C^^J / 7 tlElU*KXOtO^^ •«i Mikroskopisch-anatomische Darstelking der Centralorgaiie des Nervensystems bei den Batraehierii mit besonderer Berücksicbtigung von Rana esculenla. Von Dr. Alphons Blattmann. Mit einer lilhog^raphischen Tafel. Zürich, bei Friedrich Schulthess. ^>*^1850. Mikroskopisch - anatomische Darstelhmg der Centralorgane des Nervensystems bei den Batracliierii mit besonderer Berücksichtigung von Rana esculeula. Von Dr. Alphons Blaitmann, 0 Zürich, bei Friedrich Schulthess. 1850. o^ A '•V ♦■•^ >4^ Vx/ iifr /iilv ovv XI aXXo ay.onaia&ov , ovdhv Xf'yo) ' el öe ti tcbqI tovxojv unoQiirov , /injöh' u-ioy.vi]ot}Ta y.cd uvxol ei-Tih' yal Sta^i).&ilv, £L Tiij V[,ilv (paiveTUi ßiXxiov ).sxO-r\vui , y.al UV y.al i/ii^ ^VfircuQukaßHv , eX xt /.laXXov^ oXeoS-a fUT fjiiov fVTiogrioaii'. Piatonis Phaido. Obgleich die Physiologie in neuerer Zeit mit raschen Schritten vorwärts geeilt ist, und eine Menge von den dunkelsten Stellen ihres Gebietes aufgeklärt hat, welche bis dahin alle Anstrengungen der Forscher vereitelt hatten, so bleibt doch noch manches Feld einer weitern Beobachtung vorbe- halten , welches bis jetzt nur wenig Ausbeute ge- währte. Unter diesen ist eines der bedeutendsten die Lehre von den Centraltheilen des Nervensystems. Angezogen theils durch das Dunkel, welches diesen Gegenstand umhüllt, theils durch das hohe Interesse, welches er seiner Wichtigkeit wegen darbietet, haben sich die Physiologen mit besonderer Vorliebe ihm zugewendet. Der Erfolg ist nur theilweise be- 1 friedigeiid gewesen. Zwar hat man sich eine Menge von zerstreuten Thatsachen zu eigen gemacht, welche hie und da verschiedene Stellen dieses Labyrinthes erhellen , aber gleichwohl zu keiner vollständigen Kenntniss geführt haben , und es bleibt noch Vieles zu thun übrig, bis man eine zusammenhängende, systematisch gerundete Lehre der Nervencentren besitzen wird. Die LTrsache dieser spärHchen Erfolge liegt aber meiner Ansicht nach nicht allein in der Schwierigkeit des Gegenstandes selbst, sondern auch in der nicht ganz passenden Art, wie man dieselbe zu überwinden trachtete, in den bisher befolgten Untersuchungsweisen nämlich , welche , wie mir scheint, nicht nur ohne Methode, sondern selbst auf eine Art angestellt wurden, welche nothwendig zu Irrthümern führen musste. Die rationellste Methode hätte wohl darin bestanden, zuerst unsere mikro- skopisch - anatomischen Kenntnisse dieses Gegen- standes zu erweitern, bis ins kleinste Detail zu verfolgen, und zu einem vollständigen Lehrgebäude zu entwickeln. Besonders genau wären die verschie- denen Richtungen der Faserbündel zu verfolgen, und ihre Züge durch das Rückenmark und Gehirn graphisch darzustellen. Keine kleine Aufgabe aller- dings ! Aber ohne diese nothwendige Grundlage ar- beitet man fortw^ährend im Dunkeln und erfreut sich bei den grössten Anstrengungen keines rechten Erfolges. Man begnügt sich Vivisektionen anzu- stellen, welche neben manchem Wahren eben so viel IiTthümer zu Tage fördern ; man verliert unend- lich viele Zeit mit pathologischen Beobachtungen und sucht daraus die Normalzustände abzuleiten, welche sich vom Krankhaften so schwer isohren lassen. Allerdings kann man den grossen Anstrengungen, welche auf diesem Wege mit unendlichem Fleisse und Scharfsinn gemacht wurden, seine Bewunde- rung nicht versagen, um so weniger, als Männer wie Long et u. A. die Schwächen dieser Unter- suchungsarten wohl längst eingesehen haben; und wenn sie dennoch muthig ihr schwieriges Unter- nehmen fortsetzen , so thun sie es wohl nur dess- wegen, weil sie nicht zu hoffen wagen, eine bessere Methode an die Stelle der fehlerhaften setzen zu können. Niemand verkannte je die Wichtigkeit einer anatomischen Grundlage für solche Forschungen, allein man fürchtete dabei auf unüberwindliche Schwierigkeiten zu stossen. In der That schlugen auch Versuche, welche auf dieser Bahn gemacht wurden , häufig fehl und trugen dazu bei , von ihrer Erneuerung abzuschrecken. Dennoch erhielt sich aber das lebhafteste Bedürfniss danach, und ver- anlasste u. A. Rud. Wagner '"* zu folgenden Wor- ten : „Wir besitzen keine wissenschaftliche Anato- * R. Wagner , Lehrbuch der speciellen Physiologie pag. 405 und 466. 1 * mie des Gehirns .... Es sind, um dazu zu gelangen, die Primitivfasern zu verfolgen und deren Ausstrah- lungen aus den Nerven und aus dem Rückenmark und deren Verlauf im Gehirn so weit als möglich zu untersuchen , ihr Verhalten zu den Anhäufungen der grauen Substanz und ihre Combinationen unter einander, so wie mit den verschiedenen Abthei- lungen und Sonderungen der Hirntheile. Auf der reellen Lösung dieser Aufgabe — bemerkt W. fer- ner — beruht die Zukunft einer Anatomie und Phy- siologie des Gehirns. Es würde eine der grössten Leistungen in der Anatomie und Physiologie sein, wenn wir auch nur von einem einzigen Thiere eine solche graphische Darstel- lung der Rückenmarks- und Hirnfaserung, z. R. eine Auflösung des Gehirns vom Frosch in seine Primitivfasern besässen. Dazu ist freilich noch gar keine Aussicht, und die Lösung dieser Aufgabe dürfte an bis jetzt unüber- windhchen Schwierigkeiten scheitern. '' Auch W. scheint erst von der Zukunft eine Rereicherung an mechanischen Hülfsmitteln erwarten zu wollen , um diese Versuche mit mehr Holfnuno- auf Erfolo- er- neuern zu können. Neuerdings hat nun aber Herr Professor Engel *"* gezeigt , wie weit man auch mit unsern gewohnten Hülfsmitteln gelangen könne, * S. Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. Achtes Heft. November 1847. wenn man sie richtig anwendet. ]\Iöchten die wahr- haft schönen und fruchtbaren Resultate, welche dieser Forscher erhalten hat, ausser mir noch viele Andere dazu anregen, ihm als unserm Vorgänger auf der glücklich betretenen Bahn zu folgen. Die vielen missglückten Versuche dagegen mögen uns dazu dienen, ähnliche Klippen, wie die, an welchen sie gescheitert sind, zu vermeiden. Die früheren Beobachter hatten ihre Untersuchungen gewöhnUch an grössern Thieren , oder am Menschen angestellt, was vielfache Nachtheile bot. Erstens hatte das sol- chergestalt erlangte Material selten die durchaus nöthige Frische ; die menschliche Nervensubstanz namentlich gelangt immer schon qualitativ verändert, selbst zersetzt auf den Objecttisch, und gibt dadurch zu vielfachen Täuschungen Anlass. Es ist eine ganz falsche Hoffnung, wenn man glaubt, diesen Uebel- stand durch Erhärtung der Nervensubstanz und an- dere Zurüstungen derselben umgehen zu können. Wozu diess führt, sehen wir an einigen Arbeiten des letzten Jahrzehend, welche das Schicksal ge- habt haben, als warnende Exempel für alle solche erkünstelten Versuche dastehen zu müssen. Zweitens war auf diese Art eine erleichternde Uebersicht über den Gegenstand, somit eine systematische Behand- lung desselben , nicht möglich , und man verlor sich nothwendig in der Masse des Details. Herr Professor Engel begann seine Untersuchungen an Froschlarven; 6 er hatte somit immer ganz frisciie Nervensubstanz zur Verfügung, welche zugleich eine übersichtliche und vollständige Untersuchung ermöghchte, und wegen ihrer grössern Einfachheit und ihres elementaren Ty|}us geringere Schwierigkeiten darbot, ohne dass desswegen das Resuhat werthlos gemacht wurde. Denn die naturgeschichtliche Kenntniss niederer Thiere beschränkt überhaupt ihren Werth nicht auf letztere allein, sondern ihre Bedeutung erstreckt sich auf alle an Ausbildung sie überragenden Tliier- classen. Man beobachtet gewisse Grundtypen des Baues , welche sich als Fundamentalbildungen durch die ganze Thierwelt hinaufziehen. Veränderungen treten freilich in reichem Masse ein , je mehr man von niedern zu höhern Thieren fortschreitet, aber nicht als total fremde Neubildungen, sondern nur als Modificationen und weitere Fortentwicklungen des schon bei den untergeordneten Thierclassen Be- stehenden. Darin Hegt ein Hauptargument , welches für die Zweckmässigkeit einer aufsteigenden Unter- suchungsmethode, von niedern fort zu höhern Ge- schöpfen, spricht, und den Untersuchungen des Herrn Professor Engel ihren hohen Werth sichert. Um also tiefer dringende Blicke in das Gebäude des Ner- venlebens zu thun , ist es zweckmässig , mit der Betrachtung der primitiven , einfachen , und eben dadurch principiellen Bildungen zu beginnen , und diese consequent in ihren Fortentwicklungen vom einfachem zum complieirtern zu verfolgen, immer das bereits Gewonnene zum Ausgang-spunct und Wegweiser für das Folgende benutzend. Beginnt man dagegen gleich mit der Betrachtung des zu sei- ner höchsten Ausbildung gelangten Baues, so wird man bei Anschauung der zahllosen Nebenbildungen, welche den BKck von der Hauptsache ablenken , und bei Ermanglung jedes leitenden Princips, wohl zu par- tiellen Kenntnissen , nie aber, oder nur höchst schwer zu einer das Ganze umfassenden, wahrhaft wissen- schaftlichen Ansicht des Gegenstandes gelangen. VorKegende Arbeit ist ein kleiner Versuch in der so eben geschilderten Richtung. Während meiner Untersuchungen überzeugte ich mich immer mehr, wie leicht sich meine Resultate weiter verfolgen Hessen, und bei Vornahme von Fischen, Vögeln und selbst von kleinen Säugethieren zum Führer dienen könnten. — Uebrigens fühle ich selbst, wie sehr meine Arbeit einer weitern Vervollkommnung be- darf. Man wird es mir in Berücksichtigung der Schwierigkeit des Gegenstandes verzeihen, wenn ich darin manche Frage bloss faciütativ gestellt habe. Sollten meine Ansichten auch hie und da zu Berich- tigungen Anlass geben, so würde mich diess nur fi'euen, denn ein berichtigter Irrthum ist eine ge- wonnene Wahrheit , da wo es sich um positive Ergebnisse handelt. Vorbereitende anatomische Bemerkungen zur Orientirung. Einige Andeiitimg-en in dieser Beziehung- schei- nen mir zum hessern Verständniss des später Fol- genden unumgänglich nöthig zu sein. Ich werde dahei nur die Aom Gewöhnlichen ahweichenden Verhältnisse und die hesondern Eigenthümlichkeiten, welche der Erwähnung werth sind, herücksichtigen. Das Nervensystem der Reptilien zeigt kein gehöriges Verhältniss in der relativen Ausbildung seiner einzelnen Theile , sondern die einen stehen darin mehr, andere weniger zurück, und zwar sind diejenigen am wenigsten ausgebildet, welche den höchsten Functionen vorstehen, die niedrigem da- gegen mehr. Dasselbe Missverhältniss finden wir bei den Fischen in noch höherm Grade. Bei ihnen steht namentlich das Gehirn dem Rückenmarke an Masse noch weit mehr, als bei den Fröschen und den Reptilien, nach. Das Rückenmark ist bei den 9 Reptilien mit lang- g-estrecktem Körperbau lang und dünn, bei den ungeschwänzten Batrachiern dagegen kurz und dick. Letzteres liegt locker in seinem oferäumio-en Canale . umhüllt von seinen Häuten. Die Pia mater ist mit braunen Pigmentflecken be- säet, welche bei der Untersuchung sehr hinderlich sind, denn beft^eit man das Rückenmark von der Haut , so reisst man gewöhnlich die Nervenwurzeln zugleich mit heraus. Die Eintheilung in Stränge besteht zwar, ist aber nicht sehr ausgesprochen. Die Trennuno'sfurchen sind nur an^-edeutet. hier und da selbst ganz verwischt. Man unterscheidet einen vordem, deutlichen, und einen hintern (obern) viel undeutlichem Sulcus longitudinalis. Seitenfurchen bestehen gar nicht, aber an ihrer Statt bemerkt man Linien von etwas abweichender Färbung. Die Eintheilung in drei Strangpaare ist daher zum Theil imaginär, indessen scheint es mir zweckmässig, dieselbe im beschreibenden Theil der grössern Deut- lichkeit wegen beizubehalten. Man bemerkt zwei Anschwellungen, eine im Hals- und eine im Len- dentheil, also an den Stellen, welche dem Aus- trittsort der starken Nerven für die Extremitäten entsprechen. Die graue Substanz lässt sich überall erkennen, und die gewöhnliche Form mit Mittel- stück und zwei Hörnerpaaren kommt auch ihr zu. Sie steht in genauem Massenverhältniss zu der weissen Substanz, und bildet wie diese in der Hals- 10 und Lendenanschwellung- entsprechende Ausbrei- tungen. Sie formirt einen holilen Einschluss um den Rückenmarkscanal , welcher letztere im Halstheile sich der hintern Läng-sfurche nähert, und endlich in den Sinus rhomhoidahs ausmündet. Hinter der Lendenanschwellung- verschmächtigt sich das Rücken- mark zu einem dünnen Streifen, dem Schwanztheil, welcher viel früher endet als die Häute, die sich als blindsackförmiger Fortsatz bis an das Ende des langen Steissbeincanales erstrecken, lieber den äusserlich sichtbaren Austritt der Nervenwurzeln ist nichts Abweichendes zu bemerken. Das Gehirn des Frosches ist höchst unvollkommen. Das Kleinhirn stellt einen einfachen Balken dar, welcher oben quer über der Rhombengrube aus- gespannt ist und die zwei hintern Stränge mit ein- ander verbindet. Wo es an letztere stösst, ist es am dünnsten und nimmt gegen seinen Mittelpunkt hin bedeutend an Masse zu. Da es hier keinen Zuwachs von Aussen mehr erhält, so rührt diese Zunahme offenbar von selbständiger Entwickelung her. Durch eine Querfurche vom Kleinhirn getrennt, zeigen sich vor diesem, welches eine grauliche Farbe besitzt, zwei rundhche Körper von bedeu- tender Grösse, die paarige Vierhügelmasse, Lobi optici der Autoren. Sie sind durch eine Längs- furche von einander getrennt; im Verhältniss zu den Hemisphären haben sie einen enormen Umfang, 11 sind übrigens im Innern hohl und bilden eine Decke über den unter ihnen durch zur Rhombeng-rube ziehenden Aquaeductus Sylvii. An ihrer untern Fläche befindet sich die Zirbeldrüse, beiderseits in schmale Verlängerunoen auslaufend, welche sich an die Commissur der Hemisphären und an zwei vor der Vierhügelmasse befindliche Organe heften. Letzteres sind nämhch die SehhügeK Thalami optici, zwei kleine, längliche Erhabenheiten, in Gestalt und Rich- tung mehr den Grosshirnschenkeln in verkleinertem Massstabe ähnelnd. Nach vorn stossen sie an die Hemisphären, oder das eigentliche Grosshirn. Des- sen Hälften sind durch eine durchgehende Furche aus einander gehalten. Sie besitzen eine hintere und eine vordere Commissur, zuweilen bemerkt man selbst zwischen diesen beiden inne noch einen klei- nen Balken aus grauer, sehr leicht zerreissender Substanz, welcher quer von einer Halbkugel zur andern gespannt ist. Dieser Name, Halbkugeln, passt keineswegs auf ihre Form, welche länglich gestreckt, und von oben nach unten abgeflacht ist. Ihre Oberfläche ist glatt, grau, und bUdet keine Gyri. Im Innern enthalten sie die Seitenventrikel, welche vollständig von ihnen umschlossen werden und sich öfter nach vorn in die Höhlen der Riechkörper fortsetzen. Die äussere Wand bildet jederseits einen Vorsprung, das Corpus striatum. Zwischen den schon erwähnten Selihüireln befindet sich der dritte Ven-^ J2 trikel, welcher sich nach unten in den Trichter fortsetzt. Vor dem Infundibuhim ist das Chiasma nervorum opticorum, dessen zwei Wurzehi man, trotz ihrer Feinheit, mit blossem Auge sich an den Sch- und Vierhügeln als opak-weisse Streifen hinauf- winden sieht. Hinter ihm bemerkt man zuweilen eine schwache Erhabenheit, welche dem Tuber cinereum entspricht. Im vordersten Theile der He- misphären sieht man zwei kolbige Anschwellungen, die Riechhügel, welche mit einander durch eine dünne Brücke, die vordere Commissur des Gross- hirns, in Verbindung stehen. Sie enthalten im In- nern eine Höhle, welche oft mit den Seitenventri- keln communicirt. Nach vorn verlängern sie sich zu zwei sich mehr und mehr verschmächtigenden Ausläufern , welche die Riechstreifen darstellen. Auf der Arachnoidea des Gehirns und Rücken- marks befindet sich eine Masse von weissen Kry- stallen. Die übrigen Hirnnerven sind schwach und reissen meistens bei der Präparation ab. vs Specleller Tlieil. Graphische Darstellung der elementaren Struc- turverhältnisse. I. Das Rückenmark. *-'* Wir beginnen mit den Fasern , welche im Rückenmarke die Zellen an Masse weit, und wohl auch an Redeutung ül)erwiegen. Rei der ersten Retrachtung mit dem Mikroskop scheint es fast, als ob der Verlauf dieser Rücken- marksfasern nur in einer Richtung' stattfinde, und zwar in der Längsrichtung. Rei genauerer Unter- suchung lernt man aber noch eine mehr transver- selle Richtung kennen. Die der letztern angehören- den Fasern sind jedoch viel weniger zahlreich und werden von der überwiegenden Masse der erstem Art verhüllt. In der That besteht die Hauptmasse des Rückenmarkes aus longitudinal verlaufenden Fasern, welche dasselbe in seiner ganzen Länge durchziehen. Sie bleiben sich nicht vollkommen pa- rallel, sondern verlaufen in wellenförmigen Rie- gungen, wobei sie sich häufig unter sehr spitzem Winkel kreuzen; daher hält es auch sehr schwer, eine einzelne Faser längere Zeit in ihren zahllosen * Wir finden bei den Reptilien dieselben Elementarlheile des Nervensystems , welche bei den Wirbelthieren überhaupt vielfach beschrieben worden sind, nämlich Fasern und Zellen. 