser Scribent die Königszeit behandelte, Livius abstossen. Macer Avusste genau anzugeben, dass Tarquinius Priscus nicht im ersten, sondern im 8. Jahre des Königs Marcius nach Rom gekommen sei. Er ^vusste, dass dieser nicht später habe dorthin gekommen sein können, da er im 9. .Jahre des Ancus bereits die Reiterei kommandiert habe. Er wusste, dass nicht erst Numa, sondern bereits Romulus intercaliert habe, ja es war ihm genau bekannt, weshalb Tatius Laviniimi auf- gesucht habe. Eine derartige Hvjjerkritik und mi^nssenschaftliche Vielwisserei konnte wahrlich einem Li^nus nicht zusagen, welcher mit gesundem Takt das Alte, wemi auch nicht gläubig, so doch mit ehrfurchtsvoller Scheu hinnahm ^).

Eine ei-wünschte Bestätigung erfährt dieses ürteü durch die Untersuchungen, welche M. Voigt in seinen „leges regiae" über die Quellen des Dionys in der Königsgeschichte (2. 4. Buch) angestellt hat. In ganz ähnlicher Weise, wie das oben in XI geschehen war, hatte Voigt eb. 736 die Tendenz und den Charakter des licinisclien Geschichtswerkes dargelegt*). Mit grosser Wahrscheinlichkeit be- zog er dann die Kapitel auf Macer, welche das wirtschaftliche Pro- gramm der Demokratie, Schuldentilgung, Acker- und Getreidever- teilimg befürworteten, welche die liberale Ausdelinung des Bürger- rechts und die faktische Gleichheit der Stände imd ähnliche populäre Theorien vertraten.

So im 2. Buche die Kap. 3, 4, 18, 24, 25—29, 62, 63 (Ende),

1) 43, 13 'ceterum et mihi vetustas res scribenti nescio quo pacto antiquus fit animus et quaedam religio tenet, quae illi prudentissimi viri publice susci- pienda censuerint, ea pro indignis habere, quae in meos annales referam.'

2) Licinius Macer, 'der hervorragende Stinimführer der populären Pai-tei' schrieb seine Annalen 'als eine Rechtfertigungsschrift' des demokratischen Pro- gramms, 'um den Beweis zu führen, wie dasselbe schon in ältester Zeit seine historische Verwirklichung gefunden habe' (eb. 737).

13*

196 ^^- Die Quellen des 1. Buches.

74—76, im 3. Buche 1—31, 37—43, 49—51, 57—69, 72—73, im 4. Buche 3—5, 8—12, 23, 25—59, 64—67, 70—85. Mit der Mehr- zahl dieser licinischen Ausführmigen hat mm Livius' 1. Buch keine näheren Beziehungen. Eine Vei'wandtschaft fehlt beim 2. Buche des Dionys so gut wie vollständig. Mit dem 3. Buche des Dionys zeigt Livius zwar einige Aehnlichkeit bei der Episode von Mettus Fufetius, doch so, dass es viel wahrscheinlicher ist^), dass Livius dabei die kürzere Fassung des Antias vorgezogen hat. Die Regierung des Ancus entbehrt bei Livius der demokratischen Färbung, mit welcher Dionys (3, 37 f.) sie imigeben hat. Erst von der Regierung des Servius ab (Liv. 1, 39 bez. Dionys 4, 1 f.) nimmt die Verwandt- schaft beider Historiker zu. Aber auch da selbst hat Livius nicht nur die Berichte der von Dionys 4, 6 f. citierten Amialisten Gellius, Piso, Licinius Macer bei Seite gelassen, sondern auch jene von Voigt richtig auf den letzten bezogenen Reden 4, 3 5 mid 4, 8 12. Bei der Darstellung der servianischen Verfassung hat Livius 1, 42—44 zwar älinliche Berichte wie Dionys 4, 13 21 eingesehen, aber ge- rade diese Abschnitte sind schwerlich licinischer Herkunft, vielmehr nach Voigt a. a. 0. 790 aus konservativer Quelle entnommen. Von demokratischen Maximen, wie sie Dionys 4, 25 (zu Anfang) dem Servius zuschreibt, ist der livianische Servius unberührt geblieben. Im Gegenteil: Livius 1, 46, 1 f. folgt einer Quelle, welche die Acker- verteilungen des Servius zwar kennt, ihnen gegenüber aber jede dema- gogische Absicht des Servius in Abrede stellt. Wenn nicht alles trügt, so ist es auch hier wieder jene konservativ einlenkende Dar- stellung Tuberos, welche Livius' Schilderung beherrscht.

Erst bei der Regierung des Tarquinius Superbus ist die Ueber- einstimnumg zwischen Livius (1 , 49 60) imd Dionys (4 , 41 f.) grösser, sowohl was Tendenz als was Breite der Darstellung anbe- triift. Es muss jedoch dahingestellt bleiben," inwieweit hier Livius den Licinius Macer neben Tubero herangezogen hat. Jedenfalls hat er in diesen 12 Kapiteln nur einen der jüngsten, die Einzelheiten rhetorisch ausmalenden AimaKsten ausgeschrieben.

Ln Uebrigen aber kann mit Sicherheit behauptet werden, dass Livius die Königsgeschichte bis auf Tarqumius Superbus nicht nach

1) Man vergleiche z. B. die kurze Notiz Liv. 1. 30. 1 3 mit der rheto- rischen Ausführung von Dion. 3, 29 80.

XX. Die Quellen des 1. Buches. 197

Macer und Piso , sondern nur nach Antias und Tubero ausgeführt haben kann.

Schwäerif^er ist es allerdinijs festzustellen, wo er dem Antias, wo er dem Tubero folgt.

Vielleicht könnte man geneigt sein (vgl, neuerdings Carlo Pascal, Studi Romani II: Valerio Antiate e Tito Livio), die antiatischen Bestandteile in Livius' 1. Buche überhaupt zu eliminieren, weil in der That die wörtliche Uebereinstimniung zwischen den Fragmenten des Antias mit Livius nicht gerade in die Augen fällt. Dabei ist aber zu beachten, dass Livius, namentlich bei den Ursprungsge- schichten imd bei der Gründung Roms, sich einer lobenswerten Kürze befleissigt. Er erzählt zwar nicht viele Einzelheiten über Acca La- rentia imd Gaia Taracia'), wie Antias, auch nennt er nicht, vrie dieser, eine bestimmte Zahl der geraubten Sabinerinnen. Aber unter der Voraussetzung, dass Livius eben nur einen kürzeren Auszug zu geben gesucht, ist die Annahme, dass Livius nicht selten den Antias be- •rücksichtigt habe, nicht nur wahrscheinlich, sondern geradezu ge- boten. Man vgl. zu Antias fr. 1 Liv. 1, 4, 7; Liv, 1, 7, 2 erwälmt zuerst die Ermordmig im Wortwechsel und Handgemenge wie Antias bei Dionys 1. 87, erst dann die „vulgatior fama" von Romulus' That. Der grossen Zahl der geraubten Sabinerinnen fr. 3 entspricht Liv. 1. 9. 11: 'magna pars forte, in quem quaeque inciderat, raptae'. Numa als Urheber des Janusdienstes und der Intercalation (Liv. 1, 19), entspricht fr. 4 und 5 ^). Ueber Egeria und die Prokurati on der Blitze handelte ausführlicher fr. 6. Ueber die Schriften Numas voll pythagoräischen Inhalts hat Livius sowohl 1, 18 wie 40, 29, 8 die antiatische Anschauung"'') gebracht.

Dabei soll jedoch nicht behauptet werden, dass an allen diesen

1) Fr. 1 (= Gell. N. A. 7, 7, 1).

2) Pascal, Studi Romani 53 sucht ganz grundlos an diesen Stellen einen Gegensatz zwischen Antias und Livius herauszutifteln.

3) Vgl. gegen H. Peteb H. R. R. I 122. 240 und Pascal, Studi Romani 56, meinen Aufsatz Philologus 52, 669 f. Aus fr. 11 folgt übrigens nur, dass Liv. 1, 55 nicht aus Antias stammen könne; bei der übereinstimmenden Tradition (Liv. 1, 35, 7 und Dionys. 3, 49), dass Tarquinius Priscus Apiolae genommen habe, wäre es sehr wohl möglich, dass auch Plin. N. H. 3, 70 an ihn gedacht hat (s. Liv. 1, 34, 10); dann könnte auch 1, 35, 7 sowie 1, 38, 7 (Beginn des cajnto- linischen Tempelbaus durch Priscus) aus Antias stamimen. 1, 35, 9 erinnert an die verwandten Angaben des Antias fr. 37 = Ascon. in Cornel. p. 69 Or.

198 ^^- ^iß Quellen des 1. Buches.

Stellen Aiitias die Quelle des Livius gewesen sein müsse, sondern nur soviel, dass bei den z. T. freier kürzenden Berichten des Livius eine Kunde von Antias' Annalen sehr wahrscheinlich sei. Neben Antias ist sicher allerdings auch Tubero zu Rate gezogen worden und damit dann che Möglichkeit gegeben, zu erklären, auf welchem Wege auch die Angaben eüiiger älterer Aimalisten, wie Fabius und Piso, dem Livius bekannt geworden sein können. Vieles spricht obenein für eine recht ausgiebige Benutzung dieses jüngsten An- nalisten.

