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Geſellſchaft für oͤeutſche Vorgeſchichte

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deitfchrift für Vorgeſchichte begründet und herausgegeben von

Prof. Dr. Guſtaf Koſſinna

17. Band (1925) Mit 266 Abbildungen im Text und 32 Tafeln

I re Sg ee een pe ee —— ne Sr ee Ye Leipzig Verlag von Curt Kabitzſch 1926

Alle Rechte, insbeſondere das der Überſetzung, vorbehalten.

Druck der Univerſitätsdruckerei h. Stürtz fl. G., Würzburg.

Inhaltsverzeichnis.

Seite Abhandlungen und Mitteilungen 1, 161, 257 Aus Mufeen und Vereinen 122, 242 Buche /“! ee ee a as ara 156, 242, 395 Biiderbejpredhungen - - - - 2 2 2 2 nern 126, 245, 377 Adrian, Walther: Eine meſolithiſche Siedelung bei Bielefeld. Mit 5 Textabbildungen 279 Andree, Julius: Altfteinzeitlidhe Sunde aus Weſtfalen. Mit 2 Abbildungen im Text 60 Bayer, 3.: Das Ende des pe um Munzingen . - 2 2200er. 231 Beder, fl.: Srühneolithiſche Sunde aus der Staßfurter und Leitzkauer Gegend. Mit 57 Textabbildungennnnnnxnd‚n ee ee ee 2. 65 Beltz, R.: Bor ine und Schullle 230 Bethge, W.: Die Abgrabung des Mühlenberges in Oſternienburg, Kr. Köthen. . 374 Burtbardt, Robert: Dineta. Mit 1 Karte im ekt. 112 Burkhardt, Robert: Schluzwort zur Entgegnung über Vineta von W. eh . 369 Dibbelt, Otto: Bericht über die Sunde bei Neuhof (Kreis Bubliß, Reg.⸗Bez. Köslin, Pommern) vom 27. Sept. 1923 . . > 2 2 non ern ne 90 Suhſe, $.: Sundſtücke des 3. und 4. nachchriſtl. Jahrhunderts aus nächſter Nähe der _ Stadt Braunſchweig. Mit 17 Textabbildungen. 105 Günther, fl.: Die 98 Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz und Weißenthurm. Mit 17 Textabbildungen V ee tee 161 Heck, h.: N zur Bor⸗ und Srühgeſchichte heſſen⸗Naſſaus. 1900 1922. II. Kur an OCT Se eee tea ⁵⁵⁰0 :/ʒĩ ß eh LS? Mae r Heß v. Wichdorff, Über die äußerſte Weſtgrenze der letzten Dereiſung in Nord⸗ deutſchland. Mit 1 Karte im ae ee ee eo ee 218 Hörter, 1 Zur Frage der Steinſpaltung in vorgeſchichtlicher Zeit. Mit 1 Tert- abbildung und Tafel .. 72 Hörter, Peter: Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland). Mit 8 Abb. go Tafel III =VHI 2 2.0: 0 ae ar 196 Jahn, M.: Die erſte Ausgrabung des Megalithgrabes von Wulfen in Anhalt 110 Jung, Erich: Irmenſul und Rolandfaule. Mit 15 Abbildungen im ent 1 Kadner, Albert: Homo Kiliensis ein nordiſcher Urmenſch. Mit 26 Abbildungen und 1 Tabelle auf Tafel IX EX uu 257 Knoke, Sriedrich: Die Bernt des Namens Germanen 336 Knoop, L.: Subfoſſile Krnochenrefte aus dem Untergrunde der Stadt Braunſchweig 194 e Germaniſche Gefäße frührömiſcher Kaiferzeit. Mit 1 Lext⸗ er , ⁰yd ee Se Se eee König, M.: Hausumenfund bei Srofe in Anhalt. Mit 6 Abbildungen auf Tafel öh... y en a 333 Kojjinna, Guſtaf: Nordiſche oder 90 8005 Urheimat der Indogermanen . . 257 Krebs, Albert: Zwei ſpätneolithiſche Becher aus Weſtfalen. Mit 3 Abbildungen 4 uf Tafel , 8 284 Rühn, herbert: e und Entwicklung der paläolithiſchen Kunft. mit 9 Abbil⸗ dungen auf Tafel XVII XX 271 La Baume, Wolfgang: Beitrag zur Kenntnis der Dorgeſchichtsforſchung in Oſt⸗ ih... ee ee & 119 Moſchkau, Rudolf: Nachtrag zum germanifhen Haaropfer: . . »... 2... - 121 Müller, Paul: Ein 9 Bronzeſchatzfund aus Hermsdorf in der Neumark. Mit 7 Abbildungen im TCeectktkkktümt· nnnne 75 Bean W.: Dineta. Eine Entgegnung sie, A cs 367 tie§e, hermann Albert: Was man von den Büdeburgern lernen kann. . 3570 Ri E.: Entgegnung auf R. Koenens klufſ att 208 Richter, O. und Jahn, M.: Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland. mit 4 Abbildungen im Text und Tafel I... . 2.2 2 . 92 Rodrian, h.: Ein Begräbnisplaß früher Eiſen⸗ und Latenezeit im Kreiſe Schweinitz, Prov. Sachſen. Mit 84 Tertabbildungen . . » » » 2... une. . 309 Schultz, Wolfgang: Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel. Mit 27 Abbildungen im Text und auf Tafel XXV—-XXXIlLͤũs .. 344

IV Inhaltsverzeichnis. Bücherbeſprechungen.

Seite Schwär Walther: an Hausurnen. Mit 8 Textabbildungen 81 Schwartz, Emil: Beiträge aut Rethrafrage . 2 20 ee et et ee 210 Stampfuß, Rudolf: Das Dordringen der Germanen um nördlichen Niederrhein und die Husbreitung ter Kultur. Mit 12 Abbildungen und 1 Karte im Text ſowie gt EEE ELTERN 8 287 Wilke, Georg: Weitere Beiträge a Stage der Mondmythenmotive in der vorge⸗ ſchichtlichen Kunft. Mit 26 Textab Hlaimeen F 35 Bũcherbeſprechungen. Aberg, Nils: 5 und 8 in der Dölferwanderungszeit (W. Gaerte) . 139 Aberg, Nils: Goten und Langobarden in Italien m Sue 0 e 141 berg, Nils: Sörhiftorift nordiſk Ornamentik (M. Sa EEE ee Almgren, Oscar: Studien über nordeuropäiſche Sibelformen. 2. Aufl. (M. Jahn) 136 Behrens, G.: Denkmäler des Wangionengebietes abn) ......... 135 Brodbaus, der Kleine: Handbuch des iſſens in einem Bande > v. Buttel-Reepen: 5753 enſterurnen (Schulz⸗Hhalle)))- . Caemmerer, Crich: Die Alteburg bei Arnstadt (Schulz⸗Halle a. d. S. 364 Daqué, Edgar: nn, Sage und . (. Jah (Schultz-Görlitzt )) 255 biculeſcu, Conſt. C Die Gepiden I CCC Ss Gees SE we 137 Eiszeit, Zeitſchrift für allgemeine ee (& a. ae a ie ae 126 Srobenius- Obermaier: Hadschra Maktuba (H. Rühn) 254 eſchwendt, Sr.: Wandern und Zeichnen (M. Gm 1 Gr Ge see it SE Oe Ie oak eee 141 Gorsleben’ Rud. John: Die Edda. 2 Bande (Otto S. Reute) 154 pose Seimei en 1855 vorgeſchichtlichen 5 8 (M. Jahn) 392 ummel, fahlbau Moosſeedorf bei Bern (0. Reinert Dae ae he 133 Gummel, 185 us ommerns Vorgeſchichte (O. Runkel; 391 aas, E.: Burgwälle und Hiinengraber der Inſel Rügen in de (S. Nan 391 oernes⸗Men um: Urgeſchichte der bildenden Kunft in Europa (. Kühn). . . 153 ahrbuch des Bi toriſchen Muſeums Bern 805 Gummel )) 395 Jenſen, Hans: Geſchichte der Schrift (S. Bort 386 RellersCarnusaer und Reinerth: Ur eſchichte des Thurgaus (h. Gummel) . 249 Mayer, Maximilian: Molfetta und Matera (W. Gaerte) )) 385

ae nn der Gr vaterländiſcher Ultertümer 5 Heft 1 (Hans =

eidt, Walter: ie eis etlichen adelfunde ‘be ce Ne doe 132 22 0 Walter: Die Ei Wolff) aa Walter: Die Ra

Schl ender, J. H.: Germaniſche Muthelogte Religion und Leben unſerer Urväter

(O. S. Re ute ))) VdT ĩ ˙0õͤę es Ce Ge ae 254 Schmidt, Ludwig: Geſchichte der germaniſchen Frühzeit (M. Jahnd . - 255 2 neider, Hermann: Gejammelte 1 90555 (W. Schultz⸗Görlitzt z 250

uch hardt, C.: Die frühgeſchichtlichen Befeſtigungen an en (Knoke) 151 Schult, Wolf ang: Zeitrechnung und Weltordnung (S. Bort) 142 Schulz, Walther: Die germaniſche Familie in der vorzeit (M. Jahn 256 Sinning, R.: Der Runenſchlüſſel zum Derftändnis der Edda (O. S. Reuter). . 255 Stake 1 85 Über die Wild- und hausſchweine der Sudetenländer (O. S. Gandert) 145 Staeble, : Urgeſchichte des Enzgebietes (R. Stampfußßßjßßßßßßßßßßß 142 . 5 1 Raſſengeſchichte der Wirtſchaftstiere (O. $. Gandert) 146 FREE, u Die Kriſis der Geiſteswiſſenſchaften (. Kühn). . . ... - 151

0 Kurt: Die Wandalen in Niederſchleſien (Schulz- hallt) 247 Uſchumi, Otto: Vor⸗ und ose ae des Oberaargaues (Hh. Gummel) . . 131 Uſchumi, Otto: Die archäologiſche Abteilung des hiſtoriſchen Muſeums Bern

N ln... UP ae Se a On ee ae A OS 131 Witz, Hermann: Bilder aus der Dorgeſchichte (Str. Wagner)) 254

Wohlrab. 50 9. Urgeſchichte im vierten Schuljahr (B. Hogrebeeeeee dd. 396 Zelizto, J. D else aper gen der ſüdafrikaniſchen Buſchmänner (5. Kühn) .. 152

Abhandlungen und Mitteilungen.

Irmenſul und Rolandjäule. Ein Beitrag zur Rechtsarchäologie. Don Erich Jung. | | mit 15 Abbildungen im Tert.

Jakob Grimm hat einen Zujammenhang zwiſchen der Rolandfäule und der Irmenſäule vermutet. |

„Die ungemeine Derbreitung der Rolandjäulen in vielen Städten des nördlichen Deutſchland (außerhalb Niederſachſen, Weſtfalen, Oberſachſen und Thüringen kommen ſie nicht vor; namentlich auf fränkiſchem Boden nicht) iſt merkwürdig genug. Ihr bloßer Bezug auf den Marktbann oder die Aus- übung der Gerechtigkeit reicht nicht aus. Der Sitte des ſächſiſchen Volks, ſolche Säulen aufzurichten, muß ein uralter, wahrſcheinlich noch in dem heidentum wurzelnder Grund untergelegt werden. Die Benennung nach Roland iſt ſpäter, ſchwerlich vor dem 12. oder 13. Jahrhundert, hinzugetreten. Unter einem volksſtamm, der früher an die Irminſäule gewohnt war, begreift ſich das haften der Rolandſäulen ohne Mühe (ogl. Deutſche Mythologie S. 692). Es ſcheint, daß die älteren Götterbilder nach der Bekehrung noch eine Zeit- lang als Heldenbilder mit teilweiſe oder gänzlich verändertem Namen ge⸗ duldet wurden“ !).

Dieſer letztere, von Grimm hier nur vermutete Zuſammenhang iſt inzwiſchen in zahlreichen Fällen als wirklich vorhanden nachgewieſen worden, fo die Nachfolge Wodan⸗St. Oswald, von Grimm vorwiegend aus ſprach— lichen Gründen vermutet; die Nachfolge Wodan⸗St. Michael. Die Lindwurm⸗ bekämpfer der helden⸗ und Götterſage werden erſetzt durch die chriſtlichen Drachenkämpfer Michael und Georg.

Hierzu hat beſonders die neuere Forſchung über die Patrozinien der frühen Rirchengründungen bemerkenswerten Stoff geliefert (Saftlinger, Dorn u. a.). Grimm hat überhaupt jene Aufitellung nur als Vermutung gegeben und eine eingehendere Begründung nicht verſucht.

1) Dal. Jahrbücher für wiſſenſchaftliche Kritik, 1841, Sp. 804; Jakob Grimm, Beſprechung von J. M. Cappenberg, Bremiſche Geſchichtsquellen. Dgl. ferner: Jakob Grimm, Irmenſtraße und Irmenſäule, Wien 1815. In dem Vortrag der Akademie der Wiſſenſchaften in Berlin, vom 27. Juli 1845 über deutſche Grenzaltertümer, etl Grimm dieſe früher und eo noch einige Jahre vorher ausgeſprochene Meinung nicht mehr; auch da nicht, wo er von Malbäumen, Codjteinen, Pfählen als Markſteinen ſpricht.

Mannus, Seitfchrift für Vorgeſch. Bd. 17. H. 1/2. 1

2 Erich Jung [2

Der Kechtsgeſchichtler heinrich Zöpfl!) ſah in den Rolandjäulen Rönigsbilder, und zwar vorwiegend Ottos II., „des Roten“; dieſe ſeien aber im Volke und in deſſen Dorſtellungen vielfach mit den vorchriſtlichen Rult— zeichen und Sinnbildern verwachſen, die uns in der Überlieferung als Irminſul, Thiodut und ähnliche heilige Zeichen, Grenzzeichen, Bezeichnungen der Ge— richtsſtätte, der Derſammlungsſtätte begegnen.

Die oben erwähnte (mythologiſche)?) Deutung der Rolande ijt durch die große Unzahl der neueren Erklärungsverſuche in den hintergrund getreten. „Weder ein germaniſcher oder ſlawiſcher Gott, noch ein chriſtlicher Heiliger, weder Marktkreuz noch Friedenskreuz, nicht eine Königsſtatue und nicht einmal ein Grafenbild“; jo faßt Karl Heldmann (a. a. O., S. 104) die bisherigen Erklärungsverſuche zuſammen, fährt dann aber fort; „ſondern nur eine harm— loſe Spielfigur, die mit dem Schwert bewaffnete Roloſſalgeſtalt des helden von Ronzeval, das Objekt eines von haus aus ganz ernſten Waffenſpiels der patriziſchen Jugend Magde— burgs; das war das älteſte Rolandsbild auf deutſchem Boden.“ Mit dieſer, wie er glaubt, abſchließenden Erklärung ?) hat nun heldmann aber jeinerjeits ebenfalls keineswegs allgemeinen Beifall gefunden.

Die bisherige Erörterung der Frage, die zu einem großen Teil von Rechtsgeſchichtlern (u. a. Heinr. Jöpfl, Siegfried Rietſchel, Richard Schröder) ausging und in Urchivrat Georg Sello einen Sonderbearbeiter mit entſprechender, die meiſten anderen Mitbearbeiter überragender Be— herrſchung des weitverteilten Stoffs gefunden hat, ſucht in der hauptſache, nämlich in der Frage nach der Herkunft und urſprünglichen Bedeutung der Rolandsbilder, auf ſchriftliche Überlieferung aufzu— bauen; wenn ſie auch 3. CT. durch die Art des Stoffes zu archäologiſchem Arbeiten gezwungen waren. So hat Richard Schröder ſeine Meinung, daß die Rolandſäule mit dem Marktrecht zuſammenhänge, weſentlich auf ein beſtimmtes Denkmal aufgebaut, von dem ſich allerdings dann ſpäter herausſtellte, daß es in weſentlichen Teilen neuzeitlich ergänzt war.

Abb. 1. Der Roland > hat man aus der Gewandung der Rolandsgeſtalt,

in halle. aus dem feierlichen Anfaſſen des Schwertes, aus

der Barhäuptigkeit gewiſſer Rolande, beſonders des

Rolandes von Halle, der in ſeiner jetzigen Geſtalt zwar dem 18. Jahr—

hundert entſtammt, der aber eine getreue Nachbildung ſeines älteren Dor=

gängers zu ſein ſcheint, gewiſſe Schlüſſe gezogen; in Verbindung mit Dor- ſchriften des Sachſenſpiegels über das Derhalten des Richters.

Die von v. Amira ſo glücklich eingeleitete Rechtsarchäologie ſteckt noch in den Unfängen. Die Denkmälervergleichung kann, wie mir ſcheint, für die

1) Die Rulandſäule. Eine rechts- und kunſtgeſchichtliche Unterſuchung; in Alter— tümer des Deutſchen Reichs und Rechts, Bd. 3, 1861. 2) Dal. dazu Karl heldmann, die Rolandsbilder Deutſchlands 1904; S. 48ff., die a es bear LU > 355 5 Dal. Karl heldmann, Rolandsipielfiguren, Richterbilder oder Rönigsbilder? „S., 205.

3] Irmenſul und Rolandfäule 3

Stage der Rolandſäulen noch weſentliche Klärung bringen. Ich verſtehe dabei „unter dem wunderlichen und nur durch den Gebrauch verſtändlichen Namen Archäologie“ (Friedr. Köpp) die fachmänniſche Sammlung und bergleichung der vorhandenen Denkmäler und die ſorgfältige Verfolgung ihrer bildgeſchichtlichen Zuſammenhänge nach rückwärts. Daß he bejondere Derfahren dann bei jeder allgemeineren Frage der deutſchen Altertumskunde ſtets durch Schrifttumsgeſchichte und Sprachgeſchichte ergänzt werden muß, verſteht ſich von ſelbſt.

Die archäologiſchen Tatſachen, die ich in der Rolandfrage fruchtbar machen zu können hoffe, ſind aber folgende; ich faſſe ſie hier vorweg zuſammen, um den leitenden Faden der Unterſuchung deutlicher zu machen. In Obermars⸗ berg a. d. Diemel treffen, was ſchon Jöpfl hervorgehoben und benutzt hat, eine ſichere geſchichtliche Überlieferung über die Irmenſul, die Nachricht von der Eroberung der Eresburg und der dabei erfolgten Jerſtörung der Irmenſul, und zwei noch vorhandene Denkmale zuſammen; nämlich ein Rolandbild und ein zweites, ebenfalls in dieſem Juſammenhang ſchon auf⸗ gefallen es, aber meines Erachtens noch nicht richtig gedeutetes Säulendenkmal. Die Überlieferung, daß die geſtürzte Irminſul von der Eresburg ſpäter wieder aufgefunden und zur endgültigen Austreibung des ihr anhaftenden heid⸗ niſchen Weſens in den Dom zu Hildesheim verbracht worden ſei, wird durch ein dort noch vorhandenes Denkmal, beziehentlich durch eine mit dieſem Denk⸗ mal verbundene Überlieferung geſtützt, deren Alter fie für unſere Juſammen⸗ ichen wertvoll macht, ganz abgeſehen von ihrem etwaigen tatſächlich⸗geſchicht⸗ ichen Kern.

Heinrich von Herford erzählt, daß die Sachſen nach ihrem Siege über die Franken von 1115 ein Siegeszeichen, den Thiodut, errichtet hätten, das der im Jahre 531 als Denkmal ihres Sieges über die Thüringer errichteten Irmen⸗ ſul offenbar ſehr ähnlich iſt. Dieſer Bericht wird unterſtützt durch die archäo⸗ logiſche Tatſache, daß heute noch an der Stelle jener Schlacht am Welfesholze oe ſteht, der heute noch als heilig und zauberſpendend angeſehen wird. ö

Neben den Denkmälern können die CTatſachen der Volksüberlieferung aufſchlußreich werden; neben dem ſchon erwähnten Thiodut, jetzt Hoyerjtei n, von 1115, beſonders das am dritten Pfingſttage bei Queſtenberg i. Thür. auf einem Berge gefeierte Queſtefeſt, wobei ein hoher Baumſtamm (Truncus) aufgerichtet und mit Weihegaben behängt wird; in Queſtenberg, wo ein Rolandbild ſteht; wo alſo ebenfalls Säulenmal und Rolandjäule in unmittel⸗ bare Berührung kommen, wie in Obermarsberg.

Die Grimms haben die von ihnen ſozuſagen erſt geſchaffene Germaniſtik weſentlich auf Schrifttumsgeſchichte und Sprachgeſchichte aufgebaut. Dolfs- kundlichen Stoff haben ſie zwar ſchon ſo viel ſie konnten für die Zwecke der deutſchen Altertumsforjdung herangezogen. Aber eine planmäßige Sammlung und Verwertung dieſes Stoffs eine wiſſenſchaftliche Volkskunde, iſt doch erſt jüngerer Geburt. Beſonders einigen Nachfolgern der Grimms, den Simrock, Panzer, J. W. Wolf u. a. hat man nicht ganz ohne Grund vorgeworfen, daß bei der Derwertung jener Dinge für ihre Unterſuchungen die Schärfe der Prüfung und der notwendige Zweifel etwas ſehr zurückgedrängt worden ſeien durch den lebhaften Wunſch nach beſtimmten Ergebniſſen. Hier haben wir nun heute in dem rieſigen Stoff, den die treue Einzelarbeit, beſonders der landſchaftlichen Dereine für Volkskunde, inzwiſchen zuſammengetragen hat, eine ſehr viel zuverläſſigere Unterlage als ſie ſehr begreiflicherweiſe

1*

4 Erich Jung [4

diejenigen Forſcher haben konnten, die überhaupt erjt und bahnbrechend die Aufmertiamfeit der Forſchung auf dieſe Dinge lenkten.

Die vorhandenen Denkmäler ſelbſt aber ſind entſchieden bisher un— gebührlich vernachläſſigt worden von der Germaniſtik. Ich bringe dafür, unter vielen möglichen, hier nur ein einziges Beiſpiel, weil dieſes für die hier geſuchten Zuſammenhänge bedeutſam ijt. An der Walderichskirche (nicht der Kapelle) in Murrhardt in Württemberg findet ſich ein ſteinernes Bogenfeld aus ſtaufiſcher Zeit. Don ihm kann man durch Dergleichung mit anderen Darſtellungen an Kirchen mit völliger Beſtimmtheit ſagen, es iſt darauf dargeſtellt, wie der chriſtliche Prieſter mit dem Weihwedel den ungejchorenen, im Gegenſatz zu dem Chriſtenprieſter mit langem Bart und Haar verſehenen heidenprieſter und deſſen Sonnenſinnbild bannt. So lebendig war damals, zu ſo ſpäter Zeit, noch der vorchriſtliche „Aberglaube“, daß der chriſtliche Auftraggeber dieſer Bildnerei ſolche Sejtnagelung des heidniſchen Weſens für nötig hielt.

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Abb. 2. Bogenfeld aus Murrhardt; das Lamm, mit der Kreuzesfahne, führt ſeine Herde, nach der es ſich umſchaut, gegen das heidentum: Songenſinnbild und in der rechten Ede Heidenpriefter.

Wiederherſtellungen und Wiederbelebungsverſuche von gelehrter Seite jind, jo gut gemeint fie vielfach fein mögen, immer am gefährlichſten für die Forſchung, weil fie die echte Überlieferung verwirren !).

Südlich von Hildesheim, an der Eiſenbahnſtrecke nach Kreienſen, Halte— ſtelle harbarnſen, liegt ein Dorf, das heute auf den Karten amtlich Irmſeul genannt wird. In der Mundart, die natürlich allein maßgebend ijt, he Bt es Urmſüll (kurz) oder Armſül (lang). Die Auskünfte der Einwohner lauteten darin verſchieden. Die amtliche Benennung Irmſeul beweiſt alſo an ſich

') Und die unbewußte Überlieferung, wenn der freilich nicht ganz einwandfreie Ausdruck erlaubt iſt iſt die beſte. Im Stadtplan Friedberg in der Wetterau erkennt man, worauf Ernit Kornemann gelegentlich hingewieſen hat, noch genau die römiſche Straßen— anlage des Lagers und Lagerdorfs, ebenſo wie in der dortigen Ackerflur, un eigen, bis zur Derkoppelung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Linien der römiſchen Ackervermeſſer erhalten waren. Der Bezirk des eigentlichen Lagers aber lebte als politiſcher Bezirk bis zum 1. Januar 1900; bis dahin galt nämlich in dem Stadtbezirk Burg, das heißt in der Reichsburg, dem Sitz der Burgmannen, die ſich im früheren Kajtrum und mit Benutzung von deſſen Befeſtigung angeſiedelt hatten das vom Friedberger Stadtrecht und vom Solmjer Landrecht der Umgegend abweichende Friedberger Burgrecht. Friedberg iſt einer der Orte, wo die Kontinuität der Siedelung von der Römerzeit her nachge— wieſen iſt; vgl. O. Runkel im Mannus, Bd. 16, S. 379 und die dort angeführten, Dopſch, Meitzen.

!

5] Irmenſul und Rolandjaule 5 natürlich noch gar nichts. Nach einer immerhin mindeſtens ins 16. Jahrhundert zurückgehenden Überlieferung (vgl. unten S. 9) ſollen die Sachſen dort einen vergeblichen Derſuch gemacht haben, fic) des ihnen entriſſenen und in der Wegführung begriffenen Heiligtums wieder zu bemächtigen !).

Wenn man die Unfänge einer ſpäteren Einrichtung in der Vergangenheit ermitteln will, muß man ſich zunächſt vor allem darüber klar werden, was man als das eigentliche Weſen dieſer ſpäteren Erſcheinung anſieht; denn auch bei einer tatſächlich zuſammenhängenden Entwicklung verändert ſich natürlich doch die unterſuchte Lebensform in vielen Einzelpunkten nach Inhalt und vielfach ſelbſt nach Namen. So hat man die erſten Wechſel beiſpielsweiſe in Anweijungen zur Zahlung geſehen, die Friedrich II. von Hohenjtaufen an ſeine Güterverwalter in Süditalien ſchickte?) und aus denen doch ſelbſtändig gegen den Ausiteller geklagt werden konnte, was freilich auch zunächſt in einem beſonderen Schuldbekenntnis dieſes Kusſtellers ausgedrückt fein mußte. Wollte man nun ſtatt in der Anweifungsform in dem ſchriftlichen Schuld- bekenntnis, das ſelbſtändig klagbar iſt, das Weſen der Sache ſehen, ſo würde natürlich der Stammbaum des Wechſels viel weiter in die Vergangenheit zurückführen.

Die vorliegende Unterſuchung iſt, wie ſchon zu betonen war, vorwiegend archäologiſch, d. h. auf die noch vorhandenen Denkmäler und deren Vergleichung aufgebaut. Als das Weſen der Denkmäler, die von einer beſtimmten Jeit ab Rolandſäulen genannt werden und in Oftfalen ihren Ausbreitungsmittel- punkt haben ?) und die regelmäßig einen aufrechtſtehenden Mann mit blankem Schwert darſtellen, wird nun hier angeſehen der ſteinerne, aufgerichtete Pfahl und das Sinnbild des Schwertes. Volkskundlich, d. h. für die an dieſes Denkmal ſich regelmäßig anknüpfenden Sagen und Gebräuche, die mit Grund auch ſchon vielfach zur Erläuterung herangezogen worden ſind, erſcheint als das Weſentliche oder Kennzeichnende dieſer Gruppe von Denkmalen, daß jener Pfahl oder Schwertträger die Derſammlungsſtätte bezeichnet; die Ge⸗ richts- und Malſtätte, die urſprünglich regelmäßig zugleich auch Opferſtätte iſt. Die mit der Rolandſäule verwachſenden Dorſtellungen gehören dem—

1) Ich fand in Dehios Handb. d. deutſch. Runſtdenkmäler über Irmſeul, dab ſich

dortſelbſt eine Kirche befinde mit einer reich geſchnitzten Mittelſäule. Obwohl die Kirche erſt aus gotiſcher Zeit ſein ſollte, beſchloß ich daraufhin, mir den Ort ſelbſt einmal anzuſehen, da ich an anderen Stellen die Erfahrung gemacht hatte, daß beſtimmte Bildgedanken merk⸗ würdig lange weitergegeben werden, und eine tragende Mittelſäule in einem Kirchenraum ja immerhin bgeſchichilier ſelten iſt. Es konnte alſo hier immerhin noch ein weit zurück⸗ reichender bildgeſchichtlicher Zuſammenhang erkennbar fein; jo gut wie der heilige Oswald auf einem e von 1488 (Nürnberger heiligenbuch) den fliegenden Raben mit dem Kleinod im Schnabel genau in der gleichen Weiſe geſtaltet zeigt als der Rabe Wodans auf einem ſchwediſchen helmbeſchlag der Wikingerzeit (vgl. unten) oder der lanzenſchwingende Reiter St. Georg über dem Lindwurm auf der Brunnenſäule in Bönnigheim noch künſtleriſch abhängig iſt von dem Jupitergigantenreiter. Leider erwies ſich die Nachricht bei Dehio als falſch. Die Kirche ijt vor rund 50 Jahren vom Kirchenpatron abgeriſſen worden, weil er ſich mit der Gemeinde über die Baulaſt nicht einigen konnte. Schilderungen der Mittel⸗ ſäule, die ich aus dem Munde älterer Einwohner noch erhielt, ergaben nichts Greifbares. 9 un, Das Wechſelrecht der Poſtgloſſatoren. 3) Der Roland von Raguja ſtammt aus der Zeit Kaijer Sigismunds, der Markgraf von Brandenburg war, und iſt wahrſcheinlich durch dieſe Beziehung, alſo aus dem oſtfäliſch⸗ niederſächſiſchen heimatgebiet der Rolande, ſo weit nach Süden gekommen. Neuerdings vgl. Karl höde, Das Rätſel der Rolande Gotha 1911 hat man beſonders auch auf die österreichischen Rolande hingewieſen. Sie werden vermutlich, ſoweit ſie überhaupt „echte“ ial jind, eine ähnliche Erklärung finden. Sie bedürften noch einer näheren Unter: uchung.

6 Erich Jung [6

entſprechend teils dem Glauben oder ſogenannten Aberglauben, teils dem rechtlichen und ſtaatlichen Leben an.

Bei den Rolandfäulen iſt jedenfalls nicht der Name als das Weſentlichſte anzuſehen. Der von Einhard erwähnte Markgraf (britannici limitis prae- fectus), namens Hruodland, der in den Purenäen fiel, iſt ein Held der fran⸗ zöſiſchen Sage und in Deutſchland als ſolcher nie beſonders volkstümlich geweſen, wenn auch das franzöſiſche Rolandlied ſchon im Mittelalter in das deutſche Schrifttum eingegangen iſt. Es kann hier dahingeſtellt bleiben, ob die Ableitung Zöpfls richtig ijt; danach hieß es urſprünglich nicht „Roland⸗ ſäule“, ſondern „Rulandſäule“; gleich Säule auf der roten Erde, d. h. auf der Blutgerichtsſtätte; alſo gleich Gerichtsſäule. Ebenſo kann es dahingeſtellt bleiben, ob die anderen Erklärungen des Namens zutreffend ſind; nämlich, daß verhältnismäßig ſpät noch einmal eine Übertragung des karolingiſchen Sagenhelden und Kämpfers gegen die 5 auf die Rämpfe des deutſchen Ordens gegen die noch heidniſchen Slawen ee habe (Karl Höde); ob und wie weit das Rolandſpiel die Benennung für die Stein- figuren geſchaffen hat (Karl Heldmann), ob überhaupt der Name „Roland“ erſt im Wege der volkstümlichen Sprachklitterung herangezogen wurde, um an nicht mehr verſtandenen, aber äußerlich ähnlich klingenden Namen zu erklären.

Die Schwerttanzſpiele, die um die hölzernen Rolande geübt wurden, haben ihrerſeits ſicher alte mythologiſche Unterlagen; helliger Wode, nu len mi din perd, heißt es noch im 16. Jahrhundert in einem Lübeder Schwert⸗ tanzſpiel (W. Golther, Handbuch der germaniſchen Muthologie. S. 287).

Die Verbindung mit dem aus Hildesheim zuverläſſig bezeugten Brauch des Werfens nach einem Holzklotz, der die zu ſtürzende Irmenſul darſtellt, mit dem Steinigen des „Jupiter“ in halberſtadt wo niemals die Römer waren, wo daher ſelbſtverſtändlich „Jupiter“ nur die ſpäte gelehrte Bezeichnung für einen germaniſchen Gott iſt mit einem ähnlichen Brauch in Paderborn liegt ſehr nahe (vgl. unten S. 10).

Daß nach dem urſprünglich drehbaren hölzernen Rolandbildern mit der Lanze geſtochen wird (vgl. Heldmann) würde zur mytbologijchen Deutung an ſich ſehr gut paſſen. Die abgeſetzten Götter werden von der ſiegenden Glaubensform ſehr häufig derart behandelt. Ein bekanntes Beiſpiel iſt der verſtümmelte Denusleib in Trier, der am Kircheneingang ausgeſtellt war, um von den Kirchenbeſuchern mit Steinen beworfen zu werden !).

1) Mindeſtens zu erwähnen in dieſem Zuſammenhang ijt die neue Auffaſſung der Rolandſäulen, die ſich in dem Buche des Gumnaſialprofeſſors F. E. Mann in Schneide⸗ mühl: Das Rolandslied als Geſchichtsquelle und die Entſtehung der Rolandfäulen, Leipzig, Weicher 1912, findet und die bezüglich der Rolandſäulen ſich berührt mit der eben be⸗ richteten Auffaſſung Karl Hodes. Ich berichte die kluffaſſung Manns nur und überlaſſe die Entſcheidung dem engeren Fachmann; fie liegt im weſentlichen beim Sprachgeſchichtler, da die vermuteten ſchrifttumsgeſchichtlichen Zufammenhänge zwiſchen dem angenommenen deutſchen Urroland und dem franzöſiſchen Rolandslied wohl nie mehr unmittelbar werden bewieſen werden können. Mann behauptet: Hruodland, in gleiäzeitigen Quellen nur ein einziges Mal erwähnt und dort Markgraf der bretoniſchen Mark genannt (die es im Jahre 778 noch nicht gegeben habe), war tatſächlich Markgraf limitis brezanici, das iſt des Landes Breze, öſtlich der Secknitz an der Oſtſee. Ein urſprüngliches deutſches Rolandslied habe die Kämpfe der eee Heere gegen die Slawen 1 und den Untergang Rolands mit ſeiner ganzen Abteilung bei Deenalaıı geſchildert. In Prenzlau ſtand ein Roland, bis jut eit Friedrichs des Ge die Reſte werden in Prenzlau und im Berliner märkiſchen

un aufbewahrt. Aud) in dem dem Schlachtfeld noch näher liegenden Dorfe Potzlow fteht ein Roland von Holz. Die Catſache dieſes Rolands in Potzlow, unweit Prenzlau, ijt immerhin bemerkenswert; bemerkenswert ſchon um deswillen, weil der Ort ganz dörflich

7 Irmenſul und Rolandfäule 7

Das umfangreiche Schrifttum zur Rolandfrage hat bei aller Verſchieden⸗ heit der Meinungen, die noch in allerjüngſter Zeit zu einer ſonſt ſchon etwas altmodiſch gewordenen Tonſchärfe im Meinungsſtreit geführt hat (Sello, Rietſchel, heldmann), nun doch gewiſſe Ergebniſſe gehabt. Die Roland- ſäule bezeichnet in den meiſten und wichtigſten Fällen die Gerichts- und Ver⸗ ſammlungsſtätte; jie hat eine öffentlich⸗ rechtliche und dahinter, wie ja überall das weltliche Recht (ius) auf eine ältere Stufe geweihten Rechts (fas) zurück⸗ verweilt, eine gewiſſe gottesdienſtliche Bedeutung, die freilich an den aus⸗ gebildeten Denkmalen, ſchon aus Furcht vor der herrſchenden Kirche, nur noch verkleidet und als Überlebſel (Rudiment) einer früheren Stufe auftritt.

Eine neuere Sonderſchrift über die Rolande iſt die ſchon erwähnte von Karl höde: Das Rätjel der Rolande. Gotha 1911. Die Schrift gibt fic) äußer⸗ lich ſehr anſpruchslos; als Feſt⸗ und Gelegenheitsſchrift zum 300 jährigen Jubelfeſt des Rolands in Belgern a. d. Elbe. Aber fie trägt ſehr viel bemerkens⸗ werten Stoff zuſammen, beſonders für die Bedeutung des Rolands in der Rechtspflege 1). Die Schrift iſt, bei aller offen zugegebenen Begeiſterung und Vorliebe für den Gegenſtand, doch in ihren tatſächlichen Angaben durchaus zuverläſſig, ſoweit ich nachprüfen kann.

Ein Kapitel der Schrift iſt überſchrieben: Sankt Rolandus. Aber aus Deutſchland wird dazu nur das eine ſchon viel behandelte Standbild gebracht, nämlich das aus Obermarsberg 2).

Das Rolandslied ijt das franzöſiſch⸗völkiſche Heldenlied, wie Friedrich Dogt in der Rede zur Reichsgründungsfeier vom 18. Januar 1922 in Marburg näher ausgeführt hat. Ein Rolandsbild in Frankreich an einem Kirchenfenſter kann etwas völlig Anderes bedeuten als der ſteinerne Roland auf einem nieder⸗ ſächſiſchen Marktplatz. Die bekannte Darſtellung am Dom in Derona, die höde ebenfalls in dieſem Juſammenhang bringt, will den Roland der Helden- ſage darſtellen und keineswegs einen heiligen Roland. Nicht weit von der letzterwähnten Stelle, nämlich ebenfalls in Verona, an der Stirnſeite von

iſt und irgend welche Beziehung des Rolandbildes zu einer höheren Gerichtsſtätte ſo weit man fie daher nicht vorliegen kann (ähnlich wie in Queftenberg); dies, ſowie ſeine ganz ungefüge und unkünſtleriſche Form deutet darauf hin, daß hier die Erneuerung der Boner Roland iſt, wie gejagt, aus holz wie Anblnglichte urſprünglich auch alle anderen ier wirklich aus einer oc im Volke lebenden Anbanglidfert heraus und nicht aus i nteil am Altertümlichen erfolgt iſt; daß wir es paber wirklich mit einer ſehr alten Über: rung zu tun haben. | ann führt weiter aus: ein verloren ge gangenes deutſches heldengedicht, von dem Untergang Rolands im Rampf gegen die Wenden, ſei der Urroland, der ſpäter im weſt⸗ ftänkiſchen Reich umgearbeitet und deſſen Verhältniſſen angepaßt worden fei; dadurch erſt ſei er dem ſpaniſchen Schauplatz gekommen und den Sarazenen als Gegner. Als dann um die Mitte des 15. Jahrhunderts mit den Kreuzzügen nach Preußen die Kämpfe gegen den Oſten wieder einſetzten, habe das alte Rolandslied, der Urroland, ſich neu belebt und im weiteren Verlaufe zur Errichtung der Rolandbilder geführt; wahrſcheinlich im bewußten egenſatz zu wendiſchen Standbildern, Götterbildern; das n ſolcher in der alten Wendenhauptſtadt Rethra wird ausdrücklich berichtet, von Thietmar von Merſeburg. Im weiteren Verlaufe unſerer engeren Unterſuchung wäre uns von der Mannſchen Aufftellung weſentlich nur dieſer zweite Teil bemerkenswert; nämlich, daß die Rolandſtand⸗ bilder, die unzweifelhaft eine Beziehung zur Rechtspflege haben, auch Sinnbilder der Krie nu ſeien. ann berührt ſich darin, wie ſchon erwähnt, mit Karl höde, der die Errichtung der Rolandſtandbilder ebenfalls mit den Kämpfen des deutſchen Ordens nach Often in Verbindung bringt. Die Verbindung Gericht und Krieg, wenn fie zutrifft, wäre für unſere weiteren Ausführungen von Wichtigkeit. *) Dal. S. 125, 57; 45. ) Die Kirchenfcheibe aus Chartres, mit der Darftellung des letzten She Rolands, mit einem heiligenſchein, beweift keineswegs, daß er da als Heiliger angeſehen wird.

8 Erich Jung 18

St. Zeno, reitet Dietrich von Bern, ebenfalls inſchriftlich als dieſer bezeichnet; aber keineswegs als heiliger, ſondern als arianiſcher Retzer, von einem Hirſch in die hölle gelockt.

Es ijt deshalb unbegründet, wenn die in Lille erſcheinende Revue Germanique, Nr. 3 von 1922, ſich auf höde beruft, um darzutun, daß der Roland häufig als Heiliger auftrete; ſiehe die dort veröffentlichte, mit §. P. gezeichnete Beſprechung des Buchs von E. Jung, Germaniſche Götter und helden in chriſtlicher Zeit.

Der Roland zu Obermarsberg, früher Stadtberge genannt, an der Diemel im ſüdlichen Weſtfalen, war, wie ſchon erwähnt, für die „muthologiſche“ Deutung der Rolandsbilder beſonders wichtig (ogl. u. a. 36pfl). Denn dort, an der Stätte der altſächſiſchen Seite Eresburg, ijt, wie erwähnt, die Stelle, wo eine ſichere geſchichtliche Nachricht von der Irmenſul mit einem erhaltenen Rolandsſtandbild an einem und demſelben Orte zuſammentrifft. Die Corſcher Annalen und andere fränkiſche Quellen berichten, daß Karl der Große im erſten Jahrzehnt der Sachſenkriege die ſächſiſche hauptfeſtung Eresburg er⸗ ſtürmt habe und dabei das heiligtum der Irmenſäule, bei dem ein großer goldener Tempelſchatz gefunden worden ſei, zerſtört habe. Wir brauchen in dieſem Juſammenhange nicht notwendig die in neuerer Zeit !) wieder viel erörterte und umſtrittene Stelle des Rudolf von Fulda (um 850 nach Chr.) aus der Translatio St. Alexandri über die Irmenſäule heranzuziehen; von „der Weltſäule, die das All trägt“ (universalis columna, quasi sustinens omnia). Um deswillen brauchen wir nicht eine beſtimmte Stellung zu nehmen zu dieſem Husſpruch des Rudolf von Fulda, weil wir nur das davon nötig haben für unſere weiteren Aufitellungen, daß dabei ein Pfahl oder Menhir errichtet wurde, der irgendwie geweiht und heilig war. Soviel iſt aber, in Verbindung mit der Stelle des Widukind v. Corvey (vgl. ſofort), gewiß. Unter Ludwig dem Frommen ſoll die von Kar! dem Großen zerſtörte und vergrabene Irmenſul bei Corvey wieder aufgefunden worden ſein und nach hildesheim in den Dom verbracht worden ſein. Dort wird noch jetzt eine Steinſäule als die an: gebliche Irmenſäule gezeigt. Sie iſt allerdings gründlich verchriſtlicht; ſie iſt geſchliffen; ſie trägt oben, alſo in unantiker Weiſe, aber wie die Jupiter⸗ gigantenſäulen, wie das Siegesdenkmal der Sachſen an der Unſtrut (vgl. unten) und wie die Abbildung der angeblich in Corvey wieder aufgefundenen Säule, „die geweſt der Sachſen hertoghe und Gott“ in der 1492 zu Mainz gedruckten Chroneken der Saſſen ein Götterbild, nämlich die Maria. Die Chronefen der Saſſen hat die Nachricht von dem in Hildesheim vorhanden geweſenen, auf der Säule ſtehenden „der Sachſen Herzog und Gott“ nicht erdichtet; ſondern ſie hatte anſcheinend eine ältere Überlieferung dafür. Bei G. v. Schmid: Die ſäkulariſierten Bistümer Teutſchlands, 1858 (Bd. 1, S. 205) wird die Inſchrift, die an der Säule angebracht war, genauer überliefert: Saxorum olim ego Dux fui et Deus, adorat me populus Martis; quae me veneratur gens aciei cornua gubernari concedo. Der Berichterſtatter G. v. Schmid fügt hinzu „gegenwärtig ijt leider von dieſer Inſchrift keine Spur mehr vorhanden“ 2).

1) Karl Schuchhardt, Alt-Europa 1919, S. 167; Srdr. hertlein, Die Jupiter: gigantenfäulen, 1910.

2) An der Marienkirche in Lippitadt findet ſich über dem Weſteingang folgender Vorgang dargeſtelt. Ein Kind trägt, geleitet von zwei Jünglingen, deren einer handwerks— zeug zu tragen ſcheint, ein überlebensgroßes Brujtbild; meiner Meinung nach die Trümmer eines zerſtörten Gößenbildes; oder vielleicht eine Translatio, die hereinbringung von Keli— quien im kopfförmigen Reliquienbehälter, der aber überlebensgroß geweſen fein müßte.

9] Irmenſul und Rolandſäule 9

In einer 1590 in hamburg gedruckten Corbeiſchen Chronika nicht etwa eines Abdrucks des „unechten Chron. Corbeienſe“ ), ſondern einer zuſammenhängenden Erzählung, durch Johannem Legknerum Hardejianum, iſt auf Blatt 32 folgendes erzählt, unter Berufung auf Albertus Crantzius ) als 5 deſſen Saxonia zuerſt 1520, deſſen ſächſiſche Kirchengeſchichte 1548 erſchien ).

Ob die bei der Jerſtörung der Eresburg im Jahre 772 eroberte Irmenſul ganz und unverſehrt weggeführt oder verſcharrt worden, damit ſie den Sachſen aus den Augen komme, oder ob ſolches die Sachſen ſelbſt getan haben, wiſſe man nicht gewiß. Das Bild ſei aber ſpäter bei Corbei wieder aufgefunden worden mit der Inſchrift: „Ich der Sachſenführer ſage zu gewiſſen Sieg denen ſo mich ehren !)“. Dieſes Bild fei an dieſem Ort ganz heimlich und verborgen gehalten worden bis auf Ludwig den Frommen; der nach der Stiftung von Hildesheim und Corbei das Bild von dem Ort habe wegbringen laſſen, damit es den Leuten aus der Macht und aus den Augen komme. Als man nun in der Nacht das Bild habe aufladen wollen, ſei es nicht mehr da geweſen, nur noch die Säule, die man dann nach Hildesheim gefahren habe. „Was nun unter dem gemeinen Volk der Sachſen noch heidniſch und abgöttiſch geweſen und den morgen geſehen, daß die Säule abhanden gekommen, haben ſich die⸗ ſelbigen gantz feindlicher Weiſe zuſammen gerottiret, der Spur des Wagens gefolgt bis ins Stifft Hildesheim, an den Ort, da jetzund das Dorf Urmenſeul (ogl. oben S. 4), den Junkern von Stockheim zuſtändig, ſtehet, und den Wagen gantz grimmiglich angefallen, in der Meinung, der Seul, worauf etwan ihr Gott geſtanden, wieder mächtig zu werden. Die Andern aber haben ſich tapfer gewebret..... man hat gleichwohl die Seul gen Hildesheim ge- bracht. hat fie in dem Thurm vor den hohen Chor zu einem Leuchter geſetzt, worauf zwölf Lichter ſtehen können. Gleich als nun dieſe Seul zuvor den heidniſchen Sachſen in ihrem Tempel hat dienen müſſen, alſo dienet ſie nun in dem Dom zu hildesheim und muß in den daſelbſt gebräuchlichen Cärimonien etliche Lichter halten“ (vgl. unten die Bemerkung über den erzenen Kerzenträger im Erfurter Dom).

Knſchließend daran wird dann von dem Spiel berichtet, das um Mitt⸗ faſten von den Knaben im kleinen Domhof aufgeführt wird; und zwar mit dem ausdrücklichen Vermerk, daß dieſes Spiel, bei dem nach einem auf einen eingegrabenen Pfoſten geſetzten kleineren Stückchen holz geworfen wird und wobei derjenige König iſt, der das aufgeſetzte Holz herunterwirft, geitiftet ſei zum Gedächtnis der Irmenſäule und ihres Sturzes.

Die Erzählung von dem Überfall der Sachſen bei der Überführung ſieht nicht nach Erfindung aus. Wäre fie erfunden, fo hätte fie irgend einen Ab- ſchluß, eine Juſpitzung. Huch die genaue Angabe der Quelle von acht Toten beiderſeits iſt auffällig; vielleicht hat ſich viel ſpäter noch einmal ähnliches ereignet; wie die Errichtung eines offenbar heidniſchen Siegeszeichens für

1) W. Wattenbach, Deutſchlands Geſchichtsquellen. 3. Aufl., Bd. 1, S. 191.

1 Ich habe die Stelle weder in der Saxonia noch in der ee des Albert Krantz finden können. Krantz als Gewährsmann würde immerhin die Glaubwürdigkeit der Nachricht weſentlich erhöhen. Man hält ihn heute für einen zuverläſſigen Geſchichts⸗ ſchreiber, dem anſcheinend Quellen noch vorgelegen haben, die wir nicht mehr beſitzen. Über Krantz und ſeine Quellen vgl. p. Schärffenberg, Die Saxonia des Albert Krantz, 1893; Ernſt Schäfer, Zur Geſchichtsſchreibung des Albert Krantz, 1898. = 155 Dahlmann-Wait, Quellenkunde der deutſchen Geſchichte. 7. Aufl., unter

r.

71. ) Dieſe Nachricht auch bei Krantz, Saxonia, Frankfurt, 1575, S. 35.

10 Erich Jung [10

den ſächſiſchen Sieg von 1115; vgl. unten. Dergraben war fie urjprünglich wahrſcheinlich von den Sachſen; wie man in der Not die Sahnen vergräbt, um fie nicht in Feindes Hand fallen zu laſſen. Die Derbergung dann durch die Kirche, da ſich heidniſche Bräuche daran erhielten, und die Derchriſt⸗ lichung als Leuchter entſpricht durchaus dem vielfach in ſolchen Fällen üblichen und erprobten Derhalten der kirchlichen Beamten. Die Über: lieferung von der Inſchrift an der bei Corbei gefundenen Säule wird be⸗ ſtätigt durch die oben angeführte Nachricht bei G. D. Schmid, die ſäkulari⸗ ſirten Bisthümer Deutſchlands, 1858, wonach die Säule im Domchor früher eine ähnliche jetzt leider verſchwundene Inſchrift getragen habe.

Eine 1734 erſchienene Reformationsgeſchichte, von Lauenſtein, berichtet nun ebenfalls von dem „zu Hildesheim jährlich am Sonnabend vor Cätare auf dem kleinen Domhof gehaltenen Schauſpiel zum Andenfen der abgeworfe⸗ nen Irmenſäule“; man ſetzt einen großen Klotz in die Erde, einen kleinen Kegel darauf; „dann kommen ein haufe Jungen und Buben zuſammen, werfen mit Steinen und Stöcken, daß fie den Kegel, wodurch der heidengötze bedeutet wird, herabwerfen mögen“. Dieſe Nachricht beweiſt jedenfalls, daß noch 1734, alſo vor dem Einſetzen der germaniſtiſchen Neigungen und des⸗ halb ohne die Gefahr gelehrter Anregung, jene Erinnerung an die Irmenſul dort lebendig war. Aud) in Halberſtadt hat ein Brauch beſtanden nach Art des Hildesheimer, man nannte es dort im 18. Jahrhundert das Steinigen des Jupiter ). Die damals durch gelehrte Erfindung entſtandene falſche Be⸗ ziehung auf Jupiter ändert nichts an der Glaubwürdigkeit der Nachricht über den Brauch ſelbſt. Der Mönch von Helmershaujen, der im 13. Jahrhundert von der Derjeßung der Irmenſäule nach Hildesheim berichtet, wird ſich dieſe Nachricht nicht ganz aus den Fingern geſogen haben. Für uns genügt ja im Grunde die damit zweifellos bewieſene Tatſache, daß Vorſtellungen von zu bekämpfendem Heidentum und von einem heidniſchen Sinnbild irgendwelcher Art, genannt Irmenſäule, damals noch im Volke dort lebten; ganz einerlei, was an jener Verbringung der Säule nach Hildesheim tatſäch⸗ lich und geſchichtlich iſt.

Aud aus Paderborn alſo ebenfalls von niederſächſiſcher Erde wird ein ſolcher Brauch, Herabwerfung eines Standbildes, gemeldet 7.

Die Kirche würde auch nicht ihr ſchweres Geſchütz auffahren, wenn ſie nicht wüßte, daß age wirklich heidniſche Erinnerung im Spiel iſt. Sie bekämpft heute noch, ſo ſehr ſie ſonſt ihre uralten Überlieferungen zu ehren weiß, die Verehrung der drei heiligen Schweſtern, Embett, Warbett und Willbett, weil dieſe keine kirchlich⸗- antike Vergangenheit haben, ſondern eine vorchriſtliche, nordiſche; nämlich als die Matronen, als Parzen, deren Derehrung in der rheiniſchen hauptheimat der Muttergöttinnen oder Matronen noch Burkhard von Worms ums Jahr 1000 bekämpft; möglicherweiſe hängen ſie auch noch mit den Nornen zuſammen. Die Jahrhunderte der Spätantike ſehen hier am Mittelrhein, entſprechend der Bevölkerungsmiſchung, eine weitgehende Glaubensmengerei und ⸗auswählerei; den Mithras noch gar nicht mitgerechnet. Die Kirche bekämpft heute noch die urtümliche und ſicher vorchriſtliche Der- ehrung der heiligen Kümmernis (vgl. Johann Nepomuk Sepp: Die An- feindung der Kümmernisbilder in „Die Religion der alten Deutſchen und ihr

1) H. C. Ahrens, Über Namen und Zeit des Campus Martius der alten Sranken; Jahresbericht des Lyzcums in hannover, 1871/72 2) Dal. B. Kuhlmann, Eresburg und Irmenſul. Paderborner Gymn. Progr. 1899,

11} Irmenſul und Rolandfaule 11

Fortbeſtand“). Die Kirche weiß ganz genau Beſcheid über das „annoch glim⸗ mende heidenthumb“ bei ihren Bekennern, und ſo wird auch ihre Meinung von der Echtheit jener Irmenſul in Hildesheim zutreffend fein, die ſie damit bekundet, daß fie noch in neuerer Zeit die an das Heidentum erinnernde In⸗ ſchrift zu beſeitigen für gut hielt 4).

In der Magdalenenkirche zu Hildesheim ſteht mitten vor dem Altar eine mit einem kleinen Marienſtandbild gekrönte geſchliffene Säule; ſie ſoll aus der Michaeliskirche ſtammen und entſpricht durchaus der Säule im Dom. Aber fie hat eine ſelbſtändige Legende. „Die ſogenannte Götzenſäule im Mittelſchiff der Kirche, von weißem, grau und ſchwarz geadertem Marmor, wird jetzt als Ceuchterſäule benutzt. Sie ſtand den Nachrichten des Michaelis- kloſters zufolge urſprünglich in einem haine bei Oldenburg und trug das Bildnis des heidniſchen Gottes Prono. Kaiſer Otto I. habe jenen heiligen Hain zerſtört und die Säule umgeſtürzt, worauf fie ſpäter der Biſchof Benno von Oldenburg nach Hildesheim gebracht und dem Biſchof Bernward geſchenkt habe" (H. Holzer, Hildesheim und feine Umgebung, 1875, S. 65). So unſicher oder ſelbſt nachweisbar unzutreffend auch alles Tatſächliche dieſer Überlieferung ſein mag, ſo iſt eben ihr Beſtehen, als volkskundliche Tatſache, nicht als geſchicht⸗ liche Quelle, wichtig für unſere Zuſammenhänge. Auch die berühmte Bern⸗ wardſäule ijt in dieſem Zuſammenhang zu erwähnen. Zwar iſt fie künſtleriſch von der Trajansſäule beeinflußt). Aber die Verwendung der Säule in dieſer Weile, als geweihtes Sinnbild und Träger des Heiligtums, ijt eben nicht antik und ſicher ſo zu erklären, daß man ein in dieſen Gegenden alteinheimiſches Sinnbild der Gottesverehrung, das ſich nicht ausrotten ließ, ins Chriſtliche wenden wollte; nach jener weiſen Anweiſung des Papſtes Gregor des Großen an Abt Mellitus vom Jahre 601, man ſolle die dem Volke teuren Heiligtümer aus vorchriſtlicher Jeit nicht zerſtören, ſondern ins Chriſtliche umweihen. Genau ebenſo verhält es ſich mit dem Kerzenbrennen zu gottesdienſtlichen Zwecken. Dieſes iſt ſicherlich ein uralter Sonnenzauber, der die Sonnenwärme herbeilocken ſoll, und ja, als die in der Verbrennung wieder umgeſetzte aufgeſpeicherte Sonnenwärme des Sun, auch tatſächlich tut. Die chriſtliche Kirche bekämpfte deshalb urſprünglich, mit gutem Grunde, das Kerzenbrennen. Als jie ſah, daß es ſich nicht ausrotten ließ, ohne weſentliche Ehrfurchtswerte (religiöſe Werte) in der Dolfsfeele zu zerſtören, wurde es übernommen. So iſt die auffällige gottesdienſtliche Derwendung der Säulen in Hildesheim höchſtwahrſcheinlich eine archäologiſche Beſtätigung des durch unſere ſchriftlichen Quellen vermittelten Berichts, daß in der Gegend des 815 durch Ludwig den Frommen von Aulica (Elze) nach Hildesheim ver: legten Bistums zahlreiche Stätten zur Verehrung heidniſcher Gottheiten ſich befunden hätten. Otto Gerland, Hildesheim und Goslar, S. 5, glaubt in dem Muttergottesbilde eines erſt kürzlich leider beſeitigten Brunnens an der

1) Später wurde allerdings behauptet, der Name Irmenſul für die Säule in hildes⸗ gem rühre erft von dem 1613 verſtorbenen Kanonitus Astanius von men ber, der die äule erneuern ließ. Aber diefe Nachricht iſt ganz vereinzelt überliefert und Sicher falſch. Das beweiſt allein ſchon, außer abweichenden 8 riftlichen Aberlieferungen (ſiehe oben), das Vorhandenſein der oben erzählten Volksbräuche jener Gegenden. Merkwürdig iſt auch und deutet auf hohes Alter, daß die Säule aus dem Kalffinter (alabastro antico) einer bein, 8 een in der Eifel hergeſtellt iſt (vgl. R. Herzig, Der Dom zu hildes⸗ eim. 8. 35). a ) Die Jupitergigantenſäulen mit dem galoppreitenden Gott auf der Säule find ſicher (vgl. Hertlein, Körber, ar Toutain, Jangemeiſter, hettner) aus more Söttervorſtellung entſprungen, die Mainzer Jupiterſäule ebenfalls nicht aus rein antiken Dorſtellungen erwachſen (ögl. unten).

12 Erich Jung [12

Treppe zum Dombofe, der an Stelle eines Quellheiligtums der Göttermutter Srida = Frau Holle getreten fei, eine muthologiſche Erbfolge erblicken zu dürfen; ja noch weiter in einer dort lebenden Dolfsiage: „So lebt auch die alte Göttermutter unter der Geſtalt der ſogenannten hildesheimer Jungfer im Volke fort, ſie führt als Mutter Gottes eine verirrte Jungfrau zur Stadt zurück, fie ſteht als Hildesheimer Jungfer bei Belagerungen der Stadt auf deren Wällen“. 2

| An einer Stätte, wo die vorchriſtlichen Überlieferungen nod fo lebendig ſind 1), wo das Dorhandenfein vorchriftlicher Heiligtümer ausdrücklich berichtet wird, hat die auffällige Verwendung des Steinmals in chriſtlichen Kirchen ſicher eine ſolche Dorgeidichte. f

Ich will hier nicht den Hildesheimer Rolandbrunnen erwähnen; denn es iſt ein Rolandbrunnen und demnach wahrſcheinlich kein „echter“, das heißt die Gerichtſtätte bezeichnender Roland. Aber die Bernwardsleuchter, die in der Gruft des heiligen Bernward gefunden wurden, könnten in dieſen Zuſammenhang gehören; auf ihnen krauchen Untiere, Drachen, auf deren Rücken Kobolde hocken, herum; hier können auch vorchriſtliche Erinnerungen im Spiele ſein; das Mittelalter liebt es, die beſiegten Unholde, das heißt die heidengötter jo darzuſtellen: nämlich daß ſie dem Chriſtengotte dienen müſſen, hier die dem Gottesdienſte dienenden Kerzen halten müſſen. Ich ver- mute in dem mit Recht berühmten lichtertragenden Erzbilde des Erfurter Doms, dem fogenannten Wolfram, aus dem 11., ſpäteſtens dem 12. Jahr: hundert, die Darſtellung eines bekehrten und büßenden heidenprieſters 2). Beſchreibung bei v. Tettau, Bau- und Kunſtdenkmäler der Stadt Erfurt. S. 81ff. In haartracht und Gewandung ähnelt er durchaus den Hirjauer Männern und dem Bärtigen auf dem ſteinernen Flachbild aus Murrhardt (val. oben S. 4), von denen man nachweiſen zu können glaubt (vgl. E. Jung, Germaniſche Götter und helden, 1922), daß ſie den heidengott oder den heidenprieiter darſtellen ſollen.

Dieſe Deutung des Murrhardter Flachbildes daß auf ihm der Chriften- prieſter das heidniſche Sinnbild des Sonnenkreiſes und deſſen Prieſter bannt wird durch eine volkskundliche Tatſache beſtätigt, die der Verfaſſer jenes Buchs jetzt erſt erfahren hat, lange nachdem er allein aus dem Ddenk⸗ mälerbefunde, alſo rein archäologiſch, auf jene Deutung gekommen war. Das Heidentum lebt nämlich heute noch an dieſer Stelle und ebenſo ſeine kirchliche Bekämpfung. An der Walderichskirche ift ein alter, wahrſcheinlich mithräiſcher, Stein eingemauert, zu dem bis unlängſt in dieſen evangeliſchen, früher hohen-.

1) „Noch zieht Wotan als wilder Jäger in den Zwölfnächten durch den „Wohl“ unſerer Stadt und deutlich erinnert an den Göttervater auch ein nun leider verklungener Slurname im Süden von hildesheim bei Didjalzen, das Wodansloch. Donar aber lebte noch im 18. Jahrhundert (bis 1745) in dem Spiele der Domſchüler am Sonnabend vor Cätare, das man als „Steinigen des Jupiter“ bezeichnete, unter welchem Namen ſich der alte Donnerer in chriſtlicher Zeit vielfach verbergen mußte“ (J. Gebauer, Geſchichte der Stadt hildesheim, 1922, S. 8).

2) Die zum Kirchendienſt verwendeten Kerzenhalter zeigen vielfach Darſtellungen, die auf das überwundene heidentum hindeuten ſollen. Das Kerzenbrennen zu gottes: dienſtlichen Zwecken iſt, wie ſchon erwähnt, wahrſcheinlich ein mit urälteſten Vorſtellungen zuſammenhängender Seuer- und Sonnenzauber und wurde tatſächlich lange von der chriſt— lichen Kirche als heidniſch bekämpft. So konnte man wohl an dieſer Stelle, ganz richtig, ein beſonderes Bedürfnis empfinden, den Sieg über die vorchriſtlichen Unholde zu betonen. Der berühmte erzene Leuchterfuß aus der Mailänder Kriegsbeute Sriedrich Rotbarts, im Dom zu Prag, zeigt ſolche Daritellungen, von denen man (Arthur Martin, Melanges @areheolovie) eine als Tyr und den Senriswolf gedeutet bat, was mir, ſoweit man nach der Abbildung urteilen kann, durch den Befund nicht bewieſen ſcheint.

13] Irmenſul und Rolandjäule 13

lohiſchen Gebieten noch gewallfahrtet wurde. Heute vollzieht ſich dieſe Der- ehrung in heimlichkeit und daher unter dem ſchützenden Mantel der Nacht. Ein pfarrer der Gegend hatte davon gehört und verbarg ſich nachts in der Nähe, ſo daß er die Stelle des eingemauerten Steins beobachten konnte. Es kamen zwölf Menſchen in einer Nacht und verrichteten ihre Andacht vor dem Stein ). Die Tatjache iſt ein weiterer Beleg gegen die Richtigkeit des all⸗ gemeinen Einwands, den man u. A. Franz Xaver Kraus, neuer⸗ dings Andreas Heusler der jüngere (bei einer Beſprechung des oben- genannten Buches) gegen ſolche Deutungen erhoben haben; es ſei doch unwahrſcheinlich, daß ſich die vorchriſtliche Überlieferung ſo lange erhalten habe. Dieſe hat fic) tatjächlich ſelbſt in der ſchriftlichen Überlieferung, alſo ganz abgeſehen von den volksmäßigen Dorſtellungen und Gebräuchen, in denen ſie noch heute ſehr vielfach lebt, ſehr viel länger erhalten als man im allgemeinen weiß; was zum Teil gerade auch an der kirchlichen Bekämpfung erkennbar wird. In einer Handſchrift, die im Kloſter Trinita della Cava im Fürſtentum Salerno aufbewahrt wird, findet ſich folgendes

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Abb. 3. Dom Peter-Paulsturm zu hirſau. Der Heidenpriefter oder heidengott, gebannt im Bilde an der Außenfeite der Kirche, mit dem Sonnenrad und unreinen Tieren. (Aus E. Jung, Germ. Götter und Helden.)

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Bild. „Zu Beginn der origo gentis Langobardorum ijt eine Zeichnung ange— bracht, die von der allergrößten Bedeutung für die germaniſche Mythologie iſt: zuoberſt das höchſte Götterpaar, Sreia, ihren Arm um den Hals des auf niedrigem Lager ruhenden Godan ſchlingend, zur rechten unten die Uvinniles, mit eiſernen helmhauben und Speeren, zur Linken Gott Ibor und fein Bruder, neben ihnen ſitzend Gambara 2)“.

Die der Darſtellung im Codex Cavensis zugrunde liegende Stelle in der Erzählung von der Herkunft der Langobarden, von dem waltenden und ſiegverleihenden Götterpaar im himmel und von der Liſt der Göttermutter gegen ihren Gatten, durch die ſie den Winnilern den Sieg verſchafft, iſt ja nun ſicher ſchon von unnordiſchen, helleniſtiſch-mittelmeerländiſchen Dorſtellungen beeinflußt und entſprechendes wird auch von der erwähnten künſtleriſchen Darftellung wohl gelten müſſen. Aber jedenfalls beweiſt das Dorhandenjein

f 1) Ich habe die Mitteilung mündlich vom Profeſſor der Theologie Rudolf Günther in Marburg. Der Bericht des Beobachters ſtehe im kirchlichen Anzeiger für Württemberg; ich habe ihn bisher noch nicht einſehen können. Wichtig wäre es auch, den Kalendertag dieſer heimlichen Wallfahrt zu wiſſen, um daraus auf den eigentlichen alten Titelbeiligen und daraus weiter zurück auf deſſen heidniſche Vergangenheit ſchließen zu können.

2) P. Clement, Die Porträtdarſtellungen Karls des Großen, in der Jeitſchrift des Aachener Geſchichtspereins, Bd. 11, 1889.

14 Erich Jung [14

des Bildes doch das, daß dem Schreiber der Handfdrift, „nach Merkel 1023 unter Abt Theobald geſchrieben in Montecaſſino, weil in dieſem Jahre ein Edietum regum im Katalog des Kloſters erwähnt wird“, die vorchriſtlichen Überlieferungen feiner langobardiſchen Ahnen aus deren norddeutſchen Sitzen her noch lebendig waren. |

In dem Indiculus superstitionum et paganiarum aus dem 8. Jahrh. nach Chr. und ganz entſprechend in dem Bußbuch des Burkhard von Worms ums Jahr 1000 wird ſtrenge verboten und unter Rirchenbuße geſtellt, daß man Zauberknoten (phylacteria und ligaturae) anfertige zu abergläubiſchen Zwecken; insbeſondere, um das Dieh vor Seuchen zu ſchützen (ut animalia... liberent a pesteetaclade). Im Jahre 1920 fragte auf einem Candgute bei Roſenheim, als Viehſeuchen im Lande waren, die Diehmagd bei der Guts⸗ herrin an, ob ſie einen Knoten aus einem Strohſeil, der in ganz beſtimmter Weiſe geknüpft werden muß, am Stalle aufhängen dürfe; das halte die Seuche vom Stalle fern. |

Bei Burkhard von Worms!) wird ausdrücklich mit einjähriger Kirden- buße bedroht, wer den drei Muttergöttinnen, den Matronen der Rheinlande, die auch in den lateiniſchen Widmungen ſtets ihre einheimiſchen, nach v. d. Leyen vorw.egend germaniſchen Beinamen führen, die ſich ſpäter in die drei heiligen Schweſtern Embett, Warbett und Wilbett verwandeln und hier von Burkhard von Worms antikiſierend Parzen genannt werden, in gewiſſen Nächten einen Tiſch in feinem Haufe decke. In der Umgegend von Berchtesgaden, beſonders in der „Gern“, einem zur Almbachflamm ziehenden Tälchen, wird heute noch in den drei Freinächten (24. und 31. 12.; 6. 1.) in einem Nebenzimmer ein Tijd) gedeckt mit einem Ciſchtuch, das nur zu dieſem Zwed verwendet wird; darauf kommt eine Kerze, Teller, Meſſer, Gabel, Brot; das Zimmer wird bis zum nächſten Morgen nicht mehr betreten.

Das ſind einige Beiſpiele unter unbegrenzt vielen möglichen, wie zäh und beharrlich die Volksſeele ihre alten und liebgewordenen Glaubensbeſtände feſthält. Aber dieſe Treue der Überlieferung begegnet nicht nur auf dieſem Gebiet, im volkstümlichen Brauch, ſondern ſie kennzeichnet vielfach ſelbſt die mündliche Überlieferung von geſchichtlichen Tatſachen. Die mündliche Über⸗ lieferung des Volks iſt zuweilen, ſo auffällig das klingt, an Wahrhaftigkeit und Juverläſſigkeit der gelehrten Geſchichtsüberlieferung überlegen.

Ausgrabungen an der Dia Appia (Seemannſche Kunſtchronik Nr. 52, 1920) haben ergeben, daß eine uralte Überlieferung über die Gräber der Apoftel wahrſcheinlich richtig war; „vor allem darf man wieder einmal feſt⸗ ſtellen, daß man die alten Überlieferungen nicht ſo leicht vernachläſſigen ſoll“.

Eine alte Sage in heſſen berichtete, das Dorf Metze ſei vor uralten Zeiten eine volkreiche Stadt geweſen. Neuerliche Forſchung hat nun ſehr wahrſcheinlich gemacht, daß Metze wirklich die Stelle von Mattium, der alten Opfermalſtätte der Chatten, bezeichnet, wo ſie, wie Tacitus berichtet, im Jahre 15 nach Chr. von Germanicus überfallen wurden.

Eine alte Überlieferung bezeichnet den hülfensberg bei Eſchwege, an deſſen Fuße ein Dorf namens Geismar liegt, als den Ort, wo Bonifazius die

1) Abdrud von Burchards Corrector et medicus, zuerſt veröffentlicht von Grimm, Deutſche Mythologie, bei E. Friedberg, Aus deutſchen Bußbüchern; fecisti ut qu mulieres in quibusdam temporibus anni facere solent: ut in domo tua mensam prae- parares, et tuos cibos, et potum, cum tribus cultellis, supra mensam poncres, ut, si venissent tres illae sorores, quas antiqua posteritas et antiqua stultitia parcas nomi- navit, ibi refioerentur.

15 Irmenſul und Rolandfäule 15

Donareiche gefällt habe; auf dem hülfensberg wurde die heilige Kümmernis verehrt, die ſicher eine vorchriſtliche Vergangenheit hat. Die meiſten Forſcher gaben aber in der letzten Zeit dem Orte Geismar bei Fritzlar den Vorzug. Ganz neuerlich, im Oktober 1923, machen an der Kirche auf dem hülfensberge vorgenommene Arbeiten, die Unterſuchung des im frühgotiſchen Gewölbe eingemauerten Eichenſtrunks, die Auffindung einer Bauinſchrift über die Ausmalung von 1610 und die Aufdeckung älterer aus dem Ende des 15. Jahrhunderts ſtammender Wandmalerei, nun ſehr wahrſcheinlich, daß die alte Überlieferung zutreffend berichtet hat; jedenfalls, das haben die ganz neuen Freskenaufdeckungen des Pater Digilantius erwieſen, iſt die örtliche Überlieferung verhältnismäßig alt; nicht etwa, wie man auch hier in über⸗ triebener Zweifeljucht geglaubt hat, eine junge Gelehrtenerfindung.

Solche Übertreibungen der Zweifelſucht ſind ja geradezu kennzeichnend für eine gewiſſe Stufe der wiſſenſchaftlichen Nachprüfung, des eben erwachten und ſich fühlenden „kritiſchen Beſtrebens“; wie der „große Zweifler Agrippa von Nettesheim“, nachdem er die Unechtheit des ſogenannten Beroſus richtig erkannt hatte, nun der Einfachheit halber auch den Jordanes, Widukind, Gregor von Tours, Paulus Diakonus und Tacitus für Sälſchungen ſpäterer Jahr⸗ hunderte erklärte (vgl. Theob. Bieder, Geſchichte der Germanenforſchung)

Widukind von Corvey gibt eine weitere Nachricht von einer Irmenſul, die dieſe mit beſtimmten geſchichtlichen Ereigniſſen verbindet ).

Nach der Beſiegung der Thüringer in ihrem Lager an der Unſtrut, 551 nach Chr., hätten die Sachſen eine Irmenſul als Siegeszeichen errichtet ?). h. Größler (Mansfelder Blätter, Jahrg. XVII, 1905) glaubt, daß das Dörfchen Siegerſtädt bei dem „in der karolingiſchen Zeit auf dem Schlachtfeld des Jahres 531 errichteten Siegesdenkmal gegründet fei” und danach heiße. Neuer⸗ dings wird ja die Teilnahme der Sachſen an dem Kriege der Franken gegen die Thüringer überhaupt bezweifelt). Für uns iſt aber die weſentliche Tatſache erſtens die, daß dem Widukind von Corvey die Doritellung von der Irmenſul noch jo lebendig war; nicht, ob fie zu der berichteten Zeit, alſo rund 400 Jahre vor ihm, wirklich errichtet wurde. Zweitens kommt es uns darauf an, daß pon der Irmenſul hier als einem Siegeszeichen berichtet wird; denn das gibt die Verbindung mit dem von den ſiegreichen Sachſen nach der Schlacht am 5 i. J. 1115 errichteten Thiodute, wovon gleich unten zu reden ein wird.

Für unſere Zwecke iſt eine Überlieferung ja ſogar um ſo wertvoller, je jünger fie noch bezeugt iſt; vorausgeſetzt freilich, daß fie noch vor der Zeit gelehrter Wiederherſtellungen und bewußter Altertümelei liegt; d. h., daß es eine echte und alte Überlieferung iſt. Der Roland von Obermarsberg iſt in dieſer Geſtalt ſehr jung, nämlich von 1737; aber es haftet eine Überlieferung an ihm, die dieſen Roland in unſerem Zuſammenhang bejonders wertvoll macht; erſtens daß er als „St. Rolandus“ bezeichnet wird, und zweitens daß er folgendes Derschen trägt: 5

1) Im übrigen kehrt der Ausdruck gelegentlich, wenn auch nicht allzuhäufig, in den alteren Quellen wieder. Dal. den Auffak „Irmenſul“, verfaßt von hertlein und haupt in Hoops, Reallexikon des germaniſchen Altertums.

) Nomine Martem, effigie columnarum imitantes Herculem, loco Solem, quem Graeci appellant Apollinem, Saxones originem duxisse de Graecis, quia Hirmin vel Hermis Graece Mars dicitur; quo vocabulo ad laudem vel ad vituperationem usque hodie 1 ) Dal Gebhardt handb d. deutſchen Geſchichte, her von Aloys Meiſter 1922, S. 145 . d. deutſchen Geſchichte, herausg. ys Meiſte

16 Erich Jung [16

® Mars, Du vermeinter Gott,

Hier ſteh ich dir zum Hohn und Spott,

Dor Seiten riefen did) die Heiden an,

Jetzt rufen wir im wahren Glauben Chriſtum an.

Beides zuſammen beweiſt klärlich, daß die Erinnerung an eine mytho- logiſche Bedeutung dieſes Bildes damals noch lebendig war. Daß der an⸗ gebliche St. Rolandus in Gegenſatz geſtellt wird zu feinem vorchriſtlichen Dor- gänger, den er tatſächlich fortſetzt, entſpricht dabei nur einem ſeſſtehenden Geſetze der Sagenbildung. Der Nachfolger muß ſich der Art deſſen anpaſſen,

den er verdrängen ſoll. Die heilige Walburg iſt eine geſchichtlich ſehr gut beglaubigte Heilige; aber es verwächſt aller mögliche vorchriſtliche Zauber und Spuk mit ihr, weil der 1. Mai ihr Kalendertag iſt, und weil deſſen Zauber zu tief in der Volksſeele feſt⸗ ſitzt, um ſich einfach ver⸗ drängen zu laſſen. Darum zieht man vor, ihm nur einen chriſtlichen Patron zu geben; ſo weiht der Prieſter am St. Ceonhardstage die Nöſſer, an derſelben Stelle, wo, vielleicht auch in ganz ähnlicher Form, früher der Epona oder dem Wodan die Roſſe vorgeführt wurden; ſo duldet der chriſtliche Prieſter die Weihegaben „der wächſernen Süß und händ“, obwohl dieſe Weihegaben ſeit über tau⸗ ſend Jahren in der chriſt⸗ lichen Kirche als heidniſch Abb. 4. Steinſäule in Obermarsberg. verboten ſind. So über⸗ nimmt die chriſtliche Kirche ſchließlich den heidniſchen Brauch des Kerzenbrennens, den ſie in den erſten Jahrhunderten als heidniſch bekämpft hat (ſiehe oben).

In Obermarsberg findet ſich noch ein weiteres eigentümliches Denkmal, das auch ſchon in dieſen Zuſammenhang gebracht wurde, aber meines Er⸗ achtens noch nicht richtig gedeutet wurde. In den deutſchen Geſchichtsblättern, herausgegeben von Arnim Tille, Bd. 2, 1901, gibt G. Sello bei einer gründ⸗ lichen Überſicht über das Schrifttum der Rolandſäulen ältere Berichte aus Obermarsberg, von 1684 und 1718; dieſe Berichte erzählten von einer zweiten Säule außer dem Rolandbild; anſcheinend einer Prangerſäule; auch in der Stadt Brakel fei die Staup-Säule für eine Roland-Säule gehalten worden. Dieſe zweite Obermarsberger Säule ſteht nun ebenfalls noch, was Sello an= ſcheinend nicht wußte. Man wird ſie auf den erſten Blick als einen Pranger oder

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17 Irmenſul und Rolandſäule 17

Kak anſprechen, wenn ſie auch in ihrer Art ganz vereinzelt iſt: „in dieſer Form nirgends in Weſtfalen“ jagt Dr. Kleebujd, Sauerland, S. 205. Auf einer breiteren Säule, die nach ihrer Zierweile etwa dem Anfang des 17. Jahrhunderts entſtammt, erhebt ſich eine weſentlich ſchlankere, ſteinerne Rundſäule, ohne Ropfſtück, mit eiſernen Bändern und Riegeln, vielfach geflickt. Zwiſchen beiden Säulen liegt ein ſchmiedeeiſerner Roſt mit Geländer. Einen Zugang hat dieſer Roft nicht, deſſen ſehr weite Bändermaſchen auch den Füßen eines Daraufſtehenden kaum einen Halt geben würden. Einrichtungen zum Feſſeln von händen und Hals, wie andere Pranger, hat dieſe Obermarsberger Säule nicht. Ich behaupte nun, dieſe Säule iſt kein Pranger, ſondern nur abſichtlich als ſolcher zurechtgemacht, um ſie zu erhalten ). Wäre es ein Pranger, fo hatte man vor allem auch ganz ſicher bei der Herftellung der Unterſäule die obere, nun fo vielfach geflickte, erneuert. Als Kojtenpuntt wäre das, gegenüber der verhältnismäßigen Aufwändigteit des Unterſatzes und des eiſernen Gitters, gar nicht in Frage gekommen. Es liegt vielmehr ſicher fo, daß die uralte Steinſäule irgendwie durch Überliefe- rungen geheiligt war. Deshalb wurde ſie durch viele Jahrhunderte ſorgfältig geflickt. Wahrſcheinlich glaubte man auch, fie gegen die Verfolgungen, die der ihr anhaftende Geruch des Heidentums ihr zuziehen konnte, dadurch am wirk⸗ ſamſten zu ſchützen, daß man ſie äußerlich als Pranger zurechtſtutzte. So wie die uralten Frühlings⸗ oder heldenſpiele des Georgiritts zu Traunſtein, des Drachenſtichs zu Furth im Wald die kirchliche Genehmigung, wie Johann Nepomuk Sepp berichtet, erhalten und deshalb noch Ende des 19. Jahrhunderts gefeiert werden können, wenn nur der Drachenkämpfer St. Georg genannt wird und die zu befreiende Jungfrau hl. Margareta.

Die Krupta der in der Nähe gelegenen Obermarsberger Kirche heißt im Volksmund der heidenkeller. Das ijt ſehr auffällig; es beweiſt, daß eine Überlieferung von heidniſchem Weſen am Ort beſtand.

Die zäh am Alten hängenden Weſtfalen die Niederjachjen find be⸗ kanntlich am ſpäteſten von den deutſchen Stämmen zum Chriſtentum gekommen brauchten ſich dabei natürlich nicht bewußt zu ſein, daß die Ehrfurcht vor der alten Säule eine vorchriſtliche Unterlage hatte; auch wenn der Kölner Erzbiſchof noch 1270 klagt, daß die Güter des Soeſter Patroklusſtiftes inmitten eines fo böſen, heidniſchen und unchriſtlichen Volkes gelegen ſeien. Der baueriſche Bauer, der in der Ceonhardskapelle und anderwärts wächſerne Glieder und Tiere bei Krankheit und Diehfeuche opfert, weiß ja ebenfalls nicht, daß das heidniſch iſt, und ſchon vor über 1000 Jahren (Indiculus superstitionum et Paganiarum von 740 oder 772) ſtreng verboten worden iſt. Die Sachſen hatten 1114 nach ihrem Sieg über die verhaßten Stanten, die ihnen ſeinerzeit mit ſo viel Grauſamkeit das chriſtliche Kirchenweſen gebracht hatten, offenbar einen heftigen Rückfall in das heidentum 7). Heinrich von herford ſchildert die Errichtung jener Thiodutſäule folgendermaßen: „Zum Gedächtnis jenes Siegs errichteten die Sachſen an ſeiner Stelle eine kleine Kapelle. In dieſer

1) Daß ganz vereinzelte Fälle von Benutzung der Säule als Pranger berichtet

werden, oat in einem lee Gaſthaus ein angeblich früher an der Säule ange: brachtes Halseijen gezeigt wird (vgl. Dr. Kleebuſch, Sauerland, S. 203), beweiſt nichts dagegen; eher dafür, insofern es nach Übſicht ausſieht. 2) Dieſe geſchichtliche Tatſache cage ſich dann in einer Sage nieder; eine Sage, über die ſich Daftor Johann Kraus im aba en nod) 1555 d eit „die weit und breit gehende Sage, daß in der Schlacht am Welfesholze heiden und Chriſten miteinander geſtritten hätten“. Das iſt vielleicht wahrer als man weiß.

Man nus, Zeitſchrift für vorgeſch., Bd. 17. H. 1/2. 2

18 Erich Jung [18

ſtellten fie das Bild auf eines gewaffneten und behelmten Mannes 1). Dieſen nennen die unwiſſenden Landleute der Gegend den heiligen Thejodute, weil das ſächſiſche Volk damals durch Thejodute den Sieg über Rönig heinrich er⸗ langt habe. Eine andere Form der Erzählung berichtet: dieſer „Jodute“ ſei ein Weidenſtock geweſen; er habe in der Schlacht den Ruf zu den Waffen „Waffen⸗Jo“ „Mord⸗Jo“ erhoben. Kaiſer Rudolf von Habsburg habe dann wegen der damit getriebenen Ubgötterei den Strunk wegnehmen und in eine dazu erbaute Kapelle ſetzen laſſen.

Aber noch im Todesjahr Luthers iſt dieſe Albgötterei jo lebendig, daß in der am 20. Februar 1546 gehaltenen Leichenrede des Michael Coelius aus Luthers Zeit gejagt wird, „daß man Holz und Steine und, wie man in unſerem Mansfeldiſchen Lande erfahren, den Weidenſtock, welchen ſie Gedut genannt, angerufen und bei ihnen Troſt und hilfe geſucht habe 2)".

Peterſen ?) erklärt Tiodute als das Mal (Strunk, Säule) des Thio. In der hochdeutſchen Form Zioter, Jeter, fet für den Namen des Gottes die Caut- verſchiebung eingetreten: Ziu ſtatt Tiu; und an Stelle des Wortes Tüte (mund⸗ artlich mitteldeutſch Dutt) für das zugeſpitzte Mal oder den Strunk ſei das Wort Ter, das alte Wort für Baum getreten (val. Wachhol⸗der, Affolster, engliſch tree). Das Thiodute fei ſpäter zu Jodute geworden 4). Dieſer Ruf bedeutet den Ruf zu den Waffen, das Gerüfte der mittelalterlichen Quellen; das Geriifte über Mord, Notzucht und gewaltſamen Frevel überhaupt, das die handhafte Tat feſtſtellen und Zeugen herbeirufen ſoll zum Beweiſe deſſen, daß die vom Rufer angewendete Waffengewalt nun von feiner Seite kein Friedensbruch iſt, ſondern durch die Gewalttat des Ungreifers gerechtfertigt.

So heißt es im Ridhtjteig Landrechts des 14. Jahrhunderts (Ausgabe von Homeyer) „jo rufe Toyodute über deinen und des Landes verfeſteten Mann, dann müſſen dir das Gericht und die Dingpflichtigen folgen und hilfe leiſten“. In einem niederſächſiſchen von Grimm berichteten Weisthum heißt es auf die Frage: wie ſoll man über einen dreimal geladenen und nicht erſchienenen Geſchrei machen? „dreimal jo dütte“. |

Die ſprachliche Ableitung des Wortes Thiodut, die Peterſen gibt, iſt zweifelhaft. h. C. Ahrens, a. a. O., leitet das Wort Thiodut von Thiod, Volk ab; alſo Thiod ut ſoviel wie Volk heraus; in der Bedeutung, wie das Burſchen heraus gerufen wurde, um die Genoſſen zu hilfe zu rufen. Das würde ja genau der ſpäteren Bedeutung des Gerüftes entſprechen; alſo der Bedeutung des Joduterufs, die er geſchichtlich zweifellos zu gewiſſen Zeiten hatte und die zuverläſſig berichtet wird im Gegenſatz zu jenem ſagenhaften Bericht vom Götzen Jodut und dem Weidenſtock. Aber es kommt in unſerem Zuſammenhang auf die ſprachliche Herleitung des Wortes nicht entſcheidend an; wenn auch 3u- zugeben iſt, daß die nach dem derzeitigen Stande der Wiſſenſchaft wohl un- wahrſcheinlichere, die ältere Peterſenſche Ableitung für meine Schluß⸗ behauptungen eine gewiſſe Beſtätigung von einer anderen Seite her böte. Die ſüddeutſche Form, Zetergeſchrei, Jetermordio, vermag Peterſen zu erklären; Ahrens nicht. Das Wort, das übrigens im Gegenſatz zum

1) In qua statuam quasi virum armatum armis patriae locaverunt eum pilleo ferreo. Heinrich von herford, Cap. 87; zu 1114.

2) Dal. h. Größler, Bau- und Kunſtdenkmäler des Mansfelder Seekreiſes, S. 302.

3) Chr. Peterſen, Zioter (Zeter) oder Tiodute (Jodute), der Gott des Krieges und des Rechts bei den Deutſchen. Eine rechtsgeſchichtliche und muthologiſche Unterſuchung, Sorſchungen zur deutſchen Geſchichte. Bd. 6, Göttingen 1866.

4) In Braunſchweig gibt es eine Jodutenſtraße. Ich konnte nichts Bemerkenswertes über fie erfahren; auch der Kugenſchein ergab nichts.

19] Irmenſul und Rolandſäule 19

niederdeutſchen Thiodut noch heute in der Sprache lebendig iſt, iſt anſcheinend gleichbedeutend mit jenem. 5 |

Zu jener ſchriftlichen Überlieferung des Thiodut von 1115 kann aber die Denkmälerkunde und die Volkskunde eine merkwürdige Beſtätigung bringen. Man kann ſagen, dieſer Thiodut von 1115 ſteht heute noch und hat heute noch für das Landvolf ſeine Zauberbedeutung. Es ijt der fog. Hoyerjtein ſüdweſtlich Gerbſtedt in der Nähe des Welfesholzes. „Er hat zahl— reiche Vertiefungen; ſeine ganze Oberfläche iſt voll Nägel geſchlagen. Der Stein hatte ein Coch, das für den Eindruck der hand des Grafen Hoyer von Mansfeld gehalten wurde !)“. 0

Ob dieſes Stück Rohlenſandſtein wirklich bis zum Jahre 1115 zurückgeht, oder ein ſpäterer Erſatz ijt, iſt unweſentlich; denn auch wenn der Stein erneuert

| | |

Abb. 5. Den malſtein bei Maden. Aus C. heßler, heſſ. Landes und Volkskunde. Elvertſcher Verlag.

iſt, iſt eben doch die Überlieferung lebendig geblieben, wie der Name des Steines und vor allem die Sagen (u. a. aus dem Jahre 1723 berichtet) beweiſen.

Nach der Abbildung bei Größler entſpricht der Thiodut vom Welfes— holze nach Größe und Geſtalt ziemlich genau dem Malſtein auf der Mader heide; der alten Gerichts- und Derſammlungsſtätte der Chatten (vgl. die obenſtehende Abbildung). Don Gudensberg aus, das nach Wodan heißt und wo fein heiliges Zeichen, das Hufeijen, noch heute an bedeutſamer Stelle zu ſehen ijt und in der Dolfsjage lebt, überſieht man, von der An- höhe, auf der der Thinggraf ſtand, dieſe Verſammlungsſtätte der alten

1) Dal. A. Götze, p. Höfer, p. Zſchieſche, die Vor- und frühgeſchichtlichen Alter— ne ae 1909, S. 27; ferner 5. Jroßler⸗ Altbeilige Steine in der Provinz Sachſen

2*

20 Erich Jung [20

Chatten mit dem Malſtein in der Tiefe rechts, dem gewaltigen Maderſtein im hintergrund, und der heiligen Quelle, in uralter Steinfaſſung, zur Linken in der Tiefe. |

Es gibt, wie ſchon oben angedeutet, noch einen anderen Platz außer Ober⸗ marsberg, wo Irmenſul und Rolandbild zuſammenzutreffen ſcheinen; die Irmenſul freilich nicht mit einer ſo ſicheren geſchichtlichen Nachricht wie bei der Eresburg, aber doch noch erkennbar !).

Im Dorfe Queſtenberg in der Grafſchaft Stolberg⸗Roßla wird das Queſtefeſt zur Erinnerung, angeblich an die glückliche Errettung eines Kindes, gefeiert: „Man ya am ſogenannten dritten Pfingſtfeiertage Kränze und Sträuße feierlich auf an einem geſchälten Eichenſtamm, der zuvor auf dem ſteilen, felſigen Queſtenberg mühſam aufgerichtet iſt. ... man ijt in der Tat berechtigt, bei dem aufgerichteten Baume an die Irminſäulen zu denken, zumal auch ein Arminsberg in der Nähe liegt, und das Dorf Queſtenberg eine Roland⸗ ſäule, das Zeichen höchſter Gerichtsbarkeit, beſitzt“ (Otto Richter, Bilder aus dem weſtlichen Mitteldeutſchland, S. 435 2)).

Profeffor hans hahne (halle) berichtete bei der 7. Tagung der Geſell⸗ ſchaft für Dorgeſchichte in Berlin, 1922, über das Queſtefeſt: „Noch heute begeht in Queſtenberg das Volk alljährlich feine Pfingſten mit allen wohl ſeit Jahrtauſenden hier heimiſchen Gebräuchen, wobei ein 6 m hohes Sonnenrad herumgetragen wird; und pſ am Schluß, nach den Tagen, geht man in die Kirche. Dann predigt der Pfarrer am Altar, in deſſen Decke ſeit alters ein leuchtendes Sonnenradkreuz eingeſtickt iſt, über „Chriſtus als Sonne”. Ziu, deſſen Göttername dasſelbe Wort iſt wie das griechiſche Zeus, iſt der alte himmels⸗ und Sonnengott der Germanen, nachdem die Elementarkraft einmal vermenſchlicht war; und er iſt erſt ſpäter durch den jüngeren Gott Wodan aus diejer Stellung des oberſten Lichtgottes verdrängt worden.

Der Queſtenberger Roland (abgebildet bei R. Beringuier, Die Rolande Deutſchlands) iſt ſichtlich jung, vielleicht aus dem Ende des 17. Jahrhunderts, von Holz. Es wird von ihm berichtet: „Er habe früher unter einer Gerichts⸗ linde geſtanden, neben dem Kunkelſtein, der auf die Göttin Hulda deute, und ſei hier früher das Gericht über das Amt Queſtenberg gehalten worden“. Inwieweit dieſe Nachricht zutrifft oder neuzeitliche Gelehrtenvermutung iſt, kann ich nicht nachprüfen. Aber die Neuheit des Rolandes von Queſtenberg, ſowie, daß er an einem ſo kleinen Orte ſteht, iſt gerade auffällig und würde ihn gerade beweiskräftiger machen für die Beziehung Irmenſul und Roland⸗ ſäule; weil dann die Wahrſcheinlichkeit größer würde, daß der Roland hier gerade durch die dort noch lebendige Erinnerung an die Irmenſul veranlaßt wäre. Ich gebe aber zu, daß das nur Vermutung iſt. Daß die Rolandbilder ſpäter alſo zunächſt hier abgeſehen von ihrer urſprünglichen Bedeutung fee in den meiſten Fällen die Gerichtsſtätte bezeichnen, iſt, wie ſchon erwähnt, icher 5).

1) Dgl. Karl Meyer, Die Burg Queſtenberg und das Queſtenfeſt. aan

a

2) In Schweina, nordöftlidd von Salzungen, feiert die Jugend in der pom

24. bis 25. Dezember auf dem Antoniusberge, bei einer auf der Spike des Berges jedes Jahr neu errichteten Steinpyramide ein Seit, bei dem große, aus alten Beſen, Spänen uſw. zuſammengeſetzte Fackeln mit einbrechender Dunkelheit angezündet werden (ogl. Carl Julius Bötticher, Germania sacra, S. 725). Das iſt ja auch offenbar ein uraltes und vorchriſtliches Seit; die aufgerichtete Weiheſäule, der Seuer- zauber, um die Sonne wieder zurück zu rufen, und die Beſen.

2) Dal. Karl heldmann, Die Rolandbilder Deutſchlands, in dreihundertjähriger Sorſchung und nach den Quellen, 1904; „namentlich die märkiſchen Rolande find durch— gehends Gerichtswahrzeichen“.

21] Irmenſul und Rolandſäule 21

In dieſem Zuſammenhang ijt nun eine ſprachliche Tatſache be⸗ merkenswert und geeignet, die urſprüngliche Beziehung der Rolandſäule zu gewiſſen mythologiſchen Dorftellungen wahrſchemlicher zu machen. th nan gewiſſen Harzgegenden heißt die Gerichtitätte an der Linde der

ie !)“

„Die Burggerichte in den alten Bauerſchaften werden noch durch die häufige Ortsbezeichnung „auf dem Thie“ und den Hofnamen Tiemann er: wieſen“ berichtet Profeſſor Jellinghaus im weſtfäliſchen Denkmälerwerk, Kreis Herford. |

„Unter Ti, Ty, Tye verſteht man im Braunſchweigiſchen, z. B. in Blanken⸗ burg am Harz, in Niederſachſen und Weſtfalen freie große Gemeindeplätze. Der Name kommt von dem uralten germaniſchen Gotte Jio, Tio, dem Gotte des Rechts.. Die Tie waren urſprünglich Plätze, wo Gericht gehalten wurde, ſchreibt Heino Pfannenſchmid, Germaniſche Erntefeſte im heid⸗ niſchen und chriſtlichen Kultus, 1878, 370.

„In der Grafſchaft Wernigerode können wir bei jedem Dorfe ſeinen Thie oder Linde (Arbor) nachweiſen.“ „Das althochdeutſche Zieh, nieder⸗ deutſch tie oder tigge, bezeichnet den Gerichtsort“ (hugo Brunner, Ge⸗ ſchichte der Stadt Gudensberg, 1922, S. 6. Gudensberg in heſſen heißt nach Wodan und die Wolf von Gudensberg führen noch ſeinen Wolf im Wappen).

„In Niederdeutjchland ijt nämlich ein Ausdrud Ti (oder ſonſt mannig⸗ faltig geſchrieben) als Bezeichnung eines Derfammlungs= oder Gerichts⸗ platzes ſehr verbreitet“ 2).

Ahrens leitet das Wort von dem germaniſchen Götternamen Tiu (Ziu) ab, der der Gott des Gerichts war. „Aber am meiſten wird der Tie aus Oſt⸗ falen öſtlich der Leine erwähnt... er erſtreckt ſich aber weiter nach Oſten bis in die wendiſchen Marken“. Das iſt zugleich, was Ahrens nicht beſonders auffällt, das Hauptverbreitungsgebiet der Rolandbilder, die die Gerichts⸗ ſtätte, alſo den Ti, bezeichnen.

Daß Jiu ins Lateiniſche überſetzt wird als Mars, folgert man vor allem aus der Entſprechung dies Martis, martedi, mardi, mit Dienstag gleich Cys-day (frieſiſch); Ziestag (alemanniſch, nach der Cautverſchiebung).

Den Mars Thingſus, dem niederdeutſche Reiter im römiſchen Sold am hadrianswall in England einen Altar geweiht haben, wollen die Sprachler 1 nicht mehr auf Ziu und Thing, gleich Gerichtshegung, beziehen. Ich erlaube mir über rein ſprachliche Fragen fein ſelbſtändiges Urteil. ). L. Ahrens führt in dem mehrerwähnten Aufſatz über die Volksverſammlung, campus Martius der Franken, aus, dieſe heiße nicht etwa nach dem Monat März ſo; ſie habe immer im Mai ſtattgefunden und ſei nicht erſt von Pippin in dieſen Monat verlegt worden und Maifeld genannt. Dieſe Erzählung ſei vielmehr nur kirchliche Cegende, um den vorchriſtlich-heidniſchen Urſprung zu verhüllen; die Derſammlung hieß vielmehr nach Jiu und alſo in lateiniſcher Sprache campus Martius. Schon hinkmar von Reims (geſtorben 882) ver⸗ trete dieſe Anficht; sic enim conventum illum vocabant a Marte, quem Pagani Deum belli credebant. .

Es gibt noch eine weitere Derbindungslinie zwiſchen der die Gerichts⸗ ſtätte bezeichnenden Rolandſäule und dem Gotte des Gerichts Ziu, der

. 1) Dal. Ed. Jacobs, Der Rofengarten im deutſchen Lied, Land und Brauch, Neu⸗ jahrsblätter d. hiſt. Komm. d. Prov. Sachſen 1897.

2) Dgl. 9. C. Ahrens, Tigislege, Jahresbericht des Cyceums zu Hannover, für 1870/71; dort zahlreiche Belege.

22 Erich Jung [22

zugleich der Gott des Schwertes und des Krieges ijt. „Meiſt waren die Haupt- tempel bei den Dingſtätten errichtet, weil Recht und Religion miteinander unzertrennlich verknüpft waren“ (W. Golther, Handbuch d. germ. Muthol.). „Die Dingbäume waren nur eine Fortſetzung der alten, dem ſchwert⸗ führenden Cichtgott geheiligten Irmenſäulen, der von Tacitus erwähnten Herculesſäulen der Germanen, da die Römer den deutſchen Donar als ber: cules zu bezeichnen pflegten. In chriſtlicher Zeit erwuchſen aus ihnen als⸗ dann die bekannten Rolandjaulen .. an den Stätten.. wo man das höchſte Gericht des Landes oder der Stadt zu hegen pflegte. Das Auf: hängen eines Schwertes an einem Pfahl galt aber auch noch viel ſpäter als Bezeichnung der hohen Gerichtsbarkeit. Ein ſolcher, natürlich erneuerter Pfahl, mit einem daran hängenden Schwerte, ſteht bis heute zu Sandbach im Odenwald, ... als Sinnbild des Blutbanns“ (val. Wilh. Kolbe, Die Hunburg in der Ginſelau an der Ohm, 8. 19).

Kolbe ſtellt zunächſt ja nur Behauptungen auf; aber er nennt an letzter Stelle dabei den Geſichtspunkt, der mir ferner als weſentlich erſcheint für den geſuchten Zuſammenhang zwiſchen dem ragenden Rolandſtand bild und den alten heiligen Malen, mögen dieſe nun den Reitergott mit der Lanze auf eine hohe Säule ſtellen, mögen fie in einer früheren orm dem Irmin (= Er = Tiu) einen Baumſtamm, truncus ligni, aufſtellen und ihm das Schwert geſellen; das blanke Schwert als Sinnbild des Blutbanns.

Dom Ajcerslebener Tie iſt das Dorhandenfein eines Steinmals an der Stätte unmittelbar bezeugt. Die Art, wie er beſeitigt wurde, beweiſt, daß man die beſondere Weihebedeutung des Steinmals noch kannte oder wenigſtens ahnte. Vgl. A. Brinkmann, Bau- und Runſtdenkmäler der Stadt Ajcersleben, S. 126: „Ein dem ſogenannten Speckſtein, einem Quarz⸗ findling an der Straße klſchersleben —Groß⸗Schierſtedt ähnlicher Stein ſtand am Rathauſe in Aſchersleben, am Tie, wo er an Ort und Stelle in die Erde verſenkt wurde.“ Alſo genau in derſelben Weiſe verſuchte man die Jauber⸗ kräfte zu bannen, die man den vorchriſtlichen Sinnbildern innewohnend glaubte, wie es von der Irmenſul erzählt wird, die Karl der Große angeblich nach der Jerſtörung der Eresburg vergraben ließ, Ludwig der Fromme bei Corvey wieder auffand und nach Hildesheim bringen ließ (vgl. oben).

Dieſe Art, die an einem Gegenſtande haftenden dämoniſchen Mächte zu bannen, durch Dergraben, wird, wie ſchon erwähnt, vielfach überliefert. In Dun⸗ ningen, Oberamt Rottweil, geht eine Sage, daß dort einſt uralte, weit in die Heidenzeit zurückreichende Steinbilder gefunden worden ſeien; ſie hätten wunderbarerweiſe das Bild des Gekreuzigten gezeigt. Der Pfarrer des Ortes habe ſie wegbringen laſſen wollen an einen geweihteren Ort; zweimal ſeien ſie in der Nacht von ſelbſt wieder an die Sunditelle zurückgewandert. Da habe man ihrem damit kundgegebenen Willen gehorcht, ſie an Ort und Stelle wieder vergraben und eine Kapelle die heute noch ſteht darüber er: richtet. Die Sage hat wahrſcheinlich einen tatſächlichen hintergrund; nur daß es die ſteinernen Bilder heidniſcher Götter waren, die man dort gefunden hat und die man dann auf dieſe durchaus gewohnte und vielfach nachweis- bare Weiſe unſchädlich machen wollte. Es hat ſich am Ort, außen eingemauert an der Kirche was auch kennzeichnend iſt für die Behandlung als heidniſch empfundener Reite: „Draußen find die hunde und die Zauberer und die bgöttiſchen“ (Offenb. Joh. 22, 15) ein ganz frühes Steinbild einer auf einem Throne ſitzenden Geſtalt zwiſchen zwei wolfsähnlichen Untieren er— halten, das mit ziemlicher Sicherheit als vorchriſtlich und doch nicht antik

23] Irmenſul und Rolandfäule 23

angeſprochen werden kann (Abbildung bei Jan Faſtenau, Romanijde Steinplaſtik in Schwaben, und bei Erich Jung, Germaniſche Götter und helden). Die kleine Kapelle, die über den wieder vergrabenen Steinbildern errichtet wurde, wird was ſicher ebenfalls noch eine Erbſchaft aus der vorchriſtlichen Dergangenheit dieſer Kultjtätte ijt —, vom Volke der Um⸗ gegend heute noch beſonders in Schweineanliegen Schweinehandel, Schweine⸗ ucht angegangen und mit entſprechenden Opfergaben bedacht; wie das kleine Quellenheiligtum des heiligen Leonhard in Leonhardspfungen am Inn; deſſen beſondere Wirkſamkeit für „ſchwere Pferdeangelegenheiten“ (Gelübdetafel von 1890) ſicher ebenfalls noch aus vorchriſtlicher Zeit ſtammt.

Der Speckſtein trägt wie der hoyerſtein zahlreiche eiſerne Nägel, die heute noch vom dortigen Candvolf eingeſchlagen werden ). „Der Stein war 1720 umgefallen und wurde ſorgfältig wieder aufgerichtet. Er iſt jedenfalls ein uraltes Denkmal, das, in ſehr früher Jeit errichtet, große Verehrung genoß. Der Umſtand, daß er von anderswoher mit ſchwerer Mühe an feinen platz gebracht worden iſt, beweiſt fein hohes Alter und feine Bedeutung für die Menfchen feiner Umgebung“ (H. Brinkmann).

In Hoops Reallexikon des germaniſchen Altertums find der Abfchnitt über die Jupitergigantenſäulen ) und der über die Irmenſäulen von Friedr. hertlein verfaßt. Hertlein bringt dieſe beiden Denkmäler bekanntlich in Zuſammenhang. Es kommt aber für uns nicht einmal darauf an, daß man ſich Hertleins Meinungen ſchlechthin anſchließt; für uns hier iſt nur folgendes weſentlich, und dieſe Meinung iſt jetzt ſo ziemlich durchgedrungen (vgl. hettner, A. Rieſe, Dragendorff, Jangemeiſter, Friedr. Kipp, J. Totain); daß nämlich dieſer reitende Gott, wenn auch von dem römiſchen Steinmetzen in jupiterähnlicher Form dargeſtellt, eine nordiſche Götter⸗ vorſtellung wiedergibt. Daß der Gott auf eine hohe Säule geſtellt wird, daß er Galopp reitet, iſt beides unantik. „Der reitende Jupiter iſt etwas unrömiſches, er findet ſich auch nie auf Münzen“ (Hertlein, a. a. O., S. 48). „Aber wo wurde Jupiter jemals reitend und noch dazu in römiſcher Feld⸗ herrntracht, wie es hier meiſt der Fall iſt, dargeſtellt?“ (Karl Körber, in der Mainzer Jeitſchr. Jahrg. 6, 1911). In der Antike reiten nur mindere Götter, wie die Dioskuren oder die Pferdeheilige Epona, und auch dieſe niemals in ſo ſcharfer Gangart wie dieſer ſogenannte Jupiter, der ſchärfſten Galopp und ganz vorwiegend „CLinksgalopp“ reitet. Die Antike ſtellte wohl gelegentlich ein Kaiſerbild, aber nicht ihre Götterbilder auf hohe Säulen. Aud) die bekannte Mainzer Jupiterſäule wird ſchon nordiſchen Dorjtellungen ihre Geſtalt verdanken; ſicher aber der galoppreitende Canzenſchwinger auf der Gigantenſäule. Die Verehrung der hohen Säule, des Pfahls, ijt wahr: ſcheinlich in mythologiſchen Vorſtellungen des Nordens tief begründet; viel⸗ leicht in der Art, wie Karl Schuchhardt (Alteuropa) näher ausgeführt

) Das alte e e eee der Stadt Wien, ein Baumſtrunk, der Stock im Eiſen genannt, iſt völlig bedeckt mit Nägelköpfen. Das Einſchlagen von Nägeln‘ it, wozu Größler an der oben angeführten Stelle weitere Belege bringt, eine alte Zauberform des Bannes, Derfeftigens, Gelobens. Die erſten der Nagelungsdenkmale, die im Weltkriege in ſo vielen deutſchen Städten errichtet wurden, ſollen auch tatſächlich in Deutſch⸗Oſterreich geſtanden haben. Man phe bei uns nicht bewußt, welche uralte Überlieferung darin ftedte. Die engliſchen Zeitungen verkündeten übrigens prompt, zur 81 des eiſernen hindenburg in Berlin, die Deutſchen hätten einen Rückfall ms Heiden e

: 2) Dal. Sr. Hertleins Schrift über diefe Denkmäler von 1910, dem mehrfache Er⸗ gänzungen und Erweiterungen von ſeiner Seite, aber auch mannigfacher Widerſpruch, von Quilling, Haug u. a., gefolgt find.

24 Erich Jung [24

hat; der hohe Pfahl gilt als Sitz der Götter und vor allem des oberſten Gottes, der Sonne, die die Bergesſpitzen zuerſt beſucht und abends zuletzt verläßt.

In der Chroneken der Sajjen, 1492 in Mainz gedruckt, bringt ein Holzſchnitt das Bild, das auf der zu Corvey wieder aufgefundenen Säule geſtanden habe, die „geweſt der Sachſen hertoge und Gott“. Dieſes Bild iſt ſicher nicht Abbildung eines etwa damals noch vorhandenen Denkmals, ſondern in allem weſentlichen freie Schöpfung des Künſtlers. Aber die bild⸗ geſchichtlichen Zufammenhänge find ſehr zäh, etwas anders ausgedrückt: die Menſchen arbeiten, auch in der Runſtgeſchichte, nicht nur in der Rechts⸗ geſchichte und Glaubensgeſchichte, ſolange als irgend möglich mit über⸗ liefertem Gut; deshalb kann dieſer Holzſchnitt aus dem Ende des 15. Jahr⸗ hunderts ſehr wohl Erinnerung an Formen enthalten, die ſehr viel älter find. Alle dort abgebildeten „Afgötter“ ſtehen auf Säulen; einer trägt fogar ein Rad in der Hand, das uralte Abzeichen der Sonne und ihrer Gottheiten. (Aud) zweie von den reitenden Jupitern über dem Giganten tragen dieſes Abzeichen der nordiſchen Sonnengottheit.) Wo deutſche Künitler, auch noch in verhältnismäßig ſpäter Zeit, einen Heidengott darzuſtellen haben, ſtellen fie ihn häufig auf Säulen. So ſtellt 3. B. Bartholomäus Jeitblom auf einer Tafel der Augsburger Gemäldeſammlung mit der Legende des hl. Valentin den Heidengott dar, vor dem der hl. Valentin feinen Chriſten⸗ glauben abſchwören ſoll; fo ſtürzt am Weſttor der Martinskirche in Landshut in Niederbayern neben der zuſammenbrechenden Synagoge eine Denus- ſtatue von ihrer Säule. Da tatſächlich, wie ſchon erwähnt, die Antike keines⸗ wegs ihre Götterbilder auf Säulen ſtellte, iſt dieſer Umſtand in unſerem Zuſammenhang bemerkenswert. „So erinnern wir uns, daß wir im Kult der Germanen des frühen Mittelalters Säulen finden, vor allem die Irmen⸗ ſäule“ (S. Hertlein, in Hoops Reallexikon, bei Jupitergigantenſäulen). In der Doritellung des deutſchen Künſtlers von einem nichtchriſtlichen Götter⸗ bild wirkt, obwohl er ſicher kein unmittelbares geſchichtliches Vorbild mehr vor ſich hat, uralte Überlieferung feiner eigenen heidniſchen Vorzeit nach 1).

„Der Jupiter auf der Säule“, jagt hertlein, kann in dieſen rheiniſch⸗ germaniſchen Gegenden für dieſe Zeit nur Ziu ſein, dem auch die Irmen⸗ ſäulen geweiht geweſen zu ſein ſcheinen.“ Andere Gelehrte, wie hettner und Jangemeiſter, ſehen in dem Reiter den Wodan; Totain den Tor. Sror. Köpp weiſt mit Recht darauf hin, daß die Ungleichungen des römiſch zurechtgemachten Gottes an die einheimiſche Gottes vorſtellung ſchon der damaligen Zeit ſchwankend geweſen fein werden?). Die Sachſen, Bayern und Alemannen hielten länger an ihrem alten Schwertgott, Saxnot, Erch, Ziu, feſt, während die neuzeitlicher, mit der Lanze, bewaffneten Franken dem lanzenführenden Wotan anhingen; mit den äußeren Erfolgen der Franken drang naturgemäß auch ihre Gottheit vor. „Der Sieg Odins über

1) Dgl. Karl Schuchhardt, Alteuropa. S. 166; „Die Sonnenverehrung hat den Menhirgedanken, den Den, feiler⸗ und Säulenkultus gezeitigt. Die Bergkuppe, die am Morgen den erſten und am Abend den letzten Sonnenſtrahl empfängt, erſcheint als die Wohnung der Gottheit auf Erden..... Die Irminſul der Sachſen ſchließlich iſt die uni. versalis columna quasi sustinens omnia (Rudolf von Sulda, um 850)... Die Weltfäule die das All trägt.“ Der Bildhauer Rodin bringt in feinen freilich mehr nur künſtleriſch er⸗ fühlten aber eben mit dem höchſt ausgebildeten Fühlen eines höchſtſtehenden Künftlers erfühlten Betrachtungen über die Gotik den gotiſchen Turmbau in Verbindung mit dem vorgeſchichtlichen Steinmal.

) So auch f. Rieſe, Jur Geſchichte des Götterkultus im rheiniſchen Germanien. Weſtdeutſche Zeitſchr. Bd. 17, 1898.

25] Irmenſul und Rolandjäule 25

Tur wird durch den Sieg der Lanze über das Schwert entſchieden“ (vgl. Richard M. Meyer, Altgermanijche Mythologie, S. 183). Denn die Men⸗ ſchen ſuchen den ſtärkſten Beſchützer. Das kommt kennzeichnend und durch die Sage vielleicht noch ſtärker zugeſpitzt in den Berichten über die Bekeh⸗ rungen Konftantins und Chlodwigs zum Ausdrud, die beide in der Schlacht erfolgt ſein ſollen als Bekehrung zu dem ſtärkeren Gotte, der den Sieg zu gewähren ſchien.

Mindeſtens in ſpäterer Zeit haben die Germanen, entgegen der Nach⸗ richt der römiſchen Schriftſteller aus den erſten Jahrhunderten nach Chr., ſich Bilder von ihren Göttern gemacht und dabei ſpielt der Reiter eine hervortretende Rolle. Den Reiter, mit Knebelſpeer und Schild, zeigt der berühmte Reiterjtein von hornhauſen !), im Muſeum für Dor- geſchichte zu Halle. Er iſt zwar vorläufig noch ganz einzigartig in unſerem Denkmälerbeſtande ?); aber ſeine Beweiskraft wird dadurch meines Erachtens nicht gemindert. Die feſtgeſtellten Fundumſtände ergeben, daß er noch un⸗ gefähr am Orte feiner urſprünglichen klufſtellung fic) befand. Er zeigt eine ausgeſprochene künſtleriſche Art (deren für die frühe Zeit verhältnismäßige höhe hans hahne ſo erklärt, daß er das Steinbild dem, wie die Quellen berichten, aus Italien in die norddeutſche heimat zurückgewanderten Ger⸗ manenſtamme zuſchreibt), die das Beſtehen einer feſten Überlieferung be⸗ weiſt. Die Verzierung unter dem Reiter erinnert ſofort an nordiſche Zier⸗ formen; beſonders an die Zierweiſe, die man bisher als Eigentümlichkeit der iriſchen Buchmalerei anſah. Man wird wohl ſicher nun auch weitere Entſprechungen aus Deutſchland finden, wie immer in ſolchen Sällen, wenn erſt einmal die Aufmerfjamfeit rege gemacht iſt. Bildgeſchichtlich laſſen ſich Zuſammenhänge für dieſes an ſich vorläufig noch einzigartige Denkmal auch ſchon jetzt nachweiſen. Alemanniſche und fränkiſche Zierſcheiben in den Samm- lungen von Karlsruhe, Worms, Jürich, Mainz zeigen einen Reiter, der die Lanze ganz entſprechend geſenkt hält und deſſen Pferd ebenfalls ganz unbei⸗ gezäumt die Nüſtern wie witternd ausſtreckt. Man hat von dieſen Jier⸗ ſcheiben neuerdings wahrſcheinlich gemacht, daß ſie beim Gottesdienſt ver⸗ wendet wurden und einen Gott darſtellen.

Die zweite archäologiſche Tatſache außer der oben betrachteten des 5 —, die für unſere geſuchte Verbindung bemerkenswert iſt, iſt olgende: Sinnbilder, dem Auge ſich einprägende Zeichen, haben eine un: geheuere Cebenskraft. „Speer, hammer, Schwert werden Symbole, d. i. die göttlichen Überweſen vertretende Zeichen, in denen die ganze Wunder⸗ kraft derſelben enthalten war; wer ſie im Abbild beſaß, verehrte und richtig gebrauchte, hatte teil an der Wundermacht jener.“ Die hl. Lanze gehörte zu den Reidsinjignien. Das Zeichen der Lanze hat in der Rechtsgeſchichte eine große Bedeutung, für feierlichen Rechtserwerb, auch im öffentlichen Recht). So fromme Chriſten wie die Sachſenkaiſer beten vor der hl. Lanze 9) Dgl. über dieſen Stein hans hahne, im Katalog des Muſeums für Vorgeſchichte in Halle, und im Mannus; derſelbe in der Seftgabe für Roſſinna (1918).

Im Garten des Gaſthofs zum Schwan zu Karlshafen an der Weſer wird ein bearbeiteter Stein aufbewahrt; er zeigt ein Gitterwerk in Slachrelief; er iſt gefunden am kibſchlußwall der e der dieſe altſächſiſche Doltsburg zwiſchen Diemel und Weſer an der einzigen Landjeite abſchloß. Dieſer Stein ſcheint zeitlich und nach der Art der e dem hornhauſener Stein nahe zu ſtehen. 8

5 I. Ad. Hoff meiſter, Die hl. Lanze ein Abzeichen des alten Reichs, Beſprechung 50 arg in der Zeitſchr. d. Zavignuſtiftung f. Rechtsgeſch. Germaniſtiſche Abt.

26 Erich Jung 126

um Sieg in der Schlacht; dabei iſt dieſes Sinnbild zweifellos vorchriſtlich ). Das wird vor allem dadurch bewieſen, daß die legendenhafte Verchriſtlichung der hl. Lanze in dreifach verſchieden lautender und daher ſich wider— ſprechender Form überliefert iſt: es ſoll die Lanze des hl. Mauritius fein; es ſoll die Lanze ſein, mit der Conginus den Heiland am Kreuz in die Seite geſtoßen hat; und Be jie jei deshalb heilig, weil ein Nagel vom Kreuze Chrijti daran angebracht je

Die geweihte Lanze, die den Sieg bringt, geht ſicher auf den Lanzen= ſchwinger, Lindwurmtöter und Seelenführer Wodan zurück. Deſſen Beer— bung durch den Lanzenſchwinger, Drachentöter und Seelenführer Michael ijt in vielen Fällen geſichert; jo in Godenhuſen bei Kloſter Michaelſtein im Niederſächſiſchen; in Gudensberg ſüdweſtlich Caſſel; in Godesberg bei Bonn; bei Michaelskirche und -flofter in Hildesheim. Huf dem Michelsberg bei

Abb. 6 und 7. Don der Kirche auf dem edn bei Kleebronn. Links die wilde Jagd, rechts Seelenvögel. (Aus E. Jung, Germ. Götter und helden.)

Kleebronn im Jabergäu find an zwei Säulenköpfen nebeneinander und gegenſätzlich dargeſtellt die Seelen der Gläubigen als Vögel mit menſch— lichen Köpfen darüber 2); auf dem anderen Säulenkopf die wilde Jagd; d. h. wie die Seelen derer, die bei dem Abgotte bleiben, von dieſem ruhelos durch die Nächte geführt werden.

Cäſarius von heiſterbach erzählt über Godesberg: „Zu jener Zeit kehrte ein Kloſtergeiſtlicher von Köln zurück. Als er ſich dem Gudensberg genannten

1) Dal. Heino pfannenſchmid, Germaniſche Erntefeſte im heidniſchen und chriſtlichen Kultus: 1878, S. 30; „dem Himmels ott Zio das Schwert, dem Gewittergott Donar der Hammer und dem alten Wetter- und turmgott Wodan der Speer“.

i Ein höchſt merkwürdiges, ſicher vorgotiſches Steinbild in Boxthal (Abbildung im badiſchen Denkmälerwerk, Amtsbezirk Wertheim), zwei Dögel auf Stangen ſitzend, ge— hört vielleicht in dieſen Zuſammenhang. Paulus Diaconus erzählt, daß man zur an ae an auswärts gefallene Cangobardentrieger auf dem Kirchhof aufrechte Santen Si habe, auf deren Spitze eine hölzerne Taube befeſtigt war.

| 27 Irmenſul und Rolandfäule. | 27

| Berge näherte, fah er den Erzengel Michael von dort in der bekannten Ge— | jtalt mit ausgebreiteten Flügeln hinüberfliegen auf den benachbarten Berg, der Stromberg genannt wird, auf dem ſich eine Derehrungsitätte des Apoſtel⸗ fürſten befindet. Es hatte nämlich und hat noch der heilige Erzengel eine ihm geweihte Kirche auf dem Gudinsberg, den andere Wudinsberg nennen.“

Das Schwert, und zwar ganz ſichtlich hervorgehoben und betont, iſt

das Rennzeichen aller echten Rolande. Das Schwert iſt das Sinnbild des Schwertgottes Ziu, Sarnot, Erch. Sarnot ijt der Dolfsgott der Sachſen. Tacitus berichtet (Germ. Rap. 6), die Germanen hätten ſelten

Schwerter, ſondern kämpften mit dem zu Wurf und Nahkampf geeigneten

Spieß (Stamea). Doch hat ſich, ſchreibt K. Schumacher, Germanendar—

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Abb. 8. Don der Kirche in Borthal. Seelenvögel.

itellungen, gezeigt, „daß Schwerter in den Gräbern des 1. Jahrhunderts bei den Elbgermanen viel häufiger find, als am Rheine.“ Wenn der Name der Cherusker richtig als Schwertmänner gedeutet wäre, und der der Sachſen vom Sax, dem Rurzſchwert, kommt, jo würde das, wie R. Schumacher mit Recht ſagt, darauf hindeuten, daß deren weſtlichen Nachbarn dieſe Be— waffnungsart auffiel; wie umgekehrt durch den Gegenſatz zu den Lanzen— trägern und Verehrern des lanzenführenden Wodan bei deren Gegnern, den mit dem Schwerte kämpfenden Verehrern des Schwertgottes, das Zeichen des Schwertes erſt recht zum geweihten Sinnbild werden mußte. Die Rolande, von denen die älteſten das Schwert offenbar wie ein Heiligtum vor ſich halten, nicht zum Kampfe zücken und nicht an der Seite tragen, gehören den Elbe— gegenden an. Das Derbreitungsgebiet der Rolande ijt Niederſachſen; und zwar der öſtliche Teil Niederſachſens, wo vermutlich, ferner vom fränkiſchen Beherrſcher und von feinem Kirchenwejen, der Heidenglaube länger ein heimliches Leben geführt hat. Das Gebiet, das 531 die Sachſen im gemein—

1) Bekanntlich ijt der Name „Cherusker“ aus germ. herut „Hirſch, abgeleitet. G. K.

28 | Erich Jung [28

ſamen Kriege mit den Franken den Thüringern abgenommen haben jollen, und das dann, ſpärlich von beiden erobernden Stämmen aus beſiedelt, von unſicherer Stammes- und Staatszugehörigkeit war, ſcheint eine beſondere Fundgrube vorchriſtlicher Denkmäler zu fein’).

Die Beziehung zur Rechtspflege iſt das einzige ganz Sichere von der Bedeutung des Rolandbildes, das, wie dem Richter vorgeſchrieben ijt, das Schwert feierlich vor ſich hält. Der Schwertgott, Ziu, Sarnot, der Gott des Krieges ijt aber zugleich der Gott des Gerichts. Die Verbindung wird gebildet durch die Führung des Schwerts. „Die Beziehung auf Tiu, der ja auch der Schutzgott der Gerichte iſt, wird hier durch das Schwert, ſein vor— züglichſtes Symbol, noch deutlicher. . . . Hus dieſem Schwertpfahle find dann, indem ihm mehr und mehr menſchliche Geſtalt ge— geben wurde, die Rolandſäulen hervorgegangen, wie Zöpfl ſchön nachgewieſen hat“ (9. L. Uhrends, a. a. O.). Ich möchte nicht gerade ſagen, Zöpfl hat das nachgewieſen; aber es iſt mindeſtens ſehr wahrſcheinlich. Die Gebundenheit der Rolandgeſtalt ?) an den Pfahl, den truncus, in einer Zeit, die ſchon freie und bewegte Geſtalten zu bilden wußte, iſt ſehr auffällig und nur durch eine den Künſtler bindende Überlieferung zu er: klären. Dieſe Bindung iſt am letzten Ende wohl irgendwie ſakral. „Der Kriegsgott Tius war zu— gleich der Gott des Gerichts“ (Heinr. Brunner, Deutſche Rechtsgeſch., Bd. 2, S. 416).

„Da der Krieg als der nur durch Gottes— urteil zu entſcheidende Prozeß gedacht wurde, ſo ſcheint in Zius Schutz nachmals auch das öffentliche Recht geſtellt geweſen zu fein, da auf ſeinen Wochen— tag die Gerichtstage anberaumt waren“ (E. L. Roch holz, Deutſcher Glaube und Brauch im Spiegel der heidniſchen Vorzeit, Bd. 2, S. 200).

„Das Schwert gilt als uraltes Sinnbild der Gerechtigkeit.... Deutſche Rechtsauffaſſung jab in dem Schwert Karls des Großen das vom himmel ſtammende Wahrzeichen weltlicher Macht. . .. Die auf Säulen oder an einem Arm aufgeſteckten Schwerter, wie in Münſter und hall, ſind wahr— ſcheinlich Reſte des in Deutſchland einſt weitverbreiteten Schwertpfahls, eines Merkmals der echten Dingſtatt“ (vgl. Karl höde, Das Kätſel der Rolande, 1911).

Man könnte noch auf die Lehre von den zwei Schwertern, dem welt— lichen und dem geiſtlichen, hinweiſen, die in der Staatslehre und dem öffent⸗ lichen Recht des Mittelalters eine ſo große Bedeutung gehabt hat; die im Sachſenſpiegel und in der Staatsauffaſſung Dantes noch durchaus die herrſchende ijt, als die Verkörperung jenes an fic) jo großartigen Gedankens

Abb. 9. Der Bremer Roland.

') Dg . hermann Größler, Kunitdentmäler der Provinz Sachſen und „Altbeilige Steine in be Provinz Sachſen“.

2) „Wie ſich das Bild in den Begriff des Baumes verliert, geht der Baum in den des Bildes über; in der weſtfäliſchen Irmenſäule liegt die Doritellung von ae en Donar⸗ eiche ſicher ganz nahe“; Grimm, Deutſche Mythologie. 2. Aufl.,

29) Irmenſul und Rolandjäule 29

einer Geſamtordnung der Chriſtenheit unter dem deutſchen Rönig und dem römiſchen Pabſt. Dabei iſt ſogar die geiſtliche oberſte Gewalt ebenfalls durch das Schwert verſinnbildlicht.

Meiſt trägt der Roland auch das Schild. „Das Schild ſtellt ein Symbol des Gerichtsfriedens dar“ (hans Vordemfelde, Die germaniſche Religion in den Volksrechten, S. 44. Das Schild). „Nach richtigerer KHuffaſſung ijt das Schild Zeichen der regelrecht berufenen und eröffneten, d. h. gehegten berſammlung und ſomit Symbol des Gerichtsfriedens“ (vgl. 5. Geffken, Lex salica, Erläuterungen zu dem scutum habere debet des tit. 44 de reipus).

Die Quaden ſchworen, als jie im Jahre 358 Frieden machten mit Conjtantius, bei ihren Schwertern. Ammianus Marcellinus berichtet (XXXI, 2) einen germaniſchen Brauch, daß man vor dem aufrecht in den Boden geſteckten Schwert dem Kriegsgott Derehrung bezeugt habe. Das aufrecht ge— haltene Schwert kennzeichnet die älteſten Rolande. „Der gerüſtete Rieſe mit dem Richtſchwert galt als Symbol der hohen ſtädtiſchen Gerichtsbarkeit“ +), ſchreibt der Rechtsgeſchichtler hans Sehr; wenn er hin— zufügt: „oder als Symbol der ſtädtiſchen Freiheit und Selbſtändigkeit überhaupt“, ſo iſt das zutreffend; aber dieſe Bedeutung iſt eben das Abgeleitete und Spätere; die eigene Gerichtsbarkeit war die Grundlage der macht— lichen Selbſtändigkeit.

Ich faſſe die erhofften Ergebniſſe dieſer Schrift noch einmal kurz zuſammen. Jacob Grimm hat geſchrieben (Deutſche Mutho— logie, 2. Aufl., S. 106): „Ich vermute näheren Zuſammenhang zwiſchen den Irmenſäulen und den im ſpäteren Mittelalter, zumal im nördlichen Deutſchland, aufgerichteten Ro- landſäulen.“

Creuzer-Mone, Symbolik und Mu— thologie der alten Völker, S. 51, jagt: „Glaub⸗ licher ſind die Rolandſäulen Surrogate der Irmenſäulen, oder anderer Götterbilder ge— Abb. 10. Gollenſtein bei weſen; man darf ſich nur an die nordiſchen Blieskaſtel. hochſitzpfeiler erinnern; das Standbild Karls des Großen (2) auf dem Marktplatz zu Bremen iſt ſelbſt nichts anderes als eine chriſtliche, geſchichtliche Umwandlung der alten geſchnitzten Götter— pfähle oder 1 bee tal

1) Das Recht im Bilde, 1923, S. 120.

30 Erich Jung N [50

gigantenſäulen; möglicherweiſe hängt noch die jpäte Sitte der Marien⸗ und Deitfäulen damit zuſammen und der in Deutſchland jo beſonders beliebten, dem Weſen des wagerechten Waſſerſpiegels im gefaßten Brunnenbecken geradezu künſtleriſch widerſtrebenden Brunnenſäulen mit einem heiligen oder helden darauf; oder auch mit der ihre Fiſchſchwänze in die höhe haltenden Waſſerfrau (vgl. den Fräuleinbrunnen in Bietigheim), die ſicher irgend⸗ welche beſondere, das heißt Glaubens- oder Zauberbedeutung hat. Beim Winckelmannsfeſte 1919 ſprach Adolf Dyroff (Bonner Jahrbücher, Heft 126,

S. 125) über die Bonner Marktſäule, mit dem Ergebnis, daß ſonach „die Freiſäule etwas mit Gott, Jenſeits, Unſterblichkeit zu tun hat.“ Mit dieſer beſonderen Geweihtheit des aufrechtſtehenden Pfahls hat nun die Roland- ſäule ſicher Verbindung; fie bezeichnet die Stätte des Gerichts, das ſtets eine beſondere religiöſe Weihung hat.

In dem religiöſen Leben der Germanen iſt ſolche Weihung die Aufgabe des Tiu, Ziu, der der Gott des Gerichts iſt. In der Bezeichnung Ti für die Gerichtsſtätte, deren Verbreitung ſich räumlich ungefähr mit der der Roland⸗ ſäulen deckt, ſteckt ziemlich ſicher, in der Bezeichnung des Tags, an dem mit Dorliebe die Gerichtsperhandlungen abgehalten wurden, Dienstag, Jiestag,

ſteckt ſicher der Name des Gottes; möglicherweiſe auch in der Bezeichnung Thiodote, Tioter (Jeter) für das Gerüfte, mit dem bei handhafter Derbrechens⸗ tat die Zeugen herbeigerufen werden ſollen. Der Klarmplatz für dieſes Ge⸗ rüfte wird durch ein Mal oder Strunk bezeichnet; ganz entſprechend wie die Rolandfäule die Gerichtsſtätte bezeichnet.

Auf allen geiſtigen Gebieten gilt das, was Rudolf von Ihering einmal für das Redtsleben das Geſetz der logiſchen Sparſamkeit genannt hat; daß man nämlich ſolange wie möglich und auch gegenüber geänderten Derhältniſſen, wo die alte Form ſchon teilweiſe oder ſogar vorwiegend rudi⸗ mentär, das heißt Überlebjel geworden iſt, ſich mit den alten Formen behilft und den neu andrängenden Inhalt, wenn man ihn denn nicht ganz ver⸗ leugnen kann, doch möglichſt in den alten Denk- und Sinnbildern einzu: fangen und zu feſſeln ſucht !). Dieſes ſtarre haften am Alten und die ent⸗ ſprechende Abneigung gegen Umdenken und Derändern iſt ja vielleicht am ſtärkſten in der Glaubensgeſchichte und Kechtsgeſchichte. Aber mehr oder minder tritt es auf allen Gebieten des menſchlichen Kulturlebens auf. Ganz beſonders aber bei Sinnbildern, die irgendwie eine augenfällige, ſich den Sinnen einprägende Form haben. Die Waffen ſind ſolche beſonders heilige und beſonders einprägſame Sinnbilder. Die Lanze, der Stab, das Schwert ſpielen in der Rechtsgeſchichte eine bedeutſame Rolle. Das blanke, aufrecht getragene und offenbar auch in dieſer Darſtellung ſchon mit Ehrfurcht an⸗ gefaßte, nicht als Waffe geſchwungene Schwert bildet das allgemeinſte Kenn= zeichen der Rolandſtandbilder; von hier führt höchſtwahrſcheinlich eine Ver⸗ bindung zu dem Schwertgott Ziu, wie in der Lanze des Erzengels Michael nachweislich eine Verbindung zu dem Lanzengott Wodan liegt; zu dem alten Schwertgott der Germanen, der zugleich der Gott des Gerichts iſt und mit dem Schwert den Gerichtsfrieden hegt; in dem andern Namen des Gottes Er, Erch (Erchtag in Bayern für Dienstag) klingt der Name der Irmin⸗ ſäule an.

1) „Nach einem auf verſchiedenen Gebieten waltenden Kulturgejeg war früher jinnvoll, was ſpäter leeres, äußerliches, gar mißverſtandenes Ornament oder 1 Magee Sorm wurde.“ Adolf Duroff beim Winckelmannsfeſte 1919 über die Bonner Marktſäule.

31] Irmenſul und Rolandfäule 31

In der vielfach geflidten kleinen Säule zu Obermarsberg (früher auch Stadtberge genannt) an der Diemel in Weſtfalen, hat ſich meiner Meinung nach (vgl. oben) eine geweihte Säule unmittelbar erhalten, wie ſich in dem

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Abb. 11 und 12. Aus dem Kreuzgang in Berchtesgaden. Darſtellung aus der Edda. Widar faßt in den Unterkiefer des Ungetüms, das Odin verſchlungen hat (2) ).

Hoyeritein auf dem Schlachtfeld am Welfesholze von 1114 und ähnlichen Steinen jener Gegend mindeſtens die Überlieferung des damals errichteten

1) Der auffällige Griff in den Rachen ijt jedenfalls hier, und ebenſo auf der Steifinger Säule, weſentlich deutlicher zum Ausdrud gebracht, als auf dem Kreuze von Gosforth in Cumberland, das man jo gedeutet hat. Siehe Abb. 49 im Bilderatlas zur germaniſchen Religionsgejchichte, 1924: Die altgermaniſche Religion von E. Mogk. Die Auswahl der Bilder dicles Atlas ijt übrigens ſehr einſeitig, unter faſt gänzlicher Dermeidung von Dent: mälern aus Deutſchland; ſelbſt für e die wir in Menge in Deutſchland haben, iſt ein Beiſpiel aus Skandinavien gebracht. Bei Marburg liegt einer, in deſſen Vertiefungen die beerenſammelnden Rinder noch heute Beeren hineinlegen, offenbar als Nachklang des Opfers. Das eingemauerte Bogenfeld an der Kirche zu Oberröblingen am See, wo das Lamm mit der Kreuzesfahne eine Herde gegen das Hakenkreuz führt beweiſt deſſen dämoniſche Bedeutung ſehr viel zwingender als das im Bilderatlas gebrachte Gefäß von Uſchanſch, wo die Tristel ſchließlich auch bloße Zierde ſein könnte; was ich freilich auch nicht annehme.

32 Erich Jung [32

Thiodot, wenn nicht diejer ſelbſt, erhalten hat. Die Obermarsberger Säule findet ſich an demſelben Ort, wo auch eine Rolandjäule jteht und wo wir die ſicherſte geſchichtliche Nachricht von einer Irmenſäule haben; in dem Bericht von der Zerſtörung der Eresburg, die auf dem Berge über Ober— marsberg lag.

Ich glaube aljo behaupten zu dürfen, daß die Grim mſche Dermutung

Abb. 13 und 14. Aus dem Kreuzgang der Stiftskirche in Berchtesgaden. Der Schwertgott,

der ſich nach dem Stummel des abgebiſſenen Arms faßt; der mit der Jauberfeſſel ge—

feſſelte Sentiswolf, der Spielmann. [Aus oe Edda (?)]. Aus E. Jung, Germ. Götter und Helden.

einer glaubensgeſchichtlichen Unterlage der Rolandjäulen jetzt durch eine ganze Reihe neuer Gründe geſtärkt werden kann. Allgemein läßt ſich dazu nun noch nachtragen, daß inzwiſchen, ſeit der Zeit der Grimms, die ſüdgermaniſche heimat ſehr vieler nur in nordgermaniſchem Schrifttum uns erhaltener Sagenbeſtände klar geworden iſt. Don den heldenſagen der Edda ſind drei Viertel durch Schauplatz und Namen, zum Teil, wie bei der Thidrekſage, durch unmittelbare Angabe der Gewährsmänner (Männer

33] | Irmenſul und Rolandfäule 33

von Soeſt), als urſprünglich ſüdgermaniſch, deutſch, erwieſen; nur konnte in Deutſchland die früher dahin gedrungene römiſche Kirche gründlicher die ſchriftliche Überlieferung vertilgen. Infolge davon ſind wir mehr auf die Denkmäler angewieſen. Ju den ſchon in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Wilhelm Wackernagel aus der Dietrichſage erklärten Bildhauereien am Dom zu Baſel iſt neuerlich bemerkenswerter neuer Stoff hinzugekommen. Bezirksbaumeiſter Stuhlfauth hat von dem Drachen⸗ kampf in Altenſtadt bei Schongau ſehr wahrſcheinlich gemacht, Georg Weiſe von den Steinbildern am Kircheneingang in Undlau im Elſaß erwieſen, daß lie Vorgänge der Dietrichſage darſtellen. Don der Götterſage der nordi⸗ ſchen Überlieferung iſt der entſprechende Beweis noch nicht im gleichen Maße zu erbringen. Aber wenn nun neben das im Gebetbuch Ludwigs des Deutſchen erhaltene Muspilli Jeugniſſe treten, wie das Flachbild von Berchtesgaden, die drei Abgötter am Turm in Hirjau, die Bannung des heidenprieſters auf dem Murrhardter Steinbild, der das Himmelslicht ver⸗ folgende Wurm am Regensburger Schottenportal, die Freiſinger Säule wird die Wahrſcheinlichkeit immer größer, daß auch die ſchriftlich ebenfalls nur in der ſpäten nordiſchen Überlieferung erhaltene germanjſche Götterſage doch im deutſchen Mutter⸗ und Hauptlande ihre heimat hat. Und dazu kommt nun noch der ungeheure Stoff, den inzwiſchen die Volkskunde zu⸗ ſammengetragen hat und der das Fortleben ſo vieler uralter, vielfach vor⸗ chriſtlicher Dinge in unſerem Dolfsleben erwieſen hat. Ich erwähne hier nur ein Beiſpiel weil es wohl ziemlich unbekannt geblieben iſt, obwohl es ſchon lange veröffentlicht ijt für die faſt wörtliche Übereinſtimmung eines deutſchen Märchens mit der nordiſchen Wölſungaſage ).

Ein Junge erbt nur ein Schwert. Ein einäugiger Alter warnt ihn, nicht in den Wald zu gehen. Der Junge tut es doch, erſchlägt nacheinander einen drei⸗ köpfigen, ſechsköpfigen, zwölfköpfigen Drachen. Ein Zwerg erſcheint, der in Geſtalt einer Kröte große Schätze bewacht hat. Der einäugige Alte ſchenkt dem Jungen ein achtfüßiges Roß aus ſeinem Stall. Hier find die Anklänge an Wodan und an fein achtfüßiges Roß unverkennbar. Das achtfüßige Roß Wodans iſt uns ſonſt meines Wiſſens nur durch nordiſche Überlieferung bekannt; dort auch durch ein Denkmal, auf dem berühmten Runenſtein von Tjängvide ).

Karl eed Heſſiſche Landes⸗ und Volkskunde, Bd. 2, S. 607, bringt folgende Aufzeichnung, die in dieſem Zujammenhang ſehr bemerkenswert wäre. „Noch eines freilich ſehr ſeltenen Brauchs mag hier Erwähnung ge⸗ ſchehen, der einen tief mythologijden hintergrund hat. Die Fingernägel des Kindes werden anfänglich von der Mutter abgebiſſen und fofort ver: brannt; denn nach dem Muthus vom Weltuntergang wird kurz vor dem Eintritt dieſes Ereigniſſes das aus den Nägeln Deritorbener angefertigte Totenſchiff Naglfar flott. „Um nun die Vollendung dieſes Schiffes, alſo den Weltuntergang, möglichſt lange hinauszuſchieben, beſchneidet man nicht nur die Nägel der Toten, ſondern vernichtet auch die Nägel der Neu⸗ geborenen, die bei dem Bau des Schiffes mitverwandt wurden.“

Das Schwert, das zuverläſſigſte Kennzeichen des Roland bildes, be⸗ zeichnet die Rechtspflege und die Kriegsführung. Beide weiſen auf den

1) Dol. Wilhelm Schuſter, Wodan, ein Beitrag zur deutſchen Mythologie. Pro⸗ gramm des Untergumnaſiums zu Mühlbach. ne 1856.

2) Das vermutliche Wodansroß auf dem Stein von hornhauſen ift etwas überlebens⸗ groß im Verhältnis zum Reiter und deutlich als hengſt gekennzeichnet, doch nur mit vier Beinen ausgeſtattet. oo.

Mannus, Zeitiärift für Dorgeih., Bd. 17. Hl. 1/2. 3

34 Erich Jung, Irmenſul und Rolandfäule [34

Gott hin, der das Schwert führt. Ein aufgerichteter Pfahl iſt im Norden ein Sinnbild des Göttlichen; es wird mit der weitergehenden Dermenfd- lichung und Herabmenſchelung der urſprünglich als Elementarkräfte ge⸗ dachten übernatürlichen Gewalten in menſchenähnliche Form gebracht. Dal. E. Mogk unter Irmenſul in Hoops Reallexikon: „Zwiſchen Menſch und Pfahl beſtand bei den Germanen das innigſte Verhältnis.“ |

In der Mitte des 15. Jahrhunderts kommt die Errichtung der Roland: bilder auf. Es war die Zeit, als das alte machtvolle Kaifertum mit den Hohen: ſtaufen endgültig unterging, aber gleichzeitig das deutſche Dolf feine große Siedelungsbewegung nach Nordoſten durchführte, die mindeſtens für das äußere Leben unſeres Volks die größte Tat feines Mittelalters war und die wichtigſte räumliche Ausdehnung ſeit der im Beginn des 5. Jahrhunderts nach Chriſtus erfolgten endgültigen Eindeutſchung des linken Rheinufers und rechten Donauufers. i

Der von höde und Mann behauptete Zuſammenhang der Roland- ſäulen mit dem Vordringen nach Often, das die deutſche Nation naturgemäß lebhaft beſchäftigte fo daß in Flandern Lieder auf die Fahrt nach Often, nach dem fetten e geſungen wurden hat eine gewiſſe Wahr: ſcheinlichkeit. Dabei konnte der Gedanke der Gerichtshoheit im Bilde des Schwerts zuſammenfließen mit dem des Kampfs; deutſche Siedelungsformen, deutſches Recht drangen gleichzeitig mit den deutſchen Waffen nach Oſten vor.

Das Schwert, die Waffe des Kriegs, iſt zugleich das Sinnbild der Rechts⸗ pflege und des Gerichts. Das Gemeinſame iſt dabei ſeine Aufgabe der Frie⸗ densbewahrung. „Wo das Schwert nicht wäre und Frieden hielte, müßte alles, was in der Welt iſt, durch Unfriede verderben“, ſagt Luther einmal. Die deutſche Staatsgewalt entwickelt ſich merkwürdigerweiſe tatſächlich und geſchichtlich derart, daß das eigentliche und urſprüngliche Weſen der öffent⸗ lichen Gewalt, wenigſtens nach der germaniſchen Auffaffung des Staats, geradezu in begrifflicher Reinheit heraustritt. Der Germane räumt der Geſamtheit nur widerſtrebend Gewaltbefugniſſe über ſich und nur ſoweit ein, als für die Durchführung der öffentlichen Aufgaben unbedingt notwendig ſind. Deshalb tritt die öffentliche Gewalt in Deutſchland zunächſt nur als heerbann und Gerichtsbann auf; erſt mit der Weiterſpannung der Staatsaufgaben auf bloße Wohlfahrts- und Geſittungszwecke und unter dem Einfluß des römiſch-helleniſtiſchen Staatsgedankens werden der deutſchen Staatsgewalt, letztlich eigentlich erſt, nachdem fie vom Reiche auf die Länder: ſtaaten übergegangen ijt, weitergehende Befugniſſe eingeräumt.

Daß die Rolandbilder aber als Sinnbilder der ſtädtiſchen Gerechtſame, das heißt der ſtädtiſchen Selbſtändigkeit galten was ſie urſprünglich nicht waren iſt vielleicht ſo zu erklären, daß eben dem Germanen Kriegshoheit und Gerichtshoheit, deren Sinnbilder die Rolandbilder allerdings bis zu einem gewiſſen Grade waren, als das Weſen der öffentlichen Gewalt über⸗ haupt erſchienen ).

1) i die deutſchen Städte, die nachweislich einen Roland hatten es ijt eine ganze Unzahl ſollten dieſes Sinnbild in irgend einer Form wiederherſtellen. Das wäre nicht bloße Altertümelei; ein Bild wie der hamburger Bismarckroland wenn man ihn auch lieber im Stadtbild als in den Anlagen ſähe iſt geradezu eine Weiter⸗ bildung der Überlieferung und hat deshalb auch ein eigenes, neues Leben als Sinnbild. In Prenzlau find die Refte des erſt unter Friedrich dem Großen durch ein Unwetter zerſtörten Roland noch vorhanden; der ſollte wieder aufgeſtellt werden in der behäbigen Hauptſtadt der fruchtbaren Uckermark, mit ihrer wundervollen Marienkirche, dem ſchönen, denkmälergeſchmückten Marktplatz und den kräftigen Tortürmen.

Weitere Beiträge zur Frage der Monömpthen- motive in der vorgeſchichtlichen Kunſt.

Don Georg wilte. Mit 26 Tertabbildungen.

In meiner Arbeit „Der Mondkultus bei den indogermaniſchen Dölfern in Sage und Kunft” (Wiſſenſchaftl. Mitt. a. Bosnien u. d. Herzegowina, Bd. VIII, S. 1ff.) und dann weiter in meinem Buche „Die Religion der Indo⸗ germanen in archäologiſcher Betrachtung“ (Mannus⸗Bibl. Nr. 32) habe ich für eine größere Reihe archäologiſcher Erſcheinungen, die bisher teilweiſe noch gar nicht, teilweiſe nur ſehr wenig befriedigend erklärt worden waren, einen lunaren Urſprung darzutun und damit zugleich auch zu zeigen verſucht, wie ſtark gerade der Mond mit ſeinen ſo wunderſam anmutenden mannig⸗ fachen Erſcheinungsformen die Phantaſie unſerer vorgeſchichtlichen Vor⸗ fahren beſchäftigt hat. Die nachſtehenden Husführungen ſollen nun noch einige weitere vorgeſchichtliche Muthenmotive behandeln, die gleichfalls aus der Beobachtung der Mondes hervorgegangen ſind und durch die meine früheren Darlegungen nicht nur eine neue Beſtätigung, ſondern auch eine weſentliche Erweiterung und Ergänzung erhalten.

Da über den Begriff des Mythos zum Teil noch recht unklare Vor⸗ ſtellungen herrſchen, fo mögen zum beſſeren Verſtändnis der nachfolgenden Ausführungen zunächſt einige allgemeine Bemerkungen über das Weſen des Muthos, wörtlich „Rede“ oder „Erzählung,“ vorausgeſchickt werden. Unſere heutige Generation hat es in mancher Hinficht ſehr gut. Für fie gibt es in der Natur fo gut wie keine Geheimniſſe mehr. Wenigſtens bilden ſich das recht viele ein, namentlich ſolche, die nur oberflächlich ein bischen an den Naturwiſſenſchaften herumgerochen haben und fic) daher für ganz be⸗ ſonders geſcheit halten. Für fie ijt der geſamte Kosmos mit feiner Dielheit von Erſcheinungen im Grunde weiter nichts als ein großes Uhrwerk, ein zwar etwas komplizierter, andererſeits aber auch ſehr einfacher Mechanismus, der nach beſtimmten Regeln ganz von allein abſchnurrt und über deſſen Zweck und Herkunft nachzugrübeln heute in weiten Kreiſen für müßig oder gar unwiſſenſchaftlich gilt. |

Nicht fo glücklich wie wir heutigen Ziviliſationsmenſchen, die wir ſchon in der Volksſchule in trefflich ausgeſtatteten Laboratorien an der Hand aller

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36 Georg Wilte [2

möglichen phuſikaliſchen und chemiſchen Experimente in die Grundlehren der Chemie und Phuſik und der ſonſtigen Zweige der Naturwiſſenſchaften eingeführt werden, iſt der Primitive daran. Ihm wird in der Schule noch nichts von Einſteinſcher Relativitätstheorie und Repplerſchen Geſetzen, von Kathodenſtrahlen und Radioaktivität, von Biologie, Phuſiologie und Pſuchologie, von Kant=Laplaceiher Weltbildungstheorie und Darwin⸗ Häckelſcher Deszendenztheorie u. dergl. mehr erzählt. Er ſteht daher der Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen in der Umwelt und namentlich den wunderbaren kosmiſchen Vorgängen gegenüber völlig hilf- und ratlos da. Einigermaßen verſtändlich werden ſie ihm nur, wenn er ſie mit irgendwelchen Vorgängen aus dem Keiche ſeines perſönlichen Erlebens vergleicht.

So ſagt er z. B.: Der Donner kommt mir gerade ſo vor, als ob ein Menſch oder Tier (Stier oder Löwe) am himmel recht laut brüllte (vgl. den indiſchen Gott Rudra von / ru „brüllen“; Hlorridi „der brüllende Wetterer“, Beiname des germaniſchen Donar; ſlaviſch Perun von / per „ſchlagen“). Oder: Der Wind macht den Eindruck, als ob jemand ſtark aus dem Munde blaſe oder ein unſichtbares Weſen in der Luft herumſauſe. Oder: Der zu⸗ nehmende Mond iſt gerade wie ein Menſch, der immer fetter wird, und der abnehmende wie ein Menſch, der immer magerer wird, bis er ſchließlich ſtirbt. Aber während wir Ziviliſationsmenſchen, wenn wir mal einen ſolchen Vergleich machen, wie z. B. in dem bekannten Liede „Mond, was für ein ſchief' Geſicht machſt denn du?“ uſw. während wir Jiviliſationsmenſchen uns bei einem ſolchen Vergleich immer wohl bewußt bleiben, daß es ſich dabei eben nur um ein Bild handelt, gehen beim Primitiven Vergleichsbild und Vergleichsgegenſtand ſchon bald völlig ineinander über, und wenn er ein- mal ſagt, der Mond ſieht aus wie ein Menſch, der fett oder mager wird, ſo iſt a ihn oder die, die von dem Vergleiche hören, auch ein ſolcher Menſch.

Dabei verſchlägt es ihm auch nichts, daß vielfach für eine und dieſelbe Erſcheinung ganz verſchiedene Vergleichsbilder gewählt werden. So wird der Phaſenwechſel des Mondes, der ja auf die Phantaſie des Primitiven einen ganz beſonders ſtarken Eindruck macht, auch noch mit einem Gewebe verglichen, das immer wieder, wenn es fertig iſt, aufgetrennt wird (Wilke, Rel. d. Indog. S. 148 ff.) oder mit einer Schnecke, die bald aus ihrem dunkeln Gehäuſe, dem Schwarzmond hervorkriecht, bald wieder zurückſchlüpft (a. a. O. S. 149) und noch mit mancherlei anderen Dingen, auf die ich hier nicht einzugehen brauche. Die Widerſprüche, die ſich aus dieſer Dielheit von Dergleidsbildern ergeben, empfindet der Primitive nicht, und er macht ſich keinerlei Gedanken darüber, daß der Mond doch nicht gleichzeitig eine ſpinnende Frau, ein Vogel, ein Rind, ein Boot, eine Trinkſchale uſw. ſein kann. Umgekehrt aber kann auch ein und dasſelbe Vergleichsbild zur Veranſchaulichung ganz verſchiedener Erſcheinungen dienen. So wird beiſpielsweiſe mit dem Derſchlingen eines Menſchen durch irgendein Ungeheuer, einen Wolf, einen Sijd) uſw. ebenſowohl das Verſchwinden der Abendjonne, wie das Derſchwinden des Mondes zur Zeit der Konjunktion, wie die Derdunflung der beiden großen Himmelskörper bei Sonnen- und Mondfinſterniſſen verglichen. Und mit Zwillingsbrüdern, die ſich unter Umſtänden bekämpfen, kann man alle möglichen polaren Er— ſcheinungen, wie den Wechſel von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, von Wärme und Kälte, den Morgen- und Abendjtern, das wechſelnde Ver— hältnis des beleuchteten Teils des Mondes und des Ajchenlichtes uſw. ver⸗ gleichen, und dieſe auf den verſchiedenſten himmliſchen wie irdiſchen Vor—

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3] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 37

kommniſſen beruhenden Dergleichsbilder können dann recht wohl zu einer Einheit wie den Dioskuren und ihren Verwandten zuſammenfließen !).

Ein ſolches zur Wirklichkeit verdichtetes Vergleichsbild, mit dem ſich der Primitive irgendwelche irdiſche oder kosmiſche, nicht ohne weiteres ver⸗ ſtändliche Erſcheinungen oder Vorgänge klar und begreiflich zu machen ſucht, iſt nun das, was man als Mythos, beſſer aber als einzelnes Mythenmotiv bezeichnet. |

. Aber der Primitive bleibt nicht bei dem einfachen Dergleichsbild ſtehen. Er will auch wiſſen, warum tritt dieſe oder jene Erſcheinung ein, alſo, um bei unſerem Beiſpiele zu bleiben, warum wird der Mond menſch fo ſchnell fo fett, und warum magert er ſo ſchnell fo ſtark ab? Nun, die Antwort lautet: Er wird dick, weil er ſo viel gegeſſen und getrunken hat. Aber warum hat er denn ſo viel gegeſſen und getrunken? Nun, weil er mit einem andern ein großes Wetteſſen und Wetttrinken veranſtaltet hat, wie es beiſpielsweiſe vom griechiſchen Herakles und dem nordiſchen Thor erzählt wird, und wie wir es auch in vielen Mythen der Naturvölker der Gegenwart ſehen. Und magerer wird er, weil er ein recht unſolider Geſelle iſt (Sage der Südſee⸗ imme he der die ganze Nacht über bis in den ſpäten Morgen hinein am himmel herumbummelt und dort allerhand galante Abenteuer mit der Frau Sonne und der lieblichen Frau Venus, dem holden Morgen- und Abend- ſterne hat (Dol. Wilke, a. a. O., S. 155ff.).

So entſteht alſo eine ganze große Geſchichte („Muthengefüge“), und in dem dieſe Geſchichte dann von Mund zu Mund weiter erzählt wird, erfährt ſie im Laufe der Zeiten immer mehr Abänderungen und Zujäße, bis ſchließlich ihr urſprünglicher Sinn, wie beijpielsweije in unſerem Rotfappdenmarden, kaum mehr erkennbar ijt. Nur die eigentlichen Muthenmotive, alſo in unſerem Salle das Didwerden nach einem Wettgelage und das Abmagern infolge unſoliden Lebenswandels bleiben auch in der umgewandelten Erzählung weiter beſtehen .

Ein ſolches Mythenmotiv oder nach der obigen Begriffsbeſtimmung zur Wirklichkeit verdichtetes Vergleichsbild haben wir nun zunächſt um zu unſerem eigentlichen Thema zurückzukehren in der herausgeſtreckten Zunge vor uns, deren lunare Bedeutung ich zwar ſchon in meinen früheren Arbeiten klar genug dargetan habe (a. a. O. 18; 161), ohne jedoch auf die

hy von eens Schultz hat daher bis ne einem gewiſſen Grade recht, wenn er Mannus XVI, S. 216 fagt: „Nach Wilkes Meinung mag es vielleicht ein Vorzug fein, mehrere Eiſen im Feuer zu haben“. Nur erblicke ich darin keinen Vorwurf, ſondern eine Anerfennung. Denn ich frage eben nicht bloß mit der einſeitigen und ee Meinung der Mondmythologen: Wie läßt ſich der oder jener Mythos durch die Erſcheinungsformen des Mondes erklären?, fondern füge dem hinzu: können nicht auch nod) ſonſtige irdiſche oder kosmiſche Vorgänge dazu geführt haben? „Und zur Ausdeutung dieſes Stoffes müſſen“ dann in der Tat, um mich der Worte C. Mötefindts (Wien. Präh. Jeitſchr. XI, S. 85) zu bedienen, alle möglichen Naturvölker „herhalten“, weil eben bei ihnen der Mythos vielfach noch völlig unverhüllt vorliegt, während wir Rulturmenſchen ihn meiſt in einer ſchon ſtark verblaßten Form überkommen haben, die den dahinter liegenden Kern nur noch ſchwer erkennen läßt.

2) In dieſer weſentlich weiteren Faſſung des Begriffs Mythos liegt der funda⸗ mentale Unterſchied zwiſchen meinen eigenen Anſchauungen und denen der Mondmytho- logen, wie ſie namentlich Wolfgang Schultz in ſeinen zahlreichen Schriften, zuletzt in fener Abhandlung „Grundſätzliches über Religion und Mythos der Arier“ (Mannus XVI, S. 195ff.) und in ſeinem aan und anregenden, in mancher hinſicht freilich auch recht anfechtbaren Buche „Zeitrechnung und Weltordnung in ihren übereinſtimmenden Grundzügen bei den Indern, Iraniern, Hellenen, Italikern, Germanen, Kelten, Litauern, Slawen“ vertritt,

38 Georg Wilte [4

Entſtehung dieſes Motivs näher einzugehen. Sie bedeutet eben nichts anderes, als die neue Mondſichel, die drei Tage nach der Konjunktion wieder ſichtbar wird, d. h. aus dem die dunkle Mundhöhle verſinnbildlichenden Schwarzmond hervortritt, und umgekehrt auch die letzte Mondſichel, die ſich in dieſen zurück⸗ zieht. Im Altn. wird daher, worauf ſchon Böklen hingewieſen hat!), der Mond geradezu als himintüngl (ahd. himilzunga) bezeichnet, wie er auch in den Deden jihwä dewänäm „Götterzunge“ heißt (Rigv. IV 58,1). Ebenſo findet ſich bei verſchiedenen indiſchen Gottheiten, die ſich von einer alten Mondweſenheit abgezweigt haben, der Beiname „ſchön“⸗ oder „golden= zungig“, und Brihaſpatis, deſſen Mondcharakter ſchon hillebrandt (Ded. Muth. I 404) nachgewieſen hat, führt das Beiwort „von lieblicher Zunge“. Bei den Griechen Homers wurde am Schluſſe der Abendmahlzeit die Zunge des Opfertieres dem hermes zu Ehren am Herde vermauert, und auch ſonſt noch ſpielt die Junge im Opferkulte des hermes, einer ganz ausgeprägten Mondgottheit, eine ſehr wichtige Rolle?). Endlich begegnen wir dem Motiv der herausgeſtreckten Zunge auch noch bei der mitteldeutſchen Frau Holle, deren urſprünglich lunarer Charakter für mich trotz des ſpäten Auftretens ihres Namens und trotz der von Germaniſten erhobenen Bedenken in Anbe= tracht der vielen ſonſtigen mit ihr verknüpften Mythen, Symbole und Attribute (Sahrt in einem Bocksgeſpann; auf einem Bock oder einer Sau reitend; Spinnerin und Weberin; Totengottheit; wie die griechiſche Artemis und Hekate Führerin der wilden Jagd; Beilattribut uſw.) außer Zweifel jteht?). So in einer Sage in der Leipziger Gegend, nach der ſie einſt bei ihrem eigenen Totenſchmaus zuſah und die Zunge „herausbläkte“ 4).

Außer in den genannten Mythen, bei denen die Zunge ganz unmittelbar mit beſtimmten Mondgottheiten verknüpft iſt, erſcheint das Motiv auch noch in einer anderen weit verbreiteten Mythengruppe, nach der das Verſchwinden der letzten Mondſichel mit dem Ausjchneiden einer Junge verglichen wird. Beſonders häufig findet es ſich in den mannigfaltigen Drachenſagen, in denen der Held dem von ihm getöteten Ungeheuer, d. h. dem Schwarzmonde, die Zunge ausſchneidet, um ſich dann ſpäter mit ihr gegenüber dem Nebenbuhler, der ſich den Ruhm des Sieges zu Unrecht anmaßt, als der wahre Sieger aus- zuweiſen 5). Ebenſo erſcheint es in der römiſchen Sage von der Numphe Cara oder Lala (auch der Name der etruſkiſchen Mondgottheit; Roſcher, Alt. Cex. |. v. Cala), der Jupiter die Junge ausriß, weil ſie der Juno ſeine Nachſtellungen der Juturna verraten hatte, in der Sage von Philomele und Tereus, der jener die Junge ausreißt, damit ſie nicht die an ihr begangene Schändung erzählen könne u. a. m.

1) E. Böklen, Die Entſtehung der Sprache im Lichte des Mythos. Berlin, Stuttgart, Leipzig 1922. S. 42. ;

2) Höfer, Organotherapie. S. 42 u. 3. ;

3 ilfe, Religion der Indogermanen. S. 100, 133, 148, 160, 161 u. 6.

4) Bernhardt, Jahrbuch d. Städt. Muf. f. Dölterf. IV, S. 20.

5) Im deutſchen Märchen „Die zwei Brüder“ ſchneidet der held dem ſiebenköpfigen Drachen die ſieben Zungen aus und zeigt fie ſpäter als Wahrzeichen des Sieges vor (K. 5. M. Nr. 40). Der megariſche Alkathoos („Glanzläufer“), der Sohn des Pelops, beſiegt einen Löwen, durch deſſen a len Zunge et ſich als wahren Sieger ausweilt. Im eng⸗ liſchen Märchen the little bull-calf reißt der Knabe, der die im Walde mit ihren Haaren an einen Pfahl gebundene Konigstodter Alan dem von ihm getöteten Drachen die Junge heraus, die ihm eee e als Beweis für ſeinen Sieg dient (Joſeph Jacobs, More English Fairy Tales Ur. 79). Und ebenſo wird in dem ruſſiſchen Märchen „Iwan der Ruhſohn“ der Drachenmutter die Zunge herausgeriſſen. (Afanajjiew Ur. 27).

5] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 39

Dieſer Herleitung des Zungenmotivs entſpricht nun auch fein Dor- kommen in der vorgeſchichtlichen wie altmexikaniſchen Kunſt, die ja, wie ich in meinem oben angeführten Buche dargetan habe, außerordentlich viele Züge mit der alteuropäiſchen gemein hat. Hier findet es ſich bei dem Gott auf dem ſogenannten Kalenderſtein des Muſeo Nacional in Mexiko (Jeitſchr. f. Ethnol. 1911, S. 298, Abb. 3c), wo nicht nur der auf die Erde herabgeſenkte Cichthimmel . ..., ſondern auch die ringsum daranſtoßende und aus der Unterwelt heraufquellende Nacht in Geſtalt zweier Federſchlangen“ dargeſtellt, der Gott alſo deutlich genug als Mondgottheit gekennzeichnet iſt. In der altweltlichen Kunſt begegnen wir dem Motiv vor allem beim äguptiſchen Bes, beim indiſchen Mahakala und den Totengottheiten des kretiſch⸗mykeni⸗ Iden Kulturkreiſes, deren lunaren Urſprung ich in meinem Buche (5. 146f. u. ö.) hinreichend begründet zu haben glaube. Als eine ſolche Totengottheit lind daher wahrſcheinlich auch die im nordiſchen Formenkreiſe mehrfach vorkommenden Geſichtsurnen aufzufaſſen, die den Toten in ſich aufnehmen. Allerdings bleibt auch die von mir früher vertretene Annahme möglich, daß es ſich bei ihnen nur wie bei den mukeniſchen, ſüdruſſiſchen, etruskiſchen uſw. Zotenmasfen um ein Abbild des Toten handelte, das ſeiner Seele als Sit dienen ſollte, und daß die herausgeſtreckte Junge dann nur die Bedeutung eines apotropäiſchen Geſtus hat, mit dem man den Toten vor feindlichen Dämonen zu ſchützen ſuchte. Doch halte ich die hier verſuchte Deutung für wahrſcheinlicher. Ganz beſonders klar aber tritt uns die lunare Bedeutung des Motivs bei einer von mir gleichfalls ſchon mehrfach behandelten Bronze⸗ ſtatuette von Cagliari in Sardinien entgegen, die nicht nur, wie die Diana von Epheſus, durch die Dielbrüſtigkeit, ſondern auch durch die über dem haupte und an der Baſis angebrachten Mondſicheln eindeutig als Mond⸗ gottheit gekennzeichnet wird (Rel. der Indogerm. S. 146, Abb. 160).

Wenn das Motiv dann auch noch zu einem apotropäiſchen Geſtus geworden iſt, ſo erklärt ſich dies ſehr einfach dadurch, daß nach allgemeinen emaniſtiſchen Anſchauungen die einem belebten oder unbelebten Dinge zuge⸗ ſchriebenen Fähigkeiten oder Kräfte auch in ſeinen Abbildern oder Symbolen wirkſam ſind. Wie alſo ein Medaillon mit dem Bilde eines heiligen den gleichen Schutz gewährt wie dieſer ſelbſt, ſo geht auch von der die Mondſichel verſinn⸗ bildlichenden Zunge die gleiche Kraft aus wie von der Mondſichel ſelbſt. Noch ſpäter iſt dann der Geſtus zu einer bloßen Gebärde der Verachtung herab- geſunken. Auch das erklärt ſich ſehr einfach. Denn die Unholde und Hexen, gegen die der Geſtus zunächſt nur zu rein apotropäiſchen Zwecken angewendet wurde, fürchtete man nicht nur, ſondern man verabſcheute ſie auch. ö

Ein weiteres, ziemlich naheliegendes Vergleichsbild ijt das des für ge⸗ wöhnlich unſichtbaren oder höchſtens für ſehr gute Augen noch als fahles Ajdenlicht erkennbaren !) Schwarzmondes mit einem ruhenden oder ſchla- fenden Menſchen. Dieſes Motiv liegt beſonders in vielen griechiſchen Sagen vor. Die im äußerſten Weſten hauſende Gorgo, die gewöhnlich als ſchwarz geſchildert wird und in bildlichen Darſtellungen meiſt mit heraus— geſtreckter Zunge erſcheint, wird von Perſeus im Schlafe überraſcht und getötet. Ebenſo tötet Argos Panoptes die Echidna, Herakles den Alfyoneus im Schlafe,

1) Daß der „vollkommene“ Schwarzmond von guten, gegen die Sonne wenig emp⸗ findlichen klugen wirklich erkannt werden kann, lehrt ein von Callaway, The Relig. Syst. of the Amazulu. S. 300 ff. (The Folk Lore Society XV 1884) mitgeteiltes Geſpräch zweier Sulufaffern. Damit werden die von Wolfgang Schultz, a. a. O. S. 17 an die angebliche Unſichtbarkeit der Konjunktion geknüpften Folgerungen hinfällig.

40 : Georg Wilke | [6

und auch Jaſon vernichtet den das goldene Dließ bewachenden Drachen, nachdem dieſer zuvor durch Medea eingeſchläfert worden iſt. Das Gegenſtück hierzu auf germaniſchem Gebiete bildet die Erzählung von Sigurd und Regin, der von jenem getötet wird, nachdem er ſich, um zu ſchlafen, hingeſtreckt hat. Ebenſo liegt das Motiv in der Sage von Brunhild vor, die durch Odhins Schlafdorn in einen Jauberſchlaf verſetzt wird, wie das Dornröschen des deutſchen Märchens durch den Stich der Spindel. Doch begegnen wir der Vorſtellung auch bei den alten Babyloniern, jo Obv. 3. 6 „Drei Tage ruht er (der Mond) im himmel“ und Rev. 3. 6f.: „Ruht er etwa vier Tage im himmel? . ruht er noch einen vierten Tag“. (Rach Jeremias, a. a. O., 7

Einen ſehr wertvollen archäologiſchen Beleg für dieſen Muthus bilden meines Erachtens die bisher noch nicht genügend erklärten ſchlafenden Figuren aus dem Hypogdum auf Malta. Daß dieſes und die ſonſtigen gleichartigen Megalithbauten Maltas nicht, wie Schuchhardt (Alteuropa, S. 154) an⸗ nimmt, Palajtbauten find, in denen gelegentlich auch beſtattet und ein Abnen- kult geübt wurde, hat zuletzt A. Mayr (Anthropol. Korreſpondenzbl. 1920, S. 1ff.) überzeugend dargetan. Es können vielmehr nur Heiligtümer fein, in denen der Kult „beſtimmter göttlicher Weſen“ geübt wurde. Als Dar⸗ ſtellungen folder „göttlicher Weſen“ und nicht, wie Schuch hardt meint, als Derjforbene oder Ahnen haben wir daher zweifellos die zahlreichen in dieſen heiligtümern aufgefundenen „Ton- und Steinfiguren zu betrachten, die wohl alle oder größtenteils wie die große Maſſe der neolithiſchen oder frühmetall⸗ zeitlichen Statuetten des ſüdöſtlichen Europas als weiblich aufzufaſſen find.“ Und wenn nun unter dieſen weiblichen Gottheiten auch ſolche im Zuſtande des Schlafes erſcheinen, dieſer Juſtand aber im Muthos nur bei ausgeprägten Mondgottheiten vorkommt und nur bei ihnen aus beſtimmten realen Natur⸗ erſcheinungen heraus verſtändlich wird, ſo können dieſe ruhenden Frauen⸗ figuren eben nur eine Mondgöttin bedeuten. (Dol. Wilke, Mannus 16, S. 69 f., Abb. 2).

In etwas anderer Form bemerken wir das Muthenmotiv auch noch auf der öfter behandelten Ringplatte von Mukenä. ne halt die thronende Gottheit, die durch den Fruchtbaum, die Kinder, die Rinderjchädel, das Doppelbeil und den Halbmond klar genug als Mondgottheit gekennzeichnet iſt, in der linken hand drei (Schlaf erzeugende) Mohnköpfe, wie auch Selene in der ſpäteren Kunſt mehrfach mit Mohnköpfen dargeſtellt iſt (a. a. O., Abb. 3).

In dieſem Mythos wurzelt ſchließlich auch noch die ſchon für das Altertum ee häufige Derwendung des Mohnes im Opferkult, beſonders im Toten⸗ kult und im Kult der Toten⸗ und heilgottheiten !), die ja, wie ſchon öfter gezeigt, Mondgottheiten ſind. Noch heute werden bei den Chewſuren im Kaufafus bei Sterbefällen hornförmige Mohngebäcke, die die Mondſichel nach⸗ ahmen, hergeſtellt. Und derartige Mohnhörnchen haben ſich, ebenſo wie die gleichfalls mit Mohn beſtreuten, ein altes Haaropfer erſetzendes Jopfgebäcke, auch bei uns vielfach erhalten, wenn auch hier die Erinnerung an den ur— ſprünglichen Sinn dieſer Gebäcke vollſtän dig verſchwunden iſt. Solchen kulti⸗ ſchen Zwecken mag daher auch zum Teil der ſchon für die neolithiſche Zeit

1) Mit Mohn wurde der Opferkuchen beſtreut, den die 2.2050. 1 Frauen im Asflepiaion auf Kos dem heilgotte darbrachten (Ard. f. Rel.⸗Wiſſ. X, 205). Weißer Mohn bildete mit Gerſte, Räucherwerk und ungewaſchener Schafwolle ein Opfer an die Demeter (M. nilſſon, Griech. Seite v. relig. Bedeut. m. flusſchl. d. attiſchen. Leipzig 1906, 344f.), und Mohnbrötchen waren auch die ſogenannten Enthalamia, die man in Griechenland in den Jotenkammern niederlegte.

7] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 41

nachgewieſene Anbau von Mohn gedient haben, der insbeſondere in den pfahlbauten von Steckborn im Bodenſee, Tliederwyl im Thurgau, Robenhauſen am Pfäffikonſee, Wauwil im Baldeggerſee, Oberkirch im Sempacher Zee, Burgäſchi in Solothurn, Moosſeedorf im Berner Mittellande, St. Blaiſe im Neuenburger See und Lagozza in Oberitalien in ziemlich großen Mengen erſcheint, dort alſo zweifellos gezüchtet wurde!). Ja in Robenhaujen fand I ae: ein Mohnkuchen, wie wir ihn oben als Opfergebäck kennen gelernt aben

Ein beſonders anmutiges und poeſievolles Mythenmotiv läßt das junge Mondkind, an deſſen Stelle in den jüngeren Muthen auch die junge Sonne tritt, aus einer Blüte hervorgehen. Nach einer Erzählung in Kambodja wird ein Mädchen, ohne ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, von den Strahlen der Sonne geſchwängert. (Ronjunktionsmotiv.) Verſchämt zieht ſie ſich in den Wald zurück und gebiert dort das ſchönſte Kind der Welt. Da fie keine Milch zur Ernährung hat, will fie fic) ertränken, aber die Natur ſorgt für das Gotteskind. Als es die Mutter auf die Blütenknoſpe einer Blume ſetzt, blüht dieſe gleich von ſelbſt auf, um das Kind entgegenzunehmen und es wie in einer Wiege zu umſchließen. Das Mädchen verſchwindet (Ver⸗ ſchwinden des alten Mondes), ein Einſiedler jedoch, der nach der Prophezeiung eines Engels das Kommen des herrn (die neue Mondſichel) ſchauen ſoll, nimmt das Kind aus der auf dem See ſchwimmenden Lotosblume heraus und erzieht es mit Milch und Honig (Aufgehen und Wachſen der jungen Mondſichel). So erwächſt der König der Könige. Ahnliche Mythen kehren auch ſonſt noch öfter wieder. Aus einer Blütenknoſpe wird in Aſſam das erſte Menſchenpaar geboren, das nach einer weit verbreiteten und auch bei indogermaniſchen Völkern herrſchenden Vorſtellung vom Monde abſtammt. Auf Sumatra läßt ſich das Urmädchen auf einer Blütenknoſpe nieder und in Madagaskar wird aus ihr das Ideal der weiblichen Schönheit geboren. Auch Brahma ſteigt aus einer Blütenknoſpe, und ein ähnlicher Muthos heftet ſich an Indra, Krsna und Visnu, die als Bienen aus ihr hervorgehen. Endlich ſei noch auf eine Erzählung Plutarchs hingewieſen, nach der die Sonne jeden Morgen aus einer Blütenknoſpe aus dem Waſſer emporſteigt ).

Nur eine geringe Umbildung dieſes Muthos liegt vor, wenn in nord⸗ amerikaniſchen und polyneſiſchen Sagen an Stelle der Blüte ein Seegrasmäntel, in Mikroneſien ein Rohrſtengel und in Afrika und anderen Gebieten ſchließlich ein hohler Baum tritt. So kommt nach einer wahrſcheinlich aus Indien 1 Sage der griechiſch⸗thrakiſche Dionyſos aus einem hohlen Baum ervor. Und das gleiche Motiv finden wir auch mit dem äguptiſchen Horus und Oſiris verknüpft, der bei ſeiner Nachtfahrt in einem Baume eingeſchloſſen iſt, aus dem ihn Iſis herausſchält.

Noch rein realiſtiſch dargeſtellt findet ſich dieſes „Blüten=" oder „Baum⸗ urſprungsmotiv“ u. a. auf einer Gemme von Curium. Hier geht die Mond⸗ ſichel ſelbſt aus einer einem ſtiliſierten Baum entſprießenden Blüte hervor; neben dem Baum ſitzen heraldiſch gepaart zwei phantaſtiſche Flügelweſen, die die aufgehende Mondfichel andachtsvoll mit der erhobenen Pfote begrüßen

) W. Hoops, Keal.⸗Lex. ſ. v.

1 seo ee a. a. O., S. 252 und 271ff. Huch in manchen Dolfsfagen der Gegen⸗ wart lebt das Motiv noch fort. So wird nach einer wendiſchen Erzählung in der Gegend von Bautzen die reizende Tochter Czornebohs in ein Veilchen verwandelt, aus dem die en alle 100 Jahre in der Walpurgisnacht zum Leben erwacht. (Meiche, Sagenbuch des Königreichs Sachſen. S. 1075, Nr. 1267).

42 Georg Wilke [8

(Abb. 1). Noch reizvoller und anmutiger ſind einige etruskiſche Darſtel— lungen, bei denen wie in den meiſten mytbijchen Erzählungen das Mondweſen in menſchlicher Geſtalt aus der Blütenknoſpe emporwächſt (Abb. 2 u. 3). Die beiderjeits neben dem Ropfe er— hobenen Arme, die die junge Mond— ſichel verſinnbildlichen, während der Kopf dem Aſchenlichte des Mondes entſpricht, laſſen meines Erachtens an der lunaren Bedeutung dieſer Kompojition keinen Zweifel auf: kommen. Zwar nicht mehr das eigentliche Blütenurſprungsmotiv, wohl aber ein Nachklingen dieſes Muthos ſcheint bei den in Abb. 4 und namentlich Abb. 5 wieder— gegebenen Darſtellungen vorzu— liegen, von denen die erſte den Gott mit der Lotosblume}! (vgl.

Abb. 1. Gemme aus dem Schatz von Curium. ie Een, af. LXXX, 13.

Abb. 5. Blütenurſprungsmotiv. Skelett— Abb. 2. Blütenurſprungsmotiv. Sfelettqrab grab d. Etrusk. Per. von Salerii. d. Etrusk. Per. von Salerii.

oben den Eremiten in der Sage von Rambodja), die zweite die mütterliche Gottheit mit dem jungen Mondkinde und der heraldiſchen Lilie, der Ent— ſprechung der Lotosblume, vorführt.

9) Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 43

Noch ein anderes, ſehr wichtiges und faſt über die ganze Erde verbreitetes Dergleichsbild, das ich Rel. d. Indog. S. 149 ff. ziemlich eingehend behandelt habe, vergleicht den Phaſenwechſel des Mondes mit einem Geſpinnſt oder Gewebe, das immer neu geſponnen und allmonatlich immer wieder aufgetrennt wird. Überall erſcheint daher die Mondgottheit als eine ſpinnende oder webende Gottheit. Auf dieſes Muthenmotiv geht nun, wie ich meine, ganz offenbar die ſumboliſche Bedeutung des Schachbrettmuſters zurück, deſſen ſakralen Charakter ſchon Macchioro an der Hand eines ſehr reichen Abbildungs- materials einwandfrei nachgewieſen hat, ohne aber dabei der Frage nach dem Urſprung dieſes Motivs näherzutreten (Mannus IV, S. 351ff.). Eine Cöſung dieſer Frage hat erſt Gärte, hauptſächlich unter Berufung auf alt— mexikaniſche Darſtellungen, verſucht, und zwar glaubt er aus Gründen, auf die ich gleich kurz eingehen werde, das Schachbrettmuſter als ein Symbol

Abb. 4. Gott mit Cotosblume. Abb. 5. Altbabyloniſche Darſtellung. Mütter: Relief von Nimrud. liche Gottheit mit Kind und heraldiſcher Lilie.

der mütterlichen Erde auffaſſen zu können. Das Motiv ſei, wie er meint, urſprünglich der bildliche Ausdrud für den „Begriff eines Candbezirkes“, eines „Erdſtückes“ geweſen, wie im Chineſiſchen das Wortbild für Feld ein vierfach geteiltes Quadrat HA darjtellt und bei den alten Agyptern ebenfalls ein.

Quadratmuſter EH zur Wiedergabe des Begriffs „Gau“ diente. Das Mejentlihe des Motivs erblickt alſo Gärte nicht in der verſchiedenfarbigen runs der Felder, ſondern in „der rechteckigen Linienkreuzung“ (Mannus 1 349ff.).

Ich muß geſtehen, daß mich dieſe Herleitung des Motivs nie recht be— friedigt hat. Denn einmal findet ſich das echte Schachbrettmuſter als zweifellos religiöſes Symbol ſchon in der Anfylusperiode (Wilke, Mannus VI, S. 43, Abb. 43), alſo zu einer Zeit, wo gewiß noch nicht von irgendwelcher Zer— legung eines Erdſtückes in Gaue, Felder oder ſonſt irgendwelche Teiljtüde die Rede ſein kann. Und zum anderen iſt und bleibt doch beim Schachbrett— muſter der Wechſel zwiſchen hellen und dunklen Quadraten, Rhomben und dergl. das Weſentliche. Ja der Eindruck von abwechſelnd dunkeln und hellen

44 Georg Wilke [10

Seldern wird was ich der Auffajjung Macchioros, a. a. O., S. 354 ent⸗ gegenhalten muß ſogar ſchon durch ungefärbte, ſich kreuzende Geflechts⸗ ſtreifen hervorgerufen, denn die von den gefaſerten Geflechtsſtreifen in das kluge des Beſchauers zurückgeworfene Cichtmenge hängt eben, beſonders bei ſchräg auffallendem Lichte, ganz und gar von der Richtung der Safer: treifen ab. Man kann ſich davon leicht überzeugen, wenn man die neben⸗ tehende Figur etwas abwärts neigt. Dann rücken bei den horizontalen Ge⸗ flechtsſtreifen die die Faſerung andeutenden dunkeln Linien auf Kojten der hellen Zwifchenräume näher aneinander, während bei den vertikalen Geflechts⸗ ſtreifen dieſe Derſchmälerung der Zwiſchenräume nicht erfolgt. Die Folge it, daß uns die erſten dunkler, die letzten heller erſcheinen. Das umgekehrte tritt natürlich ein, wenn man die Abbildung nach rechts oder links dreht. Und noch viel deutlicher nimmt man dieſe Erſcheinung bei wirklichen Ge⸗ flechtsitreifen (Baſtkörbchen, farriertes einfarbiges Leinengewebe) wahr, weil hier infolge der leicht vorſpringenden Faſern der einzelnen Geflechtsſtreifen die Mengenverhältniſſe der ins Auge zurückgeworfenen Strahlen erſt recht vom Einfallswinkel des Lichtes beeinflußt werden. Das Schachbrettmuſter iſt ſomit ein echtes Geflecht: und Gewebemuſter.

Don dieſer Tatſache wird man alſo auszugehen haben, wenn man der Frage nach dem Urſprunge der ſakralen oder ſumboliſchen Bedeutung des Muſters beikommen will. Die einzige Gottheit, die zu den textilen Künjten in enger Beziehung ſteht und bei der allein dieſe Beziehungen durch die hinter ihr ſich verbergenden Naturerſcheinungen verſtändlich ſind, iſt nun, wie oben kurz angedeutet und in meinem Buche ausführlich dargelegt iſt, die Mondgottheit, und wir werden daher ſchon allein aus dieſem Grunde im ſumboliſchen Schachbrettmuſter als einem ausgeprägten textilen Motiv ein lunares Symbol erblicken dürfen. Dazu kommt auch noch, daß das Schach⸗ brettornament mit ſeinem ſtändigen Wechſel von hell und dunkel ein ganz unmittelbares getreues Abbild des ſtändigen Wechſels von Weiß- und Schwarz: mond darſtellt. Und dieſes Bild kommt ſchließlich auch im Muthos ſehr deutlich zum Ausdrud, wenn es beiſpielsweiſe im Geſange eines Bramahnenſchülers heißt: „Hier in der Unterwelt (d. h. dem Reiche der Mondgottheit) ſind zwei jugendliche Mädchen, Tuch webend jeglicher Art, die da hervorbringen ſchwarzes und weißes Tuch, immer wieder zum Daſein führend die Welten, und was fie bewohnt „(a. a. O. 148). Oder wenn von Jätar berichtet wird, ae = iu und weiße Säden ſpinnt (C. R. Thomſon, Semitic Magie,

165) ).

Dieſe Beziehungen von hell und dunkel zur Mondweſenheit treten uns nun in der Tat gerade im mexikaniſchen Formenkreiſe, den Gärte mit vollem Rechte heranzieht, beſonders deutlich entgegen, da hier die Mond⸗ gottheit, von der die Erdgottheit ſich vielleicht erſt jpäter abgezweigt hat,

2 An Stelle der Weberin erſcheint in Polynefien, wo die Weberei unbekannt ift, die Rindenſtoffklopferin und in Nordamerika die Korbfledterin, und Srobenius (Doku⸗ mente zur Kulturphuſiognomik 1925, S. 127) ſchließt daraus, daß dieſe Völkerſtämme urſprünglich das Weben gekannt, ſpäter aber verloren und damit zugleich das Muthen⸗ motiv auf den neuen Stoff übertragen hätten. Ich halte dieſen Schluß nicht für zutreffend, glaube vielmehr, daß das Motiv urſprünglich ein reines Flechtmotiv und erſt ſpäter auf die Weberei übertragen worden ijt. Dafür ſpricht im beſonderen, daß das Schachbrett⸗ muſter in Verbindung mit einer Kröte (einem ausgeſprochenen Mondtier) bereits auf der genannten ankuluszeitlichen harpune von Travenort erſcheint, alſo in einer Zeit, wo die Runſt des Spinnens und Webens ſicherlich noch nicht bekannt war.

ll] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 45

oder von der fie doch zum mindeſten ſtark beeinflußt worden ift!), faſt immer durch eine helle und dunkle Farbe gekennzeichnet wird). Ein ſehr charakteriſtiſches Beiſpiel dafür bildet die Geburtsgöttin Teteoinnan (Mannus VI 352, Abb. 16), die wie alle Geburtsgöttinnen (Eileithyia, Iſis uſw.) eine echte Mondgottheit iſt und als ſolche noch ausdrücklich durch die an ihr ange⸗ brachten Mondbilder gekennzeichnet wird. Ebenſo erweiſen ſich die übrigen von Gärte angeführten Beiſpiele und noch zahlreiche weitere von Seler u. a. seat analoge Darſtellungen als deutliche Mondweſen (vgl. Seler, a. a. O.).

Aber auch bei den altweltlichen Darſtellungen können wir dieſe Be⸗ ziehungen des ſymboliſchen Schachbrettmuſters zum Mondkult ſehr deutlich erkennen. Es laſſen ſich hier bezüglich ſeines fluftretens folgende Gruppen unterſcheiden.

r.?

1) ag er den von Böllen in feinem Bude „Die enimehung der Sprache im Lichte des Ruthos“, S. 4215 gegen meine Auffaffung von der Priorität der Erdgottheit erhobenen Einwand. Ich halte die dort ausgeſprochenen Bedenken gewiß für ſehr beacht⸗ lich, indeſſen nicht für ze e daß dadurch die een von einer ſelbſtändigen Entſtehung der Erdgottheit ausgeſchaltet würde. Denn die geſamte i und vege⸗ tabiliſche Fruchtbarkeit konnte man recht wohl als Wirkung von in oder auf der Erde hauſen⸗ den Degetationsdämonen auffaſſen, die ſi peas at zu einer beſonderen Gottheit, eben der fruchtbringenden Mutter Erde verdichteten. Und ebenſo führten die Beobachtungen an Leichen und die wechſelnden Totenbräuche zur Entſtehung beſtimmter auf und unter der Erde ln Todesdämonen, die anfangs, ſolange man eine Beſtattung noch nicht kannte, rein tieriſcher Art waren und den leichenfreſſenden Tieren (Wölfen, Aasgeiern, Raben, Siſchen uſw.) entſprechen, ſpäter aber nach Einführung der Erdbeſtattun med liche Geftalt annahmen und ſich ſchließlich gleichfalls zu einer einheitlichen Gottheit, eben der Erd⸗Todesgottheit, verdichteten. Beide Weſenheiten, die aus den Degetationsdämonen

ervorgegangene Erd⸗Sruchtbarkeitsgottheit und die aus den Todesdämonen entſtandene

d⸗Cotengottheit floſſen dann in eine Einheit zuſammen. Mag nun dieſe Auffaljung von der Entſtehung der Erdgottheit zutreffen, oder mag ſie e de wie auch Seler a. a. O. annimmt ebiali eine Abzweigung einer älteren Mondgottheit bilden, fo ſteht doch fo viel felt, daß beide Gottheiten in ihren Sunttionen ſich u engite berühren, und wir verſtehen dann auch, wie ſich an beide die gleichen Mythen, Symbole und Attribute, jo auch das Schachbrettſumbol, heften konnten, das zunächſt nur als lunares Motiv zu er⸗ klären iſt. In ähnlicher Weiſe wie die Mutter Erde kann man ſich nun den Himmel Gott recht wohl n entſtanden denken. Dafür ſprechen vor allem die gerade bei den

imitioften Völkern beſonders reich ausgeſtalteten Rechtsinſtitutionen, die das Vorhanden⸗ ein irgendeiner überſinnlichen, aber perſonifiziert gedachten ethiſchen Macht notwendig . (Wilke, Rel. d. Indogerm. S. 198ff.). Wo aber konnte man ſich dieſe Ae e beſſer vorſtellen als im himmel, von wo ſie am leichteſten und bequemſten in alle Winkel der Erde und auf Alles, was darauf lebt und webt, herabſchauen konnte. Daß dann ſpäter nach Ausbildung aſtraler Göttergeſtalten dieſe primäre himmliſche Macht ſehr leicht mit dieſen verſchmelzen konnte und daher viele Mythen, die uns nur aus den wechſelnden Erſcheinungsformen der beiden großen kosmiſchen Körper verſtändlich werden, auch auf den himmelsgott übergingen, iſt doch ohne weiteres begreiflich. So beiſpielsweiſe die dem Vater Zeus und anderen himmelsgottheiten zugeſchriebenen Liebesgefchichten, a an ſich natürlich nur auf die Bewegung von Sonne und Mond bezogen werden önnen.

2) Seler, wacher f. Ethnol. 1907. S. iif. Eine ach Rub Doppelfärbung kennen auch die indogermaniſchen Mondmythen. So wird der Bauch Rudras als blau, fein Rüden als rot . (Max Müller, Beitr. [Lüders] II, 268). Nach einer allerdings erſt ſehr ſpäten Nachricht war des Mondgottes hermes Hut halb weiß, halb ſchwarz (Albericus, de deor. imag. c. mee Der Apisitier war ſchwarz mit weißen Mondzeichen N 3, 28. Plinius h. n. VIII, 1840. Und ein weißhaariges Roß mit ſchwarzer Mähne findet beſ nee in den Volksmärchen. Auch bei den Maturvolfern kehrt die Zweifarbigkeit beſtimmter Gottheiten wieder. So bei den Maſai (Ard. f. Anthropol. 1917, 241). Ebenſo tritt fie in vielen Dolfsjagen auf. So zeigte ſich früher auf einem Berge bei Hennidendorf den weidenden Hirten eine Srau, halb weiß, halb ſchwarz (Ldb. d. Prov. Brandenburg III 193), und ähnliche Sagen trifft man auch noch anderwärts.

46 Georg Wilfe [12

1. Götterfiguren und Idole. Das älteſte, hierzu gehörige Stück bildet neben einem Fragment vom „gelben Berge“ bei Golubac in Serbien (Hbb. 6) und einem doppelköpfigen Brettidol von Zypern (Abb. 7) die weibliche Sigur von Klicevac, deren lunare Bedeutung einmal durch die ſumboliſchen Mondzahlen 12 und 13 der Bruſtſterne (Wilke, Koſſinnafeſtſchrift 5. 138, Abb. 30) und zum anderen durch die auch bei vielen anderen weiblichen Idolen wiederkehrende Haltung der Arme gekennzeichnet wird, mit der noch heute die Noſſairierfrauen Weſtſuriens die neue Mondſichel begrüßen (vgl. u. S. 51f.). Als Idole ſind ſicher auch, wie Gärte mit Recht vermutet, die eigentümlichen Schieferplatten der iberiſchen Halbinjel anzuſprechen, die meiſt mit Dreieckmuſtern, teilweiſe aber auch mit echtem Schachbrettmuſter verziert ſind (Gärte, Abb. 25 und 24) und die, falls ſie wirklich Idole ſind, nach einigen Funden eine weibliche Gottheit (a. a. O. Abb. 25) darſtellen. Da es lich bei dieſen Schieferplatten in Anbetracht ihres häufigen Vorkommens in

Abb. 6. Bruchſtück eines Tonidols vom Abb. 7. Doppelköpfiges Brettidol mit Schach— /udo brdo bei Golubac in Serbien. brettmujter von Zypern. Der zweite Kopf iſt Nach Daſſits. abgebrochen. Die Doppeltöpfigteit, die ur:

ſprünglich in realen Beobachtungen wurzelt,

wird in jüngeren Perioden gern zur Verſinn—

bildlichung der Ae le des Mondes

(ab⸗ und zunehmender Mond) gebraucht.

Megalithgräbern nur um eine Todesgottheit handeln kann, jo müſſen ſie auch hier auf die Mondgottheit bezogen werden, deren Charakter als Toten— gottheit ich an anderer Stelle erwieſen habe. Das Gleiche gilt auch noch von den aus Tierphalangen hergeſtellten Idolen von Los Millares, die ebenfalls bisweilen das Schachbrettmuſter zeigen (Wilke, Südweſteurop. Megalithkult. pp. S. 44, Abb. 33).

Mit Schachbrettmuſter iſt auch das Gewand der ſpinnenden Frauen auf der Oedenburger Urne (Mannus IV 377, Abb. 33) verziert, in denen wir gleichfalls Mondweſen zu erblicken haben. Ebenſo findet es ſich ſehr häufig bei den auf griechiſchen Dajen in großer Zahl dargeſtellten Parisgeſtalten (a. a. O. 391f. u. Abb. 54), deren lunaren Charakter ſchon E. Siede und andere darzutun verſucht haben. Auch bei den meiſten anderen, von Macchioro a. a. O. herangezogenen Geſtalten dürfte eine lunare Bedeutung vorliegen. So bei einer panathenäiſchen Athena (a. a. O. S. 385, Abb. 43a), bei einer Athena einer Berliner Amphora (S. 385), einer Athena der Exekiasamphora

13] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 47

zu Berlin (S. 385), bei der Artemis auf der Amphore von Melos (S. 370, Abb. 23) uſw.

2. Gegenſtände des Totenkultes, von deſſen lunaren Beziehungen ſchon oben die Rede war. hier erſcheint es als Symbol ſehr deutlich an einer auf einem äguptiſchen Sarkophage aufgemalten Grabtüre (S. 363, Abb. 17), wo der lunare Charakter ebenfalls, wie jo oft, durch die beigefügten Halb- |

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Abb. 8. Dafenbild EUREN Stils aus dem 4. Jahrh. vor Chr. Alfmene (y are +

vn „Glanzmond“; E. Siede, Drachenkämpfe 64) auf dem Scheiterhaufen, über dem

ſich ein Regenbogen wölbt. R. o. Eos, l. o. Zeus, auf deſſen ni zwei Hyaden 28 r löſchen. Nach h. Camer, Griechiſche Rultur im Bilde, Taf. 91, Abb. 1

monde toe ausdrücklich hervorgehoben wird. Doch findet es ſich auch ſonſt noch an Sarkophagen ſehr häufig, die dann gleichfalls oft noch andere ausge- prägte lunare Symbole, wie Widderköpfe, Tauben, Schlangen, Halbmonde uſw. zeigen. (Mannus IV S. 364, Abb. 20; Mannus VI 359, Abb. 19).

Aud) an den äguptiſchen Grabſchiffen iſt das Schachbrettmuſter wie auch an malaiiſchen öfter dargeſtellt (Mannus IV 363f., Abb. 18 u. 19) und ebenjo an der Grabſtele auf dem Sarkophage von Hagia Triada (397, Abb. 21), die oben in ein Doppelbeil, ein ausgeprägtes Mondjymbol,

48

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Abb. 9. Megaron in Tiryns. Aus Simmen, die kretiſch⸗mykeniſche Kultur, erlag und Druck B. G. Teubner, Leipzig und Berlin.

114

15] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 49

endet. Wir treffen es ferner bei einem Streitwagen auf einem thebaniſchen Gemälde (IV 361, Abb. 12), der augenſcheinlich als Reiſewagen nach dem Jenſeits gedacht ift (vgl. Ebert, Präh. Zeitſchr. 11/12, S. 179f.). Ein Kleid mit Schachbrettmuſter tragen weiter die Klagefrauen auf den Dipylonvajen (Mannus IV 372, Abb. 28), wie auch das Kleid der wegen Ehebruchs zum Slammentod verurteilten Alkemene und das Gewand ihres Bettgenoſſen (Ron⸗ junktionsmotiv) und Erretters Zeus damit verziert ijt (Abb. 8), und auch a Gewebe, das die Leichenbahre deckt, zeigt Schachbrettmuſter (a. a. O., Abb. 29).

Wiederholt findet ſich das Muſter auch in etruskiſchen Grabmalen mit einer Darſtellung des Totenmahles. Mehrere der dabei dargeſtellten Betten zeigen das Schachbrettmotiv, das bisweilen noch, wie 3. B. im Tomba del orco (5. 372, Abb. 26) mit mäandriſchen Haken kombiniert iſt, 3. T. auchlin der ver⸗ fümmerten Form eines rautenförmigen Netzwerkes 1000 Art der EN muſter erſcheint (a. a. O.

Abb. 27).