14 Krümmungen zu verfolgen, und schwerlich dürfte jemals das Kunststück gelingen, diese Fasern in ihrem ganzen Verlaufe vom Beginn his zum Ende zu beobachten. Dennoch schliesse ich auf einen un- unterbrochenen Verlauf derselben im Innern des Rückenmarks, aus dem Umstände, dass man daselbst keiner freien Enden derselben gewahr wird, sofern man sorgfältig zu Werke geht. Ebenso lindet man weder Spaltungen noch Anastomosen zwischen ein- zelnen Fasern, sondern eine jede durchzieht das Rückenmark selbstständig und ungetheilt. Andere Verhältnisse als die obigen bietet nur der unbe- trächtliche Schwanztheil des Rückenmarks, oder des Conus terminahs dar, worauf ich noch aufmerksam machen werde. Der Durchmesser dieser Fasern ist sehr ver- schieden. Der leichtern Uebersicht wegen hat man in neuerer Zeit vorgeschlagen , die Nervenprimitiv- fasern im Allgemeinen in zwei Hauptrubriken zu sondern, nämlich in dicke oder starke, und in dünne oder feine. Diese Eintheilung ist von Vortheil und lässt sich auch auf die eigentlichen Rückenmarks- fasern anwenden, da man durchgehends findet, dass auch sie sich in ihrer Mehrzahl zwei äussersten Grössen nähern. Uebergänge zwischen beiden finden sich allerdings, aber nicht in hinlänghcher Anzahl, um den Contrast zwischen den zwei Extremen zu verwischen. 15 Der Durchmesser der starken Fasern beträgt im Mittel 0,004"'; der der feinen dag-egen nur 0,002'". Beide Arten finden ihre Verbreitung im gesammten Nervensystem; jedoch findet man an den einzehien Stellen desselben abwechselnd bald die eine, bald die andere Art an Zahl vorherrschend. Im Allgemeinen finden sich in den Centraltheilen mehr feine und in den peripherischen Ausstrahlun- gen mehr grobe Fasern. Von diesen Regeln finden zahlreiche Ausnahmen und durch die verschiedenen Lokahtäten bedingte Abweichungen statt, welche wir an den betreffenden Orten kennen lernen werden. Die Longitudinalfasern des Rückenmarkes zeich- nen sich aus durch die Zartheit ihrer Hüllen; in Folge dessen werden sie sehr leicht äussern Ein- griffen unterhegen, und sie gehen auch vorzugs- weise jene Alterationen ein, welche man so oft fiir Normalzustände gehalten hat, nämhch eine un- gleiche Vertheilung des Markinhaltes , seine An- sammlung zu einzelnen detachirten Kugeln, welche die Wandungen blasig hervortreiben, kurz das Varicöswerden. Wenn man das Präparat einer Compression unterwirft, so bersten immer eine Menge dieser Fasern, ihr Inhalt tritt heraus und sammelt sich als eine körnige Masse an , welche die Interstitien zwischen den Fasern ausfüllt. Man kann deutlich wahrnehmen, wie diese Körnermasse 16 aus den Enden der Fasern hervorlritt und sich unter dem Drucke des comprimirenden Fing-ers melir und melir anhäuft. Die feinen Fasern sind zahlreicher als die star- ken; letztere gehören mehr den motorischen Ge- bieten des Rückenmarks an, denn man sieht sie noch zahlreich in den vordem Strängen, spär- licher in den Seitensträngen; im hintern Strang verschwinden sie zum Theil neben den feinen Fasern. Sehr interessant ist die Endigungsw^eise der Fasern , sow ohl in peripherischer als in centraler Richtung. Dass keine Endigung im Innern des Rücken- markes selbst stattfindet, ist schon gesagt worden. Es fragt sich nun noch, ob die Fasern an den Gren- zen des Rückenmarkes zugleich mit diesem enden, oder ob sie es verlassen, um direkt in die Zu- sammensetzung anderer Gebilde einzugehen. Man hat hiebei zweierlei zu untersuchen, nämhch das Verhalten der Fasern zu den Nervenwurzeln, und ihr Verhalten an den beiden Endpunkten des Rücken- marks. Die erstere Frage wird in einem eigenen Abschnitte untersucht werden , und wir beschäftigen uns für jetzt nur mit dem Verhalten der Fasern an der Rerührungsstelle des Rückenmarkes mit dem Gehirn, und im Conus terminalis. Nachdem die longitudinalen Fasern das Rücken- 17 mark vom Gehirn an in seiner ganzen Länge durch- zogen haben, so erleiden sie hinter der Lenden- anschwellung höchst eigenthümhche Veränderungen. Sie unterbrechen ihren Verlauf nicht plötzhch, wie an andern Stellen, sondern verkümmern nur höchst allmähg und verscinvinden so successive, dass sie dem Blicke sich unmerklich entziehen. Je mehr ihr Durchmesser abnimmt, desto heller, durchsichtiger werden sie, die Contouren werden äusserst fein, obwohl sie sehr egal bleiben; endlich hört eine Faser nach der andern mit sehr spitzen Ausläufern auf, die peripherischen zuerst, die im Centrum ver- laufenden am spätesten. Es ist höchst schwer zu entscheiden, ob dieses als Regel für sämmtliche longitudinalen Fasern anzusehen ist, oder ob viel- leicht einzelne derselben sich wieder umbiegen. Ich habe aber keine einzelne LMiiegungsschhnge mit der Bestimmtheit sehen können , welche zu dieser Annahme berechtigen könnte, und sie ist überdiess schon aus theoretischen Gründen sehr unwahrscheinlich. Mehr Interesse scheint mir hin- gegen die Frage zu besitzen, in welcher Beziehung die Fasern zu der grauen Substanz und zu den daselbst befmdhchen Ganglienkugeln sowohl, als auch zu den freien Kernen stehen mögen. Die Leich- tigkeit, welche gerade der Schwanztheil des Rücken- markes , wegen seiner geringen Dicke , für diese Untersuchungen darbietet, dürfte mit Recht die Auf- 2 18 riierksamkeit der Forscher fesseln und die Erlan- gung neuer Resultate fördern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Theil der Fasern, welche im Conus terminalis enden, direct in Ganghenzellen übergeht. Das Vorkommen von solchen Verbinduno^en zwischen Fasern und Ganghenzellen ist heim Frosch vielfältig nachge- wiesen worden, wenn auch nicht ausdrücklich mit Beziehung auf die Stelle des Rückenmarks, von der es sich hier handelt. Ich selbst habe bei meiner Untersuchung keine besondere Aufmerksamkeit auf diese Erscheinungen verwandt, weil sie doch im Ganzen nicht so häufig vorkommen. Schon die wahren Ganglienkugeln sind beim Frosch ziemhch selten, sie werden grossentheils durch freie Kerne vertreten, noch seltener mögen ihre Verbindungen mit den Fasern sein. Dieselben ergeben sich dem- nach mehr als eine blosse Raritätsfrage. Vom allgemeinen Standpunkte aus wird obige Erscheinung neuerdings trefflich beleuchtet von ihrem ersten Entdecker A. KöUiker. * Es wird darin nachgewiesen, dass sowohl Ganghen mit einem als solche mit zwei Fortsätzen, welche als Nerven- fäden anzusehen sind, existiren. Das Vorkommen der erstem Hefert den Beweis, dass die Ganghen- In der »Zeitschrift für wissenschaflliche Zoologie von Siebold und KöUiker«. I. Band , zweites und drittes Heft. Leipzig 1849. 19 kugeln als Centralorgane Primitivfasern nach der Peripherie aussenden. Einfache Faserursprüng-e sind Regel bei den höhern Wirhelthieren ; doppelte sind hier eine Ausnahme; bei den wirbellosen Thieren sind letztere gar nur eine Seltenheit. Diese Ver- hältnisse nimmt man nicht nur in den Ganglien wahr 5 sondern auch im Gehirn und Rückenmarke. Die Fortsätze der Ganghenkugeln sind theils wirk- hche dunkelrandige Nervenfasern, welche peri- pherisch verlaufen, theils solche kürzern Verlaufs, w^elche frei enden, und nach KöHiker dazu dienen sollen, entferntere Gegenden des centralen Nerven- systems selbst mit einander in Wechselwirkung zu setzen. Auffallend ist, dass die Enden der longitudinaten Fasern im Schwanztheile des Rückenmarks bei zunehmender Feinheit zugleich resistenter gegen äussere Einflüsse zu werden scheinen, so dass die Varicesbildung sich selten auf sie erstreckt. Die Abnahme des Gehaltes an Marksubstanz mag zur Folge haben, dass letztere sich weniger leicht zu Blasen formirt ; die Endspitzen bestehen viel- leicht eine gewisse Strecke weit gar nur aus dem Neurilem. Betrachten wir nun den obern Theil des Rücken- markes, so stossen wir auf Verhältnisse, welche von den am untern Ende gefundenen ganz ab- weichen. Hier sieht man auf den ersten Blick, dass 2* 20 die Mehrzahl der Längsfasern nicht im Rücken- marke endet, mid es fragt sich, oh sie es wenig- stens theilweise thun. Ich glaubte allerdings mit- unter eine Faser an dieser Stelle enden zu sehen, allein Täuschungen sind hier sehr leicht möglich, und wenn es schon im Schwanztheile des Rücken- markes schwer fiel, eine bestimmte Meinung zu äussern, so gränzt es hier beinahe an Unmöglich- keit. — Das Nähere über die Faserzüge , welche ihren Lauf noch weiter fortsetzen, und ihre Re- ziehung zu den einzelnen Theilen des Gehirns wird bei der graphischen Reschreibung des letztern seine Stelle finden. Ausser den longitudinalen Fasern finden wir im Rückenmark noch ein anderes Svstem von Fasern, welches in transverseller Richtung verläuft. Rei Längsschnitten des Rückenmarkes sieht man überall eine Menge querlaufender Fasern, welche senk- recht zu den Längsfasern stehen, imd zwar weniger zahlreich als sie , aber dennoch in den vordem Strängen in genügender Zahl vorkommen, um die Aufmerksamkeit zu fesseln. Wenn man nun in der Holfnung, einen bessern Ueberblick dieser Quer- fasern zu erhalten, ein Querscheibchen aus dem Rückenmark unter das Mikroskop bringt, so wun- dert man sich, dass es Mühe kostet, sie wieder zu finden. Von einer gleiclmiässig vertheilten Anzahl von Fasern, welche in querer Richtung von hnks 21 nach rechts , von einer Seite zur andern zög-en, ist keine Rede. Erst nach wiederholten Versuchen konnte ich etwas entdecken, was den vermeint- lichen Querfasern entsprach. Man sieht nämlich aus jedem der vordem Stränge ein feines Faserbündel auftauchen, welches einwärts und nach hinten zieht, hinter der vordem Längsfurche sich mit dem von der andern Seite herkommenden Bündel kreuzt und in der Nähe des entoeo-eno-esetzten hintern Rücken- marksstrang-es verschwindet. Der Ausgangspunkt jedes Bündels entspricht also je einem der vordem Rückenmarksstränge, und ihr Endpunkt der imagi- nären hintern Seitenfurche auf der entgegengesetz- ten Seite. Von der Kreuz ung-s stelle an verlaufen beide Bündel im Innern der g-rauen Substanz , nicht durch ihre Mitte, sondern an ihrer Peripherie, den innern Contouren der Seitensträno-e sich anschmie- gend. Diese eigenthümliche Verlaufsweise , welche ich bei zahlreich wiederholten Nachsuchungen con- stant wieder fand, muss hohes Interesse erregen, da sie wohl Aufschlüsse über die Nervenleitung von einem Rückenmarksstrang zum andern, und über die gegenseitigen Combinationen ihrer Thätig- keiten geben wird. Früher hätte man wohl auch sogleich an die Reflexactionen gedacht; jetzt weiss man, dass die Lehre von denselben einer Um- arbeitung bedarf. In den vordem Strängen mengen die gekreuzten Bündel ihre Fasern mit den longi- 22 tiidinalen Fasern, ohne eine directe Verbindung mit ihnen einzugehen. — Ein Gegenstand weiterer Untersuchungen bleibt die Endigungsweise dieser Fasern in den vordem Strängen. Es fragt sich nämlich, ob sie in derselben Richtung enden, in welcher sie eingetreten sind. Es ist mir am wahr- scheinlichsten, dass es sich in der That so verhält. Ich gab mir viele Mühe, die Fasern noch weiter in ihrem Verlaufe zu verfolgen. Es gelang mir nicht, solche zu sehen, die sich umbögen und pa- rallel mit den eigentlichen Longitudinalfasern nach oben oder unten verliefen. Dazu kommt, dass beide Arten von Fasern sich auch in ihrem Baue wesent- lich von einander unterscheiden. Die gekreuzten Fasern zeichnen sich durch ihren geringen Durchmesser aus. Im Mittel beträgt der- selbe 0,0012'". Es gibt solche, welche noch be- deutend dünner sind, aber auch solche, welche bis zu 0,0015''' messen; letzere sind zahlreicher als die ganz feinen. Sie gehören also sämmtlich zu den feinen Nervenfasern, und gewähren dadurch ein Bild von Regelmässigkeit , wie wir es sonst fast in keinem andern Theile des Nervensystems antreffen. Sie werden ferner nicht leicht varicös, sondern ihre Wandungen behalten auch nach der Behandlung mit Wasser u. dgl. ihre egale Weite fast durchgehend s bei. Sie zeigen nur einfache Contouren. Ihre geringe Dicke macht , dass sie sehr hell und durchscheinend 23 sind 5 und dadurch sehr stark von der dunkehi Farbe der Long-itudinalfasern abstechen. Bei letztern maof freilich auch eine stärkere Pig-mentirung des Ner- veninhaltes mit im Spiele sein, denn sie verändern ihre Farbe nicht so sehr, auch wenn sie durch eine starke Compression breit gedrückt werden. Es ist zu beachten, dass der Kreuzungspunct beider Faserzüge im Grunde des Sulcus longitudinalis anterior liegt. Nach vorn grenzt er unmittelbar an die Furche, die Fasern liegen daher an dieser Stelle frei zu Tage, wenn man die Wände des Sulcus auseinander zieht. Nach hinten grenzen sie an die graue Substanz, welche von ihnen läno-s drei Viertheilen ihrer Peri- pherie umsäumt wird. Die Kreuzungsstelle, sammt den Fasern, welche in die Kreuzung eingehen, ist also nichts Anderes als die „vordere , oder weisse Quer- commissur" der Anatomen. Im Rückenmark des Menschen bestehen ganz dieselben morphologischen Verhältnisse, und es dürfte erlaubt sein, auch eine Analogie der denselben zum Grunde liegenden fei- nern Structur mit dem angeführten mikrosko- pischen Befunde bei den Reptilien herzustellen (eine Bestätigung derselben durch unmittelbare Un- tersuchung des menschlichen Rückenmarkes ist bis jetzt kaum möglich) , und so die Controversen über die mikroskopische Structur dieser Quercommissur beim Menschen zu schlichten. Schon Cuvier *"* sagt, * Lecons d'anatomie comparee, Paris, au Vlll. T. II. pag^. 188. 24 man erkenne in der weissen Ouercomniissiir Fasern, welche sich zu kreuzen scheinen. Sömmering * sprach dieselbe Ansicht aus. Nach Gall ■"""' ziehen von beiden Seiten her kleine Faserbündel nach innen, treffen jedoch nicht auf einander, sondern diejenigen der einen Seite senken sich zwischen die der andern ein, ahnhch wie die Kronen der Backenzähne beider Kiefer. Calmeil bemerkt, die weisse Querverbindung- sei nicht wie eine einfache Brücke zwischen beiden Rückenmarkshälften zu be- trachten , sondern sie bestehe aus einer Reihe weisser Markbündel, welche einen Faseraustausch vermitteln. Longet dagegen ist geneigt , obige An- sichten für Täuschung zu halten , und mit ihm erklärt auch Ed. Weber *"*""'*, die weisse Querverbindung sei nichts als eine einfache brückenartige Schicht. Die hintern (obern) Enden der Kreuzungsbündel reichen nur bis an die Peripherie der grauen Sub- stanz, ohne sich in die letztere einzusenken; noch weniger findet hier eine ähnliche Kreuzung wie vorn statt. Daher erklärt es sich auch, dass beim Frosch keine h i n t e r e weisse Quercommissur exi- stirt, sondern dass man im Grunde der hintern Längsfurche unmittelbar auf die frei zu Tage lie- gende graue Substanz stösst. Dasselbe sagen die * De corporis huraani fabrica 1798. T. IV. pag. 78. ** Anatomie und Physiologie des Nervensystems. "' Wagner, Handwörterbuch. T. III. 1. S. 21. 