NS vol. 56-57 | 1908-09 URASI NINA EL N RE ARE I n i IENNUNNEN KINNINULNTANN Ir Herausgegeben naturwissenschaftlich - medizinischen Verein für Böhmen „Lotos“ in Prag. Band 56. Mit 4 Tafeln und 25 Abbildungen im Texte. Prag 1908. - Doheh von Carl Bellmann in SE ( JOH. KRUSICH, Universitätsmech. Prag Il., Albertstr. 5. Behördlich konzessioniertes elektrotechnisches Installations-Bureau, medizin. u. physikal. Apparate. Elektr, Einrichtungen für Laboratorien u. Mittel- schulen. Projektions- Apparate, Klein- motoren, Zentrifugen etc. Apparate für Planktonuntersuchung. Lupe für beide Augen nach Doz. Dr. Ulbrich. Projekte und Überschläge gratis. Kurort Teplitz-Schönau, Bönmen, heilt Gicht, Rheumatismus, "Neuralgien, Geienksteifigkeiten, Exsudate etc. Ärzte und deren Familien befreit von Kur- und Musiktaxe, erhalten freie Bäder. Saison anzjährig. Alkalisch-salinische Therme von 26° bis 46'25°C. hoher Radioaktivität, Thermal-, Douche-, Moor-, elektr. Licht-, Zwei- u. 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RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG easaaäaaRADIFFEIIEHF)D Mineralpräparate, geschliffene Edelsteine, Mineralien, Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, ale Apparate und Utensilien. Dünuschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. $ h Gipsmodelle seltener Fossilien, geotekto- | Petrefakten, nische Modelle, Sammlungen für allgemeine Geologie. Er -Ausrüstungen. aus Holz, Glas und Pappe. Kristall- Kristallmodelle optische Modelle. ; für den geologischen und petrographischen ? [9 Diapositive Unterricht. Der allgemeine mineralogisch- JE geologische Lehrmittel-Katalog (reich illustr. Nr. XVIII) steht auf Verlangen portofrei zur Verfügung. Meteoriten, Mineralien und Petrefaliten, sowohl einzeln als auch in ganzen Sammlungen, werden jederzeit gekauft oder im Tausch übernommen. Dr. F. KRANTZ, Rheinisches Mineralien-Kontor, Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Gegründet 1833. BONN a. Rh. 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Unter den Methoden zur Darstellung des Farbenkontrastes nimmt die der Erzeugung farbiger Schatten einen hervorragenden Rang ein. Sie besteht bekanntlich im Prinzipe darin, dass durch zwei Lichtquellen zwei Schatten eines Körpers auf eine farblose 3 Fläche geworfen werden, wobei, wenn man den einen Schatten objektiv, etwa durch Vorhalten farbigen Glases vor die eine Lichtquelle, färbt, der andere im Kontraste gefärbt erscheint. Eine vollendete Vorrichtung zur Erzeugung farbiger Schatten “hat Hering ') angegeben und dabei gezeigt, wie man mit der- selben eine Reihe wichtiger Gesetze der Lehre von den Farben- _ empfindungen anschaulich demonstrieren kann. Im Folgenden soll über Versuche berichtet werden, welche zu dem Zwecke an- gestellt wurden, objektiv und subjektiv gefärbte Schatten auf der Netzhaut selbst zu erzeugen. Zu diesem Zwecke habe ich die _ Gefässe der Netzhaut als schattenwerfende Körper benützt und die von diesen geworfenen Schatten, also die Purkinjesche ‚Aderfigur gefärbt. Über farbige Erscheinungen der Aderfigur gibt es in der bezüglichen Literatur wohl kaum besondere An- aben. Entwirft man dieselbe nach einer der gebräuchlichen Methoden auf dem Hintergrunde des Auges, so erscheint sie iefschwarz. Auch unter Anwendung verschiedenfarbiger Licht- ellen sehe ich, falls nicht die Netzhaut vorher für eine be- mmte Farbe stark ermüdet wurde, keinen Farbenton in den hatten der Aderfigur. Nach starker Ermüdung der Netzhaut rch rotes Licht erscheint mir die Aderfigur für ganz kurze it, einen Bruchteil einer Sekunde, im Kontraste grün. Nur ı) Ewald Hering, Eine Vorrichtung zur Farbenmischung zur Dia- se der Farbenblindheit und zur Untersuchung der Kontrasterscheinungen. 3 Arch. 42, 1888. Seite 119. BE A TE en er ee re Aa sn ger ” RT x x £ er 9 9 Priv.-Doz. Dr, R. H. Kaln.: bei Tschermak?) finde ich die Angabe, dass er BE a a raler und transpupillarer Beleuchtung in den Gefässchatten einen grünlichblauen Kontrastanflug infolge des umgebenden Rotgelbs bemerkt. Um die farbige Erscheinung der Purkinjeschen Aderfigur längere Zeit genau beobachten zu können, lassen ich mehrere Wege einschlagen. Zunächst kann man durch diaskle- rale Beleuchtung von der lateralen Seite des Augapfels her die Aderfisur entwerfen und dieselbe durch farbiges Licht, welches durch die Pupille einfällt, färben. Dabei ist eine sorgfältige Abstufung der Intensität des transpupillar einfallenden Lichtes notwendig. Die Anordnung des Versuches ist am besten fol- I. a Fig. 1. gende (Fig. 1): Man setze sich, die Arme aufstützend, vor einen geräumigen Tisch und lehne die Stirne an einen fest am Tisch- rande angebrachten Kopfhalter (a). Zur Seite des rechten Auges, welches stark nach links gewendet wird, ist in einem Stativ eine bikonvexe Linse (db) zur Beleuchtung der Sklera angebracht, welche die Strahlen einer Lampe (g) von erheblicher Intensität und möglichst kleiner Leuchtfläche auf die Sklera konzentriert. Das Auge blickt in eine bikonvexe Linse (c), welche ebenfalls in einem Stative derart aufgestellt ist, dass das Bild der Licht- quelle (f) in den vorderen Brennpunkt des Auges fällt, während das linke Auge durch einen kleinen, am Kopfhalter befestigten 2) A. Tschermak, Über Kontrast und Irradiation. Ergebnisse der Physiologie II. II. Abt. S. 778. 1903. ah a? een 2 a Bi ee EEE In ME EEE ENERESEN N I Er Tat . Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 3 Schirm verdeckt ist. Dann leuchtet die ganze Linse indem pa- rallele Strahlen auf die Netzhaut fallen, aber nur, wenn die pneumatisch zu öffnende Irisblende (d) (Verschluss eines photo- graphischen Apparates) geöffnet wird. Die Intensität des auf die Netzhaut durch die Pupille einfallenden Lichtes kann dadurch _ geändert werden, dass zwischen die Lichtquelle und die Iris zwei Nicolsche Prismen (e), von denen das eine drehbar ist, einge- 25 schaltet sind. Zwischen die Iris und die Linse stelle man eine _ farbige Glasscheibe von beliebiger Farbe und nicht zu geringer Sättigung. Nun erzeugt man bei geschlossener Iris auf der Netz- haut die Purkinjesche Aderfigur. Das Erscheinen derselben _ wird bekanntlich durch kleine oszillatorische Bewegungen der _ Beleuchtungslinse sehr unterstützt. Da in unserem Falle die Linse fix angebracht ist, ist es zweckmässig, gelegentlich ganz _ leichte Bewegungen mit dem Kopfe in sagittaler Ebene (Nicken) auszuführen. Sobald man die Aderfigur deutlich sieht, öffne man die Iris und stufe durch Drehen des Nicol die Intensität des “farbigen Lichtes entsprechend ab. Sogleich erscheint die Ader- - figur mit viel schmäleren und schärferen Ästen in der Farbe des _ vorgesetzten Glases auf blassem Grunde, welcher in der Misch- farbe des Rotgelb (diasklerales Licht) mit der Glasfarbe gefärbt F ist. Die Art des Zustandekommens dieser Erscheinung ist leicht - an einem einfachen Diagramme einzusehen. (Fig. 2.) Die im - Verhältnis zu der Dicke der Netzhautgefässe grosse Lichtquelle : (@) (Bild der Lampe auf der Sklera) wirft von einem einzelnen Gefässe (b) einen Schatten auf die Netzhaut, welcher, da er aus Kern- und Halbschatten besteht, breit ist und mehr oder weniger - verwaschene Konturen besitzt (ce). Die übrige Netzhaut wird von schwach rotgelbem Lichte beleuchtet. Nach Öffnung der Iris wird ausserdem die Netzhaut von farbigem Lichte, dessen Strah- n parallel auffallen, getroffen. Dabei “wird sie mit Ausnahme r schon vorher beschatteten Stellen . und der jetzt von den Schatten der Netzhautgefässe, welche von der transpupillaren - Beleuchtung herrühren, getroffenen, mit gemischtem Lichte be- - leuchtet. Letztere werden unter den gegebenen Bedingungen kanntlich überhaupt nicht wahrgenommen, die Halbschatten der diaskleralen Beleuchtung ebenfalls nicht, weil der Intensitäts- unterschied gegen die Beleuchtungsintensität der übrigen Netz- haut zu gering geworden ist, und es bleiben Mur die früheren ernschatten sichtbar. An den Orten derselben wird die Netz- ut nur von dem farbigen Lichte transpupillar beleuchtet, daher t man schmale, scharfrandige, sattfarbige Schatten am Orte früheren Aderfigur auf blassem in der Mischung. von Rot- elb mit der Farbe des vorgesetzten Glases gefärbtem Grunde. Mit dieser Anordnung kann man die Purkinjesche Aderfigur I# 4 in jeder beliebigen Farbe sehen, falls man die entsprechenden 2 Gläser vorsetzt. Besonders schön ist die Erscheinung bei An- wendung eines grünblauen Glases. Dann erscheint dieselbe n ; Re . ” r 8 Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: sattem Grünblau auf farblosem Grunde. Die Beleuchtung der Netzhaut mit der eben beschriebenen Versuchsanordnung lässt sich aber auch so durchführen, dass 7 R109: man nicht das transpupillar einfallende, sondern das diaskleral ins Auge gelangende Licht durch Vorsetzen farbiger Gläser färbt. In diesem Falle wird die Netzhaut durch gemischtes Licht be- leuchtet, nämlich wiederum eine Mischung des Rotgelb mit der Farbe des vorgesetzten Glases. Diesmal ist es eine Mischung durch Subtraktion, d. h. es treffen nur jene Bestandteile des farblosen Lichtes die Netzhaut, welche weder durch das vorge- Bert SZ me Da A SE a ln 2 9 7 0 hm Di u 0 .h r 4 ” a 8 a ar A EN TEEN) 5, ; x se Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 5 _ setzte Glas, noch durch die Augenwandungen zurückgehalten _ werden. Ausserdem wird sie von farblosem Lichte getroffen, wodurch die Sättigung des diaskleralen farbigen Lichtes sehr abnimmt. Dabei erscheinen die Schatten schön im Kontraste gefärbt auf sehr blassem Grunde. Diese Versuche erfordern eine sehr feine Abstufung der Intensität des transpupillar einfallen- den farblosen Lichtes, welches überhaupt meistens nur eine sehr geringe Intensität besitzen darf. Die schönsten Kontrastfarben erhält man dabei in folgender Art. Man setze vor die Licht- quelle, welche die Sklera beleuchtet, ein rötlich-gelbes Glas. | a Dann gestattet die bedeutende Intensität des durch die Sklera fallenden Lichtes auch eine etwas grössere Intensität für das transpupillare. Infolgedessen wird der Grund, auf welchem die Aderfigur erscheint, fast farblos, und diese selbst zeigt ein helles Blaugrün. Ebenfalls sehr überraschend ist der Erfolg nach Vor- setzen eines bläulich-roten Glases. Auf hellgrauem Grunde er- scheinen dunkelgrüne Schatten. Die gebräuchlichen blauen Ko- baltgläser eignen sich zu unseren Versuchen schlecht. Sie lassen im Vereine mit der Augenwand nur so wenig Licht hindurch, dass die dabei entstehenden Schatten, bei noch so schwacher transpupillarer Beleuchtung, ganz verschwinden. Sehr gut lässt sich aber das diasklerale Licht dadurch blau färben, dass man - eine passend verdünnte Lösung von Methylenblau oder eine alka- lische Kupferlösung in einer Kuvette in den Gang der Licht- - strahlen einschaltet. Dann sieht man die Aderfigur im Kontraste - gelbbraun auf schwach lichtblauem Grunde. Auf solche Weise ' lässt sich durch sorgfältige Nuancierung des diaskleralen Lichtes eine verschiedene Kontrastfärbung der Schatten auf der Netz- haut erzielen. Eine zweite Methode, welche noch schönere Erfolge erzielen lässt, besteht darin, zwei Schatten auf der Netzhaut zu ent- werfen und beide oder nur einen von ihnen objektiv zu färben. _ Die Erzeugung von zwei Gefässchatten neben einander, also einer Aderfigur mit doppelten Details, ist vor Jahren die Grundlage zu = ‘ einem sehr falschen Schlusse gewesen. König und Zumft?) _ haben in ihren Augen zwei Schattenfiguren des Adernetzes sicht- bar gemacht, indem sie zwei Löcher eines Diaphragmas, welche - von demselben monochromatischen, spektralen Lichte erfüllt . 3 waren, rasch vor der Pupille auf und ab bewegten. Aus dem Befunde, dass bei verschiedenfarbiger Beleuchtung die Abstände der Schatten derselben Ader sich verschieden gross zeigten, schlossen K. und Z., dass die verschiedenen Farben in veıschie- 3) A. König und J. Zumft, Über die lichtempfindliche Schicht in ‚der Netzhaut des menschlichen Auges. Sitz.-Ber. d. preuss. Akad. d. Wiss. Wein zn. Diese Arbeit war mir nur in Referaten zugänglich. 6 Priv.-Doz. Br R H. Kahn: denen Schichten der Netzhaut perzipiert werden. Dieser Schluss hat in der Folge der Kritik Gads®), Schapringers’°) und Kosters‘) nicht standhalten können. Indessen ist auch die Verdoppelung der Aderfigur auf dem beschriebenen Wege anderen > - nicht wieder gelungen. So gibt Nagel’) neuerdings wieder an, dass er dieselbe trotz eifrigen Bemühens nicht sehen konnte, In der eben erwähnten Untersuchung hat Koster die Aderfigur des Auges durch Anwendung zweier Linsen, welche schief zu einander gestellt, auf der Sklera zwei Bildchen der ‚Lichtquelle nebeneinander entwarfen, verdoppelt. Eine Angabe über Farbigkeit der in den vorstehend zitierten Untersuchungen erzeugten Schatten habe ich nicht gefunden. Die Methode, welche ich zur Verdopplung der Aderfigue = angewendet habe, ist folgende (Fig. 3): Der Kopf wird wieder, Fig. 3. wie bei unserer ersten Methode, durch einen Kopfhalter (a), an welchen die Stirne lehnt, fixiert, eine bikonvexe Linse (b) ent- wirft auf der Sklera im lateralen Teile der Lidspalte des rechten Auges ein möglichst kleines und lichtstarkes Bild der Lichtquelle (e), während das Auge geradeaus ins Dunkle blickt. Eine zweite, ebenfalls fix in einem Stativ befestigte, passend aufgestellte bi- konvexe Linse entwirft im medialen Winkel der Lidspalte auf *) J. Gad, Der Energieumsatz in der Retina. Arch. f, Anat. u Physiol. (Physiol. Abt.) 1894. Seite 491. 5) A. Schapringer, Findet die Perzeption der verschiedenen Farben nicht in ein und derselben Lage der Netzhaut statt? Pflüg. Arch. 60. 1895. Seite 296. f 6) W. Koster, Ub. d. perzipierende Schicht der Netzhaut beim Men- schen. Graefs Archiv XLI., Seite 1. 1895. ") W. Nagel, Die Wirkung des Lichtes auf die Netzhaut, Hdb. d. Physiologie III—1, 1904, Seite 108. a En ni Sklera ein Bild der in ihrer Intensität abstufbaren Licht- elle (f). (Bei Auerbrennern genügt zur Abstufung für diesen ersuch das Zuklemmen des Schlauches mit einer Schlauch- lemme.), In den Gang der Strahlen der Lichtquelle (e) ist jeder ein Irisverschluss eingeschaltet. Weiters stellt man vor jede der beiden Lichtquellen ein farbiges Glas. Nun entwirft _ man unter ganz leichten nickenden Bewegungen des Kopfes bei geschlossener Iris die Aderfigur durch Beleuchtung der Sklera mit der Lichtquelle (f). Sobald dieselbe, was bei satten farbigen Gläsern eine Weile dauert, in voller Deutlichkeit, auf möglichst hellem Grunde erschienen ist, öffnet man die Iris und erblickt im Anfange besonders gut bei geringer Kopfbewegung, später nach einiger Übung auch bei völliger Ruhe des Kopfes und Auges _ eine zweite Schattenfigur des Adernetzes, dessen einzelne Äste knapp neben den entsprechenden der ersten Figur zu liegen scheinen. Bei richtiger Abstufung der Lichtintensitäten nimmt man folgende Erscheinungen wahr: Der bei Beleuchtung mit bloss einer farbigen Lichtquelle geworfene Schatten ist relativ breit, schwarz und erscheint auf farbigem Grunde. Im Augenblicke der Offnung der Iris wird er viel schmäler und farbig, während > an seiner Seite ein zweiter schmaler, ebenfalls farbiger Schatten ‚erscheint, welcher genau dieselben Details aufweist. Beide Schatten heben sich schön von einem Grunde ab, welcher meist ein dunkles Grau zeigt, dessen Farbigkeit, wenn vorhanden, nur gering ist. Dabei entspricht der Farbe der linken Lichtquelle _ die Farbe des rechts liegend gesehenen Schattens und umge- kehrt. Besonders schöne Resultate ergeben folgende Farben. L- Lichtquelle | Lichtquelle Schatten Schatten und links rechts links rechts blaugrün rotgelb rot : grün dunkelgrau : grau mit -blaurot . gelbgrün grasgrün scharlachrot | einem Stich ‘ ins Rote ® blau gelb selb blau dunkelgrau e Erscheinung kommt in folgender Weise zustande. (Fig. 4.) Lichtquelle a (beleuchtete Stelle der Sklera) entwirft von ' Gefässe ce einen aus Kern- und Halbschatten bestehenden ” 8 Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: wird in der Richtung nach d nach Aussen projiziert. Sowie nun 5 durch Öffnung der Iris die Lichtquelle 5 wirksam wird, wirft auch sie einen Schatten e desselben Gefässes auf die Netzhaut, welcher nach e projiziert wird. Die ganze Netzhaut wird nun von einer Mischung der beiden farbigen Lichter « und 5 er- € Ei 5 \ Fig. 4 leuchtet, während die von der Lichtquelle a beschattete Netz- hautstelle d nur von der Lichtquelle 5, die von der Lichtquelle b beschattete nur von a beleuchtet wird. Zugleich verschwinden die Halbschatten, wie in unserem ersten Versuche, wegen ihres sehr geringen Intensitätsunterschiedes gegenüber der übrigen be- leuchteten Fläche, und es erscheinen die beiden Kernschatten Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 9 farbig, und zwar gekreuzt, da sie gekreuzt nach aussen proji- - ziert werden. Der linken farbigen Lichtquelle entspricht der rechte Schatten in der Farbe. Nun lassen sich diese Versuche in interessanter Weise variieren, indem man nur vor die eine Lichtquelle ein farbiges Glas setzt, die andere aber ungefärbt lässt. Dabei ist es nötig, - — die Intensität des farblosen Lichtes sehr bedeutend herabzumin- - dern. Dann erscheint, wenn die linke Lichtquelle farbig gewählt wurde, der rechts gesehene Schatten objektiv, der linke aber im Kontraste gefärbt auf meist sehr blassfarbigem grauem Grunde. Besonders schöne Erfolge erzielt man mit folgenden farbigen - Lichtern. | f Lichtquelle Schatten Schatten Zächtquelle rechts links rechts Grund h links farbig obj. farb. subj. farb. Be Bl: farblos rubinrot dunkelrot dunkelgrün | rotorange blasses, bläu- 2 = liches grün hellerün scharlachrot grau % Zu . ; helles gelb- ; 25 2 grünblau blauschwarz raum grau AIR NT - : dunkles 2 N & orange rotorange Sranhlan gelborange Be S grau blassblau schwarz braun (schmutzig) Das Erscheinen der Kontrastfarben erleichtert sich der Anfänger sehr durch leichte nickende Bewegungen des Kopfes. Bei einiger S En. Ubung sieht man sie jedoch auch bei völlig fixiertem Kopfe und Auge sehr schön. Indessen dauern alle diese beschriebenen Er- _ scheinungen nur kurze Zeit in ihrer vollen Stärke an, um dann - rasch abzunehmen und schliesslich völlig zu verschwinden. Sie _ treten erst wieder in die Erscheinung, wenn die Netzhaut einige - Zeit ausgeruht hat. Bi Wie man sieht, spielen sich in unseren Versuchen jene Er- e "scheinungen ab, welche auch mit geeigneten Vorrichtungen, zum Beispiel mit der Herings darzustellen sind, indem man mit #3, +2 den Farbenmischungen Flächen beleuchtet, oder auf diese farbige Schatten fallen lässt, wobei diese Flächen als Bilder eines Ge- Se ‚genstandes der Aussenwelt auf der Netzhaut erscheinen. Das Besondere an unseren Versuchen besteht aber darin, dass sich diese Vorgänge auf der Sinnesfläche selbst abspielen, gewisser- 10 ’ Hugo Milrath: massen entoptisch entstehen und daher als ein weiterer Beweis - gelten können für die Unabhängigkeit der Art der betreffenden Gesichtsempfindungen von den mit der Anordnung derartiger in der gebräuchlichen Weise angestellter Versuche verbundenen Wahrnehmungen. Dies gilt namentlich hier für das Zustande- kommen der Kontrasterscheinungen in den Schatten, welches für unsere Versuche bloss aus der Heringschen Annahme der Be- einflussung benachbarter durch Erregung bestimmter Netzhaut- stellen erklärt werden kann. Jede psychische Beeinflussung, jede Einmengung des Urteils kann hier wohl als ausgeschlossen be- trachtet werden. Da es gelingt, die beschriebenen Kontrasterscheinungen bei völlig fixiertem Blicke zu sehen, ist die Annahme berechtigt, dass es sich hier um einen simultanen Farbenkontrast handelt. In diesen mischt sich bei Bewegungen des Auges oder Kopfes, die Erscheinung verstärkend und ihre Dauer verlängernd, suk- zessiver Kontrast ein, wie das auch bei anderen Arten der Her- vorbringung farbiger Schatten der Fall ist. Im Hinblick auf die oben erwähnten Versuche von König und Zumft habe ich mich sehr bemüht, über die scheinbare Distanz der Doppelbilder der Aderfigur bei verschiedenfarbiger Beleuchtung sichere Angaben machen zu können. Leider ge- statteten mannigfaltige Umstände, welche in der Technik dieser Versuche gelegen sind, nicht, zu einer sicheren Anschauung über diesen Punkt zu gelangen. Ich kann nur sagen, dass ich den Eindruck habe, dass der Abstand der Doppelbilder bei Beleuch- tung der Sklera mit zwei Lichtern der verschiedensten Farben stets der gleiche gewesen ist. Nobelpreisträger von 1907. I Eduard Buchner, der Träger des Nobelpreises für Chemie. Von Hugo Milrath. In München, der Stadt der weltberühmten Bierbrauereien, wo die alkoholische Gärung eine so grosse Rolle spielt, stand die Wiege des Mannes, dessen Forschungstätigkeit Licht in das Dunkel der verschiedenen Gärungstheorien gebracht hat. Für die Verdienste auf diesem Gebiete wurde nun Buchner eine hohe Auszeichnung zuteil, indem ihm die schwedische Akademie der Wissenschaften den Nobelpreis für Chemie zuerkannte. _ Nobelpeiträger von 1907. 11 = e uard. Buchner wurde am 20. Mai 1360 geboren. Zuerst studierte er an dem Realgymnasium seiner Vaterstadt und be- - suchte dann eiue kurze Zeit das chemische Laboratorium E. Erlen- - meyers an der technischen Hochschule, unterbrach aber bald seine Studien und arbeitete einige Jahre in einer Konserven- - fabrik. Von 1884 an widmete er sich wieder dem Studium der Chemie im Laboratorium v. Baeyers und erwarb im Jahre 1888 den Doktorgrad mit der Dissertation „Über die Synthese von Derivaten des Trimethylens“. Nachdem Buchner ein Jahr hin- durch eine Assistentenstelle am chemischen Laboratorium in München bekleidet hatte, habilitierte er sich daselbst im Jahre 1891 als Privatdozent für Chemie. Im Jahre 1893 wurde ihm die Leitung des Universitätslaboratoriums für analytische Chemie in Kiel übertragen. Doch schon 1896 wurde Buchner als ausser- ordentlicher Professor für analytische und pharmazeutische Chemie nach Tübingen berufen und zwei Jahre später als Nachfolger - Moritz Fleischers, des jetzigen vortragenden Rates im Ministerium - _ für Landwirtschaft, zum ordentlichen Professor für allgemeine -— Chemie an der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin ernannt. "Im Jahre 1905 wurde ihm vom Vereine deutscher Chemiker die - Liebig-Medaille verliehen. 2 Buchners wissenschaftlicher Tätigkeit auf dem Gebiete der _ reinen organischen Chemie verdanken wir die in den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft veröffentlichten Arbeiten „Einwirkung von Diazoessigäther auf die Äther ungesättigter Säuren“, über den „Quecksilberdiazoessigester“, ferner mehrere Abhandlungen über die „Pseudophenylessigsäure“ und über die „Derivate des Zykloheptans“. Ausserdem wären die Arbeiten über die Reaktion zwischen Diazoessigester und Benzol zu erwähnen, welche zur Entdeckung eines Kohlenstoffsiebenringderivates führten. Von grosser Bedeutung sind auch seine Forschungen über ee: x Pyrazol* und die „Synthese des Phenylpvrazols“. Die hervorragendsten Erfolge hat Buchner aber auf dem ebiete der Gärungschemie zu verzeichnen. Der: Gärungsprozess ist ein seit alten Zeiten bekannter organg und wird schon seit langem zur Bereitung verschiedener koholischer Getränke ausgenutzt. Die Ansichten über die Be- utung der Mikroorganismen bei diesem Prozesse sind sehr ge- ilt gewesen. | Liebig sah die Gärung als einen eigentümlichen chemischen 5 Prozess an, der sich zwischen Zucker und einem „Ferment“ — E: unter dem "„Ferment“ ist nur der Erreger der Gärung zu ver- ehen; der heutige weitere Begriff stammt aus viel späteren en — abspielt, welches sich durch Umlagerung aus Ptlanzen- = 19 Hugo Milrath: eiweiss bildet, und das durch seinen Zerfall die Spaltung des Zuckers hervorruft. Um das Jahr 1860 tritt Pasteur gegen die Liebigsche Auf © | fassung auf. Pasteur behauptet folgendes: Es kann niemals alkoholische Gärung eintreten, ohne dass lebende Hefezellen zu- gegen sind; der chemische Vorgang der Gärung ist grösstenteils eine den -Lebensprozess der Hefe begleitende Erscheinung; sie fängt damit an und endigt damit; Alkoholgärung ohne fort- gesetztes Leben findet niemals statt. Nach Pasteurs Theorie ist somit der Gärungsprozess mit der Anwesenheit, stetiger Entwicklung und Vermehrung lebender Hefe stets aufs innigste verknüpft. Pasteurs vitalistische Gärungs- theorie könnte nicht weiterbestehen, wenn man die Gärwirkung von der lebenden Hefezelle trennen könnte. Bereits im Jahre 1846 hat Lüdersdorf in Berlin. Hefe auf einer mattgeschliffenen Glas- platte mittels eines gläsernen Läufers zerrieben; die Hoffnnng, auf diesem Wege eine Trennung der Gärwirkung von den Hefe- zellen zu erreichen, verwirklichte sich aber nicht; das Zerreibungs- produkt zeigte keine Gärwirkusg auf Zucker. | Buchner ist nun diese Trennung geglückt. Im Jahre 1897 veröffentlicht er in den Berichten der deutschen chemischen Ge- sellschaft die allgemeines Aufsehen erregende Abhandlung „Alko- holische Gärung ohne Hefezellen“. Die ersten Versuche, die Buchner im Jahre 1893 unter- nahm, die Zellmembran der Hefe durch Gefrieren und rasches Wiederauftauen zum Platzen zu bringen, verliefen ergebnislos; die Membran ist für ein derartiges Zerreissen viel zu elastisch. Dagegen zeigte es sich bald, dass auch die kleinsten Mikro- organismen nach Zusatz von Sand zerreibbar sind. Buchner mengt frische Münchner untergärige Bierpresshefe, die zuvor bei 50 Atmosphären Druck entwässert wurde, mit dem gleichen Ge- wichte Quarzsand und mit einem Fünftel des Gewichtes Kiesel- guhr und zerreibt sodann des Gemenge mit einer, durch einen Gasmotor in Betrieb gesetzten Maschine. Diese besteht haupt- sächlich aus einer horizontal rotierenden Porzellanreibschale, in welcher sich ein beschwertes Porzellanpistill fortwährend gerad- linig hin und her bewegt. Die Operation setzt er so lange fort, bis die Masse, die anfangs staubtrocken war, feucht und plastisch geworden ist. Er fügt dem Teige nun Wasser hinzu und bringt ihn, in ein Presstuch eingeschlagen, allmählich unter einen Druck von 400—500 Atmosphären. Die ablaufende Flüssigkeit, der Pressaft, wird noch mit einer geringen Menge Kieselguhr ge- schüttelt und dann filtriert. Der so erhaltene Pressaft ist eine klare, gelbliche, nur schwach opalisierende Flüssigkeit von ange- nehmem Hefegeruche. Er enthält viel Kohlensäure gelöst, die bei N NT Daten Wal yraniı 10 Zen 2 3 LT A BE ar BEE Zn BE ke et 37 En 2 Ta EN, N das ea BL an Fe RS TE ea BE ra Se Br a ae Cha 1a Wa Ar a a ee et Bee NER Ne Hi re, i 2 ö . Nobelpreisträger von 1907. 13 40° zu entweichen beginnt, und ziemliche Mengen von gerinn- barem Eiweiss. Beim Kochen tritt starke Ausscheidung von Ge- rinnsel ein, so dass die Flüssigkeit fast vollständig erstarrt; die Bildung von unlöslichen Flocken fängt schon bei 35°—40° an. Die interessanteste Eigenschaft des Pressaftes besteht darin, dass er imstande ist, Kohlenhydrate in Gärung zu versetzen. Beim Mischen mit dem gleichen Volum einer Rohrzuckerlösung tritt nach "/,„—1 Stunde regelmässige Kohlensäureentwicklung ein, die tagelang andauert. Ein Zusatz von spezifischen Hefegiften ‘wie Chloroform, Toluol, Natriumazoimid oder arsenige Säure verhindert die Gärung mit Pressaft nicht. Man kann also die Hefe töten, ohne ihr damit das Vermögen zu nehmen, Zucker in Alkohol und Kohlensäure zu spalten, also zu vergären. Mit der Loslösung der Gärwirkung von der lebenden Hefe hat Buchner bewiesen, dass es zur Einleitung des Gärungsvor- ganges keines so komplizierten Apparates bedarf, wie ihn die Hefezelle vorstellt. Die Gärwirkung wird vielmehr durch eine gelöste Substanz, welche eine Art Enzym ist und in die Gruppe der Eiweisskörper gehört, hervorgerufen. Buchner gab dieser Substanz den Namen „Zymase*. Bei dieser Lösung des Gärungsproblemes wurden aber auch allerlei Zweifel laut. Die Anhänger der vitalistischen Theorie glaubten, dass bei der Herstellung des Pressaftes lebende Hefe- zellen auch nach seiner Filtration in demselben anwesend sein und den Gärungsvorgang auslösen könnten, oder dass sich in demselben eine geringe Menge Plasma erhalten haben könnte, welches noch einige Zeit nach seiner Loslösung von der Zelle wirksam sei; das schnelle Verderben des Saftes spreche wohl auch dafür. Diese Einwände liessen sich aber widerlegen. Wie schon oben erwähnt, verhinderte ein Zusatz von Hefegiften (Chloroform, Toluol ete.), welche etwa vorhandene Zellen, sowie lebendes Plasma getötet hätten, die Gärung mit Pressaft durch- 5 ‚aus nicht. Bei Einhaltung einiger Vorsichtsmassregeln kann man auch den Pressaft vollständig eintrocknen, ohne dass er seine ' Gärkraft verliert. Dieser getrocknete Pressaft ist eine spröde, - gelbliche Masse, die dem trockenen Hühnereiweiss ähnelt. In der fünffachen Menge Wasser löst sie sich bei 30° bis auf einen geringen Rückstand wieder auf; nach mehrmaligem Filtrieren erhält man eine klare Flüssigkeit, welche mit einem Volum einer 75°) Rohrzuckerlösung vermischt nach 6—10 Stunden deutliche regelmässige Gasentwicklung zeigt, die tagelang andauert und zur - - Bildung einer beträchtlichen Schaumschicht führt. Das Verderben des Pressaftes, also die schnelle Abnahme seines Gärungsver- mögens findet seine Erklärung in der gleichzeitigen Anwesen- _ heit von peptischem Ferment, das die Zymase verdaut. Dieser 14 Hueo Milrath: Vorgang lässt sich dadurch verfolgen, dass mit dem Verluste der Gärkraft auch eine entsprechende Abnahme an \ gerinnbarem Eiweiss eintritt. Die gärungserregende Substanz lässt sich auch aus dem Pressaft z. B. durch Alkohol, als ein weissliches Pulver abscheiden, welches, in Wasser suspendiert, Gärung hervorruft, Man darf aber dieses Pulver nicht als Zymase ansehen; es ist vielmehr ein Gemisch von Eiweisskörpern und Fermenten, die aus dem sehr kompliziert zusammengesetzten Pressaft durch Zusatz von Alkohol herausfallen. In einem vor der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin gehaltenen Vortrage „Uber zellenfreie Gärung‘“ teilt Buchner unter anderem einiges über die Enzyme des Hefepressaftes mit. Invertin konnte zuerst nachgewiesen werden. Die Gegenwart eines Maltose und eines Glykogen hydrolysierenden Fermentes darf, da beide Kohlenhydrate durch den Pressaft in Gärung versetzt wer- den und nach den Erfahrungen Emil Fischers kaum direkt ver- gären, wohl angenommen werden. Dann scheinen Oxydasen vor- handen zu sein, wie solche G. Bertrand in vielen Pflanzensäften vorgefunden hat, wenigstens färbt sich der Pressaft bei längerem Stehen an der Luft, wahrscheinlich unter Sauerstoffaufnahme, braun. Proteolytische Enzyme hat zuerst M. Hahn im Hefe- pressaft aufgefunden, indem er dessen Verflüssigungsvermögen für Gelatine feststellte. Buchner publizierte noch in den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft mehrere Mitteilungen über die „Alko- holische Gärung ohne Hefezellen“ (zusammen mit Rud. Rapp), dann über „Zymase aus getöteter Hefe“ und „Hefepressaft und Fällungsmittel“. Buchners letzte Arbeiten liegen auf dem Gebiete der Milch- säure- und Essiggärung. Das Ergebnis der im Vereine mit J. Meisenheimer über die Milchsäuregärung angestellten Versuche erschien 1906 in „Liebigs Annalen der Chemie“. Durch diese Versuche gelang es nachzuweisen, dass auch die Milchsäure- bakterien die Spaltung des Zuckers zu Milchsäure mit Hilfe eines von der Lebenstätigkeit der Mikroorganismen abtrennbaren Enzyms bewerkstelligen. Dieses Enzym erhielt den Namen Milchsäure- bakterienzymase. Diese Bezeichnung soll die vermutlich nahen Beziehungen jenes Stoffes zu dem Zymase genannten Enzym der Hefezellen andeuten, welches in der ersten Phase der alko- holischen Gärung Zucker in Milchsäure verwandelt. Die Milchsäure wird dann in der zweiten Phase in Kohlensäure und Alkohol gespalten. S Gleichzeitig mit der Publikation „Über die Milchsäure- gärung“ veröffentlichte Buchner gemeinsam mit Rufus Gaunt die Nobelpreisträger von 1907. | 15 - Arbeit „Über die Essiggärung“. Schon im Jahre 1823 war Döbe- _ reiner zur richtigen Auffassung des chemischen Vorganges bei der Essiggärung gelangt; er erkannte, dass der Alkohol Sauer- stoff aufnimmt unter Bildung von Essigsäure und Wasser, und dass dabei keine oder fast keine Kohlensäure entsteht. Zur Essig- gärung Schienen nur drei Bedingungen nötig zu sein: Weingeist, Sauerstoff und, da sich reine Alkohol-Wassermischungen an der Luft nicht säuern, ein Körper, welcher den Sauerstoff verdichtet und auf den Alkohol überträgt. Als eine solche Substanz glaubte Berzelius besonders die Essigsäure selbst betrachten zu müssen. Er hatte die Beobachtung gemacht, dass die bei Beginn der sauren Gärung gebildete Essigsäure sehr viel zur Beschleunigung des Gärungsprozesses beiträgt. Nachdem es nun Buchner gelungen war, die alkoholische Gärung des Zuckers durch Hefe als Wirkung eines abtrennbaren Enzymes nachzuweisen, schien es wahrscheinlich, dass Gleiches auch für die Essiggärung möglich sei. In der Tat konnten auch - Buchner und Meisenheimer berichten, dass durch Eintragen von Bieressigbakterien in Azeton ein wirksames Dauerpräparat er- halten wird, welches bei Luftzuleitung Alkohol unter Bildung von Essigsäure oxydiert. Die weiteren Versuchsergebnisse Buchners - und Gaunts vermochten nun den Beweis zu liefern, dass die Essigbakterien ihre oxydierende Wirkung der Gegenwart eines - Enzymes, einer Oxydase, verdanken; diese erhält den Namen Alkoholoxydase. Die Oxydationswirkung der Daueressigbakterien - konnte auch für den an Stelle von Athylalkohol verwendeten _ Propylalkohol festgestellt werden. Um aus den Essigbakterien das Dauerpräparat zu erhalten, werden dieselben in Azeton ein- getragen. Die Hauptmenge des Azetons wird hierauf von den Bakterienmassen abgegossen; dann werden sie abgesaugt und im - Vakuum getrocknet. Auf diese Weise erhält man ein hellbraunes Pulver, welches eine grössere Anzahl von Enzymen enthält. —— -8o konnte Buchner nicht nur für die alkoholische, sondern auch für die Milchsäure- und Essiggärung den Nachweis erbringen, dass diese Prozesse nicht durch Spaltpilze selbst, sondern durch in in den Mikroorganismen enthaltenes Enzym, hervorgerufen erden. In dem Kampfe der chemischen gegen die vitalistische Gärungstheorie führte Buchner, Dank seinen unermüdlichen For- schungen, die chemische Anschauung zum Siege. 16 II. Albert A. Michelson, der Träger des Nobelpreises für Physik. Von Dr. E. Weiss. Der Name des diesjährigen Trägers des Nobelpreises für Physik, Albert A. Michelson, dürfte wohl nicht so allgemein be- kannt sein, wie der-eines Röntgen, Öurie oder Ramsay, die durch ihre sensationellen Entdeckungen die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich gelenkt haben. Nichtsdestoweniger muss es aufs Freudigste begrüsst werden, dass auch solche Männer die höch- sten Auszeichnungen erlangen, deren zielbewusste Arbeit die Mittel geschaffen hat, in schwer zugängliche Gebiete tiefer ein- zudringen und vorhandene Theorien durch neue Resultate zu stützen. Dies gilt in hohem Masse vom ausgezeichneten For- scher Albert Abraham Michelson, der am 19. Dezember 1852 zu Strelno, einer kleinen Stadt Posens, geboren wurde Er kam schon in jungen Jahren (1869) nach Amerika, wo er durch lange Zeit als Unteroffizier der Marine der vereinigten Staaten diente, um dann an der Naval Academy zu Annapolis als „Instructor in Phys. & Chem.“ angestellt zu werden. Später bekleidete er die- selbe Stelle in New-York und Washirgton; 1881 wurde er Lehrer der Physik an der „Case School of Appl. Sciences“ in Cleveland und kam 1889 als Professor der Physik an die Clark-University in Worcester. Seit 1893 gehört er als Professor der Physik der Universität Chicago an und wurde, wie erwähnt, am 10. Dezem- ber 1907 in Stockholm durch die Verleihung des Nobelpreises für Physik ausgezeichnet. Michelsons Arbeiten beziehen sich fast ausschliesslich auf das Gebiet der Optik. In einer der ersten (1879) beschäftigt er sich mit der genauen Messung der Lichtgeschwindigkeit. Es gelang ihm, die Methode von Foucault wesentlich zu verbessern, indem er durch sinnreiche Anwendung oftmaliger Reflexion den Abstand des fixen Spiegels vom rotierenden bedeutend vergrösserte und so die Genauigkeit dieser Methode auf ungefähr das 200 fache der von Foucault erzielten erhöhte. Dadurch wurde es ihm mög- lich, die Lichtgeschwindigkeiten in Luft und Wasser zu ver- gleichen und er fanl das bemerkenswerte Resultat, dass dieses Verhältnis genau übereinstimmt mit dem Brechungsquotienten des Wassers, wie dies die Theorie fordert. In neuerer Zeit hat Michelson diese Methode noch dadurch verbessert, dass er sie mit der Fizeauschen (rotierendes Zahnrad) kombinierte. Aus der ersten Zeit stammt auch eine Arbeit über den Einfluss einer Bewegung des Mediums auf die Lichtgeschwindig- keit in demselben. Er mass im Verein mit Morley das Verhält- Nobelpreisträger von 1907. 17 nis der Lichtgeschwindigkeiten in strömendem Wasser, wenn das Licht einmal im Sinne der Bewegung und dann entgegengesetzt - durch das Wasser ging, und er konnte die Übereinstimmung - seiner Versuche mit der von Fresnel gefundenen Formel SR a n?—1 R “ ERERUF - nachweisen, in der v die Geschwindigkeit des Mediums, » den Brechungsquotienten und «u die Geschwindigkeit bedeutet, mit der die Strahlung in der Bewegungsrichtung fortgeführt wird. | 1887 begann er (wieder mit Morley) Untersuchungen über die relative Bewegung der Erde und des Athers, um die Unbe- __ weglichkeit des letzteren nachzuweisen; doch sind seine diesbe- * züglichen Versuche noch nicht von entscheidender Bedeutung. E Seine späteren Arbeiten befassen sich hauptsächlich mit Interferenz und Spektroskopie, deren experimentelle Hilfsmittel er zu verfeinern suchte. Es gelang ihm, ein Gitter zu kon- struieren, bei dem sofort Spektren höherer Ordnung entstehen. Bekanntlich liefert ein gewöhnliches Beugungsgitter eine ganze Reihe von Spektren, die man als Spektra erster, zweiter, dritter ‚usw. Ordnung bezeichnet, je nachdem der Gangunterschied der interferierenden Strahlen ein, zwei oder drei Wellenlängen be- trägt. Je grösser die Ordnungszahi des Spektrums ist, umso länger ist es, umso detailreicher, aber auch umso lichtschwächer. Dieser letzte Nachteil ist in dem von Michelson konstruierten Stufengitter vermieden: er legte eine Reihe (30 Stück) plan- paralleler Glasplatten von gleicher Dicke (zirka 20 mm) derart - übereinander, dass eine jede derselben gegen die vorhergehende ein wenig (0°5 mm) verschoben war. Fällt auf ein solches Gitter _ ein Bündel Lichtstrahlen, so wird wegen der kleineren Wellen- länge im Glase zwischen zwei benachbarten Strahlen ein Gang- unterschied entstehen, der in diesem Fall einige zehntausend Wellenlängen beträgt. Daher ist auch die Ordnungszahl des - Spektrums gleich einigen Zehntausend. Da aber die Spektren _ höherer Ordnung einander in immer höherem Masse überdecken, E» kann man mittels dieses Stufengitters immer nur ein eng be- - grenztes Spektralgebiet, dieses allerdings sehr genau untersuchen. . Es eignet sich daher vornehmlich dazu, einerseits noch in ein- ER zelnen Spektrallinien Details wahrzunehmen, andrerseits die Ver- - schiebung dieser Linien im magnetischen Felde (Zeemann-Efiekt) 5 zu beobachten. Noch weiter als mit dem Stufengitter Kommt man mit einem von Michelson (im Vereine mit Morley) kon- = E knierten Interferenzrefraktometer, bei dem man einen Gang- - unterschied bis zu 500.000 Wellenlängen erzielt; dieses besitzt . allerdings einen viel komplizierteren Bau und ist auch schwieriger ir I hal nat Mn In aa Klein Sllle 2 DH Bu SE Ta ärr ze RT - 2 - 18 Dr. E. Weiss: Nobelpreisträger von 1907. zu behandeln. Seine Wirkungsweise ist im wesentlichen fol- gende: Auf eine planparallele Glasplatte ? fällt ein Lichtstrahl unter 45° schief auf. Er durchsetzt zum Teil die Platte /, zum Teil wird er an der Oberfläche reflektiert. Der erste, die Platte durchsetzende Strahl wird von einem Spiegel s, in sich selbst reflektiert und gelangt durch Reflexion an der Platte P ins Auge des Beobachters. Der zweite wird vom Spiegel s, in sich re- flektiert und gelangt nach Durchsetzung der Platte ebenfalls nach A, wobei er mit dem ersten Strahl interferiert. Man kann, indem man den Spiegel s, nähert (oder entfernt), den Weg, den der eine Strahl vor der Interferenz zurücklegt, verkleinern (oder vergrössern) und so den Gangunterschied verändern, was man an der Aufeinanderfolge von Licht und Dunkelheit in A wahrnimmt. 33 24 Zählt man nun einerseits diese Aufeinanderfolgen ab und misst andrerseits die Grösse der Verschiebung von s, im Metermass, so ergibt sich eine einfache Beziehung zwischen Wellenlänge und Meterlänge. Diesen Gedanken führte Michelson in einer umfang- reichen Arbeit aus, die er 1393 mit Benoit im internationalen Bureau der Masse und Gewichte bei Paris unternahm. Er ver- folgte damit den Zweck, ein neues, unveränderliches und immer wieder herstellbares Normallängenmass, nämlich die Lichtwellen- länge einer bestimmten Spektrallinie, einzuführen. Auf diese Weise fand er beispielsweise die Beziehung 1m =. 1:593.4163 3%; wobei 4, die Wellenlänge der roten Kadmiumlinie bedeutet. Ausser diesen wichtigsten Arbeiten hat Michelson noch eine Reihe kleinerer veröffentlicht, in denen er sich hauptsächlich mit der Anwendung der Interferenzmethoden auf astronomische Messungen (Durchmesser der Jupitermonde, der Fixsterne etc.) beschäftigt. 19 Sitzungsberichte. 2 E Monatsversammlung vom 18. November 1907. ‘Nach Begrüssung der Versammlung seitens des Vorsitzen- - den Prof. Dr. Spitaler spricht Dr. O. Adler — nach einer Ein- leitung von Ing. Girth die Hochbahnen betreffend — über Die Bergkrankheit. M. H. Im Laufe des vergangenen Sommers wurde auf dem Col d’Olen am Südabhange des Monte Rosa ein Höhenlaborato- rium eröffnet. Dieses Laboratorium war über Anregung des Physiologen Angelo Mosso unter Mithilfe fast aller Kulturstaaten erbaut worden und ist als eine internationale Pflegestätte für das Höhenstudium gedacht, nicht zumindest auch zum Studium der Bergkrankheit. Sie können vielleicht schon daraus entneh- _ men, dass den physiologischen und pathologischen Veränderungen _ unter dem Einflusse des Hochgebirges und im speziellen auch - der Bergkrankheit eine gewisse allgemeine Bedeutung zukommt. Es mag vielleicht paradox erscheinen, von einer eigenen - Bergkrankheit zu sprechen, zumal seit alters her die Region des Hochgebirges als relativ frei von krankmachenden Einflüssen gilt. - Und in der Tat, die grössten Feinde der menschlichen Gesund- heit, ich könnte vielleicht auch sagen, die kleinsten Feinde, die 3 pathogenen Bakterien, finden sich auf hohen Bergen nur in ge- ringer Zahl. 3 Nichtsdestoweniger gibt es im Hochgebirge eine Reihe be- - sonders charakteristischer Faktoren, die unter gewissen Umstän- den zur Schädigung der menschlichen Gesundheit führen können. 3 Von diesen will ich ihnen einige anführen: Als eine der auffallendsten Eigentümlichkeit des Hochgebirgsklimas erschienen _ mir stets die krassen Temperaturdifferenzen zwischen ganz nahe _ beieinanderliegenden Stellen. So kann es vorkommen, dass man bei einer Bergwanderung im Schatten ein lebhaftes Kältegefühl empfindet und gleich nachher beim Umbiegen um einen Felsgrat _ auf der Sonnenseite ganz ausserordentlich unter der Wirkung 3 der Sonnenstrahlen zu leiden hat. N. Zuntz und seine Mit- _ arbeiter beobachten auf der Monte Rosaspitze (4560 m) eine _ Schattentemperatur von —14°, während gleichzeitig in der Sonne - mit dem Solarthermometer eine Temperatur von +53° gemessen wurde.') E- 1) N. Zuntz, A. Loewy, F. Müller, W. Caspari, Höhenklima u. Berg- _ wanderungen 1906 S. 45. 20 ' Sitzungsberichte. Weit häufiger als die grossen Temperaturdifferenzen kann die grosse Menge wirksamer Strahlen, welche das Auge und die Haut des Menschen im Hochgebirge treffen, zu Schädigungen der Gesundheit führen. Die Intensität der Sonnenstrahlung macht sich gewöhnlich durch die rasch auftretende Pigmentie- rung der dem Sonnenlichte ausgesetzten Körperstellen bemerk- bar, es kann aber in weiterer Folge bei empfindlichen Menschen zu äusserst schmerzhaften Entzündungen der Haut kommen. Nach andauernden Gletscherwanderungen kann die Netzhaut des Auges durch die Fülle des vom Eise reflektierten Lichtes Ermüdungsphänomene zeigen, ja, es sind sogar Fälle von Er- blindung — die sogenannte Schneeblindheit — vorgekommen. Die Störungen sind allerdings zumeist vorübergehender Art. Sehr unangenehm für das Befinden des Menschen kann sich auf hohen Bergen die Trockenheit der Luft geltend machen, Die Reizung der Haut und der Schlundorgane und die Augen- entzündungen, unter denen Acosta und seine Begleiter in den Anden littten, sollen, wie Meyer-Ahrens angibt, damit im Zu- sammenhange stehen. Güssfeld macht diesbezüglich eine char- akteristische Bemerkung: „.... am liebsten streckte ich mich lange aus und hielt den Mund dicht über den Schnee, hier hatte die Luft mehr Feuchtigkeit. Höchstwahrscheinlich wirkt die dünne, trockene Luft verderblicher auf den Organismus, als feuchte unter diesen Umständen.“?) Die bisher angeführten Momente haben, wenngleich sie in konkreten Fällen disponierend wirken können, mit der eigent- lichen Atiologie der Bergkrankheit nichts zu tun. Wir wollen nun unser Augenmerk auf eine Tatsache rich- ten, die für das Hochgebirge ganz besonders charakteristisch ist: der niedrige Luftdruck. Seit den ältesten Reiseberichten immer wiederkehrend finden sich die Klagen der Hochtouristen über die „dünne Luft“. Man ist schliesslich dazu gekommen, den rein mechanischen Faktor der Luftdruckerniedrigung für die krank- haften Veränderungen bei Hochgebirgswanderungen verantwort- lich zu machen und ist auf diese Weise zur sogenannten mecha- nischen Theorie der Bergkrankheit gelangt. Man hatte sich die Vorstellung gebildet, dass infolge des abnorm geringen Luft- druckes, der auf der äusseren Bedeckung des Körpers laste, das Blut von den inneren Organen gegen die Peripherie gedrängt werde, und dass diese Gleichgewichtsstörung im Zirkulations- apparate, also einerseits zur Blutanstauung in der Peripherie und andererseits zur Anämisierung der inneren Organe führe. Nament- 2) Zit. n, Beller, Mager, v. Schrötter, Luftdruckerkrankungen mit bes. Berücksichtigung d. sog. Caissonkrankheit. Wien 1900. Sitzungsberichte. 21 lich die Blutungen, die schon von Acosta, in späterer Zeit von - Humboldt u. a. beobachtet wurden, liessen sich nach dieser An- - schauung scheinbar erklären, indem das in der Peripherie ange- - häufte Blut zu Zerreissungen der Gefässe führen könne, insbe- sonders an empfindlichen Stellen, z. B. am Zahnfleisch oder an der Bindehaut des Auges. e Eine einfache Überlegung führte dazu, dass die mechani- - sche Theorie in dieser Form nicht aufrechterhalten werden kann. Es ist übrigens bemerkenswert, dass die Hauptstütze für diese Theorie, die Blutungen, bei den Expeditionen der neueren Zeit kaum mehr beobachtet wurden. Bevor ich aber die gegenwärtig von der grossen Mehrzahl der Forscher (N. Zuntz, A. Loewy, Franz Müller, W. Caspari, H. v. Schrötter u. a.) angenommene Theorie der Bergkrankheit erwähne, erscheint es mir wünschenswert, einiges über das Wesen dieses Krankheitszustandes mitzuteilen. Die Kenntnis von der Bergkrankheit reicht ziemlich weit - zurück. Der Jesuitenpater Acosta hat sie im 16. Jahrhundert zum erstenmale genauer beschrieben. Auf seinen Reisen in den Anden in Südamerika, besonders bei der Übersteigung des _ Pariacacapasses in der Höhe von etwa 4500 m empfand Acosta heftiges Übelbefinden, das sich schliesslich zu blutigem Erbrechen steigerte, er litt an Schmerzen im Schlunde und an Diarrhöen. Auch seine Begleiter hatten unter dem Einflusse der Höhe schwer zu leiden, ja, einige vermeinten zugrunde gehen zu müssen und verlangten die Sterbesakramente. Später beschreibt A. v. Hum- _ _ boldt anlässlich der Besteigung des Chimborazo in den Anden in der Höhe von 5800 m ähnliche Beschwerden, dazu gesellten sich bei ihm noch auffallendes Schwächegefühl, kaum erträgliche Atemnot, Nasenbluten und Blutungen aus dem Zahnfleisch und der Bindehaut des Auges. Auch Pöppig machte in den Anden in der Höhenstadt Cerro de Pasco ähnliche Beobachtungen, er erwähnt ausserdem noch Pulsbeschleunigung und die ungeheuere Apathie, die sich seiner in der Höhe von 4350 m bemächtigte. In Europa wurde die Bergkrankheit namentlich durch den Physiker Saussure bekannt; er gilt gewöhnlich als der erste Er- zwinger des Montblanc, wenngleich Dr. Paccard mit dem Führer Balmat die ersten waren, die wirklich zur Spitze dieses Berges gelangten. In der Nähe des Montblancgipfels wurde Saussure von heftigen Beschwerden ergriffen: quälendste Atemnot und un- widerstehliche Müdigkeit waren die hervorstechendsten Merkmale seines Zustandes. Zudem litt er an Herzbeschwerden, Klopfen - der Arterien im Kopfe, Störungen des Gesichtsinns, namentlich an Dunkelsehen. Nach wenigen Schritten musste er vor Er- 'schöpfung immer wieder stehen bleiben oder sich niedersetzen, 22 Sitz ungsberichte. um Atem zu holen. Bei völliger Körperruhe liessen die Be- schwerden fast gänzlich nach, und er fühlte sich relativ wohl. Aber schon die geringste Tätigkeit führte wiederum die Beschwerden herbei. So beobachtete Saussure, dass schon das Ablesen der Instrumente genügte, um die Symptome zu steigern und zwar deshalb, weil man bei scharfer Beobachtung unwill- kürlich den Atem anhält. Eine analoge Beobachtung machte Conway, der in Beglei- tung des Führers Zurbriggen im Himalaja bis zu Höhen von ungefähr 7000 m gelangte. Er schreibt: „Wir mussten stetig atmen; das geringste Anhalten des Atems, wie es unwillkürlich beim Ablesen der Instrumente eintritt, rächt sich sofort.°) Hierher gehört auch die Beobachtung, die v. Tschudi in der Höhe von 4500 m machte. „Ich zeichnete* —- berichtet v. Tschudi — „liegend die Notizen in mein Tagebuch ohne be- - sondere Beschwerden. Kaum setzte ich mich aber auf, um eine Papierzigarre zu drehen, so traten wieder Herzklopfen und hef- tiges Pulsieren der Arterien ein.“ Auch Sven v. Hedin schreibt anlässlich seiner Wanderung über den Arka-tag: „Man muss sich in dieser-dünnen Luft vor Laufen und überhaupt jeder Art Anstrengung hüten. Unser Herz und unsere Lungen eignen sich nicht dafür.“ Es ist ungemein charakteristisch für die Symptome der Bergkrankheit — Müdigkeit, Atemnot, Herzklopfen, Muskel- schmerzen — dass die Mehrzahl derselben bei absoluter Körper- ruhe nachlassen. Während z. B. die Müdiskeit, die wir im Tieflande nach grossen Anstrengungen fühlen, gewöhnlich lange anhält, lässt das bei den reinen Formen der Bergkrankheit be- stehende Gefühl von Müdigkeit und Erschöpfung während der Rast fast augenblicklich nach, freilich, um nach ein paar Schritten mit erneuter Heftigkeit wieder einzusetzen. .Es könnte einer meinen, die Höhenkrankheit sei überhaupt durch nichts anderes hervorgerufen als durch exzessive körperliche Anstrengung. Das ist nun nicht der Fall. Hier stehen uns die Erfahrungen zu Gebote, die auf den amerikanischen Gebirgsbahnen gemacht wurden, wo Personen passiv in Höhen von 4 bis 5000 m befördert werden. Bei völliger Körperruhe treten bei den meisten Passagieren keine er- heblichen Beschwerden auf, doch schon bei der geringsten kör- 'perlichen Tätigkeit kommt es bei vielen zu mehr oder weniger ausgesprochenen Erscheinungen der Bergkrankheit. Hier will ich auch die klassische Bergfahrt auf den Mont- blanc erwähnen, die der Physiker Janssen ausgeführt hat. Jans- °) Zit. n. Heller, Mager, Schrötter, Luftdruckerkrankungen S. 59. Sitzungsberichte. 23 sen hatte die Absicht, das Vorhandensein von Sauerstoff in der Sonne auf spektroskopischem Wege mit Sicherheit nachzuweisen. Bu 30,5 Bl du ba Man Ba An a ln 0 I 7 a An aan na ee can FE ATEENT, & Zus N wi hr h ) a > Ela jäe: 2 CHAT 1} TEN RENTEN ORLUN. 5 ed KNIE, 1 WILL ‚A er we. bi Bu . BR EN Da ihn aber im Tieflande der Wasserdampf der Atmosphäre störte, fasste_er den Plan auf dem Gipfel des Montblanc ein ' Observatorium zu errichten, um dort ungestört seine Unter- suchungen durchführen zu können. Janssen liess sich von zwölf Führern und Trägern in einem Schlitten zum Gipfel des Mont- blanc hinaufziehen. An einem schroffen Abhange schien es not- wendig, einige Schritte zu Fuss zurückzulegen; während er sich bis dahin ausserordentlich wohl gefühlt hatte, war er dazu nicht imstande. Er schreibt diesbezüglich: „Ich wollte mich erheben; aber selbst trotz übermenschlicher Anstrengung fiel ich mit dem - Antlitze in den Schnee nieder. Ich holte tief Atem und wollte den Anstieg fortsetzen, aber es war mir unmöglich, bei jedem neuen Versuch fiel ich wieder zusammen. Meine Führer sahen wohl, dass sie mich mit dem Schlitten weiter fortziehen mussten.“ *) Dass nach beträchtlichen Körperanstrengungen die ersten Anzeichen der Bergkrankheit schon in geringen Höhen auftreten können, ist oft beobachtet worden und lehrt mich auch ein Bei- spiel der eigenen Erfahrung. Während ich mich auf dem Gipfel des Eggishorns, auf den ich ohne Anstrengung gelangte, da ich in der Höhe von 2000 m mein Quartier hatte, vollkommen wohl fühlte, beobachtete ich auf der Dreisprachenspitze, also in etwas geringerer Höhe unzweifelhafte Anzeichen beginnender Bergkrank- _ heit. Die grosse körperliche Anstrengung war dadurch bedingt worden, dass ich eines Rekkords halber die Strecke von Trafoi * zum Stilfser Joch stellenweise nahezu im Laufen zurückgelegt Eohatte. Im allgemeinen schwinden beim Aufenthalte im Hochge- birge die Zeichen der Bergkrankheit nach Verlauf einiger Tage vollkommen. Freilich wird berichtet, dass in den Hochländern Südamerikas kein Eingewanderter während des ersten Jahres seine voile Kraft zu gebrauchen vermag. Während sich die An- kömmlinge in der dünnen Luft der hochgelegenen Orte in den - Anden furchtbar elend fühlen und kaum in den Strassen zu gehen imstande sind, sollen z. B. in Potosi die eingeborenen Mädchen unentwegt ganze Nächte durchtanzen.®) Ja, in manchen Gebirgs- gegenden Zentralasiens ist den Eingeborenen die Bergkrankheit _ ganz unbekannt. Es soll vorkommen, dass die eingeborenen Begleiter, wenn ein Reisender von der Bergkrankheit befallen wird, in dem Glauben, er sei von bösen Dämonen ergriffen wor- %) Vgl. Heller, Mager, v. Schrötter S. 69. 5) Vgl. Heller, Mager, v. Schrötter S. 146. 24 Sitzungsberichte. den, in wilder Flucht dem Tale zueilen, den Fremden seinem Schicksale überlassend. Während der Ausgang der Bergkrankheit fast immer ein günstiger ist, sind doch auch eine Anzahl von Todesfällen zur Beobachtung gelangt. So erwähne ich den Tod des Arztes Dr. Jacottet in der Vallothütte auf dem Montblanc. Nach einer unruhig verbrachten Nacht beklagte sich Dr. Jacottet am näch- sten Morgen über Unwohlsein und Kopfschmerzen. Im Laufe des Nachmittags verschlimmerte sich der Zustand. Ingenieur Imfeld, der die Fundierungsarbeiten für das Janssen-Observato- rium leitete und der den Sterbenden pflegte, schreibt über die letzten Stunden: „Gegen 3 Uhr stellte sich Schüttelfrost ein; die Kräfte nahmen ab; ich beobachtete Lähmungserscheinungen an Hand und Zunge, seine Rede machte den Eindruck geistiger Trübung. Zu wiederholtenmalen liess ich den Patienten Sauerstoff einatmen, der anfänglich vorübergehende Linderung zu bereiten schien, später aber ganz wirkungslos blieb. Nach 5 Uhr verlor er das Bewusstsein. Lungenödem ent- wickelte sich rasch, und so entschlief er 2 Uhr nachts.“ Einen Todesfall an Bergkrankheit finde ich bei Sven v. Hedin erwähnt: „Ein Andischaner Kaufmann, der sich aus eigenem Antriebe in mein Lager (in Temirlick, Tibet) begeben hatte, um dort Ge- schäfte zu machen, starb an der gewöhnlichen schweren Berg- krankheit und wurde unter den üblichen Zeremonien begraben.“ Aus Südamerika werden ebenfalls eine Anzahl von Todes- fällen an Bergkrankheit berichtet. Auch Tiere erliegen nicht selten der Bergkrankheit. Nach v. Tschudi sind alle Versuche, Katzen in der Stadt Cerro de Pasco in der Höhe von 4295 m zu halten, gescheitert; die Katzen gehen in kurzer Zeit unter Konvulsionen zugrunde.°) M. H. Was nun die gegenwärtig herrschende Theorie der Bergkrankheit betrifft, so hat ein eingehendes Studium der im Hochgebirge auftretenden pathologischen Veränderungen in Über- einstimmung mit den experimentellen Untersuchungen, besonders im pneumatischen Kabinett zu dem Schlusse geführt, dass es der Sauerstoffmangel ist, den wir als die eigentliche Ursache der Bergkrankheit anzusehen haben. Zum Teile ist es der Sauer- stoffmangel direkt, zum Teile die dadurch hervorgerufenen ab- normen chemischen Vorgänge im Körper, die die geschilderten Erscheinungen auslösen. Die Theorie von Mosso, die den Mangel an Kohlensäure und den dadurch bedingten Ausfall an Atmungs- 6) A. v. Humboldt, Ansichten der Natur S. 69 (Cottasche Ausgabe). Sitzungsberichte. 25 reizen als Ursache des pathologischen Zustandes annimmt, hat ein allgemeine Anerkennung nicht erlangt. Die Bergkrankheit hat in ihren Symptomen manches Ge- meinsame mit einer auch in unseren Gegenden häufigen Krank- heit. Ich denke an gewisse Formen der Anämie. Nicht selten hören wir von Anämischen- Klagen über Müdigkeit, abnorme Schläfrigkeit, Unlust zu körperlicher Tätigkeit, über Herzbe- schwerden, Störungen im Bereiche des Gesichtssinns u. a. Das pathologisch veränderte Blut vermag den Organen nicht die hin- reichende Menge Sauerstoff zuzuführen und die Zellen leiden ebenso wie bei der Bergkrankheit an Sauerstoffmangel. — Durch die Forschungen der neueren Zeit haben wir ohne ‚Zweifel einen Einblick in das Wesen der Bergkrankheit erlangt. Aber viele Probleme harren noch der Lösung. Die experimen- tellen Forschungen im Tieflande können hier nicht ausreichen. Deshalb ist die eingangs erwähnte Gründung des Höhenlabora- toriums auf dem Col d’Olen, das durch seine günstige Lage als Ausgangspunkt zahlreicher wissenschaftlicher Expeditionen dienen wird, freudigst zu begrüssen. Diskussion: Prof. Dr. Johannes Gad. Der Herr Vortragende hat mit Recht hervorgehoben, dass man aus der unzureichenden Versorgung des Blutes und der Körpergewebe — namentlich des Herzmuskels und des Zentral- = nervensystems — mit Sauerstoff die fatalsten Erscheinungen der Bergkrankheit zu erklären vermag. Es ist dies der Standpunkt, welchen die Physiologen im allgemeinen schon seit den balın- brechenden Arbeiten Paul Berts aus den siebziger Jahren über - die Wirkung veränderten Sauerstoffdruckes eingenommen haben. EAN Wenn das Blut auch imstande ist, bei geringem Partiärdruck des Sauerstofies sich mit diesem zu sättigen, so tritt die Sauer- stoffaufnahme in das Blut bei niedrigem Druck doch langsamer ein, ja bei gewisser Druckerniedrigung so langsam, dass das die Lungengefässe schnell durchfliessende Blut aus einer ungenügend wentilierten Lunge nicht genug Sauerstoff zur Versorgung der lebenswichtigsten Organe erhält, deren Sauerstoffbedürfnis ausser- _ dem mit der Körperanstrengung wächst. Bei Körperruhe ist das Sauerstoffbedürfnis kleiner und die Geschwindigkeit des Blut- stromes in den Lungen geringer; auch bei geringem Partiärdrucke des Sauerstoffes auf Bergeshöhe reicht dann die gewöhnliche Lungenventilation aus. Wenn diese aber gesteigert werden soll, so tritt eine Schwierigkeit ein, welche von G. v. Liebig ange- 9 ee ac A > A, 26 Sitzungsberichte. deutet, von mir etwas umgedeutet worden ist.') Dass die äussere Lungenfläche der Innenfläche des Brustkorbs anliegt und auch. bei tiefer Einatmung anliegen bleibt, obgleich die Lunge mit er- heblicher Elastizität sich zu verkleinern strebt, liegt am Luftdruck, welcher — mit gleicher Kraft aussen und innen wirkend — die Lungenwand gegen die Brustwand drückt. Dieser Druck erfolgt aber nicht mit der ganzen barometrischen Stärke, sondern mit dieser, verringert um den elastischen Zug des Brustkorbes nach aussen, der Lungen nach innen. Mit zunehmender inspiratori- scher Lungenerweiterung und abnehmendem Barometerdruck, nimmt .also die Kraft, mit welcher die Lungenwand gegen die Brustwand gedrückt wird, ab und hiergegen scheinen wir emp- findlich zu sein. Wenn wir im Flachlande absichtlich sehr tief einatmen, so spüren wir ein unbehagliches Gefühl in der Brust - und erfahrungsgemäss ist die Atmung bei der Bergkrankheit ver- flacht und wird als erschwert empfunden. Jede Körperbewegung bei geringem Partiärdruck des Sauerstoffes fordert behufs besserer Ventilation der Lunge und des Blutes Vertiefung der Atmung, der geringe allgemeine Luftdruck tritt dem aber auf die ange- gebene Weise entgegen und wenn, dem Bedürfnis folgend, doch tiefer geatmet werden soll, so geschieht es mit unangenehmen, wegen ihrer Ungewohntheit wahrscheinlich auch suggestiv be- ängstigend wirkenden Sensationen. Nicht alle Erscheinungen der Bergkrankheit sind also unter alleiniger Berücksichtigung des geringen Partiärdruckes des Sauerstoffes zu verstehen, dem ge- ringen allgemeinen Luftdruck kommt vielmehr auch sein Teil zu. Prof. Dr. Spitaler erinnert an die Beobachtung merkwürdiger psychischer Erscheinungen bei Ballonfahrten in bedeutende Höhen. Dr. K. Schneider berichtet über der Bergkrankheit ähn- liche Erscheinungen, die er anlässiich einer Besteigung des Vesuvs an seinen Begleitern zu beobachten Gelegenheit hatte. II. Biologische Sektion. XXVII Sitzung am 12. November 1907. Anatomisches Institut, 8, Uhr: 1. Prof. Dr. Münzer: „Demonstration seines Apparates zur Messung des Blutdruckes.“ 2. Dr. Langhans: Kritisches Referat über einen Aufsatz von Prof. Capparelli: „Ein physikalisch-chemisches Phänomen und seine Anwendung in der Biologie.“ Mit Demonstration. Capparelli hat ein Glasröhrchen von 0'9 mm Durchmesser, in welchem Blut- !) G. v. Liebig du Bois-Reymonds Arch. 1879 S. 284, 1880 S. 126. — J. Gad, ebenda S. 393. RENTEN UNE TE Te %; Sitzungsberichte. 27 serum durch Kapillarität 23 mm hoch aufgestiegen war, in destil- liertes Wasser eingetaucht. Im Momente der Berührung trennt sich ein Ring vom Serum los, der senkrecht mit einer sehr feinen, röhrenförmigen Säule des Serums in das destillierte Wasser sich vertieft, während zugleich Wasser in kontinuierlicher Säule im Zentrum des Kapillarröhrchens, welches das Blutserum ent- hält, als dünner Faden aufsteigt und erst, wenn es die Ober- fläche des Serums erreicht hat, sich ausbreitet und die Kapillar- röhre in ihrer ganzen Breite füllt. Gleichzeitig sinkt das Serum, das während des Aufsteigens des destillierten Wassers noch die Wand des Kapillarrohres bedeckte, allmählich aus dem Rohr heraus, so dass schliesslich das Kapillarrohr nur mehr destil- liertes Wasser enthält. Dasselbe beobachtete Capparelli bei Ver- wendung von Gummi- oder NaCl-Lösung an Stelle des Serums. Die Erscheinung soll nach Capparelli ein neues, noch unbekanntes Phänomen sein, das nach seiner Meinung eine grosse Bedeutung für die Erklärung vieler bisher unaufgeklärter biologischer Tat- sachen besitzen soll. Er nennt sie „Substitutionsphänomen“. Referent wies nach, dass es sich hier keineswegs um ein neues Phänomen handelt, sondern lediglich um das Aufsteigen einer spezifisch leichteren in einer spezifisch schwereren Flüssig- keit, wobei natürlich Viskosität und Diffusionsfähigkeit eine ge- _ wisse Rolle spielen. Capparelli hat bei seinem Erklärungsversuch f #, a a TE er er te das spezifische Gewicht ganz vernachlässigt. XXIX. Sitzung am 19. November 1907. Physiologisches Institut, 8'/, Uhr. 1. Dr. Lieben: Über die glatte Muskulatur der Tunica dartos ‚(mit Demonstration). Es gibt wenige Stellen, wo glatte Muskulatur der physiolo- gischen Untersuchung zugänglich ist. Der Grund liegt darin, dass die glatte Muskulatur meist so angeordnet ist, dass ihre Bündel - einander durchflechten und Netze, ja kompakte Organe bilden. - Klassische Stellen, wo die Bündel der glatten Muskulatur eine _ _Hauptrichtung haben, sind der Retractor penis (Sertoli), der Froschmagen (Paul Schultz), die Membrana nictitans am Kaninchen- auge und der Detrusor vesicae der Katze (Langley u. a.). Eine sehr geeignete Stelle ist auch das Skrotum des Menschen und der höheren Säugetiere, da die Tunica dartos desselben sich von allen Seiten her kontrahieren kann und demnach ein zwischen zwei Klemmen fixiertes Stück des Skrotum graphische Darstellung ' der Kontraktionen der Tunica dartos liefert. Die Kurven werden so gewonnen, dass eine breite Klemme das Skrotum unterhalb der Peniswurzel in der Mitte fixiert, 28 Sitzungsberichte. Ä E während an den distalen Enden jeder Skrotumhälfte je eine leichte Klemme derart angreift, dass ihr Gewicht selbst für den Versuch nicht in Betracht kommt. Die gesonderte Aufnahme der Kontraktionen jeder Skrotumhälfte erweist sich notwendig, da bei der Verfolgung der Versuche zeitweilig eine Differenz bezüglich Beginn und Intensität der Kontraktionen auf beiden Seiten zutage tritt. — Von den Klemmen führt ein Faden je zu einem leicht ansprechenden Hebelwerk, so dass sich eine Kontraktion der Skrotalhälfte in einem Heben, bezw. Senken der Hebelwerke ausdrückt. \ Bei der nun folgenden Demonstration eines menschlichen Skrotums sieht man am Skrotum auf verschiedene direkte und reflektorische Reize Kontraktionen auftreten. Solche Reize sind lokal: Berühren, Kälte und Wärme. Reflektorisch erhält man eine Kontraktion vom Schenkel, Beine, von der Fussohle, ferner vom Stamme und vom äusseren Gehörgange. Elektr. Reizung des Skrotum mit einzelnen und mit tetanisierenden Schlägen haben bezüglich der Kontraktionskurve den entsprechenden Erfolg. Bei Besprechung der Demonstration wird darauf hingewiesen, dass die Kontraktionen von im Skrotum vorhandener glatter Muskulatur herrühren; dafür spricht die Form der Kurve und die Länge des Latenzstadiums. — Bezüglich der Innervation der Tunica dartos und betreffs des weiteren Verlaufes der Nerven- fasern bis etwa zur Grosshirnrinde müssen noch Versuche ange- stellt werden. Was die Funktion der Tunica dartos betrifft, hat sie einer- seits die Aufgabe, den Zug, den das herabhängende Testikel auf seine Gefässe ausübt, durch Heben desselben zu verringern, an- dererseits durch ihren Tonus einer Ausweitung des Skrotum entgegenzutreten. Sie verringert im ersten Falle die Häufigkeit des Auftretens einer Varikozele, im zweiten das Entstehen einer Hydrozele und einer Skrotalhernie. Die regelmässige heftige Kontraktion bei Einwirkung von Kälte auf das Skrotum scheint einer Abkühlung der Testikel selbst entgegenzuarbeiten. In einer anschliessenden Diskussion wird von Dr. Sobotka das Tatsachenmaterial über die Physiologie der Tunica dartos ergänzt, wornach auf die Schwierigkeit hingewiesen wird, die Wirkung von direkt und reflektorisch wirkenden Reizen auf dieses Organ auseinanderzuhalten. Diskussion: Dr. Sobotka, Dr. Löwenstein, Dr. Lieben. 2. Dr. Freund: Über Skelettmissbildungen bei Fischen. (Mit Demonstration von Photographien, Röntgenbildern und konser- vierten Präparaten.) Diskussion: Prof. Dr. Fischel, Dr. Freund. 2 la hc 083 Ye Ts Ei Te Sitzungsberichte. 29 XXX. Sitzung am 26. November 1907. I. med. Klinik, S'/, Uhr. Dr. Gross: Referate: a) Über eine neue Methode der supra- symphysären Entbindung, von Frank in Köln. In der Diskussion stellt Dr. Wiechowski die Anfrage, ob die neue Methode zu einer Erweiterung der Indikation führe. Dr. Gross erwidert, dass Frank die Meinung ausgesprochen habe, dass sie dazu geeignet sei, die beckenerweiternden Opera- tionen einzuschränken. Doch seien noch keine Erfahrungen über das Verhalten der Narbe bei späteren Geburten und Schwanger- schaften bekannt geworden. b) Über Pubeotomie und eine neue Art derselben, die He- botomie. c) Über die neueren Bestrebungen in der Geburtshilfe, die Geburten schmerzlos zu gestalten. In der Diskussion, an welcher sich Dr. Löwy, Dr. Zupnik, - Dr. Fischer, Dr. Wiechowski, Dr. Kalmus und Dr. Gross be- teiligten, wurde die Frage nach der zulässigen Dosis der Narko- tika, die individuell verschiedene Wirkung derselben, und der Einfluss auf das Kind erörtert. d) Über einige Befunde von Van der Velde über Blasto- myzeten in weiblichen Genitalien. An der sehr lebhaften Diskussion beteiligten sich: Dr. Zupnik, Dr. Fischer, Dr. Weil, Prof. Dr. Winternitz. XXXI. Sitzung am 3. Dezember 1907. Psychiatrische Klinik, S'/, Uhr. 1. Dr. Kalmus: „Das Mikrospektroskop und der Leitzsche Opakillumator in seiner forensischen Anwendung.“ Zur Untersuchung kleinster Blutspuren wird in der gericht- lichen Medizin schon seit längerer Zeit das von Abbe angegebene Mikrospektroskop verwendet, das ich mir in seiner älteren Gestalt vorzuführnn erlaube, da mir leider kein ganz neues Instrument, wie es die Firmen Zeiss und Leitz heute liefern, zur Verfügung steht. — Dieses von der Firma Reichert in Wien stammende Mikro- spektroskop oder richtiger spektroskopische Okular von Abbe, das mir H. Prof. Dittrich heute zur Demonstration freundlicherweise - zur Verfügung gestellt hat, besteht aus einem in jedes Reichertsche ‚Mikroskop passenden Spektroskop ä vision directe mit einem der Länge und Breite nach veränderlichen Spalt und einem kleinen Prisma mit einem Reflexionsspiegel, durch welche ein Vergleichs- ‚spektrum in das Spektroskop geworfen werden kann. 30 Sitzungsberichte. Durch Auswechselung der obersten Linse des Apparates kann auch eine Skala im Apparate zur Anschauung gebracht werden. Die Einstellung geschieht, wie Sie hier sehen, in folgender Weise: Von dem zu untersuchenden Objekte, in diesem Falle eine etwa zwanzigfach verdünnte frische Blutlösung, wird eine ganz kleine Menge in einen hohl geschliffenen Objektträger ge- bracht, dann wird das Mikroskop mit schwacher Vergrösserung derart eingestellt, dass eine möglichst gleichmässige Färbung des Gesichtsfeldes erzielt wird. Sodann wird an Stelle des gewöhnlichen Okulares das Mikrospektroskop eingesetzt. Meist gelingt es schon jetzt, wie im vorliegenden Falle, die charakteristischen Streifen im Spektrum zu sehen. Doch kann man diese noch besser zur Anschauung bringen, wenn man auch das Vergleichsspektrum entwirft, wo- durch selbst feine Streifen durch den Kontrast mit dem normalen Vergleichsspektrum hervortreten. Will man die Streifen sicher identifizieren, dann kann vor das Vergleichsprisma in einem kleinen Fläschchen mit plan- parallelen Wänden diejenige Flüssigkeit gebracht werden, deren Spektrum man finden will. An diesem Spektroskopokular ist, wie schon erwähnt, auch ein kleiner Hilfsapparat anbringbar, welcher es gestattet, eine Skala in das Spektroskop zu projizieren, so dass die Lage der Absorptionsstreifen genau festgestellt event. in ein entsprechendes Schema eingetragen werden kann. Der eigentliche Zweck meiner heutigen Demonstration ist jedoch der, einen erst in letzter Zeit für medizinische Zwecke in Verwendung genommenen Apparat vorzuführen, welchen Dr. P. Fraenkel, Assistent am Institut für Staatsarzneikunde in Berlin auf der diesjährigen Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in der gerichtlich- medizinischen Sektion in Dresden ge- zeigt hat. Es ist dies ein Apparat, welcher es ermöglicht, Blut und andere Spuren auch am undurchsichtigen Objekte zu mikro- skopieren, u.z. direkt an dem Objekte selbst, ohne erst Partikelchen von der „verdächtigen“ Stelle entnehmen und sie verändern zu müssen, es ist dies der von der bekannten Firma E. Leitz in den Handel gebrachte Opakilluminator. Wie ich einer freundlichen Mitteilusg Dr. Fraenkels ent- nehme, ist der meines Wissens bisher nur für mineralogische Zwecke in Anwendung genommene Apparat zuerst von Florence im 2. Julihefte des Archives d’anthropologie criminelle 1907 für medizinische Zwecke empfohlen worden. Diese Publikation war mir in Prag bisher leider nicht zu- gänglich und ich muss mich daher heute darauf beschränken, Ihnen das mit dem Apparate zu zeigen, was Fraenkel selbst in Sitzungsberichte. 31 Dresden demonstriert hat bezw., was ich mit freundlicher Unter- _ stützung des Kollegen Doz. Dr. Kahn selbst mit dem Apparate bisher sehen konnte. : Was zunächst den Apparat selbst anbetrifft, so erlaube ich mir Ihnen hier zunächst eine Skizze desselben (Leitz’scher Katalog Nr. 79) herumzuzeigen, an welchem das wichtigste zu ersehen ist. Er besteht aus einem kurzen Metallrohr, das mit seinem oberen Schraubengewinde an jedes moderne Mikroskop (bezw. an den Revolver) nach Art eines Objektives anschraubbar ist mit seinem unteren Endein das Gewinde eines gewöhnlichen Objektives passt. Für stärkere Vergrösserung bedarf man allerdings zur Herstellung der Verbindung eines kleinen, jedem Apparate bei- gegebenen Schaltstückes, mittels welches die Linsen des starken Objektives direkt an den Opakilluminator angesetzt werden können. z An diesem Metallrohr ist nun seitlich eine runde Öffnung angebracht, in welche eine kleine Linse mit Irisblende eingesetzt ist, und in gleicher Höhe ist im Innern des Rohres eine runde planparallele Glasplatte in schwarzer Fassung eingesetzt, welche um eine horizontale Achse nach Art eines an jedem Mikroskop befindlichen Beleuchtungsspiegels beweglich ist. Diese planparallele Platte wird nun ganz ähnlich wie der ursprüngliche Helmholtzsche Augenspiegel, der ja auch nur aus durchsichtigen planparallelen Glasplatten bestand — verwendet, indem von einer starken Lichtquelle (Auerbrenner) Licht in die seitliche Öffnung auf die Platte und von da auf das auf dem Mikroskoptischehen liegende undurchsichtige Objekt geworfen wird. Zur Verstärkung des Lichtes kann zwischen Lichtquelle und Mikroskop bezw. Opakilluminator eine Beleuchtungslinse eingeschaltet werden. r Der Opakilluminator hat dem bisher für ähnliche Zwecke verwendenten Vertikalilluminator gegenüber vor allem den Vor- teil, dass er ohne weiteres an jedes Mikroskop, auch an die bei uns in Österreich gebräuchlichen Reichertsche Mikroskope Anzu- bringen ist, während es beim Vertikalilluminator immer erst ver- schiedener Adaptationen etc. bedarf, um die Objektive mit dem Apparate in Einklang zu bringen. = Die Verwendung des Apparates geschieht nun in folgender Weise; Das zu untersuchende z. B. auf Blutflecken verdächtige Objekt — ich demonstriere Ihnen hier ein von einem vor 2 Jahren erfolgten Mordattentate herrührendes Messer, das mir Herr Polizeioberkommissär Protiwenski aus dem hiesigen Polizei- museum freundlichst zur Verfügung stellte — legt man so auf den Objekttisch, dass die Blende desselben vollkommen verdeckt 115 Sr re A BES a EN RRN BP 32 Sitzungsberichte. wird — schaltet den Opakilluminator zwischen Revolver und Objektiv ein, wirft Licht in die seitliche Öffnung des Opak- illuminators und reguliert mit der Glasplatte, welche durch einen kleinen Griff von aussen beweglich ist, das Licht derart, dass das Objekt hell erleuchtet erscheint. Sobald dies geschehen ist, kann nun ohne weiteres der ver- | dächtige Fleck eingestellt werden. Im vorliegenden Falle sieht man schon mit der schwachen Vergrösserung (Reichert Okular 4 und Objektiv 3) eine grosse Menge von Blutschollen und am Rande derselben zahlreiche deutliche rundliche Körperchen, welche wohl nur als Blutkörperchen angesehen werden können. Bei stärkerer Vergrösserung (Okular 7) sind an geeigneten Stellen selbst an diesem 2 Jahre alten Blutflecken ganz deutlich einzelne Blutkörperchen zu unterscheiden, u. zw. selbst an dem trockenen unveränderten Blutfleck. Fraenkel demonstrierte dies mit Zuhilfenahme von kleinen Deckgläschen event. Befeuchtung des Fleckens mit 40°, Natron- lauge. Ich ‚glaube, dass man jedenfalls den Versuch machen soll, erst ohne alle Zusatzmittel und ohne Deckgläschen Blut- körperchen zu sehen. Erst wenn dies nicht gelingt, würde ich die bekannten Blutlösungsmittel anwenden. Wie leistungsfähig der Apparat ist, erlaube ich mir Ihnen an einem künstlich hergestellten Vergleichspräparate eine kleine Spur Froschblut, auf einem Stückchen Weissblech eingetrocknet, zu zeigen, in welchem man ganz deutlich die ovalen, kernhaltigen Froschblutkörperchen sehen kann (Demonstration). Ausser dieser Verwendung des Opakilluminators hat Fraenkel in Dresden auch die Anwendbarkeit des Apparates zur mikro- spektroskopischen Untersuchung von Blutflecken im reflektierten Lichte gezeigt. Er verwendete dazu ein verbessertes Mikrospektroskop, wie es die Firmen Zeiss in Jena und Leitz schon seit längerer Zeit herstellen. Es unterscheidet sich vor dem hier demonstrierten älteren Reichertschen Instrument durch grössere Handlichkeit, insbesondere dadurch, dass das Spektroskop einfach umgeklappt werden kann und nicht, wie bei dem vorliegenden Apparate, erst an Stelle des Okulares gesetzt werden muss. (Siehe Zeiss, Katalog Nr. 190, Leitz Katalog Nr. 102.) Bisher konnte ich mich leider, da mir kein besserer mikrosko- pischer Apparat zur Verfügung steht, nicht von der praktischen Brauchbarkeit des Opakilluminators zu diesem spektroskopischen Zwecke überzeugen, doch glaube ich Ihnen bewiesen zu haben, dass der relativ einfache Apparat bei seinem nicht hohen Preise von 25 Mk. zur mikroskopischen Untersuchung von verschie- F} E- Sitzungsberichte. 33 denen Spuren verschiedener Provenienz an opaken Objekten ge- Eis gut brauchbar ist. Weitere Versuche sollen die Verlässlichkeit und das Gebiet - seiner forensischen Anwendbarkeit feststellen. - In der Diskussion weist Dr. Adler darauf hin, dass es sehr bedenklich sei, lediglich auf Grund einer Untersuchung mit dem Vertikalilluminator eine Diagnose zu stellen. Er hält nicht ein- mal eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose für zulässig, nur ein posi- tives Resultat chemischer Proben kann einen strikten Beweis für das Vorhandensein von Blut ergeben. Ähnlich äussert sich Dr. Zupvik. Dr. Kalmus erwidert, dass der Apparat keineswegs den Zweck habe, einen einwandfreien Beweis zu erbringen. Er soll lediglich unter vorläufiger Schonung des Objektes ein Mittel an die Hand geben, um zu entscheiden, ob man überhaupt vermuten kann, dass die Flecken von Blut herrühren. 2. Dr. Kafka: Die Zellgiftigkeit des Liquor cerebrospinalis, speciell in Paralysefällen. Nach Anführung der wichtigsten Daten der Literatur über die Cytodiagnostik des Lignor cerebrospinalis, besonderer Hervor- - hebung der französischen Methode, der Rosenthal-Fuchsschen Zähl- und Fischerschen Methode, beschreibt der Redner die Mängel, - die besonders den früheren Methoden anhaften, rät während der Punktion schon dem Liquor das Fixiermittel zuzusetzen und re- feriert über Versuche, welche die Wirkung der Cytolyse illu- strieren, und aus welchen hervorgeht, dass die Schnelligkeit und Art der Zellgiftigkeit bei verschiedenen Liquores verschieden ist, und dass es hauptsächlich die Plasmazellen sind, die zuerst und in grösster Menge der Auflösung anheimfallen. Demonstration von Präparaten eines Paralytikerliquors nach verschiedener Stundenzahl, die deutlich die verschiedenen Stadien der Zellauflösung und Degeneration zeigen. An der Diskussion beteiligten sich: Dr. Weil, Dr. Fischer, _ Dr. Zupnik, Dr. Pappenheim, Dr. Moll, Dr. Wiechowski, Dr. Kafka. 3. Herr Georg Otto: Demonstration einer neuen Dunkelfeld- _ beleuchtung von Zeiss für die Untersuchung von ungefärbten ' Bakterien in lebendem Zustande (Paraboloidkondensor). Referent gieng in seinem Vortrage von der Erfahrung aus, dass die Erwartungen, welche die "Mediziner an das Ultra- _ mikroskop von Zsigmondi knüpften, überspannt waren und daher nicht erfüllt wurden. Man erwartete vom Ultramikroskop, das - lediglich zur Sichtbarmachung kleinster Teilchen dient, eine ge- steigerte Auflösung und wurde infolgedessen enttäuscht. Die Bakterien sind keine Ultramikroben. Nur war ihre Sichtbar- machung mit den alten Methoden eine schwerere. Siedentopf > I 34 Sitzungsberichte, gelang es, durch eine entsprechende Modifikation der alten Dunkelfeldbeleuchtung ohne komplizierte Vorrichtungen die Bakterien sichtbar zu machen. Der Kondeusor von Siedentopf, der an jedem Mikroskop angebracht werden kann, hat den Vor- teil, dass man nicht an elektrisches Licht gebunden ist, sondern auch bei Gaslicht arbeiten kann. Es dürfen nur Trockensysteme angewendet werden. Bei der Demonstration wurden Spirochaeten mit Zeiss Apochromat- 4 mm vorgeführt. XXXI. Sitzung am 10. Dezember 1907. Hygienisches Institut, 8', Uhr. 1. Dr. Kraus: Demonstration eines Falles von Hypospadie. 2. Dr. Lieben teilt mit, dass bei gesonderter graphischer vegistrierung der Aktionen der Tunica dartos des eben demon- strierten Falles sich gezeigt hat, dass die beiden völlig vonein- ander getrennten Hälften des Skrotum, direkt und reflekto- risch erregt, voneinander gänzlich unabhängiger Kontraktionen fähig sind. 3. Dr. Weil: Referat über eine neue Abhandlung von Dunbar in Hamburg über die Entstehung von Bakterien, Hefen und -Schimmelpilzen aus Algenzellen. Dunbar glaubt, dass sich aus jeder Algenzelle jede beliebige Form von Bakterien entwickeln kann. Ob auch jede Art, dar- über hat sich D. nicht bestimmt ausgesprochen. Die Ansichten Dunbars wurden vom Auditorium sehr skeptisch aufgenommen. In der Diskussion weist Dr. Löwenstein auf die Schwierigkeiten von Algenreinkulturen hin. Dr. Weil betont, dass Dunbar mit den allereinwandfreisten Methoden gearbeitet habe, die je einem Bakteriologen zur Verfügung standen. Es fragt sich nur, ob unsere feinsten Methoden das leisten, was Dunbar von ihnen verlangt. Nachprüfungen werden sehr schwer auszuführen sein. MIDTEIENDEDT EFIENDEENTDAEMRDAEIL TE RIERE EMIL KÖHLER, Buchbinder. PRAG IIl., Aujeza 404. 5) Aus Gelehrtenkreisen bestens empfohlen. F „BD OR FERETSRONETOLISFEERETSLONETSRONETIL IA FENETONE TIERE | RON Sr SZEIO HE SEI SEID SELD SD EA SELIDDTELG SED SEELE SELG ZELLE DELDIE “ MARIENBAD IN BÖHMEN. S StoffwechselKrankheiten: Fettleibigkeit, harnsaure Diathese, Gicht, & Y Chlorose, Diabetes. 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Bota= nisches Institut der deutschen Universität, I. Stock. Redaktionsvermerk: Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten, Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen ‚„Lotos“. — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. BAND 56 FEBER 1908 0LOTOSÜ NATURWISSENSCHAFTLICHE ZEITSCHRIFT, HERAUSGE- GEBEN VOM DEUTSCHEN NATURWISSENSCHAFTLICH- MEDIZINISCHEN VEREIN FÜR BÖHMEN „LOTOS“ IN PRAG DEXLER, H., Prof.: AUSTRALISCHE REISEBRIEFE, 1. KAHN, R.H., Doc. Dr.: BEITRÄGE z. PHYSIOLOGIE DES GESICHTSSINNES II. $ NOBELPREISTRÄGER v. 1907, III. SITZUNGSBERICHTE: I. MONATSVERSAMMLUNG, JAN. 1908. II. CHEMISCHE SEKTION. III. BIOLOGISCHE SEKTION, 33.—35. SITZUNG. IV. GEOGRAPH. SEKTION. ee TH PRAG: 1908 EI III J. G. GALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG fr _ Preis der einzelnen Nummer K 1’—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8°—, y "0a B. n SH en A an OVrSuuauauayauaaraIFTFI) . : Mineralpräparate, geschliffene - Edelsteine, Mi neral IEn, Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, mineralog. Apparate und Utensilien. . Dünuschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. Gipsmodelle seltener Fossilien, geotekto- Petrefakten, nische Modelle, Sammlungen für allgemeine Geologie. Exkursions-Ausrüstungen. Kristallmodelle one ma 00 \ s u für den geologischen und petrographischen | ® D lapositive Unterricht. Der allgemeine mineralogisch- D) geologische Lehrmittel-Katalog (reich illustr. Nr. XVIII) steht auf Verlangen poıtofrei zur Verfügung. Meteoriten, Mineralien und Petrefakten, sowohl einzeln als auch in ganzen Sammlungen, werden jederzeit gekauft oder im Tausch übernommen. Dr. F. 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Jahrhunderts, deren Kopien in den Öffentlichen - Bibliotheken in Sidney und Melbourne aufbewahrt werden, findet sich südwärts von den Molukken ein grosses Land eingezeichnet, dessen Ostrand mit den Küstenlinien der Moretonbai und der ordostküste Queenslands ziemlich übereinstimmen. Der damals r den ganzen Erdteil gebrauchte Name war Java la Grande. Die Spanier und Portugiesen, mit ihrer damaligen Kenntnis des BE arkchen Archipels und von Neu-Guinea, konnten die nord- östliche Küste Australiens kaum übersehen haben und seit jener - Zeit wurde Gross-Java immer der Insel Java gegenübergestellt. - Wenn von da ab über die geographischen Positionen der Küsten- _ striche wesentliche Fehler eingezeichnet wurden, so zeigt doch - der angemerkte Inselreichtum, ja sogar die Andeutung des orallenriffes unzweideutig die Identität der Küstenformation ueenslands. Nachdem die Westküste und diejenige des heutigen eusüdwales genauer bekannt wurden, tauchte der Name Neu- olland für Java mayor auf.. Bereits vor dem Anfange des 7. Jahrhunderts beanspruchten die Holländer den Ruhm, die ordküste — den heutigen Golf von Carpentaria — zuerst ge- nden zu haben. Jedenfalls darf behauptet werden, dass die fest- und Ostküste lange bekannt waren, bevor Kapitän Cook, er wahre Entdecker Australiens, in See ging. Nach Wardner uchten Spanier und Portugiesen die Nord- und Ostküste ge- iss 100 Jahre früher als die Holländer. Doch gebührt diesen das Verdienst, die Existenz des Landes, die von den ursprüng- ichen Entdeckern vermutlich aus Habgier verschwiegen worden 4 36° Prof. H. Dexler: war, bekannt gemacht zu haben. Denn erst mit ihren Streif- zügen sind verlässliche Angaben erhalten worden. Am 18. No- vember 1605 verliess die „Duyphen“ Bantam auf Java. um nach. Neu-Guinea zu gehen und peilte im März 1606 Kap York. Im Golf von Carpentaria wurde die Hälfte der Mannschaft von den - Eingeborenen erschlagen. Von da ab wendete sich die Auf- merksamkeit immer mehr diesem Lande zu, dessen West- und Ostküste bald besser festgelegt wurde. Vom Jahre 1664 wurde von der niederländischen Regierung der Name Neuholland als geltend erklärt. Erst mit dem Jahre 1710 begann sich englischer Einfluss fühlbar zu machen, als Kapitän Cook zuerst Neu-Seeland und die australische Südküste anlief. Cook wird als der eigentliche Entdecker Queenslands an- gesehen. Er erreichte am 16. Mai 1770 die heutige Moretonbai, der er nach seinem Protektor den Namen gab, ohne sie indes genauer aufnehmen zu können. Er beschreibt die gesehenen Ufer als so niedrig, dass er sie nur vom Mastkorbe aus sehen konnte. Er segelte die Küste entlang nach Norden, nahm.alle Küstenvorsprünge und Buchten bis zum Kap York auf und ergriff von der ganzen Ostküste im Namen Georgs III. von England Besitz. Bis zum Jahre 1824, wo man die erste Strafkolonie in der Moretonbai anlegte, wurden mehrere Fahrten unternommen, die aber wenig hervorragende Resultate ergaben; sie brachten hinsichtlich der Erforschung des festen Landes nichts; nicht ein- mal die Mündungen der grösseren Flüsse wurden aufgefunden. Kapitän Flinders traf am 16. Mai 1799 in der Moretonbai mit einer kleinen Schaluppe ein. Die Schilderungen, die von ihm stammen, drücken alle eine mehr oder weniger verhüllte Ent- täuschung über die Landschaftscharaktere aus und zeigen Flinders durchaus nicht in dem Lichte eines entschlossenen, hartnäckigen und verlässlichen Erforschers unbekannter Küsten. Er nennt seine Mannschaft unverlässlich, das Schiff nicht seefähig. Woran die Schuld lag, ist heute kaum zu erheben; jedenfalls waren seine Fahrten fast ganz ergebnislos. Zunächst geriet er in die Durchfahrt zwischen Bribie Island und dem Festland. Er hielt sie für einen Fluss, den er wegen des gefundenen Bimssteines „Pumicstone River“ taufte. Er blieb fast drei Wochen in der Moretonbai und verliess sie mit der Versicherung, dass kein nennenswerter Fluss hier zwischen 27.° und 29. Südbreite sich ins Meer ergiessen könne. Eine zweite Reise, mit dem Auftrage, Häfen, Flussdeltas usw. zu untersuchen, verlief ganz negativ. Er kam nach Kap York, ging dann an- geblich aus Nahrungsmangel nach Timor und. von da über die West- und Südseite Australiens nach seinem Ausgangshafen Sydney zurück. Australische Reisebriefe. 37 2 Hatte es so 30 Jahre gedauert, bevor die Entdeckungen - Cooks überprüft und vertieft werden sollten, so blieb auch für “ die nächsten 20 Jahre das weite Gebiet vollständig brach lie- - gen und wurde nicht weiter beachtet. Erst als die Verbrecher- _ kolonie in Sydney und Macquarie durch fortwährende Nachsen- - dungen übervölkert wurde, sah man sich gezwungen, andere Territorien aufzusuchen und für diesen Zweck zu beziehen. Erst mit der Verlegung dieser Stationen nach Queensland kann man eigentlich von einer Geschichte dieses Staates reden; sie beginnt mit dem Jahre 1823. 2 Seit jener Zeit besitzen wir etwas verlässlichere Angaben über die Entwicklungsgeschichte der Kolonie und die Landnahme - durch die Weissen. Zahlreiche zerstreute Mitteilungen hierüber - bietet auch die Durchsicht australischer Journale, aus denen ein - Bild über jene Epoche, freilich untermengt mit mancherlei Ent- stellungen, gewonnen werden kann. Eine kurze Zusammen- E stellung moderneren Datums verdanken wir Knight, der in seinen „Early days of Queensland“ ein interessantes Nachschlagewerk B- geschaffen hat. B:- Der erste Besuch wurde unter Kapitän Oxley auf der „Meermaid“ in Port Curtis unternommen, einer unter dem A 34. Breitegrade gelegenen Bucht, die Flinders seinerzeit als viel- i - versprechend für die Besiedelung angesehen hatte. Oxley, der - im Oktober 1823 mit seiner Schar dort eintraf, konstatierte - schon nach zweiwöchentlichem Aufenthalte die Unrichtigkeit der Flindersschen Berichte, verliess den Platz als völlig ungeeignet für eine Niederlassung, wendete sich nach Süden und bezog die "Mündung des 'Flinderschen Pumicstone River. Da er diesen -_ Meeresarm ebenfalls nicht erkannte, ging er weiter im guten - Glauben an die Aufnahmen des Vorgenannten und traf auf die breite Mündung des heutigen Brisbane River — wahrscheinlich auch nur durch Zufall und nicht als Ergebnis systematischer Explorierung. Es wird behauptet, dass zwei weisse Schiff- ‚brüchige, namens Finnegan und Pamphlet, die mehrere Monate unter den Eingeborenen gelebt hatten, von der Expedition Oxleys ‚aufgefunden wurden. Sie wussten von einem grossen Fluss zu erzählen, der am Südende der Bai mündete. Hierauf machte sich Oxley auf und stellte die Existenz jenes Flusses fest, den an als jetzigen Brisbane River kennen, Er nannte ihn so nach Ei: Entdeckungen str lieh. in ne Die Namen Finnegan und Pamphlet kommen in seinem diesbezüglichen Rapporte nicht vor. 2 Ar 7 el a Re u AN, 38 x Prof. H. Dexler: Im September 1824 landete der erste Verbrechertransport von etwa 30 Köpfen bei Redcliff Point unter Kapitän Oxley und. Leutnant Miller. Als Rindenhütten und Segeltuchzelte fertig gestellt waren, erkannten die Führer das Ungeeignete des Platzes, den sie für so ungesund erklärten, dass sie Gefahr liefen, alle einem sicheren Tode entgegen zu eilen. Es bestehen UÜber- lieferungen von alten Konviktierten, nach denen die Ursache für das Verlassen des Platzes weniger in dem schlechten Klima als in der Furcht vor den Schwarzen begründet war, die die Niederlassung heftig angriffen. Miller wurde durch Kapitän Bishop abgelöst und die An- siedelung an jene Stelle verlegt, an der heute Brisbane steht. Bald wurde sie durch fortwährende neue Verbrechertransporte rasch zu jener Strafkolonie vergrössert, die der Ursprung der heutigen Hauptstadt werden sollte. Über die Schicksale der gezwungenen Gründer von Brisbane verlauten wahrhaft grauenerrende Berichte, traurige Streiflichter auf die Rechtspflege jener Tage werfend, die in ihren Grund- zügen das Beste wollend, in der Ausführung die ungeheuerlichsten Zustände zeitigte. Die Gefangenen zerfielen in gewöhnliche Verbrecher, die als Holzfäller, Ackerbauer, Maurer usw. verwendet wurden und in schwere, die unter dem Namen „Chaingang“ zusammengefasst wurden. Sie trugen Handketten und Halseisen, schliefen in Isolierzellen, durften nur im Gänsemarsch ins Freie geführt werden und trugen auf ihren gelben Uniformen das Wort „Felon* eingemärkt. Sie hatten die Pflicht, die schwersten Arbeiten aus- zuführen, die in der Ansiedelung überhaupt zu erledigen waren. Dem Kommandanten war neben der Sorge der Instandhaltung der Verbrecherkolonie noch die besondere Pflicht auferlegt, zu solchen Bestrafungen zu greifen, die die notwendig erachteten Schmerzen in der kürzesten Zeit schufen; er hatte namentlich darauf zu achten, dass die Auspeitschung mit gehörigem Nach- drucke ausgeführt wurde. Die Tagesrapporte zeigen die strikte Befolgung dieser Aufgabe; für die geringsten Vergehen wurden die Betreffenden zu 100 und mehr Hieben mit der neun- schwänzigen Katze verurteilt, die sie auch erhielten, wenn sie schon in Ohnmacht gefallen waren. Aus dieser Kolonisations- periode, welche die Tortur, Verbrechertum, despotische Gewalt und Roheit als Grundelemente besass, erblühten immer neue Verbrechen, denen sich sowohl die Konviktierten wie ihre Peiniger hingaben. Letztere überschritten immer weiter ihre Macht- befugnisse, erstere mordeten häufig ihrer Kameraden, um an den Galgen zu kommen, begingen Selbstmord, brachten sich schwere Verwundungen bei oder flohen in die Wildnis, wo sie von den RERGER ER Per =: “ N z Australische Reisebriefe. 39 Bene N ne Schwarzen gewöhnlich gespeert wurden. Namentlich die Zeit des Kommandanten Logan war als eine wahre Schreckens- _ herrschaft bekannt. Die kleinste Weigerung einer Arbeit oder Murren gegen einen ergangenen Auftrag bestrafte er mit 50 bis 100 Peitschenhieben. Jeder Deportierte, welcher 24 Stunden ausblieb, wurde als Ausreisser, „Bushranger“, erklärt und bis zu 500 Peitschenhieben verurteilt. Die Wut der damaligen — Maehthaber war zuweilen so gross, dass sie die Aufseher, die in den Verdacht kamen, zu wenig Ernst in die Geisselung zu legen, selbst anbinden und halbtot prügeln liessen. Logan wurde auf '_ einer seiner botanischen Expeditionen erschlagen — von den Ns * R t verräterischen Schwarzen, wie man aus gewichtigen Gründen angab — von den Deportierten, wie man mit mehr Recht ver- mutete. h Die masslosen Grausamkeiten Logans hatten nach seinem Tode doch Anlass zu Erhebungen gegeben und Sir Ralph Darling, der damalige Gouverneur, erliess Anordnungen, welche die Über- griffe der Kommandanten unmöglich machen oder doch be- schränken sollten. Unter anderem verordnete er, dass mit Aus- nahme des Mordes jedes Vergehen nur mit 3 Peitschenhieben ‚bestraft werden und dass niemand mehr wie 100 Hiebe pro Tag erhalten dürfe. In Wahrheit wurden diese milderen Vorschriften nicht nur unbeachtet gelassen, sondern Darling selbst herrschte "mit solcher Tyrannei, dass er den Ruhm Logans übertraf. ‚Peitschungen und Hinrichtungen waren zahlreicher als früher ‚und die erzieherischen Resultate noch beschämender als unter Logan. Zugleich begann man die Eingeborenen zu „behandeln“, die auf den vorgelagerten Inseln der Moretonbai sesshaft waren. Wie unglaublich roh man hierbei vorging, lehrt ein Vorfall, der nur als Beispiel aus vielen anderen angeführt sei. Einige Sol- daten zogen eines Morgens aus, um in der Bai zu fischen. Bei der Heimkehr überredeten sie einen Häuptling von Stradbroke Island, mit ihnen ins Boot zu steigen. In geringer Entfernung vom Ufer wurde der Schwarze niedergeschossen, sein Kopf ab- geschnitten und dem Kommandanten als Beweis des erfolgreichen Vorgehens geschickt. Das waren die ersten Kulturregungen, die man den Schwarzen beibrachte! Sie antworteten mit Repressalien und töteten jeden Weissen, der ihnen in die Hände fiel. Dafür erhielten sie den Namen „verräterisch‘“. Die weiblichen Deportierten wurden nur insofern anders als die Männer gestraft, als sie angehängt wurden. Sie bekamen ‚Halseisen, die mit einer langen Kette an einen im Boden ein- gelassenen Stein befestigt waren. Das Höchstausmass an Strafe waren schwere Eisen. Diese Behandlung in Verbindung mit den 40 | Pro ET Dorlert Nachstellungen der Soldaten, denen sie preisgegeben waren, machte diese Gefangenen oft gefährlicher als die männlichen. Eine mildere Auffassung der dienstlichen Pflichten hatte Kapitän Clunie und sein Nachfolger Foster Fyans, der im Jahre 1837 den Posten eines Strafkommandanten verliess. Den Depor- tierten wurde eine humanere Fürsorge zuteil und unter ihrer Leitung wurde nicht nur Brisbane in seiner älteren Gestalt aus- gebaut, sondern auch die angrenzende Gegend in grösserem Um- kreise urbar gemacht. Es war eine Zeit langsamer aber stetiger Entwicklung, wenn auch die Existenz der Ansiedler keine be- neidenswerte war. Ein Quäkermissionär, der die englischen Deportationsstationen besuchte, schreibt über Moreton aus dem Jahre 1836: „Die Gefangenen bieten einen bemitleidenswerten Anblick. Der enge Raum, auf den sie zusammengepfercht sind, der Hitze einer tropischen Sonne ausgesetzt, der Schmutz und Gestank hat den Gesundheitszustand schwer geschädigt. 40 Sträflinge sind an eine lange Kette geschmiedet, die ihre Bewegungsfreiheit auf das geringste Mass herabsetzt. In der Tretmühle sind ab- wechslungsweise 25—40 Mann am Rade, das sie vom Morgen bis zum Abend in Gang zu halten haben, wobei ihnen eine 3stündige Rast gegönnt ist. Damals waren 326 Männer und 80 Weiber in der Kolonie; die Stadt Brisbane bestand nur aus den Häusern für die Offiziere, den Militärkasernen und jenen für die Gefangenen usw.“ Wenn sich sonach die Lage der Deportierten im Vergleiche zu der Schreckenszeit der ersten Anlagen etwas gebessert hatte, so konnte doch unter dem herrschenden Regime des Militär- despotismus von einem Fortschritt in keiner Weise die Rede sein. In das monotone Vegetieren der Gefangenen und das ab- stumpfende Versehen eines maschinenmässigen Aufseherdienstes von Seite der Besatzung brachten nur die gelegentlichen Peitschungen und die seltenen Entweichungsversuche einige Ab- wechslung. Sonst aber ging alles den trägen Gang der Tret- mühle in wirklichem und übertragenem Sinne. An eine Ausbreitung europäischer Kultur war solange nicht zu denken, als die Ansiedelung als Strafkolonie eine geschlossene. war. Freilich waren schon einzelne freie Kolonisten von Süden her in das Innere des Landes. vorgedrungen und hatten auf eigene Faust ihr Glück mit wechselndem Erfolge versucht. So hatte bereits Cunningham die Darling Downs, die jetzige Korn- kammer Queenslands, entdeckt und einzelne Farmer, wie Peter Lesly, unternahmen es sogar, mit ihren Herden dahin zu ziehen. Aber noch im Jahre 1841 bedurfte es einer besonderen behörd- lichen Erlaubnis, um sich der „Stadt“ Brisbane auf mehr als Australische Reisebriefe. 41 50 Meilen zu nähern. Ohne Verbindung mit der Wehrmacht der letzteren waren die ersten freien Ansiedler schutzlos nicht nur den damals noch zahlreichen Schwarzen, sondern auch den aus- gerissenen Desperados der Deportationsorte ausgeliefert. Überall war die Anlegung der ersten Ansiedelung durch freie Acker- bauer, Viehzüchter oder Squatters mit einer Kette von harten Kämpfen verbunden. Die Regierung hatte zwar ein egoistisches Interesse, eine grössere Zahl freier Farmer heranzuziehen; sie verminderte auch nach und nach die Zuzüge der Deportierten und schränkte sie - immer mehr ein. Die Strafkolonie aufzuheben gelang aber trotz aller Vernunftgründe nicht. 1841 wurde es einem Kaufmann zu- erst gestattet, eine Bude aufzuschlagen, aber mit der ausdrück- lichen Bedingung, zwar keinen Grund und Boden erwerben, je- doch Spirituosen einführen zu dürfen. Die Spirituosen brachten einen gewissen Schwung in den Handel; bald fanden sich mehrere solcher waghalsigen Kaufleute; ja es verkehrten sogar von Sydney aus regelmässig 2 Handelsschiffe. Wurde dadurch auch ein regeres Tempo in das Leben der Kolonisten gebracht, die um Geld zu machen, sich entweder den westlichen Weidefarmern . anschlossen oder Provisionshäuser errichteten, so wurde doch der erste Anstoss erst im Jahre 1842 damit gegeben, dass die Deportationsstation aufgelassen, das Land als Kroneigentum auf- genommen und an geldkräftige Unternehmer verkauft wurde. Wie immer in solchen Momenten kam es durch Überspekulation zum Ruin und das junge, der Zwangsherrschaft eben entwachsene Brisbane erlebte einen ganz nennenswerten Krach, der allerdings in seinen letzten Ursachen auf die damalige finanzielle Krise in Sydney zurückzuführen war. Der lebhafte englische Unter- nehmungsgeist liess indessen bald wieder Ordnung in die zer- rütteten Finanzen kommen und von da ab beobachten wir ein langsames, aber stetiges Aufblühen der Stadt, die zum Verkehrs- knotenpunkte für die Squatter des Westens und die Ackerbauer der Darling Downs wurde, die ihre Produkte hier nach Sydney verluden und von dort ihre Bedarfsartikel bezogen. Das Haupt- kontingent stellten die Schafsquatter, die ihre Wolle, auf riesigen Wagen verpackt, in vielwöchentlichen Reisen nach Brisbane brachten, dort offenbar gut lebten — für sie waren eigene Gast- wirtschaften errichtet — ihre Wagen mit Proviant vollpackten und dann wieder nach dem Inneren zogen. Das Leben der Squatter hatte in den damaligen Zeiten zwar nicht jenen Glanz von Romantik, der uns von den amerika- nischen Pionieren erzählt wird, war aber dennoch mit vielen Mühseligkeiten verbunden, zu denen vor allem die mangelnden ‘ Verkehrswege, die grossen Entfernungen und die Eingeborenen en ce 49 Prof. H. Dexler: zu rechnen waren. Den Australnegern ist es nie gelungen, dem Weissen ernsteren Widerstand. entgegenzustellen. War ihre Zahl auch damals weit grösser wie heute, so waren sie doch im Grunde von allem Anfange an eine Chose negligeable. Die Ver- hältnisse, unter denen die Australier den Weissen damals ent- gegentraten, waren die denkbar günstigsten. Sie hatten kaum einen Eigentumsbegriff und besassen nichts, um die Habgier der weissen Kulturträger aufzustacheln. Die Bedürfnisse dieser primitiven Menschen gingen nicht über die Befriedigung der elementarsten Gefühle hinaus; sie waren fast wunschlos und sahen in den Händen der Europäer nichts Begehreuswertes als die leicht zu stehlenden Schafe. Endlich waren sie beinahe jeglicher Organisation bar. In kleineren Gesellschaften lebend ' verband sie kein Empfinden der Gemeinsamkeit, kein Stammes- bewusstsein; sie kämpften stets den Kampf um ihre Existenz in zusammenhanglosen Scharen und haben dabei immer den kürzeren gezogen. Ganz obenan stand ihre persönliche Feigheit. Gelang es ihnen einen Weissen zu töten, so waren sie stets in. grosser UÜbermacht. Aus diesen Eigentümlichkeiten entwickelte sich die Hand- lungsweise auf, mittels welcher die Weissen die Ureinwohner sich vom Leibe hielten. Entfloh ein schutzloser Deportierter in die Wälder, so wurde er gewöhnlich sehr bald erschlagen; es gibt aber eine ganze Reihe von Überlieferungen, welche das Gegenteil beweisen; Dank der Leichtgläubigkeit und Einfalt der Schwarzen lebten mehrere Flüchtlinge aus den Zwangssettlements lange unter ihnen. Unter der Herrschaft Logans entwich ein Verbrecher namens Barker. In der Voraussetzung, dass er beim versuchten Durch- bruche nach dem Süden entweder in die Hände der Schwarzen oder der Weissen der Sydneyer Deportationsstation fallen müsste, beschloss er, stromauf zu wandern und stiess alsbald auf eine Schar von Schwarzen, die ihn mit der grössten Aufmerksamkeit behandelten. Nach und nach lernte Barker beiläufig begreifen; er wurde einem kurz verstorbenen Stammesmitglied für ähnlich gehalten, das nach dem Glauben der Schwarzen nach dem Tode abgehäutet und daher weiss wieder zu ihnen zurückgekehrt sei. Der Wiederauferstandene hatte natürlich alle Ursache, darüber nicht zu diskutieren, auch wenn er grössere Sprachkenntnisse besessen hätte, als dies tatsächlich der Fall war; er erhielt den Namen des Dahingegangenen, „Boraltschu‘, und lebte mehrere Jahre bei seinen Buschgenossen. Schliesslich wurde er unter Todesandrohung gezwungen, eine Botschaft an die Strafkolonie zu bringen. Dort wurde er erkannt und begnadigt. ucdie BI ua x ” > “ \ r s a a ai u U LE na art na na du oh Sn Australische Reisebriefe. . 43 Ein anderer Weisser wurde 1841 bei den Schwarzen lebend sefunden, den sie „Wandie“ nannten. Er wurde von einem Squatter namens Petrie eruiert, der auf einer Fahrt nordwärts mit Küstenstämmen zusammenkam. „Wandie“* leistete mit seiner Kenntnis des Wesens der Eingeborenen wertvolle Kundschafter- dienste und befreite einen anderen Flüchtling Johnes Davis aus seiner Gefangenschaft, in der er fast 14 Jahre lang gelebt und seine Muttersprache vergessen hatte. - Er war mit einem Leidensgefährten durchgegangen, um den Martern Logans zu entrinnen und in halb verhungertem Zustande von den gefürchteten Schwarzen gefangen worden. An- statt ihn jedoch zu töten, erwiesen sie ihm besondere Auf- merksamkeiten, in ihm einen wieder auferstandenen Genossen ‘ sehend; man hielt ihn für den lange verlorenen Sohn des Pamby- Pamby. Duramboi. Während er gastlich aufgenommen und gut gehalten wurde, ging sein Mitflüchtling zugrunde. Dieser fand auf einem Baume einen Korb mit den Skelettüberresten eines Schwarzen. In Unkenntnis der religiösen Gebräuche entleerte er ihn, um ihn zum Austerntransporte zu benutzen und wurde dieses Frevels wegen erschlagen. Duramboi-Davis, ein ungemein findiger Kopf, erfasste bald seine Situation und lernte einige Sprachbrocken; er hatte aber doch so wenig negerartiges Wesen an sich, dass Jie Zuneigung bald erkaltete und in das Gegenteil umzuschlagen drohte. Es blieb ihm nur die Wahl, wieder zu fliehen oder sich durch eine Tat hervorzutun. Er wählte den letzteren Weg und prügelte seinen „Vater“ Pamby-Pamby weidlich durch. Dies, in Verbindung mit seiner Geschicklichkeit im Fallenstellen, erwarb ihm das bereits verlorene Vertrauen vollends; er wurde wie ihresgleichen gehalten, machte ihr Wanderleben und ihre Gefechte mit und lernte nicht nur das Land genau kennen, sondern beobachtete aufs beste die Sitten und Gebräuche der Wilden. Seine damaliger, mit Kopfschütteln aufgefassten Erzählungen werden von modernen Beobachtern vielfach bestätigt. Er war es, der zum ersten Male Authentisches über den - Kannibalismus der Australneger erfuhr. Es waren wiederholt Fälle vorgekommen, dass schiffbrüchige Seeleute oder verirrte Farmer von den Schwarzen getötet und am Feuer geröstet worden waren. Wie. weit aber dabei Menschenfresserei im Spiele _ war, konnte nicht erhoben werden; jedenfalls beeilte man sich, die Eingeborenen dieses Gebrauches zu zeihen. Davis brachte zum ersten Male die Kunde, dass die Stämme der nördlichen Territorien zwar das Fleisch ihrer Kameraden, nicht jedoch das der erschlagenen Feinde verzehrten, wie sie denn zum Zwecke des Genusses überhaupt keinen Menschen töteten. 5 + 2 Prof. H. Dexler: ne = RT, Auf seinen Wanderungen, die Davis mit seinem Stamme oder auch allein unternahm, kam er mit fremden Schwarzen vielfach in Berührung. Die Aufnahme bei den verschiedenen Triben war beinahe immer die gleiche. Er wurde stets umringt und mit Staunen und Aufmerksamkeit betrachtet. Stets suchte man in ihm einen wiedergekehrten Toten und mühte sich, eine Ähnlichkeit mit irgend einem Abgeschieienen herauszufinden. War das einem gelungen, so waren ihre Lamentationen ebenso lebhaft wie ihre Freudensbezeugungen und Duramboi war wieder mit allen Lebensbedürfnissen des Busches versehen. In anderen Fällen freilich wurde die Lage ungemütlich für Duramboi; niemand wollte ihn wieder erkennen und schliesslich wurde er gefragt, wie er in seinem früheren Leben geheissen habe. Er meinte, dass es schon so lange her sei, dass er als - Blackfellow gelebt, dass er sich seines damaligen Namens nicht mehr erinnern könne. Die Antwort wurde willig hingenommen und die primitiven Festlichkeiten begannen von neuem: seine „Verwandten“ begannen zu schreien, zu tanzen, sich an den verschiedensten Körperteilen zu verwunden, bis das Blut in Strömen floss und versorgten ihn mit Nahrungsmitteln. Hin- sichtlich des Menschenfleischessens beobachtete Davis, dass bei den zahlreichen Gefechten, die unter den Eingeborenen statt- ‚fanden, manche ziemlich blutig ausfielen. Die Toten, die es gab, wurden dann von ihren Freunden weggetragen, abgehäutet, unter sie stückweise verteilt und verzehrt. Meistens war der Vorgang dieser: Der betreffende Kadaver wurde mit Feuerbränden ge-. sengt oder oberflächlich erwärmt, worauf eine solche Starre ein- zutreten begann, dass er aufrecht stehend erhalten werden konnte. Er wurde auf das Gesicht gelegt, ein Mitglied der umgebenden Runde trat vor und zog eine rote Linie, über die Wirbelsäule und die Arme verlaufend. Andere begannen nun, die Haut an der bezeichneten Stelle mit scharfen Muschelschalen durch- zuschneiden und den Kadaver abzuledern. Die ganze Haut wurde bis auf den Gesichtsteil mit unglaublicher Schnelligkeit abgezogen, auf 2 Speere gespannt und zum Trocknen aufgestellt. Von dem Körper wurden zuerst Beine und Arme abgetrennt und dieser dann vollends zerstückelt, um an die trauernden Freunde verteilt zu werden, die ihren Anteil sogleich am Feuer rösteten und verschlangen. Die abgenagten Knochen wurden gesammelt, in einen Korb gebunden und zu den befreundeten Nachbar- stämmen zur Trauer geschickt. Heimgebracht, pflegt man sie monate- und jahrelang herumzuschleppen und sie endlich im Geäste oder in der Höhlung eines Baumes beizusetzen. Sie von dort wegzunehmen, galt als unsühnbares Verbrechen, dem auch der Begleiter Davis zum Opfer fiel. Auch die Häute wurden Australische Reisebriefe. 45 als Reliquien aufbewahrt, nachdem sie öfters ihre unheilvolle Rolle als Verbrechenskünder gespielt hatten. Starb nämlich einer der Genossen in der Vollkraft seiner Jahre, so argwöhnten die Schwarzen immer eine böse Tat, die Wirkung eines Zaubers. Die vage Vermutung verdichtete sich gewöhnlich zur festen Idee und man suchte den Urheber. In einem Corrobory wurde die Haut des Verstorbenen von Mann zu Mann getragen und bei jedem angefragt, ob er der Urheber des Todes war. War die natürlich nur dem Wahrsager oder Medizinmann verständliche Antwort, welche die Haut zu geben hatte, verneinend, so ging man zum nächsten, bis man endlich den Verbrecher herausfand. Vor diesem steckte dann der Wahrsager die Speere mit der Haut in den Sand und besiegelte damit das Geschick des Be- treffenden. Er wurde meist ungeschoren gelassen, so lange die Versammlung bei einander war, und erst später gespeert. Davis behauptete, dass die Tötung von Kindern zum Zwecke des Fleischgenusses wiederholt vorkam, nie aber die alter Leute. Er war einmal Zeuge eines solchen Frasses, bei dem die Eltern das abends eines natürlichen Todes gestorbene Kind bis zum Morgen fast völlig aufgezehrt hatten. Nach seiner Rückkehr leistete Davis den Ansiedlern grosse Dienste durch die genaue Kenntnis des Landes, das er 500 Meilen weit nach Norden durchstreift hatte. Gegen eine geschlossene Menge von bewaffneten Weissen haben sich die Schwarzen niemals gestellt. Wo erstere in den allerfrühesten Tagen zurückwichen, geschah es nur wegen der allgemeinen Unkenntnis der örtlichen Verhältnisse; die Besatzung von Brisbane war zur Zeit der Benützung des Platzes nie grösser als 50 Mann. Weit gefährlicher waren jene für einzelne Wanderer oder kleine Gruppen, speziell für die weitexponierten Schafhirten. Immer zeigten sie dabei eine über alle Begriffe gehende Feig- heit — sie warteten, bis die männlichen Hüter des Anwesens vom Hause weg waren, um dann die Weiber und Kinder zu er- schlagen. Einen bewehrten Europäer überfielen sie nur in grosser Zahl und bekannt sind die Fälle, wo ein einziger beherzter Weisser ganze Scharen der Australneger in Schach hielt. Knight, erzählt die Schicksale einer kleinen Partie, welche unter Petrie die Küste zu Besiedelungszwecken genauer erforschen wollte. Ein Mann blieb als Bootswache zurück, während die übrigen Teilnehmer abgezogen waren. Kurze Zeit danach kam ein Canoe voll von Schwarzen auf ihn zu. Er schoss einmal über das Wasser und die Schwarzen flohen, um bald darauf von der Landseite im Gänsemarsch 12 Mann hoch auf den Boots- mann zuzumarschieren. Bei genauer Besichtigung bemerkte er, Hr 46 Prof. H. Desler: dass sie nicht unbewaffnet waren, sondern dass jeder einen Speer mitschleppte, dessen Ende er mit den Zehen festhielt. Kaum sahen sie das Heben seines Gewehres, als sie die Speere in den Sand steckten und mit erhobenen Händen Gesten machten, herankommen zu dürfen. Er gestattete dies und beschäftigte die Schar, die ihn neugierig umstand wie Kinder, mit Singen und Rauchen, bis seine drei Genossen wiederkamen, vor deren An- blick noch weitere 60 Schwarze, die durch den Lärm herbei- gelockt worden waren, schleunigst Fersengeld gaben. Als der verdienstvolle Kennedy seine letzte Reise in Nord- queensland machte, blieb seine ganze Mannschaft zurück und er wanderte allein mit einem schwarzen Diener weiter. Zu seiner Ermordung waren mehrere Stämme der Eingeborenen hinter ihm her. Wiewohl er kaum imstande war, vor Erschöpfung über- - haupt weiter zu kommen, wagten die Verfolger doch nicht, Hand an ihn zu legen, sondern überschütteten die beiden Wanderer mit einem Hagel von Speeren. Als sie zu nahe kamen, schoss der Begleiter einmal auf die Schwarzen, die sofort die Flucht ergriffen. Erst nach wiederholten Angriffen verwundeten sie Kennedy durch Speerwürfe so sehr, dass er starb — in der Hand die Feder, mit der er seine letzte Botschaft schrieb. Trotzdem gelang es den Eingeborenen aber nicht, des Dieners habhaft zu werden, der sich noch 12 Tage lang durch die Wildnis schlug, bis er Hilfe fand. Ein deutscher Gewährsmann, Pastor Hausmann, der im Jahre 1837 nach Queensland kam, erinnert sich eines Ereignisses aus seiner Missionärstätigkeit, das noch besser den Mangel persönlichen Mutes bei den Schwarzen illustriert. Er befand sich damals mit zwei Begleitern auf einer entlegenen Aussenstation, in der Nähe von Kilcoy. Eines Tages wurde die Ansiedelung von einem grossen Trupp Schwarzer umschwärmt, die Mais und süsse Kärtoffeln zu stehlen gekommen waren. Die zwei Diener Hausmanns entwichen, um Hilfe herbeizuholen und er blieb allein zurück. Kaum hatten die Belagerer diesen Um- stand wahrgenommen, als sie ihn anriefen, herauszukommen. Um seine Angst zu verbergen, folgte er dem Befehl, wurde sofort gefasst und aufgefordert, einen verloren gegangenen Hund wieder herbeizuschaffen. Mit Hinweis auf seinen eigenen Hund betonte er, dass ihm dies unmöglich sei, worauf einer der Schwarzen ihn mit einer Keule schlug. Beim Versuche auszu- weichen, fiel er und brach sich die Hand. Alles stürzte nun mit Knütteln und Speeren über ihn her, ohne ihn jedoch hindern zu können, nach der Hütte zu entfliehen, die er verschloss. Anstatt diese hinfällige, bloss von einem Manne bewohnte Bau- lichkeit zu stürmen oder anzuzünden, begnügten sie sich, un- ausgesetzt, Speere zu werfen. Erst gegen Abend stiess einer ur Ar KRIAREE 1: a Br: war ö \ Australische Reisebriefe. 47 der „Krieger“ einen anderen zur geöffneten Türe hinein: er packte einen Sack Mehl und lief damit davon, um ihn seinen Kameraden zu bringen, die sich um die Beute auf das heftigste balgten. Hausmann gelang es, nach einem Marsche von 32 Meilen die Station zu erreichen, von wo er nach Sydney ins Spital geschafft wurde. Er hatte einen Hieb in die Seite und einen Speerstich in den Rücken davongetragen. Die Furcht vor den Weissen war natürlich nicht überall und zu allen Zeiten so gross wie in den hier angeführten Bei- spielen. Als die Eingeborenen länger mit diesen in Berührung waren und deren Ansiedelungsart herausgefunden hatten, wurden sie kühner und verübten eine Reihe ganz grässlicher Ermordungen, die nur so lange andauerten, als man ihnen nicht mit genügender Vorsicht entgegentrat und die Squatter auf ihre eigene Kraft angewiesen blieben. Letztere leisteten in ihrer Verteidigung recht Hervorragendes — wie die Arsenikvergiftungen usw. be- weisen, — erhielten aber erst ihre Ruhe wieder, nachdem staatliche Hilfe geboten wurde. Das geschah erst, nachdem _ mehrere Weisse an verschiedenen Orten des Landes abgeschlachtet worden waren. Dass es dahin kommen konnte, war aber nicht allein dem Blutdurste und der Verräterei der Schwarzen zu danken; sie wurden nach und nach dazu gebracht. Man war von Anfang an nicht-gelaunt, einen Eingeborenen überhaupt als ein mit Rechten ausgestattetes Lebewesen zu be- trachten. Fügte er sich, dann liess man ihn mehr oder weniger ungeschoren; wenn nicht, so wurde er erschossen. Das war ein ganz gewöhnlicher Gebrauch. Wie leicht die Flinten losgingen, zeigen ein paar Notizen aus den Aufzeichnungen des mehrfach erwähnten Petrie. Als dieser eines Tages an einem bisher un- bekannten Küstenstriche — Cape Bracefield, später Noosa — - Janden wollte, liess er sich und seine Begleiter von Eingeborenen, die sich am Strande angesammelt hatten, durch die Untiefe tragen. Einer der Schwarzen wollte sich einer Decke bemächtigen — sogleich wurde er mit dem Eıschiessen bedroht. Jemand von ‚den Begleitern Petries äusserte, dass der Schwarze schon Weisse ‘ermordet hätte. Sogleich hob Petrie die Flinte, um ihn nieder- zuschiessen, welchem Schicksal dieser nur durch rasche Flucht entging. Am 6. Oktober 1846 verlangte ein Schwarzer von zwei Holzfällern am Doughboy Creek, ihm etwas zu essen zu geben. Wegen angeblicher Ungebührlichkeit wurde er zurückgewiesen, worauf er einen der Holzfäller- mit seinem Stocke über den Arm schlug; der andere ergriff seine Büchse und jagte ibm eine Kugel durch den Kopf. Traf man auf Schwarze, so nahm man zunächst an, dass sie Ungutes im Schilde führten, — „they had to be fired at“ — 48 Prof. H. Dexler: um sie „hostile“ oder „accommodating* zu machen. Diese eigen- tümliche Behandlung trug bald ihre Früchte. Dass die Weissen. diese Saat ausstreuten, wird sogar von englischer Seite anerkannt.. Knight sagt S. 143 seines interessanten Buches: „Die Einge- borenen verübten zeitweise schwere Greuel; es ist aber keine Frage, dass die Hauptursache hierfür sehr oft in der Haltung der Weissen lag.“ Die Nachrichten über Schafdiebstahl, Speeren von Rindern, Aufhalten von Proviantwagen und Ermordung von auf der Ein- schicht lebenden Hirten wurden immer häufiger und schliesslich fielen die Wilden über ganze Familien her, die sie ermordeten und ausplünderten. Einmal gelang es ihnen sogar, einen aus 10 Wagen bestehenden Zug aufzuhalten und die Begleitpersonen — 17 an der Zahl — in die Flucht zu schlagen; das hatte zur Folge, dass man in Helidon ein kleines Militärdetachement durch 3 Jahre hindurch unterhielt. Eine andere Gelegenheit, sich in diesem Sinne auszuzeichnen, bot sich ihnen im selben Jahre im Pine-Distrikt, wo sie einen Ansiedler samt einer Arbeiterin er- mordeten. Die 3 Kinder der letzteren blieben unverletzt und die Räuber entkamen. Dieser Erfolg schien die Eingeborenen der Gegend kühner gemacht zu haben und sie zu neuen Räube- reien aufzustacheln. Im September überfielen sie 3 Holzfäller. Der erste entkam in die Hütte mit 5 Holzspeeren im Rücken; der 2. wurde mit einem Waddy oder Fechtstock niedergeschlagen, gelangte endlich aber trotz seiner schweren Verwundung zum Hütteneingang, wo er seinen Genossen mit dem Gewehr im Anschlage knieen sah; der Unglückliche hatte aber das Augen- licht durch einen Speerstich verloren und übergab mit den letzten Kräften das Gewehr seinem Freunde. Die feindliche Übermacht war jedoch zu gross, so dass sie beschlossen, zu fliehen; tot- wund schleppten sie sich in den Scrub und entkamen, während der dritte Genosse am nächsten Tage tot aufgefunden wurde. Wiederholt fielen den Schwarzen verirrte Buschwanderer oder Schiffbrüchige in die Hände, die sie fast jedesmal erschlugen. Eines der schwersten Verbrechen dieser Art wurde an der Mannschaft der Barke „Thomas King“ verübt, die in Torres Straits auf eine Korallenbank auflief. Acht Mann der Besatzung warteten auf dem Riff, bis Hilfe kam, die ihnen nach 17tägigem Verweilen an der Unglücksstätte durch die vorüberkommende „Lady Black- wood“ zuteil wurde. Der Rest und zwar der Kapitän, der 2. Bootsmann, ein Kajütenpassagier und drei Matrosen ver- suchten auf einem geretteten Boote sich nach Süden durchzu- schlagen, um die Moretonbai zu erreichen. Sie beschlossen über Land der Küste entlang zu wandern und wurden gleich am ersten Tage von Schwarzen ausgeraubt. Am nächsten Tage Australische Reisebriefe. 49 wurden sie neuerdings überfallen und nur der Kapitän und ein Matrose entkamen dem Gefecht. Als ersterer sich aus seinem Verstecke hervorwagte, fand er den Bootsmann und seinen Passagier tödlich verwundet im Sande liegen. Ohne Aussicht, ihnen helfen zu können, nahm er wieder seinen Weg nach Süden, traf auf einen ebenfalls glücklich entkommenen Matrosen und gelangte unter Überwindung unsäglicher Strapazen nach 40tägiger - Wanderung nach Brisbane. Welcher Art diese waren, mag daraus ermessen werden, dass der Schiffbrüchige eine Reise von 14 Breitegraden Luftlinie in einem wasserarmen unbekannten Lande zurückgelegt hatte, ohne Nahrung oder Waffen mit sich zu führen, in tropischer Sonnenglut und steter Gefahr, von den Wilden aufgegriffen zu werden. Die nachträglichen Erhebungen führten zur Auffindung der ermordeten Matrosen, während der räuberische Tribus entkam. | Diese und viele ähnliche Vorgänge stachelten zu ener- sischer Abwehr auf, infolge welcher man die Schwarzen ab- schoss, wo man konnte, oder sie vergiftete wie die Ratten. Duramboy-Davis berichtet, dass in Kilcoystation mit Strychnin gemischtes Mehl in Säcken verteilt wurde oder dass man solches stehlen liess, wodurch manchmal 60 oder 70 Schwarze den Tod fanden. Eine eigene Untersuchungskommission wurde eingesetzt, die konstatierte, dass diese Methode eine ganz gewöhnliche Praktik nicht nur einzelner Schafhirten, sondern vieler anderer war, die von den Eingeborenen belästigt wurden. Wieviel aber konnte bestenfalls in einem Lande erhoben worden sein, in dem die Ansiedelungen der Squatter viele hundert Meilen auseinander- lagen und in dem es von Seite der Schwarzen keine Ankläger gab ’? Als auch diese schärferen Mittel nicht gleich den gewünschten Effekt hatten, beschleunigte man die Austilgung dadurch, dass man Militärmacht zu Hilfe nahm und eine Eingeborenenpo! izei bildete. Die Pazifizierungsbestrebungen durch dieregulären Truppen forderten Hunderte von Eingeborenen, die man haufenweise zu- sammenschoss. An Gründlichkeit wurden sie aber weit übertroffen durch die Native Troopers, die aus Eingeborenen gebildete Polizei. Zum Töten von der Behörde autorisiert, erschlugen diese Leute alles, was zu einem der verfolgten Stämme gehörte — Weiber und Kinder nicht ausgenommen. Es wird erzählt, dass die Troopers ge- wöhnlich benutzt wurden, um gewisse Stämme von Negern, die sich gesetzwidrig benommen hatten, zu vertreiben, „to remove“. Unter Führung der Weissen wurde der Lagerplatz der Verfolgten _„umstell, und dann die Trooper hineingelassen. So schauder- haft soll ihre Mordlust gewesen "sein, dass Knight sagt, die Zeit der militärischen Überwachung der Schwarzen war einer Schlächterei gleich, über die man kaum sprechen könne. Es 50 Prof. H. Dexler: kam zu Schreckensszenen, „which if repeated would scarcely be regarded as pleasant reading, nor yet rebound to the eredit of certain persons who shall be nameless.* Es ist naturgemäss kein Zweifel, dass dabei vielfach Un- verbürgtes mit Wahrem gemischt sein wird; die Tätigkeit der Troopers ist aber noch im Jahre 1903 an einem kleinen Bei- spiele in Norqueensland beleuchtet worden, das über alle Zweifel erhaben steht und auf das ich noch zurückkommen werde. Waren die Angriffe auf Leben und Eigentum der Weissen auch noch nach der Mitte der Vierzigerjahre nicht völlig aus- getilgt, so war mit dieser Massregel doch den Eingeborenen die Kraft gebrochen. Es kam immer noch zu Mordtaten in den relativ dichter bevölkerten Teilen des Landes, die durch Schwarze ‚verübt wurden, die ja von Weissen mittlerweile manches gelernt ‚hatten. Jene wurden entweder abgeschossen oder nach und nach gehenkt. Jedenfalls beginnt von dieser Zeit an jener rapide Rückgang der Eingeborenen, der damit endete, sie wegen ihrer Minderzahl in den kultivierten Distrikten einfach nicht zu be- achten und sie ganz nach Norden zurückzudrängen. Hierzu kam noch die Unterbringung in den sogenannten Missions- stationen, wo sie auf den grossen Inseln vom Staate erhalten und isoliert werden. Um auf den allgemeinen Fortschritt von Queensland zu- rückzukommen, so ist zu bemerken, dass nach den vierziger Jahren seine Schicksale den gewöhnlichen Gang überseeischer' englischer Kolonien überhaupt betraten. Das Streben nach auf- wärts war unverkennbar, wenn auch häufig noch von Ereignissen unterbrochen, die auf die Abhängigkeit der Ansiedelung. von Sydney und die grosse Entfernung vom Mutterlande zurück- zuführen waren. Mit dem Anwachsen der Ausbeute an Wolle, die im Westen mühelos gewonnen wurde, entwickelten sich langsam die UÜberlandwegnetze und es steigerte sich der Schiffs- verkehr. 1846 wurde die erste, auch heute noch als führendes Blatt bestehende Zeitung, der „Brisbane Courier“ gegründet, um den Bedürfnissen und Wünschen der Kolonie Moreton, wie sie damals hiess, öffentlichen Nachdruck zu verleihen. Die in diesem Jahre angestellte Volkszählung ergab 1599 Personen; fast ?/, hiervon lebten um und in den Städten, wogegen 482 Squatter über ein Land verstreut waren, das an Grösse demjenigen des heuti- gen Frankreich nahezu gleich war. Die Erneuerung einer weiter nördlich gelegenen Deportationsstation wurde vergeblich versucht, nachdem der letzte Kommandant der Brisbaner Strafniederlassung im Jahr 18542 zurückberufen war. Einen unheilvollen Einfluss übte der seit dem wahnsinnigen Grundschacher bei Eröffnung des Landes bestehend gebliebene Mangel an barem Gelde. Man he oe Zahl ii an a Wh Y 4 > Australische Reisebriefe. 51 nannte diese Periode die der I. OÖ. U.’s (I owe you) oder des “ Calabashsystemes. Gegen Geld zu kaufen war überhaupt un- möglich, weil nur Assignate — Papierzettel — zirkulierten, die den Namen des Schuldners und den schuldigen Betrag enthielten. Diese Zettel wurden gewöhnlich im Kleinverkehr eingelöst. Im Grossverkehr waren sie eine ungeheure Last, die vorwiegend der Produzent zu-.tragen hatte, weil viele ganz wertlos waren und die übrig bleibenden für die Schadensumme aufzukommen hatten. Sollten die Banken in Sydney eine grössere Anzahl _ dieser berüchtigten I. O. U.’s übernehmen, so zahlten sie kaum 20°, des angegebenen Wertes. Vom Jahre 1848 angefangen trafen allmählich Auswanderer- ‚schiffe ein, deren Passagiere als höchst willkommene Hilfskräfte gutes Unterkommen fanden. Weniger günstig endete ein Ver- _ such mit Chinesen, die sich noch unverlässiger zeigten als die bisherigen Einwanderer europäischer Abstammung. Sie ver- schwanden alsbald wieder; ohne dass man genau wusste wohin sie kamen. Einige dürften nach Süden durchgegangen, andere der Selbstherrlichkeit der Weissen zum Opfer gefallen sein wie so viele Schwarze; auch wird behauptet, dass ein Teil von den Schwarzen erschlagen worden ist. Ein etwas grösserer Zuzug von Europäern erfolgt auf Betreiben des englischen Geistlichen Dr. Lang, der in England für die Baumwollkultur im nördlichen Queensland auf das erfolgreichste Propaganda machte und dessen Bemühungen es gelang, 3 Schiffe mit sorgfältig ausgewählten Arbeitern an ihren Bestimmungsort zu ‚bringen. Seinem Bei- spiele ist 14 Jahre später ein Deutscher, der frühere Kaufmann und nachmalige Konsul J. C. Häussler gefolgt, der den Strom deutscher Auswanderer dadurch nach dem Erdteil lenkte, dass er in seiner Heimat persönlich für die Emigration wirkte. Zu jener Zeit war die Weidewirtschaft in einem blühenden Zustande, die Wolle hatte hohe Preise, grosse fruchtbare Ländereien lagen unbenutzt da. Zu ihrer Ausbeutung bedurfte es nur der Arbeits- kräfte, die Häussler in vorzüglicher Qualität herbeischaffte, so dass heute der deutsche Ackerbauer in Queensland als ein Vor- bild von den englischen Behörden hingestellt wird. In die vierziger Jahre fallen auch die grossen Expeditionen, die von Leichhard, Kennedy u. a. zur Erforschung des Kontinentes unternommen wurden. Der Untergang Kennedys, der die Cape York-Halbinsel durchsuchen wollte, ist bereits erwähnt worden. Sein Diener „Jacky“ wurde in Port Albany an Bord des „Ariel“ aufgenommen, der Kennedy nach dem Süden bringen sollte. Mit Hilfe Jackys wurden dann noch der Botaniker Carron und ein Mann namens Goddard als die einzigen Überlebenden der aus 13 Köpfen bestehenden Schar gerettet. Um die Papiere Kennedys 52 Prof. H. Dexler: zu erwerben, wurden 2 Schiffe ausgesendet. Man stiess auf ‘3 Skelette von zur Expedition gehörigen Leuten und ermittelte den Platz, wo Kennedy erschlagen worden war; auch sein Kompass und eine Menge zerbrochener Speere wurde gefunden, aber keine Spur von seiner Leiche und seinen Aufzeichnungen. Ein ähnliches Schicksal hatte Dr. Leichhardt etwa 1 Jahr früher ereilt. Schon seit langem hatte man sich mit der Frage beschäftigt, von Sydney einen brauchbaren Überlandweg nach Norden, nach dem Golfe von Carpentaria zu finden, um den Handel eventuell mit Umgehung der Ostküste dorthin dirigieren zu können. Um das Unternehmen, das bisher ganz unbekannte Zentralaustralien zu durchqueren, ins Leben zu rufen, schlug ein eigens gewähltes Untersuchungskomitee vor, von der Regierung 12.000 fl. zu fordern, welche Summe von dem damaligen Gou- verneur Gipps mit dem Hinweise auf die zerrütteten Staats- finanzen abgeschlagen wurde. Dr. Leichhardt, ein Deutscher, der sich wiederholt vergebens bemühte, der Expedition beige- zogen zu werden, war samt der Intelligenz der Bevölkerung so sehr über die obstinate und rückständige Haltung, die. Gipps in einer damals so aktuellen Frage einnahm, erbittert, dass er beschloss, auf eigene Faust die Durchquerung zu versuchen. Zu ihm gesellten sich 6 Weisse, 1 amerikanischer Neger und 2 Australier. Seine Ausstattung war grösstenteils von den Moretonbaisquattern geleistet worden, die an dem Aufleben eines neuen Transportweges das grösste Interesse hatten. Die Schar zog von Jimbour, damals eine der Randstationen des Westens von Moretondistrikt, aus und erreichte ihr Ziel Essington Port, nachdem sie 3000 Meilen in einem unerschlos- senen Lande unter den härtesten Strapazen durchstreift hatte. Auf dem Wege schickte Leichhardt zwei Mann wegen Nahrungs- mangel zurück, von denen einer von den Eingeborenen ermordet wurde. Die Expeditionsteilnehmer waren halb verhungert in Port Essington eingetroffen und hatten im ganzen 15 Monate gebraucht. Nach mehrwöchentlicher Rast segelten sie mit dem Kutter „Heroine“ heimwärts und landeten Ende März 1846 in Sydney. Dort hatte man sie länsst für tot gehalten; eine Befreiungsexpedition unter Führung des zurückgeschickten Europäers war anfgebrochen, ohne aber die Spuren Leichhardts entdecken zu können. Sein Wiedererscheinen rief die grösste Begeisterung hervor. Der Staat streckte 24.000 fl. vor und durch eine freiwillige Sammlung wurde eine ähnliche Summe zustande gebracht; ausserdem wurden Leichhardt von den geographischen Gesellschaften in Paris und London Goldmedaillen verliehen, die er indessen nicht mehr sehen sollte. - Australische Reisebriefe. 58 ‘ Am 30. September 1847 brach er von den Darling Downs auf, um Australien von Osten nach Westen zu durchwandern, für welchen Zweck er 2'/), Jahre als notwendige Zeit ange- nommen hatte. Die kühne Schar bestand aus neun Köpfen. Mitte Dezember war sie in den Westranddistrikten der Downs - angelangt und besass 15 Pferde, 13 Maultiere, 90 Ochsen, 270 „Ziegen und 108 Schafe. Nach ihrem Aufbruche von Charleys Creek ereignete sich ein Unglücksfall nach dem anderen. Die Pferde und Rinder gingen durch und ihre Wiedereinbringung hielt die Expedition über einen Monat auf. Dann wendete sich der kühne Forscher, teilweise seinen früheren Weg benutzend, nach Nordwesten und wäre beinahe ein Opfer der damaligen heftigen Regen geworden, die grosse Uberschwemmungen an- richteten. Die Leute bekamen Fieber oder wurden sonst krank, die Maultiere erwiesen sich als unbrauchbar, das Vieh ging ver- loren. Total erschöpft machten sie sich auf den Rückweg und kamen in bemitleidenswertem Zustande am 21. Juli zur Russel - Station. Kurz darauf ging Leichhardt nach Sydney und brachte eine neue Expedition zusammen, die im Dezember 1847 neuer- dings ihren Weg nach Westen nahm. Mit sechs Begleitern, 50 Ochsen, 20 Maultieren und 6 Pferden brach er am 1. April von der letzten bewohnten Station Fitzroy Downs auf und nahm seinen Zug nach Nordwesten. Seit jener Zeit ist er verschollen. Im Jahre 1849 wurde die Deportation von England aus . abermals aufgenommen, alierdings unter günstigeren Umständen als in den Tagen der ersten Besiedelung des Landes. Die Sträflingstransporte hörten schon nach einem Jahre wieder auf. Sie haben aber doch bewirkt, dass ein gewisses Omen an der Bevölkerung der Morentonbai haften blieb, so dass es sogar heute noch in Queensland Leute gibt, die Brisbane wegen der Abstammung aus den Verbrechertransporten womöglich vermeiden. Das nächste Dezennium ist erfüllt von jenen Bestrebungen, welche zur Separation des bisherigen Moretonbai-Distriktes von Neu-Süd-Wales führten. Durch zahlreiche Wanderzüge, die sich an die Namen Bourke, Gregory, Mueller u. v. a. knüpfen, wurde die Bodengestaltung immer mehr bekannt, der Strom der Ein- wanderer immer dichter und dadurch die Bedürfnisse des Landes so erweitert, dass eine Leitung des ganzen Staates von Süden aus kaum mehr entsprechen konnte. Eine Ara neuer Tätigkeit entsprang den Goldfunden, die zuerst im jetzigen Zentralqueens- land 35 Meilen von Rockhampton in Canoona gemacht wurden. Die Kolonisten waren schon früher mit dem Goldfieber bekannt geworden, so im grösseren Masstabe, als Californien als Gold- land ausgerufen wurde. Als die Kunde hiervon im Januar 1349 nach ÖOstaustralien drang, schien es zu einem allgemeinen Aus- 54 Prof. H. Dexler: Australische Reisebriefe. wandern zu kommen. Geschäfte und Verkehr ruhten, ja es konnte in Brisbane damals eine Regatta nicht abgehalten werden, was bei der nationalen Vorliebe für Sport gewiss viel sagen will. Zum Glück kamen damals gerade Dr. Langs erste Auswandererschiffe aus England, die einem wirtschaft- lichen Krach wenigstens teilweise vorbeugten. Noch viel in- tensiver war die Bewegung im Jahre 1851 nach Hargreaves ‘Goldfunden zu Bathurst. Als die Gerüchte über fabelhaft grosse Goldklumpen oder Nuggets in die Öffentlichkeit drangen, wurden die Sydneyleute von einem wahren Wahnsinn ergriffen, der sich auch auf die Bevölkerung der nördlichen Distrikte mitteilte und ein kopfloses Abströmen eines grossen Teiles der Einwohner nach Neu-Süd-Wales, dem neuen Goldlande, herbeiführte. Alle - Berufsarten steuerten zu dem grossen Zuge nach dem Süden bei, der Brisbane halb entvölkerte; an einem Tage schifften sich 66 Mann aus dieser damals so kleinen Stadt ein. Die Glocke der Auk- tionäre wurde unausgesetzt gehört — es gab aber keine Käufer, weil alle Verkäufer waren. In kurzer Zeit waren zwölf Expedi- ‚tionen ausgerüstet, weil sich die Meinung verbreitet hatte, dass ‘ die grossen Goldfelder des Südens sich bis zu den Darling Downs ausdehnen müssten. Die Nachrichten über derartige neue Entdeckungen jagten solche von Widerrufungen und eine hitzige Spekulation in imaginären Minenwerten griff Platz. Der Anbruch neuer Goldfelder in Viktoria verschlimmerte noch die - Situation ganz gewaltig, so dass sogar die Wollproduktion aus Mangel an Arbeitskräften zurückging oder doch durch ganz bodenlose Lohnforderungen gehemmt wurde. Es dauerte lange, bis die Bewegung nur einigermassen zum Stillstande kam; denn die Tatsache, dass ein einziger Mann in Bathurst einen Zentner Goldes geschürft hatte, war für die meisten eine fast unüber- windliche Versuchung. Es muss aber dem praktischen Sinne der (Queensländer zu Ehren hervorgehoben werden, dass sie, ver- mutlich geschult durch die soeben geschilderten Erfahrungen, bei den nachmaligen Goldfunden im eigenen Lande weit gefasster den Ereignissen entgegentraten. Die ersten Versuche der Gold- wäscher waren begreiflicherweise für die weniger sesshaften An- siedler ein neuer Gegenstani der Erregung. In sehr kurzer Zeit mässigte sich aber die überstürzte Spekulation mit Leben und Gut und es wurde in umsichtiger Weise der Grund zu der heutigen Goldindustrie gelegt, die bisher den allermodernsten Anforderungen entspricht. Mit Ende 1853 soll der Regierungsgeologe von Sydney, Stutehbury, zum ersten Male in Port Curtis Gold entdeckt haben ; dann wurde das Vorkommen des Edelmetalles in den Canning Downs 1856 und zwei Jahre später in Canoona konstatiert. An MENT © Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: Beitr. z. Physiologie d. Gesichtssinnes. 55 letzterem Orte beganı man zuerst eine praktische Ausbeutung; 1867 setzte die Regierung Preise von 2000—10.000 Gulden für die Auffindung neuer Goldquellen aus, was den Anstoss zum Auf- blühen dieser Industrie und des ganzen Staates bot; es wurden Auswanderer in grösserer Zahl herbeigelockt und auswärtige Kapitalisten bewogen, ihr Geld nutzbringend und in grösserem Masse in Queensland anzulegen. Unter den sich immer mehr verschiebenden Existenzbedin- gungen stellte sich die selbständige Verwaltung als ein immer deutlicher hervortretendes Postulat heraus, dem die Regierung im Jahre 1859 Rechnung trug. -Am 9. Dezember 1859 wurde der Moretonbaidistrikt unter dem Namen Queensland zu einer eigenen Kolonie erhoben und damit der Grundstein zu dem heu- tigen Staatswesen gelegt, dessen blühende, von mehr als einer halben Million Menschen getragene Kultur zu schildern später versucht werden soll. (Aus dem physiologischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag.) Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. Von Priv.-Dozent Dr. R. H. Kahn. I. Eine Methode der objektiven Mischung von Spektral- farben zu Demonstrationszwecken. Wohl auf keinem Gebiete der Physiologie ist es bei Demon- strationen so wichtig, den Schülern die genauen Bedingungen der demonstrierten Versuche in durchsichtiger Weise vor Augen zu führen, als in der Physiologie der Sinne. Namentlich in der Physiologie des Gesichtssinnes spielt nach meinen Erfahrungen die klare Übersicht über die Technik der einzelnen Versuche eine hervorragende Rolle für das rasche Verständnis der gebo- tenen Versuchsresultate. Aus diesem Grunde bilden zum Beispiel die mit völliger und einfacher Übersicht der vorhandenen Ver- suchsbedingungen verbundenen Farbenmischungs- und Kontrast- versuche mittels der Vorrichtung Herings') eine ungemein an- schauliche und leicht verständliche Demonstration. Bei objektiver Demonstration der spektralen Farbenmischung ist es gewiss zweckmässig sich dieses grossen Vorteiles nicht zu begeben. Aus diesem Grunde glaube ich es rechtfertigen zu können, wenn ich im Folgenden eine Anordnung beschreibe, deren ich mich zur Yı) Pflüg. Arch. 42. Seite 119. s I} Dog‘ DEE Fe Y,.4 MA a I er f 5 _ u ze di BE f tz en . X; Ger r & Er Se 7 ze u 56 Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: Demonstration der spektralen Farbenmischung seit längerer Zeit bediene, und welche einerseits vorzügliche Resultate bezüglich der Reinheit der gemischten Farben und der Grösse der farbigen Flächen bietet, andererseits aber, wieich glaube, an Durchsichtig- keit-der Versuchsbedingungen für den Studierenden nichts zu wünschen übrig lässt. Die Methode ist nichts anderes als eine zweckmässige Abänderung des von Helmholtz?) schon vor sehr langer Zeit angegebenen Prinzipes. Mittels Bogenlampe, Spalt und eines Rowlandschen Hohlspiegel-Gitters wird ein Spektrum entworfen, welches auf den Schirm der folgendermassen kon- struierten optischen Bank fällt. (Fig.) Auf einer 1m 20cm langen dreiseitig-prismatischen Eisenschiene sind auf Reitern folgende Apparate befestiet. Auf’dem dem Gitter zugewendeten Ende der Schiene steht ein schwarzer Blechschirm (40 cm lang, 17 cm hoch) (a), welcher einen grossen rechtwinkligen Ausschnitt besitzt. An der oberen und unteren Kante dieses Ausschnittes sind zwei metallene Platten derartig angebracht, dass sie eine en = Br } er | 4 V EG: IE GE; - Be Schlittenbahn bilden, in welche drei dünne Metallplatten einge- schoben werden können. Dann wird durch die mittlere Platte der mittlere Teil des Ausschnittes verdeckt, durch die beiden seitlich gelegenen soviel von den Seitenpartien des Ausschnittes verschlossen, dass zwei in ihrer Breite mit der Hand verstellbare vertikale Spalte entstehen, deren Distanz dadurch verändert wer- den kann, dass verschieden breite Einsätze als mittlere Platte eingeschoben werden. Die Spalte besitzen eine Höhe von 8 cm und werden für gewöhnlich auf eine Breite von 6 mm eingestellt. Etwa 4cm hinter diesem Schirme befindet sich ein rechteckiges Diaphragma (db), welches einen breiten Ausschnitt von 40 mm Höhe besitzt. Hinter diesem steht mit ihrer optischen Achse genau gegen die Mitte des Schirmes zwischen den beiden Spalten gerichtet, eine grosse Sammellinse (c) von 40 cm Brennweite und 22 cm Durchmesser etwa 40 cm von dem Schirme entfernt und von dieser 60 cm entfernt am anderen Ende der Bank ein Prismen- 2) H. v. Helmholtz, Hdb. d. physiolog. Optik. II. Aufl. 1896. S. 352. .E, B; ne BARFEN Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 57 paar (d). Zwei rechtwinklige Glasprismen von 40 mm Höhe und 40 mm Kathetenlänge stehen auf einem Metalltischchen, so dass sie sich mit den Hypotenusenflächen berühren. Dabei liegen diese letzteren in einer vertikalen durch die optische Achse der Sammel- linse gelegten Ebene. Es ist nun die Einrichtung getroffen, dass diese Prismen sich (durch Zahn und Trieb bewegt) um eine vertikale Achse drehen können, welche mit der der Sammellinse abgewendeten Kante des durch die Prismen gebildeten Würfels genau zusammenfällt, und zwar jedes Prisma in gleichem Aus- maasse. Nach einer solchen Drehung bilden also die Hypotenusen- flächen der Prismen einen gegen die Sammellinse offenen spitzen Winkel. Die ganze Vorrichtung wird so aufgestellt, dass die Schiene der optischen Bank in die Richtung der mittleren Strahlen des Spektrums I. Ordnung fällt. Der Schirm mit den beiden Spalten befindet sich etwa 60cm vom Gitter entfernt, so dass ein grosser Teil desselben vom Spektrum bedeckt ist. Nun wer- den durch die Spalte zwei Farben aus dem letzteren durchge- lassen. Bei einer Breite der Spalte bis zu 6 mm sind dieselben von genügend reinem farbigen Lichte erleuchtet. Von diesen Spalten entwirft die Sammeliinse auf einem grossen weissen etwa 4m von ihr entfernten Schirme je ein sehr vergrössertes farbiges Bild. Es werden also auf dem Schirme zwei etwa 40 cm hohe und 6cm breite Flächen mit reinfarbigem Lichte beleuchtet. . Diese Flächen haben scharfe Grenzen, sind ein wenig in der Längsrichtung gekrümmt und durchaus gleichmässig mit reinen, satten und hellen Farben beleuchtet. Die Höhe dieser Flächen kann durch das hinter dem Schirme aufgestellte Diaphragma beliebig verkleinert werden. Etwa 60 cm hinter der Sammellinse haben die Strahlen, welche die Spalte durchsetzten, noch die beiden oben erwähnten Prismen zu passieren. (Fig.=d.) Diese sind so aufgestellt, dass die Mitte der der Sammellinse abge- wendeten Kante des durch die Prismen gebildeten Würfels genau in jenen Punkt der optischen Achse zu stehen kommt, in weichem sich die Strahlenbündel, welche aus der Linse kommen, kreuzen. Es fällt also in jedes Prisma eines der beiden konvergierenden verschieden gefärbten Strahlenbündel, ein jedes derselben wird an der Hypotenusenfläche der Prismen total reflektiert und an den Kathetenflächen gebrochen, so dass die beiden Bündel die Prismen schwach divergierend verlassen. Dann stehen die be- leuchteten farbigen Flächen auf dem weissen Schirme etwa 50 cm von einander ab. Indem man nun die Prismen in der oben be- schriebenen Weise um ihre hintere Kante dreht, lassen sich die beiden Spaltbilder auf dem Schirme zur Deckung bringen und es entsteht nun ein farbiges Feld in der Mischfarbe (eventuell ein farbloses). Da die beiden Spaltbilder aber leicht gekrümmt ı 58 Priv.-Doz, Dr. Fr. Weleminsky 5 sind, zeigen die Ecken des Feldes die zur Mischung verwendeten Farben. Nun kann man durch Drehung des Gitters um eine verti-- kale Achse, indem man das Spektrum auf dem Schirme mit den zwei Spalten wandern lässt, beliebige Farbenpaare bei gleichem linearen Abstande zur Deckung bringen. Weiters lässt sich die Distanz der Spalte in einfacher Weise durch Einfügen verschieden breiter Zwischenstücke beliebig ändern, so dass man in der Lage ist, sämtliche Farben des Spektrums miteinander zu mischen. Zur Abstufung der Intensitätsverhältnisse dient eine sehr ein- fache und anschauliche Methode. In das eine der beiden farbigen Strahlenbündel stellt man auf einem geeigneten Stativ eine oder mehrere Glasplatten (in der Grösse von Objektträgern) unmittel- bar hinter den Prismen. Dadurch kann die Intensität der be- treffenden Farbe beliebig verändert werden, und der Einfluss dieser Intensitätsänderung auf die Farbe des gemischten Feldes tritt sehr deutlich hervor. Es ist zum Beispiel ganz leicht, auf diese Weise komplementäre Farben zu völlig farblosem Lichte zu mischen. Der grosse Vorteil dieser ganzen Anordnung besteht aber darin, dass die farbigen Felder sehr gross sind und der Schirm völlig frei steht, vor allem aber darin, dass alle zum Zustandekommen der Erscheinungen dienenden Vorrichtungen und Manipulationen während des Versuches selbst vollkommen sicht- bar und leicht zu durchschauen sind, Umstände, welche gewiss geeignet erscheinen müssen, das Verständnis re grund- legender Experimente sehr zu fördern.?) Nobelpreisträger von 1907. II. Laveran. Von Priv.-Dozent Dr. Fr. Weleminsky. Jede neue Wahrheit hat, wie ein Forscher einmal sagte, 3 Stadien durchzumachen: zuerst wird sie verlacht, dann be-- ak und endlich wird die Priorität bestritten. Auch Laveran, dem der diesjährige Nobelpreis zuerkannt wurde, hatte diese - Erfahrung durchzumachen, und es hat vieler Jahre bedurft, um das volle Verdienst des Mannes anzuerkennen, welcher durch die °) Der hier beschriebene Apparat kann von dem Mechaniker des Institutes J. Krusich bezogen werden. ET Fe R | Nobelpreisträger von 1907. 59 Entdeckung der Malariaerreger den Grundstein zu einem grossen blühenden Zweig der Forschung gelegt und mittelbar die Be- siedelung der Tropen durch Europäer ermöglicht hat. Charles Louis Alphonse Laveran wurde in Paris am 18. Juni 1845 geboren. Seine Studien machte er aber in dem damals noch: französischen Strassburg, wo er auch 1867 promoviert wurde. Er wurde dann Militärarzt, ohne bis zum Jahre 1880 irgendwie hervorzutreten. Seine Garnisonen in Algier gaben ihm aber Ge- legenheit, sich viel mit der Malaria zu beschäftigen. Die An- schauungen über diese Krankheit waren gerade damals in einem - Umschwung begriffen. Hatte man sie früher als den Typus einer miasmatischen angesehen, als hervorgerufen durch schlechte Luft (woher auch der Name stammt), so fahndete man Ende der sieb- ziger Jahre unter dem frischen Eindruck der Forschungen von Pasteur und Koch "nach Bakterien und Kokken. Die Malaria avanzierte zu einer miasmatisch-kontagiösen Seuche und als 1879 Klebs und Tommasi-Crudelli den Bacillus malariae entdeckten, wurde auch schon die Infektion durch Trinkwasser neben der uralten Inhalationstheorie verfochten. Da fand Laveran am 6. No- vember 1880 in Constantine (Algerien) im ungefärbten Blute eines Malariakranken eigentümliche Gebilde: es waren bei diesem Falle zufällig gleichzeitig sowohl die, wie wir jetzt wissen, un- geschlechtlichen (amöboiden) Formen, welche er corps spheriques pigmentes nannte als auch die geschlechtlichen (Halbmonde und namentlich Geisselformen) vorhanden. Wegen der letzteren nannte Laveran das Lebewesen — denn als solches sprach er es eben auf Grund der Geisseln sofort an — Oscillaria malariae. Diese Geisselformen sind es ja auch, welche sich später als so wichtig für die Fortpflanzung der Malariaparasiten ausserhalb des mensch- lichen Körpers erwiesen haben. — In den amöboiden Formen wiederum, welche im Inneren der roten Blutkörperchen zu sehen waren, fand Laveran das Melanin, jene eigentümliche schwarze -körnige Substanz, welche schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Forschungen von Mockel, Virchow, Arnstein, Frerichs u.a. als charakteristisch für die Malaria im Blute und in manchen Geweben von Malariakranken und Rekonvaleszenten festgestellt u ac Fat, worden war. Damit war die Entstehung desselben erklärt, und gleichzeitig die ätiologische Rolle dieser Gebilde sichergestellt. Laveran berichtete über seine Entdeckung am 23. November und am 28. Dezember 1880 in der Academie de medicine, und nach 7 weiteren kleinen Mitteilungen fasste er seine Forschungen 1884 in dem klassischen „Trait& des fievres palustres“ zusammen. — Nach verschiedenen Anzweifelungen war inzwischen 1882 von Richard die erste Bestätigung gekommen; die allgemeine Annahme kam aber bedeutend später, wobei gleichzeitig und 00.83 Sitzungsberichte. noch lange nachher, bis in die neunziger Jahre, ein erbitterter Prioritätsstreit speziell von italienischen Forschern geführt wurde, der aber jetzt unwidersprochen als zugunsten Laverans entschie- den anzusehen ist. ' Die weitere Entwicklung der Lehre von der Malaria, an der Laveran ebenfalls beteiligt ist, von der Einführung der Färbung durch Marchiafava und Celli und insbesondere Romanowsky und den grundlegenden Arbeiten von Golgi 1885 und 1886 über den Entwicklungsgang des Quartanparasiten sowie der Tertianparasiten im menschlichen Blut und den Zusammenhang dieser Entwicklung mit den Fieberanfällen bis zur Entdeckung der Anopheles als Zwischenwirt der Malariaparasiten durch Ronald Ross und die darauf fussende, so überaus erfolgreiche Prophylaxe bilden eines der glänzendsten Kapitel der neueren medizinischen Forschung. Laveran wurde 1884 Professor an der Ecole des Val de Gräce und ist seit 1894 Chef de service honoraire am Institut Pasteur. Er ist ausserdem Mitglied der Acad. de medicine. Ausser seinem ersten grundlegenden Werk über die Malaria schrieb er 1891 noch „Du paludisme et de son h&matozoaire“ und 1898 einen „Iraite du paludisme*. — Mit Teissier zusammen gab er ferner die „Nouveaux @lements de la pathologie medicale* (1894, 4. Aufl.) heraus und verfasste endlich 1896 einen „Trait& d’hygiene mili- taire.* — Sitzungsberichte. I. Monatsversammlung vom 22. Januar 1908. Botanisches Institut. Prof. Dr. Beck von Mannagetta: Über die Vegetationsverhältnisse der letzten Interglacialperiode in den Alpen. (Mit Demonstrationen und Projektionsbildern). (Erscheint unter den Abhandlungen einer der folgenden Nummern). II. Chemische Sektion. Sitzung am 16. Januar 1908. Physikalisch-chemisches Institut. Vorsitz: Prof. Dr. A. Kirpal. 1. Phil. Cand. Wagner: ‚Über die Auflösungsgeschwindig- keit anorganischer Salze im Zusammenhange mit ihrer Wertig- keit.‘ Sitzun gsberichte. "61 Zur Untersuchung gelangten bisher Halogensalze und Sulfate teils im kristallisierten Zustand, teils geschmolzen. Die Auflösung erfolgte in Wasser und die Geschwindigkeit wurde in der verdünnten Lösung mit .Hilfe der Leitfähigkeit nach der Kohlrausch’schen Methode verfolgt. Nach den bisherigen- Ver- suchen ergab sich, dass die mit Hilfe der Noyes’chen Formel für die Temperatur von 25° und konstante Rührgeschwindigkeit (480 Umdrehungen pro Minute) berechnete Auflösungskonstante SR, ] C EN (F': die Oberfläche, 2: die Zeit, ce: die Löslichkeit, x: die aufge- löste Menge) hauptsächlich abhängt von der Wertigkeit der Salze. Bei 1X1-wertigen Salzen ist die Geschwindigkeit am grössten, bei 1X2 resp. 2X1 wertigen ist sie geringer, noch kleiner bei 2X2 wertigen und die kleinsten Werte scheinen die mehr X mehrwertigen Salze zu besitzen. Das Verhältnis Aısxı: Aaxa Ist 1:4 bis 1:6. 2. Dr. ©. Hönigschmid demonstriert zwei neue Apparate und zwar den Apparat von Gasparini zur Bestimmung des Schwefels, Phosphors, Arsens etc. in organischen Substanzen und den Elektrolysenapparat mit bewegtem Elektrolyten nach Frary. III. Biologische Sektion. XXXII. Sitzung am 14. Januar 1908. Pathologisch-Anatomisches Institut S'/,; Uhr. 1. Priv.-Doz. Dr. Wiechowski: Nekrolog auf J. v. Mering (s. Nr. 12 des vorigen Jahrganges). _ 2. Doz. Dr. W. Wiechowski: Uber das Indischgelb. Die Malerfarbe Indischgelb oder Piuri (Pur&e), welche nach Graebe in Bengalen aus dem Harne von mit Mangoblättern ge- fütterten Kühen durch Eindampfen gewonnen wird, besteht zum grössten Teile aus dem Magnesiumsalz einer eigentümlichen Säure (Pureesäure, Euxanthinsäure). Beim Erhitzen liefert die Pureesäure unter Zersetzung ein gelbes, Euxanthon genanntes, Sublimat (Stenhouse u. Erdmann.) Spiegel zeigte, dass die Euxanthinsäure eine mit dem genannten Euxanthon gepaarte Glyeuronsäure ist. Dementsprechend erscheint an Kaninchen verfüttertes Euxanthon zum Teil als Euxanthinsäure im Harne wieder (Kostanecki, Külz). Das Euxonthon erwies sich als Dioxy-dibenzo-y-pyron (Baeyer, Salzmann und Wichelhausen, Rich- ter, Graebe, Kostanecki). Aus welchem Bestandteile der Mango- blätter der Säugetierorganismus das Purse bildet, war unbekannt. Die Blätter des Mangobaumes (Mangifera indica, Anacardiaceae), EEE WEILE AV E TERN je: en > SB Sitzungsberichte. eines in den Tropen meist wegen der Früchte gebauten ganz vulgaeren Kulturbaumes, zeigen bei geeigneter Behandlung im Mesophyll der Blattunterseite mit doppelbrechenden, gelblichen Massen erfüllte Sekretzellen, deren Inhalt manchmal an Bruch- oder Knickungsstellen auswittert, wenn man die trockenen Blätter in eine feuchte Atmosphäre bringt. Der nach Verfüt- terung des wässerigen Blätterextraktes an Kaninchen gelassene Harn setzte nach längerer Zeit ein gelbes Sediment ab, das sich als Euxanthon erwies. Durch Alkohol konnte aus den Blättern in guter Ausbeute ein krystallisierter Stoff erhalten werden, welcher, an Kaninchen verfüttert, die Ausscheidung von Euxan- thon und Euxanthinsäure im Harne verursachte. Dieser fast farblos kristallisierende, bei 273° schmelzende Stoff stellt dem- nach die gesuchte Muttersubstanz des Indischgelbs dar. Die Untersuchung des neuen Stoffes ist im Gange. 3. Dr. Ludwig Freund: Eine graphische Methode zur ste- reometrischen Darstellung (Lage, Achsen und Winkel) des äusseren Gehörganges (Mit Demonstrationen). Der Vortragende bespricht an der Hand zahlreicher Metall- ausgüsse, Röntgenogramme und deren Kopien die Gestaltung und Richtung des äusseren Gehörganges (sc. vom Trommelfell bis zur Hörmuschel) und die Unmöglichkeit, die Neigungswinkel der- selben zu einander und zu den Schädelebenen, sowie der ein- zelnen Gehörgangsabschnitte zu einander, direkt zu bestimmen und zu messen. Es scheitert dies an der Unmöglichkeit, die Achsen der äusseren Gehörgänge, dieser mehrfach gebogenen und auch sonst mannigfach . gestalteten Röhrengebilde, festzu- stellen. Es ist nun auf mechanischem Wege möglich, diese Mängel zu beheben, u. z. nach folgendem vom Vortragenden eingeschlagenen Verfahren. Der Kopf wird ohne Präparation vom Körper getrennt, die beiden Gänge mit Woodschem Metall ausgegossen, worauf der Kopf samt den belassenen Ausgüssen in Formol mehrere Stunden (Tage) gehärtet wird, um nachträgliche Verschiebungen des z. T. in Weichteilen steckenden Ausgusses zu verhüten. Hierauf er- folgt die Röntgenisierung des Objektes in drei auf einander senkrecht stehenden Ebenen. Zuerst wird der Kopf vom Dorsum durch Auflegen auf seine ventrale Basalfläche, dann von vorne durch Aufstellen auf sein Oceiput, schliesslich von der Seite durch Auflegen auf eine mediane Schnittfläche, nachdem der Kopf median zersägt worden ist, unter jedesmal gleichbleibender Entfernung der Röntgenröhre von den Ausgüssen und dieser von der Platte röntgenisiert. Man erhält auf diese Weise Projek- tionen (Schattenbilder) der Ausgüsse auf die genannten Ebenen, Sitzungsberichte. 63 graphische, mechanische Darstellungen, die nun zu weiteren be- - liebigen Messungen, nachdem Achsen eingetragen worden sind, benützt werden können. Durch Beifügung der Kopien kann man jederzeit nachweisen, wie und wo man die Achsen gezogen hat, auf welche Winkel man sich bezieht. Freilich sind die Winkel nicht direkt abzulesen, da es sich nur um Projektionen dieser - und auch der Achsen handelt, doch unterliegt es mit Hılfe der darstellenden Geometrie keiner Schwierigkeit, aus zwei auf einander senkrecht stehenden Projektionen eines Winkels die wahre Grösse desselben zu berechnen. XXXIV. Sitzung am 21. Januar 1908. Physiologisches Institut, 8'/; Uhr. Privat-Dozent Dr. Sträussler: Übersichtsreferat über die Anatomie, Physiologie und Pathologie des Kleinhirns. Referent gab zunächst eine ausführliche Darstellung des anatomischen Baues des Kleinhirns an der Hand zahlreicher Projektionen von Schnittpräparaten. Anschliessend daran be- richtete Referent über die Entwicklung und die Ergebnisse der physiologischen Erforschung des Kleinhirns. Der Vortrag wurde wegen vorgeschrittener Zeit unterbrochen und die Fortsetzung auf eine der nächsten Sitzungen verschoben. XXXV. Sitzung am 29. Januar 1908. Augenklinik, 8'/, Uhr. 1. Priv.-Dozent Dr. Ulbrich: Die Methode der Photographie des Augenhintergrundes nach Dimmer. An der Hand von episkopisch projizierten Abbildungen aus dessen Publikation bespricht Referent die gegen Dimmer ge- richteten Angriffe von Thorner u. Neuhauss. Endlich führte der Vortragende Diapositive nach den in der letzten Abhandlung - Dimmers publizierten Tafeln vor und stellte ihnen ein Diapositiv von Thorners Abbildurg gegenüber. 2. Priv.-Doz. Dr. Kahn erörterte das Prinzip der Farben- photographie nach Lumiere und schilderte den Vorgang der Ex- position und Entwicklung der Autochromplatten nach seinen eigenen Erfahrungen. Weiters wurden Platten, welche nach diesem Verfahren hergestellte farbige Aufnahmen enthielten, unter dem Mikroskop gezeigt, sowie eine Reihe farbiger Dia- positive (Stilleben, Mikrophotogramme, Spektren, Portraits und Reproduktionen) durch die Projektion vorgeführt. 64 Sitzungsberichte. IV. Geographische Sektion. Konstituierende Versammlung am 27. Januar 1908. - In Vertretung des Obmannes des „Lotos“ richtete Herr Prof. Dr. R. Spitaler herzliche Worte der Begrüssung an die Erschienenen und legte die Stellung der Sektion zum Vereine „Loötos* dar. Als Zweck und Ziel der geographischen Sektion bezeichnete er die Abhaltung von Versammlungen, bei denen Vorträge: ge- halten und alle in das Gebiet der Geographie fallenden Fragen besprochen werden sollen, ferner gemeinsame Exkursionen, die Gründung eines Exkursionsfondes zur Durchführung der Exkur- sionen und zur Ermöglichung geographischer Reisen der Sektions- mitglieder durch Gewährung von Unterstützungen, Der Vorsitzende erklärt die Sektion für gegründet. Die Versammlung schreitet zur Wahl des engeren Ausschusses: Ob- mann: H. Hofrat Prof. Dr. O. Lenz, Stellvertreter: H. Prof. Dr. R. Spitaler, Schriftführer: H. Gymnasiallehrer L. Eylardi. Hierauf ergriff H. Hofrat Lenz das Wort zu seinem Vor- trage: „Amundsen’s Reise durch die Nordwestpassage*“. Zunächst schilderte er den gegenwärtigen Stand der Nordpolforschung und zeigte, wie die einzelnen Forscher dem Pole immer näher ge- kommen sind, bis Peary 1906 nur noch 322%km vom Nordpol entfernt war. Die Aufgabe A. bestand einmal in der Auf- suchung des magnetischen Nordpols, des anderen in der Erfor- schung der Nordwestpassage. Der Vortragende gab einen Über- blick über die Geschichte der Erforschung der Nordwestpassage, seit Davis (1585) den ersten Versuch gemacht hatte von Osten vorzudringen, bis auf die Gegenwart. A. verliess am 17. Juni 1903 auf der Gjoä mit 7 Beglei- tern Christiania und erreichte am 19. Oktober 1906 S. Francisco. Am 20. November traf die Expedition wieder in Christiania ein. Nur ein Begleiter war einer Lungenentzündung erlegen. A. Begleiter entstammten durchwegs den gleichen sozialen Verhält- nissen und waren Leute mit gleichwertiger wissenschaftlicher Fachbildung. Diesem Umstande sind die Erfolge der Reise im wesentlichen zuzuschreiben. Die Expedition erreichte von Grönland aus durch den Lancastersund Boothia Felix, wo unter 68° 37° n. B. und 95° 45° w. L. die Winter von 1903/4 und 1904/5 zugebracht wurden. Hier kam A. dem magnetischen Nordpol bis auf 90 Seemeilen nahe, die Inklination betrug 89° 15‘. Bemerkenswert erscheint es, dass die Expedition in denselben Gegenden mit keinerlei AN AR La, Dirk nr . RS Sitzungsberichte, 65 - -aussergewöhnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, wo 1847 bis 1848 die grosse Franklin-Expedition elend zugrunde ging. In den Meeresstrassen zwischen den grossen Inseln und Halbinseln beobachtete Amundsen starke Ebbe- und Fluterschei- nungen, durch welche in den Kanälen geradezu Strömungen ‘hervorgerufen werden. Alte Strandlinien wurden in einer Höhe von 20 Metern über dem gegenwärtigen Niveau gefunden. Zahl- reicher Petrefaktenfunde wird von A. gleichfalls Erwähnung ge- tan, ohne dass er sie jedoch näher beschreibt oder ihre Zugehörig- - keit zu einer geologischen Formation näher bezeichnet. Die Landschaft, in der die zweimalige Überwinterung A. erfolgte, wird von den Netschili-Eskimos bewohnt, deren Kultur noch sehr primitiv erscheint (Kochgeschirre aus Speckstein, Feuer- erzeugung durch Reiben von Hölzern aneinander). Die beobachteten Temperaturen bewegten sich zwischen —50—60° im Winter und +25° im Sommer. Lästig werden in dieser Jahreszeit die zahllosen Mückenschwärme. August 1905 verliess die Expedition den Gjoähafen und brach nach Nordwesten auf; in der Nähe der Mündung des Magdalenenflusses erfolgte die dritte Überwinterung in Gesell- ‚schaft mehrerer Wallfischjäger, die sich verspätet hatten und nun unfreiwillig überwintern mussten. Der Vortragende schildert die durch den Verkehr mit den Europäern vielfach degenerierten Eskimos dieser Landschaften. Schliesslich wird Amundsen’s Reise mit der Fahrt Norden- skjölds durch die nordöstliche Passage verglichen und als gleich- wertige Forschertat hingestellt. Als zweiter Vortragender kam H. Reichsratsabgeordneter Frz. Jesser über das Thema: „Die Beziehungen des Menschen zur Erde“ zum Wort. Der Vortrag wird als Originalartikel in dieser Zeitschrift erscheinen. m Oppelf {: Norte * k, u. k. Hoflieferant, DRA G, Altstädter Ring. LI IT; Bedeutendstor Wein-Import und größtes kager von allen Sorten feiner in: und ausländiicher Weine, Champagner, Cognacs, feiner kiköre efc. Preisliiten auf Wunid. Gegründet 1823. Telephon 807. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘‘., Bibliothek und Sekretariat: Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Samstag 7—9 Uhr abends. 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SERIE. & SITZUNGSBERICHTE: 1. MONATS- VERSAMMLUNG, FEBRUAR 1908. 11. BIOLOGISCHE SEKTION, 36., 37. SITZUNG. III. BOTANISCHE SEKTION. IV. GEOGRAPHISCHE SEKTION, 2. SITZUNG. AAA2&4& Beeren PRAG. 1908 EI ET] J. G. CALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG . . Mineralpräparate, zgeschliffene Edelsteine Mi n eral Ien » Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, mineralog. Apparate und Utensilien. . Dünuschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. Geologie. Exkursions-Ausrüstungen. aus Holz, Glas und Pappe. Kristall- Kristal | modelle optische Modelle. : “4° für den geologischen und petrographischen & D japosıtıve Unterricht. Der allgemeine mineralogisch- geologische Lehrmittel-Katalog (reich illustr. Nr. XVIII) steht auf Verlangen portofrei zur Verfügung. 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In den Schicksalen der Vegetation Österreichs seit der Tertiärzeit bis zur Gegenwart hat bekanntlich keine Epoche grössere Umwälzungen in dem DBestande des alten tertiären Pflanzenwuchses unserer Länder hervorgerufen als die Diluvialzeit oder die Periode der Eiszeiten. Die alte Hypothese, welche nur eine Periode grosser Kälte und Feuchtigkeit, also nur eine Eiszeit annahm, in welcher unsere Länder völlig unter Eis und Schnee begraben wurden und in welcher die über die norddeutsche Ebene rollenden arktischen Meeresfluten mit Blöcken beladene Eisberge am Rande des Riesengebirges und Harzes strandeten, hat die neuere Forschung längst überholt. Eine Wiederholung der Eiszeiten und des Vergletscherungs- Phänomens mit Unterbrechung desselben durch s. g. Interglazial- zeiten grösserer Andauer, in denen ein wärmeres und trockeneres Klima der dezimierten Vegetation wieder günstigere, ja sogar bessere Lebensbedingungen als gegenwärtig und mannigfache Wanderwege darbot, muss unabweislich angenommen werden. Auch fand kein wiederholter Einbruch eines nordischen Meeres statt, sondern eine Bedeckung der norddeutschen Ebene mit mächtigen, aus Skandinavien stammenden Inlandeismassen, die sich wiederholt vorschoben und zurückzogen. Die Eiszeitforscher haben in den letzten Jahren eine sehr ' verschiedene Anzahl von Eiszeiten und demnach eine verschieden a ", grosse Zahl von Interglazialzeiten zwischen denselben angenommen. 2 90 | Ernst Bauer: REEL? i SER eg Crossidium griseum, Tortula montana. In der Entwicklung der Früchte sehr ungleich! Die Pflanzen stammen von der gleichen Lokalität, von der das Crossidium aufliegt und wurden an einem Tage gesammelt. In den Polstern fanden sich zahlreich die Eier einer kleinen Heuschrecke. K. Loitlesberger. Vergl. Rotb, Eur. Laubm. I. p. 162, Limpr. Laubm. I. 229, Kindb. Species II. p. 286 sub Weisia, Delogne, Fl. cr. Belg. p. 65. 257. Hymenostylium eurvirostre (Ehrh.) Lind. 1864. c. fr. Kgr. Sachsen: Auf einer Sandsteinmauer bei dem Bahnhofe in Schandau, etwa 135 m s. m., 13. Okt. 1902 leg. W. Krieger. 258. Anoectangium Hornschuchianum Funk. 1818. c. fr. e loco el! Kärnten: Schieferfelsen am Gössnitzfalle bei Heiligenblut in Gesellschaft von Hymenostylium curvirostre, etwa 1400 m Ss. m., 27. Sept. 1905 legit J. Baumgartner. Beide Pflanzen sind oft innig miteinander gemischt, so dass die Früchte von Hymenostylium zu Molendoa zu gehören scheinen ; Kapseln aber bedeutend kleiner. Baumg. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 172, Limpr. Laubm. I. p. 248 sub Molendoa, Kindb. Species II. p. 317. 259. Dieranoweisia eirrata (L.) Lindb. 1864. c. fr. Korsika: Auf Wurzeln und Stämmen von Pinus Laricio bei Vizzavona, etwa 1000 m s. m., 21. April 1905 leg. V. Schiffner. Die Pflanze wächst hier von 800m an und erreicht die Höhengrenze etwa bei 1000 m. Schiffner. 260. Dieranoweisia erispula (Hedw.) Lindb. 1864, c. fr. Schweiz: a) auf dem Schafberg bei Pontresina, 2000 m s. m., August 1884, 2500 m s. m. Juli 1889; 5) auf Glimmerschiefer auf dem Eggishorn in Wallis, 2500 m s. m., Juli 1905; ce) auf Granit, Grimsel 2000 m s. m. Juli 1905 legit J. Röll. Ungarn: d) Märamaroser Komitat, Rodnaer Alpen, auf Glimmerschieferblöcken auf dem Verfa Pietrosz, unterhalb des Jäsers 1800 m s. m., 14. August 1903 legit W. Limpricht. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 182, Limpr. Laubm. I. p. 264, Kindb. Species II. p. 209, Delogne, Fl. cr. Belg. p. 68, Warnstorf, Laubm. p. 106. f PR Musci europaei exsiccati. 91 261. Cynodontium graeileseens (Web. et Mohr) Schimp. 1855, c.-fr. Schweiz: Auf Felsen und Waldboden am Wege von Grindel- wald auf das Faulhorn, 8. Aug. 1905 legit P. Culmann. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 192, Limpr. Laubm. 1. p. 284, Kindb. Species. II. p. 182. 262. Dieranella Grevilleana Schimp. 1855, c. fr. Tirol: Im Isstale bei Hall, auf einer humösen Böschung, Unterlage Kalk, etwa 1200 m s.m., 6. Aug. 1906 leg. V. Schiffner et A. Schmidt. Gemeinsam wuchsen: Trichoden cylindricus, Preissia com- mutata, Cephalozia pleniceps, Webera cruda, Funaria hygrome- trica. Schffn. 263. Dieranella rufescens (Diks.) Schimp. 1855, c. fr. Bayern: Tonige Grabenränder bei Bernau am Chiemsee, 520m s. m., Anfang Oktober 1905 2 H. Paul. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 208, Limpr. Laubm. I. p 322, Kindb. Species ke Bi 209, en c. p. 74, Warnst. Laubm. pP 127: 264. Dieranum Bonjeani De Not. 1837. Österr. Küstenland: Mit Dieranum undulatum Ehrh. auf einer Sumpfwiese bei Mossa „Prevali*, etwa 50m s. m., Okt. 1906 legit K. Loitlesberger. 265. Dieranum congestum Brid. 1806. Finland: Prov. Nyland, Sprengel Sibbo, auf Felsen bei Löparö, August 1904 legit V. F. Brotherus. 266. Dieranum montanum Hedw. 1801, c. fr. Russland: Gouv. Moskau, im Walde Sokolniki auf Baum- strünken, 18. Aug. 1903 legit K. L. Heyden. Vergl. Roth, Eur. Laub. I. p. 234, Limpr. Laubm. 1. p. 365, Kindb. Species I. p. 188, Delogne, Fl. cr. Belg. p. 78, Warnst. Laubm. p. 139. Die Blätter der fruchtenden Pflanzen sind sehr kraus mit Neigung zur Einseitswendigkeit, sie sind länger, der Rand bis fast zur Basis gegen die Spitze kräftiger sägezähnig, die Rippe am Rücken deutlich gesägt-papillös, Blattflügelzellen bis zur Rippe, seltener fast bis zur Rippe reichend. Die Peristomzähne sind längs rotbraun, bis zur Hälfte ge- spalten, die Kapseln hochrückig, etwas gekrümmt. Bauer. 92 Ernst Bauer: 267. Dieranum viride (Sull. et Lesqu.) Lindb. 1863, var. dentatum Röll (Hedwigia 1905, Heft 1). Hessen: In grossen, flachen Überzügen, oft mit Dier. mon- tanum Hedw., an alten Rotbuchenstämmen in der Fasanerie bei - Darmstadt 150—200 m s. m., in mehreren Wuchsformen (f. cris- pula, falcata, stricta, propagulifera). Blätter brüchig, weit herab- gezähnt. 20. Feber 1906 legit J. Röll. ? 268. Ditrichum glaucescens (Hedw.) Hpe. 1867. c. fr. Österr. Küstenland: Ternowaner Wald, stellenweise über Humus, 1100—1200 m s. m., Juni 1906 legit K. Loitlesberger. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 276 (Leptotrichum). Limpr. Laubm. I. p. 504, Kindb. Species II. p. 179, Delogne ]l.c.p. 93. 269. Ditrichum glaucescens (Hedw.) Hpe. c. f. Finland: Carelia lJadogensis, Sprengel Svanlaks, Vehkaruori, in Felsspalten auf Sandboden, 12. Juli 1904 leg. V.F. Brotherus. 270. Ditrichum homomallum (Hedw.) Hpe. c. fr. Königr. Sachsen: Auf dem Fichtelberg im Erzgebirge, etwa 1100 m s. m., 28. Sept. 1907 legit W. Krieger. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 273, Limpr. Laubm. I. p. 501, Kindb. Species II. p. 180, Delogne ]. c. p. 94, Warnst. Laubm. p. 194. 271. Distichium eapillaceum (Sw.) Br. eur. 1846, c. fr. Kgr. Sachsen: Auf Festungsmauern des Königsteines (Sand- stein), etwa 310 m s. m., 10. Okt: 1902 legit W. Krieger. 272. Pottia minutula (Schleich.) Bl. eur. 1843, c. fr. Österr. Küstenland: Auf den Dämmen der Bewässerungs- kanäle um Monfalcone, Januar 1907 legit K. Loitlesberger. Von Begleitpflanzen wurden bestimmt: Bryum argeateum, Dicranella varia, Phascum cuspidatum und hie und da Floerkei. Loitl. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 285, Limpr. Laubm. I]. p. 528, Kindb. Species II. p. 284 (Weisia Dayallii Smith), Delogne l. c. p. 98, Warnst. Laubm. p. 209 (P. rufescens Schl.). 273. Didymodon rubellus (Hoffm.) Br. eur. 1846, c. fr. Kgr. Sachsen: Am Elbufer bei Königstein, etwa 120 m s. m., 26. Sept. 1905 legit W. Krieger. nase Musci europaei exsiccati. 93 Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 296, Limpr. Laubm. I. p. 544, Kindb. Species II. p. 276, Delogne ]. c. p. 99, Warnst. Laubm. p. 223. 274. Didymodon rufus Lor. 1861. Schweiz: Unterhalb der „Weissen Fluh“ im Gemmi, 2350 m s. m., 11. Aug. 1906 legit P. Culmann. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 303, Limpr. Laubm. I. p. 558, Kindb. Species II. p. 279. 275. Didymodon sinuosus (Wils.) Schimp. 1876. Dänemark: Seeland, Gegend von Hvalsö, auf Steinen in einem Bache bei „Langtved“ unter Buchen, 29. April 1904 legit Ch. Jensen. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 304, Limpr. Laubm. I. p. 619 (Barbula), Kindb. Species II. p. 266 (Barbula). 276. Geheebia gigantea (Funk) Boulay 1884. Italien: «) Prov. Novara, Bosco di Roncio bei Campello Monti, in Felshöhlen und unter überhängenden Felsen in mässig feuchter Lage, 1400 m s. m., 13. Juli 1907 legit E. Bauer. b) Prov. Como, Stravalle bei Torno auf nassen Wiesen, etwa 500 m s. m., 18. Juli 1900 legit F. A. Artaria. Mein verehrter Freund Dr. Levier hat die Pflanze unter einem Wasserfalle bei Campello Monti prachtvoll entwickelt und in Massen bereits vor Jahren gesammelt, ich habe sie dort leider nicht mehr finden können. Bauer. 277. Crossidium griseum Jur. c. fr. Österr. Küstenland: Auf sonnigen Felsen und Steinmauern (Kalk und Flysch) auf dem Mt. S. Daniele bei Görz, etwa 200 m s. m., Dez. 1905 legit K. Loitlesberger. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 332, Limpr. Laubm. I. p. 643, Kindb. Species II. p. 271. Die Früchte sind noch unreif, doch lassen sich zumeist die Verhältnisse im Peristom schon erkennen. Hie und da könnte Hymenostomum tortile als Verunreinigung vorkommen. Die Pflanze ist hier am Südabfalle des Ternowaner Plateaus nicht gerade selten. Die langdecklige Crossid. squamigerum konnte ich dar- unter bisher nicht konstatieren. Die Länge der Blätter scheint mir sehr variabel. Loitlesberger. 94 Ernst Bauer: 278. Barbula Hornschuchiana Schultz 1823, c. fr. jun. Frankreich: Eure et Loir, auf künstlichen Grasflächen bei Dangeau, 135 m s. m., 4. Januar 1903 legit J. Douin. Begleiter: Riceia sorocarpa, Pleuridium alternifolium, Entho- stodon fascicularis, Ceratodon purpureus, Bryum erythrocarpum etc. Douin. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 338, Limpr. Laubm. I. p. 622, Kindb. Species II. p. 258, Delogne, 1. c. p. 110, Warnst. Laubm. p. 241. . 279. Barbula Hornschuchiana Schultz, c. fr. mat. Hessen: Auf Basaltboden am Fusse des Ramsberges bei Laubach, 250 m s. m., Frühjahr 1904 legit G. Roth. 280. Barbula unguieulata (Huds.) Hedw. 1782, var. euspidata (Schultz) Schimp. c. fr. Hessen: Auf Kleeäckern bei Laubach, März 1907 legit G. Roth. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 334, Limpr. Laubm. ]. p. 612, Kindb. Species II. p. 257, Delogne, ]. c. p. 109, Warnst. Laubm. p. 245. 251. Tortula atrovirens (Smith) Lindb. 1864, c. fr. Syn. Desmatodon nervosus Br. eur. 1843. Frankreich: Eure et Loir, mit Grimmia pulvinata, Tortula muralis, Barbula fallax etc. auf den senkrechten Wänden von Erdmauern in Barjouville bei Chartres, 130 ms.m., 25. März 1905 legit J. Douin. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 349, Limpr. Laubm. I. p. 661, Kind. Species II. p. 259. Delogne, 1. c. p. 102 (Tricho- stomum convolutum Bruch). 252. Tortula Fiorii (Vent.) Roth. 1903. Hannover: Auf Gipshügeln des südlichen Harzrandes un- weit Nordhausen, Januar 1907 detexit et legit F. Quelle. Die Pfianze ist bisher nur aus der Umgebung von Modena in Oberitalien bekannt gewesen. Eine genaue Beschreibung der deutschen Pflanze mit Angaben über ihre Verbreitung und mit einer schönen Tafel, sowie Originaldiagnosen von Barb. revolvens und Barbula Fiorii findet sich in: „Barbula Fiorii, ein Charakter- ee ee ee u Ns De 2 ep . IE nd = _ Musci europaei exsiccati. 95 moos mitteldeutscher Gipsberge, von F. Quelle“ Hedwigia Band XLV pag. 289—297. Die Standorte der vorliegenden Proben liegen nach Mit- teilung des Entdeckers in Südost-Hannover, doch erstreckt sich die Verbreitung der Pflanze, wie er nachgewiesen hat, in die Provinz Sachsen und in das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt hinein. Vergl. Roth, Eur.-Laubm. I. p. 351. 283. Fissidens bryoides (L.) Hedw. 1782, c. fr. Dänemark: Seeland, Gegend von Hvalsö, auf lehmigem Boden im Buchenwalde „Storskov“, 25. Nov. 1903 legit C. Jensen. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 568, Limpr. Laubm. I. p. 428, Kindb. Species II. p. 170, Delogne, 1. c. p. 86, Warnst. Laubm. p. 168. 284. Fissidens erassipes Wils. 1849, c. fr. Tirol: In einer Bachschlucht zwischen Friedberg und Volders bei Hall, auf nassen und überflüteten Steinen (Schiefer) im Bache, etwa 600 m s. m. 14. Sept. 1906 legit V. Schiffner. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 374, Limpr. Laubm. I. p. 439, Kindb. Species II. p. 170, Delogne, 1. c. p. 86, Warnst. Laubm. p. 173. 285. Fissidens exilis Hedw. c. fr. Frankreich: Eure et Loir auf Lehmboden in einer Schlucht des Forstes von Barjouville bei Chartres, 140 m s. m., 6. März 1904 legit J. Douin. Begleiter: Eurhynchium Stockesii, striatum, velutinum, Dicranella heteromalla, varia, Fissidens bryoides, Chyloscyphus polyanthus. D. 286. Fissidens grandifrons Brid. 1806, ster. Frankreich: Hautes Pyr&n6es, auf feuchten Felsen zwischen Ferriere und Arbe6ost, etwa 900 m s. m., 8. August 1905 legit J. Douin. 287. Fissidens pusillus Wils. msc. Milde 1869 (sensu Jur., Limpr.) c. fr. Niederösterreich: An feuchtem Sandstein in einer Waldbach- rinne bei der Sofienalpe nächst Hüttelsdorf mit Rhymhostegiella Jacquinii und Plagiothecium depressum etwa 450 m s. m., Sept. 1907 legit J. Baumgartner. 96 - Ernst Bauer: Die Pflanze liegt in prächtig fruchtenden Exemplaren vor, welche Herr Baumgartner mit Hammer und Meissel den Felsen abgerungen hat. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 372, Limpr. Laubm. I. p 436, Kindb. Species Il. p. 170, Delogne, 1. c. p. 86, Warnst. Laubm. p. 172. 288. Cinelidotus aquaticus (Jacqu.) Br. eur. 1842, c. fl. masc. et c. fr Frankreich: Ariege, auf den Kalkfelsen der zeitweilig aus- setzenden Quelle von Fontestorbes bei Belesta, etwa 400 m s. m., 8. August 1905 legit J. Douin. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 390, Limpr. Laubm. I. p. 701, Kindb. Species II. p. 291, Delogne, 1. c. p. 118. 289. Cinelidotus fontinaloides (Hedw.) P. Beauv. typ. c. fl. masc. et c. fr. jun. cal. Österr. Küstenland: An Kalksteinen längs des Isonzo zwischen Görz und Salcano, häufig als Massenvegetation auftretend, März 1906 legit K. Loitlesberger. 290. Grimmia pulvinata (L.) Smith 1807, ce. fr. Dänemark: Seeland, Gegend von Hvalsö, auf einem Stein- riegel, 15. März 1902 legit C. Jensen. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 421, Limpr. Laubm. I. p. 761, Kindb. Species II. p. 219, Delogne, ]. c. p. 127, Warnst. Laubm. p. 290. 291. Grimmia tenuis Barker in litt. Roth 1905, e loco cl. ster. Schweiz: Bei Kandersteg dem Hotel Gemmi gegenüber mit Grimmia anodon auf Kalkfelsen, 1200 m s. m., 12. März 1904 legit P. Culmann. Ausgebreitete, Rache, nicht filzige, leicht zerfallende, rötlich- graue bis rehfarbene, innen violett angehauchte im Umfange etwas unregelmässige Rasen, mit aus niederliegender Basis aufsteigenden bis aufrechten, 2—3 cm langen, vielfach geteilten, gleichhohen, fadendünnen, gleichmässig beblätterten Stengeln. Stammquer- schnitt mit Zentralstrang, lockerem Grundgewebe und derbwan- diger, 2—3 zellreihiger Rindenschicht. Blätter ohne Haar 1 mm lang, aus hohler, eiförmiger oder schmal elliptischer, nicht oder nur wenig herablaufender Basis lanzettlich verlängert, aufwärts kielishohl, mit glattem, ‘an der Spitze oft zerschlitztem Haar von !/,—-!/, Laminalänge, nur die unteren haarlos, mit ziemlich gleich- Museci europaei exsiccati. 97 breiter Rippe, aufwärts doppelschichtiger Lamina und auf einer Seite der Basis zuweilen schmal zurückgebogenem Rande. Quer- schnitt der Rippe 3—4schichtig, abwärts etwas bikonvex und mit 3—4 nur wenig differentiierten medianen Deutern, aufwärts mit nur zwei kleinen Deutern und fast rund. Blattzellen nur wenig differentiiert, meist 8 «, aufwärts rundlich, abwärts mehr rundlich- quadratisch und verdickt, am Rande der Basis quadratisch bis fast querbreit, nur gegen die Rippe daselbst und an der Insertion ir wenigen Reihen kurz rektangulär und 9 u. Bis jetzt nur steril bekannt. (Originaldiagnose aus Roth, Eur. Laubm. II. p. 691, dort auch auf Tafel LXII Abbildungen von zwei Blättern, Blatt- querschnitten und Habitus.) 292. Grimmia trichophylla Grev. 1824, partim.c. fr. Frankreich: Eure et Loir, auf den Ziegeln einer Mauer- krone bei Chäteudun, 110 m s.m., 19. April 1905 legit J. Douin. Begleiter: Grimmia pulvinata, Tortala muralis, Hypnum cupressiforme. J. D. 293. Dryptodon patens (Dicks.) Brid. 1826, c. fr. Tirol: Fernwallgruppe, im Moosbachtale bei St. Anton auf Schiefer, 2200—2350 m s. m., 8. Aug. 1907 legerunt K. Oster- wald et V. Schiffner. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 437, Limpr. Laubm. I. p. 786, Kindb. Species II. p. 224 (Grimmia), Delogne, l. c. p. 131. (Rhacomitrium), Warnst. Laubm. p. 302. 294. Zygodon viridissimus (Dicks.) Brown 1819, var. rupestris (Lindb.) Hartm. sec. Limpricht Laubmoosfl. II pag. 11 (Zygodon rupestris Bryol. siles., p. 164). Tirol: Prosegg-Klamm bei Windisch-Matrei, auf schattigem, kalkhältigem Schiefergestein, öfters in Gesellschaft von Zyg. gra- cilis, verbreiteter aber nicht in solcher Masse auftretend wie dieser, 1000—1100 m s. m., 15. Sept. 1905 legit J. Baumgartner. 295. Tayloria serrata (Hedw.) Br. eur. 1844, ster. Tirol: Patscherkofel, zwischen Gras um das Schutzhaus, 1970 m s. m., 23. Aug. 1906 legit V. Schiffner. Vegetativ sehr schön entwickelt und mit Brutkörpern. Sch. 296. Tetraplodon paradoxus (R. Br.) Hag. Syn. Tetraplodon pallidus Hag., c. fr. Schweden: Lappland, Sarjek-Gebirge, in der Weidenregion auf Renntierexkrementen gesammelt, 6. bis 10. Aug. 1902 lege- runt F. W. Arnell et C. Jensen. UA an EI ZAT IT, be ee ad =“ re: era ee FL 98 ER Ernst Bauer: “ 297. Tetraplodon paradoxus (R. Br.) Hag., ce. fr. Norwegen: Auf dem Berge Knutshö der Alpen Dovrofjeld, 1600 m s. m., 4. Aug. 1907 legit N. Bryhn. Tetraplodon pallidus Hagen ce. fr. wurde von Dr. Bryhn auch in König Oskars Land nachgewiesen. Vergl. N. Bryhn, Bryophyta in itinere polari Norvagorum secundo collecta, publ. by Videnskabs-Selskabet i Kristiania. 1907 pag. 71 und N. Bryhn, ad muscologiam (bryophytologiam) Norvegiae contributiones sparsae, IV in „Nyt. Mag. for Natur- vid.“ B. 45, H. II. Kristiania 1907 p. 129. 298. Splachnum luteum Moentin 1750, ce. fr. Schweden: Helsingland, Loos in feuchten Wäldern auf Rinderexkrementen in Gesellschaft von Splachnum sphaericum, rubrum und vasculosum, 6. Juni 1906 legit K. Arnell. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 535, DURpr Laubm. I. p. 172; Kindb. Species 11.59.1472 299. Enthostodon faseieularis (Dicks.) C. Müll. 1848, c. fr. Frankreich: Eure et Loir, auf Luzernenfeldern bei Dangeau, 140 m s. m., 8. April 1904 legit J. Douin. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 544, Limpr. Laubm. Il. p. 191, Kindb. Species II. p. 332, Delogne, ]. c. p. 153 (Fu- naria), Warnst. Laubm. p. 408. 300. Sehistostega osmundacea (Dicks ) Mohr. 1903, ce. fr. Königr. Sachsen: In einer Sandsteinhöhlung bei der Festung Königstein, a) 18. Sept. 1902, 5) 10. Okt. 1902 leg. W. Krieger. Böhmen: c) Böhmerwald, am Horizontalwege zum „Schwarzen See“ bei Eisenstein, 13. Sept. 1891 legit P. Hora. Vergl. Roth, Eur. Laubm. I. p. 555, Limpr. Laubm. I. p. 133, Kindb. Species II. p. 153, Delogne, 1. c. p. 146. Inhalt der sechsten Serie. Die mit * bezeichneten Pflanzen wurden von den Autoren gesammelt oder bestimmt. 951. Andreaea Huntii Limpr. c. fr. 252. A. obovata Thed. c. fr. 253. Nanomitrium tenerum (Bruch.) Lindb. c. fr. 254. Sphaerangium triquetrum (Spr.) Schimp. c. fr. 255. Blindia acuta (Huds.) Br. eur. part. c. fr. 256. Hymenostomum tortile (Schwgr.) Br. eur. c. fr. er RR a DR - 281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 298. 299. 300. Musei europaei exsiccati. 99 . Hymenostylium curvirostre (Ehrh.) Lindb. c. fr. . Anoectangium Hornschuchianum Funk. c. fr. e loco cl. . Dicranoweisia eirrata (L.) Lind. c. fr. . D. crispula (Hedw.) Lind. c. fr. . Cynodontium gracilescens (Web. et Mohr.) Schimp. c. fr. . Dicranella Grevilleana Schimp. c. fr. . D. rufescens (Dicks.) Schimp. c. fr. . Dicraneum Bonjeani De Not. . D. congestum Brid. . D. montanum Hedv. c. fr. . *D. viride (Sutt. et Lesqu.) Lindb. var. dentatum Röll. . 269. Ditrichum glaucescens (Hedw.) Hpe. c. fr. . D. homomallum (Hedw.) Hpe. c. fr. . Distichium capillaceum (Sw.) Br. eur., c. fr. . Pottia minutula (Schleich.) Br. eur. c. fr. . Didymodon rubellus (Hoffm.) Br. eur. c. fr. . D. rufus Lor. ster. . D. sinuosus (Wils.) Schimp. . Geheebia gigantea (Funk) Boulay. 277. 278. 280. Crossidium griseum Jur. c. fr. 279. Barbula Hornschuchiana Schultz. c. fr. B. unguiculata (Huds.) Hedw. var. cuspidata (Schultz) Schimp. c. fr. Tortula atrovirens (Smith) Lindb. c. fr. T. Fiorii (Vent.) Roth. 1903. Fissidens bryoides (L.) Hedw. c. fr. F. crassipes Wils. c. fr. F. exilis Hedw. c. fr. F. grandifrons Brid. ster. F. pussillus Wils. msc. Milde. c. fr. Cinclidotus aquaticus (Jacqu.) Br. eur. c. fl. marc. et c. fr. Cinclidotus fontinaloides (Hedw.) P. Beauv. typ. c. fl. masc. et c. fr. jun. cal. Grimmia pulvinata (L.) Smith. c. fr. *G, tenuis Barker in lit., Roth e loco cl. ster. G. trichophylla Grev. part. ce. fr. Dryptodon patens (Dicks.) Brid. c. fr. Zygodon viridissimus (Dicks.) Brown, var. rupestris (Lindb.) Hartm. sec. Limpricht. Tayloria serrata (Hedw.) Br. eur. ster. 297. Tetraplodon paradoxus (R. Br.) Hag. Syn: T. pallidus Hag;, c: fr. Splachnum luteum Montin, c. fr. Enthostodon fascieularis (Dicks.) C. Müll. ce. fr. Schistostega osmundacea (Dicks.) Mohr. ce. fr. 8 100 en | Sitzungsberichte. E Monatsversammlung vom 18. Februar 1908, (zugleich Vollversammlung für das Jahr 1907). Die vom Obmanne und Kassier vorgelegten Berichte (Tätig- ‚keits- und Kassabericht) werden genehmigt und dem Ausschusse das Absolutorium erteilt. (Die beiden Berichte werden an an- derer Stelle dieser Zeitschrift erscheinen.) Die Wahlen in den Ausschuss werden über Antrag, verschoben. Hierauf hält Prof. Dr. E. Lecher einen Vortrag „Uber Elektronen“. Der Vortragende bespricht den Begriff des Elektrons, wie derselbe in den verschiedensten Gebieten der Physik sich heraus- gebildet hat. Es werden die Erscheinungen in einer Kathoden- röhre (Kathoden-, Anoden- und Röntgenstrahlung); Elektronen- strahlung und Zeemaneffekt; die Radioaktivität; Elektrolyse und Dissoziationstheorie; Gasleitung; Metalleitung und Joulesche Wärme; Magnetoinduktion und elektromagnetische Wirkung; Wärmeleitung und schliesslich Thermoelektrizität kurz besprochen und der Hauptsache nach experimentell vorgeführt. Endlich werden jene Beobachtungen und Berechnungen er- wähnt, welche darauf hinweisen, dass die Masse des Elektrons nur eine scheinbare sei, dass somit in konsequenter Weiter- führung der Hypothese vielleicht überhaupt alle Materie nur aus Elektrizität bestünde. II. Biologische Sektion. XXXVI. Sitzung am 4. Februar 1908. Physiologisches Institut S'/, Uhr. 1. Priv.-Doz. Dr. Kahn demonstriert eine schematische Ver- suchsanordnung zur Erläuterung des Strahlenganges beim Augen- spiegeln im umgekehrten Bilde. Ein grosser zentral durchbohrter Hohlspiegel wirft die von einer Bogenlampe erzeugten Licht- strahlen durch eine bikonvexe Linse in das Objektiv einer photo- graphischen Klappkamera. Die Linse ist um ihre einfache Brenn- weite von der Blendenebene des kurzbrennweitigen Objektives der Kamera entfernt. In der geöffneten Kassette der Kamera liegt eine schematische Zeichnung der Papillengegend des Augen- hintergrundes. (Tusche auf weissem Karton.) Blickt man durch das Loch des Spiegels oder knapp neben demselben vorbei durch die Linse in das Objektiv, so sieht man die schematische Zeich- nung vergrössert und umgekehrt. Durch Variierung des Ganges Sitzungsberichte. 101 der von der Lampe kommenden Lichtstrahlen, der Stellung der Linse und des Objektives sowie der Weite der Objektivblende lassen sich in übersichtlicher Weise die für das Augenspiegeln im umgekehrten Bilde wichtigen Momente erläutern. Nach Ein- setzen eines Spiegels an Stelle der Zeichnung in die Kassette lässt sich der Ort des Bildes durch Auffangen des letzteren auf einem sehr kleinen, zwischen Augenspiegel und Linse aufge- stellten, weissen Schirme bestimmen. Durch Bedecken des Spiegels mit dem Rouleauxverschlusse der Kamera wird das Bild auf dem Schirme zum Verschwinden gebracht. 2. Dr. Weil: Über die Ausflockung des Lezithins durch normales Rinderserum. (Demonstration.) Vortragender gibt zunächst einen Überblick über die sero- diagnostische Reaktion bei Lues, insbesondere über die Wand- lungen, welche dieselbe in kurzer Zeit erfahren hat, und kommt dann auf die neuesten, nach dieser Richtung hin angestellten Ver- suche zu sprechen. Nachdem man angenommen hatte, dass die wirksame Substanz in den zur Reaktion verwendeten Organ- extrakten lipoide Stoffe seien, wurden Emulsionen von Lezithin verwendet, welche angeblich nur durch luetische Sera ausgeflockt wurden. Auf Grund der Beziehung, welche das luetische Serum zum Lezithin aufwies, hat man sich vorgestellt, dass diese Affi- nität auch im luetischen Organismus bestehe, wodurch das Le- zithin, welches ein wichtiger Bestandteil der Zellen sei, angegriffen und geschädigt werde. Dies hätte dann Degenerationen zufolge. wie sie auch bei der Paralyse und Tabes vorhanden seien, bei welchen Erkrankungen auch Antikörper am konstantesten zu finden sind. Man hat sogar den Vorschlag gemacht, die Paralyse und Tabes mit Lezithin zu behandeln, um dadurch die schäd- lichen Antikörper abzusättigen und sie dadurch unwirksam zu machen. Vortragender hat nun in Gemeinschaft mit Dr. Braun ver- schiedene Tiersera auf ihre etwaige Ausflockungsfähigkeit gegen- ‚über Lezithin untersucht und hat gefunden, dass das Rinderserum in hohem Masse diese Eigenschaft aufweist. (Demonstration von 7 Rindersera, von denen 6 positive Reaktion geben.) Diese Ver- suche sind wahrscheinlich so zu deuten, dass das Rinderserum vermöge. seines Antikörperreichtums diese Eigenschaft besitzt. Dass der Antikörpergehalt des Rinderserums die Ursache hiefür ist, geht daraus hervor, dass das '/, Stunde auf 62° erhitzte Rinderserum Lezithin nicht mehr ausflockt. Wenn man dieses Versuchsergebnis auf die Seroreaktion bei Lues überträgt, so heisst das soviel, dass das luetische Serum vermöge seines Anti- körpergehaltes Lezithin ausflockt. Was für ein Antikörper hiefür in Betracht kommt, darüber gibt diese Reaktion natürlich gar 8*F PT ee a En ne u un Er a ne Fe ER Fre N PH ne x 102 Sitzungsberichte. keinen Aufschluss, durch die Lezithinausflockung wird nur ein Antikörper angezeigt. Ob diese Reaktion praktisch-diagnostisch verwertbar ist, kann Vortragender nicht entscheiden, es wäre aber nicht unmöglich, da nur wenige Erkrankungen, welche differentialdiagnostisch- bei Lues in Betracht kommen, Antikörper aufweisen. Sicher aber ist, dass die Schlüsse, welche man aus der Reagensglasaffinität des Lezithins mit den luetischen Seris auf den Organismus gezogen hat, unberechtigt und bedeutungslos sind. Denn wenn das nicht der Fall wäre, müsste das normale Rind in vielen Beziehungen sich ähnlich verhalten wie der tabische oder paralytische Mensch. (Autoreferat.) An den Vortrag des Herrn Dr. Weil schloss sich eine kurze Diskussion, an der sich Dozent Dr. Wiechowski, Dr. Fischer und Dr. Weil beteiligten. & 3. Priv.-Dozent Dr. Sträussler : Übersichtsreferat über die Anatomie, Physiologie und Pathologie des Kleinhirns. (Schluss.) In Fortsetzung der Ausführungen in der Sitzung vom 21. Januar besprach der Vortragende die Symptomatologie der Kleinhirntumoren und die Atrophien. In einer Reihe von Schnitt- präparaten, welche durch Mikroprojektion vorgeführt wurden, zeigte der Vortragende die anatomischen Befunde bei Atrophien des Kleinhirns und die histologischen Veränderungen bei Paralyse und seniler Demenz, sowie einige Heterotopien der Schichten. XXXVIL Sitzung am 12. Feber 1908. I. medizin. Klinik 8'/, Uhr. 1. Dr. Bondy: Neuere Ergebnisse der Physiologie und Patho- logie des Vestibulärapparates des Ohres. Ein Sammelreferat. Der Vortragende besprach nach einer kurzen historischen Einleitung die verschiedenen Formen des Nystagmus (Dreh- nystagmus, kalorischer Nystagmus, N. bei Luftverdichtung und Luftverdünnung im äusseren Gehörgang, galvanischer Nystagmus) sowie die Gegenrollung des Bulbus und die reflektorische Bulbus- dislokation, unter Vorführung einer Reihe von Tierversuchen. Da es bereits ziemlich spät geworden war, musste der Vortrag unterbrochen werden, um für die folgende Demonstration Zeit zu gewinnen, die mit Rücksicht auf das Tiermaterial nicht auf eine spätere Sitzung verschoben werden konnte. 2. Priv.-Doz. Dr. Kahn demonstrierte eine Reihe von Tauben, welchen er vor verschieden langer Zeit (2 Jahre bis 2 Stunden vor der Demonstration) den Bogengangsapparat beiderseits zer- stört hatte. Die Zerstörung erfolgte nach Freilegung und Er- öffnung der einzelnen Bogengänge durch energisches Ausblasen derselben mit Luft. Während die vor kurzer Zeit operierten Sitzun gsberichte. 103 Tiere Zwangsbewegungen und Zwangsstellungen, zum Teil in sehr hohem Grade, zeigen, können bei Tauben, die vor längerer Zeit operiert wurden, feine, aber bestimmte Erscheinungen bezüglich falscher Orientierung des Kopfes im Raume nur dann beobachtet werden (Demonstration), wenn die Tiere bei verschlossenen Augen mit normalen Tauben, deren Augen ebenfalls verschlossen sind, verglichen werden. An der Diskussion zum Vortrag des Herrn Dr. Bondy be- teiligten sich Dr. Löwy, Dr. Bondy und Dr. Kahn. Dr. Löwy wies auf die längere Dauer des Nystagmus bei Neurasthenikern hin. Dr. Bondy bezeichnet den Nystagmus als den „Patellarreflex des Ohres“. XXXVII. Sitzung am 25. Feber 1908. Psychiatrische Klinik 8'/, Uhr. Dr. O. Fischer: Die histopathologische Grundlage der Presbyophrenie. Bei einer grossen Anzahl (26) von an Presbyophrenie Ver- storbenen fand F. im Gehirn eine ganz eigenartige Veränderung, indem sich in die Hirnsubstanz eine fädige, sich vergrössernde an Nekrosen etwas erinnernde Masse einlagert, um die die Neuro- fibrillen in Keulenform wuchern. Genaue histologische Unter- suchungen lassen diese „Nekrosen* als einen dichten Filz von Fäden erkennen, die Streptotricheen gleichen. Da die Verbreitung dieser Herdchen den Gefässen folgt, alles andere, wie Nekrosen etc. auszuschliessen ist, hält F. die Herdchen für mykotische Wucherungen und die Presbyophrenie für eine chronische Mykose des senilen Gehirnes. Züchtungen und Tierversuche sind bereits im Gange. Diskussion: Dr. Löwy weist darauf hin, dass die Konfabu- lationen, die bei Presbyophrenen typisch sind, wie bei Infektions- krankheiten verlaufen. Prof. Kohn weist auf die histologische Bedeutung der Fibrillenkeulen hin, die bisher stets, wo immer man sie fand, als Wachstumsenden gedeutet wurden. Es ist eine ganze Menge von Sinnesendapparaten beschrieben worden, die genau so aussehen, wie diese Keulen und wohl meistens auch nur Reizfolgen sein werden. Zum Schlusse weist Dr. Fischer auf die grosse Bedeutung der mikroskopischen Untersuchungs- methode für die Psychiatrie hin. 2. Dr. Bondy setzt seinen Vortrag vom 12. Feber fort und bespricht noch die vestibularen Gleichgewichtsstörungen, die akute und latente Labyrinthzerstörung und die zirkumskripten Erkran- kungen des Vestibularapparates. in, RR et, STREET "3 ie je ’ E % DE 104 Sitzungsberichte. An der Diskussion beteiligten sich Dr. Sträussler, Dr. Löwy, Dr. Kalmus und Dr. Fischer. Der Vortrag wird als Originalbeitrag erscheinen. III. Botanische Sektion. II. Sitzung am 20. März 1907. Botanisches Institut. Prof. V. Kindermaun: „Über myrmekochore Pflanzen“. Ausgehend von einer Übersicht der bisher bekannten Tat- sachen über Samenverschleppung durch Ameisen gab der Vor- tragende auf Grund seiner eigenen Beobachtungen an Lamium album namentlich aber an der Hand der eingehenden Untersuchungen Sernander Rutgers eine Darstellung jener Pflanzen, deren Ver- breitung durch Ameisen besorgt wird und die deshalb den Namen myrmekochore Pflanzen erhielten. Die Verbreitungseinheiten dieser Pflanzen sind in den meisten Fällen mit Anhängseln versehen, die wegen ihres hohen . Gehaltes an fettem Ol als Elaiosome (Ölkörper) bezeichnet werden. Als solche fungieren die morphologisch verschiedensten Teile, die Caruncula (Viola), die Blütenachse (Lamium), die Hoch- blätter (Carex digitata) u. a. Oft sind die Elaiosome mit beson- deren Schutzmitteln versehen. Bei Öarex digitata z. B. sind sie von einer starken Epidermis umgeben, bei Lamium album be- sitzen die ölführenden Zellen starke Wände. Wegen dieser Elaiosome werden die Früchte und Samen von den Ameisen verschleppt. Sie verzehren dieselben, ohne jedoch den Samen auch nur im geringsten zu beschädigen. Die Ent- fernung, auf welche Samen versckleppt werden, beträgt 10 m und weniger, in Ausnahmefällen aber auch bis zu 70m. Die Anzahl der von einem Ameisenstaate in einem Jahre verbrei- teten Samen berechnet Sernander Rutger, bei Annahme nina Werte für alle Faktoren, mit ungefähr 36.480. Die myrmekochoren Pflanzen zeichnen sich aber auch noch in anderer Hinsicht aus. Während bei den Windfrüchtlern die postfloralen Achsen zum Zwecke der besseren Exponierung durch mechanisches Gewebe verstärkt sind, sind sie bei den Myrme- kochoren mit wenigen Ausnahmen schwach, so dass die Frucht- stiele vollkommen herabsinken. Da ein längeres Zurückhalten der Samen für diese Pflanzen keinen Zweck hätte, so finden wir auch bei ihnen keinerlei Arretierungsvorrichtungen, die bei den Windfrüchtlern bekanntlich in der mannigfachsten Weise ausge- bildet sind. Was die Verteilung der Myrmekochoren in den verschie- denen Formationen betrifft, so treten sie nur als Wald- oder Sitzungsberichte. 105 Ruderalpflanzen auf. Die meisten derselben finden sich in den laubabwerfenden Eichenmischwäldern und Buchenwäldern. Viele unter ihnen sind ausgesprochene Schattenpflanzen. II. Sitzung am 29. November 1907. Botanisches Institut. Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta: „Über die Ve- getationsverhältnisse des Isonzotales“. (Mit Projektionen.) Der Vortragende erläuterte auf Grund seiner Studien die Vegetationsverhältnisse des Isonzotales, das ob seines reichen und verschiedenartigen Pflanzenwuchses schon seit Bartlings denkwürdiger, im Jahre 1825 unternommenen Reise die Auf- merksamkeit der Botaniker auf sich gezogen hatte, aber mit Ausnahme der Umgebung von Görz ın pflanzengeographischer Hinsicht zu den wenigst bekannten Alpentälern rechnet. Es ist dies umso auffälliger, als hier die Physiognomie des gross- artigen Landschaftsbildes, gerade in Folge des Auftretens der Pflanzenformen und Formationen der ‚mediterranen und illyrischen Flora besonders auffällig wird, also gleich zwei neue Floren dem von Norden kommenden Botaniker mit so vielen interessanten Arten entgegentreten. Eine relativ grosse Anzahl mediterraner Gewächse dringt von den Gestaden der Adria bis zum Südabhange der Alpen nördlich von Görz vor und findet hier das Ende ihrer Verbrei- tung. Die illyrische oder Karst-Flora mit allen ihren typischen Formationen, freilich auch vielfach in Mischung mit den mittel- europäischen Elementen, herrscht im unteren Isonzotale vor und schiebt sich geschlossen bis an die Endmoränen der eiszeitlichen Gletscher bei St. Lucia vor. In höheren Lagen und zwar schon auf den Höhen des Trnowaner-Waldes und überall im oberen Isonzotale, wo sie sich zerstückelt, tritt sie in vielfache Men- gung mit der mitteleuropäisch-alpinen Flora, von der sie bei weiterer Bodenerhöhung völlig abgelöst wird. Dieser Wechsel‘der Gewächse des warmen Südens bis zu jenem der eisigen Höhen der Alpen vollzieht sich unmittelbar an den steilen Gehängen um Görz und hat bei dem durch die topographischen Verhältnisse bedingten Ineinandergreifen ver- schiedener klimatischer Verhältnisse eigenartige Vermengungen der betreffenden Florenelemente im Gefolge, unter denen beson- ders das Zusammenstossen der Vertreter der mediterranen Flora mit jenen der südalpinen auf der Höhe der Monte Sabotina und an den Ufergehängen des Isonzo zu den merkwürdigsten Er- scheinungen in der Vegetation der südlichen Ostalpen gehören. '106 Sitzungsberichte, Alle Eigentümlichkeiten im Pflanzenkleide des Isonzotales, deren eingehende Erläuterung der Vortragende durch Vorführung von Projektionsbildern unterstützte, finden ihre Erklärung in dem Eindringen der südlichen Florenelemente während der letzten warmen Interglazialperiode und in der Wiederverdrängung der- selben durch die letzte Eiszeit bei gleichzeitigem Abstiege der alpinen Elemente, wobei zahlreiche Relikte sowohl von Hochgebirgs- pflanzen als auch von wärmeliebenden Gewächsen an ihnen zu- sagenden günstigen Stellen erhalten blieben. IV. Sitzung am 5. Februar 1908. Botanisches Institut. 