3. Gebäude und Brun⸗ nen, deren Beziehungen zur Mondgottheit ich in Rel. d. Indog. S. 152ff. näher be⸗ gründet habe. So am Kal⸗ lirrhoebrunnen auf einer hudria im Couvre (Mannus IV, S. 388, Abb. 49), an einem Brunnen auf einer Dydria von Neapel (S. 387) und an einem Brunnen auf einer Daje im Louvre, an dem Kadmos die (den Schwarzmond verſinnbild— lichende) Schlange tötet. (Dal. Wilke, Relig. d. Indo⸗ . germ., S. 127). Beſonders Abb. 10. Wandmalerei von Knojjos. bemerkenswert iſt auch das Nach R. v. Lichtenberg, Die Agäiſche Kultur. aufgemalte Schachbrett— muſter im Megaron des Männerhauſes von Tiryns. Bier ſind die hellen Felder mit je zwei halbmondförmig gekrümmten Fiſchen verziert, die mit dem Rücken einander zugewendet ſind und die einigermaßen an die Zwillings⸗ darſtellung einer Seljenzeichnung von Foſſum (Abb. 23) erinnern. (Sim men, Die kret.⸗myken. Kultur, S. 47, Abb. 36 = Abb. 9).

Die lunare Bedeutung des Motivs an Gebäuden zeigt beſonders deutlich das bekannte Wandbild von Rnoſſos, das uns einen von tupiſchen, nach unten verjüngten Säulen!) getragenen Kultbau zeigt, deſſen Mauern mit aufgemaltem Schachbrettmuſter verziert find. Durch die am Fuße der Säulen und auf den Seitenmauern angebrachten Mondhörner wird der Bau eindeutig als dem Mondkult dienend gekennzeichnet (Abb. 10).

4. Götterthrone. Hier erſcheint es wiederum vorwiegend an ſolchen, die einer Mondgottheit angehören. So an dem des äguptiſchen Unubis und der hathor, an dem der Thetis auf der Theſeusſchale der Euphronios, am

*) os hee Wilke, Südweſteurop. Megalithfultur und ihre Beziehungen zum

Orient. Mannus, Zeitſchrift für vorgeſch., Bd. 17. 5. 1/2 4

50 Georg Wilke [16

Throne des Triptolemos und Keleos an der Frankfurter Schale des Brigos, ferner an einem Seſſel an einer Santangelovaje mit dem Mythos der Undro⸗ meda uſw. (Mannus IV 395).

5. Waffen und Geräte. In erſter Linie wieder an der Agis der Athena (Kadmoshydria im Eremitage in Petersburg; chiuſiniſcher Erittonios⸗Krater; Karlsruher Parishydtia; Berliner Kadmoshydria u. v. a.), ferner bei zahl⸗ reichen Panzern von Heroen (a. a. O. 400 f.), deren lunarer Urſprung zum mindeſten ſehr wahrſcheinlich iſt, am Wagen Plutos auf einem Stamnos im vatikaniſchen Muſeum, auf dem Koras Entführung (d. h. das Derſchwinden des Mondes zur Zeit der Konjunktion) dargeſtellt ijt Mannus IV, 401) u. a. m.

Dieſe Beiſpiele, die ſich noch beträchtlich vermehren ließen, zeigen uns alſo, daß das ſymboliſche Schachbrettmuſter, namentlich in den älteſten Perioden faſt durchweg in Verbindung mit Götterfiguren oder Geräten erſcheint, deren lunare Bedeutung kaum zu bezweifeln iſt. In den jüngeren Perioden, in denen der lunare Urſprung der einzelnen in Betracht kommenden Gottheiten und heroen und im Zu⸗ ſammenhange damit auch der zu ihrem Kulte gehörigen ſymboliſchen Geräte mehr und mehr in Der⸗ geſſenheit geriet, erhielt natürlich auch das urſprünglich ihnen allein eigene ſumboliſche Schachbrett⸗ muſter eine allgemeinere Bedeu⸗ tung und es wurde nun auch auf ſolche Gegenſtände übertragen, die mit dem alten Mondkulte über⸗ haupt nichts mehr zu tun hatten. Doch iſt ſelbſt in dieſen Spät⸗

8 . perioden der urſprüngliche Sinn Abb. 11. Gemme aus der Idaifden Grotte noch oft genug deutlich erkennbar. auf Kreta. (Nach Schuchhardt, Alteuropa, Ich benutze die ſich bietende Abb. 45.) Gelegenheit, um hier auch noch einmal auf ein anderes, von mir gleichfalls ſchon (Religion der Indogermanen 8. 149ff.) eingehend be⸗ handeltes Vergleichsbild zu ſprechen zu kommen, nämlich das des Phaſen⸗ wechſels mit dem Aus- und Einſchlüpfen einer Schnecke in ihr Gehäuſe. Der Schwarzmond wird dabei mit dem dunkeln Gehäuſe, der ab⸗ und zu⸗ nehmende Mond mit dem ein⸗ und ausſchlüpfenden Tiere verglichen. Außer den bereits a. a. O. behandelten Darſtellungen liegt dieſes Mythenmotiv auch noch einer Gemme aus der Idäiſchen Grotte auf Kreta zugrunde (Abb. 11). Wir bemerken hier auf einem altarartigen Unterſatze ein mondförmiges Gebilde, aus dem ähnlich, wie auf der a. a. O. S. 169, Abb. 195 wiedergegebenen Daphiogemme ein dreifaches Bäumchen hervorwächſt, davor aber eine Frau mit einer Muſchel in der Cinken. Auch hier kann, wie das Mondbild mit dem dreigeſtaltigen Bäumchen deutlich zeigt, nur eine lunare Kulthandlung vor⸗ liegen, auf die daher auch die Muſchel bezogen werden muß. Zum Überfluß wird die kosmiſche Bedeutung der Szene auch noch durch den neben dem Altar befindlichen Stern veranſchaulicht, der wohl kaum etwa anderes als die Venus bedeuten kann, mit der ja der Mond vielfach verbunden erſcheint. (Dgl. a. a. O. S. 155 ff.).

17] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 51

Jum Schluß möchte ich noch kurz auf eine Reihe auffallender Geſten bei vorgeſchichtlichen Darſtellungen eingehen, die meines Erachtens gleichfalls nur vom Standpunkte des Mondmythos aus, alſo nach der obigen Begriffs⸗ beſtimmung als Dergleichsbilder mit den Erſcheinungsformen des Mondes verſtändlich werden. Un ſich können ja die mannigfachen Geſten, die im gewöhnlichen Leben, wie im religiöſen Kulte Verwendung finden, ſehr ver⸗ ſchiedenen Urſprungs ſein. Sie können rein expreſſioniſtiſcher Art ſein, wie ſie ſich ſchon in der Tierwelt finden. Der hund gibt ſeiner Stimmung durch rhythmiſches Schwanzwedeln, der Vogel durch rhuthmiſche Bewegungen des Kopfes Ausdrud, und auch das hüpfen und Springen, das ſich zu rhuthmiſchen Tanzbewegungen ſteigert, bildet letzten Endes nichts weiter als die Außerung eines Affektes. Sie können ferner reflektoriſcher Art ſein. Das Pferd ſpitzt die Ohren, wenn es eine Gefahr wittert. Ein hund mit ſchlechtem Gewiſſen zieht, wenn er ſeinen Herrn erblickt, den Schwanz ein und kuſcht ſich zuſammen, um dadurch gewiſſermaßen die Körperoberfläche gegen etwaige Schläge zu verringern. Ebenſo bildet das Vorwärtsſtrecken von Arm und Hand urſprüng⸗ lich eine rein reflektoriſche handlung, durch die man ein drohendes Unheil irgendwelcher Art abzuwehren ſucht. Noch andere Geſten beruhen lediglich auf einem Mitteilungsbedürfnis, fo das Nicken und Schütteln mit dem Kopfe, mit dem wir eine Bejahung oder Derneinung ausdrücken, während beim Japaner dieſe Geſten gerade das Umgekehrte bedeuten. Der bei weitem größte Teil der Geſten aber, darunter auch viele der ſoeben erwähnten Mit⸗ teilungsgeſten (Geſte des Prügelns, des Geldzählens, der Begattung, die ſogenannte Seige u. a. m.) dürfte mimiſcher Art fein, alſo auf der Nach⸗ ahmung irgendwelcher Gegenſtände oder Bewegungsvorgänge beruhen. Unter dieſen mimiſchen Geſten ſpielen nun diejenigen, die die mannigfachen Er⸗ ſcheinungsformen des Mondes und insbeſondere der Mondſichel nachahmen, im religiöſen Leben und dem damit zuſammenhängenden Jauberglauben eine beſonders wichtige Rolle.

Einen hierher gehörigen i 0 die herausgeſtreckte Zunge, die die erſte und letzte Mondſichel nachahmt, hatten wir ſchon oben kennen gelernt. Auf fie brauchen wir daher hier nicht nochmals einzugehen.

Ein anderer ſehr häufig vorkommender apotropäiſcher Geſtus iſt die ſogenannte Mano cornuta oder lunata, die, wie ja auch ſchon der Name beſagt, die beiden Spitzen der Mondſichel nachbildet. Seine Verbreitung und apotropäifche Bedeutung in voll⸗, früh: und vorgeſchichtlicher Zeit habe ich eingehend in Mannus VI, 15ff. behandelt, ſo daß ich hier gleichfalls nicht weiter darauf einzugehen brauche.

In ſehr großer Zahl erſcheinen ferner weibliche Figuren, die die hände auf die Bruſt oder den Leib gelegt haben. S. Reinach hat in dieſem wie in einigen verwandten, noch zu beſprechenden Geſten lediglich „eines jener Hilfsmittel einer ungeſchickten und bäuerlichen Kunft, die Probleme der Arme zu löſen“, erblicken wollen. (’Anthr. VI, 309). Indeſſen iſt dieſer Auffafjung ſchon hörnes mit guten Gründen entgegengetreten. „Gewiß war die Anbringung und Stellung der Arme eine Verlegenheit für die primitive Kunſt. Aber fie konnte dieſelben ja ſteif am Körper herabhängen laſſen, wenn ſie ſchon einmal überhaupt da ſein mußten. Allein fürs erſte braucht ein echt prähiſtoriſches Bildwerk aus der Jeit der älteſten Idole gar keine Arme, wenn es nichts damit zu verrichten hat, und tatſächlich finden ſich ja genug menſchliche und tieriſche Figuren, deren Extremitäten nur durch Stum- mel oder überhaupt nicht angedeutet ſind. Wo aber Urme angebracht ſind,

4*

52 Georg Wilte [18

welche nicht jteif herabhängen, ſondern ſummetriſch erhoben, auf den Leib gelegt oder in irgendeiner anderen Weiſe geſtellt ſind, da möchten wir überall annehmen, daß dies einen ganz beſtimmten Sinn hat“. Welches dieſer Sinn war, hat hörnes freilich nicht verraten und ſelbſt nicht ver: mutungsweiſe anzudeuten gewagt, und ſo müſſen wir denn daher ſelbſt eine Antwort auf dieſe Frage zu finden ſuchen. ir erhalten ſie, wie ſo oft, bei den Natur⸗ oder Halbfulturvdlfern der Gegenwart, bei denen ſich die Erinnerung an ältere religiöſe Dorjtellungen und damit zuſammenhängende kultiſche Bräuche noch sehr oder weniger lebendig erhalten hat. Nun finden wir denjelben Geſtus, wie ſchon R. Duſſaud (Histoire et religion des Nosairis 1900, S. 98; 172) feſtge— ſtellt hat, bei den Noſſairiern in Nordweſtſyrien wieder, wo die Frauen noch heute mit ihm das erſtmalige Wiedererſcheinen der neuen Mondſichel nach der Ronjunktion begrüßen, während die Männer zu dieſem Zwecke den Daumen ausſtrecken. Der Geſtus hat aljo zweifel— los eine lunare Bedeutung und wir dürfen daher Böklen jedenfalls beiſtimmen, wenn er in ihm eine Nachahmung der Mondſichel erblickt (a. a. O. S. 69f). Daß man in der Tat die Mondſichel gern mit ein paar leuchtenden Armen verglich, zeigt u. a. deutlich ein Ders der Edda, wo (der Sonnengott) Sreyr von (der Mondgöttin) Gerd rühmt: Dom Glanze ihrer Arme erglühte der himmel Und all das ewige Meer und bei den Griechen homers führen Hera und Selena wiederholt den Beinamen Aevxddevoc, die „weißarmige“. Dieſer Auffafjung entſpricht nun auch ſehr gut die Art des Auftretens dieſes Geſtus. Be— ſonders häufig finden wir ihn bei der ägup—

Abb. à 12. Druſenheim im Elſaß. Nach

- Steinart von

einer mir vom Dorgelc. u. Gallo-Röm. Muſeum in

Straßburg gütigſt über

mittelten Nachbildung. Die

(wohl weibliche) Sigur iſt

anſcheinend ſitzend und hält

die Arme über die Bruſt. C. 32,5 Br. 5 em 1).

tiſchen hathor und der babylonijchen Istar und den mit ihr identiſchen ſonſtigen Göttergeſtalten, wie der Eſchghanna u. a. m. In der chethitiſchen Runſt ſehen wir ihn u. a. bei einer weiblichen Bronzeſtatuette vom Beginn des 2. Jahrtauſend. In Troja findet er ſich außer bei zahlreichen rohen Tonfiguren bei einer weiblichen Bleifigur mit Hakenkreuzvulva, deren lunare Bedeutung ich in

meinem Buche (Rel. d. Indog. S. 183, Abb. 237) dargetan zu haben glaube.

1) Die Sundumjtände find durchaus geſichert, doch hält S

aeffer (Les haches de

jierre néolith, du Mus. de Haguenau 1924. S. 24 ff.) die einheimiſche Herkunft für zweifel⸗ haft. Der Arttypus, der zwar auch in franzöſiſchen Sammlungen nicht ſelten vertreten ijt, bier aber durchweg ohne authentiſche Sundortsangabe (Mortillet Mus. preh. 581) ähnelt

—— —— ——— ?: nn

—— —— . ee >

19] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmuthenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 53

Im donauländiſchen Formenkreiſe erſcheint er bei zahlreichen Ton- und Marmor- figuren, darunter auch bei den thronenden Göttinnen, die durchaus den thronen— den Mondgottheiten Vorderaſiens und Maltas ähneln und als ſolche bisweilen auch noch durch die Spiralvulva gekennzeichnet werden. Ebenſo findet ſich der Geſtus bei der gleichfalls thronenden Frauenfigur auf dem Steinbeile von Druſenheim im Elſaß, alſo einem Geräte, deſſen enge Beziehungen zur Mond— Ergottheit ich ſchon mehrfach dargetan habe (Abb. 12). Ganz gleichartige Idole wiederholen ſich dann auch im kretiſch-mykeniſchen Formenkreiſe, wo der lunare Charakter der Gottheit bisweilen auch noch durch Tauben und ſonſtige Mondattribute betont wird (Rel. d. Indog. S. 148, Abb. 61). Aus etwas jüngerer Zeit endlich führe ich als Beiſpiel eine italiſche Darſtellung einer Geburtsgöttin an, denn auch die Geburtsgottheiten, wie die griechiſche Eileithuia, die äguptiſche Iſis-hathor, die vorhin genannte, durch Halbmonde gekennzeichnete altmexikaniſche Teteoinnan und zahlreiche andere entpuppen ſich überall als echte Mondnumina. Endlich findet ſich der Geſtus auch ſehr häufig bei gewiſſen Geſichtsgefäßen, ſo namentlich auch denen im Mond— heiligtum der Huaca de la Luna bei Moche in Peru, deren lunare Bedeutung wohl von keiner Seite beſtritten wird (a. a. O. S. 171, Abb. 203).

Abb. 13. Babuloniſche Zylinder. Abb. 14. Babuloniſche Kultizene. Über Nach Jeremias, Abb. 179. dem Altar Mondſichel mit Venus. Daz neben Stauen mit auf die Bruſt gelegten

Armen. Nach Jeremias, Abb. 138.

Aber nicht nur bei ausgeprägten Mondgottheiten begegnen wir dem Geſtus, ſondern auch bei menſchlichen Figuren in Darſtellungen, die den Mond— kult behandeln. So auf einem Zylinder von Suſa (Abb. 20), der (I. u.) die auf einem Tiere knieende Mondgottheit mit dieſem Geſtus und davor eine knieende Adorantin mit der gleichen Gebärde zeigt. (Jeremias, Handb. d. alt. Geijtes- kultur S. 259, Abb. 164). Ebenſo auf einem babuyloniſchen Zylinder, der den durch einen Halbmond gekennzeichneten thronenden Mondgott Sin und davor wiederum eine Adorantin mit der fraglichen Urmhaltung zeigt (a. a. O. 280, Abb. 179) und auf einem andern Zylinder, auf dem zwei Frauen mit dieſem Geſtus vor einem Altar ſtehen, deſſen lunare Bedeutung durch die darüber befindliche Mondſichel klar genug veranſchaulicht wird (Hbb. 14). Und auch im keretiſch-mukeniſchen Formenkreiſe find gleichartige kultiſche Szenen, die ſich nur auf eine Mondgottheit beziehen können, häufig genug dargeſtellt.

am meiſten gewiſſen Pfahlbautupen, unterſcheidet ſich aber von ihnen durch die außer⸗ gewöhnliche Größe (Schaeffer, a. a. O.). Weiter oſtwärts erſcheinen ähnliche Sormen in Butmir. Mit dem Balkangebiet verbindet die Sigur auch noch eine gewiſſe Stilverwandt- ſchaft, doch erſcheinen dort derartige Darſtellungen immer nur als Dollfiguren. (hornes, Urgeſch. d. Kunſt 2. S. 317 und 319). Außerdem finden ſich ähnliche Sitzfiguren auch in hagiar Rim und anderen Stationen auf Malta (Schuchhardt, Alteuropa, Taf. XXII).

54 Georg Wilke [20

Noch klarer erkennbar ijt der mimiſche Charakter bei einem anderen religiöſen Geſtus, nämlich den emporgehobenen und im Ellbogen leicht gebeugten Urmen, die ganz unmittelbar an die Mondſichel gemahnen, während das Ajchenlicht dem Ropfe entſpricht (Abb. 15). Die Arme find

ö dabei urſprünglich offenbar ſeitlich ausgeſtreckt, wie bei Abb.16, DB und erſt ſpäter halt man fie mehr nach vorn (Abb. 17). Diefe Adorantenjtellung, wie man den Geſtus gewöhnlich ſchlecht— EAN hinbezeichnet, findet ſich gerade bei ſolchen Darſtellungen un— Abb. 15. Mond⸗ gemein häufig, die die Derehrung des Mondes, namentlich der fihel mit dem neu erſcheinenden Mondſichel veranſchaulichen. So auf alt- noch als Aſchen⸗ babuloniſchen und altperſiſchen Siegeln, die die Gottheit im licht erkennbaren Aſchenlichte des Mondes zeigen und ebenſo ungemein häufig beſchatteten Teil auf kretiſch⸗mukeniſchen Gemmen, hier meift in Derbindung mit einer weiblichen Gottheit, die durch den neben ihr ſtehenden Hörneraltar und den meiſt dreiteiligen Baum deutlich genug als Mondgottheit gekennzeichnet wird. In einer äguptiſchen Seljenzeichnung zeigt den Geſtus | eine Perjon vor einem Wagen, der wohl nur als Mondwagen gedeutet | werden kann, und in einer nordiſchen Seljenzeichnung ſehen wir den Geſtus | in Verbindung mit einem Wagen mit darauf befindlicher Radfigur, den man f zwar gewöhnlich ohne weiteres für den Sonnenwagen hält, der aber ebenjo- | gut als Mondwagen aufge: 7 faßt werden kann (Rel. d. Ys Indogerm. S. 124, Abb. 135). I H*. Die älteſten Darſtellungen dieſer UHrmhaltung gehen bis

7 * FR

e 8 £ I

Abb. 16. Siegelzulinder, den „Mann im Monde“ (im Abb. 17. Adorantin vor einem Aſchenlicht bei Neumond) darſtellend. Daneben zwei „Gegenfüßler“. Zylinder von Curium. phantaſtiſche Weſen in Adorantenitellung. seh Scots CHR. Zypern, Taf.

Nach Jeremias, a. a. O. Abb. 52. LXXV, 4). hinſichtlich der Bedeutung

der Gegenfüßler vgl. Wolfg. Schultz,

3eiktehniing u. Weltordnung. S. 236.

ins weſteuropäiſche Paläolithikum zurück, wo wir ihr mehrfach bei Tänzern in Tiermasken begegnen.

Weniger durchſichtig hinſichtlich ſeiner Entſtehung iſt das Knien und Kniren, das bei der Begrüßung des Mondes gleichfalls eine ſehr wichtige Rolle ſpielt. Noch in dem Traktat des Thomas Ebendörfer von heſſelbach (13871464) de decem pracceptis heißt es zum erſten Gebote: „Gegen dieſes Gebot verſündigen ſich diejenigen, die beim Erſcheinen des Mondes nach dem Neumond (d. h. dem Schwarzmonde) die Knie beugen“, und ähnlich klagt der brave Magiſter Nikolai in ſeiner aus der gleichen Zeit ſtammenden Schrift über den Aberglauben: „Außerdem finden ſich heutzutag Leute, ſowohl Caien wie Kleriker, Gelehrte wie Ungelehrte, und was noch mehr zu beklagen

21] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 55

iſt, ſehr hochſtehende (valde magni), die, w wenn ſie zuerſt den Neumond ſehen, ihn mit gebeugten Knien anbeten.“ Nach ungariſchem Volksglauben ſitzt im Monde ein alter kniefällig betender Mann Geitſchr. f. Ethnol. 1887, S. 26), und auch bei den Naturvölkern tritt uns die gleiche Verknüpfung ent⸗ gegen. So bedeutet der Name Tſui Koab des hottentottiſchen Mondgottes nach ville ee Religions des peuples non-civilisés 1883 I 169ff.) „Der:

Abb. 18. Altba Son Sieges3ylinder aus Telloh Abb. 19. Gemme von Curium. (Gudea-Jeit). Göttin unter den Zweigen eines heiligen Kniende gefäßtragende Sigur. Baumes knieend. Rechts davon Opferſzene mit Rauch— 0 . pern, altar. Taf. LXXIV, 6. Hinſichtlich der

lunaren Bedeutung pet Ne

tragenden Figur ilke,

Relig. d. 5 9 12

wundung am Knie“, und die Kongoneger pflegen beim Erſcheinen der neuen Mondſichel auf die Knie zu fallen mit dem Rufe: „So möge ich mein Leben erneuern, wie Du erneuert biſt“ (Tylor, Anf. d. Kult. I 349).

Dieſen volkskundlichen und ethnologiſchen Tatſachen entſprechen nun auch zahlreiche archäologiſche Zeugniſſe nen 2 Kniende BR ei treffen

SAY

40

NUN NEIN EP:

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Abb. 20. Siegeszulinder aus Sufa. Yan es e Handb. d. alror. Geiſteskultur. 164.

wir in Ägypten und in indiſchen Cairns (Wilke, Kulturbeziehungen zwiſchen Indien, Orient und Europa, S. 54, Abb. 81). Kniend dargeſtellt iſt eine gefäßtragende Sigur auf einer Gemme von Curium (Abb. 19). Auf einem Löwen kniend erſcheint auf dem bereits erwähnten altelamitiſchen Siegel- zulinder die Mondgöttin Eſch-Ghanna (Abb. 20), zwiſchen zwei Löwen oder phantaſtiſchen Tieren knieend mehrfach die Mondgottheit Gilgames auf chethitiſchen Reliefs von Sendſchirli und Rarkemiſch (O. Weber, Die Runſt der Hethiter; Orbis pictus Bd. 1, Taf. 22 und 23) und ebenſo iſt die Toten-

56 Georg Wilfe [22

gottheit auf dem bekannten Labarturelief, das die Fahrt über den Totenfluß veranſchaulicht, knieend dargeſtellt. Im kretiſch-mykeniſchen Kulturfreije er⸗ ſcheint auf einer kretiſchen Münze Minotauros, eine meines Erachtens zweifelloſe Mondgottheit, knieend (Rel. d. Indog. S. 186, Abb. 245; vgl. auch unten S. 59). Noch häufiger aber finden wir den Geſtus bei kultiſchen Darſtellungen, die fic) auf die Begrüßung der neuen Mondſichel oder der durch den Hörneraltar mit dem dreiteiligen Baum als Mondnumen gekenn— zeichneten Gottheit beziehen (Abb. 21). So beſonders wieder auf altbabulo— niſchen Zylindern und Gemmen des kretiſch-mykeniſchen Rulturkreiſes.

Daß alſo das Knien und Kniren mit den Dorjtellungen vom Monde und dem Mondkult urſprünglich aufs engſte verknüpft iſt, und daß es irgendwie aus den am Mond ſelbſt wahrnehmbaren Erſcheinungen heraus entſtanden ſein muß, kann in Anbetracht dieſer zahlreichen Tatſachen kaum beſtritten werden. Unhaltbar erſcheint mir nur die von Böklen, a. a. O. S. 70 ver- ſuchte Erklärung, daß man „die Mondſichel als ein Knie angeſehen habe“, denn dieſer Vergleich ijt doch, wie ich meine, etwas ſehr fern liegend. Wir

=

Abb. 21. Siegel aus Coll. de Clereq II Abb. 22. Goldrin

pl. VII 50 bis. Die Gottheit im Monde Altar mit Mondſichel Sanne davor ſich

e bei Neumond). Darunter verneigende Frau. Rechts: Altar mit Bäum—

nieender Mann mit erhobenen Armen. chen; davor knixender Mann. Langrange, Nach Jeremias, Abb. 50. La Crète ancienne.

werden uns alſo vorläufig wohl mit der Feſtſtellung der Tatſache zu begnügen haben, die Erklärung dafür aber der Zukunft überlaſſen müſſen.

Weit verſtändlicher erſcheint das Derneigen oder Derbeugen, von dem das einfache Kopfniden nur eine abgeſchwächte Form bildet. Denn dieſer Geſtus gleicht in der Tat ſehr gut der Mondſichel, kann alſo urſprünglich ſehr wohl eine Nachahmung von ihr bedeuten. Und daß auch dieſer Geſtus tatſächlich mit dem Mondkulte aufs engſte verknüpft iſt, bezeugen uns zahl— reiche, 3. T. noch heute fortlebende und auch für das Altertum ſchriftlich belegte Dolfsbrauche. Noch heute findet ſich vielfach die Sitte, ſich beim Er— ſcheinen der neuen Mondſichel dreimal zu verbeugen und dabei auf die Taſche zu klopfen, weil man dann immer Geld im Portemonnai hat. Und in den Cevennen und im Departement Gard herrſcht der Bauernglaube, daß, wer ſich beim faßt Erblicken der neuen Mondſichel nicht bückt, ſich auf großes Unheil gefaßt machen muß. Ebenſo wurden nach Platon (neoi vouwv 887 E) bei Hellenen und Barbaren Sonne und Mond durch roocxviéoerc und mpocxurjoerc bei ihrem Unter- und Aufgange verehrt.

Huch dieſer Geſtus ijt archäologiſch, namentlich für den kretiſch-mykeni— ſchen Formenkreis, vielfach belegt, und zwar findet er ſich hier durchweg nur in Verbindung mit Hörneraltaren u. dgl., über deren lunare Bedeutung

23] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunſt 57

kein Zweifel obwalten kann (Abb. 22). In noch früherer Jeit erſcheint er mehrfach bei den ſpätneolithiſchen Tonfiguren des ſiebenbürgiſch⸗donau⸗ ländiſchen! Sormenkreiſes, die dann in ganz gleicher Weiſe in den kupfer⸗ zeitlichen Siedlungen Theſſaliens wiederkehren.

Wenn der Geſtus in jüngerer Zeit auch bei der Sonnenverehrung geübt wurde, ſo dürfte wohl nur, wie wir es auch ſonſt ſo oft beobachten, eine einfache

rtragung einer urſprünglich nur dem Monde zukommenden Handlung vorliegen. Noch ſpäter mag dann der Geſtus zu einer allgemeinen Anbetungs- form geworden ſein, bis er dann ſchließlich zu einer bloßen profanen Huldigungs- und Begrüßungsform gegenüber höherſtehenden Perſonen wurde.

Mit dieſem hängt augenſcheinlich noch ein anderer höchſt eigentümlicher, von mir bereits im Mannus VI, S. 26 ff. beſprochener Geſtus zuſammen, nämlich das Entgegenhalten des entblößten Geſäßes, das, wie ich a. a. O. ausführlich dargetan habe, zu einer ausgeprägten apotropäiſchen handlung geworden iſt. In der Regel wird ja bei der (urſprünglich die Mond⸗ ſichel nachahmenden) Begrüßungsverneigung oder -verbeugung dem Be⸗ grüßten das Geſicht zugewendet. Bei manchen Völkern aber erfolgt dieſe e Hang mit umgekehrter Front, und die Verbeugung iſt dann bisweilen, wie beiſpielsweiſe bei den Fulbefrauen, eine ſo

tiefe, daß der Begrüßte nur noch das Geſäß zu ſchauen | befommt. | 18

Daß auch hierbei beſtimmte Mondmuthen mit im

Spiele geweſen ſind, zeigt ſehr deutlich eine lettiſche Sage:

„In den alten Zeiten war der Mond ebenſo glänzend wie

die Sonne. Aber einmal gingen zwei junge Mädchen zum

Brunnen, um Waſſer zu holen. Die eine von ihnen ſagte:

O wie glänzend der ijt! Die zweite entgegnete: Mein abb. 23. aus⸗ hinterer iſt viel glänzender als er und zeigte den bloßen ſchnitt aus den hintern. Sogleich nahm der Mond die Spötterin weg, Selſenzeich⸗ und noch heute ſieht man fie mit ihrem Tragbrett dort, wo nungen v. Soſſum. ſich der ſchwarze Fleck im Monde befindet. Seit der Zeit

hat der Mond ſeinen ſchönen Glanz verloren“ ). Hier wird alſo der Voll⸗ mond ganz unmittelbar mit dem glänzenden Geſäß verglichen. Doch liegt offenbar ein analoger Vergleich mit dem Schwarzmond vor, wenn herakles in der Erzählung von den beiden feindlichen Brüdern Olos und Eurybatos den Beinamen Melaorvyog „Schwarzarſch“ führt). Die letzten Spuren dieſes Mythenbildes liegen jedenfalls in der früher im Volke vielfach kreiſenden Erzählung vor, daß die Sproſſen aus altadligem Geſchlechte ſich anderen Sterblichen gegenüber durch die ſchwarze Farbe dieſes Körperteils auszeichneten, und ich entſinne mich noch ſehr gut, wie enttäuſcht wir Jungen waren, als wir einſt beim Baden in der Mulde feſtſtellen mußten, daß ein adliger Altersgenoſſe ſich von uns durchaus nicht in dieſer Beziehung unterſchied.

Als archäologiſches Zeugnis für dieſe Vorſtellung kann man wohl die ſchon vorhin erwähnte Zwillungsdarſtellung in dem Felſenbilde von Foſſum (Abb. 23) betrachten, wo die beiden Zwillinge einander das Geſäß zuwenden und auf dieſes durch die darauf gelegte hand noch beſonders die Aufmerffam- keit des Beſchauers hingelenkt wird. Ebenſo bedeuten vielleicht die ſoeben ange⸗

1) enti Zinciem, Wiffendorf: Comment la lune perdit sa lueur, Legendes : a in der Rev, des trad. pop. vol. 7, 1892, S. 553. Dgl. aud) Böklen, „a. O. 47.

98 Georg Wilke [24

führten donauländiſchen Siguren mehr als einen einfachen Derbeugungsgeitus, da auch hier das Geſäß bejonders ſtark betont erſcheint. Und noch deutlicher liegt meines Erachtens der Geſtus bei einer paläolithiſchen Figur von Com— barelles vor Augen, bei der die Übſicht des Künftlers kaum zu verkennen iſt (Religion d. Indogerm. S. 19, Abb. 30).

Endlich noch ein Aach merkwürdiger, in der vorgeſchichtlichen Kunit ungemein häufiger, in Agupten ſchon in vorduynaſtiſcher Zeit nachweisbarer und auch in Kreta bis ins Early Minoan zurückreichender Geſtus, den ich bereits in meinem Buche „Rulturbeziehungen zwiſchen Indien, Orient und Europa“, S. 55 ff. beſprochen habe, ohne mich aber dort auf den bereits damals von mir vermuteten Urſprung davon einzulaſſen. Es find dies Siguren, die die eine hand auf den Kopf, die andere an die Schamteile oder auf den Unterleib legen. Diejer Geſtus, den man auch noch bei manchen der eiſernen Dotivfiguren in den heiligenkapellen der Oſtalpenländer

Abb. 24. Darſtellung am Peter-Paulsturm in hirſau. Nach Jung, Germaniſche Götter und helden in chriſtlicher Jeit. J. §. Lehmanns Derlag, München.

(Muſ. f. Oſterr. Volkskunde in Wien. J. Nr. 7876) und bei einer männlichen ſitzenden Sigur am Peter-Paulsturm in Hirjau (Abb. 24) wahrnimmt, findet ſich heute vor allem bei den kultiſchen Tänzen gewiſſer Naturvölker, die dieſe be— ſonders zur Begrüßung des Neumondes aufführen. Im klaſſiſchen Altertum bemerken wir ihn vielfach bei Gottheiten, die, wenn ſie vielleicht auch nicht geradezu lunaren Urſprungs find, doch jedenfalls allerhand lunare Züge auf— genommen haben, wie beim Apollo Cukeios des Praxiteles, bei einer Apollo= figur aus Bulgarien (Kalinka, Antike Denkmäler aus Bulgarien. S. 151, Abb. 45), bei einer Apollodarjtellung von Székeluföldvär in Siebenbürgen (Abb. 25) und namentlich bei Darſtellungen des Dionyjos (Abb. 26), deſſen lunaren Charakter ich in meinem Buche, Religion der Indogermanen. S. 160f. genugſam dargetan zu haben glaube. Und daß dieſer Geſtus auch ſchon in vorgeſchichtlicher Zeit mit dem Mondkulte zuſammenhing, lehren nicht nur einige hallſtattzeitliche Darſtellungen, bei denen er in Verbindung mit Booten, mit Dogelprotomen, mit gehörnten Vögeln, und ſelbſt bei Figuren mit heraus—

| |

25] Weitere Beiträge zur Frage der Mondmythenmotive in der vorgeſchichtl. Kunft 59

geſtreckter Zunge (vgl. oben S. 37ff.) erſcheint, ſondern das zeigt vor allem auch der ſchon oben erwähnte altelamitiſche Siegelzylinder von Suſa, auf dem vor der löwenbändigenden knieenden Gottheit ein Adorant dieſe Gebärde macht (Abb. 20, obere Reihe). Ebenſo begegnen wir ihm bei dem oben erwähnten knieenden ſtierköpfigen Minotauros auf der Münze von Knoffos,

die auf der Riidjeite auch noch eine LT, förmige Caburinthfigur, alſo ein

gleichfalls ſehr ausgeprägtes lunares Symbol zeigt. Ich halte es daher für zweifellos, daß wir es auch hierbei mit einem urſprünglich rein lunaren Geſtus zu tun haben, der anfänglich ZT nichts anderes bedeutete, als dieerſte

| und letzte Mondſichel.

Abb. 25. Darſtellung eines Apollo von Abb. 26. Dionyjos. Keliefdarſtellung aus

Szetelyföldvar in Siebenbürgen. Nach Tranjylvanien. Nach Dolgozatok pp. Dolgozatok pp. 1916. S. 80, Fig. 21. 1916. S. 82, Sig. 22.

Wenn ich in meinem Buche über die Religion der Indogermanen S. 149 zu der Auffaffung gelangt bin, daß aus den älteren vorgeſchichtlichen Abſchnitten für keine Gottheit ſoviel archäologiſches Material vorliegt, wie für die Mondgottheit, jo hat dieſe Auffafjung durch die vorſtehenden Unter: ſuchungen, wie ich meine, eine weitere kräftige Stütze erhalten, und man wird daher gut tun, künftighin bei Deutungsverſuchen rätſelhafter vorgeſchichtlicher Daritellungen jtatt, wie meiſt bisher, die Sonnenmythen, die Mondmythen in erſter Linie ins Auge zu faſſen. Den Anfang dazu hat ja ſchon J. Bing bei ſeiner Deutung der nordiſchen Felſenzeichnungen gemacht.

meee oll Maer.

Altſteinzeitliche Funde aus Weſtfalen.

Von Privatdozent Dr. Julius Andree, Münſter i. W. Mit 2 Tertabbildungen.

J. Die ,Sporfer Mulde” bei Grevenbrid i. W. Mit zwei Abbildungen im Tert.

Den altſteinzeitlichen Junden Weſtfalens ijt bisher nicht rechte Auf- merkſamkeit geſchenkt worden. Etwa in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte eine rege Unterſuchung der weſtfäliſchen Höhlen eingeſetzt. Sie ging in der Hauptſache wohl aus von dem bekannten Oberberghauptmann v. Dechen in Bonn, der in feinen Bemühungen unterſtützt wurde von Fuhl⸗ roth, dem Entdecker des Neandertalers, und von dem Bonner Anatomen und Anthropologen Schaafhauſen. Die Ergebniſſe der Unterſuchungen wurden meiſt in den „Verhandlungen des Naturhiſtoriſchen Dereins für Rheinland und Weitfalen“ niedergelegt; die Sunde wanderten in Mujeen des Rheinlandes. Weſtfalen hatte damals keine Univerſität; fein Menſch intereſſierte ſich für dieſe für die Vorgeſchichte Weſtfalens fo wichtigen Aus= grabungen. Und jo geriet manches in Vergeſſenheit.

Die einzigen neuzeitlichen Veröffentlichungen, die auch altſteinzeitliche Sunde in Weſtfalen behandeln, ſind R. R. Schmidt „Die diluviale Vorzeit Deutſchlands“, 1912, und §. Wiegers „Diluvialprähiftorie als geologiſche Wiſſenſchaft“, 1920. In dieſen beiden umfaſſenden Arbeiten werden jedoch nur Artefakte aus der Martinshöhle bei Cetmathe, der Seldhofshdhle und einige wenige aus der Balver Höhle im Hönnetal erwähnt.

Es dürfte daher notwendig ſein, endlich einmal auf Grund aller alten Berichte und der noch vorhandenen Sunde feſtzuſtellen, in welchem Umfange die ältere Steinzeit im höhlendiluvium Weſtfalens vertreten iſt.

ih Eos die Balver Höhle habe ich letzthin anderwärts ausführlich be⸗ richte

Nun haben in den kürzlich erſchienenen Erläuterungen zu Bl. Alten⸗ hundem der geologiſchen Spezialkarte (Berlin, 1922) W. henke und W. E. Schmidt auf das Vorkommen diluvialer Ablagerungen in Spalten des Maſſen⸗ kalkes der Grevenbrücker Gegend und vor allem auch auf das Vorkommen menſchlicher berreſte darin erneut hingewieſen.

1) Die e aus der Balver höhle. Zeitſchr. f. vaterl. Geſch. u. Altertumsfunde. Bd. 82 ünſter i. W. 1924.

2] | Altfteinzeitliche Sunde aus Weftfalen 61

Uns intereſſiert hier zunächſt ein Fundpunkt bei Grevenbrück, die fog. „Sporker Mulde“ bei Heipede, in der ſich paläolithiſche Artefakte ge⸗ funden haben.

Bei dem Dorfe Heipede unweit Sporke (nördlich von Grevenbriid) befanden ſich früher zwei „Höhlen“ oder vielleicht beſſer gejagt, zwei größere Spaltenausfüllungen im mitteldevoniſchen Maſſenkalk. Von der einen der „höhlen“, der „Sporker Mulde“ in der „Sporker Schlade“ liegen zwei Berichte vor, erſtens von Fuhlroth (Verh. d. Naturhiſt. Der. f. Rheinl. u. Weſtf. 26. 1869, Rorr.⸗Bl. S. 122) und zweitens von Dechen (Verh. d. Naturhiſt. Der. f. Rheinl. u. Weſtf. 28, 1871, Rorr.⸗Bl. S. 85 u. 108; ferner Erläuterungen zur geol. Karte v. Rheinl. u. Weſtf. II, 1884, S. 793). Fuhlroth ſowohl wie v. Dechen haben die „Sporker Mulde“ teils ſelbſt unterſucht, teils ſtützen fie ſich in ihren Ausführungen auf Mitteilungen eines W. hüttenheim aus Grevenbrück.

Sublroth ſchildert die ,Sporfer Mulde“ als eine „kluftartige Senkung von ovaler Form, 50 Sug [15,5 m] lang, 25 Fuß [7,75 m] breit und nach dem Profil 20 SuB [6,20 m | tief.“ Die höhlenausfüllung war durch den Stein- bruchsbetrieb aufgeſchloſſen. Es ließen ſich nach Suhlroth ſechs Schichten unterſcheiden:

I. (unterſte) Schicht: 3 Sub (0,95 m) mächtig, aus ſcharfkantigen Steintrümmern, die ſchwach durch Kalkſinter verkittet waren. |

II. Schicht: 6 Fuß (1,86 m) mächtig, von weißlichem Ausfehen. Kalkiger Cehm mit vielen (/ der ganzen Maſſe) geglätteten oder abgerundeten, groben Kalkgeröllen. Tieriſche Überreſte ſehr häufig.

III. Schicht: Fuß (0,77 m) mächtig. Wie J.

IV. Schicht: 5 Sub (1,55 m) We Me Dunkelgelber bis ſchwarzbrauner Tehm; die Hälfte der Maſſe bilden „Rolliteine” aus Kalkſtein. Überall in der Schicht kleine Körner von Brauneiſen. Knochenreſte zahlreich. In der Schicht ließen ſich vier Abteilungen unterſcheiden. Zu unterſt:

IVa. ca. ½ Sub (0, 16 m). Cocker, gelblich, ziemlich glatt gerollte

Geſchiebe. Viele Knochen.

IVb. 2 Suß (0,62 m). Bräunlich, ſtreifenweiſe dunkelbraun.

Zahlreiche abgerundete Geſchiebe. Diele Knochen.

IVe. Fuß (0,46 m). Don peti gelblicher Sarbe, dicht.

Wenige, kaum merklich abgeſchliffene Geſteine. Sajt knochenleer.

IVd. 1 Suß (0,51 m). In Farbe und Zuſammenſetzung wie IVb, aber faſt knochenleer.

V. Schicht: 1 Fuß (0,51 m) mächtig. Wie I und III.

Vl. Schicht: Fuß (0,77 m). Lehm mit ſcharfkantigen Steintrüm⸗ mern. Vielleicht alluvial. Keine Knochen.

v. Dechen lernte die „Sporker Mulde“ offenbar ſpäter kennen als Fuhlroth. Die Breite im fufſchluß an der Tagesoberfläche betrug 3,76 m bei einer Tiefe von 7,22 m. Aus dieſen Angaben geht hervor, daß infolge des fortſchreitenden Steinbruchbetriebes auch die höhlenausfüllung weg⸗ geräumt war und daß das Profil v. Dechens etwa 6 m von dem nun nicht mehr vorhandenen Profil Sublroths entfernt geweſen fein muß. Nach d. Dechen ließen ſich folgende vier Schichten feſtſtellen (von oben nach unten):

1. Schicht: „Dammerde und Lehm“, 0,63 —0,94 m mächtig, nach unten hin mehr und mehr mit ſcharfkantigen Bruchſtücken von Kalkſtein und Dolomit.

2. Schicht: 1,88 m mächtig. Lehm mit abgerundeten, mäßig großen Geröllen von Quarz, Quarzit und quarzitiſchem Sandſtein, gelbem und bräun⸗

62 Dr. Julius Andree [3

lichem Tonſchiefer, mit Brauneiſenſtein und mit vielen foſſilen Knochen. Die Schicht war dunkelbräunlich, ſtellenweiſe bläulichſchwarz mit helleren gelben Streifen, die jedoch nicht durchhielten. Zwei verſchiedene Komplexe konnten nnterjchieden werden, unten 2b) Seiter Lehm mit Neſtern lockerer Maſſen, im ganzen etwas 9 als die obere Partie. Überwiegend Knochen und Zähne vom är. 2a) Lockerer, wenig zuſammenhaltender Cehm, etwas heller als die untere Lage. Mit Knochen von Bär, Pferd und Rhinozeros.

nach Fuhlroth nach Dechen nn ee G. oo m az N. Schicht Orten oo A. Schicht .. 5 8 een Rrtefaxte™ V. 4,55 Fossi le Knochen 4.88 2.

Maßsstap 4:200 | J ,

Cx u. gaz · Abb.4.

D*Qadvee

Schematisches Längsprofri durch die HShienablagerungoen der

„Sporker Mulde?

3. Schicht: 0,94 m mächtig. Scharfkantige Bruchſtücke von Kalkſtein und Dolomit, regellos durcheinander liegend und durch geringe Mengen Kalkſinter miteinander verbunden. 3wifden den Bruchſtücken offene, leere Zwiſchenräume. Nur in die oberſten 16 bis 20 em war von oben etwas Lehm eingedrungen.

4. Schicht: ungefähr 3,46 —3,77 m mächtig. Bei 1,94 bzw. 2,22 m wurde infolge der Anhäufung großer Kalkſteinſtücke und Blöcke nicht weiter⸗ gegraben. Der obere Teil der 4. Schicht aus einer weißlichen, kalkigen Maſſe mit fauſtgroßen, rund und glatt abgeriebenen Kalkſteinen. Der untere Teil der Schicht ijt ebenfalls eine hellgefärbte Maſſe mit nicht abgerollten Kalk⸗ ſteinen, abgebrochenen Stalaktiten und Knochen. Letztere ſind nicht ſo häufig

4] Altfteinzeitliche Sunde aus Weſtfalen 63

wie in der 2. Schicht. Es fanden ſich: Ursus spelaeus, Cervus elaphus, Cervus capreolus, Bos und Equus.

Die Foſſilliſte von W. henke und W. E. Schmidt in den oben erwähnten Erläuterungen zu Bl. Altenhundem verzeichnet, leider ohne Angabe der Schicht: Ursus spelaeus, Cervus elaphus, Cervus capreolus, Cervus eury: ceros, Elephas sp., Rhinoceros sp., Hyaena sp., Felis spelaea Goldf., Canis lupus L., ? Meles sp., @ulo sp. 7 Eine Parallelijierung der von Suhlroth und von Dechen feitgeitellten Schichten läßt ſich leicht durchführen (Abb. 1).

Sublroth gibt Schicht V und I als beſondere Schichten an, während v. Dechen bei der 1. Schicht nur bemerkt, daß „nach unten zu mehr und mehr

Se haber. Klinge mit Kratzerende und gez, N. Andree. seitlichen Ein Kar bungen. Abb. 2.

ſcharfkantige Bruchſtücke von Kalkſtein und Dolomit“ auftreten und daß bei der 4. Schicht die Grabungen in 1,94 bis 2,22 m Tiefe eingeſtellt wurden, weil „größere Kalkſteinſtücke und Blöcke ein weiteres Eindringen verhinderten.“ VI und V find alſo 1 gleichzuſetzen, ebenſo II und I der 4. Schicht. Gute Über⸗ einſtimmung zeigen III und 3, ferner II und der obere Teil von 4. Bemerfens- wert iſt, daß nur IV und 2, ſowie II und die obere Partie von 4 Überreſte von foſſilen Säugetieren geliefert haben. Auch Schicht IV und 2 können trotz kleiner Unterſchiede ohne Bedenken miteinander paralleliſiert werden.

Nach W. hüttenheim (im Bericht v. Dechens) ijt das Vorhandenſein großer Blöcke und abgebrochener Stalaktiten in Schicht 4 der Beweis für einen Einſturz der höhlendecke. Sicher ijt dem zuzuſtimmen. Doch dürften Teile der Decke nicht nur einmal zuſammengebrochen ſein und ſich eine nach oben offene, trichterförmige Vertiefung gebildet haben, wie hüttenheim an—

64 Dr. Julius Andree, Altſteinzeitliche Funde aus Weſtfalen (5

nimmt, fondern id) bin vielmehr der Anſicht, daß dreimal eine Art Einſturz erfolgt iſt. Die fluswirkung hiervon ſehen wir in der Schicht I (zuſammen

v

mit dem unteren Teil von II) und der unteren hälfte etwa von 4, in den

b n Kieſelſchieferſtücke Guſammen mit Reiten vom Bär, Pferd und Rhinozeros) fanden. Auch das kürzt fe daß nicht ſchon mit der Schicht I/II (bzw. 4) die ganze Höhle eingeſtürzt ſein kann, da ſie ja ſpäter noch dem Menſchen als Wohnſtätte gedient hat.

Die durch v. Dechen gefundenen Artefatte, die lid) im Muſeum des Naturhiſtoriſchen Vereins für Rheinland und Weſtfalen zu Bonn befinden, wurden mir von herrn Prof. Dr. Voigt⸗Bonn in zuvorkommendſter Weiſe zur Verfügung geſtellt. Es Handelt ſich um einen Nukleus und zwei be- arbeitete Stücke (Hbb. 2), die offenbar dem Aurignacien zuzurechnen find. Das eine der beiden Stüde ift ein einfacher Schaber mit ſchöner Steilretuſche an der einen Seite, während die andere Seite durch kleine Abichläge etwas abgeſtumpft iſt. | |

Das zweite Stück iſt eine Art breiterer Klinge mit Kratzerende (auch hier Steilretuſche). Die Klingenränder ſind ebenfalls bearbeitet; der rechte Rand weiſt zwei Einbuchtungen auf. Derartige Klingen oder Klingenkratzer kennen wir, um nur einiges anzuführen, aus der Kleinen Ofnet!), vom Sirgenſtein 2), vom N Sels bei Happurg*) und aus der Iſtällösköer Höhle in Ungarn ). Doch zeigt ſich auch an den Sporker Stücken wieder, daß Rieſelſchiefer im allgemeinen nicht eine ſo feine Bearbeitung zuläßt wie

n

Seuerſtein.

Leider find wohl genauere, ſchichtenweiſe Knochenaufſammlungen weder durch Sublroth noch durch v. Dechen vorgenommen worden, ſo daß irgend⸗ welche weiteren Schlüſſe über die Natur der einzelnen höhlenablagerungen nicht gezogen werden können.

Von großer Bedeutung iſt jedoch, daß in der „Sporker Mulde“ ein zweites Vorkommen von Aurignacien in Wejtfalen neben dem der Balver höhle>) vorliegt.

1) R. R. oot Diluviale 9 75 Deutſchlands. 1912. Taf. XV, Abb. 2 u. 12.

2) R. R. S midt, ebenda, Taf. VI, Abb. 11.

°) Birkner, Beitr. 3. Anthr. u. Urgeſch. Bayerns. Bd. 19. 1915. Taf. 27, Abb. 7. Hillebrand, Wiener präßift Jeilſchr VI. 1919,

9

. oben, Anm. 1

Frühneolithiſche Funde aus der Staßfurter und Leitzkauer Gegend. |

Don A. Becker, Staßfurt. Mit 37 Textabbildungen.

Angeregt durch meinen Kollegen Schirwitz, der mir in liebenswürdigſter Weile im Beiſein des Studienrats Stoye die vorgeſchichtlichen Orte feiner heimat Quedlinburg zeigte, ging ich daran, in der Umgegend von Staßfurt

27

Abb. 1. hecklingen, Thieberg.

und LCeitzkau beide liegen in einem Sumpfgebiet nach bearbeiteten Seuerſteinen zu ſuchen. Solche fand ich auch in großer Zahl; fie beweiſen, daß die Umgegend der genannten Orte ſchon zur Zeit des Frühneolithikums don Menſchen beſiedelt geweſen iſt. | u

Mannus, Zeitſchrift für Dorgefd, Bd. 17. H. 1/2. 5

66 A. Beder [2

Zwiſchen Hecklingen und Neundorf erjtredt ſich ein Buntſandſteinrücken, mit Moräne (gering) und Cöß (stark) bedeckt und an der Oſtſeite von ſumpfigen Wieſen begleitet. Süd⸗ und Nordende heißen beide Ochſenberg (d. i. Ajenberg) Der Hedlinger Ochſenberg (41m hoch) hat ſchon Gefäße der Dorjtufe der Schnurkeramik aus der Zeit 3200 2800 v. Chr. geliefert. Auch ſtammt von ſeinem Weſthang ein Fauſtkeil (N 1), den dort ein Burſche beim leichten

Abb. 2. Ceitzkau, Scharfenberg.

Umbrechen des Aderbodens (Parzelle 5) entdeckte. Dieſer ijt etwas breiter und nicht jo retouchiert wie der des Adjeuléens. Auf der Kuppe des Berges fand ich noch mehrere Heine Urtefakte und einen Nukleusſchaber (N 2). N 1, + graubraun; flacher, aber auch facettiert. N 2, bläulichweiß; + teilweiſe noch mit gelbbrauner Rinde. | Über Hedlingen liegt der Thieberg. Dort fand der Sertaner Böttge, der En Anregung hin ſuchte, eine Anzahl Artefakte, von denen ich 4 vorführe.

1) + Oberſeite, Unterfeite, alle Stücke in Originalgröße.

3] Frühneolithiſche Sunde aus der Staßfurter und Leitzkauer Gegend 67

, ſchwarzbraun, + größtenteils braune Rinde. , + gelbbraun, flach gewölbt.

r

A

1 2 N 3, + gelbbraun, flach gewölbt. N 4, ſchwarzbraun, + mit bogigem Rift.

Abb. 3. Hecklingen, Ochſenberg.

Auf dem Südhang des Neundorfer Ochſenberges ſammelte ich nebſt dem Primaner Weiſe mehrere Artefatte, von denen 5 dargeſtellt find. N 1, + bräunlich, flach gewölbt.

N 2, + gelbbraun, flach gewölbt. 5*

68 A. Beder 14

N 3, + rötlichweiß, flach, rippig.

N 4, + ſchwarzbraun, flach gewölbt.

N 5, + gelblichbraun, flach.

N 2 paßt genau auf den oberen Teil des hohlſchabers N 80 des kluri⸗

gnaciens aus dem Buche hauſers: „Der Menſch vor 100000 Jahren“. Bei Rathmanns dorf zieht ſich längs eines Grabens, der in die Liethe (Leite), eine Bifurkation zwiſchen Wipper und Bode, mündet, ein mit Lok bedeckter Moränenrücken hin. Auf deſſem Südhang, der neben bandkeramiſchen auch eiſenzeitliche Scherben geliefert hat, las ich einen Tag in Gemeinſchaft

Abb. 4. Neundorf, Ochſenberg.

mit dem Oberpoſtſekretär Wieland und dem Studienaſſeſſor Chriſtian vom Ader viele Artefatte auf, von denen 12 abgebildet find.

N 1, + achatartig gebändert, graugelb; desgleichen.

N 2, + braun, links weißfleckig, rechts Rinde; mit Bulbus.

N 3, + bräunlich, rechts Rinde teilweiſe weißlich; mit Bulbus. N 4, + braungrau; mehrfach abgeſplißt, gewölbt.

N 5, braun; + mit Rinde.

N 6, bräunlicher Span mit Weißfled; + facettiert.

N 7, weißlich mit negativem Bulbus; + bräunlich.

N 8, + teils grau, teils braun; braun, Mitte grau, Rinde braun. N 9, + weißlich; mit Bulbus.

N 10, + grau; mit Bulbus von Mondform.

5]

Frühneolithiſche Sunde aus der Staßfurter und Leitzkauer Gegend

Abb. 5. Rathmannsdorf.

70 A. Becker | [6

Abb. 6. Ceitzkau, Bauernfeld.

7] Frühneolithiſche Sunde aus der Staßfurter und Leitzkauer Gegend 71

N 11, grau, + facettiert. -

N 12, + links braun, rechts weiß; mit Mittelriſt.

Ein nidyt abgebildeter weißlicher Span weilt an einer Kante einen Glanz auf, der nur durch den Gebrauch entſtanden fein kann.

Bei Ceitzkau (im Fläming) befinden ſich mehrere Riesmoränenrücken, die durch Zumpfboden getrennt find. Auf einem derſelben liegt das Bauern⸗ feld (im Gegenſatz zum Gutsfeld). Dort ſammelte ich von dem ſandigen Fa a meinem Kollegen Schmidt, deſſen Einladung ich gefolgt war, folgende

efakte:

N 1, + blaugrau, mit Bulbus.

N 2, + rotbraun, desgleichen.

N 3, + braun, teilweiſe noch mit Rinde; ſchwarzbraun, flach.

N 4, + bräunlich gefleckt, mit abgebrochener Spitze; teils kantig, teils gewölbt.

N 5, bläulichweiß; + Rand mit weißer Rinde, der übrige Teil mit Facetten.

N 6, bräunlich; + natürlich konkav.

N 7, + bräunlich und bläulich.

NS, + mit Rijt, bräunlich und bläulich; konkav.

N 9, + rötlichweiß, Spitze und rechte Ede rotbraun; konvex mit

konzentriſchen Bögen.

N 10, + ſchwarzbraun, linksſeitige Rinde gelbbraun; konvex mit

konzentriſchen Bögen. |

Serner ſtammen von dort ein ſchwarzer und ein brauner Kernſtein, ſowie gelbe Späne mit Bulbus.

Im Weiten von Leitzkau, 1 km vor einer Septarientongrube, liegt der Scharfenberg, ein Riesmoränenrücken. Der fandige Ader daſelbſt lieferte die Artefakte: |

NI, bläulichgrau; flach.

N 2, + blaugrau; konkav mit konzentriſchen Bögen. N 3, + blaugrau, Rinde gelbbraun; flach gewölbt. N 4, + bläulichweiß; konkav mit Bulbus.

Sur Frage der Steinipaltung in vorgeſchichtlicher Seit.

Don Peter hörter, Mayen (Rheinland). Mit 1 Textabbildung und Tafel I.

In Band 13 und 14, Jahrg. 1921—22 der „Prähiſtoriſchen Jeitſchrift“ behandelt Baudirektor Dr. E. Ehrhardt die ſchon mehrfach aufgeworfene Frage: wie ſind die großen Granitſteine der hünengräber geſpaltet worden? Da ich nun hier in einem großen Steinbruchgebiet wohne, deſſen Betrieb ich bis in die neolithiſche Zeit hinein im Mannus VI (1914) und VIII (1916) nachgewieſen habe, und es ſich hier um faſt gleich hartes Geſtein, Hartbaſalt und Bafaltlava, handelt, wie das Material, aus welchem die Steingräber der norddeutſchen Ebene aufgebaut worden ſind, ſo halte ich es für angebracht, meine Beobachtungen betreffend Steinſpaltung in vorgeſchichtlicher Zeit hier mitzuteilen. Wenn auch dieſe in Arbeitsſtellen der Hallſtatt- und Latenezeit gemacht ſind, die hünengräber dagegen der Steinzeit angehören, ſo laſſen ſich doch Rüdichlüffe von früheren auf vorhergehende Perioden ziehen, zumal da die Werkzeuge, wie in Mannus nachgewieſen worden iſt, noch in der Latönezeit aus Stein beſtanden. Gerade in den letzten Jahren, nachdem ich die beiden Auffake in Mannus veröffentlicht hatte, bot ſich mir an einigen Stellen Gelegenheit, die Arbeitsmethode genannter Zeit kennen zu lernen. Auf einer im Jahre 1919 neu angelegten Steingrube zwiſchen Mayen und Kottenheim, im Dijtrift „in den hübeln“ (der Name kommt von den alten Schutthalden her), ſtieß man 6 m tief auf einen alten Steinbruch, fo wie er vor etwa Taujend Jahren verlaſſen wurde. Hier lagen loſe Blöcke von zum Teil 150 cm Lange, welche von dem noch anſtehenden Geſtein abgetrennt waren, mit Spaltrillen an den Rändern. An dem noch feſtſtehenden Geſtein waren ebenfalls in verſchiedenen Richtungen Rillen eingeſchlagen. Spuren, def) zum Abtrennen gebraucht wurden, ließen ſich nicht erkennen. Tafel 1 ee in der Nähe fand ſich eine Anzahl halbfertiger Reibſteine (joge- nannte Napoleonshüte), ſchwere Rillenhammer aus Hartbaſalt, Scherben der hallſtatt⸗ und frühen Latenezeit und eine bronzene Tierfibel. Einer der Hammer wiegt, obſchon etwa / fehlte, noch 15 Pfund. An einer anderen Stelle wurden ſpäter noch mehrere hämmer gefunden, darunter einer von ſogar 25½ Pfund (Abb. 1). Letzterer diente offenbar als Spalthammer. Verſchiedene Steinhauermeiſter und Arbeiter, welche an der Fundſtelle und

2] Zur Stage der Steinſpaltung in vorgeſchichtlicher Zeit 73

ſpäter im Muſeum, wohin ein Probeſtück gebracht wurde, die Steine beſichtigten, erklärten einſtimmig, daß die Rillen nicht mit einem Eiſenhammer, ſondern nur mit den dabei gefundenen Steinhämmern eingeſchlagen worden ſeien. Wie ich mich ſelbſt überzeugte, find die mit Eiſenhämmern heute einge- ſchlagenen Spaltrillen tiefer und ſpitzwinkliger (W) als die mit den Stein- werkzeugen eingeſchlagenen, welche breiter und mehr rundlich ausſehen (). Wenn der heutige Steinarbeiter einen nicht zu großen Stein ſpalten will, zieht er in der Spaltrichtung eine Rille und ſchlägt ſolange mit einem Spiß- hammer in die Kille ein, bis daß der Stein auseinanderfällt. Bei großen Steinen nimmt er eijerne Sebfeile zu hilfe.

Auf meine Frage, ob es auch möglich fei, einen großen Stein ohne Seb- keile zu ſpalten, wurde mir dies bejaht; allerdings dauert dies länger, und ein Arbeiter, der auch in Granit gearbeitet hatte, erklärte dies auch bei dieſem Geſtein für möglich. In dem auch von Dr. Ehrhardt zu ſeiner Arbeit heran- gezogenen Werke von L. Pfeiffer, Die Werkzeuge des Steinzeitmenſchen, ſchreibt dieſer S. 142: In einem der Siebenhäuſer bei Hermannsburg in der Cüneburger Heide hatten die Dediteine eine ähnliche Bearbeitung erlitten als bereits aus dem Dezeretal be- ſchrieben wurde. Die große Findlingskugel war in beiden Fällen in je zwei Halbkugeln getrennt worden, in der Weije, daß zunächſt eine fingerdicke Rinne ausgepickt und in derſelben mit Setzkeilen? rund herum die Trennebene gelockert worden war. Die Rinne war an verſchiedenen Stellen noch zu ſehen, an kleinen Sehliprüngen in der 1 der Klopfrinne. Das Material fei in beiden

ällen ein großer Findling aus grobſchiefrigem Gneis.

Eine Hälfte iſt als Deckplatte, die andere als Seitenwand ens Hartbaſalt. © benutzt worden. Weitere zwei ausgebrochene Rinnenitüde (1:10).

von Hiinengrabern hat das Wiener hofmuſeum bei dem Ausitellungsmaterial der Gudenus- und der Slouper-höhlen“. Ferner: „In den Steinhäufern der Lüneburger Heide find die geſpaltenen großen Sind- linge in der Weiſe aneinandergefügt, daß der Rammerraum der Grab— kammer aus den ebenen Spaltfläcdyen gebildet wird.“

Dir ſehen alſo hier in allen Fällen Spaltung mittels eingeſchlagenen Rillen. Ob dabei Setzkeile zu hilfe genommen wurden, iſt ſehr zu bezweifeln, da die mittels Steinſchlägel eingeſchlagenen Rillen zu rundlich find und da— durch dem Setzkeil keinen Halt bieten, entgegen der mit einem ſpitzen Eiſen— hammer hergeſtellten Rille. Das Einſägen einer Rille zu Spaltzwecken mittels Brettchen, Waſſer und Sand, wie nach Sorrer an den Quadern der Mauer von St. Ottilien, wird wohl nur bei weichen Geſteinsarten, nicht aber bei hartem Stoff möglich geweſen fein.

Herrn Dr. Ehrhardt befriedigen nun, wie er ſchreibt, die oben ange— gebenen Spaltmethoden nicht und er ſucht nach einer anderen Möglichkeit, und kommt auf die Spaltung durch Seuer, wie die Sindlinge bei Wallhöfen bei Bremen und anderen Orten heute noch geſpalten würden. Daß man Steins und Felsblöcke durch ſtarkes Erhitzen und raſches Ubkühlen ſprengen kann, iſt bekannt. Ob man aber große Blöcke in einer gewünſchten Richtung und in eine ebene Spaltfläche zerlegen kann, iſt doch noch ſehr fraglich.

erſchiedene Steinarbeiter, mit denen ich die Sache beſprach, halten es wenigſtens für Baſalt und für Baſaltlava geradezu für unmöglich. Ob dies bei Granitſteinen fertig zu bringen ſei, konnten ſie nicht ſagen. Ein Arbeiter,

74 Peter Hörter [3

der auch in dieſem Geſtein gearbeitet hatte, bezweifelt dies ſehr. Wenn nun auch die Spaltung mittels Steinhammer durch Einſchlagung einer Rille viel mühevoller und langwieriger iſt, fo bietet es doch den großen Vorteil, daß man dem abzutrennenden Stück gleich ſchon die gewollte Sorm geben konnte, wie dies ii in dem hier aufgedeckten alten Steinbruch geſchehen iſt. Dann hatten ja auch die Alten mehr Geduld und Zeit als das heutige Geſchlecht, wie dies uns genügend die aus dem härteſten Geſtein hergeſtellten Waffen und Werkzeuge lehren. Wurde dagegen ein Steinblock durch Feuer geſprengt, zerfiel dieſer meiſt in viele Stücke, welche ſich wohl zu kleinen Bauſteinen, aber nicht gut zu anderen Zweden verwenden ließen. In demſelben Hefte der

„Prähiſtoriſchen Jeitſchrift“ zieht zu der Arbeit Dr. Ehrhardts Prof. Schuch⸗

hardt eine Stelle des Livius 21, 37 heran, wo es heißt, daß Hannibal bei ſeinem Übergang über die Alpen die im Wege ſtehenden Felſen durch Feuer geſpalten und beſeitigt habe. Aber hier handelt es ſich nur um Sprengung und Beſeitigung der Felſen, nicht aber um Steinſpaltungen zur Schaffung von zu irgendeinem Zwecke verwendbaren Steinen und dies iſt doch ein großer Unterſchied. In römiſcher Zeit wurden hier die Steine geſpalten durch Ein⸗ ſchlagen von Cöchern in der Spaltrichtung, in welche dann Eiſenkeile einge⸗ trieben wurden und heute wieder bei kleinen Steinen durch Einſchlagen einer Rille wie in alter Zeit und bei großen durch Eintreiben von Eiſenkeilen in die vorgeſchlagene Rille.

Ein germaniſcher Bronzeſchatzfund aus Hermsdorf in der Neumark.

Don paul Müller. | mit 7 Abbildungen.

Sundberidt.

Im Marz 1923 fand ein Schulfnabe in der Gutsheide von Hermsdorf im Kreiſe Friedeberg beim Einſetzen junger Kiefern einen Bronzeſchatz. Die Fundſtelle, 3 km nordweſtlich des Dorfes, iſt eine tief im Walde verborgene Mulde von 4-5 m Tiefe und 100 m Länge, 250 m ſüdöſtlich der fogen. Trommelbrücke am Großen Jägerfenn, 100 m weſtlich des Weges Hermsdorf: Wugartener Mühle. Unten im Grunde dieſer Mulde ſtieß der Knabe einen Spatenſtich tief auf den Fund und zeigte ihn den Arbeitern. Der helle, kieſige Sand war nach Ausfage des Jungen an der Sundjtelle dunkler gefärbt, wir dürfen an ein vergangenes Behältnis, etwa ein Holzkäſtchen denken. Auf Wunſch des Vaters holte er die meiſten Stücke tags darauf nach Haufe, zwei Sachen, eine gewölbte Plattenfibel und ein Urmband, ſchenkte er einem Freunde, Sen Mutter aber beide wegwarf. Alle Nachfrage und alles Suchen nach ihnen blieb anfangs ergebnislos, fpäter ijt im Kehricht des Bauernhofes wenigſtens noch ein Bruchſtück des Armbandes entdeckt worden. Eine Anzahl kleinerer Stücke ſammelte der junge Finder auf einem Baumſtumpf neben der Stelle, wo ich ſie zwei Monate ſpäter noch vorfand. Eine ſorgfältige Beſichtigung aller benachbarten Pflanzrinnen der friſchen Schonung, die noch frei von Gras waren, ergab keinerlei Spuren einer Siedlung, keine dunklere Färbung des doch überall tief aufgegrabenen Bodens; insbeſondere hatte auch der Knabe keine Topfreſte bemerkt. Die Stelle iſt ſpäter in Gegenwart des Yang und treuer Helfer von mir nod) einmal aufgegraben, der Sand durchſiebt worden, ohne daß jedoch noch etwas entdedl wurde. Daß der Fund faſt völlig geborgen iſt, ließ ſich bei der Juſammenſetzung der leider vielfältig friſch zerbrochenen Stücke feſtſtellen. Der Dater des Finders, in dem Wahn, es könne ſich um Gold handeln, hat nämlich nachträglich noch weiter die Ringe arg zerſchlagen. Ein Goldſchmied in Friedeberg, dem Alter: tümer durch das heimatmuſeum bekannt waren, klärte ihn auf und zeigte den und an, fo daß er für das Muſeum erworben werden konnte.

Der Schatz. Bemerkenswert iſt zunächſt, daß der Schatz keinerlei Waffen, ſondern ausſchließlich Geſchmeide umfaßt: 1 halsring, 2 Ringhalskragen, 2 platteu⸗ eln eine davon verſchollen —, 9 Armbänder, 1 Armting, 1 Fingerring,

16 Paul Müller [2

4 Spiralbänder, 4—5 Drahtſpiralen, 1 Anhänger und 1 offenbar zum Ein- ſchmelzen beſtimmtes Stück. Wie ſchon das letztere vermuten läßt, handelt es ſich nicht um einen neuen Schmuck, der eben aus der Werkſtatt des Erz⸗ gießers kam, ſondern um einen, der bereits getragen war, als er vergraben wurde. Das ſieht man an zwei Ringen, deren alte Bruchſtellen geflickt find, und an Abnutzungsſpuren; abgenutzt iſt 3. B. deutlich an der Gewandhafte die Stelle, an der die Nadel auf der Platte zu liegen pflegte. So, wie wir den Schatz jetzt vor uns haben, ſind die Stücke außer dem Fingerring, einem Spiral⸗ band und der Fibel ſämtlich zerbrochen. Betrachten wir nun die einzelnen Teile des Geſchmeides! 1. Halsschmuck.

1. Dünner Wendelhalsring, gegoſſen, 3 inm did, im Querſchnitt freis-

rund. Die ſchwache Riefelung zeigt dreimaligen Drehungswechſel. Das Ende

iſt kurz, platt gehämmert, vierkantig, zu einer Oſe zurückgeſchlagen. Eine Bruchſtelle ijt in der Vorzeit geheilt durch einen herumgelegten Bronze⸗ blechſtreifen mit fünfmaliger Windung. Erhalten ſind 3 Stücke, zuſammen 30 cm lang, ein Ende fehlt. Er gleicht dem, welchen Koffinna!) von Stegers, Kreis Schlochau, veröffentlicht hat, und gehört mit ſeinem dreimaligen Drehungswechſel zu der beliebteſten Art der Wendelringe in Norddeutſchland und Skar dinavien. |

2. Ringhalskragen (Abb. 1)), in einem Stück gegoſſen, bejtehend aus drei 7—8 mm breiten, dünnen Ringen, die unten platt, oben leicht gewölbt 1) Mannus VIII: Die goldenen Eidringe und die jüngere Bronzezeit, S. 29ff.,

a ? Die Abb. Nr. 3—6 verdanke ich herrn Baurat W. Kranz, Nr. 1, 2 und 7 herrn Zeichenlehrer Eugen Kriejel in Friedeberg.

3) Ein germaniſcher Bronzeſchatzfund aus Hermsdorf in der Neumark 77

find. Ihre vereinigten Enden laufen in Öfen aus. Derbunden find fie in der Mitte durch je drei Querſtege zwei davon ſchräg nach innen laufend ſeitlich durch je einen. Die Verzierung beſteht in Gruppen von ganz ſeichten, ſchrägen Riefelungen, auf dem 1. und 3. Ringe durchweg nach rechts oben, auf dem 2. nach links oben verlaufend. Die Enden bis zu den Öfen hin find mit ſchwachen Rand⸗ und je zwei Querleijten geſchmückt. Lichter Durchmeſſer 11,5 em, Geſamtdurchmeſſer 17 cm. Der Guß des Ringfragens ijt nicht gerade vorzüglich, zahlreiche kleine Löcher rühren von Luftbläschen her. Wenn die Schrägkerbung der einzelnen Bänder auch unterbrochen iſt, ſo dürfen wir

unfer Stück doch zu jener Gruppe rechnen, die Koffinna?) als Abart A der Odergruppe bezeichnet. | |

3. Ringhalstragen (Abb. 2), ebenfalls in einem Stüd gegoffen Unterſeite jedoch offen und hohl beſtehend aus 4 Ringen von 7 mm Durch⸗ meſſer, die durch drei gleichmäßig angeordnete Querſtege miteinander ver⸗ bunden find. Die Verzierung beſteht auch hier in Gruppen von Riefelungen, die aber auf allen vier Bändern von links unten nach rechts oben laufen, übrigens ſchärfer ausgeprägt ſind als bei dem erſten Ringkragen. Die ſtumpfen Enden find unverziert, ihre Zungen durchlocht. Durchmeſſer im Lichten 12,5 em, Geſamtdurchmeſſer 19,5 em. Auch dieſer Ringkragen gehört in die Abart A der Odergruppe.

) Ebenda S. 84, 85. Er erwähnt S. 88 eine ähnliche Verzierung (durch Gruppen von aräglteichen nad) einer Richtung) bei einem Dalsfragen von Schwachenwalde. dige und macht es, da das Geſchmeide bereits im Gebrauch war, a wohl ſicher, daß dieſe Art der Verzierung nicht als halbfertige anzuſehen iſt, ſondern ſo gewollt war.

78 paul müller (4

2. Bruſtſchmuck.

Gewölbte Plattenfibel (Abb. 3), ohne Nadel 115 g ſchwer, 16,1 cm lang. Die Platten find eirund (5,2:7 em), ihre Ränder von drei Leijten um— rahmt. In der Mitte tragen die Platten Aufſatzſchälchen von 1,7 cm Höhe und ebenſo großem Durchmeſſer. Der Bügel iſt auf der Unterſeite flach, auf der oberen gewölbt, mit ſchwachem Grat. An den Enden mißt er 0,6, in der Mitte 1, em. Die Verzierung beſteht aus kräftigen Kerben: je zwei gleichlaufende bilden ein ſchräggeſtelltes Kreuz, in der Mitte durch drei von oben nach unten geſchieden, rechts und links durch je zwei Kerben da, wo ſich der Bügel ver— jüngt, begrenzt. Ein Japfen am Rande der einen Platte dicht am Bügel diente als Widerlager für die Nadel. Dieſe, leider beſchädigt, iſt frei, gebogen und läuft in einen offenen Ringfopf aus. Während die Oberſeite der offenbar für eine Frau beſtimmten Gewandhafte mit hellgrünem Edelroſt überzogen iſt, hat die untere, auf dem Gewand liegende, ihren gelben Metallſchimmer bewahrt. Der oben genannte Forſcher gibt uns ein Derzeichnis der bisher gefundenen’ Plattenfibeln mit Aufſatzſchälchen: fie rühren aus Schleswig-

Abb. 3.

Holjtein, Mecklenburg, dem nördlichen Brandenburg her, vornehmlich aber aus dem Gebiet der mittleren Elbe und Saale.

Die beiden im Muſeum zu Halle unterſcheiden ſich von unſerer neu— märkiſchen nur durch ihre Kreisform. Unſer ſehr ſchön erhaltenes Stück iſt das aie dieſer beſonderen Art Plattenfibeln, das öſtlich der Oder gefunden worden iſt.

3. Urmſchmuck.

Armbänder ſind 9 erhalten: zwei ſchmale, an den Enden durchbohrte, ſechs breitere, undurchbohrte, im Querſchnitt C-förmige, ſämtlich offen, oval.

1. Schmales Armband (Abb. 4), im Lichten 9,5 em Durchmeſſer, in der Mitte 1 em breit, dann ſich verjüngend, nach den Enden hin wieder zu— nehmend; dieſe ſelbſt ſchneiden glatt ab und ſind rechts und links der Cöcher mit im ganzen je drei Gruppen ſenkrechter Riefen verziert. An der Mitte des Bandes iſt innen und außen noch die Gußnaht zu erkennen.

2. Ähnlich, in der Mitte 0,8, im übrigen 0,6 em breit, im Gegenſatz zu den übrigen von ſchmalovalem Querſchnitt, unvollſtändig.

3. Kräftiges, breiteres Armband (bis 1,7 em), in der Mitte und an den Enden ſich verbreiternd. Senkrechte Riefelung an den Enden noch ſchwach erkennbar.

5) Ein germaniſcher Bronzeſchatzfund aus Hermsdorf in der Neumark 79

i 4. Ahnlich, dünner, bis 2 em breit, Enden abgenutzt, mit Senkrechten geſtrichelt. se

5. kihnlich, 1,6 cm breit (Abb. 5). Auf beiden Enden drei Gruppen von je vier ſenkrechten Riefen, die auf der Innenſeite noch ein wenig heraus- treten. Ränder etwas nach innen umgeſchlagen; die Enden, nicht ganz glatt abſchneidend, tragen auf der Innenſeite den Reſt des Gußzapfens.

6. Ähnlich, 1,7 cm breit, Gußzapfen etwas über das Ende vorſpringend, unvollſtändig.

7. Hälfte eines ebenſolchen Armbandes.

8. Die Enden eines ähnlichen, jedoch im Gegenſatz zu den übrigen iſt hier zwiſchen den Gruppen ſenkrechter Striche eine Verzierung in Form eines X eingeſchnitten. Gußzapfen ebenfalls am Ende.

9. 6,4 cm langes Bruchſtück eines Armbandes von D⸗förmigem Quer- ſchnitt, 0,7 em breit, unverziert. Kurz vor dem Ende verbreitert ſich das Band auf 1 cm, wird dünner und endet ſtumpf. Auf der Innenſeite iſt hier an der breiteſten Stelle eine Rille gezogen. |

Abb. 5.

10. Geſchloſſener Armring, kreisrund, 8,5 em Durchmeſſer im Lichten, 4 mm dick, im Querſchnitt kreisförmig, unverziert.

4. Fingerring.

Innere Weite 2,1 em; innen glatt, außen ſchwach gratartig, alſo faſt

dreikantig. N | 5. Spiralringe.

Die Weite der Spiralringe ijt fo klein, daß fie ohne Dehnung nicht einmal auf einen Kinderarm paſſen; fie beträgt bloß 2,5—4,5 cm. Denkbar wäre, daß fie zuſammengedrückt find, um fie in den Behälter hineinzupaſſen, für wahrſcheinlich halte ich es nicht. Teils beſtehen ſie aus ſchmalen Bändern, teils aus Draht. Don erſteren ſind vier vorhanden: zwei ſchmale (2,5 mm) und zwei breitere (5 mm), bis 35 em lang, unverziert, zungenförmig endend. Das unverſehrte Stück (Abb. 6) hat maligen Umlauf.

Die unvollſtändigen Spiraldrahtringe laſſen folgendes erkennen:

1. einen offenen, ſpitz endigenden Spiralring von 3,5 em Weite. Der Draht iſt wie ein echter Spiralring gewunden. 2 Umläufe, unvollſtändig. 2. Offener Drahtring mit Rückbiegung, unvollſtändig.

80 Paul Müller, Ein germaniſcher Bronzeſchatzfund aus Hermsdorf in der Neumark [6

3. Spiralring aus ſehr dünnem Drahte, Weite 2,7 cm, 3 Umläufe. Ein Stück iſt mit anderem Draht in achtmaliger ſorgfältiger ſpiraliger Umwicke⸗ lung an alter Bruchſtelle ausgebeſſert.

4. Ende eines Drahtringes, auf der Schauſeite N 7 ſchräge Riefe- lungen verziert.

5—7. Weitere Reſte mit Längen bis 42 cm.

6. hängeſchmuck.

Ein 4,7 em langer Anhänger mit Oſe (Abb. 7) aus kräftigem Blech iſt völlig platt, unverziert, ziemlich grob. Huf dem längeren Ende des ſichel⸗ mondartigen Bogens, das beſchädigt iſt, ſcheint er noch etwas weiter gereicht zu haben. Es fällt auch auf, daß dieſer Schmuck allein von allen die Gleich⸗ mäßigkeit vermiſſen läßt. Obgleid) ihm die Finder höchſtwahrſcheinlich mit Hammerſchlägen zugeſetzt haben, ijt dadurch die Unregelmäßigkeit doch nicht zu erklären.

Zu erwähnen iſt ſchließlich noch ein 1,5 em breites, 6 cm langes gebogenes Bronzeband mit altem Bruch, platt geſchlagen; einige ſenkrechte Riefen ſind

Albb. 6. Abb. 7.

noch erkennbar. Es ſcheint der Reit eines zerbrochenen Urmbandes zu fein, das zum Einſchmelzen beſtimmt war; es iſt nachträglich völlig zerſtückelt.

Zeitſtellung.

Die Plattenfibel, die Ringhalskragen und der dünne Wendelring machen es gewiß, daß unſer Schatzfund dem 5. Abſchnitt der Bronzezeit angehört, alſo in das 10. bis 9. Jahrhundert v. Chr. zu ſetzen iſt. Ein Vergleich mit ähnlichen Funden ergibt, daß es ſich um eine germaniſche Urbeit handelt. Roſſinna hat darüber in feiner oben genannten Abhandlung ſich ausführlich ausgeſprochen. Der Hermsdorfer Schatzfund hat insbeſondere durch die beiden Ringhalsfragen die nächſten Beziehungen zu den gleichzeitigen von Mandel⸗ kow und Schwachenwalde. Er iſt ihnen auch räumlich am nächſten, liegt doch die Sundjtelle nur 22, bzw. 12 km von dieſen Orten ſüdoſtwärts. Damit wird das Derbreitungsgebiet jenes altgermaniſchen Stammes, dem dieje beſondere Art weiblichen Schmudes eigen war, noch ſicherer gekennzeichnet, ſeine Grenze zugleich weiter nach Süden geſchoben.

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Über Hausurnen.

Im Anfhluß an Fr. Behn: „Hausurnen“, Band I, heft 1 der Vorgeſchichtlichen Sor- ſchungen, herausgegeben von M. Ebert, Berlin 1924, Derlag Walter de Gruyter u. Co., VIII und 120 S., 39 Tafeln. Don Walther Schulz, halle a. S.

Mit 8 Textabbildungen.

1. Steinzeitliches hausmodell von Suskowka, Gouv. Rijew und das Alter des Ofenraumes. 2. Neue Bausurnenfunde. 3. Bemalte Hausurnen. a der Hausurnen. Speicher und Herd als Aufenthalt der . Ahnen.

Zum eriten Male iſt in dem genannten Buche das Material über hausurnen und verwandte Gefäße in a und den angrenzenden Landesteilen zuſammengeſtellt. Man wird gerade auch für die Heranziehung von tönernen Hausdarſtellungen, 3. C. wohl ſakraler Bedeutung, dankbar fein, wenn jie auch nicht zu den Urnen im Sinne von Leichenbrandbehältern gehören, ja nicht einmal alle aus Gräbern ſtammen. |

1. Gin tönernes Hhausmodell fet nachgetragen, das an einer Plostadte!) der Tripoljekultur?) von Sus kowka, Kr. Uman, Gouv. Kijew gefunden it. Vielleicht hatte es ſakrale Bedeutung, ijt aber auch als Spielzeug gedeutet worden. Die beſondere Bedeutung dieſes Modells für die hausforſchung liegt darin, daß es die innere Einrichtung eines Haufes erkennen läßt. Die Abbildung, die hier als Abb. 1 wiederholt wird, ijt mir aus Finska Sorn- minnesföreningens Tidſkrift, Bd. 29, 1922, S. 95 (Bericht von Ailio) bekannt. Dieſelbe Sundftelle lieferte noch die hälfte eines zweiten Modells, ein weiteres ſoll früher im Kreiſe Uman gefunden ſein. Das aus Ton geformte haus, das auf 4 Füßchen ſteht, mißt 20 x 27 em. Es iſt oben offen; nur ein 6 em hoher Teil der Wand iſt dargeſtellt, die an der einen Cängsſeite unterbrochen iſt. Die Füßchen möchte ich als Beiwerk des Modelles auffaſſen. Deutlich

0 Die Ploséadken find nach der einen Anſicht Beſtattungsplätze, nach der anderen Wohnplätze, beſonders Sommerwohnungen, Töpfereien. 1 ſind aus derſelben Kultur die ſogenannten Jemljanken, in die Erde eingeſchnittene Hütten, bekannt.

} Steinzeitliche Kultur, die zu dem größeren on der Kulturen mit bemalter Keramit gehört. Aus piejem Kreiſe ſind ſchon verſchiedene hausmodelle bekannt geworden (ogl. Behn, Abjdnitt v VIII, Aſchecho⸗Slowakei, Siebenbürgen, Syrmien, Bulgarien).

Mann us, Zeitschrift für vorqeſch. Bd. 17. H. 1/2. 6 N

82 Walther Schulz [2

hat das Haus einen Vorplatz, vielleicht eine offene Vorhalle. Eine große überdeckte Seuerjtelle Ofen befindet fic) in der Ecke des Hauptraumes rechts neben dem Eingange. Sie iſt innen ſchwarz gebrannt. Gegenüber in der Ecke liegt ein Mahlſtein, über den ſich eine Menſchenfigur bückt, es folgen der Wand entlang mehrere Gefäße (auf einer Wandbank?). Im hinteren Teil iſt eine Erhöhung angedeutet; da der Fußboden hier ſchwarz gebrannt iſt, mag man dieſe Stelle für einen offenen herd anſehen. Ein Loch darüber an der Giebelwand ſcheint den Rauchabzug oder eine Licht-

Abb. 1. Hausmodell der jüngeren Steinzeit von Suskowka, Gouv. Kijew. ½. Nach Finska Sormminnesföreningens Tidjfrift 29, S. 93, Abb. 27.

öffnung zu zeichnen. Weder die Jemljanken noch die Ploséadken der Tripolje⸗ kultur ſcheinen dem Modell in den Einzelheiten geglichen zu haben. Danach wäre alſo durch das Modell eine weitere Hausform feſtgeſtellt, die aus den Siedelungsreſten noch nicht zu erkennen iſt.

Hiermit iſt die oſteuropäiſche Wohnhausform mit Vorraum und Ofenſtube (Abb. 2) bereits in der jüngeren Steinzeit belegt. Der Ofen hat ſchon damals in der Ecke neben der Tür geſtanden. Die zwei getrennten Seuer-

ee jtatten, herd und Ofen, find dann ſpäter als „Herdofen“ vereint. Ebenſo ijt auch noch der zweite heutige Haus- typus, für den der Ofenraum charakte⸗ riſtiſch ijt, das oberdeutſche „Küchen- ſtubenhaus“ (Küche mit Herd, Stube mit ne anſcheinend ſchon in den e d ge. dend, Seen, de Die Inneneinrichtung iſt fortgelaſſen mit klllerdings ſteht hier der Ofen, in der

Ausnahme der tupiſchen Wandbank. Deröffentlichung als Backofen bezeichnet, a in dem kleineren vorderen Raum, dem Wirtſchaftsraum, während der größere hintere Raum, der Schlafraum, den ‚offenen Herd enthält. Einmal iſt aber auch hier der oſteuropäiſche Haustypus mit Vorraum und Hauptraum, mit Ofen in der Ecke neben dem Eingang und Herd in der diagonal gelegenen Ecke der Hinterwand, vertreten (nach einem von Herrn Dr. Reinerth angefertigten Modell, Muj. Halle).

Mehr und mehr offenbaren neuere Funde, daß die heutigen volkstüm⸗ lichen Wohnhausformen in ihrem Kerne in die Vorzeit weit zurückreichen, wie Hausforſcher ſchon längſt vermutet hatten. Wenn wir aber Behn glauben wollten, hätten die Germanen an der Ausbildung heutiger Bauern⸗ haustypen wohl keinen Anteil, da fie noch zu Beginn des letzten Jahrtauſends

1) Dal. Hh. Reinerth „Pfahlbauten am Bodenſee“. 1924. S. 25ff.

3] Über Hausurnen 83

großenteils in „Erdkuppelhütten“, „Jelthütten“, „Rundjurten“ hauſten (Behn, S. 46, dazu die Rekonſtruktionen beſonders Taf. I, Sig. el), in der Köhlerhütte der Wälder iſt heute noch dieſe germaniſche Wohnweiſe erhalten (Caf. 3h), im übrigen find Negerhütten die geeignetſten Ver⸗ gleihsformen (Taf. 10 a, b, Taf. 11d). Und ausgerechnet das Haus, das unſerer Anſchauung von einem Wohnhauſe noch am nächſten ſteht, die hausurne von Rönigsaue, ſoll der Wohnbau einer ungermaniſchen Unter⸗ ſchicht fein (S. 46, 47). Daß aber die Hausurnen gar nicht zu dieſen Schlüſſen zwingen, darüber in Abſchnitt 4.

2. Bei Behn find die bis zum Jahre 1923 etwa bekannt gewordenen deutſchen Hausurnen behandelt; wie bei allen Juſammenſtellungen vor⸗ geſchichtlicher Sunde ijt damit zu rechnen, daß die Lifte bald einer Ergänzung bed So ſind auch hier ſchon nach Beendigung der Materialſammlung neue hausurnenfunde dazugekommen ).

Auf einem Gräberfelde bei Wulfen, Kr. Cöthen, Anhalt wurden von herrn Götze, dem rührigen Ronſervator des Kreiſes Cöthen, 3 Haus⸗ urnen ausgegraben (Muſ. Cöthen, bisher bekannt gegeben: „Askania“, Wochenblatt für vaterländ. Geſchichte, Beil. 3. Cöthener Zeitung. 1923, Ur. 1; 1924, Nr. 12/13. Schultze: Mitteilungen des Vereins für Anhaltiſche Geſchichte und Altertumskunde 14, Heft 2, 1923/24 (1924), S. 99ff. Die Urnen werden vom Muſeum Cöthen veröffentlicht).

Die erſte Urne, bereits in den Berichten abgebildet, wurde mit einem zweiten Tongefäß in einer Steinkiſte gefunden. „fluf die Deckplatte war ein großer Stein gelegt, und an dieſem waren ſchräg nach abwärts geneigte Sand⸗ und Rogenſteinplatten angelegt, und zwar auf der Nord- und Weſt⸗ ſeite je 1, auf der Südſeite 3, auf der Oſtſeite ſtützte eine aufrechte Stein⸗ platte den Wandſtein, ſo daß hierdurch dachartige Schrägen hergeſtellt waren“. Die Urne iſt nach meiner Einteilung?) Gruppe IIa, ,Hausurnen mit Rund⸗ dach und Wand“, Behns „Rundjurten“ zuzuweiſen. |

fluch die zweite Urne wurde in einer Steinkiſte, die mit Steinpflaſterung bedeckt war, zuſammen mit einem Beigefäß gefunden. Im Leichenbrand der Urne lag der Reſt einer Bronzenadel. Die Urne gehört zu den kegel⸗ förmigen Rundhütten ohne Wand mit Schutzkappe (Schulz: Gruppe IIb, 5. 70; Behn: Zelthütte, Rundzelt).

Die dritte Hausurne ſtand ungeſchützt im Boden. Um den Oberteil fanden ſich die Reſte einer Henkelſchüſſel. Der untere Teil ijt topfförmig geſtaltet, ähnlich wie bei der Urne von Polleben; der obere, von der oberen Türhälfte ab, fehlt. Da eine Dedichüffel vorhanden war, ſchließt Schultze mit Recht, daß die Urne oben eine Öffnung beſaß.

Ferner befindet In im Muſeum Cöthen ein Stück Türrahmen von dem Gräberfelde von Wulfen (Schultz e: a. a. O., S. 100).

1) Inzwiſchen find die Wulfener Hausurnen auch in Mannus, Ergänzungs⸗ BR 1925, 5 45, 46 genannt, dazu Abb. 8 (3 Hausurnen), Abb. 9 (die Steintifre et hausurne J). i

Die Rietzmecker Bruchſtücke find dort S. 175 (dazu Abb. 5) veröffentlicht.

S. 51 gibt Koffinna eine Überſicht über neue und unbekannte hausurnenfunde.

Es iſt demnach die obige Zujammenftellung zu ergänzen: Gatersleben, Kr. Quedlinburg, 2 Türen (Muf. Quedlinburg), Buchow, Kr. Lauenburg. Pommern, Fal einer a ene Schließlich ſind neuerdings bei Kledewiß, Kr. Deſſau, Anhalt vom Ruſeum Zerbft 2 hausurnen (Typus Behn: namen 4 eborgen.

2) W. Sun Das germaniſche haus in der vorgeſchichtlichen Zeit. Mannusbibl. Nr. 11. 2. Aufl. 1925.

6*

84 Walther Schulz f4

Reſte einer Hausgefichtsurne (Nafe, Ohr, Tür) ſtammen von Rietz⸗ med, Kr. Zerbſt (Muſ. 0 erwähnt Roſſinna, Mannus 16, S. 173, Anm.; Schultze, a. a. O.,

Durch dieſe neuen Sunde aid die hausurnengruppe nördlich und ſüdlich von der Mittelelbe zwiſchen Einfluß der Saale und der Mulde nach Weiten abgerundet.

Herr Oberſtabsarzt Dr. Stimming-Gr. Wuſterwitz machte mich auf eine hausurnentür feiner Sammlung von Jabakuk im Kreiſe Jerichow II aufmerkſam. Durch den Fund iſt eine Etappe zwiſchen dem Hausurnen- gebiet des Nordharzlandes und dem in der Prignitz und Mecklenburg, die 3. C. älter ſind, hergeſtellt.

3. Bei einer Unterſuchung der einen hausurne von Hoym (die vierte nach meiner Bezeichnung, B nad) Behn) durch herrn Studienrat Dr. Hinze im Muſeum Jerbjt hat ſich herausgeſtellt, daß das Dach mit ſchwarzen Streifen, die offenbar Sparren andeuten ſollen, bemalt war!). Sparren oder Dach⸗ bededung ſind auch bei den meiſten anderen Hausurnen mit Firſtdach durch Furchen oder Rippen wiedergegeben. Man wird nun fragen, ob nicht auch das glatte Dach der zweiten Firſtdachhausurne von Hoym (Behn: houm A) mit Bemalung verſehen war.

In der Prähiſtoriſchen Jeitſchrift X, 1918 hat nun Behn unter „Haus⸗ urnenmärchen“ bezweifelt, daß die hausurne von Deſſau-Rienheide (in meinem Buche trägt ſie noch die ältere, wie Behn feſtgeſtellt hat unrichtige Bezeichnung ken) urſprünglich bemalt war (vgl. auch Behn, Hausurnen, S. 25). Er bezieht ſich dabei auf das Urteil von Seelmann und auf eine Bemerkung von Becker, der die Hausurne in der Zeitſchrift des Harzvereins XXVI, 1893 veröffentlicht hat.

' Da dieſe Frage nicht unwichtig ijt, denn die Bemalung würde über die Holzfonitruftion der Tür Aufichluß geben (vgl. mein Buch S. 65), fo ſeien Beckers Worte hier wiedergegeben (S. 387 ſeiner Veröffentlichung):

„Bei der Korrektur, alſo ziemlich lange nach der ÜUbfaſſung des vorliegen: den Auflaßes, füge ich folgendes zu. Ich habe Zweifel vernommen, ob die weiße Bemalung nicht vielleicht ganz nachträgliche Hervorhebung ſei und auf bloßer Andeutung von Spuren beruhe, die auch etwas anders aufgefaßt werden könnten. Demgegenüber muß allerdings zugeſtanden werden, daß, ſoweit die weiße Färbung die Türplatte angeht, mir Herr Profeſſor Büttner ſelbſt von nachträglichem Hervortreten geſchrieben hat, welches durch das vollſtändige Austrocknen erfolgt fei, ſowie daß behufs photographiſcher Auf- nahme „die Bemalung markiert“ werden ſolle. Indes habe ich bei meiner erſten Beſichtigung Anfang Januar d. J. die breiten Streifen unterhalb des Simſes nur als echt und in leidlich gutem Juſtande erhalten anſehen können.“

Danach ſpricht Beckers Zeugnis nicht unbedingt gegen die Urſprüng⸗ lichkeit der Bemalung. Dazu kommt weiter, daß Behns anderer Jeuge Seelmann das Original nicht geſehen hat! (vgl. Behn: Prähiſtoriſche Zeitſchrift X, S. 79). Wenn Behn Wert darauf legt, daß die Zeichnung, die bei der Auffindung des Gefäßes in natürlicher Größe hergeſtellt wurde, keine Benalung zeigt, jo genügt es, auf den Fall der Hoymer Hausurne bin: zuweiſen. Dazu ijt weiße Bemalung an der Hausurne von Colleſtrup in Jütland, weiße und dunkle an der von Stora Hammar in Schweden feſtgeſtellt. kllſo nach allem dürfte die Bemalung der Deſſauer Urne doch echt fein.

') Dal. jetzt Mannus, Erqänzungsband IV, 1925, S. 176, Abb. 9,

5] Über Hausurnen 85

4. Kritik ijt an Behns Auswertung der deutſchen Hausurnen zu üben. Er geht davon aus, daß die Hausurnen die beiten Doritellungen des gleich- zeitigen Wohnbaues der Lebenden vermitteln, nur Modelle von Wohnbauten ſeien im Grabgebrauche denkbar. Ich habe mich bereits in der 2. Auflage meines Buches, S. 127ff. dagegen gewandt und will hier nur noch einmal hervorheben, daß ſchon allein die Türurnen Behns Kuffaſſung ſcheitern laſſen; daß dieſe Türurnen nicht nur als Nachklänge des Hausurnengedanfens aufzufaſſen find, zeigt die Türurne von Klein⸗Gottſchow, die zu den älteren hausurnen (im weiteren Sinne) zählt. Behn ſetzt allerdings noch hölzerne hausnachbildungen (im Unſchluß an Schumacher) voraus, von denen nichts auf uns gekommen fei. Daß eine Türurne nicht die Hausurne (im engeren Sinne) zur Vorausſetzung haben muß, gibt. übrigens Behn bei Behandlung römiſcher Urnen aus Krain ſelbſt zu (S. 61). Ich will nun für das germaniſche Hausurnengebiet nicht unbedingt annehmen, daß Türurnen den hausurnen vorangegangen ſind, trotzdem gewiß die Beobachtung von Aonfervator Götze in Cöthen, der auf der Tagung der Geſellſchaft für deutſche borgeſchichte, 1924, im Mujeum Cöthen auf bronzezeitliche Urnen mit tür⸗ artigem Ausjchnitt unter dem Rande hinwies, ſehr beachtenswert ijt’). Aud) Behn erwähnt S. 118 die verwandten „Seelenlöcher“ an Urnen. Haus- urnen und Türurnen find nach unſeren jetzigen Kenntniſſen nebeneinander hergegangen. |

Über Haus und Gehöft müſſen und werden ſchließlich glückliche Boden⸗ funde entſcheiden. Gerade in der Provinz Brandenburg liegen nun ſchöne häufer aus der Stein⸗ und Bronzezeit vor, die ganz anders ausſehen als Erdkuppelhütten, Zelthütten, Rundjurten. Allerdings ſpielen hier noch völkiſche Fragen eine Rolle; zu wünſchen wären einwandfreie Hausfunde im ger: maniſchen Kerngebiete, 3. B. in der Prignitz und in Mecklenburg.

Wenn alſo eine Unzahl der Hausurnen nicht Nachbildungen der damals üblichen Wohnhäuſer geweſen ſein werden, ſo ſei die Frage aufgeworfen, ob ſich hier im Grabkult ältere Hausformen erhalten haben. Ich kann mich mit dieſer Annahme, die auch Behn ablehnt, nicht befreunden. Allerdings glaube ich nicht, daß das Erſtarren von Gegenſtänden des Kultus erſt in ſpäteren Zeiten kultureller Hochblüte eintritt (Behn, S. 6). Um die Hausurnen als „Häuſer der Ahnen“ erklären zu können, muß man annehmen, daß ſeit un⸗ beſtimmter Zeit Nachbildungen von Behauſungen im Grabkulte üblich waren, die uns als zuſammenhängende Reihe verloren gegangen ſind ): alſo etwa Leichenbrandbehälter und vorher Grabkammern in Hausform aus Holz, woran ſchon in anderem Juſammenhange Schumacher und Behn gedacht haben, oder über dem Grabe errichtete Bauten, Beſtattung in Hütten u. dergl., wofür die Völkerkunde genug Beiſpiele bietet. Aud) aus vorgeſchichtlicher Zeit laſſen ſich derartige Beſtattungsſitten nachweiſen, ſo Grabkammern in hausform aus Holz, Beſtattung in Hütten, aber nur unſicher im eigentlichen germaniſchen Gebiete (vgl. mein Buch, Aufl. 2, S. 123). Die Deutung der hausurnen als Ahnenhäufer iſt um fo unwahrſcheinlicher, wenn eine beſſere vorliegt, die meiner Anficht nach gegeben werden kann.

Ich habe in der zweiten Auflage meines Buches bereits gegen Behn hervorgehoben (S. 129), daß in der hausurne gar nicht unbedingt das Abbild des Wohnhauſes geſucht zu werden braucht. (Dolksglaube: Das Geſpenſt

1) Dal. jetzt mannus, Ergänzungsband IV, 1925, S. 45. 2) Die Pansurnen treten bisher im germaniſchen Kreiſe unvermittelt auf. Man hat an einem 3ujammenhang mit den älteren italiſchen hausurnen gedacht.

86 Walther Schulz [6

muß ein Dach haben, hat es keins, fo ſucht es ſich eins.) Ich gebe aber zu, daß ich eine Erklärung dafür ſchuldig geblieben bin, warum man gerade beſtimmte Bauten, an die manche Hausurnen auffallend erinnern, als Vorbilder benutzte.

Ein Erklärungsverſuch ſei hier vorgelegt, den beſonders Sprachforſcher, Religionsforſcher und Völkerforſcher nachprüfen mögen.

Speicher und Kochhütte ſcheinen die Vorlagen für manche Hausurne geweſen zu fein. Beſonders die auf Füßchen geſtellten Hausurnen möchte

Abb. 5. hausurne von Obliwitz, Pommern. Mannusbibl. Nr. 11.

ich als Speicher anſprechen. Man kann beobachten, daß überall auf der Erde Speichern gerne ein derartiger Unterbau gegeben wird, um die Vorräte zu ſchützen. Da aber auch bekanntlich Wohnhäuſer auf Pfählen errichtet werden, ſo kann ſelbſtverſtändlich dieſes Merkmal allein nicht genügen.

Die Hausurne unbekannten Sundorts im Muſeum Magdeburg (Abb. 3) iſt ein faſt kugeliger Bau auf Pfählen. Selbſt Behn trägt einige Be⸗

7] | Über hausurnen 87

denken, wenigſtens Prähiſt. Jeitſchr. X, 1918, S. 66, fie den Hausurnen zuzuzählen; die Bedenken find erklärlich, da er die hausurnen durchweg für Wohnhäuſer hält. Der Dergleich mit afrikaniſchen Hütten wirkt nun nicht ſehr überzeugend. Will man ſchon Dergleichsmaterial aus ÜUfrika heranziehen, ſo liegt es viel näher, auf die rundlichen, geflochtenen Getreideſpeicher hin⸗ zuweilen wie Abb. 4.

Noch eindeutiger aber find für unſere Frage die Hausurne von Obliwitz (Abb. 5) und die beiden von Woedtke aus Pommern, die auf Pfählen errichtete viereckige Bauten wiedergeben. Denn für dieſe haben wir noch heute die parallelen im mittleren und nördlichen Europa, und zwar in Speicherbauten Standinaviens und des Alpengebietes: Auf die Verwandtſchaft iſt ſchon häufig genug hingewieſen worden. Von beſonderer Bedeutung iſt dabei, daß die Profilierung der Tonfüßchen ſämtlicher Urnen dieſer Gruppe offenbar eine Steinzwiſchenplatte andeutet, die gerade Speicher beſitzen, um noch wirkſamer den Eintritt der Mäuſe zu hindern. Hierauf hat bereits Friedel Brandenburgia 1909/10, 18, S. 169 aufmerkſam gemacht, auch Behn hat die Profilierung ſo erklärt. Auf der Inſel Gotland hat in größeren Ge⸗ höften der frühgeſchichtlichen Zeit ein Speicher geftanden (vgl. mein Buch, beſonders Gehöft von Rings Haus C, Abb. 4 und Erläuterungen im Text 5. 17 u. 20), der in ſeinem Oberbau gewiß den pommerſchen Urnen ähnelte, während die Ständer durch eine geſchloſſene Steinmauer erſetzt ſind ).

Aus Tacitus „Germania“ erfahren wir, daß die Dorratsipeicher der Germanen auch als überdachte Gruben angelegt waren, ſo könnte man noch manche andere Hausurnen, vor allem Behns Modelle von „Erdkuppel⸗ hütten“, als Speicher deuten. |

Wie erklärt ſich aber nun das Speichermodell als Leichenbrandbehälter?

Die Bezeichnung der di penates, der göttlich verehrten Vorfahren der römiſchen Samilie, iſt abzuleiten von lat. penus = Dorratsfammer. Man dachte fic) alſo urſprünglich die Penaten in der Dorratsfammer hauſend. Der hintergrund dieſer Dorjtellung wird, zunächſt wenigſtens, weniger der geweſen fein, daß die Ahnen der Familie die Vorräte ſegneten und hüteten, ſondern ſie wird in der Beobachtung begründet ſein, daß ſich Tiere, die als deten Derjtorbener galten, beſonders Mäuſe, in der Dorratsfammer auf⸗ ielten.

Wenn nun auch im altitaliſchen Volksglauben der Dorratsraum als Aufenthalt der Seelen Deritorbener galt, ijt im germaniſchen Gebiete dieſe Doritellung nicht mit Sicherheit nachzuweiſen. Hingewieſen aber ſei darauf, daß ags. cofgodas mit penates lg wird, ferner daß unjer Kobold (aus Kofwalt) den im Kofen waltenden bedeutet. Der Kobold ijt mit den penates

1) Der Befund des Lehner von Rings auf Gotland ergab, daß der Speicher einen leichten Holzoberbau mit Lehmverkleidung trug, während auf dem breiten wallartigen Steinunterbau der Wohnhäuſer, anſcheinend ohne Vermittlung einer Holzwand, das Dach geſetzt war. Auf dieſe Beobachtung gründet ſich meine Ausführung S. 84, die Behn S. 47 und 48 angreift. Ich weiß ſelbſtverſtändlich, wie auch aus Dede den Stellen meines Buches hervorgeht, daß gerade Nebengebäude ältere Bauformen erhalten haben, während das Wohnhaus ſchneller und im ausgedehnteren Maße Neuerungen unterworfen üt; und trotzdem halte ich daran feſt, daß ſich an Nebenbauten beſondere Bauteile entwickeln tonnen und ſich auch entwickelt haben hier leichte a wand, Unterbau aus Pfählen oder Steinen (aljo Beginn des Stockwerks) —, die am Wohnhauſe fehlen; maßgebend it das Bedürfnis. Meine Anſicht iſt bei Behn, S. 47 und nochmals S. 48 verallgemeinert und dadurch entſtellt.

88 5 Walther Schulz [8

zu vergleichen. Aud) die germaniſchen Hausgeilter, Kobolde und wie fie ſonſt genannt werden, waren die Seelen der Ahnen !). „Kofen”, eine urger⸗ maniſche Benennung eines untergeordneten Baues (Zimmerchen, Hütte, Verſchlag, Stall), gehört zu kub gewölbt fein, bezeichnet alſo urſprünglich eine kleine gewölbte hütte, wie viele hausurnen fie wiedergeben, vielleicht aus Flechtwerk; es fehlt meiner Kenntnis nach die Überlieferung in der Be⸗ deutung „Vorratsraum“, die man vielleicht, aber nur unſicher, aus der Beziehung der „im Kofen waltenden“ zu den „Geiſtern der Vorratskammer“, den penates, erſchließen könnte. (Indes ſcheinen ſich die nordiſchen Kobolde, die Niſſe, beſonders viel in Ställen aufzuhalten, fo daß der Kobold auch beſonders der im Stalle ſein Weſen treibende fein könnte. Dermutlich hat

Abb. 6. hausurne von Abb. 7. Hausurne von Abb. 8. Kodpbiitte einer nordſchwediſchen Collestrug, Jutland. Gullev, Jütland. Sennerei. Mannusbibl. Nr. 11. Mannusbibl. Nr. 11. Mannusbibl. Nr. 11.

hier ebenfalls das Auftreten von kleinerem Getier in Ställen und Kammern zu dem Glauben geführt, daß die Kobolde hier heimiſch ſeien.) War Speicher und Kofen Aufenthalt der Seelen, fo iſt das Speichermodell als Leichen⸗ brandbehälter verſtändlich, aber auch die „Grubenhüttenurne“, ſelbſt wenn ſie keinen Speicher nachbildete. Der Wunſch mochte mitſpielen, die Toten in die Nachbildung des Baues zu bannen.

Bemerkt ſei auch, daß ſich Beſtattung im Speicher in der Völkerkunde nachweiſen läßt, man könnte allerdings die Benutzung des auf Pfählen ge⸗ ſtellten Speichers als Totenhaus mit der verbreiteten Beſtattung über dem

1) Dgl. O. Schrader: e und Urgeſchichte . 1916. S. 428. 8. Mogk, „Hausgeiſter“ in Hoops Reallexikon, Bd. 2, S. 456. Die nordiſchen „Niſſe“:

eilberg, „Der Kobold in nordiſcher Überlieferung“. Zeitſchr. d. Der. f. Doltstunde. 8. 1898. S. 276, 277.

9] Über Hausurnen 89

Erdboden in Verbindung bringen, die den Toten vor Tierfraß ſchützen foll, mitunter auch als vorläufige Beiſetzung gilt.

Andere Hausurnen, Modelle hoher runder Hütten, kegelförmig oder mit Spitzdach und Wand, die in der Dachſpitze ein offenes oder überdedtes Rauchloch haben, erinnern an ſkandinaviſche Herdhütten heutiger Zeit. Ich wiederhole hier drei Abbildungen meines Buches, die die Übereinſtimmungen erkennen laſſen. (Abb. 6, 7, 8).

Warum man gerade in Nachbildungen dieſer Hütten die Toten beerdigte, ſoll wiederum aus den Anjchauungen der Zeit zu erklären verjucht werden. Wir wiſſen, daß die Herditelle bei verſchiedenen indogermaniſchen Völkern als Sitz der verehrten Ahnen und noch heute im deutſchen Volksglauben als Sig des Hausgeiſtes gilt. Dieſe Vorſtellung ijt vielleicht wiederum nicht ur⸗ ſprünglich darin begründet, daß der Herd der geheiligte Mittelpunkt des hauſes war denn, wie ich in meinem Buche gezeigt habe, war dieſes gar nicht von jeher der all; vielfach wurde die Seuerjtätte außerhalb des Haufes angelegt, auch mit einer beſonderen Überdachung verſehen, woraus die herdhütte entſtand ſondern die angenehme Wärme zog den hausgeiſt an, wurde er wohl gar an der herdſtelle in irgendeinem Tiere geſehen oder als heimchen gehört. So wird, wie der Speicher, auch die Seueritelle der herdhütte zum Aufenthalt der Derſtorbenen. Die Beſtattung in der Nachbildun dieſes hauſes würde damit gleichfalls ihre Erklärung finden.

Bericht über die Funde bei Neuhof (Kreis Bubliß, Reg.⸗Bez. Köslin, Pommern) vom 27. Sept. 1923.

Von Dr. Otto Dibbelt, Rolberg.

Dort, wo in der hinterpommerſchen Schweiz der Gillerſee einſt mit dem öſtlich gelegenen Papenzienſee in Verbindung ſtand, iſt durch die all⸗ mähliche Derlandung die Gillerwieſe erwachſen, die noch heute einige ge- fährliche Tiefen aufweiſt. Aber die Natur hat hier nicht allein gewirkt, Menſchenhände ſind mit im Spiel geweſen und haben durch eine Straße, die von Norden nach Süden geht, den Oſtrand des Gillerſees abgedammt, ſo daß ſein Waſſerſpiegel mit einer impoſanten höhe von 178 m immer einige Meter über dem des Papenzienſees liegt. Südlich von der obengenannten Wieſe ſteigt das Gelände ſchnell zu einem gedehnten Hügelrüden an, der das einſt von Groß⸗Carzenburg gelöſte Vorwerk Neuhof trägt. Als Herr Guts- beſitzer Weſtphal zu Anfang des Jahres den bisher als Ader benutzten nörd⸗ lichen Teil des hügels zu einem Garten umwandeln ließ, ſtieß der Gärtner bei der Anlage der Wege auf mehrere Gräber, deren Inhalt durch die Ungunſt der Witterung zum größten Teil verloren gegangen iſt. Am 27. September durchprüfte ich das Gelände, durchſtieß mit einer ſpitzen, oben krückſtockartig umgebogenen Eiſenſtange die humusdecke und ſuchte mit dem Gärtner Tag vergeblich. Zur Beſtimmung wählte ich darum das zuletzt ge⸗ öffnete, doch noch gut erhaltene Grab. Die ſieben vorher aufgedeckten Gräber beſtanden alle aus vier Seitenplatten von ungefähr je ½ qm und einer nur etwas größeren Deckplatte. Kopf und Fußplatte waren kaum durch beſondere Lange von den Seitenplatten unterſchieden. Die Platten waren durchſchnitt⸗ lich 4-5 em dick und durch kleine Feldſteine (Granit und Gneis) geſtützt. Der Boden der Grabkammer war mit fauſtgroßen Steinen belegt und mit lehmigem Sand abgedeckt. Auf ihm fanden ſich meiſt zwei oder mehrere Urnen mit Beigefäßen. Unter den gefundenen Urnen laſſen ſich zwei Typen unterſcheiden. Der eine Tupus iſt vertreten durch eine Urne mit folgenden Maßen: Bodenfläche D = 10 em, Höhe 22 cm, Bauch D = 20 em, D der Offnung 15 cm, höhe des leichtabgeſetzten halſes 5 cm. Der dunkelbraune bis ſchwarze Ton iſt wenig gebrannt und mit vielen kleinen Quarzkörnern durchſetzt. Der obere Teil der Urne iſt wie mit Graphit abgerieben und darum faſt glänzend ſchwarz, der untere Teil zeigt eine durch Tonbewurfiberauhte Fläche (Mannus, Bd. III, S. 11, mittlere Figur). Der andere Typus geht mehr in die Breite, Bodenfläche D = 10 em, Bauch D = 28 cm, Höhe 20 cm (Mannus, Bd. III, Tafel II, untere Reihe Nr. 3). Don dem Urnen⸗

2] Dr. Otto Dibbelt, Bericht über die Sunde bei Neuhof (Kr. Bublitz) 91

reſt löſt ſich der Lehm in Fladen ab, ijt goldbraun und zeigt einen ſchwachen Brand; auch der obere Teil iſt leicht geſchwärzt. Ein pfannkuchendicker ein⸗ facher Deckel ijt gefunden worden. Die Urnen waren mit Knochenreiten gefüllt. Leer waren die Beigefäße, von denen ein erhalten iſt in der Größe einer kleinen dicken Taſſe. Auffällig iſt, daß alle Steinplatten aus einem roten Sandjtein der Dorfohlenzeit ſtammen. Am Gillerſee ſind vor Jahren ähnliche platten gefunden worden.

Wenn auch Metallbeigaben irgend welcher Art fehlen, darf man doch auf Grund ſpäterer benachbarter Sunde die Steinfijtengraber der frühen Eiſenzeit zurechnen.

Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland.

Don O. Richter und m. Jahn: mit 4 Abbildungen im Text und Tafel II.

Herrn Major a. D. Richtet in Stuttgart ijt es gelungen, drei Beiſpiele einer eigen⸗ artigen, neuen Waffenform aus Süddeutſchland nachzuweiſen. Unermüdlich war er für die Bekanntgabe und richtige Beurteilung dieſer Schwertart tätig. Auf dem Tübinger Anthro= pologenkongreß 1923 machte er mich auf die drei Schwerter aufmerkſam, von denen ich das in Ulm befindliche im Urſtück beſichtigen konnte. Durch dieſe Anregungen kam folgende Arbeit zuſtande, zu der herr Richter vor allem die Behandlung der ſüddeutſchen Schwerter beiſteuerte, während ich verſuchte, die anderweitigen Gegenſtücke zuſommen zu tragen, ſoweit fie nicht ſchon Schwietering bekannt gegeben n und die Zeitſtellung der Schwert⸗ form zu erörtern. Für die Heritellung und Überlaſſung der Abbildungen der drei ſüd⸗ deutſchen Schwerter und die bereitwillige Unterſtützung unſerer Arbeit ſind wir herrn son Goeßler in Stuttgart zu großem Danke verpflichtet, ebenſo herrn Direktor

reger in Berlin für die Anfertigung und Überlaſſung einer Abbildung des Schwertes aus 51 Sammlung. Martin Jahn, Breslau.

In Süddeutfchland find drei gleichartige, ſchmalklingige Eiſenſchwerter mit Knollenknäufen gefunden worden, deren Sorm jo völlig von den ſonſt üblichen abweicht, daß ihre zeitliche Einordnung nicht leicht iſt. Gerade deshalb halten wir es für geboten, alles, was wir über dieſe Waffen ermitteln konnten, der Allgemeinheit vorzulegen, in der hoffnung, dadurch ihre end⸗ gültige Beſtimmung am beſten fördern zu können.

1. Eislingen a. d. Fils, Oberamt Göppingen in Württemberg. In das Muſeum Daterländifcher Altertümer in Stuttgart gelangte im Jahre 1912 durch Kauf ein Schwert (Inv.-Nr. 13791), über deſſen Sundumftände nichts mehr bekannt ijt (Taf. II, 2—3). Es hat, obwohl die Spitze fehlt, die beträchtliche Geſamtlänge von 105 cm, wovon auf den Griff 11,5 cm kommen. Die Klinge ift auffallend ſchmal im Mittel 1,5 cm, am Griffabſchluß etwa 1,7 cm breit und mit ſehr hoher, ſcharfer Mittelrippe verſehen. Die Klingendide von im Mittel 0,8 em iſt alſo im Verhältnis zur Klingenbreite äußerſt groß. Die Klinge ſteckt in einer 2 cm breiten, enganſchließenden Scheide, die aus zwei dünnen Eiſenblechſtreifen beſteht. Der breitere, auf den Abbildungen ſichtbare Blechſtreifen greift mit ſeinen umgebogenen Rändern über den anderen Streifen hinweg. Die Derbindung beider Scheidenhälften iſt nur durch das Juſammenſchmieden dieſer Ränder bewerkſtelligt. Etwa in der Mitte der Scheidenlänge fehlt ein Teil des breiteren Scheidenblattes. Es ſchneidet plötzlich wagerecht ab und wird dicht oberhalb von zwei Nietlöchern

3] Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland 93

durchbrochen, deren eines noch den Reit der Niete enthält. Dieſe, auf der Abbildung oben liegende Scheidenhälfte war alſo aus zwei Stücken zuſammen— genietet, während die hintere, ſchmälere hälfte aus einem Stück beſteht. bielleicht iſt dieſe Nietung nicht urſprünglich, ſondern erſt nach einer berletzung der Scheide als Reparatur angebracht worden. Müſſen doch ſolche langen, ſchmalen, aus dünnem Eiſenblech hergeſtellten Scheiden, wenn das Schwert herausgezogen war, leicht Beſchädigungen, wie Knidungen und Brüche erlitten haben ). Die Scheide läßt auf dem breiteren Blatt an wenigen Stellen eine Verzierung von zwei Langs- furchen erkennen, die die Scheidenränder begleiten. An der einen Seite der Scheide dicht unterhalb des Scheidenmundes ſitzt ein länglicher Eiſenſtab mit verdicktem, kegel— förmigem Ropf, der vielleicht bei der Be— feſtigung des Schwertes am Tragriemen eine Rolle geſpielt hat. Er ſcheint auf die Scheide geſchweißt zu fein. Die Mündung der Scheide ſchließt fic) ohne eine Der- ſtärkung dem glockenförmigen Ausjchnitt des unteren Griffabſchluſſes eng an. Der für ſich geſchmiedete Eiſengriff iſt über die im Querſchnitt viereckige Griffangel ge— zogen, deren Ende an dem ſchlüſſelloch— ähnlichen Innenausſchnitt des Griffes noch zu erkennen iſt. Der Griff hat denſelben ſcharfen Mittelgrat wie die Schwertklinge. Seinen hochgeſchwungenen klusſchnitt am unteren Ende begleiten zwei Kugeln. Der Grifffnauf wird von vier maſſigen, eng aneinandergedrückten Knollen gebildet, die im halbkreis das Innenloch umrahmen. Die beiden mittleren Knollen übertreffen die äußeren an Größe und Dicke. Der Mittelteil des Griffes verbreitert ſich in ö zwei eckige Zipfel. Die Klinge iſt an der

Stelle, wo die Scheide unvollſtändig iff, fu n ulm ae all vn Dom, etwas verbogen. Die Bruchfläche an dem Klinge, d Scheide von vorn, e von Klingenende trägt Spuren einer Kupfer hinten.

lötung; die fehlende Spitze muß alſo bei

der Auffindung des Schwertes noch vorhanden geweſen und angelötet worden ſein. Leider hat die Reparatur keinen Beſtand gehabt.

2. Ulm. Im Gewerbemuſeum von Ulm wird unter Nr. 2752 ein ganz ähnliches Schwert aufbewahrt, das am 24. VIII. 1911 anläßlich des Brüden- baues in der ehemaligen Baſtion „Unterdonau“ 1 m unter Riederwaſſer gefunden wurde (Taf. II, 1 und Abb. 1). Das urſprünglich wohl spitzbogige Schwertende iff ſtark verroſtet. Die Geſamtlänge des Schwertes beträgt 95,5 (in unverſehrtem Zuſtande etwa 96) em; davon nimmt der Griff 11,5 em ein. Die Klinge iſt oben 2,4, im Mittel 2 em breit und 0,8 em dick;

WET Gegen eine ſolche Verletzung ſpricht freilich der Umſtand, daß die andere pe ah i die ſicher dabei auch in Mitleidenfdaft gezogen worden wäre, un— ädigt ijt.

94 O. Richter und M. Jahn [3

im Oberteil weiſt jie eine geringe Derbiegung auf. Ein großer Teil der Klinge iſt noch von der unvollſtändigen eiſernen Scheide bedeckt, die wiederum aus zwei Blechſtreifen beſteht. Die Kanten des breiteren Streifens begleitet je eine ſchwache Furche, zwiſchen denen noch vier ähnliche gleichgerichtete Surchenpaare die Scheide entlanglaufen (Abb. 1d). Auch die überkragenden Ränder dieſes Streifens werden durch zwei Cängsfurchen belebt, während die ſchmale Scheidenhälfte ſonſt unver— ziert ijt (Abb.. le). Etwa dort, wo bei der Eislinger Schwertſcheide der Eiſenſtab befeſtigt iſt, wird das Ulmer Schwert, dem hier die Scheide jetzt fehlt, auf einer Seite loſe von einer breiten Eiſenklammer zangenartig umfaßt. Die beiden Jangenhälften ſind innen ebenſo ſcharf geknickt wie das Klingenprofil und erheben ſich rechtwinklig aus einer 4 x 5 em großen, ſtark verroſteten Eiſenplatte, die urſprünglich anſcheinend Nietlöcher trug. Sollte dieſe offen— bar zum Befeſtigen des Schwertes beſtimmte Platte mit dem Schwerte gleichalt ſein, was aber nach der ganz ver— ſchiedenen Machart und der Form dieſes Anhangjels wenig wahrſcheinlich iſt, müßte man ſie als Schwertträger anſehen, durch deſſen Cöcher vielleicht die Endglieder einer Tragkette gezogen waren. Der Griff des Schwertes ent— ſpricht ganz dem Eislinger, nur iſt er etwas ſchlanker und zierlicher. Die vier Knaufknollen nähern ſich in ſtär— kerer Biegung mehr einer Kreislinie, die äußeren (hier beſſer: unteren) Knollen ſtehen in ihren Ausmaßen viel mehr hinter den Mittelknollen zurück. Das Mittellod ijt einfacher, etwa tropfenförmig geſtaltet. Die Derbreite- rungen am Mittelgriff treten ſtärker, wirklich zipfelartig,

740 hervor. Der glockenförmige Ausjchnitt des Griffabſchluſſes wie ijt nicht mehr fo hoch und wohlgeſchwungen geſchweift. Sl Die Ränder des Mittelgriffes ſetzen ſich gegen den Knollen- HAM fnauf und den Rugelabſchluß in kleinen Stufen ab. Huch Sl erkennt man auf dem Mittelgriff noch winzige Reſte einer 7 Furchenverzierung ähnlich dem Scheidenmuſter.

3. „Lengenfeld bei Neuburg in Bayern“. Als Geſchenk des Majors a. D. Richter in Stuttgart gelangte 8 1919 in das Stuttgarter Muſeum Daterländiſcher Alter- Abb. 2. CTengen⸗ tümer ein Bruchſtück eines Schwertes von demſelben Typus

feld. Etwa /. (vgl. III. Bericht des Muſeums Daterländifcher Alter- tümer in Stuttgart über das Jahr 1919, Stuttgart 1920,

S. 9f. und Abb. 4; danach unſere Abb. 2. Außerdem unſere Taf. II, 4). Es ſtammt aus der Privatſammlung A. Sied in München. An dem Schwertreſt hängt ein Zettel mit folgender Bezeichnung: „Dolch von Eiſen aus der hallſtattzeit (600—400 vor Chriſtus. Ihre beſte Zeit um 500 vor Chriſtus). Ausgrabung in Lengenfeld!) bei Neuburg in Bayern.“ In dem von Weizinger ver- faßten Katalog V der Sammlungen C. Marx-Mainz und A. Sieck-München, 1918, iſt unter Nr. 212 als Fundort „Lengenfeld bei Neuburg a. D.“ an- gegeben. Sonſtige Fundnachrichten fehlen leider völlig. Eine Ortſchaft Lengenfeld gibt es bei Neuburg a. D. nicht. Doch teilt uns der Vorſtand

= -

1) Die handſchrift läßt auch die Lejung „Langenfeld“ als möglich erſcheinen.

4) Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland 05

des hiſtoriſchen Dereins in Neuburg a. D., Herr Pfarrer Sedelmayer freund: licht mit, daß etwa !/, Stunde öftlid vom Stadtweichbild die „Cängenmühle“ liegt und die anliegenden Adergründe „Längenfeld“ genannt werden. Es iſt auffallend, daß man eine Slurbezeichnung, die, wie herr Profeſſor Rei⸗ necke-München uns ſchreibt, ſelbſt auf der Kataſterkarte fehlt!), als Sund- ortsangabe gewählt hat. Don Grabhügeln oder vorgeſchichtlichen Funden iſt in dieſer Gegend ſonſt nichts bekannt. Es bleibt alſo ungewiß, ob das Schwert wirklich von hier ſtammt. Nach gütigen Angaben von herrn Profeſſor Reinecke gibt es in Bayern 8 Ortſchaften nomens Lengenfeld, aber keines in der Nähe von einem Neuburg. Es könnte nach ihm noch das Dorf Leng- feld im Bezirksamt Neunburg vorm Walde in der Oberpfalz gemeint ſein; doch erſcheint es ihm als ausgeſchloſſen, daß dort vorgeſchichtliche Grab⸗ hügel je vorhanden geweſen find. Mag aljo bei dieſem Stück der nähere Fundort nicht gejichert fein, fo dürfte wohl kein Grund vorliegen, an feiner herkunft aus Bauern zu zweifeln, zumal ſchon zwei gleichartige Stücke aus Württemberg bekannt ſind.

Don dieſem Schwert iſt nur der Griff und der obere Klingenteil in einer Geſamtlänge von 21 em erhalten. Der 11 em lange Griff iſt ſo ſchlank wie der von Ulm; auch die Einzelheiten des Knollenfnaufs und des Innenloches entipredjen mehr dem Ulmer, als dem Eislinger Gegenſtück. Nur die Dor- K am Mittelgriff ſtimmen mehr mit denen des Eislinger Schwertes überein. |

Auf Anregung von Major Richter ließ Profeſſor Goeßler alle drei Schwerter zwecks weiterer Unterſuchung einer gründlichen Reinigung unter: ziehen, die der Präparator des Stuttgarter Muſeums Witſcher aufs befte ausführte. Nunmehr ergab fic) ein klares Bild von der Herftellungsart der Schwertgriffe, beſonders deutlich bei dem Lengenfelder Stück, aber auch bei den anderen erkennbar. Jeder Griff beſteht abgeſehen von der Griffangel aus fünf Teilen. Der Mittelgriff ſetzt ſich aus zwei Hälften zuſammen, deren Berührungslinie als Naht auf der Mitte der Schmalſeiten entlang läuft. Die obere Kante des Mittelgriffes ſtuft ſich zu einer rechtwinklig abgeſetzten, vorſtehenden Mittelleiſte ab, auf die der entſprechend ausgekehlte Knauf, deſſen vier Knollen aus einem Stück beſtehen, gehämmert ijt. Am Kußen⸗ rande der kleineren Seitenknollen ſieht man die Enden der Mittelleifte, die in eine ſcharfkantige Rinne des Knaufes eingezapft ſind. Alm unteren Ende des Mittelgriffs ragt beiderſeits ein rechtwinklig abſtehender Dorn vor, auf den das entſprechend ausgehöhlte Kugelpaar aufgeſetzt iſt. Bei der Abbildung auf Taf. II, 4 des Lengenfelder Schwertes iſt die erhaltene Kugel losgelöſt und neben den freigelegten Dorn geſtellt worden, um die ZJuſammenſetzung zu veranſchaulichen. Nachdem der Griff aus ſeinen verſchiedenen Beſtandteilen zuſammengeſchmiedet war, wurde er über die Griffangel gezogen und feſt⸗ gehämmert. |

4. Frankreich. Als erſter hat ſich Schwietering mit dieſer Waffen form beſchäftigt. In der Prähiſtoriſchen Zeitſchrift X (1919), S. 180 f. und Abb. 2b veröffentlicht er ein gleichartiges Stück des Berliner Jeughauſes (Inv.-Nr. 05: 171), das aus franzöſiſchem Handel erworben wurde. Das Schwert ijt inzwiſchen in den Beſitz des Dorſitzenden des Vereins für hiſto⸗ riſche Waffenkunde, Dr.-Ing. Dreger, Major a. D. in Berlin-Steglitz, über⸗ gegangen, in deſſen Sammlung ich es beſichtigen konnte. Die Geſamtlänge

1) Nur die „Längenmühle“ und ein „Cängenmüllerbach“ find dort verzeichnet.

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96 O. Richter und M. Jahn [5

dieſes Stückes, deſſen Ort jcharf fie fit iſt, beträgt nur 86 em, wovon 11,7 em auf den Griff kommen. Die Klinge iſt am Griffanſatz 2,8 em breit, alſo kürzer und gedrungener als die ſüddeutſchen Gegenſtücke, aber mit dem⸗ ſelben ſcharfen Mittelgrat (Klingendicke 0,7 em) verſehen. Schwietering nimmt fälſchlich an, daß das Schwert ganz aus einem Stück geſchmiedet fei; nach der gründlichen Reinigung, die herr Major Dreger vorgenommen hat, iſt es ſicher, daß die Kugeln für ſich hergeſtellt und auf den Griff auf⸗ geſetzt ſind. Auf Tafel II erkennt man auf den Scheiteln der beiden rechten Knauffnollen die Enden der Kugelhalter, die hier zum Unterſchiede von den ſüddeutſchen Schwertern völlig durch die Kugeln hindurchgehen. Die Zuſammenſetzung des eigentlichen Griffes iſt nicht ſo klar zu erkennen. Eine Bruchlinie, die ſich quer über den Griff dicht oberhalb der Mittel- zipfel hinzieht (Taf. II), verläuft in eine geradlinige, ſenkrechte Fuge, die den Griff an den Schmalſeiten genau halbiert und dafür ſpricht, daß auch hier der Mittelgriff aus zwei Hälften zuſammengeſchweißt iſt, wie bei den ſüddeutſchen Stücken. Die Scheide iſt bei dem Berliner Stück nicht erhalten. Der Griff ähnelt mehr der breiteren Eislinger Form, nur liegen die vier Knaufknollen in einer faſt gar nicht gebogenen Linie nebeneinander und ſind ſchärfer voneinander getrennt. Der Umriß des Innenausſchnittes hat die Form eines Lateiniſchen U. Un dem glockenförmigen Ausjchnitt des unteren Griffendes ſind zwei kleine eckige Stufen angebracht.

Die Bedeutung der Veröffentlichung Schwieterings liegt darin, daß er zum erſten Male dieſer Waffenform ein geſchichtliches Ulter abſpricht und ſie als vorgeſchichtlich zu erweiſen ſucht. Die Form des Griffes und beſonders der langen, ſchmalen, im Querſchnitt rautenförmigen Klinge ſind für vorgeſchichtliche Waffen ſo ungewöhnlich, daß ſie bis dahin als geſchicht⸗ lich angeſehen wurde. Huch im Zeughaus hatte das Schwert in der ſpät⸗ mittelalterlichen Abteilung feinen Platz erhalten. Schwietering leitet nun die Form von hallſtatt⸗ und latènezeitlichen Dolchen und Schwertern mit Griffknöpfen ab und ſucht ihr Entſtehungsgebiet in Spanien. Eine end⸗ gültige Beſtimmung konnte er aber noch nicht geben, da ihm damals kein Gegenſtück zu dem Berliner Schwert bekannt war. Seine Ausführungen fanden bei Vorgeſchichtlern wenig Anklang. Goeßler z. B.) lehnt Schwie⸗ terings Unſetzungen als wohl unrichtig ab und rückt die Schwertform ſogar ins 15. bis 16. Jahrhundert. „Die ſchmale Klinge mit ſteildachförmigem Querſchnitt und der Griff weiſen den Typus eher in ſpätgotiſche oder Srüh- renaiſſancezeit.“ Es iſt verſtändlich, daß bei einer ſo einzigartigen Form die Altersbeſtimmungen derartig voneinander abweichen. Durch den dreifachen Nachweis der Waffenart in Süddeutſchland wurde die Klärung ſeiner Zeit⸗ ſtellung immer dringlicher. Leider konnte aber keines der drei ſüddeutſchen Schwerter durch ſeine Fundumſtände das Rätjel löſen.

Wir ſuchten nun vor allem die beſonders von Dorgeſchichtlern auf⸗ geſtellte Theſe, die Schwertform ſei mittelalterlich, zu prüfen. Nicht nur die Vorlage des Eislinger Schwertes auf der Münchener Derfammlung des vereins für hiſtoriſche Waffenkunde (1922) ſondern auch briefliche und mündliche Anfragen unter Beilegung von Photographien an bekannte Waffen⸗ forſcher blieben völlig ergebnislos. Don allen Seiten kam der Beſcheid, die Waffe ſei nicht geſchichtlich und könne nur vorgeſchichtlich ſein. Die Bewaff⸗ nung des Mittelalters iſt bereits ſo gut bekannt, daß die Schwertform ſicher

1) 3. Bericht des Muſeums Daterlandifcher Altertümer in Stuttgart, 1920, 5. 9f.

6] Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland 97

auf alten Stichen und Bildern, oder in Waffenſammlungen und Rüſtkammern vorkommen würde, wenn ſie in geſchichtlicher Zeit in Gebrauch geweſen wäre. a Dieſes negative Ergebnis zwang uns auf den Weg, den Schwietering gewieſen hatte. Wenn auch die Schwertform im ganzen von vorgeſchicht⸗ lichen Waffen durchaus abweicht, bieten doch gewiſſe Einzelheiten An⸗ knüpfungs möglichkeiten, die für ein vorgeſchichtliches Alter des Typus ſprechen. Es ſei einmal auf den hochgeſchwungenen „glockenförmigen“ Husſchnitt am unteren Ende des Griffes zwiſchen den beiden Kugeln hingewieſen, dem ein gleicherweiſe geſchwungener Vorſprung der Scheidenmündung entſpricht. Diefes Motiv ijt kennzeichnend für die Schwerter der Latenezeit. Dazu kommt die Geſtaltung der Scheide aus zwei Eiſenblechhälften, von denen die breitere beiderſeits über die ſchmälere herumgreift und fo den Zujammenhalt der Scheide herbeiführt. Auch dieſe Machart ijt kennzeichnend für die Catdne- zeit!); in ſpäteren Zeiten kommt fie, ſoweit unſere Kenntnis reicht, nicht mehr vor. Wenn alſo die Waffengattung vorgeſchichtlich iſt, kann ſie nur aus der Latönezeit ſtammen. Aud) Schwieterings Ableitung der Griff⸗ form von Dolchen mit geſtielten Knöpfen der Hallitattzeit gibt einen mög⸗ lichen Weg an, den Knollenknauf für dieſe Zeit verſtändlich zu machen. Nur daß Schwietering den Schwerttypus dem ſpaniſchen Rulturkreis zuweiſt und ihn an das Ende der Laténeftufe kurz vor den Beginn unſerer Zeit⸗ rechnung ſetzt, iſt unrichtig. Denn einmal iſt in Spanien unſere Schwert⸗ form, wie auf eine Anfrage Herr Univerſitätsprofeſſor Boſch Gimpera in Barcelona freundlichſt mitteilte, unbekannt; und dann müſſen wir, wenn die Ableitung von den Ballitattdoldyen richtig ijt, den Schwerttypus eher an den Anfang als ans Ende der Latönezeit rücken. Ein Einfluß unferes Knollenknaufs auf Knaufbildungen von Schwertern der Karolingerzeit, der nach Schwietering vielleicht in Frage kommen könnte, ijt natürlich bei dem gewaltigen Jeitabſtand ganz unmöglich.

Unſere Bemühungen, durch Auffindung weiterer Gegenſtücke der Cöſung der Frage näherzukommen, waren lange vergeblich. Exit ein freund⸗ licher hinweis des herrn Dizedireftors des Schweizeriſchen Candesmuſeums, Dr. Diollier in Jürich, machte uns mit drei weiteren Beiſpielen aus Oſt⸗ frankreich bekannt, von denen eines von beſonderer Bedeutung für unſere Stage iſt, da es aus einem Grabe gehoben zu fein ſcheint. Da die Deröffent⸗ lichung der Stücke von Corot an ſehr entlegener Stelle erfolgt iſt “), laſſen wir die Hauptangaben des Berichtes hier folgen.

5. Sivry, Kreis Beaune, Bezirk Cote d'Or. Im Jahre 1890 ſtieß ein Bauer von Sivry mit der Pflugſchar an einen großen Stein, an dem der pflug ſchon alle Jahre hängen geblieben war. Der Bauer grub das Hindernis aus und fand unter ihm noch eine ganze Reihe großer Steine. Inmitten der Steine ſtieß er auf Bronzereſte und altes Eiſen, die er ſammelte und an mehreren Stellen in feinem Hauſe aufſtellte. Erſt drei Jahre ſpäter be⸗ ſtimmte ein Herr Chaugarnier den Finder, die Stücke dem Muſeum von Beaune zu überweiſen, zu welchem Zwecke dieſer fie aus einem Schrank, von einem Ramin und anderen Teilen der Wohnung zuſammenſuchte. Nach

1) Dgl. 3. B. Jahn, Bewaffnung der Germanen. 8. 2470, S. DT 1]

. ) henr . Les épées de Créancey et do Sivry in den Mémoires de la Société d'Histoire et d’Archéologie de Beaune 1901 (Beaune 1902). S. A. S. 7—13. Wir kennen die Veröffentlichung auch nur aus einem uns von herrn Dr. Diollier zur Derfügung ge⸗ ſtellten Sonderabdrud. |

Mannus, Seitidrift für vorgeſch., Bd. 17. H. 1/2. 7

98 O. Richter und M. Jahn | [7

den Angaben des Bauern lagen in dem ſteinüberdeckten Grabe eine Bronze— cijfe, die verbrannte Knochen enthielt, ein Eiſenſchwert, eine eiſerne Canzen— ſpitze, ein Bruchſtück eines Eiſenringes und eine Bronzenadel. Bei der Art der Ausgrabung iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß weitere, beſonders kleinere Beigaben und Rejte von ſolchen dem unerfahrenen Auge des Sinders ent— gangen ſind.

Das Eiſenſchwert (Abb. 3a—b) ijt nach Corot aus einem Stück ge— ſchmiedet; doch kann man wohl annehmen, daß es der Machart der ſüd— deutſchen Schwerter entſpricht. Es iſt unvollſtändig, noch 62,5 cm lang,

wovon nach der Abbildung etwa 13 cm (!) auf den Griff kommen. Der Quer: ſchnitt der Klinge ijt wieder rautenförmig. Auch der Griff entſpricht in allen Einzelheiten dem Lengenfelder oder Ulmer Stück. Das Innenloch bildet ein 1,2 bis 1,5 em großes Oval.

Die eiſerne unvollſtändige Lanzenjpige (Abb. 3c) ijt noch 17,7 em lang, davon entfallen auf die Tülle 7,2 em. Die größte Blattbreite betrug wohl 4,5 bis 5 em. Der eiſerne Ringteil (Abb. 3f) hat einen Durchmeſſer von etwa 15 em und elliptiſchen Querſchnitt. Sein Gebrauchszweck iſt un—

Abb. 3. Sivry (Oſtfrankreich). Etwa ¼, ſoweit nichts anderes angegeben ift. Aus. i= Dbenauttidit des Nadelkopfes h. z

8] Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland 99

klar!). Die in Reiten erhaltene Bronzeciſte (Abb. 3d—v) gehört nach ihrem kleinen Durchmeſſer von 21,5 em und den enggeſtellten Rippen zu der Gruppe mit beweglichen henkeln. Ihr Boden (Abb. 36) weiſt konzentriſche Kreisfurchen auf; die mit Bronzenieten zuſammengefügte Wand trägt um⸗ laufende Rippen und dazwiſchen ein Muſter von getriebenen Punktreihen. Die Bronzenadel (Abb. 5g, h, i) ijt 14,2 cm lang und hat einen doppel- koniſchen, mit Strichgruppen verzierten Kopf.

Der Finder hat demnach ein mit einer ſtarken Steindecke geſchütztes Brandgrab gehoben, das urſprünglich möglicherweiſe unter einem Hügel lag. Es iſt für unſere Unterſuchung außerordentlich bedauerlich, daß das Grab nicht ſachgemäß ausgegraben worden ijt. Nicht nur fehlen die fo not- wendigen näheren Fundumſtände und Angaben über die Lage der Sund- tide zueinander, ſondern die planloſe Hebung und Art der Aufbewahrung läßt es auch als möglich erſcheinen, daß der Bauer von anderen Stellen ſtam⸗ mende Stücke dem herrn Chaugarnier als zum Funde ge— hörig übergab. Immerhin iſt die letzte Annahme nicht ſehr wahrſcheinlich; beſonders bei dem größten Stück, dem Schwerte, wird ſich der Finder wohl noch der Zugehörigkeit zum Funde 5 Jahre nach der Auffindung genau erinnert haben. Herr Chaugarnier hat jedenfalls nach den Angaben des Bauern alle Funde als von derſelben Stelle ſtammend angeſehen. Corot wirft nun mit Recht die Frage auf, ob der Fund ein— heitlich iſt. Ihm fiel ſchon auf, daß die Bronzenadel aus der Bronzezeit ſtammt und daher von den anderen Stücken, die höchſtens bis in die frühe Eiſenzeit zurückdatiert werden können, abſticht. Er macht den glaubhaften Erklärungsverſuch, daß in dem Hügel mehrere verſchiedenalte Gräber lagen, deren Inhalt der Finder zuſammenwarf. Die erhaltenen Sund- ſtücke außer der Bronzenadel können ganz gut einem einzigen Grabe entſtammen. Der Bronzeeimer enthielt die verbrannten Knochenreſte eines Kriegers, dem ſeine hauptwaffen: Schwert und Lanze mit ins Grab gegeben wurden.

6. Zwiſchen Dix und Etrochey, Bezirk Cote d'Or, wurde nach Corot ein Eiſenſchwert gefunden, das dem von Sivry fo vollkommen gleicht, daß man, wenn es nicht aus Eiſen wäre, glauben könnte, es käme aus derſelben Gubform. Es wurde von Dr. Bourree in Chatillon fur Seine dem Muſeum der Société archéologique du Chatillonnais geſchenkt. |

7. Aus der Saone bei der Injel St. Nicolas, 2 km oberhalb von Chalon, Bezirk Saone et Loire, wurde nach Corot ein Eiſenſchwert gebaggert, das in die Sammlung Millon in Dijon gelangte. Der Griff ſtimmt nach der von Corot veröffentlichten Abbildung (unſere Abb. 4) am meiſten mit dem in Berlin befindlichen Schwert aus Frankreich überein. Die vier Knauffnollen liegen in einer faſt geraden Linie nebeneinander. Der Griff ijt breit, die eckigen Dorjpriinge in der Mitte des Griffes find noch wenig ausgebildet, das Innenloch hat rundliche oder tropfenartige Form. Aud) die Klinge entſpricht in der Breite dem Berliner Stück.

Es iſt bezeichnend, daß Déchelette in feinen Arbeiten keines der drei Schwerter verwertet, obwohl er die Corotſche Abhandlung ſonſt zitiert.

bb. 4. Aus der Saone. ½.

1) Dielleicht erſcheint der Kingdurchmeſſer durch Verbiegung jetzt kleiner als ur⸗ ſprünglich; dann könnte der Ring eine Verſtärkungseinlage des Eimerrandes geweſen fein.

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Selbſt in feiner umfangreichen Deréffentlidjung der Kollektion Millon (1913) erwähnt er das zuletzt aufgeführte Schwert dieſer Sammlung mit keinem Worte. Kein Zweifel, daß auch Döchelette nicht an ein vorgeſchichtliches Alter dieſer Schwertform glaubte und ihm die Jugehörigkeit des Sivryer Schwertes zu dem Grabfund mit der Bronzeciſte zu unſicher erſchien. Durch den Nachweis von drei Schwertern aus Oſtfrankreich iſt das Derbreitungsgebiet unſeres Waffentypus erfreulich erweitert. Süddeutſch⸗ land und Burgund ſind bisher die einzigen Gebiete, wo die Schwertart ver⸗ treten iſt. Unſere Ciſte von ſieben Beiſpielen zeigt, daß der Schwerttypus keineswegs als vereinzelte Sonderform anzuſehen iſt, ſondern ſeinerzeit im Waffenweſen eine gewiſſe Rolle geſpielt haben muß. Eine Sicherheit über das Alter des Typus haben uns freilich auch die franzöſiſchen Stücke noch nicht gebracht. Wenn man die Sivryer Sunde außer der Bronzenadel für einen einheitlichen Grabfund anſehen will, käme man zu folgender Jeit⸗ beſtimmung. Bronzeciſten der Sivryer Art kommen am häufigſten in der Schlußſtufe der Hallſtattzeit vor, doch halten fie ſich bis in die älteſte Latöne- jfufe). Eiſenſchwerter kommen zwar ſchon in der jüngeren hallſtattzeit vor (Rein eckes Stufe C); doch haben fie noch die von den Bronzeſchwertern übernommenen Formen mit geſchweifter Klinge. Eiſenſcheiden hingegen be⸗ ginnen erſt ganz am Schluß der Hallſtattzeit. Vorher beſtanden die Scheiden aus vergänglichen Stoffen mit Metallbeſchlägen. Eine der älteſten Eiſen⸗ ſcheiden umſchließt den Dolch von Waldhauſen in Württemberg aus der Schlußſtufe der Hallſtattzeit?). häufiger werden Eiſenſcheiden erſt in der älteſten Latönezeit. Das Sivryer Grab kann alſo früheſtens aus der Schluß⸗ fuß, der Hallitattzeit ſtammen, gehört aber mit viel größerer Wahrſchein⸗ ichkeit in die Frühſtufe der Latönezeit (Rein eckes Stufe A = 5. Jahrhundert vor Chriſtus). | Dieſe Epoche iſt in der Tat auch die einzige, in der man die Schwert⸗ form unterbringen kann. In der Schlußſtufe der Hallſtattzeit kamen die langen Schwerter ab, kurze zwei⸗ und einſchneidige Dolche traten an ihre Stelle. Über die mannigfachen Formen dieſer Waffenart unterrichtet am bequemſten die Zuſammenſtellung von Dechelette?). Wichtig für unſere Unterſuchung iſt die Entwicklung der Grifformen. Zwei antennenartige Arme ſtreben vom Knaufende nach oben, meiſt in Knöpfe, Scheiben oder Platten endigend. Ganz entſprechend läuft das untere Griffende in zwei nach unten geſchwun⸗ gene Arme aus, die gerade oder etwas ausladend enden, aber in der Regel noch keine Endknöpfe tragen. Der in der Mitte anſchwellende oder durch einen en verdidte eigentliche Griff endet nach oben häufig gleichfalls in einen Knopf, der bisweilen mit den beiden anderen Knöpfen zuſammen⸗ wächſt, am innigſten z. B. bei dem eben erwähnten Dold von 1 Dea Zu Beginn der Laténezeit wird es üblich, auch die unteren Ausläufer des Griffes mit Kugelenden zu verſehen. Ein Beiſpiel aus Créancey im Bezirk Cote d'Or iſt in der oben herangezogenen Arbeit von Corot abgebildet ). Dadurch wurde das untere Griffende dem oberen ähnlicher und führte die keltiſchen Waffenſchmiede des 5. Jahrhunderts dazu, beſonders bei der Gruppe

1 2

Reinecke, Altert. unf. heidn. Dor3. V, S. a und Mainzer Feſtſchr. S. A. S. 3. Altert. unſ. heidn. Dora. III, heft 4, Taf. 1, 1.

2) Déchelette, Manuel d' Archéologie II, 2, S. 730ff., Abb. 280—283.

4) Wieder abgebildet bei Déchelette, Manuel II, 2, S. 734, Abb. 282, 6, der das Schwert wohl unrichtig noch in die hallſtattzeit lest. ue die größere Lange des Stüdes (urjprüngli etwa 70—90 cm) ſpricht für ein latönezeitlides Altes.

10] Eine neue keltiſche Schwertſorm aus Süddeutſchland 101

der Maskengriffſchwerter mit voller Abſicht die beiden Griffenden gleich zu geſtalten; nur der zwiſchen den oberen Griffarmen ſitzende Mittelknopf, der häufig die Form eines Menſchenkopfes erhält, konnte unten nicht wieder⸗ holt werden, ſo daß den unteren zwei Endknöpfen oben deren drei gegenüber⸗ ue 1), Erſt als der Mittel knopf verſchwindet, wie es in der zweiten Latdne- ſtufe (Reinecke B) meiſt geſchehen iſt, kann das untere Griffende völlig zu einem Spiegelbilde des oberen geſtaltet werden).

Die Schwertgriffe N Gruppe fallen offenbar in die Stufe der Entwicklung, in der ſchon die Endknöpfe am unteren Griffabſchluß üblich waren, aber noch an Zahl hinter den Knöpfen des Knaufendes zurückſtehen, d. h. in die älteſte Latöneitufe. In dieſer Zeit gab es demnach drei Arten von Schwertgriffen. Erſtens ſolche von vergänglichem Stoff an den gewöhn⸗ lichen Latönejchwertern, bei denen nur die ſchmale Griffangel erhalten iſt. zweitens Bronzegriffe, die a die eiſerne Griffangel aufgegoſſen oder auf- gezogen ſind; ſie ſind faſt nur bei den Maskengriffſchwertern üblich. Drittens unſere Gruppe, bei denen auch der Griffmantel aus Eiſen geſchmiedet und über die Griffangel gezogen iſt.

Man mag nun einwenden, daß die ſtiliſtiſchen Ähnlichkeiten, auf Grund deren wir eine Jeitbeſtimmung verſuchen, gering find im Verhältnis zu den viel auffallenderen Abweichungen. Doch darf man unſere Schwerter nicht etwa als aus den Maskengriffſchwertern entſtanden anſehen; dann müßten in der Tat die Ähnlichkeiten viel größer fein und Übergangsformen zwiſchen beiden Gruppen vermitteln. Unſere Schwertart ift vielmehr ein be alin 0 Ableger der Späthallſtattformen, alfo eine Schwelter-, keine Tochterform der Maskengriffſchwerter und ebenſo originell und herausfallend in feiner Ge⸗ ſtaltung wie dieſe. Die Späthallſtattdolche find von überraſchender Diel- ſeitigkeit. Trotz des gleichen ſtiliſtiſchen Grundzuges find die einzelnen Stücke jo verſchieden wie möglich. Eine Freude an Neugeſtaltung, Neuſchaffung und ſelbſtändiger Auslegung der Grundform lebt ſich damals frei und un⸗ gehindert aus und zeugt von ſicherer Beherrſchung der Schmiedetechnik und künſtleriſcher Schaffensluſt. Gerade Süddeutſchland und das Rheingebiet ſtehen damals in ihren Erzeugniſſen an erſter Stelle. In der älteſten Catdne- ſtufe lebt dieſe ſchöpferiſche Fruchtbarkeit noch fort, wie gerade die Masken⸗ griffſchwerter aufs ſchlagendſte bezeugen. Sollte nicht unſere Schwertgruppe ein ähnlicher Beweis der Dielſeitigkeit und Eigenwilligkeit der damaligen Schwertfeger ſein? Die Ausbildung des unteren Griffteils mit feinen beiden Kugelenden und dem glodenförmigen Kusſchnitt dazwiſchen iſt ganz dem der Maskengriffſchwerter verwandt, nur daß bei unſerem Tupus alles kürzer und gedrungener ausgefallen ijt. Die mittlere Verbreiterung des Griffes in eckige Vorſprünge klingt an die Ringwülſte oder die ähnlichen Verdickungen der Späthallſtatt⸗ und e an. Und ſelbſt der ſo eigenartig wirkende Vierknollenknauf läßt ſich in feiner urſprünglicheren Form der ftanzöfifchen Schwerter der Sammlungen Dreger und Millon durch Ableitung von den drei zuſammengewachſenen Knauffnöpfen der Späthallſtattdolche von Waldhauſen oder Salem (Baden)) oder von dem von Schwietering

1) Altert. unſ. heidn. Vorz. IV,, Taf. 25; Déchelette, Manuel II, 3, S. 1137ff., Abb. 473, 474, 476.

2) J. B. Dödhelette, Manuel II, 3, S. 1138, Abb. 473, 3; Revue archéol. 3. Serie XI (1888), S. 327, Abb. 2—2a oder Schumacher, Gallierdarftellungen. S. 9, Abb. 1, 9; Jahn, Bewaffnung der Germanen. S. 24, Abb. 7—8.

yi Altert. unſ. heidn. Dorz. III, heft 4, Taf. I, 1; Wagner, Hügelgräber in Baden Caf. VI, 17.

102 O. Richter und M. Jahn . [11

ſchon als Vorbild herangezogenen Schwert mit Dreiknopfknauf unbekannter Herkunft!) erklären. Der dreigliedrige Knauf der Vorformen, deſſen organiſche Entſtehung bei dieſen Stücken bis zur Unkenntlichkeit verwiſcht iſt, wurde rein ornamental aufgefaßt; man nahm daher keinen Anſtoß, die Jahl der Zierkugeln um eine zu vermehren. Noch ungewöhnlicher iſt das Innenloch im oberen Griffteil, das vielleicht eine letzte Erinnerung an die durch Ju— ſammenwachſen der Antennenarme bei manchen Späthallſtattdolchen ent⸗ ſtandenen durchbrochenen Knäufe?) bedeutet. Daß die eiſernen Griffmäntel unſerer Schwertgruppe aus mehreren Teilen zuſammengeſetzt ſind, darf nicht wundernehmen. Iſt doch dies auch bei vielen vergangenen Griffen gleichalter Schwerter vorauszuſetzen und mitunter direkt nachzuweiſen )).

Faſt noch auffallender als die Grifform der Knollenknaufſchwerter iſt die Geſtalt ihrer Klingen. Die überraſchend ſchlanke, geradlinige und bei dem längſten Stück fait 1 m erreichende Klinge mit ihrem ſteildachförmigen Mittelgrat mutet ganz fremdartig an. War man doch am Ende der hall— ſtattzeit von den langen, breiten hiebſchwertern abgekommen und zu kurzen Stoßſchwertern und Dolchen mit verhältnismäßig breiter Klinge übergegangen. Zu Beginn der Latönezeit führte man teilweiſe die Kurzſchwertform in den Maskengriffſchwertern fort, kehrte aber auch wieder zu längeren Klingen zurück. Das Schwert aus dem bekannten reichen Kriegergrab von Somme Bionne im Marnegebiet iſt 3. B. 90 cm lang. Stets find dieſe Klingen aber viel breiter und nie mit einem ſo hohen Mittelgrat verſehen, wie die unſerer Gruppe. Dieſe Stoßdegenklingen find für die Hallftatt- und Latenezeit fo ungewöhnlich, daß fie den ſtärkſten Hinderungsgrund bilden, an ein vor: geſchichtliches Alter der Waffenart zu glauben. Und doch befindet fie ſich in einer ganz nach Catènebrauch hergeſtellten Eiſenſcheide! Wir müſſen demnach wieder die Zuflucht zu der erſtaunlichen Dieljeitigfeit und Runſt⸗ fertigkeit der damaligen keltiſchen Waffenſchmiede nehmen, von denen einer oder wenige in bewußtem Gegenſatz zu den üblichen Schwertern dieſe Degen⸗ klinge ſchuf und ausbildete. Freilich ganz ohne Vorbild ijt auch dieſe Klinge nicht. In Donges in Nordweſtfrankreich fand ſich ein Schwert aus der Schluß— ſtufe der Hallſtattzeit, das 95 cin lang ijt und eine ganz ähnliche Degenklinge von nur 3,5 em Breite mit Mittelgrat beſitzt ). Es iſt für feine Zeit mindeſtens ebenſo fremdartig wie unſere Gruppe in der Latenezeit, und läßt daher ein jo hohes Alter der Stoßdegen als durchaus möglich erſcheinen.

Wir kommen nach allen Erwägungen zu dem Ergebnis, daß die Knollen: knaufſchwerter am eheſten in die älteſte Stufe der Latenezeit gehören. Die Fundſtücke von Sivry können demnach abgeſehen von der Bronzenadel aus einem geſchloſſenen Grabe des 5. Jahrhunderts ſtammen. Nach dieſem Schluß kann auch auf den Inhalt des Zettels, der am Lengenfelder Schwert hängt, hingewieſen werden, den wir bisher nicht verwertet haben. Er lautet: „Dolch von Eiſen aus der hallſtattzeit (600 —400 vor Chr. Ihre beſte Zeit um 500 vor Chr.), Ausgrabung in Lengenfeld bei Neuburg in Bayern.“ Dieſer Inhalt ſtammt offenbar von jemandem, der ſich mit Dorgeſchichte näher befaßt hat. Herr Profeſſor Reinecke macht uns darauf aufmerkſam,

1) Präh. Zeitihr. X, S. 180, Abb. 2a. Ich möchte dieſes Schwert mit Bronzegriff nach feiner Form auch in Reineckes Latine-a- Stufe ſetzen, während Schwietering es an den, Sd luk der Late nezeit weilt.

a Decdhelette, Manuel II, 2, S. 732f., Abb. 280, 5 u. 8; Abb. 281, 1—5.

3 3. B Dechelette, Manuel II, 3, S. 1111, Abb. 458, 1-—2.

) Décelette, Manuel II, 2, S. 742, Abb. 286.

12] Eine neue keltiſche Schwertform aus Süddeutſchland 103

daß Sieck, der frühere Beſitzer des Schwertes, Verbindungen mit Naue hatte. Es iſt alſo nicht unmöglich, daß Sieck das Schwert von Naue erworben hat. Die Jettelinſchrift könnte recht gut von Naue herrühren. Dann gewinnt fie aber an Bedeutung. Wie gelangte Naue oder der in der Dorgeſchichte nicht unbewanderte Verfaſſer der Beiſchrift zu der Altersbeſtimmung des Doldhes, die fo gut zu der unſerigen paßt? Allein auf Grund der Form? Dann hätte er vor Jahren ſchon das Stück richtiger beurteilt als die ſpätere Fachwelt, obwohl ihm kaum ein Gegenſtück bekannt ſein konnte. Wahr⸗ ſcheinlicher ijt es wohl, daß ihn die Fundumſtände der Ausgrabung zu der Jeitbeſtimmung veranlaßten, daß alſo das Schwert in einem hügelgrabe lag, eine Grabform, die für die Hallftattzeit bezeichnend iff und die auch noch in der älteſten Laténeſtufe üblich iſt. Iſt dieſe Folgerung richtig, dann ſtammt alſo auch das Lengenfelder Schwert aus einem Grabe wie das von Siory. Wir ſehen, alle Anzeichen führen immer wieder, und von welcher Seite man auch an ſie herangeht, auf dieſelbe Entſtehungszeit unſerer Schwerter, auf das 5. vorchriſtliche Jahrhundert.

Nachdem das Knollenknaufſchwert erſt einmal geſchaffen war, wurde es faſt unverändert weiter hergeſtellt. Man hat den Eindruck, daß nur eine oder ganz wenige Werkſtätten dieſe Waffe ſchmiedeten. Ohne eine geringe weiterbildung des Tupus ging es dabei freilich nicht ab. Die beiden fran⸗ zöſiſchen Schwerter der Sammlungen Dreger und Millon haben die urſprüng⸗ lichſten Formen. Ihre Klingen ſind noch ziemlich breit (2,7 em), die Griffe gedrungen und mit wenig vorſpringenden Ecken in der Mitte; die vier Knollen des Knaufes liegen in einer wenig gekrümmten Linie nebeneinander und find gegeneinander ſchärfer getrennt. Die anderen Schwertklingen find ſchmaler (2 em oder darunter). Den nächſten Schritt in der Entwicklung zeigt uns das Eislinger Schwert, deſſen Knaufknollen mehr miteinander verwachſen und in einem Halbkreis angeordnet ſind. Noch weiter ſchreiten die übrigen Griffe fort, deren Knollen das Mittellody fait umſchließen, fo daß die kleinen äußeren Knollen nicht mehr neben, ſondern unter den größeren Mittelknollen ſtehen. Außerdem werden die Griffe immer ſchlanker und gefälliger. Auf dem höhepunkt der Entwicklung ſteht das Ulmer Schwert, deſſen Grifformen am geſchmeidigſten geſchwungen ſind und durch das ſcharfe herausſpringen der Mittelzipfel das Starre und Maſſige des eigent⸗ lichen Griffes mildern.

Nach der Derbreitung der bisher bekannt gewordenen Knollentnauf: ſchwerter ſcheinen ſie in Oſtfrankreich entſtanden zu fein. Im Bezirk Cote d'Or, woher das älteſte Stück mit geſichertem Fundort ſtammt, find bei weitem die meiſten eiſernen Hhallſtattſchwerter gefunden worden!). hier, in Burgund, waren nach Dédelette die wichtigſten Eiſenſchmieden der hallſtattzeit. Die Gegend iſt daher wie geſchaffen als Urſprungsſtätte unſeres Schwerttyps. Bei den nahen Beziehungen, die im 5. Jahrhundert zwiſchen Oſtfrankreich und Süddeutſchland beſtanden, iſt es leicht verſtändlich, daß die Knollenknaufſchwerter dann nach Süddeutſchland Eingang fanden. Ein Maffenerzeugnis find dieſe Schwerter ſicher nicht geweſen. Dagegen ſpricht ſchon ihre ganze Geſtalt. Die langen, ſchmalen, hochkantigen Klingen kann nicht jedermann führen. Sie verlangen eine gewandte, fechtkundige Hand, keine wuchtige Fauſt. Die zum Fechten, Parieren und Stechen beſonders

a 10 Déchelette, Manuel II, 2, S. 728 ſtellt 62 eiſerne hallſtattſchwerter aus Frank- reich zuſammen, von denen nicht weniger als 26 in Cöte d'Or gefunden wurden.

104 O. Richter und M. Jahn 113

eeignete Klinge findet in dem ſchweren Knollenknauf ein für die Hand⸗ dabung günſtiges Gegengewicht. Die Vorſprünge am Mittelgriff verhindern ein' Abgleiten der hand. Der Griff lag dadurch felt enug in der Hand, um auch einen kräftigen Stoß ſicher auszuführen. Das Innenloch des Griffes nahm vielleicht einen Fauſtriemen auf, durch den die Waffe mit dem Hand- gelenk verbunden wurde. Gegenüber den breiten Hallſtattſchwertern und den gewöhnlichen Lateneflingen wirken unſere Stoßdegen wie Turnier- waffen oder Schläger. Sie ſind ritterliche Waffen, keine Schlachtſchwerter und ſicher nur von Edlen getragen worden. Sie paſſen gut in das 5. Jahr⸗ hundert, wo ritterliche Kampfſpiele bei den keltiſchen Fürſten ſicher beſonders beliebt waren. Sind doch die zahlreichen, in Kriegergräbern dieſer Epoche gefundenen zweiräderigen Streitwagen ein gutes Zeugnis hierfür.

Das Auftreten der a bei den Kelten der Latönezeit war nur eine Epiſode. Sajt ohne Dorläufer erſchien fie, nach kurzer Lebensdauer ver⸗ ſchwand ſie, ohne auf die ſpäteren Waffenformen einzuwirken. Gerade des⸗ halb iſt es ſo ſchwer, ihren richtigen Platz in der Entwicklungsgeſchichte der Waffen nachzuweiſen. Wir haben verſucht, ſoweit es die bisherigen Sunde geſtatten, die Zeit⸗ und Kulturſtellung der Schwertart zu klären. Mögen weitere Sunde unſere Auffalfung beſtätigen oder berichtigen.

Fundſtücke des 3. und 4. nachchr. Jahrhunderts aus nächſter Nähe der Stadt Braunſchweig.

Don F. Subfe. Mit 17 Textabbildungen.

Die nächſte Umgebung der Stadt Braunſchweig iſt nicht arm an vorge⸗ ſchichtlichen Funden. Im Süden beginnend liegen Steinwerkzeuge aus dem ſogen. Lämmchenteiche vor, und 1923 wurde beim Rigolen eines unmittelbar an den Schloßpark Richmond ſüdlich anſchließenden Gartens eine bronzene pfeilſpitze Per. IV zutage gefördert (vgl. Beltz, Die vorgeſch. Altert. d. Großh. Mecklenb.⸗Schwerin I, S. 242). Aus Eijenbüttel ift ein late nezeitliches Gräber⸗ feld bekannt. In der Innenſtadt fanden ſich jüngſt in Tiefe von etwa 2 m Horner des Torfrindes und von bos primigenius, die deutliche Schnittſpuren aufweiſen zum Zwecke der Trennung des Horns vom Zapfen, und ein abge⸗ ſchnittenes Fußgelenkſtück vom Torfrinde. Knoop, der die Stücke beſtimmt hat, wird demnächſt darüber berichten. Aus dem Eichtale liegt ein Korn⸗ quetſcher vor, aus einem Garten vor dem Wendentore ein Cappenbeil Mont. II und eine Urne, die noch der Bronzezeit oder der älteſten Eiſenzeit angehört. Aud in Gärten an der Gliesmaroderſtraße wurden vorgeſchichtliche Urnen⸗ ſcherben gefunden, die ſich zeitlich nicht genau beſtimmen laſſen. Ein im hagenbruche gefundenes Jadeitbeil gelangte 1869 in das Städtiſche Muſeum Mehring S. 25, b. 3; H. Siſcher, Korreſpondenzbl. d. deutſch. Geſellſch. f. Anthropol. 1880, S. 19).

Sehr reich an ſteinzeitlichen Funden iſt das ganze nördliche Stadtgebiet, und hier hebt ſich beſonders die Gegend um den Dowe⸗See heraus. Über die dort gefundenen Mikrolithen berichtet zuletzt W. Campe, „Zur ſteinzeitlichen Beſiedelung der Allergebiets” im Nachrichtenblatt für Niederſachſens Dorge- ſchichte 1922, H. 3, S. 28). Das Städtiſche Muſeum beſitzt eine große Anzahl von Sundjtüden dorther. Grabowski, Haake und viele andere Sammler haben dort geſucht. Aber die Sunde beſchränkten ſich außer kleinen Tonſcherben⸗ reſten auf ſteinzeitliche Stücke. Um ſo mehr war ich überraſcht, als mir kürzlich Herr Oberstleutnant a. D. v. Boſſe eine ganze Anzahl von Bronzen, Bernſtein, Glasperlen, Münzen uſw. vorlegte, die unmittelbar ſüdlich vom Dowe-See neben dem logen, Bullenteiche von ihm ſelbſt geſammelt waren. Seinem Dater gehörte die Beſitzung Dowe-See und er hat als Knabe in den 70er und zu Unfang der 80er Jahre die Sachen zuſammengetragen, ſie gut verwahrt und fie jetzt erſt nach feiner Rückkehr in die Heimat mir bekanntgegeben.

106 5. Suhſe [2

Die Stücke find gelegentlich von Erdbewegungen am Rande des Bullenteiches von ihm aufgeleſen. Ich gebe die hauptſächlichſten Gegenſtände in Abbildung und verweiſe kurz auf Almgren, Nordeurop. Sibelformen, Mannus-Bibliothet Nr. 52 und auf Koffinna, Die deutſche Vorgeſchichte, eine hervorragend nationale Wiſſenſchaft, Mannus⸗Bibliothek Nr. 9, S. 154f.

Die Sibeln find ſämtlich zweigliedrige Armbrujtfibeln.

Abb. 3. ¼. Abb. 4. ½1.

1. Bronzefibel mit mäßig gebogenem, oben abgeflachtem Bügel und ſchlankem, ſich verjüngendem Fuß mit zwei Rillen. Lange 5,3 cm. (Abb. 1.)

2. Bronzefibel wie Tifdler, Gſtpreußiſche Altertümer aus der Zeit der großen Gräberfelder n. Chr. Geburt. Herausgegeb. von H. Kemte. Taf. IV, Sig. 24. Länge 5,2cm. (Abb. 2.)

5. Bronzefibel mit ſtark gewölbtem Bügel und langem Suß mit drei Rillen. Länge 5 em. (Abb. 3.

4. Sibel wie 3, etwas kleiner, die Spiralwelle endet in runde Knöpfe.

5. Bronzefibel mit umgeſchlagenem und fazettiertem Sug. Länge 4,7 cm. (Abb. 4.)

5] Sundftüde des 3. u. 4. nachchriſtl. Jahrhund. aus nächſt. Nähe d. Stadt Braunſchweig 107

6 und 7 wie 5, aber nur in Bruchſtücken erhalten.

8. Bronzefibel mit geperlten Drähten und Knopf am oberen Bügelende. Die Spirale fehlt. Lange 6,9 em. (Abb. 5.)

9. Unteres Bügelende einer ſtarken Bronzefibel mit geperlten Drähten und dazwiſchen Überzug von geſtanztem Silberblech. Am Ende des Brud)- ſtückes der umgeſchlagene Suk. (Dal. Tiſchler, a. a. O., Taf. III, Abb. 24). Länge des Bruchſtückes 4,5 cm. (Abb. 6.)

10. Oberes Bügelende einer Bronzefibel mit geperlten Drähten. (Abb. 7.)

11. profilierte Bronzenadel, deren oberes Ende die Sorm eines Löffel- chens hat, das auf der unteren Seite muſchelförmige Gravierung zeigt. Länge 12,7 em. (Abb. 8.)

12. Kleine Bronzepinzette. Länge 4,4 cm.

13. Bronzene Riemenzunge in hakenform. Länge 6,5 cm. (Abb. 9.)

14 und 15. Zwei Singerringe aus rundem Bronzedraht wie Tiſchler, a. a. O., Taf. XV, Abb. 5. An dem einen Ringe fit ein Stückchen Bronze: draht, wohl der Reit eines Kettengliedes. (Abb. 10.)

16 und 17. Zwei Spiralringe aus Bronzeblech. (Abb. 11.)

=

18. Gedrehte und profilierte Bernſteinperle in Wirtelform mit ſchwach

ae Boden und enger Durchbohrung. Durchmeſſer 3,9 cm, Höhe 1,9 em. bb. 12.)

19. Wie 18. Durchmeſſer 2,9 cin, Hohe 2 cm. (Abb. 13.)

20—22. Drei fleinere gedrehte Berniteinperlen.

23. Bruchſtück eines maſſiven, offenen Bronzearmringes von freis- rundem Querſchnitt, am Ende geriefelt.

24. Maſſiver Bronzering von ovalem Querſchnitt. Durchmeſſer 4 em.

25. Maſſiver Bronzering von kreisrundem Querſchnitt. Durchmeſſer 1,9 em.

26. Wie 25, jedoch ſchwächer. Durchmeſſer 2,9 cin.

27. Blaue Glasperle mit gelbem Mujter. (Abb. 14.)

28 und 29. Blaue Glasperlen. (Abb. 15.)

30. Kleine rote Glasperle.

31. Perle aus grauem Ton. (Abb. 16.)

32. Knochenpfriem. Länge 8,8 em. (Abb. 17.)

33. Doppelkoniſcher Spinnwirtel aus grauem Ton. Durchmeſſer 4,2 em, höhe 2,3 em.

108

Abb. 10%,

Abb.12

Abb. 13 4,

S. Suhſe

Abb. 11),

@ Abb 1441)

Y

Abb &

5] Sundftiide des 3. u. 4. nachchriſtl. Jahrhund. aus nächſt. Nähe d. stadt Braunſchweig 109

34. Scheibenförmiger Spinnwirtel aus gelblichem Ton. Durchmeſſer 3,6 em, Höhe 1,5 cm.

35. Bruchſtück eines Spinnwirtels aus Kalkſtein.

36. Scheibenförmiges Stück Urnenharz.

37—40. Dier römiſche Bronzemünzen von Trajan, Hadrian, Sabina und Marc Aurel,

Auf Urnenſcherben, kalzinierte Knochen uſw. iſt beim Sammeln der Gegenjtände nicht geachtet worden, fo daß heute nicht einmal mehr feſtzu⸗ ſtellen iff, ob Brandgräber⸗ oder Sfelettgraberfunde vorliegen. Gleiches Fund material beſitzen wir bisher aus unſerer Gegend nicht, ich halte es daher für meine Pflicht, es zum beiten der Wiſſenſchaft der Öffentlichkeit zu über⸗ geben. Die Huswertung des Fundes ſei den Rollegen überlaſſen, die dieſer auch für die Siedelungsarchäologie wichtigen Zeiterſcheinung ihre klufmerk⸗ ſamkeit zuwenden. Nur auf eines möchte ich noch hinweiſen. In der Nähe des Dowe⸗Sees, alſo dort, wo im 3. und 4. Jahrhundert beſtimmt eine Siede⸗ lung beſtand, erſcheint ſpäter ein 1320 bereits als villula deserta erwähntes Dorf Marquarderode, heute noch in der Flurbezeichnung kirkeröder Seld lebendig. Wenn es zutrifft, daß „rode“ ſich immer auf Waldrodung bezieht, und die Gründung der Orte, deren Name mit ihm zuſammengeſetzt iſt, nicht vor das 9. Jahrhundert zu verlegen iſt, dann muß die alte vorgeſchichtliche Siede⸗ lung am Dowe⸗See wüſt geworden fein und das Gebiet dort muß lange Zeit brach gelegen haben, ſo daß der heutige Querumer Wald Zeit hatte, über die Schunter hinüber ſich auszudehnen. Es fehlt uns auch an dieſer Stelle wieder der Juſammenhang zwiſchen der vorgeſchichtlichen und der mittelalterlichen Siedlung, es klafft auch hier die nicht nur für unſer engeres Gebiet tupiſche Lücke der Sunde, die rund das 6. bis 9. Jahrhundert ausfüllt.

Nü— —ę——'

Die erſte Ausgrabung des Megalithgrabes von Wulfen in Anhalt.

Von M. Jahn.

Die an vorgeſchichtlichen Funden reiche Gegend von Wulfen iſt in letzter Zeit vom Cöthener heimatmuſeum genauer durchforſcht worden. 1913 legte Konjervator Götze auch das unmittelbar am Südende des Dorfes an der Lehmküte gelegene Megalithgrab völlig frei, deſſen Erddecke zum Teil bereits fehlte und deſſen Grabinhalt bis auf ein Täßchen Anhalter Stils ſchon früher gehoben war. Die Teilnehmer der vorjährigen Tagung der Geſellſchaft für deutſche Vorgeſchichte in Cöthen hatten auf dem fo genußreichen Ausflug durchs Unhalter Cand Gelegenheit, auch dieſes ſtattliche Bauwerk der Stein— zeit zu beſichtigen. Im vierten Ergänzungsband des Mannus iſt auf S. 22, Abb. 15 das Grab wiedergegeben. Ebendort iſt auf S. 22 und 41 vermerkt, daß es nicht bekannt ſei, wann und von wem das Grab zuerſt ausgebeutet wurde. Das Grab ſei zum erſtenmal in Lindners Geſchichte des Landes Anhaltes 1833 erwähnt.

Gerade in den Tagen, als der vierte Ergänzungsband des Mannus herauskam, fielen mir des Paltors Cehmanns „Beyträge zur Unterſuchung der Alterthümer aus einigen bey Welbsleben vorgefundenen heidniſchen Überbleibſeln“ (Halle 1789) in die Hand. Dieſer Schrift ijt von dem Kandidaten H. T. Stiller auf Wunſch des Verlegers Hendel als Anhang eine Beſchrei— bung „etlicher bey Calbe an der Saale gefundenen heidniſchen Gräber“ bei— gefügt worden, in der auf 5. 92—95 ein genauer Bericht über die Auffindung und Unterſuchung des Wulfener Megalithgrabes enthalten ijt. Da die Ceh— mannſche Schrift vielen ſchwer zugänglich ſein wird, laſſe ich die anſchauliche Schilderung hier wörtlich folgen und bitte die herren vom Cöthener Heimat: muſeum, dieſe Ausgrabung aus der Literatur des 18. Jahrhunderts als kleines Zeichen der Dankbarkeit für die herzliche Aufnahme und die vielen Anregungen, die wir während der Cöthener Tagung gefunden haben, entgegenzunehmen.

„Schon vor einigen Jahren [aljo vor 1789]1) wurde bey Wulffen, einem Dorfe 2 Meilen von Calbe und 1 Meile von Röthen gelegen, ein ähn— liches Überbleibjel unſerer alten Vorfahren [wie die Grabhügel bei Calbe] durch eine ſonderbare Deranlaſſung entdeckt. Der Fürſt von Unhalt-Röthen jagte in der daſigen Gegend. Ein Haaſe floh vor den hunden in einen Kanin= chenbau, der in einem Hügel war. Es wurde ihm nachgegraben und man

1) Die in Klammern zugeſetzten Worte ſind Zuſätze von mir. M. Jahn.

1

2] m. Jahn, Die erſte Ausgrabung des Megalithgrabes von Wulfen in Anhalt 111

fand das Begräbniß. Dieſes Grabmal ijt unter einem Hügel nahe bey dem Dorfe Wulfen, ohnweit der ſogenannten Leimküte [Lehmfüte]. Gegen das Dorf zu iſt der hügel ſehr erhaben und hat nach der Morgenſeite eine ſteile Dertiefung von 20 bis 30 Ellen. Herrlich ijt die Ausficht auf dieſer Anhöhe. Rund um ſich her ſieht man eine ſchöne Ebne, die nur um dem kluge noch mehr Dergnügen zu gewähren von kleinen Hügeln unterbrochen wird. Bey der Entdeckung betrug die innwendige höhe des Begräbniſſes Elle. Es war mit Sand und Leim [Lehm] ausgefüllt und mit Platten von Sand⸗ ſteinen, die 2 Zoll dick waren, gepflaſtert. Man grub von der Morgenſeite des hügels hinunter und kam auf die Decke des Gewölbes, welche ein großer Stein war. Nachdem man 9 Ellen von der Breite des hügels und 8 Ellen in der Tiefe weggegraben hatte, wälzte man den Stein ab, und bahnte ſich dadurch den Weg in das Grabmal. Weil man aber noch nicht bequem hinein⸗ kommen konnte, wurde die Füllung des Gewölbes ſo weit ausgegraben, daß jetzt eine erwachſene Mannsperſon aufrecht hineingehen kann. Das Begräbniß liegt 8 Ellen tief in dem Hügel, und hat ohngefähr 3 Ellen hoch Bedeckung von gutem Erdreich. Es neigt ſich mehr nach der Mittagsjeite des Berges, vermuthlich aus dem Grunde, weil auf dieſer Seite der Eingang war. Er [Es] beſteht aus 18 großen Feldſteinen ohne alle Bearbeitung und Kunſt. Fünfe von dieſen Steinen ſtehen aufrecht, und dicht aneinander gefugt auf der Mittagsſeite; ſechſe eben ſo auf der Mitternachtsſeite, wo einer mehr feyn mußte, weil auf j jener Seite des Eingangs wegen einer feblt; fünfe be- decken das Gewölbe und zweye ſchließen den Eingang an beyden Enden. [Die Südſeite mit dem Eingang im jetzigen Zujtand zeigt die oben erwähnte Abb. 15 im Mannus⸗Ergänzungsband.] Die ganze Länge deſſelben beträgt 15 Ellen, die Breite 4, und die höhe 5 Ellen. Die Ecken und Fugen ſind mit Sandſteinen ausgeſchlagen. Der mittelſte Stein iſt der größte unter allen. Er iſt 5 Ellen breit und über 2 Ellen dick. Merkwürdig iſt es, daß man in der ganzen Gegend keine jo großen Seldjteine antrifft. Hochmehr aber ſteigt die Derwunderung, wenn man überlegt, daß unſere Vorfahren dieſe ungeheuren Steinmaſſen mit den händen übereinander thürmen mußten, da ihnen die nöthigen Maſchinen zu dieſem Behufe fehlten.

In einem kleinen ſteinernen Behältniſſe neben dem Grabe fand man 10 Urnen, wovon die größte 3 Berl. liner] Metzen Getraide, und die kleinſte ohngefähr den 12ten Theil eines Maaſſes Waſſers faſſen konnte. In dem Gewölbe fand man 2 zu Meſſern geſchliffene Seuerſteine Elle lang, und ein kleines Töpfchen. Die Urnen ſind von einer blaufarbigten Art Thon, und noch mit ziemlich friſcher Glaſur, und werden nebſt den übrigen gefundenen Sachen im Naturalien-Cabinette zu Köthen aufbewahrt.“

Wohin mögen dieſe Funde geraten ſein?

Dineta. Eine Buchbeſprechung. Von Robert Burkhardt, Swinemünde.

Mit einer Karte.

Der von Karl Schuchhardt am 31. Juli 1923 in der Akademie der Wiſſenſchaften gehaltene Vortrag Vineta ijt im Druck (1924, Band XXV Seite 176—217) erſchienen, auch als Einzelſchrift (Preis 0,90 Mk.).

Da er weſentlich auf den Gedankengängen fußt, die Ceutz⸗Spitta im Mannus (VIII, 1916, S. 270ff.) und anderswo veröffentlichte und die ich in der Monatsſchrift „Unſer Pommerland“ (VI, 1921, Heft 7) ſowie im Mannus (XVI, 1924, S. 115ff.) mit beachtenswerten Gründen bekämpfte, ließ ſich vermuten, Schuchhardt werde auch die Gegengründe würdigen und ſo die altumſtrittene Frage der Cöſung wenigſtens einige Schritte näher führen. Das iſt leider nicht geſchehen, und deshalb muß die Beſprechung des angezeigten Buches weiter ausholen als es ſonſt üblich iſt zumal den meiſten bitte des Mannus die Zeitjchrift „Unſer Pommerland“ nicht bekannt fein ürfte. Schuchhardt verlegt Vineta in oder an den ſogenannten Peenemünder Haken, die Nordweſtecke der Inſel Uſedom. Das iſt nach den neuen Forſchungen von Deede, Keilhad u. a. eine glatte geologiſche Unmöglichkeit.

Man kann die Geſchichte von vorgeſtern nicht auf die Geographie von heute beziehen, wenn es ſich um einen Teil der deutſchen Erde handelt, der ſich noch in geſchichtlicher Jeit ſo umgeſtaltet hat wie unſere Oderinſeln. Schon dem oberflächlichen Beobachter müſſen die außerordentlich zahlreichen Moore und Niederungen und die weiten flachen Dünengelände auffallen, die weit über die hälfte der Inſel Uſedom auf dieſe will ich mich hier be⸗ ſchränken einnehmen, ganz abgeſehen von den vielen, zum Teil großen Candſeen, die alle im Derlanden begriffen find. Aus dieſen Niederungen, aus Moor und Sumpf und Sand ragen die diluvialen Inſelkerne hervor (die höhen weſtlich von Swinemünde, bei Ahlbeck und Heringsdorf, der Stredelberg, der Golm, der Buchberg, der Wolgaſter Ort ujw.). Es handelt ſich hier nach Deecke!) teils „um alte vermoorte Buchten, Slußmündungen oder Furchen, die von der See durch Dünen abgeſperrt wurden“, teils um Verlandungserſcheinungen. „In dem weiten alten Haff lagen die höheren Teile Uſedoms als Inſeln und wurden allmählich durch den antreibenden Sand zuſammengeſchloſſen. An dem Glienberge und Zisberge bei Zinnowitz

1) Geologie von Pommern. Berlin 1907. S. 12. 231—235.

2) Dineta 113

laſſen ſich deutlich die innerſten älteſten Dünenreihen ausſcheiden, die diefe Inſeln umſäumen. Darauf folgen andere, die ſich zwiſchen den Kernen bogenförmig ausſpannen, ſchließlich die an die neuere Küſte wieder mit anderer Richtung angeblaſenen jüngſten Sandwälle. Die Gegend von Deenemünde-Karlshagen ijt ein von angetriebenem Sand er⸗ füllter Winkel.“ Ich will hier auf Keilhads vorzügliches Kartenbild !) hinweiſen, in dem er die Inſelkerne deutlich heraushebt.

Reicht nun dieſe unbeſtreitbare allmähliche Derlandung der Inſel Uſedom in die frühgeſchichtliche Zeit hinein, etwa in die Jahre 700—1100 n. Chr., die hier in Betracht kommen?

Da auf der Inſel Uſedom etwa um 1150 eins der älteſten pommerſchen Klöſter angelegt wurde (Grobe⸗ Pudagla), recht zahlreiche Urkunden dieſes Kloſters noch vorhanden ſind und wie üblich faſt nur Fragen des Grund beſitzes regeln, läßt ſich der geologiſche Befund in ausreichendem Maße nachprüfen.

Junächſt liegt nicht ein einziger der um etwa 1200 1300 nachweis⸗ baren Orte der Inſel Uſedom in dem Derlandungsgebiet; alle liegen auf den alten Schollen oder kleben ſich dicht daran. Nord weſtlich von Zinnowitz auf dem Peenemünder haken befanden ſich im Mittelalter überhaupt keine Dörfer; erſt gegen 1820 gründete man dort Hammelſtall (jetzt Traſſenheide) und Karlshagen. Ein Beweis dafür, daß die einwandernden Wenden dieſe Niederungen nicht in einem ſolchen Juſtande fanden, der Beſiedelung ge- ſtattete. Ferner ijt bis ins 15. Jahrhundert hinein nie von einer Inſel Uſedom als Einheit die Rede; man unterſcheidet in alten Urkunden Land Buckow Land Wanzlo Land Uſedom Lieper Winkel Gnitz uſw. was ſicher ſehr ſtark dafür ſpricht, daß damals dieſe Kerne noch nicht oder recht unvoll⸗ ſtändig zuſammengewachſen waren.

Noch 12952) um einige faßbarſte Beweiſe zu bringen wird der Wolgaſter Ort (terra Bukowe) deutlich von einer Inſel Gnitz (insula gniz) unterſchieden; die Krumminer Wiek war alſo damals noch mit dem klchter⸗ waſſer und vielleicht auch mit der Oſtſee verbunden. Denn 12675) reichte der Strummin (eine jetzt verſandete Peenebucht) noch bis zum „ſalzigen Meer”. Erſt 1282“) wurde der weite Peenemünder Haken an die Stadt Wolgaſt verſchenkt; wäre er einigermaßen für Ackerbau oder Viehzucht geeignet 1 ſo wäre er gewiß nicht ſo lange ohne Herrn geblieben. Noch 11735) enken die Dänen daran, die Peenemündung bei Jempin oder Damerow zu benutzen. 1256) bejtand noch eine direkte fahrbare Waſſerverbindung zwiſchen dem Uſedomer See und der Peene, der alte Graben.

Waren um 1300, um 1200 noch ſolche Waſſerſtraßen zwiſchen den Inſelkernen möglich, jo müſſen fie 500 —400 Jahre früher, gewiß aber um das Jahr 600, in das man wohl die Einwanderung der Wenden ſetzen muß, eben das von heute ſo verſchiedene Bild geboten haben, das uns Deecke und Keilhad auf geologiſchem Wege zeigten. Nicht in drei, ſondern in einem Dutzend Armen wand ſich die Oder zwiſchen den Inſelkernen hindurch in die Oſtſee, und das Gelände im Peenemiinder haken beſtand entweder noch gar nicht oder war im ſchwankenden Zujtande der Derlandung. Denn natürlich haben

1) Derlandung der Swinepforte. Berlin 1912. S. 211. Dommerije Urkundenbuch III. 1730. Ebenda II, 839.

Ebenda II. 1235.

Barthold, Scene Dat Dommern, II, 233.

aa» 09 W

Pommern, U. B. Mannus, Zeltſchriſt für Vorgeſch., Bd. 17. H. 1/2. 8

114 Robert Burkhardt [3

Wind und See Jahrhunderte gebraucht, um von den Jinnowitzer Kernen allmählich nach Nordoſten fortſchreitend Düne an Düne zu hängen, hinter denen die See immer mehr verflachte, verſandete und vertorfte, alſo verlandete. Heute noch darf man ſich ſelbſt durch die ſcheinbar fo treuen Meßtiſchblätter nicht täuſchen laſſen. Was dort feſtumriſſenes Land zu fein ſcheint, find in recht vielen Fällen wie Keilhack an anderen Orten der Inſel beobachtete?) ausgedehnte Binſen⸗ und Rohrkämpe, deren Faulſchlammbildung und Grenzen höchſtens bei Niederwaſſer zu erkennen find. Nach dreihundert Jahren mögen dieſe Grenzgebiete feſt verſandet ſein entſprechend dem a bat. Deenemünder Haken, der dieſe Entwicklung ſchon ſtufenweiſe hinter i :

Dor der Litorinajentung, die man heute etwa 5000 v. Chr. ſetzt, ſcheint allerdings eine Landverbindung zwiſchen dem Oderinſelgebiet und Rügen beſtanden zu haben. Durch die Senkung blieben hier (und auf Rügen) eben nur noch die Bergkuppen- und ⸗rücken ſichtbar, die nun langſam, wie eben ausgeführt wurde, wieder zuſammenwachſen. Daß die Landbrücke zwiſchen der Inſel Uſedom und Rügen erſt 1304 in der ſogenannten Allerheiligenflut 2) geriſſen fein ſoll, iſt trotz Leuß-Spitta nicht urkundlich. Und: Wo bliebe die angeblich günſtige Lage von Dineta auf dem Peenemünder haken, wenn die Seefahrt nach Oſten durch die Landbrücke verſperrt oder ſtark gehindert geweſen wäre?

Natürlich gab es nach der Litorinaſenkung genug kleine Inſeln und Schollen, die im Caufe der Jahrtauſende von Wind und Wellen zerrieben wurden und ſo das Baumaterial dazu lieferten, die günſtiger gelegenen Uſedomer Kerne zuſammenzuleimen. Denn was an der einen Stelle zugelegt wird, muß wo anders abgenommen ſein. Die zahlreichen felſigen Untiefen (Dinetariff uſw.) in der Oſtſee und im Achterwaſſer und Haff, die Inſel Ruden und die Greifswalder Die ſtellen ſolche verlorene Poſten in ver: ſchiedenen Zeiten dar. Ja, ſelbſt manche Kerne der Inſel Uſedom werden heute noch angegriffen und darum künſtlich geſchützt; freilich vermag ſelbſt die ſtärkſte Sturmflut keine Katajtrophe hervorzurufen, wie fie manche Dineta- freunde wiederholt vorausſetzen müſſen.

ber am Peenemünder haken und nördlich davon iſt durch- aus keine Stelle für das Dineta des 8. bis 12. Jahrhunderts zu finden. Dort iſt in geſchichtlicher Zeit nichts verſunken und nichts abgeriſſen worden, ſondern im Gegenteil erſt entſtanden. Faßt man mit RKeilhacks) feine Ergebniſſe der Swinepforteforſchungen als typiſch für beide Oderinſeln auf, dann muß die Derdünung und Derlandung des Peenemünder Hakens etwa 200 —1500 n. Chr.“) am lebhafteſten geweſen fein. Um 800 n. Chr., wohin man die Entſtehung von Dineta doch ſetzen müßte, war der ganze Winkel, ſoweit er überhaupt beſtand, ganz ſicher ein weites Sumpfgebiet, ein Unterſchlupf für Raubtiere und Seevögel. Aud) dieſer geologiſche Schluß Keilhads deckt ſich, wie oben nachgewieſen wurde, mit den erhaltenen Urkunden.

Damit wäre nun eigentlich die Hypotheje Schuchhardts erledigt es ſei denn, daß andere Gründe erſten Ranges gegen die geologiſchen Beweiſe 1) fl. a. O. S. 241.

Dah dazu Krüger, Die Sturmfluten an der deutſchen Oſtſee. Greifswald

1910. Hier werden ausſchlaggebende 9877. Gründe gegen Candverluſte zwiſchen Uſedom ane 151 eee (S. 77ff.). „a. O. S. 210.

) Ebenda S. 231.

4) | Dineta 115

und die acht der dan Quellen ins Feld geführt werden könnten. Aber auch das iſt nicht der Fall.

Alllerdings begibt ſich Schudhardt in das Labyrinth der ſeit 1500 unüberſehbaren Dinetaliteratur, die, wie id) ſchon im vorigen Jahrgang des Mannus (5. 113ff.) ausführte, allen möglichen Gedankengängen Tor und Tür öffnet. Es iſt völlig zwecklos, auf dieſem Wege eine Entſcheidung zu ſuchen. Es ſind ſo viele widerſprechende Cöſungen verſucht und ſo viel ent⸗ gegengeſetzte pilfshupothelen herangezogen worden, daß es zuletzt immer nur darauf ankommt, ob und wieweit man Adam von Bremen glauben ſoll und dieſer bat; ja ſelbſt Jumne-Dineta gar nicht geſehen und berichtet von anderen Gegenden ſoviel offenbare Münchhauſiaden, daß er höchſtens mit großer Vorſicht über ſolche Dinge, die ihm zeitlich und örtlich ferne lagen, benutzt werden kann. Es gibt darum auch Hijtorifer, die die ganze Geſchichte von Jumneta⸗Dineta für eine Jabel halten. Wenn allerdings Schuchhardt (S. 190) ausdrücklich erklärt, „wir haben keine Urſache, den früheren Quellen (— aljo Adam von Bremen und den nordiſchen Sagen —) zu mißtrauen“, ſo hat er genügend Boden für alles unter den Füßen En keinen ſolchen, den unſere heutige Geſchichtswiſſenſchaft für tragfähig

Jedenfalls bringt Schuchhardt auch nach dieſer Richtung hin nichts, was nicht ſchon 75 Jahre früher Klempin!) als langjähriger pommerſcher hiſtoriker, der beſte und keineswegs „zaghafte“ Kenner der Quellen aus⸗ reichend und eingehend zuſammengefaßt hat. Auch das „Ei des Kolumbus“, Jumne und Jomsburg ſeien derſelbe Ort, hat Rlempin ſchon gelegt, allerdings nicht auf den Peenemünder haken, ſondern auf den Galgenberg bei Wollin, weil dahin das klare und einwandfreie Zeugnis des Saxo Gram- maticus leitet.

Einen Beweis, wie man Adam von Bremen nach Belieben dehnt und reckt, gibt uns Schuchhardt, wenn er Leuß-Spitta folgt und die Deene als die alte Grenze zwiſchen Pommern und Wilzen erklärt. Er folgert: 1. Nach Adam von Bremen lag Vineta da, wo die Oder die Wilzen von den Pommern ſcheidet. 2. die Peene iſt der eigentliche Oderſtrom Adams?) (ogl. Merkators deutſchen Atlas von 1653), 3. alſo lag Vineta an der Peene, d. i. auf oder an dem Peenemünder haken. Dazu ſei geſagt: 1. Geologiſch läßt ſich, wie oben ausgeführt wurde, um 1100 überhaupt ı nicht von „drei“ Oderarmen reden; das Inſelgewirr hat Adam von Bremen nicht ſondern können, 2. die alte geſchichtliche Grenze zwiſchen Wilzen und Pommern war die Peene nicht). Die Inſel Uſedom, vielleicht gar auch Wollin waren von Wilzen bewohnt, 3. Methodiſch: Literatur und Karten von 1500 ab ſind für die kritiſche Geſchichte von 1100 völlig wertlos!

Auch die Ergebniſſe der achttägigen Autoreije, die Schuchhardt im Mai 1923 auf beide Inſeln unternahm, erſcheinen mir ganz abgeſehen von zahlreichen, weniger zur Sache gehörenden Einzelheiten nicht ein⸗ wandfrei.

Er weiſt darauf hin, daß 1905 (richtiger 1906— 1908) im Dünengelände in der Nahe von Peenemünde acht anſcheinend wikingſche Goldringe *) gefunden

) Ball. Stud. fl. F. XIII. ,) Der etwa 1070 chrieb! .a. Wehrmann, Geſchichte von Pommern I ) Die Annahme, die Slawen hätten kein Gold gehabt, 55 nicht richtig. Der Quilitzer Badfilberfund (aus etwa 1025) enthielt acht Goldperlen.

8*

116 Robert Burkhardt Ä [5

worden find, zwar ohne jegliche Beigaben, aber „trotzdem (!) ficher den Schatz eines Haufes darſtellend, das dort geſtanden hat, vielleicht eines vor⸗ nehmen Haujes im Weichbilde von Dineta.“ Wenn er aber kurz vorher die wenigen bei Wollin gefundenen Reſte der Wikinger⸗Rultur für Zufallsfunde halt (— und ich will ihm darin nicht gerade widerſprechen —), dann ſteht es mit den acht Peenemünder Goldringen um kein Haar anders. Diel leichter, als die wenigen Reſte auf die höhe des Galgenbergs kommen, war es durch hundert und mehr Umſtände möglich, daß die acht Goldringe in den Dünenſand gerieten. Die Wiſſenſchaft follte auf einen ſolchen Fund, deſſen geologiſche Schicht nicht einmal feſtſteht, der durch kein Stückchen Holzkohle, keine Afche, keinen Stein durch reinweg gar nichts geſchichtlich und kulturell eingeordnet werden kann, nicht derartige häuſer bauen. Übrigens iſt der Fundbericht nach 16 Jahren! ſo entero unflar und verworren („dicht dabei ein paar Meter weiter weg etwa 14 m tief, wie der Sörlter jagt"), daß fait mit Sicherheit angenommen werden fann, bei dem ganz flachen Gelände jeien Braundünen mit dem Untergrund des Dünenſandes verwechſelt worden; die „dicht gepackten kleinen Citorinanmuſcheln“ ſprechen ſehr ſtark dafür.