25 meisten Anatomen vom menschlichen Rückenmarke aus. Krause * freilich widerspricht dem, und will auch eine hintere weisse Querverbindung- entdeckt haben, welche die graue Substanz als höchst feine Lag-e überziehen soll. Meckel *"**^* will dasselbe ge- funden haben. Andere aber verwerfen diese An- nahme einer hintern weissen Commissur mit Be- stimmtheit, z. B. Eigenbrodt '"'*"""*. Die Fasern der Kreuzungsbündel sind in einzelne kleinere Fascikel zusammen gedrängt, welche zu- sammen den ganzen Faserzug construiren. Nach oben gegen das Gehirn wird diese Anordnung immer be- stimmter, und das Bündel sondert sich immer mehr in einzelne detachirte Fascikel. Hier erhält auch die Zahl dieser Fasern im Allgemeinen einen be- trächtlichen Zuwachs. Am untern Ende des Rücken- marks werden sie dagegen viel spärHcher, und im Schwanztheile treten sie neben den Längsfasern ganz in den Hintergrund. Erst in der Mitte der Len- denanschwellung werden sie deutlich sichtbar. Aus dem Umstände , dass diese Fasern in einer gewissen Beziehung zu dem Abgang von Nervenwurzeln aus dem Rückenmarke stehen , insofern ihre Reich- haltigkeit an einzelnen Stellen desselben nicht selten dem mehr oder weniger starken Abgange von Nerven- * Handbuch der menschlichen Anatomie S. 982, ** Handbuch der menschlichen Anatomie Bd. 3. S. 440. *** Ueber die Leilungsgesetze im Rückenmarke. Giessen 1849. 26 wurzeln entspricht , möge man nicht auf einen directen Zusammenhang- dieser Theile schliessen. Ed. Weber *"* bemerkt, im menschlichen Rücken- mark bestehe die vordere, weisse Querverbindung aus Fasern , welche quer von einer Seitenhälfte des Rückenmarks zur andern verlaufen. Daselbst treffen sie auf die eintretenden motorischen Nervenwurzeln, mit welchen sie sich zu verbinden scheinen. Ich halte diess der Analogie nach für unrichtig. Rei den Reptilien wenigstens findet keine solche Ver- bindung statt. Auch richtet sich die Zahl der Kreu- zungsfasern nicht so genau nach der Stärke der austretenden Nervenwurzeln. Im verlängerten Marke ist sie bedeutender als in der Hals- und Lenden- anschwellung. Ihre Verbreitung durchs Rückenmark ist eine nach oben gleichmässig zunehmende, sie ist nicht auf die Austrittsstelle von Nervenwurzeln beschränkt. Im obersten Theile des Rückenmarkes , welcher dem verlängerten Marke höherer Thiere entspricht, werden diese Structurverhältnisse durch neu hinzu kommende Elemente etwas complicirter. Die daselbst vorkommende Formirung in sehr zahlreiche Fascikel ist schon erwähnt worden; dieselben kreuzen sich in ihrem Verlaufe wiederholt, und bilden dadurch wellenförmige AnssB und hübsch verschlungene Netze. * Wagners Handwörterbuch , T. III , Muskelbewegung. 27 LJeberdiess aber tritt daselbst ein neuer Faserzug- auf, welcher jedoch weniger dem Rückenmarke als dem Gehirn angehört, und bei Betrachtung des letztern erwähnt werden soll. Ausser obigen Resultaten ist die Untersuchung von Querschnitten überhaupt die geeigneteste Ma- nier, um über das Meiste, was im Rückenmark interessiren mag , Aufschlüsse zu erhalten. Dazu gehören noch die Gestalt, Ausbreitung und Zusam- mensetzung der grauen Substanz, ihr Verhältniss zur weissen Rinde, so wie die Beschaffenheit die- ser selbst und ihre Anordnung in Stränge. Die graue Substanz steht im genauesten Massen- verhältniss zu der weissen, und zum absoluten Volum des Rückenmarkes. Sie breitet sich am stärk- sten aus in der Hals- und Lendenanschwellung. In Betreff ihrer Gestalt ist wenig Abweichendes zu be- merken. Man kann auch hier ein Mittelstück mit vier Fortsätzen unterscheiden, doch mit dem Unterschied, dass das Mittelstück die Hauptmasse ausmacht, und die seithchen Fortsätze sehr unbedeutend, manch- mal nur angedeutet sind. Die Form ist also viel plumper als beim Menschen, und nähert sich mehr der eines Cylinders. Sehr zahlreich finden sich in der grauen Sub- stanz die schon beschriebenen freien Kerne, welche sich von den Kernen der Ganglienkugeln durch ihren dunklen granulirten Inhalt unterscheiden. Man ist 28 g*ezwimgen, eine strukturlose Masse als Grund- lage der grauen Substanz anzunehmen , obwohl ich gestehe, erstere nicht gesehen zu haben, wie es manche Beobachter behaupten wollen. Dagegen sieht man gekörnte dunkle Massen, Zellgewebe, Ge- fässe , freie Blutkugeln , sowohl normale Bestand- theile , als Producte fehlerhafter Präparation ; es gelingt in der That sehr selten , Präparate ganz frei von letztern Zuthaten zu erhalten. Fasern, welche der grauen Substanz ausschliesslich angehören soll- ten, habe ich nicht gefunden. Die beschriebenen Kreuzungsbündel, welche die longitudinalen Fasern mit einander in Verbindung setzen, gehören offenbar mehr der weissen Substanz an. Ich erwähne nur noch nebenbei , dass ich einige Male eine zweite Art von Querfasern zu erbhcken glaubte, welche in spärlicher Zahl am hintern Saume der grauen Substanz verliefen und sich beiderseits an die Seitenstränge anlehnten. Da mir dieses Ver- hältniss nicht constant vorkam, so wage ich noch nicht, seine Richtigkeit zu behaupten. Beim Fisch dagegen, wo ich ebenfalls darnach suchte, sind diese Querfasern in der Medulla oblongata sehr deutlich entwickelt. Werfen wir nun nach dieser Betrachtung der Rückenmarksstruktur beim ausgebildeten Frosch noch einen Blick auf den Grad ihrer Entwicklung im Lar- venzustande , wie wir sie aus Engels umfassenden 29 Untersuchungen kennen lernen. Herr Prof. E n g e 1 "^ beschreibt seinen Befund in gedrängter Kürze fol- gendermassen : „Im Schwanztheüe des Rückenmar- kes kommt nur eine Art von Nervenfasern vor. Diese sind 0,0004 P. Z. dick, verlaufen dem An- scheine nach parallel und gerade nach vorwärts, und hängen ununterbrochen mit den peripherischen Ner- venfäden zusammen. Nirgends findet sich an den ein- tretenden Nerven ein Wurzelganglion. Die periphe- rischen Nerven — gleichviel, ob sie zu den Muskeln oder zur Haut gehen — verjüngen sich etwas, sinken jedoch nicht unter einen Durchmesser von 0,0002 P. Z. Ungeachtet von dem obern und untern Theile der Schwanzflosse eine beträchtliche Menge von Nervenbündeln , meist aus sechs und mehreren Fa- sern bestehend, in das Rückenmark eintreten, so verstärkt sich doch der Umfang dieses letztern nicht bedeutend. Diess rührt davon her , dass keine Ner- venfaser durch die ganze Länge des Schwanztheiles vom Rückenmarke verläuft. Immer scheinen diejeni- gen Nervenbündel, welche weiter nach vorn ein- treten, oberflächlicher zu hegen, so dass man zu dem Glauben veranlasst wird, die Nervenfasern treten allmähg von der Oberfläche in die Tiefe in dem Ver- hältnisse , als sie weiter nach vorn verlaufen. Zum Theile ist dieses wirklich der Fall. Es besteht aller- * Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzle zu Wien. Vierter Jahrgang , achtes Heft , S. 109. 30 dings eine Scheidung des Rückenmarkes in zwei seitliche Hälften, aber noch keine Sonderimg in Stränge. Die Nervenbündel haben daher auch keine bestimmte Eintrittsstelle, und namentlich ist, wie bereits oben bemerkt wurde , eine Trennung in vor- dere und hintere Nervenwurzel nicht vorhanden.'' Nach dem Obigen fehlen im Schwanztheile der Froschlarve die eigenen longitudinalen Rückenmarks- fasern, welche im ausgebildeten Frosch im Gegen- theil zahlreich vorhanden sind , und der Redeutung nach die erste Stelle einnehmen. Es finden sich nur solche Nervenfasern vor, welche aus den eintreten- den Wurzeln herstammen. Von Redeutung ist, dass dieselben nach Engel nicht das ganze Rückenmark, ja nicht einmal den Schwanztheil selbst , durch- ziehen. Engel sagt weiter: ,.ImKörpertlieile des Rücken- markes erscheinen, was die Dicke der Nervenfäden anbelangt, zwei Arten, feine und dicke Nerven- fäden, erstere von einem Durchmesser von 0,00015 P. Z. , letztere von einer Dicke von 0,0004". In RetrefF der Richtung des Verlaufes gibt es gleichfalls zwei Arten, nämlich longitudinal und transversal verlaufende Fasern. Unter den longitudinalen Ner- venfasern bemerkt man leicht sowohl feine als dicke, die transversalen Fasern sind grösstentheils feine, mit unbedeutenden Verschiedenheiten im Durch- messer; die breiten Transversalfasern sind, da sie 31 von den feinen verdeckt werden , weniger leicht zu erkennen. „Lange bevor noch eine andere Art Faserung im Rückenmarke erkannt werden kann , sind bereits die longitudinalen breiten Fasern vollkommen entwickelt, und ihre Menge nimmt bei einer weitern Ausbildung des Rückenmarkes nur unbedeutend zu. Später erst entwickeln sich die schmalen Longitudinalfasern, am spätesten von allen die transversalen feinen Fasern, und zwar erst zu der Zeit , wenn bereits alle Extre- mitäten vollkommen ausgebildet sind. Ausser den breiten longitudinalen Fasern enthält das Rücken- mark anfangs nur blassbräunliche Zellen (Ganghen- zellen) von vollkommen runder Form und glatter Oberfläche mit einem Durchmesser von 0,0004 — 5 P. Z. und einem deuthchen runden Kerne von 0,0002". Mit der Ausbildung der Fasern verringern sich diese Zellen bedeutend, so dass sie in der spätesten Zeit des Larvenzustandes gegen die Menge der Fasern fast verschwinden. '' Aus diesem Modus der Entwicklung der Fasern aus Ganglienzellen lässt sich vielleicht das Vorkom- men einzelner Verbindungen zwischen Fasern und Ganghenzellen beim ausgebildeten Thier erklären: diess würde aber noch nicht beweisen, dass diese Gebilde blosse Ueberbleibsel einer früheren Forma- tion , oder Hemmungsbildungen , ohne weitern phy- siologischen Werth seien ; bekanntlich messen ihnen 32 die jetzigen Forscher eine hohe Bedeutung bei. Im Uebrigen bemerkt Engel ausdrücklich , dass wäh- rend der Bildung der Fasern die Zellen verschwin- den ; das Isolirtbleiben der ausgebildeten Faser m i t freiem Ende wäre somit als Normalzustand, ihre Verbindung mit Zellen als Ausnahme zu betrachten. In Betreff der von Engel beschriebenen Quer- fasern halte ich dafür, dass dieselben aus der Betrachtung von Längsstücken des Rückenmarkes entnommen sind. Wie sich dagegen ihr Verlauf bei der Untersuchung von queren Scheibchen heraus- stellt, ist früher angegeben worden. „Die breiten longitudinalen Nervenfasern erschei- nen nur an der Peripherie, und zwar in dem sogenannten vordem Strange; sie stehen mit peri- pherischen Nerven in unmittelbarem Zusam- menhange, so zwar, dass sich ein grosser Tlieil der eintretenden Nervenfasern in dieselben fort- setzen. Sie Uegen in der ganzen Länge des Rücken- markes, gehen aber nie in das Gehirn selbst ein." Diese von Engel beschriebenen longitudinalen breiten Fasern sind also einfache Fortsätze der ein- tretenden peripherischen Fasern ; weiter unten ver- nimmt man, dass sie sämmtlich nach ziemlich kurzem Verlaufe im Rückenmarke enden. Im ausgebildeten Thier haben wir noch ein von diesen wesentlich verschiedenes System breiter lon- gitudinaler Fasern beobachtet, welche in keinem 33 Zusammenhang' mit den peripherischen Nerven stehen (s. ohen, S. 13 u. flg.) 5 ^^^ Rüclvenmarke seihst angehören, und dasselbe in seiner ganzen Länge durchziehen. „Die breiten longitudinalen Nervenfasern stehen zunächst mit den motorischen Nerven in nachweis- barem Zusammenhange; eine Verbindung mit sen- siblen Nerven ist möglich, aber den Nachweis konnte ich bisher nicht überzeugend genug hefern/' Diese letztere Frage ist , nach der Analogie mit dem angegebenen Befunde bei vollendeter Entwick- lung, verneinend zu beantworten. „Die feinen longitudinalen Fasern nehmen den Seitenstrang und den obern Strang ein; sie stehen mit peripherischen Nervenfasern in keinem Zu- sammenhange, erscheinen erst in der Lendenan- schwellung des Rückenmarkes, gehen nicht, wie die breiten Fasern, schon aus dem Schwanztheile des Rückenmarks hervor, laufen aber dagegen in die Hirnsubstanz hinein. Auch in der grauen Sub- stanz des Rückenmarks sind sie zahlreich, doch mengen sich hier mit ihnen auch quere Fasern, was in dem Seiten- und obern Strange, den sie ausschliessHch bilden , nicht der Fall ist. Diese Fa- sern können also eben so wohl als Hirn- wie auch als Rückenmarksfasern, die vom Rückenmark zum Gehirn aufsteigen, betrachtet werden." Später mischen sich unter diese feinen Fasern 3 34 der Seiten- und Hintersträng-e , wie wir gesehen, haben, noch grobe Fasern, und in den vordem Strängen scheinen sie sich erst dann zu entwickeln. „Von den queren Fasern gehört die Mehr- zahl dem Rückenmarke ausschliesslich an, d. h. sie stehen weder mit dem Gehirne , noch mit den peripherischen Nerven in Verbindung; diese kann man daher auch als eigenthche Rückenmarks- fasern betrachten. Sie sind schmal, und laufen immer durch die ganze Rreite des Rückenmarkes von einer Hälfte zur andern. Sie liegen in der Tiefe des Rückenmarkes in der grauen Substanz desselben, deren grössten Theil sie darstellen. Nur eine dünne Schichte scheint den obern und seitlichen Rücken- marksstrang von aussen her zu bedecken. Im Schwanztheile des Rückenmarks trifft man diese Fa- sern nicht, sie beginnen erst in der hintern An- schwellung des Rückenmarkes, finden sich durch das ganze Rückenmark, gehen aber nicht in die Gehirnsubstanz hinüber. „Eine andere Art von Querfasern mit grösserem Durchmesser geht nur bis in die Gegend des soge- nannten grauen Kernstranges , und endet hier ohne die entgegengesetzte Rückenmarkshälfte zu errei- chen; diese Fasern verlaufen peripherisch, treten als hintere Nervenwurzel aus, und gehen in der vordem und hintern Rückenmarksanschwellung in die an der Nervenwurzel befindlichen Ganglien ein." 35 Von diesen zwei Arten von Querfasern halte ich die erstem für die Anlage zu den später ent- wickelten , schief verlaufenden Fasern , welche sich in zwei sich kreuzende Bündel sammeln, und die ich daher Kreuzungshündel genannt habe. In der Frosch- larve scheinen sie relativ zahlreicher zu sein, als spä- ter. Von der zweiten Art dieser Querfasern, welche mit den Nervenwurzeln in Verbindung stehen, habe ich bis jetzt noch nicht gesprochen, weil ich sie weniger zum Rückenmarke , als zum peripherischen Nervensystem gehörend betrachte. Es kommt nun die Betrachtung eines äusserst wichtigen Gegenstandes an die Reihe, die Art, wie sich das peripherische Nervensystem in's Rückenmark einsetzt, oder die ürsprungsweise der Nervenwur- zeln. Da es sich übrigens bei meiner Arbeit nur um die anatomischen Verhältnisse handelt, ohne Rücksicht auf die Functionen, so werde ich in meiner Darstellung den Ursprung der Nerven in die Peripherie, dagegen ihr Ende in das Centralorgan setzen. Die Literatur dieses Gegenstandes ist sehr umfang- reich, denn derselbe hat von jeher zu den vielfältigsten Untersuchungen, auf theoretischem und praktischem Wege, Anlass gegeben. Von der Beantwortung der dahin gehörenden Fragen erwartete man Aufschlüsse über die dunkelsten Punkte der Nervenphysiologie, und die Lösung so mancher bisheriger Räthsel 3 * 36 über die Art der Nerveiileitimg- , über die Lehre von den Nervensympathieen und über vieles Andere mehr. Da die Idee von einer unmittelbaren Ner- venleitung per continuitatem im Allgemeinen vor- herrschend war und noch ist. so war man geneigt, jedem einzelnen Nervenvermögen im Centralorgan seine eigenen Nervenfasern zuzuschreiben, welche eine ununterbrochene Verbindung mit der Peripherie herstellen sollten. Eben desswegen musste man von der genauem Kenntniss des Verlaufs dieser Nerven- fasern innerhalb der Centralorgane die wichtigsten Aufschlüsse über die noch so dunkle Specialphy- siologie der letztern erwarten. In Betreff dieser schönen Hoffnung bin ich durch die Resultate, welche ich o-ewonnen habe, enttäuscht worden. Schon das Princip der unmittelbaren Nervenleitung erscheint mir