1. Prof. Dr. A. Nestler: „Über einige hautreizende Pflanzen“. Dieser Vortrag erscheint in einer der folgenden Nummern. 2. Dozent Dr. O. Richter: „Über Turgorsteigerung in der Atmosphäre von Narkotika (mit Demonstrationen).“ Anknüpfend an seine Versuche über den Einfluss der gas- förmigen Verunreinigungen der Luft auf das Längen- und Dicken- wachstum (1903), den Heliotropismus und Geotropismus von Keimlingen (1906), die Anthokyanbildung (1907) gibt der Vor- tragende eine knappe Darstellung seiner jüngsten Versuche über die Turgorsteigerung in der Atmosphäre von Narkotika. Die Veısuchsanstellung war im wesentlichen die, dass das feste Narkotikum (Kampfer, Naphthalin, Thymol) in Körnchen- form in einem Schälchen neben die Versuchsobjekte gestellt, das flüchtige (Benzol, Benzin, Chloroform, Ather etc.) nach gehöriger Verdünnung auf einem Filtrierpapier unter die Versuchsglocken gegeben und hier verdampfen gelassen wurde. Es zeigte sich nun, dass die Versuchsobjekte infolge der ausserordentlichen Turgorsteigerung zum Reissen gebracht wurden. Dabei entstanden Wucherbildungen unter den Spalt- öffnungen und Lentizellen, Intumeszensbildungen, wie sie von Küster und Steiner als Reaktion auf die Feuchtigkeit im dunst- gesättigten Raum beobachtet wurden, ausserdem traten auch im Inneren der Objekte Risse auf, die ausgeheilt, lokalisierte Wund- korkbildungen aufwiesen. Besonders betont sei das Auftreten einer durch Turgorwirkung zustande kommenden „künstlichen Mazeration bei lebendigem Leibe“, wie sie der Vortragende bei der Kartoffel gesehen hat. In Kampfer-Atmosphäre gehen näm- lich die lebenden Kartoffelzellen in einer etwa 3—5 mm breiten Zone vom Rande völlig aus dem Verbande so etwa wie die Zellen der Liguster- und Schneebeere im Herbste. Endlich wurde auch eine Förderung der Guttation in der Atmosphäre der Narkotika festgestellt. Sitzungsberichte, 107 Die Beobachtungen des Vortragenden stehen im guten Ein- klange mit gelegentlichen Angaben von Pfeffer (1873), Wieler (1893) und den Untersuchungen von Lepeschkin an Pilzen (1906). Johannsen (1900 u. 1902) und Prianischnikow (1904) haben nun gezeigt, dass die chemische Zusammensetzung der Pflanzen in der Atmosphäre von Narkotika eine ganz andere ist, als in reiner Luft und zwar finden sich in ihnen stets mehr lösliche Kohlen- stoff- (Kohlehydrate) und Stickstoff- (Asparagin) Verbindungen als in den Kontrollexemplaren. Darauf basiert nun der Vortragende seine Anschauung, dass das Auftreten dieser die Osmose befördernden Substanzen der Grund für die bedeutende Turgorsteigerung sei. IV. Geographische Sektion. II. Sitzung am 24. Februar 1907. Der Vorsitzende Herr Hofrat Prof. Dr. O. Lenz eröffnet die II. Sitzung mit seinem Vortrage „Vorgeschichtliche Kulturen in Südafrika“ im Anschlusse an Prof. Dr. S. Passarges Mono- graphie: Südafrika. Eine Landes-Volks- und Wirtschaftskunde. — Nach einer eingehenden Würdigung der vortrefflichen Ar- beit Passarges beschäftigt sich der Herr Vortragende mit jenem Kapitel des Buches, in dem die sogenannten vorgeschichtlichen Kulturen Südafrikas behandelt werden. ‚Passarge hat eolithische Artefakte in Schottern aus der Pluvialzeit (diese Periode entspricht in den Gegenden mit mil- derem Klima dem Diluvium der Landschaften mit rauhem Klima) in der weiteren Umgebung von Johannesburg gefunden. Sie be- stehen aus primitiven Schabern aus Feuerstein, Chalcedon, Di- orit und Quarz. Die paläolithischen Artefakte Südafrikas unterscheidet Passarge in solche der Victoriafallgruppe und solche der Vaalgruppe. An den Victoriafällen finden sich die Artefakte (Chalcedon und Feuerstein) auf dem Plateau zu beiden Seiten des Canons; aus diesem Umstand ergibt sich der Schluss, dass der Mensch schon in dieser Gegend gelebt habe, als die Victoriafälle viel weiter stromabwärts lagen, ein Beweis für das enorm hohe Alter des Menschengeschlechtes. — Am Vaalflusse liegen die paläolithischen Artefakte in alten Talterassen der Pluvialzeit. Neolithische Artefakte stammen aus alluvialen Terrassen (Stromgebiet des Oranje). Neben ihnen finden sich Rinder- knochen, Topfscherben, Strausseneierschalen, Reste von Sucecinea, ferner Lanzenspitzen und Schaber. 108 Sitzungsberichte. Auch die sogenannten Pygmäenartefakte, wie man sie aus. Funden in England kennt, sind im Alluvium der unteren Vaal- terasse angetroffen worden. Der neolithische Mensch Südafrikas war bereits Viehzüchter; er steht also auf höherer Kulturstufe als der Buschmann, der es nie bis zum Viehzüchter gebracht hat; der Buschmann kommt also nicht in Betracht als Träger dieser Kultur, eher vielleicht der Hottentotte. Es gab also auch in Südafrika vor der Metallzeit eine Steinzeit, die sich bodenständig ohne auswärtigen Einfluss ent- wickelt zu haben scheint. Hierauf geht der H. Vortragende zur Besprechung der Simbabye-Kultur über. Bereits 1587 wurde von einem Portugiesen im Matabelehoch- land eine alte Ruinenstätte eutdeckt, (wieder aufgefunden von Mauch 1871), die von einigen Forschern für eine Gründung der alten Sabäer (Ophir), von anderen für eine mittelalterliche Kaffern- niederlassung, nicht über das 14. Jahrhundert zurückreichend, . gehalten wird. Die Araber des Mittelalters suchten bereits das Ophir Salomos in Mashonaland und auch Mauch glaubt in den von ihm wieder aufgefundenen Ruinen Ophir erkennen zu dürfen. Andere For- scher wie Bent, Schlichter, Hall, Neal wollen drei Kulturepochen erkennen: Der ältesten Periode gehören die Rundtempel aus behauenen Steinen mit vielen Gängen und Kammern im Innern an; ebenso die Monolithe, die aus Speckstein geschnittenen Geier und Sperber auf Säulen. Andere Funde deuten auf intensiven Gold- bergbau im Quarzit (bis 100m tiefe Schächte; Schmelztiegel und Gussformen für das Gold). Die zweite Periode charakteriert sich durch nachlässiger aufgeführte Bauten und reichliche Eisenartefakte. Das Gold wurde nicht mehr am Fundorte in Barren gegossen. sondern als Goldstaub versendet. Der dritten Periode (Kaffernkultur) gehören Eisenschmelzen, sowie aus arabischen Faktoreien stammende Glasperlen und chinesisches Porzellan an. — Ausserdem fand man einen Holzteller, auf dem der Zodiacus gemalt ist, und in der weiteren Umgebung der Ruinenstätte eigentümliche Terassenanlagen. | Bent hat auf Grund der Ähnlichkeit dieser Anlagen mit den im südlichen Arabien gefundenen die älteste Periode für sabäisch erklärt. Schlichter suchte aus Ornamentlienen, die nach seiner An- nahme astronomischen Zwecken dienten, die damalige Schiefe der Ekliptik auf 23° 55° zu berechnen (den gleichen Winkel ergab Res ih. Sitzunesberichte. 109 eine chinesische Messung aus dem Jahre 1000 v. Chr). Hieraus schätzt er auf ein Alter der Tempel von ungefähr 1000 Jahren vor Salomo. Altsemitische Inschriftenfunde fehlen allerdings bis jetzt. Randolf Maciver (1905) leugnet dagegen die zeitliche Ver- schiedenheit der Ruinen und Funde und hält alle Reste für mittelalterlich, da sich die erwähnten Glasperlen (venezianische Arbeit) und Porzellanreste im Schutte bis an die Fundamente hinab vorfänden. Er setzt die Entstehung der Bauwerke nicht vor dem 14. Jahrhundert an. Da dagegen hebt der H. Vor- tragende mit Recht hervor, dass durch die in Gegenden inten- siven Bergbaues notwendig auftretenden Erdbewegungen die Perlen und Porzellanreste leicht später in die Tiefe vertragen werden konnten. £ Jedenfalls steht die Ahnlichkeit der Simbabyekultur mit den Werken sabäischer Kultur fest (Steintürme, Monolithe, Geier auf Säulen sitzend, Terassenbauten, Form der Goldbarren!) und Sabäer sind jedenfalls früh an der Ostküste Afrikas aufgetreten ; allerdings ist die Frage nach der Herkunft der Simbabyekultur, die als Fremdling in Afrika dasteht, noch offen und harrt der befriedigenden Lösung. H. Neveterel bespricht hierauf die Erdbebenkatastrophe von Kalabrien in seinem Vortrage: „Uber das Erdbeben von Kalabrien im Jahre 1907“. Der H. Vortragende gibt zunächst einen ausführlichen historischen Überblick über die bedeutenden Erdstösse in der süditalienischen Schütterzone (1638, 1693, 1783, 1857, 1905) und deren Folgen und bespricht dann den Verlauf und die verheerenden Wirkungen des Bebens vom 23. Oktober 1907. Das Erdbeben traf die ganze Südküste Kalabriens bis zum Golfe von Squillace und wurde auf Sizilien noch allgemein von der Bewöhnerschaft wahrgenommen. Die grösste Intensität äusserte das Beben in dem Küsten- strich zwischen Kap Spartivento und der Mündung des Flusses Baonamico. Hier sind viele Ortschaften. ganz zerstört, andere schwer geschädigt worden (Pioppe, Chiesa, Caporta, Brancaleone, Feruzzano). Auch 175 Menschen fanden dabei den Tod. Im Vergleiche mit den Kalabrischen Beben der früheren Zeit findet der H. Vortragende das jüngste Beben sowohl an Ausdehnung als an Intensität geringer als seine Vorgänger es waren, die Grösse des verursachten Schadens aber bleibt hinter den Verheerungen der früheren Erdschütterungen keineswegs zurück. 110 Bücherbesprechungen. Escherich, Prof. Dr. K., Die Ameise, Schilderung ihrer Le- bensweise. Mit 68 in den Text ‚gedruckten Abbildungen, Braunschweig, 1906, Fr. Vieweg u. Sohn. XX u. 232 S. M. 7'—., geb. M. 8—. An solchen Monographien, wie die vorliegende eine ist, herrscht in der modernen Biologie noch immer ein bedanerlicher Mangel, wenngleich die Menge der auf der ganzen Welt produ- zierten Forschungsergebnisse von Jahr zu Jahr zunimmt, dem Nichtspecialisten völlig unerreichbar wird und ihm auch meistens unbekannt bleibt. Das tatsächliche Bedürfnis empfindet jeder Zoologe unzähligemal. Umso dankenswerter ist daher die Schaf- fung eines wirklich übersichtlichen, abgeschlossenen und hand- lichen Kompendiums auf dem ausgedehnten und schwer zu über- schauenden Gebiete der Ameisenbiologie durch Escherich. Die Form des Buches ist derart gewählt, dass es „sowohl Naturfreun- den, welche auf ihren Spaziergängen gelegentlich Ameisenbeob- achtungen machen, als auch solchen, welche sich selbst forschend betätigen wollen, nützlich sein dürfte.“ Den letzteren wird na- mentlich die bei jedem Kapitel zusammengestellte Literatur wert- voll sein. Nach der Einleitung, in welcher auch die Untersuchungs- methoden erörtert werden, folgt ein gedrängtes Kapitel über die Morphologie und Anatomie. Daran schliesst sich die Besprechung des Polymorphismus, der Fortpflanzung (Einzelentwicklung, Kolo- nienbildung) und des Nestbaues (Dauer-, Wandernester, Neben- bauten). Weiterhin folgt das Biologische der Ernährung und sonstiger Lebensgewohnheiten. Einen grösseren Raum nimmt die Erörterung der so umfangreichen und interessanten Bezie- hungen der Ameisengesellschaften zu einander, zu den andern sozialen und nicht sozialen Tieren, ferner zu den Pflanzen ein. Bemerkenswert ist bei dem folgenden Kapitel über die vielum- strittene Ameisenpsychologie die zurückhaltende und vorsichtige Stellungnahme Escherichs, die in der Gegenwart sehr wohltuend berührt. Den Beschluss macht ein willkommener Bestimmungs- schlüssel für die in Deutschland einheimischen Ameisen. L. Freund. / ? Jos, Oppolf’s Noite R. u. k. Hoflieferant, PRA G, Altstädter Ring. UZIB rt Bedeutendster Wein-Import und größtes kager von allen Sorten feiner in- und ausländilher Weine, Champagner, Cognacs, feiner Liköre efc. Preisliiten auf Wunid. Gegründet 1823. Telephon 807. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘“, Bibliothek und Sekretariat: Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). 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H., BEI- TRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES GESICHTSSINNES. II. & WEISS, Dr. E., ÜBER NEUERE STRAHLUNGEN UND RADIOAKTIVITÄT. & SITZUNGSBERICHTE: I. MONATS- LUNG: MÄRZ 1908. II. GEOGRAPHISCHE SEKTION, . SITZUNG. RAR RRRRARRERRRRRER Barren zuzh PRAG 1908 Zar J. G. CALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG Preis der einzelnen Nummer K 1'—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8°—. SGSJaaalRainese . > Mineralpräparate, geschliffene Edelsteine, Mineralien, \ Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, mineralog. Apparate und Utensilien. . Dünuschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. Gipsmodelle seltener Fossilien, geotekto- Petrefakten, nische Modelle, Sammlungen für allgemeine ) 8 Geologie. Exkursions-Ausrüstungen. Kristallmodelle Spesne moaene. rn stell . le für den geologischen und petrographischen D lapositive Unterricht. 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Wenn man die Zusammensetzung der jetzigen illyrischen Flora betrachtet, so springt ins Auge, dass dieselbe in den österreichischen Karstländern die überwiegende Anzahl der in der interglazialen Flora Tirols nachgewiesenen Arten enthält. Sie ist freilich durch den Einfluss der letzten Eiszeit verarmt. Es fehlen ihr das heute noch im Kaukasus vorhandene Rhodo- dendron ponticum und die orientalische Ahornarten. Diese sind aber nicht nur im ganzen Alpenzuge ausgestorben, sondern fehlen auch der von der Eiszeit wenig berührten Balkanhalbinsel. ' Andere der diluvialen Flora Tirols angehörige Arten sind zwar nicht in den illyrischen Ländern Österreichs zu finden, wohl aber im benachbarten Territorium der illyrischen Flora, das -sich in die Balkanhalbinsel hineinzieht, so Picea omorica Pan£. in Ostbosnien und Westserbien, Pinus peuce Gris. in Montenegro, Makedonien, im Balkan- und Rhodopegebirge, Buxus sempervirensL. in Albanien, Epirus, Makedonien. Dass der Karstwald und der - bosnische Eichenwald, welche Formationen der illyrischen Flora angehören, andernteils manche charakteristische Pflanze, wie z. B. die Mannaesche (Fraxinus ornus L.) oder die Mahalebkirsche (Prunus Mahaleb L.) enthalten, welche in den Tiroler Belegen der Interglazialflora fehlen, darf bei der bekannten Unvollständig- keit fossiler Funde nicht wundern. Wir sind somit zu dem Schlusse berechtigt, dass die il- lyrische Flora nach ihrer Zusammensetzung mit der diluvialen Flora der Interglazialzeit übereinstimmt, wenn sie auch in Österreich, durch Jie letzte Eiszeit beeinflusst, mehrere Arten verlor. Weitere Fragen harren jedoch der Beantwortung. Hat diese — Flora die Schicksale der Flora der letzten Interglazialzeit ge- teilt? Ist sie in der Tat in die Täler der österreichischen Ost- “, alpen eingewandert und wieder von der letzten Eiszeit aus den- <> selben vertrieben worden ? en Auch diese Frage ist nach meinen Studien völlig zu be- —jahen. Da diese Flora nicht von Norden, noch weniger von — Westen in die Ostalpen einwandern konnte, aber den ganzen 9 Sen N nr I Te a MEN Ne DE er ” ’ 112 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: r österreichischen Alpenzug von Osten bis Süden umgürtete, war sie zunächst befähigt, während der letzten Interglazialzeit von Osten her in die Alpentäler einzugreifen. Während sie aber am Nordsaume der Alpen durch die letzte Eiszeit bis auf sehr wenige Vertreter völlig und zwar im Westen mehr als im Osten, vernichtet wurde, fand sie am Osthange der Alpen nur einen teilweisen Untergang. Am Südostabhange der Alpen von Unter- steiermark bis Friaul konnte sie sich im allgemeinen erhalten, wenn sie auch daselbst von der Einwirkung der letzten Verglet- scherung nicht unberührt blieb. Das wird durch die gegenwärtige Verbreitung der Vege- tation in den Östalpen bestätigt. Die massige Entwicklung der illyrischen Flora mit ihren Formationen findet derzeit in Österreich von Süden aus bis zu. einer Linie statt, die vom Südrande des Trnowaner- und Birn- baumerwaldes über Adelsberg nach Fiume zu verfolgen ist. In einem anschliessenden, weiten Gebiete, das bis an den Triglavstock und die Karawanken, sowie in Steiermark bis an den Südfuss des Bachergebirges und bis zum Dranntale nach Pöltschach reicht, sind die illyrischen Gewächse wohl noch weit verbreitet, aber sie schliessen sich nur mehr an günstigen Stellen, insbesondere auf sonnseitigen, warmen Felsen zu For- mationen zusammen und zerstückeln ihre Verbreitung, welche jedoch noch einen Zusammenhang mit dem Hauptareale ihrer Flora erkennen lässt. Es ist das Gebiet, welches unter dem Einflusse der verschiedenen Glazialperioden stand, wo eine fort- währende Verschiebung und Vermengung der illyrischen und mitteleuropäischen (einschliesslich der alpinen) Florenelemente stattfand, die es begreiflich machen, dass man gegenwärtig dort einer ausgesprochenen Mischflora gegenüber steht, in der jedoch die illyrischen Gewächse namentlich in den Waldformationen noch eine grosse Rolle spielen. In einer weiteren, nach Norden anschliessenden dritten Zone am ÖOsthange der Alpen von der Drau bis zur Donau haben gegenwärtig die illyrischen Gewächse mehr untergeordnete Be- deutung und ihre Standorte sind vielfach sehr zerstückelt und isoliert. In Steiermark, wo die krystallinischen Zentralalpen sich verflachen, finden sich wohl aus Mangel günstiger Standorte ins- besondere des warmen Kalkbodens nur wenige Arten in zer- streuten Stationen vor. Erwähnenswert sind unter den Gehölzen: die Schwarzföhre (Pinus nigra Arn.), die Edelkastanie (Castanea sativa Mill.), - die Zerreiche (Quercus cerris L.), Be Sk N nr Die Vegetation der letzten Iuterglazialperiode. 113 die Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia Scop.) und der Pfeifenstrauch (Philadelphus coronarius L.) beide nur in der Weizklamm, ferner aus der Schar der Kräuter und Stauden Oryzopsis virescens G. Beck, Anemone trifolia L., Erythronium dens canıs L., Helleborus dumetorum W.K., . Crocus albiflorus Kit., Dentaria trifoia W.K. Jonorchis abortiva G. Beck, Seselinia austriaca G. Beck, Dianthus barbatus L., Pulmonaria styriaca A. Kern. Silene nemoralis W. K. | Ebenso zerstreut ist das Vorkommen der illyrischen Ge- wächse im benachbarten westlichen Ungarn, wo z. B. Carex Michelii Hort. Peltaria alliacea Jacqu., ÖOrnithogalum pyrenaicum L. Thlaspi goesingense Hal., v. flavescens Lam., Geranium phaeum L., Ruscus hypoglossum L., Dictamnmus albus L., Iris graminea L., Sedum anopetalum DC., Orocus albiflorus Kit., Prunus Mahaleb L., Anacamptis pyramidalis Rich, Rhamnus saxatilis Jacqu., Castanea sativa Mill., Peucedanum oreoselinum 1., Dianthus barbatus L,, P. verticillare Koch, Cerastium silvaticum W. K., Pulmonaria styriaca A. Kern., Moenchia mantica Bartl.., Artemisia camphorata Vill., Pulsatilla montana Rchb., Cirsium pannonicum ‚Gaud., Helleborus dumetorum W. K.. Scorzonera austriaca Willd. u. a. m. vorkommen. Hingegen gedeihen im östlichen Teile Niederösterreichs, insbesondere auf warmem Kalkboden zwischen Kälksburg und Gloggnitz und wohl in Folge desselben eine grosse Anzahl il- lyrischer Gewächse. Am östlichen Abfalle der nördlichen Kalk- alpen bei Baden und Vöslau verdichten sich die illyrischen Ge- wächse selbst zu Pflanzenformationen, die nach ihrem Oberholze mit jenen des Karstes überraschend zusammenstimmen. In solchen Formationen vereinigen sich die Schwarzföhre (Pinus nigra Arn.), die Flaumeiche (Quercus lanuginosa Lam.), die Zerreiche (Quercus cerris L.), der Perrückenbaum (Cotinus coggygria Scop.) mit dem - Goldregen (Oytisus. laburnum L.), der Mahalebkirsche " (Prunus Mahaleb L.) und dem mediterranen Blasenstrauche (Colutea ar- borescens L.). Von anderen illyrischen Gehölzen findet man die Edelkastanie (Castanea sativa Mill.) im wilden Zustande, dann Rhamnus saxatilis Jacqu., Euonymus verrucosus Scop., Staphylea pinnata L., Daphne laureola L., Lonicera caprifolium L. 9* 114 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: ; DE Eine grosse Anzahl illyrischer Kräuter und Stauden ist hier weit verbreitet. Es seien nur einige aufgezählt wie: Andropogon ischaemum L. Oryzopsis virescens G. Beck, Diplachne serotina Link, Carex Michelii Host, „ Halleriana Asso, Hierochloe australis R. Sch., Danthonia calycina Rehb., Agropyrum intermedium P. B., Ornithogalum pyrenaicum L. v. flavescens, OÖ. comosum L., O. tenuifolium Guss., Gagea pusilla Schult., Iris graminea L., Crocus albiflorus Kit., Orchis tridentata Scop., Anacamptis pyramidalis Rich., Loroglossum hircinum Rich., Silene nemoralis WK., 4, Olnbes Ju, Thlaspi goesingense Hal., Alyssum montanum L., Cytisus Kitaibelii Vis., Astragalus vesicarius L., u.a. m. Medicago prostrata Jacyqu., M. minima Bast., Geranium phaeum L., Dictamnus albus L., Euphorbia polychroma A. Kern., Peucedanum oreoselinum L., Orlaya grandiflora Hffm., Seselinia austriaca G. Beck, Convolvulus cantabrica L., Onosma Visianii Clem., Stachys recta L., Dracocephalum austriacum L., Digitalıs ferruginea L., Melampyrum angustissimum G. Beck, 3 subalpinum Jur. Plantago ceynops L., Aster amellus L., Artemisia camphorata Vill., Serratula heterophylla Desf., Cirsium pannonicum Gaud., Aposoeris foetida Less., Scorzonera austriaca Willd. Dazu sind noch eine Anzahl illyrischer Voralpenpflanzen zu rechnen wie z. B. Orchis Spitzelii Saut., Peltaria alliacea Jacqu., Draba aizoon Wahl., Geranium lucidum L., welche auf den Hochgebirgen und im Berglande am Osthange der Kalkalpen wachsen. Vicia oroboides Wulf., Hippocrepis comosa L., Anthyllis Jaqwinü A. Kern., Globularia cordifolia L., Und gerade so wie sich gegenwärtig in den illyrischen Län- dern zahlreiche mediterrane Pflanzen in die Formationen der il- lyrischen Flora einstreuen, sind auch in Niederösterreich eine nicht unbeträchtliche Anzahl derselben darin zu beobachten, wie: Cyperus longus L., Jonorchis abortiva G&. Beck, Ophrys apifera Huds., Althaea cannabina L., Echinops ritro L., Lathyrus nissolia L. Be I ei AS ’ Er IR | ni in in le Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 115 Auch selbst die Reste einer dem Süden angehörigen Halo- phytenflora, die mit jener der Littoralflora der Adriaküste manchen Vergleich zulässt, sind noch im Marchfelde und um den Neu- siedlersee im angrenzenden Ungarn aufzufinden, wo z. B. Atropis distans Gris., Sclerochloa dura P. B., A. Peisonis G. Beck (zunächst Cyperus pannonicus Jacqu., verwandt der A.festuciformis Seirpus holoschoenus L., G. Beck), Atriplex roseum L., Orypsis aculeata Ait., Ranuneculus lateriflurus DC., Heleochloa schoenoides Lam., Veronica anagalloides Guss., H. alopecuroides Schrad., Artemisia maritima Willd. u. a, vorfinden. Wir sehen also im östlichen Teile Niederösterreichs eine grosse Zahl wärmeliebender Gewächse noch heute z. T. häufig gedeihen. Diesem Gebiete schliesst sich das vierte, an illyrischen Pflanzen ärmste Gebiet am Nordhange der Alpen an. Wir dürften nicht fehlgehen, wenn wir auch hier die äusserst wenigen Standorte der illyrischen Pflanzen als Relikte deuten, denn sie liegen weit ab und ganz vereinzelt von den nächsten Standorten ihres gleichen und lassen gar keine weitere Verbindung mit dem Hauptareale der eigenen Art erkennen. Es sind auch nur sehr wenige Arten, denen es geglückt ist, sich hier zu erhalten und auch nur solche, die imstande waren, sich einem kälteren Klima anzupassen. Es seien genannt: Hypericum barbatum Jacqu., Crocus albiflorus Kit., Helleborus viridis L. im Wiener Walde. Lathyrus variegatus Gren. Godr. zwischen Wechsenberg und . Raisenmarkt; Ruscus hypoglossum L. bei Kreisbach und auf der Lilienfelder-Alpe; Hacquetia epipactis DC. im Traisentale zwischen Kalte Kuchel und Hohenberg; Paeonia mascula L. auf dem Göller und der Lilienfelder-Alpe; Anemone appenina L. bei Gresten; Nareissus poeticus L. vom Traisentale bis Oberösterreich: Ane- mone trifolia L. im Ybbs-Tale; Peucedanum oreoselinum L., Aster amellus L., COytisus hirsutus L., CO. nigricans L. im unteren Ybbs-Tale. In Oberösterreich wurde Philadelphus coronarius L. und Buxus sempervirens L. bei Steier beobachtet und noch ein Dutzend illyrischer Pflanzen kommt in diesem Lande sehr zer- streut vor. Ostrya carpinifolia Scop. wurde ferner am Fusse des Solstein bei Innsbruck, ober Tolsters bei Feldkisch und im Rhein- tale bei Ragatz beobachtet, an Stellen, wo jedoch die Hopfen- buche während der Würmeiszeit nicht existieren konnte. is ; ER 116 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: Manche illyrische Pflanze hat gegen Norden zu auch die Donau überschritten, was nur nebenbei bemerkt sei. { Diese Tatsachen beweisen meines Erachtens klar, dass die illyrische Flora die Ostalpen umgürtet hat und dass sie durch die letzte Eiszeit aus den nördlichen Alpentälern, die sie während einer warmen Periode der Eiszeiten besetzt hatte, wieder herausgedrängt und entsprechend der nach Westen zunehmenden Vergletscherung der Alpen vernichtet wurde. Eine postglaziale Einwanderung in der sogenannten aqui- lonaren Zeit, wie Kerner annahm, erscheint mir hier ausge- schlossen. Selbstverständlich konnte sich in nächster Nähe der Eismassen der letzten Glazialzeit keine illyrische Pflanze er- halten. Die Standorte, an denen sie sich aber derzeit in den Nordalpen vorfinden, liegen mit Ausnahme jener der Hopfenbuche in Tirol und im Rheintale weit ab von den Eis- und Firnmassen der letzten Eiszeit. Sie befinden sich zum Teile in der Bergregion, z. T. in den Voralpen und hier meines Wissens nicht höher als 700—800 m ü. M. Ersteren war die Möglichkeit der Erhaltung auch zur Würmeiszeit gegeben, in der die Baumgrenze bei etwa 500 bis 600 m Seehöhe lag; letzteren jedoch war dies erst möglich nach dem Bühlstadium, in welchem die Schneegrenze noch um 900 bis 1000 m tiefer lag als gegenwärtig. Es kann aber angenommen wer- den, wie es jaauch Drude für den Begriff des Reliktenstandortes ausspricht, dass diese illyrischen Pflanzen nicht gerade an Ort und Stelle, wo sie derzeit noch gefunden werden, sondern an tiefer gelegenen, nicht allzuweit von den gegenwärtigen Stand- orten gelegenen Besiedelungsplätzen die Zeit des tiefsten Standes der Schneegrenze überdauert haben. Bei den Oszillationen der Schneegrenze in der Postwürmzeit und der damit verbundenen Hebung und Senkung aller Vegetationslinien konnte ein stabiler Wohnsitz wärmebedürftiger Pflanzen in ihrer Kampfregion wohl gar nicht eingehalten werden. Bei der Beurteilung der Relikten muss jedoch auch die Tatsache Beachtung finden, dass sich viele illyrische Pflanzen im Laufe des klimatologisch schwankenden Diluviums in ihren klimatologischen und ökologischen Anforde- rungen vielfach an ein kühleres Klima angepasst und eine sehr bedeutende Erweiterung des Spielraumes innerhalb ihrer ex- tremsten klimatologischen Lebensbedingungen erzielt haben. So finden wir jetzt in der Hochgebirgsregion der Alpen illyrische Gewächse, die ebenso. gut an den wärmsten Stellen des illyrischen Florengebietes gedeihen und deren nächste Verwandte durchwegs wärmebedürftig sind. Dazu gehört die in T'alwiesen heimische Dichternarzisse (Nareissus poöticus L.), die auch in der Alpenregion des Hoch- kors in Niederösterreich gedeiht; \ AN, 3 Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 117 Poa pumila Host, Anthyllis Jacquinii A. Kern., Muscari botryeides Mill., Hippocrepis comosa L., Allium ochroleuceum W. K., Genista radiata Scop., Paronychia kapela A. Kern., Plantago argentea Chaix, Drypis spinosa L., Globularia cordifolia L., Sedum glaucum W. K., Senecio rupestris W. K. finden sich in den Alpen und im dinarischen Hochgebirge vom Hügellande und Meeresstrande bis-in die Alpenregion; Hacquetia epipactis L., Anemone trifolia L., Aposoeris foetida Less. sind Pflanzen des illyrischen Bergwaldes, die in den Alpen vornehm- lich die Laubwälder der Voralpen bewohnen. Aus dem illyrischen Florengebiete Bosniens und der Herzegowina könnten noch zahl- reichere Arten angeführt werden, die über eine überaus grosse Weite ihrer Lebensbedingungen verfügen, welche sie sich offenbar während des schwankenden Klimas des Diluviums durch direkte Anpassung aneigneten. Die illyrische Flora musste aber auch von Süden und Süd- osten, also von ihrem Hauptareale aus, während der letzten Inter- glazialzeit bis in das Herz der österreichischen Ostalpen einge- drungen und dann ebenfalls durch die Würmeiszeit dezimiert ' worden sein. Ich habe dies im Isonzo- und Savetale, aber auch im Gail- und Drautale in Kärnten feststellen können. Im Isonzotale reichen derzeit die geschlossenen Formationen der illyrischen Flora bis an die Endmoränen der eiszeitlichen - Gletscher, die ihre Eismassen bis St. Lucia vorschoben. In ihrer Mitte trifft man, wie auch am Ostrande der Alpen bis Nieder- österreich, zerstreut einige wenige besonders anpassungsfähige mediterrane Gewächse. Im oberen Isonzo-Tale zerstreuen sich die illyrischen Gewächse schon sehr, kommen vornehmlich auf warmem, sonnseitigem Kalkgestein inmitten der mitteleuropäischen und alpinen Vegetation vor und verschwinden in einer Seehöhe von 900—950 m. Wenn auch die Hopfenbuche (Ostrya carpini- folia Scop.) und die Mannaesche (Fraxinus ornus L.) am Süd- hange des Predilpasses bis zu 1000 m emporsteigen, so sind gegenwärtig doch alle illyrischen Gewächse auf der Predilhöhe (1162 m) verschwunden. Sie sind also gegenwärtig nicht befähigt, den Kamm der südlichen Kalkalpen zu überschreiten. Das isolierte Vorkommen und der Zusammenschluss sehr weniger illyrischer Pflanzen im oberen Isonzotale, aus deren Zahl z. B. Osirya carpinifolia Scop., Oytisus purpureus Scop., Genista radiata Scop., C. supinus L., 118 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: Euonymus verrucosus Scop., Lamium orvala L.. Peucedanum oreoselinum L., Satureja montana L., Fraxinus ornus L., Oirsium pannonicum Gaud. am weitesten vordringen, liefert den Beweis, dass wir es mit einer eingedrungenen und dann dezimierten Flora zu tun haben und zwar mit derselben, die in Tirol während der Interglazial- zeit bestand. Ihr stand in der Interglazialzeit, als die Schneegrenze gegenüber der heutigen um 300—400 m höher lag, eine bequeme Wanderstrasse über den Predil und auch von Frianl durch das Canaltal nach Kärnten offen und es erscheint bestechend, die Relikte der illyrischen Flora in Kärnten damit in Zusammenhang zu bringen. Ähnliche Verhältnisse nimmt man auch im Savetal wahr. Wenn die illyrischen Pflanzen in der Wochein, um Veldes und entlang des Südfusses der Karawanken an beschränkter Ortlich- keit auch zur Formationsbildung sich aufschwingen, so ver- schwinden sie doch schon in einer Seehöhe von 800—900 m. An besonders günstigen Stellen erscheinen nur wenige illyrische Gewächse und zwar zumeist dieselben Arten wie im Isonzotale noch einzeln im oberen Savetale, verschwinden aber schon bei Kronau inmitten der Voralpen- und Krummholzregion. Auch vom Savetale aus war der illyrischen Flora zur letzten Interglazial- zeit der Übergang nach Kärnten über Weissenfels und den Wurzenpass (1071 m) ermöglicht. Dass die illyrische Flora diese beiden Wanderstrassen auch benützte, ersieht man aus der Lage zahlreicher Örtlichkeiten, an welchen sich illyrische Pflanzen, wie Pinus nigra Arn., Oytisus supinus L., Andropogon ischaemum L., Peucedanum oreoselinum L., Lasiagrostis calamagrostiıs Link, Fraxinus ornus L., Ostrya carpinifolia Scop., Stachys recta L., Anemone trifolia L., Aster amellus L., Oytisus purpureus Scop., Aposoeris foetida Less. derzeit in Gesellschaft anderer wärmeliebender Gewächse in Kärnten vorfinden. Man kann aus denselben gewissermassen den Ausgangspunkt ihres Eindringens aus dem Gailitztale erkennen, denn im unteren Gailtale und um den Dobratsch herum, ver- dichten sich deren Standorte, während sie sich gegen das obere Gailtal zu zerstreuen und nördlich der Linie Villach—Pörtschach— Klagenfurt fehlen. Hingegen sind die wenigen Standorte illy- rischer Pflanzen im östlichen Kärnten wohl mit einer Einwande- rung illyrischer Elemente durch das Drau- und nr - von Steiermark her in Verbindung zu bringen. a”. en Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 119 Die illyrische Flora drang noch weiter über die Pässe der Gailtaler Alpen in das Drautal, sicher durch das Gösseringtal ober Weissbriach und über den Gailbergsattel (970 m) und konnte sich im oberen Drautale über Ober-Drauburg bis nach Nikols- dorf in Tirol vorschieben, wo derzeit der am weitesten nach Westen vorgeschobene Standort der Hopfenbuche (Ostrya car- pinifolia Scop.) zu beobachten ist. Nicht unmöglich scheint es, dass in der Interglazialzeit, wo ja das Klima günstiger als gegen- wärtig war, ein noch weiteres Vordringen der illyrischen Flora stattfand, das deren Verbindung mit der von Südtirol eingedrun- genen gleichen Flora bei Franzensfeste und über dem Brenner mit der im Inntale ausgebreiteten Interglazialflora bewerkstelligte. Auffällig ist es, dass die illyrischen Pflanzen derzeit im Drautale von Sachsenburg bis gegen Villach zu fehlen scheinen und auch keine weitere Verbreitung im nördlichen Kärnten fanden, wie es der nördlichste, ganz isolierte Standort der Hopfenbuche auf Kalkboden zwischen St. Johann am Brückl und Klein St. Veit beweist. Wenn man die vorgeschobensten Standorte der von Süden und Südosten in die Alpen eingedrungenen illyrischen Pflanzen betrachtet, so ist man verwundert, dieselben entweder auf sonn- seitigen Kalkfelsen oder in kühlen Felsschluchten und zwar stets in Gesellschaft einer hochalpinen Vegetation vorzufinden. Am Predil, bei Raibl, im Schlitzatale bei Tarvis, an meh- reren Stellen im Gailtale, bei Nikolsdorf in Tirol u. a. o. kann man die Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia Scop.) oft auch die Mannaesche (Fraxinus ornus L.) mit vielen Sträuchern der Krumm- holzregion, insbesondere mit der Legföhre (Pinus mughus Scop.), den Alpenrosen (Rhododendron hirsutum L., Rhodothamnus cha- _ maecistus Rchb.) und alpinen Weiden (Salix grandifolia Ser., S. glabra Scop., 8. Jacquiniana W., S. arbuscula L.) und anderen Sträuchern der Krummholzregion wie: Rosa pendulina L., Rubus saxatilis L., Rhamnus fallax Boiss., Rh. pumila L., Erica car- nea L., Lonicera alpigena L., L. coerulea L. zusammen beob- achten und hier, wie an allen anderen Stellen ihres Vorkommens ist die Anzahl der gleichzeitig vorkommenden alpinen Gewächse sehr gross. Aus der Zahl der letzteren, die gern in tieferen Lagen sich vorfinden, sind z. B. Beolopendrium vulgare Sm., O©. brachystachya Schrank, Asplenium viride Huds., Tofieldia calyculata Wahl., Sesleria coerulea Ard., Moehringia muscosa L., Trisetum argenteum P. B., Gypsophila- repens L., Carex firma Host, Silene Hayekiana Hand. Maz., C. mueronata All., Heliosperma quadrifidum Reich. 10 120 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenan: Dianthus inodorus L., Gentiana asclepiadea L., Helleborus niger L. v. macran- Calamintha alpina Lam., thus, Veronica lutea Wettst., Kernera sazatilis Rchb., { fruticulosa L., Lunaria rediviva L., x latifolia L., Biscutella laevigata L., Pinguicula alpina L., Saxifraga incrustata Vest, Campanula caespitosa L., £ caesia L., 3 thyrsoidea L., , cuneifolia L., Achilles Clavenae L., Sazifraga Hostii Tausch, Adenostyles alliariae Kern., Dryas octopetala L., Aster bellidiastrum Scop., Potentilla caulescens L., Carduus defloratus L., Viola biflora L., Cirsium erisithales Scop., Primula auricula L., Leontodon incanus Schrank, Gentiana Clusii Perr. Song., Hieracium porrifolium L. abgesehen von den häufigen Voralpenpflanzen die allergewöhn- lichsten Begleitpflanzen der illyrischen Pflanzen nördlich der Karawanken und der Karnischen Alpen und die Zahl derselben steigert sich noch weiter im Save- und Isonzotale. Das gegenwärtige Zusammenleben der illyrischen Pflanzen mit diesen alpinen Elementen scheint die Annahme zuzulassen, dass die illyrischen Pflanzen unter weitgehendster Anpassung an ein relativ kühleres Klima eben in dieser Gesellschaft an vielen Orten, wo sie sich derzeit innerhalb der Alpen vorfinden oder doch wenigstens in deren Nähe auch die letzte Eiszeit über- dauerten. Sicher konnte dies an jenen Orten geschehen, welche ausser dem Bereiche der Gletschermassen der Würmeiszeit liegen. Die Hopfenbuche, die ja auch derzeit noch in den Alpen bis 1100 m und in Kärnten noch bis 1280 m Seehöhe ansteigt, war gewiss hiezu befähigt und im östlichen Kärnten dürfte es trotz der grossen Talgletscher der letzten Glazialperiode für Alpen- pflanzen besiedelungsfähiges Land noch in genügendem Ausmasse gegeben haben, das mit widerstandsfähigeren illyrischen Pflanzen geteilt werden Konnte. Aber man darf nicht vergessen, dass die gegenwärtigen Standorte der illyrischen Flora auch in den vom Gletschereis der Würmeiszeit bedeckten Tälern liegen, das im Isonzotal bis St. Lucia, im Savetale bis Radmannsdorf und aus dem Gail- und Drautale ostwärts bis Völkermarkt reichte. An diesen Stellen war somit ein Gedeihen der illyrischen Pflanzen ganz unmöglich. So leicht es ist, das Vordringen der illyrischen Flora in die Alpen unter Zugrundelage der heutigen Verhältnisse während der Risswürminterglazialzeit festzulegen, so schwierig wird es zu bestimmen, aus welcher Zeit die derzeit am weitesten in das Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 121 Herz der Alpen vorgeschobenen Relikte der illyrischen Pflanzen stammen. Im Isonzotale liegen die höchsten derzeitigen Standorte der illyrischen Flora bei 950—1000 m, also 1600 m unter der jetzigen Schneegrenze, die bei 2600 m verläuft. Nimmt man einen gleichen Abstand auch für das Diluvium an, so konnten illyrische Ge- wächse im oberen Isonzotale von St. Lucia talaufwärts während der Würmeiszeit überhaupt nicht existieren, auch nicht an den Tallehnen, die nach Brückner erst oberhalb 700—800 m eis- frei waren. Sind die Schwankungen der Schneegrenze in den verschiedenen Stadien der Postwürmzeit bis zur Gegenwart auch in den Ostalpen vorhanden gewesen, so konnten sie erst im Gschnitzstadium, bei einer in 1900 m Höhe verlaufenden Schnee- grenze, in der Talsohle von Tolmein bis Karfreit gedeihen, im Talboden von Flitsch erst im Daunstadium, während noch höher am Predil gelegene Standorte erst in der Gegenwart eingenommen werden konnten. Im oberen Savetale war deren Vorkommen überhaupt von Radmannsdorf angefangen in den Tälern der Wocheiner- und Wurzner Save erst in der Gegenwart möglich. Ähnliches gilt für Kärnten. Im Gailtale liegen die Stand- orte der illyrischen Gewächse auf der Nordseite der Karnischen Alpen stets in Verbindung mit alpinen Elementen in engen Fels- tälern und Klammen — wie z. B. in der Garnitzen- und Valentin- klamm, bei Mariagraben, im Osselitzengraben bei Tröppolach — etwa in einer Seehöhe von 600—750 m, auf der Südseite der Gailtaler-Alpen hingegen auf sonnseitigen Kalkfelsen von 500 bis 1280 m, endlich im oberen Drautale bis Nikolsdorf in Tirol bei 650— 700 m. Hier ergibt sich ein Abstand der Standorte von der Schnee- grenze (2600—2700 m) von etwa 2000 m und nur auf der Süd- seite der Gailtaler-Alpen ein solcher von 1220 m, woraus resultiert, dass im -Gailtale überhaupt erst im Gschnitzstadium, wo die Schneegrenze etwa um 600 m tiefer als heute lag, und nur am Fusse der Gailtaler-Alpen eine Besiedelung illyrischer Pflanzen möglich war. Diese Standorte der illyrischen Pflanzen können daher unter Zugrundelegung der von Penck festgelegten Höhenlagen der Schneegrenze in der Postwürmzeit und der gegenwärtigen ökolo- gischen Bedingungen der illyrischen Gewächse, nur postglazialen Ursprunges sein. Dem widerspricht nun völlig der pflanzengeographische Befund. Vor allem muss betont werden, dass die illyrischen Ge- wächse in der Gegenwart nicht imstande sind, den Predilpass (1162 m) zu überschreiten. Sie konnten es natürlich noch we- 10* 122 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: niger in einem früheren Stadium der postglazialen Zeit, da ja die Schneegrenze im Daunstadium 300—400, im Gschnitzstadium 600 m tiefer lag als gegenwärtig. So bliebe nur die Möglichkeit; des Eindringens durch das Canaltal aus Oberitalien zu prüfen. Doch hier konnte die Strecke von Thörl (650 m) bis Pontafel (570 m), in welcher bei Saifnitz die Passhöhe mit S10 m erreicht wird, auch erst nach dem Daunstadium, also gegen die Gegen- wart zu, als Wanderstrasse für die illyrischen Gewächse eröffnet werden. Dass auch in den Ostalpen eine xerothermische Periode im Postglazial eingetreten sei und den illyrischen Pflanzen den Über- gang über die südlichen Kalkalpen ermöglicht hätte, finde ich nirgends begründet und ist mir auch bei der innigsten Ver- brüderung der illyrischen Gewächse mit alpinen noch zweifelhaft. Nachdem sich also das Eindringen der illyrischen Flora nach Kärnten nur in einer der Gegenwart zunächst liegenden Zeitepoche, und zwar ohne weitere Behinderung, abgespielt haben kann, muss sich dies auch genau verfolgen lassen. Ich bin jedoch nicht imstande, die Beweise hiefür zu er- bringen. Alle Standorte der illyrischen Flora im Herzen der Alpen zeigen uns ausgeprägtesten Reliktencharakter. Sie sind ganz iso- liert, von wenigen Arten, ja oft nur von einer Art besetzt und man kann sie als weit von einander entfernte Punkte selbst in einer Karte kleineren Masstabes, z. B. 1:750.000 getrennt ein- tragen. Auch manche illyrische Arten sind völlig isoliert zu finden, so z. B.: Asperula taurina L. und Coronilla emeroides Boiss. bei Karfreit; Satureja montana L. bei Flitsch, Satureja rupestris Wulf. bei Krainburg, Medicago carstiensis Wulf. und Cotinus coggygria Scop. am Veldeser See, Satureja montana L. und Pinus nigra Arn. in der Wochein; Onobrychis Tommasiniana Jord. bei Dobrava in Krain, Andropogon ischaemum L. bei Ober- Drauburg. Es fehlen auch die Verbindungsbrücken der illyrischen Pflanzen mit dem geschlossenen Ursprungsareale, auch die aus anderen Arten bestehenden Nachschübe, welche jede vordringende Flora kenn- zeichnen, sind nicht vorhanden, obwohl doch seit dem Gschnitz- stadium keine Periode der Vergletscherung mehr nach Art jener der Würmeiszeit stattfand und dieselben wieder in solcher Weise zerstören konnte. Würden die im östlichen Kärnten befindlichen Standorte der illyrischen Flora nicht noch stärker isoliert sein, so könnte immerhin noch eine Einwanderung von Steiermark nach Kärnten angenommen werden; dann müssten aber einerseits alle in Kärnten sich vorfindenden illyrischen Pflanzenarten reichlich in Steiermark vorkommen, was im Drautale nicht der Fall ist, Wr Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 123 anderseits die Lage der Standorte diesen Wanderweg kenn- zeichnen, was ebenfalls nicht zutrifft. Schwerwiegend spricht gegen eine postglaziale Einwanderung auch das Verhalten der illyrischen Gewächse selbst. Man nimmt wohl wahr, dass sich die alpinen Begleitpflanzen derselben an . manchen sonnigen Standorten infolge mangelnder Feuchtigkeit nicht erhalten konnten’ und mehr minder, oft völlig ausgestorben sind. Man kann aber umgekehrt eine Begünstigung in der Ver- breitung der illyrischen Gewächse infolge des doch wärmer und trockener, somit für diese Gewächse willkommener gewordenen Klimas an den im Herzen der Alpen gelegenen Standorten keinen- falls feststellen. Die illyrische Flora zeigt hier nirgends die Eigen- tümlichkeiten einer klimatisch begünstigten und daher vordrin- genden Vegetation, wie sie z. B. an der sicherlich postglazial am ÖOstsaume der Alpen vorgedrungenen und heute noch gegen Westen vorstossenden pontischen Flora wahrzunehmen sind. Wo sich heute innerhalb der Alpen eine neue Besiedelungsstätte er- öffnet, wird sie von der voralpinen und alpinen Vegetation im Vereine mit einer mehr minder grossen Schar mitteleuropäischer (Grewächse des Berg- und Tieflandes rasch besetzt. Dass sich an solchen Neubesiedelungen an geeigneten Stellen, die reichlich sich darbieten, die illyrischen Gewächse in auf- ‘ fälliger Weise betätigen, konnte ich nirgends beobachten. Zwar sah ich vielfach besonders an steinigen Stellen mit unterbrochener Vegetationsdecke und im Felsschutt einen Nachwuchs der Karst- gehölze und der illyrischen Stauden; derselbe genügt aber wohl nur, um dieselben eben noch an der Besiedelungsstätte zu er- halten. An Stellen, wo sich die waldbildenden Elemente der Voralpen günstig entwickeln und ihre Bestände schliessen, da ist eine Verkümmerung der illyrischen Gehölze deutlich wahrzu- nehmen. Das beweist, dass die gegenwärtigen Verhältnisse inner- halb der Alpen nur dem Gedeihen der in den Alpen einheimischen Vegetation günstig sind, nicht aber der illyrischen Flora zu- träglich erscheinen und lässt die Annahme einer postglazialen Einwanderung der illyrischen Flora, welche sich mit der An- näherung an die wärmer und trockener gewordene Gegenwart lebhafter gestaltet haben müsste, nicht zu. Es ergibt sich somit, dass die illyrische Flora mit der in Tirol fossil vorgefundenen Flora der letzten Risswürminterglazial- zeit identisch ist, dass sie jene Diluvialflora darstellt, welche zu dieser Zeit die österreichischen Ostalpen umgürtete und in die- selben eindrang, dann aber durch letzte Eiszeit aus denselben verdrängt wurde. Da dieselbe aber noch an vielen Stellen innerhalb der Alpen vorgefunden wird, wo sie sich während der Würmeiszeit nicht 124 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: erhalten konnte, ist ein erneuertes Eindringen derselben in der postglazialen Zeit wahrscheinlich, lässt sich aber weder aus der _ derzeitigen Verbreitung noch aus dem ökologischen Verhalten derselben erweisen, da den wenigen, an geänderte Verhältnisse angepassten, zumeist in Gesellschaft alpiner Arten vorkommen- den Vertretern derselben, welche nur an günstigen Stellen als typische Relikte erhalten geblieben sind, ob des zur Zeit für sie noch ungünstigen Klimas gar keine Wanderfähigkeit zukömmt. Wenn aber, wie mir Prof. Brückner freundlichst mitteilte, zwischen dem Gschnitz- und Daunstadium eine Interstadialzeit miteinem Klima eingeschaltet war, das wesentlich wärmer und trockener als in der Gegenwart war, dann wäre der Schlüssel für die derzeitige Verbreitung derillyrischen Pflanzen innerhalb der Alpen und ihres reliktartigen Vor- kommens gefunden, denn dann ist sie erneuertin dieser Interstadialzeit in die Alpen eingedrungen, wurde aufihren vorgeschobensten Standorten durch den Einfluss des Daunstadiums, in welchem die Schneegrenze 300—400 m tiefer als gegenwärtig lag, dezimiert und hat noch gegenwärtig mit der Un- sunst des Klimas, das sich noch nicht so günstig wie in der genannten Interstadialzeit gestaltet hat, zu leiden. Das derzeitige Klima innerhalb der Alpen begünstigt somit nur die Entwicklung der mitteleuropäischen Flora, die während der letzten Eiszeit im nordungarischen Berglande ein weites, in grossem Bogen das ungarische, von Wasser bedeckte Tiefland umspannendes Areale besass und auch in den Alpen sicher eine ausgeprägte Höhenregion besiedelte und von hier aus im Vereine mit borealen Elementen nach der letzten Eiszeit rasch das schnee- frei gewordene Territorium der Alpen schon zu einer Zeit okku- pieren konnte, in welcher die klimatischen Verhältnisse die Ent- wicklung der illyrischen Flora noch lange verhinderten. Da ein derartiges Klima auch. noch gegenwärtig herrscht, bleibt die Ausbreitung und Entwicklung der illyrischen Flora innerhalb der Alpen auch noch heute behindert. Nach diesen Ausführungen sind wir dank der vielen geolo- gischen, palaeontologischen und pflanzengeographischen Studien der letzten Jahre in Stand versetzt, ein klares, wenn auch viel- fach noch skizzenhaftes Bild über die Vegetation der öster- reichischen Alpen während der letzten Interglazialzeit zu ent- werfen, das erfreulicher Weise in vollem Einklange mit unseren heutigen pflanzengeographischen Kenntnissen in den Ostalpen steht, jedoch die Herkunft der illyrischen Gewächse innerhalb ER re REEL N GEW. Ss Die Vegetation der letzten Interglazialperiode. 125 der von den Eismassen der letzten Eiszeit bedeckten Gebiete nur dann einem bestimmten Stadium der postglazialen Zeit zuzuweisen vermag, wenn man zu der wenn auch nicht unwahrscheinlichen Hypothese des Bestandes einer postglazialen xerothermischen Periode auch in den Östalpen schreitet. Tafelerklärung. 1. Mutmassliche Verbreitung der Vegetation Österreichs in der Würmeiszeit. Die hydrographischen Verhältnisse sind der Orientierung halber nach der Gegenwart eingetragen. 2. Mutmassliche Verbreitung der Vegetation Österreichs in der Riss-Würm-Interglazialzeit. Die hydrographischen Verhältnisse sind der Orientierung halber nach der Gegenwart eingetragen. Die bewaldeten Gebiete sind schraffiert; in den waldlosen Steppengebieten ist das Löss-Vorkommen durch Punkte markiert. Aus dem physiologischen Institute der k. k. deutschen Universitätin Prag. Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. Von Priv.-Dozent Dr. R. H. Kahn. IH. Binoculare Vereinigung pendelnder Kugeln. Die ungemein interessanten Erscheinungen, welche leicht dadurch hervorzurufen sind, dass man zwei in verschiedenen Phasen pendelnde Kugeln binocular vereinigt, haben ihre ersten Beschreiber Ewald und Gross,') wie mir scheint, zum Teile falsch gedeutet. Es handelt sich in solchen Versuchen darum, zwei Kugeln von einigen Centimetern Durchmesser, welche etwa '/, m weit von einander von der Zimmerdecke an Fäden herabhängen, aus einiger Entfernung (ca. 5 m) so zu betrachten, dass man die Augenachsen sich in einem Punkte kreuzen lässt, welcher so nahe liegt, dass die beiden mittleren Doppelbilder der Kugeln sich decken. E. und G. benützen schwarze Kugeln, hinter denen auf weissem Schirme je ein schwarzer Kreis derart aufgezeichnet ist, dass die Kugeln vor den Mittelpunkten der beiden Kreise sich befinden. „Lässt man beide Kugeln gegeneinander schwin- gen, und nähern und entfernen sie sich von einander, so verän- 1) J. Rich. Ewald u. Oscar Gross, Über Stereoskopie und Pseudo- skopie. Pflüg. Arch. Bd. 115. Seite 528. 1906. ‘196 Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: dern sie ihre Stellung den hinter ihnen befindlichen feststehenden Kreisen gegenüber in derselben Weise, wie sich eine einzelne Kugel, die auf uns zuschwingt, infolge der parallaktischen Ver- schiebungen in unseren beiden Augen abbilden würde. Es tritt also jetzt die stereoskopische Wirkung ein. Während sich die beiden Kugeln in Wirklichkeit von einander entfernen, scheint die stereoskopisch gesehene Kugel aus entfernter Lage zu uns zu schwingen. Sie befindet sich erst weit hinter dem natürlich immer feststehenden Kreise, fliegt durch diesen mitten hin- durch — nämlich in dem Moment, wenn beide Kugeln durch die Ruhelage gehen — und kommt dann nahe an uns heran. Das Umgekehrte findet natürlich statt, wenn sich die Kugeln einander nähern.“ Dieser Versuch wird von E. und G. als eine Demon- stration dafür angesehen, dass das plastische Hervortreten oder Zurückweichen eines Punktes auf zwei stereoskopischen Bildern durch die parallaktische Verschiebung bedingt sei. Dabei ist zunächst mit keinem Worte erwähnt, was denn geschieht, wenn man die Kugeln, ohne die Kreise auf den Hinter- grund gezeichnet zu haben, schwingen lässt und binocular ver- einigt. Tut man dies, so hat man ganz dieselbe Erscheinung wie früher, nämlich die einer in der Medianebene des Beschauers schwingenden Kugel. Auch dann, wenn man weisse Kugeln vor schwarzem Grunde, welcher nicht das geringste Detail erkennen lässt, betrachtet, ändert sich an der Erscheinung nichts. Es sind auch an den Kugeln alle weiteren Erscheinungen, welche E. und G. erwähnen, ebenso zu bemerken, ob man nun auf den Hinter- grund geometrische Figuren zeichnet oder nicht. Daraus geht schon hervor, dass es in G. u. E.’s Versuchen parallaktische Verschiebung der Kugeln gegen die Kreise mindestens nicht allein sein kann, welche die angegebene Erscheinung bedingt. Eine andere Ursache für dieselbe ist unschwer zu finden. Man vergegenwärtige sich die bei dieser Versuchsanordnung in Be- tracht kommenden Momente. Um die ruhenden Kugeln mit ge- kreuzten Gesichtslinien zu vereinigen, muss man bei den oben erwähnten Dimensionen die Sehachsen der beiden Augen in einem ziemlich nahe gelegenen Punkte kreuzen. Setzt man nun die Kugeln in Bewegung, so dass sie gegeneinander schwingen, so entstehen sofort Doppelbilder derselben, wenn man den Kreuzungs- punkt der Gesichtslinien beibehält, was durch ein daselbst aufge- stelltes Fixierzeichen leicht erreicht werden kann. Bemüht man sich aber, die pendelnden Kugeln in allen Phasen ihrer Schwin- sungen binocular vereinigt zu halten, dann muss man die Rich- tung der Sehachsen zu einander fortwährend ändern. Das lässt sich übrigens durch Betrachtung der Augen einer so handelnden Person oder durch geeignet aufgestellte Visierzeichen (am besten Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 727 feine Nadeln) während der eigenen Beobachtung der Kugeln genau feststellen. Je mehr sich die Kugeln einander nähern, um somehr rückt der Kreuzungspunkt der Gesichtslinien vom Beobachter ab und umgekehrt. Nun ist gerade für den Fall der haploskopischen Betrachtung zweier identischer Objekte die Kon- vergenzsteliung der Augenachsen von hervorragender Bedeutung für die Vorstellung von der räumlichen Entfernung des binocular gesehenen Bildes. Das zeigen unter anderem in sehr deutlicher Weise die sogenannten Tapetenbilder (Helmholtz ?), welche ich °) vor kurzem einer genaueren Untersuchung unterworfen habe. Bei diesen sowie einer Reihe anderer, schon aus früherer Zeit über diesen Gegenstand vorliegenden Untersuchungen (Donders, Aubert) zeigt sich, dass das Bild zweier mit konvergenten Seh- achsen vereinigter identischer Objekte um so kleiner und näher zu sein scheint, je grösser der Konvergenzwinkel ist. Für Ta- petenbilder habe ich gefunden, dass die so gewonnenen Bilder sicher in den Konvergenzpunkt selbst verlegt werden. Das gilt, wie mir scheint, auch für nur zwei identische Objekte, welche mit gekreuzten Sehachsen stereoskopisch vereinigt werden, zum Beispiel für unsere an Fäden hängenden Kugeln. Das binocular stereoskopisch gesehene Kugelbild ist viel Kleiner und näher als die einzelne richtig binocular betrachtete Kugel. Andert man nun, indem man mit gekreuzten Sehachsen den gegeneinander schwingenden Kugeln folgt, stetig den Konvergenzwinkel so än- dert sich auch die scheinbare Entfernung und Grösse des so gesehenen Kugelbildes. Dasselbe erscheint grösser und entfernter bei kleinerem Konvergenzwinkel, kleiner und näher bei grösse- rem. Es wird also immer grösser und entfernt sich scheinbar vom Beobachter immer mehr, je mehr sich die Kugeln einander nähern und umgekehrt. Es entsteht also, indem der Beobachter gezwungen ist, mit dem Konvergenzpunkt zu wandern, der Ein- druck, also würde die Kugel in der Medianebene des Beobachters schwingen. Dabei bewegt sie sich scheinbar gleichsinnig mit dem Kreuzungspunkte der Sehachsen. Während eines solchen Versuches ändert sich also weder die Lage der Kugeln zu anderen in ihrer Nähe befindlichen Ob- jekten, d.h. es gibt hier keine parallaktische Verschiebung, noch ändert sich die Grösse der Netzhautbilder oder die Akkomoda- tion. Die Ursache für die eigentümliche, in Rede stehende Er- scheinung ist also einzig die stetige Anderung des Konvergenz- winkels. Dabei ist hervorzuheben, dass es durchaus keiner be- 2) H. v. Helmholtz, Hdb. d. physiologischen Optik. I. Aufl. S. 652 II. Aufl. S. 798. & 3) R.H. Kahn, Über Tapetenbilder. Arch. f. Anat. u. Physiol. (Physiol. Abt.) 1907. a 128 Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn: deutenden Elongationen der schwingenden Pendel bedarf, um die Erscheinung hervorzurufen. Schon ein sehr geringes Wandern des Konvergenzpunktes genügt um den Eindruck der in der Me- dianliniie zum Beschauer schwingenden Kugel zu erzielen. Gibt man nun den Kugeln eine so geringe Elongation, dass bei ruhen- dem Konvergenzpunkte keine Doppelbilder mehr entstehen (wegen des relativ bedeutenden Kugeldurchmessers), so ist die Erschei- nung kaum mehr wahrzunehmen. Es ist also auch die Möglich- keit fast ausgeschlossen, dass in unseren Versuchen bei geringer Elongation eine sehr geringe Disparation zu Unterschieden in der Tiefenwahrnehmung führt. Vielmehr ist es nur die Anderung der Konvergenzstellung der Augen, welche die beschriebene Er- scheinung verursacht. Nun lässt sich genau dasselbe beobachten, wenn man knapp hinter die Kugeln geometrische Figuren, etwa Kreise auf den Hintergrund zeichnet. Es ist aber nicht notwendig geschlossene Figuren zu verwenden. Bringt man hinter und knapp über den Kugeln einen langen schmalen Strich horizontal an, so dass weder der Grund noch der lange gerade und schmale Strei- fen irgend welche Details erkennen lassen, so scheint die mitt- lere Kugel unter dem Streifen zu schwingen indem sie bald vor, bald hinter demselben erscheint. Die Anbringung des Streifens auf dem Hintergrunde hat hier nur die Bedeutung, dass damit eine Ebene von in der Vorstellung bestimmter Entfernung gegeben erscheint, deren scheinbare Entfernung sich bei wechselnder Kon- vergenzstellung der Augen nicht ändert. Dasselbe erreicht man durch Aufzeichnung von zwei Kreisen hinter den Kugeln. Dabei erscheinen mir schon bei geringer Elongation der schwingenden Kugeln, diese oder die Kreise in Doppelbildern je nachdem ich den Konvergenzpunkt beibehalte oder nicht. Dass diese Doppel- bilder zur Tiefenwahrnehmung ausgenutzt werden, scheint mir sehr fraglich zu sein. Sicherlich aber ist eine Parallaxe der Ku- geln gegen die Kreise nicht das Moment, welches in dem vorlie- genden Falle die scheinbare Änderung der Entfernung der schwin- genden Kugel bedingt. Dazu ist die Verschieburg der Kugeln von den Kreisen viel zu gross. Nun lässt sich diese zwar recht klein machen und auch dabei tritt unsere Erscheinung sehr schön hervor. Ein im Konvergenzpunkte aufgestelltes feines Visier- zeichen erscheint, indem man die Kugeln scharf betrachtet in Doppelbildern, die Kreise aber nicht, weil ihre Dicke zu gross ist, als dass die geringfügige Disparation derselben wahrgenommen werden könnte. Hier könnte natürlich behauptet werden, dass die Ursache der Täuschung in der Tiefenwahrnehmung eine echte stereoskopische Parallaxe der Kugeln gegen die Kreise sei. Aber auch bei sehr geringen Elongationen der schwingenden Kugeln Ah, ET Beiträge zur Physiologie des Gesichtssinnes. 129 wechselt der Konvergenzpunkt, wie das daselbst aufgestellte Vi- sierzeichen erweist, indem es jeweils in Doppelbildern erscheint, und auch hier ist die Art des Hintergrundes für das Zustande- kommen der Erscheinung ohne Bedeutung. Sobald der Konver- genzpunkt wandert, schwingt die mittlere Kugel in der Median- ‚linie, bei jeder Elongation, mit oder ohne Kreise hinter den Ku- geln. Aus dem bisher Erörterten geht hervor, dass nur für den Fall einer sehr kleinen Elongation nicht direkt in Abrede ge- stellt werden kann, dass die Anbringung von Kreisen hinter den pendelnden Kugeln die Wirkung des Wechsels des Konvergenz- punktes durch stereoskopische Parallaxe unterstützt. Obzwar bei E. und G. über die Grösse der Elongation der Pendelschwin- gungen Nichts gesagt ist, geht doch mit Sicherheit aus dieser Mitteilung hervor, dass solche kleine Elongationen nicht gemeint sind. Denn als einen besonderen Nebenumstand heben E. und G. das scheinbare Kleinerwerden der mittleren Kugel bei ihrer schein- baren Annäherung hervor. Das ist bei sehr geringer Elongation kaum zu bemerken, tritt aber bei etwas grösserer überraschend hervor. Diese Verkleinerung ist sicherlich, wie auch G. und E. meinen, hier (sowie bei allen Versuchen der Vereinigung identi- scher Bilder mit stark konvergenten Sehachsen) durch das Aus- bleiben der sonst bei Annäherung eines Gegenstandes erfolgenden Vergrösserung des Netzhautbildes zu erklären. Die Bildgrösse auf der Netzhaut ist gewiss ein wichtiges Moment für die Be- urteilung der Grösse und im Vereine mit Parallaxe und Konver- genzstellung der Augen für die Vorstellung von der Entfernung gesehener Objekte. Indessen ist mir kein einziger Versuch be- kannt, welcher den Einfluss der Grösse der Netzhautbilder iso- liert zur direkten Anschauung bringen würde. Mit unseren pen- delnden Kugeln ist nun ein solcher mit grosser Schönheit anzu- stellen. Betrachtet man die Kugeln wie vorher mit konvergenten Gesichtslinien und lässt dieselben derartig pendeln, dass sie in gleichen Phasen genau in den durch die Aufhängefäden und die Gesichtslinien bestimmten Ebenen, also die rechte Kugel gegen das linke Auge, die linke gegen das rechte sich bewegen, SO nimmt man eine mittlere Kugel wahr, welche ihren Ort scheinbar nicht verändert, aber fortwährend pulsiert. Sie wird, wenn die beiden schwingenden Kugeln sich dem Beobachter nähern, immer grösser und, wenn sich diese entfernen, immer kleiner. Dabei ist die scheinbare Volumsänderung überraschend gross. Die Kugel behält ihren scheinbaren Ort vollkommen hei, nur bei sehr star- ker Elongation der pendelnden Kugeln scheint sich, da dieselben ja einen Teil eines Kreises beschreiben, der Aufhängefaden bei der Verkleinerung und Vergrösserung um ein Geringes zu Vver- kürzen. Bei diesem Versuche ändert sich nur die Grösse der A SE" Ein ar %, it, a (3 130 Priv.-Dz. Dr. R. H. Kahn: Beitr. z. Physiologie d. Gesichtssinnes. Netzhautbilder. Daher ist er eine ganz reine Demonstration für. die Bedeutung derselben für die Grössenschätzung. Als einen weiteren auffallenden Nebenumstand geben E. und G. an, dass die median schwingende Kugel keine Pendelschwin- gungen ausführt, sondern dass sie sich viel langsamer bewegt, wenn sie sich vor der Ebene des Kreises befindet, als wenn sie hinter dieser schwingt, und dass in Übereinstimmung damit der von ihr zurückgelegte Weg hinter den Kreisen bedeutend grösser "ist (soll heissen erscheint) als vor ihnen. „Die parallaktischen Verschiebungen sind gleich gross, ob sich die Kugeln nun auf ihrem Wege zwischen den Mittelpunkten der beiden festen Kreise befinden, oder weiter nach rechts und links ausserhalb derselben. Die Bedeutung der parallaktischen Verschiebung ist aber in bei- den Fällen eine ganz andere, da sie in Wirklichkeit mit der grösseren Entfernung des Gegenstandes mehr und mehr abneh- men müsste.“ Diese Erscheinung kann ich nicht sehen. Trotz der verschiedenartigsten Variationen der Versuchsbedingungen (Entfernungen, Elongationen, Schwingungsdauer) habe weder ich, noch andere, denen ich diese Versuche zeigte, die beschriebene Erscheinung wahrgenommen. Die Kugel macht für meine Augen Pendelschwingungen. Manche Beobachter, denen ich den Ver- such vorführte, neigten bei genauer Beobachtung anfänglich der Ansicht zu, die Kugel schwinge bei ihrer scheinbaren Annähe- rung, also vor der Ebene, in welcher ihr Ruhepunkt vorgestellt wird, etwas rascher, was wohl als Täuschung infolge der An- strengung bei der starken Konvergenz aufgefasst werden Kann. Ich selbst habe diese Täuschung nicht. Aus der vorstehenden Erörterung geht also hervor, dass die mit stark konvergenten Sehachsen vereinigten pendelnden Kugeln als Demonstrationsobjekte für die Bedeutung der stereo- skopischen Parallaxe mindestens ein schlecht gewähltes Beispiel sind. Vielmehr stellen sie eine schöne Versuchsanordnung zur Demonstration der Tatsache dar, dass die Konvergenzstellung der Augen ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der binocularen Beurteilung der Tiefendimension ist, und der sonst nicht rein zur Darstellung zu bringenden Bedeutung der Grösse der Netzhaut- bilder für die Schätzung der Grösse gesehener Objekte, deren Entfernung in der Vorstellung bestimmt ist. TR EEE | N RER 3 151 Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. (Nach einem Vortrag gehalten in der biologischen Sektion des „Lotos“ am 4. Juni 1907). Von Dr. E. Weiss. Wenn man in einer Glasröhre, an deren Enden Drähte als Elektroden eingeschmolzen sind, die Luft durch Auspumpen auf einen Druck von 0'1 bis 0:01 mm Quecksilber verdünnt und den hochgespannten Strom eines Induktoriums hindurchsendet, so sieht man die ganze Röhre von diffusem Lichte erfüllt; besonders aber leuchtet der der Kathode gegenüberliegende Teil in hell- grünem Fluoreszenzlichte. Dieser Fluoreszenzfleck bleibt auch an derselben Stelle, wenn man die Anode an einem beliebigen andern Punkte der Röhre anbringt. Es gehen also von der Kathode in gerader Richtung unbekümmert um die Lage der Anode Strahlen aus, die das Glas beim Auftreffen zur Fluoreszenz Fig. 1. erregen; wir nennen diese Strahlen Kathodenstrahlen. Sie zeigen eine Reihe höchst merkwürdiger Eigenschaften, welche die früheren Anschauungen über elektrische Erscheinungen wesentlich modifi- ziert haben. Zunächst bringen sie ausser Glas auch die meisten anderen Substanzen und besonders Minerale, die man in ihren. Weg bringt, zu lebhafter Fluoreszenz und erwärmen sie dabei; ein Platinblech wird beispielsweise von ihnen bis zum Glühen erhitzt. Die Kathodenstrahlen werden aber auch sowohl durch magnetische als durch elektrische Kräfte aus ihrer geradlinigen Bahn in dem Sinne abgelenkt, als ob sie negative Elektrizität mit sich fortführten. Diese Eigenschaften lassen sich am besten durch die Annahme erklären, dass von der Kathode negativ ge- ladene Teilchen mit grosser Geschwindigkeit ausgeschleudert werden. Erzeugt man die Kathodenstrahlen in einer sogenannten Braun’schen Röhre, d. i. eine stark evakuierte Glasröhre, in der die von der Kathode X (Fig. 1) ausgehenden Strahlen durch eine Metallblende B (gleichzeitig Anode) nur als kleines Strahlenbündel durchgelassen werden und auf einen fluoreszierenden Schirm $ 132 Dr. E. Weiss: auffallen, so kann man die Grösse der Ablenkungen im magnetischen und elektrischen Felde genau messen. Man bringt zu diesem Zwecke einmal bei E und E‘ zwei entgegengesetzt elektrisch geladene Platten an, wobei der Fluoreszenzfleck nach 8‘ wandert; dann bringt man die Röhre so zwischen die Pole eines starken Magneten, dass dieselben in der Zeichnung vor und hinter der Papierebene zu liegen kommen; dann erscheint der Fluoreszenz- fleck beispielsweise bei S“. Aus diesen Messungen hat man so- wohl die Geschwindigkeit als auch das Verhältnis der elektrischen Ladung zur Masse (£) der von der Kathode ausgeschleuderten Teilchen, die wir Elektronen nennen, berechnen können. Dabei hat sich das überraschende Resultat ergeben, dass sich diese Elektronen mit der ungeheuren Geschwindigkeit von rund 30.000 km in der Sekunde, also etwa dem zehnten Teil der Lichtge- schwindigkeit bewesen. Nimmt man ferner an, dass die Ladung eines Elektrons gleich ist der aus den Erscheinungen der Elektro- lyse für die Jonen berechneten Elementarladung, so ergibt sich die Masse desselben als der zweitausendste Teil der Masse eines Wasserstoffatoms. Wir müssen daher die Elektronen noch als Bruchteile, als Splitter der Atome ansehen. Vermöge ihrer grossen Geschwindigkeit und der Kleinheit ihrer Masse durch- dringen die Elektronen auch dünne Metallfolien, und so gelang es Lenard, die Kathodenstrablen aus der Röhre in die Luft aus- treten zu lassen. Sie werden zwar darin stark zerstreut und nach kurzem Wege absorbiert, doch erregen sie noch Fluoreszenz und wirken wie Lichtstrahlen auf die photographische Platte ein. Man kann Kathodenstrahlen übrigens auch schon durch elektrische Spannungen von wenigen hundert Volt erzeugen, wenn man die Kathode aus einem Metalle oder Metalloxyde herstellt, das man sehr stark erhitzt. Sie haben dann geringere Geschwindigkeiten (weiche Kathodenstrahlen), aber die Masse der Elektronen stimmt genau mit dem obigen Werte überein. Die merkwürdigste Eigenschaft der Kathodenstrahlen aber wurde 1895 von Röntgen entdeckt: überall dort, wo sie auf einen Körper treffen, geben sie Veranlassung zur Entstehung neuer Strahlen, der Röntgenstrahlen. Sie sind unsichtbar, lassen sich aber durch ihre Wirkung auf fluoreszierende Substanzen und auf die photographische Platte nachweisen; das Erstaunlichste ist ihre ausserordentliche Durchdringungskraft: durch die meisten, für Licht undurchlässigen Substanzen, wie Papier, Holz, Leder, Fleisch, dringen die Röntgenstrahlen sehr leicht durch, während sie erst von spezifisch schweren Körpern, besonders von Metallen, absorbiert werden. Wenn man daher Röntgenstrahlen durch die menschliche Muskulatur auf einen fluoreszierenden (gewöhnlich = Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. 133 mit Baryumplatincyanür bestrichenen) Schirm fallen lässt, so kann man auf diesem das ganze Knochengerüst und etwaige ins Fleisch eingedrungene Metallsplitter deutlich sehen oder auf der photo- graphischen Platte abbilden lassen. Diese Eigenschaft hat die Röntgenstrahlen zu einem wichtigen Untersuchungsmittel der Medizin gemacht; sie haben aber noch ein anderes physikalisches Interesse: sie machen die Luft und andere Gase, die sie durch- setzen, für die Elektrizität leitend, so dass ein Elektroskop sich augenblicklich entlädt, wenn es von Röntgenstrahlen getroffen wird. (Auch die Kathodenstrahlen zeigen diese Eigentümlichkeit, aber in weit geringerem Masse.) Im elektrischen und magnetischen Felde sind die Röntgenstrahlen nicht ablenkbar; ihre Geschwindig- keit ist gleich der Lichtgeschwindigkeit. Wir nehmen daher an, sie seien Atherschwingungen, und zwar unregelmässige Ather- schwingungen von äusserst kleiner Wellenlänge (kleiner noch als von ultraviolettem Lichte), weil sie die Erscheinungen der Reflexion, Beugung und Brechung nicht zeigen. Sie entstehen durch die explosionsartige Erschütterung des Athers beim plötz- lichen Anprall der Elektronen an ein festes Hindernis. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, dass die Röntgenstrahlen umso durchdringender (härter) werden, je grösser die Ge- schwindigkeit der Kathodenstrahlen ist. Eine dritte Strahlengattung wurde noch beim Studium der evakuierten Röhren gefunden (Goldstein). , Durchbohrt man nämlich die Kathode, so treten durch diese Öffnung nach rück- wärts Strahlen aus, die das Glas beim Auftreffen zu einer gelb- lichen Fluoreszenz erregen: wir nennen sie Kanalstrahlen. Sie ‚sind durch magnetische sowie durch elektrische Kräfte ablenkbar, aber im entgegengesetzten Sinne wie die Kathodenstrahlen, so dass wir annehmen, sie bestehen aus positiven Teilchen, die im Sinne des Stromes gegen die Kathode und darüber hinausfliegen. Die Masse dieser Teilchen wurde aus den Ablenkungen bestimmt und ist ungefähr die der Wasserstoffatome. Die Geschwindigkeit - ist nach der Ablenkungsmethode berechnet etwa ein Tausendtel der Lichtgeschwindigkeit; den gleichen Wert erhielt Stark durch Messung der Spektrallinien-Verschiebung nach dem Dopplerschen Prinzip, wenn er einmal in der Richtung der Kanalstrahlen und einmal senkrecht darauf visierte. In jüngster Zeit haben Gehrke und Reichenheim noch Strahlen entdeckt, die von der Anode ausgehen und deshalb Anodenstrahlen genannt werden. Sie entstehen, wenn man als Anode ein leicht verdampfbares Salz nimmt und dieses stark er- wärmt. Beim Stromdurchgang geht von der Salzanode eine Licht- säule aus; trifft sie auf einen Glimmerschirm, so fluoresziert 134 Dr. E. Weiss: dieser mit der Fluoreszenzfarbe des Metallsalzes, ein Beweis, dass Substanz von der Anode zum Schirm transportiert wurde. Auch die Anodenstrahlen bestehen, wie die Ablenkungsversuche zeigen, aus positiv geladenen Teilchen. Die drei erst besprochenen Strahlengattungen haben die gemeinsame Eigenschaft, die Luft für Elektrizität leitend zu machen. Hatte man bisher die Gase immer als Isolatoren be- trachtet, so musste diese Erscheinung eine ganz neue Vorstellung über die Leitung der Elektrizität in Gasen bringen. In Flüssig- keiten stellt man sich bekanntlich die Elektrizitätsleitung so vor, dass elektrisch geladene Massenteilchen von einer Elektrode zur andern wandern; diese Teilchen, die wir Jonen nennen, entstehen dadurch, dass das Molekül der zu lösenden Substanz, z. B. Na-Ü], in zwei Teile mit entgegengesetzter Ladung, in unserem Fall das positive Na-Jon und das negative Cl-Jon zerfällt. Diese Jonen- hypothese wenden wir nun auch auf Gase an. Wir sagen, ein Gas ist in ionisiertem Zustande, wenn in ihm positive und negative Teilchen, Jonen, getrennt vorhanden sind. Den Vorgang der Jonisierung kann man sich folgendermassen vorstellen: von einem neutralen Atom, das wir uns aus gleichviel positiven und negativen Teilchen zusammengesetzt denken, wird ein negatives Teilchen, ein Elektron, abgetrennt; dann bleibt der Rest mit positiver Ladung zurück, man erhält aus einem Atom zwei Jonen; da sich diese Jonen zufolge ihrer entgegengesetzten Ladung an- ziehen, ist zur Trennung derselben eine Energie notwendig, und einen Träger von Energie, welcher ein Gas zu ionisieren vermag, nennen wir einen Jonisator. Vorzüglich sind es zwei Jonisatoren, die wir kennen, kurzwellige Atherschwingungen und materielle Strahlen schnell bewegter, elektrisch geladener Teilchen. Die erste Art der Jonisierung findet bei Röntgenstrahlen statt; da- durch, dass die Atherschwingungen das Atom treffen, reissen sie ein oder mehrere Elektronen aus dem Atomverbande heraus und es bleiben Jonen mit entgegengesetzter Ladung übrig. Die zweite Art findet statt bei den Kathodenstrahlen. Hier haben wir freie Elektronen, die sich mit grosser Geschwindigkeit be- wegen, und das Atom, welches sie treffen, zertrümmern und so Jonen bilden. Stelle ich nun in einem ionisierten Gase ein elektrisches Feld her, etwa dadurch, dass ich zwei entgegengesetzt geladene Konduktoren gegenüberstelle, so werden die positiven Jonen gegen den negativen Pol, die negativen gegen den positiven fliegen, und es wird auf diese Art eine elektrische Strömung im Gase möglich sein; man kann aber auch umgekehrt schliessen, dass ein Gas, welches die Elektrizität leitet, ionisiert sein muss, und es ist klar, dass, je mehr Jonen im Gase vorhanden sind, die transportierte Elektrizitätsmenge, also die Stromstärke desto Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. 135 srösser sein wird. Wir haben somit in der Stromstärke ein Mass für die Jonisierung und gleichzeitig ein Mass für die Leistungsfähigkeit eines Jonisators. Diese Theorien aber konnten erst aufgestellt werden, als man in der Strahlung der sogenannten radioaktiven Substanzen weit kräftigere Jonisatoren kennen lernte als die bisher be- sprochenen. Die Tatsache nämlich, dass die Auftreffstelle der Kathodenstrahlen gleichzeitig Fluoreszenz zeigte und der Aus- gangspunkt der Röntgenstrahlen war, legte die Frage nahe, ob nicht auch bei Abwesenheit von Kathodenstrahlen die Fluoreszenz mit der Aussendung von Strahlen verbunden sei, die ähnlich den Röntgenstrahlen ein grosses Durchdringungsvermögen besitzen. Von diesem Gedanken geleitet, untersuchte Bequerel verschiedene fluoreszierende Substanzen und entdeckte so, dass Uran sowohl in metallischem Zustande als auch in seinen Verbindungen Strahlen aussendet, welche durch Papier, Holz, sogar durch Metalle hindurch die photographische Platte schwärzten, dass aber diese Ausstrahlung auch ohne vorhergehende Belichtung er- folgt. Diese Entdeckung (1896) erregte so allgemeines Interesse, dass man mit grossem Eifer nach weiteren solchen „radioaktiven“ Substanzen suchte; und tatsächlich gelang es auch, mehrere Mineralien zu finden, die eine ähnliche Strahlung zeigten; be- sonders die Uran-Pechblende (aus Joachimstal in Böhmen) wies stark radioaktive Eigenschaften auf; und es zeigt, wie Herr und Frau Curie in Paris nachgewiesen haben, dieses Mineral eine weit stärkere Radioaktivität als seinem Gehalt an Uran nach zu erwarten wäre. Es muss also, so schlossen sie, neben dem Uran noch ein zweites, neues radioaktives Element in der Pechblende vorhanden sein. Und tatsächlich gelang es ihnen 1898, durch langwierige chemische Prozesse zwei Elemente abzuscheiden, nämlich Polonium und Radium, die weit stärker aktiv waren als das Ausgangsmaterial. Besonders das Radium sendet Strahlen aus, die die meisten Substanzen weit leichter durchdringen als Röntgenstrahlen; sie vermögen noch durch Metallplatten von mehreren Zentimetern Dicke auf die photographische Platte zu wirken und Fluoreszenz zu erregen. Auch ist ihre ionisierende Wirkung so stark, dass sich in einem Raume, wo man mit Radium arbeitet, ein geladenes Elektroskop sofort entlädt, ja, dass man überhaupt keine elektrische Ladung erhalten kann. Auch die chemischen und Wärmewirkungen sind ganz bedeutend. Auf der Haut rufen diese Strahlen schwer heilbare Brandwunden hervor, und ein Radiumpräparat erhält immer seine Temperatur um einige Grade höher als die der Umgebung. - In der Folgezeit wurden noch mehrere andre radio- aktive Stoffe entdeckt. Debierne fand in der Pechblende das 3 nr ee Te a TR NR 1 a = . ae 3 N \ x RE LE NT; x Res! . 136 Dr. E. Weiss; Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. Aktinium; auch das Element Thorium (das als Oxyd in den Auer’schen Glühkörpern vorhanden ist) erwies sich als radioaktiv, und endlich zeigen viele Quellwässer eine aktive Strahlung. Untersucht man diese Strahlen im magnetischen und elektrischen . Felde, so sieht man, dass manche ablenkbar sind, manche nicht. Man unterscheidet drei Hauptgattungen: die «-, ß- und y-Strahlen. Die «-Strahlen entsprechen ganz den Kanalstrahlen; ihre Ab- lenkung erfolgt im selben Sinne, sie bestehen also aus positiven geladenen Teilchen. Ihre Geschwindigkeit ist etwa die der Kathodenstrahlen, ihre Masse ungefähr ‚die eines Wasserstofi- atoms. Sie sind infolge ihrer grösseren Masse leichter ab- sorbierbar als die Teilchen der Kathodenstrahlen; schon nach Durchlaufung einer wenige Zentimeter dicken Luftschicht werden die Wirkungen der «-Strahlen unmerklich. Sie werden auch durch die dünnsten Metallfolien, sogar durch Papier absorbiert. Trotzdem machen sie den grössten Teil der vom Radium aus- gestrahlten Energie aus, indem hauptsächlich sie die Jonisierungs- und Wärmewirkungen hervorbringen. Die ß-Strahlen entsprechen ihrer Ablenkung nach ganz den Kathodenstrahlen; es sind negative Elektronen, die sich mit einer Geschwindigkeit bewegen, die nahe an die Lichtgeschwindigkeit heranreicht, und dieselbe Masse haben wie die Elektronen der Kathodenstrahlen. Vermöge dieser beiden Eigenschaften haben sie ein grösseres Durch- dringungsvermögen als die «-Strahlen; man kann daher ihre negative Ladung nachweisen, indem man ein radioaktives Präparat mit einer dünnen Metallfolie bedeckt. Dadurch werden die «-Strahlen absorbiert, die 8-Strahlen dringen mit ihrer negativen Ladung durch, und das Präparat bleibt positiv geladen zurück. Die dritte Strahlengattung endlich umfasst die y-Strahlen; diese sind weder durch elektrische noch durch magnetische Kräfte ab- lenkbar, bestehen also nicht aus materiellen Teilen, sondern sind Ätherschwingungen ähnlich den Röntgenstrahblen und entstehen auch in ähnlicher Weise wie diese, beim plötzlichen Anprall oder Abprall der Elektronen. Die y-Strahlen sind die durch- dringendsten, die wir kennen. Ihre Wirkungen, sowohl die ionisierenden wie die chemischen, sind noch nachweisbar, wenn sie eine 8cm dicke Bleiplatte passiert haben. (Schluss folgt.) Sitzungsberichte. I. Monatsversammlung vom 24. März 1908, zugleich ausserordentliche Generalversammlung zur Vornahme der Ausschuss-Wahlen für das Vereinsjahr 1908/9. — Die Wahlen hatten folgendes Ergebnis: Obmann: Prof. Ing. A. Birk; Obmann- stellvertreter: Prof. Dr. R. Spitaler; Kassier: Dr. E. Veit; Schrift- führer Doz. Dr. W. Wiechowski; Bibliothekar: Dr. K. Schneider; ferner wurden in den Ausschuss gewählt die Herren: Prof. Dr. Günther Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau; Dr. L. Freund; Doz. Dr. R. Kahn; Prof. Dr. Nestler; Prof. Dr. S. "Oppenheim; Direktor E. Reinisch; Prof. Dr. V. Rothmund; Prof. Dr. M. Singer: Prof. Dr. R. Ritter von Zeynek. Hierauf sprach Prof. Dr. H. Molisch über: Ultramikroorganismen und Brownsche Molekular- bewegung (mit Demonstrationen). I. Schon vor Erfindung des Ultramikroskops hat man die Frage aufgeworfen, ob es Lebewesen gibt, die ihrer Kleinheit wegen mit einem gewöhnlichen Mikroskop stärkster Leistungs- fähigkeit nicht mehr gesehen werden können, die also jenseits der mikroskopischen Wahrnehmung stehen. Der Gegenstand ist tat- sächlich von mehrfacher Bedeutung. Der Biologe möchte wissen, in welch kleinsten Grössen Zellen noch selbständig auftreten können, ob gewisse Krankheiten wie die Mosaikkrankheit des Tabaks, die infektiöse Panaschüre der Malven vielleicht durch ultramikroskopische Lebewesen bedingt sind, und ob nicht auch bei gewissen Krankheiten der Tiere (Klauenseuche) und Menschen wie Masern, Scharlach u. a., Mikroben im Spiele sind, die dem Auge des Forschers bisher ihrer Kleinheit wegen entgangen sind. Dank der Bemühungen der Herren Siedentopf und Zsigmondy sind wir jetzt im Besitze des Ultramikroskops, das uns in der mikroskopischen Auflösung der Materie einen Riesenschritt vor- wärts gebracht hat. Während wir mit dem besten gewöhnlichen Mikroskope (praktisch genommen) noch Teilchen von '/; w d. i. den vierten Teil eines Tausendstel eines Millimeters sehen können, vermag man mit dem Ultramikroskop noch etwa 60 mal kleinere Teilchen wahrzunehmen, also Grössen, die bereits an die mole- kularen Dimensionen gewisser Eiweisskörper heranreichen. Was lehrt nun das Ultramikroskop in unsrer Frage? Nach den Unter- suchungen von Raehlmann und Gaidukow, denen wir wertvolle ultramikroskopische Beobachtungen verschiedener Art verdanken, wären ultramikroskopische Organismen etwas ganz Gewöhnliches, allein auf Grund meiner eigenen Erfahrungen bin ich zu ent- 138 Sitzungsberichte. > gegengesetzten Ergebnissen gelangt, die sich in folgende fünf Punkte zusammenfassen lassen: Es ist bisher kein einziges Lebewesen nachgewiesen, das ultramikroskopischer Natur wäre. Wenn auch die Möglichkeit, dass es ultramikroskopische Lebewesen gibt, nicht bestritten werden soll, so wird doch die künftige Forschung zeigen, dass sie, falls sie überhaupt existieren sollten, keineswegs recht häufig, sondern relativ sehr selten sind. Die im Ultramikroskop wegen der Kontrastwirkung zwischen Hell und Dunkel so deutlich und leicht wahrnehmbaren Mikroben sind, soweit meine Untersuchungen reichen, nicht von ultra- mikroskopischer Grösse, denn sie können bei genauer Beobachtung auch mit gewöhnlichen Mikroskopen stärkster Leistungsfähigkeit gesehen werden und entpuppen sich in der Regel als Bakterien. In Ubereinstimmung damit steht die Tatsache, dass alle bisher bekannten Bakterien, welche auf festen Nährböden Kolonien bilden, stets mikroskopisch auflösbar sind. Würden ultramikro- skopische Bakterien häufig vorkommen, wie dies Raehlmann und insbesondere Gaidukow behaupten, so wäre zu erwarten, dass doch wenigstens hie und da Kolonien in festen Nährböden auf- treten und dadurch auch für das freie Auge sichtbar werden. Das hat aber bisher kein Bakteriologe feststellen können, denn alle Bakterienkolonien erwiesen sich, wenn sie mit einem ge- wöhnlichen Mikroskop untersucht wurden, als aus mikroskopischen Bakterien zusammengesetzt, die im äussersten Falle noch als winzige Pünktchen erschienen, wie z. B. der Erreger der Lungen- seuche der Rinder. Am ehesten wäre noch bei der Maul- und Klauenseuche, bei der Mosaikkrankheit des Tabaks und gewissen andern Krank- heiten an einen ultramikroskopischen Organismus zu denken, allein nach den Untersuchungen von Baur über die infektiöse Chlorose der Malvazeen und nach denen von Hunger über die Mosaikkrankheit des Tabaks könnte es auch sein, dass es sich hier und in analogen Fällen gar nicht um ein pathogenes Lebe- wesen, sondern um eine Stoffwechselkrankheit handelt. In Übereinstimmung mit meinen ultramikroskopischen Be- funden stehen auch Errera’s theoretisch gewonnenen Schluss- folgerungen, denen zufolge eventuell existierende Ultramikroben nicht viel kleiner sein können als die kleinsten bisher bekannten Lebewesen. ') ER Befindet sich ein lebloser Körper in genügend feiner Ver- teilung in einer leicht beweglichen Flüssigkeit (Tusche), so sind die Teilchen nicht in Ruhe, sondern beständig in einer wimmelnden, ı) Die ausführliche Begründung der vorstehenden Sätze erscheint dem- nächst in der „Botanischen Zeitung“. rm Yu ann aba Sitzungsberichte. 13 9 schwingenden oder tanzenden Bewegung. Sie wurde zuerst von dem Botaniker Robert Brown beobachtet und nach ihm Brownsche Molekularbewegung benannt. Ein ausgezeichnetes Objekt für die Demonstration dieser Bewegung stellt der Milchsaft der Euphorbia- arten dar. Wenn man einen Milchsafttropfen der in unseren Gewächshäusern so häufig gezogenen Euphorbia splendens auf einen Objektträger bringt, mit einem Deckglas bedeckt und die Flüssigkeit bei 300 bis 1000maliger Vergrösserung betrachtet, so sieht man, dass der Milchsaft aus einer ungemein feinkörnigen Emulsion besteht. In einer homogenen Flüssigkeit liegen sehr kleine Kügelchen aus Harz und Kautschuk, die die prachtvollste Brownsche Molekularbewegung zeigen. Meines Wissens wurde bisher diese Bewegung nur mit Hilfe des Mikroskops gesehen, sie lässt sich aber auch mit freiem Auge sichtbar machen. Man hält in deutlicher Sehweite den Objektträger vertikal oder etwas schief, lässt das Sonnenlicht schief einfallen und beobachtet in durchfallendem Lichte. Bei richtiger Stellung taucht zur Über- raschung des Beobachters die Molekularbewegung der Harz- kügelchen auf und gibt sich in einem eigenartigen Flimmern, lebhaften Tanzen und Wimmeln der in prachtvollen Interferenz- farben erscheinenden mikroskopischen Teilchen kund. Ein eben- falls sehr empfehlenswertes Objekt ist Tusche, fein zerrieben in Wasser. Es muss jedenfalls überraschen, dass die Bewegung der ausserordentlich kleinen Kügelchen des Milchsaftes — sie stehen nahe der Grenze der mikroskopischen Wahrnehmung — sich dem freien Auge verrät. Offenbar ruft das ungemein inten- sive Licht, indem es die Kügelchen trifft und Beugung erleidet, infolge der Beugungsscheibchen und Beugungsbüschel, die sich wegen der Bewegung der Teilchen noch dazu fortw ährend ändern, auf der Netzhaut des Auges viel grössere Bilder hervor, als es ohne diese Umstände der Fall sein würde, ähnlich, wie dies auch bei der Wahrnehmung ultramikroskopischer Teilchen zu- trifft.°) ITE Vor kurzem hat F. Ehrenhaft darauf hingewiesen, dass man eine der Brownschen Molekularbewegung analoge Erscheinung in Gasen beobachten kann, wenn man die Dämpfe der Metalle Silber, Gold, Platin usw. bei ihrer Kondensation der ultramikroskopischen Beobachtung unterwirf. Die in der Luft schwebeuden Metall- partikelchen, welche die Brownsche Molekularbewegung zeigen, hält der genannte Forscher für ultramikroskopisch. — Seit einiger Zeit mit ähnlichen Erscheinungen beschäftigt, habe ich gefunden, dass esin vielen Fällen gelingt, mit einem gewöhn- lichen Mikroskop, also ohne Ultramikroskop, un- ter Zuhilfenahme schwacher Objektive das Brown- 2) Genaueres dar. in d. Wien. Ber. d. Kais. Akad. 116 [1], 467, März 1907. 140 | f Sitzungsberichte. _ sche Phänomen sogar beigewöhnlicher Beleuchtung in Gasen sichtbar zu machen. Ich verfahre dabei auf folgende Weise: Auf einen gewöhnlichen Objektträger wird ein Glasring von etwa 12 mm innerer Weite und 3 bis 5 mm Höhe aufgekittet. Auf die Oberseite des Objektträgers wird genau im Mittelpunkte des Glasringes ein schwarzer Tuschepunkt von 1 bis 3 mm gemacht, womit bei mikroskopischer Beobachtung eine für unsere Zwecke ausreichende Dunkelfeldbeleuchtung erzielt wird. Hierauf wird vom Reichertschen Mikroskop (mit Objektiv 3 und Okular 2), das eine Vergrösserung von 50 bis 76 gewährt, - Schiebhülse und Blende vollends entfernt und der schwarze Punkt des Objektträgers genau auf die Mitte der Blendenöffnung ein- gestellt. Sodann bläst man Tabakrauch in die vom Objektträger und Glasring gebildete Kammer und bedeckt sie sogleich mit einem Deckglase. Bei richtiger Einstellung sieht man im direkten Sonnenlicht bei möglichst schiefer Beleuchtung die Rauchteilchen auf dunklem Grunde als zahllose weisse Pünktchen, die sich in einer zitternden, tanzenden oder wimmelnden Bewegung befinden, ähnlich wie kleine Teilchen in einer Flüssigkeit bei der Brownschen Molekularbewegung. Je mehr die Lichtquelle in ihrer Intensität gesteigert wird, desto besser sind die Teilchen zu sehen, weil sie dann infolge der Beugungsscheibchen relativ gross erscheinen. Am besten treten sie im direkten Sonnnenlicht oder Bogenlicht auf, sie sind aber auch im diffusen Lichte eines trüben Himmels recht gut wahrzunehmen. Ausgezeichnet kann das Brownsche Phänomen auch im auffallenden Lichte gesehen werden, besonders bei Verwendung von Rauch, Phosphornebel, Chlorammonium- nebel usw. In historischer Beziehung sei erwähnt, dass bereits Boda- szewsky die Rauchteilchen gesehen und in dieser Bewegung „ein angenähertes Bild der hypothetischen Bewegung der Gasmoleküle nach der kinetischen Gastheorie“ wahrzunehmen geglaubt hat. In jüngster Zeit hat auch Smoluchowski auf Grund von theore- tischen Erwägungen geschlossen, dass es auch in Gasen eine Molekularbewegung nach Art des Brownschen Phänomens geben muss, ein Schluss, der durch Ehrenhafts und meine Versuche eine neue Stütze erhielt.°) II. Geographische Sektion. Ill. Sitzung am 9. März 1908. Dr. E. Zugmayer (München): „Aus dem westlichen Tibet“ (erscheint unter den Abhandlungen einer der nächsten Nummern dieser Zeitschrift). 3) Vgl. darüber meine Abhandlung i. d. ZS. f. wiss. Mikroskopie usw. 1907, S. 97—103. Jos. Oppplf’s Neiio k. u. R. Hoflieferant, PRA G, Altstädter Ring. LI IT Bedeutondstor Wein-Import und größtes kager von allen Sorten feiner in- und ausländiicher Weine, Champagner, Cognacs, feiner Liköre efc. Preisliiten auf Wunid. Gegründet 1823. Telephon 807. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen ‚„Lotos‘:., Bibliothek und Sekretariat: Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Samstag 7—9 Uhr abends. Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. JOH. KRUSICH, Universitätsmech. l.. Albertstr. 5. 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KRANTZ, Rheinisches Mineralien-Kontor, Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Gegründet 1833. BONN a. Rh. Gegründet 1833. natürlicher alkalischer SAUERBRUNN als Heilquelle schon seit mehr als 100 Jahren mit Erfolg angewendet bei Erkrankungen der kuftwege, Krankheiten der Ver- dauungsorgane, Gidtt, Tieren= und Blasenleiden. Vorzüglidies Untersfüßungsmitfel bei den Kuren von Karlsbad, Marienbad u. s. w. Bestes diätetisches Erfrischungsgefränk. LOTOS, Jahrgang 56. Tafel IM. es 5 m = Aus dem pharmakognostischen Institute der deutschen Universität Prag. (Vorstand: Professor Dr. Julius Pohl.) Pharmakognosie des Laubblattes von Mangifera indiea L. (Mit 1 Lichtdrucktafel und 5 Figuren im Texte.) Von Dr. Wilhelm Wiechowski. I. Die der Familie der Anacardiaceae (Unterfam. Mangifereae) angehörige Mangifera indica L.') ist ein mittelgross werdender Baum mit grossen, lanzettlichen, lederartigen Blättern und kleinen in rispig-gruppierte Trugdöldchen vereinigten Blüten. Seine meist gänseeigrossen, gelben, bis 1%g schwer werdenden Früchte bilden eine der geschätztesten Obstsorten der Tropen. Die Heimat der Mangifera indica ist Süd-Asien bzw. der indische Archipel, wo sie auch gegenwärtig Gegenstand aus- gedehnter Kultur ist. Schon frühzeitig jedoch wurde der Mango- baum seiner wohlschmeckenden Früchte wegen in andere Länder eingeführt und wird heute fast überall in den Tropen, häufig unter gleichzeitiger Verwendung als Schattenpflanze für Vanille- Kulturen, gezogen: In Australien, Ostafrika, Amerika sowie auf den tropischen Inseln (Westindien, Samoa, Sandwichs etc.). In Rio de Janeiro wurde die M. i. schon 1596 eingeführt, so dass sie dort für autochthon gehalten wird.?) Die im indischen Archipel (und wohl auch anderwärts) genossenen Mangofrüchte gehören übrigens nach Engler (l. c.) nicht ausschliesslich der M. indicaL. an, sondern stammen von den verschiedensten Arten der Gattung Mangifera ab. — Ausser den Früchten finden fast alle anderen Teile des Mangobaumes meist als Volksheilmittel doch auch technische Verwendung: Aus den Samen, welche anthelmintisch wirken sollen®), wird auf Martinique und Reunion Stärke ge- 1) A. Engler u.K.Prantl. Die Natürlichen Pflanzenfamilien etc. Leipzig, W. Engelmann 1892. II. T. 5. Abt. S. 146. f. — vgl. Fig. 4. Taf. III. 2) Th. Peckhold, Heil- und Nutzpflanzen Brasiliens aus der Fam. der Anacardiaceae, Ber. d. deutschen pharmaceut. Ges. VIII. 1898. S. 152—171. °) Dragendorf, Heilpflanzen, Ferd. Enke, Stuttgart 1898. S. 393. 11 1423 Wilhelm Wiechowski: wonnen (Fecule de Manguier)*). Die gerbstoffreiche Stamm- und Ast-Rinde (16'7°/,) dient zum Gerben und Färben (Wiesner 1. c.) sowie als Adstringens bei Diarrhoe und Ruhr (Peckhold 1. c.); die aromatische, harzreiche Wurzelrinde wird gegen Gonnorhoe (Peckhold |. c.), ein aus dem Stamm gewonnenes „scharfes Öl“ bei Lues angewendet (Dragendorf 1. c.). Die Blüten liefern Insekten- pulver (Peckhold 1. c.), die Blätter und Blattknospen werden als Heilmittel bei Asthma und Husten und zur Bereitung von Mund- wässern benützt (Dragendorf].c.). Die unreifen Früchte sind unter den Namen Amchur als Antiscorbuticum in der ostindisch-englischen Armee statt Zitronensäure eingeführt (Peckhold 1.c.). Auch Holz und Gummi des Mangobaumes werden verwendet, ersteres zu Pack- und Indigokisten (Wiesner ]. c.). Eine physiologisch bedeutsame Verwendung finden die Mangoblätter in Monghir in Bengalen. Sie dienen dort zur Gewinnung des gelben Farbstoffes Puree (Pioury, Piuri, In- disch-gelb, jaune indienne, indian yellow). Auf Veranlassung Graebes°), welcher sich mit der Er- forschung dieses Farbstoffes beschäftigt hat, wurden von der Direktion des royal botanical garden in Kew über die Fabrikation des Piuri Nachforschungen angestellt; mit diesen wurde von Sir Joseph Hooker ein Jnder namens J. N. Mukharji be- traut, von welchem der oft zitierte Bericht herrührt.°) Nach Mukharji wird Piuri ausschliesslich in einer Vorstadt von Monghyr in Bengalen an einem Mirzapur genannten Orte von einer Sekte von Gwalas (Milchmänner) in der Weise fabriziert, dass der Harn von Kühen, welche nichts anderes als Mangoblätter als Futter erhalten, auf freiem Feuer in irdenen Gefässen eingekocht wird; das sich hiebei abscheidende gelbe Sediment wird abgepresst und stellt das naturelle Piuri des Handels dar. Die Kaufleute (wesentlich Marwaries) kaufen 1 Pfund zu. 1 Rupie (= 1'80 M.) und bringen die Ware nach Kalkutta. In Indien selbst wird das Piuri bloss als Anstrichfarbe nicht zum Zeugfärben benützt, da die Gewebe von der Farbe einen üblen Geruch annehmen. Von Kalkutta geht die Ware nach Europa, wo sie einer Reinigung unterworfen wird. Es resultieren so eine Reihe von Handelsmarken, die nach der Güte mit den Buchstaben A—G bezeichnet werden (Lefranc & Cie, Paris). Die Reinigung erhöht den Wert des Piuri bedeu- tend; während 1 %g naturelles Indischgelb bei Lefranc 50 Fr. kostete, wurden für ein kg A 300 Fr: gefordert. (Graebe |. c.). *) Jul. Wiesner, Die Rohstoffe des Pflanzenreiches II. Aufl. 1900, un Leipzig. I. Bd. S. 369. - 5) Graebe, Über die Euxonthongruppe L. A. 254, 1889. 6) Journal of the society of arts V. 32, 1883. S. 16. Pharmakognosie des Laubblattes von Mangifera indica L. 143 Die jährliche Produktion wurde von Mukharji mit 5000— 7000 kg angegeben, in jüngster Zeit scheint sie aber stark ein- seschränkt oder gar aufgegeben worden zu sein, da im euro- päischen Handel kein Piuri mehr erhältlich sein soll. — Das naturelle Piuri ist ein variables Gemenge von euxanthinsaurem Mg-Ca und Euxanthon, dem Spaltungsprodukt der Euxanthin- säure (die reinen Sorten Indischgelb bestehen fast ausschliesslich aus euxanthinsaurem Mg, während die geringeren mehrminder reich an Euxanthon sind). Die Euxanthinsäure — eine gepaarte Glyeuronsäure — ist ein Produkt des Organismus der Kuh, welches notwendig aus einer in den Blättern vorgebildeten, zum Euxanthon in Beziehung stehenden Substanz im Stoffwechsel des Rindes entstehen muss. — Diese in den Blättern anzu- nehmende Muttersubstanz der Euxanthinsäure ist unbekannt. Desgleichen habe ich in der Literatur nichts Wesentliches über die Histologie des Mangoblattes finden können, welcher mit Rück- sicht auf die Puree-Fabrikation eine besondere Wichtigkeit zu- kommt. Versuche, welche ich mit einer kleinen schon im Jahre 1901 aus Buitenzorg bezogenen Quantität Mangoblätter im Sommer des vergangenen Jahres ausgeführt habe, zeigten, dass Kaninchen, die mit dem wässerigen Blätter-infus gefüttert worden waren, nicht unbeträchtliche Mengen von Euxanthon im Harne aus- schieden. Das Kaninchen verhielt sich also in der Verarbeitung der Mangoblätter wie das Rind und die zur Verfügung stehenden getrockneten Blätter mussten die gesuchte Muttersubstanz der Euxanthinsäure noch enthalten. Das vorliegende Material war daher zum Studium der Pharmakognosie des Laubblattes vonM. indica geeignet. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Direktor Treub vom botanischen Garten in Buitenzorg, durch den das Institut die verwendeten Mangoblätter erhalten hat, an dieser Stelle unseren besten Dank für sein freundliches Entgegenkommen aus- zusprechen. II. Die Anatomie des Mangoblattes. Das Mangoblatt’) ist schmal lanzettlich, in eine Spitze aus- laufend, gestielt und erreicht eine ziemliche Länge.®) Beiderseits grün und völlig kahl, von derber lederartiger Konsistenz, weist es einen völlig ungegliederten etwas knorpelig verdickten Rand 7) Vgl. das Photogramm 1. Tafel III, welches von einem Blatte einer im hiesigen botanischen Garten aus dem Samen gezogenen Mangifera indica gewonnen ist, 8) Das grösste der mir vorliegenden misst 55 X 23 cm. II ERS REN Sarr r ERROR RE BE ı EN VER VS NER aa Wilhelm Wiechowski: auf. Die auf der Blattunterseite deutlich hervortretende Ner- vatur zeigt einen Hauptnerven mit bogenläufigen in fast rechtem Winkel abgehenden Sekundärnerven. Die Seitenzweige der letz- teren lösen sich meist sofort in ein das Niveau der Lamina nicht mehr überragendes Netzwerk auf, sodass eigentliche Tertiär- Nerven nur selten zu sehen sind. Hält man die trockenen Blätter in einer feuchten Athmosphäre (auf mit Wasser benetztem Fig 1. a IIIITOZELNOII NE NIT »o BAU I BD, Een || | ei W. Wiechowski del. Vergr. 370:1. Filtrierpapier unter einer Glasglocke), so kann man an Bruch- oder Knickungsstellen eine blassgelbe, pulverige Substanz aus- wittern sehen. Dieselbe erweist sich unter dem Polarisations- mikroskop deutlich als doppeltbrechend, ohne jedoch merkbar krystallinisch zu sein und löst sich in Wasser, Alkohol und Lauge, in letzterer mit intensiv gelber Farbe, auf. — Das mir vorliegende getrocknete Blätter-Material ist völlig geruchlos. Pharmakognosie des Laubblattes von Mangifera indica L. 145 Eine Übersicht über den mikroskopischen Aufbau des Blattes gibt das bei 390 f. Vergrösserung gezeichnete Quer- schnittsbild in Fig. 1. Die ungemein dicke’) Epidermis der Blattoberseite besteht aus am Querschnitte sehr unregelmässig geformten, eigentümlich verquollenen Zellen, deren Lumina häufig (in der Vertikalen) zu Fortsätzen ausgezogen zu sein scheinen, nur über stärkeren Nerven und am Blattrande erscheinen die Zellquerschnitte regel- mässig, gerundet vierseitig (Fig. 4.). Bei Betrachtung eines Flächenpräparates der oberseitigen Epidermis (Fig. 2a) kann man konstatieren, dass es sich im wesentlichen um buchtige Tafelzellen handelt, die jedoch in Folge der auch am Flächenbilde sichtbaren schräg seitlich abgehenden Fortsatzbildungen in ihrer Gesamtheit ein geradezu verworrenes Bild darbieten. (Fig. 2a.) Über den Verzweigungen der Gefässbündel zeigt die Flächen- ansicht der Epidermis polygonale, oft deutlich getüpfelte Elemente. (Fig. 2a,y.) Spaltöffnungen oder sonstige. Oberhaut- gebilde weist die Epidermis der Blattoberseite nicht auf. Die Epidermis der Blattunterseite ist dünner als die der Oberseite, besteht jedoch aus womöglich noch unregelmässiger geformten meist kleinen, gelegentlich auch zweischichtig über einander liegenden in beiden Dimensionen rundlichen, also kugeligen Elementen. (Vgl. das Flächenbild in Fig. 2b.) Sie trägt un- gemein zahlreiche meist etwas eingesunkene Spaltöfinungen, welche von keinen besonderen Nebenzellen begleitet sind'®) und in tiefe Depressionen der Oberhaut eingebettete eigentümliche Drüsen. Diese Drüsen, welche in Fig. 3 im Querschnitt und in der Aufsicht wiedergegeben sind, stellen scheiben- oder vielmehr linsenförmige auf einer meist eingeschnürten, annähernd sanduhr- förmigen Basalzelle aufsitzende Organe dar, die gewöhnlich aus zwei, gelegentlich aber auch drei neben einander gelagerten Reihen von Sekretzellen zusammengesetzt sind. Die beiden Flächenbilder in Fig. 3. und jenes in Fig. 2b sind in dieser Beziehung ganz eindeutig. Je nachdem nun der Schnitt einmal senkrecht zur Trennungslinie der beiden Zellreihen oder aber mit dieser parallel oder gar mit ihr zusammenfällt, zeigen die Querschnitte der Drüseu die verschiedenen Bilder, wie sie in Fig. 3 gezeichnet sind. — Diesen Drüsen dürfte das von ®) Fr. Johow: Über die Beziehungen einiger Eigenschaften der Laub- blätter zu den Standortsverhältnissen, Pringsheims Jahrb. f, w. Bot. XV. 1884, 282—310, führt unter den Fällen von sehr starker Cutieularbildung der Blätter tropischer Pflanzen auch Mangifera indica an. 10) In Sollereders system. Anatomie der Dicotyledonen (Stuttgart, B4 Enke 1899) findet sich auf S. 278 die Bemerkung: „Die Spaltöfinungen sind bei Mangifera indica L., wie bei Spondias lutea L. von keinen besonderen Nebenzellen begleitet.‘ 146 Ä ' Wilhelm Wiechowski: Peckhold (I. ec.) erwähnte im Geruch an oleum Citri erinnernde ätherische Ol angehören, welches sich aus den frischen Blättern destillieren lässt. OADSE W,. Wiechowski del. Vergr. 460:1. Das Mesophyll besteht unter der etwa "s der Gesamthöhe ausmachenden, einreihigen Pallissadenschichte aus einem wenig oder garnicht von Interzellular-Räumen durchlüfteten Gewebe a uni Lan aa 2a 7 ale a a ai re y u Da a en De = 0, Pharmakognosie des Laubblattes von Mangifera indica L. 147 isodiametrischer, rundlicher Zellen, so dass hier statt des so häufig vorkommenden Schwammparenchyms ein kompaktes, fest sefügtes Grundgewebe vorliegt. Die Gefässbündel sind ungemein ° reich an Sklerenchymfasern, denen gegenüber die wesentlichen Bündelelemente ganz in den Hintergrund treten. (Vgl. Fig. 5). Sklerenchymfasern finden sich auch sonst in kleinen Gruppen im Mesophylli eingelagert und machen als mächtiges Bündel die knorpelige Verdickung des Blattrandes aus. (Fig. 4.) Die Gefäss- bündel sind dicht umsponnen von Krystallschläuchen, deren W. Wiechowski del Vergr. 460 :1. Zellen Einzelkrystalle von Calciumoxalat führen.!') Im übrigen findet man an allen grösseren Nerven, insbesondere am Hauptnerv im Siebteil des Gefässbündels oft mächtige schizogene Sekret- gänge, wie sie der Familie der Anacardiaceae eigentümlich sind. Bemerkenswert ist das Verhalten der Bündel des Hauptnervs, welcher nicht wie sonst bifacial, sondern fast völlig radiär nach Art einer Achse gebaut ist. Um ein markartiges Grundgewebe k ı1) Dieses wohl wenig bemerkenswerte Verhalten findet sich bei Sole- reder 1. c. S. 279 angegeben. } 148 | Wilhelm Wiechowski: gruppieren sich radienförmig Gefässbündel; die Siebteile hier besonders schön mit Sekretgängen versehen. (Fig. 2, Taf. III.) ‘ — Im Blattstiele finden sich der Mittelrinde entsprechend ver- einzelte ovale Sklereiden mittlerer Grösse. Als Inhalt führen die meisten Mesophylizellen Klumpen einer braunen in Lauge nur unbedeutend löslichen Masse, in welcher, insbesonders in den Pallissadenzellen im dünnen Schnitt, eingelagerte Chlorophylikörner noch sichtbar sein Fig. 4. W. Wiechowski del. Vergr. 460: 1. können. Vereinzelte Zellen enthalten oxalsaures Ca in Dru- sen und Einzelkrystallen. Sonst findet man bei Betrachtung in Wasser oder Glyzerin zahlreiche Zellen völlig leer. In verdünnter Essigsäure aufgeweichtes Material weist dagegen der unterseitigen Epidermis genähert zahlreiche, mit dunk- lem, körnigem Inhalte vollständig ausgefüllte Sekretzellen auf. Dieselben unterscheiden sich jedoch weder durch Form und Grösse noch Membranbeschaffenheit von ihrer Umgebung, so dass sie nur an ihrem Inhalte erkannt werden können. Diese Sekret- ‘ zellen finden sich wie gesagt vorzugsweise in den unteren Ab- u * a a en Me ee I re a Fa Bd Te Aa 7 a 1 2 I ie an Din ee do >: \ Kae » em a ee md fr 7 Pa re nt Bil a 0 an a di dr a h , \ = Pharmakognosie des Laubblattes von Mangifera indica L. 149 schnitten des Mesophylles (Vgl. Fig.1.) und stehen oft in Gruppen von zwei und mehreren zusammen. Über die Verteilung und Menge dieser Sekretstellen geben Flächenschnitte einen guten UÜber- blick; wie ein solcher im Fig. 5. im Photogramm wiedergegeben ist. Der Inhalt besteht aus feinsten, an dünnen Schnitten deutlich blassgelben Körnchen, welche wohl krystallinische Struktur haben müssen, da sie mit dem Polarisationsmikroskop betrachtet doppeltbrechend sind. Besonders schöne Bilder gibt die Be- trachtung bei Dunkelfeldbeleuchtung (Reicherts Spiegelkondensor). Abgesehen von den Oxalatkrystallen erscheint das ganze Gesichts- Vergr. 100:1: feld dunkel, insbesondere auch der klumpige Inhalt der meisten Mesophylizellen. Von diesem dunklen Grunde heben sich die hell- gelb leuchtenden Sekretzellen sehr wirkungsvoll ab. (Fig. 3, Taf. III.) — Bei Behandlung der Schnitte mit Wasser, Alkohol oder Lauge löst sich der Inhalt der Sekretzellen völlig auf, in Lauge übrigens mit sattgelber Farbe. Ohne Zweifel ist dieses für die Mangoblätter charakteristische Sekret identisch mit den oben erwähnten gelegentlich (in der Feuchtigkeit) beobachteten -gelblichen Auswitterungen und ist die Hauptursache für das Auftreten der tief gelbbraunen Farbe beim Eintragen von Schnitt- blättchen in Laugen. 12 150 Dr. E. Weiss: II. Unter den Bestandteilen des Mangoblattes spielt der Inhalt dieser Sekretzellen die, jedenfalls biologisch wichtigste Rolle. Durch Alkohol lässt er sich in guter Ausbeute als blassgelber schön krystallisierender Stoff aus den Blättern extrahieren. Dieser Stoffstellt dieMuttersubstanz des Piuri dar, da er an Kaninchen verfüttert zur Ausscheidung von Euxanthon und Euxanthinsäure Veranlassung gibt. Er ist in Wasser und Alkohol mit blassgelblicher, in Laugen mit tief reingelber Farbe löslich. Die Lösungen färben sich mit Eisensalzen dunkelgrün. Der Schmelzpunkt dieser Substanz, welche ich ihrer Be- ziehungen zum Euxanthon wegen Euxanthogen nennen will, liegt zwischen 273 und 280°. Die Analysen stimmen gut auf die Formel C,,H,; 0,,. Über Versuche zur Erforschung der Kon- stitution des neuen Stoffes soll an anderer Stelle berichtet werden. Über neuere. Strahlungen und Radioaktivität. (Nach einem Vortrag gehalten in der biologischen Sektion des „Lotos“ am 4. Juni 1907). Von Dr. E. Weiss. (Schluss.) Alle diese drei Strahlengattungen haben die gemeinsame Eigenschaft, die Luft zu ionisieren, und diese ist es, die sich am leichtesten messend verfolgen lässt. Zu diesem Zwecke bringt man die radioaktive Substanz auf ein eigens konstruiertes Elektro- skop (Fig. 2). Auf der Bernstein-Isolation B steht ein Metallstab M, der die Mündung des Elektroskops frei durchsetzt und den teller- förmigen Aufsatz 7 trägt. An M sind zwei Blättchen A aus dünnster Aluminiumfolie befestigt. Über 7 kann eine mit der Erde verbundene Metallglocke @ so gestülpt werden, dass sie den isolierten Teilnirgends berührt. Legt man nun ein radioaktives Präparat (etwa in einem Schälchen) auf den Teller 7 und ladet das Elektroskop, so divergieren die Aluminiumblättchen, was man an der Skala 8 genau ablesen kann. Stülpt man nun die Glocke @ darüber, so wird in ihr die Luft ionisiert, es entsteht eine Elektrizitäts- strömung von 7 nach G und das Elektroskop entladet sich all- mählich, wobei die Blättchen zusammenfallen. Der Betrag, um den die Divergenz derselben in der Zeiteinheit (Sekunde oder Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. 151 Minute) abnimmt, gibt uns direkt ein Mass für die abgegebene Elektrizitätsmenge und somit für die Anzahl der vom radioaktiven Präparat erzeugten Jonen. Stellt man nun diesen Betrag für eine genau untersuchte Substanz, — beispielsweise Urannitrat — fest, und misst dann diesen Betrag für ein andres radioaktives Präparat, so kann man die Aktivität des letzteren im Masse des ersten ausdrücken. Um den Anteil der verschiedenen Strahlen- gattungen zu untersuchen, bestimmt man zunächst die Gesamt- Aktivität; dann bedeckt man das Präparat mit dünnen Metall- folien, wodurch die «-Strahlen absorbiert werden, und macht abermals eine Messung; schliesslich prüft man noch auf y-Strahlen, indem man die ß-Strahlen durch dickere Metallplatten absorbieren ze Metall Bernstein Fig. 2. lässt oder durch magnetische Kräfte ganz ablenkt. Man hat so gefunden, dass die Strahlung verschiedener aktiver Substanzen sehr verschieden ist. Während beispielsweise Radium alle drei Strahlengattungen aussendet, nimmt man an Polonium nur «-Strahlen wahr. Die radioaktive Strahlung wird weder durch physikalische noch durch chemische Veränderungen des Präparates beeinflusst; sie ist also eine wesentliche Eigenschaft des Atoms. Sie findet aber auch fortwährend statt, ohne dass es bisher gelungen wäre, dabei eine Gewichtsabnahme dieser Substanzen nachzu- weisen. Diese Erscheinung ist so verblüffend, dass man anfäng- lich glaubte, das Gesetz von der Erhaltung der Energie um- 12* 152 Dr. E. Weiss: stürzen zu müssen. Da schien eine neue Erscheinung Auf- klärung zu bringen. Gewisse radioaktive Substanzen, nämlich Radium, Thorium und Aktinium entwickeln nämlich fortwährend radioaktive Gase, Emanationen, und machen umgebende Körper selbst vorübergehend aktiv. Man nennt diese Art der Radio- aktivität „induzierte“ Aktivität. Die Emanation kann in grösserer FF Te Te AR -. 5, r Menge durch Erhitzen der festen und gelösten Verbindungen erhalten werden und lässt sich bei tiefer Temperatur (-150°) zu einer Flüssigkeit verdichten. Die Emanation ist die Ursache der induzierten Aktivität, indem sie sich als unsichtbare und jeden- falls unmessbar dünne Haut auf den umgebenden Körpern nieder- schlägt. Dieser Niederschlag kann aber durch Papier abgerieben und dann auf seine Aktivität hin untersucht werden. Diese Aktivität ist nicht beständig, sie verändert mit der Zeit ihre Stärke und ihr Wesen; auf dieser Tatsache bauten nun Soddy ‚und Rutherford ihre Umwandlungstheorie der Atome auf. Die radioaktiven Elemente haben die höchsten bekannten Atom- gewichte, Uranium 238, Thorium 232, Radium 225. Sollte es nicht möglich sein, dass diese Atome selbst wieder in andre von geringerem Gewicht zerfallen? Wenn ja, so ist es sehr wahr- scheinlich, dass ein solches Zerfallsprodukt Helium ist, denu dieses sonst sehr seltene Edelgas ist immer in den Radiumerzen enthalten. Und tatsächlich ist es Ramsay gelungen, zu zeigen, dass Radiumbromid von selbst Helium entwicklt. Die beiden erstgenannten englischen Forscher stellen daher die Hypothese auf, dass das Atom Radium selbst in die Atome Helium und Emanation zerfalle und dass die «-Partikel nichts andres als Helium seien. Ist dies der Fall, dann müsste das Atomgewicht derselben gleich der Differenz der Atomgewichte von Radium und Helium, also 225—4 = 221 sein. Aber die Emanation gibt selbst wieder «-Partikel ab und verwandelt sich dabei sukzessive in jene aktiven Substanzen, die sich auf den in der Nähe be- findlichen Körpern niederschlagen. Das genaue Studium der induzierten Radioaktivität hat dazu geführt, eine ganze Reihe solcher Umwandlungsprodukte festzustellen. Die einzelnen Sub- stanzen unterscheiden sich nicht nur durch die Art ihrer Strahlung, sondern auch durch die mittlere Lebensdauer, d. i. die Zeit, die sie zum gänzlichen Zerfall in das nächste Umwandlungsprodukt brauchen. Einige dieser Elemente senden keine Strahlen aus; ihre Existenz wird nur dadurch erkannt, dass sie nach einiger Zeit wieder in strahlende Elemente übergehen. Eine Vorstellung dieser Umwandlungsreihe gibt die folgende Tabelle; da man nämlich wahrgenommen hat, dass in Uransalzlösungen selbst dann, wenn man sie sorgfältig von Radium befreit hat, nach einiger Zeit wieder Radium enthalten ist, nimmt man an, dass Über neuere Strahlungen und Radioaktivität. 153 dieses ein Umwandlungsprodukt des Uraniums ist. Ein Zwischen- produkt dieser Umwandlung ist das Uran X, das im Gegensatz zum Uran nur ß-Strahlen aussendet: Element Atomgewicht Strahlung mittl. Lebensdauer Sonstige Kennzeichen Uran 238 & 500,000.000 J. fest Ur. X 234 ß 32 Tage m Radium 225 & 2000 Jahre \ Ra Emanation 221 0 5 Tage Gas, bei-150° flüssig Ra A 217 & 4 Min. fest, lösl. in Säuren Ra B 213 — DT flüchtig bei 500° Ra C 213 A ya h „.1000° Ra D 209 60 Jahre löslich in H,SO, Ra E 209 ß 9 Tage flüchtig bei 1000° Ra F 209 & 200 „ Polonium (?) Bei der ß-Strahlung findet keine Gewichtsverminderung statt, da die Elektronen sehr klein sind gegen die Atome. Die angegebene Lebensdauer von Uranium und Radium ist selbst- verständlich nur rohe Schätzung. Das Ra F ist das letzte be- kannte Umwandlungsprodukt von Radium; es scheint identisch zu sein mit dem von Mme. Curie gefundenen Polonium, das sich auch tatsächlich immer als Begleiter des Radiums vorfindet; auch Ra 7 sendet «-Strahlen aus und muss daher in ein Element Ra@ mit dem Atomgewicht 205 übergehen. Diese Zahl stimnit mit dem Atomgewicht des Bleis 207 so gut überein, dass man -mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen kann, es sei selbst das Endprodukt der Zerfallsreihe des Radiums. Dafür würde auch der Umstand sprechen, dass Blei stets in den radiumhältigen Erzen vorkommt. Ganz analoge Zerfallsreihen erhält man für die ebenfalls Emanationen entwickelnden Elemente Thorium und Aktinium, die aber noch nicht so genau untersucht sind. Wenn nun auch die Details dieser Zerfallstheorie keineswegs sicher stehen und auch nicht allgemein anerkannt sind, so scheint doch eines wahr- scheinlich, dass mit der radioaktiven Strahlung eine Umwandlung der Elemente vor sich geht. Ist doch erst kürzlich eine Arbeit von Ramsay erschienen, in der er die Entstehung von Lithium (Atomgewicht 7) aus dem derselben Elementenreihe angehörigen Kupfer (Atomgewicht 63) infolge radioaktiver Beimengungen be- obachtet zu haben behauptet‘). Bei einer solchen Umwandlung wird eine sehr grosse Energiemenge frei: 1g Radium entwickelt 1) Neuerdings soll auch die Überführung von Silber in Natrium be- obachtet worden sein. ne RREE KOREEN Ru Te 154 Dr. Karl Basch: in der Stunde 100 Grammkalorien, d. i. eine Wärmemenge, die hinreichtt um 1 g Wasser von 0 auf 100° zu erwärmen, und da in einem Jahre nur der 2000te Teil des Radiums zerfällt (weshalb auch eine Gewichtsabnahme nicht zu konstatieren ist), so sieht man daraus, dass die beim vollständigen Zerfall eines 'Grammes Radium frei werdende Energiemenge ganz ungeheuer sein muss. Geschähe dieser Zerfall plötzlich, so würde die Wirkung der einer Explosion von 30 Meterzentnern Dynamit gleichkommen. Wenn also die Alchemisten versucht haben, Gold aus einem leichteren Material (z. B. Silber) herzustellen, so haben sie sich deshalb an eine nutzlose Arbeit gemacht, da sie dazu eine so ungeheure Energiemenge benötigt hätten, wie sie nie aufzubringen war. Wäre es ihnen dagegen gelungen, Gold aus einem schwereren Metall (z. B. Blei) herzustellen, so hätte der Erfolg die höchsten Erwartungen weit übertroffen, da mit dieser Umwandlung eine so ungeheure Energiemenge verfügbar geworden wäre, dass gegen ihren Wert das Gold ein blosses Nebenprodukt gewesen wäre. Zur Physiologie der Thymusdrüse. Von Dr. Karl Basch, Prag. So wie es hie und da im gesellschaftlichen Leben vorkommt, dass ein früher kaum beachtetes Mitglied sich vermöge seiner, bei einem bestimmten Anlasse zur Geltung gelangenden Fähig- keit zu grösserer Wertschätzung emporarbeitet, so kann auch im biologischen Verbande der Organe ein bisher. seitab stehendes Mitglied, durch intensiveres Interesse und Studium in seinem Werte richtiger erkannt und nach langer Zurücksetzung wieder an die gebührende Stelle versetzt werden. Eine derartige Wandlung scheint sich jetzt auf dem Gebiete der Physiologie der Thymusdrüse zu vollziehen. Es ist eine Art Rehabilitierung eines lange Zeit missachteten Organes im Zuge, um welche sich unabhängig von einander Anatomie und Physio- logie bemühen. Bei den genaueren anatomischen Nachforschungen über die Natur der Thymus kam es wiederum hervor, dass die Thymus- drüse eigentlich von vornehmerer Herkunft ist, als ihr unschein- bares Aussere vermuten liesse. Es ist schon einmal in den 70er Jahren durch den Histo- logen Kölliker festgestellt worden, dass die Thymus als epi- theliales Gebilde von einer Kiemenspalte (der 3. respekt. 4.) Zur Physiologie der Thymusdrüse, 155 entspringt, gerade so wie die höher bewertete Schilddrüse und dass sie ihrer ersten Anlage nach durchaus den Charakter einer echten Drüse zeigt. Erst in der weiteren Entwicklung verändert sich das Aus- sehen der Thymus so sehr, dass sie im reifen, ausgewachsenen Zustande einem einfachen Lymphknoten mehr ähnelt, als ihren > epithelialen Geschwistern. Die entwickelte Thymus, — das Briesel — welches bei den Säugetieren unmittelbar unter dem Brustbein im oberen Mittelfellraume sitzt, besteht aus einer bindegewebigen Kapsel, innerhalb welcher sich als aufbauendes Element der Thymus ein feines Maschenwerk verzweigter Zellen vorfindet, in welchem vor- wiegend runde, lymphkörperartige Gebilde liegen. Letztere sind so dicht gehäuft, dass sie das feine Netzwerk fast ganz ver- decken und den Eindruck eines einfachen lymphoiden Organs hervorrufen. Deshalb hat man die Thymus in den letzten Jahrzehnten zur Gruppe der lymphoiden Organe gezählt, wo sie in der Ge- sellschaft der Milz und der Lymphknoten zu einer mehr unter- geordneten Rolle bestimmt war, als ihre Halbschwester: die Schilddrüse. Man hat hiebei an die epitheliale Abstammung der Thymus ganz vergessen und wenn auch in der grossen Menge runder Zellen, welche das Gewebe der Thymus erfüllen, eine Anzahl merkwürdiger konzentrischer Gebilde — die sogenannten Hassal- schen Körperchen — immer wieder an epitheliale Bestandteile erinnerte, so hat man diese höchstens als versprengte, dem Untergange geweihte Reste ehemaliger epithelialer Herrlichkeit gelten lassen. Wenn ferner einzelne Forscher, darunter zum Beispiel C. Rabl in seiner Bildungsgeschichte des Halses bereits in den 80er Jahren darauf hinwies: „Die Thymus ist und bleibt ein epitheliales Organ“ so haben doch erst zwei Arbeiten der letzten Jahre die fast allgemein angenommene Analogie von Thymus und Lymphknoten berichtigt. Zunächst hat ein schwedischer Forscher: Hammar mit aller wünschenswerten Genauigkeit dargetan, dass jenes Maschen- werk der Thymus innerhalb dessen die runden Zellen liegen, epithelialen Ursprunges ist, mit langen Ausläufern versehene Epithelzellen darstellt und weiterhin hat der Würzburger Histologe Stöhr darauf hingewiesen, dass auch die runden Zellen der Thymus nicht als Lymphzellen anzusprechen sind, sondern viel- mehr als Jugendformen echter Epithelzellen, die aus der Teilung grösserer Zellen hervorgegangen sind und sich die Fähigkeit be- wahrt haben, wieder zu grösseren Zellen auszuwachsen. Daneben 156 Dr. Karl Basch kommen allerdings in schwankender Menge auch echte weisse Blutkörperchen in der Thymus vor; diese liegen aber vorwiegend ausserhalb der Gefässe. Die Annahme Stöhrs von der epithelialen Natur der rundlichen Thymuszellen würde in einfachster Weise eine Reihe von Widersprüchen in der Lehre von der Entwicklung der Thymus beseitigen. Man darf sich aber nicht verhehlen, dass diese Annahme mehr auf dem subjektiven Eindrucke eines er- fahrenen Histologen, als auf einer zwingenden Beweisführung beruht. Hammar selbst, der gleichfalls auf die epitheliale Natur der Thymus hingewiesen hat, hält trotz der Einwände Stöhrs noch daran fest, dass die kleinen Thymuszellen vorwiegend ein- gewanderten Lymphkörperchen entstammen und glaubt, dass ins- besondere der Umstand gegen ihre epitheliale Natur spricht, dass dieselben amoeboide Beweglichkeit erkennen lassen und dass nach Röntgenbestrahlung der Thymus die Thymuslympho- zyten schwinden, worauf aber die Epithelien der Randzone dann umso schärfer hervortreten. Wenn also auch die Natur der kleinen Thymuselemente noch kontrovers ist, so erscheint doch die Auffassung der Thymus als Iymphoides Organ von morphologischer Seite endgiltig be- seitigt und dieselbe unter die epithelialen drüsigen Organe ohne Ausführungsgang die „Drüsen mit innerer Sekretion“, wie die Schilddrüse, die Hypophyse, die Nebennieren, eingereiht. In dieselbe Zeit wie die Arbeiten der Histologen fallen meine eigenen Bemühungen um die Physiologie der Thymus, welche in analoger Weise wie die histologischen Arbeiten an- strebten, dieses Organ aus der Reihe der indifferenten Organe herauszuheben und seine biologische Bedeutung zu ermitteln. Meine physiologischen Untersuchungen über die Thymus schlossen sich dem Studium der ältesten wissenschaftlichen Arbeit über die Thymus aus den 50er Jahren, der Arbeit Friedlebens, an. Friedleben war ein Kinderarzt in Frankfurt, der in viel- jähriger, unermüdlicher Arbeit mit den kargen Hilfsmitteln seiner Zeit eine Physiologie der Thymus in Gesundheit und Krankheit, wie er es nannte, zu schaffen sich bemühte. Wenn auch seine Versuche kein festes, ausgearbeitetes Ergebnis hatten, so waren sie doch in mustergiltig rationeller Weise angelegt und ent- hielten eine Fülle von Anregungen, die, man möchte beinahe natürlich sagen — von den späteren Untersuchern verkannt oder vergessen wurden. Friedleben verwendete zum Behufe des Studiums der Physiologie der Thymus die Methode der Ausschaltung dieses Örganes. Er hat impulsiv das richtige Versuchstier, den jungen ap Zur Physiologie der Thymusdrüse. 157 Hund, getroffen und überhaupt die ersten Versuchstiere nach Entfernung der Thymusdrüse durchgebracht. Er bat aber die Exstirpation der Thymus nach einer Methode angestrebt, die die Entfernung dieses Organes nur selten ermöglicht und weiters hat er zu wenig Rücksicht darauf genommen, nur an Tieren gleichen Wurfs zu arbeiten und dem thymuslosen Tiere stets ein un- versehrtes Kontrolltier desselben Wurfes zum Vergleiche an die Seite zu stellen. An den wenigen Tieren, bei ‚welchen es ihm aber selbst zum Bewusstsein kam, dass ihm die Entfernung der Thymus geglückt ist, erkannte er eigentlich das Wesentliche der Konse- kutiven Veränderungen richtig und wenn wir die Ergebnisse seiner Versuche nur ein wenig modernisieren, so können wir sagen, dass bereits Friedleben vermutete, dass nach Aus- schaltung der Thymus der Stoffwechsel des operierten Tieres nach der Richtung verändert wird, dass die langen Röhren- knochen kalkärmer werden und im Wachstum zurückbleiben. Als ich im Jahre 1902 auf der Naturforscherversammlung in Karlsbad zuerst wieder über systematische Versuche von Thymusausschaltung berichtete und einschlägige Präparate zeigte, musste ich Jarauf hinweisen, dass schon die älteste Arbeit Friedlebens, wenn auch mit unvollkommenen Mitteln, einen Zusammenhang von Thymusdrüse und Knochensystem angenommen hat. An diese Versuche haben meine eigenen Experimente an- geknüpft. Gegenüber der durchdachten und zielbewussten Arbeit Friedlebens haben spätere Arbeiten über die Physiologie der Thymus sich mit wesentlich flüchtigeren und zufälligen Versuchen begnügt und deshalb zumeist ein negatives Ergebnis verzeichnet. Es ist aber nötig, dass die Versuche über die Physiologie der Thymusdrüse unter besonderen Kautelen durchgeführt werden, die durch die Eigenart dieses Organes geboten erscheinen. Die Thymusdrüse ist ein Organ, welches in der ganzen Wirbeltierreihe, also auch bei Säugetieren und beim Menschen vorkommt: sie nimmt aber dadurch eine besondere Stellung ein, dass sie bei den Säugetieren ein vergängliches Organ ist, indem nach einer kurzen Wachstumsperiode ganz spontan eine voll- kommene Rückbildung (Involution) der Thymus eintritt. Diese Rückbildung kann die gewöhnliche, physiologische, die sogenannte Altersinvolution sein und sie kann andererseits auch eine ausser- ordentliche, akzidentelle sein, indem die Erfahrung gelehrt hat, dass einfaches Fasten, allgemeine Schwäche- und Erschöpfungs- zustände die Thymusdrüse auch vorzeitig zur Schrumpfung und zum Verschwinden bringen können. Da die Thymus normaler Weise zur Rückbildung kommt, ist es von vornherein wahr- 15 158 Dr. Karl Basch: scheinlich, dass. dieselbe nicht zu jenen Organen zählen dürfte, ohne welche das .Leben nicht weiter bestehen kann, dass sie also kein sogenanntes lebenswichtiges Organ ist und andererseits ist es ebenfalls wahrscheinlich, dass die Funktion der Thymus nur in einer bestimmten Lebensphase und in der Zeit ihrer grössten Entwicklung zum Ausdrucke kommen und von solcher Beschaffenheit sein dürfte, dass dieselbe nach dem Verschwinden der Thymus wieder von einem anderen Organe übernommen werden kann. Die anatomische Entwicklung, das Wachstum und die Rück- bildung der Thymus ist bei den verschiedenen Säugetierklassen ganz verschieden und wenn es unser Endziel sein soll, aus den Tierversuchen Anhaltspunkte für die funktionelle Bedeutung dieses Organes beim Menschen zu gewinnen, so müssen die zu wählenden Versuchstiere im biologischen Verhalten ihrer Thymus den Vor- kommnissen beim Menschen möglichst nahestehen. Nach den neuen Untersuchungen Hammars wird als mittleres Thymusgewicht beim neugeborenen Menschen 149 an- gegeben. Das Verhältnis des Thymusgewichtes zur übrigen Körpermasse beträgt 1:250. Die Thymus wächst beim Menschen nach der Geburt weiter. Nach einigen Angaben bis zum zweiten Lebensjahre, nach anderen bis zur Geschlechtsreife und bildet sich von da ab wieder zurück. Unter den leicht erreichbaren Versuchstieren scheint die Thymus beim Hunde am mächtigsten entwickelt zu sein. Nach den Angaben von Baum, die ich im ganzen bestätigen kann, verhält sich das Thymusgewicht beim neugeborenen Hunde etwa wie 1:250, das wären die gleichen Proportionszahlen wie beim Menschen. Die Thymus des Hundes wächst ebenfalls postfoetal an, ihr Gewicht nimmt in den ersten drei bis vier. Wochen noch zu, und bildet sich etwa vom 2. Lebensmonate, verhältnismässie rasch, zurück. Beim Kaninchen, bei der Katze, beim Meer- schweinchen ist die Entwicklung der Thymus eine geringere und deshalb dürften diese Tiere, schon theoretisch betrachtet, un- günstigere Versuchstiere abgeben. Bei den Experimenten an den verschiedenen Versuchstieren hat es sich nun tatsächlich herausgestellt, dass der Hund auf die Herausnahme der Thymus am empfindlichsten reagiert und dass der günstigste Termin zum Studium der Thymusfunktion . die Zeit der grössten Entwicklung, das Ende des ersten und der Beginn des zweiten Lebensmonates ist, Erfahrungen, die durchaus in Übereinstimmung mit der theoretischen Erwägung stehen. Als weitere, unerlässliche Bedingung für das Gelingen der Tierversuche hat sich abgesehen von der richtigen Wahl des Zur Physiologie der Thymusdrüse. 159 Versuchstieres und des richtigen Zeitpunktes ‘des Versuches wiederum eine eigentlich ganz selbstverständliche Massregel er- geben: Die gänzliche Entfernung der Thymus. Es ist merk- würdig, dass diese einfache. so selbstverständlich scheinende Regel in fast allen früheren Versuchen vernachlässigt wurde und auch noch gegenwärtig vernachlässigt wird. Zur Zeit Friedlebens, in der vorantiseptischen Epoche, konnte es noch eine gewisse Rolle spielen, zur Entfernung der Thymus einen möglichst kleinen Schnitt am oberen Rande des Brustbeines anzulegen und es mehr dem Zufall zu überlassen, ob man einen grösseren oder kleineren Teil der Drüse durch den engen Zugang herausbekömmt. Der damaligen unsicheren operativen Technik mussten auch die unsicheren Ergebnisse ent- sprechen. In der gegenwärtigen aseptischen Zeit stellt es sich bei der Revision der Physiologie der Thymus als erstes und unum- gängliches Erfordernis heraus, die Grundlage des Versuches so zu gestalten, dass an Stelle des günstigen Zufalles die sichere. und kontrollierbare Exstirpation der Thymus trete und hiedurch auch die Versuchsergebnisse Stetigkeit und Genauigkeit erlangen. Deshalb konnte für meine Versuche die Operation der Wahl nur die breite Eröffnung der Brusthöhle, die mediane Spaltung des Brustbeins sein, welche die gänzliche Entfernung der Thymus- drüse unter Kontrolle des Auges ermöglicht. Die Exstirpation der Thymus muss auch schon aus dem Grunde gleich bei der Operation auf ihr vollständiges Gelingen kontrolliert werden, weil eine allfällige spätere Sektion des Versuchstieres keinen Aufschluss über die vollständige Entfernung der Thymus gibt. Die zurückgebliebenen Reste der Thymus können durch Involution schrumpfen und dort eine gelungene Entfernung der Thymus vortäuschen, wo in Wirklichkeit Thymusreste die Tätigkeit der Thymusdrüse eine Zeitlang fortgeführt haben. Wir haben aus der Physiologie der Schilddrüse gelernt, dass .die Ausfallserscheinungen nach Entfernung derselben nur dort auftreten, wo die ganze Drüse entfernt wurde und dass zurückgelassene kleine Anteile die Fähigkeit haben, funktionell für die entfernten eintreten zu können. Auch die Thymusdrüse dürfte sich ähnlich verhalten; man hat nach unvollständiger Herausnahme hie und da zurückgelassene Thymusreste gewuchert vorgefunden, die auf eine derartige Hilfsleistung hinweisen. Ebenso wichtig wie die Entfernung der Thymus ist der Umstand, dass zur Kontrolle der ekthymierten Tiere nur Tiere desselben ‘Wurfes herangezogen werden dürfen, und es müssen die operierten und die ‚Kontrolltiere unter gleichen Bedingungen der Pflege und Ernährung gehalten werden. 13* 160° Dr. Karl Basch: Es sind also bei den Thymusversuchen eine ganze Reihe von Vorsichtsmassregeln einzuhalten, welche die Versuche tat- sächlich schwieriger gestalten, als es bei oberflächlicher Be- trachtung scheinen kann und es wird deshalb nicht jedermanns Sache sein können, hier mitzutun. Sind aber alle Kautelen erfüllt, dann gestalten sich auch die Ergebnisse der Versuche sehr gleichförmig. Friedleben gelang es unter 20 Versuchen etwa fünfmal, die Thymus voll- ständig zu entfernen und er beschreibt insbesondere bei einem Falle, der interessanter Weise drei Wochen nach der Thymus- entfernung seziert wurde, eine auffällige Veränderung der Knochen. Mir gelang es unter Berücksichtigung der geschilderten Be- dingungen unter circa 20 Versuchspaaren in 17 Fällen deutliche Knochenveränderungen nach Thymusausschaltung zu erzielen. Diese Veränderungen sprechen sich hauptsächlich dadurch aus, dass die langen Röhrenknochen des operierten Tieres in ihrer Entwicklung, ihrem Wachstum zurückbleiben und dass auch ihr Ossifikationsvermögen gestört ist, indem dieselben auf künst- liche Frakturen in anderer Weise reagieren als die Knochen des entsprechenden Kontrolltieres. Legt man nämlich mehrere Wochen nach Entfernung der Thymusdrüse am Unterschenkel des thymuslosen und des Kontroll- tieres künstliche Frakturen unter völlig gleichen Bedingungen an, dann entwickelt sich beim thymuslosen Tiere an der Frakturstelle ein kleinerer Kallus, die Fraktur verläuft mehr unter dem Bilde einer Infraktion und heilt rascher als beim Kontrolltiere, bei welchem an der Bruchstelle ein üppiger Kallus aufschiesst, der die langsame Umwandlung vom fibrösen zu Knochengewebe durch- zumachen hat, welche Unterschiede dann insbesondere jn metho- dischen Röntgenaufnahmen deutlich hervorkommen. Die feineren histologischen Differenzen spielen sich am deutlichsten an der Grenze zwischen Diaphyse und Epiphyse, also an jener Stelle ab, von welcher vorwiegend das Längen- wachstum des Knochens ausgeht und bestehen im grossen Ganzen hauptsächlich in einem Zurückbleiben der Verkalkung und hie- durch einer scheinbaren Vermehrung der KOSTEN, Elemente beim thymuslosen Tiere. Als Begleiterscheinung dieser Knochenveränderungen zeigte sich in 2 Fällen eine Störung des Stoffwechsels nach der Richtung, dass vom 'thymuslosen Tiere während der Frakturheilung mehr Kalk durch den Harn abgeschieden wurde als vom entsprechenden Kontrolltiere, welche chemische Alteration dann förmlich als Schlüssel zur Erklärung der übrigen geweblichen Veränderungen angesehen werden könnte. Zur Physiologie der Thymusdrüse. 161 Es ist nun interessant und ergänzt meine Versuche in eminenter Weise, dass analoge Veränderungen am Knochen- systeme, wie ich sie durch möglichst exakte Experimente zu er- zielen bestrebt war, sich spontan in einem Falle darboten, in welchem die Naturkräfte sich erlaubt haben, das Experiment völlig ungleicher Entwicklung der Thymus zu machen. Ich hatte Gelegenheit einen Wurf von 3 etwa 5 Wochen alten, noch beim Muttertier saugenden Hunden zu beobachten, die so verschieden entwickelt waren, dass das erste Tier 800 g, das zweite 1100 g und das dritte 2700 g wog. Da ich vermutete, dass die verschiedene Entwicklung der Tiere mit der verschie- denen Entwicklung der Thymus respektive anderer sogenannter Drüsen mit innerer Sekretion zusammenhängen konnte, tötete ich die Tiere und die Sektion ergab, dass das erste Tier von 800g eine Thymus von 0'4g, eine Schildrüse von 0'3 g, das zweite Tier von 1100 g eine Thymus von 05 g, eine Schilddrüse von 03g, das dritte Tier von 2700 g eine Thymus von 609 eine Schilddrüse von 0°6g darbot und die Knochen der drei Tiere zeigten ein ähnliches Verhalten wie die meiner Versuchs- tiere, indem je kleiner im einzelnen Falle die Thymusdrüse, umso rückständiger auch die Verknöcherung war. Ich habe neben dem Gewichte der Thymusdrüse hier auch auf das Gewicht der entsprechenden Schilddrüsen geachtet, weil zwischen diesen beiden Organen genetisch und funktionell die nächste Verwandtschaft besteht. In der angeführten Versuchsreihe zeigte sich aber nur eine deutliche Beziehung zwischen Thymusgewicht und Körperent- wicklung. Von der besser studierten urd bekannten Schilddrüse ist es uns heute schon ganz geläufig, dass das Körper-Wachstum und die Beschaffenheit der Knochen, insbesondere bei der Heilung der Fraktur in ursächlichem Zusammenhange mit der Funktion dieses Organes steht. Für das früheste Alter, für jene Zeit, wo die Funktion der Schilddrüse vielleicht noch nicht vollkommen entfaltet ist, dürfte die Thymus, deren Höchstentwicklung in die früheste Lebensperiode fällt, einen Teil der Tätigkeit zu bestreiten _ haben, die späterhin von der Schilddrüse übernommen wird. Der funktionelle Parallelismus zwischen Thymus und Schild- drüse wird auch durch meine neuen eben abgeschlossenen Unter- suchungen gestützt, welche die Beziehung der Thymus zum Nervensystem zum Gegenstande haben und demnächst zur Publi- kation gelangen sollen. Ebenso wie meine früheren Versuche eine gewisse Analogie von Schilddrüse und Thymus in Bezug auf Wachstum und Knochenentwicklung zeigten, zeigen diese neuen Versuche eine 169 Viktor Kindermann: gewisse Konkordanz von Thymus und Schilddrüse dem Nerven- systeme gegenüber. Hoffentlich leiten dann weitere Versuche, die auf meinem Arbeitsprogramm stehen, zum Verständnis der Pathologie der Thymus hinüber, welches wie schon Friedleben richtig er- kannt hat, nur auf der Grundlage unserer geläuterten physio- logischen Kenntnisse aufgebaut werden kann. Während der Drucklegung dieses Aufsatzes erschien in der Berliner Klin. Wochenschrift ein Bericht über die Sitzung der physik. mediz. Gesellschaft in Würzburg vom 27. Februar 1908, in welcher Sommer und Floercken durch Exstirpation der Thymus bei 14 Tage alten Hunden und Katzen erzielte Wachs- tumshemmung sowie ähnliche Veränderungen am Knochensystem vorzeigten, wie wir sie beschrieben haben. Ausserdem waren diese Autoren imstande, durch künstliche Einpflanzung, durch Zugabe von Thymus bei einigen Tieren ge- steigertes Wachstum anzuregen, also experimentell auch jene Verhältnisse nachzuahmen, wie sie in der natürlichen Versuchs- reihe, von der wir sprachen, bei den kräftigsten Tiere mit der besonders grossen Thymus zum Ausdrucke kamen. Zwillingsfrüchte. Von Viktor Kindermann, Karolinenthal. O wie reif schwellen die Lippen Dir, zwei küssende Morellen. (Shakespeare, Sommernachtstraum, III. Akt, 2 Szene.) Ist es auch als sicher anzunehmen, dass Zwillingsfrüchte so lange bekannt sind, als man die verschiedenen Obstsorten kultiviert und geniesst, so dürften wir doch in den oben zitierten Worten Shakespeares einen der ältesten Belege für jene abnorme Erscheinung haben, welche die Botaniker mit dem Ausdrucke Synkarpie benannten. Bei keiner andern Pflanze findet man Ver- wachsung mehrerer Früchte so häufig als bei der Kirsche und es ist erklärlich, dass dies einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen konnte. Ebenso begreiflich ist es, dass sich die ersten Nachrichten über Zwillingsfrüchte ausschliesslich auf kultivierte Obstsorten bezogen. Doch findet sich Synkarpie ebenso häufig bei anderen Pflanzen, so dass es vielleicht nicht uninteressant BR - Zwillingsfrüchte. 163 sein dürfte, auf Grund der Schilderung einiger selbst beobachteter Fälle eine allgemeine Betrachtung über Synkarpie anzustellen. Bei der Synkarpie ist die Vereinigung der Früchte eine sehr verschiedene. Oft haben die Zwillingsfrüchte nur einen ge- meinsamen Stiel, während sie selbst vollkommen frei bleiben. In den meisten Fällen jedoch sind die Früchte selbst auch mehr oder weniger verschmolzen. Oft sind sie nur an ihrer Basis ver- wachsen, bleiben aber an den Spitzen getrennt, so dass sie die Form des Buchstaben V erhalten. Einen Fall zweier auf einem ge- meinsamen Stiele stehenden und nur äusserlich verbundener Früchte zeigt Abbildung 1 von Prunus domestica, welchen ich im ver- gangenen Herbst in Leitmeritz fand. Auch beim Wein (Vitis vinifera) findet man mitunter am Ende der Trauben eine Ver- wachsung von zwei, drei oder auch mehr Beeren. Abbildung 2 illustriert einen solchen Fall, wo 3 Beeren mit einander ver- Fig. 1. Fig. 2. schmolzen waren, wie man deutlich an den Einkerbungen der Drillingsfrucht wahrnehmen kann. Oft jedoch ist bei den Synkarpien die Verschmelzung der einzelnen Früchte eine derartig enge, dass die Zwillingsfrucht ganz den Eindruck einer einfachen macht und es äusserlich überhaupt nicht möglich ist, die Verwachsung zu erkennen. So kommt es bei Apfeln vor, dass die Verbindung eine derartig enge ist, dass man nur am doppelten Kernhaus oder an der stark vermehrten Anzahl der Karpelle die Synkarpie erkennen kann. Masters berichtet, dass eine Varietät des Apfelbaumes ausschliesslich solche Zwillingsfrüchte trägt, die unter dem Namen „Siamese Twin Apples“ bekannt sind. Bei Steinfrüchten bleiben auch bei sehr inniger Verwachsung die Steine gewöhnlich frei, wenn sich in Ausnahmsfällen die Verschmelzung auch auf diese erstrecken kann. Penzig (Teratologie) beobachtete Weichseln (Prunus cerasus), die im doppelten Kirschkern nur eine Ovar- 164 Viktor Kindermann: höhlung hatten. Bei Vitis vinifera ist die Verwachsung ebenfalls oft so innig, dass nur aus der grösseren Zahl der Samen auf Synkarpie geschlossen werden kann. Die Zahl der verwachsenen Früchte ist eine recht verschie- ‚dene. Meist beträgt sie 2, doch erreicht sie in einzelnen Fällen eine grössere Höhe. So beobachtete E. König!) 9 Erdbeeren, welche von einem Stiel getragen wurden. Dabei sind die mit einander verwachsenen Früchte entweder gleich gross oder in ihrer Grösse verschieden. Die Ursache der Synkarpie kann eine sehr verschiedene sein. In vielen Fällen, vielleicht sogar in den meisten, ist wohl die Ursache in einer Synanthie, d. h. Verwachsung zweier ge- trennter Blüten zu suchen, wenn die Karpelle derselben zur Reife gelangen. Es ist nicht immer leicht, bei Untersuchuug der völlig gereiften Zwillingsfrucht zu entscheiden, ob eine Synanthie die Ursache war oder nicht. In diesem Falle kann nur eine mikro- skopische Untersuchung des Stiels Aufklärung geben, der ge- wöhnlich durch die vermehrte Zahl der Gefässbündel leicht die ursprünglich vorhandene Synanthie verrät. Dies trifft auch für “die in Abbildung 1 und 2 illustrierten Fälle zu. Zwillingsfrüchte können aber auch dadurch entstehen, dass die Fruchtknoten nicht synanthischer Blüten verwachsen, wenn sie sehr nahe bei einander stehen und sich gegenseitig drücken, eine Erscheinung, die namentlich bei Früchten mit fleischigem Perikarp zu beobachten ist. Dabei tritt nun häufig folgender interessante Fall ein. Die angewachsene Frucht. welche gewöhn- lich etwas kleiner ist, wird von ihrem Stiele abgerissen und durch die grössere mit ernährt, so dass sie trotzdem zu vollständiger Reife gelangt Einen derartigen Fall bei Pirus Malus beschreibt Roeper ?). Die Achsen der beiden uvgleich grossen Apfel liefen in einem Winkel zusammen. Durch die allmähliche Ausdehnung des grösseren wurde der kleinere von seinem Stiel abgerissen und trug nur noch ein Überbleibsel desselben an seiner Basis, ohne jedoch die geringste Verbindung mit dem Stiel mehr zu haben. Trotzdem war er zu voller Reife gelangt und besass ein ebenso straffes Fruchtfleisch, wie sein Ernährer. Moquin be- obachtete einen ähnlichen Fall an der Kirsche. Hier waren 3 In- dividuen verbunden, aber nur das mittlere trug einen Stiel. Auch andere teratologische Erscheinungen können Zwillings- früchte zur Folge haben. Die bereits oben erwähnten Doppel- kirschen sind vielfach auf eine vermehrte Anzahl der Karpelle in einer sonst einfachen Blüte zurückzuführen. Die Anzahl der- !) Nach Masters: Pflanzen-Teratologie p. 66. 2) De Candolle, Phys. Veget. II, p. 781 (übersetzt von Roeper.) Zwillingsfrüchte. 165 selben steigt auf zwei, in Ausnahmsfällen sogar auf 5. Dieselbe Erscheinung beobachtete ich im vorigen Sommer an einer Blüte von Robinia pseudacacia, wo zwei Fruchtknoten vorhanden waren, welche in der unteren Hälfte verbunden waren, oben aber gabelförmig auseinander liefen. Wäre in dieser Blüte Befruchtung eingetreten, so hätte dies zur Bildung eines Synkarpiums geführt. Sicher ist jedoch die Zahl der so entstandenen Zwillingsfrüchte ‘eine geringere, da die Vermehrung der Karpelle überhaupt eine seltenere Erscheinung ist, weil dieselben infolge ihrer zentralen Stellung und ihrer späteren Entwicklung eher einer Unterdrückung als einer Vermehrung ausgesetzt sind. Die bei Fragaria häufig vorhandenen Zwillingsfrüchte sind vielfach auf eine Verzweigung des Blütenbodens zurückzuführen, wobei sich dann jeder Teil in eine fleischige mit Karpellen be- setzte Scheinfrucht ausbildet. Doch können ähnliche Zwillings- bildungen auch durch Verwachsung mehreren Blüten, also durch Synanthie hervorgebracht werden. Auch durch Vermehrung der Blütenanzahl können Synkar- pien entstehen. Bei Corylus Avellana, dem Haselstrauch, besteht, der weibliche Blütenstand bekanntlich aus einem 2blütigen Di- chasium. In diesem tritt nun oft eine Vermehrung der Blüten- paare ein. Die Folge davon sind dann sehr häufig Synkarpien, wobei die Verwachsung entweder nur auf die Involukra beschränkt bleibt oder auch auf die Nüsse ausgedehnt ist. Wie bereits oben angedeutet, kann die Untersuchung des Stiels Aufklärung darüber geben, ob die Synkarpie ihren Grund in einer Synanthie hat, oder ob einer der anderen Fälle vorliegt. Sind die Früchte aber sitzend, dann ist die Entscheidung schwie- riger. Doch kann es als Regel gelten, dass die Verwachsung infolge Annäherung nach dem Verblühen nie eine so innige ist als bei Synanthie und dass in jenen Fällen, wo die vermehrte 166 Viktor Kindermann: Anzahl der Karpelle die Ursache der Synkarpie ist, diese Kar- pelle nie so innig verwachsen, dass ihre Individualität dabei verloren ginge. Als Doppelfrüchte im weiteren Sinne kann man auch die zwei- oder dreiteiligen Ähren unserer Getreidearten bezeichnen. Diese nicht allzuhäufige Missbildung wird gewöhnlich von den Landleuten als Segen verheissender Fund im Zimmer aufgehängt. Nach Penzig (Pflanzenteratologien, II. T. p. 476) können diese verzweigten Ähren auf dreifache Weise entstehen. Vielfach teilt sich die Ährenspindel selbst zwei oder dreifach und das Resultat ist dann eine gabelteilige Ähre oder, wenn sich die Spaltung der Spindel bis zur Basis erstreckt, zwei oder drei Ähren an der Spitze des Halmes. Der zweite und relativ seltenere Typus entsteht durch das Auftreten sekundärer Ähren an Stelle von Ährchen. Der dritte Fall endlich ist derjenige, bei dem ein- zelne Ährchen selbst zu Ähren werden, indem sich die Axe der- selben verlängert und die Blüten sich zu Ährchen umbilden. Diesen Typus zeigt Abbildung 3 bei einem Exemplar von Secale cereale, das ich im vorigen Sommer aus der Umgebung von Prag erhielt. Dass wir es hier mit dem 3. Typus zu tun haben und nicht etwa mit dem 1., wie es scheinen könnte, ersieht man deutlich aus der Blattstellung der sekundären Ähre. Dieselbe entspricht vollständig der Blattstellung des Ährchens, aus dem sie entstanden ist und ist gegen die der primären Ähre um 90° gedreht. Diese Missbildung wurde bei allen unseren Getreidearten mit ährigen Blütenständen beobachtet. Ja es werden sogar ästige Arten gezogen, wie Secale cereale, var. monstrosum, Triticum turgidum, var. compositum, der ägyptische Wunderweizen u. a. Auch bei wilden Gräsern, (Lolium perenne z. B.) wurde diese abnormale Ausbildung der "Ähre beobachtet. Im Reiche der Kryptogamen sieht man hin und wieder Fälle von Doppelfrüchten, wenn man den Ausdruck Frucht im weiteren Sinne auf das Sporogon der Moose und die Frucht- körper der höheren Pilze beziehen will. Zwillingsfrüchte von Pilzen sind ungemein häufig beobachtet worden, und sind in einfacher Weise durch Verschmelzung zweier benachbarter Fruchtanlagen zu erklären. Die Verschmelzung kann eine sehr verschiedene sein. Sie bezieht sich entweder nur auf einen Teil des Stieles oder kann denselben ganz betreffen, so dass man dann auf einem scheinbar einfachen Stiel einen dop- pelten Hut sieht. Seltener ist der Fall, wo die Stiele frei bleiben und die Hüte verschmelzen, oder die Stiele an der Basis und weiter oben verbunden sind, in der Mitte dagegen frei bleiben. Zwillingsfrüchte. 167 Eine Erscheinung, die an den oben erwähnten von Röpper beim Apfel beschriebenen Fall erinnert, kommt dadurch zu Stande, dass ein grösserer Fruchtkörper mit einem kleineren verwächst, diesen dann bei weiterem Wachstum vom Myzel losreisst und emporhebt. Der losgerissene Fruchtkörper wird dann durch die Hyphen des anderen ernährt und gelangt meist zu vollkommener Reife. Diese Erscheinung wurde von zahlreichen Pilzen erwähnt und abgebildet (Lactarus cinereus, Russula alutacea, R. depallens u. a.) Besonders merkwürdig sehen solche Bildungen dann aus, wenn die Verwachsung der beiden Individuen am Scheitel statt- gefunden hat und auf dem grösseren ein kleinerer Pilz in um- gekehrter Stellung mit dem Stiele nach aufwärts, sitzt. Abb. 4 (nach Masters). Fig. 4. | Fig. 3. Einen anderen Fall von Zwillingsfrüchten bei Pilzen zeigt Abbildung 5. Es handelt sich dabei um ein Exemplar von Bo- letus edulis, welches im Böhmerwalde gefunden wurde. Leider kann ich die Beschreibung nur nach dem Bilde geben, da ich das Naturstück selbst nicht zu Gesichte bekam.) Es war daher auch eine nähere Untersuchung nicht möglich. Die Zwillingsbildung kommt in diesem Falle dadurch zustande, dass aus dem Hute des einen Pilzes ein zweiter hervorsprosst und dieser auf seinem Hute abermals ein kleines Exemplar in liegender Stellung zeigt. 3) Das Bild wurde mir in gütigster Weise von Herrn k. k. Direktor Emanuel Reinisch überlassen, wofür ihm auch an dieser Stelle der beste Dank ausgesprochen sei. 168 Franz Jesser: Diese Monstrosität ist jedenfalls als ein Reproduktionsvorgang nach erfolgter Verletzung aufzufassen. Dafür spricht besonders die Bildung des dritten kleinen Exemplars, wo man deutlich erkennen kann, dass ein Stück des zweiten Hutes losgerissen und aufgerollt ist. Wahrscheinlich ist die Verletzung des Hutes durch Platzen bei langanhaltender. Trockenheit geschehen. Eine derartige Reproduktion von neuen Fruchtkörpern wurde bereits mehrfach beobachtet. Nach Göbel?) bildet der Fruchtkörper von Stereum hirsutum neue Fruchtkörper, wenn er beschnitten, aber auf seinem natürlichen Nährboden belassen wird. Ahnliches be- obachtete Hennings°) bei Xylaria als Folge von Schneckenfrass. In eingehender experimenteller Weise hat in jüngster Zeit Köhler‘) diese Erscheinung bei den Pilzen untersucht, wobei es sich zeigte, dass bei vielen Agaricineen die Zellen des Hutes, des Stieles und des Hymeniums die Fähigkeit zur Reproduktion respektive Regeneration besitzen. Auch bei Moosen sind Zwillings- und Drillingsfrüchte be- obachtet worden. Es sind dies normal entwickelte Kapseln, welche entweder die ganze Seta oder einen grösseren oder kleineren Teil des Kapselhalses gemeinsam haben. Die Büchsen sind dabei gewöhnlich vollständig ausgebildet. Obwohl diese Missbildung verhältnismässig selten ist, wurde sie doch bei mehreren Arten beobachtet. (Bryum argenteum, Hypnum incurvatum, Sphagnum squarrosum). Nach Leitgeb’) sind diese Doppelfrüchte durch Teilung einer ursprünglich einfachen Sporogonanlage entstanden, welche durch Verletzung des Vegetationsscheitels zu einer Zeit, als im Sporogen noch Spitzenwachstum stattfand, veranlasst wurde. Die Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch. Von Franz Jesser. Vortrag, gehalten in der geographischen Sektion des naturwissenschaftlichen Vereines „Lotos“ in Prag am 27. Jänner 1908. J. G. Herder leitet das erste Kapitel seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ mit dem Satze ein: „Vom Himmel muss die Geschichte der Philosophie der Menschheit #) Flora 1903, p. 143. 5) Zitiert nach 6. 6) Köhler, Beiträge zur Kenntnis der Reproduktions- und Regenerations- vorgänge bei Pilzen und die Bedeutung des Absterbens myzelialer Zellen von Aspergillus niger. Flora 1907, p. 216. ”) Nach Limprecht, die Laubmoo:e in Rabenhorsts Kryptogamen- flora, I. Bd., p. 39. ' Die Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch. 169 beginnen“. Und A. v. Humboldt spricht die leitende Idee seines „Kosmos“ mit folgenden schönen Worten aus: „Von den insel- artigen Fixsternschwärmen, die wir als Milchstrasse bewundern, bis zu dem Glanze einer jugendlichen Kultur mediterraneischer Völkergesittung besteht noch immer eine Gedankenverbindung“. So geistvoll diese Aussprüche sind, so gewaltige Perspektiven sie eröffnen — ich kann sie dennoch meinem Vortrage nicht als Motto vorsetzen; denn sie enthalten die Verlockung über dem Suchen nach der inneren Einheit aller Erscheinungen die tat- sächlich vorhandenen Verschiedenheiten als quantite negligeable zu behandeln. Nicht der Zweifel an der inneren Einheit dieser Verschiedenheiten zwipgt mich zu dieser Ablehnung der Grund- anschauungen der beiden Klassiker, sondern die Notwendigkeit strenge methodische Grundsätze der Forschung aufzustellen. Meine Ausführungen machen jedoch durchaus nicht den Anspruch auf Originalität. Sie sind nur der logisch geordnete Niederschlag dessen, was ich den Werken Ratzels, H. Wagners und Hettners entnommen und verarbeitet habe. Ich kann daher oft nicht zwischen eigenen und fremden Gedanken unterscheiden und muss daher oft von Zitaten absehen. Ich kann in diesem Kreise wohl auch eine Darstellung der Geschichte der Anthropogeographie unterlassen, muss jedoch mit wenigen Worten auf die grund- sätzlichen Unterschiede zwischen der älteren und jüngeren Forschung hinweisen. 5 Nicht ohne Absicht habe ich meinem Vortrage die Über- schrift gegeben „Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch“; denn in diesem Satze ist m. E. die moderne Auffassung gegenüber der älteren gekennzeichnet. Die ältere Richtung stellt Mensch und Natur nicht als zwei selbständige Faktoren gegenüber, sondern als Subjekt und Objekt, wobei dem Menschen die Rolle des Objektes zugeteilt wurde. Die Beziehungen zwischen Natur und Mensch wurden wesentlich vom Standpunkte der Natur aus geschildert. Und gerade in dieser so materialistisch anmutenden Auffassung steckt ein gut Stück Mystik. Die Annahme, dass diese eigenartige Erdstelle unbedingt, naturnotwendig diese eigen- artige Kultur hervorbringen müsse, setzt stillschweigend eine andere voraus: den undifferenzierten Menschen. Denn, wenn die tatsächliche Verschiedenheit des Menschen und seiner Kultur nur ein Ergebnis seiner jeweiligen Umwelt ist, so muss die Menschheit mit gleichartigen inneren Anlagen ausgestattet, also undifferenziert sein. Gewiss hat Herder Recht, wenn er die Geschichte eine in Bewegung gesetzte Geographie nennt — aber gerade er und mit ihm die ältere Forschung haben die Bedeutung der „Bewegung“ nicht genügend gewürdigt. Diesem Motive die gebührende Be- achtung errungen zu haben, ist das grosse Verdienst Friedrich Ratzels. Das organische Leben ist in steter Bewegung auf der ruhenden Erdoberfläche begriffen. Den Komplex von Problemen, die sich hieraus ergeben, fasst Ratzel unter dem Namen „Biogno- graphie“ zusammen, von der die „Anthropognographie“ ein Teil ist. Um die Stellung der Biognographie, beziehungsweise Anthropognographie innerhalb der Geographie überhaupt fest- zustellen, müssen wir ein wenig weiter ausgreifen. Die Geographie ist eine Raumwissenschaft — ihr sinn- fälligstes Element ist die Landschaft. Allein sie wäre keine Wissenschaft, wenn sie sich mit der Beschreibung der räumlichen Verschiedenheiten der Landschaft begnügen würde. Erst die Frage nach dem Warum? und Wie? dieser Differenzierungen verleiht ihr den wissenschaftlichen Charakter; die kausale und genetische Betrachtung muss hinzutreten. Sie aber lehrt uns, die räumlichen Erscheinungen als Oberflächenerscheinungen des Erd- balles und als Entwicklungsstadien im Leben der ganzen Erde erkennen. Das Ausgangsfeld der Forschung ist die Erdoberfläche, meinetwegen auch die Landschaft — das letzte Ziel aber ist doch die Erkenntnis der „Erde als eines eigenartigen Natur- körpers (Wagner)“. Man hat die Geographie eine Grenz- und Sammelwissenschaft genannt, manchmal mit einem etwas spöttischen Lächeln. Und doch liegt gerade in dieser Eigenschaft die Möglichkeit in eine zentrale Stellung unter den anderen Wissenschaften zu rücken. Auf dem Boden einer hologäischen Auffassung aller Ober- flächen- und Raumerscheinungen der Erde gelangt die helio- zentrische Auffassung erst zu ihrer wahren Bedeutung. Die hologäische Auffassung ist aber nichts anderes als die Auffassung der Erde als eines Organismus, dessen einzelne Organe teils unmittelbar, teils durch Vermittlung anderer Organe mit einander in ursächlichem Zusammenhange stehen. Es ist heute ein Axiom, dass zwischen der hypothetischen Masse des Erdinneren, der Gesteins-, Wasser- und Luftmasse dieser ursächliche, organische Zusammenhang besteht und es erscheint mir als Binsenwahrheit, ihn auch für die Lebensmasse anzunehmen. Die Aufgabe der Geographie ist also die Schilderung der räumlichen Verbreitung aller Oberflächenerscheinungen der Erde und die Aufdeckung der Ursachen dieser Verteilung. Mit den anorganischen Massen beschäftigt sich die physikalische Geographie, mit den organischen die Biognographie. H. Wagner definiert die Biognographie als die Lehre „von der räumlichen Verteilung der Organismen und von den Ursachen Sitzungsberichte. 171 dieser Verteilung“. Voraus schickt er jedoch einen anderen Satz: „Die Lebensbedingungen, einschliesslich der erdgeschichtlichen Veränderungen dieser Bedingungen schreiben der Verteilung der Organismen die räumlichen Grenzen vor“. In den „erdgeschicht- lichen Veränderungen der Lebensbedingungen“ ist aber auch zugleich die Entwicklung des organischen Lebens enthalten, die von den zwei grossen Motiven „Vererbung“ und „Anpassung“ beein- flusst wird. In dem Worte „Anpassung“ liegt ein Bewegungs- moment. Um sich anpassen zu können, müssen die Orga- nismen an den bestimmten Ort gelangen. Die räumliche Ver- teilung der Organismen setzt also eine Bewegung der Orga- . nismen voraus. Die Erdoberfläche bestimmt die Grösse und Art des Lebensraumes, sie gestattet oder verweigert den einzelnen Organismen die Bewegung und Anpassung. Das Leben ist also „erdgebannt“. Es ist nicht denkbar ohne seine Umwelt, aber auch nicht denkbar ohne seine Bewegungen. Es kann daher die Ursache der räumlichen Differenzierung der organischen Masse nicht aus ihrer heutigen Umwelt allein erschlossen werden; denn Bewegung heisst Veränderung der Umwelt — sei sie auch noch so unbedeutend, sie kann dennoch eine Veränderung der Lebensbedingungen in sich schliessen. (Schluss folgt.) Sitzungsberichte. Biologische Sektion. I. Sitzung des Vereinsjahres 1908/09 am 10. März 1908. Physiologisches Institut, 8'/, Uhr. 1. Vorstandswahlen. Es wurden gewählt: Doz. Dr. W. Wiechowski zum 1. Vorsitzenden. Doz. Dr. R. Kahn zum 2. Vorsitzenden. Dr. V. H. Langhans zum Schriftführer. 2. Dr. Lieben: „Über entoptische Phänomene“ (mit Demonstr.) Der Vortragende gab eine übersichtliche Zusammenstellung der Ursachen der entoptischen Phänomene und der Methoden ihrer Sichtbarmachung. Korpuskuläre Elemente in der Tränen- flüssigkeit, durch Druck entstandene Faltungen der Cornea und 172 Sitzungsberichte. Trübungen der Linse und des Glaskörpers werden sichtbar, wenn starkes Licht parallelstrahlig ins Auge gelangt, wodurch scharf be- grenzte Schatten der Körperchen und Trübungen auf die Netzhaut geworfen werden. Ausser diesen unter dem Namen „mouches volantes“ be- kannten entoptischen Erscheinungen gibt es noch andere, die durch Vorgänge in der Netzhaut selbst hervorgerufen werden. | Die weissen Blutkörperchen in den Netzhautkapillaren, die infolge ihres hohen Fettgehaltes stark lichtbrechend sind, er- scheinen als glänzende Punkte, die sich von einem Zentrum in radiärer Richtung rasch durch das Gesichtsfeld bewegen, wenn man bei entspannter Akkomodation gegen einen hellen Grund (blauer Himmel) blickt. Beim Zudrücken der Halschlagader wird ihre Bewegung sistiert. Die Netzhautgefässe selbst werden als sogenannte „Purki- ‚nyesche Aderfigur“ sichtbar, wenn starkes Licht von der Seite durch die Sklera in das Auge fällt. Die Pupille erscheint in- direkt als sogenannter „blinder Fleck“, dessen Form und Grösse auch auf einer Zeichenfläche dargestellt werden kann (Helmholtz.) Zum Schlusse besprach der Vortragende noch zwei Phä- nomene, welche durch Druck auf den Bulbus hervorgerufen werden. Ein dunkler Fleck im medialen Teile des Gesichts- feldes entsteht durch Druck auf den Bulbus von der Schläfen- seite. Er wird wahrscheinlich durch Anämie der gedrückten Stelle hervorgerufen („Druckphosphän“). Eine andere Erscheinung die ebenfalls durch einen Druck ‘auf den Bulbus hervorgerufen wird, ist eine pulsierende Sternfigur, die den Verzweigungen der Arterien in der Netzhaut entspricht. An der Diskussion beteiligten sich: Dr. Wiechowski, Dr. Waldstein und Dr. Kahn. Dr. Max Löwy (Nervenarzt in Marienbad): „Das Krankheits- bild der überwertigen Idee und die chronische Paranoia“. Der Vortragende zeigt die Begriffsverwirrung in der De- finition und Umgrenzung der Paranoia, schildert Wernickes überwertige Idee, in welcher Wernicke seine psychologischen An- schauungen und Beobachtungen eines Paranoia ähnlichen Krank- heitbildes zusammenfasst. Er bringt Beispiele dieses Krankheitsbildes, des ähnlichen physiologischen Beziehungswahnes (Wernickes) bei Normalen und der echten Paranoia. Seine Ausführungen gipfeln in folgendem Resume: 2 Wir haben im Laufe dieser meiner Feststellungen zu unter- scheiden gelernt: 1. Wernickes sogenannte „überwertige Vorstellungen“, von ihm ebenfalls überwertige Idee genannt, als Folge dominierender rn en n 5. Sitzungsberichte. 173 Affekte etc. Diese fassen wir trotz ungewöhnlicher Erschei- nungen, Selbstmord etc. nicht als Geisteskrankheit auf. 2. Den physiologischen zirkumskripten Beziehungswahn Wernickes bei Gesunden und Nervösen d. i. die Neigung gleich- giltige Ausserungen und Handlungen anderer als auf den Betref- fenden gemünzt, ihm geltend aufzufassen. Dieser Beziehungs- wahn bewegt sich einseitig in der Richtung eines bestimmten, so zu sagen vorgefassten, Gedankenganges. Er wechselt und ver- schwindet rasch, weil er nicht von einem dauernden, auf diesen Gedankengang sich beziehenden, Affekte getragen wird. 3. Das Krankheitsbild der überwertigen Idee. Dieses ist zum Teil anders zu definieren als es von seinem ersten Autor Wernicke gefasst wurde. Gleich diesem führen wir es auf einen affektbetonten Gedankengang als Ausgangspunkt zurück und er- kennen zirkumskripten Beziehungswahn als entscheidendes Merk- mal an. Darüber hinaus aber konnte ich festlegen: a) Das grundlegende Moment ist nicht, wie Wernicke an- nimmt, die Diskrepanz zwischen auslösendem Erlebnis und dem Charakter des Trägers, obzwar sie natürlich bestehen kann; son- dern entscheidend ist der Mangel an Erledigung, Entladung oder Zuendedenken des grundlegenden, auslösenden Affektes bei starkem Drang zur Entladung desselben! Deswegen trifft auch das Krank- heitsbild der überwertigen Idee leichter Menschen mit hoher Affekterregbarkeit, mit Neigung zu intensiven Affekten und mit starkem Drang zur Entladung derselben. b) Dieser Affekt ist primär, d. h. er entspringt, wie sein Beziehungswahn dem gesunden Geistesleben und nicht etwa einem schon wahnhaft veränderten. c) Die Wurzel des Beziehungswahns ist nicht etwa wie Wernicke annimmt, die Selbstwahrnehmung einer Veränderung der Persönlichkeit durch das für den Charakter des Betreffenden unassimilierbare Novum des Erlebnisses, sondern es ist wie beim physiologischen Beziehungswahn wirksam, die „generalisierende Exoprojektion“. D. h. ein den Träger intensiv beschäftigender Gedankengang wird unbesehen, sozusagen unwillkürlich als den Ausserungen und Handlungen der andern, die oft von ihm gar nichts wissen können, zugrunde liegend betrachtet. Dabei kann unterstützend wirken die Neigung zum Kurzzschluss der Asso- ziationen der Autoren d. h. zur intuitiven Konstruktion von Zu- sammenhängen zwischen fernliegenden Dingen, eine Eigenschaft vieler auch gesunder Begabter, und die Neigung zur „transiti- vistischen Exoprojektion“ d. h. zum „den andern schuldgeben“ (die Feder ist schlecht, wenn der Schreiber nichts kann.) Es er- scheint nicht unwichtig aus der Exoprojektion der Autoren (Margulies) die generalisierende herauszuheben — als für den 174 Sitzungsberichte. physiologischen Beziehungswahn und das Krankheitsbild der über- wertigen Idee massgebend. d) Sehr charakteristisch für das Krankheitsbild der über- wertigen Idee ist die Einseitigkeit der Denkrichtung, die Ein- seitigkeit der Affektrichtung und die Einseitigkeit des Beziehungs- wahns; sie beruhen alle auf dem unerledigten Affekt, auf dem Ausbleiben seiner Entladung. e) Das Bestehen des Beziehungswahns stellt das Krank- heitsbild der überwertigen Idee der Paranoia nahe. Ihr Be- ziehungswahn unterscheidet sich aber, wie Wernicke und neuer- dings Heilbronner festgestellt haben. Der Beziehungswahn der Paranoia ist diffus, der des Krankheitsbildes der überwertigen Idee (Heilbronner wählt in seiner Arbeit über Hysterie und Querulantenwahn den letztern als Beispiel) ist zirkumskript. Ich möchte es anders ausdrücken und einiges daraus folgern: Der Beziehungswahn des Krankheitsbildes der überwertigen Idee ist vorgefasst, subjektiv und einseitig dirigiert, er bewegt sich in gerader Richtung, eben in der Richtung des grundlegenden Gedankenganges. Der Beziehungswahn der Paranoia in ihrem Beginne ist diffus und nicht durch einen grundlegenden Gedanken- gang bestimmt, er ist also auch nicht durch „generalisierende Exoprojektion“ entstanden, er ist nicht subjektiv und einseitig, sondern unbefangen (objektiver Beziehungswahn, wie ich es nennen möchte). Im zweiten Stadium der chronischen Paranoia kommt es zur Ausbildung des paranoischen Charakters (kalt, verschlossen, misstrauisch, selbstgewiss und überhebend), falls dieser Charakter nicht von vorneherein besteht. Der paranoische Charakter stellt sich gleichzeitig mit dem Erklärungswahn und Verfolgungswahn ein, wenn den Kranken „die Schuppen von den Augen fallen“, wie Fuhrmann treffend schildert. Der nun weiter zu beobachtende Beziehungswahn und Verfolgungswahn hat den Typus jenes der überwertigen Idee, er ist subjektiv vor- gefasst und einseitig in der Richtung des durch den Erklärungs- wahn gewonnenen Gedankenganges dirigiert. Aber er unter- scheidet sich ebenso wie der Beziehungswahn und Verfolgungs- wahn der Melancholie und anderer Geistesstörungen von dem der überwertigen Idee dadurch, dass er nicht primär entstanden ist, sondern schon einem wahnhaften Vorstadium entspringt. f) Auf Grund dieser meiner Unterscheidung des Krankheits- bildes der überwertigen Idee von der initialen echten Paranoia ergibt sich eine Erleichterung, sozusagen eine Vorarbeit, für die Feststellung der Rolle, welche die Affekte für die Auslösung der echten Paranoia und für ihren Beziehungswahn spielen. Bisher lagen von vornherein einem Teil der als Paranoia angesprochenen Fälle Affekte zugrunde, ebenso ihrem Beziehungswahn, weil diese Sitzungsberichte. 175 Fälle überwertige Ideen sind. Die Frage lautet nunmehr, liegt dem objektiven diffusen Beziehungswahn der echten Paranoia ein Affekt zugrunde oder nicht? Es scheint mir nach einigen Fällen ein Affektzustand für die Entstehung der echten Paranoia mit anfänglichem objektiven Beziehungswahn wirksam — aber erst durch ein Zwischensta- dium. Dieses Zwischenstadium entspricht, wie ich es mir — es sei gleich betont, hypothetisch — zurechtgelegt habe, einer Affekterschöpfung, als Folge einer Affektdurchschüttelung oder eines länger dauernden Affektzustandes. Es ist eine Affektleere, eine Affektausfegung mit Verarmung an sachlichen Leitmotiven, an Anknüpfungspunkten für die Tagesinteressen. Dieses Stadium ähnelt der Katharsis, dem Zustand z. B. nachdem wir ein er- hebendes Schauspiel angehört haben. Auch darnach stellt sich die Anknüpfung an die Tagesinteressen nur langsam ein. Dieses Zwischenstadium in der Paranoia ist, sozusagen, eine „unange- nehme Katharsis“ und entspricht im Effekte dem, was Berze als Apperzeptionsstörung bezeichnet und als Initialsymptom der Para- noia erkannt hat. Aber dieses Initialsymptom entspringt meiner Auffassung nach einem Affektzustand. Zum Beziehungswahn der Paranoia führt, wie schon Margulies betont hat, die unbestimmte Erwartung und Spannung etc. Dieses Moment ist meiner Auf- fassung nach die unangenehme Komponente bei der Katharsis ‚der Paranoia, bei der Affektausfegung mit Gedankenleere, welch letztere nicht selten geklagt wird. 9) Die Abgrenzung der Fälle von Hebephrenie mit schein-' bar echter paranoischer Entwicklung und jener Fälle von De- mentia praecox, welche sowohl subjektiv dirigierten einseitigen Beziehungswahn, wie auch objektiven diffusen Beziehungswahn zeigen, muss vorläufig offen bleiben. (Heilbronner ist geneigt, diese Dementiaparanoidesfälle vorläufig zur Paranoiagruppe zu rechnen.) h) Das Krankheitsbild der überwertigen Idee steht in seinem Verlauf — es kann auch zu einem sehr ausgebreiteten Wahn- system führen — der Paranoia nahe, in seiner Grundlage und seinem Wesen nach jedoch den Neurosen und dem neuropathi- schen Charakter. (Vgl. oben die Affekterregbarkeit, Neigung zu intensiven Affekten und den starken Drang nach Entladung der Affekte bei den Trägern des Krankheitsbildes der überwertigen Idee.) ö ‚Die Verwandtschaft mit den Neurosen hat Heilbronner vor kurzem bezüglich des Querulantenwahns als einer Form der überwertigen Idee festgelegt. Friedmann hat 1894 in seinem Buche über den Wahn dies von der Paranoia überhaupt be- hauptet; auch französische Autoren weisen auf die Beziehungen 176 Sitzungsberichte. zwischen Paranoia und Neurasthenie hin. Diese Frage wird erst mit’ Sicherheit zu studieren sein, wenn wir, wie ich hier ver- sucht, die echte Paranoia und das Krankheitsbild der überwer- tigen Idee scharf trennen, nachdem das Krankheitsbild der überwertigen Idee, wie ich es hier getan, scharf von den über- wertigen Vorstellungen geschieden und in seiner Wurzel richtig erkannt ist. ‘) Die Wurzel des Krankheitsbildes der überwertigen Idee ist der unerledigte Affekt. Darin liegt eine Verwandtschaft mit dem Konversions-Hypnoid und der Retentionshysterie von Breuer und Freud, Symbolhysterie möchte ich es in ihrem Sinne nennen, hysterische Symptome als Folge eines affektbetonten Gedanken- ganges, mit dem das gesunde Geistesleben nicht fertig werden kann und den es in körperlichen oder geistigen Krankheitser- scheinungen symbolisiert, in diese konvertiert. Der Konversions- hysterie fehlt natürlich der einseitige dauernde Beziehungswahn, auch bestehen noch andere Unterschiede, vor allem wirkt bei Freuds Hysterie der auslösende Affekt ohne den ihm zugrunde- liegenden Gedankengang fort; — dieser Gedankengang ist schein- bar vergessen, der Affekt wird an anderes angeknüpft, „über- tragen“. Beim Krankheitsbilde der überwertigen Idee wirkt der unerledigte Affekt gerade durch seinen Gedankengang, diesen im Bewusstsein erhaltend. 3) Vom Krankheitsbilde der überwertigen Idee unterscheidet sich der physiologische Beziehungswahn durch den Mangel eines ‘ dauernden, Richtung gebenden Affektes, durch den Mangel der Einseitigkeit der Denk- und Affektrichtung und durch den Mangel eines unerledigten Affektes. Hierher gehören auch die Beziehungsideen gewisser nörgelnder, querulierender, egozen- trischer Charaktere, welche alles vom Standpunkte betrachten, „was nützt es mir, was bedeutet es mir“, denen ihrem Gefühl - nach alles gehört, deren Unsachlichkeit und Unbilligkeit sie leicht zu physiologischen Beziehungs- und Beeinträchtigungsideen, aber ohne Einseitigkeit der Denkrichtung und Affektrichtung kommen lässt. 4 k) Es gibt bei Verschrobenen, Überspannten, eine schein- bar der überwertigen Idee nahestehende Einseitigkeit der Denk- richtung mit Konstruktion von Weltanschauungen oder grossen Reformideen, mit Sonderlingsgewohnheiten — alles aus ganz kleinem, persönlichem und zufälligem Anlass entsprungen. Vgl. in „Auch Einer“ von Vischer den Helden, der einen katarrha- lischen, gemischt katarrhalischen und Frostbeulenbaustil unter- scheidet, weil er zu Erkältungen neigt. Diese einseitige Ver- schrobenheit, soweit sie nicht einer echten Paranoia entspricht, möchte ich als „Monoideismus“ zusammenfassen. Pe Sitzungsberichte. 177 Zum Monoideismus gehört auch jene Erscheinung, welche A. Cramer mit dem hysterischen Ubelnehmen zur hysterischen Paranoia zusammengefasst hat — die „hysterischen Wohltäte- rinnen“. Das sind Frauen, welche sich, ihren Haushalt und ihre Familie zugrunde richten, um bei Wohltätigkeitsveranstal- tungen zu glänzen. Dem Monoideismus fehlt die dauernde Dirigierung durch einen grundlegenden Affekt ; selbst wenn etwa zufällig ein affekt- betontes Erlebnis den Stein ins Rollen gebracht hat und zum Ausgangspunkt der einseitigen Theoreme etc. geworden ist, so besteht doch kein unerledigter Affekt als Ursache des Monoide- ismus und kein Beziehungswahn im deutlichen Gegensatz zur überwertigen Idee. 4. Ich unterscheide also 1. den physiologischen Beziehungs- wahn, 2. das Krankheitsbild der überwertigen Idee mit subjektiv vorgefasstem, einseitig dirigiertem Beziehungswahn und 3. die echte Paranoia mit diffusem objektivem Beziehungswahn von einan- der. Weiter 4. die Symbolhysterie und 5. den Monoideismus vom Krankheitsbild der überwertigen Idee. Auf diesem Wege war es möglich durch Scheidung des psychologischen Begriffes Wernickes, genannt überwertige Idee, vom Krankheitsbilde der überwertigen Idee, d. h. von Wernickes sogenannter zirkumskripter Autopsychose das Krankheitsbild der überwertigen Idee von der echten Paranoia schärfer abzugrenzen. Vielleicht gelingt es dadurch in das wirre Dickicht der jetzigen Paranoialehre eine kleine Bresche zu legen, um endlich einige Schritte auf dem Wege zur Klarstellung der Paranoia vorzudringen. II. Sitzung am 17. März 1908. Kinderklinik, 8'/, Uhr. Dr. Moll: „Zur Frage. der Eiweissimmunität und Tropho- lyse beim jungen Organismus.“ Versuche über die Eiweissimmunität ergaben, dass der junge Organismus, der keine oder nur sehr wenige Antikörper bildet, gegen artfremdes Eiweiss resistenter ist, als der erwachsene. Die Schädlichkeit der „artfremden“ Eiweissnahrung muss in an- deren Momenten liegen, als in der Artfremdheit. Die von Pfaundler aufgestellte Hypothese der Tropholyse wurde mittels eigens präparierter Sera geprüft und konnte bisher nur relativ bestätigt werden. Diskussion: Prof. Fischl, Prof. Raudnitz, Dr. Weil und Dr. Wiechowski. 178 Sitzungsberichte. III. Sitzung am 31. März 1908. Hygienisches Institut, 8'/, Uhr. 1. Prof. Dr. Raudnitz: „Über Parakaseinbildung.“ Der Vortragende wies darauf hin, zu welchen Fehlschlüssen es führte, dass bei den Versuchen über die Labwirkung immer Milch und nicht Kaseinalkalilösung benützt wurde. Er verfolgte gesondert den Vorgang der Parakaseinbildung, indem er Kaseinalka- lilösung im Kjeldahlkolben der Labwirkung aussetzte, dann kochte und mit ausgeprobten Mengen CaCl, versetzte, zentrifugierte und den Stickstoff des Rückstandes bestimmte. Für die Beziehung zwischen Parakasein und Labmenge ergibt sich, wie bei allen verdauenden Enzymen eine direkte Proportionalität; dagegen dürfte der Reaktionsverlauf einer komplizierteren Kurve ent- sprechen. Diskussion: Dr. Moll, Dr. Wiechowski, Prof. Raudnitz. 2. Dr. Weil referiert über die Einwände Sigels gegen Spirochaeta pallida. Bücherbesprechungen. Max Verworn, Die Mechanik des Geisteslebens. 200. Bändchen „Aus Natur und Geisteswelt“. Sammlung wissen - schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig. 1907. Preis 1 Mark. Für Verworn ist die Grundlage der Geistestätigkeit nichts anderes als ein überaus feines nach bestimmten Regeln geordnetes Getriebe von Reizwirkungen der Elemente des Nervensystems. 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Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“, — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski, Druck von Carl Bellmann in Prag. JOH. RRUSICH, Universitätsmech, Kurort Teplitz-Schönau, Böhmen, l.. Albertstr. 5. heilt Gicht, Rheumatismus, "Neural gien, Bellen konzessioniertes Geienksteifigkeiten, Exsudate etc. Ärzte elektrotechnisches Installations-Bureau, und deren Familien befreit von Kur- und medizin, u. physikal. Apparate. Elektr, Musiktaxe, erhalten freie Bäder. Saison Einrichtungen für Laboratorien u. Mittel- ganzjährig. schulen. Projektions - Apparate, Klein- Alkalisch-salinische Therme von 26° bis motoren, Zentrifugen etc. Apparate für 46°25°C. hoher Radioaktivität, Thermal-, Planktonuntersuchung. Lupe für beide Douche-, Moor-, elektr. Licht-, Zwei- u. Augen nach Doz. Dr. Ulbrich. Vierzellen - Bäder, Kohlensäure - Bäder, Projekte und Uberschläge gratis. Fango-Mechanotherapie. ? Jos. Oppel's Neite R. u. R. 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Auch er ist ein Produkt der Vererbung und der durch die Bewegung erzwungenen Anpassung. Auch er reagiert auf Einflüsse der Natur, nicht nur physiologisch, sondern vor allem psychologisch, kraft seiner Willensfreiheit selbständig. Ich wage in dem Streite zwischen Mechanisten und Neo- Vitalisten hinsichtlich der Reaktion der aussermenschlichen Or- ganismen nicht Stellung zu nehmen, glaube aber für den Men- schen diese „Willensfreiheit* in Anspruch nehmen zu dürfen. Allerdings ist sie keine absolute, sondern nur eine relative. Ratzel hat auch hier den unfehlbaren geographischen Instinkt bewiesen, der ihn auszeichnet: „Mensch und Volk haben freien Willen — aber dieser Willen muss überall, wo er sich in Taten umsetzt, mit den irdischen Daseinsbedingungen rechnen, die ihn einschränken“. Die „Tat“ ist das für den Geographen Entschei- dende, weil er von dem sinnfälligen Elemente der Geographie, von der Landschaft, von der Erdoberfläche ausgehen muss. Von hier aus vermag er erst zur geographischen Betrachtung des höheren geistigen Lebens aufzusteigen. Die Willensfreiheit kommt also für den Geographen nur insoweit in Betracht, als der Wille die „Tat“ gebiert. Hettner hat den Kern des Problems erfasst, als er den Satz prägte: „Neben die physikalisch-chemische und die physio- logische Reaktion auf Reize treten die Beeinflussungen der Psyche und die bewusste Reaktion des Willens auf die von der 14 Lu De ET A a BEE A a FE a a hr a x a a nn. 2 ’ 180 Franz Jesser: Natur ausgehenden Motive“. Und an anderer Stelle: „Der wol- lende und handelnde Mensch tritt in den Mittelpunkt der Be- trachtung“. Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, gelangt Schlüter zu einem wesentlich gleichen Resultate: „Der Mensch hat Eigenenergie und wirkt als Kraft neben den Naturkräften“. Alle menschlichen Erscheinungen sind die Ergebnisse von Taten, von Handlungen, d. h. von Eingriffen des Menschen in die Natur. Das Mass und die Art dieser Eingriffe ist nicht nur abhängig von dem, was ich die natürliche Ausstattung einer Erdstelle nennen möchte, sondern auch von den „inneren“ An- lagen des Menschen, von seiner „geistigen Ausstattung“. Der Schluss ist daher wohl statthaft: Das Mass der relativen Willens- freiheit ist gegeben durch das Mass der geistigen Ausstattung. Motive der Natur und Eingriffe in die Natur stehen mit in Wechselbeziehung. Zu den psychischen Reaktionen treten noch die physikalisch-chemischen und die physiologischen, so dass wir sagen können: Die Ergebnisse der Wechselbeziehungen zwischen Natur und Mensch sind der räumlich differenzierte Mensch und die räumlich differenzierten menschlichen Erschei- nungen auf der nach ihrer natürlichen Ausstattung räumlich differenzierten Erdoberfläche. Hettner definiert die Anthropogeographie also: „Die Geo- 'graphie des Menschen ist die Wissenschaft von der verschie- denen Ausbildung der Menschheit und ihrer Kultur in den ver- schiedenen Erdräumen ..... Diese beiden Verschiedenheiten stehen in ursächlichem Zusammenhange“. Es liegt klar zu Tage, dass je nach dem Zusammentreffen verschiedenartiger, natürlicher und geistiger Ausstattung sich ‘die mannigfaltigsten Abstufungen und Arten der beiderseitigen "Beziehungen ergeben werden. Eine ärmliche natürliche Ausstat- tung bietet einem geistig hochstehenden Volke zahlreichere Lebensmöglichkeiten als einem tiefstehenden. | Je grösser die geistige Ausstattung, desto grösser die In- tensität der- Ausnützung der natürlichen Ausstattung, desto in- niger aber auch die Verbindung mit dem Boden. Ratzel drückt diesen Gedanken in folgendem Satze aus: „Der Unterschied zwischen Natur- und Kulturvolk liegt nicht in dem Grade, son- dern in der Art des Zusammenhanges mit der Natur. Die Kultur ist Naturfreiheit nicht in dem Sinne der Loslösung, sondern in dem der vielfältigeren, weiteren und breiteren Verbindung“. Mit der wachsenden Kultur ändert: sich also die Art der Be- ziehungen zwischen Natur und Mensch. Es gibt daher keinen ‚Canon für das Mass und die Art dieser Wechselbeziehungen, wie ihn vielfach die älteren Anthropogeographen aufzustellen versuchten. Die Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch, 181 Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass der gegen- wärtige Zustand nur eine Phase der Entwicklung ist, nur ein Glied einer endlosen kausalen Kette. Alles ist im Flusse, weil alles Leben Bewegung und Entwicklung ist. Sehr oft sind die Motive der Natur, die einst wirksam waren, verschwunden — aber die Handlungen, die sie einst hervorgerufen haben, waren das Motiv zu neuen Handlungen. „Mit dem Wandern der Völker und der Menschen wandern auch die einmal em- pfangenen Motive“ (Ratzel). Sie kommen in eine neue Umwelt und können nicht selten andere Handlungen hervorrufen, als sie in ihrer alten Umwelt ausgelöst hätten. Es wird daher wohl unendlich selten möglich sein, unmittelbare, subtilere Beziehungen zwischen Natur und Kultur einer Erdstelle aufzudecken. Die Verbindungsglieder sind meist wiederum menschliche Erschei- nungen. Ratzel sagt: „Die meisten Wirkungen der Natur auf das höhere geistige Leben vollziehen sich durch das Medium der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse“. Die Menschen- geographie zeigt so recht den dualistischen Charakter der Geo- graphie überhaupt. Sie ist eine Raumwissenschaft, die das räumliche Nebeneinander mit dem zeitlichen Nacheinander in Verbindung setzen muss. Ich kann mir nicht versagen, hiefür ein drastisches Beispiel aus unserer engeren Heimat anzuführen. In dem Marktflecken Reichenau bei Gablonz und einigen Orten seiner Umgebung blüht eine eigenartige Hausindustrie — die Bildermalerei. Auf welches Motiv der Natur ist diese wirt- schaftliche Handlung zurückzuführen ? In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts herrschte dort eine andere Hausindustrie — die Hoizdosenerzeugung, die ihre Begründung ausser anderen hier nicht näher zu erörternden Einzelheiten vor allem in dem Holzreichtum des Isergebirges findet. Um die Dosen verkaufs- fähiger zu machen, wurden sie mit Bildchen bemalt. Der Niedergang der ursprünglichen Industrie führte zur Entstehung der modernen — die Nebentechnik entwickelte sich zu einem selbständigen Erwerbszweige. Solcher Beispiele liessen sich zahllose aus unserer deutschböhmischen Heimat anführen. Jede antbropogeographische Untersuchung der wirtschaft- lichen, gesellschaftlichen, politischen und geistigen Zustände landet zuletzt doch immer auf dem Boden der Erde. Es gilt nicht nur das Wort Kirchhoffs: „Es gibt Wahlverwandtschaften - zwischen dem Volke und seiner Heimat“ — es gilt viel mehr auch der Satz Ratzels: „Die ganze Geschichte der Menschheit ist Entwickelung auf der Erde und mit der Erde, nicht bloss passives Zugegensein, sondern Mitleben, Mitleiden, Mitfort- schreiten und Mitaltern“.- Die Anthropogeographie entnimmt ihr Material scheinbar 14* 182 -Franz Jesser: disparaten Forschungsgebieten und erbaut aus ihm ein neues Lehrgebäude — die Wissenschaft von der Art, den Ursachen und dem Werden der räumlichen Verschiedenheit der Mensch- heit und ihrer Kultur. Die eben gegebenen Auseinandersetzungen theoretischer Natur gestatten uns auch schon die grossen Umrisse und die Gliederung des Stoffes zu markieren. Die Geographie des Men- schen befasst sich mit allen physiologischen, wirtschaftlichen, ge- sellschaftlichen, politischen und geistigen Erscheinungen. Wenn wir diesen verschiedenen Reaktionen auf Motive der Natur in einer systematischen Darstellung gesonderte Kapitel widmen müssten, so dürfen wir nie ausser Acht lassen, dass für alle diese menschlichen Handlungen das Wort von den „Wechsel- beziehungen“ unter einander in noch höherem Masse gilt als von dem Menschen und der Natur. Die Systematik der Anthropogeographie liegt noch sehr im Argen. Ratzel hat uns eine systematische Darstellung seiner Anschauungen nicht hinterlassen — H. Wagners Darstellung in seinem bekannten Lehrbuche entspricht dem Zwecke des Buches vollkommen, lässt jedoch die inneren Zusammenhänge der ein- zelnen Kapitel nicht scharf genug hervortreten. Eine systematische Darstellung muss theoretisch von den räumlichen Verschiedenheiten des Menschen ausgehen — prak- tisch aber kann sie dieses einleitenden Kapitels entbehren, da sie diese Tatsache der Differenzierung als bekannt voraussetzen kann. Sie kann sofort mit einer allgemeinen Schilderung des Lebensraumes der Menschheit beginnen. Aber schon bei der Schilderung der orographischen, hydrographischen und atmo- sphärischen Verschiedenheiten, noch mehr aber der des Pflanzen- und Tierlebens müssen die von dem Menschen beeinflussten Ver- änderungen nachdrücklich hervorgehoben werden. Es müsste nun aus dieser allgemeinen Schilderung des Lebensraumes der Begriff des Raumes, der Lage und der Be- wegung entwickelt werden. Aus all dem ergibt sich der um- fassendere Begriff der „natürlichen Ausstattung“ des Lebens- raumes. Die Verschiedenheit dieser natürlichen Ausstattung bewirkt mit der Verschiedenheit der geistigen Ausstattung die Differen- zierung der Menschheit und aller menschlichen Erscheinungen. Das ursprüngstlichste Motiv der Natur ist das physiologische der Lebensmöglichkeit, in der auch das der Fortpflanzungsmöglich- keit steckt. Es scheidet sich die Okumene von der Anökumene mit den zahlreichen Zwischengliedern und Übergängen. In den erdgeschichtlichen Veränderungen der Verteilung von Wasser und Land und des Klimas liegen anscheinend die 9 x Die Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch. 183 ersten Ursachen der Rassenbildung. Die Rassenbildung setzt wohl die Isolierung der einzelnen Lebensräume voraus. Aus dem Wachstume der Menschheit resultiert ihre räum- liche Ausbreitung, also eine Bewegung, deren Richtung und Mass bestimmt wird durch die verschiedene natürliche Ausstat- tung sowie durch Gegenbewegungen. Es entsteht der Kampf um den Raum, der zugleich sei es durch Vermischung in den Übergangsgebieten, sei es durch Durchdringung und Zersetzung zur weiteren physiologischen und psychischen Banane der Menschheit führt. Die ursprünglichste psychische Reaktion auf ein eh tiv ist die Wirtschaft, d. h. das Eingreifen in die Natur zur Beschaffung der materiellen Bedürfnisse. Je nach der geistigen Ausstattung des Menschen ist dieser Eingriff ein verschiedener, Es entstehen Wirtschaftsstufen, die in letzter Linie von den von der natürlichen Ausstattung hervorgerufenen oder zugelassenen Wirtschaftsformen abhängen. Die Formen der Wirtschaft rufen die ursprünglichsten Formen der Siedelung bervor. Mit der Ausnützung der natür- lichen Ausstattung, also mit den Wirtschaitsstufen wächst die Dauerhaftigkeit und Dichte der Siedelungen. Infolge der Differenzierung der natürlichen Ausstattung der einzelnen Erdräume entsteht der Verkehr in allen seinen Arten. Die Intensität des Verkehrs hängt ab von den Qualitätsstufen der Wirtschaft und der hievon bedingten Siedelungsdichte. Die Wirtschaftsformen führen zur Entstehung sozialer Organisationen, vor allem zur Herausbildung der Berufe. Mit der Intensität der Wirtschaft wächst die Differenzierung der Berufe. Aus dem Kampfe um den Raum entstehen die ursprüng- lichsten politischen Organisationen. Die politische Grenze im allgemeinsten Sinne ist der Ausdruck des augenblicklichen Still- standes der Bewegung. Die Stärke und die Form der politischen Organisationen ist bedingt durch die natürliche Ausstattung, durch die Dichte der Bevölkerung, durch die Formen und Stufen der Wirtschaft und der sozialen Organisationen. All diese Differenzierungen sind gefolgt oder begleitet von den Differenzierungen der religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Kultur. In einem kurzen Satze fasst Ratzel das Wesen der Anthropo- geographie zusammen: „Die ganze Weltgeschichte ist ein ununter- brochener Prozess der Differenzierung geworden. Zuerst ent- stand der Unterschied zwischen ökumenischen und anökumeni- schen Gebieten; und innerhalb der Ökumene wirkten dann die Unterschiede der Zonen, der Erdteile, der Meere, Gebirge, Ebenen, Steppen, Wüsten, Wälder und tausenderlei Einzelformen 184 Prof. Dr. A. Nestler: und Vereinigungen dieser Elemente. Dadurch wurden jene Unterschiede erst möglich, die zuerst in der Sonderung sich aus- bilden mussten, ehe sie auf einander wirken und ursprüngliche Eigenschaften des Menschen günstig oder ungünstig abwandeln konnten. Was uns die Völker an Rassen- und Kulturunter- schieden, die Staaten an Machtunterschieden zeigen, das ist in letzter Instanz auf Differenzierungsprozesse durch Abweichungen der Lage, des Klimas, des Bodens zurückzuführen“. Das Arbeitsgebiet der Anthropogeographie ist ein überaus grosses — um so mehr tut streng methodische Kleinarbeit not, da wir sonst Gefahr laufen in den Fehler der älteren Richtung zu fallen; in den Fehler einer nicht selten uferlosen Spekulation. Die Anthropogeographie darf über der Arbeit mit dem Teleskop die Arbeit mit dem Mikroskop nicht vernachlässigen. Über ‚‚hautreizende‘“‘ Pflanzen. Von Prof. Dr. A. Nestler. Von Zeit zu Zeit hört man immer wieder von Pflanzen, die bisher als vollständig harmlos galten und auf einmal durch einen einzigen Fall einer Infektion als hautreizend bezeichnet werden. Derartige Berichte gelangen in die periodischen Zeit- schriften, von hier in die Handbücher über Intoxikationen und können nun, falls sie sich auch später als irrtümlich heraus- stellen, nur schwer oder gar nicht mehr ausgemerzt werden. So lange bei solchen Pflanzen nicht durch einwandfreie Experi- mente eine hautreizende Wirkung nachgewiesen worden ist, lässt sich auch nichts Sicheres behaupten. —- Gerade in solchen Fällen spielt der bekannte Fehlschluss „post hoc ergo propter hoc“ gewiss eine grosse Rolle. So berichtete Dreyer ') 1906, dass er „bei einem Mädchen eine Dermatitis beobachtet habe, wobei besonders die Hände und das Gesicht befallen waren. Ebenso litten andere Personen des betreffenden Hauses. Die Krankeit war angeblich beim Auf- suchen von Früchten der Sonnenblume erworben worden. Nach- dem die Beschäftigung mit den Sonnenblumen aufhörte, trat auch Heilung ein.“ Nach diesem einzigen Falle wurden die Früchte von He- lianthus annuus L. als hautreizend bezeichnet. ı) Nach einem Referat in „Pharmaz. Post, 1906 Nr. 23.“ Über „hautreizende* Pflanzen. 185 Veranlasst durch diesen Bericht habe ich die Früchte unserer Sonnenblume einer genauen Untersuchung unterzogen und viele Versuche bezüglich einer hautreizenden Wirkung an mehreren Personen angestellt — durchwegs mit negativem Erfolge. Auf der Epidermis der Fruchtwand befinden sich in grosser Menge konische Doppeltrichome, die bis auf einen kurzen Teil der Spitzen mit einander verwachsen sind; in der Regel ist der eine Teil dieser Zwillinge einzellig, der andere zweizellig, nämlich mit einer kurzen Basalzelle versehen; bei manchen Doppelhaaren fehlt die Basalzelle, so dass beide einzellig sind. Als Inhalt sind bei Haaren der reifen Frucht spärliche Protoplasmareste und bisweilen ein Zellkern zu sehen. Zwischen diesen Haaren sitzen in der Regel Pollenkörner von der bekannten Form. — Die Trichome sind nicht verkieselt, von weicher Beschaffenheit, daher an eine mechanische Einwirkung derselben nicht zu denken ist. Es wurden nun Stücke der Fruchthaut und ganze Früchte längere Zeit — in der Regel 5 Stunden — mit einem Gummi- bande auf empfindlichen Hautstellen festgehalten, ferner eine bestimmte Hautstelle öfters mit Früchten eingerieben — ohne Erfolg. Um möglicherweise eine grössere Menge der wirksamen Substanz zu erhalten, wurde eine Anzahl von Früchten mit Ather übergossen, der Ather filtriert und das Filtrat bei Zimmer- temperatur zur Verdunstung gebracht: es zeigte sich ein starker, weisser Rückstand, bestehend aus stabförmigen Prismen und Nadeln, einzeln und in Aggregaten. Die mikrochemischen Eigen- schaften lassen auf ein Wachs schliessen, das die Aussenseite der Früchte bedeckt. Von diesen Kristallbildungen wurde nun eine grössere Menge auf die Haut gebracht, jedoch ohne Erfolg. Unter Berücksichtigung dieser Experimente und der bisher gemachten Erfahrungen kann man wohl behaupten, dass die Früchte der Sonnenblume nicht hautreizend sind. — Leider wurde es in dem Falle, von welchem Dreyer berichtet, versäumt, di- rekte Versuche anzustellen; denn es wäre ja denkbar, dass ein- mal unter abnormen Verhältnissen an der Aussenseite der m. der Sonnenblume sich eine hautreizende Substanz aus- ildet. Anders liegen die Verhältnisse bei unserem Efeu, Hedera helix L., obwohl auch hier noch nicht alles klar ist. Es ist sicher, dass der Genuss der Beeren starkes Erbrechen und Durch- fall veranlasst. Nach Lewin) sollen durch diese Früchte, deren 2) L. Lewin. Lehrbuch der Toxikologie 1897. S. 306. a a 5 1 Ur a, WERDE: 186 Prof. Dr. A. Nestler: Fleisch giftig ist, Kinder getötet worden sein, Das giftige Prinzip ist meines Wissens nicht näher bekannt. Kober ?). sagt, dass sowohl die Beeren, als auch die Blätter und Stengel nicht allein auf Magen und Darm, sondern auch äusserlich analog dem Rhus Toxikodendron giftig einwirken können; allerdings sollen einzelne Menschen dieser äusserlichen Wirkung gegenüber immun sein. > Wenn man bedenkt, dass der Efeu ausserordentlich häufig sowohl im Freien als auch im Zimmer kultiviert wird und zu den beliebtesten Kranzstoffen gehört, so muss man sich mit Recht wundern, dass bei uns meines Wissens niemals Hauter- krankungen durch diese Pflanze vorkommen. “Um so mehr interessierte mich ein Bericht, den mir Dr. Zinsser in Köln a. Rh. freundlichst zukommen liess. Er schrieb am 18./11. 07: „Vor mehreren Jahren konsultierte mich eine junge Dame wegen eines eigentümlichen Erythems an beiden Vorderarmen, namentlich an den Beugeseiten. Die Ur- sache war unbekannt. Als ich nach eventuellen pflanzlichen Reizen forschte, erfuhr ich, dass sie am Tage, an dem abends der Ausschlag sich bemerkbar machte, fleissig im Garten ge- arbeitet und mehrere Bündel Efeu mit blossen Armen davonge- tragen hatte. Darauf erteilte ich ihr den Rat, im Umgange mit Efeu vorsichtig zu sein. Die Dame blieb nun auch vollständig verschont, bis sie mehrere Monate später wieder mit Efeu in Berührung kam. Die näheren Umstände sind ganz interessant. Die Dame schnitt Rosen, die in einem mit Efeu umzogenen Beete standen. Dabei fiel ihr die Gartenschere hin und wurde mit der rechten Hand aus dem Efeu hervorgesucht. An dem- selben Abend trat an dieser Hand und dem Arme, der bei jener Gartenarbeit entblösst war, wieder ein Erythem auf. Seitdem sind Rückfälle nicht beobachtet worden, da die Dame die Gartenarbeiten vollkommen aufgegeben hat.“ Leider konnte die Dame nicht veranlasst werden, direkte Versuche mit dem Efeu an sich anstellen zu lassen. Ich habe nun mit demselben Efeu, von dem mir eine An- zahl beblätterter Zweige zugeschickt wurde, die verschiedensten Versuche an mir selbst ausgeführt, durchwegs mit negativem Erfolg: Einreiben empfindlicher Hautstellen mit Blättern und Stengeln, Auflegen der Blätter und der Abdampfrückstände nach Fxtrahierung von Blättern und Stengelteilen mit Ather, Alkohol und Wasser. Man kann aus allen diesen Erfahrungen und Versuchen nur das schliessen, dass möglicher Weise unser Efeu ganz ver- °) R. Kober. Lehrbuch der Intoxikationen. 1906, II. I., S. 567. % T PEN 1 BF 07: aba ee ERST Bone Bl ERRANG Tr Über „hautreizende“ Pflanzen. 187 einzelt und zwar schon durch blosse Berührung hautreizend wirken kann. Besser sind unsere Kenntnisse von der hautrei- zenden Wirkung des Cypripedium spectabile Sw., einer nord- amerikanischen Orchidee, die in ihrer Heimat öfters in Gärten, bei uns jedoch meines Wissens nur ab u. zu in Treibhäusern kultiviert wird. Sowohl nach den gemachten Erfahrungen zufälliger Infek- tionen als auch nach direkt angestellten Versuchen ist nicht. daran zu zweifeln, dass diese Pflanze auf der Aussenseite ihrer oberirdischen Organe ein Hautgift besitzt, das eine sehr heftige Dermatitis hervorrufen kann, wenn man dafür empfänglich ist; seine hautreizende Substanz soll angeblich gleich oder ähnlich dem Hautgifte von Primula obconica Hance und Pr. sinensis L. wirken. Da ich seinerzeit als das Hautgift dieser Primeln das Sekret der Drüsenhaare nachgewiesen, seine Wirkungen und Eigenschaften, namentlich die leichte Isolierung der wirksamen Substanz durch Sublimation festgestellt hatte, war es mir von Interesse, zu erfahren, ob dasselbe Hautgift auch bei jenem Cy- pripedium vorhanden sei. | Ohne hier auf Einzelheiten näher einzugehen*), will ich nur kurz das Bemerkenswerteste meiner Untersuchungen hervor- heben. Analog den Primeln wird auch bei. spectabile die giftige Sub- stanz von Drüsenhaaren erzeugt, die neben konischen Trichomen den Stengel, die Blätter und den Fruchtknoten bedecken. Das Sekret dieser Haare zeigt andere mikrochemische Eigenschaften, als das der Giftprimeln.. Während hier die hautreizende Substanz leicht und in schönen Formen auskristallisiert, ist das Sekret von C, spectabile eine ölartige, niemals Kristalle bildende Sub- stanz, die neben anderen Eigenschaften sehr leicht Farbstoffe (Lackmus, Anilinblau, Safranin, Methylgrün etc.) speichert und bei Zusatz von 0'2°/, Kalilauge sehr schöne Myelinformen bildet. Eine besonders auffallende Reaktion ist folgende: Fügt man zu Sekretmassen, die man durch sanfte Be- - rührung eines Objektträgers mit einem Blatte oder dem Stengel leicht in grosser Menge erhält, käufliches Ammoniak hinzu, das mit der gleichen Menge Wasser verdünnt ist, so werden sie nach einiger Zeit karminrot bis violettrot. Diese auffallende Reaktion, welche an die der Chinone (Nucin, Chrysophansäure etc.) erin- .nert, ist möglicherweise identisch mit jener, die Molisch °) bei ı) Näheres darüber in: A. Nestler. Das Sekret der Drüsenhaare der Gattung Cypripedium etc: Berichte der Deutsch. bot. Ges. 1907. H. 10. 5) H. Molisch, Studien über den Milchsaft und Schleimsaft der Pflanzen. 1901. 8. 69. 15 183 Prof. Dr. A. Nestler: Über „hautreizende“ Pflanzen. einigen Milchsäften beobachtet hat. — Es ist unmöglich, aus den genannten mikrochemischen Reaktionen einen Schluss auf die Substanz des Sekretes zu ziehen; nur aus der Eignung der- selben zu Myelinformen kann man folgern, dass sehr wahr- scheinlich Ölsäure in ihr vorhanden ist. Mac Dougal°) ist der Ansicht, dass möglicherweise das Hautgift von Rhus toxicoden- dron — nach Pfaff Toxicodendrol — mit dem Cypripediumgift iden- tisch sei. . Dass diese Ansicht nicht richtig ist, geht schon aus der physiologischen Wirkung der beiden Gifte bei ein und der- selben Person hervor: Dr. Kunze teilte mit, dass ihm, obwohl er für Rhus sehr empfindlich sei, Cypripedium absolut nicht schade; dagegen konnte ein Student Jahre hindurch ungestraft mit Rhus arbeiten, wurde aber heftig infiziert, als er eine grosse Anzahl von Cypripedium gepflückt hatte. Eine vollständige, chemische Analyse, die für das Sekret von Primula obconica insofern durchführbar wäre, da man mit Leichtigkeit Hunderte von Primelpflanzen erhalten und die giftige Substanz nach dem von mir angegebenen Verfahren ohne Mühe sammeln könnte, ist für Cypripedium spectabile wohl schwie- riger durchführbar, weil das notwendige Pflanzenmaterial in grösserer Menge nicht so leicht zu beschaffen wäre. Was die Wirkung des Cypripedium-Hautgiftes anbelangt, so ist darüber ausser einer kurzen Angabe über starke An- schwellung des infizierten Organes und Rötung der infizierten Stelle nichts bekannt. Da dieses Gift bei den an mir selbst vor- genommenen Versuchen nur verhältnismässig schwach wirkte — Rötung der infizierten Hautstelle und Bläschenbildung — kann ich auch nichts Weiteres darüber mitteilen. Jedenfalls sind die meisten Personen diesbezüglich immun. Nach Mac Dougal sollen auch C. pubescens Willd. und C. parviflorum Salisb. in derselben Weise, wie C. spectabile hautreizend sein. Die Versuche, die ich mit diesen Pflanzen an mir selbst ausführte, waren erfolglos, womit nicht gesagt sein soll, dass hier das Sekret, das in seinen wesentlichen Eigen- schaften mit dem von C. spectabile übereinstimmt, keine haut- reizende Wirkung haben könnte. 