Endlich zeichnet uns Schuchhardt noch einen „rekonſtruierten Plan der Jomsburg (Dineta).” Als Muſter und Beweis dient ihm eine Partie aus dem Peenemünder Dünengelände; der wirkliche Platz „hat weiter draußen nl der höhe der Inſel Ruden und ijt um 1100 vom Meere verſchlungen worden.“

Das Verſunkene läßt ſich nicht nachprüfen, wohl aber, ob auf dem ſicht⸗ baren Teile des Be Hakens wie Schuchhardt meint die Vorbedingungen für einen brauchbaren Hafen gegeben find.

Am Peenemünder Hafen find die Dünen, die ſich urſprünglich an die Zinnowißer Kerne feſtſetzten, allmählich nach Nordweſten und Weiten ge- wachſen. Hinter jeder Düne (in ihrem Windſchatten) verflachte ſich die See allmählich, wuchs über das Waſſer heraus und geſtattete dadurch den Anjak neuer Dünen, die eben nur auf und aus trockenem Sande zuſammengeblaſen werden können. Die ſogenannten Dünenrücken können in die freie, tiefe, lebhaft ſtrömende See nicht hineinwachſen; ſie ſetzen ruhiges Waſſer und einen flachen, am beſten ſchon waſſerfreien Strand voraus, den ſie immer mehr verflachen und erhöhen. Der Raum zwiſchen zwei Dünenſtreifen (das Dünental), wo Schuchhardt den Hafen von Dineta für möglich hält, kann darum für einen Hafen, wie ihn ſelbſt die Wikinger nötig gehabt haben, gar nicht in Frage kommen. Ebenſowenig kann an die Möglichkeit gedacht werden, die Wikinger hätten ſich in einer ſolchen offenſichtlich verſandenden Ecke einen Hafen „ausgegraben“ wenn es auch die Palnatokeſage erzählt!

Den beſten Beweis dafür liefert ja der Peenemünder haken ſelbſt: heute ſind ſämtliche Dünentäler verlandet und haben ein 500 m und noch breiteres Vorland, das zum Teil kultiviert iſt und dadurch wohl ein Anwachſen der Dünen, aber nicht des Vorſtrandes verhindert.

(Um das Märchen von den verſinkenden Teilen des Peenemünder Hakens endgültig aus der Welt zu ſchaffen, füge ich den Umriß der Halbinſel nach der alten ſchwediſchen Dermejfung aus 1695 bei (neu vermeſſen 1912)). Dem⸗ nach ijt in etwa 215 Jahren der Strand um rund 200 —600 m angewachſen. Wie die Verhältniſſe 1000 Jahre früher lagen, als die Rüſte noch nicht fo

8 1) Die Strandlinien ſind vom hieſigen hafenbauamt feſtgeſtellt und eingezeichnet worden.

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118 | Robert Burthardt, Dineta [7

ausgeglichen und das diluviale Dünenmatrial noch nicht fo verbraucht war wie heute, kann ſich auch ein Nichtgeologe an den fünf Fingern abzählen).

Daß vom techniſchen Standpunkte aus auf dieſem loſen Sande mit vermoortem Untergrund die Anlage einer Stadt mit gewaltigen Mauern, Toren und Türmen die Schuchhardt für möglich hält auch nur vermutet werden kann, iſt unbegreiflich.

Um feſtzuſtellen, ob anderswo es wird von Norwegen, Schleswig⸗ Holſtein, 1 und Karthago geſprochen in gleicher Weiſe wie angeb⸗ lich hier häfen angelegt worden ſeien, müßte die geologiſche Cage unterſucht 5 bol. Schuch hardt nicht klärt und die deshalb hier auch nicht beſprochen werden ſo

Man muß demnach mit Bedauern feſtſtellen, daß die jetzt von verſchiede⸗ nen Seiten wieder eingeleiteten Verhandlungen über Vineta durch den Schuchhardtſchen Vortrag nicht um Haaresbreite gefördert worden find.

Nachtrag. Soeben erhalte ich die erſte Hummer des neuen Jahrgangs der Monatsblätter für pommerſche Geſchichte, worin Schuchhardt auf die der vorliegenden etwa gleichlautende, nur etwas kürzere Beſprechung feines Buches „Vineta“ durch mich antwortet. Da er aber jeder Hauptfrage aus dem Wege geht und alle Erörterungen für „ſehr überflüſſig“ hält, kann ich nur nochmals lebhaft bedauern, daß er einen ſo bequemen Weg einſchlägt, ſich der Verantwortung für einen in der Preußiſchen Akademie der Wiſſenſchaften gehaltenen Vortrag zu entziehen.“ Deshalb liegt aber meiner⸗ ſeits keine Deranlafjung vor, auf Grund faſt zwanzigjähriger Beſchäftigung mit der Geſchichte und Geographie der Inſel Uſedom von einer klaren Stellung⸗ nahme zu Schuchhardts Hypotheje abzuſehen. Freilich wird es zu einer Einigung kaum kommen: die wiſſenſchaftlichen Grundſätze Schuchhardts laffen ſich wie das Beiſpiel wiederum zeigt mit denen, die von Koffinna und im Mannus und von der Mehrzahl deutſcher Vorgeſchichtler vertreten werden, nicht unter einen Hut bringen.

Das gilt auch, von dem ſoeben veröffentlichten Hufſatze „Wollin oder peenemündung“ von Dr. W. Ppetzſch⸗putbus in „Unſer Pommerland X, 1925, Heft 5“, der ſowohl geologiſch als quellenkritiſch auf Einzelheiten kann ich mich leider in Hinſicht auf den verfügbaren Raum nicht einlaſſen nach meiner Auffafjung der Dinetafrage nicht gerecht wird. Bei meiner durch die neuere Geſchichtsmethodik begründeten grundſätzlichen Stellung zu Adam von Bremen, den eine tiefe Kluft von Saxo trennt, halte ich alle philo⸗ ſophiſchen Erörterungen über die bekannten Tertitellen für unerheblich und, wie eine zweihunderkjährige Erfahrung bewieſen hat, für ausſichtslos.

Beitrag zur Kenntnis der Vorgeſchichtsforſchung in Oſtdeutſchland.

Don Wolfgang Ca Baume.

Im erſten Bande der Jeitſchrift „Mannus“ hat heß von Wichdorff weit zurückliegende Nachrichten von Joh. Mattheſius (aus welchem Jahre wird nicht angegeben), Georg Agricola (1546) und Petrus Albinus (1590) über vorgeſchichtliche Sunde aus der Derborgenbeit in alten Chroniken hervor- geholt und bekannt gemacht. Dies gibt mir Anlaß mitzuteilen, daß ſich auch in einer Chronik des deutſchen Oſtens eine derartige Nachricht findet, die etwa aus derſelben Zeit ſtammt. Caſpar Schütz bemerkt in ſeiner „Historia rerum prussicarum“ (1. Ausgabe 1592, S. 9, Chronicon der Lande Preußen), als er vom Hagelsberg, der ſich unmittelbar am Weſtrande der Stadt Danzig erhebt, ſpricht: „Ein ding gibet etwas nachrichtung / Das dieſer ort an der See⸗ kanten / gleichs den benachbarten Preußen / von heydeniſchem Volcke / von etlich hundert Jahren hinaus bewonet geweſen. Dann (denn) in vorigen Jaren / wie glaubwirdig berichtet wird / ſollen nach (noch?) auff dem nahegelegenen Berge / den man den Heidenberg. nennet / ungezweifelt von der heideniſchen Hb⸗ götterey / die ehemals daſelbſt getrieben worden / Menſchen gebeinen in Krügen und Jöpffen / zimlich tieff in der Erden gefunden ſein / wol verwaret und mit vleis zugedecket / auch andere Sustappen und klnzeigungen / alter Heidenifcher begräbniſſen vermerdet worden. Es fein auch durch etliche Leuthe / die denen dingen vleißiger nachgeſucht / umb dieſelben Gräber / Güldene und Silberne Müntze / aber gantz unkenntlich / mit ſeltzamen Carakteren und Buchſtaben / derer wenig zu leſen ſind / ausgegraben worden / daraus man die Antiquiteten leichlich hat abzunemen“. Es folgt dann eine Beſchreibung einiger Münzen, die allerdings ſchon Bauer im Jahre 1722 (De nummis Romanis in agro Prussico repertis, S. 45) veranlaßte, von Caſpar Schütz zu ſagen: „Seine Glaubwürdigkeit ſoll nicht angezweifelt werden, aber ich fürchte, ſein Deutungs⸗ verſuch iſt in Anbetracht ſeiner kindlichen Unerfahrenheit in dieſen Dingen völlig vergeblich“. Aud) ſpätere Autoren haben fic) umſonſt bemüht, nach den Angaben von Schütz die auf dem heidenberg gefundenen Münzen zu deuten (näheres darüber bei E. Förſtemann, Pommerellens Altertiimer, Neue Preuß. Prov.⸗Blätter Bd. XI, Königsberg 1851, S. 258 ff.), und da die Münzen offenbar nicht erhalten geblieben ſind, kann nicht mehr entſchieden werden, welcher Jeit fie angehört haben. Tiſſauer (Präh. Denkm. d. Prov. Weſtpr. S. 195) vermutet, es ſeien Ottonen und allem Anſchein nach kufiſche (arabiſche)

120 Beitrag zur Kenntnis der Dorgefhichtsforfchung in Oſtdeutſchland [2

Münzen darunter geweſen, doch kämen meines Erachtens auch buzantiniſche Münzen der Dölferwanderungszeit in Frage.

Ob die Münzen mit den von Schütz erwähnten Gräbern in Juſammen⸗ hang ſtehen, iſt zweifelhaft. Am wahrſcheinlichſten iſt, daß dies nicht der Sall iſt, daß vielmehr zufällig die aus frühgeſchichtlicher Zeit ſtammenden Münzen vermutlich in einem Tongefäß in der Nähe vorgeſchichtlicher Gräber vergraben worden ſind. Ich glaube nicht in der Annahme fehlzugehen, daß es Steinkiſtengräber der frühen Eiſenzeit waren, die ja im Gebiet der Danziger höhe häufig ſind. Darauf deutet nämlich erſtens die Faſſung des Schütz ſchen Berichtes hin, worin es heißt, daß „Menſchengebeine in Krügen und Töpfen, wohl verwahrt und mit Sleiß zugedeckt, ziemlich tief in der Erde“ gefunden worden ſeien, und zweitens die Tatſache, daß im Jahre 1656 am Heidenberg (alſo an derſelben Stelle) ein Steinkiſtengrab mit 8 Urnen (darunter eine Geſichtsurne) aufgefunden wurde, von dem eine genaue Beſchreibung mit Zeichnungen im Danziger Staatsarchiv aufbewahrt wird (vgl. La Baume, Die vorgeſch. Beſiedelung der Gegend von Danzig. Jeitſchr. d. Weſtpr. Geſch.⸗ Der. h. 62, S. 12, 1922).

Die Sunde vom heidenberg haben übrigens auch volkskundliche Bedeutung. Der Berg hat den von Caſpar Schütz überlieferten Namen offenbar von den dort vorhandenen vorgeſchichtlichen Gräbern erhalten, und dieſer Name wird auch in dem oben erwähnten Bericht des Danziger Archives gebraucht. Im gleichzeitigen Bericht eines andern Chroniſten über denſelben Grabfund heißt der Berg dagegen Silberberg, und zwar höchſtwahrſcheinlich wegen der dort gefundenen Gold- und Silbermünzen. Später ſind beide Namen ver⸗ loren gegangen und durch die Bezeichnung Cooſeberg (= Laufeberg) erſetzt worden, die hier wie in andern Orten (mehrfach 3. B. in der Provinz Sachſen) eine volkstümliche Benennung für Orte mit vorgeſchichtlichen Junden ijt.

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Nachtrag zum germaniſchen Haaropfer.

Don Rudolf Moſchkau, Leipzig.

Bei einem Beſuche des däniſchen Nationalmuſeums und ſeiner vor⸗ geſchichtlichen Abteilung im Sommer vorigen Jahres ſah ich zwei germa⸗ niſche Haaropferfunde ausgeſtellt, die im Juſammenhang mit Georg Wilkes Arbeit über „Ein altgermaniſches Haaropfer”, Mannus Bd. 16, S. 64ff. und Roſſinnas Ergänzung ebd. S. 112 Erwähnung verdienen. Um einer veröffentlichung der Funde nicht vorzugreifen, muß ich auf nähere Be⸗ ſchreibung verzichten. Der käufliche däniſche Führer durch die Dorgefchichts- abteilung (eine deutſche Ausgabe gibt es leider ſeit dem Kriege noch nicht wieder) führt mit wenigen Worten den Sund im Übſchnitt „Jüngeres Bronzezeitalter“ unter den Opfer= und Schatzfunden (Nr. 221) an. hiernach handelt es ſich in beiden Fällen um Moorfunde, deren genauere Jeit⸗ beſtimmung unſicher ijt. Die Jundſtellen liegen beide in Jütland: Eiſing, Amt Ringköbing; Thorup, Kirchſpiel Simeſtedt, Amt Viborg. Don dieſen mir freundlichſt vom Nationalmuſeum beſtätigten Fundorten weicht die erläuternde Beiſchrift in der Sammlung inſofern ab, als fie Thorup im Amt Aalborg gelegen bezeichnet.

Durch beide in rein germaniſchem Siedelungsgebiet aufgedeckten Funde ſind uns zwei ſehr willkommene archäologiſche Zeugniſſe für den religiöſen Brauch der Germanen beſchert worden, menſchliche Haarflechten einer Gottheit, in unſerem Falle wohl einer Waſſergottheit, zu weihen. Als alt einzige wohlerhaltene Stücke ſolcher Art treten fie bedeutungsvoll neben

n von Koſſinna beſprochenen Fund von Adelsö bei Stockholm und den von Georg Wilke bereits in dieſem Sinne gewürdigten Haaropferfund aus dem Holtumer Moor bei Ahaujen, Kr. Stade, der dem Protokoll nach zwar gut oo ſcheint, ſtofflich aber leider für uns nicht mehr nachprüf⸗

ar iſt.

Aus Muſeen und vereinen.

Geſellſchaft für deutſche Vorgeſchichte. Iweiggeſellſchaft Berlin.

16. Vereinsjahr.

Am 15. Sebruar 1924 fand im Univerſitätsgebäude die 1. Sitzung ſtatt, bei der Dr. Alfred Tode einen Cichtbildervortrag hielt über: „Die wiſſenſchaftliche Be- deutung der archäologiſchen Karten“.

Die 2. Sitzung fand am 28. Februar 1924 im Aulagebäude der Univerſität ſtatt: hochſchulprofeſſor Dr. Franz Bock rec an der Hand außerordentlich de Lichtbilder über das Thema „Beiträge zur Erkenntnis der germaniſch⸗deutſchen Runſt“. Der Vortrag ſoll im nächſten Jahre eine F bal erleben. Der Dorjiger, Geheimrat Koſſinna, beſtätigte dem Redner, daß die Hauptkennzeichen deutſcher Kunit ſich ſchon in der germaniſchen Kunft der Bronzezeit beobachten laſſen und von den Dotrgeſchichts⸗ forſchern auch ſchon beſprochen worden ſeien, 3. B. in Koſſinnas „Deutſche Vorgeſchichte“.

Die 3. e die am 18. November 1924 im Univerſitätsgebäude ſtattfand, und bei der Profeſſor Dr. Paape den Dorſitz führte, wurde ganz ausgefüllt durch einen die neueſten Sen sergebniſſe des Redners zuſammenfaſſenden großen Lichtbildvortrag des Geheimrats fine: „Urfprung der Germanen“. Der Dortrag wird im Laufe des Jahres 1925 in erweiterter Sorm als Buch erfcheinen.

17. Vereinsjahr.

Die 1. Sitzung fand am 13. Sebruar 1925 im Univerſitätsgebäude ftatt.

Bei der lagungsmabig notwendigen Wahl des Dorftandes wurde der alte Dorftand durch Juruf wiedergewählt. Dann beſprach der Dorfiger, Geheimrat Koſſinna, die neueſten Arbeiten der aber lk und wies auf die als Nr. 38 der Mannus bibliothek erſchienene tüchtige Arbeit von Albert Krebs hin: „Die vorrömiſche Metallzeit im öſtlichen Weſtfalen“, ferner auf das ausnahmsweiſe eingerichtete 5. heft des 16. Bandes mit Dr. Cechlers Veröffentlichung des Helmsdorfer mittelbronzezeitlichen Stelettgräberfeldes und auf den unmittelbar vor der Veröffentlichung ſtehenden vierten Ergänzungsband des Mannus, der den umfangreichen, reich illuſtrierten Bericht über unſere ſo hervorragende Cöthener Tagung von Pfingſten 1924 bringen wird. Der Vorſitzer teilte weiter mit, daß er die Herausgabe eines an unſere Mitglieder koſtenlos abzugebenden Nachrichtenblattes plane, das zunächſt einige Mal im Jahre, ſpäter vielleicht monatlich erſcheinen ſoll, um die langen Pauſen zwiſchen den Erſcheinungszeiten der einzelnen Mannushefte auszufüllen. Sein Inhalt ſollen in der Hauptſache nn Mitteilungen über neue Sunde fein.

Der Jahresbeitrag der Hauptgeſellſchaft ijt auf 12 Mk., der der Berliner Zweig- geſellſchaft auf den viel zu geringen Betrag von 1 Mk. feſtgeſetzt worden.

um kommenden Hauptvortrag bemerkte der ee ha einleitend, daß der Vor⸗ tragende ſeit Jahren die Geſchichte der Raſſen unſerer den abit haustiere zum Gegenſtand feiner Forſchungen gemacht habe, als erfter unter den Prähiſtorikern, während bisher nur Zoologen, Paläontologen und beſonders Candwirtſchaftsforſcher und Tierzüchter ſich dieſes eee unendlich wichtigen Stoffes angenommen hätten, wobei ſie faſt durchweg re bwege geraten ſeien, weil fie eben archäologiſch ganz im Dunkeln tappten. Wir erhoffen von herrn Gandert in abſehbarer Zeit ein ſchönes Werk über die vorgeſchichtliche Übſtammung unſerer Haustiere zu erhalten. heute will er uns darbieten, was er über das Pferd als Haustier ermittelt hat.

Darauf ſprach cand. archaeol. praeh. Otto Friedrich Gandert über:

Ursprung und Geſchichte des Pferdes bei den Germanen.

In der Einleitung gibt der Vortragende einen geſchichtlichen Überblick über diejenige Richtung in der Haustierforſchung, die ſich bemüht, haustierraſſen und Dolfer in Beziehung zu ſetzen, um fo zur Aufitellung von „Leitraſſen“ und damit zu Wegweiſern vorgeſchicht⸗

Aus Mufeen und Dereinen. 123

licher pölterwanderungen Zu gelangen. Schon bei Riitimeyert, dem eigentlichen Be⸗ nder der Ai debt dus, en finden ſich ſolche Gedanken. 1876 ſprach ſich der Paläontologe Eder 1) deutlich dahin aus, daß die „Reite unjerer Haustiere vot allem die Wege bezeichnen, welche det Menſch auf ſeinen früheſten Wanderungen . . egangen iſt.“ G. de Mor⸗ tillet wollte 1879 die neolithiſche kurzköpfige Bevölkerung eſteuropas auf Grund der dem Raukaſus und a (192 herleiten. Noch weiter gingen Kaltenegget

ugſt (1921) und Dettweiler (1922) *), indem fie Be⸗ zeichnungen wie „Ibererrind; „Rel enrind“, „Germanenziege“ oder „Nordkeltenrind ver⸗ wendeten. Am freigebigſten mit der Verteilung von Leittaſſen iſt Stegm ann von Pritz⸗ wald ) (1924) eweſen. Die noch ganz ungenügende Erforſchun dein elt den haus-

ich die ſchon deutlich erkennbare T ch i i

tierrefte und zugle kolithitum innerhalb beſtimmter Kulturtreije ganz verſchiedene Sl nebeneinander

on en, machen es verſtändlich, daß dieſe „Leitraſſenmethode bisher wenig ache e

en konnte, am wenigſten innerhalb von Alteuropa. Daß es ich damit anders ver ält, rößere Er räume in Betracht zieht, dat Adametz.“) deang

a lung des Urſprungs

die Konſtruktion eines „Germanen“

und det Geihichte des Pferdes bei den Germanen nicht 9 ſchichte des pferdes führt vom ertiär über die

Eiszeit mit ihren | on deutlich verſchiedenen Raſſen (im eolithitum hinein. Bier erhebt ſich die Frage: wo un

Keramit (Sdl.); 5; Glockenbecherkultur (Grab): 1. Was das pfablbaugebiet betrifft, ſo i das Pferd hier in den Magdalenienftationdt allgemein, fehlt an meſolithiſchen 0

ich a gänzlich (Waldverbreitung!) und kommt in den neolithiſchen Siedelungen

p

if enen und zumeiſt als ſpäter eingeſchleen erkennbaren Reſten vor, daß hier der

Dome titation den nicht geſucht werden kann. ür Spanien iſt die neolithiſche Selszeich⸗

nung von Los njorros om, auf der Menſchen Pierde am Zügel zu führen ſcheinen °).

in Hinweis iſt dies aber vorläufig nicht da genauere ünkerſuchungen in Spamer ittel⸗

| and, jowie in ee in dem als einziges Haustier der hun als Jagd beute kommt das Pferd dort nicht vor (dagegen das Woldenberger Bernſteinpferd und o reußiſche pferdereſte wohl Anzeichen der nordöſtlichſten Derbreitung des Wild-

tt: drei) in das N

her zuerit 500 ?

* weifellos lebte es als wildes Steppentier während des Neolithitums in den weiten ct rag ae ebieten Mittel⸗ und Nordeuropas, au in Spanien. Wa bis jetzt geſammelten of Fund ellen verteilen ſich die Pferdereſte folgenderma en: Me alithtrets raber und te Siedlungen)" 14; 5 nurkeramik (Gr. u. 890 ; oltdeutiches Neolithikum (Ausſtrahlungen 2 der Schnur eramit) (Gr. u. Sol.): 6; üddeutſche Stichkeramik (Sdl.): 5 Schuſſenried (Sdl.): dd. dl.): 7: ichelsberger Sol.: 3; oſteuropäiſche bemalte et

45

b= |

)

Die Sunde det oſt⸗ und mitteleuropäiſchen Kulturgebiete beitehen meiſt nur aus vereinzelten Knochen oder Zähnen, als ob jie Reite einer ſeltenen Jagdbeute ſeien, obwohl gerade aus det Bandteramit die meiſten Siedelungen und ſomit Tierfunde aufgedeckt

worden ſind. ; Aus oem Megalithtreile dagegen find allein aus mecklenburgiſchen Gräbern 4 Schädel annt De Spe Da andere Tiere (abgeſehen vom hunde) immer nur durch einzelne ile Gpeileteie J) in den Gräbern vertreten ſind, muß das Pferd hier eine be⸗ abt haben, vielleicht als Totenopfer. Beſonders wichtig aber ſind ieben Sundſtellen von Schonen und otland. Na Anderſſon N hat das Pferd in i ild gelebt, es könnte hierher alſo nur urch den Menſchen gebracht ſein. Rwärreſtad mit dem Seuerſteindolch 8) ſpricht auch in dieſem Dorjtujen hinweiſende und Reiterdarſtellungen der

ſehr wahrjheinlich, ee a

nengottheit

RT WRG N. 2.

man dazu die vollkommene, auf ältere von Kvarnby (Schonen)? und die reichen Wagen? iſchen Bron ezeit berückſichtigt, ſo iſt es doch

t Pferd zu zähmen

alteren g n Norddeu [clare die erſten erſuche gema : er Bedeutung geſucht werden, die das pferd als Gpfertier für die Son

1 Ardy. |, Anthrop 35. 1%, 3:9: 5. 16. 189. 17. S. 140 ff. <. Ad ametz, herkunft und Wanderungen der Hamiten,

Haustierra] en. Wien 1920. er "Anthropologie. Bd. 25. Paris 1914. S. 240ff. S. 79-91. Caf. 5.

. mer, 1901. abift- Zeitſchr. Bd, 1, = 18%

erſchloſſen aus ihren

124 Aus Mufeen und Dereinen.

gaite: Da bie Pferderefte aus dem bandkeramiſchen Kreiſe ſehr ſpärlich find, dürfte es fein ufall fein, daß der erſte bekannte Trenſenknebel aus einer Grube mit Spiral⸗Mäander⸗ keramik gerade bei halberſtadt !) gefunden wurde, alſo fo weit nördlich, daß er ſehr wohl ſeine e wenn nicht ſogar ſeine herkunft dem Megalithkreiſe verdanken kann. Die Wagen⸗ und Keiterbilder der älteren Bronzezeit zeugen von der Bedeutung, die das Pferd für die Germanen hatte. Don anderen Völkern ſeien hier nur die Griechen erwähnt. Zu ihnen kam das ren aus dem Norden. Dom 16. Jahrhundert ) an gibt es bier vielerlei Darſtellungen. Die Unſicht von Antonius 100 daß die Stele des 5. Schacht⸗ aarti von Mukenä in die Zeit um 1700 gehöre und die früheſte europäiſche Darſtellung fei, ürfte nicht ganz zutreffen. Das 5. Schachtgrab wird um 1650 angeſetzt und zudem die Gleichzeitigkeit der Stele bezweifelt. Das Schwert des Wagenlenkers ſcheint auch dagegen 5 ſprechen. Somit würden die nordiſchen Bilder (Rivik!) mindeſtens ebenſo alt fein. on Griechenland wurde das Pferd nach Kreta gebracht. Das Bruchſtück eines 1 abdrucks aus Knoſſos, das ein großes Pferd auf einem Schiffe zeigt, iſt hierfür von Wichtig⸗ keit. D. Simmen *) weiſt auf die Übereinſtimmung der Mähnenbüſchel bei dieſem Pferde mit ſolchen der myfenifchen Wandgemälde hin. Dagegen beruht der in von A. Wirth ), dak das plete von Nordafrika über Kreta nach Griechenland gekommen jei, auf Phantaſie. Die Naſenbänder, die er bei dem Pferde von Knoſſos ſehen will und die ein Analogon zum Naſenring des nordafrikaniſchen Kamels fein ſollen, ſind ebenſowenig vorhanden wie der > des Tieres. Gerade am Halfe ijt der Siegelabörud abgebrochen! ie Knochenreſte aus allen Gebieten der Bronzezeit weiſen zumeiſt auf ein kleines leichtes Pferd von tarpanähnlichem klusſehen. Die Geſchichte des ſchweren Pferdes iſt noch 5 ungeklärt, als daß ſich beſtimmtes darüber lagen ließe. Im weiteren Derlaufe des Vortrages werden die verſchiedenen Uypen der Trenſen (Knebel: und Ringtrenfe) und die Sporen, die in der Spätlaténezeit als vermutlich keltiſche Erfindung auftreten, erklärt. Die Hufeifenfrage wird nicht endgültig entſchieden, doch nach ſpäthallſtättiſchen ah aus Lothringen und Spanien wahrfheinlich gemacht, daß es ſich auch hier um eine eltiſche Erfindung handelt. Bei den Germanen kommen ss lla erſt in der Dölkerwande⸗ es in Gebieten mit fteinigem Boden in Gebrauch. Der Sattel bei den Germanen wird als eine Übernahme von den Römern erflart. dei noch in der Kaiſerzeit das ei bei den Germanen in befonderem Anſehen ſteht, beweiſt der Bericht des Tacitus. a Roffe waren par Das Pferd folgt dem toten Krieger. Archäologiſche Stützen für dieſe Angabe find ſpärlich. Nur die hannoverſchen Sunde (Stolzenau und Nienhagen) find zu nennen. Dagegen find in der ſpäteren Kaiſerzeit und in der Délterwanderungs3 eit die e eine allgemeine Erſcheinung, die in der Wikingerzeit (die ſchwediſchen Dendelgräber haben bis zu drei i ihren höhepunkt 1 Bezüglich der Stage, wie lange es Wildpferde in Deutſchland gegeben habe, wurde auf eine Stelle bei Joh. Micrälius“) verwieſen, die ſich aber auch auf verwilderte Tiere beziehen kann.

Profeſſor Dr. Paape: In der deutſchen Ordensgeſchichte findet man öfters die Bemerkung, der Hoch⸗

meiſter habe beſonders verdienten Kreuzfahrern die Erlaubnis erteilt, auf die Pferdejagd zu gehen. Daraus muß man doch ſchließen, daß auch damals noch das Pferd in Oit-

preußen wild lebte. Dr. Hohmann, Eichwalde:

Die Ausgrabung einer germaniſchen Siedelung zwiſchen Arneburg und Büts in der Altmark durch E. Kluge, Urneburg, ergab zahlreiche große Wirtſchafts⸗ oder Dorrats- gefäße mit Pferdeknochen darin. Die Knochen ſtammten durchweg von jungen Tieren, und die Annahme jcheint berechtigt, daß das Sohlenfleiſch jut menſchlichen ans diente. Die Dauer der Siedelung, deren Sunde im Altmärkiſchen Muſeum zu Stendal liegen bzw.

um 3 Teile in meinem Beſitz und noch nicht veröffentlicht ſind, erſtreckt ſich aus er Tenezeit bis in die römiſche Kaiſerzeit, und der Wohnplatz ſteht allem Anſchein nach de dem bekannten Gräberfeld vom Galgenberg bei Arneburg in Beziehung. Die Bemerkung es herrn Profeſſor Paape dürfte letzten Endes auch A zielen, daß die von den Ordens⸗ rittern in Oſtpreußen erlegten Wildpferde zwar eine Trophäe für den Ritter darſtellten,

9 Prabilt. Zeitichr. Bd. IV. S. 374.

2) D. ann: Die kretiſch⸗mykeniſche Kultur. 1921. S. 115.

2 2) O. Antonius, Grundzüge einer Stammesgeſchichte der Haustiere. Jena 1922. . 277.

4

f. a. O. 3 Albredt Wirth, Gang der Weltgeſchichte; derſelbe, Heimdall, Juliheft 1924 ) Joh. Micrälius, Das alte pommernland. Altſtettin 1639. Buch VI. S. 393.

Aus Mufeen und Dereinen. | 125

5 daß das Sleiſch aber von der niederen Bevölkerung verzehrt wurde. Bemerkungen des alten Praetorius in den Deliciae Prussicae *) über den Piech. der alten Citauer und den Kampf der Geiſtlichkeit dagegen machen das wahrſcheinlich.

bemerkt über das borkommen und Ausiterben des wWildpferdes, daß urkundlich im Jahre 1561 das Auftreten von Wildpferden, Elchen und Kuerochſen in der Nähe der Ordensburg Willerberg i Maſuren überliefert iſt. erberſtein erwähnt im Jahre 1516 | itauen und Preußen. Diejem Schriftſteller war es unbekannt ge⸗ blieben, daß zu gleicher Zeit auch noch in Pommern und zwar in der ückermünder Heide,

zu haben, auch über die Art ihres Einfangens und ihrer Zähmung. Er ſchildert ſie nicht

als ſehr groß, aber feſt und arbeitſam. Es gab unter ihnen Pferde aller Farben Füchſe,

Rappen immel —, aber ſie unterſchieden ſich von den zahmen Pferden dadurch, daß

ie einen gelben Streifen über den Rüden laufend zeigten. Sehr Heine 79 0 vom ildpferd fanden ſich übrigens im Jahre 1855 bei Prußdorf unweit Damgat

i Zeit das Wildpferd noch nicht ausgejto an; es wird in zwei

der Jahre 15611606, die im 45. Jahrgang der Baltiſchen Studien (Stettin 1895 bis 51) abgedrudt 1 ſchildert dieſer pommer che Edelmann ſeinen Beſuch im herzo lichen Tiergarten bei Yeubaujen im Samland nördlich von Rönigsberg im Jahre 1575. Er fand daſelbſt auffallend ſchwache Hirſche, aber ſehr Io, Auerochjen, ferner {de und 15 Wild- erde. Bald nach dem ahre 1600 mögen ie wildprer e in As ek ausgeſtorben ein. Welche Bewandnis es mit dem ildpferd in i h nahezu un ugänglichen Brüchen und wäldern des Emſcherbruches und des Duisburger Waldes ſich bis in unſere Zeit, bis zum Jahre 1838, erhalten haben oll, ijt mir ni t bekannt. a Über die Hale Gcentümlichteten der 9 5 der vorgeſchichtlichen Zeit O tpreußens it mer jtens in einer, allerdings auch für tpreußen ſchon ſpätheidniſchen periode die lichkeit eingehender weiterer Studien möglich. e Heß v. Wichdorff weiſt i i en Oſtpreußen hin, z. B. Warengen, rentitten, tau, Blöden, Schulſtein uſw., in denen zahlreiche pferdebeſtattungen auf⸗ treten. Dieſe ehr ſpäten Gräberfelder ermöglichen alſo, die Pferderaſſen des noͤrdlichen i hen Samlandet, aljo mehrere Jahrhunderte vor Beginn det Ordenszeit, näher zu unterſuchen und kennen zu lernen.

Univ.- profeſſor Dr. Hahn: 1 Die wilden Pferde der Eiszeit haben, was nicht immer beachtet wird, in Mitteleuropa wilde Nachkommen in vielen 1 unſeres Daterlandes in den wäldern, beſonders i it 1 itkelalter, ja bis in die Neuzeit gehabt.

hatte ſich ein igentumsrecht an ER wilden pferdeherden, erausgebildet, indem von Zeit zu eit alternde Hengite abge?

n jüngerer hengſt die Führung der herde übernehme, den man n Herde beigab. Ein ſolcher hengſt heißt in der Cippiſchen Küchen⸗ or enem ſchelen up de Senne). Ich nehme daraus den Grund ibelungenliedes für einen ſolchen Hengit zu erklären. Wahr: ch, daß er außer den 4 Uren und dem Wijent auch noch den

en 1820 Kon Grunde gegangen, nachdem die Sranzoſenherrſchaft hier natürlich ſchon e; beſonders wat durch ſie auch das große Wildgeſtüt der Cippijden Herren

n

A Es ijt Jeht eigenartig, wenn entgegen sem Derbot des Papſtes Zacharias, das Boni? fatius den ſächſiſchen Neuchriſten übermitteln mußte, öfter, ſo im Kochbuch des Marx Rum? polt, des enmeiſters Albrechts von Brandenburg, gerade das wilde Pferd gegeſſen wurde, während es mir im allgemeinen doch nicht nin erſcheint, pferdefleiſch als eine allgemein verbreitete Speiſe, auch nicht für unſere hei niſchen Dorfahren im deutſchen

Gebiet anzuiehen. 1) Dgl. piſanski ed. Medelburg. S. 4295.

Bücherbeſprechungen.

Die Eiszeit. Jeitſchrift für allgemeine e Organ des Inſtitutes für Eiszeitforſchung in Wien. Begründet und herausgegeben von Joſef Bayer, Direktor am Natutrhiſtoriſchen muſeum in Wien. 1. Band, 1. Heft. Gr. 4°, 80 S., reich illuſtriert. Ceipaig 1924. Karl W. hierſemann. Preis 12 Goldmark.

ei der heutigen N der mitteleuropäiſchen Forſchung und bei der gefahrdrohenden Zerſplitterung ihrer literariſchen Behelfe bedarf eine Neugründung, wie es die vorliegende Zeitſchrift iſt, ſchon einer Suited Rechtfertigung.

Der Herausgeber at dieſe in dem Geleitwort, aus dem Gründung, derzeitige aan pa und geplanter Ausbau des Inſtitutes für e u entnehmen ſind: die ee Sammlung des Wiener Muſeums, der Bauer vorſtebt, umfaßt ge⸗ e Beſtände an diluvialem Sundmaterial, das größtenteils aus A eren Grabungen des Muſeums ſelbſt ftammt, alfo der Jundkritik ſtandhalten kann. Der Ausbau diefer Samme lungen zu einer eiszeitlichen Sondergruppe, in der auch das Quartärmilieu voll zur a ung gebracht werden leat erfordert und ermöglicht eine HA Su 5 armachung, die über das rein Muſeale hinausgeht. So empfahl ſich die e eines e das dem an ſich bürokratiſch⸗ſtarren Rahmen der Muſeumsabteilung die nad: eweglich⸗ keit geben follte. Das „Inſtitut für Eiszeitforſchung“ iſt ein Annex zur Muſealſamm⸗ lung und dient dem Zuſammenarbeiten der verſchiedenen, an den Eiszeitproblemen be⸗ teiligten Wiſſenszweige, die nur allzu oft getrennt marſchieren. Zur willen? aftliden Bes ratung bildete i Kommiſſion für iszeitforſchung, in der Prähiſtoriker, Geologen und

aläontologen, Paläobiologen, sbotaniter und ⸗geographen, ſowie Zoologen vertreten ind und die nach Bedarf Vertreter aller anderen Sader zu Worte kommen läßt. In ihr pielt ſich die hauptarbeit ab, indem in internen Verhandlungen die Fragen erörtert und ie zu ihrer Cöſung dienlichen Richtlinien n 12 werden und weiterhin über die erzielten

Ergebniſſe Bericht erſtattet wird. Das Inſtitut unterſcheidet ſich alſo grundſätzlich von

gelehrten Geſellſchaften und will als Mittelding zwiſchen einer ſolchen und dem Muſeum

gun werden. Seinem Weſen nach ift es international und erftrebt die Mitarbeit auch er auswärtigen sahgenojlen, Soviel über die muſealtechniſche Seite der leucht

Daß in dieſer Richtung ein Bedürfnis vorlag, iſt jedem Kenner der ng einleuchtend. Die heftigen Streitigkeiten über die geologiſch⸗archäologiſche Gliederung des Eiszeitalters Streitigkeiten, an denen Bayer ſelbſt ſo art beteiligt ijt waren weniger unbefriedigend e wenn dieſes Zusammenarbeiten früher verwirklicht worden wäre, was on längft durch den gewaltigen Juwachs an Fundtatſachen und Einzelergebniſſen geboten erſcheinen mußte.

Die großzügige Pariſer Stiftung des Fürſten von Monaco ſchien das zu verheißen. Doch blieb ſie zufolge des Krieges im . auf Srankreich beſchränkt. Die Salzen. heit in der Quartärforſchung iſt feither nicht kleiner, fondern größer geworden. Wohl aus ſolchen Erwägungen hat man die Unterordnung der Quartärarchäologie unter die vermeint⸗ bab bi ole gebniſſe der geologiſchen Soridung verlangt. Aber abgeſehen davon, daß die Geologen das Quartär oft etwas jtiefmütterlich behandelt haben, ſind fie ebenſo⸗ wenig iu einſtimmigen Schlüſſen gelangt.

a ferner auch der größte Gelehrte unmöglich Spezialiſt in allen Bu igen Wiſſenszweigen fein kann, blieb jede an ſich noch fo achtunggebietende Einzelleiſtung, 1 das Geſamtproblem unfruchtbar, befangen in kritikloſer Übernahme oder ann tändiger

ritit der Ergebniſſe aus den Nachbarfacern, oder deren völliger Außeradtlafjung.

Die Wiener Gründung geht andere Wege. Die en erfordert als Grenzgebiet

mehrerer n Jächer en Suntheſe, die unmittelbare ifommendrbeit der ver⸗

ſchiedenen Sader.

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Bücherbeſprechungen 127

res Inſtitutsarbeit umfaſſen demgemäß ein ganz a daß die Seldgeologen

die Referatthemen des erſten Jah eil

ewaltiges Wiſſensgebiet. hier iſt auch dei ) be altberühmten „Geologiſchen Reichs⸗ (jetzt Bundes”) Anitalt‘, mitführenden an det Inſtitutsarbeit nehmen. Für dieſe bietet Wien günſtige Bedingungen: nicht nur ge in einem Brennpunkt internationaler e eiſtigen klus⸗

i i Ö | en Cößgebiete, ſondern

ereiſung großen Anteil

por allem auch durd) die Tatſache, daß Öiterreich a e und hat. Da urd) bleibt für das Studium det Gletſcherphänomene eine gewiſſe Unmittelbarkeit gewahrt. Dazu kommt, daß es i biete der beiden europäiſchen Dereiſungsmitten angehört und daß hier a pine Dereifung und e 12 Erſcheinungen, wie det 265 in Altersbeziehungen treten, die ſich z. B. in Srantret nicht ſo gut ſtudieren laſſen.

l Zu afl im Eiszeitproblem ſelbſt begründeten Erwägungen kam, daß die Cöſung der willen] tlichen Arbeit oe der deutſchen Sprache von ihrer bisherigen Führung eine vergrößerte ielſprachig eit der Literatur ZUT Solge hat; wichtige Ergebniſſe bleiben o ungenügend De annt. hier durch autoriſierte Überſetzungen in eine der Hauptum Br en vermittelnd einzugreifen, wird eine a ige Au gabe det „Eiszeit“ ſein . m

iſt der Aufbau des Blattes der herkömm iche und ſeien hier nur noch einige der gſten Aufſätze kur geſtreift. ei (ampteret, über geologit, Erforſchung des Eiszeitalters) wirkt mpferets vorſichtiges Urteil und neidloſe Anertennung fremder ja zu würdigen wiſſen, wenn er in dieſem

t, wird es richtig Gletſchererſcheinungeſ in ihren

e die heute geltenden Auffafjungen vom eſen der i i Derzahnung“ zwiſchen Schotterfeldern und ällen als Beweis ng (— während ſich beide g rer auf dem poralpinen Gelande gegenſeitig ausſchließen von der Beweiskraft der hoch⸗ und Yiederterrafien otter für die zugehörige (Ripe un Würm i tt die Terraſſen reichen in vielen Sällen bis hinter die angeblich dazu‘ ehöri Jun endmoränen ins inneralpine Gebiet u pon der Methode = bupſometriſchen Terraijenvergleihungen (— {eit Pend jel jt den tektoniſchen Verbie⸗ ungen ſo breiten Raum gewa rt) und anderen Edpfeilern unſerer e Auf: gen. Die 2 turjache det großen Aufichotterungen erblickt Ampferet in tektoniſchen ewegungen. i Eroſionsleiſtungen werden wir umlernen müſſen: leich zwiſchen der heutigen Waſſerführung des Inn bei Innsbruck mit dem Quer: ſelbſt ergibt bei Annahme gleicher Mieder|chlag deuligen ag. Das i eim heutigen eine weſentlich geringere miederſchlagsmenge ließen muß. uch fe äfte der Slußeroſion: Cawinen, Berg- e, Muren und Rodale die die fluviatile Waſſerführung mehr als verzwanzigfachen i treibung ſpielt ſich übrigens im Eiſe ſelbſt ab: die Rand’ und Boden— itte. So können Partien kräftiger

ien bewegen ion mit weiten Strecken faſt ohne lags abwechſeln. | letſchers auf ſeinem wege bis ins Alpen:

Erofion Insgeſamt zeigt die naluſe eines roßg vorland eine auffallende Armut an glazialen er Gade Nur der letſchethochſtand über den anderen Stadien ſpricht. abei ie

die Schuttführung, obald die Laufrinnen einmal Beat waren, relativ gering. en des Dore und Rüdmarſches find voneinander (und auch von denen des Hod)? andes) kaum ZU unterſcheiden. Beſſer belegt ſind die Vorſtöße der Rüdzugsihwantungen. it gewaltiger Schuttführung im Gebiete der nördlichen Kalkalpen mißt Ampferer viel Bedeutung bei. In ſeinem Aufſatze Beiträge zur Glazialgeologie des n stales“ (hier S. 38—46) weiſt er auf Grund neueſter Kartierungen nach, ie Sti i i Jungendmoränen

. lcher Gletſcher im „Geſäuſe“,

5 und völlig 9 chzeitig ſind, i ren hermetiſch von den angeblich gehörigen

fliederterra ſenſchottern abgeriegelt halten. Das Studium weiteret Profile in dleſem Gebiete

rt Ampfer er zur Kritit an der Schottertertaf enlandſchaft überhaupt: Terraſſen können fo o | | ſchiedener Eiszeiten verwertet

nie weiteres im inne Penck's als Zeugen verſchies als ältere Dede, jüngere Dede, hochtertaſſe

iſt denkbar, daß drei Tertaſſen, die gulgefaf, werden, in Wirklichkeit Kusſchneideſtufen einer einheitlichen Auffüllung ſind. nhalte na iſt dann die oberſte Terraſſe die jüngſte und nur der Entſtehungsgeſchichte b es ſich nun fo verhält, oder ob wirklich eine ideale penck-Brücknerſche Derhältnis der Schotterjtufen zum

vorliegt, hängt entſcheidend vom e ältere Steinzeit

it bie pertreten, was

Se : 1) Das 2- helt bringt 3. B. Koztow in Polen“ in erweiterter euticher Ausgabe.

128 Bücherbeſprechungen

Grundgehänge ab. Nur wenn jewels die Stufe zuerſt ausgeſchnitten und dann überfchüttet wurde 0 mpferers Sig. 8, auf S. 45), it der Beweis zwingend, daß bier Erofion und Aufſchüttung gewechſelt haben, was einen recht verwickelten Wechſel in der Flußtätigkeit vorausſetzt. Wo ſich derlei nicht erweiſen läßt, muß unterſucht werden, inwieweit das Tal räglazial 5 iſt. Liegen doch auch uralte Interglazialbildungen an der Baſis der chweizer Täler, die alſo ſchon damals bis zu Pai Tiefe erodiert geweſen fein müſſen. Ref. ijt auf dieſe Kegereien Ampferers ſo ausführlich eingegangen, weil ſolche methodologiſche Einwendungen Anlaß zu ernſter Überprüfung bisher als unumſtößlich geltender Huffaſſungen geben ſollten. |

Diwalds „Neue Grundlagen zur praktiſchen Analyfe der Landſchaft“ wollen für deren aten d Morphologie eſetzmäßige e als Beſtimmer früherer Landſchaften herausfinden. Gleich Diwalds „Morphogeneſe der OGtſcherlandſchaft“ (Wien, 1921), die ſeitens der herrſchenden Richtung allerdings ſchärferem oder gelinderem Widerſpruch begegnet iſt (Brückner, Mitt. Geogr.⸗Geſ. Wien, 65, 82f.; Krebs, Peterm. Mitt. 1924, 56), ijt auch dieſe neue Arbeit von dem Bemühen um die Methode getragen, durch welche die präglazialen Dorformen rekonſtruiert werden können. Die Wiederherſtellung dieſer im weſentlichen tertiären Dorformen, an ſich ihres hohen Alters wegen ſchwierig und durch die glaziale Umformung noch mehr erſchwert, muß aus dem eisfrei gebliebenen Dorlande vergletſchert geweſener Gebiete in dieſe ſelbſt hineingetragen werden.

Günther⸗Koblenz, den Lefern des „Mannus“ wohlbekannt, hat einen ſchönen Beitrag über „Vulkantätigkeit und Eiszeit im öſtlichen Eifelvorland“ beigeſteuert. Aus ſeinen langjährigen Studien dieſes mitteleuropäiſchen Dulkangebietes ergibt ſich, daß die Lavaergüſſe erſt nach der Bildung der Hauptterraffe (= älteres Diluvium) ſtattfanden, ich in Aſchen⸗ und Cuffauswürfen während der tide fortſetzten und mit Traß⸗ und

imsſandablagerungen nach Bildung der Niederterraſſe endeten. Die Ausbriiche ſcheinen nicht ſehr langandauernd geweſen zu ſein; nur der Bimsſand zeigt außerordentlichen Umfang. Günther ſetzt ihn ins zum Die Oberfläche der Niederterrafje zeigt bereits Derlehmung und eine der Gegenwart entſprechende Slora. Auf ſolcher mit Schlick fand bedeckter verlehmter Niederterraſſe fanden ſich 1922 zu Weißenturm unter dem ganz ungeſtörten Bimsſand Skelettreſte, die eine Kannibalenmahlzeit zu verraten ſcheinen. Der Fund ging leider größtenteils verloren, enthielt übrigens anſcheinend keine Urtefakte. Nach den von Günther reichlich ausgewerteten Jeugniſſen der Sauna und Slora kann zwiſchen den Auswürfen von Bimsſand und den auflagernden grauen Tufffanden kein allzugroßer Zeitraum angenommen werden. Dies gelte auch für den ganzen Aufbau des vulkaniſchen Eifelvorlandes vom Tertiär bis ins Alluvium, der dem Suſtem der vier Eiszeiten mit ihren Zwijcheneiszeiten und Schwankungen nicht genug zeitliche Entfaltungs⸗ möglichkeiten laſſe; wir werden uns wohl „mit weniger begnügen müſſen.“

Bayer („Die geologiſche und archäologiſche Stellung des hochgebirgspaläolithikums der Schweiz“) behandelt die Zeitſtellung der alten Sunde vom Wildkirchli und der neuen aus dem Drachenloch ob Dattis und von Cotencher. Die zwei erſteren verlegt er in die Zeit des Acheuléen (Mindel-Riß⸗Interglazial Pencks = großes Interglazial Bauers) und Cotencher als eine Art Fortſetzung des 5 90 Paläolithikums unter c ver⸗ ſchlechternden Klimaverhältniſſen ans Ende dieſer Zeit (Prä-Rißzeit Pencks). Dieſe Datie⸗ rung ſteht im oa zur bisherigen, nach welcher die Schweizer Stationen zwiſchen Rife und Würm⸗Eiszeit Pencks lägen. Die neuen höhlenfunde von Mirxnitz in Steier⸗ mark jeien Aurignacıen.

Eine neue niederöſterreichiſche Magdalénienſtation, die „Srauenluden“ im oberen Kamptale, behandeln h. E. Wichmann und Bayer. Sie tritt als zweite, wenn auch kleine Station des Magdalénien neben die altbekannte Gudenushöhle, doch deuten fic) im Krems⸗ tale bereits weitere (3. B. die „Schuſterlucke“) an.

Kerner-Marilaun ſetzt ſich eingehend mit Spitalers neuem e cl lb | der Eiszeit auseinander. Nach dem Mißerfolg anderer Erklärungsverſuche kommen jetz aſtronomiſche wieder zu Ehren. flüsse der Erdſtelle eee Würmedurchläf ig⸗ keit der Atmojphare und die Einflüſſe der Erdſtellung (variable Elemente der Erdbahn) auf das Klima müſſen zuerſt ermittelt werden, ehe man für ein beſtimmtes Paläoklima

B. das 1 nach Abzug ihrer realen Einflüſſe den unerklärten Reſt durch Hypo= theſen (3. B. Polverſchiebungen) zu erklären trachtet. Für lid allein können ſolche Theoreme nicht den Inhalt einer brauchbaren hupotheſe bilden. Solche reale Arbeitsbegriffe für einen der drei ſoeben genannten Faktoren der Paläoklimate, nämlich für die variablen Elemente der Erdbahn errechnet zu haben, iſt das bleibende Derdienit Spitalers.

„Inſtitutsnachrichten“ und „Bücherbeſprechungen“ bilden den Abſchluß des Heftes. Das bereits erſchienene zweite heft bringt u. a. einen flufſatz über neue diluviale Sunde in Südmähren (mit der Kleinplaftit eines Mammuts). Dem Derlage hierſemann in Leipzig

Bücherbeſprechungen 129

genni für die völlig friedensmäßige Ausitattung der Zeitſchrift Dank und Anerfennung. ihr eine weite Verbreitung beſchieden fein wird, Auf man im hinblick auf die Vielſeitigkeit des Inhalts und das große Intereſſe für die Aufgaben der Eiszeitforſchung füglich annehmen. Wien. H. Mahr.

mitteilungen aus der Sammlung vaterländiſcher Altertümer der Univer⸗ ſität Greifswald, herausgegeben von Dr. Erich Pernice, i der Archäologie, Dorſteher der Sammlung vaterländiſcher Altertümer, I (In: Schriften der Geſellſchaft der Freunde und Förderer der Univerſität Greifswald). Greifswald 1924.

Das erſte Heft diefer neuen Mitteilungen enthält zwei Abhandlungen: 1. Die ſtein⸗ zeitliche Kultur von Lietzow au Rügen von prof. Dr. S. Klinghardt. 2. Die Beilformen me Ctr alias und ihre Bedeutung für die Typenentwidlung im Norden von Dr.

Petzſch. ute Husgrabungen gehören auf Rügen neben den unzähligen Jufallsfunden zu den Seltenheiten. Es iſt daher ſehr erfreulich, daß Kling hardt hier in verdienſtlicher Weiſe die bei einer ſolchen gemachten Sunde vorlegt. Das klusgrabungsgelände liegt unweit des durch zwei frühneolithiſche Sundjtellen bekannten Dorfes Lietzow auf der Südſeite des Großen Jasmunder Boddens (und e bei der Sörfterei Huguſtenhof, Gemeinde Ralswiek dieſe Angabe hätte nicht fehlen ſollen! —). Es handelt (ich um Werkſtätten⸗ funde. Einer genauen Beſchreibung der Sundumftande nebſt Angabe der Erdſchichtenfolge an den einzelnen Grabungsſtellen folgt eine eingehende, von guten Abbildungen begleitete Behandlung der Fe Unter ihnen fallen die gut erhaltenen Geräte aus hirſchgeweih, vereinzelt auch Rehgehörn und Knochen, auf. Sie find zum Teil mit rechtwinklig (oder annähernd rechtwinklig) lid freuzenden Linien verziert. Bei den an ijt etfreulidjerweije auch den Stücken, die nicht beſtimmten Typen angehören, eine genaue Beſchreibung gewidmet. Eine tupiſch vollneolithiſche Pfeilſpitze, die als Einfuhrgut aner⸗ kannt wird, fällt aus dem Rahmen der übrigen Funde heraus. e eee der archäologiſchen, geologiſchen, anthropologiſchen, a ee otaniſchen Ergebniſſe nebſt Bemerkungen über die Werkzeuge, die am „Spitzen Ort“ in Cietzow zuſammenge⸗ om ſind, und ein Übſchnitt über „die Kulturhöhe der Leute von Lietzow“ beſchließen

ie Arbeit.

Mit der fnſicht Klinghardts, daß die Träger der Lietzowkultur zu einer Zeit lebten, wo die Stämme ihrer ee emeint iſt nach einer Bemerkun auf S. 45 das übrige Rügen) [den im Vollneolithikum ftanden (5. 39), kann ich mich nicht einverſtanden erklären, bin vielmehr der gleichen Meinung wie Petzſch (S. 44, Anm.), daß es ſich um „eine echt meee Kultur“ handelt. Beſonders erhielt ich dieſen Eindruck bei Beſichtigung der mir freundlichſt von herrn Geheimrat Pernice herr e Klinghardt war leider gerade abweſend gezeigten Sundjtiide in der in guter neuaufſtellung befindlichen Greifswalder Sammlung. Die Geräte vom „Spitzen Ort“ in Cietzow, denen auch Rlinghardt offenbar die neuen Sunde besüglich 115 Alters geichſetzt, find bisher ja bite für frühneolithiſch rn worden (vgl. beſonders „Die älteften Spuren des Neolithikums auf Rügen“ von Eugen Bracht, der die Namen , Lieko- wer Stufe“ oder ne Du tL in Betracht 30g')). Wenn die Auffaffun Klinghardts ae ca ſonſt noch auf Widerſpruch ſtoßen wird, ſo wird dadurch der Wert der muſter⸗ gültigen Fund ans bung natürlich in keiner Weiſe beeinträchtigt.

Die klrbeit von Petzſch iſt der u zu einer Typologie der um die gut einge⸗

bürgerte Bezeichnung von Sarauw zu gebrauchen „Kernbeile“. Statt in der vom Derf. angewandten Betrachtungsart „wenn man die Schneide ſenkrecht ſtellt“ (S. 45) und den daraus genden Bezeichnungen „Ober⸗, Unterkante“ uſw. ſei es geſtattet, fie in gewohnterer Husdrucksweiſe (Nacken = oben, Schneide = unten) wiederzugeben.

Bei der älteſten Form liegen die Grate auf den Breitjeiten, nach welchen derartige Rernbeile auch „Gratbeile“ genannt wurden, ungefähr in der Mitte und ziemlich hoch über der durch Nacken und Schneide gelegt gedachten Ebene. Da die Breitſeiten in Kanten zu⸗ ſammenſtoßen Schmalſeiten ſind demgemäß nicht vorhanden —, ſo iſt der Querſchnitt

1) Dal ne: Konferenz in Tübingen...., redigiert von R.R. Schmidt; 1 um pains latt der Deutſch. Gef. f. Anthropol., Ethnol. u. Urg. (Braunſchweig 1912), 8. 18. Derworn ſetzte fie ſogar 1 vor die Kjökkenmöddinger und dem Azilien oder Touraſſien gleich (eben genannt. Rortesp.⸗Bl. 48, 1917, S. 17), was aber wohl kaum zutreffen würde.

Mannus, Zeitſchrift für Vvorgeſch. Bd. 17. H. 1/2. 9

130 | Bücherbeſprechungen

alſo Eur oder rhomboidiſch, weshalb Baier (nicht Beier) von „thomboidiſchen Arten“ Ipradı. Die Grate verſchieben ſich [pater aus der Mitte der Breitfeiten auf je eine der beiden anten zu und liegen nicht mehr fo hoch über der Ebene durch Nacken und Schneide. Dadurch wird das Rhomboid des Querſchnitts erheblich ſchmaler als bei der vorigen Stufe. Ging die Verſchiebung fo weit, daß die Grate von der Mittelachje des Beils ebenſoweit entfernt waren wie die Kanten, ſo wurden die Grate ſelbſt zu Kanten, deren es damit alſo vier gab. Dieſe ſchloſſen dann zwei Breitſeiten und zwei nunmehr ausgebildete Schmalſeiten ein: Das Beil mit rechteckigem Querſchnitt (Rechteckbeil) 0 fertig. Danebenher läuft aber auch eine Entwicklung zum Beil mit linſenförmigem Querſchnitt (linſenförmigen Beil). Es ent⸗ ſteht dadurch, daß die Grate auf den Breitſeiten wegfallen und letztere immer gleichmäßiger zwiſchen den Kanten gewölbt werden. . hend hält es nicht für undenkbar, daß das Kernbeil eine ähnliche Entwicklung, wie er ſie für Rügen feſtgeſtellt zu haben und durch techniſche und ſtratigraphiſche Gründe beſtätigt zu finden glaubt, auch in anderen Gebieten des nordiſchen Kulturkreiſes durch⸗ rl 5515 Dafür ſpricht, daß nach Aberg eine gute Schneide bei den Kernbeilen auf ieſelbe Weiſe zu erzielen war und auch in den däniſchen Muſchelhaufen erzielt wurde, wie bei den Scheibenſpaltern Aberg ſagt: Scheibenbeile hota bed —. Und das ift gerade die Art, wie bei den „Cietzow⸗Beilen“ die Schneide häufig hergeftellt wurde. a nun auch ſolche Kernbeile, bei denen gemäß der Auffaffung von Petzſch die Derfchiebung der Grate zur Entſtehung von Schmalſeiten führt, in Ertebölle Schneiden nach Art der Scheibenſpalter De) 2 erſcheint in der Tat eine Entwicklung der Kernbeile im Sinne von petzſch auch für Dänemark und Skandinavien ſehr wohl möglich zu ſein. Nur wäre

ſie dann hier gegenüber der von Äberg herausgearbeiteten Typologie, die neben anderem beſonders die zunächſt in Anlehnung an die Geweihaxt ovale, dann immer wach gerade werdende Schneide in Betracht zieht“), mehr in den Hintergrund getreten, während fie auf er. die allein herrſchende war.

llerdings ijt die von Petzſch angenommene Entwicklung in der „LieBow-Kultur“ nicht zum vollen Abſchluß gelangt, und zwar 1985 Unſicht des Verf. deshalb, weil vorher von anderswoher aus dem nordiſchen Kulturgebiet nach Rügen vollneolithiſche Beile, ebenſo wie andere Geräte eindrangen. Ein deutlicher hinweis dafür iſt die bereits erwähnte, als Einfuhrſtück zu betrachtende Pfeilſpitze. Wenn Petzſch dabei ein Zurüdbleiben der Kultur gegenüber anderen Stellen des nordiſchen Kreiſes für ganz Rügen annimmt, ſo iſt das meines Erachtens entſchieden richtiger, als wenn Klinghardt, wie oben erwähnt, nur die Gegend von Lietzow gegenüber dem ſonſtigen Rügen zurückbleiben läßt. Wir hätten damit den Grund für das ſpärliche Vorkommen der ſpitznackigen Jeuerſteinbeile auf Rügen,

2

das auch Aberg bemerkenswert findet“). Danach lebte nämlich auf Rügen während der erſten durch ae Seuerſteinbeile gekennzeichneten le en Periode Danes marks und Standinaviens noch die durch Kernbeile gekennzeichnete frühneolithiſche Kultur weiter. Die in der zweiten Periode auch auf Rügen zur herrſchaft kommende höhere Kultur kündigt ſich aber ſchon durch Einfuhrſtücke während ihrer erſten Periode an. Daß bei Ausbleiben dieſer däniſch⸗fkandinaviſchen Einflüſſe ſich auf Rügen, wie etzſch annimmt, doch und zwar in ſelbſtändiger Entwicklung Beilformen von vollneolithiſchem Gepräge herausgebildet 1 5 würden, iſt möglich. Doch möchte ich an die unbedingte Richtigkeit der zweifellos ſehr Bale ypologie des Verf. noch nicht glauben. Aud) abgeſehen davon, daß nicht alle Beile in fie 9 es eo (S. 47), erſcheint es mir doch un ganz ausgeſchloſſen, daß die Verſchiedenheit der Sormen, die für die angenommene Entwicklung ſpricht, nur auf Zufall beruht. Beim linſenförmigen Beil kommt dieſe Möglichkeit aus einem unten zu erörternden Grunde vielleicht weniger in Stage als beim Rechteckbeil. Auf jeden Fall aber muß der 1 i von Petzſch als einer wertvollen Grundlage zur Weiterarbeit vollſte Beachtung geſchenkt werden. Sie wird am beſten zu prüfen ſein, wenn noch mehr ſo gründliche e auf Rügen, wie die in dem vorliegenden hefte bearbeitete, veröffentlicht werden. . u ‚we Einzelheiten möchte ich noch Stellung nehmen. 1. Petzſch ſchreibt S. 52: „. . . . das linſenförmige Beil hat fic) an anderen Stellen Rügens vollſtändig durchgebildet

1) Aberg, Nils, Studier öfver den yngre stenäldern i Norden och Västeuropa. Rep 1912., S. 4.

2) Madfen, A. P., Müller, Sophus u. a., Affalsdynger fra Stenalderen i Danmark. Paris, Kopenhagen, Leipzig 1900. Caf. V. Abb. 12.

) Aberg, Studier 1912, S. 3—6, 30ff.

) Aberg, Nils, Das nordiſche Kulturgebiet in Mitteleuropa während der jüngeren Steinzeit. Uppſala, Leipzig 1918, S. 7.

Bücherbeſprechungen 131

gefunden. Gr dürfte dabei Beile vom „Viervitzer Typus“*) im Auge haben. Es iſt nun meines Erachtens ſehr wohl möglich, bab ich in der Tat vom linſenformi en Beil der „Liehow⸗Rul r“ zum voll entwidelten ervitzer Typus eine fortlaufende twicklungs⸗ linie ſpannte. Dafür ſpricht die auch von berg hervorgehobene, verhältnismäßig Gods Jedenfalls möchte ich dieſen

| häufigteit des Diervitzer Cupus gerade auf Rügen. \ ls anſprechen als mit aa (vgl. die letzte Anm.)

eher als eine Fortbildung des Lietzowbei ;

in ihm eine bart des „Beils mit dünnem Blatt“ (Slachbeils) ſehen.

2. Bei ſeinen Aus ührungen über den Schliff der Beile erſcheint petzſch (S. 54) ie Kunit des Seuerfein liffs aus dem eſten einger

N) ei. Ju dieſer nnahme liegt aber doch woh kein Grund vor.

Entstehung des Schliffs im Norden ſprechen ſowohl die nach Sarauw aus der Erte öllezeit

in dänemark, Ne und Norwegen efundenen Schleiffteine als auch die teilweiſe nur gerin Schliffſpuren an Spaltern, ernbeilen und eißeln von Seuerſtein in Erte⸗

en bolle tbh). | zum Schluß ſei dankbar des Heraus ebers gedacht, deſſen Derdienft um das Er⸗ 1 7 5 der neuen vielverſprechenden Zeitſchrift in Anbetracht unſerer wirtſchaftlichen otlage beſonders hoch zu achten iſt. N

hannover Hans Gummel.

2

Uſchumi, Otto, Die Dot’ und so ues (Kant. Bern).

eujahrsblätter der Citerarifchen Ge d a 8 55 ern Durch völterkundliche ergleiche des Hinausgreifen über das eng be ag Gebiet wird das beſonders als Hilfsmittel für die Heima nde in den 5 ulen i Eine allgemeine Sundfarte, me rere

Sonderplane und flare Abbildungen mae es abet rg ür den Sa

Sichere Sunde liegen erſt aus dem Neolithikum vor. Die beiden Pfa bauten von Burg?

1 Inkwil reichen mindeſtens bis ans Ende an Zeitabſchnittes. Die Bronzezeit

i vertreten, etwas beſſer die Hallſtatt⸗ und Latenezeit, u i ind i 5 Zahl bekannt, dagegen fehlt

ſchwa erſtere. ömiſche Bauten und Münzfunde ſind in größerer 5 fajt ganz. an Beleg.n aus feühgermani[ine* Zeit, wenn man von den wohl großenteils K. Hans Gummel.

annover.

iftoriiggen Muſeums 1925. Bern 1924.

Iſchumi, Otto, Die archäologiſche Abteilung (des Berniſchen in Bern). S. A. aus dem Jahrbuch dieſes Muſeums, 0. ahrg. z Die Abteilung iſt unter Anbringung von nS, eungsiofeln, Karten und anderen Erläuterungen neu aufgeſtellt die laufenden mu eumstechniſchen Arbeiten ſtark gefördert worden. Das Zuwachsverzei nis meldet über 300 Nummern, die größtenteil Be gewonnen find. Über jie berichtet Tihumi, nachdem et als edelungsgeſchichte des Kantons Bern, Nr. 1“ kleinere neue Sunde und Ermittelungen über ältere mitgeteilt hat. Der erjte Ausgrabungsbericht behandelt die ſiebente, bisber im Stadtgebiet don Bern bekannte Begräbnisitelle der Srühlatenezeit mit einem Männer?, einem zen ausgejtatteten Frauen- und einem Kindergrab. Der zweite beſchreibt den römi⸗ ſchen Srie hof von Unterſeen, Kanton Bern (bei Interlaken) mit Brand- und ſpäteren

12.5. 24 = Meine 1 warum er die 6 Beile des Diet e

oiger Sundes, die nicht dem „Viervitzer Trend angehören, als dicknackig bezeichnen trotzdem jie wie auch auf meiner Abbildung des Sundes (Mannus 5, 1914, af. 19) deutlich a ſehen ijt dünnen Nacken haben, beantwortete A berg folgendermaßen: „Rein tupo“ ogiſch können dieſe unzweifelhaft als dünnackig betrachtet werden. Aber mit dünnadi meint man im allgemeinen auch, daß das Beil der zweiten periode angehört, und dies it nach meiner Meinung nicht der Sall mit denjenigen aus i ö ci rs ag Scheide wegen in die Gan gräberzeit, obwohl ſie doch viellei t ein frühes Sta um repräjentieren. Ich betrachte die Beile am eheſten als eine Dariante des Tupus mit dünnem Blatt und dieſer Tupus i a

i zeitig ijt. Run rechnen wir ja aus praktiſchen Gründen im allgemeinen die Beile dünnem Blatt zur dicknackigen eilgtuppe, il ſie mit di find. Das iſt alſo die Urſache, weshalb i kurz und gut als dicknackig bezeichnete.

2) Dalaethnol. Konferenz in Tübingen, 31, a) Affaldsdynger, S. 32, 36, 39. g*

9 Aber, Studier 19 e

132 Büdherbefprehungen

ſind Münzen und Barbotinegefäße hervorzuheben. Am wichtigſten ijt die dritte Mitteilung, über die im Berichtsjahr erfolgten Sortſchritte der ſeit 1919 unter Tſchumis Leitung plan⸗ mäßig betriebenen und alljährlich geförderten Engebalſinſel der nördlich von Bern in ſchnörkeligem Lauf von der Aare umfloſſenen Engehalbinſel, unter deren latene⸗ und kaiſerzeitlichen Fundſtellen die von Tiefenau wohl die bekannteſte ijt. Ojtlid des 1919 beim Engemeiſtergut freigelegten a Tempels wurden einige wohl als von dort verſchleppte Weihegaben zu deutende Kleinfunde gemacht und eine ee von den keltiſchen und römiſchen Töpfern benutzte Lehmgrube angetroffen. Weiter nördlich, im Reichenbachwalde, wurde von einer bereits im Vorjahr angerührten Stelle eine durch zahlreiche Funde ins 1. bis 3. Jagr. n. Chr. datierte Töpferei aufgedeckt. Sie beſteht aus einem dreiräumigen haus mit Anbau, in dem ſich ein gut erhaltener Töpferofen (vermutlich Schmauchofen) befand, ferner einem bereits 1922 ausgegrabenen Gefäßdepot, 3 Dreh⸗ lätzen, die durch ausgediente, als Unterbau für die Töpferſcheiben verwendete Mühlſteine enntlich waren, und 2 weitere Töpferöfen, alles unter einem von ſtarken Pfoſten getragenen e endlich einer unmittelbar an die beiden letzten Ofen anſchließenden Abfall⸗ grube. Ein Waſſerbohrſchacht im Mittelraum des Haujes mit oberem Durchmeſſer von 2,8 m, der ſich in 2 Abſätzen auf 1,6 Di: 1,4 m verengerte, war erfolglos bis auf 28,5 m Tiefe niedergebracht. Die Töpferei ſtellte ſowohl geſchmauchte Ware, wie echte und unechte Terra jigillata und auch dem 3. Jahrhundert angehörige Kerbſchnittkeramik ber. annover. Hans Gummel.

Rörpergräbern, der aus der Zeit um 100 n. Chr. bis ins 3. Jahrh. an Unter den Beigaben

Scheidt, Dr. Walter, Die eiszeitlichen Schädelfunde aus der Großen Ofnet⸗höhle und vom Kaufertsberg bei Nördlingen. Derlag J. S. Lehmann, München. 1923. 112 S., 7 Tertabb., 8 Tab., 18 Kraniogramme und 8 Tafeln.

W. Scheidt hat die Aufgabe übernommen, die Ofnetſchädel, die 80 in: „Die diluviale Vorzeit Deutſchlands“ naturgemäß nur ſehr ſummariſch beſchreiben konnte, ate bee gründlich zu bearbeiten. Das iſt ſehr dankbar zu begrüßen, da ein per- ſönliches Studium der Schädel ſehr Immer zu erreichen ift.

Der VDerfaſſer 175 zuerſt in klarer und geradezu vorbildlich überſichtlicher Weiſe das Material, beſtehend aus 20 Schädeln der Ofnet und dem von Birkner 1912, ebenfalls im Bez. Nördlingen, in ähnlicher ce echorut und nach ihm ebenfalls der Mas d’Azil- Nane angehörend, gefundenen Schädel vom Kaufertsberg, beſchrieben und alle genauen

aßzahlen nebſt Indices angegeben. Es handelt ſich um die Schädel von 5 Männern

(mit Kaufertsberg), 10 Srauen und 6 Kindern. 12 nicht zuſammengeſetzte Kinderſchädel

fallen als it wiederherſtellbar aus. Ferner bejchreibt er 10 Atlanten, 16 Epiſtrophei

und 25 vertebrae cervicales.

Wenn man aber zum Schluß das 1 Mani Material überblickt, iſt der Eindruck, dur Sn Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit, die oft die ganze für den Menſchen auf⸗ geſtellte Schwankungsbreite ausfüllt, ein geradezu verblüffender. W. Scheidt hat darum auch, ehe er an die Auswertung heranging, erſt einmal alles ausgeſchieden, was durch poſt⸗ mortale Deformierung und 2 unſicher erſchien, ebenſo die kindlichen Schädel bis auf singh hat für genauere Sejtitellungen verwendbar war. Es bleiben dann 11 Schädel:

olichokrane,

6 meſokrane (mit Kaufertsberg) und

3 brachukrane.

Der eee iſt brachukran und auch die ausgeſchiedenen Kinderſchädel in der Mehrzahl kurz und breit.

Die beiden dolichokranen Schädel 1818 und 1821 ſind männlichen A ts, aber unter ſich verſchieden an Länge wie höhe des Schädels. Schädel 1818 fällt überhaupt aus der Reihe der a e als ganz verſchieden heraus, mit ſeiner Schädellänge von 205 mm, ſeiner breiten, mäßig gewölbten Stirn, feinem ausgebeulten Hinterhaupt, den Dart ausgeprägten Überaugenwülſten, dem breiten niederen, bl modellierten Geſicht.

enn man pele Merkmale betrachtet, ſieht man, daß fie genau denen entſprechen, die 3. B. Hauſchild als Raſſenmerkmale der Trö-Magnonraſſe aufgeſtellt hat. 2 daß man dieſe Augen keit noch ſtärker betonen kann, als es dort Scheidt tut. kluch den zweiten dolichokranen Männerſchädel, ſchmaler, dünn, ſchwach modelliert, mit ſtärker gewölbter Stirn, vergleicht Taos mit der Crö-Magnon⸗- und der N Sh en ls Sind bier nicht quik ganz beſonders „Anklänge“ an den Schädel von Combes apelle? Don den meſokranen Schädeln find 2 männlich, der Kaufertsberger und der Ofnet⸗ ſchädel 1800. Beide zeichnen ſich durch größere höhe vor allen anderen Ofnetſchädeln aus.

Bücherbeſprechungen 133

Der Kaufertsberger weicht wieder völlig durch ſein ſchamles Geſicht vom Ofnetmann wie von allen anderen Ofnetſchädeln ab, die ſonſt alle, bis auf den als unſicher ausgeſchiedenen weiblichen Schädel 1826, ein auffallend breites niederes Geſicht haben. Die weibliche) 3 Schädel, ebenſo wie die brachukranen (ein i und zwei weibliche) unterſcheiden ſich nur durch die höhenſtufen des Schädels und die Naſen- und Stirnbildung, im übrigen haben alle das breite, niedere Geſicht mit der großen Jochbogenbreite (135 bis 144 mm), der dabei Beet Stirn- und Unterfieferbreite, den niederen breiten Augen= bogen und dem kräftigen gedrungenen Gaumen. Nur dieſe Geſichtsſchädelmerkmale ſind die einzigen eaten die allen en zukommen, fo Ja ſie in faſt allen anderen Teilen auseinandergehen. Die Unterkiefer ſollen durchweg maſſig, kurz und ge— drungen ſein, und die Rami breiter und kürzer als beim rezenten Menſchen. Die innere Geſtaltung der Kieferplatte ſcheint ſehr zu variieren. Es werden alle, die für das Studium des foſſilen Unterkiefers beſonderes Intereſſe haben, an dem Buch nur das eine bedauern, das Fehlen von Photographien der Unterkieferinnenanſichten, wie fie z. B. Dirhow fo vorbildlich in ſeinem „Ehringsdorfer Unterkiefer“ bringt.

Die Naſen zeigen bei allen obe ger nur geringe Maße; im Dergleich zum rezenten Menichen ſollen fie durchweg in höhe geringer, in Breite größer fein. Für alle, die der Indexberechnung Bedenken entgegen ſtellen, bringt der Derfaſſer ausgezeichnete Median— kurven und Kraniogramme, die das gewonnene Bild der Schädelgruppen beſtätigen. Scheidt kommt nun zu der Frage, wie man ſich die Bevölkerung vorzuſtellen habe, welche die Schädel in der Ofnet, die Ape rope Dariabilitat zeigen, beftattet hat.

Liegt eine, als mittel- bis leichtbreitſchädelig und DE anzuſprechende Cokalraſſe vor, bei der man, wenn man auf alle Fälle den langen, Crö-Magnon ähnlichen Schädel 1818 als Einzelindividuum ausſchaltet, die ertremen Sormen immer dag unter: bringen könnte, oder ein Raſſengemiſch, das ſich um einen Lang: und um einen Kurzfopf ee Der Derfafjer entſcheidet ſich dann für die letztere ſicherlich richtige Annahme.

ſolut lange Schädel von einer Langfopfrajje ſind in der Sundreihe die Regel, denn die mejo= und brachukranen Indizes find durchweg durch die große Schädelbreite entſtanden, die fie, wie die breiten niederen Geſichter im Erbgang dagegen von einer Rurzkopfraſſe ethalten haben. Welche paläolithiſchen Rajjen find nun zum Vergleich heranzuziehen, um die herkunft dieſes Raſſengemiſches aufzuklären? Daß Schädel 1818 aus N Erö-Magnontyp zeigt, wurde . feſtgeſtellt, er ſteht allerdings als Einselfal da, aber der zweite dolichofrane Männerſchädel läßt, wie Derfafjer feſtſtellt, eine äußerſt deutliche Annäherung an den Erö-Magnontyp erkennen. Die Crö-Magnonraſſe, als der eine Faktor der Raſſenmiſchung, i daher wohl ſicher. Für die Kurztöpfe käme, wie auch ſchon “ty be hervorhob, die Kurzkopfraſſe von Grenelle, Clichy und Surfoo3 in Betracht. Obwohl der Derfaſſer meint, daß der Dergleich nicht fo ergiebig ſei wie der mit Crö-Magnon, weil durchgehends zwiſchen Ofnet und Grenelle der große ſtändige Unterſchied in dem Verhältnis der Jochbogenbreite und den übrigen Maßen des Ober- und Mittelgeſichts vor— handen iſt, jo kommt er doch letzten Endes zu dem Schluß, daß nur die Furfooz-Grenelle— taſſe es fein kann, die mit dem Rurzkopf in dieſer Miſchraſſe vertreten iſt.

Würde es nicht zu ſehr intereſſanten Ergebniſſen führen, wenn herr Dr. W. . auch einmal die e negroide Grimaldiraſſe, mit dem niederen, breiten Geſich langen Schädel zu Vergleichen a e

Die Wiſſenſchaft muß herrn Dr. W. Scheidt ſehr dankbar fein für die Bereicherung ihres Wiſſens, die er ihr mit ſeinem vortrefflichen Buch gebracht hat.

Berlin. E. Fritzweiler.

und

Hans Gummel, Der A Moosjeedorf bei Bern. Mit 8 Tafeln. Theodor e Hannover. 1923.

nter den neueren Pfahlbauſchriften verdient das vorliegende Heft, mit Robenhauſen und dem kürzlich erſchienenen Wauwil, in die erſte an. geſtellt zu werden. Nach ſorg⸗ Kane: ra pl der weitverftreuten Literatur, einer Arbeit, die bei der Derteilung der Quellen aut antiquariſche und naturwiſſenſchaftliche 3eitfchtiften und Dereinsblätter, Neujahtshefte und Tageszeitungen, nicht hoch genug zu bewerten ijt, ſchildert uns Gummel auf Grund einer klaren Dispofition die Lage, die Ausgrabungsgeſchichte, die Sunde des pfahlbaues und wird erſt bei der zeitlichen Zuteilung etwas Ane und breit. Beſonders wertvoll, wenn die darin aufgeſtellten hupotheſen von Gummel auch nur ungenügend begründet werden, iſt das letzte Kapitel über die Frage der herkunft der Pfahlbaukultur. Wir können nur wünſchen, daß uns die nächſten Jahre noch weitere zuſammenfaſſende Darſtellungen bedeutender pfahldörfer in der hier vorliegenden Art bringen mögen.

134 Ä Bũücherbeſprechungen

Moosſeedorf, ein kleiner berniſcher Ort, hat zwei ae an dem benachbarten See den Namen gegeben, von denen, wie das die Regel zu ſein pflegt, der eine am Eins, der andere am Ausflug des Seebaches, der Urtenen, gelegen ijt. Beide hat der verdienit- volle Arzt Uhlmann aus Münchenbuchſee 1856 entdeckt und bis 1868 faſt alljährlich darin gegraben. Neben Uhlmann, der bis kurz vor ſeinem Tod 1882 ſeine Ergebniſſe in vielen kleinen und 5 Präh Abhandlungen veröffentlicht hat (vgl. die vortreffliche Cebensbeſchreibung dieſes Prähiſtorikers vom alten Schlage von Dr. Rönig-Schönbühl in den Mitt. d. Naturf.-Geſellſch. 1924, I) war es namentlich Rütimeyer, der den Sundort in weiten Kreiſen bekannt machte. In deſſen Werk über die Sauna der Pfahlbauten ſteht Moosſeedorf an erſter Stelle. Die Profile Uhlmanns, beſonders aber die ta- bungen des Berniſchen Muſeums (unter Leitung von Tſchumi) zeigen, daß beide Pfahl⸗ bauten unmittelbar am Ufer auf Sumpfboden errichtet waren und nur geringe Ausdeh- nung hatten. Die Funde (in den Muſeen von Bern, Zürich, Burgdorf, Konftunz u. a.) ind im allgemeinen reich, doch überwiegen die Knochen-, Horn- und Steinwerkzeuge, während die Keramik nur in wenigen, vollſtändigen Stücken vorhanden ijt. Überaus wert- voll find die zahlreichen Tier- und Pflanzenreſte, denen Uhlmann und Rütimeyer, ſpäter beſonders Neuweiler ihre Aufmerkſamkeit zugewandt haben. Moosſeedorf galt lange Zeit für einen der älteſten, wenn nicht den älteſten Pfahlbau der Schweiz. Rütimeyer ſtü oe Annahme a mit dem Nachweis, daß der Ur (Bos rimigenius) ein „antediluviales“ Tier, nur einmal in den n dee und 99 im Moos- eedorf vertreten ſei. 17 ſetzt in ſeiner Chronologie, für die er uns übrigens die Be— S chuldig bleibt, Moosſeedorf in ſeine Stufe der mittleren Neolithik. Gummel | ommt nach Überprüfung des Silexmaterials und der Steinbeile, die er ber in für chrono⸗ logiſch wertlos Re t, zu dem wohlbegründeten Schluß, daß der Pfahlbau eher in die ſpäteren Stufen der Neolithik zu ſetzen jei, wenn die Kupfergeräte und PL auch fehlen. Die Fin Bei de die Sußer Spitzen und die fremden, rechteckigen Steinbeile deuten darauf in. Bei der Unterſuchung der Beilfaſſungen läßt ſich Gummel ee en durch das Schema Dougas, deſſen Anwendbarkeit er nicht weiter unterjucht, verleiten, den Beginn des Pfahlbaus Moosjeedorf allein auf Grund der „feineren“ Keramik und der Beil ach en mit nicht abgeſetzten Zapfen (die Grenze zwiſchen abgeſetzt und nicht abgeſetzt läßt ſich über⸗ haupt nicht 55 egen) in die älteſte Stufe der ſchweizeriſchen Neolithik zu verſetzen. Zu dieſer Schlußfolgerung muß aber erſt bewieſen werden, daß Vouga IV He ps der älteſten neolithiſchen Stufe der Schweiz entſpricht und dafür ijt uns Vouga ſelbſt den Beweis ſchuldig geblieben. Denn die älteſte Schicht in Auvernier kann genau jo gut der Mitte der Neolithit entſprechen wie etwa die unterſte Schicht von Wauwil oder Schuſſenried-Riedſchachen. Wenn auch die unterſte Schicht im Weiher bei Thaungen auf dem natürlichen Torfboden aufliegt, 9 de trotzdem nicht der ae Beſiedlung der Auweg: ſondern der Endneolithik. Den Beweis muß die vergleichende Typologie, natürlich im Anſchluß an die ſtratigraphiſchen Ergebniſſe erbringen und auf Grund dieſer ſpricht alles gegen die frühe e, von Moosjeedorf. ir haben von dieſer e eee nur jüngere KHichbühler Keramik, darunter einige Formen mit an an das ältere Aichbühl. Under den Steinbeilen überwiegen die Rechtedbeile der Zeit 3, darunter einige noch mit Anflang an Zeit 2, außerdem find Beile der Zeit 4 (ſpitznackige De Rundbeile) vorhanden. Die Pfeilſpitzen ſprechen in gleichem Sinne, jo daß Gummel mit ſeiner zuerſt geäußerten Anſicht, daß der Pfahlbau Moos⸗ ſeedorf in der Mitte der Neolithik begründet wird und bis zu ihrem Ende bewohnt iſt, recht behalten dürfte. Hinſichtlich der Herkunft der e ſpricht IR Gummel, im Gegenſatz u Schliz, für eine Einwanderung aus Südfrankreich aus, die ſpäter durch einen von Norden ommenden Strom (mit Schnurkeramik und nordiſchen Streitäxten) beeinflußt wird. Eine Aufſtellung, die ſich auf Grund des geſamten ſpreſſtang Fe Materials ſehr gut ſtützen läßt. Der Einfluß von Nordfrankreich (Einfuhr von Preſſignu-Seuerſtein) müßte dagegen ſpäter, als Gummel annimmt, de werden. Ungenügend ſind die der Arbeit ee enen Karten. Es erklärt ſich dies aus den Zeitverhältniſſen ſehr gut, kann aber damit nicht entſchuldigt werden. Beſonders gilt dies für die Tafeln 3 und 8. | Neben dieſem, bei einer Neuauflage leicht zu beſeitigendem Fehler, entſpricht die Arbeit Gummels in jeder hinſicht den Anforderungen, die man an eine moderne Mono— graphie eines, zudem cer vor Jahrzehnten ausgegrabenen Pfahlbaus ſtellen kann, und es iſt zu hoffen, daß ſein Beiſpiel in der Schweiz und in dem Bodenſeegebiet rege Nach— ahmung findet. ingen Hans Reinerth.

Bücherbefprechungen 135

Pfahlbauten. Zehnter Bericht. Don Dr. D. Diollier, Konjervator K. Sulzberger, Dr. P. Emanuel Scherer, O. S. B., Prof. Dr. O. Schlaginhauſen, Prof. Dr. K. Heſcheler und Dr. E. Neuweiler. Mit 15 Cichtdrucktafeln, Plänen und Tertilluftrationen. Mit- teil. d. Antiquar. Geſ. in zürich. Bd. XXIX, Heft 4. (88. Neujahrsblatt.) Zürich 1924.

Die Geſchichte der Schweizer Pfahlbauforſchung zerfällt in zwei Abſchnitte. Der erſte reicht vom Entdeckungswinter 1855 bis etwa um 1890 und iſt gekennzeichnet durch den Mangel an Methode und die „Jagd nach dem Objekt“. Die Fülle der Pfahlbauten— Literatur entſtammt vornehmlich dieſer Zeit und zeigt als Leitpuntte Ferd. Kellers unentbehrliche Pfahlbauberichte, deren letzter IX., von Heierli herausgegeben, 1888 erſchien. Das folgende Jahrzehnt, in dem die unerſchöpflichen Seen und Moore ſchweigen, it von Heierlis ſtiller, raſtloſer Urbeit ausgefüllt. Seine Ergebniſſe, die „Urgeſchichte der Schweiz“ (1901) regen das Intereſſe wieder an und es beginnt ſchließlich 1908, mit dem Erſcheinungsjahr der Jahresberichte der oe Papa al Geſellſchaft für Urgeſchichte der zweite Abschnitt der der ſuſtematiſchen Sor . Im KX. von Diollier herausge— gebenen Pfahlbaubericht von 1924 findet er ſeinen klarſten Niederſchlag.

Während man im I. Zeitabjchnitt der Erforſchung der Pfahlbauten und auch im Beginn des II. noch dieſe als im Waſſer errichtet anſieht, betrachtet man fie jetzt als Ufer— ſiedelungen. Dieſe neue Erkenntnis von dem zur Stein- und Bronzezeit anderen durch das Klima coer agi Waſſerſtand bedeutet einen großen Fortſchritt gegenüber den früheren Anfichten und iſt das Ergebnis ſuſtematiſcher ſtratigraphiſcher 80e im Verein mit naturwiſſenſchaftlichen Fächern (Geologie, Klimaforſchung, Botanik). Ein neuer Beweis, welcher Nutzen der Dorgeſchichte aus einem gutnachbarlichen Verhältnis zu den Natur: en erwächſt!

Dieſer X. Pfahlbaubericht kann in ſeiner klaren, überſichtlichen Gliederung als Vorbild einer zuſammenfaſſung langjähriger landesarchäologiſcher §orſchungsarbeit dienen. Er iſt den Moor⸗ und Seeſiedelungen der Oft: und Zentralſchweiz gewidmet. Diollier kennzeichnet in der Einleitung den gegenwärtigen Stand der ſchweizeriſchen pfahlbauten— 833 und weiſt auf die vielen agen Fragen hin, die noch der Töſung harren (rela- nei 12 Nute. Herkunft der älteſten Pfahlbauer, ihrer Kulturpflanzen und Haustiere; geiſtige Kultur).

: Im Hauptteil werden ſodann in landſchaflicher Folge die Packwerk- und Pfahl» bauten beſprochen. Über das Moorbautendorf „Weiher“ bei Thaungen berichtet der Aus- ee K. Sulzberger ſelbſt. E. Scherer hat die Bearbeitung der Urſchweiz und der Kantone Zug und Luzern, fein eigentliches Sorſchungsgebiet, übernommen, während die übrigen Berichte von Diollier ſtammen. Bei jeder Siedelung finden wir die genaue ae (beſonders wertvoll im Vergleich zu den ungenügenden Angaben der früheren Pfahlbautenberichte), Entdeckungsgeſchichte und Funde, dazu ein ſorgfältiges Literatur- verzeichnis. So find bisweilen ausführliche Monographien entſtanden (Weiher bei Thayngen; Oſſingen, Bez. Andelfingen; Alpenquai, Bez. Jürich). Pläne und Abbildungen im Text, dazu 15 ausgezeichnete Lichtörudtafeln vervollitändigen die beneidenswert „friedens— mäßige“ ide dieſer muſterhaften Arbeit.

Für die Bearbeitung des anthropologiſchen, fauniſtiſchen und floriſtiſchen Materials ſind verdiente Forſcher: O. Schlaginhaufen, R. heſcheler und E. Neuweiler gewonnen worden. Dieſe Namen bürgen für volle Auswertung des Stoffes. Ungeſichts dieſes X. Pfahl— bautenberichtes kann man jedenfalls nicht mehr agen was Rudolf Dirchow (Zeitichr. f. Ethnol., Bd. 20, 1888, S. 155) bei Beſprechung des IX. ſchrieb: „Aber es wird wohl no . dauern, ehe die Bedeutung der zoologiſchen und anthropologiſchen Fundſtücke in das Bewußtſein ſelbſt der eigentlichen Forſcher übergeht.“

Man muß den XI. Pfahlbaubericht, den Diollier über die Weſtſchweiz vorbe— reitet, mit Spannung erwarten.

Betlin. Otto⸗Friedrich Gandert.

6. Behrens, Denkmäler des Wangionengebietes. heft 1 der Germaniſchen Dent- mäler der Srühgeit, herausgegeben von der Römiſch-germaniſchen Rommiſſion des Deutſchen Ardhdologifden Inſtituts. Frankfurt a. M. (J. Baer), 1923. 65 Seiten, 60 Tert- abbildungen, 3 ſindurch ind 1 Karte. 6 Mark.

Lange Zeit hindurch ſind die germaniſchen Forsch des Mittelrheingebietes zugunſten

der römiſchen Altertümer von der weſtdeutſchen ee recht Fee 0

worden. Ein Hauptverdienſt Schumachers war es, daß er den germaniſchen Denkmälern

zu ihrem Rechte verhalf; feiner Anregung verdanken wir es auch, daß eine zuſammen⸗ faſſende Veröffentlichung des Rulturnachlaſſes der Rheingermanen von der römiſch-ger— maniſchen Kommijjion unternommen wurde, deren erſtes heft jetzt vorliegt. Es befaßt

136 Bücherbeſprechungen

ſich mit dem reichſten Sundgebiet des Mittelrheins, mit e das nach den Zeug⸗ niſſen der antiken Überlieferung, die Drexel auf S. 1—3 au ammenffellt, hauptſächlich von Wangionen bewohnt war. Behrens legt das mit großer Sorgfalt geſammelte Material, das bisher nur ungenügend und recht zerſtreut veröffentlicht war, überfichtli vor und er: läutert es durch eine große Unzahl treffl er Abbildungen. Beſonders Ai UN ben find die drei farbigen Tafeln, welche die im Rheingau häufigen bemalten galliſchen Congefage in gröhter Treue wiedergeben und einen ſchönen Schmuck des Heftes ausmachen. ie überwiegende Jahl der Sunde ſtammt aus dem letzten Jahrhundert v. Chr., aus der Zeit des Kampfes Zul Ariovift, dem auch die Wangionen Gefolgſchaft leiſteten, und Caeſar. Doch glaubt Behrens (S. 61) auch ſchon in dem voraufgehenden Jahrhundert (Mittel-Tatene a germaniſche Einwanderer annehmen zu dürfen. Leider find unter der großen Zahl der Sunde faſt gar keine planmäßig gehobenen, die für die Frage der Stammeszugehörigkeit nicht zu entbehren ſind. Don den Grabbeigaben ſind bejonders die reiche Keramik!) teils elegante keltiſche Drehſcheibenarbeit, teils einfache hand⸗ ke germaniſche Ware —, die übergroße Jahl von Sibeln bis zu 10 Stück in einem rabe, und zwar auch in Männergräbern! und die e Waffen anzuführen).

Bei weitem ſeltener und ig nicht fo geſchloſſen find die Sunde der nachchriſt⸗ lichen Zeit, die bisher bis auf eine Ausnahme nur aus dem 1. Jahrhundert bekannt geworden ind. handgemachte Tonware ijt bisher faſt die einzige kennzeichnende Rulturhinterlaſſen⸗ chaft der Germanen, die allem Anſcheine nach bald völlig römischen Hausrat und römiſche Sormen übernahmen. !

Eine Juſammenſtellung der zahlreichen keltogermaniſchen Münzen aus Bae bildet den Abſchluß der Stoffſammlung. Die allgemeinen ſiedelungsgeſchichtlichen Ergeb⸗ a: pie erit in einem weiteren Hefte behandelt werden. Gerade weil die vorliegende Arbeit von Behrens fait past ig pe eine Quellenſchrift ijt, wird fie in ihrer gediegenen Art für die Fachwelt dauernden Wert behalten. |

Breslau, im September 1924. m. Jahn.

wege

einſten Einzelheiten Pee tae tie SEE und chronologiſchen uf Sem ih war aus Büchereien erhältlich. Eine fold)’ gehaltvolle, mit dem ungeheuren, darin vorgelegten

1) Urotz der zahlreichen Abbildungen find einzelne wichtige Gruppen wie die Tone klappern leider ganz ohne bildliche Wiedergabe geblieben. 2) Da von Heppenheim auf S. 16g auch die drei Stelettgräber behandelt werden, u der ausführlichtte Bericht Koehls hierüber in den Berliner Derhandlungen 1884, . 177 und die dort anſchließende eingehende Beſchreibung eines Schädels aus dieſen Gräbern von Virchow nicht unerwähnt bleiben dürfen. Übrigens ijt es nicht ohne Intereſſe, A nach Virchow dieſer Schädel ſich von den Schädeln aus La Töne ſelbſt unterſcheidet und den Schädeln aus ſüdweſtdeutſchen Gräbern der Merowingerzeit . Das auf S. 26k aufgeführte, im Leipziger Muſeum befindliche Schwert aus dem Rhein bei Mainz iſt von Richter im Illuſtrierten Führer durch die Prähiſtoriſche Abteilung des Städt. Muſeums für Dölkerkunde zu Eeipsig, 1922, Taf. VI, 8—9 abgebildet worden. Die Speerſpitze und der Schilöbudel aus dem Kriegergrabe von Heidelberg ift entgegen der Angabe auf S. 46 ſchon von Wahle in der Badiſchen heimat VII (1920), S. 58, Abb. 10 und S. 60 veröffentlicht worden. Bei der Behandlung der ſpät⸗latenezeitlichen Meſſer mit Tierkopf⸗ griffen aus Deutſchland wären auch die beiden ſchönen Beiſpiele aus Tſchiläſen, Kr. Guhrau (Mannus X, 5. 25f., Taf. I, 5—4) einer Erwähnung wert geweſen.

Bücherbeſprechungen 157

almgrenſchen Buches nachzu ems de vervielfältigen und den Text genau auszu⸗ ziehen. Der amen mon der Mannusbib iothet hat det Sorſchung durch dieſen Neudruck einen lang et ehnten Wunſch erfüllt. Die Neuauflage von Almgrens Sibelwert ijt gleich eitig ein treffliches Beiſpiel, wie gewaltig die ermanenforiäiut in den legten 25 Jahren ben ae e iſt, zum großen Teil gerade au rund der Erge mie Almgrens. Wie ſeltſam mutet es uns eute an, wenn Almgren aufs ew d und ni nachweiſt, daß die Sibeln auf germaniſchem Boden auch ermaniſche arbeiten ſind und nicht aus den römiſchen Provinzen ein eführt wurden. Und doch war das damals eine der allgemeinen Auffallung völlig wider prechende Ent⸗ deckung. Wie vorlichtig deutet Almgren 1897 die möglichtel an, auf Grund det verſchie⸗ denen Derbreitung der ibelgruppen öſtliche und weſtliche Dölkerſtämme der Germanen u ſcheiden, und wie iſt eute die vor allem von Kofjinna auf archäologiſchem Wege er⸗ 12 oſſene germaniſche Stammes- und Siedelungskunde Allgemeingut der Wiſſenſchaft eworden! Gerade Almgren iſt in ſeinen ſpäteren Arbeiten ein immer kräftigere örderer Fer ftammesgelchichtlichen orſchungsmethode geworden. ‚it der Hauptteil des Buches, in dem die tupolo iſche Entwicklung be ee en wie eingehend gel ildert wird. Es ijt der | suite ohn gewillen: orſchung, zu ſehen, wie die zahlreichen, tets von neuem dem Erdboden abgewonnenen unde ſich det vorher erkannten Ordnung beugen. wäre es Almgren möglich eweſen, den in den 25 Jahren nee angeſchwollenen Sunditoff ebenſo planmäßig geſamme t vorzu⸗ uflage, ſo hätte er ſeine Ergebniſſe ſicher erweitern und vertiefen können, abet wohl in keinem wichtigen punkte umſtoßen müſſen. In einem Nachwort nimmt Anett u einigen Sragen Stellung, die ſeit der Erſtauflage die Sorſchung äftigt haben. Die wertvollite und erfreulichſte Ergänzung war es, daß die von Almgren eforderte ſüdruſſiſche Dermittlungsform zwiſchen der Catenefibel und det attaijerzeitlidert Sibel mit umgeſchlagenenm Sup inzwiſchen an der Dnjeprmündung in planmäßiger Grabung gefunden wurde. Ob dieſe Zwiſche affe wirklich, wie Almgren

h

nur die Spatenforſchung zu einem Nee Ergebnis ühren. Eine wertvolle Erweiterung der neuen Auflage ſind die beiden erbreitun starten von früntalſerzeitlich Sibelformen, von denen beſonders die zweite die kulturelle Scheidung der Oſt⸗ und eſtgermanen in überzeugender Klarheit vor Augen führt. Kojjinna gibt in einem Dorwort kurze Erläute⸗ rungen über die völkiſche Zugebörigkeit der wichtigeren Sibelgruppen.

Möge Almgrens Buch in feinet neuen Saſſung der Sorſchung von neuem als ſicherer und bis ins Kleinſte wohl beratender Sührer dienen.

Breslau, im September 1924. m. Jahn.

U

Conia C. Diculeſcu, Die Gepiden. Sorſchungen Be Geſchichte Daziens im frühen Mittelalter und zur Dorgeſchichte des rumäniſchen oltes. Bd. I. Leipzig (C. Rabitzſch 1923. XV und 262 Seiten, 1 Tafel, 10 Textabbildungen und 2 Karten. 5 Goldmark. Der Derfaller führt ſich mit le Werte, das eine bedeutend erweiterte und Det? tiefte Bearbeitung einer Berlinet Diſſertation darſtellt, aufs vorteilhafteſte in den Kreis r orſcher ein. Es iſt die Srucht ee unk gewiſſenhafter Arbeit. Dut ſeine Dieljeiti eit als geſchulter Germaniſt, iſt und Bi iker 1 a

5 uſterbeiſpiel einer allen neuzeitlichen Sorderungen erecht werdenden Stammes® de. Bei mee alljeitigen und erniten Art det Sean find die errungenen Sortſchritte ne inzelzüge wie des Geſamt ildes äußerſt zahlreich und wertvoll. I E Nach det Schilderung der gepidiſchen trnd lungsgeſchichte in Nordoſtdeutſchland 4 Grund det at pon Blume und KRoſſinna, verfolgt det Derfajjer die von

r Mitte des 3. ahrhunderts an in mebreren Zügen unternommene Auswanderung. Der erjte Aus3ug unter dem König Saſtida fand nach dem berfaſſer um 248 n. Chr.) ſtatt.

1) Eine eigenartige Dertennung des Blumeſchen RABEN Syitems iſt es, wenn der berfaſſer 5. 20 glaubt, die auf archäologiſchem ege ermittelten Datierungen wären fo genau, daß fie mitunter nut einen Spielraum von 5 Jahren zuließen.

158 Bücherbeſprechungen

In einjähriger Wanderung zogen fie ſüdwärts, durchquerten auf dem Duklapaß die Kar- paten und erkämpften ſich am Nordrand Siebenbürgens eine neue heimat. Ein zweiter Gepidentrupp ln einige Jahrzehnte ſpäter Nordoftdeutichland und wandte ſich ins Gebiet des mittleren Dnjepr in die Gegend von Kiew. Das Gebiet der ungariſchen Gepiden war klein und gebirgig; erſt als ſie 356 nach Abwanderung der Wandalen auch die Ebene Weſtdaziens in Beſitz nahmen, wuchs ihre Volkszahl und ihr Wohlſtand. Offenbar vereinigten ſich in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts die Gepidenreſte Nordoſtdeutſchlands und die bei Kiew anſäſſigen Teile, die vor den andrängenden Hunnen auswichen, mit den ungariſchen Fan e die nach Abwanderung der ale on auch noch Siebenbürgen gewonnen baad it guten Gründen ſchreibt der Verfa 55 die beiden 1 von Szilagu⸗ omljò einem Gepidenfürſten zu, fucht aber die ergrabungszeit wohl zu ſcharf auf das Jahr 405 feſtzulegen. Nach ihm hätte damals ein nach Gallien auswandernder Teilfürft den boppelſchaz vergraben. Näher oder wenigſtens 8 nahe liegt es, den Goten⸗ und Hunneneinfall von 418, der den Gepiden die i Selbſtändigkeit raubte, als Urſache der Dergrabung anzunehmen. 35 Jahre lang währte die W Herrſchaft. Nach dem Tode Attilas erkämpfte fein mächtigſter Dafall, der Hepidenkönig Ardarit, den unterdrückten Völkern die Sreiheit und machte ſich zum Gebieter von ganz Dazien. Gegen 570 unterlag dieſes große Gepidenreich dem verbundenen 10 der Cangobarden und Awaren. Aber noch mehrere Jahrhunderte lang erhielten die Gepiden ſich ihre kulturelle Selbſtändigkeit unter awariſcher herrſchaft. Et mit dem 9. nen verſchwindet ihr Name und ihr Volkstum. Die beiden letzten Gepiden namens Buila und Butaul find auf einer Schale des reichen Schatzfundes von Nagy⸗Szent⸗Miklos überliefert, der offenbar beim Ungarn- einfall zu Beginn des 10. Jahrhunderts vergraben wurde. ie Beantwortung der Frage, was ijt aus den 6 Jahrhunderte lang in Dazien an⸗ ſäſſigen Gepiden geworden, führt den Derfajler zu den en Ergebniſſen feiner Arbeit. Er widerlegt die im Kreife der romaniſchen Philologen zum Dogma gewordene Auffallung, im Rumäniſchen gäbe es keine altgermaniſchen Beſtandteile, indem er, ohne die Eigen⸗ namen zu rechnen, mindeſtens 300 ſolcher Elemente nachweiſt. Die Romanen und romani⸗ ſierten Bewohner (Urrumänen), die die Gepiden bei ihrem Einmarſch in Dazien vorfanden und die unter der Oberhoheit der Gepiden hier fortlebten, verſchmolzen allmählich mit ihren Herren, als dieſe ſich ſelbſt der awariſchen und dann der bulgariſchen Herrichaft beugen mußten. Aus dieſer Verbindung entſtanden die Rumänen oder Walachen, wie fie vor dem Parijer Kongreß (1856) allg mein hießen. Die Gepiden haben demnach für die Ru⸗ mänen diefelbe Bedeutung wie die Sranfen für die Franzoſen oder die Langobarden er die Italiener. Dieſe bedeutungsvolle Grundauffaſſung, die der Derfaſſer aufgeftellt hat und im 2. Bande ſeines Werkes noch weiter zu begründen beabſichtigt, iſt von allgemeinem Intereſſe. Für die rühgeltichtliche Sorſchung wird feine, ſtets mit Quellenbelegen ver⸗ fehene Darſtellung der Geſchichte des Gepidenvolkes ein wertvolles Handbuch fein. Breslau, im September 1924. m. Jahn.

T. Franz, M. Hei, O. Menghin und 5. Mitſcha⸗Märhe im, Die e che Samm⸗ ung des Niederöfterreihifhen Landesmuſeums. heft 2 der Materialien zur Urgeſchichte Oſterreichs. Wien (Burgverlag), 1924. 73 Seiten mit 12 Tafeln und 17 CText⸗ abbildungen. 4,40 Mark. Mit dieſem a Heft der Materialien zur Urgeſchichte Oſterreichs ſetzt die Wiener Dame Geſellſchaft i 1914 begonnenes Unternehmen fort, knapp tl fol Inventare er öſterreichiſchen Sammlungen herauszugeben. dem Muſeum hallſtatt folgt jetzt die noch junge Candesſammlung in Wien, die erſt 1911 eröffnet wurde, deren vorgeſchichtliche Bedeutung aber dank dem tatkräftigen Wirken Menghins ſchon einen ziemlich vollſtändigen Überblick über die Vorzeit Niederöfterreichs bietet. Im Derein mit der kurzen, ausgezeich⸗ neten Darſtellung der Urgeſchichte Niederöſterreichs von e (Wien 1921) gibt der neue Katalog eine gute Grundlage für das Studium der Vorzeit dieſes wichtigen Landes !). Nur macht leider die in Oſterreich immer noch übliche zu enge Begrenzung der Vorgeſchichte auf die vorchriſtlichen Zeiten auch dieſes Heft zu einem Stückwerk. Wie willkürlich und oat erſchwerend für die Zuſammenarbeit mit der übrigen Forſchung der Ausichluß der Frühgeſchichte Me zeigt beſonders kraß der Umſtand, daß von den wertvollen Grabungs⸗ ergebniſſen in Mannersdorf nur die latenezeitlichen Keltenfunde aufgeführt find, während

1) Die Zuweiſung der henkeltaſſe von Hippersdorf (Taf. V. 2365) zur Aunjetiger

nee befremdet mich. Nach der Abbildung ſcheint mit das Gefäß jungbronzezeitlich zu ſein.

Bücherbefprechungen 139

das ebendort aufgededte älteſte Germanengrab aus dem erſten nachchriſtlichen Jahrhundert eins der wichtigſten i des Landesmufeums, un el bleibt. Ich benutze dieſe Gelegenheit, die öſterreichiſche Fachwelt zu bitten, im Selen e der Geſamtwi tenihaft und insbesondere der Erforſchung der germaniſchen Srühgeſchichte ſich von dieſer ſelbſt⸗ gewählten Feſſel zu befreien.

Dem archäologiſchen Teil iſt eine ausführliche Beſchreibung des vorgeſchichtlichen Stelettmaterials angehängt.

Breslau, im September 1924. | m. Jahn.

Nils Aberg, Die Franken und ee in der Völkerwanderungszeit (Arbeten utgifna med underſtöd af Vilhelm Ekmans Univerſitetsfond, Upſala, 28 (1922), VII, 282 Seiten, IX Karten, 396 Abb.).

derſelbe, Die Goten und Cangobarden in Italien (Arbeten utgifna med underſtöd 15 vate). Ekmans Univerſitetsfond, Upſala, 29 (1923), VI, 166 Seiten, 1 Karte,

Wie die früheren Arbeiten Äbergs, jo zeichnen Ki auch die beiden vorliegenden durch umfangreiche Materialkenntnis aus, die ſich der Verfaſſer zumeiſt auf ausgedehnten Reifen erworben hat. Dies gilt in beſonderem Maße von dem zuerſt genannten älteren Werke, das die ranken und Weſtgoten in der Dölterwanderungszeit zum Gegenſtand hat. Hus dem Dollen ſchöpfend, rückt Aberg von verſchiedenen Seiten aus die Entwicklung der fränkiſchen Kultur ins Cicht der Erkenntnis, wobei vornehmlich das Derhältnis der Stanfenfultur zu der anderer Germanenvölker klargeſtellt wird. Die Behandlung des archäologiſchen Sranfenproblems von diefem europäiſchen Geſichtspunkte aus, wie fie Aberg im 1. umfangreicheren Teil der Arbeit gibt, ſtellt den einen Vorzug des Werkes dar. Ein zweiter Vorzug der Schrift liegt darin, daß der Derfaljer im 2. Teil bei Behandlung der Weſtgotenkultur zum ae Male zuſammenfaſſend das allerdings noch fragmen⸗ tariſche weſtgotiſche Material der wiſſenſchaftlichen Welt „für eine künftiger Jorſchung zukommende eingehendere Bearbeitung“ (IV) vorlegt.

Im 1. Kapitel zeichnet der perfaſſer in großen Zügen den geihichtlichen Entwick⸗

lungsgang der Weſt⸗ und Oftgoten und reiht daran eine Darſtellung vom Werden, Blühen und Vergehen des Srantenteiches. Der in der Völkerwanderungszeit geführte Kampf pagent romifder Organiſation und germany eet Urkraft wird mit treffenden Schlag⸗ ichtern beleuchtet. Roms Ziviliſation ſiegt über Germaniens höchſtbegabte Söhne, die Hoten, entgermaniſert die Langobarden, bleibt ſchließlich in karolingiſcher Zeit Sieger über das alte Germanien Mitteleuropas. Nur im Norden noch führte längere Zeit die natio⸗ nale germaniſche Kunft der Wikingerperiode einen harten Kampf gegen das fremde Element, bis auch fie letzten Endes vor dem Siegeszug der internationalen orientaliſch⸗buzantiniſchen Kunſt verſinkt und das neue Europa entiteht. . : berg läßt ſodann das archäologiſche Material ſprechen und referiert zunächſt über die älteren vom Gebiete am Schwarzen Meer ausgehenden 59 Kulturſtrömungen. Oſtpreußen verſpürt ſie fue allererſt, dann Mitteleuropa und die nordiſchen Länder. Die Jechnik des gepreßten Silberblechs und der gefaßten Steine werden vom druſſicch⸗ Südoſten Europas nach dem mitteleuropäiſchen Germanien verpflanzt. Unter ſüdruſſiſch⸗gotiſchem Einfluß treten im inneren Germanien vier neuartige von dem Sibeltypus m. u. $. herzu⸗ leitende 155 tuppen auf, bei denen die Entwicklung von Armbruſtkonſtruktion zur Kopf: platte führt. Für die nordiſchen Sibeln mit rechteckiger Kopfplatte, die bis in die Wikinger⸗ zeit in Skandinavien fortleben, gilt als Urtypus die gotiſche Silberblechfibel.

Die Ornamentik an den Kulturformen des inneren und nördlichen Germaniens während der i verrät provinzial⸗römiſchen weſtlichen ae ‚fo die eingeſtanzten Kerbſchnitt⸗ und Ranfenornamente, die aufeinander folgten. Die Mitte des 6. Jahrhunderts hat nach Aberg „die ungefähre Grenze für die Blütezeit der Ranken⸗ ornamentik abgegeben“ te 31).

Für den alteren ſüdruſſiſch⸗gotiſchen Kultureinfluß nord⸗ und nordweſtwärts iſt bezeichnend die Derbreitung der Sibeln m. u. $. (Karte I). Weſteuropa bleibt jo gut wie fundleer. Auch ſpätere von Südoſten nach Nordweſten vordringende oſtgermaniſche Kultur⸗ formen erreichen auf dem Wege über Thüringen den Rhein, gehen dann ſüdwärts, kaum aber in das alte provinzial⸗römiſche Gebiet weſtlich des Rheins.

. Erſt durch den Einfall der Weſtgoten ke: allien im 5. Jahrhundert wird auch diejer Teil Europas ores monument Kultureinflug untertan. Die charakteriſtiſch weſt⸗ gotischen Silberblechfibeln zeigen den Weg und den Grad der Beeinfluſſung Galliens an.

140 Büderbeiprehungen

Ihren tupologiſchen Entwicklungsgang und ihre ln: Stellung legt äberg in einem beſonderen Kapitel dar. Die Parallelität mi 1 igen ſkandinaviſchen Formen erklärt der Derfaffer durch die begründete Annahme, „daß es die provinzial⸗römiſche Kultur weſtlich vom Rhein in Nordgallien le ift, die das vermittelnde Glied zwiſchen dem ſkandinaviſchen und gotiſchen Rulturkreiſe gebildet hat“ (57).

Die Einwanderung der Weſtgoten nach Gallien erfolgte nach Aberg wahrſcheinlich nördlich der Alpen.

ährend die Silberblechfibeln Ende des 5. Jahrhunderts abſterben, ſetzt ſich bei

den Franken der Sibeltypus mit rhombiſcher Fußplatte und granatgeſchmückten Rundeln an den Seiten und Tierkopfende durch. Auf oſtgotiſchem und fränkiſchem Gebiet iſt feine Verbreitung am ſtärkſten (Karte III), jo daß Aberg ſeinen Urſprung den Oſtgoten zu⸗ ſchreibt; von ihnen haben dann die Franken den Fibeltypus übernommen. Die Haupt: ne: A oſtgotiſch⸗fränkiſchen Sibelgruppe fällt nad) Aberg in den Anfang des 6. Jahr: underts.

ee e mit ihr herrſcht auf fränkiſchem Gebiet ein Sibeltypus mit platter, gleichmäßig breiter, unten zumeiſt gerade abgeſchnittenem Se Ent egengefebt dem vorher genannten Cypus zeigt dieſer eine kräftige Derbreitung öftlich des Rheins (Karte IV) zuſammen mit anderen Typen fränkiſcher Altertümer. Der we; der fränkiſchen Kunſt⸗ induſtrie erlangt in den cheinifchen Gebieten während der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts feinen höhepunkt, „geht aber danach wieder zurück“ (82).

Neue Kulturimpulfe erhält Gallien gleich nach 500 von den Germanenvölkern öſtlich des Rheins, wie die Verbreitung der Sibeln mit nach unten beißenden Tierköpfen beweiſen (Karte V). Letzten Endes kommt nach Aberg dieſer Einfluß über Mitteleuropa von Skandinavien, wo der beſagte Sibeltypus zu Haufe war.

Andererfeits ſtellt der Verfaſſer eine seinklffun des mitteleuropäilchen Sibeltypus mit ſchmalem Cierkopffuß durch die fränkiſche dagen mit gleichmäßig breitem Suhte feft und ift geneigt, daneben auch einen umgekehrten Einfluß anzunehmen. Diefe Sibeln en ein unzweideutiges Zeugnis von der Lebhaftigkeit der Derbindungen zwiſchen den galliſchen Franken, den Rheinfranten und den Germanenvölkern öſtlich des Rheines ab“ (120).

Ein längeres Kapitel (121—165) widmet Aberg dem feinem Urſprung nach wohl mitteleuropäiſchen Sibeltypus mit ovalem Fuß. Je 11000 der an ihm ſich zeigenden Orna⸗ mentik werden einzelne chronologiſch geſchiedene Gruppen feſtgelegt unter dieſen bez ſonders die langobardiſchen 15 n und ihre Verbreitung auf mitteleuropäiſchem und fränkiſchem Gebiet nachgewieſen (Karte VII- VIII). Die jüngere Art der Sibel mit ovalem Sub, charakteriſiert durch Tiers oder Bandornamentik, fehlt auf fränkiſchem Gebiet, was den Schluß zuläßt, „daß die Derbindungen Galliens mit dem inneren Germanien (die während der fränkiſchen . Tebr lebhaft en) um die Mitte des 6. Jahr⸗ pundetts oder etwas ſpäter aufhören oder wenigſtens in hohem Grade nachlaſſen“ (165).

ie Entgermanifierung der Franken beginnt und damit die Iſolierung des weſteuropäiſchen Gebietes gegenüber i

Hier erlebt a unſtübung in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts und Anfang des 7. eine letzte Blütezeit, die im Stil II ihren prägnanteſten Ausdruck findet. Die wahr⸗ ene von Süden Berge ende Bandornamentik nur in mit der nörd⸗ lichen Tierornamentit zu Stil II. Der Schwerpunkt der Entwicklung dieſes urſprünglich kontinentalen Kunftitiles fällt nach Aberg in die Zeit um oder nach 600 und ijt in Sitd- deutſchland und dem Rheingebiet gelegen. Skandinavien Wan in dieſer Zeit unter ſtarkem langobardiſchem Einfluß. Allmählich dringt im 7. Jahrhundert die orientaliſch⸗buzantiniſche Kunftart durch und ſiegt auf dem Seftland bald über die germaniſche. Gegen Ende der Wikingerzeit unterliegt ihr auch Skandinavien.

Das letzte Kapitel behandelt die Weſtgoten in Spanien. Sehr ne ik noch das Material, das als weſtgotiſch in e werden kann, aber immerhin reichli genug, um die Hauptzüge weſtgotiſch-ſpaniſcher Kultur zu erkennen und ihre Beziehungen zu anderen Zentren und Kreiſen aufzudecken. Die älteſten germaniſchen Altertümer Spaniens von gotiſchem Charakter weiſen zurück nach Gallien, den Donauländern und Südrußland. Bald tritt jedoch das weſtgotiſche Spanien in enge Beziehungen zu den Langobarden Italiens, durch deren Vermittlung Einflüſſe buzantiniſcher Runſtinduſtrie im 7. Jahrhundert in Spanien Platz greifen. Ein ae teilweife bisher nod) unveröffentlidytes Material illuftrieren die Ausführungen des Derfaſſers.

berſchaut man die Ergebniffe der vorliegenden Arbeit, jo wird man zugeben müſſen, daß die Wiſſenſchaft aberg für dieſe Schrift den größten Dank ſchuldet. Nicht allein, daß jie mehr gibt, als ihr Titel verſpricht, fie hat gewiß die Sorſchung betreffs der Altertümer aus germaniſcher Dölterwanderungszeit um ein bedeutendes Stück vorwärts gebracht und außerordentlich bereichert.

Bücherbeſprechungen 141

beit aus dem Jahre 19

In der zweiten hier anzuzeigenden Ar in Italien, at ſich abet als hau taufgabe geftellt, „innerhalb des i ardiſche A tertümer voneinander zu \

om Derfaſſer das weitere Ziel ins

eurteilung der ital und ſüddeutſchen Einſchläge in der nordiſchen

und da je der älteren ſtandinaviſchen Dölterwande* t

durch die C

itig iſt v unkt für die B (len. Letztere Aufgabe blei

Kultur u gewinnen rungszeit auf feſte Grundlage zu ſte vor spatter. Mit den digen beginnend, weiſt Äberg zunächſt dieſem germaniſchen Dolts- . beſtimmte chnallentupen aus et Sundorten mit gutem Grunde zu. on den Sibeln ſind als ſicher oſtgotiſch die mit rhombiſchem Suß und granaten eſchmückten Bundeln anzusetzen, ie e bei den Cangobarden erfuhren. benfalls als | n die A lerfibeln Italiens gelten, außer ihnen noch andere in Cloiſonnée⸗ technik ausgeführte Goldſchmuckſachen. ie Sibeltupen mitteleuropäiſchen Charakters jegt Aber in den Beginn der lan obardiſchen Zeit. | dieſem oſtgotiſchem Material ſtebt gegenüber das lan obardiſche, das ſich in Som m Hachen verteilung der Sunde, auch in den Der:

tw end en doch die Altertümer italieniſchen Sun

en Oſtgoten in Blüte deutlich dar Rantenverzietunn und ihre Entſpreche go auf mittel⸗ See em Gebiet eutlich darauf hin, da Kulturgut der Cangobat Di Gräberf ino, Nocera Umbra, Cividale, Brescia, Sornovo find demnach diejem

germanischen Stamme zuzuf reiben. i obardiſchen Kulturformen ſtehen die Sib

ß im Mittelp rund der Ornamentik und ſonſtiger ſtiliſti⸗ cher Ei entümlichkeiten werden im garen, 6 Stufen in unterſchieden. Zur Seſtſtellun ihrer abſo uten Chronologie zieht ab N mi S ieh ji für den Derfaljer das gebnis, daß Stil II dem 7. Jahr: til I vom Lan obardeneinfall bis 600 in Übung blieb. Die ch bis Ende des

i den Metallgegenſtänden 30 türlichen Anwendung

ſchnitt dage en erwies ſich be Grund hatte in der fortdauernden na

Uechnik in det Holzſchnitzerei. i intel werden dann von Aberg andere Gegenſtands— und den Langobarden Zu”

rmen italieniſchen ee einer Unterſuchung unter che ewieſen, ſo die glei armigen Sibeln, die fibeln. Neben gen Schmuck⸗ bardiſchen Goldkreuze. |

e fachen unſicheren Tharakters ſtehen die echt lango i tar wird vom Derfajjet vorgeführt und das german! che dee iemen⸗

d deſchlägen un 1 0 Formen und find als langobardiſch anzuſprechen. Auch dieſe Arbeit Abergs zeigt anerkennenswerte Gründlichkeit, tritiſches, DOT | ebniſſe für die Beurteilung nordiſcher Derhalt-

tiges Urteil und kann betteffs ihrer Er eden werden. w. Gaerte.

niſſe als Ziemlich ſichere Grundlage ang Königsberg i. Pr ? u 5 au. heft 1 der Sammlung von heimatkunden: Wandern und 924. 47 Seiten, 21 Tafeln. Ausgabe für Schüler

Sr. Geſchwendt, Bres!

Ri eihnen- Breslau (Serdinand Hirt), |

FE: Ausgabe für Lehrer mit erläuterndem Text 1, art.

Der kannte Schulbücherverlag Hirt eröffnet mit dieſem Heft eine neue Reihe

‚mattundlicher Darſtellungen, die unſere Jugend durch planmäßig zuſammengeſtellte

Jeichnu ungen in immet ſteigendem Mae mit det Heimat vertraut machen will. Das vor? 2 be Delt zeigt, wie anregend und fruchtbringend dieſe Art det Belehrung geſtaltet

Bejfonoet zu begrü en ijt es, daß der Derfaller die DOT esche verhältniſſe

in ſtarkem üdiichtigt hat. In anſchaulichen Rekonſtru ionszeichnungen ſin N Tafel 7 die eſiedlung in der Stein eit, auf Tafel 9 eine bronze eitliche Befe igungs⸗

ige, auf Tafel 10 ein wandaliſches Haus aus frühgeſchichtlicher Zeit und auf Tafel 11

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ein ſlawiſcher Menne in der sun 5 und jedes mal kennzeichnende Sundſtücke der 2 Docgeſchicht ch abgebildet worden. Der Wert ſolcher Schriften, die die Ergebniſſe der Vorgeſchichtsforſchung in leicht verſtändlicher Art weiten Kreiſen zugäng⸗ lich machen, iſt nicht Biel genug zu ſchätzen. Nur wenn die große Maſſe unſeres Dolfs mit oem Weſen und den Zielen der Vorgeſchichtswiſſenſchaft bekannt wird, kann dieſe zu voller Blüte gelangen. Deshalb wünſchen wir auch dieſem heft die größte Verbreitung und eine za [reihe Solge gleichartiger Schriften. Breslau, im September 1924. Mm. Jahn.

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Karl Friedrich Staehle, Urgeſchichte des Enzgebietes. Ein Beitrag zur Kulturgeſchichte der ſchwäbiſchen heimat. Verlag Dr. Benno Silfer. Augsbur 1922 ine archäologiſche heimatkunde aus der hand eines begeiſterten Urgeſchichts⸗ 8 es von keinem Fachmann. Unter dieſem Geſichtspunkte müſſen wir die Arbeit etrachten. Rein äußerlich ſchon macht fie einen guten Eindruck. Das 143 Seiten ſtarke Bändchen enthält 38 Strichzeichnungen, 19 Tafeln und 4 Sundfarten. Zuftande gekommen iſt das Werk mit Unterſtützung des Landesamtes für Denkmalpflege in Stuttgart und des Urgeſchichtlichen a bat sinftituts Tübingen. Reinerth-Tubingen hat die Bearbeitung des Sundinventars des Amtes Pforzheim übernommen; Paret⸗Stuttgart das Material der Oberämter Calw, Neuenburg, Maulbronn, Leonberg und Vaihingen zuſammengeſtellt und 5 faſt alle Zeichnungen ae as Werk zerfällt in zwei Teile, die allgemein verſtändlich geſchriebene Urgeſchichte und ein für den & mann Gußerjt wichtiges, ſehr genaues Quellenverzeichnis der vorge⸗ ſchichtlichen Kulturreſte im Enzgebiet.

Das erſte Kapitel zeigt die landſchaftlichen Grundlagen der vorgeſchichtlichen Be⸗ ſiedelung. In kurzen Worten werden wir mit der Bodenbeſchaffenheit des Geländes und den klimatiſchen Ereigniſſen auf Grund der neueſten Klimaforſchungen vertraut gemacht. Darauf wird in ſechs Kapiteln die Dor- und Frühgeſchichte des Enzgebietes behanbelt Sachlich und ſtiliſtiſch faßt der Derfaffer das bisweilen dürftige Material zu hübſchen Kultur- bildern zuſammen. Kapitel wie „Die Steinzeit“; „Die Nomaden der Bronzezeit“; „Die Bauernkultur der Hallſtattzeit“; „Die Keltenzeit“; „Unter der 1550 aft der Römer“ und „Die Alemannen und Franken“, erzählen uns in kurzen, lebhaften Zügen das Wichtigſte von der Entſtehung der Heimattultur.

Gewiß treffen wir hin und wieder einige mehr oder minder kühne Behauptungen des Derfaffers an, jedoch vermögen dieſe den guten Eindruck des Buches in keiner Weiſe u ſtören. Im allgemeinen bietet dieſe Urbeit, die echter Sprache, leicht verſtändlich für weitere Volksteile geſchrieben ijt, auch dem Vorgeſchichtler durch das wertvolle Fund⸗ verzeichnis und die 4 Sundkarten eine wichtige ee Lund für weitere wiſſenſchaft⸗ liche Beobachtungen. Aud) die Art und Weiſe, wie die Entwicklung der kulturgeſchichtlichen Vergangenheit mit dem individuellen Bild der Lansichaft ee und ed ge gr bisch der Menſch ſtets in Derbindung mit ſeiner Umwelt behandelt wird, iſt in zu bes grüßen. Dor allem müſſen wir es dem Derfaſſer hoch anrechnen, daß er die „Römerzeit, als eine Zeit der kurzen, vorübergehenden Fremdeninvaſion, der nicht die Bedeutung für die Geſchichte unſeres Vaterlandes zukommt, als man bisher annahm“, abſichtlich in kurzem Rahmen behandelt. Leider wird auf dieſe Zeitperiode von einer Menge von Vorgeſchichts⸗ forſchern immer noch mehr Wert gelegt, als auf das Werden unſeres eigenen Volkstums.

Demgegenüber wäre zu bemängeln, daß die beigefügten Tafeln uns größtenteils nur römiſche que bringen. Ebenſo wäre im Dorwort der etwas ſelbſtbewußte Satz: „Möge dieſe Arbeit über die Vorzeit des ſchönen Enzgebietes die Wertſchätzung finden, die if gebührt“, beſſer unterblieben. Im übrigen IL, en wir aber in Staehles Arbeit eine brauchbare Heimatkunde, die vor allem ihren Weg in weitere Bede Steaphan und in die Schulen finden wird. R. Stampfuß.

Wolfgang Schultz, Zeitrechnung und Weltordnung in: ihren übereinſtimmenden Grundzügen bei den Indern, Iraniern, Hellenen, Italifern, Germanen, Kelten, Citauern, Slawen. (Mannus⸗Bibliothek Nr. 35.) XVII, 289 S., 75 Abb. 11 G.⸗m.

Der se diefes Werkes, der Herausgeber der leider eingegangenen Monats» ſchrift für vergleichende Mythenforfdung „Mitra“, ift den Lefern des Mannus bereits

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durch den ſchönen Vortrag über „Zeitrechnung und Weltordnung bei den Germanen“ (Bd. XV, 5. 119—126) und durch feinen gedankenreichen he, „Grundſätzliches über Religion und Mythos der Arier“ (Bd. XVI, S. 193—325) wohl bekannt. Die Schriften des ßen er⸗ treifes, dem er angehört, pflegen eine Seite der Dorgeſchichte, die durch die Wiſſenſchaft des Spatens nicht ergründet werden kann, die Quelle des altariſchen Geiſteslebens, den Mythos. Als erſte zuſammenfaſſende Darſtellung der Grundlagen des Mythos ijt das Sch ultzſche Buch nicht nur eine te che ſondern vor allem ein Buch, das fic). durch feinen inneren Aufbau über das mut ologilde Sachſchriftentum turmhoch hinaus hebt und das ein Wegweiſer für die Zukunft werden wird.

Die Mythenforſchung hatte ihren Ausgang genommen von unſerem Wiſſen von den Griechen und Römern, wie es die Art unſerer Gymnaſialbildung mit ſich brachte. Man lernte bei dieſen Völkern Götter und Göttinnen kennen, die Tempel und heiligtümer hatten, die Opfer und Derehrung diesen c. und durch . und Vorzeichen in das menſchliche Leben eingriffen. Don dieſen Gottheiten werden Geſchichten erzählt, die mit ihrem gen Walten kaum vereinbar ſind und wohl aus einer anderen Doritellungswelt ſtammen. Da man aber ſeit früher Jugend damit vertraut war, jo machte man ſich keine Gedanken darüber und überbrückte den höchſtens dunkel geahnten Riß mit dem nichts—

genden Worte von der Phantaſie der Alten. Die bekannten Runſtwerke der Griechen ienten erſt recht dazu, die Lehrmeinung von der griechiſchen Phantaſie zu feſtigen. So ward der Begriff der alten Mythenwelt zu einem Gemiſche von mythenhaltigen Erzählungen und Nachrichten über einen ziemlich nüchternen Glauben und Kult und von allerlei Vor— ſtellungen von der griechiſchen Kunjt. Dieſes Bild dae wir aus Schule und Hochſchule heim, und dieſes beherrſchte ſeitdem unſer Denken. Es dauerte lange, bis dieſes Chaos in ſeine Beſtandteile zerlegt werden konnte. |

Junächſt tauchten vor etwa hundert Jahren die Erzählungen und Lieder der Edda auf, die man zwar als germaniſche riechen e begrüßte, aber doch mit griechiſcher Brille als barbariſch anſah, weil ſie der griechiſchen Glätte, die man als Schönheit bezeichnete, etmangelten. Man a 85 wohl ihren herberen Geiſt, aber die Dürftigkeit der zuerſt ans Licht tretenden Überlieferung ließ die en Weſensart dieſer nicht berſteß en. on die Angabe des Cakitus, daß Tempel und Götterbilder in germaniſchen Landen unbekann ſeien, wurde in ihrer Wichtigkeit nicht begriffen. Winckelmanns und Lejjings Lehren waren jo übermächtig, daß man von ſolcher Einſtellung aus darin nur ein Kennzeichen einer gewiſſen künſtleriſchen Unfähigkeit der Germanen ſah. In Wahrheit falle ihnen von hauſe aus der „Glaube“ und der darauf abend Rultus. Die Germanen hatten einen älteren ariſcheren Weſenszug bewahrt ‚jie ſahen die Götterwelt nur im Gewande der mythenhaltigen Überlieferung, unverfälſcht durch dämonologiſche Dorftellungsreihen, - die, von Sumerien ausgehend, Weſtaſien und Südeuropa überflutet hatten und ſchon vor

der Zeit des Cakitus ſich anſchickten, auch Mittel- und Nordeuropa zu erobern.

Arotzdem hätte die mit den Brüdern Grimm einſetzende een einen Jortſchritt herbei führen können, wenn nicht die ungefähr gleichzeitig bekannt werdende indiſche Mythenwelt, die wie die griechiſche und die römiſche in den Schmelztiegel der ſumeriſchen Kultur geraten war, und demgemäß grundſätzlich das gleiche Ausſehen eigte wie jene beiden, eine hemmung ausgeübt hätte. Immerhin wirkte auch der neue toff belebend ein, und Anſätze zu einer die ganze Welt umſpannenden vergleichenden MRythenforſchung machten fic) geltend. lber dieſe wurden durch eine Gegenſtrömung zu Grunde gerichtet, die mit Der: nachläſſigung der Gemeinſamkeiten der verſchiedenen Miythenüberlieferungen die Sorſchung in eine griechiſche, eine römiſche, eine indiſche, eine germaniſche ehr e eg aa und damit jeden großen Geſichtspunkt und jeden Fortſchritt der Wiſſenſchaft ttotete. Eine Wendung zum Beſſeren trat erſt ein, als im Anfange Bas Jahrhunderts die damals nod) wenig zahlreichen nen ſich zu einer aan für vergleichende Vin en fori e een loſſen und immer bewußter den Wefens- des Mythos zu erarbeiten begannen. Die Ergebniſſe diefer Studien waren zunächſt den Laien und Laien waren wirklich alle anderen, auch die im Gewande des ler afters einhergehenden unfaßbar, weil fie mit den von Jugend an eingefogenen Dor- urteilen unvereinbar waren. Es war nämlich zu Tage gekommen, daß nicht die dichteriſche taſie die Quelle des Muthos war, ſondern va) die Betrachtung des Mondes in ſeinem e die Erzä “pr piv Ll geliefert hatte, die man als Mythen bezeichnet, ie in Tauſenden von Ausgeftalfungen doch immer die gleiche Bilderabfolge erläuterten, die man im Laufe eines Monats am himmel wahrnahm. Die dichteriſche Phantaſie, die man bislang an den Anfang der Entwicklung sdes hatte, erwies ſich als Folgeerſcheinung des Mythos, als Entwicklungserſcheinung des Geiſtes unter dem Einfluſſe der Kalender-

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eſchichten der Vorzeit. Dieſe Erkenntnis erledigte die poetiſchen Ausbeutungen der nordi⸗ f en en, wie ſie ein Uhland verſucht hatte, ein für alle Male.

ie einſt Kopernikus die Sonne zum Stillſtande gebracht und die Erde in Bewegun 95 atte, ſo ward auch hier der „geſunde Menſchenverſtand“ ins Unrecht geſetzt, un as früher geltende ee e ward 9 155 auf die Süße geſtellt. Aber wie Kopernikus ſachtig 00 Brahe fand, jo wurden auch die Mondmuthologen verlacht und für „mond⸗ üchtig“ erklärt. Jedoch hat ſich nachmals dieſe „kleine eee der Gegner be⸗ mächtigt, und heute hat die Mondmythologie endgültig geſiegt.

Die Entſcheidun i thensorſch lieferten h. opment in den „Aufgaben und Zielen der vergleichenden Rythenforſchung (1908)“ und G. hüſing in feiner „Iraniſchen Überlieferung und das ariſche Sujtem (1909) “. hüſings bahnbrechendes Ergebnis war die Beobachtung, daß in den haltige Überlieferung gewiſſe Zahlen in eſetzmäßigem Derbältniffe zueinander ſtehen, indem eine alte 9 von einer jüngeren 7, eine alte 3 von einer jüngeren 12 abgelöſt wird. Er wies darauf hin, daß diele agen dem Geſtaltenwechſel

es Mondes entſtammen, und daß die damit verbundenen Geſchichten alte Kalender⸗ geſchichten ſind. Der Mond iſt alſo der Zeitmeſſer der vorgeſchichtlichen Zeit, nicht die Sonne, wie man lange gewähnt hatte.

poligang Schultz hat das Derdienft, die Tragweite diefer Er pea hüſings uerſt erkannt zu haben. In einer 1910 erſchienenen Schrift „Geſetze der Jahlenver⸗ chiebung im Mythos und in mythenhaltiger Überlieferung“ ging er ihnen weiter nach und ſtellte die Geſetze auf eine breitere, tragfähigere Grundlage, fo daß fie heute mit dem⸗ ſelben Rechte als Geſetze gelten können wie etwa in der Sprachwiſſenſchaft das Bezzen⸗ bergerſche und das Dernerſche. |

Die Grundlage der hüſingſchen Geſetze iſt alſo der altariſche Mondkalender. Die alten Arier hatten beobachtet, daß der Mond 27 Nächte hindurch ſichtbar iſt, und gatten dieſen Jeitraum in 3 Wochen zu 9 Nächten geteilt. Dazu kamen die 3 Nächte der Unſicht⸗ barkeit des Mondes, die Dunkelmondnächte. Die Schrift von 1910 hatte Schultz angeregt, noch weiter zu gehen und alle Überlieferungen der ariſchen Völker nen uſtellen und zu ſichten, die für die Kalenderfrage in Betracht kommen. Das Ergebnis iſt das vor⸗ liegende Buch. Welch ungeheure Sammelarbeit und Beleſenheit darin ſteckt, erſieht man aus den Quellenangaben und der Überſicht des Fachſchriftentums, die mit dem Sachver⸗ eichniſſe 35 Druckſeiten füllen. Da et nach Stofffenntnis und le des Schrifttumez der kenntnisreichſte Muthenforſcher auf dem weiten Erdenrunde ijt, jo hat er ein Werk von ganz un ano geiſtigem Ausmaße geſchaffen, das ker leicht durch eine neue Schrift über das gleiche Gebiet überboten werden kann. Außer dem Kalender behandelt er nämlich auch alle damit zuſammenhängenden Fragen des altariſchen Brauch⸗ tumes und des Geiſteslebens, wie den Mythos, die Weltbildvorſtellungen, die Natur⸗ anſchauung, die Religion, das Recht u. a. und ſtellt feine Darſtellung in den weiten Rahmen der Weltgeſchichte hinein. Selbſt wer ihm nicht immer folgen kann, wird das Buch do als unerſchöpfliche en wichtiger Tatſachen und wertvollſter Anregungen ho einſchätzen. Nach einem Vorworte und einem Abſchnitte über den ariſchen Kalender heb der Hauptteil an, „Der Mond und feine Gliederung“, fo wie er bei den Einzelvölkern bezeugt iſt, den Indern, Iraniern, Hellenen, Italikern, Kelten, Germanen, Litauern und Slawen. Auch die Entwicklungen und Entwicklungsmöglichkeiten werden je nach dem 1 behandelt. Es lore die Ergebniſſe und grundſätzlichen Bemerkungen. Erſtaunlich ijt bei jedem Abſchnitte die Fülle der Belege, die bisher unbeachtet geblieben waren.

Bei der Menge des verarbeiteten Stoffes kann es nicht ausbleiben, daß der Kritiker, der bekanntlich immer alles beſſer weiß, das eine oder andere anders auffaſſen wird. Das tut dem Werke aber keinen Abbruch und erſchüttert das Gefüge desſelben nicht. Daß ich die Runenfrage anders beurteile, ijt bekannt. In dem Abichnitte über die Italiker erkenne ich an, daß Schultz den Nachweis geführt hat, daß es in Italien eine echte Neun⸗ tagewoche gegeben hat, kann mich aber nicht davon überzeugen, 3 es zu allen Zeiten nur eine ſolche gegeben hat. Der römiſche Kalender, die römiſche Jählweiſe und einige Stellen, die Schultz in ſeinem Sinne zu deuten ſucht einmal mit Anderung der Cesart belegen eine Achttagewoche in Italien, die ich im Memnon (Bd. IV) zwar vermutet, aber nicht bewieſen hatte. Ich werde den Beweis in abjehbarer Zeit nachholen.

In dem iraniſchen Abfdnitte ſtehen am Schluſſe einige Bemerkungen über den in alt und mittelperſiſcher Jeit Dabuso genannten Monatstag. In meiner Arbeit über „Wochentagsplaneteninſtrumente“ (Das Weltall, Jahrg. 13, Heft 16,1915, S. 235), die Schultz nicht gekannt hat, ſuche ich dem Rätjel auf andere Weiſe beizukommen. Der erſte Tag des perſiſchen Monats war Ahuramazda geweiht, der 8., 15., 23. hießen Dapuso. Ich faſſe die vier Tage als Wochenanfänge auf. Daraus e Wochen von 7, 7, 8, 8 Cagen (nämlich vom 1—7, 8—14, 15—22, 25 30). Eine von E. J. D. Radershah ans Cicht

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5 agent Überlieferung beſagt, daß die Tagesnamen der zweiten Woche eine Reihe von “Dlaneten ech 1. Dapuso = Jupiter, 2. Apro = Mars“), 3- Apam = Denus, 4. Hwarek Sonne, 5. aonhd = Mond, 6. istrijehe merkur, 7. Geus Saturn.

7 Planeten au eine ältere Reihe von 8 zurüdgehen: Bu ay 2. (Doltanus; 3 ), 3. Mars, n n

von hauſe aus wohl auch die zweite Woche 8 ao gehabt haben wird, und daß det ganze Monat urſprünglich aus 4aäcdtasewaber beſtanden haben, alſo dem Suſteme des Venus⸗ kalenders zuzurechnen ſein wird. Um aber dieſes zur 1 zu bringen, muß die Srage der Reihenfolge der Planeten erörtert werden. Auch dazu abe ich reichlichen Stoff geſammelt und werde ihn el gere BETT LS Der nächſte itt des u Budes behandelt den „Doppelmond.“ onne“. Schultz begründet u. a. ausführlich, daß dem ariſchen

Dolte ein Jahr in unſerem Sinne, mag man es auch „Natur⸗ oder Witterungsjahr“ nennen, gefehlt habe. Die rage det herkunft des Sonnenjahres = er unerörtert, hält es aber für nichtariſch. Dagegen unterſucht er, welche Wirkungen dieſes Jahr auf den ariſchen Kalender ausgeübt habe.

Der letzte Abſchnitt behandelt das „Weltbild und das eres des Mythos“.

Ich breche hier mit meiner wenig mehr als Überſchriften bietenden Inha tsangabe ab. Der ungewöhnliche Reichtum des Buches an ene und Gedanken zwingt mich dazu, da jeder Derſuch, das eine oder andere herauszuheben, ein unrichtiges Bild erzeugt haben würde und dem Anjehen des Buches nur chaden könnte.

. as Bud) wird getragen von einem ſtarken Lebensgefühle und iſt von ne Ge: wilfenhaftigteit durchdrungen, die auch vor dem ſprachlichen Gewande nicht halt mach „Verunglückte ormen ſuche ich zu berichtigen, verdunkelte wieder aufzugelinde der Leſer wird auf manche Beil ille ſtoßen. Dem Kajusgefiihle gebe id) Ausdrud, indem id) das

; men ,

unentbehrli wie „könnte“, „dürfte“, „wüßte“. ermöchten wir nicht mehr „dürfte“ und „durfte zu unten we ſo hätten wir wieder ein ſprachliche. Ausdrucksmittel einge? ‚in welcher Richtung ich mich bewege. prachrichtigkeit zu meien prachverfall zu behaupten, ijt mir Gewiljens\ar weil an unſerer Sprache icher Teil unferer Kultur hängt.“ Dieje Worte des Derfaſſers unterſtreiche

ochen. 3 o möge denn dieſes 1 ehen in die deutſche Welt und an ſeinem Teile . mithelfen, den Brand zu en ünden, der die heutige kümmerliche Welt vernichtet und die x elt der deutſchen Zutunft in friſchem Grün erſtehen läßt (Döluspa 59).

Königsberg, Januar 1925. Ferdinand Bork.

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Privatdozent Dr. Adolf Staffe, über die Wild- und hausſchweine der Sudeten⸗ länder in vorgehen licher und gedenken Zeit und über das ſogenannte Torfihwein (Su alustris üt.). Arbeiten der Lehrkanzel für Gier zucht an der Hochſchule für Boden⸗ ace, {tur in Wien. Bd. H. 1923. 2: 101— 156. mit 5 afeln. Die Haustiergel ichte, ein an jie ſelbſtändiges, umfangrei es und mit vielfachen M peat arbeitendes orſchun sgebiet iſt als eine wertvolle Hil swiſſenſchaft der DOT“ gris chtlichen Archäologie e ichtlichen mee e jen Kultur mit der Haustier ucht untrennbat verknüpft it, inmitten feiner nützlichen tierische ſie weſentlich zur Abrundung des Kulturbildes bei. Eine außer rdentlich umfan en Kleinarbeit hat die faustier{ ot u le iſten. Staffes Unter ungen find als ein Nich die lasse dieſer Kleinarbeit anzu“ 8 inlei | aſſenanaluſe zeitlich beſtimm—

Schweines der Sudetenländer, zur Aufgabe gemacht. Dieſes ziel ewußte Dorgehen hat denn au ein ſchönes Ergebnis gehabt: das Vorkommen einer Wildſchweinform als 52g . e

im | um de europäl che wildſchwein und ſeine domeſtizierte Sorm. Wertvoll iſt der Nachweis, daß die bisher als „Torfſchwein“ beſtimmten Reite dieſes Gebietes ſich zwanglos auf Sus

Vorofs zurückführen laſſen.

1) Ubrigens findet fig bie smells Gleichung Bahram = Mars auch bei T. Ch. plowden, Translation of the idsi-Afghani. ahore 1895, S. 252, Anm. 128.

Mannus, 3eifärift für vorgeſch, Bd. 17. H. 1/2. 10

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Im 2. Kapitel wird der raſſegeſchichtliche Wert von Schweineſchädelunterſuchungen erörtert und, im Gegenſatz zu hilzheimer, die Unſicht vertreten und durch Abbildungen bewieſen, daß ſich ſchon an jugendlichen Schädeln des europäiſchen Sus scrofa-Typs und des aſiatiſchen Sus vittatus-Cyps die Raſſenunterſchiede ausprägen und daß ſomit die Kraniologie imſtande iſt, aus primitiven hausſchweinen der vorgeſchichtlichen und geſchicht⸗ lichen Zeit Schlüſſe auf ihre Ubſtammung zu ziehen.

Die folgenden ſieben ag th bringen das Material der älteren und jüngeren Stein⸗

eit, der Bronzezeit bis zu den Slawen. mani der Verwendung nur zeitlich geſicherten

aterials iſt Derf. nicht ganz unbeugſam geblieben. Doch treten dieſe wenigen indiffe⸗ renten Fundſtellen (Streitberg, Deutſchbrod) den vielen geſicherten gegenüber zurück und vermögen die feſten Ergebniſſe nicht zu beeinträchtigen.

Das paläolithiſche Wildſchwein unterſcheidet fic) von jüngeren Formen nur durch überragende Größe. Das neolithiſche hausſchwein ijt durch bandkeramiſche Sunde (Spiral- Mäanderſtil und Jordansmühl) vertreten, ſowie durch Megalith-(Noßwitz)⸗ und Schnur⸗ keramik. Aus den vor⸗ und frühaunjetitzer Schichten von Groß⸗Iſchernoſek (Nordböhmen) wurden u. a. zwei Schädelreſte unterſucht. Sie dürften mit den von R. v. Weinzierl im Brandherd 13 (vgl. Mitt. Anthr.⸗Geſ. Wien, Bd. 25, 1895, S. 48) gefundenen Schweine⸗ ſchädeln einerlei fein. Den ſonſtigen Tierreſten dieſer böhmiſchen falle ſich r gegenüber iſt ale am Platze, da die ſpätſtein⸗ bzw. frühbronzezeitlichen Abfälle ſich nicht immer mit wünſchenswerter Klarheit von den Cauſitzer Funden trennen laſſen. Derf. meint (S. 114 und 117), die Aunjetißer Bevölkerung ſtehe mit der nordiſchen Kultur nicht in Zus ſammenhang und ſei als dinariſche Raſſe von Oſten oder Südoſten gekommen. Beide Annahmen find m. E. unbegründet. Die Aunjetiger Kultur hat, wie Seger erſt kürzlich wieder auseinanderſetzte (vgl. feinen Vortrag über die Aunjetißer Kultur auf dem 48. deutſchen Anthropologentag 1923 in Tübingen; auch A. Winkler, Zur herkunft der flun⸗ jetitzer Keramik in: 25 Jahre Siedlungsarchäologie, Leipzig 1922, Mannusbibl. Nr. 22) ihre Wurzeln in der ſchleſiſchen e und iſt ſomit im Sudetengebiet boden⸗ ſtändig. Daher überwiegt auch bei der Aunjetitzer Bevölkerung das nordiſche dolichokephale Element und wird durch die (wohl nur geringen) Einflüſſe der kurzköpfigen Glockenbechet⸗ leute nur bis zu Schliz's „Schildform“ umgebildet. Günther, auf den Derf. ſich beruft, bringt die Aunjetiker mit der dinariſchen Raſſe in Beziehung (Raſſenkunde des deutſchen Volkes, München 1923, S. 268). Dieſe Anſicht erſcheint mir unhaltbar.

Bei der Cauſitzer Kultur, die wir als eine unmittelbare zortiegung der e laßt sich n haben (vgl. B. v. Richthofen, Die ältere Bronzezeit in Schleſien, im Druck), läßt ſich in der Bronze⸗ und Hallftattzeit das Schwein verfolgen, das ſomit von der jüngeren Steinzeit bis in die frühe Eiſenzeit als einheitliche Raſſe von der gleichen Bevölkerung gezüchtet wurde. Weitere Sunde ſtammen aus der keltiſchen Laténefultur Valea = Saus ge irge!) und von den kaiſerzeitlichen Germanen. Selbſt die Slawen (ſchleſiſche Sied⸗ ungen) hatten dieſelbe Schweineraſſe. Das 10. und 11. Kapitel behandeln die Schweine⸗ reſte aus der Zeit bis und nach 1500 und beſtätigen immer wieder dasſelbe.

Im Schlußkapitel beſpricht Derf. die orff weinfrage. Als wichtiges Ergebnis haben wir feſtzuſtellen: das Wildſchwein der Mittelmeerländer (Sus mediterraneus) iſt eine beſondere Sorm und ſteht zwiſchen dem europäiſchen Wildſchwein und dem aſiatiſchen Bindenſchwein (Sus vittatus). Das von an abſtammende Torfſchwein kommt nur vom Mittelmeergebiet bis zum Nordrande der Alpen vor. Weiter nördlich hat es bis jetzt noch nicht einwandfrei feſtgeſtellt werden können. Somit entfällt jeder Grund, für Völker, die das Torfſchwein züchten, an eine herkunft aus Alien zu denken, wie es Rütimeyer und die von ihm beeinflußten Forſcher (Studer, C. Keller) taten. Wenn ich an diefer verdienſtvollen Arbeit etwas auszuſetzen habe, fo ijt es der verſchiedentliche menge genauer Sundangaben bzw. der Katalognummern der unterſuchten Stücke, der dem klrchäologen die Nachprüfung erſchwert. Die Funde von Franzensbad (S. 119) dürften nicht der Cau⸗ ſitzer Kultur angehören, ſondern (Begleitfunde: 1 Kupferflachbeil, 2 Steinbeilbruchſtücke) gleichzeitig mit den Mond- und Atterſeefunden fein. Eine klare Juſammenfaſſung der Ergebniſſe, Literaturverzeichnis und Erläuterung der 19 guten Bilder beſchließen dieſe inhaltsreiche, wertvolle Arbeit. ö

Berlin. Otto⸗ Friedrich Gandert.

Dr. F. P. Stegmann von Pritzwald, o. Profeſſor der Tierzuchtlehre an der Univerſität Jena: Die Raſſengeſchichte der Wirtſchaftstiere und ihre Bedeutung für die Geſchichte der Menſchheit. Jena 1924. Derlag von Gujtav Siſcher. 571 S., 108 Abb. im Cert.

Der I. Teil dieſes Buches behandelt das Haustier im allgemeinen und iſt wegen der reichen Erfahrung des bekannten Cierzuchtlehrers, die aus jeder Zeile ſpricht, als äußerſt

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wertvoll anzuſehen. Bejonders ae ee möchte ich, was über den Wert raſſegeſchicht⸗ licher Erkenntnis für die praktiſche Zucht geſagt wird. Im II. bis XIV. Geil werden die Haustierarten (Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Ploch Eſel, Kamel, Tama, Yat, Büffel, Rentier, RN und Elefant) eingehend be- prochen, indem zuerſt die in Betracht kommenden Wil porter und die Deranlaſſung der Haustierwerdung erörtert werden. Darauf folgt ee egung der Arten in ihre Raſſen und die Zuteilung diefer als „Ceitraſſen“ an beſtimmte Kulturvdlfer. Der XV. Teil endlich bringt die Juſammenfaſſung der Ergebniſſe: Die Rulturvölker und ihre Wirtſchaftstiere. Eine Betrachtung der men has tk Kulturentwidlung und ODerzeichniſſe verſchiedenſter Art beſchließen dieſes Buch. In der Cat, ein groß nee und mit kühnem Schwunge al Wert! Und dod) ein Seblicub in ſeinem Kernpuntte, der Leitrajjenfrage ! uerſt wundert man ſich, daß der Elefant mit unter die Haustiere gerechnet, dagegen der je die arktiſchen und Jägervölker jo wichtige hund und auch das Geflügel übergangen werden. a Don der rein zoologiſch-ſuſtematiſchen eee Wildformen möchte ich nur hervorheben, bat es mir ſehr gewagt erſcheint, vom Ur (Bos primigenius Boj.) ein „nord europäiſches Wildrind (Bos Balticus)“ abzuſondern, das im Gegenſatz zum eigentlichen Ur nur in Nordeuropa, beſonders im Gebiet der Oſtſee gelebt haben foil. Der als tupiſch für dieſes Wildrind abgebildete Schädel (Sig. 6) pene aber nicht etwa aus den Gſtſee— landern, fondern aus Dun in Galizien und zudem noch aus diluvialen Schichten, 5 aljo in doppelter hinſicht ungeeignet, dem Urſchädel (Sig. 5) aus dem Torfmoor bei uhlen, Kr. Cübben, N zu werden. hätte Derf. die Originalabhandlungen!) benutzt und nicht die Abbildungen aus zweiter hand übernommen, wäre ihm dieſer Wider— ſpru gewiß aufgefallen. n dem paläolithiſchen Bilde aus der Höhle von Niaur (Sig. 45) ſieht Verf. mit Kugſt die late eig Wildziege Capra hee Adam. bierin vermag ich ihm nicht zu Ehen, alte vielmehr dieſes Bild für eine Darſtellung des Pyrenäenjteinbodes (Capra pyrenaica Schinz). Die C. prisca iſt foſſil in Weſteuropa noch nicht feſtgeſtellt, vor allem nicht im Neolithikum, und jo kann hier nicht ihr Domeſtikationsherd liegen (vgl. S. 159). Bedeutungsvoll und zum Teil neuartig ſind die Vermutungen über die Bene werdung. Drei Deranlaſſungen zur Zähmung werden unterſchieden: in erſter Linie die Religion, die zu Tieropfern Führt (Rind Mondgöttin, Schaf Gewittergott, Ziege lebenerhaltende Gottheit, Schwein Sonnengott, Pferd Kriegsgott), ſodann der reine Zwedgedante, der Eſel und Kamel in den Dienſt der Menſchen ſtellte und ſchließlich der Derlujt bereits vorhandener Tiere, der die Suppoſition nötig machte, teils als Erſatz fel das verlorene Opfertier (Cama, Elefant), teils als Suppoſition für Nutztiere ray Buffel, und Ren 2 Rind). In der Zurüditellung des Si Hh hd la ab muß ich dem Derf. unbedingt recht geben. Eduard hahns Gedanken find einmal Gemeingut geworden. Auch der Gedanke der „Suppoſitionstiere“ iN durchaus glücklich. Aber die Göttheitsbegriffe 40 fe tea von Mond- und Sonnengottheit) ſind doch wohl zu kompliziert, als daß fie für eine ſo Me Zeit den erſten Tierzüchtern zugeſchrieben werden könnten. 0 1 ent Derf: dies ſelbſt zu fühlen, da er am Schluß (S. 348) dem Segen Mondkult mit Rind, Schaf und Ziege die nordiſche Sonnenverehrung mit Pferd und Schwein eee „ER Der Kernpuntt dieſes Buches liegt, wie ſchon angedeutet, in der Ceitraſſenfrage. Don den 38 Verteilungen kann 0 nur einige gelten laſſen, die ſich überwiegend EN neu⸗ eitliche Völker beziehen und wirklich nachprüfen laſſen (Rurzkopfrind Römer, aufrecht— iges Rind weſtaſiatiſche Mongolen, Mongolenpferd Mongolen, Somaliejel amiten, Dromedar Semiten, Trampeltier Oſtmongolen, großhörniger Büffel . Saher ag Büffel Türken). Die übrigen 30 Leitraſſen dürften recht un— 7 äſſige Führer abgeben, wenn man ſich von ihnen die Wanderſtraßen der vorgeſchicht— chen Völker zeigen laſſen wollte. Verf. hat es nämlich „möglichſt vermieden, Probleme auf hiſtoriſchem oder len Wege zu löjen“. Das ijt gleichbedeutend mit An— wendung einer deduktiven Methode, wo nur die induktive helfen kann. Es he ſich bitter a. Haustiergeſchichte ohne prähiſtoriſche e iſt unmöglich. Die gänzliche > . oy falten ⸗archäologiſcher Forſchungsergebniſſe zeigt tg auch darin, daß itgngaben nur ſelten gemacht werden, wie auch archäologiſche Literatur in dem langen * völlig fehlt.

ö hne Chronologie läßt ſich aber nun einmal keine Geſchichte ſchreiben, auch keine Raſſengeſchichte der Wirtſchaftstiere.

1) Der Schädel von Guhlen: A. Ben 19 Über das Urrind. lee: landw. Preſſe ne 85 Nr. 61/62. Der aus Galizien: M. Wilckens, Die Rinderrafjen Mitteleuropas. ien 1876.

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Es fehlen alfo hier die Grundlagen, auf denen ene wiſchen Kulturfreifen (bzw. Dölfern) und Haustierraffen geſucht werden könnten. Die Möglichkeit, Ceitraſſen u finden, iſt zweifellos n Nur muß man folgendes bedenken. Die der maß ſind um fo einheitlicher, die Rafjenbildung iſt weniger weit vorgeſchritten, je näher man dem Zeitpunkt der erſten Zähmung kommt. Es werden alſo im Anfange verſchiedene Völker die gleichen Haustiere geha t haben. Sehr bald aber, ſchon im Jungneolithitum ſchlägt dieſes Verhältnis in das Gegenteil um: Die RKaſſenſpaltung bet eingejeßt, und es finden ſich innerhalb beſtimmter Kulturfreije an verſchiedene Tierraſſen. Bis in die diese in Zeit, wo man bereits ganz ficher Dolfernamen verwenden kann, läßt ſich dieſe rſcheinung beobachten !).

Ich glaube daher, daß derartige Raſſen, wie Verf. ſie fein ſpezialiſiert (3. B. groß⸗ und kleinohriges Schwein), erſt in der geſchichtlichen Zeit mit Erfolg als Kennzeichen be⸗ ſtimmter Volksſtämme geſucht werden können.

Einige Beiſpiele mögen dem Prähiſtoriker zeigen, mit welcher Rühnheit Verf. verwickelte ſedelungsarchgologſſche Fragen angreift und zu a glaubt.

Die Schweizer Pfahlbaubevölkerung ſaß urſprün 1 in Nordafrika. Durch die fort⸗ ſchreitende Wüſtenbildung verdrängt, zog jie an die Slüſſe Italiens, gelangte Det lich ins Alpengebiet, und in der Folge errichtete fie die Terpen an der Nordſee. ie Pfahlbau⸗ kultur gelangte über die Kelten an die Germanen, „wodurch in ihnen erſt ihre eigene ger⸗ manche Kultur erweckt wurde“. (S. 79).

Das bornloje Rind iſt „eine a: ed der Sinnen“ (S. 319). Wo diefes vor: kommt, follen Sinnen geweſen jein. So kommt Derf. zu einem ſtarken finniſchen a acc bei den Stytben, und Sinnen follen deshalb auch in Schottland gelebt 10 (S. 321). Demnach müßten auch im Jungneolithikum bei Kl.⸗Wanzleben (Staatsmuſeum Berlin) und in der jüngſten Bronzezeit bei Frankleben (Muſ. Merſeburg) Sinnen f haben!

Die Phruger und Luder ſollen die ſäbelhörnige Ziege von Alien nach Europa gebracht haben (S. 171). Sie kommt aber hier ſchon im Neolithikum vor, alſo Un einer Zeit, wo man mit beſtimmten Dolfernamen noch gar nicht operieren kann! Dom Ur wird (S5. 39) gelagt, es ſei in Mitteleuropa fein verſuch gemacht worden, ihn zu zähmen. Wegen der Gold⸗ becher von Daphio ſollen ihn die Griechen in der mykeniſchen Zeit zuerſt gezähmt haben.

5. 98). Dem widerſprechen die Sunde aus dem mitteleuropäiſchen Neolithikum. Den

ae te wird als Ceitraſſe auch die Capra prisca Adam. zugeſchtieben (S. 172), obwohl Jie ſich ſchon im Neolithikum bei Pfahlbauern und Bandkeramikern findet, alſo alles andere als eine griechiſche „Leitraffe“ iſt.

Beim „germaniſchen Rinde“ finden wir (S. 105) den Satz: „Den Alemannen und Sueven folgten allmählich (wann? Ref.) Haupiftämme der Germanen, welche unter ver⸗ ſchiedenen geſchichtlichen Benennungen auftreten, aber wohl alle zum Stamme der Bure gundionen gehörten.“ Nur aus dieſer chronologiſchen und ethnographiſchen Verwirrung iſt es wohl zu erklären, daß Derf. den Urſitz der Sachſen im Baltenlande ſucht, von wo die

ſten die Sachſen vertrieben haben ſollen (S. 109). Doch genug, man leſe ſelbſt und ſtaune!

Der Prähiſtoriker, der ſich über den jetzigen Stand der e ee unter⸗ richten will, fei auf das im gleichen Verlage 1922 erſchienene Werk von O. Antonius: „Grundzüge einer Stammesgeſchichte der haustiere“ verwieſen. In dieſer klaren und gründlichen Darſtellung wird er auch eine große Zahl der Stegmannſchen Abbildungen wiederfinden, m. E. in richtigerer Auslegung. Uber die Catfache, daß man in der Haustier- bau len leer vor ſehr vielen ungelöſten Fragen ſteht, darf er ſich jedoch auch hier nicht

äuſchen laſſen.

Berlin. Otto:Sriedrih Gandert.

C. Schuchhardt, Die frühgeſchichtlichen Befeſtigungen in Niederjadjen. Salzuflen, Schade, 126 8.

Die Ausführungen des Verf. entſprechen nicht genau dem Titel des Büchleins. Denn, abgeſehen von allerlei e in denen er ſeine ſchon öfters vorgetragenen Meinungen über Römerzüge, Moorbrüden uſw. wiederholt, kommen von 8. 82 an auch mittelalterliche Burgen und Städte an die Reihe. Anderſeits gehört das von ihm Behandelte zum Teil wieder noch den vorgeſchichtlichen Zeiten an. Das will 8. freilich nicht zugeben; ja er behauptet ſogar, es finde ſich im „ganzen nordweſtdeutſchen Slachlande bis zum Rande des deutſchen Mittelgebirges fügen wir hinzu: und darüber hinaus keine Burg, die auch nur bis in die römiſche Zeit zurückginge.“ „Erſt bei Detmold,

1) Z. B. in der frühen Eiſenzeit (hilzheimer, Die Tierknochen aus den Gruben des Coſſower Ringwalls bei Frankfurt a. ©. Abhandl. Preuß. Akad. d. Wiſſ. 1922. Phil. Hift. Rl. Nr. 5. Berlin. 1923).

Bücherbeſprechungen 149

Gottingen, Kaſſel, ſagt er, treten die erften wien auf.“ Er denkt dabei an die vermeint⸗ liche Teutoburg, den Hünenftollen und die Alteburg unweit der letztgenannten Stadt. Auch 10 ießt er aus dieſem Fehlen von Burgen, daß die een „in der Ebene (warum liches er Ebene?) zwiſchen Elbe und Rhein“ in jenen früheren Zeiten ein recht friedliches Leben geführt haben müßten, womit freilich die Angaben des Tacitus ſich nicht in Über⸗ einſtimmung befinden.

In der Tat reicht denn auch beiſpielsweiſe die Düſſelburg bei Rehburg mit ihrem

Steinwalle und den dort gefundenen Steinwaffen bis in die neolithiſche Zeit zurück. Ebenſo iſt das Beſtehen der Babilonie bei Cübbecke durch den Fund einer charatteriſtiſchen Gußform für den Anfang unferer Zeitrechnung nachgewieſen; weiter beweiſt eine in der Weckenbor unweit Meppen gefundene Römermünze den früheren Urſprung dieſer Anlage; endli konnte durch Ronſtantinsmünzen, die ſich in dem Mauermörtel der e im Deiſter fanden, feſtgeſtellt werden, daß auch dieſe Befeſtigung bereits zur Römerzeit vorhanden war. Denn wenn S. meint, dieſe Sundgegenitände könnten vor Anlage der Derſchan⸗ zungen durch den „Menſchenverkehr“ an die einſamen Orte gelangt fein, jo wird damit ganz en von der Unmöglichkeit im zweiten Salle die Wiſſenſchaft eradezu auf den Kopf geſtellt. Wohl können nämlich Kleinaltertümer aus nachfolgenden zeiten in ältere Befeſtigungen hineingelangen und inſofern nichts für Urſprung beweiſen. Will man aber dieſen feſtſtellen, 0 muß man, wofern nicht eine frühere Anlage an dem Orte nachgewieſen werden kann, ſtets die älteſten Sunde zugrundelegen. Sonſt bringt man die Forſchung in Verwirrung.

An dieſem Fehler leiden auch ſonſt die eee des Verfaſſers. So batte er noch 1899 den Moorbrücken zwiſchen Brägel und Mehrholz nördlich des Dümmers den tömiſchen Urſprung abgeſprochen, weil fie keine römiſchen Kleinaltertümer aufzuweiſen hätten. Nun dieſe jedoch gefunden wurden, erklärt er unter Nichtbeachtung dieſer Tat⸗ ſache: „Es find niemals Sunde aufgetreten, die dieſe Brücken als römiſch 896 könnten“.

Dasſelbe Verfahren ſchlägt er gegenüber den von mir entdeckten Römerlagern ein. Die Anlagen bei Iburg und Mehrholz find nach feiner Behauptung trotz der in der Tiefe ihrer Spitzgräben gefundenen Scherben römiſcher Zeit und trotz der ſonſtigen Sunde aus derſelben Periode „Bauernwälle“, und das Lager im habichtswalde bei Stift Leeden nennt er karolingiſch, obwohl Altertümer, die daſelbſt ausgegraben wurden, von unſeren erſten Archäologen als „unzweifelhaft römiſch“ anerkannt worden ſind.

Indem ſich S. ſo über die ſicheren Ergebniſſe der Wiſſenſchaft hinwegſetzt, verfällt er von einer Ungereimtheit in die andere. Um die Grotenburg bei Detmold als Teutoburg und damit für die dortige Gegend die Darusichlacht zu retten, wird wahrheitswidrig be⸗ hauptet, ihr Berg „habe im ganzen Mittelalter noch der Teut geheißen“. Zugleich wird aber auch noch der Name Theotmalli (Detmold), deſſen erſter Teil foviel wie Polk heißt, für feine Beweisführung herangezogen, ſo me nun Teut das eine Mal eine Burg bezeichnet und das anderemal ſoviel wie Volk bedeutet, als wenn das beides miteinander möglich wäre. Und dabei iſt noch nicht einmal der Beweis erbracht, daß auf der Kuppe des „Teut“ jemals eine Burg geſtanden hat.

Alifo ſoll ae in haltern gefunden fein; aber welche unter den dortigen a

ngen mit dieſem Namen geehrt werden ſoll, können wir von S. nicht erfahren. Er be⸗ auptet nur, er habe, „als die großartigen rungen des Halterner Römerplatzes einigermaßen zu überſehen waren, die Theſe aufgeſtellt, daß hier Alifo wiedergefunden lei.“ Aber das kleine Annaberger Lager fällt nicht unter den Begriff der großartigen Ein⸗ richtungen und konnte ſchon deswegen nicht von ihm für das vielbeſprochene Kaſtell aus⸗ gegeben werden, weil es nur Sunde aus der erſten Zeit der römiſchen Eroberungen auf⸗ weilt, während er für Aliſo den Nachweis verlangt, daß es bis zum Jahre 16 nach Chr. im Beſitz der fremden Truppen ſich befunden haben müſſe. ae das fog. Alte Lager kann Alifo nicht geweſen fein. Denn abgefehen davon, daß es ein Seldlager und fein Kaftell war, hat auch dieſes nicht bis zum Jahre 16 beſtanden, ſondern iſt vor dieſer Zeit von zwei Ipäteren Befeſtigungen überbaut worden. Aber auch dieſe können, da fie nachweislich erſt nach dem Jahre 2 vor Chr. angelegt worden ſind, wiederum ebenſowenig auf den Namen des im Jahre 11 vor Chr. errichteten Alifo Anſpruch machen. Darum gibt es keine Möglich⸗ leit, aufirgend eine der Halterner Derjhanzungen den berühmten Namen anzuwenden, und S. hätte beſſer getan, den Satz: „Archäologie ſollte doch nur derjenige treiben, der das Auge und den Mut hat, aus den vorhandenen Ruinen mit derſelben Sicherheit zu ve wie der Philologe aus ſeinen Schriften!“ gegen fic) ſelbſt anzuwenden. Dagegen iſt „der Aniprud) von At ae beraden auf Alifo“ nicht „völlig geſcheitert“. Dielmehr entſpricht das dortige Kaftell nach feiner Cage, Größe und Beſchaffenheit, wie nach den daſelbſt gemachten Funden, völlig den zu ſtellenden führt 5. ſodan

aur Feſtſtellung feiner Alijohypotheje führt 5. ſodann noch allerlei Gründe vor. die Lippe ſoll nur bis Haltern ſchiffbar geweſen ſein, was unrichtig iſt. Der Ort ſoll günſtig

150 Bücherbeſprechungen

elegen haben, um den Cheruskern „ein Kaftell auf die Naſe zu bauen“. Da dieſe indeſſen

ſüdlich und ſüdweſtlich nur bis zur diemel und dem Eggegebirge wohnten, fo müßten fie

wohl, wenn S. recht haben follte, eine recht lange Naſe beſeſſen haben. Auch „die Trümmer

der Darusſchen Legionen“ ſamt den Weibern und Kindern bet. treff , wie S. meint, ſchwer⸗

995 1 flüchten können. Andere Gründe, die er anführt, treffen nur Eljey, aber nicht eraden.

Die Stelle des Tacitus, Ann. II, 7: cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque 5 überſetzt S. unrichtig: „er befeſtigte das ganze Gebiet zwiſchen dem Raſtell Aliſo und dem Rhein mit neuen Wegen und Dämmen“; limites ſind vielmehr Schneiſen, aggeres aber Straßendämme; auch darf cuncta nicht durch „das ganze Gebiet“ überſetzt werden, es bezeichnet nur „die ganze trede“.

Bei ſeinem Kampfe gegen die von mir entdeckten Römerlager ſtützt ſich S. wieder auf Gründe, die ſich gegenſeitig aufheben. Die Befeſtigung im habichtswalde ſoll „Schulte Lobjen Toſlag“ fein, der nach Joſtes dieſem Bauern im Jahre 1668 zugefallen wäre. Anderjeits wird fie von S. wieder als Curia Losa auf Karl d. Gr. zurückgeführt. Die dort e römiſchen Altertümer müſſen dann wohl bei Gelegenheit der Herrichtung von

em karolingiſchen Inhaber oder dem Schulte Cooſe in die Erde gelegt ſein. S. meint auch, die Umwallung mit dem Rechteck weiſe hier ausnahmsweiſe den nud hein karolingiſcher Köni hen auf, während dieſe nach ihm fonft aus einem Kernwerf und einem von außen ande enen Vorwerk beſteht.

Aud) über die Moorbrücken äußert ſich S. von neuem wieder mit denſelben falſchen Angaben. Bohlwege „ganz derſelben Konſtruktion“ wie bei den Brücken zwiſchen Brägel und en ſollen im Tale der Sorge bei Danzig aufgefunden worden fein, obwohl ihm bekannt ſein müßte, daß die erſteren von den een durchaus verſchieden find, dagegen mit der von G. Wolff als römiſch feſtgeſtellten Anlage im Tal der Nidda übereinſtimmen. Die von mir entdeckten römiſchen Moorbrücken ſind auch dag „immer nur 2—214 m breit“, wie S. jagt, ſondern beſitzen eine Breite von 3—3,40 m. Natürlich ſchließt S. wieder aus der falſchen Überſetzung von aggeratus, daß die langen Brücken zwiſchen den vastae paludes als meterhohe Erddämme unmittelbar auf den „Moorboden“ aufgelegt worden ſeien, die dann durch das zugeleitete Waſſer durch die Deutſchen gleichwohl in einer Nacht zerſtört werden konnten. :

S. iſt kein Philologe und beſitzt weder die nötige Spradfenntnis noch das richtige verfahren bei der Auslequng der Schriftſteller. Nur ein folder Mann kann deswegen trotz meiner Erklärungen in der 2. Ausgabe der „Kriegszüge des Germanicus“, die ihm doch bekannt iſt, behaupten: „das Heer des Germanicus zog nach Tacitus im Jahre 15 auf feinem Rüdzuge bis Rheine geſchloſſen zurück“, um ſodann „in derſelben Derteilung, wie es anmarſchiert war, zurückzugehen“, während Tacitus das Gegenteil berichtet.

S. wiederholt in ſeiner un Schrift die Unſicht von der Eroberung Niederdeutſch⸗ lands „öſtlich bis zur Elbe, ſüdlich bis nach Thüringen hinein, ol lg u den Franken“ durch den bis dahin in holſtein anſäſſigen Stamm der Sachſen. Der Name bezeichnet indeſſen, wie der der Franken, einen Zammelnamen. Werden doch beiſpielsweiſe die Chauken als Genoſſen dieſes Bundes erwähnt. Daß, wie S. meint, das Gebiet der Bruk⸗

terer lediglich durch den Sonderſtamm der Sachſen erobert worden ſei, kann deswegen aus Beda nicht geſchloſſen werden.

Aber auch ſonſt geht S. bei der Benutzung ſchriftlicher Quellen vielfach in die Irre. So will er aus dem heliand beweiſen, daß der Dichter desſelben ſich bei Nennung jüdiſcher Städte von der Dorſtellung germaniſcher Burgen habe leiten laſſen. Aber das von ihm ge⸗ brauchte Burg war eben der deutſche Ausdrud für Stadt, wie er auch Rom als Romaburg bezeichnet, obwohl ihm doch bekannt war, daß es die Hauptitadt des römiſchen Reiches war.

Daß bei jeder Doltsburg ein herrſchaftlicher Hof ſich befunden habe, kann aus der Bemerkung des Tacitus über die regia Marbods mit dem castellum iuxta nicht geſchloſſen werden, da regia hier nicht einen Königshof bezeichnen kann. Ebenſowenig wohnte Chlodio, wenn Gregor von Tours jagt: apud Disbargum castrum habitabat, wie S. meint, neben der Burg, vielmehr heißt 9155 apud, wie ſchon bei Tacitus, in. Ein Irrtum iſt es auch, wenn S. faat, nach Tacitus „hätten die Germanen die Gewohnheit, ihre Wohnungen in die Erde einzutiefen“. Denn feine Worte: solent et subtei raneos specus aperire eosque multo insuper fimo oncrant fönnen doch nur fo verſtanden werden, daß dieſe Keller außerhalb der Wohnungen angelegt wurden. Dem entſpricht auch die weitere flusführung des Schriftſtelle. Ein arger Sebler iſt es endlich, wenn S. das Wort pomerium durch „Obſt⸗ garten“ oder „Baumgarten“ wiedergibt und offenbar mit pomum in Derbindung bringt.

S. hat eine Menge Burgen namhaft gemacht und dieſe beſtimmten Zeiten zuge⸗ wieſen. Hierbei fällt es auf, daß er die Burg auf dem Rerenberge bei Oeſede nicht mehr unter den karolingiſchen Curtes, deren Tupus fie früher entſprechen ſollte, aufführt.

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Ebenſo verweiſt er jetzt die Aſeburg ins Mittelalter. Aber auch ſonſt werden noch manche Anlagen aus der Lifte der Curtes geſtrichen werden müſſen, weil fie auf hohen Bergen liegen und nicht, wie S. nunmehr richtig bemerkt, eine Straße beherrſchen. Außer der Babilonie, der Weckenborg und der heiſterburg muß deswegen auch die Wittekindsbur bei Rulle dieſes Schickſal erfahren. Geht doch die Großartigkeit der Befeſtigungen wei über die Bedürfniſſe eines fränkiſchen Wirtſchaftshofes hinaus, ganz abgeſehen davon, daß ihre Cage hierfür recht ungeeignet geweſen wäre. Huch haben ſich keine Spuren dafür gezeigt, daß ſie jemals Bewohnt geweſen wäre. Maßgebend für die Zuweiſung zu den karolingiſchen Curtes ſollte der Umſtand fein, daß die Mauerſteine in Mörtel gelegt ſeien. Da dieſe Eigentümlichkeit indeſſen auch bei der Babilonie und heiſterburg nachgewieſen iſt, ſo kommt auch dieſes Beweismittel in Wegfall.

S. hat ſich durch ſeine Bodenunterſuchungen in e Burgen gewiß ein großes verdienſt erworben, und die vorliegende Schrift hat den Wert, daß uns eine Menge fol er Gegenſtände bekannt gemacht und zum Teil durch Zeichnungen erläutert werden. Da indeſſen die meiſten noch nicht näher unterſucht worden find, fo ijt es doch gewagt, fie alle trotzdem beſtimmten Zeiten zuzuweiſen. Daß nun vollends fein Verſtändnis der ſchrift⸗ ſtelleriſchen Quellen ein ſehr e iſt und ſeine Beurteilung fremder Arbeiten vielfach an der Wahrheit vorbeigeht, wurde an verſchiedenen Beiſpielen deutlich gemacht. Die Derlagshandlung hofft, daß beſonders die Lehrer der Geſchichte an der hand des Büchleins nunmehr „einen auf heimatbeobachtung und Ergebniſſe wiſſenſchaftlicher Forſchung begründeten erfolgreichen Unterricht erteilen können“. Ich glaube indeſſen, lie werden guttun, wenn überhaupt, nur mit größter Vorſicht von dieſer SRH Gebrauch zu machen. r. Knoke.

Joſef Strzygowski, Die Kriſis der Geiſteswiſſenſchaften. Runſtverlag Anton Schroll & Co. in Wien. 1923.

In den letzten Jahren iſt deutlich eine ſehr ſtarke gegenſeitige Annäherung zwiſchan der Kunſtgeſchichte und der Vorgeſchichte zu bemerken. Die Vorgeſchichte empfindet, daß für die Fortentwicklung ihrer Wiſſenſchaft die Methode der Runſtgeſchichte von allergrößtem Nutzen iſt, und die Runſtgeſchichte wieder empfindet, daß der Umkreis ihrer Sörſchung zu eng geſteckt iſt, daß man viele kunſthiſtoriſche Phänomene, etwa die Frage der Entſtehung der romaniſchen Kunſt nicht ohne die Vorgeſchichte löſen kann. Seitdem die alte kunſt⸗ geſchichtliche Einſtellung, die von Winckelmann bis Burckhardt gültig war, wohl end⸗ gut gefallen ijt, die Einftellung, der die Antike und die italienische Renaiſſance als Höhe- punft des na eet Geſchehens galt, ſeitdem man in der Kunſtgeſchichte nicht mehr den „abſoluten Punkt“ annimmt, nach dem fic) die Runſt auszurichten habe, ſeitdem man durch Riegl den Begriff des Runſtwollens kennt, iſt eine völlig veränderte Stellung zur Dorgeichichte zu bemerken. Wenn vorher die Dorgeſchichte von der RKunſtgeſchichte gar nicht beachtet wurde oder nur als die minderwertige Kunſtbetätigung „roher Barbaren“ alt, fo gewinnt fie für die moderne Runſtgeſchichtsſchreibung eine ganz hervorragende tellung. Die Stage nach dem Runſtwollen hat zu einer e geführt, die die 1 a Kunſtgeſchichte nicht kannte. Mit Namen wie Wickhoff, Wulff, Shmarfow, fl. C. Brinckmann, Frankl und Wölfflin find die Triebkräfte dieſer Forſchung gegeben, die das Werden und Vergehen der Stilarten zum Gegenſtand der Forſchung gemacht hat. Einer ſolchen Sorſchung ift die vorgeſchichtliche Kunſt nicht nur gleichwertig allen übrigen Stilarten der Geſchichte der Kunſt, ſondern fie muß aus methodiſchen Gründen ſogar von ganz befonderem Wert werden, denn hier liegt das Werden und das Wachſen eines Stiles beſonders deutlich und offen zutage. |

Strzugowski ift einer derjenigen Forſcher, die zuerſt auf die Bedeutung der Dor- geſchichte für die Kunſtgeſchichte hingewieſen haben. Ein Kopf von ganz eigenen Gedanken und Plänen, die oftmals im Widerſpruch ftanden zu der herrichenden Auffaljung der Kunſtgeſchichte, iſt er einen Weg gegangen, der ſowohl neu als auch fruchtbringend war.

erweiterte den Rahmen der Kunſtgeſchichte, die immer nur die Kunſtgeſchichte des neueren Europas war, er machte ſeine Forſchungen in Kleinaſien, in Armenien, in Süd⸗ tußland wo er Enges fühlte, zerriß er die Grenzen. Mögen manche feiner Ergebniſſe angefochten werden: ſein größtes Verdienſt iſt methodiſch die Erweiterung des Geſichts⸗ kteiſes der Kunſtgeſchichte, die Einſtellung der Kunſtgeſchichte auf den Umkreis der Kunft- tatſachen der Welt.

Unter dieſem Geſichtspunkt mußte man mit beſonderem Intereſſe ſein Buch von 1923 in die hand nehmen, das die Krilis der Geiſteswiſſenſchaften behandelt. Strzu⸗ gowski fordert in ihm einen groß angelegten Betrieb der Runſtgeſchichte. Er fordert die Teilung in Kunde, Weſen, Entwicklung, er fordert neben der Sachforſchung eine Be⸗ ſchauerforſchung, er legt ſeine Pläne für das Forſchungsinſtitut für bildende Kunft ausein⸗

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ander, die in ihrer Ausdehnung geradezu großartig genannt werden müſſen. All dies 19 7715 mehr die kunſtgeſchichtliche Forſchung; was den Dorgeſchichtsforſcher beſonders angeht, das iff feine Stellung zur Vorgeſchichte. |

Seine Einſtellung auf das Ganze iſt hier von aller Ret Bedeutung. So heißt es etwa S. 16: „Die Einſtellung der Geſchichte auf die historische eit macht es den einzelnen Fächern der Geiſteswiſſenſchaften unmöglich, wiſſenſchaftlich zu arbeiten. Wiſſenſchaft erfordert die Einſtellung auf das Ganze in jedem Sinne. Es muß alfo neben der 10 toriſchen auch die vorgeſchichtliche Zeit hinzugenommen werden.“ Und 8. 17 heißt es abſchließend: „Das Ganze, das hier im Auge zu behalten iſt, wenigſtens grundſätzlich, iſt die Menſchheit. Ohne dieſe Einſtellung ijt Wiſſenſchaft undenkbar.“ Und auf S. 58 lieſt man: „Erſt wenn durch die Einſtellung der Forſchung auf den Geſamtkries der Erde, dadurch, daß kein Unter⸗ ſchied zwiſchen geſchichtlicher und vor en Zeit genannt wird, und durch die gleich⸗ mäßige Heranziehung aller Geſellſcha tsſchichten die ee des Weſensver leichs zu ihrem auf dem Gebiet der Bildenden Kunft möglichen Umfang erweitert und vertieft ſein wird, darf auf keimende Ergebniſſe e werden.“

So geht durch das ganze Werk eine Einſtellung, die für die Zukunft, für die weiterhin zu erhoffende Annäherung zwiſchen Kunſtgeſchichte und Vorgeſchichte von pala Bedeutung iſt. Doch es ſoll auch nicht verſchwiegen werden, daß der Verfaſſer ſelbſt der Vorgeſchichts⸗ forſchung gegenüber oft eine Stellung einnimmt, die den Tatlachen nicht gerecht wird. Wenn er ſagt, daß von den e Vorgeſchichtsforſchern lediglich Carl Schuchhardt den Norden nicht vom Süden und von der Antike abgeleitet habe (5. 45), ſo iſt das zu enggefaßt. Neben dem Namen Schuchhardts 05 doch in dieſem Punkt auch Koffinna und feine Schule genannt werden. Koffinnas Lebenswerk ruht zum groben Teil auf diejer geiftigen Ablöjung des Nordens vom Süden, auf der Erkenntnis der fel

ümlichen Kraft des Nordens.

Verſchwiegen foll auch nicht werden, daß Strzugowski in ſeinem Kampf gegen den humanismus oft zu weit geht. Bei aller Bedeutung des Nordens darf man doch nicht den griechiſch⸗römiſchen Kulturkreis in feiner Bedeutung a In übertrieben ſcharfen Ausdrüden ſpricht Strzygowski gegen den Humanismus. Wenn man gegen die Adele ung des einen Gebietes fampft, darf man nicht in den Sebler verfallen, nun das andere Gebiet zu überſchätzen.

Mag es jo . geben, die wohl nicht allgemeine SU NND finden, fo ift das Werk insgeſamt als ein großer Schritt vorwärts zu buchen, als ein Schritt, der ſowohl von ſeiten der Runſtgeſchichte als von ſeiten der Prähiſtorie die größte Beachtung verdient.

Röln a. Rh. Dr. Herbert Kühn.

——— m

ſtändigen, eigen⸗

J. D. Zelizko, Sels rapierungen der ſüdafrikaniſchen Buſchmänner. Auf Grund der von Dr. Emil Holub Originale und Kopien. Verlag S. A. Brock⸗ haus, Leipzig 1925. 28 S., 20 Cichtoͤruck⸗ und 8 Offſettafeln.

elizko legt hier ein Buch von außerordentlicher Bedeutung vor. Zum erſten Male find eine Fülle von Gravierungen der Buſchmänner nicht in Nachzeichnungen, fondern in Photographien gebracht. Jetzt erſt iſt eine wirkliche Bearbeitung des großen Materials möglich und denkbar, jetzt erſt entſteht ein wirkliches Bild dieſer Kunft. Alle Nachzeich⸗ nungen, ſo genau ſie auch ſein mögen, ſind ee von dem modernen Menſchen allein die photographie kann das wirkliche Bild geben.

Der Derfaffer hat den reichen Stoff e a den Holub in Afcita auf ſeinen beiden großen Reiſen ſammeln konnte. Es befindet ſich heute vor allem im Natur⸗ Meade Muſeum in Wien, einige Stücke befinden ſich in München, Prag, Berlin, Paris.

ber nicht allein aus Gründen genauer Wiedergabe iſt das ſchöne Werk, das mit großen Roſten hergeſtellt worden iſt, zu begrüßen. Es rollt von neuem ein großes

Problem auf, das eine wirkliche Klärung immer noch nicht erfahren konnte. Die Frage

der Buſchmannmalereien iſt trotz der Arbeiten von Fritſch, Holub, Moszeik, Dad,

Stow, Helen Tongue, Balfour, Cufdan und anderer immer nod ein Ratfel. Noch

immer iſt es nicht möglich, einwandfrei Alter, Entwicklung und rend feſtzuſtellen,

ja, es hat zuletzt ſogar Luſchan in der Jeitſchtrift für Ethnologie bezweifelt, daß die Buſch⸗ männer überhaupt die Urheber dieſer Kunit jeien. Aud) Zelizto kann keine Klarheit bringen.

Er ſtützt ſich auf die Quellen holubs, er berichtet deſſen Mitteilungen über die Reifen,

er ſtellt bis ins einzelne ſorgfältig die Inventare der Muſeen zuſammen, er ſammelt das

vorhandene Material aber die Grundfragen bleiben noch offen für die Erforſchung.

An vielen Stellen werden die Fragen der Beziehung zur paläolithiſchen Kunft erörtert,

auch fie können nicht geklärt werden, da allem Unſchein nach ein genetiſcher Zuſammen⸗

hang nicht beſteht und die überraſchende kihnlichkeit allein aus der gleichen Einſtellung

ee me .

Biicherbefprechungen 153

tie ie zur Welt, aus geiftiger Stimmung und aus wirtſchaftlicher Ahnlichkeit zu ären iſt.

Aber auch ohne die Klärung der letzten Fragen wird das Buch von großer Bedeutung ſein: die einwandfreien Wiedergaben allerdings nur der Gravierungen, nicht der Male⸗ teien, von denen nur wenige in Europa vorhanden ſind die genaue Durcharbeitung des Bildſtoffes, die ſorgfältige Bibliographie und die Jund berichte 1155 u jedem Stück machen das Buch unentbehrlich für jeden, der dies Gebiet unterſucht, auch für jeden Dore uu ſeben fie 575 u die Stagen der paläolithiſchen Malereien in großem Juſammenhang zu ſehen ſich bemüht.

Madrid, April 1925. Herbert Kühn.

hoernes⸗Menghin, Urgeſchichte der bildenden Kunſt in kuropa von denAnfangen bis um 500 vor Er. Geb. Dritte Aufl., durchgeſehen und ergänzt von Oswald Mengbin. Kunjtverlag Anton Schroll u. Co. Wien 1925. 864 Seiten und 1462 Abb.

1898 erſchien die erſte Auflage dieſes Werkes, 1915 die zweite, die eine völlige Umarbeitung war, jetzt erſcheint, längere Zeit nach hoernes' Tode die dritte Auflage. Sie iff der unveränderte Abdruck der zweiten. In Pietät und Achtung vor dem Lehrer hat Men gbin, der die dritte Auflage beſorgte, den alten at obne jede Anderung wieder abgedruckt und hat gleichzeitig, um das ud auf der höhe der Forſchung zu halten, eine eigene Arbeit hinzugefügt. Und dieſe Arbeit iſt nicht klein. Sie umfaßt rund 200 Seiten und ſtellt eine neue hervorragende zuſammenfaſſende Leiſtung neben die erſte.

Über die Arbeit von hoernes iſt viel geſprochen, viel geſchrieben worden, wir haben beute zu ihr einen Abftand, wir können fie unvoreingenommen beurteilen: ſie hat in all den Jahren ihre Kraft bewieſen Es iſt ſicher keine Geſchichte der Kunſt vorgeſchichtlicher 5 jo wie fie der Kunſthiſtoriker erwartet, eine Kunſtgeſchichte, die große Linien zeigt, die Entwicklungslinien aufdeckt, die Wege des Werdens ganzer Epochen weiſt und ſie ſtil⸗ eee analyjiert ein Bel Wert fehlt uns noch —, aber es ijt eine Juſammen⸗

agung von Stoff, ein Buch, das ein Wegweiſer geworden iſt. Hoernes hielt ſich an das geſchriebene, gedruckte Wort, er ſammelte, er trug zuſammen, und ſchuf ſo ein Werk, das eine große Ceiſtung iſt. eine bewunderungswürdige Tat, aber doch ein Werk, dem durch das Fehlen des Kunſthiſtoriſchen ſeine Grenzen geſetzt find.

Beſonders wichtig ift bei hoernes die Verbindung der sun mit der Wirtſchaft, er hat dieſen Geſichtspunkt mit beſonderer Schärfe herausgearbeitet, wenn er auch nicht der Vater dieſer Anjdhauung ift, wie Menghin an einer Stelle behauptet In der Ethno⸗ logie hatte dieſer Gedanke zu Hoernes’ Zeiten [chon feine eigene Geſchichte, in der Nationale ökonomie ſchon eine ganze Literatur er geht ja hier bis zu Marx zurück und in der Kunſtgeſchichte war er etwa durch Groſſe ſchon 1895 eingehend begründet.

hoernes hat das Derdienft, dieſen Gedanken für das Gebiet der vorgeſchichtlichen Kunſt angewendet zu haben und dieſer Umſtand gerade wird ſeine Urbeit immer wertvoll und bedeutungsvoll erſcheinen laſſen auch für den, der grundſätzlich anderer Unſchauung it

Menghin ftellt nun feine Arbeit daneben Sie iſt lebendiger, näher den Runſt⸗ werken, von denen fie ſpricht, als Hoernes’ Arbeit, aber fie hängt als „Anhang“ an dem von hoernes Geſagten, fie kann ſich nicht frei entfalten, nicht alle 1 ganz abwerfen.

So mutig der Derfud) von Menghin iſt, fo ſorgfältige Arbeit auch aufgewendet worden iſt es ſind doch zwei Arbeiten, die ſchließlich nebeneinanderſtehen, und ſo wie amet Menſchen verſchieden ſind, müſſen auch die Arbeiten andere Wege gehen. Bei der

enutzung wird es N ſein, jedesmal über ein Gebiet zuerſt bei nes zu leſen, dann bei Menghin, und der Lejer wird oft genötigt fein, das, was er bei hoernes ge⸗ leſen und erlernt bat, bei Menghin wieder umgultohen

7 Und wenn es jetzt auch gut erſchien, einmal in Rückſicht auf hoernes, dann in Rückſicht auf das Ausland, in das di zweite Artlage während des Krieges erſchienen nicht gedrungen iſt, gleichſam eine Doppelarbeit zu ſchaffen, ſo ſollte man das doch bei der nächſten Auflage nicht wiederholen.

. ei der Arbeit Mengbins iſt es vor allem erfreulich, daß er im Sinne der Kultur kreislehre arbeitet das bringt viele neue und flare Ausblide. Beſonders wichtig iſt diefer Weg für das Paläolithitum, das hoernes in vielen Punkten falſch geſehen hat. Das meiſte hat Menghin Hal Be fo die Frage der Capſienkunſt, die Stage ihres Alters, ferner die Stage der Bedeutung der paläolithiſchen Kunſt ufw. Nicht abgeändert hat er dagegen hoernes’ Anfidt von der Entwicklungsloſigkeit der paläolithiſchen Kunſt, von der Ein⸗ beitlichkeit auf allen Stufen. hier wäre es doch vor allem nötig geweſen, hornes' ver⸗ altete Anihauungen einer Durchſicht zu unterziehen.

Ganz neu iſt das Kapitel über die Bildkunſt des Neolithikums, ein Kapitel, das eine gute, kurze Zuſammenfaſſung der vielen Neuentdeckungen bringt. Das Intereſſanteſte,

154 Bücherbeſprechungen

aber auch das Gewagteſte ift das Kapitel über die neolithiſche Keramik, das ebenfalls, vollkommen abweichend von hoernes, ganz neue, ſcharfe Richtlinien zieht. Es würde viel zu weit führen, hier über Einzelheiten zu berichten bewunderswert iſt dieſe Dar⸗ N die die neolithiſche Keramik ganz Europas in ein beſtimmtes genetiſches Syftem ringt.

Für die ägäiſche Kunft hätte man eine eingehendere Berückſichtigung gewünſcht, umal auch hoernes dieſen Kunkeeie viel zu kurz behandelt hat. Aber Mengbin fühlte ſich wohl wieder an hoernes gebunden. Ebenſo wird die Kunft der Eiſenzeit viel zu kurz erledigt auch hier wieder dieſelbe unheilvolle Bindung.

So ſtehen die Arbeiten nebeneinander kein einbeiktiches Werk, zwei ganz ver⸗ ſchiedene Urbeiten, geſchaffen von ganz verſchiedenen Temperamenten. Neben dem ruhig abwägenden, ſammelnden, anerkennenden hoernes ſteht die friſch vorwärtsſtürmende, heftig angreifende, u Partei nehmende Art Menabins. Er jagt felbit in feinem Vorwort: „Aber ſonſt entſpricht meinem Weſen mehr das ſtürmiſche Dorwärtsdrängen au DEN TEIEREIILENEN Bahnen, ſelbſt auf die Gefahr hin, einmal gründlich irre zu gehen.“

Er lobt, er lehnt ab, er greift an, er verteidigt alles in ſcharfen Worten. Nicht jeder wird mit ihm einverſtanden fein, und fo erfriſchend oft die lebendige Art iſt, jo greift lie doch manchmal fehl, fie teilt manches apodiktiſch mit, das nicht den Tatſachen entſpricht. So 3. B. jagt er, ich hätte in meinem Buch über die Kunft der Primitiven hoernes mit keinem Wort erwähnt“. Tatſächlich wird er auf S. 18 namentlich und ausdrücklich genannt.

Man könnte leicht mehr Beiſpiele nennen, dies eine eine Kleinigkeit möge genügen, aber oftmals denkt man doch an die ruhige, abwägende Art von hoernes zurück.

Alles in allem: ein Buch, deſſen Sebler in ſeiner Spaltung in zwei Arbeiten liegt, noch keine kunſthiſtoriſche Derarbeitung der großen künſtleriſchen Phänomene der Dorzeit, aber bisher das einzige große Werk über das Geſamtgebiet, das wir in deutſcher Sprache beſitzen. Und als ſolches hat es entſchieden ſeinen Wert und ſeine große Bedeutung.

Madrid, April 1925. Herbert Kühn.

Rudolf John Gorsleben, Die Edda. 1. Band: Die Cieder⸗Edda; 2. Band: Die erzählende Edda (Proſa⸗Edda). Verlag Die heimkehr, paſing bei München. 240 und 229 5.