darnach als ein ganz verfehltes. Ueberhaupt habe ich darin wieder neue Beweise dafür erhalten, dass die Natur eben so mannigfaltig ist in den Aeusserungen ihrer Kräfte, als einfach und unge- künstelt in den materiellen Mitteln, welche sie zur Vermittelung jener in Bewegung setzt. So auch hier; die anatomischen Grundlagen des Nerven- systems sind weit einfacher, als man sie sich vor- gestellt hatte, die Verrichtungen aber um eben so viel unerklärlicher und merkAvürdiger. Manche Ge- setze , in die man die Thätigkeit desselben mit mathematischer Bestimmtheit einzwängen zu können 37 glaubte, werden als unrichtig dahin fallen ; die wich- tigsten aber bleiben noch zu entziffern. In keinem Gebiete ist es nöthiger als in diesem, Thaten an die Stelle unnützer Worte zu setzen. Daher erlaube ich mir, die weitläufige Erzählung des Vielen , was darüber schon geschrieben worden ist, zu übergehen. Es ist diess um so mehr erlaubt, als auch diese Untersuchungen meistens auf einer fal- schen Basis, der der theoretischen Speculationen fussten, und daher denn auch, wie zu erwarten war, meistens nur zur Aufstellung einer Masse von Mei- nungen und H\^othesen führten, welche wenig Uebereinstimmmig zeigen. Die ältere Ansicht, dass alle von Aussen in das Centralorgan eintretenden Nervenfasern dieses seiner Länge nach durchsetzen und bis zum Gehirn aufsteigen, musste verlassen werden, als man berechnete, dass das Volum des Rückenmarks in seiner Höhe viel zu gering sei, um die Fortläufer sämmtlicher Rückenmarksnerven zu beherbergen, abgesehen von der eigenen Sub- stanz des Rückenmarks. Indessen klammerte man sich immer noch an diese Ideen an, suchte davon zu retten, so viel mögHch war, fuhr daher fort, von einem wenigstens theilweisen Uebergang der Rückenmarksnerven in's Gehirn zu sprechen, und erschöpfte sich in Bemühungen, um denselben zu begründen. Unter den Männern, welche diese Lehre an- 38 griffen, hat Volkmann wohl am überzeiig-endsten, obgleich ebenfalls auf indirectem Wege, die An- sichten von einem ununterbrochenen Uebergang sämmtHcher peripherischer Nervenfasern in's Gehirn erschüttert. Er setzt ihnen folgende Gründe ent- gegen : 1. Die Formverhältnisse des Rückenmarks. Das- selbe bildet nämlich weder im Ganzen, noch mit seiner weissen Masse allein einen einfachen Kegel, und doch müsste Eins davon der Fall sein, wenn die allmälig von unten bis oben aus den Nerven- wurzeln eintretenden Fasern, sämmtlich von ihrem Eintritte durch das ganze Rückenmark bis in's Ge- hirn verliefen. Vielmehr zeigt es bei Thieren mit vier Gliedmassen in seinem Verlaufe zwei An- schwellungen, zwischen welchen es sich merklich verdünnt, und sowohl an der IMassenzunahme in den Anschwellungen, wie an der Massenabnahme zwischen ihnen, haben beide Substanzen, die weisse und die graue, Antheil, so zwar, dass bei manchen Thieren die Lendenanschwellung sowohl mehr weisse als mehr graue Masse enthält, wie selbst die Hals- anschwellung. Sollten also trotzdem sämmtliche Ner- venwurzeln bis in das Gehirn verlaufen, so müsste, nach Abzug des auf diese Weise nothwendig durch ihren allmäligen Zusammentritt gebildeten, einfachen Kegels , ein Theil der Rückenmarksmasse übrig bleiben, welcher die vorhandenen Abweichungen 39 von dieser einfachen Form erzeugte. Die graue Masse allein macht diesen Theil nicht aus, was die darüber ang-estellten Messungen beweisen. Der dess- lialb nothwendig auf die weisse Masse fallende Antheil daran lässt sich aber nicht denken, ohne dass man im Rückenmark freie Enden (oder End- schlingen) so vieler Fasern annimmt, als neben der grauen Masse nöthig sind, um den von den übri- gen bis zum Gehirn verlaufenden Fasern gebildeten umgekehrten Kegel bis zu der wirklichen Gestalt des Rückenmarkes zu erganzen — oder, der ana- tomischen Beobachtung zuwider, Windungen der tiefer unten eintretenden Fasern willkürlich voraus- setzt , welche jene Massenunterschiede bewirken würden. 2. Der Nachweis, dass, auch von diesen Ver- hältnissen abgesehen, der ganze Umfang des Rücken- markes an seinem Hirnende nicht bei allen Thieren ausreiche, um sämmtliche Fasern der Rückenmarks- nervenwurzeln in sich aufzunehmen. Es bliebe also nur der Ausweg ül)rig, eine Verdünnung der ein- tretenden Wurzeln im Rückenmarke anzunehmen, die bis zu M,i ihres ursprünglichen Durchmessers ginge, was schon von vornherein höchst unwahr- scheinKch wäre, und durch die von mir mitgetheilten Messungen der im Rückenmarke vorkommenden Fasern vollends beseitigt wird. 3. Endlich der Umstand, dass bei den mit GUed- 40 massen versehenen Thieren die weisse Masse des Rückenmarks gerade an den Stellen selbst, an welchen grössere Nervenstränge von ihm abgehen, statt sich zu verdünnen, an Umfang zunimmt. Der dritte Grund von Volkmann lässt sich auch um- kehren und so ausdrücken : gerade an den Stellen, wo starke Nerven ins Rückenmark treten, bemerkt man constant eine Yolumszunahme des letztern (Lenden- und Halsanschwellung). Auf diese Ein- trittsstellen der Nerven beschränkt, verlieren sich die Anschwellungen etwas höher und tiefer so- gleich. Daraus kann man mit grosser Wahrschein- lichkeit zwei Schlüsse ziehen : 1 . dass die An- schwellung durch den Eintritt der Nervenwurzeln verursacht werde, und 2., dass das Aufhören der Anschwellung unmittell)ar nach oben in einem Auf- hören der Ursache, d. i. der eintretenden Nerven- wurzeln beo-ründet sei. Wären die Wurzeln des Stammes stark genug , um durch ihren Eintritt das Volum des Rückenmarkes merklich zu vergrössern, so müssten wir eben so viele Ansclnvellungen am Rückenmarke wahrnehmen, als die Zahl der Nerven- paare beträgt. Und in der That ist diess bei einigen Thieren der Fall, namenthch bei den Knochenfischen, wo den zu den Rrustflossen abgehenden Nerven- paaren eine regelmässige Zahl von Anschwellungen entspricht. Rei den Ophidiern verursacht der Ein- tritt jedes Nerven eine hinlängliche Massenzufuhr, 41 um eine evidente Anschwellung- im Rückenmarke zu veranlassen. Ich habe die Arbeiten, welche Volkmann über diesen Gegenstand angestellt hat , etwas ausführ- licher angeführt, weü seine Ergebnisse mit den meinigen übereinstimmen, und weil es sehr zu Gun- sten der 1 e t z t e r n spricht , dass ein Forscher wie Volkmann auf ganz verschiedenem Wege der Untersuchung zu denselben Resul- taten gelangt ist , w ie sie unten, als auf directem Wege, mit Hülfe des Mikroskops, gefunden, dar- gelegt werden sollen. Bei den ReptiKen, welche keine ausgebildeten Extremitäten besitzen, finden wir auch keine Len- den- und Halsanschwellung im Rückenmarke. Beim Menschen scheinen die eintretenden Wur- zeln einen verhältnissmässig längern Verlauf inner- halb des Centralorgans zu besitzen, als bei den Reptilien. So mag es kommen, dass wir dort statt einer plötzlichen entsprechenden Anschwel- lung nur eine allmälige Zu- und Abnahme des Vo- lumens finden. Auch in dieser Sache scheint mir die Probe vermittelst des Mikroskops die zweckmässigste, um eine weniger problematische Belehrung zu schöpfen, und aus dem Gebiete der mehr oder weniger wahrscheinlichen Muthmassungen herauszukommen. Ausser Budge, auf den ich später zurückkommen 42 werde, hat besonders Herr Prof. Engel "* durch seine Untersuchung-en über das Rückenmark der Froschlarven diese Nebel, welche die frühern For- scher beirrten, beseitigt, und den Weg zu weitern Untersuchungen vorgezeichnet. Herr Prof. Engel fand, dass die Nervenwurzeln ziemhch schnell nach ihrem Eintritte in's Rückenmark abrupt enden. Sie gehen keine directe Verbindungen mit den Elemen- ten des Rückenmarks ein; auch zerstreuen sich die Nervenfasern nicht, bevor sie enden, sondern hören gemeinschafthch auf. Die vordem Rückenmarksstränge enthalten bei der Froschlarve, nach Engel, keine eigentlichen Rückenmarksfasern, sondern sind ledighch der Herd der in Masse hereinziehenden und daselbst enden- den Nervenwurzeln. Herr Prof. Engel beschreibt diese Anordnung mit folgenden Worten *"""* : „Die breiten longitudinalen Fasern sammeln sich in einem, durch die ganze Länge des Rückenmarks verlaufenden Strange, keine dieser Fasern gelangt jedoch von ihrer Eintrittsstelle an zum Gehirn durch die ganze Länge des Markes. Der Verlauf dieser Fasern im untern Rückenmarksstrange ist demge- mäss folgender. Ein aus sechs, oder mehrern brei- ten Fasern bestehendes Nervenbündel läuft an der " A. a. O. '* Pag. 113 1. c. 43 untern Seite des Rückenmarkes gegen die Mittel- linie, und dort angelangt, eine kurze Strecke weit gerade nach vorn, und etwas nach aufwärts, d. h. gegen den centralen Theil des Markes. Ist es auf diese Art einen, oder höchstens zwei Wirbel weit nach vorne gegangen, so hören die einzelnen Fa- sern mit einer leichten Spitze auf (nicht alle Spitzen eines Bündels liegen in derselben Ebene). Das nächste , weiter nach vorn lieofende Nervenbündel verläuft auf ähnhche Weise, und bedeckt, sobald es in den untern Strang eingetreten ist, eine kurze Strecke weit, das nächst hintere Bündel von der untern Seite. Jedes in den untern Strang eintretende Nervenbündel endet daher nach einer kurzen Strecke seines Ver- laufes im Rückenmark und bedeckt von unten her ein wenig das hinter liegen de Bündel, so wie es in gleicher Weise von dem nächst folgenden bedeckt wird. Keine Faser dieses Stranges läuft durch die ganze Länge des Rückenmarkes ununter- brochen bis zum Gehirne. „Es geht aus dieser Anordnung der Fasern hervor, dass dort, wo stärkere Nervenbündel in das Rückenmark eintreten, auch der untere Strang breiter und dicker werden müsse. Diess ist an der Eintrittsstelle der Extremitätsnerven, der vordem und hintern Rückenmarksanschwellung der Fall. Die 44 letzten Nerven des untern Stranges hören unmit- telbar hinter den Vierhügellappen des Hirnes auf, und werden hier von unten her durch eine Schicht querer Fasern bedeckt." Etwas anders verhalten sich die hintern Wurzeln; Engel sagt darüber Folgendes: „Das höchste Interesse bietet das Entstehen und der Ursprung der hintern oder der gangliösen Wurzel dar. Bereits oben ist erwähnt, dass diese Wurzel erst zu einer Zeit sichtbar werde , in der die Bildung der Extre- mitäten beginne. Weder in dem verhältnissmässig grossen Ganglium, noch in dessen im Rückenmarke befestigter Wurzel ist in dieser Periode eine Ner- venfaser zu erblicken 5 sondern Ganglium und seine Wurzel werden von einem zarthäutigen Cylinder dargestellt, der mit einer feinkörnigen Masse und mit Zellen gefüllt ist. An der Grenze zwischen dem obern und dem Seitenstrange des Rückenmarkes angelangt, tritt dieser Hautcylinder in das Rücken- mark hinein, und quer durch dasselbe in die soge- nannte Mark- oder graue Substanz, ohne jedoch die entgegengesetzte Hälfte des Rückenmarks zu berühren. „Bald bemerkt man in der GangKenwurzel , so wie im Ganglion selbst, anfangs einzelne, später zahlreichere Nervenfäden, deren Menge endlich so zunimmt, dass der ganze, die Wurzel darstellende 45 Haiitcylinder davon erfüllt wird. In der Wurzel liegen diese Fasern parallel; in das Ganglion ein- tretend, divergiren sie, um dann nach der ent- gegengesetzten Seite des Gangliums abermals zu convergiren , und auf diese Art zu dem Nerven- stamme sich zu sammeln. „Die Nervenfasern , welche sich in der Gang- lienwurzel bilden , laufen ohne Unterbrechuno* bis gegen die Mitte des Rückenmarkes, ohne diese zu erreichen, und enden hier mit einer leichten Ab- rundung, ohne in Fasern anderer Art überzugehen, ohne sich mit einander zu verbinden, und ohne Endschlino-en zu bilden. „Als das wichtigste Resultat der Unter- suchung stellt sich demnach heraus, dass die in das Rückenmark eintretenden, so- wohl motorischen als sensiblen Nerven nur eine kurze Strecke weit im Rückenmarke selbst verlaufen, und dann aufhören, ohne mit andern Nerven sich zu verbinden, dass demgemäss das Rückenmark an verschie- denen Stellen je nach der Masse der ein- tretenden Nervenfasern verschieden dick sein müsse. ^' Ich hatte mir nun folgende Frage aufzuwerfen: sind die von Engel an Froschlarven constatirten Verhältnisse nur vorübergehende Zustände einer frühen Entwicklungsperiode , oder erhalten sie sich 46 unverändert während der spätem Ausbildung des Thieres , und sind demnach als bleibende Bildungen zu betrachten? Das Letztere muss ich , in seinen wichtigsten Theilen, unbedingt bejahen. Bei vielfach erneuerten Versuchen habe ich stets dieselbe Endigungsweise der Rückenmarksnerven 5 im Wesenthchen wenig- stens 5 gefunden , wie sie Engel bei der Froschlarve mitgetheilt hat. Noch mehr, um den daraus zu zie- henden Schlüssen der Analogie noch grössere Sicher- heit zu geben, habe ich auch kleinere Vögel, Fische, und als Stellvertreter für die Säugethiere die Maus, denselben Betrachtungen unterworfen, und hierbei mit den früliern übereinstimmende Resultate , welche nur in untergeordneten Dingen hie und da abwei- chen, erhalten. Somit beziehen sich die von Engel aufgestellten Thatsachen auf alle höhern Thierclassen , und be- reichern die Nervenlehre um einen Fundamentalsatz. Es ist von Wichtigkeit, zu wissen, ob die Ner- venwurzeln nach Verschiedenheit ihrer Funktionen entsprechende Verschiedenheiten in ihrem Bau , Zu- sammensetzung u. s. w. zeigen. In den Hauptpunkten verhalten sich alle Nervenwurzeln ähnlich. Sie enden sämmtHch auf die von Engel beschriebene Art, in- dem sie, an der gegebenen Stelle angelangt, plötz- Uch mit allen ihren Fasern geschlossen aufhören, ohne dass einzelne Ausläufer sich weiter fortsetzten. 