Die Spinnerin am

Die gothiſche Denkſäule, die „Spinnerin

am Kreuz“, auf dem Wienerberg wurde im Auftrage des Rates der Stadt Wien vom Dombaumeiſter Hans | Jahren 1451 und 1452 an Stelle eines älteren, ſchon im Jahre 1296 erwähnten Steinkreuzes errichtet. Die Benennung „Spinnerin am Kreuz“ kommt in einer Baurechnung aus dem Jahre 1709 zum erſtenmal vor, und zwar wird ſie als „die Bildſäulen auf dem Wiener⸗ berg, vulgo die Creutz⸗Spinnerin“ erwähnt.

Aus dem Beiworte „vulgo“ (ſogenannt, vom Volke genannt) iſt zu erſehen, daß die Benennung damals nur im Volks⸗

munde lebte und mithin möglicherweiſe ſchon einige Dezennien alt war. Da die ähnliche Denkſäule in Wiener⸗Neuſtadt ſchon im Jahre 1671 „Spinnerin am Kreuz“ genannt wird, läßt ſich annehmen, daß um De Zeit auch die Säule am Wienerberg im Volke unter dieſem Namen ſchon bekannt war; urkundlich beſitzt aber

die Wiener⸗Neuſtädter Säule die Priorität des

Beinamens. Die Wiener Säule heißt in der Folge „Spinnkreuz“ (1720 oder 1730) und „das ſogenannte Spinnerinkreuz“. Dieſe Be⸗ nennungen wechſelten nun, bis in den ſtändiſchen Akten des Jahres 1804 der Name „Spinnerin am Kreuz“ erſcheint.

Anton v. Geuſau ſpricht in ſeinem Werke „Geſammelte Meinungen über die Säule Spinnerin am Kreuz am Wienerberg“ (Wien 1807) die Vermutung aus, daß die beiden erwähnten Denkſäulen die volkstümſiche Benennung ihren gothiſchen Verzierungen

Puchsbaum in den

ſäulen aus Sagen,

ſtanden iſt.

verdanken, die in der Entfernung einem Spinn⸗ gewebe ähnlich ſehen. Gaheis beweiſt es mit einer Urkunde, daß die Säule den Namen vom

heiligen Kriſpinus, dem Patron der Grenzen,

erhalten habe. Boeheim verſucht in ſeiner Chronik von Wiener⸗Neuſtadt die Benennung der Säule aus dem Riß zu erklären. Die weiteren Hypotheſen, die für die Forſchung in Betracht kommen, hängen zumeiſt mit Sagen zuſammen. a RE Merkwürdigerweiſe hält man ſich allgemein an die Vermukung von Geuſau über die Ab⸗ leitung des Säulennamens. Und gerade dieſe Annahme läßt ſich widerlegen. Es gibt genug gothiſche e Architektur (zum Beiſpiel in Kloſterneuburg, in Godelsberg bei Bonn), die dieſen Namen nicht führen, während andererſeits Denkſäulen aus verſchiedenen Stil⸗ perioden beſtehen, die dieſen Namen beſitzen, und zudem alle mit Spinnſagen verquickt er⸗ ſcheinen. So kennt man eine Betſäule in der Gegend von Forchheim (Bayern), die die „Spinnerin“ genannt wird und dazu auch ihre

Spinnſage hat. Unweit Nürnberg bei Alten⸗

furt und ebenſo bei Feucht gibt es je einen „Spinnerinſtein“. Ein Steinkreuz in Tiefen⸗ bach (Waldmünchen, Bayern) hat als Relief einen Spinnrocken, ein anderes zwiſchen Calw und 85 elſtein aus dem Jahre 1447 Kunkel und Spinnrocken; die Sage der letzteren er⸗ wähnt Grimm (Sagen, Nr. 179). Daraus läßt ſich ſchließen, daß dieſe Benennung der Bet⸗ zum Teil ſogar aus ſagen⸗

und Mythenbildern ent⸗ Oft wird die hiſtoriſche Ueber⸗ lieferung der Entſtehung einer ſolchen Denk⸗ ſäule durch ſpäter angedaßte Sagenbilder ver⸗ drängt, wie dies beſonders bei den Betſäulen von Wien und Wiener⸗Neuſtadt der Fall iſt.