Beachtenswert ist vor allem Liv. 1, 4, 9—5, 4, d. h. bei einer Erzählung, welche der Hauptsache nach alle Annalisten gleich brachten, die charakteristische Uebereinstimmung mit Tubero fr. 3 (= Dionys 1, 80). Hier ist nicht nur ein Zusatz aus einer andern Quelle eingeschoben, sondern die ganze Erzählung als solche stammt aus Tubero selbst '). Nicht minder wichtig ist die Verwandtschaft von fr. 4 (= Gell. N. A. 10, 28, 1) mit Liv. 1, 43. Tubero hatte m seinen Annalen einen ausführlichen antiquarischen Exkurs über die Centurienordnung gebracht. Da ein solcher Bericht, allem Anschem nach , den älteren Annalenwerken fehlte ^) , so ist auch dieses bezeichnend für die Autorschaft Tuberos.

Nicht unwichtig ist auch zu beachten, dass manche Abschnitte des ersten Buches Spuren varronischen Wissens aufweisen und da- mit dami direkt Tuberos Urheberschaft andeuten. So neben dem schon erwähnten 1, 5, 1 f. (über die Luperealien), welcher mit Tubero fr. 3 übereinstimmt, 1, 7, 3 15 (über Euander imd Hercules), 1, 9, 12 die Notiz über Talassio, 1, 18, 9 die Formel bei der Inauguration Numas: 1, 20, 7 erzählt, wie Varro 1. 1. 6, 94, die Bedeutung von Juppiter Elicius; 1, 32 die clarigatio, 1, 36 die Anekdote vom Attus Navius; 1, 43 der Census des Servius.

Doch ist dieser Weg, die Elemente tuberonischer Schriftstellerei aufzufuiden, keineswegs untrüglich. Bereits Antias bot zahlreiche

1) 1, 3 8 dürfte so ein Bericht sein, welcher, aus Tuberos Annalen einen Auszug gebend, vielfach die Angaben des Antias zur Ergänzung hinzufügte. Diese sind mehrfach auch äusserlich gekennzeichnet. So 1 , 4, 7 sunt qui Larentiam vulgato corpore lupam inter pastores vocatam putent = Antias fr. 1 vgl. die Variante 1, 8, 3.

2) Die Begründung giebt mein Aufsatz über die reformierte Centurien- ordnung, Fleckeisen's Jahrbücher 1895, 410. Zonaras übergeht dieselbe.

XX. Di.' guell.'u <ks 1. BuchoH. \\)\]

antiquarische Exkurse (v^l. fr. 2. 4. '). (J; v^l. aucli Antias bei Gell. N. A. 7. 7) '), nicht niimler auch Licinius Macer (fr. 2. 3. 4. 9).

Weiter können hier die Untersuchuiifren. wek-he M. Voiy:t über die ,leges regiae" (776) angestellt hat, Licht verbreiten, allerdings aber in «janz anderer Weise als dieses Voigt selbst erwartet hat. Voigt hat niit Glück den Nachweis zu erbringen gesucht, dass im Dionys den ausgedehnten licinischen Partien, welche sich durch ihren prononciert demokratischen Charakter auszeichnen, grössere Absclinitte gegenüberstehen, welche die licinische Geschichtsaulfassimg durch eine konservative Darstellung ersetzen sollten. Diese Quelle schrieb, zufolge Voigts sehr sorgfältigen Erwüginigen, zwischen 706 und 709. An 7 Stellen *) wenigstens nimmt Voigt (eb. 706) richtig an , dass die Hinweise des Dionys auf seine Zeit " nur seiner Quelle entnommen sein kömien, und diese Beobachtung führt auf die eben erwähnte Abfassuugszeit zu Beginn der Bürgerkiiege. Voigt irrt nmi aber insofern, als er in diesem Autor Valerius Antias vermutete, welcher •bereits viel früher geschrieben hat '). Nach den verschiedensten Untersuchungen dieses Buches kami dieses nur Tubero gewesen sein.

Aber mit der Anerkennmig dieser Thatsache, dass Dionys in den grösseren Teilen der Königsgeschichte, welche nicht licinischen Ursprungs sind, auch Tubero benutzt hat, ist keineswegs die Mög- lichkeit beseitigt, dass er daneben auch Ajitias eingesehen habe.

Wie bei Dionys, so ist jedoch auch bei Livius eine reinliche Scheidung, was in der Königsgeschichte aus Antias, was aus Tubero entnommen ist, imi so weniger durchführbar, als Tubero in zalil- reichen Fällen die Annalen des Antias zu Grunde gelegt haben -sWrd *).

Nur zur Exemplifiziermig und hypothetisch möge der Versuch gemacht werden, eine Verteilung bei Liv. 1, 34 48 vorzunehmen, an einer Stelle, da bald durch Fragmente, bald durch kleinere Wieder- holungen ein Quellenwechsel angezeigt wird :

1) Dazu H. Petee, Die Quellen Putarchs 47.

2) 4, 61 Y-OLza. xo'jg uaiepag rj\xww; 5, 77 äxpt f^,? tpiv/js npb Yjp.(üv ysvcäg; 8, 87 ijil Tf,g djir,c f^XtxLae (= 705); 4, 21 dv xol; xaS-' yjiiäg xP<^''Otc (= 684); 2, 11 (Hinweis auf 705) ; 2, 12 Iv -cotg xa9-' yj|iäs x9'>^o:z (auf 706); 8, 71 sl? i^ii (= bia etwa 702).

3) In Fleckeisen's Jahrb. 1897, 428 machte ich wahrscheinlich, wie schon die Comeliana (V. 689) die Fassung des Antias gekannt hat.

4) Man beachte namentlich auch Liv. 3, 23, 1 3 und S. 154.

200 ^^- ^^^ Quellen des 1. Buches.

1, 34—36 A. 1, 40—44 T. (Fabius 1, 44, 2

1, 37, 1—38, 4 T. ') aus T.)

1, 38, 5—7 A. 1, 45 A.

1, 39, 1—4 PISO 1, 46—48 T.

1, 39, 5—6 A.2) (1, 46, 4 PISO)

Doch ist eine derartige Verteilung mehr ein Spiel mit Wahr- scheinlichkeiten^) mid sollte lieber solange eingestellt werden, bis eine Spezialvergleichung mit Dionys zu bestimmteren Ergebnissen geführt hat.

Es genüge zu wissen, dass Livius im ersten Buche einen Aus- zug aus der anscheinend sehr breitangelegten Königsgeschichte des Antias angefertigt und namentlich in der zweiten Hälfte grössere Einlagen aus Tubero gemacht hat, welchem neben Antias teils ältere Quellen, wie Piso, teils die varronischen Forschungen zugänglich waren.

1) Bei 1, 38, 4 ist der Latinerkrieg nur eine Wiederaufnahme des Krieges 1, 35, 7, wie wohl auch der Sabinerkrieg 1, 37, 1 von 1, 36, 1.

2) Allerdings ist hier Antias nur dann als Quelle des Livius anzusetzen, wenn Dionys 4, 2 und das ihm entsprechende fr. 12 (Plut. de fort. Rom. 10) grösstenteils nicht dem Antias gehören. Beide geben dort eine Zusammen- stellung verschiedenartiger Berichte wie sie etwa Varro (bez. Juba nach ihm) gegeben haben könnte. Auch die speziell auf Antias bezogene Anek- dote bietet Livius nicht, statt dessen setzt er wohl zuerst die einfachere Ver- sion Pisos ein.

3) Ein Vergleich mit Dio-Zonaras (vgl. XIX) verbürgt jedoch eine gewisse Sicherheit obiger Ansätze.

201

XXL Die Arbeitsweise des Livius.

Fassen wir endlich, zur Ergänzimg der in der Einleitung ge- gebenen allgemeinen Charakteristik, kurz zusammen, was sich aus unseren Untersuchmigen für die Arbeitsweise des Livius ergeben hat.

Livius beschränkte sich auf das Studium einiojer weniger Anna- listen. Das eintönige Annalenwerk Pisos vertrat ihm die \scnptores vetustiores'. ward al)er in der I. Dekade nur ganz gelegentlich zur Benutzung herangezogen: im Uebrigen gab er in der I. Pentade abwechselnd Abschnitte aus Antias, Macer und Tubero. Die beiden letzteren konnte er auch neben- imd immittelbar nacheinander ge- brauchen, da Tubero Macer selbst benutzt, sowie verwandte Hilfsmittel und Quellen, wie er, herangezogen hatte : so die libri lintei, Familien- laudationen mid zeitgenössische Antiquare. Andererseits war an manchen Stellen, wemi auch seltener, der Uebergang von Antias zu Tubero möcflich, wogej^en zwischen der Tradition von Antias und Macer meist ein schrofferer Gegensatz bestand, der eine Verbindung der Berichte erschweiie. In solchen Fällen konnte Livius oft nur Varianten aus dem einen dem Hauptberichte des andern beifügen.

Li der IL Pentade ^) trat zu diesen Quellen noch Claudius hin- zu. Seine rhetorischen, oft freierfundenen Schildenmgen brachten eiae gewisse Abwechselung in die breiten Laudationenberichte , welche Livius grade hier am eifrigsten im 9. und 10. Buche aus Macer und Tubero ausschrieb. Gegen diese drei traten sogar des Antias' Ausführungen sehr in den Hintergnmd.