47 Die Fasern zerstreuen sich nicht, verflechten sich nicht mit den umgebenden Rückenmarksfasern , noch mit den freien Kernen der grauen Substanz , son- dern bilden bis zu ihrer gemeinschaftlichen Endi- gung ein vollkommen geschlossenes Bündel. Auch die Durchmesser der Nervenfasern in beiden Wur- zeln gewähren kaum unterscheidende Merkmale ; sie sind ein Gemenge von gröbern und feinern Fasern, nur scheinen letztere in den sensiblen Wurzeln etwas zahlreicher zu sein, als in den motorischen. — Als entscheidender Unterschied bleibt uns einzig und allein die Wahl der Ansatzstelle, und eine Formverschiedenheit in der äussern Rundung des Wurzelendes. Das letztere mag zwar mehr äusser- lich und unwesentlich erscheinen; die darauf sich gründende Verschiedenheit ist jedoch hinlänglich ausgeprägt, um auf den ersten Blick die Funktion der betreffenden Wurzel zu verrathen. Die motorischen Wurzeln senken sich insge- sammt in schiefer Richtung in's Rückenmark ein, und stehen somit in einem spitzen Winkel zur Längsachse des Rückenmarks. Dieser Winkel ist um so spitzer, je näher am Schwanzende diese Eintrittsstelle gelegen ist. Am Halstheile dagegen nähert er sich mehr einem rechten Winkel. Be- kanntlich geschieht der Verlauf der Nerven auch ausserhalb des Wirbelkanals in schief absteigender Richtung, doch schon nicht mehr in dem Grade, 48 wie diess an der Einsatzstelle ins Rückenmark der Fall ist. Der Gesammtverlauf bildet mithin einen Bogen, mit aufwärts g-erichteter Concavität. Wäh- rend die motorischen Wurzeln im Rückenmarke ihre schiefe Richtung in eine der Längsachse des letztern mehr parallele umändern, nähern sie sich zugleich der vordem Längsfurche , die sie heinahe erreichen. Immerhin bleiben sie durchaus im Bereiche der vor- dem Rückenmarksstränge, und kommen in keine Berührung mit der grauen Substanz. In der Nähe der mittlem Längsfurche angelangt (was auf einem kür- zern Wege im obern Theile des Rückenmarks von statten geht, auf einem viel längern dagegen im untern Theile) , enden sie auf die früher beschriebene Weise. Die Endstelle ist um so weiter von der Ein- trittsstelle entfernt, je schiefer der Verlauf, weiter demnach in den untern Partieen des Rückenmarks, wo die ganze Strecke eine Wirbellänge und mehr betragen kann. Näher am Hirnende streben die Wur- zeln in fast transversaler Richtung gegen die Mittel- linie. Zuweilen bemerken wir, dass sich einige Wur- zeln noch innerhalb des Rückenmarkes theilen, und mit zwei oder mehr Zipfeln enden; die Spaltung ist in der Regel dichotomisch, selten mehrfach. Der Faserinhalt der so entstandenen sekundären Bündel beträgt nicht genau das Volumen der ganzen Nervenwurzel, sondern ihre Mächtigkeit ist relativ sehr verschieden und durchaus unregel- 49 « massig". Bei der Maus trilTt man diese Spaltung der Nervenwurzeln noch viel häufiger an, so dass man selten eine solche findet, die ungetheilt hliehe ; ferner ist hier die Spaltung fast immer eine mehrfache , so dass man oft bis 10 Bündel zählen kann. Auch hier ist die Mächtigkeit der einzelnen Bündel sehr ung-leich. — Die Fasern der motorischen Wurzeln enden sämmt- lich in einer Linie, so dass letztere ihr Volumen bis zum Schlüsse fast vollständig beibehalten. Wir werden sehen, dass sicli diess bei der sensiblen Wurzel anders macht. Zu J)emerken ist ferner, dass der Durchmesser der motorischen Wurzebi gegen das Ende hin ein wenig* abnimmt. Diess mag' zum Theil von einer Volums- abnahme der einzelnen Fasern herrühren, tlieils \on dem Schwund der Hüllen , sowohl des gemeinsamen Nem^lems , als der Wandungen der Nervenröhrchen selbst. Letzteres ist unzweifelhaft der Fall , und hat zur Folge , dass die Enden der Röhrchen äussern Einflüssen weit weniger Resistenz entgegensetzen, als ihre Körper. Schon ein geringer Druck, auf diese Enden ausgeübt, bringt sie zum Bersten, worauf man den Nerveninhalt austreten sieht. Dieser Umstand kann dazu ausgebeutet werden , um meine Ansichten als irrig- darzustellen, ich werde daher wieder darauf zurückkommen. — Zugleich mit dem Dünnerwerden der Wände bemerkt man auch ein geringes Abnehmen ihres Lihaltes. Diess zeigt sich noch viel deutlicher bei der Maus, wo die Caliber 50 der Nervenröhrchen sehr beträchtlich abnehmen, ehe sie enden. Eine Verschiedenheit von der Endi- gung"sweise der longitiidinalen Rückenmarksfasern ist die, dass letztere eine nur sehr allmälige Ab- nahme zeigen, die sich mehrere Linien hinziehen kann, während diese in den Wurzeln sich auf einem Räume von ein paar Tausendstel Linien Länge bewegt. Die sensiblen Wurzeln treten sämmtlich in einer Richtung in's Rückenmark, welche der queren sehr nahe kommt, und sie an den meisten Stellen erreicht. Zuweilen ist selbst die Richtung eine etwas rück- wärts zieliende, so dass das Ende etwas weiter nach unten stattfindet als der Eintritt, im vollkom- menen Gegensatz zu den motorischen Wurzeln. Die Eintrittsstelle hegt ungefähr an der Grenzlinie zwischen den hintern und den Seitensträngen des Rückenmarks. Von da an biegt sich die Wurzel nach hinten und einwärts , und endet in dem hintern Rückenmarksstrang, welcher ihrer Seite entspricht. Die Form dieser Enden ist etwas verschieden von der der motorischen Wurzeln. Die äussern, peri- pherischen Fasern sind nämlich etwas länger und wölben sich über die Centralfasern vor, so dass letztere von jenen , wie von einer Kuppel einge- schlossen sind. Es entsteht so die Form einer Halb- kugel. Die sensiblen Wurzeln spalten sich sehr häufig in eine beträchtliche Zahl von Ausläufern. 51 Dasselbe habe ich in noch höherm Maasse bei der Maus gefunden. Bei der Untersuchung von einzehien, dem Rücken- mark entnommenen, Stückchen findet man häufig in der weissen Substanz einzehie Lücken von runder oder länghcher Form, welche durch das Ausein- andertreten der eigenthchen Rückenmarksfasern, nicht durch die Unterbrechung in ihrer Continuität, gebildet werden. Diese Lücken bezeiclmen ohne Zweifel den Verlauf von Nervenwurzeln, welche bei der Praparalion verloren gegangen sind. Letz- teres geschieht sehr leicht ; ein sehr schwacher Zug an den membranösen Hüllen reicht dazu hin, weil die Wurzeln stärker an denselben haften, als am Marke selbst; es folgt jedesmal die ganze Wurzel dem Zuge , nie sieht man ein Stück derselben im Innern des Rückenmarks seinen Lauf fortsetzen. Oft bleibt in diesen Lücken eine zellgewebige Mem- bran zurück, welche sich in Form eines faltigen Streifens bis zur Oberfläche des Rückenmarks hin- zieht. Diese Membran ist ein Fortsatz der Meningen, welcher die Wurzel bei ihrem Eintritt begleitet. Das Ueberbleibsel ist wohl nur das äussere Blatt der Duplikatur, deren inneres an der Nervenwurzel fester haftet und zugleich mit ihr herausgerissen wird. Es sei mir nun erlaubt, hier noch auf einige Einwürfe aufmerksam zu machen, welche man nicht 4 * 52 ermangeln wird, den oben aufgestellten Ansichten entgegen zu setzen. In erster Linie wird man g-el- tend machen , die vorgeblichen Enden der Nerven- wurzeln seien künstlich durch Abreissen der letztern hervorgebracht ; einen Beleg dafür wird man in dem Umstände suchen, dass aus dieser Stelle die Nervenröhrchen bei einigem Drucke ihr Mark ent- leeren. Diesen Einwurf habe ich zu allervorderst mir selbst gestellt und erst nacli gewissenhafter Unter- suchung und Erwägung aller Umstände als unge- gründet fallen lassen. Ein Hauptgrund da])ei war mir das gänzliche Mangeln des imaginären , im Rücken- marke zurückbleibenden Stückes. Das spurlose Ver- schwinden des letztern unter dem beobachtenden Auge 5 ohne dass nur im Geringsten eine Andeutung zurückbliebe, weiss ich mir eben nicht natürlicher und einfacher zu erklären, als dadurch, dass es nicht existirt, und wenn man hundert und mehr Male dasselbe negative Resultat erhält, so lässt man sich endlich von seiner Skepsis heilen. Bei Querschnitten schien mir dieser Einwurf anfangs noch am meisten Grund für sich zu haben, da sich ein Abschneiden der Wurzeln hier sehr leicht denken lässt, und wirklich häutig vorkommt. Aber solche Abschnitte erkennt man auf den ersten Blick und wirft sie nicht leicht mit den wahren Wurzelenden zusammen. Untersucht man aber ein lonffitudinales Stück aus 53 dem Rückenmark, so kann von keinem Irrthum mehr die Rede sein. 3Ian sieht die Enden so schön inmitten der eigentlichen Rückenmarksfasern in ihrer Integrität eingebettet, von weitern Fortsätzen, wei- che nach der vermeintlichen Unterbrechung ihren Verlauf ferner fortsetzten, keine Spur, auch keine Gruppen von eigenthchen Rückenmarksfasern, welche vermöge ihrer Gestalt, Richtung, Ursprungsweise den Gedanken nähren könnten, als ob sie mit der betreffenden Wurzel in ursprünglicher Continuität gestanden hätten. Das leicht erfolgende Austreten von Marksubstanz aus den Wurzelenden beweist ferner nur, dass die Nervenröhrchen an dem End- punkte schwächer werden; das Gegentheil davon würde ich eher überraschend finden. Von mehreren Personen sind mir auch Präparate des Rückenmarks gezeigt worden, in denen sich ein Nerv eine ziemhche Strecke weit hinzog ; bei näherer Resichtigung fand ich aber immer, dass solche Nerven sich von Aussen zufällig neben das Rückenmark gelagert hatten und mit ihm zusammen in eine Masse zerquetscht worden waren. Nie ist mir ein Präparat aufge- stossen , welches eine solche Verlaufsweise mit Sicherheit in Evidenz gestellt hätte: in einem sol- chen Falle hätte ich mich recht gern üljerzeugen lassen. — Es ist überhaupt sehr schwer , ähnliche Dislocationen bei der Untersuchung, welche leider fast nie ohne Anwendung einer geringen Compres- 54 sion mög-lich ist, zu vermeiden. Daher stellt sich oft die Nervenwurzel in eine Linie mit den eigent- lichen Rückenmarksfasern, wird mit ihnen zusam- mengequetscht, und scheint sich alsdann in diese fortzusetzen. Diess ist manchmal so täuschend , dass man sich leicht dadurch heirren lässt; auch ich wurde dadurch oft sehr unschlüssig gemacht. So erkläre ich mir die Resultate von H. Rudge *-'*, welcher nach Untersuchungen beim Frosch eine solche unmittel- bare Fortsetzung der eintretenden Nervenfasern im Rückenmark mit Entschiedenheit annimmt. Reim Menschen wurden diese Untersuchungen viel häu- figer angestellt, ich kann aber daraus nur Einiges hervorheben. Ed. Weber von Leipzig hoffte durch eine besondere Präparation wichtige Aufschlüsse erhalten zu haben. Er theilt seine Untersuchungen *"""* über den Eintritt der motorischen Nervenwurzeln in das Rückenmark folgendermassen mit: „Es ist mir gelungen, Gehirn und Rückenmark durch eine vorausgehende Rehandlung der Präparation so zu- gänglich zu machen, dass ich die Nervenwurzeln in die Substanz des Rückenmarks und Gehirns hin- ein mit vollkommener Deuthchkeit verfolgen kann, * Archiv für Anatomie , Physiologie , und wissenschaftliche Medizin von Müller, Jahrgang 1844, S. 160: Ueber den Verlauf der Nervenfasern im Rückenraarke des Frosches. ** In Wagners Handwörterbuch , III. Band , Art. Muskelbe- wegung. OD was bis jetzt nicht möglich gewesen ist. Auf die- sem Wege habe ich g-efunden, dass die motorischen Nervenwurzeln , nachdem sie am äussern Rande der vordem Rückenmarkssträng-e eingedrungen sind, in vöüig querer Richtung zwischen den Längsbün- deln des Rückenmarkes hindurchgehen, sich dabei zwischen denselben erst in gröbere , dann immer feinere Ründel zertheilen und diesen queren Ver- lauf nach der Rückenmarksspalte hin beibehalten, so weit nur die immer weiter gehende Zertheilung der Ründel ihre Verfolgung gestattete. Einzelne stärkere Ründel habe ich so bis weit über die Mitte der Seitenhälfte in das Rückenmark hinein verfolgt. Die Ründel der weissen Rückenmarksfasern, zwi- schen denen die Fäden der motorischen Nerven hindurchgegangen sind, gesellen sich den vordem Strängen zu, die zwischen den vordem Nerven- wurzeln und der vordem Spalte des Rückenmarks gelegen sind , in welche aufwärts nach dem Gehirne zu keine Nervenfasern weiter eindringen. „Wie die motorischen Fasern von aussen , habe ich andererseits die Fasern der weissen Commis- sur von innen her in die seitlichen Hälften des Rückenmarkes hinein, und zwar an densel])en Prä- paraten verfolgt. Ich lege die weisse Commissur dadurch bloss, dass ich die vordem Stränge, welche von den untern Theilen des Rückenmarkes auf- wärts steigen, entferne, was ohne Zerreissungen 56 geschehen kann, weil deren Bündel von queren Nervenfasern nicht durchkreuzt werden. So darge- stellt, sieht man die weisse Commissur deutlich aus Bündeln reiner Querfasern bestehen, welche ge- trennt von einander, von innen her zwischen die- selben Langsbündel der Seitenhälften des Rücken- markes eindringen, wie die gegenüherhegenden, motorischen Nervenwurzeln von aussen her. Ver- folgt man diese Bündel der weissen Commissur Aveiter zwischen die Längsbündel der Rückenmarks- fasern hinein, so sieht man, dass sie sich wie die der motorischen Wurzeln zertheilen, in völlig querer Richtung zwischen den Längsfasern durchgehen und jenen geradewegs entgegen kommen, sich aber dann, wie jene, in ihre Elementarfäden spalten, so dass ihr unmittelbarer Uebergang in dieselben ana- tomisch nicht nachgewiesen werden kann. Dass nun die sich entgegenkommenden Faserbündel der A ordern Nervenwurzeln und der vordem weissen Commissur wirklich identisch sind, folgt, abgesehen davon, dass ausser ihnen zwischen den Längsfasern der vordem Stränge keine andern Qii^rfasern der weissen Marksubstanz vorkommen, und daher keine Verwechselung möglich ist, auch daraus, dass nach meinen Untersuchungen die Stärke der weissen Commissur an den verschiedenen Theilen des Rückenmarkes der Zahl und Stärke der an jeder Stelle austretenden Nervenwurzeln entspricht, so 57 dass die weisse Commissur da äusserst stark ist, wo die g-rossen Nerven der oberii und untern Extremitäten vom Rückenmarke abgehen , an der Hals- und LendenanschAvellung desselben ; dass sie dagegen äusserst schwach am Rückentheile des Rückenmarkes ist, wo die austretenden Nerven- wurzeln äusserst dünn und selten sind, so dass es mir bis jetzt nicht einmal hat geling-en wollen, die weisse Commissur an diesem Theile des Rücken- markes durch Präparation darzustellen/' In dem Angeführten finden sich einige Wider- sprüche mit meinem eigenen Befund ; ich will die- selben kurz beleuchten. Weber hält die weisse Quercommissur für einen rein querverlaufenden Fa- serzug-. Ich habe aber früher gezeigt, dass die Fasern derselben sich beim Frosch kreuzen. Nun scheint es mir höchst wahrscheinhch, dass dasselbe Verhalten sich auch aufwärts bei den höhern Thieren erhält. Freilich ist es wohl durchaus unmöghch, bei blosser Betrachtung mit unbewaffnetem Auge diess deutlich zu erkennen und von einer queren Richtung- zu unterscheiden, und zwar desshalb, weil sich Faser mit Faser kreuzt, nicht ganze Bündel mit Bündeln, wie im verlängerten Mark; nur wenn das letztere stattfände, könnte man sich allenfalls mit blossem Auge davon überzeugen. Ich halte also dafür, dass Weber nur die vordere Abtheilung der Kreuzungsbiindel gesehen, und ihre zwei vor- 58 dern oder kleinem Schenkel nach beiden Seiten in die motorischen Rückenmarksstränge verfolgt hat. Er lässt sie in immer feinere Bündel sich zer- theilen, was mit meiner Darstellung übereinstimmt. Auch von den motorischen Nervenwurzeln behauptet Weber, dass sie sich zertheilen, und ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, da ich schon bei der Maus etwas AehnKches gefunden habe, und es wahrscheinlich ist, dass sich beim Menschen die Verhältnisse noch mehr compliciren. Aber eine völlige Auflösung derselben in einzelne Fasern oder höchst feine Bündel möchte zweifelhaft sein, denn die Art der Untersuchung , welche, wie es scheint , in mechanischem Auseinanderreissen der Fasern bestand, ist doch wohl für diesen zarten Gegenstand zu ge- waltsam, um die nöthige Sicherheit zu gewähren, dass man es nachher nicht mit einem Kunstproduct zu thun habe. Noch weit problematischer endlich ist die Folgerung Webers, dass „die sich entgegen- kommenden Faserbündel der vordem Nervenwurzeln und der vordem weissen Commissur identisch sind^'. Zu meinen Beobachtungen steht sie in entschiedenem Gegensatz. Nach ihr wären die Fasern der Quer- commissur das verbindende Mittelstück zwischen den von beiden Seiten eintretenden peripherischen Ner- venfasern; es fände somit ein unmittelbarer Zu- sammenhang zwischen den von rechts und links eintretenden Nervenwurzeln statt, welche im Cen- 59 tralorg-an nicht enden, sondern es bloss in ununter- brochenem Verlaufe durchstreichen würden. Es würde schwer halten , eine solche Verlaufsweise mit unsern bisherig-en physiologischen Ansichten in Einklang- zu setzen. Van Deen * beobachtete an einem Längenschnitt aus der Lendengegend eines in Weingeist erhärteten Rückenmarks vom Kalb folgendes Verhalten der Nervenwurzeln zu den Fasern des Rückenmarks, welches mit den von mir eruirten Thatsachen im wesentlichsten übereinstimmt: Die Fasern des Rückenmarks verflochten sich mit den Fasern der Nervenwurzeln auf eine sehr unregelmässige Weise, so dass dieselbe Rückenmarksfaser bald über bald unter den Nervenfasern lag; nirgends ging eine einzelne Nervenfaser geradezu in eine Rückenmarksfaser über; letztere hatten also ziemHch einen longitudinalen, die Nervenfasern in der Mitte einen queren, die obern und untern einen schief nach oben und unten gerichteten Verlauf. Nirgends, schliesst Van Deen, auch nicht beim Frosch, seien die Nervenfasern Fortsetzun- gen der Rückenmarksfasern. Der Theil des Centralorgans bei den Batrachiern, Avelcher der Medulla oblongata der höhern Thiere * S. (1. Jahresbericht von CanstaU und Eisenmann ; Leistungen in der Histologie von Ilenle, vom Jahr 1844, pag. 25. 