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MYNONA

MEIN PAPA

UND DIE JUNGFRAU

VON ORLEANS

NEBST ANDEREN GROTESKEN

Du Kreuz mufi prEii'g lotreckt errichtet werden, damit das Opfer den SattigungsSrad dcr Qoal erreiche.

(7*4ynona, Bank lUr Spotter.)

MDN CHEN

KURT WOLFF VERLAG

FT

■S.GI/

1 . 3. Tausend

Copyright by Ku r t Wo Hf Ve r 1 ag A.G.Miiiichen

Gedruckt imSominerl921 von Oscar Brandstetter- Leipzig

DER NACHTKOBEL ALS LEBENSRETTER.

/^osen hauchte die Nachtampel iiber die Schlaferin, deren zarter, junger Madchenkopf auf wei(?seidenen Spitzenkissen anmutig gebettet war. Und doch schlief der dazu gehorige sehr schone Rumpf genau so wie der Kopf den Schlaf des Ungerechten. Das Gewissen dieser ...Jungfrau schien aber ein nicht minder sanftes Kissen zvL sein als das seidene, worauf ihr Kopf ruhte. Sie achlief aul?erst solide, trotzdem sie ein weiblicher Don Juan niedertrachtigster Sorte war. Ihr allerletztes Opfer war der beriihmte Schrupp, einer der gr6I?ten Stahlfabrikanten. Sie hatte ibn dermal?en ausgesaugt, da^ er hausieren gehen mul?te. Dafiir aber besal? sie jetzt einen geradezu kaiserlicben Diamantschmuck. Ihr derzeitiger Verehrer und Lebensbegleiter war ein entsetzlich magrer alter Graf Racker von Deibel. Selbst- verstandlich betrog sie ihn tuchtig mit etwa sechs jungen Herren. Unter diesen befand sich der aul?erst eifer- siichtige Schauspieler Ayl?ler. Ayl?ler nun fand nicht den geringsten Geschmack am Graf en Racker von Dei- bel, welchen Degout dieser iibrigens von ganzem Herzen erwidert haben wiirde, wenn er von den Beziehungen Ayl?lers zu seiner Geliebten etwas gew^ulit hatte. Als aber eines Abends Ayl?ler ausgerechnet den Othello spielte, also seine Muskeln mit gluhender Eifersucht geradezu innervierte, bemerkte er in der Fremdenloge dicht iiber der Biihne den Grafen mit der blonden

Wanda, Die Folgen waren verhangnisvoU. Zunachst stiirzte AylTIer in der Zwischenpause nach der Loge: fand diese aber bereits leer. Weder in den Wandel- gangen noch im Vestibiil nocb am Biifett entdeckte der doppelte Othello den Grafen und dessen Liebchen. Aber als er racheschnaubend, in vollem Kostiim, vor das Tbeatergebaude lief, zum Ergbtzen der Nachbar- schaft, erblickte er vor der Einfabrt den Grafen, wie dieser Wanda in ein Auto bob und rattemd mit ihr davonfaucbte. Ayl?ler spielte die letzten Akte des Othello iibernatiirlich gut. Der Kritiker Klempner nannte ihn anderen Tages den iiberlegenen Konkurrenten der Wirklichkeit.

Andem Tages! Ja. das sagt man so leichthin! Allein andem Tages waren die Abendblatter bereits voll von einem der sonderbarsten und zugleich lacherlichsten Attentate, welcbe jemals stattgefunden baben. Ayl?ler briitete Rache. Nach der Vorstellung setzte er sich zu diesem Zwecke in einen Bouillonkeller, in dem die Ver- brechervi'elt verkehrte. Mord und Totscblag! Mord und Totscblag! so tickte es in ihm-wieeineUhr. Der Diaman- tenmarder Julius Potter schautesich die ausdrucksvolle Miene Ayl?lers mit wissenscbaftlicher Neugierde for- schend an. „Na ?"fragte er, „soll wo eingeknackt werden, Mensch? Was simulierste?" Ayl?ler fubr beftig auf; er wollte den Kerl barsch abfertigen, besann sicb aber. Denn erstlich hatte man im Lokal allseitig Partei gegen ihn ergriflfen; es hatte iibel fiir ihn ablaufen kbnnen. Zweitens durchzuckte ihn der Gedanke eines Rache-

plans,denervJelleIchtmitPottersHilfeausfuhrenkonnte. So bezwang er seinen Widerwillen, stellte sich freund- lich, liel? Bier kommen, und beide Herren verhandelten gemiitlich. „Also heraus nut der Sprache. Was soil's gelten?" „Horen Sie mal, Siekonnen doch Hauser-und Wohnungstiiren offnen?"„Na allemal! Es fragtsichnur, ob was dabei r auskommt: ich sammle Diamanten." Ay l?ler fuhr es durch den Kopf, wie herzlich der Wanda der Verlust ihres Schmuckes zu gonnen ware. Selbst- verstandlich uberliel?er diesen Teil des Geschaftes Herm Potter. „Diainanten", sagte er deshalb, „smd Ihre Sache. Sie finden dort welche in Menge. Machen Sie meinet- halben damit, was Sie'wollen ; michlassen Siedamitaus!" „Desto besser!" strahlte Potter. „aber w^as w^oUen Sie denn eigentlich?" „Ein Weibsbild will ich," ziscbte AyCler, „das mich betrogen hat, verdenkzetteln." „Ach, das wird ja ein quietschvergniigter Abend," lachte Potter, „wolln wir los ?" Beide machten sich auf den Weg.

Eine herrliche VoUmondherbstnacht kontrastierte stim- mungsvoU mit den Seelen des entmenschten Paars. Potter erschlol? Wandas Hausture mit grazibsester Gewandt- heit. Die Wohnungstiir drehte sich bereits gerauschlos in der Angel, als Ayl?ler, der dem Treppenschnellaufer Potter kaum nachkommen konnte, oben angelangt ■war. Sie tappten sich durch den Korridor, Ayl?ler kannte ja den Weg. Im iibrigen kilmmerte er sich nicht mehr um Potter; er hatte Wichtigeres zu bedenken: Mord und Totschlag! Rosen hauchte die Ampel iiber die Schla-

ferin. Potter guckte nur fliichtig hin: „\Vo sind die Diamanten?" fragte er energisch. „Such' sie dir selbst," schrie Ayl?ler so grob, daJ? Wanda im Schlafe zu- sammenschrak. Potter -war ein raffiniert spiirsmniger Diamantenfinder, er roch die Dinger f ormlich, steckte sie zu sich und liel? Othello mit Desdemonen allein. (Er ist heute bereits in Australien.) Ayl?ler aber riittelte Wanda an ihrer lieblichen Schulter auf. Sie erwachte und starrte ihn entsetzt an. Als sie ihn aber einen Re- volver entsichern und hochheben sab, griflf sie mit blitz- schneller Bewegung unters Bett und erhob tausend- mal Verzeibung! ihren auffallend blanken Zuber. Potter stutzte unwillkiirlicb, brach aber sofort in ein graf?liches Otbellogelacbter aus. „Stirb! infame Ver- raterin! Hure! Morderin meines Herzens." Darauf driickte er den Revolver f iinfmal auf Wanda ab ; es gab jedes Mai einen helleren Klang. Als die Patronen verschossen ■waren, schwang sich Wanda lebendig, den Zuber mit der Lmken ^wie einen Schild vor sicb baltend, aus dem Bett, legte ihren rechten Arm auf Ayl?lers Schulter und lachelte ihn so liebreizend an, dal? er laut aufweinte, eine solche Geliebte nicbt f iir sich fesseln zu konnen. Die sentimentale Reaktion trat bei ihm ein. Er loste W^andas Hand von seiner Schulter und verliel?, das Taschentuch vorm Auge, das Lokal. Noch am selben Tage liel? ihn W^anda verhaften: nicht nur wegen Mordversuches, son dem o Sensation! wegen Diamantenraubes. Er konnte sich nicht recht- fertigen. Racker von Deibel bezahlte W^anda den ge-

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schicktesten Rechtsanwalt. DermachtesichuberPottern lustig, nannte ihn den allzu bekannten „grol?en Unbe- kannten" und spottete sogar des Namens. Psychoanaly- tisch deute Potter auf Pott, lachelte erarglistig. Dieganze Residenz lachte iiber das Panzerplattennachtgeschirr, welches Wanda einer Champagnerlaune Schrupps ver- dankte. Den Diamantenschmuck hat Wanda nicht wiederbekommen. Racker von Deibel verkaufte drei Ritterguter, um ihr einen neuen zu geben. Sie aber W^under der W^eibsnatur! verpfandete ihn fiir Ayl?lem, den sie als unzurechnungsfahig erklarenundin ein Sanatorium bringen liel?, dessen Leiter ihr jede ge- wiinschte Besuchszeit gern ge-wahrte. Seit diesem Vorfall kommen sich elegante Kokotten ohne stablemen Nachtkiibel so unvollstandig vor.

DIE KUNST, SICH SELBER EINZUBALSAMIEREN.

jYlem Haus war abgebrannt und nicht versichert ge- wesen. Als ich nach meiner Bank ging, hatte dort schon jemand statt meiner mein ganzes Guthaben filr sich abgehoben. Auf der Post nabm ich drei Telegramme in Empfang. Im ersten stand der Tod meines besten Freun- des, im zweiten enterbte mich mein Gro(?onkel, -weil er wieder heiratete; nebenbei gesagt, meine letzte Moglich- keit, jemanden zu beerben, war damit hbchstwahr- scheinlich versch'wunden. Aus dem dritten Telegramm erfuhr ich den plotzlichen Tod memer Braut. Ich standnun, da Eltern und Geschwister mir langst ge- storben waren, meinFreund soebenmich verlassen hatte, desgleichen meine liebe Braut, pnd ich meinem Grol?onkel vonHerzenfluchte, mutterseelenallein auf der \Velt. Das passiert ja so manchem. Aber mir war es doch allzu gut ergan gen ; ich hatte mich an das gemiithchste, behaglichste Leben gewbhnt. Und nun? Mein ganzer Besitz bestand in dem, was ich auf dem Leibe trug; in meinen Taschen steckten ebva f iinf Mark und ein paar Pfennige. Schul- den bedrohten mich iiberdies, und zum Kampfe urns Dasein f iihlte ich mich nicht im mindesten f ahig. Dabei ■war ich em dicker, schoner, blonder Mann mit Bon- vivantmiene, und mein angeborenes Stilgefiihl verbot mir den mimischen Ausdruck der VerzNveiflung, welche sich meiner bemachtigte. Trotzdem mu^ etwas davon sichtbar geworden sein, denn mir begegnete folgendes :

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Ich beschlol?, eine Art Henkersmahlzeit einzunehmen, und wahlte, um mit meinem letzten Gelde auszulan^en, ein mittleres Speisehaus. Ich hatte nicht sobald einen Teller Suppe vor mir, als ich mich mit einer sonderbaren Teilnahme fixiertsah. Ich al? au/?ergewohnlich langsam; zwischen Lbflfel und Loffel machte ich lange Pausen voller Nachdenklichkeit. Vielleicht -war das dem diirren langen Herrn mit Magistergesicht am Nebentische auf- gefaUen. Jedenfalls begegnete ich seinem merkwiirdigen, sich tief in meine Augen einbohrenden und sie gleichsam zwangs'weise festhaltenden Blicke. Wahrend der nacb- sten Gange gerieten wir tJfter und ofter in dieses eigen- tiimliche Duell. Bis ich was hatte ich zu verlieren ? es miide wurde und einfach fragte: „Was woUen Sie?" Er meckerte und hiistelte ein entschuldigendes Lachen: „Es ist nicht so ganz einfach, das zu erklaren. Wilrden Sie mir gestatten, mich zu Ihnen zu setzen ? Oder darf ich Sie bitten, an meinem Tische Platz zu nehmen?" Mir war dieser Zwischenfall eigentlich \villkommen; er lenkte mich ■wohltuend von memer fruchtlosen Grii- belei ab. Ich bat den Alten, da mcht ich von ihm, son dem er von mir etwas zu verlangen schien, an meinen Tisch. Er kam, in einer efrwas zitterigen Hand ein Glas Wein haltend, auf mich zu, setzte sich mir gegeniiber, nippte am Getrank, machte aber noch keine Miene, sich aus- zusprechen. Wir beschaftigten uns ein paar Minuten schweigsammit unsermMundvorrat. Endlich fragte ich: ,,Fallt es Ihnen denn so schwer, mir anzuvertrauen, wes- wegen ich Sie interessiere ? Lassen Sie doch horen!"

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„Nem," antwortete er, „aber mein Interesse hat einen verwunderlichen, einen delikaten Grund. Es wird mir durchaus nicht leicht, meine natiirliche Reserve auf- zugeben. Ich komme mir bereits zudringlich, ja unver- scbamt vor, dal? ich mich nicht nur tief in Sie hinein- versetze. sondern sogar im Begriffe bin, Ihnen meine intime Kenntnis Ihrer seelischen Verfassung zum besten zu geben. Ich habe am Aussehen der Mitmenschen ein ganz spezielles, ich mbchte -wohl sagen . . . materielles Interesse,welches ich Ihnen sogleich spezifizieren werde. Aber zimachst einmal: Sie sind so gut wie verz^veifelt o verzeihen Sie! Aber ich sah es; ich sahessoklar, wie ich Ihr Antlitz sehe." „Das konnen Sie nur ver- muten," sagte ich mil?mutig und resigniert; .,es sei denn, Sie wiiften um gewisse Angelegenheiten und kannten mich, ohne dal? ich Sie kenne." „Auf Ehre, nichts der- gleichen! Es ist eine physiognomische, naher pathogno- mische Konstatierung, und diese f allt mir leicht, weil ich durch mein Interesse aufgefordert bin, mich hier nicht zu irren." „Na also was ist denn dasf iir ein Interesse? Bef iirchten Sie nicht, mich zu verletzen. Ich kann aller- dings mit dem Dichter sagen: Was auch geschehn, das Schlimmst* ist mir geschehen." „Stand fiir mich, beim erstenBIickinIhrGesicht,aufIhreHaltung,auI?erFrage." „WirkIich! In der Tat glaube ich doch nicht, meine Seele so zur Schau zu tragen ; sogar wehre ich mich absichtlich dagegen." „Und gerade diese Gez'wungenheitistverrate- risch wenigstens fiir mich." „Sie iiberspannen meine Neugierde. Bitte, legen Sie los,oder ich zahle und gehe."