In der III. Dekade hat Livius sich gleichfalls, bis kurz vor Ab- schluss derselben im 30. Buche, auf die Benutzung annalistischer Quellen beschränkt ^). Er konnte dieses, trotzdem Macers und Tuberos

1) Bez. vom Ende des 5. Buches ab.

2) Dabei wird hier abgesehen von den erst bei einer Ueberarbeitung ein- geführten hellenischen Exkursen vom 24. 29. Buch. Siehe darüber S. 47 f.

202 XXI. Die Arbeitsweise des Livius.

Chroniken versagten, da einerseits Coelius mehrfach auf ähnlichen Quellen wie Polybius beruhte, andererseits Claudius Abschnitte aus Polybius mit in seine Darstellimg verwebt hatte.

Neben diesen beiden, vorzugsweise die äusseren Vorgänge be- handelnden Quellen wies Livius hier einen grösseren Raum den hauptstädtischen Berichten zu, welche er bald nach Piso, bald in der weitläufigeren und rhetorisch breiteren Darstellmig des Antias ausschrieb.

Sobald Livius sich mit dem 30. Buche dem Polybius zugewandt hatte, zerfiel sein Werk m zwei durchaus ungleichartige Hälften, welche unter einander beinahe jede Fühlung verloren. Die griechisch- orientalische Geschichte gab Livius in einer freien Bearbeitung des Polybius, und er A\drd auch später in den verlorenen Bücheni teils aus Polybius , teils aus Posidonius die entsprechenden Absclmitte in ähnlicher Weise übertragen haben. Aus römischen Annalen Avusste er diesen vortrefflichen Berichten nichts Aehnliches an die Seite zu stellen. Die hauptstädtische Berichterstattung von Piso und Antias wurde für jene Zeit zwar ausführlicher, stach aber in ihrer entsetzlichen Nüchternheit jetzt doppelt scharf von den trefflichen polybianisclien Schilderungen ab. Soweit Livius das Bedürfnis em- pfand, diese immerhin trockene Lektüre zu unterbrechen, schob er einige jener rhetorisch ausgesclmiückten, aber historisch wenig glaub- würdigen Kampfesberichte des Claudius ein.

So viel über das Verhältnis des Livius zu seinen direkten Quellen ^).

Eine Ergänzmig hierzu wird eine Erörterung darüber bieten, inwieweit Limis indirekt, durch die Vermittlmig seines dürftigen Quellenmaterials, manche wertvolle Kunde erhalten haben kömite, insbesondere ob und wo seine Geschichtsdarstellung von griech- ischen Geschichtschreibeni beehiflusst worden ist.

Die Anfänge der römischen Geschichtschreibung stehen in manig- facher Beziehung zur griecliischen Litteratur. An den Werken dieser haben sich die ersten Römer, welche schriftstellerisch hervortraten, herangebildet. Die verschiedene Bildimgsstufe, welche Griechen mid

1) Dass Livius bei der Ueberarbeitung einige kleinere Einlagen aus Nepos (s. S. 204 A. 1), Cincius, Varro (s. S. 137) eingeschoben hat, kann hier bei Seite gelassen werden.

XXI. Die Arbeitsweise des Livius. 203

Römer iles 2. Jahrhunderts v. Chr. in litterarischer Hinsicht ein- nahmen, brachte es mit sich, dass jene noch längere Zeit hindurch die Lehnueister dieser blieben, sowohl auf dem Gebiete der Wissen- schaft überhaupt, wie auch besonders für die Geschichtschreibung.

Leider sind die römischen Amialisten vielfach bei einer rein formalen Anlehnung an ihre griechischen Vorbilder geblieben. Was die Geschichtstradition über die Zeit vor dem 2. Jahrhundert V. Chr. griechischen Historikern verdankt, hat sachlich nur einen geringen Wert. Gleichwohl hätte bei dem engen, spezifisch-römischen Gesichtskreis, in welchem die meisten Annalisten befangen gewesen sind, gerade der Einfluss einer Geschichtsauffassimg; welche von kosmo- politischem und humanem Standpmikt ausging, überaus fördernd auf die Entwickelung der römischen Geschichtschreibung einwirken können.

Auch Livius selbst, obwohl mit griechischer Philosophie und Rhetorik vertraut, hat sich doch in seiner römischen Geschichte durch- aus ablehnend gegen die griechische Historiographie verhalten. Selbst nachdem er sich gegen Ende des 2. punischen Krieges an Polybius anschliesst, folgt er diesem ausgezeichneten Schriftsteller doch ledig- lich bei den hellenistischen Angelegenheiten des Ostens. Füi" alle Ereignisse Italiens und des Westens verschliesst er sich dem Lichte, welches von Polybius' Darstellung ausging, vollständig.

Von einerweiteren direkten Berücksichtigung griechischer Geschichtschreiber ausser Polybius findet sich im ganzen Livius nicht die geringste Spur und selbst die indirekte Ent- lehnung geschichtlicher Berichte aus griechischen Historikern hat sich in den bescheidensten Grenzen gehalten. In der HL Dekade bietet Livius zwar noch ca. 50 60 Kapitel polybianischen Ursprungs, direkt sind sie jedoch der Bearbeitung des Claudius entnonunen; ausserdem aber enthielten die von ihm eingesehenen Quellen, mit Aus- nahme des CoeHus, überhaupt keine Angaben griecliischer Geschicht- schreiber, Coelius nun hat seinerseits den Silenus und rielleicht den Eumachus von Neapolis ^) benutzt, aller Wahrscheinlichkeit nach aber nur für sicilische und unteritaüsche Begebenheiten. Dementsprechend ist also auch das von Coelius eingearbeitete griechische Gut bei Livius nur schwach vertreten ^).

1) Phüologus 55, 626.

2) Griechische Quellen in coelianischen Abschnitten sind zu konstatieren bei Liv. 21, 49—51; 24, 1—3; 24, 4; 6; 25, 40^tl; 26, 39—40; 29, 6—9.

204 XXI. Die Arbeitsweise des Livius.

Li der I. Dekade beschränkt sich das, was Li\äus mdirekt aus griechischen Historikern in sein Werk aufgenommen hat, fast allein auf d i e Kapitel, welche bei einer Ueberarbeitung der beiden ersten Pentaden später eingelegt sind. So enthalten zAvar die Exkurse über die Gallierwanderung 5, 33 35, über Alexander von Epirus (8, 24) und Cleonymus von Sparta (10, 2) Angaben griechischer Schriftsteller ; alle diese Exkurse sind aber dem Livius ver- mutlich durch Nepos übermittelt^), jedenfalls m lateinischer Be- arbeitung ihm bekannt geworden. Selbst über die Geschichte seiner Vaterstadt ^) und deren nächster Umgegend kannte er aus der griech- ischen Litteratur nichts Bemerkenswertes ^).

Li semen Reden hat Livius nicht Avie Dionys die Mustei-vorlagen griechischer Redner und Historiker nachgeahmt. Ebendeshalb ist auch abgesehen von andern Gründen nicht daran zu denken, dass Livius 7, 30 *) bei der Rede der campanischen Gesandten, welche offenbar nach dem Vorbilde von Thucydides 1, 30 f. erfunden ist, die Gedanken derselben direkt herübergenommen hat. Vielmehr hat er daselbst nur die ihm von Tubero gebotenen Ideen rhetorisch um- geformt und überarbeitet.

Der Einfluss, welchen griechische Dichter mid Mythogra- phen auf die ältere römische Annalistik ausgeübt haben, ist allerdings hie und da auch noch bei Livius zu verspüren, glücklicher Weise aber nicht in dem Masse, wie dieses bei manchen Annalisten der gracchischen oder Sullanischen Zeit der Fall gewesen sein wird^). Livius besass

1) 0. HiESCHFELD, Timagenes und die gallische Wanderung 14, Soltau, Nachträgliche Einschaltungen bei Livius, -Hermes 29, 614 f.

2) Hermes 29, 611.

3) Danach darf es sogar als unwahrscheinlich angesehen werden, dass Li- vius (was Hirschfeld a. 0. S. 7 vermutet) che Parallele zwischen Alexander dem Grossen und Roms Feldhenii 9, 17 19 aus Timagenes entlehnt habe. Vgl. jedoch J. Kaeest, Unters, über Timagenes, Philöl. 56, 626*. Später ein- geschoben ist übrigens auch dieser Abschnitt. Se^r wti>l kann <t(>er Ba^rs^fJ». ,

4) Der ganze sonstige Bericht verrät eine Anlehnung an griechische Schriftsteller.