Die öffentliche Anteilnahme an der altnordiſchen Überlieferung iſt in Deutſchland in den letzten Jahren ganz außerordentlich geſtiegen. Sie beſchränkt ſich keineswegs auf den kleinen Kreis, der durch ein literariſches Intereſſe gefeſſelt wird, oder gar nur auf den Kreis der Sprachler, ſondern hat im Gegenteil gerade in denjenigen Schichten Wurzel

efaßt, die abſeits vom nur literariſchen Intereſſe und abſeits auch von der wiſſenſchaftlich en

ritik ſtehen. Der Zauber, welcher den Namen der Edda noch immer umgibt, wird von dem geheimnisvollen Dunkel einer Vorzeit genährt, die, mit Recht oder Unrecht, gefühls⸗ mäßig der eigenen unbekannten Vorzeit gleichgesetzt wird. N ſucht auch moderne Unraſt und Unbefriedigtheit nach eigenen ſeeliſchen Gütern, ſucht Dorgeſchichte als ver⸗ läßliche Grundlage neuen geiſtigen Aufbaus.

Rudolf J. Gorsteben bat es verfucht, dieſem Verlangen durch eine Derdeutihung der Edda gerecht zu werden, die es ſich zur Aufgabe ftellt, nicht nur den oft fo dunklen Wortlaut dem gewöhnlichen Lefer verſtändlich wiederzugeben, ſondern auch das Bruch- ſtückhafte des Textes durch neue Gliederung und Aufteilung, wo es zweckmäßig ſchien, u überwinden. Damit ſieht Gorsleben feine Aufgabe weſentlich anders, als die bis⸗ heri en Derdeuticher, anders als Gering und Genzmer, deren große Derdienite unan= 10 bleiben. Die neue Übertragung kann und will ſich mit dieſen Meiſtern in bezug auf ſprachliche Juverläſſigkeit nicht meſſen, weil fie in erſter Linie das Verſtändnis unvor⸗ bereiteter Leſer erſtrebt. Wie weit Gorsleben den Begriff der Edda gefaßt wiſſen will, entnimmt man daraus, daß er in die nordiſchen held enlieder auch das deutſche alte Hilde⸗ brandslied einreiht, daß der erzählende Teil nicht nur Auszüge aus der Snorra-Edda, ſondern auch die Nornageſts- und die Dölfungajaga bringt.

Die volkstümliche Abjicht läßt den Überſetzer von vornherein manchmal zu Mitteln geilen. die jenſeits einer nur wiſſenſchaftlichen Beurteilung ſtehen. hierher gehören die

mdeutſchungen der nordiſchen Namen wie Bragi in Präger, Rig in Aring, Thiazi in Dietz, Agir in Ocker u.a. Der Kenner der Edda wird in Unſehung der Abſicht über dieſe neuen Klangbilder hinwegkommen, der Nichtkenner die echten Namen nicht vermiſſen. Eine ſprachlich genaue Verdeutſchung würde in vielen Fällen überhaupt unmöglich fein. Der „Weber Zettel“ iſt in Deutſchland volkstümlich geworden, den engliſchen Namen kennen nur wenige. Der Erfolg entſcheidet, wo die Kritik zu ſchweigen hat. Aud) die mannig⸗ fachen Einſchiebungen, die dem Texte fremd ſind, dienen doch dazu, ihn dem Leſer geläufig und damit lebendig zu machen. Da die Übertragung ohne alle erläuternden Anmerkungen

Bücherbeſprechungen 155

auszukommen ſucht, ſo mu ſie den Text ſelbſt ſo umgeſtalten, wie er verſtanden werden und man darf ſagen, daß auf dieſe Weile eine ſehr leicht und gut lesbare Dichtung

On, zuftandegelomm etl iſt. 4 or . | Ein portreffliche® Beiſpiel dichteriſchen Könnens bietet das einleitende „Cied von det Mühle Grote“. i überliefert, leider mi einem gechichtelnden Einſchub. Gorsleben gi N mügde ſeinen großen kosmiſchen Klang als Weltuntergangsſage zurück, wenn er dieſe, dem ni t eingeweibten Leſer doch ganz unverſtändliche trophe ausmerzt. Wird freilich | | i mein Rätjel der Edda 2, 55) Schnitt vollzogen, au die hiſtoriſierende endenz en ernt oder doch gekennzeichnet werden müſſen. wie mächtig die rieſiſchen Mädchen fingen, möge ein Beiſpiel Gorslebenſcher Sprachkunſt zeigen:

„Stredt, Hände, euch ! Starret voll ſpitziger Speere

Und blutiger Waffen! Auf, Srote, erwach!

Auf, Srote, erwach! Erwah und erfahre

ang!

n die Brände im Oſten der Burg

als weiſende Zeichen, daß Heerruf erwachte

ein Heer kommt gezogen in haſtigem Zuge

ird bald die Burg Dir, Gebieter, verbrennen. Nichts halten Du kannſt, nicht den hochſitz der Halle, nicht Ringe von Gold, noch di und wenn wir noch ruhloſer rollten die Mühle. Einſt blühten wir auf in dem Blute der 5 acht, jetzt mahlen wir Töchter der Rieſen mit Ma den Tod allen Tapfren, wie wirs er] auten, und iſtürzt das Gerüſt auch der ſtämmigen Stützen, das eiſengefeſſelte: Mahlen wir ort!

! Mahlen wit ort! Geht die mühl’ auch zugrunde!“ N In ähnlichem Schwunge fährt die Helfahrt Brünhilds dahin. mutholog cat Bilder t f ee det

atte in Snortis Einleitung, die Gorsleben übernimmt,

löſt Gotsleben modern auf: Aus des „Ebers Blut“ mach Gorsleben „die Sonne“. Die Meinung der bekannten Stelle dürfte richtig getroffen ſein. Ni t zu recht- ti .

ertigen find freilich einige an G. v. CLiſtſche Lehren an ingende Cückenauffü prüchen (S. 159 f.), die weder dem Sinne noch der Lebensgeſtimmtheit de

ſprechen. Gorsleben will aus der nordiſchen Edda und der ihr verwandten Überlieferung es Dichters und Neuſchöpfers,

ein deute Doltsbuch machen. Er geht darum den Weg d eſtes dazu tun muß, ohne der Treue zu entraten. Die Edda beginnt ſich vom Schutt

Quelle des Lebens iſt.

Bremen. —— Otto S. Reuter. des Wiſſens in einem Bande. Leipzig, S. a. Brod 0 u is je 1,90 Mk. vollſtändig in 10 fg. is Ende des Jahres.

Wie die Sirma Brodhaus vor mehr als hundert Jahren das ai Handbuch des

Wiſſens, damals „Konverſationsleriton genannt, eſchaffen nach dem Kriege den „Neuen rodhaus“ in 4 Banden heraus, eine unet

neueitzeitlichen Wiſſens. Do ein jo teures Wert ſich an icht jederman Sache. Darum erſcheint jetzt der Einbänder, e

der Kleine Brockhaus. Handbu bene Cfg. 1, 2. Ermäßigter Su ſtriptionspreis le

vermag. Das ganze Werk ſoll 400 teils bunten Tafeln und Karten enthalten.

beiden Lieferungen, die mit dem Stichwort „Dru ; N

800 Abbildungen. Dazu treten nod) viele wertvolle Überſichten, Zeittafeln, Diagramme uſw.

Wir können mit Genugtuung feſtſtellen, daß au

Berückſichtigung efunden hat, ogi 3, B. das Stichwort

ja für Sadızwed® nicht zum rodhaus“ greifen, aber die weiten für die orgeſchichte

intereſſierten Taien⸗ und falblaientreile, die Leſer des Mannus ſind, werden oft in die

Cage kommen, über dieſen oder jenen Begriff im Unklaren zu ſein und dann für die aller?

erſte Aufklärung gern zu dieſem handlichen Wegweijer des Wiſſens greifen. ee

nachrichten.

Todesfälle.

Seit 1923 hat unfere Geſellſchaft folgende Mitglieder durch den Tod verloren: Dr. Ludwig Wilſer in heidelberg, den unermüdlichen Darſteller germaniſcher Dergangen: heit ( Nov. 1923), Kittergutsbeſitzer Candſchaftsrat v. d. Offen auf Wisbu, Kr. Regen: walde i. Pomm., der im Jahre 1921 eine vierzehntägige, unter meiner Leitung vorgenommene Ausgrabung eines großen hügels bei Witzmitz veranlaßte (f 5. Dez. 1923), Rentier Hein- tid) Kellner in Köln, der ſeit der Gründung unſerer Geſellſchaft im Jahre 1909 ihr Mitglied war (T 1924), Ernſt Srand in Frankfurt a. M., gleichfalls ſeit 1909 Mitglied geweſen (T Sebr. 1924), Apothekenbeſitzer Bodenſtab in Braunſchweig, Mitbegründer unſerer Geſellſchaft (f 23. dug. 1924), Profeſſor C. Polthier in Wittſtock a. Doſſe, den verdienten Dorftand der vorgeſchichtlichen Gumnaſialſammlunag daſelbſt ( Sept. 1924), R. Nagorsni in Berlin-Steglitz (F 1924), Sanitatsrat Dr. Staffel in Chemnitz, Mitglied ſeit 1909 (f 1924), Diſtriktskommiſſar Wolff in Pußig, Kr. Filehne, Mitglied ſeit 1909, Baurat Theodor ho ech in Kolberg ( März 1925), Dr. jur. Alfred Salb in Berlin, erſt kurz vor feinem Tode aus⸗ Ne aus unſerer Geſellſchaft wegen wirtſchaftlicher Schwierigkeiten, einen glänzenden chriftſteller, der zahlreiche volkstümliche Aufjäße über deutſche Vorgeſchichte nach beiten Quellen, vornehmlich nach meiner „Deutſchen Dorgeſchichte“ in die Zeitungen und Jeit⸗ ſchriften brachte, Verfaſſer der trefflichen Bücher „Deutſchbewußtſein“ und „Luther und Marcion gegen das Alte Teſtament“, ſtarb plötzlich an den Solgen eines im Kriege erhaltenen Ropfſchuſſes (+ 11. Mai 1925).

Emil Bodenttad +.

Am 23. Auguft 1924 ijt ein Mann dahingegangen, der, obwohl als 90 f 00 im praktiſchen Leben ſtehend und auf kaufmänniſchen Derdienft angewieſen, doch in hohem Maße eine unter uns Deutſchen ja auch heute noch nicht ausgeſtorbene heiße Wiſſensgier und CLeidenſchaft für wiſſenſchaftliche au befaß: Emil Bodenftab. Geboren 1856 zu Calvörde im Braunſchweigiſchen, beſuchte er die Gymnafien zu helmſtedt und Clausthal, ſtudierte in Braunſchweig, um dann die väterliche Apotheke in Calvörde, ſpäter eine ſolche in Neubaldensleben zu übernehmen. Angeſtrengteſte Studien widmete er in ſeinen Muße⸗ ſtunden den Gebieten der Botanik, Geologie, Dorgeſchichte, Anthropologie und Völker⸗ kunde und machte feine reichen Kenntniffe durch gemeinverſtändliche Vorträge weiteren Kreiſen zugänglich. So wurde er bald zum ſtaatlichen Pfleger für heimatſchutz, zum Korres ſpondenten der Preußiſchen Geologiſchen Candesanſtalt und zum Ehrenmitglied des Natur⸗ wiſſenſchaftlichen Vereins zu Magdeburg ernannt. Das Naturwiſſenſchaftliche Muſeum zu Magdeburg verdankt ihm eine bedeutende Sammlung altertümlicher Apothefer= und heilgerätſchaften.

Perſönlich war der en von ſelbſtloſeſter Güte, dabei ein liebenswürdiger Geſellſchafter, deſſen angeregte wiſſenſchaftliche Unterhaltung und treffliche Lehrgabe namentlich bei wiſfenſchaftlichen Ausflügen zu beſter Geltung kam. Unſerer Geſellſchaft hatte er ſich ſofort bei der Begründung in Begeiſterung angeſchloſſen und niemals fehlte er bis zum Kriege bei unſeren jährlichen Tagungen. 6 R

Johannes Dorn +.

Am 23. März 1925 ftarb im Alter von 72 Jahren der Landwirt ee Dorn von Weiler Haid auf der Albhochflache füdlid Reutlingen (zwiſchen Großengſtingen und Trochtelfingen), der zuſammen mit Kaufmann Sautter von Hunderſingen der tätigſte Ausgräber von Grabhügeln in Württemberg geweſen iſt. Der größte Teil der unter dem Namen von Föhr, Hedinger, Paulus, Edelmann laufenden Funde ſtammt in erſter

Nachrichten. 157

£inie von ihm. Dabei ijt zu betonen, daß in der Genauigkeit der Ausgrabung wie der Be⸗ richterſtattung Dorn alle feine akademiſchen Auftraggeber übertraf; Dorns Original» berichte find, ſoweit ſolche vorliegen, 3. B. im Berliner Mufeum, ausgezeichnet.

Er war angeregt durch Grabungen an den hallſtattgrabhügeln „auf der Haid“, die er von 1877 ab ſelbſt fortſetzte und bald faſt uff die ganze Hlbhochfläche und i Dorland ausdehnte. Beſonders anzuerkennen ijt die Auffindung der bronzezeitlichen Grabhügel, die auf der Alb (im Gegenſatz zu den Hallſtatthügeln) im Gelände fait ar nicht ſichtbar ſind. Immer ſchon hat Dorn auch auf Siedlungen geachtet, ohne aber früher die nötige Anleitung und Unterſtützung zu ſolchen Aufgaben zu haben. Sein bekannteſter Sund war der eines Spangenhelms aus dem alemanniſchen Reihengräberfeld von Gammertingen 1903.

Daneben war Dorn ein tüchtiger Landwirt, der fein Gut aufs 2 fache verdoppelte und in der Intenſivierung der Landwirtſchaft voranging. Eine nicht gewöhnliche Begabung hat ihm das ermöglicht. Am auffallendſten war vielleicht feine ſcharfe Beobachtungsgabe und ein beneidenswertes Gedächtnis, das ihm die Erinnerung auch an ſolche Pte ete möglichte, die ein Menjchenalter zurüdlagen, wie dies von Deifihiebenen eiten feſtgeſtellt worden iſt. '

Tübingen. Gg. Kraft.

Geh. neg. Rat Prof. Dr. 3. Martin in Oldenburg

ift im Mai 1924 nach faſt vierzigjähriger Tätigkeit von der Leitung des von ihm in muſter⸗ ültiger Weiſe verwalteten Naturhiſtoriſchen Muſeums in Oldenburg und der vor⸗ und frühgeſchichtlichen Sammlung zurückgetreten und hat in Prof. Dr. h. v. Biittel-Reepen einen Nachfolger gefunden. artins Ziel war neben ſteter Bereicherung und ſtrenger Ordnung der Muſeumsbeſtände ihre Scheidung in Schau- und Studienſammlung und die Herrichtung der Schauſammlung bejonders für die hee ge der Schulen, was ihm bei ſeinem feinen pädagogiſchen Takt in vorzüglicher Weiſe gelungen iſt. Martin hatte nach Beſuch der Gumnaſien in Jever und Wismar Naturwiſſenſchaften an den Univerſitäten deine, Berlin und Göttingen ſtudiert, 1882 die Staatsprüfung abgelegt und dann an den Gumnaſien in Greifswald, Ciſſa und Bon unterrichtet, worauf ihm 1885 die klſſiſtenten⸗ ftelle am „Großherzoglichen Naturalienkabinett“, dem Dorläufer des jetzigen Mufeums, übertragen wurde. 1888 erlangte er zu Göttingen den Doktorgrad. Alsbald begann nun feine weit über den Rahmen des Muſeums Finausgreifende pieced Mae Tätigkeit nach der petrographiſchen und i Richtung hin neben fortlaufenden vorgeſchicht⸗ lichen orſchungen. Beſonders war es das Eiszeitproblem, dem feine anhaltende Hingabe alt. Studienreiſen nach Schweden, Dänemark uſw. förderten die Einſicht in die im be Herzogtum Oldenburg recht wie peg Hear e Seine „Diluvial⸗ tudien“ füllen zuſammengenommen einen ftattliden Band und brachten manche über⸗ taſchenden Aufklärungen über die Stromrichtung des Inlandeiſes und feine unver⸗ änderliche Richtung, über das nur einmalige Auftreten der Eiszeit in hieſiger Gegend, jene über die erodierende und denudierende Wirkung des Inlandeiſes (Entſtehung er „Selsbecken“), die durchaus grundlegend waren und die gebührende Anerkennung in den Fachkreiſen fanden. Einzelfragen über die erratiſchen Geſteine, beſonders über die hier vielfach gefundenen Baſalte, über die Entſtehung der Bodenarten und des ‘Reliefs unſerer heimat durch den un der Eiszeit, 2 55 anderweitige Fragen, Nor über die ſäkulare Senkung der Nordſeeküſte, fanden eine muſtergültige Bearbeitung. esgleichen wendete er viel Urbeit den vorgeſchichtlichen Funden feine Heimatlandes zu, obwohl ihm aus Mangel an Staatsmitteln eine entſprechende Ausgrabungstätigkeit verſagt blieb. Unfragen über vorgeſchichtliche Zunde ſeines Muſeums beantwortete er ets aufs entgegenkommendſte in ſachkundiger Weile. Dorzüglibe Arbeiten find feine eröffentlichung des bronzezeitlichen Schagrundes von Rethwiſch (Mannus IV, 1912) und beſonders e „Beiträge zur Moorleichenforſchung“, die anknüpfend an den Moor⸗ leichenfund von Kauhauſen eine grundlegende Klärung mancher „Rätſel des Moorleichen⸗ problems“ brachten (Mannus XVI, 1924). So ſehen wir ein vielſeitiges, erfolgreiches Schaffen, ein reich und würdig aus⸗ efülltes Sorjcherleben. Möge dem in den Rubeftand Getretenen ein friedlicher und punnger ebensabend beſchieden ſein. 6. KN.

158 Nachrichten.

Ein vorbildlicher Erlaß des Thüringiſchen Ministeriums für Volksbildung an die Schulämter, vom 31. Sept. 1924, über die Förderung der Arbeiten für Heimatkunde.

Auf allen Gebieten der heimatkunde iſt auch in Thüringen, wie in anderen Ländern, ſeit langen Jahren eine i umfangreiche Arbeit geleiftet worden, und zwar weniger von amtlichen Stellen, als in ſelbſtloſer und aufopfernder Weiſe von Vereinen 195 Keen Derjonen; dieſe Arbeiten werden auch heute trotz der Ungunſt der Zeit noch fortgeſetzt.

Im Vergleich zu der Unterſtützung, welche die Staaten den Rünſten und Wiſſen⸗ ſchaften ſonſt haben zuteil werden laſſen, ſcheint uns die heimatkundliche Arbeit bisher etwas zu kurz gekommen zu ſein. Wir halten es für eine wichtige Pflicht des Staates, die Urbeiten für die heimatkunde ſo weit als nur möglich zu ſich auf f Sie kommen den weiteſten Dolfsfreifen zugute und unſere heutige Schule baut ich auf ihnen auf. Gerade jetzt in dieſer ſchwierigen Zeit iſt ihre Pflege doppelt wichtig. Das Intereſſe der Allgemeinheit iſt durch die Entwicklung der letzten Jahre mehr als früher auf die Ungelegenheiten unſeres eigenen Vaterlandes hingelenkt. Es darf aber auch 19 f überſehen werden, daß die heimatkundlichen Urbeiten jetzt auch deshalb ſo not⸗ 9 1578 ni weil zur Zeit beinahe täglich unerſetzliche Werte für die heimatforſchung verloren gehen.

Wenn wit nun auch in dieſem Jahre die Arbeiten für die heimatkunde leider noch nicht durch Zuwendung von Geldmitteln fördern können, ſo hoffen wir doch ſie einſtweilen in anderer Weiſe unterſtützen zu können:

Es hat bisher in Thüringen wie in anderen Staaten an einer amtlichen Stelle gefehlt, welche die einzelnen Arbeiten der heimatkundlichen Dereine und der Einzelperſonen geför⸗ dert und zuſammengefaßt und für die Sa un des geſamten Materials geſorgt hätte. So iſt leider das überaus reiche und wertvolle Material an e Stoffſamm⸗ lung und Arbeit bisher nicht rigtig geordnet und geſichert, ja es iſt viel Wertvolles auch 3 gegangen (3. B. nach dem Ableben von Forſchern verſchollen oder gar vernichtet).

Zu den Aufgaben der im Rahmen unſeres Miniſteriums arbeitenden Beratungs- ſtelle für heimatſchutz und Denkmalpflege gehört es, auch die Arbeiten für die Heimat⸗ kunde ſo weit als nur möglich zu unterſtützen. Sie wird dabei in keiner Weiſe die bisherige Vereins- und Einzelarbeit beeinträchtigen oder überflüſſig machen, ſondern fie lediglich fördern, ergänzen, organiſieren.

Es find zur Durchführung der Aufgabe von ihr zunächſt die Maßnahmen getroffen, die in der Anlage angedeutet find.

Wir bitten die Kreiſe, die für die heimatkunde intereffiert find und dafür arbeiten, erſehen zu wollen, dak wir trotz der Schwierigkeiten der Zeit bemüht find, für dieſes wich⸗ tige Gebiet zu ſorgen. Wir dre das Vertrauen, daß auch fie, trotz oder gerade wegen der jetzigen Schwierigkeiten, ihre Urbeiten fortführen. Jedenfalls können ſie ſicher ee 11 jede heimatkundliche Arbeit, die auf ernſter wiſſenſchaftlicher Forſchung beruht, ſtets untere. bejondere Anerkennung und Ma finden wird. Wir würdigen ſie in der jetzigen Zeit, wo unbezahlte, aus idealen Gründen geleiſtete Arbeit ſelten geworden iſt, doppelt. gez. Leuthenſer.

Das deutſche Mufeum in münchen und die Deutiche Vorgeſchichte.

Don einem meiner Derehrer, der nicht einmal Mitglied unſerer Geſellſchaft iſt, erhielt ich am 50. Mai d. Js. einen ausführlichen Brief, worin ſich folgende ſehr dankens⸗ werte Ausführungen finden über die Wertſchätzung und Kenntnis, deren ſich die deutſche Vorgeſchichte bei den Spitzen der Wiſſenſchaft in Bayern zu erfreuen 1

4. . .. ich möchte mir erlauben, Ihnen über die beſchämenden Eindrücke zu be⸗ richten, die ich mit Bezug auf die deutſche Dorgeſchichte bei meinem Beſuch im Deutſchen 1 05 in babe.“ das doch in erſter Linie Werke deutſchen Schaffens bringen ſollte, empfangen habe.“

„Deutſche Technik kennt das Deutſche Muſeum in Germanien überhaupt nicht, ſondern nur römiſche. In der Abteilung Atuftit habe ich unter den alten Inſtrumenten die germaniſchen Luren vergeblich geſucht. Von Keramiken, Sibeln, Waffen uſw. ijt natürlich keine Spur zu finden.“ f

„Dagegen bringt der „Amtliche Sührer durch die Sammlungen“ dieſes Muſeums auf S. 290 das Bild einer germaniſchen hütte aus der Zeit des Arminius, das ich aus.

Nachrichten. 159

eſchnitten und 304 Ihrer gefl. Kenntnisnahme bier beigefügt habe. In natura habe ich ee hütte nicht ſeber können, weil ſie im 2. Oberſtock ausg erden ſoll, deſſen Sale hei meinem Beſuch noch nicht eröffnet waren und es wohl auch iht tind, {arm mit nun beim beſten Willen nicht denken, daß unſere Altvorderen ütten hergeſtellt haben follen, deren Technik weit unter derjenigen tie ſtehender afritani) er Volksſtämme

t et li (0 ar ein ſe r ſchwerer; reine Phantaſie! G. K.].

ſtellte Nothiitte von irgend einem auf der Wande⸗

indlichen Stamme ſteineswegs. G. 1]: Ich bin nun der Meinung, daß wenn unſer Dolt wirklich geſunden und Selbſtachtung ſich aneignen ſoll, es vor a lem nötig iſt, daß es Achtung bekommt vor den Leuten, von denen es abſtammt. Auf dies Ziel müßte aber erade ein Muſeum von der Bedeutung des Deutinen Muſeums in erſtet Linie hinzuwir en ſuchen. i | i

reife Deutſchlands ſollten auch dafür Jorge tragen, daß aus öffentlichen Bildungs- anſtalten jeglicher Art alles verſchwindet, was die Achtung vor unferen Doreltern herab’ „So habe ich mich ſchon in früheren Jahren ſehr darüber aufgehalten, daß 3. B. in Caſtans Panoptikum zu Berlin die „alten Deutſchen“ als alte, | litternackte, knickebeinige Männer mit dem Saufhorn in det hand dargeſtellt wurden“ uſw.

die deutſche Akademie in münchen und d

Ganz ähnlich wie das Deutſche begründete Deutſche Akademie die deutſche Dorge Sache hiet noch ſchlimmer ſteht. Das Deutſche Muſeum hat ſich durch ſeine mehr als ſchüler⸗ e Kenntnis deutſcher Vorgeſchichte in den Auge i i tiche Akademie it aber in det allgemeinen wiſſen⸗ \ e die deutſche vorgeſchichte überhaupt noch

nicht kennt, oder wenigſtens ſich den Anſchein gi borgeſchichte zu kennen. Zwar der Präſident det eutſchen Akademie ſagte in det Rede, n i pe det Deutſchen Akademie einleitete,

agen, kennten wir uns denn ſelbſt? wi en Stämme und oe Eigengtiche hervorgegangen en 5 3 der Münchener Pro eſſor der chte pfeilſchifter, unbewußt gerade ioe

der früh⸗ und vorgeſchz

wortet worden find. Denn wie man die germaniſche Hölterwanderungszeit und alſo auch

uniere Heldenſage Nach verſtehen kann, wenn man ni uch di 2 t, wie weiter alle ermaniſchen Kultur?

bedingungen un das Werkweſen jener Zeit gut kennt, U | | berü rt, vom örperbau, haus’ und Aderbau, von Tracht

ichtlicher Zeit ihre tiefen Wurzeln haben, die von der Archäologie vielfach ſchon bloßgelegt worden ſind, ſo kann auch die Entſtehung des ermaniſchen Doltstörpers in ſeinem früheſten Urſprunge, wie in ſeinen ſpäteren Schickſalen, ſeinen vielfältigen Verzweigungen nur durch die Arbeit der Dorge chichts⸗

forſchung erkannt werden.

| Sieht man ſich aber an der Hand der „Einführun in den Plan der Atademie“ die

wiſſensgebiete an, „welche die Deutſche Atademie aus ihren unmittelbaren und direkten

wozu dieſe unnütze Tautologie ?) Beziehungen zum nationalen Leben Joltes pflegen will“, jo werden dieſe „vorerſt in 4 Klaſſen zuſammenge aßt“: 1. Die Settion

für Deutſche Geſchichte; 2. Die Sektion für Deutſche Sprache, Literatur und Doltstunde (!);

\ | je Sektion für Deutſche Staats- und irt⸗

3, Die Sektion für bildende Kunit und Muſik; 4. di | | idt im mindeſten die Re

ſchafts kunde. Don Dorgeſchi te iſt nich e.

Dieſer Blindheit der Deutſchen Akademie gegenüber einer jo hervorra enden und bejonders hervorragend nationalen willenichaft, als welche die deutſche orgeſchichte 2 jeit Jahrzehnten erwieſen worden iſt, entſpricht es durchaus, wenn unter den hundert

e enatoren det Deutſchen Atademie zwar eine gro 0 ich fi ieh ur Wiſſenſchaft vom deutſchen Dolte dem

Er es“ der Berliner Ortsgruppe, die nach

Männer der wien aft vom deutſchen Volke“ betrachten. Aud) ieht m präſidenten, hohe Reichs: und Staatsbeamte, Dertreter det Wiſſenſchaft hältnismäßig wenige wirkliche Erforſcher deutſch

160 Nachrichten.

Gegenwart und Vergangenheit. Selbſtverſtändlich bleiben auch hier die Vorgeſchichts⸗ forſcher gänzlich ausgeſchloſſen.

Es herrſcht eben überall, namentlich auch in hohen Gelehrtenkörpern, eine derartige Rückſtändigkeit und eine derartige Unbildung in bezug auf Sinjhähung des Werts und der Leiſtungen der Vorgeſchichtsforſchung, daß folches, weniger für die Vorgeſchichtsforſcher als für jene en Rörperſchaften, geradezu tief beihämend genannt werden muß. Ich weiß nicht, ob von den Münchener Drähifforitern gegen die unerhörte Jurückſetzung der VDorgeſchichte durch das Deutſche Muſeum und die Deutſche Afademie in München Einspruch erhoben worden iſt. Ich habe aber bei der durchaus römiſch und mittelmeeriſch eingeſtellten Richtung der „führenden“ Münchener Vorgeſchichtsforſcher nicht das geringſte Zutrauen, daß von dieſen Kollegen irgend welche Schritte gegen die unwürdige Behandlung unſerer Wiſſenſchaft getan worden ſind oder vorbereitet werden.

o muß denn von Berlin aus flammender Proteſt gegen das Deutſche Muſeum wie gegen die Deutſche Afademie erhoben werden.

Berlin im Juni 1925. 6. Koflinna.

I. Mannus, zeitſchrift für vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel 1.

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Dorne abgetrennte Stüde,

In den hübeln““

inbruch aus det ſpäten Hallſtattzeit. Diſtr.

Ste

hirter, Zur Stage der Steinſpaltung in vorgeſchichtlicher Zeit. verlag von Curt Uabitzſch, Ceipzig.

Re a ae DE ee ee en

Mannus, Jeitſchrift für Dorgeihichte. Bd. 17. Tafel II.

Ulm. ge . Eislingen. . Eislingen. Lengenfeld. Frankreich.

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. 5. Etwa ½.

©. Ridter und m. Jahn, Eine neue heltiſche Schwertform aus Süddeutſchland. verlag von Curt Kabitich, Leipzig.

Abhandlungen und Mitteilungen.

Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz und Weißenthurm.

Don Muſeumsdirektor A. Günther, Koblenz. Mit 17 Textabbildungen.

Über die zwiſchen Urmitz und Weißenthurm am Rhein gelegene Erd⸗ feſtung der jüngeren Steinzeit, der Michelsberger oder Pfahlbaukultur, ſind zwar ſchon mehrfach und an den verſchiedenſten Stellen Veröffentlichungen erfolgt, aber gerade die Zerſplitterung der Berichte und Beſchreibungen mag eine zuſammenfaſſende Neuveröffentlichung rechtfertigen. Um fo mehr, wenn darin die bisher mehr oder minder vernachläſſigten Kleinfunde, ſowie neue ergänzende Beobachtungen und Feſtſtellungen berückſichtigt werden.

Die Feſtungsanlagen ſelbſt hat ihr Entdecker, Tonſtantin Koenen, der in den Jahren 1898 und 1899 im Auftrage des Bonner Provinzialmuſeums umfaſſende und den ganzen Verlauf der Befeſtigung feſtſtellende Aufdedungen und Nachgrabungen anſtellte, in den Bonner Jahrbüchern, Heft 104, be⸗ ſchrieben. Allerdings völlig unter dem bei den Ausgrabungsarbeiten ihn leitenden Gedanken, hier die magnae munitiones Caesars bei ſeinem zweiten Rheinübergang vor ſich zu haben, der noch durch die Aufdedung von zwei ſpäteren, dem Agrippa und dem Druſus zugeſchriebenen, die ſteinzeitliche Feſtung auf ihrer öſtlichen Ecke überſchneidenden römiſchen Erdkaſtellen verſtärkt wurde. Ganz in dieſem Sinne lieferte Geheimrat Nießen in dem- ſelben Hefte der Bonner Jahrbücher die geſchichtliche Schilderung. Aber bereits während der Drucklegung waren Roenen durch die Auffindung vorrömiſcher Kulturreite, wie hüttenlehm, Früh-LCatènegefäße, Petſchaft⸗ armringe, eines ſog. Kornquetichers uſw. in dem Süllgrund der großen Gräben ſelbſt ſchon einige Bedenken gegen feine Zeitbeſtimmung aufgeſtiegen, die er aber durch die Annahme zu beſchwichtigen ſuchte, daß die Römer ſich vorerſt der gefundenen einheimiſchen Ware bedient hätten und erſt nach der Okku⸗ pation Galliens durch Auguſtus die Drehſcheibe erſchienen und alle Gefäße in römiſcher Weiſe hartgebrannt worden ſeien. Übrigens hätte ſich zu dieſer Zeit und angeſichts der militärtechniſch vollendeten Anlagen kaum ein Sach- mann gefunden, der ein ſolches Werk im Rheinland einer vorrömiſchen Periode zugeſchrieben hätte. Als aber der Süllgrund der Gräben weiterhin auch bronze⸗ und hallſtattzeitliche Wohngruben und Brandgräber aufwies, als lelbjt ein Sfelettgrab mit einem Becher der Michelsberger Keramik gefunden und eine größere Anzahl von Gräbern und Wohngruben auf dem Gebiet der Seſtungsanlage durch das Bonner Provinzialmuſeum aufgedeckt und ihr Inhalt erworben wurde, aus dem ein recht erheblicher Teil der jüngeren Steinzeit

man nus, 3eitfchrift für Vorgeſch., Bd. 17. H. 3. 11

162 A. Günther [2

und den älteren und jüngeren Stufen der Bronzezeit zuzuweiſen war 4), und Direktor Lehner ſchließlich ſelbſt zwei Tulpenbecher (im Bericht „Glocken⸗ becher“ genannt) mit zwei Feuerſteinmeſſern erheben konnte, war es Lehner, der auf die Analogie der Sohlgräben mit denen der neolithiſchen Anjiedlung auf dem Michelsberg bei Untergrombach in Baden hinwies und keinen Anjtand nahm, auch die weiteren Anlagen der Palliſadenwand, Holztürme uſw. einer Rulturſtufe zuzuteilen, „die anderwärts ganze Dörfer auf Pfählen in die Seen hineingebaut hat“. Dieſe Auffafjung ijt dann auch im Laufe der Zeit durch die weiteren Funde und Beobachtungen vollauf beſtätigt worden. Allerdings find in dem Gebiet der Feſtung auch Gefäße, Scherben uſw. der Röſſener, der Spiralmäander (Playdter Typ), der Schnur- und der Zonen: bandkeramik gefunden worden, aber die Befeſtigungsanlagen ſelbſt müſſen doch nach den weiter unten noch anzuführenden Fundumſtänden einer Be⸗ völkerung der ſteinzeitlichen Pfahlbaukultur zugewieſen werden. Dazu kommt dann noch als eine beſtimmte Beſtätigung die ſeit dem Jahre 1908 erfolgte Freilegung einer durch ihre ganzen Sundjtiide ſicherlich der Pfahlbau⸗ kultur zuzuweiſenden, in ihren Details, der Urmitz⸗Weißenthurmer ähnlichen Erdfeſtung bei Mayen durch das Bonner Provinzialmuſeum und den Mayener Geſchichts- und Altertumsverein.

Die Aufdeckung der Urmitz⸗Weißenthurmer Befeſtigungsanlagen durch das Provinzialmuſeum Bonn wurde veranlaßt durch die umfangreiche Aus- beutung der zur Steinfabrikation benötigten Bimsſandmaſſen in dieſem Teile des Neuwieder Beckens, bei welcher Gelegenheit Koenen auf einem ſeiner häufigen Beſuche der dortigen Gegend die in dem weißen Bimskieſel durch ihr dunkles Füllenmaterial deutlich ſich abhebenden Grabenprofile feſtſtellte und das Provinzialmuſeum zu einer ſuſtematiſchen Nachgrabung zu bewegen wußte. Dieſe Unterſuchungen hat dann der 1900 zum Direktor des Provinzial⸗ mujeums ernannte Profeſſor Dr. Lehner mit Erfolg fortgeſetzt und zu einer endgültigen Feſtſtellung der Entſtehungszeit und der Kulturzugehörig- keit geführt. Bei den beſchränkten Mitteln und Hilfskräften des Provinzial: muſeums war es nun leider doch nicht möglich, eine dauernde und durch⸗ greifende Beobachtung und Sicherung aller Fundumſtände und Gegenſtände durchzuführen und gar vieles iſt durch die zahlreich die Gegend durchſtreifenden Altertumshändler verſchleppt oder durch die Nachläſſigkeit der Arbeiter und den Mangel an Intereſſe ſeitens der Fabrik- bzw. Grundſtückbeſitzer unbe⸗ achtet auf immer zerſtört worden. Erſt von 1910 ab habe auch ich mich an der Beobachtung der Anlage und der Bergung von Fundſtücken beteiligt, nachdem ich meine bis dahin private Sammeltätigkeit vorher einzig und allein auf das Gebiet der Stadt Coblenz beſchränkt hatte. Aber meine dienſtlich ſehr beſchränkte Zeit und die Konkurrenz der Altertums händler, wie auch die Eigenſucht einiger Grubenbeſitzer, ließen auch mir nicht die erforderliche Gelegenheit zu eingehenderen Forſchungen und umfaſſenderen Erwerbungen, die ich jetzt für das Coblenzer Muſeum verſuchte. Wenig förderlich waren auch dem Bekanntwerden von Fundſtücken und Fundumſtänden verſchiedene Erlaſſe der landrätlichen Behörde, die zwar einſeitig zugunſten des Pro- vinzialmuſeums die Anmeldung und Ablieferung der Fundſtücke anordneten, dabei aber meiſtens nur die Unterlaſſung der Anzeige und die Verhehlung und Derfdleppung der Fundgegenſtände erreichten. Ebenſowenig Abhilfe konnte bisher das Ausgrabungsgejeß bringen. Überhaupt wird in allen dieſen

1) Lehner, klusgrabungs- und Fund berichte Bonn. Jahrb. 105, S. 170.

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164 A. Günther [4

Fällen Abhilfe nur zu erreichen fein durch einträchtiges Zufammenarbeiten der Provinzialmuſeen mit den Ortsmuſeen und Vereinen bei entſprechender Unterſtützung durch die Behörden, wie auch der für die heimatliche Geſchichts⸗ forſchung, beſonders die deutſche Vorgeſchichte, beſſer zu intereſſierenden Lehrer und Privatperſonen, ſowie der Grundjtiids- und Betriebsbeſitzer, Bauunternehmer und nicht zum wenigſten auch der Urbeiter. Und gerade die Urbeiterſchaft beſitzt nicht nur ein ſehr gutes Gefühl und feines Empfinden für die Ausfindigmahung und Aufdedung von Altertümern und natur⸗ wiſſenſchaftlichen Gegenſtänden, als auch öfter mehr Intereſſe und Verſtändnis für Geſchichte und Heimatkunde als mancher Gebildetſeinwollende.

Unſere Sejtungsanlage liegt faſt genau in der Mitte des ſogen. Neu⸗ wieder Beckens, jener einzigen größeren Ebene inmitten des von Seljen be- engten Rheinlaufes zwiſchen Bingen und Bonn, unmittelbar und dicht am Rhein, auf dem linken Stromufer. Ahnlich wie die Anlagen auf dem Michels⸗ berg und bei Mayen bildet fie ein unregelmäßiges Oval, deſſen Nordjeite aber vom Rheinſtrome abgeſchnitten ijt. Das etwa 12 m über Mittelwaſſer gelegene Gelände fällt (oder fiel bis zur Abtragung des an das Ufer gren⸗ zenden Grundſtücksſtreifens für die Bimsſandgewinnung) mit einem Steil⸗ ufer gegen den Strom ab, ſo daß hier zur Abwehrung feindlicher Ungriffe ein Abichluß oder Schutz völlig überflüſſig war. Im Gegenteil, auf der gegen Feinde leicht zu verteidigenden Stromſeite konnte man auch noch Derſtärkungen von den jenſeits des Fluſſes vorhandenen Stammesgenoſſen herbeiführen, oder ſich den Weg der Flucht zu dieſen offen halten. Denn der Rhein bildete beſonders im Neuwieder Becken zu allen Zeiten durchaus keine Dölfer- oder Stammesgrenze, ſondern eher eine Dölferbrüde. Daher ſehen wir gerade hier ſchon ſeit dem Paläolithikum (Metternich, Kärlich, Undernach links⸗ rheiniſch Steedener Höhle, Wildweiberlei uſw. rechtsrheiniſch) auf beiden Rheinſeiten die gleichen Kulturen, ſowohl in der älteren und der jüngeren Steinzeit, wie auch in allen folgenden vorgeſchichtlichen und geſchichtlichen Perioden bis zur Gegenwart ). Und beſonders ſind, nach den von mir bei Sanitätsrat Dr. Braun in Bendorf eingeſehenen Scherben ), es die Kulturen der Röſſener und der Michelsberger (Pfahlbau) Zeit, die auch das rechte Rheinufer von Mülhofen und Bendorf, gegenüber der großen Erdfeſtung bedeckten. Am Rhein entlang auf einer Sehnenlänge von etwa 1275 m, nach der ſüdlichen Grenze hin von etwa 1100 m, und bei Tiefen von 650 bzw. 840 m ſich erſtreckend, nahm die Seſtungsanlage eine Slade von rund 100 ha ein. (Sie iſt damit genau ſo groß, wie das alte Roblenz innerhalb feiner preußiſchen Umwallung 1818—1890.) (Abb. 1). Das ganze Gelände liegt fait vollſtändig eben auf 68,75 70,00 m über N. N. und ijt durchaus hochwaſſerfrei. Zwei mächtige Doppelgräben, hinter denen fic) noch eine Paliſadenwand erhob, umſchloſſen auf den Landſeiten das geſchützte Gebiet. Die Gräben hatten etwa 4—5 m Breite an der Sohle und 8—10 m Breite an der heutigen Geländeoberfläche. Die Tiefe betrug rund 2,5—3 m, wovon etwa 1,5 m in den Bimsſand eingeſchnitten noch ſichtbar find, während der Reit im jetzigen Aderboden verſchwunden iſt. Der Abitand der beiden Gräben voneinander beträgt zwiſchen 7 und 20 m, durchſchnittlich aber etwa 9—11 m, auf ihm erhob ſich der aus den ausgehobenen Bodenmaſſen gebildete Wall⸗ aufwurf. In durchweg etwa 7 m Abjtand von dem inneren Soblgraben

1) Günther, Zur Entſtehungs und e des Neuwieder Beckens. „Mannus“, Zeitſchr. f. Vorgeſchichte. Jahrg. II u. III. 2) Jetzt im Koblenzer Muſeum.

5] Die große Erdfeftung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 165

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Abb. 2.

166 A. Günther [6

war eine, jetzt durch ein ſchmales etwa 60—70 cm breites und etwa 0,70 bis Um tief in die Bimskieſel eingeſchnittenes Gräbchen erkenntliche Paliſaden⸗ wand errichtet. (Abb. 2, Sig. 1.) In ſeiner Abhandlung „Der Feſtungsbau der jüngeren Steinzeit” ) ſchildert Lehner eingehend die Details dieſer Anlagen, wie auch der dieſe durchſchneidenden Durchgänge und Tore. Bier: nach find zunächſt die Übergänge des inneren Sohlgrabens bedeutend zahl⸗ reicher als die des äußeren, und den äußeren 5—7 m breiten Durchgängen entſprechen im Innern ſchmale 1,20—1,50 m breite Durchläſſe in der Pali⸗ ſadenwand. Sind die einzelnen Abjdnitte des inneren Grabens von etwa 20 m ab 2) ſehr verſchieden lang und kommen auf je zwei äußere Durchgänge oft vier bis fünf Unterbrechungen des inneren Grabens, ſo bewegen ſich die Abjtande der äußeren Durchgänge zwiſchen 70 und 130 m, fo daß durch⸗ ſchnittlich auf je 100 laufende Meter der Umwehrung ein Tor angenommen werden kann, was etwa 20 oder 21 Tore ergeben würde. So ſind dann wiederum die Übergänge des inneren Sohlgrabens nur ſchmale Brücken bzw. Walleinſchnitte, während die Durchgänge der Tore vom äußeren Graben bis vor die Palliſadenwand in großer Breite durchgehen, die aber im Wall durch die Grabenböſchungen bis auf etwa 5 m Breite eingeſchränkt und dann noch durch „Turmſchanzen“ oder wie Lehner bei Mayen feſtſtellte, richtiger durch vorkommenden Falles angebrachte Derrammelungen eingeengt wurden. Dieſe Durchgangsſperren hatten bei Urmitz⸗Weißenthurm hufeiſenförmige Geſtalt von etwa 3—4 m lichter Weite und 4—4,5 m Länge (Abb. 2, Sig. 2 und 3). Daß dieſe Torſperren auch gelegentlich verändert wurden, mag Abb. 2 Sig. 2 zeigen, die eine derartige Sperre nach Lehner und Roenen wiedergibt. Nach einer an anderer Stelle, in der Nähe des „Guten Mannes“ aufgenommenen Skizze, iſt jene anſcheinend komplizierte Anlage wohl als eine zweimalige Herſtellung der Sperre anzuſehen, bei der die ſonderbaren ſeitlichen luswüchſe uſw. nur als bei der Herjtellung oder der Wiederbeſeiti⸗ gung entſtandene Löcher anzuſehen fein dürften. Auf eine normale Der- rammelung läßt dagegen meine Aufnahme (Abb. 2, Sig. 3) ſchließen, die ganz, wie Lehner angibt, zwei Parallelwände in der durch ſie verengten Durchgangsöffnung zeigt, die leicht durch eine Querwand oder ſelbſt durch einzelne Pfoſten weiter abgeſchloſſen werden konnte, vielleicht auch gar eine Art Blockhaus bildeten. Jedenfalls waren dieſe Durchgangsſperren dem Angreifer ein höchſt un willkommenes und unerwartetes Hindernis. Eine andere Art der äußeren Durchgangsſperre ſchildert Lehner auf S. 13 („Ieſtungsbau pp.“). Hier ijt ausnahmsweiſe der Durchgang durch den Außengraben mittels eines unregelmäßigen Suſtems von Pfoſten, die ſich in Dreiecksanordnung nach dem Wall und dem inneren Durchgang hinziehen, geſperrt. (Abb. 1). Die zahlreichen Überbrüdungen des inneren Grabens bzw. der Walldurchläſſe und Aufgänge aber ermöglichten und erleichterten dem Verteidiger ſowohl den Zugang zur vorderen Kampflinie und den Rückzug nach den Palijadentoren, als fie den Angreifer in ſchmale Engpäſſe und an Stellen führte, er wo leicht mit Wurfgeſchoſſen, Steinen und dgl. überſchüttet werden konnte.

Im Innern der Feſtung konnten wohl eine ganze Anzahl Wohn⸗ oder herögruben mit Inhalt aus der Pfahlbauzeit, leider aber noch keine hütten⸗

1) Prähiſt. Jeitſchr. II. Jahrg.

2) Wohl ausnahmsweiſe oder vielleicht oe die Toranlage bedingt, fand ich an einem nn agen in der Nähe der Kapelle „Am guten Mann“ ein nur ca. 10 m langes Grabenſtück.

7] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 167

grundriſſe feſtgeſtellt werden. Das kommt nun vor allem daher, daß der mit Bims- und Tuffſanden vermiſchte Boden der tiefgründigen Aderfrume überaus beweglich, leicht zu bearbeiten und durchläſſig für Luft und Waſſer ijt. Zwiſchen 0,70 und 1,40 m Höhe überdeckt der Aderboden die ungeſtörten Bimskieſelſchichten. Innerhalb dieſer Hckerbodenſchicht ijt aber jede Möglich⸗ keit der Feſtſtellung von Pfoſtenlöchern oder gar Reiten von Holzpfoſten vollſtändig ausgeſchloſſen, da der leichte, durchläſſige Boden alle organiſchen Stoffe gänzlich zerſtört und die tiefgründige Bearbeitung des die verſchiedenen Jahrtauſende hindurch beſiedelten und intenjiv landwirtſchaftlich bebauten, fruchtbaren Aderlandes keine Graben- und Pfoſtenlöcher mehr erkennen läßt. Dasſelbe trifft auch bezüglich der Nebengebäude, Stallungen uſw. zu. So ſehen wir denn nur mehr die tiefergehenden herd⸗ und Abfallgruben (Abb. 3) in den Bimsſand einſchneiden und die Überreſte von Küchenabfällen, Geräten und Gefäßen uns überliefern. Die in einzelnen herdgruben mit ſteinzeitlichem Inventar aufgefundenen gebrannten Cehmpagen mit Reiſerabdrücken mögen allerdings auf eckigehüttenbauten mit Wänden |

aus Pfoſtenwerk und ausgeſtakten oder ge- wellerten, d. h. mit Keiſerflechtwerk und Cehmputz verſehenen Fachwerk ſchließen laſſen. Darunter find auch manche dieſer Herögruben nicht nur in der jüngeren Steinzeit, ſondern ſelbſt noch in der älteren Hallſtattzeit benutzt worden, wie die in ſolchen enthaltenen ver⸗ ſchiedenen Rulturſchichten ausweiſen. Das allmähliche Derfüllen einer Erd- oder Hbfall⸗ grube zeigt die bereits erwähnte Abb. 3. 65 em unter der heutigen Bodenoberfläche machte ſich der Querſchnitt einer ſolchen Grube in der freigelegten Bodenabtragswand bemerkbar. Bei 1,20 m Tiefe hatte ſie in der Sohle 1,55 m Breite. Die Ausfüllung zeigte hier drei bis zu 17 cm ſtarke Schichten ein⸗ Abb. 3. geſchwemmten Bimsſandes, ebenſo auch’eine

kleine grubenförmige Ausfüllung an der Oberfläche. Zwiſchendurch lagen Bodenſchichten, leider in dieſem Falle aber keine Rulturreſte, die die ver⸗ ſchiedenen Zeiten der Benutzung bzw. der Auffüllung hätten verraten können. In der auflagernden, hier nur 65 cm hohen klckerbodenſchicht war keine Spur der Fort ſetzung der Grube oder von dem hüttenbau bzw. von Pfoſtenlöchern mehr wahrzunehmen.

Huch die Sohlgräben werden noch lange nach der Aufgabe der ſtein⸗ zeitlichen Befeſtigungsanlage wenigſtens teilweiſe offengeſtanden haben, woher ſich auch die in ihrem Füllgrunde vorkommenden bronzezeitlichen und ſpäteren Gefäß⸗ bzw. Scherben- und Skelettfunde erklären laſſen. Selbſt daß die Andernacher Straße (die Provinzialſtraße Köln-Koblenz) auf der Südſeite der Sejtung einen durch keinerlei Terrainſchwierigkeiten oder ſonſtige e begründeten Bogen ſchlägt, mag auf das Beſtehen eines Weges an dieſer Stelle ſchon zur Zeit des Beſtandes der Erdfeſtung oder wenigſtens zu einer Zeit, wo die Gräben noch teilweiſe offen ſtanden, zurückzuführen ſein. merkwürdigerweiſe waren auch zahlreiche Herd- und Abfallgruben in den Sohlgräben, beſonders in dem inneren, angelegt und nicht nur in den Boden trichterförmig eingetieft, ſondern auch ſeitlich in die Böſchungen nach der

168 A. Günther [8

Angriffsjeite hin eingeſchnitten, jo daß ein Vergleich mit den modernen Unterſtänden, wie überhaupt der ganzen Anlage mit den Schützengräben des Weltkrieges, nicht unangebracht erſcheint. Unter den Küchenabfällen der Herdgruben in den Sohlgräben fand ich auch mehrmals menſchliche Sfelett- reſte in einzelnen Teilen, fo das Kinnladenſtück einer noch nicht 24 Jahre alten perſon (der Weisheitszahn ijt nämlich noch nicht zum Durchbruch gelangt und ſteckt noch im Innern des Kiefers), ein Stück Schädeldecke und ein Stück vom Humerus. Aud) bei den Grabungen des Provinzialmuſeums wurden mehrfach Sfelettrejte in den Gräben angetroffen ), die eigentliche Begräbnisſtätte der Siedlung oder des Stammes iſt aber noch nicht aufge⸗ funden und es iſt wohl kaum anzunehmen, daß die bisher erwähnten Funde von Skelettreſten uſw. normalen Beſtattungen entſprechen. Ebenſowenig wie die noch im Januar 1923 in einem 25 m langen Übſchnitt des inneren Sohl⸗ grabens auf der Weſtſeite der Sejtung angetroffenen Skelettreſte von 3 Per⸗ ſonen. Dieſe lagen hier in den Ecken und in der Mitte des Grabens, ſtellen⸗ weiſe unter Beimiſchung von Tierknochen auf der Sohle, nicht in dieſer eingebettet. Unmittelbar bei den Skelettreſten fehlten die Beigaben, doch wurden in ihrer Nähe und etwa 1 m höher im Füllgrund des Grabens die beiden Tulpenbecher und der kugel⸗ förmige Topf mit hohem Hals (Abb. 8, Fig. 2 u. 6 und Abb. 9, Fig. 1) ge⸗ funden. Die Skelettreſte ſelbſt waren in dem durchläſſigen Boden derart ver: en 30 ene b daß ich nur "Hite Abb. 4. Gefäßſcherben (Sig. 1u.2) und eine Anzahl Zähne bergen konnte. Hier Seuerfieintiines (Sig, Soe Spitamä⸗ mag wohl der Gedanke naheliegen, daß ander-Keramit aus dem Innern der dieſe Leute vielleicht bei der Eroberung Steinzeitfeſtung. Muſeum Koblenz. der Feſtung gefallen und an Ort und Stelle verſcharrt worden find. In den Herd⸗ und Abfallgruben im Innern der Sejtung ſind dagegen meines Wiſſens noch keine Sfelettrejte gefunden worden.

Im übrigen waren die Gräben mit ihren Herd- und Abfallgruben auch für die Klein- und Einzelfunde recht ergiebig, beſonders für die Tierknochen⸗ reſte, unter denen bos taurus (Hausrind) bei weitem vorherrſchend war. Sonſt konnte ich hier nur noch Schwein, Hirſch und Reh feſtſtellen. Dagegen fand ich aber dreimal und auf verſchiedenen Stellen in herd- und Abfall- gruben im Innern der Feſtung unter Kulturrejten der Pfahlbauzeit je einen Pferdezahn.

Wie oben ſchon erwähnt, fanden ſich im Gebiet der Seftung nicht nur die Kulturrejte der Michelsberger Pfahlbauzeit, ſondern auch von anderen ſteinzeitlichen Perioden. So hat das Bonner Provinzialmuſeum unter ſeinen JFundſtücken auch einfache Gefäße der Röſſener Kultur, während das Kölner Prähiſtoriſche Muſeum von hier ein Röſſener Gefäß mit Dreiedverzierung in Troddelendigungen und einen ſchlanken Jonenbecher mit einfachen ſchrägen Strichverzierungen beſitzt. Ich ſelbſt erhob aus Abfallgruben inmitten der Seſtungsanlage zwei Scherben von zierlichen Gefäßen des Plaidter Types der Spiralmäanderperiode nebſt roh zugeſchlagenen Jeuerſteinſtücken (Abb. 4, Sig. 1—3) und erhielt weiter einen kleinen Becher der Schnurkeramik (Abb. 5,

1) Lehner a. a. O. in den Bonner Jahrb.

9] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißentburm 169

Sig. 7) und eine Urne (Abb. 5, Sig. 5) und einen Becher der Zonenband- feramik (Abb. 5, Sig. 2). Befondere Beachtung verdient auch ein außerhalb

Zonenbandkeramik.

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Abb. 5. Tongefäße der Zonenband- und der Schnurkeramik aus dem Gebiet der Stein— zeitfeſtung.

in nur 1 m Abſtand von dem äußeren Sohlgraben auf der Nord weſtſeite angetroffenes aus 5 großen Schieferbruchſteinplatten von je 90— 10,5 em Länge und 40—50 em Breite hergeitelltes Kajtengrab von ca. 1 m Länge und 80 cm

170 A. Günther [10

Weite (Abb. 6), das außer einem von den Arbeitern zerſtörten und in den Schutt verbrachten Schädel und geringen Knochenreſten eine ſchöne braun rote Urne der Sonenbandferamif (Abb. 5, Sig. 1) enthielt ). Im Januar vor. Irs. endlich wurde als Einzelfund im äußeren Sohlgraben auf der Südoſtſeite der Feſtung ein prächtiges 19,5 em langes, 7 em breites und bis 5,5 em ſtarkes Feuerſteinbeil der Jonenbandkultur von jener feinbearbeiteten und geſchliffenen platten und ſpitznackigen Form (Abb. 7) gefunden.

Das Provinzialmuſeum Bonn beſitzt aus dem Bereich der Sejtung die auf Abb. 5, Fig. 4-6 und 8—9 dargeſtellten Gefäße der Schnur- und Jonenbandkeramik.

Beſtimmend für die Wahl der Siedelungen der aderbautreibenden Völker der vorgeſchichtlichen Zeiten, beſonders der metalloſen Zeit, war neben der Fruchtbarkeit auch die leichte Bearbeitung des Bodens. Rodungen wurden von vornherein möglichſt vermieden. Letzteres konnte um ſo leichter fallen, als in vorrömiſcher Zeit die Waldbejtände noch geringer waren als heute und die römiſchen Berichte von den Urwäldern Germaniens für die Rheinlande zum wenigſten ſtark übertrieben ſind. Das beweiſen doch wohl vor allem die überall in den heutigen Wäldern und auf heiden anzutreffenden zahlreichen Flach- und Hügelgräber und umfangreichen Siedelungsreſte. Derartige Anlagen wurden jedenfalls nicht in beſtehenden Wäldern her— geſtellt und dann darf nicht vergeſſen werden, daß zu den Siedelungen auch das nötige Acker— und Weideland vorhanden ſein mußte, das unter Waldbeſtänden nicht zu ſuchen ijt. Und wie Abb. 6. Plattengrab der Zonen— häufig treffen wir in unſeren Wäldern große, bandkeramik vor dem weſtlichen möglichſt ebengelegte Bodenflächen an, die jeder

Sohlgraben. Sorjtmann auf das beſtimmteſte als ehemalige Aderraine bezeichnet. Dieſe Spuren ehemaliger

Siedelungen und Aderlandes in heutigen Waldgebieten reichen ſogar bis ins ſpäte Mittelalter und an die Neuzeit heran und zeigen uns nicht nur, wie der Wald ſich noch bis zur Neuzeit ausgebreitet hat, ſondern auch, wie eine vernünftige Forſtwirtſchaft der beiden letzten Jahrhunderte Odlandereien und kahle Heideflächen planmäßig aufgeholzt hat. Sür den geringen Wald— beſtand der jüngeren Steinzeit wird aber auch das nach der Eiszeit noch lange vorherrſchende kontinentale Klima in Betracht zu ziehen ſein, das ſich für die Rheinlande erſt allmählich zu einem maritimen ausgebildet hat. Wir werden für die Siedelungen der jüngeren Steinzeit zumeiſt Gegenden mit ziemlich baumarmer Steppenheide annehmen dürfen, wie ſie ſich auf den ſonnigen löß- und ſandbedeckten Rändern und hängen der oberrheiniſchen Tiefebene, im Rheingau, in der Wetterau, im unteren Nahetal ujw. finden 2). Auf der ganzen von Felſen eingeengten Strecke des ſogen. Mittelrheines von Bingen bis Bonn kommen dagegen nur einzelne kleine muſchelförmige Talebenen, wie bei Bacharach, Oberweſel, Boppard, Braubach, Rhens, Lahnitein, Sinzig,

1) Dal. „Mannus“, III. Jahrg. Günther, 2 Becher der Jonenbandkeramik aus

2) Dal. auch Wahle, „Die Beſiedelung Südweſtdeutſchlands in vorrömiſcher Zeit mah ien Grundlagen“ im XII. Bericht der Römiſch-Sermaniſchen Rom— miſſion a

Urmitz

11] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 171

Linz, honnef uſw. in Frage, die mit ihren lößbedeckten ſonnigen höhen zur Siedelung einluden. Und wenn auch Waſſerpfahlbauten für die ganze Strecke des Rheintales von Bingen bis Andernach angenommen werden dürfen, fo gab es für ein gleichzeitig auch für größere Siedelungen und für alle Zwecke des Aderbaues und der Viehzucht dienendes Gelände kein beſſer geeignetes Gebiet als die große zu beiden Seiten des Rheines in einer Länge von etwa 18. km und in Breiten von linksrheiniſch etwa 3 km, rechtsrheiniſch bis zu 7 km ſich ausdehnende Ebene mit ihren ſonnigen Hügelrändern, denen ſich auf der linken Stromfeite auch noch das fruchtbare Plateau des Maifeldes zwiſchen Moſel und Nette anſchließt. Gerade hier kamen die Lage und Boden⸗ verhältniſſe den verſchiedenſten Lebens⸗ und Siedelungsbedingungen in reichſtem Maße entgegen. Inmitten der Ebene der breite und doch ziemlich flache Rheinſtrom mit verſchiedenen größeren Inſeln, der zu Waſſerpfahl⸗ bauten und Fiſchfang einlud, in der Eebne auf der tiefgründig verwitterten lockeren Bimsſanddecke weite Steppenflächen, die faſt mühelos zum Aderbau hergerichtet werden konnten, auf den hügelrändern frucht⸗ bare Cöß⸗ und Bimsſand⸗ böden und endlich die frucht⸗ bare Cößlandſchaft des Mai⸗ feldes. Dazu dann noch außer Rhein, Moſel und Nette eine ganze Anzahl waſſerreicher Bäche, die nach allen Richtungen hin das Gelände zerſchneiden und die Waſſerbedürfniſſe der Siedelungen reichlich befriedigen konnten. Und |

fo ſehen wir hier die ver: Abb. 7. Geſchliffenes Seuerſteinbeil ſchiedenſten Kulturen der (etwa / nat. Größe).

jüngeren Steinzeit, wie auch

alle ſpäteren Kulturperioden neben und nacheinander auftreten. Hier kreuzen ſich feit der fernſten Urzeit Tagen die wichtigſten Verkehrsſtraßen aus allen himmelsrichtungen, die Handel und Kultur auf beiden Seiten des Stromes verbreiten und die verſchiedenen Völker von Süd und Nord miteinander verbinden. Hier iſt geradezu ein Brennpunkt und ein Kulturzentrum im 5 aller Zeiten, von der diluvialen Urzeit an bis zur Neuzeit ge⸗ weſen ).

Hier treffen die vom Ober- und Mittelrhein mit feinen Nebentälern kommenden Kulturen der jüngeren Steinzeit zuſammen, teilen das ihren zwecken entſprechende Siedelungsgelände auf und entſenden Ausläufer nach dem Niederrhein und Belgien. Hier begegnen ſich auch die Kulturen der ausgehenden Steinzeit, die Völker der mitteldeutſchen Schnur⸗ und der ſüdweſteuropäiſchen Jonenbandkeramik, ebenſo wie die Kulturen aller ſpä⸗ teren Zeitperioden in faſt ununterbrochener Siedelungsfolge bis in die Mero⸗ winger Zeit. Eine gewiſſe Siedelungslücke ſcheint nur in der frühen Bronze⸗ zeit beſtanden zu haben, beginnt aber doch durch, wenn auch vorläufig nur vereinzelte Sunde ſich allmählich zu ſchließen und mag vielleicht auch auf einer

1) Dgl. Nieſſen, Bonn. Jahrb., Heft 104 und A. Günther im „Mannus“ II u. III, a. a. O.

172 A. Günther [12

länger andauernden Steinzeitkultur beruhen. Aus dem letzteren Grunde könnte möglicherweiſe die Überlagerung einzelner nur in ihren unterſten Schichten mit ſteinzeitlichem Inventar ausgefüllten Herd- und Abfallgruben mit jungbronze⸗ und hallſtattzeitlichen Scherben und Abfallreſten wie auch die oben erwähnte Umgehung der Erdfeſtung durch die heutige Candftrake ſich erklären laſſen. Zur Zeit der Errichtung unſerer Feſtung muß nun ein großer Stamm der Pfahlbauleute ſich in der Ebene niedergelaſſen haben, dem wir nicht nur die Erbauung der Feſtung und vereinzelte Siedelungen zu beiden Seiten des Stromes und auf den höhen, ſondern vor allem auch die Errichtung der gleichalterigen und in ihren techniſchen Details und Sund- ſtücken unſerer Anlage entſprechenden Erdfeſtung bei Mayen, ſowie Siede⸗ lungen bei Kottenheim und Gehring zu verdanken haben. Wie ſchon oben erwähnt, finden ſich im Urmitz⸗Weißenthurmer Erdwerk auch Gefäße und Scherben der Röſſen-Nierſteiner und der Spiralmäander⸗ (Plaidter Tup)⸗ Keramik, doch ijt eine geſchloſſene Siedelung der erſteren in einzelnen Koch⸗ gruben, Gefäß: und Scherbenfunden bisher nur am Jägerhaus bei Mülheim etwa 2,5 km ſüdöſtlich der Feſtung feſtgeſtellt worden !), während kleinere Scherbenfunde auch auf der rechten Rheinſeite bei Bendorf gemacht wurden. Bedeutender iſt dagegen die Verbreitung der Bandkeramik, von der eine durch feine Gefäßarbeit und zierliche Verzierung ſich beſonders auszeichnende Unterabteilung nach dem Fundort eines umwehrten Herrenhofes bei Plaidt ) die Bezeichnung Plaidter Typ erhalten hat und ſich über das ganze Maifeld von der Nette bis zur Moſel ausbreitet. Den Beſtand der Michelsberger Kultur und Feſtung haben dieſe beiden Kulturen nicht geſchädigt, vielmehr eher fördernd auf erſtere durch Zuführung neuer Elemente gewirkt. Ob nun unſere Pfahlbaubevölkerung auch im Strom und an den Inſeln Waſſer⸗ pfahlbauten errichtet hat, wird ſich, nachdem die Rheinufer und die Strom: rinne im Laufe der Jahrtauſende, beſonders aber im letzten Jahrhundert, durch die Stromregulierungen und Waſſerbauten die verſchiedenſten und mitunter tiefeingreifenden Veränderungen erlitten haben, heute nicht mehr feſtſtellen laſſen. Glaubt doch Waſſerbauinſpektor Iſphording ?) annehmen zu müſſen, daß allein auf der linken Rheinſeite, vor dem Gebiet der Feſtung, ein etwa 70 m breiter Uferſtreifen im Laufe der Zeit abgegraben worden fei. Nach dem ganzen Befund und Beſtand des Ufergeländes und des Strombettes kann ich mich zwar bezüglich des Breitemaßes nicht ganz dieſer Annahme anſchließen, immerhin aber ſind Geländeabgrabungen und Baggerarbeiten vorgenommen worden, die genügten, alle etwa vorhanden geweſenen Refte und Spuren von Waſſerpfahlbauten zu zerſtören. Doch wird an ihrem ehe⸗ maligen Dorhandenſein wohl kaum gezweifelt werden dürfen.

Auffallend iſt im Innern der Feſtung die verhältnismäßig geringe Zahl der beobachteten Hherd- und Abfallgruben. Mögen auch viele bei den Boden- abtragsarbeiten unbeachtet zerſtört worden oder auch viele ihrer Spuren in dem tiefgründig bearbeiteten, lockeren und durchläſſigen Aderboden ver: ſchwunden ſein, ſo muß ich doch nach den von mir ſelbſt ſeit 1910 gemachten Beobachtungen die Bebauung und Bewohnung tatſächlich für ziemlich gering halten, beſonders wenn nicht dazu noch eine Unzahl Waſſerpfahlbauten an⸗ genommen werden dürften. In der ganzen weſtlichen Hälfte des Feſtungs⸗

1) fl. Günther, Mannus II, a. a. O. und Bonn. Jahrb., Heft 110. Vorgeſchicht⸗ liche Anfiedelungen am Jägerhaus bei Mülheim.

2) Lehner, Bonn. Jahrb. heft 122; 1925.

3) Iſphording, Bonn. Jahrb. Heft 82.

13] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 173

geländes habe ich bisher nur, etwa 40 Grubenreſte überall zerſtreut, oder auch in Gruppen verteilt, angetroffen. Allerdings ſind mir ja lange nicht alle bereits vorher oder in dieſer letzten Zeit zerſtörten Gruben bekannt geworden. Aud) ſind manche Grundjtiide noch nicht ausgebeutet, während andere ſchon lange vor meinem Dazwiſchentreten ausgeſchachtet waren. ber ſelbſt wenn ich das zehn- bis fünfzigfache jener Zahl für dieſes Gelände, alſo etwa die hälfte des ganzen Feſtungsgeländes, annehme, ſo würde das immer noch gar kein Verhältnis der Beſiedelung zu der Geſamtfläche und der Ausdehnung der Feſtungsanlage ergeben. Ich will auch hierbei nicht überſehen, daß in den fo tiefgründig von 0,80 —1,40 m höhe verwitterten und durcharbeiteten Abdedungsbodenfchidjten recht viele hütten⸗ und Grubenreſte ſpurlos ver⸗ ſchwunden ſind. Aber es muß auch in Betracht gezogen werden, daß bei dem jedenfalls ſehr langen Beſtande der Siedelung hier Wohnſtellen aufgegeben,

dort neue angelegt wurden, ſo daß eine ſtändige Dermehrung der Gruben⸗ reſte entſtehen müßte, die alſo durchaus nicht alle als gleichzeitig oder als zu gleicher Zeit benutzt, angeſehen werden dürfen. Es kann daher auch die Zahl der feſtgeſtellten und der ohne Beobachtung verſchwundenen wie auch die der noch zu erwartenden Grubenſpuren niemals das richtige Bild einer gleichzeitigen Beſiedelung oder Bewohnung in normalen Zeiten ergeben. verhältnismäßig groß ijt dagegen die Zahl der von mir gelegentlich und auf nur kleineren einzelnen Strecken der weſtlichen Sohlgräben feſtgeſtellten Gruben mit etwa 20 Stück. Und ſelbſt hierbei habe ich nicht einmal die Stellen berückſichtigt, wo keine richtigen Gruben, ſondern nur ganz geringe Scherben⸗ und Stein: oder Knochenreſte angetroffen wurden, ebenſowenig wie Gruben, die keinen des Sammelns werten Inhalt hatten. Nach dieſer ſpärlichen Be⸗ ſiedelung des Innern und nach den verhältnismäßig ſehr zahlreichen Spuren von herd⸗ und Abfallgruben in den Sohlgräben bin ich geneigt, die Seftungs- anlage eher als eine Zufluchtsſtätte des Stammes im Falle der Not als für eine befeſtigte Siedelung anzuſehen. Daß Wohnſtätten der gleichen Kultur auch außerhalb der Feſtungsgräben vorkamen, hat bereits Lehner, Bonn. Jahrb. 110 a. a. O. erwähnt und über die Fundſtücke berichtet. Eine eigenartige Gruben- oder Siedelungsanlage im Außengebiet konnte auch ich im Februar 1911 etwa 12 m weſtlich der Kapelle „Am Guten Mann“ zwiſchen Rheinweg und Rheinſtrom feſtſtellen (Abb. 2, Sig. 4). Leider hatten die Urbeiter ſchon längere Zeit, bevor ich an die Stelle kann, nicht nur den in etwa 0,80 —1,00 m Höhe auflagernden Dedboden entfernt, ſondern auch die in die Bimskieſel einſchneidende Grubenfüllung ſauber ausgeräumt, fo daß ich von etwa vorhandenem Inventar und damit von der Jugehörigkeit zu einer beſtimmten Kulturgruppe nichts Beſtimmtes mehr feſtſtellen konnte. Nach der tiefen Cage unter der heutigen Bodenoberfläche läßt ſich indeſſen die Jugehörigkeit zur jüngeren Steinzeit mit einiger Sicherheit annehmen. Im allgemeinen räumen die mit den Bodenabdeckungsarbeiten über dem Bimsſand beſchäftigten Arbeiter die in dieſem etwa vorhandenen Gruben oder Gräben fo ſorgſam und ſauber aus, daß außer dem Füllgrund auch nicht das geringſte von der urſprünglichen Bimsſandumlagerung weggenommen wird. Die angetroffenen Gruben und Gräben erſcheinen alſo vollſtändig wieder in dem Juſtand, wie fie urſprünglich in den Bimsſand eingeſchnitten worden ſind. Den haupt⸗ und Mittelpunkt der auf dieſe Weiſe aufgedeckten Siedelungsanlage bildet ein Rechteck von 6,5 m Länge und 3.5 m Breite, 20 em tief in den Bimsſand eingeſchnitten. An dieſes ſchließen fic) nordöſtlich eine trichterförmige Kod): und Abfallgrube von 2 m Durchmeſſer und 70 cm

174 A. Günther [14

Tiefe und eine längliche Grube von 3 m Länge zu 1,40 m Breite und 65 cm Tiefe unmittelbar an. Südlich und weſtlich find dem Rechteck zuſammen fünf trichterförmige Gruben vorgelagert; zwei von 1,75 m Durchmeſſer und 80 bzw. 70 cm Tiefe, eine dritte von 2 m Durchmeſſer und 1,10 m Tiefe, die vierte von 2 m Durchmeſſer und 50 em Tiefe, die fünfte, mehr oval, von 1,60 bis 2 m Durchmeſſer und 50 em Tiefe. Endlich zeigte ſich auf der Oſtſeite, in 1,20 m Abjtand von der nordöſtlichen Ede des Rechtecks der Anfang einer länglichen Grube von Im Breite und 40 em Tiefe. Alle dieſe Maße find in etwa 80 cm bis 1 m Tiefe unter der heutigen Geländeoberfläche gemeſſen, ſo daß gemäß der n Selündeſ h aber wahrſcheinlich mit der heutigen ziemlich zuſammenfallenden Geländehöhe, ſich ſowohl die Maße der Durchmeſſer der Gruben, wegen der trichterförmigen Erweiterung nach oben hin, als beſonders die der Tiefen ſich entſprechend erhöhen. Pfoſtenlöcher waren bei der tiefen Lage des Bimsſandes und auch aus den ſonſt ſchon angegebenen Gründen nicht feſtzuſtellen.

Nach dieſer ſpärlichen Beſiedelung des Innern und nach den verhältnis⸗ mäßig zahlreichen Spuren von Koch und Abfallgruben in den Sobl- graben bin ich alſo geneigt, unſere Erdfeſtung eher als eine Jufluchtsſtätte des Stammes im Falle der Not als für eine befeſtigte Siedelung anzuſehen. Den Vorſchlag Oelmanns !) in Überlegung zu ziehen, ob nicht das große Erdwerk dem Bedürfnis nach einem periodiſchen oder ſtändigen Markte ſeine Entſtehung verdanke, vermag ich mich nicht anzuſchließen. Ddas müßte doch Handelsverbindungen vorausſetzen, wie fie zu der Zeit am Rhein nicht er⸗ wartet werden können und die doch jedenfalls Spuren fremden Importes an Waren, Werkzeugen uſw. hinterlaſſen haben müßten. Als Importwaren kann ich bisher einzig und allein nur den Silex zu den Werkzeugen und Geräten anſprechen, deſſen Beſchaffung aber doch noch nicht die Anlage eines Marktes erfordert haben wird. Noch weniger aber vermag ich der Anficht beizupflichten, die Sejtung habe einen „Stromübergang” zu ſchützen gehabt. Das wäre wohl nur für den Fall des Beſtandes einer ſtehenden Brücke verſtändlich, den wir unſerer Pfahlbaubevölkerung bei aller Hochachtung vor ihrer Intelligenz denn doch nicht zutrauen möchten. Gelegenheit zu Stromübergängen und Brückenſchlagen gab es im Neuwieder Becken aber außer dieſer noch eine ganze Reihe geeigneter Stellen, ſowohl rheinauf- wie rheinabwärts, und Rahn⸗ und Sloßüberfahrten wären erſt recht überall möglich geweſen. Jedenfalls hätte der Beſtand der Feſtung allein ſie nicht verhindern können. Wenn Oelmann endlich auch noch meint, daß „das gänzlich offene, jeden natür⸗ lichen Schutzes entbehrende Gelände unmöglich zu dem Zwede einer Flucht- burg ausgeſucht ſein könne“, ſo müßte ihn eigentlich das Vorkommen der beiden römiſchen, dem Agrippa und dem Druſus zugeſchriebenen Erdkaſtelle auf der Oſtecke unſerer Pfahlbaufeſtung eines anderen belehren. Wenn der hochſtehend entwickelten römiſchen Kriegstechnik die Lage des Geländes zur Errichtung der verſchiedenſten Kaſtell-, Brücken⸗ und Siedelungsanlagen zweckmäßig und geſchützt genug erſchien, um wie viel mehr muß das dann für die Zeit unſerer Pfahlbaukultur genügt haben. Im Gegenteil! Ihrer mächtigen und auch in den techniſchen Einzelheiten (Doppelgräben, Erdwall, a Torſperren uſw.) vollendeten Anlage gegenüber erſcheinen

ie römiſchen Erdkaſtelle faſt als Kinderfpielwerf. Und gerade die durch

1) Bonner Jahrb. Heft 128. Franz Oelmann, Gallorömiſche Straßenſiedelungen und Kleinhausbauten.

15] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 175

die bleibende Befiedelung nicht bedungene Ausdehnung jener Anlage zeigt, daß fie auch für die Aufnahme weiterer Stammesgenoſſen ſamt ihrem Hab und Gut, bejonders dem Diehbeſtand, vorgeſehen war.

Was wir nun von der Lebensart und Lebenshaltung der Bewohner unſerer Feſtung zu halten haben, f zunächſt, daß ſie ziemlich bedeutende Viehzucht trieben. Dazu war der ſteppenartige Charakter der Ebene von vornherein ganz beſonders geeignet und darauf weiſen vor allem die außer⸗ ordentlich zahlreich in den Herd- und Abfallgruben wie in dem Füllgrund der Sohlgräben vorkommenden Knochenreſte uſw. des Haustindes (bos taurus) hin. Weniger zahlreich ſcheint das Schwein (sus scrofus) geweſen zu ſein, von dem ich bisher nur ſpärlich Zähne und Knochenreſte angetroffen; aber wie auch für ſonſtige kleinere Haustiere, Schaf, Ziege, Geflügel und ſelbſt den Hund, die mir hier noch nicht begegnet find, jo gilt auch hierfür, daß leider der Inhalt der herd⸗ und Abfallgruben auf dieſe Reſte hin noch viel zu wenig beobachtet und unterſucht worden ijt, um das mehr oder minder ſtarke Dor- kommen einiger oder gar das völlige Fehlen anderer Tierarten daraus folgern zu dürfen. Dagegen ſcheint Wild nach dem außerordentlich ſpärlichen Dor- kommen der Rejte von hirſch und Reh und dem bisherigen Fehlen von Geweih⸗ werkzeugen nur ſehr gering gegenüber dem haustier vertreten zu ſein. Sehr wichtig erſcheint noch das nach einzelnen Badzähnen in drei Herdgruben an verſchiedenen Stellen des Innern feſtgeſtellte Vorkommen des Pferdes. Und zwar ſind es nicht die Jähne des diluvialen dickköpfigen Wildpferdes, ſondern einer zierlicheren Pferderaſſe. Ob es nun als Haus- oder Jagdtier zur Pfahlbauzeit hier aufgetreten ijt, ſeine Lebensbedingungen waren in beiden Fällen günſtig. Reiche Nahrung und feinen Lebensbedürfniſſen ange: paßte Derhältniſſe bot ihm die Steppenlandſchaft, und bis ins 18. Jahr⸗ hundert hinein wird noch von der haltung und der Jagd wilder Pferde auf den Weſthängen des 5 im Neuwieder Becken berichtet !).

Auffallend aber ijt bisher das Fehlen von Siſchgräten oder Rüdenwirbeln, ſowie von Fiſchereiwerkzeugen geblieben und doch muß Fiſchfang ebenſo wie Schiffahrt betrieben worden ſein, wie es ſich für eine Pfahlbauwirtſchaft von vornherein gehört. Auf Schiffahrt El ja ſchon das Dorbandenfein von Siedelungsreſten der gleichen Kulturſtufen auf der rechten Rheinfeite hin und fie ijt ja in allen ur⸗ und vorgeſchichtlichen Zeiten ganz ſelbſtverſtänd⸗ lich. Auch bezüglich der Feſtſtellung der Sifcherei wird es hier ſich nur um Mangel an Beobachtung oder die Jerſtörung der Rejte in den hohen lockeren Bodenſchichten der Aderfrume handeln.

Daß die Bevölkerung der Pfahlbauzeiten auch intenſiven Aderbau betrieb, ijt aus den vielen unden und Beobachtungen in anderen Gegenden, ſogar mit der Runde der einzelnen Getreidearten und den Ackerbaugerät⸗ ſchaften, Hhirſchhorn⸗ und Steinhacken zur Genüge bekannt. |

Don der Verwendung des Getreides geben für unſere Siedelung die fait in jeder herdgrube anzutreffenden Reibevorrichtungen, ſowohl Unterlags⸗ und Cäuferſteine (Abb. 17), als auch ſogen. „Rornquetſcher“, Klopf- und Reib⸗ ſteine aus den verſchiedenſten Steinarten, wie Quarzit, Bundſandſtein, Bafalt- lava und Flußgeſchiebe, wie ferner die ebenſo häufigen Scherben von Bad: tellern Kunde. An der Beobachtung und Feſtſtellung von Getreidekörnern fehlt es leider noch gänzlich; in dem meines Wiſſens einzigen Falle, wo

1) Deinr. von Ijenburg überläßt 1264 der Abtei Rommersdorf die wilden Pferde

und den Genuß ihrer Weide im ganzen Umfang feiner herrſchaft. (Rhein. Antiquarius, Abt. III, Bd. 1, S. 545.) we a N i

176 fl. Günther [16

einzelne verkohlte Körner in einem Gefäßbodenſtück angetroffen worden find, hatten die Arbeiter dieſe bereits vor meinem Dazwiſchentreten verſchleudert.

Abb. 8.

Ebenſo fehlt die Beobachtung von Frucht⸗ und Obſtkernen und auch von der ganzen Flora der Zeit geben uns keine erhaltenen Pflanzenreſte Nachricht. Aud von den bei den Pfahlbauleuten ſonſt üblichen Hirſchhornhacken und

17] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 177

del find mir bisher keine Sunde bekannt geworden. Meines Erachtens pi aben jie hier zur Bodenbearbeitung ziemlich ſchwerfällig hergerichtete Stein- hacken (Abb. 12, Sig. 1—3) gebraucht, die wohl in hakenförmige Holzſtiele oder in Hirſchhornfaſſungen eingebunden waren. Eine Sichelklinge aus Seuer- belt mag vielleicht das Abb. 14, Fig. 12 abgebildete Steinwerkzeug dar⸗ tellen.

Am charakteriſtiſchſten für die Kulturperiode unſerer Seſtungsſtadt ſind die ziemlich zahlreichen Tongefäße und Scherbenreſte, wie ſie das Bonner Provinzialmuſeum und ich für unſer Coblenzer Muſeum aus den Herd- und Abfallgruben und den Sohlgräben erhoben und geſammelt haben.

Am häufigſten und in den verſchiedenſten Formen und Größen iſt der ſogen. Tulpenbecher (Abb. 8, Sig. 1—6 und Abb. 11, Sig. 4—6) vertreten, keiner aber in der Art der überſchlanken eleganten Becher von Michelsberg, Goldberg, Schierſtein len ſondern mehr geſtaucht und keſſelförmig. Die ſchlauchförmigen Becher, Abb. 8, Sig. 8 und 9, erinnern ſehr an die primitiven Sormen der älteſten Bodenſee Pfahlbaukultur (Binterhaufen uſw.) und die Gefäße der Dolmenkultur von El Urgar, dagegen weiſen andere mit den trichterförmig weit ausladenden Rändern ſchon auf die Trichterbecher der nordweſtdeutſchen Megalithkultur (Abb. 8, Sig. 1—4). Dermittelnd treten zwiſchen dieſe beiden Formen die ſchlanken Gefäße Abb. 8, Sig. 6 und Abb. 11, Sig. 6 auf. Jumeiſt erſcheinen die Becher glatt, ohne Zierraten, dod) fommen auch ſchon weit ausladende profilierte Randleijten und ſchmale Tupfenleiſten um den Rand vor. (Abb. 8, Sig. 10— 12.)

Ziemlich häufig ſind auch große Kochtöpfe oder vielmehr die Scherben von ſolchen, mit halbkugelförmigem Bauch und hohem ſteilen oder leicht geſchweiften Hals. Meiſt ijt der Rand durch eine Tupfen- oder Profilleiſte verziert (Abb. 9, Sig. 1 und 4—10), bei dem Gefäß Abb. 11, Sig. 2 ijt auch der Hals noch mit ſechs Reihen Tupfenſchmuck verſehen, während bei der Scherbe Abb. 9, Fig. 4 der hals dicht mit rauhen Cehmfrumen beworfen iſt. Die Form dieſer Kugeltöpfe ähnelt im allgemeinen ſehr den von Roſſinna im „Mannus“ XIII, Heft 1 und 2 veröffentlichten Bechern von Bornholm, doch ſind unſere Kochtöpfe meiſt doppelt ſo groß als dieſe.

Einen Übergang von den Bechern zu den großen Kochtöpfen ſcheinen die glatten Gefäße Abb. 9, Sig. 2 u. 3 und Abb. 11, Sig. 5 zu bilden. Seltener vorkommend find große Vorratsgefäße, wie das vom Bonner Provinzial⸗ muſeum erworbene eiförmige Gefäß mit engem hals und Schnuröſenbeſatz. (Abb. 11, Fig. 1.)

Eine in der Pfahlbaukeramik eigenartige Erſcheinung mag das große faßförmige Gefäß Abb. 10, Fig. 2 darſtellen, das mit der Urne, Abb. 10, Sig. 1 den Scherben ähnlicher großen Gefäße, den Scherben Abb. 10, Sig. 3 und 4 und zahlreichen ſtarkgebrannten Stücken hüttenlehm in eine Wohngrube im Innern der Feſtung aufgefunden wurde. Möglicherweiſe ijt die Form und die Verzierung auf eine Miſchung von Pfablbau- und Röjjener Kultur zurückzuführen, worauf die kleinen Schnuröſen, der gekerbte Rand und die gekerbte Schultergurtleiſte hinzudeuten ſcheinen.

Im übrigen kamen weiter vor: beutelförmige Gefäße mit Schnuröſen⸗ franz, wie Abb. 10, Sig. 9 und 11, oder ohne Schnuröfen wie Abb. 11, Sig. 7, Kugeltöpfe mit Trichterrand, Abb. 10, Sig. 10 und Abb. 11, Fig. 10, einfache Näpfe, Abb. 10, Sig. 7 und Schöpfkelle! in Form einer Schädelkalotte, Abb. 10, Sig. 6. Intereffant iit auch das Dorfommen des kleinen Tonlöffels, Abb. 10,

Mannus, Zeitſchrift für vorgeſch., Bd. 17. H. 3. 12

178 A Günther

| [18 Sig. 5, wie ähnliche ſowohl bei Walternienburg !) als bei Champ de Chaffey 2) gefunden wurden. |

Neben den Tulpenbechern und ihren Scherben find die zahlreichen

55 (= 1 a 75 7 ¢ 2 +

20 Jf

Abb. 9.

„Backteller“ſcherben die Ceitmuſcheln bei den Scherbenhaufen in den Herd⸗ und Abfallgruben, wo fie ſich ſowohl mit glattem wie mit Jupfenſchmuck )

) A. Goetze, Das neolithiſche Gräberfeld von Walternienburg (Kreis Jerichow). Jahresicht. f. Vorgeſch. d. ſächſ.⸗thüring. Länder. Bd. X. Halle 1911. 2) Dechelette, Mannuel d’Archéologie I.

19) Die große Erdfeſtung der jin

kleineren

geren Steinzeit zwiſchen Urmi

oder größeren St

tz u. Weißenthurm 179

ücken faſt überall vorfanden.

Scherbenhaufen

wurden auch in dieſen

geziertem Rand, in chen breiten

(Abb. 9, Fig. 12 u. Bruchſtücke von

13.) Mehrfach nach unten ver⸗

Gefäßhenkeln, ſowohl von fla

Abb. 10.

jüngten als gleichmäßig breiten flachen nur einmal wurde bisher ein Kugeltop be angetroffen (Abb. 10, Sig ten flachen, wie auch mit hen ganzes Gefäß gefunden.

kelförmigen Gefäße ſin

Die 12*

180 A. Günther [20

leiten geglättet, einzelne auch ſchwarz gedämpft; der Ton enthält faſt allge⸗ mein eine ſtarke Beimiſchung von Quarzkörnern.

Das Bonner Provinzialmuſeum beſitzt an Gefäßen und Scherben

: Ein großes eiförmiges lederfarbenes Dorratsgefäß Abb. 11, Sig. 1 1 ziemlich engem hals, 63 cm hoch; um den Bauch vier größere, auf der Schulter zehn kleinere Schnuröſen. Jand ſich in einer außerhalb des ſüdlichen Grabens befindlichen Grube und war mit der glodenförmigen Schüjlel, Abb. 11, Sig. 3 überdeckt. Dieſe 18 em hoch und 26 cm weit, mit dünn aus⸗ laufender leicht geſchweifter Wandung iſt gut geglättet und mit vier Griff⸗ warzen verſehen.

Aus den Sohlgräben der Feſtung:

Abb. 11, Sig. 2. Großer lederfarbener rundbauchiger Topf, geglättet, mit hohem von 6 Reihen Tupfenleiſten umzogenen Hals. 34 cm hoch, Rand 27 em weit.

Abb. 11, Sig. 5. Jiemlich dickwandiger Tulpenbecher, Ton ſtark mit Quarzkörnern gemifat, 16 cm hod), Rand 17 cm weit.

Abb. 11, Sig. Scherbe eines ähnlichen Gefäßes.

Dabei fande ſich das Schneideſtück eines Stein beiles aus Feldſpat⸗ baſalt 8 em lang, flach walzenförmig, ſeitlich abgefaſt und das Bruchſtück eines en Steingerätes aus Diabas.

. 11, Sig. 7. Rundbauchiger lederfarbener Becher mit ausgeſchweif⸗ tem 17295 10 cm hoch; lag mit der Scherbe eines Tulpenbechers von 16: 13 cm bei einem Skelett, von dem nur mehr die Zähne erhalten waren ).

Aus dem ſüdlichen Graben:

Scherben von dickwandigen Gefäßen: Trichterrand eines rundbauchigen Topfes, Abb. 11, Fig. 10. und eines ſchlanken Tulpenbechers, Abb. 11, Fig. 11, dabei Randſcherben eines weiteren Gefäßes mit rundbogenfriesartiger Tupfenleiſte.

Aus ſonſtigen Teilen des Soblgrabens:

Die Scherbe eines größeren gelblichroten bauchigen Gefäßes, rauh⸗ wandig mit ſtarkem Quarzzuſatz, mit ſchnuröſenförmigem henkel.

Aus dem Innern der Feſtung:

Abb. 11, Sig. 6. Tulpenbecher mit ſtark ausgeſchweiftem Rand, außen rötlich, a ſchwarz gedämpft, 19 em hoch, 21 cm Randdurchmeſſer.

Abb 11, Sig. 4. Lederfarbener Tulpenbecher mit ſtark ausladendem Rand, dickwandig; 16 cm hoch, 24 cm Randdurchmeſſer. Dabei lag eine Seuerſteinklinge mit abgerundeter Spitze 4,5 em lang, 2,2 em breit und ein Klingenjtüd, 4 em lang, 3 cm breit. |

Das Coblenzer Mufeum beſitzt außer zahlreichen kleineren Scherben:

Aus dem Innern der Feſtung:

Abb. 10, Sig. 11. Rotbrauner, beutelförmiger Becher mit fpigrundem Bauch und leicht nach außen umbiegenden Rand. Um den Unterteil des Bauches eine Reihe meiſt abgebrochener Schnuröſen. 14 em hoch, 8 em Rand- durchmeſſer. Dabei lagen die Feuerſteinklingen (Abb. 16, Sig. 3 und 4).

Abb. 8, Sig. 7. Graugelber, ſackartiger Topf mit rundem Boden und leicht ausladendem glatten Rand. 11,5 cm hoch, 14,5 em weit. Dabei lagen einige vila a eas und ein Stück Lehmeſtrich.

(bb. 8, Sig. 1. Gelbbrauner Tulpenbecher mit ſchräg ausladendem breiten Rand und abgerundetem Boden. Oberteil ſauber geglättet, Unterteil

. ehr In B. J., Heft 110.

181

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21) Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. weißenthurm

182 A. Günther [22

berauht und ſtark verbrannt. 19 cm hoch, 24 cm Randdurchmeſſer. Dabei die Feuerſteinklingen Abb. 14, Sig. 4 und 5 und das Bruchſtück einer ſolchen.

Abb. 9, Fig. 12. Scheibenförmiger gelbgrauer Backteller. Oberſeite geglättet, Unterſeite berauht, die Kanten mit Tupfenſchmuck geziert. 27 cm Durchmeſſer, 2 em ſtark.

Abb. 9, Sig. 13. Desgleichen mit glatten Kanten. Unterfläche rauh geſtrichelt. 24 em Durchmeſſer, 2 em ſtark.

Die beiden Backteller lagen zuſammen mit den Scherben verſchiedener Gefäße, dem Beilchen Abb. 13, Sig. 9 und anderen kleinen Steinwerkzeugen und Geſchiebeſtücken. Ä

Hbb. 10, Sig. 7. Schwarzer Napf mit flachem Boden, ſchräganſteigender Wandung und glattem Rand; 14 cm Durchmeſſer, 7 em hoch. Lag mit vielen Gefäßſcherben uſw. zuſammen.

bb. 10, Sig. 10. Trichterrand, 15 em Durchmeſſer, 6 em hoch, eines bauchigen, lederfarbenen Gefäßes. Lag mit anderen Gefäßſcherben und der Seuerſteinklinge, Abb. 15, Sig. 7 zuſammen.

Abb. 10, Sig. 8. Graubrauner Kugeltopf mit verengtem Hals, abge⸗ rundeter Randkante und breitem großen henkel. 15,5 em hoch, 13,5 em Bauchdurchmeſſer und 10,5 em Randweite.

Abb. 10, Sig. 5. Graubraunes Cöffelchen mit halbkugelförmiger Kelle und glattem kurzen Stiel. 8,5 em lang, Relle 4,2 em Durchmeſſer.

Dicht dabei: |

Abb. 10, Sig. 1. Rauhwandige graue Urne mit ſchlankem geſchweiftem Unterteil, um die Schulter gekerbte Gurtwulſte, Rand nach innen ſchräg anſteigend. Unter der Gurtwulſt ein vor dem Brande eingebohrtes Loch. 23 em hoch; Boden 5,5 em, Bauch 23 cm, Rand 16 em Durchmeſſer.

Abb. 10, Sig. 2. Graugelbes, faßartiges Gefäß, rauhwandig, mit plattem Sup, leicht geſchweiftem Hals und gekerbtem Rand. Um die Schulter ge⸗ kerbte Gurtwulſte, über dieſer zwei kleine rundliche henkel. 54 em hoch, Boden 11 cm, Bauch 45 em, Rand 37 em Durchmeſſer.

Abb. 9, Sig. 4. Randſcherbe eines gelbroten Topfes von 35 em Durch⸗ meſſer. Rand mit Tupfenſchmuck und Profilleiſte glänzend geglättet, die Außenflächen im übrigen mit grobem Tonkrumenbewurf bedeckt, die Innen⸗ ſeite mit rotgelbem Tonüberzug ſauber geglättet. 15 mm Wandſtärke. Bei den drei vorgenannten Gefäßen lagen Scherben eines Abb. 10, Sig. 2 ähn⸗ lichen Gefäßes, die Scherben Abb. 10, Sig. 3 und 4 mit kleinen Henfeln; außerordentlich ſtark (wohl durch Hüttenbrand) gebrannte Scherben und kräftige Brocken hüttenlehm, ſowie ein prismatiſches, an einem Ende ſchräg abgeſchliffenes Geſchiebeſtück, 8 em lang, 1,5 em: 1 em ſtark. Nach Ausfage bab Arbeiter ſoll das Gefäß Fig. 2 einige verkohlte Getreidekörner enthalten

aben.

Abb. 9, Sig. 5. Randſcherbe eines großen lederfarbenen Gefäßes von etwa 35 em Durchmeſſer mit 33 mm hoher Profil- und Tupfenleiſte. Lag mit ähnlichen Gefäßſcherben und Feuerſteinklingen zuſammen.

Abb. 9, Sig. 6. Randjcherbe eines graugelben Kugeltopfes mit hohem Hals von 30 em Weite und 25 mm hoher Randleijte mit rundbogenfries- artigem Tupfenſchmuck.

Abb. 9, Fig. 7. Randjcherbe eines graugelben Kugeltopfes mit hohem hals von 20cm Weite und 25 mm breiter, nach unten mit halbkreisförmigen Tupfenreihen, oben mit leicht überhängender, ſchmaler Ceiſte abgeſchloſſener "andeinfajfung.

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184 A. Günther [24

Abb. 9, Sig. 9. Randſcherbe eines rötlichgelben, innen ſchwarz dämpften Kugeltopfes mit hohem Hals von 24 cm Weite, mit 25 mm poker und 10mm ſtark ausladender, oben mit leichter Leijte, unten mit dichtgeſtellten halbkreisförmigen Tupfenfchmud abgeſchloſſener Randeinfajjung.

Abb. 8, Sig. 11. Randſcherbe eines rötlichbraunen, innen ſchwarz gedämpften Bechers oder ſchlauchförmigen Gefäßes mit ſchräg ausladendem fab und breiter, ſchräg abgefaſter Tupfenſchmuckleiſte von roher Aus= ührung.

Abb. 9, Sig. 8. Randſcherbe eines dickwandigen rötlichbraunen Gefäßes (Kugeltopf?) von 27 em Weite mit leicht geſchweiftem hohem Hals mit 27 mm

Urmitz. Museum Coblenz.

Abb. 13. Steinbeile aus den 11. 5 al al) Sile Gig 1—5). Meifel oder ae en aus ge Nauen Geſchiebeſtücken; ( Sche enkeule (Sig. 10) aus Ne ee eulenknopf (Sig. 11) aus Baſeltlove und Spinnwirtel Eig. 12) aus Ton.

breiter Randeinfaſſung, unten mit ſchräg anſteigender Tupfenſchmuckleiſte, oben mit überhängender ſchmaler Leijte abgeſchloſſen. Lag mit Gefäß⸗ und Backtellerſcherben, einem eiförmigen 8:7:5,5 em ſtarken Klopfſtein aus ſehr dichtem Taunusquarzit zum Herrichten von Steinwerkzeugen und der ſpitzen Meſſerklinge, Abb. 15, Sig. 7 zuſammen.

Abb. 9, Sig. 9. Randfcherbe eines dunkellederfarbenen, innen ſchwarz gedämpften Gefäßes von 25 cm Weite mit Tupfenſchmuckrandleiſte. Lag mit vielen anderen kleinen Gefäß: und Backtellerſcherben und einer voll⸗ ſtändigen Mahleinrichtung: Unterlagsplatte aus Quarzit, 28 cm lang, 15 cm breit und 2 cm ftarf, dem Laufer aus dichtgefügiger Bajaltlava, einem ab- geſtumpften kegelförmigen Reibitein oder Stößer 7 cm hoch, 4,5 cm Durchm. und einem würfelförmigen 4:4: 4 cm ſtarken ſogen. Rornquetſcher aus grau⸗ gelbem hartem Bundſandſtein zuſammen.

25] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 185

Ziemlich mannigfaltig, an Form ſowohl wie an Material ſind die Steinwerkzeuge, Gerätſchaften und Waffen. Da gibt es ſpitz⸗ und un nadige, Walzen⸗ und Flachbeile (Abb. 12), trianguläre Beilchen und mehr meiſelförmige (Abb. 13); Meſſer, Kratzer, Schaber, Bohrer uſw. von allen Formen (Abb. 14 und 15), wie fie teils zufällig bei dem Übſchlag von Jeuer⸗ ſteinknollen entſtanden, oder durch ſorgfältigſte Retouchierung und Schliff hergerichtet wurden (Abb. 14— 16). Dabei zeigen ſich auch noch ſtark an das Paläolithikum erinnernde Formen und Techniken (Abb. 14, a 7, 8, 10, Abb. 15, Sig. 3, 9 und 10) neben den ganz den neueren Derhältnijjen angepaßten . Selbſtredend wurden auch Geſchiebeſtücke und ſonſtige Naturbildungen aus Stein, die ſich ihrer Geſtaltung nach dazu eigneten,

Urmitz. Museum Cobl ens ·

AS 43.

Abb. 14. Feuerſteinwerkzeuge und Geräte: Meſſer, Klingen und Schaber (Sig. 7, 8 u. 10). Muſeum Coblenz.

unter einfachem Unſchleifen von Schneiden zu paſſenden Werkzeugen gemacht (Abb. 15, Sig. 6—9). Ein ſehr eigenartiges Inſtrument mag die Seuerſtein⸗ linge Abb. 15, Fig. 16 darſtellen, an der man eine in ſorgfältigſter Retouche ſich von der übrigen Klinge abhebende rundliche Spitze erkennt, deren rechte Seite leider ausgebrochen iſt. Einen ähnlichen Eindruck kann wohl auch Abb. 15, Sig. 17 machen, doch läßt ſich hier nicht fo beſtimmt eine gewollte Form feſtſtellen und auch die Arbeit iſt viel roher. Eine Sichelklinge, ähnlich den aus Dänemark uſw. bekannten ), könnte vielleicht die kräftige Seuer- ſteinllinge Abb. 14, Sig. 12 geweſen fein. Sehr ſorgfältig bearbeitet ijt der prächtige Steindold) Abb. 15, Sig. 4, deſſen in den Schaft aufzunehmendes Ende die rohe Silexknollenkruſte zeigt, während die kleinere Dolchklinge oder

1) S. Müller, Urgeſchichte Europas. Straßburg 1905, S. 105.

186 A. Günther [26

peerſpitze, Abb. 15, Sig. 5, gröbere Bearbeitung und muſchelförmige Re- - toudjen zeigt und möglicherweiſe einer ſpäteren Periode des Neolithikums, etwa der Jonenbandkeramik, angehören könnte. Friedlicheren Zwecken als die beiden letztgenannten Inſtrumente dürften wohl die flachen ſpitzen Meſſer⸗ klingen (Abb. 15, Sig. 6 und 7) gedient haben. Als hervorragende Werkzeug⸗ ſtücke werden die oat Klingen, Abb. 15, Sig. 12 und 13, als Bohrer in den „Siedelbogen“ (Drill: oder Wendelbohrer) eingeſetzt, gedient haben; erſtere zur Herjtellung weiter Löcher, letztere für engere Löcher und Durchbohrungen in Knochen, Horn, Holz uſw. Außer den Dolchen find als Waffen die Scheiben⸗ keule, Abb. 13, Sig. 10 und der Keulentnopf, Abb. 13, Sig. 11, anzuſprechen.

46.

43. V. Of? m.

Ne 2 “fe

Abb. 15. Feuerſteinwerkzeuge: Meſſer, Schaber (Sig. 9, 15 u. 18), Dolche (Sig. 4 u. 5), ohrer (Sig. 12 u. 15). Muſeum Coblenz.

Dieſe beiden Stücke ſind übrigens die einzigen durchbohrten Steinwerkzeuge, die ich bisher bei unſerer Feſtung gefunden habe.

Nach dem Berichte im heft 110 der Bonner Jahrbücher beſitzt das Provinzialmuſeum Bonn u. a.:

Das Bruchſtück eines durchbohrten Steinwerkzeuges aus Diabas, 4 cm lang, und das Schneideſtück eines großen Steinbeiles aus Diabas, 8 cm lang, beide bei dem Gefäß Abb. 11, Sig. 2 uſw. gefunden.

Im äußeren Sohlgraben auf der Nordfeite: einen fog. Schuhleiſtenkeil (Steinpickel oder hammer) aus quarzitiſchem Sandſtein des Devons, 10 em lang, und das Fragment eines Steinwerkzeuges oder Naturproduktes aus Devonſchiefer (konkretionäre Linje aus Unterdevon), 6 cm lang. Aus dem ſüdlichen Sohlgraben einen Rornreiber aus Quarzit, 11,5 em lang, und einen dreikantigen Jeuerſteinſplitter von einem Meſſer, 5,7 em lang.

27] Die große Erofeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 187

klus dem Innern der Feſtung:

Seueriteinfplitter eines langen Meſſers (?) von trapezförmigem Quer: ſchnitt, an beiden Enden abgebrochen, 4,5 em lang, 2,2 em breit, 5,7 em ſtark, und einen anderen Feuerſteinſplitter, abgebrochenes Ende eines In⸗ ſtrumentes, 4 cm lang, 3 cm breit, gefunden bei dem Gefäß, Abb. 11, Sig. 4.

Ein an beiden Seiten geſchärftes Meſſer aus Seuerjtein mit erhöhtem Mittelgrat, im Profil etwas gebogen, 16cm lang, 3 cm breit und ein ähnliches, 15 em lang, 2,8 em breit, gefunden in einer Grube im Innern.

Serner aus dem Bereich der Sejtung:

Ein Steingerät aus unbeſtimmtem ſchwarzen Stein, an einem Ende

Urmitz. Museum Coblenz.

AGintha

Abb. 16. Seuerfteinwertzeuge u. Geräte: Meſſer, Klingen!und Schaber (Sig. 1—10 und 15—15). Knochendolch und Bruchſtück eines ſolchen (Sig. 11 u. 12). Mufeum Coblenz.

durchbohrt. Anhängſel 6,4 em lang. Gefunden unterhalb der Kapelle Am guten Mann.

Steingerät aus tertiärem Feuerſtein: an beiden Seiten gezahnte Sage mit erhöhtem Mittelgrat, im Profil etwas gebogen, 22,2 em lang, 2,8 em breit. Gefunden ſüdweſtlich der Feſtung nahe der Coblenzer Straße. hälfte eines durchbohrten Hammers aus ſchwarzem klmphibolitſchiefer, jetzt 7,5 cm lang, 4,5 cm breit, aus einer Grube ſüdweſtlich der Jeſtung.

Hammerförmiges Werkzeug bzw. Klopf oder Reibjtein aus Baſalt⸗ lava, 12,5 em lang, 9 em größte Breite. Gefunden in einer Grube bei der Kapelle Am guten Mann.

Steingerät aus Feuerſtein, an einem Ende gerundet, am anderen zugeſpitzt (mandelförmiger Schaber 4,5 x 3 em.) Spitze eines Feuerſtein⸗ werkzeuges (Hornſtein), Meſſer oder Schaber 3,6 cm lang, ebendort gefunden.

188 | A. Günther [28

Das Coblenzer Mufeum beſitzt außer ſonſtigen Bruchſtücken, atypi- ſchen oder nur zum Feuerſchlagen uſw. dienenden Steingerätſchaften, aus den Wohngruben im Innern und den Sohlgräben der Feſtung:

(Nachſtehend: W. = Wohngrube im Innern der Seſtung, S⸗Gr. = desgleichen im Sohlgraben.

Arte, Hacken, Beile:

Abb. 12, Sig. 1. Art oder Hacke aus Diabas (Grünſtein), Ober⸗ und Unterſeite ſtark gewölbt, die Seitenkanten leicht abgerundet, geſchliffen, die Schneide fein gealittet, aber ſtark abgejplittert. 14 cm lang, bis zu 6,5 em breit, 4 em ſtark. W.

Hbb. 12, Sig. 2. Desgleichen aus ſehr feinkörnigem, hellgrauen Diabas, anſcheinend Geſchiebeſtück, hergerichtet. Oberſeite gewölbt und geſchliffen, die Unterſeite von Natur abgeplattet, die Seitenkanten abgerundet. Schneide ſtark abgenutzt und vollſtändig ſtumpf, das Kopfende gleichfalls abgenutzt und 5 0 13 em lang, bis zu 6 em breit und 4,5 em ſtark. S⸗Gr.

Abb. 12, Sig. 3. Desgleichen aus Diabas; Ober⸗ und Unterſeite gewölbt, die Seitenkanten abgerundet, ſauber geichliffen. Die Schneide ſtark ausge- ſplittert und vollſtändig ſtumpf, das Kopfende abgenutzt. 10,5 om lang, bis zu 5 em breit und 3 em ſtark. S⸗Gr

Abb. 12, Sig. 4. Abſpliß eines feingeſchliffenen und polierten Stein⸗ beiles aus ſchwarzem Kieſelſchiefer von ſpitzovalem Vertikalſchnitt, Ober⸗ und Unterſeite ſtark gewölbt, Seitenkanten leicht abgerundet, gewölbte Schneide. Urſprünglich anſcheinend trianguläre Form nach Art der kleinere Beilchen, Abb. 13, Sig. 2. Jetzt 10 em lang, bis zu 3 em ſtark. S⸗Gr.

Abb. 12, Fig. 5. Bruchſtück eines großen Walzenbeiles (oder abge⸗ ſtumpfter kegelförmiger Kornreiber, Stößer, wogegen allerdings die nicht abgeriebene untere Bruchfläche ſpricht) aus Serpentin von ovalem Quer- ſchnitt. Kopfende ſtark abgenutzt, unteres Ende zeigt Bruchfläche. Hußenſeiten poliert, 7.5 em hoch, unten 5:3, oben 3:2 cm Querſchnitt. Cag mit Tier- knochen, ee und Reibjteinen zuſammen. 8⸗Gr.

12, Sig. 6. Sauber geſchliffenes und poliertes Beil aus Seueritein mit gut erhaltener gewölbter Schneide und ſtark abgenutztem Ropfende. Ober: und Unterſeite ſtark an Seiten kantig abgefaſt. 11 cm lang, Schneide 5,5 cm, Kopfende 3 cm breit, bis zu 3 em ſtark. Lag mit Beil, Abb. 13, Sig. 1 3ujammen. W.

Abb. 12, Sig. 7. Sauber geſchliffenes und poliertes, aber ſtark aus⸗ gewittertes und an der Schneide abgenutztes Beil aus Seuerjtein. Ober⸗ und Unterſeite kräftig gewölbt, Seiten kantig abgefaſt. 11 em lang, Schneide 5,5 cm, Ropfende 3 cm breit, bis 3 em ſtark. Lag mit Beilchen, Abb. 13, Sig. 2 und den Scherben, Abb. 16, Sig. 13—15 zuſammen. W.

Abb. 12, Fig. 8. Bruchſtück eines großen, geſchliffenen und polierten Beiles aus weißem Braunkohlenquarzit. Schneide und Kopfende abge⸗ brochen. Oberfläche kräftig gewölbt, untere Fläche leicht gehöhlt, Seiten kantig abgefaſt. Noch 8 em lang mittlerer Querſchnitt 5:2,5 cm. Lag mit ee e Schabern und Bruchſtücken zuſammen.

Abb. 12 Fig. 9. Sauber geſchliffenes und poliertes Beil aus Chloro⸗ melanit, trianguläre Sorm mit flach gewölbten Ober- und Unterflächen und kantig abgefaſten Seiten. Gewölbte Schneide und abgenutztes Ropfende. 9 em a Schneide 5,5 em, Kopf 1,5 em breit, bis zu 2 em ſtark. Einzelfund.

13, Sig. 1. Sauber ge ſchliffenes und poliertes Beil aus Kiejel- ſchiefer on konkretionäre Kiejelfnolle des Devons) mit ftart augen

Dom A ihn

29] Die große Erdfeſtung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 189

und verwitterter Schneide und Kopfende. 7,5 cm lang, Schneide 5 cm, Kopfende 2,5 em breit, bis zu 5 em ſtark. W.

Abb. 13, Sig. 2. Sauber geſchliffenes und poliertes Beilchen von tri⸗ angulärer Form aus Rieſelſchiefer mit gewölbter Schneide, abgeplatteter Unterfeite und flach gewölbter Oberfläche, die Seiten kantig abgefaſt, Kopf: ende abgeſplittert. 7 em lang, Schneide 5,5 em breit, Kopf 2 em breit, bis 2,25 em ſtark. W.

Abb. 13, Sig. 3. Sauber geſchliffenes und poliertes Beilchen oder Meißel aus feinkörnigem Diabas, Unterſeite abgeplattet, Oberfläche gewölbt, Seiten kantig abgefaſt, Schneide leicht gewölbt, Kopfende abgenutzt. 7 em lang, Schneide 3,7 cm, Kopfende 2 cm breit, bis zu 2,25 cm ſtark. W.

Abb. 13, Sig. 4. Desgleichen aus Seuerftein mit gerader ſcharfer Schneide. Untere Seite abgeplattet, Oberfläche gewölbt; Seitenkanten ſtark abgefaſt. Ropfende abgeſplittert. 5,2 em lang, Schneide 3 cm, Kopfende 1, 7 cm breit, bis 1,5 em ſtark. W.

Abb. 15, Sig. 5. Stark verwittertes Stück eines flachen Beilchens oder Meißels aus weißem Geſtein (Braunkohlenquarzit?), 5 em lang, 2,3—3 cm breit. Einzelfund. Ferner das Bruchſtück eines ſauber geſchliffenen Beiles aus Serpentin ganz in der Form und Größe wie Abb. 12, Sig. 6 und das n eines geſchliffenen Flachbeiles aus Diabas.

. 13, Sig. 6. Cänglich ovaler Meißel aus flachem Rieſelſchiefer. stußgefchiebe in Naturform, nur die Schneide angeſchliffen. 7,3 cm lang, 2, 7 cm breit. W.

Abb. 13, Sig. 7. Flacher, dreieckiger Meißel oder Hobelflinge aus devoni⸗ ſchem Flußgeſchiebe in Naturform, nur die Schneide angeſchliffen. 4,5 cm lang, an der Schneide 3 em breit. W.

Abb. 13, Sig. 8. Flaches Beilchen oder meißel, Ipißovale Naturform aus ſchwarzgrauem Flußgeſchiebe, nur die Schneide angeſchliffen. 5,4 cm lang, an der Schneide 4,1 cm breit. S⸗Gr.

Abb. 13, Sig. 9. Flaches dreieckiges Beilchen oder Hobelflinge in Natur⸗ form, aus devoniſchem Flußgeſchiebe, nur die Schneide angeſchliffen. 3,4 cm lang, an der Schneide 2,7 em breit. W.

Abb. 13, Sig. 10. Bruchſtück (Hälfte) einer Scheibenkeule, linſenförmig; Unterſeite leichter, Oberſeite ſtärker gewölbt mit ſcharfen Kanten aus Grau⸗ wacken⸗Tonſchiefer des Rhein. Schiefergebirges. 11,5 cm Durchmeſſer, bis zu 3,5 cm ſtark; in der Mitte 1,5 cm weit durchbohrt. S-Gr.

Abb. 13, Sig. 11. Bruchſtück (Hälfte) eines Keulenknopfes aus Baſalt⸗ lava, abgeplattet⸗ kugelförmig, durchbohrt. 7 em Durchmeſſer, 5,5 em hoch. W.

Ein ſehr friedliches Gerät endlich iſt Abb. 13, Sig. 12. Spinnwirtel aus Ton, ziemlich ſchwach gebrannt, ſcheibenförmig, flach, 3 em Durchmeſſer, lem ſtark. W.

Klingen, Meſſer, Dolche, Schaber, Kratzer, Bohrer uſw. |

Abb. 14, Sig. 1. Langer, ſchwarzgrauer Feuerſteinſpahn, einfacher Abjchlag ohne Retouche mit ſehr dünner ſcharfer Schneide, auf der rechten Seite die Naturkruſte des Seuerfteinfnollens. 19 em lang, 4 cm breit. S-Gr.

Abb. 14, Sig. 2. Langes, ſtarkgewölbtes ſchwarzgraues Feuerſtein⸗ meſſer mit jpigovalem Ende und feinen ſcharfen Randretouchen. 17 cm lang, 5 cm breit. Lag mit Keulenfnopf, Abb. 13, Sig. 11 zuſammen. W.

Abb. 14, Sig. 3. Breite Klinge aus ſchwarzgrauem Feuerſtein von flachdreieckigem Querſchnitt, mit retouchierten Seitenkanten, 12,5 em lang, 5—4 cm breit. W.

190 A. Günther [30

Abb. 14, Sig. 4. Breite ſchwarze Feuerſteinklinge mit flachem Rüden, evecare Seitenkanten und retouchierten Schneiden. 10 em lang, 3,5 em rei

Abb. 14, Sig. 5. Schwarzgraue, leicht gebogene Feuerſteinklinge mit abgeplattetem e nach der Spitze hin flachverlaufendem Querſchnitt. 8,5 em lang, 1,7 —5 em breit. W.

(Sig. 4 und 5 lagen mit Tulpenbecher, Abb. 8, Sig. 1 in einer Wohn⸗ grube zuſammen.)

Abb. 14, Sig. 6. Bruchſtück einer breiten, ſchwarzen Feuerſteinklinge von flachdreieckgem Querſchnitt. 8,5 em lang, 3 cm breit.

Abb. 14, Sig. 7. Langer Schaber aus dunkelhoniggelbem Feuerſtein mit abgerundeter Spitze und ſorgfältig retouchierten Rändern, die linke Seite ſtark abgenutzt. (Erinnert ſehr an paläolithiſche Typen). 11,6 cm lang, 2,5—3,9 cm ſtark Einzelfund.

Abb. 14, Sig. 8. Ovaler Schaber (mandelförmig), rundum retoudjiert. 4,6 em lang, 2,8 cm en : mm ſtark. Form wie bei Champ de Chaffey (Dechelette, a. a. O.).

Abb. 14, Sig. 9. pei einer grauen Feuerſteinklinge, roh zugerichtet und Fit abgeblättert. 4,3 cm lang, 2,9 cm breit. W.

. 14, Sig. 10. Flache Handſpitze aus grauem Feuerſtein, die linke Ranbfeite retouchiert, die rechte mit der Naturkruſte verſehen. 7,5 em lang, 5,5 cm breit. W. (Lag mit. Keulenknopf und Spinnwirtel zuſammen.)

Abb. 14, Sig. 11. Dicke geſchweifte Klinge (roher Abſchlag, keine beab⸗ ſichtigte Form) mit halbkreisförmigem Ausjchnitt auf der rechten Seite. 10,5 cm lang, 3 em breit. S⸗Gr.

Abb. 14, Sig. 12. Breite Siler-Klinge (großer Schaber oder Sichel) mit abgerundeter Spitze und hohler, leicht retouchierter Schneide. Auf der anderen Seite ein Stück Naturkruſte. 12 cm lang bis 5,2 cm breit. W. Lag mit Bohrer, Abb. 15, Sig. 12 und Gefäßſcherben zuſammen.

Abb. 15, Sig. 1. Roh abgeſchlagener Seuerſteinſpahn von geschweiften aber nicht beabſichtigter Form, mit feinen haarſcharfen Schneiden, immerhin ein ſehr kitzeliges Mordinſtrument darſtellend. 14 cm lang bis zu 4 em breit. W.

Abb. 15, Sig. 2. Roh zugeſchlagene geſchweifte Klinge aus grauem Feuerſtein mit Spitzen und Randretouche. 10,5 em lang, 2,5 em breit. W.

Abb. 15, Sig. 3. Breiter flacher Schaber (Ziehklinge), aus grauem Seuer- ſtein. 7,5 om hoch, 6 cm breit. W.

Abb. 15, Sig. 4. Dolchklinge aus grauſchwarzem Feuerſtein, ſorgfältig bearbeitet mit Rückenkante und ſtark retouchierten Schneiden. Am unteren, wohl zum Einſetzen in einen Holz- oder Horngriff beſtimmten Ende die Naturkruſte des Feuerſteins. 14,5 cm lang bis zu 4 em breit, 2 em ſtark. Lag mit Mahlſteinen, Rornquetſchen und Bruchſtücken von Steinwertzeugen zuſammen.

Abb. 15, Sig. 5. Dolch oder Speerſpitze aus grauſchwarzem Seuer- ſtein, ſchmale lanzettliche Sorm mit dreikantigem, oben abgeflachtem Quer⸗ ſchnitt mit kräftigen gemuſchelten Seitenretouchen. 11 em lang, 2 om breit, 13 mm ſtark. W.

Abb. 15, Sig. 6. Spitzes Meſſer mit gewölbtem, abgeflachtem Rüden und ſtark retouchierten Schneiden aus grauſchwarzem Silex. 8 em lang, 2,5 em ſtark. S-Gr.

Abb. 15, Sig. 7. Geſchweifte ſpitze Meſſerklinge mit Rüdengrat und

31] die große Erdfeftung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weifenthurm 191

fein retouchierten Schneiden aus grauſchwarzem Silex. 8,7 em lang, 2,2 cm breit. Lag mit Badteller und Gefäßſcherben, Klopfiteinen uſw. zuſammen. W.

Abb. 15, Sig. 8. Schmale flache Klinge mit leichtem Rüdengrat aus graufhwarzem Seueritein. 10,2 cm lang, 2 cm breit.

15, Sig. 9. Großer, länglich⸗ſpitzovaler Schaber aus braunem Bornſtein mit halbrund gearbeitetem, gut retouchiertem Ende und abge⸗ ſtumpfter 1 Unterſeite glatt, Oberfläche mit Rückengrat. 8 em lang, 3,7 em breit. W.

Abb. 15, Sig. 10. Schmale, geſchweifte Jeuerſteinſpitze, wohl urſprüng⸗ lich nicht beabſichtigte Form, nach der Spitze zu aber fein retouchiert. 8 em lang, 2 em breit. W.

Abb. 15, Sig. 11. Breites, flaches Klingenſtück aus ſchwarzem Siler mit abgerundetem Ende und abgefaſten und retouchierten Rändern. 6 cm lang, 3,5 em breit. Cag mit der großen Klinge, Abb. 14, Sig. 1 und der Klinge, Abb. 14, Sig. 11 zuſammen. S⸗Gr.

Abb. 15, Sig. 12. Sehr ſorgfältig bearbeitete kurze Klinge mit halb⸗ runder Spitze aus grauſchwarzem Silex. Da das untere Ende ſchon die Natur⸗ kruſte zeigt, ſo kann das Stück nur in einem Stiel oder Schaft gebraucht worden fein. Ich möchte es vor allem als eine Art Drill- oder Cöffelbohrer zur Her⸗ ſtellung weiter Löcher in Holz oder Knochen anſprechen. 5,7 cm lang, 3,7 cm breit. Lag mit der großen Feuerſteinklinge (Sichel?), Abb. 14, Sig. 12, Gefäß⸗ ſcherben uſw. zuſammen. W. |

Abb. 15, Sig. 13. Bohrer mit breiter Klinge und lang ausgezogener ſchmaler Spitze aus grauſchwarzem Silex. 5,5 cm lang, 2,8 cm breit. Ent⸗ ſpricht genau der bei Dechelette, a. a. O. veröffentlichten Bohrerklinge von Champ de Chaſſey. Lag mit Spinnwirtel, Gefäßſcherben und Feuerſtein⸗ klingen an ⸗Stücken zuſammen. W.

15, Sig. 14. Spitze eines flachen Meſſers aus gelbrotem Feuer⸗ ſtein mit feiner Randretouchierung. 4,5 cm lang, 2,3 em breit. Lag mit Beilchen, Abb. 13, Sig. 8 uſw. zuſammen. S.⸗Gr.

Abb. 15, Sig. 15. Flacher Schaber aus grauem Feuerſtein ohne jede Randretouche mit leichtem Rückengrat, 8 em lang, 2,5 em breit. W.

Abb. 15, Sig. 16. Schwarze Feuerſteinklinge von dreikantigem Quer- ſchnitt mit halbkreisförmig erbreiterter, fein retouchierter Spitze (die rechte Seite der ganzen Länge nach ausgeſprungen). Jedenfalls beabſichtigte Form zu beſtimmten Zwecken (vielleicht chirurgiſchen). S-Gr.

Abb. 15, Sig. 17. Ziemlich roh bearbeitete Klinge aus hellgrauem Silex von einer ewiſſen kihnlichkeit mit Sig. 16, doch mag hier eine beſtimmte Ab⸗ ſicht oder Zweck nicht vorgelegen haben. Insbeſondere ſind die Randretouchen grob gehalten. 9 cm lang, 2,5 cm breit, 13 mm ſtark. S-Gr.

Abb. 15, Sig. 18. Schmaler, langer Schaber aus graugelbem Seueritein, mit abgerundeten Enden und umlaufender Randbearbeitung. In der Sorm und Bearbeitung an den Schaber Abb. 14, Sig. 7 erinnernd. 8,5 cm lang, 11—18 mm breit. W.

Abb. 16, Sig. 1. Breite flache Klinge mit abgerundeter Spitze aus ſchwarzgrauem Siler mit leichter Randbearbeitung. 8,5 cm lang, 3 cm breit. W.

Hbb. 16, Sig. 2 desgleichen. 7,1 em lang, 2,7 em breit, lag mit dem Bruchſtück eines Walzenbeiles aus Augit- Undeſit und dem Schaber, Abb. 14, Sig. 8 Pala Fp ae S⸗Gr.

Abb. 16, Sig. 3. Dünne, graugelbe Meſſerklinge aus Seueritein, die eine Seite mit feinen Retoudjen, die andere ohne ſolche, aber glatt und ſcharf.

192 A. Günther [32

7 cm lang, 11—20 mm breit. Lag mit tem beutelförmigen Schnuröſenbecher, Abb. 10, Sig. 11 und Seuerjteinflinge, Sig. 4 3ujammen.

Abb. 16, Sig. 4. Meſſer aus ſchwarzem Seuerjtein mit abgerundeter, teils ausgewitterter Spitze. 6,5 cm lang, 2 em breit. Lag mit Sig. 3 uſw. zuſammen. W.

Abb. 16, Sig. 5. Meſſer⸗ oder Schaberklinge aus ſchwarzem Feuerſtein mit abgeplatteter und abgerundeter Spitze und fein retouchierten Schneiden. 4, em lang, 2.1 em breit. Lag mit Spinnwirtel und Schaber, Sig. 6 ufw. zu⸗ ſammen. W.

Abb. 16, Sig. 5a. Länglichovaler Schaber aus graugelbem Feuerſtein mit fein retouchierten Seiten, 4,5 em lang, 2,2 cm breit. Lag mit vorſtehender Sig. 5 uſw. zuſammen. W.

Abb. 16, Sig. 6. Breites Klingenbruchſtück mit abgebrochener Spitze und gewölbter Rückenkante aus grauſchwarzem Feuerſtein. 8 em lang, 3,5 em breit, 2 cm ſtark. W.

Abb. 16, Sig. 7. Breites Klingenbruchſtück mit abgerundeter, retou⸗ chierter Spitze aus ſchwarzgrauem Seuerjtein. 4,4 cm lang, 3,2 cm breit. W.

6, Sig. 8. Schaber; einfacher, flacher Jeuerſteinabſpliß mit abge⸗ rundeten Enden, ohne Retouchen, 6 cm lang, 2 cm breit. W.

Abb. 16, Sig. 9. Schmale Klinge mit ſcharfen, nicht retouchierten Seiten und breitem Rüdengrat aus Seuerjtein. 8,5 cm lang, 1,3 cm breit.

Abb. 16, Sig. 10. Stielartiges, ſchmales prismatiſches Zchieferſtück, unten von rechteckigem, oben von rundem Querſchnitt. 6,5 em lang, unten 10 x 10 mm ſtark, oben 7 mm Durchmeſſer. S-Gr.

Abb. 16, Sig. 15. Scheibenförmiger Schaber, flach mit abgeſchrägten Kanten aus ſchwarzgrauem Seuerſtein. 5,5 em x 6 em breit, bis J em ſtark. W.

Abb. 16, Sig. 14. Sichelförmig gekrümmte Feuerſteinklinge. Zufalls- form aber durch die ſorgfältige Retouche der Außenfeite als Inſtrument hergerichtet. 6 cm lang, 1,4 cm breit. S.⸗Gr.

Abb. 16, Sig. 15. Dicke Klinge mit abgerundetem Ende aus hellgrauem Seueritein, grobe Bearbeitung wie bei Abb. 15, Sig. 5a. 17,5 em lang, 19 mm breit.

Geräte und Werkzeuge aus Geweihſtücken find bisher überhaupt nicht, ſolche aus Knochen nur in dem ſchönen Knochendolch, Abb. 16, Sig. 11 aus der Elle von bos taurus, 13 em lang, unteres Ende abgebrochen, der Spitze eines anderen Knochendolches, von 5,5 em Lange (Abb. 16, Sig. 12) und dem Bruchſtück eines weiteren aus Rippenfnochen hergeſtellt, in Wohngruben des Innern gefunden worden.

Zur Herrichtung der Steinwerkzeuge dienten u. a. runde oder ovale Klopfer aus Silex, Kieſelſchiefer von der Lahn, Baſalt uſw., während für das Schleifen feinkörnige Buntſandſtein- oder Quarzitplatten benutzt wurden, deren Bruchſtücke ſich häufig in den Herd- oder Abfallgruben vorfanden.

Wie in den Wohngruben im Innern der Feſtung, ſo wurden auch in den Herdabfallgruben der Sohlgräben häufig vollſtändige Handmühlvor⸗ richtungen, beſtehend aus Unterlagsplatte und Cäuferſteinen (Abb. 17), dabei auch vielfach die ſog. Kornquetſcher von Würfelform mit abgerundeten Kanten ſowie eiförmige oder abgeſtumpft koniſche Jerreiber oder Stößer gefunden. Die Unterlagsplatten ſind aus Quarzit-, Buntſandſtein- oder Trachitplatten, die ſogen. Kornqueticher aus hartem Buntſandſtein, die Jerreiber oder Stößer aus Baſaltlava oder Buntſandſtein hergeſtellt; als Läufer dienten geeignete glatte Geſchiebe neben handlich hergerichteten Baſaltlavaſtücken.

33] Die große Erdfeftung der jüngeren Steinzeit zwiſchen Urmitz u. Weißenthurm 193

Endlich fanden fic) auch in dieſen Wohn-, Herd- und Abfallgruben ſehr häufig unbearbeitete Stücke Bajaltlava, Buntſandſtein bzw. Quarzit und durch ihre natürlichen Formen von vornherein zur Herrichtung von Werkzeugen oder auch Schmuck (Unhänger, Ketten uſw.) geeignete Fluß— geſchiebe, ſowie grobe Stücke weißes Quarz, Wacken oder Feldſpat, vor. Lebtere wurden am Feuer geröltet, in Körner zerkleinert und dem Gefäßton zur Erzielung größerer Haltbarkeit beigemiſcht, während die erſterwähnten Steinſorten teils zur Benutzung im rohen Juſtand als Klopfer oder Reiber benutzt oder anderweitig verarbeitet werden konnten. Aber auch durch ihre Färbung und Glätte auffallende Geſteinſtücke aus den Flußgeſchieben, wie Kiejel, Porphyre, ſchwarze, rote und gelbe Rieſelſchiefer uſw. wurden ge— ſammelt. Daß der Menſch bei dieſer Sammeltätigkeit auch ſchon auf beſondere Naturmerkwürdigkeiten achtete, mag eine kleine Devonplatte mit dem rädchen— förmigen Querſchnitt eines Krinoidenſtieles und ein vom Waſſer abgerolltes Devonſtückchen mit dem hohlen Abdrud eines ſchraubenförmigen Schnecken— gehäuſes zeigen. Endlich muß noch ausdrücklich feſtgeſtellt werden, daß ſich bisher noch in keinem der in der Bimskieſel reichenden Einſchnitte irgendwelche Spur von Metall (Rupfer oder Bronze) gefunden hat, wir haben es alſo hier nur mit einer rein ſteinzeitlichen Pfahl⸗ baukultur zu tun.

Mit Ausnahme des im ganzen Rheintal ſelbſt nicht vorkommenden Feuerſteines, der vielleicht aus Belgien bezogen wurde, entſtammt faſt das ge— ſamte bearbeitete wie rohe Steinmaterial N der näheren und weiteren Umgebung Abb. 17. Handmühle. oder den Bach- und Flußgeſchieben, ſo daß ſich hieraus nicht auf weitreichende Handelsbeziehungen oder große Wanderungen ſchließen läßt.

Nach allem im Dorjtehenden Geſagten haben wir es mit einem großen jeBhaften Stamme zu tun, der wohl vom Oberrhein herziehend, von feinen dortigen Stammesgenoſſen durch im Laufe der Zeiten fic) zwiſchenſchiebende fremde Kulturen allmählich abgedrängt, ſich lange an dieſer Stelle erhielt, in der Umgebung ausbreitete, als Tochtergründung die Mayener Erdfeſtung errichtete und einzelne Ausläufer nach dem Niederrhein entſandte, vielleicht auch noch in den Pfahlbauern Nordweſtdeutſchlands Verwandte hatte. Auf Beziehungen zu der Dolmen- und Megalithkultur Frankreichs und Nord— weſtdeutſchlands mögen die angeführten Gefäßformen und Werkzeuge ſchließen laſſen. Röſſen-Nierſteiner- und Spiralmäander-Rultur ſcheinen unſere Pfahlbauleute nur in freundſchaftlichem Sinne beeinflußt zu haben. Als gute Nachbarn dürften ſie, wechſelſeitig gebend und nehmend nebeneinander, hier und da auch gemiſcht wie anderwärts, gewohnt haben. Derhängnis⸗ voller wird ihnen die Überflutung Weſteuropas durch die Leute der Jonen— bandkeramik (um 2000 vor Chr.) geworden ſein, die vielleicht die Erobernug und Jerſtörung der Pfahlbaufeſtung herbeiführte. Daß die Pfahlbaubevölke— rung von den Siegern nicht ausgerottet wurde, ſondern ſich mit ihnen und den ſpäteren Kulturen miſchte und erhielt, darauf dürften die mancherlei Anklänge der ſpäteren Bronze- und Hallſtattzeiten in ihren Gefäßformen gerade in dieſer Gegend, vielleicht ſogar noch in der großen Siedelungs— anlage von Neuhäuſel hindeuten.

Mannus, Seitidrift für Vorgeſch., Bd. 17. 5. 3. 13

Subfoſſile Unochenrejte aus dem Untergrunde der Stadt Braunſchweig.

Don C. Knoop, Börkum.

Dor ungefähr 25 Jahren wurden in der Stadt Braunſchweig bei Kanali— ſationsarbeiten in der Nähe des Landestheaters in einer Tiefe von 2 m und bei der Anlage des Sernheizwerfes im Zuge der Wilhelmſtraße ebenfalls in 2m Tiefe verſchiedene ſubfoſſile Knochen gefunden, die für die Urgeſchichte der Braunſchweiger Gegend von beſonderer Bedeutung ſein werden.

Das fragliche Knochenmaterial beſteht in drei hornzapfen und in einer unteren Epiphuſe eines Metakarpalknochens verſchiedener Rinder (Boviden).

Beide Sunditellen liegen im ſchlammigen Tonboden, deſſen Entſtehung und weitere Ablagerung in folgender Weiſe vor ſich gegangen ſein wird. Die Umgegend der Stadt Braunſchweig war in vorgeſchichtlicher Zeit ſtark ſumpfig, und infolge der faſt alljährlich wiederkehrenden Uberſchwemmungen der Oker ijt den im Bereiche des hochwaſſers liegenden Sümpfen und Teichen der moorige Grund genommen, vom Strome weiter geführt und an ruhigen Stellen zu neuen Ablagerungen gekommen. Daß das abziehende Waſſer alle von ihm erreichbaren Gegenſtände von nicht beſonderem Gewichte mit fortſchwemmte, iſt natürlich. Dieſem Umſtande iſt es zuzuſchreiben, daß die bezeichneten Knochenreſte nun ihre endgültige Ablagerung fanden. Sie wurden alſo an ſekundären Stellen entdeckt.

Die oſteologiſchen Unterſuchungen hatten folgendes Ergebnis. Der größere hornzapfen aus der Nähe des Landestheaters hat eine Uchſenlänge von 212 min, der Umfang an der Baſis beträgt 191, der größte Durchmeſſer daſelbſt 69, der kleinere 53 mm. Die Richtung der Cängsachſe zur Baſis ſchließt eine Derwechſlung mit Bos frontosus aus. Es handelt fic) hier um ein jüngeres Exemplar von Bos primigenius Boj. Die von mir geſammelten gleichen Stücke aus dem Börßumer und Offlebener älteren Alluvium haben, trotz der gewaltigen Größe dieſelbe Zugrichtung. Zwecks weiterer Vergleichung verweiſe ich auf die Arbeit: , Derjuch einer natürlichen Geſchichte des Rindes, 1. Abteilung, Tafel LV, Bos primigenius, Wildvieh vom Cyme-Park” von Prof. Dr. Rütimeyer. Die übrigen Hornzapfen, die durch ihre geringe Größe auffallen, gehören einem männlichen und einem weiblichen Torfrinde, Bos palustris Rütimeyer, an. Der kleinere Zapfen, vom männlichen Tiere, hat eine Achjenlänge von 151 mm, fein größter Durchmeſſer an der Baſis beträgt 36, der kleinere 28 mm. Der Zapfen ijt von der rechten Seite des Schädels

2] Subfoſſile Knochenreſte aus dem Untergrunde der Stadt Braunſchweig 195

abgebrochen. Der zweite Japfen, von der linken Seite abgeſchlagen, iſt weit ſchlanker gebaut. Seine Maßverhältniſſe find dem vorigen entſprechend 155, 37 u. 30 mm. Eine genaue Vergleichung mit den Funden der Pfahlbaudörfer der Schweiz dürfte in der Stirnbildung gewiſſe Abweichungen ergeben, die jedoch in den geographiſchen bzw. klimatiſchen Verhältniſſen ihre Begründung finden. Neben dem größeren hornzapfen von Bos palustris R. wurde noch die untere Epiphyſe des Metakarpalknochens vom Torfrinde gefunden )).

Wie bereits am Eingange bemerkt, ſind dieſe Funde für die Vorgeſchichte Braunſchweigs von beſonderem Werte. Es zeigen die Hornzapfen von Bos primigenius ſowie der größere Japfen des Torfrindes und das Bruchſtück des Metakarpus menſchliche Bearbeitungsſpuren. Offenbar ſind ſie mit ſteinernen handwerkszeugen verurſacht, um die Hörner alſo Zapfen nebſt scheide vom Schädel zu trennen. Dor dem Anſatze des Primigenius⸗ zapfens liegt auf dem Schädelreſte eine in ganzer Hornbreite mit einem Stein: ſchaber (racloir) hergeſtellte ſchwache Surche, die noch deutlich die Schrammen des Schabers erkennen läßt. Ohne Zweifel hat der Arbeiter das Horn mit dieſem unpraktiſchen Gerät abtrennen wollen. Er iſt aber der mühevollen Arbeit überdrüſſig geworden und verſuchte nun, ſiebenmal mittelſt ſcharfer Klinge aus Flint ſein Vorhaben auszuführen. Da auch dies nicht gelingen wollte, ſchlug er mit ſtarkem Handjteine oder ſchwerer Keule das Horn vom Schädel ab, wodurch natürlich ein größeres Stück des Stirnbeines haften blieb. An dem Hornzapfen des weiblichen Torfrindes zeigen ſich gleichfalls 8 Klingen⸗ ſchnitte. Auch hier iſt anzunehmen, daß dem Arbeiter mit ſeinem primitiven Werkzeuge die Abjicht, das Horn zu gewinnen, nicht gelungen ijt, weshalb er gleichfalls das horn vom Schädel abſchlug, um nachher bequemer arbeiten zu können. Das erwähnte Metakarpalbruchſtück, deſſen Wellenbreite 47 mm mißt, iſt in der höhe von 32 mm vom Schafte abgeſägt. Der Schnitt drang 9mm ein. Da ein tieferes Eindringen mittelſt Klinge oder eines ſägeartigen Geräts unmöglich war, ſchlug der Urbeiter das Stück vom Schafte ab. Die Schnitte laſſen teilweiſe noch die Züge erkennen, die von den Zähnen des Ge⸗ rätes verurſacht wurden.

Um für die Klltersbeſtimmung der menſchlichen Tätigkeit beſtimmte Anhaltspunkte zu erlangen, fei auf anderweitige Vorkommniſſe hingewieſen. Schaberarbeit, wie ſie das gedachte Primigeniusrind aufweiſt, ſind mir von Jingerode und Offenbach bekannt geworden. In beiden Fällen handelte es id) darum, gewiſſe Teile aus ſtarken Geweihen des Edelhirſches zu gewinnen. lluch in dieſen Fällen ijt der Reit der Arbeit durch Abſchlag vollendet. Die Schnittſpuren habe ich auch an Geweihſproſſen der gleichen hirſche und dem Altalluvium von Salzdahlum, Schöppenſtedt, Börkum und Tempelhof be- merkt. Die Breite der Schnitte ſchwankte zwiſchen 114 und mm.

Die Heritellung der Geräte aus Horn oder Knochen ſowie die geologiſche Beſchaffenheit der Sunditellen führt uns in die Zeit zurück, die der jüngeren Steinzeit vorangeht. Wir haben es alſo mit Funden des Meſolithikums zu tun.

0 Intereſſenten möchte ich hierbei auf meinen im Jahre 1915 gemachten zun), ein vollſtändiges Skelett desſelben Kindes, aufmerkſam 19 bal über welches ich im „Land⸗ wirtſchaftlichen Jahrbuche, Zeitſchrift für wiſſenſchaftliche Landwirtſchaft“ Heft V, S. 791 genauen Bericht erſtattete.

15*

Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland). Don Peter hörter. Mit 6 Tafeln (III VIII).

Wenn wir von der im Cale der Nette liegenden Kreisſtadt Mauen die ſteil anjteigende St. Deititraße aufwärts gehen, kommen wir nahe der Stelle, wo dieſe ſich mit der Koblenzer Straße vereinigt, an das rechts der Straße liegende Umtsgerichtsgebäude. Auf dem jetzt erreichten welligen Hoch⸗ plateau liegt links der Oſtbahnhof und etwa 1 km weiter die Stelle, wo im Jahre 1908 und 1909 das Bonner Provinzialmuſeum, zuſammen mit dem Mayener Geſchichts- und Altertumsverein, zwiſchen Oſtbahnhof und Kagen- berg das bekannte neolithiſche Erdwerk der Michelsberger Kultur aufgedeckt hat. Die Koblenzer Straße iſt eine alte vorrömiſche, von den Römern aus⸗ gebaute Straße, welche in der Nähe des Oſtbahnhofes nach Andernach und nach dem Neuwiederbecken abzweigte. Der rechts an der St. Deit- und Koblenzer Straße liegende Felddiſtrikt links neben dem Amtsgericht heißt „Konn“, hinter dem Amtsgerichtsgebäude „Ronnerhöll“. Letzteren Diſtrikt, unſer Gräberfeld, erreichen wir auf einem an der Oſtſeite des Gebäudes vor einigen Jahren neu angelegten Feldwege. Es iſt eine ebene Fläche, welche aber bald nach Weiten zu ſteil nach dem Nettebach abfällt. Ein Seld rechts des neuen Weges gehört der Stadt, welche dieſes in Parzellen ein⸗ teilen und verpachten ließ. Ein Pächter namens Ad. Giefer, der feinen Teil zu einem Garten herrichtete, ſtieß dort im Frühjahr 1924 auf Tongefäße, welches er ſofort dem Schreiber dieſes mitteilte. An der Sunditelle ange- kommen ſah ich, daß es ſich um handgemachte Ware handelte, welche in einer Grube von nur 35 cm Tiefe ſtand. Eine große Schüſſel enthielt den Leichen⸗ brand. Um die Schüſſel ſtanden 4 Schalen, wovon die eine, einige kleinere, noch nicht beſtimmte Knochen enthielt. Wegen der ſchon zu weit vorge- ſchrittenen Gartenarbeit war eine ſofortige Durchgrabung der Parzelle nicht mehr möglich, ſondern mußte bis zum Spätherbſt verſchoben werden. Ein dem von Ad. Giefer auf der anderen Seite des neuen Flurweges gegenüber liegendes Grundſtück, in welchem wir auch Gräber vermuteten, war mit Rorn beſtellt und wurde Ende kluguſt frei. Hier konnten wir nun mit Erlaubnis des Eigentümers Joſef Ortel im September mit unſeren Grabungen anfangen und ſchon am erſten Tage wurden mehrere Gräber aufgedeckt. Im ganzen wurden in dieſem Felde und dem ebenfalls durchgegrabenen Slurwege 28 Gräber freigelegt. Im November 1924 und Februar 1925 wurde dann

21 Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland) 197

noch der inzwiſchen frei gewordene Garten von Ad. Giefer durchgegraben und einige Verſuchsſchnitte in den angrenzenden Feldern gemacht, wobei noch 8 Gräber aufgedeckt wurden, zuſammen alſo 36 Gräber.

Das Grabinventar iſt einheitlich und ſtimmt überein mit dem der in den Jahren 1912 und 1913 zuſammen mit dem Leiter des Prähiſtoriſchen. muſeums Köln, Direktor Rademacher aufgedeckten, noch nicht veröffent- lichten Grabfeldern von Ettringen und Kottenheim und mit den Funden von Andernad und Saffig im Kreife Mayen. Bei allen genannten Orten handelt es ſich um germaniſche Begräbnisſtätten aus der letzten Hälfte des letzten vorchriſtlichen Jahrhunderts und den erſten Jahrzehnten des erſten Jahr⸗ hunderts nach Chriſti Geburt.

Die Bodenverhältniſſe auf unſerem Grabfelde ſtellen ſich folgender⸗ maßen dar. Der Mutterboden hat eine Stärke von 20—30 cm, dann folgt eine 25—35 em mächtige vulkaniſche Sandſchicht und unter dieſer folgt ein ſandiger Lehmboden. Die meiſten Gräber ſtanden in der Sandſchicht. Nur einige wenige Gruben waren ein paar Jentimeter in den Lehmboden ein⸗ gegraben. Andere Gräber ſtanden in fo geringer Tiefe, daß fie durch Seld- und Gartenarbeiten faſt ganz zerſtört waren, ſo daß nur mehr die Böden der Grabgefäße an ihrem urſprünglichen Standort vorhanden waren. Doch fanden ſich die tiefer ſtehenden Gräber meiſt noch ungeſtört vor.

Bis auf ein Brandgrubengrab ſind alle Gräber Urnengräber, d. h., die verbrannten Knochen ſind ſauber aufgeleſen und in einem, mehreremale auch in 2 Gefäßen geborgen. Leider war kein Sachkenner zur Hand, welcher die Knochen, ob von Menſch oder Tier herrührend, beſtimmen konnte. Doch fanden ſich einige Male in der Haupturne zwiſchen größeren Knochen und in einigen Beigefäßen auch für den Laien erkennbare Knochen von einem größeren Vogel, huhn oder Taube vor. Wie mir Rademacher mitteilte, fanden ſich in einer Graburne von Ettringen zuſammen Knochen vom Menſch, Schwein und huhn. Nur in einigen Gruben außer dem oben genannten Brandgrubengrab, fanden ſich in der Grube oder in den Urnen einige Holz⸗ kohlenſtückchen. Da ſich auch keine Steinſetzung fand, welche die Gräber im voraus anzeigte, war die größte Vorſicht für unſere Arbeiter nötig. Ein 20 em hoher und 10—12 cm breiter unbearbeiteter roher Baſaltſtein, welcher ſich einmal in der Nähe einer Urne fand, wird wohl durch Zufall dorthin gekommen fein. Da ſich auch weder Nägel noch Kiſtenbeſchläge fanden, muß Wide MEN. daß die Grabgefäße ohne jeden Schutz in die Grube geſtellt wurden.

Wie bei den noch ungeſtörten Gräbern feſtgeſtellt wurde, ſind alle Gefäße bis auf 2 ganz ins Grab gekommen. Don den beiden letzteren ſtand eines in 2, das andere in 3 Teilen etwas voneinander in der Grube; dieſe müſſen demnach ſchon zerbrochen geweſen ſein, ehe ſie in die Erde kamen. Bei keinem der Gefäße oder den Bronzefibeln ließen ſich Brandſpuren feſt⸗ ſtellen. Es fand ſich zwar eine verbogene Sibel, aber es ließ ſich nicht feſt⸗ ſtellen, ob dies von der Einwirkung des Feuers herrührte. Überhaupt fanden ſich keine verſchmolzenen Bronzeſtücke, wie dies in ſpäteren Gräbern ſo oft bei uns vorkommt, demnach haben die Beigaben den Leichenbrand nicht mit⸗ gemacht. Von echten römiſchen Gefäßen, wie Sigillata oder Gläſern, fand ſich nicht das geringſte, auch keine römiſche Münze wurde gefunden. Wohl aber wurden in mehreren Gräbern gut gedrehte, graue oder gelbliche ſoge⸗ nannte belgiſche Tonware gefunden. Als Knochenbehälter diente in den meilten Fällen eine größere Schüſſel. Dieſelbe Beobachtung wurde auch auf

198 Deter Hörter [3

dem germaniſchen Gräberfelde bei Bad Nauheim in Oberheſſen gemacht. (S. Quilling, „Die Nauheimer Funde“ .)

Die große Mehrzahl der Mnochenbehälter waren bei der Auffindung unbedeckt. Es kann aber ſein, daß viele Dedelgefäße, zumal bei den nicht tief ſtehenden Gräbern durch den Pflug abgefahren waren. Da ſich wenig Der: ſchiedenheit in der Aufitellung und dem Aufbau der Gräber fand, will ich, um nicht zu ermüden, nur einen Teil davon näher beſchreiben. Bei Angabe des Tiefſtandes iſt immer das Maß bis zur Sohle der Grube zu verſtehen.

Grab 4. Die Grube war 42 cm tief ausgehoben. In der Mitte ſtand ein rötlicher Krug mit abgefahrener Randlippe, von noch 25 em Höhe mit zwei Wulſten unter dem Rand (Abb. 8—1). Dieſer enthielt die gebrannten Knochen und zwiſchen den Knochen fanden ſich 2 Bronzefibeln (Abb. 5—2), ein Eifenring (Abb. 7, Nr. 2) und ein Eiſenhaken (Abb. 7, Nr. 1). Neben dem Krug ſtand nach Nordweſten ein bauchiger Becher von 13 cm Höhe, fleckig braunſchwarz und eine graue Schale mit flacher Deckelrille von 7 em Höhe und 12,5 em Mündungsdurchmeſſer, wie Abb. 2, Nr. 2. Alle Gefäße ſind bandgemacht.

Grab 5. Stand 47 em tief. Als Knochenbehälter diente ein gedrehtes belgiſches Gefäß von 25 em höhe mit zwei geſtrichelten Gurtbändern um den Bauch. Dieſes war mit einer ebenfalls gedrehten grauen Schale bedeckt, deren Mündung nach oben ſtand. Im Innern des die Knochen bergenden Gefäßes fanden ſich 2 Bronzefibeln, wie bei Grab 4, Abb. 5, Nr. 1 und eine ee aus Bronze (Abb. 5, Nr. 2).

Grab 6, Abb. 1. Die Grube war 60 em tief ausgehoben. Ein 29 cm hoher, ohne Drehſcheibe hergeſtellter Krug (Abb. 1, Nr. 1) von rötlicher Farbe barg den Leichenbrand. In dieſem lag zwiſchen den Knochen eine Diſtel⸗ fibel, wie bei Grab 5 Abb. 5, Nr. 2, aber nur 5,5 em lang und eine ſolche wie bei Grab 4 Abb. 5, Nr. 1. An die Graburne angelehnt ſtand auf der Hodfante nach Norden zu die Kumpe (Abb. 1, Nr. 2). Dieſer gegenüber ebenfalls an die Urne angelehnt und auf der Kante ſtehend eine rotbraune Schale (Abb. 1, Nr. 3). Dieſe ijt innen und außen mit einer ſchwarzen Lad: ide geſtrichen. Auch die Kumpe zeigt noch Rejte diefes Schwarzen Sarb- triches.

Grab 7, Abb. 2. Tiefe der rundlichen Grube 50 cm. In dieſer ſtand auf der Südſeite eine 16 em hohe und 23 em Mündungsdurchmeſſer haltende Schüſſel (Abb. 2, Nr. 1) aus grauem, fein geſchlemmten Ton, ſauber und dünn gedreht und ganz mit roter Farbe geſtrichen. Der Rand iſt nach innen abge— ſchrägt. Dieſe enthielt gebrannte Knochen. Zwiſchen den Knochen lagen 2 bronzene Bügelknopffibeln und ein Bruchſtück einer ſolchen, wie Abb. 5, Nr. 3. Auf den Knochen in der Schüſſel ſtand mit der Mündung nach unten eine handgearbeitete Schale (Abb. 2, Nr. 2) von 15,5 em Durchmeſſer und 5,5 em höhe, mit nach innen eingezogenem Rande mit ſchwach eingefurchter Deckelrille. Unter der Schüſſel lag mit der Mündung nach unten eine Schale (Abb. 2, Nr. 3) und unter dieſer ein 35 em langes Eiſenmeſſer, wovon 14 cm auf den Griff kommen (Abb. 7. Nr. 3). Wie man auf der Zeichnung ſieht, iſt der untere Teil der Klinge in einer Breite ausgeſchmiedet und dann durch Umbiegen der beiden Seiten nach innen der Griff hergeſtellt worden. Nach Norden zu ſtand eine gelblichweißer, 22,5 cm hoher auf der Drehſcheibe herge⸗ ſtellter Grätenbecher (Abb. 2, Nr. 4), ſogenannte belgiſche Arbeit. Auf dieſem ſtand ein . dickwandiger, 14 em hoher Becher aus ſandigem roten Ton mit ſchwarzen Sarbfleden (Abb. 2, Nr. 5). Huf der Weſtſeite ſtand

4] Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland) 199

ein 16 em hohes Gefäß mit nur 6 cm Mündungsdurchmeſſer, ebenfalls Hand- arbeit und außen ganz mit ſchwarzer Ladfarbe geſtrichen (Abb. 2, Nr. 6). Alle drei zuletzt genannten Gefäße enthielten einige gebrannte Knochen, ob von Menſch oder Tier, iſt nicht feſtgeſtellt worden.

Grab 9, Abb. 3. Tiefſtand 55 em. In einer ſehr fauber und dünn abgedrehten, glänzend ſchwarz geſtrichenen Schüſſel (Abb. 3, Nr. 1) aus fein⸗ geſchlemmtem grauen Ton von 22,5 em Höhe und 22 em Mündungsdurch⸗ meſſer, lagen die Reſte vom Leichenbrand. Zwiſchen den Brandreſten fanden ſich 2 Dijtel- und 2 Kragenfibeln (Abb. 5, Nr. 2 und 4). Neben der Schüſſel ſtand nach Weiten zu ein 18 em hoher Krug (Abb. 3, Nr. 2) aus rotem Ton mit Reſten von ſchwarzem Farbſtrich, gefüllt mit eingedrungenem Sand. Nach Oſten ſtand eine ebenfalls mit Sand gefüllte Schale von 14,5 em Durch- meſſer und 6,5 em Höhe (Abb. 3, Nr. 3). Schale und Krug find dickwandig und freihändig ohne Scheibe geformt.

Grab 10 (Kindergrab). In einer 66 em tief ausgehobenen Grube ſtand in der Mitte eine 10 em hohe und 18 em im Durchmeſſer haltende Kumpe mit Dedeltille wie Abb. 8, Nr. 4, welche die verbrannten Knochen eines Kindes enthielt. Auf den Knochen, dieſe bedeckend, ſtand eine Kugel: urne von 14 cm höhe. Rund um den Knochenbehälter lagen auf der Seite, alle jo ziemlich nach Norden mit der Mündung gerichtet, noch 6 meiſt faß⸗ förmige Becher von 10—6 em höhe und eine kugelige Tonraſſel von 7 em Durchmeſſer. Ein Becher enthielt einige kleine Tierknochen. Alle Gefäße aus dieſem Grab ſind aus ſandigem roten Ton ohne Drehſcheibe gefertigt.

Grab 13. 50 cm tief ſtand eine handgearbeitete, 25 em hohe faß⸗ förmige Urne (Abb. 8, Nr. 2), welche die Brandreſte enthielt. Rund um die Urne ſtanden noch 3 Gefäße, alle nur mit eingedrungenem Sand gefüllt. Es find ein Krug von 16 cm höhe und 8 em Mündungsdurchmeſſer, wie Abb. 2, Nr. 6 aus rotem Ton von Hand geformt, eine Rumpe wie Abb. 8, Ur. 4 von 9,5 em Höhe und 18cm Mündungsdurchmeſſer, ebenfalls Handarbeit und ein dünn gedrehter ſchwarz geſchmauchter Becher von 15 em höhe. Huf dem unteren Teil der Wandung ſind abwechſelnd matte und glänzende Bänder eingeglättet.

Grab 16 ſtand nur 40 em tief. Eine große, etwa 35 em im Durch⸗ meſſer haltende Schüſſel barg die Brandreſte, aber fie war durch die Seld- arbeiten jo zerſtört, daß fie nicht mehr zuſammengeſetzt werden konnte. Auf der Schüſſel lagen Reſte eines Schildbuckels (Abb. 7, Nr. 5), welcher im Zentral⸗ muſeum Mainz zu 2/, wieder hergeſtellt wurde. Er iſt von halbrunder Form, hat eine höhe von 6,5 und mit Rand 16,5 em Durchmeſſer. Der Rand iſt 2,5 em breit und der Buckelkragen iff 2 cm hoch. Er war mit 4 Nietnägeln, wovon 5 noch erhalten, auf den Holzſchild befeſtigt. Dieſer kann nach der Umbiegung der Nietnägel zu ſchließen nur 1 em did geweſen fein. Es ijt möglich, daß der Schild das ganze Grab bedeckt hat wie auch ſchon an anderen Stellen beob⸗ achtet wurde (M. Jahn, Die Spatlaténefunde von Tſchiläſen, Kreis Guhra, Schleſien“. Mannus, Bd. 10, 1918). Auch waren nach der Unſicht von Quil⸗ ling (Die Nauheimer Funde) bei Sund 44 die Knochen in einem Schilde bei- geſetzt. In der Schüſſel zwiſchen den Knochen fand ſich eine Bronzefibel (Abb. 6, Nr. 7). Unter der Schüſſel lag eine 24 cm lange eiſerne Lanzen⸗ ſpitze (Abb. 7, Nr. 4), wovon 4,5 cm auf die Tülle kommen. Neben der Schüſſel ſtand nach Süden zu eine handgearbeitete Schale von 12 em Durchmeſſer, wie Abb. 3, Nr. 3.

200 Peter Hörter (5

Grab 17. Dieſes Grab fand fich in dem neuangelegten Feldwege. In einer Tiefe von 55 em ſtand ein 20 em hoher handgemachter Krug, wie Abb. 2 Nr. 6. Unter dieſem, welcher außer eingedrungener Erde nur ein paar Knochenſplitter enthielt, lag ein häufchen gebrannter Knochen. In dieſen fand ſich eine ſehr gut erhaltene keltiſche Potinmünze. Nach gefl. Beſtimmung von Profeſſor Behrens in Mainz und J. Hagen in Bonn iſt es eine Münze der Senones, welche in Mittelfrankreich ihren Wohnſitz hatten. Zwei gleiche Münzen find unter anderen gefunden in Alzey und eine auf dem Marsberg bei Pommern an der Moſel. Neben dem Krug ſtand im Weſten noch ein 8 em hoher bauchiger Becher, ebenfalls Handarbeit.

Grab 26. Dieſes war ein ſog. Brandgrubengrab, ziemlich rechteckig, 90 em lang und 50 em breit, bei einer Tiefe von 55 cm. An der Sohle der Grube lag eine Kohlenſchicht von 25 em Stärke, gemiſcht mit Knochenſplittern und Gefäßſcherben, darunter Stücke von zwei gedrehten und einem handge⸗ machten Gefäß. Die Gefäßformen ſind dieſelben, wie dieſe in den vorher be⸗ ſprochenen Gräbern vorkamen, nur ſcheint mehr gedrehte Ware vorhanden geweſen zu ſein.

Grab 27. Abb. 4. In der Tiefe von 43 cm ſtand eine braunrote Schüſſel (Abb. 4 Nr. 1) mit profiliertem Rande. Dieſe hat einen Durchmeſſer von 27 ½ cm und eine höhe von 17 em und enthielt die verbrannten Knochen. In der Schüſſel lag eine verbogene Bronzefibel (Abb. 6 Nr. 11) und ein Bruch⸗ ſtück einer ſolchen. Nach Nordweſten ſtand eine zweite auch mit Knochen gefüllte Schüffel von ſchwärzlicher Sarbe, welche aber jo beſchädigt war, daß fie nicht wieder hergeſtellt werden konnte. Im Weſten der zuerſt genannten Schüſſel ſtand eine ebenfalls profilierte kleinere Schüſſel von braunroter Farbe (Abb. 4 Nr. 2). Dieſe, welche nur Sand enthielt, war bedeckt mit einer Schale (Abb. 4 Nr. 3), höhe 6, Durchmeſſer 15 em). Dann ſtand auf der Kante, an die große braunrote Schüſſel angelehnt, eine ſtark beſchädigte zweite Schale, ähnlich wie die Deckelſchale, welche auch nicht mehr gerzuſtellen war. Zwiſchen den Gefäßen fand ſich noch ein Eiſenring und eine beſchädigte Eiſenfibel, wie Abb. 4 zeigt. Alle Gefäße dieſes Grabes find ohne Drehſcheibe gefertigt. Ausnahmsweife fanden ſich bei dieſem Grabe ſowohl zwiſchen den Knochen in den Schüſſeln, als auch auf dem Boden der Grube einige Holz⸗ kohlenſtückchen. |

Nachdem noch ein Grab ohne beſondere Beigaben aufgedeckt wurde, war das Feld von J. Ortel ſoweit ganz durchſucht, und es wurde, weil in⸗ zwiſchen die Jahreszeit ſchon weit vorgeſchritten war, für dieſes Jahr Schluß gemacht. Anfang Februar 1925 wurde dann der Garten von A. Giefer, wo der erſte Fund zutage kam, weiter durchſucht.

Grab 29. Die rundliche Grube von 55 cm Tiefe war noch einige Zenti⸗ meter in dem unter dem Sand anſtehenden Lehmboden eingegraben. Bei dieſem Grabe war eine große handgemachte Schüſſel allem Anjchein nach nicht ganz in die Erde gekommen, denn ſie ſtand in zwei hälften etwa 20 em voneinander. Sie hat 2014 cin Durchmeſſer und 11 em höhe und ijt braunrot von Farbe (Abb. 8 Nr. 6). Dann ſtanden noch drei handgemachte Kumpen um die Schüſſel auf der Hodfante und ein nicht mehr ganz erhaltener grauer belgiſcher Becher enthielt die ſauber aufgeleſenen verbrannten Knochen. Zwiſchen den Knochen lag eine Bronzefibel (Abb. 6 Nr. 8) und ein Fuß einer ſolchen (Abb. 6 Nr. 9). Ferner wurde eine eiſerne Ringgürtelſchnalle (Abb. 7 Nr. 7) und zwei ſtark verroſteten Eiſenfibeln (ähnlich Abb. 6 Nr. 10) gefunden

6; Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland) 201

Unter der großen Schüſſel lagen ebenfalls gebrannte Knochen. Don den

zwei noch ganz erhaltenen Kumpen hat eine 18, die andere 14 cm Mündungs⸗

e letztere mit umlaufender Hohlrille unter dem Rand wie Abb. 8 r. 6.

Grab 35. Die Grube war 55 em tief ausgehoben. hier ſtand eine Schüſſel von 24 cm Durchmeſſer und 10 cm Höhe mit dem Leichenbrand. Über der Schüſſel lag mit der Spitze nach Norden eine 21 em lange eiſerne Lanzenſpitze mit geſchweiftem Blatt (Abb. 7 Nr. 8). Unter der Schüſſel lag ein faſt ganz zerſtörter Schildbuckel von halbrunder Form, mit einer nur 1 cm hoher viereckiger Stange als oberen Abſchluß (Abb. 7 Nr. 9).

Grab 36. Bis zur Sohle der Grube wurden 40 em gemeſſen. Hier lag ein häufchen gebrannter Knochen. Auf dieſen ſtanden noch die unteren Teile einiger handgemachter, durch den Pflug abgefahrener Gefäße. Zwiſchen den Knochen fanden ſich eine Anzahl unbeſtimmbarer Eiſengegenſtände und eine Eiſenfibel wie Abb 6 Nr. 10. Die Eiſenſachen find: 3 Doppelhaken mit Öfen (Abb. 7 Nr. 11) von 10, 8 ½ und 8 em Länge. Ein 16 cm langes flaches, 1 cm dickes Eiſenſtück mit Loch an einem Ende und mit Nietplatte an dem anderen Ende (Abb. 7 Nr. 10) und ein 10 em langes rundes Eiſenſtück (Abb. 7 Nr. 12), welches an einem Ende umgebogen ijt.

Weitere Gräber wurden in dieſem Grundſtück nicht mehr gefunden. Bei einigen Derſuchsſchnitten, welche in einem an das Feld von Oertel im Südoſten anſtoßenden Felde angelegt wurden, fanden ſich 3 Brandgruben in verſchiedenen Größen 60 x 75 und 40 x 40 und 50 x 60 em, welche 70—70 und 65 em tief waren. hier fanden fic) Brandſchichten von 10—15 cm Stärke, welche aber weder Knochenſpuren noch Gefäßreſte enthielten. Wie oiefe zu erklären find, ijt mir unklar. Tien au hält ſolche in Oſt⸗ und Norddeutſch⸗ land öfter beobachtete Gruben (Mannus B 11/12 1920) für Opfergruben, und zwar ſolche ohne Knochenſpuren, wo Feldfrüchte, und ſolche mit Knochen⸗ ſpuren, wo Tiere geopfert wurden.

Die Gefäße.

Die meiſten Gefäße ſind aus rotem ſandigem Ton, ohne Drehſcheibe hergeſtellt. Ein hieſiger Töpfermeiſter, welchem ich verſchiedene Bruchſtücke zeigte, meint, ſie ſeien aus dem auf dem Gräberfeld ſelbſt vorkommenden Ton verfertigt, was mir wohl für die gewöhnlichen Gebrauchswaren an allen Orten, wo Ton vorkommt, annehmen müſſen. Dieſe Ware hat man ſicher nicht weit hergeholt, dafür war ſie zu wertlos und zu ſchwer, denn einzelne haben bis zu 12 mm dicke Wandungen. Anders verhält es ſich bei den gedrehten, fog. belgiſchen Gefäßen aus grauem feingeſchlemmtem Ton, die wohl aus Töpfereibetrieben bezogen wurden, welche ja auch nicht weit von Mayen, 3. B. in Carden und Cobern a. d. Moſel, nachgewieſen worden find (Lehner, Führer durch die antike Abteilung des Provinzialmuſeums, Bonn). Außer der bekannten belgiſchen Ware kommen vereinzelte aus grauem Ton herge⸗ ſtellte Gefäße, meiſt Schüſſeln (ſiehe Abb. 2 Nr. 1 und 3 Nr. 1) von äußerſt ſauberen Dreharbeiten mit ſcharf profiliertem Rande vor, welche nur durch ihre edle Form und ihren glänzenden ſchwarzen oder roten Sarbitrich wirken.

Dieſelben Gefäße wurden auch auf anderen Grabfeldern dieſer Zeit, ſo bei Cautenbach (Trierer Jahresbericht heft 3 1910 Abb. 1 D) und bei hirſtein, Kriegshübel. (Baldes und Behrens Katalog Birkenfeld Tafel XIV Abb. 24) gefunden. Don den ſonſt oft auf Grabfeldern der Spätlatène⸗ und

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frühen Kaijerzeit gefundenen Gefäßen mit eingeglätteten Mujtern kam nur ein Becher zutage. Es zwingt uns nichts dazu, letztere Gefäße als aus dem Belgengebiet eingeführt anzunehmen, denn bekanntlich kommen in genannter Zeit auch bei den Elbgermanen, in Thüringen und bis an die Mainmündung ſchon auf der Drehſcheibe in ſauberſter Ausführung hergeſtellte Gefäße vor. Auffallend iſt ein bei vielen handgemachten Gefäßen vorkommender, bei anderen Kulturen hier noch nicht beobachteter dicker ſchwarzer Lackfarben⸗ Mich. Bei einzelnen Gefäßen ijt die ganze Hußenſeite, bei Schalen oft auch die Innenſeite, oder nur der Rand mit dieſer Farbe geſtrichen. Es kommt dann öfter vor, daß einzelne Streifen nach unten verlaufen Derſelbe Sarb- ſtrich kommt auch bei einzelnen Gefäßen von Ettringen, Saffig und Andernach vor. Letztere Grabfunde wurden 1913 in Andernach, Bachſtraße unter der römiſchen Schicht gemacht und find wie die Sunde von Saffig, Ettringen und Rottenheim noch nicht veröffentlicht. Auch eine Schale mit ſchwacher Deckelrille, welche in Diez an der Lahn gefunden wurde und deren Photo- graphie ich herrn herm. Heck daſelbſt verdanke, zeigt denſelben ſchwarzen Laditrih. Es werden auch von anderen germaniſchen Fundſtätten 3. B. Nauheim und Cautenbach, Bezirk Trier, ſchwarz geſtrichene Gefäße gemeldet, ob dies aber derſelbe lad= oder aſphaltartige Farbſtrich ijt wie bei unſeren Gefäßen, kann ich aus den Berichten nicht erſehen.

Andere oft vorkommende handgearbeitete Schüſſeln und Rumpen aus rotem Ton, ſind öfter außen ſauber geglättet, von grauer oder braunroter Farbe und mehrere Male mit profiliertem Rande wie Abb. 4 Nr. 1 und 2 oder mit Deckelrillen wie Abb. 8 Nr. 4 verſehen.

Saßförmige Urnen wie Abb. 8 Nr. 2 finden ſich auf allen Grabfeldern der Spätlatène- und frührömiſchen Zeit ziemlich häufig in allen Größen mit mehr oder weniger ausladendem Bauche bis zur Kugelurne, wie die von Ettringen (Abb. 8 Nr. 8). Flaſchen und krugartige Gefäße ſind bei unſern Grabfunden ſtark vertreten Die Form Abb. 8 Nr. 1 mit zwei Wulſten unter dem halſe iſt nur einmal gefunden worden kihnliche Gefäße find öfter in Rheinheſſen gefunden (abgeb. Behrens, Germaniſche Denkmäler der Frühzeit, Heft 1). Doch ſind die dort abgebildeten meiſt Scheibenarbeiten, während die unjrigen freihändig geformt ſind. Die Krugform, Abb. 2 Nr. 6 und Abb. 3 Nr. 2, kommt dagegen auf den Grabfeldern von Mayen, Ettringen und Saffig häufig vor. Parallelen dazu fanden ſich bei Eberſtadt, Kreis Gießen (Kramer: Spatlaténe-Siedlungen. Röm.⸗ germ. Rorreſpondenzblatt Jahr: gang VII, 1914, Abb. 21 Nr. 9). Weitere Fundorte: Weiſenau und Bingen (Abgeb. Germ. Frühzeit S. 4, Nr. 3 und Bingen S. 7, Abb. 8 Nr. 5). Der Becher mit geſchweifter Wandung (Abb. 8 Nr. 9) aus Ettringen fand ſich auf den anderen Grabfeldern unſeres Gebietes ſonſt nicht mehr. Sie ſind nad) Behrens, Katalog Bingen, tupiſche Vertreter der Spätlatenezeit Rhein⸗ heſſens und der angrenzenden Gebiete. Die faßförmige Urne aus Ettringen mit ſenkrecht durchbohrten Griffzapfen, Abb. 8—7, hat ein Gegenſtück im F Bonn. S. Koenen: Bonner Jahrbücher Heft 86, Tafel IV,

r. J.

Fibeln.

Gewandnadeln von Mittellateneform wurden auf keinem der oben genannten Gräberfeldern unſeres Gebiets gefunden. Die ſog. Nauheimer Sibel in Bronze kam nur einmal aus einem Grabe von Kottenheim zum Vorſchein, doch haben mehrere Eiſenfibeln vom Gräberfeld am Amtsgericht

8] Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland) | 203

diejelbe Sorm. häufiger erſcheinen die [pätlatenezeitlichen, noch in die Kaiſer⸗ zeit hineinreichenden Bügelfnopffibeln (Abb. 5 Nr. 3) in Bronze und Eiſen mit gefnidtem und gebogenem Bügel, wie auch die Diſtel (Abb. 5 Nr. 2) und Kragenfibeln (Abb. 5 Nr. 4 und Abb. 6 Nr. 6), viele mit durchbrochenem Fuß. Die Bügelknopffibeln kommen mehr in Oft- und Norddeutſchland aber auch im Weſten, die Diſtel⸗ und Kragenfibeln mehr in Frankreich, der Schweiz und auch häufig am Rhein in frührömiſchen Gräbern vor. Da letztere öfter mit galliſchem Firmenſtempel gefunden werden, müſſen wir fie als galliſches Sabrikat anſehen Nach Krüger gehören die im römiſch-germaniſchen Korre- ſpondenzblatt unter Abb. 8a und b aus Biewer wiedergegebenen Sibeln, welche den unſrigen Abb. 5 Nr. 5 und Abb. 6, 6—7 und 11 gleichen, der Zeit um 50 bis 30 vor Chriſti Geburt an. Die Diſtelfibel kommt nach Almgrem ſchon in dem 5. oder 6. vor Chr. Geb. verlaſſenen Bibrakte vor.

Die Eiſenfunde.

Der Schilöbudel (Abb. 7 Nr. 5), welcher in Grab 16 gefunden wurde, iſt von halbkugeliger Form mit Kragen wie bei M. Jahn, die Bewaffnung der Germanen (Tafel 3 Nr. 2). Jahn ſchreibt dazu: „Der Buckelkragen, der an allen Formen außer der halbkugeligen auftritt, ijt in der Latenegeit 1 bis 2 em hoch (an unſerem 2 cm), ſelten erreicht er eine höhe von 3 cm.” Die alten Buckel haben ſchmale Ränder von 2—3 em, wie zum Beiſpiel von Derwitz, Kreis Zauch-Belzig (der Rand des unſrigen mißt 24—25 mm). Dem⸗ nach gehört er noch zu der alten germaniſchen Form. Nach Behrens „Ger: maniſche Denkmäler der Frühzeit“ gehören die S. 12 Hbb. 16 abgebildete halbrunde Schildbuckel mit und ohne Kragen von Neunkirchen, Sötern, Cobern und Mühlbach ſchon der frührömiſchen Kaijerzeit an. Dies würde alſo der klnſicht Jahns, nach welchen fie der Spätlatenezeit angehören ſollen, wider: ſprechen, doch iſt zu bedenken, daß ſich Waffen und Schmuck, gerade wie in der Ritterzeit und auch heute noch durch ganze Generationen vererben, denn die typiſche Form der frührömiſchen Zeit iſt doch der Spitzen- oder der Stangen⸗ budel. Zu dem Buckelreſt mit niedriger Stange (Abb. 7 Nr. 9) kann ich kein Gegenſtück finden, auch nicht bei Jahn. In Ettringen wurde ein Buckel mit Trapezflügeln gefunden wie Jahn, Abb. 41, doch läuft die Wölbung zu einer kleinen Spitze aus. Es ijt eigentlich eine keltiſche orm, doch kommt er in Weſtdeutſchland auf germaniſchen Grabfeldern mehrfach vor, 3. B. Nauheim, im Wangionengebiet nach Behrens ſogar häufiger als der halb⸗ runde oder ſpitze Buckel.

Tanzenſpitzen ſind am Amtsgericht nur 2 Stück gefunden worden. Die im Grab 16 gefundene (Abb. 7 Nr. 4) hat eine verhältnismäßige kurze Tülle von cm Lange Die geſchweifte Canzenſpitze aus Grab 33 ijt 24 cm lang (Abb. 7 Nr. 8). Leider wurde fie mit der Hacke beſchädigt, indem der obere Teil, auf der Zeichnung rechts des Mittelgrates, abgeſchlagen wurde. Die geſchweiften Lanzenſpitzen find am Rhein ſelten. Parallelen dazu find: ein Stück gefunden in Coblenz⸗Neuendorf (Bonner Jahrb. 107, S. 86, Abb. 8, 6), eine vom Marberg bei Pommern a. d. Moſel und eine von Bingen (G. Behrens, Germaniſche Denkmäler der Frühzeit, Abb. 5, 1); häufig find fie dagegen bei den Oſtgermanen. Auf dem Grabfelde von Ettringen wurden die beiden Canzenſpitzen Abb. 7 Nr. 13 und 14 gefunden.

Geſchweifte Meſſer wie Abb. 7 Nr. 3 aus Grab 7 ſowie ſolche mit Ring am Ende des Griffes (Abb. 7 Nr. 6), aus Grab 24, kommen vielfach in Gräbern der Spätlatene⸗ und frührömiſchen Zeit in ganz Deutſchland vor. Ringförmige

204 Peter Hörter (9

Gürtelſchnallen (Abb. 7 Nr. 7) werden viele in heſſiſchen Gräbern diefer Zeit gefunden. Wozu die in Grab 36 gefundenen Eiſenſachen (Abb. 7 Nr. 10 bis 11 und 12) gedient haben, iſt mir nicht klar. Seitenſtücke dazu ſind mehrfach gefunden, fo in Andernach, Nauheim und verſchiedene Male in der Provinz Brandenburg. (Wenn wir das geſamte Grabinventar mit dem von anderen germaniſchen Sundjtatten der Spätlatönezeit, beſonders aus den heſſiſchen Ländern vergleichen, ſo finden wir viele Parallelen unter den Gefäßen und Sibeln, aber andererſeits auch ſehr beachtenswerte Derſchiedenheiten Die Gefäße aus den Sunditätten unſeres Bezirks find in der Mehrzahl aus freier Hand gefertigt, dagegen in Nauheim und Rheinheſſen bilden die Scheiben⸗ arbeiten die Mehrheit. Während in den genannten Gegenden die hand⸗ gemachten Gefäße öfter, wenn auch roh verziert ſind, iſt das bei keinem der in unſerem Gebiet gefundenen Grabgefäße der Fall. Aud) mehrfarbig be⸗ malte Gefäße ſind nicht gefunden worden. Auffallend iſt bei unſeren Gräbern das gänzliche Fehlen von Glasbeigaben. Weder einer der in den heſſiſchen Gräbern oft vorkommenden Glasringe, noch eine Perle wurde gefunden.

Als Waffen kamen wohl wie in den andern Fundſtätten Lanzen, Meſſer und Schildbuckel vor, aber kein Schwert, wie in Rheinheſſen und Nauheim. Sigürliche Arbeiten aus Ton oder Bronze, wie ſolche in heggenheim, Oſt⸗ hofen, Darmſtadt uſw. gefunden wurden, fehlen ebenfalls. Alles deutet darauf hin, daß die in das heſſiſche Gebiet in der Spätlatenezeit eingedrungenen germaniſchen Stämme (Wangionen) mehr dem keltiſchen Einfluß unter⸗ ſtanden, als die welche um dieſelbe Zeit ſich hier angeſiedelt haben.

Nun noch die Frage, welchem Volksſtamme gehören die Gräber am Amtsgericht und an den anderen genannten Fundſtätten unſeres Gebietes an. Daß es ſich um germaniſche Grabſtätten handelt, iſt ſicher, aber welchem Stamme dieſe angehören, iſt ſchwerer zu beantworten. Für das letzte Jahr⸗ hundert vor Chr. Geb. paſſen noch beſſer die Worte, welche Eugen Lüthaen in feiner Geſchichte der Rheiniſchen Kunſt des Mittelalters für dieſe Zeit anwendet. Er ſchreibt: „Kein Land auf weſteuropäiſchem Boden war ſo unausgeſetzt ferneren und näheren Wechſelbeziehungen aller Art unterſtanden, wie das Rheinland.“ Am einfachſten ijt es die Funde den Treverern zuzu⸗ ſchreiben, zu deren Gebiet ja der Kreis Mayen gehörte, denn diejes Dolt war zu Cäſars Zeiten fo mit Germanen durchſetzt, daß, wie uns Tacitus berichtet, fie ſich mit Recht germaniſcher Abfunft rühmen konnten, wie ja auch die Grabfunde vom Hunsrück, nämlich Hirftein, Kriegshübel, Birkenfeld, Burg, ferner Lautenbach, Gürgelborn und Biewer im Bezirk Trier, welche ja auch mit den unſrigen viele Analogien aufweiſen, den Treverern zugerechnet werden. Jedoch wenn wir uns die germaniſchen Fundorte unſeres Kreiſes auf der Karte anſehen, ſo finden wir, daß ſie von der uralten Einbruchsſtelle im Neuwiederbecken an ausgehen und an der vorrömiſchen Straße (Cäſar⸗ ſtraße) liegen, welche von dort nach Mayen, durch die Eifel nach Belgien führt; es ijt Andernach (Sunde von 1913 im Muſeum Andernad), Saffig (Sunde im Mujeum Andernach, Bonn und Köln), Mayen am Umtsgericht (Sunde im muſeum Mayen). Die weiteren Fundſtellen Ettringen und Kottenheim etwa 3—4 Kilometer von Mayen, liegen an einer anderen eben⸗ falls vorrömiſchen Straße, welche von der Moſel kommt, bei Mauen die Cäſarſtraße ſchneidet, und dann zwiſchen Kottenheim und Ettringen durch⸗ zieht an dem Laacherſee vorbei nach dem Rhein, und in der Nähe der Grenze zwiſchen Ober- und Niedergermanien mündet. Die Funde von den beiden letztgenannten Orten befinden ſich im Prähiſtoriſchen Muſeum Röln und

10) Ein germanifches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland) 205

in Mayen. Wenn wir nun an die vollſtändige Gleichartigkeit aller genannten Sundftellen denken, jo ijt es ſehr wahrſcheinlich, dak wir es mit einem anderen germaniſchen Stamme zu tun haben, welcher im ausgehenden letzten Jahr⸗ hundert vom Neuwieder Becken aus dem Nettetal nach vorgedrungen iſt. Weder nördlich und ſüdlich des Nettetales, noch weſtlich nach der Hocheifel zu ſind mir weitere Sundjtätten dieſer Kultur bekannt. Auf der rechten Rhein⸗ ſeite finden ſich dann wieder gleichartige Sunde bei Neuwied (A. Rademacher, Chronologie der Germanengrabfelder in der Umgebung von Köln: Mannus, Bd. 14, 1922), bei Diez an der Lahn und weiter fort bei Eberſtadt, Kreis Gießen. Rademacher möchte das Grab von Neuwied den Sugambern zuſchreiben. Cäſar berichtet uns von dem Auftreten der Sweben an der unteren Lahn, den Treverern gegenüber. Ob dieſe aber hier auch auf das linke Rhein⸗ ufer überſetzten, wird uns nicht gemeldet. Auch die Tencterer und Uſipeter kommen in Betracht. KR. Schumacher (Siedlungs- und Rulturgeſchichte der Rheinlande) ſchreibt S. 145: „Seit dem Jahre 58 wurden fie (Ubier) und die angrenzenden Uſipeter und Tencterer, die im Weſterwald und Lahntal wohnten, durch die Sueben zurückgedrängt“ und weiter „Die Tencteri und Uſipi wurden im Jahre 55 von Cäſar ad confluentem Mosae et Rheni (bell. gall. IV, 15) zweifelsohne am Zuſammenfluß von Moſel und Rhein, alſo wohl in der Gegend von Ochtendung (Kreis Mayen in der Nähe von Saffig

geſchlagen und dann im Gebiet der Ubier und Sugambrer angefiedelt (bell. gall. IV, 8), wo ſie zu Tacitus Zeiten noch ſaßen.“ Wenn nun die Tencterer und Uſipeter zu Cäſars Zeiten in unſer Gebiet eingedrungen und hier von Cajar geſchlagen wurden, müſſen wir, auch wenn fie nur kurze Zeit hier waren, ihre Spuren finden, denn eine fo gewaltige Volksmaſſe, Cäſar ſpricht von 430000 Köpfen, kann nicht ſpurlos verſchwinden; auch iſt es möglich, daß einzelne Dolfsrejte hier ſitzen blieben. So wird wohl Schumacher das Richtige treffen, wenn er in der Prähiſtoriſchen Jeitſchrift 1916 „Beſiedlungs⸗ geſchichte des hunsrücks“ S. 151 ſchreibt: „Während in der Mittellatenezeit die germaniſche Gefahr von Norden droht, kam ſie in der Spätlatènezeit von Süden und Often", für unſere Gegend alſo vom Labntale her. |

Dom Niederrhein find nur ein paar Einzelfunde, welche ſich im Prä⸗ hiſtoriſchen Muſeum Köln befinden, bekannt. Allerdings ijt dort überhaupt noch kein Gräberfeld der Spätlatènezeit, welche wir auch dort annehmen müſſen, aufgedeckt worden und die Auffindung eines ſolchen könnte möglicher⸗ weiſe allerhand Überraſchungen bringen.

Zum Schluß möchte ich noch auf etwas aufmerkſam machen, welches in die Beſiedlungsgeſchichte unſeres Gebietes einiges Licht werfen könnte. Don Mayen aus nach der Hocheifel zu werden oft in ganz unwirtſchaftlichen Walddiſtrikten Hügelgräber mit vollſtändigem römiſchem Inventar aus dem 1. und 2. Jahrhundert gefunden. Solche Grabhügel fehlen nun vollſtändig nach dem Rheine zu in dem fruchtbaren Maifeld und der Pellenz. Demnach haben die im letzten vorchriſtlichen Jahrhundert eingewanderten, nicht unter Hügel begrabenden Germanen für ſich die beſten Gebiete in Beſitz genommen und die Kelten oder keltiſierten Germanen in das unfruchtbare Hinterland gedrängt, wo dieſe nach Altvdter Sitte weiter ihre Toten unter Grabhügel beiſetzten. Aljo auch hier eine vom Rheine aus, von Oſt nach Weit, vorgedrungene Be⸗ völkerung bis zu der Grenze (Mayen), wo, wie wir geſehen haben, nach der Eifel zu die frühgermaniſchen Gräber aufhören.

Germaniſche Gefäße frührömiſcher Kaijerzeit. Don Dr. phil. h. c. Konſtantin Koenen, Neuß a. Rh. Mit 1 Tertabbildung.

Im Heft 72, 88f. der Bonner Jahrbücher habe ich das hügelgräberfeld von Rheindahlen bei M.⸗Gladbach mit der älteſten niederrheiniſchen Ger: manenausbreitung in Zuſammenhang gebracht und die jüngſten Graburnen desſelben in die N römiſche Kaiſerzeit hineinreichen laſſen, weil der damals aufmerkſamſte und gewiſſenhafteſte Sammler der in der Düſſeldorfer Ge: markung gefundenen, mit den Rheindahlener durchaus gleichartigen Gefäße in einer der Graburnen die bekannte Huguſtusmünze mit dem Stern ge— funden hatte, weil ferner eine der Rheindahlener Urnen das zweifellos römiſche Graphito trug. |

In feiner Vorſtellung, daß derartige Töpfe unmöglich der römiſchen, ſondern der Hallſtätter- und noch älterer Kulturperiode angehörten, hat in ſeinen Veröffentlichungen Muſeumsdirektor herr Rademacher ſen. in Köln ſowohl das Graphito als auch den Münzfund verdächtigt. Die charak⸗ teriſtiſchen Typen der älteren Urnen dieſer Gräberfelder ſind die von mir in meiner Gefäßkunde, Taf. XIX, Sig. 1—3 aufgezeichneten. Herr Regierungs- baurat Rademacher ſtimmte mit ſeinem herrn Vater überein. Beide herren faſſen den Gefäßkunde Taf. XIX, Sig. 8— 15 wiedergegebenen, beſonders in dem von hoſt mann beſchriebenen Urnenfriedhof von Darzau i. d. Prov. Hannover, reich und charakteriſtiſch auftretenden Gefäßſtil als den eigentlich germaniſchen auf und ſuchen zu beweiſen, daß dieſer bereits in der Zeit, in welche ich das Rheindalener Gräberfeld geſetzt habe, am Niederrhein im Lande der älteſten Germanenſtämme verbreitet geweſen fei. Ich habe dieſe Keramik erſt in den Gräbern der nachauguſtiſchen Zeit am Niederrhein vorgefunden, beſonders in ſolchen der nach den Satzungen der Belgica I verwalteten ger- maniſchen Gaue der Uſipier, Tenkterer, Katuarier, die unter Gallienus von den Brudteren erobert wurden. In den Arbeiten der herren Rademacher finde ich auch keine Anhaltspunkte aus denen hervorgeht, daß Reramik der beiden Unterrheinſeiten ſchon in der älteren Zeit des Huguſtus jenen auf der rechten Seite des Unterrheins zweifellos in der Antoninezeit mit römiſchen Sigillatagefäßen und anderen römiſchen Kulturreiten auftretenden kelti— beriſch⸗griechiſchen Typus aufzuweiſen hat. Dieſer Typus entwickelt ſich meines Erachtens, wie die von mir bearbeitete keltiberiſche Keramik von Numantia und deren hiſtoriſche Entwicklung verdeutlicht, im griechiſch be— einflußten iberiſchen Küſtengebiet und breitet ſich von da erſt ganz allmählich

2 Germaniſche Gefäße frührömiſcher Kaiferzeit 207 an ee aus, fo daß er jedenfalls die nördlichen Germanen erſt zuletzt er⸗ reichte.

Was nun das von herrn Rademacher angezweifelte Graphito betrifft, fo iſt natürlich nicht, wie ich dazumal dachte, L (epio) XXX F (ecit) zu leſen,

ſondern offenbar: | P (ondo) XXX F (ar).

TS) J

a”

Abb. 1. Rheindalen, Kr. M.⸗Gladbach.

‚Far‘ ijt bekanntlich (vgl. J. Marquardt, Röm. Privataltertümer, II. Abt., S. 23—24) der in der älteren Bodenkultur Italiens eine Rolle ſpie⸗ lende Dinkel. „Denn“, ſo ſagt Marquardt (a. a. O.) „von den bei uns üblichen Getreideſorten galt den Römern Roggen (secale) als Unkraut; hafer bauten fie als Diebfutter, jo daß außer dem in älteſter Zeit überwiegend kultivierten Dinkel (far) als gewöhnliches Nahrungsmittel nur Weizen übrig⸗ blieb.“ Marquardt verweiſt auf Plin. XVIII, S. 62: populum Rom.

farre tantum e frumento CCC annis usum Verrius tradit.

Entgegnung auf K. Hoenens Aufjag.

Don E. Rademacher, Jülich.

herrn Roenens obige Juſchrift gibt mir eine nicht unwillkommene Gelegenheit, die angezogene Urne aus der Nähe von Rheindahlen kurz zu beſprechen.

Vor langer Zeit wurde von den Bauern in dem Grabhügelfelde auf der Haardt bei München⸗Gladbach herumgewühlt und verſchiedene Gefäße kamen nach Rheindahlen. Darunter auch die hier beſprochene Urne, die ſich jetzt im Provinzmuſeum Bonn befindet. Ihre höhe beträgt etwa 25 cm. Sie ijt dunkel⸗ brauntonig, faſt ſchwärzlich. Die Glättung der Oberfläche iſt die der hieſigen Keramik von der ſpäten Bronzezeit bis zur ſpäten Kaiſerzeit. hieran iſt alſo nichts zu ſehen. Die Fundumſtände ſind gänzlich unbekannt. Sie kann aus einem Hügel ſein und dafür ſpricht die Wahrſcheinlichkeit. Ob fie aber das Hauptgrab oder eine ſpätere Nachbeſtattung iſt, darüber kann bekanntlich nur eine brauchbare klusgrabung klufſchluß geben, und davon ijt hier keine Rede.

Bleibt die Form. Eine ganz einfache, unbezeichnende Eimerform mit ſchwach eingezogenem Rande. Solche gewiſſermaßen „charakterloſen“ Formen ſind ſchwer zu beſtimmen und ſie könnte ebenſogut ſpäthallſtättiſch als ger⸗ maniſch bis in das erſte Jahrhundert nach Chr. fein. Ahnliche Scherben liegen in Bonn (Prov.⸗Muſ.) aus den älteſten Schichten des Lagers von Xanten. Don „Ballitattform“ iſt keine Rede aber ſelbſt das hätte nichts zu jagen, da ja bekanntlich den Hallſtättern ähnliche Formen in der ſpäteren germaniſchen Laténezeit und nach Chr. vorkommen, die an Ort und Stelle, bejonders in Niederſachſen ſich bodenſtändig entwickelt und keine Spur von Juſammenhang mit den Hallſtattkreiſen haben. Dieſe Erſcheinung iſt übrigens manchen Archäologen gerade hier am Rhein gänzlich unbekannt.

Die Urne von der Haardt möchte ich am liebſten ihrem Ausfehen nach in die ſpäte Hhallſtattzeit ſetzen.

Nun aber trägt fie das „römiſche“ Graffito! Früher hieß es L (egio) XXXF (ecit); jetzt P (ondo) XXXF (ar). Der erſte „Buchſtabe“ kann als alles geleſen werden, ein P ift er fo wenig wie ein L. Übrigens fteht noch eine archäologiſche Unterſuchung darüber aus, von welcher kömſſchen Gewichts⸗ oder hohlmaßeinheit ihrer 50 in den kleinen Topf gehen

Hier iſt zunächſt ein Irrtum feſtzuſtellen. Die Inschrift oll nah Koenen, Bonn. Jahrb. 72, S. 88 vor dem Brande eingerigt fein. Das ijt irrig. Sie ijt in die völlig fertige und gebrannte Tonwand hineingeſchnitten worden, wie die vielen Ausiplitterungen und Brüche der Schnittränder ſofort beweiſen. Außerdem genügt ein Verſuch an einem Scherben. Ein Rigen in den noch nicht gebrannten Ton gibt gleichmäßige Striche mit aufgeworfenen Rändern, ganz anders als hier. Ob es ſich nun um eine Fälſchung oder möglicherweiſe um ein Germanengrab aus der Römerzeit handelt jedenfalls kann dieſer Topf nicht dazu benutzt werden, um die Grabhügelfelder des Niederrheins

2 Entgegnung auf K. Noenens Auffak. 209

bis in die Kaiferzeit zu ziehen. Denn das ijt der nicht offen genannte Zweck der ganzen obigen Zujchrift. Es ijt merkwürdig, daß überall da, wo Bauern oder ihnen auf vorgeſchichtlichem Gebiete ähnlich Gebildete in den Hügeln herumwühlen, ſich nie Nachbeſtattungen die doch aus aller herren Länder mehr als bekannt find finden, ſondern ſtets Hallitattgräber aus der Catdnes und Kaiferzeit und dergleichen mehr. Im Bonner Provinzmuſeum liegen ſogar Rand⸗ und Abſatzbeile und Nadeln mit . halſe bei Laténe- funden. Und überall, wo richtig gegraben wird, da findet ſich nie ich ſpreche aus einer Erfahrung, die über ganz außerordentliche Zahlen von Hügeln geht etwas bei der Hauptbeſtattung, das jünger iſt als etwa 500 vor Chr. Wohlgemerkt: Ich meine hier den Niederrhein nördlich der Linie Andernach⸗ Eſchweiler.

Noch merkwürdiger aber iſt es, daß die meiſt dem vergangenen Jahr⸗ hundert angehörenden Funde, die den oben beſprochenen Wühlereien ent⸗ ſtammen und übrigens zum großen Teil gar nicht einmal aus Grabhügeln herrühren (ſo die Düſſeldorfer Funde), immer und immer wieder in der leichtfertigſten Weiſe benutzt werden, um chronologiſche Jehlſchlüſſe daraus zu ziehen. Dabei kann jeder ſehen, wie die germaniſchen hügelloſen Gräber der Latönezeit und Kaiſerzeit Brandſchüttungsgräber und Brandgruben zu Hunderten gefunden werden. Ich erinnere an meine Arbeiten „Chrono: logie der Germanengräber der Umgebung von Röln“, Mannus 1922, und „Die niederrheiniſche hügelgräberkultur vor 2000 —500 vor Chr.“, Mannus, Ergänzungsband IV, 1925. |

Wahrlich, faſt wird man es leid, immer wieder gegen den gleichen Unverſtand zu Felde ziehen zu müſſen!

um Schluſſe möchte ich noch bemerken, daß ſich im Kölner Muſeum, dann auch in Crefeld und M.⸗Gladbach noch viele Gefäße aus den Hügeln der Haardt befinden. Alle find der mittleren bis ſpäten Hallſtattzeit ange⸗ hörig. Nichts ſpäteres ijt irgendwo vorhanden. Huch von Nachbeſtattungen ſpäterer Jeit ijt nichts bekannt. Immerhin wäre es von Wichtigkeit, wenn eine Unterſuchung auf germaniſche Brandſchüttungsgräber auf und zwiſchen den Hügeln ſtattfände, da die Urne die entfernte Möglichkeit germaniſcher 1 bei denen auch ein römiſches graffito vorkommen könnte, offen läßt.

Auf die in der Juſchrift genannten „keltiberiſch-griechiſchen Typen germaniſcher Keramik“ einzugehen, halte ich für überflüſſig.

Daß niederrheiniſche Gaue der Uſiper, Tenkterer, Caſuarier nach den Satzungen der Belgica prima verwaltet und unter Gallienus von den Burk⸗ terern erobert ſeien, ijt irrige Wiedergabe einer Stelle aus Geographi latini minores, jetzt am bequemſten bei Rieſe, Germanien, S. 208. Tentterer werden dort nicht genannt, ebenſowenig Brukterer. Es handelt ſich um Stämme in der Maingegend, im Dorgelände des Limes. Dal. Chronologie der Germanengräber: Mannus 1922, S. 246. In der obigen Wiedergabe wird durch die Hinzufügung der niederrheiniſchen Stämme der Anſchein er⸗ weckt, als handele es ſich um den Nederrhein.

Daß ich die Darzautypen für den Nederrhein und die Zeit des Augujtus zu erweiſen „ſuche“, iſt mir gänzlich neu. Ich habe vom Treverergebiet bis Weſtfalen die Biewerer Ware dieſer Zeit nachgewieſen, die etwas ſehr anderes ijt. Dal. Chronologie der Germanengräber, Mannus 1925, S. 197, 203, 205. Dieſe Biewerer Ware um Chr. Geb. hat bei Beziehungen zu den Darzaugefäßen (Kelchbechern) einen merklichen galliſchen Einſchlag.

man nus, Feitſchriſt für Vorgeſch., Bd. 17. H. 3. 14

Beiträge zur Rethrafrage.

Don Dr. Emil Schwartz, Prenzlau.

Die ſeit vierhundert Jahren viel erörterte Frage, wo Rethra gelegen habe, kann durch die Ergebniſſe der Sorfdungen Schuchhardts auf dem Zchloßberge bei Seldberg wohl als gelöſt angeſehen werden. Nach den dort

gemachten Entdeckungen erſcheint ein Zweifel daran, daß die Tempelburg der Redarier auf dem Kap am Breiten Luzinſee geſtanden hat, nicht mehr möglich. Nur in zwei Punkten halte ih Schuchhardts Darſtellung über 15 Schickſal und die Derhältniſſe Rethras, wie fie in den Sitzungsberichten der Preußiſchen Atademie der Wiſſenſchaften 1923, S. 184ff. niedergelegt iſt, für anfechtbar, nämlich erſtens hinſichtlich der Zeit der Zerſtörung Rethras und zweitens hinſichtlich der Lage des Tempels ſelbſt innerhalb der Burg⸗ 1 75 Dieſe beiden Punkte möchte ich daher noch einer Betrachtung unter⸗ ziehen.

