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Herausgegeben vom _ Redaktions-Ausschuss. un nnnnnnnn Zweite Reihe. Heft 17. — — Sind Free Wu N N, \ ze Lübeck. Dübelkze & Wöhringeg. 1903. Mitteilungen (Geographischen Gesellschaft Naturhistorischen Museums LUBECK. Herausgegeben Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. Heft 17. Lübeck. Lübcke & NMöhrimne. 1903. Inhaltsverzeichnis. Prof. Dr. P. Friedrich. Geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck mit 1 Karte und 4 Taf. P. Prahl. Mitteilungen zur Gattung Calamagrostis . ÖOberlehrer Dr. G. Sack. Beobachtungen über die Polarisation des Himmels- lichtes in Lübeck im Jahre 1902 . Dr. Rudolf Struck. Beiträge zur Kenntnis der Trichopterenlarven mit 7 Taf. Hans Schinz. Versuch einer monographischen Übersicht der Gattung Sebaea R. Br. 1. Die Sektion Eusebaea Griseb . Gesellschafts-Angelegenheiten — ie — Sage! DD >39: » 44, » 125. » 181. Geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt lübeck. Von Prof. Dr. P. Friedrich in Lübeck. Mit 4 Tafeln. Wer das heutige Bild der alten Hansestadt mit den Plänen und bildlichen Darstellungen früherer Jahrhunderte vergleicht, wird die Empfin- dung haben, dass das alte Lübeck wie eine fremde Welt zeitlich weit hinter uns liegt. Und doch sind erst fünfzig Jahre dahingegangen, seitdem sich der Hauptcharakter unserer Stadt geändert hat. Denn noch am Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte Lübeck mit seinen vorherrschenden Giebelhäusern, mit seinen hohen Wällen und den engen Toren das Aussehen einer rein mittelalterlichen Stadt. Vieles von ihrer anheimelnden Eigenart ist in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen, und nach kurzer Zeit werden unsere Kirchen, die beiden Tore, sowie einige Öffentliche und private Bauten die einzigen Zeugen sein, welche uns daran erinnern, dass hier einmal eine andere Stadt gestanden. Die Entwickelung der Stadt Lübeck von ihren ersten Anfängen bis zur Gegenwart hat Herr Bürgermeister Dr. Brehmer an der Hand eines reichen (@Quellenschatzes und gestützt auf eigene Anschauung in seinen »Beiträgen zu einer Baugeschichte Lübecks«!) eingehend geschildert. Die meisten Bauwerke, die in diesen Abhandlungen beschrieben werden, sind schon längst von Menschenhand wieder zerstört, und auch die Neu- schöpfungen auf den Trümmern vergangener Jahrhunderte sind z. T. wieder verschwunden und durch jüngere Bauten ersetzt. Wo wir in der Stadt aufgraben, überall verkünden uns Ziegelsch utt und Mauerreste, dass wir auf historischem Boden wandeln, und wo durch grössere Erdarbeiten alte Baureste blosgelegt werden, hat es für uns immer einen grossen Reiz, zu erfahren, ob auch das, was wir da sehen, mit den Überlieferungen der Geschichte übereinstimmt. Wichtige Teile des alten Lübeck wurden durch die Arbeiten beim Bau des Elbe-Trave- kanals blosgelegt. Da wurden vor dem Mühlentor unter den Bastionen Schwansort und Pulverturm, also innerhalb der noch allen bekannten Stadtgräben, alte Festungsgräben aufgedeckt, die zu den ältesten Befestigun- !) Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde Bd. 5, 6, 7. 1886 —98. vr A sen der Stadt gehörten; ') durch die Bloslegung der beiden alten Zingel- mauern am Fusse der Navigationsschule hart am Kanal?) wurde der Beweis erbracht, dass früher eine Fahrstrasse vom Mühlendamm aus unter dem Kaiserturm hindurchführte. Vor dem Burgtor erschien auf der Wakenitzseite ein mit langen Pfahlreihen eingefasster Graben, den wir auf dem berühmten Holzschnitt von 1555 erblicken.?) Mehr nach der Trave zu mussten beim Fortgang der Arbeiten die zur Zeit des 30 jährigen Krieges angelegten Festungsgräben angeschnitten werden; und richtig, genau an den Stellen, an denen sie in den Stadtplänen des 18. Jahrhunderts angegeben sind,‘) erschienen sie wieder, und an der Stelle, wo die Hubbrücke fundamentiert wurde, fast genau da, wo nach den alten Stadtplänen die einzige Überbrückung des Stadtgrabens, °) also die nördliche Zufahrtstrasse zur Stadt gelegen, wurde der durch starke Mauer- werke und mehrere Reihen von Pfählen gestützte Damm blosgelegt, welcher im Festungsgraben die Ausläufer der Trave und der um 3,5 m höheren Wakenitz von einander trennte.%) Weiter im Osten tauchten die gewaltigen Grundmauern des im Jahre 1299 erbauten und im Anfang des 17. Jahrhunderts wieder beseitigsten mittleren Burgtores auf.) Die unter diesen Mauerresten zum Vorschein kommenden »gewachsenen« Bodenschichten erinnern uns an die Stelle in der Chronik von Helmold, wo zum ersten Mal die Gründung der Stadt Lübeck erwähnt wird und wo es heisst: »invenitque insulam amplissimam gemino flumine einetam.... Ex ea vero parte, qua terrestre iter continuatur, est collis eontractior.« Da wurde ein Stück des alten schmalen Wakenitzflusses freigelegt, der 700 Jahre lang durch die Aufstauungen am Mühlen- und Hüxterdamm verhüllt war, zugleich aber wurde durch zahlreiche Bohrungen und Erd- arbeiten der Nachweis erbracht, dass es dereinst eine Wakenitz gegeben hat, viel wasserreicher als der heutige Fluss und mit der Sohle tief unter den Östseespiegel hinabreichend. Hier beginnt das Arbeitsgebiet des Geologen. Während der Alter- tumsforscher das von Menschenhand Geschaffene zu deuten und ein- zureihen versucht, schweift der Blick des Geologen weiter in die Vorzeit ') Siehe Brehmer, Beiträge zu einer Baugeschichte Lübecks. Die Befestigungs- werke Lübecks. Zeitschr. d. Ver. f. lüb. Gesch. u. Altertumskunde. Bd. 7, S. 497 u. Taf. 8. Auf dieser Tafel ist die Innengrenze dieser Gräben z. T. (unter Prahls Denkmal) angegeben. ”) Ebenda S. 498 und in dem @uerschnitt durch den Kanal bei der Navigations- schule auf Taf. IV dieser Arbeit.. ») Brehmer, a. a. ©. S. 494 und Taf. 7. ‘) Nach dem Grundriss der Kayserlichen u. des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Lübeck von M. Seutter in die Kartenskizze Taf. I eingezeichnet. °) Vergl. auch die Kartenskizze bei Brehmer a. a. O. S. 411. 6) Ebenda S$. 412. ‘) Ebenda S. 493 und Taf. 7. DA zurück. Welches Aussehen hatte der Stadthügel vor der Ansiedelung des Menschen und aus welchen Bodenschichten ist er aufgebaut? Warum beschreibt die Wakenitz den uns unverständlichen Lauf, bald nach Norden, bald nach Westen und zuletzt gar nach Süden? Warum floss sie dereinst nicht vor dem Burgtor in die Trave? Wie kommt es, dass die alten Flussbetten der Trave und Wakenitz viel tiefer liegen als der Spiegel der Ostsee? Wie ist die flache lübecker Niederung entstanden? Diese und viele andere Fragen drängen sich dem Geologen auf, aber sie sind leichter gestellt als zu beantworten. Manchen Fragen gegenüber wird die Wissenschaft immer die Antwort schuldig bleiben und zu Vermutungen "ihre Zuflucht nehmen. So ist die ringsum von Höhen eingeschlossene lübecker Niederung wahrscheinlich durch grössere Schollenbewegungen der Erdrinde entstanden, also auf alte gebirgsbildende Kräfte zurückzu- führen ; aber werden wir jemals in genügender Zahl Aufschlüsse erhalten, die bis in unsere feste Gesteinsunterlage hinabreichen? Aber die Geologie ist recht wohl imstande, viele Beziehungen zwischen der heutigen Ober- flächenform und dem inneren Bodenbau klarzulegen. Jeder Bodenauf- schluss, sei es eine Sand- oder Tongrube, sei es ein Sielbau, eine Aus- schachtung zum Aufbau eines Hauses oder eine Bohrung, liefert dazu neues Urkunden- und Beweismaterial. Die folgenden Darstellungen beschränken sich auf das Gebiet der Wakenitz, also auf den östlichen Teil der Stadt.!) Sie stützen sich vor- wiegend auf die Beobachtung der bei dem Bau des Elbe-Trave-Kanals geschaffenen Erdeinschnitte und die zahlreichen bei den Vorarbeiten zum Kanal angefertigten Peilungen und Bohrungen. Für die Erlaubnis, diese letzteren benutzen zu dürfen, ist der Verfasser Herrn Oberbaudirektor Rehder zu Dank verpflichtet. Zur Geschichte der Wakenitz. Der schmale Hüselrücken, auf dem die ältesten Teile der Stadt fo) entstanden, war im Osten, Süden und Westen von sumpfigen Wiesen umgeben. Zur Zeit der Gründung der Stadt war die Verteilung von Land und Wasser eine andere als jetzt. Die Trave bog bei der heutigen J =) ie) Lachswehr in grossem Bogen zur Sophienstrasse ab und erreichte die ') Eine kurze Darstellung des Lübecker Diluviums enthält die Festschrift für die 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Lübeck. 1895. 8°. Die Ergebnisse zahlreicher Brunnenbohrungen in der Stadt Lübeck und Um- gebung sind in den Beiträgen zur lübeckischen Grundwasserfrage (Lüb. Blätter 1898—1902) enthalten. Meine erste Darstellung der geologischen Verhältnisse Lübecks, sowie die geologische Karte in der »freien und Hansestadt Lübeck 1890« sind durch die späteren Arbeiten überholt und z. T. wertlos geworden. 6 Stadt bei der Wipperbrücke. An dieser Stelle mündete ein Nebenfluss von geringer Breite, die Wakenitz. In kleinen Boten konnte diese von. der Trave aus bis zum Ratzeburger See befahren werden.') Die mannigfach gestalteten Wasserflächen, die dem heutigen Lübeck einen besonderen Reiz verleihen, sind erst durch Menschenhand geschaffen und zwar sind sie das Ergebnis folgender Veränderungen: 1. Durch die Aufstauung der Wakenitz an der Mühlenbrücke, am Hüxter- und Mühlendamm in den Jahren 1180, 1231 und 1259 entstanden der Mühlen- und Krähenteich und die seeartige Ver- breiterung der Wakenitz. 2. Durch die Aufschüttung der Festungswälle im 16. und 17. Jahr-- hundert entstand der Stadtgraben auf der Nord-, West- und Südseite der Stadt; Lübeck wurde Insel. 3. Beim Bau’der Lübeck-Büchener Eisenbahn in den Jahren 1851—53 wurde der alte Lauf der Trave von der Lachswehr bis zur Wipper- brücke zugeschüttet und ein neuer Lauf geschaffen von der Lachswehr bis zur Obertrave bei der Dankwartsbrücke. 