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Diese Drohung wirkte sofort. Er erklarte sich: ..Mein Blick ist interessiert zugespitzt f iir Menschen, welche sich dem baldigen Tode unwiUkiirlich oder absichtlich nahem" er schraubte seine Augen in die meinigen: es uberrann mich unheimlich. Es wurde mir in dem- selben Augenblick bewu(?t, dal? icb meinen Selbstmord dunkel beschlossen hatte. Ich verier alle Haltung und gab mich meiuem schauderhaften Gegeniiber preis. Ja, ich griff nach seiner Hand, drilckte sie und fragte, zu meinem eigenen Widerwillen, hastig: ..Wollen Sie mir helfen?" „Ge^vissermaI?en! Ah.horenSie! Ich'willlhnen ein Mittel geben, sich zu erhalten, zu . . . konservieren. Verstehen Sie, Ihr Leib soil nicht zerstort werden. Sie werden das Ehrenrecht der erlauchtesten Personlich- keiten geniel?en. Bedenken Sie! Bliihend wie immer; ^venn Sie geschickt sind, em Lachein auf Ihren liebens- wiirdigen Ziigen; biegsam, in welcher Pose immer; und, wie ichSie versichem kann,wohl aufgehoben in heizbar^n Raumen, -werden Sie, ohne alle Sorgen, einem antiken Gotte gleich, Ihr Dasein, wenigstens rein aul?erlich, un- angetastet bis in alle Ewigkeit fortsetzen." Meine Resignation, als ich diesen irrsinnigen Ausbruch iiber mich ergehen lie!?, erreichte ihren Gipfel. Also der vermeintliche Lebensretter er\vies sich alsNarren, dessen Gefasel ich gar nicht verstand. Ich beschlo^, nicht weiter auf ihn hinzuhoren und moglichst r asch zu verschwinden. Er aber entnahm seiner Brusttasche ein rotes Paket, welches er offnete. \Vas war das? Es kam eine Metall- biichse in Urnenform zum Vorschein. Er drehte den

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Deckel ab und liel? mich hineinscliauen. Ich aah. ein Puder von violetter Farbe. „MVas bedeutet das?" fragte ich. „Es ist ein blitzartig totendes Gift, welches aber die erstaunliche Eigenschaft hat, jedes Lebewesen, von dem es eingenommen ■svird, sofort zu mumifizieren, ein- zubalsamieren, in alle Ewigkeit unverweslich, ja, vin- verbrennbar zu machen. Leider, da es eben absolutes Gift ist. darf ich mein Patent nicht zur Anwendung auf Menschen bringen; es seidenn,dal?ichprasumtive Selbst- morder prognostisch ausfindig mache, welche sich lieber einbalsamieren als ordinar umsLeben bnngen. Ubrigens halte ich unter meinen Kunden auch ein paar Monarchen (der heimliche Monarchenselbstmord nimmt erschreck- lich iiberhand), deren diskrete Empfehlungsschreiben ich Ihnen vorweisen kann." Diese Narretei machte mich fast lacheln. Ich beschlol?,ihn in dieEngezutreiben: „Warum nannten Sielhr Interesse materiell? Glauben Sie vielleicht, ich hatte Ihnen ein Vermogen zu bieten? Ich mul? Sie enttauschen." „Bewahre!" sagte er, „das ist keine Enttauschung im Gegenteil! Sie sind mir nur desto sicherer in Aussicht. Ich selber bin sehr reich. Mein Interesse ist desAvegen dennoch materiell, weil ich Liebhaber bin, Leichensammler, Inhaber eines wohl- assortierten Museums von herrlich konservierten Selbst- morderleichen. Wollen Sie mitkommen? Ja? Wollen Sie selber sich Ihren Stand- oder Sitz- oder sogar Schwebeplatz bestimmen? Femer Ihr Kostum? Ihre Haltung? Ich veranstalte eine kleine Feier, und zur Kronung des Festes balsamieren Sie sich dadurch ein,

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dai? Sie dieses Pulver hier, in Champa^ner aufgelost, hinunterschlucken. Bis dahin sind Sie mein Protege, ich sorge vaterlich f iir Ihre Wohlfahrt, bis zur Feier, deren Termin ich bestimme." „Und Ihre Bedmgung?" fragte ich, bereits suggestiv umnebelt. „^Vie gesagt, Sie ver- machen mir, zu Museumszwecken, Ihren Leichnam." Er breitete wirklich ein schon vorgedrucktes Formular vor mich hin. Was blieb mir iibrig? Ich f iillte es prazis aus und unterschrieb. Er steckte den Schein in seine Brieftasche. „Nun gehorenSie mir," rief erfrohlockend. „Gestatten Sie mir. dal? ich meine Protektorrolle sofort iibemehme." Damit zahlte er die Zeche fiir uns beide, zog meinen Arm durch seinen und lustwandelte mit mir seinem Hause zu, in dem sich auch das Museum befand. Es waren etwa sechs Sale vol! totem Leben, mit unglaub- lichem Raffinement in Szene gesetzt. „Gute Regie was?" lobte der Alte sich selbst. Aber mit Grund. Im ersten Saale war eine elegante Ballgesellschaft auslauter Toten, vom jiingsten Backfisch, Jixngling bis zu den greisen Balleltem undMauerblumchen; nebst bedienen- den Kellnem und Zofen. Der zweite Saal zeigte Variete mit entzuckenden Arrangements: eine kleine Nackt- tanzerin zum Verlieben lieblich. Der dritte Saal wies mittleres Biirgertum aller Schattierungen in jovialen Gruppen auf. Der vierte allerhand Proletariertypen. Der f iinfte bestand aus Kindern vom achten Jahre bis zum sechszehnten; sie schienen zu spielen; die einen grazios und vomehm, die andern gewohnlich. Der sechste Saal endlich enthielt ein Bacchanale, eine Orgie

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mlt Intimitaten aus Brautgemachem und Schreckens- kammem. Noch nie hatte ich den Tod ein solches Leben atmen sehen. Eswarvollig ein negativer Friedhof. „So!" sagte der Alte und faJ?te mich um die Hiifte; „lieut" schreiben wir den 10. August 1917. Unsere nacbste Feier (wir sind eingetragener Verein) findet am 16. Sep- tember anni currentis statt. Bis dabin leben Sie bequem bei mir und haben Zeit. sich Ibren Platz, Ibre Attitude, Ibr Kostiim auszuwablen. Sie passen, denke icb" . . . er

musterte mich nacbdenklicb am besten in mein Va-

riete, nicht wabrT'

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DIE JUNGFRAU ALS ZAHNPULVER.

l^iaette Wischeln war es an der Wiege gewil? nicht vorgesungen worden, dal?sie noch emmalalsZaknpulver verwendet werden sollte. Arme Jungfrau! Das Auge, das auf sie geworfen wurde, gehorte einem jungenManne an, dessenGehirn nicbt allzurichtigfunk- tionierte. Wissen Sie, er hatte beides: er ■war ziemlich gescheit, aber aucb reicblicb blode. Gescheit genug war er, um sicb in Lisette zu verlieben. Ob er sonst noch Proben von Gescheitheit gab, -well? ich nicbt. Er trug fast stets ein sonderbares Lacbein zur Scbau, ■welcbes, da seine Oberlippe sebr kurz-war, seine Zabne entblol?te; unter uns gesagt, vielleicbt scbone, jedenfalls f iirchter- lich verwabrloste Beil?ercben. Bitte, stellen Sie sicb die Begliicktbeit Fraulein\Viscbels vor, als aus demGebege solcber Zabne ein unmil?verstandlicber Liebesantrag er- tonte. „Nacbbarin, euer Flascbcben," war schon das wenigste, was sie nocb aul?em konnte. Dagegen sagte die Nacbbarin. ibre Freundin Flora Buse: „Mensch, putzen Sie sicb Ibre Zabne, bevor Sie um Liebe trillem. Sie baben \vohl Griinspan gegessen?' Beide Madchen verscb'wanden, die Arme gegenseitig um ibre anmutigen Huften gescblungen. Grinsend starrte Max Bommel ibnen nacb, -wahrend er seinen recbten Zeigefinger ^vie eine Zabnbiirste zwiscben seinen Lippen bin und ber scbob. Ein gemiitlicber alter Burscbe, der neben ibm gestanden und die grausame Abfertigung mit angehort hatte, redete ihn an : „Ein Wort im Vertrauen,

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lieber Nachbar, das Madel hat Ihnen eine gute Lehre gegeben. Sie glauben gar nicht, von was f iir solchen an- scbeinenden Kleinigkeiten der Erfolg im Leben meistens abhangt. Sie sind eigentlich ein ganz hiibscher Kerl. Nu sehn Se mal an! Geben Sie dem ApoU eine Quatscli- nase, und Diana kehrt ihm den marmomenRiicken. Den Zeus von Phidias mit abstehenden Ohren lal?t man gem links liegen. Diewenigsten gleichen doch dem herrlichen Weisen, der noch am Aas des Hundes die glanzenden weif?en Zahne demiitig bewunderte. MVissen Sie, das Schonheitspflasterchen darf nur winzig sein. Passen Sie auf, wie das selbe Madel Ihnen nachrennt, •wenn Sie sich Ihre Zahne gereinigt haben. Nichts filr ungut adieu!"

Damit wollte der gemiitliche Mann in eine Elektrische steigen. Er hatte schon den einen Ful? auf dem Tritt- brette, da ril? ihn Max am Rockschol? so heftig zuriick, daf? beide stolperten und in eine Menge Kehricht iiber- einander fielen. Das Publikum lacht bei solchen Gelegen- heiten, welche im Grunde gamicht zum Lachen sind, immer v^'ieder herzlich. Die beiden klopften sich gegen- seitig den Mist ab, worauf dann Max grinsend fragte: „Sie sollten mir doch erst sagen, mit was ich meine Zahne putzen konnte!" „Ach so." meinte der heimtiickische Greis, „ach so! Und darum Rauber und Morder! Ein

bii?chen, ein bilZchen ha ha ha Kohlenasche.

Nehmen Sie Kohlenasche. junger Mann - - ganz einzig- artiger Erfolg. auf Ehre! Adieu!" Damit fuhr er ab. Max wanderte fiirbal?. Er grinste zahnefletschend und

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wiederholte murmelnd immerfort:„Kohlenasche,Koh- lenasche." In einer Drogerie verlangte er eine Biirste, mit der man Kohlenasche aufnehmen konne. Der Dro- gist sann eineZeltlang nach. Dann gab er ihm ein Mittel- ding zwischen Klosett- und Handseifenbiirste. „Das ist eine schone Biirste," sagte Max lallend und zablte. Der DrogJst gab ihm durchaus recht, er nickte eifrig bestatigend. Max vergal?, sich die Biirste einwickeln zu lassen. Er trottete, sie bald im Bogen sch'wingend, bald wie zur Probe vors Gebil? baltend, seines Wegs. Die Passanten batten das gamicht ungem, niemand war darilber betriibt. ^Kohlenasche, Kohlenasche," murmelte Max.

Da sah er Lisette in ein Haus gehn. Die Biirste wie zum Grul? an den Hut hebend, blieb er stehen. Lisette, sich umblickend, bemerkte es und lachte hell auf. Gleich darauf schlol? sie oben ihr Fenster. Max machte ihr, die Biirste in der Hand, Fensterpromenade. Plotzlich aber horte man gellende, furchtbare Schreie aus dem Hause dringen. Menschen, Manner, ^Veiber, Kinder, Hunde, Katzen, alles kam in Bewegung und stiirzte ins Haus, dessen Bewohner aufgeregt aus ihren W^ohnungen eilten. Die entsetzlichen Schreie, welche aber bald schwacher und schw^acher wurden, drangen aus Lisettens Zimmer. Leider war es fest verschlossen : es dauerte eine geraume Weile, bis man die Tiir aufge- brochen hatte.

Die Schreie waren langst verstummt. Das kleine Zimmer zeigte sich von dichtesten Bran dw^olken ertiillt : aus einem

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im Dunste kaum sichtbaren Haufchen auf dem Ful?bo(ien zuckten Flammen. Der Rauch -war so erstickend, dal? niemand sich ins Zimmer wagte. Die alarmierte Feuer- wehr erschien. Man loschte, drang ins Zimmer und ent- deckte in dem Haufchen die tote, verbrannte Lisette. (Natiirlichwarwieder einmaldasleicbtsinnigeUmgehen mit dem explosiven Kochapparate schuld.) Indem nun alles unter dem erschiitternden Eindruck dieser Katastrophe stand und dasungliicklicheMadchen beklagte, nahte sich dessen verkohlten Uberresten grinsend der edle Max. Zum Schaudern aller Umher- stebenden und ebe jemand es hindem konnte, denn sogar Polizisten und Feuerwehrleute standen starr, als sie es saben;sie sahen es und woUtenes nicbt glauben: stippte Max mehrmals seine breite Biirste in die Asche der Leiche. .,Kohlenascbe! Kohlenascbe!" jaucbzte er und rieb und putzte sich sorgsam die Zahne. Auf einmal aber quollen dicke Tranen aus seinen Lidern. Er begriff das Geschehene, und, ■weinend statt grinsend, fuhr er fort, sich das Gebil? mit Lisettens Asche kraftig zu be- arbeiten.

Ach! Ach!lmlrrenhaus ist es schon. Max geht mit der schwarzen Biirste im Garten spazieren. Er grinst. Seine Zahne leuchten so blank in der Sonne. Ihr aber, alte Burschen mit unverlangten Ratschlagen, bedenkt es, wie leicht euer Wort suggestiv wirke! „Kohlenasche", im Scherz hingesprochen, beschwor ein Schicksal herauf. Gesprochene Asche kann reale machen. Ja, nehmt euch in acht! Sprecht vorsichtiger,

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denkt vorsichtiger! Kitzelt das Geschick nicht einfhal zum Scherz, diese Bestie in der Menagerie des Lebens, deren Necken mit Recht verboten werden mul?. Welche Hoffnungen -wurden bier bucbstablich zu Aache! Wie ich bore, soil aucb Maxens Leicbe (er iiberlebte Lisetten nicht lange) verbrannt worden sein

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BESCHREIBUNG MEINER BRAUT.

Vv elches Dasein ! let kleidete mich in Sonnen, giirtete mir die Milehstral?e um! Welche Kraft! leh bin ein elektrisches Fluidum, durchstemt atherisch. Frueht, Fruelit auf alien meinen Himmelsbahnen. Schwingung, Sehnen, Erf illlen. Ich riesele von Licht, ich bin iiberall, immer, alles in allem . . . Eines Nacbts gegen eins icbscblief imUmfange eines Planetensystems bore ich in einem meiner Myriaden Obren (meine Lokalisations- reflexe funktionieren exzellent) micb flebentlicb ge- nannt werden, in einem binsterbenden Seufzer. den icb aber docb fiir eine Frechbeit bielt: „Mein Seelenbrau- tigam!" Wie wurde mir so iibel! War icb, aus Ver- seben, in irgendeiner meiner parties bonteuses verlobt? Trotz dem scbarfen Sicberbeitsdienst meiner kosmiscb trainierten Organe? Und nocbmals ertonte, bin- sterbender nocb, jener impertinente Anruf : „Mein See- lenbrautigam." Da ril? mir die Geduld. Icb orientierte mich dynamisch und siebe da, auf irgendeiner Win - kelplanetenoberflacbe stand eine in Abteilungen divi- dierte Kiste, „Haus" genannt. In einer der Zellen dieses Hauses lag, auf einer diirren Pritsche, ein kleiner Gegen- stand von langlicber Form, ^venig mehr als ein Meter lang.abernuret'^vaeinDrittelmeterbreitund nocb weni- ger dick. An dem einenEndeseinerLange salJetwasKugel- abnliches, fast ganz mit einer strahlenartigen, fadenf or- migen, blonden Masse bedeckt. Der Teil der Kugel, welcber frei von dieser Masse vi^ar, entbielt eine Art

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Lochvon rotlicterFarbung. Inwendigin dlesemSchlunde sal? ein kleiner roter Korper, der sich gegen kleine elfen- beingelbe Stiickchen be-wegte und dabei die Tone her- vorbracbte. welcbe micb in meiner Himmelstrunkenheit so sehr gestbrt batten : .,Mein SeelenbrautigamT" erklang es wieder. Dabei zuckte der ganze langlicbe Apparat in der wunderlicbsten Weise. Ja, seine Lange richtete sich halb aufvi^arts im rechten ^Vinkel zur unteren. und ich bemerkte jetzt erst, dal? die untere Lange in zwei zylinderartige Formen gespaltet war, und daJ? an der oberen Lange abnlicbe, nur kleinere diinnere. Langs- korper zum Vorschein kamen und seltsam ausgespannt wTirden. Dieses sonderbare Ding, obgleicb es micb ja garnicht wabmebmen konnte. nannte micb also Brau- tigam. Nicbt genug aber damit! Uber dem kleinen Schlunde sal? em bleicher Gipfel, Giebel oder Vorsprung, und xiber diesem recbts und links zwei kleine glatte, blaulicbe. eigentiimlicb roUende Kugeloberflacbenteile. Die Tone, mit denen es micb Brautigam nannte. gingen in eine ganz andere, wnderwartig quietscbige Lage iiber, und zugleicb sickerte aus dem Giebel so'wie aus der Um- gebving jener blaulicben Globen eine tropfenartige belle Fliissigkeit. Der eine obere Langskorper driickte eine weil?e, lappenartige Substanz dagegen und auf den Schlund, so dai?nun die Tone ganz dumpf hervordran- gen. Damit aber nocb nicbt genug, das ganze corpus streckte sich senkrecbt in die Hohe , be'wegte sicb auf den unteren getrennten Langskbrpem von der Pritsche und fiel dann mit etnem ziemlich lauten Gerauscbe um, et-wa