6, D. T. Mac Dougal. Poisonous influence of various species of Cypri- pedium, Minesota botanical studies. 1894. S. 451. . ‚sn DT ter x r a N Eur RE a HER x BR". Vz 189 Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. Von Dr. Adalbert Liebus. Ergänzung der Wanderung I. Prag—Kuchelbad. (Mit 1 Figur im Texte). In Nr. 3 dieser Zeitschrift vom Jahre 1907 besprach ich die geologischen Verhältnisse von Kuchelbad und Umgebung. Durch die Verbreiterung des Bahnkörpers sind in der letzten Zeit Teile aufgeschlossen worden, die früher dem Auge unsichtbar blieben, die aber von allgemeinem Interesse sind. = yrE 30 e RR I [JB Anchek © Sin o o >) 1 ST base Oo Rerg o o o ° N v 0 0.20, 9 {7 © o EHE B ” „vr o 1.8 :. ; Ar ° ° g ö R ( ”s 2 o i o Fo 2 % o% o o o ha, ES ae ae 2) © Anvssasseser rl, 7 ? + No o + r + l, o a 5 o h ° o v. € Ad or ing | o 0.0 5% ++r||l ° v, © eo, e o (0 - ) oo Yr A ri Sg o /o g 2 EN oo © o 1 7 5 ER N a‘ err 7 o Yet) n o Q BiELO! ug © ' Bl °o u F y o l g > © > N oa \ ° 6) | 2 Sy Y.s os v = \ Q o = \ o“oo 15, Eulen N N oo 0,00 lo 9 ro91 NE "2 N © o o Noj ei o | 1,05: S 2 N o Lot N ! = Si = » (>) AN o Ce = o ! aA Lıur a / o {) °: o e Doreen 2 o ° o ° + Y [S o © o N / R EN Mer R m nn. Ben = o o 7% EZ EEE REN EN N o ° NEE Ehe den o PR NS 8 N N u ° (£P. S Nord NO! o o © Uhse vo Bike \ © r 0 v Achten! a oa lundont e Im letzten Teile der Exkursion führte ich den Leser von Gross-Kuchel unter dem Bergabhange, auf dessen Spitze das St. Johanni Kirchlein steht, gegen die Eisenbahnstation; dort wollen wir anknüpfen. Hoch oben zu unserer Linken erhebt sich das Kirchlein auf einem steilen Diabasfelsen, von dessen Fuss an bis zum unteren Fussteige, den wir benützen, die Lehne zunächst mit Diabasschutt bedeckt ist. Weiter gegen die Station hin musste wegen der Verbreiterung des Bahndammes ein Teil der Lehne in einer Länge von mehr als 100 Schritten angeschnitten werden, wodurch der Aufbau dieses Teiles deutlich aufgeschlossen wurde. Wir sehen hier in den Dd, Schiefern, die wir ja von Gross- Kuchel kennen, grosse flachlinsenförmige Einlagerungen von 15* 190 Josef Rösch: Diabas. Es sind das kleine Lagergänge dieses Eruptivgesteines, das in heissflüssigem Zustande in die Schiefer eingedrungen ist. Dies wird durch die Tatsache bezeugt, dass die zunächst zusammenhängenden Schieferschichten an der Berührungsstelle mit dem Diabas auseinanderweichen, stark zerrissen und aufge- blättert sind und weiters, dass die Schiefer durch die vom Diabas- magma ausgehende Hitze Veränderungen erlitten haben, die am deutlichsten an der Berührungsstelle selbst zutage treten. Die Schiefer sind hier und in einem gewissen Umkreise um das ein- gedrungene Gestein viel härter als weiter von ibm entfernt und sind ganz schwarz. (Kontaktmetamorphose.) Der weitere Verlauf der Schichten verliert sich unter der Vegetation der Lehne, sicher ist er bis zum Bahnhofe mannigfaltig gestört. Mehrfach geäusserten Wünschen nachkommend erlaube ich mir, die erste Exkursion noch durch Hinzufügung einer kleinen Skizze, welche die Wege und Fossilfundorte oberhalb Kuchelbad veran- schaulichen soll, zu ergänzen. Mammut- und Rhinozerosreste aus der diluvialen Egerterrasse bei Kaaden. Von Josef Rösch (Kaaden). Mit Taf. IV. Vor einigen Jahren wurde am Südostabhange des 403 m hohen Spitzberges westlich von Kaaden eine Flussterrasse be- hufs Sand- und Schottergewinnung aufgeschlossen. Bald wurden mürbe und zerbröckelnde Knochen ausgegraben aber nicht Re achtet. De Erst als man im Winter 1906 zwei sehr gut erhaltene Zähne fand. deren Grösse auch den Arbeitern auffiel, wurde ich auf den Fundort aufmerksam gemacht. Diese beiden Zähne gingen leider durch unvorsichtige Behandlung verloren. Sie wurden im Winter ausgegraben, blieben nach vorhergegargenem Tauwetter bei grosser Kälte längere Zeit in der Grube liegen und als sie vom Besitzer nach Hause getragen wurden, zerfielen sie in viele kleine Stückchen. Durch entsprechende Belehrung der Arbeiter und Er- mahnung zur Vorsicht blieben zwei neuerliche Funde wenigstens teilweise erhalten. Im März 1907 fand man ca. 6 m unter der Erdoberfläche und 10 m über dem Niveau der Eger einen stark abgekauten Nashornzahn (Rhinoceros antiquitatis Blumb. Fig. 1.) neben Tafel IV. )TOS, Band 56. RÖSCH: Mammuth- und Rhinozerosreste. Mammut- und Rhinozerosreste aus der diluvialen Egerterrasse. 191 einer grösseren Menge anderer Knochen, die leider nicht aufbe- wahrt wurden. Am 19. Feber 1908 wurde nun neuerdings ein sehr gut erhaltener Mammutzahn (Elephas primigenius Blumb.) ausge- graben. Nach der Beschaffenheit der Zähne und der übrigen Knochen muss man schliessen, dass sie vom Wasser nicht weit transportiert wurden. Dieser Mahlzahn (Fig. 2 u. 3) war im Schotter einge- bettet, 62 m unter der Ackerkrume, ca. 70 m vom linken Egerufer entfernt und mindestens 95 m über dem jetzigen Wasserstand der Eger. Dieser Mahlzahn (er liegt im Naturalien- kabinett der kgl. b. landw. Landesmittelschule in Kaaden) be- sitzt eine Länge von 28 cm, eine Kronenbreite von 9 cm und eine Maximalhöhe von 19 cm. Von der Seite gesehen (Fig. 2.) erscheint der Umriss ungefähr dreieckig. Die längste Seite misst 33 cm. Der Umfang der Kaufläche beträgt 55 cm. Die Schmelz- joche sind (Fig. 3) stark abgekaut, so dass in den Jochen die Dentinsubstanz sichtbar wird. Sie heben sich gut ab, sind ziemlich parallel und nur wenig gekerbt. Die Zwischentäler sind vollständig mit Zement ausgefüllt, das auch die ganze Krone umhüllt. Es bröckelt aber sehr leicht ab und lässt dann die einzelnen Querjoche recht deutlich hervortreten. Es lassen sich 20 dicht gedrängte, lamellenartige Querjoche zählen. Auch die zerfallenen Zähne, die nach der Aussage des Be- sitzers noch grösser und schöner waren, wurden in obiger Hö- ‚henlage nur etwas weiter westlich gefunden, der Rhinozeroszahn aber etwas höher, an der Grenze zwischen Schotter und Lehm. In der gut aufgeschlossenen FEgerterrasse kann man nämlich zwei auffallend verschiedene Materiallagen beobachten. Dem Gneise liegt in einer absoluten Höhe von 287 m (ca. Sm über dem Egerspiegel) eine über 2 m mächtige Schotterschichte auf. Die meist scheibenartigen Geschiebesteine sind umgeben von einem grobkörnigen Sande. Diese Schotterlage wird plötzlich von einer ca. 5 m mächtigen Lage aus feinem, schlammartigem Material überdeckt. Nur vereinzelt treten in dieser lehmartigen Ablagerung grössere Steine hervor, doch es sind keine typischen Rollsteine. Stellenweise findet man Nester aus eckigem Basalt- sand bestehend. Auch in diesem erdigen Material wurden in ganz geringer Tiefe fossile Knochen gefunden. Alle Funde sprechen für die Ansicht Schneiders'), der die hochgelegenen Flussterrassen der Eger bei Kaaden auf zwei bedeutende Windungen der diluvialen Eger zurückführt. 1) Schneider K. Physiographische Probleme u. Studien in Böhmen. Lotos Bd. 55, Nr. 5, 1907. = \ N EN N m fi Do ER EÄRENTERE TEN u 192 Mitteilungen über Bodenbewegung. B Da die Funde am Ende jener Mulde gemacht wurden, die vom Sattel zwischen den beiden Gipfeln des Spitzberges her- unterführt, so kann man annehmen, dass die Kadaver jener Tiere oder deren Teile mit dem Wasser an diese Stelle des alten Egermäanders gekommen sind. Erklärung zu Taf. IV.: Fig. 1, Molarzahn von Rhinoceros antiquitatis Blumb., stark abge- kaut. °', nat. Gr. Fig. 2. Molarzabn von Elephas primigenius Blumb., Seitenansicht, ungefähr ?/; nat. Gr, Fig. 3. ders., Kauflächenansicht, ungefähr Y/, nat. Gr. Mitteilungen über Bodenbewegung. Die Erdkunde wendet gegenwärtig in erhöhtem Mass ihre Aufmerksamkeit den Vorgängen zu, die unter unseren Augen die Beschaffenheit der Erdoberfläche verändern. Wenn wir von den Küsten absehen, vollzieben sich die einschneidendsten Umge- staltungen durch Bodenbewegungen. Von ihnen werden mehr oder minder tief reichende Partien des Bodens, aber auch „ge- wachsenes“ Gestein, Felsen usw. ergriffen. Die Bewegung kann sein ein Stürzen (Bergsturz, Felssturz), ein Gleiten (Schlipf, Schlammstrom) oder endlich ein nur in seinen Folgen bemerk- bares „Kriechen* (Kennzeichen: Stelzbeinigkeit der Bäume an Abhängen, Hakenwerfen der Schichten), wobei das Material einen gewissen Einfluss auf die Form der Bewegung hat (ob Fels oder Schutt, ob Lehm oder Sand). Unter den Ursachen, so weit sie nicht in der Gesteinsbeschaffenheit selbst liegen, spielt die Durebfeuchtung durch Quellen, ungewöhnlich starke Niederschläge, Schneeschmelze die Hauptrolle. Bei grösseren Erscheinungen tritt noch ein auslösender Vorgang hinzu, wie namentlich ein Anschneiden der Böschung durch Wege-, Bahn- bau oder Erosion u. a., unter Umständen auch eine Änderung der Massenverteilung durch Aufschüttung u. dgl. Die morpho- logische Bedeutung der Bodenbewegungen beruht in einer Ver- stärkung des normalen Abtragungsvorganges. Sie tritt vor allem hervor bei der Abrundung der Mittelgebirgsformen und bei der Anlage und Ausgestaltung von Tälern. In beiden Richtungen haben die Untersuchungen der Neuzeit zu sehr wichtigen Er- gebnissen geführt. Sie haben Gebiete zum Ausgangspunkt ge- nommen, in denen diese Vorgänge sehr intensiv tätig sind. Es besteht aber kein Zweifel, dass sie auch an anderen Stellen von Mitteilungen über Bodenbewegung. 19 3 grösserer Bedeutung sind, als man annimmt. Darüber und über die Verteilung Gewissheit zu schaffen und zur Beobachtung, zu- nächst innerhalb des deutschen Sprachgebietes, anzuregen, ist Zweck der Fragebogen, deren Versendung im Auftrage der-„Zen- tralkommission für wissenschaftliche Landeskunde in Deutsch- land“ geschieht. G. Braun, Greifswald, Geographisches Institut. Literaturangaben. K.E.A. von Hoff: Geschichte der durch Übetlief. nachgew. natürl. Veränderung der Erdoberfläche. III. Gotha 1834. E. Reyer: Bewegungen in losen Massen. Jahrb. k. k. geol. Reichs- anstalt. XXXI. Wien 1881. 431—444. V, C. Pollack: Beitr. z. Kenntnis der Bodenbewegungen. Ebenda XXXII. Wien 1882. 565—588. A. Heim: Über Bergstürze. Neujahrsbl. her. v. d. Naturforsch.-Ges. 84. Zürich 1882. G. Andersson: Solifluction, a component of suba&rial denudation. Journ. of Geology XIV. 1906. 91—112. G. Götzinger: Beiträge zur Entstehung der Bergrückenformen. Geogr. Abh. IX. 1. 1907. (Ref. von Braun in Geogr. Zeitschr. 1907. VII. R. Almagia: Studi geografici sulle frane in Italia. I. Mem. Soc. Geogr. Ital. XIII. Roma 1907. G. Braun: Beiträge zur Morphologie des nörd]. Appenin. II. Zeitschr. Ges. f. Erdk. Berlin 1907. 464 ff. Fragebogen über Bodenbewegungen. 1. Möglichst genaue Ortsangabe (wenn vorhanden, nach dem Messtischblatt): | 2. Wann trat die Bewegung ein resp. wann wurde sie beo- bachtet? Dauer derselben ? 3. Art der Bewegung: Bestimmungstabelle dazu: 1 leithewae. | eRbeWee. 9 Stnrzbeweg- | h Bewegte Scholle le EN Zusammenhang wenig oder gar der bewegten E 2 rüttet und durch “ nicht zerrüttet einand. gemengt. Scholle zerstört 4. Sackende Bewegung a, Schlammstrom ß. Gekriech Frana(Erdrutsch) — a) Weiches, plast. Material y. Schlipf b) Schuttmater. = et Schuttgekriech | Schuttrutsch Schuttsturz z Scholle Schutt) .c) Felsmaterial (Hauptmasse ge- Felsrutsch 5 ee wachsenes Gest.) 194 Dr. Erich Zugmayer: 4. Kurze Skizze der geologischen und Bodenverhältnisse (in Ergänzung der geologischen Spezialkarte, wenn eine solche vorhanden). Angaben über die Vegetationsdecke.(\Vald, Busch, Wiese, Feld, Moor). Ist der Erdboden (Fels) sichtbar? Sind Bodentiere (Mäuse, Maulwürfe, Ameisen) oder andere wühlende Tiere bemerkbar ? In welcher Zahl? Können die Rutschungen auf das Treten von Herdentieren zurückgeführt werden’? Kann Bergbau oder sonstige menschliche Tätigkeit (Auf- schüttung) die Ursache der Bewegungen sein? Angaben über die Grundwasserverhältnisse, benachbarte Quellen und Riesel. 5. Sind Ihnen andere (auch ältere und prähistorische) der- artige Bewegungen in der Gegend bekannt? An welcher Stelle haben sie stattgefunden? Wer könnte über sie Auskunft geben ? Literatur ? 6. Wer könnte mit näherer Untersuchung betraut werden ? Erwünscht ist a) Übersendung einer Photographie. b) Mitteilung über die Topographie (Kartenskizze, Neigung der betr. Abhänge und Stellen, Grösse) und c) Geologie (Ergänzung nach den Gesichtspunkten von 4). d) Allgemeine Beschreibung und Folgeerscheinungen des Vor- ganges, angerichteter Schaden, Schutzbauten u. Ss. w. Aus dem westlichen Tibet. Von Dr. Erich Zugmayer (München).?) Im Norden des weiten indischen Tieflandes, von diesem ge- trennt durch die Ketten des Himalaya, liegt das ausgedehnteste und höchstgelegene Hochland der Erde, das tibetische Plateau. Eine Fläche so gross wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen, liegt in Seehöhen von über 3000 Metern, bei weitem die Hälfte dieses Komplexes erhebt sich über 4000 und ein sehr bedeutender Teil selbst mit seinen tiefsten Punkten über 5000 Meter Seehöhe; dieser Teil ist insbesondere der Westen und Nord- westen von Tibet, während im zentralen und östlichen Teil zu- sammenhängende Gebiete mit solchen Höhenzahlen seltener sind. ı!) Nach dem Vortrag gehalten in der Monatsversammlung des Lotos am 9. März 1908. ers FR PT, Aus dem westlichen Tibet. 195 Während der Reise, die der Verfasser im Jahre 1906 durch das westliche Tibet ausführte, wurden zwei volle Monate beständig auf Höhen von über 5000 Metern verbracht, während durch etwas mehr als vier Monate die Zahl 3000 nicht. unterschritten ‘wurde. Der höchste erreichte Punkt wurde mit 6300 Metern gemessen, das höchste Lager der kleinen Expedition mit 5950. Die Temperaturen während der Reisezeit — Juni bis Oktober — waren nachts regelmässig unter Null, die tiefst gemessene betrug — 16°C. Es ist klar, dass das Reisen in einem derartig unwirtlichen Land mit bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft ist, wozu noch kommt, dass die Eingeborenen dem Reisenden im besten Fall indifferent gegenüberstehen, in der Regel jedoch ziemlich feind- selig, dass da keinesfalls von ihnen Hilfe oder Förderung zu er- warten ist. Der Reisende muss von allen Hilfsmitteln, die ihm die einheimische Bevölkerung gewähren könnte, unabhängig sein; er muss nicht nur sein eigenes Quartier mit sich führen, son- dern auch bereits vor Betreten des Landes mit Begleitern, Last- tieren, Mundvorrat und allen Geräten versehen sein, die er zu brauchen gedenkt, denn, wie gesagt, von den Eingeborenen hat er keinerlei Unterstützung zu erwarten. Nicht immer waren die Verhältnisse in Tibet für den Europäer so ungünstig; aber zu der Zeit, als das Reisen in Tibet weniger schwierig gewesen wäre, fehlten die Reisenden. Die frühesten Nachrichten aus europäischen Quellen sind auf Jesuitenmissionen verschiedener Nationen zurückzuführen, die in geringer Zahl während das 16., 17. und 18. Jahrhunderts Tibet, besonders den Süden und Osten, besuchten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestand sogar in Lhassa, der Haupt- stadt, eine ständige katholische Mission durch eine Reihe von Jahren und das Absperrungssystem datiert, genau genommen, erst seit dem Jahr 1792, um welche Zeit China seine Oberhoheit über Tibet befestigte, indem es die Himalayastaaten Nepal und Sikkim unterwarf, Bhutan tributpflichtig machte und derart einen Keil eigenen Gebietes zwischen Tibet und Indien schob. In die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fallen nur zwei europäische Besuche in Tibet. Der erste im Jahre 1811 durch Sir Thomas Manning. Der zweite 1845 durch die französischen Jesuiten Huc und Gebet; doch waren die wissenschaftlichen Er- gebnisse dieser Reisen sehr geringfügig. Bald jedoch trat hierin eine Anderung ein. Nicht nur, dass die Zahl der Europäer zu- nahm, die Tibet als Naturforscher zum Ziel gewählt hatten, be- gannen sich auch die rivalisierenden Beziehungen zwischen Eng- land und Russland in einer Reihe von Expeditionen zu äussern. Teils waren diese von Europäern geleitet, teils aber auch voll- 196 Dr. Erich Zugmayer: ständig Eingeborenen anvertraut. Auf russischer Seite waren es besonders die Burjaten Zibikoff und Norsunoffl, die als poli- tische Emissäre längere Zeit in Lhassa weilten und sogar das Zustandekommen einer Gesandtschaft an den Zaren bewirkten. England hinwieder arbeitete mit Hilfe der sogenannten Pandit’s, Indern oder Halbtibetanern von europäischer Bildung, die das Land durchzogen, Karten aufnahmen und den britischen Einfluss zu festigen suchten. Unter diesen sind besonders Nain Singh zu nennen, ferner Krischna und Sarat Tschondra Das. Die erste grosse russische Expedition der jüngeren Zeit war die von Prschewalsky, der noch einige desselben Offiziers folgten; an diese schloss sich eine Reihe kleinerer Rundfahrten unter der Leitung von Rotorowsky, Kosioff, Kasnokoff u. a. Diese finden ihr Widerspiel in Reisen englischer Offiziere, von denen Littledale, Lower und Wellby die grössten Strecken in Tibet zurückgelegt haben; doch ist damit die Zahl der eng- lischen Reisenden keineswegs erschöpft. Unabhängig von poli- tischen Motiven forschten in Tibet die Franzosen Bonvalot und der Prinz Henri von Orleans, sowie Dutreuil de Rhins mit Grenard und als bedeutendster und erfolgreichster Tibetforscher der Schwede Sven von Hedin. Während die eingeborenen, in europäischen Diensten ste- henden Reisenden durch ihre Nationalität, vorherige Landes- kenntnis und auch dadurch, dass sie oft unerkannt blieben, nur mit geringen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, standen die europäischen Forscher stets weit schwereren Problemen gegenüber und keiner von ihnen konnte seine Pläne gänzlich ausführen; insbesondere blieb ihnen allen die Hauptstadt Lhassa verschlossen. Doch war diese letztere für die Reisenden mehr ein sportliches Ziel und ihre Erreichung ein Wunsch, auf dessen Erfüllung nie eine Hoffnung gesetzt wurde; auch litt unter dem Misslingen dieses Planes das wissenschaftliche Ergebnis der Expeditionen wenig, da an ein genaues Kennenlernen der Hauptstadt und an kulturhistorische und verwandte Studien dort von vornherein nicht gedacht werden konnte. Erschlossen wurde Lhassa im Jahre 1904 durch die bri- tisch-indische militärische Mission, die sich unter ernsthaften Kämpfen ihren Weg bis vor die heilige Stadt bahnte und deren Führer mit einigen Begleitern sie auch betraten. Seither sind einige Werke über Lhassa speziell erschienen, in denen die Stadt, ihre öffentlichen Gebäude, Tempel und Paläste so genau beschrieben wurden, als es die Umstände des Besuches gestat- teten; diese Werke werden die Basis für künftige mehr ins De- tail gehende Studien bilden, wenn erst Lhassa zu längerem Aufenthalt von europäischen Gelehrten besucht. werden kann. -— N . EEE ENTE Kr Aus dem westlichen Tibet, 197 Zunächst ist zwar daran nicht zu denken; der jüngste russisch- englische Vertrag über Tibet sperrt das Land für alle wie immer gearteten Expeditionen und es wird in der Tibetforschung jeden- falls eine Pause von einigen Jahren eintreten; doch ist die end- gültige Erschliessung der bewohnten Teile nur eine Zeitfrage. Für den naturwissenschaftlichen Forscher sind gerade die bewohnten Teile von geringerem Interesse; teils sind sie be- reits ziemlich bekannt, teils bewirkt gerade die Bewohnbarkeit .das Wegfallen interessanter botanischer und zoologischer Pro- bleme. In den unbesiedelten Einöden ‚dagegen findet der Rei- sende noch alles im Urzustande, Fauna und Vegetation in keiner Weise in ihre natürlichen Entfaltung durch das Eingreifen des Menschen beeinflusst. Abgesehen davon wird der Forscher dort nicht durch die Eingeborenen in seiner Arbeit gestört und wenn es sonst der Zustand der Karawane gestattet, kann er nach monatelangen Forschungen zurückkehren, ohne durch die Bevöl- kerung von Tibet im Geringsten behindert worden zu sein. Die Expedition des Verfassers begegnete durch nahezu zwei Monate keinem Menschen und dieser Zustand hätte sich bedeutend fort- setzen lassen, wenn das Material an Tragtieren ausreichend ge- wesen wäre. Hier aber liegt die grösste Schwierigkeit, mit der Reisende in Tibet rechnen müssen: das vorzeitige Wegsterben der Reit- und Lasttiere. Wenn man tibetische Pferde oder Yaks ver- wenden könnte, die allen Unbilden des rauhen Klimas und allen Entbehrungen in dem unwirtlichen Land gewachsen sind, wäre der Fall nicht so schwierig. Der Reisende muss jedoch, da er in Tibet selbst auf keinerlei Hilfe rechnen kann, sein Material an Karawanentieren mit sich bringen und zwar aus Gegenden, in denen die Tiere weit weniger gegen Kälte, verdünnte Höhen- luft, Anstrengungen und schlechtes Futter abgehärtet sind, wie in dem Hochland, in dem sie Dienst tun sollen. Auch ist es nicht möglich diesen Übelstand dadurch zu kompensieren, dass man viele Tiere mit sich nimmt und das einzelne entsprechend weniger anstrengt, denn eine grössere Anzahl von Lasttieren er- fordert mehr Mannschaft, mehr Zelte und dadurch würde die Administration einer Karawane, die täglich ihr Lager aufschlagen und wieder abbrechen muss, noch schwieriger. Die grösste Karawane eines Forschers, die Tibet bereiste, die Dr. v. Hedin’s musterte über hundert Tiere und etwa dreissig Mann, wohl der höchste Stand, den sie erreichen kann, wenn man anderes nicht mit den Verhältnissen und Kosten eines kleinen Feldzuges rechnen will. Ein Faktor, der sich zu der Rauhheit des tibetischen Klimas, seiner Vegetationslosigkeit und seiner enormen Höhen- 198 - » Dr. Erich Zugmayer: lage gesellt und für Mensch und Tier am lästigsten und ver- derblichsten wird, ist der Sturmwind, der fast ununterbrochen herrscht. Die intensive strahlende Wärme der südlichen Breiten, noch unterstützt durch das Fehlen von Dunstmassen, ruft ausser- ordentliche barometrische Differenzen auf relativ engumschrie- benen Gebieten hervor und die heftigen lokalen Stürme werden nicht wie in vegetationsreichen Ländern durch ausgedehnte Wälder gemildert. Ungehemmt fegen die Winde über das öde Land und machen die Kälte doppelt fühlbar, abgesehen davon, dass das’ angestrengte Arbeiten gegen den Wind in der dünnen Höhenluft noch höhere Anforderungen an Herz und Lungen stell. Der Mensch leidet hierunter weniger, denn er ist, so lange es angeht, beritten und trägt so wenig Last wie möglich; auch kann er sich, da bei dem Wildreichtum des Landes für den Jäger nie Fleischmangel herrscht, kräftig ernähren. Anders die Lasttiere. Nach einer im Sturm auf dürftigster Weide ver- brachten Nacht müssen sie mit schweren Lasten bepackt werden, mit diesen auf pfadlosem Gebiet, über Felsengeröll oder durch tiefen Schutt oft stundenlang bergan steigen, und erreichen den Lagerplatz so erschöpft, dass sie kaum mehr die Kraft haben, sich ihr Futter weidend zusammenzusuchen. Wohl. führt man einen möglichst grossen ‚Vorrat von Gerste mit sich, aber auch dieser ist beschränkt, zumal jeder Träger auch ein Fresser ist; ausserdem ‚muss mit dem kostbaren Getreide gespart werden, denn im Land selbst findet man keines und die mitgeführte Menge darf nur dann angetastet werden, wenn die Grasweide ganz unzureichend ist oder fehlt. Würde man die Tiere regel- ‚ mässig und gut mit Gerste füttern, so brauchte man bei fünfzig Tieren im Tag etwa 100 kg Gerste, im Monat ihrer 3000, und diese bedeutet 50 Esel oder 30 Pferde, die zu ihrem Transport nötig wären. Yaks sind als Lastträger bedeutend leistungs- fähiger — 150.kg ist hier nicht zuviel — aber Yaks sind nicht nur über alle Begriffe störrisch, sondern auch durchaus nicht ausdauernd; ferner werden sie niemals beschlagen und laufen sich daher bald wund. Fast unbegreiflich ist es, dass ein Land wie Tibet im- stande ist, derartig riesige Mengen von pflanzenfressenden Huf- tieren zu ernähren. Ungeheure Mengen von Wildpferden, Yaks, Antilopen, Gazellen bevölkern die Ebenen, während die Gebirge Wildschafe und Steinböcke in fast ebensolchen Massen beher- bergen. Die wenigen Grassorten von Tibet müssen jedenfalls sehr nahrhaft sein; anders lässt sich die Existenz jener grossen Herden nicht erklären, zumal richtige Wiesen nach unseren Be- griffen dem zentralen Plateau ganz fehlen und auch im Süden kaum zu finden sind. Immer stehen die Halme vereinzelt und Aus dem westlichen Tibet, 199 zwischen ihnen tritt der kiesige oder sandige Boden zutage. So müssen auch die Herden der wilden Tiere ständig die Stand- orte wechseln und man kann eine regelmässige Wanderung beo- bachten, die sich im Frühling nach Norden, im Herbst nach Süden richtet. Das Gleiche müssen die einheimischen Nomaden mit ihren Herden tun, die hauptsächlich aus Schafen bestehen. Yaks werden gleichfalls viel, wenngleich in. geringeren Mengen gehalten. Pferde sind, ausser in den ständig bewohnten Teilen, selten, ebenso wie die Ziegen. Die letzteren werden besonders im oberen Industal gezüchtet und ihre Wolle nach Kaschmir ver- handelt, von wo sie in Gestalt der berühmten Teppiche und Shawls in die Welt geht. Die tibetischen Nomaden leben im Sommer fast ausschlieslich von Tee und Milchprodukten; Fleisch geniessen sie höchst selten, einerseits, weil ihnen ihre Religion das Töten, auch von Tieren, untersagt, andererseits weil selbst ohne religiöse Vor- schrift das Schlachten eines Milch und Wolle spendenden Haus- tieres als Verschwendung angesehen würde; und um mit Erfolg Jagd betreiben zu können, sind sie meist viel zu schlecht ausge- rüstet. Gegen die Wolle, die sie im Laufe des Sommers von ihren Herden gewinnen, tauschen sie im Herbst, wenn sie süd- lichere und bewohnte Gegenden aufsuchen, ihren bescheidenen Wintervorrat an Getreide ein, meist in Form von geröstetem Gerstenmehl, das mit Butter und Milch zu einem Teig bereitet, die gewöhnlichste tibetische Nationalspeise bildet. Getreide ‘wird in den Tälern des Indus und Brahmaputra gebaut, soweit es die Beschaffenheit des Bodens zulässt und der Verfasser hat Gerstenfelder noch in 4350m Seehöhe angetroffen; allerdings gelangt die Gerste nicht immer zur Reife, wird aber trotzdem als Nahrung verwendet, daneben zur Bereitung einer „Tschang“ genannten Art von Bier, besser eines „Gerstenmostes“, denn es fehlt ihm jeder Bitterzusatz; auch wird es in halbgegohrenem Zustand getrunken, Auch Baumanpflanzungen sind auf die beiden genannten Flusstäler beschränkt. (Der Brahmaputra hat in seinem Lauf mehrere Namen, wird auch einfach „Sangpo“. d. i. Fluss, ge- nannt, während der Indus „Singeh-Ka-Lab“ heisst, d.i. „der aus dem Mund des Löwen entstammende“, wegen der Form des Berges, in dem die Quelle liegt). Von Nutzhölzern wird haupt- sächlich die Pappel kultiviert, u. zw. Pop. diversifolia; die Zeder wird benützt, aber nicht gepflanzt oder forstlich kultiviert. Den zentralen und restlichen Teilen des Landes fehlt jeder Baumwuchs und in Höhen über 5000 Meter sind auch niedrige Sträucher bereits sehr selten. Der Wachholder geht noch am häufigsten über die genannte Zahl hinaus. Die grössten Pflanzen 200 - "Dr. Erich Zugmayer: des eigentlichen Plateaus sind wenige Zoll hohe Sträucher der Gattungen Potentilla, Reaumuria und Hippophae; für den Rei- senden gewinnt der letztgenannte Bedeutung dadurch, dass seine langen, stark verfolgten und tief in den Boden reichenden Wur- zeln neben dem Mist von Yaks und anderen Tieren das wich, tigste Brennmaterial darstellen. Der oberirdische Teil der Pflanze, der grasgrüne, mützenförmige Erhöhungen bildet, wird im äussersten Notfall von den Lasttieren gefressen. Auch der Grasreichtum ist, wie bereits erwähnt, sehr spärlich, nur an windgeschützten Stellen, in Einsenkungen oder unmittelbar am Rand von Bächen findet sich saftiges grünes Gras, während es sonst auch zur besten Jahreszeit fast gelb, hart und trocken ist. Die Ursache ist nicht so sehr Wasser- mangel, als weitmehr der beständige Sturmwind im Verein mit der grimmigen Kälte. Ein wasserarmes Land kann man Tibet nicht nennen, wenn man die zahllosen Seen bedenkt, die es er- füllen und die Tatsache, dass Tibet eine Reihe der grössten Flüsse der Welt entsendet. nämlich den Indus, Ganges, Brahma- putra, Saluen, Mekhong, Yangtsekjang, Hoang-Ho u. a. Aller- dings entspringen diese Ströme nicht im zentralen Teil und er- halten ihre grösste Wassermenge erst lange nach dem Verlassen Tibets. Immerhin ist Tibet ein niederschlagsarmes Land, doch müssen die Regenmengen in früheren Zeiten bedeutend grösser gewesen sein. Dafür sprechen nicht nur Spuren ehe- maliger Vergletscherung, sondern besonders der Rückgang der Niveaus der Seen. Gletscher gibt es gegenwärtig im inneren Tibet kaum ; obgleich die mittlere Jahrestemperatur der Gletscher- bildung sehr günstig wäre; es fehlen eben die nötigen Nieder- schläge; jenseits der Pässe gegen Kaschmir und Indien, sowie man in den Bereich der feuchtigkeitsgesättigten Südwinde kommt, treten Gletscher in grosser Zahl und bedeutender räumlicher Ausdehnung auf, trotzdem die Temperatur in jenen Gebieten weit höher ist, als auf dem Plateau; Gletscher fehlen — we- nigstens in grösserem Ausmass — auch dem Nordfuss des Kuen Lün; denn dort, an den Rändern des Tarimbeckens, sind die Niederschläge noch weit geringer, wie in Tibet selbst. Die Seen von Tibet zeigen durchwegs einen deutlichen Rückgang; fast regelmässig lassen sich in den umgebenden Hügeln oder Bergen die Strandlinien erkennen, die frühere, weit höhere Wasserstände andeuten; viele Seen sind bereits ganz verschwunden und es ist für Tibet ein sehr charakteristisches Landschaftsbild, — eine kilometerbreite Ebene, deren Boden aus feinem Sand oder Kies besteht, der dicht mit Salz überzogen ist; an den Rändern des Beckens verlaufen einige spärliche Bachläufe im trockenen Erd- Aus dem westlichen Tibet. 4 201 reich oder es hat sich an der tiefstgelegenen Stelle ein Tümpel erhalten, an dessen sumpfigen Rändern sich ein breiter Streifen glitzernden, ausgeblühten Salzes hinzieht. Die überwiegende Mehrzahl der tibetischen Seen ist salzig, weil abflusslos; salzige Seen entstehen bekanntlich stets, wenn kein Abfluss vorhanden ist, denn das süsse Wasser der Zu- flüsse enthält stets eine gewisse Menge von Salzen, die im See zurückbleiben, da sie nicht mit verdunsten, und derart die Kon- zentration der ursprünglich verschwindend schwachen Lösung be- ständig erhöhen. Interessante Beispiele für den Grenzzustand zwischen süss und salzig sind der Ayo Zo, der grösste bekannte Süsswassersee von Tibet, und die Kette der Panggongseen, die sich vom südwestlichen Tibet gegen Kaschmir hinaus erstreckt. Der Ayo Zo (auch Arport Iso und Horpa Tschu genannt, wenn- gleich fälschlich) hat gegenwärtig noch frisches und sehr wohl trinkbares Wasser, auch ist er reich von Fischen und niedrigen Wassertieren belebt; einen Ausfluss dagegen besitzt er nicht mehr; die frühere Abflusstelle lässt sich noch deutlich erkennen, aber der Spiegel des Sees reicht nicht mehr an sie heran. Ähnlich liegen die Dinge bei den Panggongseen; die östlichen Glieder der langen Kette liegen um ein Geringes höher als ihre Nachbarn und strömen nach diesen zu ab; daher führen sie Süsswasser und beherbergen eine relativ reiche Tierwelt. Die westlichen Seen dagegen liegen auf einem und demselben Ni- veau, das gegenwärtig etwa 15 Meter tiefer liegt als die ehe- malige Ausflusstelle; früher flossen die Seen nach dem Schajok, einem Nebenflusse des Indus, ab. Jetzt sind die westlichen Seen stark salzig und unbelebt, und der Salzgehalt muss sich notwendigerweise immer mehr verstärken und gegen Osten aus- breiten. So ist es sowohl beim Ayo Zo wie bei den Panggong- seen uur mehr die Frage einer allerdings ziemlich langen Spanne Zeit, bis sie vollständig versalzen, ersterben und sich den zahl- reichen salzigen, abflusslosen Seen des tibetanischen Plateaus angliedern, die ihrerseits wieder ständig zunehmender Konzen- tration und allmählicher Austrocknung entgegengehen. Mit dem Schwinden des Wasservorrates in Tibet wird nicht nur ein Rückgang der lokalen Niederschläge in Verbin- dung stehen, sondern als dessen Folge auch ein Abnehmen der Flora und damit im Zusammenhang der Tierwelt. In der Gegenwart ist diese letztere noch weit reicher als es sich von diesem unwirtlichen Land erwarten liesse; finden sich in Tibet doch sogar Eidechsen bis zu Seehöhen von 5300 Meter und, was noch erstaunlicher ist, Schmetterlinge, beides Tierfamilien, die nach allgemeinen Begriffen von Wärme unzertrennlich sind. Die Eidechsen allerdings werden sich noch am leichtesten 202 Sitzungsberichte. Wüstenverhältnissen anpassen können, aber das Heer der pflanzen- fressenden Huftiere, die auf Weidenahrung angewiesen sind, wird durch floristische Veränderungen in seinem Bestand er- heblich gefährdet sein. Die allgemein in der Natur herrschende Tendenz zum Aus- gleich aller Niveaudifferenzen zeigt sich in Tibet, als einem Land ohne lange Flussläufe, besonders stark. Wo solche vorhanden sind, wie in den südlichen Grenzgebieten, finden wir wohlgebildete, tief erodierte Täler, als Folge davon starke rela- tive Höhen der Berge, kurz, das echte Landschaftsbild des Hoch- gebirges. Im zentralen Teil dagegen bleibt aller Schutt und Gesteinsdetritus, der von den Bergen herabkommt, in der Tal- sohle liegen und wird nicht forttransportiert; hier ist zu be- denken, dass die Erosion und Abrasion der Gebirge mit viel stärkeren Mitteln arbeitet, als in gemässigten Klimaten, da keine schützende Pflanzendecke das Gestein vor den Atmosphärilien schützt und da die zerstörende Wirkung des Forstes bei den schroffen Temperaturdifferenzen noch erhöht wird. Alle Mulden und Täler sind bereits mit mächtigen Ablagerungen des Schuttes aufgefüllt, der unablässig von den Bergen herabkollert und kein Fluss nimmt die losen Massen mit sich, um sie in letzter Linie dem Meer zuzuführen. So wird das Profil des Landes immer mehr verwischt und um davon ein richtiges Bild zu bekommen, müsste man das tibetische Plateau geradezu ausbaggern. Es ist kein Zweifel, dass zu der Zeit, als die riesigen Parallelketten, die Tibet durchziehen, ihre grösste Höhe erreicht hatten, weit bedeutendere relative — und auch absolute — Höhen im Lande zu finden waren als jetzt; an vielen Punkten lässt sich an stehengebliebenen „Zeugen“ erkennen, um wieviel mehr die Berge seinerzeit die Talsohlen überragt haben müssen. Nun häuft sich, was von ihren Kämmen und Gipfeln zu Tal rieselt und kollert, an ihrem Fuss an, und wie im Laufe der Jahr- tausende wird Tibet das werden, was es jetzt nur bedingungs- weise ist, nämlich eine Hochebene anstatt eines Hochlandes. Sitzungsberichte. Biologische Sektion. III. Sitzungam 5. Mai 1908. Physiologisches Institut, 8'/, Uhr. 1. Priv.-Doz. Dr. O. ‘Fischer: Beitrag zur Histopathologie der atrophischen Prozesse der Grosshirnrinde. % Sitzungsberichte. 203 Bei der progressiven Paralyse erkrankt die Hirnrinde der- art, dass diffus zuerst die Markfasern schwinden und dann erst die Ganglienzellen und die Axenzylinder. Zu dieser Veränderung hatte der Vortragende eine zweite Art von Rindenatrophie be- schrieben, die sich nur herdförmig um Gefässe, ähnlich der multiplen Sklerose, entwickelt. Der Vortragende beschrieb und demonstrierte jetzt eine dritte Art der Rindenatrophie bei Pa- ralyse, die von den 2 ersteren ganz verschieden ist und die darin besteht, dass zuerst die Ganglienzellen, u. zw. ziemlich rapid, schwinden, wobei auch der grösste Teil der marklosen Fasern zu Grunde geht und unter plötzlicher Wucherung der Neuroglia ein schwammiges Gewebe entsteht, durch das eine grosse Zahl markhaltiger Fasern durchzieht. Diese Veränderung, die Vortragender, als spongiösen Rindenschwund bezeichnet, findet sich bei sehr vielen Paralysen, durchwegs aber bei den Lissauerschen Paralysen, wo sie die Stellen der stärksten Atrophie, i. e. die Stellen deren Erkrankung zu Herdsymptomen Anlass gibt, betrifft. Dieser Rindenschwund hat überdies etwas Eigen- artiges an sich. Er zeigt derartige Ausbreitungen, dass eine Abhängigkeit von Gefässen unmöglich ist. 2. Dr. V. H. Langhans referierte über den gegenwärtigen Stand der Erforschung der Sehorgane niederer Tiere unter hauptsächlicher Berücksichtigung der Arbeiten Hesse’s. IV. Sitzung am 12. Mai 1908. Physiologisches Institut, 8'/, Uhr. Priv.-Doz. Dr. Sträussler: Über Pathologie des Kleinhirns bei der juvenilen Paralyse mit Projektion mikroskopischer Prä- parate. An den Vortrag. knüpft sich eine lebhafte Diskussion, an der sich Dr. Kahn, Dr. Weil, Dr. Zupnik, Dr. Kalmus und Dr. Kafka beteiligten. V. Sitzung am 19. Mai 1908. Augenklinik, 7 Uhr. Professor Dr. Elschnig hielt einen Vortrag über stereo-. skopische Projektion, der durch Vorführung einer grossen Zahl von Lichtbildern illustriert wurde. Die Betrachtung der nach dem Petzoldschen Verfahren hergestellten Lichtbilder erfolgte durch rot-grüne Brillen, welche vorher in grosser Zahl an das Auditorium verteilt worden waren. In der Diskussion zog Dr. Kahn die älteren Methoden von Rollmann (1853), d’Almeida (rotierende Scheibensektoren 1858) und Anderton (Projektion der Teilbilder mit verschieden polari- siertem Lichte und Betrachtung durch Brillen mit entsprechend > re a in 3 ia iD A a rn ia on 204 Sitzungsberichte. gestellten Nikols 1891) zum Vergleich heran und wies. auf die Möglichkeit hin, durch rasch aufeinanderfolgende Projektion von photographischen Aufnahmen, welche verschiedenen Einstellungs- ebenen entsprechen, eine stereoskopische Wirkung zu erzielen. In der Erwiderung berichtete Prof. Elschnig über einige Ver- suche, die in ähnlicher Richtung bereits gemacht wurden. VI. Sitzung am 26. Mai 1908. Pathologisch-anatomisches Institut, 8'/, Uhr. 1. M.U.C. Emil Starkenstein: Über Inositurie. Unsere Kenntnis des Inosits in seiner Beziehung zum Stoffwechsel ist sehr unvollkommen, die Resultate hierüber zum Teil widersprechend, so dass es gerechtfertigt erschien, diesbe- züglich neue Untersuchungen anzustellen. Diese wurden von folgenden Gesichtspunkten aus vorgenommen: 1. Hat die Inositurie eine Beziehung zur Glykosurie ? 2. Die Bedeutung der Inositurie beim Diabetes insipidus und bei experimentell erzeugter Polyurie. 3. Physiologische Bedeutung des Inosits. 4. Schicksal des Inosits im Körper. — Mit Rück- sicht auf die widersprechenden Resultate der früheren Unter- suchungen wurde die Methode zur Darstellung des Inosits aus Harn und Geweben dahin modifiziert, dass sie als quantitativ angesehen werden kann. Im Gegensatz zu früheren verlust- reicheren Methoden wurden aus Harnen, denen Inosit zugesetzt wurde, 90—96°/, der zugesetzten Menge wiedergewonnen. Mit dieser Methode gelang es, Spuren von Inosit in jedem Harn nachzuweisen. Es zeigte sich ferner, dass mit vermehrter Wasserausscheidung auch die Menge des ausgeschiedenen Ino- sits ansteigt und dass dies bei experimentell erzeugter Polyurie ebenso der Fall ist, wie beim Diabetes mellitus und beim Dia- betes insipidus. Alle gefundenen Werte liegen in den Grenzen der von früheren Autoren angegebenen Zahlen über die Inosit- ausscheidung bei Diabetes mellitus und insipidus. Die Polyurie, die der Pigüre stets folgt, dürfte auch das Ansteigen der Inosit- ausscheidung erklären, das Meillere beobachtet hat; denn beim Phlorhidintier konnte trotz starker Glykosurie bezüglich der Ino- siturie keine Anderung gegenüber der Norm beobachtet werden. Diese Resultate führen zu der Anschauung, dass die Inositurie bei Diabetes mellitus, ebenso wie bei Diabetes insipidus und bei künstlicher Polyurie als Ausschwemmung des in den Organen gespeicherten Inosits anzusehen ist. Eine Beziehung zu den Kohlehydraten, wie sie Neuberg jüngst durch Darstellung des Furfurols aus Inosit chemisch nachweisen konnte, scheint hier kaum in Frage zu kommen. Schwer zu deuten blieb nur noch der bekannte Fall Vohls (18—20g Inosit in der täglichen . ie Er N Sitzungsberichte. 205 Harnmenge), doch könnte es sich hier um einen Fall von Dia- betes insipidus gehandelt haben, worauf bereits Paul Mayer hin- gewiesen hat. Was die physiologische Bedeutung des Inosits anbelangt, so dürfte er wahrscheinlich analog wie im Pflanzenreiche eine Rolle beim Wachstum der Zellen spielen; denn es hat sich bei einer Reihe von Untersuchungen gezeigt, dass Organe junger Tiere mehr Inosit enthalten als die der alten. Darauf könnte auch das Vorhandensein von Inosit im Sperma hindeuten und es gelang mir auch, Inosit im Dotter des Hühnereies nachzuweisen, sowie im karzinomatösen Gewebe, also ebenfalls in Zellen, die rasches Wachstum zeigen. Das Schicksal des Inosits im Tierkörper wurde bereits von Külz, Giacosa und Paul Mayer untersucht. Külz fand nach 30 bis 50g per os verabreichten Inosits nur 0,9°, im Harn wieder und schloss daraus, dass der Inosit vom Körper fast vollständig verbrannt werde. Giacosa fand nach intravenöser Injektion von 3—4g zirka 25°, wieder. Paul Mayer dagegen konnte durch exaktere Arbeitsmethode von per os verabreichter Substanz nur geringe Mengen wieder finden, nach subkutaner Injektion von 2—10g zirka 50°/,. — Ausserdem beobachtete er das Auftreten einer rechtsdrehenden Substanz im Harn, die er jedoch nicht charakterisieren konnte. Meine neuerlichen Versuche ergaben nun, dass nach sub- kutaner Injektion von 2 g bereits 59,9 %, wiedergewonnen wurden, von per os verabreichter Substanz dagegen nur, geringe Mengen. Da diese Dosen jedoch in keinem Verhältnis zu den von Külz gegebenen stehen, so ergibt sich schon daraus, dass der Inosit nicht so leicht angreifbar ist, wie man angenommen hat. Dafür sprach schon seine weite Verbreitung im Körper und die Beo- bachtung, dass er selbst bei Hungertieren nicht aus den Ge- weben verschwindet. — Die Versuche per os scheinen jedoch zur Prüfung der Oxydationsfähigkeit des Körpers nicht geeignet; denn Meillere hat darauf hingewiesen, dass Inosit von Bacterium coli commune gespalten wird. Diese Beobachtung kann nun von mir bestätigt werden und sie spricht dafür, dass die Zer- setzung des Inosits im Körper nach Verabreichung per os zum grossen Teile schon vor der Resorption erfolgt. Bei den Untersuchungen auf Abbauprodukte des, Inosits war in erster Linie an Milchsäure zu denken, da der Übergang des Inosits in Milchsäure bereits öfter beobachtet wurde, ander- seits neben Glykogen und Kohlehydraten noch andere Körper vermutet werden, aus denen Milchsäure im Körper entstehen kann. Es wurde so zuerst das Verhalten des Inosits bei. der Autolyse untersucht, bei der die Entstehung der Milchsäure ganz 206 Sitzungsberichte. sicher nachgewiesen wurde, und es zeigte sich, dass das Inosit bei der Autolyse mit Zunahme der sauern Reaktion schwindet. Weiter wurde nach Spaltung durch Bacterium coli ein in Ather löslicher Körper gefunden, der die Uffelmannsche Reaktion gab und rechts drehte. Es scheint also hier direkt die rechtsdre- hende Milchsäure zu entstehen. Während der Ausarbeitung ° dieser Versuche erschien eine neue Mitteilung Paul Mayers, dass es ihm gelungen sei, den Übergang von Inosit in Milchsäure im Körper nachzuweisen. Allerdings fand er die inaktive Gäh- rungsmilchsäure, doch nimmt er die Möglichkeit an, dass unter gewissen Bedingungen diese in die rechtsdrehende Fleischmilch- säure im Körper übergehen könne. Die Untersuchungen über die Abbauprodukte des Inosits. sind noch nicht abgeschlossen. Es werden noch Versuche darüber angestellt, ob der Übergang von Inosit in Milchsäure nicht auch bei Durchspülung überlebender Organe nachgewiesen werden kann. Desgleichen sind Versuche mit dem Phytin beabsichtigt, da ja dasselbe bei der Spaltung durch HCl in Phosphorsäure und Inosit zerfällt. — Der zu den Versuchen verwendete Inosit wird auf diese Weise von der Gesellschaft für chemische Industrie in Basel hergestellt und ich möchte mir an dieser Stelle noch | erlauben, der genannten Gesellschaft für die freundliche Über- lassung des Präparates meinen besten Dank auszudrücken. Über alle diese Versuche soll an anderen Orten ausführ- licher berichtet werden. Diskussion: Dr. Allers weist darauf hin, dass S. Fränkl beim erwachsenen Gehirn eine relative Zunahme der Lipoide ge- funden hat und betont die Möglichkeit eines Zusammenhanges dieser Tatsache mit dem vom Vortragenden gefundenen quanti- tativen Verhalten des Inosits. Eventuell könnte eine Beziehung zwischen Inosit und Isoleuzin bestehen. Doz. Dr. Wiechowski, Starkenstein. 2. Dr. Kafka: Über die praktische Bedeutung der Wasser- mannschen Reaktion speziell im Liquor cerebrospinalis. Vortr. bespricht zunächst den heutigen Stand der An- sichten über die praktische Brauchbarkeit der Wassermannschen Reaktion im Serum bei Lues. Er geht über zur Literatur über die Komplementbindungsversuche im liquor cerebrospinalis und hebt hervor, dass hier fast überall das häufige Vorkommen bei der Paralysis progressiva beobachtet wird. Hierauf werden die Resultate eigener Versuche behandelt, die an einem grossen Materiale vorgenommen werden. Es ergibt sich neben einigen Details auch hier, dass die positive Reaktion im Liquor fast nur in Paralysefällen vorkommt. Da sie sich im Blute wie bei der Paralyse auch in Fällen von luetischer Cere- bralerkrankung positiv findet, so muss bei ersterer ein beson- Sitzungsberichte. 207 deres Verhalten der Meningen vorwalten, welches die Stoffe leicht in den Liquor übergehen lässt. Schliesslich werden die sonstigen Untersuchungsmethoden mit dem Liquor, speziell die chemische, nach ihrer praktischen Brauchbarkeit hin geschildert und schliesslich die Wasser- mannsche Reaktion im Liquor als bestes Unterstützungmittel der Diagnose in fraglichen Paralysefällen hervorgehoben, da sie bei auf luetischer Basis beruhenden Nichtparalysen fast nie vor- kommt. Diskussion : Dr. Weil weist auf die bei der progressiven Paralyse immer vorhandene Gefässerkrankung des Gehirns hin als möglichen Grund für das häufige positive Resultat im Liquor. Doz. Dr. Sträussler hebt hervor, dass Gefässerkrankungen des Gehirns ja auch bei luetischen Zentralerkrankungen vorkommen, ohne dass positive Resultate im Liquor auftreten. Dr. Kafka meint, es könnte ja die Art und die Diffusität der paralyti- schen Gefässerkrankung für die Positivität der Reaktion mass- gebend sind. VII Sitzung am 2. Juni 1908. ‘Physiologisches Institut 8'/, Uhr. Priv.-Doz. Dr. R. Kahn: Das Saitengalvanometer. Vortragender bespricht einleitend das Spiegelgalvanometer und das Kapillarelektrometer von Lippmann und erläutert sodann das Prinzip und die Konstruktion des Saitengalvanometers von Einthoven. Es werden weiters zwei Typen dieses Instrumentes gezeigt und mit dem Projektionsapparate die Ausschläge der Saite vorgeführt. (Induktionsströme eines Schlitteninduktoriums, Geräusche mittels Telephons, Aktionsströme des Herzens). Weiters werden die photographischen Registrierapparate besprochen. End- lich wird die Aufnahme eines Elektrokardiogrammes durchge- führt, und es wird kurz die Bedeutung der einzelnen Teile der mit dieser Methode gewonnenen Kurven auseinandergesetzt. II. Chemische Sektion. Sitzung am 6. März 1908. Vorsitz: Prof. Dr. A. Kirpal. Vorträge: Prof. Kirpal: „Über einige neue Betaine in der Pyridinreihe. Durch Einwirkung von Chloressigsäure auf ß-Oxy- pyridin und Oxypyridinkarbonsäuren wurden Körper erhalten, welchen die Struktur wahrer Betaine zukommt. Dargestellt wurden ß-Oxypyridinbetain, &-Oxyisonikotin- säurebetain, ß-Oxynikotinsäurebetain und y-Oxyisonikotinsäure- betain. Diese Körper und deren Ather zeigen beim Erhitzen mit Jodwasserstoffsäure ein abnormales Verhalten und bilden einen, interessanten Beitrag zur Frage der Methoxyl- und Methylimid- 208 Sitzungsberichte. RE ERBEN er SEN. ee De R ö je R . bestimmung nach den Methoden von Zeisel und von Herzig und Meyer. Prof. Ludwig Storch: Referiert „über die Bildung der Kobaltammoniakverbindungen.* Sitzung am 21. Mai 1908. 1. Wahlen: gewählt wurden zum Vorsitz: Prof. Dr. G. Goldschmiedt, zum Schriftführer Dr. O. Hönigschmid. 3. Hugo Milrath: Über die Einwirkung von Phenylhydrazin auf wässrige Harnstofflösungen bei Gegenwart von Essigsäure. Vortragender berichtet über seine Beobachtungen bei der Darstellung des Phenylsemikarbazids C,H,. NH. NH. CO. NH, nach Jaffes Methode. Diese besteht darin, dass man wässrige Harnstofflösungen mit Phenylhydrazin und Essigsäure drei Stunden auf dem Wasserbade erwärmt. Bei zahlreichen Wieder- holungen der Jaffeschen Versuche hat der Vortragende aber nicht Phenylsemikarbazid, sondern, beim Erwärmen auf dem Wasserbade (Temperatur der Reaktionsflüssigkeit 91°/2°) Ace- tylphenylbydrazin C,H,. NH. NH. CO. CH;,, beim Erhitzen im Wasserbad (Temper. der Reaktionsfl. 99°) ein Gemisch von Phenyl- semikarbazid und Acetylphenylhydrazin 'erhalten. Die Azetylie- rung des Phenylhydrazins fand bei dreistündigem Erwärmen auf dem Wasserbade sogar noch statt, wenn die Essigsäure nur siebenprozentig und bloss in der dem Phenylhydrazin äquiva- lenten Menge vorhanden war. Auf Grund mehrerer Versuche war der Vortragende in der Lage die Bedingungen anzuführen, welche die Bildung von Phe- nylsemikarbazid in wässrigen Harnstofflösungen fördern. Es sind dies: Erhöhung der Temperatur, Verlängerung der Erwärmungs- dauer und Vergrösserung der Harnstoffkonzentration. Harnstoffreicher Hunde- und Katzenharn hatte mit Phenyl- hydrazin und Essigsäure erst nach 4—5stündigem Erwärmen auf dem Wasserbade immer Phenylsemikarbazid geliefert. Auch durch Erwärmen bezw. Kochen des Menschenharns mit Phenyl- hydrazin und Essigsäure ist es dem Vortragenden gelungen, Phenylsemikarbazid zur Abscheidung zu bringen. Nach 10 stün- digem Kochen des Menschenharns mit den genannten Reagen- zien ist das Ende der Reaktion bezüglich der Bildung von Phe- nylsemikarbazid erreicht. Es haben sich dann ungefähr 80°), des vorhandenen Harnstoffs in Form von Phenylsemikarbazid abge- schieden. Das erste Auftreten von Phenylsemikarbazid hat der Vortragende nach fünfstündigem Erwärmen auf dem Wasserbade oder nach zweistündigem Kochen des normalen Menschenharns mit Phenylhydrazin und Essigsäure beobachtet. 3) Mr. Usher: „Über die Einwirkung des Lichtes auf Chlorsilber.“ Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘‘, Bibliothek und Sekretariat: Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Samstag 7—9 Uhr abends. Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“. — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. JOH. KRUSICH, 1, Universitätsmech, l., Albertstr Berbralseh konzessioniertes elektrotechnisches Installations-Bureau, medizin. u. physikal. Apparate, E'ektr, Einrichtungen für Laboratorien u. Mittel- schulen. Projektions- Apparate, Klein- motoren, Zentrifugen etc. Apparate für Planktonuntersuchung. Lupe für beide Augen nach Doz. Dr. Ulbrich. Projekte und Überschläge gratis. ? 105. Onpelf’s Neffe R. u. R: Hoflieferant, PRAG, ältstädter Ring. L—Z I IT, Bedeutendstor Woin-Import und größfes Lager von allen Sorten feiner in- Gegründet 1823. und ausländilher Weine, Champagner, Cognacs, feiner Liköre efc. Preisliiten auf Wunidt. 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Simony hat den See seit 1848 wiederholt unter- sucht und in einer Anzahl kleiner Abhandlungen in den Sitzungs- ‚berichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien darüber berichtet; Dr. A. Reibenschuh hat die Resultate Simonys und anderer Forscher übersichtlich zusammengefasst und mit seinen eigenen Beobachtungen in einem Programmaufsatz (1395) veröffentlicht. Von späteren Arbeiten will ich nur noch die Auf- sätze von Koch (1895) und Schuh (1899) hervorheben. Aus den Angaben dieser Autoren will ich nur jene Tat- sachen herausgreifen, die einige Bedeutung für das Verständnis der biologischen Verhältnisse des Planktons haben könnten. Das gesamte Wasser des Sees hat, wie in den meisten Seen des Salzkammergutes während des ganzen Jahres eine Mitteltemperatur von rund 5°C. (Reibenschuh, 1895, p. 14). Schwankungen finden nur statt von 4° bis 6'9°%, Der See ist ‚demnach im Vergleich mit den Seen des mitteleuropäischen Tief- landes ein kalter See. Die geringen jahreszeitlichenr Schwankungen der Mittel- temperatur des Gesamtwassers sind eine Folge der grossen Tiefe &des Sees und der gleichmässig niederen Temperatur der tieferen Schichten. An der Oberfläche betrug die grösste Jahresdifferenz ı 1898/99 nach Schuh (1899, p. 2) 12°4° (min. 49° max. 17°3°). — Der See ist äusserst selten ganz zugefroren. Nach Steiner c5(1832) geschah dies in den Jahren 1477, 1624 und 1683. ZHrdina (1859) nennt noch das Jahr 1724. 16 910 Dr. Viktor H. Langhans: In neuerer Zeit war der See in den Jahren 1830 (Hrdina 1859, p. 79) 1880 (Geistbeck, 1884, p. 365) und 1895 (Koch 1895) zugefroren. In der Regel trat die Eisbedeckung erst Anfangs Februar ein und dauerte bis Mitte Mai. Nur 1880 war die Eisdecke nach wenigen Tagen wieder aufgetaut. Die Tat- sache des späten Auftretens der Eisdecke und ihrer langen Dauer ist biologisch deshalb wichtig, weil sie beweist, dass für das Plankton des Sees die Monate Februar bis April als die eigent- lichen Wintermonate zu gelten haben. Auch in eisfreien Jahren zeigt das Oberflächen-Wasser des Sees im Februar die tiefste Temperatur (Schuh, 1899, p. 2). Wichtig für die biologischen Verhältnisse des Planktons dürfte auch das Auftreten der sogenannten Sprungschichte sein, d. i. jener Wasserschichte, in welcher eine plötzlich stärkere Temperaturabnahme nach der Tiefe beobachtet wird. Als be- stimmende Ursachen dieser Erscheinung sind das begrenzte Ein- dringen der strahlenden Sonnenwärme und die Menge und Tempe- ratur des Zuflusses anzusehen. Bezüglich der ausführlicheren Erklärung derselben verweise ich auch Simony (1850), Richter (1891), Grissinger (1892) und Reibenschuh (1895). Im Traun- see ist die Sprungschichte nicht sehr stark ausgeprägt. Sie liegt im Mai in einer Tiefe zwischen 5 und 10 m, im August zwischen 19 und 25 m, im September zwischen 31'6 und 395 m (Reiben- schuh 1895, p. 10). Sie liegt also im Frühjahr ziemlich hoch und sinkt im Laufe des Jahres immer mehr in die Tiefe. Die Sprungschichte verhält sich in anderen Seen sehr ver- schieden. Sie müsste, besonders da, wo sie intensiver in Er- scheinung tritt, auch einen Einfluss auf die biologischen Er- scheinungen im Plankton haben. Dieser Einfluss ist noch nicht untersucht worden. Eine Erscheinung, die sehr auffallend ist und den land- läufigen Vorstellungen direkt widerspricht, ist von Schuh be- obachtet worden. Er fand, dass im Traunsee nicht die seichten Uferstellen, sondern die tieferen Partien des Sees eine stärkere Erwärmung der Oberfläche aufweisen. Der Unterschied ist sehr bedeutend; am 18. Juli 1898 fand Schuh (1899, p. 3) die Temperatur am Ufer 13'8° und weiter draussen, über einer Tiefe von 88m 20°8°, also 7° Unterschied. Die Tatsache hat Schuh durch zahlreiche Messungen einwandfrei festgestellt. Eine Er- klärung der Erscheinung hat sich der Autor für eine spätere Zeit vorbehalten. * * * Das Plankton des Traunsees ist schon öfters gelegentlich untersucht worden. Die erste Nachricht über das Zooplankton Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 11 findet man in dem berühmten Polyphemidenwerk von Olaus (1877 Auf Seite 137 erwähnt Claus, dass er die Cladocerenfauna des * Sees im wesentlichen mit der der schweizer Seen übereinstimmend fand. Er zählt folgende Cladoceren auf, die er im Juli und August 1876 als Bewohner des Sees antraf: Bosmina longirostris Sida erystallina Daphnia hyalina Leptodora hyalina Bythotrephes longimanus Polyphemus oculus. Die Copepoden und andere Komponenten der pelagischen Tierwelt des Sees hat Claus nicht weiter beachtet. Später hat O. E. Imhof (1885) die „pelagische“* und „Tief- see-Fauna“ von 18 Seen des Salzkammergutes, darunter auch vom Traunsee, untersucht und veröffentlicht. Er fand (1885, p: 216) im Plankton sämtliche von Claus beobachteten und ausserdem 8 neue, im ganzen also 14 Spezies und in der Tiefsee- fauna 6 weitere, von denen eine (Codonella) wie wir wissen eben- falls dem Plankton angehört. (Siehe Tabelle V.) Zu den von Imhof aufgeführten Arten ist Folgendes zu be- merken: Die Species Peridinium privum Imh. ist nirgend be- schrieben worden. Der Name hat daher keine Existenzberechti- gung. Anuraea longispina Kellicot ist identisch mit Notholca longispina Kellicot. Codonella cratera Leidy ist ein Synonym zu Codonella lacustris Entz. Statt Bosmina longirostris dürfte wohl ebenso wie bei Claus richtiger B. longispina zu lesen sein, da im Plankton des Traunsees B. longispina stets in grösserer Zahl zu finden ist, während B. longirostris neuerdings nie gefunden wurde. Bemerkenswert ist Imhofs Erwähnung von Heterocope robusta Sars, die nach Schmeil u. a. mit Heterocope saliens Lillj. identisch ist. Diese Heterocope-art ist eine im Salzkammergut und in benachbarten Gebieten nicht allzu seltene Erscheinung. Imhof will sie auch im Chiemsee gefunden haben, wo Steuer (1901, p. 142) an ihrer Stelle Heterocope weismanni Imh. fand, während Brehm (1906, p. 39) wieder H. saliens angibt. Steuer fand Heterocope saliens in einem von Koelbel gesammelten Material aus dem Augstsee (bei Altaussee in Steiermark). In derselben Koelbelschen Sammlung, die Steuer benützte, fand ich eine Planktonprobe aus dem Mitter- oder Grünsee (am Schafberg), die ebenfalls Heterocope saliens enthielt. Es wäre demnach das Auftreten dieser Spezies im Traun- see an sich keine auffallende Erscheinung. Bemerkenswert ist nur, dass sie in keinem der vielen seit jener Zeit gemachten Fänge mehr angetroffen wurde. 16* VRR AN 212 Dr. Viktor H, Langhans: Vergleicht man Imhofs Liste aus dem Traunsee mit den an gleicher Stelle publizierten Listen aus anderen Salzkammer- gutseen, so kann man durchaus nicht den Eindruck gewinnen, dass der Traunsee arm an Arten sei. Im Gegenteil sind von den 16 untersuchten Seen nur zwei reicher (der Waller- und Mondsee), während 10 Seen artenärmer erscheinen. Dieser Ver- gleich ist deshalb einigermassen berechtigt, weil Imhof die sämt- lichen Fänge innerhalb eines kurzen Zeitraumes (16. August bis 2. September 1884) und wahrscheinlich stets mit dem gleichen Netz ausgeführt hat. Die eingehendste Bearbeitung fand die Fauna und Flora des Traunsees durch Cori, der in der „Geschichte der Stadt Gmunden“ von Dr. F. Krackowitzer (1898) einen „Beitrag zur Fauna des Traunsees und seiner Umgebung“ lieferte, der unter anderem eine sehr ausführliche Bearbeitung der niederen Tier- welt des Sees, daneben auch eine Aufzählung der im See vor- kommenden niederen Pflanzen enthält. Es ist sehr zu bedauern, dass diese wertvolle Arbeit an einem Orte erschien, der den wenigsten Planktonforschern zugänglich ist. Cori verzeichnet 32 Planktonten, darunter 5 Flagellaten, 8 Algen und 19 Tiere. Die einzelnen Formen sind in der Tabelle V. aufgezählt. Das von Cori erwähnte Ceratium tetraceros ist mit Ceratium cornutum Ehrbg. identisch. Die Behauptung, dass Daphnia hyalina und longispina nebeneinander vorkommen, dürfte auf einem Irr- tum beruhen. Die Daphnia des Traunsees ist eine typische D. hyalina Leydig. Cori erwähnt ferner, dass Bosmina longi- rostris und cornuta sich zeitweise so vermehren, dass das Plankton vorwiegend nur diese Arten enthält. Ich habe in meinem Material sowie in dem der Koelbelschen Sammlung nur Bosmina longispina Leydig gefunden. Bloss ein einzigesmal fand ich ein Exemplar von Bosmina cornuta. Da Cori die Bosmina longispina nicht er- wähnt, glaube ich bestimmt annehmen zu dürfen, dass auch ihm , nur Bosmina longispina vorlag. Heterocope hat Cori nicht ge- funden. Brehm und Zederhauer (1906) haben den Traunsee dreimal besucht; am 31. Dezember 1901 und am 26. März und 20. August 1902. Sie fanden im ganzen 2 Flagellaten, 3 Algen und 10 Tiere. Die von Brehm erwähnte Bosmina coregoni ist nach seiner eigenen Beschreibung als Bosmina longispina zu erkennen; ob Cyelops serrulatus (B. und Z. 1906, p. 23) im Plankton gefunden wurde, ist aus der Arbeit nicht ersichtlich. Ich fand ihn nur litoral. Aus den bisher angeführten Abhandlungen haben wir im sanzen 38 Organismen des freien Wassers aus dem Traunsee kennen gelernt, von denen sicher 32 reine Planktonten sind, Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 213 u. zw. 5 Flagellaten, 9 Algen und 18 Tiere (siehe Tabelle V). Mithin war schon damals die Planktonliste des Traunsees die - reichhaltigste, die bis dahin aus einem Salzkammergutsee bekannt geworden war. Die letzte Arbeit über das Traunseeplankton war eine Ab- handlung „Uber das Phytoplankton des Traunsees“ von Keissler (1907). Ehe ich auf eine nähere Besprechung dieses Aufsatzes, der den Versuch einer allgemeine Charakteristik des Phyto- - planktons unseres Sees darstellt, eingehen kann, muss ich die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen mitteilen. Den grössten Teil meines Materials habe ich zusammen mit Dr. F. Pausinger in der Zeit vom 12.—16. August 1904 ge- sammelt. Wir hielten uns damals eigens zu dem Zwecke in Gmunden auf, um uns über die allgemeinen Verhältnisse im Traunsee zu orientieren und einige Methoden des Planktonfanges zu prüfen. Diese Arbeiten sollten als Vorbereitung für eine eventuelle spätere monographische Bearbeitung des Sees dienen. Wir mussten leider den Plan aufgeben. Es blieb bei den Vor- untersuchungen, deren Resultate jedoch immer noch manches’ Interessante bieten. Ausser diesem Material vom August 1904 verfüge ich noch über einen Fang aus der Koelbelsammlung vom 31. Oktober 1888, einige von mir am 30. August 1905 ausgeführte Fänge, sowie einige Fänge vom 16. und 27. März und 13. April 1908, die ich der Freundlichkeit der Herren Hubert und Othmar Peters- hofer verdanke. * * * Als Fanggeräte dienten mir im August 1904 zwei Netze. Das eine bestand aus einem Beutel aus Seidengaze von ziemlich grosser Maschenweite (0'15 mm), der an einem Ring von ‚starkem Eisendraht befestigt war und am schmalen Ende ein . kleines eingebundenes Glasgefäss trug. Das zweite Netz war aus feinster Müllergaze (Nr. 20) gefertigt und besass am unteren Ende einen schweren Messingring, in welchen ein Messingeimer mit Gazeboden aus derselben Müllergaze Nr. 20 eingeschraubt war. Beide Netze wurden zu Vertikal- und Horizontalfängen verwendet. Das engmaschige Netz diente gleichzeitig auch als Schliessnetz für vertikale Tiefenfänge. Zu diesem Zwecke war zwischen den aussen am Netz angebrachten Sicherheitsschnüren ein mit Leinwand überzogener Eisenring lose um das Netz ge- legt, dessen Durchmesser ungefähr halb so gross war, als der der oberen Netzöffnung. Das Netz hing an einer starken, durch eingeflochtene Bändchen in Meter eingeteilten Schnur. Eine schwächere, ebenfalls kalibrierte Schnur war an dem losen Ring, 214 Dr. Viktor H, Langhans: befestigt. Der Ring diente als Drosselring zum Verschluss des Netzes und leistete als solcher gute Dienste. Wenn das Netz als Schliessnetz verwendet werden sollte, so wurde es an der Drosselringschnur in die Tiefe gelassen, wobei es derart im Drosselring aufgehängt war, dass zu beiden Seiten des Ringes mann un Autumn en de 5 "] £ ” \ nördl. Seiles des Sraunsees. RD Fangstrecken der Norizontal fänge. a Begrenzung der Folypbemus: zone gegen das Ufer. ee Begrenzung 3. Jolyphemus- zone 9: 2.Scemille » “ » Q [e) Fänge ‚die Flyphemus ent). ee En EEE Er Fre Traun kırchen ein gleich langes Stück des Netzes herabhing. Dabei war der Innenraum des Netzes vollkommen abgeschlossen. Sobald das Netz die gewünschte Tiefe erreicht hatte, wurde die Netzschnur angespannt und die Schnur des Drosselringes locker gelassen. Dadurch öffnete sich das Netz, der Drosselring wurde durch die Sicherheitsschnüre am Abgleiten verhindert. Um eine Verwicke- Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 215 lung der beiden Schnüre zu vermeiden, wurden sie von den ent- gegengesetzten Enden des Bootes aus abgelassen. Sowie das Netz geöffnet war, wurde mit dem Aufziehen begonnen. - Auf eine Strecke von 5 Metern wurde es offen an der Netzschnur aufgezogen. Dann wurde wieder die Drossel- schnur gespannt, die Netzschnur losgelassen und das Netz so in seschlossenem Zustande völlig emporgezogen. Wenn es ge- schlossen herauf kam, konnte ich annehmen, dass es die ganze übrige Strecke in diesem Zustande zurückgelegt hatte. Die Resultate der Schliessnetzfänge waren nicht sehr be- friedigend. Sie enthielten zu wenig Material um daraus sichere Schlüsse zu ziehen. Das einzig brauchbare Ergebnis bezog sich auf die Anwesenheit von Cyclops in diesen Fängen. Bei Tag wurde Cyclops mit dem Schliessnetz erst in einer Tiefe zwischen 40 und 50 Metern in wenigen Exemplaren erbeutet, während er in allen jenen Fängen, die aus höher gelegenen Schichten stammten, absolut fehlte und auch in Horizontalfängen mit dem- selben Netz niemals zu finden war. Tiefer als 50 m konnte ich nicht gehen, da meine Schnüre zu kurz waren. In Nachtfängen, die in derselben Weise ausgeführt wurden, fand sich Cyclops schon an der Oberfläche. Es wird erinnerlich sein, dass damals-die Frage nach der Existenz einer täglichen Vertikalwanderung des Planktons ziemlich lebhaft diskutiert und vielfach noch angezweifelt wurde. Meine Schliessnetzfänge sollten nicht nur über das Bestehen einer solchen Wanderung, sondern auch über die Tiefenausdehnung derselben Aufschluss geben. Für Cyclops schien die Frage hier- mit gelöst. Es hatte den Anschein, als zöge er sich täglich bis zu einer Tiefe von mindestens 40 m zurück. Mit dem weitmaschigen Netz wurden allerdings auch am Tage an der Oberfläche oder in geringer Tiefe einzelne Individuen von Cyclops erbeutet, doch konnte das nicht als Widerlegung der Annahme einer Vertikalwanderung dienen. Ihre Zahl war in den Tagesfängen verschwindend klein gegen die grossen Mengen, die ich mit demselben weitmaschigen Netz des Nachts an der Oberfläche erbeutete. Wenn ich trotzdem heute die Erscheinung nicht als einen direkten Beweis für die Vertikalwanderung und jedenfalls nicht als einen unmittelbaren Ausdruck der Intensität der Wanderung auffasse, so kommt das daher, dass ich die Überzeugung ge- wonnen habe, dass die Methode noch viele Fehler enthält, die vorläufig nicht eliminiert werden können. Eine andere Erscheinung, die ich damals irrtümlich eben- falls als Zeichen einer Vertikalwanderung auffasste, mag hier ihre Erwähnung finden. 216 fi Dr. Viktor H, Langhans: % Ich hatte schon eine Reihe von Planktonfängen bei Tag ausgeführt, als ich am 13. August abends um 9, Uhr zum ersten Mal einen Nachtfang erhielt. Schon die Lupenbetrachtung liess zwischen dem lebhaften Gewimmel im Fangglas zahlreiche feine Fäden erkennen, die ich bis dahin niemals gesehen hatte. Die mikroskopische Untersuchung. ergab, dass der Fang eine sehr breite Oscillatoria in grosser Zahl enthielt. Am nächsten Tag suchte ich die Oscillatoria vergebens im See. Sie war wieder verschwunden. Wäre sie in die Tiefe gewandert, so müsste sie um mehr als 50 m gesunken sein, da sie innerhalb dieser Schicht nicht gefunden werden konnte. Leider habe ich die Erscheinung in den folgenden Nächten nicht mehr verfolgt. Die Vermutung, dass wir es in diesem Falle mit einer regelmässigen periodischen Wanderung zu tun haben, hat eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Nach den Untersuchungen Ruttners (1906) im Plöner See findet überhaupt keine Wande- rung des Phytoplanktons statt. Eine Wanderung der Oscillatoria wäre eine Ausnahme, deren Bestehen ganz besonders einwandfrei bewiesen werden müsste. Das plötzliche Auftreten grosser Oscillatoriamassen in jenem Nachtfang lässt sich jedoch noch auf andere Weise erklären. Die breiten Oscillatorien sind keine echten Planktonten. Sie stammen wahrscheinlich aus dem Oberlauf des Traunflusses und werden von Zeit zu Zeit in grösseren, von ihrer Unterlage losgerissenen Beständen in den See geführt. Ein solcher Schub kann, da die Strömung des Flusses fast durch den ganzen See an der Oberfläche bemerkbar ist, lange Zeit in der Nähe der Oberfläche bleiben und so zufällig einmal in das Planktonnetz gelangen. Einzelne Fäden mögen sich im ganzen See verteilen, und so die Ursache davon sein, dass in den meisten meiner Horizontalfänge mehr oder weniger vereinzelte Osecillatoria- fädchen nachweisbar waren. E33 Sehr wichtig schien mir eine genauere Untersuchung, in- wieweit die Ergebnisse von Netzfängen zur Beurteilung der rela- tiven Mengenverhältnisse der einzelnen Örganismenarten des Planktons verwertbar sind. Zu diesem Zwecke wurden mehrmals ‚Parallelfänge mit dem engen und dem weiten Netze ausgeführt. Die Ergebnisse einiger solchen Parallelfänge sind in den Tabellen I bis IV. wiedergegeben. Das Material, das in Pfeifferscher Lösung konserviert ist, wurde vor der Zählung gut durchgemischt und sodann eine Probe auf der Zählplatte durchgezählt. Die erhaltenen Zahlen wurden auf das Verhältnis zu tausend gezählten Orga- nismen umgerechnet und bedeuten daher für jede Art das Ver- hältnis pro mille des gesamten Fanges. 7 v 2 Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. BR NN Tabelle |, Engmasch. Netz Weitmasch. Netz Fang Nr, 3. 12.8.04,. 5hp. m. Mitte des Sees Fang Nr. 4. 12.8.04. 5h 30'p. m. Mitte des Sees Oberfläche Oberfl. bis 2 m Tiefe Staurastrum SE SEP Ästerionella.. . . . Br = reldtella er... 197°, ygube Verschiedene Oyanophyceen !) 118: N Re Botryococcus — Bu Dinobryon divergens 339 5 Sana Ceratium hirundinella . DA ei Codonella lacustris . By — Polyarthra platyptera 134775 — Notholea longispina . Bir, 129 %., Leptodora kindtii RE Daphnia hyalina . ganz vereinzelt 380... Bythotrephes longimanus KA Copepoden ı) Ohne Osecillatoria maxima, die in anderen Fängen enthalten war und dort namentlich angeführt wird. 17 ev Dr. Viktor H. Langhans: 218 / Tabelle Il. Engmasch. Netz | Weitmasch, Netz | Fang Nr. 21. Fang Nr. 22. 13. 8. 04. Nachts | 13. 8. 04. Nachts 9 h 15‘. Mitte des | 9 4 30‘, Mitte des Sees. Oberfläche Sees. Oberfläche Stanrastrum Br lad, — oo Dosmarum "u nee _ A Merismopedia . . 2... — RER Fragillaria virescens . . . — vereinzelt Asterionella Su sea, Born z 18, — Qyelotellä: Re Ba En Be Oscillatoria maxima . .. — abD. Andere Cyanophyceen . . . 19 21% Diese Botryococcus . . . . ... | vereinzelt — Dinobryon divergens . . . 629.75 ge Ceratium hirundinella . . . DIRT — Peridiniom%z yanmsrt3. HR 4; DAnUa ra ae De a ei vereinzelt Codonella lacustris . . . . — vereinzelt Polyarthra platyptera ee Ta... er Notholea longispina Dimiss Anuraea cochlearis . . . . |} vereinzelt _ Asplanchna priodonta > Srz Synchaeta spec. - . . .. DE — Leptodora kindtü . . . .| vereinzelt vereinzelt Daphnia hyalinn . .... SER 1102% Bythotrephes longimanus . . | vereinzelt vereinzelt BYCOBEA CS REEL IE ER, Den 134 5% Diaptomus gracilis . . . . SA 364 ", ?) Cyclops strenuus und C. leuckarti nicht getrennt gezählt. Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. Engmasch. Netz Tabelle Ill. 219 Weitmasch. Netz Fang Nr. 35. 15.8.04. 8h p. m. im freien See (limnetisch). 0 bis cca 5 m Tiefe Fang Nr. 34. 15.8. 04.7 hp, m. im freien See (limnetisch) O0 bis 1 m Tiefe BIBI Staurastrum Pediastrum . Fragillaria virescens Asterionella Cyclotella Oscillatoria maxima Andere Cyanophyceen . Dinobryon divergens Ceratium hirundinella . Ceratium cornutum . Peridinium Codonella lacustris Polyarthra platyptera Conochilus unicornis Notholca longispina Chromogaster spec. . Synchaeta spec. Anuraea aculeata Anuraea cochlearis . Daphnia hyalina . Polyphemus pediculus . Cyclops Diaptomus gracilis 40 %/o0 RE ”/oo E37. — — vereinzelt Da u, — 08.4.4 u — TIEN K4:-% 10.1, 1093, 1927, 2612,47, KO, Dr > VER re 6 > ZuEE 402 , — 43m 48 1477, 203% ER; — RR PR: AR a Me, DE Br 644 „ Bu, 19 » LINZ „ 10 „ 17* 220 Dr. Viktor H. Langhans: Tabelle IV, | Engmasch. Netz | Weitmasch. Netz Fang Nr. 42, 16.8.04.9h 15’ a. m.|16.8.04. 8h 45’ a.m, im freien Wasser, nahe -dem- Ostufer. 0 bis 1 m Tiefe Fang Nr, 41. im freien Wasser, nahe dem Ostufer, 0 bis 1m Tiefe Daphnia hyalina . Polyphemus pediculus Bosmina longispina . Cyclops ’ Diaptomus gracilis . 3) Ohne Oscillatoria Staurastrum BO Cosmarium . . PR Pediastrum . Liv Merismopedia . 1a Fragillaria virescens 277, Asterionella . ir Da, N, Verschiedene Cyanophyceen’®) BI. Dinobryon divergens 348 \, Dinobryon stipitatum BE“ Ceratium hirundinella . DB, Peridinium > Ina, Polyarthra platyptera DIE, Notholca longispina GR, Notholca striata . I Asplanchna priodonta = Chromogaster spec. . 605 Anuraea aculeata a, Anuraea cochlearis . 3 maxima, Fat oo vereinzelt 18 ie A “ ur > a er Er Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich, 221 Die Resultate dieser Parallelfänge sind sehr lehrreich. Sie bieten eine ganz typische, immer wiederkehrende Erscheinung. Die Fänge mit dem engen Netz zeigen stets ein Überwiegen jener Formen, die in den gleichzeitigen Fängen mit dem weiten Netz fehlen oder nur spärlich angetroffen werden. Der Inhalt des engen Netzes bestand immer in der Hauptsache aus Phyto- plankton (inklusive Flagellaten),') während die Tiere (mit Aus- nahme von Polyarthra, die im engen Netz stets zahlreich vor- handen war) sehr zurücktraten. Das Plankton erschien nach dem Inhalt dieses Netzes als ein vorwiegend pflanzliches. Ein ganz anderes, ja geradezu entgegengesetztes Bild zeigen die Fänge mit dem weiten Netz. Hier war das Zooplankton stets weitaus vorherrschend, das Phytoplankton trat bedeutend zurück. Nur -Dinobryon war manchmal in diesen Fängen in ähnlichem Prozentsatz vorhanden, wie in den Fängen mit engem Netz. . Das Zurücktreten des Phytoplanktons in den Fängen mit weitem Netz lässt sich ohneweiters aus dem Umstande erklären, dass die Formen des Phytoplanktons sehr klein sind und daher in grosser Menge durch die Maschen des Netzes schlüpfen. Nur Dinobryon mit seinen sperrigen Kolonien wird in grösserer Zahl zurückgehalten. Es wäre daher möglich, dass nur das Ergebnis dieser Fänge falsch, das der Fänge mit engem Netz jedoch voll- ständig richtig wäre. Dem widerspricht neben manchen anderen Umständen schon die Tatsache, dass manche Tiere, die mit dem weiten Netz massenhaft erbeutet wurden und daher jedenfalls immer im Plankton vorhanden waren, in den Fängen mit engem Netz mitunter ganz fehlen (Tab. IV). Es wird daher auch die Beute des engen Netzes nicht ganz den wirklichen Verhältnissen entsprechen. Hier ist wahrscheinlich die durch erhöhte Reibung hervorgerufene Stauung des Wassers im Netz als Ursache des Fehlens aller jenen Organismen zu betrachten, die eine ausgiebige Eigenbewegung besitzen. Man hat ganz zu Beginn der Planktonforschung geglaubt, dass die wahre Menge des in einem See vorhandenen Planktons aus dem Inhalte der Netzfänge berechnet werden könnte. Nach- dem man erkannt hatte, dass infolge der Reibung und Stauung im Netz nicht die ganze Wassersäule, die aus der Netzöfinung und der Länge des Zuges berechnet werden kann, wirklich filtriert wird, glaubte man, dass der Fehler durch Berechnung des „Netz- koeffizienten“ eliminiert werden könnte. Der Netzkoeffizient war eine für ein- und dasselbe Netz angeblich konstante Zahl, die aus der Maschenweite und der Neigung der Netzwand bestimmt 1) Ich habe hier und weiter unten die Flagellaten zum Phytoplankton gezählt, um einen direkten Vergleich mit den Arbeiten Keisslers zu erleichtern. Yin 222 i Dr, Viktor H, Langhans: werden konnte und jenes Verhältnis angab, in welchem die wirk- lich filtrierte Wassersäule zu jener stehen sollte, die man durch Multiplikation des Flächeninhalts der Netzöffnung mit der Länge der durchfischten Strecke erhielt. Spätere Forschungen haben gezeigt, dass die Annahme falsch war. Es ist nicht nur sehr schwierig, den Netzkoeffizienten zu bestimmen, der bei dem gleichen Netz infolge von Quellung der Seidenfäden und all- mählicher Verschleimung sich stets ändert, sondern es entstehen auch ganz unberechenbare Wirbel im Innern des Netzes und vor der Einströmöffnung, die einerseits den Inhalt des Fanges zum Teil wieder herausspülen, andererseits viele Organismen noch vor der Netzöffnung fortreissen und gar nicht ins Netz gelangen lassen. Ausserdem wird die Wassersäule, die vor dem Netz liegt und erst filtriert werden soll, schon lange vorher durch die Netzleine beunruhigt, in Wirbel versetzt und zum Teil durch die bewegte Leine mitgerissen, sodass die Verhältnisse innerhalb dieser Wassersäule ganz unnatürliche sind und gewiss nicht mit denen im übrigen See übereinstimmen. Schliesslich wird infolge der Stauung des Wassers im Netz die Strömungsgeschwindigkeit am Netzeingang eine so geringe, dass viele Tiere, die eine starke Eigenbewegung besitzen, sich gar nicht mehr fangen lassen, ja zum Teil, wenn sie zuerst ins Netz geraten waren, wieder gegen den Strom herauszuschwimmen vermögen. Eine Vorstellung von den grossen Planktonmengen, die selbst das feinste Netz noch passieren, bekommt man erst, wenn man quantitative Fänge nach der von Ruttner (1906, p. 4) an- gegebenen Methode durch Filtrieren geschöpften Oberflächen- wassers mittels eines Beutels aus Schafleder ausführt und mit gleichzeitig am selben Orte ebenfalls durch Schöpfen erhaltenen quantitativen Netzfängen vergleicht. Der Unterschied in der Ausbeute ist ein ungeheurer. Derartige Vergleiche, die ich anderswo sorgfältig durchgeführt habe, werden in einer anderen Arbeit Platz finden. Für heute genüge die Feststellung, dass die engsten Planktonnetze weder die wahre Menge des Planktons (oder irgend eines einzelnen Planktonorganismus), noch die rela- tiven Mengenverhältnisse der vorhandenen Arten richtig erkennen lassen. Ich kann daher nicht entscheiden, ob zur Zeit der Aus- führung meiner Untersuchungen das Phytoplankton oder das Zoo- plankton im Traunsee vorherrschte. Es wurden auch quantitative Fänge versucht, indem mit einem Schöpfgefässe von 12 Inhalt 200 2 Oberflächenwasser ge- schöpft und durch das enge Netz filtriert wurden. Dass dabei nicht das gesamte Planton im Netz zurückgehalten wurde, geht schon aus dem vorher Gesagten hervor. Die Methode hat jedoch noch manche andere Fehler. Wenn mit einem 1 /-Gefäss 200mal z ri Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 293 an derselben Stelle geschöpft wird, was doch stets eine lange Zeit in Anspruch nimmt, werden durch die andauernde Be- unruhigung des Wassers alle Organismen mit Eigenbewegung endlich mehr oder weniger verscheucht. Fährt man während des Schöpfens, so wird dieser Fehler verkleinert, jedoch nicht ganz ausgeschlossen, da auch schon beim ersten Eintauchen des Ge- fässes ein Teil der Tiere ausweichen dürfte. (Wenn man während des Schöpfens fährt, kann man übrigens auch nicht behaupten, dass die 200 2 von derselben Stelle stammen.) Dadurch wird die Zahl der erbeuteten Tiere derart ungüustig beeinflusst, dass man selbst in ziemlich planktonreichen Seen mit dieser Methode sehr wenig Tiere und jedenfalls viel weniger, als wirklich vorhanden sind, erbeutet. Im Traunsee erhielt ich mit der Schöpfmethode von Tieren nur Polyarthra und wenige Exemplare von Notholca. Die Zahl der Algen fällt zu niedrig aus infolge der Durch- lässigkeit des Netzes; ausserdem noch dadurch, dass das filtrierte Wasser, welches das Netz schon passiert hat, sich mit dem Wasser der Umgebung mischt und das Plankton an der Stelle, wo geschöpft wird, allmählich verdünnt. Ich konnte daher auch auf diesem Wege zu keinem Er- gebnis bezüglich der relativen Mengenverhältnisse kommen. * * * Besser standen die Auspicien für die Beurteilung der hori- zontalen Verteilung des Planktons. Horizontalfänge, die mit einerlei Netz und zur selben Tageszeit an verschiedenen Stellen des Sees ausgeführt wurden, mussten bei gleichmässiger Ver- teilung des Planktons annähernd gleiche Resultate liefern oder andernfalls einen sicheren Schluss über die Art der Verteilung zulassen. Man hat lange darüber gestritten, ob das Plankton in den Seen gleichmässig verteilt oder in Schwärmen vereinigt vor- komme. Heute sind wohl schon die meisten Planktonforscher von der Schwarmtheorie abgekommen. Man nimmt an, dass das Plankton im freien Wasser des ganzen Sees gieich verteilt sei und bis zum Ufer reiche, wo es von einer anderen Organismen- gesellschaft, der litoralen Fauna und Flora, abgelöst werde. Man unterscheidet demnach in jedem See eine litorale und eine limnetische Region. Der Seegrund mit seiner eigentümlichen Lebewelt bildet eine dritte Region. Innerhalb der limnetischen Region ist bisher keine weitere Gliederung beobachtet worden. Umsomehr war ich überrascht, als ich im Laufe meiner Untersuchungen im Traunsee eine sehr verschiedene Zusammen- setzung jener Fänge bemerkte, die mit demselben Netz und zur 224 Dr, Viktor H. Langhans: selben Tageszeit an verschiedenen Stellen innerhalb der limne- tischen Region erbeutet waren. Am auffallendsten war das Ver- halten des Polyphemus pediculus. In manchen Fängen, die un- zweifelhaft limnetisch waren, bildete Polyphemus den Haupt- bestandteil. In anderen Fängen, die ebenso sicher der limnetischen Region entstammten, fehlte er ganz. In der litoralen Region des Traunsees habe ich ihn nie gefunden. Um über diese sonderbare Erscheinung Aufschluss zu er- halten, habe ich die Orte einer Anzahl von Horizontal-Fängen, die mit dem weiten Netz ausgeführt waren, in eine Kartenskizze eingetragen (Siehe pagina 214). Da alle meine Fänge nur im nördlichen Teil des Sees zwischen Gmunden, Villa Toskana und Breitort am Fusse des Grünbergs ausgeführt wurden, beziehen sich die folgenden Be- trachtungen nur auf diesen Teil des Sees. (Übrigens kommen schon in diesem Teil Tiefen von mehr als 100 m vor!) Aus der Kartenskizze geht hervor, dass ich in der Mitte dieses Seeteiles keinen Polyphemus gefunden habe. Die Fänge, welche Polyphemus enthalten, sind stets näher dem Ufer aus- geführt, .wiewohl immer noch in so grosser Entfernung und über einer solchen Tiefe, dass sie als rein limnetisch gelten müssen. Die Fänge Nr. 26, 34 und 41-sind in einer Entfernung von cca. 300m vom Ufer ausgeführt. Der Fang Nr. 38 immer noch nahezu 200 m vom Ufer, der Fang Nr. 15 allerdings etwas weiter draussen. In diesen Fängen war Polyphemus in verschiedenem Mengenverhältnis zu finden. Am häufigsten fand ich ihn in Nr. 41, am wenigsten in 38. Um festzustellen, wie nahe Polyphemus an das Ufer heran- geht, machten wir am 14. August vormittags eine Serie von Horizontalfängen parallel dem Ufer in der Nähe der Villa Toskana. Der erste Fang war cca. 200m vom Strande entfernt. Die folgenden näherten sich demselben immer mehr (cca. 180 m, 150 m, 100 m, 20 m, siehe Kartenskizze p. 214, Fang Nr. I—V). Der erste Fang (200 m) enthielt vorwiegend Daphnia hyalina, viel Polyphemus, wenig Bosmina longispina, vereinzelt Leptodora, Bythotrephes und Diaptomus. Der zweite Fang (180 m) enthielt vorwiegend Polyphemus, viel Daphnia hyalina, wenig Bosmina, vereinzelt Bythotrephes, Cyclops und Diaptomus. Der dritte Fang (150 m) enthielt wieder vorwiegend Daphnia hyalina, sehr viel Polyphemus, wenig Bosmina, vereinzelt Bytho- trephes, Cyclops und Diaptomus. Der vierte Fang (100 m) war sehr spärlich. Er enthielt Polvphemus, Daphnia, Bythotrephes, Bosmina, Cyclops und Diaptomus in einzelnen Exemplaren. ee r x a Be ZEN: a 27 I WU a ' Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 295 Der fünfte Fang (20 m) enthielt schon vorwiegend litorale Formen, wie Chydorus, Alona und Pleuroxus. Von limnetischen Organismen fand ich darin nur einige Individuen von Bosmina longispina. Diese Fangserie zeigt vor allem, dass die limnetische Region mindestens bis 100 m, vielleicht noch näher, aus Ufer heran- reicht. Auffallend ist dabei, dass an dieser Stelle, die unzweifel- haft schon der limnetischen Region angehört, das Plankton be- deutend individuenärmer ist, als weiter draussen. Dasselbe habe ich .wiederholt an anderen Stellen des Seeufers, so auch am segenüberliegenden Ufer bei Steinhaus, bemerkt. Es scheint zwischen der litoralen und limnetischen Region zunächst eine Zone zu liegen, in der entweder das Plankton wirklich besonders individuenarm ist, oder aus einem anderen Grunde weniger er- beutet wird.”) 4 Polyphemus pediculus fehlt in der litoralen Region des Traunsees vollständig, ebenso wie alle anderen eulimnetischen Entomostraken mit Ausnahme von Bosmina.?) Vom Ufer gegen die Seemitte zu tritt Polyphemus in der- selben Entfernung auf, wie die übrigen Planktonformen. In einer Entfernung von 150 m vom Ufer herrschen Polyphemus und Daphnia vor, doch überwiegt Daphnia an Zahl. In 180 m ‚ist Polyphemus zahlreicher als Daphnia, bei 200 m überwiegt wieder Daphina. Polyphemus hat demnach sein Maximum (an dieser Stelle) ca. 180 m vom Ufer entfernt. Das allmählige Abnehmen des Polyphemus gegen die Seemitte habe ich nicht verfolgt. In 400 m Entfernung konnte ich ihn nicht mehr erhalten. Auf der Kartenskizze habe ich den Versuch gemacht, die vermutliche Begrenzung der Polyphemuszone einzutragen. ES wird auffallen, dass diese hypothetischen Grenzlinien einige von den eingezeichneten Fangstrecken quer durchschneiden. Die so durchschnittenen Fangstrecken gehören zu solchen Fängen, die Polyphemus enthielten, aber in bedeutend geringerer Zahl, als ' andere Fänge, die ganz in. der angenommenen Polyphemuszone liegen. Ich nehme an, dass die geringe Menge von Polyphemus in diesem Fange daher rührt, dass der Fang faktisch nicht in seiner ganzen Ausdehnung in der Polyphemuszone liegt und des- - 2) Man findet häufig die Behauptung, dass es keine Begrenzung der limnetischen Region gegen das Ufer hin gibt. Die limnetischen Organismen sollen durchwegs bis hart ans Ufer herangehen, die litorale Region soll nur dadurch ausgezeichnet sein, dass hier neben den limnetischen auch litorale Formen vorkommen, Im Traunsee fand ich ein solches Verhalten nur an der Esplanade, an jener Uferstelle, an welche das Wasser durch die vor- herrschenden Winde angetrieben wird. 3) Nur an der Esplanade fing ich Polyphemus auch hart am Ufer. 226 Dr. Viktor H. Langhans: halb von anderen Formen mehr Individuen enthält als von Poly- phemus, der nur auf einem kleinen Teil der Fangstrecke mit- erbeutet wurde. Wie sich die zonare Gliederung in anderen Teilen des Sees, ausserhalb der von mir durchfischten Gmundner Bucht verhält, kann ich nicht beurteilen. Dass bei Steinhaus die Polyphemus- zone weiter in den See hinauszureichen scheint, habe ich bereits erwähnt. Die limnetische Region des Traunsees zerfiel demnach im August 1904 im nördlichen Teil in dıei verschiedene Zonen. Auf das Litorale folgte zunächst eine planktonarme Zwischen- zone, dann eine sublimnetische Polyphemuszone und endlich eine hochlimnetische, Poliyphemusfreie Zone. Auch die beiden Cyclopsarten (strenus und leuckarti) schienen, aufgrund der Tagesfänge, eine ähnliche horizontale Verbreitung zu haben, wie Polyphemus. Sie wurden bei Tag in der Nähe des Ufers regelmässig in geringer Anzahl gefangen, fehlten in dem Fang in 200 m vom Ufer und kamen in den Tagesfängen aus der Seemitte nur sehr vereinzelt vor. Die Nachtfänge boten einen Unterschied. Während Polyphemus auch in der Nacht niemals in der Seemitte gefangen wurde, waren die beiden Cyclopsarten in allen Nachtfängen aus der Seemitte massenhaft zu finden. Diaptomus gracilis war in allen limnetischen Fängen, vom Ufer bis zur Seemitte, bei Tag und Nacht gleichmässig verteilt. % * * Ausser Polyphemus pediculus kommt im Plankton des Traun- sees noch ein anderer Organismus vor, der sonst nicht zu den euplanktonischen Formen gerechnet wird, Ceratium cornutum. Es bewohnt in der Regel nur kleine Teiche und Tümpel und wurde deshalb von Zacharias (1898) zum typischen Heleoplankton gestellt. Die erste Nachricht über das Vorkommen von Ceratium cornutum im Seenplanktou verdanken wir Asper und Heuscher (1886), die es in Schweizer Seen beobachteten. Seither findet man es öfters in alpinen Planktonlisten verzeichnet, ohne eine besondere Würdigung der gewiss auffallenden Tatsache, dass ein sonst nur in Tümpeln lebender Organismus gerade in den Alpenseen so häufig in der eulimnetischen Region anzutreffen ist. Im Traunsee fand ich Ceratium cornutum einmal am 15. August 1904 in wenigen Exemplaren in der Polyphemuszone und ein zweitesmal am 30. August 1905 in grösserer Anzahl in allen an jenem Tage ausgeführten Fängen. Da ich damals nicht sehr 2 AHEN) Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 2927 weit auf den See hinausfuhr, kann ich die Frage, ob Ceratium cornutum hochlimnetisch oder nur, wie Polyphemus sublimnetisch vorkommt, nicht entscheiden. * * * Die systematisch-faunistischen Ergebnisse meiner Plankton- untersuchungen am Traunsee werde ich an anderem Orte im Zusammenhang mit dem Zooplankton einer grösseren Zahl von Salzkammergutseen veröffentlichen. An dieser Stelle will ich nur noch den Versuch machen, die bisher vorliegenden Daten zu einer übersichtlichen Darstellung des Traunseeplanktons zu- sammenzufassen. In erster Linie wäre die Frage zu entscheiden, ob der Traunsee ein quantitativ armes oder reiches Plankton besitzt. Eine vollständig richtige Antwort könnte nur auf Grund genauer und einwandsfreier quantitativer Untersuchungen gegeben werden. Es ist bekannt, dass solche noch nirgends gelungen sind. Wir besitzen noch keine Methode zur Bestimmung der absoluten Plank- tonmenge. Alle bisher publizierten Angaben über die Quantität des Planktons irgend eines Sees sind von der Wahrheit weit entfernt. Wir können jedoch die relativen Planktonmengen ver- schiedener Seen abschätzen und vergleichen, insofern sie mit denselben Hilfsmitteln untersucht wurden. Auf diese Weise sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass die tiefen Alpenseen im allgemeinen eine bedeutend geringere Planktonmenge beherbergen, als die Seen der Ebene. Von diesem Gesichtspunkt aus muss auch der Traunsee betrachtet werden. Keissler (1907) findet seine Planktonmenge sehr gering, ohne anzugeben, ob dies Urteil allgemein oder im Vergleich zu anderen Alpenseen gelten soll. Ich selbst gewann den Eindruck, dass das Traunseeplankton allerdings sehr bedeutend an Menge hinter dem der Seen und Teiche der Ebene zurücksteht, hin- gegen im Vergleich mit anderen Alpenseen ein hervorragend reiches genannt werden muss. Nach einer Angabe von ori (1898 p. 4), der wiederholt eine Wasserblüte auf dem Traunsee beobachtete, muss das Phytoplankton des Sees zuzeiten eine für einen Alpensee ganz unerwartete Entfaltung erreichen. In zweiter Linie kommt der relative Artenreichtum in Be- tracht. Auch hierin stehen die Alpenseen im allgemeinen weit hinter den Seen der Ebene zurück. Wir dürfen daher auch im Traunsee von vornherein nicht so viele verschiedene Formen erwarten, als z. B. in den Seen der norddeutschen Tiefebene. 228 In Dr. Viktor H. Langhans: Tabelle V. Verzeichnis sämtlicher bisher im Imhof | Cori | Brehm u. Zederbauer | one 1885 | 1898 1906 | Dinobryon divergens Imhof. _ | —_ 1898®) ee ee ne ua Dinobryon stipitatum Stein . — — _ FT; Ceratium hirundinella O. F. Miller... . 1 1 28.8. 84] 1898 2 ee Ceratium cornutum Ehrbe. _ _ 1898?) IR Peridinium . . . 28.8.841)| 18988) — Glenodinium einctum Ehıbg. — — 1898 — Anabaena flos aquae (Lyngb. | BREI UN, Shan, -- — 1898 _ Aphanizomenon flos aquae Balls na nn.) — _ 1898 E Merismopedium ..... — — _ — Bseillateria . . ı... _ _ — — Clathrocystis (Polyeystis) aeruginosa Kütz. — _ 1898 _ Chroococcus sp. IA — ner — _ Bterionelle us. Sen — — 1898*) | 31. 12. 01, 26. 3. 021°) Fragilaria crotonensis Kitton — — —_ 31.12. 01, 26. 3. 02 Fragillaria virescens Ralfs . -— = 1398 Cyelotella bodanica Eulenst. _ — _ = Cyclotella comta Kütz. . . — — u _ Cyclotella BE Brth. —_ = = — Melosira . .. . SER _ — 18985) — Tabellaria .', .'n.'.\ — — _ -- Synedra x —_ _ _ Dratoma nal _ — 1898 _ Botryococcus brauni Kütz. . _ = _ _ Bediastrum ara Ken _ —_ —_ _ Cosmarium — — — Staurastrum BKL _ _ 1898 20. 8. 0214) Staurogemis Wi... — ii. N —_ Acanthocystis.. . . — | —_ — — Ditflugia hydrostatica Zach. = — — —_ Epistylis rotans Svec. — _ — — Codonella lacustris Entz. _ 28.38.84) — Notholca longispina Kell. . & 28.8.842)| 1898 ||91- 12,01, 26.8. 08, Notholca striata O. F. Müller _ E ER Anuraea cochlearis Gosse _ _ 1898 31.12.01, 26. 3.02 Anuraea aculeata Ehrbe. -- — 1898 —_ Asplanchna priodonta Gosse — _ 1893!°) | 31.12. 01, 26. 3. 02 Triarthra longiseta Ehrbg. — — 1898 _ Polyarthra platyptera Ehrbg. -- —_ 1898 26. 3.02 Synchaeta —_ = _ — Chromogaster .... .. ir 72% _ _ — —_ Conochilus unicornis Rouss. _ _ 189811) _ Monostyla Kun attmlus? Ce mir Wase Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich, 2239 ' Traunsee festgestellten Gattungen und Arten. | ale Keissler 1907 | Eigene Sammlung leg. Petershofer | 31. 10. 88 | Juli-Aug. 1906 12.-16. 8.04, 30. 8.05 Au 31.10.88 | = 16. 8.04, 30. 8. 0520) Me 31.10.88 | März, Juni-Aug. 1906 | 12.-16.8.04, 30.8.05 | 16.-27.3.08, 13.4. 04 a2 | = 15.8. 04, 30. 8. 0581) BR “ IR 12.-16. 8. 04, 30.8. 0521) 13. 4. 08 N ui 12.-16. 8. 04 3. 31. 10.88 31.10.88 'spec. 31.10. 88 .88 88 E23 | Dasag 27 en ar h S Isilistislsiill 88 88 88 88 | 31. 10. 88 |März, Juni H Aug. 19061°) März, Juni-Aug. 1906 Juni bis Aug. 1906 “ Ende Juli 1906 März-Aug. 190616) März-Aug. 19061?) August 190422) 30. 8.05 12.-16. 8.04, 30. 8. 05 14. 8, 042), 30. 8. 052°) 27.3.98 16.-27. 3.08, 13. 4.08 16. 3.08, 13. 4. 08 Juli 190618) 1906 1906 1996 1906 1906 12.-16. 8. 04 16. 3. 08 spec. unbestimmt \ eine Species 12.-16. 8. 04, 30.8. 05 j 16. 3. 08 30. 8. 05 —_ —_ 27.3.08 30.8. 05 _ August 1904 — 12.-16. 8.04, 30. 8.05 au August 1904 — 12.-16. 8. 04, 30. 8.05 16. 3. 08 30.8. 05 am 30. 8.05 13. 4. 08 12.-16. 8. 04 — — 16. 3. 08 12.-16. 8. 04 nr 12.-16. 8. 04, 30.8. 05 _ 16. 8. 0428) a 12.-16. 8. 04 16. 3. 08 12.-16. 8. 04 = 12.-16. 8. 04 16.3. 08, 13. 4.08 12.-16. 8.04, 30.8. 05 12.-16. 8. 04, 30. 8. 05 12.-16. 8. 04 12.-16. 8.04, 30. 8.05 | 16. 3. 08 (Fortsetzung auf der nächsten Seite.) 230 Dr. Viktor H. Langhans } Imhof | Cori | Brehm u. Zederbauer | Dans ı885 | 1898 1906 Sida erystallina O. F. Müller | Jul.- Aug. 1876 | _ — — Diaphanuosoma brachyurum Tievin’.*... R- — 28.8.84| — —z Leptodora kindtüi Focke . | Jul.-Aug. 13976 | — 1898 20. 8.02 Daphnia hyalina Leydie . . | Jul.-Aug. 1876| — 1898°) | 31.12.01, 20.8. 02 Polyphemus pediculus Degeer | Jul.-Aug. 1876 | — 1898 —_ Bythotrephes longimanus beydie.. en... 20. ol: Aue, 1976|. 1898 20. 8.02 Bosmina longispina Leydig . — —_ — 81. 12. 01, 26. 3. 0212) | Bosmina longirostris O. F. | Müller „2... . 2... |(Jul.-Aug.1876)) — 1898 _ Bosmina cornuta Jarine ONTaR ..- — 1898 — Eurycercus lamellatus O. F. EUESTE RE ERRERRA EISEN ER BR En — = u > Camptocercus rectirostris Bchoedlers,.. a Wwutens _ — 1898 — Acroperus leucocephal. Koch — _- = = Alona affinis Leydig . . . = _ - Alona guttata Sars .. . . — —_ 1898 _ Alona rostrata Koch . . . — — 1898 — Alona costata Sars ... . . — - _ _ Pleuroxus truncatus O. F. Miller... ; — = — e= Pleuroxus sp. . 1 — — — _ Cyclops strenuus Fischer” ! — _ 1898 31. 12,01, 26. 3. 02 Cyelops leuckarti Olaus . . — _ 1898 —_ Eyelops serrulatus Fischer . — _ — ohne Datum Diaptomus gracilis Sars . . _ — 1898 — Heterocope robusta Sars [> saliens (Lil]j.)] - - - = 28.8.84| — — !) Als Pediastrum privum Imh. Eine Beschreibung dieser Art wurde nie- mals veröffentlicht. 3) Unter dem Namen Anuraea longispina Kell. 3) Als Codonella cratera Leidy. *) Cori nennt Asterionella gracillima. 5) Melosira varians. 6) Cori nennt Dinobryon sertullaria. Es dürfte dieselbe Form sein, die nach der Bestimmung von Zederbauer und von mir als D. divergens zu be- trachten ist. ?) Unter dem Namen Ceratium tetraceros. 8) P. fuscum. ®) Cori will auch D. longispina gefunden haben. Da beide Arten nie neben- einander vorkommen und ich auch im Traunseeplankton stets nur D. hyalina fand, vermute ich, dass Cori etwas variierende Individuen von D. hyalina für longispina gehalten hat. ı0) Asplanchna helvetica, ıı) Unter dem Namen Conochilus volvox. Da man erst in den letzten Jahren gelernt hat, C. unicornis von C. volvox zu trennen, dürfte hinter der Bezeichnung C. volvox früherer Autoren häufig C, unicornis stecken, Im Traunsee fand ich selbst nur C. unicornis. ı2) Unter dem Namen Bosmina coregoni. Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 231 x Koelbel- sammlung Keissler 1907 | Eigene Sammlung leg. Petershofer _ _ | 12.-16. 8. 94 (litoral) — = Rz | 15. 8. 0437) Ei 31.10.88 1906 12.-16. 8. 04 E= — — 12.-16. 8.04, 30. 8. 05 16.-27. 3.08, 13. 4. 08 31.10. 88 En 12.-16. 8. 04 — 31.10.88 — 12.-16. 8. 04 B= 31.10. 88 — 12.-16. 8. 04, 30. 8. 05 16.-27. 3.08, 13. 4. 08 —_ _ 13. 8. 04 2 31.10.88 — — —_ 31.10. 88 _ —_ — Ban a 12.-16. 8. 042°) ae _ — 15. 8. 0425) _ — — 12.-16. 8. 042°) — — — 12.-16. 8. 04 — 31.10. 88 190620) 12.-16. 8. 04 16.-27. 3. 08, 13. 4. 08 —- — 12.-16. 8. 04 —_ I — | = Aug. 1904 litoral E= 31.10.88 | 1906 1°) 12.-16. 8. 04, 30. 8.05 16.-27. 3.08, 13. 4. 08 ı3) Als Asterionella gracillima, ı4) Staurastrum paradoxum, ı5) Als Asterionella formosa Hassk, var. subtilis Grün, 16) Synedra ulna Ehrbg. var. splendens Brun. ı7) Staurastrum paradoxum Mey. var. longipes Nordst. ı8) Als Difflugia urceolata, 19) Nur Diaptomus spec, 20) Nur das Genus erwähnt. 2!) Zwei Species. ?2) O. maxima und seltener (15.8.) eine kleinere Art. 23) Meist nur Schalenstücke und Postabdomen. Bloss einmal ein lebendes Exemplar im Plankton. 24) Sehr selten. I» 25) Am 15.8. im Plankton nahe dem Ufer, \ 26) Diese im Litorale häufige Form wurde nur einmal im Plankton nahe dem Ufer gefunden. 27) Nur einmal. 28) Nur 1 Expl. 2°) Massenhaft. 30) Sehr häufig. sı) Relativ häufig. 939 Dr, Viktor H. Langhans: _ ai Vollständige oder mit einiger Wahrscheinlichkeit nahezu vollständige Listen der Planktonformen sind noch aus wenigen Alpenseen bekannt geworden. . Die reichsten Listen besitzen wir von Schweizer Seen. Von österreichischen Seen sind nur der Montigglersee (Huber 1905, 43 eulimnetische Phytoplanktonten und 41 Zoopl.) und der Achensee (Brehm 1902, 11 Zooplank- tonten) so eingehend untersucht worden, dass ein Urteil über den Artenreichtum zulässig ist. Alle anderen Mitteilungen machen von vornherein keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem sind aus einigen Salzkammergutseen, die nur gelegent- lich untersucht wurden, Listen bekannt geworden, die reich- haltiger sind als die des Achensees, sodass man diesen als be- sonders artenarm bezeichnen muss. Keissler (1907) hat im Traunsee nur 8 Phytoplanktonten (inkl. Flagellaten) und 9 Zooplanktonten gefunden. Er gibt an, dass er einen zweimonatlichen Aufenthalt im Salzkammergut (Juni und Juli) und zwei weitere kurze Besuche Ende März und anfangs August zur Untersuchung des Traunseeplanktons ver- verwendet habe. Ob er diese lange Beobachtungszeit zu einer wirklich gründlichen Untersuchung ausgenützt hat, erfährt der Leser nicht. - Wenn er aber die Zeit entsprechend ausnutzte und trotzdem nur so wenig Formen fand, dann müsste das Traunseeplankton wirk- lich sehr artenarm sein. Dem widersprechen jedoch alle anderen Beobachtungen. Vor Keissler waren schon durch Claus, Imhof, Cori und Brehm und Zederbauer 14 pflanzliche (inkl. Flagellaten) und 18 tierische, (im ganzen 32) Schwebeorganismen aus dem Traunseeplankton publiziert worden, deren Gesamtzahl sich durch die von Keissler neu hinzugefügten auf 38 erhöht. Diese Zahl ist für einen Alpensee schon nicht mehr gering. Nun kommen durch meine Untersuchungen noch weitere Formen dazu (siehe Tabelle V), sodass jetzt 26 limnetische Phytoplanktonten und 35 Zooplanktonten bekannt sind. Da diese Zahlen infolge der Unvollständigkeit der Untersuchungen und der vielfach nur auf das Genus beschränkten Bestimmung gewiss noch bedeutend hinter der tatsächlich vorhandenen Artenmenge zurückstehen dürften, glaube ich das Plankton des Traunsees für artenreich im Vergleich mit anderen tiefen Alpenseen halten zu dürfen. Keisslers spärliche Befunde dürften auf mangelhafte Methodik und wohl auch zum grössten Teil auf eine sehr mangelhafte Aus- nützung der Beobachtungszeit zurückzuführen sein. Ich kann den Verdacht nicht von der Hand weisen, dass Keissler vielleicht gar nicht weit auf den See hinausgefahren ist. Die von ihm erwähnten Algen und Tiere und besonders die Angabe über ihre relative Häufigkeit erinnern mich zu sehr an den Inhalt gewisser Fänge, die ich im August 1904 in der Nähe des Ufers Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 933 mit dem engen Netz erlangte. Sie waren sehr spärlich und enthielten fast nur Ceratium, Dinobryon, Asterionella, Cyclotella und Polyarthra, dazwischen vereinzelte Staurastrum, Peridinium, Notholca longispina, Synchaeta und Chromogaster, während gleich- zeitig in der hochlimnetischen Zone ein reiches Leben nach- weisbar war. * * Ey Zur weiteren Charakteristik des Planktons eines Sees sind ferner die einzelnen Organismenarten, aus denen es zusammen- gesetzt ist und die Variationsformen, in denen sie vorkommen, von grosser Bedeutung. Besonders gilt dies von den Alpenseen. Das Plankton der meisten Seen beherbergt irgend eine Art aus dem Genus Daphnia in grösserer Menge. In den Seen des mitteleuropäischen Flachlandes sind es gewöhnlich zwei Formen, die sich in regelmässigen Perioden ablösen: Daphnia (Eudaphnia) longispina und Daphnia (Hyalodaphnia) cucullata in verschiedenen Lokalformen. Die Vertreter des Subgenus Hyalo- daphnia kommen in Alpenseen nur ausnahmsweise vor. Solche Seen sind gewöhnlich sehr planktonreich, haben zum grössten Teil flache Ufer, eine starke Ufervegetation und relativ warmes Wasser. In den grossen, kalten Alpenseen fehlt das Subgenus Hyalodaphnia. Die nebenkammlosen Daphnien mit Pigmentfleck, deren fast ausschliesslicher Vertreter in den mitteleuropäischen Seen Daphnia (Eudaphnia) longispina ist, sind in den Alpenseen durch zahlreiche Formen vertreten, von denen stets nur eine in einem See vorkommt. Alle Formen können in zwei variations- reiche Spezies zusammengefasst werden, u. zw. in Daphnia lon- gispina und D. hyalina.. Neben den typischen Formen dieser beiden Arten kommen noch mehrere Zwischenformen vor, die oft nur schwer der einen oder anderen Art zugeteilt werden können, ohne dass deshalb eine Fusion beider Arten vorge- nommen werden müsste. In kleineren, nicht zu tiefen Seen findet man häufig eine typische Daphnia longispina, deren Männchen konstant die von Brehm (1902) beschriebenen und abgebildeten Nackenzähne be- sitzen. Doch findet man auch Kolonien von Daphnia longispina, denen dieses Merkmal fehlt. Die typische Daphnia hyalina ist die regelmässige Bewohnerin der grösseren tiefen Kaltwasserseen. Sie tritt im Traunsee in ihrer reinsten Form auf. Sehr typisch ist auch die Bosmina longispina des Traunsees. Sie zeichnet sich durch bedeutende Grösse, einen langen an der Basis breiten, etwas nach abwärts gerichteten Schalenmucro und durch lange, schlanke, ziemlich gerade Antennenhörner aus. 934 C. Jensen: Für den Voralpensee im Gegensatz zu den hochalpinen Seen ist das Vorkommen von Leptodora charakteristisch. Dieses Tier, das fast über die ganze nördliche Hemisphäre verbreitet ist und so wenig variiert, dass es bisher noch nicht möglich ge- wesen ist, Exemplare von verschiedenen Fundorten morphologisch zu unterscheiden, zeigt merkwürdigerweise in verschiedenen Ge- genden ein sehr abweichendes biologisches Verhalten. In Böh- men kommt Leptodora nur in Teichen und klaren flachen Ge- wässern vor, wenn das Wasser nur nicht zu sehr von submersen Makrophyten durchwachsen ist. Da sie in den Seen des Böhmer- waldes fehlt, glaubten Fri& und Vävra (1893, p 55), dass sie für die Fauna der Teiche im Gegensatz zu den Seen charakte- ristisch sei. In Norddeutschland ist sie ein regelmässiger Bewohner fast sämtlicher Seen und Teiche. In den Alpen kommt sie nur in grösseren Seen der tieferen Lagen vor. In kleineren Seen wird sie nicht gefunden. (Schluss folgt.) Die Subsecundum-Gruppe der europäischen Torfmoose. Von C. Jensen (Hvalsö).!) Bei keiner anderen Gruppe der Torfmoose ist das Varia- tionsvermögen der Arten so gross wie ‚bei der in Rede stehenden Gruppe. An nächsten kommt ihr gewiss in dieser Beziehung die Cuspidatum-Gruppe. Bei den Subsecundis sind aber nicht die morphologischen Verhältnisse allein so grossen Veränderungen unterworfen sondern auch die Farben. Es entsteht dadurch ein so grosser Spielraum für das Aussehen, für den Habitus, dass es bei gewissen Arten schwer fällt, zwei einigermassen ähnliche Pflanzen aufzufinden, wenn sie nicht gerade aus demselben Polster oder derselben Kolonie genommen werden. Die Sphagnologen haben seit langem daran gearbeitet, alle diese Formen in zu- friedenstellender Weise zu klassifizieren. Bei der grossen Cuspi- datum-Gruppe, die Warnstorf seiner Zeit in seinem vorzüglichen kleinen Buche „Die europäischen Torfmoose“ Sphagnum variabile benannt hat, gelang es recht bald brauchbare und relativ konstante Merkmale aufzufinden. Als solche erwiesen sich die Blattporen in Verbindung mit der Form der Stammblätter, !) Der vorliegende Aufsatz wurde von dem Autor für das Exsiccaten- werk „Bauer, Musci europaei exsiccati“ verfasst. Die Subsecundum-Gruppe der europäischen Torfmoose. 235 Stammrindenzellen und Chlorophylizellen. Es lag deshalb nahe dasselbe Verfahren bei der Subsecundum-Gruppe zu benützen. Die Verhältnisse der Chlorophylizellen konnten aber bei den europäischen Formen keine brauchbaren Merkmale abgeben, die Stammblattzellen nur wenige, es blieben also die Form der Stammblätter und die Verhältnisse der Poren zur Verwertung übrig. Warnstorf hat seit vielen Jahren die betreffenden Formen genau studiert und war im Jahre 1893?) zu der Folgerung ge- kommen, dass die Verhältnisse der Astblattporen als Haupt- einteilungsprinzip bei den Formen, die sich in anderer Weise nicht auszeichneten, benutzt werden konnten, demnach bei Formen des alten Sph. subsecundum Nees. In seinem grossen Werke „Moose“ in Kryptogamenflora der Mark Brandenburg, hat Warn- storf bei Berücksichtigung der Astblattporen in erster Linie, der Stammblattporen in zweiter Linie, diese alte Art in 7 Arten ge- teilt und zwar: S. subsecundum (Nees) Limp., S. inundatum (Russ. z. T.) Warnst., S. auriculatum Schps., S. crassicladum Warnst., S. turgidulum Warnst., S. rufescens (Bryol. germ.) Limps. und S. obesum (Wils.) Warnst, Von diesen sind 4 an- geblich Hydrophyten, d. h. sie wachsen untergetaucht oder höch- stens mit den Köpfen über dem Wasser, es sind S. inundatum, S. crassicladum, S. turgidulum und S. obesum. Nur die erste Pflanze ist fertil gefunden worden. Im Jahre 1894 erschien Prof. E. Russows Arbeit: „Zur Kenntnis der Subsecundum- und Cybifoliumgruppe europäischer Torfmoose“.?) Der Verfasser hat hier die Ergebnisse seiner um- fassenden Studien über die Subsecundum-Gruppe veröffentlicht. Er kommt zu dem Resultate, dass die Porenverhältnisse der Ast- blätter nicht als Haupteinteilungsprinzip benutzt werden können, weil diese Verhältnisse zu veränderlich sind. Er meint da- gegen, dass die Stammblätter konstantere Merkmale abgeben, welche Merkmale, in Verbindung mit den Verhältnissen der Poren in Ast- wie Stammblättern, zu einer mehr naturgemässen Würdi- sung der Subsecunda führen können. Meiner Meinung nach ist das System Russows mehr wissenschaftlich begründet als jenes Warnstorfs. Ich habe das ansehnliche Material, welches zu meiner Verfügung steht, mehrmals durchgearbeitet, und hielt mich vor ungefähr 10 Jahren *) für genötigt sowohl Russows wie Warn- storfs System der Subsecunda aufgeben zu müssen. Fortgesetzte 2) C. Warnstorf: Charakteristik und Übersicht der. nord-, mittel- und südamerikanischen Torfmoose nach dem heutigen Standpunkte der Sphagno- logie (1895). Hedwigia, Band XXXIII, 1894. 3) Archiv f. d. Naturk. Liv-, Est- und Kurlands, p. 361—523. Zweite Serie. Bd. X, Lfg. 4. 4) C. Jensen: Bryophyta of the Faeröes, p. 139—140. Die hier be- schriebene Var. namurensis ist eine amphibole Form von $. Graveti. 936 | C. Jensen: Untersuchungen haben jedoch veranlasst, dass ich in der Haupt- sache zu demselben Resultate gekommen bin wie Russow. In einer Beziehung weiche ich ab, es kommt mir nämlich vor, dass Russow die Bedeutung der Ein- oder Zweischichtigkeit der Stammrinden zu gering geschätzt hat. Ich schätze dieses Merk- mal in systematischer Beziehung höher, weil ich es viel mehr konstant gefunden haben, als die Form der Stammblätter, ge- schweige denn als die Astblattporen — abgesehen von S. Pylaiei, bei welchem die Poren bekanntlich ganz fehlen. Wenn Russow (l. c.) gemeint hat, dass er eine Form, die ich einst in der Gegend von Helsingör gesammelt habe, zu seinem S. isophyllum ziehen muss, obgleich die Stammrinde konstant einschichtig ist, hat er sich offenbar im Irrtum be- funden. Diese Form wird ohne Zwang mit S. Gravetii vereinigt werden können, habituell ähnelt sie Formen dieser Art sowohl, als des S. inundatum, viel mehr als irgend einer mir bekannten Form von S. platyphyllum, Die submersen Arten (Hydrophyten) Warnstorfs kann ich, wie ich schon erwähnt habe, nur als Formen oder Varietäten von S. inundatum Russ. und S. Gravetii Russ. auffassen. Russow tut ebenso. Ich bemerke hier ausdrücklich, dass ich S. inundatum und S. Gravetii nicht als „gute“ Arten auffasse; ihre Merkmale sind gewiss nicht konstant genug, und sie berühren sich in ihren extremen Formen mitunter so innig, dass es schwer fällt sie auseinander zu halten. Der hier mitgeteilte Schlüssel ist beinahe wörtlich aus Russow (l. c.) entnommen, nur habe ich die beiden Arten mit mehrschichtiger Stammrinde zusammengestellt, weil mir das, wie schon erwähnt, natürlicher vorkommt. Übrigens verweise ich auf die gründliche und interessante Arbeit Russows. Sphagna subsecunda. I. Astblätter mit Poren. A. Stammrinde 2—3schichtig. 1. Stammblätter klein bis sehr klein, dreieckig — zungen- förmig, meist ohne Fasern, hyaline Zellen fast nie geteilt. Poren der Ast- und Stammblätter (mit einer Ausnahme) sehr klein, meist nicht zahlreich, fast nur an der Aussenfläche der Astblätter und an der Innenseite der Stammblätter (Enantiopora Russow). Sph. contortum (Schultz) Warnst. 2. Ast- und Stammblätter fast in jeder Beziehung gleich, nur die Stammblätter häufig grösser und porenreicher als die Astblätter. Einfache Ringporen, Hofporen und Pseudoporen, an der Aussenfläche mehr als an der Innenfläche, (Homopora Russow). Be Pie A; RN Die Subsecundum-Gruppe der europäischen Torfmoose, | 937 Sph. platyphyllum (Lindb.) Warnst. &. Polypora. Aussen zahlreiche, meist dichte Perl-Hofporen, innen lockere Perl-Hofporen und Pseudoporen. ß. Mesopora. Ziemlich zahlreiche, zerstreute oder locker perlförmig Hofporen, Poren und Pseudoporen. y. Oligopora. Sehr wenige, kleine bis sehr Kleine zerstreute Poren und auch Pseudoporen. B. Stammrinde einschichtig. a) Enantiopora. Lagerung der Poren an Aussen- und Innenfläche bei Ast- und Stammblättern in entgegengesetztem Sinne: bei den Astblättern aussen mehr Poren als innen, bei den Stammblättern umgekehrt; einige Formen machen eine Aus- nahme, insofern zuweilen die Astblätter an ihrer Innenfläche mehr Poren führen als an der Aussenfläche, 1. Astblätter fast nur an der Aussenfläche mit einfachen Ringporen, meist dicht perlschnurförmig; Stammblätter klein, meist sehr klein 0'6—1'0 mm lang, faserlos mit Pseudofasern, grossen und zahlreichen ungesäumten Löchern an der Innenfläche des oberen Drittels; aussen kleine, sparsame Poren. Saum meist nach unten verbreitert, hyaline Zellen fast immer ungeteilt. Sph. subsecundum (Nees) Russow. 3. Astblätter 1'1—4'5 mm lang, mit meist dichten Perlhof-, poren an der Aussenfläche, an der Innenfläche keine oder wenige zerstreute bis zahlreiche Hofporen mit Pseudoporen oder lockere und zum Teil dichte Perlhofporen, selten aussen wenige, zer- streute Poren, noch seltener innen mehr Poren als aussen. Stammblätter mittelgross bis gross 1'0—1'8 mm lang, gleich- schenklig-dreieckig, selten dreieckig zungenförmig mit zahlreichen Fasern im oberen /;—!/,, selten bis zu °/; oder mehr; an der Innenfläche mit zahlreichen grossen bis sehr grossen unberingten Löchern, an der Aussenfläche meist mit sehr kleinen, wenigen, beringten Poren; hyaline Zellen meist geteilt, Saum nach unten nicht verbreitert. Sph. inundatum Russow. &. Anisopora (Heteroplagia, Exodynamia). Die Hofporen finden sich vorherrschend oder fast nur an der Aussenfläche der Astblätter. . ß. Hypisopora (Hypisoplagia). Astblätter an beiden Flächen mit nahezu gleichviel Hofporen, meist lockeren Perl-Hofporen und Pseudoporen. x Polypora. Astblätter aussen mit häufig dichten Perl- Hofporen, innen lockeren Hofporen und Pseudoporen. 938 C. Jensen: Die Subsecundum-Gruppe der europäischen Torfmoose. xx Amphibola. Astblätter mit meist lockeren Perl-Hof- poren und Pseudoporen, bald aussen, bald innen porenreicher oder innen mehr Poren als aussen. xxX Oligopora. Astblätter meist porenarm bis fast poren- los, an beiden Flächen nahezu gleich viel. b) Homopora. Lagerung der Poren an Aussen- und Innen- fläche der Ast- und Stammblätter gleichsinnig. Bei Ast- wie Stammblättern (mit wenigen Ausnahmen) an der Aussenfläche mehr Poren als an der Innenfläche. 1. Astblätter mittelgross bis sehr gross, 1’5—5'5mm, meist eiförmig bis breit eiförmig, selten eilanzettlich, aussen mit dichten Perl-Hofporen, seltener lockeren Perl-Hofporen oder zerstreuten Hofporen und Pseudoporen, innen mit wenigen bis zahlreichen zerstreuten Hofporen und Pseudoporen oder lockeren bis ziemlich dichten Perl-Hofporen und Pseudoporen. Nur in seltensten Fällen innen mehr Poren als aussen. Stammblätter gross bis sehr gross, 1'5—2'5 selten bis 40 mm, zungenförmig 1'/)—2mal so lang als breit, selten zungeneiförmig. Meist aussen viel mehr Poren als innen, seltener innen und aussen nahezu gleich viel Poren. Fasern meist bis auf den Grund oder wenigstens bis zu "—?], mit Fasern. Hyalinzellen geteilt. Sph. Gravetii Russow. a) Anisopora. Astblätter an der Aussenfläche sehr poren- reich, an der Innenfläche porenarm. ß) Hypisopora. Astblätter an beiden Flächen nahezu gleich viel Poren führend. x Polypora. Astblätter aussen mit meist dichten, seltener lockeren Perl-Hofporen, innen mit lockeren Perl-Hofporen und Pseudoporen, selten mit dichten Perl-Hofporen. xX Amphibola. Astblätter mit lockeren, selten dichten Hofporen oder zerstreuten Hofporen und Pseudoporen, bald an der Aussenfläche mehr als innen, bald umgekehrt, selten au der Innenfläche mehr Poren als an der Aussenfläche. xXX Oligopora. Wenige bis sehr wenige Poren, Hofporen und Pseudoporen an beiden Blattflächen zerstreut. II. Astblätter ohne Poren. 1. Ast- und Stammblätter gleich. Äste einzeln oder fehlend. Pflanze fast immer dunkel blutrot gefärbt. Sph. Pylaiei Brid. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘', Bibliothek und Sekretariat: Prag II, Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Samstag 7—9 Uhr abends. Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“.. — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. JOH, KRUSICH, Universitätsmech. Kurort Teplitz-Nehönau, Böhmen, l., Albertstr. 5. heilt Gicht, Rheumatismus, 'Neural gien, Benbrälich konzessioniertes Geienksteifigkeiten, Exsudate etc. Ärzte elektrotechnisches Installations-Bureau, und deren Familien befreit von Kur- und medizin, u, physikal. Apparate. Elektr, Musiktaxe, erhalten freie Bader Saison Einrichtungen für Laboratorien u. Mittel- ganzjährig. schulen. Projektions- Apparate, Klein- Alkalisch-salinische Therme von 26° his motoren, Zentrifugen ete. Apparate für 46°25°C. hoher Radioaktivität, Thermal-, Planktonuntersuchung. Lupe für beide Douche-, Moor-, elektr. Licht-, Zwei- u. Augen nach Doz. Dr. Ulbrich. 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Heutzutage sind selbst die Informationsbücher der grossen Schiffahrtsgesellschaften schon sanz anerkennenswerte Führer durch diese Gebiete, so dass wir uns eigentlich mit dem Hinweise darauf begnügen könnten. Wenn ich dies doch nicht befolge, so geschieht das deshalb, weil sich bei einer Weltreise der Satz besonders treffend bewahrheitet, dass die Beobachtung einer Sache durch mehrere Menschen zu sehr verschiedenen Auffassungen führt; auf Schritt und Tritt können wir uns in Reflexionen begriffen finden über die Differenz der durch das Bücherstudium und die Tradition gewonnenen Vorstellungen mit den persönlichen Eindrücken. Eine Fahrt nach Ceylon bietet in relativ kurzer Zeit und unter verhältnismässig geringen pekuniären Opfern eine solche Menge wahrhaft schöner Momente, dass ein solches Unternehmen zu den höchsten touristischen Genüssen gehört, die wir überhaupt erlangen können. Meine Reisevorbereitungen sind ziemlich langwierig ge- wesen. Schon vor 1'/, Jahren hatte ich Beziehungen mit Queens- länder Kaufleuten wie auch mit den dortigen Behörden ange- knüpft, um mich über die Aussichten des Dugongfanges in der * Korallensee zu informieren. Die Zusammenstellung meiner Aus- stattung an Instrumenten, Büchern, Kleidung usw. war gleich- falls aufs Sorgfältigste zu überlegen, um mjch nur mit den not- wendigsten Dingen zu versehen und nicht unnützen Ballast mit- zuschleppen. Von ausserordentlichem Werte waren mir in dieser 18 240 n Prof. H. Dexler: Beziehung die zahlreichen Ratschläge, die ich der Liebenswür- digkeit des Herrn Professors Semon zu verdanken hatte. Durch seinen mehrjährigen Aufenthalt im Osten Australiens und an den Küsten des Korallenmeeres in die dortigen Verhältnisse auf das senaueste eingeweiht, vermochte er mir so guten Bescheid zu geben, dass ich hinsichtlich meiner Equipierung vor jedem Zuviel oder Zuwenig bewahrt blieb. Seine mir gegebenen Fingerzeige haben sich bis zum letzten Momente als verlässlich bewährt, so dass ich Herrn Professor Semon meine besondere Erkenpntlichkeit schulde. Es ist dieser Umstand umsomehr hervorzuheben, als sich Ahnliches von vielen Informationen, die ich aus Queensland direkt erhielt, nicht behaupten lässt. Professor Semon nahm mir auch eine andere grosse Sorge ‘ab; sie betraf die Befürchtung einer zu weit gehenden Behin- derung meiner Aktionsfreiheit in Australien. Professor Schultz, der sich im Jahre 1894 nach Neuseeland. begeben hatte, um Hatteria, ein eigentümliches, echsenähnliches Reptil zu sammeln, hatte vonseiten der dortigen Behörden wegen angeblicher Aus- rottungsgefahr dieses Tieres solche Schwierigkeiten erfahren, dass er nicht nur ein Jahr länger als beabsichtigt auf der Insel blei- ben musste, sondern beinahe ganz um die Früchte seiner Mühe gekommen wäre. Die Geschichte ‘ist seither in Europa vielfach herumgebracht worden und auch ich bekam sie wiederholt zu hören, so dass ich mich gewisser Bedenken nicht enthalten konnte. Professor Semon konnte sie bald zerstreuen mit der Versicherung, dass man derartiges in Queensland nicht zu fürchten habe. In ähnlichem Sinne sprach sich auch Professor v. Lendenfeld aus und beide Herren haben tatsächlich recht behalten. Neben diesen und ähnlichen Informationen privater Natur gewann ich eine Hauptstütze für mein Vorhaben in den einfluss- reichen Empfehlungsbriefen, die ich durch die dankenswerte Be- fürwortung der Reise seitens des k. k. Unterrichtsministeriums sowie auch der Gesellschaft zur Förderung deutscher Kunst und Wissenschaft vom k. k. Ministerium des Äusseren an die Regie- rung von Queensland erhielt. Ohne sie wäre es bei den vor- handenen Mitteln wohl kaum möglich gewesen, meine Bestre- bungen dem gewünschten Ziele zuzuführen. Am 12. März 1901 schiffte ich mich in Genua nach müh- seliger Überwindung der berüchtigten italienischen Zollplackereien an Bord des Postdampfers „Weimar“ vom norddeutschen Lloyd ein. Das vom Ufer sehr heiter und ruhig aussehende Meer er- wies sich mir sogleich nach dem Verlassen des Hafens äusserst unbekömmlich. Fe Australische Reisebriefe, 241 Ich erinnere mich noch meines mit schlecht verhüllter Übel- keit gemischten Erstaunens, dass ein 5000 Tonsboot so geschau- kelt werden könne ; dann versuchte ich noch das zurückbleibende Pilotenboot zu photographieren, wankte in meine Kabine und wurde von einem sehr jungen Manne gefragt, ob ich nicht ganz wohl wäre. Die Frage kam mir damals geradezu verletzend vor. Dann legte ich mich in mein Bett und beleuchtete von allen Seiten die Aussicht, in einem solchen Zustande bis nach Austra- lien fahren zu müssen. Bei der Einfahrt in den Hafen von Neapel am 13. um 5 Uhr nachmittags kam ich wieder zu mir. Es war mässig windig und regnerisch. Zuerst kam Gaöta in Sicht, das von den Passagieren für Neapel gehalten wurde; dann die Stadt selbst. Ich weiss nicht, ob damals meine miserable Gemütsverfassung schuld war: im Regen kam mir Neapel von Bord aus als eine recht prosaisch aussehende Mietskasernenstadt vor, um derent- willen kaum zu sterben sich empfohlen hätte. Gewitterwolken verhüllten die Aussicht und von dem Farbenspiele der Bucht von Neapel war nichts vorhanden. Zahlreiche Boote umringten unseren Dampfer. Man bot Blumen, Zeitungen und Ansichts- karten zu horrenden Preisen aus und setzte uns für 2 Lire über. Wir waren froh, vom Schiffe loszukommen; nicht so sehr aus Neugierde, sondern um den Gesängen jener Musikanten zu ent- gehen, die das Lied „Santa Lucia“ unermüdlich und schlecht sangen. Ich glaube, die Hafensänger von Neapel haben nur das eine Lied, von dem sie zu leben scheinen. Als wir nach zwei- stündiger Abwesenheit auf unser zur Abfahrt bereites Schiff stiegen, schallte uns wieder jener Sang nach; nachdem wir alle Taue abgeworfen hatten und uns in Bewegung setzten, sang man es von mehreren Booten zugleich; wie ein Rauch blieben die Klänge an unserem Bord haften und selbst, als wir ausserhalb des Wellenbrechers in volle Geschwindigkeit fielen, klang uns noch die Weise von Santa Lucia nach! Unser Ausflug nach der Stadt war misslungen zu nennen. Unsere Kutsche, die ich mit drei Mitpassagieren bestiegen hatte, ‘ führte uns weit herum, ohne uns den Sebenswürdigkeiten der Stadt nahe zu bringen. Auf unseren Bock hatte sich unbemerkt und ungebeten ein Cicerone geschwungen, der hoch und teuer schwur, ein Gentleman zu sein, der Geld nicht nehmen dürfe, trotzdem aber erst nach Empfang von 1 Lira vom Wagen stieg. Wir kauften einige Photographieen und in Aussicht auf einen reichen Fischfang eine Menge Angeln. Den Rest unserer kurz bemessenen Zeit benutzten wir, um in einer Österia Neapler Spagetti, Salami und Onicho zu kosten, dann eilten wir in den Hafen zurück. 18* 242 Prof. H. Dexler: Früh am nächsten Morgen stieg ich an Deck unseres Schiffes, das bei sonnigem und klarem Wetter seinen Weg nach Süden fortsetzte. Um 10 Uhr passierten wir den steilen Vulkankegel des Stromboli mit seiner Wolkenkappe und gegen Mittag fuhren wir unter den Klängen der Schiffskapelle in die Strasse von Messina ein. Wir kamen nach 1 Uhr an Cap Varo mit seinem hohen Leuchtturm vorüber und passierten nachmittags die Süd- spitze Italiens, die uns nur fern am Horizonte zu Gesichte kam. Nun hatte ich erst Geleeenheit, mich nach den Einrichtungen des Schiffes und nach den Mitpassagieren genauer umzusehen. Als erstes ist das Essen zu nennen. Ich gebe zu, es gibt auf einem Ozeandampfer vieles Andere und weit Interessanteres; indessen drängt sich das Nehmen der Mahlzeiten so gewaltsam in unser Leben an Bord ein, dass man es zunächst erledigen muss. Um 6 Uhr morgens erscheint Tee mit Bisquits, der in den Kabinen gereicht wird, um die Passagiere zur Einnahme des um 8 Uhr aufgetragenen Frühstücks zu stärken. Letzteres besteht aus Hafergrütze, Fleisch, Eiern, Butter und eingemachten Früchten in jeder gewünschten Quantität. Um 10 Uhr wird Beefsteak und eine Suppe mit einigen Brötchen gereicht, um 12 Uhr wird zum Lunch geläutet, den die Schiffskapelle begleitet. Wieder kommen eine Menge von Fleischspeisen, Backwerk, Früchte usw. auf die Tafel, die um 6 Uhr abermals zum Diner womöglich noch reichlicher beladen wird. Um 10 Uhr abends ist man dann noch zu einer Tasse Tee mit Zugabe gebeten. Alles das wird willig aufgenommen; manche werden sogar noch in den Zwischen- zeiten beim Cakesknuspern ertappt. Bei einem solchen Regime klagten viele Passagiere über schlechtes Befinden. Sie schrieben das natürlich der Seekrank- heit zu, die sich immer einstelle, wenn man zu wenig esse. Dann kam der Schiffsarzt an die Reihe, der die verschiedensten Klagen der geplagten Menschheit ruhig und unwandelbar mit demselben Sal mirabile Glauberi behandelte. Als nach den ersten Tagen das Vertrauen in seine Medikation erschüttert war, wen- dete man sich an Laienhilfe; jeder, namentlich die Engländer, hatte eine ganze Reihe von Flaschen und Dosen höchst unfehl- barer Salze, Cures und Mixtures, die zwischen den Mahlzeiten konsumiert wurden. Ich sah alle jene köstlichen Figuren aus Marryats Seeromanen wieder auferstehen und ihre kleinen Leiden und Freuden vor meinen Augen ausbreiten. Man war freund- lich und zuvorkommend, machte Bekanntschaften, erwies sich allerlei Gefälligkeiten und lieh sich insbesondere die massenhaft mitgebrachte Literatur von der Qualität der Monthly Reviews, Idler, Strand usw. Der erste Prozess sozialer Schichtung begann. Australische Reisebriefe. 243 Die „Weimar“ war mit Frachten vollgeladen und führte nur wenig Passagiere. In der Kajüte etwa 40 Personen und in der Steerage gegen 50 italienische Arbeiter, die als Wäscher nach Australien gingen. Ausserdem hatten wir 5 spanische Priester und 2 Anamiten an Bord. Die Überfahrt nach Port Said geschah bei ziemlich be- wester See und kühler Temperatur. Wir hatten 15°C Mittags- wärme und waren viel unter Deck, da der Wind uns gehörig durchblies und die Seekrankheit zwar in milder Form, immerhin aber deutlich ausgesprochen fühlbar war. Um sie zu bekämpfen, assen unsere Spanier, bis sie schwitzten, ohne indessen vor dem fastenden Teil einen Vorteil zu erringen. Am 16. morgens schlug das Wetter um. Die See wurde ganz ruhig, das Wetter klar und warm, so dass wir unsere Som- mertoilette zum ersten Male hervorsuchen mussten. Man genoss eine weite Fernsicht über das Meer und war gesund genug, um sich des Lebens zu freuen, was bis zu diesem Zeitpunkte selten der Fall war. Alles kam auf Deck, um sich in der warmen ' Sonne zu strecken und dem Spiel der dem Schiffe nachziehenden Möven zuzusehen, die sich laut schreiend auf das Küchenspülicht stürzten um einen geniessbaren Brocken zu erhaschen. Einen noch grösseren Lärm als diese Vögel machten die Zwischendecks- italiener, die mit einer Begeisterung, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, Morra spielten. Im Vorderschiff brachten die Auswanderer ihre Kinder herauf, sogar die zwei Anamiten, die mit uns die Überfahrt machten, kamen scheu aus ihren Verstecken. Da sie als Farbige von niemandem, nicht einmal von dem elendesten Kohlenschieber einer Ansprache würdig er- - achtet wurden, gingen sie zu den Schlachttieren und graulten ihnen die Köpfe. Um diese Zeit wurden wir auch mit den Schiffsoffizieren bekannt, von denen ich namentlich den 2. und 3., die Herren Guth und Lindorp, besonders schätzen lernte; sie haben mir auf der langen Reise durch die Erzählungen aus dem bewegten Leben der Schiffer, sowie durch Erklärungen des Schiffsbetriebes - viele angenehme Stunden bereitet. Sehr liebenswürdig war auch der 1. Offizier, der durch seine Sprachtalente hervorragte; er sprach mit Italienern, Spaniern, Franzosen und Engländern. Sein Englisch war schlecht, seine romanischen Sprachen viel mit - Gesten von seiner und neugierigen Gesichtern von der anderen Seite begleitet. Er trat mit Begeisterung dafür ein, dass der Haifisch ein Säugetier sei, weil es lebend gebärende Haie gibt. _ Am meisten angestaunt wurde namentlich von den jüngeren Leuten der Kapitän, der sich bisher wenig sichtbar gemacht = hatte. Er sprach viel von den Mühseligkeiten des Dienstes, legte a a en 244 Prof. H. Dexler: sich im übrigen jene starke Zurückhaltung auf, welche der an- gestammten Verachtung der Seekapitäne für Passagiere entsprang. Mit der Sonne und der Windstille kehrte unsere Genuss- fähigkeit für die Schönheiten der uns umgebenden Natur wieder. Der herrlich reine Himmel, um uns das weite blaue Meer mit seinen grossen flachen Wogen, den Scharen weisser Möven, die wie Schneeflocken über den Wässern dahin- strichen, die Schiffe, die von Zeit zu Zeit weit am Horizonte vorüberzogen und unser eigener mächtiger Dampfer, der mit 13 Meilen Geschwindigkeit das Wasser durchfurchte und noch vieles Andere konnte nicht oft genug angestaunt und be- trachtet werden. Noch eindrucksvoller war die Nacht mit dem sternenübersäeten Firmament, das hier viel dunkler und tiefer erschien als bei uns in den nördlichen Breiten. } Am Sonntag, den 19., wurden wir früh am Morgen durch die Weisen eines Chorals geweckt, dessen Töne feierlich durch das stille Schiff erklangen. Bald war alles wieder auf Deck im lebhaften Durcheinauder, teils um den Reigen der Mahlzeiten wieder zu beginnen, teils um die letzten Briefe zu schreiben. Es war Postschluss angekündet worden, da wir Port Said anzu- laufen im Begriffe standen. Die Farbe des Seewassers war vom Blau ins Blaugrüne übergegangen, die Lastwinden über den Luken wurden instand gesetzt, die Briefsäcke zum Verladen bereit gestellt und die Postflagge aufgezogen. Gegen 9 Uhr konnten wir bereits mit unseren Gläsern die Küste als ein schmales, ganz niederes Band am Horizonte unterscheiden und bald hob sich auch die Stadt deutlicher ab. Der Pilot kam an Bord, der Gang des Dampfers wurde gemässigt, und wir traten unter klingendem Spiel langsam in den Suezkanal ein, an dessen Mündung das elegante Denkmal Lesseps sich befindet. Die überlebensgrosse Figur steht mit erhobenem, nach der See gerichtetem Antlitz auf hohem Granitsockel und lädt mit der leicht ausgestreckten rechten Hand zum Eintritte in jenes grossartige Bauwerk ein, das den indischen Ozean mit dem mittelländischen Meere ver- bindet. Mit Entzücken hingen unsere Blicke an dem sich vor uns entrollenden Bilde. Die grellstrahlenden gelben und roten Kaibauten, aus denen der Leuchtturm weit emporragte, die gros- sen weissen Ozeandampfer des Hafens, das Schreien der bunt- gekleideten Lastträger am Ufer, das dumpfe Brüllen der Dampf- pfeifen, das blaue Meer auf der einen, der gelbe Ton der Sand- wüste auf der anderen Seite, die Luft ganz schwach getrübt und fliimmernd, und über dem Ganzen die brennenden Gluten der afrikanischen Sonne ausgegossen: all das wirkte so mächtig auf mich ein, dass ich lange schweigend stand und manche Gedan- ce. EN Australische Reisebriefe. 245 ken. die mir aus „Tausend und eine Nacht“ geblieben waren b) ” I an mir vorüberziehen liess. Beim Näherkommen schwindet allerdings jede Träumerei von morgenländischer Pracht bald vor der rauhen Wirklich- keit; Port Said entpuppt sich seinem wahren Wesen nach als eine Stadt, hervorgegangen aus einer grossen, aber sehr un- romantischen Hafenanlage mit europäischer Arbeiterbevölkerung und dem Schmutze türkischer Bettler. Betritt man den Kai, so wird man überfallen von einer Schar von Führern, die zwar nichts zu zeigen haben, dafür aber um so unverschämter sind und die wunderbarsten Anerbietungen machen. Zu sehen ist fast nichts, wenn man den Hafen verlässt: ein Europäerviertel für die verschiedenen Behörden mit ein paar grossen Geschäfts- häusern und einer Menge von Kaufläden, in denen einem der gesamte Auswurf europäischer Kramläden angeboten wird, und dahinter die Eingeborenenstadt. Sie unterscheidet sich durch nichts von anderen türkischen Städten. Die Strassen sind voll von Backschisch verlangender Araber, von Ziegen, Katzen, Kindern und schreienden Eseltreibern; sie stossen sich mit Wasserträgern, kinderbepackten Weibern und Bett- lern herum und können nur durch den Policeman zur Ruhe gebracht werden. Erscheint ein solcher, so beugt sich alles augenblick- lich vor seiner nicht wenig zur Schau getragenen Würde; es wird stille in dem Menschenhaufen und die Passage wird wieder frei. Zuweilen nähert sich ihm wohl auch ein kleiner Schuh- putzerjunge und glänzt ihm seine Stiefel in Demut ohne eine ‚Bezahlung zu erhalten; damit scheint sich der Vertreter der öffentlichen Ordnung nicht abzugeben. Trotzdem man überall die Bemühungen sieht, welche gemacht werden, um Ordnung in diese Orientalen und ihre Niederlassung zu bringen, so gelingt es doch nicht europäische Reinlichkeitsbegriffe ganz einzuführen. Schon die Nase allein belehrt uns, wann wir ins Eingeborenen- viertel eintreten. Man verlässt es wohl bald wieder, weil es ausser dem Unrat keine Sehenswürdigkeiten gibt; nur eine un- gemein armselige kleine Moschee wird als solche ausgespielt. Man bekommt Binsenkörbe um die Schuhe, tritt ein, bemerkt beim Anblick der kahlen Wände, dass man der Dupierte ist und erlegt gerne 2 Franken als Sühnegeld für die schlecht an- gebrachte Neugier. Draussen werden einem ein paar Kameele, ein armloser Mann usw. gezeigt, worauf man sich eilends wieder an Bord begibt. Auf dem Schiffe herrschte ein bewegtes Treiben. Mit Ge- schrei und Gesten priesen die arabischen und griechischen Hau- sierer ihre Korallenschnüre, Manschettenknöpfe, Zigarrenspitzen zu wahrhaft erstaunlich hohen Preisen an und brachten die 246 Prof. H. Dexler: Schunderzeugnisse irgend einer deutschen oder englischen Fabrik auch wirklich an. Straussenfedern ausgezeichnet zusammengesetzt, Ansichtskarten, Zigaretten, Datteln, Sutschuk und Mosaikarbeiten wurden massenhaft verhandelt. Dort versucht ein griechischer Geldwechsler so viele ungültige italienische Lire loszuwerden als nur möglich; hier sieht der Bootsmann einen kaufbeflissenen Araber in eine Kajüte schauen und schlägt im nächsten Moment einen dicken Besenstiel an seinem Rücken entzwei. Alles schwitzt, schreit und hastet. Die Ladewinden rasseln und poltern, die Verlader brüllen aus dem Raum herauf, die Signalpfeifen schril- len, um das Schiff klar zu machen — Lärm und Geschrei über- all. Er wird nur noch durch die Kohlenlader übertönt, die einen wahren Höllenspektakel machen. Von grossen Pontons, die längs- seits der Ozeandampfer angelegt werden, müssen die Kohlen in Körben nach den Bunkern getragen werden. Mit dieser Arbeit sind über hundert zerlumpte Araber beschäftigt, die sich ihrer Pflicht nicht anders erledigen können, als dass sie, solange sie den Korb am Rücken tragen, mit weithin schallender Stimme verkünden: „Hier kommt ein Araber mit einem grossen Stück Kohle ; hier kommt ein Araber mit einem noch grösseren Stück Kohle“ usw. Der auffliegende Kohlenstaub verhüllt den Schiffsrumpf wie eine dunkle Wolke, aus der das vielstimmige Geschrei er- tönt und aus der man hin und wieder die Kerle erblickt, die im Singsang im Gänsemarsche die Rampen auf- und nieder- steigen wie eine Schar schwarzer Teufel. | Ich will Port Said nicht verlassen, ohne auf zwei Dinge hinzuweisen, die ich namentlich im Hinblicke auf muselmän- nische Bevölkerung als besonders anerkennenswert hervorheben möchte. In den Kaufläden für frisches Fleisch sah ich überall den Stempel des Beschauamtes aufgedrückt; die behördliche Untersuchung des zum Konsume zugelassenen Fleisches .ist an einem solchen Orte ebenso bedeutungsvoll wie deren Durchfüh- rung bei den Reinlichkeitsbegrifien der Araber schwer sein mag. Der andere Vorzug besteht in der Regelung der Bootsge- bühren. Der im Orient Reisende ist gewöhnt, in den Hafen- plätzen von jenen Leuten, die das Übersetzen vom Schiffe nach dem Pier besorgen, in der unangenehmsten Weise belästigt zu werden. Der frisch angekommene Europäer, der noch nicht so wie der bereits ansässige gewöhnt ist, sich mit Brachialgewalt Befreiung zu verschaffen, kann sich der Zudringlichkeit dieser Leute und ihrer masslosen Überbietungen kaum erwehren. Es ist dies ein trauriger Umstand, den ich übrigens den Bootsleuten im Hafen von Genua wie in dem von Neapel genau So zum Vorwurfe mache. Das über die ganze Erde verbreitete Prinzip, den Fremden als Raubobjekt zu betrachten, ihn so schwer wie WERE BET NEN \ Australische Reisehriefe. 347 möglich zahlen zu lassen, treibt in den orientalischen Hafen- städten die hässlichsten Blüten, was dort umsomehr zu tadeln ist, als es den Behörden leicht fallen muss, durch anderweitige Versorgung sich diese Handvoll Tagediebe vom Leibe zu halten. In Port Said hat das Hafenamt die Fahrpreise nominiert und ruhig und geschäftsmässig lässt sich der ganze Verkehr be- wältigen. Unsere Durchfahrt durch den Kanal dauerte 18 Stunden. Langsam bewegte sich die „Weimar“ zwischen den Ufern des Kanals hin. ‘Alles an Bord schien die Aufmerksamkeit der Schiffsführer zu teilen; es war auffallend still; man hörte nur das langsame, monotone Schlagen der Schraube. Rings um uns, soweit das Auge reichte, gelber flacher Sand, in dem sich der Kanal am Horizonte als dünner Silberfaden verlor. Letzterer schien uns überhaupt sehr enge, weil wir auf einem grossen Schiffe lebend den Masstab für gewöhnliche Objekte und Distanzen ziemlich verloren hatten. Man sah zu wenig Wasser um sich, vergass aber dabei, dass vom Bordrand bis zum Wasserspiegel 8 m waren und wunderte sich, dass von unserem Schiffe nur ein starker Arbeiter imstande war, ein Stück Kohle bis ans Ufer zu werfen. Die Temperatur war nachmittags auf 29° C angestiegen und drückend. Kein Lufthauch regte sich; die Gleichmässig- keit der Landschaft wirkte eigentümlich einschläfernd, wenn- eleich hübsche Szenerien nicht vollständig fehlten. Auf mich übte namentlich das Farbenspiel einen besonderen Reiz aus, das die umgebende Natur uns bot. In der Ferne verlor sich die fast ganz ebene oder mit wenigen Windkämmen und Sandwehen bedeckte Wüste in einen grauvioletten Schleier, während sich über uns ein gleissend weisser Himmel dehnte. Noch packender waren jene Momente, wenn man ein entgegenkommendes Schiff aus der grauen Dunst- oder Staubwolke wie ein Fata morgana auf- tauchen sah. In der vor Hitze flimmernden Luft konnte man seine Konturen zuerst nur undeutlich wahrnehmen und den Kontrast betrachten, den ein Ozeandampfer in der Sandwüste hervorruft. Häufig fuhren wir an ausgedehnten Teichen, die sich längs des Kanales dahinzogen, und kleinen Seen, den Bitterseen, vor- über oder passierten eine Signalstation, die mit ihrem Pflanzen- wuchse und den weissen Gebäuden in der öden und todestrauri- gen Umgebung einen ungemein lieblichen Anblick bot. Mit dem Einfall der Nacht wurde der am Bug aufgehängte Reflektor in Tätigkeit gesetzt, dessen Lichtkegel den Kanal und seine Ufer weithin aufs intensivste beleuchtete. Hin und wieder wurden Laternensignale gegeben, ein kleiner Schnelldampfer eilte 19 248 Prof. H. Dexler: hurtig an uns vorüber. Um 1 Uhr morgens gewahrten wir das blendende Licht eines grossen entgegenkommenden Schiffes, das wie ein heller Stern in der Wüstenlandschaft erstrahlte. All- mählich kam es näher, wurde anscheinend immer höher und höher und, während wir zur Seite weichen und halten mussten, zog der schwarze Koloss — das englische Schlachtschiff Amphi- trite — an uns vorbei. Einige Rufe wurden laut und einige Passagiere, die gleich mir gewacht hatten, riefen Grüsse nach dem fremden Schiff hinüber, dessen Lichterreihen langsam kleiner wurden und bald im Dunkel der Nacht verschwanden. Als ich am Morgen an Deck kam, waren wir fast aus dem Südende des Kanals herausgekommen und Port Suez lag vor uns. Wegen des kurzen Aufenthaltes konnten wir nicht an Land gehen. Es kamen wieder zahlreiche Händler an Bord, die vorwiegend Sutschuk — Sultans delight — billige Korallen- schnüre und Zigaretten anboten. Letztere waren von so hervor- ragender Qualität, wie ich sie in Europa niemals gekostet hatte. ‘ Dabei gaben die Leute Proben soviel man wollte, damit man sich von der Güte versicherte, ehe man kaufte. Einer der Recht- gläubigen hatte sich verspätet und war aus dem Zwischendeck erst aufgetaucht, als sich der Dampfer bereits in Bewegung ge- setzt hatte. Er lief vor Angst wie besessen umher, warf sich dem dritten Offizier zu Füssen und bat um seine Aussetzung, die ihm natürlich gewährt werden musste. Man liess ihn an einer Strickleiter über Deck klettern, was er erst tat, nachdem er Schwüre des Dankes geleistet hatte. Einige wegen der Ver- zögerung sehr erboste Matrosen meinten, man solle ihn einfach über Bord werfen. Das nahm ich nicht für ernst. Viel mehr Gewicht legte ich auf die Anwesenheit des Bootsmannes, der verdrossen und eifrig seine Prime kauend, unheilvoll um den Händler herumschlich und der von Handgreiflichkeiten wahr- scheinlich nur wegen der Passagiere abliess, die den Vorgang mit ansahen. Der Araber kam aber bald aus der gefährlichen Nähe und wurde von einem Fischerboote aufgenommen. Dort in Sicherheit beeilte er sich, uns im gebrochenen Englisch auf das Nachdrücklichste zu verflachen und uns samt dem Schiffe auf den Boden des Meeres zu wünschen. Bei der Einfahrt ins rote Meer veränderte sich der Land- schaftscharakter mit einem Schlage. Wir waren zwar noch lange in der Nähe der Küsten, die ebenso gelb und unbelebt aussahen wie das eben verlassene Landgebiet. Hier aber stiegen hohe und kahle Gebirgszüge aus dem Meere auf, die in mehre- ren Staffeln das Ufer zu begleiten schienen. War früher schon die sonnendurchglühte Wüste, die wir verlassen hatten, mit ihren ungemein zarten Tinten in Gelb und Blau, ihrer Stille Australische Reisebriefe. 349 und Öde als reizvoll für den empfindsamen Beobachter gewesen, so wurde der Eindruck hier noch durch das Pittoreske der Küste mit ihren Felszacken und den blendenden Reflexen der steilen vegetationslosen Abhänge, sowie durch das satte Blau des Meeres mächtig vertieft. Man vermochte nur schwer den Blick von dem Landschaftsbilde voll unvergleichlicher Schönheit zu wenden. Unser Kurs lag während des ersten Tages mehr nach der Westküste der Halbinsel Sinai zu; diese präsentierte sich als ziemlich hohes, ganz kahles Tafelland mit steilen Abhängen und grossen kegelförmigen Schutthälden in den Einbuchtungen der Vorberge.e Ganz im Hintergrunde konnte man mit guten Glä- sern noch hohe Gebirgskämme wahrnehmen, deren Konturen nur undeutlich aus dem rauchgrauen Horizonte hervorschim- merten. Im Laufe des Nachmittags trafen wir auf zwei kleine Scharen von Delphinen, die Steschweine der Matrosen, die mit grosser Schnelligkeit und sichtlicher Neugier auf unseren Dampfer im Gänsemarsche zukamen, bald aber zurückblieben. Das ganze Volk der Möven, die uns zu hunderten begleiteten, solange wir in Landnähe waren, stürzte kreischend auf die grossen Tiere los und umkreiste sie, nieder über dem Wasser streifend, in grosser Aufregung; von Zeit zu Zeit stiess der eine oder der andere dieser ungemein gewandten und ausdauernden Flieger mit so grosser Schnelligkeit herab, dass er klatschend auf das Wasser fiel. Die scheinbare Wut, welche diese Seevögel gegen die Delphine kehrten, ist so charakteristisch, dass sie uns später dazu diente, die letzteren ausfindig zu machen, lange ehe wir sie vom Deck aus zu sehen vermochten. Waren die Möven plötzlich aus dem Bereiche des Kielwassers verschwunden, das sie gewöhnlich nie verliessen, so konnte man sicher sein, dass sie eine Familie von Seeschweinen aufgestöbert hatten, mit denen sie alsbald in die Nähe des Dampfers kamen. Blieben die grossen Tiere endlich zurück, so stellte sich ein Vogel nach dem andern ein und nahm seinen wiegenden leichten Flug hinter dem Schiffe wieder auf, mit scharfem Auge die Abfälle über- wachend, die in der Drift zurückblieben. Wir hatten gleich am ersten Tage vielfach Gelegenheit, den bekannten Reichtum der Fauna des roten Meeres zu bewundern. Ein Postdampfer ist allerdings kein sehr geeigneter Ort, um solche Beobachtungen anzustellen, da seine Schnelligkeit zu gross ist. Ich versuchte oft mit einem Segeltuchsack oder mit der Schleifangel auf Fang auszugehen. Unsere Geschwindigkeit war aber, wenngleich nur 13 Meilen betragend, doch so bedeutend, dass der Sack nicht nur mit aller Kraft gehalten werden musste, 19% 350 { Prof. H Dexler: sondern beim Herausreissen aus dem Wasser und dem darauf- folgenden Zurückschwingen so heftig an den Schifisrumpf schlug, dass der Inhalt meistens ganz verschüttet wurde. Ausser einigen schönen Strahlentierchen habe ich auf diese Weise niemals etwas gefangen, trotzdem eine Menge von Schirmquallen und grosse Bündel von Blasentang überall vorhanden waren. Aus demselben Grunde wurden die Köder der ausgelegten Angeln in kurzer Zeit abgerieben oder verschwanden ganz plötzlich von der sich unglaublich rasch aufspliessenden Leine; ich gab daher bald diese erfolglosen Versuche auf. Später konnte ich mich über- zeugen, dass Makrelen zuweilen die Angel eines mit Volldampf fahrenden Schiffes annehmen; doch dürfte das nur ein seltenes Vorkommnis sein. Sehr interessant war es, den Bewegungen von zwei Haien zuzusehen, die um den Bug des Schiffes mit Eleganz und bewunderungswürdiger Leichtigkeit spielten. Die Tiere, die von der Mannschaft stets als die gefürchteten Menschen- oder Blauhaie ausgegeben und darob von den Passagieren mit gebührendem Gruseln betrachtet wurden, schossen unter dem Schiffsboden hervor, stiegen bis zur Bugwelle auf und ver- schwanden, einen kühnen Bogen beschreibend, blitzschnell in die Tiefe. Eine Bestimmung der Tiere war mir unter den herr- schenden Umständen nicht möglich; nur ergab die auffallende Fleckung der Körperoberfläche die Versicherung, dass es keine Menschenhaie waren. Unter solchen Ereignissen verflog der Tag im Nu. Beim Niedergang der Sonne liess der beträchtliche Gegenwind, den wir bisher als angenehme Kühlung genossen, nach und die Temperatur stieg auf 27° C. Das viele Hin- und Herwandern auf dem Schiffe hatte mich müde und hungrig gemacht und ich freute mich, nach dem Diner ein bequemes Plätzchen am Heck beziehen zu können, um den Abend zu geniessen und meinen Gedanken über die Grossartigkeit der Natur, über die Eigenart des Schiffslebens und über die Heimat nachzuhängen. Hinder- lich wirkte dabei nur ein sonst hoffnungsvoller junger Englän- der, der im Speisesalon zu singen sich gezwungen sah. Man sagt den Söhnen Albions gerne nach, dass sie im allgemeinen kein Gehör hätten, ein Urteil, dem ich mich aus Mangel per- sönlicher Erfahrung nicht anschliessen kann; der Mann störte aber aufs greulichste die feierliche Stille der Nacht über dem Meere. Nach langem Bemühen endete er mit einigen qualvollen Passagen und ich konnte mich ungehindert dem Genusse hin- geben, den ich in der Betrachtung des prächtigen Sternenhim- mels und der dunklen, geheimnisvollen Tiefe fand. Das Zodiakallicht war in jener Nacht auffallend deutlich zu Australische Reisebriefe. 951 sehen; sein schwacher Schimmer leuchtete wie der Kopf eines riesigen Kometen im Westen und war an Intensität fast so stark, wie das Licht der Milchstrasse oder dasjenige des Kielwassers. Das letztere wird durch die Bewegung des an der Schraube ge- peitschten Wassers hervorgerufen und hängt dem Schiffe als ein breiter phosphoreszierender Streifen an. Sein Leuchten wurde hier noch vermehrt durch zahllose Leuchtquallen, die als helle Feuerkugeln oder Punkte in ihm auftauchten und wieder ver- loschen. An Pracht übertroffen wurden sie von riesigen Formen, die als scheinbar kopfgrosse, grünlichweiss erstrahlende Körper aus den schwarzen Wassern emporkamen und mit ihrem zittern- den Lichte noch lange sichtbar blieben, ehe sie in das Nichts zurückversanken. Wie die Irrwische schwirrten und flogen die kalten Lichter in der gleichmässig gurgelnden Drift durcheinan- der, die selbst im fahlen Schein leuchtete. Hier einer sprühen- den Feuergarbe gleich, in Massen hervorbrechend und wie Stern- schnuppen wieder verlöschend,. dort zu dreien und vieren in Reihen geordnet oder als einzelne glänzende Kugeln Kreise und Schlangenlinien ziehend, wirbelten die Leuchtkörper in geister- haftem Tanze dahin. Ihr Spiel verblasste zuweilen vor dem Aufblitzen einer mächtigen Scheibe, die rasch, wie sie gekom- men, verging oder träge auf- und niederwogend noch lange dem enteilenden Schiffe nachwinkte, wie das funkelnde Auge eines Ungeheuers der Tiefe. Zu grossen Haufen an einer Stelle zu- sammengedrängt, konnte man sie an einer anderen verschwunden glauben, bis plötzlich wieder ein Stern aufglühte, von hunderten ähnlichen umschwärmt, die durcheinander gejagt wurden wie Funken im rasenden Sturm. Stetig schlug die Schraube. Ein lauer Eid umfächelte mich und flüsterte mir seltsame Weisen ins Ohr. — Ich erwachte durch ein klatschendes Geräusch. Ich ver- meinte den singenden Engländer über Bord; dann aber sah ich, dass der Bootsmann mit einem grossen Wasserschlauche han- tierte, während zwei Schiffsjungen das Deck rieben. Sie hatten mich nicht bemerkt und ich war nahe daran, gewaschen zu wer- den. Es war 2 Uhr morgens. Als ich schläfrig nach dem Saloneingang schritt, wurde ich auf ein Blinkfeuer aufmerksam, das wir soeben passierten. Es dürfte dasjenige von Scheduan gewesen sein. In regelmässigen Pausen erschien das ruhige klare Licht in der Ferne und verlosch. Am nächsten Tage 12 Uhr mittags waren wir 346 Meilen von Port Suez entfernt, unsere Position 29° 56‘ Nordbreite und 35° 39’ Ostlänge. Kurs Süd-Süd-Ost wie am Vortage,. 265° C Temperatur (Schleuderthermometer). 252 Prof. H. Dexler: Die Zeit verging mit derselben Schnelligkeit unter den ver- schiedensten Beschäftigungen, von denen die Beobachtung des Meeres und das Photographieren den grössten Teil in Anspruch nahmen. Hier muss ich bemerken, dass ich den Gebrauch von Films nunmehr einzustellen gezwungen war, weil sie bei der Entwicklung durch die Wärme des Wassers zugrunde gingen. Wenn auch die, Temperatur durchaus keine sehr hohe zu nennen war, so wurde der ganze Schiffskörper von dem warmen See- wasser allmählich so durchwärmt, dass selbst das Wasser der Tanks 24° C zeigte. Wenn ich nun auch Eisstücke verwendete, um zu kühlen, so genügte doch ein einmaliger unvorsichtiger Wasserwechsel, um die ungemein zarte Gelatineschicht der Films zum Quellen zu bringen, ein Nachteil, der den Platten in viel geringerem Masse zukam. Meine Platten bewährten sich stets so ausgezeichnet, dass ich nur bedauerte, mich mit der Ein- richtung der Filmkasetten überhaupt eingelassen zu haben. Wir sahen wieder einen grossen Hai am Bug und zum ersten Male kleine Schwärme fliegender Fische. Wie grosse Heuschrecken schossen diese zierlichen Tiere aus den Wogen empor und schwebten über dem Wasser dahin. Ich war wieder- holt in der Lage, sie unmittelbar neben dem Schiffsrumpfe auf- tauchen zu sehen und konnte, soweit das unbewafinete Auge ausreichte, niemals eine dem Flügelschlag ähnliche Bewegung der Flossen sehen. Vielmehr schienen diese weit vom Körper abgestreckt gehalten zu werden und dabei zitternd zu schwirren. Beim Einfallen sah man zuweilen deutlich, dass die Fische mit dem Hinterende des Körpers zuerst einsanken; die verlängerte untere Schwanzflossenspitze zog eine gut wahrnehmbare Linie an der Wasseroberfläche, worauf der Fisch verschwand. Die beiden nächsten Tage wurden wir mit der Tropenhitze bekannt. Am 20. März hatten wir 31°5° C im Schatten. Der Wind ging mit uns und der aus dem Schornstein kommende Rauch stieg beinahe vertikal auf. Durch den erhöhten Feuch- tigkeitsgehalt der Luft wurde die Wärme besonders empfindlich, wenn auch mancherlei Hilfsmittel zu ihrer Bekämpfung heran- sezogen wurden. In den Innenkabinen wurden elektrische Ven- tilatoren aufgestellt und über die Speisetische die Riesenfächer aufgehängt, die „Punkahs“, die von einem Schiffsjungen in schwingender Bewegung erhalten wurden. Am peinlichsten wurde die Schwüle bei Nacht. Ich konnte mich nicht bequemen, in meiner engen Koje zu schlafen. Der warme Innenraum, die heisse eiserne Schiffswand erzeugten eine derartige Beklemmung. dass ich es vorzog auf Deck zu bleiben und dort lieber in den unbequemsten Lagen auszuharren. Das Schauspiel, das mir das Meer und der Sternenhimmel darboten, genoss ich mit un- Australische Reisebriefe, 253 ersättlichem Behagen. An Bord herumwandernd und Firmament und Wasser beobachtend, ging mir die erste Hälfte der Nacht bald vorüber, worauf einige Stunden stärkenden Schlafes kamen. Auch sonst verschaffte mir die veränderte Lebensweise eine Menge neuer Erfahrungen. Durch die Freundlichkeit der Offiziere hatte ich Zutritt auf der Kommandobrücke und gewann Einsicht in die Führung eines Schiffes und in die Eintönigkeit des Naviga- tionsdienstes, den wir Landratten stets mit einem Glanz von Romantik verklärt sehen. In Wirklichkeit ist des Dienstes ewig gleich gestellte Uhr auch dort wie in jedem anderen Berufe eine drückende Last, wenn nicht höhere Gesichtspunkte unsere Ar- beitskraft lenken. Das Meer ist weit und das Wasser tief. Ist das Wetter klar und ruhig und ist man weit ab vom Lande, so verlaufen die vier Stunden der Wache auf der Brücke dem Schiffer tatsächlich langweilig und das Meer wird ihm zu Wasser — nichts als Wasser und die Sterne sind gut genug zum Zeit- nehmen. In der Nacht vom 20. auf den 21. März begegneten wir einem Passagierdampfer, der auf kaum eine viertel Seemeile an uns vorüberfuhr. Seine von Ferne. gesehenen Lichter wurden bald heller und grösser und zerfielen beim Näherkommen in die Signallaternen und zwei lange Reihen runder leuchtender Schei- - ben — die Fenster oder Portholes eines mächtigen Dampfers, der majestätisch an uns vorüberzog wie ein lichtdurchfluteter Palast. Lange starrte ich der entschwindenden Erscheinung nach und lernte den Zauber verstehen, den Harraden in ihr „Ships that pass in the night“ zu legen vermocht hat. Mit dem Ansteigen der Wärme, die auch in den nächsten Tagen um 7 Uhr morgens konstant 275 C ergab, wurde das Leben an Bord allmählich etwas beschwerlich. Die Hühnerställe begannen sich durch ihren Geruch bemerkbar zu machen, das Morgenbad gab keine Erfrischung mehr; das eingepumpte See- wasser war lauwarm und erzeugte auf der durch die immer- währende Transpiration gelockerten Haut ein heftiges, äusserst unangenehmes Jucken. Die Ventilatoren trieben dem Schlafen- den wohl einen kräftigen Luftstrom zu, der aber ebenfalls kaum kühlte; durch den kurzen, ruhelosen Schlaf wurde schon in den Vormittagsstunden eine auffallende Müdigkeit erzeugt. Es ist selbstverständlich, dass an einem Orte, wo so viele Menschen untätig beisammen wohnen und wo so viel gegessen wird, wie auf einem Schiffe, die Mahlzeiten einen wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Gesprächstoffes bildeten. In unserem Kreise boten sie den ersten Anlass zur Unzufriedenheit. Tat- sächlich wurde das Essen umso schlechter und die Passagiere umso anspruchsvoller, je länger wir vom Lande ab waren. Das 14 re N u RN MT < ee N Dr 954 Prof. H. Dexler: Australische Reisebriefe. _ sogenannte frische Fleisch wurde immer fragwürdiger in seiner Qualität, die auf Eıs konservierten Fische einfach ungeniessbar. Unsere Spanier zeigten zwar auch hier eine Ergebenheit in ihr Schicksal, die von allen bewundert aber von den wenigsten ge- teilt wurde. Sie assen lang, viel und alles, als lebten sie in beständiger Furcht, seekrank zu werden. Ihnen folgte teilweise _ eine Gruppe anderer Leute, die zwar weidlich schimpften, trotz- dem aber unter der Impression zu leben schienen, dass man keine Mahlzeit auslassen dürfe. Endlich unterschied man noch die Anspruchsvollen, die jede Hammelkeule hinausschickten und sie unter dem Namen „stewed veal“ oder „Calfs shoulder* wie- der hereinbekamen. Für mich war der Sturm im Wasserglase, der sich drei bis viermal täglich wiederholte, äussert unterhal- tend, da sich in Wirklichkeit ganz gut leben liess, wenn man den veränderten Verhältnissen Rechnung trug. Ich beschränkte mich häufig auf Tee, Früchte, Eier, Speck, Salat und Brot, ohne dabei einen wesentlichen Mangel zu empfinden. Schwerer schien es mir, den Durst zu ertragen. Das Wasser der Tanks war trübe und ging durch Filter, ehe es auf den Tisch kam, war also nicht einwandsfrei. Wollte man nicht Mineralwässer oder einschläferndes Bier trinken, so blieb nichts als Lime juice und Tee. Ich gewöhnte mich sehr rasch an letzteren, der bald mein einziges Getränk darstellte, wenn es auch bei der Hitze manch- mal nicht ganz angenehm war, noch warmen Tee zu nehmen. Unter Lime juice versteht man eine aus dem Safte einer besonderen Zitronenart erzeugte Limonade, die sehr sauer ist, wogegen unter unserer Limonade das englische Lemon squash gemeint ist. Wegen des auffallend saueren und zugleich herben Geschmackes wird mit Eiswasser versetzte Lime juice als Tro- pengetränk sehr geschätzt und auf den Schiffen gewöhnlich nach dem Passieren des Wendekreises auf die Tafel gebracht. Einige alte „Seefahrer“ unserer Gesellschaft verlangten Lime juice schon in Port Said und erklärten die Nichtgewährung ihrer For- derung als unerhörten Skandal. Andere hatten zu dem Mittel der Korruption gegriffen und hatten durch Bestechung des Ste- wards sich in den Besitz des begehrten Trankes zu setzen ge- wusst; sie hatten ihn nur mit der strengen Weisung erhalten, ihn möglichst geheim zu trinken, worauf natürlich sofort alle von der Sache wussten und stürmisch ihr „Recht“ forderten. Die Regierung unseres Miniaturstaates gab nach, Lime juice wurde zur freien Verfügung gestellt — und einige Tage dar- nach kaum mehr beachtet. (Fortsetzung folgt.) Be in 1. 255 Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. Von Dr. Viktor H. Langhans, Prag. (Schluss.) Im Traunsee fiel mir auf, dass Leptodora nicht so nahe ans Ufer heranzugehen scheint, als Bythotrephes, der übrigens, ‘ ebenso wie Leptodora, zu jeder Tageszeit an der Oberfläche an- { getroffen wird. Die Copepodenfauna des Traunsees zeigt keine Besonder- heiten. Von Centropagiden fand ich nur Diaptomus gracilis, der im Traunsee wie in allen von mir untersuchten Alpenseen kleiner ist, als der D. gracilis der böhmischen Teiche. Die Cyclopiden sind im Plankton des Sees durch zwei Arten vertreten. Neben Cyclops strenuus, der gemeinsten Seenform, kommt sein gewöhnlicher Begleiter, der Cyclops leuckarti vor. Cyclops strenuus, der in den Seen und Teichen der Ebene meist nur im Frühjahr und Winter in grossen Mengen gefunden wird, bildet im Traunsee auch in der heissesten Zeit einen Haupt- bestandteil des Planktons. Er scheint hier, wie in anderen Alpenseen, sein Hauptmaximum im Juli bis September zu haben. Cyelops leuckarti ist in den Alpenseen, wie anderwärts, eine reine Sommerform. Sein Vorkommen ist auf jene Seen be- schränkt, deren Wasser im Sommer noch relativ stark erwärmt wird. Sein ziemlich zahlreiches Auftreten im Traunseeplank- ton charakterisiert diesen als einen warmen Alpensee. Wenn eingangs der Traunsee aufgrund der Mitteltemperatur des ge- samten Wasser als kalter See bezeichnet wurde, so widerspricht das nicht dem eben Gesagten. Denn das Vorkommen von Cyclops leuckarti hängt nur von der Oberflächentemperatur ab, während die Gesamttemperatur hauptsächlich durch das kalte Tiefen- wasser bestimmt wird. Die Rotatorienfauna ist zur Charakteristik des Sees weniger geeignet. Vielleicht aus dem Grunde, weil sie in den Alpen- seen noch zu wenig berücksichtigt wurde. Das gesamte Zooplankton des Traunsees scheint zwei Maxima zu haben. Das eine dürfte in die Zeit vom Juli bis anfangs August, das zweite in die späten Herbstmonate fallen. Man hat dieses zweite Maximum, das gewöhnlich stärker ist, als das erste, als ein Wintermaximum bezeichnet und demnach die Planktonfauna der Alpenseen für eine Kaltwasserfauna ge- halten, deren grösste Entfaltung durch die winterliche Abkühlung des Wassers herbeigeführt wird. Ich glaube, dass diese Auf- fassung falsch ist. In den mitteleuropäischen Seen und Teichen 256 Dr. Viktor H. Langhans: findet man zwei Maxima des Zooplanktons. Das erste im Mai, das zweite im September. Beide folgen unmittelbar auf eine grösste Entfaltung des Phytoplanktons und dürften wohl einfach durch den grossen Nahrungsreichtum bedingt sein. Sie nehmen ab, wenn die vorhandene Nahrung aufgezehrt ist. Das Minimum in der Mitte des Sommers wird nicht durch grosse Hitze, sondern durch die Abnahme des Phytoplanktons bedingt, das sich nicht so rasch vermehren kann, als es von der ungeheueren Menge von Tieren verzehrt wird. Nahrungsmangel dezimiert die Zahl der Tiere. Dadurch erholt sich wieder das Phytoplankton, es entfaltet sich zu einem neuen Maximum, das in der Folge wieder Anlass gibt zu einer neuerlichen starken Vermehrung des Zoo- planktons zum Herbstmaximum. Nach diesem verhindert der eintretende Winter, die Kälte und der Lichtmangel unter dem Eise eine abermalige Wiederholung des Zyklus, der erst im Frühling, nach dem Auftauen des Rises, von neuem einsetzt. Ebenso verläuft der Wechsel der Maxima und Minima in den Alpenseen. Nur sind hier die Zeitpunkte verschieden. In- folge des späten Eisgangs und der späten Schneeschmelze be- ginnt die Erwärmung des Oberflächenwassers der Alpenseen relativ spät. Deshalb tritt auch die Entialtung des Phytoplanktons ziemlich spät ein. Erst wenn genügend Nahrung vorhanden ist, nehmen auch die Tiere an Zahl zu, bis sie infolge ihrer raschen Vermehrung das Phytoplankton vernichtet haben und nun wieder aus Nahrungs- mangel zugrunde gehen. Dieser letzte Zustand, der in der Ebene schon im Juli erreicht ist, tritt in den Alpenseen frühestens zu Ende des Sommers (Ende August) ein. In diesem Falle be- günstigt der in der Regel durch eine lange Reihe sonniger Tage ausgezeichnete Herbst eine zweite Vermehrung des Phytoplank- tons, das ein zweites, starkes Maximum der Zooplanktonten in den letzten Herbst- oder ersten Wintermonaten ermöglicht. Je höher der See liegt, desto später beeinnt die Frühjahrsperiode seiner Schwebeflora, alle Maxima werden verschoben, das zweite Maximum der Tiere fällt schliesslich in die letzten Dezembertage. Wenn in den höchstgelegenen Seen die Termine so stark ver- schoben sind, dass nach dem ersten Maximum des Zooplanktons keine zweite Entfaltung der Schwebeflora mehr möglich ist, dann wird das ganze Plankton monozyklisch. So sehen wir, dass nicht die Kälte des Wassers zur Zeit der sogenannten „Winter- maxima“ der Alpenseen die stärkere Vermehrung des Zooplank- tons bedingt, sondern dass auch hier, wie überall, die Wärme und das Licht des Sommers Ursachen der Vermehrung sind, deren Wirkung bloss durch die kurze Dauer der Sommerwärme bis zum Beginn des Winters verschoben wird. Übrigens fällt der RN FE Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. 957 tiefste Winter in den Alpenseen gar nicht in jene Zeit, die wir nach den uns vertrauteren Verhältnissen unserer Gegenden als Winter bezeichnen. Die grossen Alpenseen frieren sehr spät zu, die grösseren, wenn überhaupt, erst Ende Januar oder anfangs Februar und tauen dann erst im April, Mai oder noch später auf. Auch wenn die Seen gar nicht zufrieren, haben sie in jener Zeit ihre tiefsten Temperaturen. In diesen Monaten, die wir als die eigentlichen Wintermonate der Alpenseen auffassen müs- sen, gibt es nie ein Maximum des Zooplanktons. E33 = * Wenn wir nun zum Schluss noch einmal das Gesagte über- blicken, so müssen wir zugeben, dass das Traunseeplankton in seiner reichen Entfaltung und in der Mannigfaltigkeit seiner Formen keineswegs hinter den Anforderungen zurücksteht, die wir erfahrungsgemäss an einen Alpensee stellen dürfen. Ja, es scheint sogar besonders begünstigt gegenüber den anderen Alpen- seen und besitzt manche individuelle Züge und biologisch inter- essante Einzelheiten, die es eines eingehenderen Studiums würdig machen. Wir haben aber auch gelernt, wie vorsichtig man in der Beurteilung der Ergebnisse einzelner, gelegentlicher Plankton- fänge sein muss und wie leicht man zu voreiligen Schlussfol- gerungen gelangen kann. Literatur: Asper und Heuscher, 1886: Zur Naturgeschichte der Alpenseen. — in: Jahresbericht d. St. Gallischen Naturw. Ges. für 1885/86. Brehm, 1902: Zusammensetzung, Verteilung und Periodizität des Zooplanktons im Achensee. — in: Zeitschr. d. Ferdi- nandeums, Innsbruck. III. Folge, 46. Heft. 63 pag. Brehm, 1906: Untersuchungen über das Zooplankton einiger Seen der nördlichen und östlichen Alpen. — in: Verh. Zool. bot. Ges. Wien. Jg. 1906. p. 33—43. Brehm u. Zederbauer, 1906: Beiträge zur Planktonuntersuchung alpiner Seen. IV. — in: Verh. Zool. bot. Ges. Wien. Jg. 1906. p.. 19-32. Claus, 1877: Zur Kenntnis des Baues und der Organisation der Polyphemiden. — in: Denkschriften d. kais. Akad. d. Wiss. math.-nat. Kl. 37. Bd. Cori, 1898: Beitrag zur Fauna des Traunsees u. seiner Um- gebung. — in: Dr. F. Krackowizers „Geschichte der Stadt Gmunden.“ Gmunden 1898. 958 Dr. Viktor H. Langhans. Das Plankton des Traunsees. Fri€ u. Vavra, 1893: Die Tierwelt des Unterpoternitzer und Gatterschlager Teiches. — in: Arch. f. naturw. Landes- durchforsch. Böhmen. Bd. IX. N 2. Geistbeck, 1884: Die Seen der deutschen Alpen. — in: Mitt. d. Ver. f. Erdk. zu Leipzig, 1844, p. 365. Grissinger, 1892: Untersuchungen über die Tiefen- und Tem- peraturverhältnisse des Weissensees in Kärnten. — in: Petermanns Mitt. 38 Bd. VII. 153—158. Hrdina, 1859: Contouren zu einer Monographie des Tran — in: 19. Bericht d. Mus. Franc.-Carol. in Linz. p. 79. Huber, 1905: Monographische Studien im Gebiete der Mon- tigglerseen (Südtirol) mit besonderer Berücksichtigung ihrer Biologie. — in Arch. Hydrobiol. u. Planktonkde. Bd. I. Heft 1. p. 1—81, Heft 2, p. 123—210. Imhof, 1885: Faunistische Studien in achtzehn kleineren und grösseren österreichischen Süsswasserbecken. — in: Sitzber. d. Akad. Wiss. \yien. math.-nat. Kl. 91. Bd. Heft 1. 1. Abt. p. 203—226. Keissler, 1907: Über das Phytoplankton des Traunsees. — in: österr. bot. Zeitschr. Jg. 1907. N 4. p. 1—7. Koch, 1895: Die Temperaturbewegung des Gmundner- oder Traunsees und Traunabflusses im Winter 1894—95. — in: Mitt. d. geogr. Ges. Wien, XXXVII. Bd. N. 2. Reibenschuh, 1895: Die Temperaturverhältnisse der Seen d. Salzkammergutes.. — in: Jahresb. d. Staatsrealschule in Graz, p. 3—25. Richter, 1891: Die Temperaturverhältnisse der Alpenseen. — in: Verh. d. IX. deutsch. Geographentages, Wien 1891 p. 193. Ruttner, 1906: Die Mikroflora der Prager Wasserleitung. — in: Arch. naturw. Landesdurchf. Böhmen. Bd. XII., N. 4. Schuh, 1899: Beiträge zur Kenntnis des Gmundener Sees. Gmunden 1899. Simony, 1850: Die Seen des Salzkammergutes. — in: Sitzber. d. Akad. d. Wiss. Wien. Mai 1850. p. 16. Simony, 1874: Über die Grenzen des Temperaturwechsels in den tiefsten Schichten des Gmundener und Attersees. — in: Sitzber. d. Akad. Wiss. Wien, math.-nat. Kl. 71. Bd. 1. Abt. p. 432. Simony, 1870a: Temperatur und Wasserdruck in grösseren See- tiefen. — in: Arch. f. Seewesen, herausg. von Ziegler, Wien 1570. VI. Bd. p. 203. Simony, 1870b: Temperaturverhältnisse in den Oberösterr. Seen. — in: Mitt. d. geogr. Ges. Wien 1870. p. 184. Steiner, 1832: Der Reisegefährte durch die österreichische Schweiz. Linz. p. 391. Dr. Adalbert Liebus: Geologische Wanderungen. 359 Steuer, 1901: Entomostrakenfauna der „alten Donau“ bei Wien. — in: Zool. Jahrbücher. Abt. Systematik etc. 15. Bd. 1. Heft. p. 1—-156. Zacharias, 1898: Untersuchungen über das Plankton der Teich- gewässer. — in: Forschber. biol. Stat. Plön, Teil 6. p. 89—139. Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. Von Dr. Adalbert Liebus. V. Seharka. Um die geologischen und landschaftlichen Schönheiten dieses romantischen Tales und seiner Umgebung mit Musse würdigen zu können, müssen wir uns bequemen, eine kurze Eisenbahnfahrt zu unternehmen. Wir fahren vom Bahnhofe der Staatseisenbahn- gesellschaft (Hybernergasse) nach Weleslawin. Von der Station aus gehen wir zunächst in südlicher Richtung ein Stückchen in den Ort hinein. Beim Be- treten des kleinen Dorfplatzes fallen jedem Besucher seltsame, steile, lotrecht abfallende Wände auf, die wie Reste von mächtigen Festungsmauern aufragen. Sie be- stehen aus dem gelblichen uns bereits bekannten Süsswassersand- stein der Perutzer Unterkreide. In diese ist auch der Fahrweg der über die Ortschaft die Lehne hinan führt, in seinem Beginne eingeschnitten. Sie bilden auch die steilen gelblich gefärbten Wände östlich des Ortes Weleslawin. Steigen wir den Weg höher hinan, so können wir an der oft schönen mattspangrünen Farbe die Korytzaner Grünsande erkennen, über denen als oberste Decke der Plänerkalk lagert. Die Lagerung der Schichten ist nahezu horizontal, eine Tatsache, die an den Sandsteinen durch die abwechselnden grob- und fein- körnigen Lagen zutage tritt. Nach dieser kurzen Abschweifung kehren wir wieder gegen die Bahn zurück und überschreiten die- selbe beim Wächterhause Nr. 8 östlich der Station. Vor dem Überschreiten fällt uns noch diesseits der Bahn knapp am Bahn- körper eine kleine Erhebung auf, die aus dem übrigen Boden zwischen dem Orte und dem Schienenstrange, hervorragt. Bei näherem Zusehen beobachten wir, dass sie von einem harten weissen Gestein gebildet wird, dem Quarzit, der das Haupt- gestein der Etage Dd, darstellt, kleine derartige Erhebungen 260 Dr. Adalbert Liebus: östlich von da lassen uns vermuten, dass diese Schichte sich noch weiter gegen Osten erstreckt. Das übrige Gebiet, in das auch die Bahn stellenweise eingeschnitten ist, setzt ein dünn- blättriger, glimmeriger dunkelgrauer Schiefer zusammen, welcher der Etage Dd, 7 angehört. Das ganze weiche Feldgebiet jenseits der Bahn zwischen dem Orte Wokowitz und dem Südab- hange des Roten Berges besteht aus demselben Schiefer, der aber hier vollständig verwittert ist und seine Anwesenheit in der Ackererde nur durch kieselige Kugeln oder knollenartige Konkretionen, die überall herausgeackert werden, kundtut. Oft enthalten diese Knollen im Inneren Versteinerungen oder Teile derselben. Nun wenden wir uns gegen den Ort Wokowitz, in dem die . erwähnten Schiefer vom Wege angeschnitten werden, (Einfallen südlich), durchschreiten denselben etwa in nordwestlicher Richtung und schlagen den Fahrweg ein, der nordwestlich zum Scharka- tal sich senkt. Nach etwa 200 Schritten zweigt von diesem Wege ein zweiter gegen Nordost und einige Schritte später ein dritter nach links also nach Westen, ab, der in seinem späteren Verlaufe zu einem Fussteige wird. Er führt an der nördlichen Längsseite eines seichten breiten Tales parallel zum Scharkabache hin, der sich durch das breite Wiesenland hindurchschlängelt. Gegen Westen wird der Wiesen- grund immer schmäler und die ihn begrenzenden Tallehnen be- ginnen anzusteigen. Besonders auffallend ist die Steigung zu unserer Rechten. An Stellen, wo die Ackererde entfernt wurde, sehen wir, dass graue bis grünlichgraue bröckelige Schiefer den Untergrund bilden, die auch etwas weiter nach Westen in einem Steinbruche zutage treten. An diesen Steinbruch schliesst sich eine ganze Reihe der- selben an, in deren nächsten (in unserer Wegrichtung) im Han- genden noch die soeben beobachteten Schiefer in 1—1'/, m mächtigen Lagen auftreten, während im Liegenden die Schiefer- schichten an Mächtigkeit stetig abnehmen, rötlich werden, an Härte zunehmen und mit einem grauen und rötlichen äusserst festen Quarzite wechsellagern. Dieser gehört derselben Etage an, wie der vorhin bei Weleslawin beobachtete. Da aber die grün- lichgrauen Schiefer sein Hangendes bilden, müssen sie jünger sein als er. Sie sind die untersilurischen Schiefer der Etage Dd ,, ,„ die wir bereits beispielsweise im Hohlwege in der Mo- zartgasse, am Wyschehradfelsen kennen gelernt haben. Das. Einfallen der Quarzite ist sehr gut mit dem geolo- gischen Kompass bestimmbar, es ist gegen Südost gerichtet mit einem Einfallswinkel von 25—30°. In den weiteren Steinbrüchen sehen wir, dass die Schieferzwischenlagen vollständig dem äusserst Per Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 361 harten Quarzite Platz gemacht haben, der hier in würfelförmige Stücke zur Strassenpflasterung und in kleine unregelmässige Brocken zur Schotterung verarbeitet wird. Seine Fortsetzung findet der Quarzit der rechten Talseite beim letzten Steinbruche auch auf dem linken Gehänge, welches deshalb, weil der harte Quarzit den Untergrund bildet, ebenfalls steil ins Tal abfällt. Wenn wir den Fussteig von da an gegen Südwesten über die mit Kirschbäumen bepflanzte Lehne auf den Fahrweg hinauf- steigen, der weiter südlich in die von der Libotzer Station führende Strasse mündet, so können wir auch dort, wo der Fahrweg sich ins Tal herabsenkt an der Strasse den Quarzit beobachten. Seine Streichrichtung ist also von SW. gegen NO. und ist durch den kleinen Höhenrücken an dessen Südfusse wir hierhergelangt sind angedeutet. Diesen Punkt, also etwa dort, - N “is, 2. Mohowiin. Abbildung 1: Das Gebiet zwischen Weleslawin, Wokowitz und Libotz; a. Beobachtungsstandort. wo der Fahrweg gegen das Scharkatal von der Strassenkreuzung der beiden Strassen von Libotz und von Wokowitz abbiegt, nehmen wir nun als Orientierungspunkt für die geologischen Verhältnisse an (a Abbildung 1.) Der Eingang in den ersten Teil des Scharkatales, die so- genannte Wolfsschlucht wird von zwei grossen wild zerrissenen Felsmassen flankiert, zwischen denen der Scharkabach in vielen Windungen hindurchfliesst (Abbild. 2). Die beiden Felsmassen er- weisen sich beim näheren Betrachten als Kieselschiefer, eine dichte äusserst feste in dicken Bänken absondernde Quarzfelsvarie- tät, die dem nachfolgenden Teile des Tales wegen der zerrissenen Gehänge den Namen der „wilden Scharka“ eingetragen hat. Das ganze Tal samt dem Teile von Wokowitz bis zum Eingange ist ein Erosionstal des Scharkabaches. Betrachtet man dies mit den Augen des Laien, so erscheint es beinahe als un- 262 Dr. Adalbert Liebus: möglich und allen Gesetzen zuwiderlaufend, dass der Bach sich gerade diesen Weg herausgenagt hat. Zunächst hat er ja die harten Quarzite nordöstlich von unserem Standorte (a) und dann noch die Kieselschiefer durchbrochen. Wie wir schon zu Beginn unserer Exkursion gesehen haben und wie uns auch ein kleiner Abstecher westlich von un- serem Standorte aus überzeugen könnte, besteht die übrige Umgebung aus den weichen Sandsteinen und Kalken der Kreide- Abbildung 2: Eingang in das Scharkatal, Erosion des Scharkabaches. formation und aus den bröckeligen Schiefern des Silurs. Warum hat der Bach nicht dort eingeschnitten? Die Erklärung dazu gibt uns gerade die Umgebung. Die Kreidesandsteinfelsen, die wir bei Weleslawin beobachteten und die auch gegen Westen und Norden am Rande des Scharkatales zutage treten, sind die letzten Reste einer allgemeinen Kreidesandstein- und Kalkstein- decke, welche die ganze Gegend, die uns heute durch die vielen Täler und Höhen so gegliedert erscheint, gleichmässig überlagerte. In diese Schichten konnte der Scharkabach sehr leicht sein Bett hineinnagen, und tat es auch. Als dasselbe aber tief genug war, n N Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 963 so dass das Wasser auf die darunterliegenden Gesteine kam, konnte es vor einem derartigen Hindernis, wie eine Quarzitbank oder ein harter Kieselschiefer nicht mehr zurückweichen. Das Bett, dessen Verlauf in den Kreideschichten bereits festgelegt war, konnte nicht mehr verlegt werden, es wurde also weiter vertieft. Als durch die allmähliche Denudation (Ab- waschung) die Kreidedecke verschwunden war, hatte der Bach sein Bett bereits in die harten Schichten eingeschnitten und dieses Bett wurde von ihnen gewissermassen wie durch einen Schraub- stock an Ort und Stelle festgehalten. Vergegenwärtigen wir uns weiter die Tatsachen, die wir zu Beginn unserer Exkursion festgestellt haben. Wir haben beim Wächterhause Nr. 8 Quarzite der Etage Dd, konstatiert, unter ihnen und südlich des Roten Berges die Schiefer Dd., y und westlich Wokowitz die silurischen Schiefer Dd.,, , in ihrem NWM. 9.8.0. Ey BUN Wokowita Weber kan Se Bankar- dB. Iierchohiefer Abbildung 3: Profil zwischen dem Scharkaeingang und Weleslawin. Liegenden wiederum die Quarzite Dd., und wenn wir nun del kleinen Abhang zwischen dem letzten Quarzitsteinbruch und dem östlichen Kieselschieferfelsen beim Eingange in die Wolfsschlucht näher betrachten, so sehen wir, er bildet zwischen den zwei Höhen eine seichte Einsattelung. Bei vorsichtiger Musterung der Gehänge finden wir Bruchstücke eines dunklen glimmerigen Schiefers, der also das Liegende der Dd, Quarzite bildet. Es ist dies wieder der untersilurische Schiefer Dd, y. Wenn wir uns also einen Schnitt, ein Profil (Abbild. 3) durch diesen Teil des Tales in der Richtung NW—SO über Wokowitz hindurch gelegt denken, so fänden wir folgende Schichtenreihenfolge von NW beginnend, Kieselschiefer, untersilur. Schiefer Dd , y, Quarzite Dd . unter- silur. Schiefer Dd. ,, ,, untersilur. Schiefer Dd , y, Quarzite Dd ,, Kreideschichten, also in einem Niveau beinahe eine Wiederholung derselben Schichten. Dies ist bei normaler Lagerung unmöglich, folglich muss hier eine Störung vorhanden sein und zwar muss die Störungslinie etwa die Richtung NO—SW haben. 4 264 - Dr. Adalbert Liebus: Es ist dies eine von den vielen NO streichenden Störungs- | linien, die wir im kleinen Masstabe im Hohlwege der Mo- zartstrasse in Smichow beobachteten und die alle zur Längs- achse der böhmischen „Silurmulde“ parallel verlaufen. Nun verlassen wir unseren Beobachtungsposten und treten in das Scharkatal ein. Die Kieselschieferfelsen, die hier den Bach und den Weg zwischen sich nehmen, sind dunkel, zum Teile schwarzgrau, stellenweise aber auch etwas rötlich gefärbt. Häufig sind sie von Spalten durchzogen, die von jüngerem Quarze aus- gefüllt sind. Die Kieselschiefer bildeten ursprünglich Einlage- rungen in den kambrischen Schichten der Etage C, die wegen ihrer relativen Weichheit dem Wasser früher zum Opfer gefallen sind. Hinter dieser ersten Partie der wilden Scharka erweitert sich das Tal wieder und wir sehen sofort auch die Ursache dieser Erscheinung. Das nördliche Talgehänge besteht aus den viel weicheren kambrischen Schiefern während die südliche Lehne ihren harten zackigen Charakter beibehält. Hier ist die un- gleiche Wirkung der Erosion sehr deutlich sichtbar. Der Bach hat da an der Grenzfläche der kambr. Schiefer und der ihnen eingelagerten Kieselschiefer zu erodieren begonnen. Die harten Kieselschiefer sind allmählich als ein langer Felsgrat, der Jungfern- sprung, herausmodelliert worden, während die weniger widerstands- fähigen Grauwackenschiefer in einer breiten Rinne der Gewalt des Wassers zum Opfer gefallen sind. Der weitere Talverlauf bietet keine bemerkenswerten geo- logischen Vorkommnisse, die Tatsachen, die wir schon zu beo- bachten Gelegenheit hatten, wiederholen sich da. Wir verlassen deshalb das Tal und benützen den Fahrweg, der 200 Schritte südöstlich von der Restauration „Zelivka“ die Lehne steil hinauf und in seiner weiteren Verlängerung gegen Südosten zu der uns bereits bekannten Ortschaft Wokowitz führt. An den Seiten des Weges treten hier wieder überall die Dd , y Schiefer hervor, die aber stark zerbröckelt sind. Bevor der Weg noch die Anhöhe erreicht, zweigt ein breiter fester Fahrweg nach Nordosten also links von ihm gegen einen weithin sichtbaren zackig zerrissenen Felsgrat hin ab. An diesem Wege sind durch einen grossen Steinbruch nochmals die Dd. Quarzite aufge- schlossen, sie liegen direkt in der Streichungsrichtung des Quar- zitzuges, den wir schon zwischen Wokowitz und dem Eingange ins Scharkatal beobachtet haben und bilden seine direkte Fortsetzung nach NO. Ihr Einfallen ist aber hier gegen SSW gerichtet, der Einfallswinkel beträgt etwa 40°. Auch hier können wir wenn auch untergeordnet im Hangenden der Quarzite, schwache Schiefer- zwischenlagen beobachten. Unterhalb des Weges also im Lie- genden der Quarzite, streichen zwischen der Qarzitanhöhe und Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 965 ‘dem oben erwähnten Felsgrate, der aus Kieselschiefer besteht, die grauen glimmerigen Schiefer Dd, y durch, die in einem Wasserrisse aufgeschlossen sind und welche die uns bereits be- kannten kieseligen Konkretionen mit Versteinerungen (Dalmanites. atavus. meist Teile der Körperringe) enthalten. Östlich von dieser Anhöhe lassen sich die Quarzite noch weit verfolgen, ihre letzten Reste kann man im Untergrunde der Felder bis zu der grossen Ziegelei am Westabhange des Roten Berges nachweisen. Die Einsenkung zwischen der jetzt eben begangenen Höhe und dem Roten Berge ist mit einer ziemlich mächtigen Löss- masse ausgefüllt, unter der im Ziegelschlage die Dd , y Schiefer wieder zutage treten. Der „Rote Berg“, der von der Westseite wegen Massnahmen des Ziegeleibesitzers unzugänglich ist, hat seinen Namen von der roten Farbe der eisenerzführenden .Ko- morauer Schichten“ Dd, £ erhalten. die seine Südost- und Nordwestflanke bilden, zwischen denen ein NO streichender Porphyr- gang hiedurchgeht. Die Komorauer Schichten Dd , £ bestehen hier aus Grauwackensandsteinen und dichten Diabastuffen, welch’ letztere auf der Nordwestseite in einem tiefen Wasserriss stellen- weise entblösst sind. Wegen der Steilheit der Abhänge und der Kultivierung des Gipfels und aus Mangel an geeigneten Aufschlüssen ist es äusserst schwierig, sich hier zurecht zu finden. Nach den Angaben von Krej£i') bestand hier bis zu dem Jahre 1867 ein Eisenbergbau. Von da steigen wir jetzt wieder vollends in das Scharka- tal hinab und treffen die von Dejwitz über die Generalka nach Nebuschitz führende Strasse in einer der Serpentinen. Parallel zur Strasse zieht an der Seite des Roten Berges ein tiefer Graben hinan, in dem die Dd, y nochmals auftreten, die auch den Talgrund östlich von der Generalka bilden. Nach eini- gen Schritten in der Richtung gegen die Generalka zweigt von der Strasse nach Westen zu ein Fahrweg ins Scharkatal ab, von dem dann der Fusssteig gegen die Generalka um eine langestreckte Felsmasse herumführt. Diese besteht aus einem anscheinend ge- schichteten Gesteine, das sich aber bei mikroskopischer Prüfung als ein Porphyr mit äusserst dichter Grundmasse erweist, der wohl durch Druck jene anscheinende Schiefrigkeit angenommen hat. Von der Restauration aus benützen wir die Strasse, die von der obenerwähnten Nebuschitzer Strasse gegen Norden abzweigt um noch zwei geologisch interessante Punkte in Augenschein ı) Erläut. zur geol. Karte d. Umg. v. Prag. Arch. d. naturw. Landes- durchf. v. Böhm. IV. Bd. Nr. 8 geol. Abt. S. 35. 266 i Dr. Adalbert Liebus: nehmen zu können. Etwa 200 Schritte von der Restauration Generalka entfernt erblicken wir zur Linken einen grossen Ziegel- schlag. Treten wir gleich beim Eingange an eine der steilen Wände heran, so können wir aus dem Mangel einer Schichtung, aus dem Mangel von jeglichem Gerölle und aus der leichten Zerreibbarkeit des Materiales schliessen, dass wir es hier mit Löss also mit einer aeolischen Bildung zu tun haben. Betrachten wir nun die hintere Wand des Ziegelschlages von der Ferne, so nehmen wir ein dunkles Band wahr, welches diese etwas schief durchsetzt. Dieses dunkle Band ist die ehemalige Humus- schichte, die sich nach der Ablagerung der tieferen Lössdecke gebildet hat, und die dann später von einer weiteren Lössbil- dung wieder bedeckt, überschüttet wurde. Wir haben hier also zwei verschieden alte Lössbildungen vor uns. In dem Löss kann man, wenn man Glück hat, die typische Lössschnecke Pupa muscorum (Abbildung 4.) und Knochen von quartären Wirbel- tieren finden. Sicherer ist es, man wendet sich bezüglich der letzteren an die Arbeiter, die stets Knochenreste, Geweih- Abbildung 4: Pupa muscorum. Natürl. Grösse und vergrössert. stücke und Zähne (meist vom Pferd) der ehemaligen Säugetiere vorrätig haben. Verfolgen wir von da an die Strasse noch weiter gegen Norden, so kommen wir gleich hinter dem letzten Hause (einem Wirtshause) zu einem Steinbruche in der nörd- lichen Flanke des Scharkatales. Das Gestein ist der grünliche bis grünlichgraue kambrische Schiefer (C). Von diesem Stein- bruche etwa 120 Schritte weiter nördlich ist an der Strasse knapp vor einer gemauerten Brücke ein zweiter viel kleinerer zu finden, in dem zwischen die kambrischen Schiefer ein etwa 3—4 m mäch- tiger Lagergang eines Felsitporphyres eingeklemmt ist, der mit den Schichten fast gegen Süden einfällt. Schlagen wir uns ein kleines Stückchen dieses äusserst harten Gesteines ab, so bemerken wir eine fleischfarbige Grundmasse und in derselben graue etwas fettglänzende Bruchflächen der eingelagerten Quarzkryställchen. Der Porphyr ist ein vulkanisches Gestein, das im heissflüssigen Zustande zwischen die Gesteine der Erdrinde in Klüfte ein- drang und diese ausfüllte (Ganggestein) oder wie hier zwischen die Schichten geflossen ist (Lagergang) oder auch die Ober- fläche der Erde erreichte (Strom oder Decke). Da dieses heisse Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 367 Magma von den Kluftwänden aus und an der Luft sich rasch abkühlte. erstarrte es verhältnismässig schnell und bildete die Grundmasse, in der die Krystalle schwammen, die bereits wäh- rend der Zeit sich gebildet hatten, wo die glühendflüssige Masse noch in der Erde war. Von der „Generalka“ verfolgen wir das Tal weiter gegen Osten, gegen Podbaba zu. Im Tale selbst, dessen Boden, die weichen Dd , y Schiefer bilden, sind einige Ziegelschläge, deren Mächtigkeit aber bei weitem nicht so gross ist, wie die der Abbildung 5: Porphyrgänge bei Unter-Scharka. beiden Ziegeleien bei der Generalka. Hoch oben auf dem Rande des rechten Talgehänges steht das Kirchlein Sct. Matthias mit dem DorfeOber-Scharka. Westlich vom Kirchlein, dessen Unter- grund gegen das Tal hin mit einer scharfen „Nase“ vorspringt ist ein Wasserriss, an dessen Rande ein gepflegter Fusssteig mit Geländer in das Tal hinabführt. Etwa in der halben Höhe der Lehne bemerkt man an diesem Fussteige vorspringende Fels- stücke. Es ist dies der Porphyr, die Fortsetzung des Ganges, der den Roten Berg durchquerte. Er setzt sich auch in die Kuppe fort, die das Kirchlein trägt. 268 Dr. Adalbert Liebus: Geologische Wanderungen. DS Einen interessanten Punkt treffen wir noch knapp vor dem Orte Podbaba. Er liegt ebenfalls in der rechten Tallehne bei den ersten Häusern von Unter-Scharka. Hier ist ein grosser Steinbruch, in dem der harte dunkle kambrische Schiefer als Schotterstein gewonnen wird. Wenn wir den Steinbruch von der Strasse aus überblicken, so sehen wir, dass die steile Wand von einer Anzahl von hellen Bändern durchzogen wird. (Abbildung 5.) Es sind dies Gänge eines Por- phyrs, der bei makroskopischer oder Lupenbetrachtung ganz ho- mogen aussieht, er ist grau und sehr selten sind hie und da kleine Einsprenglinge in der Grundmasse anzutreffen. Einige von den Gängen verlaufen horizontal oder ein wenig schief, einer aber vertikal und dieser wird von einem horizontalen in seiner Richtung etwas abgelenkt. Also muss der vertikale älter sein, als der ihn ablenkende. Links hoch oben bemerken wir einen, der sich iu zwei Aste spaltet (zertrümert). Bevor wir noch unsere Beobachtungen hier abschliessen, begeben wir uns aus dem Tale von Podbaba hinaus in das Moldautal und gehen nordwärts auf der Strasse gegen Selz. Der Eisenbahnkörper führt hier hoch oben im Gehänge und ist in die kambrischen Schiefer eingeschnitten. Knapp vor dem ersten Wächterhause ist durch die Eisenbahn ein Felsstück von der übrigen steilen Lehne getrennt. Untersuchen wir den Teil des- selben, der direkt an der Strasse liegt, so bemerken wir, knapp unter der Signalscheibe zunächst ein massiges grünes Gestein und daneben wieder unseren Bekannten den Porphyr. Das erste Gestein ist ein Diorit, ein vulkanisches Gestein, das der Haupt- masse nach aus einem körnigen Gemenge von Feldspat, und grüner Hornblende besteht. Beide Gesteine sind als Lagergänge in die kambrischen Schiefer eingedrungen. Die Reste der letzteren kann man noch bei näherer Untersuchung stellenweise erkennen. nn Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘‘, Bibliothek und Sekretariat: Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: ‘Samstag 7—9 Uhr abends. Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“. — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. JOH, KRUSICH, Universitätsmech, Kurort Teplitz-Schönal, Böhmen, l., Albertstr. 5. heilt Gicht, Rheumatismus, 'Neuralgien, Betgrälseh konzessioniertes Geienksteifigkeiten, Exsudate etc. Ärzte elektrotechnisches Installations-Bureau, und deren Familien befreit von Kur- und medizin. u. physikal. Apparate. Elektr, Musiktaxe, erhalten freie Bäder, Saison Einrichtungen für Laboratorien u. Mittel- ganzjährig. schulen. Projektions - Apparate, Klein- Alkalisch-salinische Therme von 26° bis motoren, Zentrifugen etc. Apparate für 46°25°C. hoher Radioaktivität, Thermal-, Planktonuntersuchung. 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RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG Preis der einzelnen Nummer K1’—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8°—. Li_uLxuiiaaaarinnzseo e . Mineralpräparate, zgeschliffene Edelsteine, Mi n eral Ien, Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, mineralog. Apparate und Utensilien. = Dünuschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. h Gipsmodelle seltener Fossilien, geotekto- | Petrefakten, nische Modelle, Sammlungen für allgemeine Geologie. Exkursions-Ausrüstungen. = aus Holz, Glas und Pappe. Kristall- Kristallmodelle Spesche Moaene. ® 4 für den geologischen und petrographischen [9 D lapositive Unterricht. Der allgemeine mineralogisch- oO) geologische Lehrmittel-Katalog (reich illustr. Nr. XVIII) steht auf Verlangen portofrei zur Verfügung. Meteoriten, Mineralien und Petrefaliten, sowohl einzeln als auch in ganzen Sammlungen, werden jederzeit gekauft oder im Tausch übernommen. Dr. F. 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Es ist ja in der mir hier nur in stark beschränktem Masse gebotenen Zeit gar nicht möglich, das ganze Gebiet der Psycho- pathologie des Kindes vorzutragen; letzteres wäre aber auch gar nicht. am Platze, da ein so genaues Eingehen auf das gesamte Gebiet für den hier in Betracht kommenden Zweck ganz unnötig wäre. Im Gegenteil haben für Sie, bei Ihrer Fürsorgetätigkeit, nur einige Kapitel eine gewisse praktische Bedeutung, und diese sind es, die wir hier zu behandeln haben werden; das übrige wird entweder ganz ausgelassen oder nur gestreift. Sie dürfen also von diesen Vorträgen nicht etwas Ganzes erwarten, sondern nur eine dem hier entstandenen praktischen Bedürfnisse ent- sprungene Mosaik, die ich dadurch etwas lebhafter zu gestalten versuchen werde, dass bei jedem Kapitel auch typische Beispiele dieser Erkrankungsform, die durchwegs aus eigener Betrachtung stammen, angeführt werden. Die Geistesstörung im Kindesalter teilen wir ein, in 1. Störungen mit Intelligenzdefekt — Schwachsinnsformen ; 2. In solche ohne Intelligenzdefekt. Ich gebe ein Beispiel, das Ihnen diesen Unterschied näher beleuchten soll: Ein jeder weiss besser als es eine Definition sagen kann, was man unter normaler Intelligenz versteht, das heisst jene Summe von geistiger Potenz, die dem normalen Durchschnitts- menschen zur Verfügung steht, und kraft deren er sich unter den verschiedensten Umständen orientiert und seine Schlüsse bildet. 20 270 Dr. Oskar Fischer: Es kann unter pathologischen Umständen die Intelligenz eine Einbusse erfahren, und derartige Zustände von patholo- gischer „Dummheit“ nennt man je nach dem Grade Schwach- sinn oder Blödsinn. Anderseits gibt es Geistesstörungen, die aber ohne Intel- ligenzdefekt entstehen können; z. B.: Ein Mensch, der an einem Verfolgungswahn leidet, hallu- ziniert zum Beispiel derartig, dass er nachts Gestalten sieht, die ihm zurufen, er möge sich vor jemandem aus seiner Umge- bung hüten, weil der ihm nach dem Leben trachte; da der Kranke seine Hailuzinationen für ganz vollwertige Wahrneh- mungen hält, sie für ihn also genau dasselbe bedeuten, wie wenn er sie in Wirklichkeit sehen würde, handelt er darnach, er handelt falsch, aber nur deswegen, weil ihn seine Halluzina- tionen über den Stand der Dinge getäuscht haben; die Schlüsse daraus sind dagegen richtig, der Intellekt ist intakt. Oder sagen wir ein neurasthenisches Kind zeigt keine Spur von Verminderung seiner Intelligenz, aber es kennt keine Ausdauer, es ermüdet sofort, kann nicht aufmerken, ist reizbar, bei jeder Gelegenheit ärgerlich; auch das ist eine Störung der geistigen Tätigkeit, aber ohne Störung des Intellektes. Wir kommen nun zur Besprechung der einzelnen Krank- heitsformen und da zuerst zum Schwachsinn. | Je nach der Stärke des Defektes unterscheidet, man zwei Gruppen: a) Den schweren Schwachsinn, Blödheit; b) Den leichteren Schwachsinn. Beide können angeboren sein, oder aber sie entwickeln sich erst einige Jahre nach der Geburt, sind also erworbene Schwachsinnsformen. Uber die schwere Form der Blödheit, Idiotie, brauche ich hier nicht viel Worte zu verlieren, da sie ohneweiters von einem jeden erkannt wird, und praktisch für Sie von geringer Bedeu- tung ist. Die Intelligenzabnahme ist so gross, dass die Kinder ständig auf dem Stadium eines kleinen Kindes bleiben, ja häufig nicht einmal sprechen lernen, unrein bleiben etc. Von Interesse wäre hier vielleicht die Erwähnung einiger Ursachen der Idiotie. Da spielt in erster Linie der Alkohol eine grosse Rolle; nach Bourneville kommt bei 70%, von Schwachsinnigen Alko- holismus der Eltern vor; auch kann Genuss von Spirituosen bei sonst gesund geborenen Kindern zur Verblödung führen; so berichtet Bourneville von einem Fall, wo ein 4jähriges Kind in einem Wirtshause seines Grossvaters, die Reste aus den Gläsern der Gäste auszutrinken pflegte und vollkommen verblödete. | 3 d 3 Zu Die psychischen Störungen im Kindesalter. 974 Eine weitere wichtige Ursache der angeborenen Schwach- sinnsformen ist Syphilis der Eltern. Es gibt ja noch andere Ursachen dieser Erkrankung, welche ich aber als hier ohne be- sondere Bedeutung nicht näher berücksichtigen will. Vie] wichtiger für uns als die schwereren jedem auf den ersten Blick erkennbaren Formen des Schwachsinnes, sind die leichten Formen desselben. Bei diesen zeigt sich die Intelligenz | zwar verändert, aber in verschiedenen Graden; körperlich ent- wickeln sich diese Kinder gewöhnlich schlechter und später als normale, sie lernen auch später erst sprechen ; in der Schule geht es mit dem Lernen nicht gut, und zwar entweder in allen Gegenständen oder aber nur in einzelnen, aber dann besonders schlecht, wogegen sie in anderen Gegenständen sehr gut, manch- mal brillant fortkommen. Je höher das Kind in der Schule auf- steigt, desto ärger wird es mit dem Lernen; auch später nach der Schule zeigen die Kinder eine viel geringere Aufnahms- fähigkeit für zu Erlernendes, sie bleiben in der Lehre zurück, sie sind unselbständig, ihre Arbeiten tragen dann immer den Stempel des Anfängers oder Dilletanten. Neben diesen grösseren intellektuellen Störungen zeigen sich durchwegs auch mehr oder weniger ausgesprochene Abnor- mitäten im Charakter. Trotzdem die Kinder intellektuell zurück sind, zeigen sie doch manchmal einen ziemlichen Grad von Schlauheit besonders im Erreichen egoistischer Zwecke; diese Schlauheit (und manchmal auch Hinterlist) ist es, welche manchen Eltern als grosse „Gescheit- heit“ der Kinder imponiert. Dabei zeigen die Kinder durchwegs einen Mangel ethischer Begriffe und Gefühle: dass es etwas gibt, was gut genannt wird, das zwar nicht angenehm ist, aber dennoch durch Beziehungen zur Allgemeinheit nützt, das ist etwas, wofür jenen der Sinn vollkommen fehlt. Schon im zar- testen Alter geraten sie aus kleinsten Ursachen in Wut, zer- reissen ihre Kleider, zerschlagen ihre Spielsachen; sie sind grau- sam gegen die Tiere und kleinen Geschwister, aus diesen Grün- den spielen sie auch gewöhnlich nur mit kleineren Kindern; sie sind verlogen und lügen manchmal mit einer solchen Raffiniert- heit, die man sonst bei ihnen nicht erwarten würde; Ermah- nungen, Liebkosungen, Strafen nützen nichts, höchstens gründ- liche Strafen nur für den Moment. Meist erzielen aber Strafen noch das Gegenteil, die Kinder, die nicht den Grund begreifen können, warum sie das oder jenes nicht machen sollen, werden - störrisch. Dabei hat das Kind einen gut ausgesprochenen Nach- ahmungstrieb und meist auch ein gutes Gedächtnis, sie erfassen - aus den Gesprächen der Erwachsenen die verschiedensten Aus- - sprüche und Phrasen und imponieren damit; die Umgebung hält 20* > \r> % Pa 2 . \ f Erd 212 Dr. Oskar Fischer: sie dann für besonders intelligent, man nennt im gewöhnlichen Leben derartige Kinder altklug; die späteren Jahre zeigen aber, wie falsche Hoffnungen man in die Kinder gelegt hatte. Die weiteren Schicksale solcher Kinder sind rein von der sozialen Stellung ihrer Eltern abhängig; dem Sohne reicher Eltern ist die Arbeit verhasst, er spielt lieber den Elegan, spielt, macht Schulden und vergreift sich an der Kassa des Vaters oder Chefs. Der Sohn des Armen, dem auch die Arbeit nicht recht passen will, verfällt der Vagabondage, der liebe Al- kohol tut auch noch seine Wirkung und der Verbrecher ist fertig. Ich will Ihnen jetzt einige Beispiele derartiger junger Leute bringen: 9jähr. Knabe; war bis zum 5. Lebensjahre nor- mal; wie er aber in die Schule ging, war mit ihm nicht mehr auszuhalten; er lernte nichts, er lief häufig aus der Schule fort, trieb sich tage- ja wochenlang draussen herum, übernachtete in Steinbrüchen und Kellern der Umgebung von Prag, vertrug sich mit seinen Kameraden nicht, schlug dieselben, drohte ihnen bei der geringsten Gelegenheit mit erschlagen, schimpfte in den or- dinärsten Ausdrücken, bettelte auf der Gasse, erdichtete sich die verschiedensten Lügen, er hätte um Bier gehen sollen und das Geld verloren, wenn man ihn abwies, warf er sich auf die Erde und schrie, er werde sich unter eine Strassenbahn werfen, war sogar auch gegen die Wachleute renitent, zerschlug auf der Wachstube vor einem Wachmann die Fenster und behauptete, er werde den Wachmann mit dem Messer erstechen. Zu Hause schlug er die Mutter, stiess sein kleines Brüderchen absichtlich in eine Jauchegrube, beschmierte, wenn er Wut hatte, alle Ein- richtungstücke auch mit Kot. Er wurde deswegen in die psy- chiatrische Klinik eingeliefert. Der Knabe ist normal entwickelt, von vivem Temperament, kann aber doch gar nicht lesen und schreiben; in der Klinik hat er sich sehr bald eingewöhnt und, wo er kann, neckt er die dementen Kranken, schimpft Kranke und Wärter, dem Arzt gegenüber ist er zuerst sehr devot, später, wenn er einen Ver- weis bekommt, stellt er sich in eine Ecke, trotzt und verweigert die Nahrung; aber nur auf kurze Zeit, nach einer Weile ver- sucht er das Essen einem anderen zu stehlen. Ein Lehrer hat sich viel Mühe gegeben, ihm etwas beizu- bringen, was aber vollkommen scheiterte, er zeigte keine Lust zu lernen, lief ihm immer davon; mit Strenge war erst recht nichts zu erreichen. Zehnjähriger Knabe; bis zu seinem sechsten Lebensjahre an- geblich normal entwickelt; erst, als er in die Schule kam, wurden pathologische Züge merkbar; obzwar ihn seine Lehrer als einen geweckten Knaben schilderten, der häufig ganz gut Die psychischen Störungen im Kindesalter. 273 auffasst, lernte er trotzdem gar nichts, war faul, lief aus der Schule weg, kam Tage lang nicht und trieb sich in der Umge- bung herum; zum Spielen suchte er sich nur jüngere Kinder aus und nur um sie zu schlagen oder zu misshandeln, er drohte auch einigemal mit Messerstechen. Hat eine besondere Vorliebe, den Nachbarn, wo es nur an- geht, Schaden zu tun, er steigt auf Dächer, reisst die Dach- ziegeln heraus und wirft sie den Passanten nach, er stiehlt Obst, oder reisst es auch ab und zertritt es, wo er auf etwas kommt, das zerschlagen werden kann, zerschlägt er es, gleichgültig, ob es Wert hat oder nicht. Der Knabe ist geweckt, aber verlogen, leugnet alles, was von ihm angegeben wurde, oder gibt es nur mit Ausflüchten zu; neckt auf der Klinik demente Kranke, wirft Leuten im Garten Steine nach, bespritzt sie mit Wasser; ist weder auf gutem, noch auf bösem Wege zu bewegen, sich zum Lernen zu setzen. 