4. Durch den Elbe-Travekanal 1396—1900 erhielt die Trave 3 Zugänge zum Hafen: bei der Lachswehr, bei der Wipperbrücke und am Burgtor. Die Innenwakenitz verschwand, an ihre Stelle trat der Kanal. Lübeck wurde zum zweiten Mal Inselstadt. Der Krähen- teich wurde eingeengt; ein Graben führt das Wasser der Wakenitz zwischen Blank- und Dorotheenstrasse unter dem Kanal hindurch in den Krähenteich (Taf. ]). Über die erste Aufstauung der Wakenitz sind uns geschichtliche Nach- richten nicht erhalten, wir dürfen aber mit Brehmer ?) annehmen, »dass zu den lübeckischen Mühlen, deren Zehnten Kaiser Friedrich I. 1181 auf den Grafen von Schaumburg übertrug,?) auch eine Mühle an der Wakenitz gehörte. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass bereits 1197 einer zweiten an der Wakenitz erbauten Mühle Erwähnung geschieht,‘) die im Gegensatz zu der älteren als neue Mühle (molendinum novum) bezeichnet wird.« 1) Als Lübeck 1157. durch eine Feuersbrunst zerstört war, gründete Heinrich der Löwe am rechten Wakenitzufer in der Nähe des heutigen Herrenburg eine neue Stadt, die Löwenstadt. Da die Wakenitz aber nur von kleineren Fahr- zeugen befahren werden und ein Schiffahrtsverkehr mit den nordischen Ländern nicht aufrecht erhalten werden konnte, wurde der Platz schon 1159 wieder aufgegeben und Lübeck von neuem aufgebaut. W. Brehmer, Beiträge zu einer Baugeschichte Lübecks. Zeitschr. d. Ver. £. Lüb. Gesch. u. Alter- tumsk. Bd. 5, S. 123; Bd. 6, S. 393—404. — Th. Hach, das Lübeckische Landgebiet in seiner kunstarchaeologischen Bedeutung. Lübeck 1883, S. 10 ff. ?) Brehmer, a. a. O. Bd. 5 8. 214. 3) Arnold, Chronik lib. Il., cap. 35. #, Urkundenbuch des Bisthumes Lübeck 8. 21, Im Gegensatz zu Pauli!) und Dittmer,?) welche den Mühlendamm als das älteste Stauwerk annehmen, sucht Brehmer nachzuweisen, dass die ersten Mühlen bei der heutigen Mühlenbrücke erbaut worden sind.?) Hier befand sich schon eine durch Befestigungen geschützte Brücke, hier war die Mühle gegen feindliche Anfälle besser gesichert als an der Mündung des Flusses. Nachdem sie im Winter 1228 auf 1229 durch eine Sturmflut zerstört worden war,*) wurde mit der Aufschüttung des Hüxterdammes und dem Bau der Hüxtermühle begonnen. Der neue Aufstau hatte zur Folge, dass die oberhalb gelegenen Uferstrecken, die dem Bischof von Ratzeburg gehörten, und eine grosse unmittelbar an der Ostseite des St. Johannisklosters gelegene Wiese überflutet wurde. Der Herzog verzichtete zu Gunsten der Stadt auf jede Entschädigung, der Bischof von Ratzeburg und das Johanniskloster wurden durch Geld- zahlungen entschädigt. (Lüb. Urkundenbuch I, N. 49 u. 50. 8. Sept. 1231).°) Durch eine weitere Erhöhung des Hüxterdammes in den Jahren 1289—91 erhielt die Wakenitz ihre letzte und grösste Aufstauung. Nach Ausweis zweier Urkunden vom 18. und 19. Mai 1291) gestatteten die Herzöge Johann I. und Albrecht I. von Sachsen der Stadt Lübeck, die Wakenitz bis zur Höhe eines am Hüxterdamm errichteten Staumales aul- zustauen. Sie erhielten ausser einer Kaufsumme von 2100 # noch 28 #., und zur Bestreitung der ihnen entstandenen Unkosten und als Geschenk für sich und zwei Herzoginnen 239 &£ 8 £.') Der Bischof von Ratzeburg begnügte sich unter Zustimmung seines Domkapitels mit einer Entschädi- gungssumme von 200 # Lübeckischer Pfennige.°) Um dieselbe Zeit wurde am Ausflusse der Wakenitz in die Trave der Müblendamm "aufgeschüttet, die beiden am Mühlentor gelegenen Mühlen wurden abgebrochen und statt ihrer drei Mühlen am Mühlendamm erbaut.’) Seit 1872 werden von der Wakenitz nur noch die beiden auf dem Mühlendamm gelegenen Mühlen getrieben. - Die Höhe der letzten Aufstauung wurde durch mehrere Staumale bezeichnet, von denen das eine, zwei Pfähle bei der Hüxtertorbrücke, erst im Jahre 1752 erneuert werden musste. Die beiden Pfähle trugen kupferne ) C. W.- Pauli, Lübeckische Zustände zu Anfang des 14. Jahrhunderts, I, S. 33. 2) Dittmer, die lübeckischen Wassermühlen, S. 9. ®) Brehmer a. a. O. S. 214. #) Urkundenbuch der Stadt Lübeck II, S. 23. 5) Brehmer a. a. O: 8. 215 ff. ”), Urkundenbuch der Stadt Lübeck I, S. 530. 8) Ebenda I, S. 525 und Brehmer, a. a. O. S. 223. 9) Brehmer, a. a. O. S. 225. runde Hauben, von denen die eine die Inschrift »Curret ad hec schripta libera semper aqua« führte, die andere »Dhe vrie water drift sal gan op dese scrift.«!) Nach dem oben erwähnten Kaufvertrag vom 18. Mai 1291 hat Lübeck das Recht, die Wakenitz am Hüxterdamm im Winter bs — Aıs m NN, » Sommer » + 4,09 » > aufzustauen. Bis zum Jahre 1873 wurde das nötige Vorratswasser im Winter alljährlich bis zur vollen Stauhöhe von 4+ 418 m NN im Ratzeburger See aufgespeichert und dann im Sommer soweit verbraucht, wie es je nach der Grösse der Niederschläge sich als notwendig erwies. Später hat Lübeck die Stauhöhe auf + 356 m NN im Winter und + 327 » > » Sommer ermässigt.?) Durch die letzte Aufstauung der Wakenitz wurden die Wiesen- niederungen zu beiden Seiten der des Flusses bis in die Nähe von Gr. Grönau unter Wasser gesetzt. Die Wasserflächen sind im Laufe der Jahrhunderte durch Retwuchs stark eingeengt. Oberhalb von Hundtenhorst ist der dicke Retstand bereits zum Bruch geworden. Die bei Nädlershorst und Rotenhusen liegenden Torfwiesen sind fest geblieben und wohl niemals überflutet worden. ' Ein Stück des alten seit nun 700 Jahren verhüllten Wakenitzlaufes ist von seiten der Baubehörde bei den Vorarbeiten zum Bau des Elbe- Travekanals wieder festgestellt worden. In den Monaten Januar und Februar 1896, als die Wakenitz von einer starken Eisdecke überzogen war, wurden eine grosse Zahl von Peilungen und Bohrungen ausgeführt. Zunächst wurde eine runde Messingscheibe von 8 mm Stärke und 150 mm Durchmesser von einem Arbeiter und, weun dessen Kraft nicht mehr ausreichte, von 5 oder 4 Arbeitern in die Modde hinuntergedrückt. Die Stellen, bis zu denen die Messingscheibe durch die Kraft eines Arbeiters bewegt werden konnte, liegen nahezu in gleicher Höhe und bezeichnen die alte Wiesennarbe. Da, wo sich der alte Flusslauf befand, konnte ein Arbeiter mit Leichtigkeit die Scheibe tiefer drücken. Auf diese Weise wurden 11 Reihen von Peilungen quer zur Längsrichtung der heutigen Wakenitz ausgeführt und damit der Lauf der alten Wakenitz festgestellt, wie er auf Tafel I dargestellt ist. In dem Burgtorprofl und dem Profil der Glockengiesserstrasse — Falkenwiese auf Tafel II sind die alten Wakenitzwiesen durch dichterstehende Horizontallinien bezeichnet. Den Gang der Peilungsarbeiten mag folgendes Profil veranschaulichen. \) Brehmer a. a. O. 8. 223. °) Rehder, Entwürfe zu einem Klbe-Trave-Kanal zwischen Lauenburg und Lübeck 1892 CASES 9 Profil Roeekstrasse — Falkenwiese. Mar DE: Wakenitzspiegel + 3,s6 m NN. Tiefenmessungen von der Wasser- (Eis) oberfläche an gerechnet. Wassertiefe 1—2 m. Bohrloch Wiesennarbe Modde und Moor Tiefere Bodenschichten ie bei 3,50 m bis 5,30 m Feiner grauer Sandbis 6 m 2: seaAaın 3 do » » » ll) In De 0 » 9,95 >» » Be » De > 4. » B,s0 » » 955 »' » > » » 10,20» 9. » #40 >» » 10.50 » » » > Sale 6. keine Narbe » 000 » » tonhaltiger » » 10,30» T: » » 1050 » » » Se I 8. — —- == 9. bei 4,15 m — — 10. » 8,90 °» 2 nos » grauer Sand » 11 » ale » 9,55 » » 7,35 >» » » » » S » 19, »2-8,504.13 » 6,35:» » » » SR 12. ID? u » » » Do) er jer® — » 3,30 » » DURSEULD » Aro» grauer Ton » 5,30» 19: | » 2 » » » » 2 „30 » | Das Ergebnis der Peilungen war folgendes. Die Wakenitz hatte vor ihrer Aufstauung in der Nähe der Stadt (Taf. .I) eine Breite von 40 bis 50 m, sie war also nur wenig breiter als das obere Stück des Flusses von Falkenhusen bis zum Ratzeburger See, das auch nach der letzten und grössten Aufstauung im Jahre 1289 unverändert geblieben war. Sie erreichte den Stadtrücken am Burgtor, bog in steiler Windung zur Falkenwiese um und näherte sich erst beim Hüxtertor der Stadt wieder. !) Denselben Verlauf zeigt die tiefe Flussrinne. Im Krähenteich sind nur Bohrungen ausgeführt worden. Die tiefste Flussrinne lässt sich hier vom Hüxtertor in einem nach Osten gerichteten Bogen bis zur Mühlenbrücke verfolgen; in gleicher Richtung ist auch die frühere von Wiesen eingeschlossene Wakenitz anzunehmen. Im Mühlenteich endlich sind mit Ausnahme emiger Bohrungen dicht am Museumsufer bisher weder Peilungen noch Bohrungen vorgenommen worden, die Zeichnung des alten Flusslaufes beruht hier also lediglich !) Siehe auch W. Brehmer in der Zeitschr. d. Ver. f, Lüb. Gesch. u. Altertumsk. Bd. 5, Bee 10 auf Vermutung. Da schon dicht am Museumsufer Moddetiefen bis zu 5 m unter Normalnull angetroffen wurden, so kann die Flussrinne nicht weit entfernt liegen. Der Wasserstand der alten Wakenitz unterlag wie derjenige der heutigen Trave je nach dem Vorherrschen von See- oder Laudwinden bedeutenden Schwankungen. Bei plötzlich eintretendem Nordoststurm wurden die Wakenitzwiesen, wie jetzt die Niederungen auf beiden Seiten der Trave, durch das zurückgestaute Wasser z. T. überflutet, bei Sturm- fluten war der Stadthügel im Westen, Süden und Osten von breiten Wasserflächen eingeschlossen. Nach den Ermittelungen des Herrn Oberbaudirektors Rehder!) lieferte die Wakenitz folgende Wassermengen: 1878 1579 1550 per Sekunde im Monatsmittel l,ı bis 3,s cbm | 1,12 bis 3,7 cbm | 1,2 bis 4,1 ebm im Jahresmittel | 1,» cbm | 2,» ebnı | 2,3 cbm | im Mittel aus 2,162 cbm in der Sekunde = dreijährigen Messungen 7783 cbm in der Stunde. Die grösste Wassermenge betrug in der Zeit vom 25. bis 31. Dez. 1880: 7,s cbm per Sekunde, 31. Dez. i880 bis 2. Jan. 1881: 8.5 cbm per Sekunde. Die kleinste Wassermenge | August 1878: 1,1 cbm per Sekunde. Wir dürfen annehmen, dass vor der Aufstauung des Flusses dieselben Wassermengen wie jetzt zur Trave flossen, nur mit dem Unterschiede, dass, während jetzt das Wasser kurz vor seiner Mündung in zwei Stufen (beim Düker und am Mühlendamm) mit einem Gefälle von 3,5 m herab- stürzt, früher ein etwas geringeres Gefälle auf eine Strecke von 15 Kilo- metern verteilt war. Wenn wir die Wassermenge von 6,9355 cbm in der Sekunde —= 24968 cbm in der Stunde, welche der frühere Baudirektor Dr. Krieg?) für die Trave ausrechnete, als Durchschnittswert ansehen, so beträgt die Wasserlieferung der Wakenitz noch nicht den dritten Teil von derjenigen der Trave. ') Th. Schorer, chemische Untersuchungen zur Feststellung des Einflusses der Sielleitungen der Stadt Lübeck auf die umgebenden Gewässer, ausgeführt im Auftrage des Medieinslceollegiums. Lübeck 1883. 