1. Die Jeit der Serftorung Rethras.

Schuchhardt nimmt an, daß Rethra im Winter 1068/69 von Biſchof Burkhard von Halberjtadt zerſtört fei, weil der Biſchof das heilige Pferd, das in Rethra göttliche Derehrung genoß, im Triumph nach Sadjen hinein: geritten habe und deshalb notwendig auch Rethra felbjt, von dem nach 1068 keine Rede mehr fei, zerſtört haben müſſe !), und hält dieſe Schluß⸗ folgerung dadurch für beſtätigt, daß Scherben ſpätſlawiſcher Gefäße, wie fie ſeit der Mitte des 11. Jahrhunderts allgemein werden, auf dem Schloßberge bei Feldberg nicht gefunden ſind ). Es ſei mir geſtattet, dieſe Beweisführung auf Grund der Quellenſtellen näher zu prüfen.

Über den Zug des Biſchofs Burkhard gibt es nur zwei zeitgenöſſiſche Berichte. Der eine ſagt ganz kurz: Burchardus ... gentem Leuticiorum viriliter devastavit, und ſetzt das Ereignis in das Jahr 1067). Der Bericht der Augsburger Annalen *) gibt den Seldzug zum Jahre 1068 an und ſagt: Burchardus Halberst. episcopus Liuticiorum provineiam ingressus incendit vastavit, avectoque equo, quem pro deo in Rheda colebant, super eum sedens in Saxoniam rediit.

Aus dieſen Quellenſtellen zu folgern, daß Burkhard das große Wenden⸗ heiligtum vernichtet habe, erſcheint mir gewagt. Gewiß iſt es richtig, daß Burkhard die Macht hatte, den Tempel und die Burg zu zerſtören, wenn er das Pferd von Rethra holen konnte 5), es fragt ſich aber, ob er das Pferd

1) a. a. O., S. 194.

2) a. a. O., S. 220.

) Comp. Sanblas. S. S. V. 273.

„) Annal, August, S. S. III. 128.

) Shudbardt, a. a. O., S. 194 unter Berufung auf Beltz.

21 Beiträge zur Rethrafrage 211

wirklich aus Rethra heraus geholt hat, denn davon jagen die Augsburger Annalen nichts. Sie berichten nur, Burkhard habe das Pferd mit ſich fort⸗ geführt, das in Rethra verehrt wurde, fie ſagen aber mit keinem Worte, daß die Fortführung aus Rethra ſelbſt geſchehen ſei, und es bleibt daher die Möglichkeit offen, daß die Liutizen das Pferd mit fic) ins Feld nahmen, als fie auf die Kunde vom herannahen Burkhards ihm entgegenzogen, was ſie doch zweifellos getan haben werden und daß ſie es im Selde an die Sachſen verloren haben ). |

Wäre Biſchof Burkhard wirklich nad) Rethra gelangt und hätte er die Burg zerſtört, jo würde der Schreiber der Augsburger Annalen dieſe wichtige Tatſache bei ſeinem ausführlichen Bericht doch ſicherlich nicht verſchwiegen haben. Ich denke mir den Verlauf der Ereigniſſe danach fo, daß Burkhard in der bei den Kriegen zwiſchen den Sachſen und Wenden üblichen Weiſe in das Gebiet der Liutizen raubend und brennend einfiel, daß die Liutizen ihre Mannſchaft ſammelten und ihm entgegenzogen und daß es zwiſchen den feindlichen heeren zu einem Zuſammenſtoß im offenen Felde kam, bei dem die Liutizen zwar eine Schlappe erlitten und ihr heiliges Roß verloren, der aber den Biſchof doch auch veranlaßte, den Rückzug anzutreten, da er nach dieſem Erfolge in jedem Falle in Sachſen auf hohe Anerkennung rechnen konnte und die gemachte Beute nicht mehr aufs Spiel zu ſetzen brauchte ?).

An dieſem Ergebnis wird nichts dadurch geändert, daß Schuchhardt“) den Zug Burkhards zu demſelben machen will, den die Weißenburger Annalen zum Jahre 1069 dem König heinrich IV. zuſchreiben. Dieſe Quelle jagt *): Rex Heinricus barbaros trans Alpiam flumen constitutos cum exercitu invasit, populum multum occidit, civitates destruxit, fana cum simulacris succendit, captivitatem magnam cum victoria reportavit; fie enthält alſo nichts, was auf eine Beteiligung Burkhards und die Einnahme von Rethra ſchließen ließe. |

Wir beſitzen im übrigen einen andern, ausführlicheren Bericht über dieſen Feldzug Heinrichs in den Altaicher Annalen, in denen es zum Jahre 1069 heißt: 5) rex mox (nach dem Weihnachtsfeſt 1068) expeditionem contra Liuticios in ipso hiemis tempore parari iussit ... Expeditio, quamvis subito iussa esset et facta, tamen admodum utilis est probata. Terra etenim illa paganorum aquis et paludibus est plena, sed tune, hiemis scilicet tempore, nimium erat congelata, et ideo exereitui facta est facilis ingre- diendi et egrediendi via. Levi igitur congressione urbes aliquot ceperunt villas innumeras vastantes succenderunt, predam et captivitatem immensam secum abduxerunt. Dieſe Darſtellung ſcheint mir geradezu auszuſchließen, daß Heinrich an Burkhards Jug beteiligt war und nach Rethra gelangte;

1) Beyer, Die wendiſchen Schwerine im Jahrb. f. mecklenb. EL und Alter: tumstunde. Bd. 52, S. 148 jagt unter Berufung auf Saxo Gram, (ed. Müller), S. 825 von dem Tempel auf Arkona, daß die gewöhnlichen Diener des Tempels zur Kriegszeit mit den Tempelroſſen beritten gemacht wurden und daß fie der prieſter auf dem Leibroß des Gottes führte.

2) Aud) Meyer v. Knonau, heinrich IV., Bd. 1, S. 585 nimmt nach den mitge⸗ teilten Quellenſtellen nicht an, daß Burkhard Rethra zerſtört habe, wohl aber, daß Burk⸗ ie bis Rethra vorgedrungen fet und das Pferd von dort weggeführt habe, was die

ellen nicht jagen.

3) d. a. O., S. 194, Anm. 4.

) S. S. III 71.

5) Annal. Altah. maj. S. S. XX 819f. Zwei weitere S über denſelben Seld⸗ zug in Comp. Sanblas. S. S. V, 274 und Sigeb. Chron. S. S. VI 362 geben zum Jahre 1069 in kurzen Worten denſelben Tatbeſtand.

14°

212 Emil Schwartz (3

insbeſondere kann man nicht ſagen, heinrich und Burkhard hätten im Winter 1068/69 den Zug ins Redarierland unternommen. Denn heinrichs Unter⸗ nehmen wurde erſt nach Weihnachten 1068 befohlen, kann alſo mit Burkhards ſchon 1068 durchgeführten Kriegszug nicht ein⸗ und dasſelbe ſein. Offenbar dachte der König, er könne ebenſo wie Burkhard es im Vorjahre getan, feinen Kriegsleuten einen beutereichen Zug ins Wendenland bei guter Gelegenheit geſtatten und ſetzte das aufs beſte ins Werk, ohne daß über dieſen Zweck hinaus irgendwelche politiſchen Ziele oder gar die Bekehrung der heidniſchen Slawen zum Chriſtentum auch nur il t worden wäre. Hätte der König gleichwohl bei dieſer Gelegenheit ein jo berühmtes Heiligtum wie Rethra zerſtört, jo hätte der Altaicher Annalijt, der über den Feldzug fonft fo gut unterrichtet ijt, das doch ganz gewiß nicht unerwähnt gelaſſen !).

Endlich bleibt aber noch zu erwägen, daß Adam von Bremen, der ſeine gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum um das Jahr 1075 nieder: ſchrieb, Rethra als noch beſtehend behandelt. Man kann alſo aus der Cat- ſache, daß der Name Rethras nach 1068 bei keinem Ereignis im Slawenlande mehr erwähnt wird, nicht wohl folgern, es habe in dieſem Jahre zu beſtehen aufgehört 2), denn Adam könnte ſich kaum fo ausgedrückt haben, wie er es tut, wenn Rethra bereits ſieben Jahre zuvor zerſtört worden wäre. Er jagt, die mittelſte und mächtigſte Völkerſchaft unter den Slawen zwiſchen Elbe und Oder ſeien die Redarier, ihre Burg ſei Rethra, der Sitz der Abgötterei; dort jet den Göttern, deren oberſter Radigalt heibe, ein großer Tempel erbaut; ſein Bild fei von Gold, fein Bett von Purpur ). Kann man fo noch von einem Dolfsjtamme ſprechen, der wenige Jahre vorher durch Zeritörung feines Heiligtums vernichtend getroffen uhr Daß aber Adam von dieſer doch ſtatt⸗ gefundenen Zerſtörung nichts erfahren haben ſollte, iſt nicht anzunehmen.

Gegenüber dieſen Tatſachen kann es meines Erachtens nicht von aus⸗ ſchlaggebender Bedeutung ſein, wenn bei den Ausgrabungen auf dem Schloß⸗ berge ſpätſlawiſche Gefäßſcherben, die auf den Fortbeſtand Rethras bis ins 12. Jahrhundert hindeuteten, nicht gefunden worden find. Denn Schuch⸗ hardt fagt felbit *), die Keramik der Burg auf dem Schloßberge habe einen ſo einheitlichen Charakter gezeigt, daß Beltz gemeint habe, man könne hier von einem beſonderen Selöbergtypus ſprechen. Daran wird die Vermutung geknüpft, es habe ſich hier um Geſchirr gehandelt, wie es der Benutzung durch eine ausgezeichnete Gruppe der Bevölkerung vorbehalten war. Man kann alſo ſehr wohl annehmen, daß die Geſchirre für die Burgbeſatzung, die nur aus Prieſtern und Kriegern beſtand, auch noch ſechzig Jahre länger nach dem hier von alters üblichen Muſter vielleicht in einer eigenen Töpferei gefertigt worden ſind, da ja gerade in einem alten Nationalheiligtum der Wandel des sar am wenigiten Gelegenheit gefunden haben wird, ſich durch⸗ zuſetzen

Schuchhardt hat endlich der KUnſicht Ausdruck gegeben, man habe nicht mehr nötig, die Zerjtörung Rethras in die Zeit des Königs Lothar, etwa in das Jahr 1127 zu ſetzen, da das zu jener Jeit zerſtörte Heiligtum

9) mey er v. Knonau, a. a. O., Bd. I, S. 610 behandelt den Feldzug heinri ebenfalls als ein von Burthards 3ug im onan unabhängiges Unternehmen. Er ſpri t 5. 584 die Dermutung aus, daß heinrich wegen feiner no och andauernden Krankheit an 100 Zug nicht beteiligt war. 1 0 nimmt Wagner, Die Wendenzeit, Berlin 1899, 1208 5 8 Seldzüge une ‚nennenswerte Ergebniſſe an.

*) ardt, a. a.

3 er b. Bremen (ed. medien 1917, II, 21.

4) a. a. O., S. 2

4] Beiträge zur Rethrafrage 213

in Gützkow geſtanden habe ). Ich halte auch dieſe Anficht für unrichtig und glaube, daß man bei der früheren Annahme, Lothar habe um 1127 die Redarier⸗ veite zerſtört, wird bleiben müſſen.

Schuchhardt führt aus: Bei Adam von Bremen 1075 habe Ciutizien noch aus vier Völkerſchaften beſtanden, den Tollenſern und Redariern ſüdlich der Peene und den Circipanern und Chizzinern nördlich der Peene bis zur Ojtjee. 1121 fet die Pommernherrſchaft bis zur Peene vorgerückt, die Tollenſer und die Redarier bereits in Pommern einverleibt, und das freie Ciutizien nur noch von Circipanern und Chizzinern gebildet, das ſüdlich der Peene gelegene Demmin ſei eine pommerſche Stadt geweſen. Die nördlich der peene wohnhaften Ciutizen ſeien, als Otto von Bamberg im Frühjahr 1128 nach Demmin kam, aufgebracht geweſen, weil der König Lothar einige Zeit vorher ihre Hauptburg mit dem Tempel verbrannt hatte; fie hätten daher Demmin bedroht, Herzog Wartislaw von Pommern fei der Stadt zu Hilfe gekommen und habe am folgenden Tage einen verwüſtenden und beute⸗ reichen Zug in das feindliche Land nördlich der Peene unternommen. Otto habe bald darauf in Uſedom den Fürſten Mizlav von Gützkow getauft und ſei dann über Wolgaſt nach Gützkow gekommen, wo die Bürger nach anfäng⸗ lichem Widerſtreben ihren eben erſt fertig geſtellten ſchönen neuen Tempel auf Ottos Geheiß abgebrochen und das Chriſtentum angenommen hätten. Aus dieſem Derlauf der Ereigniſſe wird der Schluß gezogen, daß das von Lothar zerſtörte Heiligtum der Slawen in Gützkow geſtanden haben müſſe, nn daß die Gützkower als Exſatz des zerſtörten den neuen Tempel gebaut

en

Dieſe Darſtellung iſt nicht frei von Unſtimmigkeiten. Schon daraus, daß der Fürſt Mizlav von Gützkow als Gefolgsmann des Herzogs Wartislav von Pommern auf dem Landtage von Uſedom erſcheint, ergibt ſich, daß das Gebiet von Gützkow nicht im feindlichen Lande gelegen haben kann, gegen das der Pommernherzog Krieg führte; Wartislav hätte dann fein eigenes Land verwüſtet. Im übrigen gehört Gützkow aber auch weder zum Gebiete der Circipaner noch der Chizziner, die Schuchhardt allein noch zu den keinem andern Staate unterworfenen Ciutizen rechnet, denn die Circipaner wohnten zwiſchen Recknitz, Trebel und Peene, und die Oſt⸗ und Südgrenze der Chizziner bildete die Recknitz ), beide Völkerſchaften ſaßen alſo weſtlich Demmin, während Gützkow 25 km öſtlich Demmin liegt. Der Juſammenhang kann ſchon aus dieſen Gründen nicht fo fein, wie Schuchhardt ihn ſich vorſtellt.

In der Tat war die damalige Lage an der unteren Peene und im Lande der Ciutizen weſentlich anders. Wenn auch Herzog Boleslav von Polen ſeinen Eroberungszug durch Pommern im Winter 1120/21 von Puritz über Stettin weſtwärts bis in die Gegend des Müritzſees ausgedehnt hatte, ſo kann doch keineswegs davon die Rede ſein, daß die hier betroffenen Gegenden, nämlich die Uckermark, das Land der Redarier, das ungefähr dem heutigen Mecklen⸗ burg⸗Strelitz entſpricht, und das Land der Tollenſer, deren Gebiet außer dem Raume von Stavenhagen und Penzlin auch die heute zu Pommern ge⸗ hörigen Landjtreden zwiſchen Treptow und Demmin umfaßte), bereits Teile des dem Herzog Wartislav von Pommern gehorchenden Gebiets waren; es liegen auch keine Anzeichen dafür vor, daß Wartislan dieſe Gegenden ſchon als feiner herrſchaft unterworfen in Unſpruch nahm. Ebenſo wie die Tollenſer

; d. a. O., S. 221ff.

2) Wagner, Die Wendenzeit S. 5. ) Wagner, a. a. O., S. 5

214 Emil Schwartz [5

und Redarier müſſen vielmehr auch die Uckrer und die ſüdlich von diefen wohnenden flawifden Dölterichaften noch als freie, keiner auswärtigen Fürſtengewalt unterſtehende Liutizen (im weiteren Sinne) um dieſe Zeit gelten. Der Machtbereich des Herzogs Wartislav dehnte fic) zu beiden Seiten der Odermündungen aus. „Wollin lag ungefähr in der Mitte des Gebietes, das über die Inſel Uſedom die Deene hinauf bis nach Demmin, die Oder hinauf an der linken Seite des Stromes mindeſtens bis Stettin, an der rechten wenigſtens bis Pyriß reichte“ ). Als 1140 das pommerſche Bistum in Wollin die ee Beſtätigung fand, wurden ihm die Burgen Demmin, Trieb: ſees, Gützkow, Wolgaſt, Uſedom, Groswin, Eh Stargard, Stettin, Kammin, Kolberg und der Jehnte des Marktes Ziethen zugeſprochen 2), Aus dieſen Angaben ijt erſichtlich, daß der Schwerpunkt von Wartislavs Herrſchaft im heutigen Vorpommern durchaus r ördlich der Peene lag. Schon hieraus wird gefolgert werden müſſen, daß Wartislaws kriegeriſches Unter⸗ rehmer gegen die Seinte der Demmir.er, deſſen Zeuge Otto von Bamberg wurd e, ſich richt geger. Nord er, ſondern im Gegenteil nach Süden gerichtet haber muß.

Dieſer Schluß wird durch die Nachrichten Ebos über jene Ereigniſſe bei Demmin beſtätigt. Als der Biſchof Otto ſich der Stadt näherte, waren die Bewohner in großer Aufregung vor dem Tore verſammelt. Sie waren zum Kriege gerüſtet und erwarteten von der einen Seite den Angriff der Liutizen, welche die Jerſtörung ihres Heiligtums durch den König Lothar rächen wollten, von der andern den Herzog Wartislav, deſſen Hilfe fie erbeten hatten. Als das Volk die lange Reihe Wagen und das Gefolge des Biſchofs die Anhöhen herunterkommen ſah, meinte es, die Feinde zögen heran und machte ſich ſchon fertig, in die Dejte zurückzugehen und ſich dort zu verteidigen ). Erſt als der Zug näher fam, ſah man, daß er unbewaffnet war und die Kreuzes- fahne in ſeiner Mitte wallte. Dieſer Irrtum der Demminer zeigt deutlich, daß fie ihre Feinde von derſelben Seite her erwarteten, von welcher der Biſchof Otto kam, alſo von Süden her“). Es ijt danach ganz unmöglich, daß die feindlichen Ciutizen in Gützkow ihren Sitz gehabt haben könnten, ſie müſſen vielmehr ſüdlich der Peene geſucht werden.

hier aber wird man ſchwerlich ein anderes ſlawiſches Heiligtum finden können, das um jene Zeit noch als Gegenſtand eines Dernidytungszuges des deutſchen Rönigs gedacht werden könnte, außer Rethra ſelbſt, das in den vorangegangenen Jahrhunderten ſtets der Mittelpunkt der heidniſchen Prieſterhierarchie geweſen war. Don hier aus war der Widerſtand gegen das Eindringen des Chriſtentums und die Ausbreitung der deutſchen Herr: ſchaft im Wendenlande ſtets von neuem organiſiert, erſt ſeit der Zeit des Königs Lothar ändert ſich das Bild. Nur einmal noch nach der in Rede ſtehenden Zeit zog Lothar im Jahre 1151 gegen aufrühreriſche Slawen und beſiegte

N. hen. Bamber Wendiſche Se II. 210. herbord (Jaffé bibl. rer. Germ. Mon. Bamberg) II. 39. S. Wehrmann, Gesch v. 1 (2. flufl.) I. 75.

3 Ebo III. 5. (Jaffé bibl. rer. Germ. V Mon. Bamberg) S. 657: Ipsa vero die adventus presulis eximii cives Timinenses ante portam conventus forenses agebant. Sed quia civitas in valle posita erat, ipso de montibus cum tam copioso triginta plaus- trorum apparatu descendente, plebs omnis, tumultuoso hoc perterrita sonitu hostium- que cuneos super se ar bitrata irruere, urbem quantocius ingredi seque ad resistendum preparare molitur. Appropinquante servo Dei, nichil armorum in circuitu eius sed potius vexillum crucis deprehendunt.

3 hierauf hat ſchon C. Gieſebrecht, Wendiſche Geſchichten II, 510 hingewieſen, deſſen Darſtellung ich oben folge.

6] Beiträge zur Rethrafrage 215

fie), doch war dieſes Unternehmen wohl ohne nennenswerte Bedeutung; im übrigen vollzog ſich ſeit 1128 das Schickſal der bis dahin noch nicht für das Chriſtentum gewonnenen und der deutſchen Botmäßigkeit unterworfenen Liutizen ſchnell. Don Süden und Welten drang Albrecht der Bär vor, von Norden her dehnte ſich ſeit der Mitte des 12. Jahrhunderts das langſam erſtarkende Pommern über das Land der Reddrier und die Uckermark aus 2), bis ſchließlich brandenburgiſches und pommerſches Gebiet an einer ſüdlich Prenzlau liegenden Linie, deren Führung im einzelnen hier nicht intereſſiert, zuſammenſtießen. Sollte dieſe lange angeſtrebte und früher nie erreichte Entwicklung nicht gerade darin ihre entſcheidende Urſache haben, daß man nun endlich das Machtzentrum der liutiziſchen Völkerſchaften von Grund aus vernichtet hatte? Dieſe Dermutung gewinnt eine ſtarke Stütze in der allge⸗ meinen Lage um jene Zeit. Dem König Lothar, der ſchon als Herzog von Sachſen ſich den Kampf gegen die Slawen hatte angelegen ſein laſſen, mußte es nahe liegen, dieſen Kampf als König mit größerem Nachdruck fortzuſetzen. Er hatte im Jahre 1126 den Abt Norbert von Prämonstratum zum Erz— biſchof von Magdeburg wählen laſſen und dieſer ging im Derein mit dem König ſogleich ernſtlich an die Vollendung der Miſſionstätigkeit im Wenden⸗ lande. Es erſcheint durchaus glaubhaft, daß Lothar und Norbert bei ihrer Juſammenkunft in Straßburg vor Weihnachten 1126 den Plan für ein ent⸗ ſcheidendes Unternehmen gegen die letzten heiden öſtlich der Elbe gefaßt haben *); das Ziel eines ſolchen Feldzuges mußte dann notwendig Rethra ſein. Auf der anderen Seite war Herzog Wartislav von Pommern durch den Einfall der Polen von 1120/21 unter die Botmäßigkeit des herzogs Boleslav geraten, und ihm tributpflichtig geworden. Dieſe Ubhängigkeit mochte ihn bald ſchwer drücken, jo daß er eine andere politiſche Anlehnung ſuchte. Dieſe konnte er nur im deutſchen Reiche finden, da Dänemark 1121 noch auf Seiten polens gegen Pommern im Felde geſtanden hatte. Was lag näher, als daß Wartislav unter dieſen Umſtänden fic) mit Lothar zum Kriege gegen die Liutizen verbündete?. Er konnte damit einen doppelten Vorteil erreichen; denn einerſeits durfte er darauf hoffen, daß das Bündnis mit dem deutſchen Rönig ſeine Stellung gegen Polen ſtärken würde, andererſeits konnte er von einem erfolgreichen Kriege gegen die Liutizen eine Ausdehnung feines Ge⸗ bietes nach Süden und damit die herſtellung einer Derbindung feines Beſitzes an der unteren Oder und in hinterpommern mit den oben gekennzeichneten Landifrichen Dorpommerns auf dem Feſtlande erwarten. Darum zog er mit Lothar zuſammen gegen die Liutizen zu Felde und half ihm, Rethra zu zer⸗ ſtören. Nimmt man das an, jo wird auch verſtändlich, warum die Liutizen 1128 gegen Demmin heranrückten, weil der König Lothar kürzlich ihre Tempel⸗ burg eingeäſchert hatte. Demmin war eine pommerſche Stadt; hätte ihr Landesherr nicht im Bunde mit Lothar gegen Rethra im Felde geſtanden, jo hätte ſich die Rache der Ciutizen nicht gegen Demmin richten können ).

Nach alledem muß daran feſtgehalten werden, daß Rethra vom König Lothar zwiſchen Herbſt 1126 und Frühjahr 1128 zerſtört iſt s). Auf die Prüfung

1) Bernhardi, Lothar, S. 408. ö . | : ) 1178 wird Kloſter Broda bei Neubrandenburg, 1179 Kloſter Gramzow in der ſüdöſtlichen Uckermark von pommerſchen herzögen gegründet. N

3) So Winter, Prämonſtratenſer, S. 27. N | .. ) Mit Recht hat Winter, Prämonſtratenſer Exkurs 4. S. 297ff. darauf ge wieſen, daß Ebos Satz „quorum civitas uſw.“ nur einen Sinn hat, wenn er kauſaler Natur

it. Aud Wagner, a. a. O., S. 136 vermutet ein Bündnis Wartislaws mit Lothar. 5) So ſchon T. Gieſebrecht, Wendiſche Geſchichte II. 299.

216 Emil Schwartz (7

der vielumſtrittenen Frage nach dem genaueren Zeitpunft dieſes Feldzuges Lothars kann für die Zwecke dieſer Unterſuchung verzichtet werden ).

2. Die Lage des Tempels in der Burg.

Die Baufläche für den Tempel glaubt Schuch hardt in einer 15—20 m im Quadrat meſſenden abgeglichenen Schotterfläche erblicken zu ſollen, welche ſich ungefähr in der Mitte der Hauptburg befindet 2). Wenn es auch richtig ſein mag, daß dieſe Fläche geeignet iſt, ein hölzernes Tempelgebäude der Art zu tragen, wie es nach Saxos Schilderung in Urkona geſtanden hat, ſo iſt doch die Annahme wenig überzeugend, zumal Schuch hardt ſelbſt den Tempel gerade an dieſer Stelle erſt zuletzt vermutet hat. Nach dem oben er⸗ örterten Bericht Ebos war das Heiligtum der Liutizen von König Lothar dem Feuer überliefert; man kann alſo die Tatſache, daß ſich an der angeblichen Tempelſtätte kein Brandſchutt gefunden hat, auch nicht damit erklären, daß der Tempel, wie in anderen Städten auf Geheiß Ottos von Bamberg geſchehen, abgebrochen fei, denn dort handelte es ſich um friedliche Vorgänge, hier aber um eine Jerſtörung nach kriegeriſcher Eroberung.

Schuchhardt hat deshalb auch ſelbſt ?) die Frage aufgeworfen, ob der Tempel nicht etwa doch dort geſtanden habe, wo er das Tor 2 der Haupt⸗ burg mit der eigenartigen Treppenanlage ermittelt hat, er hat die Frage dann aber verneint, weil es ſich hier eben um einen Torbau handelte und man nicht annehmen könnte, daß der Oſtrand der Burg von allen Bauten frei⸗ gehalten war, während man den Tempel doch im Weſten verſteckte.

War der Tempel aber im Weſten wirklich verſteckt? Ich möchte dieſe Frage verneinen. Gerade die Rekonſtruktion der urbs tricornis aus der Vogel⸗ perſpektive (a. a. O., S. 218) zeigt, wie jener Mittelbau über dem Treppentor für jeden, der von der Landjeite her ſich der Tempelburg näberte, beſonders in die Erſcheinung treten mußte. Das Tor 2 liegt rad) dem Plane (a. a. O., S. 211) an feinem öſtlichen Ende 28,6 m hoch, die Wallmauer der Vorburg dagegen beim Teich nur in 13,2 m Höhe Ein hochragender Aufbau über dem Treppentor mußte olſo ſogar über die Wallmauer der Vorburg hinweg nach außen ſichtbar fein. Warum ſoll nun dieſer Aufbau, den die Refon- ſtruktion ſelbſt beſonders betont, nicht über dem Treppentor den Tempel des Suaraſici gebildet haben? Zwingende Gründe dagegen vermag ich nicht zu erkennen, wobl aber ſcheint manches dafür zu ſprechen. Wenn auch die Breite des Bauwerks nur etwa 10 m betragen zu haben ſcheint, fo hat es doch eine Länge von 20 m. In einem ſolchen Raum iſt immerhin ſchon Platz für einige, der Zahl nach von Thietmar nicht genannte Götterſtandbilder, zumal die Wände eines hölzernen Gebäudes keine allzugroße Stärke gehabt haben werden. Wenn Thietmar ſagt, der Tempel ſei de ligno artificiose compositum, fo läßt ſich die Doritellung eines kunſtvollen Bauwerks über dem Treppentor recht wohl mit dieſer flusdrucksweiſe verbinden. Es wird dabei aber auch Thietmars Wendung: ,,fanum..... , quod pro basibus diversarum sustentatur cornibus bestiarum“ deutbar. Gerade wenn das Bauwerk unten eine Toranlage bildet, kann man ſich denken, daß man über

9 Dal hierzu Bernhardi, S. 158, Anm. 19. Curſchmann, Didzefe Brandenburg, Fe m: 1 lehnt die Annahme dieſes Feldzuges Lothars meines Erachtens zu Unrecht völlig ab.

3 a. a. O., S. 211f.

) a. a. O., S. 215.

8] Beiträge zur Rethrafrage 217

dieſem unteren Geſchoß eine Art Geſimſe oder Fries von Tiergehörnen ange⸗ bracht hat, vielleicht um die obere Ausladung wie durch Kragſteine damit m ſtützen und den Übergang zu dem eigentlichen Tempel zu vermitteln.

er den Geweihen konnten ſich dann die Tempelwände erheben, in die außen Bilder von Göttern und Göttinen in erhabener Arbeit wunderbar eingegraben und den Beſchauern ſichtbar waren (parietes variae deorum. a imagines mirifice insculptae, ut cernentibus videtur, exterius omant).

Nimmt man den Tempel an diefer Stelle an, fo würde er über der unten im halbbogen herumziehenden Vorburg als prachtvolles hohes Mittel: ſtück, von allen Seiten ſichtbar „gethront“ haben, eine Vorſtellung, die ſchon Koldewey bei den Ausgrabungen für denkbar gehalten hat 1). Bei diejer Anordnung „konnte das in der Vorburg zahlreich verſammelte Dolk von jedem punkte aus zum Tempel hinaufſehen und den Opferhandlungen und Reden des Prieſters folgen“ ), dagegen ijt mir nicht verſtändlich, wie dies hätte geſchehen ſollen, wenn man den Tempel an der von Schuchhardt ange⸗ nommenen Stelle, von der Vorburg aus gerechnet hinter dem Tore 2 annimmt. Denn vor dem Tore und der nord weſtlichen Wallmauer der Hauptburg fällt das Gelände der Vorburg nach dem Außenwall ſtändig ab, allein ſchon die Steigung des Treppentores von der „Orcheſtra“ bis zur Fläche der Haupt⸗ burg beträgt 5,08 m; wie ſollte das Volk in der Vorburg alſo von hier unten über die Wallmauer hinwegſehen können, was der Prieſter vor dem Tempel in der Hauptburg tat? War aber der Prieſter vor dem Treppentor auf der Orcheſtra (oder vielleicht über dem Tor auf einer Art Balkon des Tempels?) tätig, ſo konnte man ſeine Handlungen allerdings überall in der Vorburg wahrnehmen. Daß die Dolfsmenge zur Teilnahme an den heiligen Handlungen in das Innere der Hauptburg hineingelaſſen wurde, nimmt Schuchhardt offenbar ſelbſt nicht an. Der Raum zu beiden Seiten des Tempels wäre dazu auch in der Tat viel zu eng und ungüyſtig verteilt geweſen. Ich möchte glauben, daß man in die hauptburg nur die Perſonen einließ, die dort mit der en ves ſchaft oder den Kriegsleuten etwas zu tun hatten; auch der Eingang zu dem hochgelegenen Tempel dürfte von hier aus ſeitlich von dem Toraufgang bewerkſtelligt worden ſein.

hält man die vorſtehenden Ausführungen für zutreffend, jo bleibt die Frage offen, was für eine Bewandtnis es denn mit der von Schuch⸗ hardt als Tempelſtätte angeſehenen viereckigen Schotterfläche gehabt hat. Ich möchte der Vermutung Ausdrud geben, daß dieſe Stelle den Raum zur Unterbringung der heiligen Roſſe getragen hat, die nach Thietmars Angabe in Rethra gehalten wurden. Er ſagt ausdrücklich, man habe equum, qui maximus inter alios habetur et ut sacer ab his veneratur, zu dem Speer⸗ orakel gebraucht. Es waren alſo mehrere Pferde in der Burg, die irgendwie teligiöfen Zwecken dienten. Dieſe und namentlich das heilig gehaltene Götter⸗ pferd dürft en ein Unterkommen in der Hauptburg gehabt haben, die feſt⸗ geſtellte Sch otterfläche könnte alſo der Fußboden des Pferdeftalles geweſen fein.

J Schuch hardt. a. d. O. S. 218

Über die äußerſte Weſtgrenze der letzten Dereifung in Norddeutſchland.

Eine Buchbeſprechung. Don Landesgeologen Prof. Heb v. Wichdorff. Mit einer Karte.

Die unten erwähnte Abhandlung des ſowohl als Geologe wie als geographiſcher Morphologe recht angeſehenen Derfajjers bietet auch dem vorgeſchichtsforſcher, der mit den geologiſchen Verhältniſſen Norddeutſch⸗ lands zu tun hat, wertvolle Hinweije und Anregungen. In bemerkenswert ſachlicher Form ſchildert Grippi) in der Einleitung die Schwierigkeiten, die heute noch in der Diluvialgeologie vorliegen. Die heiß umſtrittene Frage, ob einmal oder mehrfach das Inlandeis Norddeutſchland bedeckte, auch wie oft, wird hier ungemein ſachlich erörtert.

Der Derfaſſer hat ſich die Aufgabe geſtellt, bei Annahme mehrerer Der: eiſungen die Südweſtgrenze der letzten Dereiſung nach morphologiſchen Ge: ſichtspunkten feſtzulegen, da die Unſichten der Diluvialgeologen über dieſen Punkt noch erheblich voneinander abweichen. Freilich waren von verſchiedenen Diluvialgeologen die tupiſchen Landſchafts⸗ bzw. Oberflächenformen und ihre Eigenarten erkannt und gut beſchrieben. Man hatte das Gebiet der jüngſten Dereijung mit feinem unruhigen, welligen Gelände und feinen ab- flußloſen Wannen und Keſſeln als nur ganz wenig erodiertes, faſt reines Auf- ſchüttungsgebiet ganz richtig umſchrieben und das außerhalb der jüngſten Dereijung gelegene Gebiet als ruhige, gealterte Candſchaft mit großen Linien geſchildert, die nur Eroſionsformen, aber keinerlei Aufſchüttungsſpuren auf: weiſt. Die kartographiſche Grenze beider grundverſchiedenen Candſchafts⸗ typen aber iſt bisher viel umſtritten.

K. Gripp hat nun auf Grund eines umfangreichen Studiums der Meß⸗ tiſchblätter, die er als höhenſchichtkarten farbig anlegte, und eingehender geologiſch-morphologiſcher Beobachtungen in der Natur die Grenze der jüngſten Dereijung genauer feſtzuſtellen unternommen. Dieſer Derſuch gelang ihm unter Zugrundelegung folgender morphologiſcher Unterſchiede der Land— ſchaftsformen: Das Gebiet der letzten Dereiſung ijt gekennzeichnet durch

)) Über die äußerſte Grenze der letzten Dereifung in . land. Don Privatdozent Dr. K. 8 in hamburg. (Mitteilungen der Geograph. Geſellſchaft in hamburg, Bd. 36, 1924, S. 159— 245. Mit 8 Sig. und 1 Karte.)

2]

Über die äußerſte Weſtgrenze der letzten Dereijung in Norddeutſchland

219 J. unruhige, regellos verteilte, an Kleinformen reiche Oberflächenformen,

2. abflußloſe Wannen und Kejjel, 3. falls vorhanden, ein wirres, nicht aus: gereiftes Flußnetz, 4. das unausgeglichene Gefälle vieler Waſſerläufe. Da—

ESSN

aw

Ubersichtskarte 11800 000

Morphologische Grenze

Wichtigere Endmoränen 4 Innerhalb | der morphologischen 9 außerhalb

Grenze en Urstromtäler

Abb. 1. Weſtgrenze der letzten Dereijung Norddeutſchlands nach K. Gripp.

gegen ijt für das ältere Vorland außerhalb der letzten Dereijung bezeichnend: 1. ruhige, ſanftgeneigte Oberflächenformen, 2. das Fehlen von abflußloſen

Wannen und Keſſeln ſowie Seen, 3. das Auftreten kilometerlanger, waſſerloſer Täler mit ausgeglichenem Gefälle, 4. das Auftreten der fog. Rummeln,

220 Heß v. Wichdorff, Über d. äußerſte Weſtgrenze d. letzt. Dereifung i. Norddeutſchland [3

5. das Vorkommen beſonderer Erofionsformen an Steilhängen, 6. das Auf treten von meiſt geradlinigen Waſſerläufen und 7. das vollkommen ausge⸗ glichene Gefälle der Waſſerläufe. Als Hauptergebnis feiner Arbeit ſtellt Gripp feſt, daß die ſanftgeneigten Landichaftsformen der außerhalb der Grenze der letzten Vereiſung liegenden Diluvialgebiete, zum großen Teil durch Erſcheinungen des fog. Erdfliekens bedingt find, die nur durch tief: gründigen Bodenfroſt und zeitweiſes Huftauen des Bodens zu erklären ſind. Dieſe früher vereiſt geweſenen Gebiete waren alſo während der letzten Der- eiſung eisfrei geblieben, ihr Boden war aber infolge der Nähe des Eisrandes gefroren. Desgleichen zeigen die während der älteren Dereiſungen ebenfalls außerhalb des Inlandeiſes gelegen geweſenen mitteldeutſchen Gebirge die gleichen Erdfließ⸗ oder Solifluktionserſcheinungen, ein Beweis, daß ihr Boden zur Zeit der älteren Dereijung unter dem Einfluß des glazialen Klimas ge: froren war. Wenn man alſo bisher in den älteren Diluvialgebieten im Gegen⸗ jag zu den jugendlich-friſchen Candſchaften im Bereich der letzten Dereijung „greiſenhafte“ Formen zu ſehen glaubte, ſo iſt dieſer flusdruck zwar anſchaulich geweſen, aber nicht zutreffend. Die beigegebene, von Gripp herrührende Überſichtskarte der Grenze der letzten Dereifung zeigt einmal, daß das Gebiet der a und zweitens der Fläming von der letzten Dereifung nicht erreicht wurde.

Literatur zur Vor⸗ und Frühgeſchichte Heſſen⸗Naſſaus 1900 —1922.

II. Kurheſſen (Reg.⸗Bez. Kaflel). N Don 5. Heck, Diez a. d. Lahn.

Die vortreffliche Arbeit von Otto Runkel über „Die vor⸗ und früh⸗ geſchichtliche Forſchung in der heſſendarmſtädtiſchen Provinz Oberheſſen ſeit 1900“ (Mannus 16, Heft 3—4) und mein Literaturberidt über Naſſau (Mannus 10, Heft 1—2) haben vorliegender Arbeit viel voraus: genommen. Iſt es doch natürlich und verſtändlich, daß bei Gebieten, die teils politiſch, teils völkiſch zuſammengehören, die Derhältniſſe oft fo ſtark ineinandergreifen und einander beeinfluſſen, daß auch die ſie behandelnde Titeratur Gemeingut beider Teile wird. Ich verweiſe deshalb 5 in fel auf die obengenannten Arbeiten, deren Studium die beſte Einführung in folgen⸗ den Bericht darſtellen dürfte.

Kurheſſen ſtand im Gegenſatz zu Naſſau und Oberheſſen in der Erforſchung feiner Vorgeſchichte bis vor kurzem zurück. Die grundlegende Arbeit von Pinder: „Bericht über die heidniſchen Altertümer der ehemals kurheſſiſchen Provinzen Fulda, Oberheſſen, Nieder- heſſen, herrſchaft Schmalkalden und Grafſchaft Schaumburg“ (Supplement VI der Zeitjchrift des Vereins für heſſiſche Geſchichte und Candes⸗ kunde, Kaſſel, 1878) iſt lange ohne Nachfolge geblieben, und ſelbſt bis heute verfügt Kurhefjen, bzw. der Reg.⸗Bez. Kaſſel, noch nicht über eine den Er⸗ forderniſſen neuzeitlicher Vorgeſchichtsforſchung gerecht werdende Geſamt⸗ bearbeitung feiner vorgeſchichtlichen Denkmäler. Teilweiſen Erſatz bietet hier nur h Brunner in feiner Arbeit: „Gudensberg, Schloß und Stadt, und die Grafſchaft Maden“ (Kaſſel, 1922, bei Pillardy), in der der Derfaffer zugleich eine Überſicht über die vor⸗ und frühgeſchichtliche Ent⸗ wicklung des ehemaligen Heſſengaues gibt.

Beſſer ſteht es dagegen ſeit einiger Zeit mit den einzelnen Gebiets⸗ teilen. Die ſehr rührigen Zweiggruppen des Dereins für heſſiſche Geſchichte und Landeskunde haben zum Teil in zahlreichen Ausgrabungs- und Cätig⸗ keitsberichten Bauſteine zur Erforſchung der kurheſſiſchen Vorgeſchichte zu⸗ ſammengetragen, ſo daß wir ſtellenweiſe bereits ein faſt lückenloſes Bild vorgeſchichtlicher Beſiedelung beſitzen. So berichten 3. B. in regelmäßiger Folge die „Mitteilungen des Dereins für heſſiſche Geſchichte und

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Candeskunde“ in den von Boehlau, Römheld, Donderau, Küſter, ch und anderen herausgegebenen Jahresberichten über die Unternehmungen des Kaſſeler Mujeums, der Sammlungen von Eſchwege, Sulda, hanau und Marburg, und auch die Arbeiten von Gg. Wolff, W. Lange, h. Hof: meiſt er und G. Kropatſcheck in der „Zeitſchrift“ und den „Mitteilungen“ des oben genannten Vereins geben uns Runde von mancher bedeutſamen flufhellung vorgeſchichtlicher Siedelungs- und Kulturfragen aus dem Gebiete des Reg.⸗Bez. Kaſſel. Zahlreiche Beiträge liefern ferner die „Deröffent: lichungen des Fuldaer Geſchichtsvereins“ und die „Fuldaer Geſchichtsblätter“, jo wie die Zeitſchrift „Heimatland“ (Beilage zur Hersfelder Zeitung), in der beſonders in neueſter Zeit W. Bremer und andere wertvolles Material beigebracht haben.

Anhaltspunkte zur Verfolgung der vorgeſchichtlichen Literatur heſſens geben die von A. Sey und W. Fabricius zuſammengeſtellten „Derzeich⸗ niſſe neuer heſſiſcher Literatur“ in der Zeitſchrift des Dereins für heſſiſche Geſchichte und Landeskunde und die gleichfalls dort niedergelegten eingehen: den Literaturbeſprechungen von Wend, Jacobſohn und Derſch. Auch die „Bibliographien zur Römiſch-Germaniſchen Forſchung“ von Müller, Barthel, Drexel und Unverzagt in den „Berichten der Röm.⸗Germ. Rommiſſion“ geben wertvolle Aufichlüjfe.

Die vorgeſchichtlichen Sammlungen Rurheſſens ſind zuſammengeſtellt von Fh. Moetefindt, in deſſen „Verzeichnis der Sammlungen vor: und frühgeſchichtlicher Altertümer Deutſchlands“ (Rorreſpondenz⸗ blatt für Anthropologie pp. 48, 1917, Nr. 4/6, S. 27—50).

Don größeren, während der Berichtszeit erſchienenen Arbeiten, die auch die vorgeſchichtlichen Derhältniffe Kurheſſens ganz oder teilweiſe in den Be: reich ihrer Betrachtung einbeziehen, find hervorzuheben: K. Schumacher: „Ssiedelungs- und Kulturgeſchichte der Rheinlande“, Bd. I. Die vorrömiſche Zeit (Mainz, 1921, bei C. Wilckens), E. Wahle: „Die Beſiedelung Südweſtdeutſchlands in vorrömiſcher Zeit nach ihren natürlichen Grundlagen“ (Ber. der Röm.-Germ. Kom. 12), vor allem der als Beiheft hierzu erſchienene Fund katalog und die beiden Schriften von G. Koſſinna: „Die herkunft der Germanen“ (Mannusbibl. 1920, Leipzig bei C. Kabitzſch, 2. Aufl.) und „Die deutſche i eine hervorragende nationale Wiſſenſchaft“ (Mannusbibl. 9, 1925, Leipzig, C. RKabitzſch, 4. verm. u. verb. Aufl.).

„heſſen in vor- und frühgeſchichtlicher Zeit“ behandelt ein Auf- ſatz von W. Lange (Landes= und Volkskunde Bd. 1. Caſſel 1906), während es Carl heßler verſucht hat, aufbauend auf den Forſchungsergebniſſen G. Roſſinnas, eine „Urgeſchichte und Beſiedelung der Umgegend von Caſſel“ zu ſchreiben (Leipzig 1920, bei C. Kabitzſch) vergl. hierzu die Beſprechungen von W. Bremer (Mannus Bd. 11/12) und W. Lange (Zeitſchr. f. heſſ. Geſch. u. Candesk. N. §. 43, 1921, S. 121—123).

Unſtreitig am beſten erforſcht iſt die Umgebung von hanau, dank der rührigen Tätigkeit Gg. Wolffs, deſſen Arbeiten über die ſüdliche Wetterau ja auch Hanauer Gebiet dauernd berühren. Demzufolge dürfen hier die Wolffſchen Schriften nicht überſehen werden. An der Spiße ſteht das vor: treffliche Werk über „Die ſüdliche Wetterau in vor- und frühgeſchicht⸗ licher Zeit” (Frankfurt a. Main 1913). Ihm folgen „Frankfurt a. Main und ſeine Umgebung in vor- und frühgeſchichtlicher Zeit“ (hendſchels Luginsland, Frankfurt a. M. 1913) und „Neue Sunde und Fundſtätten

3] Literatur zur Dor= und Frühgeſchichte heſſen⸗Naſſaus 1900—1922 223

in der ſüdlichen Wetterau“ (Ansbach 1921, bei Bürgel u. Sohn), beides Erweiterungen und Ergänzungen zur Arbeit über die ſüdliche Wetterau. a gleichen Ziele des Derfaljers haben feine ale über die „Bejiedelung der ſüdlichen Wetterau in vorgeſchichtlicher und römiſcher Zeit“ (Bericht der Röm.⸗Germ. Kom. 1905, S. 69—82), „Zur Befiedelungs: geſchichte des Maingebietes und der Wetterau“ Vortrag (Alt Frankfurt III, 1911, S. 112—121), „Die Bodenformation der Wetterau in ihrer Wirkung auf die Beſiedelung in e Zeit“ (Arch. f. heſſ. Geſch. u. Altertumskunde XII (1920), S. 1—50) und „Dor⸗ geſchichtliche Wanderungen durch den Kreis han au (Hanauiſches Magazin 1921/22, Nr. 1—10). Sie alle müſſen teils als Vorarbeiten, teils als Ergebniſſe der Wolffſchen Erforſchung der Südwetterau angeſehen werden. Aud ſeine beiden Abhandlungen über „Ceichen verbrennung und Körper: beſtattung in Geſchichte und VDorgeſchichte unſerer Gegend“ (Alt- Frankfurt II, 1910, S. 101) und „Rörperbeſtattung und Leichenver— brennung in Mittel- und Weſtdeutſchland“ (Germania, 1922, heft 2, S. 53—62) dürfen hier nicht unerwähnt bleiben, da fie die heſſiſchen Derhait- niſſe mehrfach berühren.

Die hanauer Sammlung vor allem gehört auch zu denjenigen, denen ein den Erforderniſſen neuzeitlicher Vorgeſchichtsforſchung gerecht werdender Muſeumsführer zur Verfügung ſteht. Es iſt dies der 1923 e e hanauer Katalog von S. Kutjch (Kataloge Weit: und Süddeutſcher Alter⸗ tumsſammlungen V, Hanau, erſter Teil, Frankfurt a. M. 1923, bei Joſ. Baer u. Co.), deſſen Vorarbeiten noch ganz in die Berichtszeit fallen und der deshalb hier nicht unberückſichtigt bleiben darf. Im „Rulturgeſchichtlichen Über- blick“ gibt Kutſch an hand des reichen Mufeumsmaterials ein wohlgelungenes Bild der vorgeſchichtlichen Beſiedelung des Hanauer Landes. Hoffentlich folgt der noch ausſtehende zweite Teil des Kataloges recht bald in gleich guter Ausitattung und in gleicher Gründlichkeit und Ausführlichkeit ſeiner wiſſenſchaftlichen Bearbeitung!

Gut erforſcht iſt auch die Umgebung von Sulda, wo beſonders Joſ. Donderau viel zur Alufhellung der vorgeſchichtlichen Verhältniſſe beigetragen bat, vgl. J. Vonderau: „Der heutige Stand der vorgeſchichtlichen Sorſchung im Fuldaer Lande“ (Fuldaer Geſchichtsblätter 4, 1905), haas: „Zur Urgeſchichte des Fuldaer Candes“ (Fuldaer Geſchichts⸗ blätter 6, S. 67—108 u. 161— 168) und die neuere Arbeit J. Donderaus über „Denkmäler aus vorgeſchichtlicher Zeit im Gebiet der Karl: mann⸗Schenkung an das Kloſter Sulda“ (Suld. Zeitg. v. 1. I, 1924).

„Prähiſtoriſche Sunde in der Rhön“ erwähnt W. Lange (heſſen⸗ land XVIII, Nr. 13, 1904), der auch über „Prähiſtoriſche Forſchungen in der Rhön“ in den Kaſſeler Touriſtiſchen Mitteilungen (Jahrg. 13, Kaſſel 1906) berichtet, während Römheld „Vorgeſchichtliche Sunde in der Eihweger Gegend im Sommer 1913" geborgen hat Dortragsbericht (mitteilungen f. heſſ. Geſch. u. Candesk. 13/14, S. 126 ff.).

In die Umgebung von Hersfeld führt uns ein Aufjag von W. Bremer:

„Die vorgeſchichtlichen Grabhügel in unſeren Wäldern“ (Mein Heimatland V (1921), Nr 11, 12 u. 13).

fluch die Erforſchung der Marburger Gegend hat in der Berichtszeit gute Fortſchritte gemacht. Sie wird in erſter Linie Gg. Wolff verdankt, der bereits 1916 in einem Hufſatz, ‚Über einige Aufgaben der archäo⸗ logiſchen Bodenforſchung in Oberheſſen“ Geitſchr. f. heſſ. Geſch.

224 h. hed [4

u: Landesk., N. F. 39, 1916, S. 15—25) auf die Bedeutung der Umgebung von Marburg für die vorgeſchichtliche hingewieſen hat. In feiner Arbeit über „Die Beſiedelung des Ebsdorfer Grundes in vorgeſchichtlicher Zeit“ (Zeitjchr. f. heſſ. Geſch. u. Candesk., N. §. 42, 1919, S. 37—149) ijt es ihm dann gelungen, die reichen Srüchte ſeiner dortigen Ausgrabungstätigteit vorzulegen.

Die verſchiedenen vorgeſchichtlichen Zeitſtufen ſind faſt durchweg in der vorgeſchichtlichen Literatur Kurheſſens gut vertreten. Völlig fehlen nur die Nachrichten über die ältere Steinzeit, das Paläolithikum, da paläolithiſche Stationen bisher im Gebiete des Reg.⸗Bez. Kaſſel noch nicht entdeckt worden ſind. Daß ſie gänzlich fehlen ſollten, iſt nach Lage der Dinge kaum anzunehmen. Eifriges Suchen nach Spuren und dauernde Beobachtung ausſichtsreich er⸗ ſcheinender Erdaufſchlüſſe werden hier, wie anderwärts, zum Erfolge führen. Erinnert fei nur an die Aufdeckung der neueſten Sunditellen bei Gießen und Offenbach.

Reichlich fließen die Quellen ſchon über die jüngere Steinzeit, das Neolithikum. Die bedeutendſte Veröffentlichung aus neolithiſcher Zeit, die Beſchreibung „Neolithiſcher Denkmäler aus heſſen“ (Kaſſel 1898), herausgegeben von Boehlau und v. u. 3. Gilſa, liegt zwar ſchon außerhalb der Berichtszeit, doch haben auch Während dieſer Zeit Arbeiten aus faſt allen Landesteilen des Reg.-Bez. Kaſſel wertvolle Beiträge zur Kenntnis der Neolithik Kurheſſens gebracht. h. Hofmeiſter berichtet „Über eine band keramiſche Siedlung bei Kaſſel“ (Rorreſpondenzbl. d. Geſ. Der. LX, 1912, Nr. 2, S. 76—77), Joſ. Donderau über „Steinzeitliche hocker⸗ gräber und Wohnſtätten auf dem Schulzenberge bei Fulda“ (Suldaer Geſchichtsblätter IV, 1905) und über den gleichen Fundort unter demſelben Titel noch einmal 1907 eingehender in den Veröffentlichungen des Fuldaer Geſchichtsvereins Nr. 6, während W. Lange „über das neolithiſche Grab bei Ellenberg (Kr. melſungen)“ einen Vortragsbericht im 57. Jahrgang des Korreſpondenzblattes d. Geſ. Der. Nr. 9/10, 1909, bringt. Zu erwähnen ijt hier ferner der Auflag von W. Bremer: „Ein haus und Grab der jüngeren Steinzeit bei Haldorf, Kr. Melſungen, Reg.-Bez. Caſſel“ (Germania VI, 1923, Heft 3, S. 110—114).

In 3wei Einzelveröffentlihungen aus der Marburger Gegend über

„Eine neolithiſche hüttengrube mit Pfoſtenlöchern und Brand- grab am Srauenberg bei Marburg” (Germania, 1917, heft 1, S. 19—26) und „Große Wohnſtätten der jüngeren Steinzeit mit Pfojten- löchern und Brandgräbern auf dem Frauenberg bei Marburg“ (Germania, 1917, heft 6, S. 182—184) hat Gg. Wolff wertvolle Beiträge zur Kenntnis neolithiſcher Wohnbauten geliefert. Beide Aufläße ſind Weiter⸗ führungen ſeiner in der Abhandlung über die Beſiedelung des Ebsdorfer Grundes niedergelegten Forſchungsergebniſſe.

Wo wäre aber Wolffs unerſchöpfliche Tätigkeit beſſer zu würdigen als in der Hanauer Gegend! Seine Einzelarbeiten über „Neolithiſche Brandgräber aus der ſüdlichen Wetterau“ (Rorreſpondenzbl. f. Anthro⸗ pologie 39, 1908, Heft 9/12, S. 72— 74), „Neue Ergebniſſe der neolithi⸗ ſchen Sorſchung in der Umgebung Frankfurts a. M.“ (Korte: ſpondenzbl. d. Geſ. Der. LXI, 1915, S. 35650), „Neolithiſche Brand— gräber in der Umgebung von Hanau” (Prähiſt. Jeitſchr. III, 1911, S. 1—51) und über „Neolithiſche Pfahlbautenkeramikin der ſüdlichen Wetterau“ (Germania, 1919, Heft 3/4, S. 84—86) geben hiervon beredtes

5] Literatur zur Vor⸗ und Frühgeſchichte heſſen⸗Naſſaus 1900 1922 225 |

Zeugnis. Arbeiten von P. Steiner: „Neolithiſche Brandgräber im Kilianftädter Wald“ (Feſtſchr. 3. XXXIX. Derſ. der Deutſchen Anthro- pologiſchen Geſellſchaft zu Frankfurt a. M. 1908), hans Dragendorff: „Unterſuchung neolithiſcher Brandgräber in der ſüdlichen Wet- terau (Korreſpondenzbl. d. Geſ. Der. LIII, 1910, S. 85) und Heiderid: „Ausgrabung ſteinzeitlicher Wohngruben und Brandgräber in der Gegend von hanau“ (Rorreſpondenzbl. f. Anthropologie XLI, 1910, S. 9) und „Über einen Schädel aus einer ſteinzeitlichen Wohngrube bei Hanau” (ebendort S. 20) bauen teils auf den Wolffſchen Ausgrabungs- ergebniſſen, teils erweitern und ergänzen ſie das von Wolff entworfene Bild. Auch der in der Prähiſtoriſchen Jeitſchr. Bd. XI/ XII, S. 208 —210 erſchienene Hufſatz Gg. Wolffs über „Die Beſiedelung Südweſtdeutſch— lands in der jüngeren Steinzeit“ verdient, hier erwähnt zu werden, das gleiche gilt für Gg. Wolffs Abhandlung: „Beobachtungen an neo— lithiſchen Anlagen“ (Germania IV, 1920, heft 3/6, S. 67—68).

Don größeren Arbeiten, die kurheſſiſche neolithiſche Sunde und Fund⸗ ſtellen in den Kreis ihrer Betrachtungen einbeziehen, ſind in erſter Cinie zu erwähnen die Arbeiten von G. Roſſinna über die „Entwicklung und Verbreitung der ſteinzeitlichen Trichterbecher, Kragenfläſchchen und Rugelflaſchen“ (Mannus 13, 1921, Heft 5, S. 164), wo u. a. auch zwei Kragenfläſchchen aus der Umgebung von Züſchen (Kr. Fritzlar) noch auf heſſiſchem Boden gefunden erwähnt werden, ſowie die Abhandlung von R. Schumacher über „Stand und Aufgaben der neolithiſchen Forſchung in Deutſchland“ (Bericht d. Röm.⸗ Germ. Kom. 1913/15, Bd. 8, S. 30— 82).

Spärlicher dagegen ijt, wie überall in Weſt⸗ und Mitteldeutjchland, die Literatur über die Bronzezeit. Die größeren Arbeiten von Roſſinna, Schumacher, Liſſauer und Behrens, die in ihren Ausführungen auch kurheſſiſche Verhältniſſe fuhrt. ſind in Teil J dieſes Berichtes (Mannus 16, heft 1/2, S. 143) aufgeführt, ſo daß hier nur auf dieſen zu verweiſen iſt.

Aud der Einzeldarſtellungen ſind nur wenige, jedoch hat hier die vor⸗ geſchichtliche Literatur Rurheſſens durch eine ſehr rege Bearbeitung bronze⸗ zeitlicher Funde und Fundſtellen in der Umgebung von Hersfeld in aller⸗ jüngſter Jeit eine nicht unweſentliche Bereicherung erfahren.

Es find dies die Abhandlungen von W. Deek: „Die hügelgräber auf dem Zaunrück bei Riederjoſſa“ (Mein Heimatland V, 1921/22, Nr. 2), G. Neumann: „Bronzezeitliche Grabhügel auf dem Mittel: berge bei Heddersdorf, Kr. Hersfeld" (Mein Heimatland VI, 1923/24, Nr. 6), S. Langsdorff u. R. Schroeder: „Ausgrabungen vorgeſchicht⸗ licher Grabhügel bei Rotterterode und Reckerode Sommer 1923“ (Mein Heimatland VI, 1923/24, Nr. 11) und W. Bremer: „Aus der Vor⸗ zeit des Eiſenbergs“ (Mein Heimatland VI, 1923/24, Nr. 1, 2, 6), die ſämtlich zur Stufe der fog. Hügelgräberbronzezeit wertvolles Material bei⸗ bringen, während ein Hufſatz von J. Donderau: „Ein merkwürdiger Grabhügel am Ziegenberg bei Asbach, Kr. Hersfeld" (Mein Heimatland V, 1921/22, Nr. 6) die Derhältniſſe zur Zeit des Überganges von der Bronze⸗ zur Hallſtattzeit berührt.

Die Umgebung von Hanau behandeln die Aufſätze von §. Kutſch: „Der Übergang der jüngſten Bronze- zur Eiſenzeit in der Süd⸗ wetterau“ Urnenfelderfunde aus der Umgebung von hanau (Ger⸗ mania, 1919, Heft 3/4, S. 86—88) und G. Behrens: „Ein ſpätbronze⸗

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſch., Bd. 17. H. 3 15

226 H. hed [6

zeitliches Stelettgrab von heldenbergen“ (Germania, 1917, Heft 5, S. 147—150). fluch die Abhandlung von P. Reinecke über „Glasperlen vorrömiſcher Zeit aus Funden nördlich der Alpen“ (Altertümer unſerer heidniſchen Vorzeit V, S. 60 und Tafel 14, Nr. 207), die uns u. a. auch mit einer Glasperle aus dem Beſtande der hanauer Sammlung bekannt macht, die einem Grabhügel der mittleren Bronzezeit vom Töngeswald bei hochſtadt entſtammt, muß hier erwähnt werden.

Aus dem Fuldaer Land endlich berichtet uns Joſ. Donderau in einem Aufjaß über den „Ddepotfund vom heimberg bei Sulda“ (Suldaer Geſchichtsblätter XVI, 1922, S. 81 ff.).

Entſprechend einer ſtärkeren hallſtattzeitlichen Beſiedelung iſt auch 05 a über die ältere Eiſenzeit (Hallitattzeit) Kurheſſens recht um⸗ angreich.

Karl Schumacher berührt in feiner Arbeit über „Die Hallftatt- kultur am Mittelrhein“ (Prähiſtoriſche Zeitſchrift Bd. 11/12 (1919/20), S. 123—178) kurheſſiſche Derhältnijje, beſonders bei Behandlung der hall⸗ ſtattzeitlichen Sunde aus der Marburger Gegend, von Melſungen und Windecken, während P. Reinecke in ſeinem Kufſatz über „Tongefäße aus Brandgräbern der frühen Hallftattzeit Süddeutſchlands“ (Altertümer unſerer heidniſchen Vorzeit V, S. 238 u. Tafel 44, Nr. 761—763) Sunde aus Flachgräbern mit Leichenbrand (Urnenfelderſtufe) vom Tönnies⸗ felde bei hanau erwähnt.

Beiträge zur hanauer Siedelungskunde geben ferner die beiden Abhandlungen von §. Kutjch über „Dier Seuerböde aus dem hanauer Mufeum” (Germania 1919, Heft 3/4, S. 88) von Rüdigheim und aus der Umgebung von Butterjtadt (Übergang der Bronze: zur Hallſtattzeit) und über den fog. ,Hallftatt-Keld) ohne Boden“ (Germania 1919, Heft 5/6, S. 117/118) vom han auer Exerzierplatz durch mitgefundene Scherben als ſpäthallſtattzeitlich beſtimmt.

Die hallſtattzeit im Fuldaer Land wird durch zwei Urbeiten von Joſ. Donderau wirkungsvoll beleuchtet „Zwei hallſtatt-Slachgräber im Kreiſe Fulda“ (XII. Veröffentlichung des Fuldaer Geſchichtsvereins 1914) bei Bimbach und Uffhauſen und „Das Gräberfeld bei dem Lanneshof im Kreife Fulda“ (VII. Veröffentlichung des Suldaer Geſchichtsvereins, 1909) mit Brandbeftattungen aus H. 1—2 neben einigen bronzezeitlichen Skelettgräbern.

Hallſtattzeitliche Sunditellen aus der Umgebung von Marburg erwähnt Gg. Wolff in feiner Arbeit „Zur Beſiedelung des Ebsdorfer Grundes“ (Germania 1918, Heft 5/6, S. 119—128) meiſt Gräber der Urnenfelder⸗ ſtufe aus der Zeit des Überganges von der Bronze- zur Hallſtattzeit (vgl. hierzu auch die Arbeit Wolffs in der Zeitichr. f. heil. Geſch. u. Landest., N. F. 42, S. 37— 1409).

Aud) die Nachrichten aus der jüngeren Eiſenzeit (Catènezeit) find ver⸗ hältnismäßig zahlreich. Im Dordergrunde ſtehen hier die Veröffentlichungen der Ausgrabungen an der „Altenburg“ bei Niedenjtein dem chat⸗ tiſchen Mattium? —. Dorab find zu nennen: Boehlau, Eiſentraut, Hof- meiſter und Lange: „Die Ausgrabungen auf der Altenburg bei Niedenſtein“ (Zeitſchr. f. heil. Geſch. u. Landest., N. §. 32, 1908, S. 9—49), h. hofmeiſter: „Die Ausgrabungen auf der Altenburg bei Nieden ſtein 1909“ zweiter Bericht (Mitteilungen f. heſſ. Geſch. u. Landest. 1910/11, S. 101—127), G. Kropatjdhed und h. hofmeiſter: „Die Aus-=

71 Literatur zur Vor⸗ und Frühgeſchichte heſſen⸗Naſſaus 1900 1922 227

grabungen auf der Altenburg bei Niedenſtein“, I. Grabung Kro- patſchecks 1909/10, II. Grabung Hofmeijters 1911 (Mitteilungen f. heſſ. Geſch. u. Landesfunde 1911/12, S. 105/112), G. Kropatſcheck: „Der Ring⸗ wall auf der Altenburg (Röm.⸗Germ. Korreſpondenzbl. IV, 1911, S. 7—8) und E. Wenzel: „Die Altenburg in Niederheſſen“ (Burgwart 1916, Nr. 2, S. 35).

Die Ausgrabungsergebnijje von der „Altenburg“ behandeln ferner die Aufläße von E. Anthes: „Der gegenwärtige Stand der Ring⸗ wallforſchung“ 4. Ausgrabungen auf der Altenburg bei Niedenitein in heſſen (Bericht der Röm.⸗Germ. Kommiſſion 1905, S. 46—48) und „Ringwallforſchung und Verwandtes“ (VI. Ber. der Röm.⸗Germ. Rommiſſion 1910/11, beſonders S. 31-35), ſowie ein Dortragsberidt des gleichen Derfafjers über „Kingwälle und Verwandtes in Oberheſſen“ (Rorreſpondenzbl. d. Geſ. Ver., Jahrg. 57, 1909, Nr. 9/10). Nicht unerwähnt bleiben ſoll hier ferner die Arbeit von §. Behn über „Prähiſtoriſche Feſtungstore“ (Prähiſt. Zeitſchr. 11/12, S. 102—117), da auch fie die Der- hältniſſe auf der „Altenburg“ berührt. |

Sonſt find aus dem Gebiet kurheſſiſcher Ringwallforſchung nur noch zu nennen: die Arbeiten von Joſ. Donderau: „Der Ringwall am nörd⸗ lichen heidenküppel bei Unterbimbad im Kreiſe Fulda“ (Der⸗ öffentl. d. Suldaer Geſchichtsvereins V, 1905) und W. Lange: „Der Rhün⸗ daer Berg in Niederheſſen“ (Prähiſt. Jeitſchr. V, 1913, S. 460 —467).

Zu kurz kommt allerdings die außerhalb der Ringwälle liegende latene⸗ zeitliche Siedelungsforſchung. An Grabfunden meldet nur Gg. Wolff latène⸗ zeitliche Nachbeſtattungen in Grabhügeln der hallſtattzeit aus der Umgebung von Marburg, in den vorerwähnten Abhandlungen „Zur Beſiedelung des Ebsdorfer Grundes“, während W. Bremer eine ſehr bedeutſame „Germaniſche Siedelung bei Unterweiſenborn (Kreis Hersfeld)" feſtgeſtellt hat (Germania 1921, Heft 2, S. 60/64 und „Mein Heimatland“ V, 1922, Nr. 10).

Beſonders umfangreich iſt die Literatur über die römiſch⸗germaniſch⸗ frühgeſchichtliche Zeit Kurheſſens, für die nicht nur ein äußerſt reichhaltiges, ſondern auch ſehr vielſeitiges Material zur Verfügung ſteht, das ſich beſonders um die Chattenfrage und Bonifatius gruppiert zwei weſentliche Wendepunkte in der heſſiſchen Frühgeſchichte!

Die römiſche Beſatzung hat im Berichtsgebiet nur die Umgebung von Hanau für längere Zeit berührt. Hier allein finden ſich die Spuren römiſcher Unſiedelungen. In der zur Verfügung ſtehenden Literatur ſteht an erſter Stelle das Prachtwerk: „Der Obergermaniſch-Rätiſche Limes des Römerreiches“ (Heidelberg bei Petters), das neben der dazu⸗ gehörigen Limesitrede die Kajtelle von Rückingen, Marköbel, Groß— krotzenburg und Keſſelſtadt behandelt. Gg. Wolff unterrichtet über die neuejten Ausgrabungen in der Umgebung von Hanau durch ſeinen Grabungs⸗ bericht über „Das römiſche Militärbad auf dem Salisberg bei hanau⸗ KReſſelſt adt“ (Ber. d. Röm.⸗Germ. Kommilfion XI, 1918/19, S. 99/119). Aud) feine Auffäße über „Kaltelle und Bäder im Limesgebiet“ (eben⸗ dort S. 71—98) und „Hanau-Keſſelſtadt in römiſcher Zeit” (Hanauer Anzeiger 1918, Nr. 116/119) gehören hierher.

Aus der reichhaltigen Literatur über die Chatten ſeien folgende Schriften erwähnt: Gg. Wolff: „Die geographiſchen Dorausfegungen der TChattenfeldzüge des Germanicus”. (Zeitſchr. f. heſſ. Geſch. u.

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Landesk., N. §. 40, 1917, S. 52—123 und Nachtrag S. 230— 233), ferner R. Schumacher „Der Seldzug des Germanicus gegen die Chatten im Jahre 15 nach Chr.“ (Mainzer Jeitſchr. VII, 1912, S. 71—78), G. Kro- patſcheck: „Der Druſusfeldzug des Jahres 11 vor Chr. Geb.“ (Bonner Jahrbücher 120, 1911, S. 19—38), Gg. Thiele: „Domitian und die Chatten” Marburger Dortragsberiht (Mitteilungen f. heſſ. Geſch. u. Candesk. 1911/12, S. 52 ff.), ebenſo O. Dahm: „Die Feldzüge des Ger⸗ manicus in Deutſchland“ (Weſtdeutſche Jeitſchr. XI, Ergänzungsheft (Trier 1902) S. 46 u. 117 ff.). „Beiträge zur Geſchichte der Chatten“ auf Grund philologiſcher Erwägungen bringt P. Vogt (Programm des Wil⸗ helmsgumnaſiums zu Caſſel 1901), und auch C. Schmidts „Geſchichte der deutſchen Stämme bis zum Ausgange der Dölkerwanderung“ (Berlin bei Weidmann) muß in dieſem Zuſammenhange genannt werden.

Die Übergangszeit von der Chatten⸗ zur Frankenherrſchaft und die damit zuſammenhängenden Fragen beleuchtet Gg. Wolff in ſeinen Arbeiten über „Chatten —Sranken —heſſen“ (Marburg 1919, bei Elwert) vgl. auch Ard). f. heſſ. Geld. pp. XIII, 1920, S. 43 ff. und „Chatten, Alemannen und Franken in Churheſſen und in der Wetterau“ (Dolk und Scholle, 1922, S. 57 ff.).

Huch die neuere Orts⸗ und Slurnamenforjdung hat manchen wertvollen Beitrag zur heſſiſchen Siedelungsforſchung gebracht. Beſondere Beachtung verdienen hier die Arbeiten von O. Bethge: „Bemerkungen zur Beſiedelungsgeſchichte des Untermainlandes in frühge⸗ ſchichtlicher Zeit” (Jahresbericht der humboldtſchule zu Frankfurt a. M.) und „Fränkiſche Siedelungen in Deutſchland auf Grund von Ortsnamen feſtgeſtellt“ (Wörter und Sachen VI, Heft 1, 1914, Heidel- berg bei C. Winter), ſowie der Vortrag von h. Jellinghaus: „Vor- und frühgeſchichtliche Spuren in nordweſtdeutſchen Orts- und Slur⸗ namen“ (KRorreſpondenzbl. d. Geſ. Der. LVII, 1909, Nr. 9/10) und der Hlufſatz von Illgner: „Germaniſche Spuren in der heutigen Cand⸗ wirtſchaft um Hünfeld“ Wald- und Flurnamen (Suldaer Geſchichts⸗ blätter VIII, Nr. 11—12); auch die Abhandlung von Gg. Wolff: „Orts⸗ namen zwiſchen Main und Weſer als Hilfsmittel der Beſiedelungs— forſchung“ (Germania VII, 1923, S. I ff.) darf hier nicht unerwähnt bleiben.

Die vor: und frühgeſchichtliche Straßenforſchung fördern be- ſonders die Arbeiten von K. Schumacher: „Die Erforſchung des römi⸗ chen und vorrömiſchen Straßennetzes in Weſtdeutſchland“ (Ber. d. Röm.⸗ Germ. Kommiſſion 1906/07), Gg. Wolff: „Archäologiſche Boden- forſchung in heſſen“ (Berliner Philologiſche Wochenſchr. 1915, Nr. 40), J. Donderau: „Dor- und frühgeſchichtliche Durchgangswege im Suldaer Lande "(Suldaer Geſchichtsblätter XIV, 1920 und XV, 1921) und Gg. Wolff: „Bonifatius' letzte Fahrt durch die Wetterau“ (Alt- Frankfurt V, 1913/14, S. 52—62).

Einen bedeutenden Zuwachs hat auch die Bonifatiusliteratur in der Berichtszeit erhalten. Die Bonifatiusforſchung gehört zwar mehr in das Gebiet der Kirchengeſchichte als in das der Vor- und Frühgeſchichte Rur⸗ heſſens; da jedoch auch dieſes Gebiet nicht unweſentlich mit in Betracht ge⸗ zogen wird und ihr manchen wertvollen Beitrag verdankt, darf eine Erwäh⸗ nung wenigſtens der wichtigſten Veröffentlichungen hier nicht unterbleiben. Eine gewiſſe Beſchränkung aber iſt immerhin am Platze. Jumeiſt angeregt durch die Feier des 1150. Todestages des heiligen iſt in der Berichtszeit eine

9] Literatur zur Dor- und Srühgeſchichte Heſſen⸗Naſſaus 1900-1922 229

Anzahl von Schriften und Aufjagen erſchienen, denen bis ins einzelne nach⸗ zugehen, die dieſem Bericht gezogenen Grenzen weit überſchreiten würde. Da auch O. Kunkel in feiner eingangs erwähnten Arbeit (Mannus 16, Heft 3 bis 4) auf S. 378 zahlreiche Quellen angeführt hat, ſei vorab auf dieſen ver⸗ wieſen. Ergänzend find anzufügen: „M. Tangl: „Die Briefe des Boni— fatius” (Leipzig 1912, bei Dyf), vgl. hierzu: Zeitſchr. f. heſſ. Geſch. u. Landest., N. S. 43, S. 155— 158. Vom gleichen Derfaſſer rührt auch der lufſatz über „Das Todesjahr des Bonifatius“ (Zeitſchr. f. heſſ. en u. Candesk., N. §. 37, 1903) her. Zu erwähnen N ferner: „W. Köhler

„Bonifatius in heſſen und das heſſiſche Bistum Büraburg“ Eeitſchr. f. heſſ. Kirchengeſch. Bd. 25, Heft 2, S. 197-232), G. Richter: „Bonifatiana“ (Fuldaer Geſchichtsblätter V, 1906) und die 1 zur Jubelfeier des 1150. Todestages des heil. Bonifatius in Sulda“ (Sulda 1905).

Auf das Gebiet der Kirchengeſchichte und beſonders der Kirchenbau⸗ kunde hinüber ſpielen auch die Berichte von J. Donderau über feine Aus- grabungen am Fuldaer Dom: „Dorläufiger Bericht über die Aus- grabungen am Dome zu Sulda“ (Suldaer Geſchichtsblätter XII, 1913, S. 129 144), „Die Husgrabungen am Fuldaer Dom 1919“ (Mitteilungen f. heil. Geſch. u. Candesk. 1920/21, S. 61—71), „Dorläufiger Bericht über die Ausgrabungen am Dome zu Sulda im Jahre 1919“ (Suldaer Geſchichtsblätter XIV, 1920, Nr. 1, S. 1—16) und endlich die zuſammen⸗ faſſende Bearbeitung: „Die Ausgrabungen am Dome zu Fulda in den Jahren 1919—1924“ (17. Veröffentlichung des Fuldaer Geſchichtsvereins Sulda 1924). fluch der Auffak J. Donderaus: „Die Ausgrabungen an der Stiftskirche zu hersfeld im Jahre 1921 u. 1922“ (Mein Heimatland V, 1921/22, Nr. 5 und VI, 1923/24, Nr. 3) muß in dieſem Zu⸗ ſammenhange mitgenannt werden. Dieſe Arbeiten dürfen ſchon deshalb hier nicht überſehen werden, da auch e Reite zum Vorſchein gekommen find. Erwähnung verdient endlich noch der Auffak von J. Donderau:

„Ein in Fulda gefundener römiſcher Altarſtein⸗ (Suldaer Geſchichts⸗ blätter VIII, Ur. 7), womit zu vergleichen iſt, die Arbeit von h. Finke: „Zum Fuldaer Altar CIL Nr. 11938“ (Germania II, Heft 5/6, 1918, S. 118).

hiermit bin id) am Ende eines Berichtes angelangt, der keineswegs Anjprud. auf Vollſtändigkeit machen foll, da das Material zu ihm in der hauptſache unter den erſchwerendſten Umſtänden, während des Rhein⸗ Ruhrkampfes, zuſammengetragen werden mußte. Trotzdem glaube ich kaum, daß Weſentliches überſehen worden iſt.

Groß find die Lücken, die die vor⸗ und frühgeſchichtliche Literatur Kur- heſſens vor allem für einzelne Teile des Bezirks aufzuweiſen hat; das dürfte der vorliegende Bericht klar genug gezeigt haben. Hier wird es die beſondere Aufgabe des Kaſſeler Muſeums fein, als berufenſte Pflegerin kurheſſiſcher Vorgeſchichte, vermittelnd einzugreifen und durch tatkräftige Förderung nicht nur der Spatenforſchung, ſondern auch der Veröffentlichung der durch fie gewonnenen Forſchungsergebniſſe dieſe Lüde auszufüllen. hierdurch würde die Kenntnis der vorgeſchichtlichen Beſiedelung Kurheſſens nicht unweſentlich gefördert werden.

Was ſich erreichen läßt, zeigen die Erfolge Gg. Wolffs in der hanauer und noch deutlicher in der Marburger Gegend, die umſichtsvolle und rührige Tätigkeit Joſ. Donderaus für Fulda und W. Bremers für die Umgebung von Hersfeld. hoffen wir, daß ihr Beiſpiel nicht vergebens iſt!

Vorgeſchichte und Schule.

Don R. Belk.

Die Forderung, die Ergebniſſe der Vorgeſchichtsforſchung durch die Schule zum Gemeingut der allgemeinen Bildung zu machen, hat ſich ja nun durchgeſetzt, und Handbücher, Leitfaden u. dgl. über Vorgeſchichte zur In⸗ formation von Lehrern und auch Schülern ſind genügend vorhanden. Noch aber fehlt es an der richtigen Behandlung der Vorgeſchichte in den Hand⸗ büchern der verſchiedenen Unterrichtsgegenſtände. Darin liegt eine ſchwere Gefahr; eine falſche oder ſchiefe Auffajjung, die mit der Autorität der Ge⸗ ſchichte oder Geographie vorgetragen wird, kann den mühſeligen Aufbau vorgeſchichtlicher Anſchauung zerſtören. In einem ganz modernen und ernſt wiſſenſchaftlichem handbuch der alten Geſchichte findet man die Gedanken, es ſei doch recht gut, daß die Römer ſich am Rhein feſtgeſetzt hatten, denn ſo hätten ſie bildend auf die weſtlichen Germanenſtämme gewirkt, die ſonſt auf derſelben Kulturſtufe ſtehen geblieben wären wie die Dandalen. Und in den Präparationen für den geographiſchen Unterricht an Volksſchulen von Julius Tiſchendorf, einem ſehr geſchätzten und viel gebrauchten Buche (das mir vorgelegte Exemplar war ſchon die neunzehnte Auflage) lieſt man S. 85 „Cüneburger Heide. Hier oder da erhebt ſich ein einfacher Grab⸗ hügel. Helden liegen unter ihm begraben, die vor tauſend und mehr Jahren einſt durch die heide zogen. S. 86. Hat man nie ein ſolches hünengrab ge⸗ öffnet? O doch! Und was fand man da? Urnen von gelblichgrauer Farbe, gefüllt mit Aſche und Knochen, Schwerter, Retten und Schilde. Worauf laſſen die Urnen ſchließen? (Verbrennung der Leichen!) Was ſagen dir die gefundenen Waffenſtücke? (Krieger.) Was fängt man mit den gefundenen Stücken an? (Muſeum.) Die gefundenen Urnen werden wohl auch von armen Leuten als Trink- und Rochgeſchirr verwertet.“ Als Anſchauungs⸗ mittel dazu wird angegeben „Bieſe, hünengrab“, alſo der Derfafjer meint wirklich Megalithgräber. Übrigens muß es nach S. 87 ſcheinen, daß die Ge⸗ ſchiebeblöcke aus Norwegen kommen. In einem ebenfalls ſehr bekannten Cehrbuch der Geologie waren bei der Produktion der Diluvialzeit die ſchönſten neolithiſchen Arte, Dolche uſw. abgebildet.

Dagegen ijt vorzugehen. Junächſt durch Warnung an die Kreije, die die Bücher benutzen, dann aber durch Doritellungen bei dem Verlage, damit in folgenden Auflagen aufgeräumt werden kann.

Das Ende des Kampfes um Munzingen.

(Verſuchte Mißhandlung des Siegers) ). Don J. Bayer.

Wer den heftigen, faſt 20 Jahre währenden Kampf um die Alters- anſetzung der Paläolithſtation Munzingen verfolgt hat, konnte wahrnehmen, daß es nicht die Station als ſolche war mit ihren damals fo dürftigen unden, die zu einer Fehde ſolchen Umfanges führte, ſondern in Wirklichkeit die Frage der geologiſchen Stellung des Cöſſes, mit der bekanntlich in hohem Grade das ganze Chronologieproblem verknüpft iſt.

Der Rampf der gegneriſchen Unſichten drehte ſich bekanntlich um die Frage, ob Munzingen (nebjt einigen anderen Fundorten) Magdalenien ijt oder älter. In erſterem Salle müßte angeſichts der Einheitlichkeit der Cöß⸗ ablagerung auch das im gleichen Cöß befindliche Aurignacien und Solutreen für poſtglazial angeſehen werden und das Mouſtérien fiele in die „Würm⸗ Eiszeit". War Munzingen aber älter, dann beitand kein Hindernis für die Annahme der Bildung des Cöſſes vor dieſer Kältezeit und der Paralleliſierung des Mouſtérien mit der „Riß⸗Eiszeit“, wobei es dann automatiſch zum Verſchwinden des „Riß⸗Würm⸗Interglazials“ kommen mußte.

Huf dieſe Weiſe wurde Munzingen geradezu zu einem Prüfſtein für die Chronologie zumindeſt des jüngeren Abſchnittes des Eiszeitalters und der Kampf ging um einen hohen Preis.

Wie die Stellungnahme war, iſt bekannt: die weitaus überwiegende Mehrheit trat für Magdalenien ein, fo O. Schoetenfad, A. Rutot, H. Breuil, h. Obermaier, R. R. Schmidt, S. Wiegers und viele andere; M. hoernes vermutete, G. Steinmann behauptete Solutréen, ich verfocht hingegen Jung⸗flurignacien und rückte die Station gegenüber Steinmann, der ihren Horizont für „die jüngſte aller bisher bekannten Kulturſchichten aus dem Cöß“ hielt, beträchtlich zurück, indem ich fie vor das Predmojter Niveau ſtellte: „Munzingen iſt mit der Mehrzahl der bekannten Tößitationen ungefähr gleichen Alters und jedenfalls älter als Predmoft... Munzingen kommt in keiner Beziehung eine flusnahmsſtellung zu“ ).

So war die Gefechtslage, die im Laufe der Jahre eine Beſſerung zu meinen Gunſten wohl inſoferne erfuhr, als es mir gelang, die gleichfalls als Magdalenien klaſſifizierten Cößſtationen Aggsbach und Gobelsburg als Jung-Aurignacien zu erweiſen und zwar auf Grund eigener Grabungen.

Bezüglich Munzingen erfuhr die Cage aber keine Änderung, die ja auch

1) Auguft Padtberg, Das Altiteinzeitlager im Löß von Munzingen. Nach eigenen iN Mit acht Tafeln und zwei Tertfiguren. Augsburg, Benno Filſer, 1925. 16 ME. (Monographien zur Urgeſchichte des Menſchen, e von R. R. Schmidt).

5 Das Alter der Cößſtationen am Rhein. Jahrb. f. Altertumst. IV, Wien 1910.

232 | J. Bauer, 2

nur auf Grund eines reicheren Sundmaterials zu erwarten war. Dieſes kam nun tatſächlich zutage, als A. Padtberg 1914 an der von mir angegebenen Stelle ich ſchrieb 1910 a. a. O. S. 165: „Der eigentliche Lagerplatz des Diluvialmenſchen lag wohl weiter ſüdlich, wo einſt Ecker gegraben hat und wo meines Erachtens noch reichlich Gelegenheit wäre, durch eine ſuſtematiſche Grabung neues Material zu gewinnen, das für eine übereinſtimmende Beur⸗ teilung der Munzinger Cößſtation höchſt willkommen wäre“ eine ſehr erfolgreiche Grabung vornahm, deren Ergebnis den Rampf in unzweifelhafter Weiſe entſcheidet. Jeder Fachmann nämlich, der die beim Kongreß in Tübingen kluguſt 1925 gezeigten Fundſtücke Padtbergs ſieht, wird hier das Muſter⸗ beiſpiel einer Jung-Aurignacien-Station erkennen, wie das R. R. Schmidt auf jenem Kongreß auch eindeutig darlegte, womit er feine frühere knſicht eines „Hoch-⸗Magdaleènien“ endgültig fallen gelaſſen und ſich ohne Einſchrän⸗ kung zu meiner Anficht bekannt hat.

Damit hielt ich dieſe Fehde für erledigt und wäre auf ſie gar nicht mehr i wenn nicht Padtberg zur Überraſchung wohl der ganzen

iluvialarchäologiſchen Jorſchung in der kürzlich erſchienenen Deröffent⸗ lichung ſeiner Grabung von 1914 den von Schmidt aufgegebenen Standpunkt zu dem ſeinen gemacht und was ungleich ſchwerwiegender als dieſe Mei⸗ nungsäußerung eines Außenſeiters der Diluvialarchäologie iſt eine Fülle von unrichtigen Behauptungen, beſonders was meine Perſon anbetrifft, vor⸗ gebracht hätte, die wohl der Fachmann ſofort als ſolche erkennt, die aber beim nichtfachmänniſchen Publikum den Eindruck erwecken müſſen, daß ich ein Ignorant oder Charlatan bin, der Munzingen falſch beurteilt hat und noch obendrein jahrelang eine Chronologie des Eiszeitalters verficht, die gar nicht die ſeine, ſondern die Boule⸗Obermaiers iſt.

Die durch Padtberg geſchaffene Sachlage entbehrt wirklich nicht der Komik: dafür, daß ich ſchon vor 16 Jahren als einziger Munzingen richtig eingeſchätzt habe, werde ich nun heruntergemacht, ja dieſer Autor ſcheint es für eine Schande zu halten, wenn man ſeine Anfichten im Laufe der Jahre ändert, was ſich übrigens hier nur auf untergeordnete Einzelheiten bezieht, denn in der Geſamtbeurteilung habe ich keinen Hugenblick geſchwankt.

Herr Padtberg irrt nun aber, wenn er glaubt, daß ich mir dieſe, aller⸗ dings unter dem Deckmantel chriſtlicher Nächſtenliebe „niemand zuliebe, aber auch niemand zuleide“ begangene Mißhandlung ruhig gefallen laſſe. Wir werden uns im Gegenteil dieſen herrn Padtberg etwas genauer an⸗ ſehen, wobei ſein Wiſſen und ſeine Methode zu beleuchten ſein wird.

Gleich eingangs möchte ich betonen, daß ich mich in eine Erörterung darüber, ob hier Magdalénien oder Aurignacien vorliegt, nicht einlaſſe, da ich keine moraliſche Verpflichtung fühle, herrn Padtberg in das ABC der Tupologie einzuführen. Ich kann ihm aber den Beſuch darauf bezug⸗ nehmender Dorlejungen nur beſtens empfehlen. Er wird dann hören, daß fein Ausgrabungsmaterial typiſches Jung-Aurignacien iſt und ſehr be⸗ dauern, daß er zuerſt ſein Buch geſchrieben und erſt dann ſtudiert hat, ſtatt umgekehrt. Jedenfalls wirkt es komiſch, wenn ein Außenjeiter wie Padt⸗ berg mit einem der beiten Kenner der Typologie, wie es zweifellos R. R. Schmidt iſt, in eine Polemik eintritt und ſich ſo blamiert, wie das beſonders auf den S. 49ff. erſichtlich wird, wo das Anfängeritadium Padtbergs ein wandfrei offenkundig wird.

Was ich hier aber grell beleuchten möchte, iſt die Padtberg'ſche Methode der Beweisführung.

5] Das Ende des Kampfes um Munzingen 233

Er erzählt die Geſchichte der Beurteilung Munzingens ſehr ausführlich, wobei er meiner Perſon beſonders eingehend gedenkt. Dabei iſt es intereſſant zu ſehen, wie meine Sätze kritiſiert werden, die durch feine Grabung die vollſtändige Beſtätigung erfahren haben, fo meine ſchon 1909 aus⸗ geſprochene Unſicht, daß die Cößbildung während des Solutréen zu Ende gegangen ijt, die er „Verbot“ nennt, wo es ſich doch um die Seftitellung einer durch alle bekannten Cößſtationen bezeugten Tatſache handelte.

Wenn Padtberg hier von „vorſchnellen Folgerungen“ ſpricht, dann dürfte man in der Geologie und Urgeſchichte überhaupt erſt Schlüſſe ziehen, wenn das letzte Petrefakt und der letzte Abſpliß oder Gefäßſcherbe dem Boden entnommen iſt. | | |

Ein beſonders günſtiger Angriffspuntt dünkt ihm meine geologiſche Beurteilung der Lagerung der Kulturſchicht von Munzingen. Hier möchte ich vorausſchicken, daß trotz Padtbergs mehrmaliger Derſicherung des Gegenteils die zweifelsfreie Einlagerung des Kulturhorizontes in ungeſtörtem Cöß von Steinmann und mir in vollkommen eindeutiger Weiſe feſtgeſtellt worden iſt ). Ich habe nun 1910 die Lage der Munzinger Kulturfchicht mit der von Adenheim und Metternich verglichen und fie unter Zugrundelegung der Stein mannſchen Beur⸗ teilung des Munzinger Cöſſes übereinſtimmend gefunden, womit ich aus dem Aurignacien dort auf ein ſolches hier ſchloß. Als ich ſpäter (1912) die Möglichkeit ins Auge faßte, daß die Munzinger Rulturſchicht höher liegt, betonte ich, daß ſich damit an der Altersbeurteilung nichts ändere, da das Spät-Aurignacien wohl bisweilen auf der Göttweiger Derlehmungszone liege, „in der Regel ... aber inmitten oder in den oberen Partien des oberen jüngeren Cöß“ liegt 2), da hierfür vielfach örtliche Derhältnijfe ausſchlag⸗ gebend find. Dieſe von mir ſelbſt vorgenommene Korrektur meiner früheren Anficht dient Padtberg als Ausgangspunkt einer Kritik, die offenſichtlich dem Zweck dient, meine ſo richtige Beurteilung zu verdunkeln. Dabei iſt das, was Padtberg als von ihm neu erkannt hinſtellt, daß nämlich die Kultur⸗ ſchichte inmitten des jüngeren Cöß liegt, von mir, wie das obige Zitat zeigt, bereits 1912 erkannt worden und wir ſehen Padtberg ſeitenlang polemi⸗ ſieren, ohne daß es mehr iſt, als der ohnmächtige Derjud), an meiner Beweis⸗ führung einen Angriffspunkt zu gewinnen.

Offenbar weil dies unſerem Autor mit Munzingen nicht gelingt, erſtreckt er ſeine Kritik auf mein Chronologieſuſtem, das er auf S. 11 ein „ganz neues Eiszeitſchema“ nennt, während es fic) nach S. 14 um eine „bloß nominelle Derfdiebung der Obermaierſchen Eiszeitchronologie“ handelt. „Im Grunde genommen kommt alſo ſeine“ (meine) „jahrelange, ſtark perſönliche polemik auf einen Kampf mehr um Worte, denn um Sachen hinaus, oder wie es Werth ſchon 1917 .. . . ausdrückte, ‚es liegt hier keine chronologiſche, ſondern nur noch eine nomenklatoriſche Streitfrage vor“.

Jetzt wiſſen wir es, ich habe mehr als zehn Jahre geglaubt, ein eigenes Chronologieſyſtem zu verfechten und wußte nicht, daß es doch das von Boule⸗ Obermaier iſt, was ich erſt jetzt durch herrn Padtberg erfahre.

Ich weiß nicht, ob herr Padtberg jemals etwas von Grundmoränen gehört hat, wie fie beiſpielsweiſe ihrer drei den Boden Norddeutſchlands

2 Beſonders bei unſerer Verſuchsgrabung in Munzingen im Jahre 1910. 2) Die Chronologie des jüngeren Quartärs. S. 217.

234 3. Bayer (4

bedecken. Wenn es ihm nun gleich erſcheint, zwiſchen welchen das Chelléen und Aurignacien liegt, dann hat er und Werth mit obiger Behauptung recht. Mehr darüber zu ſagen unterlaſſe ich aus dem gleichen Grunde, der es mir oben verwehrte, auf die Tupologie einzugehen.

Ich möchte herrn Padtberg nur den wohlgemeinten Rat geben, um ihm weitere bittere Erfahrungen im wiſſenſchaftlichen Leben zu erſparen: er möge vorerſt verſuchen, ſich jenen weiteren Geſichtspunkt in der diluvial⸗ geologiſchen und archäologiſchen Forſchung zu verſchaffen, der für Erfolge auf dieſem Gebiete unerläßlich iſt. Er möge aber künftig auch ſeine Freunde nicht in ſo ungeſchickter Weiſe bloßſtellen, wie er das hier getan, wo er es (S. 15) als „ein Zeichen unvoreingenommener Wahrheitsliebe“ hinſtellt, wenn ein Gelehrter eine falſche Behauptung „ſtillſchweigend fallen“ läßt. Ich glaube, daß man einen Irrtum offen einbekennen ſoll. |

Jedenfalls ift es aber in wiſſenſchaftlichen Kreiſen nicht überall üblich, daß man Catſachen entitellt, wie dies Padtberg mir gegenüber macht, zu dem Endzweck, meinen Erfolg ſchmälern, ja ableugnen zu wollen, was Padtberg tut, wenn er (S. 58) ſchreibt: „Ganz zu Unrecht erblickte übrigens Joſ. Bayer auf dem Tübinger Unthropologentag in Schmidts veränderter Stellungnahme eine Beſtätigung deſſen, was er immer vertreten habe. Diel- mehr werden ſeine früher als hinfällig erkannten Beweiſe ſelbſt bei Aner- kennung des neuen Schmidtſchen Standpunktes in keiner Weile wieder aufgerichtet, und Schmidts jetzige AUnſicht ſteht völlig unabhängig von Bayer da, der zudem keinerlei weitere Geſichtspunkte beibrachte“.

Deutlicher kann man ſeine Abjicht nicht verraten. Das getraut ſich Herr Padtberg zu ſchreiben, obgleich er weiß, daß meine Beweiſe nach wie vor volle Geltung beſitzen, denn ſeine Grabungen haben fie ja von a—3 bez ſtätigt. Die alte, von mir aber ſelbſt zwei Jahre ſpäter abgeänderte Inter⸗ pretation der geologiſchen Lagerung zum Angriffspunkt zu nehmen ijt herrn Padtberg nur deshalb nicht ſchwerer anzurechnen, weil ihm offenbar nicht bekannt iſt, daß nur die von einem Autor in einer Sache zuletzt geäußerte Meinung angreifbar iſt.

Ich ſtelle ſomit feſt, daß herr Padtberg mit obigem Sage eine falſche Behauptung aufgeſtellt hat 4).

Heiter wirkt, wie h. Padtberg, dem fein Magdalenien wahrſcheinlich zeitweiſe doch etwas verdächtig vorkommt, „letztlich ... als verſöhnende Schlichtung der Meinungsverſchiedenheiten“ die „Wahrſcheinlichkeit“ erwähnt, „daß in Munzingen ein auch anderswo nachgewieſener unmittelbarer Übergang vom Aurignacien zum Magdalenien vorliege, mit nur ſchwachem Unklang an das ortsfremde Solutreen, jo daß auch zeitlich Spät⸗ aurignacien und Srühmagdalenien nahe zuſammenfielen“.

Man ſieht, Padtberg iſt auch gegebenenfalls zum Zuſammenhandeln bereit, aber vorläufig plaidiert er, obgleich ihm Schmidt mit einem Hinweis auf die belgiſchen Verhältniſſe eine goldene Brücke bauen möchte, doch lieber für Magdalenien.

Eine ſolche Verwaſchung der Sachlage, wie fie in der klusſchaltung des Solutreens läge, iſt, das ſei hier gleich mit allem Nachdruck bemerkt, voll⸗

1) Was auch daraus hervorgeht, daß R. R. Schmidt auf jenem Kongreß zu Tübingen in loyaler Weiſe die Richtigkeit meines Standpunktes anerkannte. |

5] Das Ende des Kampfes um Munzingen 235

graphiſchen Lage keinesfalls in Betracht, denn es liegt geradezu inmitten des von Ungarn über Mähren und Süddeutſchland nach Frankreich ſich erſtreckenden Solutréen-Bereiches. Wenn es alſo, wie es tatſächlich der Fall iſt, beginnende Flächenretuſche zeigt, ſo iſt das eben ein Beweis, daß es dem Endaurignacien angehört, auf das bereits der Schatten des Solutreen vorausfällt. Die abſolute Gleichzeitigkeit mit den franzöſiſchen und öſterreichiſchen Funden aber wird durch die Lagerung der Munzinger Rulturſchichte im Cöß III vollkommen ſicher geſtellt, der keines⸗ ahi in il. verſchiedenen Gebieten Europas zu verſchiedener Zeit abgelagert worden iſt. | Wenn das Knocheninventar Munzingens von dem der öſtlicheren Sta- tionen etwas abweicht und mehr ſich an das Jung-Aurignacien Weſteuropas anſchließt, ſo iſt dies angeſichts der Lage Munzingens nur begreiflich. Sie bringt es mit ſich, daß wir hier ein Geſamtinventar ſehen, das weſtliche und öſtliche Eigentümlichkeiten vereinigt. Wie ſchon eingangs be- merkt, ijt es tupiſches Spät-Aurignacien, das natürlich auch echte Bohrer enthält, die ja in dieſem Niveau nicht ſelten vorkommen 1). Was die ſſog. „„ägen” betrifft, die von herrn Padtberg gleichfalls für Magdalenien ins Treffen geführt werden, verweiſe ich ihn auf Willendorf und auf die jüngſt entdeckte Station von Pollau in Südmähren, wo er ſie in denkbar ſchönſter Ausprägung finden kann und zwar auch echte Sägen 2). N Was den Tupologen wirklich vom Magdaleènien überzeugt hätte, bleibt herr Ppadtberg ſchuldig. Mit einer einzigen harpune hätten wir ihm Recht gegeben, aber er kann uns nicht einmal Knochennadeln vorweiſen. Seine Behauptung, daß das Alt-Magdalenien den Typus der Harpune nicht kennt, ijt inſoferne unzutreffend, als in dieſes Niveau bekanntlich bereits das Frühſtadium der Harpune, das Stäbchen mit ſchrägen Einſchnitten fällt, mit dem wir ganz zufrieden geweſen wären, von dem im Inventar von Munzingen aber nicht ein Stück gefunden wurde. Was aber viel bezeichnender iſt die Harpune iſt ſchließlich ein relativ ſeltenes Gerät iſt das gänzliche Fehlen der feinen Knochennadeln, die ſo charakteriſtiſch für Magdalenien ſind. Wie ſich hier Herr Padtberg aus der Klemme zu ziehen verſucht, iſt für ſeine ganze Beweisführung tupiſch. Nachdem er ſich und den Lefer über das Fehlen der Harpunen zu beruhigen verſucht hat, indem er feſtſtellt, daß „aus dem vielleicht zufälligen Fehlen überhaupt kein ſicherer Schluß gezogen werden kann“, äußert er ſich über das gänzliche Fehlen der Nadeln: „Dies gilt bis zu einem gewiſſen Grade auch für das Fehlen von Nadeln! Hat das Schweizersbild doch nur zwei ganze geliefert neben allerdings 58 Bruchſtücken; auch im Reßlerloch waren es unter 38 Stücken (nach Nüeſch) nur wenige vollſtändige. Lagen alſo ſelbſt dort die Erhaltungsbedingungen für die zarten Gebilde ſo ungünſtig, it es dann zu verwundern, wenn fie an der Sreilandjtation Munzingen ſämtlich der intenſiven Verwitterung zum Opfer fielen? Wenn man zudem berück⸗ ſichtigt, was wir vorher . .. über wahrſcheinliche Spuren von Nadeln aus⸗ 1) hier zeigt ſich wieder Padtbergs tendenziöſe Art, denn obgleich ich nie den Bohrer ür 18 Opräfſtein für diese oder iene Kulturufe gehalten, ſtellt a Dib tbat 55 65

o dar und behauptet obendrein, daß es in Willendorf keine „echten Bohrer“ gebe, was bee 1510 iſt. Auch die von dieſer Station behauptete Seltenheit von Knochengeräten eht nicht.

. ) J. Bayer, Eine Mammutjägerftation im Cöß von Pollau in Südmähren. Eis⸗ ji 1924, S. if, Taf. I rechts unten. Was er übrigens Taf. VIII 53, 54, 60, 61 abbildet, ind lediglich Mikrolithen, die durch Gebrauch Rerben erhalten haben.

236 J. Bayer, Das Ende des Kampfes um Munzingen [6

führten und ſpäter über feine Bohrer und Steinſpitzen ſowie befonders über die mehrfach gefundenen, offenbar zur Nadelglättung dienenden „Stein⸗ lägen‘ zu ſagen haben, wird man nach allem anerkennen müſſen, daß aus dem anſcheinenden Sehlen der Knochennadeln nichts Sicheres gefolgert werden darf, ihr tatſächliches Dorhandenjein vielmehr genügend belegt ijt.“

Alfo:in den beiden zum Dergleiche herangezogenen Magda- lenienjtationen liegen in jeder annähernd ein halbes Hundert Nadeln, in Munzingen nicht eine. Aber dort ſind es ja faſt nur Bruch⸗ ſtücke ſagt Padtberg, was beweiſt, wie ſchlecht ſich ſolche Nadeln erhalten, ſo daß es kein Wunder iſt, wenn man ſie in einer Freilandſtation nicht antrifft. Als ob ihr Fragmentzuſtand mit den Erhaltungsbedingungen etwas zu tun hätte ) und nicht von der im Magdalenien erfolgten Jerbrechung der Nadeln herrührte und als ob fic) nicht ein Nadelfragment genau jo gut oder ſchlecht erhält wie eine ganze Nadel. Und weiß herr padtberg nicht, daß der Cöß zu jenen Geſteinen gehört, die ihren Inhalt beſtens konſervieren? Hat er nie aus dem Löß Knochenpfriemen mit den allerfeinſten Spitzen geſehen, die ſo glänzend erhalten ſind, daß ſie ſich noch heute zum Lochſtechen eignen? Aber er hat entſchieden Pech: Gerade die Typen des Magdalenien find ver: gangen oder zufällig nicht da doch nein, ſie ſind ja „genügend belegt“.

So macht man eine Publikation! Ich kenne kaum eine andere Arbeit, die einen derartigen Grad von Subjektivität mit einer ſo ſtaunenswerten Unwiſſenheit vereinigt aufweiſt. Wenn herr Padtberg dies nur für meine Meinung anſieht, ſo wird er wohl bald aus dem Widerhall, den ſeine Dar⸗ legungen ſonſthin finden werden, eines anderen belehrt werden.

Unter dieſen Umſtänden wäre es ſchade um Jeit und Papier, auf ſeine Folgerungen in chronologiſcher Beziehung einzugehen, die natürlich in einer Apotheofe des franzöſiſchen Chronologieſuſtems ihre Schlußſteigerung finden. Diesbezüglich darf ich auf mein im nächſten Jahre erſcheinendes Buch ver⸗ weiſen, das mit dem ganzen chronologiſchen Faſtnachtsſpuk der deutſchen und franzöſiſchen Schule ein für allemal aufräumen und zeigen wird, daß ein einziger ſofort klar geſehen hat: G. Kofjinna, der trotz ſtärkſter Beein⸗ fluſſung ſpeziell durch die norddeutſchen Geologen, ſich ort meiner Auf: a angeſchloſſen und meinen Arbeiten im Mannus Raum gegeben bat.

Daß er dafür natürlich auch von h. Padtberg angegriffen wird, kann ſeinem wiſſenſchaftlichen Preſtige nur förderlich ſein, ſowie andererſeits Dadtbergs Cob mir an Stelle Breuils recht peinlich wäre, beſonders wenn er heute deſſen „neun wuchtige Punkte“ vom Genfer Kongreß 1912 zitiert, wo Breuil das Madeleinealter Munzingens als „absolument certain“ bezeichnete. Das war einmal und ich bin überzeugt, daß h. Padtberg heute weder bei Breuil noch ſonſt bei einem der führenden Diluvialprähiſtoriker Bundes⸗ genoſſenſchaft finden wird, ſondern jeder wird herrn Padtberg den Nat geben, auf ſeine literariſche Tätigkeit zugunſten der Nachholung der Grund⸗ begriffe von Urchäologie beſonders aber auch der Geologie auf einige Zeit zu verzichten. Dann wird er ſich allmählich der Größe der Blamage bewußt werden, die er ſich mit ſeiner Schrift über Munzingen für immer zugefügt hat. Dieſe vermag keinen Kundigen darüber hinwegzutäuſchen, daß mit Mun⸗ zingen nunmehr die letzte Baſtei der Cöß-Magdalénien⸗ Anhänger erſtürmt und der Weg für eine richtige Beurteilung des Eiszeitalters frei geworden iſt.

1) Brudjftiide durch Abwitterung ſehen ines if anders aus und 5 lchen liegt in den genannten Magdalénien-Stationen meines Wiſſens auch nicht ein Stück vor.

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Nordiſche oder aſiatiſche Urheimat der Indogermanen? Don Guſtaf Koffinna.

Eduard Meyer, der frühere Dertreter der Geſchichte des mittel⸗ ländiſch⸗orientaliſchen Altertums an der Berliner Univerſität, iſt ſeit langem der einzige namhafter Verfechter jener Anficht, die ſonſt allgemein als rück⸗ ſtändig und längſt überholt gilt, daß nämlich das indogermaniſche Urvolk ſeine heimat in Mittelaſien gehabt hätte und daß von dort her die einzelnen Zweige dieſes Urvolks nach Dorderajien und Europa gewandert wären, um fic) hier zu den indogermaniſchen Völkern der geſchichtlichen Zeit zu entwickeln.

Die gegenteilige, ſeit vierzig Jahren überall durchgedrungene Anjicht von Mittel⸗ und Nordeuropa als Herd der indogermaniſchen Ausbreitung und Wanderung, die Meyer früher als bloße „Modeanſicht“ bezeichnet hat, nennt er jetzt zwar „bei uns vorherrſchend“, hängt ihr aber gleichſam als Makel an, daß fie „in populären Kreijen geradezu zum Dogma“ geworden lei. Er tat dies in einem kürzlich in der Berliner Ukademie gehaltenen Dor- trage, worin er den Mut bewieſen hat, feine Unſchauung, die er bisher nie ernſthaft zu begründen verſucht hatte, durch eine Anzahl von Beweiſen zu ſtützen. Der Vortrag iſt zwar noch nicht im Druck erſchienen. Die Zeitungen brachten indes kürzlich einen völlig gleichlautenden, offenbar halbamtlichen, recht ausführlichen Bericht darüber, ſo daß man ohne Gefahr größerer Miß⸗ a ſchon jetzt zum Inhalt des Vortrages Stellung nehmen kann und muß.

Zunächſt beſpricht Meyer einen der ſchlagendſten Beweiſe für die nordeuropäiſche herkunft der indogermaniſchen Eroberervölker. Nach der ge⸗ ſchichtlichen Überlieferung und den Darſtellungen der bildenden Runſt finden wir nämlich bei der herrſchenden Oberſchicht aller dieſer Dölfter den „nordi⸗ ſchen“ Typus vertreten: hohe, kräftige Geſtalt, helle Haut, blondes Haar, blaue Augen, rückwärts lang ausgezogenen Kopf, langes, ſchmales Geſicht mit ſchmaler Naſe. Überall iſt dieſer nordiſche Typus heute in der raſſiſch anders gearteten, an Zahl von Anfang an überlegenen Unterbevölkerung völlig oder wenigſtens zum größten Teile untergegangen mit Ausnahme des Gebiets von Nord- und Mitteleuropa, wo er heute noch vorherrſchend ijt. Der Schluß, daß hier die heimat des nordiſchen Typus, alſo auch die des indogermaniſchen Urvolks, geweſen fei, iſt durchaus zwingend. Meyer glaubt dieſen Sach⸗ verhalt, der für die Berechtigung ſeiner Unſchauung geradezu vernichtend üt, leichthin mit der Äußerung abtun zu können, jener Schluß fei für ihn nicht zwingend. |

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Weiterhin führt Meyer die ſchon jo oft vorgebrachte und ebenfo oft widerlegte Meinung vor, daß alle großen VDölkerwanderungen, die Weſtaſien und Europa erſchüttert und die volklichen Verhältniſſe dort umge⸗ ſtaltet hätten, von dem großen Dölferherd in Mittelaſien ausgegangen wären. Man hätte hier von Meyer gern nähere Einzelheiten darüber erfahren, welche Einfälle in Europa von ihm gemeint find. Der früheſte, geſchichtlich bekannte Einfall von Afiaten in Europa iſt der ſkythiſche. Die Stythen waren allerdings ein indogermaniſcher, und zwar nordiraniſcher Stamm; ſie kamen aber nicht aus Mittelaſien und ihr volklicher Einfluß in Europa eritredte ſich in der Hhauptſache nicht weiter als auf Südrußland. Dasſelbe gilt von den ſpäteren nordiraniſchen Einbrüchen in dieſe Gegenden, z. B. von dem der Sarmaten. Das waren alſo im großen geſehen geringfügige Einwanderungen. Sehen wir uns nach „großen“ Einwanderungen von Mittelafien her nach Europa um, ſo bleiben nur die ganz anders gearteten Einfälle der Turkvölker übrig, wie der hunnen, Awaren, Mongolen und Türken. Dieſe unkultivierten Reitervölker überſchwemmten wie Heuſchreckenſchwärme die oſteuropäiſchen und zum Teil auch die mitteleuropäiſchen Kulturländer, riſſen zwar auf kurze Zeit hier die Hherrſchaft an ſich, waren aber gänzlich unfähig, die Kultur und die Sprache der eroberten Gebiete zu beeinfluſſen. Dielmehr endete ihre herrſchaft entweder in rückflutender Flucht der Einbrecher nach Aſien oder durch ihre Vernichtung oder dadurch, daß ſie ſich unter der alteingeſeſſenen, hochkultivierten Bevölkerung raſch verloren, ohne eine nennenswerte Spur zu hinterlaſſen, weder in raſſiſcher, noch kultureller, noch gar ſprachlicher Richtung.

So ſehen aljo die großen Auswanderer- und Erobererzüge aus, denen nad) Meyer die Wanderungen der indogermaniſchen Stämme am meiſten verwandt geweſen wären! Man braucht fein großer Geſchichtsforſcher zu ſein, um die Unmöglichkeit einer ſolchen Unſchauung ſofort zu erkennen. Die Indogermanen ſetzten ſich bei ihren Eroberungen eben nicht nur auf kurze Friſt durch, wie jene kulturzerſtörenden Hſiaten, ſondern blieben dauernd an der Spitze der unterjochten Völker, denen fie ihre Sprache aufzwangen und die fie nach einiger Zeit zu bedeutender Kulturhöhe emporzuheben sl

Das ſehen wir bei der Ausbreitung der Griechen ſeit Alerander d. Gr. über ganz Vorderaſien und das ſehen wir, wenn auch in geringerem Ausmaß, bei der großen germaniſchen Dölkerwanderung, die das ganze damals kulti⸗ vierte Europa raſſiſch und kulturell umgeſtaltete mit Ausnahme der Balkan⸗ halbinſel, wo fie nicht hingelangte und ihre Kraft der Neugeburt von Volk und Staat nicht ausüben konnte und wo infolgedeſſen die alteinheimiſche Bevölkerung unter buzantiniſcher Herrichaft immer tieferer Derrottung anheimfiel.

Völlig unverſtändlich ijt es, weshalb Meyer eine Wanderung eines europäiſchen Volkes von Europa nach Iran und Indien und dann von Iran zum Geil wieder zurück nach Südrußland (wobei er die Skuthen⸗Sarmaten im Auge hat) für „kaum begreiflich“ hält, während doch bekanntlich die Goten von Schweden über Oſtpreußen bis nach dem Kaufafus und rückwärts wieder von Südrußland bis nach Italien und Spanien gezogen ſind. Und dies ver⸗ mochten die Goten zu einer Zeit, da die Staaten und die Bevölkerungen Europas an ihren Grenzen wie in ihrem Innern unvergleichlich viel ſtärker gefeſtigt waren, als zu jener Urzeit der indogermaniſchen Volkszerteilungen.

Und warum es „vollends undenkbar“ ſein ſoll, daß die Tocharer, deren Sprache, wie Meyer ſelbſt hervorhebt, eine weſtliche, d. h. europäiſche,

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Indogermanenſprache war, von Europa nach Mittelaſien gezogen wären, um dann im zweiten Jahrh. vor Chr. wieder nach dem Welten vorzubredjen, iſt ebenſowenig zu verſtehen. Zumal doch die durchaus noch nicht völlig ge⸗ klärte Stellung der tochariſchen Sprache jetzt ſchon zeigt, welche ſtarken Ein⸗ flüſſe ganz verſchiedener indogermaniſcher Nachbarſprachen die Spuren in ihr hinterlaſſen haben. | | Ä Zu dieſen angeblichen Beweiſen führt Meyer ſchließlich noch weitere derſelben indirekten oder negativen Art an, die er einer Betrachtung der germaniſchen Sprachen entnimmt. Er betont die ſtarken Derlufte des germaniſchen Jeitworts, das ſich nur zwei Zeiten, das Präſens und das Perfektum, und nur zwei Modi, den Indikativ und den Konjunktiv, erhalten habe, und führt dieſe ſtarken Derlujte darauf zurück, daß die Germanen eine von den übrigen Indogermanenvölkern ganz verſchiedene Denkform und ganz verſchiedene innere Geſtalt des Sprachbaues beſeſſen hätten. Mit dieſen Worten ſchließt ſich Meyer jenen zwei oder drei völlig abſeitsſtehenden, von den maßgebenden germaniſchen Sprachforſchern als nicht ernſt zu nehmende Sonderlinge zurückgewieſenen Überkritikern an, die in den Germanen keine urſprünglichen Indogermanen ſehen. Da ſie urſprünglich gar keine Indo⸗ germanen wären, meint Meyer, hätten ſie die vielen indogermaniſchen Zeitwortformen nicht verſtanden und nicht anwenden können.

Der Grundfehler der Meyerſchen Betrachtung liegt hier darin, daß er indogermaniſche Sprachen, deren Geſtalt wir aus dem zweiten Jahrtauſend vor Chr. (wie die hethitiſche Miſchſprache) oder wenigſtens aus der Zeit um 1000 vor Chr. (wie das Altindifche und Altiraniſche) kennen, mit einem Sprach⸗ ſtand auf gleiche Stufe ſtellt, der uns (wie beim Germaniſchen) erſt aus dem vierten Jahrhundert nach Chr. zufrühſt bekannt wird. Die Germanen, da⸗ mals ſeit Jahrtauſenden Jeit genug gehabt, ihre Sprache außerordentlich abzuſchleifen; immerhin glich ſie damals dem Latein noch ſo ſehr, daß man i we ganze kleine Sätze bilden kann, die in beiden Sprachen völlig gleichlautend ind.

Während die ſüdlichen und öſtlichen Indogermanenſprachen durch früh⸗ zeitige Anwendung der Schrift und frühzeitige Ausbildung einer Schrift- ſprache frühe zu einer Art Derſteinerung geführt wurden, die eine Weiter⸗ entwicklung und den Eintritt von Derluften nicht mehr zuließ, konnte das ana: in ſchriftloſer Zeit bis tief ins Mittelalter ſich ungehindert ent⸗ wickeln. 3 Die Bahn für ſolche Entwicklung war um ſo ungehemmter, als die Germanen ſchon ſeit früheſter vorgeſchichtlicher Zeit zu den ſtark Geſchichte machenden und den mit ſtärkſtem Fortſchrittstrieb begabten Völkern gehören: bei ſolchen Dölkern ſchreitet die Sprachentwidlung raſch vorwärts im Gegen⸗ fag zu den in den Hußenbezirken der Geſchichte ſtagnierenden geſchichtsloſen „Rand“⸗völkern, wie es Citauer, Letten und Slawen waren, deren Sprache ſeit Jahrtauſenden ſich nur wenig verändert hat.

Gerade weil das Germaniſche auf urindogermaniſchem Boden erſtanden it und eine im weſentlichen ungemiſchte indogermaniſche Sprache blieb, konnte es ſich unaufhörlich weiter abſchleifen, ohne ſeinen indogermaniſchen Charakter zu verlieren, während 3. B. das Keltiſche infolge feiner Aufpfropfung auf die nicht indogermaniſche, urſprünglich hamitiſche Bevölkerung Groß⸗ britanniens ſchon im Mittelalter ſein indogermaniſches Ausfehen und Weſen völlig einbüßte. Alle indogermaniſchen Sprachen, ausgenommen nur das Germaniſche, ſind in ihrem indogermaniſchen Urzuſtande verſteinert. Durch

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ihre urzeitliche Übertragung in ein fremdes Land, deſſen Unterbevölkerung infolge Jahrtauſende langen Ausbleibens jeglicher Dermiſchung mit der Ober⸗ ſchicht keinen Einfluß auf eine Umgeſtaltung der Landesſprache zu gewinnen vermochte. Bei ihnen allen war durch die weite Abtrennung vom „Mutter⸗ lande die Entwicklungsfähigkeit aus ſich ſelbſt heraus, die „organiſche“, die das Germaniſche auszeichnete, verloren gegangen. Es iſt ja eine öfter beob⸗ achtete Erſcheinung, daß Sprachen, die den Juſammenhang mit dem Ur⸗ und Hauptgebiet ihrer Verbreitung verloren haben, ihre bei der Abtrennung erreichte Geſtalt unverändert fortführen. So beſitzt das ferne Isländiſche noch heute eine altnorwegiſche, faſt altnordiſche Geſtalt und ſo zeigt auch das kanadiſche Franzöſiſch heute ein altertümliches Gepräge, das in Frankreich ſelbſt ſeit Jahrhunderten überwunden iſt.

Weiter aber hat Meyer gar nicht bedacht, wie bei Unnahme ſeiner Lehre der Unterſchied im Derluſtreichtum zwiſchen der germaniſchen und den übrigen indogermaniſchen Sprachen Europas zu erklären wäre. Warum zeigen dieſe anderen Sprachen nicht ähnliche Derluite und Eigenheiten wie das Germaniſche, da ſie doch nach Meyer auch aus Mittelaſien herſtammen, in a alfo auf fremden Boden und fremde Unterbevölkerung übertragen wurden?

Meuer iſt ja kein Sprachforſcher, am wenigſten auf indogermaniſchem Gebiete. Was er hier bringt, ijt aus zweiter oder dritter Hand geſchöpft. Ein Sprachforſcher, der ernſtlich Alien als Urheimat der Indogermanen er- weiſen wollte, müßte doch vor allem auch die als ſchlagend anerkannten ſprachlichen Beweiſe für Nordeuropa widerlegen. Er müßte anders als bisher erklären können, warum die als urindogermaniſch erwieſenen Baumnamen gerade ſolchen Baumarten angehören, die wie die Eiche nur in Europa, oder wie Buche und Eibe gar nur in Mittel- und Weſteuropa vorkommen, während ihre Namen in Ajien entweder ganz unbekannt find oder auf andere Baum⸗ arten übertragen worden find. Dasſelbe gilt von einer großen Zahl urindo⸗ germaniſcher Tiernamen, während umgekehrt von den beſonderen aſiatiſchen Tiernamen, wie Löwe, Tiger, Schakal, Kamel, Elefant, kein einziger als ur: indogermaniſch erweisbar iſt. Und doch hätten dieſe aſiatiſchen Tiernamen, wären ſie jemals in den europäiſchen Sprachen heimiſch geweſen, nicht bis auf die kleinſte Spur verſchwinden können.

Die größte Unterlaſſungsſünde begeht Meyer aber dadurch, daß er die am allerſchwerſten wiegenden Beweiſe für eine nord- und mitteleuropäiſche Herkunft des indogermaniſchen Urvolks mit Stillſchweigen übergeht, man muß ſagen totſchweigt denn gehört davon hat er. Es ſind das die Beweiſe, die wir der vorgeſchichtlichen Archäologie Europas, beſonders Mittel⸗ und Nordeuropas, verdanken. Dieſe Wiſſenſchaft hat gezeigt, daß in der jüngeren Steinzeit, d. h. im 4. bis 3. Jahrtauſend vor Chr., kein Land Europas eine ſo ſtetig nur aus ſich heraus und zugleich ſo hochentwickelte Kultur beſeſſen hat wie Nord- und Mitteleuropa. Ferner, daß ſeit dem 4. Jahrtauſend ein beſtändiger Abfluß jtarfer Bevölkerungsmengen aus Dänemark und Nord⸗ deutſchland zuerſt nach dem mittleren und ſüdlichen Mitteleuropa und nach Südrußland, ſpäter auch nach Griechenland, Italien und Nordfrankreich ſtatt⸗ gefunden hat. Ebenſo hat die vorgeſchichtliche Urchäologie gezeigt, daß der Stamm der Germanen ſeit Beginn der Bronzezeit, alſo ſeit etwa 2000 vor Chr., vom ſüdweſtlichen Oſtſeewinkel aus fic) allmählich über ganz Nord- deutſchland ausgebreitet und ſeit den letzten Jahrhunderten vor Chr. auch

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mitteldeutſchland, das Oberrheingebiet und um Chr. Geb. die Sudetenländer ſüdwärts bis zur Donaugrenze gewonnen hat.

Niemals ijt aber nach Ausweis der Siedlungs- und Rulturkreis⸗Archäo⸗ logie eine Eroberung und Beſiedelung ſüdſkandinaviſch⸗norddeutſcher Gebiete durch ſüdlicher wohnende Stämme im geringſten bemerkbar. Vollkommen ausgeſchloſſen iſt ſie für die letzten ſieben Jahrhunderte vor Chr. auch durch den etwa um 700 vor Chr. in Nord- und Mitteleuropa einſetzenden ſtarken Klimaſturz, der beſonders ſchwer das Germanengebiet traf und je nördlicher, deſto ſchwerer. Wir erkennen in dieſer Zeit beſonders anhaltende ſtarke Entleerungen Schwedens durch Auswanderung ganzer Stämme nach Nord⸗ deutſchland.

Wir haben alſo geſehen, daß Meyers negative Beweiſe für eine indo⸗ germaniſche Urheimat in Mittelafien durchweg hinfällig find: fo die angeb- liche Unmöglichkeit weiter Wanderungen europäiſcher Dolfsteile nach Dorder- alien, ferner die ſtarken Derlujte innerhalb des germaniſchen Zeitworts und die daraus erſchloſſene beſondere nichtindogermaniſche Denkform und ſprach⸗ liche Ausdrudsweije der Germanen. Wir haben weiter geſehen, daß Meyer die gewichtige Tatſache rein nordiſchen Raſſencharakters der herrſchenden Bevölkerungsteile aller indogermaniſchen Völker zwar erwähnt, aber mit unzulänglichen Worten einfach beiſeite ſchiebt. Außerſt bedauerlich, ja geradezu befremdlich iſt es dabei, daß Meyer gar nicht daran zu denken ſcheint, ſich darüber zu äußern, welche Raſſe denn nach ſeiner Meinung bei dem indo⸗ germaniſchen Urvolk vorherrſchend war. Vielleicht hat er ſich gar keine Ge⸗ danken darüber gemacht, was wenig Gründlichkeit verraten würde. Aber die Wiſſenſchaft der Anthropologie liegt ja überhaupt nicht im Geſichtskreiſe dieſes reinen Hiltorifers. Jedenfalls entſchlüpft er auf dieſe Weiſe einer ſchier unüberwindlichen Schwierigkeit, die ihm ſonſt zu einer verhängnisvollen Salle hätte werden müſſen.

Und dasſelbe gilt von der vorgeſchichtlichen Archäologie e die für Meyer ebenfalls ein verſchloſſenes Gebiet ijt. sahen wir doch auch, daß er die geradezu ausſchlaggebenden Ermittelungen dieſer Wiſſenſchaft, die genau wie die Raſſenforſchung den nordiſchen herd des indogermaniſchen erh beweiſt, nicht einmal leiſe jtreift, geſchweige denn zu widerlegen verſucht.

Alles in allem kann man nur jagen, daß Meyers Derjuch, die ſeit langem veraltete und endgültig abgetane Unſicht von der aſiatiſchen herkunft der indogermaniſchen Stämme durch neue Erwägungen wiederum auch nur halb⸗ wegs wahrſcheinlich zu e ja nur als möglich erſcheinen zu laſſen, völlig mißlungen iſt.

Mannus, Zeitſchrift für vorgeſch., Bd. 17. H. 3. 16

Aus Muſeen und vereinen. Schlopmu eum zu Ingolkadt,

Nach mehrjähriger ftiller Arbeit iſt nun das Ruſeum im Schloß Ludwigs des Ge: barteten am 20. 6. 25 on worden. Nach einer Glanzzeit unter den Herzögen der Ingolſfädter Linie und den drei reichen Landshuter herzögen diente das Schloß Re lang als See um dann nach dem Juſammenbruch zur Zeit Napoleons in ent⸗ würdigender Weiſe als Zuchthaus und im 19. . als Gewehrdepot verwendet u werden. Der Zuſammenbruch 1918 und die Auflaffung des Artilleriedepots machte as Schloß frei, ſo daß im aus an eine 1922 darin veranftaltete Gewerbeausſtellung das re eingerichtet werden konnte. Die überaus prächtigen gotiſchen Räume find eine Sehenswürdigkeit von weit mehr als örtlicher Bedeutung, die Sammlungen des Hilke des 2. Vereins Ingolſtadt und eine ſtaatliche Silial⸗ Gemäldegalerie ſind Dank der

ilfe des Landesamtes für Denkmalpflege und der Generaldirektion der ſtaatlichen Gemälde: ſammlungen in geſchmackvoller Weiſe fo aufgeſtellt, daß die Raumbilder nicht geſtört werden, den voll zur Wirkung kommen.

Die Sammlung vor⸗ und frühgeſchichtlicher Sunde iſt mäßigen Umfangs, enthält aber wiſſenſchaftlich bedeutſame Stücke, vor allem aus der römiſchen Umgebung Ingolſtadts: dem e Kajtell Oberſtimm (ſ. der Donau), das laut Bauinſchrift feines Nach- folgers Köfching-Germanicum bereits 80 n. Chr. aufgelaſſen wurde, dem mittelrömiſchen Kaſtell Pförring⸗Celeuſum und den römiſchen Punkten Gaimersheim und Weſterhofen.

us dem Beſtand an ae Sunden feien hervorgehoben:

Ein ſehr beachtenswerter Glockenbecherfund von Großmehring mit Glockenbechern, Henfeltafjen, einer Dierfußichale, einer breitrandigen Schüſſel und den Reiten einer bisher noch nicht en feintonigen Schale mit durchbrochenem Boden; frühbronzezeitliche Bronzefunde aus der Gegend von e und dazu ein Serpentin⸗Beilhammer dieſer Gegend, der nach den Seititellungen Reineckes nicht der Steinzeit, ſondern einer nicht einmal ganz frühen Stufe der frühen Bronzezeit (Reinecke A?) angehört; vgl. Germania VIII. 1924, h. 1, S. 43;

ein vorzüglicher Spätlatene-Wertitättenfund aus dem een Ringwall Manding (oppidum), von dem Teile auch im Berliner Staatsmuſeum für Dorgeſchichte und in der Münchener vorgeſchichtlichen Staatsſammlung liegen.

Die nachrömiſche Frühgeſchichte ijt vertreten ace merowingiſche Waffen aus Reihengräbern der ing⸗Orte und rel einen ſehr ſchönen Sund aus einem karolingiſchen Einzelgrab vom Lebelader bei Gerolfing mit reich verzierten Waffen (Silberbeſchläge, 60 und einem Glasbecher.

iſſenſchaftliche Intereſſenten werden gebeten, ſich an den Sammlungswart, Major

a. D. Witz zu wenden. Nachrichten.

Dr. Gaerte zum Direktor des . ernannt.

Dr. Wilhelm Gaerte, geboren zu Eydtkuhnen im Jahre 1890, beſuchte das Gumnaſium zu Ofterode i. Oſtpr., ſtudierte in Königsberg elie cd vornehmlich unter den Profelloren Deifer und Roßbach, promovierte im Jahre 1914 zum Doktor phil. und zog unmittelbar darauf in den Krieg hinaus. 1919 machte er das Staatsexamen und war als Studienreferendar und -Aſſeſſor ſowohl am Friedrichskollegium wie am Wilhelmsgumnaſium und Kneiphöfifchen Gumnaſium tätig. Dr. Gaerte bat ſich ſeit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiete der Altertumswiſſenſchaft, namentlich durch feine Grabungen auf oſtpreußiſchem Boden, betätigt und eine allgemein und vielſeitig an⸗ erkannte Stellung erworben. Dieſer Ruf befähigte ihn, ig. der Ordnung und Leitung der Pruſſia⸗Angelegenheiten ſeit 1919 eine führende Stellung einzunehmen. Seit dem zahre 1922 hatte er unter denkbar ſchwierigſten Umſtänden die Geſchäftsführung der

eſellſchaft und die muſeumstechniſche Derwaltung ihrer Sammlungen in händen gehabt. Hauptſächlich ſeiner Initiative iſt der dann tatſächlich getätigte Umzug der Pruſſia⸗ Sammlungen in den Südflügel des Schloſſes zu verdanken. Diele Neuordnung der Pruſſia-Schätze wurde von Dr. Gaerte nach ganz modernen muſeumstechniſchen Prin= ipien vorgenommen. Dem Publikum wurde nämlich eine Schauſammlung geboten, die in vorzüglicher, überſichtlicher und klarer Anordnung ein Schaubild menſchlicher Kultur und Runſt bis an die Schwelle der geſchichtlich deutlich erkennbaren Zeit zeigte. Wenn um die Mitte des Septembers der verdiente Dr. Gaerte zum vollamtlichen Leiter der Pruſſia-Sammlungen mit dem Titel eines „Direktors“ und zwar durch die Provinz angeſtellt iſt, jo kann man in dieſer Berufung den Anfang einer endgültigen Regelung erblicken.

Bücherbeſprechungen.

Dr. Fritz Paudler, Die n Raſſen und ihre Sprachſtämme, Kulturen und Urheimaten. Ein neues Bild vom heutigen und urzeitlichen Europa. (Gedruckt mit Unterſtützung der „Geſellſchaft zur Förderung euiſcher Wiſſenſchaft, Kunft und Literatur“ in Böhmen.) heidelberg 1924, bei Carl Winter. 271 S. und 2 Bildertafeln.

Der Derfaffer war uns bereits von feinen „Cro⸗Magnon⸗Studien“ her bekannt, die er vor einigen Jahren im „„Anthropos“ veröffentlicht pues (XII— XIII, 1917—18, 641—694). Schon damals erregten ſeine Gedankengänge Ropfſchütteln. Seitdem er fie aber nun in dem vorliegenden Buche zu einem 1987 0 ausgebaut hat, kann man über dieſes Erzeugnis von Kühnheit, Sel ſſicherheit und Phantaſie nur ſtaunen. In ſeinem Dorwort ſchreibt Paudler:

„Auch um die öffentliche Kritik iſt mir nicht bange, wenn deter Kritiker zuvor auch nur halb ſoviel Selbſtkritik übt, wie ich geübt zu haben glaube. Auf jeden all aber wird ſich ſo hoffe ich mit aller Juverſicht dieſes Buch mit der geſammelten Kraft eines langen, wenn us durch äußere Umitände nur zu oft und lange unterbrochenen und großen- teils erſt in den letzten anderhalb Jahren 525 den hier vorgelegten Ergebniſſen gereiften Suchens nach der bloßen und der ganzen Wahrheit raſch durchſetzen, wird bald der Weg, ien an 15 11) Brüdern zeige“, plattgetreten und mein geiſtiges Eigentum Gemeingut ein.“ (S. :

Paudlers Hauptangriff richtet ſich gegen die ſüdſkandinaviſche Indogermanen⸗ theorie und insbeſondere gegen unjeren verehrten Meiſter Guſt af Roſſinna; dieſer werde nun, ſo „hofft“ Paudler, „die Größe beſitzen“, ſeine eigene Lehre „im Grundplan als verfehlt zu erkennen“ (S. 126). a lebt nämlich in dem Wahne, nicht nur die Indo⸗ germanenfrage, ſondern auch faſt alle damit zuſammenhängenden anthropologiſchen und prähiſtoriſchen Nebenfragen endgültig gelöſt zu haben. In ſeinem 8 laß wort leiſtet er ſich folgendes Epinikion: |

„Zu der inneren Widerſpruchsloſigkeit meines Geſamtergebniſſes kommt nun aber auch noch, wie ich glauben mu: eine ebenſo vollſtändige äußere Widerſpruchsloſig⸗ keit hinzu; war mir doch unbedingte Reſpektierung der Tatſachen jeder Art ..... geradezu Grundſatz! Oder wo iſt auch nur ein für irgendein weſentliches Ergebnis von mir ent- ſcheidender äußerer Widerſpruch, ein Widerſpruch mit einer wirklich ausgemachten Tat- ſache? Innere und äußere Widerſpruchsloſigkeit e aber durch alle immer weiter und weiter gehenden Solgar una ſamt allen Rückſchlüſſen und Zwiſchenanwendungen hindurch was kann in Fragen, die ſich der Natur der Sache nach nicht logiſch, mathematiſch „„ men! entſcheiden laſſen, beſſer die Richtigkeit der Antwort verbürgen —“

paudler verrät uns nicht, ob er in feiner Heurefa-Stimmung das Beiſpiel des alten Pythagoras nachgeahmt und den Olympiern eine hekatombe geopfert habe. Auf jeden Fall wird er geſtatten müſſen, daß wir feine mit jo großem Selbſtbewußtſein ver⸗ kündeten Entdeckungen ein wenig unter die Lupe nehmen. Betrachten wir alſo zunächſt ſein anthropologiſches Suſtem.

Nach Paudler wird das Raſſenbild Europas vom Jungpaläolithikum bis zur Gegenwart hauptſächlich durch zwei Faktoren beſtimmt: die Form von Cro⸗Magnon und die Form von Laugerie⸗Baſſe, beide dolichoid, aber die erſte kurzgeſichtig, mit einem Körperſtil, in dem das Rechteck den Grundgedanken bildet (S. 27) und mit ſtarken Augen: brauenbögen, die zweite i tig, mit ſchlankem Rörperſtil und mit ſchwach ent⸗ wickelten 5 us jeder dieſer Stammraſſen entwickeln ſich zwei Tochter- taſſen: aus der Form von Cro-Magnon die große, blonde „Dal-Raſſe“ und die kleine, dunkle „Ber⸗Raſſe“, aus der Form von Laugerie-Baffe die blonde nordiſche Raſſe und die dunkle Mittelmeer⸗Raſſe. Zu jeder dieſer vier Raſſen gehört ein Sprachſtamm und

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jo weiſt Paudler der Mittelmeer⸗Raſſe das el und der nordiſchen Raffe das Indogermaniſche zu; bei den zwei Cro⸗Magnon⸗Raſſen wird er aber unſicher; anſtatt nun ragt daß die Ermittlung ihrer Sprachſtämme nicht möglich fei, spay er auf . 182 die „Herkunft des hamitiſchen von der großen und hellen der beiden (ro: Magnon⸗Raſſen“ für „jo gut wie KT: während er uns auf S. 223 zu erzählen weiß, „daß ſchon vor dem Eindringen des Semitifden das Hamitiſche im urſprünglichen Sinne bzw. der Sprachſtamm der dunklen (von Paudler geſperrt) Cro⸗Magnon⸗Raſſe über einen großen Teil Nordafrikas hin verbreitet war“. Alſo non liquet!

on den beiden Cro⸗Magnon⸗Raſſen hat beſonders die große, helle (mit den „über: hängenden Wetterdachbrauen“) eine ungeheure Be un und fie iſt der Zauberſchlüſſel, mit welchem Paudler fo ziemlich alle Sragen löſt. Auch die Cappenfrage hat für ibn nichts Geheimnisvolles; der un iſt ihm einfach ein Inneraſiate mit einer Beimiſchung von heller Cro⸗Magnon⸗Raſſe (5. 143), allerdings ohne die berühmten, für feine vor⸗ indogermaniſchen Nordleute jo charakteriſtiſchen Wetterdachbrauen. Daß ug ſonſt aller: hand Unſtimmigkeiten auftauchen, ſtört Paudler nicht; er weiß mit ſolchen „Auffißern der Natur“ (5. 249) raſch und energiſch fertig zu werden.

Die Kultur der hellen Cro⸗Magnon⸗Raſſe wird nach Paudler u folgende Elemente gefenn on: Zamigerlüllem. Trepanation, ſteinerne Grabbauten, Täto⸗ wierung, Gotenlote nierodtraht und Mutterrecht. Mun beweiſen Trepanation, Tato: wierung und Mutterrecht gar nichts, weil ſie auch anderwärts vorkommen, die Knierod- tracht war in einem rauhen Klima eigentlich ſelbſtverſtändlich, ſolange man die Hofe nicht erfunden bang die wie 3250 7 anſprechend vermutet offenbar mit dem Reiten zufammenhängt. Aud) das Zwanzigerſuſtem liegt denn doch auf Grund von Singern und Zehen zu nahe, als daß man es einer beſtimmten Raſſe zuweilen dürfte. So bleiben nur noch die ſteinernen Grabbauten und wir wiſſen, daß ii dieſen jene e Charaktere gehören, welche Alfred Schliz als „Megalithtypus“ bezeichnete. Gerade in dieſem Typus erblickt nun Paudler einen ausgeſprochenen Dertreter feiner großen Cro⸗Magnon-Raſſe. Wie fic) dies mit dem ſchmalen und hohen Geſicht der Megalith⸗ leute vereinbaren läßt, möge dahingeſtellt bleiben. Jedenfalls halte ich (im Sinne von Schliz) daran feſt, daß der Megalithtypus aus zwei Elementen zuſammengewachſen ſei, von welchen das eine ein bradyylephales war. So ähnlich wird es auch in Dalarna geweſen ſein. Daß einige Autoritäten, auf die ſich Paudler beruft, dieſe Auffaſſung verwerfen, imponiert mir nicht im geringſten. Überall dort, wo Cro-Magnon⸗Tupen erſcheinen, ſei es nun in Südfrankreich, in Thüringen oder in Schweden, hat ſich eine ſchlanke doli⸗ choide Form mit einer unterſetzten brachoiden vermiſcht. Sir dieſe meine Auffaljung ſpricht vor allem die Tatſache, daß in den betreffenden Gebieten rafjereine. Dertreter der beiden vermutlichen Elementarraſſen neben den Cro-Magnon⸗Tupen niemals fehlen, weil eben das Raſſengemenge immer wieder auseinanderfällt.

Nun zu paudlers Indogermanenlehre. Danach find die Caugerie⸗Baſſe⸗ Leute am Ende des Bühl⸗Stadiums in die unteren Donauländer ausgewandert, wo fie noch wenigſtens 6000 Jahre lang (nämlich von 12000 bis 6000) beiſammen lebten; dann wanderten fie weiter, weil fie der zunehmenden Verſumpfung weichen mußten, und nun kam es zu einer Trennung: ein Teil gelangte nach Südweſtrußland das find die Dor- fahren der nordiſchen Raſſe; der andere Teil wandte fic) nach Süden das find die Dor⸗ ahren der Mittelmeerraſſe. Beide Gruppen haben je einen Sprachſtamm entwickelt, und 5 die ruſſiſche Gruppe den indogermaniſchen, die Mittelmeer⸗Gruppe den ſemitiſchen.

ie Urindogermanen ſchufen die Tripoljekultur und entſandten Koloniſten nach den Donau⸗ ländern; das find die Bandkeramiker. Aber aus der „megalith⸗ und ſchnurkeramiſchen Welt“ des Nordens, dieſem Hauptſitz der großen hellen Cro-Magnon-Raſſe, ging nun ein e der dem leichten Dorjpiel beginnender Indogermaniſierung Europas ein raſches Ende bereitete. Die Indogermanen wurden wieder auf den Oſten beſchränkt. Doch was die Bandkeramiker nicht vermocht hatten, das gelang den Indogermanen der Bronzezeit. Dabei fiel die ſchwerſte Aufgabe den Illurern bzw. Lauſitzern zu. Sie drangen nicht nur ſiegreich und erobernd vor, verbreiteten nicht nur ihre Kultur und ihre Sprache, ſondern ee en ſogar in Oſtdeutſchland und Skandinavien einen weitausgebreiteten Raſſen⸗ wechſel herbei. Allerdings in Skandinavien dürfte die Eroberung „recht ſchwierig und langwierig gewejen fein“ (S. 78), aber an der Wende von der Bronze: 1155 Eiſenzeit war Jie doch endgültig vollzogen. Seitdem ſehen wir die große helle Cro-Magnon⸗Raſſe in Schweden hinter die Seen- und Waldergrenze zurückgedrängt, wo fie in Dalarna ihr Haupt: erhaltungsgebiet beſitzt. Nach und nach aber ſiegte überall die indogermaniſche 8 rade Aus der innigen Dermiſchung des Cro-Magnon-Elements mit der neuen Raſſe und Sprache entſtand das ſpezifiſch Germaniſche.

Paudler glaubt alſo an einen genetiſchen Zuſammenhang des ſemitiſchen Sprach⸗ ſtammes mit dem indogermaniſchen. Er läßt es zwar dahingeſtellt, ob der in dieſer Hinſicht

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unternommene Derſuch Möllers ſprachwiſſenſchaftlich wirklich ſchon gelungen ſei, aber Paudler trennt das Semitiſche grundſätzlich vom Hamitiſchen und meint allen Ernſtes, das Semitiſche ſtünde dem Indogermaniſchen näher als dem hamitiſchen. Hierüber ſollte paudler die Unſicht eines Sprachforſchers einholen. Daß der Zeitraum von 6000 an viel zu kurz iſt, um fo tiefgreifende Unterſchiede heranreifen zu laſſen, wie fie ſchon im Altertum Au den indogermaniſchen und den ſemitiſchen Sprachen beſtanden, ſei hier nur bei⸗ äufig erwähnt. Dieſer chronologiſche Einwand gilt erſt recht für die e der nordiſchen und der Mittelmeerraſſe aus einem gemeinſamen Stamme, für welche ja nach paudler auch nur derſelbe Zeitraum zur Verfügung ſtünde.

Noch viel bedenklicher iſt der von Paudler angenommene „Raſſenwechſel“. Daß bodenſtändige Rafjen, zumal bei ackerbautreibenden Völkern, eine unzerſtörbare Beſtändigkeit gegenüber Eroberern und Eindringlingen aufweiſen, indem die fremden Elemente immer wieder aufgefogen und bis auf geringe Reſte zum Verſchwinden gebracht werden, gilt allgemein als eines der ſicherſten Ergebniſſe der Anthropologie. Und nun will uns Paudler glauben machen, daß am Ende der Bronzezeit, wo in den betreffenden Gebieten ſchon ganz allgemein der Pflugbau herrſchte und die Bevölkerung ziemlich dicht war, ein Raſſenwechſel möglich ſei. Das iſt einfach undenkbar. Soziologiſch betrachtet hätten ſich die Eroberer als Kriegeradel über den Unterworfenen ausgebreitet und nach einiger Zeit wäre das bodenſtändige Element raſſenmäßig wieder 1 aeven De

Und auch ein Moment der pſuchologiſchen Raffenbewertung läßt ſich gegen Paudler ins Feld führen. Er ſelbſt gibt auf Tafel 2 eine bildliche Darſtellung der „Übergänge von extrem daliſcher zu faſt rein nordiſcher Geſichtsbildung (ſämtlich Norweger“). Es wäre für ſeine Theorie beſſer geweſen, wenn er dieſe Bilder nicht veröffentlicht hätte Die „dali⸗ ſchen“ Cro-Magnon-Cypen erſcheinen uns nämlich mit ihren Wetterdach⸗Brauen und ihrer eiſernen Stirn als Männer von äußerſter Willenskraft, während die Vertreter der angeblich nordiſchen Geſichtsbildung weiche (wie Paudler ſelbſt ſich ausdrückt) „faſt weibliche Sanftheit der Stirn“ und überhaupt des ganzen Ausdrudes zeigen. Und das ſollen nun die Sieger ſein, während jeder Unbefangene auf den erſten Blick ſieht, daß dieſe 19 unentſchloſſenen Leute von den Männern mit der eiſernen Stirn bei einem kriegeriſchen Zuſammenſtoß einfach zermalmt worden wären. Paudler verſtrickt ſich ſelbſt in ſeinem Syſtem. Nun iſt es ja ſicher richtig, daß die Bevölkerung Skandinaviens wie auch Nord⸗ deutſchlands in ihren hellfarbigen Beſtandteilen recht ungleiche Typen aufweiſt; das erklärt ſich aber viel zwangloſer und überzeugender aus der Annahme, die nordiſche Raſſe habe verſchiedene Beimiſchungen erfahren und fo ſeien die verſchiedenen Mifchtypen entſtanden. Dazu bedarf es keiner Gegenſätze zwiſchen „Cro⸗Magnon⸗“ und „Caugerie⸗Baſſe“⸗Raſſe und keines Kaſſenwechſels in der Bronzezeit. f

Wie willkürlich Paudler bei ſeinen Erklärungen zu Werke geht, zeigt ſich auch dort, wo er von der Stage des Pigmentverluſtes ſpricht. So deutet er bei der nordiſchen Raſſe die Hellfarbigfeit als eine Folge der Domeſtikation, während fie bei der „daliſchen“ Raſſe durch „natürliche Auslefe“ entitanoen fein ſoll. Paudler iſt überhaupt feiner Sache immer ſo ſicher, daß man meinen möchte, er habe die Vorgänge, von denen er ſpricht, mit eigenen Augen geſehen. Dieſe Art, die neuen Theorien mit apodiktiſcher Sicherheit zu verkünden, gilt als ein Kennzeichen des Dilettantismus. Paudler leiſtet ſich aber manchen entrüſteten Ausfall gegen die „vor nichts zurückſchreckenden Dilettanten“ (S. 72). Aud) beunruhigt ihn die sora feine neuen Entdeckungen könnten „ein Tummelplatz des Dilettantismus“ werden (S. 30). In diefer hinſicht kann man ihn aber tröften, denn die ne für die ſich die Dilettanten begeiſtern, ſehen anders aus.

sun it, wie Paudler, allen Erfahrungen der Anthropologen und Biologen

zum Trotz, Miſchraſſen ſchafft. Die Sinnen ſind ihm ein Gemiſch von nordiſchen und inneraſiatiſchen Elementen, die ſich zu einem „Miſchtypus“ vereinigt hätten. Weil ihm aber dabei doch Bedenken aufſteigen, jo betäubt fie Daudler mit dem Bemerken, Mendels Ergebniſſe an „doch nur ſozuſagen die paar eriten Hieroglyphen einer Sprache, deren eigentliche Erſchließung erſt begonnen“ habe. „Bis zum Beweis des Gegenteils“ glaubt paudler, „den“ finniſchen Typus „für einen wodurch immer als Rajje fixierten inner⸗ aſiatiſch⸗nordiſchen Miſchtupus halten zu ſollen, der alſo nach Typus und Deszendenz wenn auch nicht Aszendenz, ebenſogut eine eigene Raffe ijt wie ſeine Elternraſſen“ (5. 113). Und ſchließlich kündigt Paudler an, daß er nun einfach von der „finniſchen Raſſe“ ſprechen werde. Er beruft ſich darauf, daß der finniſche Typus „nun einmal vor⸗ handen“ fei; dies berechtigt aber noch am nicht zu der Annahme eines aus zwei Elementen zuſammengewachſenen und „als Kaſſe fixierten“ Gemenges. Damit ib Paud⸗ lers Sinnenlehre ebenſo erledigt wie feine Indogermanenlehre. Ju dieſer wäre übrigens noch zu bemerken, daß Daudler jih im Irrtum befindet, wenn er meint, die vertreter der Germanentheorie müßten „den verſchiedenſten e eee Tat⸗ ſachen Gewalt antun, weil fie zu einer nordiſch-indogermaniſchen Urheimat in Süd-

246 Bücherbeſprechungen

ſkandinavien nun einmal nicht ſtimmen“ (S. 65). Erinnert man ſich daran, daß Koffinna erſt vor wenigen Jahren das Schildkrötenargument (gegen Schrader) für die ſkandinaviſche Theorie gerettet hat, ſo mut man dod) fragen, was für „indogermaniſtiſche Tatſachen“ Paudler hier eigentlich im kluge habe.

Die Fixigkeit, mit welcher Paudler alle Gite it ebenso wr Fragen zu löſen verſteht, die Unfehlbarkeit ſeines Cro⸗Magnon⸗Schlüſſels iſt ebenſo verblüffend wie feine naive Freude an dieſen Entdeckungen, die niemanden überzeugen. So hat er ae fiir das „Hünentum der Dinarifer“ ohne weiteres eine Erklärung zur Hand: fie find ein Miſch⸗ typus zwiſchen der vorderaſiatiſchen und der großen hellen Cro⸗Magnon⸗Raſſe! Die Be- harrlichkeit aber, mit welcher bei den „Dinarikern“ hohe Geſtalt, langes Geſicht, hupſi⸗ Brachukephalie und dunkle Färbung vereinigt erſcheinen, ſchließt die Paudlerſche Deutung von vornherein aus. Und was Paudler über Tätowierung und Mutterrecht bemerkt, iſt den e Tatſachen gegenüber natürlich vollkommen wertlos.

a Aud) die Glockenbecherleute obwohl fie brachykephal, hupſikephal und lepto⸗ proſop find führt Paudler auf die Cro-Magnon-Sorm zurück und weil die Beſchaffen⸗ heit ihrer Schädel ſo gar nicht dazu paßt, läßt er ihre prague ats „einfach auf einer mechaniſchen Deformation beruhen“ (S. 207). Daß die Leptoproſopie durch Schädel» deformation kaum erzielt werden könnte und daß wir heute noch in Weſteuropa Millionen von leptoprofopen Brachukephalen mit ganz heller Komplerion haben, zieht Daudler gar nicht in Betracht; er detretiert Deformation und damit ift die Frage für ihn erledigt:

ie weſteuropäiſche Brachyfephalie des Neolithikums hat ſich „in das Nichts eines Auf- ſitzers aufgelöſt“ (S. 208). Paudler rühmt an ſich die „unbedingte Refpeftierung der Tatſachen jeder Art“ (S. 158), aber wo ihm eine Tatjache unbequem wird, dort ſtempelt er jie zum „Hufſitzer“. Wenn 3. B. die Schnurkeramiker, welche Paudler ebenfalls dem GrosMagnon-Typus zuweilen will, ganz offenfundig dem ann Formenſuſtem ange: hören, fo ift das „Pſeudoſchlankheit“ und „ein förmlicher Auffiger“ (S. 189).

Doch kehren wir zu den Glockenbecherleuten anch deren brachukephale Schädel deformiert ſein ſollen. Da möchte ich denn ar vor allem an die Frau von Auvernier er innern, die einen ganz an die Sorm der Glo enbecherleute e Schädel beſitzt, aber einem anderen Kulturkreiſe angehört, jo daß dieſe Schädelform eben nur als raſſen⸗ jr gedeutet werden kann. Aud) in dem ſchnurkeramiſchen Kulturkreiſe der Kugelamphoren ommt oe Schliz) ein net aler Hod)fdddel vom Glodenbechertypus vor. Endlich ſei bemerkt, daß fic) die für die Schädelform der Glockenbecherleute fo charakteri⸗ ſtiſche Brachuykephalie mit „Börſenform“ des Schädelgrundriſſes noch in der Latenezeit nachweiſen läßt. Dabei iff die Brachykephalie meiſt nur gering und es kommen auch doli⸗ choide Formen in derſelben Umwelt vor, was bei Aamaß iger flusübung der Deformation doch nicht möglich wäre.

Für ein modernes Suſtem der Anthropologie und prähiſtoriſchen Ethnologie gibt es zwei Prüfſteine: die Indogermanenfrage und die Brachukephalenfrage; ein Syitern, das gegenüber einer dieſer Fragen verſagt, iſt nichts wert und ſollte ohne weiteres ver⸗ Worten werden. Wir haben geichen, was für Unmoglidfeiten Paudlers Indogermanen⸗ lehre in ſich birgt; bei Beurteilung des Brachukephalenproblems läßt er aber überhaupt jeden einheitlichen, ſyſtemiſierenden Gedanken vermiſſen. Die heutigen Brachykephalen der norwegiſchen Weſtküſte find für Paudler (nach bekanntem Muſter) Inneraſiaten; ſie haben ſich bis in die Niederlande, nach Schottland, Irland, ja bis in die Pyrenäen halbinſel hinein ausgebreitet. Dazu bemerkt er:

„Was für Wanderungen es waren, durch die dieſe fernſten „Mongoloiden“ an Ort und Stelle gelangten, muß ich nach Jeit, Art und Trägern dahingeſtellt ſein laſſen; wenn diefer ſeltſame anthropologiſche Niederſchlag die Spezialiſten überhaupt erſt auf die Spur der fraglichen vorgeſchi sees Ereigniſſe bringen ſollte um fo beſſer!“ (S. 149).

Alfo ein völliges Derjagen, das auf S. 254 noch unterſtrichen wird. Trotzdem weiß er uns mit aller Beſtimmtheit anzugeben, daß es ſich bei dem ſog. Borrebytupus des ſtein⸗ zeitlichen Dänemark um einen vorderaſiatiſchen Einſchlag handle (S. 147 und 195), was beſtritten werden le.. weil an einen „Raſſenwechſel“ ſeit dem Neolithikum nicht zu denken iſt und weil die heutigen Brachukephalen Dänemarks ausgeſprochen hellfarbig ſind. Aber das ſtärkſte Stück leiſtet ſich Paudler dort, wo er die neolithiſchen Brachu⸗ kephalen der Sudetenländer dehandelt. Die hier eindringenden Schnurkeramiker ſtoßen auf einen kleinen, brachoiden Menſchenſchlag, der hg im Bejige der bandkeramiſchen Kultur cg aad dieſer Menichenichlag ijt der bekannte „Typus I“ von Otto Rede. Offenbar hatten dieſe Kleinwüchſigen die bandkeramiſche Kultur übernommen und fie ſtanden mit deren Schöpfern zwar in keinem raſſenmäßigen, wohl aber in einem die Kultur betreffenden Zuſammenhange, genau wie die Osdorfer mit den Schöpfern der Megalith⸗ kultur ſie waren, um mit Schliz zu ſprechen „vollkommen in die eit kein ſteinzeit⸗ liche Kultur einbezogen geweſen, jie waren trotz der RKaſſeverſchiedenheit keine Fremd⸗

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‚die für ihn „die nor

arbeitung eines

Bücherbefprehungen 247

linge“ (Alfred Schliz: Die ſieinzeitlichen Schädel des Fe ee Muſeums in Schwerin. Arch. f. Anthropol. 1909. S. 285). Otto Rede und Eugen Fiſcher find darin einig, daß der e I die altangeſeſſene Bevölkerung darſtellt, die vom Typus II, d. h. von Ungehörigen der nordiſchen Rajje, unterworfen wurde, daß es fic) alſo um einen Prien Vorgang handelt. Aber Paudler weiß es anders: ihm iſt Reches Typus I „eine De n der eigentlichen bandkeramiſchen Form“ (S. 201), aljo jener Form, iſche Raſſe in ihrer urzeitlichen Reinheit“ bedeutet (S. 203); er läßt

innerhalb des bandkeramiſchen Rulturkreiſes keine andere Raſſe gelten als die nordiſche und darum muß der brachoide Typus I zu einer Kümmerform der nordiſchen Raſſe eſtempelt werden. Daß dieſe Klemwüchſigen mit der aufgeblähten Naſe hauptſächlich eiber und Rinder waren, alſo ganz offenkundig einer alten, von fremden Männern unterjochten Bevölkerung angehörten, ſtört Paudler nicht. Er iſt ſtolz auf ſeine „Erken— nung“ ( Die die nun „endgültig der Wahrheit Bahn gebrochen“ habe. Die Männer be— ſaßen das Vieh und fie ließen die Weiber und Kinder bei ärmlicher Pflanzenkoſt darben (S. 204); daher alſo die breiten Naſen und die gerundeten Köpfe dieſer Unglücklichen. Und nun geht Paudler weiter; er konſtatiert zunächſt, daß die neue „Erkennung“ „von allergrößter Tragweite für die ganze prähiſtoriſche Anthropologie“ ſei (S. 205) und kommt ſchließlich zu dem freudigen Ergebnis, daß „auch die Brachukephalen im Bereich der nord— en ſteinzeitlichen Kulturentwidlung nichts anderes als Kümmerformen“ feien

. 231).

ine europäiſche brachukephale Raſſe gibt es alſo nicht (S. 232). Paudler locutus, causa finita! Und er macht immer noch Entdeckungen nebenher, über die er dann in Verzückung geraten muß, denn er geſteht jelbit, daß er e Hee gar nicht daran dachte“ und nun palle es doch „aufs ſchönſte zuſammen“ (S. 204). Überhaupt wenn man jo mit Daudler durch die Drahtverhaue jeiner ſeitenlangen Schachtelſätze, zwiſchen den e Sußangeln der ,,Auffiger“, von Erkennung zu Erkennung vorwärtsjtürmt, a ſieht man erſt, was die übrigen Forſcher für eine Abderiten-Geſellſchaft ſind: ſie ringen mühſam mit einem einzigen Problem während ſich bei Paudler ganze Gruppen von Fragen er „lo hübſch miterklären“ (S. 129). N

ber Spaß bei Seite, Paudler hätte an die Spitze ſeines Aue als Ceitſpruch die Worte ſtellen können, die er ſelbſt auf S. 240 braucht, nämlich: „was alles man ſich ſelber einreden kann, wenn man mit aller Gewalt recht behalten will.“

Bozen. | pa Karl Selir Wolff.

Kurt Tadenberg, Die Wandalen in Niederſchleſien. ap dye ba Sorſchungen I, 2. Berlin 1925. Derlag Walter de Gruyter u. Co. 133 Seiten, 32 Tafeln.

Tackenberg behandelt in der vorliegenden Arbeit die Bodenfunde Niederſchleſiens aus der ſpäten Latenezeit und den erſten Jahrhunderten nach Chr. (etwa 100 vor Chr. bis 4. Jahrh. nach ig Die zeitliche Begrenzung ergibt ſich aus dem Sundmaterial. Als Be-

eilgebietes von Schlefien chließt ſich die Arbeit der von Jahn: „Die an iſchen Sunde aus der römiſchen Kaiſerzeit“, e Zeitſchrift X, 1918 und XIIIXIV, 1921/22 an, der fie auch in der Gliederung folgt: Sundberichte mit i adda Fundbeſchreibung, unterſtützt durch ide Abbildungen; zuſammenfaſſende Betrachtung der Gräber, der Fundſtücke und der ſpärlichen Se ee ein „allgemeiner Teil“, in dem die Sunde für Fragen der Kultur und des Dolfstums ausgewertet werden. Daß die Träger der Ye behandelten Sunde Wandalen waren, iſt als geſichert vorausgeſetzt. Die Arbeit deckt ſich für die Spätlatenezeit mit der im Jahre 1919 erſchienenen Bearbeitung der oſtgermaniſchen Kultur dieſer Zeit von J. Roſtrzewski (Mannusbibliothek Nr. 18). Gerade die Huseinanderſetzungen mit dem polniſchen Forſcher in der i dieſes plage de i werden aud) dem archäologischer ala: ferner Stehenden die Bedeutung der Kleinarbeit zum Bewußtſein bringen, auf die ſich die wertvollen Ergebniſſe sen: einer Kleinarbeit, die Tackenberg in dem forgfältigen Zuſammentragen der Sunde und in ihrer Verarbeitung mit reicher Kenntnis und dem Blicke des geſchulten Beobachters ee at. Der im Jahre 1914 unterſuchte Begräbnisplatz von Noßwitz, Kr. Glogau, er vom Beginn der Beſiedelung in der Spätlatenezeit bis zum 3. Jahrhundert belegt wurde, hat hier die wichtigſten Aufſchlüſſe gegeben. Näher N et fei ge er allgemeine Teil. Tackenberg hebt hervor, daß in der ermaniſchen Beſiedelung Niederſchleſiens eine Lüde in der mittleren Latenezeit vorhanden it. Als guter Renner auch der älteren germaniſchen Beſiedelung durch die Geſichtsurnenleute“, die er bereits in einer geſonderten Unterſuchung behandelt hat („Neue Schleſiſche Sunde der frühgermaniſchen Zeit“ in Seſtſchrift zur 100. Jahrfeier der Sängerſchaft Leopoldina Breslau 1922), ſtellt er die wenigen faßbaren kulturellen Derbindungen zwiſchen früh⸗ germaniſcher und wandaliſcher Kultur zuſammen, die aber jo gering ſind, daß auch Taden-

248 Bücherbeſprechungen

berg an eine Abwanderung der Geſichtsurnenleute zu Beginn der e denkt. Die Wandalen alfo find nach Niederſchleſien eingewandert. Roſſinna ſieht im allgemeinen in den Wandalen Nachkommen der Geſichtsurnenleute, deren Kultur nördlich von Schleſien in Südpoſen nach Roſtrzews ki tatſächlich in die wandaliſche Kultur übergeht. Anderſeits hat eine Candſchaftsbezeichnung in Nordjütland, heute le früber Dendill, Wandala, Wendila dazu geführt, eine nordjütiſche herkunft der Wandalen anzunehmen. Daß bier wirklich Wandalen geſeſſen haben, ſteht außer Zweifel, denn zu der Bezeichnung treten auch kulturelle Zuſammenhänge zwiſchen Nordjütland und dem Wandalengebiete Oſt⸗ deutichlands in frühgeſchichtlicher Seit. Die Sunde oſtgermaniſchen Charakters im Norden find nun entweder als der auch ſonſt bei Auswanderungen beobachtete kulturelle Rückſtrom zu erklären, der ſich von Bewohnern des Tleulands zu den Verwandten in der heimat ergießt, oder es iſt ein Wandalenteil von Oſtdeutſchland nach Nordjütland ausgewandert. Geſichert wäre die nordjütiſche heimat erſt, wenn ſich hier für die Wandalen charakteriſtiſche Rulturerſcheinungen früher als in Oſtdeutſchland, etwa in der Mittellatenezeit nachweiſen ließen. Die ſehr weitfaſſende Bedeutung des Wandalennamens bei Plinius mag eher als Bezeichnung für die verbreitete ältere Bevölkerung paſſen, doch kann anderſeits in mehr als 150 Jahren der Name eines zugewanderten kriegeriſchen Stammes eine umfaſſendere Bedeutung angenommen haben. Es ſei bei dieſer Gelegenheit die Frage aufgeworfen, ob nicht etwa der Name der Lugier, dem bei Strabo, Tacitus und Ptolemäus eine über⸗ eordnete Bedeutung zukommt, eine Bezeichnung der älteren Bevölkerung war. Wie es ſich auch verhält, jedenfalls ſind derartige Doppelbezeichnungen wohl durch Überlagerungen u erklären. Stammen die Wandalen aus Nordjütland, dann könnte auch ein Juſammenhang ihrer . mit der der Kimbern und Teutonen von der jütländiſchen Halbinſel angenommen werden; denn die Einwanderung der Wandalen in Schleſien mag etwas früher erfolgt ſein als dieſe ſich archäologiſch in ihren Gräbern bisher nachweiſen laſſen. Ja der Wanderweg der Kimbern und Teutonen an Böhmen vorbei, wo ihr Einfall von den Bojern abgeſchlagen wurde, in das Land der Stordister an der unteren Save, mag nicht unächſt der Elbe entlang, wie gewöhnlich angenommen wird, ſondern weiter öſtlich über chleſien gegangen ſein, ſo daß die Wandalen vielleicht bis dahin ihre Wandergenoſſen waren. Aackenberg nun möchte die verſchiedenen Anjidten über die herkunft der Wandalen in der Weiſe vereinen, daß die wandaliſchen Einwanderer im heutigen Poſen ſich mit der älteren germaniſchen Bevölkerung miſchten und von hier nach Schleſien vorrückten. Eine Grabſitte der Geſichtsurnenleute in Südpoſen, die dieſe wieder von der vorgermaniſchen (nach Roſſinna illuriſchen) Urnenfelderbevölkerung übernommen hatten, nämlich die Mitgabe von mehreren Beigefäßen, ſei mit den Wandalen nach Schleſien gedrungen. In dieſer Grabſitte ſowie anderſeits in dem Vorkommen von Urnengräbern bei den Wandalen gegenüber den Brandgrubengräbern und Brandſchüttungsgräbern ſieht Roſtrzewski eine unmittelbare Einwirkung vorgermaniſcher altheimiſcher Urnenfelderleute auf die zugewanderten Wandalen. Daß dieſe Aufitellungen Roſtrzewskis hinfällig ſind, da nur durch oberflächliche Betrachtung gewonnen, weiſt Tackenberg überzeugend nach: die Beweisführung iſt den Mannusleſern bereits aus Ergänzungsband IV, 1925, S. 144 ff. bekannt. Urnengräber herrſchen in der Catènezeit nur bei den Wandalen in der Niederlauſitz, hier aber iſt es nicht üblich, mehrere Beigefäße mitzugeben; dieſe dagegen finden ſich in den Brandgrubengräbern, die nicht der Einwirkung, die hier in Frage kommt, verdächtig Jind. Ferner ſind die von Roſtrzewski geſuchten Beziehungen in den Verzierungsmuſtern der Gefäße und noch mehr in den Geräten jo dürftig, daß auch dieſe Aufftellung jeder Un⸗ befangene mit Tackenberg ablehnen muß. Trotzdem möchte ich es nicht für ausgeſchloſſen halten, daß ältere Beſtandteile als Unterſchicht auch in Oſtdeutſchland vorhanden ſind, die archäologiſch nur ſchwer zu fallen iſt. Selbſt von der herrſchenden Bevölkerung find, wie Tackenberg hervorhebt, nur ein Bruchteil der Beſtattungen und ganz ausnahmsweiſe Reſte der Siedelungen bisher bekannt geworden. Dieſe niederen Schichten werden in dem gm ſlawiſchen Dolfstum enthalten fein. Auch dieſe Auffallung ijt aber weit von der ufftellung Kojtrzewstis entfernt, daß die Slawen die Nachkommen der Urnenfelderleute der Bronzezeit find, deren kulturelle Beziehungen zu den Illuriern Koffinna aufgezeigt hat, wobei er dazu noch auf Ergebniſſe der Sprachforſchung zu verweilen in der Lage war. Während nun Tadenberg die Scheinbeweile Koſtrzewskis zerſtört, vermag er mit beſſeren Gründen auf Beziehungen zu den Kelten und den Weſtgermanen in der ſpäten Catènezeit, beſonders aber auf Einflüſſe von den Markomannen Böhmens in der älteren römiſchen Zeit und auf ſolche von den Goten am Schwarzen Meere in der ſpäteren Zeit hinzuweiſen. Die gründliche Sundzuſammenſtellung ermöglicht weiter ein Bild von der Beſiedelung des Landes zu geben, das drei Siedelungsmittelpunkte aufweiſt, die damals wie noch heute durch Waldgebiete voneinander getrennt ſind (ogl. das Kärtchen Taf. 18). Die Münzfunde erlauben einen Verkehrsweg von Böhmen in das Tal der Cauſitzer Neiße

nd

nach Norden feitzuitellen. Dem Fundreichtum im 5. Jahrhundert ſtehen die ſpärlichen

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Funde des 4. gegenüber. Geſchichtliche Nachrichten laſſen Abwanderungen von Wandalen⸗ teilen beſonders ſeit der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts (um 400 verlaſſen die Wandalen an der Theiß ihre Sitze) erkennen. Der Rückgang der Sunde iſt alſo zweifellos in der Ab⸗ wanderung der Wandalen zu dieſer Zeit begründet.

halle a. S. Walther Schulz.

Karl Keller-Tarnuzzer und Dr. hans Reinerth, Urgeſchichte des Thurgaus. Ein Beitrag zur Schweizeriſchen heimatkunde. Frauenfeld (Huber u. Co.). 1925. VIII und 296 S. mit farbigem Titelbild, 4 Tafeln, 57 Abb.

heierli konnte 1901 in feiner „Urgeſchichte der Schweiz“ einen Geſamtüberblick für das ganze Land geben. Seitdem ijt die Forſchung jo erheblich weiter geſchritten, daß eine neue entſprechende Darſtellung wohl erſt geſchaffen werden kann, wenn für alle Kanz tone ſo gründliche Vorarbeiten da ſind, wie dieſes Buch für den Thurgau.

Das Buch zerfällt in zwei Teile, einen darſtellenden von Reinerth und einen die Quellen bietenden von Reller⸗Tarnuzzer.

Bei dem Bilde vom Gang der Beſiedelun hat Reinerth beſonders die Abhängig- keit vom jeweiligen Klima herausgearbeitet. In geſchickter Weiſe ſind zur Beleuchtung von Zeitabſchnitten, wo die einheimiſchen unde noch ſpärlich find, die Derhältniſſe benach⸗ barter Gebiete herangezogen. Abgeſehen davon, daß an einzelnen Stellen zugunſten des großen Zuſammenhanges weniger ausführliche Fundberichte (die man in dem Teil von ‚Keller-Tarnuzzer ſucht und a findet) erwünſcht wären, zeigt fi Reinerth auch in dieſem Werke, beſonders in dem Abſchnitt „Unter den Römern“ wieder als Meiſter der Seder. Allerdings liegt die Gefahr vor, daß der unbefangene Leſer im Banne von Reinerths gewandter Sprache ſeine Ausführungen kritiklos hinnimmt. Der Derfaſſer bringt nämlich manchmal Anſichten, die erſt als Theorien zu bewerten find, mit einer Selbſtverſtändlich⸗ keit vor, als handle es lich um allgemein anerkannte cha ae oa kt Das gilt beſonders für die aus den Steinbeilformen erſchloſſene Einteilung des Pfahlbauneolithikums in 4 Stufen!). Ob die Sitte auf 8 zu wohnen während der ganzen Bronzezeit e hat, ſcheint mir noch Ik r die Frage zu fein. Ich glaube, daß es einer eingehenden

nterſuchung wert ijt, ob nicht dieſe Siedlungsart bald adh Beginn der Bronzezeit vorüber⸗ gehend aufgegeben (vielleicht abgeſehen von Einzelfällen) und erft ſpäter (zu Beginn

et Haltftattzeit nad) Reinedes eic else wieder in größerem Umfange auf⸗

genommen wurde 7).

. Einen ganz hervorragenden Dienſt hat Keller⸗Tarnuzzer der Wiſſenſchaft durch die Sammlung der Quellen geleiſtet. Sie zeugt von peinlichſter Gewiſſenhaftigkeit. Man hat den beſtimmten Eindruck, daß keine Angabe gemacht iſt, ohne aufs genaueſte geprüft it ſein. Die Anordnung iſt klar und überſichtlich. Eine ſchöne Frucht der mühſamen Arbeit ind die 5 Siedlungstarten. Bei der Einführung von Abkürzungen ijt der Derfaller meinem nen nach etwas zu weit gegangen. Es dürfte beſſer geweſen fein, die Derwendung von hintereinandergeſetzten großen Buchſtaben nicht auf Einzelwerke beſtimmter Derfafler auszudehnen. Zum Beispiel wäre ſtatt HUS und KH meines Erachtens „Heierli, Urg.“ und „heierli, Karte“ für das Gedächtnis angenehmer geweſen oder auch „Heierli“ und „heierli, K. Th.“, zumal ſehr häufig, z. B. bei „Pupik.“ und „Pupik. Sd.“ von Reller⸗Tarnuzzerſelbſt in dieſem Sinne verfahren iſt und die gleiche Behandlung aller Derfaſſernamen für die Einheitlichkeit nur von Vorteil geweſen wäre. Gegen eine gewiſſe kbkürzung langer Eigen⸗ namen (wie oben Pupikofer) iſt natürlich 1 einzuwenden.

Alles in allem kann man den Kanton Thurgau zu dieſem trefflichen Werke, das vom Verlage vornehm ausgeſtattet und mit zahlreichen guten Abbildungen verſehen ijt, aufs wärmſte beglückwünſchen und hoffen, daß dieſes gute Vorbild Nacheiferung wirkt.

hannover. Hans Gummel.

1) Reinerth ſpricht in feiner Beurteilung meiner Arbeit über Moosſeedorf (Man⸗ nus 17, 1925, auch in dieſem Pfahlbau von „Beilen der Zeit 4“ uſw. Ich möchte demgegenüber betonen, daß ich auch jetzt noch ebenſo wie dort (S. 17— 18) von Reinerths in Stage kommenden Anſichten als ſicher nur anerkenne, daß das Rechteckbeil in jenem Gebiet leine urſprüngliche Form iſt. Bei dieſer Gelegenheit erlaube ich mir die Bemerkung, daß

einerth mich mißverſtanden hat, wenn er Unſicherheit in meiner Unſicht über die Zeit- ſtellung zu finden glaubt. Ich halte es für möglich, daß der bis ungefähr ans Ende des leolithikums reichende Pfahlbau bereits im Anfang des pfahlbauneolithikums errichtet wurde, habe aber nicht erklärt, daß er im Anfang des Neolithitums überhaupt beſtand, innerhalb deſſen die Pfahlbauten meines Erachtens erſt recht ſpät auftreten.

) Dgl. altert. unf. heidn. Vorzeit 5, S. 242 und 320.

250 | Büdyerbe ſprechungen

Dr. W. Debi Rügens Hiinengraber und die 1 Kulturen der Inſel. (Natur und Kulturdenkmäler der Inſel Rügen II). 2. Aufl. Bergen a. R. (Walter Rrohß.) 1925. 32 S. mit 18 Abb. n

In dieſem heft, das etwa doppelt ſo ſtark geworden iſt wie bei ſeiner erſten fluflage, nimmt nach kurzer Darſtellung der vor Erbauung der Rieſenſteingräber liegenden Jeit die Behandlung des Neolithikums den meiſten Raum ein. Auf eine ee Überſicht über die eie folgen abſchließende Worte, die bis zur Geſchichte leiten.

Die Darſte un aft gewandt und ſicherlich lehr ut dazu geeignet, den Zweck des Buches

u erfüllen, das beſonders das Derſtändnis für die haltung unerſetzlicher Zeugen aus ferner orzeit in weiteren Kreiſen wecken ſoll. Aber auch für den Fachmann iſt es wertvoll wegen

der guten Abbildungen von bisher unveröffentlichten, großenteils erſt in neuerer Zeit

en Sunden. Der nach einer unveröffentlichten Handſchrift ne Bericht eines Augenzeugen bei der Offnung eines Rieſenſteingrabes bei Banzelvig!) bringt gegenüber der Schilderung, die der Bobbiner zu Strand davon gab!), nichts Neues. Bejonders ſei darauf hingewieſen, daß die Arbeit auch ein 120 Bet des bisher nur durch eine febr ſchlechte“) und eine andere auch gerade nicht gute?) Zeichnung bekannten Jonenbechers von Dumſevitz bringt. Im Gegenſatz zu Petzſch, der meint, die Technik des Bronzeguſſes ſei auf Rügen nicht recht beimiſch eworden (S. 28) glaube ich, daß hier lediglich ein vor⸗ läufiger Mangel unſerer Kenntniffe vorliegt“), deſſen Belebung ale recht bald der Tätigkeit des zum Staatlichen Pfleger für die kulturgeſchichtlichen Bodenaltertümer Rügens beſtellten Derfaflers gelingen möge! hannover. Hans Gummel.

Hermann Schneider, Geſammelte Auffage. Mit einer Schrifttafel. 1924. Alfred Kröner, Verlag in Leipzig. VIII u. 253 8.

Ein anregendes Buch von großer Spannweite. Es one vier flufſätze aus weit verſchiedenen Gebieten: I. Urſprung und Sinn des Alphabetes (S. 1— 133), II. Die Wande⸗ rungen und Wandlungen der babuloniſchen Sündflutſage im Altertum (S. 117— 174), III. Der herrſchende Raſſebegriff und die Tatſachen der Erfahrung (S. 177— 215), IV. Dom Derftehen anderer und beſonders jugendlicher Menſchen (S. 217— 253).

In dem erſten Auflage über das Alphabet ſtellt Schneider vor allem feſt, daß es keine ſemitiſche Erfindung ſondern von den Semiten nur übernommen iſt (S. 14, 65 f). Das Alphabet iſt auch nicht eine bewußt erfundene Cautſchrift (ein Ziel, das auf dieſer Stufe gar nicht erfaßt werden konnte), ſondern eine Reihe von Sinnbildern religiös⸗muthiſcher Beziehung (S. 27). Es verſinnliche eine „Religion, in deren Mittelpunkte ein ſtiergeſtaltiger Hauptgott ſtand, der als Herr, Weltſchöpfer, Weltordner und als Sonne vorgeftellt und mit dem Jahr geboren ward, aufwuchs, ſich vermählte und durch Verrat und Gewalt ſtarb, ur Unterwelt hinabfuhr und aus ihr wieder verjüngt auferſtand“ (S. 40 f.). Es ſei in

reta früheſtens zur Zeit des Überganges vom mittel- zum ſpätminoiſchen Reiche erfunden worden und habe bloß langſam ſeine heiligkeit verloren, um zum profanen Schriftgebrauche frei zu werden (S. 53 f.). Daß die Elemente des Alphabetes noch weiter her, etwa vom Norden, nach Kreta gekommen ſein könnten, wird nur geftreift (S. 72 f.), die Beziehungen des kretiſchen zum äguptiſchen Min von Koptos aber werden fo eingehend entwickelt (S. 80 bis 91), daß hervortritt, wie wichtig es wäre, wenn der Alphabetfrage in Ägypten über die veralteten Anſätze von h. Brugſch hinaus endlich von e e eite die ge⸗ bührende Aufmertjamteit geſchenkt würde (vgl. 8. Arft erkwürdigerweiſe ſetzt ſich Schneider mit anderen Verſuchen, dem Sinne und Urſprunge des Alphabetes an den

1) Dieſer jetzt nicht mehr vorhandene Ort lag auf der halbinſel Wittow, vermutlich in der Nähe von Bohlendorf. Nicht zu verwechſeln ſind damit die durch Baier, Schumann und Virchow (Derbandl. Berl. Anthrop. Geſ. 5, 1871, S. 51; a. a. O. 18, 1886, S. 611 u. 617. Balt. Stud. 39, 1889, S. 98-99. Jahresber. Geogr. Geſ. Greifswald 6, 1893/98, S. 87; a. a. O. 7, 1899/1900, S. 66 (vergl. die Karte S. 67). Baier, Die vorgeſchichtlichen Altert...... (Berlin, 1880), S. 10. Baier, Die Inſel Rügen .. .. (Stralſund 1886), S. 32) bekannten Banzelvitzer Berge bei Gr. Banzelvitz im Nordoſten des Kernlandes von Rügen (Seuerſteinſchlagſtelle und Urnenfriedhof).

2) Baier, Die Inſel Rügen, S. 12 und die dort in Anm. 2 angeführte [in Klemm, Handbuch der germaniſchen Altertumskunde (Dresden 1836) bei der Literaturüberſicht für Pommern und Rügen (S. 414 f.) nicht genannte] Quelle aus dem Jahre 1797.

2) Baier, Dorgeſchichtliche Gräber .. .. (Greifswald 1904), S. 22. 4) Montelius, Die Chronologie .. .. (Braunſchweig 1900), S. 90, Abb. 245. 5) Dergl. dazu Baier, Die Inſel Rügen, S. 7, Anm. 1.

Bücherbeſprechungen 251

Leib zu rücken 6; B. Hommel, Studen uſw.) nicht auseinander. 1909 religiöſe Sinn⸗ bilder zu Lautbildern und Schriftbildern werden konnten und daß dies doch eine Art Logos⸗ Lehre vorausſetzt, wurde ihm, ſcheint es, nicht klar. Seine Ausdeutung der ganzen Reihe und der einzelnen Zeichen iſt vielfach ſehr zweifelhaft, ebenſo die Beziehung zum Sonnen⸗ laufe, die Schneider zwar immer wieder mit Dorliebe betont, die aber wegfiele oder in völlig anderes Cicht träte, wenn, wie von anderer Seite längſt mit reichem Stoffe und guten Gründen (3. B. Studen, a‘ angenommen wurde, eine Sternbilderreihe, Tierkreisreihe oder 1 ugrunde we Iſt aber Schneider auch gewiß noch recht weit von einer durchgreifenden Cöſung der kulturgeſchichtlich ſo überaus ſchwierigen Rätſel des Alphabetes entfernt geblieben, jo muß doch ſein Beitrag zu ihnen als anregend und fördernd bezeichnet werden.

Der zweite Auffak über die Sündflut (Schneider legt auf den Zug Gewicht, daß die Weſen vor der Slut ſündhaft find) hebt zwar damit an, 57 ſowohl Flutſagen (infolge von e als auch Sündflutſagen (infolge des Glaubens an eine moralifche Kauſalität) überall ſelbſtändig entſtehen können; aber für das Weitere hat dies keine Solgen, da (S. 131) alle alten Flutſagen von der babyloniſchen ſtammen ſollen, die 1 auch in den „Miſſionarsmythen“ weiter wirkt, „an die wir zunächſt denken, wenn wir jagen,

daß es überall in der Welt Sündflutſagen gibt“ (5. 157). Erfreulich iſt es dann zwar, daß : neider die unhaltbare geologiſche Kätaſtrophentheorie nicht für die Erklärung der a

loniſchen Sündflutfage bemüht; aber daß er dieſe aus einer Dermiſchung des grimmen Slutgottes Enlil mit dem weifen Pee ge Ea erklärt, ift bloße Konſtruktion ohne jede Beweiskraft. Schneider hat überſehen, daß bei Beroffos und in der Bibel beide Male bereits eine Ortsſage vorliegt; die Arde landet an dem Berge von Ararat-Urartu, und es trifft alſo nicht zu, wenn er S. 131 meint, daß von einer Slutjage aus Urartu bis jetzt greif⸗ bare Reſte fehlen: die bibliſch⸗babyloniſche ſtammt eben offenbar gerade von dort. Orts- ſagen bedeuten aber ein nachträgliches Feſtwachſen eines früher frei beweglichen, allge⸗ meiner gültigen Stoffes. Schon das weiſt darauf hin, daß die babuloniſche Saſſung weit von den Urſprüngen des Mythos abſtehen muß. Ebenſo hat Schneider überſehen, daß aus Beroffos auch die Zerſtückung des Urweſens als uch der Slut zu entnehmen war, woraus ſich eine völlig andere Einſchätzung des inneren Aufbaues und Derhältniffes der babuloniſchen zur eddiſchen Slutſage hätte ergeben müſſen (ogl. meinen Aufjaß: Iraniſches bei Beroſſos in Or. Cit.⸗Itg. 1918, XXI Sp. 227—236, 257— 264). Das nahe Verhältnis der Slutjagen zu den Schöpfungsſagen iff ebenſo unberückſichtigt geblieben wie die Ent⸗ ſtehung der Flut durch die Tötung eines Drachen oder eines der än nlichen Ungeheuers. Unberückſichtigt blieben auch die Sagen von der Verwandlung der ſünd aften Weſen infolge der Slut oder auf der Flucht vor ihr, die Beziehung zu den Turmbauſagen (wegen des Aufftandes gegen Re auch für Ägypten wichtig) und vieles andere, ohne das ein wirklicher Uberblid über die Typen der Sage und die möglichen e e der Überlieferung gar nicht zu gewinnen iſt. Daher wirkt der Devs, alle alten & jungen der Sinflutſage (es dürfte ſich empfehlen, jtatt der Sünde die in dem Worte Sine ausgedrückte ſtändige Wiederkehr vgl. 3. B. Sin⸗grün, das ausdauernde Grün zu betonen) von der baby⸗ loniſchen herzuleiten, nicht überzeugend. Vielleicht am deutlichſten treten die Sehler bei der äguptiſchen Sage hervor, in der Kuh, Rauſchtrank (Bier) und Slut zwar in einem un⸗ verſtandenen, verwirrten Zuſammenhange, aber doch ſo überliefert ſind, daß die in Babylon untergeſunkenen Beziehungen von Soma⸗Dionuſos zur Slut aufklärend herangezogen werden müſſen. Schneider hat in der äguptiſchen Sage den wichtigen Zug des Spiegelns, in der babylonifchen die herrſchaft des Sluthelden über das Land der Seelen nicht ausge⸗ wertet; aber Dionuſos⸗Narkiſſos erliegt dem Spiegel, und zu Jama⸗Manu als Seelen⸗ en hat doch Sitnapichtim ein näheres Verhältnis, als bei Schneider zu bemerken ift.

in Indien der Streit von Mitra-Daruna um Ida aus dem babuloniſchen Opfer nach der Slut erwachſen fei, iſt recht fraglich. Alles ſieht ſogleich anders aus, wenn man in Ida ein Gegenſtück zu Pandora erkannt und dadurch einen neuen Blick auf die Verknüpfung von Deukalion mit Prometheus gewonnen hat. Natürlich ſind auch die griechiſchen Slut⸗ jagen eben nicht babuloniſches Lehngut ebenſowenig wie die tſchineſiſchen. Der weile Jil ift dringend verdächtig, Jama zu fein, und die Angaben der Bambusannalen über den Kaifer hoang⸗ti find fo kümmerlich, daß damit zunächſt eigentlich überhaupt nichts anzu⸗ fangen iſt. Man kann alſo auf ältere Formen bloß raten. Bei dem dreinächtigen Nebel, den der Kaiſer ſieht, möchte man etwa an einen Drachen denken, der dann eben der „Siſch“ im Sluffe Co iſt. Die 5 Opfer des Kaifers an den Siſch dürften für das Seuer ſtehen, mit dem der held den Siſch⸗Drachen von innen tötet. Aus ihm quillt dann die Slut, nach deren Derlaufe ſich aus dem toten Urweſen die koſtbaren Dinge einſtellen, für deren eines eben auch die Schrift eintreten kann. Der Anklang an die durch den fiſchgeſtaltigen Oannes⸗Ea aus dem Waſſer ſtammende Weisheit der Babulonier dürfte alſo ein trügeriſcher ſein und die obige Konftruftion einer tſchineſiſchen Urform der Slutjage, die ſich natürlich auf ziem⸗

252 Bücherbeſprechungen

lich reichlichen, aber in dieſem Rahmen nicht darlegbaren Dergleidsftoff und die ſonſtigen Eigenheiten tſchineſiſcher Überlieferung Hust, dürfte doch, bis weitere, aufklärende Sch jungen aus Tſchina hinzutreten, ziemliche Wahrſcheinlichkeit en können. Aus gebreitete Stofftenntnis und die mit ihr verbundenen Erfahrungen laſſen fic) eben doch nicht durch logiſche Forderungen erſetzen. Was da Schneider in dieſer Hinlicht noch am Schluſſe „zur exakten Muthenvergleichung“ zuſammenfaſſend heraushebt, iſt zwar nicht neu, aber im ganzen zutreffend; und doch wird es die Ruthenforſchung gewiß weniger ſolchen begrifflichen Derſuchen als eben der Stofffenntnis und Erfahrung ihrer Vertreter zu verdanken Ha wenn jie heute und im Dergleiche mit anderen kulturgeſchichtlichen Sächern doch bereits als eine leidlich „exakte“ Wiſſenſchaft gelten kann.

Der dritte Hufſatz über den Goalie wendet ſich gegen die Religion des Raſſen⸗ 3 (S. 178) und das Dogma des allein ſeligmachenden Indogermanentums (S. 186). „Die indogermaniſchen Völker find in ihrer us keine gemütstiefen Grals⸗ ritter, ſondern einfach wilde Dölker mit einer alten, ſehr ausgeglichenen, aber gar nicht hohen, ſchriftloſen und kunſtarmen Kultur; als Wilde brechen fie ins Kulturland der Mach: barn ein und als Wilde fühlen ſie ſich dort ſehr bald und nehmen wahllos von der höheren Kultur der Beſiegten an, was fie zu erfaſſen reif find“ (S5. 187 f.). Aber es „läßt ſich aller⸗ dings nicht leugnen, daß überall, wo ſeit 1500 vor Chr. im Wandergebiete indogermaniſcher Völker hohe Kulturen neu oder erneuert entſtanden find, eine indogermaniſche Einwanderung vorherging“ (S5. 188; die Sperrungen find die Schneiders). „Gleich nach der Einwanderung tritt aber nirgends die neue Kulturblüte ein“ (S. 190), ſondern immer erſt 4— 500 Jahre ſpäter. Sie ijt das Ergebnis der Miſchung. Dieſe Feſtſtellungen laſſen aber auch ganz andere kluffaſſungen zu als die Schneiders. So hat neuerdings W. Erbt in ſeinem Derſuche einer Weltgeſchichte auf raſſiſcher Grundlage (Sranffurt a. M. 1925) dieſe Zeiten der „Kulturblüte“ auf Grund feines Geſetzes der Pfropfvölker ſehr einleuchtend als letzte Juſammenfaſſungen behandelt und gezeigt, wie das Weſentliche voran liegt. Nach Schneider iſt das Döltergemilch am Ende großer Kulturen nichts anderes als die neue Raſſe, der Ausgangspunlt neuer Entwicklungen, ſobald wieder entſprechende Spannungszuſtände eintreten. Raſſenmiſchung allein erzeuge neue Kultur, während Reinzüchtung den Rulturleiſtungen Gleichartigkeit und Stil verleihe, aber kulturell un⸗ fruchtbar bleibe und auch keine körperlichen Neubildungen mehr zuſtande bringe. Die Frage der en der Völker bleibt dabei, wie man ſieht, unberückſichtigt und der Begriff der Reinzüchtung erhält die freilich recht unerwartete neue Bedeutung von Miſchungs— ausgleich. Außerdem dürfte es ſchwer fein, Kultur einleitende Eroberungen von „Völkern“ des Raſſengemiſches nachzuweiſen oder Stil von Neuſchöpfung überzeugend zu ſondern. Der Anhang „zur Einführung eines neuen Prinzipes der kauſalen Erklärung in der Lehre von der Artbildung“ ſetzt die Gedanken des Hauptteiles nach der biologiſchen Seite fort: die Mutation fei aus angehäuften Reimſpannungen zu erklären. Neu iſt ja nun freilich die Annahme von Prämutationsperioden nicht, und daß die „logiſche Konſtruktion des Keiminneren“ (5. 213) dem aus Derſuch und Beobachtung gewonnenen biologiſchen Be: griffe der Mutation doch kaum gerecht werden kann, ijt jedem, der 3. B. an Idiovariationen durch Umwelteinflüſſe (Überhitzen, Unterkühlen des Keimes uſw.) denkt, ſofort klar.

. Der letzte Hufſatz entwickelt das Problem des Derſtehens metaphuſiſch und prak⸗ tiſch (Pſuchologie des Verſtehens). Er beruht auf Vorträgen bei einer pädagogiſch-pſucho⸗ logiſchen Tagung, und das Derſtehen anderer Zeiten und Dolter (Spranger) wird daher nur geſtreift. Aber am Schluſſe ſteht ein Bekenntnis, dem man Schneiders Geſamtein⸗ ſtellung entnehmen kann: „Jeder einzelne Deutſche muß durch Mitteilung von Renntniſſen, durch Urteils-, Willens- und Gefühlsſchulung jo ausgebildet werden, daß er ji in feiner heimatlichen Umgebung, in Gemeinde, Staat und Dolk auskennt, e und erhalten kann, und daß er dann als freier Diener der Dolksgemeinſchaft an der Vollendung des deutſchen ſozialen Staates, als Mittel zu übervölkiſchen ſozialen Menſchheitsgebilden, bewußt und begeiſtert mitarbeitet“ (S. 253).

Das Buch iſt offenbar für einen weiteren Lelerfreis berechnet, gelehrte Anmerkungen fehlen daher. Leider vermißt man aber auch Nachweiſe des wichtigſten Schrifttumes und der Quellen, aus denen der berfaſſer ſchöpfte. Sie wären gerade bei folder Zweckein⸗ ſtellung wichtig geweſen.

Görlitz. Wolfgang Schultz.

Büdyerbeiprehungen 255

oe Dans, Urwelt, Sage und Menidhheit. Eine naturhiſtoriſch⸗metaphuſiſche 05 ‘4 924. Druck und Derlag RK. Oldenbourg, München. 1. und 2. Aufl. XII und eiten.

Der Derfaller kommt von den Naturwiljenichaften, beſonders der Paläontologie; feine innere 10 Ihn iſt aber, zumindeſt diesmal, weit eher die eines Dichters. Deshalb geht ihn der Mytbos, „die Dichtung der Dorzeit“ fo beſonders an, deshalb ſucht er aus innerer

chau ihn als älteſte, gleichſam geſchichtliche Überlieferung aus paläozoiſchen und meſo⸗ oiſchen Zeiten zu deuten, in die er Stammformen der Menſchheit durch kühne Analogie- fla je zurückverfolgen zu können glaubt, deshalb ſteht er auch allen modernen muſtiſchen Strömungen nahe. Er glaubt nicht bloß an die reale Macht des Jaubers und daß die großen Magier wirklich ihren Körper von innen her umzugeſtalten vermochten, ſondern auch an die höhere Weisheit der Babulonier und ihrer in Wahrheit kindiſch abergläubiſchen Aftrologie. Das Stirnauge des Urmenſchen, das auch bisher ſchon in den Phantafien der Ir en eine ähnliche Rolle geſpielt hat, erhält auch bei ihm wieder einmal die naturwiſſenſchaft⸗ liche Begründung, und hörbigers Glazialkosmologie erſchließt ihm die Türen zum Ver⸗ ſtändniſſe der Sinflutſage. So kann es nicht mehr wunder nehmen, wenn ihm die Jahr⸗ millionen der japaniſchen Rosmogonie erdͤgeſchichtliche Wirklichkeit werden, wenn er in Gondwanaland die durch die Sinflut ie ene Heimat des adamitiſchen Menſchen und der zum Teile ſäugetierhaften Reptilwelt der Urzeit anſetzt, aus der ſich ya dem Mefozoifum der intellektuell höher ſtehende noahitiſche Menſch vor der Flut rettet.

Mit Mythologie oder e eee haben ſolche Dichtungen freilich kaum mehr etwas gemein. Die Kenntnis des Muthenſtoffes, die da und dort anklingt, iſt eine recht äußerliche, dürftige. S. 115 finden wir „das in der germaniſchen Mythologie die Welteſche anbohrende Einhorn“ und S. 238 leſen wir, daß die urweltlichen Menſchen Steinmafjen die Schwere entziehen und fo Leiſtungen vollbringen konnten, die unjere Technik für unmöglich erklären muß. S. 76 heißt es, daß wir gerade von unſeren eigenen, unmittelbarſten Vorfahren, den Franken, kaum mehr nennenswerte Reſte im Boden finden.

Glänzender Stil, ſcheinbare Klarheit, weit ausgebreitete Kenntniffe und eine leiden⸗ ſchaftliche Neigung, nirgends das „bloß“ Natürliche gelten zu laſſen, eine blendende Sophiſtik für ein hinter der Wirklichkeit liegendes noch Eigentliheres und Eigentlichſtes zeichnen dieſes trotz allem durchaus geiſtvolle Buch aus, dem, wie die Zeit nun einmal beſchaffen ijt, fre ein buchhändleriſcher Erfolg beſchieden fein wird. Aber wiſſenſchaftlichen Wert at es keinen, und auf gläubige Lejer kann es nur verwirrend wirken.

Görlitz. Wolfgang Schultz.

Leo Srobenius, Hugo Obermaier. hädſchra Mäktuba. Urzeitliche Selsbilder Kleinafrikas. Kurt Wolff Derlag, München 1925. 62 Seiten. 55 mehrfarbige, 105 ein: farbige Bildtafeln und 11 Karten.

. Es gibt nicht viel Bücher, die jo wie dies in jeder Hinſicht vorbildlich find. Es liegt ein Werk vor, das zu den ganz wenigen auserleſenen Schöpfungen gehört, denen eine lange Dauer, eine tiefe Wirkung beſchieden iſt. Allbekannt ſind die großen ſchönen franzöſiſchen Deröffentlichungen, die Bände Altamira, Font-de-Gaume, Pasiega, Pileta, Les Cavernes Cantabriques dieſes Werk kann ſich den meiſterhaften franzöſiſchen Schöpfungen durchaus an die Seite ſtellen.

„Es bringt auf rund 150 ausgezeichnet hergeſtellten Tafeln die vorgeſchichtlichen Selsbilder des Saharagebietes und ſtellt fo die beſte und klarſte Quellen veröffentlichung dar. Das Werk von Slam and, das 1921 erſchien, iſt e in der textlichen Bear- beitung, es ſtellt die Tebensarbeit des 1919 geſtorbenen Forſchers dar, es iſt aber nicht jo reich in den Abbildungen, nicht ſo gut in der Wiedergabe. Und das gerade iſt bei einem . der unbekannt iſt, das Entſcheidende: die Wiedergabe im Bild. Die Unſchauun muß bei allen Arbeiten, die die Kunſt behandeln, das Primäre ſein. Der Verlag Kurt wolff hat in dieſem Werk eine Arbeit geleiſtet, die buchtechniſ Se wate iſt.

Das reiche Material entſtammt der Expedition, die Leo Srobenius im Jahre 1913 mit einer Reihe von Wiſſenſchaftlern, Malern und e AN unternahm. Eine kurze Einleitung von Frobenius ſchildert den Derlauf der Expedition, die Wege und die 5 Herkunft keiten der Aufnahme. Nur wenige Worte ſind den Fragen nach Bedeutung und Herkunft der Bilder a een angefügt.

„Die Kleinafrikaniſche Selstunft im Lichte der Vorgeſchichtsforſchung“ behandelt dann eingehend mit bekannter Sachkenntnis und Gründlichkeit hugo Obermaier. Es iſt ein Derdienft Srobenius’, Obermaier zu dieſer Arbeit au 9210 9 zu haben. Sie ift heute unſtreitig die beſte, kürzeſte und klarſte Zuſammenfaſſung der geſamten Kennt- niffe der prähiſtoriſchen Selskunſt Frankreichs und Spaniens. Es findet ſich eine Lifte aller diluvialen Höhlen mit Malereien, die bis heute bekannt geworden find, es findet fic) eine

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Lifte der oſtſpaniſchen Selsmalereien, es finden ſich Karten, in die jede Sundftelle Spaniens eingetragen ijt. Alle Fragen der Selskunſt werden behandelt, die Fragen des Urſprunges, ſach 1 der Bedeutung, und zwar wie immer bei Obermaier: klar, kurz, beſtimmt, achlich.