18 Jahre alter Bursche; entwickelte sich normal; lernte gut bis zur Unterrealschule; wie er aber mehr zu lernen hatte, fehlte ihm die Geduld, er begann die Schule zu schwänzen, stahl Eltern und Kameraden Geld, vagierte herum, beschimpfte die Eltern und schlug sie, misshandelte seine jüngeren Ge- schwister. In der Schule trieb er es so lange, bis er ausge- wiesen wurde; dasselbe geschah ihm in einer Fachschule, in die er geschickt wurde. Dann war er zu Hause, trieb sich untätig herum, verlangte von den Eltern Geld, wenn er nichts bekam, bedrohte und be- schimpfte er sie, sie müssen ihn aushalten bis zu seinem 24. Jahre; dann machte er Schulden, ahmte Unterschriften nach, stellte falsche Wechsel aus, und bestahl seine Eltern. Bei der Einlieferung in die Anstalt drohte er vor den Wachleuten, bis er heraus gelassen werde, werde er alle Angehörigen erstechen. Auf der Klinik verhält er sich ganz geordnet; sein Wissen ist sehr lückenhaft, seine Schlussfolgerungen kindlicher Art; sonst ist er in jeder Hinsicht fleissig und korrekt, verspricht hochheilig Besserung. Wurde bald darauf entlassen, aber '/, Jahr nachher, aus den gleichen Gründen, wie das erstemal wieder eingebracht. Diese Beispiele sind Typen derartiger Kranken; Sie sehen darin sowohl die Abnahme des Intellekts, die schlechten Erfolge in der Schule, als auch den ausgesprochenen moralischen Defekt. Wie Ihnen schon oben gesagt worden ist, gibt es verschie- dene Grade des Schwachsinns, so dass von dem Schwachsinn schwerster Art, der Idiotie, bis zum normalen Geisteszustand alle 274 | Dr. Oskar Fischer möglichen graduellen Abstufungen vorkommen; dadurch erscheint es auch selbstverständlich, dass es immer Grenzfälle geben wird, bei denen eine Entscheidung schwer fällt, ob noch ein normaler Zustand besteht oder ob schon ein pathologischer anzunehmen wäre. Bei den hier besprochenen Formen wurde hervorgehoben, dass immer eine Störung sowohl des Intellekts, als auch des ethischen Fühlens zur Regel gehört. Nun gibt es Fälle, bei denen entweder gar kein intellektueller Defekt vorhanden ist, oder aber die intellektuelle Minderwertigkeit nur ‚ganz unbedeu- tend ist, gegenüber den besonders stark hervortretenden De- fekten der moralischen Seite; als man zur Einsicht kam, dass derartige Zustände krankhafter Natur sind, fasste man sie zu- sammen unter dem Begriff der „Moral Insanity“, das heisst des moralischen Irreseins. Besser als jede spezielle Aufzählung der Symptome wird wohl eine kurze Schilderung derartiger Krankheitsfälle diese Störungen charakterisieren: 19jähriger Jüngling. Patient war schon als Kind immer unruhig, unfolgsam, Hatterhaft und verlogen, leichtsinnig, faul, hinterlistig, frech, machte sich aus Strafen. nichts, namentlich nicht aus körperlichen Züchtigungen, die er immer als ein Un- recht ansah ; am meisten wirkte auf ihn noch die Entziehung von Speisen, dann versprach er immer sich zu bessern, aber im Handumdrehen war er wieder der Alte. Er zeigte sehr- viel. Hang zu Fantastereien, schwärmte viel von Indianern, Soldaten und Rittern. In der Volksschule klagte man mehr über sein Betragen als über seine Fortschritte; trotz seiner Faulheit lernte er gut. Aus der Bürgerschule musste er herausgenommen werden, da man ihn sonst ‚ausgewiesen hätte, dann kam er in die Real- schule; hier ging es eine Zeit lang, "aber zum Lernen musste er immer nur mit Macht und Strenge angehalten werden, hatte schlechte Sittennoten; er war sehr "genäschig, verkaufte, um zu Geld zu kommen, auch wiederholt seine Schulbücher. Aus der Realschule musste er schliesslich herausgenommen werden, und kam in die Handelsschule ; die absolvierte er mit gutem Erfolge, aber nur dadurch, dass er immerfort unter strenger Aufsicht stand; dann wurde er Komptoirist in verschie- denen Geschäften ; aber er leistete beinahe gar nichts, alles was man von ihm verlangte, war ihm zu viel; er liess sich als- bald auch Veruntreuungen zu schulden kommen, indem er statt die Briefe aufzugeben, die Marken wegnahm, oder einzelne Blätter aus den Kontrollbüchern herausriss, damit man ihm auf seine Unterschlagungen nicht komme; ohne Intervention der ı Die psychischen Störungen im Kindesalter. 2375 Mutter wäre er schon wiederholt angezeigt worden. Mit zu- nehmendem Alter wurden auch seine Schwindeleien grösser, er verkaufte, um zu Geld zu kommen, seine Kleider, kaufte und bestellte sich Wertsachen auf fremden Namen; seit seinem 16. Jahre suchte er viel weiblichen Verkehr, besonders in den ver- schiedensten Spelunken und Wirtshäusern. Dann entlief er eines Tages von Prag und trieb sich vagabundierend in Mähren und Niederösterreich herum und wurde schliesslich wegen Vaga- bondage eingesperrt; seiner Mutter gelang es, ihm wieder eine Stelle in Prag zu verschaffen, aber auch jetzt war mit ihm nichts anzufangen, er gab sich sehr viel mit sozialistischen Ideen ab, wendete seine Tätigkeit nur sozialistischen Vereinen zu, vernach- lässigte seine Stellung, hielt schwülstige Reden und fälschte ein ärztliches Zeugnis, um sich Urlaub zu erwirken; wurde des- wegen in Anstaltspflege gegeben. In der Klinik verhielt er sich zuerst sehr anmassend, wollte immer entlassen werden; zeigte keinen Intelligenzdefekt, _ war im Gegenteil ein sehr aufgeweckter Bursche, aber für seine Fehler hatte er gar keine Einsicht, nur Entschuldigungen, be- zeichnete alles als Lappalien, Dummheiten, andere grössere Herren machen grössere Diebstähle etc. Als er nun bald einsah, dass dieses seine Benehmen nicht dazu beitragen kann, dass er entlassen werde, wurde er ganz anders, fleissig, behauptete, er bereue seine Taten und wolle sich bessern; er wurde dann nach '/,jährigem Aufenthalte an der Klinik entlassen und fuhr nach Südwestafrika, wo er eine An- stellung zu finden hoffte. Dort war er bei der Bahn angestellt, avanzierte, kämpfte auch in den Feldzügen gegen die Hereros mit, und fühlte sich dort zufrieden. 15jähriger Realschüler, stammt aus einer Familie, in der mehrfach Geisteskrankheiten vorgekommen sind; er hat sich gut körperlich und geistig entwickelt; nur war er sehr unfolgsam und störrisch: seit etwa 2 Jahren gingen zu Hause allerhand Dinge verloren; Noten, ein goldener Ring, silberne Löffel, einige Lose, eine Taschenuhr; es stellte sich schliesslich heraus, dass sie der Patient entwendet hatte und dass er sich dafür Naschereien und Indianerromane gekauft hatte; er verkaufte auch seine neuen Schulbücher, kaufte sich alte dafür und das Geld, das ihm übrigblieb, brachte er durch; keine Ermahnung, keine Strafe nützte, er stahl weiter, und wurde deswegen in die An- stalt gegeben. Patient zeigt keine wesentliche Einbusse der Intelligenz, er weiss, dass er hier interniert ist wegen seiner Diebstähle, die er ohneweiters zugibt, und entschuldigt sich, er hätte gedacht, 276 ' Dr. Oskar Fiacher : es werde nicht herauskommen, spricht darüber sehr gleich- gültig, weiss, dass es verboten ist, scheint aber das Schlechte dieser Handlung nicht recht zu fühlen. Fälle, wie die gerade geschilderten, sind keine Seltenheit, nur, dass ihre Exzesse nicht immer derart sind, dass sie eine Unterbringung in einer Irrenanstalt bedürfen. Gewöhnlich sind es junge Leute, die bei jeder Gelegenheit in Konflikt mit der Gesellschaft geraten, nichts lernen wollen, sich keiner Ordnung fügen möchten, nichts arbeiten; die Familie weiss sich mit ihnen keinen Rat und dann kommt als letztes Heilmittel — Amerika oder wie in dem vorigen Fall das modernere Afrika. Und diese jungen Leute, die sich immer im Unrecht wähnen und ihre eigene Insuffizienz auf die Umgebung projizieren, gehen dorthin mit der Absicht, jetzt endlich einmal ein neues Leben zu beginnen. Eine Zeit lang geht es, aber da sie nur über wenig Ausdauer verfügen, hält dies neue Leben auch in der Neuen Welt nicht an und sie sinken meist eher und tiefer als zu Hause. Sie ersehen aus diesen Krankengeschichten die Charak- teristik dieser eigenartigen Psychopathie.. Wie gesagt, die Kinder sind intellektuell vollkommen oder annähernd normal zu betrachten, dagegen findet man bei Ihnen ein sehr wenig ausge- sprochenes Gefühl für Moral und Ethik. Das Tier, der Urmensch kennt keine Hemmung, wenn ihm etwas gefällt, er etwas erringen will, kann ihn davon nichts an- deres zurückhalten als rohe Gewalt, und wenn es auch das Leben eines anderen kosten würde. Der Mensch aber. der seit Jahrtausenden in Gesellschaft lebt und dem die Gesellschaft eine grosse Anzahl von persönlichen Beschränkungen anerzogen hat, hat gelernt, auch die Interessen der Nebenmenschen zu berück- sichtigen, er hat sich derart daran gewöhnt, dass ihm ein der- artiges Handeln als selbstverständlich erscheint, und alles zu- widerhandelnde als schlecht, oder fehlerhaft imponiert; dieses ist das moralische Fühlen, wenigstens seiner Entwicklung nach, also nichts anderes als das Utilitätsprinzip der menschlichen Gesellschaft, das häufig die Wünsche des Einzelnen dem Be- dürfnis der Gesamtheit unterstellt und zufolgedessen wir lernen, auch Dinge zu kennen und unterdrücken, die uns momentan an- genehm und wünschenswert. erscheinen. Aber an den Individuen, die Ihnen soeben geschildert wurden, ging die jahrtausendelange Erziehung des Menschen- geschlechtes spurlos vorüber, sie haben nichts von altruistischen, oder wenigstens wahrhaft altruistischen Gefühlen, ihre momen- tanen Gelüste gehen ihnen über alles, Hemmung kennen sie nicht; und gerade in der Krankengeschichte des ersten, des Die psychischen Störungen im Kindesalter. 977 Afrikaners, sehen sie die eigenartige Gegenüberstellung; in schwülstigen Reden tritt er auf in sozialistischen Vereinen, schwelgt für Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, und inzwischen fälscht er Dokumente und bestiehlt seine Eltern und Chefs. Beim weiblichen Geschlechte zeigt der moralische Schwach- sinn noch besondere Auswüchse in sexueller Hinsicht. Von der Frau verlangt ja die Moral und die menschliche Gesellschaft ge- rade in sexueller Richtung ganz besondere Hemmungen; da nun derartige Individuen bei sonst meist gesteigerter sexueller Reiz- barkeit moralische Hemmungen entweder gar nicht oder nur sehr schwer aufbringen, fallen sie tiefer und tiefer und das Re- sultat ist meistens die Prostitution. Ein derartiges, beinahe klassisches Beispiel gibt folgende Krankengeschichte: 16jähr. Prostituierte; stammt aus normaler Familie; hatte sich auch als Kind körperlich gut entwickelt, wurde als einziges Kind sehr verzärtelt; sie fasste gut auf, lernte aber wegen grosser Faulheit sehr schlecht; sie schimpfte und schlug die Eltern, tyrannisierte sie, wenn man ihr nicht zu willen war, warf sie sich auf den Boden, schrie, brüllte und schlug um sich bis man ihr nachgab. Später stahl sie den Eltern Waren aus dem Laden und verkaufte oder verschenkte sie, stahl auch Geld, keine Strafen fruchteten; höchstens, dass sie manchmal aus Furcht vor Strafe davon lief, weil sie wusste, sie werde dann gesucht und mild behandelt; schliesslich gab man sie vor einem Jahre nach Prag, damit sie Nähen lerne; sie ging aber nicht ‘in die Nähstunde, flanierte herum, hatte lauter Liebschaften, die auf ihre schon so wieso sehr wacklige Moral derart einwirkten, dass sie sich schliesslich von einer Kupplerin in ein - verrufenes Haus führen liess; mehrere Monate war sie für die Eltern ver- schollen. Als die Eltern schliesslich von ihr erfuhren, kamen sie nach Prag und liessen sie auf die Polizei führen; daselbst wehrte sie sich mitzugehen, es gefalle ihr in ihrer jetzigen Stellung, sie wolle nicht zu den Eltern gehen. Der Polizeibeamte drohte ihr mit Strafe, Ausweisung etc. wenn sie nicht mitgehe; doch sie blieb bei ihrer Weigerung; als man ihr drohte, man werde sie mit Gewalt nach Hause nehmen, warf sie sich auf die Erde und schlug grossen Lärm. Wurde dann der Irrenanstalt überwiesen. Hier zeigte sie ein sehr selbstbewusstes, freches Benehmen, war von sehr wechselnder Stimmung; wenn man sie über ihr Vorleben ausfragte, äusserte sie gar keine Reue, behauptete richtig gehandelt zu haben, weil man sie zu Hause schlecht be- handelt hätte; der Vater hätte ihr sexuelle Anträge gestellt, 21 - 978 ‘Dr. Oskar Fischer: und sie wegen Verweigerung derselben geschlagen, was sich als Lüge herausstellte. Sie wurde bald nach Hause entlassen. Nach einem Jahre kam sie wieder auf die Klinik; sie wurde auf der Gasse arretiert, da sie grossen Lärm machte, sie werde sich das Leben nehmen; als sie eingebracht wurde, war sie wiederum vollkommen korrekt. Sie sagte aus, sie hätte inzwi- schen geheiratet, wäre aber dem Mann gestern weggelaufen, weil er sie geärgert hätte. Ihre Absicht war auf jeden Fall ins Irrenhaus zu kommen, damit der Mann sie von da abholen muss und so gestraft werde; deswegen provozierte sie den Krawall auf der Gasse. Am nächsten Tage erschien ihr Mann und nahm sie mit; seit der Zeit hörten wir nichts mehr von ihr. Hier habe ich Ihnen also eine kleine Auslese derartig _ pa- - thologischer Individuen gebracht. Die Kenntnis dieser Zustände ist sehr wichtig. Denn solche Individuen sind kranke Menschen, die auf Grund ihrer krank- haften Veranlagung zu Verbrechen neigen und es ist klar, dass diese kranken zu Verbrechern gewordenen Menschen anders be- handelt werden als dies bei geistig Normalen in solchen Fällen zu geschehen pflegt. Dabei sind diese krankhaften Zustände ziem- lich verbreitet, die grösste Mehrzahl der Vagabunden und Land- streicher einerseits, und der Prostituierten anderseits sind solche Individuen ;undbei der krankhaften Veranlagung solcher Menschen istesauch selbstverständlich, dass sie immer rückfällig werden, dass Strafen nichts nützen, woraus sich auch die praktische Bedeutung dieser Erkenntnis ergibt.Dutzend- und hundertmal wiederholen sich bei derlei Individuen dieselben Delikte; Strafen nützen nichts, ja sie machen die meisten noch mehr verbittert, weil sie nicht ein- sehen können, dass sie Unrecht getan haben; und meist spät erst merkt man, dass sie nicht unter Polizeigewalt, sondern unter eine ärztliche Behandlung gehören. Eine Unterscheidung, ob psychisch normal oder nicht, ist unter Umständen gerade bei Kindern manchmal nicht leicht; denn es gibt auch bei normalen Kindern Zustände, die hart an das Pathologische grenzen, und in denen die Kinder gar nicht so seltene Charaktereigentümlichkeiten entwickeln, die den eben ge- schilderten sehr nahe kommen: und zwar in der Zeit vor oder während der Pubertät in den. genannten Flegeljahren. In diesem Alter „wachsen die Kinder besonders, die Mus- keln kräftigen sich und fordern zur Betätigung auf, die wach- sende Intelligenz eröffnet dem Kinde neue bisher ungekannte und von der erwachsenen Umgebung vor ihnen strenge geheim gehaltene Gesichtspunkte besonders in sexuellen Fragen, .der geistige Horizont erweitert sich, die Stimmung ist gehoben, ein gesteigertes Selbstgefühl bricht sich Bahn, und da die Vernunft 37 F £ f ; 2 x 2 | K E Ä z ; B a : Die psychischen Störungen im Kindesalter. 279 noch wenig entwickelt ist, um entschieden Hemmung zu bieten, kommt es zu allerlei tollen Einfällen und Streichen, die in der Zeit an der Tagesordnung sind, und wegen deren sich solche Individuen manchmal noch hart an der Grenze des Verbrechens halten;“ Drohungen und Strafen zeigen nicht immer prompte Wir- kung, das schlechte Beispiel zeigt hier, wie kaum anderswo, die schwersten Folgen. Die Vergehen, die in den Flegeljahren vorkommen, sind meist geringfügiger Art: „Übertretungen von lokalen Polizeiverordnungen, Verhöhnen der Autoritäten, Beleidigung der Wache, Raufereien, kleine Dieb- stähle, Zerstörung fremden Eigentums, Waldfrevel etc. « Beispiele dieser Art brauche ich Ihnen wohl nicht zu bringen, weil dieselben ja die tägliche Erfahrung im Leben zeigt, aber auf einen derartigen Fall möchte ich dennoch hin- weisen, weil er von ziemlich tragischen Folgen begleitet war. Ein 17jähriger Lehrling, der wegen Notzucht an einem minderjährigen Mädchen angeklagt war, wurde seiner Zeit der Klinik von Gerichtswegen zur Beobachtung seines Geisteszu- standes eingeliefert. Er war in der Schule immer zurückgeblieben, galt immer als etwas dummer und beschränkter Bursche, wurde dann Lehr- bursche bei seinem Vater, und musste die Zuckerwaren aus- tragen; an einem solchen Gang traf er ein 12jähriges Mädchen und versuchte es zu vergewaltigen; schon auf den Richter machte ‚er den Eindruck eines etwas beschränkten Menschen und des- wegen wurde die Beobachtung seines Geisteszustandes angeordnet. Es zeigte sich tatsächlich, dass der Bursche etwas beschränkt war, dass er besonders nicht eine Ahnung hatte von der Straf- barkeit derartiger sexueller Delikte, aber seine Dummheit musste ‘immer noch als in normalen Grenzen sich bewegend angesehen werden, er musste als geistesgesund beurteilt und verurteilt werden; nur der Leichtsinn und die Unüberlegenheit der Jugend brachte ihn vors Gericht. ‘Wie gesagt, wirken in den Flegeljahren, böse Beispiele auf die Kinder besonders schädlich, so dass psychisch ganz nor- male Kinder, die aber in einer verbrecherischen Umgebung auf- wachsen — und wie häufig findet man dies in den untersten Bevölkerungsschichten — auch auf “die Laufbahn des Gewohn- heitsverbrechers gelangen. Deswegen ist es wichtig bei solchen Individuen, die immer wieder in Rechtsbruch verfallen, gleichgültig, ob es sich um kleine Delikte eines Kindes oder Verbrechen von Erwachsenen handelt, festzustellen, welcher Kategorie das betreffende Indivi- duum angehört. Eine derartige Unterscheidung ist häufig auch 21* 980 Dr. Oskar Fischer: für den erfahrenen Fachmann nicht leicht, manchmal ja auch überhaupt nicht mit Sicherheit durchführbar, weswegen dieselbe auch nicht näher besprochen werden soll. Hingegen ist eine Besprechung, in welcher Weise solche abnorme Kinder zu behan- deln sind, besonders vor diesem Forum viel wichtiger. Das normale Kind, das genügend, moralische Einsicht hat, das aber aus rein kindlicher Unvernunft, oder auf Grund mangelnder Er- fahrung frevelt (wie der vorhin erwähnte Bursche), das lernt dann seine Triebe hemmen, wenn es einsieht, dass es sich durch seine Streiche in unangenehme Situation bringt, ob dies nun Strafe heisst oder sonst wie. Das pathologische Kind aber wird kaum wahrhaft ein- sehen, dass es fehlt, es hat für sein Handeln immer Ausreden und Begründungen, und wird auch nie genügend moralischen Halt erhalten, um sich von weiteren UÜbertretungen - fern zu halten. Solch ein Kind lernt die „Anständigkeit* nie, und Strafen lassen es nur immer verwildern, höchstens es befindet sich unter ständiger strenger Gewalt; wie aber diese nachlässt, ist die Besserung vorüber. Dagegen kann man mit diesen mo- ralisch minderwertigen Individuen ganz gut auskommen, — sie sind ja meist ziemlich gutmütig, — wenn man sie durch ent- sprechende Führung und Abhalten des freien Handelns von allen Abwegen abhält; die meisten sehen es ein, es sei besser für sie, aber wie sie freigelassen werden, kommt es immer zum Rückfall, kurz und gut, solche Individuen müssen unbedingt in entsprechenden Verwahrungsanstalten gehalten werden, in ärzt- lichen Anstalten, wo die Behandlung individualisiert wird und wo es doch noch manchmal gelingt, durch längere Behandlung diese Leute an das normale Leben zu gewöhnen, sie also zu er- ziehen. — Man hat also nicht zu strafen, sondern die Kinder zu verhindern, ihren Neigungen nachzugehen. Noch eine besondere Art von Delikten, die sich Schwach- sinnige gerne zu Schulden kommen lassen, wäre hier zu be- sprechen, und zwar das Feuerlegen, eine Eigenschaft, welche früher fälschlich als eine besondere Erkrankung angesehen und als Pyromanie benannt wurde. Die jugendlichen Verbrecher dieser Art kann man nach der Ätiologie deren Tat also nach den pathologischen Motiven, in zwei Gruppen einteilen, die durch die folgenden zwei Bei- spiele vertreten werden: Ein Bursche vom Typus des moralischen Irreseins, das ein- zige Kind, wird von seinen Eltern zuerst verhätschelt, dann nach- dem die verschiedensten Unarten überwiegen, sehr streng er- zogen. Im Hause seines Vaters entstehen im Laufe eines Jahres vier Brände, die grossen Schaden anrichten, und es stellt sich - Die psychischen Störungen im Kindesalter. 381 trotz vielen Leugnens heraus, dass der Junge die Brände gelegt hatte, weil er sich an dem strengen Vater rächen wollte. Ein 17jähriger Bursche hat ebenfalls mehrfache Brände in der Umgebung seines Wohnortes gelegt. Die Erhebungen und die Untersuchung des Burschen, der sich jetzt ständig in An- staltsbehandlung befindet, ergeben folgendes: Als Kind immer zurückgeblieben, sehr schlecht gelernt, hatte zuerst grossen Gefallen am Soldatenspielen und später an dem Exerzieren der Feuerwehr und sein sehnlichster Wunsch war auch Feuerwehrmann sein zu können. Und nur zu dem Zwecke, um die Feuerwehr immer wieder in Tätigkeit zu sehen und auch eventuell mithelfen zu können, legte er Feuer. Interes- sant ist auch folgendes Motiv: Er sass einmal in einem Wirtshause, wo sich ein Fremder beklagte, dass vom Wirtshause eine schöne Aussicht wäre, wenn nicht gerade davor eine neue Scheuer stünde; tags nachher brannte die Scheuer ab, rein auf Grund des von dem Fremden seweckten ästhetischen Empfindens des jungen Mannes, Der erste Bursche zündete an aus Rache, wegen klein- licher Gründe, weil er nicht imstande war, abzuwägen, welchen Schaden er damit stiften kann; der zweite zündet an rein aus kindischer Freude am Feuer, oder an der Tätigkeit der Feuer- wehr, und bedenkt nicht, dass er damit eventuell enormen Schaden anrichten kann. Als Anhang zu diesen Schwachsinnsformen ist noch ganz kurz der Schwachsinn bei Epileptikern zu erwähnen. Die Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, durch welche es zu zeitweisen allgemeinen Krampfzuständen des ge- samten Körpers kommt unter vollkommenem Bewusstseinsverlust ; ausser den Krämpfen kommen aber auch noch kurze Störungen des Bewusstseins vor, während deren die Kinder starr vor sich blicken, auf Auschrei nicht reagieren, sich auch manchmal be- nässen, dann plötzlich wie aufwachend aufblicken und von dem Vorgefallenen nichts wissen, Zustände die als „petit mal“ oder „epileptische Aquivalente* bezeichnet werden, da sie eine mil- dere Art der Anfälle darstellen. Bei derartigen Kranken, be- sonders, wenn die Anfälle sich häufig wiederholen, kommt es zu einem mehr oder weniger ausgesprochenen meist fortschreitenden Schwachsinn, mit Gedächtnisabnahme, allgemeinem intellektuellen Verfall, wobei sich ein besonders reizbarer Charakter entwickelt; die geringsten Anlässe genügen, um ein epileptisches Kind in schwerste zornmütige Aufregung zu brivgen und zu schweren Gewalttaten hinzureissen; neben dem intellektuellen Verfall kommt es auch zu einem ethischen Verfall: die Kinder sind kriecherisch, verlogen, heimtükisch und rachsüchtig, dabei häufig 282 Dr. Oskar Fischer: höchst bigott und fromm, und dies alles durcheinander, so dass ein Epileptiker in Wut gebracht und mit dem Gebetbuch in der Hand einen anderen gefährlich attaquieren kann. Wir haben hiemit die psychischen Störungen mit Intelli- senzdefekt beendet und kommen zu den ohne Intelligenzdefekt einhergehenden Geistesstörungen: Die schweren Geistesstörungen werden wir schnell erle- digen, da dieselben für uns hier keine besondere Bedeutung haben; ich will die wichtigsten derselben, nur ganz kurz auf- zählen. 1. Manie, die pathologische Lustigkeit; die Kranken sind überaus heiter und ausgelassen, welche Stimmung nicht selten in eine grosse motorische Unruhe übergeht; 2. Melancholie, krankhafte Traurigkeit, häufig mit Selbst- mordversuchen verbunden ; 3. Paranoia, der Verfolgungswahn, eine Krankheitsform welche aber in der Kindheit wahrscheinlich überhaupt nicht vorkommt; 4, Dementia praecox, eine ziemlich häufige Erkrankung, die sich durch eine zunehmende Verstumpfung und Verblödung auszeichnet, und die zeitweise auch mit starken Aufregungszu- ständen einhergeht; 5. Progressive Paralyse, ein rapider Verblödungsprozess, der, wenn auch selten, im Kindesalter vorkommt. £ Viel wichtiger für uns, weil alle möglichen Übergänge zum normalen darbietend und bei Kindern auch häufig vorkommend, sind die folgenden Krankheiten: Neurasthenie, Nervenschwäche, Nervosität: Die Neurasthenie gilt im allgemeinen als eine Nerven- krankheit; die Nerven, das sind die nervösen Leitungsbahnen vom Gehirn und Rückenmark zum Körper, sind aber bei dieser Erkrankung gar nicht affiziert, die Störung liegt eher im Ge- hirn selbst, ist eine Schwächung desselben, und dadurch den Geisteskrankheiten nahestehend. Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich die Neurasthenie in den letzten Dezennien ganz gewaltig vermehrt hat; doch liegt dies nicht allein in einer perzentuellen Vermehrung derselben, sondern in erster Linie in der Vermehrung der Menschheit überhaupt, und zweitens darin, dass die Menschen allmählich lernten, sich etwas besser zu beobachten und die ärztliche Hilfe zu suchen. Aber abgesehen davon, scheint es — denn genaue statistische Untersuchungen, sind schon aus-den oben ange- führten Gründen unmöglich — dass die Neurasthenie auch per- zentuell zugenommen hat, besonders in den Städten, ein Um- Die psychischen Störungen im Kindesalter. 983 stand, der auf eine Verschlechterung, Degeneration der Mensch- heit weisen würde. Auch bei Kindern findet sich die Nervosität nicht so selten; Sie ist aber meist nicht vollkommen ausgebildet und ver- rät sich nur durch einzelne Initialsymptome und gerade derar- tige Zeichen einer beginnenden Nervosität sind sehr wichtig, weil es Zeichen sind, die eine besondere Aufmerksamkeit gebieten, eine besondere Behandlung, damit die drohende Erkrankung nicht eintritt. Vor den Symptomen der Neurasthenie sind in erster Linie Störun- genin den Gemütsreaktionen zunennen; und zwartrifit dies weniger beiangenehmen Gemütsbewegungen zu als bei unangenehmen; ein derartiges Kind wird durch eine Unannehmlichkeit wesentlich schwerer ergriffen als ein normales, entweder derart, dass es wegen der geringsten Ursache in schwere Depression verfällt, heftig weint, oder aber, dass die Affektion viel länger als sonst bei anderen anhält; dabei kommt es auch vor, dass neurasthe- nische Kinder einem häufigen Stimmungswechsel unterworfen sind, obzwar man sich immer vor Augen halten muss, dass die Seele auch des normalsten Kindes ein leichtes Haften an den verschie- densten Eindrücken, also ebenfalls eine leichte Variabilität der Stimmung zeigt. Zweitens ist zu nennen, eine sehr starke Schreckhaftigkeit, die durch die verschiedensten Reize, besonders plötzlich uner- wartete starke Geräusche, hervorgebracht wird; schon normale Menschen zeigen ja eine gewisse Schreckhaftigkeit, doch zeigt sich die Ausserung des Schreckens bei nervösen Kindern viel stärker; sie werden sehr blass, die Blässe dauert an, es kommt auch zu vorübergehender Sprachlosigkeit, jaauch zu Ohnmachten. Von besonderer Bedeutung und das Kardinalssymptom der Neurasthenie ist die geistige Erschöpfbarkeit; das normale Kind vermag ziemlich viel geistige Arbeit zu leisten (selbstverständlich geistige Arbeit im kindlichen Sinne) ohne zu ermüden; das ‚nervöse Kind zeigt aber bald, besonders beim Lernen und bei Dingen, die ihm nicht gerade viel Spass machen, sehr bald Er- müdung, eine unangenehme Abspannung, Kopfdruck, und die - Aufmerksamkeit versagt vollkommen. Auch der Schlaf ist gewöhnlich gestört, die Kinder schlafen schwer ein, schlafen schlecht, sie wälzen sich unruhig im Schlafe hin und her, schreien auch auf, und der Schlaf dauert nicht so lange wie bei einem normalen Kinde; nachher ist das Kind nicht erquickt sondern manchmal noch mehr abgespannt als abends. Eine für die Schule besonders wichtige Krankheitserschei- nung ist eine zeitweise Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit die- ser Kleinen; dabei muss aber bemerkt werden, dass dasselbe 284 Ä Dr. Oskar Fischer: auch bei normalen Kindern vorkommt, weswegen gegebenenfalls man zu beurteilen hat, ob die Störung nicht auf pathologischer Basis beruht. Solche neurasthenisch zerstreute Kinder sind öfter sehr unstet, zeigen zu nichts Ausdauer und zeigen häufig die bekannte Ungezogenheit des Nagelkauens, Zupfens der Haut und der Haare. Damit ist auch häufig eine ganz eigenartige Urruhe der Kinder verbunden; sie können nie still sitzen, wenn sie aber sitzen sollen, wirbeln sie ständig hin und her. Bei der geringsten Erregung zeigen solche Kinder häufig eine eigenartige Angst in der Herzgegend; man findet bei ihnen auch eine unregelmässige Herztätigkeit und nach Erregung nicht selten ein allgemeines Zittern. Neurasthenische Kinder neigen sehr gerne zu Ohnmachten und zu Erbrechen; entweder ohne Ursache, meist aber bei äusserer und innerer Unruhe, besonders in Schulangelegenheiten, kommt es dann zu plötzlicher Entleerung des Magens, meistens früh nach dem Frühstück; weiter zeigen die Kinder häufig Störungen der Verdauungstätigkeit; sie haben schlechten Ap- petit, zeitweise wieder einen grossen Heisshunger, sie vertragen verschiedene Speisen gar nicht, haben häufig Aufstossen und einen sehr schlechten Stuhlgang : bei er nicht sel- ten Diarrhoen. Hysterie: Die Hysterie zeigt sich erstens in eigenartigen Krampf- erscheinungen, die vielfach den epileptischen ähneln, aber dabei meist ohne Verlust des Bewusstseins auftreten, meist nur durch Affekte entstehen und deren Form auch nicht die ungestüme Wildheit der epileptischen Krämpfe. hat. Weiter zeigt sich die Hysterie in psychischen Störungen besonders in einem eigenartigen Charakter, dem sogenannten hysterischen Charakter, der sich etwa aus folgenden Konponenten zusammensetzt. Eine eigenartige Launenhaftigkeit: ohne äussere Ursache treten Veränderung in der Stimmungslage auf, wobei dann die kleinsten äusseren Anlässe die schwersten Gefühlsausbrüche ver- anlassen können; der Ausbruch ist aber immer rasch vorüber- gehender Art. Weiter ist der Hysterische immer höchst selbstsüchtig ego- istisch; es kann ein hysterisch Kranker zwar von einer beson- deren Vorstellung geführt auch hingebend und aufopfernd sein, aber meist steckt immer dahinter der Gedanke und Wunsch: „was wird dazu die Umgebung sagen, die wird mich sicher da- für bewundern“; aus diesem Grunde führen die sonst sehr ego- istischen Hysterischen nicht selten höchst gefahrvolle Rettungs- a RR . Die psychischen Störungen im Kindesalter. 385 versuche aus. Das Hauptaugenmerk des Hysterischen ist eben immer darauf gerichtet das Zentrum der Aufmerksamkeit der Umgebung zu sein, und er versucht dies auf jede Weise; ein grosser Teil der Krankheitserscheinungen, auch die Krämpfe und Ohnmachten der Hysterischen, sind auf dies zurückzuführen, wobei sie sich häufig durch Lügen und Simulationen verschie- dener Zustände nachhelfen. Schliesslich ist immer eine gewisse Zerstreutheit vorhanden, welche bei Kindern in der Schule besonders stört. Hervorzu- heben ist auch die sehr rege Fantasietätigkeit der Hysterischen; sie malen sich gerne alle möglichen romantischen Situationen aus, in deren Zentrum sie sich immer selber befinden und häufig geben sie sich diesen Fantasterein so weit hin, dass sie an die Aussenwelt vollkommen vergessend schon glauben, das gerade Erdachte auch wirklich zu erleben oder erlebt zu haben. Einige Beispiele sollen diese eigenartige und häufig auch zu Ver- brechen führende Störung, die man Pseudologia fantastica nennt, beleuchten. Ich kenne ein junges hysterisches Mädchen das in zartester Jugend ihre Eltern verlor, deren Kindheit sehr unglücklich war und das sich jetzt zwar eine selbständige Stellung errungen hatte, sich aber höchst einsam fühlt und besonders den Mangel elter- licher Berater schmerzhaft empfindet. Es kommt nun häufig vor, dass auf sie während der Arbeit Träumereien kommen, sie sei eine Prinzessin, Gräfin, oder sonst irgendein in ihren Tagen glückliches Geschöpf, sie träumt alle möglichen Situationen da- zu, und erzählt, dann nachher ihrer Umgebung alle die gerade erträumten Dinge als faktisch, tatsächlich; allmählich drängt aber doch das Bewusstsein durch, es ist nur ein Traum, und nun kämpft sie im Abklingen dieses Zustandes dagegen, sich immer wieder daran klammernd, dass dieser geträumte Zustand denn doch wahr sein könnte. Diese Zustände hatte sie schon als Schulmädchen und wurde deswegen häufig von der Lehrerin als Lügnerin gestraft. Besonders nachteilig auf derartige zu Träumereien neigende Individuen wirken romantische Erzählungen besonders die bei der Jugend so sehr verbreiteten Indianerromane. Es kommt dann häufig vor, dass solche Kinder, meist Knaben, Geld zu Hause stehlen und durchbrennen um nach Amerika zu gehen um mit oder gegen die Indianer zu kämpfen. In der neueren Zeit spielen die modernen Detektivromane in dieser Hinsicht eine besondere Rolle, indem solche Indivi- duen alle die drin erzählten Heldentaten mitträumen und eines 'Tages verschwinden sie und treiben sich in der Welt herum 286 | Dr. Oskar Fischer: träumend und wähnend sie seien entweder grosse Verbrecher- helden oder Detektive. Ein 17jähr. Bursche, der richtige blasse verträumte hy- sterische Junge, liest gerne Detektivromane; eines Tages ver- schwindet er; er glaubt, er sei ein grosser Verbrecher, reist in einigen Städten herum und träumt von begangenen grossen Ver- brechen, ohne sich aber sonst irgendwo unangenehm bemerkbar zu machen; er kommt nach Prag, geht an einem Goldarbeiter- laden vorüber, tritt hinein und versetzt dem Inhaber beim Aus- suchen von Waren mit einem Boxer mehrere Schläge in den Nacken, mit der Absicht ihn zu berauben; der Versuch misslingt er wird festgenommeu, und als einer Geisteskrarkheit verdächtig, psychisch untersucht, wobei sich eben eine ausgesprochene der- artige Störung zeigt. Ein 18jähr. Comptoirist, hysterischer Charakter, liest eben- falls sehr viel Detektivromane, verschwindet plötzlich vom Hause, reist herum, scheint äusserlich ganz korrekt zu sein, lässt sich zwar nichts zu Schulden kommen, wird aber erkaunt und nach Hause gebracht; er lebt dann in dem Wahn Sherlock Holmes selber zu sein und erzählt von allerlei grossen Taten, seinen besonderen Künsten und Fähigkeiten etc.; will nicht zu Hause bleiben, da er gerade einen grossen Mord aufklären muss, alles Situationen, die er in den Romanen gelesen und sich jetzt so lebhaft ausmalt, dass er sie realisiert und zu einem fertigen Wahnsystem ausarbeitet. Derartige Zustände wie die 2 letzt geschilderten, wo Hy- sterische plötzlich von einer Idee besessen davon laufen, nennt man auch Fugue-Zustände, das heisst Zustände von Davonlaufen ; die hier genannten kommen auf hysterischer Basis vor, es gibt | aber noch eine andere Art von Fugue-Zuständen, die wir bei einem nächst zu besprechenden Krankheitsbilde zu erwähnen haben werden. ' Hysterische träumen auch im Schlafe sehr lebhaft; dabei kommt es gar nicht selten vor, dass sie beim Aufwachen noch glauben, dass das gerade Geträumte wahr ist und handeln dar- nach; sie träumen z. B. dass sie verfolgt werden, sie erwachen unter grossem Schrecken, laufen aus dem Bette und werden auch nicht selten aggressiv, weil sie immer noch unter dem Einflusse des Geträumten stehen, nachher erwachen sie ganz auf, und es bleibt von dem Geträumten meist nur eine lückenhafte Erinnerung. Es kommt aber auch vor, dass derartige Kranke direkt aus dem Schlafe komplizierte Handlungen vollführen, von denen sie nachher nichts wissen, die aber wahrscheinlich auch auf Grund lebhafter Träume entstehen und diese Zustände nennt man Som- ER ; _ Die psychischen Störungen im Kindesalter, 287 nambulismus (Schlafwandeln), von denen ja aus dem Volksmunde Beispiele bekannt sind. Die degenerative psychopathische Konstitution: Eine genaue Definition oder Beschreibung dieser krank- haften Zustände ist nicht recht möglich, da sie kein eigentliches Krankheitsbild darstellen, sondern durch verschiedene mehr oder weniger variable pathologische Züge charakterisiert werden; be- sonders hervorzuheben ist, dass in diese Gruppe gehörende Krankeitsformen meist in stark erblich belasteten Familien an- zutreffen sind, weswegen man sie eben „degenerative Störungen“ nennt, das heisst Geistesstörungen, die durch Entartung, das ist Verschlechterung der Art entstehen; man bezeichnet sie auch gerne mit den Namen „psychopathische Minderwertigkeit“. Damit ist aber nicht gesagt, dass einen jeden, der aus erb- lich belasteten Familien stammt, d. h. aus Familien, in denen wiederholt schwerere Nervenkrankheiten aller Art vorgekommen sind, auch mit Sicherheit dieses Los erwartet. Denn ein grös- serer Teil dieser hereditär Belasteten erbt die krankhafte Dis- position ohne aber wirklich zu erkranken, und es scheint, dass das Milieu, in dem das Individium lebt, auf die Entwicklung der Krankheit gar nicht gleichgiltig ist und, dass günstige äusser- liche Verhältnisse eine bereits bestehende Disposition ausgleichen, während ungünstige ihre Entwicklung fördern können. Auf diese Weise ist wohl auch die grosse Häufigkeit der Psychopathen in der Grosstadt und ihre relative Seltenheit bei der Landbevöl- kerung zu erklären. Und schliesslich ist auch die Erziehung von besonderer Bedeutung und kann je nach der Art derselben schädlich oder hemmend auf die Entwicklung der Krankheit wirken. Wie schädlich das Milieu auf so disponierte Kinder wirkt kennt man von den Kindern schwer nervöser Eltern‘; stark ner- vöse Mütter oder Väter, besonders wenn beide sehr nervös sind, haben grösstenteils auch nicht nur einfach nervöse, sondern de- generativ-psychopathische Kinder, die häufig in Formen ausarten, die ich Ihnen nachher zu schildern haben werde; merk- würdig ist aber, dass die Gefahr, dass solche Kinder derartig erkranken viel geringer ist, wenn sie aus dem Eilterhause weg- kommen. Die Erklärung findet sich leicht: die nervösen Eltern sind im allgemeinen für eine rationellen Kindererziehung unge- eignet, da ihnen Geduld fehlt, sie vertragen sich nicht unter- einander, nicht mit den Kindern, es herrscht häufig explosivartig entstehender Unfrieden, Streit, Ärgernis dominiert; solch e Milieu vermag es dann ausnehmend gut, die bestehende Dispo- sition zu vollkommener Krankheit anzufachen. 288 | Dr. Oskar Fischer: Eine genauere Schilderung dieser Zustände ist schwer mög- lich ohne langweilig zu werden; es wird am besten sein, Ihnen einige Typen dieser Art vorzuführen; ich will nur hier erwähnen, dass sich bei diesen Kranken sowohl neurasthenische als hyste- rische Züge vorfinden und dass Stimmung und Affekte sehr häu- fig wechseln, und es oft ganz ohne äusserliche Anlässe zu groben Affektschwankungen kommt; derlei Individuen, die häufig Veran- lassung zu Misshelligkeiten mit der Aussenwelt geben, glauben dann immer sie seien an allem unschuldig, wollen nie anderen Recht geben und verfangen sich in ewige Streitereien, wobei in den späteren Jahren auch Gerichte eine Rolle spielen, ein Um- stand, den man als „Querulantenwahn“ bezeichnet. Den Typus des reizbaren Degeneres zeigt folgender Fall: 17jähr. Student; Sohn eines Trinkers: er schlief schon als kleines Kind sehr schlecht, schreckte häufig aus dem Schlafe auf; er war immer sehr nervös, alles regte ihn auf, und das geringste Argernis Konnte ihn in Wut und Raserei bringen; selbstverständlich war dadurch die Erziehung sehr erschwert, am besten kam man noch mit Güte aus. In der Schule prosperierte er mittelmässig, war meist sehr fleissig, manchmal und zwar periodenweise sehr faul; dann klagte er über Kopfschmerzen, schlechten Schlaf. Seit einiger Zeit ist es mit ihm nicht auszuhalten, in der Schule hat er lauter Streitigkeiten, gegen die Lehrer ist er grob, so dass ihm gerade jetzt die Ausschliessung droht, und zu Hause darf man ihm nicht ein Wort sagen, er wird wild, zerschlägt das Geschirr, zerreisst die Kleider, wirft die Betten aus dem Fenster, beschimpft die Mutter, bedroht und schlägt sie, droht er werde sich einen Revolver kaufen und sie und sich erschiessen, er ist dabei ganz blass, lauft weg, treibt sich stundenlang, eventuell auch nachts draussen herum, nachher hat er angeblich nur eine unklare Erinnerung an das Vorgefallene. In der Klinik ist er ganz geordnet nur etwas reizbar, kommt leicht zu Händeln, und wird auch tätlich. Sie sehen also hier einen Typus derartiger Kranker, deren Gemütsverfassung Unannehmlichkeiten gar nicht vertragen kann und die durch jede Kleinigkeit in die grössten Aufregungen ver- setzt werden können; es kommen ja Zustände von Reizbarkeit auch bei einfachen Neurasthenikern vor, aber nie kommt es dabei zu so hemmungslosen Handlungen. Bei derartig Degenerierten kommt es weiter nicht so sel- ten im weiteren Verlaufe der Krankheit zu den verschiedensten Geisteskrankheiten. Eine besondere und praktisch und forensisch sehr wichtige und interessante Art dieser Erkrankung zeigen folgende Fälle: “ EEE NE ns nn Die psychischen Störungen im Kindesalter. 2389 13jähr. Schüler; entwickelte sich normal, lernte in der Schule gut, keine schlechten Charaktereigenschaften; seit einem Jahre lauft er jede Weile auch mehrmals in der Woche aus dem Hause oder der Schule fort, treibt sich in der Welt herum; wenn er, meist von Sicherheitsorganen, nach Hause gebracht wird, verspricht er es nimmer wieder zu tun, um bei der näch- sten Gelegenheit wieder zu entweichen. Er ist ein anscheinend normal entwickelter Junge, von ent- sprechender Bildung, guter Intelligenz; er weiss von seinem Weg- laufen, aber er könne sich nicht helfen, er wird manchmal sehr verstimmt und da kommt ihm der Gedanke: „lauf weg“, und je mehr er dagegen sich wehrt desto weniger gibt es ihm Ruhe bis er tatsächlich wegläuft. Dann treibt er sich bettelnd herum, gibt sich als Waisenknabe aus, um die Mildtätigkeit der Leute anzuregen und wurde auch deswegen häufig eingesperrt; er weiss, er soll das nicht tun, kann sich aber nicht helfen. 11jähr. Schulknabe, der sich ebenfalls gut entwickelt hatte, und in der Schule auch ziemlich gut lernte, lauft seit etwa einem Jahre häufig weg, tagelang treibt er sich herum, ja ein- mal war er auch 14 Tage weg, schlief in Scheuern, Ziegeleien, lebte von Betteln; einmal versteckte er sich unter einem Eisen- bahnwaggon und fuhr so 5 Stunden weit weg, wurde per Schub nach Hause geschickt; Ermahnungen, Strafen nützen nichts; der Knabe ist intelligent, weiss von seinem Weglaufen, und begründet es mit Furcht vor Strafen; wenn er etwas angestellt hatte, war die Angst vor der Strafe so gross, dass er es nicht mehr zu Hause aushalten konnte und er weglaufen musste; und immer weiter trieb es ihn weg von zuhause, obzwar er wusste er werde wieder nachhause kommen müssen. 13jähr. Bürgerschüler, der ebenfalls in Anstaltsbehandlung kam, weil er seit 3 Jahren immer wieder weglauft und sich in einem nahegelegenen Busch versteckt, dort auch tagelang, ohne Essen bleibt; der sonst ganz intelligente Knabe gibt an es hätte ihn im Beginn der Erkrankung vor 3 Jahren immer etwas Unbe- stimmtes gezogen wegzulaufen, später sah er (Halluzinationen) immer einen grossen Mann mit einem Stocke auf ihn zu laufen und wenn e: in die Nähe kam spürte er wie wenn ihn jemand schiebeu würde und er musste fort; im Busch verschwand dann die Gestalt. 16jähr. Bursche, Gärtnerlehrling, seit jeher sehr jähzornig, reizbar; lauft seit einem Jahre beinahe jede Woche aus seinem Dienst weg, immer zu seiner Mutter, und kehrt am nächsten Tage wieder zurück; dabei geschah es wiederholt, dass er dem Dienstherrn kleinere Geldbeträge stahl, und dafür Kleinigkeiten meist für kleinere Geschwister kaufte. 290 Dr. Oskar Fischer: Er selbst gibt darüber an, dass er vordem immer etwas trauriger Stimmung sei, und am liebsten weglaufen möchte, dann hört er immer eine Stimme hinter sich „lauf weg“, der er ‚auch folgt; nachdem tue es ihm leid, er kann sich aber nicht helfen. — Diese Fälle, die man als Fuguezustände (etwas Ähn- liches haben wir ja auch schon bei Hysterischen besprochen) be- zeichnet, zeigen das Eigenartige, dass die Kranken zum Teil ohne Anlass, zum Teil nur auf Grund einer kleinen grundlosen Verstimmung davonlaufen, ohne sich zurückhalten zu können ; bei einigen sind zum äusseren Aulass Furcht vor Strafe, bei den letzten 2 Fällen verdichtet sich dieser Wunsch zum Davonlaufen in Halluzinationen (Stimme „lauf weg“, der schwarze Mann) und treibt die Kranken fluchtartig fort. Wir kommen jetzt zu dem praktisch so wichtiger Kapitel der Behandlung, Pflege und Erziehung der in die letzten drei Krank- heitsgruppen einzurechnenden psychopathischen, nämlich der neu- rasthenischen, hysterischen und degenerierten Kinder. Von diesen kommt als wichtigste in Betracht die Neurasthenie; denn sie ist am häufigsten vertreten und kann bei entsprechender Behand- lung wesentlich. beeinflusst werden; da nun die Behandlung der Degenerierten eine ganz ähnliche ist, und die Hysterie im Kindes- alter keine besondere Bedeutung hat, werden wir im folgenden nur kurzerhand von der Neurasthenie sprechen. Vorerst muss hervorgehoben werden, dass die Nervosität ihren Grund in einer angeborenen zum grössten Teil auch er- erbten Veranlagung hat. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass ein jeder, der diese Veranlagung besitzt, auch wirklich neurasthe- nisch werden muss. Als bester Beweis dafür kann angeführt werden, dass Kinder neurasthenischer Eltern viel eher nervös werden, wenn sie mit den Eltern leben und von diesen erzogen oder besser gesagt verzogen werden als wenn sie von diesen getrennt anfwachsen. Nervöse Eltern wirken also nicht nur als Erzeuger sondern auch als Erzieher schlecht auf ihre Kinder. Dieser schlechte Einfluss der Eltern ist auch leicht einzusehen, wenn man das Wesen der Neurasthenie richtig beurteilt. Sie haben ja die Sypmtome derselben hier gehört; abgesehen von ge- wissen somatischen Schwächezuständen zeigt sich dieselbe in einer geringen Widerstandsfähigkeit dieser Individuen sowohl bei psychischen und somatischen Leistungen, also leichter Er- schöpfbarkeit, als auch in leichter Erreebarkeit bei unangenehmen Zufällen, also Intoleranz (= geringe Widerstandsfähigkeit) gegen Unannehmlichkeiten. Nun empfindet der normale Mensch bei jeder besonders ungewohnten Arbeit auch bald eine Ermüdung, kann aber durch entsprechendes Aufgebot von gutem Willen die- selbe überwinden ; genau so empfindet der Normale gegenüber un- Die psychischen Störungen im Kindesalter. 391 angenehmen Vorkommnissen auch einen Unwillen, vermag ihn aber zu bemeistern und vermag dies umsomehr je mehr er sich darin übt, in welcher Übung ja auch ein grosser Teil der Kultur liegt. Der Neurastheniker vermag unangenehmen Eindrücken nicht mit der entsprechenden Hemmung entgegen zu treten, wenn er aber systematisch erzogen wird, seine Reizbarkeit und Er- müdbarkeit allmählich zu bekämpfen versucht, dann bessern sich wenn auch nur allmählich auch die meisten anderen Symptome. Die Erziehung wirkt aber auch in einer anderen Richtung; dieselbe besteht zum grössten Teil aus der Nachahmung der Dinge, die man von den Erziehern sieht und hört, eine wiederholt sich einprägende Nachahmung, die dann auf unser ganzes Leben suggestiv einwirkt. Dieser Teil der Erziehung, passive Erziehung genannt, ist also das direkte Beispiel der Eltern und Erzieher und wirkt auf neuropathische Kinder umsomehr, als solche Kin- der einen meist stärker ausgebildeten Nachahmungsbetrieb haben. Und da kann Nachahmung krankhafter Zustände bei entsprechen- der Disposition leicht wieder zur Krankheit führen. Kleine Affektäusserungen, unnötiger Ärger, Schimpfen, Toben etc., welche das Kind bei den Eltern und der Umgebung beobachtet, die züchten bei ihm auch Neigung zu ähnlichen Ent- ladungen und helfen der Nervosität bei ihrer Entwicklung. Besonders verderblich wirken auf das disponierte Kind Laster der Eltern; hervorzuheben ist hier die Trunksucht, die in erster Linie das Familienglück, das auf eine gedeihliche Entwicklung des kindlichen Nervensystems von besonderem Wert ist, zerstört; der Unfrieden bei den Eltern, die stetigen Krawalle und Erregungen die dieser mit sich bringt, sind dann die besten Helfer bei der Entwicklung der Nervosität. Hier sei ein grosser Fehler bei der Erziehung der Kinder besonders hervorgehoben, der sich bei Nervösen oder nervös ver- anlagten immer rächt, und zwar eine weichliche, überzärtliche Erziehung. Die Eltern, die nicht wissen wie dem Kinde ihre Liebe zu zeigen, überschütten es mit unangebrachter Zärtlichkeit und Fürsorge, es wird ihm kein Wunsch versagt, das Kind wird bei jeder Gelegenheit wie ein Paradepferd vorgezeigt, es muss gleich alles zeigen, was es kann, jede Miene, jede Ausserung des Kindes vor demselben sofort belobt und als „Gott wie ge- scheit“ gepriesen und wenn dem Kinde auch nur das Geringste passiert, wird es gehätschelt und bedauert wie auf das gefähr- lichste krank, kurzum das Kind muss allmählig zur Überzeugung kommen, es sei die wichtigste Person und handelt auch darnach; es wird verweichlicht und die Folgen zeigen sich bald. Nichts ist schädlicher als eine derartige Kindervergötterung. 992% Dr. Oskar Fischer: Die psychischen Störungen im Kindesalter. Im Gegenteil hat man die Kinder immer in einer gewöhn- lichen Einfachheit zu erziehen und sie immer merken lassen, dass sie nicht zu befehlen haben sondern zu folgen, denn bald versteht ein derartiges Kind die Schwächen seiner Eltern und wenn es etwas will, braucht es sich nur ein bisschen kränklich oder aufgeregt zu zeigen und schon ist sein Wunsch erfüllt. Auch für das körperliche Wohl der vervösen Kinder muss entsprechend gesorgt werden, und auch hier muss man unter entsprechender Ernährung immer eine allmähliche Abhärtung durchzuführen trachten, die Kost hat einfach zu sein, nicht viel Leckerbissen, die mehr als Reizmittel als als Nahrung anzusehen sind. Dann brauchen die Kinder frische Luft, womöglich Land- luft und viel Schlaf, 10—11 Stunden kann als Normalmass an- gesehen werden; bei den nervösen Kindern ist auch das Lernen entsprechend zu beobachten; wenn sich Ermüdung zeigt, ist das Lernen auszusetzen und erst nach der Erholung wieder anzu- fangen; aber wie schon oben gesagt, man darf derartige Kinder nicht vor ihnen selbst bejammern, sonst macht man es noch ärger, man erzieht ihre Ermüdbarkeit zur Faulheit. Hiemit hätte ich meine Aufgabe erledigt und Ihnen wenn auch nur in groben Masse die in Betracht kommenden Störun- gen der Seelentätigkeit des Kindes geschildert und auch einzelne der wichtigsten Verhaltungsmassregeln erwähnt. Doch dürfen Sie nicht glauben, dass es nur lauter solche typische Beispiele gibt, wie ich sie Ihnen hier geschildert habe; im Gegenteil die typischen Fälle sind eher selten, im Leben findet man viel mehr nicht ganz ausgesprochene Fälle, die besonders deswegen wichtig sind, weil sie die Anfangsstadien dieser Erkrankung darstellen; und diesen Initialerkrankungen kann man eher steuern, als aus- gebildete Krankheitszustände heilen. Es ist aber nicht leicht diese Initialzustände zu erkennen, da deren Symptome ja im allgemeinen wenig ausgesprochen, nur angedeutet sind; es wäre auch sehr schwer ohne zu weitschweifig zu werden, diese Symptome zu schildern. Sie haben aber hier sowohl eine Schilderung des normalen Seelenlebens des Kindes gehört, als auch die gröberen Zeichen krankhafter Seelenzustände kennen gelernt, und werden sich dann gegebenen Falles wohl immerhin ein Urteil bilden können ob ein Charakterzug am Kinde noch normal sein könnte oder nicht. Jedenfalls wäre es dann angezeigt, ob es sich nun um ausgesprochene oder nur an- gedeutete krankhafte Züge handelt, einen Fachmann zu Rate zu ziehen, um sich von ihm einen genaueren Weg zur weiteren Behandlung weisen zu lassen. f ie 293 Der neueste Erdrutsch im Aussiger Stadtgebiete. Von Bruno Müller. Mit 1 Kartenskizze. In und um Aussig finden wir eine ganze Reihe von Tal- hängen, welche, wie der Lokalausdruck treffend sagt —, schwim- men. Nur der grosse Felsrutsch am Nordhange der Ferdinands- höhe (1899) hat eine breitere Öffentlichkeit interessiert, von den kleineren Rutschungen ist weniger bekannt geworden, weniger auch von der Tatsache, dass im Aussiger Stadtgebiete selbst mehrere grössere Terrainflächen wegen Rutschgefahr zum Häuser- bau ungeeignet sind, solange nicht entsprechende Vorkehrungen getroffen worden sind. Aus "diesem Grunde verdienen alle Boden- bewegungen dieses Terrains ein hohes wirtschaftliches Interesse und besondere Aufmerksamkeit. Aber nicht nur dieses praktische Erfordernis, sondern auch das theoretische Interesse, welches namentlich von geographischer Seite seit neuester Zeit jeglicher Bodenbewegung entgegengebracht wird, lässt eine kurze Be- sprechung des letzten Vorfalles wünschenswert erscheinen. Die letzte Frana, — denn um eine solche handelt es sich —, ereignete sich in einem bekannten Rutschgebiete im westlichen Teile Aussigs, und zwar innerhalb der Gemarkung der chemischen Fabrik des Österreichischen Vereines für chem. und met. Pro- duktion. Der nordwestliche Teil der Fabriksanlage liegt bereits auf dem Hange eines Hügels, auf welchem sich der Aussiger Friedhof befindet. Der ganze Hügel ist nur im labilen Gleich- gewichte. Der Friedhof selbst hat die Stadt umfassende Vor- kehrungsarbeiten gekostet, da er in Gefahr war, demoliert zu werden. Wenn so schon der höchste Teil des Hügels nicht sicher ist, so umsoweniger sein steiler Abfall gegen die Fabriksanlage zu, welcher künstlich bei Planierungsarbeiten durch Abgraben noch steiler gemacht wurde. Seit diesem menschlichen Eingriffe ist der untere Teil jenes Hügels nicht mehr zur Ruhe gekommen und auch die letzte Frana ist nur ein Glied in der Kette, welche notwendiger Weise zur Herstellung des gestörten Gleichgewichtes führen muss. Schon im Jahre 1884 fand eine grössere Rutschung statt, kleinere erfolgten unaufhörlich und jetzt sind wieder einige srössere Teile der Berglehne auf einmal abgegangen. Unser Kärtchen zeigt im Süden die Gebäude der zum Eta- blissement gehörigen Gasfabrik (3, 4, 5) und von diesen, durch eine Materialvollbahn getrennt, 2 grössere Lagerschupfen. Der grössere (1) ist fest fundiert und war beim letzen Rutsche mit Material gefüllt, hat infolgedessen standgehalten. Der kleinere wurde schon 1884 einmal zerstört und ist auch diesmal den be- 294 Bruno Müller : wegten Bodenmassen zum Opfer gefallen. Er war nicht fundiert, sondern stand auf einem Steinpflaster, welches einfach von der Zunge der Frana horizontal weitergeschoben wurde, wenigstens im westlichen Teile. Nordöstlich von diesen 2 Gebäuden ist ein 19 m hoher Steilhang, welcher seine Formgestaltung den vorhergehenden Rutschungen verdankt (9). Auf dem Kärtchen ist er punktiert und auch unter den Schraffen, welche das heutige Rutschgebiet markieren, deutlich an der Punktierung erkennbar. Das ganz heruntergelangte Material hatte man nach den früheren Rutschun- sen abgegraben und weggeräumt und so zwischen Steilhang und Schupfen eine Art Fahrstrasse erhalten, die nun gänzlich ver- schüttet ist. (=12.) Bei 10 und 11 bemerken wir kleinere Quel- len, welche an den Stellen liegen, wo früher die stärksten Rut- schungen stattfanden, was an der eigentümlichen Form des Ab- rissgebietes noch sichtbar ist. Die letzte Frana fand am 14. September 1908 statt. Schon 3 Tage vorher geriet ein Arbeiter mit dem Fusse oben im Ab- rissgebiete in eine klaffende Erdspalte, die sich neu gebildet hatte und von der üppigen Ruderalflora ganz verdeckt wurde. Nichtsdestoweniger benützten noch am 14. mehrere Arbeiter die absinkende Scholle als Lagerplatz fürs Mittagsschläfchen. Um !k3 Uhr Nachmittag löste sich diese endlich mit heftiger Deto- nation völıig los und sank etwa 1 m tief. Die Weiterbewegung erfolgte so langsam, dass sie buchstäblich mit dem Masstabe in der Hand zentimeterweise beobachtet werden konnte. Die Haupt- scholle, welche auf der Karte zwischen dem ehemaligen und dem heutigen Abbruche deutlich sichtbar ist (13), blieb im mittleren Teile bis heute trotz der Weiterbewegung erhalten (= 14. Sie erscheint auf der Karte breiter als ursprünglich zu sein, weil sie sich etwas umgelegt hat). Nach und nach setzten sich auch andere Teile der Lehne in Bewegung, sodass schliesslich die untere Strasse völlig verschüttet wurde. Zuvor aber zeigte sich noch eine Erscheinung, welche die Laien am meisten in Erstaunen setzte. Die Strasse zwischen den beiden Lagerschupfen und dem Hange begann sich nämlich zu heben und wurde stellen- weise bis weit über Mannshöhe emporgequetscht. An einigen Punkten war mittlerweile die Zunge der Frana bereits auf der in Hebung begriffenen Strasse angelangt, schritt über sie hinweg und bedrängte die Gebäude. Der kleinere Schupfen (2) ächzte und krachte bereits um 6 Uhr abends unter dem gewaltigen Drucke, bis endlich in der Nacht die Rückwand eingedrückt wurde und das Material in den Schupfen hineinströmte. Die pa- rallel zur. Schubrichtung stehenden Wände bekamen starke Sprünge, aus welchen sich heute noch erkennen lässt, dass nicht‘ allein das Vorrücken der Massen den Schupfen demolierte, son- Der neueste Erdrutsch im Aussiger Stadtgebiete, 295 dern eine Komponente dieser Kraft und der oben erwähnten Bodenhebung tätig war. Infolge letzterer Erscheinung steht auch heute noch der Schupfen deutlich schief. Der andere grössere Schupfen (2) erlitt keinen nennbaren Schaden, da er fest fundiert ist, und hier die Rutschung ge- ringer war. Der westliche selbständige Teil des Schupfens 2 wurde mitsamt dem Steinpflaster, auf welchem er stand, vorwärts geschoben und völlig demoliert. Ein an dieser Stelle befindlicher alter Kohlenstollen wurde völlig zugedrückt. Er stand mit der Rutschung in keinem Zusammenhange. Da H 2% $ 143°5 Gegenwärtig ist man damit beschäftigt, das heruntergekom- mene Material wegzuschaffen. Die Rutschung ist auch noch nicht völlig zur Ruhe gekommen. Wie die eingesteckten Stan- gen zeigen, betrug die tägliche Weiterbewegung noch jetzt (Mitte Oktober) 1, cm täglich. Auch eine Erweiterung der Sprünge (17) ist konstatierbar. Für das Folgende erscheint mir noch die Tatsache wichtig zu Sein, dass die kleine Quelle (= 19), welche unterhalb des Serutschten Gebietes entsprang, etwa 2 Tage vorher ausblieb und erst einige Tage nachher wieder einen Ausweg fand. Die geologischen Verhältnisse des Gebietes sind folgende: 296 Bruno Müller: Das Liegende des ganzen Hanges sind miozäne Tone. Als Ausfüllung des Aussig-Teplitzer Beckens haben sie hier, nahe dem Rande desselben bereits ihre grösste Mächtigkeit verloren und enthalten nur noch ganz dünne Kohlenflötze; eines derselben ist im Nordwesten des Kärtchens aufgeschlossen, ein anderes beim Lagerschupfen (1). Diese Tone sind hellgrau, lettig, im nassen Zustande leicht knetbar und schlüpfrig, im trockenen aber ungemein schwer abzugraben. Weder Sprengurgen noch andere Mittel können zur Auflockerung derselben wesentlich bei- tragen. Die unteren Gebäude (1—5) stehen alle direkt auf ihnen und im Norden des Kärtchens treten sie wieder zu Tage. Dazwischen aber, also auf dem ganzen Hange sind sie von dilu- vialen und alluvialen Produkten hoch überlagert. Ihre obere Grenze gegen jene fällt nach Südosten ein. Bei x lag dieselbe etwa 5 m über dem Strassenniveau, bei y ungefähr 1 m. Bei dem”Rutsche sind sie, wie im Vorhergehenden geschildert wurde, auf der Strasse gehoben worden, sodass sie hier nach Nordosten unter 30° einfallen, wie man besonders an einem kleinen Kohlen- flötz deutlich sehen kann. Das ist natürlich nur eine lokale Er- scheinung. Fast im ganzen Gebiete des Kärtchens haben sie ihre normale Beschaffenheit, nur beim Ausbaggern (8) stiess man auf Kohlenbrandgesteine.e. Wenig nördlich davon wurden dieselben durch einen neugebauten Einschnitt der elektrischen Kleinbahn noch schöner aufgeschlossen. Sie zeigen dort schwarze, Lava ähnliche, schlackig poröse, umgeschmolzene Klumpen, rote, gelbe und hellbraune Scherben sowie deren Verwitterungspro- dukte, besonders schön strahlige, stengelige, braune Toneisen- steine und schliesslich alle Übergänge zum normalen Tone. Unmittelbar an der Rutschstelle lag über dem Tone eine 1'/,—3 m mächtige Schotterterrasse mit Blöcken bis zu 1 m? Grösse. Die grösseren Blöcke bestehen durchaus aus Basalt, die Rollsteine auch aus Quarz, Gneis, Porphyr usw. Die Zwischen- masse ist ein lehmiger Sand. Stellenweise sind grosse Linsen und Nester eines feineren, braunen, schräg geschichteten Sandes eingeschaltet. An anderen Orten überwiegt der Sand und es keilen in ihm Schotterbänke aus. Diese Ablagerungen sind die typische Mittelterrasse (Hibsch). Auf ihr finden sich Spuren der Niederterrasse (Hibsch) in Gestalt von feinen, helleren glimmerreichen Sanden. Sie gehen nach oben allmählig in den Lehm über, welcher seinerseits wie- der in den höheren Lagen Lösscharakter annimmt. Dieser Lösslehm enthält in deu unteren Partien vereinzelt Steine und kleine Geröllbänke, in den oberen typische Bänder von nuss- bis faustgrossen Lösskindeln. Ausserdem bemerken wir namentlich in dem Einschnitt der Baggermaschine einige deutliche kalkig-mergelige Bänder, welche als kleine Quellhori- zonte fungieren. Die Quellen 10 und 11 verdanken ihnen ihren Der neueste Erdrutsch im Aussiger Stadtgebiete, 297 Ursprung. Seit der Baggerung treten dieselben natürlich in dem neuen Einschnitte zu Tage. Die neu entstandenen Tümpel (15 u. 16) deuten ebenfalls auf einen solchen Neben-Quellhorizont hin. Vom physikalischen Standpunkte haben wir also zu unterst eine im nassen Zustande schlüpfrige und knetbare Tonmasse mit geneigter Oberfläche, auf ihr aber eine schwere, vertikal- spaltbare Platte von Lösslehm, die auf dem Tone nicht unmittel- bar, sondern wie auf Kugeln (= den Schotterblöcken und Roll- steinen) aufliegt. Damit ist die Rutschung eigentlich vollkom- men erklärt. Es erübrigt nur noch’ auf einige Details des Vor- ganges näher einzugehen. Der Hang befand sich, auch von den grösseren Rutschen abgesehen, infolge seiner Lagerungsverhältnisse beständig in un- gemein langsamer Bewegung, welche an Stellen, wo Wasseradern auf der Tonoberfläche diese besonders schlüpfrig machten, am stärksten war. Da die bewegten Massen einen relativ festen Zusammenhalt hatten, mussten sie den Ton, wo er weniger schlüpfrig war und fester an ihnen klebte, aufackern. Nun neigt letzterer zu vertikaler Klüftung, sodass auf diese Weise Spalten normal zur Gleitrichtung entstehen mussten, die sich schliesslich bei ihrer Vergrösserung von den Wasseradern her mit Wasser füllten. Von diesen Wassersäcken aus wurde der umliegende Ton erweicht und knetbar gemacht und damit das 2. Stadium eingeleitet. Durch das Gewicht der überlagernden Massen erfolgte ein Einsinken derselben in den oberen Partien, wo sie am mäch- tigsten und schwersten waren. Gleichzeitig wurden der Ton von hier, da er ausweichen musste, unter die weniger schweren Par- tien des unteren Hanges gepresst und es schritt infolgedessen eine Art von Welle im Tone von Innen gegen Aussen fort. Dies hatte mehrere Folgen. Die einsinkenden Schollen lösten sich vom Abrissgebiete los und es bildeten sich dort zunächst Spalten. Gleichzeitig konnte das auf den Tonen als Wasser- horizont fortfliessende Wasser infolge der entstandenen Boden- welle nicht mehr abfliessen und staute sich hinter derselben. Daher trat gleichzeitig mit der Spaltenbildung oben, ein Aus- bleiben der Quelle unten ein. In seinem weiteren Verlaufe musste sich der Prozess von selbst beschleunigen. Das zurückgestaute Wasser machte den Ton immer plastischer und die Welle konnte immer rascher nach aussen vorwärtsschreiten. Ferner waren durch die Spalten die oben genannten Nebenwasserhorizonte durchschnitten worden und lieferten nun ihr Wasser auch dem Haupthorizont. Schliesslich trat die Welle unter dem Hange hervor, fand hier keinen Gegendruck mehr und konnte sich daher nun plötz- lich vergrössern. Mit diesem raschen Wachsen derselben war - natürlich ein ebenso rasches Einsinken der grossen Schollen ver- 298 Bruno Müller: Der neueste Erdrutsch im Aussiger Stadtgebiete. | 14 knüpft. Diese brachen völlig ab und begannen gleichzeitig auch etwas nach vorwärts zu wandern und den übrigen Hang vor sich herzuschieben. Dies ist im wesentlichen der Vorgang, der hier freilich etwas schematisch geschildert wurde. In Wirklichkeit war die Sache dadurch noch komplizierter, dass schon früher an dersel- ben Stelle Rutschungen vorgekommen sind, und die Verhältnisse seitdem etwas gestört waren. Was das Studium dieser Frana so wesentlich erleichterte, ist der Umstand, dass sofort, noch bevor der Rutsch eigentlich zu Ende war, die umfassenden Abräumungsarbeiten begonnen wurden. So waren die Verhältnisse wenigstens im unteren Teile so schön aufgeschlossen, wie man sie selten in einem ähnlichen Falle finden wird. Gegenwärtig sind schon grosse Teile des Ge- bietes freigelegt, die selten sichtbaren Vertikalspalten im Tone abgeräumt usw. Der Berg wird an dieser Stelle so stark abge- graben und oben durch den Bagger abgetragen, dass hier später kein Rutsch mehr stattfinden kann. Freilich ist dadurch die Gefahr dann nur nach Norden verschoben worden und meiner Meinung nach eher grösser geworden, da jener Teil des Berges noch viel gefährlicher ist. Nur ein kompliziertes Entwässerungs- system könnte da dauernd Ruhe schaffen. Die Hauptbedeutung des Studiums dieser Frana liest darin, dass man aus ihr, wie sonst wohl selten, den Typus eines Rutsches, wie sie in der hiesigen Gegend so häufig vorkommen, im Detail studieren konnte. Zum Schlusse sei es mir gestattet, der hochgeehrten Direk- tion der genannten Fabrik für ihr liebenswürdiges Entgegen- ‚kommen und besonders Herrn Ingenieur Matuschka für seine freundliche Unterstützung meiner Arbeit und für die topogra- phische Grundlage meiner Karteuskizze aufs herzlichste zu danken. Erklärung der Kartenskizze. (Masstab 1 : 2.000.) 1. Intakt gebliebener Lagerschupfen. 2. Teilweise demolierter Lagerschupfen. 3, 4 und 5 Gasfabrik. 6. Vorsichtshalber abgetragenes Arbeiterhaus. 7. Wasserreservoir. 8. Ausgebaggertes Terrain im Lehm, (horizontal gestrichelt = Erdbrände). 9. (Punktiert) Böschung, durch frühere Rutschungen geformt. 10, 11. Quellen. 12. Frühere, jetzt verschüttete Durchfahrt. 13. Im ganzen abgesunkene Scholle. 14. Deren heutiger Rest. ‚16. kleine, nach dem Rutsche entstandene Wasserbecken. Das beim letzten Rutsche in Bewegung befindliche Gebiet ist schraffiert. Die ehemaligen Böschungsverhältnisse sind sichtbar. 17. Grössere Erdspalten. 18. Stollen. 19. Quelle. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen ‚„Lotos‘', Bibliothek und Sekretariat: Prag II, Weinberggasse 3a, (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Bibliotheksstunden: Montag, Freitag | 5—7 ‚Uhr: | Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Samstag 7—9 Uhr abends. Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“. — Für die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. JOH, KRUSICH, Universitäismech. l., Albertstr. 5. 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(10 Nummern) K 8 — > : Mineralpräparate, geschliffene Edelsteine Mineralien, Edelsteinmodelle, Meteoriten, Metallsamm- lungen, mineralog. Apparate und Utensilien. = Dünnschliffe von Gesteinen, petrographische Gesteine, Apparate und Utensilien; geologische Hämmer. Gipsmodelle seltener Fossilien, geotekto- Petrefakten, nische Modelle, Sammlungen für allgemeine Geologie. Exkursions-Ausrüstungen. Kristallmodelle se mode en | \ er } rn 2).Diapositive Tecrach: "Der allgemeine nnkeraiegen geologische Lehrmittel-Katalog (reich illustr. Nr. XVIII) steht auf Verlangen portofrei zur Verfügung. Meteoriten, Mineralien und Petrefalten, sowohl einzeln als auch in ganzen Sammlungen, werden | jederzeit gekauft oder im Tausch übernommen. © Dr. F. KRANTZ, Rheinisches Mineralien-Kontor, Fabrik und Verlag mineralogischer und geologischer Lehrmittel. Gegründet 1833. BONN a. Rh. Gegründet 1833. natürlicher alkalischer SAUERBRUNN als Heilquelle schon seit mehr als 100 Jahren mit Erfolg angewendet bei Bi gun ar FE a a Ze Erkrankungen der kuftwege, Krankheiten der Ver- dauungsorgane, Gicht, Tieren- und Blasenleiden. Vorzüglidtes Unterstügungsmittel bei den Kuren von Karlsbad, Marienbad u. s. w. Bestes diätetisches Erfrischungsgetränk. Australische Reisebriefe. II. Von Professor H. Dexler (Prag). Von Genua nach Colombo. (Schluss.) Überhaupt konnte man an dem kleinen Völkchen die an- ziehendsten Studien machen — hoffentlich trägt es mir keiner nach, wenn einer von ihnen diese Zeilen liest. Da war ein jun- ger Mann, der gerne so abgebräunt gewesen wäre wie der Ka- - pitän; er legte sich in die glühende Sonne, um sein Gesicht zu bräunen, das keine Farbe annehmen wollte. Obwohl er dabei so gebraten wurde, dass ihm der Schweiss von der Stirne troff, be- hauptete er doch, dass ihm gar nicht übermässig warm sei. Ihm gegenüber ein würdiger alter Herr, der darauf hielt stets in tadellos gesteifter Wäsche und dunklen Kleidern zu erscheinen und darob nicht weniger unter der unbarmherzigen Sonne litt wie der andere; ein dicker Ingenieur, der sich nach dem Frühstücke auf Deck begab, um zu schlafen und die Vormittagsmahlzeit nur - versäumte, weil er nicht zu erwecken war. Nach dem Lunch überfiel ihn eine solche Müdigkeit, dass er einschlief, wo er sass oder lag. Da inm dabei der Unterkiefer immer herunterhing, konnte man bemerken, dass er ein sehr schlecht gemachtes, Gebiss besass, was die Damen sehr shocking fanden; eine junge Frau in Grün mit einem Säugling in Grün und einem ältlichen Gatten, der die Augenbrauen immer so hoch gezogen hatte, als ob er unausgesetzt darüber staunen wollte, dass ihm - noch Vaterfreuden geworden, wie der ehrsame Schuster Unwirsch in Rabes Hungerpastor. Dann ein englischer „Captain“, ein äusserst liebenswürdiger Gentleman, der die Vorstellung nicht los wurde, auf der Kommandobrücke zu stehen und daher jeden in einem gur- gelnd-schleimigen Bass anbrüllte, obwohl er leise zu sprechen _ vermeinte; ein amerikanischer Farmer, dem die Table d’höte ‚ eine Qual war und den die Reflexionen über die richtige Hal- - tung von Gabel und Messer so aus dem Geleise brachten, dass er plötzlich beim Speisen aufhörte und beide Instrumente hilflos anstierte; ein australischer Reverend, der seinen Groll über unser leichtfertiges Leben in sehr viel Brandy kühlte, und ein englischer Lord, der mit Leidenschaft photographierte, aber nie . das auf die Platte bekam, was er wollte. Auch hatten wir eine Braut 22 300 Prof. H. Dexler: zum nicht geringen Neide der anderen; nicht vergessen möchte ich eine alte Dame aus Schottland, die uns von Zeit zu Zeit eine kleine „Party“ gab und so ausgezeichneten Tee zu bereiten ver- stand, wie ich ihn seither nie mehr erhalten konnte. Leider nahm sie selbst niemals von dem wahrhaft duftigen Trank, sondern löffelte standhaft leeres, heisses Wasser aus Furcht, seekrank zu werden. In unserer kleinen Gesellschaft, die sich aus den verschieden- sten Elementen in den europäischen Häfen zusammengefunden hatte, begann die bereits erwähnte soziale Schichtung weitere Fortschritte zu machen. In den langen Stunden, die liegend, kartenspielend, lesend, plaudernd und klatschend zugebracht wurden, hatte man sich kennen gelernt und seine Wahl ge- troffen. Es gab Sondergruppen und Vereinigungen, Cliquen und Unterströmungen, Antipathien und ewige Freundschaften, die meist dadurch bald aufflogen, dass man nach gründlicher „Be- sprechung“ der „andern“ sich selber gegenseitig durchzuhecheln begann. Der erste Mann des Anstosses war der Kapitän, der aus dem anfänglichen Stadium allgemeiner Bewunderung in das der Verachtung sank. Ihm waren — gleich allen Kapitänen, die ich auf meiner weiten Fahrt kennen gelernt ‘habe — die Passagiere nicht viel mehr wie lebende Fracht, living cargo. Im Dienste sah er das Mittel der Beförderung in eine höhere Rangsklasse. Er hielt sein Schiff in Ordnung und sich die Passagiere vom Leibe, so weit er konnte. Das war natürlich so ganz gegen die Auf- fassung jener vielen, die von Leutseligkeit, Liebenswürdigkeit u. s. w. der Seekapitäne — gelesen hatten. Da er sich dem Volke so wenig wie möglich zeigte, erhielt die richterliche Diskussion bald zu wenig Nahrung und verstummte, um sich mit neuer Wucht auf den Zahlmeister zu werfen. Er war als Urheber der schlechten Bewirtung alsbald die Zielscheibe des ganzen Hasses. Zahlreich waren die umlaufen- den Gerüchte, was man über den Mann an die Schiffahrtsge- sellschaft berichten werde, und wie energisch dieser und jener ihm seine Meinung gesagt hätte; das geschah aber immer ohne Zeugen. Wurde Lachs aufgetragen und nahm der Purser an der Tafel teil, so dankte fast jeder mit beredtem Schweigen und aller Augen richteten sich nach ihm hin; der aber verzog keine Miene, schob die Platte ebenfalls zur Seite und versicherte seinen Nachbarn aufs treuherzigste, dass der Fisch ausgezeichnet sei, wie der Appetit der Spanier beweise; er für seine Person aller- dings esse niemals Fische! Was mich anbetrifft, so wurde mir der Aufenthalt auf Deck dadurch zuerst etwas getrübt, dass wir mehrere junge Damen an NT a Se ne Sen ntn 2 nd nd mad Di 2a Ka Zahn Zn dar a En nn den ti ae ne a sinn Zn era Zinn nl | Australische Reisebriefe. 301 Bord hatten, die mit ihren schöngeistigen Anwandlungen nicht allein fertig werden konnten.- Sie machten Verse, dieman lesen sollte und legten jedem Bekannten ihre „Confessions“ vor. Das waren umfangreiche Bücher, in denen man eineReihe geistreicher Fragen zu beantworten hatte, wie: Wen halten Sie für grösser, Hannibal oder Nelson, Schiller oder Goethe u. s. w. Die Ge- - schichte endete gewöhnlich mit einem Stammbuchvers. Auch die Schiffsmusik verlor rasch ihren Reiz.- Bei der Einfahrt in einen Hafen machte sich das Spiel unserer Bande sehr wirkungsvoll. Beidem Umstande jedoch, dass die Leutchen ein ganz kleines Repertoire von ein paar Märschen und Volks- hymnen hatten und täglich mittags wie abends spielten, wurde die Vorstellung bald langweilig und dann peinlich. Sieghaft über die grossen und kleinen Leiden blieben bloss die italie- nischen Auswanderer, die in der Kühle unter uns bei Sonne und Hitze, Durst und Raummangel unausgesetzt Morra spielten und mit ihren Knöcheln dabei auf die Planken schlugen, dass es dröhnte. Am 21. März nachmittags sahen wir nach fünftägiger Fahrt wieder Land. Wir näherten uns der Insel Keb-el-teir. Das Meer war durch die Segel einiger Perlenfischer belebt; auch be- gegneten wir einem modernen Frachtdampfer, einem riesigen aber scheusslich aussehenden Boote mit weiter Ausbauchung an der Wasserliniie. Man sagte uns, dass die unschöne Konstruktion für die den Suezkanalbenutzenden Fahrzeuge besonders geschaffen wurde, um bei den Passagegebühren zu ersparen. Letztere be- trugen für die „Weimar“ angeblich 70.000 Mark. Gegen Abend kamen diezwölf Apostel inSicht, eine Gruppe trostlos öder, mit Guano bedeckter vulkanischer Inseln mit schroffen Küstenabhängen, und um 4 Uhr morgens des 22. nahmen wir die Enge von Bab-el-Mandeb, die uns vom indischen Ozean trennte. Sie ist als eine gefürchtete Strasse bekannt, deren Ufer die Gerippe zahlreicher Schiffe bedecken; an und für sich schmal, ist in sie noch die Insel Perim eingeschoben, so dass die Schiffe am engsten Durchlass bis auf 150 m andie Korallen- felsen herangebracht werden müssen. Zwei mächtige Leucht- feuer, von denen eines in der Mitte der Insel Perim, das andere „auf einem Korallenriff steht, markieren diesen gefährlichen Punkt, der indessen immer noch leichter zu durchschiffen ist als die Strasse zwischen den Inseln Keb-el-teir und Keb-el-zukur, die wir vorher zu benutzen hatten. Dank der Nachlässigkeit der türkischen Behörden sind dort keine Seezeichen aufgestellt. Kaum war die Durchfahrt bewerkstelligt, die ich vom Deck aus beobachtet hatte, so schlug uns ein ziemlich starker Wind, der Monsun des indischen Ozeans, entgegen; er brachte die schwüle Dar 302 Prof. H. Dexler : Temperatur in kurzer Zeit um mehrere Grade heräb. In einigen Stunden sollten wir in Aden landen. Jener Teil der Küste, auf dem das strategisch so wichtige Aden liegt, trat uns als ein kahles, wild zerrissenes, hohes Gebirge entgegen. Soweit das Auge reichte, keine Spur von Wasseradern, Bäumen oder Gras; tot und starr dehnten sich weithin das öde Geschröff und die gigantisch überein- andergetürmten braungrauen Felsenmassen im Sonnenbrande. Beim Näherkommen tauchten die weißen Bauten der Stadt als Baracken, Kasernen und Schuppen deutlicher hervor und zahl- reiche Serpentinen hoben sich rein und leuchtend von ihrer Umgebung ab. Mit guten Zeissfeldstechern nahm man eine ganze Anzahl von Forts wahr, dıe in das Gestein eingebaut sind. — Leider wurde uns der Zutritt zu dem Landungsplatz nicht gestattet, da der Aufenthalt des Postschiffes nur nach wenigen Stunden bemessen war. Ich bedauerte sehr, diese merkwürdige Stadt mit ihren berühmten Felsentanks nicht besucht zu haben, die hinsichtlich ihrer Verproviantierung ganz auf die Zufuhr zur See angewiesen ist. Wegen Mangel jeglicher Quellen müssen ihre Einwohner mit Regenwasser und wenn dieses nicht vor- handen, selbst mit destilliertem Wasser versorgt werden. Schon der Anblick vom Schiffe aus, den die grosse, in einem sonnen- durchglühten Felsenkessel liegende Ansiedelung darbot, genügte, um uns ihren Ruf als eine der gefürchtetsten Stationen der bri- tischen Kolonie begreiflich erscheinen zu lassen. War so von der Landseite nicht viel zu wollen, so ent- wickelte sich an Bord ein umso anziehenderes Treiben durch die vielen Händler, die mit Strausseneiern, Straussenfedern, Anti- lopengehörnen, Haifischkiefern, Ansichtskarten, Austern, Säge- fischköpfen u. s. w. an Bord kamen. Dabei schien mir das Ge- schrei die Hauptsache zu sein. Am meisten taten sich nach dieser Richtung einige Kleine Araberjungen hervor, die nach Geld- stücken tauchten. Mit affenartiger Behendigheit kletterten sie bis über das Sonnensegel, ja selbst bis zu den in den Davitts hängenden Rettungsbooten empor und ließen mit schriller Stimme ihre Aufforderung ergehen — „Have a dive, dive, dive, have a dive, dive“ — ins Unendliche. Einer dieser glänzenden Knirpse sprang aus mehr als 14 m Höbe herab, nicht ohne zuvor einem besonders neugierigen Passagier einen Schilling abgejagt zu haben, den er der Sicherheit halber zuerst in den Mund nahm, und dann tauchte, während die übrigen den ins Wasser gewor- fenen kleinen Geldstücken nachplumpsten und sie rasch wieder heraufbrachten. d | E , E | Australische Reisebriefe. 303 "Nächst ihnen belebten die arabischen Juden das impro- visierte Marktgewühl, die Straussenfedern vonguter Qualität ver- kauften. Die Preise waren nicht übertrieben hoch, sondern den europäischen ziemlich ähnlich. Gebrauchte man die Vorsicht, darauf zu achten, unverletzte und nicht ihrem Kiel nach ge- spaltene und wohl auch zusammengesetzte Federn anzunehmen, ‘so wurde man kaum überhalten. Weisse Federboas kostete 6—10 Pfund pro Stück. Demgegenüber waren die Summen, die man für die „Curiosities“, die Haifischzähne, Muscheln und dgl. verlangte und auch erhielt, ganz unsinnig. Ebenso schlecht an- gelegt waren die wenigen Kupfermünzen, für die man ein Dut- zend Austern erstehen konnte. Die Muscheln gehörten einer un- ansehnlichen, dickschaligen Art an und schmeckten so stark salzig, dass sie keinen besonderen Genuss boten. Viel Absatz fanden hübsch gefärbte, flaschenförmige Strohkörbe, von denen man behauptet, sie stammten aus europäischen Fabriken; ob mit Recht oder Unrecht, ist mir nicht bekannt; jedenfalls wurden sie wegen ihrer schönen roten und gelben Streifung und der ge- fälligen Gestalt von jedermann gekauft und als echte nubische Körbe dem Gepäck beigefügt. Man begnügte sich dabei mit der Tatsache, dass sie von Nubiern verhandelt wurden, bezüglich de- ren Rassenreinheit man wegen der Verschiedenartigkeit der Ge- sichtsbildung und der Nuancierung der Hautfarbe wieder gewisse Zweifel empfinden konnte. Gemeinsam war ihnen nur die Haar- tracht mit dem kronenförmigen Schopfe und der abstehenden Nacken- krause. Einige dieser brauen Gesellen hatten das ganze Kopfhaar _ mit einer dicken Kalkpaste zu einem unförmlichen Kuchen ver- kleistert. Dadurch wurde das schwarze Ringelhaar eigentümlich 'isabellenblond, worauf die betreffenden Eigentümer des Schmuk- kes nicht wenig stolz zu sein schienen. Die Aussenrhede von Aden muss wohl eine sehr schöne ge- nannt werden. Die vielen grossen Schiffe, von denen namentlich ein Fahrzeug der englischeu P and O-Linie durch sein elegantes Aussehen hervorstach, die zahlreichen Fischerboote und die vielen Inseln, die nach Westen zu den Hafen abgrenzten, fesselten das Interesse des Beobachters aufs angenehmste. Ungemein belebt wurde die ganze Landschaft durch die grossen Schwärme von Möven, die zur Zeit meines Aufenthaltes so zablreich unser Schiff umflogen, das man kaum ein photographisches Bild nehmen - Konnte, auf welchem nicht wenigstens einer dieser Vögel gerade an unrechter Stelle und in unrechter Distanz auf der Platte er- schienen wäre. Früh am Nachmittage war unser Schiff abgefertigt und wir dampften in die hohe See hinaus, unseren Kurs Ost-Süd-Ost - nehmend, um die Strasse zwischen dem afrikanischen Festlande LT “7 304 | Prof. H} Dexler: und Sokotra zu erreichen, durch die wir in den eigentlichen in- dischen Ozean gelangen sollten. Vor Einbruch der Nacht hatten wir die arabische Küste aus dem Gesichtskreise verloren. Von unserer Überfahrt nach Colombo ist wenig zu sagen. Die See, das Firmament und unser Schiff waren mir auch weiter- hiv eine schier unerschöpfliche Quelle von Beobachtungen. Das allgemeine Interesse hatte aber doch etwas nachzulassen begon- nen, weil man sich leider an das Schöne noch rascher gewöhnt als-an das Unangenehme. Meine Aufnahmekraft war aber auch dadurch stark beeinträchtigt, dass ich mir einen leichten Sonnen- stich holte, an dem ich ziemlich zu leiden hatte. Das Schau- spiel, das die schwimmenden Tange, die massenhaften Quallen und die von Zeit zu Zeit sichtbar werdenden Haie abgaben, be- wog mich, viele Stunden in der Back des Schiffes zuzubringen und über die Reeling nach dem tosenden Wasser unter mir zu schauen, das der Schiffsbug mit Macht auseinander warf. Dabei fühlte ich, obwohl in der Sonne stehend, die Hitze nur wenig, da selbst bei unbewegter Luft unsere Eigengeschwindigkeit einen leisen Luftzug hervorrief. Sprang nureine ganz schwache Brise auf, dieeben die Wo gen kräu.elte, so verspürte man an diesem Standorte »chon einen sehr beträchtlichen und kühlenden Wind. Bei der vornüber ge- neigten llaltuıg des Kopfes schien mir die Sonne. mit aller Kraft in den Nacken und auf das Hinterhaupt, das ich unvorsichtiger- weise unbedeckt liess. In der Nacht vom 22. auf den 23. März setzte der Anfall mit einer ganz auffallenden Benommt nheit des Bewusstseins und einem geradezu peinigenden Brennen in der hin- teren Schädelregion ein. Ich erinnere mich noch meines Er- staunens, als ich mich an meinem Tagebuche schreibend befand, in das ich meine Daten eintragen wollte, ohne mich aber über meine Lage zurecht finden zukönnen. Im Halbschlaf wurde ich von den grauenhaftesten Träumen gepein'gt un stieg teils auf Deck teils in den unteren Räumen herum, trotzdem ich eine bleierne Schwere in den Gliedern fühlte. Die Sache ging mit Ausnahme eines stechenden Kopfschmerzes, der drei Tage anhielt, bald vorüber und erst darnach wurde es mir so recht klar, dass ich mit einem blauen Auge davongekommen war. — Das charakteristische Merkmal des damaligen Abschnittes unserer Reise lag im Wetterumschlag. Die Temperatur blieb zwar immer inden Grenzen von 27°5—30°5° C., mit dem Schleu- derthermometer gemessen. Sie wurde aber trotzdem weit unan- genehmer empfunden, weil sie fast gleichmässig anhielt und weil der Feuchtigkeitsgehalt der Luft ein viel grösserer war als der _ des roten Meeres. Wir hatten schon beim Durchgange durch die Enge von Perim die ersten Grüsse eines feuchten Ostwindes Ba a a en I De inne Ba ET nn A Fi BET u DEE NER ER ae RN N Australische Reisebriefe, 305 empfangen, der dem abflauenden Frühjahrs-Nordostmonsum ange- hörte. Er war so mit Feuchtigkeit beladen, dass alle blanken Eisenteile zu rosten, das Leder zu quellen und die Tintenschrift zu rinnen begannen. Die Kleider fühlten sich feucht an, was in Verbindung mit dem ungenügend abdünstenden Schweiss zur einem beträchtlichen Unbehagen ward. Für brillentragende Per- sonen erschwerte sich das Leben noch dadurch, daß die Brillen- ' gläser nicht rein zu halten waren. Mit dem stetigen Winde hatte sich auch das Aussehen des Meeres geändert; es war nur mässig bewegt, rollt» unseren Damp- fer jedoch so stark, dass sich der sonst unverwüstliche Appetit unserer Gesellschaft sichtlich minderte, wenn auch niemand eigen- tlich seekrank wurde. Gewiss war dabei auch die drückende Schwüle in Rechnung zu nehmen. Wir hatten bereits den 10. Breiten- grad überschritten und waren gezwungen, uns dem Tropenklima @ anzupassen. Eine Verkürzung des Schlafes, der in den schwü- len, heissen Kabinen oft unterbrochen und unerquicklich war, bildete die einzige wirkliche Beschwerde. Es gab aber mehrere Passagiere, die trotz der Bruttemperatur hierin keinen Abbruch erlitten; andere verbrachten die Nächte auf Deck oder suchten sich nach den hergebrachten Überlieferungen durch einen grö- sseren Alkoholkonsum gegen die Unbilden dieser Breiten zu wapp- “ nen. Unsere Trinkersitten sind trotz aller Aufklärung kaum zum Wanken zu briogen. Was man bei uns zu Hause mit Un- mässigkeit bezeichnet, wurde hier vielfach als Erfordernis, als _ eine sanitäre Schutzmassregel angesehen. Sowie der Südfranzose, der Holländer u. s. w. ohne sein Apperitiv nicht auszukommen vermeinen, ebenso gilt die Regel, dass man in den Tropen es seiner Gesundheit schuldig sei, in Rotwein, Bier oder Brandy — je nach der Nationalität — seine Opfer zu bringen. Es hat mir schon damals den Anschein erweckt, dass man dieser Forderung einer unwahren Tropenhygiene übermässig leicht nachzukommen bereit ist. Am 24. sahen wir ganz im Nebeldunste verschwommen . nach Osten Land für kurze Zeit. Er waren die Berge der In-el Sokotra, die wir in einer Distanz von über 30 Meilen passierten. Von nun an sollten wir sechs Tage lang nichts zu sehen bekom- men wie Himmel und Meer. In der darauffolgenden Nacht tauchte hinter uns ein Licht auf, das nicht verschwinden wollte und daher ein in gleicher Rich- tung fahrendes Schiff aunehmen ließ. Beim Heraufkommen auf Deck am nächsten Morgen stand ein solches weit vor uns im Lee und kam uns gegen Mittag aus den Augen. Die Zeit bis zu unserem Eintreffen in Ceylon verlief ohne besondere Vorkommisse. Ihre Länge wurde von den Passagie- 306 Prof. H. Dexler: ren je nach der Beschäftigung verschieden unangenehm emp- funden. Das Interesse an dem geistlosen Ringwerfen und Schei- benstossen, die man wohl nur alssehr bescheidenen Zeitvertreib auffassen konte, war bald erloschen, die vorhandene Literatur ausgelesen, jeder interne Gesprächsstoff erschöpft. Sogar die Angriffslust auf das Küchenrepertoire war an der Harthäutigkeit des Pursers zu schanden geworden. Die einzige Zerstreuung, die allgemeinen Anklang fand, war die Schiffiskapelle, die jeden Abend spielte; aber der bewusste junge Mann sang darnach immer noch und verwischte den guten Eindruck. So blieb denn schliesslich nichts als der eigene Körper, dem man in seiner Pflege das grösste Interesse widmete. Hier leisteten unsere englischen Reisegenossen das meiste. Wir Deutsche sind freilich in einer Zeit, wo der Kneippismus, das Gesundbeten und die verschie- denen „Naturheilmethoden* in Blüte stehen, nicht berechtigt, uns über die Franzosen lustig zu machen, bei denen „la bile* so ziemlich unserer „Verkühlung“ die Wage hält und die Wun- derwässer von Lourdes im Schwunge sind. Was ich aber von meinem damaligen, wie auch von meinen späteren, britischen Reisegenossen erleben musste, überstieg alles Dagewesene. Je- der hatte in seinem Gepäck eine Reihe von Flaschen und Schachteln, voll von „Digestives“ „Headache- Cure“, „Kidney-Be- ans“ und „Blood-Purifier“, mit denen er sich und den Nächsten aufs ausgiebigste behandelte. Namentlich wurde eine solche Reihe von Blutreinigern produziert und verbraucht. so dass ein wenig schmeichelhafter Schluss auf die Blutbeschaffen- heit unserer Kameraden zu ziehen gewesen wäre. Zum Glück kamen wirkliche Erkrankungen ganz selten vor. Ernstlich litt nur eine ältere Dame, die, seitdem sie das Schiff betreten hatte, unausgesetzt krank war. Die leisesten, von uns kaum wahr- nehmbaren Seitenschwingungen des Dampfers erregten bei ihr einen so starken Schwindel und heftige stomachale UÜbelkeiten, dass sie die ganze Reise hilflos im Sessel liegend zubrachte. Zu einer tatsächlichen Beschwerde auch für Gesunde wurde die Hitze, die nach einigen Tagen so lähmend zu wirken begann, dass man alle Energie aufzubieten hatte, um nicht träge zu werden. Am 27. März hatten wir in 8° 51‘ Südbreite und 69° 57‘ Ostlänge um 9 Uhr abends 29° ©. Am nächsten Morgen lasen wir um 8 Uhr 305° C. am Schleuderthermometer und in der darauf- folgenden Nacht um 11 Uhr sogar 31° C! Das Ausbleiben der abendlichen Kühlung unserer Sommertage wirkte geradezu de- primierend. Die Temperaturkurve war fast ganz eben. Die Sonne ging kurz vor 6 Uhr auf und nach 6 Uhr abends unter und zwar so rasch, dass eine eigentliche Dämmerung fehlte. Bei einer Beobachtung zählte ich zwischen der Berührung des Ho- er Az Pt 8 = a re Y Ara ’ var - 0 ar Ar 4% ’ . Australische Reisebriefe. 307 _ rizontes durch den unteren Rand der Sonnenscheibe und dem vollständigen Verschwinden der letzteren bloss 2 Minuten und 35 Sekunden. Darnach blieb aber die Temperatur fast auf der gleichen Höhe und nahm erst gegen 4 Uhr früh um wenige Grade ab, so dass man zurzeit des Sonnenaufganges auf 26°5 bis 27° C. kam. Kaum war die Sonne aus dem Meere aufge- stiegen, so setzte die Hitze mit aller Macht wieder ein. Unter solchen Bedingungen war es kein Wunder, dass die Passa- giere den grössten Teil des Tages erschlafft in den Stühlen herumlagen. Jede Bewegung vermehrte die 'Transpiration. Selbst beim Schreiben klebten die Arme an der Tischplatte. Nur der Schiffsdienst ging seinen gewöhnlichen Gang. Von ‘den Heizern wurde wohl oft einer ohnmächtig heraufgehracht. Aber man tröstete sich damit, dass diese Leute eine hohe Be- zahlung und eine kurze Arbeitsschicht hatten und dachte lieber nicht an die Kessel und ihre Schrecken. Die Matrosen und Deck- arbeiter verrichteten gleichmässig und mit «dem Stundenschlag ihre Arbeit, kamen und gingen, ohne wesentlich zu Klagen oder zu fluchen. Sie erschienen als ernste Menschen, die unter dem Drucke einer strengen Disziplin zur automatenhaften Tätigkeit verhalten wurden. Weniger lobenswert waren die Stewards und die Deckjungen. Den letzteren war das Blankhalten der in der - Feuchtigkeit stets oxydierenden Metallbestandteile zur Pflicht gemacht; sie pflegten diese Objekte mit Ol und Schmirgel ge- hörig einzustreichen und das Weitere den Kleidern der Passa- giere zu überlassen. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch eine leichte Ge- sundheitsstörung anıühren, die vereinzelt zur Beobachtung kam, nämlich das Aufschiessen eines heftig juckenden mit Knötchen- bildung verlaufenden akuten Ekzems, das dem Zusammenwirken der Hitze und der Feuchtigkeit zugeschrieben wird. Von beiden Übeln war die Feuchtigkeit, die bis ins Innere der Wäschekoffer drang, das grössere. Sie hatte nur-den Vorzug, dass sie uns den Sternenhimmel mit einer bisher nie gesehenen Klarheit vor Au- gen führte. Selbst mit unseren Feldstechern konnten wir manche Teile der Milchstrasse auflösen, so dass sie nicht mehr als -diffus schimmerndes Band, sondern als die Vereinigung einer ungeheuren Menge kleinster Lichtpunkte erschienen. Auch die mit freiem Auge sichtbaren Sterne schienen viel grösser und uns näher zu sein und funkelten in auffallender Helligkeit. Die silberne Mondsichel und das fahle im Osten stehende Zodiakallichtt vermehrte noch die Pracht des nächtlichen Himmels. Eine etwas allgemeinere Abwechslung wurde unsam Abende des 27. März zuteil. Wir begegneten zwei Frachtdampfern, die dem 23 308 Prof. H. Dexler: % norddeutschen Lloyd anzugehören schienen, soweit man aus den Umrissen schloss, die durch die Finsternis wahrnehmbar waren. Man brannte zwei starke bengalische Lichter ab, die man über Bord hielt. Es kam aber kein Gegensignal. Ohne den Gruss zu erwidern, zogen die Fahrzeuge verüber. Ihre Hecklichter blieben noch lange sichtbar, ehe sie im Nebel des Horizontes verschwanden. Gegen 10 Uhr stieg hinter uns eins neues Licht empor, das Mastsignal eines uns nacheilenden Dampfers. Die „Weimar“, die kurz zuvor zwei Boote unbekannter Herkunft überholt hatte, wurde zum zweiten Male gejagt. Das Auf- kommen eines im gleichen Kurse segelnden Schiffes ist keine Kurzweil, nach dem Seemannsspruche „Sternjagd, lange Jagd“. Ich hätte wohl gerne den Vorgang sehen wollen; allein der Abstand beider Boote schien so wenig abzunehmen, dass ich um 1 Uhr morgens meinen Posten verliess, d. h. ich schlief auf meinem Sessel ein: Ich hatte mich aber über die Schnelligkeit des Fremden sehr getäuscht. Es war die „Yara“, ein mit 18 Meilen gehendes, modernes französisches Passagierboot, das uns bald so geschlagen hatte, dass man es beim Sonnenaufgange eben noch am Horizonte im Süden ausnehmen konnte. Bald da- rauf umzog sich der Himmel mit düsteren Wolken, welche die Sonne nur schwach durchdrang. Der Wind hatte an Stärke be- trächtlich zugenommen und erzeugte eine etwas bewegtere See, die in dem Ausbleiben von etwa der Hälfte der Passagiere von der Tafel einen numerischen Ausdruck fand. Ich hatte mich an die Schwankungen des Schiffes bereits so gewöhnt, dass sie mich in keiner Weise störten. Doch liess die lange Reise auch in uns den Wunsch immer lebhafter werden, endlich wieder einmal Land sehen zu können. Am 29. März frühmorgens kam die Küste von Ceylon nach einem sechstägigen Aufenthalt auf hoher See in Sicht, ohne dass uns zuvor jene Mövenschwärme begrüsst hätten, die wir als Vor- boten des Landes zu sehen gewohnt waren. Ein dichter Wald- streifen bedeckte das sich unserem Auge darbietende Ufer und alsbald konnten wir den schönen Hafen von Colombo wahr- nehmen, mit den weissen Häuseranlagen im Hintergrunde. Um 9 Uhr wurde die Hafeneinfahrt mit klingendem Spiele vollzogen und zuerst der grosse Kreuzer „Russia“ begrüsst, der ganz aussen Jag. Die traurigen und schwermütigen Akkorde der rus- sischen Volkshymne schallten mächtig über den Hafen und wur- den von der Mannschaft des Panzerschiftes entblössten Hauptes angehört. Mit einem kurzen Niederholen der Flagge beantwor- tete man diesen Akt internationaler Höflichkeit. Hinter dem Russen lag die „Yara“, die bereits den blauen Peter, die Ab- fahrtsflagge, aufgezogen hatte. Unter den lustigen Klängen eines H Re Br = 7: 2 E: ci u Br me ER 2 an ar Australische ‚Reisebriefe. 309 französischen Marsches zog die „Weimar“ an ihr vorüber und wurde von dem Hafenpiloten an ihren Verankerungsplatz ge- schleppt und vertäut. Die Erlaubnis zum Verlassen des Schiffes konnte aber nicht sogleich erhalten werden, weil sich die Erledigung der Sa- nitätsformalitäten ziemlich in die Länge zog. Die mit grosser Ungeduld ertragene Verzögerung bot uns wenigstens Gelegenheit, das Hafenleben zu besehen. In drei Reihen lagen die grossen Ozeandampfer aller Nationalitäten an ihren Bojen, umgeben von grossen plumpen Kähnen, den Leichterschiffen, in welchen die Handelsgüter von und zum Lande gebracht wurden. Dazwischen schossen kleine Dampfbarkassen und weisse elegante Ruderboote dabin, während am Ufer überall grosse Dampfkrähne über die nie- deren Kaimauern aufragten, hinter denen sich grosse Speicher aneinander reihten. Da die grossen Schiffe wegen der Boden- formation des Hafens nicht unmittelbar am Ufer anlegen können, wird der Personenverkehr durch kleine Ausliegerboote besorgt, die von den Eingeborenen, den Singhalesen, geführt werden. Diese Fahrzeuge haben beim ersten Anblicke wenig Vertrauen- erweckendes. Es sind ganz hohe und so schmale Kästen, dass man eben zur Not beide Beine zwischen ihre Wände einzwän- gen kann. Das Umkippen wird durch einen Balken verhindert, der einige Ellen vom Boote abseits im Wasser liegt und mit letz- terem durch zwei starke gebogene Stangen verbunden ist. Vorne und hinten befindet sich je ein Ruderer, von dem man nicht weiss, wie er Platz findet, und über der Mitte ist noch ein Stückchen Leinwand ausgespannt, das für den Passagier als Sonnendach zu dienen hat. Für die Eingeborenen genügt übri- gens noch weniger, um an die Schiffe heranzukommen: eine ganze Schar von Jungen trieb sich im Hafen auf Holzpfosten he- rum, auf denen knieend sie mit einer Stange oder auch mit den Händen ruderten. Die Inhaber dieser primitivsten Kähne um- ringten unser eben angekommenes Schiff mit dem begehrlichen Geschrei nach einem dive. Wie in Aden, so klang auch hier uns diese Weise bis zum Überdruss in die Ohren. Die Sicher- heit. mit der sich diese Kinder im Wasser tummeln, war tat- sächlich erstaunlich. Sie tauchten und fischten nicht nur vor- züglich nach Münzen, sondern schwammen auch mit einer solchen Schnelligkeit, wie ich das nur bei hochklassigen europäischen Schwimmern zu sehen gewohnt war. Einer von ihnen unter- schwamm unseren Dampfer für eine kleine Münze, was bei den 32 Fuss Tiefgang unseres Schiffes, der Trübheit des schmutzi- gen Hafenwassers u. s. w. gewiss eine nicht zu verachtende Lei- stung war. : 23% 310 Prof. H. Dexler: Als der Hafenarzt uns verliess und uns damit die lang 6 sehute Bewegungsfreiheit einräumte, wurde unser Deck von den ebenso ungeduldig zurückgehaltenen Händlern, Tauchern, Hotel- dienern usw. geradezu gestürmt. Die grösste Nachfrage herrschte nach chinesischen Schnei- dern. um aufs eiligste Tropenanzüge herbeizuschaffen, mit denen sich viele in ungenügender Weise ausgestattet hatten. Demnächst konzentrierte sich das Interesse auf die Edelsteinhändler und Goldschmiede, von denen mir während der Reise sehr vieles er- zählt worden ist. Die Leute brachten Rubinen und Saphire, so- wohl geschliffen wie roh in grossen Quantitäten und boten sie zu billig zum Kaufe an, als dass sie nicht den stärksten Verdacht erregt hätten. Einige machten sich sogar erbötig, die Steine auf Probe abzugeben und erklärten sich mit irgend einer Summe zufrieden, die man ihnen später von London oder sonst woher schicken würde. Andere wieder zeigten aus dem Flussande aus- geschwemmte mattrauhe, rote und grüne Körner vor, die sie als den allerbesten Gelegenheitskauf ausriefen. Trotz aller dieser zur Vorsicht mahnenden Praktiken fanden sich für diese Steine ebenso viele Käufer wie für den mitgebrachten wertlosesten Schund von sogenanntem chinesischen Porzellan. In Colombo selbst fand ich nachher die Preise für Edelsteine gerade so hoch wie etwa in Wien oder Berlin. Eine gewisse Verlässlichkeit boten uns die Bananenverkäufer und die Santelholz- Hausierer, die wenigstens eine auch von dem Laien zu beurteilende Ware ausboten, die im schlimmsten Falle überzablt wurde. Dessen- ungeachtet waren das fremde Land, die neuen Menschen, die in Europa so sehr bewunderten indischen Produkte und die eben geendete Langweile der Seereise zu viele Beweg- gründe, um nicht mit der Naivität von Kindern nach allen den bunten Sachen zu langen, die ausgestellt wurden; und jeder be- eilte sich, in Seide, Gold, Ebenholz, Spitzen, Fächern und Schild- patt, Rubinen und Saphiren, Schnitzereien und Muscheln, mög- lichst viel auszuwählen zum Andenken an Colombo oder als Ge- schenke für die Seinen, ohne sich zu lange mit der Frage nach dem wirklichen Werte der Kaufobjekte aufzuhalten. Als gefähr- liche Ratgeber erwiesen sich dabei jene Freunde, die sich als Sachverständige aufspielten und deren Urteil man einwandslos folgte. „Ein Rubin“ meinte einer von ihnen „nimmt niemals den Hauch des Atems an. sondern nur Glas“. Kurz darauf sah man die Guten mit roten Steinen zwischen den schwitzenden Finger- spitzen, bei 35° Temperatur mit aller Kraft auf die begehrten Kleinode blasen, die sich natürlich nicht mit Wasserdampf be- schlugen und nun willig bezahlt wurden. Die Probe wirkte so beruhigend, dass man später auch ohne sie kaufte und die Steine nahm, ungeblasen wie sie waren. Australische Reisebriefe. 311 Zwischenhinein begannen die Ladekrähne zu rasseln, die Bootsleute zu schreien, die Lastträger zu rufen und zu stossen, während sich die Passagiere nach der Falltreppe drängten. Das ganze Schiff schien mit einem Schlage einem hastenden, lärmen- den bunten Volkshaufen ausgeliefert zu sein, indem das dunkel- häutige Element die Oberhand hatte. Unter den Singhalesen sah man grosse hübsche Gestalten, die mit ihren straff gekämmten, zu einem Knoten aufgebundenen Haaren, den schwarzen Augen und der tiefbraunen Gesichtsfarbe einen sehr günstigen Eindruck machten. Sehr gefiel auch ihre ruhige Zurückhaltung, durch. die sie sich vor den aufdringlichen Persern auf das vorteilhafteste unterschieden. Weniger tat sich die stammesangehörige Jugend hervor. Als das Interesse an den Taucherkünsten erloschen war, kamen die Knaben an Bord und versuchten ihren Vorteil auf andere Weise. Die meisten bettelten, andere produzierten sich. Sie tanzten gegen Entgelt oder sangen je nach Wunsch die eng- lische Nationalhymne, God save the Queen oder Daisy Bell und begleiteten ihre hastig herabgeleierten Lieder mit lautem Klat- schen. Das taktmässige Anschlagen der gebeugten Oberarme an die Brust und das damit verbundene Hin- und Herspringen von einem Bein aufs andere, sowie das breite Grinsen diente zur all- gemeinen Heiterkeit, bot aber wenig. musikalischen Genuss. Ein beliebtes Konkurrenzmanöver bei der Bewerbung um den abfal- lenden Obolus gab die Religionsangehörigkeit. „See, me chri- stian, him no christian“ war eine viel gehörte Anrede, mit der ‘ das messingene Halskreuz gezeigt wurde, Nur war die Versi- cherung mit zu wenig frommer Demut und zu viel Geschäfts- geist verbunden, um stets gebührend belohnt zu werden, Als einer dieser schwarzen Racker eine Zigarre zu stibitzen versuchte, rückte der Quartermaster mit einem spanischen Rohre an, wor- auf die ganze Bande über Bord sprang. Gleich darauf tönte wieder ihr vielstimmiger Ruf aus der Tiefe herauf: Have a dive, dive, dive...! Kurz darauf liess ich mich überführen und betrat die Stadt, deren Schönheit alles übertraf, was mir bisher von ihr erzählt worden war. Gleich beim Betreten jenes Weges, der vom Pier zur Stadt führt, wurde das Auge durch das Strassenleben und sein leuch- tendes Farbenspiel angezogen. Zwischen den modernen europäi- schen Kaufhäusern und grossen eleganten Hotels mit weissen oder getönten Fassaden zog sich die breite, von schönen Alleebäumen ' flankierte Strasse dahin, deren wohlgepflegter ziegelroter Boden an dem matten Grün der Bäume wirkungsvoll abstach. Halb- nackte oder nur mit dem Sarong versehene Eingeborene, weiss- gekleidete Europäer, dicke Chinesen und Perser, Matrosen aus 312 i Prof, H. Dexler: aller Herren Ländern, indische Soldaten in Khaki und Turban, ‘ kleine zweiräderige Ochsenkarren, Rickshaws und europäische Ka- rossen, bettelnde Kinder, ernste Brahmanen, deren kahle Schädel unheimlich in der Sonne glänzten und bärtige Bombayleute be- wegten sich hier in dichtem Gedränge und vervollständigten das bunte Getriebe. das sich den Blicken des Fremden mit der Plötz- lichkeit eines Projektionsbildes darbot. Ich war sogleich von einer Menge von Führern und Rick- shawmen umschlossen, für deren Dienst ıch aber dankte, da ich mich ungestört und ungeleitet den neuen Eindrücken hingeben wollte, die in Menge vorhanden waren. Mein Vorsatz blieb un- ausführbar; denn ın Colombo geht ein Europäer in der Mittags- hitze fast niemals zu Fusse herum und jedenfalls nie ohne Son- nenhelm. Eben als ich eines der aufgenötigten Vehikel bestei- gen wollte, sah ich den Firmenschild des Kaufhauses John Hagenbeck. Ich trat ein und liess mich dem Chef, dem Bruder unseres berühmten Hamburger Tierhändlers, vorstellen; er empfing mich auf das freundlichste und verschaffte mir einen Wagen, der mich zu den verschiedensten Sehenswürdigkeiten der Stadt bringen sollte, in der mir alles so sehenswürdig schien. Nachdem ich den im Zentrum des Europäerviertels stehenden Leuchtturm, das Museum und die Batterien besucht und mich etwas über die Lage der verschiedenen Viertel orientiert hatte, entliess ich das Gefährt, um mich mit Musse der Betrachtung der Tropenpracht hinzugeben, die mir aus allen Ecken ent- gegenquoll. War schon das Handelsviertel interessant, trotzdem es nur aus Geschäftshäusern, Bazaren, Hotels und Wechselstuben be- stand, so bot das Eingeborenenviertel oder Pettah ein noch viel höheres Interesse, obwohl es durchaus nicht schön genannt werden konnte. Die lange Reihe von Kaufläden enthielten keine Produkte des Landes,. sondern meist nur billigen europäischen Kram vom plumpen Peitschenstiel bis zur Nähmaschine. Hin und wieder kam man an einem Buddhatempel von ärmlichem Aus- sehen, an besser gehaltenen Chinesenhäusern oder an Mietwagen- ständen mit schmucken Ochsengespannen vorüber. Vorwiegend waren hier die arbeitenden Klassen, die lasttragenden Kulis, die Strassenverkäufer, Rickshawmen, Handwerker, Läufer u. s. w. in dem ungemein regen Strassenleben vertreten und alle Schattie- rungen der sozialen Klassen der Eingeborenen: von dem gut ge- kleideten, hochmütig dreinblickenden Boy eines Weissen bis zu den halbnackten Bettelweibern und ihren Kindern, die nach den Fruchtabfällen in der Gosse suchten oder den Fremden mit dem leisen Rufe nachliefen: „No father, no mother, . !* Der Kontrast zwischen dem wohlhabenden Singhalesen oder gar Australische Reisebrief: . 313 dem, schon durch das Klima zu einem gewissen Luxus gezwun- genen Europäer und der betrübenden Armut einzelner Unglück- licher trat hier umso greller hervor, als er einen Boden zum Schauplatz hat, der in überreichem Masse all das zu geben schien, was zum Lebensunterhalte dieser einfachen Menschen gehört. Ein Blick auf den Gemüse- und Obstmarkt gibt uns einen trefilichen Beweis von der Fruchtbarkeit der Vegetation. Die tropischen Früchte, welche wir als teure Leckerbissen zu kennen gewohnt sind, werden hier in einer Güte und Schönheit ausge- boten, die alle Erwartungen übertrifft. Grosse Bündel goldgel- ber Bananen, Brotfrüchte und Kokosnüsse, Haufen von Ananas, die ätherisch öligen und wohlschmeckenden Mangos, die Durian, von der Wallace behauptet hat, sie allein würde schon eine Fahrt nach Ostindien lohnend machen, die köstliche Frucht der Quassia papaua, die Pawpaw, Melonen, Orangen, Granatäpfel und noch viele andere Herrlichkeiten luden den Besucher zum Ge- nusse ein und waren um wenig Geld erhältlich. Ich kaufte zwei grosse Binsensäcke voll und liess sie nach dem Schiffe bringen. ‘Nicht minder reichhaltig erwies sich der Fischmarkt, auf dem ganze Berge von Fischen aufgebracht waren. Mein anfängliches Wohlgefallen, das ich dem vorhandenen Artenreichtum entgegen- brachte, wurde freilich bald von dem argen Gestanke vertrieben, der in der grossen offenen Markthalle herrschte. Die hohe Tem- peratur der Luft, der Mangel an Kühlräumen und die Vorliebe der Chinesen für faule Fische geben diesem Orte ein Gepräge, das unseren Anschauungen von dem Kulinarischen nicht ent- spricht. Vom Pettah führte mich der Weg nach dem Viktoriapark, den Zimmtgärten, dem botanischen Garten und dem Villenviertel hinaus und gab mir Gelegenheit, jenes grossartige Geschenk der Natur zu bewundern, dem Colombo seine viel beschriebene und wahrhaft unvergleichliche Schönheit verdankt — den tropischen Wald. Nur unter diesem Namen vermag man die ausgedehnten Anlagen richtig zu belegen, für deren kraftstrotzende Fülle des Pflanzenwuchses uns jeder Vergleich mangelt und unter welcher man lustwandelt haben muss, um die dithyrambische Begeiste- rung zu erfassen, die uns so oft berichtet worden ist. „Den Garten von Eden“ nennen die Engländer Ceylon, und nach dem Anblicke, dersich dem entzückten Auge des Besuchers hier ent- rollt, zu urteilen, mit vollem Rechte. Schon die Zimmtgärten — alte aufgelassene Zimmtplantagen, die der Verwilderung anheimgegeben wurden — sind prachtvoll zu nennen. Riesige Feigenbäume, von Blüten überladene Hibis- cusstauden, baumartige Malvenarten mit grossen gelben Blumen- 314 ’ Prof. H. Dexler: kelchen, vom Winde zerrissene Pisang, hochragende Palmen, Paw- paws und Damarfichten, Zimmt- und Brotfruchtbäume in hainar- tigem Durcheinander über einem mannshohen Rasen und Strauch- dickicht, von saftigstem Grün und von Blüten bedeckt. Alles schwin- | delnde Blumenpracht und soweit das Auge sieht, sanft undulie- rende Wellenlinien von Büschen, Sträuchern und Baumkronen mit lebhaft glänzenden Blättern oder starren Wedeln. Darüber wölbt sich der tiefblaue Himmel. Die Sonne spen- det ihr übermächtiges Licht. Alles strahlt. Vom heissen, hoch- rot erschimmernden Boden der Wege steigt flimmernd die Luft auf. Jeder Halm und jedes Blatt birgt in seinem Schatten eine zirpende Cikade, einen Käfer oder eine bunte Eidechse, die blitz- schnell ins raschelnde Gras enteilt. Geckonen rufen aus dem Geäst, helle Falter eilen über die vor Hitze brütenden Gefilde, in denen alles summt und schwirrt und ungeheurer Lebenskraft voll ist. Sogar sich bewegende Pflanzen findet man in Hecken und Gestrüpp als Unkraut —; eine zarte Mimose, die in unserem srauen Norden mühsam gezüchtet, ein langsames Senken der Blätter zeigt, wuchert hier in dicken, von violetten Blüten be- säten Polstern an allen Strassen und Wegen; berührt sie der Fuss des Wanderers, so fällt ihr Blätterschmuck mit einem Schlage zusammen, so dass man nichts zu sehen vermeint als eine von Ungeziefer kahl gefressene Staude. In den gepflesten Villeneärten und Parks stechen die rie- sigen Palmen hervor, unter denen namentlich eine Kokosart, die Kings Cocoanut, eine wahre 7Zierde zu nennen ist; ihre grossen Fruchtbüschel prangen in hellem Gelb und lugen wie Riesen- blumen aus der prachtvollen Blattkrone heraus. Daneben duldet man noch eine ganze Reihe anderer Palmen und Blätterpflanzen, die wir zuweilen als die riesigen Artverwandten kleiner schwäch- licher Treibhausgewächse unserer Breiten wiedererkennen. Ich sage ausdrücklich, man duldet diese Gewächse — denn der Aus- druck Gartenpflege ändert hier seinen Sinn; er bezeichnet nicht das sorgsame Schützen, Wärmen und Aufziehen der Pflanzen son- dern das fortwährende Aushauen und Niederhalten der tausend- fältig hervorsprossenden Flora, um gewünschte Arten überhaupt zur besseren Entwickelung kommen zu lassen. Was soll auch eine andersartige Pflege auf einem Boden wollen, der so mit Fruchtbarkeit und ihren Grundelementen Licht, Wärme und Feuchtigkeit gesegnet ist, dass überall ein Pflanzenwuchs hervor- gebracht wird, den sich kein europäischer Nabob in seinen Glas- palästen gönnen könnte. Ceylon ist nicht wie das indische Fest- land oder andere Tropenländer von alljährlichen regenlosen Pe- rioden heimgesucht, in denen alles verdorrt und verödet. In- folge seiner Lage hat es auch ausserhalb der regulären tropi- DE u "m au za 5 m L ü “ j 2 = , e A . Fr Du BE re BR a ee ee fi Een x 7 Bu) gg ne ar Kin N u u Nr an - Australische Reisebriefe. 315 ‚ schen Regenzeit noch reichliche Niederschläge, so dass die Vege- tation sich mit einer Vielseitigkeit und Schönheit entfalten kann, wie nur an wenigen Punkten der Erde. Von noch höherem land- schaftlichen Reiz ist das hochgelegene und daher kühle Kandy. Leider unterblieb der dorthin projektierte Ausflug wegen ungün- stiger Bahnverbindung. | Ich bin viele Stunden in diesen schönen Gärten herumge- wandert, ehe ich an den Heimweg dachte. Es war Abend ge- worden und ich begann mich nach einem Imbiss zu sehnen, auf den ich, in die Anschauung der herrlichen Natur vertieft, ganz vergessen hatte. Auch fühlte ich eine ziemliche Abspannung und ein eigentümliches Stechen in den Schläfen, die mich gezwungen hatten, meinen langen Spaziergang zu beendigen. Eingedenk meiner jüngsten Erfahrung aus dem roten Meere und der War- nungen Herrn Hagenbecks über die Häufigkeit des Son- nenstiches bestiez ich ein Rickshaw und liess mich ins Chattam Hotel bringen. Mitten aus der Tropenpracht wurde ich in euro- ' päischen Komfort versetzt. Grosse, kühle, mit Marmor ausge- legte Vorräume, elektrisches Licht und elektrisch betriebene Luft- schrauben, Eislimonade, eine sorgfältige Bedienung. peinlichste Sauberkeit, Zeitungen, Telefon kurz alles, was einem ein engli- sches Hotel ersten Ranges zu bieten pflegt. Dass wir nicht in England, sondern in der Nähe des Äquators waren, verrieten bloss die lautlos herumeilenden eingeborenen Aufwärter und die Art der Speisen, von denen ich die berühmte Reistafel damals zum ersten Male sah. Weichgedämpfter Reis wird mit einer Menge von Saucen und Fleischzutaten serviert, denen der Neu- ling am besten eine grosse Vorsicht entgegenzubringen hat. Einesteils sind die verabreichten Brühen so mit Cayenne- pfeffer überladen, dass man beim Genusse auch nur ganz kleiner Mengen ein Brennen im Munde verspürt, das jede weitere Ge- chmacksperzeption aufhebt; und andererseits enthalten die Würzen allerleı Krebschen, Fischchen u. s. w., deren körperliche Verfassung nicht darnach angetan ist, gleich‘ vom ersten Mo- mente an vertrauenerweckend zu sein. So schien mir die Lieb- haberei für die Bombayducks nicht begründet. . Es sind das ge- salzene und gedörrte Fische, die zu kleinen Stücken und Krü- meln zerbrochen der Reistafel etwas zu ihrem Hautgout beitra- sen sollen, in Wirklichkeit aber einen aashaften Geruch ver- breiten. Leider war es mir versagt, indem erfrischend kühlen Vor- saal unseres Hotels mich einer wohltuenden Ruhe hinzugeben und mich in Reflexionen zu ergehen über all das Gesehene und den genussreichen Tag, der mir wie im Traum durchlebt schien. Ich kaufte noch einige Kleinigkeiten, schrieb die unerlässlichen 316 Prof. H. Dexler: Australische Reisebriefe: Ansichtskarten und eilte durch einen eben einsetzenden Gewit- terregen getrieben zum Hafen, wo ich mich dem nächstbesten Ausliegerboote anvertraute. Meine beiden Ruderer sangen im Takte eine eintönige Weise; die Wellen, vom beginnenden Orkan erregt, schlugen klatschend an die Bootswand und der Donner grollte in den tiefhängenden Wolken. Dazu prasselte der warme tropische Regen in heftigen Schwaden und in solcher Menge herab, dass ich mich nicht weiter zu schützen versuchte. Bald schimmerte uns die „Weimar“ wie ein leuchtender Palast ent- gegen und ich erreichte wohlbehalten, aber total durchnässt, das Fallrep, das ich eilends emporstieg, während meine Ruderer ab- stiessen und sogleich in der Regenmauer verschwanden. An Bord traf ich alles in lebhaftem Durcheinander. Der Dampfer sollte auslaufen. Die letzten Frachtgüter mussten noch weggeschafft werden, die Besucher aus der Stadt verabschiedet und das Schiff klar gemacht werden. Die Händler versuchten noch einmal einen allgemeinen und nicht erfolglosen Ansturm auf die Beutel der Passagiere. Dieser beklagte einige Dinge ver- gessen, der andere einige zu viel gekauft zu haben oder teilte jedem aufs genaueste mit, mit welch ungeheurem Vorteil er hier Edelsteine erworben hatte. Andere bestritten jeden Wert und behaupteten, sie verstünden es besser, man lachte, schrie, gesti- kulierte, die Speiseglocke tönte, die Bootsmannpfeife schallte an der Aussenwinde herüber und die Kapelle spielte zum Abschiede einen Marsch. Im Nu waren die geschmeidigen Händler ver- schwunden. „Let go“ brüllte der zweite Offizier über Heck in die schwarze Nacht hinaus und die Stahltrosse fielen von der Boje. Der Buganker kam herauf, die Schraube begann sich zu- erst langsam, dann bald in der wohlbekannten dumpfen Schlag- folge zu drehen und das Schiff bewegte sich aus dem Hafen. Der Regen hatte aufgehört das phosphoreszierende Wasser zu peit- schen. und kristallklar blinkten die Signallichter herüber durch die feuchte Luft, roten und grünen Sternen vergleichbar, als die letzten Grüsse eines herrlichen Landes. Im Geiste bei seiner zauberhaften Lebenskraft, seinem Sonnenbrand und seinen Farben- symphonien verweilend, habe ich noch lange nach dem Lichter- slanze der langsam versinkenden Gestade des Gartens von Eden hinübergestarrt. 6 „ € br: Ey 2 5 a RER ze Be ie ne ne a ne > er rs 317 Die europäischen Formen der Gattung Orthotrichum. Ein Bestimmungsschlüssel von W. Krieger (Chemnitz.)*) Was von jeher die Gattung Orthotrichum zu einem Schmer- zenskinde gemacht hat, ist wohl der Umstand gewesen, dass man die einzelnen Arten zumeist nur mit grosser Mühe hat aus- einanderhalten können, erstens weil eine Reihe von Unterschei- dungsmerkmalen wegen ihrer Variabilität für einen grossen Kreis von Arten unbrauchbar war und zweitens weil das Erkennen wirklich brauchbarer Merkmale zumeist einen grossen Aufwand von Mühe verursachte. Man denke nur an die Untersuchung der Spaltöffnungen. Dazu kam aber noch der Umstand, dass die Schlüssel dieser Gattung meist so unpraktisch, wie nur mög- lich, angelegt waren; denn die schwierigen Unterscheidungs- merkmale wie z. B. die Spaltöffnungen waren in den Anfang des Schlüssels gesetzt. Denn kommt ein schwieriges Unter- scheidungsmerkmal an den Schluss, so kann man unter Umstän- den eine ganze Reihe von Arten vorher bestimmen, also ohne eine lästige Untersuchung der betreffenden Unterscheidungsmerk- male nötig zu haben. Der Deutlichkeit halber sei ein Beispiel gebracht: Nicht so: 1. Spaltöffnungen phaneropor . Spaltöffnungen kryptopor. . . 2 2. Blätter ohne Haar . 4 Blätter mit Haar. . O. diaphanum Sondern: 1. Blätter mit Haar. . O. diaphanum Blätter ohne Haar. . .2 2. Spaltöffnungen kryptopor . Spaltöffnungen phaneropor Ks Im ersten Falle liesse sich Orthotrichum diaphanum nicht ohne Untersuchung der Spaltöffnungen bestimmen, wohl aber im zweiten Falle. Diesen Nachteil weist auch der von Limpricht im 2. Bande seiner „Laubmoose Deutschlands, Österreichs und der Schweiz“ Seite 36—38 gegebene Schlüssel auf, der überdies noch einige Unrichtigkeiten enthält, wie ich sogleich an einigen Beispielen zeigen will. Orthotrichum rivulare steht unter der Abteilung «&: Cilien zu 16, so lang als die Zähne, während es zu ß gehört: Cilien zu 16, abwechselnd lang und kurz, wie auch Limpricht richtig Seite 55 zeichnet und Seite 56 sagt. Orth. Braunii steht unter *) Dieser Bestimmungsschlüssel wurde für das Exsiccatenwerk „Bauer, Museci europaei exsiccati* entworfen. 318 W. Krieger der Abteilung: Scheidchen und Haube behaart; es hat aber nackte Hauben und nur mit Paraphysen besetzte Scheidchen. Was nun meinen Schlüssel anbelangt, so habe ich mir hier- bei namentlich die Aufgabe gestellt, ohne allzugrosse Mühe eine richtige Bestimmung der europäischen Arten und Varietäten zu ermöglichen. Was etwaige Neubenennungen von Örthotrichum- formen anbelangt, so verweise ich hinsichtlich deren Beschreibung auf Limpricht ]. c. Bd. II. 1 2 [e$) Kapsel@mat. Peristom nn. N 02 Kapsel ohne Peristom . ..... 0. gymnostomum Bruch. Cilien frei oder auch fehlend . . .3 Cilien (8) an der Bunee dauernd kuppelartig vereinist.:.. ... 0. eallistomum Fisch. Blätter mit Haar. . . 4 (0. diaphanum) Gmel.) Schrad. Blätter ohne Haar Haarspitze kurz .ı..\. 0. diaph. v. aquatica Don Haarspitze:lang: 2 \....205 14 Blatthaar gezähnt, Haube behaart. . 6 Blatthaar glatt, Haube nackt . . . . O. diaph. v. ulmicola (Lag.) Hüb. Haube. ‚bräunlich' .x.......% 5.22.0120. diaph!Ltypiea Haube weisslich . . ... . ........O.diaph. v.leucomitrium (Brid.) Hüb. \ Kapsel ungestreift und glatt, eingesenkt (excl. O. elegans und laevigatum) 8 Kapsel gestreift und meist auch gefurcht . aD, Kassel >einvesenkt nn) Dre en 2 Kapsel emporgehoben 9 Cilien (8) vorhanden, Haube wenig. behaart, Blattpapillen niedrig O. elegans Schwer. Cilien rudimentär oder fehlend, Haube dicht behaart, Blatt- papilien lang O. un Zett. Peristom einfach . . . \ 2,229. Shaw als: Peristom :UOpBEImK. u. ea Sl Rn AED Felsmoose, 8 Cilien . . . NR Rindenmoose, 16 Cilien, Deckel n. rotrandig 13 Peristomzähne gelblich, trocken aufrecht . O. Killiasii C. M. Peristomzähne gelbrötlich, trocken zurückgerollt O. Kill. v. erythrostomum (Grönv.) Krieger. Äusseres Peristom (rudimentär), hinfällig, Peristonisähne weise- lich O. acuminatum Philib. Ausseres Peristom bleibend, Peristomzähne später rötlichgelo 14 (0. leiocarpum Br. eur.) Pflanze 1—3 cm hoch, Haube gelblich, spärlich kurz behaart O. leioc. f. typica. | | ö i a u KT nn u ne a En ade ER UENSFSIER AT 2 3 4 n 6: E $ in 5 ar 15 16 Er 18 19 20 21 22 23 24 25 26 ‚27 Die europäischen Formen der Gattung Orthotrichum. 319 Pflanze 4—5 cm hoch, Haube goldbräunlich, dicht lang be- - haart O. leioc. v. Rotae De Not. Peristomzähne ganz oder wenigstens in der oberen Hälfte gestreift oder mit wurmförmigen Linien. . . EN: Peristomzähne weder gestreift noch mit wurmförmigen Linien. nur mit Papillen (selten bei O. paradoxum in der äussersten Spitze undeutlich wurmförmig gestreift), Peristom stets dop- Belt... . 40 Felsmoose, Peristom nicht gefenstert. (nur bei. "0: Arnellüi 'sel- ten im obersten Stockwerke) AN Sl RER Rindenmoose, Peristom im oberen Teile gefenstert a I’; Kapsel eingesenkt, Cilien 8, Deckel rot gesäumt, Spaltöffnungen, kryptopor 18 (0. fastigiatum Bruch). Kapsel eingesenkt, Cilien 16 (doch oft undeutlich), Deckel gleichfärbig, Spaltöffnungen phaneropor O. vexabile (Limpr.) Krieger. Cilien ohne Anhängseln. . . ...19 Cilien mit Anhängseln . ©. fastig. v. appendicu- latum (Schimp.) Limpr. Phauzen sbis..1: cm ‚hoch; 2... 8.+...520 Pflanzen 2", Mn & Cm .HOFR;. 2 +20.0.. Tastie, N ronnstum Limpr. Haube behaart, Cilien mit wurmf. Linien ©. fastig. f. typica. Haube nackt oder fast nackt, Cilien punktiert O. fastig v. neglectum (Schimp.) Kapsel emporgehoben (mehr als die Hälfte) . .. ... ..22 Kapsel eingesenkt oder höchstens bis zur Hälfte emporge- hoben . . . BERN Ba BB N RED RER JRR HI A Blätter zugespitzt, "Kapsel länglich bis zylindrisch, nicht birnenförmig . . N Blätter stumpf, Kapsel durch den langen, schnell‘ verschmä- lerten Hals birnenförmig O. nudum Dicks. Peristom einfach (mit Vorperistom), 16 Einzelzähne, entdeckelte Kapsel über der Mitte verengt O. anomalum Hedw. Peristom doppelt, 8 Paarzähne. 8 Cilien, entdeckelte Kapsel fast zylindrisch, nicht verengt O. saxatile Schimp. Haube völlig nackt. . . 20 Haube schwach oder dicht behaart 26 Beta=0:3 mim lan... 048. 21.. 0: Arnellii,Gröny. Seta 1—1'25 mm lang . . 0. Arn. v. scopulorum (Lindb.) Peristom einfach (bei O. Baldaccii Vorperistom vorhanden) 27 Peristom doppelt. . . Bey. Scheidchen kurz, Hals fast halbkugelig, Seta bis en so lang als die Ochrea 28 (OÖ. cupulatum Hoffm.) 390 SOOW. Krieger: AR Ro i ve: re Biere et, Scheidchen länglich, Hals verschmälert, Seta wenig länger als. 'die Ochteaf Hin 220,0 a 28 Kapsel 8 streifig, Zähna ohne Papillen O. cupul. v. octostri- atum Limpr. Kapsel 16 streifig, Zähne mit Papillen 29 29 Blätter kielig (bis 3 mm lang), Perichätialblätter wenig länger OÖ. cupul. typica. Blätter kaum kielig (bis 2'4 mm lang), Perichätialblätter fast doppelt so lang O. cupul. v. longifolium (Grönv.) Limpr. 30 Scheidchen behaart, Vorhof eng, Kapselhals sehr verschmälert 31 (0. Sardagnanum Vent.) Scheidchen nackt, Vorhof weit, Kapselhals wenig verschmälert @& 0. Baldaccii Bott. et Vent. 31 Rippe kurz vor der Spitze endend O. Sardagnanum typ. Rippe weit vor der Spitze endend OÖ. Sardag. v. brevinerve (Lindb.) Krieg. 32 Cilien 8, meist 8 Paarzähne. . ... .33 Cilien 16, meist 16 Einzelzähne . . . 35 33 Cilien von '/, Zahnlänge, Sporen über 20 u O. microblepharum Schimp. Cilien fast so lang als die Zähne, Sporen 10—14 u 34 34 Kapsel mit 8 Streifen, Scheidchen mit gezähnten Haaren, Seta allmählich in den Hals übergehend O. alpestre Hornsch. Kapsel mit 16 (verschieden langen) Streifen, Scheidchen mit glatten Paraphysen, Seta plötzlich in den Hals übergehend O. laetevirens (Limpr.) Krieg. 35 Scheidchen nackt, Blätter kurz zugespitzt O. perforatum Limpr. Scheidchen behaart, Blätter lang zugezpitzt 36 36 Cilien mit Teilungslinie, als 2 Fäden erscheinend, Vorpe- ristom deutlich entwickelt, Deckelschnabel kaum so lang als die Hälfte des Radius, Kapsel fast kurz zylindrisch 37 (O. urnigerum Myr.) Cilien als ein Faden erscheinend, Vorperistom vom Urnen- rande verdeckt, Schnabel so lang wie der Radius, Kapsel fast kugelig 39. (0. Schubartianum Lor.) 37.:Gilien gleich 10828. 7.238 Cilien abwechselnd kurz und lang (auch fehlend) ©. urnig. v. laxum Vent. 38 Kapsel halb eingesenkt, Haube strohfarben ©. urnig f. typ. Kapsel völlig eingesenkt, Haube weisslich O. urnig. v. con- fertum Schimp. \ 39 Seta kürzer oder wenig länger als das Scheidchen, Kapsel | gegen den Hals abgesetzt O. Schubartian f. typ. ; Seta fast doppelt so lang als das Scheidchen, Kapsel in den EN EEE EDETTE DE NETNTE , 40 4 — 42 46 47 48 49 50 5l 52 53 Are % WATER ru ‘Die europäischen Formen der Gattung Orthotrichum. 3931 Hals allmählich verschmälert O. Schubart. v. Venturii (De Not.) Limpr. Beristomm6.8,.Gihen tr „2 er Peristom. mit tb Gilien .......%..%2,..°2.59 Peristomzähne gefenstertt . . . . ...42 Peristomzähne nicht gefenstert.. . . . 45 Felsmoos, Blätter stumpflich, oft fast abgerundet, Kapsel dick ellypsoidisch, Cilien von \, Zahnlänge 43 (O0. Bilyttü Schimp.) Rindenmoos (sehr selten an Steinen), Blätter scharf zugespitzt, Kapsel länglich zylindrisch, Cilien fast von Zahnlänge O. affıne Schrad. Blätter papillös. . . . PR | Blätter glatt O. Blyttii v. _Sommerfeltii (Schimp.) Hag. Kapsel fast ohne Streifen O. Bl. v. arctica (Schimp.)” Hag. Kapsel deutlich gestreift ©. Bl. f. typ. 5 Felsmoose, Cilien bisweilen fehlend, wenn vorhanden kürzer als die Zähne 46 Rinden- oder Holzmoose, Cilien stetsvorhanden 51 Blätter einschichtig, Hals '/, der Urne oder länger, verengt, Pflanze 3—4 cm hoch, Peristomzähne oben leiterförmig 47 (0. rupestre Schl.) Blätter (oft nur Spitze) zweischichtig, Hals kurz, Pflanze bis 3 cm hoch, Peristomzähne nicht so ©. Sturmii Hornsch. Kapsel mit 8 längeren und 5 kürzeren Streifen ©. rupestre v.ätnense (De Not.) Vent. Kapsel mit gleichlangen Streifen 48 Pflanze 2—4 cm hoch. . . .49 Pflanze über 5 cm hoch O. rup. v. Sehlmeyeri Bruch) Hüb. Haube dicht behaart, Kapsel eingesenkt 50 Haube schwach behaart, Kapsel hervorragend O. rup. v. ru- picola (Funk) Hüb. Schnabeldeckel so lang als der Radius, Hals '/, der Urne, Seta viel länger als die Ochrea, Ring zweireihig O. rup. f. typ. Schnabeldeckel viel länger als der Radius, Hals fast von Urnenlänge, Seta so lang als die Ochrea, Ring dreireihig ©. rup. v. Frauzonianum (De Not.) Vent. Cilien von ganz oder fast gleicher Länge wie die Zähne 52 Cilien kürzer als die Zähne (',—?/,) 55 Blätter stumpf oder abgerundet (bei O. Sprucei zuweilen mit aufgesetzten Spitzchen) 53 Blätter lang zugespitzt O. speciosum Nees ab E. Blattspitze ganzrandig, an Wurzeln und Stämmen im Wasser OÖ. Sprucei Mont. 322 W. Krieger: 54 ot oa 57 59 60 61 62 63 ri « z a; ae a } N ET a E a r < en A 7 ı g TEL Blattspitze durch Papillen gezähnt, Rindenmoos, nicht im Wasser lebend 54 Einhäusig, Spaltöffnungen kryptopor, Kapsel ',—?, empor- gehoben, Haube bleich goldgelb, Deckel orangerot gesäumt OÖ. tenellum Bruch. Zweihäusig, Spaltöffnungen phaneropor, Kapsel völlig einge- senkt, Haube fuchsrot, Deckel gleichfarbig O. obtusifolium Schrad. Haube völlig nackt 56 Haube mehr oder minder behaart O. patens Bruch. ; Cilien gelbraun, warzig, Kapsel zur Hälfte oder mehr empor- gehoben, Haube schmal, Blätter spitz O. pumilum Sw. Cilien gelb, glatt oder längsstreifig, Kapsel ganz oder fast ganz eingesenkt, Haube glockig, Blätter meist stumpf 57 Hals kurz, abgerundet, Deckel mit andersgefärbtem Rande, _ Peristom satt- oder bräunlichgelb, S Paarzähne 58 Hals lang, verschmälert, Deckel gleichfarbig, Peristom röt- lichgelb, zuletzt 16 Einzelzähne OÖ Rogeri Brid. Blattzellen bis weit unter die Blattmitte rundlich, Haube glänzend strohf:rben, Deckel breit kegelig, orange berandet, Vorhof eng, Peristomzähne sattgelb), m. Hüllblätter stumpf bis abgerundet OÖ. Braunii Br. eur. Blattzellen in und unter der Blattmitte quadratisch, nur ganz oben rundlich — 6 seitig, Haube, weisslichgelb, Deckel flach konvex, schmal- gelbrandig, Vorhof sehr weıt, Peristomzähne bräunlichgelb, nur die inneren m. Hüllblätter stumpflich, die äusseren mit scharfer Spitze O. Schimperi Hammer. Cilien alle gleich lang 60 Cilien abwechselnd kurz und lang 65 Kapsel emporgehoben 61 Kapsel ganz oder halb eingesenkt 62 Peristom weisslich, 8 an der Spitze unregelmässig durch- brochene Paarzähne, Blätter kurz zugespitzt, Haube schmal kugelig ©. Winteri Schimp. Peristom orange, nach der Entdeckelung 16 nicht unregel- mässig durchbrochene Einzelzähne, Blätter lang zugespitzt, Haube glockig OÖ. pulchellum Brunt. Haube und Scheidchen mehr oder minder behaart, zweihäusig, Pflanze 3—4 (7) cm hoch, Spaltöffnungen phaneropor 0. Lyellii Hook. et Tagl. Haube und Scheidchen nackt, einhäusig, Pflanze bis 1 cm hoch, Spaltöffn. krypotopor. 63 Rindenmoos, Haube lang, noch einen Teil des Haises um- hüllend, Vorhof sehr eng, Kapselstreifen schmal, Deckel mit Warze, Sporen rostfarben O. leucomitrium Br. eur. Zn a tn u a Denn A e Bar ‘ N v = er 64 66 67 68 69 70 EN Die europäischen Formen der Gattung Orthotrichum. 323 Steinmoos, Haube nur die halbe Kapsel einhüllend, Vorhof weit, Kapselstreifen breit, Deckel mit Schnabel, Sporen bräun- lichgrün 64 (OÖ. paradoxum Gröny.) Haube gelb, Kapsel derbhäutig, Seta 07 mm lang, Urne 12 cm lang O. paradoxum f. typ. Haube weisslich, Kapsel dünnhäutig, Seta 04 mm lang, Urne 1’4—2 cm lang O. parad. v. leucomitrioides Limpr. Haube und Scheidehen behaart, Blätter lang zugespitzt, Kap- sel emporgehoben 66 (O. stramineum Hornsch.) Haube und Scheidchen nackt (bisweilen mit Paraphysen), Blätter. abgerundet oder kurz und stumpflich zugespitzt, Kap- sel meist eingesenkt 67 Zähne gefenstert, Sporen schokoladefarben O. stramin. f. typ. Zähne nicht gefenstert, Sporen rostgelb O. stramin v. de- flexum Vent. Rindenmoos, zuletzt 16 Einzelzähne 68 Auf Steinen (selten auf Bäumen) in Bächen, Flüssen, 8 Paar- zähne O. rivulare Turn. Bis '/, cm hoch, Peristomzähne gefenstert, Blattrand flach, Blätter zungenförmig, abgerundet, Hals etwas aufgeblasen OÖ. microcarpum De Not. 1 cm hoch, Peristomz. nicht gefenstert, Blattrand umgerollt, Blätter kurz und stumpflich zugespitzt, Hals nicht aufge- blasen 69 (O. pallens Bruch) Zwischenwimpern nicht rudimentär O. pall. f. typ. Zwischenwimpern rudimentär 70 Deckelschnabel länger als dessen Radius, Blätter fast kraus O. pall. v. crispatulum Vent. Deckelschnabel so lang oder kürzer als der Radius, Blätter nicht kraus O. pall. v. parvum Vent. Sitzungsberichte. Biologische Sektion. VD). Sitzungam 13. Oktober 1908. Psychiatrische Klinik, 8'/), Uhr. 1. Priv.-Doz. Dr. Margulies: Demonstration eines Tumors der hinteren Schädelgrube. Diskussion: Prof. Dr. Kohn, Dr. Margulies. 2. Priv.-Doz. Dr. Fischer: Die moderne Technik grosser Gehirnschnitte. Beitrag zur Lehre vom Markreichtum der nor- malen Hirnrinde. Se A A NE I al \ ' a a a 394 | E07 Sitzungsberichte.. f 7 VII. Sitzung am 20. Oktober 1908. 5 Augenklinik 8'/, Uhr. 1. Priv.-Doz. Dr. Sträussler: Vorkommen von Gummen bei progressiven Paralysen. Diskussion: Dr. Weil, Dr. Sträussler. 2. Dr. Ulbrieh: Demonstration optischer Apparate. Der .Vortragende zeigte einige neuere ophthalmologische Instrumente, deren Anwendung er vorführte und erklärte. a) ein blau-rotes Glas, mit dessen Hilfe geringere Grade von Myopie und Hypermetropie erkannt werden können. (Das Prinzip, welches der Vorrichtung zugrunde liegt, ist die verschie- dene Brechbarkeit der blauen und roten Lichtstrahlen.) 5) Die in Deutschland für die Untersuchung des Farben- unterscheidungsvermögens der Eisenbahnangestellten offiziell ein- geführten Nagelschen Farbenkarten und den Farbengleichungs- apparat desselben Autors. c) Die Durchleuchtungslampe von Sachs zur Diagnose von endobulbären Tumoren und Fremdkörpern, sowie zur Feststel- lung atrophischer Veränderungen am Pigmentepithel der Iris. d) Das in der Augenklinik neu aufgestellte Sideroskop. IX. Sitzung am 27. Oktober 1908. Pathol.-anatomisches Institut, 8'/, Uhr. Dr. Ludwig Freund: Die Anpassung der Säugetiere ans Wasserleben. Es gibt eine Reihe von Säugetiergattungen und -arten, die das Landleben in mehr oder weniger ausgedehnter Weise mit dem im Wasser vertauscht haben. Je nach dem Ausmasse und der Zeitdauer der Milieuänderung ändert sich in zweckmässiger Weise die Organisation dieser Säugetiere, welche Änderungen- Adaptionen- wegen ihrer Gleichartigkeit (Konvergenz) bei den verschiedenen Gattungen als solche erkannt werden müssen, um nicht zu falschen Schlüssen in stammesgeschichtlicher Beziehung zu gelangen. Von aquatilen Adaptionen werden erörtert: 1. Anderungen der Körperform: Spindelförmige, langge- streckte Gestalt, Zunahme der Körpergrösse, Grössenzunahme des Kopfes insbesondere. Verkürzung der Hals-, Zunahme der Schwanzwirbelsäule, tonnenförmiger Thorax. 2. Änderungen der Lokomotionsorgane: Umbildung der Vorderextremitäten zu Flossen, Umbildung der Unterarmes, Ver- einfachung des Carpus, progressive Hyperdaktylie, progressive Hyperphalangie, Flossenverbreiterung, Ossifikationsverlangsamung ; Umbildung der Hinterextremitäten zu Flossen, Verschwinden der Sitzungsberichte. 325 letzteren bis auf Reste bei Ausbildung .einer horizontalen Schwanz- flosse (Femur- und Beckenreste bei Waltieren und Sirenen). 3. Anderungen des Integumentes: Allmählicher Schwund der Haare, Talgdrüsen und Hautmuskeln, Entwicklung einer Speckschicht, Hautknochenreste; Umbildung der niemals voll- kommen verschwindenden Haare zu Sinushaaren. 4. Änderungen des Respirationstraktes: Verkürzung des Brustbeines und Schwund der Rippeninsertionen an demselben, Schrägstellung und Verlängerung des Zwerchfelles, Verschmelzung der Lungenlappen, Verlängerung der Lungensäcke, Ausstattung der Luftröhre bis in die feinsten Bronchien mit geschlossenen Knorpelringen, kolossale Anreicherung des Lungengewebes mit elastischen Fasern und glatten Muskeln; Verlagerung der Nasen- öffnungen, Schwund der Nasalia, frontoorale Drehung des Eth- moids. Nasenverschluss. 5. Anderung des Verdauungstraktes: Verlängerung und Vereinfachung der Kiefer, Vermehrung und Gleichartigwerden der Zähne einerseits, Zahnverminderung und Zahnschwund anderer- seits, als Ersatz Verhornung des Mundepithels (Reibplatten, Barten); Teilung des Magens nach Labdrüsen- und Schleim- ' drüsenregion. 6. Änderungen im Zirkulationssystem: Auftreten von um- fangreichen arteriellen Wundernetzen in gewissen Körpergegen- den, Aufrichtung und Verkürzung der Herzlängsachse, Zunahme des Herzumfanges. 7. Änderungen im Genitale: Testikondie; Grössenzunahme und Entwicklungshöhe der Föten. 8. Anderungen der Sinnesorgane: Auge; Auftreten einer Verdickung des Kornealrandes oder Verkleinerung der Kornea, Erweiterung der Lymphspalten in der Kornea, Verkleinerung und stärkere Krümmung der Linse, Fehlen der Zapfen, Ver- minderung der ÖOptikusfasern auf die Flächeneinheit, Auftreten eines Recessus sclerae, Schwinden der Tränendrüse, Ersatz durch ein modifiziertes Augendrüsensekret. Ohr: Verschwinden des äusseren Ohres, Verkümmerung des äusseren Gehörganges, Verdickung und teilweise Ankylosierung der Gehörknöchelchen, teilweise Verlagerung der Schalleitung, Isolierung des Periotikums. Nase: Verkümmerung des Olfaktorius, Verkümmerung bis Schwund der Nasenmuscheln, Schwund des Maxilloturbinale. An der Diskussion beteiligten sich: Dr. Kahn, Dr. Löwen- stein, Dr. Weleminsky, Dr. Thorsch und Dr. Freund. AT age a ee a Inhaltsverzeichnis, Seite Adler, O., Dr., Die Bergkrankheit .. . are Ce) OR er Basch, K., Dr., Zur Physiologie der Thymusdrüse EL EE 154 Bauer, E. Musei europaei exsiccati EN ER ‚Beck von "Managetta und Lerchenau, G. Ritter, Prof. Dr., “Die Vege- tation der letzten Interglacialperiode i in den Alpen (Tafel, I) 60, 67, 111 — Über die Vegetationsverhältnisse des Isonzotales . . ./» 105 Biologische Sektion . . . re er OL; 100, 171, 202, 323 Bodenbewegung, Mitteilung “über . . Se Bondy, F., Dr., Neuere Ergebnisse der Physiologie und "Pathologie des Vestibularapparates desOhres‘ 2.7, 90%, 2a) arena SEE Erin sche Buktion. 2... Sn a ee Breherbesprechungen: : vw. zul us Nee N ee se EEE Chemische Sektion ur N I RT a Dexler, H., Prof., Australische Reisebriefe. TI. "Queensland . Pe er wg HR En IH. Von Genua nach Colombo EN a 2 A ea Elschnig, A., Prof. Dr., Über stereoskopische Projektion Sen 203 Fischer, O., Priv. Doz. Dr., Die histopathologische Grundlage der Presbyophrenie ‘22 103 — Beitrag zur Histopathologie der atrophischen "Prozesse der Gross- hirprinde .. 202 — Die psychischen Störungeu im ı Kindesalter, deren Beurteilung und Behandlung . . . RE RE ER Se — Die moderne Technik grosser Gehirnschnitte Wir RER Freund, L., Dr. Über Skelettmissbildungen bei Fischen . . 1528 - — Eine eraphische Methode zur stereometrischen Darstellung des äusseren Gehörganges . . BEN 2 — Die Anpassung der Säugetiere a ans Wasserleben -.. .......3 reographische "SEktIOn Hr a ET ET CE OT Gross, E., Dr., Referat. . . N a ee N 2 Ve Hönigschmid, 0., Dr., Demonstration ... RN 2! Jensen, C., Die Subsecundum- -Gruppe der europäischen Torfmoose . . 234 Jesser, Frz., R.-Abg. Dr., Die Wechselbeziehungen zwischen Erde und Mensch . Ä 2 2. 08, 3108, az Kahn, R. H., Priv. Doz. Dr, Beiträge zur "Physiologie ‘des Gesichts- sinnes. 1. Farbige Schatten auf der Netzhaut . . 1 ° II. Eine Methode der objektiven Mischung von Spektralfarben zu Demonstrationszwecken . . De ee u EEE III. Binoculare Vereinigung pendelnder Kugeln a a — Die arbenph ass nach“Lumierer,) „42.0 Se a ee — Demonstration . . . RER WR LBS — Das Saitengalvanometer . De a 5 a RER ee en eg . . ! | i { ö £ Kafka, V., Dr.. Die Zellgiftigkeit des Liquor cerebrospinalis, speziell Seite in Paralysefällen Ya) — Über die praktische Bedeutung der Wassermannschen Reaktion speziell im Liquor cerebrospinalis ; . -206 Kalmus, E., Dr., Das Mikrospektroskop und der Leitzsche - Opakillu minator in "seiner forensischen Anwendung . ee aa Kindermann, V., Prof., Über myrmekochore Pflanzen . 104 — Zwillingsfrüchte BEE REINE a EST ALLE at 5 FG Kirpal, A., Prof. Dr., Uber einige neue Betaine in der Pyridinreihe . 207 Kraus, C., Dr.. Demonstration eines Falles von Hypospadie ra Krieger, W., Die europäischen Formen der Gattung Orthotrichum 317 Langhans, V. H...Dr., Referat. ©... ES EEE) N VA — Das Plankton des Traunsees in Oberösterreich. nr, SAD EEE Lecher, E., Prof. Dr., Über Elektronen 100 Lenz, O., "Hofrat Prof. Dr., Amundsen’s Reise durch die Nordwest- passage N ah ee Ede 64 — Vorgeschichtliche "Kulturen in Südafrika \ 107 Lieben, S., D., Über die glatte Muskulatur der Tunica dartos” 27 — Über entoptische Phänomene . 171 Liebus, Adalbert, Dr, Der moderne Naturgeschichtsunterricht an unseren Mittelschulen x . gar: — Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. " Ergänzung von 1. 189, V. Scharka . . . 259 Löwy, M., Dr., Das Krankheitsbild der überwertigen des und die chronische Paranoia . 172 Margulies, A., Priv.-Doz. Dr. , Demonstrationen eines Tumors der hin- teren Schädelerube . DE 323 Milrath, Hugo, Eduard Buchner (Nobelpreisträger von 1907, I) RE — Über die Einwirkung von Phenylhydrazin auf wässrige Harn-. stoffllösungen bei Gegenwart von Essigsäure . - 208 Monatsversammlung vom 18. November 1907 . ....,.. 19 22. Jänner 1908 . 60 '18. Februar 1908 100 24. März 1908 ; 137 Molisch, H., Prof. Dr., Ultraorganismen und Brownsche Molekular- bewegung . 5 157 Moll, L., Dr., Zur Frage der Eiweissimmunität und Tropholyse beim jungen Organismus : RE 177 Müller, Bruno, Der neueste Erdrutsch im " Aussiger Stadtgebiete 293 Münzer, Prof. Dr., Demonstration seines Apparates zur "Messung des Blutdruckes 2 RR EN Nestler, A., Prof. Dr., Über „hautreizende“ Pflanzen . . 106, 184 Nevecerel, H,, Über das Erdbeben von Kalabrien im Jahre 1907 109 Nobelpreisträger vom, 1907,58: 10° 17716, 1112 2253.; 58 Otto, Georg, Demonstration einer neuen Dunkelfeldbeleuchtung von Zeiss für die Untersuchung von ungefärbten Bakterien im le- benden Zustande (Paraboloidkondensor) . . . 33 Raudnitz, R. W., Prof. Dr., Über Parakaseinbildung TR Fre RE Richter, 0., Priv. Doz. Dr.. Über Tursorsteigerung in der Atmos- phäre von Narkotika FRA RER EENSOR ERDE DE RA LU T Rösch, Josef, Mammut- und Rhinozerossreste aus der diluvialen Egerterrasse bei Kaaden, Taf. IV. .. 190 Sitzungsberichte . . . . IR 19, "so, 100, 137, 171, 202, 323 Starkenstein, E., MUG,, Über Inositurie BBSTER, \ 204 Storch, L., Prof. Dr., Über die Kobaltammoniakverbindungen j i 208 Sträussler, O., Priv. "Doz. Dr., Übersichtsreferat über die Anatomie, Physiologie und Pathologie des Kleinhirus . ....... 63, 102 Sträussler O., Priv. Doz., Dr., Über PERDIEN des Kleintirns bei der juvenilen Paralyse ... — Vorkommen von Gummen bei progressiven Paralysen . - Ulbrich, H., Priv. Doz. Dr., Die Methode der Photographie des Augenhintergrundes nach Dimmer — Demonstration optischer Apparate . . NLA NE Usher, M., Über die Einwirkung des Lichtes auf Chlorsilber . Waener, Phil. Cand., Über die Auflösungsgeschwindigkeit anor- "ganischer Salze im Zusammenhänge mit ihrer Wertigkeit Weil, E.,;Dr., Belerat ; .. ... a: — Über die Ausflockung des Lezithins durch normales "Rinderserum Weiss, E., Dr., Albert E. Michelson (Nobelpreisträger von 1907, I) — Über neuere Strahlungen und Radioaktivität . . 1 Et DNSHTEIDE Weleminsky, Fr., Priv. Doz. Dr., Laveran. (Nobelpreisträger von 1907, II). THREE IR NER Ser A er Wiechowski, W., "Priv. Dr., "Nekrolog auf J. v. Mehring — Über das Indischgelb . i ; — Pharmakognosie des Laubblattes von "Mangifera indiea ul Taf. Il Kulhayer, E., Dr., Aus dem westlichen Tibet... ...»....140, Seite 60 178 101 16 150 58 61 61 141 194 Zur Beachtung: Irrtümlicherweise wurden die Tafeln I und II (zum Aufsatze Prof. Dr. G. Ritter Beck von Managetta und Lerchenau: „Die Vegetation der letzten Interglazialperiode“, p. 67) als solche nicht bezeichnet. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“. — die Redaktion verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Wilhelm Wiechowski. Druck von Carl Bellmann in Prag. Für HE Hervorragendes .o ae Kur- u. Tafelwasser. 05 PT auerprun a TEEN Kiösterie bei Karlabad. MARIENDBA Di. 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HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG u Preis der einzelnen Nummer K1'—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8° — Filiale der Optiscdten Werkstätten C. REICHERT, Inhaber : M. Wondrusch, PRAS, II. Gerstengasse 4. Großes Lager von | f Mikroskopen a und Mikrofomen. Am Lager sämtliche Be- darfsartikel für Mikro- skopie, Laboratoriumsge- genstände und Farben von Dr. Grübler. Preislisten gratis und franko. natürlicher alkalischer SAUERBRUNN als Heilquelle schon seit mehr als 100 Jahren mit Erfolg angewendet bei Erkrankungen der kuffwege, Krankheiten der Ver- dauungsorgane, id, Tlieren- und Blasenleiden. Vorzüglidıes Unterstüßungsmittel bei den Kuren von Karlsbad, Marienbad u. s. w. Bestes diätefisches Erfrischungsgefränk. JUN 6- DI Über einen Aufschluss des Prager Bodens. Von K. Zimmert. i BOTANIC Mit 5 Abbildungen im Texte. GARDE Im wesentlichen beschränkt sich diese Untersuchung auf den Raum der ehemaligen St. Wenzelsstrafanstalt (Obere Neu- stadt) im Flächenausmass von etwa 2 ha; es ist der Raum, den heute ungefähr folgende Gassen umgrenzen: Aufschwemmgasse, Riegerplatz, Podskaler-, Trojan-, Wenzelsgasse, Am Zderaz. In diesem Raum, an der Ecke der Dittrich- und Resselgasse, er- hebt sich inmitten von Neubauten als grotesker Gegensatz die ruinenhaft aussehende ehemalige St. Wenzelskirche auf einer Anhöhe (jetzt Terrasse), die erst in den Jahren 1893 und 1894 bei der Demolierung der St. Wenzelsstrafanstalt rings um die Kirche abgegraben wurde, so dass ein 4—5 m hoher Ausbiss von Quarzitbänken an der so entstandenen Terrasse zu Tage trat.) Ziemlich gut jedoch sind die Lagerungsverhältnisse nur in der Ressel- und Dittrichgasse sichtbar. Bei jenen Arbeiten kamen aber neben den Quarziten auch schwarze Schiefer u. zw. hauptsächlich in der Dittrichgasse zum Vorscheine. „Dieselben sind durch Verwerfung längs einer Bruchspalte, die mit den Grenzen dieses Quarzitenzuges zusammenfällt, an sie angelehnt.“ So Po&ta („Der Boden... .* S. 15f.), der es hier leider unter- lässt, erkennen zu lassen, ob er über eigene oder fremde Be- obachtungen berichtet; an anderen Stellen wenigstens berichtet er subjektiv, wenn er selbst beobachtet hat. Allerdings, die petrographische Beschreibung der beiden Schichten durch Potta ist so zutreffend, dass ich hier einfach auf sie verweisen kann, . ebenso die Zuteilung der Quarzite zur untersilurischen Stufe D.d, (Brdaschichten, Drabover Quarzite Krejöis) und der schwarzen Schiefer zu Dd,y (Rokytzaner Schichten, Schiefer von Vosek und Kvan nach Krejöi), wenn er auch keine Petrefakten nachweist. Aus den Quarziten der Dittrichgasse gewann ich ein konkretions- ı) Bei der in Aussicht genommenen Restaurierüng dieser Kirche, deren romanisch-gotischer Charakter ebenso dualistisch ist wie ihre geologische Umgebung, dürfte leider auch der Ausbiss wieder vermauert werden. 1 WEILER IE DT PET DE 7 AB * “ AT 7, 9) K. "Zimmert: artiges Stück von der Grösse eines Kindskopfes; es ist grauer (Quarzit mit Skolithusröhren, die typisch für d, sind; ausser- ordentlich reich aber waren die schwarzen Schiefer an Konkre- ‘tionen, von denen ich eine Auslese Herrn Prof. Dr. A. Liebus”) zeigte, der sich die dankenswerte Mühe nahm, sie aufzuschlagen und zu untersuchen. Er fand zwar keine Fossilien, ist aber der festen Ansicht, dass derartig harte Einlagerungen in keiner an- dern Stufe des für Prag allein in Betracht kommenden Unter- silurs vorkommen als in der Stufe d,y. Die Beschreibung durch Po@ta möchte also auf eigene Be- obachtung schliessen lassen; allein seine Bemerkungen über die Tektonik sind unzutreffend und lassen nur die Vermutung zu, dass Poöta den Bericht anderer wiedergibt. Darauf lässt auch jene Darstellung schliessen, die er 3 Jahre nach jenen Planie- rungsarbeiten in den „Geologick& vylety“ über dieses Vorkomm- nis gibt; wäre übrigens Polta selbst Augenzeuge gewesen, SO müsste man sich billigerweise wundern, dass er keinerlei Petre- fakten aufgesammelt hätte und dass er nicht, wie er dies bei Gelegenheit der i. J. 1892 erfolgten Erweiterung des Kaiser Franz Josefs-Bahnhofes tat (Sitzungsberichte der kgl. böhm. Ges. d. Wiss. 1892), sofort über ein Vorkommnis Mitteilung machte, das er selbst als ungeahnt („Der Boden... .“ S. 15) bezeichnet und das für ihn augenscheinlich das Hauptargument bildete, um einen dritten, den mittleren Quarzitzug auf Prager Boden anzu- nehmen. Wenn nun Po£ta („Geologicke ....“ S. 18) oder vielleicht sein Gewährsmann berichtet, die Quarzitbänke wären lange Zeit gut aufgeschlossen gewesen, so ist es wohl auffällig, in welchem Gegensatze seine Bemerkungen über die Tektonik zu den Tat- sachen stehen, die sich aus dem hier beigeschlossenen Grund- und Aufriss ergeben; letzterer ist das Profil der im Sommer 1908 bis auf 8 m Tiefe geöffneten Dittrich- und Resselgasse. In der Zeichnung sind die beiden Profile in einer Ebene dargestellt und ich habe auch, um Missverständnissen vorzu- beugen, das Profil des zu Tage tretenden Ausbisses nicht an das unter dem Strassenniveau der Dittrichgasse befindliche ange- schlossen, da ich ja tatsächlich diese beiden Profile in einer Horizontaldistanz von 4 m gesehen habe. , Man wird aber leicht erkennen können, dass die Verwerfung im oberen Profil sich im unteren fortsetzt, ebenso die Störung der Quarzite des oberen Profils in der Störung des unteren. Verwerfung und Störung kreuzen eben die Gasse nicht rechtwinklig, sondern unter einem Winkel von 40" (Fig. 1—3). 2) Verfasser einer Serie geologischer Exkursionen in die Umgebung Prags, Lotos, 1907, 1908. Über einen Aufschluss des Prager Bodens. 3 Das Einfallen der schwarzen und der weiter im Süden fol- genden, stellenweise rostbraunen Schiefer (Stufe d,y) ist infolge transversaler Schieferung — wohl eine Wirkung der Verwer- fung — schwer erkennbar gewesen, jedenfalls aber ist es ein nördliches, wahrscheinlich nordwestliches. Po@ta gibt von den- selben Schiefern in der nahen Wenzelsgasse ein Einfallen nach NO an („Der Boden....* S. 8). Die Nordgrenze der Stufe d‚,y? bezeichnet genau der Brunnen der Dittrichgasse, von da ab, angelehnt an die schwarzen Schiefer waren die hellen Quarzite (d,) aufgeschlossen bis zur Kreuzung der Resselgasse und dann diese abwärts bis zum Riegerplatz; auf dieser in der Luftdistanz etwa 50 m langen Strecke fallen die Bänke mit grosser Regel- mässigkeit nicht nach SO, wie Po&ta meinte, sondern unter Winkeln von 40—50° nach NW ein. Das regelmässige Einfallen der Quarzite beginnt schon an der ?/), m breiten Verwerfungszone, wird aber bald auf einer Fig. 1. Terrassen-Profil, Strecke von 7m durch zwei kleine Faltungen unterbrochen; diese Störung äussert sich im Terrassenprofil mehr noch als im unteren als Zerreissung und Einbruch der Bänke; auch an der Nordseite des Terrassenprofils (Resselgasse) treten starke Stö- rungen auf; als „antiklinalen Sattel in der Mitte des Zuges,“ wie Poöta („Der Boden... .“ S. 16) meint, möchte ich jedoch diese Störungen nicht auffassen; s. unten S. 6, 2. 28 ff. Es zeigt sich hier wieder einmal, wie wenig selbst ein Ausbiss von 4 m Höhe auf die wahre tektonische Beschaffenheit des Innern schliessen lässt: oben sind die Quarzite in arger Störung, unten in ziemlich regelmässigem Einfallen zu sehen, Die Störung sowohl wie auch die Verwerfung streicht von SO nach NW. Letztere taucht bereits unten an der Süd- westecke des Terrassenprofils auf und fährt im Strassenprofil 6 m weiter nordwestlich von jener Ecke neben dem in den schwarzen Schiefer eingelassenen Brunnen unter einem Winkel von 80° gegen NO zur Tiefe, um sich aber unten zu verflachen und die Quarzite zu unterteufen. Somit ist es klar, dass die Quarzite 1* 4 K. Zimmert: es sind, die als Hangendflügel in die Tiefe sanken und an die schwarzen Schiefer, den Liegendflügel, gelehnt sind. An der Südseite der Terrasse konnte ich die Verwerfung nirgends wahr- nehmen; sie streicht also noch ein Stück weit nach SO gegen die Jensteingasse zu. Dann aber muss sie sich nach NO wenden; denn in dieser Richtung wurde durch Petrefakte die Stufe d,y festgestellt u, zw. bei der böhmischen Technik (Krej£i, Archiv V, S. 45), beim Neustädter Rathaus und in der Stephans- gasse nahe dem Wenzelsplatz (Katzer, S. 866) und auch Potta (S. 7—9) spricht von schwarzen Schiefern (d,Y) in der Jenstein- gasse, in der Podskaler Gasse, Wenzelsgasse, am Karlsplatz, oberen Wenzelsplatz und am Kaiser Franz Josefs-Bahnhof; doch führt er nur vom letztgenannten Orte Petrefakte an. M Fig. 2. Strassen-Profil. M ‘Mauerwerk. S Schutt. # Falte in der Resselgasse. X Strassenkreuzung. Y Verwerfung. Y—Z Verwerfungszone. Damit ist es auch sehr zweifelhaft geworden, ob die Quar- zite noch bis unter den Karlsplatz streichen (vgl. hingegen Potta „Der Boden... .“ S. 17); auch nach N. wäre ihre Ausdehnung sehr beschränkt, wenn Poötas Gewährsmann richtig gesehen hat; dort, das wäre im nördlichsten Raume der ehemaligen St. Wen- zelsstrafanstalt, westlich von der böhmischen Technik, sollen die Quarzite mit dunkeln Schiefern wechsellagern und in sie allmäh- lich übergehen. Ist das der Fall, so sind es keineswegs die älteren Schiefer (d,7), sondern das Hangende der Stufe d,, also die Stufe d, und d,, da ja die älteren Bänke der Stufe d, in der Dittrichgasse an der Verwerfung beginnen, worauf gegen die Resselgasse und den Riegerplatz immer jüngere folgen. Ohne Kenntnis von diesem Sachverhalt hat also Pocta auf der Karte jene dunkeln Schiefer doch ganz richtig als d, angegeben. Es wäre de Über einen Aufschluss des Prager Bodens. 5 immerhin möglich, dass von den südostwärts fallenden Schiefern d, des Belvederes bis zu den nach NW fallenden Quarziten der Resselgasse eine mächtige Faltenmulde existiert: Der Boden Haulası 1908) S N N S Fig. 3. Plan der Umgebung der Skt. Wenzelskirche. (Masst. 1: 1800, I. Skt. Wenzelskirche. II. Böhm. Technik. II. Dittricehgasse, IV. Resselgasse. V. Jen- steingasse. VI. Wenzelsgasse. VII. Am Zderas. VIII. Podskaler Gasse. IX. Trojangasse. 1. Verwerfung. 2. Vermutete Grenze der Stufen dı) und d.. 3. Ausbiss an der Terrasse. 4. Strassenprofil. 5. Brunnen, Neigungsrichtung des Strassenniveaus. der Altstadt, Josefstadt und teilweise der oberen Neustadt. Doch ist dieser Boden so wenig bekannt, dass eine derartige Ansicht bis auf weiteres Hypothese bleibt. A 6 K. Zimmert: Anfänglich glaubte ich in der Verwerfung der Dittrichgasse eine aus der Gegend des Emausklosters nach NW ziehende Moldaubruchlinie erblicken zu können. Sie ist aber im Grunde genommen nicht sehr bedeutend ; mehr noch aber spricht gegen diese Annahme, dass, wäre sie richtig, ihre geradlinige Fort- setzung die Kreuzung der Dittrich- und Resselgasse schneiden müsste. Dort aber und die Resselgasse abwärts habe ich nir- gsends Schiefer der d,y Stufe wahrnehmen können und auch auf dem Riegerplatz, wo das Profil bereits geschlossen war, fand ich ausschliesslich nur Reste von Quarzitschutt.?) In der Dittrich- gasse hingegen konnte man noch Monate lang nach der Schlies- sung des Profils, genau soweit als die schwarzen Schiefer. strei- chen, auf der geschwärzten Strasse auch kleine Schieferreste sehen. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich die Tatsache, dass die Quarzite keineswegs geradlinig, sondern in einer Zickzack- linie am schwarzen Schiefer absetzen: vom Karlsplatz her läuft die Grenze zwischen der d,» und d, Stufe wahrscheinlich zuerst -nach SW, von der Jensteingasse aus etwa 40 bis 50 m weit nach NW, weicht sodann der Resselgasse aus und zieht ver- mutlich wieder nach SW zur Moldau. Angesichts eines der- artigen Verlaufes der Grenze möchte ich doch der Vermutung Raum geben, dass die Quarzite nicht bloss vertikal in die Tiefe slitten, da die Grenze sonst geradlinig verlaufen müsste, sondern dass sie auf dem durchfeuchteten Grunde der Schiefer d,y wie auf einer schiefen Ebene gegen NW zu gleiten be- gannen und hiebei bald da, bald dort in ihr Liegendes ein- sanken. Diese Vermutung erhält den Grad der Wahrscheinlichkeit, wenn man die Störungen und Stauungen im Ausbiss der Terrässe, besonders an der Nordseite (Resselgasse) betrachtet. Die dort ziemlich deutlich sichtbaren Faltungen, richtiger wohl Schleppun- gen, in der Gesamtlänge von etwa 12 m, haben hier ein Scholle ergriffen, die ausnahmsweise aus nur ',„—2 dm dicken Quarzit- bänkchen und ebenso breiten oder noch breiteren tonigen Zwi- schenlagen besteht. Geschleppt wurde der hangende Flügel, die Schichten des liegenden sind regelmässiger und fallen mit 30° nach NW ein; der fast horizontale Schub erfolgte augenschein- lich aus südöstlicher Richtung. Die Zusammenschiebung der Schollen äusserte aber ihre Wirkung auch nach unten und nach der Seite, d. h. es stehen sowohl die Verwerfung als die Ein- brüche der Quarzite in der Dittrichgasse mit jener Bewegung im Zusammenhang. °®) Es ist mir nicht bekannt, ob und wie hoch der Riegerplatz unter- halb der Mündung der Resselgasse aufgeschüttet ist. u Über einen Aufschluss des Prager Rodens. 7 Die Schiefer und Quarzite der St. Wenzelskirche mit ihrem nordwestlichen, jene beim Emauskloster und allgemeinen Kran- kenhaus mit ihrem südöstlichen Einfallen bilden die beiden Flügel der Antiklinale des mittleren Karlsplatzes und der Wenzelsgasse ; ihre Fortsetzung über die obere Neustadt zum böhmischen Lan- desmuseum scheint mir ausser Zweifel zu stehen; dort wurde durch Podta („Der Boden....“ S. 19) gleichfalls ein Sattel festgestellt. Die Sattelhöhe der Antiklinale des Karlsplatzes aber ‘ Fig. 4, Überschiebung in der Kotlärzka (unterer Teil). Die beiden hellen Wände fallen nach SSW (h,), die dunkeln Bänke links oben nach NW; die dunkle Scholle in der Mitte ist die Fortsetzung der linken hellen, indem diese von der überschiebenden Scholle seschleppt wurde. liegt etwa 10 bis 20. m höher als die beiden Flügel (in der Ressel- und Wyschehradgasse) und scheint, wenigstens in der Wenzelsgasse und vielleicht auch am Karlsplatz, nur von schwar- zen Schiefern der Stufe d,y gebildet zu sein, während sie beim Landesmuseum von den (Quarziten (d,) zusammengesetzt ist. Die verhältnismässig kleinen Verwerfungen und Störungen bei der St. Wenzelskirche scheinen somit nur Begleiterscheinungen der vermutlich mit der Faltenmulde der Altstadt in Zusammen- 8 K. Zimmert: hang stehenden Antiklinale des Karlsplatzes zu sein und gehö- ren, obwohl sie räumlich sehr beschränkt sind, zu jenen Erschei- nungen, die der Deckentheorie zugrunde liegen; vgl. A. Penck, Die Entstehung der Alpen (Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin, 1908, Nr. 1); als gleitende Bewegungen sind sie nicht mit solchen Uberschiebungen zu verwechseln, wie sie erst vor kurzem zum erstenmal im mittleren Böhmen festgestellt wurden (Fritz Seemann, Das mittelböhmische Obersilur- und Devongebiet südwestlich der Beraun, Beiträge zur Paläontologie und Geologie Österreich-Ungarns, XX., 1907, S. 90). Eine tektonisch selbständige Rolle fällt der Quarzitscholle der St. Wenzelskirche nicht zu; aus diesem Grunde ist es kaum zulässig, mit Podta die Existenz eines dritten, des mittleren Quarzitzuges am rechten Ufer der Moldau anzunehmen; das geht übrigens auch daraus hervor, dass ausser dem Quarzitzug des Landesmuseums kein zweiter den Wenzelsplatz durchqueren kann. Dort nämlich, wo nach der Karte Poötas der mittlere Zug diesen Platz kreuzen müsste, an der Mündung der Mariengasse, wurden im Herbste 1908 rostbraune griffelförmig zersplitternde Schiefer gefördert, die wohl der Stufe d,y, ‚allenfalls d, (d,), keinesfalls aber der Stufe d, angehören können. Im weiteren Verlauf der Mariengasse und bei mehreren Brunnenbohrungen in der Hein- richsgasse wurde nur Diluvium zu Tage gebracht, wie dies auch K. Schneider („Zur Geographie ....* S. 160 ff.) festgestellt hat u. zw. als zweites Moldau (Kuchelbader) Stadium; ander- seits, d. i. von der Mariengasse und Stephansgasse an bis zum Landesmuseum, gibt es nur d,p Schiefer (Potta, S. Sf.) u. zw. unter dem Diluvium des ersten Moldau (Sliwenetzer) Stadiums; und wenn schon dort Quarzite (d,) wären, so würden sie O0ro- graphisch wie tektonisch zum nahen Sattel des Landesmuseums gehören. Den nördlichsten Teil des mittleren Quarzitzuges Pottas soll der Rücken des Zizkaberges bilden. Dieser und der paral- lele Zug von Wolschan im SO geben dem Stadtbilde einen Teil seines orographischen Gepräges; allein in tektonischer Beziehung scheint jener keineswegs selbständig zu sein; er bildet doch wohl nur den verworfenen nördlichen Flügel der Wolscha- ner Antiklinale; vgl. Krejtis Profil, Archiv V, S. 47. Diese Antiklinale dürfte in südwestlicher Richtung über die Kgl. Wein- berge, das böhmische Landesmuseum, Korngasse, Karlsplatz gegen die Palackybrücke verlaufen, um jenseits der Moldau nochmals in Smichow nördlich vom Bahnhof aufzutauchen (Skalka, Podie- bradgasse) und dann unter der nach SW einfallenden Stufe d, zu verschwinden, die dann fast ausschliesslich das südliche Gehänge des Motol-Tales zusammensetzt. Es gibt allerdings F e r ‚u. a a a ee en Y A 29 rn ee h EI EH e DIE RC NE rn Hey | hi Über einen Aufschluss des Prager Bodens. 9 ausser dieser tektonischen Linie und jener, welche die Moldau- schleife kreuzt (nördlicher Quarzitzug Poctas) noch eine dritte, in der Quarzite der Stufe d, auftreten; die ist aber auf das Motoltal beschränkt und zieht am nördlichen Gehänge jenes Tals in westsüdwestlicher Richtung von Smichow über Koschir und dann aufs südliche Gehänge gegen Motol hin. | Gut aufgeschlossen sind diese Quarzite an den Ortlichkeiten Hriebenka (Smichow), Demartinka (einige Minuten hinter der letzten Tramwaystation in Koschif) und Kotlaika (hinter der Ziegelei, zwischen Koschir' und Motol). Potta (S. 14) nimmt die Störungen der Antiklinale des Steinbruches Demartinka zum Anlass, um hier eine Teilung in den südlichen und mittleren "Fig. 5. Uberschiebung, bezw. Verkeilung, in der Kotlärzka Die Pfeile geben das Einfallen der Schichten an, die verstärkte Linie die untere Grenze des eindringenden Keils, die beiden Sterne die vom Keile mit- geschleppten Torsionsschollen des Liegenden, die Quarzite des Rückens und die Schiefer (d,) erscheinen in der Einfallsrichtung durch den Keil beeinflusst. Masstab 1:5000. Fünffach überhöhtes Profil. Prager Zug zu vermuten; es liegt jedoch keinerlei Anhaltspunkt für eine solche Annahme vor. Ob in den verlassenen Steinbrüchen beiderseits der von der Smichower Karlsgasse quer durch den Rücken der Hre- benka nordwärts ziehenden Strasse die beiden Flügel einer wei- ‘teren Antiklinale vorliegen, ist schwer nachweisbar. Die im östlichen Bruche sichtbare Fächerstellung der Quarzitbänke ist in Wahrheit keine Falte; hier ist vielmehr eine Quarzitscholle aus der Hülle der dunkeln Schiefer (d,) emporgepresst, ein- zelne Bänke sind hiebei zerrissen und verschoben worden; alle Anzeichen deuten auf einen von N. und zugleich von unten her wirksamen Druck. Etwas anderer Art war die Schollenbewegung in der Kotläfka. Diese Klippe besteht der Hauptsache nach aus Quar- zitbänken, die von oben bis unten mit Winkeln von 60° bis 75° 2 a nee) Nazis TRENNT E um w. 10 K. Zimmert: Über einen Aufschluss‘ ‚des Prager. Bodens. nach S. (h 13) einfallen : man wird also wohl von einer Anti- klinale sprechen können. (In Fig. 5 lies h 10 statt h 11, u 13 statt h 1!) Vgl. die zugehörigen Figuren. In diese Masse nun ist von SW nach NO vom Motol- tal her eine andere Quarzitscholle samt den im Westen aufla- gernden Schiefern (d,) in einer Gesamtmächtigkeit von etwa 30 m unter einem Winkel von 45° und bis zu einer Höhe von 30 m geschoben und verkeilt worden. Eine abermalige Untersuchung, die ich gemeinsam mit Herrn Dr. A. Liebus vornahm — dieser war so freundlich, die Schiebung photographisch aufzunehmen — lieferte einen lückenlosen Beweis; er ergibt sich einerseits aus - dem abweichenden Einfallen der verschobenen Scholle (Quarzite d, und Schiefer d, fallen mit 40°—-50° nach WNW ein), anderseits aus Stauungserscheinungen und Verbiegungen der Quarzite und Auskeilung derselben nach oben hin, endlich aus der Schleppung und Pressung der von dem Keile überschobenen nächsten Bänke jener Antiklinale (Torsionsschollen). Es ist zu vermuten, dass diese Schollenbewegungen, die ein schon vorhandenes gefaltetes Terrain ergriffen, im Zusammen- hang mit einer Linie obersilurischer Diabasergüsse (Motol) ste- hen, desgleichen mit jener Bruchlinie, die am Südfuss des Weissen- und Sandberges hinzieht (Katzer, S. 865 f., 906, 970). Vor allem aber wird es kaum einem Zweifel unterliegen können, dass es in und um Prag ausser der Faltung mindestens in gleichem Masse auch andere Schollenbewegungen u. zw. mannig- facher Art gegeben hat. Methodisch wichtig scheint es mir aber, darauf nochmals hinzuweisen, wie Beobachtungen auf einem so kleinen Areal, wie es die Umgebung der St. Wenzelskirche ist, früher gehegte Anschauungen beträchtlich abändern können. Daraus ergibt sich, dass es einer eifrigen, detaillierten und systematischen Durchforschung des Bodens Prags bedarf, um eine möglichst genaue Bodenkarte der Stadt herstellen zu können. Auf ni herzlichste danke ich den Herren Hofrat Professor Dr. Lenz, . K. Schneider und Dr. A. Liebus, die in zuvor- ae: Weiss diese Studie gefördert haben. Literatur: J. Krejöi u. K. Feistmantel, Orographisch- tektonische Übersicht des silurischen Gebietes im en Böh- men, Archiv der naturwiss. Landesdurchf., V., Nr. 5, 1885; F. Katzer, Geologie von Böhmen, Prag, 1891 (2. A., 1902); Ph. Potta, Geologick€ vylety po okoli PraZskem, Prag 1897; Pota, Der Boden der Stadt Prag, Sep.-A. aus den Sitzungsb. d. kgl. böhm. Gesellschaft d. W. (1904), Prag 1905; K. Schneider, Physiographische Probleme und Studien in Böhmen, Naturwiss. Zeitschr. „Lotos“, Prag, 1907 (S. 82 ft.); K. Schneider, Zur Oro- graphie und Morphologie Böhmens, Prag 1908. Australische Reisebriefe, II. Von Professor H. Dexler. Von Colombo nach Brisbane. Die Überfahrt bis Fremantle, dem ersten Anlaufhafen des australischen Festlandes, dauerte 11 Tage. Sie war wenig an- genehm. Im Anfange hatten wir viel von der Hitze zu leiden und später, nach der Überschreitung des Aquators, quälte uns nicht minder die Langweile und die Sehnsucht in der end- lichen Landung. Gleich amı ersten Tage hatten wir 32°5°C im Schatten mit kaum erträglicher Schwüle zur Nachtzeit, die den meisten Reisegefährten den Schlaf raubte. Dazu war auf der Hochsee eine sehr lange Dünung, die ebenfalls nicht das Wohlbefinden nervöser Naturen förderte, und häufig Regen. Wenn man schlaftrunken auf Deck sass und das Schiff so stark rollen und stampfen fühlte, dazu den Regen mit einer Macht herab- sausen hörte, dass man sich nur schreiend verständigen konnte, so sah man zuweilen unbewusst suchend über den Horizont, ob denn doch nichts anderes zu entdecken sei als nur Himmel und Wasser. Wir durchkreuzten die äquatorialen Kalmen, die wegen ihrer grossen Hitze und Schwüle von den Seeleuten gefürchtet sind. Die herrschenden Winde brachten keine Kühlung, sondern wirkten durch ihre Sättigung mit Wasserdampf auf das unvor- teilhafteste auf uns ein. Der Entgang an Schlaf war am schwer- sten zu ertragen. Hatten wir uns schon im roten Meere der Hitze in den Schlafkammern kaum zu erwehren gewusst, so war hier eine nächtliche Ruhe zwischen dem 31. März und dem 3. April ganz unmöglich. Am 2. April hatten wir um 2 Uhr morgens 30°5° C auf Deck! Unter solchen Umständen litten auch die sehr schlafbedürftigen und wenig empfindlichen Naturen, die sich bisher noch jede Nacht und den halben Tag des tiefsten Schlummers erfreuten; sogar unsere Spanier kamen aus ihren durchwärmten Kabinen heraus und verbrachten die Nächte auf den Bänken des Rauchzimmers; auf Deck zu schlafen galt für ' ungesund. Aber auch dort genoss man nur den kleinen Vorteil, dass man Raum über sich fühlte und nicht die beängstigende Enge der Kojen. Ich hatte damals eine Zeit der grauenhaftesten Träume, die meist das Ersticken in einem Schachte, das Leben- digbegrabenwerden, das Verbrennen im glühenden Sarge, das Eingeschlossensein in einem Dampfkessel, den Beginn einer Nar- kose oder andere erbauliche Situationen zum Gegenstande hatten. Fuhr ich dann im Schrecken empor, so wusste ich kaum, wohin ich meinen schweisstriefenden Körper auf dem heissen Lager 9* 19 “ .Prof. H. Dexler: drehen sollte; ich nahm wieder meine Wanderung über‘ Deck auf, missmutig und ‚müde. Oft fehlte auch diese Freiheit, wenn Regenschauer einfielen und alles überschwemmten. Es waren nur noch einzelne an Bord, die unter den herrschenden Ver- hältnissen noch in andauernden Schlaf verfielen. Einige Italie- ner und Matrosen schliefen bei 32°C und der Schiffsarzt be- hauptete, auch noch 33° C als Nachttemperatur aushalten zu können; mein Temperaturmaximum lag bei der damaligen Luft- feuchtigkeit zwischen 28—30°. Ging die Temperatur in der Ka- jüte über 28 und auf Deck über 30°C, so konnte ich trotz aller Müdigkeit keine Ruhe finden. Tagsüber ging die Temperatur regelmässig bis 325° C (Schleuderthermometer) empor. Man lag regungslos an den Luvscuppern, da man auf der Leeseite zu ersticken vermeinte. Bei Tische fehlten die meisten; nur der Appetit unserer Spanier hielt auch diesem Ungemach gegenüber stand. Am 31. Mai überschritten wir die Linie und tags darauf war Äquatortaufe, die für alle jene ziemlich unterhaltend war, die sie als das aufnahmen, als was sie aufgefasst werden wollte, als ein Matrosenscherz. Viel Geist und Feinheiten zu erwarten, wäre ganz unangebracht gewesen. Die Menschen von der Waterkant — woher sich unsere Mannschaft rekrutierte — haben grobe Fäuste, die unsanft zulangen, und Einfalt im Her- zen. Alle Teilnehmer ergötzten sich, nach dem Geschrei, dem Lachen und dem Eifer zu urteilen, ganz ausserordentlich dabei; ja ihre Heiterkeit wirkte trotz der unausstehlichen Hitze so an- steckend, dass sich sogar einige Auswanderer aus der Steerage dem Akte des Getauftwerdens unterzogen. Freilich kühlten sich die „Zünftigen* ihr Mütchen an den Landratten uud liessen sie eine Unmenge des schmutzigsten Seewassers schlucken. Aber nachdem ein Pfiff des wachhabenden Offiziers wieder etwas Rai- son in die Katzbalgerei gebracht hatte, ging man mit ungemin- derter Lustigkeit an die Fortsetzung des Taufens, das sich bis zur einfallenden Nacht hinzog. Sogar dann gab es noch einige begeisterte Spassmacher, die es sich nicht nehmen liessen, sich kopfüber in den grossen Segeltuchbottich mit seinem dunkel- braunen Inhalıe zu stürzen. Sie kehrten sich nicht im minde- sten daran, dass vor ihnen mehr als 120 Menschen mit ihren Kleidern und was daran war, dort ausgeschwemmt worden waren! Und die Passagiere? Ein Teil freute sich, andere fanden den Anblick shocking, sahen aber doch mit abwechslungsbedürf- tigem Auge dem Treiben zu oder photographierten. Lord S. soll damals 30 Platten verknipst haben; man bekam aber niemals ein Bild zu sehen. al BR‘. a A De nn ‘ EURE EN a A AU Ks En ER, Australische Reisebriefe. 13 Je weiter wir in die Region des Südostpassates eindrangen, um so rauher wurde die See. Die Hitze liess zwar zusehends nach und erreichte nach dem sechsten Reisetage nie mehr als 28° und der Himmel wurde klarer. Allein wir freuten uns der labenden Kühlung nur ganz kurze Zeit; dann kam die See- krankheit. Ganz klar blieb der Himmel nur am 5. April, an welchem Tage wir sehnsüchtig, aber vergeblich nach einem Schiffe oder einem Vogel ausschauten. Gegen Abend verdüsterte sich das Firmament und um Mitternacht war es wieder vollständig um- zogen. Das aufsteigende Gewölk gab vom Monde beschienen effektvolle Anblicke und auch die langvermissten Sterne traten hervor und mit ihnen zum ersten Male das südliche Kreuz in voller Reinheit. Ich war von ihm etwas enttäuscht. Es hat an Deutlichkeit nichts vor den anderen Sternbildern voraus und steht an Schönheit weit hinter dem des Orion zurück. Sieht man seine etwas verschobene Gestalt, so begreift man nicht ganz die sentimentale Verherrlichung, die das Southern Cross in der Poesie gefunden hat. Ich konnte mich nicht lange mit literarischen Gedanken abgeben, da die rasch zusammengetriebene Wolkenmasse den Ausblick verhinderte und der immer stärker aufkommende Wind uns bald zwang, uns mit näherliegenden Dingen zu beschäftigen. Nachdem ich an der schlecht besetzten Dinertafel keinen rechten Gefallen mehr gefunden, suchte ich die Kommandobrücke auf, um von dort aus die Situation zu überblicken und weniger an die schwer unterdrückbaren Übelkeiten zu denken. Auf meinem erhöhten Standpunkte wurde zwar mein letzt- genannter Plan zu Schanden, aber das Schiff bot in der Wetter- nacht doch einen zu schönen Anblick, um sogleich zu weichen. Der gewaltige, 15.000 Tons schwere Koloss hob und senkte sich unter dem Anprall der vom Winde mehr und mehr erregten Wogen in langen unregelmässigen Schwingungen, während seine Mastspitzen grosse vielgestaltige Kurven am dunklen Firmamente beschrieben. Fuhr das Schiff gegen einen grossen Wellenberg, so schlugen die Wasser oft brausend über den Vordersteven hin- weg, dass der weisse Gischt bis zu uns heraufgetragen wurde. Dann wieder sank es mit plumper Wucht in ein Wellental, sich tief in das nasse Element einbohrend und es kraftvoll zerteilend oder die nächste Woge auseinanderwerfend, dass sie wie ein Katarakt schäumend von den Bugen stürzte und den Weg frei gab, den jenes stetig einhielt und unwandelbar verfolgte. Das schien das einzige feste Moment in dem tanzenden Wogenspiel. Der Steuermann stand breitbeinig vor seiner Nadel, die er un- aufhörlich beobachtete. Der Wachoffizier ging schweding auf der 14 Prof. H, Dexler: Brücke hin und her und lugte von Zeit zu Zeit in die schwarze Nacht hinaus. Das Vorderschiff war menschenleer und alle Lichter nach vorne abgeblendet. Die Nachtwache kam und rapportierte kurz. Ein grosser Vogel umflog zweimal unseren Vormast, ehe er im Dunkel verschwand. Die Schiffsglocke wurde geschlagen, der Mann im Krähennest sang sein „Alles wohl“ mit melancho- lisch klingendem Tonfall, der sogleich vom Winde enttragen wurde. Dann war es wieder ruhig auf dem träge sich wälzenden Dampfer, der scheinbar verlassen durch die Wogen pflügte. Der Monsun pfiff sausend durch die Wanten. Leider war ich bald gezwungen, meinen Beobachterposten aufzugeben. Das Schlingern und Stampfen wurde immer inten- siver, die Wogen vergrösserten sich in auffallendem Masse und wurden zu hohen Wasserhügeln, die immer häufiger über Bord schlugen oder von deren Gipfel vom Winde in horizontalen Streifen weggerissen und zu uns emporgespritzt wurden. Meine -Standhaftigkeit kam zusehends ins Wanken; die Seekrankheit fasste mich ernstlich an. Mein Interesse an dem schönen Natur- schauspiel verlosch, und ich tastete mich mühsam nach meiner ' Kabine. Der Umschlag aus dem Stadium des Genusses in das des Leidens war zu schmerzlich; zum ersten Male schien mir die See greulich und hassenswert. Unser früheres Wetterglück kam nicht wieder. Nahm der Seegang auch durchaus keinen Gefahr drohenden Charakter an, so blieb er doch so stark, dass selbst die Schiffer ihn als rauh bezeichneten. Aber auch dann, wenn die Winde etwas abflauten und man sich zu irgend einer Tätigkeit aufzuraffen versuchte, wurde einem das Leben durch die häufige Durchnässung sauer gemacht. Was von der Feuchtigkeit der Luft und dem Wellen- schaum verschont blieb, fiel den häufigen Regenschauern zum Opfer. Die uns umgehende Atmosphäre war stets leicht nebelig, dunstig — hazy, wie die Engländer sagen. Jede Aussicht war dadurch benommen. Selten sah man das Tagesgestirn und immer nur auf kurze Zeit. Am 5. April war die Bewölkung so dicht, dass keine Giessung genommen werden konnte. Unsere Posi- tion wurde damals durch „Ankoppeln“ d. h. durch Aufbau der Zeitgleichung dieses Tages auf diejenige des Vortages eruiert. Der zulässige Fehler wurde also in die zweite Gleichung hinüber- genommen und vergrössert, was einen Ausschlag von 20 Meilen ergab, um die wir in 24 Stunden von unserem Kurse nach Süden abwichen. So verliefen die Tage öde und unerfreulich. Unsere Ge- mütsstimmung war durch Wind, Regen und Seegang so herab- gedrückt, und unsere Spannkraft durch die langdauernden Wit- terungsunbilden so geschwächt, dass wir möglichst spät aus unseren Australische Reisebriefe., z 15 Kabinen hervorkamen und auch tagsüber in Streckfauteuils ru- hend und in wasserdichte Mäntel gehüllt die Zeit verbrachten, vollständig apathisch gegen alles, was das aufgeregte Meer und die dräuenden Wolken noch bringen konnten. Hellte sich die düstere, dämmerhafte Beleuchtung ein biss- chen auf und liess der Wind nach, so griffen wir begierig nach der Hoffnung auf Besserung. Widerstandsfähigere nahmen ihre Mahlzeiten wieder ein, andere taten so, als ob sie Hunger fühl- ten, und behaupteten bleichen Gesichtes, dass sie absolut ge- sund wären. Das bekam ihnen meist übel. Entweder wurden sie verspottet, oder der nächste Seegang warf sie wieder in die Tiefen ihres standhaft verleugneten Elendes zurück, in dessen Banden wir alle mehr oder weniger schmachteten. Aus den da- maligen Tagen der Trübsal ragte nur eine Figur als Lichtgestalt empor — Herr Lindrop, der zweite Offizier. Je mehr sich das Schiff wendete und herumwarf und uns den Magen aus allen Angeln drehte, um so höher schien. sein Wohlbefinden zu sein. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt, dem unsere physiolo- sischen Gesetze nichts anhaben konnten, eilte er auf Deck her- um, mit Genuss an seiner kurzen Pfeife saugend, die Kappe fest herabgezogen und die Hände tief in die Hosentaschen ver- graben. Stets hatte er ein heiteres Wort auf den Lippen, rief diesen oder jenen einen Scherz zu, oder half ihnen aus den Scuppern herauskrabbeln, in die sie samt ihren Stühlen gefallen waren. In seiner schier unbegreiflich guten Laune versuchte er lustige Stücke aus seinem Garn zu spinnen, das eine gewaltige Länge hatte; „That reminds me... .“ begann das nächste, bis er uns treuherzig hinab zum Essen einlud. Leider war mir und vielen meiner Reisegefährten so mise- rabel zumute, dass wir auf seine gut gemeinten Vorschläge nicht eingehen konnten. Andere fassten den Hinweis aufs Essen als eine Beleidigung auf oder erklärten seine Heiterkeit aus dem Mangel jeder tieferen Gefühlsregung. Die See hatte uns eben zu übel mitgespielt. um nicht eine Unmenge von Groll in uns aufzuhäufen, den viele aus unserer Schar in Ermangelung eines geeigneten Gegenstandes an ihren lieben Nächsten ausliessen. Die früheren so vielfach geäusserten freundschaftlichen Bezie- hungen waren in dem Zustande einer eigentümlichen Reizbar- keit untergegangen, dem die Mehrzahl ‚anheimfiel. Unliebsame Ausbrüche dieser Stimmung wurden nur mehr durch den soge- nannten allgemeinen Anstand zurückgehalten; man fühlte sich unter erzogenen Menschen. Trotzdem aber stichelte man sich mit allerlei kleinen Absichtlichkeiten, die häufig mit der Würde Thackeray’scher Gestalten verbunden und nicht minder komisch waren wie diese; man war mit lächelndem Munde aggressiv, zu- 16 Prof. H. Dexler: weilen auch spinnefeind. Es gab nur noch einen Gedanken, der die ganze Gemeinde in gleichem Sinne zusammenhielt: die Ent- rüstung über die „Weimar“ im speziellen, und den norddeutschen Lloyd im allgemeinen. Man verwünschte diese Kompagnie in allen Tonarten. Ich habe seither die Erfahrung gemacht, dass das ein gewöhnliches Ende jeder längeren Seereise ist, und habe die Fassung begreifen gelernt, mit der die Schiffahrtsgesellschaften diesen Regungen ihrer Passagiere gegenüberstehen. Dabei leugne ich nicht, dass die Zahlmeister ihre Memoiren unmöglich anders schreiben könnten, als mit dem Lächeln der Auguren... Jedenfalls schien es hoch an der Zeit, dass unsere kleine Gesellschaft wieder in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt werde und wir unseren Bestimmungsort endlich erreichten. Man hatte alles, was mit der See zusammenhing, und sich gegen- seitig gründlich satt und begrüsste mit ungeteilter Genugtuung am Abende des 8. April die ersten untrüglichen Zeichen von Landnähe: das Abnehmen der Luckensegel, das Aufbinden der Ladebäume und das Instandsetzen der Ladewinden. Am nächsten Morgen bemerkten wir, dass das Meer lichtblau bis grün wurde, srosse dunkle Möven zogen wieder hinter uns her, am Horizonte tauchten einige Segel auf und um 9 Uhr sahen wir endlich Land. Es war Rottnet Island, eine dem Hafen von Fremantle vorge- lagerte Insel, die wir zur rechten umfuhren, um dann in den Hafen dieser Stadt einzutreten. Der erste Eindruck, den ich bei dem Anblick der Land- schaft empfand, war ein ungemein deprimierender. Ich hatte zwar niemals eine solche Pracht wieder zu sehen gehofft, wie diejenige Ceylons, und war auf meiner beschwerlichen Herreise gewiss nicht anspruchsvoll geworden. Vielmehr rief ich mir die zahlreichen Schilderungen Australiens ins Gedächtnis zurück, die durchaus keine Romantik enthalten, sondern uns den Kontinent als urgemein nüchtern, wasserarm hinstellen, mit unscheinbaren Gebirgen, grossen Weideflächen, weiten vegetationslosen und un- bewohnbaren Territorien versehen. Trotz alledem erwiesen sich alle meine Erwartungen viel zu hoch gespannt, als ich jenen Teil der Westküste Australiens, an dem wir landen wollten, ın Wirklichkeit vor mir liegen sah. Weiter flacher Sand, von einem Ende des Horizonts bis zum andern, an den der indische Ozean träge seine Brandung hinaufwirft. Kein Hügel, kein Baum oder irgend ein anderes Objekt, an dem das Auge einen Ruhepunkt finden würde. . Fremantle selbst präsentierte sich als eine jener reizlosen Barackenstädte, die als Vorläufer der Kultur die De- markationslinie gegen die Wildnis hin besetzen. Am Strande grosse Warenschupfen, weite gerade Strassen, breit und schmuck- los mit niederen Holz- oder Wellblechhäusern, Verkaufsläden, ala, » N Australische Reisebriefe. 17 Banken und Bars. Eine intermittierende Ansiedelung, dem momen- tanen praktischen Bedürfnisse entsprungen und nur diesem die- nend, im Anfange schon den Keim des Verlassenwerdens in sich tragend, wenn der Handel andere Verkehrswege vorziehen sollte oder wenn das Gold, das einzige Landesprodukt, einmal ver- siegen sollte. Momentane Konstellationen zwischen Produktion und Verkehr sind, wie seinerzeit im Westen Amerikas, auch hier das erschöpfende Element gewesen. Fremantle liess sich herbei, einen Molo anzulegen, den wir in seiner Anlage bereits sehen konnten. Dadurch werden die einlaufenden Schiffe gegen die gefürchteten Nordstürme geschützt und laufen nicht mehr in Albany an. Der beträchtliche Verlust dieser Stadt an Hafengebühren kommt nun Fremantle zugute und sie ist seither in sichtlichem. Aufblühen begriffen. Wie lange, weiss niemand in diesem Lande zu sagen, wo man allein nur dem Erwerbe lebt. — Von Fremantle fuhr ich nach Perth, der Hauptstadt der Kolonie. Sie liegt wie die erstere ebenfalls am Swanriver und ist, wenn auch absolut genommen unbedeutend, doch weit schöner als der Hafenplatz. Sie steht etwas erhöht auf einem flachen Hügel und enthält die für englische Städte charakteristi- schen Bauten, wie das Rathaus, ein Public Library, Freimaurer- loge, Schatzamt, Post- und Telegraphengebäude usw., sowie einen hübschen botanischen Garten. Die von der Bahn durchfahrene Gegend war unbebaut, grösstenteils grasloser Sand und schütteres Buschwerk. In der Nähe der Stadt belebte sich das Landschaftsbild etwas durch eine sehr spärliche Baumvegetation. In grossen Abständen ragten die Stämme einzeln aus der ausgedorrten Erde oder traten zu losen Gruppen ohne Unterholz zusammen; soweit man aus- blicken konnte, blieb diese Konfiguration gleich ärmlich und ein- tönig. Hin und wieder eilte der Zug an kleinen Beständen von Banksien vorüber, den Honeysuckle-Trees, die zurzeit in Blüte standen und prachtvolle hellviolette Blütenkolben zeigten. Sonst aber konnte nichts das Auge des Besuchers in dieser von der Natur so stiefmütterlich bedachten Gegend fesseln. Wie man mich versicherte, würden diese Vegetationsverhältnisse stets die gleichen bleiben, selbst wenn man Hunderte von Meilen ins In- nere vorzudringen versuchte. Die „lovely sights“ sind ungemein selten auf einem Boden, der sandig und flach und so trocken ist, dass, von den Küstenstrichen abgesehen, nur die Pflanzen aus der widerstandsfähigen Klasse der Eukalypten und echten Akazien ihr Fortkommen finden. Seine Ergiebigkeit ist so ge- ring, dass auf dem Areale dieser grössten australischen Kolonie mit einem Umfange, der den des britischen Königreiches um das ‘ achtfache übertrifft, bis jetzt kaum eine halbe Million Menschen 18 Prof. H. Dexler: ihr Fortkommen finden. Es gibt nur eine einzige grössere Vieh- triebstrasse und die Eisenbahnen dienen fast nur dem Minen- betriebe. Ausser Gold und einigen anderen Mineralien ist nicht viel zu finden. Ein Drittel des weiten Gebietes ist nach den Berichten des alten Gouverneurs Roe fruchtbar, ein Vierte! ver- hältnismässig noch verwendbar, das übrige ist „poor, sad and useless.“ Als Trost setzte er hinzu, dass die Bewässerung nichts zu wünschen übrig lässt. Seither hat man freilich genauere Kenntnisse sich zu verschaffen gewusst, infolge derer die kulti- vierbare Fläche vielleicht etwas grösser angenommen werden sollte; man weiss aber auch, dass die Wasserarmut die grösste Kalamität, das schwerste und fast unübersteigbare Hindernis gegen eine dichtere Ansiedlung ist. Leider gibt es noch immer zum Unheil für leichtgläubige Auswanderer tendenziös zugerichtete Anpreisungen, die manch- mal sogar mit dem Namen hervorragender Personen gezeichnet sind. Die letzten Jährgänge des Australian Handbook geben einige Beispiele von Berichten, welche die Schönheit und Frucht- barkeit dieses Erdenwinkels auf das lebhafteste herausstreichen. Gouverneur Sir F. Weld hat sich sogar so weit verstiegen und den Sand Westaustraliens den fruchtbarsten der ganzen Welt genannt. Den nur die Haienstädte sehenden Reisenden ist es natürlich nicht gestattet, mit all diesen Angaben ins Gericht zu gehen. Es ist das aber auch gar nicht notwendig. Überall wird ihm ein Buch „Westralias Progress“ um einen geringen Betrag zur Verfügung gestellt, aus dem er genügende Belehrung schöpfen kann. Es hat die Bedeutung eines Dokumentes, weil es begreif- licherweise nur das Schönste und Beste zeigt. Was wir aber da sahen, ist jedoch allergünstigsten Falles nur „fruchtbarer Sand“ und noch lange nicht schlechte Erde. Eine Serie guter Photographien führt uns ausser einigen Küstenbildern, Flussmündungen, einer blumigen Wiese und einer grossen Zahl von Kaufläden, Szenerien aus den Golddistrikten vor, die sich durch nichts von einer Wüstenei unterscheiden: lange Kameelzüge zum Transporte der Metallarten, Goldgräber- Settlements aus Zelten, Townships aus Blech und Brettern, im Augenblick hinzustellen und wieder abzutragen, Waterstores- Geschäftsläden, in denen das Wasser in kleinen Quantitäten abgegeben wird, die primitiven Kondensoranlagen von Woolgangie, in denen das brackige Wasser erst destilliert werden muss, um es für die Menschen trinkbar zu machen, und eine grosse Zahl von Schnapsläden, die Bars, in denen der Miner seinen Kummer über den Wassermangel verschmerzen kann. Die wichtige Gold- stadt Coolgardie wird uns als „striking picture“, als fesselndes U u SZ 2 un EEE zZ Australische Reisebriefe. 19 Bild vorgeführt : eine weite Steinwüste mit zwei Reihen niederer Zinkblechbaracken und wenigen isoliert stehenden Eukalypten. Es ist das eine von den vielen Städten, die der Volkswitz als Tinpotcentres bezeichnet, weil die Bewohnerschaft in der absolut vegetations- und wasserlosen Ode ganz auf Büchsenkonserven angewiesen ist. Ihr jahrelanger Gebrauch erzeugt, ganz abge- sehen von ihrer schechten Qualität, eine so entschiedene Abnei- gung, dass man sie allgemein unter dem Namen tinned dog kennt. Schon der Titel Stadt darf für die Ansiedelungen nur in übertragenem Sinne gedeutet werden. Ausser den Goldquarz- ‚mühlen und ihren Anhängen gibt es gar keine Häuser. Der Miner wohnt im Zelte, das ihm für sechs Monate aushält. Vor Ablauf eines solchen Zeitraumes ist ein grosser Teil dieser merk- würdigen Existenzen, ob erfolgreich oder verkommen, wieder abgezogen, um den Gewinst zu vergeuden oder anderswo das Glück zu suchen. Dauerhafte Bauwerke wären zwecklos. Bleibt einer länger, so verkleidet er seinen Wohnraum mit dem Zinn- büchsenblech und ist schon vielbeneidet um seine Tinned dog hut. Das Buch, aus dem auf jeder Seite die Folgen der Dürre uns entgegengrinsen, schliesst seine Bilderserie mit der Photographie eines Wasser- falles, dem Serpentine Falls. Gesetzt, er ist wirklich in Westaustralien zu finden, was nicht ersichtlich gemacht ist, so teilt er vermutlich das Schicksal fast aller Wasserfälle Australiens — er erscheint nur für einige Stunden oder Tage nach schweren Regengüssen; die sind dort selten wie die weissen Raben; die übrige Zeit des Jahres tot und reizlos. Westaustralien hat 1902 gegen 80 Millionen Gold produziert. Wer aber mit dem kostbaren Metalle nichts zu tun hat, der wird sich trotz der guten Absichten des „Progress“ beeilen, den Staub von seinen Füssen zu schütteln, um diesem Lande zu enteilen, das mit dem Fluche fast immerwährender Dürre be- haftet ist. Der Morgen des 8. April fand uns bereits im Begriffe, die Südwestecke des australischen Kontinentes zu umschiffen. Um 11 Uhr kam das nach dem holländischen Kapitän Leeuwin be- nannte Kap in Sicht und wir änderten unseren südöstlichen Kurs in einen rein östlichen, um die grosse australische Bucht zu durchqueren; wir brauchten dazu etwas über fünf Tage, um dann nach kurzem Aufenthalte in Adelaide und Melbourne, Sydney zuzusteuern. Die Durchfahrt durch die Great austral Bight war sehr schön. Der Himmel war fast ganz unbewölkt, die Temperatur sank unter dem Einflusse des kalten Südwindes auf 17°C., die schon in Fremantle teilweise abgelegten Tropenuniformen ver- 20 Prof, H. Dexler: schwanden ganz und man konnte wieder aufleben. Häufig auf der Kommandobrücke weilend, konnte ich mich wieder an dem stets fesselnden Anblicke des blauen Meeres und seines Tier- lebens ergötzen. Unsere Gesellschaft im Salon war vollständig regeneriert worden. Viele hatten uns verlassen, andere waren hinzugekommen, und man lebte wieder in jener Zeit der ange- nehmen, zurückhaltenden Höflichkeit. Auch das Zwischendeck war stille geworden. Fast alle Aus- wanderer, unter ihnen auch die krawallierenden Italiener, waren abgereist. Es blieben nur noch einige deutsche Farmer zurück, die nach Sydney bestimmt waren. Den grössten Teil meiner Zeit verbrachte ich mit der Be- obachtung der Albatrosse, die uns in jenen Breiten stete Begleiter waren. In unendlich wechselvollem Fluge streiften diese schönen grossen Vögel mit scheinbar steifen Flügeln knapp über die Wellen dahin, hoben sich im nächsten Augenblicke bis zur Höhe des Flaggenstockes, um ein äusserst ruhiges und langsames Hin- und Herschaukeln von der einen Seite zur anderen aufzunehmen, das Kielwasser aufmerksamen Auges unausgesetzt absuchend. Fand sich ein Brocken, so umkreisten sie ihn kurz und ver- schlangen ihn gierig oder blieben, wenn er zu schwer war, bei ihm zurück, bis er zerrissen war. Dann hoben sie sich wieder mit wenigen eigentümlich federnden und wuchtigen Flügelschlä- gen und nahmen ihre Verfolgung in den grossen schönen Bögen ihrer Flugbahn wieder auf. Waren sie lange Zeit ohne Beute geblieben, so zogen sie ab und liessen sich graziös auf den hochgehenden Wogen nieder, auf denen sie leicht wie die Feder- bälle schwammen. So oft unser Dampfer einer derartig ruhenden Gesellschaft nahe kam, schloss sich diese sogleich an und gab uns wieder für viele Meilen Gelegenheit, die wahrhaft erstaunliche Gewandtheit dieser Tiere zu bewundern, mit der sie ihre Evolutionen aus- führten. Dabei kamen sie oft so nahe, dass man genau die langen röhrenförmigen Nasengänge auf dem Schnabelrücken, die dunklen Augen, sowie auch das geringe Schiefstellen der Flügel vom Handgelenk aus betrachten konnte, mit dem sie die Hebungen und Senkungen ihres Körpers bewerkstelligten. Ein nicht minder. anziehendes Schauspiel boten die Braun- fische, eine grosse Delphinart, die ziemlich oft in Sicht kamen. Einmal trafen wir eine grosse Schar von über 100 Stück dieser Tiere, die von allen Seiten neugierig auf unser Schiff zustürzten, ihm aber doch nicht nahekamen. Auch ihre Bewegungen waren un- gemein behende. Sie verliessen das Wasser in flachem Sprunge und tauchten im Bogen glatt nieder, um sich gleich im nächsten Augenblicke abermals emporzuschnellen. x hr x F £ „ \ Australische Reisebriefe. | 21 Am 14. April warfen wir auf der Aussenreede von Ade- laide Anker, da Schiffe mit einem grösseren Tonnengehalt nicht in den seichten Hafen eintreten können. Auch diese Stadt sieht von der Seeseite nichts weniger als einladend aus. Sie liegt zwölf Meilen von der Küste entfernt, durch flache vegetations- lose Sandebenen von der See getrennt, mit der sie durch eine Bahn verbunden ist. Im Hintergrunde wird der Ausblick durch niedere Bergketten abgeschlossen, in denen der Mount Lofty über 2300 Fuss emporragt. Adelaide ist vollkommen quadratisch angelegt, durch eine Nord-, Süd-, West- und Ostterrasse abge- grenzt und gefällt durch seine breiten, ungemein sauber ge- haltenen Strassen, sowie durch einige architektonisch hübschere öffentliche Gebäude, welche dieser Stadt als dem Zentrum eines Staates von über 800.000 Quadratmeilen zukommen. Vor Fre- mantle und Perth zeichnet sie sich durch die reichen und schönen Parkanlagen aus, die sie an allen Seiten umgeben. Be- sonders hervorheben möchte ich den hübschen botanischen Garten und das äusserst reichhaltige ethnographische Museum, durch dessen Räumlichkeiten mich der Kurator persönlich herumzuführen die Liebenswürdigkeit besass; auch die zoologische Abteilung war gut ausgestattet, wenn ihr auch ein moderner Zug zu fehlen schien. Leider war es uns nicht möglich, die schätzenswerten Sammlungen genauer durchzusehen, da die „Weimar“ nur kurzen Aufenthalt hatte. Unsere Fahrt nach Melbourne und Sydney verlief ohne wesentliche Vorkommnisse. Ich glaube mich umso weniger bei den beiden Halbmillionenstädten aufhalten zu sollen, als sie. als Handelsmetropolen weltbekannt sind und daher einer Beschreibung nicht bedürfen. In Melbourne suchte ich den österreichischen Konsul, Herrn Pinchof, auf, wies ihm meine Empfehlungsschreiben vor und er- suchte ihn um Auskünfte über die Fischereiverhältnisse in den Queensländer Gewässern. Leider konnte er mir damit ebenso- wenig dienen wie eine Reihe anderer Kaufleute, mit denen ich, über seine Bemühungen, in Beziehung trat. Ich fand niemanden, der mich über die mich interessierenden Punkte hätte informieren können. Nach den Asserungen, die mir zuteil wurden, hatte es fast den Anschein, als wäre Queensland den Viktorialeuten bei- nahe ebenso ferne liegend als uns Europäern. Nicht unerwähnt möchte ich den 100 Acres grossen syste- matisch angelegten und dabei auch architektonisch schönen bota- nischen Gärten lassen, auf den Melbourne mit Recht stolz sein kann. Eine Schöpfung des verstorbenen Barons Müller, eines Deutschen, ist er neben den Gärten von Buitenzorg und Singapore der schönste, den ich jemals gesehen habe. Er zeichnet vw IE KH WERTE WE, 92 Prof. H. Dexler: sich nicht nur durch seine vorteilhafte Lage, sondern durch die wahrhaft künstlerische Gruppierung seiner Kulturen aus; dane- ben ist dem praktischen Bedürfnisse die weitgehendste Beachtung zuteil geworden. Jede Pflanze trägt eine gut sichtbare Tafel mit dem botanischen und dem englischen Vulgärnamen und dem des Entdeckers. Es ist das bei der Reichhaltigkeit des Gartens nicht nur für den Fachmann, sondern für jeden Fremden, der sich für die heimische Pflanzenwelt interessiert, von grossem Vorteil. Meine Erfolge in Sydney, das wir am 20. April erreichten, waren nicht viel besser. Dort bekam ich die berüchtigten An- nehmlichkeiten des englischen Sonntages zu fühlen. Nach dem Einlaufen in den bekannt malerischen Hafen, der wie eine Gebirgsschlucht in die Wüste eingelassen erscheint, wurden wir zunächst als pestverdächtig einer Desinfektion unterzogen und kamen erst nachmittags — einem Samstage — ans Land. Mit dem sehnlichsten Wunsche, vielleicht hier einmal Näheres über Land und Leute meines Reisezieles zu erfahren, eilte ich trotz strömenden Regens von Wooloomooloo, der Vorstadt, in der unser Pier lag, nach der Stadt, die ich beinahe menschenleer fand. Eigentlich nur aus Handelshäusern, Öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Banken, Chambers usw. bestehend, dient sie kaum als Wohnort. Nach Schluss der Geschäfte verlässt alles die Offices, Shops, Buildings, Stores und Rooms und eilt in die entlegenen Vorstädte, um in der Heiligkeit seines Hauses auszuruhen. Dort einen Besuch zu machen, wäre vollkommen unpassend. Mit dieser allgemeinen Flucht aus der Stadt erlischt der lebhafte, ob seiner Ausdehnung sehenswerte Pulsschlag des öffentlichen Lebens, und man vermeint sich in eine Masse gesperrter Magazine verirrt zu haben. Es gibt keine Restaurants oder Kaffeehäuser in denen Zeitungen erhältlich wären, noch weniger Sammlungen, Museen oder Bildergalerien, die an den „Holydays“ der Besichtigung zugänglich wären; dazu keine Monumente, keine hervorragenden Bauwerke — kurzum nichts, was den Touristen selbst in sehr bescheidenen Städten gewöhnlich geboten ist. Hat er nicht per- sönliche Beziehungen, so ist er angewiesen, sein Zimmer zu hüten, wenn Witterungsunbilden ihn auszugehen hindern. Ich hätte nie gedacht, dass eine Weltstadt mit über 400.000 Einwohnern so öde und rückständig dem Fremden erscheinen könne, wie mir damals das grosse Handelsemporium Sydney. Einen gewissen Ersatz fand ich in der Begehung des Hafens und des botanischen Gartens, die sogar im Regen noch anziehend und schön waren. Die Ufer der Innenbuchten des Hafens sind hoch und felsig und fallen steil zu grosser Tiefe ab. Dadurch wird es möglich, dass die grössten Schiffe bis zu 34 Fuss Tief- Ne ze" 0 a a. m) an a en "ups f \ at, “ 42 7 2 4 Australische Reisebriefe, 25 gang unmittelbar an die Kais anlegen können, und man geniesst den merkwürdigen Anblick, die Heckfahne eines 12.000 Tons- bootes von der Höhe des zweiten Stockwerkes der gegenüber- stehenden Häuser mitten in eine der belebtesten Strassen mit ihrem endlosen Gewühl von Fussgängern, Tramways und anderen Fuhrwerken herabhängen zu sehen. Ein grosser botanischer Garten vervollständigt die liebliche Hafenszenerie. Er ist weniger ein Schul- als ein Ziergarten und wie alle englischen Parks wohl gepflegt. Würde er nicht eine Menge von Statuen enthalten, so könnte man ihn als schön be- zeichnen. Wie man mir sagte, ist man nicht wenig stolz auf diese Bildwerke. Das Volk der Sydneyiten ist zweifellos bewun- derungswürdig. Es kann sich brüsten mit seinem enormen Ver- kehr, der musterhaften Ordnung des dichten Stadtlebens, in dem elektrische, Kabel- und Dampftramways mit ebenso un- heimlicher Geschwindigkeit dahinsausen, wie die Wagenlenker sicher und schnell um die Strassenecken fahren. Es kann hin- weisen auf den besten Hafen der Welt, von dessem pittoresken Anblicke ein deutscher Seekapitän so ergriffen gewesen sein soll, dass er tot hinfiel, und auf einen Garten, der die Reize von Kairo mit einem Seebade vereinigt. Die Statuen in ihm sind aber keine Meisterwerke der Plastik, wenn ich auch zugeben will, dass sie für den Fremden anheimelnd wirken. Ihr blendend weisser Mar- morkörper erweckt die köstlichen Jugenderinnerungen an die Kunstschöpfungen des Konditors in unserem Heimatstädtchen. Am Montag, den 21., sollte die „Wodanga“, die mich nach Brisbane zu bringen hatte, von Sydney absegeln. Die Transfe- rierung meiner Effekten, einige kurze Besuche im österreichischen Konsulate und kleine Einkäufe raubten mir den grössten Teil meiner Zeit, so dass ich mich nur kurz von den Offizieren der „Weimar“ verabschieden konnte. Beim Verlassen des Schiffes, das mir durch 40 Tage als Heimstätte gedient hatte, vermochte ich mich eines wehmütigen Gefühles nicht zu erwehren, umso- mehr, als ich bisher immer noch auf deutschem Boden war. Jetzt erst hatte ich in die wirkliche Fremde hinauszusteuern. Der Aufenthalt auf dem neuen Schiffe, einem Dampfer der Australian United Steamship-Compagnie, von 3000 Tons, war ein sehr angenehmer. Unsere Verhältnisse waren jedoch in jeder Richtung hin bescheidenere zu nennen — schon die Pünktlichkeit der Abfahrt war nicht mehr so wie auf unserem Postdampfer, sie -verschob sich um einen halben Tag. Indessen wurden wir am Abende des genannten Tages aus dem Hafen geschleppt, dessen Ausgang wir mit Einbruch der Nacht passiert hatten. Das Schiff begann in der Dünung der Hochsee leise zu rollen und nahm seinen Kurs nach Nordost. Gegen 10 Uhr abends sahen wir das Blinkfeuer der Sydney Heads zum letzten Male. a WARTE" La a Arie „ 24 | J. F. Gudernatsch : Die Fahrt nach Brisbane war in zwei Tagen erledigt. Sie führte uns in der Nähe der Küste dahin, die überall stark be- waldet und hügelig war; am 25. abends umsegelten wir Moreton Point und waren bald in die Mündung des Brishaneriver ein- getreten, jenes grossen Flusses, der bis zum Zentrum der Stadt Brisbane für grosse Seedampfer schiffbar ist und in zahlreichen Windungen durch die flache Küstenlandschaft sich hinschlängelt. Die mir in grellen Farben geschilderten Zollmanipulationen wickel- ten sich mit einer Schnelligkeit ab, die europäische Douaniers ausser Fassung bringen würde. All mein tragbares Gepäck wurde unangetastet belassen und meine schweren Kisten übernahm der Öberaufseher der Zolloffice oder Custom, ein freundlicher alter Gentleman, so lange in Verwahrung, bis er Weisungen von seiten seiner Behörde erhalten haben würde. In einer Stunde war das geschehen und meine gesamten Effekten, die genug Anlass zu einer recht empfindlichen Besteuerung gegeben hätten, wurden undurchsucht zu meiner freien Verfügung gestellt. So war der erste Eindruck, den ich von Queensland bekam, schon ein günstiger. Als ich kurz darauf in dem Eigentümer des mir empfohlenen Lennons Hotel einen Deutschen, namens Peter- mann, entdeckte, der in der besten Weise für meine Unterkunft sorgte, betrachtete ich mich fürs erste vollkommen geborgen. (Aus dem „Department of Pathology, Cornell University, Medical College, New-York City“. Vorstand Prof. Dr. James Ewing.) Ein Bruch des Unterkiefers bei Lepus cuni- culus L. hervorgerufen durch eine a Blase. Von 3. F. Gudernatsch. (Mit 3 Abbildungen im Text.) Bei einem in unserem Institute gehaltenen Kaninchen wurde an der linken Seite des Kopfes eine bei Druck leicht nachge- bende Geschwulst bemerkt und gleichzeitig eine eigentümliche Verlagerung in der gegenseitigen Stellung der oberen und un- teren Incisivi beobachtet. Die Geschwulst hatte sich seit dem Einbringen des Tieres — 3 Monate vor dem Tode — in ihrer Grösse nicht geändert. Sie war einmal punktiert worden, bei welcher Operation eine ziemlich klare, nahezu farblose Flüssig- keit entleert wurde. Nach der Operation blieb die Geschwulst unverändert. Die Vermutung, dass zwischen dieser Zyste und der Anomalie in der Zahnstellung ein Zusammenhang bestehen könnte, lag nicht sehr nahe. ? RE ne 7 ER Ein Bruch des Unterkiefers bei Lepus cuniculus L. 25 Bei der Sektion trug ich vorsichtig die Oberhaut und den ‚nötigen Teil der Muskulatur ab, um die Zyste möglichst unver- sehrt zu erreichen. Ich fand eingelagert zwischen M. masseter und Platysma eine Geschwulst etwa von der Form eines Elli- psoids mit 6 cm als längerer und 3 cm als kürzerer Achse. Beim Öffnen dieser Zyste schlüpfte aus dem Inneren eine zweite ‚Blase heraus, mit einer ganz dünnen, nahezu durchsichtigen Wandung, genau von der Form der Kapsel, in die sie einge- bettet war. Die äussere Kapselwand besteht aus straffem Binde- gewebe, das grösstenteils vom Unterhautbindegewebe herstammt, doch sind auch Bündel der benachbarten Muskeln in ihrer Bil- dung beteiligt. Die innere Kapsel präsentierte sich als eine — SE Fig. 1. Linke Seitenansicht;des Unterkiefers, etwas von rückwärts. Kau- daler Teil der Pars angularis des linken. Mandibularastes fehlend, der freie Rand arrodiert, Prämolaren und Molaren verlängert. Coenurus-Blase. Bei der Eröffnung fand sich in ihr die bekannte helle Flüssigkeit dieser Gebilde. Bemerkenswert ist, dass eine Narbe als Zeichen der ersten Punktion nicht gefunden wurde, und dass sonach die Entfernung der Flüssigkeit der Lebens- tätigkeit des Wurmes keinen Abbruch getan hat. Die Kapsel zeigt aussen wenige kleine Anhänge, besitzt aber dafür zahlreiche Skolex-Anlagen in ihrem Inneren, die in Paketen zusammenge- lagert sind, die ihrerseits wieder in Reihen stehen. Von einem Punkte, an dem ein unregelmässiger Haufen von Köpfen sitzt, strahlen diese Reihen etwa wie Meridiane aus. Eine von ihnen ist einmal unterbrochen. Sie sind dicht besetzt mit Skolex- Anlagen, wie es Kunsemüller angibt; von einer regelmässigen 26 F. Gudernatsch: Gruppierung nach Reinitz kann ich nichts sehen. Die Austrei- bungen der Wand nach aussen hin, die immer nur dort stehen, wo sich Scolices befinden, sind unregelmässig geformte kleine Blasen, wie sie Kunsemüller in seiner Arbeit beschreibt, und die als ausgestülpte Scolices mit der Tendenz, Tochterblasen zu bilden, anerkannt worden sind. Ich habe das Tier nicht genauer bestimmt, höchstwahr- scheinlich ist es ja ein Coenurus serialis Gervais. (Byerley spricht von einem Üoenurus serialis Neumann und erklärt seinen Üoe- nurus cuniculi Byerley als neue Species.) Manche, namentlich ältere Autoren bezeichneten den Coenurus des Kaninchens als identisch mit Coenurus cerebralis des Schafes. So berichtet Rose von einer Form „ähnlich Coenurus cerebralis“, die in den Muskeln des Kaninchens Tumoren hervorruft. Jedesfalls meinte er damit nicht Tumoren in pathologischem Sinne, sondern ein- fache Austreibungen mit der Coenurus-Blase als Inhalt. Numan glaubte ganz bestimmt, Rose’s Coenurusfsei ein vom Gehirn ver- streuter C. cerebralis gewesen. Selbst in einem viel neueren Falle bezeichnet Bosso seinen Coenurus aus der Bauchhöhle eines Hasen als „Varietät des ©. cerebralis“. Seit Gervais be- trachten aber die meisten Autoren den Coenurus der Rodentia als selbständige Species wie sie durch Reinitz fester umgrenzt worden ist. Cobbold berichtet über einen Coenurus cuniculi aus dem Mas- seter und M. infraspinatus und weist schon damals (1879) darauf- hin, dass von Nicht-Zoologen häufig Hydatiden (Echinococcus) mit „Gid“-Hydatiden (Coenurus) verwechselt werden. Cagny be- richtet über einen Rodentia-Coenurus aus einem Eichhörnchen, den er auch als Coenurus serialis bezeichnet, wie das ebenso Pagenstecher mit seinem Tiere aus einem südamerikanischen Myopotamus tut. Schliesslich ist aber in unserem Falle die systematische Frage von geringerer Wichtigkeit, es sollen vielmehr nur die pathologischen Veränderungen dargelegt werden, die durch die Anwesenheit dieses Parasiten hervorgerufen wurden, und die sich hauptsächlich auf die Skeletteile erstrecken. Durch den stetig wachsenden Druck, hervorgerufen durch das Anschwellen der Blase, wurde einerseits die Haut nach aussen vorgewölbt und gespannt, ein Vorgang, der ganz natür- lich erscheint, da ja die Weichteile dem Blasendruck keinen er- heblichen Widerstand entgegensetzen konnten. Andererseits aber wirkte dieser Druck auch nach innen so stark, dass er eine ganz merkliche Verdrängung des Unterkiefers aus der Normal- lage nach rechts veranlasste, die sich äusserlich nur durch die obenerwähnte Stellung der Schneidezähne erkennen liess. Und als der Unterkiefer wohl infolge des Widerstandes im Kiefer- Ein Bruch des Unterkiefers bei Lepus cuniculus L. 97 selenk und in der Muskulatur nicht mehr weiter geschoben wer- den konnte, wurde er gebrochen. Wenn auch der Knochen an der Stelle, in deren Nähe die Geschwulst sass (Tuberositas masseterica), etwas arodiert worden war, so war doch noch ein erheblicher Druck nötig, um ihn zu brechen. Im übrigen schien sich das Tier ganz wohl zu befinden, sodass der Parasit keinen den Organismus schädigenden Einfluss haben dürfte, wie es auch Lucet von seinem Fall von generalisiertem Auftreten von Üoe- nurus serialis beim Kaninchen angibt. Lucet berichtet, dass die Blasen besonders dicht am Kopfe standen, ein Ort, der von dem Para- siten bevorzugt scheint. Auch Byer- ley fand die Blase am Kopfe in der Or- bitalhöhle sitzend. Könnte man an ein gelegentliches Freiwerden man- cher Onkosphaeren denken, ohne dass sie den Magen pas- siert haben, in die- sen 3 Fällen z.B. am Eingange des Darmkanals’? Durch die Ver- lagerung der Man- dibel nach rechts hat das Gebiss !) tiefgreifende Ver- Fig. 2. Frontalansicht des Schädels. Verlagerung änderungen erfah- und Verlängerung der Incisiven, ungleichseitige Aus- ren, die sich so- bildung der Molaren und Prämolaren. wohl auf den Ober- als auch den Unterkiefer erstrecken. In manchen dieser Veränderungen sind Anpassungserscheinungen des Or- ganismus an die geänderten Verhältnisse zu erblicken. Die Verschiebung des Unterkiefers ist soweit fortgeschritten, dass die unteren Schneidezähne gerade rechts neben die oberen zu liegen kommen. Der Unterkiefer ist also. auch etwas nach !) Ähnliche, wenn auch ätiologisch verschiedene Abnormitäten des Nagetiergebisses sind vielfach bekannt und beschrieben worden, z. B. E. A. Göldi, Ein pathologischer Paca-Schädel, Zool. Jahrb., Abt. Syst. Biol. 1. Bd. 1886, p. 213—15. 