5) Diese sehr anziehende Untersuchung ist wesentlich gefördert durch die vortreffliche Arbeit Eduaed Zarncke's, 'Der Einfluss der griechischen Litteratur auf die Entwickelung der römischen Prosa' (Leipzig 1888). Die einzelnen Arten und Epochen der Entlehnung suchte noch näher zu bestimmen mein Aufsatz 'der Einfluss der griechischen Litteratur auf die römische Geschicht- schreibung' in der Zeitschrift für geschichtlichen Unterricht (Zürich 1897) 1. 1. ■l S 657 ß-ecicT KüJxäK, ure^n er mArJr, da.&i. dLa toic/ehiföie ^f>^t3^ «'ex L-ivi- vts' Exk-urs ( v^(. titö. MfeViss'im'i ex Gr«.eci5' <) iS.kJ <Je«ie>vTim«-4enei ^«.ntCi+et"

XXI. Die Arbeitsweise des Livius. 205

ein feines Taktgefühl, welches ihn davor zurückhielt, die gröberen Nachbildungen und Fälschungen der hellenisierenden Annalistik in sein \V'^erk aufzunehmen oder gar uimiittelbar die Farben, welche Dichter wie Naeväus oder Ennius ihren Gemälden verliehen hatten, in seine historischen Schildenmgen herüberzimehmen. Wohl aljer hat Linus sie zuweilen d a verwandt, wo sie sich bereits bei andern Annalisten Eingang imd, so zu sagen, ein litterarisches Bürgerrecht in den römischen Geschichtsbüchern erworben hatten, d. h. wo ihre fremde Herkimft weniger deutlich war. So erzählt er selbstverständ- lich — wenn auch mit einer gewissen Reserve den alten Aima- listen das nach, was aus griechischen Mythographen und Priester- erzählungen bereits vor Fabius in Rom geglaubt worden war. Wo die Schildenmgen des Coelius ') und Claudius *'') denen des Ennius folgten, verwertete auch Livius dieselben zuweilen. Wenn Coelius den Herodot oder den Thucydides nachahmt, wenn namentlich Claudius seine rhetorischen Ausfülmmgen nach griechischen Mustern bildete, oder wemi Tubero den Latinerkrieg nach Art von griechischen Histo- rienschreibem ausmalte: da griif auch Livius gern zu mid unterliess es nicht, diese 'entwandten Pfauenfedern' zur Verschönerung seines eigenen Geschichtswerkes mit hinüberzmiehmen.

Grössere Verstösse gegen den guten Geschmack hat er aber vennieden. Ziun Teil ist das sein eigenes Verdienst, zum Teil aber dasjenige seiner Zeit, welcher die Naivität der römisch-hellenistischen Renaissancezeit '), des Scipionenjahrhunderts, fehlte.

1) So bei der Schlacht von Cannae 22, 49 51. Vgl. Sieglin, Die Frag- mente des L. Coelius Antipater 59.

2) Vgl. Philologus 52, 688.

3) Vgl. hierzu Holm, Deecke, Soltau, Kulturgeschichte des klassischen Altertums (1896) 290.

206

XXII. Gnuidliiiieii einer Geschichte der römischen

Annalistik.

Wie die Einleitimg (S. 20) verhiess, sollte sich die Untersucliung nicht auf eine Analyse des livianischen Geschichtswerkes beschränken. Als weiteres Ziel galt es, ein Bild der römischen Annalistik vor Livius zu gewinnen.

Um diesem Zwecke zu genügen, sollen zunächst die jedem ein- zelnen Annalisten zuerkannten Bestandteile gesammelt und zusammen- gestellt werden.

Die untenstehende Uebersicht beschränkt sich auf die in der L und III. Dekade benutzten Autoren Piso, Antias, Macer, Tubero, Claudius, Coelius. Die aus der IV. und V. Dekade dem Piso, Antias, Claudius zugewiesenen Abschnitte brauchten, nach der oben S. 43 gebotenen Tabelle, nicht noch einmal wieder separat abgedruckt zu werden ^).

Piso.

2, 7, 5—8, 9 2, 58, 1—2

2, 16, 1—17, 2 3. 7, 6—8

2, 18, 1—5 (3, 10, 5—7)

(2, 19, 1—3) 3, 24, 10—11

2, 21 3, 30, 7—31, 2

(2, 32, 3; 33, 3) (3, 32, 1—33, 1)

2, 40, 10—41, 2 (40, 10 Fabius) (3, 65. 1—4)

2, 51, 1—3 4, 7, 1—2

1) In Klammem eingeschlossen ist das, was indirekt entlehnt ist; bei Tubero das, was wahrscheinlich schon Licinius Macer gebracht hatte.

XXn. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalintik. 207

(t. 17. 1-41

23

41, 8-12

4, 25, 6—8

24. 10

4, 30

24, 43, 1—8

4, 34, 6—35, 4

24

47, 12—16

(4. 47. 7—8)

24

49, 7—8

(4, 58, 1-5)

25

1, 1-3, 7

5, 13, 4—8

25

5, 1—9

5, 16, 8—17. 1

25

7, 5—9; 12, 1

5, 21, 8—9

25

39, 12 f.; 41, 8-13

(5, 31)

(2(

), 21—22) 23

6, 4, 4—6

26

26, 5-27-, 9

(6, 5, 6—6, 3)

27

4

(7, 6, 6)

27

6, 13—19; 7, 7—8, 10

8, 15, 6—9

27

10, 11—11, 16

8, 17, 6—12

27

20, 9—21, 10; 23, 1-

(8, 21, 11-22, 4)

27

36, 5—37, 15

(8, 25, 1—4)

. 28

10—11

9, 20

28

38, 12—13

9, 26, 1—5

28

45, 12

(9, 28, 7 f.)

29

10—11; 13—14

(9, 42, 1-2)

29

36, 1—3

9, 44, 3—6

29

38

9, 46, 1—2; 8—15

30

2

10, 9, 12—14

30

19, 1—10

(10, 23, 11—13)

30

21, 1—10

10, 47, 3—7

30

26

21, 62

30

38—39

22, 36, 6—9

30

41

23, 30—32, 4

30

44, 12—45, 4.

23, 39

Antias.

2, 15 (2, 17, 3 f.)

2, 48, 1—4

2, 18, 6—20, 13

(2, 49, 9-12)

2, 33, 4—38, 1

2, 51, 4—52, 8; 54, 1—3?

2, 39, 1—40, 12

(2, 60)

2, 41, 2—10

2, 62, 1—64, 2

2, 42, 1—43, 1

3,

1, 1-2, 2

208 XXn. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalistik.

(3, 71—72)

3, 7—4, 6 5, 12—6, 1 8, 10—11 10. 5—7 22, 2—23, 6 30, 1—6 32—34 55

57, 7—10 65, 1—6

7, 1—2; 4—6

11, 2—12, 5 (4, 17, 1-4)

21, 1—9 22

23, 4—6 25, 1—5

29, 6—8

30, 1—11: 31, 1—8 44, 11—45, 6 47, 7—8 51, 7—53, 13

59, 1—10 (58, 1—5)

60, 9—61, 9 10, 1—9?

12, 4—8 (13) 14. 1—16, 7 17. 6—10 21, 10—22, 8

(5, 24, 1-3) 25, 11—28, 5

31, 1—33, 4 35, 4—36, 11 46, 1—4 49, 8—50, 7

6

1

6

4,

3—6

'

6

4,

7— £

>, 5

6

10,

6-

11, 1

6,

21,

1-

22, 5

6,

30-

-32

6,

36,

1-

6

7,

1,

1—2

, 3

7

3,

1-4 (9)

7,

6,

1—6

7,

9,

1—3

(5)

7,

12,

1-

9

7,

15,

8-

16, 3

7,

16,

7-

17, 13

7,

21-

-22

7.

25

7

26,

13-

-28, 10

8

1,

1— ^

5, 4

8

12,

1-

-3

8

13,

1-

-16, 5

8

16,

12-

-17, 5

8

21,

11-

-22, 4

8

, 25,

1-

-4

8

29,

11-

-14

8

37,

3-

-38, 1

9

12,

5-

-8

9

21

9

25

9

, 28,

2-

5.

9

, 29-

-30

9

, 37,

11-

-38, 3

9

, 40,

18-

-41, 7

9

, 43,

22-

-44, 2 (16)

9

, 45

1

0, 1.

1-

-2, 2

1

0, 9,

3-

-9

XXII. Giunillinien einer Geschichte tler römincbt'u Annalistik.

•200

10, 10, 1—5

2.".,

Hi. 1-4

10, 12, 9—13, 1

25,

18, 1—19, 8

10, 13, 14

25,

22, 5—16

10, 15, 1—6

25,

40—41

10, 21, 1—10

26.

1—3

10, 23

26,

11, 1—9; 12, 1 13, 3

10, 31, 1—9

26,

17

10, 46, 10—47, 2

26,

21—22

21. 11, 4—12, 3

26.

27, 10—36, 12

21, 16—17. 19, 6-

-20, 9?

27,

3

21, 25, 26, 2

27,

5, 1—6, 12

21, 57

27,

8, 11—10, 10

21, 63

27,

22; 24, 1—25, 10

22, 1, 4—2, 1

27,

33, 6—36, 4

22, 9, 7—11, 9

27,

38—40

22, 25—26

27,

43—44

22, 31, 8—35; 37-

-38

27,

50, 3—51, 13

22, 41, 5—42, 12

28,

2, 14-4, 7

22, 54," 1—57, 12

28,

9

23, 6, 6—7; 7, 4-

-12

28,

36—37

23, 10

28,

39, 1—45, 11; 46,2—6(14)

23, 14, 5—13

29,

5

23, 17

29,

15—21

23, 20—24

29,

23—24

23, 32, 5—34, 7

29,

36, 4—37, 17; 35, 2

23, 38

30,

1; 6, 8—9

23, 48, 4—49, 14

30,

12—15; 16, 12

24, 7, 10—9, 6

30,

17

24, 11—12

30,

19, 10—20, 9

24, 18

30,

21, 11—24, 4

24, 27?

30,

27; 29, 7

24, 40

30,

36, 7—11

24, 43, 9—44, 8

30,

40

25, 3, 8—4, 11

30,

42—43.

25, 5, 10—7, 4

M a c e r.