An die Behandlung der Selsbilder Europas reiht ſich nun die Unterſuchung der afri⸗ kaniſchen Selsbilder. Und hier kommt Obermaier zu dem außerordentlich bedeutſamen Ergebnis, daß nicht nur zwei ange Kunſttreiſe beſtehen, wie man bisher annahm, nicht nur die Aurignacien Solutreen Magdalenien Gruppe und daneben die Capſien⸗ Gruppe, alſo nicht nur die franko⸗kantabriſche Kunſt und daneben die oſtſpaniſche A ſondern daß fic) als dritte Gruppe die aftikaniſche Selskunſt daneben ſtellt. Ein Rontakt der drei Gruppen beſteht dagegen im e N jede der drei Gruppen trat un⸗ abhängig ins Leben und durchlief eigene Entwicklungsbahnen. Die Bildwerke Afrikas ich ebenſo wie die Spaniens und Srankreichs mit naturwahren Gravierungen ein, die ſich in n die aber ſchließlich das Senſoriſche verlieren und imaginativ, ſtiliſiert werden. Wenn ſo allem Anſchein 2 die ſenſoriſchen Bilder hier wie in Europa ins Paldo⸗ lithifum gehören, dann umfaßt das Neolithikum und die Bronzezeit die ſtiliſierte Gruppe. Obermaier beantwortet die Alterszuweilung für das Poläolithikum noch nicht endgültig, für die e Epochen iſt die Frage geklärt.

Das Buch, das zu dem Beſten gehört, was die deutſche vorgeſchichtliche Sorfdung beſitzt, kann nicht eindringlich genug empfohlen werden.

Koln a. Rh. Herbert Kühn.

nn

hermann Witz, Bilder aus der Dorgeſchichte. Zur Einführung in das Derftandnis der e Denkmale in der Umgebung Ingolſtadts. Ingolſtadt 1925 (Schröder), gr. 4.

Der Vorgeſchichte neue Freunde zu werben und das geſchi 15 75 Verſtändnis durch die Dorgeſchichte zu erweitern, iſt der Zweck der vorliegenden Schrift. Der Derfaljer bedient ſich hierbei eines nicht ganz alltäglichen Weges. Während die meiſten Darſtellungen der Vorgeſchichte eines kleineren Bezirkes fic) mit der Aufzählung und Erläuterung der vor⸗ handenen Bodendenkmale und Sunde begnügen und höchſtens den einzelnen Zeit: abſchnitten ein paar einführende Worte vorausſchicken, läßt Witz die Altertümer in die Dei Reihe treten und bedient fic) ihrer nur als Belege des Geſagten. O. Spenglers

ntergang des Abendlandes und A. van Scheltemas Altnordiſche Kunjt haben bei der Abfaſſung der Schrift richtunggebend gewirkt. Im Anſchluß an Scheltema wird das in Betracht kommende Donaugebiet als „fusgleichszone“ aufgefaßt, „es wird getroffen von den Blutſtrömen, die in der Richtung von Norden nach Süden fließen“, es iſt „das Land der Halbtulturen und zeigt weder das reine, charakterſtarke, zähe und konſervative Ur⸗ merowingertum des Nordens noch die glänzenden Erſcheinungen der ſüdlichen und öſtlichen Hochkulturen“ (S. 21). Die Spenglerſchen Gedanken verleihen den eee d einen ſtarken geſchichtsphiloſophiſchen künſtrich und geben dem Derfaſſer ſtändig Anlaß, Vergleiche wiſchen den von ihm entworfenen Bildern aus ER Zeit und fpateren Jahr⸗ hunderten wie an der jüngſten Vergangenheit zu ziehen, ja fogar künftige Entwicklungs⸗ möglichkeiten ins Auge zu faſſen. Selbſt wer den Gedankengängen des Derfallers ſich nicht in allen Punkten anzuſchließen vermag i erwartet dies auch gar nicht), wird aner⸗ kennen müſſen, daß die Abſicht, anregend, belehrend und erzieheriſch zu wirken, gelungen iſt, und das iſt ja wohl das beſte, was einem heimatbuch nachgerühmt werden kann.

München. Dr. Friedrich Wagner.

J. 5. Schlender, Germaniſche Mythologie, Religion und Leben unferer Ur⸗ väter. Dierte, neubearbeitete Auflage. resden, Alerander Köhler, 1925. 275 S. Das Werk entſpringt dem Wunſche, die Liebe und das Derftändnis für die Der= gangenheit unſeres Volkes zu vertiefen, das Wiſſenswerte und Erhebende der heidniſch⸗ germaniſchen Religion in Rapper und verſtändlicher Form zugänglich zu machen. Dieſer rühmenswerten Übſicht entſpricht auch das Beſtreben, alle neueren Forſchungen zu be= rückſichtigen und ſomit „der gegenwärtigen Stellung der Wiſſenſchaft zur heidniſch-ger⸗ maniſchen Religionsauffaſſung Rechnung zu tragen.“ Die Darſtellung wandelt zumeiſt in den Bahnen Mogks und Nedels. Wir erfahren, daß, was wir heute mit „Germaniſcher Götterlehre“ bezeichnen, weſentlich ein Erzeugnis der Dichtung iſt, daß die Vorſtellungen von Ragnarök aus chriſtlichen Samenfornern aufgegangen find; S. 19, 215. In der Baldı= darſtellung fehlt die Nachricht Snorris, daß es Baldrs „Natur“ fei, daß keiner feine Urteile halten könne, ein Zug, der in Snorris Baldrerzählung zu keiner Geltung kommt, der

Büͤcherbeſprechungen 255

alſo auch von Snorri nicht erfunden fein wird. Leider wird dieſe wichtige Nachricht auch von Neckel in feinem Baldrbuche nur gan old) geftreift. Auch in der Berechnung der Walballtore folgt die Derf. ganz Mogk, Wedel, Rid. M. Meyer: Die bedeutungs⸗ volle Zahl 432000 wird überhaupt nicht bemerkt. Bifröſt findet ſich wieder mit Snorti als Regenbogen gedeutet, was ſich, wie auch neuerdings von anderer Seite (S. K. Schröder, Germanentum und Hellenismus. 1924. S. 32f.) zugegeben wird, nicht halten läßt. Daß der Brunnen der Urd nicht im Gebiete von Midgard, ſondern „am himmel“ liegt, iſt nicht etwa nur durch Snorris ult 15, ſondern auch Hav. 110 genügend bezeugt. Dol. 5 wird leider in De. Weiſe mit Gering u. a. romantiſch, nicht muthologiſch erklärt, das aſtro⸗ nomiſche Verſtändnis legt die letztere end nahe. Erfreulich it die Ubkehr von der Anſicht (vgl. Medel, Balder. S. 40), daß Loki die Miſtel „aus dem ere Erße mas die Texte ebenſowenig überliefern wie die „friſchgrüne“ Sarbe der Miſtel. Erfreulich, weil die 5 85 en weit reichen. Im ganzen liegt eine für volkstümliche Zwecke beſtimmte leicht lesbare Dar ellung vor, die dem großen 0 mit einer verſtändnisvoll mitfühlenden Einitellung begegnet, die auch mit der reichen Heranziehung der deutſchen Überlieferung dem Bedürfniffe eines Doltsbuches nahezukommen ſucht.

Bremen. Otto Sigfrid Reuter.

R. spas ¢ Der Runenfdlüffel zum Derftändnis der Edda und anderer Denk⸗ mäler des Religionswiſſens. Verlag von Rudolf Schönherr, Halberftadt 1925. 191 S. Mit zwei Tafeln und 21 Abb.

Indem der Derfaſſer die drei Geſchlechter der jüngeren nordiſchen 16 Runen ſich untereinander ſchreibt (in verkehrter Folge; gerade in deren Geheimſchrift galt durchweg das letzte Geſchlecht als erſtes, das erſte als letztes), gleichzeitig die ſtets ſenktrechte p-Rune in die Wagrechte umlegt und ihr, ſeiner Abſicht cen eine Form gibt, welche fie niemals beſeſſen hat (Verf. irrt überdies, wenn er annimmt, auch die Formen dieſer jüngeren Runen ſeien durch den Widerſtand der holzfaſer beſtimmt worden; fie finden ſich faſt durchweg auf Stein, die Runen des Forſaer Ringes in weichem Eiſen), entdeckt er mit Hilfe willkürlich verbindender Linien zwiſchen den Runen den Aufriß eines Sachwerkhauſes, das ihm mit der „Ronſtruktion“ des eddiſchen Weltbaums und vielem anderen übereinſtimmt. 355 Method. der in den Bahnen ©. v. Lifts ſchweifenden Arbeit entſprechen der Willkür

er Methode.

Bremen- huchting. 3 Otto Sigfrid Reuter.

Lubwig Schmidt, Geſchichte der germaniſchen Srühzeit. Der Entwicklungsgang der Nation bis zur Begründung der fränkiſchen Univerſalmonarchie durch Chlodowech. Bonn (K. Schroeder) 1925. 357 Seiten und 16 Tafeln. 6 Mark.

Die neue Behandlung der e Frühgeſchichte von C. Schmidt erfordert

in hohem Maße die 11 Ue auch der eee Der Verfaſſer Ja: langem

bekannt als beſter Kenner dieſer Epoche unter den Hiftorifern, wie es R. Much für die

Germanijten iſt. Seine bisherigen Bücher find unentbehrliche Handbücher für jeden, der

li in die Geſchichte unſerer Dorfahren vertiefen will. Es ijt wahrlich eine umfangreiche

ei geweſen, den nur zu oft ſo verworrenen Fäden der Überlieferung über

die Unzahl der germaniſchen Stämme und ihr ſtetes Durch⸗ und * bis ins einzelne nadzugehen und trotzdem den Überblick über das Ganze nicht zu verlieren.

Seinen früheren Darſtellungen läßt der Derfaffer jetzt eine für weitere Kreiſe beſtimmte

Behandlung folgen, die in knapper Form und in einem Guß gefdrieben iſt. Beſonders

wertvoll iſt es, daß der ſo aewitlenta te und unermüdliche Verfaſſer alle Quellen, welcher

Art fie ac immer fein mögen, auszuſchöpfen bemüht iſt und nicht etwa, wie es früher

5 itte war, ſich mit den wan und ſprachlichen begnügte. Seine Bücher

bilden in ihrer zeitlichen Folge ein anſchauliches Beiſpiel, wie in immer ſteigendem Maße

die nung er Vorgeſchichtsforſchung und ihrer Ergebniſſe von den hiſtorikern erkannt worden iſt. Seitdem die Vorgeſchichte ihre urſprünglich mehr naturwiſſenſchaftlich einge: ſtellte Arbeitsweiſe verlaſſen hat und eine hiſtoriſche Disziplin geworden iſt, vor allem durch die von Koſſinna begründete völkergeſchichtliche („ſiedelungsarchäologiſche“) Betrachtungs⸗ weiſe, iſt unſere Wiſſenſchaft erſt eigentlich bedeutungsvoll und beachtenswert für die

Rachbarwiſſenſchaften geworden. Schon 1919 hat L. Schmidt, die nicht geahnte Tragweite

und Zuverläſſigkeit der Ergebniſſe der Bodenforſchung“ erkannt!) und nun hat er ie mit

anerkennenswerter Beleſenheit dieſe Ergebniſſe in feinem Buche zu eigen gemacht. Selbit

1) Dgl. Mannus XIV. S. 314.

256 Bücherbeſprechungen

die neueren und oft recht entlegenen Aufjäße find ihm zugänglich geweſen, wofür das in den Unmerkungen niedergelegte Literaturverzeichnis zeugt. Daß trotzdem die Darſtellung in einigen Einzelheiten noch nicht den neueſten Stand der Forſchung vermittelt, iſt bei dem faſt ſprunghaft ſchnellen Fortſchreiten der ee orgeſchichtswiſſenſchaft durchaus zu Derttehent und mindert aud) den Wert der Abhandlung faum. Die dankenswerte Darjtellung des Derfaſſers wird ſich ſchnell als handlicher und uverläſſiger Führer durch die germaniſche Frühzeit einführen. Dom Standpunkte des orgeſchichtlers iſt noch zu bemerken, daß das Buch trotz ſeiner umfaſſenden Quellenver⸗ wertung doch eine Arbeit ausgeſprochen hiſtoriſchen Charakters iſt und fein will. Die politiſche und perſönliche Geſchichte ſpielt in ihr die Hauptrolle, die Kulturgeſchichte kommt Dota. bung recht kurz weg, wenn auch auf die Hauptpunkte hingewieſen wird. Der Verfaſſer bängt ſeinem Werke fogar eine ganze Unzahl von Abbildungen germaniſcher

ltertümer an, die aber nur in loſem Zuſammenhange mit dem Text, in dem auf fie nicht verwieſen wird, ſtehen ). Möge uns bald eine ebenſo gediegene und umfaſſende Daritellung der Kulturgeſchichte der germaniſchen Frühzeit von einem Spezialiſten geſchenkt werden als Gegenſtück zu dem Werke des hiftorifers.

Breslau, im Oktober 1925. M. Jahn.

Walther Schulz, Die germaniſche Samilie in der Vorzeit. Bd. 3 der Bücherreibe: Vorzeit. Leipzig (C. Rabitzſch) 1925. VI und 36 Seiten mit 26 Abb. 2,50 Mark.

Der Ver after hat ſich die Aufgabe geftellt, in möglichſt knapper und ge meinverſtändlicher Sorm die altgermaniſchen Jamilienverhältniſſe für die zahlreichen Freunde germaniſcher Vorzeit zu ſchildern, denen nicht die Zeit zur Verfügung ſteht, große wiſſenſchaftliche Werke durchzuarbeiten. Er zieht alle einſchlägigen Quellen der Geſchichte, Germaniſtik und Dorgeſchichte zu Rate. Daß auch bei Stagen der geiſtigen Kultur die Bodenfunde, richtig verwertet, ein gewichtiges Wort mitzuſprechen Faber, dafür bildet das Büchlein ein gutes Beiſpiel.

Es entſpricht dem germaniſchen Weſen und der vorwiegend das Männliche be⸗ tonenden Kultur der Germanen, daß ſich die german Samilie nach der Mannes⸗ feite aufbaut (Daterfamilie). In einem auch für den Fachmann wertvollen Abjchnitt über den Samilienaufbau verfolgt der Verfaſſer die Verbreitung der Mutterfamilie im alten Europa und weiſt nach, daß das Mutterrecht nur bei RS eee Völkern heimiſch iſt und daß die vereinzelten Spuren eines Mutterkultes bei den Germanen fremder Herkunft ſind. War daher die rechtliche Stellung der germaniſchen Frau nicht ſo gut wie die des Mannes, ſo wurde die Germanin trotzdem allgemein geachtet und geehrt. Das trübe Bild vom germaniſchen Samilienleben, das vielfach auf Grund der Rechtsſatzungen entworfen wurde, iſt nicht ſo lebenswahr wie der fälſchlich als übertrieben idealiſiert bezeichnete Bericht des Tacitus.

Unſer Geſchlecht fühlt ſich von ar zu Jahr mehr zur alten Kultur und Geſchichte unſerer Vorfahren Binaesogen, aus der ihm fo unverfälſcht der Kern germaniſchen Weſens entgegenleuchtet. Es iſt aufs freudigſte zu begrüßen, daß Schriften wie das Büchlein von Schulz dieſes köſtliche Erbteil des deutſchen Volkes weiten Kreiſen zugänglich und verſtänd⸗ lich machen, ohne den feſten Grund geſicherter Jorſchungsergebniſſe zu verlaſſen.

Breslau, im September 1925. Mm. Jahn.

1) Seltſamerweiſe wird bis auf die beiden letzten Abbildungsgruppen die Literatur, der die Bilder entnommen ſind, nicht angegeben.

Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel III.

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Abb. 1. Grab 6. (Etwa !/, nat. Größe.)

Abb. 2. Grab 7.

hörter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Manen (Rheinland). Verlag von Curt Kabigid, Leipzig.

| Mannus, Zeitjchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel IV.

Abb. 5. Grab 9. (Etwa !/, nat. Größe.)

Abb. 4. Grab 27.

Sorter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland). verlag von Curt Kabitich, Leipzig.

Mannus, Zeitjchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17.

hörter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland).

Tafel V.

(Nat. Größe.)

Abb. 5. Grabfeld am Amtsgerichtsgebäude Mayen.

verlag von Curt Kabigic, Leipzig.

Mannus, Zeitſchrift für Dorgejchichte. Bd. 17. Tafel VI. |

(Nat. Größe.)

Abb. 6. Grabfeld am Amtsgerichtsgebäude Mayen.

Sorter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Manen (Rheinland). verlag von Curt Uabitzſch, Leipzig.

Mannus, Jeitſchrift für Dorgejchichte. Bd. 17. Tafel VII.

1—12 vom Gräberfeld Mayen, 13 und 14 vom Gräberfeld Ettringen. nat. Größe.)

Abb. 7.

hörter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland). Derlag von Curt Uabitzſch, Leipzig,

Mannus, Zeitſchrift für Dorgeſchichte. Bd. 17. Tafel VIII.

7, 8, 9, 10 vom Grabfeld Ettringen.

(/ U nat. Größe.)

1, 2, 3, 4 und 6 vom gp et digi eee Mayen, 5, Alle Gefäße handgemacht

Abb. 8.

horter, Ein germaniſches Gräberfeld bei Mayen (Rheinland). verlag von Curt Mabitzſch, Leipzig.

Abhandlungen und Mitteilungen.

Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch.

Zuſammengefügt, ergänzt und bearbeitet von Dr. med. Albert Kadner, Hamburg. Mit 26 Abbildungen auf Tafel IX - XIV und einer Tabelle (Tafel XV). |

Einleitung.

Wenn wir einen Blick in Zeitungen und Jeitſchriften der jüngſten Zeit werfen, fo finden wir fie in fajt überſchwänglichem Maße gefattigt mit der Erſchließung des Grabes Tut-end)-Amuns, der vor etwa 3000 Jahren über das Volk der Ägypter als König herrſchte. Wohl gewinnen wir aus dieſem Funde einen Einblick in das kulturelle Leben der damaligen Zeit, und er ſtellt ſomit ſicher eine weſentliche Bereicherung unſerer Wiſſenſchaft dar, jedoch könnte es faſt ſcheinen, als ob hauptſächlich etwas anderes dieſe Aus- grabung erſt zu ihrem beſonderen Wert ſtempelt, das iſt der Glanz des den Totenbeigaben anhaftenden Goldes, der die Gräberſucht ſchürt. Und doch gibt es noch etwas, das wohl Anſpruch haben dürfte, einen weit höheren, allerdings ideellen Wert zu beſitzen, das ſind die Funde derjenigen Menſchen, die noch keinen Schmuck kannten, die in Erdverſtecken hauſten und mit primi⸗ tinjten Mitteln den Kampf ums Daſein führten, wie ihnen der Naturinſtinkt einflößte, d. h. die Jagd nach Nahrung und die Fortpflanzung, welche beiden Faktoren fie allmählich zu kleinen Rudeln zuſammenſchweißten, damit fie ſich um ſo ſtärker fühlen durften, und andererſeits die göttliche Beſtimmung erfüllt wurde, die den Menſchen emporhob zum Beherrſcher der Erde.

Wer anders als diejenigen, die ſich zu den wiſſenſchaftlich Gebildeten zählen, hat etwas geleſen über die Spuren der erſten Menſchen, die unbeſtattet, von grauer Erde bedeckt unter unſerem heimatlichen Boden ſchlummern? Ein Zufall brachte fie wieder zur Auferjtehung, damit fie uns Kunde geben

ſollten, wie ſie, urſprünglich den Tieren gleich, allmählich ihrer Beſtimmung j

entgegengeführt wurden.

Und fo darf ich ſtolz fein, ausrufen zu können: „Wiederum gebar uns. die Erde einen Zeugen der Menſchwerdung“. Sunddjt hatte es den Anjchein, als ob ich dieſen Fund nicht verwerten konnte, da er ein ſogenannter Moor⸗ fund hätte fein können. Als ich aber an die genauere Unterſuchung dieſes Stelettes ging, wurde es mir immer klarer, daß es ſicher ein Urmenſch war, der gefunden wurde. Hierbei beſtärkte mich in meinen Ergebniſſen Herr Geheimrat Profeſſor Dr. Roſſinna, der mit mir alle Einzelheiten der Merkmale bis ins kleinſte durchging und mir für die Ausarbeitung manche

mannus, Seitidrift für Vorgeſch., Bd. 17. h. 4. 17

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wertvolle Anregung zuteil werden ließ. Daher möchte ich ihm an diefer Stelle meinen beſonderen Dank zum Ausdruck bringen, weil er es war, der mit feinem Rat zum Gelingen der Arbeit weſentlich beigetragen hat.

hamburg, den 10. November 1925. Der Derfaſſer

Drei bis vier Kilometer vom alten Markt in Riel entfernt führt die Bahnſtrecke nach Hamburg durch das Petersburg⸗Poppenbrügger Becken, das einen verlandeten Teil eines ehemals größeren Gewäſſers darſtellt, von dem der heutige Schulenſee ein Reit ijt. In den Jahren 1914 —1920 wurden zu Eiſenbahnerweiterungsbauten umfangreiche Husſchachtungen vorgenommen, bei denen die Ablagerungen dieſes Beckens aufgeſchloſſen wurden. Abgefehen von Reiten glazialer Bändertone als Abſatz eines ehemaligen größeren Stau⸗ ſees, ſowie von ſpätglazialen Dryastonen in kleineren Senken am Rande des Beckens beſtanden die Ablagerungen zur Hauptſache aus ſapropelhaltiger Mudde mit einer reichen Waſſermolluskenfauna und darüber gebildetem Slachmoor⸗ und Bruchwaldtorf. Unterhalb dieſer jüngeren Sedimente ijt an einigen Stellen noch ein geringmächtiger, ziemlich fetter, graugrüner Mergel angetroffen, deſſen ärmliche Mollustenfauna auf den jüngeren Teil der Unculuszeit ſchließen läßt, indem ein kontinentaleres Klima herrſchte (boreale Periode Sernanders).

Die unteren Teile der ſapropelhaltigen Schichten waren im allgemeinen leberbraun bis ſchwarz gefärbt, abgeſehen von helleren Färbungen, die in den unterſten 15 em auftraten. Die mittleren Teile waren grau und ſchichtig mit vielen Reſten höherer Pflanzen, während ſich in den ſonſt gleich ausge⸗ bildeten oberen Teilen wenige Pflanzenreſte fanden. Die Waſſermollusken⸗ fauna des insgeſamt bis über 80 em mächtigen Sapropels ijt der Litorinazeit bis zur jüngeren Steinzeit zuzuſchreiben und gehört früheſtens der Eichenzeit an. Mit Beginn der Litorinazeit ſetzte ein Steigen des Seeſpiegels infolge vermehrter Niederſchläge und ſomit ſteigenden Grundwaſſers ein. Nachdem der höchſtſtand des Seeſpiegels erreicht war, begann bei Stillſtand oder Sinken des Spiegels in der ſubborealen Periode die Derlandung von den Rändern her, bis ſchließlich die geſamten Seeablagerungen von Sladymoor und Brud- waldtorf in einer Mächtigkeit bis zu 2m überdeckt waren. Am Rande des Derlandungsgebietes wurden in den Torf eingelagert Quellkalke mit Land- mollusken gefunden.

Außer den für die Altersbeftimmung der Ablagerungen wichtigen Mol⸗ lusken wurden Wirbeltierreſte bei den Grabungen zutage gefördert. Nach Schuſter !) fanden ſich hechtknochen von zum Geil ſehr ſtarken Tieren (Esox lucius L.), Panzer von Sumpfſchildkröten (Emys orbicularis L.), Knochen: reſte von Säugetieren, wie Biber (Castor fiber L.), Iltis (Putorius putorius ..), Wildſchwein (Sus scrofa L.), Hausrind (Bos taurus L.), Edelhirſch (Cervus elaphus L.), Reh (Cervus caprcolus L.), Renntier (Rangifer taran- dus J.) und Pferd (Equus caballus L.), deſſen Knochenmaſſe am meiſten für ein von Equus Przewalskii Polj. abſtammendes Hauspferd ſprechen. Don außerordentlicher Bedeutung ſollten einige Knochen werden, die ebenfalls aus dieſem Becken ans Tageslicht gezogen wurden, das find Überrefte eines Homo sapiens, eines Kindes im Alter von etwa 11 Jahren.

1) poſtglaziale Quellkalke Schleswig-holffeins und ihre Molluskenfauna. Arch. f. hudrobiologie Bd. 16, S. 1—73. Stuttgart 1925.

3] Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 259

Über die Fundhorizonte der Wirbeltierreſte find leider keine verläß- lichen Angaben mehr zu erhalten geweſen. Doch will Schuſter nach dem anhaftenden Sedimentmaterial mit Vorbehalt folgendes ſagen: das Renntier ſtamme ziemlich ſicher aus dem graugrünen, ancyluszeitlichen Mergel, die hechtknochen, der Biber und der Wildſchweinſchädel ſeien ziemlich ſicher aus dem ſchneckenreichen Sapropel, aus dem darüber gebildeten Torf ſtammten vielleicht Iltis, Wildſchweinunterkiefer und Pferd, ſowie aus den quellkalk⸗ reichen Torfſchichten am Rande des Beckens der Rinderſchädel.

Über die Fundſchicht der menſchlichen Knochen läßt ſich nichts ausſagen, da kein Sediment mehr daran feſtgeſtellt wurde und die Sarbe allein keine ſicheren er zuläßt. Zwar wurden in dem Tale auch vorgeſchichtliche Werkzeuge gefunden, nämlich eine hirſchgeweihaxt der Erteböllezeit und geſchliffene Slintbeile der jüngeren Steinzeit (von Rothmann feſtgeſtellt). Abb. 1 ſtellt die hirſchgeweihaxt dar. Ob dieſe Funde mit dem Homo sapiens zuſammengebracht werden können, will ich ſpäter darzulegen verſuchen. Die Stelettrejte weiſen, wie wir ſehen werden, fo unverkennbare Zeichen der Primitivität auf, daß ich mit Sicherheit ſagen kann, daß es ſich wirklich um einen Urmenſchen handelt. Es wurden gefunden „Schädelfragment eines Kindes und einige ſcheinbar dazugehörige Knochen“ ) von dunkelrotbrauner Farbe. Nach dem Juſammenſetzen des Schädels zeigte ſich, daß die rechte Seite und faſt die ganze Baſis nebſt Unterkiefer ſtahlſchwarz ſchillerten. Dor allem ſind die Jahnſubſtanzen tiefſchwarz durchtränkt. Es beſteht die Mög⸗ lichkeit, wenn nicht ſogar die größte Wahrſcheinlichkeit, daß der Sund in die unteren Sapropelſchichten zu verlegen iſt. Um ein allgemeines Überſichts⸗ bild über den Fundort und ſeine Ablagerungen zu gewinnen, möchte ich nicht verfehlen, die allgemeinen Teile und die auf Poppenbrügge bezügliche Spalte der Schuſterſchen Tabelle hier wiederzugeben, die er im Anſchluß an ſeine und E. Wüſts Unterſuchungen aufgeſtellt hat. Dieſe Tabelle ſoll, wie Schuſter ſagt, keine abſolute Chronologie darſtellen, was wegen der Unvollkommenheit der Renntniſſe von den poſtglazialen Ablagerungen Schleswig⸗holſteins unmöglich fei, aber man kann ſich ganz gut einen Einblick in die Derhältniſſe verſchaffen.

Die Hauptbeweiskraft für das Urmenſchliche des Fundes beruht in der Feſtſtellung ſeiner primitiven Merkmale, wie ſie durch die zahlreichen vorge⸗ ſchichtlichen Funde bereits erforſcht ſind. Bevor ich aber zu der Beſchreibung des Skelettes ſelber übergehe, möchte ich kurz darlegen, wie ich zu dem Funde und der Feſtſtellung ſeiner Primitivität kam.

Durch die liebenswürdige Vermittlung des Abteilungsvorftehers am mMuſeum für Völkerkunde in hamburg, Dr. Buhan, wurde mir ein Unter⸗ kiefer zur Bearbeitung überlaſſen, von dem ich urſprünglich nichts weiter erfuhr, als daß er irgendwo ausgegraben war, und daß er vielleicht ſogar ſehr alt fein könnte. Vergleiche dieſes Unterkiefers mit den bekannten prä⸗ hiſtoriſchen, mit den uranfänglichſten durch Paläolithikum, Meſolithikum und Neolithikum, denen der geſchichtlichen und der rezenten der verſchiedenſten Dölferichaften gaben mir zu der Vermutung Anlaß, daß dieſer Unterkiefer einem Individuum gehört haben muß, welches im Ausgange der Altſteinzeit oder in der Übergangszeit von alter in neue Steinzeit, die mit dem Namen „Meſolithikum“ oder „Frühneolithikum“ belegt wird, gelebt hat. Als ich nun bereits an die Zujammenitellung der Abhandlung über dieſen Fund

1) Schuſter, S. 23.

17*

260 Albert Kadner [4

ging, teilte mir herr Dr. Byhan die Ergebniſſe feiner Nachforſchungen mit, daß dieſer Unterkiefer zu dem Poppenbrügger Funde gehörte. Es konnte feſtgeſtellt werden, daß der Unterkiefer während der Ausgrabungen abhanden gekommen war. Die Direktion des Muſeums vaterländiſcher Altertümer in Kiel überließ mir ſofort in dankenswerter Weiſe die übrigen Skeletteile zur Bearbeitung. Die einzelnen Bruchſtücke waren ſehr zahlreich, doch im allge: meinen ſo, daß ſie ſich leicht aneinander bringen ließen. Es fehlte nur wenig, das ich zu ergänzen hatte. So haben wir ein faſt vollſtändig erhaltenes Exem⸗ Pte il. menſchlichen Kopfifeletts vor uns, wie auf den Abb. 2 und 3 zu ſehen iſt. |

Auffallend iſt die verhältnismäßig große Breite des Schädeldaches. Es finden ſich ſtarkbetonte Parietalhöcker (Abb. 5) und gut betonte Frontal⸗ höcker. Die Suturen weiſen größte Einfachheit auf, beſonders die Sutura lambdoidea. An der Baſis fallen zunächſt die Processus mastoidei auf, ſie ſind ſehr niedrig, die Fissura mastoidea ziemlich breit. Die Jochbögen ſind leider verloren gegangen, an den Anſatzſtellen ſieht man jedoch, daß ſie grazil eweſen ſein müſſen. Die Stirn iſt auffallend niedrig und ſehr bald nach enen übergehend. Man muß hier berückſichtigen, daß es ſich um ein kind⸗ liches Kopfſkelett handelt, als um fo auffallender find die Erſcheinungen zu bewerten. Deutlich laſſen ſich auch Oberaugenwülſte erkennen, die zwar nicht ſo ſtark hervortreten, wie ſie als beſonderes Merkmal der Neanderthaler beſchrieben worden find, aber ihre Undeutung ijt hier ſchon vorhanden. Die Arcus superciliares find vorgewölbt, und beſonders betont find die ſeitlichen Ausladungen des Processus zygomaticus ossis frontalis.

Was vor allem noch auffällt, iſt das Foramen magnum (Abb. 6). Es iſt derartig lang, daß ich deswegen beſondere Unterſuchungen anſtellte, die ich ſpäter erwähnen werde. Ferner muß noch geſagt werden, daß alle Muskel⸗ anſätze durch tiefe breite Furchen, und die Gefäßgänge durch Einfachheit und Weite gekennzeichnet ſind. Auch der Porus acusticus externus iſt relativ

groß. Im folgenden ſeien die kraniometriſchen Maße angegeben:

Größte Länge der Hirnkapſel 176 mm Größte Breite der hirnkapſel . . ewa 140 Bajion-Bregma-Abjtand . . . . . 2... 121 Kleinſte Stirn breite. OT 2. Größte Stirnbreite . . . 2 2 2 2 20. 117 Bogen Nasion-Bregnia . . 2... 156 Bogen Bregma- Lambda. 124 Bogen Lambda-Opisth ion. 108 Bogen Nasion-Opisth ion. 368 Horizontalumfang . ggg 504 Sehne Nasion-Bresma a 115 Sehne Bregma-Lambda . . . ee 112 Sehne Lambda-Opisthion . . . 2.2... 88 Foramen magnum größte Länge.. 40 ; größte Breite.. 27 Breite zwiſchen Ohrpun keen 105 Obergeſichtshöghͥ‚h ee etwa 55 Naſenhöhgghghgee ie A: Langen-Breiten-3Jnder . . 2 2 2220. 79,05

(aljo mejozephal)

5 Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 261

Höhen⸗Breiten⸗ Inden 86,43 höhen-LängensInder . . . 2... 2... 68,75 (aljo chamazephal)

Unterfieferwinfel. . . . . 22 .2.. etwa 87 Vordere höhe des Unterfiefers .. .. . 23 mm Größte Dicke des Kinnes ........ 12>. 5 Kondylenabjtand . . . . 2.2.2.2... etwa 110 Höhe der Incisura mandibulae .. . 8 Breite der Incisura mandibulaa . 32 (minimalſt!) Kleinſte flſtbreittttte 31

Es liegt eine ausgeſprochene hochgradige Prognathie vor. Dom Oberkiefer iſt leider nur ein Stückchen vorhanden, während der Unter⸗ kiefer vollſtändig und wohlerhalten iſt. Dom linken Oberkieferbein wurde der Alveolarfortjag von der Mittellinie bis zur Alveole des erſten oberen Prämolaren gefunden. Nach oben reicht dieſe Facies anterior und die Facies nasalis bis zur Crista conchalis. Die beiden Inziſiven ſind verloren gegangen, der Eckzahn liegt durchbruchsbereit im kllveolarfortſatz. Vom Processus palatinus iſt nur ein Stückchen vorhanden. Das Os zygomaticum iſt faſt vollſtändig, es fehlt nur ein Stückchen von der Facies temporalis.

Beſonders wichtig ijt der Unterkiefer. Er läßt die eigentliche Rinn⸗ bildung vermiſſen. An der Grenze des kllveolarfortſatzes zieht ſich baſalwärts eine Protuberanz. Don der Kuppe dieſer Protuberanz fällt der Knochen nach hinten zu ſtark ab (Abb. 7 und 8). Ich glaube aber an dieſem Skelette etwas feſtſtellen zu können, was für das Problem der menſchlichen Kinnbildung, das ſo lange Jahre der Mittelpunkt des Intereſſes ſo vieler hervorragender Wiſſenſchaftler geweſen ist, von Bedeutung ſein kann. Daher muß ich hier etwas weiter ausholen.

Beſonders hat ſich Walkhoff !) um das Problem der menſchlichen Kinnbildung verdient gemacht. Zwar wurde er von vielen Seiten angegriffen, aber alle Erörterungen ſind bisher nur Theorien geblieben, die zum Teil leicht widerlegt werden können. In ſeiner Schrift „Neue Unterſuchungen über die menſchliche Kinnbildung“ vertritt Walkhoff die Anſicht, daß ein Doriprung vorliegen müſſe, der, an der Baſis entwickelt, weitaus am ſtärkſten ſei und hier am meiſten vorfpringe, erſt dann könne man von einer Kinnbildung wie beim Menſchen ſprechen. Die von Weidenreich behauptete Kinnbildung bei einem jungen Gorilla wird ſchon von Walkhoff dadurch widerlegt, daß er eben ſagt, dieſe Protuberanz hätte mit der Kinnbildung des Menſchen nichts zu tun. Walkhoff hat recht. Die Protuberanz liegt nicht am baſalen Rande, ſondern ſtets, bei rezenten und Urmenſchen, ja ſicher auch bei manchen Anthropoiden, in der Mittellinie der Symphyfe, und zwar immer an der Grenze des Alveolarfortfaßes beginnend baſalwärts gerichtet, während der eigentliche Kinnvorſprung, das, was wir als die Hauptſache der Kinnbildung betrachten müſſen, immer nur die Tubercula mentalia fein können.

Betrachten wir nun den zu beſchreibenden Unterkiefer, ſo ſehen wir ebenfalls die gut ausgeprägte Protuberanz an der Grenze des Alveolarfort- lakes (Abb. 8 und 9), von wo ab der Knochen fchroff abfällt, zwar nicht fo ſtark wie beim Heidelberger, aber doch jo, daß man jagen muß, daß das 1) Walthoff, Neue Unterſuchungen über die menſchliche Kinnbildung. Deutſche Zahnheilkunde in Vorträgen, heft 22.

262 Albert Kadner [6

eigentliche Kinn fehlt. Legt man den Unterkiefer auf eine plane Fläche, fo erkennt man die „Incisura submentalis“ (Abb. 8), die von RKlaatſch fo benannt wurde, und am Heidelberger Kiefer in vollendetem Maße vorliegt. Dies wird als weiteres wichtiges Zeichen feiner Primitivität angeſprochen. hören wir nun, was Schötenſack!) am Heidelberger Unterkiefer noch weiter feſtgeſtellt hat: „An den Grenzen dieſer Inziſur liegt an der Hußenfläche am freien Rand ein kleines höckerchen .. .. Dieſes iſt auch am Krapina⸗H⸗ Kiefer vorhanden. Beim Homo Heidelbergensis und Spy liegen dieſe Tuber- cula unter den Foramina mentalia, und zwar unter der Mitte zwiſchen zweitem Prämolaren und erſten Molaren. Beim Krapinakiefer liegen ſie ebenda, während das Foramen mentale eher noch weiter hinten, unter dem erſten Molaren, liegt, beim Homo La Naulette zweifellos vor dem Foramen mentale unter dem erſten Prämolaren, beim Homo Kiliensis unter der Verlängerung der Eckzahnwurzeln, eher noch etwas dahinter. Beim rezenten Menſchen liegen ſie ſchon von früheſter Jugend an unter den ſeit⸗ lichen Schneidezähnen, ſoweit ich an hunderten von Schädeln aller möglichen völkerſchaften feſtſtellen konnte. Auf den Abb. 10, 11, 12, 3 habe ich dies veranſchaulicht. Und wenn man die Unterkiefer eines Anatomieatlas (3. B. Spalte holz) daraufhin durchgeht, fo ſcheint dieſe Lage jetzt konſtant zu fein und ſchon beim Neugeborenen vorzuliegen. Dieſe höckerchen, die Tubercula mentalia liegen alſo urſprünglich weiter hinten, als Begrenzungen der Inci- sura submentalis, im Laufe der phulogenetiſchen Entwicklung find fie weiter nach vorne gelangt. Ob dies nun durch Reduktion oder durch funktionelle Einwirkung geſchah, bleibt noch zu ergründen. Es iſt vor allem wichtig, daß man vorerſt die morphologiſchen Verhältniſſe klärt. Dazu fehlten aber bisher die Übergangsformen, wie es der Homo Kiliensis zweifellos iſt. Das eine geht nun klar hervor: die Ulbrechtſche Theorie und die Weidenreich⸗ ſchen Befunde hat Walkhoff zu Recht widerlegt. Toldt glaubt im Gegenſatz zu den Dorigen nicht an Reduktion, ſondern an eine Verſtärkung des vorderen Teiles des Unterkiefers. Ich möchte mich den Unſichten Walkhoffs anſchließen, daß eine Reduktion vorliegt.

Die Tubercula mentalia find ſchon beim Heidelberger da, fie ſind im Laufe der phylogenetiſchen Entwicklung nur nach vorne gewandert, allmählich immer mehr der Mittellinie zuſtrebend. Jedenfalls kann man nur dadurch un Ziele gelangen, daß man zuerſt die morphologiſchen Derhältniſſe völlig

ärt.

Gud) von Bardeleben und Kramberger ſehen die Kinnbildung als neugebildete Verſtärkung an, jener als das weiter gewachſene Ossiculum mentale, diefer als Derjtarfung aus mechaniſchen Gründen, ähnlich der Quellkuppe über einer Spalte. Durch Projektion der Profilkurven des Kiefers von Heidelberg, eines Europäers und eines Negers, bezogen auf eine gemein: fame Kondylenlinie, glaubt Walkhoff beweiſen zu können, daß die Kinn- partie einen Erhaltungszuſtand der urſprünglichen Anlage dieſer Region bedeutet, weil die Kinnpartie des rezenten Menſchen trotz ſtarker Reduktion des oberen Kieferkörpers auf demſelben Standpunkte erhalten geblieben ift, wie bei dem Heidelberger. Nun tritt Walkhoff zum Teil auch Klaatſch entgegen, welcher in der rundlichen Wölbung der vorderen Kinngegend die hauptſache der menſchlichen Kinnbildung vermutete. Aud) Klaatſch hat

1) Schoetenſack, Der Unterkiefer des Homo Heidelbergensis. Leipzig 1908.

7) Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 263

bereits eine Andeutung gemacht, von der ich urſprünglich dachte, fie ſage das aus, was ich beobachtet zu haben glaubte.

Klaatſch ſpricht von „Mediankinn“ und „Lateraltinn” und ſagt: „Der mediane Kinnvorſprung ijt nicht als eine Neuerwerbung aufzufaſſen, ſondern er iſt als eine negative Größe zu beurteilen, bedingt durch das Verharren eines Teiles der vorderen Kinnfläche in dem Niveau und in derjenigen Run⸗ dung, welche urſprünglich der ganzen Gegend zukam“. Er meint alſo offenbar damit, daß dieſer Dorfprung, den er auch bei Anthropoiden gefunden haben wollte, die Kinnbildung ausmache, und daß wir für die Kinnbildung den fortſchreitenden Reduktionsprozeß annehmen müſſen. Das „Negativkinn der Anthropoiden”, jagt er, beſitze als Relief das vollſtändige homologon der menſchlichen Prominentia mentalis externa, während das Weſen des Lateral- finns in Aufwulitung des Bafalrandes im Bereiche des Musculus digastricus beruhe, womit Ausbildung von höckern und Rauhigkeiten auf der Lateral- fläche über dem Baſalrand einhergingen. Das ſeien die Tubercula mentalia der Europäeranatomie, die ſich in vordere und hintere ſondern ließen. Er ſagt wörtlich: „Das Tuberculum mentale posterius (mihi) entſpricht der ſeitlichen Grenze der Incisura submentalis, es iſt das von Gorjanovic⸗ Kramberger genannte Tuberculum „submentale“. Ein Tuberculum mentale anterius entſpricht der Mitte des Digaſtrikusanſatzes“. Aus der weiteren Beſprechung dieſer Unterſchiede geht deutlich hervor, daß Klaatſch der Anjicht ijt, bei der Bildung des Lateralfinnes handle es fic) um eine be⸗ ſondere Bildung, nur daß ſie bei den rezenten Menſchen nicht mehr ausge⸗ prägt würde. „Es gibt Europäer mit hochgradig poſitivem Kinn“, ſagt er, „welche eines Cateralkinnes völlig entbehren, und andererſeits kommt es am negativen Kinn der Afrifaneger zu ſehr ſtarker Lateralkinnbildung, durch welche das Mediankinn ganz unterdrückt wird.“ Klaatſch faßt alſo die Tubereula anteriora und posteriora als zwei verſchiedene Bildungen auf, nicht als ein und dieſelbe, welche einmal vorn, das andere Mal weiter hinten liegt. Die Aufwulftung des baſalen Randes läßt er durch Muskelwirkung des Digaſtricus entſtehen. Beim rezenten Menſchen liegt fein Anjak nicht mehr in gleicher höhe mit dem Tuberculum mentale, ſondern das Tuber- culum liegt heute ungefähr in höhe der Mitte des Anjages. Daher ſcheint es mir unwahrſcheinlich zu fein, daß die Hhauptanſatz⸗ und Angriffsſtelle beim heidelberger⸗, Spyz und Krapina⸗Menſchen bis zum Molaren gereicht haben ſoll. Somit glaube ich, daß Walkhoffs Widerlegungen berechtigt ſind. Allerdings iſt fein Gegenbeweis in dem einen Punkte nicht kräftig genug, wo er ihn damit begründet, daß beim La⸗Naulette⸗Kiefer keine Tubercula mentalia vorhanden feien. Das „Tuberculum mentale der Europäerana- tomie“ ijt natürlich auch beim Ca⸗Naulette⸗Kiefer da, es ift nur nicht fo gut ausgeprägt. Oder nicht mehr fo gut erhalten? Es liegt m. E. nach unter dem erſten Prämolaren am baſalen Rande vor dem Foramen mentale. Dies Tuberculum liegt tatſächlich immer da, wo die Ineisura submentalis beginnt, beim Heidelberger, Spy, Krapina, wie ich oben ſchon ausführte, unter dem Molaren, bei den anderen Urmenſchen immer weiter nach vorne wandernd, bis wir es bei den rezenten Menſchen konſtant unter dem lateralen Schneidezahn antreffen. Das iſt meines Wiſſens bisher nicht feſtgelegt worden. Die tiefere Urſache dieſer Geſtaltsperänderung iſt natürlich nicht leicht zu ergründen. Alle bisherigen Erörterungen ſtellen nur Hypothefen dar, keine dieſer hupotheſen aber kann den Anſpruch machen, wirklich überzeugend zu ſein. Die meiſten nehmen eine Reduktion an, aber ſie erklären dieſe Reduktion meiſt durch funk⸗

264 Albert Kadner [8

tionelle Umformung. Ich kann daran nicht jo recht glauben. Wie foll man es ſich ſonſt erklären, daß alle Tiere im Laufe der Zeiten eine Umformung erlitten haben und noch weiter erleiden? Wo ſind die gewaltigen Koloffe der „Urzeit“ geblieben? Haben wir nicht auch bei dem Funde von Poppen⸗ brügge den Beweis, daß die gefundenen Knochen der Tiere, die heute zum Teil noch bei uns heimiſch ſind, gewaltig viel ſtärker waren? Breuer!) hat intereſſante Beobachtungen über Reduktionserſcheinungen bei den Höhlen: ast gemacht. Er zeigte an einigen Exemplaren die ſichere Reduktion der Kiefer.

Klaatſch hat das morphologiſche Moment in den Dordergrund feiner Unterſuchungen geitellt. Selbſtverſtändlich ijt das der Weg, der am meiſten Ausficht hat, zum Ziele zu führen. Man muß doch zunächſt einmal wiſſen, was verändert iſt, bevor man ſich auf ſpekulative Gedanken des Wie einlaſſen kann. Reduktion und Rieferwinkelverſchiebung find Faktoren, die man ver⸗ muten kann. Bei ausgeſprochenen Spitzkinnmenſchen ijt auch der Winkel des aufſteigenden Altes verſchoben (vgl. Abb. 13). Es ſieht faſt fo aus, als ob neben der Reduktion eine Verſchiebung des Unterkiefers eingetreten iſt. So könnte man die diagraphiſchen Profilkurven Walkhoffs und Klaatſchs ſchließlich auch deuten.

Doch kehren wir zur Beſchreibung des Sfelettes zurück! Die Foramina mentalia ſind relativ groß. Während ihr Eingang bei den heutigen Menſchen als ein nach hinten zeigender Sulcus beſchrieben wird, ijt der Ausgang bier mehr nach oben, dem Alveolarfortſatz zu gerichtet. Man könnte alſo an⸗ nehmen, daß er auch in dieſer Beziehung noch auf einer Dorjtufe ſteht, wenn man den Ausführungen Büntes und Morals beipflichtet, die ſagen, daß ſich das Foramen mentale durch allmähliche Dorſchiebung des Unterkiefer⸗ körpers und Reduktion des Kllveolarfortſatzes gedreht hat (vgl. Abb. 13). Dieſer Auffaſſung habe ich mich oben bei Beſprechung der Kinnbildung ſchon angeſchloſſen. Oberhalb des rechten Foramen mentale liegt ein kleines Coch, das durch einen kurzen Gang in den Sulcus des Foramen mentale hinein: führt und als Gefäßgang zu bewerten iſt. Unterhalb der beiderſeitigen Foramina mentalia find auch hier ſeichte Sulci marginales, wie Rlaatſch ſie genannt hat, feſtzuſtellen. Die Linea obliqua, die heute als vom vorderen Rande des Ajtes relativ ſteil zum Unterrande des Knochens bis zu feiner Mitte ziehend beſchrieben wird (vgl. Abb. 13), verläuft zweifellos nicht ganz fo ſteil abwärts, ſondern eher mehr parallel dem Alveolarfortfaß bis zum oberen Rande des Foramen mentale. Der auffallend parallele Derlauf dieſer Linea obliqua beim Homo Heidelbergensis und La-Chapelle-aux-Saints wird von Martin hervorgehoben.

Ganz beſonders beachtenswert iſt ferner der aufſteigende Alt infolge feiner Breite und ſenkrechten Stellung. Der Processus coronoideus iſt ſehr niedrig und ſtumpf, nicht ſo, wie wir ihn heute bei uns ſehen. Er zieht mit breiter und ſehr flacher Senkung zum Processus condyloideus, welcher leider nicht vorhanden iſt, weil er wieder zu Erde ward. Er hat ſicher in gleicher Höhe mit dem Processus coronoideus gelegen, ungefähr in der Parallelen zur Unterkieferbaſis. Die Tiefe der Incisura mandibulae beträgt etwa 8 mm, während ſie heute nach Martin zwiſchen 10 und 18 mm ſchwankt. Und hier finden wir eine weitere Übereinſtimmung mit der heidelberger Inziſur, die ſogar nur 7 mm beträgt.

) Vortrag, gehalten auf dem Naturforſcher- und Arztekongreß zu Innsbruck 1924.

9] Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 265

Die Crista buceinatoria und Linea obliqua ſchließen einen fo breiten Raum ein, daß der dritte Molar ſchon jetzt darin Platz hat (Abb. 14). Wir können beinahe annehmen, daß hier, wenn das Individuum ausgewachſen iſt, foviel Platz vorhanden ſein wird, daß ſogar noch dahinter ein überflüſſige⸗ Stückchen fein wird, wie es Klaatſch als „Trigonum postmolare“ gefundei. hat. Und dabei iſt dieſer dritte Molar, wie wir ſehen werden, in allen Dimen⸗ ſionen größer als der erſte! :

An der Innenſeite des Unterkiefers fallen ſofort die ſehr weiten Eingangs⸗ Öffnungen der Foramina mandibularia auf (Abb. 15 und 16). Der Zugang vollzieht ſich allmählich mit einer tiefen Furche, die man nach oben bis zum hals des Processus condyloideus verfolgen kann. Die Lingula mandibulae fehlt. Der Sulcus mylohyoideus iſt wiederum ſehr breit. Schräg nach ab⸗ wärts ziehend, geht er in eine, parallel dem Baſalrand verlaufende, tiefe und breite Furche über, welche ſomit vom bereits angelegten dritten Molaren bis zur hinteren Wurzel des zweiten Milchmolaren reicht. Eine breite Knochen: rauhigkeit zieht fic) oberhalb der Linea mylohyoidea bis zur Sumphuſe in die Gegend der Fossa digastrica hin. Man muß annehmen, daß dies einen ſehr breiten Anſatz des Musculus mylohyoideus zu bedeuten hat. Überall ſetzen die Muskeln nicht an Leiſten, ſondern in tiefen Gruben an. So befindet ſich an der Innenfläche am Winkelrande eine breite tiefe Furche für den Musculus pterygoideus internus, medianwärts davon, und zwar kaum davon getrennt, eine tiefe Grube für die Glandula submaxillaris, die man hier verſucht iſt ſchon mehr mit dem Ausdruck „Impressio“ zu belegen, weiter medianwärts ziehen die breiten tiefen Furchen für den Musculus digastricus, die fo tief find, daß fie den Baſalrand an dieſer Stelle zu einer dünnen Leiſte machen, in der Mitte durch eine kleine Spina interdigastrica (Rlaatſch) getrennt. In der Mitte liegt ein Gefäßloch. Darüber befinden ſich Grübchen für den Musculus geniohyoideus, und darüber etwas tiefere für den Mus- culus genioglossus, ſeitlich davon die Fovea sublingualis (Abb. 15). Die Linea mylohyoidea iſt nicht ausgeprägt, man kann ſie eher als rauhe, breite Fläche bezeichnen. Eine Spina mentalis fehlt. Das Corpus iſt in der Mitte ſehr dick und ſtark gewölbt. In der Mitte des Corpus, oberhalb der Gruben für den Musculus genioglossus liegt ein Gefäßloch. Dieſe Derhältniſſe find zur Genüge als „primitive“ geſchildert worden, ſo daß ich nicht mehr darauf einzugehen brauche. Martin beſchreibt ſie als beſonders deutlich vorhanden bei den Neanderthalmenſchen. Ferner haben wir die breiten rauhen Furchen an der Außenfläche des aufſteigenden Altes für den Musculus temporalis und den Masseter. |

der Unterkieferkörper ift im allgemeinen ſehr maſſig. Die Maße der Dicke und Höhe u. dgl. wurden ſchon in der Tabelle aufgeführt. Der Kiefer- bogen hat breitelliptiſche Form und iſt langgeſtreckt. Die dritten Molaren haben ſchon Platz! Die Frontzähne ſtehen ſenkrecht im Kiefer. Es beſteht eine mäßige alveoläre Prognathie. Die Wurzeln der Frontzähne ſind nach hinten zu abgekrümmt, ſo daß die Kronen nicht ſchräg nach vorn, ſondern ſenkrecht im Kiefer ſtehen. Die Zähne find breit und gut entwickelt, aber ſie ſind ſchon von der Karies befallen! Die Milchmolaren ſind befallen ge⸗ weſen und „ausgeheilt“ (Caries sicca). Die erſten Molaren ſind in den Fiſſuren befallen, und ſogar der durchbrechende Zwölfjahrmolar hat ſich diefelben Prädilektionsſtellen ausgewählt. Die Zähne find durch den Kauaft abgeſchliffen, was bei dieſen Menſchen infolge der ſandigen Nahrung ſtets anzutreffen iſt. Aus der Abſchleifung der Frontzähne fieht man, daß Jangen⸗

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266 Albert Kadner [10 \

big beſtanden hat. Sonderbar erſcheint eine größere und eine kleinere Aus: | Ichleifung an der lingualen Slade des rechten unteren Milcheckzahnes. ai

Vorhanden ijt im Oberkieferſtückchen der Eckzahn, der mit feiner Spitze durchbricht, im Unterkiefer vier Schneidezähne, ein Milcheckzahn mit darunter⸗ liegendem bleibenden Eckzahn, der ſchon durchbruchsbreit iſt, ein im Durch⸗ bruch befindlicher Edzahn (links), die vier Milchmolaren mit darunter liegenden Prämolaren, die erſten Molaren, die mitten im Durchbruch ſtehenden zweiten Molaren und die im Kiefer liegenden dritten Molaren, deren Krone ſchon faſt vollausgebildet ijt und unter einer dünnen Knochenlamelle durch ein Senjterchen hervorſchaut. Der Zwölfjahrmolar hat den Knochen ſchon ver: laſſen, ſicher ijt er auch ſchon oberhalb des Jahnfleiſches geweſen. Die Wurzeln der durchbrechenden Jähne ſtehen auf der Entwicklungsſtufe eines etwa elfjährigen Kindes, wie wir heute gewohnt ſind als Durchſchnitt anzunehmen. Der Bau der Knochen deutet auf dasſelbe Alter hin.

Die Maße der Zähne habe ich nach der bekannten Mühlreiter-Blad: Walkhoffſchen Tabelle aufgeſtellt, damit man ſie unter einander ver⸗ gleichen kann.

Kronenbreite: J) J G p. p. m, m, m. Rezent. Euro 4,7 50 55 6,0 62 10, ¼ 72 80 8,0 8,8 12,2 Rezent. Am eri... 50 5,0 5,0 60 65 11,0 10,0 80 | 6,0 65 90 80 80 12,0 11,0 120 Homo Mouster. . . 60 7,0 80 80 90 12,5 12,7 15, Homo Kiliensis. ....... 60 65 7,0 80 80 10,51) 11,0 11,0 Kronendide: Rezent. Euro 5,2 5,4 69 67 7,0 9,0 6,8 7,2 9,5 89 9,6 11,0 Rezent. Amerik. 5,5 60 60 7,0 7,9 10,0 95 9,0 65 7,5 10,0 8,0 9,0 11,5 105 105 Homo Mouster. 8.0 80 100 90 97 11,5 11,5 12,0 Homo Kiliensis. . . . . . .. 5,5 60 7,9 10,0 10,0 10,8 Kronenlänge: Rezent. Euro 7,9 8,2 85 7,5 69 70 11.5 11,8 14,5 110 100 99 Homo Mouster.. ...... . 90 105 12,0 100 99 70 7,5 7,5 Homo Kiliensis. . . . . . . . 90 10 120 60 65 6,5

Als ganz befonders wichtiges Merkmal der Zähne erſcheint mir die | Art der Abſchleifung, welche in ganz intenſivem Maße bei beiden erſten Molaren auf der Raufläche beſteht und ferner auch an ihrer meſio⸗apro⸗ ximalen Fläche. Beide Merkmale ſind beim rezenten Menſchen in dieſem Alter überhaupt nicht zu finden. Sie ſprechen erſtens dafür, daß der Kauatt entſprechend der fandigen Nahrung gewaltig geweſen ſein muß, zweitens für eine gewiſſe phuſiologiſche Beweglichkeit des Jahnes, drittens dafür, daß die „Caries sicca“ bei den zweiten Milchmolaren eine wirkliche Der: härtung (Ausheilung) des Dentins geweſen fein muß, welche die volle Sunf- tionsfähigkeit dieſer Milchmolaren geſtattete.

. 1) Die buttale Seite ift durch das fünfte Höderchen um etwa 0,4 mm breiter.

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11] Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 267

Aus dieſer Tabelle erſieht man wiederum den Grundſatz, der aufgeſtellt worden ijt: Je primitiver die Entwidlungsitufe, deſto geringer die Neigung zur Variabilität. Was aber beſonders als Zeichen der Primitivität gelten foll, iſt erſtens die Erſcheinung, die auch an dieſen Jähnen feſtzuſtellen und aus den Röntgenaufnahmen zu erkennen iſt (Abb. 26): Die Zähne haben mehr kugel⸗ förmige Geſtalt, während fie bei den Kulturvölkern zylinderförmiger find. Ein weiteres Zeichen der Primitivität wird darin erblickt, daß die Molaren nach hinten zu an Dimenſionen zunehmen (Hbb. 17), was von anderen, z. B. Martin, inſofern in Frage geſtellt wird als er ſagt, daß ſchon bei einigen Diluvialen die Reduktionstendenz zu finden iſt. Hier wäre alſo noch die „urſprünglichere“ Form vorherrſchend. Als weiteres Zeichen der Ur⸗ menſchlichkeit wird die Weite der Pulpenkammer angeſehen. Die Derhältniſſe ſind hier ſo, daß die Pulpenkammern zwar relativ groß ſind, aber wir treffen dieſe Größe bei jugendlichen Zähnen immer an, ſo daß ich nichts beſonderes in dieſer Beziehung hier zu bemerken habe. Die „Fünfhöckerigkeit“ der Molaren iſt hier nicht deutlich ausgeprägt, nur der erſte Molar iſt dadurch an der bukkalen Seite breiter, daß er ein fünftes höckerchen hat.

Der Schädel weiſt ferner noch eine Eigentümlichkeit auf, die ich oben ſchon angedeutet habe: Das Foramen magnum iſt außerordentlich lang. Die Maße find: Länge 40 mm, Breite 27 mm (Abb. 6). Es iſt ſchon einmal bei einem Schädel auf dasſelbe Phänomen hingewieſen worden. Alfo iſt es bereits aufgefallen. Das war zuerſt auch mit der Kinnbildung der Fall, bis weitere Sunde dieſe Abfonderlichfeif bekräftigen halfen. Was im allgemeinen von Martin über Hinterhauptslöcher angegeben wird, iſt kurz folgendes: Ein Zuſammenhang mit der allgemeinen Schädelform fei nicht zu erkennen. Trotzdem nimmt Martin aber an, daß die außergewöhnliche Cänge beim Chapelle-aux-Saints-Menſchen aus der ganzen Sorm des Hinterhauptes ver⸗ ſtändlich ſei. Mir will das nicht ſo recht einleuchten. Betrachten wir Schädel mit außerordentlich langen Dimenſionen, wie man ſie 3. B. bei einigen Negern antrifft, fo weiſen dieſe nicht die Verhältniſſe auf, wie jie am Homo La-Chapelle-aux-Saints und am Homo Kiliensis vorliegen. Wenn dieſe Form bei den Diluvialen vorherrſchen würde, ſo würde man es zweifellos wie das Fehlen des Kinnvorjprunges zu bewerten haben. Leider fehlen aber bei den Funden größere Teile der Schädelbaſis, ſo daß das Foramen magnum nicht zu unterſuchen ijt. Ich möchte daher ruhig den Derfud) wagen eben weil es uns anfangs mit der Kinnbildung fo merkwürdig erging der Sache nachzuſpüren, wenn es auch vorerſt nur ſpekulative Gedanken fein können. Wenigſtens würde ſich ſchon die Anregung lohnen, die darin beruht, daß es bereits als auffallend hingeſtellt wurde.

Im Martin iſt eine Tabelle der Dimenſionen des Hinterhauptes von verſchiedenen Dölkerſchaften angegeben, aber die Maße, die der Homo Kiliensis aufweiſt, ſind nicht darunter. Ich habe eine größere Unzahl von Schädeln der verſchiedenſten Erdbewohner daraufhin durchgeſehen, aber nirgends gleiche Derhältniſſe gefunden ſonſt wäre es früher ja auch wohl kaum aufgefallen. Die Berechtigung, es auch bei dem Homo Kiliensis als beſonders auffällige Erſcheinung hinzuſtellen, habe ich ſomit. Die allgemein üblichen Formen find heute eher rhombiſch und rundlich als langgeſtreckt⸗o val. Schon bei Kindern iſt die heute übliche Form ausgeprägt. Abb. 18 zeigt Kinder im Alter von vier und elf Jahren. Die rhombiſche Form hat auch der Homo Aurignacensis (Abb. 19). Eine außerordentlich langovale Form weiſt der Homo La-Chapelle-aux-Saints auf, er hat dieſelben Proportionen wie der

268 Albert Kadner [12

Homo Kiliensis. Als auffallend lang wurde das Hinterhauptloch beim Gorilla hingeſtellt von Schroeder-Benſeler. Die mir freundlichſt überlaffene Abb. 20 zeigt dies. Huch bei Schimpanſen (Abb. 21) und Orang⸗Utan (Abb. 22) habe ich dieſe langgeſtreckte Form vorherrſchend gefunden. Es wäre da nicht ausgeſchloſſen, daß wir nach eifrigem Studium in dem hinterhauptsloch ein wichtiges primitives Merkmal erlangen könnten, dem eine ähnliche Be⸗ deutung zukäme, wie es die Kinnregion ijt. Oder ſollte es gar eine „Rajfe: eigentümlichkeit“ fein? In dieſem Salle könnte es dann vielleicht den Neander⸗ thalern eigen ſein. Man möchte beinahe glauben, es ſei Martin aufgefallen, daß die Incisura submentalis eine Eigentümlichkeit dieſer „Raſſe“ ſei, wenn er jagt: „Am deutlichſten ijt dieſe Incisura submentalis beim Unterkiefer von Mauer und bei mehreren neanderthaloiden Unterkiefern (Spy, Krapina, La-Chapelle-aux-Saints)“.

Wenn wir nun die einzelnen Merkmale betrachten, die ich beim Homo Kiliensis beſchrieben habe, fo liegt hier zweifellos eine beſonders große Über: einſtimmung mit denen vor, die an den Neanderthalſkeletten feſtgeſtellt worden ſind. Er iſt zwar nicht ſo koloſſal wie der Mauermenſch, aber er hat den gleichen Merkmalkomplex, das iſt nicht von der Hand zu weiſen. Was den Gehirnſchädel anbelangt, ſo ſteht er auf einer höheren Stufe als der Frühneanderthaler, aber doch weicht er erheblich nach der niederen Stufe im Vergleich mit den heutigen Derhältnifjen bei uns ab.

Außer dem Kopfitelett find noch die Urmknochen, Rippen- und Wirbel⸗ teile vorhanden, wie die Abb. 23 und 24 zeigen. Bei den Armknochen iſt zu erwähnen, daß ſie ja bei jugendlichen Individuen grazil ſind, doch ſind bei dieſen die Derhältniffe jo, daß man fie als „Wildform“ anſprechen kann. Der Radius ijt ſoviel kürzer als der Humerus, daß es den heutigen Propor⸗ tionen nicht entſpricht. Bei Nielſen ) ijt zu leſen, daß dies bei den paläo⸗ lithiſchen Radien ein beſonderes Unterſcheidungsmerkmal von den rezenten iſt. Doch ich folge hier wiederum Martin. Er gibt für den Radius die Ab- knickung des Radiushalſes als auffallend an, die beim Europäer am ſtärkſten, beim Seuerländer am geringſten fei. Bei unſerem Funde iſt der Hals relativ lang und die Abfnidung ſchwach, aber die Ausbiegung des Schaftes nach außen iſt gut ausgeprägt. Der humerus beſitzt eine ſo geringe Torſion, daß man ſie kaum als ſolche anſprechen kann, wie es von Martin als primitiv angegeben wird. Der Schaft ijt in der Frontalebene S-förmig gekrümmt, ſo daß die ſtärkſte Biegung von der Mitte ab nach lateral gerichtet iſt Abb. 25. Aukerordentlid) dünn und ſchlank find die Ulnae. kluch fie find ſehr ſtark gekrümmt.

Ich glaube es würde fic) verlohnen, die Urmknochen noch einer gründ⸗ licheren Unterſuchung zu unterziehen und ſie beſonders nach vergleichend⸗ anatomiſcher Seite hin weiter zu erforſchen. Es wird zweifellos bezüglich des Extremitätenſkelettes noch manche Klärung möglich ſein.

Es find ferner noch Rippen (Abb. 24) vorhanden, die ſich durch ihre Rundung und zum Teil auch durch ihre weniger ausgeprägte Abknickung auszeichnen, ferner ein oberer Teil des rechten Scapula, an der die Incisura scapulae fehlt, wie es Martin von den Anthropomorphen beſchreibt (be- ſonders Orang). Auch der Epiſtropheus weiſt beſondere Merkmale auf. Sein Dens iſt kurz, die Spitze geſpalten, was aber wahrſcheinlich poſtmortal

1) Nielſen, Fund i Svaerdborg og Mullerup Moser af Skeletdele af Mennesker fra den acldste Stenalder. Kopenhagen 1922.

13] Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch 269

zuſtande gekommen ijt. Die Facies articulares superiores find ſehr ſtark konvex, was auf eine beſonders große Drehbewegungsmöglichkeit ſchließen läßt. Dom Atlas ijt nur ein kleines Vorderſtückchen da, das die Fovea dentis zeigt.

Ich will mich natürlich nicht auf eine Raſſenzugehörigkeit feſtlegen, aber es ſcheint mir doch eine gewiſſe Berechtigung zu haben, wenn ich auf die ſonderbaren Übereinſtimmungen hinweiſe, die dieſer Fund mit dem Unterkiefer von heidelberg und weiter mit den menſchlichen Skeletten hat, die allgemein als „Neanderthalraſſe“ anerkannt worden ſind. Martin ſcheint mir nach feinen Außerungen die jedesmalige Begeiſterung der Ent⸗ decker dadurch niederzuhalten, daß er ſagt, man müſſe ſtets ſehr vorſichtig ſein, es ginge nicht an, aus Einzelformen ſtets neue Spezies zu konſtruieren. Selbſt die morphologiſchen Unterſchiede, die man aus den wenigen bekannten Neanderthalmenſchen feſtſtellen könne, ſeien nicht derart, daß fie nicht in die individuelle und ſexuelle Variationsbreite ein und derſelben Art fallen könnten. Martin warnt alſo vor allem davor, mit jedem neuen Funde eine neue Raſſe aufſtellen zu wollen. Er glaubt aber, daß der Homo Neander- thalensis ein Hauptvertreter des Altpaldolithifums fei, und daß dieſer im Jungpaläolithikum ſchon als ausgeſtorben zu verzeichnen ſei. Er jagt weiter, daß ſeine Ähnlichkeit unter den rezenten Aujtraliern, auf die fo oft hinge⸗ wieſen würde, doch nur auf dem Dorbandenjein einzelner Merkmale ſich gründe. Dieſe Übereinſtimmung in den auffallenden Merkmalen berechtige eher dazu, ſie als Erbſtücke einer gemeinſamen Urform anzunehmen, wofür auch Klaatſch eintritt. Der charakteriſtiſche Merfmalenfompler fei niemals unter rezenten hominiden wieder aufgefunden worden. Sichere Sfelett- reſte des foſſilen Homo sapiens ſeien erjt wieder aus dem Jungpaläolithikum bekannt geworden, die aber ſchon auf Rajjenfreuzung deuten. „Da einige dieſer Formen“, jagt er, „noch einzelne Eigenſchaften des Homo Neander- thalensis mehr oder weniger ausgeprägt beſitzen, oder ſich in anderen Merk⸗ malen zwiſchen dieſen und den rezenten Menſchen ſtellen, jo hat die Annahme eines genetiſchen Zuſammenhanges von Homo Neanderthalensis und des foſſilen Homo sapiens viel Wahrſcheinlichkeit für ſich.“

Der Symptomenfompler nun, den dieſer Homo Kiliensis mit dem Neanderthaltyp gemeinſam hat, zwingt uns zu der Vermutung, daß wir es mit einer ſpäteren Form des altdiluvialen Neanderthalers zu tun haben. Die als „primitiv“ beſchriebenen Merkmale des Homo Kiliensis ſind einerſeits ſo, daß ſie in ihrer Form vollſtändig ausgeprägt ſind, das be⸗ deutet den Beweis der Primitivität, andererſeits aber auch fo geändert (Rinn⸗ bildung), daß fie eine Zwiſchenform des Neanderthalers und der rezenten Menſchen darſtellen.

Da aljo dieſer Homo Kiliensis die neanderthaloiden Merkmale in ihrer Geſamtheit beſitzt, ijt er entweder fo alt wie dieſer oder, was wahrſcheinlicher iſt, eine jpätere Form, die noch den Merkmalkomplex in beſter Art erhalten hat. Nun iſt hier zu berückſichtigen, was aus dem Fundort zu ſchließen iſt. Daß er „alt“ ijt, ijt ſicher, aber er lag ſehr wahrſcheinlich nicht im Diluvium, ſondern er müßte, wenn man nach der phulogenetiſchen Seite hin vermuten will, in der Schicht gelegen haben, die zur frühneolithiſchen Zeit gehört, wie ich oben ſchon erwähnt habe. Dafür kämen, wie im geologiſchen Teil aus⸗ geführt wurde, nur die unteren Schichten des Sapropels in Frage. Man darf zwar die Verfärbung allein als Beweis für die Cage nicht benutzen, aber in dieſem Salle liegt doch in ihrer Übereinſtimmung die Wahrſcheinlichkeit.

270 Albert Kadner, Homo Kiliensis Ein nordiſcher Urmenſch [14

Unter dieſen Derhältniffen könnte man die Frage offen laſſen, ob die Hirſch⸗ geweihaxt mit dem Skelette in Beziehung zu bringen ijt. Die Zeit nämlich würde am beſten mit der „Erteböllezeit“ übereinſtimmen.

Wichtig wäre ein Vergleich derjenigen „nordiſchen“ Skelettreſte, die ähnliche Merkmale aufweiſen, da man damit zweifellos der Raſſenzugehörig⸗ keit eines Urmenſchen dieſer Urt ſowie der Entwicklung des Menſchengeſchlechts überhaupt wieder einen Schritt näher kommen dürfte.

Es iſt mir ein Bedürfnis, allen denen zu danken, die mir mit Rat und Tat zur Seite ſtanden, herrn Dr. Buhan vor allem für die wertvollen An: regungen, ihm und der Direktion des Muſeums vaterländiſcher Altertümer in Kiel für die Überlaſſung des Materials, herrn Prof. Dr. E. Wüſt und herrn Dr. Otto Schuſter-Kiel für die Belehrung beim geologiſchen Teil, Herrn Prof. Dr. Thilenius für die Erlaubnis zur Benutzung von Bibliothek und Material des Muſeums für Dölkerkunde in hamburg und Herrn Prof. Dr. 55 che⸗Wien für die Unterweiſung in den anthropologiſchen Arbeits methoden.

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Urſprung und Entwicklung der paläolitiſchen unit’). Don Herbert Kühn. mit 9 Abbildungen auf Tafel XVI-XX.

In der deutſchſprachigen Literatur wird die paläolithiſche Kunjt, von der wir nun eine kaum noch überſehbare Fülle von Kunſtwerken mehrere tauſend beſitzen, noch immer als entwicklungslos bezeichnet. Huch die Literatur der letzten Jahre iſt davon nicht abgegangen, man findet den Ge⸗ danken bei Scheltema?) und auch bei Menghin?). hoernes nahm noch in der 2. Auflage ſeines großen Werkes den gleichen Standpunkt“) ein. Bei aller Achtung vor den großen Leiſtungen der genannten Derfaffer muß ihnen in dieſem punkte widerſprochen werden. Gerade die Frage der Entwicklung und des Werdens dieſer Kunft, die für die prähiſtoriſche Kunſtforſchung von allergrößter Bedeutung iſt, verlangt genaueſte Klärung. Man hat ihr des⸗ halb früh große Hufmerkſamkeit geſchenkt.

Bei dem verhältnismäßig geringen Material, das 1889 bekannt war, konnte Reinach) die paläolithiſche Kunft damals noch „Proles sine matre creata, mater sine prole defuncta“ nennen aber allmählich beſonders durch die Grabungen Piettes mußte das Problem immer brennender werden. 1894 legte Piette als erſter ſeine Unterſuchungen zur Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt vor in einem Aufjak in der Anthropologie „Notes pour servir & l’histoire de l’art primitif“®),

Lartet und Chrijty’) hatten noch nicht auf die Cagerungen der Runſt⸗ werke geachtet, fie hatten die Erde unſuſtematiſch unterjucht nach den felt- ſamen Stücken, die die eigentümlichen Zeichnungen trugen.

2 fe) 19259 gehalten in der Geſellſchaft für deutſche Vorgeſchichte zu Berlin am . März ; N Adama van Scheltema, Die altnordiſche Kunft. Berlin 1923. S. 5. oa fl. e Urgeſchichte der bildenden Kunſt in Europa. Wien 1925. . Aufl., S. 2 4 n Urgeſchichte der bildenden Kunft in Europa. 2. Aufl. 1916. S. 182. : Reinach, Antiquités nationales. I. Description raisonnée du Musée de Saint-Germain-en-Laye. I. Epoque des alluvions et des cavernes. Paris 1889. S. 168. Dgl. dazu auch Reinach, La sculpture en Europe avant les influences Gréco-Romaines, L Anthropologie 1894. S. 19. ) L Anthropologie 1894. S. 129—146. ) Cartet und Chriſty, Reliquiae Aquitanicae. Condon 1865.

272 Herbert Kühn [2

Diette ging andere Wege. Auch er machte noch nicht genaue und exakte Grabungen, aber er achtete auf die Lagerung, er unterſuchte die Schich⸗ ten, in denen er die Kunjtwerfe fand, er achtete auf die Werkzeuge und Knochen der Tiere, auf das Material der Stücke, auf die Farbe, auf das Stadium der Verwitterung. |

Cartet und Chriſty hatten von einem Mammutalter und einem Renn- tieralter geſprochen, aber eine klare Scheidung war noch nicht möglich, die beiden Epochen liefen ihnen durcheinander. Mortillet hatte 1867—692) das Suſtem des Paläolithikums begründet, er unterſchied für das Jungpaläo⸗ lithifum das Aurignacien, Solutreen und Magdalénien. Aber die Folge war ihm noch nicht klar, zwei Jahre ſpäter verlegte er das Hurignacien hinter das Solutréen und als er bald die Unhaltbarkeit dieſer Gliederung erkannte, ließ er das Alurignacien ganz fort. Seit dem Brüſſeler Kongreß von 18727) wird es nicht mehr genannt. Für die Gelehrten dieſer Zeit zerfiel das Jungpaläo⸗ lithikum in zwei Stufen: Das Solutréen und das Magdalenien.

Auf dieſem Standpunkt ſtand Piette, als er auf dem Kongreß von 1889 über die Kunjt ſprach. Er legte dar, daß die Kunjt im Magdalenien entſtanden fein müſſe “). Bald aber beſonders durch die Grabungen in Braſſempouy kam er zu einem anderen Ergebnis.

Er hatte einwandfrei feſtgeſtellt, daß die unter dem Magdalenien lagernde Schicht mit ganz anderen Werkzeugen auch Kunjtwerfe barg. In ihr mußte alſo der Anfang des Runſtſchaffens liegen, und da man das Auri- gnacien nicht mehr kannte, mußten die älteſten Kunſtwerke dem Solutreen angehören. Nach dem Material unterſchied er eine „Epoque éléphantienne“, die dem Solutreen entſprechen ſollte, jie kannte hauptſächlich die Skulptur (la sculpture en ronde bosse), ihr folgte die tiefe Gravierung (sculpture en bas-relief), das Mammut herrſchte in der Sauna dieſer Zeit. Auf dieſe Epoche folgte die „Epoque hippiquienne“, in der das Wildpferd herrſchte. Ihr ent: ſprach in der Kunit das Relief (la gravure & contours découpés), die letzte Epoche dann bxachte die Strichzeichnung, die „dessins au trait“, Piette nennt fie die „Epoque élaphienne“, weil in der Sauna der Epoche der hirſch am ſtärkſten hervortrete.

Im Jahre 1895 dann arbeitete er den Gedanken, daß die Skulptur das Ältere fei, noch ſtärker heraus!). Dieſer Gedanke wurde zum feſtſtehenden Grundſatz, er erſcheint heute noch oft in populärer Literatur.

Im Jahre 1900 traten Girod und Mafjenat?) gegen das Syjtem von Diette auf, ſie erklärten, daß an allen Stationen andere Folgen vorlägen und daß man etwas Allgemeingültiges überhaupt nicht jagen könne.

Die Anzahl der Funde war noch zu gering, erſt nach der Entdeckung der Malereien an den höhlenwänden entſtand von neuem die Frage nach der Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt. Jetzt war es Breuil, der die Frage zu löſen ſuchte. Er hatte die Höhlen eingehend ſtudiert, er hatte die Ubermalungen,

1) G. de Mortillet, Essai de classification des cavernes et des stations sous abris, fondee sur les produits de l'industrie humaine. C. R. Acad. Scienc. Paris 1869. Bd. 68, S. 555— 555.

2) G. de Mortillet, Classification des äges de la pierre. C. R. Congr. Int. d’anthr. et d’arch. prehist. Bruxelles 1872. S. 432—444.

3) Ed. Piette, L'art pendant l’äge du renne. Congr. int. d'anthr. et d' arch. prehist. 1889. Paris 1891. S. 159.

4) Ed. Piette, La station de Bressempouy et les statuettes humaines de la période glyptique. L' Anthropologie 1895. S. 129 151.

) Girod und Maſſenat, Les stations de Page du Renne. Paris 1900. S. 87.

3] Urfprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt 273

die Über und Unterlagerungen der Gemälde genau analyfiert, und dann das Ergebnis verglichen mit den Funden der Kleinkunſt. So kam er zu einem Ergebnis, das auf ſorgfältiger Anſchauung beruhte und das weſentlich abwich von dem Piettes.

1906 legte er ſeine Unterſuchungen der Kunſt dem Kongreß von Monaco 9 ging dabei von Fundſtellen aus, die eine zweifelsfreie Datierung erlaubten.

In Pair-non-Pair (Gironde) hatte der Entdecker, Daleau?), zuerſt keine Wandbilder geſehen, erſt nach dem Abgraben einer Schicht, die älter war als das Solutréen, traten ſie zutage. Bei dieſen Bildern war die Datierung alſo ohne weiteres möglich, ſie müſſen früheſtens dem mittleren Aurignacien wie wir jetzt ſagen angehört haben. Es find Rigungen mit ganz ge⸗ ſchloſſenem Kontur ohne jede Schraffierung oder Lockerung der Umrißlinien.

Der gleiche ſehr glückliche Fall unbedingt ſicherer Datierung lag vor in Ca Graze. Der Entdecker der Höhle, M. Ampoulange), hat die Bilder eben⸗ falls erſt entdeckt nach dem Abgraben einer Schicht, die dem Solutréen an⸗ gehörte, die Bilder müſſen alſo den Epochen vor dem mittleren Solutréen angehört haben.

Noch andere ſolche Salle zog Breuil heran, vor allem aber verglich er die Kleinfunde mit den Bildern an den höhlenwänden und ihren Überlage⸗ rungen. Er führte auf dieſem Kongreß auch wieder das Aurignacien ein“) und wies nach, daß in dieſer Epoche die Kunft beginnt. So kam er zu vier Phaſen oder zu fünf mit Einſchluß des Azyliens. Er ſtellte dabei feſt, daß in jeder dieſer Phaſen ſowohl Gravierung wie Malerei vorkommt, daß die Doran- ſtellung der Skulptur bei Piette®) unberechtigt ijt.

Die erſte Stufe, dem oberen Aurignacien und dem unteren Solutréen angehörig, bringt die breiten und tiefen Furchen in der Gravierung, in der Malerei die einfarbige Linearzeichnung ohne Schraffierung. Die zweite Stufe bringt die Anfänge des perſpektiviſchen Sehens, beſonders ſichtbar bei den hörnern der Tiere; die Farbe wird abgeſtuft, Schraffierungen erſcheinen, in der Malerei gibt es Füllungen der Flächen. Dieſe Stufe gehört dem So⸗ lutréen an. Die dritte Stufe, das untere Magdalénien, bringt leichte Gra⸗ vierung, einfarbige Malerei, die vierte Stufe, das obere Magdalenien, Ein⸗ ſtellung auf tiefe Schatten und helle Lichter, die Durchmodellierung des Kör- pers in der Malerei. Die fünfte Stufe, das Azylien, bringt dann die Sche⸗ matiſierung.

In vielen Arbeiten hat Breuil®) das Syjtem immer genauer aufgebaut,

1) 9. Breuil, L’évolution de l’art pariétal des cavernes de l’äge du Renne. Congr. int. d’anthr. et d' arch. préhist. 1906. Monaco 1907. S. 367—386.

2) F. Daleau, La grotte de Pair-non-Pair. Assoc. francaise pour l'avancement des Sciences. 10 session. Algier 1881. S. 755. Derſelbe, Les gravures sur les roches de la caverne de Pair-non-Pair. Actes de la soc. archéol. de Bordeaur 1897. S. 235. Derſelbe, Les gravures paléolithiques de Pair-non-Pair. Assoc. francaise pour l’avan- cement des Sciences. Nantes 1898. 5. 180; fee ibid. Montauban 1902. S. 786.

3) Capitan, Breuil und M. Ampoulange, Une nouvelle grotte préhistorique à parois gravées, Revue de l' Ecole d' Anthropologie XIV. 1904. S. 320. Dieſelben, La grotte de la Gréze (Dordogne). C. R. Acad. Inscr. 1904. S. 487.

) H. Breuil, Les gisements présolutréens du type d’Aurignac. Congr. int. d’anthr. et archéol. préhist. Monaco 1906. I. S. 323—346.

5) H. Breuil, L'evolution de l’art quaternaire et les travaux d’Edouard Piette. Revue archéologique 1909. S. 378—411.

Breuil, Cartailhac und Alcalde del Rio, La caverne d’Altamira. Monaco

6) 5. 1906. S. ik Capitan, Breuil und Peyrony, La caverne de Font-de-Gaume. Mo» naco 1910. S. 118—132. H. Breuil, L’äge des cavernes et roches ornées de France et

Mannus, Seti{dhrift für Vorgeſch., Bd. 17. H. 4. 18

274 Herbert Kühn [4

er hat es immer wieder nachgeprüft an neuem Material; glückliche Sunde wie etwa die Zeichnung des Kopfes einer Hirſchkuh aus einer Magdalénien-Schicht in Altamira, die fait bis auf den Strich genau wiederkehrt in Caſtillo auf einer Zeichnung an der Wand der Höhle!) und andere ähnliche Salle erlaubten ganz ſichere Zuweiſungen, ganz zweifelsfreie Datierungen. Die Frage der Ent- wicklungsfolgen der paläolithiſchen Kunſt ijt jo heute als gelöſt zu betrachten.

Ich möchte dagegen nicht von vier oder fünf Stufen ſprechen, dieſe Gliederung iſt zu vielgeſtaltig, unter kunſthiſtoriſchem Geſichtspunkt möchte ich von zwei Gegenſatzpaaren ſprechen, die ganz deutlich heraustreten, ein- mal dem Linearen im Wölfflinſchen Sinne ?), dann dem Maleriſchen. Beide Gegenſatzpaare liegen innerhalb des ſenſoriſchen Stiles, beide ſuchen ſie die Wiedergabe des Realen, des Gegebenen; die erſte Form aber, die im Aurignacien lebt, erſtrebt das Sejte, das Begrenzte, das Taſtbare der Er⸗ ſcheinung. Geſucht wird das umriſſene, greifbare Sein, noch fehlt die Freude am Schein, an der Oberfläche des Körpers, an dem Reiz von Licht und Farbe, die Umrißlinie allein ſucht der Künſtler, das Übſchließende, Sondernde, Trennende. (Tafel II, Abb. 1 und 2.)

Ganz anders die zweite Stufe, das Maleriſche, das das frühe und mitt⸗ lere Magdalénien beherrſcht. Jetzt gleitet das Auge nicht mehr entlang an den Grenzen und Begrenzungen, jetzt greift der Schwerpunkt des Bildes hinein in die Binnenteile der Form, jetzt ſucht er das Flackernde des Lichtes, das Zudende der Bewegung. Das Optiſch-Wirkliche wird erſtrebt, das Drei- dimenſionale geſucht, die plaſtiſche Durchmodellierung des Rörpervolumens im Bilde, die Tiefe des Raumes. (Tafel ILI—V.)

Das Problem des Raumes wird beſonders deutlich bei Bildern von Tieren, die ſich umblicken, oder die in einer perſpektiviſchen Verkürzung gezeichnet find. Das Renntier auf Taf. IV, Abb. 6 etwa, wendet den Kopf ganz zurück, das Bild liegt ſomit nicht in einer Ebene, ſondern Teile des Dargeſtellten greifen vor in den ideellen Bildraum, es entſteht das Drei- dimenſionale, die Wirkung der Tiefe. Aber auch der Körper des Tieres ſelbſt bildet nicht eine Ebene. Das zurückliegende Beinpaar iſt mit wenigen, ſcharfen Strichen perſpektiviſch gezeichnet, ſo daß auch hier das Räumliche und die klare Geſtaltung der Tiefe ſich offenbart. Unterſtrichen wird dieſe Wirkung noch durch die kleinen hingeſprühten Striche am Leib und durch die Lockerung des Konturs am Schenkel.

Noch mehr auf den Eindruck des Sich-Wandelnden, Eilenden, auf das Problem der Bewegung ijt der Hirjd) von Les Hoteaux (Taf. V, Abb. 8) geſtellt. Das Geweih ijt ganz zurückgelegt, die geöffnete Schnauze ijt vorge- ſtreckt, der hintere Lauf iſt wie im Abſprung ſcharf geſpannt und das Intereſſanteſte: der Dorderlauf fehlt ganz. Er hätte den Eindruck der Bewegung und des Eilens gehemmt, ſo wird er in „impreſſioniſtiſcher“ Manier um einen modernen Ausdrud zu gebrauchen ganz fortgelaſſen. Der Kontur des Haljes ijt wieder ganz gelockert, leicht angedeutete, hingeworfene Striche deuten das Haarkleid an, die ſcharf geſpannte Muskulatur des Zchenkels

Espagne. Rev. archéol. 1012. S. 193—235. Alcalde del Rio, Breuil und Loreenzo Sierra, Les cavernes de la région Cantabrique. Monaco 1912. S. 205—216. h. Breuil, Obermaier und Alcalde del Rio, La P'asicga a Punte 1 (Santander). Monaco 1913. S. 42-48. h. Breuil, h. Obermaieru. Verner, La Pileta a Benaojan (Malaga). Monaco 1915. S. 57 ff.

) Alcalde del Rio, Breuil und Sierra, Les cavernes de la région Cantabriquec. Monaco no S. 220

2) 5 wölfflin, Runſtgeſchichtliche Grundbegriffe. München 1915.

5] Urſprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunft 275

betont ein Strich, ebenſo die Muskulatur der Schnauze. Dagegen ijt das Auge deutlicher gezeichnet, der Künſtler weiß, wie ſcharf das Auge des eilenden Wildes brennt. Nichts iſt an dieſem Bild ſorgfältig ausgeführt, alles iſt nur angedeutet, um die Erſcheinungsfunktionen deutlich zu machen, um das lebendigſte Leben, die Bewegtheit und Augenblidlichfeit zu zeichnen. Exit bei genauer Beobachtung erkennt man die Beherrſchung der Technik, die ſichere Berechnung der Wirkung dieſer wenigen und ganz kleinen Striche, die überlegte Raſchheit und Abgekürztheit der Zeichnung, die Erfaſſung und Wiedergabe des plötzlichen Erlebens. Hier iſt alles maleriſch aufgelöſt im Gegenſatz zur erſten Form, bei der das Bildganze im Kontur gefeſtigt war.

Und mit dem höhepunkt dieſer Entwicklung, mit dem Erreichen des künſtleriſchen Zieles ſchlägt auch die Bewegung gleich wieder um: auf das maleriſche folgt von neuem ein Lineares, das die Endzeit des Magdaléniens erfüllt. Wieder wird das Bild eingeſtellt auf das Taſtbare, auf den Kontur, die maleriſche Epoche iſt überwunden. Die Runſt beginnt nun immer feſter, immer eckiger zu werden, von Süden her dringt die oſtſpaniſche Runſt ein, mit dem Asylien iſt der ſenſoriſche Stil geſtorben, das Imaginative ijt geboren, ao des ganzen Neolithikums und der Bronzezeit Europa beherrſchen ollte.

Die Seftftellung dieſer Bewegung der Kunft iſt kunſthiſtoriſch von großer Wichtigkeit, fie iſt ein Beweis dafür, daß die Begriffe des Linearen und Male: riſchen, die Wölfflin ablas aus der Kunjt der Renaiſſance und des Barock, auch für die allerälteſte Kunit der Erde, die wir kennen, ihre Gültigkeit haben, Gültigkeit allerdings nur innerhalb des naturnahen, ſenſoriſchen Stils ).

Es war lange Zeit unverſtändlich, daß die naturhafte, ſenſoriſche Kunſt am Anfang des Kunitichaffens ſtehen ſolle. Die Zeit, die allein das Griechen⸗ tum und die Renaiffance als ach ſchätzte, mußte alles Starre, Hieratiſche, Imaginative in der Kunit als Anfangsitufe, als Beginn, als „Nichtkönnen“ werten. Die äguptiſche, buzantiniſche Kunjt war für dieſe Zeit ebenſo „un⸗ entwickelt“ wie die Kunſt des nordiſchen Neolithikums oder der Bronzezeit. Noch 1923 finden wir den Gedanken ausgeſprochen ?), daß das Geometriſche das Urſprüngliche ſei.

Die Tatſachen widerſprechen dem. Nicht das Geometriſche iſt das Primäre, ſondern das Naturhafte. Schon 1893 hat Alois Riegl gezeigt, daß der geometriſche Stil alles andere als primitiv, daß er vielmehr „ein wohl⸗ überlegter, feſtgeſchloſſener, raffinierter Kunſtſtil“ iſts). Und damit entſteht nun die Frage nach dem Urſprung der Runſt überhaupt, eine der großen Fragen, die die Menſchen von jeher bewegt haben. Wenn früher dieſe Frage theoretiſch, ſpekulativ gelöſt werden mußte, fo können wir jetzt den Anfang der Kunjt an dem gegebenen Material genau erkennen).

Die Kunjt beginnt mit dem Aurignacien und mit der Einwanderung der neuen Raſſe von Crs Magnon. Kunitwerfe des Mouſtérien find noch nicht gefunden worden, ſie werden wohl auch niemals zutage kommen. Die Frage des Urſprungs der Runſt bindet fic alfo an die Wanderungen der Aurignacien- Leute. Eine frühere Zeit hatte angenommen, daß das Aurignacien aus dem

1) Dol. dazu herbert Kühn, Art. „Primitive Kunft“ in Max Ebert, Reallexikon der Dorge dichte (Unter der Preſſe).

Curtius, Die antike Kunft. Berlin⸗Neubabelsberg, Handb. d. Runſtwiſſen⸗ ſchaft 1915— 1923. S. 19.

2) Alois Riegl, Stilfragen. 1893. S. 14. . 9 Dal. dazu: herbert Kühn, Neues aus paläolithiſcher Kunft. Mannus IV. Ere ganzungsband, 1925. S. 90— 106.

18*

276 Herbert Kühn [6

Oſten gekommen jei!). Die Forſchungen der letzten Jahre haben bewieſen, daß das ein Irrtum war. Das untere Aurignacien iſt nämlich in Oſteuropa nicht vertreten?), erſt das mittlere und obere Aurignacien kommt im Oſten vor. Aus Mähren, Gſterreich und der Tſchechoſlowakei find eine Reihe von Stationen des mittleren und oberen Aurignacien bekannt;).

Aus Ungarn kennt man viele Stationen des Aurignacien, wie Magyar: bodza, Disfevely, Iſtalloſko, Peſko, Cſoklovina u. a.“). Ebenſo ſind aus Polens) eine Reihe gut bearbeiteter Stationen bekannt, wie Bronislawaberg bei Krakau, Jakſice an der Weichſel, Pulawy an der Weichſel, Gliniany bei Lemberg, die Mamutowa⸗höhle bei Wierzchowie. Bei allen fehlt das frühe Aurignacien.

Weiter öſtlich, in Rußland, in Sibirien“) liegt „ein verlängertes, degene⸗ riertes Aurignacien” vor, wie Obermaier“) jagt, das in vielen Punkten eine ausgeprägte Perſönlichkeit beſitzt s), in keinem Salle aber wegen der eigenen Formen als Urſprungsherd des Aurignacien angeſehen werden kann.

Ganz anders iſt das in Frankreich und Kantabrien. Un vielen Stellen, etwa in Pair-non-Pair®) oder in La Ferrassie le) oder an anderen Orten hat man ein wohlausgebildetes frühes Aurignacien gefunden. Das ältere Auri- gnacien iſt gekennzeichnet durch die Chatelperron-Induſtrie, in der das Mouſtérien noch ſehr ſtark nachwirkt.

So iſt ganz offenſichtlich Frankreich als der Boden der Ausbildung des Aurignacien zu betrachten, hier liegt das Zentrum dieſer Kultur und ledig⸗ lich Dorjtufen des Aurignacien können an anderer Stelle geſucht werden, und auch hierfür kommt nicht der Oſten, ſondern nur der Süden in Frage. Nordafrika hat eine beſtimmte Induſtrie, die man als eine Vorform des Auri- gnacien bezeichnen kann, aus ihr entwickelt ſich zugleich das Capſien.

Aus dieſen Bewegungen des Aurignacien ergeben ſich nun die aller- wichtigſten Schlüſſe für die Kunſt. Unmöglich darf der Anfang der Kunft im Oſten geſucht werden, nach dem Often gehen nur Ströme des entwickelten Aurignacien, der Beginn dieſer Formen dagegen liegt in Weſteuropa, in Frankreich und Kantabrien.

In Frankreich und Kantabrien ijt dieſer Anfang auch ganz deutlich

Bi: bh. ee Der Werdegang der Menſchheit und die Entſtehung der Kultur. 1920. u. a. 2) ae Rozlowski, Die ältere Steinzeit in Polen. In: Die Eiszeit. Bd. 1, Heft 2, 1924. = 150. 5. Breuil, Voyage paléolithique en Europe centrale. L’Anthropologie 1924. 523. 3) Zuſammenfaſſend: M. Hoernes, Der diluviale Menſch in Europa. 1903. S. 111 bis 128. 5. Obermaier, Der Menſch der Vorzeit. 1912. S. 290ff. 4) SUG Elend: h. Breuil, Voyage paleolithique en Europe centrale. L' Anthropologie 1923. S. 350ff. ) Zuſammenfaſſend: Leon Rozlowski, Die ältere Steinzeit in Polen. Die Eis⸗ zeit. Bd. 1, Heft 2, 1924. S. 112—163. G. v. Merhart, The palaeolithic period in Siberia. American Anthropologist Bd. 25, Nr. 1, 1923. Derjelbe, Neuere Literatur über die Steinzeit Sibiriens. Wiener prähift. huge 1924. S. 159 148. Obermaier, El hombre fosil. 2. Aufl. Madrid 1925. S. 130 Derſelbe, an paticlitesturn und das Epipalaolithifum Spaniens. Anthropos Bd. 14—20, 1919—20.

8) Hugo Obermaier, Artikel „Aurignacien“ in Mar Ebert, Reallexikon der Dor- geſchichte. Berlin 1924. S. 278. 100 Dal. oben Anm. S. 3, Nr. 2. 10) C. Capitan und d. peu rony, Station préhistorique de la Ferrassie, commune de Savignac-du-Bugue. Rev. Anthr. 1912. S. 29—50, S. 76—99. Diejelben, Les origines de art aurignacien moyen, Nouvelles découvertes i la Ferrassie, Revue anthr,

1921. S. 91—112.

7] Urſprung und Entwicklung der paläolithiſchen Runſt. 277

ſichtbar. Das Ältefte find Umriſſe von Händen, die dadurch entſtanden find, daß man die hand an die Wand legte und Ocker wohl mit dem Mund gegen fie ſpritzte. Es kommen auch poſitive Hände vor, bei denen die mit Farbe beſchmierte hand an die Wand geklatſcht worden ijt, jo in Altamira’). Die meiſten handumriſſe dagegen find negativ, jo in Bédailhac?), Sont-de- Gaume?), Sergeac*), Beyjjac®), David a Cabrerets (Cot) ), Gargas“). Sie liegen in Caſtillo s) an mehreren Stellen unter den Malereien des Aurignacien, ihr hohes Alter iſt alſo leicht zu erweiſen.

Dieſe Handzeichnungen find noch nicht Kunft, aber aus ihnen konnte die Kunjt entſtehen, denn fie gaben dem Menſchen der Zeit die Idee des Schaffens. Auch das iſt ſichtbar. Es gibt in Gargas eine Stelle, wo die hände ſummetriſch im Kreiſe angeordnet ſind (comme en guirlande decorative)?), an anderer Stelle wieder ſind die Daumen der beiden Hände zuſammengelegt worden, fo daß eine ganz beſtimmte Rompoſition entſtand. So mußte, wie Cuquet?) einmal ausführte, die Idee der Schaffens möglichkeit entſtanden fein.

Und noch einen zweiten Weg erkennt man, der ebenſo von ſpieleriſcher Tat hinüberführt zur Runſt. |

fin vielen Stellen ſind Spuren von Tieren enthalten, Kratzſpuren von höhlenbären zumeiſt, jie kommen vor in Font-de-Gaume, Gargas, Tuc d’Audoubert, Altamira, Hornos de la Pena, Cova Negra, La Pileta, Castillo, Bétharram, bei Lourdes, Portel und in der Cueva de Penches!!). Jägervölker achten genau auf die Spuren der Tiere, ein glücklicher Zufall erlaubt es, ein Nachahmen dieſer Spuren zu verfolgen. In Gargas finden ſich nicht weit entfernt von den Spuren der Tiere Rigungen der Menſchen, die wie eine Nachahmung der Spuren der Tiere ſind 12). Sie find ganz wirr gezogen, meiſt

1) Cartailhac und Breuil, La caverne d' Altamira. Monaco 1906. S. 73. Taf. IV, Abb. 57. Ferner: Alcalde del Rio, Breuil und Sierra, Les cavernes de la région Canta- brique. Monaco 1912. S. 199. Abb. 204. Eine poſitive händegravierung kommt vor in Montefpan. 5. Obermaier, Artikel: „Händeſilhouetten des Paläolithikums“ in Max

Ebert, Reallexikon der Vorgeſchichte. 1925. Bd. 5, S. 90.

1915 2 orem Breuil und Peyrony, La caverne de Font-de-Gaume. Monaco .p. 118.

8) Ibid. S. 118—119.

) Capitan, Breuil, Peyrony, Nouvelles grottes ornées de la vallée de la

Beune. L’Anthropologie 1915. S. 518.

5) Ibid. S. 518.

6) L’Illustration Nr. 4206, 13 octobre, 1923. S. 359.

?) Cartailhac und Breuil, Les peintures et gravures murales des cavernes Pyré- néennes, L’Anthropologie 1910. Abb. 2, S. 132, Abb. 3, S. 133. €. Cartailhac, Les mains rouges et noires de la Grotte de Gargas. Man 7, 1907.

8) Alcalde del Rio, Breuilund Sierra, Lescavernes de la region Cantabrique. Monaco 1912. Abb. 119, S. 133, Abb. 147, S. 155, Taf. 66, 67.

9) L’Anthropologie 1910. S. 135.

10) 6.$.Luquet, Les origines de l'art figure. Ipek, Jahrbuch für prähiſtoriſche und ethn. Runſt 1926. II. Bd. [Unter der Preſſe.] | 11) Breuil, Traces laissees par l’Ours des Cavernes. Revue prehistorique. 1908. 5. 65. Cartailhac, Les Coups de griffes d’Ours. L’Anthropologie 1908. S. 113— 14. Begouen, Les statues d’argile de la caverne du Tuc d’Audoubert. L’Anthropologie 1912. S. 659—660. Cartailhac und Breuil, Les peintures et gravures murales des cavernes Pyrénéennes. L’ Anthropologie 1910. S. 140. Dieſelben, Altamira. Monaco 1906. 5. 43—44. Capitan, Breuil und Peyrony, Font-de-Gaume. Monaco 1910. 5.29—31. Taf. 46, 47. Alcalde del Rio, Breuil und Sierra, ('avernes Cantabriques. Monaco 1913. S. 91, S. 113—116. Breuilund Obermaier, La Pileta. Monaco S. 6, 15, 14. €. hernandez⸗ Pacheco, Los grabados de la cueva de Penches. Madrid 1917. S. 15ff. Abb. 4—11. ) Cartailhac et Breuil, Les peintures et gravures murales des cavernes Pyré- neennes IV. Gargas (Hautes Pyrénées), L’Anthropologie 1910. flbb. 7, S. 140, Abb. 8, S. 141.

278 Herbert Kühn, Urſprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt [8

mit drei Singernägeln. Es gibt Kreije, gerade und frumme Linien, die Rigungen laufen übereinander, untereinander, ohne Sinn, ohne Ziel. Solche Ritzungen liegen in Altamira unter einer Zeichnung des Aurignacien, die Wildpferde darſtellt!).

Auch dieſe Ritzungen nun find nicht Runſtwerke, aber aus ihnen konnte ebenſo wie aus den Handumriſſen die Kunjt erwachſen. Man kann dieſen Ner an im Süden Spaniens und in der Höhle La Pileta verfolgen. Man findet

ier auch ganz wirre Linien mit Farbe gezogen, der älteſten Epoche angehörig.

Plötzlich aber gewinnen an einer Stelle dieſe Linien Leben, man ſieht lebende Weſen in fie hinein: gewundene Linien bekommen gleichſam einen Kopf, jie werden eine Schlange?) (Tafel XVI, Abb. 1). An anderer Stelle werden Steinböcke oder andere Tiere in die Linien hineingeſehen (Tafel XVI, Abb. 2): die Runſt ijt geboren. Waren die Linien zuerſt nur ſinnloſe Spielerei, Nachahmung tieriſcher Spuren, ſo werden ſie nun bewußt, bedacht gezogen, ein Wille hatte ein neues Werk geſchaffen, der menſchliche Geiſt hatte das erſte, ganz einfache Kunjtwerf geformt. Aus ihm ſollte bald die lineare Kunjt des Aurignacien und dann die maleriſche Kunjt des Magdaleniens erwachſen, die nach Jahrtauſenden jetzt plötzlich erwacht aus den Gräbern und lebendig wie die Kunjt des heute zu uns ſpricht.

1) Cartailhac und Breuil, f. a. O. Abb. 11—14. : f. 2-6. Obermaier und Derner, La Pileta à Benaojan (Malaga). Monaco 1915. Taf. 3—5.

Eine meſolithiſche Siedelung bei Bielefeld. Don Walther Adrian, Bielefeld. Mit 5 Tertabbildungen.

Auf dem nördlichen der drei Kämme des Teutoburger Waldes, 3 km ſüdöſtlich von Bielefeld, in Sieker, liegt eine meſolithiſche Anjiedlung, die in Rürze, ohne im geringſten beachtet zu ſein, vollends zerſtört worden wäre, hätte mich nicht ein glücklicher Zufall noch einige ſpärliche Reite finden laſſen, die zur einwandfreien Beurteilung der Fundſtelle genügen können. Beim Petre faktenſammeln in einem klufſchluß des oberen Muſchelkalkes fand ich auf den Schutthalden einige unbedeutende Feuerſteinſplitter, die mich ver⸗ anlaßten, den Fundort näher zu unterſuchen und die Halden und Abhänge zu durchwühlen, wobei ich eine große Unzahl Splitter und bearbeitete Werk⸗ zeuge aufdecken konnte. Die ſich vom Rande des Steinbruches ablöſenden Erd- und Steinmaſſen waren in die Tiefe gefallen oder auf den Abhängen liegen geblieben und brachten auf dieſe Weiſe die Artefakte an ihren „ſekun⸗ dären“ Fundort.

Das Hauptzentrum der Wohnſtätte ſcheint durch die Steinbruchanlage zerſtört zu ſein, da fic) nur noch wenige Meter im Umkreiſe derſelben Stein- geräte finden. Die Nord-, Nordweſt⸗ und Weſtſeite ſind durch Halden voll⸗ kommen verſchüttet, die ſüdlichen und öſtlichen Teile gehen ſehr ſchnell in fundarmes und fundleeres Gebiet über, ſo daß weitere Funde nicht zu er⸗ warten ſind.

Die Funde lagern auf einer Cößſchicht, die in der derzeitigen pluvialen periode von den Mefolithifern dem umliegenden ſchweren Geſchiebelehm⸗ boden zur Beſiedelung vorgezogen wurde. Die Lebensbedingungen werden keine leichten geweſen ſein, das zeigen uns die primitiven Werkzeuge und der Umſtand, daß man den geſamten Bedarf an Waſſer aus dem 30 m tiefer ge⸗ legenen Bächlein herauftragen mußte, wenn man die Möglichkeit zur Anlage von Brunnen oder Jiſternen ausſchließt. Merkwürdig iſt, verglichen mit den anderen Siedelungen der hieſigen Gegend, die in Tälern oder an wind⸗ geſchützten hängen gelegen ſind, die ausgeſprochene Berglage der Sieker Siedelung, da fie ſich auf einer über 200 m hohen Erhebung befindet, ein nach Weiten und Südweſten flach anſteigendes Plateau, das keinerlei Schuß gegen Wind und Wetter bot. Eine Erklärung für dieſe hochgelegene Jufluchtsſtätte können wir nur in dem feuchten Klima der damaligen Zeit ſuchen, das eine Beſiedelung der niederen Gebiete nicht zuließ, da dieſe verſumpft, und der nördlich vom Osning befindliche Geſchiebelehm mit einem undurchdringlichen

280 Walther Adrian [2

Urwald bedeckt geweſen fein wird, der kaum dem urzeitlichen Jäger Einlaß gewährte, und ſomit die Menſchen auf die Berghöhe trieb.

Abb. 1.

Das zur Gerätherſtellung erforderliche Rohmaterial iſt auf dem Berge nicht „anſtehend“, man wird es ſich aus den in der Ebene lagernden Ge⸗ ſchieben geholt haben, um es auf dem Berge weiter zu verarbeiten. Die aus⸗

3] Eine meſolithiſche Siedelung bei Bielefeld 281

geſprochene Mikrolithik ijt mit Rückſicht auf die Rohmaterialbeſchaffung leicht verſtändlich, da der hieſige Meſolithiker auf Seuerjtein angewieſen war, der auf dem langen Gletſchertransport vom Norden nach hier auf verhältnis— mäßig winzige Blöcke reduziert war; ſolche von über 10 em Länge ſind hier ſchon eine Seltenheit. Genauere Aufzeichnungen über die Lagerung der Funde ſind natürlich nicht von Wert, da ihre primäre Lage nicht mehr feſt— zuſtellen war. Nur wenige Male war es mir möglich, Artefatte aus der oberſten Schicht, 10 em unter der jetzigen Oberfläche, herauszunehmen, alſo ausgeſprochene Oberflächenlagerung, mit welcher der meſolithiſche Charakter der Geräte gut in Einklang zu bringen iſt.

Auffallend iſt das gänzliche Fehlen irgendwelcher Nuflei und unbeſchla— gener Feuerſteine, was ich aus dem Rohmaterialmangel ableiten möchte, der den Menſch zwang, ſich auch die kleinſten Feuerſteinmengen nutzbar zu machen. Aus der in keinem Verhältnis zu dieſem Fehlen der Nuflei ſtehenden

Abb. 2.

großen Zahl der Abſchläge und Splitter, es ſind weit über 100 Stück, habe ich in Abb. 1 einige wiedergegeben.

In der eriten Reihe fünf Meſſerchen, darunter kleine, als Pfeilſpitzen gebrauchte Splitter mit feiner Retuſche an der Baſis. Die Geräte in der unteren Reihe find durch die Neigung zu ſchräggeſchlagener Baſis gekennzeichnet.“ durch einen trefflichen Ubſchlag hat man die eine ſcharfe Kante des Spanes von der Baſis aus abgetrennt und ſtellte ſo ein handliches Werkzeug zum Schneiden und Sägen her. Un dem erſten Meſſer reicht dieſer Abſchlag über die ganze Länge der Klinge und das davon abgeſchlagene Stück wird ebenfalls ein ähn— liches Gerät abgegeben haben. Bei der Mehrzahl dieſer Klingen iſt die Baſis an der rechten Seite, bei nur zweien an der linken Seite ganz oder nur teil— weiſe ſchräg abgeſchlagen, was für den Gebrauch der Geräte beſtimmend ge— weſen ſein muß.

Abb. 2 zeigt uns das tupiſche Frühmeſolithikum, Formen, die man technologiſch mit den weſteuropäiſchen Tardenoiſiengeräten vergleichen darf. Im Gegenſatz zu den anderen Siedelungen am Teutoburger Wald mit mikro—

282 Walther Adrian [4

lithiſch geartetem Werkzeuginventar, in denen Gerätformen vom Früh— meſolithikum bis an den Beginn der Bronzezeit neben- und durcheinander zu finden ſind, ſchreibt das einheitliche, wenig zahlreiche Fundmaterial der Sieker Siedelung keine lange Lebensdauer zu, was für die Beurteilung von großer Bedeutung iſt.

Der Eckſtichel (in der unteren Reihe, links) mag zuſammen mit den unten beſchriebenen Beilchen und Meißeln einen Übergang zu jüngeren Formen andeuten, eine Beobachtung, auf die ich bei Veröffentlichung meiner geſamten Funde noch näher zu ſprechen kommen werde. Außerſt geſchickt iſt der Bohrer (untere Reihe, Mitte) zugeſchlagen; die konkave Unterſeite iſt derart geſchwungen, daß ſie eine vorzügliche Ukkommodationsfläche für

Abb. 3.

Daumen und Zeigefinger abgibt, während die Spike durch kleine und kleinſte Retuſchen geſchärft und gleichzeitig ſtabiliſiert iſt. Das letzte Stück in der unteren Reihe mit ſchöner Spitze, Gebrauchsſpuren an den Schneideflächen und einem durch Übſchläge von der Baſis aus abgeflachten Rüden, mag als Pfeilſpitze gedient haben. Zu bewundern iſt immer wieder die fabelhafte Technik, die es dem Meſolithiker ermöglichte, derartig feine Retuſchen an den winzigen Steinen anzubringen.

Nicht viel größeren Ausmaßes ſind die Beilchen, deren wechjeljeitige Anordnung der Schneiden, glatte Breitſeiten, der Oberfläche eines Nukleus ähnelnd, und Symmetrie die Abb. 3 veranſchaulichen kann.

Das tupiſche Gerät des Meſolithikums, der Meißel, mit ſeinen Abarten, dem hobelmeißel oder dem meißelförmigen Hobel und dem meißelartigen Schneidewerkzeug, ijt in Sieker einige Male vertreten. Dieſem Gerättypus

5] Eine meſolithiſche Siedelung bei Bielefeld. 283

hat man bisher wenig Beachtung geſchenkt, weshalb ich auch an dieſer Stelle auf die Bedeutung des Meißels hinweiſen möchte. Eine tupologiſche Zu— ſammenſtellung der von mir auf allen meſolithiſchen Stationen in Mengen aufgefundenen Meißel würde dies weit beſſer beſtätigen können, als es die hier abgebildeten, weniger typiſchen vermögen. Abb. 4 ſtellt einen Hobel- meißel dar, deſſen eine Schmalſeite Cängsretuſchen (aus der Zeichnung nicht gut erſichtlich), und dieſer gegenüberliegende Fläche parallel zur Schneide geſtellte Abſchläge aufweiſt. Dieſe Bearbeitungstechnik ijt leicht in dem ge— ſagten Derwendungszwed des Geräts zu begründen. Eine differenzierte Ausarbeitung der Schneiden machte dieſe Art Hobel ganz beſtimmten Der- richtungen dienlich.

So entſtand das in Abb. 5 wiedergegebene Schneidwerkzeug, dejjen Schneide in eine adlerſchnabelförmige Spitze ausläuft.

Außerdem enthält das Werkzeuginventar mehrere als Schaber, Kratzer und Meſſer benutzte Abſchläge, die nicht weſentlich zur Tupologie beitragen können, da es lediglich Gelegenheitsgeräte ſind.

Dieſe Funde mögen die Aufmerfjamfeit der Prähiſtoriker auf das große meſolithiſche Siedelungsgebiet am Teutoburger Wald lenken, das erſt ſeit einigen Jahren eingehender durchforſcht, jedoch bisher nur in kleineren Der- öffentlichungen beſprochen worden iſt, weshalb ich einer zuſammenfaſſenden oe über meine geſamten Forſchungsergebniſſe hiermit vorgreifen möchte.

(Jede Mitteilung über ähnliche Funde und Siedelungsverhältniſſe nehme ich gern entgegen und bitte ſolche an meine Anjchrift, Bielefeld, Mozart— ſtraße 12, richten zu wollen).

Swei ſpätneolithiſche Becher aus Weitfalen').

Don Albert Krebs, Wanne. mit 3 Abbildungen auf Tafel XXT.

Im ſtädtiſchen Muſeum zu Bielefeld befindet ſich der Becher Abb. 1. Als Fundort wird die Kiesgrube beim Hauſe Nr. 99 (Heidland) in der Bauerſchaft Werſte bei Bad Oeynhaujen genannt. Nähere FJundumſtände konnte ich nicht erfahren. Der Becher i 10 em hoch, er beſteht aus grobem, ſandigem Ton, die Hußenwandung iſt hellgelb, die Innenwandung dunkler, die Bruch⸗ flächen ſchwarz. Die zonenartig angeordneten Verzierungen ſind mit einem Stempel mit quadratiſchen Erhöhungen, der ſehr wahrſcheinlich die Form eines Rädchens hatte, eingedrückt, bzw. abgerollt.

Der Becher Abb. 2 befindet ſich im heimatmuſeum zu Minden in Weſtfalen und iſt im Führer dieſes Muſeums (1922) auf S. 46 als „Zonen: becher“ erwähnt. Aud) für dieſen Becher wird als Fundort die Bauerſchaft Werjte, und zwar das Land des Rolonen poggenmeyer genannt, er foll 1 m unter der Erdoberfläche gefunden worden fein. Seine höhe beträgt 11 cm, der Ton gleicht dem des erſten Bechers, die Herjtellungsart ijt aber beträchtlich grober und ungeſchickter, das Ziermuſter iſt offenbar ebenfalls mit einem Stempelrädchen hergeſtellt.

Unſer erſter Becher kommt in ſeiner Form den weſteuropäiſchen Glocken⸗ bechern ſehr nahe, auch die Ziertechnik hat er mit dieſen gemein (vgl. H. Schmidt, Zur Vorgeſchichte Spaniens, Jeitſchr. f. Ethnologie 45 (1913), S. 242/3), allein die grobere Heritellungsart, die Beſchaffenheit und Farbe des Tons kennzeichnen ihn als einheimiſche Arbeit. Der zweite Becher ſtimmt mit dem erſten in der Art der Herjtellung des Jiermuſters, in der Beſchaffen⸗ heit und Farbe des Tons überein; die Urbeit jedoch iſt noch roher, die Ver⸗ zierung viel einfacher, und die ſchlankere Form erinnert an die der mittel: deutſchen ſchnurkeramiſchen Becher. Huch dieſer Becher iſt zweifellos ein⸗ heimiſches Erzeugnis.

flußer den in Frage ſtehenden beiden Bechern ſind mir aus Weſtfalen noch fünf weitere Becher mit verwandten Formen bekannt: Der Glocken⸗ becher aus der Senne bei Paderborn im Muſeum zu Paderborn (vgl. Roſ⸗ ſinna, Die deutſche Vorgeſchichte 4. Aufl., Taf. IV, Abb. 25 und Mannus 5, S. 35), der Jonenbecher vom Blömkeberge bei Brackwede im Muſeum zu

1) Auf die beiden hier beſchriebenen Becher habe ich zuerſt hingewieſen in meiner a des VII. Bandes der Mitt. der Altertumskommiſſion für Weſtf., Mannus 16, ye R

3] Zwei ſpätneolithiſche Becher in Weſtfalen 285

Bielefeld (vgl. Mannus 5, S. 34, Abb. 7), die Becher von Siegen im Muſeum zu Siegen, von der Marlerheide bei Dorſten im Muſeum zu Dorſten und von habinghorſt im Mufeum zu Dortmund (vgl. Stieren, Mitt. der Alter⸗ tumskommiſſion für Weſtf. VII und E. Rademacher, Mannus, IV. Erg.⸗ Bd., S. 116). Wahrſcheinlich verbergen ſich in den zahlreichen kleineren Muſeen der Provinz noch weitere Becher der in Frage ſtehenden Formen; nur zu leicht verſchwinden die meiſt anſpruchsloſen, kleinen Gefäße unter der Maſſe der ſpätbronzezeitlichen und eiſenzeitlichen Keramik, mit der unſere vorgeſchicht⸗ lichen Sammlungen angefüllt find. von keinem der genannten Becher iſt meines Wiſſens ein brauchbarer Sundbericht vorhanden. Im Niederrheingebiet aber kommen nach E. Rade⸗ macher (vgl. Mannus, IV. Ergänzungsbd., S. 115 /6) Glockenbecher, Zonen: becher und Schnurbecher als Jeugniſſe der älteſten Kulturſchicht in den dortigen Hügelgräberfeldern vor, und zwar ſtets in Gruben oder Schächten unter der Oberfläche des gewachſenen Bodens. Ein ſolches Schachthügelgrab könnte man nach Wilbrands Bericht (im 12. Jahresb. d. Hijt. Dereins für Minden⸗ Ravensberg) auch bei dem Zonenbedyer vom Blömkeberge vermuten, ebenſo legt die Bemerkung, daß unſer zweiter Becher von Werſte 1 m unter der Erd- oberfläche gelegen habe, dieſe Annahme nahe, und der Dorſtener Becher ſtammt nach E. Rademacher von einem dortigen hügelfelde. Wie ferner die rheiniſchen Hügelgräberfelder auf den Haardten liegen, die die Strom: ebene auf beiden Seiten begleiten (vgl. E. Rademacher, a. a. O.), fo find die beiden Becher von Werſte auf den kieſigen Hügeln am Nordrande der breiten Werreaue, der Bradweder Becher auf einem Ausläufer des Teuto- burger Waldes über der Talaue des Lutterbaches und die von Dorſten und habinghorſt auf den Terraſſen oer Lippe bzw. Emſcher gefunden worden. So geringfügig dieſe Unzeichen bisher auch ſind, ſo ergibt ſich aus ihnen doch mit einiger Wahrſcheinlichkeit, daß die Bevölkerung, die am Ende der jüngeren Steinzeit am Rhein aus weſteuropäiſchen Glockenbecherleuten, aus Schnurkeramikern und anderen nordiſchen Elementen erwachſen war, oder wenigſtens die ihr eigentümliche Miſchkultur auch in Weſtfalen beſtand. Zeitlich gehört nach E. Rademacher jene rheiniſche Kultur und damit wohl auch die weſtfäliſchen Becher dem Husklang der neolithiſchen, aber auch noch dem Beginn der Bronzekultur an für die Kufſtellung einer ausge- ſprochenen Kupfertultur haben fic) weder am Niederrhein noch in Weſtfalen ausreichende Spuren gefunden. Im öſtlichen Weſtfalen würde alſo die Becherkultur die unmittelbare Vorläuferin der Kultur der älterbronzezeit⸗ lichen Hügelgräber fein, die in der erſten Periode dort auftritt. Schwieriger zu beurteilen iſt das Verhältnis der Becherkultur in Weſt— falen zu der der ebenfalls ſpätſteinzeitlichen großen Steinkiſten in den Ge⸗ bieten der oberen Lippe, der Alme, Diemel und Eder (vgl. die einſchlägige Literatur bei tieren, a. a. O. und Böhlau und v. Gilſa, Neolith. Denkmäler aus heſſen, Jeitſchr. f. heſſ. Geſch. u. Landeskunde, N. §. XII, Suppl.⸗Heft). Soweit man bisher ſieht, berühren ſich die Derbreitungsgebiete der beiden Kulturen an der oberen Cippe, aber vielleicht laſſen künftige Funde auch ein teilweiſes örtliches Zuſammenfallen derſelben erkennen. Stieren möchte nun auch die neolithiſche Steinkiſtenkultur in Weſtfalen zur un⸗ mittelbaren Dorläuferin der Kultur der weſtfäliſchen älter bronzezeitlichen hügelgräber machen, fo daß Becher- und Steinkiſtenkultur wenigſtens teilweiſe auch zeitlich nebeneinander ſtehen würden. Das Alter der Steinkiſten genau und endgültig zu beſtimmen, reicht freilich das ſpärliche in ihnen gefundene

286 Albert Krebs, Zwei ſpätneolithiſche Becher in Weſtfalen (3

keramiſche Inventar kaum aus. Einige Hinweiſe ergeben ſich aber immerhin aus ihm: Zweifellos enthalten die Steinkiſten Nachklänge der nordweſtdeutſchen Megalithkeramik wie das Gefäß Abb. 3 aus einer der Beckumer Steinkiſten (im Landesmuſeum zu Münſter i. Weſtf.) und das Kragenfläſchchen von Fritzlar (vgl. Böhlau und v. Gilſa, a. a. O.). Was daneben von fremder Reramik aus ihnen bisher bekannt wurde es handelt ſich um ein großes Dor: ratsgefäß von Henglarn mit charakteriſtiſcher Randverzierung und eine ſchmuck⸗ loſe henkeltaſſe von Rimbeck-hardehauſen (vgl. Stieren, a. a. O. und Götze, Die Denkmalspflege 10 (1908), S. 92) erinnert an Formen des Michels⸗ berger Typs, der nach h. Reinerth (Die Chronologie der jüngeren Stein: zeit in Süddeutſchland, Augsburg 1923) in Süddeutſchland noch neben der Glockenbecherkultur beſtanden hat. Obwohl alſo die weſtfäliſchen Steinkiſten in ihren Anfängen wahrſcheinlich weiter zurückgehen und unmittelbar an die nordweſtdeutſche Megalithkultur anzuknüpfen ſcheinen, ſo mag doch ihre Lebensdauer ſo groß geweſen ſein, daß ſie noch neben der Becherkultur ſelbſt⸗ ſtändig beſtanden haben.

Die beginnende Bronzezeit hätte alſo in Weſtfalen eine aus weſteuro⸗ päiſchen, ſüddeutſchen und nordiſchen Elementen gemiſchte Bevölkerung ohne einheitliche Kultur angetroffen, welcher endgültig erſt mit einem friſchen Zuſtrom nordiſchen Blutes die etwa 1000 Jahre ſpäter einwandernden Ger⸗ manenſtämme die Einheitlichkeit des Dolfstums und der Geſittung ver: mittelten.

Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein und die Ausbreitung der Harpſtedter Kultur.

Don Rudolf Stampfuß. mit 12 Abbildungen und 1 Karte im Text fowie 1 Tafel (XXIII.

Inhaltsüberſicht. I. Das Germanenproblem. II. Die Germanen der ſpäten Bronzezeit: Oſtweſtfalen, das Lippegebiet, die Tonware, die Süd 1 in der Periode V der Bronzezeit. III. Der Harpſtedter Stil: Typologie, Chronologie; der Nienburger Stil. IV. Urſprung und Ausbreitung des Harpſtedter Stils, Jundverzeichnis. Die Harpftedter Kultur am Niederrhein. Schlußbetrachtungen.

«“

V

I. Das Germanenproblem.

Schon verſchiedentlich ijt in der Literatur die Wichtigkeit des Germanen⸗ vordringens in das Hallitattgebiet betont worden, aber leider hat dieſe für die niederrheiniſche Vorgeſchichte fo bedeutſame Frage bisher keine erſchöpfende Darstellung erfahren. Die Wichtigkeit dieſes Problems liegt darin, die genauen Grenzen für die Ausbreitung der Germanenkultur zu verſchiedenen Zeiten feſtzulegen und ihr Verhältnis zur niederrheiniſchen Hallſtattkultur zu klären. Prof. Kofjinna hat als erſter die Germanengrenze für die Periode V der Bronzezeit feſtgelegt 1). Prof. Schumacher hat auf die Wichtigkeit des harpſtedter Stils hingewieſen. Neuerdings iſt das Problem auf der fünf⸗ zehnten Tagung des nordweſtdeutſchen Derbandes für Altertumsforſchung zur Sprache gekommen. Als letzten möchte ich E. Rademacher erwähnen, der in ſeiner Arbeit über: „Die niederrheiniſche hügelgräberkultur von der Spätſteinzeit bis zum Ende der Hallſtattzeit“ im IV. Ergänzungsbande des Mannus das Verhältnis der Germanen zur Hallftatttultur einer kurzen Be⸗ trachtung unterzieht. In dieſer Arbeit hält Rademacher den geſamten Niederrhein mit Einſchluß Hollands für ein geſchloſſenes Kulturgebiet inner⸗ halb der von ihm behandelten Zeitperioden und entwickelt eine ethnologiſch gleichbleibende Bevölkerung von 2000-500 vor Chr. Er kann demgemäß ie Germanen nur als Kultureinfluß werten. Es find fomit feine Sdlup- folgerungen zum mindeſten für den nördlichen Teil des von ihm behandelten Gebietes abzulehnen, wie aus den folgenden Ausführungen hervorgehen wird.

1) 6. Koffinna, Die herkunft der Germanen, 2. Aufl. Mannusbibliothek Nr. 6; 1920, Tafel V.

288 Rudolf Stampfuß [2

II. Die Germanen der fpäten Bronzezeit.

Zu Beginn jeines fünften Kapitels geht Rademacher auf die wichtige Stage des Germanenvordringens des näheren ein. Es iſt dieſer Punkt, wie oben ſchon erwähnt, bereits des öfteren angeſchnitten worden wegen ſeiner äußerſt intereſſanten Fragen hat aber noch keine gründliche Dar⸗ ſtellung erfahren. Eine Fehlerquelle für die bisher dürftige Behandlung dieſer Fragen lag ſowohl in der bis jetzt noch mangelhaften Veröffentlichung des betreffenden nordweſtdeutſchen und weſtfäliſchen Materials der ſpäten Bronzezeit und frühen Eiſenzeit als auch in der kümmerlichen Auswertung, die das rheiniſche Material bisher erfahren hat.

Nach Rademachers Anſicht, der hier Koſſinna folgt (Mannus IV, S. 134; V, S. 36) zeigen die Kerbſchnittfunde Coesfelds, ſodann die in Oſt⸗ weſtfalen auftretenden zweiſchneidigen, keltiſchen Raſiermeſſer und bauchigen Gefäße H,, daß nach 1000 vor Chr. die Kelten bis an den Teutoburger Wald ſaßen. Um 800 würde dann das Lippetal germaniſch (Sunde Muſ. Dortmund). Die beigefügte Tafel VI!) zeigt dann die beiden von Rademacher für 1000 und 800 vor Chr. eingezeichneten Germanengrenzen.

Oſtweſtfalen.

Als Ausgangspunkt für die Behandlung dieſer Fragen mag die in der Mannusbibliothek jüngſt erſchienene Arbeit von Krebs über: „Die vor: römiſche Metallzeit im öſtlichen Weſtfalen“ dienen. Leider hat ja bis jetzt die weſtfäliſche Vorgeſchichte noch keinerlei gebührende Behandlung erfahren. Somit iſt die Arbeit Krebs die erſte gründliche vorgeſchichtliche Arbeit über einen Teil Weſtfalens. Sie bedeutet einen gewaltigen Schritt vorwärts in der Vorgeſchichtsforſchung Nordweſtdeutſchlands. Es ijt nur immer wieder zu bedauern, daß das reiche Material des weſtlichen Weſtfalen, vor allem die Funde des reichhaltigen Dortmunder Muſeums, die allein ſchon eine leichtere Löſung unſerer Fragen zuließen, bisher unveröffentlicht oder aber ſchwer zugänglich ſind. Es ſind dieſe Mängel ja ſchon des öfteren in der Literatur gerügt worden.

Seite 35 der oben erwähnten Arbeit behandelt Krebs die jüngere Bronzezeit und frühe Eiſenzeit. Er führt etwa folgendes aus: „Von der IV. Periode der Bronzezeit an laſſen die Sunde im öſtlichen Weſtfalen eine neue Bevölkerung erkennen. Wahrſcheinlich handelt es ſich zunächſt um den⸗ ſelben Stamm, der ſchon in der dritten Periode von der Gegend um die Aller: mündung her die Weſer aufwärts nach Süden drängte. Dieſe neue Bevöl⸗ kerung verrät ſich durch ihre von der bisherigen gänzlich abweichende Begräbnis⸗ ſitte. Man ſetzte die Reſte der verbrannten Leichen in Tongefäßen, ſog. Urnen, entweder in ausgedehnten Gräberfeldern in Gruben unter der Bodenfläche oder in künſtlich aufgeſchütteten Grabhügeln bei. Dieſe Grabanlagen rühren von Germanen her, das geht unter anderem daraus hervor, daß vor ihrem Auftreten eine deutliche Siedlungslücke während der Periode III bei uns wahrnehmbar iſt, die ein Fortbeſtehen der Steinhügelkultur und ein hervorgehen der Urnengräberkultur aus jener wenigſtens auf weſtfäliſchem Boden ausſchließt, daß ferner die Beſtattungsform der Urnengräber in der

1) Wenn von Rademacher, Taf. Iff. die Rede ift, find ſtets die Tafeln der Arbeit E. Rademachers über: „Die niederrheiniſche hügelgräberkultur von der Spätſteinzeit bis zum Ende der Hallftattzeit“, Mannus IV, Ergänzungsband 1925, gemeint.

5] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 289

IV. Bronzezeitperiode bis weit in die geſchichtliche Zeit hinein im öſtlichen Weſtfalen die allein übliche blieb, und daß ſchließlich im ganzen während dieſer Zeit ein Abbruch der Beſiedlung nicht nachweisbar iſt. Für die älteſten Reſte und Zeugniſſe dieſer erſten germaniſchen Beſiedlung Oſtweſtfalens halte ich einen nicht geringen Teil der Gräber in der Mehrzahl unſerer Urnenfriedhöfe (im Gegenja zu den ſpäter zu behandelnden Gräberhügeln). Die Gräber⸗ felder von Stemmer und Nordhemmern, von Wittenhuſen, Schledebrück und Godelheim reichen ſicher, andere wahrſcheinlich bis in die IV. Bronzezeit⸗ periode hinab uſw.“ Die Raſiermeſſerfunde von Stemmer, Wittenhuſen, ferner die Bügelplattenfibel von Wittenhuſen und die Sibel von Nordhemmern geben Krebs eine ſichere Datierung der obengenannten Felder. So zeigen uns dieſe Ausführungen von Krebs, daß die Germanen in Periode IV, alſo in der Zeit von etwa 1150— 1000 vor Chr. den Teutoburger Wald ſchon überſchritten haben und ins obere Cippe- und Emstal hineindringen (ſiehe auch Koffinna, Mannus V, S. 36). In dem Dorkommen von Funden des ſüddeutſch⸗keltiſchen Kreiſes, wie zweiſchneidigen Raſiermeſſern von Schlede⸗ brüd, dem oberſtändigen Lappenbeil von Obernbeck, den Kugelkopfnadeln von Wittenhuſen und Schledebrück, ſowie den Meſſern mit geſchwungener ſpitzer Klinge und Grifftülle von Wittenhuſen, Rheda, Godelheim und ber: ſtelle 1) ſieht Krebs nur Einfuhrſtücke einer landsfremden Kulturgruppe. Es laſſen dieſe Stücke keineswegs den Schluß auf eine keltiſche Beſiedlung Weſt⸗ falens bis zum Teutoburger Wald nach 1000 vor Chr. zu. Zwar darf die gebrechliche Keramik weit weniger als Einfuhrware betrachtet werden, da lie einem weiteren Transport in jener Zeit ſelten unterworfen war und wohl jeweils an Ort und Stelle von den Trägern ihrer Kultur hergeſtellt wurde, jedoch ſind die Vorkommen von hallſtattformen in Oſtweſtfalen zu ſpärlich, 9 fen ſie für eine ſeßhafte Bevölkerung als Beweis angeführt werden ürften.

Schon vor 1000 vor Chr. überſchreiten die Germanen, wie aus den obigen Betrachtungen klar hervorgeht, den Teutoburger Wald und es muß demzufolge die Germanengrenze Rademachers für 1000 vor Chr. auf Tafel VI, links, weſtlich des Teutoburger Waldes verlaufen und nicht wie von ihm eingezeichnet, öſtlich desselben. Es iſt dieſes die Grenze für das Ende der IV. Bronzezeitperiode.

Weftlides Weſtfalen, das Lippegebiet.

Fauür das Feſtlegen der Germanengrenze in Per. V liefern uns die Mujeen Dortmund, Münſter, Haltern und hamborn genügend Sunde. Die im Landesmuſeum in Münſter befindlichen Funde des Urnenfeldes von habinghorſt Kr. Recklinghauſen, die unter anderem einen geſchloſſenen Grab⸗ fund, ein Gefäß des Düſtruper Tupus und dazugehöriges Bronzeraſiermeſſer, beides Tupen, die eine frühe Datierung innerhalb der V. Periode zulaſſen, verlegen die von Rademacher eingezeichnete Germanengrenze für 800 vor Chr. auf Tafel VI um ein beträchtliches weiter nach Süden. Es verläuft dem⸗ nach die Grenze unmittelbar nördlich von Dortmund. Was die zeitliche Anjekung dieſer Grenze anbetrifft, fo möchte ich fie auf den mittleren Wert von 900 vor Chr. für die Periode V feitlegen, aljo chronologiſch vor den Beginn der zweiten hallſtattſtufe anſetzen. Auf die näheren Gründe dieſer zeitlichen

1) fl. Krebs, Die vorrömiſche Metallzeit im öſtlichen Weſtfalen. Mannus⸗Bibl. Nr. 38, 1925. S. 35 und Nr. 113, 259, 289 und 293.

Mannus, Zeitſchrift für vorgeſch., Bd. 17. H. 4. 19

290 Rudolf Stampfuß [4

Unſetzung komme ich bei der Behandlung des Harpiteöter und Nienburger Stils noch einmal zurück. Weiterhin verläuft die Südweſtgrenze der Ger⸗ manen dann über Diersfordt und Goch bis nach Holland hinein. Jedoch mögen die linksrheiniſchen Funde von Goch und die holländiſchen von Riet- hoven uſw. nur im Bereiche des damaligen Germaneneinfluſſes liegen und noch nicht eine feſte Grenze ihres Gebietes andeuten. Ich kenne die holländi⸗ ſchen Sunde zum Beiſpiel nicht aus eigener Anfdhauung, als daß ich in dieſem Falle ſchon jetzt mich auf einen genauen Grenzverlauf in Holland feſtlegen könnte. Sicher aber gehören die Funde von Diesfordt, Rademacher, Taf. XI, 26—29 zu dem von Germanen beſiedeltem Gebiet in Per. V und find nicht etwa als Sunde einiger ins Keltengebiet eingedrungener Germanenfamilien oder gar als Rultureinfluß zu betrachten !). Wäre der von Rademacher abgebildete Grabfund der einzige derartige Germanenfund auf dieſem Felde, jo ließe er die kademacherſche Deutung zu. Es liegen aber von dem gleichen Sundort noch weitere ſechs Gräber mit germaniſcher Keramik der Per. V vor; ſodann beherrſcht in der Folgezeit der den Gefäßen der Per. V zum Teil gleichzeitige und ſicherlich nachfolgende Harpſtedter Stil das Gräberfeld Diersfordt. In der Srühlatenezeit folgen dort germaniſche Brandgruben- gräber in Hügeln und gehen in der ſpäten Latene- und frühen Kaiferzeit in Flachgräber mit Brandgruben über. Wir können hier rückwärts von der geſchichtlichen Zeit an bis in die fünfte Bronzezeitperiode auf dieſem Felde in ſelten ſchöner Weiſe die Kontinuität der Bevölkerung verfolgen. Falls man nach dieſen Darlegungen immer noch an Kultureinfluß in Per. V denken will, jo müßten wenigſtens den älteſten Typen gleichzeitige Sunde aus dem Hallſtattkulturkreiſe, etwa Funde von H, in Diersfordt vorhanden ſein, da ja auch zum Teil noch ältere Funde von dort vorliegen.

Die Tonware.

Die keramiſchen Typen dieſes beſprochenen Germanengebietes weijen als Hauptvertreter und verbreitetſte Form die doppelkoniſche Urne und deren Abarten auf. Der Urtup tritt ſchon in Per. III im germaniſchen Kulturfreije auf und iſt auch der oſtdeutſch⸗illyriſchen Gruppe zu jener Zeit nicht fremd. Die älteſten Formen weiſen ziemlich gleichgroße kegelförmige Ober⸗ und Unterteile auf. Die jüngeren Typen nehmen in der Breite ab, werden ſchlanker und der Bauchknick verſchiebt ſich auf Koſten des Oberteils nach oben. Eine ſcharfe Bauchkante macht dann aber auch oft einer ſanften Rundung Platz und auch der kegelförmige Oberteil nimmt in der Spätzeit ſanft geſchwungene Umriſſe an. Daneben begegnen uns vereinzelt die weitmündigen ſchalen⸗ artigen Urnen des Düſtruper Tupus, ſodann flaſchenartige Gefäße, ferner eine bauchige Form mit hohem koniſchem halſe, die als Zwiſchentypus in der Entwicklung der doppelkoniſchen Gefäße und Flaſchenurnen angeſehen werden kann. Die wichtigſten dieſer angeführten Gefäßtypen findet man bet Krebs ?) Taf. III V abgebildet. Die germaniſchen Gefäßfunde nördlich der beſchrie⸗ benen Südweſtgrenze von Paderborn, Habinghorſt, Weſel, Goch uſw. ſind lo häufig, daß fie einer bloßen Kulturübertragung von Reramik geradezu widerſprechen. Daß ſonſtige Funde, wie Beigaben und Waffen, äußerſt

1) Auch Geheimrat Roſſinna wies in der Diskuſſion dieſe Rademacherſche Deutung bei deſſen Röthener Vortrag entſchieden zurück.

2) fl. Krebs, Die vorrömiſche Metallzeit im öſtlichen Weſtfalen. Mannus⸗Bibl. Nr. 38. 1925. S. 35 und Nr. 115, 259, 289 und 295.

5 Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 291

ſpärlich vorliegen, hat ſeine Urſache in den Beſtattungsgebräuchen der Ger⸗ manen in der ſpäten Bronzezeit und frühen Eiſenzeit, die ja bekanntlich während dieſer Zeit aus uns bis jetzt unbekannten Gründen äußerſt ſelten Beigaben dem Toten mit ins Grab geben.

Die Germanengrenze für die fünfte Bronzezeitperiode.

Um 900 vor Chr. ſchon haben wir alſo, wie oben dargelegt, eine Süd- weſtgrenze der Germanen, die ſich im weſentlichen von der von Rademacher eingezeichneten Grenze unterſcheidet. Das geſamte, nördlich dieſer Grenze liegende Gebiet war ſtark von den Germanen beſetzt, was ſchon allein durch die Tatſache zum Ausdrud gebracht wird, daß nördlich dieſer Grenze Sunde von H, faſt gänzlich fehlen, oder falls fie in einzelnen Stücken auftreten, gut als Kultureinfluß gedeutet werden können. Wir müſſen uns nicht auf den Standpunkt ſtellen, daß eine derartiger Einbruch in allen Fällen kriegeriſch ſein muß; und das iſt bei dem beſprochenen erſten Germanenvorſtoß ſicherlich nicht der Fall geweſen. Schon das Fehlen jeglicher Waffen dürfte einen Hinweis darauf geben; auch liegen uns aus dieſer Zeitperiode keinerlei Be- feſtigungsanlagen vor, die ebenfalls für ein kriegeriſches Vordringen ſprechen würden. Die Urbevölkerung iſt keineswegs vollkommen abgezogen ledig⸗ lich bei dem erſten Einmarſch der Germanen macht ſich ein ſchwacher Rück⸗ [dub der Hallſtattbevölkerung bemerkbar, eben durch das Fehlen der erſten hallſtattſtufe im Germanengebiet ſondern hat ſich mit der eindringenden herrſcherbevölkerung friedlich vermiſcht oder iſt als unterjochte Völkerſchaft ſitzen geblieben. Nur ſo läßt ſich in unſerem niederrheiniſchen Grenzgebiet das Auftreten ſowohl von germaniſchen und keltiſchen Formen in vollkommener Reinheit als auch die gleichzeitig herrſchende Miſchkultur erklären, bei der bisher immer von verblaßten Hallitattformen die Rede war. Es verläuft demnach die Südweſtgrenze der Germanen am Ausgang der reinen Bronze⸗ zeit in Periode V etwa von Paderborn an ſüdwärts der Lippe über Habing⸗ horſt Kr. Recklinghauſen, überſchreitet ungefähr bei haltern die Lippe. Don dort an bildet die Cippe die Grenze bis Weſel, wo vermutlich der Rhein ſchon überſchritten wird und Goch eine weitere Grenzſtation andeutet.

III. Der Harpſtedter Stil.

Sür die weitere Betrachtung der Germanenausbreitung find der nach den im Provinzialmuſeum Hannover befindlichen Funden von Harpitedt Kr. Syke ) als Harpſtedter bezeichnete Gefäßſtil und nicht minder der Nien⸗ burger ) Stil von grundlegender Bedeutung. Die Bezeichnung Harpſtedter Typus (wofür wir beſſer Harpſtedter Stil ſagen) hat Schumacher in die Literatur eingeführt, und er hat als erſter darüber im V. Bande der Prähiſt. Zeitſchr., S. 571 berichtet: „Deshalb muß verlangt werden, daß nicht nur das wichtige, noch der älteren Ballitattzeit angehörige Material des Düſtruper Typus (bei Osnabrück), das da und dort vorhanden iſt, ſondern auch das jüngere des Nienburger und Harpſtedter Typus, der ſich über Bielefeld, Dortmund bis in die Wedau bei Duisburg verfolgen läßt, möglichſt bald in ähnlicher Weiſe

1) J. Hh. Müller, Ausgrabungen bei Harpftedt (Hannover). Jeitſchrift des hiſtor. Dereins für Niederſachſen. Jahrg. 1882. S. 41ff. 0 ia ; 2) Weigel, Die unde 135 von Nienburg a. Weſer, Prov. hannover. Nachrichten über deutſche Altertumsfunde. 1892. S. 69ff.

19*

292 Rudolf Stampfuß [6

durch Deröffentlichung allgemeiner Benutzung vorgelegt wird. Auch vom Rheine her können und müſſen dieſe Beſtrebungen unterſtützt werden, einer⸗ ſeits durch Derfolg der nordöſtlichen Ausbreitung der rheiniſchen Hallftatt- kultur im Lippetal, andererſeits durch ſchärfere Beobachtung des erſten Auf: tretens der Weſſenſtedter und Jaſtorfer (Harpſtedter) Elemente über den Teutoburger Wald (Bielefeld) nach dem Rheine zu.“ Weiterhin berührt Schumacher den Harpſtedter Stil noch in der Prähiſt. Jeitſchr. Bd. XI/ XIII) und in feiner „Siedlungs- und Kulturgeſchichte der Rheinlande“ Seite 106 und 195, wo er die Germanen der Harpſtedter Kultur um 500 vor Chr. gegen Ende der hallſtattzeit den Rhein erreichen läßt und eine Weiterent- wicklung der Harpſtedter Kultur bis in die römiſche Kaiferzeit hinein für möglich hält. Eine Beſchreibung des Harpſtedter Stils iſt nie erfolgt und ſogar weiteren Sachfreijen ijt er völlig unbekannt. Die Schumacherſchen Andeutungen ſind bisher vereinzelt geblieben und bei einſchlägigen Arbeiten gewöhnlich ohne jegliche Kritik übernommen worden.

Typologie der Harpſtedter Gefäße.

Unter Harpjtedter Stil verſteht man ein eimerförmiges, gerauhtes Gefäß mit gewelltem Rande. Die Randverzierung iſt ſtets durch Singer: nageleindrücke hergeſtellt. Bisweilen tritt noch eine Bauch- oder Schulter- verzierung durch eine umlaufende Singertupfenleijte oder ein gewöhnliches Singertupfenband hinzu. Die Größe der Gefäße iſt ſehr verſchieden, jedoch überwiegen die großen bis etwa 50 em hohen Formen. Der Ton iſt meiſtens ungeſchlemmt, mit groben Quarzkörnern ſtark durchſetzt. Die Rauhung tit oft ſehr ſtark durch groben Schlickbewurf erreicht oder auch bisweilen äußerſt ſchwach und zum Teil durch Kammſtriche vertreten. Die Farbe der dickwandigen ſchlecht gebrannten Gefäße ſchwankt zwiſchen hellgelb bis dunkelbraun und rötlich. (Siehe Tafel XXII, Abb. 1—3.) Die Herkunft dieſes Gefäßtupus ijt nicht mit Sicherheit nachzuweiſen. Es treten Rauhtöpfe ja ſchon zu Beginn der Bronzezeit bei den Hunjetitzern als Grabkeramik auf, doch iſt eine direkte Verbindung mit den ſpätbronzezeitlichen und früheiſenzeitlichen Raubtopfen noch nicht nachweisbar. Hervorgegangen jind die Harpftedter Gefäße aus gewöhnlichen gerauhten Gefäßen, auf denen nur die Randverzierung anzu— bringen war. Bei der Sichtung des Materials fallen beträchtliche typologiſche Unterſchiede ins Auge. Es laſſen ſich in Nordweſtdeutſchland etwa folgende fünf verſchiedene Tupen von einander ſcheiden: a) Gefäße mit hohem, ſenk⸗ rechtem Halje, weiter Mündung, ſchwacher Bauchausladung und kleinem Boden (Textabb. 1 und 2); b) doppelkoniſche, meiſt ſchlanke Gefäße mit größtenteils kürzerem Ober- und größerem Unterteil (Textabb. 3 und 4); c) bauchige oder koniſche Gefäße mit geſchweiftem, ausladendem Rande (Textabb. 5 und 6); d) ungegliederte bauchige Gefäße ohne beſonderen, abgeſetzten oder etwas eingezogenen Rand (Textabb. 7 und 8); e) Gefäße, meiſt koniſch, mit ſtark eingezogenem hals, wodurch ein faſt wagrechter Schulterabſatz erzielt wird (Textabb. 9 und 10); dazu tritt noch als rheiniſche Sonderform ein rundbauchiger Typus mit ſenkrechtem, kurzen Hals und oft aufgeſetzter Tupfenleiſte (Textabb. 11 und 12). (Siehe auch Bonner Jahr: bücher, Heft 121, 1913; Beilage Berichte S. 66, Sig. 40.) Der letztere Typ zeigt ſtarke Einflüſſe von ſeiten der Hallſtattkultur, die noch näher zu

1) C. Schumacher, Die Hallftattfultur am Mittelrhein. Prähiſt. ZJeitſchr. XI/ XII. 1919/20. S. 125ff.

N Das Dordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein ujw.

0

JUG Y VO

Abb. 1—12. Gefaptypen der Harpftedter Kultur. Maßſtab 1:10.

294 Rudolf Stampfuß [8

unterſuchen find; vielleicht mag er auch in diefer ſich völlig unabhängig von den norddeutſchen Formen entwickelt haben.

Die tupologiſch älteſte Form iſt der Typus a, der äußerſt ſelten auf⸗ tritt (Harpſtedt) und deſſen Vorläufer wohl in gleichartigen gerauhten oder glatten Gefäßen ohne die typiſche Randverzierung geſucht werden dürften. Die nächſte Art b läßt ſich ſowohl als aus Typus a entſtanden erklären, wie auch ein Zuſammenhang mit den übrigen doppelkoniſchen glatten Formen der Spätbronzezeit nicht von der hand zu weiſen iſt. Hus der doppelkoniſchen Form entwickelt ſich dann durch Schweifung des Oberteils und Ausladen des Randes der profilierte Typus e. Durch Verwaſchen wird ſicherlich die unprofilierte Form d aus der vorhergehenden zuſtande gekommen fein, während durch ſtärkeres Einziehen des halſes der Typus e entitanden iſt. Für die angedeutete typologiſche Reihe liegen eine Unmenge von variierenden Zwiſchenformen vor, die eine derartige Aufeinanderfolge rechtfertigen. Relativ wäre demnach eine Chronologie möglich, doch iſt es nicht immer leicht, bei derart rohen Gefäßtypen genaue chronologiſche Unterſchiede feſtzuſtellen, treten doch verſchiedentlich die einen oder anderen Tupen gleichzeitig auf demſelben Sundplage auf, was jedoch bei größeren Grabkomplexen an und für ſich nie eine Gleichzeitigkeit bedeuten will.

Die Chronologie der Harpſtedter Gefäßtypen.

Über die abſolute Zeitſtellung des Stils ijt bisher außer der Schumacher⸗ ſchen Angabe, daß er um 500 vor Chr. den Rhein erreicht und bis in die römiſche Kaiferzeit fortlebt, nichts Näheres in der Literatur geäußert worden. Krebs!) berichtet in feiner des öfteren erwähnten Arbeit über die Rauhtöpfe mit Wellenrand ſowohl in tupologiſcher als auch chronologiſcher Hinſicht etwa folgendes: „Die für dieſe Zeit charakteriſtiſchen hohen gerauhten Töpfe werden auf die ſchlanke Form der doppelkoniſchen Urne zurückgehen; wo ein deutlich abgegrenzter Halsteil vorhanden iſt, iſt die Ahnlichkeit mit der Flaſchenurne unverkennbar. Trotzdem bildete ſich eine gewiſſe Mannig⸗ faltigkeit der Formen heraus, beſonders weil neben den umgebildeten und verwaſchenen die alten eckigen Gefäße oft recht lange üblich blieben.“ Als Beijpiel führt er das Catènegräberfeld von Schmetzdorf 2) an, auf dem Buſſe neben einem Raubtopf mit Wellenrand auch zwei doppelkoniſche Urnen fand, und fährt ſodann fort: „Auch die Formen der früheſten Eifenzeit erwieſen ſich als ſehr konſervativ: So hat der hohe Rauhtopf mit Wellenrand gerade in Weſtfalen eine recht lange Lebensdauer gehabt; in Röckelſum (Kr. Cüding⸗ hauſen) wurde ein ſolcher aus frührömiſcher Jeit gefunden. In den Gräber⸗ feldern von Rheda, Schledebrück, Stemmer und Salzuflen kommen mehrfach hohe Rauhtöpfe mit Wellenrand vor, die in ſpäthallſtättiſchen Gräbern des 6. Jahrhunderts vor Chr. Geburt am Niederrhein wiederkehren, wohin ſie aus dem Germanengebiet gelangt ſein dürften“. Soweit die Unſicht Krebs.

Danach wäre es alſo ein nutzloſes Beginnen, mit hilfe der Rauhtöpfe zu irgendeinem ſicheren Ergebnis gelangen zu wollen, da man mit einer Gefäßform, die ſich über drei, ja ſogar vier Zeitperioden hin gleichzeitig in allen möglichen Abarten erſtreckt, chronologiſch nichts beginnen kann. Es iſt ja eine leider betrübliche Tatſache, daß uns kein Harpſtedter Gefäß mit irgend⸗ einer datierbaren Bronze- oder Eiſenbeigabe vorliegt.

1) fl. Krebs, Die vorrömiſche Metallzeit im öſtlichen weſtfalen. Mannus⸗Bibl. Nr. 38. 1925. S. 35 und Nr. 115, 259, 289 und 293. 2) h. Buſſe, Latenegräberfeld von Schmetzdorf. Mannus. IV. 1912. S. 232ff.

9 Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein ujw. 295

Somit ſind wir demzufolge bei den folgenden Unterſuchungen lediglich auf die Wechſelbeziehungen des Harpſtedter Stils zu anderen keramiſchen Kulturgruppen angewieſen, um eine für unſere Zwede brauchbare Chrono⸗ logie zu erreichen.

Betonen muß ich aber von vornherein, daß ein ſpäteres Auftreten einer altertümlichen Form des öfteren vorkommt und ich für dieſe Sonderfälle in dem Rahmen dieſer Betrachtungen keinerlei Erklärung ſuchen kann. Treten doch in der Kaiſerzeit Oſtpreußens !) gerade bronzezeitlich anmutende Formen von Rauhtöpfen mit Wellenrand auf, deren Erſcheinen und herkunft wir uns bis jetzt in keiner Weiſe zu erklären wiſſen. Sehen wir zunächſt einmal von dem oben erwähnten Fund von Ködeljum ?) ab und betrachten zuerſt einige Rauhtopfvorkommen in Hannover und Weſtfalen.

Unter den Funden von harpſtedt ?) im Muſeum Hannover, die leider aus alten Beſtänden herrühren und keiner wiſſenſchaftlichen Ausgrabung ihr Daſein verdanken, befinden ſich auch eine Anzahl von Tupen der Periode V, was ſicherlich noch keinen ſtrikten Beweis für die Gleichzeitigkeit beider Typen bedeuten will, da das Hügelgräberfeld von Harpſtedt beträchtliche Aus- dehnungen aufweiſt.

Der Urnenfriedhof von Arbergen Kr. Achim (Sunde Muſ. Hannover) lieferte Urnen mit datierbaren Beigaben der Periode IV und V: Raſiermeſſer mit aufwärts gebogener Schneide ähnlich Wittenhuſen, ſodann Meſſer und Nadeln der fünften Periode. Auf zwei Urnen, die ſich nach zwei anderen durch die Beigaben datierten Gefäßen analog beſtimmen laſſen, lagen als Deckel je eine Rauhtopfſcherbe, und zwar mit einem als Leiſte angebrachten Wellenrand von Singertupfen des Typus b und e. Damit dürfte der unum⸗ ſtößliche Beweis erbracht ſein, daß der Typus a—c noch in die Bronzezeit hineingereicht hat, wenn nicht gerade bis in Periode IV, ſo doch mit Be⸗ ſtimmtheit in die Periode V.

Weiterhin erbrachte das Urnenfeld von Bernte Kr. Lingen“) neben ausſchließlich der ſpäten Bronzezeit angehörenden Formen ein Harpſtedter Gefäß vom Typus b. Der Hügel von der Friedrich⸗Wilhelmsbleiche bei Bielefeld ), der als einzelner Grabhügel ebenfalls einen Beweis für die chronologiſch nicht allzugroßen Unterſchiede der einzelnen Begräbniſſe bieten dürfte, ergab bei feiner Ausgrabung ſpätbronzezeitliche doppelkoniſche Gefäß⸗ formen und daneben Raubtöpfe mit gewelltem Rand vom Typus b und c.

Mit dieſen Beiſpielen läßt ſich mit einiger Sicherheit der Beweis er⸗ bringen, daß noch innerhalb der Periode V der Harpſtedter Stil ſchon in drei verſchiedenen Abarten zur Entwicklung gelangt ſein muß. Der Typus a ver⸗ ſchwindet in der Folgezeit und dürfte wohl nicht über das Ende der Bronze⸗ zeit hinausgekommen ſein.

Betrachten wir jetzt noch mit einigen Worten das eiſenzeitliche Vor⸗ kommen von Harpſtedter Gefäßtypen, um dann den Urſprung und die Aus-

1) Tiſchler, e Altertümer. Königsberg 1902. u Walther Schulz, Weſtfalen in frühgeſchichtlicher Zeit. Mannus V. 1913.

on, J. . Müller, e bei harpſtedt (Hannover). Jeitſchr. d. hiſtor. Der. f. en Jahrg. ! S. 41ff.

Conrads, Der Urnenfriedhof auf dem ſog. ae e bei Bernte, Kr. Lingen. Mitteil. des 1 Vereins zu Osnabrück XIX, 1894 f

5) öller und wilbrand, Der Urnenfund auf dem Gebiet der Friedrich⸗ Withelmsbleiche bei an m Februar 1905. Jahresbericht des hiſtor. Vereins für Ravensberg. Bd. 20, 1906. S. 1ff.

296 Rudolf Stampfuß [10

breitung dieſer Kultur vor allem zum Rheine hin näher zu unterſuchen und im en auf ihre Auswirkungen in der rheiniſchen Hallſtattkultur ein⸗ zugehen. Gute Beijpiele für das Vorkommen in der frühen Eiſenzeit liefern die Sunde von Nienburg !) und Braunſchweig 2). Die drei in den Nachrichten über deutſche Alterkumsfunde veröffentlichten Gräber von Nienburg haben in Grab Nr. III (Sunde Muſ. Berlin II. 309—312) vier Raubtöpfe mit gewelltem Rande vom Tupus c und d 3) geliefert; weiterhin zwei be⸗ ſtimmt eiſenzeitliche, und zwar der früheſten Eiſenzeit angehörige, ſchalenartige Urnen ). Hier liegen alſo unſtreitig Rauhtopffunde der frühen Eiſenzeit vor. In feiner Arbeit über die frühe Eiſenzeit in Braunſchweig ?) hat Subfe eine Reihe von Harpiteöter Gefäßtupen zur Abbildung gebracht), die ſämtlich dem Typus c und d angehören. Ein Gefäß des Typus d von Rönigslutter⸗Ochſendorfer Weg (Subje, Abb. 162) bildet er mit einer Eiſenbeigabe, einem Heinen eiſernen Ring von 4 cm Dm. ab, der natürlich eine genaue Datierung innerhalb der Eiſenzeit nicht zuläßt. Es iſt gerade überraſchend, daß ſich in Braunſchweig und weiterhin nach Sachſen hinein nur die jüngſten Typen vorfinden, doch davon ſpäter. Wir haben fo als Vertreter der frühen Eiſenzeit die Typen c—e feſtſtellen können; der Typus b dürfte wohl nur äußerſt ſelten noch in der frühen Eiſenzeit vorkommen. Suchen wir nach einer genauen zeitlichen Datierung, ſo bitte ich zu beachten, daß weder in der Weſſenſtedter, noch in der Jastorfer Stufe Schwantes “) einen Harpſtedter Gefäßtup aufzuweiſen hat, was um jo mehr verwundert, als er ſich in dieſen Kulturgruppen unbedingt finden müßte, wenn der Harpiteöter Stil, wie Krebs und auch andere annehmen, bis in die römiſche Kaiſerzeit fortgelebt hat. Sind doch ſogar von der weſensfremden Hallſtattkultur in die Urnenfelder Niederſachſens Einfuhrſtücke eingedrungen; auch iſt es kaum denkbar, daß der einer gleichartigen Bevölkerung angehörige Harpſtedter Stil auf die Jastorfer Kulturftufe keinerlei Einfluß ausgeübt haben ſoll, ſofern er zu derſelben Zeit noch an gleicher Stelle beſtand. Demzufolge nehme ich an, daß die Blütezeit des harp⸗ ſtedter und Nienburger Stils (was ich unter Nienburger Stil ver⸗ ſtehe, werde ich noch kurz anführen) in Nordweſtdeutſchland im neunten und achten Jahrhundert vor Chr. gelegen haben muß, da beide ſchon zu Beginn des achten Jahrhunderts ihre ſtarken Einflüſſe auf die Hallſtattkultur am nördlichen Niederrhein geltend machen. Das bewog mich, die Grenze für Periode V, d. h. für den Ausgang der reinen nordiſchen Bronzezeit, um 900 vor Chr. anzuſetzen, da der Harp= ſtedter und Nienburger Stil die beginnende Eiſenzeit andeuten und wohl ſchon vom Rhein her in dieſer Zeit durch das Eiſen beeinflußt geweſen ſind. Mit Hilfe des Harpſtedter Stils gewinnen wir dann eine Grenze etwa für

| 1) ee Die Hügelgräber von Nienburg a. Weſer, Prov. Hannover. Nachrichten über deutſche Altertumsfunde 1892. S. 69ff.

2) F. Suhle, Graberfelder der alteften und älteren Eiſenzeit aus der Gegend von Braunſchweig. Mannus VIII, 1917. S. 134ff.

) Nachrichten über deutſche Altertumsfunde 1892. S. 69, Abb. 10.

4) Nachrichten über deutſche Altertumsfunde 1892. S. 69, Abb. 11.

5) F. Subfe, Gräberfelder der älteſten und älteren Eiſenzeit aus der Gegend von

Braunſchweig. Mannus VIII. 1917. S. 134ff. 6) F. Subfe, Mannus VIII. 1917. S. 154 ff. Abb. 108, 132, 137, 155, 162 und 163.

7) Schwantes, Die älteſten Urnenfriedhöfe bei Ulzen und Lüneburg (in Schuch⸗ hardt, Urnenfriedhöfe in Niederſachſen, Band 1). Hannover 1911.

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298 Rudolf Stampfuß | [12

das von den Germanen um 800—700 vor Chr. beherrſchte Gebiet. Sind doch ſchon um dieſe Zeit germaniſche Rultureinflüſſe im Kölner Gebiet bemerkbar !).

Der Nienburger Stil.

In meinen Ausführungen habe ich verſchiedentlich den Ausdrud Nien⸗ burger Stil gebraucht. Ich verſtehe unter Nienburger Stil lediglich die in den Nachrichten über deutſche Ultertumsfunde unter Nr. 1 und 2 abgebildeten Gefäßtypen ?) mit ihren maſſiven, tupiſch koniſchen Deckſchüſſeln. Es find ebenfalls Rauhtöpfe, aber zum Unterſchied vom Harpſtedter Stil fehlt ihnen der gewellte Rand; der hals ijt meiſtens geglättet und beſitzt geſchwungene Profillinie. Beſonders das Gefäß vom Typus Abb. 1 und die Deckſchüſſeln haben eine hervorragende Bedeutung in chronologiſcher Hinficht für unſere Hallſtattgräberfelder des nördlichen Niederheins wie wir nachher ſehen werden und treten äußerſt zahlreich in verſchiedenen barten auf. Jeitlich dürften die Anfänge des Nienburger Stils etwas ſpäter als die des Harpſtedter liegen; gemeinſam hat er aber mit dem harpſtedter zu Ende des neunten und Beginn des achten Jahrhunderts vor Chr. den VDormarſch ins Hhallſtattgebiet durch das Tal der Lippe an: getreten und dürfte mit dieſem ſpäteſtens um 750 die Wedau bei Duisburg und das Gräberfeld de Hamert bei Denlo erreicht haben (ſiehe Tafel XXII, Abb. 4).

IV. Urſprung und Ausbreitung der Harpſtedter Kultur.

Betrachten wir zunächſt einmal die Derbreitungsfarte (im Text) und folgende tabellariſche Sundüberjicht. Ich mache keineswegs Unſpruch darauf, eine vollſtändige Fundaufzählung bringen zu können, da ich verhindert war, weiteres Material zu ſammeln, was ſicherlich noch zahlreich vorhanden iſt; denn erſtens wird auf dieſe rohen Gefäße ſelten geachtet und werden ſie demzu⸗ folge kaum veröffentlicht; zweitens aber werden die rohen Scherben, da die Gefäße wegen ihres dürftigen Brandes immer einen ſchlechten Erhaltungs⸗ zuſtand aufweiſen und ſich nur mit Schwierigkeit zuſammenſetzen laſſen, ſehr oft in den Muſeen magaziniert und erblicken darum ſelten das Tageslicht. Doch genügt das wenige von mir geſammelte Material vollſtändig, um eine gute Überſicht über die Verbreitung dieſer Kulturgruppe zu geben. Was fehlen ſollte, bitte ich zu ergänzen; doch wird ſich durch Neufunde das Bild der Fundplätze im weſentlichen nicht ändern, ſondern nur verdichten laſſen.

Fundortverzeichnis des Harpftedter Stils. A. Provinz hannover.

1. Arbergen, Kr. Achim. (Sunde Muſ. Hannover 23971 und 23 974).

2. harpſtedt, Kr. Syfe. (Sunde Muſ. Hannover 14573 bis 14582 und 14586.) J. H. Müller: Ausgrabungen bei Harpjtedt, Hannover. Zeit: ſchrift d. hiſtor. Vereins f. Niederſachſen, Jahrg. 1882. S. 41ff.

3. Nord-Sulingen, Kr. Sulingen. (Sund Muf. Berlin I. I. 609 a b.)

1) C. Rad emacher, Chronologie der . ane in dem Gebiet zwiſchen Siege und Wuppermündung. Mannus IV. 1912 87ff. XX, II.

2) Weigel, Die hügelgräber von Nienburg a. weſer, vn A Nachrichten über deutſche Atfectums unde. 1892. S. 69ff.

15] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 299

4. Nienburg a. Weſer. (Sunde Muſ. Berlin I. Il. 307, 308, 309 und 310.) 1 über deutſche Altertumsfunde 1892. S. 69.

5. Wenden, Kr. Nienburg, Weſer. (Sunde Muſ. Hannover.)

6. Ceeſe, Kr. Stolzenau. (Sund Muſ. Hannover.)

7. Letter, Kr. Linden. (Sund Muſ. Hannover 18319.)

8. hüſede, Kr. Wittlage. Rauhtöpfe mit Bronzenadelbeigabe. h. Hartmann: Verſchanzungen und Urnenhügel in 5 mes Schlucht. Mitteil. d. hiſtor. Der. zu Osnabrück XVII, 1892. S. 4

9. Berſenbrück, Kr. Berſenbrück. (und Mu). ae 14804.)

10. Rettenkamp, Kr. Berſenbrück. (Sund Muj. Hannover 15095.)

11. Bernte, Kr. Lingen. Conrads: Der Urnenfriedhof auf dem ſog. Wächterberge bei Bernte, Kr. Lingen. Mitteil. d. hiſtor. Der. zu Osnabrück XIX, 1894. S. 168 ff.

12. Drievorden, Kr. Bentheim. Conrads: Über einen Urnenfriedhof zu Drievorden bei Emsbüren. Mitteil. d. hiſtor. Vereins zu Osnabrück XVII, 1892. S. 419.

B. Provinz Weſtfalen.

13. Tokkumer Heide, Kr. Minden. (Sunde Muſ. Minden.) W. Schulz: Sunde der vorrömiſchen Eiſenzeit des Kreismuſeums in Minden. Ravensberger Blätter. Jahrg. 1911. S. 69ff.

14. Cuſebrink in Neuenfnid bei Petershagen (Kr. Minden). J. Wengler: Ein Grabhügel auf dem Luſebrink in Neuenknick bei Peters⸗ hagen an der Weſer. Ravensb. Blätter. Jahrg. 1914. S. 24

15. Stemmer, Kr. Minden. Fund Muſ. Minden.) W. Schulz: . Blätter, Jahrg. 1911. S. 69ff. W. Schulz: Mannus X. S. 108ff.

Salzuflen, Lippe-Detmold. A. Krebs: Die vorrömiſche Metall: zeit 0 hen Wejtfalen. S. 13f. Nr. 141 und 142.

17. Borgholzhauſen, Kr. Halle. höcker: 5 bei Borgholz⸗ hauſen. Ravensberger Blätter, Jahrg. 1902. 8.

18. Galgenberg bei Bielefeld. Gund rita Bielefeld.) Wilbrand: Bemerkungen zum Borgholzhäuſer Grabfund. Ravensberg. Blätter, Jahrg. 1902. S. 34.

19. Friedrich— Wilhelmsbleiche bei Bielefeld. (Sunde Muſ. Biele⸗ feld.) Möller: Beobachtungen bei der Öffnung des Hügelgrabes der Friedrich⸗ Wilhelmsbleiche. Wilbrand: Die Urnen und ihr Inhalt. Jahresbericht des hiſtor. Der. f. Ravensberg. Jahrg. 20, 1906. S. 1ff.

20. Vierſchlingen. gun Muſ. Bielefeld.) Wilbrand: Ravens- berg. Blätter, Jahrg. 1902. S. 34.

21. Schledebrück (Gutshof zwiſchen Gütersloh und Rheda) Kr. Wiedenbrück. Krebs: S. 20, Nr. 257. (Rrebs: Tafel III, Abb. 21, 22.)

22. Gütersloh (auf dem Gelände der provinzialheilanſtalt), Kr. Wiedenbrück. Krebs: S. 19, Nr. 228.

a 23. Rheda (Am Gautenbrint), Kr. Wiedenbrück. Krebs: S. 21, r. 256.

24. 1 an an der Weſer, Kr. höxter. Krebs: S. 22, Nr. 280. (Krebs: Taf. IV, 9.

25. 9 aut Naendorf, Amt Metelen, Kr. Steinfurt. (Sunde Muf. Dortmund.)

26. Bauernſchaft Able, Amt Nienborg, Kr. Ahaus. (Fund Myf. Dortmund A 163,.)

300 Rudolf Stampfuß (14

27. Bauernſchaft Börnſte, Amt Dülmen, Kr. Coesfeld. (Sund Muf. Dortmund A 1585.)

28. Bauernſchaft Welte, Amt Dülmen, Kr. Coesfeld. (Sunde Mul. Dortmund A 15514; A 155,5; A 155 ae.

29. Köfeljumer heide, Amt Olfen, Kr. Lüdinghaufen. (Sunde Muſf. Dortmund: A 130,32; A 132 A, B, D.

30. Natrop-Kloſtern, Gemeinde Datteln, Kr. Redlinghaufen. (Sunde Muſ. Dortmund: A 184,; A 125,; A 125,2; A

31. Bauernſchaft Markfeld, Gemeinde Daiteln, Kr. Redlinghaujen. (Sunde Muf. Dortmund: A 41A; A 41B.)

32. Lewen am Gernebach, Kr. Redlinghaufen. (Sund Muſ. Dort: mund: A 127 Ca.)

35. Leweringhauſen, Gemeinde Waltrop, Kr. Recklinghauſen. (Sund Muſ. Dortmund: A 104 L.)

34. Siepenheide (etwa 300 m ſüdlich der von Grullbad nach Hod: larmark führenden Straße bei Recklinghauſen.) (Sund Muſ. Redlinghaujen.) H. Pennigs: Vorgeſchichtliche Sunde in der Redlinghdujer Gegend. Deſtiſche Zeitſchrift XXX, 1921. S. 48ff.

55. Buer (Sund Muſ. Buer.) Eichel: Das Muſeum zu Buer. Zeit⸗ ſchrift f. Heimatkunde im Kreiſe und Deſte Recklinghauſen. Jahrg. 9, 1899.

56. Gleſen bei Borken. W. Conrads: Über einige prähiſtoriſche Funde aus der Umgegend von ge gen der Altertums-Kom- miſſion für Weſtfalen. Bd. 1, 1899 99 ff.

37. Menden, Kr. Iſerlohn Garhofhöbl. (Sund Heimatmuſ. Menden.)

C. Rheinprovinz.

38. Emmerich, Kr. Rees. (Sund Muſ. Bonn XXX.)

39. Mehrhoog, Kr. Rees. (Sund Mu). Xanten.)

40. Diersfordt, Kr. Rees. (Sunde Muſ. Hamborn.)

41. Reichswald b. Kleve, Kr. Kleve. (Sund Muſ. Köln.)

42. Moyland b. Kalkar, Kr. Kleve. (Sund Muſ. Köln.)

45. God, Kr. Kleve. (Sund Muſ. Köln.

44. Keppeln, Kr. Kleve. (Sund Muſ. Berlin I. i. 1871.) C. Rade⸗ macher: Sundbericht über Ausgrabungen am Niederrhein und Nachrichten über deutſche Altertumsfunde. Jahrg. 1896. S. 10ff.

45. Kalbed, Kr. Geldern. (Sund Muj. Leiden.) Holwerda: Neder⸗ lands vroealte Beſchaving, Pl. IV, 16.

46. Twiſteden b. Kevelar, Kr. Geldern. (Sund Muſ. Köln.)

47. Teſter Berge b. Hinze, Kr. Dinslaken. (Sunde Muſ. hamborn und Röln.)

48. Duisburg-Wedau. (Sunde Muſ. Duisburg, Muſ. Eſſen, Muf. Berlin Ii. 1936.)

49. Düſſeldorf, Nordfriedhof und Friedhof am Tannenwäldchen. (Muſ. Düſſeldorf 167, 229 u. 173.)

50. Brüggen, Kr. Kempen. (Sunde Muſ. Köln.)

51. Dünnwald, Kr. Mülheim a. Rh. (Sund Muſ. Berlin I. i. 2003.)

52. heumar, Kr. Mülheim a. Rh. (Sund Muſ. Berlin I. i. 1888.)

55. Scheuerbuſch bei Wahn im Siegfreis. (Fund Muſ. Köln.) C. Rademacher: Chronologie der niederrheiniſchen Halljtattzeit in dem Gebiet zwiſchen Sieg: und Wuppermündung. Mannus IV. S. 187ff. Taf. XXIV, 16.

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15] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 301

54. Altenrath im Siegfreis. (Sunde Muf. Köln.) C. Rademacher, Mannus IV, Taf. XX, 11

D. Niederlande.

55. Denlo—de Hamert. (Sunde Myf. Leiden, Muſ. Krefeld und Mu). Düſſeldorf.) Holwerda: Das Gräberfeld von ‚de Hamert“ bei Denlo, Abb. 16, 22, 30, 35, 40, 57, 58, 72, 79, 84, 86.

56. Weert. (Sunde Muj. Leiden.) Holwerda: Nederlands vroegite Beſchaving. Pl. IV, 5, 9, 10, 14, 15.

57. Riethoven. (Sunde Mu). Leiden.) M. A. Evelein: Opgraving van een Urnenveld bij Riethoven (N.:B.). Oudheidfundige Mededeelingen van het Rijfsmujeum van Oudheden te Leiden IV. 1910. S. 31ff. J. 1 a Urnenveld te Riethoven. Oudheidk. Mededeelingen VII. 1913 51

58. Laune Mu). Leiden.) holwerda: Nederlands vroegſte Beſchaving. Pl. V,

59. Delen. (guid Muf. Leiden.) Holwerda: Nederlands proeaqjte Beſchaving. Pl. IV,

60. Arnhem. Sind Mu). Arnhem.) Holwerda: Nederlands vroegſte Beihaving. PI. IV, 13.

E. herzogtum Braunſchweig.

61. Rönigslutter⸗Ochſendorfer Weg, Kr. helmſtedt. (Sunde ſtädt. Muj. Braunſchweig 2010 a und 2014 und 2014 a.) S. Fuhſe: Gräberfelder der älteſten und älteren Eiſenzeit aus der Gegend von Braunſchweig. Mannus VIII, 1917. S. 134 ff. Abb. 155, 162 und 163.

62. Gr. Steinum⸗ Beienrode, Kr. Helmjtedt. (Sunde ſtädt. Muſ. Braunſchweig 1994 und 2000; Samml. Starke⸗ Beienrode.) S. Fuhſe: Mannus VIII, 1917. S. 177, Grab 10, Grab 16: Abb. 132. S. 180; Abb. 137.

63. Emmerſtedt, Kr. helmſtedt. (Sund herzogliches Mufeum Braun: ſchweig.) F. Subje: Mannus VIII, 1917. S. 165, Abb.

f = Beierſtedt, Kr. helmſtedt. Grab 49. F. Suhle: en: VIII, 917. S. 146.

F. Provinz Sachſen und Provinz Brandenburg. 65. Künern, Kr. Kalbe a. Saale. (Sund Muſ. Köthen-Anbalt.) 66. Menz bei Königsborn, Kr. Jerichow I. (Sund Muſ. Magdeburg. )) 67. Padegrimm, Kr. Jerichow I. (Sund Prov-Muſ. Halle 3910.) 68. Schermen, Kr. Jerichow I. (Sund Prov.⸗Muſ. Halle 3663.) 69. Tangermünde, Kr. Stendal. Fund Muſ. Berlin I. g. 720.) 2 Kriele, Kr. Weithavelland. (Sund Muf. Berlin I. k. 4299.) Schmetzdorf, Kr. Jerichow II. (Sund Samml. Buſſe im Prov.“ 118 5 nd) 328 Buſſe: Das Laténegraberfeld von Schmetzdorf. Mannus IV,

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Ein Blid auf die Sundfarte des Harpſtedter Stils lehrt uns fol- gendes: In Nordweſtdeutſchland, etwa in dem Gebiet zwiſchen unterer Weſer, haſe und Ems haben wir ein Kulturzentrum mit zahlreichen Sund- orten vor uns, von dem einerſeits durch das Cippetal (Übergang bilden die

Koſſin ') Diefen Sundort verdanke ich der gütigen Mitteilung des herrn Geheimrat

502 Rudolf Stampfuß 10

Sunde von Schledebrüd !) und Rheda 2) ein ſtarker Arm zum Rhein und nach Holland hinein abzweigt, andererſeits die Sunde von Braunſchweig eine ver⸗ mittelnde Stellung zu der ſächſiſchen und havelländiſchen Gruppe einnehmen. Auffällig ijt das Anlehnen der Fundorte an die größeren Flußläufe. Wie ſchon oben erwähnt, treten in Braunſchweig nur die jüngeren Typen e, d auf, während die älteren Typen vollſtändig fehlen. Ebenſo ſind mir aus Sachſen und dem Havelland nur jüngere Typen bekannt, woraus hervorgeht, daß dieſe Gruppe nur einen jüngeren Abzweig aus der heimat der Harp⸗ ſtedter Kultur, und zwar die ſpäteſte Abwanderung dieſer Kulturgruppe darſtellt. Der Cippevorſtoß dagegen muß bedeutend früher erfolgt fein, da Gefäße vom Typus b bis weſtlich zum Rhein hin auftreten. Wir haben den Ausgangspunkt dieſer Kulturgruppe einerjeits da zu ſuchen, wo wir ihre ſtärkſte Verdichtung bemerken und andererſeits, wo wir die älteſten, urſprünglichen Sormen vorfinden. Die älteſten Gefäßformen vom Typus a kenne ich bisher nur von Harpſtedt, Kr. Syke. Sodann iſt mir ein für dieſe Form wahrſcheinlicher Prototyp ohne den Wellenrand uus demſelben Zentrum zwiſchen Ems und Weſer bekannt. Es handelt ſich um einen Fund des Berliner Muſeums von Berſenbrück (I. 818) aus der Sammlung Korff. In dem häufungsgebiet zwiſchen Ems und unterer Weſer haben wir alſo den Urſprung der Harpitedter Kultur zu ſuchen. 5 früh ſchon, mit dem Germanenvorſtoß durch das Tal der Lippe in Per. V, find die erſten harpſtedter Gefäße bis an den Rhein gelangt. An der oberen Lippe weiſt die Sundfarte bis jest nod) eine Lüde auf, da es mir nicht möglich war, das Muſeum Hamm zu beſuchen. Die untere Lippe wiederum iſt ſtark beſetzt, vor allem das linke Ufer, im beſonderen der Kreis Recklingshauſen. Don hier aus dringt die Kulturwelle weiter den Rhein hinunter nach Holland, als auch direkt linksrheiniſch zur Maas und nach Brabant hinein vor. Eine andere Gruppe unternimmt den Vormarſch rheinaufwärts. Der ſüdlichſte weſtfäliſche Sund ) zeigt das Überſchreiten der Ruhr und das Eindringen der Kultur in das Sauerland. Auf dem Hellweg durch das Tal der Ruhr bis zur Wedau, dann weiterhin linksrheiniſch über Brüggen nach Brabant hinein, Weert und Riethoven, dürfte die Südweſtgrenze der Ger: manen um 750 vor Chr. verlaufen ſein.

Eine weitere Fundgruppe Harpſtedter Gefäßtypen die ich aber im Rahmen dieſer Arbeit nicht mehr habe mitbehandeln lönnen liegt im Gebiete der Mehrener Kultur. Es ſind mir noch eine Reihe von Fundorten dieſer Gefäßtypen, zu denen auch der angeführte Tupus Textabb. 11 u. 12 gehört, aus Eifel, Hunsrück und Pfalz bekannt, die innerhalb der Mehrener Kultur als Brandgräber auftreten und das früheſte germaniſche Element dieſer Rulturaruppe darſtellen. Sie werden wohl in den Arbeiten von Srl. Neuß-Cübingen noch eine eingehendere Würdigung erfahren.

V. Der Harpftedter Stil am Niederrhein und fein Verhältnis zur Hallſtattkultur.

Wir haben in kurzen Zügen die Ausbreitung der Harpjtedter Kultur zum Rhein hin verfolgt. Gegen Ende der Bronzezeit find die früheſten Harp- ſtedter Hefäßtypen bis zum Rhein hin en gegen 750 vor Chr.

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1) Siehe Fundverzeichnis Nr. 21. 2) Siehe Sundverzeichnis Nr. 25. 3) Menden, Kr. Iſerlohn. Siehe Fundverzeichnis Nr. 37.

17] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 303

haben die harpſtedter Germanen gemeinſam mit den Nienburgern die Wedau bei Duisburg und de Hamert bei Denlo erreicht. Es iſt vollkommen unmög⸗ lich, daß ſie erſt um 600 vor Chr. die Südgrenze bei Duisburg erreicht haben, wie wir im folgenden bei der Unterſuchung einiger Felder des nördlichen Niederrheins ſehen werden, die in ſchöner Weiſe die ſchon bis jetzt aus dem hannoverſchen und weſtfäliſchen Material gewonnenen Tatſachen und Datie⸗ rungen vollauf beſtätigen.

Das Urnenfeld von Mehrhoog Kr. Rees), ein kleines Feld von etwa 40 Gräbern mit Rerbſchnittkeramik der Per. IV, lieferte daneben ein doppel⸗ koniſches Gefäß mit etwas geſchweiftem Oberteil der Per. V und ein Harp⸗ ſtedter Gefäß vom Typus b. Leider entſtammen die Funde einer unfachmänni⸗ ſchen Grabung, daher ijt genaueres über FSundzuſammengehörigkeit und Fund⸗ umſtände nicht in Erfahrung zu bringen. Gerade ſolch kleines Feld liefert die Beweiſe für eine chronologiſche Zuſammengehörigkeit der Funde. So läßt lich eine fortdauernde Belegung diejes Platzes von Per. IV—V der Bronzezeit verfolgen. Das Harpſtedter Gefäß halte ich hier für gleichzeitig dem doppel⸗ koniſchen Gefäß, da es die einzigſten germaniſchen Sunde dieſes Feldes find, und wohl kaum anzunehmen iſt, daß vielleicht zu verſchiedenen Jahrhunderten ein einzelner Germane dort eingedrungen iſt, um ſich neben den Kelten be⸗ ſtatten zu laſſen. Auch treten die Rauhtöpfe der frühen Eiſenzeit vom Tupus c—e felten vereinzelt auf den Feldern auf; gewöhnlich in größerer Anzahl. Der Mehrhooger Raubtopf iſt faſt der einzig bekannte Fund eines reinen Typus b vom nördlichen Niederrhein, was ebenfalls für fein hohes Alter ſprechen dürfte.

Das von C. B unterſuchte Hügelgräberfeld von Keppeln, Kr. Kleve ), ein kleines Feld, was wieder für chronologiſche Gleichzeitigkeit der Funde ſpricht, lieferte ein bemaltes Gefäß H, (Sunde Muf. Berlin I. i. 1860), daneben andere Typen von H, (I. i. 1861, 1864 und 1874), ferner ein Harpſtedter Gefäß-Typus c—d (I. i. 1871) und einen größeren Scherben eines gleichen Gefäßes vom Tupus c, ſodann zwei Nienburger Gefäße (I. i. 1865 und 1875). Es ſteht hier nichts im Wege, die angeführten Typen alle für gleichzeitig zu halten. Demnach liefern ſie ebenfalls einen indirekten Beweis für die oben gewonnenen Datierungen. Wir werden noch bei weiteren Funden die Gleichzeitigkeit von H,-Sunden und Harpſtedter und Nienburger Gefäßtypen beobachten können.

Auf dieſem Felde können wir auch in ſchöner Art das gleichzeitige, friedliche Auftreten von Funden zweier verſchiedener Bevölkerungselemente, einerſeits der Hallftattleute und andererſeits der Germanen, beobachten. Beide Kulturen treten uns rein entgegen, von einer Miſchbevölkerung liegt noch keine Spur vor. Don bloßem Kultureinfluß von ſeiten der Germanen kann man hier nicht ſprechen; dafür find deren Sunde auf dieſem Selde gegen⸗ über dem übrigen Fundinventar zu zahlreich. Es liefert uns dieſer Fundplatz ſomit den Beweis, daß Germanen und hallſtattvölker friedlich auf ein und demſelben Feld gleichzeitig beſtatten, alſo an eine Kontinuität der Bevölkerung bis in die ſpäte Halljtatt- zeit in ſtrengem Sinne nicht zu denken iſt. Zwar bleiben einzelne Reſte der Hallſtattleute bis zur Frühlatènezeit rein erhalten, jedoch wird die

: unde Muf. Xanten. Rademacher, Fundberichte über Ausgrabungen am Niederrhein. Nach⸗ richten über deutſche Altertumsfunde. 1896. S. 10ff.

304 Rudolf Stampfuß [18

Maſſe in der Folgezeit von den Germanen nach und nach aufgeſogen und macht ſich in der daraus entſtehenden Miſchkultur in H, bemerkbar.

Dieſe Miſchkultur kann ſich in verſchiedener Weiſe äußern. Einmal bleibt die hallſtattgefäßform, das Gefäß wird aber ſtark gerauht, was nur unter Beeinfluſſung der germaniſchen Rauhtöpfe geſchehen ſein kann; eine merkwürdige Catſache bleibt es ja immerhin, daß die Gefäße von H. H. je weiter wir nach Norden kommen, in deſto größerem Maße eine Rauhung der unteren Gefäßhälfte aufweiſen, während in dem unbeeinflußten hallſtatt⸗ kreiſe die Gefäße durchweg geglättet ſind.

Sodann tritt auch eine regelrechte VDermiſchung beider Kulturformen ein, ſo daß 3. B. ein germaniſcher Oberteil auf den Unterteil eines geſchwunge⸗ nen Hallſtattgefäßes aufgepfropft wird und umgekehrt. Dadurch allein er: langen wir für den großen Formenreichtum in der Keramik des nördlichen Niederrheins eine einleuchtende Erklärung. Nur von verwaſchenen Ballitatt- formen zu ſprechen, kommt den Tatjadyen nicht nahe genug, da es fic) wohl um verwaſchene Formen handelt, aber das Vorhandenſein einer Miſchkultur dadurch nicht zum Ausdruck gebracht wird.

Kommen doch auch gleichzeitig reine Hallſtattformen vor, denen gegen— über eine verwaſchene hallſtattkultur nicht aufrecht zu erhalten ijt. Es wäre merkwürdig, wenn in einem einheitlichen unbeeinflußten Kulturkreiſe neben rein dieſem Kreiſe in einer beſtimmten Zeitperiode angehörenden Formen ſich auch gleichzeitig in größerem Umfange ſogenannte verwaſchene Formen vorfinden würden. Demzufolge gehört alſo dieſe Miſchkultur einer ſelbſtändigen Bevölkerungsgruppe, einem Gemiſch aus ball: ſtattleuten und Germanen oder vielmehr germanijierten ball: ſtattvölkern an. Der größte Teil der Funde der dritten hallſtattſtufe Rademachers ) dürfte dieſer Bevölkerung zugerechnet werden müſſen.

Das Gräberfeld Diersfordt, Kr. Rees ) lieferte: a) Gefäße der aus: gehenden Rerbſchnittkeramik, etwa Ende Per. IV; b) ein Gefäß der Urnen⸗ felderkultur!; e) doppelkoniſche Gefäße der Per. V; d) Gefäße H,—H;; e) Harpſtedter und Nienburger Gefäßtypen; f) Reramik der Mijchkultur; g) Brandgrubengräber der Lalènezeit. Die hügel mit Einzelbegräbniſſen Nachbeſtattungen find ziemlich ſelten meſſen von 20—6 m im Durchmeſſer und 1,20—0, 20 m in der höhe. Das Gräberfeld lieferte eine Reihe für die Datierung der Harpftedter und Nienburger Typen wichtige Grabfunde, auf die ich im folgenden näher eingehen muß.

1. Bauchige, geglättete Halljtatturne Hz; auf dem gänzlich zerſtörten Deckel ſtand als Beigefäß ein kleiner Rauhtopf mit Wellenrand vom Tupus e.

2. Große Hallſtatturne mit Schrägrand Ho, Unterteil gerauht, als Deckel darauf koniſche ODeckſchüſſel, die den in den Nachrichten über deutſche Alter: tumsfunde ?) Abb. 1 und 2 abgebildeteten Deckeln geradezu identiſch tft.

5. Harpſtedter Urne, Typus b—e, mit Deckel wie 2. und kleinem röt⸗ lichen, koniſchen Beigefäß mit eingezogenem Rande und einer Delle im Boden.

4. Nienburger Urne mit demſelben Beigefäß wie 3.

Dieſe vier nebeneinander geſtellten Grabfunde liefern uns nachſtehende n Auf dem Gräberfeld Diersfordt verhält ſich das Alter des Harp—

1) C. Rademacher, Chronologie der N Hallſtattzeit in dem Gebiet zwiſchen Sieg- und Wuppermündung. Mannus IV. 1912. S. 187ff. Taf. XX, 11.

2) Funde Muſ. Hamborn und Köln.

3) Weigel, Die hügelgräber von Nienburg a. Weſer, Prov. hannover. Nachrichten über deutſche fte ene 1892. S. 69ff.

19] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. 305

ſtedter Stils zu H, wie der Nienburger Stil zu H,. Da Harpiteöter und Nien⸗ burger Stil ebenfalls nach den oben von demſelben Feld vorgeführten Funden gleichzeitig ſind, ergibt ſich daraus die Gleichzeitigkeit aller drei Kulturgruppen.

Das iſt von bedeutender Wichtigkeit. haben wir doch den ſicheren Beweis ſchon für den Beginn der Rulturmiſchung der germani⸗ ſchen harpſtedter und Nienburger mit der hallſtattkultur in der zweiten hallſtattſtufe. Demnach iſt meine Feſtſetzung für den Husgang der reinen Bronzezeit um 900 ſicher nicht zu früh gegriffen. Wir haben ſomit in dem Gräberfeld Diesfordt einen muſtergültigen Fundplatz für den Vormarſch der Germanen ins Hallſtattgebiet im neunten Jahrhundert. Die germaniſchen Sunde auf dieſem Felde verhalten ſich zu den nichtgermaniſchen Funden, abgeſehen von den ſpärlichen Funden der Miſchkultur, wie 8:1. Un dieſen Zahlen erkennen wir ſchon die Kraft, mit der dieſer Germanenvorſtoß erfolgt iſt, alſo von Kultureinfluß kann nicht die mindeſte Rede jein.

Wie dieſes Grabfeld, werden ſich wohl alle Selder nördlich der Lippe verhalten. Südlich der Lippe und im beſonderen ſüdlich der Ruhr verſchieben ſich um die gleiche Zeit die Verhältniſſe mehr zugunſten der hallſtatt- oder auch der Miſchkultur. Um 750 vor Chr. aber werden die Fundverhältniſſe in dieſem Gebiet (etwa Wedau) fic) prozentual gleich den Verhältniſſen um 900 vor Chr. nördlich der Cippe verhalten haben.

Über das Gräberfeld Wedau bei Duisburg liegt bis jetzt nur eine ent⸗ ſprechend der Bedeutung dieſes Seldes recht dürftige Erwähnung Schumachers in feiner Siedlungs⸗ und Kulturgeſchichte der Rheinlande Seite 106 vor: „Eine beſonders dichte Beſiedlung ijt in dem Dreieck zwiſchen Ruhrmündung und Rhein, der fog. Wedau bei Duisburg, zu beobachten. Zu Dutzenden, ja hunderten erhoben ſich die Grabhügelchen längs der Dünenrücken des Hochufers, bald in Gruppen, bald in langen Reihen, inmitten der heide, jetzt durch Induſtrieanlagen und Bauten meiſt beſeitigt. Die zahlreichen, namentlich von H. Bonnet geöffneten Brandgräber haben leider faſt nur Keramik ergeben, die auf den erſten Blick ſehr monoton erſcheint, bei näherem Zuſehen ſich aber doch gliedern läßt. Sie rührt teils von derſelben Hallſtatt⸗ bevölkerung her wie ſie in der Kölner Umgebung auftritt, teils von einge⸗ wanderten Germanen der Harpſtedter Kultur (ſeit dem 5. Jahrhundert) und deren Weiterentwicklung, die bis in die römiſche Kaiferzeit dauert.“

Ceider iſt Bonnet nicht mehr dazu gekommen, ſein Material ſelbſt zu veröffentlichen, auch hat bisher ſich noch kein Prähiſtoriker an die Unterſuchung des zahlreichen Materials herangewagt. Die Schumacherſchen Huswer⸗ tungen ſind nach den vorangehenden Ausführungen ja ſchon ohne weiteres hinfällig. Mir iſt von dem in alle Windrichtungen zerſtreuten Material bekannt: die Bonnetſche Sammlung im heimatmuſeum Duisburg, worüber auch von Bonnet ein paar Tafeln Abbildungen vorliegen, die leider ſtark ſchematiſiert find und betreffs genauerer Datierungen keinerlei ſichere Auf- ſchlüſſe gewähren. Sodann die umfangreiche Sammlung des Eſſener Muſeums, ferner die Funde in den Muſeen Berlin und Bonn und zuletzt einige wenige Sunde aus der Privatſammlung Schmitz in Duisburg. Die Sammlung des Duisburger Gymnaſiums war mir bisher nicht zugänglich. Jede der einzelnen Sammlungen ergibt getrennt faſt dasjelbe Bild, ſo daß durch die letztere Samm lung im weſentlichen keine neuen Momente hinzutreten dürften.

Das Bild, das wir aus den vorliegenden Funden uns rekonſtruieren können, wollen wir in einigen wenigen, kurzen Zügen zu entwerfen ſuchen. Ich kann mich natürlich nicht auf große Erörterungen einlaſſen, das bleibt

mannus, Jeitſchriſt für Dorgeich., Bd. 17. H. 4. 20

306 Rudolf Stampfuß | [20

einer größeren Sonderveröffentlichung vorbehalten —, ſondern will nur in ein paar Strichen ein Siedlungsbild entwerfen:

Wie ſchon oben erwähnt, ijt in der Wedau der Hallitatteinfluß noch bedeutend ſtärker. Hallitatt 2⸗Tupen find reichlich vorhanden, während HI fehlt. Sodann ſind reichlich vertreten Typen der Miſchkultur und ferner Nienburger Typen in ſtarker Anzahl. Der von Schumacher erwähnte Harp⸗ ſtedter Stil iſt äußerſt ſelten auf dem Felde vertreten; es hat dieſer ſeine Stoß⸗ kraft mehr auf das linke Rheinufer verwandt, wo er zahlenmäßig ſtärker ver⸗ treten ijt, während hingegen der Nienburger Stil den Dormarſch auf dem rechten Rheinufer antrat. Die Derhältnifje der einzelnen Kulturtypen find etwa: Harpſtedter Stil zu den Geſamtfunden wie 1:40; Nienburger Stil zu den Geſamtfunden wie 1:4; dabei teilt ſich der Reſt in der Miſchkultur und reinen Hallſtattkultur. Don einer unſicheren Datierung kann hier keine Rede ſein. Das Feld hat von H,—H, beſtanden. In H, {don find die erſten Harp- ſtedter und Nienburger Germanen, unter Umſtänden durch das Kuhrtal oder aber von der Lippe her in die hallſtattmaſſe eingedrungen und haben die Miſchkultur hervorgerufen. Zeitlich wird alſo die Miſchkultur ſpäteſtens zu Beginn H, ihren Anfang nehmen und bis H, fortdauern. Leider find die Zeichnungen Bonnets zu ſchematiſch, als daß ich ſchon jetzt genaue Angaben über die beginnende Rulturmiſchung zu Ende der zweiten Hallſtattſtufe auf dem Gräberfeld Wedau machen könnte. Darüber ſpäter einmal.

Bliebe unſeren Betrachtungen zur Vervollſtändigung noch eine kurze Würdigung des Gräberfeldes de Hamert bei Denlo !) übrig. Die von Hol: werda ausgeführten Grabungen find muſtergültig, jedoch muß man feine archäologiſchen Schlüſſe entſchieden ablehnen ?). Eine kurze Beſprechung dieſes Sundplaßes gibt Schumacher) natürlich gemäß feinen ſchon bei Behandlung der Wedauer Funde geäußerten Anſichten: „Die Nekropole bei Venlo, zwar ſchon auf holländiſchem Boden, aber dicht an der deutſchen Grenze gelegen, auf einem nach der Maas abſchüſſigen heideplateau, umfaßt in einem Gelände von etwa 400 x 100 m über 100 Grabhügel von 1—22 m Durchmeſſer und höchſtens 1 m höhe, die alle aus Heideplaggen aufgebaut und mit Ring⸗ gräben umgeben ſind ). Abgeſehen von einem neolithiſchen Schnurzonen⸗ becher enthalten die tumuli nur Urnengräber der ausgehenden Hallitattzeit, die ſich auch noch in der Catèneperiode fortgeſetzt haben. Unter den Gefäß⸗ formen unterſcheidet man die ſüddeutſche kugelige, feingeglättete Urne mit Schrägrand (HZ H:) und den rohen germaniſchen Eimer mit gewelltem Rande (H,), welche beide Sormen am Niederrhein in nur wenig abgeänderter Geſtalt (in Denlo allerdings kaum vertreten!) ſich bis in die römiſche Kaiſer⸗ zeit halten. Da Venlo etwa auf der höhe der Wedau liegt, ijt ein fo frühes Vordringen von Hallſtattleuten (und Germanen) nach der Maas nicht auf⸗ fallend. Man möchte die Vermutung äußern, daß die Bevölkerung von Denlo urſprünglich nördlich der Wuppermündung bis zur Wedau und weiter wohnte, da die Sunde ſüdlich der Wupper noch ausgeſprocheneren ſüddeutſchen Hall: ſtattcharakter tragen. Die älteren Gefäße der Wedau zeigen tatſächlich viele kihnlichkeit mit dem älteren Typus von Denlo.“

1) ga le Das A 80 von ‚de Hamert‘ bei Denlo. Denlo 1916.