60 entspricht, besitzt zu wenig" Eigenthümlichkeiten, um als besonderes Organ abgehandelt zu werden. Was an ihm interessiren mag-, ist nicht ein complicirterer Bau an und für sich, wie man ihn nach der Ana- logie der höhern Tliiere erwarten sollte, der ihm aber abgeht, sondern seine Lage, als oberes Endstück des Rückenmarkes, und als solches ver- dient es allerdings die grösste Aufmerksamkeit. Was seinen Innern Bau betrifft, so zeichnet es sich durch grosse Einfachheit aus und durch den Mangel mehrerer charakteristischer Eigenschaften, welche ihm bei den höhern Thieren seine Eigen- thümlichkeit verleihen. So fehlt ihm das complicirte System der acht Strangpaare, ferner die Decussa- tion der Fasern ; es besitzt keine ganglienartigen Körper. Vom übrigen Theil des Rückenmarkes un- terscheidet es sich durch das Auseinandertreten der obern Rückenmarksstränge und die Bildung des Sinus medullae oblongatae, in welchen sich der Cen- tralcanal des Rückenmarks verliert. In der mikroskopischen Structur sind einige Abweichungen von dem übrigen Rückenmark zu bemerken. Ein auffallendes Phänomen springt na- mentlich in die Augen: Die Fasern sondern sich nämlich und schaaren sich zu einzelnen Büscheln zusammen; nicht nur die Kreuzungsfasern zeigen diese sonderbare Bildung, sondern sämmtliche Rücken- marksfasern. Wir begegnen also hier schon einer 61 Tendenz der Fasern, sich aufzuwickeln imd gesonderte Stränge zu bilden, welche sich dann bei den höhern Thieren verwirklicht. Sehr wahrscheinlich endet hier ein Tlieil der eig-entlichen Rückenmarksfasern ; es würde aber sehr schwer halten, diess zu beweisen. Jedenfalls kommt keine plötzliche Endigung zahlreicher Fasern in Masse vor, da ein solche der Beobachtung nicht hätte entgehen können. Die hier vorkommenden Nerven, vagus, facialis, acusticus u. s. w. stimmen in der Endigungs weise mit den übrigen Rückenmarksnerven vollständig überein. Aeusserlich unterscheiden sie sich nur durch ihre einfachen Wurzeln und eigenthümlichen An- satzstellen. Die meisten longitudinalen Rückenmarksfasern setzen sich bis in's Gehirn fort, wo sie sich zer- streuen und an die verschiedenen Organe desselben vertheilen. Dabei erhalten sie sich in der Reihen- folge, welche ihnen im Hirnende des Rückenmarks zugetheilt worden ist; Kreuzungen gehen sie spä- ter nicht mehr ein. So erblickt man unter dem Mikroskop nur eine Reihe separater Büschel in divergirender Richtung nach vorne ziehen und sich fächerförmig ausbreiten. Die hintern Stränge ziehen dabei zu den oberflächlichen Lagen des Gehirns, die vordem an seine Basis , die seitlichen bleiben auf ihrer entsprechenden Seite. In kurzer lieber- 62 sieht zusammengestellt, ist dieser Verlauf der Stränge Iblgendermassen geordnet : Die hintern Strangpaare haben den kürzesten Verlauf. Sie krümmen sich nach oben und ein- wärts, und senken sich von beiden Seiten in den graulichen Querbalken, welcher dem Kleinhirn ent- spricht, in welchem sie sich vollständig verlieren. Weitere Hirntheile werden nicht von ihnen ver- sorgt. Die Seitenstränge ziehen unter dem Kleinhirn wie unter einer Brücke hindurch nach vorn, ein wenig nach der Seite abschweifend, divergiren als- dann und helfen die Vierhügelmasse bilden , in welcher sie sich auflösen. Die vordem oder motorischen Stränge bleiben ihrer ursprünglichen Richtung am meisten getreu und legen in dieser den längsten Weg zurück. Sie ziehen gestreckt längs der Hirnbasis nach vorn bis zum grauen Hügel. Hier zerstreuen sie sich. Ihre äussersten Randfasern schlagen sich auf die Seite und treten in die beiden Sehhügel ein. Die mittlem Fasern eines jeden Stranges nähern sich einander gegenseitig , sich nach vom und einwärts biegend, und treffen sich in der Sehnervenkreuzung, an deren Bildung sie einen wesentlichen Antheil nehmen. Die innersten Fasern jedes Stranges end- lich ziehen gerade nach vorn, durchsetzen die letzt- erwähnten einwärts geschwungenen Fasern zum 63 Theil, theils gehen sie unter ihnen wie unter einer Bogenbrücke durch und gelangen zu den Hemi- sphären des Grosshirns. Die üebereinstimmung dieser Faserzüge in ihrer Richtung mit den Ausstrahlungen des Markstammes im menschlichen Gehirn, wie wir sie aus den spär- lichen Resultaten der bisherigen Faserungslehre im Groben kennen lernen, muss jedem auffallen. Auch dort werden die vordem Rückenmarksstränge zur Grundlage der Hemisphären, die Seitenstränge ge- langen in's Mittelhirn, und die hintern in's kleine Gehirn. Wenn man an ihre mannigfaltigen Durch- kreuzungen und gegenseitigen Versetzungen im ver- längerten Mark und Gehirnstamm denkt, so ist diese endliche üebereinstimmung, die uns auf verglei- chend anatomischem Gebiete fortwährend überrascht, desto bemerkenswerther. Zum Zwecke einer nähern Vergleichung lasse ich beispielsweise folgende kurze Notizen von Ed. Weber *"* folgen , über die Aus- strahlungen der motorischen Stränge: „Die Fortsetzungen der beiden vordem Rücken- marksstränge entfernen sich in der Medulla oblongata^ wo sie mit ihren Bündeln jederseits die OKven ein- schliessen , nach beiden Seiten von einander, und nehmen die seitlichen Stränge (welche zwischen vordem und hintern Wurzeln liegen) zwischen sich, * A. a. o. 64 die ihrerseits durch eine plötzliche Beugimg einwärts und vorwärts in den durch das Auseinanderweichen der vordem Stränge vergrösserten Raum der a or- dern Rückenmarksspalte eintreten, ihn erfüllen und, nachdem sie sich daselbst mit einander durchkreuzt haben, den Namen der Pyramiden erhalten. Die Fortsetzungen der vordem Rückenmarksstränge (Olivenstränge) gehen, während die Pyramiden- stränge oder die Fortsetzung der Seitenstränge zwischen den Bündeln der Brücke durchgehen, hin- ter der Brücke weg, liegen hier am Boden der vierten Hirnhöhle wieder dicht neben einander und steigen von da zu den Vierhügeln in die Höhe, welche daselbst unmittelbar auf ihnen aufliegen. Zu diesen Strängen nun, und zum Theil bis zwischen ihre Bündel hinein, habe ich fast sämmtliche mo- torische Hirnnerven verfolgt, mit vöUiger Sicherheit den N. oculomotorius , die kleine Wurzel des Tri- geminus und den Hypoglossus, mit weniger Sicher- heit bis jetzt den N. abducens und facialis. Nur der vierte Hirnnerv, der von der Valvula cerebelli entspringt, macht, aber wohl nur scheinbar, eine Ausnahme, da auch die Yalvula cerebelli am hin- tern Rande der Vierhügel dicht mit jenen Strängen zusammenhängt.'' Diese Mittheilungen von Weber enthalten nichts, was den meinigen widersprechen würde, und dienen im Gegentheil zu ihrer Bestätigung ; dass aber seinen 65 Entdeckungen eine ziemlich enge Schranke g^esetzt war, ist der dabei befolgten, nur zu beliebten, Un- tersuchung-smethode zuzuschreiben, welche überall, wo sie angestellt wurde, nur Bruchstücke, nichts Uebersichthches geliefert hat. Weber konnte die motorischen Stränge nur bis an die Basis der Vier- hügel verfolgen, ihr weiterer Verlauf bheb ihm unbekannt. Die Ausstrahlung der Rückenmarksstränge ins Gehirn bei den Froschlarven beschreibt Herr Prof. Engel *"*" wie folgt : „Das Zerfallen der Rückenmarksstränge, so wie die Kreuzung einiger derselben, erfolgt nicht im Rückenmarke, sondern im Gehirne, und zwar den hintern oder Vierhügellappen, und an dieser Ver- theilung oder Kreuzung nehmen nicht alle , sondern nur die eigenthchen Längsfasern des Rückenmarkes Theil, während die motorischen Wurzeln der Rücken- marksstränge schon hinter diesen Vierhügellappen ihr Ende erreichen. Nach dem Durchtritte durch den Pons zerfallen die feinen eigentlichen Längen- fasern des Rückenmarkes innerhalb der Masse des Vierhügellappens in 4 — 6 deutlich von einander geschiedene Stränge in jeder Hälfte des Ge- hirns. Die beiden innersten dieser Stränge, welche entgegengesetzten Rückenmarkshälften angehören, ' A. a. O. 6ß kreuzen sich ; die übrigen Stränge zerfallen in eine Menge von divergirenden Fasern, welche nach einem mehr oder weniger geschwungenen Ver- laufe noch innerhalb der Masse der Vierhügellappen ihr Ende erreichen. Mehrere von diesen Fasern vereinigen sich wieder, um sich als Sehstreifen fortzusetzen, welche sich im Chiasma vollständig kreuzen, um als Sehnerven an den Ort ihrer Be- stimmung zu verlaufen. Es ist äusserst interessant, dass der Sehnerv eine unmittelbare Fortsetzung der eigenthchen Rückenmarksfasern ist, was — so viel ich erkennen konnte — von keinen andern Hirnnerven gilt.'' Es hegt uns nun ob, das endhche Schicksal die- ser ins Gehirn einstrahlenden Rückenmarksfasern zu erforschen, was am besten gleichzeitig mit der specialen Beschreibung der einzelnen Hirntheile ge- schieht. Wir werden dabei vielfältige Gelegenheit haben , die so eben angedeuteten Analogieen einer genauem Würdigung zu unterwerfen. 67 II. Das G e h i r n. Die schwierigsten Punkte der Untersucluino-^ welche sich in einer Arbeit, gleich der vorliegen- den, darbieten, sind die, welche aus dem relativen Verhalten zAvischen grauer und weisser Substanz, oder mikroskopisch ausgedrückt, zwischen Zellen und Fasern, hervorgehen. Den Gang und die Rich- tung der Faserzüge anzugeben, ist zwar nicht so leicht, doch lässt sich dieser Gegenstand beherr- schen. Die Schwierigkeiten beginnen aber in a ollem Masse , wenn man, am Schlüsse eines Faserzuges angelangt, die Endigung desselben, seine muth- massliche Verbindung mit Zellen, Kernen u. dgl. mehr angeben soll. Jede derartige Angabe, wenn sie mit Sicherheit gemacht werden köimte, wäre den grössten Entdeckungen in unserer Wissen- schaft gleichzusetzen. Mit dieser hohen Bedeutung steht aber die Schwierigkeit der Arbeit im geraden Verhältniss. Im Rückenmarke gab es wenige solcher Stellen, im Gehirne dagegen häufen sie sich in solchem Masse, dass jeder Schritt der Erkenntniss mit unsäglichen Schwierigkeiten verknüpft ist, so dass es verzeihlich ist, wenn man in diesem Theile noch häufiger als im Rückenmarke sich genöthigt sieht , Vieles nur unbestimmt auszudrücken und einige der fruchtbarsten Stellen dieses schönen Fel- des brach stehen zu lassen. Ohnehin sind zu irgend 5 * 68 einer genügenden Bearbeitung dieses bis jetzt so räthselliaften Gebietes weit mehr Zeit und Hülfsmittel erforderlich 5 als mir gegönnt waren. So möge man denn diesen zweiten Hauptab- schnitt mehr als blossen Anhang zu dem Voraus- gegangenen betrachten, für dessen weitere Bear- beitung ich mir sehnlichst die eben genannten Requisite wünsche. Die schon oft gemachte Bemerkung, dass bei niedern Thieren das Gehirn auf einer auffallend tiefen Stufe der Entwickelung steht, auffallend tief nicht nur in absoluter, sondern auch in relativer Beziehung zur Ausbildung der übrigen Körpertheile und be- sonders des Rückenmarks, findet in der Betrachtung der mikroskopischen Structur desselben bei solchen Thieren, wie bei den Reptilien, eine frappante Be- stätigung. Dieser Bestätigung bedurfte aber jener Ausspruch, weil er bisher nur auf äusserliche Be- obachtungen, die sich mit Massen- und Gewichts- verhältnissen und dem mehr oder weniger com- plicirten Auftreten der äussern Form beschäftigten, basirt war, sammt und sonders auf unzuverlässige Criterien. Die quahtative Ausbildung des Gehirns hat aber ohne Zweifel den grössten Einfluss auf seine functionelle Vollkommenheit. Die niedrigsten Verrichtungen des Gehirns sind die, welche in der nächsten Beziehung zu denen des Rückenmarkes stehen, mit ihnen nur eine combinirte Action aus- 69 machen. Die solchen Verrichtungen vorstehenden Organe haben , wie sich schon a priori anneh- men lässt, auch anatomisch viel innigere Verbin- dungen mit dem Rückenmark , als die Gehirnorgane, welche einer grösstentheils in sich abgeschlossenen, selbstständigen Function vorstehen. Fehlen ihm aber Organe wie die letztern, und wird es nur von sol- chen, die der erstem Kategorie angehören, zu- sammengesetzt, so stellt es eigentlich nichts als eine Art Nebenorgan des Rückenmarkes, ein An- hängsel desselben dar. Vom anatomischen Stand- punkte aus wäre also ein Gehirn um so voU- kommner, je zahlreicher in ihm, ausser den vom Rückenmarii hereintretenden Nervenfasern und den zu letztern gehörigen Ganglien- oder Kernmassen noch eigene selbstständige Gruppen von Fasern nebst Ganglienzellen oder freien Kernen auftreten. Diess angenommen, so finden wir, dass solche selbstständige Gruppen den Reptilien und den niedern Thieren überhaupt fast ganz fehleii. Der Frosch scheint nur zwei derselben zu besitzen, welche stark ausgebildet sind und sich deuthch nachweisen lassen, und zwar constituiren dieselben nur zwei Sinne , den Gesichts - und Gehörsinn. Ausser den Faserzügen, welche zu diesen Organen gehören, beschränkt sich die ganze weisse Masse des Gehirns, so scheint es mir wenigstens bis jetzt, auf die vom Rückenmarke her eindringenden 70 Faserstrahlungen. Diese Arnmth spricht sich am auffallendsten im Grosshirn aus, welches in seinen Hemisphären nur zwei dünne Faserzüge hesitzt. Zur Construction eines Centralorgans der Nerven- thätigkeit scheint aher nach den jetzigen Kennt- nissen die Mitwirkung von Fasern, den Trägern der Nervenleitung, nothwendig zu sein, denn wir können uns kein einziges Seelen vermögen denken, welches eine ganz selbstständige, von allen Ein- tlüssen abgeschlossene Thätigkeit besässe ; alle stehen entweder unter dem Einfluss von Anregungen, welche ihnen von Aussen, vermittelst der Sinnes- organe, zugeführt werden, oder sie selbst sind dazu bestimmt, den Anstoss zu einer nach Aussen ge- richteten Thätigkeit zu geben; öfters ist beides zu gleicher Zeit der Fall. Immer aber sind zur Ver- mittelung dieser, sowohl centripetalen als centri- fugalen Relationen, das beweisen uns alle Analo- gieen , die Nervenröhrchen unerlässlich. Nicht zu vergessen ist hiebei, dass dazu nicht ein ununter- brochener Verlauf der Fasern nothwendig ist, sondern dass auch eine aneinanderhängende Kette von Fasern denselben Dienst versieht. Bei meiner Untersuchung des Gehirns werde ich nach dem bisher befolgten Schema die einzelnen Theile in ihrer Reihenfolge von hinten nach vorn vornehmen. 