4°. 8. 33. ) Th. Schorer, ebenda 8. 35. to 11 In ganz anderen Verhältnissen erscheint uns die Wakenitz, wenn wir das ursprüngliche, jetzt mit Modde und Torf angefüllte Flussbett betrachten. Dasselbe wurde an folgenden Stellen durch Bohrungen und Peilungen erschlossen: 1. Bei der Wasserkunst (Taf. III). Vor der letzten Erweiterung der © Filteranlagen wurden hier 9 Bohrungen, im Sommer 1902 eine Tiefbohrung ausgeführt. Die Wakenitz hat sich hier bis in den unteren Geschiebemergel durchgearbeitet. Sohle — 6 m NN. Zwischen Roeckstrasse und Falkenwiese (Taf. II). Vergl. 8. 9. Sohle -—- 6,10 m NN. Zwischen dem Burgtor und der Falkenwiese (Taf. ID). Bei den Kanalarbeiten konnte auf beiden Seiten das Einfallen des oberen oder Taltones zur Flussmitte sehr schön beobachtet werden. Die Peilungen erreichten in der Mitte des Flusses nur die punktierte Linie, Bohrungen wurden hier nicht ausgeführt und die Modde wurde durch nasses Baggern entfernt; es bleibt daher zweifelhaft, ob hier der Ton von einer tieferen schmalen Rinne durchschnitten wird oder nicht. Von den 9 durch Peilungen und 7 .durch Bohrungen festgestellten Querprofilen zwischen Burgtor und Hüxterdamm ist das auf Taf. II dargestellte Profil Glockengiesserstrasse — Falkenwiese ein Beispiel. Das alte Wakenitzbett schneidet vom Burgtor an südwärts in immer tiefere Schichten ein, beim Burgtor in den Talton, zwischen dem weiten Lohberg und der Falkenwiese in den Talsand, bei der Glockengiesserstrasse bereits in den unteren Ton (Taf. II), am Südende des Krähenteiches endlich in den unteren Geschiebe- mergel. Die Lage der tiefsten Rinne entspricht den auf S. 9 beschriebenen Flusskurven. Sohlentiefe — 7 bis 5,5 m NN. Durch den mächtigen Schuttriegel des Hüxterdammes wird das alte Flussbett fast ganz unterbrochen. Taf. III zeigt einen Querschnitt des Dammes ungefähr in der Axe des Kanals. Die Modde ist nicht ganz zur Seite gequetscht, wohl deshalb nicht, weil die Aufschüttung von vornherein in grösserer Breite erfolgt ist. Im Krähenteich. Die Bodenplastik ist durch eine grosse Zahl von Bohrungen genau festgestellt. Die tiefste Rinne des alten Strombettes verlief in einer Tiefe von 8, bis 8,5 m unter NN. vom Hüxtertor südöstlich zum Düker und im Bogen zwischen der Nordspitze der Bastion Schwansort und der Badeanstalt (Flusssohle — 6 m NN.) zur Mühlenbrücke. Mühlenbrücke (Taf. III). Die Wallstrasse bezeichnet das Ostufer, die Strasse an der. Mauer das Westufer des alten Flusses. Die Sohle fällt von beiden Ufern steil zur Mitte des Flusses ein, die 12 Häuser von Pflüg und Boy stehen auf altem Wiesenboden, die in den letzten Jahren erbauten Häuser auf gemauerten Brunnen- schächten, die bis 8, 10 und 14 m Tiefe in die mit Bauschutt vermengte Modde bis zum festen Diluvialboden eingesenkt sind. Nur das Doppelhaus von Dr. P. Reuter und B. Nöhring ruht auf Pfählen. Auf der ganzen Ostseite der Stadt war das alte Flusstal der Wakenitz an keiner Stelle so schmal wie hier. Für die erste Überbrückung des Flusses gerade am Mühlentor war dieser Um- stand wohl der wichtigste Grund. In allen Profilen liegt die Sohle der alten Wakenitz 6 bis 9 m tiefer als der Spiegel der Trave und der Ostsee. Dass diese grossen Tiefen nicht lokaler Natur sind und nicht als Auswaschungen durch Gletscher- wässer gedeutet werden dürfen, beweisen die zahlreichen Bohrungen, die von seiten der Baubehörde auf der ganzen Linie der Trave, Stecknitz und Wakenitz ausgeführt worden sind. Danach liest (Taf. II) bei a) die alte Sohle der | Wakenitz') | Rothenhusen (Ausfluss aus dem Ratzeburger See) in 9,5 m Tiefe in: ‚6.1 m Tiefe » Zaeselhorst » Du » >» » 0,4 » » » Nädlershorst. a DD ans >» » » Bothenhorst . N: 3) » SD MED » Hundtenhorst » 62» y SA ZHe> » » der Eisenbahnbrücke . Se » » 20 » » Nöltingshof DEI » > 706 2 » der Wasserkunst . » 95 » ed » beim Tivoli . ed » 11 » le >» » bei der Glockengiesserstrasse » 11a > x. OD im Krähenteich ei el OD» b) die alte Sohle der Trave. ım Hafen . ga: 3.10 1 > bei der Werft. Br SI DıcES » » Gothmund . es 26 es » » »Schlutup we. 3 SEES » » Dummersdorf an 20» » ') Rehder, Entwürfe zu einem Elbe-Trave-Kanal zwischen Lauenburg und Lübeck, 1892. 4% 8.86. 15 Die alte Flussrinne ist in Travemünde durch drei Brunnenbohrungen nachgewiesen: !) am Spritzenhaus 1873 bei —30 m NN. in der Rose 18735. > — o4W » auf dem Priwall beim Kohlenlager 1892 » — 40 » > Diese Zahlen lehren folgendes: 1. Das Trave- und das Wakenitztal bilden eine geschlossene und gleichmässig geformte Stromrinne. 2. Die Wakenitzrinne beginnt bei Ziegelhorst, der alten Überlauf- schwelle des Ratzeburger Sees, bereits mit — 0,4m NN und senkt sich allmählich auf — 9,5 m NN bei ihrer Einmündung in die Trave. 3. Die Traverinne senkt sich mit fast gleichmässigem Gefälle bis auf — 30 bis 40 m NN an ihrer heutigen Mündung. Eine solche tiefe Rinne konnte nimmermehr die heutige Wakenitz mit ihrem geringen und vollends die Trave mit ihrem kaum wahrnehm- baren Gefälle aushöhlen. Zu solcher Arbeit sind grössere Wassermengen und ein stärkeres Gefälle erforderlich. Die tiefe Talerosion zwingt uns also zu der Annahme, dass unser Küstengebiet am Schlusse der Eiszeit 30. bis 40 Meter höher lag als jetzt. Wahrscheinlich ist diese Zahl noch zu niedrige angenommen, wenn wir bedenken, dass dereinst das Land zwischen Travemünde und Niendorf 9 Km weiter seewärts reichte und dementsprechend die Mündung der Trave 9 Kın weiter draussen lag. Diese Beobachtung eines den jetzigen Verhältnissen nicht ent- sprechenden tieferen Flusslaufes steht an den deutschen Ostseeländern nicht vereinzelt da. Nach Geinitz reicht der alte Talboden der Warnow bei Rostock bis 14 m unter den jetzigen Ostseespiegel,’) und in Warnemünde, 12 Km weiter unterhalb, wurde bei einer Bohrung auf dem Schulhof das alte Bett des Flusses bei — 22 m NN nachgewiesen.?) Das ergiebt nahezu dasselbe Gefälle wie am Grunde des Travebettes. Ebenso zeigen nach Geinitz die tiefen Ausfurchungen des Peenetals mit seinen weit unter den Meeresspiegel reichenden Alluvial- bezw. Wasserausfüllungen und das Recknitztal an, dass das östliche Mecklenburg und Pommern früher weit höher gelegen haben als jetzt.) Gleiche Beobachtungen ', P. Friedrich, Beiträge zur Lübeck. Grundwasserfrage II. Lüb. Blätter 1900, S. 151 und Beilage 3. Auf Grund einer Brunnenbohrung bei Villa Reuter, wo die Unterkante des Seesandes schon bei 17 m Tiefe erreicht wurde, ist die alte Stromrinne der Trave in Travemünde viel schmaler anzunehmen, als auf der Tafel dargestellt ist. ?) Archiv der Freunde d. Nat. in Mecklenb. Bd. 42, 1888, S. 97. Mitteilungen aus der Gr. Mecklenb. Geol. Landesanstalt I, 1892, 6. N. 43. E. Geinitz, der Conventer See bei Doberan. Mitt. aus d. Gr. Meckl. Geol. Landesanstalt IX, S. 7. En m ZT 14 machte Jentzsch in Ostpreussen, wo er im Pegeltal bei Königsberg Süsswasserablagerungen bis 20 m Tiefe und bei Pillau bis 30 m Tiefe nachwies. !) Nach allen diesen Beobachtungen müssen wir annehmen, dass das . deutsche Küstenland am Schluss der Eiszeit, als sich das Eis nach Norden zurückgezogen hatte, beträchtlich höher lag als jetzt. Schleswig-Holstein und Mecklenburg waren mit den dänischen Inseln festverwachsen und wurden von wasserreichen Flüssen durchfurcht. Trave und Warnow vereinigten sich wahrscheinlich zu einem grösseren Strom, der die Nieder- schläge eines grossen Teiles von Mecklenburg, Lübeck und des südöstlichen Holstein entweder um Fehmarn herum durch die schmale Rinne des grossen Beltes in das Kattegat oder durch die Kadettrinne nordöstlich zur’ Ostsee abführte. Durch eine spätere allgemeine Landsenkung trat das bisher ringsum von Land eingeschlossene Süsswasserbecken der Ostsee in eine offene Verbindung mit der Nordsee, die Niederungen wurden überflutet, und eine reiche Salzwasserfauna drang in die flachen Meeresbuchten ein. Aus dieser Zeit, der sogenannten Litorinazeit, stammen die zahllosen Muscheln und Schnecken, die bei den Vertiefungsarbeiten im Gebiet der Trave von Dänischburg bis nach Schlutup ausgebaggert und durch die Dammschüttungen mit der tiefsten Modde emporgepresst wurden. Unter ihnen befinden sich Arten, die wie Scrobicularia piperita, Cyprina islandica und Litorina litorea jetzt in diesem Teil der Trave nicht mehr leben, und eine andere, Nassa reticulata, die in der Travemünder Bucht jetzt nur vereinzelt vorkommt und noch nicht lebend gefunden ist. Während der allgemeinen Landsenkung verringerten sich die Nieder- schläge und die Wassermengen in den Flüssen. Im Laufe von Jahr- tausenden füllten sich die Flussbetten mit Modde und Torf, und das träge dahinfliessende Wasser wurde in schmale und flache Rinnen eingeengt. Wir haben zum Schluss die Frage zu beantworten: Welche Ursachen zwangen die Wakenitz, bei der Ziegelei Brandenbaum ihre ursprüngliche nördliche Richtung plötzlich zu verlassen und nach Westen, von der St. Jürgenkapelle an wieder nordwärts zu fliessen, bei der Roeckstrasse abermals nach Westen umzubiegen und vom Burgtor an bis zu ihrer Mündung sogar gegen ihre ursprüngliche Richtung von Nord nach Süden weiter zu fliessen? Eine genaue Untersuchung lehrt, dass diese scheinbar willkürlichen Flussrichtungen durch den geologischen Bau unseres Unter- erundes begründet sind. Warum fliesst die Wakenitz von der Branden- baumer Ziegelei an nach Westen? Gegenüber der Wasserkunst steigt der untere steinfreie blaugraue Ton empor und erstreckt sich als flachgewölbter Rücken, meist nur von dünnen Talsandablagerungen ') Zeitschr. d. deutschen geol. Ges. 42, 1890, S. 617. 