haften Geſchichts⸗

Es entſteht daher die Frage, warum man dieſe Denkſäulen mit Spinnſagen verquickt und ſie ſogar entſprechenden Sinnbildern an⸗ gepaßt hat. Eine gewiſſe Beziehung muß doch hier beſtehen; daß nur der Zufall dabei im Spiele ſei, iſt wohl nicht anzunehmen. Die Ver⸗ mutung liegt nahe, daß dieſe Denkſäulen in früheren Zeiten ſogenannte Warteſäulen, Ab⸗ ſchieds⸗, „Urlauber“denkmäler geweſen ſind.

Dies wird beſonders durch die Tatſache unter⸗

ſtützt, daß ihre Sagen zum großen Teil Schick⸗ ſalsſagen ſind, deren Urſprung weit in die Antike zurückreicht. Das Abſchiednehmen gehört zu den Schickſalsaugenblicken des Lebens. Die Parzen, die Nornen, die göttlichen Spinnerinnen beſtimmen das Schickſal jedes einzelnen. Eine Beziehung iſt ſchon gegeben; die zweite deuten uns die Sagen. Als Vorbild aus der Antike könnte Penelope gelten; in den deutſchen Sagen tritt die Verſchmelzung des Göttlichen mit dem Menſchlichen zutage. Es iſt die Göttermutter und Erdgöttin Hol, Holla, die Mondgöttin, die in den Alpenländern Berchta genannt wird und als die ſagenhafte Burgunderkönigin Berta des 10. Jahrhunderts als „Spinnerin Berta“, als die „Reine pédauque“ auf Erden gewandelt hat, die zu all dieſen Sagen und Alpenbildern die Veranlaſſung gegeben hat. Noch heute leb. bei den Romanen das Sprichwort: Dov & il tempo, che Berta filava! Wo iſt die Zeit, als Berta noch ſpann! Das tft lange her! will man damit ſagen. Daher der Plattfuß auf ihren Denkmälern, der den mythologiſchen Urſprung dieſer Vermenſchlichung verrät. Der chriſtliche Geiſt hat ſie zur opferwilligen, frommen Frau geſtaltet, die mit ihrem Spinnen Kirchen und Kapellen erbaut hat. Und da bei Abſchieds⸗ ſäulen das Schickſal die Hauptrolle ſpielt, ſo hat man ſich für dieſe aus der Mythe zeit⸗

gemäße Sagen geformt, die als Stammſagen weiterer Faſſungen anzuſprechen ſind Für die

Wiener „Spinnerin am Kreuz“ iſt die Sage

von der frommen Frau, die beim Kreuz, das vor der Säule beſtand, jo lange geſponnen hat,

bis ſie das nötige Geld für den Bau eines neuen

Denkmals zuſammengeſpart hat, die verbreitetſte, die ſich im Volksmunde erhalten hat.

Weit intereſſanter ſind die mit der „Spinnerin am Kreuz“ zuſammenhängenden Schickſalsſagen, die alle von den bereits er⸗ wähnten mythologiſchen Bildern beeinflußt erſcheinen und ſich daher in ihrem Weſen als Mythenſagen erweiſen. Man hat hier zwei Grundfaſſungen zu unterſcheiden, und zwar mit einem guten und einem tragiſchen Aus» gang der Sage. Da waltet die launenhafte Holla oder Berta, die Mondgöttin, die bald gut, bald böſe ſein kann. Auch dieſe Charakteriſtik der Göttin hat ſich bei den Romazen im Volksmund erhalten. haften Frauen und Mädchen pflegt der Italiener zu ſagen: „Hai la luna“ (Du haſt den Mond). In der einen er der Gemahl in die Heimat zurück und findet ſeine ſpinnende Frau beim Abſchiedskreuz wieder; in der zweiten Faſſung nimmt die Fabel einen