71 1. DasKleinhirn. Diesen Namen träg-t bei den Batrachiern der, am vordem Ende des Rückenmarkes über die Raiiteng-rube gespannte, Querbalken aus graulich weisser Marksubstanz, welcher auch nicht eine Spur von Hemisphären erkennen lässt, sondern nur mit dem 3Iittelstücke des Kleinhirns höherer Thiere an- nähernd verglichen werden kann. Schon von Aussen erkennt man , dass es in inniger Beziehung zu den obern Rückenmarkssträngen steht , und sich als ver- bindendes Mittelstück zwischen beide hineinpflanzt. Vermöge dieses Verhaltens zu den sensiblen Rücken- markssträngen und zufolge seiner Lage entspricht es allerdings vollkommen dem Kleinhirn der höhern Thiere , und muss als erste Anlage zu dem voll- kommnern Bau desselben betrachtet werden. Belege hiefür finden wir in der Entwickeluno-so-eschichte des menschUchen Gehirns. Am Schlüsse des zweiten Monats nämhch erheben sich daselbst die strick- förmigen Körper in Gestalt zweier Blättchen, welche sich einwärts krümmen, gegen einander streben, und im Laufe des dritten Monats in Eins verschmelzen, so dass sie die vierte Hirnhöhle als solide Brücke überwölben; in diesem Zeitraum ist das Kleinhirn vollkommen glatt, ohne Furchen, und zeigt noch keine Spur von den Hemisphären ; im vierten Monat trennen sich einige Fasern von ihm los, und schlagen sich nach vorn und unten um die P^Tamidenstränge, 72 wodurch die Aehnlichkeit mit dem Froschhirn voll- kommen wird. Während das menschliche Kleinhirn von da an seine weitern Entwickelungsepochen in bekannter Weise durchläuft, bleibt das des Frosches auf dieser Stufe der Ausbildung stehen. Aus dieser interessanten Uebereinstimmung lässt sich der Schluss ziehen, dass das Kleinhirn der Batrachier sich in dem menschhchen als Grundzug wieder finden muss, wenn man auch zu unserm Tröste beifügen kann, dass diese Grundlage daselbst von der reichen se- cundären Ausstattung, wie in einem Dome die Strebebalken von den Zierathen, weit überragt und in Schatten gestellt wird. So stösst man bei jedem Schritte auf neue Beweise zu Gunsten jenes wich- tigen Satzes in der vergleichenden Anatomie, dass die niedrisfern Thierclassen in sich die wesentlichen Grundtypen der höhern Thiere enthalten, und dass man somit, um die wesentKchen und durchgreifenden Bildungen von den mehr zufälligen , individuellen zu unterscheiden , in der Untersuchung jener die besten Aufschlüsse und vollgültigsten Analogieen findet. Merkwürdig ist das constante Wechselverhält- niss , das zwischen der Ausbildung des Kleinhirns und der Brücke existirt. Die Entwicklung der letz- tern , und namentlich ihrer Verbindungsarme mit dem Kleinhirn (der sogenannten mittlem Kleinhirn- schenkel) richtet sich durchgehends genau nach der Mächtigkeit der Hemisphären des Kleinhirns, und 73 bei den Thierklassen , welchen letztere mangeln (Fische, Reptilien, in einzelnen ihrer Species), sind die mittlem Kleinhirnstiele und die Querfasern der Brücke nur in minimo vorhanden. Ein Irrthum ist es aber, wenn man wie g-ewöhnlich sagt, dass diese Organe den betreffenden Thieren ganz fehlen; Faserzüge , Avelche ihnen entsprechen , sind aller- dings vorhanden , wie weiter unten gezeigt werden soll, nur nicht in der Masse, um bedeutende, dem unbewaffneten Auge entgegenspringende Hervor- ragungen zu bilden , wie diess bei den Säugethieren der Fall ist. Auch bei den Säugethieren , welche im Verhältniss zum Mittelstück schwache Hemisphären besitzen, wie die Nager, bildet die Brücke nur eine unbedeutende bandartige Hervorragung. Am stärksten finden wir die mittlem Kleinhirnstiele und die Brücke beim Menschen entwickelt , welcher auch die umfangsreichsten Kleinhirnhemisphären besitzt. Diese Verwandtschaft beider Theile zeigt sich auch auf pathologischem Felde ; wir finden , dass die Entwicklungshemmung des einen Organs ein ähn- liches Zurückbleiben in der Entwicklung des andern zur Folge hat. Dahin gehört z. B. der von Cruveilhier erzählte Fall von einem zehnjährigen Mädchen ohne Kleinhirn: es fehlte ihm auch die Brücke. Diese Thatsachen waren den frühem Beobachtern nicht entgangen ; Willis *'^ hat schon darauf aufmerksam ge- * De cerebri anatoine etc. Ainslelodami , 1683. cap. X. 74 macht, aber erst Gall ^ sah sich dazu bestimmt, diese Organe , welche anatomisch so eng- verbunden sind, als zusammeng-ehörig zu betrachten, und nannte desswegen den oberflächlichen Theil der Brücke, welcher aus Querfasern besteht, eine Querverbin- dung des kleinen Gehirns. Dass diese Anschauungs- weise die vollkonnnen richtige ist, wird aus dem Folgenden erhellen. Das Kleinhirn der Batrachier enthält , wie schon seine Farbe zeigt, sowohl weisse als graue Sub- stanz, welche nicht in besondere Schichten separirt, sondern durchaus vermengt und in Gestalt von Fasern und freien Kernen durch's ganze Organ verbreitet sind. Die graue Substanz ist als dem Kleinhirn eigen- thümlich zu betrachten. Die weisse verdankt ihren Ursprung zwei paarigen Faserzügen, welche ihr von aussen zukommen, und einen ganz verschie- denen Ursprung ausweisen. Der erste Faserzug wird vom hintern Rücken- marksstrange gebildet. Nach ihrem Eintritte lösen sich diese Fasern auf, setzen ihren Lauf in querer Richtung gegen die MitteUinie hin fort, und ver- schwinden allmälig einzeln an verschiedenen Stellen des Kleinhirns. Ein Theil gelangt bis über dessen Mittellinie hinaus, und kreuzt sich mit denen, welche " Anatomie et physiologie du Systeme nerveux, Paris 1810, I. 1. 75 von der entgegengesetzten Seite her aus dem andern Strang herüberkommen. Directe Verbindungen zwi- schen einzelnen Fasern der zwei verschiedenen Lager habe ich nicht bemerkt , und so sah ich auch keine Endumbiegungsschhngen. Zwischen die Fasern lagern sich die Elemente der grauen Substanz, namentlich sieht man freie Kerne massenhaft zwi- schen die Faserenden eingestreut , jedoch ohne directe Communication zwischen beiden. Die Fa- sern beobachten eine wellenförmige Richtung, und bilden ein sanft verschlungenes Netz mit flachen Bogen. Der zweite Zug von Fasern, dessen Zufuhr aber viel schwächer ist als die des ersten, bildet eine Schlinge um das Hirnende des Rückenmarkes, deren beide Enden, oder Ursprungstheile , wie man will, sich von jeder Seite ins Kleinhirn einsetzen. Im Mittelstück dieser Schleife , welche an der Basis gelegen die Stelle des Pons einnimmt, lockern sich die Fasern, und bilden, obwohl von geringer Mäch- tigkeit, durch Ausbreitung über die Fläche, ein breites Band, welches einen beträchthchen Theil der Hirnbasis und der untern Fläche des verlängerten Markes umfasst. Bei ihrer geringen Anzahl und starken Ausbreitung vermögen sie daselbst keine Hervorragung zu bilden. Die beiden Enden der Fa- serschlinge verdichten sich jedoch, und die Fasern treten zu einem Bündel gesammelt ins Kleinhirn. 76 indem sie sich an die vordere Seite der hintern Rückenmarksstränge anschmiegen. Im weitern Ver- laufe vermischen sie sich mit den Fasern der letztern, und lassen sich in Betreff der Endigungsweise nicht von ihnen unterscheiden. Diese Faserschleife vertritt die Stelle des Pons und seiner Verbindungsarme mit dem Kleinhirn. Ihre geringe Mächtigkeit ist, wie die Analogie lehrt, dem Mangel des Kleinhirns an Hemisphären zuzu- schreiben. Es scheint, dass im Falle des Vorhan- denseins der letztern die Fasern der Brücke sich jederseits in zwei Bündel spalten, welche bei ihrem Einsatz in's Kleinhirn divergiren, und wovon eines nach innen zieht und eines nach aussen. Die Aus- breitung des ersten bildet das Mittelstück des Klein- hirns, die des letztern die Hemisphären. Die hintern Rückenmarksstränge scheinen weniger Antheil an der Bildung der Hemisphären zu haben. Wenn man daraus schon functionelle Folgerungen ziehen darf, so möchte dem Kleinhirn in der Hauptsache eine doppelte Bedeutung zuzuschreiben sein , 1) eine centripetale , als Ferceptionsorgan für gewisse sen- sible Wahrnehmungen, in Folge seiner Eigenschaft als Herd der obern Rückenmarksstränge ; 2) eine centri- fugale, als Anregungsorgan für eine Reihe von mo- torischen Thätigkeiten, welche vermittelst der Brücke zu den vordem Rückenmarkssträngen hingeleitet werden. Es lässt sich denken, dass diese zwei sich 77 kreuzenden Eig-enschaflen nur die zwei Pole einer Thätigkeit bilden, da die Perception der periphe- rischen Sensibilität zu einer geregelten Leitung der meisten motorischen Thätigkeiten nothwendig scheint. An diese zwei Hauptvermögen dürften sich dann freilich beim Menschen noch andere , aber weniger capitale Zusätze und Variationen des schon Beste- henden anlehnen. Die Funktion des lüeinhirns ist bekanntUch noch ein Räthsel. Gelänge es, die zwei angedeuteten Hauptverrichtungen auch nur annähernd zu bestimmen, was bei consequent auf die Haupt- sache gerichteter Forschung nicht allzu schwer schei- nen sollte, so wäre schon ein grosser Schritt in diesem Gebiete zurückgelegt. Beim Frosch geht das Kleinhirn keine weitern Verbindungen ein; namentlich existirt keine Spur von Bindearmen zu der Vierhügelmasse. Dieser Mangel ist um so mehr zu bemerken, als beim Menschen diese Bindearme allein den Zusammen- hang des Grosshirns mit den sensiblen Rückenmarks- strängen vermitteln. Beim Frosch begeben sich also alle sensiblen Rückenmarksfasern ins lüeinhirn und enden daselbst. Bei der Froschlarve ist das Kleinhirn seiner spä- tem, bleibenden Einrichtung, wie sie so eben ange- geben wurde , schon ziemlich nahe ; diess erhellt aus folgenden von Herrn Professor Engel "' ermittelten • A. a. O. S. 118. 18 Thatsachen: „An dem vordersten Ende des Rücken- markes , das man gewöhnlich mit dem verlängerten Marke der Säugethiere vergleicht, tritt zu den Innern oder eigentlichen Qiierfasern des Rückenmarkes noch eine zvs^eite Querfaserschichte, die jedoch an der Oberfläche des Rückenmarkes Hegt. Sie scheint das ganze Rückenmark ringförmig zu umschliessen , und vertritt sonach an der untern Fläche die eigenthche Schichte der Rrückenfasern des Säugethierhirns : an der ohern Fläche bildet sie jene quere Commissur, die hinter den Vierhügellappen gelegen , und als kleines Hirn gedeutet wird. Solche Deutungen sind jedoch oft etwas willkürlich. Es fehlt dem sogenann- ten Kleinhirne Alles , um Kleinhirn zu sein ; es fehlt die Verbindung dieses Kleinhirns mit einer Medulla oblongata, mit dem Grosshirne, es fehlt die graue und die Ganglienmasse , und es bleibt daher nichts, als die Lage dieses sogenannten Kleinhirns an dem vordem Ende der Rautengrube. Es wird aber eine Zeit kommen, wo in der vergleichenden Anatomie die Hirntheile nicht nach ihrer Lage, sondern nach dem Systeme ihrer Faserung gedeutet werden müs- sen, wenn überhaupt die Deutung eine wissenschaft- liche genannt werden soll. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, ist aber das sogenannte kleine Hirn der Froschlarven entweder eine einfache Quercom- missur an den sogenannten Vierhügellappen, oder eine nach aufwärts sich erstreckende Rrückenschichte." 79 Später tritt freilich das Kleinhirn in eine nahe Beziehung- zum verlängerten Marke, oder vielmehr zu dem ihm entsprechenden Theile des Rücken- markes; auch entwickelt sich in ihm die Ganglien- masse. Immer bleiht es aber vöUig getrennt von den Vierhügellappen und vom Grosshirn, und be- hält überhaupt den angegebenen höchst unvollkom- menen Bau. 2. Die Vierhügelmasse. Sie übertrifft an relativer Grösse die Vierhügel der Säugethiere bei weitem. Einen grossen Antheil an diesem bedeutenden Volumen hat freilich die Sylvius'sche Wasserleitung, welche zu einer grossen Höhle entwickelt ist. Letztere verengt sich in der Mitte, und buchtet sich zu zwei geräumigen Seiten- höhlen aus. Dadurch erhält die Vierhügelmasse, welche als einfache Rinde diese Cavitäten einfasst, ihre doppelkughge Form. Indessen bew eist doch die mikroskopische Struktur dieses Hirntheils, dass er, wenn einige anatomische und functionelle Analogie mit den Vierhügeln der Säugethiere diese Benennung rechtfertigt, seinen Namen nicht ganz mit Unrecht trägt. Die Vierhügelmasse ist das Aufnahmsorgan für die Seitenstränge des Rückenmarks. Jeder Seiten- strang zieht auf seiner Seite der ihm entsprechenden Vierhügelhälfte entgegen, durch einen Ring hin- 80 durchtretend 5 welcher von dem Kleinhirn und den BrUckenfasern gebildet wird, lockert sich etwas auf, biegt sich nach aussen und oben und senkt sich in mehreren Büscheln in sein Aufnahmsorgan ein. Nach seinem Eintritt lässt er seine Fasern sich zerstreuen und peripherisch ausbreiten. Die Fasern halten sich zahlreicher in der Mitte der Dicke der Vierhügel- schalungen, als an ihrer äussern oder Innern Wand, daher jene durch grössere Opacität und weisse Farbe von diesen absticht. Zuweilen sieht man eine be- trächtliche Zahl von Fasern sich in ein Büschel zu- sammen drängen und gemeinschaftlich ihrem Schlüsse entgegenziehen. Man muss aber solche Büschel wohl unterscheiden von andern Faserzügen, welche in der Vierhügelmasse selbst ursprünghch auftauchen. In der Vierhügelmasse finden wir freie Kerne in bedeutender Zahl abgelagert. Sie halten sich mehr an der äussern und Innern Wand auf, welchen sie eine grauliche Färbung ertheilen. Im Ganzen herrscht viel Aehnlichkeit zwischen der Art, wie die Vier- hügelmasse die Seitenstränge und der, wie das Kleinhirn die obern Bückenmarksstränge aufnimmt. Wie letztere im Kleinhirn, so treffen auch die Sei- tenstränge in ihrem Organ ein Stroma von Kernen, wo sie ihre Endausbreitung vornehmen. Sie unter- scheiden sich dagegen dadurch, dass sie keine gegenseitigen netzförmigen Verflechtungen vorneh- men, und sich von den freien Kernen mehr separirt 81 lialten. Im übrigen halte ich dafür , dass die Endi- g-ung- auf ähnliche Weise wie dort eintritt. Ich suchte beharrUch nach Faserschlingen , welche nach ihrem Eintritt die Runde längs der Peripherie der Vier- hügelmasse machten, und nach ununterbrochenem Verlaufe wieder austräten, konnte aber keine finden. Vor solchen Täuschungen muss man sich an diesem Orte doppelt in Acht nehmen, da dessen Kugelge- stalt den Fasern eine kreisförmige Richtung mit- theilt, welche die so oft gesuchten und überall gewitterten Endschlingen täuschend simulirt. Die Vierhügelmasse tritt ihrerseits als Aussen- dungsorgan für neue Faserzüge auf. Man unter- scheidet zwei Paare, welche einen sehr symme- trischen Ursprung und Verlauf einhalten. Das erste Paar zieht an der obern Wand jeder Halbkugel, nahe bei der Mitte, nach vorn bis zum Sehhügel, wendet sich dann nach aussen, und schlägt sich um die äussere Seite der Sehhügel nach vorn, und unten gegen die Sehnervenkreuzung. Das zweite Paar zieht in der untern Wand der Vierhügellappen nach vorn und innen, nähert sich dem an der Hirnbasis angelangten ersten Bündel und legt sich an dessen Innern Saum. Beide ziehen nun gemeinschaftlich zum Chiasma nerv, optic. , welches sie hauptsächlich bilden. An ihrem Ursprung treten diese Bündel plötzlich in ziemhcher Stärke auf, denen sich im weitern Verlaufe fortwährend noch einzelne Fasern spätem 6 82 Ursprungs anlegen. Die Anfänge der Fasern sind äusserst fein, und ihr Uebergang zu einem stärkern Caliber nur allmälig. Zwei Umstände verdienen also bei Betrachtung der Vierhügelmasse besondere Aufmerksamkeit. Erstens ihre Beziehung zu den Seitensträngen des Rücken- marks, als ihr Aufnahmsorgan, welche wir mit der eigenthümlichen, noch ziemlich dunkeln Bedeutung der Seitenstränge zusammen stellen; die letztere wird namentlich durch den in ihnen stattfindenden Ur- sprung einer Reihe von Nerven charakterisirt, welche ganz besondere, specifische Eigenschaften haben. Zweitens die nahe Beziehung der Vierhügelmasse zum Sehorgan, als dessen Centrum man sie füglich betrachten darf. Den Seitensträngen des Rücken- markes lassen sich bekanntlich bis jetzt keine posi- tiven Eigenschaften zuweisen. Man weiss nur, dass sie nicht sensibel, und vermuthet bloss, dass sie motorisch sind. Ihre oben dargestellte Endigungs- weise beim Frosch, verbunden mit ihrer nahen Beziehung zum Sehorgan, dürften behufs Erfor- schung ihrer Funktion sehr beachtenswerthe Um- stände sein. Diese beiden Eigenschaften der Vierhügel be- gründen auch ihre Analogie mit den Vierhügeln der Säugethiere. Dass letzteres Organ mehr Anspruch darauf machen kann, das Centrum des Gesichtssinnes zu sein , als selbst die Sehhügel , ist bekannt. Aber 83 auch die Seitenslränge des Rückenmarks treten mit ihm in eine direkte Verbindung. Ein beträchtlicher Theil ilirer Fasern senkt sich in selbiges ein; frei- lich enden sie nach den Autoren daselbst nicht, sondern ziehen weiter zur Haube , wo man sie aus den Augen verliert. Wenn man diesen Angaben Glauben schenken soll, wiewohl sie nichts weniger als genau sind und einer unsichern Untersuchungs- methode ihren Ursprung verdanken, so muss man annehmen, dass die Vierhügelmasse der Reptilien nicht nur die Vierhügel der Saugethiere, sondern einen beträchtlichen Theil des Mittelhirns, die Gegend der Haube u. s. w. repräsentirt, was auf ihre unver- hältnissmässige Ausbildung passen würde. Ob auch einige sensible Fasern in sie münden , wie bei den höhern Thieren , kann ich nicht entscheiden , indess ist solches sehr leicht möglich. 