2, 22—27

2

41, 11—12

Soltau, Liviusquellen

14

210 XXII. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalistik.

2, 43, 3-44, 6 5, 20

2, 48, 5—49, 12 5, 22, 1—3

2, 53, 1—58, 1 5, 29—30

2, 61 6, 27

3, 2, 2—3, 6 6, 34—35

(3, 6, 3-7, 5) 6, 36, 7—42, 4; 42, 9-10

3, 9, 1—10, 4 7, 6, 7—12

3, 10, 8—11, 2 7, 9, 4

3, 14—16 7, 18, 1—19, 6

3, 24, 1— 9V 8, 12, 4—17?

3, 31, 3—8 8, 18, 1—19, 3

3, 35, 1—38, 12 (8, 20, 1—21, 10)

3, 43, 1—51, 10 8, 28, 1—29, 10

3, 56, 1—57, 6 8, 30, 1—37, 2; 39. 16 f.

3, 58—59 9, 22—23

3, 64 9, 26, 5—22

3, 65, 7—11 (9, 28, 5—6)

4. 1 9, 33, 3—34, 26 4, 6 9, 35 (37, 11—12) 4, 7, 7—12 9, 38, 4—39, 11 4, 9, 1—11, 2 9, 41, 8—20

4. 16. 3—8 9, 42, 3—6

(4, 21, 9—10) 9, 43. 1—21

4, 23, 1 9, 44, 7—15

4, 23, 4—24, 9 9, 46, 3—7

4, 25, 9—14 (10, 3)

4, 35, 5—37, 1 10, 6, 1—9, 2

4, 42, 10—44, 10 10, 9, 10—11

4, 49, 7—51, 6 10, 11, 7—10

4, 54, 1-56, 3 10, 13, 2—13

4, 58, 6—14 10, 14

4, 59, 11—60, 8 10, 15, 7—11

4, 61, 10—11? 10, 18, 7

5, 8, 1—12, 3 (10, 21, 11—22, 9) 5, 12, 9—12 10, 24, 1—25, 13 5, 17, 2—5 (10, 30, 4—7).

5, 18

XXII. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalistik. 211

T u b e r o.

2, 1, 1-7. 4

2, 9— U

(2, 26)

(2, 28—29)

2, 30—32

2, 44, 7—47, 12

2, 50

2, 58, 3—60, 5

2, 64, 3—65, 7

3, 4, 7—5, 12 (3, 6, 3—7, 5) 3, 8, 1—9

3, 11, 3—13, 10 3, 17, 1—22, 1 3, 23, 7 3, 25—29 (3, 38—43) 3, 51, 11—55, 15 ,3, 60—63 3, 66, 16; 69—70

3, 70—72 (A.?) (4, 6)

4, 12, 6—16, 2 4, 17, 4—20, 4 4, 23, 1—3

4, 26, 1—29, 5 4, 32, 1—34, 5 4, 37, 3—42, 9 4, 45, 7—47, 6 4, 48, 1—49, 6

4, 57, 1—58, 5

5, 1—2 5, 7

5, 19; 21, 1—7 5, 23, 1—25, 10

5, 28, 5—13 5, 40, 1—42, 1

5, 43, 5—45, 8

6, 11, 2—10

6, 12, 6—20, 16 6, 22, 6—27, 1

6, 28—29

(7, 11, 3-11)

7, 19, 6—20, 9 7, 29

7, 31—41

8. 2. 5—3, 5 8, 3, 8—6, 16

8, 1—12, 3 (11, 1—4 Cl? 8, 20, 1—21, 10?

8, 22, 5—23, 17? (8, 29, 1—10)

(8, 30—35) (8, 39, 16 f.)

9, 3, 8-12, 4 9, 12, 9—15, 8 9, 16

9, 40, 1—17

10, 3; 5, 13—14 10, 9, 10—11 10, 10, 6—11, 6 10, 16—17

10, 18, 7

10, 21, 11—22, 9

10, 25, 14—26, 4

10, 27—28

10, 30, 4—7

10, 32, 1—37, 12

10, 38, 1—40, 5

10, 43, 10—46, 9.

14*

212 XXn. Grundlinien einer Geschichte der i-ömischen Annalistik.

C 0 e 1 i u s.

21, 1—4 25, 17, 4—5

21, 6 25, 20, 1—4

21, 9, 3-11, 3 25, 31, 12-15

21, 12, 4-14, 4 (25, 40, 1-41, 7)

21, 21, 1-8 26, 4, 1-3

21, 22, 5-25, 1 26, 6, 9-7, 10

21, 38, 7 26, 11, 10—13

21, 45, 1-46, 4 26, 16

21, 47, 4—5 26, 18—20

21, 49—51 26, 38—40

22, 3, 7-8, 7 (26, 47, 5-10) 22, 13, 2-11 26, 48?

22, 15, 11-18, 10 27, 7, 1-6

22, 23, 1—8 27, 12, 1-6

22, 27, 1-31, 7 27, 15, 2—16, 16 22, 38, 6-40, 4 (27, 20, 1 f.)

22, 43—44 27, 25, 11—29, 8

22, 48-51 (27, 50, 3—51, 13)

23, 6, 1-7, 3 (28, 2, 14—4, 4) 23, 11, 1-14, 4 28, 19—23

23, 15, 1—6 28, 30, 1—31, 7

(23,. 19, 8-20, 3) (28, 36—37)

23, 40, 1-41, 7 28, 45, 13-46, 1

24, 1—3 28, 46, 7—16 24, 5 29, 1, 1—14 (24, 7) 29, 3, 6-4, 10 24, 9, 7-11 29, 6-9

24, 13 29, 21, 1—3

24, 19, 1—20, 8 29, 22, 1—22, 9; 11—12

24, 27, 4—28, 9 29, 25, 1—4

24, 36, 3-39, 13 29, 27, 14-28, 9

24, 41—42 29, 35, 2

24, 44, 9-47, 11 30, 11, 1-12, 10

24, 48, 1-49, 6 (30, 13)

25, 12; 15, 4—16, 25 (30, 20, 1 f.)

XXII. Grundlinien einer Geschichte der römiRchen AnnaÜBtik. 213

(30, 36, 7—11) 30, 44. 4—11.

30, 37, 7—12

Claudius.

5, 36. 11—40, 1 21, 18, 2—19, 5 (pol.)

5,

5

6

6

6

7

7

7

7

7

42, 3—43, 4 21, 21, 9—22, 4 (pol.)

46, 4—49, 7 21, 26—29 (pol.)

2. 1—4, 3 21, 31—37 (pol.)

6, 3—10, 5 21, 39—44 (pol.)

42, 5-8 21, 46, 5—48, 10 (pol.)

4—5 21, 52— 56- (pol.)

7—8? 21, 58—59

9, 6—11, 3 21, 60—61 (pol.)

12, 10-15, 8 22, 2, 1—3, 5 (pol.)

23—24 22, 9, 1—6 (pol.)

26, 1—12 22, 12 (pol.)

7 (11. 1-4) 22, 14, 1-15, 10 (i3ol.)

16, 6—12 22, 19—22 (pol.)

8, 19, 4—14 22, 23, 9—24, 14 (pol.)

8, 25, 5—27, 11 22, 45—47 (pol.) 38, 2—39, 15 22, 52-53

9, 2, 1—3, 7 22, 58—61 (58 pol.) 9, 5, 3 23, 1—4

9, 24 23, 8—9

9. 27? 23, 15, 7—17, 1 31, 1—33, 2 23, 18, 1—19, 7 36, 1—37, 10 23, 26—29

10, 4, 1—5, 12 23, 35—37

10, 11. 11—12, 8 23, 42, 1—48, 3 10, 18-20 24, 14—17 10, 29, 1—30, 3 24, 20, 9—16 10, 37, 13 25, 13, 1—15, 3 10, 40, 6—43, 9 25, 17, 1 f. 25, 19, 9—17

21, 5 (pol.) ') 25, 20, 5-22, 4

21, 7—9 (pol.) 25, 32—39 (pol.)

1) Giebt den polybianischen Ursprung an.

214 XXn. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalistik.

26, 4, 4—6, 8 28, 1—2

26, 8—10 28, 12, 10—18, 12 (pol.)

26, 14—15 28, 24—29 (pol.)

26, 41, 1—47, 4 (pol.) 28, 32—35 (pol.)

26, 49—51 (pol.) 29, 1, 15—3, 6

27, 1—2 29, 25, 5—27, 13 27, 12, 6—15, 1 29, 28, 10—29, 5 27, 17, 1—20, 8 (pol.) 29, 34—35 (pol.) 27, 41—42 30, 18

27, 46—49 f. 30, 25?

Soweit eine UebersicM der Paiiien, welche den einzebien An- nalisten zugewiesen werden konnten ^).

Mit grösserer Sicherheit, als filiher, werden sich im Anschluss an dies reiche Material die Gr r n n d 1 i n i e n einer Geschichte der römischen Annalistik ziehen lassen. Hier müssen einige kurze Andeutmigen genügen.