28 F. Gudernatsch: vorn gedrängt worden, eine Erscheinung, die sich an den inneren Zahnreihen noch besser beobachten lässt. Infolgedessen haben sich die oberen und unteren Schneidezähne noch mehr verlän- gert als dies sonst bei in Käfigen gehaltenen Nagern der Fall ist. Die oberen Schneidezähne sind so lang geworden, dass der linke mit seiner äusseren Spitze in die Weichteile des Mund- winkels eingedrungen ist, eine Verletzung, die dort eine Ent- zündung hervorgerufen hat. Im übrigen ist er ziemlich gerade gewachsen und weicht erst in seinem ältesten Teile von der Medianebene des Kopfes ab. Der rechte obere Incisivus ist am geraden Fortwachsen durch den linken unteren gehindert und so lange gegen seinen Nachbaren gedrängt worden, bis dieser ihn vom Beibehalten der eingeschlagenen Richtung abhielt; dort biegt er sich der Normallage zu. Rechts von den oberen Schneide- zähnen drängten nun die unteren immer mehr von links unten nach rechts oben, sodass sich die Zähne also statt hintereinander nebeneinander wetzten, und so eine Schliffläche von rechts oben nach links unten erzeugten. Der linke obere Incisivus hat seine schiefe Reibefläche noch von der Zeit beibehalten, da die Ver- lagerung des Kiefers noch nicht so weit vorgeschritten war und er noch mit den unteren Zähnen in Berührung kommen konnte. Die zweiten Schneidezähne des Oberkiefers sind länger als ge- wöhnlich und liegen sehr weit von einander, der linke genau hinter seinem Vorderzahn, der rechte strebt nach aussen. An den unteren Schneidezähnen lässt sich erkennen, dass sie in die Mittellage zurückzukommen streben. Ein Abbiegen aus seiner Normallage, die der Medianebene des Unterkiefers parallel wäre, ist namentlich am rechten unteren I zu bemerken, indem er sich bestrebt, gegen die Medianebene des Kopfes zu- rückzuwachsen, während bei dem linken mehr eine Drehung um seine Längsachse vorherrscht, wodurch er eine grössere Reibe- fläche an dem rechten oberen I gewinnt. Es ist aber auch so- wohl der rechte untere I etwas abgedreht wie der linke etwas gebogen, beides in gleicher Richtung wie sein Nachbar. Die DaLODBELHEN Veränderungen, die das innere Gebiss, Praemolaren — und Molaren # — erfahren hat, äussern sich sowohl in der Stellung als auch in er Form der Zähne. Als einheit- liches Merkmal tritt an allen 4 Zahnreihen die parallele, also unsymmetrische Lage der Schliffläche auf. Ihre Richtung ist die- selbe wie an den Schneidezähnen, von rechts oben nach links unten. Von den beiden Zahnreihen berühren sich nur mehr die rechten, die linken wachsen ohne auf festen Widerstand zu treffen, was namentlich in der unteren zu einer bedeutenden Verlängerung der Zähne geführt hat. Diese Verlängerung schrei- tet graduell von rückwärts nach vorne fort — übrigens auch im rechten Unterkiefer — erklärlich dadurch, dass ja die Praemo- Ein Bruch des Unterkiefers bei Lepus euniculus L, 29 laren vom Kiefergelenk weiter entfernt sind als die Molaren und daher früher den Anschluss an die obere Zahnreihe ver- loren haben als jene. Die linken Praemolaren sind so. lang ge- worden, dass sie das Gaumendach erreichen. (Inwieweit übrigens das unter normalen Verhältnissen stattfindende Zurückziehen des Unterkiefers, wodurch bei der Kautätigkeit ein Gegenüber- stellen der Zahnreihen bewirkt wird, unter den genannten patho- logischen noch möglich war, kann ich nicht feststellen.) Die rechten Zahnreihen berühren sich gerade, was dadurch erreicht wird, dass die obere stark nach aussen strebt, während die un- teren Zähne nach innen abge- bogen sind. Die linken oberen Zähne wachsen senkrecht aus dem Kiefer, die unteren eben- so, biegen aber ein wenig nach innen zu ab. So ergibt sich nun, dass die oberen Zahnrei- hen divergieren, die unteren konvergieren. Die innere Ent- fernung der oberen P, beträgt 13 mm, die der unteren 7 mm. Zu erwähnen wäre noch, dass das Abweichen der Zahnrich- tung aus der Normallage nicht allein dadurch erreicht wird, dass der Zahn sich biegt, son- -dern es werden auch die Alve- olen verlagert, was namentlich im rechten Oberkiefer zutage tritt, wo das Os maxillare sich ebenfalls von der Medianebene ab nach aussen neigt. Literaturangaben. 33/34, Rose C. B., On the ve- sicular entozoa and particularly hydatides. Gazette vol. XII. Frontalansicht des Schädels. Schräge Schliffläche der Ineisiven un- gleichseitige Verlängerung derselben. Fig: 3. London Med. Numan, Over den Veelkop-blaasworm der Hersenen. Trans. Dutch ’S0e., Sei 3 R.,:2--T. 47, Gervais P., Sur quelques entozoaires taenoides et hydatides. Mem. Ac. Sc. Montpellier. 63, Bailliet C., Recherches sur un cystique polyc&phale du Lapin et sur le ver, qui resulte de sa transformation dans l’inte- stin du chien. M&m. Ac. Sc. Toulouse, V., 1. 74, Troisier, Coenurus dans les muscies d’un Lapin er Fe Compt. Bend. M&m. Soc. Biol Paris, 4. 78, Pagrasipcher A, Zur Naturgeschichte der Cestoden, Zischr. f. wiss. Zool., RX 79, Cobbold T. Spencer, Parasites, a treatise of the entozoa of man and animals. London. 82, Cagıy, Communication d’un cas de coenurus serialis obsere chez un &cureuil. Bull. de la seance. Janv. 85, Reinitz G., Mitteilungen über einen noch wenig bekannten Blasenwurm. Inaug. Diss. Dorpat. er 94—00, Braun M., Cestoden in: Bronn, Kl. u. Orin. d. Tierr., 98, Bosw G.., Coenurus serialis in der Bauchhöhle des Hasen, IV. Abt. 1. i 97, Loeet, Sur un css de ovenurus serialis chez un lapin dome- stique. Rec. m&d. vet., p- 633. eine Varietät des C. cerebralis vor Erbsen- bis Nussgrösse. Giorn. Soc.,Accad. vei., XLVIL p. 378. 03, Kunsemüller Fr., Coenurus serialis. Zool Jhrb. Abt. £.An., XVIIL 05, Byerley, Coenurus beim Kaninchen. Vet. Bee. London, XVIoL 234. Coenurus cuniculi. Vet. Rec. London XVIIL, 343. 06, Frangenheim Paul, Die chirurgisch wichtigen Lokalisationen des Echinooscens. . Samml klin. Vortr., nn Nr. 116/117. — Die chirurgisch wichtigen Lokalisationen der tierischen Para- siten mit Ausnshme des Eehinoeoerus. Samml. klin. Vortr., Chirurgie, Nr’ 118. Preisausschreiben. Die Naturforschende Gesellschaft in Görlitz schreibt für die- im Herbst 1911 stattfindende Feier ihres hundertjährigen Bestehens folgende Preisarbeit aus: Es soll eine Karte der Braun- ge der Preussischen Oberlausitz im Masstab 25.000 mit Erläuterungen geliefert werden. Der Preis beträgt { Ben Mark. Die Arbeit muss spätestens am 1. April 1911 druckfertig in Schreibmaschinenschrift bei der Gesellschaft mit einem Kennwort wersehen, einlaufen. Die preisgekrönte Arbeit wird in den Abhandlungen der Gesellschaft gedruckt. Der Ver- fasser erhält 30 Sonderabdrücke. Der Name und der Wohnort des Verfassers ist in einem mit dem gleichen Kennwort versehe- nen werschlossenen Briefumschlag beizugeben, der erst in der Festsitzung geöffnet wird. Es wird- aber anheim gegeben, bei der Einsendung ausserdem eine Adresse sofort mitzuteilen, an die allenfalls eine des Preises nicht für würdig befundene Arbeit zurückseschickt werden soll “ Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘'. Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. (Dr. L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. za m sa Eisenmöbel- und Bettwarenfabrik = sw u IGNAZ GOTTWALD PRAG, Teßpich- und Vorhang- Warenhaus Graben 2, liefert: Untersuchungstische, Operationstische, Verbandzeug- tische, Irrigateurständer, Instrumentenschränke. 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Feber; subk. Injektion von 5'/, cm? einer 25°,igen Magnesiumchloridlösung; 3 Stunden später nimmt die Hinfälligkeit und Schwäche des Hundes sichtlich zu, ohne dass die Krämpfe eine Änderung erkennen lassen würden. Temp. 38:0, Puls nicht zu zählen. Am 6. Feber 1909 erfolgt die Aufnahme der Krampfkurven am Kimographion nach vorheriger subkutaner Injektion von | \ \ | | H \ 6 AL Er Jh | u “ Fig 1. Krampfkurve des Flexor digit. commun. des linken Hinterfusses des Hundes I. Zeitkurve in Sekundenintervallen. 3'/a em? einer 5°/, igen Morphinlösung, um die Reaktivbewegungen des Tieres nach Möglichkeit auszuschalten. Angehakt wurde die Mittelzehe des im Tarsus eingeklemmten linken Hinterfusses und die Bewegung des Flexor digitorum commun. registriert. Wie ein Blick auf Fig. 1 ergibt, kam es zu einem fast ganz regelmässigen, beiläufig in Sekundenpausen vor sich gehenden, ‘ plötzlichen, sehr raschen Anstieg der Kontraktionskurve, die mit einem sich unmittelbar daran schliessenden Abfall endet, der zu- weilen ganz glatt ist, zuweilen aber eine eben noch warnehm- bare Stufe in sich schliesst. In einem zweiten Versuche wurde der linke M. pectoralis frei präpariert und der Haken direkt in den Muskel einge- Stochen. Die erhaltene Kurve hat die grösste Ähnlichkeit mit der vorigen (Vergl. Fig. 2). Es sind wieder durch Sekunden- Pausen getrennte, mehr oder weniger regelmässige Tieschläge ver- zeichnet, bei denen die höchste Erhebung der Kurve sofort in 36 Prof. H, Dexler: 9] den Abfall übergeht, der wieder eine kleine Hemmungsstufe zeigt, an welcher die Erschlaffung des Muskels entweder ange- halten oder sogar von einer rudimentären Wiedererhebung ge- folgt war. Um das Zeitverhältnis des Tics zum Puls zu illu- strieren wurden in einem 3. Versuche der linke Karotispuls und die Bewegung der Brustbeinspitze gleichzeitig aufgenommen und endlich auch die Biutdruckkurve verzeichnet. Es ergab sich ein Karotidendruck von 120 mm Hg. Die Tic-Kurve war an ihrem Gipfel etwas abgerundet, weil nur die Haut und nicht das Periost angehackt war. Puls und Tic-Kurve zeigten keinerlei Beziehungen zu einander, von zufälligen Übereinstimmungen abgesehen. Fig. 2. Tie-Kurve des Muse. pectoralis sin. des Hundes I. Zeitkurve in Sekundenintervallen. Die Morphinvergiftung hielt 2\/, Tage an. Sie machte den Hund nicht völlig bewusstlos; auf Anrufen Öffnen der Augen; Krämpfe ungehindert. Um das Tier für die beabsichtigten Durchschneidungsversuche nicht weiter zu schwächen, wurde von Narkotisierungsversuchen abgesehen. * * * Zusammenfassend sehen wir also bei dem vorgeführten jungen Hunde einen fieberlosen chronischen Zustand, der sich an nicht festgestellte Staupe angeschlossen haben soll und nun seit 1'/, Monaten in fast ungeändertem Masse besteht und durch einen fast generalisierten, rhythmischen Tie charakterisiert ist. Der Tic befällt vornehmlich die Muskeln der Extremitäten u. zw. der Beuger. Nur vorne sind auch die Fingerstrecker, ferner die Niederzieher des Ohres und die Heber der Oberlippe in sehr geringem Masse beteilist. Er geht in ziemlich regel- mässigen Pausen von Sekundendauer vor sich, fällt nur interkur- EN ER ER EV 2 MIT 2 SE Chorea der Hunde. 37 rierend mit der Pulsfolge zusammen, tritt an allen Muskeln voll- kommen gleichzeitig ein und ist äusserst hartnäckig. Er wird weder durch tiefe Morphiumnarkose noch durch tiefen Schlaf zum Aufhören gebracht und zessiert nur in der durch Chloro- form wie Ather zu erzielenden Bewusstlosigkeit. Psychisch scheint er nicht unterdrückbar zu sein, wenn er auch nicht gänz- lich unabhängig genannt werden kann. Initiale Reaktiybewe- gungen vertiefen und beschleunigen ihn, heftige Anstrengungen scheinen ihn zu hemmen. Er wird bei sonst völlig normaler Funktion der vegetativen Organe von einer sehr stark ausge- sprochenen, allgemeinen motorischen Schwäche begleitet, die sich fast zu Paraparesen zu steigern scheint. * ” * Der 2. Fall, den ich hier vorführe, hat mit dem vori- gen eine unzweifelhafte Ähnlichkeit. Wieder handelt es sich um Fig. 3. Tic-Kurve (oben) der Brustbeinspitze des Hundes I, zugleich mit dem Karotispuls (Mitte) aufgenommen; Zeitkurve (unten) in Sekunden- intervallen. einen ganz jungen, nur 3 Monate alten Foxterrier, der am 5. Jänner 1909 mit der Anamnese in das Institut überbracht wurde, dass er vor etwa 8 Tagen unter lautem anhaltendem Schreien erkrankte, ohne vorher irgend eine Gesundheitsstörung gezeigt zu haben. Insbesondere sollen niemals die geringsten Spuren von Staupe gesehen worden sein. Bei der Übernahme konsta- tierte man 38°3 rektale Temperatur, ruhiges Atmen, guten Ap- petit, Puls nicht kontrollierbar, normalen Abgang der Exkremente und sehr lebhaftes, spielsüchtiges Benehmen. Kein Husten, kein Abfluss aus Nase oder aus den Lidsspalten. Auffallend ist ein ausgebreiteter Tic und eine sehr beträchtliche Gangstörung. Der rechte Vorderfuss scheint teilweise gelähmt; er wird im Stehen in halb gebeugtem Zustande gehoben und über den linken Fuss in schlaffer Haltung hinüber gekreuzt. Beim Vorwärtsschreiten konnte dieser Fuss die Körperlast 38 Prof. H. Dexler: 2 nicht tragen, obwohl er regelmässig vorgeführt und aufgestützt wurde. Bei Übertragung des Körperzewichtes kam es zu rascher Beugung im Carpus, vorübergehendes Stützen auf das Vorderarm- ende und der Hund musste sich rasch mit dem linken Vorder- fuss vor dem Falle wahren; wenn dies nicht gelang, rollte er auf die Brust nieder. Beim Niederfallen war stets der rechte Vor- derfuss so unter die Brust geschoben, dass er mit der Vorder- seite auf den Boden gestreckt auflag und gekreuzt unter den Körper auf die linke Seite hinübergeschoben wurde. Die Hinter- extremitäten scheinen sich normal zu bewegen und das Tier war imstande, sich auf ihnen aufzurichten und mit Hilfe des intakten linken Vorderfusses sich an dem Bein des Beobachters emporzurich- ten. Der Schwanz ist in seinen Ausdrucksbewegungen vollständig normal. Hebt man den Hund an der Halshaut empor, so be- obachtet man, dass beide Vorderextremitäten sich in kurzen Beugezuckungen bewegen, die von einer leichten Adduktion und, einer Streckung der Tatzen begleitet sind. Völlig gleichzeitig mit diesen Kontraktionen beobachtet man am hängenden Hunde ein leichtes Beugezucken in den beiden Hinterextremitäten. Der Krampf in den Vorderbeinen ist so beschaffen, dass die maximale Streckung den Bruchteil einer Sekunde mit leichten Vibrationen anhält. In den Hinterextremitäten kommt es zu einer leichten Knie- und Sprunggelenksbeugung. Zugleich weicht dabei der Schwanzstummel etwas auf die linke Seite ab. Der rechte- Vorderfuss ist durch das häufige Aufstützen auf der dorsalen Seite des Carpus abgescheuert und trägt daselbst eine linsen- grosse Exkoriation. Die genaue Betrachtung ergibt auch, dass der linke Vorderfuss die Streckaktion am deutlichsten zeigt, so dass es auch zum Öffnen der Zehen kommt. Beim Gehen ist nur die Zuckung der Vorderextremität insofern störend, als der Hund bei jeder Kontraktion leicht im Vorderteil zusammenknickt und ruckartig nickt. Die hinteren Extremitäten und der Schwanz lassen dabei keine Zuckungen erkennen. Durch den Nichtge- brauch des rechten Vorderfusses ist der Hund beträchtlich gehemmt; auch scheint die weit unter den Körper gestellte linke Vorder- extremität leicht zu ermüden, so dass er sich beim Fressen ge- wöhnlich auf die Brust legt und so das Futter zu sich nimmt. Am 9. Januar 1909: 5 Uhr nachmittags subkutan 2 cm? einer 25°, Glaubersalzlösung ohne Erfolg. Status vom 10. Januar 1909: Die Art und Verteilung der Krämpfe nimmt man am besten wahr, wenn man den Hund an den Oberarmen emporhebt und längere Zeit in hängender Stel- lung belässt. Das anfängliche Spielen, Beissen, Schwanzwedeln und Winseln hört dann auf und es treten die krankhaften Be- wegungen mit aller Deutlichkeit hervor. Bei den festgehaltenen Chorea der Hunde. 39 Armen fallen energische, in Sekundenpausen erscheinende Streckungen der Tatzen auf u. zw. sind die Fingerextensoren und die Adduktoren innerviert, so dass die Vorarme einander leicht genähert und die Pfoten — links stärker als rechts — unter leichter Zehenspreizung maximal gestreckt werden. Die Kontraktionen bestehen aus einem blitzartig raschen Anziehen der Muskulatur, einer etwa ', Sekunde dauernden, vibrierenden Erhaltung der Spannung und darauf folgendem plötzlichen Nachlassen derselben. Beide Hinterbeine zucken mit, anfangs schwächer, nach einiger Zeit, wenn der Hund seine Aufmerksam- keit vom Untersucher abgewendet hat, stärker und deutlicher. Der Krampf besteht in einer, mit der Vorarmaktion vollständig gleich einsetzenden Beugung der Oberschenkel in Hüfte und Kreuz, wobei auch die Lumbarwirbelsäule beteiligt ist, und Nach- lassen der Spannung unter leichter Streckung des Hüftgelenkes und Beckens. Im Schlafe verschwinden sie alle. Die Schall- perzeption beim Anrufen äussert sich zuerst in dem Wiederauf- treten des Tics in den einzelnen Muskelgruppen. Die Krämpfe erleiden am stehenden und liegenden Tiere durch die mecha- nische Behinderung der belasteten Teile eine beträchtliche Herab- minderung ihrer Schwingungsweite, so dass sie für die ober- flächliche Betrachtung gänzlich zu schwinden scheinen. In dem unten liegenden Extremitätenpaare sieht man nur ein gedämpftes Zucken, das von einem leichten Kopfnicken begleitet ist. Viel ausgiebiger zuckt der oben liegende Vorderfuss und der gleich- seitige Hinterfuss, der aus einer halben schlaffen Beugestellung stark an den Körper angezogen, nach vorne gestreckt und nieder- gelegt wird. Im Stehen bewirkt der Tic ein stossweises, schlagartiges Nicken des ganzen Vorderkörpers und auch des Hinterteiles, so dass der Hund sehr oft mit der Brust auf dem Boden aufschlägt. Das Niederfallen ist umso schwerer zu verhindern, als der rechte Vorderfuss stets in gebeugter Stellung verharrt und schlaff nach- geschleppt wird. Meist ist er über den gegenseitigen gekreuzt. Setzt man ihn passiv auf die Ballen auf, so kippt er bei der Belastung sogleich im Handgelenke wie bei einer Radialislähmung um. Fängt dabei der andere Vorderfuss nicht zur rechten Zeit den Körper auf, so rutscht der rechte Fuss ganz unter die Brust und wird auf der linken Körperseite hervorgestreckt, so dass beide Vorderbeine total überkreuzt sind. Reaktiv intendierte Bewegungen scheinen in diesem Beine nur in sehr geringem Ausmasse zu existieren, insofern als man zuweilen ein schwaches sog. willkürliches Heben der Schulter zu sehen meint. Würden nicht die Krämpfe bestehen, so könnte man den Fuss als total gelähmt ansehen. Seine Bewegungslosigkeit ist auch hauptsäch- 4 40 Prof. H. Dexler: lich. der Grund, warum der ungemein lebhafte Hund aus seinem. nur 20 cm tiefen Korb nicht heraus kann. Er steht — z. B. beim Futteranblicke — winselnd vor der Korbwand, dabei den Vorderkörper mit dem gesunden Vorderfuss stützend. Würde er nun im Stande sein, den rechten Arm auf den Korbrand zu heben, so könnte er sich darüber leicht hinwegschieben. Trotz allen aufgeregten Winseln und Schreiens bleibt dieser schlaff hängen. Auch der Gang ist in hohem Grade gestört, weil der Hund entweder auf dem linken Vorderfuss nicht springen gelernt hat, wie dies normale Hunde tun oder weil er sich dazu zu un- sicher fühlt. Bei der Fütterung bleibt er stets auf der Brust liegen, während die Hinterbeine aufrecht stehend, ihre Pfoten weit unter die Ellbogenhöcker vorgeschoben haben. Beim Gange, der mehr einem mühseligen Humpeln gleicht, fällt das Tier leicht seitlich um, rollt oft ganz über den Rücken, sich schwer und ungelenk wieder aufraffend. Status vom 20. Januar 1909. 9 Uhr a. m. subk. Injektion von 3 cm® Magnesiumchlorid ohne sichtlichen Einfluss. 4 Uhr p.- m. Athernarkose. Vollständiges Zessieren der Krämpfe. 22. Januar 1909, 9 Uhr a. m. 2 cm? einer '/,°/,igen Morphin- lösung. Erbrechen. Hund legt sich nach 5 Minuten auf die Seite mit halbgeschlossenen Augen; ist unfähig sich aufzurichten. Pupillen erweitert. Auf Anruf Augenöffnen und Versuch einer Kopfhebung. Krämpfe halten ungehindert an; zeigen sich als ein starkes Andenleibziehen aller 4 Beine. Rechts vorne wird vorwiegend die Schulter gehoben. Auf der Höhe des Krampfes geht am rechten Hinterfusse der Erschlaffung eine kurze, wenig ausgeprägte Vorwärtsschiebung der Tatze voraus, so dass der Fuss also zuerst gebeugt, dann nach vorne gebracht wird und dann erst in die Kadaverstellung zurück sinkt. Am linken Vorderfuss ist mit der Anziehung des Fusses eine starke Kontraktion des Extensor digit. comm. verbunden. Beim Vor- halten von chloroformierter Watte wehrt sich der Hund anfäng- lich durch Zurücklegen des Kopfes, Blinzeln mit den Augen und leichtes Strampeln mit den Vorderfüssen. Schon nach wenigen Atemzügen kommt es zur Bewusstlosigkeit. Mit dem Korneal- reflex verschwinden zuerst die Krämpfe in den Hinterbeinenr, dann im rechten Vorderfuss und zuletzt im linken Vorderfuss. Fibrilläre Zuckungen in den Aukonäen sind daselbst das letzte Zeichen des Krampfes. Nach dem Unterbrechen der Narkose kehren die Krämpfe in gleicher Reihenfolge wieder, bis der Morphiumhalbschlaf wieder hergestellt ist und die Zuckungen ungehindert arbeiten. Erwachen aus der Morphiumvergiftung nach 10 Stunden. Chorea der Hunde. 41 Am 23. Januar Aufnahme der Zuckungskurven am Kimogra- phion nach vorhergehender subkutaner Injektion von 2 cm? Mor- phin zur Ausschaltung der Reaktivbewegungen. Der Schreibhebel- faden wird am rechten Olekranon und bei einer zweiten Aufnahme an der Mittelzehe des linken Vorderfusses angehakt, um die Streckerbewegung zu registrieren; da diese mit einer solchen der Schulterheber kombiniert, daher unklar und zu weit aus- fahrend ist, wird die Pfote im Handwurzelgelenk leicht einge- klemmt. Wie die Krampfkurven (Fig. 4 und 5) zeigen, erfolgt auch bei diesem Tiere in ziemlich genau eingehaltenen Sekunden- pausen eine rasche, hoch ansteigende Krampfkontraktion, der sich entweder unmittelbar (Olekranon) oder nach vorhergehendem kurzen Erschlaffen ein schnellschlägiger Klonus von zirka Se- kundendauer anschliesst, worauf die Rückkehr zur Ruhelage er- folgt. Die Dauer der Pausen und Klonen ist dabei [vonjganz Fig. 4. Krampfkurve der Ankonäen rechts; die Haut über dem Olekranon angehakt. Fall II. Zeitkurve in Sekundenintervallen. gleicher Länge. Der Klonus ist entweder ein gleichmässig fein- schlägiger — (Zehenstrecker, Fig. 5) — oder ein grobschlägiger, ungleichmässiger. (Anconaeen, Fig. 4.) 25. Januar 1909: Appetit, Temperatur, Atmung normal. Keine Zeichen eines katarrhalischen Zustandes. Psyche ganz frei. Der Hund strampelt bei Annäherung des Beobachters auf das Lebhafteste,wedelt mit dem Schweife, benagt spielend die hingehaltene Hand, winselt wenn er zu lange allein gelassen wird etc. Die Bewegungsstörungen haben sich wesentlich verschlechtert. Es sind mehr Muskeln in den Krampf einbezogen worden und die Klonen sind anhaltender geworden. Die Halsbeuger links werden mitkontrahiert. Der Klonus des rechten Hinterfusses hat eine verlängerte Form an- genommen. Es kommt zum Beugen und Strecken der Extremi- tät, die unter weitem Vorführen der Pfote bis über die Schul- ter mit nachherigem festen Aufstemmen des gestreckten Fusses 4% 49 Prof. H. Dexler: gegen einen vorhandenen Widerstand bewegt wird, so dass das Becken energisch zurückgeschoben wird. Beim Mangel eines Widerstandes verharrt das Bein in tonischer Streckstellung. Der Streckkrampf wird erst unterbrochen, wenn die nächste Beugungs- zuckung einsetzt. Eine schlaffe Ruhepause fehlt. Ausserdem ist der Hund in der rechten Seitenlage trotz lebhaftester Anstren- sung, die bei der Nahrungsaufnahme gemacht wird, nicht im- stande den rechten Vorderfuss soweit nach vorne und unter den Körper zu schieben um die Brust vom Boden abzustemmen, was ihm aus der linken Seitenlage ziemlich leicht gelingt. Das Ge- hen ist nahezu unmöglich geworden. Das Nicken ist so stark, dass das Tier bei jedem Krampfschlag mit dem Kinn dumpf zu Boden fällt. Der linke Vorderfuss stützt zu wenig, seine Krampf- beugungen sind zu heftig und allem Anscheine nach durch den Hund !nicht jzu hemmen, der sonst das Aufschlagen mit den Fig. 5. Krampfkurve des Extensor digit. com. sin. Fall Il. Zeitkurve in Sekundenintervallen. ä Kiefern sehr unangenehm zu empfinden scheint. Der rechte Vorderfuss ist wie früher willkürlich nicht innervierbar. 28. Januar 1909: Die Krämpfe haben an Intensität und Ausbreitung zugenommen. Der ganze Körper wird durch sie auf das Heftigste erschüttert. Der Strecktonus hat sich auch auf den rechten Hinterfuss eingefunden. Es bestehen sonach an den Vorderbeinen rhythmische Krämpfe, in den Schulterhebern und Fingerstreckern und an den Hinterbeinen ein heftiger Beuge- krampf, dem ein Streckkrampf nachfolgt. Letzterer ist so stark, dass der Hund nicht sitzen bleiben kann, auch wenn man ihn auf die Brust aufrichtet. Um das Fressen zu ermöglichen, muss man ihn dann mit der Hand am Becken zu Boden drücken, weil dieses ohne eine solche Hilfe stets emporgerissen und der ganze Körper aus seiner verhältnismässigen Ruhelage gebracht wird. Alle 4 Beine krampfen zu gleicher Zeit. Im Schlaf nehmen die RT EN IF TS, e ei he 3 an BE yeah u dal Nie 73 aulad mn hat ar an a Da a EN are ie ne, Chorea der Hunde. 43 Krämpfe sehr stark ab ; ein leichtes Schenkelbeugen bleibt aber auch in dem tiefsten Schlaf zurück, der beobachtet wird. Resumieren wir die Erscheinungen, so finden wir auch hier wieder ticartige, rhythmische Krämpfe von grosser Ausdauer, bei sichtlich gutem Allgemeinbefinden und ohne nachweisbaren Kon- nex mit Staupe. Auch hier gehen die Krämpfe in Pausen von beiläufig einer Sekunde vor sich, werden im Schlafe fast ganz reduziert, verschwinden in der Ather- und Chloroform- narkose vollständig, werden aber durch hohe Morphindosen kaum beeinflusst. Bei Aufmerksamkeitserregung vertiefen sie sich und werden häufiger. Sie spielen sich vorwiegend in den muskulösen Extremitätenwurzeln ab, ziehen aber auch die Halsbeuger und -wender, ferner die Rücken- und Lendenmusku- latur mit ein. Alle Muskeln krampfen gleichzeitig und unab- änderlich in der gleichen Weise: jeder einmal befallene Muskel kontrahiert sich in gleichem Ausmasse und in der unabänderlich gleichen Kombination mit anderen. Auch die Aufeinanderfolge der Kontraktionen der Elemente einer Muskelgruppe wird aufs schärfste eingehalten. Die Krämpfe haben alle einen ausge- sprochenen Tic-Charakter: es erfolgen elementare Bewegungen immer in der gleichen Folge und in kurzen Intervallen. Ein Unterschied mit dem vorigen Falle ergibt »ich nur insoferne. als die Kontraktionen in ihrem Abfalle oder auf ihrer höchsten Ent- wicklung mit einem Klonus oder auch mit einem Tonus verbun- den sein können. M. H.! Die hier vorgeführte Krankheit ist bei Hunden seit langer Zeit bekannt. Joest hat sich der dankenswerten Mühe unterzogen im Anschlusse an einen von ihm gesehenen Fall, alle darauf bezüglichen Literaturangaben zusammenzustellen. . Bei einer vergleichenden Betrachtung finden wir, dass bisher etwa 16 Fälle von Chorea der Hunde, wie man diese Affektion bisher nannte, zum Gegenstande einer genaueren klinischen und physiologischen Untersuchung gemacht worden sind. Mit Aus- nahme eines einzigen Hundes, der im Alter von 5 Jahren von Cadiot, Gilbert und Roger untersucht wurde, waren alle anderen Hunde im Jugendzustande bis zu 14 Monaten. In 7 Fällen waren die Krämpfe direkt als Folgekrankheit der Staupe ange- geben; in weiteren 6 finden sich hierüber keine Aufzeichnungen und nur im Joestschen Falle wird Staupe ausdrücklich negiert. In 4 Fällen waren die Zukungen allgemein, in 9 Fällen nur auf eine Muskelgruppe beschränkt oder halbseitig. Komplikationen sind verschiedentlich aufgezählt. In den Fällen von Chauveau bestand eine Muskelatrophie der Vorderbeine, von Jackson ini- 44 Tabelle der wichtigsten Angaben über vorher unter- Prof. H. Dexler: EL ” bie 3 Zum Teil nach Joests 1% Autor = Alter /Anamnese|) Krankheitsbild Komplikationen u h Allgem. Zuckungen a er = nıtıale Faralyse des rechten Chauveau Nach Halbseit. Zuckung. Vorderf.; spät. allgem. Zuck. taupe | Halbseit. Zuckung. | Heftige Zuekungen d. recht. Vorderfusses, der schlaff | , Rn kn gelähmt und atrophisch war I I ee a ee Legros u. 1 u Onimus | 2 ne: | Zucken eines Vor- Bert 1 =D 5 derfusses En r | Nach Initiale allgemeine Pa- Jackson | 1 Staupe resen, dann Zucken ai ER I | _ beider Vorderbeine 2 6 M. Allgemeine Zuckung, | Motorische Schwäche d. Nach- Gowers u | Nach 6—7 pro Minute aa al halbseitige Hyper- | 3 1 Sankey 2 | juv Staupe | Zueken i. Vorderbein | | 1 Ex ar zes 27 = Hadden Rosenthal | ı | jur. 23 Zucken des rechten ER: | Vorderfusses NER in De Sr ar aan e Nach Allgem. Zuckungen Quincke 1 | Ju Staupe 100—120 pro Min. Anz ! Re a Br Cadiot, | 3 . A RE Gilbert u. | ı [5 Jahre A! en, 2. Roger | TE Lienaux | 1 Nach Ver-) yrgeialistic _ E: | wundung 3 SE \ I - Parese des Hinterteils mit Carougeau ı |14M, a Allgem. Zuckungen| Analgesien und Muskel- Br | AARS % ? _ atrophien Joest ı 3M. Keine Zuck. d. recht. Vorderf. 3 | Staupe ‚50-70 pro Minute Tatty ı und | | . Nach Lähmungen, ‚Jacquin * II | Staupe Zuckungen — man Infeld |ı|)6M. u: Allgem. Zuekungen | Tnitale a — — | — = - 2 en | 1.13:M. Obne jAllgem. Zuckungen | Lähmung des rechten Staupe | 25—30 pro Min. Vorderfusses Dexler | I 6 M. Nach |Allgem Zuckungen | Allgem. motor. Schwäche Staupe ? 50—60 pro Min. mittleren Grades Chorea der Hunde. Anat. Substrat des Halsmarkes Krämpfe ; Versuche Erfolg 3 Durchschneidung des | Persistenz d. Zuckung. ir 4 Halsmarkes u, Er — IDurchschneidung des |Persistenz d. Zuckung. — h Halsmarkes P) = —— . | S Durchschneidung | Persistenz der RR 4 2 Bi > Ä “ Durchschn. d. R.M. oberhalb u.unterhalb 5 der Brustanschwell., I, d. Dorsal- u. Ventral- 4 wurzeln. Opiate., | Br K., Äther, Chlorof. 45 _ suchte Fälle von sogenannter Chorea des Hundes. _ Angaben zusammengestellt. Anmerkung Chauveau sieht in den Krämpfen eine abnorme Reflexer- scheinung Lokalisation d.Krampf- zentren i. d. Hinterhör- nern und Reflexkolla- teralen bei indirekter Beeinflussbarkeit d. Schreck, Furcht etc. Persistieren bis Durehtrennung mot. Wurzeln Persitieren ‚Zessieren Lokalisat. d. Krampf- zentrums in die sen- siblen Zellen der grauen Substanz Im Schlaf zessieren ler Krämpfe Äthernarkose. Durchtrenn. d. ober- sten Halsmarkes Durehtrennung des Rückenmarkes Zessieren Zessieren m.Ausnahme| Piffuse Myelitis der Kopfmuskeln Persistieren. Ganglienzellenentart. u. Gefässumscheid. Anat. Anomalien se- kundär aus der Über- _ anstrengung entst. Arterielle Injekt. von Lykopodium Zess. aller Willkür- beweg., Persistieren d. Krämpfe Leukozytäre Gefässin- filtrate - Bei partieller Unters. des R. M. negativ _ H.erklärt anatom.Ano- malien für inkonstant 4 Morphiumnarkose # Chloralnarkose "| Athernarkose Schlaf Sektion von Th; # Sektion von C;z Persistier.d. Krämpfe Schwächer werden Zessieren Persistieren Zessier. i. Hinterteil Persistier. i.Vorderteil Makroskopisch nega- tiv Krampfirequenz hängt vonanderen Einflüssen ab Sukzessive Gehirn- abtragung b. zum Nucl. facialis Zessieren erst mit der Zerstörung d. Kernes VIl Lokale Affekt. der Nuel. VII. unbekannt. Art, psychisch beein- _flussbar Zessieren nach Heilung d. Wunde Leukozytäre Infiltrate namentlich des Ven- tralhornes Diffuse Myelitis Schlaf Zessieren Neurose Zelldestruktionen im Gehirn u. Rückenm. Generalisierter Tic. Myoklonie ? Äther, Chlorof., Schlaf, Morphin, Mg Cl, Äther, Chlorof.; Morphin, Mg Cl. Zessieren schon i.Vor- stad. d. Bewusstlosig. Persistieren Zessieren Persistieren Psychisch beeinfluss- bare postinfektiöse rythm.Krämpfe; all- gemeiner Tic. 46 Prof. H. Dexler: tiale allgemeine Paresen, die den Krämpfen vorangingen, von Gowers und Sankey kutane Hypästhesien und bedeutende moto- rische Schwäche der Nachhand usw. Alle Fälle waren chro- nischer Natur mit Ausnahme eines einzigen von Li@naux referierten, der auch ätiologisch nicht hieher gehört. Um das Wesen der Krämpfe zu ergründen, sind verschie- dene experimentelle . Eingiiffe vorgenommen worden. Quincke untersuchte den Einfluss der Narkotika und fand, dass Chloro- form- und Äthernarkose die Krämpfe zum Aufhören bringen, Morphin, Chloral- und natürlicher Schlaf jedoch nicht; bei den Hunden von Jackson und von Joest hörte das Zucken während des Schlafens auf. Nach der Halsmarkdurchschneidung des Fal- les von Chauveau zessierten die Krämpfe nicht, wurden aber später etwas schwächer, wogegen sie in einem der Fälle von Gowers und Sankey nach einem solchen Eingriffe sofort aus- blieben. In den Durchschneidungsversuchen von Bert hielten die Krämpfe an, bis die motorischen Wurzeln zerstört waren; ebenso erhielten sich die Krämpfe auch nach der Durchtrennung des Rückenmarkes in dem zweiten von Gowers und Sankey bear- beiteten Falle. Im Falle von Quincke, bei dem allgemeine Zuckungen vorhanden waren, standen dieselben im Hinterteile nach der Durchschneidung im 3. Thorakalsegment, blieben aber in den Vorderbeinen nach der Durchschneidung des 3. Halsseg- mentes bestehen. Während also für das Hinterteil die Sonde- rung vom Gehirne ein Aufhören der Krämpfe bedingte, genügte der Eingriff im Halsmarke nicht, um sie auch im Schultergürtel auszulöschen. Die hier wie im Falle von Bert ausgesprochene Lokalisation eines vermutlich Krampf erregenden Faktors ist bei Cadiot, Gilbert und Roger insoferne noch weiter getrieben wor- den, als der von diesen Autoren beobachtete Facialistic bei der sukzessiven Gehirnabtragung erst mit der Zerstörung des Facia- liskerns verschwunden sein soll. Der damit angedeutete Versuch einer Lokalisation des oder der Krampfzentren hatte nur einen teilweisen Erfolg. Die äl- teren Autoren konnten mit den damaligen wenigen ausgebildeten histologischen Methoden nichts Spezifisches finden oder haben überhaupt nur makroskopisch untersucht. Gowers und Sankey waren die ersten, denen es gelang, in dem Rückenmarke des ersten ihrer Hunde eine diffuse Myelitis aufzudecken. Auch Hadden war soweit erfolgreich, dass er einen ähnlichen positiven Befund in einem Falle, einen negativen dagegen in einem zweiten Falle verzeichnete, dessen Rückenmark er nur partiell nach Ver- änderungen durchsucht hat. In der Nachahmung der Anschauung von Gowers hielt Hadden die gefundenen disseminierten Gefäss- infiltrationen und Ganglienzellendestruktionen einmal für nicht 4 en Chorea der Hunde. 47 konstant und ausserdem für sekundär, als Folgeerscheinungen der durch das Zucken bedingten UÜberanstrengung. Carougeau ‚. fand ausgebreitete Gefässumscheidung durch leukozytäre Ele- mente, so dass auch hier der Bestand einer Myelitis gesichert wurde, als deren Folgen sich die Zückungskrämpfe unschwer er- klären lassen. Dadurch war auch eine Wandlung in der Auf- fassung der sogenannten Hundechorea angebahnt worden, die sich nicht mehr als funktionelle Reflexstörung (Chauveau, und nach ihm Legros und Onimus und auch Bert) darstellte, sondern als eine disseminierte Myelitis, wie sie in den allerverschiedensten Gestalten die Staupe begleiten kann. Auf den grossen Kliniken wird diese Krankheit sehr häufig gesehen, so dass sie, wenigstens was ihre Erscheinungsform an- belangt, zu den bestbekannten abnormen Zuständen des Hunde- geschlechtes zählt. Sie stellt sich als eine sehr gewöhnliche Nachkrankheit der katarrhalischen Staupe dar oder kann dieser zuweilen auch vorangehen. Man findet bei der Staupe in den nervösen Formen so ausserordentlich zahlreiche Übergänge und Kombinationen mit den verschiedensten Lähmungen und Krämpfen, dass der Zu- sammenhang dieser Krampfform mit der Grundkrankheit auch j dann nicht von der Hand gewiesen werden kann, wenn man die N! Erscheinungen der katarrhalischen und exanthematischen Staupe | übersehen haben sollte oder wenn die Anamnese hierüber nichts auszusagen vermag. Tatsächlich ist auch das anatomische Sub- strat bei der nervösen Staupe qualitativ ein ungemein gleichför- miges und dem des Staupetics gleich. Nach zahlreichen Unter- suchungen neuerer Autoren wie Galli-Vallerio, Mouquet, Bohl, Cadeac, Carougeau und mir handelt es sich bei diesem Leiden um disseminierte herdförmige Prozesse, die in innig- ster Beziehung zu den Gefässen stehen und erst sekundär parenchymatöse Destruktionen setzen. Das Exsudat ist immer ein interstitielles und beschränkt sich in der Regel nicht auf einen bestimmten Abschnitt des Zentralnervensystemes, so dass sich eine Spezifizierung nach zervikalem, spinalem, lum- barem Typus etc., wie dies Cadeac vorschlägt, weniger empfiehlt. Galli-Vallerio hält eine hämorrhagische, Carougeau eher eine / Poliomyelitis für charakteristisch. Diese und andere kleine Differenzen können naturgemäss der einheitlichen Auffassung des anatomischen Erscheinungskomplexes keinen Abbruch tun. Alle Herde liegen vorwiegend in der grauen Substanz, ohne sie aus- schliesslich zu befallen, sind vollkommen regellos verteilt, manch- mal sehr häufig ein anderesmal sehr spärlich. Ihr Sitz lässt sich häufig auch klinisch ermitteln, wenn nur umschriebene Ge- biete betroffen sind. Die Nachsuche nach den substantiellen 5 e RE a ae Du Fr a A an a an cc a I ek; . “ Br; 48 > Prof. H. Dexzler: Anomalien ist gewöhnlich sehr bald von Erfolg begleitet; der disseminierte Charakter der Zellinfiltrate bringt es mit sich, dass zuweilen eine sehr minutiöse Serienuntersuchung nicht zu um- gehen ist, wenn der Nachweis exakt sein soll. Es ist gar keine Frage, dass die Befunde von Gowers, Sankey, Hadden und Carougeau ganz ungezwungen hierher zu rechnen sind. Sie be- trafen fast alle staupekranke Hunde und waren überall als eine vorwiegend herdweise inflammatorische Affektion erkannt worden. Es erscheint uns daher die Kontinuität der sogenannten Hunde- chorea mit der Staupe sowohl klinisch wie anatomisch herge- stellt. Atiologisch ist sie mangels der Kenntnis eines Staupe- erregers zur Zeit noch nicht zu führen. Wenn Sie mich nun, M. H., fragen, warum ich bei dem ziemlich geklärten Standpunkte unseres Wissens Ihnen abermals 2- derartige Fälle demonstriere, so geschieht es vornehmlich, um meinen seit Jahren aufgestellten Protest gegen die übliche Ho- mologisierung dieser Krankheit des Hundes mit der Chorea des Menschen neuerdings zu betreiben. Über die Gleichstellung der Chorea des Menschen mit jener des Hundes bestand durchaus nicht immer die einheitliche Auf- fassung, die wir aus der Lektüre sehr vieler Lehrbücher der komparativen Pathologie zu entnehmen vermeinen. Obwohl eine solche Gleichstellung von vorneherein jedem, der das Krankheits- bild der Chorea beim Menschen und beim Hunde kennt, als ein krasser Anthropomorphismus imponieren dürfte, so sind dagegen doch wenige spezielle Einwendungen erhoben worden. Solche haben aber tatsächlich seit langem existiert. So deutet der von Quincke in seiner Arbeit gewählte Titel „Uber die sogenannte Chorea der Hunde“ einen Zweifel nach dieser Richtung an. Auch Fröhner hat in den älteren Auflagen seines Lehrbuches angegeben, dass man sich über die betonte Homologie nicht sicher äussern könne. Dazu sei die Anzahl der publizierten Kraukheitsfälle zu gering nnd die Art mancher Mitteilungen nicht zweckentsprechend. ... . „es scheint indess, als ob zuweilen einfache Gehirn- und Reflexkrämpfe, vielleicht auch eklamptische und epileptische Anfälle damit verwechselt wurden. Die im Ver- lauf der Staupe bei Hunden auftretenden Krämpfe sind keine choreatischen . ...“ Er gibt dann aber zu, dass zuweilen eine symptomatische Entwicklung des echt«n Veitstanzes im Anschluss an die abgeheilte Staupe beobachtet wird; in der neuesten Auflage äussert sich Fröhner über die Berechtigung der bezeichneten Homologie überhaupt nicht mehr und führt die Besprechung der bei unseren Haustieren so oft beobachteten rhythmischen lokali- sierten Krämpfe einfach in dem Kapitel „Chorea“ durch. Chorea der Hunde. 49 Schneidemühl nimmt einen weit zurückhaltenderen Stand- punkt ein. Er meint zwar, dass der Veitstanz auch bei unseren Haustieren vorkommen soll: „In vielen Fällen ist die Krankheit wohl mit epileptischen und epileptiformen Krankheitszuständen verwechselt worden.“ Ahnlich wie Fröhner in seinen früheren Auflagen gibt er besonders an, dass die im Verlaufe der Staupe auftretenden Krämpfe nicht choreatischer Natur sind (p. 684). Müller führt auf pag. 317 seines Handbuches über die Krankheiten des Hundes aus, dass das uns hier interessierende Leiden gewöhnlich mit der Staupe verbunden sei und dass sie „mit echter Chorea des Menschen namentlich wegen der Ver- schiedenheit der Krämpfe nicht verglichen werden kann.“ Er er- wähnt auch meinen ablehnenden Standpunkt, die Chorea des Hundes als selbständige Affektion anzuerkennen. Ich selbst habe an dem ungemein reichen Materiale der Wiener tierärztlichen Hochschule eine solche Menge der aller- verschiedensten Übergänge und Zusammenhänge der katarrha- lischen Staupe mit der sogenannten Chorea gesehen, dass mir die Auffassung dieser Affektion als selbstständige Krankheit voll- kommen unmöglich schien. Ich habe ferner zu der Zeit, als ich auf der damaligen psychiatrischen Klinik von Krafft-Ebing ge- wöhnliche Choreafälle beim Menschen sah, keinen Augenblick an der Unrichtigkeit der Gleichstellung. beider Krankheitsformen ge- zweifelt und konnte mich mit späterer Zustimmung von Mouquet im Jahre 1899 in Lubarsch — Östertags Ergebnissen auf Grund zahlreicher histologischer Befunde bei Staupeencephalitis und Myelitis dahin äussern, dass das Kontagium der Staupe drei grosse Gruppen nervöser Störungen schaffen könne: 1. Lokale klonisch-tonische, dauernde Krämpfe der mannigfachsten Körper- regionen und choreiforme Bewegungen, die man vielfach mit dem unrichtigen Namen Chorea belegt hat. 2. Schlaffe Lähmungen der Extremitäten und Sphinkteren. 3. Anfallsweise unter Be- . wusstseinsverlust auftretende, klonisch-tonische,epileptoideKrämpfe. Analog hat Mouquet diese längst bekannte, heute aber noch immer nicht genügend gewürdigte Tatsache mit den Worten be- tont, dass alle nervösen Funktionsstörungen, die als Nachkrank- heiten der Staupe auftreten, eben dieser Krankheit angehören und nicht eigene Krankheiten darstellen, die gewöhnlich dann nach dem auffallendsten Symptome genannt werden. Hierher ge- hören die Ties des jeunes chiens, die Chor6e des chiens der französischen Autoren, die Paralysis agitans von Ben Danou, viele Fälle von Epilepsie der Hunde, die Menieresche Krank- heit u. a. m. Hutyra-Marek haben sich in der diesjährigen Auflage ihres Handbuches unverhüllt dem von mir schon vor 10 Jahren be- 5* 50 Prof. H. Dexler: ER EREN Be LER tonten Standpunkte angeschlossen, indem sie (pag. 826) angeben: „die im Verlaufe der Staupe auftretenden oder nach dem Abklingen der ab und zu auch unbemerkt vorübergehenden akuten Erschei- nungen zurückbleibenden lokalen Krämpfe, die von den franzö- sischen Autoren allgemein als Chorea betrachtet werden, können ihr nicht mit guten Recht zugezählt und noch weniger als eine selbständige Krankheit aufgefasst werden“. Es be- steht nämlich schon klinisch ein grosser Unterschied zwischen der Chorea und den Staupekrämpfen. Bei der Staupe bleiben die Krämpfe auf dieselben Muskelgruppen beschränkt, in denen sie einmal aufgetreten sind, lassen dabei einen mehr oder weniger auffallenden Rhythmus erkennen und bleiben dauernd bestehen. Dies alles weist auf den Bestand einer lokalen, or- ganischen Nervenerkrankung hin, die auch durch den Nachweis einer Entzündung des Rückenmarkes und des Gehirnes wieder- holt erbracht worden ist. Nach der vergleichenden Nebeneinanderstellung dieser An- schauungen sind wir mehr oder weniger berechtigt zu behaupten, dass sich, ungeachtet aller Langsamkeit, die Erkenntnis doch Bahn zu brechen begann, das Vorkommen echter Chorea beim Hunde zur Zeit noch als ganz unerwiesen betrachten zu müssen, dass also die vielfach auch heute noch behauptete Homologie einer tatsächlichen Grundlage entbehre. Wenn ich hier trotzdem nochmals auf die Frage der Wesensgleichstellung der Chorea der Hunde mit der des Menschen eingegangen bin, ge- schah dies aus einem ganz speziellen Grunde. Es hat sich nämlich Joest vor 5 Jahren wieder für die Aufrechthaltung der bekämpften Homologisierung eingesetzt und ist damit meinen Bemühungen, die veterinäre Terminologie vor dem Wuste alt- hergebrachter und falscher Krankheitsbezeichnungen zu befreien, in diesem Punkte entgegengetreten. Er bekämpft in seiner diesbezüglichen Arbeit die Richtigkeit meiner und der Mou- buetschen Argumente mit folgenden Sätzen: Die Chorea des Hundes stellt eine „eigenartige Neurose dar, die fast stets als Folgekrankheit der Staupe auftritt“. Beim Vergleiche mit der menschlichen Chorea ergibt sich in der „Hauptsache ein Unterschied nur in der Art der choreatischen Bewegungen“. Mikroskopisch „findet man in vielen Fällen keinerlei Veränderungen“ in „anderen Fällen dagegen Läsionen besonders im Rückenmarke“ vor, die im wesentlichen aus „stellenweiser Anhäufung von Rundzellen“ in „perivaskulärer Anordnung der zelligen Infiltrationen, welche sich dadurch als Entzündungsherde charakterisieren“ bestehen. Es ist anzu- nehmen, dass diese „in vielen Fällen zu den choreatischen Er- scheinungen Beziehungen besitzen“. „Die Feststellung, dass a Ba a er nn 0 Ex Zoch u er at Chorea der Hunde, 51 die Chorea des Hundes höchst wahrscheinlich infektiös-toxischer Natur ist, gewährt der infektiösen Theorie der Chorea eine neue Stütze“. 3... Der Name Hundechorea ist beizubehalten: Die chorea- tischen Symptome entwickeln sich nicht selten bei anscheinend völlig gesunden Tieren; das Krankheitsbild trägt in solchen Fällen durchaus den Charakter eines selbstständigen Leidens... es gibt Fälle, in welchen die Chorea ohne vorausgegangene offersichtliche Staupeerkrankung auftritt. Derartige Fälle können doch klinisch nicht als Staupe bezeichnet werden, wenn sie auch 'ätiologisch aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine latente In- fektion mit dem Staupevirus zurückzuführen sind. Die Bezeichnung Chorea des Hundes verdient abgesehen von historischen Erwägungen, besonders mit Rücksicht auf die vergleichende Pathologie beibehalten zu werden.“ Nach diesen Ausführungen oblag es mir, durch geeignete Aus- wahl solcher Choreafälle eine Widerlegung zu ermöglichen, an denen die Zeichen einer katarrhalischen oder exanthematischen Staupe nicht mehr nachweisbar waren. Ich hatte ferner eine Analyse der sogenannten Choreakı ämpfe vorzunehmen und schliesslich die histologische Bearbeitung des Zentralnervensystems dieser Hunde, deren ich heute zwei vorge- stellt habe, ad hoc durchzuführen. Die Verwirklichung des letzten Punktes wird Gegenstand einer eigenen Publikation bilden. - Was nun die Ausführungen Joests anbelangt, so ist es mir leider unmöglich, auf seine vergleichend klinischen An- saben vollinhaltlich zurückzukommen. Er skizziert das klini- sche Bild der menschlichen Chorea vornehmlich aus dem Hanibuche von Ziemssen und aus der Monographie von Wollen- berg, ohne selbst ein Urteil darüber zu habeo. Das Ziemssensche Werk ist wohl in der Frage der Neurosen weit überholt und auch bei der Wahl von Wollenberg ist die Hand Joests gerade für seine Zwecke keineswegs glücklich gewesen. Bei dem heu- tigen Stande unserer Kenntnisse der Neurosen und ihrer enor- men Literatur kann der Versuch einer Kenntnisschöpfung aus ihr mit so unzulänglichen Mitteln kaum ernst genommen werden. Die Chorea ist eine Psychogenie, deren Wesen man wohl nicht aus Büchern erfassen kann. Dazu kommt noch, dass Joest seinen Choreabegriff beim Hunde nicht scharf abgrenzt. Er macht ähnlich wie Fröhner und Schneide- mühl folgenden Vorbehalt (pag. 96): „Es sind hier nicht, wie aus- drücklich betont werden soll, die Fälle von bestehender Staupe gemeint, in welchen diese Seuche mit nervösen Symptomen ver- schiedenster Art einhergeht, sondern solche Fälle, bei welchen 52 Prof. H. Dexler: TER die Chorea nicht im Verlauf der Staupe, sondern im Anschluss an dieselbe oder später, aus anscheinend vollständiger Gesund- heit heraus sich entwickelt. Von Chorea beim Hunde kann man nır sprechen, wenn die choreatischen Symptome in ihrem Auf- treten eine gewisse Selbstständigkeit besitzen“. Diese Tren- nungslinie ist fraglos eine künstliche. In vielen Fällen wird man nicht wissen, wo die Staupe aufhört und die Chorea be- ginat. Wie soll ich jene Krämpfe nennen, die den rbythmischen Zuckungscharakter tragen und währeud des Verlaufes der Staupe aufgetreten sind —, wie soll ich mich verhalten bei solchen Krämpfen an Hunden, deren Anamnese, wie so häufig, ungenau oder überhaupt unerhebbar ist? Zumal Joest selbst zugibt, dass Abortivformen der Staupe vorkommen können, ja dass das „choreogene Agens“ aufgenommen werden kann, ohne dass es zum Ausbruche einer ausgesprochenen Staupe kommt. Die zu- gestandene Staupegenese der sogenannten Hundechorea macht eine zeitliche Trennung dieser von den sonstigen Arten der Staupe sinngemäss unmöglich. Für die von Joest gewünschte Annahme „einer gewissen Selbstständigkeit* zur Diagnostik der Chorea hat er keine Grenznormen geben können. Des weiteren ist es nicht erklärlich, wie Joest die Hunde- chorea eine Neurose nennen kann. Vorausgeschickt sei, dass er selbst keinen einzigen Hund auf das materielle Substrat der betreffenden klinischen Erscheinungen untersucht hat, sondern sich nur auf die Literaturangaben berufen muss. Diese aber zeigen ihm, dass von 15 Fällen 10 überhaupt nicht histologisch bearbeitet worden sind; ferner, dass nur ein Fall von Hadden diesbezüglich negativ war und dass gerade hier nicht eine ver- lässliche, sondern: nur eine partielle Untersuchung stattgefunden hat. Joest referiert selbst, dass in anderen Fällen — gemeint sind die von Gowers und Sankey, ferner von Carougeau, Had- den, denen man noch die von Tatty und Jacquin anschliessen könnte — Veränderungen erhoben wurden, die er als entzünd- liche anspricht. Damit kann die Hundechorea unmöglich eine Neurose genannt werden. Umsomehr als Joest wieder nicht be- streitet, dass die gefundenen Anomalien zu den choreatischen Symptomen in vielen Fällen Beziehungen besitzen. Der Hinweis auf das anatomische Substrat und die Überschrift Neurose schliesst einen unauflösbaren Widerspruch in sich. Ferner betrifft die Abweichung der Hundechorea von dem Krankkeitsbilde der menschlichen Chorea durchaus nicht nur die Form der Bewegungen allein wie Joest meint. Er führt ja selbst an (pag. 195), dass beim Hunde mehr das Rückenmark. beim Menschen das Gehirn betroffen sei, und ferner, dass die Krampfrhythmizität choreatischer Hunde einen noch ungeklärten Chorea der Hunde. 53 Unterschied ergibt, woraus also schon zwei weitere Differenz- merkmale abgeleitet sind. Über die gewaltigen Unterschiede, die sich aus der Wesens- auffassung beider Krankheiten herleiten, kann ich mich hier aus den oben erwähnten Gründen nicht weiter auseinandersetzen; ich will nur die Theorie der abnormen Bewegungen, die wir bei solchen Hunden sehen, mit einigen Worten streifen, obwohl ihre Homologie bereits von Marek abgelehnt wurde und obwohl der Begriff der menschlichen Chorea sich durchaus nicht allein auf die eigentümlichen Bewegungen allein stützt. Der ganz beträchtliche Abstand, den man zwischen . den Bewegungen bei der sogenannten Hundechorea findet, von jenen der menschlichen Chorea ist sehr vielen Autoren aufgefallen und auch von Joest zugestanden worden. Der versuchten Homologie zu Liebe erklärt er ihn aber für durchaus nicht bedeutend und beruft sich auf Jackson, der in ganz vagen Sätzen die Ansicht ausgesprochın hat, dass die Differenz der Bewegungszentren des Menschen und der Tiere hieran Schuld sei. Konkrete analy- tische Momente hat dieser Autor naturgemäss nicht aufzählen können. Joest findet, dass diese Anschauung Jacksons sicherlich etwas Richtiges enthält; denn ebensowenig wie die normalen Bewegungen des Hundes sich ohne weiters mit dem vielseitigen Gebrauche der Arme und Hände und dem Mienenspiel der Menschen vergleichen lassen, ebensowenig kann man die durch den krankhaften Zustand der Zentralorgane bedingten, patholo- gisch veränderten Bewegungen jener Muskeln beim Mensch und Hund ohne weiters in eine Parallele setzen. In der Tat enthält die Anschauung Jacksons nicht die ge- ringste Erklärung. Die feinere Differenziertheit der menschlichen Handbewegungen ‚von jener der Hundepfote hat damit gar nichts zutun. Ein jeder Hund hat Heber, Beuger, Pronatoren und Supina- toren der Extremitäten und er müsste bei Chorea zum mindesten diese Muskelgruppen irregulär abwechselnd innervieren, wenn sich irgendwelche Analogien mit der menschlichen Chorea anbahnen lassen sollten. Das geschieht aber niemals; es krampft immer nur ein Muskel, oder eine Muskelgruppe, unabänderlich und ein- tönig. Es gibt keinen Innervationswechsel, gleichgültig ob die Muskeln einfach oder komplizierte Funktionen haben. Es sind nichts wie einfache, echte, lokale Krämpfe, die keinerlei Be- ziehungen zu reaktiven Bewegungen haben und die niemals auto- matische Akte darstellen können, wie Fröhner meint, weder im physiologischen noch im psychologischen Sinne. Wenn, wie dies oft der Fall ist, die Muskeln der Beine ergriffen sind, so kann die Lokomotion sehr erschwert sein; es werden dem 54 { Prof. H. Dexler: Hund bei jedem Krampfschlag Hals und Kopf zwischen die Schultern gerissen oder das Becken wippend bewegt. Er kann beim Gehen schwanken und taumeln — aber nur eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise kann darin „tanzende* Bewe- gungen erblicken. Nach den Lehren der modernen Neurologie liegt nichts anderes als ein solitärer, bisweilen generalisierter, postinfektiöser Tic oder ein lokaler rhythmischer Krampf der verschiedensten Ausdehnung vor, der mit dem Bewusstsein schwindet und durch psychische Erregungszustände und Affekte beeinflusst werden kann. Er ist aber organischer Natur. Darauf weisen ausser den Entzündungsherden nicht nur die Ergebnisse der Durch- schneidungsexperimente, sondern auch die häufigen Monoparesen und Paralysen und der korrespondierende Muskelschwund hin, der gar nicht selten gefunden wird. Es ist kein Problem, nach dem zerebralen oder dem spinalen Krampfzentrum zu fragen. Das Staupeeift ist unter gewissen, uns noch nicht bekannten Umständen imstande, eine Panneuritis zu erzeugen, mit ausser- ordentlich unregelmässiger Verteilung der Entzündungsherde und es ist nebensächlich, wo sich diese Herde im Verlaufe des Monakowschen Bündels etablieren. Trifft einmal ein solcher Herd nur die kopfwärts gelegenen Partien dieser Bahn, so wird die Rückenmarksdurchschneidung den von Gowers gezeigten Effekt haben. Sind die Herde multipel, so wird die Krampf- zessierung erst mit der Zerstörung der oder des lokalen Herdes zu gewärtigen sein, wie dies im Falle von Cade&ac, Gilbert und Roger der Fall war. Angesichts dieser Umstände scheint mir das Aufrechter- halten der betreffenden Homologie ganz und gar ausgeschlossen und ich möchte neuerdings betonen, dass man auch kein Recht hat, die bei den übrigen Haustieren gesehenen rhythmischen Krämpfe unter dem Namen Chorea zu subsummieren. Die Be- trachtung eines jeden neuen Falles lehrt uns dies zur Genüge. Als der Nervenarzt Dr. Infeld im Jahre 1903 einen solchen Hund in seine Hände bekam, wusste er kein von der Krankheits- lehre des Menschen herüber zu nehmendes entsprechendes Krankheitsbild zu nennen. Er bezeichnet die Zuckungen als rhythmisch, vergleichbar mit einem allgemeinen Tie oder mit den Zuckungen der Myoklonie. Sie entsprechen der menschlichen Chorea wenigstens nach der Bewegungsform gar nicht: (briefliche Mitteilung). Ich bin der festesten Überzeugung, dass jemand, dem das Krankheitsbild der menschlichen Chorea geläufig ist, hier unmöglich Identitäten anzunehmen sich versucht fühlt. Wir müssen daher den Ausdruck Chorea beim Hunde völlig aus- merzen und auch die adjektivischen Bezeichnungen choreiform oder choreatisch so weit es geht vermeiden, weil sie auf den } Be EL EN Chorea der Hunde. 55: Hund bezogen, Sinnstörendes enthalten. Bis zur Aufstellung eines besseren Namens können wir das Wort Staupetic ver- wenden oder den Namen rhythmischer, postinfektiöser Krampf. An dieser Anschauuug, dass der Ausdruck Chorea der Hunde ein unberechtigter ist, halte ich bis zum Beweise des Gegen- teiles fest und ich freue mich besonders, diese meine Überzeu- gung vor dem Forum der hier versammelten Psychiater und Neurologen zur Diskussion stellen zu dürfen. Mit der Annahme unseres hier skizzierten Standpunktes müssen auch die übrigen Postulate von Joest fallen. Es haben die genetischen Momente des Staupetics keine Stütze für die in- fektiöse Theorie der menschlichen Chorea in sich. Jene Forscher, welche wie Tatty und Jacquin, aus dem Studium dieser Ties Aufklärungen für die Chorea des Menschen erwartet haben, haben sich vergebens bemüht. Ihre Ergebnisse waren falsch, weil die Prämissen falsch waren. - Das hin und wieder gesehene, gesonderte oder für selbst- ständig gehaltene Auftreten der rhythmischen Krämpfe ist ter- minologisch bedeutungslos; denn selbst, wenn sie tatsächlich symptomatologisch und genetisch isoliert in Erscheinung treten "sollten, werden sie deshalb immer noch zu keiner Chorea; daran kann auch dır Hinweis auf die sprachliche Herkunft dieser Gleichstellung durchaus nichts ändern; historische Erwägungen allein haben noch nie eine falsche Homologie vor ihrer Aufhe- bung zu retten vermocht. Zum Schluss sei es mir gestattet, noch auf einen Vergleich hinzudeuten, den Joest in einer Fussnote mit der Chorea elec- trica versucht. Ich halte auch die Herbeiziehung dieses Vergleiches für unberechtigt; gerade die aufmerksame Lektüre von Wollenberg wird Joest gezeigt haben, dass die Chorea electrica keine Chorea ist; wenn jemand die Chorea des Hundes mit ihr in eine Paral- lele setzen wollte, so kann auch diese keine Chorea sein; mit einer solchen Homologisierung würde gerade das Gegenteil von dem bewiesen werden, was Joest zu beweisen wünscht. Diskussion: Doz. Dr. Margulies erörtert nur mit einigem Widerstreben die vorliegende Frage u. z. wegen des allgemeinen Missbrauches, der mit dem Namen Chorea, choreiform etc. ge- trieben wird. Trotzdem möchte er zustimmen, dass es sich bei den vorliegenden Fällen von sogenannter Staupechorea nicht um choreatische Bewegungen handelt. Er möchte nur einige Punkte hervorheben. Vor allem die Form der Zuckungen, die rhythmisch sind, also Krämpfe. Ferner sind sie untereinander 56 Prof. H. Dexler: synchron. Was aber unbedingt eine Homologie mit der mensch- lichen Chorea ausschliesst, ist der Gang des einen Hundes. Dieser deutet mehr auf eine Paraparese infolge Läsion des Lendenmarkes. Vom klinischen Standpunkte spricht gegen die Homologie, dass es überhaupt misslich ist, Krankheitsbilder von Mensch auf Tier direkt zu übertragen. Ferner wurde hier stets ein pathologisch-anatomischer Befund erhoben, was bei der Chorea fast nie oder sehr selten der Fall ist. Es handelt sich also wohl auch hier um eine Myelitis. Die Krämpfe selbst er- innern sehr an einen Myoklonus. Die Krankheit ist somit ätio- logisch klar. Unklar ist sie nur insoweit, ob die Reizerschei- nungen vom-Gehirn oder Rückenmark ausgehen, es kann viel- leicht aber auch beides abwechseln. Doz. Dr. Fischer ist der Anschauung, dass man nicht von wirklicher Chorea, sondern nur von eigenartigen Zuckungen sprechen kann, die man in Analogie mit dem Menschen als tic- ähnlich bezeichnen könnte. Es handelt sich um kurze Zuckungen ein und derselben Muskelgruppe, meistens synchron in den ver- schiedenen Extremitäten. Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit solchen Krämpfen, die u. a. auch bei der progressiven Paralyse vorkommen. Dort zeigt sich, dass meistens am Bein und Arm derselben Seite, manchmal auch im Facialisgebiet der- selben Seite Zuckungen, im Gesicht Hebung des Mundwinkels, am Arm Beugung, am Bein Drehung eintreten. Diese Kontrak- tionen sind ziemlich rhythmisch und wurden von Kemmer synchron mit dem Puls gefunden u. z. immer in Fällen von Paralyse. Er zog daraus den Schluss, dass die Paralyse die Gehirnrinde derart reize, dass der Puls zur Auslösung der Krämpfe führe. Bei der Aufschreibung beider Bewegungen mit dem Kimographion wurde diese Eigenschaft allerdings nicht betätigt. Es zeigte sich, dass sie denn doch nur im Groben übereinstimmen, eigentlich aber nicht genau synchron verlaufen, sondern nur zeitweise bei- nahe zusammenfallen. Dasselbe ist auch beim Hunde im vor- liegenden Falle zu sehen. Auch in bezug auf die pathologische Anatomie liesse sich die angegebene Parallele weiter verfolgen. Dr. Weil verweist auf den Befund Lenz’s-Berlin betreffend den Nachweis Negrischer Körperchen bei nervöser Staupe. Prof. Dr. Gottfried Pick schliesst sich vollständig dem Vor- tragenden, Margulies und Fischer an. Die Unterschiede sind zu beträchtlich, um das vorliegende Bild mit Chorea vergleichen zu können. Es fehlt vor allem der gewisse ataktische Charakter der Bewegungen. Viel eher könnte man sie mit dem ver- gleichen, was man Tie nennt. Man könnte glauben, dass die Ursachen dieser Bewegungen mehr spinaler wie zerebraler Natur nn Chorea der Hunde. 57 wären. Dafür sprechen auch die vorgenommenen Durchschnei- dungsversuche. Dr. Löwy meint, dass die hier wahrnehmbaren Zuckungen wohl zunächst an die Paralyse, weiterhin an die Hemichorea, schliesslich an die Hemiatethose erinnern. Auf einen Unterschied sei aber hingewiesen. Diese langandauernden, in demselben Muskelgebiete ablaufenden Zuckungen kann nie- mand als Chorea bezeichnen. Doz. Dr. Sträussler stellt eine Anfrage bezüglich der Loka- lisation, ob sich ‚nämlich eine Parallele zwischen dem anato- mischen Befunde und dem Sitze der Krämpfe ergeben haben. Literatur. Ben Danou, Un cas de paralysie agitante chez le chien. Rev. vet. 1899, p. 31. Cadeac, Maladies du systeme nerveux des animaux domestiques. Bailliere et fils, Paris, 1899. Cadiot, Gilbert und Roger, Contribution a l’etude exp6rimentale et clinique du tic de la face. Rec. de med. vet. 1890. Carougeau, Über die anatomischen Veränderungen des Veits- tanzes. Bull de la -societ& centrale de med. vet. 1898, p. 601. H. Dexler, Die Pathologie und pathologische Anatomie des Nervensystemes und der Sinnesorgane der Haustiere. Er- gebnisse d. Allg. Pathologie u. path. Anatomie d. Menschen u. d. Tiere. Lubarsch-Ostertag, 1900. — Die Nervenkrankheiten des Pferdes. Deuticke, Wien, 1899. Fröhner, Spezielle Pathologie und Therapie der Haustiere. 1908. Enke, Stuttgart. Galli-Valerio, Das Bakterium der Hundestaupe. Journ. de med. vet, et de Zootechnie, 1895, p. 253. Halban u. Infeld, Zur Pathologie der Hirnschenkelhaube. Ober- steiners Arbeiten. H. 9. Hutyra-Marek, Pathologie und Therapie der Haustiere. 1909, Jena. Gustav Fischer. Joest, Über Chorea beim Hunde. Zeitschrft. f. Tiermed. 1904, p- 180. Lienaux, Chorea nach Hautläsion beim Hunde. Annal. de med. vet. 46. Jg. p. 479. Mouquet, Clignotement bilateral des paupieres, des contractions fibrillaires etc. Rec. de med. vet. 1889, Ba 23% — Contribution a l’etude des troubles nerveux de la ade des chiens. Rec. de med. vet. 1899, p. .130. Müller, Die Krankheiten des Hundes. Berlin 1908, P. Parey. Pierret, Paralysie infantile et Choree. Lyon med. 1899, p. 268. 58 Hugo Milrath: Quincke, Über sogenannte „Chorea“ beim Hunde. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakologie, Bd. 19. Schneidemühl, Pathologie und Therapie beim Haustiere. Berlin, 1908, Trenkel. Tatty et Jacquin, Maladie du chien. Lyon med. 1898, Nr. 44. Zitiert nach Joest: Bert, Vulpian, Legros und Onimus, Brown-Sequard, Trasbot. Comptes rendus de la Societ6 de Biologie, 1870, 5. serie, Bd. I. Chauveau, Des convulsions choreiques. Arch. gen. de med. vet. 1865, Vol. 1. Gowers u. Sankey. The pathological anatomy of canine „chorea“. Medico.-chirurgical transactions, 1877, Vol. LX. Hadden. The pathology of canine chorea. Transact. of the pathol. Society of London. 1883, Vol. XXXIV. Jackson, Remarks of a case of chorea in a dog. The Lancet, 1872, Vol. L — Chorea in a dog. Ibidem, 1875. Legros u. Onimus. Recherches sur les mouvementes chor6iformes du chien. -Comptes rendus de l’acad&mie des sciences, 1870, Tome LXX. Rosenthal, Klinik der Nervenkrankheiten. Stuttgart, 1875. Antoine Henri Becquerel. Von Hugo Milrath. Antoine Henri Becquerel, der Sohn des berühmten Physi- kers Alexandre Edmond Becquerel, welcher sich durch seine Forschungen über die Phosphoreszenzerscheinungen hervorra- gende Verdienste erworben hatte, wurde am 15. Dezember 1852 zu Paris geboren. Er studierte zuerst an der Ecole polytech- nique und erwarb sich im Jahre 1877 an der Ecole des Ponts et Chaussees den Ingenieurtitel. Ein Jahr später wurde Bec- querel Assistent am Musee d’Histoire naturelle und 1892 Pro- fessor an diesem Institut. Nachdem er daselbst drei Jahre hin- durch gewirkt hatte, wurde er zum Professor an der Ecole poly- technique ernannt. Im Jahre 1899 wurde Becquerel zum Mit- sliede der Acad&mie des Sciences und erst vor kurzem zu ihrem ständigen Sekretär erwählt; 1904 zeichnete ihn die Universität. Cambridge durch die Verleihung des Ehrendoktorates aus. Am 25. August hat nun den unermüdlichen Forscher im Seebade Le Croisic in der Bretagne der Tod ereilt. 7” ar Ra EEE Antoine Henri Becquerel. 59 Von den ersten Arbeiten Becquerels wären vor allem die Untersuchungen über die magnetische Rotationspolarisation und die Entdeckung dieses Phänomens in den Gasen (1876—1879), die Untersuchungen über die atmosphärische Polarisation und die Einwirkung des Erdmagnetismus auf die Atmosphäre (1879) zu erwähnen. Darauf folgten die Untersuchungen über die Phosphoreszenz (1882—1897), Untersuchungen über die Ab- sorption des Lichtes durch Krystalle (1886—1888) und im Ver- eine mit Charles Brogniart über die grüne Substanz der Phyl- liumarten (1895). In das Jahr 1896 fällt die Entdeckung der Uranstrahlen (Becquerelstrahlen) und der radioaktiven Eigenschaften des Urans, hiemit die Erschliessung des neuen Forschungsgebietes der radio- aktiven Substänzen, auf welchem Becquerel seine hervorragend- sten Erfolge zu verzeichnen hat und für die ihm — gemeinsam mit dem Ehepaar P. und S. Curie — von der schwedischen Akademie der Wissenschaften der Nobelpreis für das Jahr 1903 verliehen worden ist. Die Entdeckung der Uranstrahlen, sowie der Erscheinung ‚der Radioaktivität schliesst sich dicht an die Auffindung der Röntgenstrahlen und an die hiemit zusammenhängenden Studien über die Wirkungen auf die photographische Platte, welche die phosphoreszierenden und fluoreszierenden Substanzen ausübten, an. Bekanntlich waren die ersten Röntgenröhren noch mit keiner metallischen Antikathode versehen; die von den Kathoden- strahlen getroffene Glaswand, welche hiebei stark phosphores- zierte, war der Ausgangspunkt der Röntgenstrahlen. H. Poin- car sprach nun zuerst in der Revue generale des sciences die Ansicht aus, dass die Emission der Röntgenstrahlen eine not- wendige Begleiterscheinung der Phosphoreszenz wäre, unab- hängig von der Ursache der letzteren. Einige Zeit später teilte Henry mit, dass er mit phosphoreszierendem Zinksulfid Wirkungen auf die photographische Platte durch schwarzes Papier hindurch erzielt habe und Niewenglowski machte ähnliche Beobachtungen mit belichtetem Kalziumsulfid. Auch Becquerel stellte nun dies- bezügliche Versuche an und zwar ging er hiebei von den Uran- salzen aus. Er wählte stark phosphoreszierende und fluoreszie- rende Verbindungen, vor allem das Uranylkaliumsulfat, bei wel- chem er die Ausübung starker Wirkungen auf lichtgeschützte photographische Platten feststellen konnte. Becquerel, der anfangs die Annahme machte, dass die phosphoreszierenden Uransalze sich ähnlich verhielten wie das oben erwähnte Zink- und Kalziumsulfid, konnte durch weitere Versuche zeigen, dass die bei den Uranverbindungen beobachtete Erscheinung nichts mit der Phosphoreszenz zu tun habe. Es war 60 Hugo Milrath: Antoine Henri Becquerel. durchaus nicht nötig, das Salz zu belichten; ausserdem waren die Wirkungen des Urans und seiner Verbindungen, ob diese nun Phosphoreszenzerscheinungen aufwiesen oder nicht, beinahe die gleichen, beim metallischen Uran aber am allerstärksten. Bec- querel machte des weiteren die Beobachtung, dass die Uran- verbindungen, auch wenn sie in vollkommener Dunkelheit auf- bewahrt werden, noch jahrelang die Fähigkeit besitzen, auf die photographische Platte durch schwarzes Papier hindurch Wir- kungen auszuüben. Infolge dieser Umstände glaubte Becquerel mit Recht annehmen zu dürfen, dass das metallische Uran und seine Verbindungen besondere Strahlen emittieren, die Uran- strahlen. Er Konnte ferner zeigen, dass die Uranstrahlen, welche später nach ihrem Entdecker den Namen Becquerelstrahlen er- hielten, dünne Metallschirme sowie überhaupt alle festen, flüs- sigen und gasförmigen Körper durchdringen können; die durch- strahlten Gase werden hiebei schwache Elektrizitätsleiter. Diese Resultate gaben nun den Anstoss, auf diesem neu erschlossenen Forschungsgebiete weiter zu arbeiten. Eine ganze Anzahl von Forschern, — neben Becquerel vor allem Herr und Frau Ourie, Rutherford, Ramsay, Soddy, Giesel, Marckwald, Meyer und v. Schweidler — beschäftigte sich nun eingehend mit dem Studium der radioaktiven (Becquerelstrahlen emittierenden) Substanzen und förderte hiebei zu Tage, dass die Becquerel- strahlen aus drei verschiedenen Gattungen bestehen: 1. Die «-Strahlen, welche den Hauptbestandteil der Strahlung bilden und aus positiv geladenen materiellen Teilchen bestehen. Sie besitzen ein geringes Durchdringungsvermögen ; im magneti- schen Felde werden sie nur wenig abgelenkt. 2. Die 8-Strahlen, welche weniger absorbierbar, also stärker durchdringend als die «-Strahlen sind und sich im Magnetfelde wie die Kathodenstrahlen verhalten; sie sind identisch mit den masselosen negativen Elektronen, aus denen auch die Kathoden- strahlen bestehen. 3. Die den Röntgenstrahlen vergleichbaren 7-Strahlen, welche vom Magnetfelde nicht beeinflusst werden und ausser- ordentlich durchdringende Strahlen sind. Becquerel beschäftigte sich ferner mit dem Studium der geradlinigen Ausbreitung der Strahlen des Urans, des Radiums und des. Poloniums, für die er, wie die Veröffentlichung der diesbezüglichen Versuche in den Comptes rendues de l’Acad&mie des sciences zeigte, den Beweis erbringen konnte. Auch machte er unter anderem die Beobachtung, dass weisser Phosphor durch die Wirkung der Becquerelstrahlen in die rote Modifikation ver- wandelt wird. Populärwissenschaftliche Vorträge. 61 Die Auffindung der Uranstrahlen bildete nun den Anfang zu einer ganzen Reihe von Beobachtungen, welche geeignet waren, den Monumentalbau der chemischen Wissenschaft in sei- nen Grundfesten zu erschüttern. Die Transmutation der Ele- mente war durch die von Ramsay beobachtete Umwandlung der Radiumemanation in Helium in greifbare Nähe gerückt, die Un- teilbarkeit der Atome in Frage gestellt. Die Erklärung einzelner Erscheinungen, welche man beim Studium der radioaktiven Sub- stanzen beobachtete, war bis jetzt noch nicht mit vollkommener Sicherheit möglich, die Beantwortung vieler Fragen, die da auf- getaucht: waren, musste noch aufgeschoben werden. Doch wird sicherlich im Laufe der Zeit auch Licht in das Dunkel der Radiumrätsel gebracht werden; hiefür spricht das unermüdliche Streben der Forscher, an deren Spitze Frau S. Curie, die wür- dige Schülerin Becquerels, steht. Populärwissenschaftliche Vorträge im Jahre 1908. 26. Oktober, Prof. Dr. O. Bail: „Nützliche Bakterien“. 2. November, M. Dure, Assistent der Hochschule für Bodenkultur in Wien: „Land und Leute von Buchara“. (Mit Lichtbildern.) 16. November, Prof. Dr. M. Grünert: „Die Astronomie bei den Arabern“. 23. November, Prof. Dr. Ing. R. Saliger: „Neue Baustoffe und Bauwerke“. (Mit Lichtbildern.) Die einflussreichsten Stoffe im neuzeitlichen Bauingenieur- wesen sind das schmiedbare Eisen und der Eisenbeton. Im Verhältnis zu dem Anwendungsgebiet des Eisens in der früheren Zeit hat dieser Baustoff in der Bautätigkeit des 19. Jahrhunderts eine so grosse und noch immer in gewaltigster Zunahme begriffene Bedeutung erlangt, dass er als ein völlig neues Konstruktionsmaterial zu betrachten ist, das erst vor 100 Jahren gewissermassen entdeckt worden ist. Die Benützung des Eisens im Altertum und Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert beschränkt sich auf Waffen, Werkzeuge und bauliche Hilfs- mittel, wie Steinklammern und Zuganker bei Gewölben. Einen Fortschritt erzielt erst des 19. Jahrhundert, da es insbesondere im Bessemer-Verfahren (1856) gelang, durch Entkohlung des ge- schmolzenen Roheisens mittelst eingepresster Luft Eisen und Stahl in grossen Mengen und zu verhältnismässig billigen Prei- sen herzustellen. Durch die weiteren Erfindungen von Martin -62 Populärwissenschaftliche Vorträge. h und Thomas ist der moderne Eisenbau zu seinen heutigen Lei- stungen befähigt worden. Wie tief die Wirkungen des neuen Baustoffes sein mussten, wird verständlich dadurch, dass er bis hundertmal gıössere Fe- stigkeit als Stein und 10mal grössere Festigkeit als Holz besitzt. Hiezu treten die hohe Elastizität, Zähigheit und Formungsfähig- keit. Die Entwicklung des Eisens zu einem Hauptmaterial un- serer Bauwerke ist gekennzeichnet durch das Bestreben, alle :seine Formen vom Standpunkt der Zweckmässigkeit zu wählen, Rücksichten auf den Stil vergangener Zeiten spielen keine Rolle. Dabei werden die Abmessungen nach Breite und Höhe gestei- gert, sodass die grössten Bauwerke aller früheren Zeit weit über- troffen sind (Rotunde in Wien, Maschinenhalle der Weltaus- stellung in Paris, Kristallpast London, Bahnhofshallen). Im Brückenbau hat das Eisen die grössten Triumphe errungen; es gelang die Bewältigung von Spannweiten, die zehnmal grösser sind als die gewaltigsten Brücken früherer Zeiten. Nach der Höhe können der Eiffeltum und die amerikanischen Wolkenkratzer (48 Stockwerke) als die bedeutendsten Leistungen gelten. Im Gegensatz zu den alten Baustoffen Stein und Holz steht der Eisenbau von Anfang an unter dem Einfluss der Mechanik; die Empirie wird durch das Rechnen ersetzt; der Zwang, die Quer- schnitte den auftretenden Kräften entsprechend zu gestalten, erfordert die Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze beim Bauen. So wurde das Eisen zum Begründer der Ingenieur- "wissenschaften. Gegen Ende des verflossenen Jahrhunderts tritt ein neuer Baustoff, der Eisenbeton, auf den Plan. Er stellt das natür- liche Bindeglied, die Ausfüllung der Lücke zwischen dem alten Steinbau mit seinen massigen Formen und dem neuen Eisenbau mit seiner Leichtigkeit und Kühnheit dar. Zwei stofflich und in ihren Eigenschaften völlig heterogene Materialien, künstlicher Stein (Beton) und schmiedbares Eisen, werden in innige Verbin- dung gebracht derart, dass jeder von ihnen in seinen besten Eigenschaften ausgenützt wird. Nach aussen ist der Eisenbeton ‘Stein und besitzt als solcher auch die Eigenschaften des Steins. Da aber in ihm, für das Auge verborgen, dünne Eisenstäbe eingebettet sind, welche die Zugspannungen aufnehmen, so er- langt der Stein, dessen wesentliches Merkmal die Druckfestig- keit ist, auch die technisch wichtige Eigenschaft der Biegungs- und Zugfestigkeit. Das Anwendungsgebiet des Eisenbetons ist trotz der kurzen Zeit seiner Einführung in die Technik ein ungeheures. Die völlige Freiheit in der Formungsfähigkeit macht den Eisenbeton für alle Zwecke brauchbar und es gibt heute kaum einen grösseren Bau, bei dem dieser Stoff nicht be- “ Sitzungsberichte., 63 nützt würde. Er lässt die Lösung technischer Aufgaben mit einer Leichtigkeit und dabei mit einer Billigkeit und Dauer- haftigkeit zu, die ihn zu einem unentbehrlichen Faktor gemacht haben. Im Wohnhausbau, bei Theatern, Warenhäusern, Spei- chern und Fabriken ist er wegen seiner Tragfähigkeit und wegen seiner Sicherheit gegen Fäulnis, Schwamm und Feuer das ge- schätzteste Material geworden. An Feuersicherheit übertrifft der Eisenbeton alle anderen Baustoffe. Im Brückenbau hat er einen Umschwung eingeleitet, der die zukunftreichsten Aussichten er- öffnet. Der Wettkampf zwischen dem reinen Eisen- und dem Eisenbetonbau schliesst einen grossen Ansporn für den Fort- schritt in sich. Der Eisenbeton steht erst im Beginn seiner Entwicklung, aber mächtig ist die Aufwärtsbewegung, die er in die gesamte Bauwissenschaft hineingetragen, bedeutungsvoll sind auch die wirtschaftlichen Anderungen, die er vor unseren Augen vollbringt. Der Vortrag wurde durch zahlreiche Lichtbilder neuer Bau- werke aus Eisen und Eisenbeton ergänzt. 30. November, Privatdoz. Dr. K. Helly: Krankheiten und Tod‘. Die Vorträge Bail, Grünert und Helly fanden im Säulen- saale des Deutschen Hauses statt, jene von Dur& und Saliger im: Hörsaale für Eisenbahnbau (II. Smetanagasse, „Elbemühl“, III. Stock). Sitzungsberichte. Biologische Sektion. X. Sitzung am 3. November 1908. Physiolog. Institut 8'/, Uhr. Georg Otto (Vertreter von Karl Zeiss in Wien): Über das: Mikroskop und einige Nebenapparate. Der Vortragende sprach zunächst über die Theorie des mi- kroskopischen Bildes und die Ursachen der besseren Auflösung im monochromatischen blauen Lichte, sowie über die Wirkung von Schlitzblenden. Sodann demonstrierte der Vortragende einige neuerere Instrumente zur Prüfung mikroskopischer Objektive. XI. Sitzung am 10. November 1908. Patholog.-anatom. Institut 8'/, Uhr. 1. Geschäftlicher Teil. Es lagen zwei Anträge vor, nach welchen der Beginn der Sitzung auf 7, resp. auf 8 Uhr’ abends 64 Sitzungsberichte. verlegt werden sollte. Nachdem der Antrag Dr. Fischers auf Eröffnung der Debatte abgelehnt war, wurde zur Abstimmung | über beide Anträge geschritten. Die Majorität entschied sich für Beibehaltung des bisherigen Beginnes. (Beifall.) Ein weiterer Antrag auf Anderung der bisherigen Form der Programmverlautbarung in den Zeitungen wurde ebenfalls abgelehnt. 2. Dr. Oskar Adler, Assistent der I. med. Klinik: Beitrag zur ätiologischen Therapie. Wie soviele andere Heilstoffe hat auch das Arsen im Laufe der Zeiten bezüglich seiner Wertschätzung seine Wandlungen durchgemacht. Es gab eine Zeit, in der ein Kliniker in seinem Werke schreiben konnte: „De cura arsenieci nihil dicam, quia non decet medicum ho- nestum.“ Heute dagegen steht die Arsentherapie insbesondere durch die grundlegenden Forschungen von Ehrlich auf dem Höhe- punkte des Interesses. Es hat sich aber gezeigt, dass bei Ver- ordnung des Arsens in der bisher üblichen Form (z. B. Natrium arsenicosum), diejenige Dosis, welche zur Heilung bei Trypano- somenkrankheiten notwendig ist, schon Giftwirkungen entfaltet, während die Dosis, welche noch nicht giftig ist, zur Heilwir- kung bei diesen Erkrankungen nicht genügt. Es verdient daher das Bestreben nach neuen ätiologisch wirksamen Arsenstoffen volle Beachtung. : Von den bisher bekannten ätiologisch wirkenden Mitteln ist das Chinin und das Quecksilber zu nennen. Ob auch die Salizylsäure ätiologisch wirksam ist, d. h. eine direkte Einwir- kung auf den Erreger des akuten Gelenksrheumatismus ausübt, ist insolange nicht zu entscheiden. als wir den Erreger dieser Krankheit selbst nicht kennen. Auch das Trypanrot Ehrlichs ist an dieser Stelle zu nennen, da es sich im Tierversuch als wirksames Mittel zur Bekämpfung der Trypanosomiasis bewährt hat. Im Jahre 1863 hat B&champ durch Zusammenschmelzen von Anilin und Arsensäure einen Stoff geschaffen, der heute un- ter dem Namen Atoxyl Verwendung findet. Ehrlich und Bert- heim!) haben nachgewiesen, dass das Atoxyl nicht, wie Bechamp meinte, ein Arsensäure-anilid, sondern eine Arsinsäure ist und zwar die p-Aminophenylarsinsäure. Durch die Untersuchungen einer Reihe von Autoren, unter denen insbesondere Robert Koch erwähnt sei, ist gezeigt worden, dass das Atoxyl ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Trypanosomenkrankheiten ist. Bald 1) Ehrlich und Bertheim: Berichte der deutschen chemischen Gesell- schaft 40. p. 387. (1907). Sitzungsberichte. 65 aber ergab sich, dass dem Atoxyl auch Nebenwirkungen zukommen, von denen insbesondere die Erblindungen eine wichtige Rolle spielen. Die übrigen Nebenwirkungen, die von Kreibich und Kraus, Waelsch u. a. beobachtet wurden, waren zumeist vorüber- gehender Natur. Da die Erblindungen eine gewisse Analogie mit denen zeigten, wie sie bei der chronischen Anilinvergiftung beobachtet werden, so schien es notwendig, die Anilinkomponente des Atoxyls durch andere Kompenenten zu ersetzen. Ich habe nun schon vor einiger Zeit gemeinsam mit Dr. Rudolf Adler eine Reihe von Verbindungen dargestellt, die ich Ihnen heute demonstriere. Die neuen Verbindungen sind fol- gende: 1- Amino -2- tolyl -4-- arsinsäure und deren Azetyl- derivat, Anthranil -4- arsinsäure und deren Azetylderivat. Salizyl -4-arsinsäure.. Amino -naphthyl - arsinsäure, Oxynaphthyl-arsin- säure. Durch Zusammenschmelzen von o-Tuluidin mit Arsensäure erhielten wir die Amino-tolylarsinsäure. Durch Oxydieren des Azetylderivates dieser Säure gelangten wir zur Azetylanthranil- säure, die nach Abspaltung der Azetylgruppe, durch Diazotieren und nachheriges Umkochen in Salizylarsinsäure umgewandelt wurde. Durch Zusammenschmelzen von Arsensäure mit «- Naph- thylamin gelangten wir zur Aminonaphthylarsinsäure, die durch Diazotieren und Umkochen in Naphtholarsinsäure umgewandelt wurde. | Bei der Salizylarsinsäure haben wir an Stelle der Anilin- komponente die Salizylsäure, eine pharmakologisch und: klinisch genau bekannte und in den verwendeten Dosen unschädliche Sub- stanz. Mit Hilfe der Salizylarsinsäure ist es mir gelungen, Hunde, die ich künstlich mit Typanosomen infiziert hatte, Trypanosomen- frei zu machen, während sich bei unbehandelten Kontrolltieren andauernd Trypanosomen im Blute nachweisen liessen. Ich zeige Ihnen hier einen kleinen Rattler, der durch zwei- malige subkutane Injektion von je 0:5 Gramm Arsinosalizylsäure (mit Soda neutralisiert) an zwei aufeinanderfolgenden Tagen von seiner Trypanosomiasis geheilt wurde; irgend welche schädliche Einwirkungen wurden bei diesem sowie auch bei anderen Hunden nicht beobachtet. Auch am Menschen wurden in einem Versuche nach Eingabe von grösseren Dosen von Arsinosalizylsäure irgend welche schädliche Einwirkungen nicht beobachtet. Die Naphtholarsinsäure wurde zur äusserlichen Applikation des Arsens (in Salbenform oder in Lösung) dargestellt. Doch sind die diesbezüglichen Versuche noch nicht abgeschlossen. Schon heute können wir sagen, dass das Arsen als ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Trypanosomenkrankheiten 66 Sitzungsberichte. zu bezeichnen ist; ob es der von Ehrlich begründeten Chemo- therapie gelingen wird, auch gegenüber den viel widerstands- fähigeren Bakterien ätiologisch wirksame Stoffe zu schaffen, müssen weitere Forschungen lehren. Diskussion. Dr. Sträussler: fragt, ob Kontrollversuche mit Atoxyl ge- macht wurden. Dr. Adler: Solche Kontrollversuche sind noch nicht gemacht worden. Aber es liegen Beobachtungen. von Löffler vor, wornach die Hunde das Atoxyl schlecht vertragen. Sie gehen leicht an Atoxylvergiftung zugrunde. . Dr. Ulbrich weist darauf hin, dass die Resultate bei Ver- suchen mit Trypanosomen nicht ohneweiters auf die Behandlung der Trypanosomenkrankheiten angewendet werden können, da in den Versuchen die Trypanosomiasis künstlich hervorgerufen ist und zwar auf einem Wege, der sich von der natürlichen In- fektion wesentlich unterscheidet. Man könnte die Versuche auch bei Hunden natürlich gestalten, indem man die Trypano- somen von Hund zu Hund übertrüge. Man sollte den Blutimp- fungsweg verlassen. Dr. Freund bemerkt, dass es nicht gleichgültig ist, mit was für Tieren man experimentiert. Die Trypanosomen sind z. B. als Bewohner des Blutes tropischer Tiere niemals pa- thogen. Sie werden erst bei eingeführten europäischen Tieren pathogen. Das gilt auch in gewissem Sinne für die Schlafkrank- heit, die zwar bei Eingeborenen vorkommt, aber auch nur in Gegenden, in denen die Erreger erst eingeschleppt wurden. Diese Tatsache muss wegen ihrer biologischen Bedeutung beach- tet werden. Man muss die Versuche an Tieren anstellen, bei denen die Trypanosomen tatsächlich pathogen wirken. Dr. Hoke weist darauf hin, dass der Nachweis des Fehlens von Trypanosomen im Blute die Diagnose Schlafkrankheit oder Trypanosomiasis nicht auschliesst. Oft fehlen Trypanosomen im Blut, sind aber in den Lymphdrüsen vorhanden. Dr. Sträussler findet eine parallelle Erscheinung bei Para- syphilis. Auf die Bemerkungen von Dr. Freund erwidert der Vor- tragende, dass es oft sehr schwer ist, mit den geeigneten Tieren zu arbeiten. So wären Versuche mit Dourine bei Pferden aus- zuführen, wozu ihm im Laboratorium keine Gelegenheit ge- boten werden kann. Ferner beteiligten sich an der Diskussion noch Dr. Wiechowski, Dr. Helly und Dr. Bondy. Sitzungsberichte. 6 7 XH. Sitzung am 17. November 1908. Physiolog. Institut 8'/, Uhr. 1. Dr. Langhans demonstriert einen zuerst von Malm (1898) und neuerdings von Langendorff in der Zeitschrift für biologische Technik mitgeteilten Versuch, der in sehr instruktiver Weise den Unterschied zwischen den Reizkontraktionen der glatten und quergestreiften Muskulatur zeigt. Als Reizobjekt dient ein ring- förmiger Ausschnitt aus dem Mitteldarm der Schleie, der bekannt- lich glatte und quergestreifte Muskelfasern enthält. Infolgedessen wird auf einen einzigen Reiz mit Hilfe eines einzigen Schreib- hebels eine Kurve aufgeschrieben, welche die Kontraktionen beider Muskelarten — u.zw. infolge der späteren und viel lang- - sameren Reaktion der glatten Muskulatur in getrennter Auf- 'einanderfolge — enthält. 2. Dr. Weil: Demonstration von Mäusetumoren. Der Vor- tragende spricht vor der Demonstration über die Literatur die Tumoren betreffend nach dem Gesichtspunkte der Atiologie und Übertragung; hier wird speziell die von Tier auf Tier und die Untersuchungen von Ehrlich über Mäusetumoren, sowie die Aus- sichten über Immunität und Immunisierung mitgeteilt. Bei Prager Mäusen waren 20° positive Resultate bei den Überimpfungen; es gingen hauptsächlich Stückimpfungen auf, die Breiimpfungen weniger. Demonstration von 4 Mäusen mit bohnen- bis zwetschken-grossen Tumoren, eine mit einem Doppel- tumor. In der Diskussion berichtet Dr. Fischer über einen von ihm untersuchten und mit negativem Resultat überimpften Tumor eines Meerschweinchens. _ Dr. Moll über die Uberimpfung eines Hundeschilddrüsen- karzinoms, sowie von Hundemammakarzinomen auf andere Hunde, die alle nicht aufgingen. XII Sitzung am 24. November 1908. Anatomisches Institut, 8'/, Uhr. 1. Doz. Dr. Fischer regt die Wiederaufnahme der Referate speziell der Sammelreferate an. 2. Dr. Thorsch: Demonstrationen zur Bodenfauna des südlichen Nordmeeres. Der Vortragende bespricht zu Beginn von der Abgrenzung des Nordmeeres gegen die Nachbarmeere ausgehend die geogra- phisch-ozeanographischen Verhältnisse desselben und weist darauf hin, dass das Nordmeer auch faunistisch eine Einheit darstellt mit allerdings sehr mannigfaltigen und komplizierten Verhältnissen. 68 Sitzungsberichte, Hierauf besprach der Vortragende, der im letzten Herbst an dem Kurse für Meeresforschung am Museum in Bergen teilge- nommen, an der Hand eines reichen Materials die biologischen Verhältnisse in der Litoralregion, Sublitoralregion, kontinentalen und ozeanischen Tiefsee und den eigentümlichen für die reich- gegliederte Felsenküste des Nordmeeres charakteristischen Salz- wasserbassins, die den Namen „Poll“ führen. XIV. Sitzung am 1. Dezember 1908. Physiolog. Institut, 8'/, Uhr. 1. Dr. Kalmus: Demonstrationen zum Opakilluminator. Nach einer Beschreibung des Opakilluminators (siehe Sitzber. der biolog. Sektion 1908) schildert der Vortragende, wie er es ermöglicht hat, die durch den Opakilluminator gesehenen mikroskopischen Bilder projizieren zu können. Es werden Bilder von einem glatten und einem abgeschmirgelten Blech, sowie von Menschen- und Fischblut gezeigt. 2. Doz. Dr. Kahn: Demonstriert einen Fall spontaner Rhachitis bei einem Bastarde zwischen Wölfin und Hund. Ursache unbekannt, vielleicht zu kurze Laktation, vielleicht die Kreuzung zwischen Hund und Wolf. Demonstriert werden noch Knochen der Schwester dieses Tieres, die ebenfalls an Rhachitis gelitten hat. An der Diskussion beteiligten sich Doz. Dr. Wiechowski, Doz. Dr. Fischer, Dr. Moll. 3. Doz. Dr. Wiechowski: Demonstration. XV. Sitzung am 26. Januar 1909. Psychiatrische Klinik, 8'/, Uhr. 1. Prof. H. Dexler: Klinische Untersuchungen über: die sogenannte Chorea der Hunde (mit Demonstration). Vortrag und Diskussion p. 31 und fl. 2. Doz. Dr. O. Fischer: a) Demonstration eines eigentüm- lichen Ganglienzellenbefundes. (Umgekehrt gelagerte Ganglien- zelle in der Hirnrinde eines senil dementen Kranken.) b) Demonstrationen von Präparaten, welche die mikrosko- pischen Veränderungen bei der initialen Paralyse darstellen, und Besprechung derselben. Q Tabletten, Pflaster, Tinkturen, Salben, Pillen, geteilte Pulver u. a. Drogen. FELE Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer | Verein für Böhmen „Lotos‘‘, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076, Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. (Dr. L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) 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Es erscheint dies aber leicht erklärlich, wenn man bedenkt, dass sich Russland in diesen neu erschlossenen Gebieten allen Handelsverkehr strenge für sich reserviert. Auch der Passzwang, die Sprache, sowie ganz besonders eine unbe- dingt notwendige spezielle Reise- und Aufenthaltsbewilligung für Turkestan von Seiten der russischen Regierung schieben einem jeden Nichtrussen, der dieses Land bereiısen will, einen Riegel vor. Nichts destoweniger ist gerade in letzter Zeit von touri- stischer Seite auf Turkextan verwiesen worden, welches nicht nur in seinen Bergen herrliche Naturschönheiten birgt, sondern in den von Alters her berühmten Städten Samarkand und Bu- chara ein echt orientalisches vielbewegtes Leben entfaltet und die interessantesten Baudenkmäler mohammedanischer Kultur aufweist. Auch aus einem andern Grunde hat die Bucharei in letzter Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In den westlichen Steppengebieten Bucharas kommen nämlich die sonst so gut wie nirgeuds verbreiteten Karakulschafe vor. Es sind dies Schafe jener edlen Rasse, deren Lämmer im Alter von 3—10 Tagen die in der Mode so beliebten Karakulpelze (fälschlich „Persia- ner“) liefern. Um diese bucharischen Steppenschafe auch bei uns einzu- führen und diese überaus wertvollen Felle auch in unserem Heimatlande zu produzieren, wurde im Vorjahre eine Expedition mit Unterstützung des k. k. Ackerbauministeriums nach der Bucharei ausgesandt, die der Verfasser dieses zu leiten hatte. 6 70 Dr. Max Dure: Der Weg nach Buchara wurde durch Südrussland genom- men. Fünf Tage fährt man durch die russische Ebene bis man Baku, die berüchtigte Petroleumstadt am Kaspischen Meere er- reicht. Die an der öden baumlosen Küste gelegene Stadt flösst schon durch ihr Ausseres jedem Reisenden Abscheu ein. Die Überfahrt über das oft sehr stürmische Kaspische Meer dauert 18 Stunden und man betritt in Krasnowodsk den asiatischen Boden — äusserlich kein Unterschied von Baku, denn die Stadt ist ebenso wie diese allseits von den kahlen vegetationslosen Lehmwänden überragt. Selbst das Trinkwasser fehlt und muss künstlich durch Destillation aus dem Meerwasser hergestellt werden. Abends besteigt man in Krasnowodsk den Postzug der transkaspischen Bahn, um in demselben 2 Tage und 2 Nächte nach Samarkand zu rollen. Morgens befindet man sich bereits mitten in der transkaspischen Wüste; soweit der Blick reicht, ist nichts als die braune Ebene zu sehen, in welcher nur Reste spärlicher vertrockneter Pflanzen die einzige Abwechslung bilden. Die Stationen liegen hier 30-—40 Werst von einander ent- fernt.. Aschabad und Merw sind die einzigen grösseren Städte in diesem endlosen Gebiete. Am zweiten Morgen wird der Riesen- strom Amu Daria auf der von den Russen in den Jahren 1895 —1898 erbauten 2 km langen Brücke übersetzt. Wir befinden uns nun in der Bucharei, im Lande der un- umschränkten Herrschaft des Emir Abdul Achad. Noch vor 30 Jahren war es keinem Europäer möglich ungefährdet dahin zu kommen; jeder Fremde wurde einfach in den Kerker ge- worfen. So gross war der Fanatismus und der Fremdenhass der Bucharen. Heute ist es dank dem Vordringen der russischen Kultur anders geworden. Die Bucharen haben sich rasch an die Russen gewöhnt, besonders, da sie einsehen, dass es von grossem Vorteil für ihre materiellen Interessen, für ihren Wohlstand ist. In der Bucharei wechseln fruchtbare Landschaften mit endlosem Steppengebiet. So kommen wir an der Hauptstadt des Landes, am alten Buchara vorbei, wovon später die Rede sein soll. Nach weiteren 12 Stunden wird endlich nach Durchquerung der Bucharei Sa- markand, wieder russisches Gebiet, erreicht. Es ist eine der interessantesten Städte Zentralasiens. Die Russen haben in der Nähe eine neue Stadt, das russische Samarkand mit breiten Strassen und herrlichen Alleen erstehen lassen. Vom ethno- graphischen Gesichtspunkte ist jedoch nur die alte Sartenstadt sehenswürdig, welche schon von Ferne durch die mächtigen Säulen des Reshistan unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. — Eu) % r erg R er Eine Reise nach Russisch-Zentralasien und nach der Bucharei. 71 Der Reghistan ist die alte Richtstätte, die heute als Versamm- lungsplatz, Bazar u. dgl. dient. Hier erhebt sich stolz die im Bilde dargestellte Medresse Schir-Dar. Ihre mächtigen Säulen, mit Fayence von hell- und dunkelblauer Farbe verziert, verleihen dem Riesenbau ein maje- stätisches Aussehen. Die in gleicher Weise verzierten Kuppeln und die Fassade kontrastieren seltsam mit dem azurblauen Himmel. Dazu kommt das eigenartige Leben und Treiben der Sarten — des einheimischen, den Türken nahe verwandten Volksstammes — in ihren bunten Trachten und mit ihren 5 Die Medresse Schir-Dar in Samarkand. sonderbaren Gepflogenheiten. Man könnte sich hier bei Betrach- tung dieses absonderlichen Menschengewirres wohl um ein Jahr- tausend zurückversetzt denken. Hier drängen sich Brotverkäufer auf, dort singen die Derwische mit langgezogener näselnder Stimme ihre Koranlieder, um gleichzeitig von den Gläubigen Geldspenden zu erlangen, hier hält ein Alter auf dünnen Spiess- chen über Kohlenfeuer gebratene Fleischstückchen feil, dort schreien die Melonenhändler, die Schuhmacher und die mitten in ihrer Ware kauernden Rosinenverkäufer; dabei aber üben die Kopfrasierer an der Wand der Schir Dar ungestört ihr Hand- werk, indem sie die Köpfe ihrer Kunden zunächst mit dem 6* ne nn 73 Dr. Max Dure: Wasser aus den Pfützen befeuchten um sie dann fein und sauber zu rasieren. In diesem Menschengetriebe vergisst man voll- ständig, dass man sich in einer russischen Provinz befindet, denn die Russen haben nach der Eroberung dieser Landstriche an der mit dem mohammedanischen Glauben so innig verwachsenen, tief eingewurzelten Kultur der Sarten und den von ihr ge- schaffenen Einrichtungen kaum etwas geändert. Eine der grössten Sehenswürdigkeiten Samarkands - ist das Grabmal des Kalifen Tamirlan (auch Timurleng genannt). Dieser mächt:ge Tatarenfürst, dessen Heere ganz Zentralasien, Persien und Südrussland unterwarfen, ja selbst vereinzelt bis nach Un- garn un Mähren kamen, und der zum Zeichen seiner Macht in seiner Residenz Samarkand die prächtigsten Bauten wie z. B. das Bivi-Chanum, die Moschee Schach-Sinde etc. aufführen liess, wird hier als Heiliger verehrt. Fromme Mohammedaner bauten ihm zur Erinnerung ein grosses Mausoleum mit weithin sicht- barer wundervoll verzierter Kuppel. Hier ruht nun der Welt- oberer; sein Grabmal ist mit einem ungeheueren Nephritblock bedeckt, auf welchem in arahischer Schrift die gesamte Lebens- geschichte Tamirlans eingraviert ist. Gleich Tamirlan werden viele andere Herrscher und Heer- führer als mohammedanische Heilige verehrt. Auf die Errichtung der Heiligengräber, die weıthin durch Fahne und Rosschweif sichtbar gemacht sind, wird von den Sarten viel Sorgfalt verlegt. Auch die Reliquien dieser Heiligen werden hoch verehrt und un- erschütterlich ıst der Glaube der Sarten an die Heilkraft und an den Schutz solcher Amulette. Die eigenartige Kultur, der man in Samarkand begegnet, findet sich noch weit ausgeprägter allüberall in den Dörfern der Bu«harei, namentlich aber in der mächtigen Hauptstadt des vom Emir beherrschten Landes in Alt-Buchara. Diese Stadt unt-rscheidet sich nur wenig von Samarkand, überall dieselbe Bevölkerung, dasselbe Leben. . Lange Zeit blieb Buchara eine unbekann'e, rätselhafte Stadt, die sich nicht sobald ein Europäer zu betreten getraute, denn überall war der Fremde durch den Hass und Faıatismus der Bevölkerung am Leben be- droht. Durch einen Vertragsabschluss des Emirs mit Russland hat sich in dieser Beziehung vieles geändert und ein bis vor die alte Stadt geführter Bahnstrang fördert einen lebhaften Verkehr und einen grossartigen Export der Landesprodukte, als Rosinen, Baumwolle, Schafwolle, Tierhäute u. dgl. m. Buchara beherbergt in seinen formlosen Lehmbauten mehr als 100 000 Einwohner. Die Stadt ist ein® Anhäufung unzähliger, meist ebeuerdiger, flachdächriger Lehmhäuser von der Art. die aus nebenstehender Abbildung ersichtlich ist. Sıe sind durch 2 N Elfe “ v Eine Reise nach Russisch-Zentralasien und nach der Bucharei. 73 enge, entweder staubige oder grundlos kotige Gassen getrennt. Vom Bahnhofe kommt man mit einem der hier vorhandenen, sich mit vielem Geschrei anbietenden Iswostschiks durch Gassen mit völlig ausgefahrener Fahrbahn zum grossen Tore der gut 10 m hohen Lehmmauer, welche die Stadt umgibt. Dieses Tor wird abends gesperrt und kein Sarte weder ein noch hinausge- lassen, nur bei Russen wird eine Ausnahme gemacht. Innerhalb der Ringmauer werden die Wege noch schlechter und noch enger und es ist ein Glücksfall, wenn der Reisende nicht durch eine Kamelkarawane öder eine Arba, das ist ein zweirädriges Karren- ungetüm, die ihm entgegenkommen, aufgehalten wird. In den ersten Strassen können zwei Wagen, die sich begegnen, kaum aneinander vorübergebracht werden. Es ist geradezu unerklärlich, Häuser in Buchara. dass in diesem Gewirre und Gedränge niemals Unglücksfälle ge- schehen und dass oft ganze in Stockung geratene Wagenknäuel dennoch wieder flott gemacht werden, nachdem unter den sarti- schen Rosselenkern genügend viele Schimpfworte und Peitschen- hiebe ausgetauscht worden sind. Der Weg in das Innere der Stadt führt weiter an Ge- flügelhändlern vorbei, durch meist gedeckte Gassen, in denen nach Waren getrennte Bazare Platz finden, welche für alle Be- dürfnisse des Orientalen in hinreichender Weise sorgen. In ihren vor den Sonnenstrahlen geschützten Verschlägen sieht man die Melonenhändler, die diese köstlichen und zugleich spottbilligen Früchte des Landes feilbieten. Für den Zibeben- bazar ist ein eigener Gassenkomplex reserviert. Von grosser Be- deutung. sind ferner die Bazare, wo sartische Kleider, farben- > 74 Dr. Max Dure: prächtige Seidenstoffe, künstlerisch gestickte Mützen, Teppiche, Lederwaren und vieles andere feilgeboten wird. Nirgends fehlen an den Bazaren die Geldwechsler, die meist geradezu unent- behrlich sind. Die Bucharei besitzt ihre eigenen Geldsorten. Die einzige Sılbermünze ist die Tenga, welche 15 Kopeken (d. i. etwa 38h) gleichgesetzt ist. Für eine Tenga erhält man 64, d. i. etwa eine handvoll „Tschok“, einfache, ungeprägte, flache Messing- oder Kupferstückchen. Da nun keine grössere Münze als die Tenga kursiert und da sich nur sehr wenige Bucharen dazu verstehen, russisches Papiergeld oder Silberrubel anzunehmen, muss bei Zahlungen zunächst das russische Geld eingewechselt werden, was natürlich ein langwieriges Zählen der kleinen sartischen Münzen zur Folge hat. Noch vor nicht langer Zeit galt am Lande überhaupt kein russisches Geld und die die Märkte aufsuchenden Kaufleute mussten ganze Maultierladungen von Silbertenga mit sich führen. Zur Transportierung von etwa 1000 Rubel in Silber- tenga war mindestens ein kräftiges Maultier notwendig. Auch jetzt noch sieht man auf Märkten bei Kaufabschlüssen stets Gruppen von Sarten am Boden sitzen, die ununterbrochen diese kleinen Silbermünzen zählen. Dass eine so umständliche Ge- barung den Geschäftsverkehr ungemein behindert, daran denkt kein Buchare; denn nirgends spielt die Zeit eine so geringe Rolle wie im Oriente. Der Orientale lässt sich zu allem Zeit; Eile ist ihm gänzlich unbekannt. Im Zentrum der alten Stadt erhebt sich der Palast des Emirs, von einer hohen Lehmmauer umgeben, deren Tore ständig durch bucharisches Militär bewacht sind. Die buchari- schen Soldaten mit ihren schwarzen Pelzmützen, braunen Röcken, roten Hosen und stets ungeputzten, ungeschwärzten Stiefeln zeigen im Vergleiche zu jeder europäischen Truppe geradezu lächerliche Figuren. Ist es doch in Buchara gewöhnlich nur eine Strafe, ins Militär eingereiht zu werden. Der bucharische Staat kümmert sich auch wenig um die Ausbildung und Verpflegung seiner Truppen. So ist es auch meist der Fall, dass die Soldaten für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen haben; man sieht dieselben demnach sehr oft in ihren freien Stunden ihren bürgerlichen Beruf als Verkäufer, Handwerker und del. unbehindert weiter ausüben. Vor dem Palaste des Emir liegen die militärischen Rüstkammern. Hier sieht man ein Unzahl ungetümer Kanonen- rohre wirr durcheinanderliegen. Viele darunter sind Beutestücke aus den afghanischen Kriegen, alle sind von einander gänzlich verschieden, massiv und plump, die meisten völlig unbrauchbar. Wie sehr auch der Palast des Emir von Aussen mit seinen hohen Lehmmauern unförmlich aussieht, so ist das Innere pracht- Eine Reise nach Russisch-Zentralasien und nach der Bucharei. 75 voll mit herrlichen Werken sartischer Kunst ausgestattet. Die. prächtigen Gipsstukkaturen, die vielen kunstvollen Zellenge- wölbe, die vielen farbenprächtigen Ornamente könnten bisweilen sogar die berühmte Alhambra in Granada in den Hinter- grund treten lassen. Besonders prächtig ausgestattet sind der bucharische Thronsaal, ferner die Gemächer des Emirs, von denen man jedoch nur mit besonderer Bewilligung einige zu sehen bekommt. Der Palast des Emirs von Buchara. Buchara besitzt die berühmtesten Gelehrtenschulen des mohammedanischen Orientes, es sollen weit über hundert sein. Natürlich beruht hier das ganze Studium auf den religiösen Satzungen des Korans. Dem streng religiösen Sinn der Bevölke- rung entsprechend gibt es auch hier zahllose Moscheen, von denen sich die schönste mit malerischen Kuppeln um den bucha- rischen Reghistan erhebt. Dort befindet sich auch der mit gelben und blauen Ziegeln bekleidete, mehr als 60 m hohe Verbrecher- turm, der, weithin sichtbar, Buchara überragt und ein charakte- ristisches Merkmal dieser Stadt bildet. Eine Besteigung des Turmes wird den Ungläubigen unter dem Vorwande nicht ge- 76 Dr. Max Dure: stattet, dass die Stiegen schadhaft seien, aber eigentlich soll denselben durch diese Massnahme der Rundblick über die Stadt verwehrt werden. Ist es doch jedem Müuselman verboten, einen Ungläubigen auf das Dach seines Hauses steigen zu lassen. Von der Höhe dieses Turmes wurden seit altersher die zum Tode verurteilten Verbrecher herabgestürzt, gegenwärtig aber ist diese Art der Hinrichtung aufgehoben. Der Emir Abdul Achad musste dem Zar Alexander III. gelegentlich eines Besuches in Petersburg ein diesbezügliches Versprechen geben. Das traurigste Bild menschlicher Verirrung zeigen jedoch die bucharischen Kerker, wo heute noch ganze Gruppen von Verbrechern mit Ketten aneinandergeschmiedet sind, so dass ihre freie Bewegung im Kerker gehindert ist. Die Unglück- lichen verbringen dort oft viele Jahre, wobei sie beständig den Plagen des Ungeziefers ausgesetzt sind. Das sartische Gesetz ist sehr strenge. Auf Diebstahl und Ehebruch sind sogar Todesstrafen. ausgesetzt. Trotz dieser Strenge der. Gesetze werden häufig Verbrecher betreten, die dann rücksichtslos öffentlich hingerichtet werden. Im allgemeinen sind jedoch die Sarten ein friedliebender Volksstamm. Sie sind gegenwärtig nicht nur fast in der ganzen westlichen Bucharei verbreitet, sondern bilden auch die sesshafte Bevölkerung der russischen Provinzen Samarkand, Taschkent und Marghelan. Der Name ,‚Sart“, der so viel wie „sesshaft“ bedeutet, unterscheidet sie von den meist kirgisischen Nomaden- stämmen, mit denen sie nach Rasse und Sprache nahe ver- wandt sind. Auswärts und im Hause sind die Ansprüche der Sarten sehr bescheiden. Arm und reich geniessen Reis mit Schaffett und das ungesäuerte sartische Brot als gewöhnliche Nahrung. Dem Sarten behagt es, in beschaulicher Ruhe in seinem Hause beim bittern, sartischen Tee zu sitzen, er liebt bunte, ge- musterte Gewänder, namentlich solche aus einheimischer, bunt gewebter Seide. Schöne Pferde, zumeist arabischer Abkunft, sind im Lande sehr verbreitet und geschätzt. Dem Europäer gegen- über zeigt der Sarte Misstrauen und es macht ihm ein beson- deres Vergnügen, denselben überlisten und sich dadurch über- legen zeigen zu können. _ Die Frauen der Sarten werden als untergeordnete Wesen behandelt, sie pflegen die Kinder und verrichten in den Frauen- gemächern häufig Dienstbotenarbeiten. Den Vorschriften des Korans gemäss dürfen sie sich nicht vor fremden Männern blicken lassen, müssen auf der Strasse ihr Gesicht hinter einem Eine Reise nach Russisch-Zentralasien und nach der Bucharei, 77 e schwarzen Schleier vollkommen verbergen und erregen dort, wandelnden schwarzen Gespenstern gleich. das Bedauern des Europäers. Bis zum dreizehnten Lebensjahre spielen die Mäd- chen mit den Knaben unter den schattigen Maulbeerbäumen. In rötliche Gewänder gekleidet, nehmen sich diese Gruppen mit ihren schelmischen Gesichtern oft recht malerisch aus. Vom drei- zehnten Jahre an müssen sich aber die Mädchen der herrschen- den Sitte unterwerfen und sich für immer hinter dem dichten Im Innern des Emirpalastes in Buchara. schwarzen Schleier verbergen. Ihr Los ist gewiss ein trauriges, wiewohl sie selbst es kaum derart fühlen. Bei keinerlei festlichen Gelegenheiten dürfen die Frauen im öffentlichen Leben zugegen sein, zeitlebens ist ihr Aufenthalt und ihre Tätigkeit auf die Frauenge- mächer beschränkt. Mit dieser Gepflogenheit halten es die Sarten so unvernünftig strenge, dass selbst der Bräutigam seine Braut nicht früher zu sehen bekommt, als bis die Hochzeitsfeierlichkeiten, an denen Männer und Frauen ebenfalls gesondert teilnehmen, beendet sind. Natürlich blüht hier die Tätigkeit der Vermittle- a 7 78 Dr. Max Dure: Eine Reise nach Russisch-Zentralasien, rinnen, die sich darin überbieten, den Männern reiche und schöne Mädchen zu werben. Für den Europäer in Buchara liegen die Verhältnisse wenig günstig, er findet kaum eine Herberge und muss die Vorräte zu seinen Mahlzeiten mitbringen und sich diese selbst bereiten, denn die sartische Küche dürfte ihm nicht behagen. Mit dem Wasser ist es hier übel bestellt; die einzigen Wasserreservoire im alten Buchara sind grosse, viereckige Bassins, in welche nur alle Monate Wasser aus dem Sarafschan hingeleitet wird. Dass dieses Wasser namentlich in der heissen Sommerzeit - nur zu leicht der Verunreinigung und Fäulnis anheimfällt, ist leicht erklärlich. Die Bucharen aber, deren Unreinlichkeit sprichwörtlich ist, finden dies durchaus natürlich und nur zu oft sieht man die einen an den Wasserbecken ihre rituellen Waschun- gen vornehmen, während die andern das trübe Wasser ganz un- bekümmert zum Trinken schöpfen. Das schlechte Wasser ist auch der Träger vieler Ansteckungsstoffe z. B. der sogenannten sartischen Krankheit, eines eigentümlichen Hautausschlages, oder des parasitär beim Menschen vorkommenden Fadenwurmes. Aus all dem geht hervor, dass die wenigen Europäer, meist Russen, die infolge ihrer Tätigkeit und Geschäfte in Alt- Buchara zurückgehalten sind, es vorziehen, nur tagsüber in dieser Stadt zu verweilen und abends wieder in das etwa 10 Werst entfernte Neu Buchara — eine kleine russische Ko- lonie — sich zurückzuziehen: denn wie interessant und lehr- reich es auch dem Reisenden sein mag, sich mitten im bunten sartischen Getriebe unter den streng gläubigen Mohammedanern mit ihrer eigenen Weltanschauung und mit ihren absonderlichen Sitten zu befinden, so sehnt sich der hier länger Verweilende wieder nach europäischen korrekten und geordneten Verhältnissen zurück. ER 79 Meteorologische Ergebnisse auf der Donnersberg- warte des Gebirgsvereines Teplitz in den Jahren 1907 und 1908.) Mitgeteilt vom wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr, R. Spitaler. Länge 13°56'1’ östl. v. Gr., Breite: 50°33°3' N., Seehöhe: 535 Meter. Instrumente: Stationsbarometer Kappeller Nr. 922, seit 1. Aug. 1908 Fortin’sches Barometer Kappeller Nr. 1308. Assmann’sches Aspirations-Psychrometer und Maximum- und Minimum-Thermo- meter von Fuess. Ausserdem besitzt das Observatorium einen elektrisch registrierenden Anemographen für Windrichtung und Windgeschwindigkeit, Baro-, Thermo- und Hvgrographen, Lam- brecht’s Haarhygrometer Sonnenscheinautograph, Arago’s Solar- thermometer, Wo!kenspiegel, ÖOmbrometer, Thermometer für nächtliche Strahlung, Lambrecht’s Wettertelegraph. Höhe des Thermometers über dem Erdboden 5.65 Meter, des Regenmessers 0.86 Meter. Beobachtungstermine: 7° früh, 2° nachmittags und 9" abends. Reduktion der Beobachtungen: Die Tagesmittel der Tem- peratur sind gebildet aus '/, (7% + 2° + 9% + 9% ), hei den übrigen Elementen aus '/,; (7% + 2% + 9%). Die Schwerekorrektion.ist an die Luftdruckdaten nicht angebracht. Telegraphische Wetterberichte: Die Abend- und Frühbe- obachtungen werden täglich an die k. k. Zentralanstalt für Me- teorologie und Geodynamik in Wien telegraphisch mitgeteilt. Beobachter: Franz Löppen. Ergebnisse der Terminbeobachtungen: Dieselben sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Die Extenso-Beobach- tungen werden in den Jahrbüchern der k. k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien veröffentlicht. Ausserdem sei bemerkt im Jahre 1907: Letzter Frost des Früh- lings am 19. Mai, erster Frost des Herbstes am 2. November; letzter Schnee am 19. Mai, erster Schnee am 14. November; ganze oder teilweise Schneedecke vom 1. Janurr bıs 30. April und 6. bis 31. Dezember; höchste Temperatur 27':3° am 6. August, niedrigste Temperatur —22:5° am 23. Januar. Im Jahre 1908: Letzter Frost des Frühlings am 22. April, erster Frost des Herbstes am 19. Oktober; letzter Schnee am 27. April, er-ter Schnee am 6. November; ganze oder teilweise Schnee- decke vom 1. Jänner bis 12. April und 20. November bis 31. Dezember. Höchste Temperatur 26°6° am 12. Juli, niedrigste Temperatur —18'1° am 30. Dezember. !) Siehe auch diese Zeitschrift N. F. 1. (55.) Band Nr. 2. 7% Prof. Dr. R. Spitaler 80 Luftdruck mm ” — M Bewölkungs- “ 3 axi- - ini- Mittel 7h 2h Ih Mittel SE Tag a Tag Tanları -rAn..n . | 690'86 | 690:73 | 691'46 | 691:02 | 7060 23. | 6716 30. 8:0 Februar . .. . .| 85.41 | 85-16 | 85:69 | 8542 | 697°0 2: 639 4 9-3 En JR EN ER .|| 89:68 | 89:53 | 89:62 | 8959 | 987 | 4.u.27.| 783 14. 7:3 NN RRPRER .| 8316 | 83:20 | 83:32 | 83:26 | 955 98: 73°0 16. 72 DEREK RER .| 88:08 | 88.24 | 88:00 | 8811 | 949 8. 80°1 20. 5-4 A ea .| 88:90 | 88.94 | 89:15 | 89:00 | 942 27. sı1 2. 6:5 N ee .| 8887 | 89:02 | 8919 | 8903 | 945 10. 80°6 5: 6:8 August. . .... 9085 | 9095 | 9107 | 90:96 | 95°5 19; 83°6 16. 61 September . . . .|. 9826 | 93:45 | 98'44 | 93:38 | 996 8. 80:9 3. 5:0 Oktober . . . .| 87°02 | 8710| 8721 | 8710 | 963: |11.u.12.| 776 IT, 61 November . . . 90:16 | 90:17 | 90:57 | 90:30 | 968 30. 308 13. 6.6 Dezember . . . . | 85:81 | 85:22 | 8548 | 85:33 | 997 1% 65°8 14, 8:5 Mana er . || 688:46 | 688°48, | 68868 | 688°54 | 706°0 | 23.]1. | 663'9 2.2. 6:9 1908. Tanmar een, 69035 | 69043 | 690°53 | 690°43 | 7011 23. | 6671 9, 57 Behruant!. „2 ,>. .| 8517 | 85:73 | 86:28 | 8573 | 6991 11. 70°9 29. 9:0 NE .| 8580 | 86:03 | 86:33 | 86:06 | 947 27. 72°5 ik 77 N ee .|| ‚8420 |_ 8446 | 8478 | 8448 | 957 30. 72°4 19. 74 DE RT .| 90:37 | 90:37 | 90:28 | 9034 | 99:6 |17.u.18. | 804 6. 77 I A | 90:81 | 9079 | 90:82 | 9081 | 963 11. 812 6. 53 U ER . || 90:00 | 89:85 | 89:90 | 89:92 | 967 30. 822 18. 6-1 Aupuat. 2 an, .|| 88:57 | 88:84 | 88:95 | 8879 | 93°9 19. 841 28. 66 September . . . .| 9070 | 91-01 | 91-29 | 91:60 | 987 30. 797 % 55 Oktober... 0% .|. 9417 ! 9447 | 94.62 | 94.42 | 995 28. 87'2 25. 3:5 November . . . . .|| 88:92 | 8913 | 89-53 | 89:19 | 997 15. 721 23. 5.7 Dezember .. . . «| 687°61 | 687°63 | 687.93 | 68772 | 6995 31. 656 E% 79 En EN . | 688°89 | 689.06 | 689:27 | 689:07 | 7011 | 28./1. | 6656 | 11./12, 6.5 81 © De u = E ) — © =) un En 3) = = = A & ) rS — 3 8 © un un .-_ a Q EN) 1) - m © —_ B) un .-_ & =) -— 2) Er © © En = 181-998 | 21 | | zıloe | 1.81-| Surgr 10: ar er 109 es RE rue [81-66 |89- Is | we Is) ı Tea Jo [a0 |8r- Ig4- “29 2oquezad 1-69 \v»r- | vo | a Ice ee log (ee ae leere “29 aoquaaoN, 0.67 | 106 | 6.8 9:6 "Is 9.8- ‘Y 9.056 | 0-4 8:9 9.8 4G rrAOIAO 8 0 09 er ıemrılse | 6 low |ıs 06 sr len 9 aoqmadag se |eıs 78 || mı |8r |amwel|reı | zur [vr |ger | on 20 9 genäny =, 993 10 |#sr | cormglıse | “ar. | 99a |9H1 |arı |691 | zer EEE ET sr ee | or 081 | 0.4 UL: 9.78 | erL | 681. 207 | 881 a Ta we 802, Iarı |seuelar | 88 | 918 | 601 | 801 | 61 | 68 BE 82- ac |900 lo | 2 ee | ws IS |leı lir rs |v0 RR Yalnihrr s- \ae 9 er |vı Je ı 8 |92 Ie=ler-|oo |ge- en 0o-|re |2r |r- |» loor-| »ı |98 | |62- |80- |ge- 992 aenıgag 91-|08 199- er | s (#0. sı Ir te |ır |ve- |er- NEN "8061 2:0. es \zı a2 | lea lee) Bra |orz |ar Ir |e0 res RSIMFRL N 031-124 |97- | 20- eweg|ror-| 8 |oa |eu |83- |as- |os- 99 9 oqueze(] eig 0 | ee 112580 ker er “29.9 1oqumaaoN! es \esı lo, |1ea| 8 los Issı les |s6 Je |28 et) GG 861 Gh 881 "86 L.6 az 81 9.01 OL L.6L 0-6 " aoquendag oe eis |lo6 |eor | we | | 9 |ere lası lesı |ear |aıı en, se |sıs les |ası | e Iee | oewg | a0z \arı | 1-11 | 061 | 901 il + Ines 28 Iegıı | a. eu | ‘ss |808 |zeı |ası | er | vr ER ARE. vo- |rre |29 |war | 60 |80- | 1 | 88 | 601 | 9017 |eeı | 28 ERBEN er let lor ea | 02 lem | es |es I1ıe los Tr 00: Br Tl 01-128 er 20 | m |o6- | 6 I99 ler |21- |20 Fze- er ZIRM 9.11 | 6-6 0:.L= | 9.87 Al 0-TI- "05 7-6 6G- | 0.9- | F.7- 0.9= ERS ARUT HT a 1 I2e- | 8 leis-|smelrı loc |er- |97- 90 292 denug[ | "ULLI, "XEI |wiurmt| Xen wunw | o unu -[osqy rosqv | "BAM DM | u, RL | pre By Ka er "LO6T (sp%) anyeaoedwoyn-Iyun] ee. = Niederschlag mm Zahl der Tage | Zahl der Tage mit 1907. = mit Niederschlag Sur Summe | Maxim. | Tag =. | =.) | Schnee | Gewitter | Hagel | Nebel | Se N SEE ee ee Iak- Wi, 199 28. 22 17 22 _ — 22 24 EOBTUD le Re SAN 67 17, 21 15:°.1>227 == — 26 18 ee rel 78 16°7 20. | 18 15 18 = —_ 16 18 ADLER ee rn “| 4el 12:3 10. 20 13 12 1 — 15 13 WR N N Ba BE Eee 10 Be 3 = ORT, er. 177700 SO 12521013 9 22 6 a 3 15 $ RE tt rl 150 25°5 22] 18 — 7 = 11 17, . ee August 2 2 0.0.0. 287 180 | 18: 10 6 = = = 3 16 2 BEDTEHI NET EC rain | 278 11:6 Ip 11 6 _ — — 16 8 Be Okpober nn. se.) 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Ohne auf die Ansichten früherer Zeiten ein- ” gehen zu wollen, kann man doch diejenigen Lehrmeinungen, welche zu Beginn des letzten Menschenalters einander gegen- über- und im Vordergrunde der wissenschaftlichen Erörterungen standen, als die Lehre der Humoral- und der Zellularpathologie bezeichnen. Das Wesen der ersteren bestcht darin, dass in den Körpersäften und insbesondere in ihrem etwa von der Norm ab- weichenden Verhalten «die Grundursache für die Krankheiten und. krankhaften Veränderungen gesucht wird, während die letztere ein Gleiches anstrebt, indem sie die jedes Organ und jeden Organismus zusammensetzenden Elementarteile, die Zellen, und deren Veränderungen als das allein Massgebende ansieht. Nun ist es eine bekanute Tatsache, dass der Sprachge- brauch bei der Verwendung des Wortes „krank“ sich durchaus nicht immer mit der Ansicht des medizinischen Fachmannes deckt, indem es sowohl vorkommt, dass der Arzt an einem In- dividuum im Gegensatz zu den Wahrnehmungen von dessen sonstiger Umgebung und selbst dessen eigener Empfindung Krankheit diagnostiziert, als auch, dass er umgekehrterweise eine vom „Patienten“ behauptete Krankheit nicht oder nur teilweise anerkennen will. Es geht aus dieser Tatsache schon hervor, dass mindestens ein Unterschied zw schen subjektivem Krank- heitsgefühl und nachweisbarer Erkrankung bestehen muss und dass beide durchaus nicht in gleichem Masse entwickelt sein müssen. Das legt nun die Frage nahe wonach wir denn das subjektive Krankheitsgefühl erkennen, beziehungsweise bemessen. Die Antwort ergibt sich unschwer: es sind im allgemeinen Empfindungen des Schmerzes, der Mattigkeit, Appetitlosigkeit u. Ss. w., also Zeichen des gegenüber dem normalen gestörten und für unser Empfinden in unangenehmer Weise gehemmten Lebensablaufes. Unsere Erfahrung lehrt uns aber weiters, dass einander gleichende derartige Empfindungen durch ganz ver- Über das Wesen von Krankheit und Tod. 85 schiedenartige Veränderungen im Inneren des Körpers und seiner Teile hervorgerufen werden können und wir müssen unsere Auf- merksamkeit mithin diesen zuwenden, um dem Erfassen des Krankheitswesens näher zu kommen. Gehen wir zunächst von der Zelle als dem einfachsten Ele- ment aus, so lehrt uns die durch die Betrachtung mithilfe des Mikroskopes gewonnene Erfahrung, dass wir an deren einzelnen Teilen, dem Zelleib sowohl als auch dem Zellkern, unter ver- schiedenen Umständen Veränderungen mannigfacher Art wahr- nehmen können, die sich im allgemeinen leicht als solche physi- kalischer oder chemischer Natur erkennen lassen. Es besteht nun gegenwärtig kaum mehr ein Zweifel, dass alle Verände- rungen, welche wir schon mit freiem Auge an den ganzen Or- ganen bemerk+n können, in letzter Linie immer wieder auf der- artige Zellveränderungen zurückgeführt werden müssen, Mit die- sen können dann weiterhin wieder Änderungen oder auch Stö- rungen in der Funktion der betreffenden Organe zusammenhängen. Es gibt aber ferner noch eine andere grosse Gruppe von Lebenserscheinungen, die, wenn auch in letzter Linie wohl von dem Zustande der Zellen abhängig, gleichwohl keinen mit unse- ren gegenwärtigen Hilfsmitteln wahrnehmbaren physikalischen oder chemischen Änderungen derselben zu entsprechen scheinen, bei denen jedoch im chemischen Verhalten gewisser Körpersäfte Anderungen nachweisbar sind. Ein Beispiel wird dies am besten erläutern. Ein Pferd besitzt unter gewöhnlichen Umständen eine gewisse deutliche Empfindlichkeit gegen das Gift der Diptherie. Spritzt man ihm nun eine Menge dieses Giftes unter die Haut ein, welche es wohl krank machen, aber voraussichtlich nicht töten wird, so ist es nach seiner Genesung in seinem Verhalten gegen dasselbe Gift derart geändert, dass nun eine neuerliche Einspritzung einer Giftmenge wirkungslos bleiben kann, selbst wenn dieselbe nicht nur eben so gross wie die frühere ist, son- dern wenn sie, gleich das erstemal angewendet, voraussichtlich genügt hätte, das Tier schwer krank zu machen oder sogar zu töten. Auf der Anwendung dieser aus dem Tierversuch gewon- nenen Erfahrung beruht ja bekanntlich die gegenwärtig übliche Serumbehandlung der an Rachendiptherie Erkrankten. Obwohl nun ein solches Tier derart durchgreifend verändert ist, können wir mit Ausnahme einiger chemischer Reaktionen eines Teiles seines Blutes, des sogenannten Serums, keinerlei Veränderungen, insbesondere keine an seinen Zellen nachweisen, soweit ihr physi- kalisches und chemisches Verhalten in Betracht kommt. Der- artige Erscheinungen nennen wir biologische Reaktionen und müssen sie den physikalischen und chemischen Zustandsände- rungen des lebenden Organismus an die Seite stellen. 86 Doz. Dr. Konrad Helly: Sind wir nun zwar schon imstande, mittels der soeben auf- gestellten Begriffe eine Anzahl jener Erscheinungen im Wesen zu erklären, welche sich dadurch als Krankheiten zu erkennen geben, dass einzelne Organe oder der ganze Organismus den Normalanforderungen des Lebens nicht mehr in entsprechender Weise zu genügen vermögen, bleiben doch noch Gruppen von Erscheinungen bestehen, für welche die Erklärung auf diesem Wege zunächst schwer zu fallen scheint. So kommt es beispiels- weise vor, dass sich zwischen zwi Organen oder Teilen von Organen während des Lebens vor der Geburt infolge von noch ungeklärten Gründen falsche Verbindungen einstellen oder dass solche, die zwar regelmässig vor der Geburt bestehen, nach der- selben aber normalerweise verschwinden, bestehen bleiben und nun zu Schweren und selbst tödlichen Störungen Veranlassung bieten, wenngleich ihr Gewebe als solches und das dasselbe auf- bauende Zellmaterial als gesund bezeichnet werden muss. Wohl aber werden wir die Gesamtheit der Veränderungen als krank- haft bezeichnen. Diese Gruppe von Veränderungen führt als Missbildungen in geschlossener Kette zu jenen hinüber, welche wir nur mehr als Variationen gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten bezeich- nen und die durchaus nicht mit Krankheitserscheinungen gepaart sein mü-sen. Andererseits gehören gewisse, bisweilen sogar recht heftige, Störungen nach dem Genusse bestimmter Stoffe oder Nahrungsmittel (z. B. Krebse, Erdbeeren, Eiereiweiss, Medika- mente) bei manchen Individuen zur Regel, obzwar diese Dinge von weitaus der Mehrzahl ausgezeichnet vertragen werden. Auch hier handelt es sich nur um individuelle Variation, ohne dass man von wirklicher Krankheit oder krankhaftem Verhalten sprechen könnte. Ebenfalls durch unrichtige Verbindung erklären sich ferner noch gewisse Störungen des Seelenlebens und viele subjektive Krankheitssymptome, welche an einer vom eigentlichen Sitz der Erkrankung ganz verschiedenen Stelle vermeintlich wahrgenommen werden. Diese Verbindungen betreffen im allgemeinen das Nervensystem und lassen sich etwa den Drähten einer Telephon- anlage vergleichen, welche bei unrichtiger Schaltung die Be- nützung der Anlage erschweren oder unmöglich machen, obne dass die Apparate als solche schadhaft sind. Betrachten wir aber alle diese auf unrichtige Verbindun- gen zurückzuführenden krankhaften Störungen genauer, so sehen wir alsbald, dass es sich auch hier um physikalische, chemische oder biologische Veränderungen handelt und dass der Unter- schied gegenüber den zuerst besprochenen nur darin gelegen ist, dass die Störung nicht das Element als solches, sondern die \M a N Be \ Über das Wesen von Krankheit und Tod. 87 Art seiner Einfügung in den Organismus betrifft. Jedenfalls aber gewinnen wir die weitere Lehre, dass sowohl die Zellular- als auch die schon zeitweise für überwunden angesehen gewesene Humoralpathologie ihren Anteil an der Erklärung des Wesens der Krankheit haben. Es erübrigt der Vollständigkeit wegen bier noch die Er- wähnung der ja durch die tägliche Erfahrung bekräftigten Tat- sache, dass die krankhafte Veränderung eines Teiles keineswegs mit wirklicher Erkrankung des Ganzen vergesellschaftet sein muss. Dieser Satz gilt sowohl für die Organe, wie für den Orga- nismus und erklärt uns die eingangs erwähnte Möglichkeit der ärztlicherseits etwa vorgenommenen Feststellung einer Erkran- kung, ohne dass subjektive Erscheinungen vorhanden wären, sowie die Tatsache des gelegentlichen plötzlichen Todes, scheinbar ohne vorausgegangene Krankheit. Für das gegenteilige Beispiel: subjek- tives Krankheitsgefuhi ohne nachweisbare objektive krankhafte Veränderung ergibt sich die Erklärung vielfach aus dem Wesen der unrichtigen Verbindung. Leichter als im bisher Besprochenen stellt sich der Ver- such einer Erklärung des Wesens vom Tode. Zwar gibt es auch hier einige Erscheinungen, welche zunächst geeignet scheinen, die Aufgabe zu erschweren. So ist allgemein die Tatsache be- kannt, dass ein Huhn, dem soeben der Kopf abgeschnitten wurde, noch eine Weile herumzulaufen vermag. Noch grösser ist sozusagen die Schwierigkeit des Tötens bei Kaltblütlern (Fische, Schlangen). Ja sogar dem Körper entnommene Organe, wie das Herz eines Frosches und selbst eines Warmblütlers, können noch lange in regelmässiger Lebenstätigkeit erhalten werden. Das gleiche gilt auch von den einzelnen Zellen, wie z. B. von den sogenannten weissen Blutkörperchen, die man ausserordentlich lange — auch vom Menschen entnommen — ausserhalb des Körpers lebend erhalten kann. Andererseits gibt es wieder Gebilde, welche wir Keen als leblos zu betrachten gewöhnt sind, wie gewisse Salzkrystalle oder Öltropfen, welche jedoch, unter geeignete Bedingungen ge- bracht, ganz merkwürdige Formveränderungen zeigen, als ob sie belebt wären. Eben diese geben uns aber auch des Rätsels Lösung: während des ganzen Spieles der. Erscheinungen ändert sich, so lange sie wirklich bestehen, nichts an ihrer chemischen Zusamm.n-etzung und es mangelt ihnen vor allem die Fähig- keit, aus ihrer Umgebung andersartige Stoffe in sich aufzu- nehmen, zu verdauen und einen wieder andersartigen Rest aus- zuscheiden, mithin die Erscheinung des Stoffwechsels, welche das einzig sichere Merkmal des wirklichen Lebens bildet. Erst wenn dieser vollständig aufgehört hat und durch keinerlei Mittel 88 Sitzungsberichte. mehr angeregt werden kann, ist der Tod eingetreten. Diese Tatsache erklärt die Mögichkeit, ganze Tiere, z. B. Frösche, einzufrieren und nach vorsichtigem Auftauenlassen dieselben wieder Lebensbewegungen ausführen zu sehen. Für den ‚Tod gilt bezüglich d’s Ganzen und seiner Teile das nimliche, wie für die Krankheit. Findet ja schon phy-io- logischerweise ein ständiges Absterben einzelner Elemente, aller- dings mit Ersatz durch neugebildete statt, kann es krankhafter- weise zum völligen Absterben von Zellgruppen und ganzen Ge- bewebsteilen kommen, ohne dass das betroffene Urgan oder gar der ganze Organismus erkranken muss. Der Tod des letzteren ist aber unbedingt und ohne Rücksicht auf das etwa noch eine Zeit lang bestehende Leben einzelner Teile als eingetreten an- zusehen, sobald auch nur eine seiner zum Leben unerlässlichen Stoffwechse tätigkeiten endgiltig erloschen ist. Dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechend werden wir also das Wesen der Krankh»it in jener physikalischen,- che- mischen oder biologischen Zustandsänderung im Organismus er- blicken, welche zu einer funktionellen Schädivung des Ganzen oder seiner Teile und damit zu einem gegen die Norm ge-törten Lebensablauf führt, während das Wesen des Todes durch die vollständige und dauernde Unterbrechung des Stoffwechsels ge-- kennzeichnet ist. Sitzungsberichte. Biologische Sektion. XVI. Sitzung am 3. Feber 1909. Patholog.-anatom. Institut 8'/, Uhr. 1. Dr. Allers: Über labyrinthäre Raumsinnesstörungen. Auf der psychiatr. Klinik kam ein Fall zur Beobachtung, welcher eine Reihe von Störungen darbot, die auf das Labyrinth zurückzuführen waren, nämlich ausgesprochener, spontan auf- tretender Drehschwindel, sodann plötzliches Empfinden von Be- wegungen des DBettes um eine quere und eine vertikale Achse und Schwindel, welcher auftrat, wenn der Kranke mit vor- oder seitwärts geneigtem Kopfe ging. Derselbe Kranke bot zugleich mit oder unabhängig von solchen Schwindelanfällen dysmetrische Störungen dar, indem ihm Gegenstände zu leicht oder zu schwer, Sitzungsberichte. 89 und solche, die er mit der Hand umgreifen konnte, grösser oder kleiner erschienen, als er sie in der Erinnerung hatte [die Grössenveränderung fand bei einem Anfalle immer nur in einem Sinne statt]. Ferner schienen die vertikalen Gegenstände schief gegen ihn zu oder von ihm weg geneigt zu stehen. — Der Pat. war kongenital blind ; dieser Umstand bedivgte es, dass die sonst selten gesehenen Störungen infolge Wegfallens der optischen Korrektur besonders deutlich zum Vorschein kamen. Eine Analyse der verschiedenen Störungen ergibt, dass es sich um Störungen des: „sens des attitudes segmentaires* (Bonnier) handelt und mit Rücksicht auf die Versuche und Überlegungen von Sherrington wird der Zusammenhang dieses Bonnierschen Sinnes mit dem Muskeltonus wahrscheinlich gemacht. — Seit Ewald wissen wir, dass dem Labyrinth ein wesentlicher Einfluss auf den Muskeltonus zukommt; das gleichzeitige Auftreten aller bei dem Kranken beobachteten Symptome zusammengehalten mit den obigen Überlegungen macht es wahrscheinlich, dass auch die dysmetrischen Erscheinungen auf labyrinthären Ur- sachen beruhen. — Es wird aber solche Erscheinungen auch infolge zentraler Störung geben können -— analog der musku- lären, kortikalen und transkortikalen Dysmegalopsie Fischer’s. Gerade die erste der eben genannten Wahrnehmungsstörung kann mit dem Labyrinthtonus in Beziehung gebracht werden; eine ganze Reihe der bisher publizierten Fälle weist neben den Sehstörungen auch solche der motorischen Raumbemessung auf. Ferner wären auch mit Rücksicht auf die Annahme Kleists, dass die sogenannte Katalepsie als Störungen im Verlaufe der cerebello-frontalen Bahnen zu betrachten seien, und auf den von. Maillard erbrachten Nachweis, dass die Paralysis agitans, wesentlich eine Tonuserkrankung — gleichfalls diese Bahn haupt- sächlich, speziell den Nucleus ruber beteiligt, ferner darauf, dass Haschisch Dysmegalopsie, Dysmetrie und Katalepsie erzeugt, auch solche bisher als psychomotorisch aufgefasste. Phänomene durch Vorgänge im nervösen Apparat ohne ursächliche Mit- wirkung des Psychischen zu erklären. (Autoreferat.) Diskussion: Dr. Max Löwy: Betont die prinzipielle Bedeutung der Feststellung des Vortragenden — durch Erfahrung an einem Blinden wırd eine Menge von Einzelerfahrungen aus der Patho- logie der Sehenden klarer. Bei letzteren sind die Störungen des Labyrinthtonus vielfach mit eigentümlichen Sehstörungen ver- bunden — wie der Vortragende geschildert hat — und erst durch die Beachtung der Beziehungen zum Labyrinthtonus werden die verschiedenen zusammen vorkommenden Sehstörungen als 90 Sitzungsberichte. zusammengehörig erkennbar. Anschliessend schildert Dr. Löwy einen Fall, welcher, einzeln und auch in einem Anfall ver- einigt, Erscheinungen des Pseudomeniere, Makropsie oder Mi- kropsie oder Porropsie bot und gleichzeitig eine eigentümliche „Bewusstseinstörung* aufweist. In diesen Zuständen haben Wahrnehmungs- und auch Erınnerungsbilder und Gedanken eine eigentümliche „Athmosphäre* aus Erinnerungsbildern, Gedanken und besonders Gefühlen; meist, aber nicht immer sind es Er- innerungen aus der Jugendzeit. Dabei vollzieht. sich die Wahr- nehmung an sich und das formelle Denken im allgemeinen un- gestört. Doch sind neu auftauchende Eindrücke oder Vor- stellungen z. B. Schritte im Nebenzimmer oder der Gedanke an das Nebenzimmer oder die Gasse draussen unangenehm, weil sie die Zahl der „Athmosphären“ durch die ihren vermehren und sich die verschiedenen Athmosphären, wie auch die Sinneswahrnehmungen und Gedanken mit einander mischen, was bei Steigerung des Zustandes mit objektiv wahrnehmbarer Angst und einem nur subjektiv kenntlichen Zustande des Denkens einhergeht, welchen der Kranke als „Chaos“ bezeichnet. (Gelegentlich kommt bei diesem Kranken das Gefühl „nicht zu existieren“ vor.) — Diese Bewusstseinsstörung fasst Löwy als eine Bemerkungsstörung auf u. zw. als eine Übererregbarkeit des Bemerkens,. ein Bemerken von sonst im allgemeinen unbemerkt bleibenden Assoziationen. Solche unbemerkte Vorstellungen begleiten ja alle unsere Wahr- nehmungen, Erinnerungen und Gedanken, kauen diese sozusagen für das oberschwellige Denken vor und haben vielleicht auch Beziehungen zum Abstraktionsvorgange. Hiezu scheint ein Fall von A. Pick zu passen, welcher in einem Dämmerzustand als Hyperästhesie der Retina beschriebenes Erschrecken beim plötzlichen Eintritt von Gegenständen in sein erweitertes Ge- sichtsfeld und eine Erschwerung des Verständnisses abstrakter Begriffe zeigte. Vom Standpunkte des Bemerkens aus betrachtet wären diese Erscheinungen als eine veränderte Erregbarkeit des Bemerkens anzusehen, u. zw. hier als eine verminderte Erreg- barkeit des Bemerkens: ‘durch den Mangel der Einwirkung kon- kreter Vorstellungen bei abstrakten Begriffen aus der unbe- merkten „Athmosphäre“, welche ständig ihre Reflexe in das oberschwellige Denken werfen und welche konkreten Begleitvor- stellungen hier im Unbemerkten bl-iben, erklärt sich die Er- schwerung des Verständnisses abstrakter Begriffe, durch Kontrast des plötzlich sich dem Bemerken aufdrängenden Eindruckes zur sonst bemerkenslerren Brwusstseinslage des Dämmerzustandes erklärt sich das Erschrecken. Beide Fälle von Störungen des Bemerkens gehen mit Störungen des Labyrinthtonus einher, vielleicht kommen die Labyrinthtonusstörungen auf bis jetzt N Sitzungsberichte. 91 noch unklare Weise durch Steigerung oder Herabsetzung der Erregharkeit der Organempfindungen (?) (Wernicke), für die Steigerung des Bemerkens in Frage. Diese Steigerung und Herabsetzung des Bemerkens ergibt wohl auch Beziehungen zu den Erscheinungen des Dreamy state und zu den Dämmerzu- ständen und zur Inkohärenz in diesen. Doz. Fischer spricht sich an der Hand eines Falles von Dysmegalopsie gegen einen Teil der vom Vorredner geäusserten Ideen aus. Dr. Wiechowski. Dr. Allers: Es sei nicht die Meinung gewesen, dass das Haschisch und die ähnlich wirkenden Substanzen als spezifische Labyrinthgifte anzusehen wären, sondern es wäre daran zu denken, dass dieselben zwar kortikal, aber eben in dem Rinden- felde der Bahnen, welche mit dem propriozeptiven System zu- sammenhängen, eingreifen. Gegenüber Dr. Löwy wird bemerkt, dass es doch wohl noch voreilig ist, aus solchen dürftigen An- haltspunkten, die uns vielleicht in der Auffassung einiger Er- scheinungen fördern, sich Hoffnungen auf eine rationale Auffassung psychischer Phänomene zu machen. — Der vorgetragene Fall kann uns nur lehren, dass es wahrscheinlich ist, dass solche Symptome auf das Labyrinth zu beziehen sind und dass es vielleicht möglich ist, verschiedene als wesensverschieden an- gesehene Erscheinungen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenzufassen. 9. Dr. Weil: Demonstration zum Phänomene der nach- herigen Vermehrung der Bakterien in resistenten Tieren. Nach Besprechung der ver-chiedenen Arten der Immunität demonstriert der Vortragende Präparate aus der Peritonealflüs- sigkeit eines mit Schweineseuche infizierten Meerschweinchens, die zu verschiedenen Zeiten abgenommen wurden. Es zeigte sich keine Phagozytose, das Tier wurde bis jetzt (5 Tage) nicht krank und in dem letztentnommenen at zeigte sich eine Vermehrung der Bakterien. XVII. Sitzung am 9. Feber 1909. Patholog.-anat. Institut, 7 Uhr. Dr. Verocay: Über Malaria und andere Blutparasiten. Eingehende Darstellung des Entwicklungsganges und der Verbreitungsweise der Tertiana, Quartana und Tropica an der Hand von farbigen Tafeln und mikroskopischen Präparaten. 992 Sitzungsberichte. XIX. Sitzung am 16. Feber 1909. Patholog.-anat. Institut, '/; 9 Uhr. 1. Dr. Kafka: a) Demonstration von Melanosarkomzellen im Liquor cerebrospinalis. Nach Erörterung der Literatur über das Vorkommen von Tumorzellen im Liquor cerebrospinalis, bespricht der Vortragende den vorliegenden Fall und die Art der Zellen, sowie die dia- gnostische und theoretische Bedeutung des Befundes. b) Demonstration von rote Blutkörperchen phapo2yliepeades weissen Zellen im Liquor cerebrospinalis. In der Literatur finden sich nur Fälle von Ku von Blutpigment durch weisse Zellen nach Hirnblutung oder Gefäss- verletzung bei einer vorausgegangenen Punktion. Auch hier war 10 Tage vorher eine Punktion vorausgegangen, die stark blutig tingierten Liquor zu Tage förderte. Das Präparat zeigt deutlich verschiedene Stadien der Phagozytose. Diskussion: Dr. Weil: Hebt die Reichlichkeit der Phagozytose hervor ' und dass sie im Liquor vorkommt, der ja keine Haemotropine enthält. Vielleicht sind sie in ihn durch die Affektion der Meningen bei der Paralyse hineingekommen, vielleicht durch das zugrunde gegangene Blut. Doz. Fischer: ad 2. Hat bei Blutungen in die Meningen nie Blutpigment gesehen. ad 1. Das Vorkommen der Tumorzellen im Liquor kann vielleicht doch diagnostisch verwendet werden, wenn es auch nicht zu therapeutischen Konsequenzen führt. Dr. Verocay, Dr. Weil, Doz. Dr. Fischer, Doz. Dr. Helly. Dr. Kafka: Wir haben über dieses Phänomen der Phagozytose noch zu wenig Erfahrung, um sagen zu können, ob sie bei Nichtparalysen nicht vorkommen. 2. Dr. H. Rollett: Demonstriert makro- und mikrosko- pische Präparate von multiplen Kalkablagerungen in der Leber. 3. Doz. Dr. Wiechowski: Demonstriert einen neuen Apparat zur Trocknung überlebender Organe .bei normaler Temperatur. XX. Sitzung am 2. März 1909. I. mediz. Klinik, '/,9 Uhr. 1. Dr. S. Lieben: Über Krankenernährung. Vortragender referiert über Leydens „Handbuch der Er- nährungstherapie und Diätetik.* In einer Zusammenstellung wird darauf hingewiesen, dass die sogenannten „nahrhaften“ Speisen relativ recht wenig Kalorien enthalten. so z. B. 1 kg. N NEE A - Sitzungsberichte. 93 - Fleisch 1000 Kalorien, 1 1 Milch 600 Kalorien, während ein er- wachsener Mensch mindestens 2500 Kalorien pro Tag braucht. Es ist also kaum möglich, mit eiweisshältiger Nahrung allein auszukommen, man muss zur Ergänzung Kohlthydrate und- vor allem Fette hinzuziehen. Es wäre das Ideal, das ganze Nahrungsbedürfnis mit Fett zu bestreiten, da so durch sehr geringe Nahrunesvolunina die srösste Kalorienanzahl (per Gramm 9 Kal.) dem Körjer zugeführt wird. Doch erlaubt dies der Zustand des Magen Darmtraktus nicht. Der Kranke bedarf ca. 1500 Kal zur Erhaltung seines Stickstoffgleichgewichtes. B:kommt er weniger, so tritt eine Abmagerung ein. Ursachen einer solchen sind: 1) Geringe Nahrungsaufnahme (z. B. wegen mangelnd«n Appetites). 2.) Schlechte Ausnützung der aufgenommenen Nahrung (wegen schlechter Funktion der Darmdrüsen). 3.) Vermrhrter Stoffum- satz als Folge der Krankheit u. zw. Zerfall der Kohlehydrate, vor allem des Glykogens; des Fettes und schliesslich der Ei- weisskörper. — Man muss die Abmaeerung gleich vom Anfang bekämpfen und darf sich z. B. durch Fıeher allein nicht hindern lassen, den Kranken zu ernähren. Die erste Nahrung für den Fiebernden ist Milch. Anfangs 1 1] täglich. Sollte die Dar- reichung von Milch auf Widerstand stossen, so »ind Zusätze von Genussmitteln wie Kakao, Kaffee, Kognak geeignet, die Aufnahmefähigkeit seitens des Kranken zu vermehren. Doch gibt es Fälle, in denen Milch nicht gegeben werden kann; Kranke mit anhaltendem Erbrechen müssen vornehmlich mit solchen Flüssigkeiten genährt werden, die ihnen zuträglich sind. Es empfehlen sich besonders kalter Tee, kalter Kaffee, Alkohol. Bei anderen Kranken ruft die Aufnahme von Milch Diarrhoen hervor; auch hier muss die Milch ausgesetzt und durch Suppen, Mehlsuppen, dünnen Griesbrei ersetzt werden. Es ist überhaupt notwendig, auch bei ganz flüssiger Kost für eine entsprechende Abwechslung zu sorgen und damit psychisch - den Kranken günstig zu beeinflussen. Der Übergang der Krankenkost in der Rekonvaleszenz von flüssiger zu fester Diät muss sehr langsam vollzogen werden. Zur Zeit, wo der Kranke schon kein Fieber hat und sich wohl fühlt, muss der Darmtraktus, der so lange nicht in Tätigkeit war, sehr geschont werden. Vortragender bespricht dann die einzelnen Arten der künst- lichen Ernährung: 1.) Mit der Schlundsonde. 2.) Per reetum. Hinweis auf die Laubeschen Zucker-, Amylum- und Pankreas- klystiere. 3.) subkutan. Schliesslich wird die Ernährungsart von Magen- und Darm- kranken kurz besprochen. (Autoreferat.) Diskussion: Dr. E. Przibram, Prof. Raudnitz, Dr. Adler. 94 Sitzungsberichte. XXL Sitzung am 9. März 1909. Psychiatrische Klinik, '/,9 Uhr ab. 1. Der Vorsitzende verlautbart eine Einladung des Hr, Prof. Dr. R. v. Lendenfeld an die biol. Sektion zur Besichtigung seines epidiaskopischen Apparates. Wird auf des Sommersemester ver- schoben. 2. Dr. Langhans: Zur Biologie der Zelle (Referat). Diskussion: Prof. Dr. Raudnitz. Doz. Dr. Fischer: Auch in der Histopathologie des Gross- hirns beginnen die Lipoide eine Rolle zu spielen; sie bilden integrierende Bestandteile desselben. Ihre groben Abbauprodukte kennt man, ihre feineren jedoch nicht. Alzheimer fand gewisse Substanzen im Gehirn, die er als Lipoide bezeichnete; sie zeigten farbenchemische Ähnlichkeit mit Fett und fanden sich bei lang- samem Schwund des nervösen Parenchyms. Doz. Dr. Wiechowski bemerkt, dass der Begriff „Lipoide“ keine scharfe Definition zulässt. Es gibt solche, die in Wasser löslich sind. Es sind Stoffe, die dem Lezithin und Cholesteurin ähnlich gebaut, phosphorhaltig sind. Hämolyse ist nicht identisch mit Lipoidlöslichkeit, sie kann auch durch nicht lipoidlösende Substanzen hervorgerufen werden. Dies gilt auch für die Auflösung von Zellen, Eiter etc. Für die Lehren von der Beziehung zwischen Lipoidlös- lichkeit und Oberflächenspannung sind die vorgetragenen Unter- suchungen unterstützend. Dr. Langhans (Schlusswort). 3. Dr. Max Löwy: Uber Psychosen im allgemeinen: De- menzprozesse, toxische Prozesse, funktionelle Psychosen, ange- borene und erworbene psychopatbische Konstitutionen — und deren Beziehungen zu einander (Erscheint als Originalaufsatz in dieser Zeitschrift). Diskussion: Doz. Dr. Sträussler, Dr. Löwy. XXIl Sitzung am 16. März 1909. Anatom. Institut '/,9 Uhr. Prof. Dr. Münzer: Neue Methoden der klinischen Blut- untersuchung. Münzer demonstriert das Vergleichsspektroskop Bürkers und die Zählkammer des gleichen Autors, Apparate, von deren Verwendbarkeit er und Dr. Bloch (Franzensbad) sich in einer Reihe noch zu veröffentlichender Untersuchungen überzeugt haben. Die Anderung des Zählnetzes bei der Bürkerschen Kammer, wie sie von anderer Seite vorgenommen wurde, halten sie in Über- Sitzungsberichte. 95 einstimmung mit Bürker für keine Verbesserung und schliessen sich der Ansicht dieses Autors bezüglich der Vorzüge seines Zählnetzes an. Hierauf geht der Vortragende zur Besprechung jener Apparate über, welche der Viskositätsbestimmung des Blutes dienen. Ausgehend von dem Poıseulleschen Gesetze und der hierauf gegründeten relativen Viskositätsbestimmung zeigt er ‚an der Hand der Formel y:n, = v, t:vt, dass die Viskosität von zwei Variabeln abhängt und die Bestimmung durch Eliminierung einer der beiden Variabeln durch Gleichstellung dahin verein- facht wird, dass man entweder die Zeit oder das Volumen zur Viskositätsbestimmung heranzieht. Dementsprechend finden wir zweierlei Apparate: die von Hirsch-Beck und Determann, bei welchen eben die Zeit berücksichtigt wird, welche ein bestimmtes Volumen zum Abflusse durch eine Kapillare braucht, und die Apparate von Hess und Münzer-Bloch, bei welchen wiederum das Volumen berücksichtigt wird, welches bei gleicher Zeit durch eine Kapillare abfliesst. Merkwürdigerweise stimmen die Apparate in ihren Ergeb- nissen bei hoher Viskosität der untersuchten Flüssigkeiten nicht überein und gibt Determanns Apparat wesentlich höhere Werte als jene von Hess und Münzer-Bloch, welche letztere fast gleiche Resultate bringen. Eine sichere Erklärung können Münzer-Bloch nicht geben. Die von Hess angenommene Sedimentierung des Blutes spielt keine Rolle, wie ihre Untersuchungen mit lack- und deckfarbi- gem Blute einerseits und portionenweise aus dem Determann- Apparate aufgefangenes Blut anderseits zeigen. Wahrscheinlicher erscheint den Autoren die von ihnen schon an anderer Stelle (Medizinische Klinik Jahrg. 1909, Nr. 9, 11), angedeutete physi- kalische Fehlerquelle der zu weiten resp. zu kurzen Kapillare bei Determanns Apparate, wofür auch der Umstand spricht, dass die verschiedenen Determann-Apparate — es wurden drei zum Vergleiche herangezogen — durchaus nicht übereinstimmende Resultate geben. (Autoreferat.) Diskussion: Doz. Dr. Kahn, Prof. Münzer. XXI. Sitzung am 23. März 1909. Physiolog. Institut, '/,9 Uhr. 1. Dr. L. Freund: Demonstration der Hoden eines Hahnes. Das vorliegende Formolpräparat, darstellend die grossen, bohnenförmigen Testikel eines geschlechtsreifen ziemlich jungen Hahnes in ihrer natürlichen Lage und Umgebung, dient als ein äusserst instruktives Beispiel dafür, welche Dimensionen die männlichen Geschlechtsdrüsen der Vögel auf der Höhe ihrer 96 Sitzungsberichte. Funktion annehmen. Die Masse des linken Hodens, der gegen den rechten um 12 mm kaudalwärts verschoben ist, betragen: 4:7:cm Länge, 27 cm Breite. 25 cm Dicke; die des linken: 48:2'5:2'2, bei einer Rumpflänge von 25°5 cm zur Breite von 8:5 cm. Dass die Vogelhoden zur Zeit der Fortpflanzung an Grösse und Gewicht bedeutend zunehmen, ist schon seit langem bekannt — es haben schon Aristoteles und im 18. Jahrhundert Tannen- berg darauf hingewiesen, — wenngleich genaue Zahlenangaben sehr spärlich sind. Während aber Martin eine Zunahme auf das 6fache, Franck-Martin nur eine solche auf das Doppelte und da- rüber angeben. konnte schon Leuckart beim Sperling eine Ver- vielfachung das Hodengewichtes vom Januar bis April auf das 192fache nachweisen und Owen für dieselbe Zeit und den Hoden desselben Vogels eine Reihe von Stecknadelkopf- bis Kirschen- grösse abbilden. Er bemerkt, dass die Zunahme eine ungeheure sei. Auf diesem Tatsachenmaterial stehen auch Gadow-Selenka. Um dieselbe Zeit hat dann Etzold die Testikelentwicklung von Fringilla domestica eingehend untersucht mit dem Ergebnisse, dass das Gewicht des funktionierenden Hodens das des ruhenden rund genommen 300mal übertrifft. Was die Grösse anlangt, fand er den Durchmesser des ruhenden Hodens mit 0:7—0'8 mm, die Dimensionen des funktionierenden mit 10:8:7 mm. So ist es denn ganz erklärlich, dass jüngst Mencl einen funktionierenden Hoden bei einer Ente als einen Fall von hochgradiger Hyper- plasie deutete. Die bisherige Literatur hätte ihn vor diesem Irr- tum bewahren können, wenngleich genaue Angaben für die Haus- vögel bisher fehlen. Disselhorst hat es unternommen, Mencl richtig zu stellen unter wesentlichem Wiederabdruck und Hin- weis auf eine eigene frühere Publikation, die jedoch über den vorliegenden Gegenstand ausser der oben erwähnten Literatur (von Owen abgesehen) nur eine einzige Zahlenangabe enthält u. z. für den funktionierenden Evterichhoden: 8 cm Länge, 4'/, cm Breite, 4cm Höhe (Menels Angabe: rechts 87:58:39 mm, links 86: 55: 42 mm). Literatur: 1. Disselhorst R., Über Asymmetrien und Gewichtsunterschiede d. Geschlechtsorgane. Arch. wiss. Tierheilk. 24. Bd. 1898. — 2. — Gewichts- und Volumszunahme d. männl. Keimdrüsen bei, Vögeln und Säugern i. d. Paarungszeit; Unab- hängigkeit d. Wachstums. Anat. Anz. 32. Bd. 1908, p. 113. — 3. Etzold, Die Entwicklung d. Testikel v. Fringilla domestica v. d. Winterruhe bis z. Eintritt d. Brunst, Z. f. wiss. Zool. 52. Bd. 1891. — 4. Franck L., Handb. d. Anatomie d. Haustiere. 3. Aufl. v. Martin, P. 1894. — 5. Gadow-Selenka in Bronns Klas- par Sitzungsberichte. 97 sen u. Ord. d. Tierr. VI. 4. Aves, 1891, p. 835. — 6. Martin, P. L. N. Naturg. d. Tiere. Vögel. 1884, p. 26. — 7. Mencl E., Über einen Fall v. hochgradiger Hyperplasie der Hoden b. einer Ente. Anat. Anz. 31. Bd. 1907.,p. 423, 1 Fig. — 8. Owen R., On the Anatomy of Vertebrates, Vol. 2. 1866. p. 242. 3. Dr. L. Freund: Demonstrationen zur Fischpathologie.') a. Exophthalmus bei Cyprinus carpio. Das vorliegende Exemplar - eines jungen höchstens zwei- sömmerigen Karpfens zeigt an dem rechten Auge die bekannte Erscheinung des einseitigen Exophthalmus, bestehend in einer Hervortreibung des Bulbus aus der Orbita und Vergrösserung desselben bei sonst normalen Verhältnissen des Kopfes. Die Ursache dieses Vorkommens, von dem nur Hofer (Handbuch der Fischkrankheiten, 1904, p. 292) berichtet ist unbekannt. b. Kieferverbildung bei Cyprinus carpio. Der vorliegende junge Karpfen zeigt einen Verlust des Unterkiefers wohl traumatıscher Natur. Auch der Oberkiefer ist mit seiner kaudalen Partie in Mitleidenschaft gezogen worden. Mechanische Verletzungen des Schädels mit nachfolgender Ab- heilung ohne weitere Beeinträchtigung der Exıstenzmöglichkeit des Fisches sind wohlbekannt und vielfach beschrieben (Hofer, Handbuch etc.; Freund: Anomalien d. Fischskelettes, Lubarsch- Ostertag Ergebn. XI, 2. 1907). Interessant ist, dass eine sekun- däre korrelative Veränderung der benachbarten Schädelknochen nach Verbildung bezw. Verlust einzelner Teile wenn überhaupt nur bei ganz jungen Stadien eintritt. Sicher ist dies der Fall bei der Mopskopfbildung im engeren Sınne (Freund) und bei einem Fall von Pappenheim, wo nach dem Verlust des einen Auges bei einem kleinen Glaridichthys eine Schädelverbildung folgte. Die Brachygnathia superior, die sicher kongeniral ist, entbehrt jeder sekundären Veränderung. c. Hermaphroditismus bei Clupea harengus. Die demonstrierten hermaphroditischen Keimdrüsen stammen von einem Hering. Sie bestehen zum grössten Teıl aus Ovarial- substanz, wobei in der rechten Seite die kaudale Hälfte von einer Partie Hodensubstanz eingenommen wird. Diese Art von Hermaphroditismus scheint für Clupea harengus charakteristisch zu sein (Weber, Tijdschr. Nederl. Dierk. Vereen. 1882). Herma- : 1) Die Präparate verdanke ich zum Teil Herrn Dr. V. Langhans, der sie durch die Lievenswürdigkeit des Graf Waldsteinschen Domänen-Direktors Campe erhielt, zum Teil dem Zoolog. Institut der Deutsch. Universität Prag. 98.) Sitzungsberichte. phroditismus bei Fischen ist. überhaupt schon oft beschrieben worden, ist jedoch bei einigen Arten ein normales Vorkommen. Eine einheitliche Redaktion der einschlägigen Literatur fehlt bis heute. d. Kutane Blasenbildung beim Karpfen. Gezeigt wird ein Exemplar eines sehr jungen Karpfens, der an verschiedenen Stellen der Körperoberfläche, auf der rechten Seite mehr wie auf der linken, Blasen verschiedener Grösse auf- weist. Dieselben scheinen prall mit Flüssigkeit gefüllt zu sein und bestehen in einer Abhebung der Epidermis. Die Natur und Ursache dieses Vorkommens sind noch zu studieren. e. Zysten in den Kiemen von Syngnathus acus. In einer Querschnittserie durch den Kopf einer Seenadel konnten mehrere Zysten verschiedener Grösse festgestellt werden, die in einigen Kiemenblättchen die beiden Lamellen derselben auseinandergedrängt hatten. Der Inhalt dieser Zysten scheiut aus Pansporidien zu bestehen, deren Art sich mangels ausgebildeter Sporen nicht feststellen liess. f. Parasiten der Fische. Demonstriert und besprochen werden einige der bekannte- sten Fischparasiten u. z. Ektoparasiten: parasitische Copepoden, (Lernaea, Lernaeocera, Caligus, Achtheres u. a.), Branchiuren (Argulus), Glochidiumstadium von Anodonta mutabilis; Entopa- rasiten: Cestoden (Caryophyllaeus, Ligula, Bothriocephalus), Ne- matoden (Filaria). 3. Doz. Dr. Kahn : Über Prismenfernrohre. Ba 0. > r Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘', Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. (Dr. L. Freund, sonst: Il,, Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116‘) Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonderabdrücke ihrer Arbeiten. = m = Eisenmöbel- und Bettwarenfabrik = = = IGNAZ GOTTWALD PRAG, Teppich- und Vorhang- Warenhaus Graben 2, liefert: Untersuchungstische, Operationstische, Vrrbandzeug- tische, Irrigateurständer, Instrumentenschränke. 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Die sehnlich erwartete Inangriffnahme meines eigentlichen Planes war mir bei meiner Ankunft in Brisbane nicht sogleich möglich. Durch eine ungünstige Verquickung verschiedener Umstände waren alle jene Persönlichkeiten, in deren Händen die Realisierung meiner Absichten lag, vorläufig nicht zu haben. Der Fischereiinspektor Mr. Stevens war kurz zuvor nach Norden gereist. Der kaiserlich deutsche Konsul, Herr v. Ploennies, war auf einer Inlandtour begriffen und vor 14 Tagen nicht zu erwar- ten. Der Assistent des Fischereiinspektors war eben aus Lon- don angekommen und kannte die Queensländer Verhältnisse nicht, und der Chef des betreffenden Departements, der Hafen- meister Captain Amond, war nach Europa beurlaubt worden. Verlässliche Information war mir also zur Zeit unerreichbar. Ich hatte zwar durch den Hotelbesitzer Herrn Petermann schon nach wenigen Tagen mit verschiedenen Persönlichkeiten Bekannt- schaften angeknüpft, um Erkundigungen über den Dugongfang einzuziehen, ohne aber zu irgend einem Resultate zu gelangen. Viele wussten eine Menge von dem interessanten Tiere, seinem heilsamen Fett, schmackhaften Fleischh dem schönen Elfenbein und der nützlichen Haut zu erzählen; jeder schätzte den Dugong als ein „most valuable thing“. Genaueres wusste mir aber niemand anzugeben. Für die meisten war er eine „wonderful creature*, von der sie schon gehört, die sie aber nie gesehen hätten; andere behaupteten, dass es überhaupt keine Dugongs hier gäbe. Obwohl ich durchaus nicht geneigt war, aus dem allgemeinen Gerede von Laien engere Schlüsse zu zie- hen, so entnahm ich ihm doch schon damals, dass der Fang dieser Tiere sicher nicht allzu häufig betrieben wurde. Eine ge- wisse Enttäuschung überfiel mich erst nach den Mitteilungen des früheren niederländischen Konsuls Herrn Heussler, dass eine vor wenigen Jahren zum Zwecke des Dugongfanges gegründete Aktiengesellschaft wegen zu geringer Ausbeute zugrunde gegan- gen wäre. Als einzige Reliquie damaliger besserer Zeiten über- be) JUNG - DIV 100 Prof. H. Dexler: hd gab er mir einen Stosszahn einer Seekuh, somit den ersten, wenn auch geringfügigen Beweis der Existenz der Tiere; später fand ich solche nur noch in einer halben gegerbten Haut bei einem Riemer und in einer Büchse konservierten Dugongfleisches in einer Delikatessenhandlung; die Provenienz war nicht zu er- heben und zünftige Dugongfischer konnten mir nicht zugeführt werden. Im Queensland Museum standen zwei ausgestopfte Exemplare australischer Dugongs und in den Vorräten zeigte mir der Leiter des Institutes Herr De Vis eine Menge von un- vollständigen Skeletten -— Köpfe, Rippen, Extremitäten usw. zu Haufen geordnet, die für den Tauschverkehr bestimmt waren; aber selbst das einzige aufgestellte Skelett war unvollständig und aus den Knochen verschiedener Individuen zusammengesetzt. Die Präparate stammten aus Schenkungen, die von den ver- schiedensten Küstenstrichen Queenslands zusammengekommen waren. Mit der Erwerbung lebender Dugongs hatte der Kurator nie zu tun gehabt und verwies mich diesbezüglich an den Fischereiinspektor. Uber die Fangaussichten äusserte sich Herr Heussler so reserviert, dass ich nicht umhin konnte, das amt- liche Schreiben des Staatssekretärs hervorzusuchen und den oft gelesenen und für mich massgebend gewesenen Inhalt wieder und wieder zu lesen: „With regard to the question of dugong fishing generally, the Inspector of Fisheries reports that very little has been done in this line in Queensland during the last year, as, although the supply is plentiful during the season in Moreton Bay, there is but little sale for the oil — Dalton, Under Secretary“. Das Schreiben nahm zwar wieder Bezug auf den nicht anwesenden Fischereiinspektor, klang aber doch so versichernd, dass ich beschloss, die mir bis zur Rückkehr dieses Funktionärs bleibenden 14 Tage nach Kräften in touristischer Weise auszunützen und mich vorläufig nicht mit unnützen Zwei- feln abzuquälen. Dazu bot Brisbane mehr als genug des Interessanten. Wie alle australischen Städte zeigt auch diese den amerikanischen Habitus, der durch die rasche Gründung, vorübergehende Nieder- lassung der Bevölkerung, die Billigkeit des Bodens und durch das Klima bedingt ist: breite gute Strassen mit elektrischem Licht und schnellgehenden Fahrgelegenheiten, einen grossen Hafen mit langen Kais, ein auf der Höhe der Zeit stehendes Zeitungswesen; zahlreiche Wohlfahrtseinrichtungen, Kirchen, Ban- ken, Schulen, Museen und Geschäftshäuser und was sonst noch zu den Lebensbedingungen jener dichtbevölkerten Städte gehört, die kaum ein halb Jahrhundert bestehend, alle Errungen- schaften unseres älteren Städtewesens in sich aufgenommen haben, ohne sich mit deren Ballast von Schwerfälligkeiten und Mängeln Ware OR Australische Reisebriefe. 101 zu beladen. Land und Stadt haben keine Geschichte und daher Pietät für alte Bauwerke, Strassenzüge und Monumente und keine Anhänglichkeiten an Gebräuche, Erinnerungen und sonstige kleine Besonderheiten, die beinahe jedes europäische Städtchen aufzuweisen hat. Die Kolonien sind stets Ausbeutungsobjekt. Der poetisch angehauchte Ausruf „über das grosse Wasser zu ziehen, um sich eine neue Heimat zu gründen“, gilt hier nur - für den Ackerbauer und diejenigen, die es daheim zu nichts - bringen; aber das ackerbautreibende Element ist in verschwin- - _ dender Minderzahl gegen die kommerziellen und industriellen - Kreise. Was sich in den Städten zusammendrängt, will Reich- k tümer erwerben durch Gold, Wolle oder Handel, um das Leben in England im Wohlstande zu vollenden. Wenn es auch Fa- milien gibt, aus denen zwei oder mehr Generationen draussen , geblieben sind — das letzte Ziel, auf das unablässig hingear- - beitet wird, bleibt doch die europäische Heimat; in Australien — | Queensland ist vielleicht der für Kolonisten geeignetste Teil dieses Kontinentes — schafft man, aber man bleibt nicht. So | finden wir Städte emporblühen, die eigentlich nur dem Handel, - den Beziehungen zwischen Urproduzenten und der Kaufmann- schaft ihren Ursprung verdanken. Sie sind diesem Interesse allein angepasst und‘ leisten in praktischer Beziehung alles nur Erdenkenswerte.e. Auch in Brisbane, das als Muster solcher Städte hingestellt werden kann, verläuft das ganze Menschen- -. getriebe unter dem Leitgedanken „Business is business“ und „time is money“. Im Zentrum arbeitet man; dort stehen die reichen Banken, Kaufhäuser, Regierungsgebäude und Hotels. In der Peripherie wohnt man; wie man intensiv arbeitet, so wünscht man auch ungestörte Ruhe. Weniger das Huhn im Topfe als ; die private Abgeschlossenheit ist allgemeines Begehren. So ent- 2 steht um das Zentrum der Stadt ein breiter Gürtel isolierter 5 kleiner Häuser, der durch keine natürlichen Grenzen behindert ist; weil solche fehlen, konstruiert man sie. Zur Stadt Bris- bane gehört alles, was innerhalb eines Kreises von fünf Meilen Radius liegt. Die City nimmt davon allerdings den kleinsten - Teil, etwa zwei und eine halbe Quadratmeile, ein, alles übrige sind Suburbs oder Vorstädte; immerhin stehen den 119.000 Einwohnern mehr als 120 Quadratmeilen zur Verfügung, so dass jeder die ersehnte Bewegungsfreiheit in luxuriösem Masse ge- niessen kann. Dazu gehören noch bequeme Verkehrsmittel: ein einheitlich nach den Windrichtungen angelegtes, meist recht- - _ winklig geteiltes Strassennetz und billige Tramways. Die City hat sieben Längs- und sechs Querstrassen. Erstere tragen weib- liche, letztere männliche Namen: Elizabeth-, Charlotte- Ann- Street... . Eduard-, Albert-, Williams-Street usw. Dadurch 9* FT et 102 Prof. H. Dexler: wird eine Orientierung ungemein leicht gemacht und der Be- sucher findet sich schon nach wenigen Tagen mit einer Sicher- heit zurecht, die in gleich grossen Städten daheim erst ein sorg- fältiges Studium der Situation voraussetzt. Eine so überaus praktische Anordnung ist auch ein unerlässliches Erfordernis für eine so weit ausgelegte Stadt, in der sich der Verkehr fast der gesamten Bevölkerung auf ein zentrales Viertel für einige Tages- stunden zusammendrängt. In der City beginnt es erst um 9 Uhr lebendig zu werden. Fast mit einem Schlage flutet der Menschenstrom in die bisher verlassenen Strassen. Tramway, Omnibus, Eisenbahnen, sowie Einzelfuhrwerke wetteifern bei der Beförderung der Menschenmassen, die kurz darauf die Trottoirs ent- lang eilen und die Geschäftsläden, Offices usw. besetzen. An den Stras- senkreuzungen entwickelt sich ein beängstigendes Gedränge Zei- tungsjungen rufen ihre Blätter, die Peny-’buskutscher ihre Sta- tionen aus und leichte Reiter sprengen hier und dort über das harte Pflaster. Hierzulande reitet man viel, billig und schonungs- los; ein kurzer Kanter ist die gewöhnlich eingehaltene Gangart; für Trab hat man kaum ein Verständnis. Selbst die Gymna- siasten kommen oft viele Meilen weit jeden Morgen auf ihren flinken Pferden zur Schule. Das bewegte Strassenleben hält fast in gleicher Stärke bis zum Geschäftsschlusse an. Nach 5 Uhr beginnt der allgemeine Exodus und zur Dinnerzeit ist die City wieder so stille wie eine kleine Landstadt. Die Menschen haben sich in die Wohnorte, die Vorstädte zurückgezogen, deren schüttere Häuserblöcke die City in breitem Gürtel umlagern. Der Anblick von Brisbane aus der Vogelperspektive ist durchaus nicht so reizlos, wie man aus ihrer Anlage und Bauart schliessen möchte. Besteigt man einen der die Stadt umgebenden Hügel, so bietet sich eine schöne Fernsicht dar. Im Osten blinkt das Meer herüber, das in gerader Linie etwa 14 Meilen entfernt ist. Von ihm verfolgt man den geschlängelten Lauf des Brisbaneflusses bis zum Her- zen der Stadt, deren weite Gefilde sich zu Füssen des Fremden ausdehnen. Von einem Häusermeer ist allerdings nicht die Rede. Die Häuser sind so dünn über das grosse Areal verstreut, dass ihre Zusammengehörigkeit zu einer Stadt kaum angenommen werden kann. Zwischen ihnen liegen grosse Strecken bewal- deten oder grünen Landes, das von schnurgeraden Strassen durch- schnitten wird. Erst ganz ferne leuchtet die dichte Häuser- masse der eigentlichen City mit ihren Kirchtürmen und Fabrik- schornsteinen herüber. Um malerisch zu sein, fehlt der Umge- bung Brisbanes bloss die Variabilität des Pflanzenwuchses der gemässigten Zone. Von den vielen Ziergärten abgesehen, in denen Palmen, Nadelhölzer und Laubbäume im bunten Wechsel Australische Reisebriefe. - 103 gepflegt werden, findet man nur eintönige Eucalyptusbestände, die gegen die Strassen und Wege von dichten Lanthanahecken umsäumt sind. Sieht man diese Wälder in der Zeit der Trocken- heit oder nach andauernden Dürren, so macht der graslose, mit raschelndem Laub bedeckte Boden des frucht- und blütenlosen Haines einen sehr traurigen Eindruck. Gleich neben dem Kul- turzentrum atmet man die Monotonie der australischen Busch- wildnis. Sowie im Grundrisse ist auch die Bauart der Häuser uni- form. Die Regierungsgebäude und die Paläste einiger Banken, die ihre Kapitalskraft dokumentieren wollen, sind solide Ziegel- und Steinbauten mit mehr oder minder luxuriöser Ausführung und billigem Geschmacke. Sonst aber trifft man nur Holzkon- struktion. Selbst die grossen Hotels haben nur Ziegelvorbauten; von der Hofseite her offenbart sich uns ein simpler Fachbau, der um so enttäuschender wirkt, je mehr die Strassenseite ver- ziertist. Alle Wohnhäuser, auch die der wohlhabendsten Familien, sind aus Holz mit Zinkblechbekleidung versehen. Solidere Bau- ten sind wegen der terrorisierenden Haltung der Arbeiterschaft so teuer, dass die Ausführung solcher die schwersten pekuniären Opfer verlangt. Amortisation ist bei der fluktuierenden Ein- wohnerschaft nicht rationell; auch leisten sie kaum bessere Dienste als die Holzbaracken, die nur vor Regen, nicht aber vor Kälte zu schützen haben. Der Hausboden besteht aus einem Balkenrost, der zum Schutze vor den weissen Ameisen, auf nie- deren Blöcken ruht. Eine Küche und drei bis vier Gelasse ge- nügen den Anforderungen der Wohnparteien, die den grössten Teil des Jahres auf der breiten Veranda zubringen. Ein Well- blechwassertank nimmt das Regenwasser auf, und eine kleine Anpflanzung von Pfeffer- oder Feigenbäumen und einigen Rizinus- stauden schliesst das Patrizierhaus gegen aussen ab. Ästhetische Momente zu erwägen, kommt dabei niemanden in den Sinn; eine andere Schönheit als die der Zweckmässigkeit kennen diese Bau- ten nicht. Diese Anspruchlosigkeit, in Verbindung mit der isolierten Lage und Gleichmässigkeit der Häuser, der steinigen Bodenbe- schaffenheit und den schattenlosen Bäumen, veranlassen den Touristen, sich bald wieder dem grosstädtischen Leben der City zuzuwenden, die er per Bahn, Electrie-Car oder Omnibus aufs bequemste erreichen kann. Der Fahrpreis ist wie der der Zei- tungen nach der kleinsten gangbaren Münze zugeschnitten. Die lange Fahrt auf dem Omnibus kostet ebenso 1 Penny — daher Peny’bus — wie die Benutzung der Tramway durch eine Strecke, die man nach Stunden anzugeben hätte. Überschreitet man aber wirklich eine Zone, so wird einem ruhig eine andere Penykarte 1 104 De Prof. H. Dexler: ; ausgefolgt, ohne dass er auf sich das Omen eines Defraudanten nehmen müsste. Wer ohne Billet getroffen wird, bezahlt ein solches. _ Man versuche nicht, den Kondukteur durch ein Trinkgeld zu korrum- pieren. Ein kurzes, unbeschreiblich geringschätzig höfliches Lächeln — „no, thanks“ und man ist von dem biederen Gebrauche geheilt. Nicht minder einfach ist der Verkehr auf der Eisenbahn, auf der es niemandem einfallen könnte, den Schaffner mit überflüssigen Fragen zu traktieren, Sonderwünsche aufzustellen, ein ihm nicht zugehöriges Coupe zu benutzen, oder sich je dabei ertappen zu lassen, einen falschen Zug zu besteigen. Ist jemandem der. Trubel und die Berührung mit der demokratischen Mitwelt nicht angenehm — und demokratisch sind sie alle — so stehen ihm die teuren Handsoms und Viktorias zur Verfügung, die ihn ebenso leicht an das Ziel seines Ausfluges bringen. Alles wickelt sich schnell, ruhig und einfach ab. Man eilt ohne viel Aufent- halt seines Weges dahin, den vorübergehenden Bekannten oder auch Höherstehenden nur mit einer kurzen Berührung des Hutes grüssend. Wie auf der Strasse, so lebt man auch im Geschäfte nur seinem Zwecke, gleichgültig, ob man bei einem Rechtsan- walt, in einer Wechselstube oder einem Fruchtladen vorspricht. Man grüsst kaum beim Kommen und Gehen und ein deutliches „keinen weiteren Auftrag?“ des Verkäufers schneidet jedes un- nötige Verweilen ab. Der Direktor oder der Manager einer Gesellschaft empfängt nur nach vorheriger Anmeldung und mög- lichst kurz; wendet sich das Gespräch aussergeschäftlichen Dingen zu, so entledigt er sich seines Besuches geschickt und unerbittlich oder, wenn besondere Gründe im Spiele sind, wird man zu einen Drink an der Bar eingeladen. Man beginnt die Arbeit um 9 Uhr und schliesst sie um 5 Uhr; man geniesst eine Menge kirchlicher und staatlicher Feiertage und dazu noch viele Bank- und Halfholidays; die der Arbeit gehörige Zeit darf aber nur dieser zugewendet werden. Sie zu unterbrechen, ist kaum das Mittagessen imstande, das meist durch einen kurzen Besuch an der Bar erledigt wird. Diese Konzentrierung ist um so nötiger, als die langen Ruhepausen durchaus nicht nur der Bequemlichkeit des einzelnen entsprechen. Bei der auch im Winter warmen und im Sommer sehr hohen Temperatur ist ein solches Vorgehen schon durch das Klima geboten, wenn man seine Leistungsfähigkeit dauernd erhalten will. Zur Unterstützung dieser Bestrebungen sollen die Queensländer, so behauptet man vielfach, stark dem Alkoholgenusse frönen. Ich muss gestehen, dass ich während meines ganzen Aufenthaltes in Australien eine hohe Wertschätzung geistiger Getränke gefunden habe; sie schien mir aber, zusammengehalten mit unseren Trinkersitten, nicht sehr übertrieben. Der Durchschnittsmensch begiesst Freud und N Australische Reisebriefe. 105 Leid, Hitze und Kälte, den Anfang und Ausgang eines Geschäf- tes, die Abreise und die Ankunft, die Geburt und den Tod eines Angehörigen, den Morgen und den Abend ohne Unter- schied der Nationalität und der Erdhälften gewöhnlich mit Alko- hol, und ich wüsste nicht, dass zwischen Triestiner, Hamburger oder Brisbaner Matrosen ein Unterschied in der Alkoholgier herauszubringen wäre. Ausnahmen gibt es bier wie dort; als Muster nach dieser Richtung gelten die deutschen Bauern Australiens, die ihrer Enthaltsamkeit ihren vielgeneideten Reichtum ver- danken. Gewiss ist Queensland nicht schlechter daran als die übrigen Staaten des fünften Erdteiles, wie die Statistik beweist. Wenn Australien auch nicht zu den am meisten alkoholkonsu- mierenden Ländern gehört, so geben schliesslich die Australier den starken Gebrauch desselben freimütig zu. Darauf weisen die zahlreichen Gesetzesbestimmungen, die den Alkoholgenuss einschränken sollen, und die Lebhaftigkeit der Temperenz- bewegung hin; auch das Wahlprogramm der Frauen für das Bundesparlament der australischen Staaten hat das Trin- kerunwesen als zweiten Hauptpunkt enthalten: dass man einen guten Teil mehr trinkt als nötig zu sein scheint, geht daraus zur Genüge hervor; aber nicht Queensland, sondern West- australien geht voran. Nach den Aufstellungen von Rowntree und Sherwell kommen im erstgenannten Staate 1.07 Gallonen, im letztgenannten aber 2.32 Gallonen absoluter Alkohol per Jahr auf jeden Einwohner. Da die gleichen Ziffern für Deutsch- land 2.08 Gallonen betragen, so ergibt sich für Queensland kein besonderer Vorrang. Zu seinen Ungunsten spricht weniger das Quante als das Quale, mit dem man vorlieb nimmt. Was dort als Drink gewöhnlich verzapft wird, ist unerreicht an miserablen Eigenschaften. Viel ist daran wohl der Anspruch der Konsu- menten schuld, von denen die Mehrzahl etwas „Scharfes“ wünscht, ein Fluidum, das die Kehle hinabgeht wie Feuer, oder um im Slang zu reden „like a crab with open claws“. Damit teilen aber die Queensländer nur den englischen Geschmack. So wenig ein Durchschnittsengländer für die feine Blume des Rheinweines oder die Güte unserer Biere zu haben sein wird, so wenig verstehen wir den Hang nach akuter Vergiftung, den die schweren Getränke nach sich ziehen, die der Engländer liebt. An der Peripherie der Kultur der Weissen, an der Australien liegt, werden die Getränke nur noch schlechter, alkoholreicher; man vereinigt ja sogar von den Trebern gebrannten Schnaps mit den ohnehin starken Weinen, um ihm jene Schärfe zu geben, die vom Pub- likum verlangt wird. Dass die Verwüstungen, die das andauernde Schnapstrinken .nach sich zieht, überall mit erschreckender Deut- lichkeit hervortreten, ist selbstverständlich; man kennt aber das 106 Prof, H. Dexler: Übel und sucht ihm so viel als möglich zu steuern, teils durch private Hilfe, teils durch Gesetzeskraft. Auch sucht man den Schein wenigstens insofern zu wahren, dass man das Trinken nicht poetisch verherrlicht, sondern möglichst unbeachtet abzu- tun trachtet. Die Fenster des Bars sind mit Lack- und Gold- ornamenten ganz bedeckt und die Eingangstüren mit spanischen Wänden verstellt. Trunkenheit an sich ist strafbar; wer sich durch schwankenden Gang verdächtig macht, „intoxicated“ zu sein scheint, riskiert: die Arretierung. Freilich kann man dabei oft im Zweifel sein, wer der Schuldige ist. Bei der ganz unglaub- lichen Verachtung, die man der Polizei entgegenbringt, darf sich der Wächter des Gesetzes absolut nicht an seinem Opfer ver- greifen oder ihn nur festhalten wollen. Eine ganze Reihe von Zuschauern geht mit, kritischen Auges das Benehmen des Poli- zisten überwachend. Übrigens liegen in den angeführten Beispielen nur Eigen- tümlichkeiten, die jede englische oder amerikanische Stadt mehr oder weniger aufweist und die den Fremden geradeso auffallen, wie die staunenswerte Schwindelreklame, die von Quacksalbern, Dentisten, Droguisten, Hand- und Gesichtswahrsagern getrieben werden darf. Sie sind offenkundig bei den grossen ameri- kanischen Medizinfirmen in die Lehre gegangen, haben aber zu wenig Witz, ihnen nur im geringsten zu folgen; so wird aus dem Posaunenrufen kraftvoll unternehmender Köpfe ‚ein ungemein kleinliches Drehorgel-Wimmern nach einem Bettelpfennig. Wir bestaunen bei den berüchtigten ame- rikanischen Naturdoktoren, Gedankenlesern, Somatotherapisten, Magnetopathen, Phenopathisten, Vibrationisten, Venopathisten und wie sonst alle diese Quacksalber oder „Quackies“ heissen mögen, die scheinbar so sachgemässe, finanziell häufig tief durch- dachte, gewiss rationell zu nennende Wertung und Ausnutzung des im Menschen steckenden Dranges nach dem Mystischen, Übersinnlichen und Widersinnigen. Es handelt sich bei diesen Leuten nur um die Erfassung eines psychologischen Problems. Oder können wir unsere Beachtung einem Still, wenn auch nur im schlechten Sinne, versagen, der es durch ein leichtes Gefackel mit wenigen Sätzen dahin brachte, dass man seiner „Wissenschaft“ heute in Nordamerika fast mehr In- teresse von seiten der Massen entgegenbringt als etwa einer Präsidentenwahl? Er erklärt den Menschen für eine Maschine, seine Knochen für Maschinenbestandteile und das Zurechtmas- sieren verschobener Knochen als den Urgrund aller Krankeits- heilung! Wie gross muss die Suggestivkraft des Schusters Franeis Schlatter gewesen sein, der bloss die Taschentücher zu besprechen hatte, um per Post Heilung zu senden. Sein Anhang = er. Australische Reisebriefe. 107 war so stark, dass endlich die Post kaum mehr die Taschentuch- sendungen bewältigen konnte. Auf eine solche Spekulation, die in Amerika- fast täglich aus dem Boden schiesst, scheint noch kein australischer Quackie verfallen zu sein; wenigstens ist es bisher keinem gelungen, die Berühmtheit oder den Nimbus seiner überseeischen Kollegen auch nur annähernd zu erreichen. Von dem Zug ins Grosse, der bei den Amerikanern imponiert, sehen ‘ wir hier gar nichts. Der Sydney- oder Brisbanequackdoktor muss sich mit einigen längst verbrauchten Brocken abfinden. Er 'preistt an Heilmittel nur für die Lungen, solche nur für die Nieren usw. oder verkauft Tränke, welche erläutern, befreien, verdecken, vertreiben was und wo man nur wünscht. Wie kläg- lich albern ist folgende Annonce: „Mrs. Leonidas Iphigenia Brown ladet den gesamten Clerus von Wellington, und zwar Methoisten wie Wesleyaner freundlichst ein, sie zu einer beliebigen Stunde nach 7 Uhr abends zu besucher, um im Vereine mit ihr zu Gott ein Dank- gebet für die wunderbaren Heilkräfte emporzusenden, mit denen er sie in seiner unendlichen Güte ausgestattet hat. Des wei- teren ist die Genannte bereit, sich ins Gefängnis setzen zu lassen, wenn ihre „Asthma Cure“ nicht jeden Fall heilt. Gez. Mrs. L. I. Brown.“ Wir, mit unseren Naturheilkünstlern, haben, wie schon gesagt, zwar wenig Anlass, den Engländern diesbezügliche Vor- würfe zu machen; wenn wir aber die Schädigungen betrachten, die der Börse wie der Gesundheit des einzelnen durch diese Parasiten des öffentlichen Lebens zugefügt werden, so weiss man nicht, was mehr unsere Verwunderung erregt: die bis zu so lächerlichen Extremen gehaltene Achtung des freien Wortes oder den Mut, mit dem solch betäubender Humbug einem so hoch entwickelten Volke geboten werden darf, wie den Australiern. Aber die Geschäfte scheinen ihren Mann zu nähren. Ich möchte auch annehmen, dass diese Erscheinungen eben- sowenig einen Masstab für das allgemeine Bildungsniveau abge- ben können, wie etwa die literarischen Produkte, welche in den N Buchhandlungen feilgeboten werden. Das Unheil, das die Mo- natshefte, die „Monthly Reviews‘, über die englische Belletristik gebracht haben, ist genügsam bekannt; hier schillert die Unter- wertigkeit dieser Presserzeugnisse in den krassesten Farben. „Lady papers‘‘ nennt man diese traurigen Produkte geistloser Skribler, die hier in Masse auf den Markt geworfen werden. Sie übertreffen sich gegenseitig an Plattheiten und riechen nach der Leimung schlecht zusammengefügter ‚‚Anlehnungen‘“. Das Titelblatt verschweigt wohlweislich den Schöpfer dieser Novels, 10 108 | Prof. H. Dexler: 18 BR BER Stories und Fancies; ‚‚by the author of“ . . heisst es gewöhnlich, und darunter „Colonial Edition.‘ Einer besonderen Erwähnung sind auch die öffentlichen Andachtsübungen wert, denen man überall begegnet. Die Sek- tierer sind bei einem Volke, in dem jeder das Recht hat, die heilige Schrift auszulegen, ganz selbstverständliche Erscheinun- gen. In Brisbane blühen jedoch die Gründungen neuer Religions- genossenschaften mit einer Uppigkeit, die beinahe die erbaulichen Zustände amerikanischer Eiferer in den Schatten stellen. Da die Kopfzahl gleichgesinnter Frommer aber nicht so gross sein kann, wie in den Unionstaaten, so fehlt ihnen zumeist jegliche öffentliche Bedeutung und sie lassen sich als niedliche psycho- logische Phänomene bequem betrachten. Ein Mangel an kirch- lichen Einrichtungen ist in Brisbane kaum zu finden. Auf 119.000 Einwohner kommen 10 Episcopal-, 5 Wesleyaner-, 6 Baptisten-, 5 Kongregational-, 1 Bibel-Christen-, 1 Lutherische-, 7 Presbyterianer-, 3 Primitiv-Methodisten-, 1 Vereinigte Metho- disten-, 4 Katholische Kirchen und Kapellen sowie eine Neu- kirche, 1 Skandinavische Kirche und eine jüdische Synagoge — nach gewöhnlichem Dafürhalten — ziemlich genügend für die religiösen Bedürfnisse auch eines sehr fromm veranlagten Volkes. Ein kleiner Spaziergang durch die belebtesten Haupt- strassen an einem Samstag Abend belehrt uns des Gegenteils. Gleich nach Sonnenuntergang ziehen die Bataillone der Heilsarmee auf. Als die Bewegung neu war, bot sie unfreiwilligen Anlass zu allerlei Streitigkeiten und Belustigungen. Seitdem man sich an ihren Anblick gewöhnt hat, ist beinahe alles In- teresse erloschen und man verhält sich den possenhaft heuch- lerischen Demonstrationen wahrer Rechtgläubigkeit gegenüber ziemlich ablehnend oder wenigstens teilnahmslos, oder man über- häuft die Institution mit ganz absurden Anschuldigungen. Mag auch der ganze Pomp und die fortwährenden flammenden Gegen- überstellungen von einstiger Schlechtigkeit und nunmehriger Läuterung abstossend empfunden werden, so darf man anderer- seits die Vorteile und den Nutzen nicht verkennen, den die Heilsarmee namentlich in den Hafenstädten stiftet, in denen die „ zweifelhaftesten Elemente aus aller Herren Länder zusammenge- trieben werden. Die Heilsarmee ist durch und durch demokra- tisch; sie wünscht nur die Arbeiter und keine „Tofis“, keine Mitglieder aus den sogenannten höheren Gesellschaftsschichten. . Dadurch ist ein Element gegeben, das der allmählichen Entar- tung der Stiftung entgegenarbeitet. Durch sie wird ein ziemlich beträchtlicher Hemmschuh für unklare Beglückungspläne der Arbeiterschaft, die sich in den Ketten eines masslosen Sozialis- mus befindet, hingestellt, und sie nimmt sich jener Verkommenen Australische Reisebriete. 109 I an, mit denen sich niemand, selbst nicht die Sicherheitsbehörden - abmühen wollen. Jeden Morgen erscheinen die Soldaten der Heilsarmee bei den Polizeiämtern und versuchen dort eine Seele zu retten. Sie übernehmen die aufgegriffenen Vaganten, Dirnen und Säufer und suchen sie zu überreden, mit ihnen zu gehen. Häufig genug werden sie mit den rohesten Beschimpfungen ab- gewiesen — ebenso oft aber reussieren sie. Sie waschen, kleiden and füttern Novizen und wenn es ihnen auch nicht gelingt, einen Gewohnheitstrinker von seinem Laster abzubringen, so halten ' sie ihn doch kürzere oder längere Zeit ab, neuerdings zu ex- zedieren. Wenn die Heilsarmee unter dem Schall ihrer Blechinstrumente und Rauche ihrer Fackeln abgezogen ist, kommen die anderen Sekten. Da ist eine kleine Gesellschaft, der die englische Hoch- kirche so ‚wenig genügt, dass sie den Drang nicht verbergen kann, sie zu korrigieren. Ein Mann schiebt ein kleines Har- monium vor sich her und stellt es an der Strassenecke auf. Die vier bis sechs Gläubigen beginnen abwechselnd, ebenso ergreifend wie qualvoll zu spielen und fromme Lieder zu singen, sowie - Gottes Liebe zu preisen. An der anderen Ecke ist ein zweites Harmonium mit einer Schar aufgefahren, die unter der Flagge eines „Brisbane City Mission‘‘ in gleichem Masse sich geltend zu mächen sucht. Noch während der geräuschvollen Vorstellung beider Glaubensvereinigungen kommt ein alter Mann herbei, stellt mitten in der Nebenstrasse eine moderne Azetylenlampe auf, einen Predigerschemmel daneben und beginnt mit dröhnen- . der Stimme und nicht ohne Witz für die Enthaltsamkeit im Trinken einzutreten. Sein Organ übertönt beide quieckenden Harmonien. Sein Gasbehälter ist gross und frisch gefüllt, lässt also eine lange Rede befürchten und ich wende meine Aufmerk- samkeit einer anderen Gruppe zu, die eine noch grössere Aze- tylenlampe hat und mit viel Eifer Seelen aus der glaubenlosen Menschheit herauszufischen versucht. Es sind die „Young Chri- stians‘‘. Ihre Lehre trieft von der Vereinigung gottesfürchtiger Frömmigkeit mit menschlicher Liebe; sie haben vielleicht des- halb die meisten Zuhörer. Etwa 30 Männer und Weiber um- stehen sie und suchen den Wortschwall zu enträtseln, während von ihnen kaum zehn Meter entfernt ein halb Wahnsinniger die allgemeine Vernichtung predigt. Mit der starren Miene eines geisteskranken Fanatikers weist er auf die beiden Worte, die seine rote Laterne enthält, hin: ‚.Where?“, „Eternity“. Er schreit von Sünde und Ende und lallt mit vor Erregung stol- pernder Stimme über’ unsere Blindheit, Verderbtheit, Genussucht und unausbleibliche Verdammnis in blutrünstigen Schreckens- bildern. Die Auflösung in der Ewigkeit ist das Glück; unser 10* = ben ® Prof. H. Dexler: - Ba pe ; Leben nur verachtenswerter Schein. Er hält ein und sammelt Münzen; er wartet also noch auf das Glück. In Rufweite tost der reale Menschenstrom der Grosstadt vorüber und die heller- leuchteten Tramcars sausen durch den Haufen von Schwärmern und DBetrügern; vom Hafen herauf erdröhnt die Sirene eines mächtigen Ozeanfahrers ... . Ähnliche Gegensätze treten uns auch sonst häufig gegen- über; die auffälligsten liegen in den politischen Verhältnissen. Als Teil eines monarchischen Staatengebildes ist die Kolonie seit jeher monarchisch verwaltet gewesen. Der Königstoast ist der erste, und als der Herzog von York zur Zeit meiner Anwesen- heit in Brisbane auf seiner Australientour diese Stadt besuchte, wurden ihm überall die prunkvollsten Loyalitätsbezeugungen ent- gegengebracht. Im Volke macht sich trotzdem ein tief repu- blikanischer Zug bemerkbar. Ich weiss nicht, ob es wahr ist, dass die Bewegung, welche im Jahre 1901 zum Zusammentritte aller Kolonien zu dem jetzigen australischen Staatenbunde, dem Commonwealth, führte, beinahe in eine totale Losreissung vom Mutterlande ausgeartet wäre. Das geschah zwar nicht; aber die Australier und speziell die Queensländer treue Untertanen des Königs zu nennen, wäre vielleicht kaum angebracht. Den Queenslän- ländern darf die königliche Flagge nur bei der Stellungnahme gegen andere Nationen und nur so lange gezeigt werden, als sie nicht ihre Privatinteressen stört. Für sie liegt auch ein be- sonderer Grund vor, weniger loyal zu sein. Wenn man zeitge- nössischen Berichten glauben darf, so haben sie unter allen Ko- lonien am schwersten um ihre Existenz zu ringen gehabt. Sie haben bis zu ihrer Erhebung zur unabhängigen Kolonie im Jahre 1859 am meisten unter der Willkür, Grausamkeit, dem Starrsinn und der Unfähigkeit der damaligen Vertreter der königlichen Gewalt gelitten. Die noch vielfach verleugnete Ab- neigung gegen diese blickt an allen Ecken und Enden hervor; sie ist wenigstens zum grossen Teile auf den Nachklang ehe- maliger Regierungskünste zurückzuführen. Heute ist von König- tum und Herrschergewalt, so sehr das englische Volk auch kon- servativ sein mag — hier kaum viel zu merken. Selbst der so zäh festgehaltene Londoner Formenkram wirft nur mehr seine letzten Strahlen. Der Gouverneur hat mit dem Gouvernement kaum etwas zu schaffen. Er ist ein Beamter wie viele andere und steht als Luxusgegenstand neben, durchaus nicht über der gesetzgebenden Körperschaft. Er ist der Stellvertreter des Königs, der den Vorsitz führt und der gewisse Akten zu sig- nieren, niemals aber zu beeinflussen hat. Ihr Inhalt und ihre Bedeutung wird von der selbstgewählten Regierung aller Be- wohner des Staates — Brisbane repräsentiert deren ein Fünftel Australische Reisebriefe. Kr ———_—_ bestimmt. Der Gouverneur bewohnt ein schönes Haus in dem schönsten Park des Landes, den Botanical Gardens; aber so wie seine Wohnstätte von der Metropole isoliert ist, so fremd steht er dem Volksleben gegenüber. Eine gegenseitige würdige ‚Beachtung bildet den Kern der notwendigen Beziehungen. Das Land ist gross und für seine kleine Bevölkerung mit Reichtümern gesegnet. Es herrscht ein gewisser allgemeiner Wohlstand; auch der faulste Arbeiter hat seine Chops und Schnäpse und der fleissige, muss es zu einem Vermögen bringen, wenn ihn nicht Unglücksfälle treffen. Zahlt man seine Abgaben und befolgt die wenigen Gesetze, so kann jeder tun und lassen, was er will. Platz ist für alle, aber keın Raum für feudalistische ‚Ideen. Mit persönlicher Bekanntschaft des Gouverneurs zu prunken, der kaum weniger Titel führt wie europäische Fürst- * lichkeiten, verfängt hier nicht. „Well‘‘ — ‚ich kenne ihn nicht; soll ein.netter Mann sein‘ ist die zu erwartende Antwort. Echt republikanisch ist auch das Vermeiden äusseren Scheines bei hoch und nieder. Der Staatssekretär führt seinen Besuch ohne Zermoniell zur gewöhnlichen Bar, und der Premier- minister und Schatzmeister Honorable Robert Philp, einer der reichsten Männer des Staates und. gewiss einer der feinsten Köpfe, die ich jemals kennen zu lernen das Vergnügen hatte, wies die ihm einmal angebotene Baronetswürde zurück, geht zu Fusse im Strassenanzuge aus dem Ministerrate zum Bahnhofe und ist Mister Philp für jedermann. Ähnlich verhalten sich alle einflussreichen Persönlichkeiten. Der damalige Acting Premier Mr. Rutledge hatte mich am zweiten Tage meiner Ankunft zum Besuche eines neuen Baggers eingeladen, den die Parlaments- mitglieder zu „besichtigen hatten. Weder Ton noch Gebärde verriet, dass in der Versammlung Leute anwesend waren, denen Ländereien von der Grösse eines beliebigen österreichischen Kronlandes gehörten oder deren kommerzielle Beziehungen einen sehr beachtenswerten Faktor im Welthandel bildeten. Neben den echten Businessmen sah man ernste Farmer mit groben, knochigen Arbeitshänden und wohlgenährte Arbeiter; Führer, die im ruhigen Gespräch miteinander verkehrten. Ein alter Tasmaniamann, der als Viehzüchter reich geworden war und mit seiner niederen Abstammung von einem Bauern etwas ko- quettierte, erzählte mir, wie gut sichs in Queensland leben lasse; ‚nur seien schon zu viele Gesetze da, welche die alte Freiheit erdrückten ; nächst ihr wäre die Arbeiterfrage als Haupt- sorge zu nennen. Er hatte damit ein Thema berührt, das der- malen zu den aktuellsten in ganz Australien gehörte. Der Kampf, der sich zwischen Arbeit und Kapital ent- wickelt hat, hat eine beispiellose Heftigkeit und eine Ausdehnung gewonnen, die an den Grundfesten des Staates rüttelt. Ra IN 2 ee 112 Prof. H. Dexler: | De Schon bei dem Betreten australischen Bodens in Fremantle hat man Gelegenheit, sich über Nonchalance der Hafenarbeiter zu wundern, die jeden Dampfer ruhig liegen lassen, wenn er an einem Samstage mittags eintrifft. Besondere Eile, Postabfer- tigung, Überzahlungen sind keine Entschuldigung. Je mehr man Einblick in diese Verhältnisse gewinnt, umso mehr erstaunt man über die Kostbarkeit mechanischer Arbeitskraft. Wenn man die Orga- nisation der englischen Arbeiterschaft als Ideal sozialistischer Gesell- schaftsordnung hinstellt, so ist diejenige des australischen und speziell die der Queensländer geradezu hors de concours. Es ist eine Union, die Labourparty, entstanden, deren Vertretung im Parlamente Oberhand gewonnen hat. Unter allerlei Vor- wänden werden kolossale Löhne vorgeschrieber, die oft für die einfachsten Handlangerdienste 5—8 fl. per Kopf und Tag aus- machen. Die Leute lassen keinen Arbeiter anderer Nationalität ° ihrem allmächtigem Bunde beitreten und haben es durchgesetzt. dass keine Unterbietungen durch billige gelbe oder schwarze Arbeiter erfolgen. Die Einwanderung Farbiger ist verboten wor- den. Den Ruf nach einem „White Australia“, Australien den Weissen, will man der Allgemeinheit der Bewohner aufdrängen ; im Wesen dient er nur den Zwecken der Arbeiter. Zu ihren ‚elementaren Bedürfnissen gehören dreimal täglich Fleischmahl- zeiten und viel Ruhe. Wenn die unglaublichen Forderungen der Arbeiter selbst in den ersten Zeitungen beleuchtet und ‚kritisiert werden sollen, so leitet man die Artikel mit einer Vorsicht, Zartheit und Komplimentierung ein, die durchaus nichts mehr Englisches an sich hat. Alles das haben sie durch die vorteilhafte Ausnützung des konstanten Mangels an Arbeitskräften zu erringen verstanden, der bei der kleinen Bevölkerung und der grossen Produktionsmasse entsteht. Sie sind der Urheber der viel beklagten Teuerung geworden, die inı Realitätenverkehre vorhanden ist. Die öffentlichen Bauten. die Eisenbahnen usw. verschlingen wegen der künstlich hochgehal- tenen Lohnansprüche Unsummen;; viele private industrielle Unter- nehmungen können ıhretwillen überhaupt nicht in Angriff ge- nommen werden. Sie haben sich nicht zu einem nützlichen Gliede, sondern zu Parasiten des Staates entwickelt, deren mass- lose Uberhebung selbst die kapitalistischen Kreise in England in Atem hält. Es ist zu einem verbitterten Ringen gekommen, dessen Folgen heute noch niemand absehen kann, und das nur durch die höhere Intelligenz der Arbeitgeber wie der Regierungs- kreise zugunsten des Zivilisationsfortschrittes geführt wird. Man wird den leitenden Faktoren in diesem Staatshaushalte die Be- wunderung nicht versagen können, die mit dieser störrigen und starken Vereinigung immer noch fertig zu werden wissen, ohne Australische Reisebriefe, 113 die bequemen Hilfsmittel einer Polizeigewalt oder gar Militär- macht zur Verfügung zu haben. Soweit die Bewegung zu einer Hebung der materiellen Lage der Arbeiterschaft und zur Verbesserung ihrer Lebensbe- dingungen beiträgt, wäre sie gewiss nur zu begrüssen, insofern sie die Möglichkeit des Emporarbeitens bietet, von dem die Ar- beiter unserer übervölkerten Staaten grossenteils ausgeschlossen sind. Den Eindruck, den ich aber gleich bei meinem ersten Aufenthalte in Brisbane gewann, konnte ich auch bei meinen späteren Reisen im Inneren nicht loswerden: es wird alles Er- rungene dem Dämon Alkohol geopfert. Weder im Westen bei den Schafscherern, noch an der Küste bei den Holzfällern, noch in den Häfen bei den Verladern sind mir in aufsteigender Ent- wicklung befindliche Arbeiter untergekommen. Meist sah ich wüste Säufer, die an die Gesellschaftsordnung die lächerlichsten Forderungen stellen und alles durch die Gurgel jagen, was sie erpressen. Sowie der erste Beamte im Staate nur „Mister“ sein soll, so ist der jüngste Zeitungsboy schon „Mister“ und „Gentleman of course“, dessen Titelsucht die wunderbarsten Auswüchse zeitig. So kommt es, dass der Schiffsreeder selbst ‚ dem Laufburschen nie einen Befehl erteilt, ohne die Redensart „will you‘ anzuschliessen. Die Diener des naturhistorischen Museums in Brisbane sind nicht etwa Handlanger, Tagwerker usw., sondern .