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ein dutzend Mai „Seelenbrautigam" ausstoI?end. Dabei nahm ich die mir bis dahin verborgene Seite des Blockes wahr, namlicb diejenige, woraiaf er gelegen batte; sie unterschied sicb, ■wie es scbien, wenig von der entgegen- gesetzten. Es fiel mir nur auf , dal? zwei buckelartige Erbobungen auf der ein en Seite oben, auf der entgegen- gesetzten dagegen unten angebracbt -svaren. Die Seiten- flacben, einander abnlicb, ■waren viel schmaler. Ich be- horchte und auskultierte nun diesen Korper und fand ihn von einem kurztaktigen Rbythmus erschiittert. Wie aber kame eine Uhr dazu, statt die Stunde zu scblagen, micb Brautigam zu rufen?! Echtes, eigentliches Leben, das ■wul?te icb, batte niemand als icb allein. Es war also offenbar einer meiner magiscbenReflexe undEcbos, wodurcb icb bier gleicbsam Scbabernack mit mir selber trieb. Diese Art treffe ich mitunter auf Planetenober- flachen; fuhle micb unangenehm, ungezieferhaft davon beriibrt. Eine Sekunde spater erblickte ich aber einen sebr ahnlicben Korper, dicbtvor der „Hauskiste". Dieser Kor- per unterschied sicb von dem anderen besonders dadurch, dal? er auch iiber und unter der scblundartigen Offnung und zu deren Seiten mit jener faden- oder strahlenf or- migen Masse bcwachsen war. Diesem Korper spiirte ich einen magnetischen Zug zujenem ersteren sehr deut- lich an. Es war mir ein erwiinschter Wink, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Ich lenkte mit meiner gesammelten inneren Kraft jenen „Seelenbrautigam" tonenden Kor- per zum Sturz aus der Hauskiste, um ihn mit jenem magnetischen Korper zu vereinigen. Tatsachlicb fiel

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der Korper sehr geschickt mitten auf den anderen hinab. Beide Korper gerieten dabei aus der senkrechten mehr in die horizontale Lage, worin sie nur noch ein einziger zu sein und innigst aneinander zu haften schienen. Die verdammten Seelenbrautigamsgerausche borten sofort auf", ■wurden aber durcb mir viel sympatbischere, mehr scbmatzige und zietscbende ersetzt. Icb will mir dieses Mittel merken, falls nocb einmal sicb einlanglicherKor- per f iir meine, der Seele, Braut balten sollte. Uberbaupt Korper! Sie storen mich sonst nicht, aber ■wenn sie nicbt ehrlich Korper, sondern lebendig, Avobl gar liebevoU tun \vollen, sind sie mir, ich kann es nicbt zu Ende sagen, wiescbauerlich, ekelhaft.todlichzuwider. Gliicklicber- ■Nvelse vermag icb sie, ■wie im besagten Falle, durcbaus wieder zu mecbanisieren. Denn icb bin das elektriscbe Fluidum, durcbsternt atberiscb. Frucbt.Frucbtauf alien meinenHimmelsbabnen. Icb riesele vonLicbt. Icb allein, icb allein bin die Seele, und die Korper tonen micb nur wider und sind aucb dann nur Korper, wenn aus ibrem lacberlicben Scblunde Seelenlaute zu dringen scbeinen.

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DER GREIS IN DER VERSAMMLUNG.

yVJiiller vom Kohlensyndikat hatte gerade zu reden begonnen. SeclisunddreiJ?ig Aktionare sal?en auf braunen Holzstiihlen im Halbkreis. Der mittelgrol?e Saal ■svirkte in niichterner Eleganz. Scbobelske (i. F. Resse & Hese- mann) sagte zu seinem Nachbam : Wenn nur der alte Seveking nicht noch in letzter Minute kommt!" Und richtig, in letzter Minute o£Enete der Diener die dunkel- rote Portiere. Miiller unterbrach seinReferat; diesechs- unddrei(?ig Kopfe renkten sich auf den weiCen Kragen- balsen um; Schobelske meckerte leise. Seveking, ein sauberer Greis mit schneeweil?em Haupthaar, welcbes Starr nacb oben gekammt ■war, 'wei^ockigen Bartkote- letten und unerhort hellgrauen grol?en Augen von eigen- tiimlicb hoblem, leerem Blick, naherte sicb mit schlur- renden Schritten. Nach jedem zweiten Schritte stand er langere Zeit still. Er trug in der Rechten eine Art Schulmappe, in der Linken eine blaue Hombrille. Seine Schuhe scbienen absatzlos, die Hosen, viel zu lang, schlamperten •wie eine schwarze Schleppe ZTvischen seinen kurzen Beinen. Den gro^en Oberkorper umhullte sch'warz ein ungeheurer Gehrock, dessen Schbl?e kreuz- schnabelartig iibereinander schlugen. Vom kam eine himmelblaue Sammetweste mit groI?en Goldknopfen zum Vorschein. Seltsamerweise trug er den jugend- lichsten Schillerkragen mit ■weil?seidener Kiinstler- schleife. Seveking schrie mit schnarrender Stimme, indem er wieder stillstan d : „Fahren Sie nur fort, Miiller !"

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Miiller •wiederholte und beendigte den letzten Satz: „Es steht nun einmal so, da(? sich der private Stollen- betrieb nicht mehr rentiert. Wir baben zusammen gegen zweitausend Bergleute, die Weiber und mitarbeitenden Kinder eingerechnet. Wir kommen gemeinsam nicht mehr auf unsere Rechnung. Die Sache sollte jetzt ver- staatlicht werden, Der Staat kauft unsere Anteile auf. Wir bleiben aber mit einem kleinen Prozentsatze be- teUigt . . ." Hier mul?te Miiller innehalten. Seveking war auf dem glatten Parkette mit lautem Knall ausgeglitten. Statt sich aber wieder zu erheben, blieb er sitzen, wo er sal?, wehrte mit heftigen Gesten den Saaldiener ab, der ihm auf helfen woUte. Er setzte seine blaue Brille auf und entnahm seiner Mappe ein Papier, in das er sich vertiefte. Schobelske ging zu ihm bin : „Herr Seveking, so geht das aber nicht. Soli ich Ihnen Ihren Stuhl hier- herbringen? Miiller hat sich schon zweimallhretvk^egen unterbrechen miissen." Miiller, ein schneidiger schwar- zer Kerl, wirbelte wiitend seinen Schnurrbart. „Fahren Sie nur fort, Miiller," schrie Seveking iiberlaut. „Ich babe mir beim Fall, glaube ich. das Knie verrenkt, stehe Folter- qualen aus, beherrsche mich aber." „Was heil?t das," fragte Miiller, „'wollen Sie sich nicht lieber nach Haus scha£Fen lassen? Man wird Ihnen das ProtokoU zu- senden." „Fahren Sie fort," schrie Seveking schmerz- lich und noch lauter. Miiller fuhr mit ungeheurer Verachtung fort: „Das Geriicht, wonach drei unserer Gruben erschopft \varen, hat uns beim Ministerium ge- schadet, sonst waren die Verhandlungen schon perfekt.

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Exzellenz Heif trailer hat die Akten eingesehen und einen sehr giinstigenEindruck bekommen. Die Stimmung unter den Leuten kommt der Verstaatlichung entgegen: die Leute sind eben auch lieber Staatsbeamte als privat." Ein dumpfes Achzen kam aus der Gegend Sevekings. Der Greis hatte sich halb erhoben und sich rasch wieder fallen lassen: „oh oh!" stohnte er. Miiller schlug mit der Hand aufs Katheder und schwieg still. Einundzwanzig Herren. Schobelske voran, verliel?en ihre Platze und stiirzten auf Seveking zu. Dieser -wurde wiitend. Er schnaubte sie schmerzlich, fast -weinend an: ,.So lal?t mich doch! Setzt euch doch wieder hin, meine Herren. Fahren Sie doch fort, Miiller, zum Teufel! Kiimmert euch nicht um mich!" „Lassen Sie sich wenigstens auf ein Ruhebett tragen," riet Schobelske. Der Greis wurde puterrot. „Nein!" heulte er, „fahren Sie fort, Miiller!" Miiller riet energisch zur Verstaatlichung. „Es ist der grol?e Zug unserer Zeit," sagte er. „Die so- genannte freie Konkurrenz ist an sich nicht nur Unfug, sondem gerade ■weil sie es ist, fiihrt sie in ihrerletzten Konsequenzzur Sammlung der Energien in ein er Hand; aber diese ist dann eben eo ipso nicht mehr privat; diese eine, machtigste Hand kann dann aber nur der Staat selber sem. Ergo Aber bester Seveking," unterbrach er sich, „es geht doch nicht! Das geht doch nicht!" AUe sahen hin. Seveking hatte seine Hose hochgestreift; er knbpfte auch oben an ihr herum, zupfte an seiner Leib- w^asche und untersuchte sein Knie, das er sorgf altig be- f uhlte, w^obei er lauter trillemde kleine Seufzer ausstief .

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„Fahren Sie nur fort, Miiller! In Henkers Namen," briillte er, dem Weinen nahe. „Es geht, es geht schon! Nach Ihnen rede ich." ,.Ah," raunte Schobelske, „ich glaube, der alte Fuchs macht nur Obstruktion ; die Ver- staatlichung pal?t ihm nicbt." Miiller scblol?: „Ergo und caeterum censeo: Liquidation; staatlicber Ankauf. Ich bitte um Beschlui?fassung." „Erst will i c b nocb reden," blokte Seveking. Er ■war aufgestanden, batte aber ver- gessen, die Hose herunterzustreifen und zuzuknopfen. Seine seidene Scbleife batte er abgenommen und um das Knie gescblungen, unter dem seine griinen Dessous ber- vorlugten. Den Diener, der ibn stutzen ■woUte, stieJ? er •wiitend zuriick. Er erklomtn wimmemd die Stufen zum Katheder und stand Auge in Auge mit Miiller. Beide saben sicb voUer Hal? an. „Miillers beide Gruben", sagte Seveking traurig. „sind erschopft. Ich alter Mann ware sonst garnicht bergekommen. In meiner Mappe sind die Dokumente dariiber. Natiirlicb ist Miiller fern raus bei der Verstaatlicbung. Und ich, der die meisten Gruben und die ergiebigsten besitzt, fliege rein. Icb armer alter Mann mul? das verhindem, bin darum gekommen. trotz- dem ich bier gar nicht gem bin. Falle immer bin, gleite aus. Mein Knie schmerzt aui?erordentlicb. Ach! Ach!" Miiller batte sicb kasebleich auf seinen Platz gesetzt. Er zitterte. Schobelske spitzte die Lippen pfiffig: ,.Sein Knie schmerzt ibn garnicht; er hat, wie gesagt, obstru- Jert." Die Beschluf?fassung wurde wirklicb aufge- schoben. Miiller verliel? spomstreicbs das Lokal. Aber Seveking scblang seine Binde um den Hals, liel? die

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Hose herunter und eilte ihm nach. „Muller," rief er lachend, „Muller!" Miiller, im Begriff seine Kutschezu besteigen, hielt inne. „He ?" fragte er. „Fahren Sie fort, Miiller! Fahren Siejetztnur fort!" Und Miiller fuhr fort.

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WARUM ICH IMMER SO TRAURIG BIN?

Vvarum bin ich denn immer so traurig ? Warumnur? Ich kann es nicht herauskriegen ach! Das macht mich ja noch viel trauriger. Nun gewil?, es passiert mir zweif el- los viel Schlimmes. Ich verlor vor Jahren memen guten Vater, meine na, gut ■war sie nicht meine schone Mutter. Nein! Wer das Wort Mutter ausspricht, ohne

ich •will nicht sagen Tranen, aber ohne Zahren

2U vergiel?en, auch der macht mich unsaglich traurig! Oft rat mir mein guter Geschmack an, wie die edlen Japaner, meine Trauer unter einem Lacheln zu verbergen, das sicherlich schon manches Herz zerrissen hat. z. B.

das der wunder wundemetten Berta v. Pommchen,

Es war nach dem Mittagessen, wir ging en in den strahlen- den Garten, und in der Gitterlaube mit schattigem Licht

gestand ich ihr voU unsagbarer Trauer meine

jetzt wird man denken: Liebe. Nein, blol? meine unbe- siegbare innere Verdiisterung, die mich verhin derte, mich in Liebe jemandem anheimzugeben. Und um das gute Madchen nicht ungliicklich zu machen,lachelte icb. Ich lachelte in einer so erschiittemden Weise, dal? Frl. v. Pommchen aus der Laube lief", und nebenan horte ich sie zum Gartner sagen: „Walter, haben Sie vielleicht einen Nul?knacker bei sich?" Gott, was die lieben Madchen Schelmerei auf bringen, um einem Sch'wermii- tigen eine frohe Sekunde zu machen. Der alte Herr v. Pommchen sagte mir: „Heigeratet! mein Lieber, das heilt allejunggesellengrillen weiter ist das janichts." Und

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Frau V. Pommchen sah mir so so traut, so

unwiderstehlich traut ins Gesicht und sagte dann gar nichts und rief nur Berta und Iiel? uns allein. Kinder, was -war das eine Trauer so wie wenn Sie immerfort einem uralten Bettler in sein lebens-svundes Auge blicken mul?ten, das nicht mehr auf die Miinze sieht, weil die tastendewelkeHandinz^vlsc^len sehen gelernt hat.Dann Verlobung na,warumweint man nicht nochvielmehr bei Verlobungen? Warum bliebBertas Auge so beleidi- gend trocken. wahrend meines sch^vamm? Die Erinne- rung macht mich seufzen. DannHeirat. DasKind. Wie bab" icb beim (fiir andere so seligen) Moment der Erzeugung dieses Kindes mich, laut aufzuweinen, nicht entbrechen kbnnen! Des Kindes erstes Schreien betaute icb mit Tranen, die gleichsam nocb nal? sind. Ge-sveinte Diamanten so ■w^ahr ich lebe und ungesund bin! Ich babe viel Schlimmes durchgemacht, aber meiner Trauer komme ich nicht auf den feuchten Grund. Wie viele erleben nocb Schlimmeres und gramen sich nicht halb so sebr, wahrend mich auch die heitersten Ereignisse womoglich nocb tiefer verstimmen als dietriibsten.Wor- an mag das liegen? Ich babe fiir meine Trauer keinen Grund, sie ist ein Abgrund, in dem mir mein bil?chen Leben versinkt. Ich -will nocb mehr sagen : meine Tranen flie^en nicht umLeid oderGliick, das ich erlebe, sondem sie fliel?en umnichts Feststellbares im Gegenteil! Ohne solche Scheingriinde, solche scheinbaren Feststellungen warden Sie mich nicht hier sehen, ich ware langst in eine Tranenfletsche zerronnen

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DEINE UNTERHOSEN SIND SCHON!