15 bedeckt, bis in die Nähe des Forsthauses Rittbrook. Um diesen Ton- riegel fliesst die Wakenitz erst westwärts, dann nordwärts herum. Warum fliesst der Fluss nicht von der St. Jürgenkapelle in der nun eingenommenen Westrichtung den kürzesten Weg zur Trave weiter? Hier tritt auch am linken Ufer, also in der Richtung des Flusses, der widerstandsfähige blaue Ton zu Tage (Taf. III), um schnell in der Richtung zur Wasser- kunst unter Sand eimzufallen. Die Wakenitz wurde also hier wieder in ihrem Laufe abgelenkt und floss nordwärts in die breite von Talsand und Talton gebildete Mulde zwischen Marly und dem Stadtrücken. In dieser Mulde musste sich das Wasser zu einem See aufstauen und seinen Weg naturgemäss an der Stelle weiterbahnen, wo dieser See zuerst zum Überlauf kam. Wo lag diese Stelle? Der Rücken des Heiligengeistfeldes liegst — wir können uns hier nur nach den heutigen Höhen richten — etwa + 13 m NN, die Israelsdorfer Allee + 8 bis 10 m NN, die Land- brücke zwischen Trave und Wakenitz unmittelbar vor dem Burgtor, unter Abrechnung der mächtigen Schuttauftragungen, + 7,5 m NN, der Stadt- rücken + 10 bis 16 m NN. Anders liegen die Verhältnisse im Süden der Stadt. Das Gelände senkt sich von +12 m NN bei Adlershorst in der Richtung zur Stadt allmählich bis auf etwa 4 4,5 m bei der Mühlen- brücke. Während der Diluvialboden in der Cronsforder Allee noch + 7 mNN erreicht, wurde seine Oberkante bei den Kanalarbeiten unter dem Wall dicht vor der Navigationsschule bei 4,2 m (Taf. IV) angetroffen. Die Überlaufschwelle des Wakenitzstausees lag also im Süden der Stadt, von hier aus musste der Fluss sein Bett allmählich rückwärts ausfurchen. Stimmen mit dieser Darstellung des Wakenitzlaufes die geschicht- lichen Überlieferungen überein? Unsere Geschichtswerke berichten, dass die Wakenitz früher am Burgtor mündete und dass man noch lange eine alte und eine neue Wakenitz unterschied. Wie löst sich dieser Widerspruch ? Lübeck wurde 1145 vom Grafen Adolf II. von Schaumburg auf dem Höhenrücken zwischen Trave und Wakenitz erbaut. Über die Gründung der Stadt berichtet der Chronist Helmold (Chronik lib. 1 cap. 57) folgendes: Post hec venit comes Adolfus ad locum, qui dieitur Bucu, invenitque ibi vallum urbis desolate, quam aedificaverat Oruto, Dei tirannus, et insulam amplissimam semino flumine cinetam. Nam ex una parte Trabena, ex altera Wocheniza praeterfluit, habens uterque poludosam et inviam ripam. Ex ea vero parte, qua terrestre iter continuatur, est collis contractior, vallo castri pre- structus. Diese Darstellung des alten Chronisten entspricht dem jetzigen Laufe der Wakenitz vollkommen: Bei der Gründung der Stadt floss die Wakenitz wie heute an der Ostseite der Stadt vorbei in die Trave. Dass aber auch vor diesem Zeitpunkt der Burglorrücken immer eine Land- brücke zwischen beiden Flüssen gewesen ist, lehren eine grosse Zahl von 16 Bohrungen aus den Jahren 1882 und 1894,!) ferner die schon aufgeführten Untersuchungen des Wakenitzbettes, vor allem. aber die beim Bau des Elbe-Travekanals ausgeführten Erdarbeiten, durch welche der innere Auf- bau des Burgtorrückens in einem 90 m breiten Einschnitte bis zu 15 m Tiefe enthüllt wurde.?) Damit sind alle früheren Angaben über eine ehemalige Einmündung der Wakenitz in die Trave vor dem Burgtor,?) ebenso die Versuche, diese Ansichten aus den Bezeichnungen »alte« und »neue Wakenitz« abzuleiten,*) hinfällig geworden. Diluvialaufsehlüsse. Unter den Endmoränen, welche die norddeutsche Tiefebene durch- ziehen und allgemein als Rückzugsbildungen des Inlandeises bei einem zeitweiligen Stillstande desselben aufgefasst werden, ist diejenige am deutlichsten ausgeprägt und am besten erforscht, die auf dem baltischen Höhenrücken von der Nordgrenze Schleswig-Holsteins durch Mecklenburg und Pommern bis nach Westpreussen in einem fast ununterbrochenen Gürtel in einer Länge von 1000 Kim. verfolgt worden ist.) Die bisher noch vorhandene Lücke zwischen den Teilstücken von Schleswig-Holstein - und Mecklenburg‘) ist durch die Untersuchungen des Herrn Dr. Struck’) nun auch ausgefüllt. Die Endmoräne verläuft hier parallel der Küste von Teschow über Ivendorf, Rönnau, Ratekau, Pansdorf, Luschendorf, Schürsdorf, Pönitz und Stawedder bis zum Süseler See, wo sie sich an den bereits von Gottsche nachgewiesenen Erdmoränenzug der Provinz Schleswig-Holstein anschliesst. Als nun gegen das Ende der Eiszeit die Umgebung Lübecks von ihrer Eisdecke befreit und in der Rückwärtsbewegung des Inlandeises ') Brehmer, Beiträge zu einer Baugeschichte Lübecks. Zeitschrift des Ver. f. Lüb. Gesch. u. Alterthumsk. Bd. 5, 1888, -S. 120. — P. Friedrich, Beiträge zur Geologie Lübecks. In der Festschrift zur 67. Vers. deutscher Naturf. u. Ärzte. 1895, S. 237 und Profilzeichnung. ”) Siehe das Profil auf Taf. II. ”) Becker, Geschichte der Stadt Lübeck, T. 1. S. 251. — Pauli, Lübeckische Zustände zu Anfang des 14. Jahrh. Bd. I, Lübeck 1847, S. 32. — Lübeckische Blätter 1841, S. 399; 1842, S. 22; 1878, S. 361. — Deecke, die freie und Hansestadt Lübeck, S. 3. — Geinitz, die Seen, Moore und Flussläufe Mecklen- bures. 1886, S. 56. ‚ Die Versuche, diese Namen auf zwei verschiedene Flussläufe zu beziehen, wurden durch Brehmer widerleet a. a. ©. S. 119. °, F. Wahnschaffe. die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes. 1901, S. 137. kbenda, Karte zu 8. 91. ‚ R. Struck, der Verlauf der nördlichen und südlichen Hauptmoräne in der weiteren Umgebung Lübecks. Mitt. d. geogr. Ges. in Lübeck, Heft 16, 1902. 17 eine längere Stillstandspause eingetreten war so, dass der Südrand des- selben auf der Linie Teschow—Ivendorf—Pansdorf für längere Zeit festlag, mussten sich die Schmelzwasser in der lübecker Niederung sammeln und schliesslich, da ihnen der Nordweg durch die Eismauer versperrt war, in zwei Rinnen, dem Ratzeburger See und dem Wensöhlengrund einerseits und im Stecknitztal andrerseits, nach Mölln und von dort durch das Tal der Delvenau südwärts zur Elbe abfliessen. Am Grunde dieser Abschmelz- rinne lagerten sich die von der schwachen Strömung mitgeführten Tal- sande ab. Sie bedecken die ganze lübecker Niederung bis zu den aus Geschiebemergel bestehenden Höhen im Westen und Osten, ebenso die beiden obengenannten Abzugsrinnen. Von Lübeck aus ist das ehemalige Ufer des gewaltigen Gletscherflusses am schnellsten westwärts zu erreichen. Von der Endstation der Strassenbahn in Krempelsdorf führt der Weg noch etwa 10 Minuten in der Talsandebene weiter. Bei der Kolonie Neuamerika steigt er plötzlich bei der 20-Meterkurve aus der Talsand- ebene zur Höhe der Stockelsdorfer Mühle (37 m über OÖstseespiegel) an. Unmittelbar an der Grenze ist der Geschiebemergel im Hohlweg bis zu 4 m Tiefe aufgeschlossen. Von der Höhe des Mühlberges schweift der Blick über die weite Ebene hin bis zum gegenüberliegenden Ufer im Osten und wird ausser durch die scharfe Talgrenze im Vordergrunde noch durch das unvergleichliche Umrissbild der türmereichen Hansestadt gefesselt. Solange die Abschmelzwässer in starken Strömen durch die Pässe des Wensöhlengrundes und des Stecknitztals abfliessen konnten, setzten sich die feinkörnigen Talsande zu Boden; als aber infolge des weiteren Rückganges des Inlandeises der Wasserzufluss abnahm, musste der Wasser- spiegel über der lübecker Niederung sich senken und der Abfluss immer schwächer werden. Statt der Sande kam jetzt die feinste Gletscher- trübe zur Ablagerung, es entstanden unsere oberen oder gelben, fein- geschichteten Tone. Betrachten wir jetzt die neuen Aufschlüsse an der Wakenitz. In denselben wurden im ganzen vier verschiedene Ablagerungen angeschnitten : 1. Gelber Ton oder Talton |] Ablagerungen am Schlusse der 2. Talsand J letzten Eiszeit. ‚m eg Bi .. | Ablagerungen der Haupteiszeit. 4. Unterer Geschiebemergel | = = 1. Talton oder oberer Tonmergel. Er überzieht die ganze Ost- hälfte der Altstadt und ist in der lübecker Niederung weit verbreitet. Seine meist gelbe Farbe, seine Schichtung und das Vorkommen von Kalkpuppen in seinen unteren Lagen unterscheiden ihn von dem unteren, blauen Tonmergel. Seine entkalkten Oberflächenschichten (1—1,5 m) lieferten die wetterfesten Verblendsteine und Terrakotten unserer mittel- alterlichen Bauwerke und verdienten es wohl, auch künftig wieder zu > 18 edleren Ziegelfabrikaten verarbeitet zu werden.) Seine Schichtung ist nicht immer wagerecht, sondern verläuft parallel zum Untergrunde. Wo dieser ansteigt, tritt auch eine Neigung der Tonschichten ein. Am Burg- toreinschnitt konnten 15, 20, 30° und noch mehr beobachtet werden, unter der Westkante der neuen Brücke erhoben sich die Tonbänkchen sogar schnell bis zur senkrechten und überkippten Stellung. Leider wurden gerade hier die Abtragungsarbeiten in einer Weise ausgeführt — es wurde bald parallel, bald senkrecht, bald in schiefer Richtung zum Burgtorrücken, bald von oben nach unten abgegraben — dass es un- möglich war, ein einwandfreies Profil zu gewinnen. Gerade an dieser Stelle befanden sich die mächtigen Grundmauern des mittleren Burg- tores, wir dürfen daher annehmen, dass durch den grossen Druck des Bauwerkes die an sich stark geneigten Tonschichten aus ihrer ursprüng- lichen Lage gepresst wurden. 