Die Gattmig der erzählenden Geschichte " , sagt "Bern heim (Lehrbuch der historischen Methode 16) treffend, „ist die älteste, sie wird nie antiquiert werden können und ist auch nie ausgestorben, auch wenn das historische Wissen sich höhere Aufgaben gestellt hat. " Mit ihr hat auch die Geschichtschreibung m Rom ihren Anfang ge- nommen: der Trieb Selbsterlebtes oder von Zeitgenossen Gehörtes der Vergessenheit zu entreissen imd weiterzuerzählen, hat zuerst zur schriftlichen Aufzeichnung von liistorischen Begebenheiten geführt. Längere Zeit überwog diese einfach referierende Geschichtschreibung jede andere Art der Bethätigung der historischen Wissbegierde. Ein Pragmatismus lag lange Zeit^) den römischen Historikern fern; sie waren und blieben vielfach stets Annalenschreiber, welche in chrono-

1) Es wird die Aufgabe einer philologisch-lexikalischen Spezialuntersuchung sein zu prüfen, ob die einem jeden Annalisten zugewiesenen Bruchstücke einen eigentümlichen Sprachgebrauch und charakteristische Unterschiede gegenüber der Ausdrucksweise anderer aufweisen. Die Versuche von Wölfflin (Antiochos von Syi-akus und Caelius Antipater) und Klinger (de Livii libri X fontibus) können hierfür als Muster dienen.

2) Bis auf Sempronius Asellio (schi-ieb um 100 v. Chr.), nach seinem eigenen Zeugnis Gell. N. A. 5, 18, 7, welches jedoch nur in dem negativen Teil völligen Glauben verdient. Ob er selbst schon ein vortrefflicher Pragm atiker gewesen ist, das möge dahingestellt bleiben.

XXII. lüuniUinien einer Geschiehte der römischen Annalistik. 215

loinscher l{eihent"ol«;e die Befjebenheiten , welche sie selbst erlebt oder von denen sie selbst ^eliört hatten, herzählten und erzählten.

Nnr in Einer Beziehunjjf wichen sie fast alle von dieser Norm ab. Die Urspningsgeschichte Roms war durch griechi.sche Mytho- graphen, durch Priester imd Dichter bereits so durchgebildet, dass eine etwas eingehendere Berücksichtigimg derselben namentlich auch den griechisch schreibenden ersten Amialisten, die das gebildete hel- lenistische Publikum für die Vorgeschichte der neuen Welthauptstadt zu interessieren suchten, ei'wünscht erschien. So haben denn Fabius und Cincius, Cassius mid Acilius die Entstehungsgeschichte Roms ziemlich einlässlich behandelt, sind dann aber, nach einer mehr oder minder ausführlichen Schilderung der Königszeit, über die ersten' .Jahrhunderte der römischen Republik kurz hinweggegangen ; höchstens einige Hauptepochen, ^vie die Gründimg der Republik, die gallische Invasion, die Umtriebe von Sp. Maelius und M. Manlius werden von ihnen ausführlicher behandelt worden sein. Das zeigt einerseits die überaus niedrige Zahl der Bücher ') . in welche sämtliche Annalen bis auf Piso einschliesslich (Konsul 133 v. Chr.) zerfallen, andrer- seits "die iferintje Menge imd die Beschaffenheit der Fratnnente über die frührepublikanische Epoche ^).

Der guten Tradition, dass die Geschichtschreibung in erster Linie das \virklich Geschehene, das Selbsterlebte, ^vie das durch Erkimdigimg in Erfahnmg Gebrachte behandeln solle , blieb auch die Mehrzahl der späteren römischen Annalisten treu, vor allem soweit zu ihnen gewiegte Politiker und tüchtige Gelehrte gehörten. So P. Scipio, Scipio Nasica. Fannius, Sempronius Asellio, C. Gracchus, Aemilius Scaunis, Rutilius. Sulla, ja selbst noch Catulus, Lucullus, Sisenna, welche doch schon eine laxere Auffassung von der Aufgabe eines Historikers verrieten und durch grössere Wertschätzung der Rhetorik hervorragten.

Je reger jedoch der Simi für die geschichtliche Entwickelung sich entfaltete, desto mehr mussteu die römischen Annalisten, vor allem aber die rechts- und geschichtskundigen Kreise der römischen Pontifices bestrebt sein, auch das Dunkel der Vorzeit aufzuhellen.

1) Vgl. Thouret, Ueber den Gallischen Brand (Fleckeisen's Jahrb. Suppl. XI, 160)

2) Vgl. daneben auch Soltau, Philologus 48, 131 f. 283, Rom. Chrono- logie 438 und Thoubet, Ueber den gallischen Brand 162 f.

216 XXII. G-randlinien einer Geschichte der römischen Annalistik.

Schon vor Fabius, seitdem man angefangen hatte, die kurzen An- gaben der Pontifikaltafel alljährlich in dem pontifikalen Jahrbuch zu- sammenzustellen ^), begann man neben einer fürsorglichen Betrachtung der gleichzeitigen politischen Vorgänge auch die wichtigsten Ereig- nisse der früheren republikanischen Gescliichte, soweit sie festgestellt werden konnten, schriftlich zu fixieren und manches Bemerkenswerte über frühere historische Ereignisse zu sammeln und zu ordnen. Zu- nächst waren derartige Sammlungen von liistorischen Notizen aller- dings noch keine geschichtliche Darstellung. Aber sie boten doch wertvolles Material für spätere Bearbeiter und an solchen sollte es nicht fehlen. Die Ergebnisse der pontifikalen Geschichtsforschvmg soweit sie sich vor der Grracchenzeit entwickelt hatte, sammelte zu- erst Piso m seinen Annalen und legte damit den Grund zu einer um- fassenderen römischen S t a d t c h r o n i k. Auf diesem Wege schritten die Pontifices der Gracchenzeit weiter fort. Die um 120 v. Chr. aus- gearbeiteten annales maximi^) waren das Produkt ihrer historischen Bemühmigen. Durch die Zusammentragung manches Materials aus öffentlichen Archiven, durch Benutzung von zahlreichen Gesandten- und Beamtenberichten der späteren, von Verträgen und Urkunden der voraufgehenden Zeiten, noch mehr durch die Heranziehmig viel- fältio-er Angaben aus den Familienarchiven, aus den Kommentarien der Pontifices und andrer Priesterschaften, gelang es den Pontifices eine nach Eponymen geordnete Stadtchronik zusammen- zustellen. Allerdings waren auch diese 'annales maximi' mehr ein Quellenwerk, als eine historische Darstellimg. Die zu ganz andern Zwecken^) publizierten Berichte der Pontifikaltafel bildeten einen nicht imwesentlichen Bestandteil derselben, mid vollends die Parieilichkeit und Beschränktheit des Gesichtspunktes lässt den Wert dieses Sammel- werks, von welchem uns noch die Annalen des Antias eine gemsse Vorstellung geben können, nicht allzu gross erschemen. Immerhin aber stach die Zuverlässigkeit der Angaben der Stadtchronik rielfach günstig ab von der sich daneben entwickelnden Amialenlitteratm% so- weit sie die Geschichte der ersten Jahrhimderte Roms zu rekon- struieren suchte.

1) Ueber alle Einzelheiten s. Philologus 55, 256 f.

2) Phüologus 55, 257; 56, 118.

3) CiCHORivs unter Annales maximi bei Pauly-Wissowa , Real-Encyklo- pädie, und Soltau, Die Entstehung der annales maximi, Philologus 55, 263 f.

XXn. Gninillinien tMner (reschichte ilfr römisrh''n Anuiilistik 217

Laufest nänüich waren fjfanz «andersartige Besti-ebungen thätig gewesen, um den dilrf'tigen und lückenhaften Stoff der älteren römischen Geschichte in tVnchthrinii'ender Weise zu erweitern und auszugestalten.

Diclitkunst und Khetorik lial)en ihren gleichen Anteil an dieser Geschichtshildung gehabt ').

Zuerst ist hier die Thätigkeit der Dichter, des Naevius und vor allen Dingen des E n n i u s zu nennen. Ennius' Annalen halben die verblassten Ahnenbilder der römischen Geschlechter zu neuem Glänze erweckt. Vor allem dadurch, dass er, überall den Homer nachahmend, die römischen Schlachten nach Art der homerischen Einzelkämpfe schilderte. Indem er den römischen Feldherrn und Staatsmännern die Charaktereigenschaften griechischer Helden lieh, gab er der grossen Masse des römischen Volkes, welche sich an dem dargebotenen na- tionalen Epos erbaute, reale Vorstelhmgen und phantasiereiche Darstellunecen über eine vorgeschichtliche Zeit, welche dem Herzen der Römer teuer wurden und damit auch ihren Glauben sich er- warben.

Manche römische Annalisten nach Ennius haben dann, namentlich je mehr das Bestreben überwog, den Vorbildern unter den griechischen Prosaikern nachzueifern, in der gleichen Uichtimg weitergear- beitet. Nicht nur, dass viele dichterische Schilderungen des Ennius zur Norm geworden sind für Schriftsteller wie Acilius, Coelius, Gellius, Claudius: daneben wurden gar manche Anekdoten und Schilderungen aus Herodot, Thucydides, Xenophon auf römische Feldherrn übertragen und in die römischen Geschichtsdarstellungen mit hembergenommen. Ein Sisenna wählte sich überall den Klitarch als Muster.

Bei der Nachahmung griechischer Historiker konnte es femer nicht ausbleiben, dass bald auch das rhetorische Element einen besonderen Eindruck auf die römischen Annalenschreiber ausübte. Hatten doch ohnedies selbst die besseren Historiker der Gracchen- zeit, nach Cato besonders Fannius und Rutilius, es mit Recht als ihre Aufgabe angesehn, dass sie die politisch bedeutsamen Reden ihrer Zeitgenossen mit in ihre Chroniken aufnahmen. Bald begann

1) Vgl. meinen Aufsatz: 'Der Einfluss der griechischen Litteratur auf die römische Geschichtschreibung' in Hettler's Zeitschrift f. d. geschieht!. Unter- richt 1, 1.