‚Officers“‘. Eine Instruktion ist in den Sälen an- geschlagen, .die den „Officer N. N. anweist, wann er abzu- stauben, wann er Wasser zu tragen hat. Darunter ist keiner, der mehr könute, als Handlangerdienste leisten. Besondere Fertigkeiten und handwerksmässiges Wissen wird verhältnismässig selten verlangt. Industrielle Etablissements gibt es in Brisbane nur ganz wenige: einige Fleischkonserven- und Schuhfabriken und Bierbrauereien. Was sonst nicht dem Handel oder dem höchst unbedeutenden Kleingewerbe angehört, wird alles den verschiedenen Disziplinen der Hafenarbeit zu- gezählt. Der Hafen bildet eine Fabrikstadt für sich. Er besteht, wie erwähnt, aus der Mündung des Brisbaneflusses und erreicht erst 25 Meilen von dessen Mündung sein Landende. Durch diese Länge bietet er bequeme Lokalitäten für die Anlage von Ladekaien, deren es etwa 30 gibt, die sich an beiden Flussufern dahinziehen. Ihre volle Ausnützung haben sie erst in den letz- ten zehn Jahren erreicht. Vor diesem Zeitraum war der Fluss so seicht und ausserdem durch eine an seiner Mündung befind- liche Sandbarre so verlegt, dass nur flach gehende Schiffe bis zur Stadt vordringen konnten. Die ersten Versuche, das Flussbett zu vertiefen, wurden durch die grosse Flut im Jahre 114 Prof. H. Decler: \ - 1893 zu einem kläglichen Ende geführt. Der Brisbaneriver er- hielt im Oberlaufe durch plötzliche enorme Regengüsse eine solche Wassermasse zugeführt, dass er nicht nur alle Anlagen am Ufer zerstörte, sondern die in seinem Grunde ausgehobenen Kanäle und Einschnitte fast ganz versandete. Damals waren selbst: die kleinen Küstendampfer von der Zufahrt ausgeschlossen, und die Existenz Brisbanes als Hafenstadt aufs ernstlichste be- droht. Durch die unvermutet geäusserte Unverlässlichkeit des Flusses, der seit Menschengedenken ohne wesentliche Störungen in seinem Bette geblieben war, aufgerüttelt, verliess man die frühere Methode halber Massregeln und schuf ein Baggersystem, das an Grossartigkeit nur von wenigen gleichartigen Unterneh- mungen übertroffen wird; die Fahrstrasse wird auf eine Tiefe von 22 Fuss bei Ebbzeit ausgehoben und die in Tätigkeit befindlichen Riesenbagger arbeiten mit Leichtigkeit der regulären Versandung entgegen. Der Flussboden, grösstenteils Schlamm und Sand, wird durch Pumpen aufgesaugt und durch schwimmende Rohr- leitungen seitlich im Flusse wieder niedergelassen. Von der Grösse der benutzten Maschinen und ihren enormen Kosten konnte ich mich durch den Besuch des grössten und neuesten Baggers ‚Samson‘ überzeugen, der eben bei meiner Ankunft in Brisbane von der Regierung übernommen wurde. | Der von Lindon Bates in England erbaute Bagger hat die Gestalt eines Ozeandampfers von 240 Fuss Länge, 2340 Tonnen Gewicht und 10 Fuss Tiefgang. Er beherbergt kräftige Ma- schinen, welche vier Schneidewellen zur Auflockerung des Fluss- bodens antreiben, zwei grosse Pumpen, die das Baggermaterial ansaugen, heben und nach dem Ablagerungsort drücken und ge- sonderte Dreifachexpansionsmaschinen zum Antreiben zweier Schrauben. Mit allen Nebenmaschinen werden 5000 ind. Pferde- kräfte verbraucht. Kontraktmässig sollten per Stunde 5000 Kubikyara Sand oder weicher blauer Lehm gehoben werden. Man arbeitet so, dass das Schiff an einer Bugankerkette sich gegen den Strom aufwindet und dabei den Kanal von der ver- langten Tiefe — etwa 20 Fuss — in den Sandbänken ausgräbt. Bei dem ersten Versuche, der nahe der Stadt, gegenüber Lug- gage Point unternommen wurde, gelang es, in 55 Minuten 6900 Kubikyard reinen Sand abzutragen. Dabei arbeitete der Bagger aber mit Ausnutzung aller Mittel. Die Bewegungen der Dampf- maschinen waren so heftig, dass der ganze Schiffskörper erzitterte und in Schwingungen geriet — die grosse Maschıinenkraft soll auch Anlass zu einer sehr leichten, nachgiebigen Konstruktion des Rumpfes gewesen sein. Auf Deck stehend, erhielt man so starke Stösse, dass man die Instrumente kaum ruhig ablesen konnte. Aus den Dichtungen pfiff der Dampf, die Pumpen Australische Reisebriefe. 115 sausten und brummten, die Signalsirenen heulten gellend und durchdringend; dazu hörte man das Ausrufen der Tiefenmesser zwischenhinein und, als sich der Fortgang der Arbeit nicht schnell genug abwickelte, liess man beide Schifisschrauben an, die mit voller Kraft den Bagger nach vorwärts schoben. Der schwarze Qualm aus den Schornsteinen verdoppelte seine Masse und der ganze Bau schien in seinen Fugen erschüttert zu wer- den; man glaubte sich in einem Höllenkessel, dessen Eindruck nur durch eine Explosion hätte vergrössert werden können. Leider entsprach der Effekt schon damals nicht dem vielen Lärm. Man konnte nicht übersehen, dass zu günstige Versuchs- bedingungen gewählt worden waren: loser Sand in einem fast stromlosen Arm, kurze, nicht gekrümmte Rohrleitung, die das gehobene Material wieder in den Einschnitt fallen less, bestes Wetter, Nichteinhaltung einer geraden Kanallinie usw. Es war ‘eine Schauproduktion, die keinen Begriff von der wirklichen Tagesleistung gab. Gleich damals sah man unter den Mitgliedern der Versammlung lange Gesichter, wenn sie an die An- schaffungssumme dachten. Der Bagger wurde zwar über- nommen, zugleich aber auch eine Bewegung eingeleitet, die zur endlichen Ausserdienststellung der kostbaren Maschine führte. In Wahrheit leistete sie kaum den zehnten Teil der vereinbarten Arbeit und wurde namentlich dadurch unrationell, dass das ge- samte von den Sandschneidern ausgehobene Material an Masse nur für eine der beiden Pumpen genügen konnte; eine Pumpe mit 1600 Pferdekräften lief leer mit! In Brisbane ist man sonach heute noch gezwungen, mit den bereits vorhandenen, wenn auch weniger wirksamen Baggern dem grossartig angelegten Plan der Hafenregulierung in einem etwas langsameren Tempo nachzugehen. Wenn die Schiffahrt auch durch die engen Windungen des Flusses noch behindert ist, so bietet letzterer gerade durch diese Eigentümlichkeit einen anziehenden Anblick. Die beabsichtigte Entfernung vorspringen- der Landzungen und damit herbeigeführte Streckung des Flusses wird ein rascheres Gefälle, eine geringere Versandung, gewiss aber auch eine Eintönigkeit der Szenerie nach sich ziehen. Sie wird in einem Lande, wo nicht viel Abwechslung im Landschafts- charakter zu finden ist, umso tiefer empfunden werden, als der Fluss neben dem botanischen Garten und der Moretonbay eigent- lich die einzigen Erholungsorte für die Städter bildet. Der botanische Garten entspricht einer geschmackvollen und glücklichen Vereinigung allgemeiner und spezieller Zwecke. Für den Wissensdurstigen üben seine Zusammenstellungen heimi- scher Gewächse, sowie eine kleine Menagerie eine besondere Anziehung aus. Aber auch prosaischeren Zielen nachstrebende 116 | Prof. H. Dexler: Besucher finden ihre Rechnung in der künstlerischen Anlage des Parkes, seiner reizenden Umsäumung durch die felsigen Flussufer, den Ausblick auf die Stadt und, last not least, durch das Vorhandensein eines Restaurants nach Wiener Muster. Man kann dort seine Mahlzeiten einnehmen, ohne den orthodoxen Bei- gaben englischer Speiseordnung sklavisch folgen zu müssen; der lebhafte Besuch beweist jedenfalls, dass auch Engländer die Vorzüge einer deutschen Küche zu würdigen wissen, und man geniesst dort den für englische Städte ganz seltenen Anblick, Leute nach gehabter Mahlzeit in Behaglichkeit ihren Kaffee schlürfen oder ihre Zigarre rauchen zu sehen. Der Pflanzenwuchs ist bei dem warmen Klima und der künstlichen Zufuhr von Wasser ungemein üppig. Palmen neh- men den Vorrang ein; sie sind in grosser Zahl und ganz pracht- vollen Exemplaren vorhanden. Neben ihnen hohe Araukarien, wilde Feigenbäume, die Damarfichte, Bohnen- und Pfefferbäume und ein reiche Auswahl von technischen wie Medizinalpflanzen in bunter Abwechslung. Bambus gedeiht in einer Schönheit und Höhe wie auf Java. In einem eigenen Schattenhause sind viele krautartige Pflanzen der nördlichen Urwälder untergebracht, aus denen zahlreiche Schlinggewächse und riesenhafte Farne beson- ders hervorstechen. Ein eigentümlicher Farn wird hier gezeigt, der auf vielen Eukalypten parasitierend in gewissen Gegenden sehr häufig gefunden wird und der für die Queensländer fast eine ebenso hieraldische Bedeutung hat als das Känguru für den ganzen Kontinent. Es ist der Staghorn oder Hornfarn, der seinen Namen von der hirschgeweihförmigen Gestalt seiner grossen, oft fusslangen Blätter herleitet. Überhaupt sind die Farne in vielen Arten gezüchtet, da in Queensland dreiviertel aller in Australien bekannten Farne vorkommen. In den luftigen und freistehenden Käfigen werden Kängu- rus, Wallabies, einige Geier und Adler, in allen Farben pran- gende Schmucktauben, Kakadus und ein Emupaar gehalten. Auch findet man hier den grossen Königsreiher oder Laughing Jakass, der wegen seiner Vorliebe für Schlangen in hohem An- sehen ist und deshalb gesetzlich geschützt wird. Mr. Mac Mahon, der Kurator des Gartens, zeigte mir auch einen kleinen versumpften Teich, in dem vor Jahren einige Exemplare des Lungenfisches, Ceratodus, ausgesetzt worden waren, die er noch darinnen glaubte, ohne sie aber demonstrieren zu können. Meine Zumutung, dass die Tiere dem Eifer jugendlicher Sammler zum Opfer gefallen sein mögen, wies er mit dem Bemerken zurück, dass bei der autstrebenden Jugend kein besonderes Interesse für naturwissenschaftliche Dinge vorhanden sei. Was Schule und sonstige Beschäftigung an Zeit übrig lassen, gehöre vornehmlich Ya Australische Reisebriefe. 147 den verschiedenen Zweigen des Sports, von denen Segeln und Fischen am meisten betrieben würden. Durch den grossen Fluss und die Nähe der Bai ist ein natürlicher Anlass hierzu gegeben. Die fischreichen Gewässer der letzteren und ihre zahlreichen Inseln üben selbstverständlich eine Hauptanziehungskraft aus; sie sind aber trotzdem viel seltener von Vergnügungspartien be- sucht, als meist geglaubt wird, weil die Unverlässlichkeit des Wetters, die ziemliche Entfernung und der Mangel jeglicher Ver- pflegung für viele doch abschreckend wirken. Unter den verschiedenartigen Eindrücken, die mir die Be- sichtigung der Stadt, die kleinen Ausflüge in die Umgebung von Brisbane und an die Küste darboten, war die erste Woche mei- nes Aufenthaltes rasch vergangen und es rückte die Zeit des Eintreffens meines lang erwarteten Gewährsmannes heran. Ich hatte mittlerweile Gelegenheit gefunden, mich dem kaiserlich deutschen Konsul, Herrn von Ploennies, vorzustellen und ihn sehr bald als einen wirklichen Freund kennen und schätzen zu lernen. Obwohl ich an ihn keine direkten Einführungen besass, bewies er mir gleich von Anfang an ein bestechend liebens- würdiges Entgegenkommen und zeigte mir eine so wirksame Unterstützung meiner Bestrebungen, dass ich nicht umhin kann, ihm an dieser Stelle nochmals meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. Sollte er jemals diese Zeilen lesen, so muss ich fürchten, dass er sie bei seinem schlichten und wortkargen Wesen ab- lehnen wird. Indessen kann ich ganz unmöglich seine selbst- lose Opferwilligkeit stillschweigend übergehen, die er mir nicht nur in frohen Tagen zusicherte, sondern auch in Zeiten auf das tatkräftigste bewies, in denen alles schief zu gehen drohte. Zu- nächst sprang er mir mit vielen uud vor allen mit exakten Auskünften bei, verschaffte mir einen Freipass für alle Bahnen des Staates und begann mit mir eine Besuchstour bei den mass- gebenden Persönlichkeiten der Queensländer Regierung. Durch seinen Einfluss, und wie ich nicht unerwähnt lassen darf, dank der Empfehlungen des Londoner auswärtigen Amtes, behandelte man mich auch von dieser Seite auf das zuvorkom- mendste. Als dritter Moment für die gute Aufnahme, die mir zuteil wurde, ist noch die Stimmung in Betracht zu ziehen, die der deutsche Naturforscher Professor Semon im Lande erzeugt hatte; er war sechs Jahre vor mir in Quensland gewesen, hatte dort fast zwei Jahre im Busch am Burnettriver gelebt und es verstanden, überall das beste Andenken zu hinterlassen. So sah man in mir nicht den durch üble Vorbilder belasteten un- ersättlichen Sammler, der die ihm zugestandenen Begünstigungen mit Rücksicht auf seine Nichtwiederkehr bis zum Äussersten missbraucht, auch nicht den verhassten „German“ und förderte mich nach Kräften. j 4 118 Prof. H. Drexler: DE \ Zunächst liess mir der Acting Premier Hon. Mr. Rutledge sogleich im Queenslandmuseum ein eigenes Zimmer zu meiner Benutzung anweisen, wo ich mein ziemlich umfangreiches Ge- päck deponieren konnte. Man stellte mir an der Queens Wharf einen Platz für Umpackungen zur Verfügung und folgte mir einen General Permit, einen Erlaubnisschein zum Fange sämt- licher vom Gesetze geschützten Tiere aus. Der Chef des De- partements für Ackerbau bemerkte, das derartige Bewilligungen sehr selten eingeholt würden, was bei der fortschreitenden Ver- nichtung nützlicher und seltener Tiere äusserst zu bedauern sei. Aus Mangel an Überwachungskräften seien die Schonungsgesetze nur schwer durchzuführen. Für wissenschaftliche Unternehmun- gen wird die fällweise Befreiung von der Gesetzesklausel nie- mals: verweigert. Im allgemeinen kann ein jeder jagen und fangen, was er will. Beschränkungen ergeben sich nur für einige wenige Tiere wie z. B. Pelikan, Königsfischer usw. und für solche, die wirtschaftlich ausgebeutet werden, deren Fang daher der Besteuerung unterliegt. Ich hebe das besonders deshalb hervor, weil die Hatteriafangverbote Neuseelands, die Schultze so sehr hinderlich gewesen sind, eine gewisse Angstlichkeit er- zeugt haben. Auch lesen sich in Europa die in der würdigen englischen Gerichtssprache abgefassten Gesetzesparagraphen weit bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit sind. Für den Dugong be- steht die Vorschrift, dass er nur in der Saison gefangen werden dürfe, die dem australischen Winter entspricht. Tatsächlich gibt es keine Schonzeit; denn das Tier wird das ganze Jahr gefan- gen. Von der Behörde werden die dazu gehörigen Fischerlizen- zen ausgestellt — sie ist also jedenfalls davon in Kenntnis ge- setzt. Während meiner Anwesenheit in Queensland hat mich niemand um mein Generalpermit gefragt. Wenn ich es selbst- verständlich als eine unumgängliche Pflicht wie auch als eine Sache des Taktes halte, die Zustimmung der Behörde einzuholen, so glaube ich doch, dass ein Sammler auch ohne diese Forma- litäten oder Vorsichtsmassregeln unbehelligt seinen Arbeiten nachgehen könnte, so lange er die Lizenzgebühren zahlt. Am 5. Mai konnte ich zum ersten Male mit dem Fischerei- inspektor Stevens konferieren. Seiner Ansicht nach war mein Vorhaben ziemlich leicht durchzuführen. Als Fangplatz schlug er die Moretonbay vor. Sein Plan war, mir auf eine bequeme und sichere Weise die Dugongs zu verschaffen, zu welchem Zwecke ich einen alten Dugongfischer für mich zu heuern ge- dachte, den ich mit mir nehmen und als den Führer einer kleinen Mannschaft anwerben wollte. Der Mann war aber kürz- lich gestorben — ein ihm gleichwertiger nach Norden gegangen, um Schildkröten zu erbeuten. Stevens blieb nur noch ein er- S Australische Reisebriefe, 119 probter Dugongjäger, ein Schwarzer der Missionsstation Dunwich auf Stradbroke Island, kaum 40 Meilen von Brisbane, der unter ähnlichen Bedingungen in meine Dienste treten sollte. Die Auf- nahme eines kleinen Dampfers wurde nicht zweckmässig befun- den, sondern ein Segelkutter in Aussicht genommen, der abge- sehen von der Billigkeit sich nicht nur für die im Flachwasser zu betreibende Jagd besser eignete, sondern dessen Miete sich aus den Rohprodukten bezahlt machen sollte. Ich selbst hatte dabei mit meinen Leuten im Zeltlager zu leben und mich auf zwei Monate mit Proviant zu versorgen, da von den Fanggründen kein regelmässiger Verkehr mit dem Festlande existierte. Die Vorschläge Mr. Stevens waren so klar, gesichert und einleuch- tend, dass ich kaum eine bessere Abmachung hätte ausfindig machen können — vorausgesetzt, dass Dugongs in genügender Zahl in den bezeichneten Gewässern wirklich vorhanden waren. Darüber war nach seinem Dafürhalten kein Zweifel. Er sagte mir, dass zurzeit im Gegensatze zu seinen brieflichen Ausse- rungen, zwar kein Dugongfang betrieben werde, weil sich das Geschäft als nicht genügend rentabel gezeigt habe. Er glaubte aber meinen wiederholten und etwas skeptischen Anfragen und Einwendungen gegenüber eine solche Gewissheit vertreten zu können, dass mir eine schwere Besorgnis vom Herzen fiel. Die Verwendung von Eingeborenen fand ich als einen Vorteil; ich baute auf ihre viel gerühmte Geschicklichkeit im Wildstellen und konnte mit ihnen einmal in Berührung treten. Solange ich bisher auf australischem Boden weilte, hatte ich vergebens nach Schwarzen ausgespäht. In Fremantle hatte man mich nach dem Osten, in Sydney nach dem Norden verwiesen. Auch in Bris- bane würde kein Weisser einen Nigger dulden, selbst wenn diesem die Arbeitsfähigkeit nicht abgehen würde. Hin und wieder wird einer sterbend eingebracht und ins Hospital aufge- nommen. Die städtische Bevölkerung hält sich aber von den Schwarzen sorgfältigst abgesondert. Ich versah mich nach den mir gegebenen Weisungen mit Salzfleisch, Mehl, Jagdzeug, Kleidern, Inst rumenten und sonstigen Objekten, die mir im Lagerleben notwendig schienen, und segelte am Freitag den 10. Mai an Bord des zu meinen Diensten ge- stellten Regierungsdampfers „Albatros“ mit all meinen Habselig- keiten und Hoffnungen versehen, den Brisbaneriver hinunter der Moretonbay zu. Sie ist ein flaches in Versandung begriffenes Seebecken von etwa 40 Meilen Länge und 17 Meilen Breite, das sich an der Küste entlang von Norden nach Suden zieht und der Mün- dung des Brisbanerivers vorgelagert ist. Gegen die Hochsee zu ist sie durch drei niedere Sandinseln — PBribie-, Moreton- und 120 | Prof. Dr. Gustav C. Laube: ö i : 5 “ Stradbroke-Island — abgeschlossen und steht mit ihr nur durch dazwischenlagerte Passagen in Verbindung, von denen jedoch die zwischen Festland und Stradbroke, sowie dieser und Moren- toninsel für Seeschiffe nicht fahrbar sind. Als Verkehrsweg dient eine Strasse, die um das Nordende der Insel Moreton herumführt, so dass das ganze über 300 Quadratmeilen grosse Gebiet trotz der Nähe der Hauptstadt ganz verlassen ist. Von den Inseln trägt nur St. Helena ein Gefangenhaus und Strad- broke die freie Ansiedelung Dunwich. Dort sind versorgungs- bedürftige Arme und ein Haufen Schwarzer mit Weibern, Kin- dern, Bastarden und einigen Weissen untergebracht, die sich auf Kosten der Eingeborenen erhalten lassen. Bei dem Mangel an Bodenerträgnis und arbeitsfähigen wie arbeitswilligen Leuten muss die ganze Einwohnerschaft durch Proviantsendungen vom Lande her versorgt werden. Allmonatlich bringt ein Dampfer einmal eine Ladung Lebensmittel und unterhält den kleinen Postverkehr, durch den diese dem langsamen Absterben anheim- gefallene Niederlassung mit der Welt zusammenhängt. Hin und wieder wird das Segel eines Fischers oder eines Austernzüchters sichtbar oder grosse Möven ziehen mit klagendem Rufe vom Meere heim. Sonst scheint alles Leben in der weiten Bai er- loschen, in deren Frieden wir einzutreten eben im Begriffe standen. Alle übrigen Ioseln, Eilande und Sande sind unbe- wohnt und dienen nur den Fischern als Nächtigungsstationen oder Piloten und Küstenwächtern zum dauernden Aufenthalt. Neue Andriasreste aus den Tonen von Preschen bei Bilin. Von Prof. Dr. Gustav C. Laube. Im 2. Hefte des 1. Bandes der vom deutschen naturwissen- schaftlich-medizinischen Vereine für Böhmen „Lotos“ 1897 herausgegebenen Abhandlungen habe ich das Bruchstück einer von einem grossen Urodelen stammenden Wirbelsäule beschrieben und abgebildet, welcher sich in den der böhmischen Braunkohlen- formation zugehörenden plastischen Tonen von Preschen bei Bilin gefunden hatte. Die einzelnen Wirbelkörper erwiesen sich selbst bis in Einzelheiten mit jenen von Andrias übereinstimmend. Daher wies ich sie dieser Urodelengattung zu, obwohl andere charakteristische Körperteile damals nicht vorhanden waren. Schwieriger erschien die Frage zu beantworten, ob man die vor- liegenden Reste einer der beiden älteren bekannten Arten von — SE " N Neue Andriasreste aus den Tonen von Preschen bei Bilin. 197 Andrias zuzuzählen, oder für eine dritte bisher unbekannte zu betrachten habe. Eine derselben, Andrias Tschudii H. v. Meyer, aus der Braunkohle von Rott bei Bonn, unterscheidet sich von der Preschener sofort durch die weit geringere Grösse. Auch bei einem Vergleich dieses Vorkommens mit Andrias Scheuchzeri Tschudi aus der Süsswassermolasse von Oeningen ergab sich, dass der böhmische kräftiger als letzterer angelest zu sein scheint. Doch hat bereits Hermann von Meyer bemerkt, dass die von Oeningen bekannt gewordenen Individuen der Grösse und Stärke nach verschieden sind. Beide stimmen, wenngleich nicht absolut, so doch relativ in der Grösse und allen wesent- lichen Merkmalen überein. Wenn ich trotzdem Abstand nahm, das Preschener Wirbelsäulenbruchstück als Rest eines Andrias Scheuchzeri anzusehen, so fusste das Bedenken hauptsächlich in der Tatsache, dass zwischen den Ablagerungen von Preschen und Oeningen ein Altersunterschied besteht. Am Schlusse meiner Abhandlung sprach ich die Ansicht aus, dass man, wenigstens so lange, bis ein neuer Fund eines in seinen charakteristischen Teilen besser erhaltenen Restes alle Zweifel behebt und den unumstösslichen Beweis erbringt, dass sich wider Erwarten die grosse Amphibienart unverändert aus dem oberen Oligocän bis in obere Miocän erhalten habe, das Preschener Vorkommen mit dem Namen „Andrias bohemicus“ belegen möge. Obwohl nun, wie ich auf Seite 52 meiner Synopsis der Wirbeltierfauna der böhmischen Braunkolenformation, Prag 1901, mitteilen konnte, später noch Wirbelsäulen-Bruchstücke von Andrias im Preschener Ton gefunden worden waren, blieb doch das Vorkommen weiterer „charakteristischer* Skeletteile aus. Erst im vergangenen Sommer erwarb das Tepltizer Museum zwei Preschener Tonstücke, die mir freundlichst zur Untersuchung eingesendet wurden, auf deren flacher, plattiger Oberseite sich Schädelteile, auf dem einen auch ein grösseres Wirbelsäulen- bruchstück des Andrias vorfinden. Leider ist auch hier der Erhaltungszustand ein sehr mangelhafter, weshalb ich auf eine bildliche Wiedergabe Verzicht zu leisten mich entscheide. Wie in den meisten Fällen bei den Preschener Vorkommen, sind die durcheinander geworfenen Knochen nur im Abdruck vorhanden. Da der Ton nicht schiefrig bricht und die Tierreste in das Gestein und nicht auf eine Fläche desselben eingebettet sind, wurden beim Aufspalten des betreffenden Stückes auch diese Abdrücke der einzelnen Knochen zu Trümmern, sind also nur einseitige Bruchstücke, da die Ge- genstücke der Platten nicht erhalten wurden. Ein Nachpräpa- rieren liefert keine nennenswerten Ergebnisse, man muss sich mit dem Vorhandenen begnügen. Sk 1223 . Prof. Dr. Gustav C. Laube: rs, J FETA Aber mit Hilfe der vortrefflichen Abbildungen, welche Hermann von Meyer!) s.Z. von Oeninger Exemplaren zu geben vermochte, und unter Zuziehung einer Abformung des im bri- tischen Museum in London befindlichen Andrias Scheuchzeri war es doch möglich, einige Tatsachen zu ermitteln, die, wenn sie auch noch nicht vollständig zu befriedigen vermögen, doch einige weitere Aufklärung über den fraglichen Preschener Andrias er- bringen. Auf der kleineren Platte sind die Abformungen von Kiefer- teilen vorbanden, u. zw. von beiden Unterkiefern, welche dem Beschauer ihre Aussenseiten zuwenden. Der rechte ist vollstän- diger, der linke nur in der distalen Hälfte etwa erhalten. Sie sind gegen einander gekrümmt ‚und stehen mit den stumpfen distalen Enden nur 0'015 von einander ab. Am rechten Unter- kiefer sieht man das Angulare bis zum Ansatz des Artikulares deutlich .abgeformt, darunter erscheint die Reihe der kleinen, dichtstehenden, spitzkegelförmigen Zähne. Am gegenüberliegen- den linken Unterkieferast ist das Angulare zerdrückt, aber die Zahnreihe fast auf dieselbe Länge wie am rechten abgeformt. An den Zähnen kann man mit der Lupe stellenweise wie eine feine Längsriefung erkennen. | Zwischen beiden liegt der Abdruck der Unterseite des distalen oberen Mundrandes. Eine gestreckte mit Kegelzähnen besetzte Leiste lässt darunter in der vorderen Hälfte einen drei- seitigen, flächigen, nach abwärts parabolisch begrenzten Knochen wahrnehmen, darnach ich hierin den rechten Vomer samt einem Teile des Oberkiefers und Zwischenkiefers — eine Trennung der Kieferteile kann ich nicht unterscheiden — sehen möchte. Der linke Vomer mit ansitzendem Zahnrand und Oberkieferteile liegt etwas weiter nach hinten. Da die beiden Abdrücke der Oberseite entsprechen, sind darauf die auf den Vomeren sitzenden Zähne nicht zu sehen. Zwischen beiden sieht man den Abdruck der Unterseite des Squamosums (Tympanicums). Diese Knochen lassen sich ganz gut mit Herm. von Meyers Abbildungen in Vergleich bringen. Der rechte Unterkieferast stimmt vorzüglich mit dem auf Tafel 9 dargestellten linken in allen Teilen, dasselbe gilt auch vom linken. Leider gestatten Meyers Abbildungen (Tafel 8 u. 9) einen: genaueren Vergleich der Obermundrandteile nicht, aber in beiden stimmt die Bezah- nung vollständig überein, das scheint auch in Bezug auf Form und Grösse der Vomeren der Fall zu sein. Die Form und Grösse des Squamosums (Tympanicums) ist beiderseits gleich, soweit ich dies mittelst Zirkelmass festzustellen vermag. ı) Die Fauna der Vorwelt. Fossile Säugetiere, Vögel und Reptilien aus dem Molasse-Mergel von Oeningen. T. S—10. Near: a 3 RL : x i Manch Neue Andriasreste aus den Tonen von Preschen bei Bilin, 1233 Ein auf der Platte noch sichtbares ziemlich undeutliches Bruchstück eines Abdruckes von flächiger Form glaube ich nach der Ähnlichkeit mit solchen auf der anderen Platte als Teile eines Pterygoides und davor gelagerten Parietales deuten zu können. Die zweite Platte ist der Fläche nach doppelt so gross als die erste. Sie enthält ein ansehnliches Stück der Wirbel- säule, die bogenförmig gekrümmt ist, die einzelnen Glieder der- ‚selben sind fast ohne Ausnahme schlecht erhalten und ihre Zahl nicht genau zu bestimmen. Daneben liegen noch andere Knochen- abdrücke; aber auch diese lassen bezüglich ihres Erhaltungszu- standes meist viel zu wünschen übrig. Ich erkenne darin Reste des Schädeldaches. Ein gestrecktes flaches Stück aus einem vorderen, der Länge nach gestreiften und gekielten, und einem hinteren, grubig gerunzelten Teile bestehend, zwischen welchen ich eine schräg nach aussen und vorne verlaufende Naht zu sehen glaube, möchte ich nach der in C. K. Hoffmann Amphibien?) Tafel I gegebenen Ab- bildung des Cryptobranchusschädels für Überbleibsel der Stirn- beine und Scheitelbeine halten. Hierin bestärkt mich die Ver- gleichung mit dem entsprechenden Teilen bei Meyer Tafel 10 und des englischen Stückes. Unter diesem Abdruck tritt der eines anderen Knochens hervor, Er ist flächig dreiseitig, die Begrenzungslinien etwas einwärts gekrümmt. In der Längslinie ist er abgebrochen. Un- schwer erkennt man darin die proximale Hälfte des Hyoideums, wie es sich auf den Meyerschen Tafeln 8 und 9, noch besser an dem Exemplar im britischen Museum darstellt. Im Vergleiche damit aber erscheint letzteres an seiner Unterkante bedeutend breiter. Ich messe hier 0'021, wogegen das Preschner nur 0°017 misst und so den der Oeninger Stücke ähnlich wird. Ein spangenförmiger, etwa 0'023 langer an beiden Enden etwas brei- terer Knochen dürfte nach der übereinstimmenden Grösse und Form als Kiemenbogen (hinteres Zungenbein bei Meyer) anzu- sprechen sein. Weiter liegt auf der Platte ein flächiger, wiedschief ge- bogener Knochen mit glatter Oberfläche einerseits mit einer schwach S-förmigen Abgrenzung, die anderseits in eine flach ge- krümmte Bogenlinie ausläuft. Darauf liegt eine schmälere, längliche Schichte mit erkenntlicher grubiger (chagrinierter) Aussenseite. Der Vergleich ergibt, dass der untere Abdruck von Pterygeid herrührt, die aufliegende genarbte Schichte wohl ein Teil der Oberseite vielleicht auch dem Squamosum (Tympa- ®?) H. G. Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreiches VI. Bd. 2. Abt. 124 Prof. Dr. Gustav C, Laube: nicum) entspricht. Ersteres scheint mir etwas breiter zu sein wie bei Andrias Scheuchzeri, so wie es Meyer darstellte. Ein einzelner Knochenabdruck, der vor einiger Zeit in Besitz des geolog. Institutes kam, stimmt im Umriss mit dem ersterwähn- ten und zeigt ebenfalls eine rauhe Oberfläche. Eine ähnliche aber weniger deutliche Gruppe von Knochenteilen ist nochmals vorhanden, doch ist hier weniger von den unterliegenden glatten zu sehen, "während der aufliegende grubige mehr. dreiseitig ge- staltet ist. Ich glaube auch hier die Innen- und Aussenseite eines Teiles des Pterygoides, in dem aufliegenden grubigen viel- leicht einen Seitenteil des Parietales zu sehen. Wenigstens er- gibt sich dies aus dem Vergleich mit der entsprechenden Partie auf Meyers Tafel 10, weiter mit dem englischen Exemplare, auf welchem auch die grubige Aussenseite der Knochen bemerkbar ist, und auch nach der Abbildung bei C. K. Hoffmann a. a. O. Tfl. 1 Fig. 2. Herm. v. Meyer erwähnt von dem a. O. Tf. 9 abgebildeten Exemplar: „Von Schuppen bemerkt man nichts, wohl aber erkennt man einzelne Bruchstücke, deren Oberfläche fein chagriniert zu sein scheint“ Weiter sieht man noch ein Kieferbruchstück (? Oberkiefer), ein gut erkennbares Squamosum; einen spangenförmigen Knochen, weniger deutlich erhalten, könnte man als Gegenstück dazu, aber vielleicht auch als Hyoid deuten. Einen am unteren Rande der- Platte gelegenen Langknochen möchte ich nach der vorhandenen Übereinstimmung der Form und Grösse mit dem entsprechenden Knochen des englischen Stückes als Femur ansehen. Auf der entgegengesetzten Seite der Platte findet sich noch ein kleiner Knochen, der einerseits spatelförmig dreiseitig, ander- seits in eine dünne, am Ende sich etwas knopfförmig erweiternde Spange ausläuft. Er gleicht den von Meyer auf Tafel 9 darge- stellten hinteren Rippenanhängen und wird demnach als ein solcher anzusprechen sein. Aus dem Vorstehenden vermag man nun doch, trotz der Unvollständigkeit und Mangelhaftigkeit der beschriebenen Knochen- abdrücke zu entnehmen, dass sich auch bei charakteristischen Teilen, wie sie in erster Linie der Schädel darbietet, zwischen dem Oeninger und Preschener Urodelen eine nicht zu verkennende Übereinstimmung zeigt, welche jeden weiteren Zweifel, dass es sich in dem letzteren um Reste einer wirklich zu Andrias ge- hörenden Art handle, vollständig beseitigt. Die Frage aber, ob der Preschener von dem Öeninger Andrias der Art nach verschieden sei, scheint mir nach dem bis jetzt vorliegenden Materiale noch nicht mit voller Sicherheit beantwortet werden zu können. Neue Andriasreste aus den Tonen von Preschen bei Bilin, 125 Dürfte man annehmen, dass die beiden beschriebenen Unterkieferäste nur wenig aus ihrer natürlichen Lage gegen einander verrückt wären, dann ergäbe sich sofort ein ganz wesent- licher Unterschied, indem der böhmische Andrias gegenüber dem Oeninger einen längeren und dabei schmäleren Kopf gehabt hätte. Aber dies anzunehmen ist doch keine Sicherheit vor- handen. Eine flachere Form der Unterkiefer beim Preschener ‚fällt wohl auf, doch lässt sich hier nicht feststellen, was bezüg- lich des bemerkbaren Unterschiedes auf Rechnung des Erhaltungs- zustandes zu setzen ist. Vielleicht besteht auch eine Ver- schiedenheit in der Form des Pterygoids, das beim Preschener breiter zu sein scheint. Die sonst durchgeführten Vergleiche "zeigen nur geringe Schwankungen, unzweifelhaft darf man an- nehmen, dass bedeutende Unterschiede zwischen den beiden Andriasformen, wenigstens nach den bisher vorliegenden Befun- den, nicht vorhanden sind. Endgiltig jedoch, glaube ich, vermag auch jetzt noch nicht die Frage entschieden werden, ob der Oeninger und Preschener Andrias von derselben Art sind undes müssen noch weitere Auf- schlüsse durch neue und bessere Funde abgewartet werden. Ist es doch noch nicht möglich gewesen, die Zahl der Wirbelkörper des letzeren, worauf viel ankommt, festzustellen. Immer noch bleibt der schon seinerzeit bemerkte Alters- unterschied der Schichten, in welchen die unzweifelhaft in ihren Formen sehr nahe verwandten Andrias in Preschen und Oeningen, vorkommen. Es ist zwar hiebei auch eine Anderung der An- sicht über das Alter der Preschener Tone zu verzeichnen, welche nicht, wie früher angenommen werden wollte, in das Oberoligocän, sondern in das Untermiocän zu stellen sind. Damit würde der böhmische Andrias dem Alter seines Auftretens nach dem ba- dischen näher gerückt werden. Aber immerhin bleibt letzterer jenem gegenüber der jüngere und es bleibt auffällig, dass von den in den beiderseitigen Wirbeltierfaunen vorkommenden Arten nicht auch noch weitere bekannt geworden sind, die im Pre- schener Ton und in der Süsswasser-Molasse Oeningens sich wiederfinden. Darnach möchte sich doch die Beibehaltung der Bezeich- nung des Preschner Urodelen als Andrias bohemicus empfehlen, bis alle Zweifel über die Verschiedenheit oder Übereinstimmung der in Betracht kommenden beiden Arten gelöst werden können. 126 ö Sitzungsberichte. Ausserord. Vollversammlung am 21. Jänner 1909. Der Obmann Prof. Birk eröffnet die Versammlung um 7'), Uhr abends und konstatiert die statutenmässige Verlautbarung in den Zeitungen und die Beschlussfähigkeit. Als einziger Punkt der Tagesordnung sind die vom Ausschuss vorgeschlagenen An- derungen der Statuten zu erledigen. Herr Dr. Wiechowski referiert darüber. Nach kurzer Debatte werden die vorgeschla- genen Änderungen einstimmig angenommen und der Ausschuss beauftragt, die behördliche Genehmigung zu erwirken. Zum Schluss dankt der Vorsitzende dem Berichterstatter. Monatsversammlung am 8. Feber 1909. Hörsaal für Eisenbahnbau. Priv.-Dozent, Bezirksarzt Dr. Rambousek sprach über: Staub- und Staubkrankheiten. Monatsversammlung am 3. März 1909. Physiologisches Institut. Priv.-Dozent Dr.R. H. Kahn sprach über: Eine neue Methode zur Untersuchung des Herzens (das Saitengalvanometer). Vollversammlung am 2. April 1909. Hörsaal für Eisenbahnbau. Der Obmann Prof. Birk er- öffnete die Versammlung, stellte deren Beschlussfähigkeit fest und brachte den Tätigkeitsbericht zur Verlesung. Derselbe wurde zur Kenntnis genommen. Ebenso wurde der vom Kassier Dr. Veit verlesene Kassenbericht genehmigt und ihm über schrift- lichen Antrag des Rechnungsprüfers Prof. Dr. Lieblein das Ab- solutorium erteilt. Die hierauf vorgenommenen Wahlen in den Ausschuss (seitens der Vollversammlung) ergaben folgendes Re- sultat: Obmann: Prof. Dipl. Ing. A. Birk, Ausschussmitglieder: Prof. Dr. G. Ritter Beck von Managetta und Lerchenau, Dr. L. Freund, Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn, Prof. Dr. R. Kretz, Prof. Dr. S. Oppenheim, Reg.-Rat, Direktor E. Reinisch, Prof. Dr. V. Rothmund, Prof. Dr. R. Spitaler, Chefarzt Dr. E. Veit; Rech- nungsprüfer: Prof. Dr. R. Lieblein, Prof. Dr. M. Singer. Dem abtretenden Ausschuss wurde der Dank des Vereines ausgespro- chen. Der Mitgliedsbeitrag wurde wie bisher mit 6 Kronen für Prager, mit 4 K für auswärtige Mitglieder, Studierende, Assi- stenten und Privatdozenten festgesetzt. Der Antrag des Aus- schusses, die Herrn Hofräte Professoren Dr. G. C. Laube und Dr. F. Lippich zu Ehrenmitgliedern zu ernennen, wurde per ac- elamationen augenommen. In der auf die Vollversammlung folgen- den Ausschussitzung wurden die Amter verteilt u. z. wurde Obmannstellvertreter: Prof. Dr. R. Spitaler, Kassier: Dr. E. Veit, Schriftführer und Bibliothekar: Dr. L. Freund. Sitzungsberichte. 127 Chemische Sektion. Sitzung vom 25. Juni 1908. Vorsitz: Prof. Dr. G. Goldschmiedt. 1. Prof. V. Rothmund: Uber Löslichkeitsbeeinflussung von Salzen. / 2. Priv.-Doz. Dr. Hönigschmied: Demonstration. Sitzung vom 3. Juli 1908. Vorsitz: Prof. Dr. G. Goldschmiedt. J. Prof. v. Georgievics: Uber Colloide. 2. Lotte ‘Weil: Uber p-Dimethylaminobenzaldehyd. Sitzung am 16. Oktober 1908. Vorsitz: Prof. Dr. G. Goldschmiedt. 1. Dr. F. Lippich: Uber Uramidosäuren, II. II. In einer früheren Mitteilung!) ist gezeigt worden, dass eine zur Bildung der Hydantoin-äure von Baumann und Hoppe- Seyler?) angegebene Reaktion (Kochen von Glykokoll und Harn- stoff in Barytwasser) mutatis mutandis in gleich glatter Weise zur Bildung der Isobutylhydantoinsäure führt. Es wird nun einer ganzen Reihe physiologisch wichtiger Aminosäuren (Glykokoll- reihe bis zum Leucin, Asparaginsäure, Glutaminsäure, Taurin, Tyrosin) ausführlich dargetan, dass man auf demselben Wege zu den entsprechenden Uramidosäuren gelangt. Ferner wird vorläufig deren Anwendbarkeit auch für andere Aminosäuren (z. B. o- Aminobenzoesäure, Sulfanilsäure usw.) mitgeteilt. Die obige Reaktion stellt also eine einfache allgemeine Bildungsweise der Uramidosäuren dar. Sämtliche auf diese Weise gewonnenen Uramidosäuren, mit Ausnahme der Ureinäthansäure, werden zum ersten Male auf diesem Wege dargestellt, drei derselben, die Uramidoisovaleriansäure, die Uramidobernsteinsäure und die Uramidoglutansäure zum ersten Male beschrieben. Es wird ferner eine allgemeine einfache Methode zur Gewinnung der An- hydride der Uramidosäuren (Hydantoine) angegeben (Kochen der Uramidosäuren mit n/4 bis n/2 Mineralsäure) und eine Reihe dieser Körper beschrieben. Bezüglich der Einzelheiten der Me- thoden, der Eigenschaften der Uramidosäuren, ihrer Salze und Verbindungen, ferner bezüglich physiologisch-chemischer Hinweise muss auf das Original verwiesen werden. Hervorgehoben sei nur, dass die Uramidosäuren, sich leicht verestern lassen, dass in der Ureinäthansäure ein Körper vorliegt, der die Biuretreak- tion in ähnlicher Weise wie der Harnstoff gibt, dass die Iso- butylhydantoinsäure wegen ihrer Schwerlöslichkeit zu analytischen X) Ber. d. chem. Ges. 1906, Bd. 39, S. 2953. 2) Ebenda 1874, Bd. 7, S. 237. 128 Sitzungsberichte. / Zwecken besonders geeignet erscheint und dass aus Verschieden- heiten in den Eigenschaften der Uramidosäuren aus Leueinen verschiedener Herkunft auf spezifische Verschiedenheit des Aus- gangsmaterials geschlossen wird. Bezüglich der Anhydride sei erwähnt die zum ersten Male durchgeführte Synthese des Tyro- sinhydantoins u. die Stellungnahme bezüglich der strittigen Formel der Meleilureidsäure (Anhydrid der Uramidobernsteinsäure) zu- gunsten der Darstellung von Guarechi°), übrigens schon früher von Gabriel?) wahrscheinlich gemacht. Es werden dann eine Reihe weiterer, wie es scheint allgemeiner Bildungsweisen der Uramidosäuren besprochen: aus Aminosäure und Urethan (also Carbaminsäure); aus Aminosäure und Harnstoff beim Kochen in reinem Wasser (eyansaures Ammon); aus Aminosäure und Guanidin; und diese Reaktionen für Leucin, zum Teil auch für Tyrosin, Asparaginsäure und Glykokoll durchgeführt. Diese Bildungsweisen verdienen deshalb besonderes Interesse, weil sie zeigen, dass die bei Enstehung des Harnstoffs im Tierkörper denkbaren Vorstufen, in vitro wenigstens, mit Aminosäure unter Bildung von Uramidsäure reagieren.) 2. Dr. Paul Lux: Zur Struktur des Retens. 3. Dr. Richard Turnau: Uber die Einwirkung von Jod- methyl auf substituierte Pyridincarbonsäuren. Sitzung vom 16. Nov. 1908. Vorsitz: Prof. Dr. G. Goldschmiedt. 1. Prof. V. Rothmund: Über die Reduktion der Per- chlorate. Die Lösungen der Perchlorate gelten als nicht reduzierbar, und tatsächlich kann man durch die gewöhnlichen Reduktions- mittel wie Zink, schweflige Säure, Jodwasserstoff usw. auch nach mehrstündigem Kochen keine Reduktion erzielen. Doch gelingt dies durch Anwendung von Salzen des dreiwertigen Titans ‘oder Vanadins, die sich auch in vielen anderen Fällen als sehr schnell wirkende Reduktionsmittel bewährt haben. Es ist auffal- lend, dass die Reduktion durch Zink, das doch ein höheres Re- duktionspotential besitzt, nicht gelingt. Man muss daher’ eine sehr starke katalytische Wirkung dieser Salze annehmen. Durch etwa einstündiges Kochen mit saurer Titansesqui- sulfatlösung wird das Perchloration. praktisch vollständig zu Chlorion reduziert. Auf Grund dieses Verhaltens ist eine ein- fache und genaue Bestimmung von Perchloraten möglich. 2. Prof. Dr. H. Meyer: Uber Zweikernchinone. ®) Vergl. Beilstein. 3. Aufl. I. S. 1883, *) Liebigs Ann. 1906, Bd. 348, S. 50. 5) Ber. d. chem. Ges. 1908, Bd 41, $. 2953, 2974. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘‘, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden:: Montag, Freitag 5—7 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. “«Dr. L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) 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BAND 57 MAI 1909 ULOTOS LU NATURWISSENSCHAFTLICHE ZEITSCHRIFT, HERAUSGE- GEBEN VOM DEUTSCHEN NATURWISSENSCHAFTLICH- MEDIZINISCHEN VEREIN FÜR BÖHMEN „LOTOS“ IN PRAG SCHELLER, A., Dr., STRAHLUNG UND TEMPERATUR DER SONNE. & GRÜNERT, M., Prof. Dr., DIE ASTRO- NOMIE BEI DEN ARABERN. & PASCHER, ADOLF, EIN KLEINER BEITRAG ZUR KENNTNIS DER CHRY- SOMONADINEN BÖHMENS. # ZIMMERT, K., ÜBER EINEN AUFSCHLUSS DES PRAGER BODENS. II. # SITZUNGSBERICHTE: GEOGRAPHISCHE SEKTION, # BEE Er PRAG: 1909 EI ET er J. G. CALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, IL, KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG Preis der einzelnen Nummer K1'—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8° — > DE 2 ENTE ÄRA) D) Filiale der Optisdien Werkstätten Cl. REICHERT, Inhaber : M. Wondrusch, PRAG, Il. Gerstengasse 4. Großes Lager von Mikroskopen = und Mikrofomen. Am Lager sämtliche Be- darfsartikel für Mikro- skopie, Laboratoriumsge- genstände und Farben von Dr. Grübler. 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Wenn schon aus diesem Grunde jede Betrachtung über die Sonnenstrahlung von allgemeinem In- teresse ist, so bietet sie andererseits auch die Möglichkeit, Schlüsse über die physikalische Konstitution unseres Zentralkör- pers zu ziehen, insbesondere Schlüsse über die Konstitution der Photosphäre, die nach dem gegenwärtigen Stande der Sonnen- forschung als Ausgangsschichte für die Strahlung zu betrachten ist. Die von der Sonne emittierten Strahlen gehören sämtlichen Wellenlängen an und sind demnach entsprechend den von der Wellenlänge abhängenden spezifischen Ausserungen der Strahlung in verschiedener Weise wirksam. Die Strahlen mittlerer Wellen- länge werden vom Auge als Licht empfunden, die Strahlen kleiner Wellenlänge zeichnen sich durch ihre chemische Wirksamkeit aus, sie wirken auf die photographische Platte, die Strahlen grosser Wellenlänge endlich zeigen thermischen Effekt, sie wer- den als Wärmestrahlung fühlbar. Eine Betrachtung über die Strahlung der Sonne wäre also für jeden durch seine besondere Wirksamkeit ausgezeichneten Strahlungskomplex getrennt anzu- stellen und nach den Gesichtspunkten der optischen, thermischen und chemischen Wirksanakeit zu gliedern. Im folgenden sei zunächst die Wärmestrahlung behandelt und die Frage der Temperaturbestimmung jener Oberflächen- schichte der Sonne, die man als Ausgangsschichte der Strahlung zu betrachten hat, also der Photosphäre, erörtert. Die ersten Versuche die Strahlungsenergie der Sonne ex- perimentell zu bestimmen, reichen bis in den Beginn des 18. ‚ Jahrhunderts zurück. Sie sind gegenwärtig meist nur von histo- rischem Interesse und seien hier nur kurz erwähnt: 1729 war es der französische Gelehrte Bouguer, 1760 der bekannte deutsche Physiker Lambert, der Begründer derPhotometrie, 11 130 Dr. A. Scheller: 1825 der berühmte englische Astronom John Herschel, die sich mit dieser Frage beschäftigten. Von besonderem Interesse sind die Mes- sungen Herschels, welcher auf Grund von Beobachtungen, die er am Kap der guten Hoffnung ausführte, die Möglichkeit einer Verschiedenheit der Sonnenstrahlung auf der nördlichen und süd- lichen Hemisphäre nachweisen "wollte. Der erste in der Reihe der Physiker und Astronomen, dessen Versuche begründeten An- spruch auf Genauigkeit erheben können, war 1835 Pouillet, der für seine Messungen einen eigens für diese Zwecke konstruierten Apparat, das Pyrheliometer, anwandte. Die Resultate, die diese ersten Versuche über die von der Sonne ausgestrahlte Wärmemenge lieferten und speziell die aus ihnen auf rechnerischem Wege hergeleiteten Werte für die Tem- peratur der Sonne waren jedoch einander so widersprechend, dass lange Zeit hindurch diese Aufgabe der Astrophysik als die unbefriedigendste galt, ja selbt als eklatantes Beispiel unexakter Forschung hingestellt wurde. Die grosse Verschiedenheit, welche die gefundenen Werte aufwiesen, — die Sonnentemperatur lag darnach zwischen 1500 und 10 Millionen Graden — zeigte, dass es wohl nicht so sehr Fehler in der Art und Ausführung der Beobach- tungen waren, denen die Ursache für die Ungenauigkeit der Re- sultate zugeschrieben werden konnte, als ‚vielmehr prinzipielle Fehler der theoretischen Gesetze, welche der Berechnung zugrunde gelegt wurden. Die mangelhafte Kenntnis von der Konstitution der Sonne, vor allem aber von den Beziehungen, welche zwischen der Temperatur des strahlenden Körpers und der Grösse der Strahlung bestehen, wirkten verfälschend auf die gewonnenen Re- sultate ein. Erst als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts durch Kirchhoff die Spektralanalyse entdeckt wurde, erst seitdem man die Mittel hatte, durch Versuche über das Ver- halten der Körper in Bezug auf Abhängigkeit zwischen Tem- peratur und Menge der ausgestrahlten Wärme einerseits, anderer- seits zwischen Temperatur und den Wellenlängen der ausge- sandten Strahlen genauere Kenntnis dieser grundlegenden Ge- setze zu erlangen, erhielt man auch die Möglichkeit, dem Pro- blem in exakter Weise näher zu treten. Die Aufgabe um die es sich bei Bestimmung der Temperatur der Sonne handelt, lässt sich an einem aus dem täglichen Leben ge- eriffenen Beispiel in zutreffender Weise erläutern: In einem Zim- mer steht ein Ofen. Der Ofen wird geheizt und erwärmt die ihn umgebende Luft des Zimmers. In einiger Entfernung vom Ofen befindet sich ein Thermometer, das mit zunehmender Zimmertemperatur steigt. In welcher Weise lässt sich nun aus den Angaben des Thermometers auf die Temperatur des Ofens schliessen? Bei beiden Aufgaben handelt es sich zunächst da- Strahlung und Temperatur der Sonne. 137 ‘ rum die Wärmemenge zu messen, die in einer bestimmten Zeit abgegeben wird, von der Sonne an die Erde, vom Ofen an die ihn umgebende Luft. Weiter ist die Kenntnis notwendig, wie die Grösse der Wärmeabgabe von der Temperatur des abgeben- den Körpers abhängt, welches also die Beziehungen zwischen Grösse der Strahlung und Temperatur des strahlenden Körpers sind. Erst wenn diese Frage sei es auf Grund experimenteller, sei es auf Grund theoretischer Untersuchungen gelöst ist, kann man daran gehen, aus der gemessenen Menge ausgestrahlter Wärme auf die Temperatur des strahlenden Körpers zu schliessen. Weiter muss in Betracht gezogen werden, dass ein eiserner Ofen anders wirkt, als ein Kachelofen, dass ein eiserner Ofen mehr Wärme abgibt, ein grösseres Strahlungsvermögen besitzt, als ein Tonofen, und dass beide Ofen wieder anders wirken, wenn sie ein Schirm umgibt. Dann wird man sich auch fragen müssen, für welchen Teil des Ofens die Temperatur bestimmt werden soll, da ja einleuchtend ist, dass die Aussenseite des Ofens, seine Oberfläche, eine andere Temperatur besitzt als die, welche im Innern des Ofens herrscht. Dieselben Fragen muss man sich auch in Bezug auf die Sonne vorlegen. Nicht alle Teile ihrer Oberfläche werden gleiche Temperatur haben, werden dieselbe Wärmemenge ausstrahlen. Die Teile der Sonnenoberfläche, welche uns mit Flecken und Fackeln bedeckt erscheinen, werden anders wirken als die flecken- und fackelfreien. Ebenso ist an- zunehmen, dass im Inneren des Sonnenkörpers eine andere Tem- peratur herrschen wird als an der Oberfläche. Schliesslich ist noch in Betracht zu ziehen, dass die ausgesandten Strahlen in der die Sonne umgebenden Atmosphäre eine verschiedene Ab- sorption, eine Schwächung, erleiden werden: die Randstrahlen eine grössere, da der Weg, den sie durch die absorbierenden Schichten zurückzulegen haben, länger, die von der Mitte der sichtbaren Sonnenoberfläche ausgehenden eine geringere, weil für sie der Weg kleiner ist. Es erscheint demnach bei Behandlung des Problems als eine der wichtigsten Vorbedingungen die Be- antwortung der Fragen: Wie hat man sich die Sonne vorzu- stellen, welchen ihrer Teile hat man als den Wärme spendenden zu bezeichnen, was versteht man überhaupt unter der Tempera- tur der Sonne. Nach der heute wohl allgemeinen geltenden Anschauung haben wir uns die Sonne als einen ungeheueren glühenden Gas- ball vorzustellen, dessen Temperatur im Inneren grösser ist und nach aussen hin abnimmt. Ähnlich wie in der Erdatmosphäre die Wolkenbildung eintritt, haben sich auf der Sonne in einer gewissen Höhe die glühenden Gasmassen zu einer den Gasbali umgebenden wolkenähnlichen Hülle verdichtet. Diese Schichte, IE, r 132 Dr. A. Scheller: die Photosphäre, bildet die uns sichtbare Begrenzung des Sonnen- balls und sie haben wir als die Ausgangsschichte der Licht- und Wärmestrahlung zu betrachten. Daraus ist zu ersehen, dass man von einer Temperatur der Sonne schlechtweg nicht sprechen kann, dass es notwendig ist, den Begriff der Sonnentemperatur zu lokalisieren. Was als Temperatur der Sonne bezeichnet wer- den kann, ist bloss die Temperatur jener Schichte, von welcher die Wärmestrahlung ausgeht, also der Photosphäre. Unsere Aufgabe muss sich demnach zunächst darauf beschränken, die Temperatur der Photosphäre zu bestimmen. Aber damit sind die Schwierigkeiten, welche sich der blossen Formulierung des Problems gegenüberstellen, noch nicht behoben. Es sei noch- mals an unser Beispiel erinnert, an die verschiedene Wirkungs- weise eines Eisen- und eines Tonofens, die beide auf die gleiche Temperatur gebracht, verschiedene Wärmemengen austrahlen, Eisen mehr, Ton weniger. Wenn zwei Körper etwa Metall und Glas in der gleichen Flamme erhitzt werden, besitzen sie die- selbe Temperatur, aber ihr Wärmestrahlungsvermögen, ihr Emis- sionsvermögen ist verschieden, das Emissionsvermögen des Glases ist um sehr viel geringer als das des Metalls. Wenn es sich nun darum handelt aus der Menge an ausgestrahlter Wärme auf die Temperatur des glühenden Körpers zu schliessen, dann ist die Kenntnis des Emissionsvermögens von grösster Wichtigkeit. Nimmt man dieses zu hoch an, erhält man zu niedrige Tem- ‚peraturen, wählt man es zu klein, dann kommt man auf Tem- peraturen, die ihren wahren Wert übersteigen. Will man also die Temperatur der Sonne aus Messungen der ausgestrahlten Wärme bestimmen, dann tritt als zweite Vorbedingung die Er- ledigung der Frage auf: Wie gross ist das Emissionsvermögen der 'Photosphäre? Bei Beantwortung dieser Frage stösst man auf Schwierigkeiten, die durchaus unüberwindlich sind. Die Zu- sammensetzung der Photosphäre, die Art der glühenden Teilchen, welche sie bilden, und, worauf es in unserem Falle besonders ankommt, ihr Emissionsvermögen ist ganz unbekannt. Aber auch für den Fall, dass sämtliche Elemente, welche den glühen- den Sonnenball bilden, bekannt wären, und wenn es auch ge- lingen würde, durch Laboratoriumsversuche das Emissionsver- mögen der einzelnen Elemente experimentell zu bestimmen, könnte ein für die Sonne giltiges mittleres Emissionsvermögen nicht er- mittelt werden. Die Temperaturen, welche wir mit unseren ir- dischen Hilfsmitteln herzustellen imstande sind, liegen jedenfalls beträchtlich unter jener, welche auf der Sonne herrschen mag. Es würde nicht angehen auch für eine so hohe Temperatur das- selbe Verhalten der die Sonne zusammensetzenden Elemente an- zunehmen, wie es aus Versuchen bei niedrigeren Temperaturen % Strahlung und Temperatur der Sonne. 133 zu ermitteln wäre. Man ist so gezwungen, wenn man überhaupt in dem Problem weiter kommen will, Annahmen über das Emis- sionsvermögen zu machen. Die einfachste Annahme ist, das Ausstrahlungsvermögen der Einheit gleich zu setzen, d. h. das Emissionsvermögen der Sonne dem eines vollstrahlenden oder, wie man in der Wärme- lehre sagt, vollkommen schwarzen Körpers gleich zu setzen. Als einen solchen vollkommen schwarzen Körper definiert man jenen, welcher, ebenso wie er alle auf ihn fallenden Strahlen absorbiert, keinen reflektiert oder gar durchlässt, auch seinen ganzen Wärme- inhalt an seine Umgebung abgibt, also vollstrahlig ist. Unter dieser Annahme erhält man für die Temperatur einen kleinsten Wert, ein Minimum, während jede andere Annahme, derzufolge das Emissionsvermögen kleiner ist, höhere Temperaturen liefern würde. Die so definierte Sonnentemperatur bezeichnet man als die effektive Temperatur der Sonne und hat also unter ihr jene zu verstehen, welche ein vollstrahlender Körper hätte von gleichem scheinbaren Durchmesser, wie ihn die Sonne hat, und gleichem Strahlungseffekte. Es wurde bereits erwähnt, dass die ersten verlässlichen Messungen der strahlenden Sonnenwärme von Pouillet herrühren, der durch die Konstruktion eines besonderen Apparates, des Pyrheliometers, sich von den Fehlerquellen freizumachen suchte, welche den früheren Versuchsreihen anhafteten. Die Konstruktion dieses Pyrheliometers ist eine sehr einfache. Ein beiderseits ge- schlossenes zylindrisches Gefäss aus Silberblech, dessen eine Bodenfläche berusst ist, ist mit etwa 100 g Wasser gefüllt. Das Gefäss wird gegen die Sonne gerichtet, so dass die Strahlen senkrecht auf die berusste Fläche auffallen. Die Temperaturerhöhung des Wassers wird mittelst eines in das Wasser hineinragenden Thermometers abgelesen, und aus ihr dann die Wärmemenge berechnet, welche die Sonnenstrahlung dem Wasser zugeführt hat. Diese prinzipielle Form des Appa- rates wurde auch bei den späteren Versuchen der Hauptsache nach beibehalten, bloss die Anordnung wurde vielfach geändert, ‘bis schliesslich das Instrument durch den schwedischen Physiker Angström (1887) eine Ausführung erhielt, welche die Versuche von dem Einfluss verschiedener Fehlerquellen, unter denen die Bestrahlung von seiten der den Apparat umgebenden Gegen- ständer wohl die grösste ist, frei macht. In der Hauptsache besteht der Angströmsche Apparat aus zwei nebeneinander mon- tierten Pouilletschen Pyrheliometern. Während das eine der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt wird, wird das andere durch einen Schirm geschützt. Die Thermometer sind durch Thermoelemente ersetzt, welche an der Rückseite der Apparate ae 134 Dr. A. Scheller: eingeschraubt, in Verbindung mit einem empfindlichen Galvano- meter die Temperatur genau zu bestimmen gestatten. Während nun der eine Apparat, durch die Sonnenstrahlung erwärmt wird, erhält der zweite eine gleiche Erwärmung durch die Zuführung eines elektrischen Stroms. Durch entsprechende Regulierung der Stromstärke ist es dann möglich, beide Apparate auf die gleiche Temperatur zu bringen, was sich durch gleiche Ausschläge am Galvanometer erkennen lässt. Daraus kann dann gefolgert wer- den, dass die beiden Apparaten zugeführten Wärmemengen gleich sind: Man misst die Energie der Sonnenstrahlung durch die Energie des elektrischen Stroms. Der Vorzug dieses Apparates besteht in der vollständig symmetrischen Anordnung, vor allem aber in der gleichen Temperatur der beiden Teile des Instruments. Dadurch wird eine Reihe von störenden Einflüssen unschädlich gemacht, so die bereits erwähnte Bestrahlung des Apparates seitens der ihn umgebenden Gegenstände, weil alle diese stören- den Einflüsse auf beide Teile, den von der Sonne bestrahlten und den nicht bestrahlten, in gleicher Weise einwirken. Mit dem eben beschriebenen Instrumente, dem Angs»tröm- schen Pyrheliometer vermag man mit verhältnismässig geringer Mühe die Wärmestrahlung der Sonne ihrem absoluten Betrage nach mit grosser Genauigkeit zu ermitteln. Die so erhaltenen Werte werden jedoch nicht direkt miteinander vergleichbar sein, da sie an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten auch verschiedenen Sonnenhöhen entsprechen, und die Wärmewirkungen der Sonne mit ihrem Stande über dem Horizonte wechseln. Die auf- oder untergehende Sonne vermag nicht so zu wärmen, als wenn sie zur Mittagszeit hoch am Himmel steht; ebenso ist ihre Wirkung im Winter, wo sie auch zur Mittagszeit nicht sehr hoch über dem Horizonte ist, eine andere als im Sommer, wo wir sie zur Mittagszeit nahe dem Scheitelpunkte haben. Bevor die Sonnenstrahlen auf die Erdoberfläche gelangen, haben sie durch die weiten Schichten der Atmosphäre einen grossen Weg zurückzulegen, einen weiteren, wenn die Sonne dem Horizonte nahe, einen kürzeren, wenn sie nahe dem Zenit steht, und er- leiden dabei durch Absorption einen Verlust an Kraft, dessen Grösse von der Länge des in der Atmosphäre. zurückgelegten Weges abhängig ist. Aus diesem Grunde ist es notwendig, den Messungen der Wärmestrahlung der Sonne besondere Unter- suchungen über die Absorption durch die Erdatmosphäre voran- gehen zu lassen, und dann gestützt auf die diesbezüglichen theo- retischen und experimentellen Resultate bei jeder einzelnen Messung den Betrag in Rechnung zu ziehen, um welchen die Wärmewirkung der Sonnenstrahlen durch Absorption geschwächt wurde. Die absorbierende Kraft der Atmosphäre ist aber nicht Ben & a Strahlung und Temperatur der Sonne. 135 überall und zu allen Zeiten gleich, unterliegt vielmehr wegen des starken Wechsels im Gehalte der Atmosphäre an Wasser- ‘ dampf und Kohlensäure beträchtlichen Veränderungen, welche natürlich auf die Genauigkeit der Beobachtungsresultate verfäl- schend einwirken müssen. Darin findet auch die mangelnde Übereinstimmung der gefundenen Strahlungswerte ihre Erklärung. Im folgenden ist eine Zusammenstellung verschiedener Werte gegeben, welche zwar auf Vollständigkeit keinen Anspruch er- heben kann, wohl aber die Resultate der hauptsächlichsten Be- obachtungsreihen enthält. Das Mass für die Energie der Sonnenstrahlung sind Wärme- mengeneinheiten oder Kalorien. Unter einer Kalorie versteht man bekanntlich jene Wärmemenge, welche einem Gramm Wasser von 15° C. zugeführt werden muss, um seine Temperatur um 1 Grad zu erhöhen. Die Anzahl der Kalorien, welche ein cm*? der Erd- oberfläche in einer Minute empfangen würde, wenn die Sonnen- strahlen senkrecht auffallen und keine Absorption in der Erd- Atmosphäre stattfinden würde, bezeichnet man als Solarkon- stante. Aus den Pouilletschen Beobachtungen (1835) ergibt sich die Solarkonstante zu 1.79 Kalorien. Die neueren mit verbesser- ten Apparaten angestellten Versuche haben gezeigt, dass das Pou- illetsche Resultat zu_klein ist, ebenso auch der Wert, der sich aus den 1825 von John Herschel am Kap der guten Hoffnung ange- stellten Beobachtungen ergibt, nämlich 1.74 Kalorien. Die wich- 'tigsten Versuchsreihen und die aus ihnen hergeleiteten Werte für die Solarkonstante sind die folgenden: 1842 erhielten Kämtz und Forbes aus Beobachtungen, die sie in der Schweiz, der eine auf dem Faulhorn, der andere in Brienz anstellten, den‘Wert 1.84 Kalorien. 1860 fand O. Hagen auf Madeira 1.9 Kalorien 1875 Violle 2.59 Kal., wobei die Absorption durch die Feuchtigkeit der Luft mit berücksichtigt erscheint. 1878 Crova 2.3 Kal. Langley, der sich wohl am eingehendsten mit dieser Frage befasste, kam 1884 auf Werte, die zwischen 2.63 und 3.50 Kal. schwanken. Savelief fand in den Jahren 1880—1890 2.9 Kal. Pernter der Direktor der österr. Zentralanstalt für Meteoro- logie und Geodynamik stellte im Jahre 1889 am hohen Sonn- blick in einer Seehöhe von 3000 Metern ausgedehnte Versuchs- reihen an, und fand für die Solarkonstante Werte innerhalb 3.05 und 3.28 Kal. Schliesslich wäre noch Angström zu erwähnen, der das ungewöhnlich hohe Resultat von 4.0 Kalorien erhielt. Einige Messungsreihen aus ‚den letzten Jahren, die von Vallot (1896), Crova und Hansky (1897), Rizzo (1898), Scheiner (1902) 136 Dr. A. Scheller: auf dem Gorner Grat beobachtet), Abbot (1900—1908 in Wa- shington) erhalten wurden, lieferten die Werte 1.7, bzw. 3.4, 2.5, 2.3,°9.1. i Betrachtet man diese für die Solarkonstante gefundenen Werte in chronologischer Reihenfolge, dann findet man zunächst ein Ansteigen der Werte, das wohl nur in der allmähligen Ver- vollkommnung der Apparate, wie der Beobachtungsmethoden seinen Grund haben kann. Trotzdem sind die Werte, besonders wenn man die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen in Ver- gleich zieht, voneinander nicht so sehr verschieden, als man es in Anbetracht der Schwierigkeit ihrer Bestimmung erwarten könnte. Darnach scheint es keine Frage mehr zu sein, dass der Wert der Solarkonstante zwischen 2 und 2'/, Kalorien liegt. Es erübrigt nun noch die Lösung des zweiten Teiles der Aufgabe: die Ermittlung der Sonnentemperatur aus dem bekann- ten Werte für die Energie der Sonnenstrahlung. Die Werte, welche wir für diese Konstante gefunden haben, zeigen zwar untereinander Abweichungen, doch ist die Schwankung immerhin nicht so bedeutend, als dass man nicht auch annehmen könnte, dass die aus ihnen abgeleiteten Sonnentemperaturen sich in ähn- lichen Grenzen bewegen sollten. Dem ist aber nicht so. Wie bereits eingangs erwähnt wurde, weisen die ermittelten Tempe- raturwerte geradezu widersinnige Unterschiede auf. Pouillet be- rechnete beispielsweise aus seinen Beobachtungen rund 1500°, während Secchi anfangs der 70 Jahre des vorigen Jahrhunderts durch ähnliche Versuche wie Pouillet IO Millionen Grad errechnete. Derartige Ungenauigkeiten können unmöglich der Beobachtungs- methode zur Last gelegt, werden, der Fehler liegt in den theo- retischen Gesetzen, welche bei den Berechnungen zur Anwendung kommen. Er liegt in der Unkenntnis des Gesetzes nach welchem die Strahlung von der Temperatur des strahlenden Körpers ab- hängt, dem Strahlungsgesetz. Es ist ja möglich ein derartiges Gesetz aus Beobachtungen im Laboratorium abzuleiten, indem man beispielsweise ein Platinblech erhitzt und den Gang der Ausstrahlung mit zunehmender Temperatur verfolgt. Doch er- gibt sich dabei immer der Übelstand, dass man über eine ge- wisse obere Grenze der Temperatur nicht hinaus kommt. Man ist gezwungen, durch Extrapolation aus den für niedrige Tem- peraturen giltigen Strahlungsbeträgen auf die bei höheren Tem- peraturen auftretenden zu schliessen. Dass bei solchen Methoden grosse Unsicherheiten auftreten müssen, ist zweifellos. Hätte Secchi seinen Berechnungen dasselbe Strahlungsgesetz zugrunde gelegt wie Pouillet, wäre er auch nicht auf eine Sonnentempe- ratur von 10 Millionen Grad gekommen; er hätte in guter Über- einstimmung mit Pouillet 1400° erhalten. P Strahlung und Temperatur der Sonne. 137 Das erste Gesetz über die Abhängigkeit der Strahlung von der Temperatur des strahlenden Körpers rührt von Newton her. Seine Versuche führten ihn zu dem Schlusse, dass die Geschwin- digkeit der Erkaltung eines strahlenden Körpers proportional dem Temperaturunterschied desselben gegen die ihn umgebenden Körper gesetzt werden könne. Ein zweites Gesetz stammt von den französischen Physikern Dulong und Petit, welche Newtons Untersuchungen fortgesetzt haben. Sie fanden auf Grund der zahlreichen von ihnen ange- stellten Versuche, welche das Temperaturintervall bis 250° um- fassten, dass die Wärmestrahlung eines Körpers in geometrischem Verhältnis zunehme, wenn die Temperatur des strahlenden Kör- pers gleichförmig, also in arithmetischem Verhältnis wächst. Es unterliegt aber schon lange keinem Zweifel, dass die beiden Ge- setze nur für niedrige Temperaturen genäherte Giltigkeit haben, eine Extrapolation dagegen bis zu Temperaturen von der Höhe .der Sonnentemperatur ausgeschlossen ist. Das Newtonsche Gesetz liefert für höhere Temperaturen zu grosse, das Dulong- Petitsche Gesetz zu kleine Werte. Neben - bei sei noch erwähnt, dass Secchi sich bei seinen Berechungen des Newtonschen, Pouillet des Dulong- Petitschen Gesetzes be- dient hat. Erst in den letzten Dezennien ist es gelungen, Gesetze aufzustellen, welche die Beobachtungen bis zu höheren Tem- peraturen gut darzustellen vermögen. So fand der Schweizer Weber einen ziemlich komplizierten mathematischen Ausdruck, welcher sich bis zu etwa 1000° Temperatur als giltig er- weist, für den aber eine theoretische Begründung nicht möglich ist. Erst der Wiener Physiker Stephan hat 1879 eine äusserst einfache Beziehung gefunden, der zufolge die Wärmestrahlung proportional der 4. Potenz der absoluten Temperatur des strah- lenden Körpers ist. Unter absoluter Temperatur hat man — kurz gesagt — die um 273° vermehrte Angabe des Quecksilberther- mometers (Celsius) zu verstehen. Das Gesetz, das durch aus- gedehnte Versuchsreihen der Berliner Physiker Lummer und Pringsheim für den schwarzen Körper bis zu einer Temperatur von fast 1600° seine Bestätigung fand, wurde auch theoretisch durch den Wiener Physiker Boltzmann begründet. Aus der guten Übereinstimmung mit den Laboratoriumsversuchen darf man wohl auch schliessen, dass die Fehler, welche man bei Anwen- dung dieses Gesetzes auf die Bestimmung der Sonnentemperatur zu erwarten hat, Keine allzugrossen sein werden und eine Lösung der Aufgabe zu erwarten ist, welche bei den Schwierigkeiten, die sich entgegenstellen, immerhin als eine befriedigende be- trachtet werden muss. Mit Benützung des Stephanschen Gesetzes 12 138 Dr. A. Scheller: lässt sich nunauch Ordnung in das grosse Chaos der verschiedenen Bestimmungen bringen. Man erhält für die gefundenen Werte der Solarkonstante nachstehende Temperaturen der Sonne: Der Solarkonstante von 2:0 Kal. entspricht die Temperatur 5900° ” ” ” 25 ” ” ” P>) 6200° ” ” ” 3 "O b>] ” 62) „ 6 500 a ” ” ” 3°5 n ” n n 6800° B)] ” ” 40 P)) Pr) ” n 7100° Die Unterschiede der Temperatur sind verhältnismässig gering, und es zeigt sich, dass ein etwaiger Fehler in der An- nahme der Solarkonstante keinen allzugrossen Einfluss auf die Temperatur hat. Beträgt ja die Anderung der Temperatur, wenn man für den Wert der Solarkonstante von 2 Kalorien auf den doppelten Betrag geht, bloss 1200°. Da der wahrscheinlichste bis jetzt gefundene Wert der Solarkonstanten zwischen 2'0 und 3°0 Kalorien liegt, beträgt die Sonnentemperatur zwischen 6000° und 6500°, natürlich unter den gemachten Voraussetzungen und Einschränkungen für jene Temperatur, welche als die effektive Temperatur der Sonne de- finiert wurde. Noch genauere Bestimmungen sind geknüpft an weitere genaue Untersuchungen über den Wert der Solarkon- stante und das Emissionsvermögen des schwarzen Körpers. Die Methode, welche bisher erörtert wurde, erfordert zur Bestimmung der Sonnentemperatur zunächst die Kenntnis der Solarkonstante. Zwei Gelehrte, der amerikanische Physiker Langley und der russische Astronom Ceraski bedienten sich zweier Me- thoden, wo sie, ohne erst die Solarkonstante zu ermitteln, direkt zur Kenntnis der Sonnentemperatur kamen. Langley verglich 1878 die Wärmestrahlung der Sonne direkt mit derjenigen des gseschmolzenen Stahles im Bessemer Converter und fand die Sonnenstrahlung etwa 87 mal stärker als die des geschmolzenen Stahles. Unter der Annahme, dass dessen Temperatur 2000° beträgt, was Langley daraus schloss, dass Platin oberhalb der Stahloberfläche schmolz, erhielt er nach dem Stefanschen Gesetz 6100° als Temperatur der Sonne. Ceraski;, benützte zu seinen Versuchen einen Hohlspiegel von 1 »» Durchmesser, der nahe dem Brennpunkt noch eine Konzentrationslinse enthielt. Er fand, dass im Fokus sämtliche ihm zugänglichen Stoffe geschmolzen wurden, mit Ausnahme von Magnesia, und schätzte so die durch die Konzentration der Sonnenstrahlen hervorgerufene Wärme auf 3500°. Zum Vergleich mass er auch die Temperatur im Brennpunkte, die ein’elektrisches Bogenlicht von gleicher schein- barer Grösse wie die Sonne erzeugte und fand sie zwischen 100° und 105°. Nach dem Stefanschen Strahlungsgesetz ergibt SEN CAMIEHE ES NEAR SENSE DEE F 5 as x N Strahlung und Temperatur der Sonne. 139 sich, dass die Temperatur der Sonne etwa 1'8 mal so gross ist, als die des Bogenlichtes. Nimmt man letztere zu 3500°, so resultiert für die Temperatur der Sonne 6300°, während eine Temperatur des Bogenlichtes von 4000° zum Betrage von .7200° führt. Demnach liefert auch diese Methode Werte, welche in guter Übereinstimmung innerhalb der angegebenen Grenzen liegen. Alle diese Methoden haben das eine gemeinsam, dass bloss aus der Wirkung der Wärmestrahlen auf die Temperatur der Sonne geschlossen wurde. Es liegt nun die Frage nahe, ob es denn nicht möglich wäre, durch Hinzuziehung anderer Strahlen- arten und durch Untersuchung ihres Verhaltens bei verschiedenen Temperaturen neue Verfahren zur Lösung unserer Aufgabe zu erschliessen. Es ist bekannt, dass jeder glühende Körper auf dreierlei Weise wahrnehmbar wird: Er leuchtet, wir sehen ihn, er wärmt, wir spüren die von ihm ausgehende Wärmestrahlung, er ist chemisch wirksam, wir können sein Bild auf der photographischen Platte festhalten. Jede dieser Wirkungen lässt sich einer be- sonderen Strahlenart zuschreiben. So verschieden aber auch alle diese Strahlen in ihren Wirkungen sind, objektiv unter- scheiden sie sich bloss durch ihre Wellenlängen. Wir können die Strahlen verschiedener Wellenlängen vor einander trennen, wenn wir das von dem glühenden Körper kommende Licht durch ein Glasprisma schicken. Auf einem dahinter gehaltenen Schirm erscheint ein Farbenband, das ähnlich dem Regenbogen alle Farbennuancen von Braun über Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau bis Violett zeigt. Jedem Streifen dieses Bandes, jeder einzelnen Farbenart entspricht ein Strahl von ganz bestimmter Wellenlänge, so zwar, dass die Wellenlängen von Rot gegen Blau hin allmählig abnehmen. Der mit dem Auge wahrnehmbare, sichtbare Teil des Spektrums umfasst bloss einen kleinen Teil der von dem glühen- den Körper ausgesandten Wellen. Jenseits des Rot, wie auch auf der anderen Seite des Spektrums jenseits des Violett liegt - ein noch viel grösseres Bereich von Strahlenarten, die zwar für das Auge unsichtbar, ihre Existenz durch Wärme, beziehungsweise chemische Wirkungen erkennnen lassen. Die Strahlen, welche das sichtbare Spektrum zusammensetzen, sind jene, deren Wel- lenlängen zwischen 810 und 330 Milliontel Millimeter liegen oder, wie der fachtechnische Ausdruck heisst, Mikromikren. Strahlen, deren Wellenlängen grösser als 810 uw sind, heissen ultrarote Strahlen, wir empfinden sie als Wärmestrahlen, wäh- rend die Strahlen von Wellenlängen kleiner als 330 uw ultra- violette genannt werden und als Träger der chemischen Wir- kungen zu bezeichnen sind. 12* EEE ER NN 140 Dr. A. Scheller: Nicht bei jedem glühenden Körper sind die sich äussern- den Wirkungen in Bezug auf Wärmestrahlung, Sichtbarkeit und, chemische Energie gleich, nicht jeder sendet alle drei Arten von Strahlen in gleicher Weise, aus. Sein Spektrum enthält mehr oder weniger von den drei Strahlenarten, je nach dem Glüh- zustande, in welchem sich der Körper befindet. Schon der ge- wöhnliche Sprachgebrauch kennt 3 verschiedene Arten des Glüh- zustandes, die von der Temperatur des Körpers abhängen. Mit den Worten Rotglut, Gelb- und Weissglut ist schon gesagt, welchem Bereich in jedem dieser Glutzustände die Mehrzahl der ausge- sandten Strahlen angehört. Wenn ein Körper erwärmt wird und eben erst zu glühen beginnt, tritt Rotglut ein, der Körper sen- det vorzugsweise rote Strahlen aus und seine Helligkeit ist noch gering. Bei fortschreitender Erwärmung erhält der Körper ein gelbliches Aussehen, er kommt in Gelbglut. Zu den ausgesandten roten Strahlen treten noch die gelben und grünen. Von da an nimmt die Helligkeit bei gesteigerter Temperatur sehr rasch zu und die Gelbglut geht allmählich in Weissglut über. Zu den roten, gelben und grünen Strahlen gesellen sich sukzessive die Strahlen des blauen Spektralbereichs, durch deren aller Zusam- menwirken die Vorstellung ‚weissen Lichtes‘‘ entsteht. Je höher temperiert der Körper ist, um so mehr blaue Strahlen sendet er neben denen niedrigerer Wellenläuge aus, umso ‚‚weisser“ er- scheint er uns, umso grösser ist seine Helligkeit. So sind schon durch die gewöhnliche Erfahrung zwei allen festen Körpern ge- meinsame Strahlungseigenschaften gegeben: 1. Die Strahlungsenergie, die Helligkeit, steigt mit der Temperatur des glühenden Körpers rasch an. 2. Die spektrale Verteilung der Energie, die Farbe, ändert sich mit der Temperatur so, dass bei Erhöhung der Temperatur die Intensität der kürzeren Wellen (des Violett) schneller zu- nimmt, als die der längeren Wellen (des Rot). Diese beiden Eigenschaften bieten ein Prinzip der Tem- peraturbestimmung, vorausgesetzt, dass es gelingt durch Mes- sungen zahlenmässig festzulegen, in welcher Weise einmal die Helligkeit abhängig ist von der Temperatur des Licht aus- sendenden Körpers, andererseits welche Beziehung zwischen der Temperatur und der Lage des Energiemaximums im Spektrum besteht. Der ersten Aufgabe, die Abhängigkeit der Helligkeit von der Temparatur betreffend, wird so ziemlich ein von dem deutschen Physiker Rasch aufgestelltes Gesetz gerecht, welches für den schwarzen Körper giltig in einer ziemlich komplizierten mathematischen Formel seinen Ausdruck findet. Wendet man dies auf die neuerdings von Charles Fabry, einem französischen Physiker, gefundenen Resultate über die mittlere photometrische Strahlung und Temperatur der Sonne. 141 Helligkeit der Sonne an, so erhält man für die effektive Tem- peratur der Sonne den Wert von 5023°. Was die zweite ange- ‚ gebene Strahlungseigenschaft betrifft, fand Prof. Wien in Würz- burg aus zahlreichen Messungen über die Lage des Energie- maximums im Spektrum bei wachsender Temperatur, dass das Produkt aus der absoluten Temperatur des glühenden Körpers und der in Milliontel Millimeter gemessenen Wellenlänge, bei welcher das Maximum der Strahlungsenergie liegt, einen konstanten Wert hat. Wien fand für diese Konstante 2,900.000. Das Maximum der Sonnenstrahlung liest nun für die optischen Strahlen bei 560, für die chemischen bei 430 Milliontel Millimeter. Daraus folst für die ersteren als Sonnentemperatur 5200°, für die zweiten 6700°, also im Mittel etwa 6000°. Sämtliche Methoden liefern somit Werte, welche die Son- nentemperatur als zwischen 6000° und 7000° liegend, ergeben. Man darf annehmen, dass dieser Wert für die effektive Tem- peratur der Sonne der Wahrheit ziemlich nahe kommen wird. Uber die wirkliche Temperatur vermag man aber, wie bereits auseinandergesetzt wurde, keiuerlei Angaben zu machen, die Anspruch auf absolute Richtigkeit haben. Für die Solarkonstante fanden wir als wahrscheinlichsten Wert zirka 3 Kalorien. Das besagt, dass in jeder Minute die auf 1 cm”? der Erdoberfläche senkrecht auffallenden Strahlen so viel Wärme abgeben, als nötig wäre, um 3 g Wasser von 15° Celsius um einen Temperaturgrad zu erwärmen. Diese Zahl gibt uns nun aber auch eine Vorstellung von der Grösse der Wärmemenge, welche die Sonne überhaupt in den Raum ausstrahlt, welche sie verliert. Berechnet man bloss die Anzahl der Kalorien, welche die Sonne allein an die Erde abgibt, so kommt man bereits auf eine enorme Zahl, welche die unendliche Mannigfaltigkeit der Wirkungen der Sonnenwärme auf der Erde begreiflich erscheinen lässt. Welch kleiner Bruch- teil diese Wärmemenge im Vergleiche zur ganzen Summe an ausgestrahlter Wärme ist, dazu führt eine einfache Überlegung. Denkt man sich eine Kugeloberfläche mit der Sonne als Mittel- punkt und vom Radius der Erdbahn, dann wird sich auf dieser Sphäre von der Sonne aus gesehen, die Erde als kleine Scheibe von 17”.7 Durchmesser projizieren. Ein jedes Quadratzentimeter dieser Kugeloberfläche erhält in jeder Minute von der Sonne eine Wärmemenge von 3 Kalorien. Da aber die Erde im Ver- gleich zur ganzen Kugeloberfläche bloss der 2735 millionste Teil ist, beträgt die Gesamtmenge der von der Sonne ausgestrahlten Wärme, ihr Gesamtenergieverlust, 2735 millionenmal soviel, als die an die Erde abgegebene Wärmemenge. Die Rechnung ergibt hiefür eine Zahl, welche mit 10 und 27 daranzuschreibenden 142 . Dr. A. Scheller: Nullen anzusetzen wäre. Man kann diesen kolossalen Wärme- effekt dem Verständnis einigermassen näher bringen, wenn man berechnet, welche Wärmemenge von einem bestimmten Teil der Sonnenoberfläche, etwa einem Quadratmeter, in jeder Minute abgegeben wird. Man kommt zu dem Resultat, dass diese Menge der Verbrennungswärme von 135 kg Steinkohle entsprechen würde. | Die bisherigen Beobachtungen ergeben als fast feststehende Tatsache, dass die Sonne seit Jahrhunderten diese Wärmemengen in den Raum ausstrahlt, scheinbar ohne Abnahme ihres Vorrats. Schätzungsweise kann man andererseits angeben, um welchen Betrag die Temperatur der Sonne infolge des Energieverlustes abnehmen müsste. Nehmen wir beispielsweise an, die Sonne ver- halte sich wie eine Wasserkugel von gleicher Masse und Tem- peratur wie die Sonne, dann würde sich für die jährliche Tem- peraturabnahme etwa 2° bis 3° ergeben. Bei der Annahme, ihre spezifische Wärme wäre gleich derjenigen der meisten Stoffe, welche unsere Erde zusammensetzen, käme man gar auf eine Temperaturabnahme von 4° bis 8°. Die Sonne würde sich daher wenige Jahrtausende nach ihrem Entstehen vollständig abgekühlt haben, wenn nicht für die Wärmemenge, die sie durch Aus- strahlung verliert, anderweitig Ersatz geschaffen würde. Man kann sich diesen Ersatz auf zweierlei Weise geschehend vorstellen: Entweder der Sonne wird auf irgend eine Weise von aussen Energie zugeführt, so dass sowohl der Wärmeverlust aus- geglichen, wie auch eine Temperaturabnahme verhütet wird. Oder aber es erhält sich die Sonne infolge innerer Prozesse auf gleicher Temperatur, dann tritt aber auch eine allmählige Ab- nahme des Energievorrats ein, das heisst: der Ausgleichungs- vorgang ist ein zeitlich beschränkter, nach einer gewissen Zeit muss er unbedingt aufhören. Im ersten Falle könnte die jetzige Temperatur für unbegrenzte Zeiten dieselbe bleiben, im zweiten Falle müsste doch einmal ein Temperaturabfall eintreten, da der Vorrat an innerer Kraft ein begrenzter ist. Eine Zufuhr an Energie von aussen wäre nur in der Weise denkbar, dass die Sonne mit meteorischen Körpern zusammen- stösst. Fällt nämlich ein Körper aus grosser Höhe mit beträcht- licher Geschwindigkeit auf die Sonne, dann setzt sich der ganze Kraftvorrat des Körpers, der sich in seiner Masse und Geschwin- digkeit repräsentiert, in Wärme um. Ein ähnliches Beispiel bieten die Sternschnuppen und Meteore bei ihrem Durchgang durch unsere Atmosphäre. Wenn das Meteor mit meist sehr grosser Geschwindigkeit in die Atmosphäre eindringt, erfährt es infolge des Widerstandes der Luft eine Einbusse an Geschwin- digkeit. Was aber an äusserer Bewegung vernichtet wird, geht . Strahlung und Temperatur der Sonne. 143 in Wärme über. Der Körper wird erhitzt, er beginnt zu glühen ‚ und wird unserem Auge sichtbar. Die entwickelte Wärmemenge wird offenbar umso grösser sein, je mehr an Geschwindigkeit verloren geht. Nun ist aber die Geschwindigkeit, mit welcher ein aus’ dem Weltall kommender Körper auf die Sonne fällt, in- folge der viel grösseren Masse und Anziehungskraft der Sonne eine weitaus höhere als die irdischen Fallgeschwindigkeiten. Sie beträgt mehr als 560 km in der Sekunde. Die Wärmeent- wicklung muss demnach bei einer solchen Geschwindigkeit eine ungeheure sein, zumal in dem Falle, dass ein Meteor auf die Sonne stürzt, eine Umwandlung der ganzen Geschwindigkeit in Wärme eintritt. Nimmt man demnach, wie es Robert Mayer, der berühmte deutsche Arzt und Naturforscher, in seiner meteori- schen Theorie tut, an, dass von den zahllosen kosmischen Körpern und Körperchen, welche in das Bereich unseres Sonnen- systems kommen, Tausende fortwährend auf die Sonne stürzen, so ergäbe das einen Zuwachs an Wärmeenergie, welche die Er- haltung der Sonnentemperatur wohl erklären liesse. Man hat nun berechnet, dass, um diesem zu genügen, im Laufe eines Jahr- hunderts die Masse der auf die Sonne gestürzten Meteore min- destens der unserer Erde gleich kommen müsste. Diese Annahme ist jedoch unhaltbar. Von den vielen kosmischen Körpern, welche aus dem Weltraum in das Bereich unseres Sonnensystems gelangen, fällt nur ein sehr geringer Bruchteil auf die Sonne. Die Mehrzahl wird durch die Anziehungskraft unseres Zen- tralkörpers in geschlossene Bahnen gelenkt und umkreist als eingewanderte Bürger unseres Planetensystems die Sonne. Daraus folgt aber ohne weiteres, dass diese Hülle meteorischer Teilchen, welche sich um die Sonne gebildet hat, unvergleichlich dichter sein muss, als der Weltraum. Für die irdischen Sternschnuppen- fälle kommt wohl die Dichtigkeit dieser Meteorhülle in Betracht, nicht aber für die Sonne. Wären die Meteore wirklich so zahl- reich, wie es die Mayersche Hypothese verlangt, dann wäre in erster Linie die Erde mit einem Hagel überschüttet worden und sie hätte eine Zufuhr an Wärme erhalten, die schon längst alles Leben auf ihr vernichtet hätte. Die Hypothese ist demnach unhaltbar. Wenn auch die Sonne einen Teil ihrer Wärme in dieser Weise erhält, so ist doch ein vollständiger Ersatz ihres Wärme- verlustes in dieser Art ausgeschlossen. Man kommt somit zur Tatsache, dass die Sonne Energie in den unendlichen Raum ausstrahlt, ohne dass für diesen Ver- lust von aussen her ein nennbarer Ersatz geleistet wird. Man wird zu der anderen Erklärungsart hingeleitet: Der Temperatur- ausgleich sei eine Folge innerer Prozesse. Und hiefür hat der grosse deutsche Physiker v. Helmholtz eine Theorie aufgestellt, 144 Dr. A, Scheller: welche gleichzeitig auch darüber Aufschluss gibt, wie überhaupt die hohe Temperatur der Sonne zu erklären ist. Helmholtz geht von der Kant -Laplaceschen Weltbildungs - Hypothese aus, nach welcher die Sonne ursprünglich ein weit ausgedehnter, äusserst dünner Nebel von sehr niederer Temperatur gewesen sein muss. Aus diesem Urnebel ist sie durch allmählige fortschreitende Ver- dichtung entstanden. Diese Verdichtung ist aber nichts anderes als ein Fall der Nebelmaterie gegen den Mittelpunkt hin, und durch jeden solchen Fall wird, wie wir schon vorher bei der Meteoriten-Hypothese gesehen haben, Wärme frei. Diese Wärme- entwicklung ist unabhängig von der Zeit, während welcher die Verdichtung vor sich geht. Würde diese plötzlich erfolgt sein, so hätte die Sonne eine Temperatur von zirka 28'/, Millionen Grade. Dieselbe Temperatur würde ihr aber auch zuzuschreiben sein, wenn ihre Verdichtung nicht auf einmal, sondern allmählig er- folgt wäre, seit dem Momente des Beginnes der Verdichtung aber keine Ausstrahlung nach aussen stattgefunden hätte. Da nun aber diese Verdichtung, die Zusammenziehung der ursprüng- lichen Nebelmaterie sich allmählig innerhalb enormer Zeiträume vollzogen hat, während der Verdichtung selbst aber die entstan- dene Wärme teilweise wieder in den Raum ausgestrahlt wurde, ist die Temperatur niemals auf einen so hohen Betrag gelangt. Da die äusseren Teile der Sonne gegenwärtig noch gas- förmig sind, nimmt v. Helmholtz an, dass sich die Sonne auch jetzt noch zusammenzieht und zwar in dem Masse, dass die hiebei entwickelte Wärmemenge eine Temperaturabnahme ver- hindert. Es wirft sich nun von selbst die Frage auf, ob nicht diese fortschreitende Zusammenziehung, das Kleinerwerden der Sonne, durch Beobachtungen nachweisbar ist. Helmholtz berech- nete, dass ein Kleinerwerden des Sonnendurchmessers um ein Zehntausendtel, das sind im Bogenmass ungefährt 0.*2, der Ent- wicklung einer Wärmemenge entsprechen würde, welche die Sonnentemperatur um 2861° zu erhöhen imstande wäre. Nimmt man nun nach dem früher gesagten den jährlichen Temperaturverlust der Sonne mit 3° an, was einer spezifischen Wärme der Sonne entsprechen würde, die ungefähr der des Wassers gleich ist, dann würde diese Wärmemenge ausreichen, um den Wärmever- lust auf etwa 1300 Jahre aufzuheben. Die Messung des Sonnen- , durchmessers ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden und lässt sich wohl genauer als auf 1“ nicht ausführen. Demnach sind auch Veränderungen des Sonnendurchmessers, die Kleiner als 1“ sind, nicht zu konstatieren, eine solche Verminderung wäre aber erst nach 6500 Jahren zu erwarten. Mit anderen Worten: erst nach diesen 6000 Jahren wird man, und auch da noch vorausgesetzt, dass die Messungsmethoden bis dahin eine Strahlung und Temperatur der Sonne. _ 145 - vermehrte Genauigkeit erfahren werden, nachzuweisen imstande sein, ob die nach der Helmholtzschen Theorie erforderliche Ver- minderung des Sonnendurchmessers eingetreten ist oder nicht. Vorläufig liefern die Beobachtungen keinen Anhalt, in die Rich- tigkeit der Helmholtzschen Theorie Zweifel zu setzen. Die fortschreitende Zusammenziehung .der- die Sonne bil- dende Gasmasse muss aber eine zeitlich beschränkte sein. Es muss eine Zeit kommen, wo infolge zu weit vorgeschrittener Verdichtung an Stelle des gasförmigen Zustandes der flüssige oder feste tritt. Von da an hört jede weitere Zusammenziehung r auf und der Abkühlungsprozess beginnt. Man kann nicht sagen, ob ‘die Sonne‘ gegenwärtig in ihrem Innern noch gasförmig ist, und kann demnach keine Vermutungen aussprechen, wie lange die Wärme noch dauern wird. Es liesse sich bloss eine rohe Schätzung machen auf Grund des Betrages der Zusammen- ziehung, der nötig ist, um die Sonne auf der gegenwärtigen Temperatur zu erhalten. Eine dahinführende Rechnung zeigt, dass erst in etwa 5 Millionen Jahren sich das gegenwärtige Volumen der Sonne auf die Hälfte verringert haben wird. Dann wird aber vermutlich auch das Festwerden eintreten, die Ab- nahme an Wärme wird beginnen. Es wird, nach Dubois Rey- monds Ausspruch, die Zeit kommen, wo der letzte Eskimo trauernd am Aquator beim Scheine seiner Tranlampe friert, wo alles dem Ende entgegegen geht, weil die Quelle jeder Form-- und Bewegungsänderung der Materie versiegt. Die Astronomie bei den Arabern. Von Prof. Dr. M. Grünert. Nicht der Animismus d. h. der Geister- oder Ahnenkult ist die primitivste Form der Religion, wie die meisten Religions- forscher annehmen, sondern die Sternanbetung oder der Gestirn- dienst. Gerade bei den semitischen Völkern lässt sich der Beweis _ hiefür erbringen, wo, wie bei den Hebräern noch viele Spuren des alten Gestirndienstes neben dem voll entwickelten Mono- theismus nachweisbar sind; so bedeutet das hebräische Wort für „schwören“ (nischba‘) eigentlich „die 7 (Planeten) zu Zeugen anrufen“; der Ausdruck „Jahve Zebaoth“ heisst eigentlich „Herr der Sternenheere“, das Jubelwort „Hallelujah“* ist so viel wie „preiset den Herrn (Mond)“ und manch anderer Ausdruck. Gestirndienst ist also die älteste Form der Gottesverehrung 146 Prof. Dr. M. Grünert: deı Semiten. Speziell ist bei den Ostsemiten (den sesshaften Ba- byloniern) der Sonnenkult, bei den (wandernden) Westsemiten der Mondkult vorherrschend. Bei den Arabern ist der Mondkult schon zweitausend Jahre vor dem Propheten Mohammed die eigent- liche Religionsform, wie aus den Götterlisten der südarabischen Inschriften (Venus, Mond, Merkur [= Götterbote Chöl oder Phönix] und Sonne) hervorgeht; auch die altarabische Poesie weist eine Reihe Sternnamen auf, die auf einen uralten, aber sinnreichen Sternmythus zurückgehen. Der Isläm behielt viele Reste der alten Mondreligion bei (Mondmonate, Fastenbruch beim Erscheinen des Neumondes, Halbmond und Stern u. s. w.); im Koran kommt eine grosse Anzahl von astronomischen Stellen vor, die den Propheten als stern- und wetterkundigen Araber ersehen lassen; Mohammed kennt genau den Tierkreis, die Zeichen des Zodiakus, die er „Burgen* oder „Türme des Himmels“ nennt; er schwört beim Himmel und dem Nachtstern, bei den Planeten, den retrograden, den laufenden und okkultierenden; namentlich spielen die Mond- stationen ais „ewiger Kalender* der Araber eine grosse Rolle; freilich hatten die Beduinen von dem Vorrücken der Nachtglei- chen keine Vorstellung, weshalb sie mit diesem „Kalender“ nie ins Reine kamen und die Monate (ob Kälte-, Hitze- oder Früh- lingsmonate) in jede Jahreszeitfallen konnten. Wirkliche Leistungen auf dem Gebiete der Astronomie treten bei den Arabern erst im Zeitalter der Abbäsiden auf d.i. im 8. und 9. Jahrh. u. Z. Vor allen ist es der Nachfolger des Chalifen Harün ar-Raschid, der feinsinnige Ma’mün, welcher ge- lehrte Syrer aus Mesopotamien an den Hof von Bagdad zog, welche die syrischen Übersetzungen der griechischen Geisteswerke wiederum ins Arabische übertrugen; die naturwissenschaftlichen Werke der Griechen standen hier im Vordergrund (Aristoteles, Hippokrates, Galenos, Dioskorides, Euklid und Ptolemaus usw.). Auf diesen syrisch-arabischen Übersezungen fussend arbeiteten die Araber selbständig weiter und haben es in manchen Diszi- plinen zu wirklich selbständiger Weiterentwickelung griechischer Weisheit gebracht. Für die astronomischen Studien bildete das Ptolemäische System, wie es im Almagest niedergelegt ist, den Untergrund. Eine Reihe bedeutender Astronomen jener Zeit stellte an den reich ausgestatteten Sternwarten des Chalifenreiches (Bagdad, Damaskus, Kairo, Maräga usw.). Beobachtungen an und förderte die Astronomie weit über Ptolemäus hinaus, so Alfargäni (Al- fraganus), Albattäni (Albategnius), Abulwafä (der die Tangenten erfand), die Gelehrten-Familie Ibn Schäkir u. a. wre a rt Sa SUN REF EHEN FAR, a Z Tin e Die Astronomie bei den Arabern. 147 Auch nach dem Sturze des Chalifenreiches behaupteten sich die astronomischen Studien der Araber: der Bujidensultan Adud- addaulah, Hulagu und die Ilchanischen Tafeln, Ibn Jünis am Fatimidenhofe in Kairo, Arzachel (arab. Az-zarkal) in Spanien und B£erüni im fernen Indien sind eben so viele Stadien und Namen in der Astronomie, die überhaupt neben der Religionswissen- schaft für die „edelste“ aller arabischen Wissenschaften galt. Neben den astronomischen Studien ging die Verfertigung der erforderlichen Instrumente Hand in Hand: Himmelsgloben aus Kupfer und Silber (der Himmelsglobus im kgl. sächsischen mathemat. Salon in Dresden), Armillarsphären und Astrolabien, polierte Spiegel usw. wurden im ganzen Orient kunstvoll ange- fertigt. Im 13. Jahrh. erlosch der arabische Einfluss auf dem Ge- biete der Astronomie, doch blieb sie das Vorbild aller späteren astronomischen Studien. 2 Neben dieser wissenschaftlichen Astronomie gewann bei den Arabern aber auch die Astrologie eine ungeheure Ausdehnung; der Glaube, dass die Gestirne auf die Erde und auf die Geschicke des Menschen einwirken, hat zu dieser grossen Verirrung des menschlichen Geistes geführt, so dass selbst das Abendland lange in diesem Banne lag und noch in den Kalendern des vorigen Jahrhunderts die Planeten (glückliche und unglückliche Tage usw.) verzeichnet waren. Eine grosse Anzahl von Sternnamen und Kunstausdrücken in der heutigen astronomischen Wissenschaft zeugt noch von den gelehrten Studien der Araber des Mittelalters; freilich ist eine grosse Anzahl derselben lautlich verstümmelt auf uns gekommen, ein Gewirre, in dem sich natürlich nur der Arabist zurecht finden kann; so sollte beispielshalber statt Al Debaran (der den Plejaden folgende Stern = « im Stier) geschrieben und gespro- chen werden: Ad-dabarän, statt Algenib: Aldschamb, statt Alha- joth: Al-ajjük, statt Azimech: Assimäk, statt Etanin: Ettannin, statt Fomalhaut; Fom-al-chüt (= os piscis = « in. südl. Fisch); Nadir sollte geschrieben und gesprochen werden Natir (Nazir); Beteigeuze ist eine Verstümmelung für Jad-al-dschauzä (= manus Orionis = « im Orion) und viele andere Namen. 148 Adolf Pascher: Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis der Chryso- monadinen Böhmens. Aus dem botanischen Institute der k. k. deutschen Universität zu Prag. Von Adolf Pascher. Mit 2 Abbildungen im Texte. Mit dem Studium der Grünalgen einiger stehender Ge- wässer Böhmens beschäftigt, kamen mir bei den Untersuchungen des lebenden Materials auch zahlreiche Chrysomonaden unter. Was iclı davon sicher diagnostizieren konnte, möchte ich in diesem kurzen Beitrage zusammenstellen, wobei ich bemerken muss, dass die Resultate bestimmter morphologischer und entwicklungs- geschichtlicher. Untersuchungen in Arbeiten publiziert werden sollen, die sich speziell auf die Mikrofiora einiger stehender Ge- wässer Böhmens erstrecken. Chromulinaceae. Chromulina Cienk. Diese Gattung wurde von Lemmermann in zwei Untergat- tungen Euchromulina und Chromulinella geteilt, erstere mit zwei, letztere mit einem Chromatophor. Es fanden sich nun wiederholt Individuen unter sämtlichen gesehenen Arten der letzteren Sektion, resp. Untergattung, die, ohne im Teilungs- stadium zu sein, zwei Chromatophoren besassen. Von der ersten Untergattung fand ich bisjetzt nur Chromulina flavicans Bütschli in zwei Formen, deren eine sich ziemlich mit den von Bütschli, Mastigophora Tafel XL, gegebenen Zeichnungen deckte, deren andere jedoch kleiner war, höchstens 10:5 u mass, mehr gelbbraune, fast flache, relativ kleine Chromatophoren besass. Diese letztere Form näherte sich zwar in der Grösse und Chromatophorenfärbung (ob diese überhaupt ein verwendbares 'Charakteristikum ist) der Chromulina ochracea Bütschli, weicht aber von dieser durch die kürzere Geissel, die höchstens etwas länger als die Zelle war, ab. Ich bezeichnete diese Form als Chromulina flavicans var. minor und verweise des näheren darüber auf die beigegebene Textfigur (Fig. I, 4). Von den Arten der anderen Untergattung fanden sich relativ häufig Chromulina nebulosa Cienk, Ch. Rosanoffi Bütschli, im Langenbrucker Teich bei Krummau, in Lachen längs der Moldau und sind wohl allgemein verbreitet. Chromulina verrucosa Klebs wurde nur in einer kleineren Form (12—14:10 u), die vorne nicht abgestutzt, sondern abge- rundet waren, deren Vorsprünge aber nicht bloss warzenartig, Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis d. Chrysomonadinen Böhmens. 149 sondern mehr leistig verbreitet waren, vorgefunden. In den Listen nannte ich sie Chromulina verrucosa var. subreticulata. In einem Tümpel am Wege von Mugrau nach Oberplan (Karls- höfe am Rossberg). Hydrurus foetidus Kirchner im südlichen Böhmerwalde selten und nie massenhaft auftretend. Crysococeus rufescens Klebs in einer Lache am Südhange des Spitzberges bei Oberplan. Mit rostroten Schalen und in den Massen über die Klebsschen Angaben (8S—10 u) hinausgehend und bis 15 w messend. Chrysopyxis Stein. Chr. bipes Stein vereinzelt an Spirogyren aus dem Langen- brucker Teich bei Oberplan. Der Ring war nicht selten unvoll- ständig ausgebildet, die Zelle sass aber dann nicht an einem Ende des Fadens, sondern mehr gegen die Mitte zu, so dass vielleicht doch noch eine andere Bildungsweise des Ringes als die angegebene vorhanden ist. Nach der geläufigen Anschauung entstünde der Ring dadurch, dass die junge amoebride Zelle am ansitzenden Ende einen an die das Substrat bildende Alge ankle- benden Faden bildet, dann die zylindrische Alge umkreist, so die Alge mit dem Faden umschlingt, worauf sie zum Ausgangspunkt ihrer Bewegung zurückkehrt, den Fadenring schliesst und damit gewissermassen an die Alge angehängt erscheint. Nach diesem Entstehungsmodus müsste daher die Zelle, im Falle der Ring nicht geschlossen würde, an einem Ende des Fadens sich befinden, was in den oben erwähnten Fällen nicht zutraf. Die eigentümliche pinselförmige Zerfaserung der Wimper- enden liess sich einigemale deutlich sehen. Die Geissel von Chrysopyxis scheint aus mehreren ineinander gedrehten Elemen- ten zu bestehen, die sich unter gewissen Umständen lockern, gegen die Basis zu noch fester zusammenhalten, gegen die Spitze zu aber völlig auseinander weichen, sich voneinander abheben und jene pinselförmige Zerfaserung hervorrufen. Die Masse der beobachteten Formen stimmte gut mit den Angaben überein. Die Varietät minor Lemm. fand sich nicht. Dagegen kam eine auffallende Form unter, auf die ich ur- sprünglich nicht achtete, von der ich aber charakteristische Zeichnungen besitze, von der ich derzeit noch nicht weiss, ob ‚ sie neu ist. Ihr Protoplast war kugelig, mit einem muldenförmigen, grundständigen, braunen Chromatophor und einer pulsierenden Vakuole. Die Geissel war ungefähr zweimal so lang, als das Protoplast. Das von der Breitseite aus gesehene Gehäuse war becherförmig, oben trichterig, verbreitert. Diese eigentüm- 150 Adolf Pascher: - N i zZ liche Form weicht von Chrysopyxis insbesondere durch. den > trichterigen Mundbesatz, sowie auch durch den muldenförmigen, grundständigen, nicht wandständigen Chromatophor ab. Mallomonas Perty. M. litomesa Stokes in einer Form, die bedeutend länger war als die typische, von Stokes angegebene. Ihr Umriss war mehr zylindrisch, die Enden wenig verschmälert und kurz abge- rundet; Schuppen zart, die vorderen Nadeln nach vorwärts ge- richtet, nie wagrecht abstehend, sonst wie typische Form; ich 1. Mallomonas litomesa Stokes nov. var. cylindrica an nov. species (Mallomonas eylin- drica)? 2. Mallomonas acaroides Perty nov. var. grandis. 3. Synura reticulata Lemm. noy. var. verrucosa (Einzelzelle). 4. Chromulina flavicans Bütschli nov, var, minor. bezeichnete sie in den Listen als Mallomonas cylindriea, möchte sie aber vorderhand doch lieber als varietas cylindrica zur Mallo- monas litomesa stellen. —. In den Mörderteichen bei Krummau a. d. Moldau. M. caudata Iwanoff in völlig mit der Iwanoffschen Beschrei- bung übereinstimmenden Formen. Darunter fanden sich aller- dings vereinzelt Individuen, die um viel, fast um die Hälfte — ein Individium hatte nur ein Viertel der normalen Grösse — kleiner waren. Ob es sich hiebei um Stadien handelt, die, durch Sprossung entstanden, sich frühzeitig abgelöst haben, vermag fe a NE 1 F Dry.) A N) - ! Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis d. Chrysomonadinen Böhmens. 151 ‘ jeh nicht zu sagen, wenigstens kamen mir nie Stadien unter, die als erste Sprossungsstadien zu deuten gewesen wären. — Langenbrucker Teich bei Krummau, in Altwässern längs der Olsch und Moldau. M. elegans Lemmermann in typischer Ausbildung aus dem Langenbrucker Teich. M. acaroides Perty in der Morphologie völlig im Einklang mit den Angaben Pertys, Klebs und Lemmermanns, jedoch be- deutend grösser bis 40—45 u in die Länge und 20 u in die Breite messend. Ich möchte sie als var. grandis dem typischen M.acarioides Perty beiordnen. — Aus dem Langenbrucker Teich. Die var. lacustris Lemmermann fand sich hier nicht. M. longiseta Lemmermann sonst mit der von Lemmermann in p. 419, Kryptogamenflora der Mark Brandenburg gege- benen Abbildung übereinstimmend, aber durch die runden und nicht ovalen Schuppen von ihr abweichend. Ob nicht doch Mallomonas dubia Lemmermann und Mallomonas lon- giseta weiter voneinander liegende Glieder einer und derselben Variationsreihe darstellen ? Auch hier fanden sich vereinzelte, bedeutend kleinere Individuen, wiederum aber keine hypothetisch geforderten ersten Sprossungsstadien. — In Altwässern längs der Moldau bei Krummau a. d. Moldau. Chrysosphaerella Lauterborn. Chr. longispina Lauterborn sehr vereinzelt in den Mörder- teichen bei Krummau, auch in Kolonien, die wenig kugelig, mehr ellipsoidisch waren. Hymenomonadaceae. Hymenomonas Stein. H. roseola Stein ein einzigmal in der Form glabra Klebs aus Altwässern längs der Olsch. Stylochrysalis Stein. Stylochrysalis parasitica Stein, an Volvocaceen, auch an Merismopedia-Täfelchen aus dem Langenbrucker Teich. Derepyxis Stokes. D. Stokesii Lem. in einer abweichenden, mehr kugeligen Form, mit schwach verschmälertem Gehäuse, das kaum gestielt aufsitzt, doch mit einem deutlichen Haisaufsatz versehen ist. — Bassin des botanischen Gartens der deutschen Universität. D. ollula Stokes in typischer Ausbildung. — Langenbrucker Teich bei Oberplan. D. urceolata nicht in typischer Ausbildung; sondern der kurze Halsfortsatz war breit, becherförmig erweitert; das Ge- häuse aber sonst in Grösse und Form mit den von Stokes “ De ? 152 Adolf Pascher: gegebenen Abbildungen übereinstimmend. In den Listen führte ich sie als eigene Derepyxis, glaube aber doch besser zu tun, sie als varietas zur Derepyxis urceolata zu stellen. Synura Ehrbe. S. uvella Ehrbg. verbreitet. Ferner fanden sich ein einzigmal einige wenige Kolonien, die der Lemmermanschen Art Synura reticulata angehört haben dürften. Die Kolonien waren kugelig; die Membranborsten fehlten, es waren nur kleine Knöpfchen vorhanden, die durch ganz feine, zarte Leisten miteinander in Verbindung standen, während bei der Lemmermannschen Art aus den Verbindungs- stellen der Leisten kurze Borsten entsprangen. Ich stellte sie, solange ich die Beschreibung der S. reticulata Lem. nicht kannte, für eine Varietät der S. uvella, glaube aber besser zu tun, sie als var. verrucosa zur S. reticulata Lem. zu stellen. — In Alt- wässern längs der Olsch bei Mugrau. Synerypta Ehrbg. S, volvox Ehbg. verbreitet. Ochromonadaceae. ÖOchromonas Wyssotzki. OÖ. crenata Klebs ausser in normaler Grösse auch in Formen, die bis 25—30 u massen verbreitet; aber wenig häufig. OÖ. variabilis H. Meyer in der normalen Ausbildung relativ verbreitet. Während die typische Form zwei grosse, braune Chroma- tophoren besitzt, wiesen die Formen des Standortes, Altwässer der Moldau bei Oberplan, Mayerbach - Fleissheim trotz sonstiger morphologisch übereinstimmender Ausbildung nur ein Chroma- tophor auf. OÖ. mutabilis Klebs verbreitet. Uroglenopsis Lem. U. americana Lem. ein einzigmal in wenigen Kolonien in Lachen längs der Angel bei Neuern im Böhmerwalde. Uroglena volvox Ehrenberg verbreitet. Dinobryon Ehrenberg. Auf die Morphologie der in Böhmen beobachteten Dino- bryonarten komme ich noch später in ausführlichen Arbeiten über das Plankton einiger stehender Gewässer Böhmens zu sprechen. Ich möchte hier nur ein Verzeichnis der sicher erkannten Formen geben, und zwar in der Reihenfolge, die Lemmermann in seiner letzten (Kryptogamenflora der Mark Brandenburg, Algen, p. 452) Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis d. Chrysomonadinen Böhmens. 153 zusammenfassenden Darstellung dieser Gattung gegeben, ohne jedoch mit ihm in allem einverstanden zu sein. D. utrieulus Klebs sowohl in der typischen Form als auch in einem Gehäuse, das an der Mündung kurz und scharf erweitert war, welche Formen aber gerade im Gegensatz stehen zur var. pusillum Lemm. und var. tabellariae Lemm., deren inobryon. 1. D. bayaricum f'orma. 2.D. cylindricum var. Schauinslandii ? 3. D. utrieulus ormen mit erweiterter Mündung des Gehäuses. 4. D, eurystoma Formen mit weiter Mündung. 5. D. Marssoni forma. \ Gehäusemündung verengt ist. — In Altwässern längs der Moldau bei Mayerbach-Fleissheim (siehe Fig. II, 3). D. Stokesii Lemm. in vollkommen mit der Beschreibung und Abbildung übereinstimmenden Formen vom selben Standort wie die vorige Art. D. eurystoma Lemm. (?) in Formen, die im Längsschnitte völlig mit den Stokesschen Zeichnungen übereinstimmten, jedoch 7 ee Sage} En A m “ SU 1 x 154 K. Zimmert: mehr ausgeweitete Mündungen besassen, ähnlich den oben er- wähnten Formen von D. utriculus (Fig. II, 4). D. spirale Iwanoff ein einzigmal aus dem Plankton des Langenbrucker Teiches bei Oberplan. D. Marssoni Lemm. (?) der zylindrische Teil des Gehäuses vom basalen kegelförmigen nicht scharf abgesetzt, die Spiralbän- der des Gehäuses nur undeutlich, ausserdem relativ breiter als bei den Originalformen. — Aus dem Plankton der Olsch bei Mugrau im Böhmerwalde (Fig. II, 5). D. sertularia Ehrenberg verbreitet. Auf die Formen und ihre mutmasslichen Beziehungen zu äusseren Faktoren, sowie Beiträge zur Morphologie und Keimungsgeschiehte in einer anderen Arbeit. D. protuberans Lemm. ein einzigmal aus einem grossen Altwasser der Olsch. D. sociale Ehrenberg auch in der Form stipitatum Lemm. verbreitet. D. bavaricum Imhof, auch in Formen, deren oberer Gehäuse- teil nicht oder nur sehr schwach wellig gebogen war. (Fig. II, 1.) D. eylindricum Imhof in der Varietät palustre Lem. aus dem Plankton des Langenbrucker Teiches. Die Varietät pedi- forme aus den Mörderteichen bei Krummau. Die Varietät divergens verbreitet. Auch fand sich eine Form, von der ich nicht weiss, ob sie der var. Schauinslandii Lemm. entspricht. Ich gebe von ihr eine Abbildung aus dem Langenbrucker Teiche. (Eig.1T,:2,) Hyalohryon Lauterborn. H. Lauterbornii Lemm. aus Altwässern längs der Olsch bei Mugrau. H. ramorum Lauterborn verbreitet. — Auch aus dem Plankton des Langenbrucker Teiches bei Oberplan. Über einen Aufschluss des Prager Bodens. II. Von K. Zimmert. Mit 1 Textfigur. An der Südseite des hochgelegenen Riegerparks in Kgl. Weinberge, 300 Schritte östlich von den dunkeln, tonigen Schie- fern des Kaiser Franz Josefs-Bahnhofes, wurde im Frübjahr 1909 eine Baustelle der Smetankagasse (künftie Nr. 20) in An- griff genommen.') !) Man vgl. im folgenden den im 1. Hefte, Bd. 57, des „Lotos“ er- schienenen. ähnlichen Aufsatz I. (S. 1—10), die dort zitierte Literatur (S, 10) und das geologische Kärtchen Pottas. Über einen Aufschluss des Prager Bodens. 155 Diese Baustelle ist nebst einer anderen (Nr. 22) weithin von Neubauten in geschlossenem Komplex umgeben und wird jetzt erst verbaut werden. Sie zeigt fast quadratischen Grund- riss von etwa 15 m Seitenlänge. Die Textfigur zeigt das Profil der Nord (Gassen)seite; es ist 2’), m hoch; ihm gegenüber war an der Südseite ein ähnliches Profil, 4 m hoch, sichtbar. Beide Profile lassen im westlichen Teile dunkle Schiefer, im östlichen helle Quarzitbänke erkennen. Die Quarzite sind ähnlich be- schaffen, wie sie Po@ta auch in der Nerudagasse, der östlichen Fortsetzung der Smetankagasse gesehen (Der Boden etc. $. 19). Die dunkeln Schiefer aber zeigen die Beschaffenheit der Schiefer d; » und sind es auch ohne Zweifel, wenn es mir auch nicht gelingen konnte, an dieser Örtlichkeit Petrefakten, bzw. Kon- kretionen, zu finden: denn die nahen Schiefer des Franz Josefs- Bahnhofes wurden von Podta (S. 9) als d, 7 Stufe bestimmt. Auch sagt Potlta (S. 25), er habe am westlichen Ende der Ne- IVHODN \ me al > 17 80° a7 NV dar da . . da oO Vermernungs- W° ruda- (soll wohl heissen Smetanka)gasse gleichfalls d, Schiefer gesehen. Die von mir gesehenen sind brüchig, wenig glimmer- hältig, eisenschüssig, in der Nähe der Quarzite rötlich, dann bräunlichgelb. Hie und da sind eckige Quarzittrümmer einge- bettet; sie stammen wohl aus dem die Schiefer überlagernden Schuttlager, das im oberen Teile des südlichen Profils noch sichtbar war. Dieses Lager verdankt seine Entstehung der nahen Anhöhe des Riegerparks. An der südwestlichen Ecke sind die dunkeln Schiefer abgetragen und rostgelber, vermutlich diluvialer Sand abgelagert. ”) Während nun im südlichen, hier nicht verzeichneten Profil die Quarzite mit 70° nach O,,S einfallen und nach N,,O strei- 2) Im Winter 1908/9 war auf der Stelle eines demolierten Hauses der Zborenecgasse (nahe der Myslikgasse, nördlich vom Terrain der Skt. Wenzelskirche) ein solches Sandlager 3 m hoch aufgeschlossen ; Schotter wechsellagerte mit dem Sande; jetzt ist das Lager mit einer Anlage bedeckt. 156 K. Zimmert: ; EEE chen, streicht die Verbindungslinie zwischen dem hierortigen Kontakt der Schiefer und Quarzite und jenem im Nordprofile ungefähr nach N,,0. Auch am östlichen Ende des Nordprofils streichen die Quarzite unter südöstlichem Einfallen nach N,,O; aber nach W, gegen die Kontaktstelle zu, geht ihr Streichen immer mehr in ein nördliches über, zuletzt nach N,,O, ihr Ein- fallswinkel steigert sich bis zu 80°; und genau so wie hier die Quarzite unmittelbar am Kontakt streichen ünd fallen die Schiefer westlich von Kontakt. Während Schiefer und Quar- zite am Kontakt des südlichen Profils keine besondere Störung zeigen, sind sie im nördlichen Profil (siehe die Figur!) in einer 3", m breiten Zone beiderseits vom Kontakt verdrückt, ihr Streichen ist undeutlich, verwischt; die Quarzitbänke sind zer- brochen; quaderartig und in Staffeln, bis zu 2 dm hoch und breit, setzen sie am Kontakt mit den dunklen Schiefern nach O ab; das Material des weichen tonigen Schiefers ist um die Ecken und in die Winkel dieser Staffeln gepresst und geknetet. Etwa 5 m von der Kontaktzone entfernt laufen mehrere mit Eisenoxyd verkittete Risse durch die Masse der weichen Schiefer, unter Winkeln von 20 bis 40° teils östlich teils westlich ein- fallend; es sind Zeichen eines mit der Kontaktzone parallel durch die Schiefer d, 7 verlaufenden Seitendrucks. Die Quarzite sind in der Nähe des Kontakts oben etwas nach W. gewölbt, im OÖ hingegen nicht; dafür sind sie aber hier, wo ihre Virga- tion zwischen NO und N stattfindet, kulissenartig in einander geschoben und keilen teilweise aus. Einbrüche, wie ich sie bei der Verwerfung in der Nähe der St. Wenzelskirche (s. Aufsatz I.) beobachten konnte, scheinen hier nicht vorzukommen. Alles deutet vielmehr auf eine Bewegung der Quarzite längs den Schiefern, also auf eine Blattverschiebung hin. Doch scheint auch eine Verwerfung stattgefunden zu haben, wodurch die Quarzitbänke als der Hangendflügel an die Schiefer angelehnt wurden. Dies scheint mir auch daraus hervorzugehen, dass hier die von Katzer (S. 859 und 871) festgestellten UÜbergangszonen der d, in die d, Stufe fehlen: breitere tonige Zwischenlagen in d,, quarzitische in d,. Es ist auch bemerkenswert, dass hier die Schiefer mit 80° nach O einfallen, während sie am Franz Josefs-Bahnhofe, in der Nähe des Tunnels, wie ich mit dem Kompass feststellen konnte, nach N,,O oder N,,O streichen und nur mit 30 bis 40° nach SO einfallen. Vgl. hiezu Potta S. 9, bzw. Sitzungsbericht d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss., 1892, S. 476 bis 480, nebst der dortigen Skizze (böhmisch). Weiter nördlich zeigen sie sogar Neigung zu nordwestlichem Einfallen. Wie weit jene kombinierte Verwerfung und Blattverschiebung verläuft, lässt sich natürlich nur vermuten. Es muss aber gewiss über- a IR Y Ba Über einen Aufschluss des Prager Bodens, | 157 raschen, dass der Abfall des Riegerparks und Paradiesgartens zum Franz Josefs-Bahnhofe, d. i. zur Prager Niederung, in seiner Richtung (N,,O bis N,,0) vollkommen mit der in der Smetanka- gasse beobachteten Dislokationslinie übereinstimmt und dass an dieser Linie eben jener Abfall beginnt. An dieser Linie schneidet auch weiter im Norden der Rücken des Ziäkaberges gegen Westen ab. Bei der St. Wenzelskirche konnte ich eine Bruchlinie ‚ feststellen, die im Zickzack verläuft. Dass mehrere Bruchlinien den Prager Boden durchsetzen, hat man bisber nur in grossen Zügen aus der Verbreitung der untersilurischen Schichten ge- schlossen. Man kann sie aber auch an bestimmten Punkten nachweisen und beschreiben. Und wenn künftig bei allen Bauten auf dem Boden Prags eine geologische Aufnahme stattfinden sollte, so dürfte sich wohl noch ein ganzes Netz solcher Dislo- kationslinien feststellen lassen. Nachtrag zu Aufsatz 1. Im Mai 1909 wurde der Boden der Dittrichgasse neuerdings 1'/.m tief geöffnet und auch mit Arbeiten an der Kirche be- gonnen, so dass ich auch an dem dortigen Terrassenprofile Mes- sungen vornehmen konnte. Es ergaben sich folgende Ergänzungen zu Text und Fig. 1—3. Terrassenprofil, Resselgasse: Am Ostende Streichen nach N,,O, Fallen mit 60°—80° nach W,,N; an der Strassenecke Streichen nach N, Fallen mit 30° nach W. Dittrichgasse von N nach S: Streichen N,,O, Fallen mit 40°, dann :20° nach O,,S; dann Streichen nach N,,O mit 30°—40° - gegen W,,N, also Neigung zu Sattelbildung; dunkle Schiefer am Ecke der Terrasse: N,,O, Fallen mit 85°—70° nach O0,,S. Neues Strassenprofl vom Brunnen südwärts: 8 m weit von der Kon- taktstelle mit den Quarziten, zuerst dunkelblaue Schiefer; dann 20 m weit gelblichbraune Schiefer. Streichen N,,O, Fallen 90°, dann bis 80°, nach O,,S. Konkretionen, Griffelschiefer. Die Struktur ist beeinflusst vom Streichen und Fallen und ausserdem von Kluftflächen. welche das Streichen unter 90°—30° schneiden. (Beobachtete Winkel: 90°, 80°, 60°, 30%). “Die normal zum Streichen verlaufenden und 40°-60° gegen N,,O fallenden Kluftflächen herrschen vor. Sie stimmen also mit der in Auf- satz I beschriebenen Bruchlinie überein. Denn auch diese streicht ungefähr nach O,,S. Berichtigen brauche ich also bloss die ' Fallrichtung der Schiefer, die in dem Profil v. J. 1908 aller- dings kaum erkennbar war: Sie fallen nicht nordwestlich, sondern ost-südöstlich, sowie Po&@ta („Der Boden.... S. 7 f.) für die Jensteiner- und Podskalgasse angibt. Ich muss jedoch nochmals betonen, dass die Quarzite über wie unter dem Strassenniveau f 7 2 Bi A BaUFA).;. N a PR 7 u ? 3 N ET SER A 28 e > 2 ” 158 | Sitzungsberichte. nicht auch nach SO, sondern nach WNW fallen, dass sie den sesunkenen und somit den hangenden Flügel des Bruches dar- stellen. Der von SO wirkende Druck dürfte zunächst einen Zusammenschub der Schichten, vielleicht sogar einen Sattel, dann aber infolge der Spannung den nahezu normal zum Strei- chen verlaufenden Querbruch bewirkt haben. Auch zur Beschreibung der Verkeilung in der Kotlärzka (Fig. 5 u. S. 9 £., Aufsatz I) kann ich genauere und vollstän- digere Messungen angeben. Die Quartzitbänke im Westen (hinter einem an der Strasse gelegenen Meierhof) streichen N,,O und fallen mit 75° nach O,,S (also hora 9, nicht h 10 oder 11); die am Bergrücken westlich von der Aufbiegung N,;O und fallen mit 75° nach O,;S. Die Quarzitbänke der Keilscholle streichen N,,0 und fallen mit 40°—50° nach W,,N; die östlichen Quar- zite streichen in der Nähe des Keils nach N,,O und fallen nach O,,S, weiter östlich nach N-,O, bzw. O,,S; Fallwinkel nur 60°, oben etwa 45°; sie fallen also h 11 bis 11°/,, nicht h 13. Die Quarzite ändern also in einem nach SSO geöffneten Kreisbogen von 30°—40° ihr Streichen von einem nordöstlichen bis zu einem fast östlichen. Dieser Bogen wird von der Innen- seite her von dem Keile unter einem Winkel von 50°—60° ge- schnitten. Fig. 5 zeigt also im ganzen die richtigen Verhältnisse; nur die Angaben über das Fallen sind nach den obigen Daten etwas zu ändern. x Sitzungsberichte. Geographische Sektion. Sitzung am 14. Mai 1909 im Institute für kosmische Physik. Die geographische Sektion entsendet als ihren Vertreter in den Ausschuss des „Lotos“ ihren Schriftführer Prof. Leopold Eylardi. Prof. Dr. R. Spitaler erörtert zuerst die Theorie der Seismographen und demonstriert hierauf das Modell des im In- stitute zu Unterrichtszwecken angebrachten Vincentschen Seis- mographen. Besonders wird die Art der Übertragung der Erd- bebenschwingungen durch die Nadel auf den berussten Auf- nahmestreifen und endlich zwei mit dem genannten Apparate in Italien gewonnene Seismogramme, von denen das eine von einem Erdbeben in der Türkei, das andere von einem Kalabri- schen Erdbeben herührt, gezeigt. Anschliessend Diskussion. Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘‘, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. —mnnnr nn Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. (Priv.-Doz. Dr.L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) 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BAND 57 JUNI 1909 Nr. 6 U LOTOS U NATURWISSENSCHAFTLICHE ZEITSCHRIFT, HERAUSGE- GEBEN VOM DEUTSCHEN | NATURWISSENSCHAFTLICH- MEDIZINISCHEN VEREIN FÜR BÖHMEN „LOTOS“ IN PRAG LAUBE GUSTAV C.,, Prof., Dr, EIN NEUER VOGEL- REST AUS DEN TONEN VON PRESCHEN BEI BILIN. & BECK VON MANNAGETTA UND LERCHENAU, RITTER G., Prof., Dr, ÜBER PFLANZENARTEN UND DEREN UMWANDLUNG IN NEUE. 8 LANGHANS, V. H, PLANKTONPROBLEME. #8 SITZUNGSBERICHTE. #& BÜCHERBESPRECHUNGEN. & TAUSCHVERKEHR DES „LOTOS“. ARaARZALARAARLZARALKRARLRR NAAR Bee ER TE PRAG, 1909 LEI J. G. CALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG Preis der einzelnen Nummer K 1’—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8°— Filiale der Optiscten Werkstätten Cl. REICHERT, M. Wondnusch PRAG, Il. Gerstengasse 4. Großes Lager von Mikroskopen und Mikrofomen. Am Lager sämtliche Be- darfsartikel für Mikro- skopie, Laboratoriumsge- genstände und Farben von Dr. Grübler. 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Trotz ihrer Unvollständigkeit sind sie doch so erhalten, dass sie gestatten, einen Vergleich mit analogen Skeletteilen lebender Vögel anzustellen. Ich bin Herrn Prof. Dr. von Lendenfeld zu lebhaftem Danke verpflichtet, dass er mir zu diesem Zwecke eine Reihe von Skeletten aus der Samm- lung des zoologischen Institutes unserer Universität zur Verfügung gestellt hat, wodurch es mir in der Tat möglich wurde, ihre Zugehörigkeit zu einem noch lebenden Genus festzustellen. Die vorliegenden fossilen Knochenstücke gehören dem Unter- arm und Metacarpus an. Von ersterem sind nur distale Teile vorhanden, letzterer dagegen ist ziemlich vollständig erhalten. Sie sind flach gedrückt und ihre sonst glatte Oberfläche lässt namentlich auf dem stärkeren Knochen Längssprünge sehen. Dieser gehört der Ulna an. Am (distalen) Ende ist der Gelenk- kopf gut erhalten, so dass man daran die einzelnen Vorsprünge wohl unterscheiden kann. Das dem Radius zuzuweisende Bruch- stück ist mangelhafter, doch erkennt man daran auch die Aus- höhlung des distalen Endes zum Anschluss an den Gelenkskopf der Ulna. Mit letzterer bildet der schlanke, vorn ein wenig gekrümmte Knochen einen Winkel von zirka 45°. Über beide liegt quer der Metacarpus. Teile des Carpus sind daran nicht — vorhanden. Das äussere Metacarpale ist weniger vollständig als > das innere, doch sind beide Enden der Spange, namentlich das 1 Se) Ba » m 13 160 i Prof. Dr. Gustav GC. Laube: distale, gut erhalten. Man sieht auch hier, dass der, Knochen auf Ulna und Radius aufgepresst worden ist. Schon der Umstand, dass die Preschener Tone ihrer Bildungs- weise entsprechend nur eine im oder am Süsswasserbecken lebende Fauna geliefert haben, liess vermuten, dass die vorliegenden Reste eines Flügels von einem Wasservogel herrühren dürften. Die eingehende Vergleichung derselben mit den entsprechenden Skeletteilen rezenter Vögel ergab denn auch bald, dass von allen den in Betracht gezogenen die Flügelknochen vom Schwan die deutlichste Übereinstimmung zeigen. Von Cygnus olor Nl. hatte ich zwei Skelette vor Augen, ein etwas kräftigeres, wohl von einem älteren; und ein etwas schwächeres von einem jüngeren Tiere herstammend. Knochen für Knochen vergleichend trat bei allen wesentlichen Teilen Übereinstimmung zutage. Allerdings muss bemerkt werden, dass es sich hiebei, da die fossilen Knochenreste plattgedrückt sind, eigentlich um die erkennbaren Umrisse handelte. Dies in Betracht gezogen, zeigt der Gelenks- kopf und die Form des erhaltenen Teiles der Ulna, desgleichen der Radius, soweit er vergleichbar ist, unzweifelhaft dieselbe Gestalt wie bei Cygnus olor Ill. Noch mehr tritt dieses am Metacarpus hervor, dessen distaler Gelenkskopf bis ins Kleine mit dem entsprechenden von C. olor gleich gestaltet ist. So wie die Gestalt der Knochenstücke von Preschen stimmen auch deren Masse mit den verglichenen von Cygnus olor relativ gut überein, wie sich aus Nachstehendem ergibt, wobei die an letzteren ge- fundenen in die Klammer gesetzt sind, u. zw. ist das stärkere Exemplar mit I, das schwächere mit II bezeichnet. 1. Ulna. Länge des Bruchstückes: 0'144 (ganze Länge bei Cygnus Olor Ill. I 0'275, II 0'245). Breite des Gelenkkopfes: 0022 (I 0'016, II 0'016). Breite 0:05 unter dem Gelenkkopfe: 0'014 (I 0'010, II 0010). Breite am Bruchende: 0'011 (I 0'011, II 0'011). 2. Radius. Länge des Bruchstückes: 0'103 (ganze Länge I. 0.275, II 0'257). Breite des Gelenkkopfes: 0°010 (I 0'0r3, II 0'013 approxi mativ). Breite 0°05 unter dem Gelenkkopfe: 0'007 (I 0'007, II 0:007). Breite am Bruche: 0:007 (I 0'007, II 0'007). 3. Metacarpus. Länge: 0'117 (I 0'130, II 0:117). u ats " er. at x RN ER, RER EN IST v Ks Ein neuer Vogelrest. 161 Breite des proximalen Gelenkkopfes: 0:020 (I 0'027, II 0'022). Breite des distalen Gelenkkopfes: 0'016 (I 0'017, II 0'017). Breite des inneren Metacarpales in der Mitte: 0'008 (I 0:008, II 0:007). Breite des äusseren Metacarpales in der Mitte: 0'003 (I 0'003, II 0:003). ; Die grosse relative Übereinstimmung der gefundenen Masszahlen — nur die Ulna weicht, weil sie flach gedrückt ist, ein wenig ab — an den Gelenkköpfen usw. lässt annehmen, dass die Länge der Ulna und des Radius beiderseits überein- stimmen wird, so dass das erhaltene Bruchstück von ersterer . 0:55, d. i. etwa die Hälfte, jenes des letzteren 037, d. i. ein Drittel der ganzen Ulna, bzw. des Radius des fossilen Vogels darstellen. Das Vorstehende dürfte hinreichen, meine Ansicht zu be- kräftigen, dass die Preschener Knochenbruchstücke zum Flügel eines Cygnus gehören, der die Grösse unseres Höckerschwanes besass. Reste dieser Gattung sind bisher nur wenig bekannt ge- worden. Zittel erwähnt in seinem Handbuch der Paläontologie III, S. 838, das Coracoid einer Anas cyginiformis Fraas aus dem miocänen Süsswasserkalk von Steinheim, welches an Cygnus erinnert. Weiter einen Cygnus paloregonus Cope aus dem Pliocän von Oregon. Sonst sind nur noch Reste davon im Diluvium und in Knochenhöhlen bekannt geworden. Schon um der Seltenheit des Vorkommens fossiler Cygnusreste willen erscheint es geboten, den Preschener Fund anzumerken. Zu den aus tertiären Ablagerungen Böhmens bekannt ge- wordenen Vögeln*) gehören zwei Schwimmvögeln Anas (?) basaltica Bayer und Anas (?) Skalicensis Bayer, erstere aus dem bitu- minösen Diatomaceenschiefer von Warnsdorf, letztere aus dem Diatomaceenschiefer von Skalitz bei Leitmeritz. Beide stammen von Tieren her, die weit kleiner waren, als der Vogel, von dem der Preschener Flügelrest stammt, der demnach nicht darauf zu beziehen ist. Ich schlage vor, ihn mit dem Namen Cygnus bilinicus zu belegen. *) Laube: Synopsis der Wirbeltierfauna der böhm, Braunkohlen- formation, S. 65. 13* 162 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Maenagetta und Lerchenau: Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue. Nach einem am 14. Mai 1909 im „Lotos“ gehaltenen Vortrage. 8 Von Prof, Dr. @. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau. Wenn man zu Linnes Zeiten einen Naturforscher gefragt hätte, wie er sich denn die zahlreichen Pflanzenformen, welche sich auf der Erde vorfinden, entstanden denke, hätte er wahrschein- lich prompt geantwortet, wie man denn eine solche ganz undis- kutierbare Frage stellen könne, denn es stehe doch fest „tot species quot deus creavit*. Und hätte man etwas skeptisch darauf hingewiesen, dass die zahlreichen gut unterscheidbaren Gartenpflanzen doch erst durch die menschliche Tätigkeit ge- schaffen worden seien und dass man schon lange das Kreuzen der Blumen übe und Hpybride erzeugen könne, so wäre die Antwort wohl ebenfalls sehr kurz ausgefallen, nämlich: es werden hiedurch ja keine neue Arten erzeugt, denn eine Art erzeugt doch nur wieder dieselbe Art und wenn es Kreuzungen gäbe, so seien dieselben nicht fortpflanzungsfähig, weil sie eben nieht von Gott geschaffen worden seien und daher dem Untergange im voraus geweiht wären. Es stand eben zu damaliger Zeit fest: Ein übernatürliches Wesen hätte nur die Gattungen geschaffen; die Arten und die kleineren Sippen seien aber durch die Wirkung äusserer Bedin- gungen innerhalb der Gattung entstanden und gleiches sei auch von Hybriden zu halten. Unter dem Gewichte der Autorität Linnes liess man die von Gott erschaffenen Spezies als die systematische Einheit des Pflanzenreiches gelten. Es steht dies in gewisser Beziehung auch noch heute in Übung, da die Systematik und insbesondere die Floristik, welche ja die im wilden Zustande vorkommenden, sowie die durch Kultur erzeugten Pflanzen aus bekannten Grün- den klassifizieren muss, unbedingt einer Ordnungs-Einheit bedürfen. Das wird auch ohne weiteres zugestanden werden müssen. Aber es frägt sich, was ist die aus der empirischen Erkenntnis der Pflanzen durch vergleichende Abstraktion gewornene syste- matische Einheit, die man Spezies nennt, was stellt die Art im Pflanzenreiche vor? Das ist ein ausserordentlich wichtiger Punkt bei der Frage nach der Umformung der Pflanzen und derselbe muss klargelegt sein, um überhaupt die Entstehung neuer Pflanzensippen beantworten zu können. RuERHz f an Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue, 163 Man weiss heute sehr gut, dass eine solche systematische Einheit im Pflanzenreiche nicht existiert, wohl aber im Tierreiche. Es ist dies schon im Wesen der Abstraktion begründet, die dem vollen Inhalte der Wirklichkeit nicht gerecht wird und immer einseitig sein muss. Ein in diesem Sinne gewonnener Artbegriff hat ebenso wenig Anspruch als wahre Einheit im Pflanzenreiche betrachtet zu werden, wie es die Gattung (genus) oder noch- mehr die Familie (ordo) ist. Vielmehr sind nach der Auffassung vieler Forscher die s. g. elementaren Arten die wahre systema- tische Einheit. Diese haben aber den UÜbelstand, dass sie nur in den seltensten Fällen aufgrund der Beobachtung allein im Freien festgestellt werden können, sich aber noch weniger nach Herbarexemplaren ermitteln lassen. Nur die Kultur derselben und das Studium der von einer solchen Art erzeugten Nach- kommenschaft kann uns versichern, ob man es mit einer in ihren Merkmalen konstant bleibenden i. e. elementaren Art zu tun hat. Man kam somit dem Bedürfnisse nach einer wahren syste- matischen Einheit erst näher, als man als Art die Gesamtheit der Individuen verstand, welche in allen dem Beobachter wesent- lich erscheinenden Merkmalen untereinander und mit ihren Nachkommen übereinstimmen, also als man das Gewicht zur Unterscheidung der Arten wieder nur durch Abstraktion. darin - festzuhalten suchte, dass dieselben, weil gleicher Abstammung, nach subjektivem Standpunkte keine grösseren wesentlichen Ab- weichungen untereinander besitzen, da sie eben gewisse Merk- male von Generation zu Generation immer fort vererben, so dass sie nach geläufiger Anschauung als konstant angesehen werden konnten. Wenn daran festgehalten wird, erscheint die Umgrenzung der Art wohl schärfer umschrieben, aber die Einheit, die uns den Ausgangspunkt für neue Arten darstellen muss, ist damit doch nicht gefunden. Auch bei einer derartigen Methodik der Artunterscheidung kommt man sofort zur Erkenntnis, dass die Arten der floristischen Literatur immer noch ganz Verschieden- artiges begreifen müssen, dass z. B. die Varietäten Linn6s viel- mehr und eher als elementare Arten gedeutet werden können, dass.aber andernteils viele s. g. Arten auf so minimalen Merk- malen fussen, dass sie sich sehr schwer oder überhaupt nicht mehr festhalten lassen, wie in gewissen Gattungen als Hieracium, Rubus, Rosa u. a. Nur in solchen Familien und Gattungen, die im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte eine so bedeutende Einbusse erlitten haben, dass in der heutigen Vegetation nur mehr die letzten Reste derselben erhalten sind, wird uns die Abstraktion von guten Gattungen und Arten erleichtert. / 164 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: Andere Sippen aber, etwa wie die Compositae, Umbelliferae lassen überhaupt keine systematische Einheit zu. Ich erinnere nur durch welch minimale, künstliche oder besser unnatürliche Unterschiede die Gattungsbegriffe in polymorphen Familien ge- wonnen worden sind, die z. B. durch die Farbe, Form und An- zahl der Pappusstrahlen bei den, Compositae, durch die anato- mischen und morphologischen Verhältnisse im Fruchtbaue der Umbelliferae, durch die Eigentümlichkeiten der Früchte und Samen bei den Cruciferae gewonnen wurden, die durchwegs Merkmale geringster Wertigkeit darstellen. In den Gattungen Hieracium, Rosa, Rubus sind wir bei der Unterscheidung der Spezies überhaupt am Ende unserer Weisheit. Der Speziesbegriff verschwindet aus besagten Gründen. Die alte systematische Schule, wie sie durch Linne und noch im vorigen Jahrhunderte, z. B. durch die deutschen Floristen W. D. Koch und Neilreich repräsentiert wurde, konnte daher nur ganz ungleich- wertige Spezies und darunter solche mit ungeheurem Umfange uaterscheiden, wovon der berühmte Rubus fruticosus, die Rosa canina klassische Beispiele darstellen. Die neuen Systematiker, die z. B. durch A. v. Kerner und dessen Anhänger ihre Vertreter fanden, waren zwar auch nicht imstande, die Arten gleichwertiger zu machen, aber sie ersetzten die alten Spezies durch kleinere und auch durch kleinste. Es geschah dies mit vollem Rechte, weil vielfach schon der experi- mentelle Nachweis vorlag, dass sich selbst die Arten mit klein- stem Umfange, die s. g. „petites esp&ces* in der Kultur als konstant erwiesen. Dieses Ergebnis verdanken wir einem von der alten Schule vielgeschmähten und als s. g. Speziesmacher bekrittelten Bota- niker, dem Franzosen Alexis Jordan. Er hat zuerst durch um- fangreiche und intensive Kulturversuche nachgewiesen, dass die überlieferte Art in der Regel viel kleinere Formen umfasst, als bisher unterschieden wurden, und dass sie oft aus mehreren, manch- mal aus vielen elementaren, in der Kultur konstant bleibenden Typen bestehe. Wir kennen deren verhältnismässig noch viel zu wenige, weil ja die Speziesbeschreibung nur zu oft nach Herbarien erfolgen musste und die Kultur der betreffenden Pflanze unterblieb. Als Beleg sei aber angeführt, dass die Erophila verna, Linnes Draba verna, über 200 konstant bleibende, also elementare Arten mit geringfügigen Merkmalen enthält. Gleiches gilt von Viola tricolor, Taraxacum officinale u. a., die nicht weniger elementare Arten begreifen. Die Entdeckung dieser elementaren Typen innerhalb des Begriffes der Art war nur die natürliche Folge der fortschrei- tenden Erkenntnis des Pflanzenreiches und der Versuchskulturen. ‚Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue. 165 Tournefort hatte um die Wende des 16. Jahrhundertes die Gat- tungen als systematische Einheiten erkannt und in seinen Werken vortrefflich behandelt und auch Linne hielt in seiner „Philosophia botanica“ im Jahre 1751, also 50 Jahre später, noch an der These fest, dass beim Beginne des Lebens unserer Erde alle Gattungen auf einmal geschaffen worden wären. Später aber änderte Linne seine Ansicht, wahrscheinlich vermittelt durch den Beifall, den die von ihm schärfer umschriebene und zuerst binär benannte Spezies fand, und nahm die Spezies als erschaffene Einheiten an, obwohl er gut wusste, dass sie nicht unteilbar seien, sondern sich in Varietäten spalten lassen, wie er es viel- fach selbst durchführte. Er reihte somit die Varietäten den Arten unter und wenn ihm dies nicht gelang, so stellte er sie gleichwertig nebeneinander, wie z. B. jene der Primula_ veris, die uns heute gut umgrenzte Sippen höheren Ranges darstellen. Das erstere war nicht schwierig, denn viele seiner Varie- täten sind ja nichts anderes als sog. retrogressive Sippen, die durch das Verschwinden irgend eines meist äusserlich sichtbaren, von der Stammform ererbten Merkmals kenntlich werden, wie sie z. B. durch Anderung der Blumenfarbe, durch den Verlust von Haaren, Stacheln, Dornen und anderer Organe zustande kommen. Es wurde also von denselben eine Eigentümlichkeit abgeworfen, welche von ihren Vorfahren früher erworben worden war. Andere Pflanzenvarietäten, die sich nicht recht einer Pflan- zenart unterordnen lassen, weil sie auf dieselbe nicht genetisch zurückgeführt werden können, sind eben keine Varietäten, das heisst Standorts- oder Qualitätsformen, sondern leichter erkennt- liche elementare Arten. Es wäre freilich leicht und bequem, die letzteren auf so einfache Weise festzuhalten, wenn nicht der Begriff der Varietät ebenso Ungleichwertiges zusammenfassen würde, wie bereits er- wähnt wurde. Man sollte nur solche Pflanzen als Varietäten oder Formen bezeichnen, deren Merkmale den abändernden Einfluss äusserer Faktoren deutlich bekunden, also auf Quantitäts- formen, die auf Grund guter oder schlechter und veränderter Ernährung entstehen, sog. Riesen- und Zwergformen bilden, auf Hochgebirgs- und Tal-, Sonzen- und Schattenformen, auf die im salzigen wasserarmen, kalkreichen Boden entstehenden Umände- rungen, auf Farbenspielarten und dergl. So ist nach dem Gesagten die floristische Literatur noch weit entfernt, die verschiedenen elementaren Arten feststellen zu können; sie zögert auch dieselben als systematische Einheiten allgemein anzuerkennen, weil dieselben für das praktische Be- dürfnis viel zu klein sind. In gewisser Beziehung tut sie Recht daran, denn die Zersplitterung der alten systematischen Arten - E f Bi er Fi, 166 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: in Tausende von neuen, ist für die Praxis der Pflanzenkenntnis durchaus nicht wünschenswert und würde, um nur eines zu er- wähnen, der scientia amabilis durchaus keine neuen Freunde zuwenden, auch wäre dies verfrüht, weil die zur Erkenntnis der elementaren Arten unerlässlichen Studien mit Versuchskulturen Hand in Hand gehen müssen, welche nur für wenige Arten- sruppen gemacht worden sind. Was geht äber aus diesen Erfahrungen mit der Pflanzen- art hervor? Die Systematik bedarf einer systematischen Einheit, um in dem Gewirre unendlicher Pflanzenformenreihen Ordnung zu schaffen; sie bedarf eines Ordnungsbegriffes.. Solcher Art hat sie den Speziesbegriff erfunden, der durch Abstraktion gewonnen, mehr minder konventionell ausfallen musste. Die Wissenschaft ist ganz ausser stande, ihn begründen, ihn schärfer umschreiben zu können, weil er kein natürlicher ist. Aber alle systematischen Arten sind nur eine Gruppe uns ähnlich oder gleich erscheinen- der Individuen, die wir künstlich und willkürlich durch Abstrak- tion ob einiger gemeinschaftlicher Merkmale, von denen wir aber nicht immer behaupten können, dass sie vererbbar sind, enger oder weiter zusammenfassen, was wir aber zusammenfassen, das ist eigentlich die konkrete biologische Einheit, das ist aber nicht die Art sondern das Individuum. Die Individuen, nicht die Arten sind es, welche uns schwankende Merkmale darbieten. Es ist daher leicht begreiflich, dass man auch von den Indivi- duen, deren scharfe Begriffsbestimmung im Pflanzenreiche leicht möglich ist, ausgehen muss, um überhaupt die Entstehung neuer Formen im Pflanzenreiche zu verstehen. Zu welcher Art die Individuen nomenklaturistisch einbezogen werden, ob in grösserer oder geringerer Anzahl mit diesem oder jenem Unterscheidungs- merkmale, das ist hiefür ganz gleichgiltig. Man nimmt gewöhnlich an, dass ein Individuum Nach- kommen erzeugt und dass diese Nachkommen alle wesentlichen Merkmale, die man als Organisationsmerkmale bezeichnet, von ihren Eltern vererbt erhalten. Es wird weiter behauptet, dass durch die Fortpflanzung nichts Neues entstehe, wodurch die sog. Art erhalten bleibe. Schon dies ist richtig zu stellen. Die Er- fahrung und das Experiment bestätigen, dass im Pflanzenreiche Nachkommen, die in der Tat ihren Eltern in jeder Beziehung gleichen, nur durch vegetative Fortpflanzung, d. i. durch unge- schlechtliche Vermehrung, wie durch Zweiteilung, durch vegetative Keime (Brutzwiebelchen, Ableger, Stecklinge etc.) erzeugt werden können. Künstlich können wir z. B. viele Pflanzen durch Steck- linge, durch Teilung von Wurzelstöcken vermehren und werden die absolut gleichen Pflanzen wiedererhalten, wenn wir sie unter 7, ' 2° end dh Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue, 167 den gleichen Bedingungen wie die Eltern pflegen. Niemals ist dies aber durch Propfung möglich, wie ich noch anführen werde. Nur dadurch, dass das betreffende Individuum seine Nach- kommen gewissermassen aus eigenen Stoffen aufbaut, d. h. nur durch Zweiteilung seiner eigenen Zellkerne und seiner eigenen Energiden bildet und unbeeinflusst von anderen Zellkernen, d.h. ohne Verschmelzung von Zellkernen neue Energiden zum Auf- baue seiner Nachkommenschaft erzeugt, entsteht wieder der gleiche Organismus. Das beweisen alle Pflanzen, die sich vege- tativ vermehren, z. B. die Schizophyten, die sich ja seit Jahr- tausenden nur durch Zweiteilung vermehren und gleiche Formen seit der Steinkohlenperiode beibehalten; das lehren die parthe- nogenetisch zeugenden Samenpflanzen, wie die Alchemilla alpina mit ihrem Schwarme elementarer Arten und alle in der Kultur befindlichen, nicht durch Samen vermehrten Spermatophyta u.a. Bei jeder geschlechtlichen Fortpflanzung aber, bei der zwei Zellkerne mit unendlich vielen Merkmalsanlagen und ihrem in- dividuell differenzierten Protoplasma zu einem dritten sich ver- binden, legt dieser dritte Kern, in dem sich die unzähligen Merk- malsanlagen zweier Energiden in uns unbekannter Weise kom- binieren, den Grund, dass etwas Neues entstehen kann, da sich ja durch weitere Zweiteilung derselben und Vererbung seiner Anlagen von Zelle zu Zelle die neue Pflanze aufbaut. Darauf stützt sich bekanntlich die von A. v. Kerner und Weismann vertretene Amphimixis- oder Vermischungs - Theorie. Sie muss selbst bei der Vereinigung der Zellkerne eines und desselben Individuums zugegeben werden. Es ist dies ja schon aus der Tatsache zu entnehmen, dass die Individuen derselben Abstammung sich niemals völlig gleichen. Aber selbstverständ- lich wird die Amphimixis bei der Kreuzung zweier in ihren Merkmalen weniger übereinstimmenden Individuen, z. B. zweier elementarer Arten oder zweier Arten im Sinne der älteren Sy- stematiken in erhöhtem Masse die Grundlage zur Entstehung neuer Arten legen. Durch die fortwährende, unendliche Wieder- holung der Kreuzung der Individuen näherer oder weiterer Ver- wandtschaft oder anders ausgedrückt, durch die Kreuzung von Sippen derselben Art oder verschiedener Arter wird der Grund für die Umformung oder Variation der Individuen gelegt. Wenn uns die bei solchen, durch einen Sexualakt hervorgegangenen Pflanzen auftretenden Merkmale auffällig und neu erscheinen, weil sie den Stammeltern nicht zukommen, muss zugegeben werden, dass eine neue Sippe entstanden ist. Sie wird es immer sein, mögen diese Merkmale unbedingt neu, d.h. aus einer noch nicht be- stehenden Kombination von Merkmalsanlagen entsprungen sein oder relativ neu, d. h. aus uralten, bisher nur verborgenen oder latenten Kennzeichen wieder erschienen sein. 14 " Er en 168 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: Br f: Seitdem Linne den Tragopogon pratensis mit dem Trago- pogon porrifolius kreuzte und Kölreuter im Jahre 1761 in dem Bastarde zwischen Nicotiana rustica und Nicotiana paniculata den ersten sog. „botanischen Maulesel“ erzog, haben überaus zahlreiche Forscher und Züchter Hybride erzeugt, welche die Entstehung neuer Pflanzen auf solche Weise unwiderruflich be- stätigen. Es sei aber wiederholt, dass ebenso zugegeben werden muss, dass die gewöhnliche, normale geschlechtliche Fortpflanzung, selbst wenn sie durch ein Individuum erfolgt, ebenfalls imstande ist, Neues zu erzeugen. Nur muss man im Auge behalten, dass die Pflanzen zur Erzeugung neuer Formen auf diese Weise viel längere Zeit brauchen, als bei der Kreuzung verschiedener In- dividuen und entfernter stehender Sippen. Kolossale Zeiträume werden wohl erfordert, bis sich eine Summe von kleinsten Merk- malen im Sinne der Darwinschen Deszendenzlehre zu etwas uns auffälligem Neuen kombiniert, das sich wirklich dauernd weiter- erhält. Das gibt uns den Fingerzeig, dass die Umgestaltung der Pflanzen ungemein langsam vor sich geht. Es mahnt uns auch zu grösserer Vorsicht. Wenn auch ein Individuum Nachkommen erzeugt, die durch mehrere Generationen konstant ein Merkmal oder einige Merkmale vererben, bleibt es noch immer bei der kurzen Beobachtungsdauer unserer Versuche zweifelhaft, ob dies auch für die weitere, längere Zukunft Geltung beansprucht. Für die langsam fortschreitende Umwandlung spricht auch die Tatsache, dass rasch entstandene grössere Umformungen den Lebensbedingungen weniger entsprechen und bald verschwinden. Die sinnfälligen Mutationen, die sog. Sportformen der Gärten, die ja doch nichts anderes sind als sprungweise oder plötzlich auftretende grössere Variationen, resp. kombinierte Variations- merkmale, sind nur in den wenigsten Fällen als bleibend kon- statiert worden, wenn die Pflanzen durch Samen vermehrt wurden. Auch die Blendlinge von Sippen verschiedener Arten zeigen das gleiche; sie verhalten sich bei der Selbstbestäubung nach den Mendelschen Gesetzen zu ihren Eltern wie 2:1:1. Da aber die Selbstbestäubung in der freien Natur selten vorkommt, werden sie zumeist wieder von ihren Stammeltern durch Kreuzung beeinflusst und zeigen bald Reduktionen von 50°, in jeder durch Kreuzung mit den Eltern entstandenen Generation. So müssen auch sie wieder verschwinden, wie es schon Kölreuter an seinen Tabakhybriden konstatierte. Daher findet man in der freien Natur nur vereinzelt und sehr selten wiederholt Hybride und nur solche, die sich vegetativ vermehren, in grösserer Menge vor. Die besonders starke vege- tative Vermehrung der Blendlinge ist aber durchaus keine Eigen- tümlichkeit derselben. Sie bezeugt nur, dass durch die Kreuzung Br ET Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue. 169 eine neue, für die Pflanze günstige Eigenschaft erzeugt werden kann. Auch der Sterilität der Bastarde darf man nicht allge- meine Giltigkeit zumessen, da man Blendlinge mit gegenüber den Stammeltern gesteigerter Fruchtbarkeit kennt. Ebenso ergeht es den Mutationen. Das zerschlitzte blätterige Schöllkraut (Chelidonium laciniatum) verschwindet z. B. im Prager botanischen Garten immer nach einigen Jahren, offenbar weil deren Narben durch den Pollen des daselbst sehr häufigen ge- wöhnlichen Schöllkrautes (Chelidonium majus) bestäubt werden und auf diese Weise Rückschläge stattfinden. Viele andere Mutationen können wohl durch Auslese aus der Nachkommen- "schaft oder z. T. auch durch Pfropfung erhalten werden, andere gehen aber sehr rasch, oft völlig verloren. Höchst interessant ist es, dass auch neue Pflanzen ent- stehen können, wenn zwei Sippen vegetativ durch Pfropfung mit einander in Verbindung gebracht werden. Das sind die Pfropf- hybriden, deren künstliche Erzeugung Hans Winkler in jüngster Zeit einwandfrei durchführte. Derselbe pfropfte Solanum nigrum im Spalt auf Solanum lycopersicum und schnitt nach der Ver- wachsung beider das Pfropfreis ab. Entwickelte sich aus dem Kallus an den peripherisch gelegenen Berührungspunkten ein neuer Trieb, so war derselbe entweder eine sog. Pflanzenchimäre, d. h. die Pflanze bestand zur Hälfte aus Solanum nigrum, zur anderen Hälfte aus Solanum lycopersicum oder es bildete sich eine intermediäre Hybride, von denen H. Winkler fünferlei be- obachtete. Letztere erzeugten Blüten und Früchte, sowie unvoll- kommen ausgebildete Samen, die aber zum Teile keimfähig waren. Er fand aber auch Pflanzenchimären, die aus 2 verschiedenen Pfropfhybriden oder aus einer Pfropfhybride und einer Stamm- art bestanden, ferner dass eine solche Hybride, das Solanum tubingense, auch Sprosse mit den Charaktermerkmalen des Solanum nigrum erzeugte. Dies beweist, dass auch der berühmt gewordene Cytisus Adami, kein sexuell entstandener, echter Blendling, sondern eine künstlich erzeugte, durch Aufpfropfung des Cytisus purpureus auf Cystisus laburnum entstandene Pfropfhybride ist, die sich ähnlich wie die genannten Solanumpfröpflinge verhält und in ihren Eigentümlichkeiten auch die Mendelsche Spaltungsregel der Hybridenmerkmale zu befolgen scheint, denn Oytisus Adami erzeugt bald einen C. laburnum-, bald einen C. purpureus-Trieb, z. T. vollkommene, z. T. unvollkommene Chimären. Das gleiche kennt man auch von Crataego-Mespilus. Pflanzenchimären durch Pfropfung scheinen überhaupt häufiger vorzukommen. Auch ich erzielte eine Pflanzenchimäre durch Pfropfung von Ribes grossu- laria auf Ribes aureum. 14* Kurz 170 Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mannagetta und Lerchenau: Wie diese Pfropfhybride, welche bisher nur vegetativ er- halten wurden, zustande kommen, ist völlig hypothetisch. Nach H. Winkler sprechen die beobachteten Tatsachen eher gegen als für die landläufige Ansicht von ihrer Entstehung aus einer Zelle, die ein Verschmelzungsprodukt zweier elterlicher Zellen, resp. Kerne darstelle. Wahrscheinlich ist es, da ja Adventivsprosse mit verschiedenen Merkmalen gebildet werden, dass die Zellen beider Stammeltern nebeneinander den Aufbau des Bastardes besorgen und sich gelegentlich gruppenweise spalten. Jedenfalls ist aber damit festgelegt, dass auch auf solche Weise neue Pflanzenformen entstehen können, was freilich nur die Kultur zulässt. Sie bezeugen aber, dass wir unsere Ansichten über das Wesen der Vererbung und besonders über die Rolle, die der Zellkern dabei spielt, einer gründlichen Revision unterziehen müssen. Es steht also fest, dass durch die Amphimixis und durch Pfropfung, also auch durch einen eigentümlichen vegetativen Vorgang, der freilich in der freien Natur fehlt, neue Pflanzen- formen entstehen können. Es erklärt uns aber auch die bekannte Tatsache, der Wechselwirkung zwischen Edelreis und Unterlage, ins- besondere, dass durch Pfropfung die Eigentümlichkeiten des Edel- reises nicht immer erhalten werden können, sondern vielfache Abänderungen durch die Einwirkung der Unterlage erfahren. Es drängt sich aber bei der Beantwortung der Bildung neuer Pflanzen noch eine zweite wichtige Frage auf, ob ein Individuum für sich allein imstande sei, neue Merkmale zu erwerben und auf seine Nachkommenschaft zu übertragen. Die Beantwortung begegnet sehr verschiedener Auffassung. Man unterscheidet bekanntlich an jedem Individuum Organi- sations- und Anpassungsmerkmale. Organisationsmerkmale sind Eigentümlichkeiten, die sich als sehr konstant erweisen, weil sie mit grosser Zähigkeit vererbt werden; oder man definiert sie auch negativ als solche, die nicht mit bestimmten Lebens- verhältnissen der Pflanze im Zusammenhange stehen. Es sind dies z. B. viele Merkmale in den Fortpflanzungsorganen und im anatomischen Baue. Als Anpassungsmerkmale fasst man solche auf, welche sich direkt als Anpassung an bestimmte Faktoren erkennen lassen. Viele vegetative Merkmale gehören hiezu, Wuchs- und Blattformen, Farbe und Duft der Blumen, Offnungs- mechanismen der Früchte u. a. Sie entspringen aus der allge- mein zugegebenen individuellen Variation, deren Ursache zwar hypothetisch ist, aber durch die sexuelle Fortpflanzung wesent- lich gefördert wird. Man nimmt an, dass durch Anpassung zunächst nichts absolut Neues entsteht, sondern nur eine Steigerung oder Ab- r A D # R pl Über Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue. 171 schwächung schon vorhandener Eigentümlichkeiten eintritt. Nach längerer Wirkung der Anpassung, nach dem Aussterben von Mittelformen kann aber etwas Neues zustande kommen. Da also die Umformung mehr minder graduell von äusseren Einflüssen beeinflusst wird, ist man der Anschauung, dass sie nicht oder nur im geringen Grade vererbbar, aber auch aufgegeben wird, wenn die Wirkung der äusseren Faktoren aufhört. Dass dies nicht immer zutrifft, beweist die Vererbung zahl- reicher Anpassungsmerkmale, z. B. jener von Spaltspitzen an bestimmte Lebensbedingungen, der Schizophyceae an veränderte Lichtverhältnisse, der früher, später und schneller reifenden Kulturformen, zahlreicher morphologischer und biologischer Ein- richtungen u. a. m. Dadurch werden die Unterschiede zwischen Organisations- und Anpassungsmerkmalen verwischt und die Begriffe werden durch Abstraktion schwankend. Dazu kommt, was im Sinne der Deszendenzlehre festgehalten werden muss, dass ÖOrgani- sationsmerkmale irgendwie, sicher durch Kreuzung und Mutation verändert werden können ; doch ist man weder klar noch einig, ob sie auch durch Stabilisierung von Anpassungsmerkmalen Ver: änderungen erfahren. Wenn man bedenkt, dass jede Pflanze aus Zellen besteht und dass das Lebensgetriebe jeder Zelle stets von allen äusseren Lebensfaktoren, insbesondere von den Energie- quellen abhängig gemacht ist, denen sie sich unbedingt anpassen muss und in Betracht ziebt, wie leicht z. B. anatomische Merk- male durch diese Einflüsse morphologische und biologische Um- gestaltung erfahren, wird man einer möglichen Umformung aller vegetativen Merkmale durch dieselben nicht widerstreiten. Bleibt das betreffende Individuum, welches auf solche Weise umgewan- delt wurde, fortpflanzungsfähig und stehen die Nachkommen desselben unter denselben äusseren Faktoren, so zeigen sie im allgemeinen dieselbe Anpassung. Es ist dann ebenso wohl die Annahme einer wiederholten gleichen Anpassung als auch die der vererbten Fähigheit, sich derselben Anpassung zu bedienen, gestattet. Das beweist aber auch, dass Anpassungsmerkmale vererbt werden, wenn sie sich bei Fortdauer der hervorrufenden Faktoren als zweckmässig herausstellen; sie werden demnach ununterbrochen vererbt werden, so lange die betreffenden Fak- toren Einfluss auf das Leben der Pflanze nehmen; es wird etwas Dauerndes geschaffen, wie z. B. aus der Anpassung an das Son- nenlicht, die ohne Beeinträchtigung des Pflanzenlebens gar nicht aufgegeben werden kann. Solche Merkmale werden dann ebenso zäh von der Pflanze festgehalten werden, wie die Organisations- merkmale. Die Merkmale, welche solcherart durch die Anpassung der Pflanzen an die normalen Lebensbedingungen geschaffen 172 V.H. Langhans wurden, von den ÖOrganisationsmerkmalen zu scheiden, gelingt daher nicht; aber auch deswegen nicht, weil alle Merkmale zweckmässig den Lebensbedingungen angepasst sein müssen und auch jene Merkmale, die wir als Organisationsmerkmale von den heutigen Lebensverhältnissen unberührt und unabhängig ansehen, sicherlich in früherer Zeit von anderen äusseren Verhältnissen abhängig gewesen sein müssen; sie bleiben nur deshalb unberührt, weil zur Zeit nicht solche Lebensbedingungen auf der Erde herrschen, denen sie ihren Ursprung verdankten und werden nur deswegen erhalten, weil sie der Pflanze im Kampfe mit den Lebensfaktoren keinen Nachteil bringen. Somit wäre bezüglich der Neubildung von Pflanzenformen folgendes hervorzuheben: Das Leben der Pflanze in seiner ausserordentlichen Ab- hängigkeit von den stets wechselnden Lebensfaktoren erfordert eine ununterbrochene Anpassung aller Zellen, somit des gesamten Organismus an die äusseren Lebensfaktoren. Die letztere ent- springt aus der jedem Lebewesen innewohnenden individuellen Variation. Hiedurch entstehen äusserst geringfügige Verände- rungen in morphologischer und biologischer Hinsicht in jedem Individuum. Diese Umformungen sind aber erst dann auffällig, wenn sie sich allmählig im Laufe längerer Zeiträume summiert und kombiniert haben, oder plötzlich durch Mutation offenbaren. Solche Merkmalskombinationen werden aber stets durch die ge- schlechtliche Fortpflanzung in verschiedenster Weise alteriert und neuerlich verschieden kombiniert, am raschesten aber wird dies gefördert durch die Kreuzung different gewordener Indivi- duen. Je rascher aber diese Neubildungen in der Entwicklung der Pflanzenwelt erscheinen, umso weniger Aussicht haben sie, sich zu erhalten, da sie erst der Auslese im Kampfe ums Dasein unterworfen sind, die Unzweckmässiges austilgt. Planktonprobleme., Von V. H. Langhans. Die Planktonforschung gehört zu den jüngsten Wissensge- bieten. Es sind erst wenige Jahrzehnte vergangen, seit sie in den Gesichtskreis des Biologen trat. In diesem kurzen Zeitraum hat sie eine ganz ungeahnte Ausbreitung gewonnen. Die Zahl der Forscher, die sich dem Stu- ium des Planktons widmen, nimmt von Jahr zu Jahr zu; die Planktonliteratur wird immer umfangreicher, sodass sie heute schon kaum mehr zu übersehen ist. xy Planktonprobleme. 175 Diese auffallende Erscheinung ist nicht schwer zu er- gründen. Als die Aufmerksamkeit der Biologen zum erstenmal auf das Plankton gelenkt wurde, glaubte man, eine in sich abgeschlossene, scharf umgrenzte Lebensgemeinschaft vor sich zu haben, die in gar keinen oder nur äusserst geringen Beziehungen zu den umgebenden Ufern und entfernteren Gewässern stand. In einer solchen Lebensgemeinschaft mussten alle Lebens- erscheinungen einfacher, übersichtlicher ablaufen und leichter zu fassen sein, als anderswo. Die ersten Arbeiten, die damals sich mit dem Leben des Planktons beschäftigten, gingen von dieser Voraussetzung aus und schienen sie in ihren Ergebnissen auch zu bestätigen. Die ersten Probleme, die in Angriff genommen wurden, schienen unschwer zu lösen. Es sollte die Menge des Plank- tons zu bestimmten Zeiten festgestellt, die periodische Zu- nahme und Abnahme studiert werden. Eine richtige Beobach- tung, die damals gemacht wurde, schien diese Aufgabe wesentlich zu erleichtern. Man hatte vorher geglaubt, dass die Plankton- organismen ähnlich anderen, grösseren Wassertieren, die in grossen Mengen vorkommen, in Schwärmen leben. Es konnte bald gezeigt werden, dass dies nicht der Fall ist, ja, dass ein Zusammenhalten in Schwärmen aus rein physikalischen Gründen - gar nicht möglich ist. Wind und Wellen und alle die ver- schiedenartigen Strömungen, die in stehenden Gewässern vor- kommen, müssen eine vollkommen gleichmässige Verteilung dieser kleinen Organismen herbeiführen, deren Eigenbewegungen viel zu schwach sind, um den treibenden Gewalten zu widerstehen. Wie die periodischen Mengenschwankungen des Planktons | im ganzen, so sollten auch Zunahme und Abnahme der einzelnen Komponenten desselben studiert werden. Über diesen Forschungen wurde auch die Systematik der Planktonorganismen immer weiter ausgebaut. Wer die Planktonliteratur aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aufmerksam durchsieht, wird bemerken, dass sie fast ausschliesslich im Zeichen dieser Probleme stand. Gelöst wurde trotz aller darauf verwendeten Mühe keines davon. Schuld daran war die falsche Voraussetzung der Ein- fachheit der Probleme. Infolge dessen war durchwegs schon die ganze Fragestellung falsch. Erst die Erkenntnis dieses Irrtums konnte eine richtige Fragestellung, ein richtiges Erfassen der Probleme und damit Aussicht auf erfolgreiche Lösung derselben herbeiführen. In den Arbeiten der letzten Jahre zeigen sich die Folgen dieser Erkenntnis. Die meisten beteiligten Forscher haben sich 174 V. H. Langhans: von der Bearbeitung des Gesamtplanktons abgewendet und sich in ein kleines Teilgebiet vertieft. Einzelne Fragen werden herausgegriffen und verfolgt. Diese Wendung ist sehr zu be- grüssen, da hierdurch die Aussicht eröffnet wird, dass die Grund- probleme gelöst und so die Vorbedingungen für ein besseres Verständnis der Lebenserscheinung des Gesamtplanktons ge- schaffen werden. Einen Nachteil hat allerdings die gegenwärtige Verteilung der Arbeit. Sie wurde nicht planmässig vorgenommen; jeder ein- zelne griff eine beliebige Frage heraus, oft ohne Rücksicht auf andere Fragen, die zuerst beantwortet sein mussten. Dadurch ist mancherlei Verwirrung entstanden, die immer mehr zunehmen wird, jemehr der einzelne die Übersicht über den ganzen FEr- scheinungskomplex verliert. Die folgenden Zeilen sollen einen Versuch darstellen, die Gesamtheit der Planktonprobleme übersichtlich zusammenzu- fassen und ihre gegenseitigen Beziehungen aufzudecken. Jede biologische Forschung innerhalb einer bestimmten Organismengesellschaft setzt eine genaue Kenntnis der einzelnen Komponenten dieser Gesellschaft voraus. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, die einzelnen Glieder so zu kennzeichnen und zu beschreiben, dass es späterhin möglich ist, zu erkennen, ob zwei Beobachtungen sich auf denselben Organismus oder auf ver- schiedene Organismen beziehen. Es ist mithin nötig, ein gutes natürliches System der im Plankton vorkommenden, sowie aller . jener Organismen aufzustellen, die in irgend einer Beziehung zum Plankton stehen. Ein solches System wäre leicht auszuarbeiten, wenn es wirklich konstante Arten gäbe, wenn überhaupt das, was man unter einer Spezies versteht, wirklich existierte. Leider gibt es keine Spezies. Was man heute eine Spe- zies nennt, ist eine willkürliche Zusammenfassung ähnlicher, an verschiedenen Orten vorkommender Formen unter demselben Namen. Da diese Zusammenfassung von verschiedenen Gesichts- punkten aus vorgenommen und stets nur den jeweiligen Zwecken des einzelnen Forschers selbst angepasst wird, kann eine Über- einstimmung der Anschauungen nicht erzielt werden. Nichtsdestoweriger ist es notwendig, eine Einigung über irgend ein System, das dann von allen Forschern angewendet werden kann, zu erzielen und dazu ein derartiges System zu wählen, das nicht nur allen gegenwärtig zu stellenden Anfor- derungen entspricht, sondern auch die Möglichkeit eines spä- teren Ausbaues im Sinne neuer, heute noch unbekannter An- sprüche in sich enthält. Ein derartiger Ausbau muss möglich sein, ohne die vorhergegangenen Arbeiten wertlos zu machen. Planktonprobleme. 175 Es ist nicht zu leugnen, dass die Aufstellung eines Sy- stems in diesem Sinne grossen Schwierigkeiten begegnen wird. Sie liegt jedoch im Bereich des Möglichen. Es ist hier nicht der Platz, ein derartiges System für die verschiedenen im Plankton vertretenen Organismengruppen zu entwerfen. Es sollen nur einige Gesichtspunkte hervorgehoben werden. die dabei berücksichtigt werden müssten. Es kommt sehr häufig vor, dass einander sehr nahe ver- wandte, äusserlich sehr ähnliche oder sogar für unsere Ver- gleichsmittel nicht unterscheidbare Formen an örtlich weit aus- einanderliegenden Stellen gefunden werden. Das System muss uns, besonders wenn zwei verschiedene Forscher die beiden Fundorte untersuchten, ermöglichen, die Zusammengehörigkeit beider Formen aus dem blossen Namen, den die beiden Forscher anwendeten, zu erkennen. Es wäre also vorteilhaft, wenn solche Formen unter demselben Namen znsammengefasst würden. Die moderne Richtung in der Systematik einiger am Plankton betei- listen Tiergruppen arbeitet in dieser Richtung. Nun kann man aber immer wieder bemerken, dass örtlich getrennte Kolonien nahe verwandter oder ursprünglich identischer Arten doch in höherem oder geringerem Grade von einander abweichen. Wenn sich aus diesen Abweichungen Beziehungen zu bestimmten klimatischen oder sonstigen Lebensbedingungen ableiten lassen und wenn die Abweichungen innerhalb der ein- zelnen Kolonien sehr typisch sind, so wird es für die Ver- wendbarkeit der publizierten Abhandlung als Material zu spä- teren biologischen Arbeiten sehr vorteilhaft sein, wenn man die beobachteten Abweichungen in der Weise charakterisiert, dass bei späterer Auffindung anderer Fundorte ein Vergleich der dort gefundenen Lokalform, eventuell eine genaue Identifizierung mit der früher beobachteten, möglich ist. Daraus geht hervor, dass es wünschenswert wäre, möglichst viele, wirklich unterscheid- bare Formen mit besonderem Namen zu belegen, sofern es möglich ist, sie genau zu charakterisieren. Dabei muss man in der Verwendung des Speziesnamens möglichst weit gehen. Es ist immer noch besser, wenn Formen, die schon sehr nahe verwandt sind, noch verschiedene Spezies- namen führen, als wenn Formen, die in ihrer natürlichen Ver- wandtschaft und in ihrem biologischen Verhalten sehr weit aus- einander liegen, unter einem einzigen Namen vereinigt werden. Die Unterteilungen in Varietäten, Formen, Lokalrassen usw. sind erfahrungsgemäss von geringem praktischen Wert, weil sie von der Mehrzahl der Forscher vernachlässigt werden. Nur solche Formen, deren unmittelbar nächste Verwandtschaft fest- steht und deren Auseinanderhaltung sehr schwer möglich ist, 176 V. H. Langhans: sollten in die Unterteilungen eingeführt werden. Alle jene Formen, deren scharfe Trennung möglich ist, auch wenn sie noch so nahe verwandt wären, jedenfalls aber alle jene Formen, deren nahe Verwandtschaft nicht absolut sicher erwiesen ist, sollten unbedingt als getrennte Spezies behandelt werden. Noch eine andere Schwierigkeit bietet sich der Aufstellung eines natürlichen Systems: Die Konvergenz. Es kommt häufig vor, dass eine Art, die sich über ein grösseres Gebiet ausbreitet, an verschiedenen extremen Punkten ihres Verbreitungsgebietes über- einstimmende Lebensbedingungen findet, oder doch solche, die auf die Formbildung den gleichen Einfluss ausüben. An solchen Punkten wird die Art im gleichen Sinne abgeändert, es ent- stehen neue Formen, die von einander nicht zu unterscheiden sind. Solche Formen, die manchmal an vielen Fundorten vor- kommen, wurden mit demselben Namen belegt, weil sie tatsäch- lich identisch sind, trotzdem sie untereinander nicht streng nahe verwandt sind, da sie nicht von derselben Kolonie abstammen. Wenn die gemeinsame Stammform vorher keine diver- gierende Entwicklung gezeigt hatte, hat dies nichts zu sagen. Es mag aber vorkommen, dass die Stammform schon vor der Ausbildung der erwähnten extremen Form eine Spaltung in Lokal- rassen oder grössere Gebietsrassen erfahren hatte, die wohl ge- ringe, aber doch recht deutlich erkennbare Unterschiede zeigten. Wenn sich nun an den erwähnten extremen Lokalitäten die neue „Art“ aus diesen verschiedenen Lokalrassen entwickelte, so kann sie auch von diesen Lokalrassen die minder hervortreten- den Rassenmerkmale mit übernommen haben und dann ist ihre polyphyletische Abstammung deutlich erkennbar und auch biolo- gisch wichtig. Ein Beispiel mag dies erläutern: Die Cladocerenart Daphnia pulex ist über ganz Europa (vielleicht noch viel weiter) verbreitet. In diesem ungeheuren Verbreitungsgebiet hat sie zahlreiche Lokal- und Territorial- rassen gebildet, die oft sehr scharf von einander abgegrenzt sind und zur Aufstellung besonderer Arten geführt haben. Die deutlichst erkennbaren Unterschiede dieser Rassen zeigen sich in der Form des Rostrums und in der Bewehrung der Abdominalkrallen. Wo nun die Art an höher gelegenen Orten in kleine Tümpel geriet, unterlag sie stets derselben, ausserordentlich hervorstechenden Umbildung: Sie verlor den für das Genus Daphnia sonst so sehr charakteristischen „Schalenstachel“, die „Spina“. Als Kurz (1874) zum erstenmal die spinalose Daphnia fand, gab er ihr den Namen D. obtusa. Seither hat man D. Planktonprobleme, 377 obtusa überall in Almtümpeln, in höher gelegenen Tümpeln des Mittelgebirges und im Karst gefunden. Diese D. obtusa aus verschiedenen Gegenden sind ganz ge- wiss keine einheitliche Art. Sie unterscheiden sich durch die Form des Rostrums, die Bewehrung der Abdominalkrallen etc. in genauer Übereinstimmung mit den D. pulex-Rassen ihrer nächsten Umgebung. Während man jedoch bei den Unterschieden der D. pulex- Rassen sagen kann, dass sie aus einer gemeinsamen Stammform durch Einwanderung in neue Lebensbedingungen entstanden seien, also wirkliche „Rassen* einer einzigen Art darstellen, kann man bei D. obtusa nicht von derartigen Rassen sprechen. Die verschiedenen Formen von Daphnia obtusa sind nicht durch Rassenbildung aus einer gemeinschaftlichen Obtusa-Stammform entstanden, sondern durch konvergente Umbildung aus verschie- denen Rassen einer anderen Art, der Daphnia pulex. Der Hydrobiologe steht nun vor der Frage: Soll ich trotz- dem alle Obtusaformen einfach Daphnia obtusa nennen, oder soll ich diesen Speziesnamen aufgeben und sie als eine spinalose Lokal- form von Daphnia pulex, also Daphnia pulex forma obtusa, be- zeichnen. Das letztere wäre das logisch richtigere, das erstere ist jedoch das praktisch bessere Verfahren. Wenn ich einmal weiss, dass die Obtusaformen polyphyle- tisch aus verschiedenen Lokalrassen von Daphnia pulex ent- standen sind, so sagt mir die Aussage eines Autors, er habe an einem bestimmten Orte eine Daphnia obtusa gefunden, alles, was ich von einer kurzen Erwähnung verlangen kann. Und wenn dieser Vorgang einmal allgemein angenommen ist, so sagt mir die Bezeichnung Daphnia pulex, dass es sich um irgend eine - Lokalform von Daphnia pulex, nicht aber um die spinalose Ge- birgstümpelform (Daphnia obtusa) handelt. Dann kann ich unter Benützung der gesamten faunistischen Literatur alle Fundorte von Daphnia obtusa zusammenstellen und, wenn es sich heraus- stellen sollte, dass tatsächlich in hochgelegenen Tümpeln unter gewissen sonst noch übereinstimmenden Bedingungen die Daphnia pulex stets in Daphnia obtusa verwandelt wurde, erkennen, welche äusseren Bedingungen den dauernden Verlust der Spina herbeigeführt haben. Dieser biologisch gewiss nicht unwichtige Schluss wird ver- eitelt durch das Verfahren der meisten modernen Cladoceren- systematiker, dem sich die Faunisten natürlich mit Vergnügen anschlossen, die Daphnia obtusa mit allen anderen Rassen von Daphnia pulex unter dem Namen Daphnia pulex zusammenzu- fassen. 178 V. H. Langhans: Dieser Fehler, der einer fast unglaublichen Kurzsichtigkeit entspringt, ist in hunderten von ähnlichen Fällen wiederholt worden und hat stets dieselben bedauerlichen Folgen gezeitigt. Die Liebhaber dieses Vereinfachungsverfahrens der Syste- matik haben freilich noch andere Argumente zu ihren Gunsten angeführt. R So. wird behauptet, dass es Übergänge zwischen den frag- lichen Formen gibt, die eine Trennung der Arten nicht möglich machen. Tatsächlich kommt es, um bei unserem Beispiel zu bleiben, häufig vor, dass sich in einer Kolonie von D. pulex (mit Spina) eine grössere Anzahl von Individuen findet, denen die Spina fehlt. Solche spinalose Einzelindividuen kommen auch bei an- deren Arten, z. B. bei D. longispina, D. hyalina etc. nicht sel- ten vor. Umgekehrt haben die Jungen von D. obtusa oft eine Spina, die an Länge derjenigen von jungen Pulexindividuen kaum nachsteht. Junge Weibchen von D. obtusa haben zur Zeit der ersten Eiablage häufig noch ein Rudiment einer Spina, das in seltenen Fällen bis ins höchste Alter beibehalten wird. Solche individuelle Variationen, die scheinbar einen Über- gang von der einen zur anderen Art bilden, werden von den Verfechtern der Artvereinigungsmethode als stärkste Argumente für die Richtigkeit ihrer Anschauungen angeführt. Sie haben dabei ungefähr folgenden Gedankengang: Wenn in einer Pulexkolonie Obtusaformen vorkommen und umgekehrt, so kann es nur von der relativen Zahl beider Formen abhängen, ob die Kolonie als Pulexkolonie oder als Obtusakolonie zu be- zeichnen ist. Da überdies die Jugendformen der Obtusa denen der Pulex völlig gleichen und dadurch ihre nahe Verwandtschaft deutlich ausgedrückt ist, kann man eine Obtusakolonie für nichts anderes halten, als eine Pulexkolonie, in der die Individual- variante Obtusa stärker hervortritt als anderswo, oder schliesslich die andere Form ganz verdrängt hat. Das ist ja im allgemeinen richtig; nur ist dagegen einzu- wenden, dass noch nie eine Daphniakolonie gefunden wurde, in der beide Formen, Obtusa und Pulex, in annähernd gleicher Individuenzahl vorhanden gewesen wären. Solche Übergangs- kolonien müssten existieren. Man findet jedoch nur Pulexkolo- nien, in denen Obtusaformen als Ausnahmsfälle vorkommen und Obtusakolonien, in den alte erwachsene Tiere durchwegs gar keine Spina besitzen, oder doch nur ein schwaches Rudiment einer solchen. Uberdies hat sich auf Grund zahlreicher Versuche, die ich selbst ausführte, herausgestellt, dass die einzelnen Obtusaindivi- z Planktonprobleme. 179 duen, die in einer Pulexkolonie vorkommen, niemals die Eigen- schaft des Spinamangels auf ihre Nachkommenschaft übertragen, dass also ihre „Obtusität“ nicht erblich ist, während das Fehlen der Spina bei Daphnia, obtusa auch in der Kultur streng ver- erbt wird. Man kann allerdings unter Anwendung besonderer äusserer Einflüsse eine D. pulex-Kultur allmählich dahin bringen, dass die Individuen immer kürzere und schliesslich gar keine Spina mehr bekommen; man kann auch auf ähnlichene Wege einer D. obtusa- Kultur eine kleine Spina „anzüchten“, aber niemals durch Selek- tion, sondern nur mit direkter Beeinflussung der Kultur durch veränderte Lebensbedingungen. Gerade diese Abhängigkeit der Form von äusseren Lebens- bedingungen ist besonders interessant und da das Studium dieser Erscheinung ein ausgedehntes Beobachtungsmaterial erfordert, das nur durch Zusammenarbeit:Vieler beschafft werden kann, ist es notwendig, dass jede faunistische Arbeit, die eine Daphnia aus dieser Gruppe enthält, auch genau erkennen lässt, ob dem Autor eine Pulexform mit Spina oder eine Obtusaform ohne Spina vorlag. Das wird am besten erreicht, wenn man trotz ihrer nahen Verwandtschaft beide Formen durch Speziesnamen trennt, auch nachdem man erkannt hat, dass D. obtusa keine einheitliche, sondern eine polyphyletisch entstandene Art darstellt. Ahnliche Fälle kommen in allen Abteilungen der Plankton- organismen ausserordentlich häufig vor. Ich glaube, dass der Leser aus dem angeführten Beispiel erkannt haben wird, dass es ein schwerer Fehler ist, derartige Formen in einen Topf zu werfen. Manche früher als selbständige Arten beschriebene For- men müssen allerdings wirklich des Artcharakters entkleidet . werden. Das sind alle jene Formen, die als Saisonformen im Jahreszyklus einer Kolonie vorkommen. Auch hier gibt es eine Reihe interessanter Probleme, die noch nicht genügend gewürdigt wurden. Wir wollen wieder ein Beispiel aus dem Genus Daphnia heranziehen. Die pelagische Art Daphnia longispina kommt an manchen Orten während des ganzen Jahres nur in einer Form vor. Die Wintertiere gleichen vollkommen den Sommer- und Herbsttieren. Sie haben stets einen niedrigen Kopf ohne Krista oder nur mit sehr niederer Krista. In anderen Lokalitäten erhalten die aufeinanderfolgenden Generationen des Frühlings sukzessive eine immer höher wer- I 180 V. H. Langhans: dende Krista auf dem Kopfe, bis schliesslich der Kopf der Sommertiere doppelt so hoch ist, als der Kopf der Wintertiere. Diese Sommertiere wurden früher als besondere Arten unter ver- schiedenen Namen (z. B. Daphnia gracilis u. a.) beschrieben. Da viele Frühjahrstiere mit ihrem niedrigen Kopf bis spät in den Sommer hinein am Leben bleiben, machte es den Eindruck, als wäre im Sommer neben der flachköpfigen Daphnia longi- spina noch eine andere hochköpfige Daphnienart aufgetreten, bis durch wiederholte Kulturversuche nachgewiesen wurde, dass die hochköpfigen Sommertiere direkt von den flachköpfigen Früh- jahrstieren abstammen. Nun zeigt diese Saisonvariation in verschiedenen Kolonien einen ganz verschiedenen Verlauf. Während, wie schon erwähnt, in manchen gar keine Variation auftritt, bilden andere Kolonien im Sommer sehr hochköpfige Formen, die jedoch immer noch einen runden Scheitel haben. Wieder andere Kolonien erhalten im Sommer einen mehr oder weniger helmförmig zugespitzten Scheitel, der in den verschiedenen Lokalitäten eine sehr ver- schiedene, für den jeweiligen Fundort charakteristische Gestalt annimmt. Solche behelmte Formen haben seinerzeit zur Aufstellung der Spezies D. galeata geführt. Da man nun weiss, dass die behelmten Formen nur Saisonformen der rundköpfigen D. longispina sind, muss die Spezies galeata aufgelassen werden. Trotzdem wird es gut sein, in jedem einzelnen Falle zu. erwähnen, ob man eine behelmte oder eine rundköpfige Form gefunden, da das Studium der Ursachen jener an den einzelnen Orten so verschieden ablaufenden Saisonvariation wieder eine Vergleichung der Beobachtungen an sehr vielen verschiedenen Lokalitäten erfordert. Es ist übrigens möglich, dass es Seen gibt, in denen wäh- rend des ganzen Jahres nur die Forma galeata vorkommt. Solche Seen sind vielleicht die schottischen „Lochs“. Für derartige Kolonien wäre vielleicht ein besonderer Name zu wählen. Die Unterschiede in der Saisonvariation derselben Art an verschiedenen Lokalitäten sind wahrscheinlich die Folge beson- derer lokaler Lebensbedingungen. Die Tatsache, dass die Variation trotzdem auch im Aqua- rıum bei konstanten äusseren Bedingungen auftritt, beweist, dass der Saisonpolymorphismus erblich festgelegt ist und dass daher Kolonien mit verschiedenem Ablauf der Saisonvariation feste Rassen, im strengsten Sinne selbständige Arten darstellen. Für alle diese Rassen besondere Namen einzuführen, wäre unvorteil- haft, doch zeigt diese Tatsache, dass es wichtig ist, in jedem Falle zu erwähnen, welche Variationsform beobachtet wurde, Zu ° Planktonprobleme. 181 diesem Zwecke sollten die Namen, die schon vorliegen, als Be- zeichnung für die Variationsform beibehalten werden und eine systematisch durchgearbeitete Bezeichnungsweise für die wichtigsten der vorkommenden Formen eingeführt werden. Fa * Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf jene Pro- bleme, die sich direkt auf das System der Planktonorganismen beziehen. In innigstem Zusammenhang mit den systematischen Pro- blemen stehen die Verwandtschaftsprobleme. Zum Verständnis der biologischen Beziehungen zwischen verschiedenen Arten ist es notwendig, ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu kennen. Das Studium der Verwandtschaft der Arten kann zwei in der Natur gegebene Erscheinungskomplexe verwerten: Ähnlichkeit in Form und Bau und Ähnlichkeit in biologischen Eigentümlich-' keiten. Auch hier tritt wieder die Schwierigkeit auf, die dadurch entsteht, dass jede Ähnlichkeit auf zweierlei Art entstanden sein kann: Durch gemeinsame Ererbung und durch konvergente Anpassung. Eine der wesentlichsten Aufgaben der biologischen Plankton- forschung ist es, in jedem einzelnen Falle zu unterscheiden, auf welchem dieser beiden Wege eine gegebene Ähnlichkeit entstan- den sein kann. Dazu ist es notwendig, die Stammesgeschichte der im Plankton vorkommenden Arten zu studieren. Das kann nicht ohne Einbeziehung aller verwandten Formen, die nicht im Plankton vorkommen, geschehen. Die meisten Planktonorga- nismen sind nur einzelne Vertreter grosser Gattungen, deren übrige Arten am Ufer, in Tümpeln und Sümpfen leben. Der Planktonbiologe muss, um die Verwandtschaftsprobleme zu lösen, alle jene Gewässerformen studieren, um das für seine Unter- suchungen nötige Material zu erlangen. Nicht immer wird es möglich sein, Verwandtschaftspro- bleme nur mit Hilfe der Beobachtung in freier Natur zu lösen. In vielen Fällen ist; es nötig, die Schlüsse, die aus der Beobach- tung gezogen wurden, experimentell zu prüfen, die fraglichen Arten im Aquarium zu züchten, um durch Variation der Lebens- bedingungen Abänderungen der Arten zu erzielen. Es ist schon wiederholt gelungen, durch zweckmässig angeordnete Versuchs- bedingungen wertvolle Aufschlüsse über die Verwandtschafts- beziehungen zweier oder mehrerer Arten zu erhalten. Nach oder neben den genannten Problemen spielen Ent- wicklung, Wachstumsverhältnisse, Ernährung, Fortpflanzung und ‘ Vermehrung jeder einzelnen Art eine wichtige Rolle unter den Aufgaben, welche die Planktonforschung zu lösen hat. 182 V. H. Langhans: Planktonprobleme. Das Studium der Entwicklung hat schon für die Erfor- schung der Verwandtschaftsbeziehungen eine grosse Bedeutung. Wachstum und Lebensdauer, sowie Ernährung, Fortpflanzung und Vermehrung sind wesentliche Faktoren jener Erscheinungen, durch welche die periodischen Schwankungen in der Zusammen- setzung des Planktons hervorgerufen werden. Auch hier muss das Experiment herangezogen werden. Es muss untersucht werden, unter welchen Bedingungen jede dieser Erscheinungen am günstigsten abläuft, welche Einflüsse eine Hemmung oder Beschleunigung oder völligen Stillstand jeder einzelnen dieser Erscheinungen herbeizuführen vermag. Schliess- lich muss ermittelt werden, welche von den erforschten Einflüssen in der freien Natur wirksam sind. Betrachtet man die bisherigen Planktonarbeiten von diesem Standpunkt aus, so zeigen sich noch gewaltige Lücken. Über die mögliche Lebensdauer, wie über die tatsächlich vorkommende Lebensdauer der meisten Planktonorganismen weiss man so gut wie gar nichts. Wie lange irgend ein Planktonorganismus braucht, um sich aus dem Ei zum fortpflanzungsfähigen Tier zu entwickeln, ist gänzlich unbekannt. Ebensowenig weiss man über die Zahl der Nachkommen- schaft, die ein einzelnes Individuum unter günstigsten Umständen zu erzeugen vermag, respektive tatsächlich erzeugt. Alle diese noch ungelösten Fragen sind von grösster Wich- tigkeit. Die meisten Planktonorganismen zeigen einen periodischen Wechsel in der Art der Fortpflanzung, parthenogenetische Genera- tionen wechseln mit befruchteten Generationen, vegetative Ver- mehrung mit geschlechtlicher Vermehrung. Bei Arten, die stets nur befruchtungsbedürftige Eier produzieren, kommen abwech- selnd bald Subitaneier (die sich sofort entwickeln(, bald Dauer- eier zur Ablage. Meist verschwindet die Art nach der Ablage der Dauereier aus dem Plankton; oft bleibt sie trotzdem in gleicher oder nur wenig verminderter Zahl bestehen. Die zyklischen Erscheinungen, die mit diesen Vorgängen zusammenhängen, treten bei ein und derselben Art meist sehr regelmässig auf, doch können sie auch Störungen erleiden. Der regelmässige Zyklus zeigt gewisse Beziehungen zu den regel- mässigen Perioden in den meteorologischen Verhältnissen des Wohnortes. Die Störungen des regelmässigen Verlaufes zeigen häufig einen bestimmten Zusammenhang mit Unregelmässigkeiten in den meteorologischen Perioden. Gerade solche Störungen können, wenn sie genau geprüft werden, sehr viel zum Ver- ständnis der zyklischen Erscheinungen beitragen. Doch gehören dazu lange Beobachtungsperioden. Sitzungsberichte. 183 An dieser Stelle möchte ich ein ernstes Wort an alle hydrobiologischen Stationen richten: Solche lange Beobachtungsperioden, ohne welche eine Er- forschung der periodischen Erscheinungen nicht möglich ist, können nur dort gemacht werden, wo ein Gewässer durch viele Jahre hindurch regelmässig beobachtet werden kann, also nur dort, wo eine stabile hydrobiologische Station besteht. Eine plan- mässige, ununterbrochene Beobachtung des Planktons sollte die Hauptaufgabe einer solchen Station sein. Wenn man die Tätig- keitsberichte der bisher bestehenden biologischen Stationen durchsieht, findet man nichts dergleichen. Ein Anlauf, der durch ein oder zwei Jahre dauerte, war wohl wiederholt zu bemer- ken. Nach dieser Zeit wurden andere Arbeiten vorgenommen, die regelmässige Beobachtung verschwand von der Tages- ordnung. Es ist nicht zu leugnen, dass periodische Beobachtungen des Planktons ungleich mühsamer und kostspieliger sind, als die ähnlichen Arbeiten der meteorologischen Stationen. Trotzdem sollten die halbwegs gut dotierten biologischen Stationen einen regelmässigen, nach statistischen Prinzipien geordneten Beobach- tungsdienst einrichten und ohne Unterbrechung dauernd fort- führen. Nur dadurch liesse sich unschätzbares Material sam- - meln, das zur Lösung vieler Probleme dringend nötig ist und das der Einzelne, der nur in grossen Zwischenräumen ein Ge- wässer wieder besuchen kann, niemals zustande bringen wird. Viele von den Arbeiten, die an den hydrobiologischen Stationen heute ausgeführt werden, müssten dann allerdings in den Hinter- grund treten. Das wäre gar nicht zu bedauern, denn es sind meist Arbeiten, die irgendwo anders, in botanischen oder zoolo- gischen Instituten, die nicht an einem grösseren Gewässer liegen, ebensogut ausgeführt werden könnten. Sitzungsberichte. Monatsversammlung am 7. Mai 1909. Botanisches Institut. Prof. Dr. G. Ritter Beck von Mana- getta und Lerchenau sprach über: Pflanzenarten und deren Um- wandlung in neue. Monatsversammlung am 26. Mai 1909. Carolinum, II. Prof. Dr. S. Oppenheim sprach über: Verschiedene Perioden in den erdmagnetischen Erscheinungen 184 Sitzungsberichte. Astronomisch-physikalische Sektion. Seit dem Jahre 1902 besteht in Prag eine freie Vereinigung von Professoren und Assistenten der beiden deutschen Hoch- schulen und von Mittelschulprofessoren, welche sich zur Aufgabe machten, durch Referate und Diskussionen sich gegenseitig auf dem Gebiete der Astronomie und der verwandten Fächer im Laufenden zu erhalten und eigene Arbeiten zu besprechen. Die Anregung dazu ging von Professor Dr. S. Oppenheim aus. der auch bisher diese Zusammenkünfte in ausgezeichneter Weise im Gange hielt. Da die meisten Teilnehmer Mitglieder des „Lotos* sind, wurde bei der Zusammenkunft am 26. Mai d. J. der ein- stimmige Beschluss gefasst, sich als astronomisch - physikalische Sektion des „Lotos“ zu konstituieren und es traten die bis- herigen Nichtmitglieder des „Lotos* demselben bei. Zum Obmanne der Sektion wurde Professor Dr. S. Oppen- heim, zum Delegierten in den Ausschuss des „Lotos“ Professor L. Schöngut und zum Schriftführer Universitäts - Assistent Dr. E. Weiss gewählt. Die Sitzungen werden mit Ausnahme der Som- merferien jeden zweiten Mittwoch im Monate abgehalten werden. Mineralogisch-geologische Sektion. Am 16. Juni l. J. wurde im geolog. Institute eine Ge- schäftssitzung abgehalten, bei der die Neuwahlen des Ausschusses vorgenommen wurden. Prof. Dr. Anton Pelikan wurde zum Ob- mann, Prof. Dr. Adalbert Lievus zum Obmannstellvertreter und Univ.-Assistent Dr. Anton Gareis zum Schriftführer gewählt. Geographische Sektion. Exkursion auf den Milleschauer Donnersberg am 6. Juni 1909. Die geographische Sektion unternahm, einer Einladung des Ilerrn Prof. Dr. Spitaler folgend, am 6. Juni einen Ausflug auf den Donnersberg. Während des Aufstieges von Boreslau aus: wurden unter Anleitung Prof. Spitalers Ubungen in geograph. und meteorolog. Beobachtungen vorgenommen und besonders Messungen der Luftfeuchtigkeit sowie barometrische Höhenbe- stimmungen angestellt. Auf dem Donnersberg selbst nahm die Erläuterung der meteorologischen Instrumente durch Herrn Prof. Spitaler sowie die eingehende Besichtigung aller Räume der Wetterwarte über zwei Stunden in Anspruch. Während des Abstieges wurden die am Vormittage notierten Ablesungen bei denselben Wegstellen durch neuerliche Messun- gen nachgeprüft und so ergänzt. Dieser ersten Fahrt der Sektion werden voraussichtlich recht bald noch andere folgen. Y ‘ Bücherbesprechungen. | 185 Bücherbesprechungen. Rudolf Mande&e, Jahrbuch für Aquarien- und Terrarienfreunde. Ein Rückblick auf das Jahr 1907. IV. Jahrg. Stuttgart 1908. Sprösser u. Nägele. Das vorliegende Bürhlein ist in erster Linie für die Liebhaberwelt bestimmt und hat sich in den wenigen Jahren seit seiner ersten Erschei- - nung eine ausserordentlich weite Verbreitung erworben. Für jene Kreise bedarf es keiner weiteren Empfehlung. An dieser Stelle jedoch möchte ich auch die Aufmerksamkeit der biologischen Forscher auf das Werk lenken. Der Biologe kommt oft in Verlegenheit, wenn er ein Tier, das er zu seinen Versuchen verwenden will, unter möglichst günstigen Umständen durch längere Zeit am Leben erhalten oder gar zur Fortpflanzung bringen will. Häufig sind das Tiere, die an wissenschaftlichen Instituten noch nie gehalten wurden. Von seinen Kollegen kann der Forscher meist keinen Rat erhalten. Mühsam und unter grossen Opfern an Tiermaterial muss er die- Zucht- und Erhaltungsbedingungen für seine Tiere selbst ermitteln. Viel kostbare Zeit geht dadurch verloren. Nicht selten handelt es sich dabei um Tiere, die in den Aquarien . oder Terrarien der Liebhaber längst eingebürgert sind. Die Aquarien- und Terrarienfreunde verfügen über einen grossen Schatz von Erfahrungen be- züglich der Zucht dieser Tiere, sie kennen deren Lebenslauf und ihre Be- dürfnisse, aber all diese wertvollen Daten sind dem Forscher unzugänglich, er muss sie selbst von neuem sammeln. Freilich sind viele von den praktischen Erfahrungen der Liebhaber in verschiedenen Zeitschriften publiziert worden, jedoch in Zeitschriften, die in wissenschaftlichen Instituten nicht aufliegen, von deren Existenz sogar der Forscher meist keine Ahnung hat. In dem Jahrbuch findet er all diese verstreuten und schwer erreichbaren Mitteilungen, neben vielen eigenen Beobachtungen und Erfah- rungen des Verfassers, übersichtlich geordnet und in trefflicher Wiedergabe vereinigt. Besonders hervorzuheben ist, dass Mand&e nicht nur mit grossem Fleiss das Material zusammengetragen, sondern auch mit sicherem kritischen Blick, der nur durch eigene langjährige Erfahrungen erworben werden kann, das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Wertvolle vom Wertlosen ge- schieden hat. Das Büchlein verdiente, in jedes biologische Laboratorium Eingang zu finden. Ich bin überzeugt, dass kein Biologe, der es einmal gelesen und für seine Arbeiten Nutzen daraus gezogen, fernerhin wird missen wollen. Zum Schlusse möchte ich noch in wenigen Worten einen kurzen Überblick über den Inhalt des vorliegenden IV. Jahrganges geben. Das erste Kapitel bringt eine Aufzählung aller neueingeführten Aqua- rienfische mit eingehenden Beschreibungen, Angaben über biologische Merk- würdigkeiten und Erhaltungsbedingungen. Im zweiten Kapitel: Niedere Tiere des Süsswassers, sind vom gleichen Gesichtspunkte aus neu in den Handel gebrachte Schnecken, Krustaceen etc. besprochen. Hervorzuheben ist die Mitteilung über geglückte Aufzucht von Branchipus und Apus. Das dritte. Kapitel enthält zahlreiche wertvolle Seen über Zucht und Fortpflanzung seltener Fische. In dem Kapitel „Beobachtungen und Erfahrungen“ ist eine Fülle _ interessanter Daten niedergelegt, die vielfach die Aufmerksamkeit wissen- schaftlicher Kreise beanspruchen dürfen. 186 | Bücherbesprechun gen, Sehr wertvoll für den Biologen sind die Kapitel über Fütterung der Fische, Anleitungen zur Bekämpfung von Fischkrankheiten und eine aus- führliche Zusammenstellung neuer Erfindungen und Behelfe für die Anlage von Agnarien- und Terrarieneinrichtungen. Von ähnlichen Gesichtspunkten aus sind auch die Seewasseraquarien und die Terrarien behandelt. Das Kapitel „Aquarien- und Terrarienpflanzen“ enthält manche be- deutsame Winke zur Frage der Besetzung der Behälter mit geeigneten Pflanzen. Zum Schlusse bringt der Verfasser ein Verzeichnis der einschlägigen Vereine mit genauen Angaben ihrer Adressen, Mitgliederzahl und Tätigkeit, sowie eine kurze Zeitschriften- und Bücherschau und einen geschäftlichen Wegweiser, der bei der Beschaffung der Gebrauchsgegenstände und des Tier- materials wesentliche Dienste leisten wird. Aus dieser kurzen Übersicht dürfte schon hervorgehen, dass das Jahr- buch für den Biologen ein wichtiges Nachschlagebüchlein werden kann, das ihn stets über alle Neuerscheinungen, neuen Beobachtungen und Erfah- ‚rungen in der Zucht und Erhaltung der Aquarien- und Terrarientiere orien- tieren kann. Langhans. Syante Arrhenius. Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten. Das Werden der Welten. Neue Folge. Aus dem Schwedischen übersetzt von L. Bamberger. Leipzig 1909, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Mit 28 Abb., XI u. 19) S., 8°, brosch. 5 M., geb. 6 M. Der grosse Erfolg und die Verbreitung. welche das vor ungefähr zwei Jahren erschienene Buch „Das Werden der Welten“ (vgl. Lotos 1907) ge- funden, veranlasste den Verfasser in einem als Fortsetzung des,ersteren ge- dachten Werkchen „Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten“ eine übersichtlich zusammenfassende Darstellung der kosmogonischen Theorien von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart zu geben. Beginnend mit den ältesten Sagen über das Wesen und die Entstehung des Weltalls führt uns der Verfasser von den primitiven Anschauungen der Naturvölker zu den Schöpfungslegenden bei den Kulturvölkern der alten Zeit. Die Schöpfungssagen der Chaldäer, der Juden, die Vorstellungen der Ägypter, die kosmogonischen Ideen der Griechen und Römer, wie sie von Hesiod und Ovid uns überliefert sind, weiss der Verfasser in der ihm zu Gebote stehenden eleganten Schreibweise in anziehender Form darzustellen, wobei ihm sein umfassendes Wissen und gründliches Studium des Gegenstandes sehr zu statten kommt. In einem weiteren »Die schönsten und tiefdurch- dachtesten Schöpfungssagen“ überschriebenen Kapitel macht der Verfasser den Leser noch mit den Anschauungen der Perser und Inder über die Weltentwicklung und mit der skandinavischen Schöpfungsdichtung bekannt, Damit wird die Besprechung kosmogonischer Ideen, soweit sie in der auf religiöser Basis stehenden Betrachtung der Naturerscheinungen ihren Ur- sprung haben, abgeschlossen. Der Verfasser wendet sich in den folgenden -» Kapiteln. den Anschauungen der Gelehrten zu und zeigt uns in historischer Reihenfolge mit den Ansichten Thales von Milet beginnend die Steigerung der Fortschritte in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis in ihrer Anwen- dung auf die Lösung des Weltproblems bis zu Laplace und Lagrange. In den beiden letzten Kapiteln endlich wiederholt der Verfasser seine bereits im „Werden der Welten“ niedergelesten Anschauungen und sucht sie noch weiter zu begründen. Die Lehre vom Strahlungsdruck und seinen Wir- kungen, die Lehre von der Ewigkeit von Raum und Zeit, die Frage von der Urzeugungund der Panspermie bilden die Hauptpunkte seiner Entwicklungen, 27 ‚Bücherbesprechungen. - 187 die er mit den Ansichten anderer Forscher vergleicht und auf ihre Halt- barkeit prüft. Allerdings begeht Arrhenius dabei den Fehler, seine An- sichten in so sicherer Form niederzulegen, dass sie den Charakter von Hypothesen verlierend öfter wie festbegründete Lehrsätze erscheinen, ein Fehler der bereits im „Werden der Welten“ auftrat, im vorliegenden Buche aber noch krasser zu Tage tritt. Immerhin ist das Buch jedermann zu empfehlen und wird es gewiss niemand, welcher dem einzigartigen Welt- bildungsprobleme Interesse entgegenbringt, unbefriedigt aus der Hand legen. A. Scheller. Schuster, Oberstl., Der Einfluss des Mondes auf unsere Atmosphäre. Karlsruhe, Friedr. Gutsch, 1908. 2 Taf., 31 S. 8%M. 1:20. | Ziegler J. H., Die Struktur der Materie und das Welträtsel. Bern, Selbstverl., 1908, 98 8. 8°. Wilser, Dr. Ludwig, Tierwelt und Erdalter. Entwicklungs- geschichtliche Betrachtungen. Stuttgart. Strecker u. Schrö- der. Mk. 1, geb. 1 Mk. 80. Eine populäre Darstellung der Entwicklungsgescbichte, die sich aber von den sonstigen derartigen Schriften durch eine gewisse höhere Wissen- schaftlichkeit unterscheidet. In einer 20 Seiten umfassenden Einleitung wird in kurzen Zügen der Werdegang unseres Planeten gezeichnet, im übrigen Teile die einzelnen Erd- perioden in ihrer historischen Reihenfolge mit den organischen Resten. besprochen. Der rote Faden, der durch das ganze Schriftchen sich hindurchzieht, ist die Annahme, das gesamte organische Leben stamme vom Norden her uud habe sich 'von da an allmählich über die Erdoberfläche verbreitet. Schon in der Einleitung findet sich ein derartiger Hinweis in dem Satze S. 5: „Uber die Stellen, wo die erste Schollenbildung stattgefunden hat, kann ein Zweifel kaum obwalten; es müssen diejenigen sein, die auch heute die stärkste Abkühlung zeigen, nämlich die Pole.“ Dann auf Seite 22: „War das Urmeer rings von Land umgeben, so stand dem Leben in seinem Ausdehnungsdrang kaum ein anderer Weg offen und die Flussmündungen mit ihren Brackwassersümpfen bildeten die geeignetsten Eingangspforten. Solche Verhältnisse müssen aber am Nordpol geherrscht haben, nachdem dort infolge eines jener Einbrüche der Erdrinde, wie sie durch Schrumpfung des erkaltenden Kerns veranlasst wurden, ein tast kreisrundes Tiefseebecken entstanden war. Kein Wunder darum, wenn alle Spuren urweltlicher Tierverbreitung gen Norden weisen und die südliche Halbkugel als Urheimat ausgestorbener oder nur in späten Nachkommen fortlebender Gattungen und.Arten nicht in Frage kommt.“ Für die Tatsache, dass die fossile Tier- und Pflanzenwelt auf der nördlichen Halbkugel besser und vollständiger bekannt ist als auf der südlichen wird sich wohl ein plausiblerer Grund darin finden, dass eben die Schichten dieser Länder viel intensiver durchforscht sind, als die der südlichen Hemisphäre. Für die obige vorgefasste Annahme des Verfassers spricht zwar eine ganze Reihe von Tatsachen: z.B. die Entstehung der Warmblütigkeit bei den Vögeln, das Federkleid derselben, das Haarkleid der Säuger weisen darauf hin, dass der Entstehungsherd dieser Tiergruppen eine niedere Temperatur besass. Der Verfasser beweist eine solche Verbreitung aus nördlichen Gegenden für viele Lebewesen, aber eben- so könnte man für viele andere eine ganz entgegengesetzte und eine ost- westliche ins Treffen führen, z. B. bei der Verbreitung der mediterranen Tertiärfauna oder der Florengebiete in Europa. Man muss dem Verfasser zugute halten, dass er kein Paläontologe vom Fach ist, was er ja im Vorwort auch betont. Der sonstige Inhalt ist, besonders was die einzelnen 188 Bücherbesprechungen. fossilen Vertreter der Schichten anbelangt, ganz wissenschaftlich und berücksichtigt die neuesten Forschungsergebnisse, so weit es in einem für die weitesten Kreise geschriebenem Buche möglich ist. Eines noch hätte der Referent zu bemängeln, nämlich das Bestreben, die wissenschaftlichen Namen zu verdeutschen. Wenn das Laienpublikum so weit gebildet ist, eine, wenn auch populäre Entwicklungsgeschichte mit Erfolg zu lesen, so kann man ihm doch zumuten, dass es sich auch die Namen merke, welche Gemeingut der Gebildeten geworden sind. Eine gewisse Berechtigung "hätten die Verdeutschungen bei Placodus — Plattenzahn, Mastodonsaurus — Zitzenzabnechse etc., die auf charakteristischen Körper- eigentümlichkeiten hin aufgestellt sind und als mnemotechnische Hilfsmittel benützt werden können. ’Aber statt Plesiosaurus Nachbarechse, statt Teleo- saurus Vollechse, statt Brontosaurus verblüffende Echse zu Sag; das zeigt doch keine Erleichterung für das Gedächtnis der Leser. Das Buch ist mit 5 geologischen Landschaftstafeln, 25 Textabbildungen von fossilen Lebewesen ausgestattet. Dr. Liebus. Tauschverkehr des „Lotos“. In der ersten Hälfte des Jahres 1909 sind folgende Anstalten für den Tauschverkehr zu den bisherigen (vide Lotos 1907 und Jahresbericht 1908) neu hinzugekommen: Amsterdam: Kgl. Akademie der Wissenschaften. Austin (Texas): University of Texas Library. Batavia (Weltevreden): Kgl. Magnetisch en Meteorologisch Observatorium. Brünn: Deutsche Gesellschaft in Altbrünn, Brüssel: Redaktion von „Ciel et Terre“. Caleutta: Indian Museum, Natural History Section. Cambridge: Philosophical Society. Chicago: Field Museum of Natural History. Dresden: Kgl. Sächsische Landes-Wetterwarte. Frankfurt a. M.: Redaktion des „Zoologischer Beobachter“. Göteborg: Kgl. Vetenskaps-och Vitterhets Samhälle. Helsingfors: Commission Geologique de Finland. M Geografiska Föreningen i Finland. Societe des Sciences de Finlande. Kopenhagen: Dansk Botanisk Forening. Liege: Societe Geologique de Belgique. Madrid: Real Academia de Ciencias exactas Fis. y Nat. New-York: New-York Academy of Sciences. New-York State Library (Museum). Ottawa: Royal Society of Canada. Department of Mines, Geological Survey. Philadelphia: American Philosophical Society. Prag: Akad. Verein deutscher Historiker. Stockholm: Kgl. Svenska Vetenskaps Akademien. L’Institut Royal Geologique de Suede. Stuttgart: Redaktion der „Gaea*. Tokyo: Zoological Society. 5 Medizinische Fakultät der Kais. Universität. : Imp. Earthquake Investigation Committee. Tromsö: Museums Naturhistor. Afdeling. Upsala: Kgl. Vetenskaps Societeten. Utrecht (de Bilt): Kgl. nederlandsch Meteorologisch Institut. Wien: Redaktion der „Urania“, Bemerkt sei, dass vielfach ganze Serien früherer Publikationen der angeführten Anstalten und Korporationen eingetauscht wurden. k3 ni v (u Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘', Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. = nnennnnn Redaktionsvermerk: Redaktiöns- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. (Priv.-Doz. Dr.L. Freund, sonst: I., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) 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Ecke Maxmilianplatz. me Ei] BAND 57 JULI 1909 Nr. 7 | | NATURWISSENSCHAFTLICHE | | »ZEITSCHRIFT, HERAUSGE- || GEBEN VOM DEUTSCHEN NATURWISSENSCHAFTLICH- MEDIZINISCHEN VEREIN FÜR BÖHMEN „LOTOS“ IN PRAG DEXLER H., Prof, AUSTRALISCHE REISEBRIEFE V. & OPPENHEIM S., UBER VERSCHIEDENE PERIODEN IN DEN ERDMAGNETISCHEN ERSCHEINUNGEN. % GEIT- LER JOSEF RITTER von, Pro:., Dr., Dr. RUDOLF VON HASSLINGER. & MILRATH HUGO, ZUR GESCHICHTE DES HERINGSTRANES. & LIEBUS AD,, Prof., Dr., GE- OLOGISCHE WANDERUNGEN IN DER UMGEBUNG VON PRAG. % ZIMMERT K., UBER AUFSCHLUSSE DES PRAGER BODENS. WERZAZAZRZAZLARRALRLAAARARE Bere nr rer PRAG 1009: DE TE J. G. CALVE’SCHE K. K. HOF- U. UNIV.-BUCHHANDLUNG, I., KL. RING (JOSEF KOCH) — DRUCK VON CARL BELLMANN IN PRAG Preis der einzelnen Nummer K1’—. Preis des Jahrg. (10 Nummern) K 8°— Filiale der Optisdtien Werkstätten Cl. REICHERT, M. Wondrusch, PRAG, Il. Gerstengasse 4. 