2. Der Talsand hat in allen Aufschlüssen nur eine geringe Mäch- tigkeit (bis 6 m), er ist durchweg so feinkörnig, dass er nicht als Mauer- sand verwendet werden darf, meist gleichförmig parallel zur Unterlage geschichtet, oft zeigt er auch ungleichförmige (diskordante) Parallelstruktur. Während seine untere Grenze eine scharfe ist, geht er nach oben meist allmählich in den Talton über. Diese Übergänge zeigten am besten die Burgtoraufschlüsse (im grossen Profil Taf. II nicht dargestellt): 1. Ton, Talton darunter; 2. Ton mit streifenförmig angeordneten flachen Sandlınsen oder dünnen Sandstreifen, darunter Sand mit flachen Tonlinsen in dünnen Streifen, darunter 4. Band. In dem Stücke a des Burgtorprofils von Taf. II (auf Taf. IV be- sonders dargestellt) geht der sandstreifige Ton in derselben Schichtung allmählich in reinen Sand über. Es kam hier also eine Zeit lang bald Sand, bald Ton zur Ablagerung, bis endlich die Strömung des Wassers so stark herabgemindert wurde, dass der Sand am Rande des Seebeckens liegen blieb und im engeren Bereiche der Stadt sich die feinste Gletscher- trübe zu Boden setzen konnte. Das Profil lehrt also, dass Talton und Talsand nahezu gleichzeitige Gebilde sind. Bisher habe ich die Sande als Spat- oder Korallensande bezeichnet; da letztere aber als Abschlämm- produkte der Grundmoräne der älteren oder Haupteiszeit aufgefasst werden, muss ich diese Bezeichnung wenigstens für die vorliegenden Sande aufgeben. Ob und in welcher Mächtigkeit die sogenannten Spat- 02 ') Die Mittel und Wege habe ich in der Broschüre »Blütezeit und Niedergang unserer Ziegelindustrie, dargeleest an den lübeckischen Rohziegelbauten, Lübeck 1897« angegeben. Vergleiche auch »Brennversuche mit lübeckischem Ziegelton.e Lüb. Blätter 1899, S. 660 und 1900, S. 710. 15 sande in der Umgebung Lübecks auftreten, kann erst durch eine genaue Kartierung festgestellt werden. Aber auch diese hat mit grossen Schwierig- keiten zu kämpfen, da einerseits in der lübeckischen Talsandebene der obere Geschiebemergel fast ganz fehlt und andererseits in dem Sand- gebiete nördlich von Lübeck, wo Sande und Grande mächtig entwickelt sind, die in jeder Beziehung gleichartigen bryozoenführenden Sande und Grande von dünnen, in den letzten Jahren bei der Herrenfähre und bei Schlutup entdeckten intraglacialen, nicht interglacialen, konchylien- reichen Süsswasserablagerungen unterbrochen werden. Einen weiteren Beweis für die Zugehörigkeit der Sande Lübecks zur letzten Vereisung liefern Aufschlüsse bei der Hansameierei in der Fackenburger Alle. Hier legen sich die Talsande auf eine Scholle von oberem Geschiebemergel. Es ist eine höchst auffallende Erscheinung, dass der obere Geschiebe- mergel, der sich östlich und westlich von der lübecker Niederung aus- breitet und vom Landesgeologen Dr. Gagel, der seit zwei Jahren im benachbarten Lauenburg die geologischen Kartierungsarbeiten ausführt, in der Gegend von Ratzeburg in einer Mächtigkeit von 4 m nachgewiesen ist, in der Stadt Lübeck und in der ganzen Niederung südlich von der S. 16 erwähnten Endmoräne (Israelsdorf, Schlutup, Wesloe bis über srandenbaun: hinaus) gänzlich fehlt. In den zahlreichen Bohrungen und Einschnitten in diesem ganzen Gebiete wurde immer nur Talton, Talsand, unterer Tonmergel aufgeschlossen und nicht ein einziges Mal konnte ein Stein gefunden werden. Dass der obere Geschiebemergel wenigstens im Westen nahe an die Stadt herankommt, beweisen Aufschlüsse bei der Hansameierei und beim Polirkrug. Warum fehlt er im übrigen Gebiet? Sollte hier das letzte Inlandeis eine Lücke gehabt haben ? 3. Der untere Tonmergel oder blaue Ton hat im Stadtgebiete eine sehr wechselnde Zusammensetzung, er ist bald sandig und mager, bald fett, bald feingeschichtet, bald ohne jede Schichtung. Im Burgtor- einschnitt ist er fett und fest und bot den Erdarbeiten grosse Schwierig- keiten. In seiner Zusammensetzung gleicht er dem Ton vom Köpfenberg, der seit Jahrhunderten zur Herstellung von Ofenkacheln verwendet wird. Seine Mächtigkeit beträgt hier, von nur unbedeutenden Sandeinlagerungen unterbrochen, bis 25 m; an allen anderen Aufschlusspunkten in der Stadt ist er nur 2—5 m stark, nur in Marly, wo er in der Wallbrechtschen Ziegelei verarbeitet wird, schwillt er noch einmal beträchtlich an. 4. Der untere Geschiebemergel wurde nur in dem Kanal- einschnitt von der Navigationsschule bis zu Carstens’ Konservenfabrik sichtbar. In dieser ganzen Länge konnte er durch den Mangel an Schiehtung und durch den ims Rötliche gehenden Farbenton schon von weitem deutlich vom blauen Ton unterschieden werden. Seine Oberkante verläuft wellenförmig (Taf. IV), der hier. feingeschichtete steinfreie Ton 9# 20 folgt mit seiner Schichtung diesen Wellenlinien. Eine gleiche Oberkante zeigte der Geschiebemergel bei den Ausgrabungen am Kulenkampkai, hier aber fehlte dem Ton jede Schichtung. Die beiden genannten Erd- einschnitte waren bisher die einzigen Tagesaufschlüsse im Geschiebe- mergel in Lübeck. Er trägt die Pfeiler der Mühlenbrücke. Die untere Grenze des Geschiebemergels ist uns nur durch Bohrungen bekannt und wurde im Gebiet der Wakenitz und des Kanals an folgenden Punkten erreicht: Mächtigkeit des Untere Grenze Geschiebemergels. des Geschiebemergels. Hubbruücken(arssens ee 4 m | —23 m NN. Carstens’ Konservenfabrik . . 10 » N». 5 Wasserkunst (Taf. ID)... . 19) > | —20 » » Während die Mächtigkeit des Geschiebemergels bedeutenden Schwankungen unterliegt, liegt seine untere Grenze nahezu in gleicher Tiefe. Ein Vergleich mit den übrigen Bohrungen in den verschiedenen Stadtteilen, z. Be Mächtigkeit des Untere Grenze Geschiebemergels. des Geschiebemergels. Sägewerk v. Havemann & Sohn 11,50 m —22 mNN. Maschinenbaugesellschaft . . . lab sy — 20 DO Wasserbauplatz ER 7,50 » —21 » » Emaillierwerk v. Thiel & Söhne Zar: —23 » » Städt. Elektrizitätswerk . . . . Si 23» —15 >» » ParadeyNosile me ee WAR —184 » » lässt erkennen, dass unter der Stadt die untere Grenze des Geschiebe- mergels von der wagerechten Fläche nur wenig abweicht. Über die tieferliegenden Sande giebt uns eine von der Hamburger Firma Gliemann im Frühjahr 1902 auf dem Grundstück der Wasserkunst (+ 4,67 m NN) ausgeführte Bohrung den besten Aufschluss. Das Bohr- profil (siehe Taf. III) ist folgendes: O0 bis 3 m: Sand, aufgebrachter Filtersand, » 415 » grauer Mergel mit Steinen und Süsswasserkonchylien, 5,40 » Torf, » 13,60 » erauer Geschiebemergel, » 16,20 » » Spatsand mit Bruchstücken von Kalksteinen, » 18,20 » » Geschiebemergel, 2] £4 bis 23 m: grauer schwachtoniger Spatsand, » 24,30 » » Geschiebemergel, » 26,50 » hellgrauer Spatsand, »28 >» > srandiger Sand mit Salzwasserkonchylien, » 29,75 » > Spatsand mit winzigen Stücken von Salz- wasserkonchylien, 2 » schwachtoniger kalkhaltiger Sand mit Steinen (auch Feuersteinen), » 39,20 » dunkelgrauer Quarzsand mit vielen Kohlenstückchen, kalkfrei, » 39,30 » schwarzbrauner fester schwachtoniger | = kalkfreier Glimmersand, Pe » 41,50 » hellgrauer feiner kalkfreier Glimmersand | S Die Spatsande von 13,6—16,. m und von 18,.—23 m Tiefe sind nach anderweitigen Erfahrungen als Einlagerungen des einen Geschiebe- mergels zu betrachten. Die dann folgenden Sande und Grande sind wie überall in der Stadt der Träger des artesischen Grundwassers. Sie ent- halten bis zu 32 m Tiefe reichlich Feuerstein und nordisches Material. In dem dann folgenden Quarzsand (bis 39,20 m) konnten Feuersteine und Feldspate nicht nachgewiesen werden. Die sehr feinen Glimmersande von 39,20 m an gehören bereits zum Tertiär. Ihre obere (renze wird durch eine 10 em starke Schicht von schwarzem, tonigen, festen Glimmersand gebildet. Eine gleiche Ablagerung im Hangenden des Glimmersandes wurde bisher nur in Buntekuh nachgewiesen, nämlich 1. in der Ziegelei Buntekuh bei 27,60 m Tiefe 2. in der Brennerei Buntekuh » 26,0 » » 3. in der Wasserkunst au a9 au > In allen anderen Bohrungen war es unmöglich, die Grenze zwischen den Diluvialsanden und den tertiären Glimmersanden scharf zu bestimmen. Die grandigen Sande von 26,5—23 m Tiefe enthalten eine reiche marine Konchylienfauna, die darunter folgenden Sande (bis 29,75 m) nur einzelne dürftige Schalenreste. Es wurden gefunden: Nassa reticulata L., 20 Exemplare, darunter Schalen junger Tiere, Litorina litorea L., ein Exemplar, Cerithium reticulatum Da Cost., 6 Exemplare, Cardium edule L., zahlreiche Schalenreste, Mytilus edulis L., ein Bruchstück, Tapes pullastra Mtg., 9 Wirbel und zahlreiche andere Schalenstücke, Valvata piscinalis L., ein Exemplar. Y) Profiltafel II in den Beiträgen zur lübeckischen Grundwasserfrage III, Lüb. Blätter 1902, No. 9. 22 Die zahlreichen Konchylienreste sind in einer Sandsäule von nur 14 cbdm, d.