JL/itte, gegen meine Familie lal?t sich nicht das Geringste einwenden. \Vir aa(?en um unsem ovalen El?ti8ch im schonen dunkelbraunen Speisezimmer: mein Urgrol?- vater, ein riistiger Witwer, der nur den Fehler hatte, ■i^egen Weitsichtigkeit seme Hand mil der Gabel zu ver- ■wechseln;meinebeidenGrol?elternpaare,lebhafteGreise, die sich aber f iir kleine Kinder zu balten schienen: „Du bist nicht artig," sagte Grol?inutter Emma zum angebei- rateten GroI?vater Karl. „Nein !" antwortete dieser nat- schig, „die Lise (seine Frau) nimmt mir meine Klbl?cben ■weg." GroI?vater Adolf, Emmas Mann, fing immerfort Fliegen, traf aber daneben und warf Salzfasser und Weinglaser um; iibrigens sprach er nie. Uber meine Eltern braucbe ich kein Wort zu verlieren; scbon ihr Anblick erheiterte dermal?en, dal? einmal eine Trauer- gesellschaft, als sie eintraten,Lacbtranen vergoJ?. Meine Eltern sind gewil? schbn, aber nur seeliscb; aus Pietat aul?ere ich mich nicht weiter. Die Gesch'wister, drei reifere Herren und ein Backfisch-Zwillingsparchen, halte ich fiir Dutzendleute. Die Briider spielen meistens Karten, erlauben aber Papa nicht zuzusehen oder gar mitzumachen, Nveil sie dabei ernst bleiben -wollen. Sie vergessen, dal? es nur Spiel ist, und verhauen einander in der Regel wegen vermeintlicher Betriigerei. Die Schwe- stern pfeifen nach Tisch Duette, benehmen sich iiber- haupt biibisch; bei den Schularbeiten nehmen sie ihre Zbpfe in den Mund und schlenkem bengelhaft mit ihren

3 Mynona. Mein Pap.. 33

diinnen Beinen. Ein Onkel verdient keine Er'wahnung; er gleicht einem alten Hauatier.

Dagegen drei alterer Tanten will ich gedenken. Tante Paula, Puttchen gerufen, war sehr bigott undschrullig; sie kam sich beilig und atherisch vor und verachtete die ganze Familie. Tante Gertrud, Tuktuk genannt, ^v^eil sie w^ie ein Huhn sprach, war ein lieber Kerl; sie hatte eine sonderbare Schw^ache f iir meinen Urgrol?vater. der aber nichts von ibr wissen w^ollte. Tante Margarete scbliel?licb datierte ibr Alter gem zwanzig Jahre zuriick und versucbte, sicb den Backfiscben innig anzuscbliel?en. wogegen sicb diese aber straubten: sie nannte sicb selbst GreteH. Gritercben, Margerle, liebte sicb uber die Mal?en, bielt sicb fiir einen Ausbund von Scbonbeit und An- stand. In ibrem Interesse bedaure icb es sebr, dal? man auf sicb selber viel liebenswiirdiger wirkt als auf andere.

Nicbt uoerwahnt lassen mbcbte icb unsem Diener August vind unsere Magd Bianka. August trug (ich glaube, aucb nacbts im Bette) standig elnen zerbeulten Zylinder von rostfarbenem Schwarz; er sah aus wie eine Karikatur des alten Goetbe und war stolz darauf. Bianka w^ar verteufelt biibsch. Grol?vaterKarl meckerte verHebt hinter ibr her. Sie war ein munterer Quirl und lacbte immer w^ieder berzlich iiber den Anblick meiner Eltem.

Ich heil?e Tonerl. Ob ich etwas wert sei, mogen Sie selber beurteilen. Ich gete Ibnen sogleicb Anhalts- punkte. Betonen mocbte ich aber meine geradezu wider-

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liche Eitelkeit: eitel war ich auf mein Ich mit allem Drum-und-Dran, mit Haut und Haaren, Kleidem und Seele.

Ich erwahnte gleich anfangs unsere Familienversamm- lung im E^zimmer. Blanka trug eine Schiissel mit kost- lichen Fischen auf; sogar der Urgro^vater achnupperte mit den Niistem. Aber ichallein von der ganzen gro^en Familie bin kein Liebhaber von Fischen. Man sagt ja, das Menschengescblecbt sei wie alles Leben aus dem ^Vasser entaprungen; vielleicht flo^te mir eine tantali- diache Ahnung dieaes Grauen vor allem Fischigen ein ? Ich nahm keinen Biases davon zu mir und das rettete mir das Leben, w^elches meine geaamte Familie bei dieaer Gelegenheit einbuf?te; auchBianka vmd Auguat suchten das (eventuell beaaere) Jenaeits auf. Sie atarben alle, und eine merkwurdigelronie wollte es, dal?ausgerechnet mein Urgro^vater das zaheste Leben hatte. Der Fisch war giftig gew^eaen und veruraachte diese zweifellos erschiittemde Kataatrophe.

Nun, sonderbar genug! Meine Eitelkeit iibertraf meine Trauer. Ala einziger Erbe des nicht geringen Ver- mogena f iihlte ich mich zugleich die Quintesaenz meiner geaamten Familie, summarischen Reprasentanten ihrer vereinzelten Qualitaten. Ich fiihlte mich vereinzigt. Meine todestraurige Melancholic (es w^aren halt doch nette liebe Angehorige gewesen) durchdrang sich mit dieaem Besonderheitagef iihl , imd dieae Gemiitaver- fassung bestimmte mich zu dem Entachluss. die Ein- samkeit aufzusuchen. Ich verpackte mein Erbteil mit

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.Hilfe eines Spediteurs und liel? es nach einer oden frie- sischen Insel transportieren, auf der ich mich in einer abgelegenen blockhausahnlichen Villa eremitisch ein- richtete. Dort weihte ich mein noch iibriges Leben nur der innigsten Familienpietat. Ich weil? nicht recht, ob ich mich bier selber verstehe? Ich verilble niemandem, wenn mein Gebaren ibn bizarr diinkt. Aberaufeinen Scblag die ganze Familie zu verlieren, ist an sich schon einBeweggrund zu sehr wunderlichemVerhalten. Hinzu aber, 'wie gesagt, kam meine sich geradezu komodienhaft entwickelnde Eitelkeit.

Zunachst tappte ich nur blindlings dem Ziel meiner pie- tatvoUen Instinkte nach. Ich liel? mir die Familie in AVachs modellieren und arrangierte sie im ererbten Speisezimmermeublement in alt liebvertrauter Weise. Von diesemVersuch rate ich ehrlich jedem ab, der seinen verstorbenenAngehorigen wahrhaftePietat weihenwill. Ge^vil?! Es webte mich so herzlich, so alther, so schauer- siil? an; der wachseme Urpapa zumal. Es wirkte aber auf die Dauer . . . Goethe ^viirde sagen, zu apprehensiv. Ich entfernte wieder einen nach dem andern, obgleich meine Eltem mich lacherten und die Backfische drollig genug waren. Verstehen Sie mich, es wurde mir zu ge- spenstisch mochte das sein: aber meine personliche Eitelkeit ging so schauderhaft leer aus. ELastmals nun ertappte ich mich auf mimischen Imita- tionen meiner (vielleicht seligen) Lieben. Ich sal? in der Haltung des Grol?vaters Karl da; schliel?lich konnte ich jeden einzelnen imitieren,dieDamen nicht ausgenommen.

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Ich iibte mich, spielte scliliel?licli jede Familienrolle, sogar die Backfische: August und Bianka nicht zu vergessen. Ich zwang meine Stimmbander zu den Klangen der Or- gane meiner Verwandten. Es gelang immer tauschender. Ich glaube, zuletzt verlernte ich mich selber. Dieses Spiel fiillte nun meine Einsamkeit in trostreichster Weise aus. Ich ersetzte mir meine verlorene Familie; sie erstand, in meiner Person, mit jedem Tage frappanter von den Toten.

Wiichentlich dreimal besorgte mir eine entfemt woh- nende Insulanerin, eine verknocherte Seemanns'witwe, meine Aufwartung. Da kam mir der gelungeneEinfall, ihr die kassierte Wachsfamilie, uber vvelche sie sich (f iir meinen Geschmack iibertrieben) gewundert hatte, lebendig in meiner Person vorzufiihren. Ich begann mit den Mannern und empfing die Alte, nach der Ancienni- tat. zunachst als mein Urgro(?vater; be8al?ich doch samt- liche Orginalkostume. Die Alte starrte mich verdutzt an, schiittelte stumm ihren mageren Kopf und ging an die Arbeit. SchlieI?Iich waren alle MannerroUen abgehas- pelt. Die Alte aulJerte sich nicht. Nur als ich zuletzt unseren Diener August gab, sagte sie anerkennend: .,So konnte derHerr mir eigentlich bei der Arbeit helfen!" Sehr uberrascht aber schien die Alte. mich das nachste Ma,l in Form meiner Grol?mutter Emma •sviederzusehen. Sie schlug die Hande ■wiederholentlich ubermKopf zu- sammen, schwieg jedoch still. Diese Leute bier reden iiberhaupt nicht viel. Meine Mutter vergniigte die Alte innig: sie kreischtevorEntziicken. Ich nahmesalsDakapc

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und gab dlese Rolle mehrmals. Nach Bianka, aiif die aie ein wenig wiitend zu sein schien, kamen die Back- fische an die Reihe.

Im Vertrauen gesagt: Dieae Aufgabe fiel mir sehr scbwer. Ich vereinfachte sie mir, indem ich, da die Z'willinge einander atnelten 'wie ein Ei dem andem, nur einen darstellte. Ich legte meine Elire hinein, ihn bia auf das intimste^Vaschestiick getreu zu imitieren. Vor einem grol?en W^andspiegel probierte icb die ganze Nacht hin- durch, bevor die Alte kam, meine kleineSchwesterNini, deren Waschestiicke mir leider nicht recht passen wollten. Icb z-wangte meine Scbenkel in ibre engen Unterboscben und paradierte damit vorm Spiegel. Im selben Augenblick sagte deutlich die Stimme Mimis. des anderen Zwillings: „Deine Unterbosen sind 8 ebon!" Mir wurde ratselbaft zumute. Die Stimme schien aus dem Spiegel zu tonen.

Vergeblicb, dieses Phanomen zu crklaren! Ich unter- sucbte und griibelte umsonst. Icb konnte die Ursache nicht entdecken. Vermutlicb war es das Echo meiner Eitelkeit, welches aber nur deshalb so laut wurde, well ich, im Grunde genommen, so verzweifelt traure. Uber- taubt man seine Seelenschmerzen mit banal komischen Allotrien, so melden sie sich wahrscheinlich desto dra- stischer, aber eben banal? Jedenfalls empfing ich als Nini meine Alte.

Einen machtigeren E£Fekt babe ich nie bewirkt! Sie rannte weg und kam mit alien Ortsbeborden, dem Arzte, dem Apotbeker und einerMengeGendarmen und Nach-

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barn wieder. ^Vir strengten uns an, uns gegenseitig zu verstandigen. Ich naKm meinen Madchenzopfz^vischen die Lippen und schlenkerte mit den Beinen. Die Leute lachten und iohlten. Der Arzt empfahl mir ein Sana- torium.

Ich habe sehr stark den Eindruck, da(? diese Leute ihren Toten nicht ordentlich nachtrauem. Dabei gibt ihnen der Dichter den so praktischen Rat: „Seele, vergil? sie nicht!" Ich will mal zusehen, ob ich pietatvoUer Ver- wandlungskiinstler werden kann: in fiinf Minuten meine ganze Familie!

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DER SONNENMISSIONAR.

X^s ergmg nun von der Sonne aue jener elnzige Strom, jene unendlich wiondersame Ein'wirkung. Sie ■war gar- nicht mil?zuverstekn. Haben Sie die Sonne erlebt, ge- fiihlt, . . . gewollt? Die Wirkung der Sonne ist gut, sie ist gottlich, sie ist nicht niiJ?2uverstelien. Und dock! Und doch ■wird sie miCverstanden. Sie wird, sofort wie sie sich aul?ert, mil?verstanden. Der Planet macht Tag vind Nacht, Aufgang und Untergang daraus. Die einzige Sonne wird zwitterhaft in dieser Wirkung verschielt. Erde, kleines Dorf der Sonne! Welches Wunder, das du nicht spiirst. weil du irdisch und nicht sonnig lebst, durchdringt deine Angste, deine schrecklichen Quale- reien! Ist Bildung, Gelehrtheit, W^issenachaft nbtig, um Sonne in sich aufzunehmen? Nein, sie ist das Leben selber; wer nicht tot ist, erlebt sie. Dieser sonnige Ather, kraftstromende Duft, energischste Zartheit. gottlicher Anhauch! In •welche Teufeleien wirst du von armen irdischen Teufeln. Menschen genannt. hmeinverlebt! Sie ist erhaben iiber Tag und Nacht, und Tag nur ihre andere Finstemis sie. beide erleuchtend. Wir sind in den Gassen einer Erdstadt, einer Residenz. Goldner Abendsonnenschein flutet in das Fenster Nika- nors, eines jungen Mannes. der die Sonne gem bis in sein Innerstes dringen liel?. Seine Seele schwelgte un- aufhorlich in Sonnenbadem, sein Leib nicht minder. Schlie^lich hatte er sich ganz in diese Heliomanie ver- loren. Den Gesichtspunkt fiir alles, was er dachte,

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f iihlte, wollte, in der Sonne nehmend, empfand er sogar selnen eigenen Menschen als unterhalb seines Sonnen- selbstes, als blol?en Satelliten.

Er schlug die blal?blaue Gardine zuriick und stellte sich in die rote Sonnenglorie. Ein Geriesel lichter Flocken scbien sicb vor ibm zu verdicbten; es nabm Gestalt an. Vor ibm stand in einem matten Scbimmem ein Greis, durchsicbtig wie aus Licbt geronnen. Der Rumpf zeigte undeutlicbe Konturen, aber das Haupt strablte in leucb- tenderDeutlichkeit, erhaben weise mit beredten Lippen, und die Lippen offneten sicb zufolgender Anspracbe: „Endlicb! Nikanor, endlicb ist es uns gelungen, einen Menscben ganz f Ur uns zu gewinnen. Endlicb ein Menscb, der den Kopemikus nicbt nur tbeoretiscb, sondem aucb praktiscb erlebt und sicb, zur Fiibrung seines irdischen Wandels, ganz und gar der Sonne uberantwortet." Nikanor, voller Freude, sicb so wunderbar bestatigt zu finden, wollte begeistert sprecben. „Spricb nocb nicbt", bat ibn der Greis. „Besucbe uns diese Nacbt, und du soUst erfabren, was wir mit dir beabsicbtigen: um zebn Uhr erwartet dich ein Gefahrt gegeniiber deinem Hause- Du wirst kommen?" Kaum batte Nikanor bejabt, als sicb die Erscbeinung in licbten Dunst aufloste. Die Sonne sank. Nikanor kleidete sicb zum Ausgeben an. Also ein Signal, eine Verbeil?ung der Sonne selber! Diese Obmacbt aller irdiscben Macbte wollte sich endlicb mit der Obnmacbt des Geistes verbinden, der brutalen anscbeinenden Ubergewalt der geistlosen Macbte die ecbte Oberbobeit entgegenstellen. Gelang

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es. dem Geiste Tatkraft, der Tatkraft Geist zu geben : gelang es, die Sonne des Geistes unmittelbar auf die materiellen Energien einwirken zu laasen, so hatte alle irdische Not ein Ende. Der Geist, mit der Sonne im Bunde, ist reich genug, um ein verschwenderisches Le- ben iiber die Erde auszugiel?en.

Gegeniiber dem Hause sab Nikanor, als die Uhren zehn Scblage taten, einen Wagen balten. Er begab sich bin- unter. Der gewobnlich aussebendeKutscber, ibn kommen sehend, zog, vom Kutscbbocke aus, die Tiir mit einem GrifiFe avif xind liel? die beiden braunen Pferde sofort anzieben, als ■wollte er Nikanom jedes Wort abscbnei- den. Nikanor scbwang sicb in den Wagen. Es ging, etwA zwanzig Minuten lang, durcb ein Gewirr von Gassen, der Peripberie derStadt auf ein besseres Villen- viertel zu. Der Kutscher bielt vor einem kleinen Hause mit griinlicber Holztiir. Nikanor stieg aus ; der Kutscber fubr wortlos ab. und sofort oflEnete sicb die Tiir. Ein junger Mann empfing Nikanom. Er fiibrte ibn, iiber eine Art Diele, nacb einem Raum, in dem secbs oder sieben Manner auf SesselnPlatz genommen batten. Beim Eintreten Nikanors erboben sie sicb von ibren Sitzen und begrijl?ten ibn stumm: der junge Mann hatte sich entfemt.