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Wir glitten mehrere Stunden bei rein südlichem Kurse durch das spiegelglatte Wasser dahin, über das die letzten Ausläufer der Hochseedünung in kaum merklichen Hebungen und Senkungen verschwebten. Die laue Luft, der klare Himmel und das stille Meer gaben unserer Fahrt den köstlichen Reiz eines Vergnügungsausfluges, der von mir leider wegen der Erwartung des Neuen und Unbekannten nicht mit jener Hinge- bung genossen wurde, die er verdiente. Früh am Nachmittage warfen wir am Südende von Moreton Island Anker, um mit dem dortigen Pilotenwächter Kloherty, einem Iren, wegen der Miete eines Segelbootes zu verhandeln. Im Süden schimmerte der weisse flache Strand von Stradbroke Island herüber, gegen den die weissen Kämme der Brandung in rythmischen Schlägen hinanrollten. Mr. Kloherty war für unseren Vorsatz sofort zu haben; er - überliess uns gern seinen Kutter gegen die stipulierten Bedin- > ; gungen. Aus seinen Reden klang unverhohlen die Freude über ein gutes Geschäft, bei dem er andere arbeiten liess. Ansonsten waren seine Ausserungen weniger klar, dafür aber mehr mit einer Unzahl von Flüchen gespickt. Ein Misslingen, ein Ausblei- ben der Dugongs gab er nicht zu. Er schwur, dass die Tiere in Scharen da wären oder er wolle mit Blindheit geschlagen sein und ein verdammter Lügner heissen. Ich fühlte gleich, dass ich mit einem Schlage aus dem Bereiche gebildeter Menschen in die Sphäre des einfachen Mannes versetzt war, dem der Erdgeruch anhaftet; Kloherty roch nach Whisky. Er behauptete, die Bai wie seine Tasche zu kennen, mit allen Rinnen, Untiefen und Winkeln, in denen die Dugongs zu finden wären; er behauptete ferner und schwur, jeden Tag die Tiere zu sehen und manchmal so nahe, dass er sie mit dem Messer erreichen zu können glaubte; er wolle so tot als wie nur möglich sein, wenn er sich irre. 15 _ 190 Prof. H. Dexler: „[here yonder they are and then there, and there“*...und dabei wies er mit einer Freimütigkeit über die Jagdplätze, die für mich beglückend hätte sein können, wenn sie begründet gewesen wäre. Zu meinem Bedauern wirkte die Zusammenhanglosigkeit seiner Reden, sein unsäglich abstossendes Säufergesicht mit den dicken Stirnwülsten so deprimierend auf mich ein, dass ich alle weiteren Unterhandlungen am liebsten sogleich abgebrochen hätte. Mich hielt nur der Umstand davon ab, dass mir kaum eine andere Wahl blieb, wenn ich endlich mit dem Fange beginnen wollte, und ferner, dass der Mann seinen Vorteil selbst in die Wagschale warf. Im Falle des Fehlschlagens unserer Fischerei ging er leer aus; er wollte keinen Penny annehmeu, sondern beanspruchte das Fett und die Häute der Dugongs. Das Öl dieser Tiere wollte er zu hohen Preisen verkaufen, weil es ein unfehlbares Heilmittel gegen die Tuberkulose und gegen eine ganze Reihe anderer Lei- den sei oder wolle er kein Gentleman sein. Mr. Stevens, der sich alle Mühe gab, die Verhandlungen zu einem gedeihlichen Ende zu bringen, riet, den Ausführungen Klohertys trotz ihrer Ubertreibungen Gehör zu schenken, weil aus ihm die Erfahrungen eines zwölfjährigen Aufenthaltes auf der Insel sprächen; zudem sei er ja nicht der Fischer, sondern ° nur der Bootsverleiher, und was schliesslich seine blumenreiche Sprache und den etwas angeheiterten Zustand anbelange, so würde ich mich daran gewöhnen müssen, wenn ich je die Absicht hätte, mit Moreton-Leuten zu unterhandeln; anders seien sie wohl kaum zu haben und ihre Sprache — well, they like to use strong expressions sometimes — und ihr Slang war als Moretondialekt weit bekannt. Nach meinen späteren Erfahrungen fand ich die Benennung der klobigen Wortgebilde, welche die Seele dieser Sprache waren, als „strong expressions“ eine sehr rücksichtsvolle. Nach langem Erwägen wurde das Übereinkommen durch Handschlag bekräftigt und Whisky aufgetragen, den Kloherty nie entbehren zu können behauptete, wenn er gute Gedanken brauche. Offenbar nur in diesem Drange trank er unversehens meinen Becher und denjenigen Mr. Stevens aus und versprach uns bei allen irischen Königen, dass er die Bai gut überwachen und uns alles Wünschenswerte über die Züge der Dugongs durch Flaggensignale wissen lassen wolle. Ich beeilte mich loszukom- men und wir dampften dem Süden zu, um in Dunwich unseren Fischer samt der Bootsmannschaft anzuheuern. Die Angelegenheit musste ich naturgemäss Mr. Stevens allein überlassen und ich bat, mich an jener Stelle auszusetzen, wo unser Lagerplatz sein sollte; es blieben mir einige Stunden, die ich bis zur Rückkehr des Dampfers der Besichtigung der bezeichneten Ortlichkeit zuwenden konnte. P | Bi Australische Reisebriefe, V. 191 Sie war nicht einladend. Sie lag an einer flachen Bucht im Bereiche einer Fischerreservation an der Nordwestseite von Stradbroke und ragte bloss wenige Fuss über die Flutmarke - empor. Durch einen kleinen Brakwasserfluss, den Wallum Creek, und ausgedehnte Sümpfe war sie gegen das hügelige Innere der Insel und durch eine dichte Reihe hoher Mangroves gegen die Bai abgeschlossen. Jenseits dieses grünen Walles kamen die zur Ebbezeit trocken liegenden, sich auf viele Meilen der Küste entlang streckenden Sandebenen, dann weiter hinaus das glatte Seichtwasser mit flachen kleinen Eilanden, auf denen Schwärme von Seevögeln Rast hielten; dann erst folgte die weite spiegelnde Fläche der Bai, über die am westlichen Horizonte die Festland- küste mit den Glashausbergen in verschwommenen Linien her- übergrüsste. Wie seewärts, so traf man auch landeinwärts eine wenig ansprechende Eintönigkeit. Der Platz lag auf dem Rücken einer ganz niederen Sanddüne und war nur mit wenigen Sträu- chern, halbvertrocknetem Grase, einigen Eukalypten und Pandanen bewachsen; abgehauene Baumstämme, Glasflaschen und Blech- büchsen sowie eine verlassene Feuerstelle mit Haufen von Austern- schalen wiesen auf den Aufenthalt von Menschen hin. Aus den Mangrovesümpfen tönte der langgezogene Ruf eines Vogels und hoch in der Luft strich ein Schwarm kleiner Papageien über den Busch. Sonst war kaum ein Lebenszeichen bemerkbar in dieser sonnigen Einöde. Die umgebende beklemmende Ruhe trieb mich ‚bald wieder an den Strand hinaus, um nach dem Schiffe zu spähen. Aber auch hier bewegungslose Einsamkeit. Soweit mein Blick die Küste entlang schweifte, nichts wie lichtübergossene flache Sande, die in der schwälenden Stille eines heissen Som- mertages flimmerten. Die idyllische Ruhe des Fischerlebens, die so vielfach besungen wurde, war hier jedenfalls gegeben. Knapp vor Sonnenuntergang kam der „Albatros“ zurück, ein kleines Segelboot im Schlepptau. Mr. Stevens hatte meine Mannschaft mitgebracht samt dem Dugongnetz und den Ankern. Die Hauptperson war Tommy Nuggan, ein Vollblutschwarzer von typischem Aussehen. Fr hatte den schmalen Schädel, die breite Nase, den niederen Nasensattel, das gewellte Wollhaar, den dichten Backenbart und die schwarzbraune Hautfarbe seiner Rasse. Zugleich vereinigte er die Abzeichen der wilden Gebräuche seiner Urväter mit denen europäischer Kultur. Die beiden Schnei- dezähne des Oberkiefers waren ihm ausgeschlagen und die Ohr- läppchen grob durchlöchert. Er trug die Kleidung der weissen Fischer und handhabte ihre urwüchsige Sprache mit erstaunlicher Geläufigkeit. Er war Christ, Trooper und rechnete sich so zu den Weissen, wie irgend einer. Zu Hause in seinem Camp war er eine Standesperson. Er betrieb Krabben- und früher den Du- 15* 192 Prof. H. Dexler: gongfang und galt unter den Schwarzen von Dunwich als the old man -— ein Rangestitel, der sich sinngemäss nicht ins Deutsche übertragen lässt. Mit ihm kamen zwei Halbblutschwarze, die von den Weissen ausser einer beträchtlichen Verstandesschärfe nur ihr Gaunertum übernommen hatten. Der Vierte im Bunde war ein Weisser, Harry Pond, der für das Boot, das Abkochen usw. verantwortlich war — ein stiller Säufer und ein Exemplar jener Schmarotzer, deren sich die menschliche Gesellschaft bei unseren Antipoden eben nicht entledigen zu können scheint. Er versuchte gleich anfangs sich als Herr über die Schwarzen aufzuspielen, hielt viel auf die besten Fleischstücke, ass gerne eingemachte Früchte und las englische Romane. Der Sonntag war im heilig, wenn er auch an Wochentagen schwere Arbeiten lieber vermied. Er war nicht aus Not, sondern nur aus Vorsicht Fischer gewor- den und auf die unbewohnten Inseln gegangen; am Festlande war zuviel Whisky. Ich gestehe, dass mich die Aussicht, mich mit diesen Ge- nossen zu einer Gemeinschaft zu vereinen und mit ihnen mehrere Monate in dieser Weltabgeschiedenheit leben zu müssen, etwas herabstimmte. Separatistischen Erwägungen nachzuhängen, war aber jetzt nicht möglich. Am Abende nahm ich mit Mr. Stevens, dem Kapitän des Albatros und seinem Maschinisten noch eine opulente englische Mahlzeit ein, die für lange Zeit die letzte mit Tischwäsche war. In der darauffolgenden Nacht zur Zeit des Hochstandes der Flut schaffte ich mein Gepäck an den Strand. Ein steifer Westwind hatte sich erhoben und. warf hohe Wellen über die früher so stille Wasserfläche. Ich lernte zum ersten Male Kleider, Sand und Salzwasser weniger auseinanderhalten. Kaum war die letzte Bootsladung geborgen, so zog der Albatros sein Abfahrtssignal auf. Ich sagte noch einmal meinen Begleitern Lebewohl und sah nicht ohne Wehmut dem Dampfer nach, der bald im Morgengrau des kommenden Tages verschwand. Die ersten Tage meines Aufenthaltes auf der Insel gingen unter den vielerlei Beschäftigungen, die die Anlage meiner impro- visierten zoologischen Station und meines Camp mit sich führten, ungemein rasch dahin und brachten mir durch die Eigenartigkeit der geänderten Lebensbedingungen eine Menge des Neuen und Interessanten. Nachdem mein Zelt aufgeschlagen, ein Wasserloch geeraben und eine Feuerstelle hergerichtet war, hatte ich’ vor allen meinen äusseren Menschen den Arbeitsansprüchen anzupassen. Ich ging dabei von allen Bequemlichkeiten der sogenannten höheren Kultur bis auf die Unterkleider und die Zahnbürste ab und beteiligte mich so viel wie möglich an allen Arbeiten, die das Lagerleben mit sich brachte; ich opferte ihnen meine ganze Zeit,.die mir das Präparieren, Schreiben usw. liess. Weniger war Australische Reisebriefe, V. 193 dabei der Versuch massgebend, einen Mann zu ersetzen als der Wunsch, mich von den Leuten möglichst unabhängig zu machen. Das Einarbeiten in die Handhabung der Netze und des Kutters erwies sich bald als ein grosser Vorteil. Bei schlechtem Wetter wollte die Mannschaft nicht aussegeln, teils aus Faulheit, teils aus Besorgnis vor den oft und unvermutet einfallenden Südost- böen; namentlich Pond zeigte mir sehr bald seine Abneigung gegen ein solches Risiko und betonte über Gebühr die Schwie- rigkeit der Bootsführung mit drei Mann im rauhen Wetter. Hätte ich nicht vom Anbeginn überall Hand angelegt, so wäre es mir niemals gelungen, die Leute in jenem Arbeitstempo zu halten, das ich für notwendig fand und sie gründlich davon zu über- zeugen, dass sie zu keiner Vergnügungsyacht gehörten. | Unsere ersten Ausflüge waren so genussvoll, dass man sie nur Lustfahrten nennen konnte, in die noch kein Schatten der Schwierigkeiten und der Bitternis der Arbeit hineingeworfen wurde. Sie gehören zu meinen schönsten Reiseerinnerungen. In den damaligen Maientagen bei einer leichten Brise in dem träge sich wiegenden Boote über die Bai zu kreuzen und sich ganz dem Genusse jener Romantik hinzugeben, welchen die See auf jeden ausübt, der nicht gezwungen auf ihr leben oder arbeiten muss, gehörte zu den beneidenswertesten Erlebnissen. Den Zug der kreisenden Seeadler zu verfolgen, das Spiel der Taucher und Delphine zu beobachten, sich zu erfreuen an dem Farbenwechsel, der aus den tangreichen Tiefen heraufleuchtete, dem dumpfen Brausen der fernen Brandung des Aussenmeeres zu lauschen, die sich in unser abgeschiedenes Refugium in leichten Wogen fortsetzte; dem Gang ferner Segel nachzustarren, die Luftspiege- Jungen an der Küste, das gelegentliche Auffahren eines grossen Seetieres zu sehen und noch viele andere Erscheinungen am grossen Webstuhle der Mutter Natur anstaunen, hören, fühlen und mit- leben zu dürfen, war Glück. Unser Boot gehorchte leicht dem Segeldruck und zog stetig durch die Wellen, von einem kaum wahrnehmbaren Gurgeln im zurückbleibenden Kielwasser begleitet. Rhythmisch schlugen die Taue an den Mast. Tommy am Steuer sah achtsam nach vorne aus, hin und wieder einen Blick nach der Segelspannung oder nach dem Horizont werfend. Die andern splissten Stricke oder sassen auf den- Seilringen, ihre Pfeife schmauchend und liessen sich in der Sonne braten. Etwas Leben kam nur beim Kurswechseln in die Gesellschaft, wenn sie dem Baume- des Hauptsegels auszuweichen oder die Leinen zu führen hatten. Tommy legte das Ruder um, Vor- und Hauptsegel schlu- gen nach der anderen Seite hinüber, und der Kutter nahm seinen neuen Weg auf. Nach einigen kurzen Bemerkungen kam wieder ein Zustand behaglicher Schläfrigkeit über sie, den Tommy 194 Prof. H. Dexler: von Zeit zu Zeit durch seine Kommandos unterbrach . . . „slacke - the jib sheet please, heave that rope...just a bit more... thats right* usw. Die beiden Halfcasts sahen mit zwinkernden Augen über die blendende Wasserfläche. Ein tiefes Lustgefühl umschloss uns. Der Beruf eines Fischers schien mir der schönste und unser Kutter das vollkommenste aller Fahrzeuge. Ich hätte einstimmen wollen in den Ruf des fliegenden Holländers zu se- gseln, solange der Wind noch weht.... Wenn wir dann nach langer Kreuzfahrt müde vom Schauen und von dem unausgesetzten Ausbalancieren des Körpers ‘bei den Bootsbewegungeu in unsere Bucht einzogen und das lodernde Feuer sahen, das uns durch die Mangroves entgegenleuchtete; des dampfenden Tees und der schmackhaften Fleischrationen gedachten, die uns hier erwarteten, so hätte selbst ein Misanthrop für seine galligen Gedanken keinen Raum gehabt. Freilich waren unsere Fleischstücke nicht immer saftig, sondern oft voll Tuber- kelknoten, und was der mühsame Walfang an Lebensfreude in uns zurückliess, haben Regen und Sturm uns gründlich ausgetrieben. Die Seekuh, Sea cow auch Sea pig oder Dugong, wie sie nach dem Malayischen gewöhnlich genannt wird, ist ein Bewohner der warmen Meere und hat ein Verbreitungsgebiet, das von der. Ostküste Afrikas bis über die Osterinseln hinausreicht. Am häu- figsten wird sie, in mehreren Spielarten . sogar, in den grossen Seichtmeeren getroffen, die sich um den malayischen Archipel, die Südseeinseln und südlich von Neuguinea gegen Australien hinziehen. Unter allen Seesäugetieren ist der Dugong, neben dem in den südamerikanischen Gewässern lebenden Manatus, der einzige jetzt lebende Vertreter der Klasse der pflanzenfressenden Wale oder Sirenen. Die letztere Bezeichnung, mit der diese Tier- gruppe belegt wird, ist wohl nur als poetische Lizenz aufzufassen und auf die Eigentümlichkeit zurückzuführen, dass die Dugong- weibchen ihre zwei Milchdrüsen an der Vorderbrust tragen, deren Ausführungsgänge in je eine ganz unscheinbare, achselständige Zitze münden. Im übrigen ist das Tier bei seinen drei Metern Maximallänge ungemein plump gebaut. Der fast walzenförmige Rumpf trägt eine breite, ungegabelte, wagrechte Schwanzflosse und zwei kurze Vorderextremitäten, deren Endteile als kurze Flossen seitlich abstehen. Der Hals ist kurz, vom Rumpfe etwas abgesetzt und geht ohne scharfe Grenze in den unförmlichen Kopf über. Ein äusseres Ohr fehlt; die Augen sind sehr klein und in der Lidspalte tief versteckt. Am Nasenende ist ein bor- stiger, dicker, schwappender Fortsatz aufgesetzt, der leicht beweg- lich und an seiner Unterseite mit einer breiten Tastscheibe nach Art eines kurzen Rüssels ausgestattet ist. Aus der. breiten Maul- spalte ragen eine Verlängerung des harten Gaumens und beim Australische Reisebriefe, V. 195 (\ erwachsenen Männchen zwei kurze dicke, im Oberkiefer steckende Hauer. Hiedurch werden Formen geschaffen, die wir gewöhnlich _ nicht mit dem Begriffe Sirenen verbinden. ‘ Das Fleisch des Dugong ist sehr geschätzt. Die Moretonfi- scher bezeichneten es als dem des Huhnes und Kalbes zugleich ähnelnd. Als besondere Delikatesse verehren die Australneger die fleischige Schnauze und die Engländer das Dugongbacon, die gseräucherten, mit Fett durchwachsenen Brust- und Bauch- decken. Das bei gewöhnlicher Temperatur nicht erstarrende Fett oder Ol wird zu Heil- wie Speisezwecken verwendet, während aus der Decke ein daumendickes Leder bereitet wird. Die Stoss- zähne finden als- Elfenbein, die Skelettknochen zu den verschie- denstenp Gebrauchsartikeln Verwendung. Bei den polynesischen wie malayischen Völkern spielt das Tier in den Religionsgebräu- chen, Sitten” und in der Geschichte eine wichtige Rolle. Blut, Flossen, Hauer und andere Organe dienen vielfach als Amulette. Trotz des ziemlich hohen Handelswertes wird die Jagd des Dugong nirgends im grossen betrieben. Das Tier ist zwar gesellig, aber nur in kleinen Trupps von zwei bis zwölf Stück lebend und hat keine Sammelplätze wie etwa die Seehunde. Eine rentable Erbeutung in grossen Mengen, wie beim Robbenschlag, ist daher nicht möglich. Man ist genötigt, die Standplätze einzelner Fami- lien aufzusuchen, um ihnen nachstellen zu können, und kann unter sonst günstigen Umständen 20 und noch mehr Stück per Boot fangen. Stärker beunruhigt verlassen die Überlebenden die betreffende Lokalität und erst nach Jahren glückt wieder ein Versuch, ihrer habhaft zu werden. Durch das geringe Einhalten der Wechsel und den Mangel an Zusammenscharung bleibt der Dugongfang immer Kleinarbeit, zur Ernährung einzelner Fischer- familien oder der Bewohner kleinerer Inseln ausreichend, nicht aber genügend für industriellen Betrieb. Die älteste Fangmethode ist das Speeren; überall dort, wo die Zeit und die Menschenkraft fast wertlos ist, bleibt sie die rationellste.e Es werden dabei immer nur einzelne Exemplare erlest, wogegen die Stammherde, die bei anderen Fangarten bald vernichtet sein würde, geschont bleibt. Die so geschaffene natür- liche Einschränkung des Fanges ist gerade bei einem Tiere, das, sowie der Dugong, für viele Inselvölker die wichtigste Nahrungs- quelle abgibt und das zu hilflos ist, um sich irgendwie selbst zu Schützen, von grosser Bedeutung. Ausser seiner Scheu sind ihm keine Waffen gegeben. Es erhebt sich übrigens die Frage, ob die zeremoniellen Gebräuche, die auf den Südseeinseln beim Dugongfange eingehalten werden, nicht eine beabsichtigte Scho- nung zur Grundlage haben. Sie sind jedenfalls umständlich genug, um die Erlegung des kostbaren Tieres zu erschweren. Finsch 196 Prof. H. Dexler: hat uns über diese Formen gut unterrichtet. Die Heiligung der Speere, die Abgrenzung des Fangplatzes, der für tabu, d.h. für jeden Unberufenen nicht zugänglich ist, usw. scheinen darauf hinzudeuten. Im Bismarckarchipel ist es Sitte, dass, wenn der Harpunenwerfer sein Gerüst besteigt, von dem er den Dugong speeren will, alle Feuer gelöscht werden und die Weiber sich in ihren Hütten verborgen halten müssen. Die Schnauzenhaut wird in Torres Straits als Fetisch mitten im Dorfe aufgehängt, um den Geist des abgeschiedenen Dugong zu bewegen, seine Fami- lienherde nicht von der Küste ziehen zu lassen u. a. m. Die Australneger mit ihrer Erbarmungs- und Gedanken- losigkeit ihres kindischen Gemütes haben alles gespeert, was in ihre Hände fiel. Trotzdem ist kaum anzunehmen, dass die schüt- tere Bevölkerung die Scharen dieser Tiere sehr gefährdet hätte, obwohl sie ihre Dummheit ganz wehrlos macht. Rudyard Kipling lässt Kotik, the white seal, von einem ausgestorbenen Stammver- wandten des Dugong, der Steller’schen Seekuh, sagen: „People, who are such idiots as these are, would have been killed long ago if they hadn’t found out some safe island“... Allein die Weissen, die nach den Schwarzen zu wirtschaften begannen, trieben das Geschäft gründlicher und ergänzten es durch Pulver und Blei, bis derartige Fangarten von der Regierung gänzlich verboten wurden. Im Korallenmeere und den sonstigen Gewässern Queens- lands ist nur der Fang mit Netzen gestattet. Man benutzt 1—200 Yards lange Netze von 15 Zoll Maschenweite, um die jungen Tiere durchzulassen, und fängt damit die Seekühe, wenn sie in der gewählten Lokalität vorhanden sind, aufs leichteste. Ihrer Ernährungsweise nach sind sie an den pflanzentragenden Seegrund gebunden, auf dem sie gewissen Kräutern, den „Du- gonggräsern“, nachgehen. Da die höheren Pflanzen gemeinhin nicht tiefer als 10—20 m unter den Wasserspiegel hinabsteigen, so ist das Tier gezwungen, sich an die Seichtwasser und die vom Niederwasser kaum bedeckten, flachen Sande zu halten und sie bis [zur Ebbemarke zu beweiden. Die so stark versandete Ostküste Australiens bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit hierzu und die Dugongs gehören zu ihren ständigen Bewohnern. Bei Tage sich in grösseren Tiefen und auf der Aussensee aufhaltend, kommen sie des Nachts durch die‘ verschiedenen Kanäle und Passagen in die Baien, um zu äsen. Dabei fahren sie mit ihrer breiten Schnauze am Boden dahin, reissen mit dem seitlich von den Hauern begrenzten Gaumenfortsatze die Pflanzendecke auf und nehmen aus ihr die ihnen passenden Stoffe auf. Das Aufgraben der Rasendecke geschieht in einem glatten, ununter- brochenen Zuge. Die Furchen sind von parallelen Linien begrenzt, nr, Australische Reisebriefe, V. 197 vier Finger breit und nicht aus abgebrochenen Stücken zusam- mengesetzt, wie etwa von einem Tiere stammend, das bissen- weise Futter abrupft und dann zerkaut. Anzeichen eines solchen bündelweisen Ausreissens habe ich nirgends gesehen. Ich halte dafür, dass der Dugong bei der Asung mit einem Ruderschlage über den Sand fahrend, diesen mit seinem Gaumenfortsatze auf- reisst, die Gräser oder sonstigen ihm zusagenden Pflanzen erfasst, sie in seinen Bürstenkiefern ausschwemmt und dann erst mit seinen Backenzähnen zerkaut. Aus den flachbogig oder schlangen- förmig gewundenen hellen Spalten im dunklen Tangrasen sieht der weisse Sand hervor und verrät die Nähe des Wildes. Der Fischer verankert dort sein aus kleinfingerdicken Manjlaschnüren verfertigtes Netz, dessen Schwimmer es während der Flut zu einer 18 Fuss hohen, senkrecht im Wasser stehenden Wand aus- spannen. Es bleibt einige Tage stehen und wird jeden Morgen abgesucht. Kommt ein Dugong in die Nähe dieses einfachen - Apparates und streift ihn, so fängt er sich entweder mit dem Kopfe oder seinen Flossen und dreht sich bei den darauffolgen- den Befreiungsversuchen soweit ins Netz ein, dass er nicht mehr los oder zur Oberfläche kommen kann und ersticken muss. Der Fang gelingt meist nur bei Neumond oder bewölktem Himmel, da in mondhellen Nächten das Netz zu leicht sichtbar ist; man färbt es deshalb auch oft schwarz und hält eine leicht bewegte Wasseroberfläche aus demselben Grunde für besonders günstig. Soweit das Theoretische. In Praxis lässt sich die Sache meist nicht so heiss anfassen — wie ich erfahren habe. Das erste, wenn auch nicht ganz ungern gesehene Hindernis, das mich traf, war eine ungünstige Mondphase. Bis zum Dunkler- werden der Nächte hatte ich zirka eine Woche zu warten; vor- dem, erklärte Tommy, sei das Auslegen des Netzes verlorene Mühe. Ich verbrachte diese Zeitspanne mit den entzückenden Segelfahrten auf der Suche nach Dugongplätzen. In der Umge- bung der kaum drei Meilen entfernten Pelikan-Sands, einer grossen Sandbank, fanden wir schon bei der ersten Ausfahrt -ganz frische Spuren; fast jeden Tag stiessen wir auf neue Orte, wo die Dugongs gehaust haben mussten, was uns mit der besten Zuversicht erfüllte. Da sich aber vorläufig damit nichts anfangen liess, wendete ich mich der Durchforschung der Insel zu, liess mir eine Rindenhütte als Präparierraum einrichten, brachte meine Waffen in Bereitschaft und machte mich mit den Eigenheiten des Lagerlebens und mit meinen Schwarzen näher vertraut. Unsere Ernährung wurde aufs einfachste gestaltet. Salz- fleisch und Kartoffeln bildeten den Grundstock unseres Menus. Das erste in Gebrauch genommene Fleischfass enthielt ganz besonders delikate und in jeder Beziehung gediegene Stücke, so 16 u‘ 198 Prof. H. Dexler: dass sich der Wunsch nach Abwechslung erst nach Wochen ein- zustellen begann. Etwas Senf und die vielgeschmähte Zwiebel halfen dann gewöhnlich aus und machten den Braten geschmei- diger. Andere Konserven, wie Schaf- und Ochsenzungen, Würste und Schinkenhachee, die in nicht minder guter Qualität aus den Brisbaner Fleischfabriken bezogen wurden, kamen an Feier- tagen auf ‚die Tafel; dazu als Genussmittel Fruchtmus, Jam, ohne welche in Queensland kein Arbeiter einen Dienst antreten würde. Als Getränk diente Tee, zu den Mahlzeiten, wie auch tagsüber. Trinkbares Wasser gab es für gewöhnlich nicht. Eine unweit meines Zeltes in den Sand gegrabene Sickergrube lieferte eine gelbbraune, in dicker Schicht rubinrote Flüssigkeit, die sich beim Aufkochen trübte und einen weissgrauen lockeren Schlamm absetzte.. Um sie geniessbar zu machen, wurde sie mit viel Tee und Zucker versetzt und in ein dunkelbraunes Fluidum verwan- delt, das wenigstens sterilisiert war. Später schuf ich mir durch wagrechtes Aufspannen eines Stückes Billroth-Battist bei Regen- fällen eine Quelle des klarsten und wegen seiner Seltenheit doppelt geschätzten Wassers. Alkoholische Getränke hatte ich grundsätzlich nicht mitge- nommen, um den Streitigkeiten zu entgehen, die sich so häufig aus der Gier nach den vielbegehrten „Drinks“ entwickeln. Pond liess die Künste der Buschmanküche spielen, die von spartanischer Einfachheit waren, trotzdem aber eine willkom- mene Unterbrechung in die etwas einförmige Menage brachten. Fische wurden in Seewasser gekocht und erschienen als zarte Leckerbissen. Er briet sie am Spiesse und machte sie nicht minder begehrenswert. Geschwinder verfuhr er mit den langnasigen Horuhechten: er steckte sie mit dem Kopf so in den Sand, dass ihre schlanken Körper über dem Feuer hingen. Aus dem mitge- brachten Mehl machte er australisches Brot oder Damper. Der mit Wasser angerührte Teig wurde in die Kohlenglut eingegra- ben und gebacken; nicht gut, aber gesund! Die feinere Küche schreibt eine Beimischung von Backpulver vor, wodurch der Discus an Härte verliert. Zuweilen gab es Dugongfleisch und sogar Austern. An kulinarischen Genüssen war also kein Mangel. Meine Leute wendeten ihnen auch eine grosse Aufmerksamkeit zu, die ich schon deswegen eindämmen musste, um nicht den Schein schlemmender Piknikpartieen aufkommen zu lassen. Ihr körper- liches Wohlbefinden liess mich nach dem wirklich erstaunlichen Appetit, den sie Tag und Nacht äusserten, und dem gesunden, tiefen und langen Schlaf, den sie hatten, vollkommen ohne Sorgen. Auch in ihrer Faulheit merkte ich keinen Rasseunterschied zwi- schen Schwarzen und Weissen. Nur Tommy blieb stets der willige Arbeiter, der er von Anfang an schien. 5 Australische Reisebriefe, V. 199 Auch mein Gesundheitszustand war, so oft ich Zeit hatte, darüber nachzudenken, gut. Ernährungsweise, körperliche Arbeit und warmes Klima vereinigten sich in dieser Richtung auf das Beste. Einige Beschwerden fühlte ich bloss von den sogenannten Sandfliegen. Es sind das kleine, kaum Millimeter lange Mücken, - eine Simuliaart, deren Bisse auf der Haut kleine flohstichähnliche, aber heftig brennende Stippchen hinterlassen. Ihrer Einwirkung nicht angepasst, wurde ich durch sie anfangs auf das heftigste irritiert. Ich spürte unausgesetzt ein heftiges Brennen und Jucken im Gesichte, an den Armen und Händen, das mir ein ruhiges Betrachten irgend eines Gegenstandes unmöglich machte. Zum Glücke verschwanden sie mit dem Absinken der Temperatur beinahe gänzlich. Nebst ihnen machten mir die Moskitos die meiste Plage. Bekanntlich stehen diese Stechmücken und das Sumpffieber in einem ursächlichem Zusammenhange, indem sie die Hauptverbreiter der Erreger dieser Krankheit sind, die sie durch das Blutsaugen an kranken Menschen in sich aufnehmen und an andere durch denselben Prozess weiter impfen. Könnte man die Moskitos — von denen nur die Weibchen den Menschen anfallen — ausrotten oder würde man alle malariakranken Men- schen schnakensicher isolieren können, so wäre der Weiterver- breitung dieser Seuche wirksam Einhalt getan. Die autoritative Behauptung, dass in Queensland die Moskitos nach dieser Hin- sicht unschädlich seien, beruht zweifellos auf der Tatsache, dass sonach den Schnaken die Möglichkeit mangelt, sich zum Zwischen- träger zu machen. Sie finden keine Gelegenheit, sich mit den spezifischen Plasmodien — denen der Fiebererreger angehört — zu beladen und sie weiter zu geben. Von dieser Gefahr aber ganz abgesehen sind Gelsenstiche für manche Menschen schon in geringer Zahl unerträglich, ge- schweige denn, wenn sie dem unglücklichen Opfer zu tausenden und dazu noch von einer so grossen Anophelesart beigebracht werden, wie sie unter den ostaustralischen Stechmücken zu finden ist. Fiebererregend oder nicht, sind sie dort, wo sie in Massen auftreten, eine so gefürchtete Plage, dass man sich gezwungen sah blühende Niederlassungen wieder preiszugeben. So stand in der Nähe meines Camp vor etwa zehn Jahren eine kleine Vieh- station mit mehreren Bauten, deren Trümmer uns bei den Wan- derungen durch die Sümpfe wehmütig berührten. Sie wurde wegen der Moskitos verlassen und wie ich nachträglich erfuhr, war die Mission Majora deswegen von so wenigen Weissen bewohnt, weil in gewissen Jahren die Mückenplage zu arg wurde. Die Schwar- zen sind weniger empfindlich und was speziell meine Blackies anbelangte, so wischten sie einfach mit der Hand ihre mücken- besetzten Schienbeine ab, die Moskitos dabei in ganzen Reihen 16* 200 Prof, H,. Dexler: zerdrückend. Pond war schon unruhiger; das Klatschen seiner Hand auf Nacken und Schenkel hörte ich zuweilen bis tief in die Nacht; ‘morgens erschien seine Stirne oft beulenbedeckt. Ich vermochte mir die Moskitos ziemlich gut dadurch vom Leibe zu halten, dass ich niemals barfuss herumging und dass ich mein Lager mit einem guten Moskitonetze versah. Letzteres hielt ich in peinlichster Ordnung, schloss es jeden Morgen sorgfältig und untersuchte seine Falten am Abend mit der grössten Genauigkeit. Übrigens verschwanden die Stechmücken in den ersten drei Wochen meines Aufenthaltes ebenso wie die Sandfliegen. Trotzdem konnte ich meine Nachtruhe keineswegs ungestört nennen, weil das nächtliche Tierleben in und un mein Zelt allzu lebhaft und ich noch zu wenig akkomodiert war. Der lebhafte Wellenschlag, der bei Flutzeit kaum 15 Meter von meinem Zelte entfernt in den Mangroves verrauschte, trug dazu das Seine bei. Am meisten beschäftigte mich in den stillen Nächten das laute Knacken der jungen Austern, die, bei Ebbe trocken liegend, ein lebhaftes Knattern durch das Zusammenschlagen ihrer Schalen erzeugten. Die Austernbrut heftet sich beim Sesshaftwerden mit Vorliebe an Steine und an Wurzeln der Mangroves im Bereiche der Flutmarke an. Ist das Wasser gesunken, so verharren die beiden Muschelschalen fest geschlossen. Ich habe mir alle Mühe gegeben zu beobachten, unter welchen Umständen das Krachen zustande kam, und bin zu diesem Zwecke oft lange Zeit zwischen den Schalenstöcken gesessen. Mir ist es aber nie gelungen, ein Öffnen mit darauf folgendem raschem Zuschlagen der Schalen, das der Erscheinung zugrunde liegen dürfte, zu sehen. Wenn man noch so aufmerksam zusieht, scheint alles regungslos, bis plötzlich in unmittelbarster Nachbarschaft irgend eine Auster laut knackt. Dabei kann man gut ein leises knisterndes Geräusch der kaum pfenniggrossen jüngeren Stadien vor dem lauten Schnalzen einer grösseren Auster unterscheiden. Den Sandmäusen, die oft in ganzen Rudeln mein Zelt besuchten, schenkte ich weniger Bedeutung; da sie mir nichts von meinen Einrichtungsgegenständen benagten, sondern nur gerne in meine warmen Decken kriechen wollten, liess ich sie ganz ungeschoren. Bei ihrer grossen Zahl wäre ein anderes Ver- halten auch wenig angebracht gewesen. Viel interessanter, wenn auch störender waren die Bandikoots, eine Art Beuteldachse, die manchmal in mehreren Exemplaren im trockenen Grase und nahen Gebüsch laut raschelnd herumzustöbern pflegten. Ich kannte die hier lebende Art, Parameles obesula. Es ist dies ein nächtlich streifendes Beuteltier von etwa 40 cm Länge, wovon ein Viertel auf den Schwanz fällt. Eine Ähnlichkeit mit einem Dachse habe ich nicht finden können; vielmehr gleicht das Tier nach Körper- B 4 N ra Er NIIR “. u „Ar 5 “ 4 . fi e” - Er; 8 Australische Reisebriefe, V. 201 gestalt und Farbe einer sehr grossen Ratte. Die Schnauze ist spitz wie bei diesen Nagern, die kleinen Ohren nackt, die schwar- zen Augäpfel kugelig vorspringend, der Schwanz schütter behaart, das Fell am Bauche hellgrau bis weiss, am Rücken graubraun bis dunkelgrau. Tagsüber lebt der Bandikoot in hohlen Baum- stämmen oder in Sandlöchern, die durch die Spuren des munteren Tieres leicht verraten werden. Von den Australiern — weissen wie schwarzen — wird ihm seines schmackhaften Fleisches wegen gerne nachgestellt. Im Stew fand ich es ganz ausgezeichnet und später, als ich genügende Mengen Organpräparate und Skelette zusammengebracht hatte, wanderte jeder Bandikoot in den Koch- topf. Tommy fing sie in grossen Rattenfallen, die er mit Brot oder Kartoffeln köderte. Wir erbeuteten in unserem Wallum-Camp gegen 40 Stück. Leider war kein einziges trächtig oder hatte Junge bei sich; nicht minder auffallend war der Umstand, dass ich nur zwei Exemplare mit unversehrtem Schwanz erhielt. Alle übrigen hatten ihn knapp an der Schwanzwurzel abgebissen oder besassen nur kurze Stummel. Wir können diese Eigentümlichkeit vielleicht auf Eifersüchteleien zur Zeit der Brunst zurückführen. Mit dem Gewehre konnte ich dem Bandikoot nichts anhaben. Oftmals, wenn diese Tiere gar zu lebhaft ihr Wesen trieben und heller Mond mein Vorhaben zu begünstigen schien, schlich ich aus dem Zelte und wartete geduldig. In dem eigentümlich silber- hellen Mondlichte glaubte ich die kleinsten Gegenstände wahr- nehmen zu können, sah deutlich Absehen und Korn des Gewehr- laufes, niemals aber das gewünschte Tier. Freilich war nirgends ebener Sand, sondern bestenfalls niederes Gras in meiner Umge- bung. Aber das Rascheln der Beuteldachse war so laut, dass ich jeden auf mehr als 100 Meter richtig lokalisieren zu können glaubte; ungeniert zogen sie knapp an mir vorüber oder näherten sich so weit, dass ich die Grashalme schwanken sah. Dann feuerte ich nach langem und bequemen Zielen, traf aber niemals die ersehnte Beute. Ganz ähnlich ging es mir mit den fliegenden Hunden. einer grossen Pteropusart, die in einzelnen Exemplaren die honig- tragenden Banksien besuchten und sich durch ihr lautes knar- rendes Grunzen oder Fauchen verrieten. Oft war ich den Walla- bies auf der Spur oder passte auf Bandikoots, wenn plötzlich ‚Jauter, rauschender Flügelschlag mich auf einen Flying fox auf- merksam machte, der im nächsten Baume einfiel. Nach vielen vergeblichen Versuchen schoss ich in einer besonders warmen Juninacht eine dieser schönen Fledermäuse in dem Momente, als sie über einen wagrechten Baumast kriechend sich gut gegen den hellen Nachthimmel abhob. Leider war durch die geringe Schussdistanz der Kadaver so zerrissen, dass ich bloss das Gehirn 202 S. Oppenheim: _ a ne, : ae präparieren konnte. Später ist mir die Erbeutung eines solchen Tieres trotz aller Mühe nicht wieder gelungen, selbst wenn das durchdringende Kreischen und Schreien von zwei oder mehreren Exemplaren aus den schwarzen Blättermassen erschallte, die sich unmittelbar über meinem Kopfe ausbreiteten. Neben diesen Störenfrieden machte der schauerliche Ruf eines Sumpfvogels, des Curlew, Numenius australis, den nachhal- tissten Eindruck. Der ungemein scheue Vogel kommt der Gestalt nach einem kleinen Ibis gleich und ist von schlichter, hellgrauer Färbung. Sein Ruf ist ein ungemein klagender, lauter, lang ge- zogener Pfiff, der von einer Anzahl ebensolcher a lmählig kürzer werdenden Laute gefolgt ist, bis er endlich in ein lachendes Kollern übergeht, das leise verkling. Wenn ich in den stillen Tropennächten hinaushorchte oder im Busch auf der Lauer lag, liess mich oft der unvermutet einsetzende Schrei des Curlew heftig zusammenfahren, der geradezu unheimlich aus den Sümpfen des Wallum-Creek herüberklang. Es dauerte eine ziemlich lange Zeit, ehe ich mich an ihn so gewöhnt hatte, um keine unange- nehme Sensation zu empfinden, wenn er plötzlich an mein Ohr schlug. Über verschiedene Perioden in den erdmagne- tischen Erscheinungen. Vortrag, gehalten in der Monatsversammlung vom 19. Mai 1909. Von $. Oppenheim. M. H.! Das Thema des heutigen Vortrages ist mehr ein mathematisches. Erst in seinen Ergebnissen berührt es den im Titel angegebenen Gegenstand. Mathematisch handelt es sich um die Aufstellung einer neuen Methode, die Periode einer pe- riodischen Erscheinung auf rein rechnerischem Wege zu be- stimmen unter der Voraussetzung, dass eine Reihe von Beob- achtungswerten der Erscheinung gegeben ist, welche äquidi- stanten Zeitintervallen angehören. Ein Beispiel möge hier zunächst an Stelle weitläufiger Erörterungen dazu angeführt werden, die Fragestellung in dem Problem zu fixieren. Man weiss, dass die magnetische Deklination Veränderungen unterworfen ist, die sich mindestens in Mitteleuropa derart ab- spielen, dass die Deklination zur Zeit ihrer Entdeckung eine östliche (negative) war, dann durch Null durchgehend eine westliche (positive) wurde, nach dieser Richtung hin einen Maximalwert erreichte und gegenwärtig langsam aber stetig ab- _ nimmt. Beobachtungen dieser Veränderungen, die sich über den grösstmöglichen Zeitraum, d. i. von der Zeit der Entdeckung an in fast ununterbrochener Folge bis in die Gegenwart er- _ strecken, rühren von Paris her. Ich habe aus ihnen teils durch Interpolation, teils durch einfaches Mittelnehmen die folgende Ephemeride abgeleitet: 0 1) 15405 6 = — 7.463 17405 6 = + 15'755 1580°5 — 8:500 1780°5 + 20'832 1620.5 — 6'250 1820°5 + 22'380 1660°5 — 0:500 1860°5 + 19.364 1700°5 + 8'228 1900°5 —+ 14'833 Die zu lösende Aufgabe besteht nun darin, aus diesen Daten die Periode, innerhalb der sich die Erscheinung abspielt, zu berechnen. 2 Der Lösung liegt der folgende Gedanke zugrunde. Es werde die zu untersuchende Funktion als eine einfach periodi- sche, von der Periode T aufgefasst. Dann gilt für sie die Ent- wickelung f=f +5Ssngp + C cosp worin @ (t—to) ist, ferner fo S und C drei konstante - Grössen bedeuten und to, die willkürlich angenommene Epoche _ vorstellt, von der ab die Zeit gezählt wird. Wie bekannt ge- nügt eine solche Funktion der linearen Differentialgleichung + kt di) = 0 7 wo k =. ist, und, da man in den Regeln der numerischen Differentiation empirisch gegebener Funktionen ein Mittel hat, den jedem einzeluen Funktionswert zugehörigen Wert des zweiten Differentialquotienten zu berechnen, so kann man ebensoviele Gleichungen von der Form = + k: (di-f) = 0 aufstellen, als man Werte der Funktion f und ihres zweiten Differentialquotienten kennt, aus denen nach der Methode der ‚kleinsten Quadrate die Unbekannte k? und aus ihr die Periode Bi} =. ‚2urjk. zu bestimmen ist. Für die tatsächliche Durchführung der Rech- nung ist es besser der Differentialgleichung die Form ee = k2 dt? dt? . zu geben und fh, = x und —; = y als die zu bestimmenden Unbekannten zu betrachten, womit dann die Periode durch T= 27\Yy = O oder f = x—y gegeben erscheint. - 204 S. Oppenheim: Aus den angegebenen Daten der säkularen Variation der Deklination ergaben sich die Gleichungen : 0 — 6250 — x — 3.600 y — 0'500 = x — 3'389 y 4 8923 —= x + 1549 y + 1575 = x + 2458 y + 20'832 = x + 3487 y +.22:380 = x + 4875 y Ihre Auflösung lieferte x = 70937 +1%287 y = 31773 + 0:3803 und aus dem Werte von y T = 11:1997 + 0:6714 Hier ist T ausgedrückt in jener Einheit, welche der Be- rechnung der Differentialquotienten zu Grunde liegt, d. i. in der Einheit von 40 Jahren, daher wird in Jahren selbst sein T = 447988 + 26°86. Ist einmal die Periode bekannt, so folgt nach einem dem Besselschen Verfahren nachgebildeten und nur wenig von ihm abweichenden Rechenmechanismus die Darstellung in der Form a It —_— 0» [0 nn m ——— J d = 7%317 + 151918 sin 755 (—1720°5) Int 462 G — (t—1720°5 i + = 0817-988 ee welcher die Beobachtungen bis auf die Fehler (B.-R.) genügen: o 0 15405 R,— — 5'244 B.-R, = — 2'219 1740-5 R.— +15°964 B.-R. = — 0:209 15805 — 8'487 — 0'013 1780.5 21.725 — 0'893 1620°5 — 6'886 + 0'636 1820°5 23.066 — 0'686 16605 — 0'931 + 0'431 1860°5 19583 — 0'219 17005 + 7'552 + 0:676 19005 12-338 + 2495 Eine weitere, nach dem gewöhnlichen differenziellen Ver- fahren durchgeführte Verbesserung des errechneten Wertes der Periode von 447.988 Jahren, welcher einerseits eine grössere Anzahl von Beobachtungsdaten zu Grunde gelegt und bei der andererseits die Entwickelung bis auf vom zweifachen Winkel abhängige Glieder vorgenommen wurde, ergab schliesslich ö = 60624 + 1005076 sin 9 + 11%3180 cos 9 — 0:0379sin2P + 08275 cos 2 9 = og lt 1760-5) und daher die Periode T = 509-425 + 9.283 Jahre ist. Die Darstellung der Beobachtungen durch diese zweiglied- rige Reihe ist eine schon so weit befriedigende, dass sie die Grundlage weiterer Untersuchungen bilden kann. Es ist: wo 5 Y. va ee 7 Über verschiedene Perioden in den erdmagnetischen Erscheinungen. 205 () [) 15405 6 = — 7'463 B.-R. = + 0'058 18005 9 + 22: 143 B-R. =: 0 151 1580'5 — 8'500 + 0'345 1820°5 + 22:380 + 0'277 1620°5 — 6'250 + 0064 18405 +-21:5477.,5 + 0.325 1660°5 — 0.500 — 0'334 1860.5 -+ 19°364 — 0.252 1680°5 + 3,667 — 0.143 1880°5 + 16'822 — 0'536 17005 + 8.228 + 0'219 1885°5 + 16,201 — 0'427 1720:5 + 12.548 + 0'444 1890°5 + 15'722 — 0'214 1740°5 + 15.755 — 0'025 1895.5 + 15'241 + 0.032 17605 + 18'379 * — 0'390 1900°5 + 14'833 + 0'363 1780°5 + 20.832 — 0'044 1905°5 + 14'499 + 0'803 Ein zweites Beispiel soll den Fall behandeln, dass eine periodische Erscheinung von zwei verschiedenen von einander ' unabhängigen Perioden abhänge. Sind d, d, .. die einzelnen d2d, d?6, at ... die entsprechenden Werte der durch numerische Differentiation zu berechnenden zweiten Dif- dit... dte” tialquotienten, so hat man es nunmehr mit der Auflösung von Gleichungen von der Form Beobachtungswerte, ferentialquotienten und] ebenso . die vierten Differen- d?ö d*ö I m zu tun, i in denen x, y und z die Unbekannten sind. Aus ihnen folgen die Werte der Perioden T, und T, als Wurzeln k, und R, der quadratischen Gleichung yk®— zk’ = 1 T:= 2 rk, und. T, =:2z/k, Das Beispiel selbst umfasst die Doppeljahresmittel der täglichen Variationen, die eine Deklinationsnadel zeigt, aus einer Reihe von Beobachtungen, die sich über den Zeitraum 1835 bis 1887 erstrecken und von Lamont in München herrühren. Die einzelnen Beobachtungswerte mit den aus ihnen durch nu- merische Differentiation errechneten Werten der zweiten und vierten Differentialquotienten sind: > : Dage , d2ö : dtö 18360 6 = 9'86 dar 000" ae ‚ ’ 38°0 11:26 — 3:33 + 430 40°0 9,43 — 0:02 — 272 42:0 745 + 1°45 — 0:40 440 683 DAT — 3:34 46'0 8:47 + 0.30 — 0'16 48:0 10'35 — 1'98 + 3:67 50°0 10:54 — 115 — 099 52:0 9:76 — 064 + 0:81 54:0 8.41 + 039 2201835 56:0 135 29:53 — 320 580 8.96 + 0:74 s — 5:44 60:0 11.54 — 3°97 +11°01 62:0 9:60. — 045 —- 6°71 640 824 + 0:64 + 1:16 9206 S. Oppenheim: d2s d+ö 18660 8 — 7.43 —— +09 ar = +8 68:0 7:58 + 270 — 947 700 10:77 — 2:50 + 7:40 72:0 11-33 — 3-48 - + 568 74:0 8:73 +119 = 2597 760 6.92 + 1:32 — 020 E 78°0 6-45 +1:29 — 0:59 800 722 +061 — 0:90 82-0 8.52 — 0.92 + 0.10 84-0 84 ° —196 + 3:35 1886°0 7.50 2 = Die Beobachtungen teilte ich in drei Gruppen, die einzeln über die Zeiten 1836—1860, 1850—1872 und 1862—1886 sich erstreckten, berechnete aus jeder Gruppe die Grössen x, y und z, um damit etwa in den Erscheinungen auftretende doppelte Pe- rioden aufzufinden und in der Übereinstimmung der aus jeder Gruppe abgeleiteten Werte ein Mass für die Genauigkeit des ganzen hier vorgeschlagenen Verfahrens zur Bestimmung der Perioden einer periodischen Erscheinung zu erlangen. Es ergaben sich auf diese Weise die Zablen: I. Gruppe 1836—1860 x = 9021 T, — 1101388 T, — 4.85940 Jahre II. „1850-1872 x = 9036 _— 11:02086 495060 „ II.) 1862-1868 x = 8414 — 1104612 — 495236 die eine befriedigende Übereinstimmung der Periodenwerte, da- gegen eine geringere in den Grössen x zeigen. Diese mangelnde Übereinstimmung übertrug sich auf die Darstellung der Grössen Öd nach der Entwicklung in die Reihe: d=6d, +Ss sing, + cC, Cc0Sp, + 8, sing, + Cz2 COS @, in welcher Hu 27 = 9 = jrosi;t—1855°0) u. = za (1855°0) ist. Die Rechnung ergab für die Koeffizienten s,, c; $& und & die Werte 4 ‘ ‘ ‘ s = +0'2333,6;, = — 0'3379 &, = — 11912, = + 0: 3050 sowie 6, = 90314 und mit ihnen die Darstellung: ’ ' ' ’ 18360 R. — 940 B.-R. = + 046 18620 R. = 975 B.-R. = — 0:15 38-0 11:37 — (11 640 8:09 + 015 40:0 9:68 — 025 660 7-44 — 001 42:0 8:07 — 0:62 680 7:97 — 0:39 44:0 742 — 054 700 10:70 + 007 46°0 801 + 046 72:0 10:91 + 0:42 48°0 10:77 — 042 740 8:72 + 0:01 50:0 10°86 — 032 760 775 — 0'83 52:0 8:68 + 058 78°0 7.35 — 0:90 54°0 7:53 + 088 80:0 9:23 — 201 56°0 7:37 + 018 82:0 11:35 — 2:83 580 9:32 — 0:36 840 9:81 — 087 1860°0 11°38 + 0'16 18860 8-03 — N ads und Aus rl ml a dur AL nn EN) Kal an A nn ad 0 wu Re 053 - Bar Über verschiedene Perioden in den erdmagnetischen Erscheinungen. 907 welche sich weder durch eine Korrektion der Periode, (eine Rechnung lieferte für sie als wahrscheinlichsten Wert die a T, = 11'1868 Jahre), noch durch die Annahme, dass T, = Y,T ist, verbessern liess. Sie lässt darauf schliessen, dass entweder und zwar etwa vom Jahre 1876 ab eine Diskontinuität in der Reihe der beobachteten magnetischen Variationen eintrat, oder aber dass in ihnen neben den zwei Perioden von 11.1 und 4.9 Jahren noch andere grössere, bisher unbekannte Perioden enthalten sind. Die letztere Annahme schien mir die wahr- scheinlichere.. Da aber das vorliegende Material, das den Zeit- raum von 50 Jahren umfasst, zu seiner Untersuchung in dieser Richtung nicht ausreicht, musste zu anderen Beobachtungs- srössen Zuflucht genommen werden. - Es ist bekannt und Wolf in Zürich hat zuerst auf die eigentümliche Tatsache hingewiesen, dass zwischen den mag- netischen Variationen einerseits und den von ihm zur Beschrei- bung des jeweiligen Fleckenstandes der Sonne eingeführten Re- lativzahlen ein linearer Zusammenhang bestehe und daher die Perioden der letzteren mit den Perioden der ersteren vollständig übereinstimmen. Aus den zahlreichen und in ziemlich regel- mässigen Zeitfolgen an einzelnen. Sternwarten angestellten Fleckenbeobachtungen leitete Wolf ein recht vollständiges und homogenes Material ab, das die Relativzahlen der Flecken vom Jahre 1750 an bis in die Gegenwart enthält. Das Material findet sich im Wolfschen Handbuch der Astronomie, wie in der „Me- teorologischen Zeitschrift, Jahrgang 1902, abgedruckt. Die dort angegebenen Jahresmittel der Relativzahlen ver- einigte ich, um den Einfluss der 11jährigen Periode zu elimi- nieren in 3 Gruppen, die Mittel der 10, 11 und 12jährigen Beobachtungen. Diese sind: 1. Gruppe 2. Gruppe 3. Gruppe 17560 r — 360 17565 r — 400 17570 2.417 66°0 576 67°5 58:0 69:0 537 76°0 70'6 785 62:0 81°0 61:0 86°0 715 89:5 72:8 93:0 61:1 96:0 28:6 1800°5 257 1305°0 234 1806°0 26°0 11'5 15°0 17:0 19-6 16°0 22:5 225 214 29:0 34:2 26°0 32:2 33°5 651 410 630 36°0 66°5 44°5 59:4 53:0 546 46°0 57°8 55'5 475 65:0 59-7 560 45°3 665 58:7 77:0 43:5 66°0 532 775 371 89:0 42:5 76°0 409 88°5 39-2 1901.0 29-1 86:0 352 1399-5 30'2 —_ — 18960 45°0 — —_ — _ Sodann berechnete ich die entsprechenden Werte der zweiten und vierten Differentialquotienten und ehe diese nach dem Schema der Gleichungen 17% 908 S. Oppenheim: Über verschiedene Perioden. SE x d?r der ee Te == 2 aus, aus denen sich dann in der oben erwähnten Weise etwaige in den Zahlenangaben vorhandene Perioden berechnen lassen. In der Tat ergaben sich aus den 3 Gruppen in fast vollständiger Übereinstimmung die Werte 58,425 Jahre I. Gruppe x 43:6 Tı = 31814 T, II. = .. x—=489 T=31:19 Tr =5036 , ITS, 436; - I 307112) DS are woraus im Mittel T, = 31'218 T, = 58'493 e entsprechend den Gewichtszahlen 7, 6, 5 angenommen wurde. Mit diesen neuen Periodenwerten wurde ein nochmaliger Ausgleich der Variationsgrössen d durchgeführt. Das Ergebnis desselben war eine Darstellung, die wohl noch immer nicht als eine sehr befriedigende anzusehen ist, dafür aber die Fehler gleichmässig über den ganzen Zeitraum von 1836—1886 ver- teilt und die beim ersten Ausgleich auftretende Diskontinuität vollständig zum Verschwinden bringt, daher jedenfalls vor dem ersten Ausgleich den Vorzug verdient. Die Rechnung gab die Entwickelung: d = 8:64 — 0.0663 sin 9, — 0:0505 cos Q, — 0'6054 sin 9, + 1'8253 cos @, + 0'3568 sin 9, — 00103 cos 9, — 0'4908 sin 9, + 0'6224 cos 9, ar 21 , 505 (t-1861°0) 9, = 1755 (t—-1861:0) >e 2 Zu 9, = STE (1—18610) 9, = a3 (t—1861°0) ist, und schliesslich die Darstellung: woringp, = ' ' N ’ 18360 R. — 942 B.-R. —+ 044 18620 R. — 1042 B.-R. = — 0:82 38-0 1071 +0,55 640 8-54 — 0:30 40:0 9-93 —_ 050 660 7:24 + 0:19 42:0 7-81 _ 036 680 8-26 _ 0:68 44:0 7:27 — 039 700 10:17 + 0:60 46-0 8-57 _ 010 720 10 54 + 0:79 48:0 10:53 _018 740 8-99 —_ 0% 50-0 10-88 _034 760 6-62 + 0:30 52-0 9-01 + 075 780 6:21 + 0:24 54:0 7:45 + 0'96 80:0 773 —_ 051 56-0 7:55 0-00 82:0 8.03 + 0:49 58-0 9:56 _060 840 9:07 _ 013 1860-0 11:14 + 0:40 18860 7:02 + 0:48 Darnach ist wohl an der Realität der abgeleiteten mehr- fachen Perioden von 4'92, 11'19, 31.28 und 58'49 Jahren nicht zu zweifeln, (ja, wenn man die Relativzahlen zu Mitteln ver- u Ta de un de m 1. Y 2 =. : "Prof. Dr. Josef Ritter v. Geitler: Dr. Rudolf von Hasslinger. 209 einigt, die über 30 Jahre gehen, zeigen sich Spuren einer noch srösseren Periode von etwa 100 Jahren) wenngleich nicht zu verkennen ist, dass die Werte der Perioden noch sehr unsicher bestimmt sind. Das Zahlenmaterial reicht eben zu einer ge- naueren Berechnung derselben nicht aus. Hiemit ist der Nachweis erbracht, dass der Erdmagnetismus eine äusserst komplizierte, mehrfach periodische Erscheinung ist. Sucht man ferner die Ursache seiner verschiedenen Varia- tionen und Änderungen in der Sonne, so hat man diese als einen veränderlichen Stern von gleich komplizierter Periodizität anzu- sehen. Dr. Rudolf von Hasslinger. Geboren am 7. Januar 1880, gestorben am 26. Juli 1908. Ein Gedenkblatt zu seinem Todestage. Von Prof. Dr. Josef Ritter von Geitler. In der Körperwelt gilt das Gesetz der Erhaltung der Energie. Nicht so in der Welt des Geistes. Nicht der kleinste Bruchteil der potentiellen Energie kann verloren gehen, die in der gespannten Feder aufgespeichert wurde. Sie bleibt als solche wenigstens bestehen, wenn nicht früher oder später ihre restlose Verwandlung in lebendige Kraft oder andere Energie- formen eintritt. Der gespannten Feder vergleichbar ist der Geist des produktiven Denkers und Forschers. Die Spannkraft seiner Gedanken vermag sich in die lebendige Kraft von wissenschaft- lichen Taten zu verwandeln. Doch wie, wenn ein tückischer Zufall die Hülle, die dem Geiste als Wohnung und Werkstatt diente, vernichtet, ehe noch diese wunderbare Verwandlung voll- endet ist? Ist dann nicht die uns so kostbar scheinende Ge- dankenenergie auf ewig verloren? Ist die Natur so reich an Genies, dass ihr deren unverbrauchten Vorräte an geistiger Energie für nichts zählen, während sie auf die Erhaltung selbst des letzten Bruchteils materieller Energie ängstlich bedacht ist? Wer wollte es wagen, auf solche Fragen Antwort zu geben’? Wer aber könnte sich ihrer erwehren bei der Erinnerung an einen Menschen, mit dessen jähem Hingang eine Fülle unge- hobener geistiger Werte vernichtet wurde? Wie sollten sie sich mir also nicht aufdrängen, wenn ich daran gehe Rudolf von Hass- linger einen Kranz des Gedenkens zu weihen’? Als Kind schon zeigte Hasslinger ein offenes Auge und emp- fängliches Gemüt für alle Wunder der Natur, die uns umgeben, und diese Veranlagung fand liebevolle Pflege im elterlichen - Hause. Schon lange ehe er der Schule entwachsen war, offen- a a en un DE a a nn, x ° er Es © Kar e, a = ee Ze a an Er 210 Prof. Dr. Josef Ritter von Geil. oo — barte sich bei ihm ein ausgesprochenes konstruktives Talent und der Trieb, die Antwort auf selbstgestellte Fragen von der Natur durch das Experiment zu erlangen. Dem Hochschulstudium wid- mete sich Hasslinger an der deutschen Universität Prag, wobei sich sein Interesse in erster Linie den physikalischen und che- mischen Disziplinen zuwandte. Schon der junge Praktikant musste seinen akademischen Lehrern auffallen: liess doch sein experimentelles Geschick erkennen, dass er in dieser Hinsicht kein Anfänger mehr sei; aber auch die ruhige und überlegte, treffsichere Art, wie er über wissenschaftliche Fragen zu sprechen wusste, liess keinen Zweifel darüber, dass man in ihm einer ganz ungewöhnlichen Begabung gegenüberstand. Die Schnellig- keit seiner Auffassung, die Leichtigkeit, mit der er oft in wenigen Tagen grosse Kapitel, die ihm bis dahin fremd geblieben waren, seinem Wissensschatze einzureihen, der Scharfblick, womit er in solchen Gebieten sofort den Angriffspunkt für neue fruchtbare Arbeit zu finden wusste, das ungewollte Zuströmen neuer Ideen zu wissenschaftlichen Untersuchungen und dabei wieder der glückliche Blick für das technisch Nutzbare, die ihm eigen waren, mussten wohl in jedem, der ihn kannte, den Eindruck eines ge- nial veranlagten Menschen hervorrufen. E Ein Ballgespräch war der Anlass für seine Arbeit „Über die Herstellung künstlicher Diamanten aus Silikatschmelzen“, die der junge Student im Mai 1902 der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien überreichte. Zwar waren es nur mMi- krospische Kristalle, die er erzielte — doch für sie, um derent- willen er damals die Arbeit gewagt hatte und die heute um ihn als Witwe trauert, waren sie wohl eine kostbare Gabe. Auch in der „Umschau“ gab er einen sehr lesenswerten Bericht über seine Methode. Schon vorher hatte Moissan durch Kristallisa- tion aus kohlenstofthaltigem flüssigen Eisen unter hohem Drucke schwarze bis durchscheinende Diamanten erhalten und Fried- länder war es gelungen, durch Umrühren von geschmolzenem Olivin mit einem Kohlestäbchen bräunliche Diamantoktaeäder zu erzeugen. Morozewicz wieder hatte gezeigt, dass in anderen Fällen künstliche Minerale aus Schmelzen von der chemischen Zusammensetzung ihres Muttergesteins hergestellt werden können. Hasslingers Versuch, dies letztere Verfahren unmittelbar zur Ge- winnung von Diamanten aus einer Schmelze von der Zusammen- setzung der südafrikanischen, Diamanten führenden Breccie zu verwerten, erwies sich als undurchführbar wegen der schweren Schmelzbarkeit der betreffenden Mischung, die bei der Temperatur des schmelzenden Platins noch dickflüssig bleibt. Es war daher ein glücklicher Gedanke, das von H. Goldschmidt entdeckte Ver- fahren zur Erzeugung höchster Temperaturen dem vorliegenden EEE Die Be ; E ä : 5 Zur ne Er ni“ I Dr, Rudolf von Hasslinger : 911 Zwecke entsprechend zu modifizieren, wodurch es Hasslinger ge- lang, durchschnittlich 0:05 mm grosse, aber vollkommen durch- sichtige und wasserhelle Diamanten zu erzielen. 7 In einer zweiten, mit J. Wolf ausgeführten: Arbeit „Uber die Entstehung von Diamanten aus Silikatschmelzen“ (Wien. Akad. 1903) untersuchte dann Hasslinger eingehend die näheren Ent- stehungsbedingungen des Diamanten bei seinem Verfahren. Es ergab sich, dass die Grösse der Diamanten von der Geschwindig- keit der Abkühlung der Schmelzen unabhängig ist, dass sie also “nicht durch Kristallisation von in der Schmelze gelöstem Kohlen- stoff entstehen; vielmehr ergaben die Versuche, dass die Bil- dung von Diamanten in Silikatschmelzen auf einer intermediären Karbidbildung beruht. Erst bei der Zersetzung des betreffenden Karbids wird dann der Kohlenstoff als Diamant abgeschieden. Schon 1901 hatte Hasslinger in seinem „Privatlaboratorium“ eine Untersuchung „Über Potenzialdifferenzen in Flammengasen und einigen festen Elektrolyten“ ausgeführt, die in den Sitzungs- berichten der Wiener Akademie 1901 mitgeteilt ist. Dieses Privatlaboratorium, das dem jungen Forscher im elterlichen Hause gleichzeitig als Schlafstätte und Arbeitsraum diente, war von ihm in höchst sinnreicher und origineller Weise mit einer grossen Zahl von teils selbsterdachten, grösstenteils auch selbst- verfertigten Apparaten und Experimentierbehelfen ausgestattet. Eine dieser Vorrichtungen „Eine neue Form der Tauchbatterie* ist in Poske’s Zeitschrift für den physikalischen und chemischen Unterricht 1905 (S. 160) beschrieben. In der erwähnten Arbeit über die Potenzialdifferenzen erbrachte Hasslinger den experi- mentellen Beweis, dass zwischen verschiedenen Metallen in heissen Salzdämpfen und in einigen festen Elektrolyten Poten- zialdifferenzen auftreten, die in starker Abhängigkeit von der Temperatur stehen, wobei die in einigen dieser Elektrolyte von Hasslinger beobachteten abnormalen Potenzialdifferenzen (Eisen resp. Nickel positiv gegen Platin) auf einen bei steigender Tem- peratur erfolgenden Durchgang der Potenzialdifferenz durch den Nullpunkt zurückgeführt werden konnten. Zur Aufklärung der Ursachen dieses Potenzialwechsels sollten weitere Versuche über die auftretenden chemischen Vorgänge dienen, die aber von Hass- _ linger zu keinem Abschluss geführt worden zu sein scheinen; wenigstens hat er keine weitere Mitteilung darüber veröffent- - lieht und,auch nachgelassene Notizen darüber wurden nicht ge- funden. Die weitere Beschäftigung mit dem in der oben genannten Abhandlung behandelten Probleme dürfte Hasslinger zur Bear- beitung der Frage „Über das Wesen der metallischen und elektrolytischen Leitung“ (Sitzungsber. der Wien. Akad. CXV, a ' (aa 2 Be! / 212 Prof. Dr. Josef Ritter von Geitler. Abt. II 1906) geführt haben. Unter Heranziehung früherer Versuche anderer Forscher und mit Zugrundelegung seiner eigenen höchst bemerkenswerten Experimente gelangt er zu einer Hypo- these über den Mechanismus der Elektrizitätsleitung in Metallen, die diese Erscheinung in nahe Beziehung zur elektrolytischen Leitung setzt. Hienach würde der elektrische Strom in metal- lischen Leitern durch Jonen vermittelt, die gleiche materielle Beschaffenheit, aber entgegengesetzte Ladungen besitzen — zum Unterschiede der elektrolytischen Jonen, die sich ausser durch den Sinn ihrer Ladungen auch durch ihre materielle Verschieden- heit auszeichnen. Wenn diese Anschauung auch im Gegensatze zu der augenblicklich herrschenden Elektronenhypothese der Metalleitung steht, und Hasslinger selbst den hypothetischen Charakter seiner Theorie durchaus nicht verkennt, so muss doch zugegeben werden, dass die in der Arbeit angeführten Gründe für diese Ansicht ernste Beachtung beanspruchen dürfen, Besonders wichtig erscheint in dieser Richtung der von Hass- linger geführte Nachweis von Substanzen mit gemischter Leit- fähigkeit. Das elementare Jod liess sowohl Eigenschaften eines metallischen, als auch solche eines elektrolytischen Leiters er- kennen. Silbersulfid leitet bei gewöhnlicher Temperatur elektro- lytisch, bei tiefen Temperaturen metallisch; Schwefelkupfer, das bei gewöhnlichen Temperaturen metallisch leitet, wird bei hö- heren Temperaturen ein Elektrolyt, ähnlich verhält sich Eisen- oxyduloxyd. Wie auch immer die endgiltige Entscheidung über die Theorie ausfallen möge — die von Hasslinger gefundenen Tatsachen behalten ihre dauernde Bedeutung für die Lösung der Frage. Von den Resultaten dieser Arbeit sei noch besonders der Versuch hervorgehoben, durch welchen Hasslinger ein Maximum der Leitfähigkeit der Kohle bei ‚hohen Temperaturen nachzuweisen vermochte. Eine in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie Bd. CXII. Abt. IIb 1903 erschienene Arbeit „Uber das Vor- kommen von Eisen im Schwefel“ löst in mustergiltiger Weise die Frage nach der Natur eines in allen im Handel vorkom- menden Schwefelsorten und auch im natürlichen gediegenen Schwefel beim Kochen auftretenden schwarzen Körpers. Es wird gezeigt, dass dieser — von dem sogenannten „schwarzen Schwefel“ wesentlich verschiedene — Körper nur aus Eisen und Kohlenstoff besteht und in Schwefel und dessen Lösungsmitteln gänzlich unlöslich ist. Er erweist sich als Zersetzungsprodukt einer im Schwefel vorkommenden, nicht näher bestimmbaren flüchtigen Eisenverbindung. Absolut eisenfreien Schwefel, der dann beim Kochen oder Destillieren diesen Körper nicht mehr entstehen lässt, gewann Hasslinger durch vorsichtige Oxydation von Schwefelwasserstoff. TEN BR » 2 L2 Dr, Rudolf von Hasslinger. 213 „Über die Einwirkung verdünnter Säuren auf Schwefel- eisen“ berichtet eine mit A. Lipschitz gemeinsam ausgeführte Untersuchung (Wiener Akad. Bd. CXIlI. Abt. IIP 1904), wo- rin auf physikalischem und chemischem Wege gezeigt wird, dass reines FeS in verdünnten Säuren in der Kälte eine unmessbar kleine Auflösungsgeschwindigkeit besitz. Nur wenn es mit me- tallischem Eisen verunreinigt ist, entwickelt es mit verdünnten Säuren schon in der Kälte Schwefelwasserstoff; das ursprünglich nur spurenweise vorhandene Eisen wirkt gewissermassen als Ka- talysator. Die von den Verfassern in Aussicht gestellt gewesene Ausdehnung der Versuche auf andere Schwefelverbindungen scheint unausgeführt geblieben zu sein. Eine erst kurz vor des Verfassers Tode der kais. Akademie vorgelegte Arbeit (Bd. CXVII. Abt. Il® 1908) handelt „Über eine neue Form der Zinnpest.* Eine Aufklärung dieser Er- scheinung, die von der bekannten Verwandlung des Zinns in seine graue Modifikation wesentlich verschieden ist, wurde bis- her, meines Wissens, nicht gegeben. In den Sitzungsberichten des „Lotos“ 1905 berichtet Hasslinger über einen Versuch, der das bei höherer Temperatur vorhandene selektive Strahlungsvermögen der bei den Auer- strümpfen verwendeten Glühkörper in einfacher Weise zu beob- achten gestattet. Bringt man nämlich einen solchen Strumpf zum schwachen Glühen, wobei die selektiven Eigenschaften des Glühkörpers noch nicht hervortreten, so erscheint der feuerfeste Aufdruck „Auer-Licht“ heller als der Strumpf. Bei starkem Glühen dagegen kehrt sich das Helligkeitsverhältnis um, wie man sich durch Beobachtung mit Hilfe eines dunkeln Glases überzeugen kann. Auch der Jahrgang 1903 dieser Zeitschrift enthält einen Beitrag aus Hasslingers Feder, den Abdruck eines Vortrages über „Modernes Licht“, den er 1902 im „Lotos“ gehalten hatte. Schon die soeben besprochenen Arbeiten Hasslingers geben uns ein Bild seiner wissenschaftlichen Vielseitigkeit. Sie lassen aber auch die seltene Schärfe seines Urteils erkennen, die ihn nicht nur dazu führte, die richtigen Fragen zu stellen, sondern ihn auch Schritt für Schritt mit unerbittlicher Logik deren ex- perimenteller und begrifflicher Lösung entgegenführte. Eine Fülle noch ungegorener Ideen und Pläne zu neuen wissen- schaftlichen Arbeiten, mit denen er sich trug, sind mit ihm in das kühle Wellengrab des Inn gesunken, das ihm ein blind waltendes Schicksal so sehr zur Unzeit bereitet hat. Ich würde die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, nur zur Hälfte lösen, wenn ich mich auf die Schilderung der rein wissenschaftlichen Tätigkeit Hasslingers beschränken wollte, ohne A Dr u, u 7 ee 914 Prof. Dr. Josef Ritter von Geitler: Dr. Rudolf von Hasslinger. auf seine praktisch - technische Wirksamkeit wenigstens kurz hinzuweisen. Wie vielseitig Hasslinger auch in dieser Richtung gewesen ist, ergeben die Titel einiger seiner Patentschriften: „Verfahren zur Verwertung des in der Melasse enthaltenen Stickstoffs“, „Ein Verfahren zur Herstellung elektrischer Glüh- fäden“, „Verfahren zur Auswuchtung von Turmglocken“, ferner zwei der Wiener Akademie der Wissenschaften überreichte ver- siegelte Schreiben „Über die antiseptischen Eigenschaften von Harzsäuren und deren Derivaten“ und „Über die Sterilisierung der Milch“. Dies letztere Verfahren hat sich zwar nicht be- währt, wohl aber eine später von Hasslinger gefundene Methode, die eine vollständige Sterilisierung der Milch ermöglichte. Doch zwingen mich hier, wie bei den meisten andern praktischen Ar- beiten Hasslingers, Rücksichten auf fremde geschäftliche In- teressen, von einer Besprechung der Einzelheiten abzusehen. Patentiert wurden ihm ferner: ein „Apparat zur ununterbrochenen Elektrolyse von Alkalichloriden“ und ein „Verfahren zur elektro- lytischen Herstellung von Chloraten aus Chloriden“. Auch einen von ihm gefundenen Ersatz für Platinelektroden durch eine mir nicht näher bekannte Eisenverbindung gedachte Hasslinger pa- tentieren zu lassen. Ebenso beschäftigte er sich lange mit einer Verbesserung der damals noch neuen Nernstschen Glüh- lampe. Die wissenschaftlichen Leistungen Hasslingers hätten ihm eine glänzende akademische Laufbahn gesichert, doch hat ihn der Tod ereilt, ehe er den ersten Schritt zu diesem Ziele voll- endet hatte. Die physikalische Chemie hätte noch Grosses von ihm zu erwarten gehabt, sie ist um eine schöne Hoffnung ärmer geworden. Aber auch die Praxis hat an diesem erfindungsreichen Geiste viel verloren. Auch hier hatte er ja seine Fähigkeiten als Chemiker der Radlitzer Dampfmolkerei glänzend bewährt und durch die Gründung der Schwazer Chloratfabrik ein aussichts- reiches Unternehmen zur Verwertung seiner eigenen Patente mit srosser Energie ins Leben gerufen. Während der aufreibenden Tätigkeit, die die Einrichtung der Fabrik mit sich brachte, be- schäftigten ihn doch wieder Fragen rein wissenschaftlicher Natur, Probleme aus dem Gebiete der Radioaktivität und der Kathoden- strahlen, sowie Fragen der Gravitationstheorie. Auf einer Kahnfahrt, die er von Schwaz aus mit vier Be- gleitern unternahm, brachte ein tückischer Zufall das Boot zum Sinken und mit dem Boote zugleich wurden. die fünf Insassen von den reissenden Fluten des Inn verschlungen. Hasslingers Leiche wurde am 19. September 1908 bei Rosenheim in Bayern aufgefunden und am 22. September auf dem dortigen Friedhof (am Schlossberg) bestattet Ma fa Jul Vans ha A an. 11 db a 1 a a rk = an a nn u a a LEN, Va S = Hugo Milrath: Zur Geschichte des Heringstranes. 915 Was er in seinem allzukurzen Leben geleistet, habe ich mich bemüht, in diesen Zeilen zu schildern. Wie viel von ihm noch zu erwarten war, wird jeder klar erkennen, der die Ent- wicklung einer wissenschaftlichen Persönlichkeit aus ihren An- fängen zu ahnen vermag. Doch ist mit ihm noch etwas weit Wertvolleres dahingegangen, als nur seine Pläne und Ideen: denn er war ein guter, ein edeldenkender und warmfühlender Mensch! Zur Geschichte des Heringstranes. Von Hugo Milrath. In der Fettindustrie spielen die Fischtrane, unter ihnen auch der Heringstran, eine ziemliche Rolle. Mit der Gewinnung desselben hat man sich bereits vor langen Jahren befasst und sie bildete einen wichtigen Erwerbszweig in jenen Gegenden, in welchen die Heringe in grossen Mengen gefangen wurden. In der Nähe von Gothenburg soll der Heringsfang im vier-. zehnten und im fünfzehnten Jahrhundert sehr reichlich gewesen sein; dann kam eine Zeit, in der die Heringe in geringer Menge auftraten. Erst wieder um das Jahr 1750 war das Ergebnis des Heringsfanges in der genannten Gegend ein sehr gutes. Einige interessante Angaben über die Gewinnung des Heringstranes in den alten Tranbrennereien finden wir u. a. auch in den „Schriften der Berlinischen Gesellschaft naturfor- schender Freunde 1784.*!) Dieser Mitteilung entnehmen wir die Angabe, dass um 1780 in der Gegend von Gothenburg ungefähr 600.000 Tonnen Heringe gefangen wurden, von denen zwei Drittel zum Tranbrennen Verwendung fanden und über 20.000 Tonnen Heringstran lieferten. Anfangs verwendete man zur Trangewinnung nur die Kehle und die Gedärme des Fisches. Erst als das so erhaltene Pro- dukt einen guten Absatz fand, trachtete man so ziemlich das ganze Fett. dem Fischkörper zu entziehen. Es wurden nun Bren- nereien in grösserem Stile erbaut. Die Einrichtung der meisten alten Tranbrennereien bestand aus acht Kesseln, von denen je vier in einen Feuerherd eingemauert waren, und zwar auf die Weise, dass nur die untere Hälfte von den Flammen umspült wurde Um die ziemlich grossen Anschaffungskosten solcher Kupferkessel zum Teil zu ersparen, verwendete man bloss für die untere, mit den Flammen direkt in Berührung kommende Hälfte, das teure Kupfer, während man den äusserhalb des _ Flammenherdes befindlichen Teil aus Fichtenholz verfertigte. 1) Dr. Marcus Elieser Blochs Nachricht vom Heringstran. 916 Hugo Milrath: Zur Geschichte des Heringstranes. Ein solcher Kessel fasste gegen 20 Tonnen und es wurden auf einmal immer 9—10 Tonnen Heringe verarbeitet. Das geschah folgendermassen. Die Heringe wurden mit der gleichen Ge- wichtsmenge Wassers ausgekocht. Gleichzeitig wurde die ganze Masse von 7—8 Arbeitern, welche zur Bedienung eines Kessels erforderlich waren, mit kupfernen Spaten kräftig gerührt. Nach 5—6 Stunden war das Auskochen beendet; das Rühren konnte eingestellt werden. Nun sammelte sich das spezifisch leichtere Fett an der Oberfläche an. Nach dem Erkalten, d. i. nach ungefähr drei Stunden, füllte man den Tran in ein anderes Ge- fäss über. Diese Operation hatte den Zweck, das mitgerissene Wasser und die Verunreinigungen, die sich am Boden des Ge- fässes absetzten, zu entfernen; diese Reinigung wurde einigemal wiederholt. Man erhielt auf diese Weise einen verhältnismässig reinen und schönen Fischtran. Über die Eigenschaften des Heringstranes teilt Bloch fol- gendes mit: „Der Heringsthran ist weiss, dünn und wohlfeiler, als das Rüb- und Baumöl. Im Brennen verbreitet er weder einen so dicken Rauch als das Rüböl, noch einen so übeln Ge- ruch als der gewöhnliche Thran; dass er aber demungeachtet ge- ringer als beyde im Preise steht, rührt daher, weil er zu dünn und zu dick ist. Zu dünn, um das Leder lange genug schmeidig zu halten; zu dick um in der Kälte ebenso lange als andere Ole flüssig zu bleiben, und das Licht im Brennen zu erhalten. Diesem Fehler könnte vielleicht durch das Destillieren, wodurch die gröbern von den feinern Teilen abgesondert würden, abge- holfen, und diese zum Leder und jene zum Brennen besser ge- nutzt werden.“ Wir sehen, dass damals der Fischtran billiger war als das Rüböl. Dies ist auch jetzt noch der Fall. Infolge der Preissteigerung des letzteren hat gerade in den letzten Jahren die Zahl der Tranverfälschungen bei Rübölen bedeutend zuge- nommen; teilweise auch deswegen, da die Methoden zum Nachweise der Trane in Rübölen nicht immer einwandfreie Re- sultate liefern. Ich habe seinerzeit bei der Untersuchung von mit Tranen verfälschten Rübölen darauf hingewiesen und die wichtigsten Reaktionen, welche den Nachweis des Tranzusatzes erbringen können, zusammengestellt. ?) Bekanntlich werden die Trane auch zum Gerben des Le- ders verwendet. Bloch bemerkt nun, wie aus obigem Zitat er- sichtlich, dass der Heringstran „zu dünn“ zum Schmieren des Leders sei. Man hat nun später die Erfahrung gemacht, dass das Fett, das man durch nachheriges Auspressen des mit Tran 2) Zeitschr. f. öff. Chemie 1907/372, ee Are Prof, Dr. Ad. Liebus: Geol. Wanderungen in der Umgebung von Prag. 917 geschmierten Leders. wiedergewinnt, bedeutend „dicker“ zurück- erhalten wird, als es anfangs gewesen. Man bediente sich der Bezeichnung: der Tran wurde „dicker“, d.h. seine Viskosität wurde vergrössert. Die späteren diesbezüglichen Untersuchungen för- derten zu Tage, dass dieses Diekerwerden auf eine Oxydation des Tranes zurückzuführen ist. Der auf der sehr porösen Oberfläche des Leders aufgetragene Tran nimmt nämlich im Laufe der Zeit aus der Luft Sauerstoff unter Bildung von Oxyfettsäuren auf. Es zeigte sich nun, dass das durch nachheriges Auspressen ge- wonnene, oxydierte Fett; (sog. Abfallfett) sich viel besser zum Schmieren des Leders eignete, als das nicht oxydierte. Diese Erfahrung machte man sich nun zu Nutze und so entstand die Fabrikation des Degras (d. i. Abfallfett), welches sich heute in der Lederindustrie einer so grossen Verbreitung erfreut. Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. Von Prof. Dr. Ad. Liebus. VI. Vydoule-Motol-Koschir. Mit 5 Abbildungen. Die heutige Wanderung wollen wir an die Exkursion IV. anschliessen. Gehen wir auf der Nordseite der Vydoule am Fusse der Sandsteinfelsen gegen Westen fort, so nähert sich etwa auf der Höhe der Besitzung Cibulka unser Weg wieder der Eisen- bahn (Fig. 1). Linker Hand ragen die Felsen der gelben Perutzer und über ihnen die graugrünen Korytzaner Sandsteine auf, rechts wird das Feldgelände von den Schieferschichten Dd, des Unter- silurs gebildet. Überall kann man an der Feuchtigkeit des Bodens und an einzelnen hervorbrechenden, wenn auch geringfügigen Quellen die Anwesenheit der Perutzer Tone als Liegendes der Sandsteine konstatieren. Etwa in der Höhe des einstöckigen Bahngebäudes, neben dem ein Wächterhaus steht, wo der von der Motoler Strasse bei der Besitzung Cibulka vorbeiführende Fahrweg nach der Bahnübersetzung auf die Höhe gelangt, hat die Kreidebildung der Vydoule ein Ende und es sind die unter- silurischen Schichten Dd, entblösst, die zunächst spärlich im Weggraben und an der Lehne gegen die Sandsteine hin als dickbankige Schiefer zutage treten. An der Stelle, wo der Fahrweg unseren Steig, den wir bisher längs der Nordseite der Vydoule verfolgten, kreuzt, beginnt ein Wasserriss, der sich von da aus sehr rasch vertieft und gegen den Bahnkörper führt. In diesem Wasserrisse sind die Dd, Schiefer sehr gut aufge- 218 Prof. Dr. Ad, Liebus: schlossen. Ihr Streichen ist NO-SW gerichtet, 60° (h 4) und sie fallen unter 80° und darüber gegen SO ein. Etwa in der Mitte der Länge des Wasserrisses sind in die Schiefer drei ca. 80 cm mächtige Quarzitbänke eingeschaltet. Sie bedingen auch die Steilheit des Hügels an der westlichen Flanke des Wasserrisses. Von dieser Stelle an benützen wir den schmalen Fussteig, der den Bahnkörper entlang gegen Westen führt. Wir gelangen da zu einer Stelle, wo die Bahn tief in den Felsen eingeschnitten ist. Zum besseren Beobachten und zur leichteren Übersicht steigen wir vor dem Passieren des Eisenbahneinschnittes, die südliche Höhe desselben hinauf. Von da aus können wir die Lagerung der Schichten sehr gut überblicken (Fig. 2). Das Gestein, welches JH: ? EHE TER KA ‘) y fe. De, Fig. 1. die Steilheit des ganzen Hügels, den die Bahn hier durchschnei- det, bedingt, ist ein heller dickbankiger (Bänke bis zu 1m Mächtigkeit) Quarzit, dessen Streichen vollständig mit dem eben bei Dd, beobachteten SW—NO 60° (h 4) übereinstimmt. Das Einfallen aber ist gerade entgegengesetzt NW 75—80°. Sowohl im Hangenden als auch im Liegenden dieser Quarzite stehen schwarze glimmerreiche dünnblättrige Schiefer an, in denen ungemein harte runde und ellipsoidische Konkretionen vorkom- men. Leider sind keine Fossilien in denselben nachweisbar. Zwei- fellos haben wir es aber mit Schiefern Dd, 7 zu tun. Sehen wir uns nun die nördliche Seite des Bahneinschnittes aus der Nähe an. Vergleichen wir die beiden Schieferzüge miteinander, so nehmen wir wahr, dass der westliche, der also in Bezug auf den > = 1 sn Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 219 Quarzit das Hangende darstellt, in der Nähe desselben einigemal schwach gefältelt erscheint, an einigen Stellen kleine Harnisch- flächen zeigt und eine dünne ca. 1'/); m breite Zone erkennen lässt, wo der Schiefer eine ganz eigentümlich rötliche Farbe zeigt, wie wenn er einer grossen Hitze ausgesetzt gewesen wäre. Zwischen dieser Zone und dem Quarzite finden wir eine mehrere Meter breite lockere sandig tonige Masse, die zum Teil aus zerbröckelten Schieferstückchen zum Teil aber aus einem feinen Fig. 2. Eisenbahneinschnitt südwestlich von Motol. Nordflanke. Rechts im Hintergrunde Vydoule. Sand besteht, wie er mitunter in den Perutzer Schichten vorkommt. Wenn wir noch auf der westlichen Schichtläche des Quarzites Rutschflächen, Harnischflächen beobachten, die freilich wegen der Gesteinsbeschaffenheit nicht so spiegelblank sein können wie die an den Kalkschiefern bei Kuchelbad beobachteten, so liegt der Schluss nahe, dass hier eine Verwerfungsspalte angeschnitten ist (Fig. 2a). Da die Schiefer mit den eingelagerten harten Konkretionen nur Dd, 9 sein können, diese aber älter als die Dd, Quarzite sind, so können sie nur im östlichen Teile des Bahneinschnittes, als Liegendes des Quarzites in Bezug auf diesen in ungestörter La- gerung sein, im westlichen Teile dagegen sind sie über ihn hinaufgeschoben oder aber es ist der Quarzit unter dieselben a ee 220 Prof. Dr, Ad. Liebus: | | | eingesunken. Die starken Harnischflächen deuten ausserdem noch auf eine Schubbewegung in der Streichrichtung also gegen NO hin. Die gegenüberliegende, also die südliche Seite des Eisen- bahneinschnittes zeigt etwa im allgemeinen denselben Aufbau wie die nördliche. Auch hier steckt der Quarzit zwischen zwei Schieferflügeln darin, nur ist die Störungszone im westlichen Teile nicht so mächtig wie an der Nordflanke, es treten aber auch bier jene rötlichen wie durch kaustische Einwirkung verän- derten Schiefer auf. vermwrYkterier HKrerdesandskein Ka) m Laf9242 Fig. 2a. Profil und Erläuterung zu Fig. 2. Verfolgen wir aber die einzelnen Quarzitbänke der Nord- flanke über den Bahnkörper in der Luftlinie auf die andere Flanke hinüber; so können wir die Wahrnehmung machen, dass die einzelnen Bänke der einen Seite nicht die analogen der an- deren Flanke treffen, sondern dass die Nordseite gegen die Südseite um einige 3—4 m horizontal in etwa östlicher Rich- tung verschoben erscheint. Ihre unmittelbare Fortsetzung finden die hier beobachteten Quarzite in einem Hügel, der SSO von Motol etwa NO von der Gabelungsstelle des Jinonitzer Fahrweges aus dem Wiesen- ' terrain aufragt. Die Quarzite treten hier nur in einigen losen u. n“ Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 2931 ‚Schollen auf, die ungemein steil fast saiger stehen. Die Haupt- bruchlinie, längs der die grosse Schichtenstörung der Dd, p und Dd, platzgreift, verläuft etwa im Streichen der Quarzite und ist die von Krejli als Hyskow-Prager Bruchlinie bezeichnete Dis- lokationskluft. Westlich vom eigentlichen Eisenbahneinschnitte tritt als Han- gendes des westlichen Dd, y Schieferflügels ein zweiter Quarzitzug auf, dessen Lage aber nur durch spärliche Findlinge in den Feldern, im Wäldchen von Motol und am Ende des Eisenbahn- einschnittes angedeutet ist. Die übrige Anhöhe der Südseite des “ Fig. 3. ‘Durchbruch des Motolbaches durch den Diabas. Die engste Stelle von Westen aus gesehen. Eisenbahneinschnittes und die Gegend um den Waldhof besteht zumeist aus dem braunen Perutzer Sandsteine. Nördlich von unserem Beobachtungsorte liegt zwischen der Bahn und der Ortschaft Motol ein kleines Wäldchen, das auf der Bahnseite immer schütterer wird, bis es unmittelbar vor dem Einschnitte in ein- zelne verstreute Baumgruppen übergeht. Nach dem Durchschrei- ten dieses Gehölzes in nördlicher Richtung finden wir uns hoch oben über der Ortschaft Motol vor einer steilen Kuppe, die ein steiner- nes Kreuz trägt. Diese Kuppe bildet mit der. kleinen südlich knapp an die Ortschaft angrenzenden etwa NO—SW streichenden Anhöhe und mit dem steilen Abhange, der nördlich die Strasse einfasst, eine Einheit und besteht aus Diabas. Die Trennung der beiden Massen erfolgte durch die Erosion des Motolbaches, der 222 Prof. Dr. Ad. Liebus: damals freilich eine grössere Gewalt entwickelt haben muss als heute (Fig 3.). Dass hier der harte Diabas mitten durchbrochen wurde, hat eine ähnliche Ursache wie die Erosion des Scharkatales (s. dieses). Die ganze Anhöhe, die heute die nördlichen und südlichen Tallehnen bildet, war seit der Kreidezeit mindestens von den Sedimenten der Süsswasserkreide gleichmässig bedeckt. In diese weichen Schich- ten hatte das Gewässer sein Bett eingegraben, bis es auf den Diabas kam. Da gab es kein Zurückweichen mehr. In den Feldern südlich von der Kuppe findet man lose dunkle Schieferstückchen, die einem Schieferzuge angehören, der den Diabas begleitet. In der Nähe des östlichen Ortseinganges, wo der Fahrweg gegen Jinonitz von der Motoler Strasse abbiegt, lassen sich in diesen Schiefern Reste von Graptoliten nachweisen. Es sind dies obersilurische Graptolitenschiefer, hier aber mitten im Untersilur darin ; wie so häufig sind sie auch hier ständige Begleiter eines Diabasaufbruches. Sie bilden einen Teil der sogenannten „Co- lonie Motol“, wie sie von den älteren Bearbeitern des böhmischen „Silurs“ genannt wurde. Zwischen der beim Eisenbahneinschnitte konstatierten SW—NO streichenden Bruchlinie und dem Diabas- ausbruche, dessen Alter wie das der meisten übrigen im Bereiche der D Schichten auftretenden etwa in das Ende des Untersilurs zu verlegen ist, besteht sicher ein ursächlicher Zusammenhang. Der Diabaszug nördlich der Motoler Strasse lässt sich sehr gut im Terrain verfolgen, wegen der Härte des Gesteines ragt der ganze Zug aus den ihn umgebenden weichen Schichten hervor. Im Norden am Abhange des Weissen Berges begleiten ihn zu- nächst bei der Strasse die Graptolitenschiefer, die an einem Fahrweg, der von der Motoler Strasse in die Felder gegen den Meierhof Schafranka führt, aufgeschlossen sind. Noch höher am Abhange knapp unter dem genannten Meierhofe treten braune glimmerarme Schiefer auf, die wohl nichts anderes als die Dd, sein können. Da der Exerzierplatz eine ungehinderte Begehung des Terrains nicht zulässt, können Details nicht angeführt werden. Knapp unterhalb des Meierhofes werden dann die Schichten des Untergrundes von den fast horizontalen Schichten der Kreidefor- mation bedeckt, deren Basis die Perutzer und Korytzaner Sand- steine bilden, die beide in Steinbrüchen gewonnen und oben von den plattigen Plänerkalken des Weissen Berges überlagert werden. Bevor wir uns heimwärts wenden, besichtigen wir noch einen interessanten Punkt, der an der Strasse Motol-Koschir liest. Knapp hinter dem ersten Hause an der genannten Strasse, Gasthaus Na PoStovce, sind Quarzite sichtbar, zu denen der Zu- gang leider jetzt durch ein Tor versperrt ist. Sie zeigen aber ein NO Streichen und ein SO Verflächen mit 75°. Ihre Fortsetzung finden sie in dem Steinbruche des Be" Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 223 - HofesKotlarka (Fig. 4). Das Verdienst, das erstemal hier die kompli- | zierten Verhältnisse beleuchtet zu haben, gebührt Herrn Kollegen Dr. Zimmert. In seiner Schrift (Lotos Band 57 Heft 1 und 5) setzt er klar auseinander, dass wir es hier mit zwei Quarziten zu tun haben, der eine fällt mit Winkeln von 60—75° gegen S (ca. h 11) ein. In diesen ist von SW gegen NO eine etwa 30 m mächtige fremde Quarzitscholle unter einen Winkel von 45° bis zu einer Höhe von 30 m geschoben und verkeilt wor- den. Die Schichten dieser eingekeilten Scholle fallen ganz anders Fig. 4. Der Steinbruch Kotlarka von der Strasse aus. ver 44 unter Winkeln von 40—50° nach WNW ein. Diese Verschie- bung bewirkte eine weitgehende Schleppung und Pressung der ursprünglichen Quarzitschichten. Aus den im Vorstehenden er- läuterten Verhältnissen beim Eisenbahneinschnitte Motol ergibt sich auch das Verständnis dieser Erscheinung. Die südlich fallen- den, etwa NO streichenden Quarzite der Kotlaika bilden das unmittelbare Liegende der Dd, Schiefer der Südlehne des Motol- Koschirer Tales, der Bach erodierte dies an der Grenze von Quarzit, und Dd, Schiefer. In diese im allgemeinen südlich einfallenden Quarzite schob sich ein ortsfremder Quarzitkeil von Motol her ein und zwar ein Teil des Quarzites, den wir im Eisenbahnein- ‚schnitte mit einem NW Einfallen beobachteten. Wir konnten dort konstatieren, dass ausser der Dislokationsbewegung gegen die Dd, p Schiefer eine zweite Bewegung stattgefunden hat, näm- lich eine Longitudinalverschiebung der Quarzite in der Streich- richtung also gegen NO. a ee t 224 K. Zimmert: Über Aufschlüsse des Prager Bodens. II. Von K. Zimmert. 1. Beim Kloster St. Gabriel in Smichow. Auf der geologischen Karte der Umgebung Prags von Krejti und Helmhacker a. a. O. erscheint der östliche Teil der Smichower Karlsgasse, die südlich vom Laurenziberge und der Prager Hauptbruchlinie nach NO verläuft, mit dem Farbenton der untersilurischen Stufe d,7 bezeichnet; es ist ein Streifen beiderseits der Strasse. Westwärts von der Moldau und am Fusse des Weissen Berges wurden diese dunkeln tonigen Schiefer allerdings nur selten nachgewiesen und noch weniger beschrieben; eine Beschreibung derselben gab Potta („Der Boden... S. 6) von der Ortlichkeit Zame£nice in Koschirsch; in Smichow selbst wurden sie bis jetzt nur an einem Orte angetroffen u. zw. vom Bürgerschullehrer J. Kofensky (Sitzungsber. d. kgl. böhm. Ges. d. Wissensch. 1877, S. 90, deutsch) „beim Bau des Nonnen- klosters in der Karlsgasse unter dem Kinskygarten“ in einer Tiefe von 4 m; dass es d,y Schiefer waren, bezeuste die Auf- findung der Leitfossilie Placoparia Zippei Corda (bei Katzer S. 866 „Pl. Z. Boeck sp.“ genannt). Krej@i benützte also diese Tatsache!) zu der obenbemerkten Kartierung auf beiden Seiten der Strasse; die folgenden Beobachtungen bestätigen diese Kombination. Dass Korensky und Krejöi nur schlechtweg von einem Nonnenkloster sprechen, hat seinen Grund darin, dass damals eben nur das eine auf der Südseite der Karlsgasse bestand, das der Schulschwestern Sacr& Coeur; erst nach dem Tode Krej£is (f 1887) wurde in den letzten Jahren desselben Jahrzehntes auf der Nordseite der Gasse gegenüber dem älteren ein zweites Kloster samt der Kirche zu St. Gabriel erbaut. Eine geologische Feststellung fand damals nicht statt. Eine solche bot sich aber im Frühjahr 1909 von neuem dar, als ein diesem Benedikterinnen- kloster gehöriges Wirtschaftsgebäude aufgeführt wurde, das im O vom Konventsgebäude, in W von der Einfriedungsmauer der schwedischen Gasse begrenzt wird. Verf. hat es der gütigen Erlaubnis seitens der hochwürdigen Abtissin des Klosters zu danken, dass er den Bau besichtigen und folgendes feststellen konnte. !) Vgl. noch Krejti, Archiv, IV., S. 159, N. 7 zu S. 37: Dalmanites atavus bei der Mlynärka in Koschirsch. 1 - . 4 4 £ N 2 RR? e R HR Sl $ » ER. Über Aufschlüsse des Prager Bodens. 225 Die Baufläche ist vom SSO nach NNW orientiert und misst in dieser Erstreckung etwa 70 m, in der Breite etwa 40 m. Schon in der Tiefe von 1 m bilden dunkle Schiefer den Grund und waren bis auf 4—6 m ausgehoben worden. Sie haben den typischen Charakter der d,y Schiefer, d. i. die Griffelstruktur mit zahlreichen rostbraunen Kluftflächen und weisen im Süden einige quarzitische Lagen von wenig dm Mächtigkeit auf. Konkretionen konnte ich mehrfach bemerken, aber ohne Fossilien gewinnen zu können. Das wichtigste Ergebnis war wohl die Feststellung der tektonischen Verhältnisse. Die Streichrichtung ist N600 bis N700, an der nordöstlichen Ecke sogar NS00, also nahezu östlich, das Fallen sehr steil, 75° bis 80°, gegen NW; nur in der Mitte des Platzes konnte ich südöstliches, aber sehr steiles (85°) Fallen bemerken. Daraus ergibt sich folgendes: Der Hügelzug an der linken Flanke des Motoltals besteht meist aus Quarzitklippen ; bevor er aber zu dem Alluvialboden der Baron v. Ringhoffer’schen und Richterschen Fabriksgebäude abbricht, übersetzt er in jener Anhöhe, zu der die Karlsgasse von O nach W hoch emporsteigt, eben diese Gasse, knapp neben den beiden Klöstern. Und hier besteht der Höhenzug nicht mehr aus den harten Quarziten d,, sondern aus den weichen Schiefern d,y; die ersteren liegen bei 20 m tiefer; so sind sie wenigstens trotz starker Verwitterung an der unverbauten Lehne der unteren Sokolgasse sichtbar, die hier von der Karlsgasse zur Pilsner Strasse hinabsetzt. Die Stufe d, dürfte gerade nur noch den oben bezeichneten Abbruch _ des Höhenzugs zusammensetzen; zu vgl. auch die geolog. Karte von Krej@i und Helmhacker. Nimmt man nun noch hinzu, dass eben in jener Anhöhe bei St. Gabriel die Stufe d,y nicht wie bisher nach SO (s. Polta, S. 6), sondern nach NNW einfallen so wäre man fast zur Annahme versucht, dass hier eine Über- kippung stattgefunden habe, durch die die Schichtfolge umge- kehrt wäre: oben die ältere Stufe d,y, unten die jüngere d»; ob aber die letztere auch nach NW einfällt, ist derzeit unbe- kannt; auch könnte ja die Denudation Ursache dieser scheinbar umgekehrten Schichtfolge sein, wie dies so ziemlich sicher bei der Hiebenka der Fall ist. 2. Bei der Hrebenka. Von der oben bezeichneten Anhöhe und Strassenkreuzung der Karlsgasse setzt sich dieser Höhenrücken, nunmehr nördlich von der Karlsgasse und südlich von der schwedischen Gasse. 300 m weit nach WSW über Horeni Paliarka und Hrebenka bis zu der in Krümmungen nordwärts ziehenden Strasse beim Kran- RR eh un ER 226 K. Zimmert: Über Aufschlüsse des Prager Bodens. kenhaus und dann noch etwa 450 m über die Mlynärka bis zur Klamovka und Koschirsch fort; östlich und westlich der eben genannten Strasse finden sich aufgelassene Steinbrüche in den Quarziten d.. Bevor man von der Karlsgasse aus zu dem öst- lichen Steinbruch gelangt, sieht man im Graben der unbenannten Strasse, also am südlichen Abhange des Hügels Hrebenka, dunkle Grauwackenschiefer der Stufe d, anstehen; sie streichen nach N450 und fallen mit 70° nach h 9 (SO) ein; so scheinen sie | auch in dem Kanalprofil an der Kreuzung dieser Strasse mit der Karlsgasse einzufallen, während ich in den Profilen eines 10 bis 30 m nördlicher aufgeschlossenen Baugrundes dieselben Schiefer nach N 700 bis O streichen und mit 70° nach SSO bis S ein- fallen sah. Knapp unterhalb der auflagernden Detritusschichte sind die Schiefer nach SSO umgestülpt, so dass sie, allerdings in einem bloss 2 bis 3 dm breiten Streifen, nach NNW fallen; weiter oben sind sie eben abgetragen. Ahnliches beobachtet man auch an den Quarziten des östlichen Steinbruchs; vgl. Aufsatz I. (S. 9). Alle Bänke streichen hier nach N600 und fallen nach SSO unter Winkeln von 70 bis 80°. Die nördlichen Bänke aber neigen oben nach NNW, die mittleren sind durch Druck von Norden her zerrissen und verschoben, die südlichen neigen oben nach SSO; ohne eine Falte zu bilden, sind die durchaus von einander verschiedenen Bänke in Fächerstellung. Ein von N her wirkender Druck scheint also an der Südseite der Hrebenka bei- nahe eine Überkippung der Quarzite d, und Schiefer d, zuwege gebracht zu haben. Unter der Voraussetzung also, dass 300 m weiter östlich bei St. Gabriel tatsächlich eine Überkippung statt- gefunden hätte, könnte man bei der Hrebenka den Beginn der- selben annehmen, eben in Hinsicht auf die Steil- und Fächer- stellung der Quarzite. Man könnte für diese Ansicht auch noch ins Treffen führen, dass auf der Höhe der Hrebenka, d.h. zu beiden Seiten der schwedischen Gasse, nördlich hievon bei den vorjährigen Abgrabungen für Strassenbauten'), südlich davon in dem Garten des Hauses K.-Nr. 107 die dunkeln Schiefer der Stufe d,y zu sehen waren, bezw. sind. Allein das scheinbare Einfallen der Stufe d, unter d, und dieser unter d,y ist hier wohl hauptsächlich ein Werk der Denudation durch Verwitterung, Wasser und Wind. Dies geht aus den Lagerungsverhältnissen der Detritusschichten im Profil des oben genannten Baugrundes hervor. (Schluss folgt.) 1) Ebenso im Juli 1909 bei einem Kanalbau am Ende der schwedischen Gasse westlich von der Kapelle; es wurden schwärzliche Schiefer mit vielen Gipskristallen gefördert. N e - N RE ”\ ’ Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘“, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktions- und Geschäftsstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. Priv.-Doz. Dr.L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel. Nr. 3116.) 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Ich wollte nur an ihre Existenz nicht recht glauben, da mir in allen australischen Hafenstädten die Selten- "heit dieser Tiere angezeigt wurde. Was die fortschreitende Be- siedelung übrig gelassen, sollte der Dürre zum Opfer gefallen sein. Sie sollen in den besser bewässerten Teilen des Kontinentes so zahlreich gewesen sein, dass sie den Weidetieren. die Gras- - nutzung beschränkten. Der Staat erklärte sie als „Pest“ und - prämiierte ihre Tötung, wovon später die Rede sein wird. Heute sind davon im Süden und Südosten Australiens nur wenige Reste übriggeblieben und im weiteren Umkreise um die Kulturzentren sind sie fast ausgerottet. Auch im Westen Queenslands sind sie so selten geworden, dass man kaum je eines der Tiere zu Ge- sicht bekommt, ganz zu schweigen von den Rudeln und Herden früherer Tage oder des tropischen, unbewohnten Nordens. Herr - Konsulatssekretär Hansal in Sydney sagte mir, dass er während seines zwölfjährigen Aufenthaltes in New-South-Wales niemals Gelegenheit hatte, wildlebende Känguruhs zu sehen und auch in Brisbane machte man mir keine zu grossen Hoffnungen darauf. Meine Verblüffung war daher keine geringe, als ich am zweiten Tage meines Camplebens, die Wallumsümpfe durch- 'ziehend, ein grosses rotes Känguruh aufjagte, das im hohen > Grase sich ein bequemes Lager ausgehöhlt hatte. Von ihm liefen ; zum nahen Waldesrand mehrere im Grase getretene Steige, die “ ich von meinen Leuten erzeugt glaubte. Kaum 50 Meter weiter stöberte ich ein zweites Tier auf, war aber immer noch so be- 18 = 998 Prof. H. Dexler: fangen, dass ich trotz der kürzesten Distanz fehlte. Meine Schüsse schreckten noch weitere drei Stück auf, die alle in - langen Sätzen zwischen den Tea-Trees verschwanden. Die An- wesenheit dieser schönen Tiere war nun wohl unzweifelhaft und ich beschloss hocherfreut, systematisch ihrer Jagd obzuliegen, um womöglich Embryonalstadien in möglichst grosser Zahl zu erbeuten. Dazu ist es leider nie gekommen, weil mir mein Fischerleben keine Zeit liess und weil sich bald andere einstell- ten, die einen ähnlichen Jagdeifer an den Tag legten, dabei aber von anderen Absichten geleitet waren als ich. Als ich am 26. Juni, von der ersten Fahrt nach Dugongsspuren heimsegelte, hörte ich bei Annäherung an die Küste zwei Schüsse fallen, die mich insofern beunruhigten, als ich glaubte, dass einer meiner zurückgelassenen Leute eines meiner Gewehre erwischt haben könnte. Bald hörte ich neuerlich schiessen und nahm hinter den Mangroves ein kleines fremdes Segelboot wahr, das dort vor Anker lag. Ich hielt das Fahrzeug für ein Brisbaner Vergnü- gungsboot und war wegen des Herumknallens sehr um die Kän- guruhs besorgt — wie sich zeigte, hatte ich nur zu sehr das Richtige getroffen. Die durch das Gesetz ausgeworfene Prämie für die Kän- guruhschlachtung dient einer Menge von Leuten zum Lebens- unterhalt, die, ein halbes Nomadenleben führend, den Tieren nachstellen und im Sommer, bei schlechtem Pelz, sich die Prämie auszahlen lassen, bei Winterhaar aber die Pelze ziemlich gut verkaufen. Zwei derartige Jäger wählten jeden Winter Strad- broke zu ihrer Station, bis sie das Meiste ausgeschossen hatten ; durch Zufall kamen sie fast gleichzeitig mit mir an und schlu- gen ihr Camp in der nächsten Nähe des meinigen auf. Als ich ans Land stieg, hatten sie bereits drei Wallaroofelle eingebracht und meine Jagdpläne waren mit einem Schlage zu Wasser ge- worden. Da ich nach kurzer Überlegung einsah, dass mir keine Aussicht blieb, die wenig respektabel aussehenden Kerle ohne weiteres los zu werden, so paktierte ich mit ihnen und beglei- tete sie auf ihren Zügen. Der eine war ein entlaufener Matrose und schwerer Säufer, der andere ein Halfcast, der sich abstinent hielt. „Trinkin’ is killin” a man“ sagte er. Er war ein Bei- spiel jener paradiesischen Ungebundenheit, mit der man in Queensland leben kann. Durch seine Hautfarbe für die weisse Gesellschaft unmöglich gemacht und andererseits durch seine weisse Blutbeimischung absolut nicht gewillt, zu den verachteten Farbigen gezählt zu werden, führte er als Trapper die Lebens- weise eines Nomaden. Er durchwanderte die Ostländer Austra- liens, vom Kap York bis zum äussersten Süden, blieb, wo er Felle erbeuten konnte, und ging, wenn er den Wildstand ruiniert Australische Reisebriefe, 3239 hatte. Ohne Verpflichtung der An- oder Abmeldung, ohne Not- wendigkeit eines Passes für seine Waffen usw. wanderte er her- um, wo es ihm gefiel. „I like walkin’ the bush“ war die Sen- _ tenz, mit der er sich über den von seinen dunklen Vätern über- nommenen Wandertrieb äusserte. Die Jagdmethode dieser Leute war so wenig reizvoll, dass ich mich bald abwendete und von ihnen einfach einige frisch er- legte Känguruhs zu präparatorischen Zwecken kaufte. Sie hetzten mit Hunden ; zuweilen schossen sie. Ihre Waffen waren aber so schadhaft, dass sie nur in der Not zu ihnen griffen. Der Weisse führte eine abgeschnittene Snyderrifle, mit der er in der beun- ruhigendsten Weise herumfuhr. Die Laufmündung sah mir immer ins Gesicht — mochte ich vor oder hinter ihm gehen. „Never mind“ — sie geht gewöhnlich beim ersten Abdrücken nicht los — war sein Trost. Gleich am nächsten Tage konnte ich mich von dem ausserordentlichen Spürsinn des Halfcast überzeugen, als ich mit ihm nach Tagesanbruch zur Pürsche auszog. Bei meinen bisherigen Streifereien, die ich gleich von allem Anfang an durch den Busch unternahm, um mich zu orientieren, hatte ich mit Ausnahme des bereits geschilderten Zusammentreffens ' mit den roten Cangaroos nie wieder solche Tiere gesehen; wohl sah ich überall die Spur der zwei grossen Klauen der Hinter- beine, hörte auch hin und wieder das flüchtende Wild, konnte es aber trotz grösster Vorsicht und leisem Auftreten nicht zu Gesicht bekommen. Als ich mit meinem Begleiter in den Busch zog, machte er mir schon nach kurzem Wandern plötzlich ein Zeichen zum Anhalten, während er die angekoppelten Hunde niederdrückte, und wies auf ein Känguruh, das völlig unbeweg- lich im Grase sass. Ich liess mich aufs Knie nieder, schoss und das Tier legte sich seitlich um. Als wir es erreichten, war es tot; die Kugel war ihm seitlich durch den Bauch gegangen und schien keine Knochen verletzt zu haben, wodurch ich Aus- - sicht auf Pelz und Skelett hatte. Das erlegte Stück mass von der Nase bis zur Schwanzwurzel 105 cm und von da zur Schwanz- spitze 95 cm; mein Begleiter erkannte in ihm ein junges Wal- _ laroo, dessen hellmausgraues Fell an Brust und Bauch einen _ sSilbergrauen Ton hatte und sehr weich und dicht war. Pfoten, - Ohr- und Schwanzspitzen waren schwarz. 8 Nachdem wir unsere Beute auf einem Baume aufgehängt - hatten, setzten wir unseren Jagdzug fort und hatten nach kaum _ halbstündigem Wandern ein zweites kleines Känguruh oder Wal- - laby entdeckt, das unter einem grossen Eukalyptus sass. Trotz _ aller Aufmerksamkeit sah ich anfangs absolut nichts; erst nach _ längerem Hinstarren auf den mir angegebenen Fleck nahm ich das kleine Tier wahr, kniete nieder und wollte mein Glück ver- 18* \ re 5: 2 . - d . 5 Pe _ ; 230 Prof. H. Dexler: suchen. Weil die Distanz aber eine zu grosse war, richtete der Pelzjäger zuvor die Köpfe der beiden Hunde nach dem Wilde, um es beim Aufspringen hetzen zu können. Mit der Erwartung, diesmal trotz des Zielfernrohres nichts zu erreichen, gab ich Feuer. Das Tier war verschwunden, die Hunde blieben stehen. An der Schusstelle fanden wir ein schönes weibliches Wallaby mit einem 6 cm langen noch haarlosen Jungen im Beutel. Die Kugel hatte dem Muttertiere den Nacken abgerissen. Ich konnte also Gehirn und Pelz verwerten, wenn auch das Skelett verdor- ben war. Da ich mehr als die beiden Tiere in einem Tage nicht aufarbeiten konnte, andererseits den beiden Würgern mit meinem guten Gewehre nicht Vorschub leisten wollte, beschloss ich um- zukehren. Ich belud mich mit meinem Wallaby und suchte mei- nen Weg der Küste entlang zum Camp zurück, da ich mich in den mir unbekannten Sümpfen zu verirren fürchtete.e Es war das einer jener wenigen schönen Momente, die ich auf der trau- rigen Insel erlebte: im Besitz einer damals für mich noch ganz fremden Beute, frei und ungebunden dahinzuschreiten auf der weissen sonnigen Düne — landeinwärts das geheimnisvolle Sau- sen der Eukalypten und drüben das weite Meer, auf dem aus weiter Ferne die Brecher hereinkamen. Ich muss übrigens gestehen, dass auch die Hundehatz, die ich später von den Pelzjägern wiederholt vornehmen sah, nicht ohne Interesse war. Sie verlor es nur sehr bald dadurch, dass sich die Känguruhs gar zu leicht erwischen liessen. Die Schnel- ligkeit der gebrauchten Windhunde war der ihren allzusehr überlegen. Stiess man beim vorsichtigen Durchstreifen des Waldes auf ein äsendes Känguruh, so nahm man einen Hund von der Kette, drehte ihm den Kopf nach dem Tiere hin und liess ihn los. War der Boden nicht durch mannshohes Gras bedeckt, das dem Verfolger die Ausschau nahm, so wurde jedes Känguruh ausnahmslos nach kurzem Hetzen erfasst und gerissen. Bei einem dieser Treiben sah ich, wie das über einen freien Platz gehende Tier ein Junges aus dem Beutel warf, um seine Flucht 4 zu erleichtern, ohne aber seinem Schicksal zu entgehen. In einem anderen Falle sah ich den Endkampf eines zu Boden ge- hetzten grossen Wallaroo, das den Hund abgeschüttelt hatte und dabei gestürzt war. Es blieb auf dem Rücken liegen und schlug seinem Angreifer mit seinen klauenbewäffneten Hinter- beinen an Brust und Hals tiefgehende Fleischwunden. Der zweite Hund war aber sogleich zur Stelle und würgte das sonst so hilflose Tier in wenigen Augenblicken ab. Noch weniger Mühe machten die Wallabies, eine kleine mit braunem Pelze bekleidete Abart des Känguruhs. Sie erlagen alle den eifrigen Gh A m ade Fe u ne a ee u + Chr EL se en Fin ” r TR TUR Kirn; FRE A Australische Reisebriefe. 231 und schnellen Windhunden nach kurzer Verfolgung. Waren die Tiere tot, so häutete man sie ab und liess ihren Kadaver liegen oder nahm, wenn sonst Proviant fehlte, einige Fleischstücke mit. Ich habe wiederholt davon gegessen. Von jungen und weib- lichen Individuen schmeckt es in allen im Busch üblichen Zu- bereitungsarten ganz gut. Das Fleisch männlicher Tiere hat einen intensiven Bockgeruch, der meist einen heftigen Wider- willen erzeugt. . Nur im Irish-Stew wird auch er verdeckt, wie ich überhaupt in dieser Nationalspeise der Völker Erins einen wahren Abgrund kennen gelernt habe, in den die unmöglichsten - Dinge hineingeworfen und als First rate feeding wieder heraus- gebracht werden. Echt waidmännisches Vergnügen machte mir später das alleinige Anpirschen, zu einer Zeit, wo die Pelzjäger den Ort ihrer Greuel wieder verlassen und die Tiere so scheu und auch selten gemacht hatten, dass grosse Ausdauer und weites Schiessen dazu gehörten, um der Beute habhaft zu werden. Die Jagd wird dadurch noch erschwert, dass die Känguruhs keinen Wechsel ein- halten, sondern scheinbar ganz planlos herumwandern, und dass - ihr Gehör ganz ausgezeichnet zu sein scheint. Das Knistern eines niedergetretenen Blattes genügt, um ein äsendes Tier auf- blicken zu lassen und nach kurzem Verhoffen in die Flucht zu treiben. Das Gesicht ist nach meinen Erfahrungen gewiss schlecht oder jedenfalls von geringer Definitionskraft. Auf dem Anstand sitzend, sah ich Wallabies wiederholt auf mich zukom- men und in einer Distanz von 6—7 m passieren; auf diese Weise konnte ich einmal ein Paar Wallaroos mit Bequemlichkeit photo- graphieren; erst das Knacken des Verschlusses verscheuchte sie. Dabei ist man selbstverständlich nur auf den Zufall ange- wiesen. Den ganz stille haltenden Jäger kennen die Känguruhs ebensowenig wie die Rehe. Aufmerksam geworden, drehen sie den Kopf, scharf mit beiden Augen nach dem Beobachter herüber spähend, ohne sich zu rühren. Das langsame Heben der Flinte nehmen sie meist sofort wahr und geben Fersengeld. Der Geruchs- sinn scheint etwas besser zu sein; doch habe ich mich den Tieren sowohl gegen wie mit dem Winde nähern können. Im letzteren Falle schien mir mein Vorhaben nur häufiger zu misslingen. Ein näheres Anschleichen bleibt aber immer eine riskante Sache. Hat man ein Tier zu Gesichte bekommen, so ist es am besten zu feuern oder auszuharren, bis es zufällig selbst näher kommt. -Mit meinem ausgezeichneten Mausergewehre wählte ich beinahe immer den ersten Weg. Mit Hilfe des Zielfernrohres tötete ich die Känguruhs auf Distanzen, die meist -über 150 m betrugen, - manchmal aber auch so gross waren, dass ich Zahlenangaben vermeide, um nicht in den Verdacht zu kommen, Jägerlatein zu ‚sprechen. 232 Prof. H. Dexler: Ich möchte aber hier einzuschalten nicht vergessen, dass ich für meine Sammlerzwecke mit meinem Mausergewehre von normaler Militärlauflänge und den Halbmantelgeschossen nicht gut ausgestattet war. Es blieb wohl alles Wild, das irgendwo am Rumpfe getroffen wurde, ausnahmslos liegen; aber es ging nie ohne starke Knochen- und sonstige Organzerstörungen ab, wodurch die Verwertbarkeit der Kadaver ganz bedeutend sank. Gleich bei meinem ersten Känguruh trat dies. aufs deutlichste hervor. Das Tier war quer durch den Bauch geschossen; Ein- und Ausschuss waren typisch, beide etwa handbreit vor der Wirbelsäule. Trotzdem war nicht nur der Magen geborsten, die Leber und Milz in Stücke zerrissen, sondern die Lendenwirbel- säule und das ganze Becken in zahlreiche Stücke zerbrochen. Bei Ganzmantelgeschossen war keine so verheerende Wirkung zu konstatieren; trotzdem aber ging es innerhalb der benutzten Schussdistanzen auch dabei nie ohne gewaltige Knochenzermal- mung ab. i Die Verstandeskräfte dieses Wildes waren nach meiner Beobachtung nicht hoch anzuschlagen. Anders würde es nicht zu erklären sein, dass die Känguruhs trotz der fortwährenden Beunruhigungen, die ich, sowie die Felljäger mit ihren Hunden ihnen bereiteten, sich immer wieder einstellten. Sie wurden zwar seltener und scheuer, aber nach einigem Zuwarten kamen sie immer wieder und wurden sogar an Waldstrecken getroffen, in denen die noch frischen Kadaver ihrer Genossen die Luft verpesteten. Ein Unterschied der Spezies hat sich dabei nicht ergeben. Nur waren die grossen Känguruhs in viel geringerer Zahl vorhanden und daher seltenere Beobachtungsobjekte. Eine andere Eigentümlichkeit, die ich gleichfalls auf einen wenig entwickelten Scharfsinn beziehen möchte, war das Stille- halten während der Flucht. Von Queensländern habe ich die Behauptung gehört, dass flüchtende Känguruhs auf einen lauten Pfiff für einen Moment einhalten. Meine Gewährsmänner, auch Tommy wussten hiervon nichts und mir ist es nicht ein einziges Mal gelungen, die Sprungbewegung der Tiere durch gellendes Pfeifen im mindesten zu stören. Wohl aber erlebte ich es meh- rere Male, dass ich nach springenden Känguruhs schoss, fehlte und sie niedersitzen sah, so dass ich sie mit dem nächsten Schusse erhielt. Sie lugten mit gespitzten Ohren nach dem Störenfried herüber und waren nicht beschädigt; dazu war ihre Kopfhaltung zu lebhaft, auch fehlte eine zweite Verwundung, nach der ich aufmerksam bei der Sektion suchte. Die Erschei- nung war nicht generalisiert; viele Individuen, auf die ich während ihrer hohen oft 6 m weiten Sprünge wiederholt ver- gebens feuerte, setzten ihre Flucht nur um so schneller fort. Australische Reisebriefe. | 233 Der Art nach erbeutete ich zwei Riesenkänguruhs und mehrere Wallaroos. Es ist das eine etwas kleinere Spezies mit ‘ grauem Haarkleid und schwarzen Rückenstreifen. Das Haupt- kontingent stellten aber die Wallabies, denen ich wegen ihrer Jungen wie auch wegen ihres schönen Pelzes gerne nachstellte. Hier möchte ich noch einige Worte in systematischer Hin- sicht einflechten. j Nach meinen Erfahrungen begeht man häufig den Fehler, für den australischen Kontinent charakteristische eigentliche oder orosse Känguruhs als die Hauptform aufzufassen, welche An- nahme auch durch viele selbst moderne Handbücher unterstützt wird. Wenn es auch nicht Aufgabe eines Reisewerkes sein kann, ‘ die zahlreichen Arten dieses Tieres aufzuzählen, so halte ich doch die Bemerkung nicht für überflüssig, dass man in der ganzen Breite der Küstenzone — und nur diese kommt für gewöhn- lich in Betracht -— nur selten Känguruhs, sondern fast aus- schliesslich Wallabies finde. Brehm tut in gewisser Hin- sicht insofern unrecht, wenn er die Wallabies nur mit einigen _ Worten erwähnt, weil die Australier die Riesenkänguruhs ver- hältnismässig selten sehen oder wenn sie von Kängurubs kurz- weg sprechen, Wallabies meinen. Allgemein sind drei Bezeich- nungen geltend: Cangaroo für die Makropiden, Wallaroo für eine dunkelgraue, mehr in gebirgigen Gegenden lebende Art und Wallabies, worunter man alle kleinen Arten zusammenfasst. Eine genaue wissenschaftliche Trennung ist damit bei dem von Semon erwähnten Umstande, dass man zurzeit 7 Gattungen mit 43 Arten zählt, naturgemäss nicht gegeben. Es ist aber hervorzuheben, dass den Bewohnern der Südostregion Australiens die Wallabies wegen ihrer Häufigkeit die bekannteren Tiere sind. Auf Stradbroke scheinen alle 3 Gattungen vorhanden zu sein. Ob die von mir aufgejagten grossen Springbeutler dem roten Riesenkänguruh beizuzählen waren, muss ich dahingestellt lassen, weil wir keines erbeuteten. Wohl aber schoss ich selbst ein junges, jedoch 2 m langes (Nasenschwanzspitze) Exemplar, das die beiden Felljäger sogleich als Wallaroo ansprachen und das nach Grösse und Färbung auch diesem entsprach. Alle übrigen Tiere — etwa 30 — gehörten einer braunen, sitzend - etwa meterhohen Wallabieart an, die sich zurzeit unserer Jagd durch ein besonders schönes Fell auszeichnete. Das am Bauche rotgelbe, am Rücken rotbraune Wollhaar war über den Schultern, dem Rücken und Becken von schwarzgespitzten Gran- nenhaaren reich durchsetzt, wodurch der Pelz eine reizende Ver- bräunung erfuhr. Ebenso zogen über die Seitenflächen des Ge- sichtes und über die Ränder der Ohren dunkelbraune bis schwarze Streifen. Schwanzrücken und Spitze sowie die Pfoten waren >> 234 : Prof. H, Dexler schwarz behaart. Bei vielen Wallabies traten die Grannenhaare mehr zurück, andere waren ganz hellgelb gefärbt; offenbar han- delte es sich bei solchen Exemplaren um Spielarten. Entwick- lungsgeschichtliches Material ergab sich wenig, da die weiblichen Tiere, die ich erhielt, häufig kleinere Fötalstadien an den Zitzen angesaugt im Beutel hatten, die untersuchten Uteri waren aber leer. Für die auch in Brehm aufgenommene Angabe, dass ein saugendes Weibchen bereits wieder gravid würde oder dass ein noch saugendes Känguruh schon in diesen Zustand versetzt werden könne, habe ich keine Belege gefunden. Ausser den Känguruhs waren auf Stradbroke nur wenig grössere Tiere zu finden. Doch erschien das Tierleben dem auf- merksamen Beobachter bei weitem nicht so ärmlich zu sein, wie man in Brisbane häufig zu erzählen pflegte. Eine Vergnügungs- partie, die auf einen Tag herüberkommt, kann freilich sehr ent- täuscht werden, wenn sie Wallabies, Seabirds und Sharks fangen will und in Wirklichkeit nichts sieht als den stillen Busch, die leere Küste und einige scheue Möven. Für solche Momentjagden scheint auch in jenen weltabgelegenen Regionen kein Platz zu sein. Weiss man aber dem Tieren nachzugehen und wendet hierzu eine gewisse Zeit auf, so wird man reichlich Gelegenheit haben, in das Leben einer seltsamen Tierwelt Einblick zu ge- winnen. Ich bedauere nur aufs tiefste, dass die harte Arbeit des Dugongfanges mir gar keine Musse liess, mich hierin zu vertiefen, sondern mir nur wenige Augenblicke und Zufälle über- liess, in denen ich mich mehr nach dieser Richtung beschäftigen durfte. In Australien hört man sehr oft ein Sprichwort, dass die dortigen Blüten ohne Duft und die Vögel ohne Gesang seien; den Frauen Australiens wirft es noch einen viel schwereren Mangel vor. Die letzte Behauptung dürfte vielleicht aus der Zeit der Strafkolonien stammen, in der Roheit, Zynismus und Geistlosigkeit die Bevölkerung beherrschten. Damit ist seit langem in jeder Hinsicht gebrochen. Viele blütentragende Pflan- zen sind wegen ihres Duftes nach Europa eingeführt worden — ich erinnere nur an die Akazienarten, die in Südfrankreich ge- hegt werden — und was den Vogelgesang anbetrifit, so gehört in der Tat die bekannte Gehörlosigkeit teergebeizter Matrosen dazu, seine Schönheit nicht zu empfinden. Ebenso wie mich bei Nacht der schauerlich klagende Ruf des Curlew zuerst auf die Vogel- welt aufmerksam machte, so waren es die flötenden Lockrufe des Leatherhead, die bei Tage mein Interesse den befiederten Bewohnern des Waldes zuerst zuwendeten. i Der schlicht dunkelgrau gefärbte Vogel, Tropidorhynchus buceroides, hat etwa die Grösse der Elster und besitzt am Kopfe wu iz a a za de 2 a a re Kae Australische Reisebriefe. 235 und Halse keine Federn; diese Teile sind mit einer schwarz pigmentierten runzeligen Haut überdeckt, wovon der Name Leder- kopf stammt. Er ist wenig scheu, besucht mit Vorliebe die Blütenstände der Honeysuckles und lässt namentlich zur Zeit des Sonnenaufganges einen ungemein melodiösen, lauten Ruf er- schallen, der mir auch in den kummervollsten Zeiten als ein be- lebender Morgengruss erschien. Ausser ihm gab es noch eine Menge kleinerer Vögel, die mein Lager in der morgendlichen Kühle durch ihr heiteres Zirpen und Singen belebten. Unver- gesslich wird mir ein kleiner, schwarzer, drosselähnlicher Vogel mit weissen Flügeln und langem, lebhaft auf und nieder wippen- dem Keilschwanz bleiben, Sauloprocta motasilloides, den die Ko- lonisten wegen dieser Eigenschaft „Willy wagtail“ nannten. Das _ muntere Geschöpf war stets um uns, um Brotkrumen usw. auf- zupicken und uns sowohl durch seine zierlichen Bewegungen wie durch sein helles Zirpen zu erfreuen. Nicht minder freund- lich und anheimelnd vernahm man zuweilen aus den Sümpfen den Ruf einer Zwergtaube, die sich durch ein kunstloses Nach- ahmen ihres Gurrens leicht in die unmittelbare Nähe des Feuer- platzes locken liess. Weit aufdringlicher, wenn auch immer noch angenehm, wurde das helle Schreien kleiner Trupps von Rock- Parrots empfunden, die hin und wieder unsere einsame Küste besuchten. Erfreuten sie das Auge, wenn sie mit schillerndem Gefieder in dem Geäste nahestehender Bäume hurtig umher- kletterten, so konnte man sich an der Farbenpracht der Federn kaum sattsehen, wenn man einen solchen Vogel in den Händen hielt. Ihr heiteres Wesen und ihre Schönheit waren der Grund, warum ich nach dem einmaligen Herausschiessen mehrerer Stücke aus einem Schwarm nie wieder meine Waffe gegen sie kehrte. Der Grundton des Federkleides dieses Vogels, der sich durch - die Auffaserung seiner Zungenspitze als pinselzüngiger Keil- schwanzlori, Trichoglossus chlorolepidotus, entpuppte, ist ein glühendes Karmin- oder Scharlachrot; Flügel und Schwanz sind dunkelblau, Hals, Kopf und Brust lebhaft gelb bis gelbgrün, der Schnabel orangerot. Bei ihrem Herumflattern im Laubdach der Wattels und Eukalypten genoss man ein ungemein anziehendes Farbenspiel. Weniger sympathisch waren uns die Züge der weissäugigen australischen Krähe, die an Dreistigkeit ihren europäischen Ver- wandten nichts nachgibt. Sie suchten uns vorwiegend zur Zeit der Präparierung der Dugongs auf, durch den Aasgeruch herbei- gelockt, und stahlen trotz unserer grössten Aufmerksamkeit Kartoffeln, Speckstücke, Brot ohne Unterlass und obwohl wir ihre toten Genossen an Zelten und Schuppen aufhingen. An’ ihnen gelang es mir übrigens eines Tages, eine interessante tier- psychologische Beobachtung zu machen. 19 236 Prof. H. Dexler: Gelegentlich eines Spazierganges kam ich auf einen Schwarm von Krähen, die am Strande ruhig sassen und im Sande pickten. Da die Vögel ganz gesichert schienen, mir aber keine bessere Deckung mehr zur Verfügung stand, schoss ich mitten in den Haufen auf gut Glück hinein, scheinbar ohne etwas getroffen zu haben. Die Schar flog laut krächzend auf und war bald zwischen den Bäumen verschwunden. Nur ein Tier liess einen Fuss hän- gen, flog niederer und langsamer wie die andern, blieb zurück und fiel in ein Mangrovegebüsch ein, wohin ich ihm nachging, ohne es aber finden zu können. Da ich nichts Besonderes’ vor hatte, so setzte ich mich an einer erhöhten Stelle der Düne nieder und sah auf die Bai hinaus. Zu meiner nicht geringen Verwunderung bäumten schon nach einer Viertelstunde mehrere Krähen, die aus dem Busch zurückgekommen schienen, in meiner nächsten Nähe laut schreiend auf, ein Benehmen, das ich früher nie gesehen hatte. Während ich mich schussfertig machte, ertönte neben mir aus den Man- groves ein lautes Gekrächze und mein angeschossener Vogel, an seiner baumelnden Extremität kenntlich, flog auf und mit kräf- tigen Flügelschlägen gegen das Camp. Kaum war dies geschehen, so stürzten alle bisher in den Baumkronen angesammelten Krähen unter lautem Schreien ihm nach, trieben ihn gegen mich zurück und verfolgten ihn wütend von Baum zu Baum. Ich wusste nicht, was ich mehr anstaunen sollte — die eleganten und schnellen Ausweichbewegungen, die der anscheinend stark ver- wundete Vogel vor meinen Augen ausführte, oder der blinde Eifer, mit dem die Krähen ihren kranken Genossen, mit dem sie vor kaum einer halben Stunden noch friedlich beisammen waren, zu fassen suchten. Die ungleiche Jagd, der ich ungemieden zu- sehen konnte, dauerte etwa 10 Minuten, bis es einem der Ver- folger gelang, mit solcher Wucht auf den ängstlich schreienden Verwundeten zu stossen, dass die Federn stoben. An der Stelle des Niederstürzens war die ganze Gesellschaft im Nu abgezogen und nur ihr lautes Quacken und zeitweiliges kurzes Wiederauf- fliegen diente mir als Wegweiser. Nachdem ich mich durch Gestrüpp und Stauden nach dem Orte durchgeschlagen hatte, strichen die Krähen mit rauschendem Flügelschlage über die Bäume hinweg; an einem stark zertretenen Platze im Sumpfe lag inmitten einer Menge ausgerissener Federn meine ange- schossene Krähe am Rücken, krampfhaft mit aufgesperrtem Schnabel atmend, den zerschossenen Fuss unter dem Flügel, den andern über dem Bauche zusammengekrallt und graue Daunen haltend. Eine zweite ähnliche Beobachtung machte ich einige Wochen später, als ich aus einem Schwarme von Seemöven eine her- ‘Australische Reisebriefe, 237 unterschoss. Als ich den Vogel aufnehmen wollte, umschwärmten meinen Kopf wohl über hundert der sonst äusserst scheuen Tiere mit lautem Schreien und Krächzen und stiessen nach mir. Beim Zurücklaufen nach meinen Patronen liessen sie davon ab, be- schäftigten sich aber dafür um so aufgeregter mit ihrer tot liegengebliebenen Kameradin, auf die sie wie sinnlos zustürzten und sie heftig kreischend umkreisten. Sie liessen von ihr erst dann ab, als ich noch zwei weitere geschossen hatte, und verloren sich, als ich mit meiner Beute wegging. Mit dem Schnabel wurde der Kadaver auch von den am schnellsten stossenden Vögeln nicht berührt, so dass ich nicht bestimmt behaupten konnte, .ob der Schwarm in der Intention handelt, das verunglückte Tier wieder auf und aus dem Bereiche der Gefahr zu bringen oder ob sie in feindlicher Absicht versammelt waren, wie vorhin die Krähen. Ich vermutete mit einer gewissen Bestimmtheit das "letztere. Es war das auch nach dem bekannten Verhalten an- derer Tiere zu schliessen, worüber uns vielfache Beobachtungen zur Hand sind. So sollen die verwilderten Pferde der südameri- kanischen Pampas ihre nicht mehr mit dem Rudel mitkommen- den kranken Genossen erschlagen. Analoges wird von vielen - - Naturforschern, so von Romanes bei Rindern, Hirschen und Ele- fanten, von Darwin bei Hühnern und Tauben berichtet. Die so höchst. auffallende Gewohnheit der Tiere, ihre Kranken zu töten, hat die Tierpsychologen zu breiten Auseinandersetzungen über die Herkunft und die Begründung dieses Triebes veranlasst, die hier keinen Raum finden können, um referiert zu werden. Nur hinsichtlich der Erklärungsversuche über seine Kausalität, möchte ich es nicht unterlassen, mich hierüber unter dem lebhaften Ein- drucke zu äussern, den die beiden Beobachtungen damals auf mich ausübten. Wer die verwundete Krähe sah, die von ihren Genossen zu Tode gehetzt wurde, hätte den Fall kaum als Stütze für das Utilitätsprinzip, der Annahme der nützlichen Einrichtung alles Bestehenden auffassen können. Die kranke Krähe sollte sich zum Besten für ihre Art nicht fortpflanzen? Warum das? Es war ihr vielleicht nur eine geringe Verletzung zugestossen, die bald verheilt wäre; andernfalls hätte sie nicht so lange und vor allem nicht so gewandt zu fliegen vermocht. Sie sollte möglichst rasch von ihren Leiden befreit werden? Warum, so fragen wir wieder, da sie bei der niederen Schmerzempfindung, die wir den Tieren konzedieren dürfen, und der geringfügigen Verwundung gewiss nicht viel litt. Wo ist der Beweis für die komplizierte assoziative Hirntätigkeit des gegenseitigen Mitleids unter den Tieren zu führen? Oder sollen wir mit Darwin sagen, die Krähe - musste zerrissen werden, infolge des Triebes, der phylogenetisch 19* 238 Prof. H. Dexler: — aus dem Nutzen entsprang, den die Gattung „Krähe“ durch ihren Tod dadurch erfuhr, dass die Raubtiere nicht veranlasst wurden, dem Schwarme zu folgen? Welchen Vorteil hätte ein Raubtier gewonnen, wenn die verwundete Krähe lebend zurückgeblieben wäre? Das einzige Raubtier, das den weissäugigen Krähen gegenüber in Australien in Betracht kommt, dieser an Kraft überlegen, ist der austra- lische Fischadler, der sich nie an einen Krähenschwarm heran- wagt, sondern oft genug von diesem verfolgt wird. Nicht ein Nutzen, sondern ein beträchtlicher Schaden erwuchs den Krähen und Möven aus ihrem Gebaren, da sie ihre schützende Scheu und Vorsicht vergassen und sich dem Anschlage ihres Feindes, hier des Menschen, preisgaben, also gerade das Gegenteil von dem erzielten, was die Nützlichkeitstheorie verlangt. Ich war Zeuge einer jener merkwürdigen Episoden im tierischen Kampfe ums Leben gewesen, die wir, als wiederholt beobachtet, bei verschiedenen Tieren beschrieben finden und die um so bemerkenswerter ist, als sie eine der wenigen Eigentüm- lichkeiten ist, die vielleicht dazu dienen können, uns gewisse Einblicke in die Tierseele zu gestatten. Wir haben hier eine der seltenen Erscheinungen oder Tatsachen vor uns, die geeignet sind, uns führend in das Gebiet der vergleichenden Seelenkunde zu begleiten, deren Tiefstand bis zum heutigen Tage wohl zum grossen Teile durch die kritiklosen Übertragungen vom Menschen her, die dichterische Ausschmückung und die Sentimentalität der Berichterstatter mitverschuldet ist. Das Ausstossen der Kranken, ihre Verfolgung bis zur Ver- nichtung durch die Artgenossen, ist schon von den verschieden- sten Seiten mitgeteilt worden. Von den Fischen und niederen Wasserbewohnern können wir dabei absehen, weil in der Tiefe das Zerreissen und Zerrissenwerden oberstes Gesetz im Daseins- kampfe ist. Der gierige Hecht, der seinen Magen mit jungen Hechten füllt, wenn ihm dazu irgendwelche Gelegenheit geboten wird, wird gesunde und kranke gleicherweise anfallen. Anders steht die Sache jedoch bei geistig hochstehenden Tieren, denen wir ein Rudiment jener Assoziationsphänomene zusprechen dürfen, die wir als psychisch zusammenfassen. 2 Wie schon erwähnt, sollen die verwilderten Pferde der Pampas ihre nicht mehr vollkräftigen Herdegenossen ausstossen oder zu Tode schlagen. Von den Murmeltieren wird von Zell Ähnliches behauptet. Sie sollen vor der Übersiedlung in die Winterbaue eine Art Musterung unter sich halten und jedes abgemagerte, also kranke und mit einer ungeheilten Wunde ver- sehene Tier von dem gemeinschaftlichen Bezuge einer Winter- wohnung ausschliessen. Dr. Girtanner hat diese jährliche Auslese TR an NEL RL Australische Reisebriefe. 239 bestätigt. Freilich nimmt seine Mitteilung den in der Tierpsy- _ chologie schon genugsam gebrandmarkten Umweg über die Be- obachtung eines Tierwärters, „eines gut beobachtenden tierfreund- lichen und sehr wahrheitsliebenden Mannes“, eines „Gewährs- mannes“ also nach dem Muster der Öberförster aus Brehms Tierleben. Er will gesehen haben, dass die Murmeltiere zu seinem grossen Erstaunen eine Versammlung abgehalten hätten, nach der sie plötzlich über ein sehr altes, zum Skelett abgemagertes Tier hergefallen wären und es durch wütende Bisse getötet hätten. Von verwundeten Wölfen erzählt man, dass sie sogleich von ihren gesunden Genossen zerrissen werden, und der Herzog der Abruzzen schildert in dem Berichte über seine Nordpolfahrt, dass eine der Hauptkalamitäten darin lag, dass seine im Rudel leben- den Hunde im Raufen sich oft zu Tode bissen. Dabei kam es nicht auf Massenverwundungen verschiedener Tiere an, sondern immer wurde einer, der gleich anfangs unterlag, von den anderen erbarmungslos zerrissen. Auch der von mir beobachtete Fall ist hier einzureihen. Leider fehlen uns für diese Erscheinungen noch plausible Erklärungen. Ein Versuch zu einer solchen wurde schon von vielen Seiten unternommen, bisher ohne greifbaren Erfolg. Zu den Eliminationsbestrebungen der Murmeltiere meint Zell, dass die siechen Individuen gezwungen sind, jedes für sich - eine Wohnung zu beziehen. Man hat auch in der Tat, wo immer _ man in einer Winterwohnung ein Murmeltier allein angetroffen hat, diesen Einsiedler tot oder in sehr herabgekommenem Zu- stande gefunden. Es leuchtet ohne Frage ein, dass solches Aus- schliessen Kranker eine Murmeltieransiedlung von der Gefahr - befreit, die Winterwohnung durch ungesunde Ausdünstung und Faulen der Kadaver zu verpesten; sollte man aber Murmeltieren, so fragt Zell, einen so hohen Grad von Intelligenz, wie ihn solche alljährliche sanitäre Untersuchung voraussetzt, zumuten dürfen? Gewiss liesse sich noch weiter fragen; denn, dass man kranke Murmeltiere leichter fängt als gesunde und dass sich eben nur tote und nicht lebende finden lassen, erregt keine weitere - Neugier. 2 Derartige Spiele mit blinkenden Hypothesen, die nicht - dem Hauche eines Beweises gewachsen sind, gibt es viele; sie sind aber alle unzulänglich, und ihre Kritik zeigt uns nur, _ dass man mit den Worten Gemeinsinn, Gesellschaftsbildung _ und anderen schönen Dingen, die man den Tieren gerne zu- schreibt, sehr vorsichtig sein muss. Alle diese Tugenden sind in Wirklichkeit keine solchen, sondern Erscheinungen, die viel- leicht auf die Gemeinsamkeit des Hauptinteresses, des Nahrungs- erwerbes, vielleicht auf noch andere, uns ganz unbekannte Mo- mente gegründet sind. Das vereinigende Band geht aber durch- 240 Prof. H. Dexler: aus nie von Utilitäts- oder gar ethischen Gesichtspunkten aus, sondern es ist äusserlich gleichsinnig mit dem brutalen Rechte des Stärkeren; es zerreisst mit dem Untergange der Wehrhaf- tigkeit des Einzelindividuums. Weit weniger Glück, hinsichtlich des Erlegens, hatte ich bei den blauen Kranichen der Art Crus australasianus, die im Sumpf und an der Küste in beträchtlicher Menge vorkamen. Der Felljäger Willy beschlich sie mit einer Geschicklichkeit, die ich ihm vergebens nachzutun trachtete. Neben seinen grösseren Jagder- fahrungen kamen ihm dabei seine unbeschuhten Füsse zustatten, mit denen er sich über die Mangrovewurzeln förmlich hinüber- fühlte. In dem Beschleichen so scharfsichtigen und scheuen Wildes, wie es die Kraniche, ferner die in den Sümpfen lebenden sel- tenen Löffelreiher, Magpies und Ibisse waren, leistete auch Tommy, der Schwarze, ganz Unglaubliches. Demgegenüber hatte ich nichts als mein weittragendes Gewehr, das ich aber auf Distanzen verwenden musste, die nur geringen Erfolg verhiessen. Hin und wieder schoss ich so eine Möve oder einen Kranich, Austernfischer und einmal auch einen Pelikan. Im ganzen war aber meine Ausbeute recht spärlich gegen diejenige der Fell- jäger, die die Unsicherheit ihrer miserablen Flinten durch ihre Geschicklichkeit im Anpirschen leicht ersetzten. Mit den Seevögeln, die nicht selten zu uns kamen, richteten übrigens auch diese Naturmenschen wenig aus. An der weiten und flachen Küste, namentlich aber auf einer von uns etwa zwei Meilen baieinwärts liegenden Erhebung, die nur zur Ebbezeit wasserfrei war, den Pelikan- Sands, konnte man zuweilen ganze Scharen von Möven, Steisstauchern, Sturmvögeln, Sandschnepfen, Austernfischern u. a. in dicht gedrängten Reihen sitzen sehen. Besonders markant hoben sich die Pelikane durch ihre imposante Grösse und durch den Farbkontrast ab, den ihre schwarzen Flügel auf dem weissen Rumpfgefider hervorbrachten. Sie sind als wirklicher Schmuck der Bai gesetzlich geschützt, um was sich freilich nach meinen Beobachtungen niemand zu kümmern schien. Die Fischer, Yachtsegler usw. schossen stets nach ihnen, wo sie konnten. Wurde einer erbeutet, so zog man ihm den geschätzten Brustpelz ab und vergrub den Körper in den Sand. Ich stand mit meiner behördlichen Jagderlaubnis ziemlich isoliert da. Durch diese fortwährenden Verfolgungen waren sie ebenso scheu ge- worden, wie die berüchtigten Shags oder Steisstaucher und schützten sich so am besten selbst. Unser Boot liessen sie manchmal auf wenige hundert Meter nahekommen, so dass ich mit dem Zeisstecher ihre grossen Schnäbel, ihr Schwimmen mit schiefgehaltenem Kopfe oder ihren Gang sehen konnte. Dann aber erhob sich die ganze Gesellschaft und zog ab. So ungraziös N 2 r 6) > SET a N en a ml a ae tn a ni dh Anstralische Reisebriefe. 241 der Gang und die Haltung des Vogels, der als Pelecanus con- - spieillatus bestimmt wurde, beim Schwimmen auch aussehen mögen, so schön und ruhig ist sein Flug. Die breiten schwarzen Flügel weit ausgebreitet, nur zeitweise zu wenigen langsamen Schlägen ausholend, zogen die Tiere in Reihen von drei bis fünf Stück mit einer Sicherheit und Stetigkeit über unseren Köpfen hinweg, die wir bei einem so plumpen Geschöpfe höchst anziehend fanden. Im Busch war die Vogelwelt viel weniger vertreten. Von den einsamen Lagunen strichen zuweilen kleine Schwärme von Enten und Wasserhühnern ab oder es ertönte der schallende Ruf des Laughing Jackass, des berühmten Schlangenvertilgers, Paraclyon gigas, auf den die Australier nicht wenig stolz sind. Zuweilen stiess man auch auf den Horst eines braunen Fisch- adlers, der in die höchsten Äste abgestorbener Eukalypten ein- gebaut war, oder man vernahm den pfeifenden Schrei dieses mächtigen Räubers, der hoch in den Lüften seine Kreise z0g. Es waren das aber ganz seltene Vorkommnisse. Bei windstillem Wetter nahm man nur das schwache Rauschen der Brandung im Osten wahr; im übrigen blieb der Busch stille wie ein Kirchhof. Auch von den niederen Tieren war für den nicht speziellen Zwecken nachgehenden Wanderer in den sonnendurchglühten saft- armen Eukalyptenbeständen mit Ausnahme weniger Käfer und Prachtwanzen wenig zu sehen. Nur eine Schmetterlingsart ver- mochte sich durch auffallende Mimiery öfters hervorzutun. Wenn ich durch das Gestrüpp an den Waldrändern dahinzog, griff ich wiederholt nach abgestorbenen dürren Zweigen, deren brann- graue, verdorrte Blätter plötzlich als Falter wegilatterten. Später achtete ich auf die Tiere sehr, habe sie aber immer erst nach dem Auffliegen wahrnehmen können. Diesbezüglich erwiesen sich die Wallumsümpfe als ein weit lohnenderes Gebiet, wenn auch landschaftlich in ihnen nicht viel zu suchen war. Der Boden bestand dort innerhalb des Flutbereiches aus blaugrauem, weichem Schlamm, der zum Teil von hohen, steifen Gräsern, von Man- groves und einigen Pandanen besetzt war, der aber nebstdem eine ganze Menge Kleintiere, Kegelschnecken, Austernbrut, Frosch- larven usw. barg, die hier ihr Wesen trieben. Den Vorrang unter ihnen nahmen kleine bunte Krabben ein, von denen Tausende die Schlammdecke so unterminierten, dass der Fuss bei jedem Tritte bis zu den Knöcheln in die gurgelnde Brühe ver- sank. Verhielt man sich einige Zeit ruhig, so kamen die un- gemein behenden Krebse aus allen Schlupfwinkeln hervor, um bei der nächsten, auch nur kleinsten Bewegung blitzschnell wieder in der Erde zu verschwinden. Wenn man einem von ihnen 242 Prof. H. Dexler: e; den Weg versperrte, so hob er ungemein drollig die rechte aus- gebildete Schere und streckte sie mit weit geöffneten Klauen drohend seinem Widersacher entgegen. Neben diesen und noch vielen anderen Dingen nahm die fremde, mir neue Pflanzenwelt mein Denken gefangen. Vor allem fesselten mich die merkwürdigen Mangroves, die wir entlang der ganzen Küste in grossen Beständen antrafen. Als echte maritime Gewächse kommen sie nur dort vor, wo Seewasser zu ihnen gelangen kann. Sie begnügen sich mit einem Sande oder Schlamme, der so salzhaltig ist, dass kaum eine andere höhere Pflanze auf ihm gedeihen kann, und erreichen unter diesen Bedingungen eine wahrhaft verblüffende Kraftfülle und Grösse. | Beim Eintritte in die Mangrovezone, die die Künstenlinie als ein etwa eine halbe Meile breiter Streifen begleitete, konnte man leicht drei Pflanzenarten unterscheiden, die zu den Man- groves gezählt werden. Am weitesten draussen im Seewasser standen die präch- tigen Exemplare der White Mangrove, mittelgrosse bis grosse schattige Bäume mit weit ausliegenden, bizarr gebogenen Ästen und weissgrauer, glatter Rinde. Einige von ihnen ragten über 15 m empor und bildeten einen wirklichen Schmuck des Strandes. Ihr Holz zeichnete sich dadurch aus, dass es selbst 4—5 cm zentral von der Rinde von chlorophylihaltigem Gewebe so durchsetzt war, dass es grün gestreift erschien. Es war hart und ziemlich zähe und wurde von den Fischern oft zum Ausbessern der Ruder- griffe und Segelgabeln benutzt. Die Stämme dieser Bäume, die der Spezies-Avicennia officinalis angehörten, strebten ungeteilt aus dem Grunde empor und es waren nur die Anfänge der Hauptwurzel noch oberirdisch sichtbar. Die Laubbläter waren 4—6 cm lang, an der Oberseite glasartig glänzend, tiefgrün, an der Unterseite weisslich und matt. Blüten habe ich nicht gesehen, sondern nur die Früchte. Diese waren etwa walnussgross, dunkel- grün und weisslich behaart. Aus der Spalte zwischen den halb- kugeligen Samenlappen ragten die Keimlinge in beginnender Ent- wicklung bereits hervor. Ich habe aber niemals, trotz speziell darauf gerichteter Aufmerksamkeit, aus den am Boden liegenden Früchten eine junge Pflanze emporwachsen sehen. Die Fort- pflanzung schien wenigstens an dieser Örtlichkeit nur durch Aussprossen der Atemwurzelspitzen zu geschehen. In diesen lernten wir eine andere absonderliche Organisation der eigen- tümlichen Bäume kennen. Die langen, unter der Sanddecke ver- laufenden Wurzeln entsenden zahlreiche Sprossen senkrecht an die Oberfläche, wo sie als fingerdicke, holzigharte und ziemlich spitze Zapfen emporragen. Von den Fischern waren sie unter ) Pr 170% Er; Australische Reisebriefe. 243 dem Namen „Cobblers pegs“ bekannt und gefürchtet. Diese „Schuhzwecken“ machten das Gehen mit unbeschuhten Füssen sogar meinen wenig empfindlichen Schwarzen zur Qual, und jede Angelschnur, die zwischen sie hineingeriet, war nur in Stücken wiederzugewinnen. Die „Cobblers pegs“ bedeckten den Boden in weitem Umkreise um die betreffenden Bäume und okkupierten oft ein Stück Land, das von der nächsten Mangrove fünfzig und mehr Schritte entfernt war. An solchen weitlaufenden Wurzel- sprossen gewahrte man dann besonders häufig das Auskeimen der Spitze der, wegen ihrer Beziehung zur Respiration der Pflanze als Amtemwurzel bezeichneten Zapfen. An ihren Spitzen tauchten Blattknospen auf, später kleine Blattbüschel und an manchen Exemplaren konnte man das Emporwachsen eines klei- nen Bäumchens aus diesen Anfängen stufenweise verfolgen. Weiter inland und vorzüglich an den von dem Flutanprall besser geschützten Stellen, wie an den Ufern des Wallum, wuchs ein ungemein dichtes, äusserst schwer passierbares Dickicht aus staudenartigen, meist nicht über mannshohen Mangroves, von den Fischern die „roten“ genannt, deren botanische Stellung mir aber nicht bestimmbar war, weil zu jener Zeit weder Blüten noch Früchte vorhanden waren. Der Strauch war nichts weniger als schön zu nennen. Er trug nur an den Zweigenden kleine Büschel spröder, dunkel- grüner, stark glänzender Blätter von längsovaler Form. Der über- wiegend grösste Teil der Pflanze bestand aus kahlen, grau be- rindeten Ästen, umfangreichen über den Boden dahinkriechenden Wurzeln und vielen vom Stamme abgehenden Stelzen oder Stütz- wurzeln, die steil nach abwärts wuchsen; am Boden angelangt, schienen sie nicht in den Schlamm einzudringen, sondern in schlanken niederen Bogen gleich den übrigen Wurzeln sich radiär nach allen Richtungen auszubreiten. Das Gewirr dieser Bogen war an vielen Stellen so dicht, dass man darauf schreiten konnte und die Vorstellung gewann, dass es sich um ein gemeinsames, riesiges Wurzellager handle, aus dem die blättertragenden Man- grovestämme hier und dort emporschossen. Unter dem Wurzel- geflecht verborgen, lebte eine ganze Welt niederer Lebewesen: Krabben, Schlammspringer und junge Austernbrut in ganz erstaun- licher Menge. Das Durchwandern dieses Dickichtes gehörte*zu den unangenehmsten Aufgaben, weil man nicht nur das steife Staudenwerk auseinanderzubiegen hatte, sondern Schritt für Schritt auf dem Wurzelgeflecht Halt suchen musste. Trotz grösster Vorsicht brach dann doch irgendwo ein Stück ab und das Bein rutschte unversehens mehrere Fuss tief ins Ungewisse. Aus dem Gleichgewichte gebracht, fassten die Hände nach allem, was gerade in der Nähe war, meist nach den brüchigen Ästen, mit 20 944 ‘Prof, H. Dexler: dem gewöhnlichen Ende, dass man alsbald ganz verkeilt, mit den Armen und Beinen hilflos herumgreifend in den Stauden lag. Schlammbesudelt, die Kleider zerrissen und die Haut zerschunden, gelangte man mühselig ins Freie, nachdem das beschlichene Wild längst ins Weite gezogen war. Von den kriechenden Mangroves verschieden waren kleine, im ruhigen Stauwassergebiet stehende, aufrechte Bäume ohne Stelzenwurzeln, die von meinen Leuten Orange-Mangroves genannt wurden. Gewöhnlich standen sie vereinzelt am Rande oder in den Lichtungen der Mangrovedickichte; sie erreichten bis 3 m Höhe und trugen Blüten und Früchte. An ihnen war die Eigenart der Lebensweise der Mangroves ausserordentlich deutlich zu sehen. Während die kriechenden Staudenmangroves mehr den Eindruck einer kümmerlich dahinvegetierenden Strauchart darboten, ge- diehen die letzterwähnten Bäume mit einer Kraftfülle und Üppig- keit, die dem Besucher um so mehr auffallen musste, wenn man sich vor Augen hielt, dass der gesamte Wurzelstock bei diesen Pflanzen mehrere Stunden des Tages von Salzwasser bedeckt ist und abwechselnd beim Trockenliegen des Nachts eine Tem- peratur von 4—6° C auszuhalten hat, worauf ihn die Sonnenglut wenige Stunden später mit einer Lufttemperatur von dreissig und mehr Graden Celsius umgibt. Schon der Anblick der äusse- ren Gestalt berührte den Beschauer ganz eigentümlieh. Man glaubte Bäume vor sich zu haben, die unversehrt aus dem Boden genommen und mit säuberlich gereinigtem Wurzelstocke lose auf den Schlamm aufgesetzt zu sein schienen. Die sternförmig vom Stamme abgehenden Wurzeln zogen in hohen Bogen über den Grund dahin, diesen nur in weiten Abständen berührend. Das periphere Wurzelende strebte nach Anlegung an den Schlamm wieder in die Höhe, gleichsam um nicht zu sehr mit der übel- riechenden gärenden Masse in Berührung zu treten. Von den Hauptästen der Baumkrone wuchsen strickartige Luftwurzeln herab und senkten ihre Spitzen in den Boden ein, wie um dem Baume, der der Spezies Rhizophora mucronata angehört, einen grösseren Halt zu geben. Die Blätter dieser Rhizophore waren ähnlich denjenigen von Ficus bis 10 cm lang, hart, glänzend, von dunklem Grün; die achselständigen Blüten wiesen vier fleischige, steife, gelbrote Kelchblätter, ebensoviele Staubgefässe um einen weit entwickelten Fruchtknoten auf, der an der unversehrten Blüte als ein schmaler, grüner Zapfen über 2 cm über den Kelch- rand hervorragte. Letzterer wächst zu einem langen gestreckten Horne aus, welches dem Keimling eines neuen Individuums entspricht, der also, noch am Mutterbaume hängend, schon zu sprossen beginnt. wm N) ' Australische Reisebriefe. 245 Nach Erreichung eines gewissen Alters fällt die fertige junge Pflanze ab und zwar so, dass sie gleich aufrecht im Schlamme stecken bleiben und weiter wachsen kann. Es ist dieser Vor- gang nach den Untersuchungen der Botaniker als eine eigene - Art von Anpassung der Organismen an ihre Umgebung aufge- fasst worden, als eine für die Fortpflanzung des Individuums besonders zweckmässige Einrichtung. Ich habe leider ein solches natürliches Keimlingstecken nicht sehen können, wenigstens niemals an den von mir beobach- teten Mangrovearten meines Fanggebietes. Der Sand war am Strande überall hart festgeschwemmt, so dass ein Steckenbleiben einer herabfallenden Frucht wohl nicht zu erwarten war. Ich bin später in Nordqueensland, um Cairns und Geraltdon, dieser Sache ebenfalls nachgegangen und habe auf dem weissen festen Sandboden zwar eine Menge von Früchten, niemals aber eine aufrecht- oder eine schiefsteckende gefunden. Wenn auch in der Moretonbai ebenso wie bei Cairns der Flutanschlag bei gutem Wetter nur ganz schwach ist, so ist er gewiss stark genug, um ein steckengebliebenes Objekt leicht auszuwaschen, weil es nicht tief eindringen kann. In weicherem Boden dürfte es sich zwar tiefer einbohren, würde aber bald durch den Wellen- schlag ebenso leicht umgeworfen werden. Eine gewisse Bedeutung mag eine solche Anpassung wohl nur in jenen Sümpfen haben, die dem Anfall des Meerwassers nicht direkt ausgesetzt sind, wie etwa an den Uferstrecken land- einwärts von Flussmündungen. Die Wallumsümpfe waren ein solches Beispiel. Das brackische Rückstauwasser ist dort aber fast ganz bewegungslos, so dass auch ein wagrecht liegender Keimling in seinem Streben, die Wurzelspitze nach ab- und die Stengelspitze nach aufwärts zu treiben, kaum gehindert sein würde. Wie schon erwähnt, habe ich jedoch an dieser Örtlich- keit niemals das Wachsen eines jungen Stecklings, sondern aus- nahmslos ein Treiben und Ausschlagen einer Bogenwurzel und die Entwicklung eines jungen Stammes aus diesem Triebe be- obachtet. Auf diese Weise schien wenigstens in den von uns ge- sehenen Mangrovedistrikten die Pflanzenvermehrung durch Samen die seltenere Form der Fortpflanzung zu sein, was wieder gegen eine zu weitgehende Generalisierung des gesuchten Anpassungs- vorganges ins Treffen zu führen wäre. Von den sonstigen Gewächsen, die der Uferlandschaft ihr _ Gepräge verliehen, sind noch erwähnenswert die Pandanen, Honeysuckles, Swamp-oaks, die Moreton-pine, eine sehr schöne Koniferenart, mit dichten und dunklen Laubkronen, verschiedene Wattles oder Akazien, isoliert stehende Eukalypten, Tea-trees und die viel gelästerte Prickly-pear. 246 Prof. H. Dexler: Die Prickly-pear oder der Feigenkaktus, von dem ich später noch des eingehenderen zu sprechen haben werde, ist in Australien eine der bestgehassten Pflanzen. Mir erschienen da- mals seine karmoisinroten Früchte auf meiner Sandinsel eine wahre Labe. Das Fruchtfleisch der in Amerika heimischen Opuntie ist ebenso schön als schmackhaft, wenn man die Vor- sieht nicht ausser acht lässt, die feinen Stachelbüschel, welche die Kaktusfeigen bedecken, sorgfältig abzuschneiden. Eine an- dere fruchttragende Pflanze hatten wir in den Pandanen, P. pe- dunculatus, deren pittoreske Formen hier und dort aus den Sandwällen in der Nähe der Sümpfe emporragten. Ihr Stamm zerfällt bereits mehr als einen Meter über dem Boden in den Wurzelstock, dessen einzelne Arme stelzenartig die ganze Pflanze stützen. Die über 2 m langen scharf gezähnten Blätter stehen in Form eines etwas spiralig gedrehten mächtigen Fächers in schönem Bogen vom Stamme ab und verbergen nur wenig die mannskopfgrossen gelben Fruchtkolben. Letztere bestehen aus fast holzharten, schraubig aneinandergereihten kubischen Früchten, die beim Zerbeissen eine geringe Menge eines süssen Saftes ab- geben; dabei aber enthalten sie eine solche Menge von Rhaphi- den, feinsten Kristallnadeln, dass auf der Zunge ein stundenlang anhaltendes höllisches Brennen erzeugt wird, das mir den Ge- nuss dieser Delikatesse auf immer verdarb. Den Eingeborenen soll diese „Screw-Pine Bread fruit“ oder Wynnum eine willkom- mene Speise sein; meine Schwarzen zeigten sich aber nicht sehr erpicht darauf. Auch die Honeysuckles sind als Nutzpflanzen hier noch zu nennen. Ihr Eingeborenenname „Wallum“ hat dem kleinen Flusse, an dem unser Lager aufgeschlagen war, seine Bezeichnung gegeben. Die damit gemeinte Banksia aemula wächst hier in ziemlich reichen Beständen; sie ist eine der grössten australischen Formen. Der Baum ähnelt mit seinen in der Unterseite weiss befilzten Blättern entfernt unseren Äpfelbäumen ; sein Stamm wird zuweilen bis zwei Fuss dick und trägt eine wenig dichte Laubkrone, aus der die zylinderförmigen, meist über faustgrossen, gelblichgrünen bis weissen Blütenstände hervor- leuchten ; der reiche Honigg£halt dieser ist den Schwarzen ebenso be- kannt wie den Bienen und Schmetterlingen; die Leute reissen sie ab und saugen sie, unbekümmert um die zahlreichen Kerb- tiere, welche die Blütenkelche bewohnen, aus. Mir waren sie nicht nur wegen der Schönheit der Blüte, sondern auch deshalb beachtenswert, weil sie den vorüberziehenden fliegenden Hunden und den Papageien zum Aufenthalte dienten; auch von dem Leatherhead wurden sie gerne besucht. Zweimal fanden meine Leute in der Nähe alter Banksienbestände die Stöcke der stachel- losen australischen Biene; die dabei demonstrierte Art der Australische Reisebriefe. 947 Honiggewinnung gab mir ein Beispiel von Waldwirtschaft, die uns Europäern wie ein Vandalismus erschien. Beide Male han- delte es sich um Honigstöcke, die etwa 10 m über dem Boden in grossen, halb abgestorbenen Eukalyptenstämmen eingebaut waren. Da beim Niederhauen des Baumes die Bienen in ganzen Wolken angeschwärmt kamen, zündeten die Schwarzen alle Bäume im Umkreis von 30 m an, so dass bald der ganze Wald prasselte und wir uns vor der Hitze und dem Rauch zurück- ziehen mussten; als nach etwa einer Stunde die Rauchschwaden nach einer Seite abgetrieben wurden, schlug man den Stamm nieder, spaltete den bewohnten Teil und entnahm ihm das eine Mal vier, das andere Mal zwei Trageimer voll Honigwaben; mit diesen beladen, verliess man den hellbrennenden Busch. Dieser vollständige Mangel an Sicn für die Schönheit und Nützlichkeit der Bäume hat mich sogar innerhalb meines Lagers wiederholt in der unangenehmsten Weise berührt. Ich durfte nur die Feuer- stelle — wie dies oft nötig war — um wenige Meter verlegen lassen und schon versuchte man die Axt an den nächststehenden grossen Baum zu legen, der eben im Wege stand. Dass dadurch das ohnehin öde Fischerterritorium um den so spärlichen Schmuck kam, und dass die Brennholzbeschaffung immer beschwerlicher werden musste, fiel keinem ein. Erfreuten uns die Blüten der "Honeysuckles durch ihre Schönheit, so taten dieses in nicht minderem Masse diejenigen der Tea-Trees durch ihren zarten Duft. Die sute Verwendbar- keit der Rinde dieser Bäume zum Bau von Hütten interessierte uns ausserdem von der praktischen Seite. Die „papierrindigen Teebäume“ kommen in den Küsten- strichen von ganz Queensland in zahlreichen Varietäten vor, wo sie sumpfiges Terrain bevorzugen. Die auf Stradbroke wachsende Art — Melaleuca leucodendron, Var. lancifolia — wuchs in ganz schütteren Beständen um die Lagunen der Wallumsümpfe, ‚wo die weissen Stämme der oft 20 Meter hohen Bäume grell von : dem Waldesdunkel sich abhoben. Die weissen, in grossen Bü- scheln stehenden Blüten verbreiteten einen ungemein aromatischen Geruch, den man bei günstigem Winde auf bedeutende Entfer- nung wahrnahm. Wir töteten eine grosse Zahl dieser schönen Bäume, indem wir eine bis aufs Holz gehende Furche am Fusse des Stammes und eine andere fünf Fuss höher in die Rinde schlugen. Durch einen vertikalen Schnitt wurden beide Furchen- ringe verbunden und der so begrenzte Rindenmantel abgelöst. Hierdurch gewannen wir fast meterbreite Deckstücke, die wir für mein Buschlaboratorium verwendeten. Leider vermochte auch die zwei- und dreifache Übereinanderlagerung dieses Materiales nichts gegen die schweren Regen, die uns heimsuchten. Nach 248 Prof. H. Dexler: halbstündiger Andauer der Wolkenbrücke begann’s in der Hütte zu tropfen und zu rinnen und der Unterschied von innen und aussen war verwischt. Der Hauptteil der Baumvegetation der stark bewaldeten Insel bestand naturgemäss aus den verschiedensten Arten von Eukalypten — hauptsächlich der Gattung Kimbarra oder Maha- goni-Gum, Blue Gum, Bloodwood der Gattungen E. robusta, te- reticornis, corymbosa, — von denen wir sehr grosse über 40 Meter hohe Exemplare antrafen. Zu den vielbeschriebenen Riesenbäumen, an die wir nach den gangbaren Schilderungen gewöhnlich denken, wenn diese Eukalypten genannt werden, schei- nen sie auf Stradbroke nicht zu werden, wenn auch aller Wahr- scheinlichkeit nach niemals eine Abstockung vorgenommen wor- den ist. Ausserdem kommen noch die Arteigentümlichkeiten in Betracht. Ob die gigantischen Eukalypten von New-South-Wales auf Stradbroke existierten, war mir nicht bekannt. Wohl aber darf ich konstatieren, dass die Blue gums (E. tereticornis), die die ich am Kontinente wiederholt als kolossale Bäume traf, hier die oben genannte Höhe wohl nie überschritten. Nebenbei be- merkt ist die Artenbestimmung dieser Pflanzenordnung durchaus keine leichte Sache. Es gibt so viele Arten und so ganz will- kürliche Bezeichnungen, die sich an die botanische Bestimmung nicht im mindesten kehren, dass ich zur Zeit meiner Abreise von Australien nur die gemeinsten Formen erkannte. Ich durfte mich aber mit diesem bescheidenen Ergebnisse insofern zufrieden geben als mir der Regierungsbotaniker Herr M. Bayley versicherte, dass sich die verwirrende Fülle der Eukalyptenarten und ihrer Varietäten selbst dem berufenen Systematiker als ein schwer zu übersteigendes Hindernis entgegenstellt. Es gibt in Queensland allein über 40 Arten, deren Holz industrielle Verwertung findet, neben einer fast ebenso grossen Zahl anderer, denen bis jetzt noch keine wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Die vulgären Namen der Eukalypten, die nach Distrikten wechseln, bringen noch mehr Verwirrung in das Ganze. Der Eucalyptus robusta _ ist auf Stradbroke besonders häufig; ebenso an der gegenüber- liegenden Festlandsküste, wo er unter dem Namen „Swamp- Mahagony“ den Farmern wegen des guten Bauholzes, das er liefert, wohl bekannt ist. An zahlreichen Orten in Zentralqueens- land hörte ich wiederholt denselben Namen für einen ganz an- deren Baum — Tristania suaveolens gebrauchen. Unter Stringy- bark lernte ich drei verschiedene Eukalypten, unter Ironbark deren fünf kennen. Noch auffallender erschien mir die Verwechs- lung, die bei der Blue gum, E. tereticornis, statthatte, die so bekannt und bezeichnend gebaut ist, dass ihr Name als Schwur- wort dient. „By the blue gums of the back blocks“ — ist ein Australische Reisebriefe. 949 “oft gehörter Ausruf in den Bars des Westens. Trotzdem habe / ich denselben Baum Grey Gum und in Margborough auch Ba- stard Box nennen hören. Um die Schwierigkeiten aber voll zu machen, nannte man sogar an derselben Lokalität unter Blue Gum den Eucal. gracilis, weil die saftige Rinde zu gewissen Zeiten ihre oberflächlichen grauen Schichten in grossen Partien abstösst und darunter graugrün, mit einem Stich ins Bläuliche erscheint, wie dies beim echten Blue Gum vorkommt. Bei der offenkundigen Unsicherheit, mit der man meine diesbezüglichen Fragen zu beantworten pflegte, war ich anfangs schon zufrieden, entscheiden zu können, was Eukalypten und was den Wattles, d. h. echten Akazien und was anderen Baumarten zuzuzählen war; das Beriechen einiger zerdrückter Blätter, die bei den Eukalypten reich an ätherischen Ölen sind, diente mir damals als Wegweiser. Bezüglich des Eindruckes, den auf mich die Eukalypten machten, muss ich gestehen, dass sie mich anfangs enttäuschten. Die hohen kahlen Stämme, das weite, schüttere Astwerk und die schwache Belaubung der Blue Gums meines Camp wirkten wenig malerisch, weil ich unbewusst fortwährend den Linien- und Formenreichtum unserer einheimischen Ulmen, Eichen, Birken usw. in Betracht zog. Die Eukalypten lassen aber schlechter- dings einen solchen Vergleich nicht zu; es sind eigenartige und, wie vieles andere in Australien, herbe Schönheiten, die gesucht werden wollen, von denen man sich aber um so angezogener fühlt, je länger man mit ihnen beisammen lebt. Später betrachtete ich immer wieder mit Wohlgefallen die stolzen, hohen Bäume mit ihren schlanken Ästen und ihren wehenden Blätterbüscheln, denen die jahrelange Dürre ihr saftiges Grün nicht nehmen konnte. Selbst im Tode waren sie noch imposant, wenn sie wie ein weissgraues Gerippe einer Riesenhand gegen den Himmel ragten. Durch eine spezifische Widerstandskraft des Eukalypten- holzes gegen Fäulnis, die noch durch die grosse Trockenheit der Luft unterstützt wird, vermodert der Stamm der abgestorbenen Bäume nicht von unten aus. Sie verlieren bloss ihre Rinde und verwittern langsam von den Astspitzen her; gewöhnlich bleiben die kahlen Baumstrünke jahrzehntelang stehen, ehe sie durch _ Sturm, Termitenfrass oder durch die Hand des Menschen nieder- geworfen werden, Als besonderen Schmuck zugrundegegangener Eukalypten fand ich in den dichteren Beständen des Busches auf Stradbroke zwei parasitierende Farne, die als Nationalpflanzen in hohem Ansehen stehen, den Staghorn- und Nestfarn. Der erstere, Plati- cerium aleicorne, besitzt grosse, schön geschweifte Blätter, die entfernt das Geweih eines Elentieres nachahmen; der letztere, 250 K. Zimmert: Asplenium nidus, ‚bildet ein Wurzelconvolut, das wie ein Vogel- nest an den Baumstämmen klebt. Die Nestfarne enthielten ge- wöhnlich eine Menge von Kerbtieren oder dienten anderen epi- phytischen Pflanzen als Heimstätten; doch habe ich auf unserer Insel nur Exemplare gesehen, die gegen die üppigen Rindenfarne des tropischen Queensland nur kümmerlich entwickelt waren. Die artenreiche Vegetation bot viel mehr Abwechslung, als ich vorausgesetzt hatte. Der Stradbroke Busch verdient diesen Namen, der eigentlich nur ein Synonym für Eintönigkeit ist, nicht. Die beträchtliche Niederschlagshöhe bringt eine solche Intensität des Pflanzenwuchses hervor, dass wir viel eher einen Vergleich mit den Laubwäldern der gemässigten Zone ziehen dürfen. Während im Festlandsbusch oft hunderte von Quadrat- meilen von einer Baumart in Form des offenen Haines bedeckt sind, finden sich auf Stradbroke und den umliegenden Inseln die verschiedensten Bäume in bunter Abwechslung und oft undurch- dringlich dichten Beständen. Man konnte hier den stillen Waldes- zauber ebenso geniessen, wie in der Heimat. Über Aufschlüsse des Prager Bodens. III. Von K. Zimmert. (Schluss.) Dort lagert nämlich über den dislozierten d, Schiefern diskordant zunächst eine 1 bis 2 m mächtige Schichte von Trümmern derselben Schiefer. Nur an einer Stelle zieht durch diese Detritusschichte ein schmales, helles Band von quarzitischem Detritus. Der Hügel war also ursprünglich ganz in die Schiefer der Stufe d, gehüllt, dann gelangte bei fortschreitender Abtragung dieser Schiefer eine Quarzitklippe zum Vorschein, wurde eben- falls abgetragen, worauf wieder nur Detritus der Schiefer abge- lagert wurde. Das oberste Band dieser Detritusschichte zeigt hellgraue Farbe und viel Glimmer; die weiterfortschreitende Denudation des Hügels griff nämlich die Stufe d, in grösserer Ausdehnung an und zwar begann sie mit einer glimmerreichen tonigen Übergangsschichte, begleitet von der noch fortdauernden Abtragung der Schiefer d, und hatte dann nur noch die Quar- zite der Stufe d, abzutragen. Über der ersten, untersten Detritus- schichte lagert nämlich eine zweite, gleichfalls 1 bis 2 m mäch- tige Schichte, die fast ausschliesslich von Quarzitträmmern mit lehmigem: Bindemittel gebildet wird. Über dieser zweiten lagert dann die 1 » mächtige Humusschichte. Der ee Über Aufschlüsse des Prager Bodens. 951 Nach dieser Darstellung dürfte man also kaum noch an eine förmliche Überkippung der drei Stufen d,y, d, und.d, (d,) denken können. Überdies fallen ja tatsächlich die dunkeln Schiefer am Strassengraben, anschliessend an die nördlichen, lie- genden Quarzitbänke des östlichen Steinbruchs, unter diese letzteren, d. h. unter die Stufe d,, ein. Diese Schiefer gehören aber ohne Zweifel, trotz ihrer petrographischen Ähnlichkeit mit den oben beschriebenen Schiefern der Stufe d,, zu der Stufe d,y. Es fallen also in südöstlicher oder südsüdöstlicher Richtung längs der Strasse von N nach S nacheinander folgende Stufen ein: zuerst dunkle Schiefer (d,y), dann die Quarzite (d,), endlich die dunkeln Schiefer am Südrand der Hrebenka (d,). Aber gerade das Schwanken in der Streichrichtung der Schichten von der Hrebenka bis zum Kloster St. Gabriel ist auffallend. Die Schiefer der Stufe d,y streichen im Norden, d.i. in den 1909 aufgeschlossenen Kanalprofilen bei der Kapelle am westlichen Ende der schwedischen Gasse, nach N 600, weiter östlich bis nach Osten (N 90 OÖ) und fallen mit 70° bis 80° nach SSO bis S; am Steinbruch aber streichen sie nach N 60 0. Die Quarzite des westlichen Steinbruchs streichen nach N 700 bis OÖ und fallen mit 65° nach SSO bis S, die des östlichen streichen nach N600; die dortigen Schiefer d, streichen nach N 45 0 bis N 700, ja bis O. Bei St. Gabriel, 300 m weiter im Östen, streicht die Stufe d,y nach N700 bis N800 und fällt nach NNW. Da aber die Smichower Karlsgasse nach N 60 O verläuft, so muss dieselbe noch westlich von der Mündung der schwedi- schen Gasse von der Grenze der d,p und d, Stufe gekreuzt werden; d. h. die obere Sokol- und das östliche, hohe Ende der Resselgasse müssen zur d,y Stufe gehören. Wir kommen also wieder zu demselben Ergebnis wie im ersten Stück dieses Aufsatzes. Die Anhöhe an der Mündung der schwedischen in die Karlsgasse besteht aus den Schiefern der Stufe d,y. Auf einem Neubau in dem erwähnten Stück der Resselgasse, Or. Nr. 3, zwischen dem Garten von Sacr& Coeur und den Quarziten (d,) der unteren Sokolgasse, fand ich dunkle Schiefer, die wohl jenen der Stufe d, an der Hrebenka ähneln, aber nach der ge- samten Situation doch wohl jenen der Stufe d,y bei den beiden nahe gelegenen Klöstern anzugliedern sind. Die Quarzite der Stufe d,, die von Motol bis Koschirsch hinab in bedeutender Mächtigkeit und das morphologische Bild des Tals beherrschender Form auftreten, sind in Smichow fast verschwunden; sie be- schränken sich da, wenn man von den weiter südlich streichen- den Quarziten in den Anlagen der Podjebradgasse absieht auf die untere Sokolgasse, also auf ein 40 bis 50 m breites Band an der Pilsner Strasse. Denn jenseits derselben fand ich in dem RT TR RE 252 K. Zimmert: Kanalprofil d. J. 1908 und 1909 südöstlich fallende Schiefer der Stufe d,. 3. Bei der Ziegelei Pernikarka. Dieser, wie es scheint, bis jetzt unbekannte Aufschluss liegt in dem kleinen Tal, das zwischen den Koschirscher Höfen Fialka und Hibschmonka beginnt und 600 m westlich von der Hrebenka bei der Klamovka in das Motoltal mündet. Dort liegen, nördlich von der Strasse zum Weissen Berg, einander gegenüber: westlich ein 25 m tiefer und bei 200 m» von N nach S reichender Auf- schluss (Ziegelei) der d,y Schiefer, östlich ein bewaldeter Rücken mit einem Steinbruch, wo Quarzite (d,) im Wechsel mit hell- grauen, sehr glimmerreichen tonigen Schichten nach N600 stieichen und nach SSO unter 80° einfallen; wie bei der Hie- benka neigen die Bänke am Südrand des Hügels, also die han- genden Bänke, etwas nach SSO. Die Schiefer d,y hingegen zeigen im Liegenden Fältelung und Brüche und sind hier den Schiefern der Stufe d, insofern ähnlich, als sie häufig stängelige Gipskristalle und weissen An- flug (Epsomit) zeigen; vgl. Katzer a. a. O., S. 885 über die Stufe d, ; es ist ein blauschwarzer, lettiger Schieferton und führt bis überkopfgrosse Konkretionen. Darüber lagern im Halbkreis gut geschichtete, bräunliche Schiefer. An diesen lässt sich die Lagerung der ganzen Stufe gut erkennen; sie bildet hier einen mächtigen Sattel; denn im nördlichen und mittleren Drittel fällt sie mit 30° bis 80° nach NNW, im südlichen Drittel, genau westlich und 30 m entfernt von dem Quarzithügel, unter 60° bis 80° nach SSO; ihr Streichen geht hier wie das der Quarzite nach N600 bis N 700, im Norden aber nach NS00 bis 0. Die Quarzite sind gegen die Schiefer nach NO verschoben, vermut- lich von der Skalka herüber; dadurch wäre auch die scheinbare Verdoppelung der Quarzitzonen in dieser Gegend (Mlynärka im Süden, Pernikäfka im Norden) zu erklären. Das Profil von der Kreideplatte des Sandbergs bis zum Motolbach, von der Hibschmonka bis zur Klamovka, zeigt aber noch ausserdem ein Schulbeispiel für die Denudation einer Tal- flanke. Unterhalb des Hofes Hibschmonka ist ein etwa 200 m breites und langes Sammelbecken des abfliessenden Gewässers, das zwischen den beiden Hügeln der Pernikärka, also nach unten zu, auf etwa ein Sechstel seiner Breite sich verengt; während hier, im engen Taleinschnitt, nur wenig diluvialer Lehm sich vorfindet, nimmt derselbe oben, im Sammelbecken grosse Dimen- sionen ein. Es ist wirklich ein zusammengeschwemmter Lehm und nicht äolische Bildung (Löss); das beweisen vor allem die regelmässig geschichteten Geschiebe (meist abgeschliffene und r L- oe = 2 Über Aufschlüsse des Prager Bodens. 953 gerundete Plättchen von Plänerkalk). Da aber der Hügel, in dem die Ziegelei angelegt ist, nach Norden, d. h. nach oben hin, eine etwa 8 m tiefe und wohl 30 m breite Mulde innerhalb der d,y Schiefer zeigt, die jetzt nahezu ganz mit Lehm aus- gefüllt ist, so beweist dies, dass noch vor Ablagerung dieses Lehms durch zwieselartige Ausbreitung der Abspülung nach beiden Seiten, nach W und O, das Sammelbecken geschaffen wurde. Durch solche seitliche Abtragung der Schiefer (d,p) wurde also augenscheinlich jenes von Motol bis Smichow ziehende Tal zwischen den Quarzitklippen im Süden und der Kreidetafel (Weisser- und Sandberg) im Norden erzeugt, ein Tal, das pa- rallel mit dem etwa 60 m tiefer gelegenen eigentlichen Motoltal zieht, in Wirklichkeit aber wohl nie seiner Länge nach von einem Gewässer durchflossen worden ist. Das geht auch daraus hervor, dass die Basis der diluvialen Ablagerung gegen Westen, d. h. gegen die rechte Flanke des Sammelbeckens, ansteigt. Ich möchte nun folgendermassen zusammenfassen. Es ist wahrscheinlich, dass die weichen Schiefer d,y entlang der Ko- schirscher (Hyskov-Prager) Bruchlinie nahezu nach O, die Quar- zite da, aber nach NO oder ONO streichen, die ersteren also dem aus Norden wirksamen Druck mehr nachgegeben haben als die harten Quarzitschollen; weiters, dass jener Druck die Schiefer d,y samt den Stufen d. und d, (d,) zu einer Antiklinale staute, die aber im Streichen mehreren Schwankungen unterlag und in ihrem südlichen Schenkel so steil wurde, dass nach Osten hin eine Überkippung stattfand; endlich, dass der südliche Flügel des Motol-Koschirscher Bruches in Bewegung war u. zw. aus SW nach NO, wobei die Schollen an dem nördlichen Verwer- fungsflügel (Weisser- und Laurenziberg) sich stauten und aus ihrer ursprünglichen Streichrichtung nach ONO bis O abgelenkt - wurden. Hiebei kam es zu Querbrüchen, Horizontalverschiebun- gen und Verkeilungen. Man vgl. die geologische Karte von Krejti und Helmhacker, meine Bemerkungen über die Verkeilung im Steinbruch der Kotläfka (Aufsatz I., S. 9 f. u. II., Nachtrag). Dazu die scharfsinnige Erklärung dieses Vorgangs seitens A. Liebus (a. a. ©. S. 223) u. zw. durch eine Dislokation und Horizontalverschiebung der Quarzite im Eisenbahneinschnitt südöstlich von Motol. Auch die sogenannte Motoler Kolonie dürfte mit dieser grossen, nach NO gerichteten tektonischen Bewegung im Zusammenhang stehen. Literatur wie in den Aufsätzen I. und II. Dazu: Krej£i urd Helmhacker, Erläuterungen zur geologischen Karte der Um- gebung von Prag, Archiv d. naturwiss. Landesdurchforschun IV. Bd., 1879; A. Liebus, Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. V. (Lotos, Bd. 57, H. 7). 254 Karl Kochmann: Aus dem geograph. Institute der k. k. deutschen Universität zu Prag. Mittlere Massenerhebung des Hohen Böhmer- . waldes. Von Karl Kochmann. z Die folgenden Zeilen stellen einen Versuch dar, die mittleren Hebungsverhältnisse des Hohen Böhmerwaldes in Zahlen auszu- drücken. Zur Ermittelung der dazu erforderlichen Werte wurde die Querschnittmethode angewendet und nach der Spezialkarte des k. u. k. mil.-geogr. Institutes, Masstab 1:75.000, wurden parallele und äquidistante Vertikalschnitte von solcher Genauig- keit entworfen, dass sie den Berechnungen zu Grunde gelegt werden können. Um die Präzision der Resultate zu erhöhen, habe ich für die Schnitte den Längen- und Höhenmasstab 1:50.000 gewählt, sodass die Länge und Höhe einander gleichen. Die Simpsonsche Formel, die bei den Rechnungen teil- weise angewendet wurde, verlangt'), dass das Profil des Zwischen- parallels einigermassen für das gesamte Gelände zwischen den Grenzprofilen typisch sei, denn nach der Formel Vzbh @+493 +8) 6 erhält das Mittelprofil g, das vierfache Gewicht gegenüber den Profilen g und g,. Der geringe Abstand der gezogenen Quer- schnitte ermöglichte es nun, dieser Forderung nachzukommen und die für die Charakteristik des Geländes wichtigeren Höhen- cöten zu interpolieren. Im ganzen wurden 38 Parallelschnitte in einer Distanz von 4 cm (3 km) auf der Karte abgemessen und ihr Flächeninhalt aus den gegebenen Höhen und Entfernungen berechnet. Die erhaltenen Zahlen habe ich auf 3 Dezimalstellen eines km abgerundet, denn es wäre Selbsttäuschung eine grössere Genauigkeit erreichen zu wollen. Von Kartenmaterial sind Zone 8 (Kol. VIII, IX, X), Zone 9 (Kol. VIII, IX, X), Zone 10 (Kol. IX, X, XD) und Zone 11 (Kol. X) der bereits erwähnten österrei- chischen Spezialkarte benützt worden. Was die Abgrenzung des Hohen Böhmerwaldes betrifft, so wurde ihr das 1908 in Prag erschienene Buch Karl Schnei- ders: „Zur Orographie und Morphologie Böhmens.“ S. 25—44, zu Grunde gelegt. Die Grenzen, die Julius Bene$ in seiner Ab- handlung „Über die wahre Oberfläche des Böhmerwaldes im Ver- gleiche zu ihrer Projektion“ Ber. über d. XIV. Ver.-jahr. d. Ver. d. Geogr. an der Universität Wien 1888, S. 50 ff. für das Gebiet zieht, sind zu enge und die Vorberge bleiben unberück- sichtigt. Ausserdem nimmt Bene$ als Ostgrenze ganz willkürlich den Schwarzenbergkanal an. !) Wagner Herrmann: „Areal und mittlere Erhebung d. Landflächen, sowie d. Erdkruste.“ Beiträge zur Geophysik. I. 1895. S. 738. ia N re A ahead ka Pe = Bd Ar a a ar U 2 Te . . Mittlere Massenerhebung des Hohen Böhmerwaldes. 355 Der Hohe Böhmerwald erstreckt sich in einer Länge von etwa 117 km in der Richtung NW. bis SO. und erreicht seine grösste Breite (69 km) zwischen dem Grillabache und der Blanitz. Im N. keilförmig in das Neumarker Zwischenland eindringend, wird er gegen S. zu allmählig breiter und bricht dann an dem südböhmischen Granitlande jäh ab. Er zerfällt orographisch in drei Hauptgruppen: 1. den Grenzrücken, 2. den Inneren Wald und 3. die Vorberge. Seine Südgrenze wird durch den Aigener Pass und die Hochfläche von Schwarzbach—Mugrau gebildet und zieht sich dann, der Budweiser Ebene entlang bis gegen Pro- tiwin. Von da an folgt sie dem Laufe der Wottawa über Stra- konitz nach Schüttenhofen und verläuft an dem Wostruschna-, Wild- und Angelbache nordwärts gegen Neuern zu. Das Neu- marker Zwischenland im Norden ist vom Hohen Böhmerwalde zu trennen und als ein selbstständiges Bergland zu betrachten. Vom Neumarker Sattel an bildet die Westgrenze der Weisse Regen, der Kaitersbach (Gruberbach), Asbach und die Langen- dorf—Bodenmaiser und Kirchdorf—Eppenschlager Senke. Eine über Grafenau, Freyung und Waldkirchen verlaufende Linie führt am Michelbache und der Grossen Mühl zum Passe von Aigen zurück. Der höchste der drei Teile des Hohen Böhmerwaldes ist der Grenzrücken. Er wird im S. vom Eigener Pass, im SO. vom Thierbach und der Warmen Moldau im NO. von der Wottawa, Wolschowka, WostruZna, dem Drosauerbache, der Angel, dem Schicherbache und im N. vom Neumarker Zwischenland begrenzt. Im W. läuft die Grenze den Weissen Regen, Kaitersbach und Asbach entlang über Langendorf, Bodenmais, Kirchdorf, Eppen- schlag, Grafenau, Freyung und Waldkirchen zurück zum Michel- bache, der Grossen Mühl und dem Eigener Passe. Für den Inneren Wald gilt als Südgrenze der Aigener Pass, der Olschbach und der Gojauerbach. Letzterer verläuft gegen Krumau zur Moldau, den Inneren Wald von der Schwarz- bach-—Mugrauer Rumpfebene trennend. Im SO. ist die Grenze durch die Budweiser Teichniederung gegeben und zieht sich dann nordwärts über Netolitz, Witejitz und Husinetz zum Blanitz- bache, Boranowitzer Bache und zur Wolinka. Gegen die Vorberge grenzen den Inneren Wald etwa der Leitenbach, der Nezditzer- bach und der Hoslowitzerbach ab und im N. die Wottawa. Im W. bilden die Moldau und der Thierbach die Grenze. In schroffem Gegensatze zu dem Grenzrücken und dem Inneren Walde stehen die Vorberge des Hohen Böhmerwaldes, ein hügeliges, aufgelöstes Bergland, aus dem nur hie und da Höhen bis 900 m hervorragen. Die Blanitz und die Linie Husinetz—Netolitz umschliessen das Gebiet im S. und O., die Wottawa und OstruzZna im N. Gegen den Inneren Wald bilden 956 Karl Kochmann:. die Wolschowka, der Leitenbach, der Nezditzer- und Hoslowitzer- bach, die Wolinka und der Boranowitzer Bach die Grenze. In diesen soeben bezeichneten Gebieten wurden die Quer- schnitte folgendermassen gezogen: Profil 1. Von Rimbach über Burgstall nach Freybach. 2. Kötzting—Abendberg— Weisser Re- gen—Eckstein— Neukirchen. 3. Kaitersbach—Plattenstein—Ho- henwarter—Schicherbach. 4. Kaitersbach—Kaitersberg—Kronwit- höhe—Schicherbach. 5. Kaitersbach—Riedelstein—Zwiseleck— Neuern. 6. Asbach—Arnbrucker Forst— Osser—Sollerberg— Gugl- berg—Janowitz. 7. Asbach—Hengstatt— Sesselplatz—Hammern — Depoldowitz— Drosau. 8. Asbach—Kleiner Arber—Zwergeck— Jörghof—Brennerberg—Christlhofberg—Drosauerbach. 9. Roth- bach—Bodenmais— Grosser Arber—Zwengerlingsriegel—Seewand — Brückelberg — Cachrau. 10. Regen — Bischofshaube — Hoch- zellberg — Eisenstein — Panzerberg— Hochgefild — Ostruzna. 11. Schwarzbach — Emahlenriegel — Fallbaumberg — Hahnenriegel — Ahornberg—Borekberg—OstruZna. 12. Regen—G. Falkenstein — Hochruck—OstruZna. 13. Zwiesel—Lakaberg—Steindlbergs—Sva- tobor—Hradek. 14. Kleiner Regen—Kiesruck—Steinriegel— Wot- tawa. 15. Flanitzer Ebene—Hirschberg—Mittagsberg—Kiesleiten Wottawa. 16. Flanitzer Ebene— Rachelschacht— Seerücken— Brenntenberg—Hefenstein—Drazowitz— Horaädowitz. 17. Klingen- brunner Wald—Grosse Rachel—Zosumbers— Wottawa. 18. Gr. Ohe — Plattenhausenberg — Mader— Antigelberg—Riesenschloss— Wottawa. 19. Gruberbach—Hirschkopf—Moorkopf—Kanifberg— Jawornik—Katowitz. 20. Graferau— Lusen—Schwarzberg—Aus- sergefildl— Gekanka—Wottawa. 21. Steinbühel—Gr. Almaierschloss — Siebensteinfelsen — Buckelstein — Strakonitz. 22. Ohebach — Ebensteinberg—Ferchenhaid— Wottawa. 23. Saussbach—Ochsen- berg—Scheureckenberg— Adolfhütte— Wustriberg— Virotin— Wot- tawa. 24. Freyung—Alpenberg — Riesenschloss— Radschiberg— Bratruzelberg— Wottawa. 25. Grillabach — Sperrhübel—Röhren- berg—Kubany — Mejkow—Putim. 26. Osterbach—Haidelberg— Schnellzipf—Solobergs— Wällischbirken—Ruine Helfenburg— Gold- berg—Blanitz. 27. Waldkirchen—Hackelberg— Farrnenberg— Hu- sinetz—Leskowetz—Blanitz. 28. Waldkirchner Senke— Tnssetberg — Wallern — Hochwald — Prachatitz — Haniberg—Mischenitz. 29. Michelsbach — Dreisesselberg — Lubinberg — Wodhan — Protiwin. 30. Michelsbach—Hochwald—Steinschichtberg—Tonetschlägerberg —Aujezd. 31. G. Mühl—Blöckenstein— Schwarze Steinwand— Netolitz. 32. G. Mühl—-Reischelberg—Todtenkopf—Elhenitz— Luzitz. 33. G. Mühl-Ochsenberg—Sternberg—G. Chumberg— Groschumer Wald--Bowitzerbach. 34. G. Mühl—Pfeserberg— Ogfolderhaid—Rothberg—Dechternteich. 35. G. Mühl—Schind- Jauer—Rossberg—Albertstein—G. Cekau. 36. G. Mühl bei Aigen — Kalsching—Kwitkowitz. 37. Höritz—Schöninger—Krems—Kluk —-Hradcen. 38. Gojau—Mitterberg— Moldau. Pr Mittlere Massenerhebung des Hohen Böhmerwaldes, 957 Die Grössenverhältnisse der einzelnen Parallelschnitte gibt uns TabelleI. Daroach erlangt der Grenzrücken seine grösste Breitenaus- dehnung im N. zwischen dem Regen und der Ostruäna (Prof. 10.), der Innere Wald im S. zwischen der Moldau und der Budweiser Tertiär- ebene (Prof. 32) und die Vorberge zwischen dem Rebenbache und der Blanitz (Prof. 25). Der Grenzrücken und der Innere Wald ähneln so im Grundriss zwei Keilen, deren Spitze nach SO. be- ziehungsweise nach NW. gerichtet ist. Zu bemerken wäre hier, dass Max Kandler: „Kritik orometrischer Werte* Wissenschaft]. Veröffentl. d. Ver. f. Erdkunde zu Leipzig 1899, S. 324, beson- ders die Breite eines Gebirges für eine Grösse hält, die einen bedeutenden Einfluss auf Geschichte und Bevölkerung, auf Handel und Verkehr und schliesslich auch auf Klima erkennen lässt. Sicher trifft dies in vielen Fällen zu, aber den wichtigsten Faktor im Durchgangsverkehr bildet doch die geringere Höhe gewisser Gebirgsteile. So ist z. B. der Verkehr im Böhmerwald auf die Pässe von Neumark, Eisenstein und Aigen beschränkt. Ausser der Breite ist noch die Längenerstreckung des Ge- birgskomplexes erwähnenswert. Sie beträgt beim Grenzrücken ungefähr 110 km, dem Inneren Walde etwa 75 km und den Vor- bergen 65 km. Die mittlere Höhe der Querschnitte ergibt sich aus der Division der Profilflächen durch ihre Längen. Betrachtet man die in Tab. I. dafür erhaltenen Zahlen, so fällt sofort die bedeutende mittlere Massenerhebung des Gebirgszentrums gegenüber der nördlichen und südlichen Teile auf. Die hohen Werte von über 900 m, die das zentrale Gebiet (Prof. 16—21) erreicht, werden hauptsächlich durch die Hochfläche von Mader und die Kuppen des Lusen, Moorkopfs, Spitzbergs, Kanifbergs, des Antigel, der Rachel, des Jawornik und Aschenbergs bedingt. Unterbrechungen in der allmähligen Abnahme der mittleren Höhen gegen N. und S. verursachen nur der Arberstock (Prof. 8—10) und das Gra- nitmassiv des Blöckensteins (Prof. 30—34). Aus den in Tabelle I. mitgeteilten Ziffern lässt sich die mittlere Höhe des ganzen Gebirges und seiner Teile berechnen, wenn man die Summe der Flächeninhalte aller Querschnitte durch die Summe ihrer Längen dividiert.”) Es beträgt demnach die absolute, mittlere Erhebung des Grenzrückens 912 m, des Inneren Waldes 815 m, der Vor- berge 565 m und des gesamten Hohen Böhmerwaldes 812 m. Lässt man die von je zwei Querschnitten begrenzten Flächen als einfache Trapeze gelten, so kann man den Flächeninhalt der horizontalen Projektion der in Betracht kommenden Gebiete eruieren, indem man die Trapezflächen summiert. Die Ergebnisse derartiger Berechnungen enthält Tabelle II. Dabei wurde die 2) Dittenberger, Dr. Wilhelm: „Zur' Kritik der neueren Fort- schritte der Orometrie.“ Halle a. S. 1903. 258 Karl Kochmann: vor dem ersten und nach dem letzten Querschnitte eines jeden Gebirgsteiles vorhandene Fläche einem Dreiecke gleichgestellt. Vergleicht man die Endsummen mit einander, so zeigt es sich, dass der Grenzrücken fast 49°,, der Innere Wald 31°, und die Vorberge 20°, des gesamten Areals umfassen. Wenn man nun die mittleren Höhen der besprochenen Gebiete mit dem Flächen- inhalte derselben multipliziert, so resultiert das Volum. Es wurde für den Grenzrücken auf 2143:793 km?, den Inneren Wald auf 1213:820 km?, für die Vorberge auf 545366 km? und für die drei Gebirgsteile zusammen auf 3901'863 km? festgesetzt. Aber auch noch direkt, mittelst der Simpsonschen Formel Vzh(@+4g +2) 6 kann der Kubikinhalt und daraus die mittlere Höhe des Gebirges bestimmt werden, wenn man für, g, g, und g, drei benachbarte Schnittflächen einsetzt- Dabei entfällt in unserem Falle der Abstand h der äusseren Querschnitte g und g,. Die Endzonen des Grenzrückens und des Inneren Waldes wurden als Prismen aufgefasst und in die Addition mit einbezogen (Tab. III.). Bei entsprechender Kombination der in Tabelle II. und III. mitge- teilten Werte, ergeben sich für die absoluten, mittleren Erhe- bungsverhältnisse des Grenzrückens 913 m, des Inneren Waldes 809 m, der Vorberge 570 m und als mittlere Höhe des ganzen Hohen Böhmerwaldes 812 m, also wenn auch belanglose, so doch unübersehbare Abweichungen von den Endergebnissen des ersten Verfahrens. Als genauer ist das zweite Resultat zu bezeichnen, da die erste Methode die Anfangs- und Endzonen der Gebirgsteile nicht berücksichtigt. Selbstverständlich müssen wir uns vergegen- wärtigen, dass die Genauigkeit aller orometrischer Mittelwerte immer ihre Grenzen hat, besonders dort, wo es sich um grössere Gebiete handelt, aber unterschätzen dürfen wir deshalb die er- haltenen Zahlen nicht, denn sie gewähren uns einen interessanten Einblick in den Aufbau des Gebirges und charakterisieren vor- trefflich die Intensität seiner Massenerhebung. Nach Kandler ]. c. S. 329 zeigen derartige Werte ein anschauliches Bild von der politischen Wirksamkeit der Gebirge, ob grössere oder geringere Höhen im allgemeinen vorwalten und ob deshalb ein günstigeres oder ungünstigeres Klima einen grösseren oder geringeren Ein- fluss ausübt. Zum Schlusse möchte ich noch bemerken, dass K. Ko- ristka°) die absolute Mittelhöhe des .Riesengebirges auf 828 m, die des Isergebirges auf 532 m berechnete. Es gleichen also die von ihm gefundenen Zahlen ungefähr denen, die hier für die mittlere Höhe des Hohen Böhmerwaldes, beziehungsweise seiner Vorberge bestimmt wurden. ®) Die Arbeiten der topogr. Abt. d. Landesdurchforschung v. Böhmen in d. J. 1867—71 Prag 1877. Mittlere Massenerhebung des Hohen Böhmerwaldes, 259 Br Tabelle |. | ————— hi x E | = : Mittlere Höhe - | Fläche in km? Länge in km Meter es Grenz- | Innerer Vor- Gesamt- || Grenz- | Innerer Vor- Gesamt- | NS ES e:) EZ & & Rücken | Wald berge | fläche Rücken | Wald berge läne | #5 | 85 |>& 25 . a % '} 1) 46323 — _ 4632| 640) — _ 640 | m — — |— | 794 2. 777 — —_ 7767| 1190| — — 1190 | 653 — | 653 3| 8619 — = 8619| 1240| — — 12°40 | 695| — | — | 695 4| 9475 — _ 9475| 1320| — — 13°20 | 718) — | - | 718 5.117.074] — = 212170741) 21:30:|° — 2 21'30 | 802) — |— | 802 ı 6. 233831] — — | 23381) 3040] — — 30:40 | 769] — | — | 769 7.2345 — —. | 23475) 2820| — = 28-20 | 832| — |— | 832 8.127.653] — — | 276531 2805| — = 28:05 | 986) — — | 986 9.) 27.925) — + 1.97995 | 27°30.| = = 2735 |1021 — 1021. 10. 28.105) — — | 28105 |) 3060| — — 30:60 | 918| — — | 918 11. 27374 — 1961| 29-335 | 3025| — 2:65 | 32'90 | 905 740| 892 12.) 2749| — 3-937 31'436| 3030| — 6:00 ı 36:30 | 908] — 1656| 866 13.) 26064 — 3479| 29:543 | 2950| — 495 | 3445 | 884] — 1703| 858 ‚14. 24679 — 2747| 27'426 | 2800) — 4.95 | 32:95 | 881] — 1555| 832, 15.| 24-491) 1-819| 6411| 32721 | 2585| 2830| 960| 3825 || 947| 650.668 855 ‚16. 23-284| 9-277| 9537| 42.098 2240| 10:85| 1655| 4980 1039| 855576| 845 17.| 25:793| 9555| 9476| 44-824 | 2390| 11-40| 15-30 | 50:60 1079| 8381619] 886 18. | 28:378| 11-951] 7°613| 47°942| 2615| 13-10) 12:80 | 52-05 1085| 912)595| 921 19, 24-966| 18-594| 6301) 49-861| 2355| 1975| 11:05 | 54-35 1060| 941/570) 917 -20.| 28-495| 14-811] 6677) 49-983 | 2685| 1820| 10-85 | 5590 |1061) 814615] 894 ‚21. | 28:317| 14103| 5715| 48:185| 2775| 17-95 |-10'90 | 56'60 |1020) 786524) 850 ‚22. | 21-578| 17-454] 9990 49-022| 2420| 1970| 1795| 61'85 | 892] 886 557| 793 2 18-891) 13:174| 14-107) 46'172) 2095| 1510| 25-00 | 61-05 | 902] 872,564| 756 16°114| 14:130| 16-321] 46°565 || 20:15] 14-90 | 27:55 | 62-60 | 800| 948/592) 744 22:631| 13-178| 19-295) 55-104 | 24.40 | 12:05| 32-55 | 69-00 | 9281094592) 799 21'126| 12-669| 17-341) 51'136 | 23-60 | 13-65) 30:10 | 67'35 || 895| 9281576| 755 21°132| 12-166) 16:056| 49-354 | 2425| 13-90) 30-75 | 68:90 || 871| 875522] 716 28. 18°564| 17°576| 10.582] 46-722) 22:60 | 2250| 23-25) 68°35 | 821] 7811455] 684 29. 18:850| 20-410) 9006 48-266 || 2055| 2540| 18-60 | 64:55 | 917) 804484 748 } 17:787| 23-532) 3623| 44-942 || 1860| 29.85] 6:90 | 55'835 | 956| 7881525) 812 3 16°099| 24-485] 1'610 42194 | 16.70| 3135) 350| 5155 | 964| 781.460) 819 32. | 12-363) 27.367) — | 39-730) 12:80) 3460| — 47'40 | 966| 791) — | 838 & 11'585| 29-549 41-134 | 12:40| 3410| — 4650 | 934) 867| — | 885 34, | 10-911) 26-880 37-791| 1305| 3345| — 46'50 | 836] 804 — | 813 = 10-461] 23-408 33.869| 12-651 3185| — 44-50 || 827| 735) — | 761 3 9:166| 23-350 32-516 || 12:35 | 3315| — 45°50 | 742| 704 — | 715 7. — |16908| — | 169081 — | 3955| — 2395 | — | 706 — | 706 _ 8503 8508| — | 1290| — 12:90 | — | 659 659 & | h24 - a Ra ee R ms 7o1lhorssnlıeı: 7as 1301: 333] 783° eos a0 321-75| 1601-75 „2 sıs|sen 812 Es | 63 8 z > "ge 960 K. Kochmann: Mittlere Massenerhebung d. Hohen Böhmerwaldes. A = Grenz- Innerer Vor- Gesamt- SI Rücken Wald berge fläche y =—ı 9:600 —_ —_ 9.600 1-2 | 2750| — == 27'450 2—3 36'450 — — 36450 3A 33400 — — 38400 4—5 51750 _ _ 51750 5—6 77550 — — 77-550 6—7 37'900 _ — 87900 7—8 81.375 — — 84-375 8—9 83:100 . - 83-100 9—10|| _86°925 = — 86'925 10—11| 91275 — 3975| 95-250 4412 90-825 — 12-975| 103-800 12—13 | 89700 En 16°425| 16'125 15—14|| 86250. — 14850| 101°100 14— 15 80775 4200| 21:825| 106800 15—16 72.3751 20'475] 39:225| 132075 16—17|| 69'450] 33-375| 47'775| 150°600 17—18|| 75:075| 36.750| 42'150) -153°975 18—19 74-550) 49275| 35°775| 159600 19—20 || 75'600] 56'925] 32-850] 165:375 ee 201:000|267°825| 1858-200 Volum in km® | © [21 Grenz- Innerer Vor- Gesamt- S Rücken Wald berge volum =9 26'295 2 —_ 26'295 2—4 51'718 u _ 51°718 4—6 101'152 u — 101°152 6—8 144934 _— - 144934 8—10|| 167458 — — 167.458 10—12|| 165100 ar 11°781| 176881 12—14|| 156.434 — 20:600| 177034 14—16 || 145°927| 16553] 37928] 200.408 16—18|| 154'834| 59'448| 55'054| 269336 18—20|| 156'737| 101138] 39°494| 297369 20—22|| 163341] 88:677| 39:527| 291545 1433-930 Ba 1904-130 Tabelle Il. IE ERBE DER SERE EREEIIBE TEE Flächeninhalt der horizontalen Projektion in km? Tabelle Ill. Zone —— Übertrag 20—21 21—22 23—23 23—24 24—25 25 —26 26—27 | 2728. 235—29 29 -30 30—31 31—32 32—33 33-34 | 34—355 | 35—36 36—37 37—38 38-Ende Zone Übertrag 22 —24 24—26 26— 23 38—30 30—32 32—34 34—36 36—38 38-Ende Flächeninhalt der horizontalen ‘ Projektion in km? ' Gesamt- fläche Vor- berge Innerer Wald .Grenz- "Rücken 1389'375| 201°000|267'825 81'900) 54:225| 32-625 77:925| 56°475| 43-275 67725| 52-200] 64-425 61:650| 45'000| 78825 66:825| 40'425 90'150 72-000) 38550| 93975 71'775] 41'325] 91275 70:275l 54°600| 81'000 647251 71:850| 62-775 58-7251 82-875| 38°250 52-950] 91'800] 15'600 44°250| 98-925! 5'250 37'800| 103:050| — 38°175| 101325 385501 97950 37'500| 97.500 1858:200. 205.875. 199350 179-850 160.350 ° 148-4257 140850. 139500 136500. 18:525| 85'650 175. 4: 55-275 275 Inge 19-3501 — 19'350. 2350-650 1489-350 Ber 4805:250 | | Volum in km? Gesamt- | volum Vor- berge Innerer Wald Grenz- Rücken 2043841904130 82-739| 280-275 110-842) 318-117. 99-147| 295.274 50:229| 284728 10°063| 253-448 — | 242:057 205-783 108-651 8503 265'816 84'280 79511 78:909 122748 148°839 172443 143:862 99-485 8:503 1433°930 113'256 127764 124'218 111751 94546 69614 61'921 9'166 | 2 1aa-100|1204-000/85004 BB J. F. Gudernatsch: Eine eigentümliche Duplikatur, 261 Aus dem „Department of Pathology“, Cornell University Medical College, New York City. Vorstand: Prof. J. Ewing. S Eine eigentümliche Duplikatur der Musecularis des Duodenums. Von J. F. Gudernatsch, Instruktor in Embryology and Experimental Morphology. (Mit 1 Fig. im Texte.) Bei der Sektion eines 52jährigen Mannes, die im hiesigen Institute vorgenommen wurde, wurde im Dünndarm in der Nähe der Papilla duodeni major eine ringförmige, sphinkterähnliche Verdickung der Muskelschicht aufgefunden. Bei der Eröffnung des Darmes vom Magen aus wurde zuerst der Pylorus durch- schnitten und die Verhältnisse hinter demselben anscheinend normal befunden, bald aber bot sich der Schere in der Form einer zweiten Muskulatur ein neuerlicher Widerstand. dar. Nach Durchtrennung dieser erwies sich die Muscularis wieder normal und gleichmässig. Der erste Gedanke war der, dass man es mit einem Sand- uhrmagen bei verhältnismässig kleinem Pylorusteil oder mit einer doppelten Anlage der Valvula pylorica zu tun habe. Doch er- wiesen sich bei genauerer Inspektion beide Theorieen als unrich- tig. Unzweifelhaft ist. die erste Verdickung als normal angelegter Pylorus aufzufassen. Denn die Entfernung zwischen ihr und der Ausmündungsstelle des Leber-Gallen-Ganges beträgt 12 cm, liegt also an der äussersten Grenze des Normalen. Der zweite Wulst steht 7 cm hinter dem ersten. Dies würde sonach eine zu kurze Entfernung bis zur Papilla duodeni major ergeben. Ausserdem beginnt sich die Mucosa dicht hinter dem zweiten Wulst in Zirkularfalten zu legen, sodass also der vorhergehende Abschnitt schon Darm sein muss. Der zweite Ring steht offenbar an der Grenze zwischen Pars superior und descendens des Duodenums. Der ganze erste Teil ist frei von Querfalten, sodass diese also erst auffällig weit hinter dem Pylorus beginnen (7 cm). Dagegen N 11 RE TEN 70 a aaa ia) 11 Biene Base aa el a2 er LE BE MIRRRR h ) imponieren in dieser Partie ausgesprochene Längsfalten und lassen die Schleimhaut der ganzen Strecke mehr als gewöhn- lich der des Magens ähnlich erscheinen. Hinter dem zweiten Wulst setzen die Plicae circulares unvermittelt ein. Die Papillae Santorini und duodenalis major sind deutlich sichtbar, die Plica longitudinalis ist weniger ausgesprochen. Die Muscularis des Darmrohres ist in der fraglichen Partie ziemlich gut ausgebildet; sie beginnt in einer Dicke von 3—4 mm im Duodenum, in der Valvula pylorica beträgt sie 11 mm, im zweiten Wulst 9 mm. DE ER ER FE Di 262 .J. F. Gudernatsch: Eine eigentümliche Duplikatur. Auch in letzterem hat die Ringmuskelschicht den Hauptanteil an der Verdickung. Histologisch erwies sich die Partie zwischen Pylorus und sekundärem Sphinkter unzweifelhaft als Darmabschnitt. Die Strukturen der Mucosa hatten leider sehr gelitten, da das Mate- rial erst längere Zeit nach dem Ableben konserviert werden konnte, sodass über dieselbe nicht viel ausgesagt werden kann. Die Muscularis ist überall ziemlich dick, doch unregelmässig. Die Submucosa aber war verhältnismässig noch gut erhalten. Die Brunnerschen Drüsen beginnen im Polyrus unvermittelt (Pylorusdrüsen), erreichen knapp hinter demselben ihre grösste aM 2 2, Dd Proximaler Duodenumabschnitt, der Länge nach aufgeschnitten. Verkl. V Magen, Ds Duodenum superius, Dd Duodenum descendens, Py Pylorus, aM akzessorischer Muskel, P, Papilla duodenalis major, P, Papilla duo- denalis minor. Ausbreitung nach der Tiefe, nehmen aber rasch wieder ab, um auf der Höhe des zweiten Wulstes mit einigen isolierten Gruppen ganz zu verschwinden. Sie haben also ein verhältnismässig kurzes (7 cm) Ausdehnungsgebiet. Ob diese Muskelverdickung im Dünndarm als eine konge- nitale Bildung aufzufassen ist, ist unklar. Bekanntlich sprechen sich die meisten Autoren gegen das Vorkommen solcher aus und betonen, dass diese Strikturen immer akzidenteller Natur seien. Diese Frage ist ja speziell hinsichtlich der verschiedenen Kon- trakturen der Magenmuskulatur, Sanduhrmagen, vielfach erörtert worden. Doch hat man sich der Auffassung gegenüber, dass der Sanduhrmagen eine kongenitale Missbildung darstelle, ziemlich E 2 Bücherbesprechung. | 263 ablehnend verhalten. Und in der Tat konnten in sehr vielen der Fälle Vernarbungen, Ulzerationen u. dgl. in der Nachbarschaft der Strikturen als Ursache derselben nachgewiesen werden. Ebenso werden Duodenalstenosen, die ja verhältnismässig selten sind, zumeist durch Kompressionen von aussen her, am häufig- sten durch Karzinom im Pankreas hervorgerufen. Ob dabei eine Hypertrophie der Muskulatur auftritt, ist mir nicht bekannt. Im vorliegende Falle ist es zu einer wirklichen Stenose des Darmes mit klinischen Folgeerscheinungen nicht gekommen, sondern die hypertrophische Muskulatur scheint normal funktioniert zu haben. Aber auch hier liessen sich in der Papilla duodenalis minor, also nur 25 mm vom zweiten Ringmuskel entfernt, pathologische Verhältnisse auffinden, die vielleicht für die Hypertrophie ver- antwortlich zu machen sind. (Hier seien zunächst einige Daten aus dem Sektionsprotokoll eingeschaltet: Odem im Gehirn und Lungen; Hypertrophie und schlaffe Muskulatur des Herzens; Endokarditis; chronische diffuse Nephritis; Pankreas vergrössert, hart.) Der Ductus pancreaticus accessorius ist, wie dies ja nor- maler Weise häufig der Fall ist, obliteriert, aber hier ist das ganze Gebiet der Papille von einer chronischen, interstitiellen Entzündung durchsetzt, die an chronische Lues erinnert. Ein echter Tumor ist nicht vorhanden, doch besteht im Ausführungs- gange eine adenomatöse, papilläre Proliferation des Epithels. Die benachbarte Bauchspeicheldrüse ist nekrotisch. Allerdings fand Grisson (Deutsche med. Woch., 1893) in einem Falle kongenital angelegte Hypertrophie der Pylorusmus- kulatur, in einem zweiten angeborene Stenose des Duodenums bei einem zwei Tage alten Mädchen. Auch Therenin (Deutsche Ztschr. f. Chir., 1877, VIII, 35) berichtet über mehrere Fälle kongenitaler Stenosen des Dünndarmes. Doch wird in diesen allen nichts darüber ausgesagt, ob es nur zu einer Kontraktur der normalen oder zur Anlage einer hypertrophischen Musku- latur kam. Jedesfalls ist der letztere Fall ohne Störung der Darmfunktion ziemlich selten. Bücherbesprechung. Heinrich Marzell, Die Pflanzenwelt der Alpen. Eine Ein- führung in die Kenntnis und die Lebensverhältnisse unserer häufigsten Alpenpflanzen. Mit 5 ein- und mehrfarbigen Tafeln und 16 Textabbildungen. Oktav. 104 Seiten. (Naturwissen- ' schaftliche Wegweiser Serie A. Bd. 7.) Verlag von Strecker und Schröder in Stuttgart. Geheftet Mk. 1’—, geb. Mk. 1.40. Eine leichtverständliche Einführung in die Alpenflora, die bei Berück- sichtigung der wichtigsten Typen insbesonders auf die Biologie und Ökologie 1 264 Verzeichnis. der Alpenpflanzen eingeht, und hiedurch angenehm von ähnlichen Einfüh- rungen absticht. Im grossen ganzen geht das Werkchen auf Schröders Fundamentalwerk, Pflanzenleben der Alpen, zurück. Die Auswahl der Typen ist gut, der Text leichtverständlich, die Abbildungen relativ klar, nur bei den Schwarztafeln viel zu sehr gedrängt und dadurch unübersichtlich. Die Farben- tafeln sind ziemlich gelungen. Einige Irrtümer resp. Missverständlichkeiten können bei einer eventuellen Neuauflage vermieden werden. Im allgemeinen besonders wegen des Eingehens auf die biologischen Verhältnisse der aus- gewählten Typen als „Einführung“ empfehlenswert, A. Pascher. Verzeichnis der volkstümlichen Vorträge des „Lotos“ im Wintersemester 1909 —10. 15. November 1909: Priv.-Doz. Dr. A. Scheller: Die Geschichte und Entwicklung des Fernrohres (Zum 300jährigen Jubi- läum der Entdeckung des Fernrohres). Karolinum, Hörsaal I. 29. November 1909: Prof. Dipl. Ing. A. Birk: Das Flugproblem. (Mit Lichtbildern.) Hörsaal für Eisenbahnbau, II., Smetana- gasse 24, k. k. Schulbücherverlag, 3. Stock. 6. Dezember 1909: Priv.-Doz. Dr. F. Luksch: Die Serum- behandlung der Krankheiten. Hörsaal des patholog.-anatom. Institutes, II., Krankenhausgasse 4. 10. Januar 1910: Prof. Dr. G. Beck v. Managetta und Tiekchenan: Geschichte und Entwicklung der Alpenflora. (Mit Lichtbildern.) Hörsaal für Eisenbahnbau, II., Smetanagasse 24, K. K. Schul- bücherverlag, 3. Stock. 17. Januar 1910: Prof. Dr. S. Oppenheim: Der Halleysche Komet. Karolinum, Hörsaal 1. 31. Januar 1910: Prof. Dr. R. Spitaler: Moderne Erdbeben- forschung. (Mit Lichtbildern.) Hörsaal für Eisenbahnbau, II., Smetanagasse 24, k. k. Schulbücherverlag, 3. Stock. Beginn jedesmal um 7 Uhr abends. Für Mitglieder des „Lotos“ freier Eintritt; für Nichtmit- glieder werden Eintrittskarten zu 1 Krone pro Vortrag abends an der Kasse ausgegeben. Ausserdem haben die Schüler aller Prager deutschen Mittel- schulen gegen Vorweisung ihrer Legitimation freien Eintritt. a rt A a re ee 4 Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘“, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktionsstunden: Samstag 2—3 Uhr, (Priv.- “ Doz. Dr. L. Freund, sonst: II, Taborgasse 48, Tel.-Nr. 3116.) Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonder- abdrücke ihrer Arbeiten, ne t Die neue Apotheke ) } fi Wenzelsplatz 70 neu P R A G Wenzelsplatz 70 neu beim Museum i — wurde eröffnet. Inh. Ph. (Mg. Jaroslau Stöhr, $ f gew. langjähriger Mitarbeiter in der Adamschen Apotheke. ee beim Museum N za m m Eisenmöbel- und Bettwarenfabrik = s u IGNAZ GOTTWALD PRAG, Tepfich- und Vorhang- Warenhaus Graben 2, liefert: Untersuchungstische, Operationstische, Verbandzeug- tische, Irrigateurständer, Instrumentenschränke, Instrumenten- tische, Waschtische, Flaschenständer, Seziertische, Narkose- betten, Extensionsbetten, Betten für Paralytiker, Krankenhausbettenu.Krankenhaus-Einrichtungen. Reich illustrierter Preiskurant gratis und franko. 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In England allein hatte man innerhalb der letzten Zeit bereits die dreihundertste Wiederkehr des Geburtstages von John Milton sowie das Zentennarium des genialen Anglo- amerikaners Allan Poe zu feiern. Man rüstet sich zum Zenten- narium eines der beliebtesten Dichter des Vietorianischen Zeit- alters: Alfred Tennyson’s.. Aber schon jetzt richten sich die Blicke aller nach der bevorstehenden Feier in der altehrwürdigen Universität Cambridge, wo im Juni den Manen Darwin’s von den erlesendsten Vertretern der modernen Kultur in Grossbritannien und im Auslande eine würdige Huldigung dargebracht werden soll. Im alten idyllischen Christ College, wo jetzt ein prächtiges Glas- fenster des hohen Speisesaales die Bilder von Milton und Darwin im roten Talare des College trägt, und in dessen lieblichem Park ein uralter Maulbeerbaum noch heute grünt, den der Sage nach Milton’s eigene Hand gepflanzt, verbrachte ja Charles Darwin mehrere Jahre seiner den Studien der Theologie gewidmeten Jugend und dort legte er auch durch zahlreiche naturwissen- schaftliche Beobachtungen den Grund zu seinem später so über- wältigend umfassenden Wissen aus allen Gebieten der Biologie. Die berühmte Universität von Cambridge ist reich an er- habenen historischen Erinnerungen, welche mit der Geschichte der Naturwissenschaften verknüpft sind. Trinity College war die Stätte des Lehrens und Wirkens von Sir Isaac Newton, dem Entdecker des Gravitationsgesetzes, dessen Arbeiten die Epoche der Aufklärung in England und Frankreich förmlich einleiteten, und dort verbrachte auch Francis Bacon von Verulam, der grosse Philosoph und Begründer der induktiven Methode, seine Jugendzeit. 1) Nachstehender Vortrag war zu einer Festrede anlässlich einer Feier der« hundertsten Wiederkehr des Geburtstages von Ch. Darwin am 12. Fe- bruar 1909 bestimmt gewesen. 21 T en 266 F. Czapek: Die Teilnahme unseres Jahrhunderts gehört jedoch Darwin E mehr als irgend einem anderen grossen Manne, nicht nur in seinem Heimatlande. Dies zeigt das Gepräge unseres heutigen Festabendes, und an hunderten von anderen Orten der ganzen zivilisierten Welt würde man dieselben Beobachtungen sammeln E können. Wollte man das 19. Jahrhundert nach seinen grossen Männern benennen, so wüsste ich niemanden mehr als Goethe und Darwin, die ihrer Zeit den Stempel ihres Geistes am meisten aufgeprägt haben. Bei Goethe ist es ebensowohl die Individualität, sein uni- verselles Künstlertum, dem kaum ein Gebiet verschlossen bleibt, und der einem jeden etwas zu sagen hat, als auch seine Stellung zu seiner Zeitepoche, welche ihn zu der überragenden Stellung für die Kultur des 19. Jahrhunderts emporhebt. Es ist so selten, dass ein Künstler nicht nur durch die von der Zeit unabhängige Künstlerschaft allein wirkt, sondern auch in Verknüpfung mit der Geistesentwicklung der menschlichen Gesamtheit seiner Zeit, wie es einst auch mit Leonardo da Vinci und mit Dürer der Fall war. Bei den Männern der Wissenschaft kann man meist nicht von der Macht der Individualität reden; den Forscher E macht seine Zeit, sie bildet seine Erfolge, er ist, wenn sein Wirken von Erfolg gekrönt ist, der Gipfelpunkt einer oft Jahrhunderte langen Entwicklung. Und so ist es auch mit Charles Darwin. Das laufende Jahr ist gleichzeitig das fünfzigste seit dem Erscheinen seines berühmtesten Werkes: Origin of Species, welches nach 22jähriger Arbeit am 24. November 1859 im Drucke erschien. Wenn Sie mich fragen würden, ob wir in diesem Jahre mehr den 100. Geburtstag Darwins oder den 50. Geburtstag der „Entstehung der Arten“ feiern sollen, so würde ich als Naturforscher den Gedenktag des berühmten Werkes unseres grossen Forschers nennen. Denn das, was wir in Darwın feiern, ist sein Werk: die Vollendung einer langen Entwicklungsperiode der Biologie. Aber nicht nur allein der EntwickInng der Biologie; die Bedeu- tung Darwins und seines Werkes ist für die weitesten Kreise sehr gross. Schlagen Sie eine englische Literaturgeschichte auf, E so finden Sie unter den berühmtesten Namen der Dichter und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, wie Th. Carlyle und R. Brow- ning auch Charles Darwin. Den Verfasser einer literarhisto- rischen Arbeit über die Victorianische Zeit frug ich, warum er auch Darwin in sein Arbeitsgebiet einzuschliessen gedenke. „Ja wie kann ich denn anders,“ war die Antwort, „beherrscht doch der Begriff der Entwicklungsiehre oder der Evolutionismus alle Gebiete der Literatur, Soziologie und Philosophie.“ So ist heute der Tag eines forschenden Rückblickes auf das Zum Gedächtnisse von Charles Darwin. 267 Anbrechen der Blütezeit jener denkwürdigen Epoche in der Ent- wicklung der Wissenschaft von den lebenden Wesen und vom Menschen selbst gekommen, und wir wollen uns in die Zeit des Beginnes des 19. Jahrhunderts zurückdenken, unter deren Ein- fluss Darwin heranwuchs, und welche ihm die ersten Keime seiner grossen Ideen lieferte. Wie es bei historischen Studien so oft geht, so sollten wir auch hier eigentlich mit einer viel früheren Zeitperiode anfangen, da die Naturwissenschaft sich bereits seit sehr langer Zeit den Weg zu bahnen begann, der uns auf die aussichtsreichen Höhen des 20. Jahrhunderts geleitete. Im 18. Jahrhundert steht die Biologie im Zeichen des grossen schwedischen Naturforschers Karl von Linne. Aller Scharf- sinn und Fleiss wurde aufgewendet, um das unermessliche Heer der Formen der Tiere und Pflanzen kennen zu lernen, welche unsere Erde beherbergt. Linn& war für alle Zeiten ein Vorbild, des Diagnostikers. Unter seiner Hand ordnete sich das unent- wirrbare Chaos der Tiere und Pflanzen in leicht zu übersehende Reihen, und wie wir in einem wohlverwalteten botanischen Garten neue Pflanzen ohne Mühe in den Rahmen des Ganzen einzufügen vermögen, so ordnen wir meist ohne Schwierigkeit neu entdeckte Formen in das System des Gewächsreiches ein, welches in seinen Grundlagen von Linn geschaffen, und von Männern wie Jussieu, De Candolle, Endlicher und anderen glücklich ausgebaut worden ist. Die erleichterte Möglichkeit, Uebersicht über die vorhandenen und bekannten Formen zu gewinnen, spornte lebhaft zu neuen systematischen Arbeiten an und so sehen wir um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts die ersten brauchbaren Florenwerke von europäischen ja selbst aussereuropäischen Ländergebieten entstehen. Auf diese Weise lernte man Pflanzen und Tiere aus den verschiedensten Klima-Bezirken der Erde genauer kennen und es war die nächste Aufgabe, die Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umgebung einem gewissenhaften Studium zu ‘unterwerfen. Hier entrollte sich nun eine Reihe der auf- fallendsten Erscheinungen, welche allenthalben klar vor Augen führten, dass die Formverhältnisse und die Lebensverrichtungen der Tiere und der Pflanzen höchst fein harmonisch zu ihrer natürlichen Umgebung abgestimmt sind. Wenn in den Polarge- genden das dichte weisse Haarkleid oder Befiederung der Tiere unverkennbar mit der niedern Temperatur und der Farbe des schnebedeckten Erdbodens in Uebereinstimmung steht, so ist dies nicht weniger in den sandigen trockenen Wüstengebieten der heissen Länder der Fall, wo die gelbbraune Farbe des Felles der Tiere, welche sich so wenig als möglich von der Bodenober- fläche abhebt, die Laubarmut und der Dornenreichtum der Pflanzen dieselbe Harmonie auf den ersten Blick vor Augen führt. 21* 268 F. Czapek: Dem Gebisse eines Säugetieres sieht man unmittelbar an, ob sich das betreffende Tier von Fleisch oder von Pflanzenkost nährt. Einer der allerersten, welche danach trachteten diese merkwür- digen Erscheinungen, welche wir heute mit dem Namen der Anpassung oder Adaption bezeichnen, in den Bereich der Natur- forschung einzubeziehen, war der französische Zoologe Lamarck, dessen berühmt gewordenes Werk „Philosophie Zoologique“* in diesem Jahre der Jubiläen gleichfalls sein Zentennarium feiert. In der Denkrichtung Linnes lagen alle diese Fragestellungen nicht. Linne kam es darauf an zu trennen und zu diagnosti- zieren. Ihm war es deshalb wichtig den Begriff der „Art“ möglichst scharf zu erfassen, dies war ja die Einheit mit der er operierte, Er, als der geborene Analytiker, definierte die „Art“ mit dem Dogma: „Der Arten zählen wir so viele, als verschiedene Formen im Anfange geschaffen worden sind.