ı. etwas mehr als. '/,oo ebm, enthalten. Daraus aber auf ein primäres Vorkommen, eine Flachseebildung zu schliessen, wäre übereilt, da in den zahlreichen übrigen lübeckischen Bohrungen die gleichen Sande bisher keine Konchylienfunde geliefert haben. Es handelt sich hier — abgesehen von Valvata piscinalis — um eine marine Diluvialfauna auf zweiter Lagerstätte, wie sie durch Gottsche aus Schleswig-Holstein bereits in 30 Funden bekannt geworden ist.!) In ihrer Zusammensetzung ent- spricht unsere Fauna derjenigen des Cyprinentons von Alsen, Aerö und Langeland. Cerithium reticulatum ist, abgesehen von Alsen, aus dem marinen Diluvium Schleswig-Holsteins noch unbekannt, Tapes pullastra wurde bisher nur im dänischen Öyprinenton beobachtet. Der lübecker Fund könnte hiernach am besten als zerstörter Öyprinenton der dänischen Inseln betrachtet werden. Den widersprechen aber die Altersverhältnisse. - Wenn wir die konchylienführenden Sande der Wasserkunst nach dem Bohrprofil Taf. III allein oder im Vergleich mit den übrigen Bohr- proflen Lübecks beurteilen, so müssen wir sie als vorschüttende Sande des ersten Gletschers und die Konchylien als Reste einer zerstörten praeglacialen marinen Ablagerung betrachten. Folgen wir Gottsches Auffassung, so sind die Sande sicher älter als der, untere Geschiebe- mergel, aber es ist noch fraglich, ob sie zum Interglacial I oder Prae- glacial gehören. Nach Munthe gehören nun aber die Cyprinentone nicht blos der dänischen Inseln, sondern auch die von Schleswig-Holstein und Rügen in das Interglacial II.) Aus diesem Widerspruch kommen wir — wenigstens so lange wir die lübecker Funde auf den Cyprinenton zurück- führen — nur heraus, wenn wir Gottsches Auffassung’) folgen, dass wenigstens die in ihrer Lagerung stark gestörten Uyprinentone der Insel Alsen älter. sind als der untere Geschiebemergel, also wenigstens zum Interglacial I gehören. ") C. Gottsche, die Endmoränen und das marine Diluvium Schleswig-Holsteins, Hamburg 1898, S. 52. ?), Nach E. Geinitz, die Einheitlichkeit der quartären Eiszeit. N. Jahrb. f. Mineral., Geol. u. Palaeont. Beilageband XVI. 1898, S. 71 ff. 3! C. Gottsche, a..a. ©. 8. 45. BT (Heiz, Geist el, 60 ag Se as N SE Kat au harinen- N n SE IT [er irinetuny |! | = — / SE Jdoluumgs- SS Si RD ==} ÄN = = le N > | Schwan Wa \ N Bis 1900. Die schraffierter Flächen bexeichner .die bei .den Aufstauwurngen M80, IR3V u. 1289 eberschwemmten Wiesen. Planskixxe .des östlicher Ma/s } ! ’ i Dan u _— | ni 000. der Stadt Lübeck. i \ ö St Rafharüren- . h SS Lchs Katharineum m StJohannlis id Jegidien u“ Scit 7900. Tafel I. Azul Kat. Amt ._. Planskixxe .des östlichen. hes der Stadt Lübeck. Mafssta}; 40 000. f ! Palkerv- Twiese IS jE —— \ Zu I>> < |] Be ——— oo nn nn StJohannks 7, =, St ngfi 1 [Klostpr | 4; m m z = NR Eu OT > Kay m? vensch mas‘ “ ‘ Fe rZ (Heil @ pay 7 £ h BARIN \ — = N | $2 al! . nn R ne \g ia in ]ı = Zr 7 PpeT] TaEERE :; | Henne | en / Archto S | a nn Ne —e N = Sa \ IS! 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So wurde Calamagrostis litorea irrtümlich bei Lübeck und in Meck- lenburg angegeben und auch das noch in Ascherson und Graebner Synopsis der mitteleuropäischen Flora aufgenommene Vorkommen dieser Art an der Mulde im Königreich Sachsen ist neuerdings von Torges (Mitt. des Thür. Bot. Ver. XVII, 1902 S. 76 ff.) als falsch nachgewiesen worden. Von C. villosa Mutel (©. Halleriana P.B.; DC.) sind alle, z. T. noch in der Flora des nordostdeutschen Flachlandes von Ascherson und Graebner aufgeführten Standorte aus der Ebene zu streichen und bleibt für das ganze norddeutsche Flachland nur ein Standort im mittleren Schleswig, bei Wattschaukrug in Angeln übrig, wo die Pflanze 1867 von Hansen zahl- reich gesammelt, seitdem aber nicht wiedergefunden worden ist. Andererseits dürften die Bastarde ©. Hartmaniana (C. lanceolata X arundinacea) und ©. acutiflora (C. epigeios X arundinacea) häufiger vor- kommen, als bisher angenommen wurde und einige der Angaben von C. villosa und C. varia aus der norddeutschen Ebene sind ohne Zweifel auf Verwechselung mit diesen Bastarden zurückzuführen !), welche Gacke noch in der 17. Auflage seiner Flora von Deutschland nicht als Bastarde aufführt. ©. Hartmaniana, von der er nur die Heidenreichschen Standorte bei Tilsit kennt, bezeichnet er als »unstreitig nur Abart von (©. Halleriana« und ©. acutiflora als solche von (©, varia. Erst in der 18. Auflage (1898) ist die Sache richtig gestellt. ') Prahl: Die Bastarde Calamagrostis Hartmaniana u. Ü. acutiflora in Mecklenburg gefunden. Arch. d. Ver. d. Fr. d. Naturgesch. in Meckl. 53; 1899; S. 170 ff. 26 Ganz besonders hat sich Torges, unstreitig der beste Kenner dieser Gattung, um die Kenntniss der Calamagrostis-Arten, ihrer Formen und Bastarde, sowie ihrer Verbreitung verdient gemacht. Von ihm rührt auch die Einteilung der Gattung her, der Ascherson und Graebner in der Synopsis der mitteleuropäischen Flora sich im Wesentlichen angeschlossen haben. In dieser Synopsis finden wir auch eine gute Übersicht der Formen und Bastarde, deren Zahl in neuerer Zeit durch Torges und Haussknecht wesentlich vermehrt worden ist. Aber es finden sich noch immer Formen, welche hier nicht erwähnt und beschrieben sind und will ich hier einige solche von mir beobachtete aufführen. In der Gruppe der Quinquenerviae, 1. Homoetricha, welche die Arten C. lanceolata, C. phragmitoides und €. villosa enthält, stellen Ascherson und (rraebner die beiden ersteren Arten mit endständiger Granne der letzteren mit rückenständiger Granne gegenüber. Aber wie sie selbst bei ©. villosa die Form hypacrathera Torges, mit an einzelnen Ährchen fast an der Spitze begrannter Deckspelze hervorheben, so findet sich eine etwas unterhalb der Spitze begrannte Form hypacrathera auch bei €. lanceolata, welche Torges (Mitt. d. Thür. Bot. Ver. N. F. XVII. 1902 S. 99 beschreibt: »arista infra paleae inferioris apicem, ex ejus suprema quarta (v. tertia) parte egrediens.« Bei ©. phragmitoides aber ist die Granne häufig rückenständig und habe ich bei skandinavischen Exemplaren dieser Art nur rückenständige Grannen auf- finden können, wie denn auch Hartman in seinem Handbok ı Skandinaviens Flora, 11 Uppl. 5. 518, die Insertion der Granne bei ©. phragmitoides in der Mitte oder näher der Spitze der Deckspelze und ihre Länge als bald die Deckspelze nicht, bald dieselbe weit überragend angiebt. Diese Insertion und Länge der Granne bei C. phragmitoides bezeichnet er als das sicherste Merkmal zur Unterscheidung dieser Art von C. lanceolata, deren Granne er als äusserst fein und kurz und fast stets an der Spitze der Deckspelze entspringend beschreibt. Auch mein hochverehrter Freund, Herr Oberstabsarzt Dr. Torges, bezeichnet den Ursprung der Granne bei ©. phragmitoides nicht als regel- mässig terminal, sondern als sehr wechselnd; wie er mir brieflich mitteilt liegt derselbe nach seinen Beobachtungen ebenso häufig unter der Spitze (im oberen !.—'/,) als an der Spitze (im Grunde des Spaltes), seltener bei G. '/2, sogar (sehr selten) unter der Mitte bis bei '/, der Höhe der Deckspelze. Nach Ascherson und Graebner ist bei ©. lanceolata die Granne sehr kurz, kaum 1 mm lang und überragt die Seitenspitzen der Deckspelze nicht oder nicht viel, während bei ©. phragmitoides die Granne die Seitenspitzen meist wenigstens um die Länge derselben überragt. Schon in der 1. Auflage der kritischen Flora von Schleswig-Holstein habe ich angegeben, dass die Granne bei O©. lanceolata zuweilen erheblich länger ist und bis fast /, der Länge der Deckspelze betragen kann. Solche Formen sind im Gebiet der Flora von Schleswig-Holstein sehr ver- breitet und haben vielleicht die irrtümliche Angabe des Vorkommens der Arundo Pseudophragnites Hall. fil. (C. litorea DC.) bei uns veranlasst. Bekanntlich rührt die erste Angabe dieser Pflanze aus unserem Gebiet von Nolte her, der dieselbe bei Falkenhusen unweit Lübeck beobachtet haben wollte und diese Beobachtung in die Novitiae florae holsaticae aufnahm. Er beschreibt hier die Pflanze als: »affinis A. Calamagrosti L., omnibus tamen partibus major et validior.« Später sind von ihm bei Kiel, von Hansen bei Schleswig und Flensburg Exemplare gesammelt worden, die im Kieler Herbarium liegen und teils von Nolte, teils von Hansen als Arundo Pseudophragmites Hall. fil. bestimmt worden sind. Wohl zweifellos ist auch die Bestimmung der Hansenschen Exemplare von Nolte als richtig anerkannt worden, da Hansen solche Pflanzen in seinem: Herbarium der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Flora als Arundo Pseudophragmites Hall. fil. ausgegeben hat. Denn Hansen pflegte alle kritischen Pflanzen vor der Ausgabe Nolte vorzulegen. Aber in allen diesen Pflanzen konnte ich nur C©. lanceolata, mit einer die Seiten- spitzen der Deckspelze mehr oder weniger überragenden Granne erkennen, nur die bei Wattschaukrug in Angeln von Hansen gesammelten Exemplare gehörten zu C. villosa. Diese sind aber von Hansen im Herbar der Schl.- Holst.-Lauenb. Flora nicht ausgegeben worden. Sollte lediglich die etwas längere Granne die Bestimmung der Pflanzen als Arundo Pseudophragmites Hall. fil. begründet haben, so ist es immerhin auffällig, dass manche der von Nolte und Hansen richtig als Arundo Calamagrostis L. (C. lanceolata Rth.) bestimmten Exemplare gleichfalls diese längere Granne zeigen. Übrigens zeigt die Abbildung der Arundo Calamagrostis in Schraders Flora germanica I Tab. 4, Fig. 4 eine Granne, welche '/, der Länge der Deckspelze erreicht und die sehr kurzen Seitenzähne um fast das 4 fache überragt. Nun habe ich im Sommer 1902 an einem quelligen Waldabhange bei Stokkerhoved unweit Hadersleben eine Calamagrostis lanceolata gefunden, bei der die Länge der Granne alle meine bisherigen Beobachtungen noch übertraf, sie erreichte bis über die Hälfte der Länge der Deckspelze und da die letztere oft tief gespalten und die Granne oft vom Grunde an aufrecht ab- stehend war, so schien auf den ersten Blick eine rückenständige Granne vorzuliegen. Eine nähere Betrachtung liess jedoch deutlich erkennen, dass die Granne endständig im Ausschnitt der Deckspelze entsprang und auch in allen anderen Teilen stimmte die Pflanze durchaus mit C. lanceolata überein. Namentlich konnte nicht an ©. phragmitoides gedacht werden, obwohl nach der Beschreibung von Ascherson und Graebner Ursprung und Länge der Granne auf diese Art hinwiesen. Denn die Blätter waren schmal (unter 5mm breit), das Blatthäutchen kurz (nicht über 3 mm lang), auch 23 fehlte stets die Verlängerung der Ährchenachse über die Blüte hinaus, welche bei ©. phragmitoides meistens vorhanden ist. Ich habe Torges diese Pflanze vorgelegt, indem ich für diesselbe den Namen var. macrathera in Vorschlag brachte. Torges stimmte mir in der Beurteilung derselben bei und hatte zugleich die Güte mir seine Beobachtungen über Ursprung und Länge der Granne bei ©. lanceolata mitzuteilen: »Der Ursprung der Granne ist an der Spitze der Deckspelze, im Grunde der Spalte, oder (fast ebeno oft) nahe darunter, seltener (meist bei grösserer Tiefe der Spalte) im obersten !