Gegen elf Uhr o£Enete sich eine bis dahin unbemerkte Tapetentiir, und herein schritt jener Greis, jetzt voll- kommen sicbtbar, ein weiser Alter, gekleidet wie ein zivilisierter Mensch in Schwarz mit weil?er ^Vascbe. Auf Nikanom zuscbreitend, begriiCte er ihn lebhaft

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und driickte ihm die Hand: seine Augen von allwissen- der Klarheit leuchteten erfreut: „Es ist schon, dal? Sie gekommen sind! Meine Herren," wandte er sich an die andem. ,.ich mochte Jetzt nicht langer zogem, Ibnen den Plan vorzulegen. Ee handelt sich dieses Mai um einen Eingriff, der vielleicht trotz allem einiges Auf- sehen erregen konnte. Wir werden zwar keine eigent- liche Katastrophe herbeif iihren ; sie wiirde ja. wie Sie wohl wissen, z'wecklos sein, da wir ja nicht verwirren und betauhen, sondem ordnen und erwecken wollen. Aber immerhin! Leicht vergreift man sich bier in der Wahl des Mittels. Ich beabsichtige jetzt eine vorsich- tige Neuregulierung.

W^ie Sie wissen, haben w^ir diese Leute zu lange schon sich selbst uberlassen. Die Sacbe hier schlottert und schielt bedenklich. Man konnte ja natiirlich katastro- phal eingreifen. VieUeicht gelingt es aber doch, indem man die Ziigel stra£f anzieht. die Leutchen zur Raison zu bringen; das scheint mir eines Versuches wert!" „^Vie meinen Sie das?" fragte Nikanor. ,.Meine Herren! Ich babe unsercn Nikanor herkommen lassen, weil wir ja langst schon auf ihn aufmerksam gewesensind. Esist nicht mehrmoglich, diese sogenannten Oberen hier in unseren Rat, ob auch noch so geheim, einzuweihen. Diese Menschen sind wackere Dorfschul- zen, nichts weiter. Wir haben ja auch seit Immanuel Kant unser Augenmerk auf diejenigen gerichtet. welche mehr sonnig als irdisch sind und ihre irdischen Angelegen- heiten atrikt von der Sonne aus betreiben. Sie wissen

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aben wie schwer es uns geworden ist, nach und nach mltNikanor ins Einvemebmen zu gelangen; er sckeint auch jetzt noch nicht einzusehen, was ich meine. Ni- kaoor, Sie wissen, dal? die Sonne nie irrt?" ..Gewil?!" bestatigte Nikanor.

„Die Sonne ist vrnfehlbar, sie ist richtig, sie liigt nicht im geringsten. Und gerade darum fiibrt die Aul?erxmg ernes so erlauchten Wesens in ein Labyrinth von Mil?- deutungen, z. B. von Menscben. Denken Sie, Nikanor. was einem Kreis gescheben mill?te, wenn dieser eines scbbnen Tages sein Zentrum z^var nicht verlbre, aber vergalJe. \Vie ■wiirde er sicb verzerren.sichselberkari- kieren. Kurzum, wir bescbliel?en, den Kreis der ver- fahrenen menscblich-irdischen Angelegenbeiten aus seiner Verschrobenbeit rein \viederberzustellen, indem wir die Erinnerung ans Zentrum. an die Sonne, wieder ■wachrufen. Wir werden Stemheilkunde. Stemortbo- padie betreiben miissen. wir Arzte der Erde. und Sie. mein lieber Nikanor, sollen hierbei eine ge>visse Ver- mittlerrolle zw^iscben uns und den Menscben iibemeb- men Sie sind bereit?" ..Soweit icb irgend kann." ..Gut denn.

Folgen Sie mir !" Man begab sicb in einen riesigen weiffen Raum von elliptiscber Form. Er war fensterlos und auf eine unerkennbare Weise kiinstlich beleuchtet. In der Mitte scbwebte voUkommen frei eine Art Gestange mit Hebelwerk. Aus einer metallenen Kapsel. welche darin bing. zuckten von Zeit zu Zeit feuerfarbene Ra- dien von unregelmal?iger Form. Zuweilen spaltete sicb die

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Kapselauseinander, vwobei die Strahlen sich noch krauser verzerrten. Es befand sich in diesem Raum nicht das allergeringste Mbbel. Aber man erfreute sich einer son- derbaren Leichtigkeit derGlieder; man batte das Gefiihl zu schweben, das eine Miidigkeit gamicbt aufkommen lie^. „Nikanor," sagte der Greis, „treten Sie naber. Sic lernen bier, wie man durcb das Kleine das Gro(?e re- giert. Diese Kapsel stebt mit dem Erdzentrum in einer so genauen Funktionsbeziebung. dal?, wenn icb die Kap- sel ■willkiirlicb variiere,die Erde automatiscb in einer pro- portionalen Entsprecbung folgen mul?." „Aber auf diese ^W^eise," sagte Nikanor, „konnten Sie ja mit einer ver- bangnisvollen Leicbtigkeit und icb WTandre micb, da.B noch kein Unfug gescbeben ist alles Irdiscbe iiber den Haufen werfen, ■wie es Ibnen beliebtT" ,.Nein," erwi- derte der Greis, wabrend die iibrige Gesellscbaft lachelte, „Sie sind aus mebr als einem Grunde im Irrtum. Erstens kann bier nur die sonnenreinste Hand etwas ausricbten, der allerbeste Wille, der natiirlicb im Gegenteil auf die regelrecbteste Ordnung aller Dinge gerichtet ist. Zwei- tens kann sogar dieser allerreinste ^Ville nichts aus- ricbten, wenn er sicb nicbt eines menscblicb irdiscben als Vermittlers bedient wir bo£fen bierbei auf Sie, Ueber Nikanor. Drittens wird es aucb diesem Vermittler durcbaus nicbt leicbt, sondem entsetzlicb scb^ver ■wer- den und erst nacb vielen Ubungen und enscblossenster BefestigungiminnerstenSonnenselbstvertrauengelingen, durcb diese kleine Kapsel die Erde zu konzentrieren vmd aufrecbt zu stellen.** „W^as versteben Sie uuter Auf-

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rechtstellenr* „Die Erdachse, also die Erde, stcht nicht lotrecht, sondem schief zur Ebene ihrer Bahn. Und genau, gleidmisweise gesprochen, um den ^^inkel, in welchem sie gegen die Sonne geneigt ist, gehen alle Erdangelegenheiten schief." „Das leuchtet mir intuitiv ein,'" sagte Nikanor, „obgleich es sch'wer sein mochte, es begrciflich zu machen." ,^s ist nicht so schwer, doch f iihrt es uns zu weitab. \Vir werden es lieber zu prakti- zieren versuchen. Ich frage Sie nochmals im Namen aller Anwesenden: wissen, fuhlen Sie, dal? kein irdischer Wille, ohne den vorangangigen sonnigen, et'was Rechtes ausrichten kann : dal? alle rein irdische Betriebsamkeit von Grund aus verfehlt und vergeblich ist? "Wenn Sie dies wissen und fuhlen, so woUen wir dann danach zu han- deln versuchen." „Ich weiiP und f iihle es," erklarte Ni- kanor einfach. Alle Anwesenden gaben ihm die Hand; der Alte umarmte ihn geriihrt.

„So wenig", sagte er, „der irdische Wille allein etwas ausrichten kann. so wenig kann es der sonnige allein: sondem der irdische muf? ihn vermitteln, ihm helfen. Das ist aber sehr selten. Wir ho£fen, Nikanor, Sie konnen zwischen Sonne und Erde vermitteln." ,Jch mochte mir das geme zutrauen," versprach Nikanor. „Sie wijrden erreichen, was noch kein Mensch erreicht hat: Sie w^iirden die gesamteErde zumParadies machen. Studieren Sie nun die Kapael. In diesem elliptischen Saal konnen Sie sich bewegen, in welcher Richtung Sie wollen, also auch vertikal und diagonal. Sie verspiiren auch gewi^ die Schwere Ihres Leibes ganz anders, viel

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mehr von Ihrem AVillen abhangig, in den Gliedern als sonst?"' „Es ist mir aufgefallen," beatatigte Nikanor. „Nun denn, schweben Sie getrost auf die Kapsel zu!" Nikanor tat es, und es gelang iiber Erwarten gut. Der Greis begleitete ibn. Die iibrigen gruppierten sich schwebend um beide, ,.Diese Kapsel", erklarte der Greis, „ist, wenn Sie genau hinseben, in Halften, gespaltet. Beobacbten Sie diese Halften, und sagen Sie mir, was Sie denken". Nikanor blickte mit gcspannter Aufmerk- samkeit bin. „Es ist", sagte er nach einer Weile, „als ob diese Halften einander krampf baft sucbten, als ob bald die eine, bald die andere triumphierte, wabrend sie docb eigentlicb barmonieren woUten, welcbes ibnen mil?lingt. Icb bemerke aucb, sobald aucb nur annabemd eine Zentrierung dieser Gegenseitigkeit stattfindet, dal? dann die Radien, -svelcbe aus der Kapsel zucken, eine reine Spbare zu bilden scbeinen."

„Sie haben sebr gut beobachtet. Erkennen Sie aber die Bedeutung?" „Nicbt mit Sicberheit, icb vermute cine Analogic." „Sievermuten das mit Grand. Icb babe Ibnen gesagt, dal? Sie durch Rcgulierung der Kapsel die Erde regulieren kiinnen. Die Erde ist krank. Ibr System von Gcgcnseitigkciten,Hemispbare gcgcn Hemispbarc.korre- spondiert nicbt rund und ricbtig, weil das Erdzentrum, von den Brcnnpunkten des Ellipsoids glcicbsam gequalt, zerrissen, uberkreuzt, verscbielt ■wird. Sie sehen die gewaltigen Zerr- und Quetscbkampfe in der Gegen- seitigkeit der Ricbtungcn, in Jedem Betracbte, intellek- tual, im Gemiite und im ethischen W^illen. Sie sehen

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sie in der Natur, in der Kunst vind in den menscKlichen Beziehungen. Aller dieser Gegenseitigkeit fehlt die Mitte, die Harmonie, das Gleichgewicht, die Balance, das eindeutige Stimmen. Das aber kann nicht von der Erde selbst besorgt •werden; es mul?, vermittelst einer Transmission gleicbsam, eines besten Willens, von der Sonne auf die Erde iibertragen werden. Dieser gute ^A/^ille sind Sie, Nikanor, dieser Transmissionar; und bier, in der Kapsel, seben Sie das Ubertragungswerk- zeug, welcbes aber nur unter der Bedingung, dal? guter Wille sich seiner bedient, prazis funktioniert." „^Vas babe icb zu tun?" „Konzentrieren Sie sicb innerlicbst in Ibrem Wesen absolut sonnig, ■welt-ein- verstanden. Ergreifen Sie die eine Halfte der Kapsel aber das wirdnicbt leicbt sein!" Vergebens versucbte Nikanor, eine Kapselbalfte in die Hand zu bekommen. Von seinen Handen scbien eine stark abstol?ende Kraft auszugeben. Sowobl die eine wae die andere Halfte prallten zuriick, wenn er die Hand naberte. „Priifen Sie sicb," wamte der Greis, „vielleicbt ist die Be- gierde, mit der Sie die Hande ausstrecken, zu beftig; vielleicbt ist Ibr guter Wille so zittemd, dal? gerade dieses Zittem Ibrer Giite die gute Wirkxmg verbin- dert. Sie miissen regungslos stille in Ibrem WiUen werden!"

Auf Nikanors Antlitz spielte sicb ein Kampf und Krampf ab, auf einmal ward es von einer mystiscben Scbon- heit durcbleucbtet. Im selben Moment gliickte es ibm, der einen Kapselbalfte babbaft zu werden: sie strablte

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sonnenhell auf, indessen die andere in emern finster- triiben Dunkel beharrte.

„Halt!" rief der Alte, „jetzt oder niemals ist die Krisis da. Harren Sie aus! Blelben Sie in sich selber ganz ruhig; ungeteilt, allein! Warten Sie ab! Die andere Halfte muQ jetzt magnetisch angezogen -werden, -wenn Sie nicht schwanken. Das aber mag Sie beruhigen; ist erst einmal das echte Komplement beider Halften erzielt, so kostet es Sie von da an unvergleichlich -weniger Anstrengiing, Ihren Willen konzentriert zu erhalten. Das erreichte Ziel des Willens hebt zwar nicht den Willen, aber dessen krampfhafte Anspannung auf." Gleich darauf batte man die Empfindung einer elektrischen Sensation. . Die Kapselbalfte in der Hand Nikanors gliihte gelb- orangen auf; die andere freie Halfte begann in einem satten Blauviolett zu leucbten; z'wischen beiden Halften zuckte es bald purpum, bald griinlich bin und her. Ein irisierender Strahlenbiischel loderte von den Kapsel- polen aus durch den ganzen Raum. Nikanor stiel? einen Schrei der Entzuckung aus; er hielt die ganze, runde, voile Kapsel in den Handen, und durch seinen Kbrper ergol? sich ein ^Vohlgef iihl sondergleichen. eine Wahr- heit, welche \Vollust -war, und zugleich eine Willens- tatkraft, welcher nichts auf Erden wUrde widerstehen kbnnen. „Wir huldigen dem ersten Gouvemeur der Sonne auf Erden!" AUe Anwesenden w^aren begeistert und freuten sich mit Nikanor. „Sie losen das alte Erd- regiment ab, die alten Regentenfamilien undPrasidenten. Sie -werden der erste . . . nachhistorische Fiirst sein, und,

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da Ihre Macht nicht Konvenrion, sondem Natur oder vielmelir ^A^issen, Gemiit, Wille ist, Magier. Sie be- herrschen, kraft der Sonne und kraft vor allem der Sonne in Ilinen, die Erde. ^V^ir iibergeben Ibnen diese Lokalitat." Der Jiingling, der ibm geofifnet hatte, er- scbien auf einen Klingeldruck und reicbte Nikanor einen Ring mit Schliisseln. „Verabschieden Sie sich von uns. Sie werden von der Sonne aus unsere ^Vei- sungen erbalten. Die Kapsel nebmen Sie -wobl in acbt. Sie ist freilich nur ein Insignium; aber der Talisman, die Wappen und Zeicben der Magie des Willens sind ■wirklicb das, Nvovon die irdiscbe Heraldik nur der karikierende Vor- oder Nacbspuk ist. Vom Willen mit Kraft begabt, kraftigen sie riickwirkend aucb -wieder den Willen." Man begab sicb mit Nikanor eine Wendeltreppebinauf zueinerPlattformauf demDacbe. Nun ereignete sicb etwas Sonderbares. Alle Anwesen- den, bis auf Nikanor und den Jiingling, scbwanden op- tiscb dabin: lange goldene Garben und Streifen in der Luft zuriicklassend, verflimmerten die Gestalten zu- sebends. Der Jiingling sagte: ,.Icb bleibe vorlaufig nocb bier, um Sie in ge'wisse Au{?erlicbkeiten einzuweiben. AVundem Sie sicb iibrigens iiber diesen beliogaiscben Verkebr nicbt ubermal?ig: Der Leib, die pbysiologiscben Funktionen sind nicbt so winzig, wie sie fiir das Auge scbeinen; sie sind, dynamiscb empfunden, riesenbaft kosmiscb, interastral. Der menscblicbe Leib ist nur die Eierscbale, die Puppenbiille des ecbten, des zwiscben Stemen mit leicbter Miihe verkebrenden, dessen