218 XXII. Grundlinien einer Geschichte der römischen Annalistik.

man dann ähnliche Reden m die ältere Geschichtsdarstellungen ein- zulegen. Was Coelius bei der Geschichte des zweiten punischen Krieges versuchte, haben bald darauf Gellius, Antias, Tuditanus für die frühere republikanische Geschichte ins Werk gesetzt.

Die stete Pflege und Ausbildung der Redekunst in Rom hatte inzwischen noch nach einer andern Seite hin die Bestrebungen, die ältere römische Geschichte zu ergründen und aufzudecken, gefördert. Mehr und mehr wurden die Laudationen aus kurzen sachlich ge- haltenen Lobreden auf den Verstorbenen rhetorische Machwerke, welche, höchstens noch auf die wenig zuverlässige Farailientradition zurückgehend, oft in freierer Erfindung die Thaten der früheren Geschlechter feierten ^).

Auch die ernster gemeinten Bemühungen der Antiquare und For- scher des varronischen Kreises hatten für die Feststellung der geschicht- lichen Wahrheit meistens keine günstigere Wirkung. Ihre hypothe- tischen Ansätze und pseudowissenschaftlichen Kombinationen mehrten allerdings das Material für den, welcher es unternehmen wollte, die Geschichte der älteren Zeit 'auf Grund der neuesten Ergebnisse' zu schreiben. Aber die Glaubwürdio-keit und der Wert der niitge- teilten Einzelheiten nahm ab, je mehr dieselben die Spuren des Ur- sprünglich-Ueberlieferten und des Authentischen zurückdrängten, je mehr Kombinationen und Vermutungen die Stelle der imgeschminkten älteren Tradition vertraten.

Als vollends unter dem Einflüsse der Revolutionskämpfe der Sullanischen Zeit die Tendenzhistorie der Mac er und Tubero in's Kraut schoss, eine Historiographie, welche neben der rhetorischen Erweiterung der Laudationenberichte den Zweck verfolgte, die Zeit des römischen Ständekampfes zu Parteizwecken umzugestalten und aus- zubeuten, da schwoll der Umfang der altrömischen Geschichtstradition gewaltig an, ihr historischer Wert jedoch sank in gleichem Verhältnis.

Wie bedenklich aber auch immerhin che Emwirkmig der Lauda- tionen, die Thätigkeit der Antiquare und Politiker für die geschichtliche Wahrheit gewesen seir» mochte, die ciceronische Theorie, welcher auch

1) Vgl. meinen Aufsatz in der deutschen Zeitschrift für Geschichtswiss. (1897, 105): 'Die römischen Laudationen und ihr Einfluss auf die Geschicht- schreibung', sowie 'Macer und Tubero' V. Abschnitt in Fleckeisen's Jahrb. 1897 Heft 9.

XXII. Grundlinifu cintT Geschichte der römischt-n Animli.stik. 219

Livius hul(li<i^te. dass die Geschichtschreibun*^ nur eine Abart der Kede- kiinst sei. hat einen, wo niöfjlich. noch <;etalirlicheren Einfluss auf die EntAnckelung der römischen Amialistik ausgeübt. War die Klieturik bei Macer noch in den Dienst des politischen Parteiprogramms ge- treten, so ward sie bei T u b e r o imd bei Claudius mehr und mehr zur reinen geistigen Spielerei, die es mit den Thatsachen ebensowenig ernst nahm wie mit den Gesinnimgen.

Vorzugsweise die Schriften dieser jüngsten Gattung von Aima- listen, bei denen das historische Interesse ganz hinter den politisch- patriotischen und rhetorischen Zielen zurücktrat, spiegelt uns Li\dus' Geschichtswerk wieder. Daneben traten selbst die Ausarbeitungen der offiziellen pontifikalen Annalistik, namentlich in der I. Dekade, sehr in den Hintergrand. Ganz verwischt aber ist in Livius' Schil- denmgen der alten römischen Geschichte das Bild der glaubwürdigen älteren Annalistik. Zwischen ihr und den rednerischen Ausführungen des livianischen Zeitalters besteht eine unüberbrückbare Kluft , \ne sie eben stets zwischen wahrhaft historischer Ueberlieferung und schönfärbender Geschichtskonstruktion bestehen wird.

220

E e g i s t e r.

A c i 1 i u ri , von Claudius bearbeitet 60 f., auch von Dio benutzt 190 A. 4. 192; s. auch 217.

L. A e 1 i u s Tubero. nicht Q u i n t u s , war der Historiker 107 A. 2. Schwager und Freund Ciceros 107 f. ; conserva- tive Tendenz seiner Annalen 109 ; vonLivius oft ausgesckrieben 113 f. 145 f. 148 : benutzt Laudationen 97 f., Art seiner Geschichtschreibung 183 ; seine Fragmente 123 f. 137. 148. 160. 172. 181. 211.

A 1 g i d u s , die mehrfachen Siege am A. sind Doubletten 149. 152 f. 155.

a n n a 1 e s m a x i m i 28 f. 87 A. 3. 216, behandeln die Kriegsereignisse summarisch 35. 182. 187.

Annalisten, die älteren A. dem Livius unbekannt 8 ; spätere A. 85 f. ; die jüngsten Annalisten 105 , ihre Fragmente 206 f. , bis gegen Ende der III. Dekade alleinige Quelle des Livius 47. 201 s. 215 f.

Annalistik, Geschichte der A. 214 f.

A n ti a s , als Quelle des Livius 19 A. 1. 29 f. 33, speziell in der IV. und V. Dekade 34 f., als Quelle des Li- vius in der HI. Dekade 35 f. 43 f. 79 f., in der L Dekade 86 f.: seine Fragmente 30 f. 43 f. 94. 137 f. 207.

A n t i u m , Berichte über seine Er- oberung 99.

A p p i a n . benutzt den Goelius 73. 77, seine Bedeutung für die Quellen des Livius 83.

Aquilonia, doppelter Bericht über eine Schlacht bei A. 125.

A r d e a . Rechtsstreit zwischen Ardea und Ai-icia 7. 168. 172 A. 2.

A t i 1 i i , Laudationen der A. von Tu- bero benutzt 97. 126.

Brand Roms, bei der Eroberung durch die Gallier unhistorisch 180 f.

L. Galpurnius Piso s. Piso.

Gaudinische Niederlage, von Livius nach Claudius und Tubero erzählt 135 f.

G e n s u r , Berichte über die Ver- küi-zung der Gensur aus Macer 112. 152 f., vgl. auch 134.

Chronologie, bei Livius 7. 53 f., wichtig für die Bestimmung seiner Quellen 64. 147. 149—155.

C i n c i u s , der Antiquar nur Liv. 7, 3 benutzt , in einer späteren Einlage 137. 144 A. 2.

L. CinciusAlimentus, von Liv. 21, 38 erwähnt, doch nicht benutzt 8. 64. 65.

C 1 a u d i i . besondere ^I. Claudius Mar- cellus von Claudius Quadrigarius ge- feiert 77.

Claudius, identisch mit Quadri- garius 101; seine Schriften 101, Art seiner Geschichtschreibung 35 f. 42. 62. 130 ; als Quelle des Livius 43 f. 75 f. 79 f. 101 f. 137 f. 178 f.; benutzt den Polyl)ius 52 f. 60 f. 102 , beginnt seine Annalen erst mit der Alliaschlacht 101. 105 A. 2. 112 s. 213.

Appius Claudius, der Decem- vir, seine Charakteristik ist eine Er- findung Macers 111.

Ap. Claudius Caecus 112. 134.

Appius Claudius Pulcher , Praetor 665, abgesetzt, fiel 672 s. 111 A. 3, als Parteigänger Sullas berüchtigt 111.

Clodius Licinus, citiert bei Li- vius 29. 22. doch nicht von Livius selbst 81.

Goelius A n t i p a t e r , als Quelle des Livius 64 f. 70 f. 74. 79 f.. Haupt- quelle im 2. punischen Krieg auch für Appian und Diodor 72. 83; seine Fragmente 65 f. 69 f. 79 f. 212.

Register.

221

C 0 m i n i u ni , doppelter Bericht über eine Sclihicht bei C. 125.

Cornelius Nepos. aus ihm sind nachträglich von Livius einige Ab- schnitte eingelegt 18. 123. 138. 181.

L, Cornelius Sulla, ist das Vor- bild, nach dem Macer das Büd des Decemvir Ap. Claudius entworfen hat 111 f.

A. Cornelius Cossus, die verschie- denen Ansätze für seinen Sieg 99. 150. 155. 170.

Decius Mus, der Vater 96. 122, seine

Thaten nach deni Muster des Q.

Caedicius gefeiert 122. Decius Mus, der Sohn, 122. Dekadeneinteilung, rührt nicht

von Livius her 17. 117. Diktator, verschiedene Ansätze über

den ersten Diktator 147. 150. 152.

154. dictatura clavi figendi 120.

134. Dio Cassius, benutzt Livius nicht

190 f., seine Quellen 72. 191 f. Dionysius von Halicarnass,

seine Arbeitsweise 155. 158. 184 189. Double tten, 52. 101 f. 149—155.