/, oder !/,, oder selten und nur an einer gewissen Zahl von Blüten selbst nahe über '!/s der Spelze, (var. hypacrathera Torges). Die Granne ragt entweder etwas über die Seitenspitzen der Deckspelze hinaus und hat dann Y/,o—"/s bis \/, (selten mehr) der Länge der Deckspelze oder sie ist (fast ebenso oft) sehr kurz und überragt die Seitenspitzen nicht, bleibt selbst (namentlich bei tiefer Spalte der Deckspelze) hinter der Länge der Seitenzähne zurück, selten fehlt sie ganz.« Mit dieser Beschreibung stimmen meine Beobachtungen gut überein. In der Regel habe ich die Granne um so kürzer gefunden, je weniger tief die Deckspelze gespalten ist. Oft beträgt die Tiefe der Spalte kaum '/ı; der Länge der Deckspelze und überragt dann die kurze Granne die Seitenspitzen selten um mehr als das Doppelte. Häufig ist sie von der Länge der Seitenspitzen oder selbst etwas kürzer. Bei tiefer Spaltung bis fast zu '/); der Länge der Deckspelze ist die Granne bei uns wenigstens meist länger und überragt mehr oder weniger die Seitenspitzen. Nur bei Exemplaren die ich in Thüringen, namentlich im Schüsselgrund bei der Fröhlichen Wiederkunft sammelte, bleibt die Granne etwas hinter der Länge der Seitenspitzen der tief gespaltenen Deckspelze zurück. Einen Ursprung der Granne etwas unter dem Grunde der Spalte der Deckspelze habe ich wohl auch ‚beobachtet aber selten und nicht constant, sondern nur an einzelnen Blüten emer Pflanze, während die Mehrzahl den gewöhn- lichen endständigen Ursprung der Granne zeigte. Als untere Grenze für die Länge der Granne bei var..macrathera m. dürfte '/, der Spelzenlänge festzusetzen sein. Die Spelze ist meist tief ('/,—"/, ihrer Länge) gespalten, die Granne überragt mehr oder weniger die Seitenspitzen und zwar je nach der Tiefe des Spaltes um das doppelte bis vierfache und erreicht '/, bis über !/, der Länge der Deckspelze (Fig. 1). Bei der Pflanze von Stokkerhoved, die sich durch beson- | ders lange Grannen auszeichnet, ist die Granne, welche die kürzeren Haare überragt und von den längeren nur V wenig überragt wird, mehr oder weniger keulenförmig, vom Grunde meist aufrecht abstehend und da zugleich Fig. 1. die Deckspelze meist tief gespalten ist, so erscheint, wie erwähnt, bei oberflächlicher Betrachtung die Granne rückenständig. Übrigens findet sich zuweilen eine wirklich etwas unterhalb des Spaltes ent- 29 springende Granne (var. hypacrathera Torges) (Fig. 2). ; ) Es mögen daher die Angaben des Vorkommens der C. villosa im norddeutschen Flachlande, namentlich die an der Küste von Holstein bis Pommern nicht nur auf Verwechselung mit dem Bastard C. arun- Fie. 2. dinacea X lanceolata (C. Hartmaniana), sondern auch auf solche Formen von C. lanceolata zurückzuführen sein. Was die Verbreitung der O. lanceolata var. macrathera betrifft, so ist sie im Gebiet der Flora von Schleswig-Holstein häufig, wenn ich sie auch so ausgesprochen wie bei Stokkerhoved sonst nirgends gesehen habe. Aber auch in anderen Teilen Deutschlands, namentlich in Pommern und Mecklenburg sammelte ich Exemplare, die hierher gehören, und dürfte die Form wohl weiter verbreitet sein. Ebenfalls bei Hadersleben und zwar im Pamhoeler Walde beobachtete ich im Juli 1902 eine Calamagrostis lanceolata mit rispentragenden Ästen. 3ekanntlich ist C. lanceolata durch den fast stets ästigen Stengel aus- gezeichnet, eine Form mit rispentragenden Ästen scheint jedoch noch nicht beobachtet zu sein und bezeichne ich sie als f. ramiflora. Übrigens ist auch bei C. villosa ein ästiger Stengel keine Seltenheit und jedenfalls ist es wohl nicht ganz richtig, wenn Ascherson und Graebner in der Synopsis der mitteleuropäischen Flora als Unterscheidungs- merkmal der ©. villosa von ©. lanceolata durch gesperrten Druck hervor- heben: »Stengel einfach, unverzweigt.< In hervorragendem Grade ästig sind u. a. die Exemplare von Wattschaukrug in Angeln, eine Unterforn seiner var. densa mit stark verzweigtem Stengel (f. ramosissima) beschreibt Torges (Mitt. der Thür. Bot. Ver. N. V. VII S. 22). Nicht selten beobachtete er bei dieser Form rispentragende Äste (f. ramiflora). Auch von Ü. epigeios habe ich im Sommer 1902 eine f. macrathera beobachtet und zwar am hohen bewaldeten Ufer des Ratzeburger Sees zwischen Römnitz und Kalkhütte. Die in der Mitte des Rückens der Deckspelze entspringende lange Granne reicht fast bis zur Spitze der Hüllblätter, ja überragt sie sogar in seltenen Fällen ein wenig. Im Übrigen bietet diese Form von der typischen nichts Abweichendes, namentlich ist die Rispe deutlich geknäuelt-lappig. Sicherlich steht sie jedoch der von Torges (Mitt. d. Thür. Bot. Ver. N. F. XVI. S. 31 1901) beschriebenen var. pseudoacutiflora nahe, deren Beschreibung lautet: forma panicula vix lobata, valvis rectis (nee subfalcato arcuatis) sublatioribus mollioribuque quam in typo, arista longa ad valvae inferioris apicem usque vel paulo ultra eum pertinente.« Eine Verwechselung auch der Ratzeburger Pflanze mit C. arundinacea X epigeios (Ü. acutiflora) 30 wäre immerhin möglich, ich selbst habe im ersten Augenblick, als ich die lange, zuweilen die Spitze der Hüllblätter erreichende oder selbst ein wenig überragende Granne sah, an diesen Bastard gedacht, doch liessen die langen Schwielenhaare und der fehlende Achsenfortsatz die Zugehörig- keit zu C. epigeios nicht zweifelhaft erscheinen. ©. acutiflora ist überhaupt bisher im Gebiet der Flora von Schleswig- Holstein nicht festgestellt worden, obwohl das Vorkommen dieses Bastardes im Lauenburgischen, wo ©. arundinacea hin und wieder zahl- reich auftritt, erwartet werden kann. Die Angabe bei Ascherson und Graebner Synopsis Bd. II, S. 219: »Lauenburg: Mölln (Prahl br.)« beruht auf einem Irrtum meines hochverehrten Freundes Ascherson, ich habe diese Mitteilung ihm nicht gemacht, wohl aber die Hoffnung ausgesprochen, dass die Auffindung auch dieses Bastardes in der Gegend von Mölln noch gelingen werde. Von Calamagrostis-Bastarden haben wir bisher (abgesehen von ©. baltica) im Gebiet der Flora von Schleswig-Holsteim nur ©. arundinacea X lanceolata (©. Hartmaniana), welche von Friedrich am Schmalsee bei Mölln entdeckt wurde. Nicht unerwähnt will ich jedoch eine Form lassen, welche ich im September 1895 ebenfalls am bewaldeten Ufer des Schmalsees beobachtete und welche ich geneigt war für eine ©. epigeios X lanceolata zu halten. Die Pflanze, ein grösserer Stock, stand auf einem vom moorigen Ufer abgelösten und in den See hinein, über die Wasserfläche jedoch 20—30 em hervorragenden Bodenstück, einer sogenannten Bülte, und fiel mir, abgesehen von diesem für ©. epigeios ungewöhnlichen Standorte, namentlich durch schlaffe, zuweilen ein wenig überhängende, weniger deutlich gelappte Rispe, die schmalen Blätter und die zahlreichen, mit langen, z. T. em- gerollten Blättern versehenen, nicht blühenden Stengel auf. Sie war etwas graugrün gefärbt, die Untersuchung ihrer Blütenteile ergab im Wesent- lichen Übereinstimmung mit ©. epigeios. In unmittelbarer Nähe, auf dem buschigen, etwas moorigen Ufer standen ©. lanceolata und C. Hart- maniana, wenige Schritte davon entfernt, auf dem ansteigenden Waldboden Ü. epigeios. Ich habe die Pflanze seinerzeit sowohl Ascherson als auch Torges vorgeleet. Ersterer schrieb mir auch er halte die hybride Abstammung nicht für unwahrscheinlich, er habe noch nie so schmale Blätter und eine so schlaffe Rispe bei €. epigeios gesehen, Torges aber wollte nur eine schmal- blättrige C. epigeios in der Pflanze erkennen. Ich habe die Sache damit ruhen lassen, zumal, nachdem es mir im folgenden Sommer, als ich blühende Rispen suchte, nicht geglückt war, den Stock wiederzufinden, möglicher Weise war die Bülte (etwa mit dem Eise) abgelöst und verschwunden. sl Nun hat aber Torges in dem neuesten (XVII) Heft der Mitt. des Thür. Bot. Ver. N. F. (1902) den Bastard C. epigeios X lanceolata beschrieben und demselben den Namen ©. Neumaniana gegeben nach dem Gymnasialdirektor Dr. Neuman zu Ystad in Schweden, der ihm eime hieher gehörige Form im März 1902 eingesandt hatte. Diese Form hatte Torges aber anfangs, da sie der ©. lanceolata sehr nahe stand, als C. lanceolata f. var. hypacrathera Torges angesehen, und erst als ihm im Juli 1902 eine von Reinecke bei Erfurt gefundene Pflanze zuging, die weit mehr die Mitte hielt zwischen ©. lanceolata und €. epigeios und die er bald darauf selbst am Standorte beobachten konnte, wurde sein ver- neinender Standpunkt gegenüber der Ansicht Neumans erschüttert und er erkannte die hybride Abkunft sowohl der thüringischen, als auch der schwedischen Pflanze an. Von ersterer, die er als f. intermedia bezeichnet, liefert er eine eingehende, vorzügliche Beschreibung und giebt die Ab- weichungen an, welche sich bei der schwedischen Pflanze (einer f. per- lanceolata) finden. Ich verdanke seiner Güte ein leider etwas dürftiges Exemplar der f. mtermedia von