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Schwungkraft Sie bald in Ihnen sich werden regen fiihlen. Sobald Sie jetzt aus dem Hause treten, wird man Sie unwillkiirlich erkennen. Lassen Sie sich durch alle diese Sensationen nicht aus der Fassung bnngen. Gehen Sie sogleich zum koniglicben Scblosse und han- deln Sie. wie wenn dieses zunachst Ihr Heim, Ihre Re- sidenz sein sollte." Nikanor bestieg drauCen eine Elektrische. Mittlerweile Avar es heller Morgen ge- ■worden. Das goldeneFriihrot einesSommertagesatheri- sierte die Luft und alle Dinge in ihr. Aber wie hatten die guten Leute beim Anblicke Nikanors nicht sofort bis zur Angst erstaunen und dennoch einer geheimen Freude teilhaft werden sollen: Nikanor leuchtete und Avirkte sofort ^vie ein sanfter Blitz. Jeder erkannte ihn auf der Stelle und fiihlte sich von ihm erkannt. Jeden durchdrang sein Gedanke, sein Blick, sein ^Ville wie eine unmittelbar wirksame Orthophadie, welche Ver- renktheiten, Verschrobenheiten, Verzerrungen rekti- fiziert. Einem Prisma gleich, das die sonst nur niich- terne Kontrastik von Hell und Dunkel farbig illumi- niert zu verstehen nicht nur, sondem lebhaft anzu- schauen gibt, zerspaltete er den Gegensatz, aus dem jeder einzelne, ohne es leicht zu merken, besteht, so empfind- lich, daJ? er jeden in eine -svohltuende Ver-wirrung brachte veohltuend: denn mitten in dieser Gegen- satzlichkeit meldete sich in jedem plotzlich das einheit- liche Sonnenherz f iir deren Harmonic. Der hose WiUe und Neid, woraus nach Goethe die empirische Welt sittlich besteht, empfing elektrische Schlage heilsamer

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Natur. Nikanom ^elang es, durch seine blo^e Erschei- nung die Menschen sittlich zu elektrisieren. Es gibt sonderbare Schlaganfalle. Es gibt Nervenscblage der Gesundung, ja der Unsterblicbkeit. Nikanor wirkte pandemisch wie eine negative Pest, eine Rekonvaleszenz sondergleichen. So begab er sich, dynamiscb armiert, mit der Wafife seines Willens allein, welcbe gefabr- licber als jede sindere, zugleich aber statt totendimmor- talisierend ist, ins kgl. Scblol?. Polizisten und Leib- wacben, Lakaien, Kammerherren und Diener fubren vor Nikanom zusammen und auseinander TvieTiere vor dem Gewitter. Im Kristallsaal fand Nikanor die ge- samte kgl. Familie mit dem Kreis der Intimen ver- sammelt. S. M. erscbrak vor Nikanom bis ins innerste Herz, aber dieser tiefe Schreck fiihrte zugleicb eine fast ebenso intensive Reaktion mit sicb, eine Empfin- dung, -wie 'wenn HoUe und Himmel zusammen gerieten. So sab es im Busen S. M. aus! In einer unwillkiirlicben Regung retirierte der hobe Herr zum Tbron, aber Ni- kanor, an ihm vorbei, stieg die Tbronstufen empor und placierte sich, -svabrend der gesamte Hof mystiscb er- starrte, auf dem roten Brokatsitze, der scbon so manche koniglicbe Beeindruckungen erfahren hatte. Dann zog er seine zauberbafteKapsel hervor. Und kaum ■war das gescbeben, als drohnend und den Erdball durcbschut- temd eine Katastrophe ausbracb; aber eine Katastrophe der gottUcben in sicb gegenseitigen Art, wie Nikanor kraft seiner magischen Sonnengewalt sie allein be'^virken konnte. Man sollte namlich iiber die Bedeutung von

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Katastrophen, seien es nun pbysische, gemiitliche oder moralische, sonnenhaft umlemen! Wie die Symptome einer Krankheit zugleich deren Heilmittel abgeben, wenn der Arzt den Winken der Natur folgt, so sind alle Katastrophen Katastrophen der Uberfiihrung einer geringeren Harmonic in eine innigere, wenn man selber unverbriicblicb harmonisierender Wille, Orpheus in einem nur durch die Formel „Sonne" auszudriickenden Grade ist. Nikanor war dieses. Er zuerst inkamierte auf Erden einen solcben orpheischen Sonnen'willen. Da- her auch fiel dieKatastrophe, die er erregte, sich gleich- sam selber in den fiirchterlichen Arm. Das Schlof? z. B. barst einen Moment lang auf und auseinander, zur uraltenRuine geworden. Um denThron berum dieHof- personen, in gral?lich modernde Leicben verwandelt, der Konig griin bis in sein Gerippe, umgrausten Nikanor. Docb dieser, tbronend, allerSensation geistesgegenwartig uberlegen, warteteunerschiittert ab. Undsiebeda! Die Gegenkatastrophe, die „AntistTOpbe", die unerhort auf- bauendeAVirkung bracb ebenso beftig herein wie vor- her die zerstbrende. Das Schlol? erstand aus dem vor- maligen ■wie die wunderbarste Blume aus einem Grabe. DieMenschen ■waren hohereWesen geworden; Nikanor der Gott der Erde. S. M. waren der erste, der dies an- erkannte. Irgendwelcbe Mil?verstandnisse gab es nicht mehr; sondern jeder kannte jeden, fiihlte mit ihm mit, und sie bandelten unwillkiirlich mit der genauesten Grazie gegenseitiger Beriicksichtigung. Scbliel?lich ricb- tete sich die Erdachse lotrecbt zur Erdbahn auf. Eine

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allgemeineTag- und Nachtgleiche, sonst etwas soFliich- tiges, erklarte sich in Permanenz, und zwar bedeutete sie die Harmonic nichtnurvonTagvmdNacht, sondern aller Gegensatze aller Dinge. Bei dieser Gelegenheit stellte sich nun erst heraus, wie unecht, ■wie falsch bis- her nicht nur Menschen, Tiere, Pflanzen, sondern sogar aucb das Mineralreich gewesen war. Denn jetzt erst, als sich z.B. der chemische Gegensatz (die beschrankten, von Goethe nicht aufzuklarenden Gelehrten batten die Welt unitaristisch, monistisch statt realdialektisch, difiFerentistisch, polaristisch dual behandelt!!!) deutlich erklarte und harmonisch aussprach, kamen, aus den ver- schrobenen, verkrampften, verzerrten StofiFen dieechten zum Vorschein und echte Luft, daher Lungen und Leiber.

Als man nun diese Januskatastrophe datieren wollte, entdeckte man keinDatum mehr ; dasEnde allerKalender war angehrochen. „Nachhistorisch", hatte der Alte es prophezeit. 1st es ein Wunder? Gibt es dann noch eine Zeit, wenn der gegenwartige Moment die Ver- mahlung der Vergangenheit mit der Zukunft exakt be- deutet? Wenn die Gegenwart nicht mehr das Sieb der Danaiden ist? Dann verschw^indet Zeit, ohne dal? sie aufhorte, gegenwartig zu sein: alle Geschehnisse, ob vergangen, ob kiinftig, stehen zur gegenwartigen Bereit- schaft Nikanors, des ersten Gottes der Erde, des Gou- vemeurs der Sonne auf Erden.

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DER VERLIEBTE LEICHNAM.

X^assenSie michlhnen gegeniiber, meinegeliebtenLeser und -innen, ganz o£fen sein! Bittelassen Sie mich meine Karten aufdecken : ich weil?, ■wahrend ich, nur um mich zu kitzeln. zum Lachreiz anzuregen, den obigen Titel niederschreibe, so wenig von irgendwelchen Vorgangen, Geschebnissen, fabelbaften Begebenbeiten wie Sie ; viel- leicbt nocb weniger ; denn vielleicbt spielt Ibre Phantasie erfinderiscber und rascber als die meinige. Uberlegen wir lieber gemeinsam, wie wir den Titel realisieren! „Geben Sie mir einen Knopf," sagte der kiinstleriscb ge- scbmackvoUeScbneider, „und icb'will Ibnen einen passen- den Anzug daran naben. A la bonne beure nennen ■wir verliebten Leicbnam sofort „Knopf". Der Vomame mill?te allerdings ein bil?cben unbeimlicber gewablt werden, etwa Medardus, Barbarus, Rufus oder so. Durcbaus braucbt Rufus nicbt von vornberein ein Leicb- nam zu sein. Wir lassen ibn einst-weilen leben. Rufus mu^ in der Folge zweierlei leisten : er mul? sicb zuerst verlieben und dann zur Leicbe werden. Die umgekebrte ^A'^endung, dal? er zuerst zur Leicbe w^iirde und sicb dann verliebte, ware nicbt unmbglicb, denn der Tod bat immerbin aucb erne problematiscbe Seite; indessen ist uns diese Wendung zu pbantastiscb; dazu gebort, um sie einleucbtend zu macben, eine groi?ere schrift- stelleriscbe Kraft, als wir sie auf bieten w^oUen ; es ist uns zu anstrengend. Wir mocbten barmlos bei- sammensein und iiberlassen jene umgekebrte Wen-

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dung Ueber Genies vom Range eines H. H. Elvers. Es ist klar, dal? wir dem Rufus Knopf etwas Zeit geben miissen, um sich zu verlieben ; er darf nicht jahllngs ster- ben. Femer mul?te seine Liebe auch er-widert werden; bier gibt es bereits ein bocbst kompliziertes Aber: wird die Liebe von seiten der Geliebten direkt und un- gez'wungen leidenscbaftlicb erwidert. so ist es sonnen- klar, dai? sie ijber den Tod hinaus dauem mul?. Wir wilrden uns das Problem damit nicbt etwa nur erleicb- tem, sondem vemichten. Unsre Aufgabe ist es aber, dieses Problem eines verliebten Leicbnams -weder pban- tastiscb zu komplizieren nocb banal zu erledigen, sondem in einer angenehmen Schwebe z-wiscben diesen Ex- tremen zu erhalten. Man verliebt sicb sebr beftig in Vomamen. Die Dame impragnieren wir demnacb mit einem derlieblichsten undzwaramzweckentsprechend- sten mit einem hyperatberisch transzendenten, der die Verliebtbeit sogar eines Leicbnams motivieren helfen kann; scblimmstenfalls miissen -svir ibn erfinden, wenn wir ibn nicbt entdecken. Es bieten sicb uns wie von selber: Tbea, Zolestine, Serapbita, Lucia, Stella u. a. \Vir wablen, im Interesse des Amiisements, „Zole- stine".

Um die Beziebung zwiscben Zolestine und Rufus zu be-werkstelligen, lassen wir am einfacbsten den Rufus auf den Tod erkranken. Ware Rufus jung, so kbnnte er durcb eine aul?erlicbe Katastropbe zugrunde geben: Uberfabrung, irgendein Unfall. Rufus mul? aber weder uralt sein: sonst verliebt sicb Zolestine zu scbwer; nocb

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urjung, da verliebt sie sich zu leicht. Er ist ein Mann in mittleren Jahren, dem Alter naher als der Jugend in diesen Jahren entflammt die Leidenschaft langsam, und um so heftiger. Abstol?end auf Zolestine wirken das Alter des Patienten halt! Die Lbsung ist gut: Rufus erkrankt von innen her, „innen" im weitesten, psychophysischen Sinne; die Leidenschaft unterhohlt ihn desto todlicher. Und Zolestine pflegt ihn; und zwar nicht privatim, sondern als . . . ha! . . . katholische Schwe- ster eine Art Nonne. Sie ist, bis zur Heiligkeit, jung- fraulich ; Rufus der erste reif er e Junggesell, mit -svelchem sie in intime Beriihrung kommt. Vieles also wirkt ab- stoi?end auf Zolestine; z. B. gleich der Name; das Alter; der sieche Leib. Ja, dieser Leib des Rufus spricht schweigsam zynischeMemoiren; er irritiert Zolestinen anziehend und abstoI?end zugleich. Aber alles Ab- stoI?ende selber iibt, hach und nach, indem sie der lei- denschaftlichen Liebe, von welcher Rufus f ilr sie ent- ziindet ist, gewahr ■wird, eine unheimliche Anziehung, wider ihren sittenstrengen Willen, auf sie aus. Jetzt ist alles in der passende'n Verfassung, und das bald genug endende Spiel kann beginnen. Haben Sie das Bild? Rufus, von Zolestine keusch abgewartet, verpflegt. Es geht mit Rufus abwarts. Alle seine Sinne konzentrieren sich mehr und mehr auf die seelischnoch mehr als korperlich liebreizende blutjunge Zolestine. Rufus gebraucht seine hinsterbenden Krafte zu inbriin- stigstenLiebeserklarungen. Zolestine, durch sein Sterben sicherer gemacht,' wagt sich am letzten Tage aus hart

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kasteiter Abstinenz zu sachtestetn Entgegenkommen hervor; haucht einen Kul? auf die verw^elkende Stirn des Kopfes. Dieser KuC durchdringt den Sterbenden mit dem Leben seiner moglichen Zukunft in einem ern- zigen undnatiirlicb todlichenAugenblicke erflackert zu einem brutalen Attentate auf. Bevor die ahnungs- loseZolestine sich besinnen kann, ist sie in seiner Gewalt. Rufus stirbt an dem, was bekanntlicb mit dem Tode nicht zu teuer gebiil?t wird. Zolestinen umf angt in seinen leichenstarren Armen eine iiberaus wohltuende Ohn- macht.

Geraume Zeit spater stort der Arzt die denkbar zart- licbste Situation, welche bo£fentlich f iir Zolestine keine interessanten Folgen haben soil.

"Wie man sieht, gibt der Titel gleicbsam ein mathe- matisches Exempel auf. Die Leser und -innen sind er- sucbt, sicb nun fleil?ig selber im Autorsein zu liben. Tummle dicb, mein Publikum! Hier sind noch schone Aufgaben zu losen: z. B. das drahtlose Medusenhaupt; der unbrauchbare Golem oder das allzu griine Gesicht; das halb erfrorene, balb aber ausgekocbte Herz; Prolete rechts, Prolete links, das Geldkind in der Mitten. Ubt eucb! Ubt euch! DasRezept habet ihr. Oh schone Zeit, wo man die fremden Autoren abschaffen und nur noch selbstgebackenen Geist essen wird!!! Wo eigne Autoritat an Stelle der fremden tritt! Jedermann sein eigenes Publikum dies ist das Ende nicht nur der Litteratur-, sondem vielleicht aller Geschichte jeden- falls dieser hier . . .

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GREIS UND MADCHEN.