tragiſchen Ausgang: der Gemahl kehrt nicht

mehr zurück und das Unglück iſt der Frau

beſtimmt. In romantiſcher Zeit hat man dieſe

Stammſagen hiſtoriſchen Begebenheiten aus

der Kreuzzugperjode a bekanntlich eine

literariſche Lieblingsbeſchäftigung des be⸗

ginnenden 19. Jahrhunderts. Um in ſolchen Fällen auf den Kern der Sage muß man den hiſtoriſchen Namen der handeln⸗ den Perſonen keine beſondere Bedeutung bei⸗ meſſen 85 16 1 0 In dieſem Geiſte iſt die folgende Sage von der „Spinnerin am Kreuz“ zu betrachten, die,

Launen⸗

kommen,

nebenbei bemerkt, als Mythenſage ziemlich nachläſſig lokaliſtert erſcheint. Sie verdient als typiſches er einer Spinnerinſage und auch wegen ihrer Schönheit wiedergegeben zu werden: Ritter Adalbert nahm rührenden Ab⸗

Adalbert im Morgenlande ſtritt, zu en is

9 5 noch ſechs Wochen lang am Kreuz, legte

Spinnerin am ſpinnen. ie x Da die „Spinnerin am Kreuz“ keine Kapelle iſt, hat dieſe bekannte Wanderſage

ihren Urſprung zweifellos nicht am Wiener⸗

berg. Sie wurde aber trotzdem in verſchie⸗ denen Sagenbüchern als örtliche Sage auf⸗

enommen und lebt nun als ſolche wenigſtens in den Büchern fort. Die „Anmeldung“ des toten Bräutiganms, die ſechs Wochen und das

Spinnen im Mondſchein ſind mythiſche Er⸗

f chat ir in der Sage, die eine Verlpandt⸗

aft mit jenen der ſchönen Malene auf

Tag und man

der Magdalenenſpitze, einer nordiſchen Düne, aufweiſt. Hier ſaß die ſchöne Malene manchen

e Nacht an ihrem Spinnrad und blickte e aufs Meer he auf ihren Geliebten harrend, der auf hoher See hinausgefahren war und nimmer wieder⸗ kam. In hellen Sommernächten iſt Malene auf der Düne zu ſehen, aber man fürchtet ihre

Erſcheinung, denn ſie bringt Unglück. Eine gewiſſe Parallele hiezu bildet die ſüdſlawiſche

Sage von der ſchönen Vida, die die Mond⸗ göttin iſt. 5

Während in der erſten Sage die gute

| Berta waltet, iſt ſie in der zweiten die wilde Berta, die ſich als Unglücksgeiſt in den meiſten [Sagen von den ſpinnenden und tanzenden

Mädchen zeigt. Zur Strafe wird die Sünderin in 5 Mond gebannt, wo ſie ewig ſpinnen Aus dieſer Betrachtung iſt zu erſehen, daß die Spinnſagen mythiſchen Urſprunges ſind und daß die Spinnerin ſich auf die Mond⸗ göttin bezieht, die vermenſchlicht Freud und eid mit ihren Schickſalsgenoſſen auf Erden

teilen muß. Die Anpaffung dieſes Mythen⸗ 4 in Sagenform an derlei Denkſäulen iſt

amit gegeben und erſcheint auch berechtigt. Der Inſtinkt der Volksſeele ſchafft nichts grundlos. Man muß ſich dabei in jene Zeiten verfegen, wo der Abſchied eine große Rolle

im menſchlichen Leben ſpielte, und demzufolge

das Wiederſehen auch eine Schickſalsfrage bildete. Mit Abſchied, Wiederſehen und Nicht⸗ wiederſehen hat man den aus heidniſcher Zeit überlieferten Glauben durch ſchöne Sagen⸗ bilder aufs engſte verbunden. Sie leben zwar im Volksmund fort, aber ihre innere Schön⸗ heit, ihre Weisheit iſt für unſeren Zeitgeiſt verſchwunden. Anton Mailly.