3. Die Seh hü gel. Wie sich die Vierhügelmasse zum Sehorgane und zu den Seitensträngen des Rückenmarkes ver- hält, so verhalten sich die Sehhügel zum erstem und zu den vordem Strängen. Wie letztere sich in die Sehhügel einsetzen, ist schon früher gesagt worden. Hier bleibt nur übrig, das endliche Loos ihrer Fasern zu erörtern. Nach ihrem Eintritt breiten sich die Fasern aus und erfüllen das ganze Organ, das im Verhältniss 84 zu der Zahl der einströmenden Elemente nur ein geringes Volumen besitzt. Das Vorwiegen der Fasern zeigt sich in der opak-weissen Farbe, welche von der der Vierhügelmasse absticht. Nachdem sich die Fasern fächerförmig ausgebreitet, enden sie ganz wie die Fasern der Seitenstränge in der Vierhügel- masse , nämhch indem sie ohne Regelmässigkeit an den verschiedensten Funkten des Organs aufhören. Die Sehhügel tragen dann zur Bildung der Tractus optici wirksam bei. Die dazu bestimmten Fasern entspringen im ganzen Umfange der Seh- hügel, nicht in einzelnen separirten Büscheln. Sie ziehen sämmtlich convergirend in transverseller Richtung nach einwärts, sammeln sich zu einem Bündel, welches sich dann an den von der Vier- hügelmasse einherziehenden Hauptzug anlegt, und denselben zu der Sehnervenkreuzung begleitet. Die innere Armuth dieses Organs fällt in die Augen, und so hält es denn auch mit den Thalami optici der Säugethiere nur einen sehr unvollkom- menen Vergleich aus. Wir haben im ganzen Gange dieser Untersuchungen bemerken können , wie diese Unvollkommenheit von hinten nach vorn beständig zunahm. Am meisten spricht sich dieser Umstand aber in den Grosshirnlappen aus. 4. Hemisphären des Grosshirns. Wie karg sie ausgestattet, erkennt man schon an der Einfachheit ihrer Verbindungen. Sie stehen 85 nur mit dem Rückenmarke in einer deutlich erkenn- baren Faserverbindung , und zwar nur mit dem motorischen Theile desselben. Die Grosshirnlappen nehmen einen Theil der vor- dem Rückenmarksstränge in sich auf. Es begeben sich vorzüghch die feinern Fasern dieser Stränge dahin. Sie bilden ein nicht sehr beträchthches Bündel, welches an der Basis des Gehirns zwischen den Sehhügeln in vollkommen gerader Richtung nach vorn zieht, und die Grosshirnlappen betritt. Beide Bündel ziehen ziemlich central nach vorn , nur durch die mittlere Längsspalte von einander getrennt. Bevor sie die vordere Hälfte der Hemisphären er- reichen , enden sie , indem die Fasern fast zu gleicher Zeit abgesetzt erscheinen. Die freien Kerne lagern sich in grosser Zahl in ihre Umgebung und in die Interstitien der Fasern hinein. Die weisse und graue Substanz ist somit an diesen Orten genau gemengt. In den peripherischen Schichten aber und in den vordem Hälften der Lappen trifft man (mit einer gleich anzugebenden Ausnahme) die Kerne fast ausschhesslich und in zahllosen Massen abgelagert. Wenn man den Begriff Ganglion auf eine Mengung von grauer und weisser Substanz anwendet, so sehen wir also , dass das Grosshirn beim Frosch sehr arm ist an solchen Ganglien. Ausser den erwähnten fin- den wir nur noch Eines , welches ganz vorne hegt. Es ist das Organ des Geruchssinnes. 86 Die Fasern, welche die Riechstreifen zusammen- setzen , entspringen beidseitig in dem vordersten Theile der Hemisphären in den beträchtlichen An- schwellungen zu beiden Seiten der vordem Com- missur, welche Tubercula olfactoria genannt werden. Sie sammeln sich an der innern Wand , welche die Cavitäten dieser Höcker einschhesst, und bilden zwei Bündel, welche an den vordem Spitzen der Hemisphären zum Vorschein kommen, und gestreckt als Nervi olfactorii nach vom ziehen. Diese Nerven besitzen ein äusserst starkes Neurilem , welches eben so starke Fortsätze als secundäre und tertiäre Faserscheiden nach innen sendet. Die Fasern selbst sind von einer höchst merkwürdigen Beschaffenheit, platt gedrückte helle Fäden, welche dem Zellgewebe weit mehr ähneln, als normalen Nervenröhrchen. Es steht selbst in Frage , ob sie hohl sind ; Varices bemerkt man nie an ihnen, und es lässt sich kein Mark heraus drücken. Kurz , auf sie passt vöUig der Begriff von vegetativen Nervenfasern, und wenn demselben an andern Orten irrige Ansichten zu Grunde liegen, so ist diess wonigstens hier nicht der FaU. Ausser diesen zwei GangUen treten in dem grossen Gehirn keine weitern Fasern auf, die in bestimmter Richtung verlaufen, und charakteristische Gruppen darstellen. Alles ist eingehüllt und ausge- füllt von einem reichen Aggregate von freien Ker- 87 nen. Auch die rundlichen AnschweUung-en, die unter dem Namen Streifenhügel in die Seitenventrikel hineinrag-en 5 enthehren der Fasern, und stehen so- mit in keiner Verbindung mit andern Organen , sind daher auch keine Ganglien, sondern nur eine An- deutung der bei den höhern Thieren bestehenden Bildung. Die Wände der Seitenventrikel sind mit einem Ependyma aus Cylinderepithehum ausge- kleidet. 5. Die Nervi optici. Wie aus der Darstellung der verschiedenen Ge- hirntheile erhellt, stehen diese Nerven mit zweien derselben in bestimmtem Nexus , nämlich mit der Vierhügelmasse und mit den Sehhügeln ; ferner mit dem Rückenmark. Es ist diess ein auffallender Um- stand, v^^elcher mit der angedeuteten Natur dieser Centraltheile sich nicht vereinen lässt und mit un- sern angestammten Ideen über den Gegensatz zwi- schen sensibler und motorischer Natur der Central- theile, und über den Charakter der Sinnesnerven, die wir mehr mit erstem als mit letztern zusammen- zustellen pflegen, in grellem Contraste steht. Es stand zu erwarten, dass der Sehnerv die engste Beziehung zu den Centralpunkten der Sensibilität haben müsse. Statt dessen finden wir, dass er seine Factoren theils aus Organen schöpft, die nur Fa- sern aus den vordem, motorischen Rückenmarks- 88 strängen erhalten, tiieils aus dem Aufnahmsorgan der Seitenstränge ; was schon erklärlicher scheint, obwohl man diese Stränge mehr mit den untern als den ohern Strängen, in Betreff ihrer Natur, zusammenzuhalten gewohnt war. Sein Zusammen- hang mit den motorischen Strängen, wenn er sich bestätigen sollte, ist besonders auffallend, und läuft in doppelter Beziehung den Regeln, welche wir sonst im Centralnervensystem antreffen, zuwider: fürs erste wäre es das einzige Beispiel von einem unmittelbaren Uebergang eigentlicher Rückenmarks- fäsern in peripherische Nerven; zweitens wäre es ein Widerspruch gegen das Gesetz , wonach alle Rückenmarksnerven die Function der Stränge über- nehmen, in welchen sie wurzeln. Alle diese Verhältnisse öffnen uns ein weites Feld von Betrachtungen, welche jedoch in dieser Arbeit zu Aveit führen würden und für eine spätere Geleofenheit möffen vorbehalten bleiben. Die verschiedenen aufgezählten Wurzeln der Sehnerven gelangen in der Ordnung, in welcher sie entspringen, bis zum Chiasma, verlassen sie aber daselbst und vermischen sich gegenseitig. Ich glaube auch mehrere Male eine Kreuzung dersel- ben beobachtet zu haben, wonach die gewöhnhche Annahme, dass den Reptilien die Sehnervenkreuzung fehle, einer Berichtigung bedürfte. 89 6. Der Hiruanhansr. »• Dieses Organ ist bei den Reptilien sehr aiis- o-ebildet und gibt Gelegenheit zu einer kleinen Revision der verschiedenen Ansichten , welche dar- über geherrscht haben, und erst in neuerer Zeit durch richtigere Urtheile verdrängt worden sind. Schon bei den Säugethieren ist der Hirnanhang verhältnissmässig grösser als beim Menschen, und bei einzelnen niedern Thieren erwächst er zu einem ganz unverhältnissmässigen Umfang. Seine Function ist bekanntlich ein Räthsel, welches schon die Einbildungskraft der Alten in Bewegung setzte. Galen, Vesal u. A. hielten ihn für eine Art Schwamm, welcher die Secrete der Schädelorgane aufzusaugen bestimmt sei; Andere erklärten ihn für eine Drüse , welche einer pro- blematischen Secretion vorstehe. Eine dritte An- sicht stellte ihn als ein Absonderungsorgan der Cerebrospinalflüssigkeit und zugleich als Drüse dar. Nach Diemerbroeck liefert der Gehirnanhang ein Secret, welches die Gehirnventrikel mit ihrem serö- sen Inhalte versorgt. Willis und Vieussens vereinigen beide Ansich- ten, sowohl die, welche das Organ für eine Drüse erklärt, als die, welche ein Aufsaugungsorgan in ihm erblickt. Es soll die von ihm aufgesogenen Secrete durch unmittelbare Communicationswege den nächstgelegenen Sinus der Dura mater über- 90 geben, aus denen sie in den venösen Kreislauf gelangen. Für sonderbar erklärte man die Vermuthung Tiedemanns, welcher, nachdem er Verbindungen dieses Organs mit sympathischen Fäden und Ganglien bemerkt hatte, daraus schloss, der Gehirnanhang stelle nichts anders als ein Ganghon des sympathi- schen Systems dar. Allein zur Construction einer secernirenden Drüse gehört ein System von Abflusskanälen, w^elche dem Gehirnanhang fehlen. Dieser Mangel hätte hinreichend scheinen sollen, um die Illusionen über die drüsichte Natur des Gebildes, mit denen man sich so manches Jahrhundert hindurch schleppte, zu zerstreuen. Die gesclilossenen Drüsenbälge des Darmcanales, w^elchen man ein nach Aussen abzu- setzendes Product zuschrieb, dürfen nicht zur Her- stellung einer Analogie benutzt werden, weil die ihnen zugeschriebene Function noch nicht so ganz über allen Zweifel erhaben ist; in der That fängt man neuerdings an, sie für Lymphdrüschen zu er- klären. Bei Betrachtung des Inhaltes des Gehirnanhangs unter dem Mikroskop erkannte ich als seine Ele- mente granulirte Kerne mit Kernkörperchen, welche den freien Kernen im Gehirn und Bückenmark äusserst ähnlich sehen. Nur sind sie ein wenig stärker pigmentirt. Diese Kerne füllen das ganze 91 Organ vollständig an, und lassen ausser Blutgefässen keine andern Bestandtheile neben sich erkennen. Beim Menschen ist die Structur der Hypophysis complicirter. Von ihr sagt Henle *: „Sie enthält nirgends Nervenfasern; in ihrem vordem grössern Theil linden sich Kerne und die gewöhnhchen, et- was grobkörnigen Zellen mit hellem Kern, welcher 1 — 3 Kernkörperchen einschliesst ; die hintere, klei- nere Hälfte des Hirnanhangs besteht aus sehr grossen, weichen Zellen von unregelmässiger Ge- stalt, von welchen oft zwei durch eine Commissur verbunden sind, viele in blosse Verlängerungen ausgehen. " Der Mangel an Fasern ist es besonders, wel- cher Bedenken erregt, sie mit den GangHenknoten in eine Kategorie zu stellen, und der Ansicht Tiedemanns beizutreten, die sonst manches für sich hätte. Auch hier ist es wieder die vergleichende Anatomie, welche uns die besten Hülfsmittel an die Hand geben wird , um unsere Ansichten zu ver- vollkommnen. Sie wird uns weiter fördern als theoretisches Nachdenken. Nicht genug kann man an den Ausspruch Baco's erinnern : Non est fingendum et excogitandiim sed inveniendum, quod nalura faciat aut ferat. * Jahresbericht von CanstaU und Eiseniuann vom Jahr 1844, Art. Leistungen in der Histologie, S. 29. Eirklärung der Tafel. Sämmtliche Abbildungen sind schemalisch, bei einer massigen Vergrösserung, entworfen, um eine bessere Uebersicht des Gegen- standes zu erzielen ; dabei wurden aber die Ergebnisse an schwie- rigen Stellen Schritt für Schritt yermittelst einer yerstärkten Ver- grösserung controllirt. Fig. 1. Längliches Stückchen aus dem Körpertheile des Rückenmarkes, der hintern Peripherie entnommen. Es enthält die hintere linke Seitenhälfte. Die darin enthaltenen longiludinalen Fasern w'erden durch zahlreiche Querfasern durchschnitten. Letztere liegen in der Tiefe und reichen aus einer Seitenhälfte in die andere hinein. A. Centralcanal des Rückenmarkes. Er enthält massenhaft ausgetretene Blutkugeln. B. Ein kleiner Rest der rechten Rückenmarkshälfte. Bei der Präparation reichte die Schnittführung in den rechten vordem Strang hinein , woraus sich die , im Verhältniss zu dem übrigen Theile dunklere Färbung erklärt. C. Hinterer Theil der linken Rückenmarkshälfte, hinterer und Seitenstraug. D. Eine sensible Nervenwurzel, welche den hintern Strang an seiner Gränze gegen den Seitenstrang betritt, und in jenem endet. Die Form des Endstückes ist gerundet. Fig. «. Längliches Stück aus dem vordem Theile der linken Seiten- hälfte, mit dem vordem Strang und einem Theile des Seitenstran- ges. Die darin enthaltenen Längsfasern sind von dunklerm Aus- sehen , als die entsprechenden in Fig. 1 , und fallen zum grössern 9a Theile in die Kategorie der groben Nervenfasern. Die Querfasern sind weniger sichtbar als in Fig. 1. A. Centralcanal des Rückenmarkes. B. Vorderer Theil der linken Seitenhälfte , mit seinen longi- tudinalen und transversalen Fasern. C. Ein kleiner Theil der rechten Seitenhälfte. D. Eine motorische Nervenwurzel. Sie liegt oberflächlicher als D in Fig. 1, zieht in mehr longitudinaler Richtung nach oben und endet im vordem Strang, nahe bei der JMittelfurche. Ihr Ende besitzt eine breite Form. Fig. 3. Ein dünnes Querscheibchen aus dem Körpertheile des Rücken- marks. Der äussere Ring von radienförmig gegen das Centrum hingerichteten Fasern stellt die weisse Substanz dar, deren Fasern sich in Folge der angewandten Compression um ihre Querachse gedreht haben. A. Centralcanal. B. Vordere Längsfurche. CC Fasern der vordem Stränge. DD. Fasern der beiden Hinterstränge , getrennt durch die hintere Längsfurche. Letztere stösst unmittelbar an die graue Sub- stanz F. EE. Horizontale Faserbündel, welche jederseits aus dem vor- dem Strange C hervorkommen, sich im Grunde der vordem Längs- furche, in der vordem weissen Commissur, durchkreuzen, dann an der Peripherie der grauen Substanz nach hinten ziehen und bei den hintern Strängen enden. Die Fasern sind fein und von gleich- massigem Caliber. Fig. 4t. Faserverlauf im Kleinhirn. AA. Die von beiden Seiten ins Kleinhirn einziehenden Fasern der hinlern Rückenmarksstränge und der Rrückenfaserschicht. B. Endigungsweise der Fasern im Innern des Organs , in büschelförmigen Gruppen Die von den entgegengesetzten Seiten herkommenden Rüschel enden theils , ehe sie sich berühren, theils ziehen sie noch eine Strecke weit bei einander vorbei , um ebenfalls getrennt zu enden. Mit ihnen gemengt zeigen sich die Elemente der grauen Substanz in unregelmässiger Yertheilung. 94 Fig. 5. Ansicht der rechten Hälfte der Vierhügelmasse, von Innen. A. Die centrale Cavität. B. Ein Faserbündel, welches in dem Organe selbst entspringt und nach unten zum Sehnerven zieht. C. Rückenmarksfasern , welche in die Vierhügelmasse ein- treten. . D. Die Rinde des Organs , vorzüglich aus grauer Substanz bestehend. Fig. 6. Längsschnitt durch den rechten Lappen der Vierhügelmasse. Ansicht des äussern Stückes. A. Lateralhöhle. B. Ein im Vierhügel entspringendes Faserbündel , welches ebenfalls an der Bildung des Sehnerven Theil zu nehmen scheint. C. Aus dem Rückenmark herstammende Fasern , welche man deutlich bei D. auf die früher beschriebene Weise enden sieht. E. Die Rindensubstanz der Vierhügelmasse. Fig. 7. Ansicht einer durch einen Längsschnitt erhaltenen Seitenhälfte des Gehirns , welche ein deutliches Schema des optischen Faser- systems liefert. Die bei A sichtbare Endstelle des Rückenmarks lässt ihre Fasern theils bogenförmig rückwärts ziehen, um alsdann zum Kleinhirn zu gelangen , theils sendet sie dieselben nach vorn zu den verschiedenen Theilen des grossen Gehirns. Der Verlauf dieser Fasern zu den Vier- und Sehhügeln ist hier nicht ausgeführt, um das Bild nicht zu überladen. A. MeduUa oblongata. B. Der erste Faserzug zum Sehnerven, welcher im Vierhügel entspringt. C. Der zweite aus dem Vierhügel zum Sehnerven ziehende Faserzug. D. Die Fasern , welche der Sehnerve aus dem Sehhügel bezieht. E. Rückenmarksfasern , welche bis zu den Hemisphären des Grosshirns gelangen, daselbst feiner werden und enden. 95 F. Berührungsstelle beider Sehnerven, dem Chiasma letzterer bei höhern Thieren entsprechend. G. Tuber cinereum und Glandula pituitaria. H. Rindensubstanz der Vierhügelmasse, welche bei K. deren Cavitäl einschliesst. J. Basis der Grosshirnhemisphäre. Fig. 8. Querdurchschnitt durch die Basis der Grosshirnlappen , dicht beim Chiasma nervor. optic. A. Hintere Grosshirncommissur. DD. Zwei durchschnittene Faserbündel , welche aus dem Rückenmarke stammen. Die Compression hat ihre ursprüngliche Richtung umgeändert. (S. E in Fig 7). BB. Die Hemisphäre des Grosshirns, meist aus grauer Sub- stanz bestehend. CC. Die beiden Seitenventrikel. A B M,.£. A B A A F f<7. D A D ■\y\.. .-'' l c B 0 E Mf.X Fig, f. E W' 7- X '1't'-f"' ''I B Pf L