RELIEF.

y*^itten auf dem Lande bliihte ein noch schr junges und sehr schones Madchen. Es hiel? Wiltraute Knorst. Ein alter diirrer Bauer namens Otfrid Molbecker ging mit einer Fuhre Mist Uber die LaDdstral?e. Seine schillernden Z-wiebelaugen erblickten zufalligdie^Vil- traute, wie sie vor der Tiir des kleinen Hauschen stand. Sie trug ■weder Schuhe nocb Striimpfe, einen kurzen bunten Rock, ein knappes Mieder, aucb keinen Hut. Ihr elastischer Kbrper reckte sich, sie gahnte, warf den Kopf nach hinten, schuttelte ibr rotblondes Haar und zeigte blitzende Zabne. Molbecker setzte den Misteimer dichtvor sie bin und ricbtete sicb aus seiner gekriimmten Haltung acbzend in die Hbbe. So stand er lange vor dem Madchen, bis es ihn fragte, ob es helfen soUe. Mol- becker antwortete nicbt, sondern starrte sie so intensiv an, dal? sie in ein kindiscbes Lacben ausbracb. Molbecker aber fal?te sie bei einer Hand und drebte sie um, so dal? er ibren Rucken betracbten konnte. Er griff dann aucb nacb ihrem Busen. Aber Wiltraute sagte scbnippisch: ,.Na r Sie entzog sich ibm und wollte im Haus verschwin- den. Er aber ging ibr burtig nacb und schlol? die Tiir. „Ist deine Mutter bier?" „Ne," sagte sie. „Dubist allein ?" „Ja," sagte Wiltraute. W^ie alt biste denn schon?" „Secbszebn durch." „Hasten Scbatz?" „W^as?" „Ob d"n Scbatz, ein Mannsbild baben willst, zvaa Lieben, zum Heiraten ?" W^iltraute guckte ibn ver-

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■vvTindert an : „Das weil? ich ja noch gar nicht." Mol- becker setzte sichundzog Wiltrauten. welche sich etwas straubte, auf seine Knie. Sie war kein Kind mehr, aber nocbnicht Jungfrau, ihr ward wunderlich: „LaI?t micb doch losT Molbecker sagte: „Paf? mal auf! Du sollst meinen Hof kriegen, wenn dumichnimmst." „Machen Sie doch keinenSpal?! Was babenSie dennan mirT^i'^as w^ollen Sie denn ?" „Ich will dicb. Du sollst mich hei- raten." „Das ist ja zum Lacben. Sie konnten ja mein GroI?vater sein." „Paf? mal auf, icb liebe dicb." „Ha- baba!" Wiltraute sprang vonseinenKnien, lacbte und tanzte in der Stube berum. Aber das verdrof? den Greis, ■wenn es ibn aucb reizte. „Nulal?mal deineKinderei!" Er stand auf und stellte sicb dicbt vor sie bin: „^A^irst meine Frau, kriegst meinen grol?en Hof. Dann kannst du lacben!" Dabei fal?te er sie um die Taille, driickte sie an sicb und versucbte, sie zu kiissen. Wiltraute webrte sicb kraftig, aber er bielt sie eisern f est und um- scblang sie mit beiden Armen, so dal? sie sicb nicbt mebr riibren konnte. Sie scbrie laut auf: er liel? sicb dadurcb nicbt storen. Er drangte sie gegen eine Bettstelle zu, welcbe im Zimmer stand. Da grifif sie zu einer List: ,Jcb will Eucb beiraten, Molbecker, aber lal?t micb los!" Er gab sie frei, zog einen Ring vom Finger und steckte ibn an ibre Hand. „Jetzt sind -wir demnacb verlobt, Wiltraute; icb bestelle aucb gleicb unser Aufgebot. W^o ist deine Mutter?"

„Meine Mutter ist auf dem Markte in der Stadt; sie mul? gleicb wiederkommen" „Na, dann komme jetzt

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mit. Wirlassen unsjetzt aufbieten." Er gab nicht nach, und sie gingen Arm in Arm zum Schulzen. ..Molbecker," sagte dieser, „die Wiltraute ist ja noch ein Kind; icb brauche dieEinwilligung der Mutter." „Die Wiltraut erbt meinen Hof da wird die Mutter nicht nein sa- gen,"knurrteMolbecker. „Magsein," sagte der Schulze, .,aber sie mul? eben erst laut und deutlich ja sagen." Wil- traute, halb kindisch, halb wissend, eilte plbtzlicb zur Tiire. Ihr wurde so unheimlich; sie wollte entwischen. Doch borte man vor demJHaus dasGemurmel derNach- barn, und die Mutter kam, von Leuten umringt, wel- che auf sie einredeten, Wiltraute fest an der Hand fassend, auf Molbecker und den Schulzen zu: „Hier, Schulze, geben Sie sie getrost zusammen!" So ward aus beiden ein Paar. Da es nun um die Liebe eine so schone Sache ist, sei der Leser in die Geheimnisse dieser Braut- nacht moglichst diskret eingefiihrt durch eine relief- artige Dichtung:

RELIEF.

Auf nun seufzte der Greis, dasMagdelein ruhte bedenk-

lich, Handumschlungen das Knie, so recht unschuldiges Au-

ges. Fromm gewahrt sie dem Mannlein, dem diirren, die

W^anglein und Arme, Hiistelnd nippte das Altchen und tastete zitternd nach

an derm. Aber das Magdelein duldete nichts und stiel?ihn zuriicke.

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Atemlos, Ja, fast am Ersticken, erbebte das Greislein Von der Gewalt des jungfraulich mannbaren herzlichen

Madcbens. Schlotternd reckt er die Scbenkel, es flatterten krank-

llch die Arm' ihm. Und sie scbliipfte, die Gute, gelenk aus der Wolke des

Linnens, Sorglich holt sie den Zuber, vermutend ein menschlich

Bediirfnis Weinerlich zagte der Greis, die Keuschbeit jab zu be-

leid'gen. Hurtig empfing er's Gefal?, docbliel?er'sdumpf auf den

Boden Kollem, es gol? sich das Nal? und trankte die reinliche

Diele. Oh! Ihn entziickend des Leibes geschmeidige Biegung

erglanzte Schimmemd, als sich das Magdlein anschickte, den Scha-

den zu bessem. Auf nun tauchte der Greis, und achzend umschlang er

die Hiiften, Madchenhaft zierlich bewegte, in Schwung versetzt er

sich knarrend, Nahert von riickwarts her sich schnaubend dem artigen

Kinde. Und schon rittlings in sul?licher Hast mit wabemder

Lobe Mocht' er versengen die Unschuld, die ahnungslose, doch

plotzlich

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Rasselnd stiirzt er zusammen, auf kreischt er und f allt

ihr zu Ful?en. Wie das so holdselig schreckt, das arme geangstete

Magdlein. Riihrend miiht sie sich ab, das alte Mannlein zu heben ; Doch der Greis 'widersetzte sich sprbd", er jappste und

lallte: ,Scbenke mir doch ein wenig, ach nur ein weniges Liebe!" Lachebid erwidert diejungfrau: „GewiI?! Ich liebe

dich zartlich, \Vie es der Gattin geziemt;" sie kul?t ihm vertraulich die.

Glatze. ^Veh! Wie kbnnt" es geniigen dem wollustfibrigen

Alten! Gramvoll starrt er, es springen ihm gral?Iich die Apfel

der Augen, Zittrig krallt er die Finger ins Fleisch dem sul?lichen

Maidlein. Aber emport, mit voUer Gewalt der dralligen Muskeln Schmeil?t ihn die Zarte zuriick. Und oh ! Unseliges Jam-

mems. Bar beraubt aller Krafte, ungliicklich knallte das Greis-

lein Schauerlich heulend die armlichen Schlafen gegen das

Nachtpult. Nachbar an Nachbarin hattc sich draul?en gefahrlich

versammelt. An die Scheiben gedriickt abplattete mancherlei Nas'

sich.

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Endlich naht sich der Schulze, der Bader, der Dorfapo-

theker. Machtig pochen sie an, die weil?liche Holztiir erdrbknte. Und sie erzwingen sicliEinlal?und staunen (Rbabarber!)

in Menge Ob des zittrigen Greischens, des edelkraftigen Magd-

leins. Sehet! Nun tragt sie das Altchen auf ihren gerundeten

Armen Ins zerriittete Lager mit brautlich scbam'gem Errbten. Docb der obnmacht'ge Bejahrte, nocb altersschwach

regt er die Lenden, \Vindet sicb briinstig und labm und bangt nacb Liebes-

umscblingung. Da nun lacbte die Dime, der Schulze bielt sich die

Seiten, Lacbend erfa(?te der Bader den Schnepper, und burtig

zur Ader Liel? er den Greis, jedoch der Apotbeker verruhrte Hohnvoll lacbend Kantharidin mit kbstlicbem Hirscb-

salz. Labbtig scbliirfte das Alterchen; aber nun rangen MalHos in ihm die Gegengewalten der Brems' und des

Stachels, Und vemicbtet lang streckte sich aus das uralte Kerl-

chen. SchreiendvorLacbenverliel?en dieNachbam das braut-

liche Parlein. Bald darauf verscbied Molbecker. Wiltraute genas

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tuchtiger Drillinge, von denen der Alteste den Hof erbt: er ahnelte dem Schulzen; der zweite mehr demBader; der dritte sah akkurat aus wie der Apotheker. Mol- becker selbst strengte sich vergeblich an, zu spuken. So ist gar manchesLiebesleben in der Natur, trotz W^ilhelm Bolsche, eine vergebliche Anstrengung.

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DAS UNGLOCK IM WINKEL.

X/er„Winkel" war ein friiher florierendes, jetzt herab- gekommenes Schachcafe der Residenz. Jetzt geht man ins Kerkau. Aber was war das vormals f iir eineGlanz- zeit im Cafe ..Winkel" bis dann das Ungliick kam, an das sicb vielleicbt noch einige altere Spieler traurig erinnem werden. Sensation gab es im „Winkel" genug. Dr. Arrasch und Dr. Klask bekriegten sicb dort einmal imentscbieden ein Vierteljabr lang, bis Kemstein die Weltmeisterscbaft gewann. Weltberiibmt wurde die mit kostiimierten Herren und Damen auf riesigem Scbacbbretteppicb im ausgeraumten Saal gespielte Partie zwischen Professor Mommel und Direktor Zirpe. Der Wirt, Herr Pielebank, ein Herr mit knarrenden Stiefeln und ebensolcher Stimme, zerbracb sicb lange Zeit den Kopf, wie er ^iese Sensation iibertreflfen solle. Durcb Inserate wurden Schacb-wimderkinder gesucht. Eine Partie z'wiscben Zwerg und Riese, wobei natiirlich der Z-werg stets gewann, wurde oft angestaunt. Auch spielte Pielebank mit grbl?ter Gescbicklichkeit gegen sicb selber. Eines Tages, nacb dem Friibstiick, fragte er seinen Oberkellner : „Sagen Sie mal, Potscbmann, wissen Sie nicht was Pfeffriges zu beute Nacbt; so was Alar- mierendes, was "ne ganze "Wocbe vorbalt? Sie baben docb ein paar ausgezeicbnete Einfalle gebabt; denken Sie mal nacb!" Potscbmann wirbelte an seinen semmel- blonden Scbnurrbartenden. Ebrerbietig, balb vorge- beugt, unterbreitete er seine Vorscblage: „Spiel unter

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AVasser zwischen zwei Tauchem ?" , Jns Auge fassen,"' nickte Pielebank beif allig, „Iieute wird das doch nichts mebr werden." „Vielleicht Akrobatenpartie zwischen Seiltanzern, oder, nocb besser, -tanzerinnen ?" Wo soil man die nachts herkriegen? Am Tage lohnt es sich kaum." „Radfahrerpartie? Sie balten auf einem mitt- leren Tiscbchen das Schachbrett zwischen beiden Ra- dem." „Kateridee! Das Publikum kann doch nicht mit- fahren? Ich glaube, Potschmann, Ihnen ist heute nicht ■wohl! Wissen Sie wirklich nichts besseres? Man darf die Attraktion nicht erlahmen lassen, aber ebensowenig iibertreiben. Bedienen Sie erst mal die beiden Herren da driiben und sagen Sie mir dann Bescheid." Potsch- mann flog mit der Serviette zu den beiden neu ange- kommenenGasten. Diese batten sich an ein rundes, griin bezogenes Tiscbchen gesetzt, als ob sie spielen w^oUten. „Cafe, meine Herren," erkundigte sich Potschmann, „und ein Spielbrett ?" ,.Nein," sagte der cine, „bringen Sie uns Magenlikor und fragen Sie Herrn Pielebank, ob wir ihn mal sprechen konnten. Geben Sie ihm xmsere Karten." Potschmannbestellte amBiifett denLikor und las verstoh- len: „Waschgut, Agent, und Mbtschel, Schachmeister." Er prasentierte die Karten Herrn Pielebank. „Kenn' ich gar nicht," murmelte dieser. ,Jcb komme nachher bin; bedienen Sie mal erst!" Potschmann servierte den Likor und avisierte den beiden Gasten Pielebank. Waschgut und Motschel nippten an ibren Glasem. Es waren Manner in mittleren Jabren. ^Vaschgut, enorm aufgeschwemmt, mit jovialen Ziigen ; Motschel mi^mutig

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und diirr. Waschgut nieste und hiistelte fortTvahrend. Motschel zuckte nervbs mit der Nase. „Pielebank mul? darauf eingehen," beteuerte Waschgut und nieste. Mot- schel schrak zusammen und entschniirte ein Paket, wel- ches er mitgebracht hatte. Zum Vorschein kam ein flacher gelber quadratf ormiger Lederkoffer. Jetzt stellte sich Pielebank bei den Herren ein und nahm auf ihr Ersuchen am Tische Platz. „Geehrter Herr Pielebank," hiistelte Waschgut, „-wir haben Ihnen eine uniibertreffliche Schachsensation mitgebracht." „So," sagte Pielebank. „zeigen Sie mal her! Suchen tue ich etwas, aber es taugt ja fast alles gar nichts!" „Erlauben Sie mal." nieste Waschgut und trank einen Schluck, „ich babe nichtsGeringeres erfunden als ein magnetisches Schach, und Schachmeister McJtschel kann bestatigen, wenn Sie wollen, hier gleich praktisch, indem wir spielen, da!? die Sache sich vorziiglich bewahrt." ..Magnetisches Schach? 1st das so etwas %vie die alte Kempelensche Schachmaschine. die automatisch funk- tionierte? Die wurde aber als faulei'Zauber erfunden," betonte Pielebank malitios. „Es ist kein Automat, Herr Pielebank. Schaun Sie her!" Meister Motschel entnabm dem Koffer ein Schachbrett nebst Figuren. Pielebank priifte es und wog den schwarzen Konig in der Hand. .,Gediegene Ware!" taxierte er, ..aber horen Sie, viel zu schwer. Das wirkt auf dieDauer ermiidend." ,Ja," sagte Waschgut (hatschi!), „daf iir sind aber die Vorteile gran- dios und iiberwiegen die Nachteile betrachtlich. Das Schachbrett, ebenso die Figuren, sind aus Magneteisen.

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Es ist gar nicht gut und verstoQt sogar gegen den gravi- tatischen Stil des Schaches, wenn Brett und Steine zu leicht sind. Es liegt im Interesse der Spieler, dal? die jeweilige Situation gut fixiert sei. Schaun Sie her!" er stellte das Brett mit den Figuren in der Luft auf den Kopf, schob und ril? aber mit Leichtigkeit die Figuren hin und her und los „das konnen Sie auf ■wogender See, in einem Kahn, im Luftschiff, auf der Schaukel spielen; nichts purzelt um. alles bleibt hiibsch aufrecht stehen und lal?t sich doch mit Leichtigkeit bewegen. Pielebank. ich rate Ihnen gut: Kaufen Sie uns privatim ein paar Dutzend Spiele ganz wohlfeil ab. Wenn das Ding erst patentiert ist, kommt es Ihnen teuer zu stehen. Und soviel laJ?t sich prophezeien, dal? unmagnetische Spiele bald in Verruf kommen ^verden; man ■wird nichts anderes mehr benutzen woUen; nicht ■wahr, Meister Mbtschel?" „Ich kann es nur unterschreiben." be- statigte Motschel, „ich selber werde nie mehr anders spielen als auf magnetischem Brette mit magnetischen Figuren."