157. 165 f. 175. 177. 180.

Einlagen im Livius, spätere E.

von Livius selbst herrührend 18. 48 f.

1.37. 202 A. 1. 204 A. 3 s. 81. En niu s, sein Entschluss auf die An-

nalistik 42. 215. Eumachus vonNeapolis, Quelle

des Coelius 73. 203.

F a b i i . ihre Thaten wurden von Macer

und Tubero gefeiert 96. 119 f. s. 77. C. Fabius 1.33. M. F a b iu s , von Claudius erhoben 77.

132. Q. Fabius Maximus Rullianus,

besonders von Macer und Tubero

gefeiert 96. 119. 120. 124 f. Fabius Pictor, indirekt benutzt

von Livius 194, ob von Dionys? 187. F u 1 V i i , von Claudius gepriesen 42.

77. Furii, von Tubero gefeiert 183. M. Furi US Camillus, seine Thateu

unhistoriech ausgeschmückt 128. 176.

177.

Getreide lieferungen, von Sici-

lien nach Rom 187. Griechische Geschichtschrei-

bung, Spuren derselben bei Livius 21. 47 f.; ihr Eintluss auf die rö- mische Geschichtüchreibung über- haupt 47 f., 202 f. Griechische Litteratur, wie- weit dem Livius bekannt 2. 21 f. 47 f. 55. 202. 203 f. 217.

Hispanische Feldzüge, im 2. imnischen Krieg von Livius ver- früht angesetzt 7. 54, nach dem 2. punischen Kriege 34 A. 1. 41 f.

Jahrbuch des pontifex maximus 28 f. 87 f. 216.

C. Julius Caesar, sein demago- gisches Treiben , um mit Hilfe des Volkes zur Alleinherrschaft zu kom- men, diente als Vorbild für Tuberos Schilderungen des M. Manlius und Sp. Maelius 113.

Königszeit, die Geschichte der römischen K. bei Piso 194, bei Macer 195, bei Tubero 197 f.. bei Dionys 195 f. und Livius 193 f. 197 f. s. 215.

Laudationen, der Licinier und Fabier von Licinius Macer benutzt 96; der Fabier, Decier 97; der Quinctier, Servilier, von Tubero be- nutzt 98. 183, der Volumnier 97. 126.

L a u t u 1 a e , die Niederlage von Lau- tulae wurde von Claudius und Macer in einen Sieg verwandelt 120. 133.

libri lintei 7. 105. 114. 144.

Licinius Macer, seine Pei-sön- lichkeit und seine Parteistellung 105 f.; bringt cognomina bei den Eponymen 107; Quelle des Livius 1€9 f., 143 f.; sein Hass ge^en die Claudier 111, bevorzugt seine Ge- schlechtsgenossen 95. 112 und die Fabier 96; Fragmente 210.

Livius, Lebensverhältnisse 1 f. 2 A. 2 ; als Historiker 4 ; gerinije staatsrecht- liche Kenntnisse 6, sonstige Vor- kenntnisse 5 f. 8; seine Arbeitsweise 8. 23. 178 A. 4, seine Reden 15 ; seine Popularität 1—3, seine Beurteilung im Mittelalter 2, in neuerer Zeit 2. 219.

Sp. Maelius, von Tubero ähnlich wie Ti. Gracchus geschildert 114.

C. Maenius, ob dictator quaestioni- bus exercendis? 133.

M. Manlius Capitolinus, sein Bild enthält Züge Catilinas 114.

222

Register.

Massinisäa, seine Jugendschicksale von Livius nach Polybius erzählt 49.

Minen gang, zu der Burg von Veii 175 f., zum Capitol 181 A. 4.

Nepos s. Cornelius Nepos.

L. Papirius Cursor, 126 f.

Pentaden, Livius gab sein Geschichts- werk mehrfach in Abteilungen von 5 Büchern heraus 17. 117.

Petrarca, s. Urteil über Livius 2. 17.

Piso, als Quelle des Livius 19 A. 1. 29 f. 33. 79 f. 87 f. 142, seine Frag- mente 30. 43 f. 88. 137 f. 206.

Plutarch, seine vita Fabii schöpft aus Coelius 77. 83, seine vita Popli- colae aus Juba (Varro) und Dionys 143. 189; seine Bedeutung für die Quellen des Livius 83. 143.

Polybius, Wert seines Geschichts- vperkes 8. 15; für die griechischen Angelegenheiten in der IV. und V. Dekade benutzt 21 f. 22. 43 f., schon seit dem 30. Buch im afrikanischen Kriege 47 ; spätere Einlagen aus ihm im 24.-29. Buch 18. 49 f.; indirekt benutzt durch Claudius 55. 56 f. 102.

T. Pomponius Atticus, sein liber annalis setzte M'. Valerius für V. 260 als Diktator an 116; schrieb über das junische Geschlecht 145, nach ihm Tubero bez. Livius 144.

Pontifikaltafel 28. 216.

Pontius 135 f. 137.

M. Porcius Cato, indirekt von Livius benutzt (durch Vermittelung des Claudius) 34 A. 1, dem Livius sonst unbekannt 8. 217.

P 0 r s e n a , die älteren Berichte über P. ohne pragmatische Verknüpfung mit andern Ereignissen 146. 154, die jüngeren Berichte 143 f.

A. Postumius Albinus, erhebt die Vorzüge seiner Geschlechtsgenossen 97.

L. Postumius (cos. 460) , seine Thaten schildert Livius nach Tu- bero 97. 126 s. 183.

Quinctii, ihre Thaten von Tubero gepriesen 98 f. 169 f. 171. 183, ein Konsul Quinctius zwischen V. 326 und 327 bei Livius 164 f.

Reden, bei Livius 3. 15, bei Dionys nach dem Muster des Xenophon,

Thucydides , Demosthenes gebildet

184—189.

S c i p i on e n , besonders gefeiert durch Claudius 77. 125 f.

S e c e s s i 0 p 1 e b i s , die 1. s. pl. von Livius nach Macer und Tubero ge- schildert 115. 148. 186.

Ti. Sempronius Gracchus (cos. 539) 76.

Ti. Sempronius Gracchus (cos. 577) 42.

Ti. Sempronius Gracchus (trib. pl. 621), Ciceros Urteil über ihn war massgebend für Tubero 114 und für dessen Darstellung des Sp. Maelius, 113. 169. (137.)

Ser villi, ihre Thaten von Tubero gepriesen 98 f. 171.

S i 1 e n u s , Quelle des Coelius 73. 203.

Tarqu inier 142. 144. 146. 196.

Tempel weihe, des capitolinischen Tempels bald V. 245 , bald V. 247 angesetzt 150. 154. 185.

M. Terentius Varro, nur Liv. 7, 2 in einer späteren Einlage benutzt 137 A. 2; dem Livius unbekannt 6; Angaben aus Varro indirekt ent- nommen durch Tubero 144 f. 189; von Dionys und Plutarch Popl. be- nutzt 143. 189, doch s. 143 A. 3. 186. 189.

Thucydides, von Dionys nach- geahmt 185 f. 204, von Tubero 204, nicht von Livius 15.

Timagenes, ob Quelle des Livius? 204 A. 3; 224.

M. TulliusCicero, war das Ideal des Livius 3 ; Ciceros Anschauungen von der Aufgabe eines Historikers 4. 108 ; benutzt im 3. Buche de of- ficiis den Claudius 61.

tumultus Gallici, 101 f. 132.

Valerius Antias s. Antias.

M. Valerius Corvus, sein Zweikampf nach Claudius erzählt 102, spätere Thaten 123.

M'. Valerius Maximus, Volesi f., war nach dem elogium erster Dik- tator 147 A. 2 und dann wieder Diktator V. 260. 147, ebenso nach Macer 116.

M'. Valerius Maximus, Marci f., nach Antias erster Diktator 147.

M. Valerius Messala Rufus, schi'ieb de familiis 116.

Kt-trister.

223

Marcus V a 1 o r i u s V o 1 e s i f. Bruder Poplicolas 142. fällt nach Antias am Re<rillus 115. ist nach Tubero V. 260 Diktator 116, nach Antias war dies ein andrer Marcus Valerius 115, sein Sohn war nach Antias erster Diktator 147. 167.

Veii, verschiedene .\nsätze über die Kämpfe mit Veii 149—155. 169, Kämpfe vor Veii 173 , seine Er-

oberunor 175. Plan nach Veii über- zusiedeln 178.

Vitellii, Vanzelheiten über die Ge- schichte dieses Geschlechtes stammen indirekt aus Atticus 144.

L. Voluminus, 97. 122. 125 f., sein Geschlecht durch Claudius erhoben 97. 122.

Vorreden des Livius zu einzelnen Büchern 17. 117.

224

Bericlitigimgeu.

S. 91, Z. 6 V. oben sehr. : ausführlichere.

S. 137 lies in der Tabelle: 7, 6, 1—5 Antias, 7, 6, 6 Piso.

S. 138 lies , , : 8, 30, 1—37, 2 M. (T.).

S. 204 Anm. 3 füge hinzu: Sehr wohl kann aber Kaerst eb. S. 657 Recht haben, wenn er meint, dass die tendenziöse Spitze von Livius' Exkurs (vgl. die 'levissimi ex Graecis' 9, 18, 6) gegen Timagenes gerichtet sei.

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