2) E. Rademacher, Zur Chronologie der niederrheinifden hallſtattgräber. Man⸗ nus X. 1919. S. 97ff. 3) C. Schumacher, Siedlungs⸗ und pal der Rheinlande. I. S. 107f. ) Siehe auch Prähiſtoriſche Jeitſchrift XV. 1924. S. 137f. 15. Tagung des nord⸗ weſtdeutſchen Verbandes für Altertumsforſchung 3.

21] Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein ufw. 307

Soweit der Schumacherſche Bericht. Eine Kritik wäre ja auch hier eigentlich nicht mehr nötig. Die Jundverhältniſſe ſind dieſelben wie in der Wedau, nur daß wir hier ein ſtärkeres hervortreten des Harpſtedter Stils zu verzeichnen haben. Für eine Fortſetzung der Gräber bis in die Latenezeit liegen keinerlei Beweiſe vor, da der tupiſche rheiniſche wohl größtenteils der Frühlatenezeit angehörige Rauhtopf mit Wellenrand (Taf. 2, Abb. 11 und 12) auf dieſem Felde fehlt und die dort auftretenden Harpſtedter Gefäße vom Typus c—d wohl nicht in die frühe Latenezeit hineingereicht haben.

Prof. Schumacher, der dieſe Typen bis in die Kaijerzeit hinein datiert, hat bisher keine Abbildungen der vermeintlichen kaiſerzeitlichen Harpſtedter und hallſtattgefäße (auch in Venlo läßt er dieſe Typen bis in die römiſche Kaiſerzeit hineinleben) zur Diskuſſion geſtellt. Mir ſind derartige Typen vom nördlichen Niederrhein nicht bekannt, da ſich dort der Formenſchatz ſowohl in der Laténe-, als auch in der Kaiſerzeit völlig ändert. Die gleichen Behauptungen holwerdas hat Rademacher ja ſchon einer gründlichen Kritik unterzogen 1). Don einem zeitlich frühen Vordringen von Hallſtatt⸗ leuten nach Venlo hin können wir nicht ſprechen; find doch ältere und reinere hallſtatteinflüſſe entſchieden weiter nördlich vorgedrungen. In H aber ſchon haben die Hharpſtedter Germanen ‚de Hamert‘ bei Venlo erreicht, wo lie im Verein mit der Wedau bei Duisburg um 750 vor Chr. ihre Südgrenze inne gehabt haben.

VI. Schluß betrachtungen.

Saſſen wir zum Schluß die in vorliegender Arbeit gewonnenen Ergeb⸗ niſſe in ein paar Worten zuſammen und verſuchen in kurzen Zügen ein Bild der vorgeſchichtlichen Kulturfolge der Hügelgräberfultur des nördlichen Niederrheins das keinerlei Übertragung auf ſüdlichere Derhältniffe zuläßt zu entwerfen. Zu Ende der Steinzeit finden wir in unſerer heimat die thüringi⸗ ſchen Schnurkeramiker und die Glocken⸗ und Jonenbecherleute vor, die in ihren weſentlichen Beſtandteilen bis in die Kupferzeit hineingereicht haben dürften. Danach klafft bis jetzt noch eine deutliche Lücke bis zu Ende der Per. II der Bronzezeit. Um dieſe Zeit dringen die ſüddeutſchen Hügelgräberleute zum Niederrhein vor und laſſen die Sonderentwicklung des niederrheiniſchen Kerbichnitts zur Blüte kommen. Dieſer reicht bis weit in die Per. IV die Urnenfelderkultur hinein. Die Urnenfelderkultur ſchob ſich in breitem Streifen etwa von der Ruhr durch Brabant bis zur Schelde hin vor. Gegen Ende des zweiten Jahrtauſends vor Chr., als ſich von Süddeutſchland aus die beginnende hallſtattkultur nach Norden hin in Bewegung ſetzte, hat fic auch im norddeutſch⸗germaniſchen Gebiet eine gewaltige Ausbreitung voll- zogen. Um 1000 vor Chr. haben die Weſtgermanen den Teutoburger Wald überfchritten und dringen durch das Cippetal zum Rhein hin vor. Um 900 vor Chr. haben ſie das geſamte Cippetal bis zum Rhein hin (Diersfordt) in Beſitz. Immer weitere Nachſchübe der Germanen (Harpſtedter und Nienburger) drücken in friedlicher Durchdringung die hallſtattbevölkerung, die fic) ihrer⸗ ſeits bis zur Lippe ausgebreitet hatte, zurück, und verlegen um 750 vor Chr. ihre Südgrenze bis nach Duisburg (Wedau). Die Miſchkultur H, zeigt die beginnende Germaniſierung der Hhallſtattkultur in der Kölner Gegend, die

1) E. Rademacher, Zur Chronologie der niederrheiniſchen Hallſtattgräber. Man⸗ nus X. 1919. S. 97ff. 20*

308 R. Stampfuß, Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uw. 22

einflüſſe vorgedrungen.

habe in vorliegenden Ausführungen den Nachweis erbringen können, daß auch rohe keramiſche Formen wie der Harpſtedter und Nie burger Stil für eine ſichere chronologiſche Datierung in Frage kommen, fofern sa uns nicht durch vereinzeltes archaiſtiſches Auftreten folder Stile irreleiten

Materialveröffentlichungen, auszufüllen, dann wird es uns gelingen, die oben angedeuteten Probleme einer abſoluten Klärung näher zu bringen.

Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Laténe-deit im Kreiſe Schweinitz, Prov. Sachſen.

Don H. Rodrian, Lehrer. (Mit 84 Textabbildungen.)

1. Genaue Lage: Im Oitzipfel des Kreiſes Schweinitz in den höllen-Bergen nördlich von Wüſtermarke, wenig nördlich des Punktes 150,4 (Meßtiſchblatt 2322), am Südrande des ſogenannten „Zöllmersdorfer Weges“, 50 m weſtlich feines Schnittpunktes mit dem „Ukroer Fußſteig“ liegt Diditiels Sichtenplan (vgl. Karte auf nächſter Seite).

2. Beſchaffenheit des Sundortes:

Der Endmoränenwall des Fläming, der von dieſer Gegend ab eine nach Süden ſtreichende Kette von Blockmoränen aufweiſt, fällt nach Oſten zu ſteil ab. Tiefe Einſchnitte, die „Höllen“ genannt, bilden eine der Hochfläche des Fläming fehlende UAbwechſelung. Nur wenig tiefer dehnt ſich nach Weiten die hochebene der „Wüſten Mark Gruhlig“ aus.

3. Beſchaffenheit des Bodens:

Die landſchaftlich großartig wirkende Blockmoränenkuppe unmittelbar öſtlich von Großes Heidewirtichaft ijt wegen ihres Steingehaltes wohl kaum mehr für die Dorgefchichte ergiebig. Dort ſind vor mehr als 20 Jahren Steine gegraben worden zum hausgrundbau. Im Steinbruchbetrieb find auch die Urnen in die Brüche gegangen. Nur wenige Scherben von der Urt des Gefäßes Nr. Ve 1 fand ich an der Oberfläche. Der Ludauer Dr. Behla foll früher hier gegraben, aber wohl nur mäßige klusbeute gehabt haben.

Hohe 150,4 dagegen enthielt den Begräbnisplatz, der nachfolgend be- ſchrieben iſt, allerdings in einer Senke zwiſchen höhe 150,4, welch letztere ſelbſt auch große Gruben aufweiſt, in denen man Steine brach, und der nörd— lich anſchließenden Kuppe. Dieſer Sattel ijt ſchon ein alter Verbindungsweg durch die heide, ſandig, mit mehr oder weniger häufig eingeſtreuten Steinen von wechſelnder Größe, wie dies beſonders aus Skizze Nr. XIV zu erſehen iſt. In durchſchnittlich 0,50 m Tiefe beginnt meiſtens die hellere Sandſchicht, während die humoſe Waldſchicht meiſt nur 5 em, kaum über 10 em tief ijt.

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H. Rodrian

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Der nördliche Teil liegt hart an den Wagenſpuren des tief eingeſchnittenen Scherben fanden ſich ſelbſt auf dem Weg. Die Urnen lagen ſchon

4. Zuſt and des Sundplages vor der letzten Aufdedung. Weges.

3) Ein Begräbnisplaß früher Eiſen⸗ und Latenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 311

an der Böſchung. Der ſüdliche Teil ‘ft 50—40 jähriger Kiefernbeitand. Als hier ſeinerzeit die Stämme gerodet wurden, ſind wohl die meiſten Gefäße zertrümmert worden, ſoweit ſie es noch nicht waren, vor allem aber zerſtreut worden, ſo daß ganze Scherbenneſter zu finden waren, ebenſo aber ſehr zer⸗ ſtreute Oberflächenfunde. Eine Schichtung iſt nie zu bemerken geweſen. Nur einmal (Nr. XIII) fanden ſich grauſchwarze bis tiefſchwarze elſchenreſte bzw. Holzkohlenreſte in größerer Menge in einem Scherbenneſt. Doch iſt anzunehmen, daß die Reſte von einem Feuer jener Waldarbeiter herrührten. Infolge des Beſtandes und der geringen Tiefe der Anlage find alle Töpfe zerdrückt oder von Wurzeln übel zugerichtet. Ein planmäßiges Abdeden größerer Schichten. war meiſt unmöglich wegen des Beſtandes, die Bergung wohl aber dringend ratſam, da die Wurzeln die Reſte der Unlage weiterhin zerſtört haben würden und beim Abhauen der Bäume in etwa früheſtens 40 Jahren das nicht mehr zu retten geweſen wäre, was jetzt allmählich ge⸗ borgen wurde. War die Ausgrabung oft ſchon recht mühſelig, da die Bäume unbedingt geſchont werden mußten, jo war es die Juſammenſetzung oft noch viel mehr.

5. Die Grabungsergebniſſe im einzelnen der zeitlichen Folge nach:

I. Durch Zufall fand ein vom Felde heimkehrender Candwirt dieſes prächtige Stück. Seine Wünſchelrute war ſeine Miſtgabel, die er beim Gehen durch die ni ats ab und ju wie einen Spazierſtock mal aufſetzte. Der Rand lag nur 10 cm tief. Die mit Leichen⸗ brand gefüllte Urne enthielt keine Beigaben nach Ausfage des Sinders und des Beſitzers, ſtand auch ohne Beigefäße in der Erde. Die zwei a ſcheinen mir auf ſüdlichen,

lſtättiſchen Einfluß zu deuten. Der eine wulſtige Henkel erſcheint wohl zur Zierde.

ie Bauchwandung iſt mit einem wahrſcheinlich dreizinkigen biegſamen Gerät durch wirres Bekratzen leicht a wenn auch manchmal ein vierter Strich erſcheint oder die Ent⸗ fernung unter den Strichen ſich verändert. Das kann ja durch feſteres Jufaſſen oder Drehen oder Husſetzen eines Zinkens oder Nachziehen verurſacht jein. höhe etwa 28cm. Größte Schulterweite 21cm Dm., Mündung etwa 10cm Dm. Das Material iſt außen wie fein⸗ u San’ papier, oben etwas glatter, von rötlichbrauner Farbe, innen dunkler. Hand⸗ arbeit. a

N 1 S N t 3,50 m ee 0m N I. pea = zn Yo 20 m a 8 W oy 8 we 2 OSs Sein 70. 8 10 m

II. a) Aud) die Sunde II—IV ließen noch etwas Ungewißheit. Die Urne lag auf etwa 1qm zerſtreut in der Tiefe von 10-60 cm. Wenn auch viel fehlt, fo läßt ſich aus den vorhandenen 55 Teilen ein brauchbares Bild gewinnen: oden 13,5 cm Dm. In 17cm ehe über dem Boden der größte Umfang mit 26 m Dm. Der Hals von 7,5cm höhe mag in höhe von 24 cm begonnen haben, jo daß die Urne etwa 32 cm och geweſen fein wird. Die Mündung wird 19 cm Dm. gehabt haben. Die Wandung iſt am Boden 8 mm ftarf, in der Mitte etwa 6 mm, am Hhalsanſatz ſtellenweiſe 9 mm, der Hals oben 6—7 mm. Der Boden iſt in der Mitte bis 14 mm ftarf, am Rande 8mm. Das

312 H. Rodrian [4

Material ijt mausgrau, vermengt mit ſtecknadelkopfgroßen und noch größeren Quarz⸗ körnchen. An der Innenſeite ſchimmert vereinzelt das o e Thay cing ay (Glimmer blättchen). Der Sarbton ijt meijt gelbbraun, jedoch mit vielen Flecken bis ins Graue einer: ſeits und ins Ziegelrote andrerſeits. Außen iſt die Urne vielfach ſchwarz geſprenkelt. Innen ſchwärzlich und an oben gelblichbraun. Innen und außen unvollkommen geglättet. Die Scherben hatten beſtimmt nicht mehr ihre urſprüngliche Lage, denn ſtatt der üblichen Knochenreſte fanden ſich nur wenige Überbleibſel ebenſo zerſtreut wie die Scherben. Zehn Scherben, ſehr ſchön geglättet, gehören nicht zu dieſer Urne. Es könnten Reite einer großen Deckſchale ſein. Der erheblichen Dicke wie der Urt der Wölbung wegen aber nehme ich an, daß entweder noch ein zweiter Topf wie Nr. II e hat, oder ſchon ein zertrümmertes Gefäß dieſer Form bei der Beſtattung als Deckel verwendet wurde.

Wa. %

II. b) Dier Kandſcherben und 13 ſehr kleine Stücke müſſen einem ſtarkwandigen Gefäß wie Nr. XIf entſtammen von etwas kleinerem Ausmaß als dieſes es hat. Sechs Rand- und zwei Wandſtückchen deuten auf ein dünnwandiges Gefäß wie Nr. IVb hin.

III. Hart an der Fahrrinne deuteten Scherben einen weiteren Fund an. Die Stelle liegt 3m nordöſtlich von Fundort II. Unmittelbar unter der heidekrautdecke lagen an der Böſchung bis in 40 bzw. 50 cm Tiefe größere und kleinere Scherben. Sie waren ſehr brödelig und mürbe, von einem zwar großen, aber verhältnismäßig dünnwandigen Gefäß. Diele Teile waren vom Sand nur durch ihre dunklere Sarbe zu unterſcheiden, jo waren jie zer⸗ gangen. Zudem lagen in den Scherben noch viele bis fauſtgroße Steine. Unzweifelhaft ſchwarze Brandſtellen waren mehrfach zu beobachten, doch waren immerhin verhältnis⸗ mäßig wenig RKnochenreſte zu finden. An der Innenſeite find die Scherben ſchwärzlich,

1) Alle Profile von Gefäßwänden und alle Scherben ¼ nat. Größe.

5) Gin Begräbnisplaß früher Eiſen- und Latenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 313

außen rötlichbraun, nach unten zu gelblicher und ſchmutziggrau. Sie ſind durchweg fledi

und die oberen ſchwarz geſprenkelt. 39 Scherben ergaben faſt den halben Boden und no

drei Urnenteile. Zahlreiche kleinſte Teile blieben ſich hartnäckig fremd. Der Boden mißt 12cm Dm. Die Wandung ladet auf einer Seite 12cm aus, ge der anderen nur 7cm. Die Schulterrundung ijt 9,5 cm bzw. 8 em über dem Boden. Die 1 55 eht 3,5 cm nach innen und ſcheint dann nach oben in den Rand übergegangen zu ſein. Da aber die drei erhaltenen Hauptteile nicht paßrecht ſind, zudem nebeneinandergeſetzt nicht entfernt eine annehmbare Gefäßrundung ergeben, ijt es wahrſcheinlicher, daß das größere Schulter- umfangsſtück auf den Hauptteil jo darauf gehört, daß die Form der Urne an Nr. Va 1 erinnert. Dann würden 16cm au mindeſtens und etwa 16—17 em Mündungs⸗ weite herauskommen. Eine genau ſo auffallend ungleich ausladende Schale befindet ſich

=

im Provinz: Mujeum Halle, Nr. K. A. II aus Röſſen bei Herzberg a. Eliter.

IV. a) Eine genauere Deutung ließ endlich der nächſte Sund zu. Die erjten Scherben erſchienen 1,5 m von Urne II entfernt in 30cm Tiefe. Die Stücke wurden ne und nad) immer Heiner und der zerbröckelte und quergeſpaltene Boden lag in 60cm

iefe. Aus

| 47 Scherben gelang die Wiederheritellung, die folgende Maße ergab: Boden 12cm Dm., Höhe 28 cm, größter Bauchdm. 27cm in 17 cm über dem Boden, am Balsanjat 22cm Dm. | in 23cm Höhe über dem Erdboden, Halshöhe 5cm, Mündungsweite 18cm. Der ſtark— | wandige Topf von ſchöner, rotbrauner Sarbe ähnelt der Urne II. Nur ijt bei Urne 11 der Halsrand auffallend ausladend gegenüber IVa. Auch in diejer Urne fanden ſich nur wenig Knochenftüdchen und weißliche oem e Ceichenbrandreſte.

IV. b) In den Scherben von IVa vermengt fanden ſich die Scherben der hinein— gedrückten Deckſchale von 5mm Wandſtärke und gelbbrauner Farbe. Bemerkenswert ſind wohl der leicht gehöhlte Boden und die eingezogene Bauchwandung. Aus 15 b3w. 7 Teilen fonnten zwei weſentliche Stücke gebildet werden, während 8 Scherben nicht paßrecht blieben. Boden 5 em Dm. Größter Dm. am Rand 25 em in 8—9 em über der Erde.

V. a—d). Unter dem auf dem Bild ſichtbaren Stein erſchienen zunächſt zwei Gefäße und ſpäter daneben noch zwei, von denen das vierte links in der Ecke noch nicht bloß— gelegt war. Die Entfernungen untereinander betrugen a von b 10 em, b von e 25cm, von d 100 cm. Sie ſtanden in der Richtung von WSW nad) ONO in gerader Linie 60 cm tief, a und b etwas höher. Ein Kanindenbau ging vor dem Stein zwiſchen a und b durch, vorn um b herum und zwiſchen b und c hindurch nach Süden zu (ſiehe Abb.).

9. Rodrian [6

314

Va 1. Gelbbraun und grau. Gröbere Arbeit. Wandſtärke 7 mm, am Bodenanſatz lem. Boden 8 em Dm., völlig von Wurzeln zerbröckelt. höhe 14,5 m, Mündung 20cm Dm., größte Weite 22,5 cm in 7—8 em über dem Erdboden. Den Inhalt bildeten kleinere Knochenteile, die aber die Urne bei weitem nicht ausgefüllt haben.

Va. 2. Die dazugehörige ſtarkwandige Deckſchale ijt ein ſchwärzlicher Napf mit breitem Henkel, deſſen Durch 11 55 nur ſtreichholzdick iſt, alſo nur zur Aufnahme der Schnur diente. Das Gefäß iſt völlig in ſeine Urne hineingedrückt geweſen, daher meiſt zerbröckelt. Etwas über die hälfte iſt aber aus 26 Stücken zuſammengeſetzt worden. Boden 6,5 cm Dm., höhe 8,5 em, Mündung 21cm, Wandſtärke 7 mm.

Vb 1. Dieſe Urne mit nur ganz ſpärlichen BR ten iſt fefter in Material und Brand, allerdings auch mit 9 mm ſtarker Wandung, weshalb jie wohl in nur 24 Scherben erdrückt war. höhe 14cm, Boden 8,8 em Dm., Mündung 17cm Dm. Rotgelb und ſchwärzlich, innen braungrau; nur wenig nie Die nach oben ſtärker werdende Wand iſt am Rand fingerbreit von außen her dünner geſtrichen.

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20m bis zum Fussweg

Vb 2. Auch dieſe 2 tad e Deckſchale war arg zerdrückt und lag im Gefäß. Nur zehn Teile konnten zu zwei Drittel des Gefäßes Aulammenaeien werden. Es iſt innen wie außen braungelb und ſchwärzlich, wenig glatt. Die Wandſtärke iſt 5—6 mm, der Boden 6cm im Dm., die Mündung 15,6 16,2 em weit, die höhe 6,8—8,2 em. Der Napf iſt alſo recht ſchief. Der kleine Sdynurbhenfel war abgebrochen. Er begann 8 mm unter dem Rande, war oben nur 0, em, unten 1,5 em breit. Der Rand iſt kantig plattgeſtrichen.

Vel, Dieſe Haupturne enthielt zu drei Diertel Knochenreſte und zu ein Diertel Sand und Scherben der Deckſchale. Die Randftüde der weitübergreifenden Schale müſſen die nicht fo ſtarkwandige Urne gegen den Erddrud geſchützt haben, denn der Boden und der ganze Unterteil waren völlig unverletzt. Es mag ebenſo noch dem Umſtande zu danken ſein, daß der Inhalt den Druck der äußeren Erdmaſſen aufhob. Der obere Teil iſt aus 37 Scherben wieder zuſammengeſtellt. Die etwas ſchiefe Urne, 27—29,5 cm hoch, in 15 cm über dem Boden mit 26cm Dm. am weiteſten. Die ovale Mündun be 16 bzw. 17 cm Dm. Der Boden mißt 14cm Dm. Die halshöhe beträgt 5cm an der fo en, 3,8cm an der niederen Seite. Die halsbaſis ijt nur wenig erkennbar, der Hals ſtark 5 (wie bei Urne IIa.) Der Rand iſt plattgeſtrichen und nach außen bis 8 mm verdickt. Die ſonſtige Wandſtärke iſt ungleichmäßig 4—8 mm ſtark. Im allgemeinen iſt fie an der halsbaſis am geringſten. Unterhalb dieſer ſitzen auf der Schulter vier Paar kreuzweis gegenüberſtehender buckelförmiger Warzen von 4em Breite je Paar bei 1,5 em Zwiſchenraum untereinander

7] Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Catenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 315

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316 H. Rodrian [8

und 8 mm Hobe. Der Hals iſt etwas glatt, der Körper feinkörnig rauh. Die Farbe ift braun:

elb, rötlichgelb und ſchwarzbraun, innen dunkelgrau. Die Knochen waren geſchichtet, ( dab die Schädelknochen oben lagen. Die wenigen Zähne zerfielen ſofort. Etwa in der

itte des Leichenbrandes unter den Schädelknochen lagen zwei Bronzeblechſchmuck⸗ jtüde, das eine völlig ae en. Die Rundung muß ſtärker geweſen ein Das ſchließe ich aus der N telle links unten und den zwei Riſſen und Ausbrüchen in der Mitte. Der dornartige Sortja rechts kann länger geweſen fein, jo daß wir einen großen Segel: ohrring vor uns haben würden. Das lech JH 15 fein und natürlich jetzt recht empfind⸗ lich. Etwa 20 cm entfernt nach Süden 20 cm tief frei in der Erde lag ein 14,2 em langes Stück Eiſen, oben 1,5 em did gebeult, ſonſt 4 mm ſtark. Die Erde war rundherum kräftig roſtfarben, das Eiſen ſehr a und bröckelig. Ich erachte es als jugevorigen Reit einer Eiſennadel, die vielleicht einen Bronzetnopf, wie er in X lag, trug. (M. Jahn, in Mannus, III. Erg.⸗Bd., Taf. V, Abb. 18 bringt ein kleineres Stück der Art und weiſt es einem ſpäten Grab der letzten Periode der Bronzezeit a?

Ve 2. Die Deckſchale ift arg zerdrückt. Bis auf etwa 5cm iſt der ganze Rand da in Stücken, der Boden und die anſchließenden Teile feblen. höhe vermutlich 8 em, Boden etwa 10— 11 em Dm., Mündung 30cm Dm. Statt eines Henkels findet ſich unter dem Rand eine budelartige Warze mit durch Singereindrud dellenartig geformter Oberfläche. Die Maſſe iſt wie der hals der Urne Ve 1 gelbgraubraun innen wie außen und auch ges glättet. Wandſtärke 5mm. Der Rand ijt nach innen gedrückt, überhängend.

Vd. hart am Rande des ſchmalen Sußpfades 100 völlig zerdrückt eine große Urne,

efüllt mit großen und kleinen Knochen; vorwiegend Gelenkknochen waren weniger zer⸗

ſchla en. Aus 76 Scherben gelang die Wiederherſtellung. Die Ausmaße find: höhe 29 cm, größte Weite 25,5cm an den unteren henkelanſätzen, Mündung 15,5—17,5cm oval, Boden 11,6cm, nidyt genau unter der Mitte der Mündung. Die Urne ift tonnenförmig ohne halslinie mit beiderjeits abgerundeten, ſchmaler werdendem Rand und zwei henkeln. Der eine henkel iſt von 15,5 em über dem Boden an 6,5 em hoch, der andere von 17cm über dem Boden an 6, 5 em hoch. Erſterer ijt 3,2 em, nn 2, 8 em breit an den Anfäßen. Beide ſind 9mm dick und je 3cm vom Körper ab. Wandſtärke 7—9 mm. Dorwiegend rötlichbraun, fleckig, Sun geglättet. Deckſchale und Beigaben fehlten 155 ganz. Dieſe Urne ſtellt eine von Va—c gejonderte Beſtattung dar nach meinem Dafürhalten.

VIa u. b. Erſt 10 m weſtlich der Urne Va am Rande wildgewachſener, etwa zehn⸗ bai er Kiefern fanden fic) wieder Scherben. Die Stelle war jo dicht an der Wagenradſpur, da ſicher durch den Verkehr ſchon lange dieſes Grab zerſtört war. Vorhanden waren noch ein Tall ganzer Boden in zwei Teilen von 10cm Dm. und Rejte eines Bodens von 11—12 cm Dm. Weiter fanden ſich unter nur ganz wenigen belangloſen Stückchen zwei Scherben mit deutlichem Halsanjag und zwei mit leicht nach innen umgeſchlagenem Rand.

II. a—c. Südlich der Fundſtelle II—IV befindet ſich eine etwa kreisförmige Blöße, die etwa 20 m von dem Waldrand oa 0 aaah gerechnet, beginnt. Sie ift im nord⸗ weitlichen Teil mit großen Steinen in geringer Tiefe „reich geſegnet“. Eine genauere Unter: ſuchung, ob hier eine menſchliche Anlage vorliegt, wird kaum ein Ergebnis zeitigen können, da wir es hier mit ſicher ſchon „gehörig beriibrtem“ Boden zu tun haben. Die oft platten förmige Geſtalt der Steine findet man aud) jonit genügend auf ſolchen Blodmoränen. In dieſem Gebiet hat zudem die Urne 1 geitanden! Immerhin erregte dieſe Stelle immer wieder meine Anteilnahme, und das wurde auch gerechtfertigt. Im e ae des heidekrautes ſchon, alſo teilweiſe ganz un und im ganzen nicht über 40 cm tief lagen „niedliche Scherbelchen“ von 1,5 em Dicke, die mindeſtens zwei Gefäßen angehören, vielleicht ſogar drei. Wenigſtens find zwei verſchiedene Böden und zwei verſchiedene Hals- teile in zahlreichen Stücken vorhanden. Aber was wollen bei len großen Bottichen etwa 50 Pfund Scherben beſagen? Die höhe läßt ſich nur vermuten. Das eine Gefäß hat etwa 29—30cm Bodendurchmeſſer und eine Mündungsweite von wenigſtens 80 cm. Dieſer Boden iſt ſchon dem vom Rande nach innen 2,3 em ſtark. Der Rand ijt rechtwinklig nach außen gebogen, an der Oberfläche 4 em breit und eben. Der zweite Boden hat nur 14cm Dim., ijt auch nur lem, in der Mitte 2 em, ſtark. Ob nun die anderen Wand- bzw. Randjtüde zu dieſem Boden gehören, bleibt vielleicht eine offene Frage. Die vorhandenen Scherben bedeckten etwa einen Raum von 2qm. Doch fand ich fpäter sft in anderen Scherbenlagern vereinzelt zugehörige Stücke! In Urbeitsmaſſe und -Husführung gleicht der zweite Topf dem erſten. Jedoch ijt fein Rand nicht knieförmig, ſondern rund nach außen gebogen. Unter dem Rand, in dieſe Halseintehlung, iſt rund herum eine Wulſt angelegt worden, die, mit tiefen Singereindrüden verſehen, meiſt abgeplatzt, nun wie eine Tupfen⸗ leiſte wirkt. Die Mündung könnte auch mindeſtens 70 em geweſen fein. höhe unmeßbar. hier (wenn der kleine Boden dazugehören müßte, was aus Madfolgendem nicht recht wahrſcheinlich iſt) bilden Bodenlinie und Wandanſat einen Winkel von 65“, beim erſten jedoch 45°. Innen ſind die Wände grau und glatt, außen grau bis hellgelb gerauht, und

9] Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Tatenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 317 die durch körnige Rippen getrennt werden. hier liegt ung und Glättung vor. wenn man beachtet, daß De

t zwar in 11,5 em breiten Streifen, it Anſatz in der andſtärke geringer iſt als die Schulter

A- alſo ein wechſel von vertikaler Rau Bun bei faum einem Topf der Boden ne

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over der Hals, dazu vorſtehende Maße vergleicht, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß der kleinere | Boden einem dritten kleineren Gide angehört, von dem nichts weiter gefunden wurde, I der Hals mit Tupfenleiſte aber einem Gefäß mit einem etwas größerem Boden, vielleicht

318 Hh. Rodrian

OB wie Vila. (Prov.-Mu

and in 20cm Tiefe an. ine ſtärkere war durch den öſtlichen Henkel gewachſen und hatte i

hn abgeſprengt. Der ſchwachgebranmie, weißlichgraue, rauhe Topf iſt in der ob ä ˖ ü

bis auf den ſich wieder aufrichtenden als. Der Boden hat 10 em Dm., Höhe 22,5 cm, grö

ößte Weite 18,5 om in 14 em über de oden, ovale Mündung 13,5 em.

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yes wulſtigen Henkel ungleichmäßig. en 3,5cm vom Körper ab. Bei je 1,5 cm ide beginnt der eine 11,5 cm über dem Boden und iſt 7cm hoch, während der andere 10,5 cm über dem Boden be innt und 6,5 em hoch ift.

Die Urne war reichlich mit großen und a Leichenbrandreſten gefüllt ohne Beigaben zu enthalten. Wiederhergeftellt aus eilen.

VIIIa 2. Der Teller von 18— 19,5 em Dm. iſt unten rauh, oben at und am Rand nur m oben auf 1,5—2cm verdickt. Wiederhergeftellt aus 18 Teilen.

IXa—. %, m weſtlich begann ſchon die Beſtattung, die auffallend der von Ya gleicht. Eine Schichtung war auch hier nicht zu bemerken in dem feinen Sand. Das größte, mittlere Gefäß fteht auf der weißgelben zendjchicht, die Beiurnen fteben en bon zend NE Don VIIIa zur Haupturne find Im Abftand. Die öſtliche Beiurne ift von der mittleren 10cm, die weſtliche 50cm ab geweſen.

[10 jo gr f ı ſeum Halle, Saal IV, Cönnewitz [Kr. Liebenwerda], Dots ratsge a mit Cupfenleiſte).

IIIa 1. 2m weſtlich dieſer Fundſtelle ſtand höchſt un ünſtig eine zreißentlige Urne mit einem Dedteller. Der Rand ſtand f

m Der tonnenförmige Körper iſt ſchief. Ebenſo ſind die

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II] Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Catènezeit im R

r. Schweinitz, prov. Sachſen 319

Na 1. Dieſe weſtliche Beiurne mit meiſt klaren Knochenreſten war an der Südſeite nicht mehr vollſtändig. Die völlig zerdrückte Sorm konnte aus 80 Scherben wieder auf⸗ erichtet werden. Rötlichbraunet, gutgeſchlemmter Ton, außen dunkelrotbraun, innen grünſchwärzlich bis graurot. Beiderſeits gut geglättet, beſſer noch als Urne IVa. Boden

ü den 27cm Dm. Halshöhe Sem,

95cm Dm., größte Weite in 15,5 cm höhe über dem Boden 0,5 em nad) außen geneigt, Mündung 22cm

170 eingezogen bis auf 21cm Dm., Rand ſtellen⸗

m., Schulterlinie 24 em Dm., höhe 22cm, Wandſtärke 5 mm. Schulterlinie weich,

weile ſehr ſchwach. . IXa 2. Dieſe Schale (Napf) lag in Scherben mit der Mündung nach oben auf dem ſeichenbrand recht vermiſcht mit den Scherben der folgenden Deckſchale. IXa ! und 2 ſind nur je zur Hälfte da. IX b hat 7,5 cm Bodendurchmeſſer, 7 em Höhe und 18 em Mün⸗ dungsdm. bei 4—5 mm Wandſtärke und 8 mm Bodenſtärke. i und tantig geſtri en. Geglättet aber ungleichmäßig ſtark, ſodaß die Wandung uneben iſt. Gelbgrau bis hellbraun. Ein Bene: iſt am erhaltenen i : IXa 3. Die zweite De ſchale iſt vielleicht 9—9,9 em hod) geweſen. auch als Anja’ nicht vorhanden. d die hälfte iſt aus 22 Scherben wieder entſtanden. Mündung 21,5 cm Dm. Wandſtärke 7 mm, am oden 10 mm. Rand gerne aufrecht. 3

Außen und innen glatt. jr hellbraun bis ſchwarz, innen schwärzlich. Auch hier iſt weder Warze noch Henkel erhalten. IN b 1 e nerhalten, nur der dünne, überhängende

waren etwas zerſprungen. ußzen graubraun bis gelbbraun, innen aſchgrau. Mäßig glatt. Boden 11,5 em Dm., dellenförmig hob um 3mm, mit eingerigtem Kreuz über die ganze läche. Höhe 22 cm, größte Weite 31 em in 11 em über dem Boden, Schulterlinie in 15cm öhe über dem Boden, ungleichmäßig, oft recht ſchwach, bei 26cm Dm., Hals Tem hoch, faſt ſenkrecht, nur ſanft eingezogen, Rand meiſt bis Lem ausladend. Ab 12,5 cm über dem Boden findet ſich eine j em breite, 1,7 em hohe, leicht ſchief ſitzende Warze in Bogenform. Dom ausgiebigen Leichenbrand fiel als mer ürdig auf, daß die Zähne alle zergangen

waren bis auf einen a blauſchwarzen, der auch gleich erfiel. e i i dt. Der Boden mißt 11 em Dm.

IX b 2. Die gro edſchüſſel war in 33 Teile zerdrü in den Bauch über. Wandſtärke 7 mm, am Rand

und geht nicht kantig, ſondern ab erundet in nur 3—4 mm. Bake 11cm, Mündung 29 cm Dm., größte Weite 30cm. Ein Henkel. von 1,2 em Breite, 4 em Länge, 0,8 em Dicke, 1,5 em ho mit rundem Coch, das, dem

dicken Rute gebohrt iſt. Braungrau. Glatt. Boden

Eindruck an der Wand nach, mit einer ſehr 9 Xe an der Seite nach ihrer Nachbarin zu erheblich zerdrückt. Das auf der Photographie ſichtbare Senſter war ſchon in der Urne bei der Beſtattung. Die Scherben fehlen. ie untere ſüdliche hälfte war noch ein Stüd, der Reit mußte aus 34 Stücken zuſammengeſetzt werden. Boden 8 em Um., öhe 25,5 cm, größte Weite üb Boden. Schulterlinie ſehr undeutlich bei 15 cm Dm., Hals 5 em

doch. ganz wenig eingezogen. Rand oben wagerecht plattgedrückt. Mündung 12,5 m m. Schwach gebrannt, hellgrau bis hellgelbbraun. Ein großer ſchwarzer eck. Die Obe He ijt wohl eben, auch etwas 2 5 faßt ſich aber mehlig an. Der Inhalt waren

s Bei beobachtet werden konnte.

nur Lei IXc 2. Das Dedgefab iſt eine verkleinerte Wiedergabe der Haupturne IXb1.

Es ift, wie die Photographie lehrt, arg zerdrückt und zunächſt wohl, mit dem Hals auf der Urnenſchulter ſitzend, vom Erddruck wie ein Sakreifen auseinandergeplaßt; en is gelb⸗

1 glatt

braune Tönung innen wie außen. Innen mehr glatt als außen. i ch in Hohe von 46, 5 em über dem Boden,

nach der Mitte des enkelrückens zu ſchmaler werdend, 0 unten. Boden 8 em Dm., Höhe 10 em, an der Henkelſeite nur „5 em, größte weite 19,5 m in 5,5 cm über dem Boden, an det Henteljeite in 4,5 em übe

ch wach vorhanden. Hals 2,5 em hoch, wenig eingezogen, an der Henteljeite | rag nach innen geneigt gegenüber ſchräg nach außen. Mündung 17 bzw. 16cm ovaler Dm.

. Erft 2,50 m ſüdlich der letzten beiden Urnen IX und o fand ſich wieder eine Be⸗ ftattung. Die Urne war völlig zertrümmert in kleine und kleinſte Stück ölli un elt, vieles der Lange nad) nod all dane in Innen⸗ und klußenſeite.

Dandjtarte wat es nicht leicht, aus 117 Stüden die Urne einigermaßen wieder herzuſtellen. Sie hat allein geftanden ohne Deckſchale und ähnelt in Ton und Farbe der Urne 1X2 1.. In der Sorm erinnert fie an Urne III, hat aber eine We re Sorm mit Hals un

„Die größte Weite iſt 26,5 om in

zudem die erſte Derzierung. ‚D ber der Erde. Höhe 27 cm. Hals anſatz deutliche Linie. Halshöhe 3,5 cm..

320 H. Rodrian [12

Die e iſt boty bela Parallel der Schulterbalslinie laufen drei Ringe um die Schulter, ungleichmäßig in Entfernung und Tiefe mit vierkantigem Profil. Dar: unter läuft ein Ring von Eindrücken. Ein vorn gerundetes ſchmales hölzchen iſt wagerecht mit der Spitze eingedrückt worden. Es entſteht immer rechts die ſteile tiefe Stelle wie beim Eindruck eines Pferdehufes. Sonſt ſind die einzelnen Eindrücke untereinander ungleich.

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Darunter beginnt im Zickzack ein 5—8 em hohes Muſter aus mehrlinigem, zurückgebildetem Sparrenmuſter. Es find nur 3—5 Rippen, wie fie in der Bronzezeit zum Felderabteilen in der Cauſitzer Ware allgemein einzeln erſcheinen. Die Sparren in den Feldern ſind weg— fate de Oben find jtatt 7 nur 6 Spitzen entſtanden. Die Kunjt der Raumeinteilung ver: ſagte bei der herſtellerin. Sie kam 53cm tiefer an und brachte das 6. Aufwärtsband nicht

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13) Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Catenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 321

mit dem 1. Abwärtsband zuſammen. An der Spitze ſchneiden und kreuzen ſich die Linien Unterhalb der unteren Treffpunkte befinden fic) Gruppen der ſchon bekannten Ein⸗

oft drüde in willkürlich verſchiedener Zahl und Anordnung.

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Die Knochenreſte waren zahlreich, zum Teil außerhalb der Splitter der Urne ſchon anzutreffen. Obwohl die la def zuerſt den Eindruck machte, daß ſie beim Stammroden

oder Pflanzen ſchon zerſtört ſei, beſtätigt ſich dies ſcheinbar inſofern nicht, als im Ceichen⸗

brand, der natürlich ſehr mit Sand vermengt war, Beigaben lagen: ein wenig beſchädigter

Bronzeſegelohtring in ihn gelegt ein gleicher 3 2 eben ner und ganz innen Refte 21

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſch., Bd. 17. H. 4.

322 h. Rodrian [14

eines dritten geen Schmudftüdes, ferner ein Bronzetnopf. Die typiſchen Ohrringe waren febr dünn und teilweiſe jehr brödelig. Die Patina iſt graublau bis graugrün. Die Derzierung ift bei allen drei gleich: Zwei Längsleiften und jederfeits zwei dazu parallele Punktreihen, alles von innen nach außen getrieben, alſo erhaben. An den Enden 858 ſich die Cängs⸗ leiſten. Der Knopf iſt voll, mit einer Durchbohrung in der Mitte. Die platte, wenn auch unebene Unterſeite und die eh Oberſeite ſind mit einem lehmgrauen Bezug behaftet. Sonſt ijt die Patina an der Durchbohrung hellgrün. Es mag der Kopf einer Nadel geweſen ſein. (Dal. Eiſenſtab in Urne Vo 1.) Zum zweiten Male fant ſich bei der Urne Eiſen: 20 em weſtlich der Urne und 40 om tief lag ein halber eiſerner Ring. Er ijt ſehr blaſig und rund mit 4mm Dm. geweſen. Der ganze äußere Durchmeſſer beträgt 3,7 cm.

XI. In nordweſtlicher Richtung von Urne VIIIa 1 tauchten bis zu 50 em Tiefe regellos Scherben verſchiedener Töpfe durcheinander auf aus ſchon zerſtörten Gräbern.

XIa. Sehr ſchön ift die Verzierung eines Topfel auf der Schulter durch zwei dichte Reihen tiefer runder Einſtiche mit einem Stäbchen. Leider ſind nur vier Scherben zu finden geweſen. Es mag mehr eine Schale geweſen ſein.

XI b. Ein anderer Scherben a ammt einer Budelurne des bronzezeitlichen Cauſitzer Typs. Tonmaffe und Glätte würden dies aud) wahrſcheinlich machen, wenn nicht re die hälfte des Budels daran wäre. Die Art des Budels läßt auf geringes Alter ſchließen. Ich ſchätze das Stück wegen des „unechten“, weder von innen herausgetriebenen, noch von außen aufgeſetzten, ſondern von der Wandung zuſammengekneteten, flachen „Geſchöpfes“ als eins der letzten Erzeugniſſe der abwandernden NN Illurer, das erſt {pater zufällig von den zugewanderten Germanen aus der öſtlichen Ebene, die ja mit Anlagen und Reſten dieſes Tups geſpickt iſt, mit auf die höhe gebracht wurde, die bisher noch keinen eee aufweiſt.

Ic. Ebenſo betrachte ich einen auf dem Subrweg aufgeleſenen kleinen Scherben mit vier flachen Horizontalfurchen.

XId. Ein Gefäß von brauner Farbe konnte aus 35 Rand⸗ und Bauchſcherben zur Hälfte zuſammengeſetzt werden. Es muß ſehr ſchief geweſen ſein. Die höhe beträgt 25 cm, die Mündung iſt kreisrund mit 18 em Dm., der Boden 10 und 9 em Dm., oval. Der größte Bauchumfang hat in 14cm über der Erde 25 und 22 cm Dm. Die Tonnenform ſchließt mit einem hals ab. Stärkere beiden ie am hals und, daß der Boden geringeren Durchmeſſer hat als die Mündung, unterſcheiden jie als gefälligere Form von der ſonſt gleichen Nr. VIIIa I. Von den ſicher zwei henkeln iſt nur einer erhalten. Er iſt nicht nur wie bei dem recht ein⸗ fachen Topf Nr. VIIIa 1 als Conwulſt durch die Wand gedrückt und innen recht nachläſſig verſtrichen, ſondern mit der Wandung feſt verbunden. Dieſes Gefäß iſt ſolider gearbeitet geweſen. henkel in 10,5— 16 em über dem Boden, 2,5 em von der Wandung ab, wulſtig rund und 1,8 em im Durchmeſſer. Das Gefäß wird eine Urne geweſen fein.

XIe. Zu drei Diertel ließ ſich aus 35 Scherben ein Gefäß herſtellen, ähnlich den Nr. IX bl und IXe 2. Nur iſt die Schulter länger. Der Halsanſatz iſt nur eine undeutliche Linie. höhe 19,5 em. Größte Weite 27cm Dm. in 10cm über der Erde. Halsanſatz in 15,5 m über dem Boden. hals ein wenig überhängend. Mündung und Halsanſatzlinie 21cm Dm. Unmittelbar unter dem hals auf der Schulter zwei kreisrunde, platte Griff⸗ warzen. (Da die Stelle gegenüber fehlt, iſt ungewiß, ob noch ein zweites Paar da war. h iſt es nicht, wie Urne IX b 1 lehrt.) Die Wandung mißt 5—7 mm Stärke. Boden

em Dm.

XIf. Aus 25 Ranöfcherben wurde ein tiefer Napf mit 10 mm ſtarker Wandung wieder hergeſtellt. Boden und anſchließende Teile fehlen. Die höhe ergab ſich bei der Ergänzung mit 15—16 em. Boden 11,5 em, Mündung 28,5 m. 2 em unter dem wage chen Rand mit ſtumpfen Kanten findet ſich eine breite, runde Griffwarze, von 1'/, cm Dm. mit dellenförmiger Oberfläche.

XIg. Don einer Deckſchale ſind nur 9 Scherben einer hälfte da ohne Boden. Das außen braune, innen ne glatte Gefäß mag 9,5cm hoch geweſen fei., 19 cm Mundungsdm. und 4—5cm Bodendm. gehabt haben. Wandſtärke 6—7 mm. Rand glatt geſtrichen, ſchräg nach innen abfallend. Die Schale verjüngt ſich nach oben noch einmal.

_ XIh. dus 25 zum Teil großen Scherben, die aber einen Aufbau der Urne nicht ermöglichten, ließ ſich folgendes Bild gewinnen: halshöhe 6 em, kräftige Halsanſatzlinie, daran 23cm Wandung erhalten. Dermutlich war die Urne nicht höher als 28 em, hatte dann etwa 10cm Bodendm., etwa 13cm Dm. in der Mündung, 18cm Dm. an der Hals⸗ linie und 26cm Dm. in 14cm unter dem Rand. 9 0 braungrau bis ſchwarzgrau, innen ſchwarz. 7—8 mm Wandſtärke. Seite, glatte Scherben.

Kli. Don 38 Stücken eines rauhen, plumpen Gefäßes mit zackigen, bröckligen Brüchen fanden ſich nur 17 aneinander, wobei je eine geringe Rand- und Bodenanſatz⸗ ſtelle waren, ſodaß für den ſchiefen Topf folgende Maße gelten mögen: höhe 20 cm, größte

15] Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Catènezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 323

Weite 20 cm Dm. in 12cm höhe über der Erde, Boden 10cm Dm., Mündung 14cm Dm. Rötlich braun, innen hellgrau bis rofa. XIk. Von einem weiteren Gefäß ſind erhalten der Boden mit ſtellenweiſe bis

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Tcm Höhe die Wandung in acht Scherben, acht weitere Scherben Wandung aus der Mitte iv je vier, zwei und zwei Stück pakredt, ein Randjtiid aus drei Scherben und ein henkel mit : andung aus drei Scherben. Gelbbraun, glatt; oben 5 mm, unten 10 mm ſtark. Dermut- ich 24 em hoch, 21cm größter Dm. in 13cm über der Erde, 12cm Dm. Mündung. Der

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324 H. Rodrian [16

Boden mißt 10 cm Dm. henkel breitrund 1,8cm x lem. Er iſt 2cm von der Wand ab und 5,5 cm hoch. Gefäße h, i, k werden gewiß Urnen gewefen fein.

XII u. m. Als Scherben von Deckſchalen fanden ſich nur zwei Randjtüde einer mittelgroßen, dünnwandigen, grauen Schale mit etwa 20cm Dm. und einfachem, ge runde a Rand. brechte Scherb Schul t Griff

erner zeigen zwei paßrechte erben eine ulterpartie mit Griffwarze und ſchwachen Batzune von einem Geld etwa wie IXc 2. ä

Unter dieſen Scherbenreſten lag, 1,20 m von Urne VIIIa I, ein 1 Gürtel⸗ garen; der vielleicht als Beigabe einer der Urnen gelten kann. Er ijt ſehr verroſtet. Die

ange beträgt 6cm, die Breite 2cm. 1,5 em find umgeſchlagen. Ohne Derzierung.

XII. Don 2,50 m Entfernung in ſüdweſtlicher Richtung von Urne IX b an fanden ſich in 15—25 cm Tiefe zehn kleine, bedeutungsloſe Scherben zerſtreut. In 25 em Liefe lag dabei der Ppa und ſchmutzig ausjehende Metallreſt, der ſich beim Ankratzen als Teil einer ſtarken Bronzenadel erwies. In weiterem Umkreis fand fic) nichts weiter We Abgetrodnet jah das Stück wie der Knopf in Urne X aus, teilweiſe ſchwarzblau wie die Selene teilweiſe lehmgrau bezogen.

XIII. Don Urne VIIIa 1 aus fanden ſich weiter in Mar ene Richtung über die Sundſtelle des Gürtelhakens hinweg in 5—4 m Entfernung jehr zerſtreut kleine bedeu— tungsloſe Scherben und vier größere mit einer bisher nicht dageweſenen Verzierung. Sie

lagen in 40 cm Tiefe in einer Schicht von Holzkohle und Sand, die etwa 30cm Dm. hatte. Dieſe Erdſchicht war noch im weiteren Umkreis von 60cm nach Djten (alſo insgeſamt Im breit) zu beobachten in wechſelnder Dicke und Sarbe, allerdingsohne Einſchlüſſe. een, oder Ceichenbrandreſte wurden im ganzen Stück ebenſowenig gefunden wie ſonſtige Beigaben, Die Verzierung beſteht in Gruppen von je vier ſchraffierten Dreiecken mit Tupfenabſchlüß, die von ungeübter Hand geritzt wurde. ER: XIVa I. Die Derfolgung der Scherbenreibe von Urne VIIIa 1 über den GREAT haken hinweg führte nach kurzem, einſchlußloſem Stück Erde von 50 cm zu einem Doppel“ grab einer Mutter mit Kind. Die Stellung der beiden Urnen zueinander ergibt o1¢ Skizze (Lichtbild iſt leider mißlungen). Zum erſten Male beobachtete ich, 5 entweder eirı gtoßet, latter Stein aufrecht neben die Urne geitellt worden iſt, oder umgekehrt, die Urne an vr in der Erde jo vorgefundenen Stein gelehnt wurde. Urne und Deckgefäß waren at oh edrüdt. Die Urne war geſtopft voll mit teilweiſe großen Brocken Ceichenbrand. Gbenauf agen wieder meiſt Schädelknochen. 3 Zähne waren erhalten, die Kronen allerdings 710 ellen Es ſind kleinere Backenzähne, deren je zwei Wurzeln zuſammengewachſen jess Die oval verzogene, rauhe Urne ijt eine verzierungs- und henkelloſe Tonne von 23 © Hobe, größter weite von 23 em in 15cm über der Erde. Boden Ilcm Dm., münden 18,5—16 cm Dm., Wandſtärke 6—8 mm. Gelblich, innen hellgrau und wenig glatt. facher, nur ganz ſchwach nach außen verdickter Rand (72 Scherben). a Reit XIVa 2. Die Dedichale wies keine Randſcherben auf und entpuppte ſich als der eines großen Gefäßes, deſſen eigentliche orm nach oben man nur vermuten kann.

17) Ein Begräbnisplaß früher Eiſen- und Cateènezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 325

erhaltene Teil beſteht aus 58 Scherben bis in 15 em Höhe, in welcher höhe ſchon 52 em Dm. erreicht find. hier muß die enen begonnen haben. Lederbraun, glatt, innen grau— braun, glatt. Boden 10cm Dm

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XIV b. Die andere Urne lag jchräg auf der Südkante der Urne XIVa I und ihrer Deckſcherben mit der Mündung 16 Norden ohne Deckſchale. Der grobe, brödelige, rötlich⸗ braune, innen mausgraue Topf war in 56 Scherben zerdrückt. Dom Boden iſt ein Drittel völlig zerbröckelt, ebenjo einige untere Wandteile. Boden 9,5 em Dm., höhe 19,5 em.

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326 bh. Rodrian [18

Größte Weite 25,5 em in 12,5 em über der Erde. Mündung 17cm Dm. Am hals ein: gesogen: Rand nicht zu erkennen, kann alſo noch höher N jein, aber nur wenig. ie völlig mit Sand gefüllte Urne wies nur auf dem Boden ſpärliche Knochenreſte, beſonders

dünne Röhrenknöchelchen auf, die von einem noch ſehr kleinen Kinde ſtammen müſſen.

In der Mitte der Sandfüllung lag eine zerſchmolzene kobaltblaue Glasperle mit dem Reſt eines durchgezogenen Bronzedrahtes und eine zerplatzte ae Veta a

mit künſtlicher Durchbohrung. Über der ſchwachen Leichenbrandſchicht lag, ſchräg nach

19] Ein Begräbnisplatz früher Eiſen⸗ und Latenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 327

Nordweſten geneigt, ein niedliches Spielgefäß des Kindes und der Reſt eines kleinen Segelohrringes aus Bronze.

XIVe. Das Spielgefäß ijt eine tupiſche Urne dieſer Kultur im Kleinen. Sie ähnelt der Urne II, hat aber keine Halslinie. höhe 6 em, Boden 3 em Dm., Mündung 3,5 cm. ri A Weite 5,5cm in 3 cm über dem Boden. Lederbraun bis grau, glatt. An zwei Stellen abgeſchlagen und geſprungen. Dies zierliche Gefäß war nur mit Sand gefüllt.

XV. Am ſchmalen aldpfad endlich, 9,5 m weſtſüdweſtlich von VIIIa 1, fanden ſich wieder Scherben. Ein Boden (XVa) lag an der Oberfläche, 1 em ſtark und 7 om Dm. Die Wandung iff auf 6,5 cm ſenkrechte none erhalten in drei Stüden einer Seite, die ſich bald unter der Oberfläche aufhielten. Die wagerechte e an dieſer Seite beträgt 5 cm. Außerdem fanden ſich noch mehrere verſchiedene Scherben bis in die übliche Tiefe, aber ohne jeden Reit von Leichenbrand und ſchwarzer Erde. Darunter befinden ſich noch zwei Böden, einer davon hohl (XV b) wie bei unſeren heutigen Untertaſſen, ferner ſieben verſchiedene Randformen, (XVS 1-7) ein großes henkelbruchſtück (XV d) mit Verzierung und ſieben Scherben mit einer neuen Derzierungsart für dieſen Fundplatz. Dieſe Scherben muten wieder eher, beſonders im Ton, wie bronzezeitliche an, beſonders einige Randformen und der breite bandartige henkel. Die neue Verzierung läßt fic) nicht uſammenhängend darftellen, da die Scherben von den verſchiedenſten Stellen des Gefäßes ſind. Sie mögen die Schulter wie Fe nnd: Guirlandenmuſter) geziert haben.

XVI. Ein 2 i von Urne X fanden id) noch einige belangloſe Scherben in 5—10 em Tiefe und einige Bruchſtücke der Gefäße Vila und b, fowie einige Rand⸗ ſtückchen, meiſt wie der größte XVI. Knochen⸗ oder Kohlenreſte wurden nicht dabei gefunden.

Drei weitere Einzelfunde aus der Langengraſſauer Gegend aus Latène⸗ und Kaiſerzeit.

Don drei weiteren Funden ſind mir die näheren Umſtände nicht bekannt.

A. Weſtlich Cangengraſſau liegt zwiſchen dem ehemaligen Chauſſeehaus und den Lehmgruben „Kloas Weinberg“, ein ſandiger Hügel, der dem Steil⸗ hang des Fläming nach Oſten vorgelagert ijt. Beim Stein- und Sandgraben ſtieß man in 20cm Tiefe auf zwei Urnen

Eine, die linke ſtark gerauhte, war mit einer Schale mit verdicktem Rand verdeckt m enthielt eine eiſerne Haarzange (A 1). Höhe 24 cm, Mündung 21 cm, Boden

cm.

B. Auf den „Leddigen“, einem Slurjtüd ſüdweſtlich CTangengraſſaus, fand ſich eine Urne von 19,5 rm Höhe, 23,5 cm Mündung, 29 cm größter Weite in 12cm über dem Erdboden und 11cm Bodendurchmeſſer. Sie enthielt acht Beigaben: . Befdlagftiid aus Eiſen mit zwei Ringen,

Beſchlagſtück aus Eiſen,

. Gürtelhaken aus Eiſen,

. Gürtelring aus Eiſen.

. Blaue Glasperle mit Bronzeringreſt,

. Eifennadel mit gerieten Hals und ep aie at Ak

. Bronzenadel mit geriefeltem Hals und Bronzekopf (etwds kleiner),

Schaft einer Eiſennadel. |

. 600 m öſtlich des Fundplatzes 150,4 iſt an einer Wegegabelung ein Hügel, den man dort den „heidenkirchhof“ nennt. Don dieſem recht ſteinigen Platz ſtammt eine ſchwarzbraune Leichenbrandurne von 14,5 em höhe, 20cm Mündung, 7 em Boden und 22cm größter Weite in 8—8,5 cm über der Erde. Der Rand iſt auswärts gebogen. Ein 4 em breites Muſter Ichrüger Suchen, an einer horizontalen oberen Surche hängend, ſchmückt die Schulter. Das Gefäß enthielt elf Beigaben:

1. Ein eiſerner Schlüffel,

2. Ein eifernes Kaſtenſchloß,

3. Riemenzunge aus Bronze,

4. Bronzeröhre, unten offen,

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328

5 hie

H. Rodrian.

: m nlagplatte aus Bronze,

effer aus Eifen, Spinnwirtel aus Ton, Eiſerne > hnalle,

Aussen '

Je/te

155 61 g.

[20

21] Ein Begräbnisplaß früher Eiſen⸗ und Latenezeit im Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 329

Beſprechung:

A. Solche gerauhte Kochtöpfe kommen ſowohl in der Bronzezeit V als Latenezeit vor. Sie find nicht typiſch. Einen Unhaltspunkt gewährt nur die Eifenbeigabe, eine Pinzette. Ich bin geneigt, die Beſtattung denſelben Ger⸗ manen zuzuſchreiben, die höhe 150,4 benutzt haben, wobei für die Zeitſtellung

350 = H. Rodrian [22

die hervortretende Standfläche auf eine Annäherung an den Typus mit gleicher Erſcheinung aus folgender Beſtattung hinweiſt, die ich der früheren Latene- zeit zurechnen möchte. Die herausgearbeitete Standfläche iſt auf höhe 150,4 nur bei Nr. VIIa nel vielleicht b) zu finden.

B. Die Urne ähnelt ſehr der Nr. IXa 1 von höhe 150,4 und könnte der Laténevorjtufe von 500—400 vor Chr. zuzurechnen fein. Zur genaueren Datierung des Sundes vermögen wohl die reichlichen Beigaben zu verhelfen. So ſcheint B5 von einem Segelohrring mit Kobaltglasperle übrig geblieben zu ſein. Der kleine Ring könnte einem älteren Grab entſtammen. Der mit Seitenrajten verzierte Gürtelhaken B 3 hat keine umgeſchlagene haftzunge, ſondern ein Coch. Eihnliche Randkerbung weiſt auch der Laténe-Giirtel- haken aus Kümmeriß (Kr. Ludau) auf (Taf. X, Landeskunde der Prov. Brandenburg von Friedel und Mielke, Artikel von Dr. H. Kie ke buſch, Abb. Nr. 11). Freilich ähnelt er in der Form dieſem Stück gar nicht. Eher könnte man annehmen, daß BI ein Bruchſtück eines ſolchen lanzenſpitzen⸗ förmigen Gürtelhakens wie des Rümmeritzer, jedoch mit zwei Ringöfen, ſein könnte. Nr. 25 derſelben Tafel wird aber dort als Beſchlagſtück aufge⸗ führt, jo daß ich wohl B 1 als Beſchlagſtück zum Ledergürtel auffaſſen möchte, in deſſen zwei Ringe nach Bedarf der haken B einfaßte. Der Kiimmeriger Gürtelhaken Taf. X, Nr. 26 ſcheint dem von höhe 150,4 Taf. 6 bei XI gezeich⸗ neten zu ähneln, ſoweit aus der mir nur bekannten Abbildung von einem Drittel der natürlichen Größe zu erſehen iſt.

C. Die Terrine gehört der nachchriſtlichen Eiſenzeit an.

Der Fibelreſt der eine genaue Tupenfeſtſtellung nicht erlaubt (vielleicht Gruppe II wie Almgren, Die nordeuropäiſchen Sibelformen, Taf. II Abb. 40) weiſt den Fund in die Übergangszeit zwiſchen älterer und jüngerer Kaifer: zeit, etwa um das Jahr 200 nach Chr., ebenſo die Eiſenſchnalle.

Kaſtenſchloß 2, Schlüſſel 1, Meſſer 6, Silberſtäbchen 10 und Silberperle 9, vor allem aber Spinnwirtel 7 deuten auf ein Frauengrab hin.

| Beſprechung.

Ernſt Wahle denkt ſchon 1911 für dieſe Gegend an die Germanen, wenn er unter punkt 3 von „Brandgräbern mit Gefäßformen, die fic) an die Typen der ſpäteren Cauſitzer Kultur anſchließen“, ſpricht. Nils Niklaſſon im Mannus XV, 3, S. 260 jedoch denkt für dieſe Grabgruppe eher an die weſtlichſten Vorpoſten der oſtdeutſchen Bevölkerung dieſer älteſten Eiſenzeit, an die Jllyrier, oder wenigſtens eine Miſchbe völkerung zwiſchen dieſen und den Germanen. Martin Jahn bringt für Schleſien eine VI. Periode der Bronzezeit mit „Cauſitzer Kultur“ der Illyrier und Eiſenbeigaben als Aus: klang der Bronzezeit.

Sowohl in der Herzberger, als auch Schliebener, Dahmer und Ludauer Gegend brechen nach meiner Kenntnis die Grabfelder mit der V. Periode der Bronzezeit, etwa 800 vor Chr. unvermittelt ab. Don einer Fortſe tzung dieſer Kultur auf ſolchen Begräbnisplätzen iſt mir ebenſowenig etwas bekannt wie vom Vorkommen von Eiſenbeigaben. Es iſt ein immerhin erheblicher Unterſchied bei den Erzeugniſſen der hier dann ganz ſelten nur folgenden Kultur. Nirgends iſt mir aus der näheren Umgebung der höllenberge be⸗ kannt, daß ein Urnenfeld des Cauſitzer Stils noch ſolche Sunde aus jpäterer Zeit geborgen habe, auch nicht, daß mit einem wie dem vorliegenden Jund oder ähnlichen, der näheren öſtlichen Umgebung Beſtattungen früherer Jeit als etwa 800 vor Chr. gemeinſam geweſen wären.

23] Ein Begräbnisplaß früher Eiſen⸗ und Latenezeitim Kr. Schweinitz, Prov. Sachſen 331

Koſſinna hat feſtgeſtellt, daß die Illyrier als Derfertiger der Cauſitzer Kultur zunächſt die Kreiſe Ludau, Kalau, Lübben (weſtliche Niederlauſitz) (ich rechne dazu noch die Kreiſe Schweinitz und Liebenwerda) dicht bevölkerten, daß dieſe aber „nur in der Frühlatenezeit von den Germanen einigermaßen beſiedelt waren, ſchon in der mittleren Latenezeit dagegen völlig verödeten.“ (Mannus XI und XII, 3 und 4, S. 407.)

Er vertritt ferner die Anficht, daß in der früheſten Eiſenzeit „eine ziem⸗ lich gleichartige Kultur zu beiden Seiten der Niederelbe und am rechten Ufer aufwärts bis in die Kreife Jerbſt und Luckau, im Oſten bis zur Uckermark herrſchte, die nur einem Stamme zuzuſchreiben iſt.“

Damit würden die höllenbergleute dem weſtgermaniſchen Kulturgebiet an Mittel⸗ und Niederelbe angehört haben.

Der Hauptteil der Beſtattungen gehört wohl in die Latenezeit. Doch iind Anzeichen für die Dorjtufe etwa von 700 —500 vorhanden in den Ei⸗ (Connen⸗)formen mit zwei henkeln, wie fie nach G. Schwantes den Weſt⸗ germanen in Brandenburg, Mecklenburg, Schleswig⸗Holſtein und Oſthannover zugeſchrieben werden (Abb. Vd, VIIIa 1, XId, XIk), wie fie allerdings auch vereinzelt bei den oſtgermaniſchen Wandalen der zweiten hälfte dieſer Zeit an der Oder vorkommen (Mannus 1920, XI und XII, 3 und 4, S. 409 bis 411). Ganz beſonders fällt Nr. VIIIa 1 auf wegen feiner , ‚Zapfenhentel, die in die durchbohrte Wand eingelaſſen wurden. (Ende von Hallſtatt D und Laténe I. Doritufe, Rordiſche Hallſtatteiſenzeit, Jaſtorfſtufe Ila und b etwa 600—400 vor Chr.“). (G. Schwantes, für Oſthannover in Prähiſt. Jeit⸗ ſchrift 1909, V, 2.) In der Laténejtufe II beobachtete er oft nur ſchwach angedeuteten Hals (Abb. Val, Ve 1, IXe 1, XId, XIk, XI Vb), häufig wulſtartig (Mr. I), Gürtelhaken mit Baftzunge und kleinere, runde Gürtel⸗ ringe mehr in älteren Gräbern. Den Segelohrringen nach gehören nach 6. Schwantes Einteilung (immer nur, ſofern eben der Fund Beziehung zu den weſtgermaniſchen Cangobarden hat!) mindeſtens X und XI Va—e in die Zeit von 500 500, da dieſe ſchon nach 300 aus der Mode fein ſollen und Spiralohrringen platz gemacht haben. Ein nahezu gleicher Segelohrring⸗ reſt aus Garlitz (Kr. Weſthavelland) (Prähiſt. Abtlg. Muf. f. Völkerkunde Berlin, Laténejaal Nr. If 4638 a) weiſt mehr noch wie viele andere Dergleichs: _ Ir auf innigen Zufammenhang mit dem Havelland bis hinauf zur Uder- mark hin

In den Fundberichten des Prov.⸗Muſ. Halle a. S. ijt berichtet, daß bronzene Segelohrringe loſe im Sand bei den Urnen gefunden wurden. Ich habe keinen Anjtand genommen, den Eiſenſtab bei V, den ich zuerſt mit gemiſchten Gefühlen betrachtete, als e dem Fund zuzurechnen, ebenſo wie ſpäter den halben Ring bei X

Der Eiſenſtab bei V könnte von einer Kreuzkopf⸗ oder Dreiſcheiben⸗ nadel ſtammen, während das Bronzejtüd bei XII von einem Halsring fein könnte wie bei Paferin (Kr. Cuckau) I, S. 5741.

In der Prähiſt. Zeitſchr. VIII, 1916 beſpricht Alb. Rie ke buſch bei Südende (Märk. Muſ. Berlin, II, 23, 528 —31) einen Bronzeſchmuck wie bei höllenberge Ve 1. Er rechnet ihn der Zeit von 600 —500 vor Chr. zu.

Berlin, Muf. f. Völkerk., Saal 14, Schrank III, Börnicke weiſt außerdem eine der Abb. XIII recht ähnliche Derzierung auf, welche typologifd früh angeſetzt werden könnte, wie auch das Zickzacklinienmuſter bei Abb. X.

ber dieſe Verzierung äußert ſich Schwantes in der Präh. Jeitſchr. VII, 1915, 1/2, S. 57, Abb. 18, beſſer noch 21. Wenn auch hier bei Abb. XIII

332 H. Rodrian, Ein Begräbnisplaß früher Eiſen⸗ und Latenezeit im Kr. Schweinitz [24

auf den höllenbergen das ganze Muſter vertikal und nicht horizontal ange⸗ bracht Hf jo trifft doch auch für Abb. XIII zu, wenn er ſagt, daß in der fpateren Catènekultur die Zidzadbänder auf der Schulter gewöhnlich zwiſchen Horizon: tallinien gezeichnet wären, ſodaß Rauten entſtehen.

Schließlich erſcheint mir als erwähnenswert der Wechſel zwiſchen ver⸗ tikaler Rauhung und Glättung (die Zeichnung bringt dies nur unvollkommen zum Ausdrud!) bei Abb. Vila und b. Cienau erachtet im Mannus XVI, 3/4, S. 265 erſt in der Spätlatenezeit dieſes keramiſche Erzeugnis bei den Oſtgermanen nicht mehr als größte Seltenheit. Sofern alſo der Fund nicht bis in T2 oder 3 reichend erachtet würde, würde dieſe Derzierungsart ein Zeichen mehr für die weſtgermaniſche Art ſein können.

Für wandaliſche Erzeugniſſe der Reramik fehlen mehrere ſonſt tupiſche Merkmale, fo das Mäandermuſter, die Halsfrauje, die Hhenkeltaſſe, während für die rein weſtgermaniſche Jiviliſation die Rädchentechnik noch nicht als verwendet aufgefunden werden konnte.

Nicht unwichtig erſcheint mir das Auftauchen des Tellers VIIIa 2. Ich habe aus den Kreiſen Liebenwerda, Schweinitz, Ludau und Jüterbogt, ſoweit ſie als Grenzgebiete für den Fund intereſſant waren, eine ganze Menge bronzezeitliche Ware geſehen, aber keine ſolche Platte dabei. Wohl aber bringt M. Jahn in Erg.⸗Bd. III des Mannus, S. 38/39 und Taf. V ſolche Teller, die er auch richtiger Platten genannt wiſſen möchte, aus der Cauſitzer Kultur, die er dort in Schleſien auch noch der Eiſenbeigaben bergenden Stufe VI (Stilgruppe C), älteſte Eiſenzeit etwa bis 500 vor Chr., zurechnet. Bei Nr. XIII ſcheint ein jog. „Brandpletter“ (Merkbuch f. Ausgr., 3. Aufl., S. 34) nicht vor: zuliegen, da eben nicht die geringſten Leichenbrandeinſchlüſſe vorhanden ſind.

flus der Menge des Leichenbrandes war es mir nicht möglich, auf eine beſtimmte Zuſammengehörigkeit der einzelnen Beſtattungen zu ſchließen, wie das nach der nach Photographie gefertigten Skizze (S. 515) naheliegen könnte. Eine klare Ausnahme bilden XI Va—e. Ob b an à ſo dicht gleich angelehnt wurde, bleibt zweifelhaft, da der Topf beim Zuwerfen der Grube ſich herangeneigt haben kann. Immerhin beſteht meines Erachtens hier u vielleicht ſogar gleichzeitige Beſtattung einer Mutter und ihres kleinen

indes.

Hausurnenfund bei Srofe in Anhalt.

Don M. König, Zerbft. (Aus dem Schloßmuſeum zu Jerbſt). Mit 6 Abbildungen auf Tafel XXIII und XXIV.

Im Juli des Jahres 1914 wurde bei Planierungsarbeiten auf einem Braunkohlenbruchfeld dicht ſüdlich des Bahnhofes Srofe in Anhalt eine größere Zahl von Urnen durch Arbeiter geborgen. Leider war kein fachmänniſcher Lech hinzugezogen, fo daß wir über die Zugehörigkeit der einzelnen Gefäße zu den verſchiedenen Gräbern nichts wiſſen und über die näheren Fundumſtände nur auf Berichte von Zuſchauern und auf eine Jeitungs⸗ meldung angewieſen ſind. Der letzteren entnehmen wir folgendes. „Die Sunditelle ijt ein großer Lehmriiden, der ſich 20 m über die „See“ (Torf: moor) erhebt. Schwerer Mutterboden von 20—75 cm Mächtigkeit liegt auf. In den Lehm haben die Germanen Cöcher gegraben und mit Steinplatten (in der Regel 50x 40x 10 em groß) nach allen Seiten hin ausgelegt. Ein ſolches Steingrab hat fait 144m Höhe. In demſelben ſtehen die Urnen; in der Regel neben einer größeren (bis zu 40 em groß) einige kleinere, die immer nach Oſten hin davor geſtellt ſind. In den größeren findet man Aſche und verbrannte Knochenreſte, in den kleineren zeitweilig Schmuckſtücke, wie Nadeln mit Näpfchenkopf, Ringe in Spiralenform (1em Dm.) und ein kleines Jier⸗ ſchild (Tutulus? Der Derf.), alles von Bronze. Die Urnen haben, je weiter nach Weiten liegend, immer gefalligere Geſtalt und Verzierungen. Die Schlußdeckel der öſtlichen Urnen ſind einfacher als bei den weſtlichen, deren deckel entweder einen übergreifenden Rand (winklig geknickt) oder einen be⸗ fonderen Auffabring (Salz? Der Verf.) aufweiſen. In einem niedergegangenen Bruchloche wurde ein Stück von einer Hausurne (Geſtalt eines altgermani⸗ ſchen Haufes) gefunden.“ Wir glauben nicht, dieſe nur hier in der Jeitungs⸗ notiz erwähnte Hausurne als eine neue in die Literatur einführen zu dürfen, nehmen vielmehr an, daß es die bei Behn !) S. 15 als Froſe B bezeichnete iſt. Ein Augenzeuge beſchreibt ein Einzelgrab folgendermaßen: „Den Boden bildete eine Steinplatte von 80 em Breite; die Seitenwände waren aus 50 em hohen Steinplatten hergeſtellt; als Deckel diente eine Steinplatte von gleichen Maßen, wie ſie der Boden aufweiſt. In dieſem mit Erde angefüllten Raume ſtanden zwei Urnen, eine größere mit Knochenreften und Deckel, eine kleinere mit henkel und mit Erde als Inhalt.“ Die Steinplatten beſtanden aus Rogen- ſtein; Branderde iſt nicht feſtgeſtellt. 5

*) Bebn, Sr., hausurnen. Bd. 1, Heft 1 der Vorgeſchichtl. Jorſch. 1924.

334 m. König 2

Was den Fund beſonders wertvoll machte, war die hebung einer weiteren Hausurne, die unverſehrt geborgen wurde. Infolge der Kriegs⸗ wirren konnte er leider nicht abtransportiert werden und wurde einſtweilen in Froſe untergeſtellt. Dort iſt die hausurne durch Darauffallen eines Stückes Holz (nach anderer Lesart durch einen Dachshund) „in tauſend Scherben zerbrochen“, die als verloren gegangen galten, wie auch noch Behn, 5.41 berichtet. Hinze ) konnte indes einige Bruchſtücke dieſer von ihm als „Srofe 0“ bezeichneten hausurne kürzlich abbilden. Als nun in dieſem Herbjt die Urnen des im Jahre 1920 dem Schloßmuſeum zu Zerbſt überwieſenen Froſer Sundes bei einer Neuaufſtellung der Sammlung eingereiht werden ſollten, wurde auch eine miteingelieferte Kiſte mit Scherben durchmuſtert. Da ergab ſich, daß darunter auch die Hausurnenſcherben waren, und zwar in fo erfreulich großer Zahl, daß fie gemeinſam mit den von Hinze veröffentlichten Reiten eine einwandfreie Rekonſtruktion der hausurne „Froſe C“ ermöglichten.

In derſelben Kiſte befanden fic) noch Bruchſtücke eines eiſernen Meſſers, das in den Berichten nicht erwähnt war. Da aber verſchiedene Knochenſtücke mit Roſt durchtränkt find, iſt es als zum Froſer Hausurnenfund gehörig zu betrachten. Dieſes Eiſenmeſſer (Abb. 1) hat eine noch ganz deutliche roſtige Stoffauflage. Sie mag ein Reit von einer Umwicklung fein. Das Meſſer ſelbſt iſt durch Aufblähungen ſtark entſtellt. Die angeführten Bronzebeigaben ſind nicht mehr vorhanden. Dagegen konnten elf Gefäße (Hbb. 2) und zwölf Deckel (Abb. 5) wieder einigermaßen hergejtellt werden. Sie erinnern auffallend an die Begleitgefäße des hoymer Hausurnenfundes. Huch im Ton und in der Farbe ähneln ſie ſich. Nur überragen die Froſer Urnen die hoymer an Größe. Auch die Deckel zeigen dieſelben Typen wie die Hoymer.

Die Begleitumſtände beim Wiederauffinden von „Froſe C“ ſowie die Einſichtnahme in die Akten laſſen nunmehr keinen Zweifel mehr zu, daß fie die dritte Schweſter zu den beiden von Behn, S. 14 als Froſe A und Froſe B bezeichneten hausurnen iſt. .

Freilich ijt es ein ganz anderer Typus (Abb. 4—6). Behn rechnet

Froſe A und Froſe B zu den Zelthütten, und zwar zu den Langzelten. Froſe C würde nad) Behn ein Rechteckhaus fein. Der Grundriß ijt ein Rechteck wie bei der hausurne von Königsaue (unweit Sroje). Aber die Proportionen 1 mehr der Pferdekopfurne von hoym, deren Grundfläche freilich oval iſt.

Die genauen Maße werden die Urne noch beſſer charakteriſieren. Die Geſamthöhe beträgt 35cm, die Geſamtbreite 33cm. Die Grundfläche ijt ein annäherndes Rechteck von 22 x 16cm; an den Eden iſt fie etwas abge⸗ rundet, und die Seiten ſind ein wenig nach außen ausgebaucht. Alle vier Wände ſtehen ſchräg nach außen, ſo daß die Seitenwände unter dem Dachrande 20 cm Breite haben, die Vorder- und die Hinterwand je 25 em. Die auf ſteigenden Kanten find 20 em lang und etwas abgerundet, und alle vier Wände find ein wenig bauchig. Der Dachrand ragt 1—2 cm über die Wände vor. Der Firſtbalken ijt 15 cm lang und befindet ſich 14 cm abſolut über dem Dachrand. Das Dach ſelbſt ijt nicht eckig. Es ähnelt Hoym A (Behn). Orna⸗ mente finden ſich nicht. Der FSirſtbalken hat aber zwei nach oben gezogene Enden gehabt (Abb. 4).

Die Türöffnung ijt 9x ) em, an den Ecken ſehr wenig abgerundet. Die Türleiſte tritt 2 em hervor. Sie ijt ſoweit nach rechts gerückt, daß fie ſich

1) Hinze, Die anhaltiſchen Hausurnen. Anhalt. Geſchichtsbl. 1925, heft 1.

5] Hausurnenfund bei Froſe in Anhalt 335

ſchon in 1 em Abjtand von der rechten hauskante erhebt. Dieſe Verſchiebung

der Tür nach rechts findet ſich ja öfters bei den hausurnen, wahrſcheinlich

‘ab m Suhl des Hauſes links einen größeren geſchützten Raum zu erhalten . 5).

Die Türplatte aus Ton (Abb. 6) ijt ein Rechted von 12cm Breite und 101, cm höhe, an den oberen Eden etwas abgerundet. Sie ijt eine Kleinig⸗ keit nach außen gewölbt. Um diefen Türverſchluß zu halten, find in der Tür⸗ si Locher vorhanden, durch die ein Holz oder eine Bronzeſtange geſteckt wurde.

Die Hausurne ſoll in einer Steinkiſte aus Rogenſteinplatten geſtanden haben; weitere Urnen waren nicht darin. Über den Inhalt war nichts mehr zu erfahren.

Wir haben es alſo bei Froſe C mit einem neuen Typus der Hausurnen zu tun: das haus iſt im weſentlichen ein Rechteckbau und das Dach iſt kegel⸗ förmig mit Firſt.

Die Herkunft des Namens Germanen. Don Geh. Studienrat Prof. Dr. Knoke.

Schon ſeit Jahrhunderten ſtreitet man über die Erklärung der Stelle, an der Tacitus fic) über das Auffommen des Namens Germanen ausſpricht, und bis in die jüngſten Jeiten hat dieſer Streit nicht nachgelaſſen, derart, daß unſere angeſehenſten Kenner des Schriftitellers ſich dahin äußerten, es fei über die Stelle das letzte Wort noch nicht geſprochen ).

Obwohl unter dieſen Umſtänden die Ausfichten auf eine Derjtändigung nicht gerade günſtig find, jo kann es der Verfaſſer doch nicht unterlaſſen, durch eine nochmalige Prüfung des Gegenſtandes den Derſuch zu machen, ob nicht gleichwohl eine endliche Cöſung der Streitfrage zu erzielen iſt.

Bekanntlich äußert Tacitus über die Entſtehung des Germanennamens keine eigene Unſicht. Er geht vielmehr mit aller Vorſicht an die Unterſuchung heran, indem er mit den Worten: ut in licentia vetustatis die Möglichkeit eines Sehlurteils offen läßt. Gleichwohl dürfen wir und gerade bei der bekannten Dorſicht des Schriftſtellers leuchtet das um jo mehr ein unter den quidam, mit denen er ſeine Erörterung beginnt, nicht beliebige Ceute verſtehen, ſondern bejondere Autoritäten auf dem fraglichen Gebiete, und Norden)) iſt gewiß wenn er unter ſeinen Gewährsmännern in erſter Linie Livius ver: teht.

Indem ſich alſo Tacitus in dieſer Frage des eigenen Urteils begibt, wird ſeine Ausführung nicht weniger glaubhaft, ſondern durch die Berufung auf Geſchichtsſchreiber, die der behandelten Zeit näher ſtanden, als er ſelbſt, nur noch mehr geſtützt. Wir dürfen alſo, da wir keine gegenteiligen Über⸗ lie ferungen beſitzen, ohne Bedenken die von unſerem Autor gegebene Aus: einanderſetzung unſerer Kenntnis zugrunde legen.

Nachdem Tacitus im 2. Kapitel feiner Germania mitgeteilt hatte, daß nach der Anſicht ſeiner durch quidam bezeichneten Dorgänger die Deutſchen urſprünglich mit den Namen der einzelnen Stämme, der Marſer, Gambrivier, Sueben und Dandilier, benannt worden ſeien und dies die wahren und alten Namen ſeien, fährt er fort:

Ceterum Germaniae vocabulum recens et nuper additum, quoniam qui primi Rhenmm transgressi Gallos expulerint ae nune Tungri, tune German vocati sint: ita nationis nomen, non gentis evaluisse paulatim,

1) Undreſen mit Berufung auf Wiſſo wa in den Jahresberichten des philologiſchen Vereins zu Berlin. 1924, S. 141.

) Die germaniſche Urgeſchichte in Tacitus Germania. Berlin-Ceipzig 1920, S. 586ff.

2] Die herkunft des Namens Germanen 337

ut omnes primum a vietore ob metum, mox etiam a se ipsis invento nomine Germani vocarentur.

Hierzu ijt zunächſt zu bemerken, daß das Wort recens an dieſer Stelle nur einen relativen Wert beſitzt. Es ſteht im Gegenſatz zu den vorher ge⸗ nannten antiqua nomina. Ebenſo wird nuper auch für Ereigniſſe gebraucht, die weit zurückliegen können. Und wenn beide Ausdrüde auch aus den Be⸗ richten der Gewährsmänner in den Text des Tacitus gelangt ſein werden, ſo darf gleichwohl nicht hieraus geſchloſſen werden, daß ſie ſich auf für die damalige Zeit naheliegende Ereigniſſe bezogen haben.

Das Wort additum pflegt man durch „hinzugefügt“ zu überſetzen und daran die Folgerung zu knüpfen, daß die Deutſchen, die über den Rhein gingen, urſprünglich einen anderen Namen gehabt hätten. Das bedeutet der klus⸗ druck in dieſem Juſammenhange jedoch nicht, vielmehr heißt additum ſoviel wie „verliehen“, „gegeben“. So heißt Hijt. I, 62,10!) und Agr. 25,16 metum addere Furcht einflößen; ebenſo hiſt. II, 31,4 und V, 22,9 addere terrorem; Hiſt. I, 76,1 und III, 9,26 fiduciam addere = Vertrauen erwecken; II, 55,9 addere laudes = Lob erteilen; III, 6,3 gloriam addere = Ruhm verleihen; IV, 23,5 laborem addere = Arbeit verwenden; 33,18 addere animos = Mut maden; endlich I, 62,11 nomen addere =einen Namen geben.

Hinter Tungri ijt vocentur oder vocantur zu ergänzen. Vocati sint kann bedeuten, daß die Deutſchen bereits bei ihrem Übergange über den Rhein den Namen Germanen mitgebracht haben, wenn auch gegen die Mei⸗ nung, daß ſie ihn erſt nachher erhielten, grammatiſch nichts eingewandt werden kann. Keineswegs aber iſt es geſtattet, aus nuper additum ein ſpäteres Aufkommen des Germanennamens ſchlechthin zu folgern, da ſich dieſe Worte nicht auf die Deutſchen, die zuerſt über den Rhein gingen, beziehen, ſondern, wie der mit Abjicht gebrauchte Ausdruck Germaniae beweiſt, für Deutſch⸗ land überhaupt Geltung haben ſollten, und nur für dieſes, nicht aber für jene wird in der Mitteilung des Tacitus der Name als neu bezeichnet. Natio bedeutet, wie ſonſt, den Stamm, gens dagegen das geſamte Dolk. Evaluisse hat die Bedeutung: „ſei erſtarkt“, fei „durchgedrungen“. Ita weiſt nicht auf das nachfolgende ut hin, ſondern erledigt ſich mit dem Rückblick auf den vorauf⸗ gehenden Satz; es heißt daher: „unter dieſen Umſtänden“, während ut eine erläuternde Bemerkung zu dem vorhergehenden Sage einleitet in der Be⸗ deutung: „der Art, daß“.

Dieſe Bemerkungen dürften ohne weiteres gelten gelaſſen werden oder doch den Sinn des Ganzen nicht in Frage ſtellen. Die Schwierigkeit ent⸗ ſteht erſt mit den Worten: ut omnes primum a vietore ob metum, mox etiam a se ipsis invento nomine Ger mani vocarentur.

Wer dieſe Worte ſich genau anſieht, bemerkt ſofort, daß nicht nur der Stellung, ſondern auch dem Sinne nach das Ganze durch omnes Germani vocarentur umfaßt wird. Omnes kann dabei nur heißen: alle Deutſchen im Gegenſatz zu der vorher erwähnten natio. Es deckt ſich alſo mit gens. Da der Ausdrud aber für beide Sätze gilt, fo kann, rein grammatiſch angeſehen, auch a se ipsis nur auf omnes ſich beziehen.

Was übrig bleibt nach Ausihluß der Worte ut omnes Germani voca- rentur bildet zwei Sätze, die vollſtändig gegeneinander parallel geſtellt ſind in der Weiſe, daß dem primum die Konjunktion mox, dem a victore die Worte etiam a se ipsis und dem ob metum der Ausdrud in vento nomine entſpricht.

1) Die Paragraphen find nach der halmſchen Textausgabe angegeben.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſch., Bd. 17. h. 4. 22

338 Dr. Knoke (3

Es geht alſo nicht an, die Präpofition a das eine Mal fo und das andere Mal wieder anders zu überſetzen, und das um ſo weniger, als das Wort etiam erkennen läßt, daß der zweite Gedanke nur die Fortſetzung des erſten iſt. Wollten wir aber, wie das wohl geſchehen iſt, verſuchen, a se ipsis in dem Sinne zu erklären, die Geſamtheit der Deutſchen (omnes) hätte ſich mee ſich ſelbſt Germanen genannt, ſo würde man ſich bald überzeugen, daß das einen . gäbe. Folglich kann ase ipsis nur heißen: von ſich ſelbſt,

d. h. die Geſamtheit der Deutſchen nahm von ſich ſelbſt oder aus eigenen Stücken den Namen der Germanen auf. Einfacher wäre es ja geweſen, der Schriftſteller hätte geſagt: ut omnes .. .. se ipsi Germanos vocarent. wählte jedoch die paſſive Konjtruftion in Rückſicht auf a victore, ein Beweis, daß der Parallelismus der Sätze feſt ins Auge gefaßt werden muß.

Heißt nun aber a se ipsis = „von ſich ſelbſt“, jo erfordert die ſer Paralle⸗ au der Sätze, daß auch avictore überſetzt werden muß: „von dem

ie ger“.

Zugleich erkennt man, daß beide Ausdrücke in einem angemeſſenen Gegenſatze zueinander ſtehen, inſofern der Sieger hier nur die in Frankreich eingedrungenen und als Tungri benannten Deutſchen bezeichnet, während mit dem entgegengeſetzten Husdruck die Geſamtheit aller Deutſchen, alſo auch die rechtsrheiniſchen Volksgenoſſen gemeint find.

Sit dies der Fall, jo kann ob metum nicht heißen: „aus Furcht“, „weil ſie Furcht hatten“. Das würde man von den Siegern doch nicht ſagen dürfen. Die Worte können vielmehr nur bedeuten: „um Furcht zu er⸗ regen“.

Dem entſpricht denn auch der ſonſtige Gebrauch der Präpoſition ob bei Tacitus. Denn wenn dieſe auch gewöhnlich ein kauſales Verhältnis be⸗ zeichnet, fo finden ſich bei ihm doch auch genug Fälle, in denen die finale Bedeutung vorliegt, ſo daß eine ſolche auch an unſerer Stelle an⸗ genommen werden darf. So leſen wir Ann. I, 3, 27: ob praemium = um einen Vorteil zu erlangen, ſowie 58,15 = um eine Belohnung zu erhalten; 20, 2: ob itinera = um Wege herzuſtellen; 79,1: ob moderandas Tiberis exun- dationes = um das Austreten des Tiber einzuſchränken; III, 27,7: ob prava = um Schlechtigkeiten zu begehen; auch XIV, 14,18: ob delicta; XII, 39,6: ob praedam = um Beute zu machen; ebenſo Hilt. I, 63,4 und III, 30,6; Germ. 5,13: ob usum commerciorum = zu Handelszweden.

3m Grunde fommen übrigens beiderlei Bedeutungen von ob auf das- ſelbe hinaus. Denn dieſes Wort heißt eigentlich: „da (der handelnden Perſon) der Gedanke oder das Gefühl vorſchwebte“, was alſo je nach den Umſtänden in dem einen oder anderen Sinne verſtanden werden konnte. Es iſt daher einerlei, ob man beiſpielsweiſe ob praedam überſetzt: „um Beute zu machen“ oder: „der Beute wegen“. Nur muß man, wenn man den Ausdrud kauſal faßt, ihn nicht auf ein vergangenes oder gegenwärtiges, ſondern auf ein zu⸗ künftiges Verhältnis beziehen. .

Wie wenig auch Tacitus einen Unterſchied zwiſchen der kauſalen und finalen Bedeutung macht, erſieht man aus der Zuſammenſtellung: ob iram ob praedam in Ann. XII, 39,6, wo das eine Mal ob in der erſten, das ande re Mal in der zweiten Bedeutung ſteht. Ebenſo kommen Ann. I, 3,26 f. in dem⸗ ſelben Satze vor: ob amissum cum Quintilio Varo exercitum und dignum ob praemium.

Was aber metus betrifft, fo wird das Wort bei Tacitus ſehr oft im Sinne einer von außen beigebrachten oder angedrohten Furcht

4] Die Herkunft des Namens Germanen 339

ge braucht. So Ann. III, 26,5: nihil per metum vetabantur; IV, 2,4: ut.... in ceteros metus oreretur; 59,6: hinc metus in omnes; XI, 8,7: unde metus inceteros; 20,3: metus eximperatore; XII, 17,6: metus ceteris iniectus; XIII, 56,14: pari metu exterriti; XIV, 44,14: conluviem istam non nisi metu coercueris; XV, 27,15: validos invalidosque pari metu complet; 54,20: metum intentabat; XVI, 15,5: metum Neroni fecerat; Hiſt. I, 62,10: ut. spem metumve adderet; II, 42,7: metum proditionis fecere; 66,14: ni.... metum Batavis fecissent; III, 79,9: hostibus metum fecerant; Agr. 25,16: metum.... addiderant.

Es kann daher auch an unſerer Stelle ob metum in dem urſprüng⸗ lich kauſalen Sinne von ob metum in ceteros oder in Gallos verſtanden luft. was dann eben auf die Bedeutung: „um Furcht zu erregen“ hinaus⸗ duft.

Ja, wenn Ann. III, 26,5 Tacitus jagt: ubi nihil contra morem cuperent, nihil per metum vetabantur, d. h. „es wurde ihnen nichts durch Bedrohung oder Erregung von Furcht verboten“, ſo liegt per metum dem ob metum fo nahe, daß man dem Schriftſteller zutrauen darf, er habe im letzteren Falle metus in demſelben Sinne wie im erſteren verſtanden.

Gleichwohl beruft man ſich gegneriſcherſeits darauf, es komme bei Tacitus ob metum nur in kauſalem Sinne vor, jo Ann. I, 1,12— 68,8 III, 40,7 V, 6,2 XII, 51,3 XV, 73,4 hiſt. II. 49,18 und 65,12, wogegen dieſe Verbindung in finaler Bedeutung bei ihm nicht nachweisbar ſei.

Don dieſen Beiſpielen hat indeſſen zunächſt V, 6,2 auszuſcheiden, weil die Stelle, an der ob metum ſteht, lückenhaft iſt und es darum an einer Er⸗ klärung dafür fehlt, wie die Worte zu verſtehen ſind.

Aber auch auf XII, 51,3 kann man ſich nicht berufen. Hier heißt es nämlich von der Gattin des Radamiſtus: coniunx gravida primam uteunque fugam ob metum hostilem et mariti caritatem toleravit. Daß wir aber hostilis hier im Sinne eines objektiven Genitivs zu verſtehen haben, iſt nach dem Sprachgebrauch des Tacitus ausgeſchloſſen !). Vielmehr iff das Adjektivum im Sinne eines ſubjektiven Genitivs zu faſſen und metus hostilis als die Furcht zu erklären, die bei der Gattin durch die Feinde veranlaßt war. Daß Tacitus ob metum überall in der Bedeutung: „aus Furcht“ gebraucht habe, iſt alſo doch keineswegs erwieſen. Gewiß ſteht auch an der behandelten Stelle ob kauſal. Aber die Furcht iſt nicht die eigene, ſondern entſprechend dem, was vorhin über den Gebrauch von metus geſagt wurde, eine ſolche, die von einer fremden Perſon erregt wurde.

Nun wird gegneriſcherſeits die Meinung verfochten, a victore be⸗ deute gar nicht „von dem Sieger“, ſondern „nach dem Sieger“, und man wird nicht müde, aus anderen Schriften Beiſpiele für dieſen Ge⸗ brauch aufzule ſen. Daß jedoch die hier gewollte Bedeutung den Parallelis⸗

1) Man überſetzt Ann. XIV, 60,5 servilis amor durch „Liebe zu einem Sklaven“. Dieſe Überſetzung iſt falſch. Denn Eucärus war gar kein Sklav. Sonft würde cr ge⸗ foltert worden ſein, und in servo 62,3 bezieht ſich nicht auf ihn, ſondern auf den Denunzianten. Der Ausdrud heißt vielmehr: „gemeine Liebe“, wie XV, 54, 16 servilis animus und hiſt. II, 92, 17 servile ingenium: „gemeine Geſinnung“. Entſprechend dem wiederholten Vorkommen von metum facere heißt auch Ann. VI, 29,4: mortes metus carnificis faciebat nicht: „Die Surcht vor dem Henker . die Selbſtmorde“, ſondern „die Surcht, die er erweckte“ (= metus ex carnifice). Ebenſo heißt Ann. II, 44,6: vacui externo metu nicht: „Stei von Furcht vor auswärtigen Mächten“, ſondern üben von Raatz die auswärtige Mächte hätten erwecken können“, was allein den Ausführungen

arbods 46,8 ff. entſpricht.

22*

340 Dr. Knoke [5

mus der beiden behandelten Sätze aufheben würde, ijt bereits an einer früheren Stelle nachgewieſen worden. Aber nehmen wir einmal an, es hieße „nach dem Sieger“, jo würde zu dem Satze: ut omnes a vietore Germani vocarentur die handelnde Perſon fehlen. Allerdings weiß man ſich dort zu helfen und fügt ſtillſchweigend in den Satz a Gallis ein. Daß eine ſolche Einſchiebung freilich ihre Bedenken hat, iſt auch der Gegenſeite nicht unbewußt geblieben. Man hat daher a victo für a vietore ſetzen wollen, eine Änderung, die allerdings den Vorteil hatte, daß nun die Präpoſition a wieder zu ihrem Rechte kam und der Parallelis- mus mit a se ipsis hergeſtellt wurde. geh abgeſehen davon, daß die Textes⸗ änderung doch eigentlich nur die Verlegenheit verrät, in der man ſich befand, iſt ſie auch ſprachlich nicht gerechtfertigt. Tacitus würde vielmehr entſprechend hilt. V, 16,9 und ſonſt a victo hoste oder a victis, wie Hiſt. III, 84,12 und vielen anderen Stellen geſchrieben haben. Täßt man aber den Gedanken a Gallis ſtehen, dann ſchwebt wieder a victore in der Luft, weil es nunmehr in dem folgenden parallelen Satze ſein Gegenſtück nicht findet. . Es geht aber auch nicht an, ſich vorzuſtellen, die geſamten Deutſchen hätten nur in der erſten Zeit (primum) nach dem Sieger ihren Namen be- kommen; denn wenn das überhaupt der Fall war, dann müßte doch auch für die Folgezeit dieſe Ableitung des Namens zu Recht beſtanden oder fort: gelebt haben.

Wichtiger ijt, daß bei der gegneriſchen Auffaſſung die Bedeutung ob metum zu einer neuen Unmöglichkeit führen würde. Offenbar haben näm⸗ lich die Unterſuchungen auf der Gegenſeite vielfach zu einer Derwechslung der Begriffe geführt. Man hat des Langen und Breiten nachzuweiſen ge- ſucht, daß die Gallier Furcht vor den Deutſchen gehabt hätten, eine Tat- ſache, an der ja allerdings nicht zu zweifeln iſt. Daraus, ſo ſagt man, erkläre ſich die Bemerkung ob metum. Ja, man hat behauptet, in dem Namen Germanen liege an ſich ſchon etwas Schreckenerregendes, was dann auch natürlich von Anfang an fic) bei den Galliern geltend machen mußte, während Tacitus den Ausdrud doch nur für die ſpätere Zeit zugeſteht, und lange Zeit haben die Erklärungen des Namens als der von „tobenden Kriegern“ oder von „Rufern im Streit“ einer gewiſſen Beliebtheit ſich erfreut.

Aber die Frage, ob die Gallier vor den Deutſchen Furcht gehabt haben oder nicht, ſteht bei der Erklärung unſeres Streitfalles gar nicht zur Erörterung, ſondern lediglich die Frage, wie es möglich geweſen ſein ſoll, daß die Gallier aus Furcht die Übertragung des längſt vorhan- denen Namens der Germanen auf die Geſamtheit des Volkes, auf die omnes, vornahmen. Dieſen Nachweis zu erbringen, konnte je: doch auf der Gegenſeite nicht gelingen.

Eine weitere Ungereimtheit ergibt ſich aus folgender Betrachtung. Wie bereits erwähnt wurde, entſprechen ſich die Ausdrüde primum und mox. Sie kommen mehrfach (neunmal) miteinander vor, wenn der Schrift⸗ teller ſagen will: „zuerſt geſchah dies und ſpäter das“. hieße nun primum a victore, Worte, die doch eng zuſammengehören: „zuerſt nach dem Sieger“, fo würde man erwarten müſſen, daß mit mox die entſprechende Bemerkung folgte: „ſpäter jedoch nach etwas anderem“. Eine ſolche Bemerkung fehlt aber an der zweiten Stelle, da, wie ausge führt wurde, a se ipsis dem a vietore nicht entſprechen würde.

An allen dieſen Widerſprüchen ſcheitert bereits die gegneriſche Er⸗ klärung. Nun wird aber dieſe erſt recht hinfällig durch den Umſtand, daß

6] Die herkunft des Namens Germanen 341

Tacitus die Präpoſition a in dem gewollten Sinne überhaupt nicht verwendet, ſondern überall, wo er ſagt, daß etwas nach einer Sache oder perſon genannt oder beurteilt werde, bedient er ſich der Präpoſition ex oder e. So

1. Ann. II, 56, 15: illi vocabulum indiderunt ex nomine urbis.

2. IV, 65,8, unde Tuscum vicum e vocabulo advenarum dictum.

3. XII, 27,5: Agrippina... . in oppidum Ubiorum.... veteranos coloniamque deduci impetrat, cui nomen inditum e vocabulo ipsius.

4. Hiſt. V. 2, 15: Solymos.... conditae urbi Hierosolyma nomen e suo. fecisse.

5. Germ. 2, 12: Manno tris filios adsignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaevones.... vocentur.

6. Germ. 7, 1: reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.

7. Agr. 40, 10: sive verum istud, sive ex ingenio principis fictum ac conipositum est.

8. Auch mit einem Eigennamen verbindet ſich in derſelben Weiſe die Präpofition ex. So Ann. XII, 49, 10: ne ceteri quoque ex Paeligno (nad Pälignus) coniectarentur.

9. Endlich Ann. IV, 55, 20: ducum e nominibus indita vocabula illis per Asiam, his in Italia.

Was die Präpofition a in ſolchen Sätzen bedeutet, erfieht man aus einem Beiſpiele, das um fo lehrreicher iſt, als der Satz, in dem fie ſich befindet, ſich unmittelbar an den eben genannten anſchließt. Es heißt hier nämlich: auetamque adhuc Lydorum opulentiam missis in Graeciam ) populis cui mox a Pelope nomen. Diefe Mitteilung ift nämlich aus Thukudides I, 9 entnommen, wo es heißt: Agyovat xl of ta capeorara Ilelonovvnoiwv wnen mapa Tüv medtEgor dedeyuevoı Ilelona te aowtov nAndeı yon- uarwv, d nAder ex uns, Aotas Exwv Eo dvdownovgs andgous, ddvaputy MEQLMOLNGAMEVOY THY Exwrvmlay Ts Xwoas Enndvtny Övra Guws ay ev (= erteilt habe). Das ergibt ſich ſchon aus der Zuſammenſtelſung von auctam opulentiam mit nAndel yonudtwr Öüraır neginomoduevov. Ja man könnte meinen, daß Tacitus feinen Gewährsmann falſch verſtanden habe, da diefer fagt, daß Pelops im Beſitz feiner Reichtümer, die ihm Macht verliehen, aus Alten nad) Griechenland gefommen fei, während es fo ausjieht, als ob nad Tacitus die Cuder erſt durch die Entſendung von Mannſchaften dorthin zu machtvollem Wohlſtande gekommen ſeien. Doch löſt ſich dieſer Widerſpruch auf, wenn wir die Worte missis in Graeciam populis nicht als eine vorauf⸗ gehende, ſondern fortgeſetzte handlung verſtehen, ein Gebrauch des abl. abs., der auch ſonſt mehrfach bei Tacitus vorkommt, wie denn auch hier zu überſetzen iſt: „ſo daß ſie Mannſchaften nach Griechenland entſenden konnten“. Ebenſo heißt es bei Tacitus, Ann. I, 65, 9: missae in latera legiones ... locum deseruere, capto propere campo umentia ultra (= und beſetzten); XII, 17, 13: navium quasdam ... circumvenere barbari, praefecto cohortis et plerisque auxiliarium interfectis (= infolgedejjen fie .. töteten); XII, 15, 9 externas et ipsi gratias quaesivere missis legatis ad Eunonen (= und ſchickten). Es heißt alſo a Pelope an der behandelten Stelle nicht etwa nach, ſondern von Delops.

1) Wenn man die Lejeart Graeciam ang e hat, ſo tut das hier nichts zur Sache. Achaiam fonnte Tacitus für die damalige Zeit wohl kaum jagen. Ich verſtehe Graeciam im Sinne von eam Graeciam, d. h. denjenigen Teil Griechenlands, der durch cui... feine Befdyrantung findet.

342 Dr. Knoke 7

Nach Feſtſtellung dieſer Tatſache ergibt ſich auch das Derſtändnis von Ann. IV, 65, 2: mox Caelium appellitatum a Caele Vibenna, qui dux gentis Etruscae, cum auxilium portavisset, sedem eam acceperat a Tarquinio Prisco. Wie aus der Rede des Raiſers Claudius über das ius honorum der Gallier!) hervorgeht, gab es nämlich über das genannte Ereignis verſchiedene Überlieferungen. In dieſer Rede heißt es nun: Servius Tullius, Caeli quon- dam Vivennae sodalis fidelissimus omnisque eius casus comes ... montem Caelium occupavit et a duce suo Caelio (d. h. nach Calius) ita appellitavit. Vergleicht man die beiden Berichte mit einander, ſo fällt es auf, daß bei Tacitus von Servius Tullius überhaupt nicht die Rede iſt. Weder verleiht er dem Berge den Namen, noch hat er ihn beſetzt. Statt ſeiner hat vielmehr Cäles Dibenna ſelbſt den Berg von Tarquinius Priscus erhalten; es iſt des⸗ wegen anzunehmen, daß Tacitus ihn auch als Namenverleiher bezeichnen wollte und demnach die Präpoſition a auch hier in der Bedeutung von gebraucht iſt.

Tacitus hat alſo die Präpoſition ex überall verwandt, wenn er etwas nach einem Gegenſtande bezeichnen wollte; die Präpoſition a hat dagegen in ſolchen Derbindungen nur die Bedeutung „von“. Wird dieſe Regel auf unſere Stelle angewandt, ſo ergibt ſich eine völlige harmonie der behandelten Sätze. Primum a victore = „zuerſt von dem Sieger“ findet ſein Gegenſtück in mox etiam a se ipsis. Daß die ſiegreichen Deutſchen aber ihren Namen auf die Geſamtheit (omnes) übertrugen, um damit Furcht bei ihren Feinden zu erregen, ijt durchaus verſtändlich bei der Vorſtellung, daß ſie dieſe am meiſten ſchrecken konnten, wenn ſie darauf hinwieſen, daß ſie nur ein Geil ihres Volkes ſeien und hinter ihnen die große Maſſe ihrer Lands- leute ſtehe, die ebenſo wie fie jeden Augenblid über den Rhein gelangen könnten 7).

Es findet aber auch ob metum im zweiten Satze ſein Gegenſtück. Freilich pflegt man die Worte invento nomine eng an Germani vocarentur anzu⸗ ſchließen und zu überſetzen: „mit dem überkommenen Namen“ oder ähnlich. Da aber die Worte Germani vocarentur ſich auf den ganzen Satz beziehen, ſo müßte der Husdruck invento nomine ſo gut wie jene auch den Deutſchen, die über den Rhein kamen, zugehören, von denen, oder, wie die Gegner ſagen, nach denen alle benannt wurden. Es müßte der in invento nomine genannte Name alſo auch für dieſe über kommen fein. Er wurde aber bereits von ihnen oder nach ihnen geprägt. Folglich kann ſich invento nomine im Gegenſatz zu ihnen nur auf die mit a se ipsis bezeichneten Deutſchen be⸗ ziehen, und wir müſſen das Verhältnis ſo verſtehen, daß auch dieſe die Be⸗ zeichnung Germanen ſich zu eigen machten, nachdem einmal dieſer Name ſich ihnen dargeboten hatte. So ergibt ſich der Gegenſatz, daß die in Gallien eingedrungenen Deutſchen den Namen Germanen auf die Geſamtheit übertrugen, um ihre Feinde damit zu ſchrecken, daß aber die übrigen Deutſchen ohne einen ſolchen Beweggrund dieſe Benennung annahmen, nachdem einmal der Name aufgekommen war.

Die berühmte Stelle iſt demnach folgendermaßen zu überſetzen:

Übrigens ſei der Name Germanien neueren Urſprungs und erſt un⸗ längſt dem Lande beigelegt, da ja nur die, welche zuerſt über den Rhein gingen

1) Mitgeteilt im Kommentar der Annalen des Tacitus von Nipperd eysAndrefen. 2) So fürchten auch nach ('aes. b. G. I, 51, 11 die galliſchen Sürften: Futurum esse paucis annis, ut omnes ex Galliae finikus pellerentur atque omnes Germani Rhenum transirent.

8] Die Herfunft des Namens Germanen 343

und die Gallier vertrieben, die heutigen Tungern, damals Germanen geheißen batten. So fei nur der Name eines Stammes und nicht eines Dolfes all- mählich durchgedrungen, jedoch der Art, daß fie alle zuerſt von dem Sieger, um Furcht zu erregen, ſpäter auch von ſich ſelbſt, nachdem dieſe einmal den Namen vorgefunden hätten, Germanen genannt worden ſeien.

Aus der gegebenen Darlegung läßt ſich erſehen, daß der Name Ger- manen, weil er von deutſchen Stämmen in Umlauf geſetzt wurde, nicht aus der keltiſchen, ſondern nur aus der deutſchen Sprache hergeleitet werden darf. Das iſt bereits von anderen Seiten nachgewieſen und neuerdings von Koſſin na verteidigt worden’). Nach dieſem Sorſcher iſt das Wort Germanen aus einer Zuſammenſetzung von ga mit erman 5 erman aber, das wir in der bekannten Irminſul wieder⸗ erkennen, bedeutet „hoch“ „erhaben“. Roſſinna macht ferner geltend, daß die Dorfilbe ga, unſer ge, in Juſammenſetzungen häufig, wie hier, den Vokal eingebüßt hat.

Wenn indeſſen, wie er annimmt, bereits erman auch die Bedeutung „allgemein“, „geſamt“ enthält, jo würde die Dorfilbe ga überflüſſig fein bei der Annahme, daß ga erman als dieſe „Geſamten“ verſtanden werden ſoll. Vielmehr will es mir ſcheinen, daß die Bedeutung „geſamt“ erſt durch die Verbindung mit ga gewonnen wird. Vielleicht liegt hier überhaupt ein Mißverſtändnis vor. Die Bedeutung „geſamt“, „allgemein“ ſcheint mir aus einer Überſetzung hervorzugehen, die Rudolf von Fulda der von Karl d. Gr. zerſtörten Irminſul gegeben hat, indem er ſie als die universalis columna erklärt, was Zeuß als richtig bezeichnet. hierbei ijt das Wort universalis offenbar von universus = „allgemein“ abgeleitet. Der Zuſatz Rudolfs von Fulda: quasi sustinens omnia beweiſt aber, daß dieſe Ableitung nicht zu⸗ treffend ijt; vielmehr ijt dem universalis das Wort universum = „Weltall“ zugrunde zu legen. Mit jener Bezeichnung ſollte alſo nicht ſowohl der Begriff des Allgemeinen als des Erhabenen, Mächtigen ausgedrückt werden, eines Gegenſtandes fo hoch und gewaltig, daß er den Himmel zu ſtützen ſchien, wie man einſt vom Atlas ſagte, daß er die Hhimmelskugel trage.

Die Germanen bezeichneten ſich alſo ähnlich wie die Arier Dorder⸗ aſiens ſich die Tüchtigen nannten mit erman als die Erhabenen, mit ga- erman aber als das Dolf der Erhabenen, d. i. als ein Herrenvolf im Gegenſatz zu den unterworfenen und in ihren Augen minderwertigen Galliern.

1) Mannus, XIV, s. 121.

Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel. Eine ſtilgeſchichtliche Unterſuchung. Don Dr. Wolfgang Schultz. Mit 27 Abbildungen im Texte und auf 8 Tafeln.

Jetzt liegt auch der dritte Band des großen Werkes über den im Jahre 1903 zu Tage getretenen Sund von Oſeberg im Fjorde von Oslo (Kriſtiania) in der für Deutſchland beſtimmten Ausgabe aus der Feder von haakon Schetelig vor !). Es ijt ein gewaltiges Stück fleißiger und ſorgfältiger Arbeit, das die norwegiſchen Sorjder an dem Oſebergfunde ſchon geleiſtet haben, und viel bleibt noch, beſonders was die Gewebe betrifft, in hoffentlich naher Zukunft zu leiſten. Aber ſchon die künſtleriſchen Werte, die in dem Schnitzwerke liegen, und die uns Schetelig in ausgezeichneten Erläuterungen erſchließt, ſind unerwartet reiche und hohe.

Die prunkliebenden Könige aus dem Unglingen-Geſchlechte haben in ihren Sitzen in Weſtfold offenbar eine ganze Schule ſchöpferiſcher Schnitzer beſchäftigt; Schetelig ſpricht daher von der Weitfold-Schule. Im Oſe berg⸗ ſchiffe iſt uns eine glänzende Reihe ihrer Werke vom Beginne bis knapp zur Mitte des 9. Jahrhunderts erhalten geblieben, dank der Kunitliebe der in dem Schiffe beſtatteten Königin Aja, deren Name vermutlich noch in dem von Die: berg nachklingt und in der wir nach H. W. Bröggers anſprechender Annahme die Mutter Halfdan des Schwarzen zu ſehen haben 2). Schetelig bemüht ſich nun in großenteils recht überzeugender Weiſe und mit ſorgfältiger Rüd- ſicht auf die Feinheiten der handwerklichen Ausführung, die Schnitzwerke ein⸗ zelnen Meiſtern („Akademiker“, „Barockmeiſter“ uſw.) zuzuweiſen und verſucht auch, Stile und Stilrichtungen heraus zu ſtellen. Mit Recht betont er die Grund legende Bedeutung des Fundes für die nordiſche Altertumskunde, und ins⸗ be ſondere für die Geſchichte der Holsſchnitzerei im Norden. Dieſen Reichtum und dieje höhe der Jierfunjt, die hier zu großen Raum: und Slächenwirkungen ſich ſteigert, konnte man vorher aus den Metallſachen nicht einmal ahnen; die ſpätere Stilentwicklung wird durch dieſen Fund überhaupt erſt faßbar.

1) Osebergfundet utgit av den Norske Stat under redaction av fl. W. Breqger, hi. Salt, haakon Schetelig, mit einem deutſchen Auszug. Bod. 1 (Kriſtiania 1917), 426 S., 163 Abb., 27 Tafeln; Bd. III (Kriſtiania 1920 aber erſt 1925 en): 448 S., 344 Alb» bildungen, 14 Tafeln. Im Folgenden wird dieſes Werk mit Os. I und Os. III angeführt. Die ganze Veröffentlichung ijt auf 5 Bände berechnet, Band II noch nicht erſchienen.

2) Os. III, 448. Man vgl. in Snorris Rönigsbuche I, 74—76 und 81 (übertragen von §. Niedner, Jena 1922; Thule-Sammlung II, 14).

2] Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 345

Er vermittelt zwiſchen den älteſten Stabkirchen !“) und dem jüngeren Wikinger⸗ ſtile einerſeits und dem jüngeren Wendelſtile (Salins Stil III) andererſeits und fügt ſich wuchsrecht in die Geſchichte der nordiſchen Kunjt und in ihre weit zurück reichenden Überlieferungen ein?). Scheteligs Darlegungen über dieſe Zufammenhänge, die zum erſten Male auf die vorbildliche Bedeutung der Holzſchnitzerei für die Metallſachen in dieſem Zeitabſchnitte hinweiſen können, ſind reichhaltig, vorſichtig und doch weiter ausholend. In ihrem Mittelpunkte ſteht der Derjuch, einen Einfluß karolingiſcher Renaiſſance auf die nordiſche Barbarenkunſt nachzuweiſen und zu zeigen, daß der jüngere Oſebergſtil dieſem Einfluſſe zu verdanken fei.

„Die ſpezifiſch⸗germaniſche Ornamentik nimmt ihren Anfang im 5. Jahr⸗ hundert in engem Unſchluß an römiſches Runſthandwerk“ (S. 410). Dazu mußte diefes aber in der Provinzialkunſt erſt auf ein Niveau herab ſinken, das li der Volkskunſt näherte und den Germanen erreichbar war (S. 411). Hieraus entwickelt ſich der ältere Wendelſtil, indem noch das ebenfalls von den Römern entlehnte Bandgeflecht hinzu tritt (S. 413). Der jüngere Wendelſtil iſt von klaſſiſcher Pflanzenornamentik (Afanthus, Weinlaub) beeinflußt (S. 414). Die Weſtfoldſchule, d. h. die Meifter des Oſebergſchiffes, haben nun „ver⸗ ſchiedene Elemente aufgenommen, die aus gleichzeitiger chriſtlicher Kunjt ent- lehnt find, Medaillons und Leijtenwerf, karolingiſche Löwen, geometriſche Borten und Rudimente von Blattformen, und dieſe verſchiedenen Züge leiten eine neue Periode in der Stilgeſchichte des Nordens ein“ (S. 416). Aber der Nachweis iſt dadurch erſchwert, daß Steinſkulpturen, illuminierte Manuſkripte und Metallſachen ſich nicht unmittelbar mit dem holzſchnitzwerke des Nordens vergleichen laſſen, und europäiſche Holzſchnitzerei aus jener Zeit nicht erhalten iſt; ſo werden zum Erſatze Elfenbeinſchnitzereien heran gezogen (S. 417).

Es iſt natürlich nicht möglich, mit dieſen wenigen, heraus geſtellten Sätzen Scheteligs ſorgfältig abgewogenen und in fic) ausgeglichenen Gedanten- gang erſchöpfend wieder zu geben; aber die Richtung, in der er ſich bewegt, wird doch deutlich fein?). Da nach T. J. Arne eine merkbare Verbindung über Rußland mit Byzanz erſt im 10. Jahrhunderte zu Stande kömmt (S. 419), ſucht Schetelig die mit dem Weiten und dem fränkiſchen Reiche, die vor allem durch Münzen ) ſchon um die Zeit um 800 nachgewieſen ijt (S. 417).

2 Eine beachtenswerte Nachwirkung der Tierkopfpfoſten von Oſeberg mit ihrer ſpäter (S. 355) noch eingehend zu beſprechenden Kreiseinteilung an den hälſen in der Kunft der Stabkirchen fei hier nachgetragen. Dietrichſon, Stavpkirker, S. 279, Abb. 152 ar eine planke aus der Kirche von Torpe wieder, die den in zwei Kreisreihen gegliederten Hals oder Leib eines Tierkopfes darſtellt. Die Kreife find nur mehr mit Palmetten gefüllt und der Tierkopf ist als Drache aufgefaßt, der einen Menſchen im Maule hält, der aus dem Rachen heraus das Tier mit dem Schwerte durchſticht (Sigfrid). Da Schetelig die tierkopf⸗ geſtaltigen Brett⸗Enden von Oſeberg bis auf die Drachenköpfe an den Dächern der Stabe kirchen hinab verfolgt hat, dürfte dieſe Ergänzung nicht unangebracht fein.

2) Nils Aberg, Förhistorisk Nordisk Ornamentik, Upfala 1925 (154 S., 249 Abb.), verwertet bereits Scheteligs Ergebniſſe in ſeiner Geſamtdarſtellung.

3) Man vgl. auch A. Riegl, Die ſpätrömiſche Runſtinduſtrie, Teil II (bearbeitet von E. H. A Wien 1923. Kritik an diefem Werke übt J. Strzugowski, Das Erwachen der Nor forſchung in der Runſtgeſchichte, Acta Academiae Aboensis, Huma- niora IV 6 (Abo 1923) S. 5f. u. 15— 17. Ebd. S. 6— 15 beſchäftigt ſich mel mit dem Buche von Adama van Scheltema, Altnordiſche Kunft, Berlin 1923. Darüber vgl. auch O. Menghin, S. 652ff. der Neuauflage von M. Hoernes, Urgeſchichte der bildenden Kunſt in Europa, Wien 1925.

4) Umgekehrt betont J. Strzugowski, Das Oſebergſchiff und die holzkunſt der Wikingerzeit, Belvedere 7 (April 1925), S. 90 die „Unzahl von Silbermünzen oſtmoham⸗ medaniſcher Dynaftien aus dem 8. bis 10. Jahrhundert, die aus Iran ſtammend, im ganzen.

346 Wolfgang Schultz [3

Allein, was kennen wir denn ſchon von dem oſteuropäiſchen und inner: aſiatiſchen frühgeſchichtlichen und vorgeſchichtlichen Stoffe und ſeinen Schich⸗ tungen“)? Wenn man Joſef Strzugowskis überaus anregendes Werk über AltaisIcan?) geleſen hat, wird man wohl kaum umhin können, das Gitterwerk am Kaſten von Guſtafſons Schlitten (Os. III, 176, Abb. 168) mit ganz nahe verwandten Zierſtücken an dem Mimbar von Kairuan (ſtammt aus Bagdad, 9. Jahrh. nach Chr., Altai⸗JIran, Taf. X) zu vergleichen. Strzugows ki ſieht in dem Mimbar gewiß mit Recht eine Nachwirkung ſakiſch⸗perſiſcher Kunit, und wenn es auch um ältere Verbindungen der Nordleute mit dem Südoſten, die doch auch recht alte ſein könnten, vorläufig noch dürftig beſtellt iſt, ſo könnte es doch leicht fein, daß fold) ſtarke Anklänge in den Zierbedürfniſſen und Zier⸗ abſichten uns wichtige Spuren von ihnen verraten. Iſt man erſt auf ſolche Gedanken gekommen, dann fällt es einem auch viel ſchwerer, ein Gitterwerk aus Ravenna wie das von Schetelig Os. III, 270, Abb. 278 abgebildete, das den Formgedanken am Kalten von Scheteligs Schlitten (Os. III, 94, Abb. 83) freilich nur recht entfernt entſpricht, als ausſchlaggebenden und zur Antike zurück leitenden Dergleich gelten zu laſſen. Strzugowski hat vielmehr die mehrflächigen Sterne an der Holztüre der Moſchee von Agra in Awghani⸗ ſtan (Ende des 10. Jahrh., Altai⸗Iran S. 207, Abb. 175) verglichen; fie liegen dem Sormgedanfen nach mindeſtens eben fo nahe und find gewiß aus längerer Kunjtüberlieferung erwachſen, die wiederum nach Iran zurück reichen muß. Das Elfenbein von St. Gallen (Os. III, 271, Abb. 279), das in der Weſtfoldſchule in den Schnitzwerken des Barockmeiſters nachwirken ſoll, enthält in dem vom Raubtiere angefallenen Stiere ein gerade in der ſakiſchen („ſtythiſchen“) Kunſt des Oſtens verbreitetes und beliebtes, uraltes Motiv, das, wenn es ſpäter auch in der byzantinifchen Kunjt auftritt ), in ihr doch gewiß nicht gewachſen iſt und auch nicht unbedingt erſt durch ſie auf den Norden gewirkt haben muß ja dort wohl leicht ſchon lang vor der Weſtfold⸗ ſchule bekannt geweſen fein könnte (ſ. u.). Die Auszierung der Cöwenleiber durch geſtreifte Quadrate (Baſtgeflecht?) finden wir auch an den Dogel- leibern des Hinterbrettes von Scheteligs Schlitten (Os. III, 171, Abb. 163) oder den Prägeplatten der Wendelhelme (Stolpe och Arne, Graffältet vid Dendel Pl. VI, Abb.! 1 und 2).

europäiſchen Norden gefunden werden“. Die Münzen werden aber vielfach bloß die ent: fernteſten Kulturbeziehun en andeuten; die mittleren und nächſten, auf die es uns zumeiſt ankäme, reichen wohl in Länder und zu Völkern, die fein ſelbſtändiges Münzweſen hatten.

1) Zuſammenhänge der älteren Wifingerfunft mit der permiſchen und ſüdruſſiſchen verfolgte un Hj. Appelgren⸗Kivalo, Die Grundzüge des ſkuthiſch⸗permiſchen Orna⸗ mentitiles, Finska Fornminnes föreningens Tidskrift XXVI (Helsinki 1912) 1—20 mit 28 Abb.; Derſelbe, Om den s. k. karolingiska stilens ursprung, S. 365 —374 (mit 21 Abb.) in Opuscula archaeologica, Oscari Montelio septuagenario dicata, Holmiae 1913.

2) J. Strzugowski, Altai-Iran und Völkerwanderung. Leipzig 1917.

3) So finde ich es auf einem Relief der kleinen Metropolis (Panagia Gorgopika, 12. Jahrh.; vgl. O. Wulff, Altchriſtliche und buzantiniſche Kunſt, II Die buzantiniſche Kunft, Berlin⸗Neubabelsberg 1918, S. 489) bei Hh. holdt, Griechenland, Berlin 1925 (Was muth), 5. 38. Dgl. S. 120 das ee Cowenrelief von Chalkis. An der Panagia order a ſehen wir auch (holdt, S. 36) eine nahe „Dorlage“ für das Zierwert am Spann des Ie bergſchiffes, den ich in meinem Auffake über die Kirche Wang in den Schleſiſchen Monats: heften II (Breslau 1925), 236 im 3ufammenhange mit der im Muſeum von Oslo be⸗ findlichen Chorplanke von Wang beſprochen habe. Die wirklichen Vorlagen find in der Richtung zu ſuchen, die eine in anderem Zuſammenhange von Hj. Appelgren-Kivalo Om den 8. k. karolingiska stilens ursprung, d. a. G., S. 308, Fig. 7 nad) Rondakoff⸗ Tolſtoi⸗Reinach, Antiquités de la Russie méridionale, Paris 1891, S. 387, Sig. 346 abgebildete Durchbrucharbeit (paarige „Drachen“ um den Baum) angibt.

4] Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Ofeberg und Wendel 347

Einen freilich ebenfalls noch nicht ins Einzelne ausgeführten, aber auf reicher, unmittelbarer Kenntnis der zugehörigen ſüdruſſiſchen Funde beruhenden Überblick über die ſkadinawiſch⸗„ſkythiſchen“ Formbeziehungen hat inzwiſchen (1922) M. Roſtovtzeff !) gegeben. Was er S. 191—209 (und entſprechend an zahlreichen anderen Stellen ſeines Buches) über die Tier- zierrate ausführt, iſt meines Wiſſens die erſte und einzige Behandlung dieſes Gegenſtandes unter einem großen weltkulturgeſchichtlichen Geſichtspunkte, in der allerdings aber immer noch der Blick auf Alt-Amerifa fehlt. Nach feinen überzeugenden Ausführungen iſt die germaniſche Kunjt vom 3. und 4. Jahr: hunderte an ſtark vom Oſten beeinflußt. Er betrachtet die germaniſche Tier⸗ zier als unmittelbaren Hbleger der ſüdruſſiſchen, deren Formen in ihr bloß ſchematiſcher, geometriſcher werden. In beiden Jier⸗Stilen herrſcht dasſelbe Gewirre ſonderbarer Tiere, dieſelbe Art der Köpfe, Schnäbel und Augen von Greifen oder Raubvögeln, dieſelbe Behandlung der Gliedmaßen dieſer Tiere, die ſelbe Unordnung der Körper mit dem Vorderteile, der in die eine und dem Hinterleibe, der in die andere Richtung gedreht ijt. Die Tiere find nicht ſolche der nordiſchen Sauna, es find nicht Renntiere, Elche oder hirſche, ſondern Cöwen, Drachen, Greife, Sphinxe, allerdings oft bis zur Unkenntlich⸗ keit weiter gebildet. In der permiſchen und ſüdruſſiſchen Kunſt, ſofern nicht helleniſcher Einſchlag vorliegt, finden ſich die nächſten Gegenſtücke. „Ich bin überzeugt, daß man die ſkandinaviſche Kunjt des 1. Jahrtauſends nach Chr. unmöglich verſtehen kann ohne vorheriges Studium der Gegenſtände im ſtuthiſchen Tierſtile. Auch gab es in der Tat ſchon Gelehrte, die ihre Auf: merkſamkeit den ſkythiſchen Denkmälern zugewandt haben, in der Hoffnung, daß ſie die ſkandinaviſche Kunjt aufklären könnten. Aber ſie haben dieſen Gegenſtand nie vollſtändig unterſucht. Sie begnügten ſich, einige vereinzelte Denkmäler zu ſammeln und zu behandeln und fie mit ſkandinaviſchen Werken zu vergleichen. Es tut mir leid, ſagen zu müſſen, daß ſie damit mehr Schaden gestiftet als genützt haben. Wir müſſen die vollſtändigen Reihen vornehmen und ſie geſchichtlich unterſuchen“ (S. 207f.). Der Einbruch der Goten in die ſüdruſſiſchen Steppen war nicht das erſte Auftreten von Germanen in dieſen Gegenden. Die Ausgrabung im Dujepr⸗Tale erwies ſtarken germani⸗ ſchen Einfluß zur Zeit des 1. Jahrhunderts nach Chr.; von da an rücken die Germanen ſtetig nach Süden vor und treten mit der ſkuythiſch⸗ſarmatiſchen Kultur in Berührung. Es iſt kein Wunder, daß dieſe ſich ebenſo nach Nord⸗ weit wie nach Nordoſt (China) verbreitete (S. 208).

Die eine Folgerung allerdings hat Roſtovtzeff noch nicht gezogen, die nach dem Oſebergfunde nun doch auch für Südrußland beſonders nahe liegt und durch die vorhin im Unſchluſſe an Strzugowski gegebenen hinweiſe auf ſakiſch⸗perſiſches Holzſchnitzwerk ſchon jetzt ſtark zu unterſtützen ijt: daß auch in Südrußland die Holzarbeiten eine Rolle geſpielt haben dürften, die nach den Goldfunden nicht ohne Weiteres zu erraten war. Das Material, die Technik tragen zur Schichtung der Kunſtformen bei. Über ſüdruſſiſche Gewebe ſcheint nähere Kunde noch zu fehlen; über Wand⸗Malerei ſchrieb Roſtovtze ff, Ancient decorative wall-painting in South-Russia.

fiber wir werden vielleicht doch gut tun, jetzt nach dem Oſebergfunde eher noch mit mehr Unbekannten zu rechnen. Don der Malerei als einer eigenen Kunſtform in Weſtfold und davon, daß fie wahrſcheinlich einen etwas

1) m. Roftovgeff, Iranians and Greeks in South Russia, Oxford 1922 Clarendon Press., 260 S., 32 Tafeln, 23 Abb. im Texte. Einige Sätze, die ich aus dieſem Werke ſogleich anführen werde, gebe ich deutſch wieder. .

348 Wolfgang Schultz | [5

anderen FJormenſchatz hatte, ijt Os. III, 408f. die Rede. Ebenſo ſieht man ſchon jetzt, daß auch die Webekunſt der Wikingerzeit ihren eigenen Stil und ihre eigenen Formen beſaß, ja daß in ihr bildhafte Darſtellungen in einem Ausmaße möglich waren, das uns die Holzſchnitzereien und die Metallarbeiten kaum an⸗ deuteten !). Leider find die zahlreichen Gewebe des Oſebergfundes auch jetzt nach 20 Jahren noch immer nicht veröffentlicht. Die paar Proben, die Hans Dede kam bisher von ihnen gegeben hat?), zeigen aber, wie wichtig dieſe älteſten Bildwebereien aus Europa ſind, die uns da durch einen glücklichen Zufall als im Norden völlig heimiſche Kunjt mit nordiſchem Formenſchatze entgegen treten. Wird einmal der ganze Stoff vorliegen, dann wird auch wohl zu beachten ſein, inwiefern in den Geweben der Geiſt und die geſell⸗ ſchaftliche Rolle des Frauenhauſes im Gegenſatze zu den von Männern ge⸗ arbeiteten Schnitzwerken und Schmiedewerken zum Ausdrucke kömmt. Schon je tzt ſcheinen ſie nächſte Beziehung zum Kulte zu haben und zum heiligtume, das fie ſchmücken ſollten ?) und in dem die Frau als Prieſterin eine wichtige Stellung eingenommen haben dürfte. Zudem wird allein die andere „In⸗ duſtrie“ und der zugehörige Handel einen anderen Strom von Einwirkungen herüber geleitet haben. Einerſeits finden wir Seidenborten, die nach De de kam angliſch⸗iriſchen Einfluß verraten, anderſeits die Brettchenweberei, bei der wir an den Kaukaſus denken“), von dem ja übrigens auch die Sage vom ge⸗ feſſelten Rieſen herüber gewirkt haben ſolls). Aud) Dede kam rechnet außer mit dem Beſtande an heimiſch⸗nordiſchen Motiven und außer mit den ſchon erwähnten engliſch⸗iriſchen Formen, auch mit „orientaliſchen“ ). Es iſt febr wahrſcheinlich, daß ſie ſich dereinſt, und vielleicht noch überzeugender als beim Schnitzwerke oder den Metallſachen, ſtärker und wichtiger erweiſen werden als die weſtlich⸗klaſſiſchen. Auch iſt kaum anzunehmen, daß die buzantiniſchen mehr in Frage kommen als die ſaſanidiſchen und deren ſakiſche Einſchläge und Vorſtufen; ebenſo ijt es nicht wahrſcheinlich, daß bloß Einflüſſe vorliegen; eher breitere, weiter zurück reichende Kulturgemeinſamkeiten, aus denen ſich auch viel von den Randerſcheinungen der klaſſiſchen Kunſt als „barbariſches“ Urſprunges erweiſen dürfte, allerdings entlehnt und beeinflußt, aber ſtark in der Richtung, die der bisher verfolgten entgegen geſetzt verläuft“).

1) Der Sigurenfries im hauſe des Olaf Pfau mit der Darſtellung von Balders Be- ſtattung (G. Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder, Dortmund 1920, S. 46ff.) wird als farbiges Holzſchnitzwerk feine ſtarken Beziehungen zu ſolcher Webetechnik und ihren Überlieferungen gehabt haben (vgl. €.Satvén, Bonaden frän Skog, Stockholm 1923, S. 28). Dieſe Annahme iſt ſchon jetzt, wo wir die erſten Einblicke in die Gewebe von Oſeberg erhalten, innerlich wahrſcheinlicher als Neckels Verſuch, den Gedanken eines Figuren- frieſes mit einem Götteraufzuge durch gotiſche Vermittlung von den hettitiſchen Selsreliefs herzuleiten. Einen reich gegliederten raus mit Wagen und Geſtalten haben wir ja wirk⸗ lich in einem der Teppiche von Oſeberg (h. Dedekam, perſpektivet paa Oſebergdronnin⸗ gens Tapiſſerier, Kunjt og Kultur 1920, Heft 2/3, S. 147, Abb. 1: vgl. die etwas weiter gehende Zeichnung bei E. Salvén, S. 14, Abb. 3 und die Aufnahme des in Os. III, 39, Abb. 18). Den hinweis auf die Gewebe verdanke ich herrn Dr. Brehm in Wien und Stau Dr. D. Sulwan in Göteborg.

2) Außer ſeinem in der vorigen Anmerfung angeführten Kufſatze iſt noch von ihm zu erwähnen Odins tra, et stykke billedvæv fra Osebergfundet, Kunst og Haandverk (Kriſtiania 1918) S. 56—75.

5) Dedekam, Perspektivet p. 152.

) Dal. Divi Sylwan, Om brickband, ett bidrag till överhogdals och Skogtapeternas teknikhistoria. Fornvännen 1921, wo man S. 216 Angaben über die Derbreitung der Brettchenweberei findet.

5) H. Olrik, Ragnarök, Die Sagen vom Weltuntergang. Berlin 1922.

6) Dedekam, Odins tre p. 72. a

7) Aud) die ſakiſch⸗perſiſche Kunſt (vgl. das „Bilderverbot“ des Islam) iſt bilderfrei oder bilderarm wie die Hauptmaffe der germaniſchen, worauf ich ſchon Mannus, 4. Erg.⸗ Bd., 5. 88 f. hingewieſen habe.

6] Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel 349

So ſteht alſo zunächſt Eindruck gegen Eindruck. Damit kommen wir aber nicht weiter. Daher verſuche ich, bei einer Sonderfrage einzuſetzen, die mir geeignet ſcheint, die von Schetelig behandelten ſtilgeſchichtlichen Vorgänge

in ein neues Licht zu rücken. Es wurde bisher, ſoviel ich ſehen kann, ſonder⸗

barer Weiſe nicht weiter beachtet, daß eines der Pferdegeſchirre von Wendel!) das aus Grab VII ebenfalls Tierföpfe enthält, die in einer Weiſe neuerlich mit Tierzie rraten ausgefüllt ſind, aus der ſich manche wichtige Vergleiche mit den Tierkopfpfoſten 2) von Oſeberg ergeben (ſ. S. 354). Indem ich dieſe Der- gleiche zu ziehen ſuchte und die hie für in Betracht kommenden anderen Stücke heran holte, wurde mir auch noch aus ganz anderen Erwägungsreihen als den vorhin angedeuteten Manches an der Nutzanwenduna fraalich, die Sche⸗ telig dem Sophus Müllerſchen Begriffe „karolingiſch“ auf die Tierkopf⸗ pfoſten von Oſeberg gegeben hat, und ich lege dieſe Beobachtungen in der hoffnung vor, daß fie zur Klärung der Stilverhältniffe beitragen können. Zuvor aber muß ich Scheteligs Auffaſſung über die Tierkopfpfoſten von Oſeberg entwickeln.

Schon im älteren, vom Meiſter des Schiffes vertretenen Oſebergſtile, alſo am Schiffe?) ſelbſt, unterſcheidet Schetelig zwei Richtungen: die Schnitzereien an den Steven und Brandar (Abb. 16 und d, Abb. 4) in jener Fortbildung von Salins Stil III, die Schetelig den umgeſtal— teten jüngeren Wendelſtil nennt, und das Zierwerk an dem Stamme innen unmittelbar unter dem Drachenkopfe (Abb. 1b und Abb. 2) und am Tingl (Abb. 1e und Abb. 3), wo beide Male Schetelig den Stil als nordiſch-karolingiſch bezeichnet. Die Tiere dieſes karolingiſchen Stiles nun ſollen aus klaſſiſchen Cöwen entwickelt ſein. Sie ſeien zunächſt in mehr monumentaler Holzſkulptur übernommen worden; buyzantiniſche Truhen mit Holzſchnitzwerk konnten aus Weſteuropa nach dem Norden ver⸗ ſchleppt werden (S. 420). Ein Tierfopf, der ſtark an den unſerer Abb. 22 er⸗ innert, wird als karolingiſche plaſtiſche Tierfigur (Os. III, 201, Abb. 195) an⸗ geſprochen und ſoll dann zuſammen mit dem in unſerer Abb. 5 wieder gegebenen abſonderlichen Männlein, in dem ich bei beſtem Willen keinen klaſſi⸗ ſchen Löwen ſehen kann, vor Augen führen, was aus dem klaſſiſchen Löwen im Norden geworden iſt. Neu trete in dieſem Stile zu dem älteren Formen⸗ beſtande noch die Plaſtik der Kleinformen hinzu, die bald ſoweit ausreifen, daß ſie aus ihren „karolingiſchen Medaillons“ auch heraus genommen werden können. Ein Beiſpiel dafür ſoll die Tierfigur unſerer Abb. 22 geben, die ich aber allerdings in ganz anderen Juſammenhängen ſehe (ſ. S. 364).

Zunächſt komme ich ſchon zu anderen Ergebniſſen, wenn ich die klufſtellung der beiden Stile beim Meiſter des Schiffes nachzuprüfen verſuche. Das Urteil

1) Stolpe och Arne, Graffältet vid Vendel, Stockholm 1912 (= Arkeologiska Monografier utgifna af kgl. Vitterhets Historie och Antiquitets Akademien Nr. 3). \ Über ihre Derwendung 15 5 unten beim Begräbniſſe. 3) Den Überblick über das Zierwerk des Schiffes gibt Abb. 14—f wie folgt: 5 Drachenkopf (abgebildet Os. III, 24, Sig. 17). b) Unſere Abb. 2. c) Steven. gl. unjere Abb. 4. d) Brandar (abgebildet Os. III, 16, Sig. 8— 11). e) Tingl. Unjere Abb. 5. f) Spann (abgebildet Os. III, 20, Sig. 14).

Schetelig fieht in b in der Mitte „nordiſch⸗karolingiſchen“, an den Seitenteilen „rortgebildeten jüngeren Wendelſtil“ (die Seitenteile ſetzen ſich in Steven und Brandar fort), in e und d „fortgebildeten jüngeren Wendelſtil“, in e „nordiſch-karolingiſchen Stil“, in f eine Miſchung beider Stile.

350 Wolfgang Schultz [7

über die Wirkung dieſer Stücke ijt dadurch etwas erſchwert, daß in Abb. 2 und 3 Zeichnung, Abb. 4 hingegen Photographie zu Grunde liegt. Eine zeichneriſch in derſelben Art behandelte Wiedergabe der Tiere von den Steven und Brandar fehlt leider, und ebenſo eine Photographie des Tingl. Aber in Abb. 2 iſt doch ein gewiſſer Vergleich möglich, und danach ſcheint mir der Unterſchied der „Stile“ ſtark durch die verſchiedene Unſicht bedingt, in der die Tiergeſtalten gegeben ſind. Auf den Steven und Brandar, die entſchieden Seitenflächen ſind, herrſcht Seitenanſicht; auf der Innenfläche des Stevenſtammes und dem Tingl hingegen, wo die Seitenanſicht ſehr unbequem und unangebracht wäre, herrſcht Vorderanſicht. Dadurch ijt der Schnitzer genötigt, die Geſtalten jedes Mal anders zu behandeln; aber es iſt noch zu erkennen, daß es in beiden Fällen im Weſentlichen „dieſelben“ Geſtalten ſind. Dazu ſtimmt, daß auf dem Spann (Abb. 11), wo der Bildinhalt wieder auf entfaltete Seitenteile führt (die beiden paarigen Geſtalten „Sphinxen“ um den „Baum“), Schetelig gemiſchten Stil anerkennt. Dieſer meldet ſich übrigens auch bereits auf dem Tingl (Abb. 3), wo der Schnitzer den unteren, breiten Teil des Dreiecks mit einem einzigen „Männlein“ in Dorderanficht nicht mehr füllen konnte und daher ihm zwei auf dem Kopfe ſtehende Wichte geſellte, deren Köpfe Vorderanſicht, deren Leiber aber Seitenanficht haben, zwar noch nicht volle, aber hinreichend ausgeprägte, namentlich bei der linken Geſtalt, fo daß die Anklänge an die Tiere der Steven und Brandar ſehr ſtarke werden. Der Leib der linken Geſtalt in Abb. 3 iſt bereits eine volle Uchterſchleife von derſelben Art, die wir in Abb. 4 an den ſeitlich geſehenen Tieren beobachten. Auch in Abb. 3 ragen durch dieſe Löcher oder Ausjparungen der Tierleiber Fortſetzungen und Huswüchſe der Tiere ſelbſt hindurch, ja man könnte annehmen, daß die auf dem Kopfe ſtehenden Geſtalten, da fie keine Bärte haben, Frauen ſind und daß bei der linken die Begattung mit dem Männlein über ihr dargeſtellt iſt. Aber es hat mit dieſen Bärten doch auch feine Schwierigkeiten. Auf Abb. 2 ſehen wir zuoberſt einen Kinnbart, in der Mitte einen Knebelbart, zu unterſt eine „Frau“ mit aufragendem Haarſchopfe. Danach würde man in Abb. 3 bei den beiden mittleren Köpfen eher an heraus geſtreckte Zungen denken können. Bei dem unteren Männlein iſt übrigens auch ein Haarſchopf vertreten, und es find auch zwei Hörner da. Ein Tier mit zwei hörnern ſehen wir auf Abb. 4 zu oberſt, und darunter ein zweites mit weit ausgeſtreckter Zunge. Von vorne geſehen könnten ſich dieſe Tiere von den Männlein nicht ſehr unterſcheiden. Wie dieſe ſind auch ſie meiſt um die Leibesmitte eingeſchnürt (Os. III, 10, Abb. 5 b, d), und die „Bellei⸗ dung“ geht bei dem oberen Männlein in Abb. 5, wenn man es von der Seite dargeſtellt denkt, bis zu dieſer Einſchnürung. Ein „bärtiges“ Tier (mit ſonder⸗ barem Naſenfortſatze) ſehen wir Os. III, 15, Abb. 7a. Wie die eigenartige hand- und Sußfaſſung ), die wir an der „Frau“ zu unterſt in Abb. 2 bewundern, von der Seite ausſieht, zeigt die rechte kopfſtehende „Srau” in Abb. 3; und auch dazu haben wir volle Gegenſtücke in den Tieren der Steven und Brandar, 3. B. Os. III, 11, Abb. 5g, h. Wie aber endlich jene Durchbrechungen der Schultern und Schenkel zu Stande kamen, aus denen die Adhterjchleifen der Leiber wurden, das zeigt meines Erachtens noch ein Blick auf Abb. 20, und es kann kaum Zufall fein, daß auch in Abb. 22 dieſe hand- und Fußfaſſung an einem Stücke wieder kehrt, das der Abb. 24 (ſibiriſch; vgl. S. 564f.) fo nahe jtebt. 1) Das Richtige hierüber hat ſchon Appelgren-Kivalo, Om den s. k. karolingiaks stilens 5 a Gt 8 u enden er „ſtuthiſche“ Tiere in Hand⸗Juß⸗ Sallung verglich.

8] Tierföpfe mit tierverzierten Feldern in Ofeberg und Wendel | 351

Erklären fic) alſo die beiden „Stile“ zu einem großen Teile aus dem Unterſchiede von Seitenanſicht und Dorderanjicht, dann iſt wohl auch ſonſt zu erwägen, wo wir Spuren verſchiedener Unſichten oder Huffaſſungen „des⸗ ſelben“ Gegenſtandes nachweiſen können. Ich glaube nun, daß Entſprechen⸗ des auch für das Verhältnis von Slade und Plaſtik gilt; und um das dar⸗ zulegen, möchte ich von dem eigenartigen Schopfzipfel der „Tiere“ des Barock⸗ meiſters ausgehen. Solche Schopfzipfel kennt auch der jüngere Wendelltil, was Schetelig S. 414 ohne Beziehung auf Oſeberg erwähnt, und ſogar ſchon der ältere Wendelſtil (3. B. N. Aberg S. 97, Abb. 3; S. 96, Abb. 174, 177, 178; S. 99, Abb. 180, 181; S. 100, Abb. 182, 183; S. 101, Abb. 184). Aud) vom Schopfe des „karolingiſchen Löwen” geht ſolch ein Jopfſtreifen aus (Abb. 5), und man braucht nur Abb. 6 zu vergleichen, um den Eindruck zu gewinnen, daß auch hier das Verhältnis von Vorderanſicht und Seitenanſicht vorliegt. Da es aber beide Male Flächen mit freiem Umriſſe ſind, nähern wir uns bereits der Plaſtik, und es entſteht die Frage, wie ſolch ein Gebilde in Rundplaſtik ausſehen könnte. Ich meine nun, daß die herrlichen Tier⸗ kopfpfoſten des Oſebergfundes nichts Anderes als eben ſolche Rundplaſtiken ſind, in denen im Grunde dasſelbe Weſen, d. h. ein Weſen vom ſelben inneren Geſtaltaufbaue, wieder gegeben iſt, nur mit ungleich reicherer Huszierung, deren Beziehungen zu den Auszierungen ähnlicher frei umriſſener Tierköpfe an dem Pferdegeſchirre von Wendel wir ſpäter unterſuchen werden (f. S. 354). Fürs Erſte wird es aber wohl genügen, wenn ich bitte, Abb. 5 mit Abb. 12 zu vergleichen und darauf zu achten, wie hier die Dogelſchwingen zu beiden Seiten des Kopfes (vgl. Abb. 13) auf beiden Schnitzwerken überein ſtimmend vorkommen.

Das führt darauf, daß es notwendig iſt, einmal die Schöpfe der Tier⸗ kopfpfoſten unter einander zu vergleichen. Es ergibt ſich:

1. Der Tierkopfpfoſten des Afademifers (Abb. 9) trägt oben (Os. III, 72, Abb. 63a—c) ein Muſter aus zwei Paaren gegenſtändiger, faſt ſummetriſch verſchlungener „Tiere“ (Dögel). Die Kopfichöpfe dieſer beiden Tierpaare (Os. III, 75, Abb. 64) entſprechen genau denen des Tieres am Bettgeſtelle (Abb. 6), aber ihre Leiber find geflügelt.

2. Der Tierkopfpfoſten 174 (Abb. 10), den Schetelig als Nachahmung des akademiſchen auffaßt, trägt auf dem Ropfe ein „karolingiſches“ Männlein mit hand⸗Fußfaſſung (Os. III, 77, Abb. 67a, b), und um den Nacken nach den Wangen zu erſtreckt wieder zwei verſchlungene, vogelartige, aber eben⸗ 55 99 ſtark weiter entwickelten Schöpfen ausgeſtattete Tiere (Os. III, 79,

. 69).

3. Beim „karolingiſchen“ Tierkopfpfoſten (Os. III, 113, Abb. 103; vgl. hier Abb. 8) ijt leider keine Draufſicht gegeben; wir vermögen alſo nicht zu beurteilen, wiefern vielleicht doch auch in dieſem Gewirre ähnliche Grundver⸗ hältniſſe einwirken könnten. ur

4. Der erſte barocke Tierkopfpfoſten (Abb. 11) zeigt das Grundmotiv ar 1 155 2 in mehrfach abgeſtufter, verwickelter Wiederholung (Os. III, 127,

. 115).

5. Der letzte Tierkopfpfoſten (Abb. 9) fällt dadurch auf, daß auch an dieſer Stelle Tierköpfe in Dorderanficht bevorzugt find (Os. III, Pl. XIV und S. 155, Abb. 147). Man erhält den Eindruck eines kraushaarigen Hundes, etwa eines Pudels.

6. Die Tierköpfe der Eckpfoſten am Kaften von Guſtafſons Schlitten (Abb. 12 und 13) tragen als Schopf ein Gebilde, das faſt ebenſo lappig

352 Wolfgang Schultz [9

aufgelegt ijt wie die ihm entſprechenden „Ohren“ des ſoeben beſprochenen „Pudels“. Es beſteht wieder aus den paarigen verſchlungenen Männlein oder Tieren (Abb. 13), deren Köpfe in Vorderanſicht geſchnitzt find. Sie tragen diesmal nur mäßige Schöpfe, haben aber Vogelſchwingen, die wir ſchon vorhin (S. 351) mit den Schwingen auf dem Kopfe des „karolingiſchen Löwen“ (Abb. 5) verglichen. Huch ſind fie auf eine nicht näher begreifliche Weiſe mit Dogel- hälſen verflochten, die aus ihrem eigenen Leibe hervor zu gehen ſcheinen und in ſtarke, ebenfalls gegenſtändige Vogelköpfe mit großen Schöpfen enden. Die hälſe ſind mit verknoteten Kreiſen verziert, die zerdehnte „karolingiſche“ Geſtalten oder „Vögel“ (Seitenanſicht?) füllen.

Die 6 (bzw. 9) Fälle zeigen, daß offenbar im Grunde jedes Mal derſelbe bildneriſche Gedanke bei der Auszierung dieſer Tierköpfe am Werke war. Leider reicht der Stoff noch nicht aus, ihn ſchon jetzt in einer jeden Zweifel ausſchlie⸗ zenden Weiſe heraus zu ſtellen. Doch ijt er fo ſtark zu fühlen, daß man diefe Tiere im Tiere kaum mit dem Worte vom horror vacui in dieſer Kunjt wird er⸗ ledigen können. Es iſt ja richtig, daß auch ſonſt frei bleibende Sladen ihr Zier⸗ werk erhalten, wie man z. B. an dem Bettgeſtelle Os. III, Pl. VIII ſehen kann. Das ſind Durchbrucharbeiten mit freien Umriſſen, in denen erſichtlich Tier⸗ kopfformen wie die unſerer bb. 6 nachklingen. Os. III, 48, Hbb. 42 ſieht man, wie an einem ſolchen Kopfe das Dreieck am Halje des Tieres mit einem Drei⸗ paſſe „karolingiſcher“ Figuren gefüllt ijt, deren Derichlingung gleichſam die

lächenſpannung vom Rande in die Füllung hinein zum Ausdrude bringt.

hnliches zeigen auch die Tierkopfpfoſten. Ihre hälſe ſind in Kreiſe eingeteilt Abb. 7, 8, 11) und die Füllungen dieſer Kreiſe mit ein, zwei oder mehr Männlein oder Tieren beſtritten. Das Motiv kömmt auch ſonſt häufig vor, 3. B. an der hinteren Fläche des Geſtelles des 4. Schlittens (Os. III, Pl. XII), auf den Deichſelſtangen, ja ſelbſt auf „Kröten“ (Os. III, 283, Abb. 286; 285, Abb. 289; 293, Abb. 502). Zwei (freilich ſchopfloſe) „Vögel“ mit ver⸗ ſchlungenen hälſen und ein dritter darüber füllen das Dreieck zwiſchen der Deichſelgabel des Afademifers (Os. III, 62, Abb. 52.) Hber wiere im Tiere er⸗ geben ſich doch erſt, wenn das zu füllende Feld ſelbſt die Umriſſe eines Tier⸗ kopfes (wie bei den Tierkopfpfoſten) oder eines Tierleibes (wie bei der Kröte) erhält, und das iſt ohne Zweifel etwas Beſonderes, eine Stileigenheit, die nach einer Erklärung für ſich verlangt. Und die Auszierung der hälſe iſt wohl auch nicht das Weſentliche an den Tierkopfpfoſten. Der akademiſche Tierkopf⸗ pfoſten (Abb. 7) hat glatten hals, nur der Kopf iſt verziert. Der horror vacui hat hier eine große Fläche verſchont. Ebenſo reicht beim Tierkopf⸗ pfoſten 174 (Abb. 10) die Derzierung nicht ſehr tief den Hals hinunter, und der Kopf iſt nicht vom Halfe abgeſetzt, fo daß man wohl bloß von einer etwas tie fer herab erſtreckten Kopfverzie rung ſprechen kann. Endlich finden wir immer große unverzierte Hals- und Leibflächen auf den Tierkopfenden der Zelt- leiſten (vgl. Abb. 6), wo freilich auch die Köpfe ſelbſt des Innenzierrates ent⸗ behren. Hier ſcheint noch die altertümlichſte Übung zu herrſchen. Die Stücke, an denen bloß der Kopf verziert und der Hals glatt iſt, find auch ihrem übrigen Gepräge nach die älteren. Der Afademifer fällt dafür beſonders ins Gewicht (Abb. 9), der Tierkopf 174 (Abb. 10) vermittelt dann nach den jüngeren Formen (Abb. 7, 8, 11) hin.

Aber trotzdem müſſen wir bei der Beurteilung des „Alters” vorſichtig fein; es können auch ältere Formen oder ZJierweiſen neben den jüngeren fort- dauern oder, vielleicht teilweife mit den Zeichen der neuen Runſt behaftet, wieder erwachen, das äußere Alter braucht nicht mit dem inneren zuſammen

10] Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 353

zu fallen. Ich halte den ſoeben gezogenen Schluß, daß die Tie rauszie rung der Köpfe das Weſentliche und der Anfang iſt und daß die der Hälfe erſt hin⸗ zu tritt, zwar für wahrſcheinlich und für die Grundlage, von der man wird aus⸗ zugehen haben, muß aber doch ſogleich zur Sprache bringen, daß tierverzierte Köpfe auch ſchon eine Gruppe der „Mähnenſtühle“ aufwies, die in vier Funden von Fünen, Jütland und Alſen in mehrfach überein ſtimmenden Ausfüh⸗ rungen vorliegen. Drei dieſer Sunde ſtammen aus Gräbern, und zwar ver: mutlich Frauengräbern. Dieſe Pferdekummets beſtehen aus einem etwa 40 em langen Holzbuge, der quer über den Rüden des Pferdes gelegt wurde. An beiden Enden und den Bug lang ſind Beſchläge aus vergoldeter Bronze angebracht. An den Enden ſind es Drachenköpfe mit halb offenem Maule, in dem die Zunge ſichtbar wird ), und an der den Drachenrücken entſprechenden Oberſeite des Buges ſind es ſenkrecht heraus ſtehende Streifen, die in der mitte in eine Durchbrucharbeit mit Gffnungen für die Jügel verlaufen. Einer dieſer Mähnenjtühle?) (von Sölleſted, Fünen) trug am halſe der Drachen, d. h. am ſonſt glatt gelaſſenen ) Bugholze, ſieben Beſchläge, die bärtige Köpfe darſtellen. Die Durchbrucharbeit in der Mitte beſteht aus zwei gegenſtändigen, von einander abgewandten Drachen. Aber es ſcheint, daß eine andere“) Hus⸗ führung (von Elstrup, Aljen) in dieſem Mittelteile Urſprünglicheres bietet, nämlich einen Kopf zwiſchen zwei gegenſtändigen ihm zugewandten (an ihm pickenden) Vögeln (vgl. den Bildinhalt von Abb. 21). An dem Buge, d. h. dem halſe der Drachen ſind zwei Beſchläge, die vogelähnliche Tiere darſtellen. Es liegt nahe, den Kopf in der Mitte und die beiden Endköpfe des Buges als in ſich geſchloſſene Dreiheit aufzufaſſen. Verwandte Züge weiſen die Sattelbugbeſchläge aus Grab IV (Stolpe och Arne, Pl. XV, Abb. 1), VI (ebenda Pl. XVIII, Abb. 1) und IX (ebenda Pl. XXIII, Abb. 1 und Pl. XXIV, Abb. 1) von Wendel auf. Die Mitte bildet hier, dem Kopfe auf dem Mähnenſtuhle von Elstrup entſprechend, eine menſchliche (IV), mit Schlangen umwundene (IX beide Male) Geſtalt oder ein Geflecht „karolingiſcher“ Geſtalten (VI). Auf letzterem Stücke ſehen wir große, paarige Widderköpfe mit breit ausladenden Hörnern, auch in IX beide Maleé paarige, der Mitte zugewandte Tiere. Das Zierwerk iſt verwildert und kaum mehr zu erkennen; aber die Unklänge dieſer Zier⸗ gruppe, die in reicherer Ausgeſtaltung doch auch ſichtlich den Mähnenſtühlen zu Grunde liegt, an die weltweit verbreitete, uralte Gruppe der ſogenannten xodvia Bnowy kann garnicht zweifelhaft fein.

Was uns aber vor allem beſchäftigt, ſind die Drachenköpfe jener Mähnen⸗ ſtühle. Sie erinnern im Geſamteindrucke und in manchen Einzelheiten, z. B. den glatten, glotzigen Augen im Gegenſatze zu den aufgerauhten Lichtern der übrigen Ropffläche, ſtark an den akademiſchen Tierkopfpfoſten (Abb. 9), ſtehen aber weit ab von jedem Gedanken an Cöwenköpfe. Ihre in der Seiten⸗ anſicht ſpitzen Ohren ſind von vorne geſehen Lappen, die an die Flügel auf

1) Dol. die heraus geſtreckten Jungen in Abb. 4 und 6. Sie kommen auch ſonſt häufig vor, 3. B. an den Tierköpfen des Sues großer Prachtfibeln.

2) M&m, d’antiqu. du Nord 1878—83, 114. 5. Müller, Altertumskunde II, 257, Sig. 156.

9 fluch a dient der Wechſel von freier und verzierter Släche dem künſtleriſchen Ausdrude (im Gegenſatze zur Lehre vom horror vacui). Auf die fünſtleriſche Bedeutun der freien Fläche beim Zierwerke der vollſtändigen Deichſel des Barodmeifters (Os. III, 143, Abb. 132) des Oſebergfundes hat J. Strzygowski, Das Oſebergſchiff, a. a. O., S. 93f. hingewieſen.

4) J. Mestorf, Dorgeſchichtliche Ultertümer aus Schleswig-holſtein, e 1885, Taf. 57, Fig. 702. §. Kauffmann, Deutſche Altertumstunde, 2. hälfte. München 1925, Taf. 23, Abb. 3 (vgl. S. 666f.). N

Mannus, Feitſchriſt für VDorgeſch., Bd. 17. H. 4. 28

354 Wolfgang Schultz [11

dem Kopfe des „karolingiſchen Löwen“ (Abb. 5) gemahnen. Man findet fie im germaniſchen Tierzierrate öfter; ich nenne aus dem Stegreife als räum⸗ lich, zeitlich und der Behandlungsweiſe nach weit aus einander ſtehende Belege etwa die ſpitzohrigen, beidendköpfigen Drachen des Taſchenbügels aus dem Gräberfelde von Selzen bei Lindenfdmit, Handbuch, Taf. XXIV, Sig. 3 oder die ähnlichen beidendköpfigen Drachen des Tulſtorp⸗Steines bei fl. Olrik, Geiſtesleben, S. 70, Abb. 12. Die Schopfzipfel des jüngeren, und auch ſchon des älteren Wendelſtiles dürften dieſen Ohren recht gleichwertig ſein, und wir gelangen durch ſolche Erwägungen erneut dazu, mehr und wohl auch ältere Zuſammenhänge als möglich gelten zu laſſen und mit ihnen in entſprechendem Ausmaße zu rechnen

Die plaſtiſchen Tierköpfe der Mähnenſtühle hat Schetelig leider nicht mit denen von Oſeberg verglichen. Sie ſind ſelbſt wieder mit Tieren aus⸗ geziert, freilich noch verhältnismäßig einfach; die Naſe beſteht aus zwei gegenſtändigen „Dögeln“, deren Leiber nach den Wangen hin verlaufen. Der Kammitreifen dieſer Drachenköpfe und die auf ihren hälſen aufgeſetzten Geſichter (Sölleſted) oder „Vögel“ (Elstrup) ſind eine Art Tierverzierung der hälſe nach Feldern.

Hll das wird um ſo wichtiger, wenn man hinzu nimmt, daß auch ſchon der Wendelfund Tierköpfe mit tierverzierten Feldern gebracht hatte. Die gegenſtändliche Stellung der Köpfe an den Enden des Stirnriemens des Pferdegeſchirres in Grab VII iſt zwar aus Stolpe och Urne, Taf. XIX, Abb. 1 (hier Abb. 14) erſichtlich, aber die Beſchreibung enthält nichts davon, daß es ſich um Tierföpfe handelt, und die einzelnen Stücke ſind liegend ſtatt aufrecht abgebildet. B. Salin, Tierornamentik, S. 287f. hat zu einem dieſer Beſchläge bemerkt, daß er als Ganzes die Form eines Kopfes hat. Aber weder er noch N. Aberg (S. 113 nach Salin), hat die Lage berichtigt. hätte man dieſe Köpfe richtig vor Augen gehabt, dann wäre die Beobachtung, daß die Beſchläge an den Riemen die Leiber zu den Köpfen darſtellen und den Hals⸗ feldern der Tierkopfpfoſten von Oſeberg entſprechen, ſchwerlich ausgeblieben, und dann hätte auch Schetelig, glaube ich, die Köpfe ganz gewiß (und dann wohl auch die Mähnenſtühle) für ſeine Darlegungen über die Tierkopfpfoſten von Oſeberg verwertet und vielleicht auch die Schwierigkeit gemildert, die dieſe Dorjtufe der Bildgedanken der Tierkopfpfoſten im (älteren und) jüngeren Wendelſtile für die herkunft dieſer Bildgedanken aus karolingiſchem Einfluſſe bedeutet. Dielleicht mag ſie auf den erſten Blick geringfügig ſcheinen; aber nach mehrfacher Überlegung halte ich ſie doch für recht weſentlich; denn es ſind (wenn wir auch von den Mähnenſtühlen abſehen) immerhin zwei in ſich verſchiedene Köpfepaare, und das Grab VII ſetzt man nach 700, alſo in eine Zeit, die wohl noch vor einem ausgeſprochen karolingiſchen Einfluſſe liegen müßte. Nach Schetelig hätten ſchon um 800, als der Meiſter des Schiffes bereits beide Stile verwendete, die karolingiſchen Entlehnungen ſich von der Monumentalkunſt in die Kleinkunſt hinein durchgeſetzt gehabt. Das muß man aber gar nicht fo annehmen, falls ſich der Unterſchied der Stile aus dem zwiſchen Dorderanficht und Seitenanſicht (ſ. S. 350 f.), zumindeſt der Hauptſache nach, erklärt. Dke „karolingiſchen“ Tiergeſtalten bräuchten dann nicht aus klaſſiſchen Löwen hergeleitet zu ſein, und wir könnten die Formen der Tiere ſchon allein aus dem De. begreifen.

Doch nun zum Pferdegefdhirre von Wendel (Abb. 14, Geſamtanſicht). Es beſteht aus beſchlagenen Riemen und der Trenſe. Zwei Riemen gehen von der Trenſe an den Wangen des Pferdes zum Stirnbande hinauf; wir wollen

12] Tierlöpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 355

lie Langsriemen nennen und das Stirnband den Querriemen. An der Kreuzung ift ein erhöhtes knopfartiges, ſchön gegliedertes Jierſtück, das als Drehpunkt zwiſchen den beiden Richtungen, fie zuſammen faſſend, vermittelt. Die ein⸗ zelnen Zierbeſchläge ſind rechteckige, ſtark umrandete und je mit vier Ecknuten auf dem Riemen befeſtigte Stücke, die von den Drehſtücken und von einander je durch eine Doppelreihe von Nagelköpfen getrennt find. Hat man einmal geſehen, daß die paarigen Jierſtücke a—d Tierköpfe ſind, dann kann man auch nicht mehr zweifeln, daß die Tierleiber in den Beſchlägen der Riemen dargeſtellt und von den Drehſtücken bloß deshalb unterbrochen ſind, weil die Stelle, wo die Riemen feſt zu verbinden waren, eine Aluszierung in dieſer Form beſonders nahe legte. Der Querriemen (Stirnband) ſtellt alſo einen beidendköpfigen „Drachen“ vor, und jeder der Langsriemen einen „Drachen“, deſſen Leib in den betreffenden Trenſenring endet. Der Leib des beidend⸗ köpfigen Drachen iſt in drei Beſchläge zerlegt, von denen der mittlere (e) mit glatten, die beiden äußeren (ff) mit abwechſelnd bepunkteten und doppelt quergerippten Tierleibern ſo verziert ſind, daß jeweils zwei in kunſtvoller Gegenſtändigkeit durch einander geſchlungene Tiere (Abb. 18 und 19 unten) das Rechteck füllen. Die Drachenleiber der Cängsriemen beſtehen ebenfalls aus je drei Beſchlägen; je die beiden erſten, rechteckigen (ff, ff) ſtimmen fait genau mit dem linken und rechten Beſchlage des Querdrachens (ff) überein (Auflöjung der Formen eines ſolchen Beſchlages Abb. 19 unten), während die Endſtücke an der Trenſe (gg) in Spitzen ausgezogen und in Oſen um⸗ geſchlagen find, was gewiſſe Verſchie bungen in den fie füllenden Tierleibern zur Folge hat (Hluflöſung der Sormen eines ſolchen End beſchlages bei Aberg, S. 111, Abb. 197). Man ſieht, daß die Leiber der Drachen in rechteckige Felder zerlegt ſind, deren Inneres jedes Mal je zwei verſchlungene Tiere zieren.

Vergleicht man damit den hals des „karolingiſchen“ Tierkopfpfoſtens von Oſeberg (Abb. 8), fo finden wir auch hier auf jeder Seite des Haljes im ganzen drei Raumeinheiten, nicht Rechtecke, aber Kreiſe, zwiſchen denen noch untergeordnete Zwidel frei bleiben. Die Füllung der einzelnen Kreife iſt eine reiche; ganze Klumpen von oben geſehener, meiſt vierfüßiger Tiere greifen und beißen da durch einander. Aber trotz dieſer Abweichungen in Füllung und Umgrenzung der Raumeinheiten ſtimmt die Grundanlage ganz entſchieden überein. Gerade der „karolingiſche“ Tierkopfpfoſten hat ſie am beiten gewahrt. Auf dem erſten (Abb. 11) und letzten (Abb. 7) Barockpfoſten decken den hals ſchon nicht mehr bloß linke und rechte Kreiſe, ſondern es laufen je vier (Os. III, 150, Abb. 120) und je ſechs (Os. III, 157, Abb. 151) Kreife um ihn herum, die im erſten Falle in 4 (Abb. 11), im zweiten in 5 (Abb. 7) Ringketten über einander ſtehen. Dafür haben dieſe Tierkopfpfoſten einfachere Füllungen der Kreiſe. Beim erſten barocken Tierkopfpfoſten (Ab= bildung 11) füllt den Kreis ſtets ein einzelnes Tier; beim letzten Tierkopf⸗ pfoſten (Abb. 7) ijt die Kreisumrahmung überhaupt aufgegeben und zwei Tierleiber in Seitenanſicht, deren jeder mit Bein und Maul in den anderen verſchränkt ijt (Abb. 23, 26, 27), bilden ſelbſt die beiden Hälften des Eirundes, während die Mitte ein runder Kopf einnimmt, deſſen vierprankigen Leib wir in einer Doppelſchleife hinter ihm ausgebreitet ſehen, die der von den umrahmenden Tieren gebildeten Doppelſchleife entgegen geſetzt verläuft (Abb. 27). Don den Enden dieſer Schleifen aus ſetzt ſich unter den Wülſten des Eirundes hindurch ein Muſter verſchränkter Rauten über die ganze Fläche fort. Aber ſo verwickelt der Zierrat auch wird, der alte Grundgedanke der Zerlegung des Halſes in mehrere Felder, wie wir ihn in einfachſter Form an

23*

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den „Hälſen“ der Drachen des Pferdegeſchirres von Wendel ſahen, wirft doch auch hier noch fort. ;

Die Tierköpfe des Pferdegeſchirres von Wendel find paarweiſe als recht genaue Gegenſtücke gearbeitet. Es gehören zuſammen die Köpfe Abb. 17

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Abb. 17. Der nach rechts gerichtete Tierkopf

des Pferdegeſchirres Sfolpe od Arne, DI. AIX Sig. 8). Crtſpricht Abb. 14 b.

und 18 als gegenſtändige Tierköpfe zu den Drachenleibern der beiden Tängsriemen, und Abb. 15 und 16 als die beiden Endköpfe zu dem Drachen des Querriemens. Die erſteren Röpfe ſind etwas reicher ausgeführt; fie ſtehen den Tierkopf— pfoſten von Oſeberg näher, während die Köpfe des Querdrachens etwas an die Tierkopfenden der Zeltleiſten von Gokſtad erinnern (Os. III, 215, Abb. 206). Der Anklang liegt für mich darin, daß beide Male die Linie gerte bes eden tee u Schopf-3unge ‚von einer zweiten un- Arne pl. LI X. Sig. P). Entſpricht Abb. 14a. gefähr ſenkrecht durchkreuzt wird; Darunter: Beſchlag, ein Seld des Tier: freilich tritt bei den Köpfen des leibes darſtellend (Stolpe och Arne, p Querdrachens noch eine weitere, XIX, Sig. 4). Entſpricht Abb. 14f. zwiſchen Auge und Maulbogen nach | abwärts verlaufende hinzu. Beide bilden offenbar einen in den Kopf hinein gelegten Tierleib, der aber nad) der Zeichnung nicht flar zu entnehmen ijt. Im übrigen ſtehen die beiden Köpfe des Querdrachens denen der Cängsdrachen außerordentlich nahe. Don dieſen Cängsdrachenköpfen ijt der rechte beſſer erhalten (Abb. 17). Wir ſehen eine Zidzadlinie am Schopf—

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14] Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel 357

Jungenbalken, an den hauptſträngen der Tierleiber und an dem Jahnfleiſche (auch an den Tierfopfpfojten von Oſeberg ijt die Jackenlinie mehrfach ver⸗ wendet), ferner die Auszierung des Auges und der vorderen Rieferſtücke,

Abb. 19. Oben: Auflöfung der Tierzierate im Felde des le der Abb. 18 oben. Nad Salin, und zwar: a. Kopf, hals und Leib. b. Dazu das Dorderbein mit Sug. e. Dazu ein Teil des Hinterbeines. d. Dazu weitere Sortjäße des Hinterbeines. e. Dazu das zweite Tier (kleiner und gegenſtändig zum erften). Darunter: kluflöſung der Tierzierrate im Selde des Tierleibes der Abb. 18 unten. 1. Vorder⸗ bein. m. Kopf. n. Hinterbein. o. Tierleib mit Kopf. p. Das ganze Tier.

endlich an den hinteren Rieferſtücken die Gitterung der Fläche, die der Kreuz⸗ ſchraffierung oder dem Rhombenſchnitte in der Holzſchnitzerei von Oſeberg entſpricht (vgl. Os. III 5, Abb. 1). Das deutet darauf hin, daß ſchon

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in der Wendelzeit im Weſentlichen die Holztechnik von Oſeberg be- ſtanden hat. Wie die Tierleiber, die den Kopf füllen, aufzulöſen find, zeigt Abb. 19 oben, wo ich die betreffenden Einzelheiten (a —e) nach Aberg wieder gebe, aber indem ich den Kopf und die heraus gezeich⸗ neten Geſtalten richtig aufrecht ſtelle. Man braucht dieſe, übrigens auf beiden Köpfen recht ähnlich gehaltene Auszierung nur eingehend zu ver: folgen, um ſofort auch hier wieder die Ubereinſtimmung mit den Ropf⸗ und Nackenauszierungen der Tierkopfpfoſten von Oſeberg zu bemerken. Wie in Oſeberg auf einzelnen Köpfen die Tiere ſich auch um das Maul herum in der Richtung der Kiefer ausladend erſtrecken, greifen auf dieſen Wendel: köpfen die eingezeichneten Tiere mit Endzipfeln ihrer Glieder durch die Kieferränder hinaus (Abb. 15— 18), und Entſprechendes war ja an den Drachen⸗ köpfen der Mähnenſtühle zu beobachten (vgl. Os. III 179, Abb. 171f.). Das „kleinere Tier“ in Abb. 19e aber macht geradezu den Eindruck, als ſei es in Folge der Übertragung von einer Rundplaſtik auf die Fläche „perſpektiviſch“ verkürzt worden (vgl. Os. III 72, Abb. 63; 79 Abb. 69). Die Weſtfoldſchule muß mit ihren Tierkopfpfoſten in einer Überlieferung plaſtiſcher Rundſchnitzerei wurzeln, die ſchon in der jüngeren Wendelzeit mit ſo reich entwickelten Stücken ae war, wie fie die Tierköpfe von Wendel eben offenbar voraus etzen.

Dergleicht man die Stilwirkung der Köpfe mit der der Leiber an dem Pferdegeſchirre von Wendel, fo fällt auch hier eine gewiſſe Verſchiedenheit der „Stile“ auf, bei der vielleicht der Verſchiedenheit der „Stile“ an dem Oſe⸗ bergſchiffe ſelbſt, deſſen Steven ja ebenfalls einen Drachenkopf mit ausge⸗ ziertem Halfe darſtellen, zu gedenken ijt, wenngleich für den „Stil“⸗Wechſel in Wendel offenbar andere Gründe vorlagen. Aber er iſt doch recht auffallend. Während die Füllungstiere auf den Tierköpfen aus zarten, wie wir auf Abb. 17 und 18 oben ſehen, z. T. mit Zidzadlinien verzierten Tierleibern und ungemein feinen und reich veräſtelten Beinverſchlingungen beſtehen, iſt das Tierwerk auf den Beſchlägen, alſo den Drachenleibern ſelbſt, recht grob ge⸗ halten. Die Beine dieſer Tiere ſind nicht ſo übermäßig zerfaſert, und die verhältnismäßig breiten Bänder der Tierleiber ſind abwechſelnd mit Punkten und Doppelquerrippen ausgeziert, was einen viel maſſigeren Geſamteindruck ergibt. Auf den Beſchlagſtücken haben wir kräftig wirkende, deutlich ge⸗ gliederte Formen, auf den Köpfen, beſonders denen der beiden Längsdrachen, ein Geflimmer feiner Linien in ſchwer entwirrbarer, überwuchernder Der⸗ ſchlingung. Jedoch, wie erklärt ſich dieſer Wechſel in der Behandlung der „Füllungen“? Ich denke, ſehr einfach, wenn man darauf zurück greift, daß die Verzierung der Hälfe zu der der Köpfe erſt hinzu getreten ijt, daß beide alſo durchaus nicht aus einem Guß zu fein brauchen. Welche der beiden Aus- zierungsarten aber innerlich zu dem Formgedanken der Röpfe gehört, iſt kein Zweifel, dazu ſtimmt die Auszierung der Wendelköpfe und der „älteren“ Oſebergköpfe zu genau überein.

Dias führt uns aber neuerlich auf die Frage des Grundgedankens ſolcher Verzierung der Tiere mit eingezeichneten Tieren. Mit allem Dorbehalte möchte ich jetzt, wo doch auch noch die Wendelköpfe zu denen von Oſeberg ergänzend hinzu gekommen ſind, auf zwei Gruppen von Erſcheinungen hin⸗ weiſen, die mir ganz nahe herzu zu gehören ſcheinen. . f

Erſtens ijt zu beachten, daß in der ſakiſchen (ſkuthiſchen, ſüdruſſiſchen) Kunft die Juſammenſetzung von Tieren aus Tieren ungemein häufig vor⸗ kömmt. Als kennzeichnende Belege führe ich an den bekannten Goldfiſch

16] Tierlöpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 359

von Dettersfelde, dann eine ſehr bemerkenswerte Goldplatte aus Verkhne⸗ Udinst (jetzt Hermitage), abgebildet bei Minns!) S. 275, Abb. 197, wo der Leib des vom Raubtiere angefallenen, ſchlangengehörnten „Hirſches“ aus Dogel, Drache und Schaf beſteht, was ganz unmittelbar an das Märchen vom Manne, der feine Seele nicht bei ſich hat?), ſondern in dem aus den Tieren der drei Reiche zuſammen geſetzten Stiere, erinnert. Ferner verweile ich auf das goldene Tier von Kul Oba (bei Kertſch, 4. Jahrh. vor Chr.), abgebildet bei Minns S. 203, Abb. 98, das wahrſcheinlich (wie übrigens auch der Sild) von Dettersfelde) als Schildzier diente, endlich auf das als Panzer⸗Bruſtſchildzier gearbeitete Tier von Relermes (im Mai: kopiſchen Bezirke des Kuban, Ende des 7. oder Anfang des 6. Jahrh. vor Chr.). Diejes Tier hat am Ohre Jellenverglaſung; in den 4 an einander gefügten Pfoten und dem in 6 gleiche Einheiten zerlegten Schwanze wiederholt ſich zehnmal das Tier ſelbſt in verkleinertem Maßſtabe und in einer Behandlung, die ſehr an unſere Abb. 22 und 24 erinnert. Die Beziehungen dieſer Gruppe von Jierwerfen®) nicht nur zum „karolingiſchen“ Barockſtile von Oſeberg (vgl. S. 564 f.), ſondern auch zum älteren Oſebergſtile, ergeben ſich als recht enge, wenn man Abb. 20 hinzu zieht; denn hier konnten wir ſehen, wie die Durch⸗ brechungen an den Schultern und Schenkeln der Tiere des Meiſters des Oſe⸗ bergſchiffes zu verſtehen find (ſ. S. 350). Der ausgererfte, um 180 Grad gedrehte Leib des Tieres kehrt auf der Zierplatte in Abb. 21 wieder, und hier taucht auch die geknotete Rückenlinie wieder in einer Form auf, die ganz nahe an die gepunkteten und doppelt quergerippten Tierleiber in den Be⸗ ſchlagſtücken des Pferdegeſchirres von Wendel heran führt. Das mag alſo in zwei Einzelheiten, die über Roſtoptze ff hinaus gehen, fein vorhin (S. 347) wieder gegebenes Urteil veranſchaulichen.

Zweitens verweiſe ich auf das in nordiſcher Kunſt ſchon feit alters vor⸗ kommende (und auch ſonſt vielfach nachweisbare) Aufflappen des dargeſtellten Gegenſtandes von ſeiner Seitenanſicht aus, d. h. man verknüpft die Seiten⸗ anſichten mit der Vorderanſicht, die die Mitte bleibt. Schon in den Fels⸗ ritzungen werden gleichſam im Blicke von oben die Pferde und Räder neben den Wagen aufgeklappt (vgl. G. Roſſinna, Deutſche Vorgeſchichte , S. 92, Abb. 208), oder ein Tier erſcheint mit zwei am Kopfe verwachſenen Leibern (Roſſinna, ebenda S. 93, Abb. 209 oben). Einen ſchönen Fall, der in Stil I gehört, bildet Aberg S. 93, Abb. 171 ab. Wir jehen den Kopf des Tieres in Vorderanſicht, bemerken aber bei genauerer Betrachtung, daß fie ſich aus den beiden Seitenanſichten zuſammen ſetzt. Eine ähnlich zerlegte Kröte habe ich in meiner Unterſuchung über die Kirche Wang, Schleſiſche Monatshefte II, 242, Abb. 11 wieder gegeben. Hier taucht noch ein Männlein zwiſchen den gegenſtändigen Tieren auf, wie auf dem Tierkopfpfoſten 174. In Grab XII von Wendel (7. Jahrh.) fand ſich ein Bronze⸗Beſchlag mit eingelegten Gra⸗ naten (Stolpe och flrne, Pl. XXXVIII, Sig. 8), der einen gleichſam bärtigen, aus zwei Tieren (in Seitenanſicht) gebildeten Kopf (in Vorderanſicht) dar⸗ ſtellt, alſo eine Art „Derier”-Bild wie die vorigen; das Stück ijt hoch gewölbt und führt faſt an die Rundplaſtik heran. Wir haben hier in Rerbſchnitt auf⸗ gelöft und daher wirklichkeitsferner, etwas ganz Abnlides vor uns wie die

1) Ellis h. Minns, Scythians and Greeks, Cambridge 1913. 2) Dgl. meinen Auffak Zeitrechnung und Weltordnung bei den Germanen, Mannus,

XV (192), 125. 3) Man vgl. über fie J. Strzugowski, AltaisIran, S. 140 ff.

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Naſenzier der Drachenköpfe an den Mähnenſtühlen (j. o.). Dielleidht find übrigens auch von den „Ganumedes“-Darſtellungen der permiſchen Kunſt einzelne, wie Abb. 25 und 26 bei Appelgren-Kivalo ), in dieſem Sinne aufzufaſſen; Appelgren-Kivalo hat ja da Typen vereint, die eigentlich wohl garnicht zuſammen gehören und offenbar erſt nachträglich gleichſam in einander verfloſſen find. Neben die „Ganymedes“ -Gruppe tritt auch hier die zorvia ν⁰,õ / (Abb. 21) und der Ropf mit der umrahmenden beidend⸗ köpfigen Schlange (Abb. 28). Übrigens iſt auch ein entfernteres ſüdruſſiſches Gegenſtück zu dem „Dexier“⸗Bilde von Wendel zu verzeichnen: eine bronzene Stangen-Spige aus dem Kuban (4.—5. Jahrh. vor Chr.), die Roſtoptzeff, a. a. O., Pl. X A abgebildet hat. Man kann fie als hahnenkopf bezeichnen; den Ramm bilden drei Schnäbel und ein Rundauge, das gegen den böſen Blick gerichtet ſcheint. Für uns weſentlich ijt Schnabel und Auge des Hahnen⸗ kopfes ſelbſt; denn vom Schnabel ums Huge nach innen verläuft in wunder⸗ voller Linienführung noch ein zweites Mal der ſchnabelige Tierkopf, jo daß, von vorne geſehen, auch dieſer hahnenkopf aus zwei Tieren zuſammen geſetzt iſt. Im freien Felde gegen den Hals des Habnes zu iſt dann noch ein liegendes Horntier mit rückwärts gewendetem halſe angebracht. Das ganze Stück ſteht, wenn man den zeitlichen und räumlichen Ubſtand berückſichtigt, den nordiſchen Tierkopfpfoſten und den tierverzierten Köpfen des Pferdegeſchirres von Wendel immerhin ganz überraſchend nahe.

Mir ſcheint, man wird bei der Mehrzahl der eben angeführten Fälle darauf achten müſſen, wie etwa der Weg von den Durchbrucharbeiten mit freiem Umriſſe und von einfachen frei umriſſenen Röpfen und Geſtalten zur Rundplaſtik verlaufen ſein dürfte. Junächſt mochte man ſich mit der Bearbeitung von Ceiſten oder Brett-Enden begnügen 2), jo daß man den Gegenſtand von beiden Seiten darzuſtellen hatte. Bei dicken Brettern oder Pfoſten bot aber die Stirnſeite Gelegenheit, eine Vorderanſicht zu bringen. Ich halte es für wahrſcheinlich, daß man dann geneigt war, die Seiten⸗ anſicht auf den Seitenteilen verkleinert zu wiederholen, gleichſam „per⸗ ſpektiviſch“ verkürzt (vgl. S. 358 o.). Unmittelbare Belege für dieſen Dor- gang haben wir nicht, was nicht wunderbar iſt, wenn wir erwägen, wie wenig bearbeitetes Holz aus dem Norden vorliegt, das älter als Oſeberg wäre. Aber die eben angeführten „Dexier“-Bilder find wohl in dieſem Sinne zu verſtehen und einen entfernten Vergleich kann vielleicht der Stein von Husniatyn in Galizien hergeben, den man in meinem Buche Zeitrechnung und Weltordnung S. 134, Abb. 56 findet. Da iſt zu unterſt an dem Steine eine hodente Geſtalt angedeutet. Die Vorderfläche bietet die Vorderanſicht; auf den Seitenflächen ſind die beiden Seitenanſichten eingetragen; aber der Steinmetz hat ſich nicht an ſie ſo recht heran gewagt und lieber den Kopf der Vorderanſicht etwas kleiner wiederholt. Mir ſcheint, daß die fo entſte hende „Dreiheit“ ſogar eine Art Gegenſtück zu der unteren Gruppe auf dem Tingl des Oſebergſchiffes (Abb. 3) iſt, ſofern dort ebenfalls in den beiden kopf⸗ ſtehenden Seitengeſtalten die Seitenanſicht mit der Dorderanſicht noch mit wenig Folgerichtigkeit vereint ijt. Daß ſolche auf den Seitenflähen ein⸗ getragere Seite nanſichten, und vielleicht auch auf der Scheitelfladje ver:

1) ) Bi. Appelgren-Kivalo, Die Grundzüge des ſkuthiſch-permiſchen Ornament: ſtiles, Finnska Sornminnes— föreningens tidskrift XXVI (helſinski 1912

) Auch ſpätere Werke gehen noch von der Planken- oder Pfoſten⸗ Fläche aus; ich ver⸗ weile neuerlich auf die ſchon S. 345, Anm. erwähnte Planke der Kirche von Lorpe, in der die Ropfpfoſten mit ihren verzierten Kreisfeldern nachwirken.

18] Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 361

zeichnete „Draufſichten“ (man denke an das „Männlein“ auf Tierkopfpfoſten 174), ſobald man zur eigentlichen Rundplaſtik ſich vorwärts taſtete, als Zier⸗ ſtücke weiter gebildet und in einer Weiſe mit einander verſchlungen wurden, in der die urſprüngliche Unordnung und Abficht bloß durchzufühlen, aber nicht mehr unmittelbar ausgedrückt iſt, dürfte bei der ausgeſprockenen Neigung zu ſolch verſchlungenem Zierwerfe, die der germaniſchen Kunjt eignet, begreif⸗ lich ſein. Billigt man die eben vorgetragenen Annahmen, dann ergibt ſich auch, daß die Rundplaſtik von Oſeberg wohl von Unfang an in heimiſchen, nordiſchen Formgedanken wurzelt.

Dahinter aber ſteht die Frage, welche Stürme, Sluten oder Dögel den Samen dieſes alten, tief verwurzelten Urwaldes in die Nordlande getragen haben mögen. Schon vorhin (S. 347) habe ich unter hinweis auf Roftovge ff das Wichtigſte hierüber angedeutet und auch unterſtrichen, daß ich weniger einfache, einmalige Entlehnungen als vielmehr längere, nachdrückliche Kultur- gemeinſchaften annehmen möchte. Die Stilgeſchichte verläuft auf dem Grunde der Kulturgeſchichte, der handelsbe ziehungen, Wanderungen, auch Einzelner, und Eroberungen. Kulturgeſchichtliche Beobachtungen können ſtilgeſchicht⸗ liche ſtark unterſtützen. Es wandern ja nicht bloß die Gegenſtände und die in ihnen verwirklichten künſtleriſchen Formgedanken, ſondern die Gegen⸗ ſtände gehören zu Sitten und Bräuchen, die Formgedanken zu inneren Über⸗ zeugungen, zu Weltanſchauung, Kult, Religion. In der Mitte unſerer ſtil⸗ geſchichtlichen Betrachtungen ſtanden die Tierkopfpfoſten von Oſeberg: was wiſſen wir von ihrer Verwendung, ihrem Sinne?

Leiter recht wenig. Junächſt ijt ein Irrtum zu berichtigen. J. Strzu⸗ gowsfy, Altai⸗Iran, S. 209 und Das Oſebergſchiff a. a. O., Abb. 1 und 2 bezeichnet fie als Deichſel⸗Enden. Für die Zuſammenhänge, in denen Strzu— gows ki die Stücke beſpricht, macht das nichts aus. Aber es beſteht die Gefahr, daß dieſe Bezeichnung ſich einbürgert !), und deshald ſcheint es mir doch nötig, ſie zu beſeitigen. Wie aus Os. III 68, Abb. 48 erſichtlich iſt, lag der akademiſche Tierkopfpfoſten (Abb. 9) im Dorderſchiffe bei der vollſtändig erhaltenen Schlittendeichſel, und zwar mit feinem Kopfe bei ihrem vorderen Drittel, etwa ſenkrecht auf die Deichſel zu. Der Tierkopfpfoſten 174 (Abb. 10) und der karolingiſche Tierkopfpfoſten (vgl. Abb. 8) lagen im ſüdöſtlichen Teile der Grabkammer (Os. I 42 f., Abb. 21f.; vgl. Pl. X). Aus Scheteligs Skizze der Sundlage iſt zu entnehmen, daß ſie neben einer „Raſſel“ und einem eiſernen haken lagen, verbunden durch zwei Stricke, von denen der eine zum Maule des Tierkopfpfoſtens 174 ging. Im nordöſtlichen Teile der Grab⸗ kammer, alſo an der gegenüber liegenden Stelle der Oſtſeite, fanden ſich die beiden anderen Tierkopfpfoſten, nämlich der erſte barocke (Abb. 11) und der letzte (Abb. 7), wieder in Verbindung mit einer „Raſſel“. Die Tierkopfpfoſten waren mit langen, unten von hinten in fie hinein geſteckten Holzjchäften (ogl. Abb. 7) verſehen. Man nimmt daher an, daß ſie daran bei religiöſen Umzügen getragen wurden (freundliche Mittelung von Prof. H. W. Brögger). Fügen wir hinzu, daß Schetelig, ſicherlich mit Recht, in ihnen denſelben heldiſch⸗tragiſchen Geiſt ausgeprägt ſieht, der auch die Lieder der Edda kenn⸗ zeichnet, dann iſt wohl Alles zuſammen gefaßt, was man bisher über Sinn und Derwendung der Cierkopfpfoſten geäußert hat.

Es ſcheint mir aber doch nicht ſchwer, einige erhebliche Schritte darüber

0 So bringt h. Naumann, Frühgermanentum, München 1925, Abb. 56, den Tierkopfpfoſten 174 und bezeichnet ihn nach Strzugows ki als „Deichjelende eines Wagens im Oſebergſchiff“.

362 Wolfgang Schultz [19

hinaus zu tun. Die Cierfopfpfojten find in einem Grabe gefunden; fie müſſen ihre Bedeutung für die Beſtattung gehabt haben, und zwar wohl eine recht weſentliche find ſie doch fo ziemlich die prächtigſten, ausdrucksvollſten Stücke des ganzen Sundes: Der religiöfe Umzug, bei dem fie ihre letzte Der- wendung fanden, war ohne Zweifel die Beftattung der Königin Aja. Einer davon, der letzte Tierkopfpfoſten (Abb. 7), war damals ſchon ein altes Stück, zerbrochen und mit Eiſenbeſchlag ausgebeſſert; gewiß hatte er bereits durch lange Jahre ſeine Dienſte getan, und wahrſcheinlich bei anderen Gelegen⸗ heiten als bei Beſtattungen, bei denen dieſe ſonderbaren Gegenſtände, wie der Oſebergfund lehrt, bloß ihre ſchließliche Ruhejtätte fanden. Merkwürdig ijt auch die Derbindung der Tierkopfpfoſten durch die Stride mit den Kaſſeln. Man denkt an lärmende Werkzeuge zur Abwehr böſer Mächte. Bei den vier Köpfen der beiden Böcke, auf denen der Kalten des Kultwagens von Oſeberg ruht, hat auch Schetelig ſchon magiſche Bedeutung vermutet. Die Verbindung der Tierkopfpfoſten mit den Raffeln, das Vorkommen der Tierkopfpfoſten bei der Beſtattung, ihre wahrſcheinliche Verwendung bei Umzügen ſind hervor ſtechende Jüge, die einen Vergleich mit den „ſkuthi⸗ ſchen“ Beſtattungsbräuchen nahe legen, die Rojtovgeff a. a. O., S. 44—49 nach herodotos und den Funden aus den Grabhügeln des Kuban (6. und 5. Jahrh. vor Chr.) in den wichtigſten Umriſſen zeichnet. Die Anlage des Grabes iſt eine andere; die Grabkammer iſt nicht ein Jeltverſchlag auf dem Schiffe wie in Oſeberg, ſondern unter die Bodenfläche des Hügels eingelaſſen; auch im Norden kannte man Ähnliches. Was uns beſchäftigt, find aber die Anklänge im ſonſtigen Brauchtume. Neben den Pferden fand man oft Bronze⸗ Naſſeln. gekrönt von Tierköpfen, und zahlreiche Schellen. Die Raſſeln waren ohne Zweifel an hölzernen Stangen befeſtigt; ſie fanden ſich ſehr häufig in Sätzen zu vier gleichen Stücken. Man muß annehmen, daß ſie die Seitenſtäbe von Grabbaldachinen bildeten (S. 48). Danach kann man ſich die Bräuche eines ſkuthiſchen Begräbniſſes jener Zeit veranſchaulichen. Das Grab war eine Wiedergabe des koſtbaren Zeltes, in dem der Tote geweilt hatte. Der Leichnam wurde im Zuge zum Grabzelte gebracht. Den toten Häuptling und die Menſchen, die ihm zu Ehren geopfert werden ſollten, kleidete man in Feſtgewänder und ſetzte fie mit der Grabausſtattung auf ſechsſpännige Leichenwagen (vgl. den „Rultwagen“ von Oſeberg), oder auf von Dienern getragene Bahren. Über die Leichname hielt man Baldachine, deren Stäbe an der Spike Raſſeln trugen und die mit Schellen beſetzt waren. War der Leichnam in den Wagen gelegt, ſo ſetzte man den Baldachin auf den Wagen auf. Wahrſcheinlich ſchritten dem Leichenzuge ein oder mehrere Standarten- träger voran; und auch die Standarten waren ähnlich den Baldachinſtangen von ſinnbildlichen Bronzefiguren bekrönt. Da die Pferde ebenfalls Schellen trugen, machte der Leichenzug einen gewaltigen Cärm, der die böſen Geiſter verſcheuchen ſollte. War das Grabzelt erreicht, ſo legte man die Leichen in das Grab und um ſie herum die Beigaben. Man ſchlachtete die Pferde und ordnete ihre Leichen um das Zelt und im Zelte an. Der Baldachin und der Wagen wurden zerbrochen und beim Grabe nieder gelegt, mitunter auch im Grabgange. Dann errichtete man über der Beſtattung den hügel (S. 498). Wenn Roftovgkeff feine Schilderung des ſkutbiſchen Begräbniſſes mit dem Satze ſchließt, „an ſich beſitze es wenig geſchichtliche Bedeutung“, dieſe liege vielmehr in dem, was die Grabbeigaben ſagen, ſo werden wir freilich jetzt gerade auf die kulturgeſchichtliche Bedeutung dieſer Grabzüge beſonders Gewicht legen müſſen. Auf Tafel X A—D hat Roſtovtzeff einige Stabſpitzen

20] Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel 363

aus dem Kuban (6.—5. Jahrh. vor Chr.) abgebildet und S. 56 erläutert!). Eine davon, Abb. A, haben wir ſchon vorhin (S. 360) als ,Derier“-Bild und wegen ihrer Ausſchmückung mit Tierbildern im Felde des Haljes gewürdigt. hier ſei noch hinzu gefügt, daß fie vorne am Hahnenſchnabel und am Hals: lappen und hinten am Ramme je eine Gſe trägt. Das erinnert an die beiden Schnüre der Rajjel von Oſeberg, deren eine zum Kiefer des Tierkopfpfoſtens ging. Die Stabſpitze der Abb. B iſt eine Raſſel mit ſenkrechten Cängsſpalten, die oben in einen geöhrten Dogelfopf endet. Abb. C und D zeigen den Kopf . eines Mauleſels (oder Camas) und eines Stieres. Roftopgeff vergleicht kappadokiſche Bronzeſpitzen hölzerner oder eiſerner Stäbe (Pl. II A—E): auf der Raffel tanzt eine Geiß, oder es ſteht auf einer vierköpfigen Sigur die notvia Syowy ujw. Auch erinnert er an die äguptiſchen, hettitiſchen und aſſu⸗ Ba Standarten. Das ſind Zujammenhänge, die beſonderer Unterſuchung ürfen.

Uns handelt es le hier nur um die ſüdruſſiſchen Gegenſtücke zu den nordiſchen Tierkopfpfoſten und um die Umriſſe der zugehörigen Bräuche. fluch in Oſeberg wurde der Toten ihre Dienerin beigegeben, auch hier wurden Pferde, Rinder, Hunde, geopfert, auch hier findet ſich im Hügel prächtiges Grabgut beigeſetzt, auch hier hat die Grabkammer die ungefähre Ausjtattung eines Zeltes. An Stelle der Wagen oder Bahren mit Baldachinen, deren Stangen die Tierkopfraſſeln tragen, oder der Standarten, finden wir hier den „Aultwagen” mit den vier Männerköpfen und mit magiſchen Köpfen aus⸗ geziert, ferner die herrlichen Schlitten mit den Tierkopf⸗Eckpfoſten der Schlitten⸗ käſten (vgl. Abb. 12) und endlich die Tierkopfpfoſten ſelbſt. Die Überein⸗ ſtimmung iſt trotz aller Abweichungen und trotz mancher neuen Züge ich erinnere nur z. B. an den Stierkopf in dem Bette auf dem Dorderſchiffe (Os. 1375) —, doch eine ganz überraſchende und geht bis in Einzelheiten. Der Wagen iſt völlig zertrümmert, im Kutſchkaſten war ein Bett, von dem nur Teile da ſind, und eine Webe. Der vierte Schlitten war umgeſtürzt, mit Boden und Rufen nach oben; die Deichjeln der drei ſchönen Schlitten waren alle entfernt und im Schiffe verſchleppt. Am Wichtigſten iſt es, daß die Tierkopf⸗ pfoſten eine Einheit von zwei mit Raſſeln verbundenen Paaren bilden, einen Satz zu vieren wie die ſüdruſſiſchen Baldachinſtangen oder Standarten mit ihren auf Kaſſeln aufgeſetzten Tierköpfen, und daß dieſer Vier der einzelne Tierkopfpfoſten im Vorderſchiffe gegenüber ſteht, wie Roſtoptzeff auch an einzelne, dem Zuge voran ſchreitende Standartenträger denkt ).