Pbtschmann hatte sich in der Nahe zu schafFen gemacht und voUer Interesse zugehbrt. Der halb und halb schon ge'wonnenePielebank wandte sich anPbtschmann : „Was meinen Sie, Potschmann, ist das zu riskieren?" Pbtsch- mann probierte den Magnetismus: ..Man miilZte das versuchen. meine Herren. Vielleicht lal?t es sich heute Nacht irgendwieinSzenesetzen?" Er sannnach: „Sehen Sie, meine Herren, es macht, so wie es da steht, f iir sich selber zu wenig her. Man so lite schon von weitem spuren,

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dal? das Zeug magnetisch ist!" W^aschgut hustete und Motschel verzog argerlicli lachend semen Mund: „Wir kbrtnen doch nicht", niesteW^aschgut, „elektrischeStrbmc davon ausgehen lassen. Machen Sie doch ein Plakat an! Das tut's auch." „Ein Plakat fallt nicht so drastiscli in dieAugen ^vie eine wirkliche Situation," meinte Potsch- mann. „Herrgottnochmal," schimpfte Motschel, „wir kbnnen doch nicht halsiiber kopfunter Schach spielen, nur damit die Leute sofort sehen, dal? die Figtiren magnetisch am Brette kleben ?" „Das kann ich schon gar nicht," nieste Waschgut. „ich bin apoplektisch; es geht nicht. ^A^ie war's mit "ner Schaukel?" „Nein, meine Herren." wendete Pielehank ein, „eine hin und her schwingende Schaukel ist mir m meinem Lokal in vieler Beziehung zu gewagt, zu gef ahrlich, es geniigt ja nicht ^vahr, Pbtschmann? ^venn die Spieltischplatte etwas schrag gehoben i^ird." „Ausgeschlossen," brummte Motschel, „der eine Spieler hat dann schlechteren Uber- blick, ist benachteiligt, wir mxil?ten dann schon beide schrag mitsitzen." „Bravo!" sagte Pbtschmann, „das einzig Wahre! Die Herren brauchen ja nicht gerade mit den Kbpfen nach unten zu sitzen ; es geniigt ja, ■wenn sie nur halb umgekehrt sitzen, also statt parallel zur Wand im rechten ^/inkel dazu." „Erklaren Sie sich deutlicher, Pbtschmann," ermunterte Pielehank. „Der Tisch", erklarte Pbtschmann, „und die Stiihle werden mit den Beinen mitten in eine unserer lotrechten Saal- -wande geschraubt. Die Riicken der Spieler, im rechten Winkel zur Tischplatte mit dem Schachbrett, befinden

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sichalso parallel zum Plafond und zum Fu^oden; der obere Spieler mu^ natiirlich am Stuhle festgebunden werden, sonst bat er keinenHalt; der untere braucbt nur handfeste Annlehnen !" .vFamos, PiJtschmann !" riefPiele- bank, und rieb sicb die Hande. ,Jcb macbe dasGescbaft, meine Herren, wenn Sie mit Potscbmanns Vorschlag ein- verstanden sind." „Die reine Folterkammer," stbhnte Wascbgut. , Jedenfalls will icb aber dann unten sitzen ; ich vertrage cs nicbt, nacb unten zu gucken; icb werde scbwindlig." „Nein," scbrie Mbtscbel, „er mul? oben sitzen. Icb bin zu mager, mir scbneidet jeder Strick ins Fleisch. Ihm schadet es nicbts, er bat ein dickes Fett- polster. Wenn er gut angebunden ist, kann er getrost scbvi'indlig werden." Wascbgut mul?te stbbnend nacb- geben. Pielebank macbte vom Erfolg der vertikalen Partie den Ankauf der Spiele abbangig. Potscbmann verfertigte ein grelles Plakat: „Hoch- originell! Heute Nacbt Scbacbpartie, bei der das Brett akkurat senkrecbt stebt. Scbacbmei- st er Mo t scb el kontr a Wascbgut. Wascbgut sitzt oben vertikal iiber Motscbel. Nocb nie dage- w^esene Sensation!!!" Das gab natiirlicb einen tollen Zudrang. Pielebank war entziickt. Alle Tiscbe waren im Nu besetzt. Gegen zebn Ubr entstand feier- licbe, von Fliistern unterbrocbene Stille. Potscbmann, der Portier und der Pikkolo trugen einen spiegelblanken Spieltisch berbei. An die eine Saalwand ■wurden zwei Leitem in einigem Abstande gelebnt und zw^iscben ibnen der Tiscb binaufgezogen und mit den Fiil?en durcb

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Sctrauben an der Wand befestigt. Zwei rot iiberzogene Prunkstuhle wurden abnlicb, der eine ober-, der andere unterhalb desTisches angebracht. Auf der senkrecbten Tischplatte prangte ein wucbtiges Scbacbbrett. Man staiinte und freute sicb, als Potschmann (die Tiscbplatte war unten magnetiscb armiert) einem Kastcben Figuren entnabm. welcbe wie avif der Horizontale feststanden. viElektriscb !" riefen einige, „magnetlscbr die anderen! Es entstand eine immer hbbere Spannung. Gegen balb elf Uhr offnete sicb eine kleine Tiir. Arm in Arm erscbienen Motscbel und Wascbgut, verbeugten sicb, liel?en sicb von Pielebank vorstellen. Motscbel stieg ein paar Leiterstufen bocb und scbwang sicb ge- scbickt in seinen Armsessel, den man ein wenig kracben borte. Wascbgut batte es scbwerer. Ein breiter Sattel wurde ibm um Brust und Baucb gelegt. Er acbzte, bu- stete und nieste f iircbterlicb, ■wabrend er vermittels eines Krans bis zu seinem Sessel emporgezogen wurde. Die breite Leibbinde wurde binter der Riickenlebne mit Stricken zusammengescblossen. Wascbgut keucbte enorm, sal? aber endlicb bequem. Da er boffte, dal? Mot- scbel ibn rascb matt setzen und seine Qual abkiirzen wiirde, ergab er sicb mit leidlicbem Anstande in das Martyrium. Das Publikum scbwankte einst-weilen zw^i- scben Befremdung und Amiisiertsein. Es bestand aus seriosen Spielem und scbacbwissenscbaftlicb gebildeten Zuscbauem, darunter aucb Damen. Einige Lacber ■wur- den vorlaufig nocb niedergezischt, obgleicb der AnbUck W^ascbguts jedermann beiter stimmte.

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Das Spiel begann. Immer wenn Motschel gezogen hatte, mul?te Wascbgut niesen. Auf stelzenhohen kleinen Tischen stand Magenbitter neben den Spielem. Schon trieb Motschel den Waschgut mehr und mehr in die Enge; dessen Konig konnte sicb kaum noch riihren: da verlor der Schachmeister die Fassung, unter einer Dusche, derWaschguts Husten ihn aussetzte: „Niesen Sie doch seitwarts!" schrie er wiitend. Motschel klagte: „Mir ■wird so schlecht, so sch'windlig." „Schach!" rief Mot- schel, „es ist ja bald aus nur noch ein Zug und Sie sind futsch." Waschgut griffnachdemLikor, balancierte aber schlecht mit dem Glas, dessen braunlicher Inhalt den Schachmeister Motschel iibertropfte. „Pohr briillte dieser und schiittelte sich. Das Publikum lachte, die Damen quiekten. Auf einmal grunzte Waschgut oben wild auf und erbrach sich. als oh er seekrank ■\vurde, heftig iiber das magnetische Schachbrett und den armen Motschel. Der schnellte dermal?en energisch zuriick dal? die Riickenlehne seines Stuhles abbrach und er kopf kegel nach unten schol?, \vo er klaglich wie ein iiber und iiber begossenes Kind anlangte.

Das Publikum sprang von seinen Sitzen auf, umringte den Armsten, den Potschmann mit der Serviette bear- beitete, und tanzte vorLachkr ampfen. Oben aber W^asch- gut winselte. „Mir ist schlecht! Druck auf dem Magen! Losbinden!" Und sogleich schiittete er seine Gurgel von neuem aus. Eine Dame, die sich iiber Motschel ge- beugt hatte, bekam die Bescherung in ihren Nacken, heulte entsetzlich auf und lief, vom Publikum frenetisch

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verlacht, iiber Motschel hinweg aus dem Saal. Wasch- gut scKnaubte jetzt dennal?en, da^ alle Figuren, trotz des Magnetismus, nacli unten hagelten und den Gasten dabei Kopfniisse gaben.

Jetzt endlicb begann das Publikum sich zu entriisten. zu emporen. Pielebank wurde zur Recbenschaft gezogen: ^ine nette Wirtschaft! Eine Sauerei! Blitzdamliche Sensation! Schacb-Hanswurst!" Wabrend man mit Miibe und Not den triefenden Wascbgut nacb unten bolte und ibn zu Motscbeln nacb der Toilette gelei- tete, verliel? das Publikum, nachdem es einstimmig den unwiderruflichen Boykott au5gesprocben batte, das Lokal. Das war das Ungluck im „Winkel". Scbach- meister Motscbel ^vurde von Dr. Arrascb, Klask und Kernstein disqualifiziert. Potscbmann vmd Pielebank ohrfeigten sicb. Motschel scbmil?das magnetiscbe Schacb dem Wascbgut an den Kopf. Erfinderlos! Dieberr- licbsten Ideen scbeitem so oft an der Zufallsklippe der Lacberlicbkeit.

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MEIN PAPA UND DIE JUNGFRAU VON ORLEANS.

•^chon war es Nacht geworden; die Sterne blinkerten so zitterig durch die gestrickten Gardinen. Auf dem Kaminsims stand mein Papa, einiibcl beleumdeterVolks- redner, im mausgrauen Frack mit grazioser Glatze, lachs- farbener Nase und hoch erhobenem rechten Arm. Dieser Arm sollte den Gedanken ausdriicken : „Erhebe dich wic ein Mann, du mein groSes gutes Volk! Es gilt die Frei- heit vom Despotismus! Sterbet fiir sie, wenn es euch nicht gelingt, fiir sie zu leben! Opfert euch! Immerlos! Opfert euch in Masse! Seid alle so begeistert -wie bis- her nur ich allein! Reil?t die Konkubine!"... usw. usw. Man weil? ja, ■wie diese Papas reden. Das Volk aber hbrt ihnen gem zu; es il?t und trinkt dabei, die Damen machen Handarbeit, man lacht, und Kinder und Hunde larmen so frohlich. Der Despot sorgt auch fiir Papa; der kriegt ^varme Wilrstchen. Aromatik und freie Eisen- bahn dritter Klasse.

Nun aber kommt ein grobesMil?verstandnis: Zuwelchem popularen Zwecke mein Papa, in pathetischer Weise, seinen rechten Arm hochreckte, ist ja gesagt 'worden. Da ging der Mond auf. ein silberner Strahl kitzelte das fromme Auge der Jungfrau von Orleans, welche, dem Kamin gegeniiber, auf einer Ebenholzkonsole stand. Die Jungfrau von Orleans bezog un^villkiirlich die feier- lich betonende Geste meines Papas auf sich. Sie sab sich meinenPapa immer aufmerksamer an, und diese Prilfung

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fiel zu ihrer voUen Zufriedeaheit aus. Mein Papa war ein solid gearbeiteter Mann ; er ahnelte Eugen Richter. Die Jungfrau dagegen schien bereits ein wenig mit- gsnommen und bysterisch. Sie litt an dem beriibmten Zwiespalte zwiscben Sinnengliick und Seelenfrieden. Kurzum, mein Papa scbien ibr das Fleiscb gewordene Sinnengliick, nacb dem sie beimlicb scbmachtete; welcbes sicb aber docb keinesvs'egs mit ibrem Seelen- frieden vereinigen lassen ■wollte. Und scbon machte sie Miene, das Sinnengliick notgedrungen fabren zu lassen, als das kupplerische Mondlicbt eine zartlicbe Gegen- seirigkeit zwiscben meinemPapa und ibr berstellte: mein lieber Papa mocbte jetzt erst merken. wie liebevoU seine Gestik mil?verstanden worden ■war. Das ■war zuviel fiir den Alten! Genau ■wie die Jungfrau versuchte er das KompromiC.

Er bildete sicb ein, der brave Volkstribun zu bleiben, aucb ■wenn er sein Gliederspiel so z^w eideutig einricbtete ; und Fraulein von Orleans f iiblte ibr Herz fiir den Hei- land ergliibn, ■wenn sie meinem Papa ibre sul?esten Augen macbte. Docb zwiscben Kaminsims und Konsole klaffte immerbin der fatale Abgrund, ■welcber sicb so berzlicb gem z^wiscben Begierde und Befriedigung einscbiebt. Je- docb lecbzte die gespannte Situation nacb einem auslosen- den sogenannten Zufall, der meinen ein paar ZoUe bober stebenden lieben Alten in die Arme der et'was unter ibm ragenden Jungfrau von Orleans bringen sollte. Dieser Zufall trat denn aucb in der Gestalt des Katzcbens Scbniezel sammetpfotig durcb die Pforte.

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Schniezel sprang aufs Sofa, vom Sofa auf den Tisch. Vom Tische aus wollte Schniezel mit der Kralle den (oben erwahnten) Mondstrahl aus irgendeinem Grunde abfangen und schnellte sich dabei aufwarts. Scbade ! Sie streifte bei dieser Gelegenheit meinen jovialen Papa vom Sims; er fiel mit gut gespieltem Gepolter in die betend erhobenenArmedesFrauleinsvonOrleans.beiderLippen fanden sich zu innigem Kul?, und, auf das harmonischste vereint, sanken sie in den (oben erwahnten) Abgrund. Sie erregten Schniezels lebhaftes Interesse: bildeten sich zu dem bekannten heiCen Brei aus, um den Katzen f iir ihr Leben gem herumschleichen. Und sie ■waren auch, metaphorisch verstanden, ein einziger heil?er Brei. Der Papa -svar derjungfrau an die alabasterneBrust gerutscht ; sein demagogischerRhetorarm rankte sich um die keu- sche Taille der altlichen Naiven. Sie lagerten auf dem mildgebliimten Teppich wie auf einer mondbeschie- nenen Wiese; vordem war ihre Lage betrachtlich verti- kaler ge-wesen.

Schniezel versuchte, in dieses zarte Verhaltnis einzu- greifen; sie roUte die beiden bin und her, miauzte sie erregend an. Aber wie konnte sie Leben in diese stille, ruhige, abgeklarte Liebe bringen? Am andem Tag in der Friihe fand die beiden das Dienst- madchen Lilli. Sie rief die Kochin. „Ich hab" es der Gna- digen immer gesagt," schimpfte diese, „sie soil den Herm Papa nit auf den Simsrand stellen. Um den Fratzen, das Frauenzimmer, ist es nicht schade; das dumme Luder hat mich immer geargert. Schauen Sie nur, Lilli, w^ie sie

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mit dem seligen gnadigen Herm daliegt! Man konnt' ordentlichaufGedankenkommen. Ja.Lilli^unserSeliger, das war erst ein Fescher!!"

Die Jungfrau hatte das linke Bein gebrochen. Papa war mit ein paar Abschiirfungen davongekommen. Mama sah sich die Bescherung an, befahl die Ausbesserung des Schadens und schlol? sicb w^einend in ihr Zimmer ein. Die Jungfrauvon Orleans war nacb dembekannten Mo- dell gemacbt, mit welchem Papa jene liaison dangereuse gebabt batte. Undnun,vierJabrenachPapasTode,dieser auf meine Mama wie die hohniscbste Absicbt •wirkende Zufall. Natiirlicb wurden Papa und die Jungfrau iso- liert ist kein Ausdruck.

Mama, Mama, warum battest du sie denn, in einer Art dumpfen Billigkeitsgefubls, so nabe zusammen- gestellt? Du vertrautest zu grob auf die Totheit des Leblosen, Mama, es gibt nicbts Lebloses. Setze den Moses von Michelangelo auf einen Nabtiscb wie! Glaubst du ebrlicb, der Nabtiscb werde nicbt eines

Tages „zufallig" (welcbeBlodbeit!)unter

ibm erliegen?? Haltst du die Holzwiirmer, ■welche von jenem Augenblicke an in ibm minieren, fiir Zu- fSlle?!?

Acb W^elt! Wie zerrissen bist du in deiner ecbten Zu- sammengeborigkeit! Aber das, was ibr Zufall nennt, ist gerade der dunkle Magnetismus, der das nocb so grau- sam Getrennte trotzdem so unwiderstehlicb zueinan- der treibt, wie meinen lieben Papa jedennocb zur Jung- frau von Orleans.

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n.

MEIN PAPA UND DIE JUNGFRAU VON ORLEANS.

Seilc

Der Nachtkiibel als Lebensretter 5

Die Kunst, sich selber einzubalsamieren 10

Die Jungfrau als Zahnpulver 17

Bescbreibung meiner Braut 22

Der Greis in der Versammlung 26

Warum icb immer so traurig bin 31

Deine Unterhosen sind scbon 33

Der Sonnenmissionar 40

Der verliebte Leicbnam . 55

Greis und Madchen 59

Das Ungliick im Winkei 66

Mein Papa und die Jungfrau von Orleans 75

?T Friedlander, Salomo

2611 Mein Papa vmd die Jungfrau

R66/y*U von Orleans

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