“ Eine Brücke zwischen zwei Arten existiert für Linne nicht. Die Konsequenz dieser Doktrin führt zu der Schöpfungslehre der Bibel, welche von Linn& voll angenommen wurde. Fasst man mit Linne den Begriff der Art in dieser Weise, so ist man genötigt, die Uebereinstimmung der Lebewesen mit ihrer Umgebung durch die Weisheit ihres Schöpfers zu erklären, und verzichtet damit auf immer eine naturwissenschaftliche Erklärung dieses Verhältnisses zu erringen. Die Auffassung Linn6s ist aber von seinem Standpunkte aus vollkommen korrekt und logisch. Die Sachlage wird jedoch mit einem Schlage anders, wenn man den Boden der Lehre von der Konstanz der Arten . verlässt, und wie wir es in der Tat tun müssen, der Artbegriff für eine Abstraktion erklären, welche nirgends scharf in der Natur realisiert ist. Alle Bemühungen, eine wissenschaftlich scharfe Defi- nition des Artbegriffes zu erlangen, sind bisher fehlgeschlagen. Die einzige Möglichkeit der Definition ist die, welche Linne gewählt hat, mit der Annahme dass für jede Art auch ein ge- ‘trennter Schöpfungsakt verbunden sein muss. Vor hundert Jahren hatte man bereits erkannt, dass die Arten, die Linn6 unterschieden hatte, öfters Zusammenfassungen einer grossen Anzahl von For- men sind, welche zwar nur durch geringe, jedoch sehr scharfe und beständige Unterschiede getrennt sind. Speziell die Botaniker hatten Gelegenheit solche Erfahrun- gen zu machen, und unsere einheimischen Rosen, Brombeeren aus einem wahren Heere von solchen „kleinen Arten“. Diese weniger verschiedenen Arten sind wiederum von den sogenannten Varietäten oft unmöglich zu sondern. Linne wollte als Varietät jede Abweichung betrachtet wissen, welche aus dem Samen der- selben Art hervorgehen kann. Es sollte so die geringe Samen- beständigkeit angedeutet werden. Nun gibt es aber Varietäten, Zum Gedächtnisse von Charles Darwin 269 welche sehr wenig abweichend von den Haupttypen geschieden sind, die jedoch sehr starke Tendenz zur erblichen Uebertragung ihrer abweichenden Merkmale auf die Nachkommen zeigen. Eine ähnliche Verbindungsbrücke existiert ferners zwischen den Varie- täten und Untervarietäten, und wir wissen endlich, dass kein einziges Individuum einer Art aus den beiden Reichen anderen Individuen der gleichen Art in allen Merkmalen so vollkommen gleicht, dass man von absoluter Ununterscheidbarkeit sprechen könnte. Ich kann Ihnen aber auch berichten, dass die Experi- mente, welche vermittelst Kreuzungen und Beeinflussung durch physikalische und chemische Bedingungen eine wissenschaftlich haltbare Bestimmung des Artbegriffes zu erreichen strebten, eben- falls zu dem Ergebnisse kamen, dass es unmöglich ist, den Art- begriff in einer ähnlichen dogmatischen Schärfe aufrecht zu er- halten, wie es seinerzeit von Linn versucht worden ist. Die grossen Schwierigkeiten der scharfen Unterscheidung der Arten war es auch, was Jean Monet Chevalier de la Marque veranlasste, die Axt an das Lehrgebäude der Linn6anischen Bio- logie zu legen und die Lehre von der Beständigkeit der Arten in Frage zu stellen. So kam Lamarck gerade vor 100 Jahren dazu, die Art nicht als etwas -unbeweglich stillstehendes, sondern als einen Zustand in der Entwicklung der Lebewesen anzusehen. Die Keime zu dieser ungeheueren Umwälzung in der Biologie äusserten sich auch bei anderen Forschern jener Zeit. Ein merk- würdiger Zufall der Geschichte ist es, dass Charles Darwins Grossvater, der hochbegabte Dichter und Arzt Erasmus Darwin im Jahre 1794 ganz ähnliche Ideen äusserte wie später unab- _ abhängig von ihm Lamarck. Ausser anderen sind es auch die Namen des hervorragenden französischen Naturphilosophen Isidor Geofiroy Saint-Hilaire und Goethes, die mit ähnlichen Vorstel- lungen über die Bedeutung der Tier- und Pflanzenarten in der Natur verknüpft sind. Wenn nun die Tier- und Pflanzenwelt in einem fortwähren- den Strome der Umänderung begriffen ist, und alle die Formen, die wir heute um uns sehen, in ungeheuer langen Zeiträumen verschwunden sein werden, um anderen Formen Platz zu machen, so müssen wir uns nach der Ursache fragen, welche für die langsam und stetig vor sich gehenden Veränderungen der Arten verantwortlich zu machen ‘sind. Lamarck, der Begründer der Lehre von der Anpassung, war der erste, welcher den Versuch unternahm, diese fundamentale Frage zu beantworten. Er stellte die Lehre auf, dass die äusseren Lebensbedingungen imstande seien, die Organisation der lebenden Wesen direkt zu beeinflussen. Diese Beeinflussung ist aber nach Lamarck auch eine zweck- mässige: die Organismen haben die Eigentümlichkeit, unter der - 270 F. Czapek: Wirkung der äusseren Bedingungen gerade in der Weise sich zu verändern, wie:es den neuen Lebensverhältnissen am besten entspricht. Diejenigen Organe, welche in ihrer Tätigkeit durch die gebotenen Bedingungen am meisten in Anspruch genommen werden, verändern sich so, wie es bei den geänderten Bedingungen am vorteilhaftesten ist. So soll nach Lamarck der lange Hals der Giraffe seine Entstehung der Notwendigkeit verdanken, die Nahrung aus der Höhe der Baumkronen zu nehmen; die Schlan- gen hätten nach unserem Forscher ihren gestreckten Körper durch das Bedürfnis erhalten, sich fortwährend durch enge Spal- ten und Öffnungen hindurch zu zwängen u. s. f£ Wir sehen, dass diese Theorie, welche als Theorie der „direkten Bewirkung* in neuerer Zeit eine Art Auferstehung gefunden hat, voraussetzt, . dass in den Lebenswesen das Vermögen steckt, auf äussere Reize in zweckentsprechender Weise zu antworten. Dies ist aber nichts anderes, als etwas Psychisches in den Organismen anzunehmen, welches selbstschaffend tätig ist. So kommen wir auf den pan- theistischen Kern der Theorie von Lamarck, welcher sich wohl aus Reminiszenzen früherer philosophischer Systeme des 18. Jahr- hunderts verstehen lassen dürfte. Selbstredend schliesst eine solche Auffassung jede exakte weitere Verfolgung des wissen- schaftlichen Tatbestandes ebenso aus wie die von Linne ange- nommene Lehre von der getrennten Schöpfung der Art. Es muss betont werden, dass dies nicht nur von dem ursprünglichen Lamarckismus gilt, sondern auch von den später durch Nägeli und anderen Forschern aufgestellten Theorien über die Erzeu- gung neuer Formen unter dem Einflusse der äusseren Bedin- gungen, Theorien, welche man als neolamarckistische zusammen- zufassen pflegt. Als wissenschaftliches Prinzip lässt sich mithin der Lamarckismus unmöglich in seiner reinen Form annehmen. Es ist sehr charakteristisch, dass sich Darwins Denken von den lamarckistischen Ideen in hohem Grade abgestossen fühlte, wie er sich in einem Briefe aus dem Jahre 1844 an seinen Freund Hooker drastisch äusserte. Doch ist es nur die Erklä- rungsweise, welche Darwin zurückweist. Bezüglich der Schluss- folgerungen Lamarcks muss Darwin bekennen, dass sie von den seinen nicht sehr abweichen. Wir wollen nun sehen, wie Darwin das grosse Problem in Angriff nahm. Charles Darwins Leben bietet wenig des bemerkenswerten. Es besteht aus Arbeit und wieder Arbeit. Seine Briefe, welche den Fortgang seiner Studien so schön erläutern, sind eine reiche Quelle der Belehrung für die Erforscher der Geschichte einer grossen Idee. Darwins stiller Lebenslauf war nur in seiner Jugend durch eine mehrjährige transatlantische Forschungsreise unterbrochen, welche er uns in dem Erstlingswerke aus seiner su ’ u PTe PR Ar An nA N Er Gar Be Ser a er ee FT az 257 = he Zum Gedächtnisse von Charles Darwin. 271 Feder so anziehend geschildert hat. Durch langjährige Kränk- lichkeit gezwungen, sein Leben auf einem stillen Landsitze zu- zubringen, hat Darwin nie an den üblichen öffentlichen Ehren eines Gelehrten teilgenommen. So ist in mehr als 20jähriger Arbeit das grosse Werk über die Entstehung der Arten entstanden. Mit sicherem Griffe be- ginnt Darwin das Studium seines Problems mit der Beobachtung der Entstehung neuer Formen von Tieren und Pflanzen, welches an den wild lebenden Arten bei weitem nicht mit der Ruhe und Genauigkeit vorgenommen werden kann, als an unseren so formenreichen Haustieren und Kulturpflanzen, wo wir oft mit Bestimmtheit wissen, wann und wo gewisse wohl charakterisierte Rassen entstanden sind. Um uns auf einige Gartenzierpflanzen zu beschränken, sei bemerkt, dass die schön blühenden Varietäten unseres Garten- stiefmütterchens sämtlich in den ersten Dezennien des 19. Jahr- hünderts erhalten worden sind. Die Gartengeorgine ist sicher erst nach 1802 in allen ihren prächtigen Formen in den euro- päischen Gärten entstanden, die Hyazinthen seit etwa 300 Jahren. Jahr für Jahr liefern uns die Pflanzen- und Tierzüchter wert- volle neue Varietäten, welche sich erhalten lassen, und eine wirkliche Bereicherung unseres Schatzes an Rassen von Nutz- tieren und Kulturpflanzen darstellen. Hier ist es kein Zweifel, dass die Hand des Züchters es ist, der wir die neuen Formen verdanken, und wir können die Sache einfach dahin ausdrücken, dass die Auslese der dem Züchter passenden Formen die Ernte an neuen Rassen liefert. Diese künstliche Auslese, Zuchtwahl oder Selektion erhält die dem Züchter konvenierenden Formen, und eliminiert die nicht passenden Formen. So ist sie gleichsam das Sieb, welches nur das Passende zurückhält. Damit baben wir zwar eine klare Auffassung über die Ursachen des Erhaltenbleibens der neuen Formen gewonnen, vermögen aber uns noch immer nicht über die Entstehung derselben Rechenschaft zu geben. Darwin findet das Wirksame für die erste Entstehung neuer Formen in den kleinen Abweichungen, welche die einzelnen Individuen einer kultivierten Rasse zeigen, in der Variation, welche er wegen der kontinuierlichen kleinen Schwankungen als fluktuierende Varia- tion bezeichnete. Der Züchter wählt unter den zahlreichen In- dividuen der ihm zur Verfügung stehenden Rasse diejenigen aus, welche das von ihm bevorzugte Merkmal im stärksten Masse aufweisen. Durch die Vererbung wird in einer Reihe von auf- einander folgenden Generationen die Neigung zur Ausbildung dieses bestimmten Merkmales so gesteigert, dass es schliesslich als hervorragendes Charakteristikum der gezüchteten Rasse her- vortritt. au es a 272 F. Czapek: Darwin sammelte mit unermüdlichem Eifer Daten von her- vorragenden Tierzüchtern, um Genaueres über den bei der Züch- tung beobachteten Vorgang zu erfahren, und verfügte so schliess- lich über ein Tatsachenmaterial, welches uns so überwältigend in seinem Buche gegenübertritt. Die Entstehung der neuen Tier- und Pflanzenformen in der freien Natur ist nun für Darwin das genaue Spiegelbild der Vorgänge bei der künstlichen Züchtung im domestizierten Zu- stande. Nur tritt hier an die Stelle der künstlichen Auslese durch den züchtenden Willen des Menschen der Einfluss der Umgebung auf die Tiere und Pflanzen. Hier gibt es demnach eine natürliche Auslese oder natürliche Zuchtwahl durch die von aussen her einwirkenden Lebensbedingungen. Die Macht der klimatischen Einwirkungen, der Einfluss seitens der mitanwe- senden Tiere und Pflanzen ersetzt hier den Willen des Züchters, und vernichtet alles, was nicht dazu geeignet ist, den von aussen her wirkenden Gewalten zu widerstehen. So entspinnt sich der Kampf um das Leben und um das Dasein, zwischen dem den Verhältnissen mehr entsprechenden und dem unzweckmässigen, und es verbleibt nur das von allen den vorhandenen Formen, was stark genug war, sich den gebotenen Verhältnissen zu akko- modieren. Dies das „Überleben des Passendsten“, wie der grosse britische Philosoph Herbert Spencer, dem wir für die Evolutions- lehre sehr viel verdanken, sich so treffend ausgedrückt hat. Wollen Sie bemerken, was für ein ungeheurer Fortschritt in der Darwinschen Formulierung der Erklärung der Anpassungserschei- nungen gegenüber dem Lamarckismus liegt. An Stelle der theo- logischen und metaphysischen Fassung tritt ein rein mechani- scher Faktor, welcher der Naturforschung in allen seinen Teilen zur Untersuchung zugänglich ist, wir sind mit einem Schlage frei von der Notwendigkeit, irgend einen Eirgriff von seiten eines höheren der Naturforschung unzugänglichen Wesens in das Getriebe der organisierten Welt anzunehmen, wie es vor Darwin getan werden musste. Damit war ein unermesslich grosses Gebiet der Naturforschung mit einem Schlage erschlossen. Es ist mir kein Zweifel, dass die Richtigkeit des Prinzipes der Selektion bei der Entstehung der Anpassungserscheinungen und bei der Herausbildung von neuen Tier- und Pflanzenformen über allen Zweifel erhaben ist, und dass wir ohne Anwendung des Selektionsprinzipes in der Lehre von der Entstehung der Arten nicht auskommen können. Selbstverständlich ist es eine andere Frage, wie weit sich die Wirkungsphäre der Auslese als artbildender Faktor erstreckt. Wir wissen, wie ich glaube, heute bestimmt, dass in die Entstehungsgeschichte der Arten noch andere Faktoren als die Selektion, hineinspielen müssen. Ich 23 2A Ara Da ha Balz a ui Zum Gedävhtnisse von Charles Darwin. 273 kann ihnen heute nicht ein vollkommenes Bild von unseren mo- dernen Vorstellungen über die Entstehung der Arten entwerfen. Diese Aufgabe würde selbst in einem kurzen Vortragszyklus kaum zu bewältigen sein. Es genüge hervorzuheben, dass ausser der Selektion eine direkte Beeinflussung der Form durch äussere Reize ausser Frage steht, dass also bis zu einem gewissen Grade der Lamarckismus vollkommen berechtigt ist. Nur spielt bei dieser Eigenschaft auf äussere Reize durch Anderung der Form zu reagieren, wiederum der Einfluss der Selektion hinein, indem sich gerade diejenigen Individuen, bei denen die Möglichkeit am weitgehendsten ist, auf äussere Einwirkungen in entsprechender Weise zu reagieren, am leichtesten im Kampfe um das Leben erhalten. Von einer direkten Bewirkung einer Abänderung durch die von aussen her einwirkenden Einflüsse im Sinne Lamarcks und seiner Nachfolger kann aber wohl kaum die Rede sein. So kann Anpassung nicht hervorgehen. Es ist überhaupt sehr die Frage, ob ganz neue Eigenschaften durch Anpassung an äussere Bedingungen entstehen können. Manche Beobachtungen machen mir eher den Eindruck, als ob die äussere Beeinflussung durch Klima etc. nur eine mehr ordnende, bis zu einem gewissen Grade verstärkende wäre. Ein lehrreiches Beispiel scheint mir diesbezüglich die Herausbildung der Winterruhe unserer Holz- gewächse zu sein. Wenn wir aus unseren mitteleuropäischen Gegenden nach den wärmeren Gegenden des Mittelmeeres kom- men, so scheint es, als ob wir die Breiten verlassen hätten, wo Bäume mit im Winter abfallendem Laube vorkommen. Doch ist die periodische Entlaubung der Bäume durchaus nicht auf unsere kalten Klimate beschränkt. Als ich im Jänner Ostjava bereiste, fand ich weite Strecken der Djati-Wälder vollkommen kahl. Noch mehr trat mir dıese Erscheinung in dem subtropischen Gebirgs- lande von Vorderindien entgegen. Im Himalaya, im Khasyage- birge stehen die Wälder mehrere Monate völlig laublos da, wie in Mitteleuropa. Die niedere Temperatur spielt hier überall keine Rolle, wohl aber die durch mehrere Monate andauernde Trockenperiode. Trockenheit hat also denselben Effekt auf das Zustandekommen einer Ruheperiode wie unser Winter. Aber auch im Äquatorialgürtel der Erde mit seinem immer feuchten und immer gleichmässig warmen Klima fehlt die Erscheinung des Laubfalls nicht völlig. Nur ist dort dieses Phänomen ganz - merkwürdig ungeordnet. An einem und demselben Baume sieht man gleichzeitig ganz kahle neben völlig belaubten Ästen, blatt- lose blühende Äste neben fruchttragenden, und einige Wochen später haben vielleicht andere Äste das entlaubte Stadium ange- treten, während an ihren Nachbarn die Laubentfaltung erfolgt ist. Sie sehen, die Tendenz zur Periodizität ist auch hier da, 22 274 Ä \ F. Ozapek: ohne dass äussere Klimawirkungen dazu beigetragen hätten. Hier ist es vielleicht der periodisch eintretende Mangel an den zur Entfaltung der Blätter und der Blüten notwendigen Vorrats- stoffe, welcher zunächst als Ursache für den Eintritt einer laub- losen Periode in Betracht kommt. Ist aber diese Tendenz ein- mal vorhanden, so ist auch die Befähigung zur Anpassung an Jahreszeiten gegeben, welche zur Vegetation ungünstig »ind. So muss also gleichsam die Veranlagung zur Anpassung schon vor- handen sein, wenn alle die Erscheinungen der Herstellung einer feinen harmonischen Übereinstimmung mit den äusseren Lebens- bedingungen in Form und Funktion in Erscheinung treten sollen. Emsige Forschung der letzten Jahre haben ferner die Variation uns besser kennen gelehrt, und wir sind derzeit über die Ge- setze der Abänderung bereits viel besser orientiert, als es bei Darwin vor 50 Jahren der Fall war. Die Grundfesten der Lehre Darwins stehen aber auch heute, trotz aller Bemühungen dieselben zu kritisieren und zu erschüttern, noch unbeweglich fest, und werden es nach meinem Dafürhalten auch noch unbegrenzt lange Zeit bleiben. Jede Theorie, welche an der Auffassung festhält, dass die heute lebenden Arten der Tier- und Pflanzenwelt durch lang- same Umbildung entstanden sind, hat sich mit der Tatsache ab- zufinden, auf welche Weise es zu erklären ist, dass die Über- gangsforınen zwischen den einzelnen Arten in den meisten Fällen nicht vorhanden sind. Dass solche Übergangsformen, welche jede evolutionistische Theorie annehmen muss, wirklich gebildet werden, beweisen uns einzelne Gattungen unserer einheimischen Pflanzenwelt, wie Rosa, Rubus, Hieracium ohne weiteres. Hier ist es durch die zahlreichen Abstufungen der Speziesunterschiede ‚, sehr schwer gemacht, die Artgrenzen hinreichend scharf zu de- finieren. Warum fehlen aber nun diese Übergangsstufen in so vielen anderen Fällen? Darwin suchte die Seltenheit der Über- gangsformen zunächst zwischen den Arten einer Gattung vor allem durch die geringere Widerstandsfähigkeit der Zwischen- formen sowie durch deren grössere Seltenheit zu erklären. Dazu kommt aber noch, dass nicht in allen Fällen solche. kleine Zwischenformen entstehen müssen, weil Variationen mitunter mit einem Schlage weit verschiedene Formen entstehen lassen können, die mit De Vries als Mutationen bezeichnet werden, oder weil es die Umstände mit sich bringen können, dass die Nachkommen einer Art auf getrennten Territorien unabhängig von einander verschiedene Arten aus sich entstehen lassen. Dies alles bezieht sich jedoch nur auf nahe mit einander ver- wandte Formen. Zwischenformen müssen nach der Entwicklungslehre, aber re ee ee u u 2 ee ee u ee 2 Pi u ’ \ £s De 7 KR PATE Te Ban DE 1 a ee A .e Zum Gedächtnisse von Charles Darwin. NR SLOTE auch zwischen den grösseren Gruppen entweder einmal existiert haben, oder noch existieren. Nun lehrt die Erfahrung, dass die Zwischenformen umso seltener vorkommen, je grösser die Gruppen sind, welche diese Glieder verbinden sollen. So kennt man ziemlich zahlreiche ‚Säugetiere in den Ordnungen der Raubtiere und der Wieder- käuer, die als Zwischenformen zwischen den einzelnen Gattungen und Unterfamilien aufzufassen sind. Säugetiere und Vögel werden aber nur durch zwei merkwürdige auf Australien be- schränkte Zwischenformen verbunden, das Schnabeltier und der Ameisenigel. Wo sind aber nun alle diese Zwischenformen zwi- schen den grossen Gruppen der Tiere und der Pflanzen im Laufe der Entwicklung hingekommen ? Wenn dieselben vor langer Zeit tatsächlich existiert haben, so bleibt zur Feststellung ihres einstmaligen Vorhandenseins kein anderer Weg, als der, die uns fossil erhaltenen Reste von Tieren und Pflanzen auf das Vor- handensein von Übergangsformen hin zu prüfen. In dieser Hin- sicht hat nun, wie schon Darwin erkannte, die Paläontologie den erwünschten Beweis nicht erbracht, und wird denselben auch niemals erbringen können, weil die fossilen Reste uns grössten- teils in einem Erhaltungszustande vorliegen, welcher es nicht gestattet, die uns wichtigen Fragen an denselben zu studieren, _ und weil die meisten Tiere und Pflanzen eine zur Erhaltung ihrer Organe unter den so ungünstigen Bedingungen, wie sie die geologischen Vorgänge und Ablagerungen darbieten, vollkommen ungeeignete Körperkopstitution haben, Wir müssen uns begnügen mit dem Studium von Kalkschalen, schlecht erhaltenen Skelett- resten, halbvermoderten Baumstämmen, kohligen Abdrücken ein- zelner Blätter, ohne Hoffnung, jemals die Gelegenheit zu haben, Tiere und Pflanzen der Vorzeit von zarterer Körperbeschaffenheit - untersuchen zu können. So ist es für immer ausgeschlossen, an der Hand der geologischen Tatsachen eine dokumentarisch be- glaubigte Geschichte der Lebewesen unserer Erde zu gewinnen, _ und wir sind auf wenige Andeutungen angewiesen, welche wir durch gelegentliche Funde erhalten. Immerhin ist es eine un- zweifelhaft festgestellte Tatsache, dass in den ältesten Schichten- - ablagerungen die heutzutage überwiegenden Klassen der Wirbel- tiere und der Blütenpflanzen vollkommen fehlen, während nied- riger organisierte Gruppen, welche in der heute lebenden Fauna - und Flora eine relativ unbedeutende Rolle spielen, prävalieren. So wird die Flora der Steinkohlenzeit vor allem durch farn- _ artige Pflanzen zusammengesetzt, und die gleichzeitig lebende Tierwelt weist, abgesehen von einigen Amphibienformen, von Wirbeltieren nur Fische auf. Die Blütenpflanzen erscheinen ganz _ unvermittelt in zahlreichen, den heute lebenden Formen ähnlichen 2 ea 22* 276 F. Czapek: = ee Vertretern nicht früher als in der Kreidezeit, und die ersten Säuge- tiere traten auf der Erde in der nächst älteren Periode, der Jura- Periode, auf. Im ganzen folgt die Reihenfolge des ersten Auf- tretens der einzelnen Gruppen von Tieren und Pflanzen im Ver- laufe der geologischen Epochen der Erde vollkommen parallel der Skala der Vollkommenheit der Organisation, so dass die Evolutionshypothesen zum mindesten nicht den geringsten Widerspruch durch die paläontologischen Tatsachen erfahren. Wenn auch die so schwer vermissten Zwischenglieder durch die gründliche Vernichtung der leicht zerstörbaren Reste der zu- grunde gegangenen Lebewesen im Laufe der geologischen Ver- änderungen auf der Erde für immer als verloren bezeichnet werden müssen, so mögen unser doch noch immer interessante Befunde in Menge harren, weil erst ein geringer Teil der Erde geologisch und paläontologisch genauer bekannt geworden ist. Dies mag aus dem so wichtigen Funde des holländischen Militär- arztes Dubois in Centraljava ersehen werden, durch welche wir eine höchst merkwürdige Menschenaffenart kennen gelernt haben, welche dem Menschen näher steht als irgend eine heute lebende Affenform. Ich möchte sie sodann noch auf ein sehr merkwürdiges Gesetz hinweisen, welches im Lichte der Darwinischen Abstam- mungslehre ohne weiteres verständlich ist, sonst aber jeder Er- klärung spotten würde. Darwin selbst hat zuerst darauf hinge- wiesen, wie Jugendstadien von Tieren und Pflanzen oft in sehr auffallender Weise niedriger stehenden, noch heute lebenden Klassen bezüglich ihrer Organisation gleichen, und wie selbst eine ganze Reihe von Stadien verschieden hoher Ausbildungs- stufen im Verlaufe der Entwicklungsgeschichte eines Individuums aus höheren Klassen durchlaufen werden, welche lebhaft an die hypothetische Ahnenreihe der betreffenden Art erinnern. So besitzen die Embryonen der Säugetiere und des Men- schen in den ersten Stadien ihrer Entwicklung an Stelle der Wirbelsäule einen eigentümlichen elastischen Strang, die Chorda dorsalis, welche nur bei einem einzigen heute lebenden Wirbel- tier, dem Lanzettfischchen, während des ganzen Lebens verbleibt. Sie besitzen ferner in der Halsgegend Kiemenbögen und Kiemen- spalten, welche sich später noch in manchen Knochengebilden und Ausführungsgängen, wie dem äusseren Gehörgang unkenntlich erhalten. Unverkennbar weisen diese Organisationseigentümlich- keiten der Embryonalstadien auf wasserbewohnende Vorfahren hin. Aber auch Keimlingsstadien von Pflanzen zeigen das in Rede stehende Gesetz mitunter sehr schön. So sind die ersten Blätter, welche ein Keimling ausbildet, in manchen Fällen un- verkennbare Erinnerungen an die Blattgestalt der Ahnenformen Zum Gedächtnisse von Charles Darwin. | 977 dieser Art. Die durch flache blattartige Blattstiele und das Fehlen einer eigentlichen Battspreite ausgezeichneten australi- schen Acacia-Arten haben als Keimlinge normale gefiederte Acaciablätter, woraus man schliessen darf, dass ihre Vorfahren fiederblättrige Formen waren. Der Vorkeim der meisten Farne - hat die Form von kleinen Lebermoosen, und es ist sehr wahr- scheinlich, auch aus anderen Gründen, dass die Farne von leber- moosartigen Vorfahren abstammen. Das besprochene Gesetz wird meist so formuliert, dass man sagt, die Entwicklungsgeschichte des Einzelindividuums ist eine kurzgefasste Wiederholung der Geschichte seiner Abstammung. Da sich der berühmte Jenenser Zoologe Ernst Haeckel um die Erforschung dieser merkwürdigen Verhältnisse besonders verdient gemacht hat, so bezeichnet man auch dieses Gesetz als das biogenetische Grundgesetz von Haeckel. Während in dem Werke über die Entstehung der Arten die Konsequenzen der Darwinschen Abstammungslehre für den Zu- - sammenhang des Menschen selbst mit der Tierreihe nur ange- deutet sind, allerdings in völlig klarer und unmissverständlicher Weise, so zog Darwin in seinem 1871 erschienenen Werke über - die Abstammung des Menschen den ausführlichen vollen Beweis, - dass der Mensch nach seiner ganzen Organisation und nach seiner Vergangenheit sich an die Säugetierreihe eng anschliesst, - und in der Orduung der Primaten oder Hochtiere seine unmittel- baren Verwandten zu erblicken hat. Sie wissen wohl, dass diese Theorie, welche zwingende Be- weise auf allen Gebieten der Anatomie und Physiologie für sich ins Treffen führen kann, ungeheures Aufsehen und grosse Er- regung in der ganzen Welt hervorgerufen hat, und auch heute, nach 50 Jahren, hat sich der Kampf, wie Erscheinungen der letzten Jahre deutlich gezeigt haben, fast in seiner vollen Schärfe erhalten. Dies ist nicht zu wundern. War doch die Theorie von Charles Darwin der zweite grosse und vernichtende Angriff, welcher von der freien Forschung gegen die naive Überlieferung von der Schöpfungslehre, welche wir in der durch mehrtausend- | jährige Tradition und Verehrung geheiligten hebräischen Bibel erhalten haben, und viele tausende sahen durch die kühne Neue- rung ihr heiligstes, ihren Glauben und ihre Hoffnung, auf das tiefste erschüttert und bedroht. Hatten vor 400 Jahren Koper- _ nikus und Kepler die zentrale Stellung der Erde in der Welt Zn ee ) der Planeten und Sterne unwiderbringlich aus unserem Denken durch ihre gewaltige Neuschöpfung der Grundlagen der Astro- nomie verbannt, so war es Darwin, der die zentrale Stellung des Menschen in der lebendigen Natur, welche die alte Über- lieferung der Priesterherrschaft zu einer fast gottähnlichen er- n 2978 2 F. Czapek: hoben hatte, mit einem mächtigen Schlage zerstörte, und uns in die bescheidene Stellung eines hochentwickelten Wirbeltieres verwies. Solche Umwälzungen im geistigen Leben der gesamten Menschheit können nicht ohne Überflutungen auf beiden Seiten des hochgehenden Stromes vorübergehen, bis sich alles dem neuen Wasserstande wieder angepasst hat. Derzeit blicken wir aber bereits auf mehrere Phasen dieser historisch so hoch inter- essanten Entwicklungsperiode menschlicher Geisteskultur zurück. | Der leicht begreifliche Kampf der Vertreter der verschiedenen christlichen Kirchen gegen die neue Auffassung von der Stellung des Menschen in der Natur scheint bemerkenswerterweise be- reits seinen Höhepunkt überschritten zu haben. Noch zu Darwins. Lebzeiten fehlte es nicht an Vertretern des Klerus der Kirche von England, welche ihm ihre Meinung dahin ausdrückten, dass sie keine Unvereinbarkeit der Evolutionshypothese mit dem Glauben an Gott und an die christliche Religion annehmen könnten. Darwin selbst spricht immer von einem Schöpfer der Lebewesen auf der Erde, und er war stets der Überzeugung, dass im Beginne der göttliche Schöpfer eine gewisse Anzahl, wahrscheinlich nur sehr wenige Formen der Lebewesen habe ins Leben treten lassen. Er war also bis zu einem gewissen Grade Anhänger der Schöpfungstheorie, wenn auch die weiteren Konsequenzen des Darwinismus uns gebieterisch auf die Frage der ersten Entstehung der Lebewesen auf der Erde hinweisen. Dies ist jedoch einstweilen ein Gebiet des Denkens, welches wir nicht notwendig mit der Evolutionshypothese in Zusammen- hang bringen müssen. Im 19. Jahrhundert ist allerdings die grosse Frage nach der Überzeugung, dem Zusammenhang der unbelebten Natur mit der lebenden in vollen Fluss gekommen, aber noch ist der Nachfolger Darwins in weiter Ferne, welcher auch diese fundamentale Frage der Naturforschung in sichere Bahnen einlenken würde. Einstweilen müssen wir uns gestehen, dass durch keine einwandfreien Versuche der Beweis geliefert wurde, dass Lebewesen noch so tiefer Organisationsstufe aus leblosen Materialien unter den auf der Erde heute herstellbaren } Bedingungen ihren Ursprung nehmen können. Somit liegt die Frage nach der ersten Entstehung der Tiere und Pflanzen auf unserer Erde völlig im Dunkeln, und es ist für die Wissen- schaft noch irrelevant, ob man einen übernatürlichen Schöpfungs- akt oder eine allmähliche Entstehung aus unbelebten Stoffen für die Bildung der ersten Organismen verantwortlich machen will. Diese gegenwärtig noch für den Fortschritt der Wissen- schaft bestehenden Schwierigkeiten haben es offenbar auch vielen Vertretern der christlichen Konfessionen erleichtert, einen Waffen- stillstand mit der gegnerischen Entwicklungshypothese einzu- Zum Gedächtnisse von Charles Darwin. 979 gehen. Wir sehen seit einer Reihe von Jahren Naturforscher, welche dem Priesterstande der römischen Kirche angehören, die wichtigsten Prinzipien des Darwinismus als unentbehrliche Arbeits- hypothesen, ja als fast unwiderlegliche Tatsachen hinnehmen. Ebenso war es mit strenggläubigen Anhängern der anglikanischen Kirche, was sehr bemerkenswert ist, da es der starke Konser- vatismus der englischen Verhältnisse geradezu ausschliesst, die Bibel als Grundlage religiöser und rein menschlicher Kultur einfach aufzugeben, wovor die Franzosen zum wiederholtenmalen ohne weiteres bereit waren. Gegenwärtig spielen in die Anhän- gerschaft und Gegnerschaft zum Darwinismus im Vergleiche zu den rein kirchlichen Gesichtspunkten auffallend viele politische Motive hinein, wie es bei dem gegen den Monismus Haeckels in Deutschland entbrannten Kriege deutlich sichtbar ist. Der Okkultismus und Neoromantismus, der sich im Laufe der jüngsten Vergangenheit in allen Erscheinungen der Kunst und.des öffentlichen Lebens so auffallend zur Geltung brachte, ist der allgemeinen Aufnahme der darwinistischen Ideen, welche ein klares von Vorurteilen und von einer Vorliebe für gewisse Ideale früherer Zeiten freies Auffassungsvermögen zur Grundlage ver- langen, nicht besonders günstig. Bei uns in Österreich hängt die christlich-soziale Idee un- leugbar mit analogen Bestrebungen zusammen, und so sehen wir die fortschrittsfeindlichen Elemente bezeichnender Weise in dieser rein politischen Strömung unserer Zeit und nicht in den "Repräsentanten der verschiedenen Glaubensbekenntnisse. Inmitten des Kampfeslärmes, welcher infolge der Begrün- dung der Evolutionslehre entstand, sehen wir Darwin als echten Forscher in seinen letzten Lebensjahren hingebungsvoll mit pflanzenbiologischen Arbeiten beschäftigt, welche für die Ent- wicklung der Pflanzenphysiologie sämtlich von grosser Bedeutung waren. Seine Studien über das Bewegungsvermögen der Pflanzen (1881) eröffneten zum erstenmale den Ausblick auf einen Ver- gleich der Reizbewegungen der Pflanzen mit den Reflexbewegungen bei niederen Tieren. Von grösster Wichtigkeit waren die Studien über die Kreuzbefruchtung der Orchideen, über die. merkwürdigen Insek- ten fangenden Gewächse und über die. Kletterpflanzen. Die Zeit gestattet es mir nicht, ihnen einen, wenn auch nur kurzen Blick auf diese mustergültigen Untersuchungen zu gewähren. Am 19. April 1882 schloss Charles Darwin die Augen. — Die Zipfel des Bahrtuches trugen Vertreter der Wissenschaft, des Klerus und des hohen Adels, dadurch bekundend, dass alle Richtungen menschlicher Geisteskultur, getragen von den ver- schiedensten Überlieferungen, einen der grössten Männer Eng- 280 Dr. . Emil Starkenstein: lands, betrauerten. Dieser edle Akt der Duldung selbst wider- streitender Lleen war die Wiederspiegelung von Darwins hoch- sinniger Toleranz selbst. Er ist in seinen letzten Lebensjahren nach seinem eigenen Geständnis niemals ein Atheist gewesen, am ehesten war er geneigt, sich als Agnostiker zu bezeichnen. Nichts stand ihm ferner, als die religiöse Empfindlichkeit an- derer zu verletzen, er hielt die Glaubensüberzeugung des ein- zelnen für eine viel zu wichtige und ernste Sache, als dass sie zum Gegenstande der Erörterung gemacht werden solle. Und so sehen wir den grossen Begründer der modernen Biologie offen seine Unfähigkeit zur endgültigen Entscheidung, wo die Wahrheit ruhe, bekennen, in tiefster Bescheidenheit vor der Frage zurück- treten, ob es dem menschlichen Geiste jemals möglich sein wird, das Rätsel des Daseins durch eigene Forschung zu lösen. Es ist wesentlich Sache des Charakters und des Temperamentes, ob man sich dazu entschliesst, diesen Standpunkt zu teilen. Lassen sie uns mit diesen tiefernsten Gedanken die heu- tige, dem Andenken eines der grössten Naturforscher aller Zeiten geweihten Feier schliessen. Meine Rede möge in die schönen Worte Darwins aus- klingen, welche er dem Fortschritte in Natur und menschlicher Kultur widmet: „Und sowie die natürliche Auslese tätig ist einzig und allein durch das Gute und für das Gute jeglichen lebenden We- sens, so werden alle körperlichen und geistigen Begabungen zum Fortschritt streben, hin nach der Vollendung.“ Die Vivisektion und ihre Gegner. Von Dr. Emil $tarkenstein, Assistent am pharmakologischen Institut der deutschen Universität in Prag. Zu den Faktoren, die bei der Wahl der „Medizin“ als Be- rufsstudium massgebend sind, gehört sicher in erster Linie die physische und psychische Eignung und wohl auch Neigung des Studenten. Krankheit, Tod und Leiche, Sektion und Vivisektion, das sind jene Worte, die in den breitesten Schichten der Be- völkerung rein assoziativ mit dem Begriffe „Medizin“ verbunden sind. Diese Assoziationen kennt auch der Student als Mittel- schüler und erst die Überwindung dieser Klippen, dieser apriori- stischen Vorstellung, befähigt ihn, Medizin als Fakultätsstudium zu wählen. ı) Nach einem in der medizin.-naturwissenschaftl. Abt. der „Lese- u. Redehalle der deutschen Studenten in Prag“ am 31. Oktober 1909 gehalte- nen Vortrag. & \ 7 2 in Die Vivisektion und ihre Gegner. 281 Jus, Philosophie, Theologie, das Studium der technischen Wissenschaften, daran geht die Kritik des Publikums meist vor- über; umso schärfer wird die Medizin von dieser betroffen. Hier wiederum stehen Sektion und Vivisektion im Vordergrunde. Was die Sektion anbelangt, so hat doch wohl die Gefühllosigkeit des Materials das Volk auf den Standpunkt gebracht, „es muss sein“ und so wird mit Grauen, über Tod und Leichen hinweg, die Not- wendigkeit der Sektion anerkannt. Schlechter steht es um die Vivisektion. Hier wendet die Volkskritik ihr Grauen und ihren Abscheu vom Materiale weg dem „gefühllosen“ Mediziner zu, hier kennt diese Kritik kein Zael und schonungslos soll unter ihrem Urteil Medizin und Wissen- schaft zusammenbrechen. Da gibt es nur einen Schrei des Ent- setzens, Mitgefühl und Erbarmen für die armen, gemarterten Tiere, Abscheu und Verachtung für den herzlosen Mediziner. -Und doch ist es nur ein ganz kleiner Teil der Vivisektion, den der Mediziner während des Studiums, teils durch eigene Erfahrung in den praktischen Übungen, teils durch vorgeführte Experimente in den Vorlesungen kennen lernt. Mehr Einblick in die Vivisektion gewinnen diejenigen, die sich in den Instituten mit speziellen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen und die bei Durchführung dieser Arbeiten auf die Vivisektion angewie- sen sind. Was aus diesen Räumen über die Vivisektion berichtet wird, geschieht meist nur in Form der wissenschaftlichen Arbei- ten, dem Publikum gegenüber jedoch stets nur zur Abwehr. Vielleicht ist es gerade diese notwendige Schweigsamkeit, die Anlass dazu gibt, dass die Begriffe über die Vivisektion beim Laienpublikum weit von den richtigen Vorstellungen entfernt sind und geradezu zu grauenhaften Märchen ausgesponnen werden. Die wenigsten dieser Agitatoren, gewiss aber niemand aus der grossen Menge, hat je ein physiologisches Experiment gese- hen, nur sehr wenige suchten durch die verständnislose Lektüre physiologischer Arbeiten hievon eine Vorstellung zu gewinnen. All die Trauer, all die Entrüstung über die von den Medizinern verübten Schandtaten ist wohl nur jenen Kindertränen gleichzu- stellen, die über das Unglück im Märchen vergossen werden: Beides ist durch rege Vorstellung bedingt über Vorgänge, die berichtet und kritiklos als Tatsachen hingenommen werden. Und wer sind die Gewährsmänner für das Volk, jene ge- - nauen „Kenner“ der Vivisektion? Entweder jene, die für ihre Agitationszwecke physiologische Schriften „studieren“ oder ein mutwilliger Scherz eines Studenten oder eines Laboratoriums- dieners oder gar ein Nachbar, der einmal in einem Institute eine Katze miauen oder einen Hund bellen hörte. Nicht zuletzt ist 23 - Bez y 3 er = = 282 Dr. Emil Starkenstein: das Wort Vivisektion selbst schuld an den vorhandenen falschen Vorstellungen, da dieser unglücklich gewählte Ausdruck für das bessere Wort „Tierversuch“ geeignet ist, unrichtige Auffassungen zu veranlassen. So kam infolge falscher und übertriebener Darstellung der Experimente an Tieren, angeregt durch empfindsame aufgeregte Gemüter, nicht durch Vernunft, sondern durch Gefühle geleitet, eine Bewegung zustande, die zur Gründung von Antivivisektions- vereinen führte. Die Hauptepoche der Bewegung liegt mehr als 30 Jahre zurück, viel weiter jedoch die Anfänge der Tierversuche selbst. Die epochalen Arbeiten Harveys, des Entdeckers des Blutkreis- laufes, basieren auf dem Tierexperiment. Dies war zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Nachher verfiel die Physiologie wieder vollständig und erst Albrecht von Haller, der berühmte Arzt und Dichter, brachte die Physiologie und mit ihr das Tierexperiment zu neuer Geltung und zu neuem Ansehen. Von England nahm die Antivivisektionsbewegung ihren Aus- gang. Dort gelang es den Vivisektionsgegnern am 11. August 1876 ein Gesetz durchzubringen, wonach Versuche an Haustieren nur mit ministerieller Genehmigung stattfinden dürfen. Die Be- _ wegung kam bald nach Deutschland und wurde durch eine Reihe von Schriften, voran v. Webers „Folterkammern der Wissenschaft“ (Leip- zig 1879) propagiert, fand aber nur in relativ geringen Kreisen Beifall und Anklang. Anlass zu Erörterungen bot die Bewegung vor allem den Tierschutzvereinen, doch hat die Mehrzahl der Vereine von Deutschland, Frankreich und der Schweiz die Notwendigkeit und Berechtigung der Vivisektion, teils direkt, teils indirekt zugegeben und nur gegen die Missbräuche angekämpft. In Zürich ‘wurde im Jahre 1895 das Verlangen, die Vivisektion im Kanton Zürich zu verbieten, mit 39.476 gegen 17.297 Stimmen abgelehnt. Während der internationale Tierschutzkongress in Budapest 1896 das unbedingte Verbot der Tierversuche forderte, suchte der deutsche Tierschutzverband bei der Regierung nur eine Rege- lung derselben auf den Hochschulen zu erwirken, was ja bereits durch den Erlass des preussischen Kultusministers v. Gossler i. J. 1885 geschehen war. Dieser Erlass enthielt eine Reihe von Bestimmungen, die den Bedürfnissen wissenschaftlichen Tier- versuche vollständig entsprachen, jedoch jeden Missbrauch hintan hielten. Gleichlautende oder ähnliche Bestimmungen sind in sämt- lichen deutschen Staaten, zuletzt in Württemberg 1897 erlassen worden. Nur in England kannte der Fanatismus der Vivisektions- gegner keine Grenzen. Hier wurde die Bewegung stets auf die de 1 ul un a A hr ee Die Vivisektion und ihre Gegner. p 283 Gasse getragen, hier gingen diese Fanatiker so weit, den, wie sie proklamierten, durch die Roheit der Ärzte zugrunde gerich- teten Hunden ein Denkmal zu errichten. Im Batterseapark in London steht dieses Zeugniss „bildender* Kunst, mit der In- schrift: „Dem N. N. und so und sovielen Foxterriers, welche unter dem grausamen Messer der Vivisektoren blieben, wurde dieses Denkmal errichtet.“ — Die letzte Aktion gegen die wissen- schaftlichen Experimente an Tieren erfolgte in Österreich und der „Bund gegen die Vivisektion in Österreich (Sitz Graz)“ ist gegenwärtig eifrig an der Arbeit. Dieser Bund hat es schlau angepackt: er lässt eine „Denkschrift an den hohen Reichsrat zur Regelung der wissenschaftlichen Experimente an lebenden Tieren, nebst Grundzügen eines diesbezüglichen Gesetzentwurfes“ von einer Reihe von Ärzten vorlegen, wohl um den Gegnern einer solchen Vorlage jeden Angriffspunkt zu nehmen mit dem Hin- weise: „Die Arzte wollen es selbst“. Auf den Inhalt dieser Denkschrift und der Gesetzesvorlage kommen wir noch zurück, doch seien hier schon zur Klarlegung dieses Manövers und zur Hintanhaltung von Missverständnissen bei der Bevölkerung eine Reihe von Tatsachen angeführt. Über 16.000 Ärzte hat Österreich und von diesen haben die genannte Denkschrift 381 unterschrieben. Und diese wenigen Arzte gehören zum grossen Teile jener Arzteklasse an, deren Studien in eine Zeit fallen, in der die experimentelle Medizin im besten Falle in den Uranfängen stand. Heute sind ein grosser Teil obiger 381 Ärzte Praktiker, die die Errungenschaften der modernen Medizin als vollendete Tatsache hinnehmen und sich um das „Wie“ recht wenig kümmern. Sie stehen daher dem wissenschaftlichen Tierversuch sowohl aus der Zeit ihrer Studien als auch aus der Zeit ihrer Praxis mehr minder als Laien gegen- über und die Ärzteschaft Österreichs wird diese 381 Ärzte wohl kaum als ihre Vertreter für die Abfassung von Gesetzesvor- schlägen ansehen können. Die Charakterisierung eines Teiles dieser Ärzte besorgt der „Bund gegen die Vivisektion in Österreich“ selbst, dadurch, dass er deren Ausserungen in der Vivisektionsfrage in einer Bro- 'schüre „Es werde Licht“ in tausenden von Exemplaren versen- det. — Und wie urteilen diese Herren Arzte über die Vivisek- tion? Sie bezeichnen sie als: „Tierquälerei, verbrecherische Handlung, Verbrechen ohne Zweck, Grausamkeit, Barbarismus, Unwürdigkeit, Roheit, Bestialität, Scheusslichkeit, Schande u. Ss. w., sie bezeichnen sie als unwissenschaftlich und irrefüh- rend und wünschen jener grossen Zahl von hervorragenden Ge- lehrten, all den vielen vivisezierenden Professoren unserer Uni- versitäten: „diese Folterknechte mögen selbst einmal solchen 23* 284 Dr. Emil Starkenstein: Qualen ausgesetzt werden“ und halten diese alle „als unendlich tief stehend in moralischer Hinsicht“. So urteilen Arzte über ihre einstigen akademischen Lehrer und suchen es nicht hintanzuhalten, dass ihre Ausserungen mit vollem Namen versehen, in alle Welt verschickt werden. Zur Charakterisierung der Tätigkeit des „Bundes“, wie derartige Verzeichnisse von Unterschriften angefertigt werden, mögen folgende Berichtigungen dienen: In Nr. 42 der „Prager medizinischen Wochenschrift“ lesen wir folgende Notiz: Erklärung: Mit meinem Namen wird von Seiten der sogenannten Vivisektionsgegner Missbrauch getrieben. Ich erkläre hiemit entschieden, dass ich nicht bloss diese, gegen die Wissenschaft gerichteten Bestrebungen verdamme, sondern mich vielmehr mit den Anhängern der Vivisektion und der Wissen- schaft vollkommen solidarisch fühle. — Dr. Sandbank, Ma- rienbad. E Wir finden ferner im Verzeichnis der Ärzte, welche die genannte Denkschrift unterschrieben haben und ebenso in der Broschüre des Bundes, den Professor unserer medizinischen Fa- kultät Herrn Regierungsrat Bayer verzeichnet. Seine dort wie- dergegebene Ausserung bezüglich der Vivisektionsfrage deckt sich vollkommen mit der eines jeden Anhängers der Vivisektion; denn auch Professor Bayer hält die Tierversuche für unentbehrlich, wendet sich jedoch gegen jeden Missbrauch derselben und gegen ihre Ausführung von Unberufenen. Er wünscht ferner, dass sie bloss auf wissenschaftliche Institute beschränkt bleiben. Dies alles, nicht mehr und nicht weniger, wird auch jeder Professor einer experimentellen Disziplin in Fragen der Tierexperimente fordern. Umso mehr hat es überrascht, dass sich der Name Pro- fessor Bayers auch unter den genannten 381 Unterschriften be- findet. Ich hatte Gelegenheit gefunden, hierüber mit Herrn Pro- fessor Bayer zu sprechen und erfuhr diesbezüglich von ihm fol- genden Tatbestand: Professor Bayer erhielt im Jahre 1907 den Gesetzentwurf von einem „ärztlichen Komite zur Regelung der Vivisektions- frage“ zur Unterschrift vorgelegt. Er korrigierte den Entwurf nach seinem Ermessen und retournierte ihn. Dessenungeachtet erschien die Gesetzesvorlage in der alten Form, worauf Professor Bayer dem genannten Komit& die oben mitgeteilte Erklärung sandte. Als er sich später im Verzeichnisse der Ärzte fand, die die Denkschrift unterschrieben haben, verlangte er die Strei- chung seines Namens aus derselben, erhielt jedoch die Antwort, dass dies nun nicht mehr gehe. Bemerkenswert ist noch, dass 3 p ; E % » > % . f ? ins 1 a u > ad N N Die Vivisektion und ihre Gegner. 285 plötzlich an Stelle des ärztlichen Komites zur Regelung der Vivisektionsfrage der „Bund gegen die Vivisektion in Österreich“ getreten ist. — So sammelt man Unterschriften! Sapienti sat! Dies ist der Anfang. Wir wollen abwarten, was noch nachfolgen wird. Obwohl dies alles die neu inszenierte Bewegung schon ge- nügend beleuchten dürfte, ist doch immerhin anzunehmen, dass der Umstand „Arzte selbst wollen ein Gesetz gegen die Vivisek- tion“ manchen irreführen und von der richtigen Beurteilung der Tierversuche als wissenschaftliche Hilfsquelle falsche Vorstellun- gen erwecken könnte. i Es sei mir daher gestattet, die Vivisektionsfrage in ihrem vollen Umfange zu erörtern, das „Für und wider den wissen- schaftlichen Tierversuch“ in Erwägung zu ziehen: Die Existenzberechtigung eines Kampfes für oder wider die Vivisektion hängt in erster Linie ab von der Frage: Ist der Tierversuch für die Fortschritte der Medizin notwendig? Betrachten wir zunächst den Grundstock des medizinischen Lehrplanes, auf dem die Ausbildung des Mediziners zum Berufs- arzte basiert. Die erste Aufgabe des Mediziners besteht darin, den Aufbau des menschlichen Körpers kennen zu lernen. Dass gegen die Sektionen am menschlichen Leichnam aus religiösen und anderen Gründen einst ein böser Kampf geführt wurde, erscheint uns wohl heute in demselben Lichte, in dem dereinst der Kampf gegen die Vivisektion beurteilt werden wird. Es scheint uns unglaub- lich, dass sich die berühmtesten Anatomen nur im Geheimen in den Besitz von Menschenleichen setzen konnten, dass sie diese bisweilen in ihrer Wohnung im eigenen Bette verborgen halten mussten, um sie vor der Entdeckung zu bewahren und grossen Strafen zu entgehen. Heute aber ist es wohl unnötig, die grossen Fortschritte in der Medizin hervorzuheben, die diese der Sektion des menschlichen Leichnams verdankt. In erster Linie sind es die operativen Fächer, die daraus Nutzen zogen, dann- aber ebenso die interne Medizin und jeder andere Zweig der gesam- ten Heilkunde. Was also einstens als unnötig und frevelhaft galt, ist heute für den angehenden Mediziner der Anfang seines Wissens: Die Sektion der menschlichen Leiche ist lehrplanmässig und obligat. Bevor der Mediziner jedoch das Wesen der Krankheiten kennen lernt, das eigentliche Ziel seiner Kunst, muss er mit den normalen Lebenserscheinungen vertraut sein, um den Unterschied zwischen gesund und krankhaft genau beurteilen zu können. 986 Dr. Emil Starkenstein: Damit macht ihn die Physiologie vertraut und ihre Hilfswissen- schaft, die physiologische Chemie. Nun folgt die Lehre von den Krankheiten, die Pathologie. Erst wiederum die Propedeutik, die Lehre von den pathologischen Erscheinungen im allgemeinen, die pathologische Physiologie und diese leitet über zur Erkennung und Beurteilung der speziellen Pathologie am Krankenbette. Hand in Hand damit geht die Lehre von der Heilung der Krankheiten, die Therapie und mit ihr als Hilfswissenschaft die Arzneimittellehre oder Pharmakologie. Bei allen praktischen Disziplinen, vom Elementarunterricht ange- fangen, ist der Anschauungsunterricht ein unerlässliches Hilfs- mittel. Es ist einleuchtend, dass man die Medizin nicht aus Büchern erlernen kann, man muss alles gesehen haben, um es zu glauben, um es verstehen, beurteilen und anwenden zu können. i Die Anatomie lernt man an der Leiche, die Erscheinung der Krankheit wird am Patienten selbst demonstriert, doch das Wesen der Lebenserscheinungen am gesunden Organismus und die Veränderungen des kranken, die kann nur der Tierversuch lehren. Hier genügt nicht der blosse Autoritätsglaube, das ju- rare ad verba magistri; der alte Satz: „in der Medizin gibt es keine Autorität“ findet hier vor allem seine Anwendung. Die Erkenntnis dieser Notwendigkeit hat es mit sich gebracht, dass man im Lehrplane der medizinischen Fakultäten allen diesen Lehrgegenständen, die, früher bloss theoretisch behandelt wurden, nun auch praktische Übungen anschloss. Das Wesen des Blut- kreislaufes, die Wirkungsweise der Muskeln, der Einfluss des elektrischen Stromes auf Nerv und Muskeln, die Eigenschaften des Blutes, die Physiologie des Herzschlages, die Bewegung von Magen und Darm u. s. w., alle diese Erscheinungen muss der moderne Mediziner selbst geprüft haben. Tatsächlich hat sich die Einführung dieser praktischen Übungen auch als sehr nutz- bringend erwiesen. Hier also setzt bereits die Notwendigkeit der Tierversuche in ihrer einfachsten Form ein, mit dem Froschversuch. Aller- dings findet hier auch bereits eines jener Gifte Anwendung, das den grössten Angriffen seitens der Vivisektionsgegner ausgesetzt ist: das Kurare. Der menschliche Körper besitzt zwei Hauptarten von Ner- ven; solche, die von irgendeiner Stelle des Körpers aus einen Reiz zum Gehirn leiten und ihn dort zum Bewusstsein bringen: die sensiblen Nerven und solche, die nach erfolgter Reizum- setzung die Ausführung einer Bewegung vermitteln: die motori- schen Nerven. Häufig erfolgt die Umsetzung der Reize, wie wir es von uns selbst wissen, ohne jede seelische Begleiterscheinung Die Vivisektion und ihre Gegner. 9287 als mechanisches Zusammenwirken von sensiblen und motorischen Bahnen und wir sprechen dann von Reflexen. Wir kommen auf diese später noch zurück. Dass nun tatsächlich diese beiden Arten von Nerven be- stehen und dies nicht etwa bloss einer theoretischen Annahme entspricht, lässt sich mit Hilfe des Kurare, einem amerikanischen Pfeilgift, in unzweideutiger Weise an einem Frosch zeigen; denn dieses hebt die Ausführung einer jeden Bewegung auf, lässt aber die Sensibilität vollkommen intakt. Erwähnen möchte ich hier, dass sich der Frosch wieder vollkommen erholen kann, falls die angewandte Dosis nicht zu gross war und er in einem genügend feuchten Raume gehalten wird. Die Erkenntnis der doppelten Nervenleitung hat aber nicht allein theoretisches Interesse, sie ist auch für die Beurteilung einer grossen Reihe von Krankheiten von grosser Wichtig- keit. Und nun kommen wir zu den Krankheiten selbst. Sollen wir eine Krankheit heilen, so müssen wir erst genau wissen, worin die Krankheitserscheinung ihre Ursache hat. Die patholo- gische Anatomie, die Sektion des an einer bestimmten Krankheit verstorbenen Menschen, gibt uns dabei wohl viele Hifsmittel, ‘doch die Krankheitsprozesse, die sich in dem erkrankten Organ abspielen, lassen sich nur schwer am Patienten studieren, über- haupt nicht an der Leiche. Es ist daher für gewisse Krank- heitsbilder von grösster Bedeutung, dass wir sie auf Tiere über- tragen können, um ihr Wesen zu studieren und auch alle jene Methoden, die zu ihrer Heilung dienen. Der Erfolg, beziehungs- weise der Nichterfolg, spricht für diese Behauptung; denn ge- rade für jene Krankheiten, die wir nicht auf Tiere übertragen können, wissen wir keine oder nur unzureichende Heilmethoden, während durch das Experiment bei einer grossen Reihe von Krank- heiten schöne therapeutische Erfolge erzielt wurden. Die Therapie, wie sie der Mediziner am Krankenbette oder in der Vorlesung über Arzneimittellehre hört, kann wohl grösstenteils des Tier- versuches entbehren; sie könnte wohl auch aus Büchern studiert werden. Doch anders sind die Wege, auf denen wir zu neuen Arzneimitteln, zu neuen Heilmitteln gelangen. Das ist die Tätig- keit der wissenschaftlichen Forschung. Hierüber hat seinerzeit bereits Herr Professor Pohl in einem Vortrage zusammenfassend berichtet.) Das Tierexperi- ment bleibt hiefür eine conditio sine qua non, es bleibt. uner- lässlich. Hier teilen sich nun die Wege der Forschung. Man kann wohl auch durch theoretische Überlegungen zu neuen 2) Pohl, Wie gelangen wir zu neuen Arzneimitteln. Sammlg. gemein- nütz. Vorträge. Prag. 288 Dr. Emil Starkenstein: Arzneimitteln gelangen, aber all diese Arzneimittel, die mehr die Krankheitserscheinungen als die Krankheitsursachen beeinflussen, also die symptomatischen Heilmittel, sind meist auch Gifte für den Organismus. Die Dosis eines Arzneimittels muss stets erst erforscht sein, um damit einen therapeutischen Erfolg zu erzielen, da ein Überschreiten dieser Dosis statt der Gegengiftwirkung eine neuerliche Giftwirkung hervorrufen könnte. Ein Mass für diese Art von Heilmitteln in theoretischen Uberlegungen haben wir nicht, eine bestimmte Wirkungsweise lässt sich theoretisch nicht erschliessen, „hier entscheidet“, um einen Satz Prof. Pohls anzuführen, „einzig und allein das Tierexperiment*. Es würde doch wohl niemand ein Arzneimittel erproben wollen, über das wir nicht schon im Tierversuch gewisse Erfahrung gewonnen hätten, die immerhin von orientierender Bedeutung sind, wenn man auch die Resultate nicht ohne Einschränkung auf den Men- schen übertragen kann. Gift und Heilmittel, das sind jene Stoffe, deren Erforschung und Anwendung der Pharmakologie und Toxikologie mit Hilfe des Tierexperimentes vorbehalten bleibt. Hinsichtlich der Bezie- hung von Gift und Heilmittel verweise ich auf die Abhandlung Wiechowskis, die in der Sammlung gemeinnütziger Vorträge er- schienen ist. Haben wir nun mit Hilfe des Tierexperimentes die Wir- kung eines Stoffes festgestellt, so obliegt der wissenschaftlichen Forschung noch die Erörterung des „wie und warum“ dieser Wirkung, und hierin unterscheidet sich die wissenschaftliche For- schung von einer handwerksmässigen Beschäftigung. Nach diesem Ziele geht die Pharmakologie Hand in Hand mit ihrer Schwester- wissenschaft, der medizinischen Chemie. Nicht jeder Versuch hat hier einen praktischen Erfolg, doch die Summe aller dieser Forschungsergebnisse hat die Medizin um zahlreiche und bedeu- tende Erfolge bereichert. Ich erwähne nur die Erforschung des Stoffwechsels, ein Gebiet, das von Laien wohl kaum eine richtige und gebürende Beurteilung erfahren kann. Tatsache ist es, dass hier die anscheinend theoretischesten Ergebnisse die praktischeste Be- deutung erlangt haben und noch erlangen werden. Den Fortschritt, den die Arzneimittellehre gemacht hat, lehrt am besten die Geschichte der Medizin, und sie selbst werden sich wohl darüber durch den Vergleich einiger Proben aus ver- schiedenen Zeitabschnitten der Heilkunde das beste Urteil bilden können. Im 17. Jahrhundert, nach Beendigung des 30jährigen Krie- ges, behandelte man folgendermassen : ?) ) Cardilueius, Ehrenkrone der Arzney, Nürnberg 1674. 2 i 4 r i Die Vivisektion und ihre Gegner. 289 Das Pflaster gegen Wassersucht: Nimm gepulverten Taubenkot, so in Essig gebeitzt worden, ein Pfund, lebendigen Schwefel 6 Loth, Alantwurzel 2 Loth, Bonenmehl 3 Loth, Salpeter 4 Loth, mach alles zu Pulver und Kochs in 12 Loth Attichkraut-Safft, und Wein so viel genug ist, zu einem dicken Brey, thu dazu gantz dickes Ringelkraut-Honig, Hirschen-Unschlitt jedes ein halb Pfund, Terpentin 9 Loth, lass alles untereinander zergehen und rühre folgende Stück gepulvert drein, als blaue Lilienwurtz 2 Loth, Lorbeeren 3 Loth, Dillsamen, Camillenblumen jedes 2 Loth, lass es noch eine Weile zusammen kochen, bis es die rechte Consistenz eines Pflasters oder Aufschlags bat: — Tugend und Würckung. Dieses Pflaster ist nach (der vielfältigen Experientz derer berühmten Medicorum Bellocatti- und Mon- tani ein vortreffliches Mittel zu dem dick-geschwollenen Bauch in der Wasser- sucht, darauf continuierlich getragen, bis sich das Wasser und Geschwulst verzehret.- Ungefähr 150 Jahre später hatte man von den Eigen- schaften der Blutzelle folgende Vorstellung :*) Vergleichen wir nun die vollkommenste bewegte Zelle der höheren Tiere, die Blutzelle mit der Erde, so ergibt sich die Ähnlichkeit auffallend. So denn: Ist die Erde rund und an den Polen Die Blutzelle des Menschen ist rund abgeplattet und an den Seiten abgeplattet. Die Erde hat einen Kern (sie selbst) Die Blutzelle hat einen Kern und und eine kontrahierte Hülle (Dunst- eine kontrahierte Hülle, kreis) Die Erde dreht sich um ihre Axe Die Blutzelle dreht sich um ihre Axe (bei höheren Tieren). Die Erde wird durch die Sonne ge- Die Blutzelle wird das durch das zügelt und höher potenziert etc, Nervensystem etc. Wenn wir denn nun eine so grosse Ähnlichkeit zwischen beiden sehen, so dürfen wir wohl auch den Schluss wagen, dass alle Eigenschaften, welche der Blutzelle zukommen, so auch der Erde zustehen müssen, — Wie man noch in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Arzneiwirkung beschrieb, lehrt folgendes Beispiel aus Sobernheims Handbuch der praktischen Arzneimittellehre, (1836) das die Basis des Unterrichts in der Pharmakologie in Deutscland war, der Ratgeber für Anfänger und erfahrene Praktiker. °) Kali sulphuratum. Durch die Verbindung mit der kalischen Grund- lage wird die Wirkung des Schwefels wesentlich modifiziert; denn einerseits die ihm zukommenden Eigenschaften, zumal die spezifischen, in Beziehung auf das Venensystem, das Hautorgan, sowie die secretionsbefördernden im Bereiche der Schleimhaut der Darm- und Respirationsorgane behauptend, erhält dieses Präparat anderseits durch den Zutritt des Kali eine weit grössere auflösende Kraft im Allgemeinen und eine besondere Beziehung zum lymphatischen und Drüsensystem,. Das Kali steht in seiner auflösenden Wirkung dem Mercur sehr nahe, es drängt gleich diesem die fortbildende Tätigkeit zurück, erhebt den Verflüssigungsprozess auf Kosten des as«imi- lativen, eine Wirkung, die von den Chylifications- und Sanguificationspro- dukten ausgehend, denen mit Zurückdrängung, Zerstörung der plastischen Elemente ein vorwiegend seröser Charakter aufgedrückt wird, bis in die 4) Aus H. Horns Darstellung des Schleimfiebers. eit. nach Wunderlich, Geschichte der Medizin 1859, Belege p. 89, - 5) Ebenda pag. 90, - 290 Dr. Emil Starkenstein :. allgemeine Blutmasse durch ihre auflösenden, die serösen Bestandteile auf Kosten der cruor- und fasersteffhaltigen egoistisch hervorhebenden, desshalb auch verflüssigenden Eigenschaften sich Schritt vor Schritt fortsetzt und in der vollendeten tierischen Metamorphose mit der Auflockerung des Organisch- Materiellen, Fluidisierung und Schmelzung der By Krystallisation endet etc.* So geht es durch das ganze Buch. Es liesse sich dieser Abschnitt medizinischer Tätigkeit wohl am besten auch als Schwulst- und Bombastperiode be- zeichnen. Erst mit dem Aufschwung der Physiologie und pathologi- schen Anatomie, mit der allgemeineren Einführung des Tier- experiments als Forschungs- und Lehrmethode beginnt die moderne Pharmakologie. Der jüngste Forschungszweig der Medizin ist die Bakterio- _ logie und Serologie. Die Vorstellung, dass ansteckende Krankheiten durch kleinste, im Organismus schmarotzende Lebewesen erzeugt werden, findet sich schon bei römischen Arzten; doch gewann die Lehre vom contagium vivum erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts festen Boden. Mit Hilfe der verbesserten Mikroskope gelang es erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Bakterien als spezifische Krankheitserreger zu entdecken. Die grössten Fortschritte machte die Bakteriologie in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhun- derts, in welche Zeit die Entdeckung der Erreger der Diphtherie, der Cholera, der Tuberkulose ete. fällt. Doch hätte man niemals diese Bazillen als die Erreger der genannten Krankheiten ange- gesehen, wenn es nicht gelungen wäre, durch sie die Krankheit auf Tiere zu übertragen. Wiederum war der Tierversuch das einzig ausschlaggebende. Doch war mit der Entdeckung dieser Tatsache noch nichts für die Heilung selbst getan; es war erst der Anfang einer neuen Epoche gekommen: Die Therapie der Krankheiten, vor allem der Infektionskrankheiten, war in ein neues Stadium ge- treten. Wir haben schon erwähnt, dass bisher ‘alle Heilmethoden symptomatisch waren. Man hat wohl seit jeher versucht, auch die Ursache der Krankheit selbst zu bekämpfen, doch konnten alle diese Versuche infolge der absoluten Unkenntnis der Krank- heitsursachen auf kein bestimmtes Ziel hinsteuern. Was gefunden wurde und tatsächlich die Krankheitsursache heilte, gehörte dem Zufall an: Quecksilber und Chinin. Nach Entdeckung der Bakterien versuchte man nun auch Mittel in Anwendung zu bringen, welche diese Krankheitserreger abtöten sollten, doch erwies sich dies als unzweckmässig, da es sich herausstellte, dass diese Stoffe meist für die Körperzelle Sc Se ei ss selig N y Die Vivisektion und ihre Gegner. 291 selbst Giftwirkungen hervorriefen. Die Bakterien waren eben widerstandsfähiger, als die Zellen des Körpers selbst. Seitdem man jedoch entdeckt hat, dass das Krankheitsgift nicht die Bak-, terien selbst sind, sondern ihre Stoffwechselprodukte, die Toxine, geht nun das Bestreben dahin, diese Toxine durch Gegengift zu beeinflussen. Diese Gegengifte oder Antitoxine erzeugt der Körper selbst, denn wir wissen ja, dass nach dem Überstehen einer Krankheit der betreffende Organismus für dieselbe nicht mehr oder in viel geringerem Grade empfänglich ist: Der Körper ist immun. Behandelt man nun Tiere mit den Giften dieser Bakterien in einer bestimmten Weise, so gelingt es, im Blute dieser Tiere solche Gegengifte oder Antitoxine zu erzeugen, die für die The- rapie dieser Krankheiten ein äusserst wertvolles Heilmittel dar- stellen. Wir finden diese Antitoxine im Blutserum der betreffenden Tiere und man hat daher diese neue Heilmethode als Serum- therapie bezeichnet. Damit gelangte die Medizin zu einer ätiologischen Heil- methode, wir bekämpfen die Krankheitsursache, ohne dem Körper eine neue Krankheit zuzufügen. Dieses letztere Prinzip waltet bei der Schutzimpfung vor, wo die durch den Tierkörper abge- schwächten Infektionserreger eine leicht heilende Krankheit setzen, "dabei den Organismus aber gegen diese Kraukheit immunisieren. Alle diese schönen und grossen Errungenschaften basieren, wie wir gesehen haben, auf dem Tierversuch. Diejenigen Bestrebungen, die sich die Medizin als stetes Ziel gesetzt hat, das Endziel ihrer Forschung, ist die Vollendung der Kunst, Krankheiten zu heilen. Und diese einzige, grosse Anforderung stellt jeder Mensch an die Heilkunst. „Die Chirurgie hat es weit gebracht“, so urteilt jeder Laie, doch alle Erfolge verdankt die Chirurgie in erster Linie der Antisepsis und der Asepsis, die wiederum auf unzähligen Tier- versuchen basieren. „Ovariotomie ist Mord“, ist der Ausspruch eines berühmten Engänders und tatsächlich war auch zu jenen Zeiten eine jede Laparatomie, eine Operation mit Eröffnung der Leibeshöhle, ein Eingriff auf Leben und Tod. Doch gerade der Schwiegersohn dieses Engländers, der berühmte Lord Lister, der Entdecker der Antisepsis, führte hinter- einander 100 Laparatomien mit bestem Erfolge aus. Die chirurgische Methodik selbst kann aber auch nicht bei menschlichen Operationen angewendet werden, ehe sie im Tier- versuch genügend erprobt wurde. Von den berühmten Operationen Billrots, die seither wohl Unzähligen das Leben gerettet haben, sagt Billrot selbst in seinen 299 Dr. Emil Starkenstein: Briefen, dass er sie erst an vielen Tieren erprobte, ehe er zur ersten Operation beim Menschen schritt. Die deutlichsten Erfolge aber, die unsere neuen, auf dem Tierversuch basierenden Heilmethoden aufzuweisen haben, lehrt bloss dıe Statistik: Die Diphtheritis galt bis zum Beginne der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als die gefürchteteste Kinderkrankheit. In Leipzig starben an gewöhnlicher Diphtherie durchschnitt- lich 53°47°/,, an maligner fast alle. Mit Kehlkopfkrup 72'01°),. Mit Hilfe der Serumtherapie gelang es, die Zahl der Sterb- lichkeit an gewöhnlicher Diphtherie auf 10'7°%, herabzusetzen, die mit Kehlkopfkrup auf 38°6°%,. > Jene gefürchteten schweren Fälle von Halsbräune, von denen uns unsere Eltern noch viel zu erzählen wissen, sind eine Seltenheit geworden. Dass die Schutzpockenimpfung die grossen verheerenden Seuchen der früheren Jahrhunderte ganz zum Verschwinden brachte, ist hinlänglich bekannt. In Frankreich starben im 18. Jahrhundert an Variola (Blattern) 30.000, in Preussen im Jahre 1796 von 7,000.000 Menschen 26.646. In Berlin kam in dem- selben Jahre '/, der gesamten Sterblichkeit auf Blattern. Heute gehören Blatternfälle zu den seltensten Erkrankungen. Es erscheint ganz unglaubwürdig, dass es Leute geben kann, die derartige klarliegende, mit Zahlen belegte Tatsachen zu widerlegen suchen, wofür gewiss jeder Anhaltspunkt fehlt. Weitere Erfolge der Tierversuche beweisen die statisti- schen Angaben über das Vorkommen der Augenfinnen und der Trichinose vor und nach deren Entdeckung durch das Tierexperi- ment: Der Berliner Augenarzt Hirschfeld beobachtete in der Zeit von 1869—1885 unter 60.000 Augenkranken 70, von 1886 bis 1892, d. h. nach Ergreifung gesetzlicher Schutzmassregeln gegen die Cysticercosis bei 46.000 Augenkranken bloss zwei Fälle von Augenfinnen. Die Zahl der Finnenbefunde im Gehirn mit der Gesamtzahl aller untersuchten Gehirne verglichen hat nach Virchow seit Ein- führung der auf die Ausrottung der Taenien hinzielenden Bestre- bungen ihr Verhältnis von 1:31 auf 1:280 vermindert. Zenker, Leukart und Virchow haben durch Verfütterung trichinenhaltigen Fleisches 1859 die Metamorphose der Trichine im Muskel festgestellt. Während um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Tri- chinose beim Menschen endemisch auftrat und hunderte von Krankheitsfällen erzeugen konnte (Hettstädt 1863 500 Erkran- kungen und 129 Todesfälle) ist seither durch die auf den Tier- versuch basierende Einführung gesetzlicher Schutzmassregeln die Der, Die Vivisektion und ihre Gegner. 993 Trichine als vereinzelter zufälliger Befund beim Menschen wie beim Tiere aufzufassen. Heute ist die Trichine in Deutschland ein so seltener Befund geworden, dass das Auffinden eines ein- zigen Falles von Trichinen in dem zum menschlichen Konsum verwendeten Fleische dem Staate 100.000 Mark kostet, so dass darauf bezügliche Gesetzesvorschläge der grossen Kosten wegen bereits vorliegen. Schliesslich sei erwähnt, dass aus den Forschungsergeb- nissen der modernen experimentellen Medizin die Tierwelt selbst grossen Nutzen zog: Das Immunisierungsverfahren gegen Schweine- rotlauf und Geflügelpest, die diagnostische Impfung gegen den Rotz der Pferde und die Tuberkulose der Rinder sind Erfolge, die wir gleichfalls dem Tierversuch verdanken. Die diagnostische Impfung gegen Tuberkulose hat beispielsweise im Staate Dänemark die Herabsetzung der Tuberkulose seines gesamten Rindvieh- standes durch das Verfahren von Bang in einem Dezennium er- möglicht, was man bei dem Umstand, dass das Nationalvermögen dieses Staates über Y, in seinem Viehstand liegt, hoch genug anzuschlagen haben wird. Was hinsichtlich der neuen ätiologischen Heilmethode zu den schönsten Erwartungen berechtigt, das ist das Bewusstsein und die Erkenntnis, dass wir erst zu Beginn dieser Epoche stehen; doch schon die jetzigen Errungenschaften berechtigen zu dem Schlusse, dass uns diese neue Methodik die weitgehendsten therapeutischen Erfolge sichern wird, die sich schliesslich nicht bloss auf die Infektionskrankheiten, sondern auf das Gesamtgebiet der Heilkunst erstrecken werden. Grosse Erfolge bleiben noch der Zukunft vorbehalten, eins aber lehrt uns schon die Gegenwart: Der Tierversuch ist für den Fortschritt der Medizin notwendig, ja unerlässlich. So ist nun diese erste Vorbedingung für das Bestehen einer Vivisektionsfrage erledigt. Allerdings bleibt sie damit nur für jene eine Frage, welche alle die genanuten Tatsachen — nicht vorurteilsfrei — leugnen. Für alle jene aber, welche die wissen- schaftlıche Medizin, ihre Ziele und Erfolge in objektiver Weise beurteilen, steht die Notwendigkeit der Tierversuche ausser jeder Frage. Nun wie geht es eigentlich bei einem solchen Tierversuche zu? Ein der Sache Fernstehender, der die Berichte der Vivi- sektionsgegner liest, wird vermuten, wie in einem Schlachthaus. Da steht der Vivisektor vor seinem Opfer, er schneidet, sticht - „und brennt. — Gewiss nur so darf man schildern, wenn es gilt, eine grosse Volksmenge aufzuhetzen. Glücklicher Weise entspricht das nirgends den Tatsachen. Vor allem ist, wie bereits erwähnt, das Wort Vivisektion selbst ein unglücklich gewählter Ausdruck: 994 Dr. Emil Starkenstein: Vivisektion heisst die Zerstückelung des lebenden Körpers, was in Wirklichkeit niemals geschieht. Die Tierversuche bestehen in der Regel entweder in der Operation eines bestimmten Organes oder in der Injektion oder Verfütterung einer Substanz, deren Wirkung auf den Körper beobachtet wird. Diese letztere Art des Tierversuches ist auch die bei weitem häufigere. Ein Tierversuch ist nicht als blindes Herumtasten anzusehen; er entspricht einer logischen Gedankenoperation, die auf einer bestimmten Zahl von Erkenntnissen basiert. Die theoretische Annahme kann eben nur durch das Experiment bestätigt oder widerlegt werden. — Kein Versuch, bei dem es die Art der Untersuchung gestattet, wird ohne Narkose ausgeführt. Selbstverständlich ist es wiederum bei allen toxikologischen Versuchen unmöglich; denn hier handelt es sich darum, die Giftwirkung eines Körpers zu studieren, even- tuell ein Gegengift für diesen zu finden. Nun aber hat die Er- fahrung gelehrt, dass gerade die zu den Narkosen verwendbaren Stoffe für eine ganze Reihe von Giften Gegengifte darstellen; ihre Prüfung muss daher jede Narkose ausschliessen. Nicht unerwähnt möge hier bleiben, dass es den neuesten Forschungen gelungen ist, mit überlebenden Organen zu arbeiten und so wenigstens teilweise der Vivisektion zu entbehren. Wir sind heute bereits imstande, ein aus dem toten Körper heraus- geschnittenes Herz zum Schlagen zu bringen und daran unsere Studien zu machen. Wir sind ferner imstande Tierorgane derart zu konservieren, dass wir mit ihnen in der Eprouvette gewisse Vorgänge im Tierkörper nachmachen und nachprüfen können. In der Regel wird dies aber nie bei jenen physiologischen Experi- menten möglich sein, die die Erforschung von Nerv- und Sinnes- tätigkeit zum Ziele haben. ; + Für alle jene, die der Vivisektion unbedingt ablehnend gegenüberstehen, wie auch für diejenigen, die ihre Notwendigkeit anerkennen, bleibt noch die Erörterung übrig über das Empfindungs- vermögen der Tiere, sowie die Beziehung der Vivisektionsfrage zur sozialen Frage. Vielleicht kann diese Darlegung bei manchem dazu bei- tragen, falsche Vorstellungen und falsches Mitgefühl in richtige Bahnen zu lenken. * Der ganze Kampf, hier für — dort gegen den Tierversuch, ist in gewissem Sinne eine Empfindungsfrage, keine Vernunft- frage und in Empfindungsfragen ist keine Beweisführung möglich, weder positiv noch negativ. Folgen von derartigen Empfiudungs- fragen sind die blinde Gefolgschaft der nicht urteilenden Masse, sie äusserte sich in den Religionskriegen im Grossen, sie äussert u EP EEE = BE Zn Sue EZ ll Du u DE an NZ nl ann Du Da ä l al A a ra et aaa ul Al ul dt u Pa ED ul u Abd an En U sn PT Pu, N Die Vivisektion und ihre Gegner. 295 sich eben jetzt bei einem in Berlin geführten Prozess gegen den „Lehmpastor“. Dieser hatte eine Reihe seiner Patienten mit Lehm kuriert, derart, dass er ihnen den Mund mit Lehm ver- schloss oder bei Rippenfisteln Lehm in die Brusthöhle stopfte etc. Eingestandenermassen und durch die massgebendste wissenschaft- liche Zeugenaussage belegt, hatte dieser Pastor selbst Todesfälle am Gewissen!! Als er aber nach der Verhandlung das Gerichts- gebäude verliess, wurde er von der wartenden Volksmenge mit stürmischen Hochrufen empfangen. So weit geht der Herdentrieb der Masse. Für ihre Empfindungssachen gibt es keinen über- zeugenden Beweis. Wir sind nicht imstande, Empfindungen anderer Menschen in vollem Umfange zu erfassen. Beispielsweise ist die dem einen peinlich erscheinende Musik einer Drehorgel oder eines Grammo- phons vielen anderen angenehm, Alkoholgenuss, Rauchen sind dem einen unentbehrlich, dem andern zuwider. Wie könnten wir da die Empfindung der Tiere vollauf verstehen wollen? Diese Unter- schiede der Empfindungen finden wir aber beim Tiere selbst wieder deutlich ausgesprochen. Die rote Farbe, die den meisten Tieren gleichgiltig ist, reizt den Stier zu den heftigsten Erre- gungen. Ebenso verhält sich der Truthahn beim Anhören heller Töne. Der Satz „Quäle nicht ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz“ ist daher a priori ebenso unrichtig, wie das Negieren einer jeden tierischen Schmerzempfindung. Die Vertreter zweierlei Richtungen urteilen hier über. die Empfindung eines Tieres, zwei Richtungen, deren Empfindungs- leben einander wieder vollständig fremd gegenüberstehen. Be- stimmte Lebensanschauungen haben sich in dieser Frage ausge- bildet, die diametral geartet sind, und so wird wohl auch diesbezüglich gegenseitige Verständnislosigkeit stets bestehen bleiben. Bei Besprechung einer derartigen Frage wird es sich daher doch nur um Feststellung der eigenen Anschauungen handeln können, nicht in der Absicht, den Gegner zu bekehren, wohl aber um dem objektiv Urteilenden Gelegenheit zu bieten, nach Massgabe des vorhandenen Tatsachenmaterials von zwei An- schauungen die richtige zu wählen. Nun liegt aber in der Entwicklung derartiger Anschauungen ‚ein grosser Unterschied. Man kann das Empfindungsvermögen eines Tieres nach blossem Gefühl beurteilen, man kann aber anderseits durch eingehende vergleichende Studien zu bestimmten wohl begründeten Urteilen gelangen, die den subjektiven Gefühlen gegenüber den grossen Vorzug der Objektivität besitzen. (Schluss folgt.) 296 F. Czapek: EEE Physiologie und Morphologie. Von Friedrich Czapek. (Antrittsvorlesung, gehalten bei der Übernahme der pflanzenphy- siologischen Lehrkanzel an der Deutschen Universität in Prag, am 25. Oktober 1909.) Franz Unger war in Ö-terreich der Erste, welcher auf eine eingehende Pflege der Pflanzenphysiologie an den Univer- sitäten drang, und eine Scheidung von zwei verschiedenen Lehr- und Forschungsgebieten in der Botanik für notwendig erachtete. Sein Nachfolger Julius Wiesner bestand darauf, dass sein Lehr- gebiet an der Universität Wien auf die Anatomie und Physio- logie der Pflanzen beschränkt werde, und die systematische Bo- tanik einschliesslich der Direktion des Botanischen Gartens eine weitere ordentliche Professur an der Universität bilden solle. Dies ist eine wichtige Etappe in der Geschichte unserer Wissen- schaft in Österreich (1873). | An den medizinischen Fakultäten war die Trennung der Physiologie von der Anatomie des Menschen längst in Lehre und Forschung durchgeführt worden. In der Botanik verstand man zu Ungers Zeit unter Anatomie der Pflanzen nur die mikrosko- pische Anatomie der Gewächse, also das, was die Zoologen und Mediziner jetzt allgemein als Histologie bezeichnen. Es ist dies ein rein morphologischer Forschungsdistrikt, welcher mit der Physiologie nicht ganz mit Recht einseitig verbunden worden war. Heute würde man die Histologie der Pflanzen zeitgemässer dem Gebiete der morphologischen und systematischen Botanik zuteilen, wenn sie auch der Physiologe als Hilfswissenschaft überaus nötig hat. Die Biologie kann nach ihrem modernen Stande nur in zwei Richtungen gespalten werden, in Morphologie und Physiologie. Die Motive dieser Teilung sind sehr tiefliegende und auf for- schungspsychologische Erscheinungen zurückgreifend. Man könnte auch die Morphologie als betrachtende und vergleichende, die Physiologie aber als analytische und experimentelle Biologie bezeichnen. Damit sind diese beiden Richtungen viel besser gekennzeichnet, als wenn man die landläufigen Definitionen der Morphologie als Lehre von der Gestaltung, und der Physio- logie als Lehre von den Lebenserscheinungen der Organismen anwendet. Die beiden Richtungen in der Biologie liegen tief begründet in der Art des Talentes und in den psychologischen Anlagen des Forschers. Wenn auch die meisten Biologen eine Veranlagung sowohl für die komparative als für die experimentelle Richtung besitzen, so zeigt sich doch in manchen Fällen eine so hoch- ; . : 3 na $; Ei, g = vw N & "r 2 4 >, e 2 a Physiologie und Morphologie. 297 gradig einseitige Begabung für eine der beiden genannten Rich- tungen, dass sie mit gänzlicher Verständnislosigkeit für die andere biologische Richtung gepaart ist. Es ist dies ein sehr interessantes Kapitel aus der „Naturgeschichte des Forschers“. Charakteristisch für das Vorgehen der experimentell-ana- lytischen Forschung in der Physiologie ist die Ahnlichkeit mit dem Vorgehen des Chemikers bei der Untersuchung seiner Ob- jekte. Der vorliegende Gegenstand wird in möglichst vielen che- mischen und physikalischen Eigenschaften eingehend geprüft, und es werden die Veränderungen, die er erleidet, in ihrer zeitlichen Schnelligkeit festgestellt. Der Tierphysiologe findet so wie der Physiker bei seinen Objekten ein weites Feld in der Beobach- tung von zeitlich leicht bestimmbaren Veränderungen. Der Pflanzen- physiologe muss hingegen mehr wie der Chemiker arbeiten, da sich seine Objekte gewöhnlich nur unmerklich langsam wäh- rend der kurzen Zeit der physiologischen Beobachtung ändern. Es müssen durch absichtliche Eingriffe, durch Herstellungen be- sonderer Bedingungen erst solche Zustandsänderungen erzielt werden, welche Zeitmessung gestatten. Diese experimentell fest- gestellten Eigenschaften, die man Vorgänge bezeichnen kann, können mit Ostwald als Vorgangseigenschaften unterschieden werden von den Zustandseigenschaften, welche ohne experimen- tellen Eingriff festzustellen sind. Man könnte einwenden, dass auch der Morphologe analy- tische Forschung treibt, weil er seine Objekte zergliedert. Diese Zergliederung, wie etwa die Präparation des Nervensystems eines Tieres, bis in die feinsten Nervenendigungen, ist aber nie Selbst- zweck, sondern gipfelt stets in einem neuen Vergleich des ana- lysierten Objektes mit artverschiedenen anderweitigen Objecten, Daher ist der Morphologe niemals ein richtiger Analytiker wie der Physiologe, welcher die Auflösung einer Lebenserscheinung in ihre Teilprozesse als Selbstzweck der Arbeit ausführt. Von den beiden Faktoren, welche unser Erkenntnisvermögen beherrschen, dem Raumfaktor und dem Zeitfaktor, hat der letztere für den Physiologen sowie für den Chemiker und Physiker eine ungleich grössere Bedeutung als für den Morphologen. Der Bau der Organismen ändert sich ja so ausserordentlich langsam mit dem Fortgange der Individualentwicklung, dass es unmöglich ist, diese Veränderungen mit Hilfe der direkten Beobachtung zu kon- trollieren. Noch viel schwieriger stand es mit der Feststellung von Gestaltveränderungen der Organismen im Laufe ungezählter auf einanderfolgender Einzelgenerationen, so dass es vieler Jahr- hunderte der Forschung bedurfte, ehe man an der Hand Darwins den Faktor der Zeit auch in die Morphologie einführen konnte. Es sind dies sämtlich langzeitige, sogenannte epochale Verände- 298 F. Czapek: rungen, die teilweise nur durch schwierige Hypothesenketten zu genügend grosser Wahrscheinlichkeit gebracht werden konnten, wie sie die moderne Deszendenzlehre vorführt. In der Physiologie hingegen spielt die zeitliche Beurteilung der Vorgänge und die Zeitmessung eine grosse Rolle, so wie in der Physik und Chemie. Bei der Pflanze vollziehen sich diese zeitlichen Veränderungen zwar meist viel langsamer als bei den Tieren, oft so träge, als sich etwa die Bewegung des Minuten- zeigers einer Uhr unserem Auge darstellt. Doch zeigt der Fall von Mimosa oder Dionaea, dass es an rasch ablaufenden Prozessen im Pflanzenreiche nicht fehlt. Der Botaniker ist durch die Lang- samkeit der physiologischen Vorgänge an Pflanzen häufig genötigt seinen Gesichtssinn durch geeignete Apparate zu verfeinern. Am häufigsten wird die mikroskopische Vergrösserung angewendet, welche für den Physiologen genau so unentbehrlich ist, wie das Fernrohr für den Physiker. Die mikroskopische Vergrösserung übertreibt allerdings oft stark. So werden wir geneigt sein, den Schwärmsporen von Algen, welche hurtig das Gesichtsfeld des Mikroskopes-durchschiessen, eine grosse Eigengeschwindigkeit zuzuteilen. Tatsächlich legt aber eine derartige Schwärmspore wohl kaum mehr als 1 mm in einer Sekunde zurück. Immerhin ist dies aber das mehrfache ihrer Körperlänge, so das diese Schwärmer eine Geschwindigkeit besitzen, welche der Mensch nur im schnellsten Lauftempo erreicht. Ebenso wie Ortsverände- rungen kann man auch Reizkrümmungen von Pflanzen durch mikro- skopische Vergrösserung sehr anschaulich vorführen. Ein anderes Mittel um uns langsam verlaufende physiolo- gische Vorgänge deutlicher zu machen, ist die Anwendung des Stroboskopes, indem man die etwa photographisch aufgenommenen Einzelstadien der physiologischen Veränderung auf einer Scheibe befestigt, und dann durch die rasche Rotation der Scheibe den Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung erhält. Die -modernen Vervollkommnung dieser Methode ist der Kinematograph, mit- hilfe dessen sich sogar Vorgänge wie das Wachsen eines Stengels und das Entfalten von Blüten einem grösseren Auditorium an- schaulich vorführen lassen. Ein sehr allgemein verwendbares Mittel ist ferner die gra- phische Darstellung von physiologischen Prozessen, besonders wenn sie mit Selbstregistriegung verbunden wird, so dass die sich vollziehende physiologische Veränderung automatisch uns ihren zeitlichen Verlauf aufzeichnet. Handelt es sich endlich um sehr lange Zeit dauernde, sich über den Rahmen einer Einzelgeneration hinaus erstreckende Vorgänge, so ist man an die Methoden verwiesen, welche uns die Statistiker ausgearbeitet haben. Auch hier wendet man die ‚ih sbuhchragdei An range ah Hana Daaa ln d ta AB en Zar Lak Ze Le Physiologie und Morphologie. 299 graphische Darstellung mittels Kurven an, in denen man die Resul- tate einer an vielen Individuen aus vielen Generationen ange- stellten Untersuchung wiedergeben kann. So führt uns die Ähn- lichkeit der Methoden leicht auf die nahen Beziehungen der Physio- logie zur Physik und Chemie, welche so enge sind, dass unser bestes physiologisches Wissen den Anwendungen physikalischer und chemischer Methoden auf die Biologie entsprungen ist. Wenn ich auch nicht so weit gehen möchte, . Physiologie mit Chemie und Physik der Lebewesen für identisch zu erklären, so ist doch fast alles, was wir heute an exaktem physiologischen Wissen be- sitzen, auf physikalischen und chemischen Methoden und Re- sultaten basiert, und jedes Jahr bringt uns überraschende neue Parallelen der Physik und Chemie der belebten Natur mit der Physik und Chemie der unbelebten Natur. So erscheint es ge- rechtfertigt je nach der angewendeten Methode die Physiologie in zwei Hauptgebiete zu spalten: in die Biophysik und Biochemie. Die grossen Lücken in unserem physiologischen Wissen sind wesentlich bedingt durch den erst mangelhaften Ausbau der be- treffenden physikalischen und chemischen Gebiete. Wenn man als die ideale Aufgabe der Physiologie die Erklärung der Grund- probleme des Lebens hinstellt, so reichen Physik und Chemie voraussichtlich nicht aus um alles geforderte zu leisten. Bio- physik und Biochemie haben nur zunächst die Aufgabe durch Vergleich mit den Vorgängen in der unbelebten Natur eine leich- tere Übersicht der biologischen Erscheinungen zu ermöglichen, und so schneller zu allgemeinen Begriffen zu führen, welche uns bereits aus der Physik und Chemie nicht mehr fremd sind. Es läuft dies also auf eine Vereinfachung des wissenschaftlichen Denkens in der Biologie hinaus. Wenn wir mithin physikalische und chemische Vorstudien als das unentbehrliche Rüstzeug des Physiologen bezeichnen müssen, so ist für den Pflanzenphysiologen nicht minder wichtig das Eingreifen des Vergleiches mit tierphysiologischen Problemen in die Pflanzenphysiologie. Je mehr wir fortschreiten, desto mehr ergibt sich die Einheitlichkeit der Gesetze welche das Leben der Pflanzen und Tiere beherrschen, und die Anwendung der Resul- tate der Tierphysiologie auf Probleme der physiologischen Botanik ist heutzutage ein heuristisches Hilfsmittel, dessen wir nicht mehr entraten können. Ich habe damit die kurze Skizze des Inhaltes unserer Vorlesungen in meiner Antrittsrede vollendet, und schliesse mit dem Wunsche, _ dass es uns vergönnt sein möge, die Mittel unseres schönen Institutes nach Kräften auszunützen, unterstützt von dem Wohl- wollen der Unterrichtsbehörde, an deren Opferwilligkeit durch das rasche Fortschreiten der Wissenschaft und den sich stets 300 Hugo Milrath: steigernden Bedarf an Hilfsmitteln nicht geringe Anforderungen gestellt werden. Von uns aber wird Arbeit verlangt, und von unserer Arbeitskraft hängt hier in Prag mehr ab als in irgend einer anderen deutschen Universität. Hier ist Arbeitskraft auch politische Stärke! Beiträge zur Geschichte der Chemie, Von Hugo Milrath. I. Die Entdeckung des Urans durch M. H. Klaproth. Hundertundzwanzig Jahre sind seit der Entdeckung des Urans durch Martin Heinrich Klaproth verflossen; seit der Ent- deckung jenes Metalls, welches dann mehr als hundert Jahre später der Gegenstand jener interessanten Beobachtungen wurde, die den Anstoss gaben, das Forschungsgebiet der radioaktiven Substanzen zu betreten; ein Gebiet, in welchem man anfangs mit Müh’ und Not einen Fusspfad schuf, um das Dickicht zu durch- dringen. Aber die eiserne Ausdauer und der unermüdliche Fleiss der Führer machte sich Raum, drang immer weiter und weiter vorwärts und ebnete die Wege für diejenigen, welche ge- willt waren mitzuziehen, um dieses Gebiet zu erschliessen. An der Spitze dieser Forscher stand vor allem Antoine Henri Bec- querel, dem wir die Entdeckung der nach ihm benannten Uran- (Becquerel-) Strahlen verdanken; dicht hinter ihm Herr und Frau Curie und Rutherford. Becquerel machte bekanntlich 1896 die Beobachtung, dass sowohl das metallische Uran, als auch seine Verbindungen, selbst wenn sie in vollkommener Dunkelheit aufbewahrt werden, noch nach Jahren die Fähigkeit besitzen, auf die photographische Platte durch schwarzes Papier hindurch Wirkungen auszuüben. Mit Recht nahm nun Becquerel an, dass diese phosphoreszie- renden Uranverbindungen eine besondere Art von Strahlen aus- senden, die ein grosses Durchdringungsvermögen besitzen müssen, - da sie befähigt sind Papier, dünne Metallschirme sowie über- haupt alle festen, flüssigen und gasförmigen Körper zu durch- dringen. Diese Beobachtungen bildeten nun die Grundlage für das Studium der radioaktiven (d. i. Becquerelstrahlen-emittieren- den) Substanzen. Doch nun zurück zum Entdecker des Urans: Martin Hein- rich Klaproth. Er wurde 1743 zu Wernigerode geboren und war zuerst als Apothekerlehrling und später als Gehilfe tätig. Klaproth eignete sich während dieser Zeit gründliche Kenntnisse in der Chemie an. Nach dem Tode des bekannten Chemikers Valentin Rose übernahm er dessen Apotheke. Da er sich nun 7. Beiträge zur Geschichte der Chemie. 301 in einer selbständigen Stellung befand, konnte er seinen Forscher- trieb vollauf befriedigen; aus dieser Zeit stammen seine wert- vollen analytischen Arbeiten und wissenschaftlich-chemischen Untersuchungen. Im Jahre 1788 wurde Klaproth Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er erhielt die Professur für Chemie an der Artillerieschule und an anderen Instituten, wo _ er über die Scheidekunst Vorlesungen hielt; und als man in Berlin die neue Universität eröffnete, wurde er daselbst zum ordentlichen Professor ernannt. Zu Beginn des Jahres 1817 er- eilte ihn der Tod. Klaproth hat sich sehr eingehend mit der Untersuchung der Zusammensetzung der Mineralien beschäftigt; diesen For- schungen verdanken wir die Entdeckung des Urans in der Pech- blende; die Entdeckung des Titans und der Zirkonerde.') Seine Experimentaluntersuchungen erschienen in „Crell’s chemischen Annalen“, in den „Schriften der Gesellschaft naturforschen- der Freunde zu Berlin“ und in den „Denkschriften der Berliner Akademie“. Seine „Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper“, ein fünfbändiges Werk, ist eine von ihm selbst zusammengestellte Sammlung seiner Abhandlungen, die er haupt- sächlich in den genannten Zeitschriften publiziert hat. Wie schon erwähnt, gelang es Klaproth aus der Pechblende, die sich in grösseren Mengen in Joachimstal und in Johann- georgenstadt vorfindet, das Uran zu isolieren. Er selbst be- richtete darüber in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 24. September 1789 in einer Abhandlung, deren ge- kürzten Inhalt er in den „Schriften der Gesellschaft natur- forschender Freunde zu Berlin“ ®) unter dem Titel: „Kurze An- zeige eines neuentdeckten Halbmetalls“ veröffentlichte.?) Er schreibt daselbst: „Die Zahl der bisher bekannten 17 Metalle hoffe ich anjezt durch ein neues vermehrt zu haben, welchem ich den Nahmen Uranit beylege. Es ist solches in demjenigen Fossil enthalten, welches zu Johanngeorgenstadt, auf der Grube Georgwagsfort, unter dem Namen Pechblende, auch Eisenpecherz, vorkommt. Die gelbe Erde, welche dieses Fossil zu begleiten pflegt, im- gleichen der ebendaselbst brechende grüne Glimmer, oder Chal- kolith, gehören ebenfalls zu dieser neuen metallischen Substanz.“ Klaproth führte zahlreiche Versuche mit den Salzlösungen !) Schriften der Gesellsch. naturforsch. Freunde zu Berlin. Band IX. (1789) 147/176. — Derselbe Band bringt auch seine interessante Arbeit „Chemische Untersuchung des Rubins“. S. 336/350. 2) Band IX (1789) und Band III der „Beobachtungen und Entdeckun- gen aus der Naturkunde von der Gesellsch. naturf. Freunde“, Seite 373/5 [erschienen bei Friedrich Maurer, Berlin]. 3) Ein etwas ausführlicherer Auszug der in der Berliner Akademie vorgelegten Abhandlung ist in „Crell’s chemischen Annalen“ erschienen. = Er, —räsf. ne A - = ED res er ve ee) - —. - € - = z NEE RN 3 302 Hugo Milrath: Beiträge zur Geschichte der Chemie. dieses Metalls aus; er konnte feststellen, dass Alkalien aus diesen Uransalzlösungen den „Uranitkalch“ mit gelber Farbe auszu- füllen befähigt sind. Er stellte aus diesen Niederschlägen mit Schwefelsäure ein zitrongelbes, aus kleinen zusammengesetzten Säulchen bestehendes Salz, den Uranitvitriol, dar. Mit Essig- säure erhielt er schöne, topasgelbe, lange, vierseitige Säulen, mit doppelten vierseitigen Endspitzen. Des weiteren machte Klaproth die Beobachtung, dass das Uran der Phosphorsalz- perle bei der Verglasung eine grüne Färbung verleiht. Seine ersten Versuche, aus den Uransalzen durch Reduk- tion das metallische Uran zu erhalten, schlugen fehl; es gelang ihm nicht einen Metallregulus zu erhalten; erst die späteren Versuche führten ihn zum Ziele. Er berichtet darüber folgendes: „Bey der Reduktion beträgt sich dieser Metallstoff sehr widerspenstig. Mit salinischen und anderen verglasenden Reduzir- mitteln wird die Absicht verfehlt; hingegen, nach Art des Braun- steinkönigs, bloss mit brennbaren Stoffen in starken Feuer be- handelt, geht die Reduktion von Statten.*) Der erhaltene Re- gulus, welcher eigentlich nur aus lauter sehr kleinen Kügelchen besteht, und keine dichte, sondern sehr poröse, gleichsam wie verhärteter feiner Schaum gestaltete Masse bildet, hat eine dunkelgraue Farbe und zeigt auf den Feilstrich nur einen ge- ringen Metallglanz.*“ Klaproth, der — wie aus dem Titel seiner Abhandlung er- sichtlich — das neuentdeckte Element als Halbmetall bezeichnet, weist dem Uran, als einem besonderen selbständigen Metallge- schlechte seine Stelle unter den schwerflüssigen sogenannten Halbmetallen an und teilt es in folgende Species ein: I. geschwefelter Uranit (Uranites sulphuratus.) a) dunkelgrau, zum Teil mit Bleyschweif durchzogen, b) schwarz. von steinkohlenartigem Ansehn. II. vererdeter Uranit (Uranites ochraceus.) III. in vierseitigen Tafeln krystallisierter Uranit (Uranites spathosus.) a) durch Kupfer grüngefärbt, b) gelb. | Dies die wichtigsten Beobachtungen und Versuche, die Klaproth bei der Untersuchung des Urans und der uranhaltigen Mineralien anstellte. Es ist das nur ein kleiner Bruchteil der überaus reichen Tätigkeit dieses Forschers, der sich hauptsäch- lich durch die Verbreitung des antiphlogistischen Systems — der Lehre Lavoisiers — um die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland so grosse Verdienste erworben hat. Schon in Anbetracht dessen wird Klaproths Name in der Geschichte der Chemie stets in Ehren gehalten werden. #) 1840 hat dann P&ligot durch Erhitzen von Uranchlorür mit Natrium metallisches Uran dargestellt. TE ) ö \ d; F ß Th Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen ‚„Lotos‘‘, Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. Bibliotheksstunden: Montag, Freitag 2—3 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktionsstunden: Samstag 2—3 Uhr. (Priv.- Doz. Dr. L. Freund, sonst: II., Taborgasse 48, Tel.-Nr. 3116.) Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonder- abdrücke ihrer Arbeiten, s= a m Eisenmöbel- und Bettwarenfabrik e we a IGNAZ GOTTWALD PRAG, Zeppich- und Vorhang- Warenhaus Graben 2, liefert: Untersuchungstische, Oprrationstische, Verbandzeug- tische, Irrigateurs'änder, Instrumentenschränke. Instrumenten- tische, Waschtische, Flaschenständer, Seziertische, Narkose- betten, Extensionsbetten, Betten für Paralytiker, Krankenhausbettenu.Krankenhaus-Einrichtungen. Reich illustrierter Preisknrant gratis und franko. KARL DOLGKL, oeuisher Möbel- und Bauftishhler, PRAG, Gerstiengasse 24 neu, übernimmt Ranzlei-, Seshäfts- und Smhuleinrichtungen. Reparaturen quf und billig. 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In eingehender Weise hat sich mit der Erforschung der Tierpsychologie Herr Professor Dexler beschäftigt und es ist mir eine angenehme Pflicht, ihm an dieser Stelle für die Mitteilung der Ergebnisse seiner neuesten diesbezüglichen Untersuchungen meinen ergebensten Dank zum Ausdruck zu bringen. Da es sich bei Erörterung dieser Frage in erster Linie um Empfindungen handelt, so wollen wir versuchen, uns erst klar zu machen, was wir unter Empfindungen überhaupt verstehen. Im gewöhnlichen Leben schliessen wir auf eine Empfindung beim - Menschen oder beim Tiere dann, wenn wir Bewegungen auftreten sehen, die wir hauptsächlich nach zwei Richtungen einteilen: in Bewegungen des Begehrens oder Angreifens und solche der Ab- wehr und Flucht. (Lust- und Unlustbewegungen.) Bei dem Auf- tauchen von sogenannten Lustbewegungen, die also ein Wohlbe- finden oder Behagen auszudrücken scheinen, nimmt der Laie sewöhnlich einen Empfindungsvorgang von derartiger Färbung an, und ebenso verhält es sich bei der gegenteiligen Kategorie von Bewegungen. Dennoch ist es leicht, zu zeigen, dass wir mit derartigen Schlüssen durchaus vorsichtig sein müssen. F Wir sprachen bereits von den Reflexen: Es sind dies die Summe derjenigen Erscheinungen, welche am lebenden Körper entstehen durch die direkte Übertragung der Erregung sensibler - Nervenfasern auf motorische oder sekretorische, ohne Dazwischen- - treten des Bewusstseins. 5: Der Sitz des Bewusstseins, unseres seelischen Lebens, ist S die Grosshirnrinde. .Unabhängig von ihrer Tätigkeit laufen die 5 Reflexbewegungen, die selbst oft den Typus der Zweckmässig- ® keit besitzen, die sich aber leicht als unbewusste Geschehnisse ‘ beweisen lassen. ; Betupfen wir eine Stelle an der Hüfte eines Frosches mit - einer ätzenden Substanz, so sucht er sich diese mit der hinteren 24 304 Dr. Emil Starkenstein: Extremität derselben Seite wegzuwischen. Halten wir diese, so tut er dies mit der entgegengesetzten, ein Vorgang, der gewiss von den meisten als bewusste Schmerzensäusserung gedeutet werden wird. Schneiden wir aber einem Frosch den Kopf ab und berauben ihn so ganz gewiss des einzig möglichen Sitzes des Bewusstseins, der Grosshirnrinde, so bekommen wir bei der Wiederholung des Experimentes ganz den gleichen Erfolg. Der Reflexbogen wird durch das Rückenmark geschlossen. Die gleiche Erscheinung von Reflexbewegungen beobachtet man auch bei enthaupteten Menschen, was gleichfalls den Schluss des Re- flexbogens im Rückenmark beweist. Wie wir aber auch aus unserer Selbstbeobachtung wissen, kann ein Reflex ohne jede subjektive Kenntnisnahme vor sich gehen. So sind wir nicht imstande, unsere auf Lichteinfall ein- tretende Pupillenkontraktion zu fühlen: wir haben von dieser Bewegung keine Empfindung. Ähnlich verhalten sich viele an- dere Reflexe. Droht unserem Auge eine Gefahr, so schliessen wir die Lider, ohne dass uns dies zum Bewusstsein kommt. Wird der Reiz aber intensiver, so tritt er bei einer gewissen Grösse, deren Grenze nicht genau festzustellen ist, in unser Be- wusstsein ein: er wird empfunden. 4 Nach den Anschauungen der modernen Psychologie und Physiologie pflegen wir jene Phänomene, die die Umsetzung einer von aussen stammenden Erregung in der Hirnrinde auf die ab- leitenden Nervenbahnen begleiten kann (Wesen des Reflexes!) sensorielle oder Sinnesempfindung zu nennen. Hinsichtlich der Existenz solcher Empfindungen bei Tieren gelingt es uns nur schwer, Auskünfte zu erlangen, wie oben an- ° gedeutet wurde durch die Unmöglichkeit der exakten Austastung ° der Empfindungen bei unseren Nebenmenschen, viel weniger bei den Tieren. 3 Ganz allgemein geht für uns nur der Satz hervor, dass wir von einer Empfindung dann sprechen, wenn die Erregung eine ° gewisse Höhe erreicht hat und durch sie ein grober, deutlich in die Augen springender Ausschlag erzielt wurde. Die Möglich- = keit, die Empfindung aus solchen Abwehr- oder Angriffbewegungen zu konstatieren, ist naturgemäss ebenfalls eine beschränkte. Da wir aber ausserhalb dieser Reaktionen überhaupt keine Auf- schlüsse über tierische Empfindungen haben können, sind wir ” gezwungen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unter still- ” schweigender Einrechnung naheliegender Fehlerquellen auf eine die Empfindung postulierende Erscheinung zu schliessen, wenn 1. durch Umherblicken, Beschnuppern, Ohrenaufrichten u. s. w. eine Aufmerksamkeitsbewegung sichtbar wird, 2. ‚eine effektive x Die Vivisektion und ihre Gegner. 305 wehr oder heftige Erstrebung, 3. wenn die Erwerbung eines Gedächtniseindruckes unter Verwertung früherer Sinneseindrücke stattgefunden hat. Mit diesen, allerdings nur teilweise ausreichenden Hilfs- mitteln, müssen wir uns bemühen, stets auszukommen. Wenn wir daher sehen, dass ein Schwein beim Abschneiden seines Schwanzes sich kaum vom Fressen abhalten lässt, oder dass ein vor dem dGöpel gehender Ochse sich durch einige unsanfte Peitschenhiebe weder im Wiederkauen noch im Takte seines Schrittes oder seines Schwanzschwenkerns stören lässt; wenn wir sehen, dass das eben aus der Narkose erwachte Kaninchen an Seinen ihm entfernten Hoden zu knabbern beginnt und selbst nach längerem Tierversuch in den Käfig gebracht, sofort frisst und trinkt, oder dass das einer schmerzhaften Operation unter- zogene Pferd kaum eine Minute nach dem Abschnallen vom Operationstisch mit grösster Begierde Hafer aufnimmt und bei eventueller Nachblutung sich ohne jedes Widerstreben in den- selben Raum führen lässt, in welchem es vermeintlich so grosse Qualen erduldet hat, so können wir, wenn wir uns nicht aller Logik bar erklären wollen, unmöglich auf eine besonders tiefe Schmerzempfindung schliessen. Es ist ja eben die Seichtheit der Sinnesempfindung ein charakteristisches Merkmal der Psyche des unentwickelten Kindes wie der Tiere und jener erwachsener Menschen, deren Gehirnrinde durch Krankheit oder mangelhafte Entwicklung einen Defekt erlitten hat. Kindertränen sind leicht vergossen, doch nur selten von anhaltender Nachwirkung. Hier folgt bald wieder freundliches Lächeln, es bedarf nur der Er- füllung des kindlichen Wunsches; denn auch das Seelenleben, das dem Neugeborenen und den meisten Tieren fehlt, ist hier _ erst im Anfange seiner Entwicklung. Ganz ausgebildet finden - wir dies in der Regel beim erwachsenen Menschen und es weiss wohl ein jeder, dass die Tränen eines erwachsenen Mannes nicht leicht vergossen, aber auch nicht leicht getrocknet sind. Hat die Entwicklung des menschlichen Gehirns durch irgendwelche Entwicklungsfehler oder Krankheiten eine mangel- - hafte Ausbildung erfahren, so haben wir Fälle von Schwachsinn, Kretinismus und Idiotie vor uns, Stadien, die sich wiederum hinsichtlich des Bewusstseins, hinsichtlich der geistigen Qualitäten nicht wesentlich vom Neugeborenen und vom Tiere unterscheiden. Ausdruck von Freude und von Schmerz lässt sich in den aus- gestossenen unartikulierten Lauten nicht recht erkennen. Das best ausgebildete Bewusstsein ist also auch als der Besitz der - höchsten geistigen Qualitäten anzusehen. Zu den intelligentesten Tieren gehört unstreitig der Hund. _ Das beweist uns der Aufbau seines Gehirns wie auch tägliche 306 Dr. Emil Starkenstein: diesbezügliche Lebenserfahrungen. Wir können genügend Beispiele rührender Hundetreue, wissen, dass Hunde oft Menschen das Leben gerettet haben etc. Trotzdem schätzen wir sicherlich auch seine Bewusstseinsäusserung zu hoch ein. Die Sprache des Hundes ist das Bellen; es ist der Aus- druck der Freude ebenso, wie der des Schmerzes. Schlagen wir einen Hund, so heult er erbärmlich, ganz gewiss nicht im Ver- hältnis zu seiner Schmerzempfindung. Es ist das Gleiche, wie das Schreien eines Kindes. Schlägt man ein Kind, so weint und schreit es, als ob es den ärgsten Qualen ausgesetzt worden wäre, eine Erfahrung, die im Leben der Chirurgen oft genug beobachtet wird. Die Schmerzensäusserung, die Angst und Furcht vor der unbedeutendsten Operation, vor dem Eröffnen einer kleinen Geschwulst ist bedeutend grösser als der Schmerz des Eingriffes selbst. Wir wissen ferner, dass mit zunehmender Entwicklung des Bewusstseins die Schmerzensäusserungen auch immer geringer werden. Weicht ein Hund dem drohenden Stocke aus, so deuten wir es als Furcht vor dem schmerzhaften Schlag. Dazu sind wir aber gewiss nicht berechtigt. Auch der Fisch entflieht der sich bewegenden Angel, gewiss aber nur unbewusst und reflektorisch, denn selbst, wenn er durch die Angel verletzt ist, kann er noch zwei und dreimal anbeissen. Schliesslich weicht er auch dem ins Wasser geworfenen Futter zuerst aus. Endlich haben wir beim Hunde auch Charakterunterschiede nicht ausser acht zu lassen und gewöhnlich sind es nicht die intelligentesten Tiere, die zum Tierversuch verwendet werden. Die Beurteilung solcher Erscheinungen, wie wir sie hier einer kurzen Analyse unterzogen haben, erfolgt nun von seiten der Tierschützler durchaus nicht auf dem Boden der Tatsachen und der angeknüpften Überlegung, sondern vorwiegend durch Gefühle geleitet und es ist bei den von uns oben skizzierten Abstand der Vorstellungskreise derartiger Menschen von den unsrigen nur begreiffich, dass ein den Tatsachen entsprechendes Verständnis eigentlich ausgeschlossen ist. Zu häufig konstatieren wir bei diesen Leuten Ausrufe des Bedauerns für irgend ein Tier, welches schläft oder tot ist, ohne dass der betreffende im- stande wäre, sich selbst einen Grund für die Bedauerung des „armen Tieres“ zu geben. Bezeichnenderweise sind solche Be- urteilungen in der Mehrzahl der Fälle von alten Leuten gegeben, recht häufig von alten unverheirateten Damen, deren Seelenleben doch gewiss von dem normalen abweicht und die jene geistige Abstumpfung, jene egoistische Einengung der Interessen und die ausgesprochene Liebelosigkeit nebst oberflächlicher weinerlicher - Die Vivisektion und ihre Gegner. 307 Sentimentalität erkennen lassen, wie wir sie häufig dem Greisen- alter und der mit demselben in der Regel verbundenen zunehmen- den geistigen Schwäche zuschreiben: Wir finden auch tatsächlich sehr häufig von seiten der Tierschützler den Ausruf, dass sie für Tiere alles, für Menschen aber und selbst für ihre nächsten Verwandten, nichts tun würden, als Zeugnis ihres durchaus auf einer falschen Basis stehenden Altruismus. Wenn es mir natürlich auch keineswegs einfällt, hiebei generalisierend sein zu wollen, so ist es doch angezeigt, die Eigentümlichkeit hervorzuheben, dass sich im Vereine der Tier- schützler sehr häufig Menschenklassen finden, die wir ruhig als Gegner des Kulturfortschrittes bezeichnen dürfen. Ich meine die Naturheilkünstler und ihre grosse Gefolgschaft, über deren Be- deutung für Volksbildung und Volkserziehung ich wohl nichts weiter hinzuzufügen habe. Sonderbarer Weise sind unter den Anhängern dieser Rich- tungen bisweilen auch jene Volksklassen zu finden, die doch die Lösung sozialer Fragen zu ihren ersten Programmpunkten zählen, Es ist doch eigentümlich, dass bei dem Umstand, dass das Arbeiterelend heute zu den grössten Abwehrbewegungen führt, dass die Tatsache, dass in London jeden Tag sieben Menschen an Hunger auf der Strasse oder in den Slums „verenden“, dass in unseren Spitälern die Kranken entweder auf Stroh gebettet auf der Erde schlafen müssen oder wie die Statistik unserer Irrenanstalten beweist, wegen Mangel an Raum, wegen Mangel an Wärtern sich gegenseitig schwer verletzen, ja sogar töten; bei dem Elend der unehelichen Mütter, die einen konstanten Bestandteil der Selbstmordstatistik der Grosstadt abgeben; es ist eigentümlich, dass zur Zeit der Häufung der Kindermiss- handlungen in Wien vor etwa sechs Jahren gerade eine Bewegung ins Leben gsrufen wurde, welche zur Gründung eines Tier-Asyls mit einem Kostenaufwand von 92.000 Kronen geführt hat und dass die Bestrebungen auf Errichtung eines Tierfriedhofes nur dadurch zu Wasser wurden, dass die Kosten sogar den Tier- schützlern übermässig wurden. Wenn wir uns auch nicht weiter mit der Frage beschäftigen wollen, ob es nicht doch im Interesse der menschlichen Kultur notwendig wäre, das uns aus allen Ecken und Enden entgegen- starrende Eiend der Menschen mit solchen Massregeln zu be- kämpfen, die eine wirksame Abhilfe garantieren würden, bevor wir uns dem übertriebenen Schutz der Tiere zuwenden, so möchte ich doch mit einigen Worten auf eine andere Richtung hin- weisen: 308 Dr. Emil Starkenstein: Niemand, mit Ausnahme der einer bizarren Geschmacksrich- tung gehorchende Vegetarianer wird läugnen, dass wir Tiere zum Zwecke des menschlichen Genusses töten dürfen. Wir sehen hier von den Buddhisten ab, deren Glaubensrichtung der ganzen Frage eine andere Richtung gibt. | Wenn ich nun, wie gesagt, Tiere töten darf, um mich in den Besitz des Fleisches zu setzen, so tue ich dies dem aller- mächtigsten Gesetze gehorchend: der Hungerstillung. Es gibt genug Tierschützler, welche die Befriedigung dieses Elementar- gefühls auf diesem Wege nichts entgegenzusetzen haben. Sie wünschen bloss eine möglichst schonende Tötungsart. Bei der Anerkennung meines Rechtes, meinen Hunger stillen zu dürfen, darf ich weiterhin als Mensch auch die "Befriedigung eines Bedürfnisses fordern, meinen Hunger nach Wissen, nach der Kausalität der Erscheinungen stillen zu dürfen. Es ist kaum anzunehmen, dass jemand dieses andere Hungergefühl als eine Tatsache ansehen wird, deren Befriedigung verboten ist. Zu ihrer Befriedigung bedarf die Wissenschaft auch des Tierversuches. Schliesslich müssen wir uns noch die Frage vorlegen, welchen Zweck und welchen Nutzen denn eine gegen den Tier- versuch gegebene Gesetzesnovelle stiften könnte. Darin liegt ein zweifacher Weg: Es wird durch sie die breite Bahn von Gesetzes- übertretungen geschaffen; es haben Naturforscher für die Wissen- schaft schon Glück und Leben gelassen, es ist daher kaum anzunehmen, dass diese Opferwilligkeit durch Gesetzesparagraphen erstickt werden könnte. Ferner wäre es eine unsere moderne Kultur nur beschämende Massregel, unsere Aktionsfreiheit noch weiter durch Gesetze fesseln zu wollen und so den Fortschritt gewaltsam niederzuhalten. Darin klingt auch die Hauptanklage gegen die Antivivisektionsgesellschaft aus, dass sie nichts anderes ist, als ein auf oberflächlicher Beobachtung und Gefühlsduselei beruhender Vorgang, der von Grundsätzen ausgeht, die grössten- teils Illusionen sind, Illusionen, die ihre Existenzberechtigung nur der Unkenntnis der Tatbestände, den Lücken der Beoachtung und dem Mangel der Beobachtungsgabe verdanken, Illusionen, die mit Unduldsamkeit der Meinung anderer und Überschwäng- lichkeit äusserer Gefühlsbetonung gepaart sind. Alle unsere Beobachtungen über das Seelenleben der Tiere führen uns schliesslich zu dem Schlusse, dass das, was bei der Bewusstseinsäusserung jeder Tierart zum grossen Teil wegfällt, das psychiche Moment ist, das für den Menschen oft peinlicher ist als der schmerzhafte Eingriff selbst. Das Fehlen des Ichbe- wusstseins, das Fehlen ethischer und sozialer Gefühle, das müssen wir bei jeder als Schmerzempfindung eines Tieres gedeuteten Ausserung in Abzug bringen. Anderseits sind wir keineswegs ARE r Ka a r alke Jan. 2) ine a IRRE TUNEN TRETEN N A 7 \ a Die Vivisektion und ihre Gegner. SE 309 berechtigt, jede Abwehrbewegung als Schmerzensäusserung zu deuten. Es sind dies eben vielfach bloss Reflexe. Mag nun unser Mitleid mit den Tieren noch so hoch ent- wickelt sein, es berechtigt niemanden dazu, das Empfindungsver- mögen der Tiere an unsrem eigenen zu messen. Wir haben zwar kein absolutes Mass für die Empfindung der Tiere, wohl aber ein relatives und dieses lehrt uns, dass jede tierische Empfindung, auch die der höchst entwickelten Tiere, unendlich tiefer steht, als die eines bewusst fühlenden Menschen. * Dass der Kampf gegen die Vivisektion sicherlich in gewissem Sinne auch tendenziös ist, geht daraus hervor, dass der Kampf gegen viele alltäglich verübte „Vivisektionen* überhaupt. nicht oder doch unvergleichlich flauer geführt wird. Es soll damit keines- wegs die Berechtigung für einen solchen Kampf zugegeben werden; denn viele dieser Alltagsvivisektionen haben ebenfalls ihre be- rechtigten Gründe. Doch gibt es anderseits unter diesen eine Reihe von „Vivisektionen“, die wohl mehr aus althergebrachter Gewohnheit ausgeführt werden, ohne damit einen sichtlichen Nutzen zu erzielen. Viele sind direkt als Luxusvivisektionen an- zusehen. Um auch von den gewohnheitsmässigen Vivisektionen einige anzuführen, seien folgende Tatsachen erwähnt. Einer älteren Statistik entnehme ich folgende Zahlen: Im deutschen Reiche werden jährlich kastriert: 65.000 Pferde, 650.000 Rinder, 2,000.000 Bocklämmer und ältere Böcke, 8,000.000 Schweine und unzähliges Geflügel. Hunden werden die Schwänze abgehackt, meist in Ver- bindung mit dem Stutzen der Ohren. Bekannt sind ferner die e: Verstümmlungen am Schwanz der Pferde. Ein reichliches Material für Anklagen würden fanatische Tierschützler auf den Sportplätzen, in den Rennkahnen, beim Taubenschiessen und bei mancher Jagd vorfinden. Millionen von Fröschen, deren Schenkel man auf den Markt bringt, werden einfach lebend in der Mitte durchschnitten und die vordere Hälfte des Tieres weggeworfen. Dieses halbe Tier kann noch tagelang weiterleben. . Derartige Vivisektionen übertreffen an Grausamkeit bei weitem die in den medizinischen Instituten ausgeführten Tier- versuche. Nur ist hier der pekuniäre Erfolg eine genügende Triebfeder, um die Überzeugung der Tierschützer zum Schweigen zu bringen oder doch merkwürdig zu modifizieren. 310 Dr. Emil Starkensten: Ban Auch das Gefangenhalten der Tiere in den Käfigen der zoologischen Gärten, der Vögel im Vogelbauer, kann nicht zu deren Annehmlichkeit gezählt werden. Den kleinen Köderfischehen wird die Angel durch den leben- digen Leib gestossens mit aller Vorsicht, um diese noch möglichst lange am Leben zu erhalten. Beim Genuss einer Gansleber denkt wohl niemand daran, dass die betreffende Gans durch Wochen hindurch in einem engen Käfig gehalten und „gestopft“ werden muss, bei welcher Prozedur man nur ein Ziel verfolgt: experimentell eine Fettleber zu erzeugen. Das sind einige aus der grossen Zahl der Alltagsvivisek- tionen. Man wird gewiss auch für die meisten von diesen Ver- teidigungsgründe anzuführen wissen, die oft auch ihre Berechti- gung haben werden. Doch dürften diese Angaben stets ein offenes Zeugnis dafür sein, wie ungerecht der Kampf gegen den Tierversuch in der Medizin ist. Haben die mitgeteilten Erfolge schon die Gegeneinwände entkräftet, so geschieht dies vollends durch eine Kampfesart, die mit Rücksicht auf die genannten Tatsachen als tendenziös bezeichnet werden muss. *+ Es erübrigt noch, zum Schlusse eine kurze Besprechung der Gesetzesvorlage des Bundes gegen die Vivisektion in Öster- reich folgen zu lassen. 5 Unter den bereits erwähnten Aphorismen einiger Arzte gegen die Vivisektion, wie sie von dem genannten Bunde gegen die Vivisektion in der Broschüre „Es werde Licht“ versendet wird, befindet sich auch die zutreffende Bemerkung eines Tiroler Ober- bezirksarztes: „Tüchtige Forscher dürfen der gesetzlichen Rege- lung der wissenschaftlichen Experimente an lebenden Tieren ruhig entgegensehen.“ Hinzuzufügen wäre diesem nur, dass man seit jeher die Vorlage von Gesetzentwürfen jenen übertragen hat, die mit den durch das Gesetz zu regelnden Handlungen vertraut sind, nicht aber Laien. Dass wir es aber in dem vorliegenden Falle nicht mit den Tatsachen vertrauten Gesetzgebern zu tun haben, beweist jeder einzelne Punkt der Vorlage: ') !) Verweisen möchte ich hier auf den jüngst in der deutschen medi- zinischen Wochenschrift (p. 1933) von Prof. Friedberger gemachten Vor- schlag, es wäre in Anerkennung der Notwendigkeit des Tierversuches das Zweckmässigste, dass von Staates wegen eine Spezialanstalt zur Züchtung von Versuchstieren geschaffen würde, um die Erlangung des Tiermaterials zu erleichtern. a a aaa v IEN re Be ee ee ee a TE WE UWE WW Br sie Ef Tue u rue al 1 El ts 5 Die Vivisektion und ihre Gegner. 311 Im Art. I. Befugnis zu Tierversuchen, wird verlangt, dass Tierversuche nur in bestimmten öffentlichen, unter Staatsaufsicht stehenden wissenschaftlichen Anstalten und Laboratorien vorge- nommen werden, von Personen, welche die erforderlichen Kennt- nisse besitzen und welche von der staatlichen Tierversuchs- Prüfungskommission zu jedem einzelnen Versuch eine besondere Erlaubnis erhalten. Während die erste Anforderung dieses Artikels heute schon zurecht besteht, da ja heutzutage ausser in den wissenschaftlichen Instituten der Universitäten wohl nirgends viviseziert wird, ver- rät die zweite Anforderung eine vollständige Unkenntnis der wissenschaftlichen Vivisektion. Man kann wohl bei Beginn einer Versuchsreihe im Vorhinein die ersten Experimente bestimmen, doch ergibt sich oft während des Versuches die Notwendigkeit, dem einen Versuch sofort eine Reihe anderer folgen zu lassen, die oft nur Stunden aufschiebbar sind, nicht aber Tage oder vielleicht gar Wochen, bevor ein neuer Versuch die behördliche Konzession erlangt hat; denn ohne schriftliche Genehmigung dürfe, wie Art. II. verlangt, kein Versuch vorgenommen werden. Die Bewillung hiezu habe eine Kommission zu geben, die zur Hälfte aus Sachverständigen, zur Hälfte aus Mitgliedern der Tierschutzvereine bestehen soll!! Was Punkt 3 in Art. III, verlangt, ist ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, denn er steht _in direktem Widerspruch mit den ministeriellen Erlässen zur neuen Studienordnung bezüglich der praktischen Übungen, die demnach entfallen müssten. Pınkt 7 desselben Artikels beschäftigt sich mit der Narkose: Versuche, die keine Schmerzbetäubung zulassen, sind zu unterlassen. Kurare und die diesem verwandten Lösungsmittel dürfen nur im er- wiesenen Notfalle und dann auch nur bei gleichzeitiger andauernd tiefer Narkose angewendet werden. Da sich Ärzte gefunden haben, die eine Gesetzesvorlage unterschrieben, welche einen derartigen Punkt enthält, wie der eben genannte ist, so müssen es sich diese eben gefallen lassen, dass sie der Vivisektion gegenüber als Laien bezeichnet werden. Die Anforderung stellen, dass jeder Versuch in Narkose vorzunehmen ist, heisst alle Versuche der Toxikologie verbieten; denn, wie bereits erwähnt, ist in sehr vielen Fällen das zur Narkose verwendete Chloroform oder Ather, Chloralhydrat oder Morphium ein Gegengift für den zu untersuchenden Stoff. Zahl- reiche Giftwirkungen und viele durch diese hervorgerufene, für die Medizin äusserst wichtige Erscheinungen wären der Beob- achtung entgangen, hätte man stets nur in Narkose Tierversuche vorgenommen. 25 e - EEE er we 312 Dr. Emil Starkenstein: Was das Kurare anbelangt, so haben wir bereits gehört, dass es ein Gift ist, mit dem man die motorischen Nerven- endigungen lähmen kann, bei vollkommener Erhaltung der Funktion der sensiblen Nervenbahnen. Wie dies aber an einem tief nar- kotisierten Tiere gezeigt werden soll, an dem doch durch das Narkotikum in gleicher Weise jede sensible und motorische Funktion aufgehoben ist, bleibt vollkommen unverständlich. Noch eins wäre in Erwägung zu ziehen: Heute ist die Vivisektion wohl ausschliesslich auf die wissenschaftlichen In- stitute der Hochschulen beschränkt. Bedeutet da nicht auch ein derartiger Gesetzentwurf einen groben Eingriff in die Autonomie der Hochschulen? Menschlichkeit und Liebe zu den Tieren wer- den unsere Hochschullehrer wohl nicht durch die von einigen Ärzten aufoktroierten Gesetze lernen. Angriffe auf die „Schulmedizin“ ist man von seiten der Naturheilkünstler genügend gewöhnt; sie und die Vivisektions- gegner stehen einander recht nahe. Wollen sich zu diesem Bunde nun auch eine Reihe von „Schulärzten“ gesellen ? Ihnen allen sei eine Erklärung in Erinnerung gebracht, welche 18 medizinischen Fakultäten im Jahre 1879 anlässlich des damaligen Ansturms der Vivisektionsgegner erlassen haben: Erklärung. In Sachen der freien, der menschlichen Wohlfahrt zu gute kommen- den Forschung, zur Abwehr von öffentlichen und versteckten Angriffen und zur Orientierung der öffentlichen Meinung sehen sich die unterzeichneten medizinischen Fakultäten zu nachstehender Erklärung veranlasst: 1. Unter „Vivisektion“ ist ein Versuch am lebenden Thiere zu ver- stehen, der zu wissenschaftlichen Zwecken unternommen wird und bei dessen Ausführung eine je nach Umständen leichte, schwerere oder tödtliche Ver- wundung des Thieres nicht zu umgehen ist. 2. Diese „Vivisectionen“ sind ein unentbehrliches Mittel der physio- logischen und pathologischen Forschung und es gibt keinen Teil der Heil- kunde, der aus ihnen nicht schon Nutzen gezogen und auch weiteren Nutzen zu erwarten hätte. Unsere Kenntnisse vom Blutkreislauf, von den Funktionen des Nerven- systems, von der Verdauung und vom Stoffwechsel, von der Wundheilung, von der Wirkung der Arzneien, beruhen zum grössten Theil auf Thierver- suchen, und ebenso kann die Forschung nach dem Wesen der Krankheiten der Vivisektion als Hilfsmittel nicht entbehren. ‘ 3. Die physiologischen und pathologischen Institute, gegen welche die Angriffe zunächst gerichtet sind, weil in ihnen „Vivisectionen“ vorge- nommen werden, sind staatliche Anstalten, in welchen von Staatswegen ausser anderen Unterrichts- und Forschungsmitteln auch die für Vivisection nothwendigen technischen Vorrichtungen bereitgestellt sind. 4. Wie weit es zulässig sei, bei Vivisectionen auf die Anwendung des Chloroforms und ähnlicher Mittel zu verzichten, lässt sich nicht durch Vor- schriften regeln, sondern muss dem Ermessen desjenigen überlassen bleiben, der den Versuch anstellt. Die in unseren Instituten vorkommenden Vivi- sectionen geschehen unter der vollen Verantwortung der vom Staate autori- - Die Vivisektion und ihre Gegner. 313 - sierten Vorstände dieser Institute, und ist somit jede mögliche Bürgschaft gegen Missbrauch der Vivisection "segeben. Im März 1879. Die medizinischen Fakultäten der Universitäten von: Basel, Bern, Bonn, Dorpat, Erlangen, Freiburg, Graz, Greifswald, Halle, Heidelberg, Kiel, Königsberg, Leipzig, Marburg, München, Prag, Wien, Zürich. Diese Antwort erteilten die deutschen Universitäten im _ Jahre 1879 öffentlichen und versteckten Angriffen. Dreissig Jahre sind seither vergangen, eine Zeit eifriger Arbeit und vorurteils- - freier Forschung. Die neuen Bestrebungen der Vivisektionsgegner - werden vielleicht unseren Hochschulen wiederum Gelegenheit bieten, sich zur Vivisektionsfrage zu äussern. Eine Erklärung - im Jahre 1909 wird wohl der vor 30 Jahren nicht nachstehen _ müssen. Die alten Prinzipien der freien Forschung stehen auch _ heute noch fest, vielleicht um neue vermehrt. Die alten Erfolge wurden durch eine Unzahl neuer be- _ reichert und nach wie vor kann die Forschung nach dem Wesen - der Krankheiten der Vivisektion als Hilfsmittel nicht entbehren. _ Vielleicht wirkt heutzutage eine solche Erklärung überzeugender _ und nachhaltiger, so dass im Laufe weiterer 30 Jahre jede dies- - bezügliche Diskussion unnötig werden wird und die Vivisektions- - frage aufhören kann, eine Frage zu sein. Vielleicht wird eine solche . Erklärung auch Jie Vivisektionsgesetzgeber in ihre Schranken _ weisen; denn wohin derartige Gesetze führen, das beweist ein 4 jüngst in der englischen mediz. Literatur mitgeteilter Fall: Jaffe - hatte eine Frau operiert; am 8. Tage zeigten sich Symptome - von Tetanus, dem die Patientin erlag. Der Operateur gab die - Schuld dem von einer neuen Fabrik gelieferten Katkut, das öfter _ bei mangelhafter Sterilisierung der Träger von Tetanussporen ist. Er sandte die Proben einer Untersuchungsanstalt, die mit- telst kulturellen Nachweis tatsächlich das Vorhandensein von - Sporen bestätigte, doch konnte sie eine entscheidende Antwort - nicht geben, da ihr für den einzig möglichen exakten Nachweis - durch den Tierversuch, die behördliche Bewilligung versagt wurde. - _ Fürwahr ein herrlicher Triumph der Vivisektionsgegner. — - Ein Tier wurde gerettet, der Fabrik aber konnte nicht nachge- _ wiesen werden, dass sie infiziertes Nähmaterial versendet, sie - kann dies unbeanständet weitertun. Hoffen wir, dass wir in - Österreich nicht auch so weit kommen, dass die Forschung durch _ Gesetze in Fesseln gelegt werde. Was die Aufgabe der Medizin in der Zukunft auch sein mag — all die vielen Probleme der speziellen wissenschaftlichen - Forschung, sie vereinigen sich in der einzigen Aufgabe, die das Ziel jeder wahren Wissenschaft ist, die Aufgabe, die Wahrheit zu suchen und zu finden, wo sie ist, wie sie ist und auf welchem Bres» man sie finden kann. 314 Prof. Dr. Ad. Liebus: Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. Von Prof. Dr. Ad. Liebus. v1. Branik—Hodkowicka—Modiran. Mit 7 Abbildungen. Zu dieser Exkursion benützen wir wieder einen Dampfer und fahren zur Station Branik-Bräuhaus. Hinter dem uns von der ersten Wanderung bekannten Wyschehrader Felsen tritt das Talgehänge auch am rechten Ufer vom Flusse etwas zurück und wird viel sanfter. Dieses Zurücktreten rührt davon her, dass die weichen Dd, Schiefer an die Stelle der von harten Bänken durchzogenen Dd, getreten sind und vom Wasser rascher und mehr abgeschwemmt wurden als diese. Die wenigen un- deutlichen Aufschlüsse derselben in kleinen Wasserrissen auf der _ Höhe und in der Nähe der neuen Schule in Podol lassen ein etwa süd- westliches Einfallen erkennen. Da aber die älteren Dd, Schiefer des Wyschehrader Felsens nach NW einfallen, so muss die Schichten- stellung hier hinter dem Felsen eine Störung erlitten haben. Die weichen Dd, Schiefer lassen sich an der Lehne des Stein- h bruches der Podoler Zementfabrik verfolgen und werden dann von den jüngeren Schichtengruppen überlagert. Im Steinbruche selbst ist der Schichtenverlauf besonders von der Ferne deutlich wahrzunehmen. (Fig. 1.) Da die Gebäude der Fabrik eine Photo- graphie des Ganzen beeinträchtigen würden, lasse ich hier ein Profilbild aus Jahn: ‚Geologische Exkursionen im älteren Palaeo- zoikum Mittelböhmen‘‘ folgen, das die Verhältnisse sehr gut erläu- tert. Gleichnachdem wir mit dem Schiffe die Höhe der Zementfabrik erreicht haben, sehen wir auf der Nordseite des Steinbruches die Schichten gegen die Sohle zu, also etwa gegen SW einfallen. E Im Liegenden ist es ein dunkles Schichtenband, auf das ein hell- ” grauer Schichtenkomplex folgt. Die unteren fast schwarzen Schiefer sind die obersilurischen Graptolitenschiefer Ee, mit den Übergangsschichten Ee, f, ihr Hangendes bilden die ober ze silurischen Kalke Ee,. Noch weiter im Hangenden erscheint wieder eine dunkle Abteilung die Ff, Schiefer. Infolge der 4 beiden gegen das Liegende konvergierenden Klülte ist das ganze & Schichtsystem etwas gestört. In der Breitenmitte des Stein- bruches ragt im obersten Teile eine steile Felsklippe empor, die aus einem kleinen Reste der Knollenkalke Gg, im Hangenden und aus einer wenig mächtigen Partie der dickbankigen hellen ; 4 Meng Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 315 - Ff, Kalke im Liegenden besteht. Die analogen Schichten des E -Südflügels fallen gerade entgegengesetzt gegen NW ein. f Der weitere Schichtenverlauf gegen Süden ist durch die Kul- - turen verdeckt. Erst an dem uns bereits bekannten Braniker Felsen kommt wieder unbedecktes Gestein zum Vorschein, wie wir schon in ‘der Exkursion II, Fig. 3 gesehen haben, die unteren Knollenkalke --6g,. Vor den steilen Kalkwänden zieht sich ein Teil des - „weichen“ Geländes gewissermassen an dem Kalksteinbruch em- por. (II. Wanderung, Figur III, links.) Dieser Teil besteht wie- - der aus den weichen Dd, Schiefern und bildet den Südflügel der ° Mulde, deren gegen SW geneigten Nordflügel wir in der Ort- schaft Podol nachweisen konnten. t Hier beim Braniker Felsen bilden diese Schiefer scheinbar das Hangende des Knollenkalkes Gg,. Dieser fällt also schein- bar unter die untersilurischen Schiefer ein. Es ist dies die Fig. 1. Podoler Steinbruch (nach Jahn), NS-Profil. Wirkung einer Störungslinie, die zwischen dem Schiefer und - dem Knollenkalke hindurchzieht. Von der Haltestelle Branik-Bräuhaus, wo wir aussteigen, 3 benützen wir den breiten Fahrweg, der zum Bräuhause selbst führt. Eee 2) Wir queren zunächst die Strasse Branik-Hodkowicka und }; - dann die zwei Bahngeleise und betreten den Fussteig, der wie die blaue Aufschrift auf der Hofmauer des Bräuhauses besagt, gegen Zäti$i führt. Schöne Aufschlüsse sind zwar hier nicht zu finden, wir können uns aber nach einigen hundert Schritten _ überzeugen, dass die braunen Dd, Schiefer den Untergrund bil- den, denen noch hie und da grobkörnige Grauwackensandsteine eingelagert sind. Nach dieser Feststellung kehren wir wieder F um und benützen vom Bräuhause aus die Strasse gegen Hod- 'kowicka. Bei der Eisenbahnstation Bianik- Hodkowitka, die wir zu- nächst passieren, ist ein Teil der Lehne entblösst. Hinter dem Eisenbahnviadukte beim ersten Hause des Ortes Hodkowicka a ie Ba ae Kg nn AN ala ab La Dun 1 te 316 a RB Dr Ai Trohae: ist der Eingang zu dem aufgelassenen Steinbruche, der die Schichten freilegt. Diese bestehen aus einer Aufeinanderfolge von Graptolitenschiefern und dazwischen liegenden Diabaslager- gängen. Hinter dem genannten ersten Hause ist diese Wechsel- lagerung noch viel deutlicher sichtbar, da hier der Steinbruch- betrieb energisch eingesetzt hat und die beteiligten Schichten deshalb deutlicher zutage treten. (Fig. 3.) Links oben sieht man die etwas gebogenen Schichten der hangenden Graptolitenschiefer, die Hauptmasse bildet der ungeschichtete Diabas und rechts in Liegenden desselben treten wieder die grossen Schichtflächen der Graptolitenschiefer (Verflächen 30—35° NW) hervor, die hier stellenweise recht schöne Harnischflächen zeigen. Beim Durchschreiten des Ortes können wir an dem Fahr- wege, der von der Kapelle gegen Osten die Lehne bin 2 wieder die Dd, Schiefer feststellen. 32 Die ganze Schichtengruppe also von der Station bis zu den ersten Häusern des Ortes ist in die Dd, Schiefer einge- lagert, sie bildet eine sogenannte Kolonie im Sinne Barrandes und führt den Namen Kolonie Hodkowiöka. Sie stellt wahrscheinlich E die Fortsetzung der Kolonie vor, die wir am jenseitigen, linken Geologische Wanderungen in der: Umgebung von Prag. 317 Moldauufer bei der Kuchelbader Station in der ersten Wande- rung kennen gelernt haben. Die Dd, Schiefer bilden die ganze Lehne von Hodkowicka über ZatiSi hinüber gegen den Meierhof und Weiler Lhotka. Man sieht sie von der Strasse aus überall in den Talfurchen aufgeschlossen, sie bedingen auch die „Weichheit“ der Terrain- formen dieser Gegend. Vor dem Orte Modran, wo in der Spezialkarte ein einziges Wirtshaus Truhlärna eingezeichnet ist, wo aber heute eine Brett- Fig. 3. Diabaslagergang in der „Kolonie Hodkowicka“, säge mit Nebengebäuden und sonstige Privathäuser stehen, ist in der Richtung gegen Modran hinter der Villa Flora wieder ein Stück der Lehne durch einen Steinbruch entblösst. (Fig. 4 und 4a.) Zunächst sind in der Daraufsicht links die braunen leicht verwitterbaren Dd, Schiefer sichtbar mit einem Verflächen gegen NW, dann folgt eine Zone von dunkelgrauen zum Teile ganz schwar- zen Schiefern, die mannigfach gefältelt erscheinen und eine grosse linsenförmige und einige ganz untergeordnete Einlagerungen von Diabas und Einschaltungen von grünlichen Tuffen zeigen und als Liegendes mächtige Bänke eines grauen Quarzites, der stel- 318 WE Prof. Dr. Ad. Liebus: E4 lenweise in ein feinkörniges Konglomerat übergeht, worauf dann gegen Modran wieder die Dd, Schiefer folgen. Sowohl die brau- nen hangenden Schiefer als auch die Quarzite gehören dersel- ben Etage Dd, an. Die Graptolitenschiefer erscheinen hier mitten in einer Schichtenfolge desselben Alters, sie bilden wie- der eine Kolonie, die sogenannte Kolonie Winice. Hier sieht man aber klar, dass die Einlagerung nicht auf eine normalerweise ungestörte Schichtenfolge zurückzuführen ist, sondern dass eine bedeutende Störung vorliegt, wenn man die Grenze zwischen den dunklen Graptolitenschiefern und den liegenden Quarziten näher Fig. 4. „Kolonie Winice*. betrachtet. Dort verläuft eine deutlich sichtbare, Störungslinie zunächst die Schichtfläche der hangendsten Quarzitbank entlang, dann aber durchschneidet sie diese und die nächstliegende schief und verliert sich an der Schichtfläche der drittnächsten Quarzit- scholle. (Fig. 5.) Oberhalb des liegenden Teiles der Schichten breitet sich auf der ziemlich steilen Anhöhe ein Weinberg aus, während die weiteren Höhen gegen Modran hin vom Flusse und von der Strasse etwas zurückweichen. Wir treten nun am NW Eingang in. den Ort ModYan ein. Durch die Kreuzung zweier Strassenzüge entsteht ein freier Platz, an dessen Nordwestecke die Wegrichtungen durch Orien- tierungstafeln gekennzeichnet sind. Wir folgen der angegebenen Pe GR RB ae a ar Dr! . — a ra a Due a alt Da A 3 Y u DR EN ROTE A EER ra et ” Br R RR En { 7 - N 4 Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 319 Wegrichtung nach Lhotka und Libusch,- wenden uns gegen NO und gehen die lange Dorfgasse entlang. Vor den letzten Häu- _ sern trennen sich die beiden Wege, der eine führt im allgemei- nen nordöstlich gegen den Meierhof und Weiler Lhotka, der an- dere fast rein östlich gegen die Ortschaft Libusch. Diesen Weg verfolgen wir weiter. Gleich bei den letzten Häusern von Modran sind die beiden Wege etwas in das Niveau eingeschnitten und entblössen die braunen bis braungrauen glimmerreichen Dd, Schiefer, deren Einfallen gegen NW sehr leicht zu messen ist. Der Einfalls- winkel ist durchschnittlich 30°. Bei einem altertümlichen kapel- lenartigen Bildstocke zweigt rechts von dem Fahrwege ein Feld- weg ab, der in das Tal hinabfübrt. Knapp an der Umfriedung _ P= Fig. 4a. Schematische Profilzeichnung zu Fig. 4. der Gärtnerei, bei der wir vorbeigehen, sind im Hohlwege wieder dieselben Schiefer aufgedeckt. Das Tal verengt sich bachauf- wärts zu einer Schlucht mit hohen steilen Wänden, an deren Nordseite, etwa in der Mitte der Flanke, ein schmaler Fussteig führt, den wir zum Weiterschreiten zu gewinnen trachten. Das Gestein ist wieder der Dd, Schiefer, hier aber durch Einschal- tung von Quarzitzwischenlagen viel widerstandsfähiger und fester. Sein Verflächen ist steiler als wir es bei der Ortschaft nachwei- sen konnten. Der Einfallswinkel liegt zumeist zwischen 40° und 50°, wobei sich das Verflächen stellenweise fast gegen W wendet. Auf der drübigen Talseite sieht man zwischen dem- Gezweige eines kleinen Gehölzes ein Haus stehen. Bevor wir auf dem Saumpfade soweit gekommen sind, dass wir auf der diesseitigen Talflanke uns auf gleicher Höhe mit dem 320 Prof. Dr. Ad. Liebus: E Hause befinden, durchfurcht ein tiefer Wasserriss unsere Tal- lehne. Jenseits der scharfen Ecke, um die wir zum Wasserrisse herumbiegen müssen, ist das Einfallen derselben Schichten plötzlich mit 40° gegen SO gerichtet. Verfolgen wir die einzelnen Schich- ten in ihrem Verlaufe die Höhe hinan, so erblicken wir hoch oben die Ursache dieser Erscheinung. Die Schichten legen sich oben fast horizontal aufeinander, biegen ziemlich scharf um und der zurückkehrende Schenkel der Falte legt sich wieder unmittel- bar an den aufsteigenden Schenkel heran. Dann folgt eine zweite Umbiegung der Schichten, durch welche sie in die Lage gebracht Fig. 5. Die Störungszone der „Kolonie Winice* aus der Nähe. werden, dıe wir soeben an dem Saumwege im Wasserriss messen konnten. Eine derartige Erscheinung nennt man eine liegende Falte. Nach einigen Schritten sehen wir die Schiefer wieder mit 20° gegen NNW und wiederum nach kaum 20 Schritten nach OSO einfallen, worauf das Verflächen konstanter wird und mit 70° gegen O gerichtet ist. Dieser rasche Wechsel des Einfallens auf einer verhältnismässig kurzen Strecke lässt die Dd, Schiefer vom Schluchtausgange aus so mächtig erscheinen. Gerade gegenüber dem schon erwähnten Hause fällt an den Schiefern ihr Habitus auf, die einzelnen Schieferlamellen sind ganz verquetscht und ihre Schichtflächen sind stellenweise ' Be a a Hu A an ul Sn Da iuch ı/ Alaanı Zu dad un nn nd a u Eu len dach l land 1 I a el Ba ie 3 Ele be aan nn irn ni ne a Er -Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prae. 321 mit kleinen Harnischen versehen. Der darauffolgende Teil der Lehne ist zunächst ganz verrollt und mit Gehängeschutt bedeckt, man bemerkt aber darin Schieferstückchen, die ganz fremdartig sind. Sie sind hart, mattgrünlichgrau gefärbt. Es sind dies dieselben Schichten, die wir bereits nach dem Durchschreiten der Wolfsschlucht im Scharkatale getroffen haben und gehören der kambrischen Formation an. Nach einigen Schritten sehen wir sie anstehen und mit feinen sandigen Grauwacken- sandsteinen wechsellagern.. Zwischen den vorhin beobach- teten untersilurischen Dd, Schichten und den jetzt auftreten- den kambrischen Schiefern muss eine bedeutende Störung hin- Fig. 6. Auflagerung der Konglomerate auf die kambrischen Schiefer in der Libuscher Schlucht. durchgehen, längs der die alten kambrischen Schiefer sich bis 2 an die Schichten des Untersilurs herangeschoben haben. Das Einfallen der neu aufgetretenen Schiefer ist 30° SO. Sie be- gleiten nun unseren Pfad, wie vordem die Dd, Schiefer. Auch an den steilen Wänden eines Quertales, das von N zu unserer Schlucht sich hinabsenkt, kann man vom Weiten ihre Anwesen- heit erkennen. | Um im Libuscher Tale weiterzukommen, müssen wir pun unseren Fussteig verlassen und in der Talsohle weitergehen. Die kambrischen Schiefer, die zu Beginn ihres Erscheinens hellgraugrün waren, werden jetzt dunkler, sind an ihren Schicht- ER > 322 Prof. Dr. Ad. Liebus: flächen oft blau, metallisch angelaufen und erzeugen bei ihrem Auftreten in der Lehne durch eine fast normal zur Schichtfläche ver- laufende Klüftung steile Abstürze mit treppenartigen Abstufun- sen. Sie sind hier von den Paradoxidesschiefern des böhm. Kambriums bei Jinetz und Skrej nicht zu unterscheiden. Aber vergebens sucht man da auch nur nach einer Spur von einem Trilobiten. Das Tal macht nun eine Biegung und hinter derselben sind in einem kleinen Steinbruche die hier ganz dunklen Schiefer in grossen Platten aufgeschlossen. Bis hierher führt der Feldweg usunterbrochen, seine weitere Fortsetzung findet er teils als Fussteig teils als Feldweg zur Ortschaft Libusch. Gleich hinter dem Steinbruche liegen in der Talsohle Find: linge eines Gesteines, das uns bisher bei unseren Wanderungen nicht untergekommen ist. Es ist dies ein Konglomerat, d. h. ein Gestein, das aus einzelnen zusammengekitteten Geröllstücken besteht. Etwa 100 Schritte vom Steinbruche gegen Libusch zu sehen wir es anstehend. (Fig. 6.) Es bildet das Hangende der erwähnten kambrischen Schiefer, wird aber im weiteren Verlaufe des Tales wieder von ebensolchen Schiefern überlagert. Die einzelnen abgerollten Bestandteile des Konglomerates sind nuss- bis kindskopfgross und müssen, da ihre Gesamtheit, das Konglomerat selbst, kambrischen Alters ist, vorkambrisch sein. Es mag hier zur Zeit des Kambriums ein Fluss diese Geröllstücke abgesetzt haben. Die einzelnen Stücke gehören zum Teil Eruptivgesteinen an, Krej@i nennt als Bestandteile Diorit und Quarzporphyr, zum Teil sind es Stücke einer quarzigen Grauwacke und Kiesel- schieferbrocken. Krej@i behauptet, auch Kalkgeröllstücke gefun- den zu haben. Das würde auf einen präkambrischen Urkalk schliessen lassen. - Das bisher fast ostwestlich verlaufende Haupttal verästelt sich hinter diesem Konglomeratzuge in eine Anzahl von Zweigen. In einem derselben gehen wir hinauf, bis wir den Fahrweg treffen, der von Libusch im Osten gegen Modran im Westen führt. Er ist neu ausgebaut und in den frisch ausgehobenen Weggräben findet man überall die kambrischen Schiefer an- stehend, die #uch zum grossen Teile das Schottermateriale liefern. Nachdem wir in der Richtung gegen Modfan die höchste Stelle des Weges passiert haben, erblicken wir rechts von uns, also nördlich vom Wege am jenseitigen Rande des Tales, das von dem Bache durchflossen wird, der unmittelbar am Nordwest- ausgange von Modran von der Strasse gequert wird, entblösste Felsen. Sie bestehen, wie wir bei näherer Besichtigung fest- Fer > Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag. 3933 stellen können, aus einem hellgrauen Quarzite und werden öst- lich am Rande einer jungen Waldkultur von dunklen Schiefern begleitet, die durch sogenannte falsche Schieferung in griffel- förmige Stücke von 10—15 cm Länge zerfallen sind. Von den sonst dem Materiale nach sehr ähnlichen, aber meist hellgrau- grünen kambrischen Schiefern unterscheiden sie sich durch ihre‘ Glimmerhältigkeit. Es sind dies Schiefer der Etage Dd, y und gleichen im Aussehen den gleichalterigen Schichten, die beim Eisenbahnviadukt bei der Kaisermühle hinter dem Baumgarten auftreten. Es fehlen ihnen aber die sonst diese Schiefer charakte- risierenden harten Konkretionen. Die Quarzite im Hangenden dieser Schiefer müssen also der Etage Dd, angehören. Die Streichungsrichtung dieser beiden Schichtengruppen stimmt mit dem Streichen der Störung über- ein, die wir in der Modraner Schlucht wahrgenommen haben, wo auf Dd, Schiefer plötzlich die kambrischen Schichten folgten. Hier treten aber unter den Dd, Schiefern noch die nächst tieferen Sehichtenglieder Dd, und Dd, y zum Vorschein, die in der Schlucht durch Überschiebung seitens der kambrischen Schichten und Heran- schiebung bis an die Dd, Schiefer bedeckt wurden. Diese Dislokation ist nicht von lokaler Natur, sondern sie ist ein Teil einer grossen SW—NO streichenden Störungslinie, die Krejöi mit dem Namen der Brdybruchlinie bezeichnet. Sie bedingt die Streichungsrichtung des Brdywaldes, die Felspartien der Skalka bei Rewnitz und bei Öervenä hlina oberhalb Dobfi- chowitz. Die Quarzite, die wir hier sahen, treffen wir noch einmal SW der’ ersten Häuser der Einschichte Neuhof, von wo sie gegen den Kunratitzer Wald zu streichen. Die übrige Anhöhe zwischen Neuhof und Lhotka ist weit nach N und NW mit Lehm und Schottermassen bedeckt. Erst unterhalb des in den Karten als Jägerhaus eingetragenen Gehöftes im N von Lhotka treten die weichen, glimmerarmen Dd, Schiefer hervor. Sie verwittern hier an der Oberfläche zu einer schweren Erde, die im Vereine mit der darüberliegenden Lehmschichte in einem alten Lehmschlage zur Ziegelbereitung verwendet wird. Die Schiefer begleiten von da an unseren Weg bis nach Branik hinein. N Tree, ES u Pd 324 Dr. Jakob von Sterneck: Ein Beitrag zur Schmetterlingsfauna Prags. Von Dr. Jakob von Sterneck (Prag).' Angeregt durch die Tausende von Eulen, die ich anlässlich eines kurzen Aufenthaltes in Wien im Juni l. J. an den elek- trischen Lampen im Prater fliegen sah, stellte ich mir die Auf- gabe, sicherzustellen, ob auch in Prag, dessen Umgebung gegen- über Wien viel zu wünschen übrig lässt, am Licht Einiges zu fangen wäre. Eine niedrig hängende elektrische Bogenlampe in einem der öffentlichen Gärten Prags*) war bald gefunden, und ich versuchte am 21. Juni zum erstenmale mein Glück. Wie überrascht war ich aber, als mir gleich an diesem ersten Tage eine solche Fülle von Arten ins Netz kam, wie ich sie in Prag niemals vermutet haben würde Ich setzte demnach am folgenden Tage meine Fangtätigkeit fort und erlebte eine neue Überraschung, indem ich diesmal fast lauter neue, am ersten Tage nicht gefangene Arten nach Hause brachte. Ich fing nun am 24., 25. und 26. Juni, dann nach einer kalten Woche wieder am 4., 5. und 6. Juli immer an derselben Lampe weiter und hatte in diesen wenigen Tagen nicht weniger als 68 Arten festgestellt. Nach Rückkehr von einer Urlaubsreise setzte ich am 6. August meine Beobachtungen fort und fing mit einigen Unter- brechungen bis 24. August, an welchem meine Untersuchungen ein gewaltsames Ende nahmen, indem die fragliche Bogenlampe wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit schon so zeitlich ausge- löscht wurde, dass an einen Schmetterlingsfang nicht mehr zu denken war. Trotzdem es sich also bloss um 15 Abende handelt, glaube ich doch das Resultat meines Fanges bekannt geben zu sollen, da mir die Fülle der Arten, die mir in der kurzen Zeit ins Netz kamen, eine ungewöhnlich grosse zu sein scheint, und auch ein- zelne seltene, wenigstens für Prag ungewöhnliche Funde zu ver- zeichnen sind. Im ganzen habe ich 122 Heterocerenspecies feststellen können, die im folgenden aufgezählt seien. Auffallend war mir, dass ausser einigen wenigen, in grosser Individuenzahl fliegenden Arten, fast alle übrigen Spezies nur in wenigen Stücken, oder gar nur in einem einzigen Exemplare *) Ich unterlasse es, den Garten näher zu bezeichnen, um eine über- mässige Verfolgung der Schmetterlinge durch Berufssamınler hintanzuhalten, gebe aber Interessenten persönlich gerne nähere Auskunft. 1 Ah ee Kal 0 zu De ah ar Hua a Be RUN. NORD ERR a a Ein Beitrag zur Schmetterlingsfauna Prags. 325 ‚gefangen wurden. — Um daher ein Bild des Lebens um die Lampe zu geben, füge ich bei jeder Art den Grad der Häufigkeit hinzu. Auch habe ich bei Arten, die ich nur im Juni oder Juli gefangen habe ein (J.), bei jenen, die nur im August erbeutet wurden, ein (A.) beigefügt. Die Aufzählung erfolgt in der Reihenfolge und mit der Nomenclatur des Kataloges der Lepidopteren des palaearktischen Faunengebietes von Staudinger-Rebel (1901). Sphingidae: Dilina tiliae L. — Einzeln (J.). Sphinx ligustri L. — Häufig. Deilephila euphorbiae L. — Einzeln (A.). Metopsilus porcellus L. — Einzeln (J.). Notodontidae: Cerura bicuspis Bkh. — 1 Stück (J.). Notodonta dromedarius L. — 1 Stück (J.). Lophopteryx cuculla Esp. — 1 Stück (J.). Pterostoma palpina L. — 1 Stück (A.). Pygaera curtula L. — Einzeln- (A.). Lymantriidae: Euproctis chrysorrhoea L. — Häufig. Stilpnotia salicis L. — 1 Stück (A.). Lymantria dispar L. — 1 Stück (A.). — monacha L. — In grossen Massen, besonders am 9, und 10. August, in der ganzen Stadt um alle Lampen fliegend; erst nach 11 Uhr abends beginnend. — — ab.nigra Frr. — Noch häufiger als der Typus (A.). — — ab. eremita O. — Besonders die SS gehörten fast ausschliesslich dieser Aberration an, während ich von QQ bloss 3 ganz schwarze Stücke fing. (A.) Lasiocampidae: Lasiocampa trifolii Esp. — 1 Stück (A.). Selenophora lunigera Esp. ab. lobulina Esp. — 1 Stück (A.). ‚Drepanidae: Drepana falcataria L. — Einzeln (A.). — lacertinaria L. — ] Stück (A.). — binaria Hufn. — häufig (A.). Noctuidae: Acronycta leporina L. — 2 Stücke (J.). — psi L. — Einzeln. — rumieis L. — 1 Stück (A.). 336 Dr. Jakob von Sterneck: Agrotis pronuba S. — Einzeln. — triangulum Hufn. — Sehr häufig. — cnigrum L. — Massenhaft. — brunnea F. — 1 Stück (J.). — multangula Hb. — 1 Stück (A.). — plecta S. — Häufig (A.). — putris S. — Häufig (J.). — exclamationis L. — Massenhaft (J.). — tritiei L. — Häufig (A.). — segetum Schiff. — Häufig (J.). — ypsilon Rott. — 1 Stück (J.). Epineuronia cespitis F. — 1 Stück (A.). Mamestra brassicae L. — Einzeln. — persicariae L. — 1 Stück (J.). — oleracea L. — 2 Stück (J.). -— genistae Bkh. — 1 Stück (J.). — dissimilis Kuch. — Häufig. — trifolii Rott. — Massenhaft. — reliculata Vill. — 2 Stücke (J.). — serena F. — 1 Stück (A.). Miana strigilis Cl. — Häufig (J.). — — ab. aethiops Hw. — Häufig (J.). — bicoloria Vill. — Einzeln (A.). Bryophila raptrieula Hb. — 1 Stück (A.). — perla F. — Häufig (A). Hadena monoglypha Hufn. — Einzeln (A.). — lateritia Hufn. — 1 Stück (A.). Euplexia lucipara L. — Einzeln (J). Hydroecia nictitans Bkt. ab. Erythrostigma Hw. — Ein- zeln (A.). | Tapinostola musculosa Hb. — 1 Stück (A.). Ein weiteres Stück an einer Bogenlampe am Wenzelsplatze. Leucania pallens L. — Sehr häufig. — evidens Hb. — 2 Stücke (J.)! — albipuncta F. — Ziemlich häufig (A.). Grammesia trigrammica Hufn. — 1 Stück (J.). Caradrina morpheus Hufn. — Einzeln. — alsines Brahm. — Häufig. — taraxaci Hb. — Häufig. Amphipyra pyramidea K. — Einzeln (A.). Calymnia diffinis L. — 1 Stück (A.). — trapezina L. — Sehr häufig. (A.). Cucullia tanaceti Schiff. — 1 Stück (J.). Heliothis dipsacea L. — Ziemlich häufig. Pyrrhia umbra Hufn. — Einzeln. er, RD . ni ? nn Erin ne N A a en Zu ‚Ein Beitrag zur Schmetterlingsfauna Prags. 3937 Acontia luctuosa Esp. — Einzeln. Prothymnia viridaria Cl. — 1 Stück (A.). Emmelia trabealis Sc. — 1 Stück (A.). Plusia pulchrina Hw. — 1 Stück (J.). — gamma L. — Sehr häufig. Zanclognatha tarsipennalis Fr. — 1 Stück (J.). — grisealis Hb. — 1 Stück (J.). Cymatophoridae: Habrosyne derasa L. — Ziemlich häufig (J.). Geometridae: Euchloris pustulata Hufn. — 2 Stücke (J.)! Thalera putata L. — 1 Stück (J.). Acidalia avergata L. — Sehr häufig. — — ab. spoliata Stgr. — Massenhaft. — rubiginata Hufn. — Häufig (A.). — marginepunctata Göze. — Einzeln. — incanata L. — 2 Stücke (A.). Ephyra punctaria L. — 1 Stück (A.). Rhodostrophia vibicaria Cl. — 1 Stück (J.). Timandra amata L. — Massenhaft (A.). Ortholitha bipunctaria Schiff. — Einzeln (A.). Lithostege farinata Hufo. — 1 Stück (J.). Larentia fulvata Forst. — Einzeln (J.). — 0ocellata L. — Einzeln. — variata L. var. obeliscata Hb. — 1 Stück (J.). — flucetuata L. — Einzeln (A.). — ferrugata Cl. — Sehr häufig (A.). — galiata Hb. — Einzeln. — sociata Bkh. — Einzeln (A.). — alchemillata L. — Einzeln. — Juteata Schiff. — 1 Stück (A.). — bilineata L. — Einzeln. -— silaceata Hb. — 1 Stück (A.). comitata L. — 1 Stück (A.). Alena candidata Schiff. — 1 Stück (J.). Tephroclystia oblongata Thnbg. — Häufig (A.). — absynthiata Cl. — Einzeln. — satyrata Hb. — Einzeln (J.). — plumbeolata Hw. — 2 Stücke (J.). Anmerkung: Einige weitere Tephroclystien sind wegen des schlechten Erhaltungszustandes nicht mehr mit Sicherheit bestimmbar. : Abraxas adustata Schiff. — 1 Stück (A.). Deilinia pusaria L. — Einzeln (J.). Ennomos fuseantaria Hw. — 2 Stücke (A.). Selenia lunaria Schiff. gen. aest. delunaria Hb. — Ein- zeln (A.). Ourapteryx sambucaria L. — Ziemlich häufig. 'Opisthograptis luteolata L. — Einzeln (J.). Semiothisa alternaria Hb. — Einzeln (A.). — signaria Hb. — 1 Stück (J.). Amphidasis betularia L. — Einzeln (J.). Boarmia roboraria Schiff. — 1 Stück (A.). x — crepuscularia ab. defessaria Frr. — 1 Stück (A.). Cymbidae: Hylophila prasinana L. — 1 Stück (J.). Arctiidae: Spilosoma lubrieipeda L. — 1 Stück (J.). — menthastri Esp. — Häufig (J.). Phragmatobia fuliginosa L. — Einzeln (A.). Miltochrista miniata Forst. — 1 Stück (J). Gnophria rubricollis L. — Ziemlich häufig (J.). Oeonistis quadra L. — Gleichzeitig mit L. monacha in Tausenden von Exemplaren in ganz Prag die Bogen- lampen umfliegend. (A.) Lithosia complana L. — Einzeln (A.). Prag, am 5. November 1909. E Fr n 1 € 2 . e. Bi, E E PR, or WIENER EEE alla ha Em rs He a SA ln An Haha edle Alm ae ) Llumde 11 31 BEN a 1a San tun a ia dan > ad Ken 2 v ar ” N, { + # ni ie N s « _ Inhaltsverzeichnis. Seite Adler, Dr. Oskar, Beitrag zur aetiologischen Therapie. . » .». 2... 64 Allers, Dr., Über labyrinthäre 1 EINtörmneen Ba ES er RER TRETEN "Astronomisch-physikalische SER LOITE Re rs A 184 Bail, Prof. Dr. O., Nützliche Bakterien . . 61 Beck, Prof. Dr. @. v. Managetta und Lerchenau, "Über "Pflanzenarten und deren Umwandlung in neue. . messen 1OBSELEE — Geschichte und Entwicklung der Alpenflora EEE NEN 04: Biologische Sektion...» 2... RE 125 Birk, A. Prof., Das Zuwenohlan: RE Ne 3: Bücherbesprechungen Te ee TE 2: BRennsche: Sektion. 22 an en le, Czapek, F.. Zum Gedächtnisse von Charles Darwinesr. See — Physiologie und Morphologie . . 22988 Dexler, H. Prof., Australische Reisebriefe IT, hr, IV, ‚99, v, 189, V1.,.227 — Klinische Untersuchungen über die sogenannte "Chorea der Te N A 31, 68 Dure, Dr. Max, Land und Leute von Buchara er: 61 — Eine Reise nach Russisch-Zentralasien und nach der Buchara . . 69 Exkursion der En en BERON TI en 184 Fischer, Doz. Dr. O., a) Demonstration eines eigentümlichen Ganglien- zellenbefundes, b) Demonstration . . » 2 222.2 .. NH IB Freund, Dr. L., Demonstration der Hoden eines Haykres.. „2... —_ Demonstrationen zug aschpatbölagie 0. rent... as Ye Geitler, Prof. Dr. Josef Ritter von, Dr. Rudolf von Hasslinger ER Geographische SIE ee En en NEE ee ... 158, 184 Georgievics, Prof. Dr. v., Über Colloide . . . . NER 127 Grünert, Prof. Dr. M., Die Astronomie bei den Araben . . . . . 61, 145 Gudernatsch, 8... E., Ein Bruch des Unterkiefers bei Lepus cuniculus Ir, hervorgerufen durch eine Coenurusblase . ... ....». 24 — Eine eigentümliche Duplikatur der Muscularis des Duodenums . . 261 Helly, Doz. Dr. Konrad, Über das Wesen von Krankheit und Tod . 63, 84 Hönigschmied, Doz. Dr. 0,, Demonstration...» 2... ee ae Kahn, Doz. Dr. R. H., Demonstration spontaner Rhachitis. . . . .. 68 — Eine neue Methode zur Pe des Herzens (das Saiten- DARBHOBLET) EU ee oe» ne Se Kalmus, Dr. Demonstrationen zum "Opakilluminator Be a; Kafka, Dr. V., a) Demonstration von Melanosarkomzellen im "Liquor cerebrospinalis, b) Demonstration von rote Blutkörperchen phag- zytierenden weissen Zellen im Liquor cerebrospinalis . . . BE Kochmann, Karl, Mittlere Massenerhebung des Hohen Böhmerwaldes Ba Langhans, Dr. V, Demansiralon eine ya Den — Zur Biologie der Zelle 3.32... Be N N BEEikionpeöblemarn ee en ee 172 Laube, Prof. Dr. G. C., Neue Andriasreste aus den Tonen von Preschen bei-bBilm - .::; 120 — Ein neuer Vogelrest aus :den. Tonen "von. Preschen bei Bilin Fran El ee ren ee RER Lieben, Dr. $., Über Krankenernährung . Erde 92 Liebus, Prof. Dr. Ad., Geologische Wanderungen in der Umgebung von Prag, VI, 217, an nn 314 Lippich, Dr. Pi, Über Uramidosäuren, IE. HESS ee er Löwy, Dr. Max, Über Psychosen im allgemeinen . ... 2 2..... 94 2 7 r Seite Lucksch, Doz. Dr. Fr., Die Serumbehandlung der Krankheiten. .. . 264 Lux, Dr. Paul, Zur Struktur des Retens . » 2222.20. . en Meyer, Prof. Dr. H., Über Zweikernchinone . . 2.2.2222... 128 Milrath, Hugo, Antoine Henri Beecquerel = 773,227; an - 58 — Zur Geschichte des Hermöstranes 7-3. 30%. re ee 215 — Beiträge zur Geschichte der Chemie, I... 2.2... 2.2.2.2... 300 Mineralogisch-geologische Sektion . . » » 2 2 222222000. . 184 Monatsversammlung: vom 8./2. 1909... 126, vom 3./3. 1909...126, vom 7.15. 1909. 183, vom 26.5. 1909 Dr na Te ke are 183 Münzer, Prof. Dr. E., "Neue Methoden der klinischen Blutuntersuchung . 94 Oppenheim, Prof. Dr. S., Verschiedene Perioden in den erdmagnetischen Eirscheninupen = ns ee Re ee . 183, 202 —, Der: Halleysche Komet 774, .. 7... Sa ee 264 Otto, Georg, Über das Mikroskop und einige Nebenapparate. . . ..63 Pascher, Dr. Ad., Ein kleiner- Beitrag zur Kenntnis der Chrysomadinen Böhmens ne ee 148 Preisausschreiben” „2.2... 2-2. 72° vu sa ee ee ee en 30 Rambousek, Doz. Dr., Bez. ER Staub und Staubkrankheiten . . . . 126 Rollett, Dr. H., Demonstration von multiplen Kalkablagerungen in der Leber,» "ASenpe u ee ee ee ae en 92 Rothmund, Prof. Dr. V., Über Löslichkeitsbeeinflussung von Salzen. . 127 — Über die Reduktion der Perchlorate . ». .. 2. 22. 22.00. 128° Saliger, Prof. Dr. Ing., Neue Baustoffe und Bauwerke... ..... 61 Scheller, Dr. A., Strahlung und Temperatur der Sonne .....2.,129 — Die Geschichte und Entwicklung des Fernrohres. . ..... 264 Sitzuingsberichte "iA SA is ee . „63, 88, 126, 158, 183 Spitaler, Prof. Dr. R, Meteorologische Ergebnisse auf der Donnerberg- warte des Gebirgver-ines Teplitz in den Jahren 1907 und 1908 . 79 — Demonstration des Seismographen . .: . 2.2 2.2... 2: ER — Moderne Erdbebenforschung . . . .» .» . "22... al Eee RE Starkenstein, Dr. Emil, Die Vivisektion und ihre Gegner, Ra, 9 280, 303 Sterneck, J. v., Dr., Ein Beitrag zur Schmetterlingsfauna Prags . . . 324 Tenschverkehr den Dotoß . 2m 222. 2 188 Thorsch, Dr. E., Demonstrationen zur Bodenfauna des südlichen Nord- Tan. a N N 67 Turnau, Dr, Richard, Über die Einwirkung von Jodmethyl auf a tuierte Pyridiacarbonsäuren NE ae ER RRT EN . 128 Verocay, Dr. Jose, Über Malaria und andere Blutparasiten Rune 91 Verzeichnis der volkstümlichen Vorträge des Lotos im W. S. EAODS . 264 Vollversammlung, a.-o., vom 21./1. 1909: 0 ae . 126 — v0m2J4:-IV.; 1909» 2:72 De ae ne re 126 Vorträge, populärwissenschaftliche, im Jahre 1908... . . 22.2... 61 Weil, Dr. E., Demonstration von Mäusetumoren . . » 2 2 22 220. 67 — Demonstration zum Phänomene der nachherigen Vermehrung der Bakterien. in resistenten Tieren: .-. „urn = Fee 91 Weil, Lotte, Über p-Dimethylaminobenzaldehyd. . » . 2.2... 127 Wiechowski, Doz. Dr, "W.,-Demonstration. 7.7.7, .5:%.- 12222 227 nase 68 — Demonstration eines Apparates zur Trocknung überlebender Organe bei normaler. Temperatur 2... each 92 Zimmert, K., Über einen Aufschluss des Prager Bodens 1, II. 154, III. 224, 250 De a a mann ae di a nn al lach. lea" a a te A Ns and) Ka Ad 1 a a ala BE ah rräl Er le 2 aid Bl ie u Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein für Böhmen „Lotos‘“, ‚Prag II., Weinberggasse 3a. (Botanisches Institut der deutschen Universität, I. Stock). Postsparkassenkonto: 818.076. PBibliotheksstunden: Montag 2 Freitag 2—3 Uhr. Redaktionsvermerk: Redaktionsstunden: Samstag 2—3 Uhr. (Priv.- Doz. Dr. L. Freund, sonst: IL, Taborgasse 48, Tel.-Nr. 3116.) Die Herren Mitarbeiter erhalten ein Honorar von 40 K pro Druckbogen und 40 Sonder- abdrücke ihrer Arbeiten, za am a Eisenmöbel- und Bettwarenfabrik = = = IGNAZ GOTTWALD PRAG, Teppich- und Vorhang- Warenhaus Graben 2, liefert: Untersuchungstische, Operationstische, Verbandzeug- tische, Irrigateurständer, Instrumentenschränke, Instrumenten- tische, Waschtische, Flaschenständer, Seziertische, Narkose- betten, Extensionsbetten, Betten für Paralytiker, Krankenhausbettenu.Krankenhaus-Einrichtungen. Reich illustrierter Preiskurant gratis und franko. RHnL BOLBSE, Seutsher Möbel- und Bautishhler, PRAG, Gerstengasse 24 neu, übernimmt Kanzlei-, Seshäfts- und Smhuleinrichtungen. Reparaturen qut und billig. Verlag des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen „Lotos“, “ Für die Redaktion verantwortlich Priv.-Doz.Dr. LudwigFreund.— Druck von Carl Bellmann in Prag Bm mn III DAT IT AT DAL AIDA TI ID m — mn nn ' Adam’s Apotheke | Prag Il, Wenzelsplatz Nr. 8 | | hält sich den Herren Ärzten zur Deckung ihres Bedarfes für Hausapotheken zu billigsten Preisen bestens empfohlen. Insbesondere sei verwiesen auf die renommierten Tabletten, Pflaster, Tinkturen, Salben, Pillen, geteilte Pulver u. a. Drogen. Preislisten gratis und franko. Ba — m m nn nn nn a a — — an & E - Fr. VSeteökas Nachf. F. 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Managetta und Lerchenau, Dr. L. Freund, Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn, Prof. Dr. A. Nestler, Prof. Dr. S. Oppenheim, Reg.-Rat. Direktor E. Reinisch, Prof. Dr. V. Rothmund, Prof. Dr. M. Singer, Prof. Dr. R. Ritter v. Zeynek. Redaktionsausschuss: Vorsitzender: Priv.-Doz. Dr. W. Wiechowski, 22002. 'Dr..:©.. Fischer; (biol. . Sekt.), : Dr. L. Freund (techn. Leitung), Dr. A. Gareis (min.-geol. Sekt.), Priv.-Doz. Dr. ©. Hönigschmid (chem. Sekt.), Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn (Ausschuss), Priv.-Doz. Dr. O. Richter (bot. Sekt.), DR. Schneider (geogr. Sekt.), | Prof. Dr. R. Spitaler (Ausschuss). Biologische Sektion: 1. Vorsitzender: Priv.-Doz. Dr. W. Wiechowski. 2. Vorsitzender: Priv.-Doz. Dr. R. H. Kahn. Schriftführer: Dr. V. H. Langhans. Botanische Sektion: Vorsitzender: Prof. Dr. G. Ritter Beck v. Managetta und Lerchenau. Schriftführer: Phil. Cand. K. Boresch. Chemische Sektion: Vorsitzender: Prof. Dr. G. Goldschmied. Schriftführer: Priv.-Doz. Dr. ©. Hönigschmid. Geographische Sektion: 1. Vorsitzender: Hofrat Prof. Dr. O. Lenz. 2. Vorsitzender: Prof. Dr. R. Spitaler. Schriftführer: Gymn.-Prof. Dr. L. Eylardi. Mineralogisch-geologische Sektion: Vorsitzender: Prof. Dr. A. Pelikan. Schriftführer: Dr. A. Gareis. ı* Tätigkeitsbericht, erstattet in der Vollversammlung am 2. April 1909. Unsere heutige Vollversammlung, einberufen zur Ent- gegennahme des Geschäftsberichtes und zur Durchführung der Ausschusswahlen findet im Zeichen der neuen Satzungen statt, deren etwas späte Genehmigung auch die Ursache der Verschiebung unserer Vollversammlung ist, die satzungs- mässig im Februar hätte stattfinden sollen. Die neuen Satzungen werden hoffentlich auf die Tätigkeit unseres Ver- eines günstig einwirken und voraussichtlich auch die Tätig- keit der Sektionen neu beleben und zu erfreulicher Ent- wicklung bringen. Die Bestrebungen des Ausschusses, zwischen den Ein- nahmen und Ausgaben des Vereines einen wirtschaftlich ge- sunden Ausgleich herzustellen, ohne die Wirksamkeit des Vereines selbst zu beeinträchtigen, sind auch im abgelaufenen Jahre zielbewusst fortgesetzt worden und haben er- freuliche Erfolge gezeitigt. Wenn der Verein auch noch finanziell in sehr bedrängter Lage sich befindet, so ist er aber doch schon auf dem Wege zu jener materiellen Konso- lidierung, die eine Beruhigung für die Zukunft gewähren kann. Und trotz dieser, von unserem Kasseverwalter Herrn Dr. Veit mit dankenswerter Energie beobachteten Sparsam- keit hat sich unser Vereinsorgan unter der Leitung des hie- für bestellten Ausschusses in erfreulichster Weise fortent- wickelt, so dass es mir angenehme Pflicht ist, diesem Komite, wie auch dem Leiter Herrn Dr. Wiechowski für seine eifrige und selbstlose Arbeit wärmsten Dank zu sagen. Von unserer Zeitschrift erschien im Jahre 1908 der 56. Band mit 328 Seiten Text, 4 Tafeln und 25 Abbildungen. Bezüglich des Formates derselben sind wir vom Quart- zum Oktav-Format zurückgekehrt. Vorträge und Versammlungen: Wie alljährlich haben auch im abgelaufenen Geschäfts- jahre in den Monaten November und Dezember 1908 fünf populärwissenschaftliche Vorträge (der 6. musste wegen plötz- licher Erkrankung des Vortragenden ausfallen) stattgefunden (S. Zeitschrift 1909, S. 61), die ungeachtet der in jenen Tagen in Prag herrschenden, die deutschen Bewohner arg gefährdenden Unruhen gut besucht waren. Dagegen litt unter diesen traurigen Zuständen die Versammlungstätigkeit unseres Vereines, denn es fehlte zu dieser Zeit naturgemäss an Interesse und seelischer Ruhe für eine wissenschaftliche V Betätigung, so dass die erste Monatsversammlung nach den Sommerferien nicht vor dem Monate Februar abgehalten werden konnte; im ganzen wurden vier Monatsversamm- lungen abgehalten. Dagegen haben im Monate Jänner zwei Vollversammlungen — die erste Vollversammlung war nicht beschlussfähig — zur Beratung und Genehmigung der vom Ausschusse vorgeschlagenen neuen Fassung unserer Satzungen, die diesem Berichte beigefügt sind, stattgefunden. Sektionen: Von den Sektionen hat die biologische Sektion eine sehr lebhafte, wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet; sie ist, ausgenommen die akademischen Ferien, jeden Dienstag abend, im ganzen 23mal zusammengetreten. Die geographische Sektion, die sich am 27. Januar 1908 gründete, hielt drei ordentliche Sitzungen ab. Die chemische Sektion verhandelte in sechs Sitzungen über streng wissenschaftliche Fragen. Über die Vorträge, Diskussionen und Mitteilungen in den Sektionen, ebenso wie über die Vorträge und Versamm- lungen finden sich ausführliche Berichte in unserer Vereins- zeitschrift. Allen jenen, die sich an der Vortragstätigkeit des »Lotos«, seiner Sektionen und Monatsversammlungen aktiv beteiligten, sei hiemit bestens Dank gesagt. Bibliothek: Unsere Bibliothek hat im Berichtsjahre viele wertvolle Bereicherungen erfahren und ist durch den Bibliothekar Dr. Schneider geordnet worden Der Tauschverkehr hat dank der Bemühungen unseres Dr. Freund eine hocherfreuliche Zunahme gefunden. Zu der Liste der Anstalten, denen unsere Zeitschrift zugeschickt wird und die im Jahrgange 1907 veröffentlicht wurde, sind hinzuzufügen (versehentlich nicht erwähnt worden): B.-Leipa: Nordböhmischer Exkursionsklub. Chemnitz: Naturwissenschaftl. Gesellschaft. Prag: K. k. Universitätsbibliothek. Wien: K. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Neu hinzugekommen sind (1907— 1908): Riga: Naturforscher-Verein. Jurjew (Dorpat): »Bulletin biologique« (Redaktion). Sassari: L’ Istituto fisiologico della R. Universitä. Bukarest: Institutul geological al Romäniei. VI New-Haven, Conn : Yale University Library. Sao Paulo, Brasil.: Sociedade Scientifica. > » » Secretaria da Agricultura do Estado de Sao Paulo. Washington: Interstate Commerce Commission, Div. of Statitics and Accounts. Im ganzen wird unsere Zeitschrift an 176 Korporationen und Anstalten verschickt, darunter Österreich-Ungarn 46, Deutschland 71, übriges Europa 32, Amerika 27. Mitgliederstand: Dieser betrug im Jahre 1908 an Ehrenmitgliedern 19, stiftenden Mitgliedern 10, korrespondierenden Mitgliedern 3, ordentlichen Mitgliedern 392, zusamen 424, also 23 Mitglieder mehr als im letzten Vereinsjahre. Die Mitgliederliste ist diesem Berichte angeschlossen. Leider hat der Verein 5 Mitglieder durch den Tod ver- loren: Das korrespondierende Mitglied Kais. Rat. Prof. Dr. Gust. Mayr (Wien); die ordentlichen Mitglieder Hofrat Prof. Dr. Wilhelm Gintl (Prag), MUDr. Hermann Kohn (Brüx), Dr. Rudolf Ritter von Hasslinger (Prag) und Buchhändler Josef Koch (Prag). Ich bitte die Versammlung durch Erheben von den Sitzen das Andenken an die entschlafenen Mitglieder zu ehren. Über die Finanzlage des »Lotos« gibt der Rechnungs- abschluss, der später zur Verlesung gelangen wird, und den Herr Prof. Lieblein in dankenswerter Weise geprüft hat, aus- führliche Mitteilung. Ich erlaube mir dem hohen k. k. Mini- sterium für Kultus und Unterricht, wie auch der Böhmischen Sparkasse für die dem Vereine gewährten Subventionen, sowie der Direktion des Deutschen Kasinos für die Über- lassung des Säulensaales den wärmsten Dank auszusprechen. Desgleichen danke ich auch der deutschen Presse Prags und der Provinz und allen Korporationen und Personen, welche die Interessen des Vereines förderten. Schliesslich danke ich herzlich namens unseres Vereines unserem Vorstandskollegen Herrn Prof. G. Beck v. Mana- getta und Lerchenau, der auch heuer wieder für die Biblio- thek ein Zimmer in den Räumen seines Institutes bereit- willigst überliess. Möge der »Lotos« auch im neuen Vereinsjahre sich kräftig entwickeln und möge ihm in der Erfüllung seiner vu schönen Aufgaben die werktätige Unterstützung seiner Mit- glieder und Freunde in immer reicherem Masse zuteil werden! Prof. Dipl. Ing. A Birk, Obmann. Kassabericht für das Jahr 1908. Einnahmen. Kassarest vom Jahre 1907. .... . Ti Jahresbeiträge der Mitglieder... . . . . 1938.63 Subvention des hohen k. k. Ministeriums für Kultus Duanümterricht 0 ar. ......500,— Subvention der Böhmischen Sparkassa, Prag; ..'... =1000.= . Honorar für auswärtige TAT RE N: 60, Zeitschriftenverkauf . . : . . U E ahisle, ©. 40.— Bee der Zenschrift na De. 5 TO Bermosenszinsen . . 2...» N 48,31 Beschiedenes 2.15... ER 1.68 RREBSIHEN K 0671.93 Ausgaben. Brenalt, Vortragsanslaoen . ...... ln SH Saalmieten a N ED LP N ee: 180.— Zeitschrift und Druckkosten N er BU OEE Behinderrechnume rn A 26.80 Ba une Verschiedenes 1... ne re 69.80 Zusammen K 4184.72 Kassarest für 1909 K 2487.21 Geprüft und richtig befunden: Dr. med. Ernst Veit, Prof. Dr. Robert Lieblein. dzt. Kassier. VII Mitgliederverzeichnis. 1.Ehrrenmitlglieder. Se. kais. Hoheit der Herr Erzherzog Ludwig Salvator Wien. Dr. Viktor von Lang, Hofrat und Univ.-Prof., Wien. | Dr. Ed. Suess, Univ.-Prof. i. R., Präsident der kais. Akademie der Wissenschaften, Wien. Dr. Aug. von Vogl, Hofrat und ‚Univ.-Prof., Wien. Dr. E. Hering, Geheimrat u. Univ.-Prof., Leipzig. Dr. E. Mach, Hofrat und Univ.-Prof., Wien. Dr. A. Engler, Geheimrat u. Univ.-Prof., Berlin. Dr. W. Pfeffer, Hofrat u. Univ.-Prof., Leipzig Dr. E. Strasburger, Geheimrat u. Univ.-Prof., Bonn. Dr. Julius Wiesner, Hofrat und Univ.-Prof., Wien. Dr. Berthold Hatschek, Univ.-Prof., Wien. Dr. Adolf Lieben, Hofrat u. Univ.-Prof., Wien. Dr. Franz Hofmeister, Univ.-Prof., Strassburg. Dr. Friedrich Becke, Univ -Prof., Wien. Dr. Richard Ritter von Wettstein, Univ.-Prof., Wien. Dr. Karl Toldt, Hofrat und Univ.-Prof. i. R., Wien. Dr. Viktor Uhlig, Univ.-Prof., Wien. Dr. Hans Chiari, Hofrat u. Univ.-Prof., Strassburg. Dr. Wilhelm Ostwald, Geheimrat u. Univ.-Prof., Leipzig 2. Stiftende Mitglieder. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften Wien. Böhmische Sparkasse, Prag. K. k. Staats-Gymnasium, Königgrätz. K. k. Staats-Gymnasium, Leitmeritz. Dr. Ernst Lecher, Univ.-Prof., Prag II., Weinbergg. 3. Anton Frankl, Prag Il., Leihamtsg. 5. Willy Ginzkey, Fabrikant, Maffersdorf. Camill Ludwig, Ober-Baurat, Direktor der Prager Maschinen- bau-A.-G. Prag VIIl., 145. Dr. Ing. Josef Knett, k. k. Quellen-Inspektor, Karlsbad. Se. Gnaden Herr Gilbert Helmer, Abt des Prämonstratenser- stiftes, Tepl. 3. Korrespondierende Mitglieder. Dr. E. Klebs, Univ.-Prof., Hannover. Dr. Viktor Schiffner, Univ.-Prof., Wien IIl., Rennweg 14. Botan. Institut. Dr. K. Vrba, Hofrat u. Univ.-Prof., Prag. 4. Ordentliche Mitglieder. Viktor Achtner, Gymn.-Prof., Karlsbad, Habsburgerstr. 1055. IX August Adler, Professor, Wien VI., Realschule. Dr. Oskar Adler, Assist., Prag II., Allg. Krankenhaus. Wilhelm Adler, Prag Il., Mariengasse 32. MUDr. Otto Ahnelt, Karlsbad, »Concordia«. MUDr. Rud. A. Allers, Assist.,Prag Il., Landesirrenanstalt. MUDr. Th. Altschul, k. k. Sanitätsrat, Prag Il., Herreng. 6. Hans Arbes, Gymn.-Prof., Smichow 804. Dr. Leopold Ascher, Prag Il., Jungmannstr. 32. Baer, Prag Il., Smetschkag. 18. MUDr. Oskar Bail, Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Wenzigg. 1308 Rudolf Bamberger, Prag Il., Ferdinandstr. 10. Dr. Bandler, Karolinenthal, Königstr. 12/13. Ingenieur Eugen Bartelmus, Prag VIl., Skuherskyg. 981. Marie Bartelmus, Prag VII., Skuherskyg. 981. Felix Bassler, Sekretär d. deutsch. landwirtschaftl. Zentral- verbandes, Kgl. Weinberge, Jungmannstr. 3. Johann Bauch, Smichow 887. Dr. Ernst A. Bauer, k. k. Finanz-Rat, Smichow 961. Olga Bausewein, Weinberge, Divischg. 6. Dr. Karl Bayer, Univ.-Prof., k. k. Reg.-Rat, Prag Il., Wenzels- platz 17. Dr. Günther Ritter Beck von Mannagetta u. Lerchenau, Univ.- - Prof. u. Direkt. d. bot. Gartens, Prag Il., Weinbergg. 3a, botan. Institut. Dr. Gustav Beck, Prag Il., Thorg. 4. Albin Belar, k. k. Bezirksschulinspektor, Laibach, Clemens Bergl, cand. med, Prag Il., Lindeng. 5. Dr. jur. Otto Beykovsky, k. k. Finanzkonzipist, Königl. Weinberge, Karlsg. 20. dipl. Ing. Alfred Birk, Professor a. d. deutsch. techn. Hoch- schule, Prag II., Palackyquai 1781. Karoline Bittner, Lyceal-Lehrerin, Smichow, Komenskyg. 23. Oberkomm. Bittner, Prag Il., Bredauerg. Buschtiehrad. Eisenb. Fritz Blumentritt, Realsch.-Prof., Budweis. Ernst Blüml, Prag IV., Palais Toscana. MUDr. Fritz Bondy, Specialarzt, Prag Il, Wenzelspl. 12. K. Boresch, Demonstrator a. pflanz.-phys. Inst., Prag Il., Weinbergg. 3a. Dr. Hugo Braun, Assist., Prag Il., Krankenhausg. 4 Pharmak. Inst. Anna Brozovsky, Prag Il., Myslikg. 27. Richard Brunar, k. u. k. Hauptmann, Prag VIl., Czechg. 205, Ill. Josef Bubenitek, k. k. Gymn.-Prof., Prag Il., Stefansgymn. Dr. Fritz Bunzel, Prag Il., Graben 30. MUDr. Rudolf Bunzel, Prag Il., Korng. 48. Otto Busse, Bubentsch, Manesg. 92. x J. G. Calve’sche k. u. k. Hof- u. “Univ.-Buchhandl, Prag 1., Kleiner Ring. MUDtr. Josef Cartellieri, Badearzi, Franzensbad. Dr. Carl Cori, Univ.-Prof., Triest, k. k. zoolog. Station. G. Crozel, Professor, Colonnes sur Saöne (Rhöne), Frankreich. Frl. Stud. med. Wilhelmine Czastka, Prag Il, Sokolstr. 4. Dr. Friedrich Czapek, Univ.-Prof., Czernowitz (Bukowina). Hans Deistler, Oberinsp. d böhm. Nordbahn, Prag Il., Pflaster- gasse 1003. Hermann Dexler, Univ.-Prof., Prag Il., Taborgasse 48. Gustav Diehl, Ing., Prag I., Karoline Svetlag. 43. Dr. Paul Dittrich, Univ.-Prof., Prag Il., Smeckag. 33. Frl. Josefine Ebenhöch, Bürgerschul-Lehrerin, Schönpriesen- Aussig a. E. Dr. Franz Ebermann, Prag Il., Jungmannsg. 15. Dr. Christian Freiherr von Ehrenfels, Univ.-Prof., Prag VIl., Felseng. 357. Dr. Julius Eisenbach, k. k. Finanzrat, Kgl. Weinberge, Jung- manng. 34. Dr. phil Eisenmeier, Priv -Doz., Prag I., Clementinum. Univ.- Bibliothek. Dr. Richard Elbogen, Prag Il., Heuwagspl. 2. L. Elischak, Direktor d. Kreditanstalt, Prag II., Graben 10. Dr. A. Elschnig, Univ.-Prof., Prag Il., Ferdinandstr. 10. ]JUDr. Karl Eppinger, Landesausschussbeisitzer, Kgl. Weinberge, Bozetechg. 9. Dr. Alois Epstein, Univ.-Prof., Prag Il.. Palackyg. 1. Franz Erben, Prof. a. d. Handelsak., Prag I., Fleischmarkt. Leopold Eylardi, Gymn.-Prof., Prag Il., Stephansg., Gymnasium. Max Fanta, Apotheker, Prag I., Altst Ring. Karl Fasse, Obergäriner, Krc. Dr. Rudolf Fick, Univ.-Prof., Prag Il., Salmg. 5. Dr. Moritz Fiedler, Ingenieur, Triest, Postfach 24. Dr. Alfred Fischel, Univ.-Prof., Prag Il., Salmg. 5, Anat. Inst. ]UDr. M. Fischel, Kgl. Weinberge, Manesg. 25. Josef Fischer, Gymn.-Suppl., Eger. Dr. Oskar Fischer, Priv.-Doz., Prag Il., Landesirrenanstalt. Dr. R. Fischl, Prag I., Klemensg. 1. Dr. Rudolf Fischl, Univ.-Prof., Prag Il., Stubeng. 1. Dr. Viktor Folgner, Assist. a. d. Hochschule f. Bodenkultur, Wien. Dr. Max Fortner, Prof., Karolinenthal, Deutsche Realschule. Dr. Paul Fortner, k. k. Inspektor a. d. Lebensm. Unter- suchungsanstalt, Prag Il., Albertg. | Dr. Richard Frankl, Prag, Ritterg. 10. ER REERETER EN ae ee xI ‚Dr. Otto v. Franque, Univ.-Prof., Giessen (Deutsches Reich). Dr. Ludwig Freund, Univ.-Assist., Prag II, Taborg. 48. MUDr. Karl Frunzl, Tyssa bei Tetschen. Dr. Cölestin A. Fuchs, Kapitular d. Stiftes Osseg, Gymn.-Prof. Komotau. Ing. Hugo Fuchs, Assist. a. d. deutsch. techn. Hochschule, Prag Il., Smetanag. 24. Dr. Otto von Fürth, Univ.-Prof., Assist. a. physiol.-chem. Instit., Wien. Dr. H. L. Fulda, Realsch.-Prof., Plan. MUDr. Rudolf Funke, Prag Il., Krakauerg. 13 Dr. Sophie Funke, Prag Il., Krakauerg. 13. Dr. Johannes Gad, Univ.-Prof., Prag Il., Albertg. 5. Prof. Klara Gad, Prag Il., Albertg. 5 Dr. Fried. Ganghofner, Univ.-Prof., Prag Il., Jungmannstr. 14. Dr. Anton Gareis, Assist. a. mineralog. Inst., Prag Il., Weinbergg. 3. Dr. Johann Gaudl, Sekretär d. deutsch. techn. Hochschule, Prag VII., 854. Adele von Geitler, Prag Il., Wenzelspl. 52. Dr. Friedrich Ritter von Geitler, k. k. Statthaltereirat, Prag II., Wenzelspl. 52. Dr. Josef Ritter von Geitler, Univ.-Prof., Czernowitz (Bukowina). Dr. Anselm Götzl, Fabrikant, Prag Il., Bredauerg. 17. Dr. Arthur Götzl, Prag Il., Smeckag. 33. Marie Götzl, Prag II., Smeckag. 33. Prof. Angelika Goldschmiedt., Prag II., Salmg. 1. Dr. Quido Goldschmiedt, Univ.-Prof., Prag Il., Salmg. 1. Dr. V. Goldschmidt, Univ.-Prof., Heidelberg, Geisbergg. Adolf Gottwald, Gymn.-Direktor, Reichenberg i. B. Wilhelmine Grosam, Leitmeritz, Burgpl. Dr. E. Gross, Assist., Prag Il., Allgem. Krankenhaus. Dr. Max Grünert, Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Puchmayerg. 31. Dr. Anton Grünwald, Prof. a. d. deutsch. techn. Hochschule, Dejwitz-Bubentsch 226. Dr. med. Karl Gütig, Assist, Wien XIX., Rudolfinerhaus. Dr. Gustav Haas, Advokat, Prag I., Langeg. 4. Dr. A. Haerpfer, k. k. Statth.-Ing., Prag Il., Heinrichsg. 9. Adolf Hahn, Prag II., Petersg. 27. Frl. Julie von Hasslinger, Smichow, Königsaalerstr. 26. Dr. Rudolf Ritter von Hasslinger, Ing., Smichow, Königsaaler- strasse 26. Gottfried Heene, k. k. Gefälls-Offizial, Karolinenthal, Uferg. 323. Dr. C. Helly, Priv.-Doz., Prag Il, Krankenhausg. 4, pathol.- anatom. Inst. XI Frau Sophie Herget-Bamberger, Prag IIl., Ziegelg. 2. Dr. Ewald Hering, Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Krameriusg. 44. MUDr. Rudolf Herrmann, Prag I., Altst. Ring 17. Dr. Gustav Herzum, Augenarzt, Tetschen. Dr. Josef Emanuel Hibsch, Professor a. d. Landw. Akademie Tetschen-Liebwerd. Dr. Rudolf Hiekel, Kaaden, Landw. Mittelsch. Ignaz Himpan Bürgerschullehrer, Prag II., Wenzelspl. 3. MUDr. Kamill Hirsch, Priv.-Doz., Prag Il., Bredauerg. 12. Georg Hochschild, Ing., Prag VIl., Bubnaerstr. 416. Dr. Otto Hoenigschmid, Priv.-Doz., Prag Il., Salmg. 1. Theodor Hoffmann, Direktor d. Böhm. Eskomptebank, Prag I., Graben 30. Dr. E. Hoke, Priv.-Doz., Prag Il., -Allg. Krankenhaus. Franz Hollmatz, Lehrer, Bartelsdorf, Bez. Komotau. Dr. med. Hölzel, Augenarzt, Komotau. Dr. Ferdinand Hueppe, Hofrat u. Univ.-Prof., Prag II Wenzelspl. 53. Wilhelm Humburg, Prokurist b. Waldek & Wagner, Prag Il., Stadtpark 7. Helene Huyer, Budweis, Schanzg. 18. Georg Irgang, Gymn.-Prof., Eger. Dr. Anton Jakowatz, Prof. a. d. Landw. Akademie, Tetschen- Liebwerd. Bertha Jaksch, Kindergärtnerin, Smichow, Husg. 8. Dr. R. Ritter v. Jaksch, Hofrat u. Univ.-Prof.,, Prag Il., Wen- zelspl. 53. Professor Janisch, Prag I., deutsche techn. Hochschule. Dr. G. Jaumann, Prof. a. d. deutsch. techn. Hochschule, Brünn. Dr. Franz Jesser, R.-R.-Abg., Kgl. Weinberge, Jungmannstr. 3. Phil. cand. Albin John, Assist., Prag Il., Weinbergg. 3a, Botan. Institut. Dr. Paul Jordan, Birkigt bei Tetschen. Dr. V. Kafka, Assist., Prag Il., Landesirrenanstalt. Dr. Richard H. Kahn, Priv.-Doz., Assist. a. phys. Inst., Prag Il., Albertg. 5. Dr. E. Kalmus, Landesgerichtsarzt, Prag Il., Stefansg. 27. Frau Helene Kaulich, Prag Il., Palackyg. 5. Dr. Ernst Keller, Wien IX., Schwarzspanierstr. 4. Rudolf Keller, Redakt. d. »Prager Tagblatt«, Prag II., Herreng. Dr. Josef Kempf, Advokat, Prag Il., Lazarusg. 10. Dr. Oskar Kende, Realsch.-Prof., Prag Il., Adalbertsg. 240. Josef Kettner, Mechaniker d. k. k. deutsch. techn. Hochschule, Prag: 1; FHusg.w>: Karl Kindermann, Expeditionsvorsteher, Bruch bei Ossegg. hr a u no A ne a ihn ne a XI ® Viktor Kindermann, Realschul-Prof., Karolinenthal, Rokyzang. 5. Dr. Alfred Kirpal, Univ.-Prof., Prag Il., Krankenhausg., chem. Institut. Alfred Kirschbaum, Prag VII., Owenetzg. 94. MUDr. Oskar Klauber, Krankenhausarzt, Lübeck (Deutsch. Reich). Dr. Nathan Klein, Teplitz, Langeg. Dr. Fritz Kleinhans, Univ.-Prof., Prag II., Wenzelspl. 66. Karl Kluge, Prokurist, Smichow, Komenskyg. 198. Dr. Ludwig Knapp, Univ.-Prof., Prag Il., Wenzelspl. 18. Stud. phil. Karl Kochmann, Prag Il., Fügnerpl. 4. Dr. Alfred Kohn, Univ.-Prof., Prag II., Salmg. 5. Frl. Wilhelmine von Kolb, Prag Ill., Drazitzerpl. 70. Friedrich Kornfeld, Fabrikant, Prag Il., Elisabethstr. 24. Frau Klara Kornfeld, Fabrikantensgattin, Prag Il., Elisabeth- strasse 24. Dr. R. Koss, Smichow, Königstr. 10. Rudolf Kowarzik, Assist., Prag Il:, Weinbergg 3, geolog. Inst. Dr. Fridolin Krasser, Prof. a. d. deutsch. techn. Hochschule, Prag I., Husg. Hans Kraupa, k. k. Rechn.-Offizial, Kgl. Weinberge, Krame- riusg. 38. Dr. Kraupa, Sek.-Arzt, Prag Il., Allg. Krankenhaus, Augenkl. Dr. C. Kraus, Priv.-Doz., Prag Il., Allg. Krankenhaus, Derm. Klinik. Dr. Karl Kreibich, Univ.-Professor, Prag I., Bergstein 2. Frl. Elise Krombholz, Lehrerin, Brüx. Cölestin Krupka, Gymn.-Prof., Wien XIIl/2, Leeg. 2. MUDr. Otto Kuh, Orthop. Anstalt, Prag Il., Heinrichsg. 10. ‘ Frl. Emma Langer, Kgl. Weinberge, Palackystr. 32. JUDr. E. Langer, Advokat, Braunau. - MUDr. Josef Langer, Univ.-Prof., Graz, Universität. Dr. phil. Victor Langhans, Assist. a. phys. Institut Prag Il., Albertg. Dr. Gustav C. Laube, Hofrat und Univ.-Prof., Prag Il., Wein- bergg., Naturwiss. Inst. Dr. Lawatschek, Assistent, Prag Il., Landesfindelanst., Paed. Klinik. Frau Helene Lecher, Prag Il., Weinbergg. 3. Dr. Rudoif Lederer, Augenarzt, Teplitz. Dr. R. von Lendenfeld, Univ.-Prof, Prag Il., Weinberggasse, Naturwiss. Inst. Dr. Oskar Lenz, Hofrat u. Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Untere Blanikg. 6. Dr. Josef Lerch, Apotheker, Smichow. xIV Dr. Karl Lichtenecker, Reichenberg i. B., Staats-Gewerbesch. Frl. Erna Liebaldt, Prag II, PStrossg. 1. Otto Liebaldt, Prag Il., PStrossg. 1. MUDr. Salomon Lieben, Prag I., Teing. 10. Dr. Robert Lieblein, Gymn.-Prof., Kgl. Weinberge, Tylplatz, Deutsch. Gymnasium. Dr. Adalbert Liebus, Gymn.-Prof., Prag I., Altst. Ring, Gym- nasium. Dr. Karl Lippert, prakt. Arzt, Prag Il., Bolzanog. Dr. Ferd. Lippich, Hofrat u. Univ.-Prof., Prag Il., Weinberge. 3, Naturwiss. Inst. MUDr. Fritz Lippich, Prag Il., Weinbergg. 3, Naturwiss. Inst. Gina Lippich, Prag Il., Weinbergg. 3, Naturwiss. Inst. Dr. Arnold Löwenstein, Univ.-Assist.,Prag II., Allg. Krankenhaus. Dr. M. Löwy, Nervenarzt, Marienbad, »Neuklinger«. Dr. Alfred Ludwig, Hofrat u. Univ.-Prof. emer., Kgl. Wein- berge, Krameriusg. 40. Franz Luft, Mag. Pharm., Tetschen a. E. Gustav Lukas, Gymn.-Prof., Prag Il., Graben, Gymnasium. August Luksch, Bürgerschullehrer, Saaz. Dr. Franz Luksch, Priv.-Doz, Prag Il., Krankenhausg., Path. Inst. Dr. Paul Lux, Assist, Prag Il., Krankenhausg., Chem. Labor. Dr. Arthur Mahler, Priv.-Doz, Wien, Reichsrat. P. Vincenz Maiwald, Gymn.-Direktor, Braunau (Böhmen). JUDr. Josef Maly, Prag II, Hybernerg. 24. ' JUDr. Ulli Martius, Prag Il., Belskystr. 747. Max Mattauch, Realsch.-Prof., Karolinenthal, Deutsche Realsch. Dr. Sigmund Mayer, Univ.-Prof., Prag Il., Stephansg. 28. Dr. Hans Meyer, Professor a.d. deutsch. techn. Hochschule, Prag II., Salmg. 1. | Dr. Ottilie Meyer, Prag II.,, Salmg. 1. Ant. Michalitschke, Bezirksschulinspektor, Smichow, Inselg. 19. Dr. E. Mitschka, Lehrer im Waisenhause St. Joh. der Täuf., Prag Il., Katharineng. Dr. Hans Molisch, Univ.-Prof., Prag II, Stephansg. 16. MUDr. Leopold Moll, Prag Il., Landesirrenanst., Kinderklinik. Dr. August Moscheles, Prag Il., Marieng. 41. Frau Dr. Therese Moscheles, Prag II., Marieng. 41. Dr. Bruno Müller, Aussig, Kunststr. 31. Karl Müller, Professor, Teplitz. Dr. Egmont Münzer, Univ.-Prof., Prag Il., Stephansg. Dr. Josef Muhr, k. k. Landesschulinspektor, Smichow, König- strasse 15 Konstantin Nachtmann, Bürgerschullehrer, Tepl. a Ve ee KV Dr. Anton Nestler, k. k. Ober-Inspektor u. Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Bozetechg. 9. Stud. phil. Anton Neuber, Prag I., Melantrichg. 10. Gustav Neugebauer, k. u. k. Hof-Buchhändler, Prag Il., Graben. Sigmund Neustadtl, Prag Il., Torg. 17. Stud. phil. Franz Nevezerel, Prag Il., Smetschkag. 10. Dr. Ottokar Nickerl, Reg.- -Rat, Prag IL., Wenzelsp!. 16. Dr. Rudolf Nothdurit, Äussig an Heringsg. 4. 3 Dr. Samuel Oppenheim, Univ.-Prof., Karolinenthal, Zizka- strasse 412. Adolf Oppenheimer, Firma Rosenthal, Prag Il., Graben 26. Dr. Adolf Ott, Univ.-Prof., Prag Il., Hibernerg. 36. Dr. Adolf Pascher, Assist., Prag Il., Weinbergg. 3a, Botan. Institut. MUDr. Viktor Patzelt, Brüx. Stud. med. Viktor Patzelt, Prag Il., Palackyg. 12, IV. St. Dr. Anton Pelikan, Univ.-Prof., Prag Il., Weinbergg. 3/1594. Dr. Theodor Petrfina, Reg.-Rat u. Univ.-Prof., Prag Il., Niko- landerg. 10. Dr. Julius Petschek, k. k. Oberfinanzrat Prag Il., Stadtpark 5. P. Alois Petschl, Aussergefild, Böhmerwald. MUDr. Heinrich Peucker, Gross-Priesen. F. Peuker, Bürgerschullehrer, Smichow, Tylg. 522. MUDr. Friedrich Philipp, Stadtarzt, Tetschen a. E. Dr. Josef Pichl, Prof. a. d. deutsch. techn. Hochschule, Prag I., Husg. 5. 5 Dr. Georg Pick, Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Zizkastr. 754. Dr. Gottfried Pick, Univ.-Prof., Prag II., Wenzelspl: 12. Dr. Ph. J. Pick, Hofrat u. Univ.-Prof. emer., Prag Il., Torg. 11. Dr. Eduard Pietrzikowski, Univ.-Prof., Prag ll., Salmg. 6. Julius Pohl, Bürgerschul- -Direktor, Smichow, Zizkag. 10. Dr. Julius Pohl, Univ.-Prof., Prag L; Graben 3. Frau Prof. Pohl, Prag I., Graben 3 Oskar Pohl, k. k. Prof., Prag Ill., Chotekgasse 14. MUDr. Alois Pollak, Kgl. Weinberge, Havlicekg. 43. Dr. Johann M. Polak, Realsch.-Prof., Prag Ill., Königstrasse, D. Realsch. MUDr. Rudolf Pollak, Prag Il., Palackyg. Frl. Thekla Pollak, Kgl. Weinberge, Puchmajerg. 12. Emil Ritter v. Portheim, Fabrikant, Smichow 67. Friedrich Ritter v. Portheim, Fabrikant, Prag Il., Ferdinand- strasse 38. MUDr. Hugo Pretori, Augenarzt, Reichenberg i. B. Dr. Artur Preuss, Prag VII., Belskystr. 347. Dr. Alfred Pribram, Hofrat, Univ.-Prof., Prag ll., Havlicekpl. 17. xVI MUDr. Ernst Pfibram, Prag Il., Graben 10. MUDr. Hugo Pfibram, Prag Il., Havlicekpl. 17. Ferdinand Puchmayer, Kgl. Weinberge, Komenskyg. 11. Dr. Johann Puluj, Prof. a. d. techn. Hochschule, Prag Ill., Kleins. Quai 1. Frau Professor Puluj, Prag Ill., Kleins. Quai 1. Dr. Karl Rabl, Hofrat und Univ-.Prof., Leipzig. Dr. Ferdinand Rademacher, Karolinenthal, Palackyg. 44. Paul Rademacher, Fabrikant, Karolinenthal, Palackyg. 44. Cand. med. Erich Raubitschek, Prag VII., 303. Dr. R. W. Raudnitz, Univ.-Prof., Prag Il., Parkstr. 9. Frau Prof. Paula Raudnitz, Prag Il., Parkstr. 9. Emanuel Reinisch, Realschul-Direktor, Karolinenthal, König- strasse 81. Dr. Hugo Rex, Univ.-Prof., Kgl. Weinberge, Manesg. 10. Dr. Oswald Richter, Priv.-Doz., Prag Il., Weinbergg. 3a, pflanz. phys. Inst. Stephan Riedl, k. k. Bau-Oberkommissär, Prag II., Postdirekt. MUDr. Julius Riehl, Assist., Prag Il., Krankenhausg., Exp. path. Inst. lenaz Riemer, Prag Il., Havlicekpl. 7. Frau Prof. Emma Rippl, Prag Il., Wladislawg. 25. Wenzel Rippl, Professor a. d. deutsch. techn. Hochschule, Prag II, Wladislawg. 22. MUDr. Gottfried Ritter v. Rittershain, Pilsen. Josef Rösch, Prof. a. d. landw. Mittelschule, Kaaden a.E. Dr. V. Rothmund, Univ.-Prof., Prag Il., Myslikg. 32. Dr. Heinrich Rotter, Gymn.-Direktor, Prag Il., Graben. Josef Rupert, Realsch.-Suppl., Leitmeritz. Dr. Franz Ruttner, Biol. Station, Lunz (Ob. Oesterr.) MUDr. Gottlieb Salus, Prag Il., Havlicekpl. 18. Dr. Hans Salzer, Wien Il.. Gumpendorferstr. 8. Max Sgalitzer, stud. med., Prag Il., Bolzanog. 7. Schabner, Prag Il., Reiterg. 5. Al. Schaffer, Gymn.-Prof., Pilsen, Solmsg. Schedle, k. k. Hofrat, Prag Ill., Chotekg. 530. Dr. A. Scheib, Assist., Prag Il., Landesgebäranstalt. Dr. A. Scheller, Adjunkt a. d. k. k. Sternwarte, Prag I., Cle- mentinum. MUDr. Robert Scheller, Priv.-Doz., Königsberg i. P., Hygien. Inst. MUDr. Ferd. Schenk, Priv.-Doz., Prag Il., Stadtpark 23. Dr. Adolf Schenkl, Univ.-Prof., Prag Il., Palackyg. 8. Dr. Hermann Schloffer, Univ.-Prof., Innsbruck. Dr. Oskar Schmidt, Smichow, 18. Dr. Andreas Schneider, Prag Il., Dienzenhoferg. 1771, Sana- torium. le u a a rn fl ‚ \ 2 xVII Dr. Karl Schneider, Univ.-Assist., Prag I., Obstmarkt 7, 3. St. Stud. phil. Karl Schober, Prag Ill., Badg. 6. Leo Schöngut, Realsch.-Prof., Prag II., Taborg. 28. Phil. cand. Josef Schomann, Gutsbes., Teletin, Post Networetz. A. Schram, Fabrikant, Prag lI., Heinrichsg. Dr. Alois Schreier, Zahnarzt, Prag II., Stadtpark 7. Frl. Gabriele Schua, Kgl. Weinberge, Skretag. 5. Dr. Karl Schuster, Kanonikus, Prag IV., 36. Dr. Anton Seibt, Realsch.-Prof, Karolinenthal, D. Realsch. Dr. Wilhelm Sigmund, Realsch.-Prof., Prag Ill., Königstrasse, Realsch. . Dr. Heinrich Singer, Univ.-Proi., Prag Ill., b. Kinskygarten 602. Dr. Maximilian Singer, Gymn.-Prof., Kgl. Weinberge, Palacky- strasse 31. Dr. Sitzenfrey, Univ.-Assist., Giessen (Deutsch. Reich). Dr. Paul Sobotka, Prag Il., Marieng. 28. Wilhelm Sobotka, Prag IL, Marieng. 28. Dr. Rudolf Spitaler, Univ. -Prof., Smichow, er 9:18 J. Spitzhüttel, Prof. a. d. Deutsch. Lehrerbild. -Anst., Prag Ill. MUC. Emil Starkenstein, Prag l., Annapl. 3. II. Dr. Eugen Steinach, Univ.-Prof, Prag Il., Albertg. Phys. Inst. Dr. Ing. Fritz Steiner, Priv.-Doz., Wien Ill. 7, Ungarg. 71, Gen.-Direkt. d. St.-E.-G. Rudolf Steiner, Gymn.-Prof., Prag II., Stephansg. 22. Alfred von Sterneck, Kaufmann, Prag I., Konviktsg. 28. Dr. Franz Stolba, Prof. a.d. tschech. techn. Hochschule Prag II., Gersteng. 7. Dr. Sträussler, Priv.-Doz., k. u. k. Reg.-Arzt, Prag II., Landesirrenstalt. Eduard Sturm, Adjunkt d. k. k. Staatsbahn, Bruch bei Ossegg. Dr. Emil Thorsch, Assist., Prag Il., Salmg. 5, Anat. Inst. Emil Till, Realsch.-Prof., Prag Ill. 2. Realsch. Gregor Tilp, Prof. a. d. Lehrerinnenbild.-Anst., Prag II., Chotekg. 12. Stud. phil. Franz Tippmann, Prag I., Melantrichg. 10. Karl Tollich, k. u. k. Hauptmann, Dejwitz, Pragerstr. 243. Franz Trautmann, Fabriksbeamter, Prag VII., 416. Dr. Emanuel Trojan, Univ.-Assist., Prag Il., Weinbergg. 3. ' Dr. Josef Tuma, Prof. a. d. D. techn. Hochschule, Smichow, Königstr. 46. Dr. Hans Tumpach, Deutsch-Gabel. (Böhm.) Dr. phil. Richard Turnau, Prag II, Podskalerstr. 1996. Dr. Hermann Ulbrich, Priv.-Doz., Prag Il., Allg. Krankenhaus, deutsche Augenkl. Natalie Umrath, Prag VII., 3. W. Umrath, Fabrikant, Prag VII., 3 XVII Dr. Ferdinand Urban, Realsch.-Prof.,, Plan. Gottlieb Urban, Inspektor d. Botan. Gartens d. deutsch. Univ. Prag Il., Benatekerg. MUDr. Ernst Veit, prakt. Arzt, Prag Il., Krakauerg. 4. Dr. Franz Wähner, Prof. d. deutsch. techn. Hochschule, Prag I., Husg. 5. Dr. Wälsch, Univ.-Prof., Prag II., Olivag. 10. Dr. Ernst Waldstein, Prag Il., Allg. Krankenhaus, Deutsche Augenklinik. Dr. Karl Walko, Priv.-Doz., Prag II., Wasserg. Rudolf Watzel, Gymn.-Prof., Smichow, Jakobsg. 2. Hugo Watzke, k. k. Gefällsamtsdirektor, Prag II, Langeg. 19. Emma Weber, Kgl. Weinberge, Palackystr. 32. Dr. Ottokar Weber, Univ.-Prof., Prag III., Quai 1. Dr. E. Weil, Univ.-Assist., Prag Il., Albertg., Hygien. Inst. Jur.-Dr. Hugo Weil, Advokat, Prag Il., Postg. 5. Dr. Karl Weil, Univ.-Prof., Prag Il., Marieng. 25.‘ Siegfried Weil, Ing. d. Post-Direktion, Prag Il., Heinrichsg. Dr. Edmund Weiss, Assist., Prag Il., Weinbergg. 3. Physik. Inst. Dr. Friedrich Weleminsky, Priv.-Doz., Prag II, Heinrichsg. 16. A. Edle von Wessely, Prag Il., Marieng. 39. Zdenko Ritter von Wessely, Chef d. Bauuntern., Prag II., Stadtpark 11. Dr. med. et chir. Carl Wessely, Herrschaftsarzt i. R., Teplitz- Schönau, Eichwalderstr. 6. Dr. Wilhelm Wiechowski, Priv.-Doz., Prag Il., Smetschkag. 34. Heinrich Wiedstruck, Sparkassabeamter, Prag, Böhm. Sparkassa. JUDr. Franz Wien, Advokat, Prag Il., Wenzelspl. 7. JUDr. Ignaz Wien, Advokat, Prag Il., Wenzelspl. 55. MUDr. Hugo Wiener, Priv.-Doz., Prag Il., Marieng. 4. Dr. Friedrich Freiherr von Wieser, Univ.-Prof., Wien, Alserstr. 25. Dr. Rudolf Winternitz, Univ.-Prof., Prag H., Leihamtsg. 9. Dr. Karl Winterstein, Prag Il., Jungmannsg 29. Marie Winterstein, Prag Il., Jungmannsg. 29. Dr. Anton Wölfler, Univ.-Prof., Prag Il., Palackyg. 15/ll. Dr. Theodor Wohrizek, Besitzer d. orthopäd. Institutes Prag Il., Wasserg. 31. Dr. Karl Freiherr von Wolf-Zdekauer, Prag I., Ritterg. 28. Dr. Eduard Ritter v. Zahn, Advokat, Prag Il., Wenzelspl. 59. MUDr. Gustav Zaufal, Saaz. A. Zenker, Prof. a. d. Handelsak., Prag I., Fleischmarkt. Dr. Richard von Zeynek, Univ.-Prof., Prag Il., Salmg. 3. Ing. Bruno Zillmann, Gesellschafter d. Fa. Brüder PraSil & Co., Prag VII. Jul. Zuleger, Realschul-Direktor, Budweis. N Ad Trier, Ber, EEE A ho Pt Arad u en ne ad ae 4 Ad Satzungen für den “ denischen naturwissenschaftlich - medizinischen Verein “ für Böhmen RoroSs. Genehmigt mit Erlass der k. k. Statthalterei in Böhmen vom Io. März 1909, Z. 47.845. * I. Namen des Vereines. Der naturhistorische Verein »Lotos« führt fortan den Namen: Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein Ri. _ für Böhmen »Lotos«. | II. Zweck des Vereines. Der Zweck des Vereines ist: 1. Die Pflege der Naturwissenschaften, der theoretischen Medizin und verwandter Wıechschaften, 2. Die Verbreitung naturwissenschaftlicher und medizini- scher Kenntnisse. | 3. Die Bildung eines gesellschaftlichen Sammelpunktes für alle Personen, die sich für die angegeben Wissenschaften interessieren. III. Sitz des Vereines. Diet Sitz des Vereines ist in Prag, doch können Zweig- vereine und Sektionen in anderen Örten Böhmens ihren 2 Sitz haben. ne Al Br xx TV. Geschäftssprache des Vereines. Die Geschäftssprache des Vereines ist die deutsche. Ein Antrag auf Anderung dieser Bestimmung gilt als An- trag auf Auflösung des Vereines und ist nach XI zu be- handeln. V. Mittel zur Erreichung des Vereins-Zweckes. Der Verein strebt die Erreichung seines Zweckes an: 1. Durch Veranstaltung von Vereinsversammlungen mit wissenschaftlichen Vorträgen, Demonstrationen, Diskus- sionen etc. 2. Veranstaltung allgemein verständlicher naturwissen- schaftlicher und medizinischer Vorträge. Aufstellung einer Vereinsbibliothek. Aufstellung anderer wissenschaftlicher Sammlungen, wenn solche zu bestimmten Zwecken nötig werden. Herausgabe von Vereinspublikationen. Förderung der naturwissenschaftlichen Erforschung des Landes. 7. Förderung anderer wissenschaftlicher Forschungen. 8. Bildung von Fachsektionen innerhalb des Vereines zur Pflege spezieller Zweige der Naturwissenschaften, Me- dizin und verwandter Wissenschaften. 9. Unentgeltliche Abgabe von Naturalien an Unterrichts- anstalten des Landes. 10. Durch Anregung zur Bildung von Zweigvereinen, denen die Förderung des Vereinszweckes in Verbindung mit dem Vereine zufällt. DEE en VI. Mitglieder. Der Verein besteht aus: Ehrenmitgliedern. Stiftenden Mitgliedern. Korrespondierenden Mitgliedern. Ordentlichen Mitgliedern. PonH Zu Ehrenmitgliedern können Personen von her- vorragenden Verdiensten um den Vereinszweck über Äntrag des Ausschusses durch die Vollversammlung gewählt werden; sie geniessen alle Rechte der ordentlichen Mitglieder. Stiftende Mitglieder können Personen werden, die entweder ein für allemal einen Betrag von Ioo Kronen dem SS GT ren a OR INN XXI Vereine zuwenden, oder sich zur Zahlung eines jährlichen Betrages von mindestens 20 Kronen verpflichten. Sie ge- niessen alle Rechte der ordentlichen Mitglieder. Zu korrespondierenden Mitgliedern können ausserhalb Böhmens lebende Personen über Antrag des Aus- schusses durch die Vollversammlung gewählt werden, welche in irgend einer Hinsicht die Zwecke des Vereines fördern. Sie haben dem Vereine gegenüber keine Verpflichtungen, sie beziehen die Vereinszeitschrift kostenlos und die sonstigen Vereinspublikationen unter den für die ordentlichen Mit- glieder geltenden Bedingungen. Ordentliches Mitglied ist jeder, der nach erfolgter Anmeldung vom Ausschusse aufgenommen wurde. Körper- schaften haben die Rechte eines ordentlichen Mitgliedes. Die ordentlichen Mitglieder sind zur Leistung des Jahres- beitrages verpflichtet. Sie haben aktives und passives Wahl- recht bei allen Wahlen, das Recht Anträge zu stellen, die Vereinssammlungen zu benützen, alle Versammlungen und | Veranstaltungen des Vereines unenteeltlich zu besuchen. ‘ Sie beziehen die Vereinszeitschrift kostenlos. Ausserdem iR steht ihnen das Recht zu, alle sonstigen Publikationen des Vereines zu ermässigten Preisen zu beziehen. Die Mitgliedschaft erlischt durch den Tod, freiwilligen Austritt, a bis 1. Dezember schriftlich angezeigt wer- den muss oder durch Ausschluss aus dem Vereine. Dem Betroffenen steht die Berufung an die nächste Vollversamm- lung zu. Aus dem Vereinsverhältnisse entspringende Streitig- keiten zwischen den Mitgliedern entscheidet der Ausschuss, ebensolche Streitigkeiten zwischen dem Ausschusse und den Mitgliedern entscheidet die Vollversammlung. 3 VII. Leitung des Vereines. An der Spitze des Vereines steht ein Obmann, der von der Vollversammlung gewählt wird. Die Leitung des Vereines ruht in den Händen eines Ausschusses. Derselbe besteht aus dem Obmanne, 9 gleich- falls von der Vollversammlung und je einem von jeder Sek- tion alljährlich zu wählenden Mitgliedern. Zur Besorgung bestimmter Aufgaben können aus der Mitte der Vereinsmitglieder Komitees eingesetzt werden, deren Wirkungskreis der Ausschuss festsetzt. SL ei sr XXIII In den Wirkungskreis des Ausschusses fällt die Auf- nahme neuer Mitglieder, die Ausschliessung von Mitgliedern, die Veranstaltung und Vorbereitung der Vereinsversammlun- gen, die Fürsorge für die Vereins-Sammlungen, die Ver- waltung des Vereinsvermögens, die Herausgabe der Vereins- publikationen. Der Ausschuss wählt aus seiner Mitte einen Stellver- treter des Obmannes, einen Schriftführer, einen Bücherwart und einen Schatzmeister. Die Beschlussfassung über Vereinsangelegenheiten er- folgt in vom Obmanne oder dessen Vertreter einzuberu- fenden Ausschussitzungen. Zur Beschlussfähigkeit dieser Sitzungen genügt die Anwesenheit von 6 Mitgliedern; für alle Beschlüsse ist einfache Mehrheit erforderlich; bei Stim- mengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Die Vertretung des Vereines nach Aussen erfolgt durch den Obmann, dessen Stellvertreter oder durch ein in einer Ausschussitzung hiezu bestimmtes Ausschuss-Mitglied. Zur Rechtsgiltigkeit schriftlicher Ausfertigungen und Bekanntmachungen ist neben der Unterschrift des Schrift-. führers die des Obmannes oder seines Stellvertreters er- forderlich. VIII. Versammlungen. Der Verein hält in der Regel allmonatlich mit Aus- nahme der Sommer-Monate eine Monatsversammlung mit wissenschaftlichem Programme ab. Die Monatsversammlung des Monates Februar ist zu- gleich die ordentliche Vollversammlung. Vereinsangelegenheiten können in jeder Monatsver- sammlung zur Beratung und zur Beschlussfassung gelangen, wenn sie auf die Tagesordnung gesetzt werden. Diesbezüg- liche Anträge der Mitglieder müssen mindestens 8 Tage vorher dem Ausschusse überreicht werden. Uber die Zu- lassung von Anträgen, die während der Versammlung aus der Mitte der Anwesenden gestellt werden, entscheidet der Vorsitzende. Zu den Monatsversammlungen haben ausser den Mit- gliedern als Gäste Fremde und ausnahmsweise auch in Prag ansässige Personen Zutritt, wenn sie von einem Mitgliede eingeführt werden. Der Vollversammlung obliegt: ı. Die Entgegennahme des Tätigkeitsberichtes, die Entgegennahme und Genehmi- gung der Berichte des Schatzmeisters und der Rechnungs- prüfer. 2. Die Bestimmung des Mitgliedsbeitrages für das ERENIEH UNE N ” Kl Br m. Ä UN | XXIII laufende Jahr. 3. Die Wahl des Obmannes, von 9 Aus- _ schuss-Mitgliedern und zwei Rechnungsprüfern (alle schrift- lich mit einfacher Mehrheit). 4. Entscheidung über alle auf der Tagesordnung stehenden Anträge. 5. Entscheidung über Berufungen betreffend Ausschliesung von Mitgliedern. 6. Ernennung von Ehren- und korrespondierenden Mitglie- dern. 7. Änderung der Satzungen (jedoch nur mit ?/; Mehr- heit der Anwesenden). 8. Auflösung des Vereines (s. XI). Der Obmann hat jederzeit das Recht ausserordent- liche Vollversammlungen einzuberufen,; er ist zur Einberu- fung einer solchen verpflichtet, wenn von mindestens ıo Mit- gliedern ein diesbezügliches Ansuchen schriftlich an ihn ge- richtet wird. Zur Beschlussfähigkeit einer Monats-Versammlung ge- hört die Anwesenheit von mindestens 9 ordentlichen Mit- gliedern; zur Beschlussfähigkeit einer Vollversammlung die von mindestens 21 ordentlichen Mitgliedern. Nach einer halben Stunde Wartezeit ist jede Vollversammlung mit der- selben Tagesordnung ohne Rücksicht auf die Zahl der An- wesenden beschlussfähig. Alle Beschlüsse, mit Ausnahme der im Absatz XI vor- gesehenen, erfolgen durch einfache Mehrheit der Anwesen- den; bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Zur giltigen Einberufung einer Vollversammlung ist eine diesbezügliche Anzeige in mindestens zwei der Prager deutschen Tagesblätter nötig. IX. Sektionen. Zur eingehenden Behandlung einzelner Wissenszweige können, unbeschadet der im Vorhergehenden festgesetzten Vereinstätigkeit in den Monatsversammlungen, sich inner- halb des Vereines Sektionen bilden. Dieselben sind keine selbständigen Verbindungen, sondern bestehen innerhalb des Vereines. Solche Sektionen unterstehen dem Ausschusse und haben ihre eigenen Funktionäre sowie je einen Dele- gierten für den Ausschuss alljährlich in der nächsten Sitzung nach der Vollversammlung zu wählen. Der Vereins-Aus- schuss hat jederzeit das Recht, Sektionen, welche in ihrer Tätigkeit den Vereinssatzungen entgegenhandeln, oder welche keine Tätigkeit entfalten, aufzulassen. Sektionsmitglieder können nur Vereinsmitglieder sein. Die Anmeldung erfolgt beim Sektionsvorstande, welcher dieselbe zur Kenntnis der nächsten Sektionssitzung bringt. Wird gegen die Aufnahme XXIV binnen 8 Tagen nicht von mindestens 3 Mitgliedern Protest erhoben, so ist diese als vollzogen anzusehen. Die Sektionen sind verpflichtet ein Verzeichnis ihrer Mitglieder zu führen. Zutritt zu den Sektionsversammlungen haben nur Sektions- mitglieder und von diesen eingeführte Gäste. Wahlberech- tigt sind nur Sektionsmitglieder. X. Zweigvereine. Zum Zwecke der Förderung der Vereinsziele können sich ausserhalb Prags an anderen Orten Böhmens »Orts- gruppen« des deutschen naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines für Böhmen »Lotos« bilden. Diese Zweigvereine haben den Behörden gegenüber den Charakter selbständiger Vereine, haben daher ihre eigenen Satzungen festzusetzen. Die Bezeichnung als »Ortsgruppe des d. n. m. V. f. B.« be- dingt, dass Satzungen und Tätigkeit nicht im Widerspruche zu den Satzungen dieses Vereines stehen. Die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen den Ortsgruppen und dem Vereine sind fallweise zu regeln. XI. Auflösung des Vereines und Satzungsände- rungen. Bei etwaiger Auflösung des Vereines fallen die vor- handene Bibliothek sowie der Kassarest einer vaterländi- schen öffentlichen Anstalt zu, deren Bestimmung von der relativen Stimmenmehrheit der zuletzt vorhandenen Mit- glieder abhängt. Ebenso ist mit dem gesamten übrigen Eigentume des Vereines vorzugehen. Die Bestimmungen des Abs. XI dürfen bei Satzungs- änderungen keine Anderung erfahren. Die freiwillige Auflösung, ebenso Satzungsänderungen können nur in einer ordnungsgemäss einberufenen Vollver- sammlung beschlossen werden. Die Beschlussfassung erfolgt durch Zweidrittelmajorität der Anwesenden. TED er TR \ 32 N 5, 1 $ Zr “ 1 4 : 5 Hi b i KurortTeplitz-Schünau, Böhmen, heilt Gicht, Rheumatismus, Neuralgien, Gelenksteifigkeiten, Exsudate etc. 0 Ärzte und deren Familien befreit von Kur- und Musiktaxe, erhalten freie Bäder, j ; Saison ganzjährig, | Alkalisch-salinische Therme von 26° bis 46°25°C. hoher Radioaktivität, Thermal- Douche-, Moor-, elektr, Licht-, Zwei- u. 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