1) Dgl. übrigens ſchon Minns, 8. 78 und 187 see, Abb. 79).

) Befondere Bedeutung hat es, daß fic) die vier Tierkopfpfoſten an den ead liegenden Stellen der Oſtſeite der Grabkammer fanden. Die Oftjeite ift die Codesſeite 97 Zeit⸗ u. Weltordn., S. XI). Das Oſebergſchiff iſt aber nicht mehr, wie noch die drei älteren Wendelgräber, nach Oſten, ſondern ſchon nach Süden gerichtet (Os. 1407); auch bei der Verteilung der Schlitten war ſichtlich die Südrichtung die maßgebende. Die Tier: e haben ihren Platz jedoch offenbar noch unter dem Einfluſſe der älteren Dor- ſtellung gefunden. Sie find „hunde“ ⸗Röpfe (ebenſo die Dr der Eckpfoſten an den auß ufaſſe es iſt zweifelhaft, ob die am Kaſten von Scheteligs Schlitten wirklich als Lowen aufzufaſſen ſind) und ſind als ſolche gewiß mit den eddiſchen hunden eee tines Wölfen zu vergleichen. Man betrachte Abb. 10 und 11: bier das vergaltene in ſich hinein Bellen, ort das langgezogene Heulen, beides durch Kopfhaltung und Halsitellung vorzüglich aus⸗ gedrückt. Auch die eddiſchen hähne dürften nicht ſo ferne ſtehen; das legt der hahnenkopf als ſüdruſſiſches Gegenſtück zu den Tierkopfpfoſten nahe (S. 360 o.) auch die hähne krähen die Endzeit herbei. Jetzt ſehen wir aus der Grabkammer der Königin Aja, daß die Hunde zum Oſten gehören, und da iſt an das eſtniſche Märchen (Rreutzwald, Nr. 7) zu erinnern, das A. Olrik, Ragnarök, 1922, S. 88f. und 298 ff. im Juſammenhange mit einer tatariſchen Sage bei Schiefner behandelt hat. Bei den Tataren find es 7 Hunde

364 Wolfgang Schultz [21

Obgleich diefe Ubereinſtimmungen ſehr tief greifen, wird man ſich doch gewiß nicht vorſtellen dürfen, daß die vielleicht um mehr als ein Jahrtauſend älteren ſkythiſchen Bräuche die unmittelbare Vorlage der nordiſchen, den Tierkopfpfoſten⸗Raſſeln zu Grunde liegenden find. Man braucht bloß etwa den Bericht des Ibn Sadhlan von der Beſtattung des Häuptlings der Rus, d. h. der ſchwediſchen, ſchon halb ſlawiſchen Wikinger um 921/22 bei den Bul⸗ garen an der Wolga!) zu leſen, und ihn etwa mit helgis „Totenhochzeit“ im Hügel bei Sigrun oder der Schilderung von Balders Beſtattung zu vergleichen, um zu ſehen, mit welchem Spielbereiche der Bräuche wir bei ſolchen vergleichend kulturgeſchichtlichen Betrachtungen zu rechnen haben. Einiges freilich werden wir wohl auch aus Ibn Sadhlan für unſeren Zuſammenhang gewinnen können. Er erzählt, daß Männer mit Schilden und Stäben dem Mädchen, das geopfert wird, den Met⸗Becher reichen und dann, angeblich um das Geſchrei des Opfers zu übertönen, mit den Stäben auf ihre Schilde ſchlagen (S. 18f.): auch hier alſo Lärm bei der Beſtattung. Leider jagt Ibn Fadhlan nichts über die Form dieſer Stäbe. Außerdem erwähnt er große, Menſchen ähnliche Figuren aus Holz (S. 15), die er offenbar für Götterbilder anſah (vgl. S. 9); vielleicht darf man hierbei an den, allerdings nicht gerade großen, „karo⸗ lingiſchen Cöwen“ (Hbb. 5) des Oſebergſchiffes denken, deſſen Bedeutung für die Ausjtattung des Schiffes bisher noch nicht aufgeklärt ijt.

Doch beabſichtige ich nicht, dieſe Fragen hier weiter zu verfolgen ), ſo ſehr ich auch glaube, daß ſich mit der Jeit immer mehr Stoff einſtellen wird, aus dem ſich unſere Einſicht in ſie erweitern und vertiefen läßt. Dielmehr möchte ich zum Schluſſe wieder auf unſere ſtilgeſchichtlichen Betrachtungen zurück kommen, die jetzt doch wohl bereits auf einem etwas deutlicheren kulturgeſchichtlichen hintergrunde ſtehen. Ich halte es keineswegs für Zufall, daß gerade die ſonderbare Ausihmüdung des letzten Tierkopfpfoſtens (Abb. 7) mit feinen Eirunden in der ſüdruſſiſchen Kunft jener Zeit, deren Begräbnis⸗ bräuche wir uns vorhin vergegenwärtigten, offenbar ganz nahe Doraus⸗ ſetzungen hatte. J. Strzugowski, Altai-Iran S. 208 f. hat dieſe Eirunde als „Armbänder“ aufgefaßt und S. 286 nicht nur die goldenen Tiere der ſüdruſſiſchen Funde im Allgemeinen (bei ihm S. 141f.), ſondern auch insbe⸗ ſondere eine Bronze vom Jeniſſei (bei ihm S. 212, Hbb. 178, 17) verglichen, die dem goldenen Tiere unſerer Abbildung 24 recht nahe ſteht. Das Tier in Abbildung 24 entſpricht dem halben Eirunde des letzten Tierkopfpfoſtens (Abb. 27b oder c) ſehr genau, und in Abb. 25 ſehen wir ein ganzes

im Weiten, denen 5 fünf helden entſprechen; bei den Eſten find es mebrere hunde im Oſten, in einem däniſchen Märchen (bei Olrik, S. 301) ſind es vier hunde. Ein naher Zuſammen⸗ yang zwiſchen dieſen Sagen von den weltbedrobenden hunden im Totenlande (vgl. Jamas unde) und den Tierfopfpfojten von Oſeberg ift nicht zu verkennen.

1) C. M. Frähn, Ihn Foszlans uno anderer Araber Berichte über oie Ruffen älterer Zeit. St. Petersburg 1823.

2) Ich verweiſe bloß im Vorbeigehen noch darauf, daß die Tierföpfe als Schall’ trichter an den „Luren“ auf dem Reſſel von Gundestrup ebenfalls den Gedanken ver anſchaulichen, daß von ſolchen Köpfen Lärm ausgeht. A. Doß, Der große Silbertelfel von Gundestrup in Jütland, ein mithräiſches Denkmal im Norden, Feſtſchtift f. A. Baſtian, Berlin 1896, S. 369—413, deutet S. 575 die Szene (5. Müller, Nordiste Sortiösminder, Kjebnhapn 1890 1003, Pl. VI) als Opfer für das Gelingen eines Kriegszuges. Über die auch auf galliſchen Silbermünzen dargeſtellte cornix vgl. Sorrer, Reallexikon (Stuttgart 1007), S. 85f. Roſtoptzeff, a. a. O., S. 139 betrachtet den Kefjel von Gundestrup als Ergebnis einer keltiſch-ſarmatiſchen Miſchkunſt des 3. bis 1. Jahrhunderts vor Chr. Die Frage nach einem Zuſammenhange keltiſcher (auch galliſcher) Trompeten mit ſüdruſſiſchen Rajjeln oder Standarten darf alſo wohl aufgeworfen werden.

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22] Tiertöpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel 365

„Medaillon“ aus zwei ſolchen ebenfalls in einander beißenden Tieren gebildet, deren jedes freilich dieſes Mal ſelbſt wieder beidendköpfig iſt; das Tier in der Mitte, das ſie umrahmen, wendet ſich nach hinten mit einer Bewegung, die in der Füllung des Eirundes von Oſeberg (Abb. 27 a) (vgl. Abb. 23) ihren letzten überſteigerten Ausdrud gefunden hat. Wie dies Gebilde zu Stande gekommen iſt, kann man aus Abb. 22 verſtehen. Solche, meiſt aus Bernſtein gearbeitete Amulette (?) find mehrfach gefunden worden ). Das von Inderöen (bei O. Rygh a. a. O., Abb. 317 a und b) ijt ein gutes Gegenſtück. Man braucht ſich bloß zu denken, daß ſolche „Tiere“ nun im Blicke von oben gezeichnet werden ſollten, um von Abb. 22 zu 27a zu gelangen. Es entſprechen alſo einander nicht bloß die Tiere (Abb. 22) (nordiſch, jüngerer Oſebergſtil) und 24 (ſibiriſch), ſondern auch ihre Umrahmungen (Abb. 23) (letzter Tierkopfpfoſten von Oſeberg) und 25 (ſüdruſſiſches Pferdegeſchirr). Nur iſt dieſes „Medaillon“ der Abb. 25 kein „karolingiſches“, ſondern ſtammt

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Abb. 26. Zwei perennation aus Abb. 9; Abb. 27. Auflöfung der rechten Zier- die rechte entſpricht der Abb. 25 (nach einheit in Abb. 26 (nach Aberg, ebenda, berg, Nord. Ornamentik, S. 120, Sig. 224a—c): a. Das innere Tier;

Sig. 224). b und e die beiden umrahmenden Tiere.

aus dem Ruban. Angeblich gehört es ins 6. Jahrh. vor Chr. Aber über dieſe Jahreszahlen läßt fic), ſcheint es, reden. Roſtovtzeff S. 52 vermerkt, daß ähnliche Stücke in den Grabhügeln der Sieben Brüder vorkommen, die ins 5. und 4. Jahrh. vor Chr. hinab reichen. Die Funde vom Jeniſſei führen möglicher Weiſe noch einige Jahrhunderte weiter herab (Strzu— gowski, AltaisIran S. 111f.); man vergleiche die ſchon S. 347 angeführte Bemerkung Rojtovkeffs über die Berührung der Germanen mit der „ſkuthiſch-ſarmatiſchen“ Kultur des 1. Jahrh. nach Chr. Je mehr und klarere ſachliche Beziehungen hervor treten, deſto feſtere und kürzere Brücken ſchlagen fie über die räumlichen und zeitlichen Abjtande hinweg.

Das Urteil, ob dieſe Betrachtungen und die voran gegangenen dazu aus— reichen, den Ausdrud, ‚nordilch-tarolingijcher Stil“zumindeftinfeiner Anwendung auf die Tierkopfpfoſten von Oſeberg vielleicht doch als erneuter Überprüfung bedürftig zu erweiſen, überlaſſe ich gerne der weiteren Forſchung auf dieſem Gebiete. Sollte man mit mir dazu gelangen, daß eine andere Benennung, die

N ab Norske 0 Chriſtiania 1885, Abb. 517, 318; vgl. Oplysninger S. 16. ER s. III 292, Abb. 301

366 Wolfgang Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Seldern in Oſeberg und Wendel [23

ſich nicht fo ſehr auf weſtlichen Einfluß und eine beſtimmte Zeit feſtlegt und fid vorläufig begnügt, das Tupologiſche feſtzuſtellen, zu bevorzugen wäre, dann könnte man dieſen Stil ja vielleicht ſtatt nordiſch⸗karolingiſch, da er zu Beginne der Wikingerzeit für unſere Kenntnis zum erſten Male in dieſen entſchiedenen Formen auftritt, bis auf Weiteres den älteren Wikingerſtil nennen. Freilich hat Schetelig dieſen Namen bereits für die ganze Zeit vom Beginne der „nordiſch⸗karolingiſchen“ Stilgruppe um 800 bis zum Borreſtile in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts (S. 436) feſtgelegt; aber eine kleine Erweiterung des Namens nach oben wäre doch wohl möglich und ſchwerlich unhandlich, zumal man ja die Entwicklung von 800 bis Borre auch als mittleren Wikinger⸗ ſtil abtrennen könnte. Das ſind aber im Grunde äußerliche Sorgen; die Haupt⸗ ſache ſcheint mir, daß wir die ſuggeſtive Wirkung einſchränken, die in dem Ausdrude karolingiſch in dieſem Salle doch liegt und der Hupotheſe ein Gewicht geben kann, das ihr dem vorliegenden Stoffe nach, zumindeſt heute, gewiß nicht zukömmt und dem anderer, reicherer Stoff als ſtarkes und meines Erachtens entſcheidendes, bei Schetelig aber weder zur Sprache noch zur Geltung gekommenes Gegengewicht entgegen ſteht.

Dineta.

Eine Entgegnung. Don Dr. W. Petzſch, Putbus.

Im Heft 1/2 des 17. Bandes dieſer Jeitſchrift beſpricht herr Rektor R. Burkhardt⸗Swinemünde das Ergebnis der Schuchhardtſchen Dineta- forſchung und kommt dabei zu dem Schluß: „Freilich wird es zu einer Einigung kaum kommen: die wiſſenſchaftlichen Grundſätze Schuchhardts laſſen ſich mit denen, die von Koffinna und im Mannus und von der Mehrzahl deutſcher Vorgeſchichtler vertreten werden, nicht unter einen hut bringen“. Daran fügt er eine „Widerlegung“ meines Aufjages über den gleichen Gegen⸗ ſtand in der Jeitſchrift „Unfer Pommerland“ X, Heft 3, in folgender Weiſe an: „Das gilt auch von dem ſoeben veröffentlichten Auflage „Wollin oder peenemündung“ von Dr. W. Petzſch, der ſowohl geologiſch als quellen⸗ kritiſch nach meiner Auffafjung der Dinetafrage nicht gerecht wird“. Wenn die genannte pommerſche Jeitſchrift allen Mannus⸗-Leſern bequem zugäng⸗ lich wäre, dann könnte ich das Urteil über meinen Kufſatz den Leſern ſelbſt überlaſſen. Sie würden dann vermutlich feſtſtellen, daß meine wiſſenſchaft⸗ lichen Grundſätze keineswegs von den allgemein üblichen Grundſätzen wiſſen⸗ ſchaftlicher Arbeitsweife abweichen. Dorurteilslojes Abwägen der Tatjachen, beſonnene Kritik literariſcher Überlieferung und dazu der Derfuch, beide in Einklang miteinander zu bringen, ohne eines von beiden zu benachteiligen oder mit Gewalt in eine vorgefaßte Meinung hineinpreſſen zu wollen, das ſind die Grundſätze geweſen, die mich bei meiner Arbeit geleitet haben.

Ich hätte wohl gewünſcht, herr Burkhardt hätte, ſtatt ſich mit der allgemeinen Derurteilung in Bauſch und Bogen zu begnügen, ſachliche Einwände gegen die Ergebniſſe meines Dineta-Aufjakes erhoben. Dor allem bedaure ich, daß er über das Kernſtück meiner Arbeit, die Zuſammenſtellung der bisher veröffentlichten ſlawiſchen Münz⸗ und hackſilberfunde in Pommern und die daraus ſich ergebenden Handelswege in ſlaviſcher Zeit, in ſeiner Kritik kein Wort geſagt hat. Ich hoffe, daß er ſeine ſachlichen Gegengründe gegen meine Auffaffung doch in abſehbarer Zeit in dieſer Zeitſchrift der Offentlic- keit zugänglich machen wird, und kann mir deshalb ein Eingehen auf Einzel⸗ tial bis dahin erſparen und zunächſt nur die grundſätzlichen Fragen be⸗ andeln. |

Unſere geſamte Kenntnis von Jumne-Dineta beruht auf einer Quelle, Adam von Bremen; die nordiſchen Sagas find zwar keineswegs, wie Herr Burkhardt immer noch behauptet, Sagen in unſerem Sinne, denen eine

368 w. petzſch | 2

geſchichliche Beweiskraft nicht zukommt, ſondern eine beſondere Form nordi⸗ ſcher Geſchichtsüberlieferung, aber ſie mögen hier ruhig einmal ausgeſchaltet werden. Bleibt alſo nur Adam von Bremen. Herr Burkhardt lehnt ihn als unglaubwürdig ab: „Bei meiner durch die neuere Geſchichtsmethodik be⸗ gründeten grundſätzlichen Stellung zu Adam von Bremen, den eine tiefe Kluft von Saxo trennt, halte ich alle philoſophiſchen Erörterungen über die bekannten Textſtellen für unerheblich“. Nun kenne ich auch ganz gut die neuere Geſchichtsmethodik, aber ich kenne keine Methode, die wegen angeb⸗ licher Unglaubwürdigkeit der Quelle auch jede einzelne Nachricht des be- treffenden Schriftſtellers ohne nähere Prüfung abzulehnen gebietet. Wiſſen⸗ ſchaftlich einwandfrei iſt doch nur die Methode, jede Nachricht auch eines Ge⸗ ſchichtsſchreibers, bei dem Mißtrauen und Vorſicht geboten find, ohne Dor- urteil auf ihre Richtigkeit zu prüfen, beſonders wenn ſie, wie offenbar unſere Dinetajtelle, aus mündlicher Überlieferung ſtammt. Irgendwelche Un: genauigkeiten und Phantaſtereien werden wir bei den meiſten mittelalter⸗ lichen Geſchichtsſchreibern finden (vgl. Saxos Bericht über das Entweichen des böſen Geiſtes aus dem Svantevitbild nach der Einnahme von Arkona), wenn wir daraufhin alle dieſe Quellen als unglaubwürdig ablehnen wollten, dann würden wir die Subjektivität bei der Auswahl der Quellen zum Prinzip erheben müſſen, um überhaupt noch etwas zu retten. Wenn man nun aber, wie es herr Burkhardt tut, Adam von Bremen in Bauſch und Bogen ab- lehnen zu müſſen meint, dann muß man konſequenterweiſe auch Vineta ins Reich der Fabel verweilen. Denn Saxo, auf den Herr Burkhardt ſchwört, kennt den Namen Jumne überhaupt nicht. Dieſe Konſequenz aus ſeiner Ab- lehnung Adams zieht aber herr Burkhardt nicht, ſondern zieht aus den römiſchen und arabiſchen Münzen, die in Pommern gefunden ſind, den Schluß, daß um etwa 800 —1000 nach Chr. in der Nähe der Odermündung lid) eine handelsſtadt befunden habe, die ihren nicht verwöhnten Jeitgenoſſen Anlaß bot, weit und breit ihren Ruhm zu verkünden (Mannus XVI, 1924. S. 115). Ich habe daraufhin ſämtliche Münzfunde, die aus ſlawiſcher Zeit bisher in Pommern bekannt geworden ſind, zuſammengeſtellt (Unſer Pommer⸗ land X, 1925. Heft 3, S. 88—90) und auf Grund dieſer mehr als 60 Sunde die handelswege in ihrem Derlauf in Vor- und Hinterpommern aufgezeigt. Dabei ſtellte ſich heraus, daß die Münzfunde durchaus gegen Wollin und ent⸗ ſchieden für die Peenemündung ſprechen. Dor allem die Sunde, in denen nordiſche Münzen vertreten ſind, häufen ſich im Peenegebiet, während ſie ſonſt nur ganz vereinzelt ſich finden. Wenn in dem ganzen Gebiet ſüdlich und öſtlich von Wollin die Funde ausſetzen und erſt an der alten Handels: ſtraße Stargard-Labes-Kolberg wieder einſetzen, fo ijt das ganz gewiß fein Beweis für eine überragende Bedeutung Wollins als Handelsitabt in der Zeit um 1000. Nun führt Herr Burkhardt gegen die Peenemündung als Platz für Vineta mit einem großen Aufwand von Beweismaterial geologiſche Bedenken ins Seld. Keilhads Forſchungen über die Derlandung der Swine— pforte liefern ihm das Rüſtzeug zum Kampfe gegen Peenemünde. Ich habe dieſem Argument entgegengehalten, daß geologiſche Forſchungen, die mit Jeitſpannen von 200—1400 nach Chr. für die Entſtehung der Gelbdünen, alfo für die Derlandung des Peenemünder Hafens, rechnen, für die Ent: ſcheidung der Dinetafrage, die mit einem engbegrenzten Zeitraum von 950 bis 1100 nach Chr. rechnet, unmöglich Beweiskraft haben können. Der Nach⸗ weis, daß noch im 13. Jahrh. die Inſel Uſedom noch nicht aus den einzelnen diluvialen Inſelkernen zuſammengewachſen war, ijt trotz aller Bemühungen

3] Dineta 369

Herrn Burkhardts nicht erbracht. Denn Saxo (S. 859. M. G. XXIX, 133, 30) kennt nur dieſelben drei Odermündungen das Oſtium Penenſe, Zwynenfe und den Exitus Caminenſis, die wir heute auch kennen, und die Münzfunde beweiſen ebenfalls, daß die Derlandung an der Peenemündung im weſent⸗ lichen abgeſchloſſen geweſen ſein muß; auch der Fund der 8 wikingiſchen Gold⸗ ringe im Peenemünder Forſt beweiſt, daß dort damals Land geweſen ſein muß, da eine Anſpülung eines ſolchen geſchloſſenen Fundes ausgeſchloſſen iſt. Mag der Sundbericht auch noch fo unklar fein, der Sundort ijt ganz ein⸗ wandfrei beſtimmbar. Mit Recht lehnt herr Burkhardt alte Karten aus dem 16.— 18. Jahrh. als Beweismaterial ab; um fo verwunderlicher iſt es, daß er eine ſchwediſche Karte von 1695 als Beweis für die fortſchreitende Ver⸗ landung betrachten will.

Was an geologiſchen und literariſchen Bedenken gegen Wollin als Stätte des alten Vineta vorliegt, habe ich früher bereits im einzelnen ausgeführt (a. a. O. S. 87). Auch dieſe Bedenken müßten doch erſt widerlegt werden, ehe man ſich für Wollin entſcheiden kann. |

So bleibt für mid) troß allem nur die Alternative: entweder muß man auf das Daſein Dinetas verzichten, oder man muß es im Gebiet der Peene⸗ mündung ſuchen, wobei man ſich nicht auf den Peenemünder Hafen feit- zulegen braucht.

Schlußwort.

Es lag mir nur ob, die Schuchhardtſche Anficht zu beleuchten, fo daß ich den im übrigen beachtenswerten Hufſatz von W. Petzſch nur ſtreifen konnte. Über auch ſeine oben wiedergegebene Entgegnung kann mich nicht veranlaſſen, den Schlußſatz meines Artifels zu ändern. Wir ſtehen wirklich grundſätzlich ſo weit auseinander, daß eine Klärung auf dieſem Wege kaum zu erwarten ijt. Mir genügt es, den Vortrag Schuchhardts nicht unwider- ſprochen gelaſſen zu haben, damit ſich keine Tradition an ihn knüpfen kann. Geſchieht dies trotzdem, ſo habe ich wenigſtens in der angeſehenſten deutſchen Zeitſchrift davor gewarnt.

Swinemünde, den 15. Oktober 1925.

Nobert Burkhardt.

mannus, Zeitſchriſt für Vorgeſch., Bd. 17. H. 4. 24

Was man von den Bückeburgern lernen kann.

Don hermann Albert Priege.

Wer mit offenen Augen durch das Bückeburger Land gewandert iſt, oder wer in hannover und Minden die buntgekleideten Mädchen und Frauen dieſes Tändchens auf ihre körperlichen Eigenſchaften gemuſtert hat, dem ijt gewiß ſchon die Haarfarbe dieſes Menſchenſchlages aufgefallen, denn dieſe unterſcheidet ſich ganz weſentlich von der Haarfarbe der umwohnenden Volksſtämme. Während z. B. in der Stadt Hannover ein gleichmäßiges, mattes Blond, das nach Braun hinübergeht, die Regel iſt, findet man im Büdkeburgiſchen ein kräftiges Gelbbraun. Auch die einzelnen Haare find dort dem Hugenſchein nach ſtärker als bei den Hannoveranern.

Vor kurzem beſchäftigte ſich in einer bekannten Jeitſchrift ein ſehr gelehrter Aufjak mit der Raſſe der Bückeburger. Der Schreiber des kluf⸗ ſatzes, der nach ſeiner Angabe ſelber dorther ſtammte, jtellte die Behauptung auf, die Bückeburger ſeien Abkömmlinge der Hunnen (), die nach der Schlacht auf den katalauniſchen Feldern 451 nach Chr. auf ihrem Rückzug in Bückeburg hängen geblieben ſeien. Unter anderen ebenſo verblüffenden Beweiſen für dieſe Unſicht führte er auch an, daß die Haarfarbe der Bückeburger der Haar⸗ farbe der Tataren nahe ſtände, ſie ſei dunkelbraun bis ſchwarz. Zo töricht die ganze Beweisführung war und ſo leicht ſie von allen Seiten widerlegt werden konnte und auch wurde, ſo zeigte ſie doch einmal wieder ſo recht deutlich, wie leichtfertig heutzutage Raſſentheorien aufgeſtellt werden und wie blind ſolche Theorien gegen die klarſten Tatbeſtände anrennen.

Immerhin hatte der Aufjak den Erfolg, daß ich meine bis dahin ver: einzelten Beobachtungen etwas ſuſtematiſcher anſtellte. Man kommt ja leicht dazu, eine auffallende Beobachtung über Gebühr zu verallgemeinern. So konnte es auch mit dem beobachteten Gelbbraun des Bückeburger Haares ſein. Alſo war Dorſicht geboten. Indeſſen ſtellte es ſich ſehr bald heraus, daß ich richtig geſehen hatte. Nicht nur im eigentlichen Bückeburger Cändchen, ſondern auch in der Gegend um Haſte und Nenndorf fowie bei Minden, links und rechts der Weſer fand ich faſt durchweg das auffallende haar. So gleichmäßig iſt das Gelbbraun vertreten, daß ich z. B. auf dem Gemüſemarkt in Minden die ſämtlichen, meiſt in Tracht gekleideten ländlichen Verkäuferinnen durchzählen konnte und nicht eine fand, die von der Regel abwich. Ja ſelbſt die kaufenden Frauen aus der Stadt waren zu etwa 80% an ihrem H lar als bodenſtändig zu erkennen.

Eine ſolche auffallende Erſcheinung muß zum Nachdenken anregen. Zunächſt war das folgende zu beachten: So gleichmäßig die Grundfarbe des

2] Was man von den Büdeburgern lernen kann 371

haares und deſſen allgemeiner Charakter war, ſo verſchieden war doch die helligkeit des haares. Es wechſelte zwiſchen ſtrohblond und torfbraun, aber immer hatte es den gelben Ton und wenn er auch nur in einigen Strähnen durchſchimmerte. Die landläufige Rajjentheorie ſucht bekanntlich die Raſſe⸗ zugehörigkeit nach der größeren oder geringeren helligkeit des Haares zu beſtimmen. In dieſem Fall erweiſt ſich die Methode als gänzlich unzulänglich. Denn das charakteriſtiſche liegt offenbar in der Farbe ſelbſt und nicht in ihrer Schattierung, die mit dem Alter des Menſchen wechſelt und, wie man ſich leicht vorſtellen kann, durch Ernährung, Krankheit und andere Urſachen beein⸗ flußt wird. Findet man doch ſelten Geſchwiſter, die ſo ähnlich ſie ſonſt ſein mögen, genau die gleiche Schattierung der Haarfarbe beſitzen.

Die Menge des Sarbitoffes, das ijt die größere oder geringere Hellig- keit des Haares iſt ebenſowenig charakteriſtiſch wie etwa die in der Haut abgelagerte Fettmenge, die ja auch von den verſchiedenſten äußeren Zufällig- keiten abhängig ſein kann. Dagegen kann, wie wir in dieſem Fall ſehen, die Art des Sarbitoffes ſehr bezeichnend für einen Volksſtamm fein.

Man muß ſich den menſchlichen Leib als eine Sarbjtoffabrif vorſtellen. Zur Heritellung einer beſtimmten Farbe müſſen in der Fabrik die verſchiedenſten Vorbedingungen genau erfüllt ſein, fehlt auch nur eine Kleinigkeit, fo fällt die Farbe nicht richtig aus. Ebenſo im menſchlichen Körper. Nur Menſchen von ſehr gleichmäßiger Erbanlage können eine gleichmäßige Haarfarbe auf⸗ weiſen, ob viel oder wenig davon, ob hell oder dunkel, iſt daneben von ſehr untergeordneter Bedeutung.

Wenn nun alſo gleichartige Haarfarbe auf gleichartige Erbanlagen im allgemeinen ſchließen läßt, ſo muß ſich letztere auch ſonſt in der körperlichen und geiſtigen Eigenart der Bückeburger bekunden. In der Tat ijt es ein Leichtes, die Bückeburger von ihren Grenznachbarn zu unterſcheiden, und zwar ohne daß man auf Tracht und Haarfarbe achtet. Das Gebiet der gelbbraunen Haare läßt ſich genau begrenzen. Es ijt nicht ganz, aber ungefähr das Gebiet, in welchem das weibliche Geſchlecht noch heute zäh an ſeiner alten Tracht feſthält. Bei Nenndorf, Hajte, Lindhorſt, Niederwöhren läuft die Grenze entlang der Grenze des Trachtengebietes, dann überſchreitet ſie die Weſer und zieht um Minden nördlich und weſtlich herum, bis ſie an der Porta an das Weſergebirge herankommt und dies nach Oſten hin verfolgt bis fie bei Rodenberg⸗ Nenndorf an den Ausgangspuntt zurückkommt.

Dieſe Stammesgrenze iſt nun nicht etwa durch einen breiten Streifen einer Miſchbevölkerung gebildet, ſondern fie ijt ganz ſcharf gezogen. Benad)- barte Ortſchaften weiſen ganz plötzlich eine andere Bevölkerung auf, 3. B. Nenndorf und Bantdorf, wo Calenberger Sachſen angrenzen, ferner Lind- horſt und Sachſenhagen, Niederwöhren und Wiedenſahl, wo nach Norden zu die ſogenannten Altſachſen folgen, welche etwa bis Verden hin verbreitet ſind.

Die Belehrung, die wir aus dieſer Tatſache in raſſekundlicher Beziehung erfahren, iſt außerordentlich weittragend. Die ziemlich allgemein im Schwange befindliche Theorie beſagt, daß das deutſche Volk fic) aus vier bis fünf „Raſſen“ zuſammenſetze, deren Beſtandteile ganz allmählich ineinander übergingen. Hier können wir mit dieſer Theorie nicht das mindeſte anfangen. Hier find keine Übergänge, ſondern innerliche und äußerliche Gleichheit des Dolfstums über das ganze Gebiet hinweg. Ganz unbekannt ſind der Wiſſenſchaft der⸗ artige Tatſachen allerdings nicht, aber ſie ſind ihr von jeher ſehr unbequem geweſen. Um die Theorie zu retten, hat man geglaubt, die Bedenken, die ſich erhoben, dadurch unſchädlich zu machen, daß man ſagte, ſolche Erſchei—

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372 Albert Prieße | [3

nungen innerhalb eines Raſſegemiſchs entwickeln fic) durch Inzucht auf eng: begrenztem, nach außen hin abgeſchloſſenem Gebiet, in Alpentälern u. dal. Die Bückeburger wohnen nun nicht in einem vom Verkehr abgeſchloſſenen Gebirgstal, ſondern im Gegenteil auf der großen, weſt⸗öſtlichen hHeerſtraße durch Deutſchland und ſind alſo ſeit 2000 Jahren und länger der Gefahr der Dermifchung mit Fremden ausgeſetzt geweſen. Wieviel handwerker 3. B. mögen im Lauf der Jahrhunderte in Minden, Bückeburg und Stadthagen hängen geblieben fein, von Soldaten, Kaufleuten und Beamten gar nicht zu reden? hätte eine bodenſtändige, raſſig urſprünglich gleichartige Be⸗ völkerung nicht die Fähigkeit, eindringendes, fremdes Volkstum in wenigen Geſchlechterfolgen aufzuſaugen und zum Derſchwinden zu bringen, ſo wäre die heutige raſſemäßige Beſtimmtheit der Bückeburger und vieler anderer deutſcher Dolksſtämme nicht zu erklären. Die geltende Theorie würde ver⸗ langen, daß jeder Tropfen fremden Blutes ſich in einer urſprünglich reinen Bevölkerung verbreitet, wie etwa ein Tropfen Milch im ſchwarzen Kaffee, je mehr Tropfen hinzukommen, um so heller wird die Miſchung. Ein ſolcher Miſchungsvorgang müßte natürlich an den Grenzen am ſtärkſten ſein, voraus⸗ geſetzt, daß die Grenzen fo offen daliegen, wie z. B. hier bei Minden und Nenndorf. Es müßte alſo etwa in Meerbeck und Sachſenhagen eine undefinier⸗ bare Miſchbevölkerung wohnen, wogegen aber die Tatjachen auf das aller: deutlichſte ſprechen. Wenn gleiche Erbanlagen Raſſereinheit bedeuten, fo haben wir hier einen „reinen“ Stamm vor uns, die Frage, welcher Raſſe dieſer Stamm angehört, erfordert weiter kein Kopfzerbrechen, es iſt ein deutſcher Stamm dem klugenſchein nach, das genügt. Da nun aber nicht nur im Bücke⸗ burgiſchen, ſondern überall in Deutſchland ſolche in ſich gleichartige Stämme mit bloßem kluge feſtzuſtellen ſind, ſo iſt es alſo nicht wahr, daß das deutſche Volk eine Miſchung von vier oder fünf verſchiedenen Raſſen ijt, ſondern die nüchterne, naturwiſſenſchaftliche Tatſache iſt die, daß das deutſche Volk die Geſamtheit einer großen Unzahl raſſereiner, d. h. in ſich gleichartiger Stämme ijt, deren Abfommlinge ſich hier und da, in Städten und in neuen Siedlungsgebieten gelegentlich vermiſcht haben, die aber von nichtdeutſchen Stämmen nur wenig und dann leicht erkennbare Spuren aufweiſt.

Nun ergibt ſich aber noch ein anderes von höchſtem Intereſſe aus unſeren Beobachtungen. Wenn ein Volksſtamm ſich in feiner raſſemäßigen Beſtimmt— heit über die ganze Slade ſeines Gebietes hin gleichmäßig behauptet, jo fehlt jeder Anlaß zu der Annahme, daß er ſich im Lauf der Jahrhunderte oder Jahrtauſende nach Geſtalt und Weſen verändert habe. Wir können mit vollem Recht annehmen, daß die uns von den griechiſchen und römiſchen Schriftſtellern genannten Stämme noch heute zum großen Teil leibhaftig vorhanden ſind, oder umgekehrt, daß die heutigen Bückeburger ſeiner Zeit als geſchloſſener Volksſtamm, wahrſcheinlich im Verbande der Angrivarier gegen die Römer gekämpft haben! Da die Menſchen damals offenere Hugen gehabt haben als wir heutigen, ſo kann es nicht gefehlt haben, daß die Bücke⸗ burger ſchon damals durch ihre Haarfarbe unter den Nachbarn aufgefallen ſind. Das find keine romantiſchen Dermutungen, ſondern wie gejagt nüchtern wiſſenſchaftliche Überlegungen. Es beſteht die beſte Husſicht, aus dem jetzigen Befund der deutſchen Dolksſtämme, wenn fie wie die Bückeburger in ihren Grenzen genau feſtgeſtellt werden, die alte vorchriſtliche Geſchichte der Deutſchen mit viel größerer Juverläſſigkeit wieder herzuſtellen, als es aus den Berichten ausländiſcher und mönchiſcher Schriftſteller je möglich iſt. Als Beiſpiel dafür folgendes:

4] Was man von den Büdeburgern lernen kann 373

Südlich der Stadt hannover, im Lande zwiſchen Deilter und Leine beginnend, bis Göttingen und Hann.⸗Münden einerſeits, bis Hameln andererſeits, ijt nicht minder leicht als im Bückeburgiſchen ein in ſich gleich⸗ artiger Volksſtamm feſtzuſtellen. Schlanke Geſtalten find es mit ſchmalem Geſicht, hohem, langem Naſenrücken und mit fehr feinem dichten blonden bis braunem Haar. Anders als ihre Nachbarn ſind fie, als Bückeburger, Hildes- heimer, Eichsfelder. In der Art, wie dieſer Stamm das fruchtbare Talgelände beſetzt hält und Überbleibjel anderer Stämme in die Berge und in den Wald abgedrängt hat, iſt zu erkennen, daß er einſtmals als Eroberer gekommen iſt. Es find offenbar die Cherusfer, die zur Zeit Urmins ihre Obergewalt ſoweit über andere Stämme ausgedehnt hatten, daß ſie ſogar mit den in Böhmen wohnenden Markomannen in Streit kommen konnten. Wann die Cherusfer ins Leinetal eingedrungen find, werden Ausgrabungen wohl noch einmal genauer feſtſtellen, wir können vermuten, daß es ein paar hundert Jahre vor Chr. geweſen ijt. Neuere Unterſuchungen über die Völkerver⸗ ſchiebungen in Weſtfalen und am Rhein machen dies wahrſcheinlich. Der geographiſche Schwerpunkt des Stammesgebietes der Cherusker liegt bei Alfeld. Hier alſo wird der politiſche und religiöſe Mittelpunkt des Stammes ſich befunden haben, das Landesthing und Landesheiligtum, denn ſelbſt⸗ verſtändlich muß dieſer Ort jo gelegen geweſen fein, daß er von allen Hundert- ſchaften gleichmäßig ſchnell und leicht erreicht werden konnte, kein Ort ent⸗ ſpricht dieſer Bedingung ſo gut als Alfeld. Wir wundern uns deshalb auch nicht, wenn wir in den heutigen Ortsnamen noch mancherlei Hinweiſe auf die frühere Bedeutung dieſer Gegend finden. So iſt der Name Alfeld wohl zu deuten als das Seld, wo alle zuſammenkamen, wenn er fic) nicht etwa von alahfeld, d. h. heiliges Feld herleitet; im Grunde würde das dasſelbe ſein. Dann liegt aber auch in der Nähe das Dorf Irmenſeul. Die Irminſäule, d. h. die Weltſäule war das erhabene Symbol religiöſer Gedanken unſerer Vorfahren. Sie war gedacht als die unſichtbare himmelsachſe, um die ſich das Weltall mit ſeinem Sternendom (den Zweigen der Welteſche Yggdrajil) dreht. Sie allein ſollte im kommenden Sturz der Schöpfung beharren bleiben und den Samen des Lebens künftigen, ſchuldloſeren Geſchlechtern hinüber⸗ retten. Die große Bedeutung, die dasſelbe Symbol noch zu Karls des Großen Zeiten beſaß, läßt vermuten, daß es nur an dem Hhauptheiligtum aufgeſtellt war. Karl der Große zerſtörte bekanntlich im Anfang des Sachſenkrieges die Irminſäule. Es wird nicht genau geſagt, wo ſie geſtanden hat, es heißt nur, daß der Kaifer zu dieſem Vorhaben von der Eresburg, dem heutigen Obermarsberg aus nach Oſten gezogen ſei. Es kann alſo wohl ſein, daß er bis in die Gegend von Alfeld gekommen iſt. Ein ſehr ſchöner Berg im Sad: wald ſüdlich Alfeld in nächſter Nähe des Dorfes Irmenſeul heißt die Teufels- kirche. Was liegt näher als der Gedanke, daß der Name TCeufelstirde von den ſpäteren Chriſten dem alten heiligen Berge gegeben worden iſt, auf dem die Irmenſäule errichtet war?

Solchen und vielen anderen Gedanken gibt die Feſtſtellung des jetzigen Stammescharakters der Bevölkerung ſichere Grundlagen, und es iſt daher ſehr zu wünſchen, daß noch in ganz anderer Weiſe darauf geachtet wird, als es bisher leider der all geweſen ijt. Soll die Geſchichte unſerer Vorzeit uns lebendig werden, ſo kann ſie es nur dann, wenn wir uns gewöhnen, die Träger der Geſchichte nicht als längſt verfloſſen, ſondern als noch heute lebendig zu betrachten, erſt dann wird mit Recht geſagt werden können: Wohl dem, der feiner Däter gern gedenkt!

Die Abgrabung des Mühlenhügels in Oſternien⸗ burg Kr. Köthen-Anhalt.

Don Kreisſchulrat W. Bethge, Cöthen i. Anhalt.

In den Monaten Januar bis März 1925 wurde der Nagelſche Mühlen⸗ hügel in Oſternienburg (Kreis Cöthen) abgetragen. Damit iſt wieder einer der einſt fo zahlreichen vorgeſchichtlichen Grabhügel aus unſerer Landichaft verſchwunden. Die folgenden Jeilen ſollen einen vorläufigen, gedrängten Sundbericht geben, wie ihn auch die Tagespreſſe erhalten hat.

Der Hügel, linker hand dicht an der Straße, die durch die Kolonie Oſternienburg nach ken führt, war bis zum vorigen Jahre von der Wind⸗ mühle des Müllermeiſters Nagel gekrönt. Die Mühle war 1694 erbaut worden, doch iſt anzunehmen, daß ſchon vorher eine ältere Mühle auf dem hügel geſtanden hat. Da feine Kuppe in der Front der Haujer liegt, mußte er ab⸗ getragen werden. Die Arbeiten wurden von den Deutſchen Solvaywerken Oſternienburg ausgeführt. Herr Kreiskonſervator Götze war über zwei Monate täglich bei den Abtragungsarbeiten zugegen und hatte ſo Gelegen⸗ 125 ſelbſt alle vor⸗ und frühgeſchichtlichen Funde zu beobachten und zu

ergen.

Der Hügel, der nun verſchwunden ijt, hatte flache Form. Seine Hohe über der Straße betrug 2,65 m, ſein Durchmeſſer 32 m. Überraſchend war, daß der Kern des Hügels von einer natürlichen Kuppe aus anſtehendem Kies gebildet wurde, die in der jüngeren Steinzeit für Begräbniszwecke mit einer Schicht humus von etwa 1m Stärke überdeckt wurde. Später iſt die Decke in der Bronzezeit noch einige Male mit neuem Humus verſtärkt worden. Als man im Mittelalter zum erſten Male eine Windmühle auf den Hügel ſtellte, hat eine Abtragung der hügelſpitze und eine Abflachung der Kuppe ſtattgefunden. Dabei mögen ſchon einige Begräbniſſe zerſtört worden fein. Ojtlid) nach der Straßenſeite zu ijt gleichfalls im Laufe der Zeiten eine Störung der Schichten erfolgt, die bis auf die Hiigelfohle ging; hier fanden ſich Knochenreſte in geſtörter Lag und Gefäßſcherben verſchiedener Zeitalter. Don den zahlreichen Begräbnisſtellen, im ganzen 38 unzerſtörte neben vielen zerſtörten, die im Hügel feſtgeſtellt wurden, ſollen im folgenden die wid): tigſten beſprochen werden.

Gleich in den erſten Tagen der Abtragung fand ſich in der Erde am nördlichen Hiigelrande eine Steinpadung, die fünf Tongefäße nebſt einem Kinderarmring und einen Zierknopf aus Bronze enthielt. Aus der Form und Verzierung der Fundſtücke war zu erſehen, daß es ſich um die zweite Hälfte der dritten Periode der Bronzezeit handelte. Sie ſtammen von einer germani- ſchen Bevölkerung, die an dieſer Stelle vom Often her in der Keramit künſt⸗

2] Die Abgrabung des Mühlenhügels in Ofternienburg. 375

leriſch beeinflußt erſcheint. Steinpadungen ähnlicher Art fanden ſich häufiger, an manchen Tagen wurden zwei oder drei aufgedeckt, aber nicht alle ent⸗ hielten Sund material. Überhaupt wurde an manchen Tagen die Geduld des Ausgrabungsleiters wie der zahlreichen Zufchauer auf eine harte Probe geſtellt, die durch Sturm und Regen nicht gerade verſüßt wurde. Dafür belohnten dann aber einzelne beſondere Funde um ſo mehr.

Der intereſſanteſte zeigte ſich in Form einer ſauber aufgeſtellten, aus Sandſteinplatten zuſammengeſetzten und mit Steinpadung verjehenen Steinfifte von 1,62 m Länge. Als die Deckplatten abgenommen waren, er⸗ blickte man auf dem Boden der Kiſte eine Schicht Erde mit etwas Sand, die beim Begräbnis zum Schutz über die Leiche gedeckt war; nur obenauf in der nähe der Bruſt lag eine bronzene Ipiralſcheibenfibel, die zum Juſammen⸗ ſtecken der Gewänder gedient hatte. Vorſichtig wurden Erde und Sand ent⸗ fernt, bis einzelne Sfeletteile, die ſich noch erhalten hatten, ſichtbar wurden. Das Skelett gehörte einem etwa ſiebenjährigen Kinde an. Ju ſeinen Füßen ſtanden ſechs guterhaltene Tongefäße, darunter eine ſchöne Trinkſchale von rein illyriſcher Form. An den Unterſchenkeln fanden fic in unveränderter Lage acht gut erhaltene Beinringe aus Bronze; je vier waren übereinander gelagert, wie ſie an den Beinen geſeſſen hatten, und durch die Patina leicht miteinander verbacken. Durch ihre Mitte ragte noch ein Stück des Schienbeins. Die etwa 1 cm breite Öffnung der Ringe lag nach hinten. An jeder Seite des Schädels fanden fic) dann noch zwei kleine Haarfpiralen aus dünnem Metall: draht. Auch dieſer Fund deutet wie der vorhin erwähnte auf die Mitte der Bronzezeit.

Erſt weiter nach der Mitte des Hügels zu wurden dann ſteinzeitliche Beſtattungen feſtgeſtellt, z. B. durch einen gut erhaltenen Becher, in deſſen weichen Ton bei der Herjtellung eine Schnur als Verzierung abgedrückt war. Don ganz beſonderem wiſſenſchaftlichen Intereſſe war es, daß bald darauf durch einige Begräbniſſe ein Volksſtamm feſtgeſtellt werden konnte, der an der Grenze der Steinzeit etwa um 2000 vor Chr. in Mitteleuropa auftauchte und der nach einem Hauptfund platz in Böhmen mit all feinen im Boden hinter⸗ laſſenen Reſten von der Wiſſenſchaft als Kulturkreis von Aunjetiß bezeichnet wird. Dicht neben der erwähnten bronzezeitlichen Steinkiſte lag ſchon ein größeres Gefäßbruchſtück von klunjetitzer Form. Bald darauf wurde gegen Weiten zu ein gut erhaltenes Skelett des Aunjetiker Jeitalters aufgedeckt, daneben eine für dieſe Kulturjtufe charakteriſtiſche Taſſe aus Ton. Der Fund wurde kurz vor Feierabend gemacht. Das Skelett konnte noch photographiert, aber nicht mehr aus der Erde genommen werden. Leider kamen in der Abendzeit einige Unberufene, die es zertrampelten. Ihre Jerſtörungswut hat der Wiſſenſchaft einen ſehr großen Schaden zugefügt, denn in dem ganzen Hügel hat ſich ſonſt kein vollſtändig erhaltenes Skelett dieſes für unſere Gegend bisher nur durch einige Gräber nachgewieſenen Dolksſtamms mehr gefunden, ganz abgeſehen davon, daß die mühſame Steilegungsarbeit unſeres Kreis⸗ konſervators dadurch in einem kurzen Augenblide ſinnlos vernichtet wurde. Auf unſeren Antrag ſtellte in entgegenkommender Weiſe die Kreisdirektion vom nächſten Abend an Wachleute an der Grabungsſtätte auf.

Ein außergewöhnlicher Fund, der ebenfalls in die Wende von der Stein⸗ zur Bronzezeit zu datieren ijt, wurde an einer anderen Stelle des Hügels gemacht: ein Skelett mit angeſengtem Kopf; Arme und Unterſchenkel fehlten (die diſtale hälfte der Oberſchenkel abgeſengt), ein Beweis für eine in jener Zeit bereits vorkommende teilweiſe Körperverbrennung.

376 W. Bethge [3

Ganz in der Mitte des Hügels fand ſich ein Grab, das gewaltige Mengen von Selölteinen enthielt, deren Abräumung große Mühe verurfachte ; darunter lag ein in zwei Teile zerborſtenes flaches Bronzegefäß mit ſchönen Derzie⸗ rungen, wie ſie der klaſſiſchen Periode germaniſcher Bronzezeit eigen ſind. Es handel ſich um ein Kunſtwerk erſten Ranges, deſſen Verzierungen ſchöner ſind als die an den berühmten 1913 bei Eberswalde aufgefundenen Metall- gefäßen. Das zugehörige Grab war mit einer dicken Eichenbohle ausgelegt. Darunter lagen wieder Steine. Unter der Eichenbohle ſtanden zwei Tongefäße, in einem war die Bronzeſchale enthalten. Dem Befund nach iſt ſie durch eine zwiſchen den Steinen ſtehende, ſenkrechte Holzbohle im Laufe der Zeit in zwei Teile zerdrückt worden.

An der oben bereits erwähnten Stelle des Hügels, an der im Mittel: alter eine Störung ſtattgefunden hat, wurden in der Erde verſtreut viel zer⸗ ſtückelte Reſte von bronzenen Gegenſtänden gefunden, fo daß man zu der Annahme kommen muß, daß hier einſtmals ein reich ausgeſtattetes Fürſten⸗ grab mit vielen Bronzegegenſtänden aufgedeckt und zerſtört worden iſt. Durch Sieben der Erde gelang es, Reſte von etwa ſechs großen und kleinen Bronze⸗ gefäßen, Anbänger und große Buckel vom Pferdegeſchirr, mehrere Bronze: niete und die Spitze von einem Schwert feſtzuſtellen.

Hin und wieder fanden ſich in der Erde des hügels auch Streufunde, 3. B. ein Meißel aus Knochen, eine kleine bronzene Pfeilſpitze der vierten Periode der Bronzezeit, einige vereinzelte Tongefäße, und oberhalb des beſchriebenen Steinkiſtengrabes ein einzelner Armreif aus Bronze von gleicher Größe und Form wie die acht ovalen Reife, die an den Unterſchenkeln des Kinderjfeletts gefunden ſind.

Als zeitlich letzte Sunde wurden eine Anzahl von friih-mittelalterlidjen ſlawiſchen Gräbern feſtgeſtellt. Sie zeichneten ſich durch ſchön geformte Lang: ſchädel aus. Bemerkenswert war ein Männerſkelett mit ſchwach angezogenen Beinen und das Skelett einer jungen Frau, deren hände wie betend nach dem Kopf gerichtet waren. An einer Stelle fand ſich ein Bolzen von einer Arm- bruſt.

Rückblickend dürfen wir feſtſtellen, daß uns der Mühlenhügel äußerſt wertvolle Einblicke in die Dorgefchichte unſerer heimat erlaubt hat. Juſammen mit den anderen Funden, die immer noch zahlreich in unſerem Kreiſe gemacht werden, hilft er mit an der Ausgeitaltung des Bildes der vorgeſchichtlichen Zeitabſchnitte, die dadurch immer deutlicher und heller vor unſere Augen treten. Wärmſter Dank gebührt daher allen, welche die Grabung ermöglichten, durch ihre Unterſtützung förderten und an ihr mithalfen!

Bücherbeſprechungen.

Dr. Walter Scheidt: Die Raſſen der jüngeren Steinzeit in Europa. (120 Seiten Text, 8 Taf., 50 Abb.). II. Band der Sammlung „Beiträge und Sammelarbeiten zur Raſſenkunde Europas“ (herausgeg. von Dr. Walter Scheidt, Privatdozent für Anthro- pologie an der Univerſität München). J. §. ans all: Münden, 1924.

Der Derfaffer behandelt zunächſt die neolithiſchen Schädelfunde aus den einzelnen europäifchen Ländern, wobei er Skandinavien und Deutichland bejonders beriidfichtigt, dann ſchreitet er zur „Zufammenfafjung“; an dieſe reihen ſich ein Sundortverzeichnis und ein Schriftenverzeichnis. Die Arbeit reiht ſich in anerkennenswerter Weiſe an die klaſſiſche Studie von Alfred Schliz über die vorgeſchichtlichen Schädeltypen der deutſchen Länder. Die Fülle der Inderziffern und ſonſtigen Daten iſt womöglich ne rößer als dort und jo bildet das Buch von Scheidt ein eee Nachſchlagewer für jeden, der ſich mit anthropologiſchen und prähiſtoriſchen Fragen beſchäftigt.

Was nun die Theorie des Derfaljers anbelangt, fo fei Den bemerkt: Trot; feines erkennbaren Beſtrebens vollkommen ſelbſtändig zu bleiben, ſteht doch Scheidt unbewußt ſtark unter dem Einfluſſe der heute jo weit verbreiteten Cro-Magnon⸗Mode. Er will nämlich alle neolithiſchen Cangſchädel auf die Ero-Magnon-Sorm zurückführen. Scheidt ſtellt ſich vor,

„daß die im Gebiet des ungen Frankreich während des Paldoliths ausgeleſene Cro⸗Magnon⸗Raſſe mit dem Eintritt der jüngeren en durch kli matiſche, Kanne fauniſtiſche und andere Änderungen ihrer Umwelt zu Wanderungen veranlaßt worden iſt und teils dadurch, teils vielleicht auch an Ort und Stelle ihrer früheren Verbreitung richtungsveränderter flusleſe unterworfen wurde. Dieſe Auslefe führte in den ver⸗ ſchiedenen neolithiſchen Derbreitungsgebieten zu verſchiedenen Ergebniſſen:

1. ee der an den Küjtenftrichen Frankreichs anſäſſigen und der nach Norden (Britiſche Inſeln, Norwegen) abwandernden Populationen bildete ſich der nordiſche Cangſchädelty ..... heraus, der fic) von der Cro-⸗Magnon⸗Raſſe vor allem durch langes, ſchmales Geſicht und ſchmale Haje unterſcheidet und der mit der Zeit ſtellenweiſe saan durch die erfolgte Richtungsänderung der Auslefe manche Cro- Magnon-Merfmale ..... mehr oder weniger verlor und eine erheblichere Körper- größe gewann.

2. Dieſer nordiſche Zweig der neolithiſchen Langichädelraffe führte in Gebieten intenſiverer Dermiſchung mit einem brachukranen Element zur Entſtehung von Miſch— formen, wie der nordiſchen dolichoiden Form (= Genautupus [Herve]), bei weiteren Wanderungen zu Abzweigungen vom Charakter jog. „Lokalraſſen“ (3. B. des Oſtorfer Typus [Schliz], wahrſcheinlich auch des oſtdeutſchen dolichokranen Tupus )

3. Im Mittelmeergebiet unterlag die Cro⸗Magnon⸗Raſſe anderen flus⸗ leſebedingungen als im Norden. Das Ergebnis war der ſüdeuropäiſche oder medi- terrane Zweig der neolithiſchen Langſchädelraſſe ...., dem urſprünglichen Cro— Magnon-Typ vielfach ähnlicher als der nordiſche Zweig uſw.“ (S. 97).

Den groben Fortſchritt, welchen Guſtaf Koffinna und n Klaatſch anbahnten, als ſie zeigten, daß man die nordeuropäiſche seal vom Homo Aurignacensis ableiten könne, dieſen großen Fortſchritt und die fic) daran knüpfende Fülle neuer Denk⸗ möglichkeiten 3. B., daß dem Paläolithmenſchen von Aurignac und der heutigen nord- europäijchen Raſſe der Paläolithmenſch von Cro-Magnon und die heutige mediterrane Naſſe in ſcharfer Abgrenzung en be all das hat Scheidt nicht einmal der Er⸗ wähnung wert gefunden. eint er vielleicht, die Variationsbreite der Cro-Magnon⸗ „Raſſe“ ſei fo groß geweſen, daß Ero-Magnon und Aurignac nebeneinander als zuſammen⸗

ehörig bef den könnten und meint er weiter, die nordeuropäiſche Ralle fet bloß eine usleſe der Hurignac⸗ähnlichen Varianten, jo hätte er das jagen, gleichzeitig aber auch

378 Bücherbeſprechungen

eine Erklärung dafür ſuchen müſſen, weshalb ſich im äußerſten Norden heute en ein Erhaltungsgebiet ausgeſprochen Cro-Magnon-artiger Formen nachweiſen läßt. Diele Catſache fällt keineswegs aus dem Rahmen der anthropologiſchen Probleme des Neolithi⸗ kums, denn wir wiſſen, daß in Schweden ſeit dem Neolithikum kein Bevölkerungswechſel vor ſich gegangen ſein kann. a

Und damit komme ich wieder einmal zu einer ſoziologiſchen Tatjadhe, die von den meiſten ee nicht beachtet oder vollſtändig verkannt wird. Es gibt wenn nicht ganz außergewöhnliche Ereigniſſe eintreten keinen Bevölkerungswechſel, d. h. keine nennenswerte Veränderung des Rafjenbildes bei ackerbautreibenden Völkern. Guſtaf Koffinna hat dies längſt erkannt und kurz und bündig ausgeſprochen: die Archäologie zeigt uns die Herrenſchichten! Da nun die europäiſchen Neolithifer bis zurück ins Campi⸗ gues Aderbauer waren, ſo gilt auch für fie das ſoziologiſche Geſetz, wonach nur die Herren,

ie Kulturen und die Sprachen wechſeln, während die bodenſtändige Urraſſe fortlebt und allmählich wieder hochkommt. So und nicht anders erklärt i aud die „Zunahme der Brachuktanen“ in der jüngeren Steinzeit. „Le bon brachycephale“, wie ibn Capouge nennt, der ruhige, geduldige Kurzkopf war eben als Höriger beim Aderbau beſſer zu ge⸗ brauchen als der wanderluſtige und kriegeriſche Cangfopf. Dazu kommt, daß wir unſere Renntniſſe aus Gräbern ſchöpfen; eine forgfaltige Beſtattung wird aber in alter Zeit eben nur Häuptlingen und Kriegsoberſten zuteil geworden ſein. Sobald die Beſtattungen häufiger werden, erſcheint auch alsbald das brachoide Element. Dieſer Grundſatz gilt wie die Ofnet beweiſt auch für die präneolithiſche Zeit. Das kann nicht oft genug wieder: holt werden. Natürlich gelangt man auf dieſem nn zu einer ganz anderen Bewertung des viel mißbrauchten Längen-Breiten=eInder. Man lernt dann einſehen, daß dieler m. wn wichtig für die Ethnologie und Soziologie, aber kein Kriterium

er Raſſe iſt.

Doch kehren wir zu den Aufftellungen Scheidts zurück. Scheidt nimmt eine Um: bildung der Cro-Magnon-„Raſſe“ zur nordeuropäiſchen Raffe an und meint, daß ſich dieſe Umbildung nach dem Paläolithikum vollzogen habe. Dieſe Unnahme erſcheint mir höchſt bedenklich wegen der Kürze des verfügbaren Zeitraumes. Da iſt es doch viel anſprechender auf die im Paldolithifum bereits vorhandenen Formen von Aurignac, Chancelade ujw. hinzuweiſen, dieſe von der Cro-Magnon-Sorm AL ologiſch zu trennen und mit ihnen die ſpäter auftauchenden leptoproſopen und hupſikephalen Dolichoiden zu verbinden.

Da Scheidt nur eine einzige neolithiſche Langſchädelraſſe anerkennen will, ſo ſieht er ſich genötigt, den Oſtorfer Typus ebenfalls aus dem „nordiſchen Zweig“ hervorgehen zu laſſen. Nun haben die Oftorfer ausladende Jochbogen und breite Naſe; dabei find fie kleinwüchſig. Wir werden da kaum ohne Annahme einer Beimiſchung auskommen. Da es aber nach Scheidt keine andere Langſchädelraſſe gab, als die eine von Cro-Magnon, ſo müßte das beigemiſchte Element ein brachoides geweſen ſein. Wie verträgt ſich das nun mit dem äußerſt niedrigen Längen=BreitensInder der Oſtorfer? Werden wir da nicht beſſer an Czekanowskis „Cupus denken, den er in Nordpolen antraf, als kleinwüchſig, extrem dolichoid und hellfarbig bezeichnet und ſcharf von der nordiſchen Raſſe unterſcheiden will? Wie es dolichoide Aliaten gibt, wird es eben auch in Oſteuropa dolichoide Menſchen— gruppen gegeben 1 und noch geben, die wir bisher nicht klar anthropometriſch heraus- greifen konnten. Eine ſolche Gruppe find die Oftorfer; fie haben ſich mit Nordeuropäern gemiſcht, deren Kultur angenommen und find mit ihnen zu einer ſoziologiſchen Einheit verwachſen.

Saft noch unwahrſcheinlicher als feine Vermutung bezüglich der Oftorfer, iſt die Annahme Scheidts, die Cro-Magnon-Form habe ſich zu einer „Cokalraſſe“ mit den Cha: rakteren des „oſtdeutſchen dolidofranen Typus“ umgeſtaltet. Es find dies die von Reche als „Tupus Il“ bezeichneten ſchleſiſchen Schnurkeramiker, die bekanntlich zu den dolichoideſten aller Menſchen gehören. Wenn aus der kurzgeſichtigen und breitnaſigen Croz-Magnon-Sorm mit dem Längen-Breiten-Index 74— 77 einerſeits die extrem ſchmal⸗ naſige nordeuropäiſche Raſſe, anderſeits die Gruppe jener ſchleſiſchen Schnurkeramiker entſtehen konnte, deren Geſichter hoch und ſchmal find und deren Cängen-Breiten-Inder bis auf 60 herabgeht, dann brauchen wir uns über Raſſenfragen nicht mehr den Ropf zu denn dann iſt einfach alles möglich. In Wirklichkeit wird die Sache wohl ſo iegen, daß jene Schnurkeramiker eine (mit fremden Elementen durchſetzte) Welle nord- europäilcher Eroberer darſtellten, die ſich von ihrem Ausgangsgebiete en weit entfernt hatten und deshalb eine Auslefe der dolichoideſten Individuen bildeten. Nach demſelben, ſchon von Capouge erkannten und als „Loi d'é migration“ bezeichneten Wi ag e ee ſchen Geſetz ſind die in Nordamerika eingewanderten Europäer durchſchnittlich langköpfiger als ihre in der heimat zurückgebliebenen Volksgenoſſen und die Beſiedler der nordamerikani— ſchen Weſtſtaaten wiederum langköpfiger als die Bewohner der . Die an ſich tote Sormel des Cängen-Breiten-Index vermag eben nur dann ein lebendiger Faktor der

Bücherbeſprechungen 379

Erkenntnis zu werden, wenn wir uns daran gewöhnen, fie phrenologiſch, pſychologiſch und ſoziologiſch auszuwerten. . .

Serner neigt Scheidt (mit vielen anderen) zu der Annahme, daß die Mittelmeer⸗ raſſe und die nordeuropäiſche Raſſe am Ausgange des Diluviums gemeinſam aus der Cro⸗Magnon⸗Form hervorgegangen ſeien. Der erſte, der dieſe hupotheſe gewagt hat, it meines Wiſſens Giuſeppe Sergi. Aus dieſer huypotheſe ergäbe ſich nun, wenn man fie ee durchdenkt, eine urſprüngliche Zuſammengehörigkeit des indogermaniſchen mit

em hamito⸗ſemitiſchen Sprachſtamm. Denn ſchon im Jungpaläolithikum war der Menſch vollkommen entwickelt und die Sprache fertig ausgebildet. Einen genetiſchen Juſammen⸗ hang des Indogermaniſchen (oder auch des Finniſch-Ugriſchen) mit dem hamito⸗Semitiſchen ann man aber nur gelten laſſen, wenn man die gemeinſame Dorjtufe bis in eine (min deſtens altpaläolithiſche) Zeit zurückverlegt, in der die Sprache erſt in der Entwicklun

begriffen war, z. B. noch keine Compoſita kannte. Gerade die Compoſita find ſehr alt und Fritz hom mel hat klargelegt, daß ſich die Compoſita der Nordſprachen und der Status constructus der Südſprachen ganz unvereinbar ge enüberſtehen. Aber noch andere Gründe ſprechen gegen die Möglichkeit einer Derwand ſchaft wiſchen Nordeuropäern und Medi⸗ terranen. Wir wiſſen 1 50 daß die dolichoide Menſchen ruppe, die wir als die mittel⸗ ländiſche oder mediterrane bezeichnen, aus zwei großen Komplexen zuſammengewachſen it (der Cro-⸗Magnon⸗Form einerſeits und einer kleinwüchſigen, ſtumpfnaſigen Form andererſeits, die hauptſächlich auf den Inſeln ſitzt), und wir können die verſchiedenen i jeniter dieſer urſprünglich ſelbſtändigen Formen nicht begreifen, wenn wir für 1991 anderungen und Verſchiebungen nicht das Dorhandenfein von Landbrüden innerhalb des heutigen Mittelländiſchen Meeres annehmen. Und die Menſchengruppen, die ſich auf dieſen Candbrücken bewegten, müſſen ſchon dageweſen ſein, müſſen eine lange Zeit der Entwicklung durchgemacht haben, müſſen durch ganz beſtimmte klimatiſche Be⸗ dingungen und Veränderungen zu ihren Wanderzügen veranlaßt worden ſein. Damit kommen wir aber mindeſtens bis in die letzte große 88 eauent d. h. ins Altpaläo- lihiktum. Schon damals müſſen Prä⸗Indogermaniſch und Prä-hamito⸗Semitiſch ausein⸗ ander gegangen ſein, wenn ſie überhaupt jemals eine gemeinſame Wurzel beſeſſen haben. Im Jungpaläolithikum aber waren ſicherlich ſchon alle Gegenſätze ſcharf entwickelt und die verſchiedenen Raſſen ſtanden ſich mit fertig i Sonderſprachen fremd und feindlich gegenüber. Daß im beginnenden Neolithikum überall neue Raſſen auftauchen, pet Scheidt ſelbſt zu; fie müſſen aber doch auch Zeit zur Entwicklung gehabt haben. Wie amen 3. B. die Brachoiden von Mugem ſchon jo frühzeitig auf die Dyrendenhalbinfel, wenn fie erſt in poſtpaläolithiſcher Zeit in Aſien entſtanden und von dort her eingewandert far ſollten? Waren doch wie Scheidt richtig bemerkt „die Wege, die dafür (nämlich ür die Zuwanderung der kurzſchädeligen Formen) offen bleiben, doch wohl beſchränkter, als man häufig annimmt“ (S. 87). Deshalb denkt Scheidt (S. 87) zunächſt an eine „Vor⸗ läufereinwanderung“ in paläolithiſcher Zeit. Auf S. 100 und 101 bekennt er fic) dann ganz offen zur aſiatiſchen hupotheſe. Aber ſein Schwanken ijt bezeichnend; es läßt erkennen, die Brachykephalenfrage nach wie vor das verwickeltſte Problem der Anthro⸗ pologie bleibt und daß die aſiatiſche Hypotheje ihre eigenen a nicht mehr recht befriedigt. Wenn Scheidt ſelbſt darauf hinweiſt, „daß (abgeſehen von Einzelfunden) Siedelungen mit an brachukraner Bevölkerung nicht gefunden worden find, wohl aber eine beträchtliche Anzahl ſolcher mit nur solihotanet Bevölkerung“ (S. 101), ſo ſollte das doch zum en und zu dem Derjudhe anregen, die Frage einmal ſchen, logiſch zu betrachten. Daß die ſchwediſchen Steinzeitleute dolichoider ſind als die däniſchen, während Schonen eine vermittelnde Stellung einnimmt, iſt beſonders lehrreich: das nörd⸗ liche ſchwediſche Gebiet war eben lange Zeit unbewohnt (wie der amerikaniſche Weiten) und bildete ſpäter das Kolonialland, in welches die dolichoideſten Elemente einwanderten.

Nun noch ein Wort zur Cro-Magnon⸗Srage.

Da Scheidt alle neolithiſchen Dolichoidformen aus der Cro⸗Magnon⸗S§orm und fremden Beimiſchungen hervorgehen läßt, ſo fühlt er die Notwendigkeit zu dem Problem Stellung zu nehmen, wie ſich denn dieſe Miſchformen weiter Derbalten haben dürften. Er ſchreibt darüber:

„Ich glaube, daß weder vollkommene „Entmiſchung“ noch auch vollkommene (auslefebedingte) Erhaltung des urſprünglichen Baſtardtupus ſtattfinden wird, ſondern daß die Mixovarianten zum Teil lange weiter variieren werden, zum Teil in ihrer Dielgeftaltigteit durch Auslefevorgänge beeinträchtigt werden, wobei auch noch in jedem Vermiſchungsgebiet die alle der Ausleje unterliegenden) Rüdfreuzungs: möglichkeiten das genetiſche Bild bis zur Unkenntlichkeit verwirren können.“ (S. 99.)

. ie Huseinanderſetzung hierüber muß verſchoben werden. Es hat ſich aber wieder einmal gezeigt, daß man die Probleme erſt dann gan slg baba vermag, wenn man es wagt, Theorien aufzuſtellen. Das hat Scheidt, im Gegenſatze zu anderen feiner

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Kollegen, die hübſch zwiſchen den hecken der Empirie bleiben, auf den letzten Seiten ſeines Buches getan und darum ijt gerade dieſer Übſchnitt der intereſſanteſte geworden.

Bozen. Karl Felix Wolff.

Unſer hochgeſchätzter Mitarbeiter, K. 8. Wolff, hat das Scheidtſche Werk aus der Sülle feiner anthropologiſchen Kenntnifje heraus in der ihm eigenen großzügigen Weiſe unter beſonderer Anerkennung mancher Vorzüge der Arbeit trefflich gewürdigt. Ich möchte als Prähiſtoriker, der die Unthropologie bei feinen Schlüſſen ſtets gern zu Rate gezogen und auch dem Scheidtſchen Werke eingehendes Studium gewidmet hat, noch einige 9 Aae Bedeutung berühren, die mir bei Scheidt aufgeſtoßen ſind und nicht gefallen haben.

So fein Derhältnis zu Alfred Schliz. Er macht Schliz zu le Beeinfluſſung durch archäologiſche Erkenntniſſe zum Dorwurf. Nun, Schlizens Art mutet manchen vielleicht ſo an, als hätte er zu früh und zu ausſchließlich auf ſein künſtleriſch eingeſtelltes Huge ſich verlaſſen, das ſtets vor allem die Geſamterſcheinung zu erfaſſen bejtrebt, war. Demgegenüber iſt Scheidt das gerade Gegenteil: ein nüchterner Meſſer und Jahlenmenſch, der uns wiederum zu wenig AUnſchauung bietet, dabei oft ein ſchwankendes Urteil zeigt. Die von ihm gezeichneten rechtwinkligen Roordinatenſuſteme, in welchem je zwei Schädel: maße zur Darſtellung kommen und die einſchlägigen Schädel durch Punkte eingetragen ſind, mögen wohl als Vorarbeit ganz geeignet fein, können aber dem Lefer nur berzlich wenig jagen, da ihnen jede (nſchaulichkeit fehlt. |

Recht bedenklich werden Scheidts Ausführungen, fobald er ſich auf Erörterungen einläßt, bei denen die Urchäologie geſtreift wird. Würde er mein Buch über die Indo: germanen gekannt haben, fo hätte er daraus entnehmen können, daß Stjernas Auf- ſtellung, nicht nur der Megalithgrabbau, ſondern auch der ſonſtige Inhalt der Megalith⸗ kultur nebſt der Megalithbevölkerung ſei aus England nach Skandinavien gekommen, in den Tatfachen nicht den geringſten Boden findet. In England ift das große Gebiet der Megalithgräber, die dort nur im Weſten und Südweſten vorkommen, ein völlig anderes als das kleine Südoſtgebiet nordiſcher §euerſteinbeile, die aber auch nur auf der allerfrüheſten, d. h. vormegalithiſchen Stufe mit den ſkandinaviſch-norddeutſchen übereinſtimmen, {pater aber genau wie die franzöſiſchen ihre eigene rückſtändige Entwicklung nehmen. Sonjtige Kulturverbindungen zwiſchen England und Skandinavien wird man vergebens ſuchen.

Wie früher Fürſts, fo ſchweben jetzt auch Scheidts aus der Stjernaſchen Anfidt gezogene anthropologiſche Schlußfolgerungen völlig in der Luft. Daß die langköpfige Stein⸗ zeitbevölkerung Englands noch weit ſtärker und einheitlicher langköpfig iſt als die ſkandi⸗ naviſche, zeigt nicht, daß ſie gegenüber der nordiſchen Raſſe eine reinere Geſtalt und damit gewiſſermaßen die Stammraſſe der nordiſchen Raſſe darſtellt, ſondern daß im vollneolitbi: ſchen England eine ganz andere Raffe herrſcht als in Skandinavien, nämlich die mittel: ländiſche. Was ja auch von den anderen einſchlägigen Wiſſenſchaften längſt als geſichert anerkannt wird.

Außerdem ſcheinen die Anthropologen gar nicht zu beachten, daß aus den engliſchen, freiſtehenden, richtigen Megalithgräbern meines Wiſſens keine ſteinzeitlichen Skelette geborgen oder unterſucht worden find. Die geborgenen Skelette mit ihren Schädeln ent: ſtammen dort nur hügelgräbern, Steinhügeln mit eingebautem megalitbiſchem Ganggrab oder ohne ſolches. Die Hügel find teils lang, teils rund und ſeit Thurnams Beobachtungen iit es ja herkömmlich, zu behaupten, in den Canghügeln ſeien ausſchließlich langſchädelige Menſchen, in den Rundbügeln ausſchließlich kurzſchädelige beerdigt worden. Aud) Scheidt wiederholt dies. Aber Sören hanſen hat in ſehr eingehender Unterſuchung längſt nach⸗ gewieſen, daß in beiden Arten von Hügeln fowobl Cang- als auch Kurzſchädel vorkommen, Langſchädel in beträchtlicher Zahl auch in Rundhügeln, Rurzſchädel ebenſo in Langhügeln (tlarborqen |. nord. Olk. 1915).

Sürſts Aufitelluna, daß in Schonen und Dänemark bereits vor der langſchädeligen Bevölkerung eine kurzſchädelige geherrſcht habe, iſt unbeweisbar, bleibt alſo eine leere Der: mutung, wie auch Scheidt mit Recht ausſpricht. Jedenfalls war diefer „Urtyp der Kurz: ſchädel“ nicht von der Art des langgeſichtigen Borretups, wie Sürft meint. Denn dieler ijt ja klärlich eine Miſchung aus nordiſcher Langſchädelraſſe und einer Kurzkopfraſſe.

Allen ſtrengen Anforderungen, die Scheidt an die nordiſche Raſſe ſtellt, wozu auch ein leptenes Obergeſicht gehöre, ſoll nach ihm von allen ſchwediſchen Schädeln einzig der Schädel 5 von Muſinge auf Gland (Sürſt, Taf. 3) genügen; nur ſchade, ia dieſer gerade nicht langgeſichtig, ſondern nur mittelgeſichtig ift, mit einem Obergeſichtindex von 54,6; auch iſt der Stirnanſtieg für die nordiſche Rafje viel zu ſteil.

Scheidt behandelt im erſten Abſchnitt ſeines Buches, dem Hauptteil, auf 78 Seiten 579 Schädel, die ſich auf Skandinavien und ganz Mitteleuropa einſchließlich Ungarns,

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Südflawiens und Rumäniens verteilen; in dem kurzen zweiten Abſchnitt (S. 79—94) das übrige Europa, d. h. England, Belgien, Srankreich, Spanien, pe an! und Italien. ie man ſieht, hat der Derf. von Rußland und Polen keine Notiz genommen. Und doch Jind aus Polen, Weſt⸗ und Südrußland gar nicht wenige eee e mit guten Abbildungen veröffentlicht worden, namentlich von polniſchen Anthropologen op ne. in Blick in das bekannte ältere „Materialien“⸗Werk von Kohn und Meblis ir ſchon manches davon vor. Anderes, z. B. Beſchreibung der Schädel kujawiſcher Graber, indet ſich in den Verhandlungen der Berliner anthropologiſchen Gerellihaft (vgl. 1879, S. 432; 1880, S. 320, 526 ff.), die auch zahlreiche Unterſuchungen und Abbildungen deutſcher Steinzeitſchädel enthalten, von denen der Verf. nur einen Bruchteil berückſichtigt hat. Eine Anzahl e er Schädelbeſchreibungen, aug ſolcher von oſt⸗ und Wepa che ſowie poſenſchen Schädeln, habe ich im Mannus II (1910) aufgeführt, z. B. S. 94, 100, Schwerer noch wiegen die Lüden aus Deutſchland. Außer den genannten Berliner Derhandlungen, die nur zum kleinen Teil ausgenutzt worden ſind, iſt der Mannus und mein Buch „Die Indogermanen“, worin auch neue wichtige Schädel zum erſten Male abgebildet worden find, dem Verf. unbekannt geblieben. Desgleichen die eingehenden Unterſuchungen uckermärkiſcher Steinzeitſchädel, die einerſeits hugo Schumann (Die Sean. er der Uckermark), anderjeits Karl Strauch im 8. Mannusbande (1915) veröffent a 5 Unbegreiflich aber iſt es, daß dem Derf. die letzte große Veröffent- lichung . Wielfens über die däniſchen Steinzeitſkelette von 1915 entgangen ijt, worin u den früher von demſelben Verfaſſer behandelten 616 Skeletten 205 neu geborgene Ae von deren Schädeln allerdings nur 55 meßbar ſind. Nicht unwichtig ſind auch die von neuem dargelegten allgemeinen Schlußfolgerungen Nielſens aus dem Gelamt- ſtoff der 210 meßbaren und der 162 tupbeſtimmbaren däniſchen Steinzeitſchädel.

Don Kleinigkeiten ſei noch 5 5 daß ſowohl Scheidts Schriftenverzeichnis, worin auch manche rein DL ak Literatur aufgeführt wird, als auch fein Text von allerlei Slüchtigkeiten nicht frei iſt. Was foll der heute ganz nebenſächliche und veraltete kleine Auffak Koehls über das neolithiſche Gräberfeld der Wormſer Rheingewann . üb. dtſch. Alt. VII), wo wir doch die große Feſtſchrift über die Wormſer Gräberfelder von Koehl beſitzen? Und wie kommt jener Aufſatz Koehls in die Literatur über Frank⸗ reich und Belgien hinein? Und warum find die beiden Aufläße hans Dirchows über fae ee Schädel obwohl noch richtig die Erſcheinungsjahre 1911 und 1915 hinzugefügt ind, feinem Dater zugeſchrieben worden? Weshalb befindet ſich der ganz allgemein gehaltene Seftportrag von Guſtaf Retzius The so-called North European race of mankind innerhalb der Literatur über England? S. 47 iſt zweimal von Schädeln aus Oberſchleſien die Rede, während ſolche überhaupt gar nicht vorhanden find, ſondern nur ſolche aus Mittelſchleſien. S. 47 wird von 62 Schädeln geredet, die aus Schleſien, Böhmen und Mähren unterſucht worden ſeien, S. 75 aber find es 65 Schädel. S. 16 ift von vier weiblichen und drei männ⸗ lichen Schädeln einer beſtimmten Abart nordiſcher Cangkopfraſſen die Rede: die genaue Aufzählung bringt aber nur fünf Schädel. Ständig wird der Fundort eines bekannten mecklenburgiſchen Schädels Bur row ſtatt Bu row geſchrieben. Doch genug dieſer kleinen Unfauberteiten, die man bei einer ſonſt gewiſſenhaften Arbeit, wie ſie die Scheidts ohne Zweifel iſt, ungern bemerkt. Guſtaf Koſſinna.

hans Reinerth, Die Chronologie een Steinzeit in Süddeutſchland. 4°, VIII und 108 S. mit 35 Taf. und 60 Textabb. Augsburg, Dr. Benno Filſer (1923). Die Erforſchung der jüngeren Steinzeit hat in den beiden letzten e be⸗ ſonders namhafte Sortichritte gemacht. Indes, je na der Stoff anſchwoll, um jo ſchwieriger eftalteten fic) die an ihn ſich heftenden Fragen. Zuletzt hat K. Schumacher eine über: f tliche Darſtellung der zahlreichen neolithiſchen Kulturgruppen geboten (8. Bericht der tõöm.⸗germ. Ann in 1913/15, Frankfurt a. M. 1917, S. 30—82) und darin die einzelnen Sormkreiſe beſchrieben und abgegrenzt. Die i ließ Schumacher faſt ganz aus dem Bereich ſeiner Darlegungen und bezeichnete ihre Unterſuchung als eine der in Angriff de nehmenden Aufgaben der Wiſſenſchaft. Nun hat 9. Reinerth in einem ſtattlichen Werk en Derſuch unternommen, die ah der ſüddeutſchen jüngeren Steinzeit zu klären. Das Bild, das ſich in Süddeutſchland bietet, iſt beſonders verworren, da hier die verſchiedenen Kulturen nicht klar neben- oder hintereinander ſtehen, ſondern ſich kreuzen und miſchen und infolgedeſſen die Spatenforſchung widerſprechende Ergebniſſe liefert. Den verſchlun— enen Knoten will nun Reinerth löſen, indem er außer der rein tupologiſchen Methode, eren alleiniger Verwendung er die Schuld an den Mikerfolgen der bisherigen chrono— logiſchen Soudune zuſchreibt, noch die Siedlungsgeographie und Stratigraphie zu hilfe

382 Biicherbefprechutigen

nimmt. Wenn nun auch diefe beiden Methoden bei früheren Forſchern nie ganz unberüd- ſichtigt blieben, ſo kommt doch ohne Zweifel der ungemein angewachſene uggs dem neuen Unternehmen ſehr zu ſtatten. Er allein rechtfertigt ſchon das Erſcheinen der Arbeit.

Im 1. Teil (S. 7—62) behandelt Reinerth das „zeitliche Nacheinander“. Auf Grund der Formen und Derzierungsweile der Keramit unkeriheidet er einen nordiſchen, einen weſtiſchen und einen oſtiſchen Kulturkreis. An allen dreien hat Süddeutſchland Anteil. Als klusgangspunkt feiner Unterſuchung wählt er die von Montelius, Koffinna und 15 durchgeführte zeitliche uns des nordiſchen Neolithikums und hier ift es die von Götze zuerſt aes umſchriebene Schnurkeramik, die mit ihrem in das ſüddeutſche Gebiet reichenden Aft als Stütze dient. Dieſe ſüddeutſche Schnurkeramik ke in vier Zeiten (Zeit 1 ohne keramiſchen Nachweis), von denen die erften drei mit der Steinkiſtenzeit (jüngeren Schnurkeramik), die vierte mit der frühen Bronzezeit Mittel⸗ und Rorddeutſch⸗ lands zuſammengeht (5. 14). Zwiſchen der ſüddeutſchen Schnurkeramik und der Pfahl⸗ baukeramik, die um hen Kulturkreis gerechnet wird und in drei Stufen (Bodenſee⸗ Art 1—3) zerfällt, beſtehen örtliche und zeitliche Berührungen. Die en erſtrecken ſich auf die Art 2 und 3, während Art 1 mit der älteren und en anggräberzeit par⸗ allel geſetzt wird. Neben der Bodenfee-Art ſteht tupologiſch ſelbſtändig der Michelsberger Typus (5. 18f.), dem nur eine kurze Zeitſpanne innerhalb des ſüddeutſchen Neolithikums eingeräumt wird (Ende Bodenſee-Hrt 2 und Bodenjee-Art 3). Als eine e trachtet (8. 19 . mit der Bodenſeeart wird die Schuſſenrieder Keramik ber

achtet (S. 3.

Die oſtiſche (bandkeramiſche) Gruppe (S. 22—25) läßt Reinerth mit der Spiral⸗ mäanderkeramik beginnen, es folat die Hinkelfteinferamif, ſchließlich die Röſſener Keramik ſüddeutſcher Art. Dieſe drei Arten verſchmelzen nun unter Hinzunahme von nordiſchen und weſtiſchen Elementen, es entſteht eine neue Gruppe, die unter dem Namen eee bühler Miſchkeramik“ e und ausführlich behandelt wird (8. In dieſe ihrem Weſen nach nora ruppe werden auch die in Bayern erſcheinende Münchs⸗ höfener und Altheimer Art ſowie Schweizer Sundplake (Wauwil, Thayngen), aber auch räumlich entferntere ähnliche Erſcheinungen in Mitteldeutichland, Schleſien, Böhmen, Mähren, Öiterreich, i ſogar Oberitalien und Frankreich einbezogen (S. 35). Zeitlich wird die Aihbühler Miſchkeramik der Bodenſeeart 2 und 3, der Mondſee⸗Caibacher Gruppe und der Eyersheimer Art lam Rhein Die zum weſtiſchen Kulturkreis gehörige Glocken⸗ becherkultur erſcheint h am Rhein zumindeſt in der Zeit 3 der ſüddeutſchen Schnur⸗ keramik und währt dann bis EL Bronzezeit. Die Jonenbecher werden in die Zeit 4 der Schnurkeramik verlegt. Die Aichbühler Kultur vereinigt die drei neolithiſchen Nulturfaf- toren in ſich, fie führt von der Steinzeit zur Bronzezeit hinüber und wird zur Grundlage für die ſpätere Bronzezeit⸗ und Hallftatttultur des Alpenvorlandes (S. 40).

Zwecks Ergänzung und Erhärtung ſeiner e hat Reinerth die Stein⸗ werkzeuge, insbeſondere die Beilformen unterſucht und durch ihre Einteilung in Beile, Keile, Arbeitshämmer und Streitäxte eine Unterlage für die chronologiſche Verwertung zu ſchaffen geſucht (S. 41—58). Ausgehend von den Beilen des Bodenſeegebietes hat Rei⸗ nerth für jeden der drei Kulturkreiſe beſtimmt ausgeprägte Formen feſtgeſtellt: für den nordiſchen Kreis das Rechteckbeil und die fazettierte Streitart, 15 den weſtiſchen das Rund⸗ beil mit ovalem Querſchnitt, für den oſtiſchen das einſeitig gewölbte Slachbeil und die Arbeits- hammer (Schuhleiſtenformen). Die Entwicklungsreihe jeder Art wird aufgezeigt. Gleich der Keramik verſchmelzen die drei Gruppen ſchlleßlich zu einer Miſchgruppe (Hammerarte der Aichbühler Art).

Im ſtratigraphiſchen Abfchnitt (S. 58—62) gibt der Derfaffer einen Überblick über die ſchon länger bekannten Sundpläße. hinſichtlich der bayeriſchen Fundorte (S. 59) ift zu bez merken, daß das zeitliche Nacheinander von Spiralkeramik und Röſſener⸗- und Hinkelſtein⸗ ſchichten noch nicht einwandfrei feſtgeſtellt iſt. Sicher iſt nur, auf Münchs höfen und dann wieder Altheim jünger find als die genannten Gruppen. Die Kufſchlüſſe, die der Sreiland- boden im allgemeinen verſagt, bieten oom Riedſchachen bei Fir fenried und im Neuen burger See, da an beiden Orten ſcharfe Trennungen der neolithiſchen Schichten beobachtet werden konnten. Die dort gewonnenen ſtratigraphiſchen Ergebniſſe ſtimmen mit den typo logiſchen überein. Im Riedſchachen wird ein Pfahldorf mit älterer i bag Ua Keramif von einer Schuſſenrieder Moorſiedlung überlagert, bei den Fundplätzen im Neuenburger See trennt eine rg beet die ältere von der jüngeren Aichbühler Art.

Der 2. Teil des Werkes (S. 63—78) ift dem „örtlichen Nebeneinander“ Die von mehreren Moorgeologen und Siedlungsgeographen ſchon erkannte Trockenzeit zu Beginn der Dollneolithik (etwa 3500), deren Ende inmitten der Hallftattitufe 118 (etwa 850), gilt dem Derfaſſer als Unſtoß zur Einwanderung der neolithiſchen Stämme in ODeutſch⸗ land. Die bandkeramiſche Gruppe wird wegen ihrer reichen Sundftellen zuerſt beſprochen. Dom mittleren Donaugebiet aus dringt die hinkelſteinkultur als erſte Siedlerwelle über das

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Mainland bis zum Rhein vor und nimmt gleichzeitig mit der älteren Bodenſeekultur von der Rheinebene und dem unteren Medarland Beſitz. Die zweite, ſpiralkeramiſche Welle „trifft im Rheingebiet ſchon auf die unter nördlichem Einfluß zum ſüddeutſchen Röſſen n Hinkelſteiner Kultur und beſiedelt, meiſt mit ihr gemeinſam, das obere ad und Neckarland. Die ausklingende Bandferamif erlebt noch das Erſcheinen des eigent- lichen nordiſchen Siedlerſtromes, der Schnurkeramiker“ (S. 67).

Den überſichtlichen Wanderwegen der Bandkeramik, die im lößreichen Tiefland zu ſuchen it wird das zerriſſene und oft zuſammenhangloſe Gebiet des ſchnurkeramiſchen Jägervolkes gegenübergeſtellt, das die Waldgebiete und höhen beſetzt. Mit hilfe der Stein⸗ werkzeuge werden die hauptſächlichſten Siedelungswege und Siedelungsgebiete umſchrieben: das Maingebiet und das untere Neckarland wird am Ende der Zeit 2 in Beſitz genommen, gleichzeiti ch ein Dorftoß nach Oberbayern und von dort bis in die Ulmer Gegend; während der Zeit 5 erfolgt die Beſetzung des ſchwäbiſchen Oberlandes bis zum Bodenſee, einzelne Gruppen dringen bis in die Weſtſchweiz vor, Neckar und Donau führen in das Albvorland, auf die Albhochfläche und zum Bodenſee. Die Zeit 4 ſtellt den Ausklang der Schnurkeramik dar. Die klichbühler Miſchkultur iſt bereits entſtanden. Die falle Schnur⸗ keramik wirkt belebend und ſtärkend auf die vom Weſten her ſtammende Pfahlbaukultur, nds 65 lich mit ihr und wird fo am Ende der Neolithik zur Beherrſcherin Süddeutſch⸗ ands (S. 69). :

Das Seengebiet der Schweiz und der Bodenſee ftellt das Kulturzentrum der Pfahl« baugruppe dar. Sie war noch nicht bis zur oberen Donau vorgedrungen, als der nordiſche ſchnurkeramiſche Strom im Oberland erſchien. Die Derſchmelzung ergab die Aichbühler und die Schuſſenrieder Kultur. Dieſe u ihrem Vordringen an den mittleren Neckar ee a die verwandte Michelsberger Kultur, die ihrerjeits im Rheintal zum Bodenſee vordringt.

as Ende des Neolithikums wird in Süddeutſchland von ſpäter Aichbühler, alſo auch jüngſter Pfahlbaukultur, und den Michelsberger Leuten beherrſcht, die ihre höhen⸗ ſiedlungen gegen die ſchon mit Bronzewaffen bewehrten Urenkel der längſt verſchollenen nordweſtdeutſchen Megalithleute richten (S. 72). Die Glockenbecherleute, ein Handels⸗ volk weſtlichen Urſprunges, das nur kurze Zeit Süddeutſchland durchſtreifte und dem Michels⸗ berger Herrenvolf die weſtiſchen Prunkäxte geliefeıt hat, ſind die Pioniere des großen weſtiſchen Kulturkreiſes (S. 73). Die klichbühler Miſchkultur, in Süddeutſchland bisher erſt in 34 keramiſch gut belegten Siedlungen bekannt, iſt nach Oſten zu die Vermittlerin nordi⸗ ſchen Kulturgutes an die Anwohner des ägäiſchen Meeres geworden (S. 75). Ein kurzer Schlußabſchnitt (S. 74—78) faßt alles, was ſich zur Anthropologie Wirtſchaftsgeſchichte, dem Hausbau, den Beſtattungsformen, der Keramik der jüngerſteinzeitlichen Kulturen ſagen läßt, nochmals zuſammen.

Der 3. Teil (S. 80—107) enthält nach Kulturkreiſen, Gegenſtänden und Fundorten

eordnete Perzeichniſſe, endlich Angaben zu den zahlreichen Abbildungen und eine Zu— ammenlteltung der einſchlägigen Literatur.

Reinerths Darlegungen tragen den Stempel der Folgerichtigkeit und Einheitlich⸗ keit an ſich. Es darf ihm als Derdienft angerechnet werden, den großen ſchwierigen und noch vielumſtrittenen Stoff in klarer, überſichtlicher Darſtellung geboten und damit eine neue Grundlage für weitere Sorſchungen geſchaffen zu Beben Die Ausführungen finden überdies in den eingeſchalteten Zeittafeln eindeutigen Ausdrud. (Der Widerſpruch, der zwiſchen dem Text S. 59 und den Zeitüberſichten 5. 22, 25, 35, 37 nebſt Taf. ANXIII in der Anſetzung der ſüddeutſchen Schnurkeramik und der Aichbühler Reramik beiteht, iſt wohl auf ein Derjehen zurückzuführen.) Daß Reinerths Buch eine endgültige Cöſung der neolithiſchen Probleme bringt, wird niemand erwarten wollen. Im Vorwort bezeichnet Reinerth die klufſtellung einer relativen Chronologie der jüngeren Steinzeit, die herbei: iehung des Steinbeilmaterials und die inhaltliche und geographiſche Umgrenzung der drei Kulturteije und der Kichbühler Miſchkultur als das Neue feiner Arbeit. Wer immer jid) an ſolche Aufgaben heranwagt, wird mit Widerſpruch Ohne müſſen. Anfechtbar erſcheint mir e die Auswertung der Steinwerkzeuge. Ohne Zweifel dürfen die Steinbeile mehr Berückſi itigung beanſpruchen, als es vielfach bisher geſchehen iſt, aber es iſt doch ge⸗ wagt, aus ihrer Cypologie fo weitgehende Schlüſſe zu ziehen, wie Reinerth dies tut. Das Rundbeil z. B. gehört ſicher nicht ausſchließlich dem weſtiſchen Kulturkreis an, ebenſo iſt das Rechteckbeil nicht bloß eine Erſcheinung des nordiſchen Kreiſes. Aud) wird das zur Der: fügung ſtehende Geſtein nicht ohne Einfluß auf die Formen der Beile uſw. geblieben ſein. Nicht abgeſchloſſen iſt wohl auch die Frage über das erſte Auftreten der drei neolithiſchen Gruppen, das Reinerth im nn ur bisherigen Sorfchung in verhältnismäßig junger Zeit (3500 vor ich anſetzt. Reinert hat den vielen Namen des Neolithikums einen neuen hingugelugt: klichbühl. Während bisher ſolche Namen meiſt nur Bezeichnungen örtlicher

rſcheinungen darſtellten, erhebt Reinerth den Namen Aichbühl zum Inbegriff einer

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großen Gruppe, die auch ähnliche Erſcheinungen anderer Länder in fic) ſchließt. Dieſes orgehen halte ich nicht für unbedenklich, da es leicht zu neuen nden Ahnlich ſen und Miß⸗ deutungen Anlaß gibt. Wenn die Miſchformen anderer Gegenden ähnlich eingehend be⸗ handelt ſind wie die des Sederſeemoores, werden ſich wohl weitere Ausblide eröffnen. Reinert del in dankenswerter Weiſe ſeinen kee saad im Text und in einem loſe beigelegten Tafelhefte zahlreiche nach Zeichnungen hergeſtellte Abbildungen mitgegeben. Eine nicht alltägliche Dornehmbeit und Gediegenheit zeichnet auch die ſonſtige Ausjtattung des Werkes aus. München. Dr. Friebrich Wagner.

Dr. Erich Caemmerer, Die Alteburg bei Arnſtadt. Ein gd da zur Kenntnis der Vorgeſchichte Thüringens. Mannusbibl. Nr. 37, 1924. Verlag Curt Rabitzſch, Leipzig. 80. 38 Seiten, 139 Abb. im Text.

Der Untertitel, den der Derfaffer feiner Arbeit gibt, iſt voll berechtigt, denn die Beobachtungen, zu denen Gelände und Funde Anlaß gaben, die Sragen, die e werden, erheben das Buch über örtliche Bedeutung weit hinaus. Was aus oiefer alten Siedelungsſtätte ohne eingehende Spatenforſchung es liegen nur einige Probegrabungen aus früheren Jahren vor zu gewinnen war, iſt mit Sorgfalt und Kenntnis herausgeholt. Die Alteburg, ſchon durch die Lage als Sejte geeignet, hat durch Menſchenhand verſtärkten Schutz erhalten, fo bilden zwei Abſchnittswälle einen Abſchluß nach der Gebirgsſeite. Bereits in der jüngeren Ense hat bier oben eine Siedelung der bandkeramiſchen Kultur beſtanden, wie die zahlreichen ſorgfältig verzeichneten Steingeräte und einige beſtimmbare Tonicherben ergeben. Gewiß hat man um Schutz zu finden gerade die Berghöhe als Siedelung gewählt, und eine künſtliche Verſtärkung des Schutzes würde in dieſer Zeit nicht ganz überraſchend ſein, wenn ſie aud im en Deutſch⸗ land vorläufig noch vereinzelt ſteht, denn gerade in dieſer Kultur iſt in Südoſteuropa der e bezeugt. Ob allerdings die noch heute vorhandenen Übſchnittswälle der

teinzeit angehören, erſcheint mir ſehr fraglich. Daß gerade die ſteinzeitliche Sunde bergende

Släche nach den bisherigen Beobachtungen mit dem äußeren Übſchnittswall abſchließt,

könnte oh aud) in der natürlichen Beſchaffenheit oieſes Bergvorſprunges begründet

ſein; eine Einſchnürung des Plateaus zeichnet hier der älteren und einer jüngeren Siedelung die Grenze vor. Denn der Berg ijt noch einmal in der ſpäten Latènezeit bewohnt ge⸗ weſen; bronzezeitlich ſind nur ganz vereinzelte Sunde. Es liegt am nächften, im 3weifels: falle dieſer zweiten Siedelung die Wallanlagen zuzuweiſen, mit Recht hebt daher auch der

Verfaſſer hervor, daß 61 85 8 Ergebnis erſt eine gründliche Bodenunterſuchung bringen

kann. Die jüngere Siedelung war ein befeſtigter Wohnplatz, den wir mit den vom Der:

faſſer ausgeführten Gründen einer keltiſchen Bevölkerung zuweiſen können. Wir kennen ja bereits derartige keltiſche Städte; es ijt mir unwahrſcheinlich, daß eine zu der höhenſiede⸗ lung gehörende zweite Niederlaſſung außerdem am Fuße der Alteburg anzunehmen fet.

Auffallend mag es erſcheinen, daß hier eine keltiſche Niederlaſſung beſtanden hat, während

ſchon in der Umgegend zu dieſer Zeit in den Niederungen eine in Urnenfeldern beſtattende

Bevölkerung ſaß, die wir als germaniſch zu bezeichnen pflegen; dieſe ſtand aber auch

nach Ausweis der Tongefäße (3. B. die gedrehten Gefäße vom Simmel bei un in

enger Beziehung zu den Kelten. Es iſt ja gar nicht nötig, überall eine ſtreng durchgeführte

Grenzſcheide zwiſchen Kelten und Germanen anzunehmen, trotz völkiſcher Verſchiedenheit

muß nicht ein feindliches Gegenüberſtehen vorausgeſetzt werden; wir brauchen nur

Berübrungsjtreifen heutiger Völker zu vergleichen, wo wir vielfach bei Aufredthalten

völkiſcher Eigenart ein Nebeneinanderjiedeln finden, das auch zu Rulturaustauſch führt.

So haben die Thüringer Germanen gleichfalls Töpfe und manches Schmuckſtuͤck aus

keltiſchen Werkſtätten bezogen. Zu dem älteren Suſtem keltiſcher Grenzburgen gegen die

Germanen im mitteldeutſchen Gebirge, deren Mittelpunkt der ſtark beſe tigte dleichberg

bei Römhild war, gehört die Alteburg nicht. Die Befeſtigung richtet ſich gegen kleinere

räuberiſche Überfälle, die wohl in dem beſonders unruhigen letzten en vor Chr. nicht ſelten waren. Auch fremde Germanenſcharen, die nördlich am Thüringer Walde vorbei dem Main-Rheingebiet zuſtrebten, mögen wohl die Siedelungen auf ihrem

Durchzuge bedroht haben. Im allgemeinen aber wird für Thüringen in dieſer Zeit gelten,

was auch der Derfajjer als Möglichkeit hinſtellt, daß ſich keltiſche Beſtandteile erhalten haben

„auf Grund langgewohnter, die nationalen Gegenſätze ausgleichender gegenſeitiger Beein—

Bücherbeſprechungen 385

fluſſung von den delteren ahnt Nachbarn unbehelligt“ !). Möge dieſe erfreuliche Der- e zu weiteren ähnlichen Bearbeitungen anregen! 5 halle a. S. Walther Schulz.

Maximilian Mayer, Molfetta und Matera. Zur Prähiſtorie Süditaliens und Siziliens. 5 it 24 Sale im Lichtörud und 74 Textabbildungen, 318 S. Karl W. hierſemann⸗ eipzi 24.

Sur die Kenntnis von Italiens älteſter Kulturentwicklung find die Fundorte Molfetta und Matera beide in Apulien gelegen von außerordentlicher, wenn ir wenigſtens bisher, von ausſchlaggebender Bedeutung. Mayer, der 1899 die erſten Ausgrabungen in Molfetta gemacht und darüber bereits in einem italieniſchen Werk (Stazioni preisto- riche di Molfetta 1904) berichtet hat, legt in dem neuen Buch zuſammenfaſſend jeine Unter: ſuchungen und Forſchungsergebniſſe über die nn die Molfettaner Ausgrabungen zutage

etretenen Kulturen vor. Die Sundftätte bei Matera, 1921 von Dr. Rıdola neu unter: ucht, wird gleichzeitig in eingehender Weije in die Unterſuchung hineingezogen und damit en e 91. die hohe Bedeutung dieſes zweiten Aras iüliſchen Rulturzentrums auf⸗ merkſam gemacht.

Nach Beſchreibung der landſchaftlichen Derhältniffe der Jundſtelle bei Molfetta, wo Grotten⸗ und obere Sreiluftfiedlung zu nn find, wird ein Überblid darüber gegeben, was Sammeltätigteit und Spaten als Zeugniſſe der urzeitlichen Kulturzuſtände in erſter Linie der hüttenanſiedlung (obere Anfiedlung) der wiſſenſchaftlichen Auswertung an die Hand gegeben hat.

Bei der oberen Anfiedlung unterſcheidet der Verfaſſer zwei Siedlungsperioden. Die erſte iſt gekennzeichnet durch runde hütten und ebenſo geformte oder ſeltener pe al Gräber von ganz kleinem Ausmaß, die aus herumgepackten Steinen beſtehen. Die Grab⸗ ſtellen in unmittelbarer Nähe der Wohnſtätten, Skelette in ſeitlicher Schlafſtellung, mit an⸗ gezogenen Knien, ſind die Regel.

Die zweite Siedlungsperiode iſt charakteriſiert durch länglich rechtwinklige Hütten und Gräber mit nal rechtwinfligem Hohlraum: „Es beftätigt ſich hier wiederum, wie eng Grab» und Hausform zusammenhängen (32). Bei der rechtwinkligen hütte bildeten zwei A die das Dach trugen, den Eingang; eine offene Vorhalle lag davor. Hori⸗ zontale Schichtung der Wandpfäyle und Paliſadenwände konnten gleichermaßen nach⸗ gewieſen werden. Den Boden erfüllte ein Cehmeſtrich. Die Palijaden der hüttenwände waren in einem e eingebettet. Durch die Sundergebnifje von Molfetta iſt zum erſtenmal für die neolithiſche Zeit Italiens das rechtwinklige Haus bezeugt. Die beträcht⸗ lichen Mengen an gefundenen Rinder-, Schaf⸗ und N! ſind Anzeiden einer blühenden Diehzucht bei den neolithiſchen Sreiluftbewohnern. Die Siedler der Rechteck⸗ bitten kannten bereits Mahlſteine.

Andere apuliſche Sundjtatten kultur⸗ und zeitverwandter Art reichen an Bedeutung lange nicht pecan an die Ergebniſſe von Molfetta und Matera.

Der Keramik aus der 1. Hittenperiode der oberen Anfiedlung ijt eine ſtark auf⸗ fallende Unregelmäßigkeit in der Anordnung der Zierelemente eigen; der Begriff der

e und Dispoition fehlt. Es liegt ein reiner Füll⸗ und etwas jüngerer

eichenſtil vor. Die 2. hüttenperiode brachte in der bemalten Keramit etwas durchaus Neu⸗ artiges; fie verdrängte bald den farbloſen „bei aller Uppigkeit kleinlichen Füllſtil“ (80) und den weitläufigeren „luftigen Zeichenſtil“ (80).

Der Betrachtung über die Dekorationsweiſen ſchließt N eine Durchſicht der Gefäß⸗ formen an, deren zuschnitt trotz der zumeiſt trümmerhaften Überlieferung der keramiſchen Reſte von Molfetta plaſtiſch dem Leſer vom Rae vor Augen geführt wird. Wo an⸗

ängig, werden dabei die Derknüpfungsmöglichkeiten mit der Keramik auch e ebiete derſelben oder ſpäterer eiſſtufe vorſichtig und kritiſch erwogen. Die wenigen Metallſpuren aus der oberen Anſiedlung Molfettas gehören der 2. Hiittenperiode an. Sie erſcheinen nicht ee um dieſe 1 der reinen Metallzeit einzugliedern, und ſind vom Standpunkt der mittelmeeriſchen Verkehrsverhältniſſe betrachtet nur von ſekundärer Bedeutung, die anzeigen, wie gewiſſe Gebiete noch in der reinen Steinzeit oder auch äneoli⸗ thiſchen verharren, wo andere „bei vollkommen chronologiſcher Gleichheit bereits zu anderer

Lebensform übergegangen“ ande ie bemalte Keramif Molfettas (wie auch Materas) iſt nicht altitaliſchen einheimi⸗

) Jetzt mehren ſich ug auch die Sunde vereinzelter latenezeitlicher Skelett⸗ gräber im nördlicher gelegenen ee die wohl eine Verbindung herſtellen könnten wiſchen den bekannten früheiſenzei en Stelettgrabern hier mit Wendelringen und teigbügelarmringen und den Sfelettgrabern der ausgehenden Latenezeit und des 1. Jahre hunderts nach Chr.

Mannus, Seitidrift für vorgeſch. Bd. 17. H. 4. 25

386 Bücherbeſprechungen

ſchen Urſprungs, ſondern hat ihren 10 Heimatherd wohl im weſtlichen Küftengebiet des Balkans. Die theſſaliſche und mittelgriechenländiſche Gefäßmalerei iſt der apuliſchen zwar verwandt, jedoch nicht in unmittelbaren Zuſammenhang mit dieſer zu bringen. Längere oder kürzere Kolonijation von jenſeits der Adria hat die neue Technik de apuliſchem Boden verpflanzt, wo fic) bald eine eigene Cokalſchöpfung entwickelte.

Bei der bemalten Molfetta⸗Keramik ſpringt eine a orb che Mannigfaltigkeit ins Auge. „Es iſt eine Muſterkarte, wie ſie eben nur die Seeſtation aufbringen konnte, das Binnenland nicht“ batte Die Betrachtung der Dekorationselemente ergibt reiche Be⸗ n zum transadriatiſchen Gebiet. Betreffs der Töpfertechnik von Rolfetta macht

er Verfaſſer intereſſante Mitteilungen über ſtattgehabte Anwendung von Kernform und „Quirlſcheibe“ (160—65).

Neben Molfetta ſteht Matera im Binnenlande als nächſtwichtiges urapuliſches Kulturzentrum. Auch feine bemalte Keramik weiſt mannigfache Beziehungen zum trans⸗ adtiatiſchen und ägäiſchen Gebiet, aber auch viele Eigenartigkeiten auf. Beſonders ſeltſam berühren die plaſtiſchen henkelformen, unter ihnen vornehmlich die Tierfopfariffe mit Sockelbildung. Man hat es „mit Schöpfungen aus einer ganz neuen Sphäre“ zu tun, „welche ah diejenige Mittel⸗ und Nordgriechenlands war, noch weniger die der a ba Balkanländer“ (208). In altkretiſcher Kunft werden teilweiſe erklärende Parallelerſchei⸗ nungen gefunden.

In einem beſonderen Kapitel ſpricht der Derfafjer von den Warthügeln, Dolmen⸗ bauten und Menhiren Altapuliens. Die Dolmengrabbauten, „das Privileg von Stammes⸗ häuptern und helden“ (258), als deren Vorbild auch Mauer die Grottengräber anſieht, fallen für ihn in die reine Bronzezeit Altitaliens. Für die Menbiren mögen verſchiedene Bedeutungen Geltung gehabt haben; teils als Grabdenkmäler, teils als Grenzſteine, oft wohl mit ſakraler ann find fie anzuſprechen.

Don der ſpezifiſchen Molfetta-Kultur abgeſondert fteht die epineolithiſche Kultur der Pulo-Grotten und ihrer Verzweigungen. Über fie en weiter in die Metallzeit a AN Kammergraber Apuliens, die Sortienunaen der Materaner ,,Badofen“-Graber & IOrTnDo).

Um das Weſen und den Urſprung der Mofetta⸗Matera⸗Kultur zu erkunden, greift der Verfaſſer im letzten Kapitel ſeines Werkes zu ethnographiſchen Erwägungen unter Aus» wertung von antiken und neuzeitlichen Volks- und Ortsnamen und ſonſtiger literariſcher Zeugnisse Bis nach Kleinaſien werden die Spuren oſt⸗weſtwärts gewanderter Volks⸗ tämme rückwärts verfolgt. Die Aneaslegende ſpielt hinein. Ein höchſtintereſſanter Der- ſuch, den durch die archäologiſche Forſchung geſicherten und feſtgelegten Ergebniſſen mit Hilfe e und hiſtoriſcher Überlieferung Leben und Sarbe zu 5

it dem vorliegenden Werke hat ſein Derfaſſer der Wiſſenſchaft einen . von bleibendem Werte erwieſen. Tiefgehende und umfaſſende Gründlichkeit und vorſichtig abwägendes Urteil zeichnen das Werk aus und laſſen es als Fide die e au weitere Forſchungen erſcheinen. Als bemerkenswert verdient eine Erwähnung die gute Ausftattung des Buches mit vortrefflichen Cichtdrucktafeln. :

Königsberg i. Pr. Wilh. Gaerte.

Bans Jenſen: Geſchichte der Schrift. hannover. 1925. VIII. 251 S., 303 Abb.

Ehe wir an vorliegendes Buch herantreten, wollen wir die Frage ſtellen, ob gente nod ein Mann eine allen Unſprüchen genügende Geſchichte der Schrift ſchreiben kann. Man wird mit einem Nein antworten müſſen, da ein Urteil über eine Reihe von Haupt fragen nur möglich iſt auf Grund von Vertrautheit mit den verſchiedenen Philologieen, denen die einzelnen Schriftſuſteme angehören, und auf Grund von Eingearbeitetſein in Vorgeſchichte, Altgeſchichte, Sprachwiſſenſchaft uſw. Wenn das auch die Geiſteskraft eines einzelnen überſteigt, ſo muß der hiſtoriker der Schrift doch dies alles wiſſen und verwerten. Es könnte alſo nur eine Ukademie von Schrift- und Kulturforjdhern in einträchtigem Zur ſammenarbeiten das ſchaffen, was nottut. Wenn nun Jenſen mit kühnem Mute ſich an eine ſolche Aufgabe heranwagt, jo darf man Dollfommenes nicht erwarten. Immerhin ſteht das Buch auf bedeutender höhe, und da es eine klaffende Lücke ausfüllt, fo möge hier 5 des Derfaſſers wiederholt werden, ihm für die nächſten Auflagen Hilfe und Rat zu ſpenden.

Eine Geſchichte des Altertums der Schrift müßte nach dem heutigen Stande des Wiſſens etwa ſo ausſehen wie das Unfangsſtadium eines Gemäldes: ein dunkler Unter⸗ grund mit einigen zuſammenhangloſen Sarbenfleren, die das werdende Bild kaum ahnen Dieſes Gebiet kann nur ein weite Räume umſpannender Reilſchriftforſcher über⸗ ſehen, der für Fragen der Saul Deritändnis hat, hiſtoriſch denkt und ſich nicht ſcheut, die zum Überbrücken unſerer Wiſſenslücken nötigen Ronſtruktionen zu errichten.

Jenſens erſte Abſchnitte über die Dorftufen der Schrift, wie Rerbſtöcke, Boten⸗

Bücherbeſprechungen 387

ſtäbe, Wampungürtel, Ideenſchrift, Wortſchrift, find eine Typologie der Schriftent⸗ wicklung, aber keine Geſchichte der Schrift. Obwohl ich im einzelnen manches anders auffaſſe, will ich nichts dagegen einwenden, daß eine Einleitung den Gang des ZSchrift⸗ werdens angibt, wie ihn der Derfafler ſich denkt. Dann aber muß die Typologie verſchwinden, da ſie auf e Meinungen beruht und die Zuſammenhänge zerreißen muß. Jenſen ordnet den Stoff eee an: Wortſchrift laztekiſche, majiſche, tſchineſiſche, ägüptiſche Schrift, Reilſchrift, hättitiſche, altkretiſche, Bamumſchrift (modern !), Schrift der ſterinſel (modern 0 Filbenſchrift l(japaniſche, küpriſche Schrift, 17 0 der Dai- neger (modern !), tſcherokeſiſche Schrift (modern !)]. Buchſtabenſchrift laltperſiſche Keilſchrift, meroitiſche Schrift, Semitiſche Schriften, Schriftentlehnungen aus dem phoiniki⸗ ſchen Alphabet, Schriftentlehnungen aus dem aramäiſchen Alphabet]. Bei Jenſen wird alſo die japaniſche Schrift von der tſchineſiſchen, die meroitiſche von der ägüptiſchen, die perſiſche Keilſchrift von den übrigen Urten getrennt. Außerdem iſt es bedenklich, die perſi⸗ ſche Keilſchrift der Buchſtabenſchrift zuzurechnen. Die hauptſache aber iſt, daß das Jenſen⸗ ſche Schema als hiſtoriſcher Rahmen ungeeignet iſt. Wie müßte ein ſolcher ausſehen? eht man von den Gegebenheiten des Zweiſtromlandes und feiner Nach barſchaft aus, ſo ſieht man, wie die Bildung eines Großſtaates einem Schrifttypus zum Siege verhilft, und wie der Zerfall desſelben zur Differenzierung der Schrift führt. a man anderswo Ähnliches beobachtet hat, fo ergibt ſich daraus für die Darſtellung der Schriftgeſchichte der Begriff des Rulturkreiſes als Grundlage. So wird man von einem ſumeriſchen und einem leinaltatit h-oioaitmeküntiiden Rulturkreiſe ſprechen dürfen, deren jeder in verſchiedne Schriftprovinzen zu zerlegen wäre. Innerhalb dieſer Kreiſe und Provinzen wären dann die Entwicklungen zu verfolgen.

Da im Altertume ebenſo wie Beate kein geſchichtliches Werden ohne Beziehungen zur Umwelt denkbar iſt, ſo iſt auch die Erfindung der Schrift ein Eräugnis, das wie ein Stein⸗ wurf ins ſtille Waſſer Wellen bildend wirkt und erſt an den Grenzen der Menſchenwelt zu wallen aufhört. Wir wiſſen noch nicht, wo die Begriffe zu Wortbildern, wo die letzteren

u Silbenzeichen geworden ſind, aber das eine iſt mir klar, daß bei der Unfähigkeit der Menſch⸗ beit ein in ſeinen Anfängen fo verwickeltes Gebilde wie die Urſchrift nur einmal erfunden worden iſt, und daß alles Weitere, die Entwicklung zur reinen Silbenſchrift und zum Buchſtaben nur eine Reihe von i und Nacherfindungen auf Grund fremder Dorbilder iſt.

Ich würde mit der Darſtellung der ſumeriſchen Schrift beginnen, die dem Aus- gangs unkte aller Schrift am nächſten zu ſtehen ſcheint. An diefe ſchließt ſich ein Bündel abn Ie augenſcheinlich mit ihr verwandter Schriften an, die Jenſen nicht erwähnt. Einiges davon verdankt man den Funden der Franzoſen in Sufa, die in den „Memoires de la Delegation en Perse“ niedergelegt ſind. Dieſe Funde find für die älteſte Geſchichte der Schrift und der Menſchheit wichtiger als alles, was uns Kleinaſien, Turkeſtan und der Sinai geliefert hat. Schon 1907 wies ich in der Orientaliſt. Cit.⸗Itg. (Sp. 522ff.) darauf hin, daß in Elam neben der ſumeriſchen d. h. weſtſumeriſchen Keilſchrift eine andere oſtſumeriſche gepflegt worden chr Zur Bekräftigung konnte ich auf Bd. VI der „Menpires“ verweilen, wo zwei neue Schriftſuſteme veröffentlicht worden waren. Das eine iſt eine noch unentzifferte Keilſchriftart, deren Formen (vgl. Nr. 911 bis 918, 927, 955 der Lijte) koſtbare Belege für den urſprünglich ideographiſchen Charakter der Keilſchrift ſind, die im Jenſenſchen Buche hätten abgebildet werden müſſen. Das andere iſt die Strichſchrift des Lullulandes, über die ich faſt gleichzeitig mit Jenſens Werke

Die Strichinſchriften von Suſa“ (Leipzig, an u. Seifarth, 1924) habe erſcheinen laſſen. Ich verſuche die Strichſchrift als Seitenaſt der Reilſchrift zu deuten, deren Formen auf einen vergänglichen Schreibſto f (Holz, Rinde) hinweiſen. Dazu kommt als vereinzelte Erſcheinung ein in Bd. X der , Mémoires“ abgebildeter Siegelabdruck mit ganz altertümlichen Zeichen formen, mit denen noch nichts anzufangen iſt.

Aber ſchon vor den Funden der Franzoſen waren Entwidlungsformen der Keil- ſchrift bekannt, die wegen ihres hohen Altertums eine Erwähnung bei Jenſen verdient hätten, die Monuments Blau und die in Cuneiform Texts, Bd. V unter 81—7—27 abgebildeten Jeichen, die teilweiſe von der weſtlichen Keilſchrift weit abſtehen, aber von ld ſind, weil jie in Babylonien der Gegenjtand gelehrter Forſchung waren. Es handelt ſich dabei um mehrere Schriftarten.

In der jetzt in Groningen befindlichen Peiſerſchen Contafelſammlung ift ein jüngeres Täfelchen mit ganz abweichenden Zeichenformen enthalten; noch unveröffentlicht.

Dieſe Tatſachen und andere, z. B. 145 das alteffe Denkmal der altelamiſchen Keil- ſchrift aus dem dritten Jahrtauſend vor Chr. ſchon diejenige Geſtalt der Keilſchriftzeichen trägt, die unmittelbar auf die ſpäteren Formen hinführt, zeigen, daß der gemeinſame Ausgangspuntt aller ſumeroiden Schriftarten noch um Jahrtauſende vor dem dritten Jahrtauſend vor Chr. liegen muß.

25*

Sp

388 Buchecbeſprechungen

An das oſtſumeriſche Schriftgebiet find zunächſt die Provinzen Ägypten und Tſchina anzugliedern. Conrady, dem ſich Jenſen anſchließt, hat freilich verſucht, die Boden⸗ ſtändigkeit der tſchineſiſchen Kultur und Schrift nachzuweiſen. Dieſes Unternehmen ſcheitert cr daran, daß Conrady und wohl ſämtliche Sinologen mit ihm die alten Nachbar:

Ituren im Welten nicht kennen. Infolge davon hat ihre Stimme genau ſolchen Wert wie die Behauptung eines im dunklen Keller Sitzenden, daß die Sonne nicht ſcheine. Das tſchineſiſche Ethnos iſt jo mit weſtlichen Elementen belaſtet, und die Kulturwege gegen jo klar erkennbar von Elam durch Aa hindurch bis zum präkolumbiſchen Amerika hin (vgl. §. Röck: Kalender, Sternglaube und Weltbilder der Toltelen als Zeugen verſchollener Kulturbeziehungen zur Alten Welt. Wien. 1922. Mitt. Anthropol. Geſ., Bd. LII), daß man über die ſelbſtſichere Genügſamkeit des Spezialiſtentumes nur lächeln kann. Die Un⸗ ordnung der tſchineſiſchen Schrift in Kolumnen von oben nat unten und dieſer von rechts nach links, die Ideogramme, Determinativa, die lautlichen Ergänzungen und die Silben⸗ zeichen finden igt genaues Gegenſtück in der ſumeriſchen und der ägyptiſchen Schrift. Das ift kein Zufall. Gar leichtlich wird der Stab gebrochen über den Verſuchen eines Terrien de

acouperie, Ball u. a., und doch haben ſie den hebel richtig angeſetzt, wenn ſie eich freilich die oſtſumeriſche Schrift noch nicht kannten. Der hiſtoriker der Schrift wird ſi

unächſt mit dieſer Konſtruktion begnügen müſſen, bis der Entlehnungsweg bis nach Amerita in durch Ausgrabungen in Iran, durch die Feſtſtellung der älteſten Zeichenwert> der

tſchineſiſchen Schrift, ei es durch umfaſſende Vergleichung von Namen mit weſtlichen

tſprechungen, ſei es durch ſprachvergleichende Unterſuchungen zu den Lauten, frei⸗ gelegt worden iſt.

Will man aber eine Geſchichte der Schrift ſchreiben, fo wird man auch die klein aſiatiſch⸗aigäiſch⸗küpriſchen Schriftarten altkretiſch!), kariſch (Ipfambul) die Zeichen des Diskos von Phaiſtos, die küpriſche Schrift es ſoll außer der bekannten Silbenſchrift noch Belege für eine ältere geben und Unveröffentlichtes ich kenne

B. zwei in Groningen befindliche Tafeln in zwei verſchiedenen Suſtemen, beide aus der eiſerſchen Sammlung an die ſumeriſchen Schriftarten anzuſchließen verſuchen. Der Hiſtoriker der Schrift muß dieſe Verſuchskonſtruktion wagen. Sie liegt um jo näher, als all die Völker, die wir hier im Beſitze eigener Schrift ſehen, wohl alle Glieder des kau⸗ kaſiſchen Stammes ier Die Trennung der kleinaſiatiſch⸗aigäiſch⸗küpriſchen Schriften: gruppe von der ſumeriſchen dürfte uns in eine ganz ferne Dorzeit verſetzen, als die Völker er Kaufafusraffe noch in ihrer Urheimat Iaßen, oder ſich anſchickten, fie zu verlaſſen.

Dieſe Urſitze anzugeben wird die Aufgabe der Prähiſtoriker ſein. Da man aber ſchwerlich auf eine ſofortige Antwort wird rechnen können, ſo ſoll im folgenden auf allerlei aufmerkſam ei werden, das zum Teil ſchon geſichert vorliegt, zum Teil erſt nach Jahren wird ausführlich begründet werden können. Die Urbevölkerung von Iran gehört einer, wahrſcheinlich ſogar zwei verſchiedenen ſchwarzen Raſſen an (vgl. Keleti Szemle, Bd. II, S. 161ff. und Mitt. Anthropol. Gef. Wien. XLVI. 1916. S. 199— 250). Sogar

in in den heutigen Kaukaſusſprachen gibt es eine ſtattliche Zahl von Wörtern, die auch

in ſüdindiſchen Sprachen auftreten (ogl. Memnon. Bd. IV, S. 40). In einer ſpäteren Arbeit gedenke ae die Beziehungen des Mitanniſchen, das zur Amarnazeit im nördlichen Meſopotamien geſprochen wurde, und das eine kaukaſiſche Sprache iſt, zu den drawidiſchen Sprachen zu behandeln, Es iſt ferner ſchon Gemeingut der Wiſſenſchaft, daß Dolfernamen wie Termilen, Cabal, Tibarener, Tapuren zum Eigentume der „Drawiden“ zu rechnen find, val. Dramila (= Drawida), Tamilen, Tapro-bane. Anſcheinend hat die ſchwarze Ur⸗ bevölkerung ‚die wir in Iran kennen gelernt haben, auch Kleinaſien erfüllt und wurde dann ſchrittweiſe von den aus Europa einwandernden Kaufafiern zurückgeſchoben und ele J bis nach Indien abgedrängt. Das hiſtoriſche Ergebnis dieſer Völkerſchiebungen iſt einerſeits die Bildung des drawidiſchen Sprachtupus, der trotz überall durchſchlagender fremder Weſensart, die dem altaiſchen Sprachtupus naheſteht, einen ſtarken kaukaſiſchen Einſchlag enthält, und andererſeits die Serfluftung der kaukaſiſchen Sprachen durch drawidiſche Einſchläge. Don den Indologen ſteht Sten Konow der Annahme einer vorderaſiatiſchen and der Drawiden ablehnend gegenüber. Freilich wird er ſchwerlich die ſprachlichen

eweiſe und die Maſſe der altvorderaſiatiſchen Menſchendarſtellungen kennen. Deshalb kann man darüber ee .

Ich muß auf dieſe Wanderungen zu ſprechen kommen, weil ſie mir den Schlüſſel zur Urgeſchichte der Schrift zu bieten ſcheinen. Serner dürften fie einiges Licht werfen auf allerlei ſchriftartige Funde in Europa, die unbeachtet in Jeitſchriften und Muſeen liegen, bis auch ihre Zeit einmal kommen wird.

1) Ich verweiſe auf J. Sundwall: Über die vorgriechiſche lineare Schrift auf Kreta. Ein Beitrag zur Geſchichte des ägäiſchen Gebietes im zweiten Jahrtaufend vor Chr. (Ofver: ſigt af Sinsta Detenifaps-Societet Sörhandlingar. Bd. LVI. 1915-1914. Afd. B. Nr. 1.

Bücherbeſprechungen 389

Ohne den Prähiſtorikern vorgreifen zu wollen, verſuche ich die Urſitze der Kau-

kaſier in die Jone des bandteramit en Stiles zu verlegen und verweiſe auf eine Beob⸗

achtung de Moraans, der in Suſa einen Stil gefunden hat, der an den bandkeramiſchen

en wih foll der Schichte angehören, mit der die Kultur des Landes beginnt, alſo wohl er ſumeriſchen.

Stellt man ſich die Kaufafier im Donaugebiete ſiedelnd vor, fo werden dadurch manche Tatjachen und Annahmen verſtändlicher. Wenn nämlich die Kaukaſier ihre euro⸗

diſchen Sitze aufgeben, fo werden fie einem Drucke nachgegeben haben, der von Norden he fam. Ich kann es mir nicht recht denken, daß es ſchon damals die nach Süden drängenden tier geweſen ſeien, ich vermute vielmehr Einwandererſtröme aus Afien, an oie Mittel⸗ meerraſſe und an die brünette Rurzkopfraſſe, die man die alpine nennt. Die weite Derbreitung der erſteren in Rußland (Rjäſanraſſe) ijt mir immer ein Rätfel geweſen, und ein neuerlicher Detjud), fie aus dem Süden von Europa einwandern zu laſſen, zeigt mir keine Töſung. So will ich gia Teile von Rußland als die relative Urheimat der Mittel⸗ meerraſſe anzuſehen. Durch einen Dorſtoß der alpinen Raſſe vermute ich, ſind einige Gruppen bis nach Südeuropa und Nordweſtafrika gedrängt worden. Daß die Alpinen die treibende Kraft waren, ſcheint mir aus ihrer Verbreitung nördlich der Alpen bis in das Zentralplateau Frankreichs hinein, hervorzugehen. Durch das ſpätere Dordrängen der Arier dürfte ihr Derbreitungsgebiet die eigentümliche Geſtalt erhalten haben. Bei einer dieſer Wanderungen wird ein Teil der Kaufalier bis nach Spanien mitgeriſſen worden ſein, der ſpäter als Glockenbecherleute nach Mitteleuropa ke und die Gegenden beſiedelte, die heute von der dinariſchen Raffe 5 iſt, in der ich die Kernraſſe der Kau⸗ kaſier zu ſehen glaube. Nach den Beobachtungen A. Dirrs iſt ſie im nordöſtlichen Kaulafus, im a a am ſtärkſten vertreten. ie kaukaſiſche Einwanderung in Afien mußte durch das hemmnis des Schwarzen Meeres in zwei Ströme zerlegt werden, über den Bosporus und über den Kaufajus, denen die zwei Schriftſtröme entſprechen. |

Es folgen Bemerkungen über einige mir näher liegende Abſchnitte. In Jenſens Ausführungen über die Keilſchrift vermiſſe ich die darwin der chaldiſchen und der mitanniſchen. Don der elamiſchen kennt er nur den letzten Ausläufer, die chöziſch e ak der Achamanidenzeit. WetBbadhs Anzaniſche Inſchriften und Neue Beiträge (Abhandl. Sächſ. Geſ. Wiſſ. Bd. XII, 1891 und XIV, 1894 und die Bände der „Mémoires““ nebſt der Literatur darüber, vgl. G. hüſing, Quellen I, S. 37—40) kommen nicht zu Worte. Als älteſte elamiſche Inſchriften werden nach C. Frank die Strichinſchriften aus Suſa genannt, die gar nicht dahin gehören. Der grundſätzliche Sortichritt der elamiſchen Esche zum Sünfvokalſuſteme unter Zuſammenlegung der Stoßlaute und die gleiche Erſcheinung in der mitanniſchen und hättitiſchen Reilſchrift werden nicht erwähnt. hätte auch angedeutet werden können, daß ſich die elamiſchen Silbenſchließer teilweiſe bis zum ein 1 0 Schlußkonſonanten entwickelt haben. Jenſens Bemerkung, daß ſich „bei einem Fünftel der Zeichen der babuloniſche Urſprung nicht verkennen wie ift unzu⸗ treffend. Die ae elamiſchen Inſchriften weichen nur a ee in ihren Are formen von den babuloniſchen ab. Ihre weitere Entwicklung aber kann man über die mittel⸗ elamiſchen Formen bis zu den choziſchen faſt lückenlos verfolgen.

Am wenigſten einverſtanden bin ich mit dem Übſchnitte über die perſiſche Reil⸗ ſchrift. Ich vermiſſe hierin den Namen des Gelehrten, der die grundlegenden Tatſachen erarbeitet Rae G. hüſings, und die Darſtellung des letzteren. Schon in ſeiner Diſſertation „Die iraniſchen Eigennamen in den Achämenideninſchriften (1897) hatte er die Frage der Lautwerte der perſiſchen Keilichrift behandelt. Aus fremdoͤſprachlichen Widergaben Lale er u. a. geſchloſſen (S. 26ff.), daß das bisher mit u umſchriebene Zeichen in gewiſſen

allen den Lautwert hv hat. Dazu kam die Lindnerſche Feſtſtellung, daß es auch den Wert hu hat. Damit war der Grund gelegt zu der Ableitung der altperſiſchen Keilſchrift aus einer unbekannten nordelamiſchen. Die ſich daraus ergebenden hiſtoriſchen Sragen, nämlich die Übernahme des Suſtemes im Maderlande und feine Derwendung und Um⸗ geſtaltung durch die Perſer wurden behandelt in Orientaliſt. Lit.⸗Itg. 1900, Sp. 401ff. und 1908, Sp. 365 ff. Die Ableitung der altperſiſchen Zeichen aus der verlorenen, immerhin aus der babylonijden hervorgegangenen und deswegen nicht völlig unbekannten Urform wurde angebahnt durch die verſuchsweiſe Zeichnung der Entwicklung des Zeichens hu, hv, u aus dem gemeinkeilſchriftlichen Zeichen chu (Orientaliſt. Lit.⸗Itg. 1911, Sp. 515ff.). Wer fein Auge an der elamiſchen Schrift und ihren krauſen Wandlungs möglichkeiten ger Kr hat, dem wird es nicht ſchwer fallen, auch andere Jeichen wie ba, di, du, mu, gi, gu abzuleiten.

Wir kommen zum Mittelalter der Schriftentwicklung, d. h. der Zeit, da die Buch⸗ ſtabenſchrift entſtand. Don hier ab wird das Buch zu dem, was es fein möchte, einer Ge- ſchichte der Schrift. In dieſen Abſchnitten liegt die Stärke des Werkes.

390 Biidherbefpredjungen

Wenn der Derfaffer auf $.115 aud) hommels Derſuch erwähnt, aber den kos⸗ mologiſchen Einſchlag bei der Bildung des Alphabetes ablehnt, ſo iſt damit die Sache nicht en. Die Verwendung der Budjtaben zu Wahrſagezwecken läßt dieſe Frage doch in anderem Lichte erſcheinen. Arbeiten wie Wolfgang Schultz: Das hakenkreuz als Grund⸗ zeichen des weſtſemitiſchen Alphabetes (Memnon, Bd. III), E. Stucken: Der Urſprun des Alphabets und die Mondſtationen, Leipzig 1913 und eine Schrift von Dornſeiff: Das Alphabet in Muſtik und Magie, Leipzig 1922 verdienten Berückſichtigung.

. Auffällig ijt die ſchnelle Derbreitung der Schrift in der Aigatis. Auch hier wird das Umſichgreifen der Schrift abhängen von dem Beſtehen eines Großſtaates, vielleicht im Bereiche des öſtlichen Mittelmeeres.

. ber die Neuzeit der Schrift, d. h. die weiteren Derdftelungen der Buchſtaben⸗ ſchrift bis zur modernen Kurzichrift möchte ich mich nicht kritiſch eſchicht⸗ und nur auf einige Lücken hinweiſen. Ich vermiſſe z. B. A. Meng: Beiträge zur Geſchichte der antiken 7 (Rhein. Muſ. 1913, S. 610 630); derſelbe: Zwei Stenographieſuſteme des ſpäteren Mittel⸗ 5 amtl. Zeitſchr. d. Kgl. Stenogr. Candesamts zu Dresden, 1912,

r.

g Der Abſchnitt über die Runen enthält alles irgend Weſentliche. Er entſcheidet ſich ſchließlich für O. von Frieſens h aus dem griechiſchen 92 abet. Inzwiſchen it Wolfgang Schultz eitrechnung und Weltordnung“ (Mannus⸗Bibl. 35) und mein

erſuch (Mannus 16, S. 127ff.) erfchienen. W. Schultz hat mein Ergebnis, die Ableitung aus dem römiſchen Alphabete, abgelehnt, weil ich bei 12, d. h. bei der hälfte der Zeichen ſprunghafte Umſtellungen und Verſchiebungen annehmen müſſe. Zunächſt habe ich nur bei ſechs Zeichen eine „ſprunghafte“ Umſtellung vermutet, und zwar, weil mich der Augen: ſchein lehrte, daß der Bildner des Sutharc Ähnliches zu Ahnlihem hat ſtellen wollen. Schultz überſieht, daz ſolches in der Geſchichte der Schrift nicht ganz ungewöhnlich ijt; jo hat die arabiſche Schrift aus Gründen der Ähnlichkeit neun und aus grammatiſchem Grunde drei weitere Zeichen umgeſtellt. Da die alten Jahlenwerte an den Zeichen haften ne find, fo iſt gar kein Zweifel möglich, daß es ſich jo verhält, wie eben gejagt wurde.

as Ergebnis dieſer Umſtellung ift nun, daß nur die beiden eriten Buchſtaben Alif und Ba an net Stelle geblieben ſind. Nehmen wir einmal an, wir hätten ders unzureichende Kenntnilje vom klrabiſchen und feiner Schrift, und ich hätte auf Grund der übrigen ſemiti⸗ ſchen Alphabete die urſprüngliche Reihenfolge der Buchſtaben wieder hergeſtellt: wie würde ſich Wolfgang Schultz dann wohl über meinen Derſuch Aae en haben?

Ich bred hier ab. Da ich faſt fürchten muß, daß meine Bemerkungen dem Buche abträglich ſein könnten, ſo betone ich nochmals, daß ich es für eine wertvolle Bereicherung des wiſſenſchaftlichen Schrifttumes halte, für eine Leiſtung, die ihrem Verfaſſer nur zur Ehre Ten wird.

Der Druck und die Ausftattung find vorzüglich.

Königsberg i. Pr. Serdinand Borf.

Dr. von Buttel⸗Reepen, aller Leiter des Mufeums Oldenburg. Über Senfterurnen. Sonderdruck aus dem „Oldenburger Jahrbuch“ des Dereins für Hltertums kunde und Landesgeſchichte XXIX (der Schriften 48. Band), Jubiläumsausgabe 1925. Druck und an von Gerhard Stalling, Oldenburg. .

Is eine Dankesſchuld dem bekannten Oldenburger Forſcher §. v. Alten gegenüber hat der Derfajjer die eigenartigen Senjterurnen aus der ſpätrömiſchen Zeit und der Dolter- wanderungszeit in Arbeit genommen, die einſtmals beſondere N, verſchiedener Gelehrter, ſo auch v. Altens, fanden, dann aber, da man keine Möglichkeit ſah, ſie in ihrer vollen Bedeutung zu erkennen, etwas in den Hintergrund traten, bis kürzlich M. Jahn 15 der Zeitſchrift „Altſchleſien⸗“ eine neue Deutung auf Grund eines neuen ſchleſiſchen

undes hin einigen dieſer Gefäße gab. Der Verfaſſer hat in mühevoller Literaturarbeit und in offenbar zäher Sragearbeit, durch die nun auch die verſteckteſten Stücke herangezogen find, die Senfterurnen auf 72 Seiten mit 58 Abbildungen beſchrieben; der Dollſtändigkeit wegen find auch die falſchen Seniterurnen nicht übergangen worden. Sorgfältig und ab⸗ wägend ſtellt ſchließlich der Verfaſſer die Ergebniſſe der Senſterurnenforſchung dar. Die

Arbeit wird als ſichere Grundlage für die Sorſchung ihren ſtändigen Wert behalten. Der:

jagt hat es ſich der Derfafjer, weitere Schlülle zu ziehen, trotzdem ſchon ange auf Grund

der Zuſammenſtellung naheliegen. So wollen wir hoffen, daß der Derfaljer nicht nur

„vielleicht“, ſondern „beſtimmt“, nicht „ſpäter“, ſondern „möglichſt bald“ als Nächſtberufener

auf dieſen Gegenſtand zurückkommen wird. Wir ſchöpfen dieſe hoffnung auch aus dem

Wunſche des Derfaſſers, der hier gern weitergegeben wird, daß ihm Mitteilungen über

etwa noch fehlende Fenſterurnen zugeſtellt werden.

Halleya. S. Walther Schulz.

Bücherbeſprechungen 391

Summel, Hans, Aus Pommerns . 1 Eine Einführung in ihre Erforſchung. 8 Kauf. 1 0 1 9. Band.) K. Moninger, Greifswald 1925. Gr. 8°, 68 S., a itelbild.

Der Inhalt des Büchleins legt den Nachdruck auf den Untertitel. Mit unleugbar ea pädagogiſchem Geſchicke und mit vertrauenerweckender Vorſicht find Weſen, Arbeits⸗ weiſe und Erkenntnismöglichkeit unſerer Wiſſenſchaft dargeſtellt und an Beiſpielen aus der pommerſchen Dorgeſchichte erläutert. Dabei fällt natürlich vieles über die Vorzeit des Landes ab, und die Tafeln zumal werden auch dem Fachmann ſehr willkommen fein. Dor allem kann das Werkchen den heimatkundler, für den es in erſter Linie beſtimmt iſt, aut rechten ulfallung unſerer Arbeit erziehen und ihm das weite Gebiet, aber auch des weiten Gebietes Grenzen e auf dem er zur Mitarbeit als 195 völliger Fachmann be⸗ rufen iſt. Denn allzuſehr iſt ja noch großenteils auf Grund falſch verſtandener Fach⸗ peröffentlichungen die Meinung verbreitet, die Beſchäftigung mit den Altertümern und dieſe an ſich ſeien Selbſtzweck unſerer Tätigteit, eine Unſchauung, die zu unſerem Schaden in unvernünftigen heimat⸗ und Schulſammlungen ſich auswirkt. Gummel führt in die Werkſtatt der Sorſchung hinein und zeigt auf, was darin Arbeitsgerät, was Halb⸗ und Sertig⸗ ware und was das Ziel iſt. Man bedauert einigermaßen die provinzielle Seſſel, die dem Büchlein anhaftet. Es wird dadurch manchem auswärtigen Freunde der Vorgeſchichte entzogen, und bei etwas weiter ausgreifender Saſſung hatte es doch eine längſt gefühlte Lüde in unſerem allgemeinen Schrifttume aufs beſte ſchließen können. Immerhin wird man es auch ſo ſchon jedem, den man au verſtändnisvollen Mitarbeit heranziehen oder wenigſtens vom Werte und der Juverläſſigkeit unſerer Wiſſenſchaft überzeugen möchte, gern in die pie geben, wie es aud) dem jungen Studenten zur erjten Einführung gewiß manches zu jagen hat.

Stettin. ©. Kuntel.

fl. Haas (Stettin), Burgwälle und hünengräber der Inſel Rügen in der Volks- fage. Stettin, 1925. I. Burgwälle.

In der Einleitung betont der Derfaſſer, daß auf Rügen gegen 30 vorgeſchichtliche Burgwälle und Schanzwerke vorkommen. Es laſſen ſich hoch = und pft tee nun ein ann Erſtere herrſchen auf der Infel vor. Für den Prähiſtoriker knüpft ſich nun ein beſonderes Intereſſe an die Burgwälle, die einſt ſlawiſche Tempel trugen. hierzu gehören die Jaromarsburg zu Arfona, die herthaburg und andere mehr. Mündliche Überlieferung berichtet von dem jetzt öden Wall der alten Jaromarsburg, daß er urſprünglich mit dichtem Wald beitanden ſei. Dies wird durch Urkunden vom Jahre 1193 und Funde alter Stubben beſtätigt. Bekanntlich 9995 zum Dienſte Swantewits ein weißes Leibroß. In der Dolts- ſage lebt es weiter. Zum Dienſte des Gottes gehörten noch zahlreiche berittene Götzen⸗ diener. Eine alte Sage meldet nun, daß auf dem nahen Gute Smantevitz (urſprünglich ſoll es Swantewitz geheißen haben) 60 Schimmel gehalten worden ſeien. Dieſe Sage hat offen⸗ bar einen wahren Hern. .

Aus der Fülle der Burgwälle, an die ſich alte Überlieferungen knüpfen, ſei noch der von Capelle bei Sagard erwähnt, weil yier die Tempelburg des Götzen Pizama ſtand. Der Burgwall hietz urſprünglich Jasmund, nach Einführung des Chriſtentums wurde 155 eine Kapelle errichtet, die hon 1250 urkundlich erwähnt wird. An den heute noch trefflich er⸗ haltenen Burgwall von Garz knüpfen ſich eine gende Fülle von Sagen. Nicht verwunder⸗ lich, denn dort ſtanden ja auch drei heidentempel, die 1168 zerſtört wurden.

Hier darf vielleicht darauf hingewieſen werden, daß man über das Alter der Rügen⸗ ſchen Burgwälle ſehr ſchlecht unterrichtet iſt, da Haba Grabungen feblen. Auf manchen, 3. B. dem Garzer, findet man ſlawiſche Scherben in Menge, aber follte es nicht ſehr viel früher ſchon Seſtungsanlagen auf Rügen gegeben haben? Die gewaltigen ſteinzeit⸗ lichen Feſtungen aus der Gegend von Neu-Wied im Rheinland und die erſtaunliche Höhe der ſteinzeitlichen Kultur Rügens laſſen dieſen Gedanken berechtigt erſcheinen.

II. hünengräber.

Zunächſt weiſt der Autor ſehr mit Recht auf den troſtloſen Umſtand hin, daß die Zahl der hünengräber feit den Tagen des verdienſtvollen Hagenow, der vor 100 Jahren rund 2000 zählte, um die hälfte zurückgegangen. Nicht nur auf Rügen, ſondern in ganz ene e gehen dieſe unerſetzlichen Wahrzeichen germaniſcher Dergangenheit zurück.

Um zu zeigen, daß die Erinnerung an vorgeſchichtliche Gräber durch Jahrtauſende erhalten bleiben kann, nennt A. haas das berühmte Beiſpiel vom Reſſelwagen aus

392 Bücherbeſprechungen

Peckatel im nahen . und verweiſt auf eine Stelle bei Alt-Rebdewiß, im Dolks⸗ munde „Kirchhof“ genannt. Chriſtliche Beſtattungen fanden hier nie ſtatt, aber es finden ſich Urnen aus ſlawiſcher und älterer Zeit.

Der Derfaller unterſcheidet: Geſchichtliche Sagen, Riejen-, a und Spukſagen.

Bei Prosnitz befinden ſich drei hünengräber dicht beieinander, „Prosnitzer himmel“ genannt. In dem mittleren ſoll der herzog und nebenan ſeine Gemahlinnen ruhen. Ferner wird überliefert, daß in den ſteinzeitlichen Gräbern zu Quoltitz ener Landesfiirjten be⸗ oe Jind. Leider find die Graber von Quolti zum Teil zerſtört. Das größte Hiinen- grab Rügens, der türmende Dobberwort Sante = Gutenberg), wird von rig Gk zwerg⸗ und Spukſagen umwoben. Die intereſſanteſte meldet von einem vergeblichen Ver⸗ ſuch, den Berg abzufahren. Als eine warnende Stimme aus dem Berg ertönte, ſtand der Edelmann von ſeinem Vorhaben ab. Die Erzählung von der warnenden Stimme ſpricht dafür, auf der Dobberwort zu den heiligen Stätten des Landes gehörte.

Auf der halbinſel Mönchgut zwiſchen Baabe und Alt-Reddewik (an der Duchten⸗ koppel) liegt ein hünengrab, an das ſich manche Spukgeſchichte knüpft. Im Volksmunde wird es er 0g ga genannt. In den Jahren 1921—1925 wurde es von dem Rügen: ſchriftſteller Worm und mir unterſucht!). Da zeigte es ſich, daß Urnen der älteren Eijen- zeit (vielleicht auch eine jun ee e, unmittelbar in Anlehnung an die Steine des Grabes beigeſetzt waren. Die Kenntnis dieſes e das bei der Husgrabung faſt ganz von Erde bedeckt war, muß alſo mindeſtens bis in die ältere Eiſenzeit gedauert haben und die Bezeichnung „Herzogsgrab“ ſpricht 15 Überlieferungen bis in die Gegenwart.

In unſerer ſchnellebigen Zeit gehen alte Sagen ſehr leicht verloren. Darum iſt es ein bleibendes Derdienft von A. haas um heimat und Wiſſenſchaft, alte Überliefe⸗ rungen, die ſich an Burgwälle und hünengräber knüpfen, aufgezeichnet zu haben.

Greifswald. Profeſſor §. Klinghardt.

Götze⸗Feſtſchrift. Studien zur vorgeſchichtlichen Archäologie. Alfred Götze zu ſeinem 60. Geburtstage dargebracht von Volle en, Freunden und Schülern, in deren Auftrag herausgegeben von hugo Mötefindt. Leipzig 7 Kabitzſch) 1925. XVIII und 247 Seiten mit 19 Tafeln und 276 Textabbildungen. RM. 16.—, geb. RM. 19.—

Profeſſor Götze iſt ein angeſehener Vertreter der glücklichen Generation von Dor⸗

eſchichtsforſchern, die die Heburtsſtunde der deutſchen Dorgeſchichte als exakter Wiſſen⸗ chaft miterlebt und ihren allmählichen flufſchwung bis zu ihrer jetzigen höhe mit erſtritten aben. Er kann ſich rühmen, als erſter Deutſcher mit einer Differtation, die ein rein vor⸗

e Stoffgebiet behandelt, den Doktorhut errungen zu haben. Zu ſeinem 60. Ge⸗

urtstage haben ſich auf Anregung des herausgebers, deſſen Bemühungen um dieſes

Werk beſonders anzuerkennen ſind, 32 Mitarbeiter, darunter acht Ausländer, zuſammen⸗

getan, um ihm dieſe ſtattliche literariſche Jeſtgabe zu widmen. Eine vom Herausgeber ver:

faßte Zuſammenſtellung der Deröffentlihungen des Jubilars gibt einen Überblick über die reichen Ergebniſſe der 35jährigen Forſchertätigkeit Götzes.

Unter den Aufläßen der Sejtichrift nehmen entſprechend dem engeren Arbeitsgebiet Götzes (Thüringen, Brandenburg) den Hauptteil Bearbeitungen von mittel⸗ und norddeutſchen Funden ein. Eine dankenswerte, bilderreiche Zuſammenſtellung der ſchnurkeramiſchen Sunde des Altenburgiſchen Oſtkreiſes gibt mende (Altenburg). Der ebenſo rührige wie gewiſſenhafte Forſcher erweitert und vertieft hier ſeine früheren Bear⸗ beitungen dieſes Stoffes. Sprodhoff (Berlin) gibt einige Gefäße der Oder⸗Schnurkeramik aus Pommern bekannt, welche Provinz bisher recht wenig an Steinzeit pen aufzuweiſen hat. Er glaubt bei einem ſchnurverzierten Gefäß aus einem jüngſt durchgrabenen aan: grab Rügens einen Zuſammenhang mit der thüringiſchen Schnurkeramik feſtſtellen zu können und mißt den Handels- und Kulturbeziehungen der mitteldeutſchen Schnurkeramiker nach Oſten große Bedeutung bei. Stimming (Großwuſterwitz) veröffentlicht eine ganze Reihe ſchöner ſteinzeitlicher Sunde feiner Sammlung aus den Kreiſen Havelland, Jerichow und merſeburg. Einen für Schleſien einzigartigen Fund der frühen Bronzezeit aus Kuttlau Kr. Glogau, der ſich ſeit 1902 im Berliner Muſeum befindet, bearbeitet Seger (Breslau). Er weiſt den nordiſchen Charakter beſonders des Dolches und Stabdolches aus dem Sunde, der doch innerhalb des Aunjetitzer Kulturfreijes liegt, nach. Offenbar liegt me das Grab eines nordiſchen Führers vor, der bei einem Doritoß 2 Süden feinen Tod fand und mit feinen Waffen in ſchleſiſcher Erde beſtattet wurde. Mit der älteren Bronzezeit Oſt⸗ deutſchlands hat ſich die Forſchung in den letzten Jahren beſonders fruchtbringend be⸗ ſchäftigt Zuſammenfaſſende Sundinventare dieſer Zeit find für die Gebiete von Poſen und Schleſien vorgelegt worden. Erfreulich iſt es, daß Buchholz (Landsberg a. W.) in

1) Mitteilungen d. Samml. Daterländ. Altert. Heft 2, Greifswald 1925 (im Drud).

Bücherbeſprechungen 393

der ne eine ähnliche Zuſammenſtellung mit Abbildungen für die Neumark bringt und mehr als 50 einichlägige Sunde nachweiſen kann. Näher eS. er ſich mit einem ſeltenen Bronzedolch aus Cladow, für den er Vorbilder aus England anführt. hinden⸗ burg (Großbeeren) veröffentlicht einen intereſſanten Depotfund der älteren Bronzezeit aus Vorpommern und Ebert (Königsberg) vervollſtändigt in dankenswerter Weile die bisher e Lifte der oſtpreußiſchen altbronseseitlichen Sunde, deren Derbreitun er auf einer Karte kennzeichnet. Einen Depotfund der jüngeren Bronzezeit aus der Mar legt Kiekebuſch (Berlin) mit guten Abbildungen vor, während Ca Baume (Danzig) weſt⸗ und oſtpreußiſche Bronzezierſcheiben der jüngſten Bronzezeit auf ihre Herftellungs» weiſe hin prüft und zu dem Ergebnis kommt, daß es Erzeugniſſe einer lokalen Bronzeguß⸗ methode find. In die frühe Eiſenzeit führen uns die folgenden vier Aufſätze, von denen Cienau (Srankfurt a. O.) einen ſeltenen Bronzering aus einem Grabe von Lebus im Oderniederungsgelände behandelt. An ſeiner verſchiedenartigen Patinierung innen gran: außen roftbraun; vgl. die ausgezeichnete farbige Wiedergabe auf Tafel 13 weift et Verfaſſer ſcharfſinnig nach, daß der a zuerſt in trockenem Boden ey ae wurde. Später muß die ihn und die übrigen Grabbeigaben umgebende Erdſchichtf längere Zeit von eiſenhaltigem Moorwaſſer durchtränkt geweſen fein, bis ſchließlich die Schicht wieder ee und trocken wurde. Die zeitweilige „Erſäufung“ der Grabſchicht führt ienau auf den vorchriſtlichen Rlimaſturz zurück, der im Odergebiet den Grundwaſſer⸗ ſpiegel beträchtlich hob. Reſte einer „verlorenen Gußform“ für einen maſſiven Bronze⸗ ting mit Zinnen von einer Gießerwerkſtatt in Gpitz Kr. Ziegenrück veröffentlicht Auerbach 15 Die a die Geſchichte der Bronzegußtechnik recht wertvollen Stücke konnten nur deshalb der Zertrümmerung nach dem ik entgehen, daß der Guß offenbar mißglückte. Mit Recht tritt der Derfaſſer auch für die Wahrſcheinlichkeit ein, daß die Kupfer⸗ und Zinnerze der mitteldeutſchen Bergländer im Laufe der Bronzezeit ausgebeutet wurden. Eine bilder⸗ reiche Juſammenſtellung der bemalten Tongefäße der Oberlauſitz bringt Seyerabend (Görlitz) und erweitert Sanit ſeine vor 20 Jahren erſchienene Arbeit gleichen Titels. Bei dem Dergleicy mit der früheiſenzeitlichen Kultur Schleſiens ne er, auf Grund überholter klufſtellungen von Mertins, fälschlich Gefäße der Perioden IV und V heran (Abb. 19—21). Er hält die bemalten Schalen für Nachbildungen von Metallgefäßen. Wenn auch Metall⸗ fach wohl ſicher bei ihrer Entſtehung von Einfluß geweſen ſind, ſo iſt es doch methodiſch alſch, ſie von germaniſchen Goldgefüben der Periode IV berzuleiten, die innerhalb der Laujiger Kultur nicht nachweisbar und außerdem fait ein halbes Jahrtauſend älter find. Völlig neuartig iſt die Beſtattungsweiſe von ſpäthallſtattzeitlichen Gräbern bei Gotha, die Slorſchüt (Gotha) bekannt gibt. Ihre Beigaben (Wendelringe, Steigbügelarmringe, ſüddeutſche Sibeln) find tupiſch keltiſch; fie liegen aber nicht in für die Kelten charakteriſti⸗ ſchen Skelettgräbern, ſondern bei Brandbeſtattungen (Rnochenhäuſchen in reiner Erde!) Slorſchütz möchte nun auf Grund dieſer Beſtattung die Gräber Germanen zuſchreiben, die keltiſchen Schmuck übernommen hätten. Gotha liegt aber nicht in einem re in dem früher Germanen ſaßen und in das die Kelten zur frühen Eiſenzeit vorſtießen, wie der Derfaffer anzunehmen ſcheint. Die Gräber können nur Kelten bergen, die aus⸗ nahmsweiſe eine ganz un ss Mi Beitattungsform ausübten; denn diefe entſpricht ja auch nicht völlig der Grabſitte der nördlicher ſitzenden Germanen, welche meines Wiſſens den Leichenbrand in Urnen beizuſetzen pflegen, nicht in vergänglichen Umhüllungen. In die nachchriſtliche Zeit führt uns die Deröffentlichung zweier kaiſerzeitlicher Sunde der Cauſitz von Jahn (Breslau). Die Gräber gehören der burgundiſchen Ku e an, über die ſich der Verfaſſer kurz ausläßt. Eine ganz 1 archivaliſche deckung veröffentlicht Almgren (Upſala), nämlich eine alte, in Stockholm befindliche Beſchreibung und Zeichnung eines Runenfteines von Drewoldke auf Rügen. Die Inſchrift lautete wahr⸗ e „Grima und Alfa errichteten dies Denkmal über Ulf.“ Ein faſt gleichlautender unenſtein aus der Zeit um 1000 nach Chr. iſt aus Südſchonen bekannt. Offenbar beſtand damals eine däniſche Kolonie auf Rügen, die bei Drewoldke Grabhügel und Grabſtein errichtete. Schließlich iſt noch eine ſehr dankenswerte Arbeit aus Mitteldeutſchland zu er⸗ wähnen, ein vollſtändiges Inventar der vor⸗ und frühgeſchichtlichen Altertümer des Umts⸗ Römhild, das der eifrige Mitarbeiter Götzes bei der Unterſuchung der teinsburg auf dem Gleichberg, Kade (Römhild) zuſammengeſtellt hat.

Aus Süddeutſchland liegen drei Beiträge vor. Paret (Stuttgart) erklärt das mehrfache Vorkommen von Steinbeilen tief im württembergiſchen Schwarzwald, wo ſtein⸗ 5 Aderbau ausgeſchloſſen ijt und auch nachſteinzeitliche Sunde fehlen, mit dem

ort anſtehenden Feuerſtein, der offenbar au Steinzeit gewerbsmäßige Steinjammler anlodte. Im gleichen Gebiet liegen zwei Ringwälle, 150 aus geſchichtlicher Zeit, die Goeßler (Stuttgart) behandelt. Eine Karte der jungbronzezeitlichen nach Reineckes Einteilung früh e ſüdbayeriſchen Urnengräberfelder bringt Wagner (münchen) in ſeinem Beitrag, in dem er einige neue Schwert- und Sibelfunde vorlegt.

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Oſterreich iſt durch eine Aufführung der paläolithiſchen Sunde von Stillfried durch Sranz Don) vertreten. Aus Holland une Holwerda (Leiden) über eine germaniſche

empel⸗ und Begräbnisſtätte aus dem Beginn unferer Zeitrechnung und glaubt auch in a er ger Anlagen, die er mehrfach unmittelbar neben anderen Urnenfeldern fand, heilige Haine erkennen zu können. Skandinavien ſteuert vier Beiträge bei. Kjaer (Kopenhagen) veröffentlicht die auffallend gut erhaltenen Reſte eines germaniſchen Hauſes von Nordjütland aus der Zeit um Chriſti Geburt, die eine äußerſt glückliche Bereicherung unſerer Kenntniſſe des hausbaues bedeuten. Sarauw (Göteborg) nimmt einen ſüd⸗ ſchwediſchen Moorfund von zwei aus Walroßpenisknochen gearbeiteten Keulen zum Anlaß, um auf ähnliche, viel verkannte norddeutſche Stücke hinzuweiſen, die kaum vorgeſchichtlich find. Arne (Stockholm) beſpricht einen wertvollen gotländiſchen Münzfund des 11. Jahr: hunderts, während Rydh (Stockholm) eine zuſammenfaſſende Darſtellung und eine Karte der Verbreitung deutſcher Münzen in den Funden aus der Wikingerzeit Schwedens liefert. Hackman (helſingfors) ſtellt eine Gruppe eigenartiger Beſchlagſtäbe der jüngſten Eiſenzeit, deren Bedeutung nicht völlig geklärt iſt, aus Finnland und den umliegenden Ländern zu⸗ fammen. Tallgren (helſingfors) ſchneidet die wichtige und umſtrittene Frage der Jeit⸗ ſtellung der 1 Metallkulturen Südrußlands an und verſucht durch Vergleich von Perlen und anderen Grabbeigaben das Derhältnis der Odergraber, der Kubaner Großkurgane und der mittelruſſiſchen Gruppen zu klären. Die ſüdruffi en Ockergräber bilden nach ihm den Schlüſſelpunkt für unſere Kenntnis der Bronzezeit Oſteuropas. Aus den neuerdings ſtärker in den Geſichtskreis der Horgeldiichtstorfhune getretenen oftafiatifden Kulturen bietet Gandert (Berlin) einen dankenswerten Beitrag durch Veröffentlichung von Jung: ſteinzeitfunden Sibiriens, die ſich in der oſtaſiatiſchen Abteilung des Berliner Muſeums befinden. Menghin (Wien) wiederum weiſt die Entſtehung eigenartiger bulgariſcher Gefäße mit Athen t aus Dorformen der cle und Elgebraſſe fein eben Kultur nad. Dörpfeld (Athen) berichtet über die Ziele und Ergebniſſe feiner vorjährigen Grabung bei Troja. Mötefindt (Wernigerode) erweitert feine früheren Ausführungen über die Geſchichte der Schraube durch Aufzählung der ihm weiterhin bekannt gewordenen früh: geſchichtlichen Gegenſtände mit Schraubengewinden.

Zum ders ei der Beitrag von Reinecke (München), Zur Geſchichte der älteſten Sibeln, beſonders hervorgehoben, da dieſes Thema viel umſtritten worden iſt, vor allem aber, weil der Derfaſſer, einer der kenntnisreichſten Vertreter unſeres Sachs, es unternimmt, das faſt allgemein anerkannte chronologiſche Suſtem von Montelius zu ſtürzen. Im Ein⸗ gang Seiner Studie lehnt Reinecke offenbar mit Recht die frühe Zeitſtellung einer kürzlich von Ekholm veröffentlichten Sibel aus Gemeinlebarn (Niederöſterreich), die in einem Grabe der Periode I gelegen haben foll, ab und fett fie in die Periode IV (= Reinecke, Hallftatt A). Diele neue Sibelfunde in Italien, beſonders aus Sizilien und Unteritalien, zeigen nach Reinecke, daß die älteſten italiſchen Sibeln einer von ihm „Frühvillanovaſtufe“ . Epoche angehören, die etwa dem Schluß der Periode III und Anfang der Per. IV

es nordiſchen Chronologieſuſtems von Montelius entſpricht. Der bisher als Urform der italiſchen Sibel angeſehene Typus mit Schlußſpirale am Nadelhalter kommt nur in Nord: italien vor und iſt eine „relativ junge“ Nebenform innerhalb der Epoche. Die Entſtehun der italiſchen Sibel iſt nach Reinecke nicht im Norden, ſondern nur in Süditalien viel⸗ leicht ſogar in Griechenland möglich. Ja, er leitet die nordiſche zweiteilige Sibel, die nach allgemeiner Unſchauung bereits in der Periode II (montelius) aufkommt, von der italiſchen ab. „Der Norden wiederholt techniſch recht unbeholfen einen einzigen der drei im Srühvillanovakreiſe Italiens nebeneinander vorhandenen Sibeltypen“. Die jetzt faſt allgemein anerkannte, ſelbſt von S. Müller geſtützte Ableitung der nordiſchen Fibel von Nadeln mit durchlochtem hals, die in überzeugendſter Weiſe von Koſſinna tupologiſch dar⸗ gelegt worden iſt, weiſt Reinecke als „techniſch⸗theoretiſche Erklärung“ ab. Der Zeitſtellung nach wird die Herkunftstheorie Reineckes überhaupt erſt dadurch möglich, daß er verſucht, das Alter der älteren Bronzezeit des Nordens beträchtlich herabzudrücken. Er folgt völlig den Spuren von S. Müller, deſſen Sucht, die nordiſchen Kulturen gegenüber den mittel⸗ ländiſchen zu verjüngen, bisher nur in Reinecke einen Derteidiger, ſonſt aber Kae Ablehnung gefunden hat. Auf Grund einiger Fundverknüpfungen zwiſchen Süddeut 80 land und dem Norden, ſowie feinem für Süddeutſchland aufgeſtellten Suſtem glaubt Reinecke das Ende von Montelius Periode I auf etwa 1200 vor Chr., alſo 400 —500 Jahre [pater als die übliche auf Montelius fußende Datierung, anſetzen zu können. Es kann hier nicht näher auf dieſe Fragen eingegangen werden. Ich weiſe nur darauf hin, daß die Chronologie der älteren Bronzezeit, die Reinecke auf Grund der ſchmalen Verbindungen zwiſchen dem Norden und Süddeutſchland aufitellt, bei ihrer weiteren Anwendung ait andere Ge⸗ biete meiner Meinung nach zu Unmöglichkeiten führt. Eine beſonders augenſcheinliche Unmöglichkeit in Reineckes Suſtem (ſiehe 3. B. Germania 1924, S. 43) iſt feine Annahme, daß der jungſteinzeitliche Marſchwitzer Typus Schleſiens jünger fei als die frühbronze⸗

Bücherbeſprechungen 395

jene Aunjetiger Kultur! Es ſoll nicht verkannt werden, daß die abſolute Chronologie lord⸗ und Mitteleuropas noch ſich he Klärung bedarf und che Fea diefer Klärung vor allem die Sorfder berufen find, die ſich hauptſächlich mit den Mittelmeerkulturen beichäftigen. Wir unterſchreiben durchaus den Satz Reinedes: „Selbſt wenn manches Dorurteil dahin⸗ ſchwindet. . ., fo darf das nicht abhalten, fid) immer wieder ernſthaft mit Sragen der Chrono⸗ logie zu ae und neue Unterlagen für die Datierung unſerer Dorzeitdentmäler beizufchaffen.“ Wenn aber Reinecke den genialen Begründer unſerer Chronologie, Montelius, mit den härteſten Worten abtun zu können glaubt, fo erſcheint mir, ſoweit ich darüber ein Urteil habe, ſein neues Suſtem nicht geeignet, das von Montelius zu beſeitigen. Es iſt nicht ohne Reiz zu ſehen, 5 hubert Schmidt, einer unſerer beſten Kenner ſüdeuropäiſcher Verhältniſſe, im Gegenſatz zu Reipecke, auf Grund umfaſſender vergleichender Rulturſtudien ſich genötigt ſieht, die alten Jahlen von Montelius ſogar oh weiter zurückzurücken und den für die nordiſche ältere 1 nötigen Zeitraum u vergrößern, anſtatt ihn zuſammenzupreſſen, und es iſt meines Ermeſſens unverkennbar, ſich das Schmidtſche Schema gangbarer erweiſt als das von Reinecke.

Überblidt man die reiche Zahl der Auffage der zeltihrift, jo muß anerfannt werden, daß der Band trotz des meilt geringen Umfanges jedes Beitrages eine Sulle neuen, zum Teil einzigartigen Stoffes und gediegener Sorſchung bringt und daß er ein in Auch 5 Zeichen dafür ift, wie kräftig und vieljeitig das Leben in unſerer Wiſſenſchaft pulſt. Auch dem Ver⸗ lage gebührt für die angemeſſene Ausjtattung des Werkes, das eine wertvolle Bereicherung unſerer Fachliteratur darſtellt, beſonderer Dank.

Breslau, im September 1925. M. Jahn.

Jahrbuch des 1 ne Hiſtoriſchen Muſeums in Bern. 4. Jahrg. 1924. Bern 1925.

Aus dieſem Jahrgang iſt außer dem Bericht von O. Tſchu mi über die Urchäologiſche Abteilung (auch als Sonderdruck erſchienen) noch eine Abhandlung von O. Schlaginhaufen für den Prähiſtoriker wichtig.

Tſchumi ſchickt dem etwa 250 Nummern umfaſſenden ZJuwachs verzeichnis einen warmen Nachruf für den verdienſtvollen Sammler Eugen Schmid in Dießbach vorauf, deſſen Sammlung zum Teil von oen Erben angekauft wurde. Nr. 2 der „Beiträge zur Siedelungsgeſchichte des Kantons Bern“ enthält Mitteilungen über neuere oder jetzt erſt bekannt gewordene ältere Gelegenheitsfunde und über kleinere Grabungen, ferner ee auf die nachfolgenden ausführlichen Sundberidte: 1. „Die Silexfundſtelle Moosbühl bei Moos ſeedorf“. Steinwerkzeuge nach Art des ausgehenden Magdalénien und der folgenden Jeitſtufen, außerdem aber Töpferware, die zum Teil oerjenigen des frühen Pfahlbau⸗ neolithifums entſpricht, zum Teil Randleiſten hat. 2. „Die neolithiſche Landſiedlung auf dem „Bürglenhubel“ bei Utzendorf“. Außer Oberflächenfunden eine Wohngrube mit Steinpflajter aus Quarziten. Kohleipuren, Lehmknollen, Tongefäßſcherben, Kleingerät aus Silex und Bergkriſtall. 3. „Der Bronzefund von Amſoldingen“. Depotfund der 2. Bronzezeitſtufe bei mächtigem Steinblock, beſteyend aus Oberende eines Dolches oder Kurzſchwertes, ſchmalem Randbeil, langgeſtieltem Randbeil mit Cöffelſchneide. 4. „Der Bronzefund von Toffen“. Rörpergrab der 2. e e mit ſtarkem Randbeil und kleinem Dolch. 5. „Der Latenefund von Wohlen (Illiswul)“. Bereits 1842 an reich ausgeftattetes zn (Catene II, Sibeln zum Teil noch Ic). 6. „Die klus⸗ grabungen auf der Engehalbinſel 1924“. Nordwärts an die früher aufgedeckte Töpferei!) anſtoßend ein wohl zu dieſer gehöriges, i Gebäude mit menſchlichem Skelett innerhalb ſeiner Südoſtecke. Zwei Bauzeitſtufen erkennbar, dadurch im Einklang mit ſonſtigem Befund Hauptergebnis oer Grabungen 1924: Unterſcheidung der älteren, bis 58 vor Chr. reichenden keltiſchen Beſiedlung von der jüngeren römiſchen des 1. bis 3. Jahrhunderts nach Chr. 26 m weſtlich von der Töpferei ein mindeſtens aus der früheſten Nömerzeit ſtammendes, kleines, gleichſeitig rechteckiges, wahrſcheinlich als ahnlichen zu deutendes Gebäude, wofür ein hufeiſenförmiges, einem Altar oder etwas ähnlichem als Unterbau dienendes Steingefüge ſpricht. 6 keltiſche Wohngruben, davon eine unter dem zuerſt erwähnten Nebengebäude der Töpferei. Stück einer römiſchen Straße. Unter den Kleinfunden beſonders wichtig Tonware mit Jöpferſtempeln und Sibeln, bei deren Beſprechung zur Unterſuchung darüber angeregt wird, ob nicht Sehnenhaken auch ſchon bei i vorkommt. Tſchumis Ausführungen find von gewohnter Sach— lichkeit und weiſer Zurückhaltung gegenüber noch a 1 .

Schlaginhaufen kommt in en flufſatz „Das Hoderjtelett von Urſisbalm bei Niederried (Rant. Bern)“, das zwar ohne Beigaben gefunden wurde, aber wegen ſeiner

1) Dal. Mannus 17, 1925, S. 132 oben.

396 Bücherbeſprechungen

Beſtattung in einer Steinkiſte von Tſchumi als vermutlich neolithiſch bezeichnet werden konnte, nach gründlicher anthropologiſcher Wi zu dem Ergebnis, daß das offenbar weibliche, durch ſehr kleinen Schädelraum auffallende Skelett ſich zwanglos in den Rahmen der neolithiſchen Bevölkerung der Schweiz einfügt.

Hannover. Hans Gummel.

Wohlrab, E. 5. Urgeſchichte im vierten Schuljahr. Verlag J. Bensheimer, Mann⸗ heim 1924. 109 S., 50 Abbild. ; Dieſes Buch bringt als dritten Band der „Bücherei der neuen Schule“ die ſchul⸗ raktiſche Behandlung e e Stoffe mit Kindern des 4. Schuljahres (der Mittel⸗ ftufe) nad) Sinn und Art des Geſamtunterrichts in der Cerne und Arbeitsſchule ſkizzen⸗ mäßig zur Darſtellung. Im Stoff zeigt Wohlrab eine Anlehnung an Klemm (Rultur⸗ kunde), Gansberg (Aus der Urgelhichte des Menſchen), Theuermeiſter (Don Stein beil und Urne), Dr. Weinland (Rulaman) und Serdinand (Die Pfahlburg). Die eigenartige Derwertung aber des Stoffes für vogtländiſche Kinder der Mittelſtufe, die ſich ihr vorgeſchichtliches Gebiet und ihr kleines prähiſtoriſches Muſeum in der Schule zu Brambach ſelbſtdenkend und mitfühlend erarbeiten, das hat Wohlrab zum erſten Male dargeſtellt. Bei einer unterrichtlichen und kulturkundlichen Behandlung der nachfolgenden Bronze- und frühen Eiſenzeit wird man immer auf fein Buch e müllen, das mit Sug und Recht den Menſchen mit ſeiner Unterkunft und Siedlung von der Erd⸗ und Selfenhoble über den Windſchirm bis zur Rundhütte und zum Pfahlbau vielfach durch bildhaft geſchaute Einzelerzählungen in den Mittelpunkt der Stoffbehandlung ſtellt. Underer⸗ ſeits aber zeigt es auch dem Prabijtorifer vom Sach, wie ſelbſt altſteinzeitliche Sunde der Heimat Lanzenſpitzen, Schaber, Kratzer und ch durch Nachbildung und Zeichnung freudige Anwendung im elementaren Unterricht finden können. Osnabrück. B. Hogrebe.

Nils Aberg, . nordist Ornamentik. Bd. 3 von Söreningen Urds Skrifter. 1 (3. A. Linsblad) 1925. XXIV und 154 Seiten mit VIII und 249 Abbildungen. 7 ronen.

Im Auftrage der | sie Ua Geſellſchaft Urd in Uppſala gibt der Verfaſſer eine überſichtliche, zuſammenfaſſende Darſtellung der nardiihen Ornamentik und ihrer Ent⸗ wicklung. Die Ornamentik iſt ja nur ein Teil der vorgeſchichtlichen Kunft, wenn auch ein ſehr wichtiger; deshalb kann Aberg die neuerdings von der di ee häufiger auf⸗ geworfenen Sragen der Entſtehung und des Charakters der nordiſchen Kunſt beiſeite laſſen. Er begnügt ſich in der Einleitung, ſoweit es ſein Arbeitsjtoff erfordert, kurz ſeine Stellun u dem Problem zu erläutern und betont den Hauptgegenſatz zwiſchen antikem und nordi⸗ wen Zierſtil. Dort zwar gebundene, aber doch lebensvolle Darftellung von Pflanzen: und Tiermuſtern, hier abſtrakter, durchaus geometriſcher Stil, der auch Tierleiber rankt, ver: ſchen 5 und geometrifiert, als ob ihnen jegliches Eigenleben fehlt. Das Verhältnis des nordi⸗ ſchen Stils zu den anderen europäiſchen Kunſtprovinzen wird in dae Arbeit ſelbſt verhältnis⸗ mäßig ſelten berührt. In knapper und treffender Form führt uns oer Derſaſſer die haupt⸗ muſter des Nordens vom Meſolithikum bis zum 11. nachchriſtlichen Jahrhundert vor und veranſchaulicht fie durch eine reiche Zahl von Abbildungen, die zwar zun größten Teil bereits in Fachſchriften veröffentlicht worden find, die aber in dieſer Juſammenfaſſung und dank ihrer unübertrefflichen Ausführung einen wertvollen Beſtandteil und einen prachtvollen Schmuck des Buches bedeuten. Bei der Entſtehung der Urbeit iſt es verſtänd⸗ lich, daß die Abbildungen faſt ausſchließlich ſkandinaviſche Sunde arta aga daß aber auch im Text der norddeutſche Teil des nordiſchen Kulturkreiſes faſt völlig vernachläſſigt wurde, macht die Darſtellung in einzelnen Teilen etwas einſeitig und unvollſtändig.

War in der jüngeren Steinzeit die Keramik Hauptträger der fo e 1 jo bleiben die Tongefäße in der Bronzezeit faſt frei von jeglicher Verzierung. Jetzt bilden die bronzenen Geräte und Schmuckſachen den beliebteſten Ae Der älteren Bronze⸗ zeit, der Glanzzeit nordiſcher Spiralornamentik, folgen die jüngeren Bronzezeitſtufen, in denen zum erſten Male eine reiche, lückenloſe Entwicklung der Muſter durch mehrere Derioden hindurch nachzuweiſen iſt. Auf dieſe erſte Blüte germaniſcher Zierkunſt folgen lange Jahr⸗ hunderte, in denen die Ornamentik im Runſthandwerk mehr zurücktritt und ſich keltiſche und römiſche Einflüſſe bemerkbar machen. Die Keramik wird im Derlauf der Eiſenzeit wieder reicher gemuſtert, neue Ziertechniken kommen auf. Die Dölkerwanderungszeit erweitert den germaniſchen Geſichtskreis in größtem Maße und läßt im Norden eine zweite, noch reichere nationale Kunft entiteben: die Tierornamentit. Die Schilderung der ebenſo wechſelvollen wie eigenartigen fünfhundertjährigen Entwicklung dieſer Jierkunſt bildet den Hauptteil und zugleich höhepunkt des Buches.

Die klare und ſachliche Darſtellungsweiſe Abergs, der in geſchickter Art die Er- gebniſſe von S. Müller, Montelius, Salin, Schetelig und Brendfted zuſammen⸗ faßt, wird ſeiner ſchön ausgeſtatteten Schrift viele Freunde erwerben.

Breslau, im Januar 1920. m. Jahn.

Nachrichten.

Wilhelm Rehlen +.

Sonntag, 15. November iſt in Nürnberg eine den meiſten e wohl⸗ bekannte perſönlichkeit, unſer Ehrenmitglied Rentner Wilhelm Rehlen, hochbetagt im älter von faſt 81 Jahren geſtorben.

Geboren am 26. April 1845 im Pfarrhaus zu Kalchreuth, einem hübſchen großen Fe wei Stunden nördlich von Nürnberg, zeichneten ihn ſchon als jungen Mann autinianini(de Eee und Tidtigfeit aus. Bis 1872 war er Reiſender, von da ab Teilhaber einer Pinjelfabrit, Schuſter u. Rehlen, die dank feiner raftlofen Energie und Tats traft, insbefondere aud) im Ausland gute Erfolge erzielte. 1872 1 er ſich mit der Nürnberger Apotheferstodter Wilhelmine Diehl, die ihm aber ſchon 1898 der Tod entriß. Der einzige Sohn, Dr. chem. H. Rehlen, ſtarb fünfunddreißigjährig, als Leiter oder Teilhaber einer großen deutſchen Zementwarenfabrik in Paris.

Im Jahre 1891 ſchloſſen ſich die Nürnberger Pinſelfabriken zu einem Ring zu⸗ Immer dem auch Rehlens Firma beitrat. Von dieſer Zeit ab beſchränkten ſich feine ge⸗

äftlichen ie auf das Amt eines Aufjidtsrates, das dem Fünfundvierzig⸗ jährigen hinreichend Zeit zu freier Betätigung ließ. Er wandte ſich der Politik zu von 18 1912 war er Magiſtratsrat im Gemeindekollegium der Stadt Nürnberg —, der damals in Nürnberg herrſchenden Jeitſtrömung folgend auch jut Kunft, fand aber bald den tiefergehenden und andauerndften Anſchluß an wiſſenſchaftliche Kreife. Den Sommer brachte er in der Regel auf Reifen zu, die ihn wiederholt in alle Länder Europas und nach Agypten führten. Alle irgendwie bedeutenderen Mufeen und Sammlungen kannte er durch Klugenſchein; Intereſſe und Wißbegierde brachten ihn allerwärts mit wiſſenſchaftlichen Kapazitäten in Fühlung, die oft zu perſönlicher Freundſchaft ſich ſteigerte und Anlaß zu anregender, äußerſt rec er Rorreſpondenz wurde. Seine vielen Reiſen begünſtigten die Anlage einer Privatſammlung und bei beträchtlichen mineralogiſchen Kenntniſſen legte er Wert auf eine erleſene, umfangreiche Mineralienſammlung. In der Dorgeſchichte galten feine Sympatbien hauptſächlich der Paläolithik, in der er beſonders für Typologie ein feines Verſtändnis zeigte. Als er im Jahre 1912 als Delegierter des bayerifchen Kanal- vereins, deſſen Schatzmeiſter er war, den Binnenſchiffahrtskongreß in den Vereinigten Staaten von Nordamerika beſuchte, nahm er den Rückweg über Oſtaſien und Sibirien, um auch da Beziehungen anzuknüpfen, die beſonders mit japaniſchen e perslit wurden. Letztere verehrten ihm auch eine umfangreiche Sammlung neolithiſcher Keramik und Steingerate !).

Die Kunde von der Auffindung foſſiler Menſchenreſte bei Piltdown ließ ihn Ende 1913 nach England eilen; ſeiner en Energie gelang es, Gipsabgüſſe, Diapofitive und Rekonſtruktionsverſuche des Schädels durch Keith und Woodward pairks ringen. Er

iff auch in die wiſſenſchaftlichen ein Wiſſen der des Bun ein, wozu ihn freili nur ein lebhaftes Intereſſe, nicht aber fein Willen berechtigte. Während des Weltkrieges war es das einzige uns Deutſchen über dieſen Fund zugängliche Studienmaterial und es gebührt ihm das Verdienſt, es einer großen Zahl deutſcher und ſchweizer wiſſenſchaftlicher Inſtitute zugänglich gemacht zu haben.

Da an der Univerſität Erlangen die Vorgeſchichte keinen Vertreter I machte er ſich das Dergnügen, in feinem hauſe und inmitten ſeiner Sammlung den Studenten und Studentinnen des Erlanger archäologiſchen Inſtituts abendliche Dorlefungen zu geben.

1) Hierzu Rehlen, Dorgeſchichtliches aus Japan; mit Tafel. Korr.⸗Bl. d. Dtfd. Geſ. f. A. rg. XLIV, 1913, S. 88.

398 Nachrichten

Sie erfreuten ſich großer Beliebtheit, beſonders während der Zeit der bei ihm unnötigen Brot- und Fleiſchmarken; fie dauerten nur etwas lange, in der Regel von abends 5 Uhr bis nachts 1 Uhr, machten aber dem freiwilligen Lehrer beinahe noch mehr Vergnügen als den Belehrten. |

Rehlen war Ehrenmitglied der Geſellſchaft für deutſche peas hala der Deutſchen Geſellſchaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeſchichte, der Naturhiſtoriſchen Geſell⸗ haft Nürnberg, Mitarbeiter am bayerijden Denkmalſchutzgeſetz und Mitbegründer des

erbands eee Geſchichts⸗ und Dorgeſchichtsvereine, welch letzterem er durch eine

ae Stiftung die alljährliche Derteilung eines namhaften Stipendiums für Arbeiten auf dem Gebiete der baueriſchen Prähiſtorie ermöglichte. Beſonders wohltuend wurde ſeine Liebe zu den Wiſſenſchaften empfunden, als in den Zeiten der Inflation die hilfs⸗ quellen der wiſſenſchaftlichen Inſtitute allenthalben verſiegten; da perging faum ein Tag, oe 985 Kin Einſpringen von irgendeiner Seite erbeten und nach Möglichkeit auch zu⸗ geſagt wurde.

Die Wiſſenſchaft, und nicht allein die prähiſtoriſche, hat daher allen Grund, ihrem begeiſterten Verehrer ein dankbares Andenken zu bewahren.

Nürnberg, den 1. Dezember 1925. R. Hörmann.

Hugo Lemcke 5.

Mit hugo Lemde, am 5. Dezember 1835 in Paſewalk geboren, iſt am 8. Auguft 1925 eine Perſönlichkeit dahingegangen, die, ein echtes Kind ihrer heimat, ſchaffensfreudig, zielbewußt faſt bis zur Starrheit, begeiſtert und begeiſternd jahrzehntelang der pommerſchen Altertumsforſchung ihr Gepräge 979 hat. Im hauptberufe widmete er ſich dem Cehrfache, das er nach dem gern und oft geäußerten Seugniffe vieler feiner Schüler mit om Erfolge verſah; von 1881 bis 1906 war er Direktor des Stadtgumnaſiums zu Stettin. ant jeiner lode a mug Arbeitsfraft, die ihn bis ins höchſte Alter hinein nicht verließ, blieb ihm ſchon vor dem Husſcheiden aus dem Schulamte noch Zeit genug zu regiter wiſſenſchaftlicher Tätigkeit. Mehr als ſechzig Jahre war er Mitglied, fünfzig Jahre ang da der Geſellſchaft für Pommerſche Geſchichte und Altertumskunde, ein Menſchen⸗ alter hindurch hatte er den Poſten des Provinzialkonſervators inne die Baltiſchen Studien, die Monatsblätter, die zahlreichen Bände der Bau- und Kunſtdenkmäler find Zeugniſſe ſeines Wirkens, das viel innere Teilnahme und lebendige Nacheiferung weckte, auch reiche äußere Anerkennung fand. An dieſer Stelle haben wir mit beſonderem Danke deſſen zu edenken, was hugo Cemcke für die vorgeſchichtliche Abteilung des Muſeums Der Geſellſchaft für Pommerſche Geſchichte und Altertumskunde, dem im Jubeljahre des hundertjährigen Beſtehens der Geſellſchaft die Bezeichnung „Provinzialſammlung Pommerſcher Altertümer“ verliehen worden iſt, raſtlos anregend und werbend, aber auch in tätigſter, eigener Mitarbeit geleiſtet hat: die hausurnen von Oblivitz und Woedtke würden allein ſchon genügen, um ſeinen Namen in unſerer Wiſſenſchaft lebendig zu er⸗ halten; aber, ſelbſt ohiie die großen Derdienjte ſeiner Heibigen Mitarbeiter ſchmälern zu wollen, darf man behaupten, daß die Bedeutung, zu der die Stettiner Altertumsfammlungen durch ihre Beſtände erwachſen find, in erſter Linie ſeinem Schaffen verdankt wird. Hoffent⸗ lich gelingt es, hugo Cemdes Wirken und Werk für alle Zukunft in rechter und würdigiter Weije und wie er ſelbſt es ſich immer wünſchte in Ehren zu halten, nämlich dadurch, daß der geſunden Weiterentwicklung der Provinzialſammlung, ihrer Nutzbarmachung für Wiſſenſchaft und Bildung und ihrem Ausbaue, jo wie wir es heute verlangen müſſen, von allen, die es angeht, die Wege geebnet werden. Stettin. 4 O. Kunkel.

Im fluguſt 1925 find von unſeren Mitgliedern ferner verſtorben:

1. Oberlehrer a. D. hermann Schmidt in Görlitz, Mitglied des Kusſchuſſes unſerer Geſellſchaft ſeit 1911, f 21. 8. 1925.

2. Pfarrer Hildebrand in Leuthen bei Kottbus, Mitglied ſeit 1909.

. 3. Pfarrer Arno Schröder in Hainichen bei Dornburg a. S., Mitglied ſeit 1909,

Beſitzer einer wertvollen Sammlung vorgeſchichtlicher Altertümer.

4. Univerſitätsprofeſſor Dr. Wilhelm Streitberg in Leipzig, hervorragender Vertreter der indogermaniſchen Sprach- und Altertumswiſſenſchaft, f 21. 8. 1925.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel: IX.

Abb. 1. Bi eweihaxt mit Schaftloch. Abb. 2. Frontalanſicht des Homo Kiliensis. hirſchg bar ER (Die weißen Stellen find ergänzt, alles andere ijt erhalten.)

Abb. 3. Seitenanjicht des Homo Kiliensis, Abb. 4. Das Schädeldach des Homo Kiliensis von (Die weißen Stellen find ergänzt, alles andere ijt erhalten.) oben gejeben.

Kadner, Homo Kiliensis. verlag von Curt Kabitzſch. Leipzig.

Mannus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17.

Abb. 6. ak bi der Schädelbaſis. (Man beachte die ovale Form des Hinterhauptlodhes.)

Abb. 7. Seitenanſicht des Unterkiefers.

Abb. 8. Srontalanjicht des Unterkiefers.

Kadner, Homo Kiliensis. verlag von Curt Kabitzſch, Ceipzig

Mannus, Zeitichrift für

Abb. 9. Perſpektiviſches Überſichtsbil

Abb. 11. Schädel des 11jährigen rezent 0 Kindes in Frontalanſicht.

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Kadner, Homo Kiliensis.

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Tafel XII.

izontalebene.

ehen. yon Curt Kabitzſch, Leipzig.

Mannus, Zeitihrift für De

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Abb. 9. Perſpektiviſches überſickts bild

Abb. 11. Schädel des 11jährigen rezente Kindes in Frontalanſicht. |

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Abb. 15.

Kadner, Homo Kiliensis.

annus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XII.

Abb. 15. Der Unterkiefer des Homo Kiliensis von innen geſehen in der Horizontalebene. (Die Zähne find zum Teil entfernt.)

Abb. 16. Der Unterkiefer des Homo Kiliensis von unten innen gejehen.

Füöner, Homo Kiliensis. verlag von Curt Kabitich, Leipzig.

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Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17.

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Abb. 17. Die drei rechten unteren Molaren des Homo Kiliensis. rezenten

Tafel XIII.

Abb. 18. Rhomboide Form des hinterhauptsloches bei

indern im Alter von 4 und 11 Jahren.

Abb. 19. Das Hinterhauptsloch des Homo Aurignacensis.

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| Abb. 21. Hinterhauptslöcher von Schimpanſen.

Kadner, Homo Kiliensis.

Abb. 20. Hinterhauptslod) vom Gorilla.

Abb. 22. Hinterhauptsloch eines Orang-Utan.

verlag von Curt Kabigidh, Leipzig.

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Mannus, Zeitjchrift für Dorgefhichte. Bd. 17.

Abb. 25. Die Armknochen des Homo Kiliensis,

Tafel XIV.

1 und 2 = beide Radii 3 und 4 = beide Ulnae, 5 und 6 = beide Humeri.

Abb. 24. Die übrigen vorhandenen Knochen des Homo Kiliensis: Rippen. miger 1

1.

iſtropheus. 2. Oberer Teil des Skapula.

Abb. 25. Der humerus des Homo Kiliensis mit auffallend ſtarker Selen ei ſehr ſchwacher Drehung.

Abb. 26. Röntgenbild des Unterkiefers des Homo Kiliensis. (Aus drei Teilen aneinandergereiht.)

Kadner, Homo Kiliensis.

Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

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Poſtglazialzeit

Spätglazialzeit

Glazialzeit

Man f Tafel XV.

l Veränderungen nach Veränderungen der Hochmoore] Poppenbrügge Blutt | 39 Se 5 47 der Seen Nord⸗ bei Kiel deutſchl (Klimd eutſchlands | Künftliche RKünſtliche Künſtliche Stauungen | Entwäſſerung Entwäſſerung und euren Abfentungen Bildung des Übergangs Subatlan R gangs Period 5 Jüngeren Moor = Dets Sphagnum⸗ 5 N größerung Torfes Beginn, Ri 2 a ee a a EZ Subbore = Ausbildung des Periodf.) 5 2 ae Grenzhorizontes Bruchwaldtorf (Kontinent. = 2 ; mit trocken und = 8 | fleinerung wie in Sent W Quellkalk Rußland S Bildung Slachmoortorf m des Beginn der Atlantifd : 8 Alteren Derlandung Period E ver⸗ Sphagnum: (mudes Seel A größerung Torfes Sapropel des warm und fd Schulenfeebedens ! Borea . Period Graugriiner (Kontinent. Mergel trocken und in kleinen wie in 8 | Beden Rußlant Kleine Waſſerbecken Subarktif Period (bergan klima Urktiſch Period Kleine Dryas-Tone (Mtima_— bi Waſſerbecken in kleinen Becken d. Aller Schwanku e REES Sliö⸗ ron a Stauendmoräne des Hornheimer Stauſeen Riegels und am jeweiligen Bändertone Eisrand des Stauſees im Schulenſee⸗ becken

1) Schicht, in 9. Aus Schuſter, poſtglaziale Quellkalke Schleswig⸗holſteins.

Hadner, Verlag von Curt Nabitzſch, Ceipzig.

Tafel XVI.

Bd. 17.

Mannus, Jeitſchrift für Dorgejchichte.

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verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

Kühn, Urſprung und Entwicklung der paläolithifhen Kunft.

Mannus, ZJeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XVII.

Abb. 3. Castillo (Spanien). Elefant. Zeichnung mit roter Farbe. Aurignacien. Nach Alcalde del Rio, Breuil und Sierra.

Abb. 4. Covalanas (Spanien). hirſchtuh. Zeichnung mit roter Farbe. Aurignacien. Nach Alcalde del Rio, Breuil und Sierra.

Kühn, Urfprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt. verlag von Curt Mabitzſch, Leipzig.

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Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XVIII.

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Abb. 5. La Madeleine (Gironde). Renntier mit Jungem, graviert auf Kalkſtein. Magdalenien. Lange des Tieres 36 em. Nach Photographie des Originals.

Kühn, Ursprung und Entwicklung der paläolithiſchen Munſt. Derlag von Curt Kabltzſch, Leipzig.

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Mannus, Zeitſchrift für Dorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XIX.

Abb. 6. Laugerie-Bausse. Renntier, ſi eden Magdalénien. Natürliche Größe. Gravierung auf Kalfjtein. Sammlung Bourlon. Nach Photographie des Abguſſes im Muſeum von St. Germain bei Paris.

Abb. 7. La Madeleine (Gironde) Hyäne. Elfenbein. Magdalénien. Ungefähr natürliche Größe. ach Photographie des Originals.

Kühn, Urſprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunit. Verlag von Curt Kaditzſch, Leipzig,

Tafel XX.

Bd. 17.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte.

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Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

Kühn, Urſprung und Entwicklung der paläolithiſchen Kunſt.

annus, Zeitjchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXI.

Abb. 1. % nat. Größe.

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) Das Gefäß Abb. 3 hat nicht, wie es nach der Abbildung ſcheinen könnte, runden Boden, fondern

| Abb. 2. °/, nat. Größe. Abb. 5. nat. Größe). ine ausgeſprochene Standfläche.

" Swei ſpätneolithiſche Becher. Verlag von Curt Kabitzſch, Ceipzig.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bod. 17. Tafel XXII.

8 Ale 4. / Abb. 1—3. Gefäße des Harpſtedter Stils aus Nienburg a. Weſer. Abb. 4. Gefäß des Nienburger Stils aus Keppeln, Kr. Kleve.

Stampjuß, Das Vordringen der Germanen zum nördlichen Niederrhein uſw. Verlag von Curt MNabitzſch, Leipzig.

Mannus, Zeitfchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXIII.

Abb. 1. Eiſenmeſſer mit Stoffauflage. ?/, nat. Größe.

Abb. 2. Begleitgefäße. ½1 nat. Größe.

Abb. 3. Deckel. ½ nat. Größe.

könig, hausurnenfund bet Froſe in Anhalt verlag von Curt Kabigich, Leipzig.

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Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. | Tafel XXIV.

Abb. 4. Seitenanſicht. Abb. 6. Dorderanſicht mit Tür.

Abb. 5. Dorderanjicht mit Türöffnung.

König, Hausurnenfund bei Froſe in Anhalt. verlag von Curt Kabitfch, Ceipzig.

mannus, Jeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17.

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel.

Tafel XXV.

_ III, 18, Sig. 13).

ſpricht Abb. 1e.

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Abb. 3.

Dat 5. 349,

. 143).

Sig Anm. 3.

evens des Oſebergſchiffes

339,

Abb. 1. Aufriß des St

(nach Os. I,

ig. 12). Entſpricht

Abb. 1

Oberer Teil des Stevens ent— 31, 47.

faltet (Os

Abb, 2.

verlag von Curt Kabitjch, Leipzig.

[Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17.

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel.

Tafel XXVI.

Sig. 203).

214,

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Abb. 6. Tierkopf von einem Bettgeſtelle, Oſeberg (Os. III

25 Oſe⸗

che Löwe Sig. 16).

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Abb. 5. Der ,,faroling berg (Os. III, 22,

ert vom Badbord des Os. III, pl. 11)

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Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

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Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte.

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Verlag von Curt Mabitzſch, Leipzig.

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXVIII.

Der erſte „barocke“ Tierkopfpfoſten von Oſeber (Os. III, 126, Sig. 114). 2

Abb. 11.

n 174 von Oſeberg (Os.

ig. 66).

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Ill, 76,

Abb. 10. Der Tierfopfpfo

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel. Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXIX.

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Abb. 13. Zierwerk auf dem Schädelfelde des einen Tierkopfes vom Kajten an Guſtafſons Schlitten (Os. III, 181, Sig. 174).

| Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel. Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

Mannus, Zeitfchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXX,

Abb. 15. Der linke Tierkopf des Quer: riemens (Stolpe och Arne, Pl. XIX, Sig. 9). Entſpricht Abb. 140.

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel.

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Abb. 16. Der rechte Tierkopf, des Quer— riemens (Stolpe och Arne, Pl. XIX, Sig. 10). Entſpricht Abb. 14d.

Verlag von Curt Kabitzſch, Leipzig.

Mannus, Zeitſchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXXI.

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Abb. 20. Durchbruchsarbeit in [Gold mit eingelegten Steinen aus Weſtſibirien, 1. Jahrh. nach Chr. (Rojtovgeff, Iranians and Greeks, Pl. XXV, Sig. 2).

Abb. 21. Galſted bei hadersleben, Schleswig. Silber. (Salin, S. 166, Abb. 594).

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Ofeberg und Wendel. Verlag von Curt Kabigid, Leipzig.

Mannus, Zeitfchrift für Vorgeſchichte. Bd. 17. Tafel XXXII.

Abb. 22. Kleine eee angers Abb. 23. Ziereinheit aus dem letzten Tierkopſ— Oſebergſtile (Os. III, 292, Fig. pfoſten des „Barock“-Meiſters (Nach Os. III, 160, 500). Sig. 153). Dal. Abb. 9 und 26, 27.

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Auen,

2 a) * = DS D . TREE N R SS 0 & N W ' Abb. 24. Goldenes Tier aus Sibirien (Minns, Scythians Abb. 25. Tierverzierung von einem and Greeks, S. 274, Sig. 194). Pferdegeſchirre aus dem Kuban, 6. Jahrh. vor Ehr. (Roſtoptzeff, Iranians and

Greeks, S. 104, Sig. 21 b; vgl. S. 237, 14).

Schultz, Tierköpfe mit tierverzierten Feldern in Oſeberg und Wendel. verlag von Curt Kabitzſch, Ceipzig.

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verlag von curt LKablaſch, Ceipsig, Salemonftrafe 180.

Die deutſche |

| eine hervorragend nationale Wiiienichaft. pon Geh.-Rat Prof. Dr. Suital Koffinna. - Vierte, vermehrte und verbelierte Auflage. vm, 255 Seiten mit 516 Abbildungen im Text und aul 62 Tafeln. 1925. Einzelpreis; RM. 12,—, geb. RM. 14.40. Vorzugspreis: RM. 9.60, geb. RM. 12.—. [Bildet Mtr. 9 der von Geh.-Rat Kollinna herausgegebenen Mannusbibllothek,) - . Eine Neuauflage dieles Buches wird die kefer dieler Feitichrift belonders intereilieren.

Sie it ein Bewels für das Dordringen der prählftoriihen WIllenſchalt in immer welfare Krelfe. Tatläclic gibt es wohl kaum ein Buch, das fo geeignet lit wie diefes, uns.

xu zeigen, daß wir trotz der trüben Gegenwart auf unfer Deutichtum Itolz jeln durfen.

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Unlere Heier fragen durch Empfehlungen des Buches mit bei, die. Dorgekiidts- Willentchalt volkstümlich zu machen. Die neue Auflage bietet audı dem Willenichaftier neues, denn lle lit textlic In manchem verbeffert und erhalt 12 neue Coteln mit

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ekronik der Gelellichaft 1925.

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diele beiden Sette enthalten folgende Arbeiten: Ernit Peterfen, Die Bronzezierkheibe aus Borkendort (Weltpr.)-

Wi. ba Baume, Wagendarſtellungen aul oitgermanikhen.- Urnen

der frühen Eifenzeit und ihre Bedeutung. 5. Eonwent, Das Wikingerboot bei Baumgarth. W. fsa Baume, Zwei Bronzekhafunde a. d. nördl. Pease

Vorgeichichte des Deufichen Polkes

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