Erfurt, welches allerdings in weit höherem Grade als meine Pflanze von Mölln die Mitte zwischen €. epigeios und €. lanceolata hält und an der hybriden Abkunft nicht zweifeln lässt. Aber damit kann ich noch immer nicht mich völlig überzeugen, dass die Möllner Pflanze wirklich nur eine, vielleicht durch den ungewöhnlichen Standort bedingte, Form von ©. epigeios ist; welcher sie freilich unstreitig sehr nahe steht. Sollte es sich vielleicht mit ihr ebenso verhalten wie mit einer anderen Calamagrostis-Form, die ich in demselben Jahre (Juli 1895) im Berg- walde unweit der Karer Seen südöstlich von Bozen in Tirol gesammelt und als fragliche C. villosa X varia angesehen hatte? Ich legte diese Pflanze auf der Rückreise in Weimar Herrn Oberstabsarzt Dr. Torges vor, welcher sie in demselben Sinne beurteilte. Da sie jedoch der €. varia sehr viel näher stand, so lag immerhin die Möglichkeit vor, dass es sich nur um eine Form dieser Art handele und liessen wir beide die Sache ruhen. Nachdem nun aber Torges im März 1902 eine von Kerner 1870 im Gschnitztale gesammelte und als C. varia bestimmte Pflanze aus dem Wiener Universitätsherbar untersucht hatte, welche die Eigenschaften der beiden Arten €. varia und Ü. villosa so gemischt zeigte, dass sie an der hybriden Abstammung keinen Zweifel liess und eine ausgesprochene f. intermedia darstellte, nahm er meine Pflanze von den Karer Seen wieder vor und gelangte nun zu der Überzeugung, dass unsere ursprüng- liche Bestimmung richtig war und dass diese Pflanze eine f. pervaria des neuen Bastardes darstelle, den er nach mir C. Prahliana zu benennen die Liebenswürdigkeit hatte. Ich halte es, nachdem ich die fragliche Pflanze vom Schmalsee bei Mölln wieder untersucht habe, durchaus nicht für unwahrscheinlich, dass 32 es sich hier um eine ©. epigeios X lanceolata f. perepigeios handelt und gebe von derselben folgende Beschreibung: Stengel kaum stärker als bei ©. lanceolata, die blühenden 1—1,4m hoch, astlos, unter der Rispe etwas rauh, sonst glatt, kahl; Blätter wie die ganze Pflanze etwas graugrün, ihre Scheiden schwach rauh, kahl, ihr Häutchen 6—11 mm lang, spitz, meist stark zerschlitzt, aussen etwas rauh; Spreiten der Blätter sehr schmal, meist nur 4—4,5 und nicht über 5 mm breit, die mittleren der blühenden Stengel ca. 3) cm lang, allmählich in eine grannenförmige Spitze verschmälert, an den zahlreichen nicht- blühenden Stengeln bis 10 cm lang, alle nervig gestreift, etwas starr, beider- seits rauh, kahl oder oberseits sehr schwach behaart, z. T. borstlich zu- sammengefaltet; Rispe 15--24 cm lang, nach der Blüte schmal zusammengezogen, schlaffer, lockerer und weniger lappig als an der typi- pischen C. epigeios, graugrünlich, ihre Achse und Äste ziemlich dünn; Ährchenstiele !/,—!/, so lang als die kleinen Ährchen; Hüllspelzen meist wenig über 4 mm lang und 5 mm nicht erreichend, in eine durch Zu- sammenfaltung der Seitenhälften gebildete Pfriemenspitze verschmälert, gerade, krautig, etwas derb, im oberen Teile auf den Nerven durch auf- wärts gerichtete Börstchen scharf, graugrün; Haare rings um die Blätter gleichmässig verteilt, bis m das oberste !/a der Hüllspelze und oft fast bis an deren Spitze reichend; Deckspelze '/, bis kaum !/a so lang als die Hüllspelzen, 3—5 nervig, (im letzteren Falle die Seitennerven z. T. sehr zart und kurz), etwa um !/, länger als die Vorspelze; die ziemlich zarte, borstenförmige Granne entspringt etwa in °/; der Höhe der Deckspelze oder wenig höher und überragt den oberhalb ihres Ursprungs gelegenen Teil derselben etwa um das Doppelte, bleibt dagegen fast stets hinter dem oberen Ende der Haare zurück. Die wesentlichsten Unterschiede dieser Pflanze von der Erfurter sind die mehr graugrüne Farbe'!), der astlose Stengel?), die etwas deutlicher eelappte Rispe, die längeren Haare der Ährchenachse und der im all- gemeinen etwas tiefere Ursprung der Granne, alles Merkmale, welche auf nähere Verwandtschaft mit C. epigeios hinweisen. Hoffentlich gelingt es mir, im kommenden Sommer die Pflanze wieder und zwar blühend auf- zufinden, das Verhalten der blühenden Rispe und ihrer Äste konnte ich bisher nicht beobachten. Was C. arundinacea betrifft, so ist diese Art im Gebiet der Flora von Schleswig-Holstein doch weiter verbreitet, als es mir bei Herausgabe der kritischen Flora bekannt war. Im Jahre 1899 ist sie von J. Schmidt ) Die am Schmalsee vorkommende ©. lanceolata gehört der f. canescens, die dort wachsende ©. epigeios der f. Reichenbachiana an. \ *, Übrigens hat auch das mir vorliegende Exemplar der GC. Neumaniana von Erfurt einen nicht ästigen Stengel. (Hamburg) in einem Gehölz bei Burg in Dithmarschen entdeckt worden und Anfang Juni desselben Jahres fand ich in einem Eichenkratt bei Wallsbüll unweit Flensburg ein Gras, dessen Rispen zwar noch nicht entwickelt waren und in den Blattscheiden steckten aber doch schon mit ziemlicher Sicherheit die Bestimmung der C. arundinacea zuliessen. Mit diesem Vorkommen stimmt die Angabe von Lange gut überein, dass die Pflanze hin und wieder in den Heidegegenden Jütlands vorkommt. Nicht nur bei den Arten der Untergattung Deyeuxia, welche Clarion wegen der vorhandenen pinselförmigen Verlängerung der Aehrchenachse über die Einfügung der Blüte hinaus als Gattung abtrennte, findet sich ein solcher Achsenfortsatz, der als das Rudiment der zweiten Blüte zu betrachten ist, häufig ist derselbe als behaartes Stielchen bei €. villosa und C. phragmitoides vorhanden, seltener als mehr oder weniger kahles Spitzchen bei C. epigeios. Aber es findet sich zuweilen auch eine weitere Ausbildung der zweiten Blüte, bald nur in Gestalt der begrannten Deckspelze, bald eine völlig entwickelte Blüte. Diese Beobachtung ist zuerst 1328 von Alexander Braun bei München gemacht worden und zwar an C. litorea, Torges fand eine zweite Blüte an dem Bastard ©. arundinacea X villosa von der Fröhlichen Wiederkunft in Thüringen, Bornmüller an ©. varia vom Sperrbachthal bei Oberstdorf und ich habe dieselbe bei C. villosa ebenfalls von der Fröhlichen Wiederkunft, bei Ü. varia vom Trettachufer bei Oberstdorf und bei C. tenella vom Älple bei Oberstdorf an einzelnen Blüten beobachtet. Berichtigung. Seite 25, Zeile 6 von unten lies Garcke statt Gacke. Seite 29, Zeile 15 von unten lies des statt der. Seite 31, Zeile 7 von oben ist f zu streichen, Seite 32, Zeile 13 und 14 von oben lies typischen statt typipischen. Seite 32, Zeile 19 von oben lies Blüte statt Blätter, Beobachtungen über die Polarisation des Himmelslichtes in Lübeck im Jahre 1902. Von Oberlehrer Dr. G. Sack Lübeck. — a ee — Io Dem Freunde der Natur wird seit dem Mai des vorigen Jahres hin und wieder zur Zeit der Dämmerung eine aussergewöhnlich prächtige rote Färbung desjenigen Teiles der Himmelsfläche aufgefallen sein, welcher der Sonne benachbart ist. Es liegt nahe, jene Färbung dadurch zu erklären, dass die Strahlen der Sonne auf feine Aschenteilchen treffen, die bei den vulkanischen Ausbrüchen auf den westindischen Inseln in die Höhe geschleudert sind und sich m hohen Schichten des Luftmeeres verbreitet haben. Denn die ähnlichen Dämmerungserscheinungen, welche in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beobachtet wurden, sind auf die vulkanischen Ausbrüche zurückgeführt worden, welche 1883 in der Sundastrasse stattfanden. Auch die Polarisation des blauen Himmelslichtes erlitt zu jener Zeit eine erhebliche Störung. Gewöhnlich verhält sich das Licht wie eine Wellen- bewegung, bei welcher innerhalb sehr kurzer Zeit nach allen Richtungen, die senkrecht zum. Strahle sind, Schwingungen stattfinden, ohne eine derselben zu bevorzugen. Als polarisiertes Licht bezeichnet man solches, dessen Schwingungen in einer zum Strahle senkrechten Richtung geschehen. Das blaue Himmelslicht ist mit Ausnahme weniger Stellen, der sogenannten neutralen Punkte, polarisiert. Steht die Sonne unter- halb einer gewissen Höhe über dem Horizont, so kann man zwei solche Stellen erkennen, eine von Arago gefundene, die in senkrechter Ebene oberhalb desjenigen Punktes liegt, welcher der Sonne diametral entgegen- gesetzt ist, und eine andere, von Babinet entdeckte, die sich oberhalb der Sonne selbst befindet. Von 1886 ab mass Prof. Busch in Arnsberg den Abstand dieser beiden neutralen Punkte von der Sonne bezw. dem Gegenpunkte der Sonne und fand, dass sich derselbe von Jahr zu Jahr verringerte. Es schien mir der Mühe wert zu sein, zu untersuchen, wie gross dieser Abstand nach den Ausbrüchen der westindischen Vulkane ist. 38 Zur Auffindung der beiden neutralen Punkte benutzte ich das von Savart ersonnene Polariskop. Dringen nur geringe Spuren polarisierten Lichtes durch dasselbe, so zeigt es geradlinige farbige Streifen. Blickt man durch das Polariskop nach den neutralen Punkten, so sieht man die farbigen Streifen unterbrochen und jenseits der Unterbrechungsstelle in den komplementären Farben fortgesetzt. War ein neutraler Punkt gefunden, so bestimmte ich die Höhe desselben über dem Horizonte mit einem Pendelquadranten. Dies ist ein Brett von der Form eines Viertelkreises. Dasselbe wird senkrecht gehalten, während man längs der einen der beiden geraden Kanten nach dem neutralen Punkte visiert. Ein vom Mittelpunkte herabhängendes Pendel gibt an einer längs der krummen Kante befindlichen Teilung unmittelbar die Höhe des auvisierten Punktes in Winkelgraden an. Bei jeder Messung der Höhe eines neutralen Punktes schrieb ich die Zeit nach einer guten Taschenuhr auf. Der Stand derselben wurde, wie Herr Direktor Dr. Schulze bereitwilligst gestattete, häufig mit einer Pendeluhr der hiesigen Navigationsschule verglichen, deren Stand durch Zeitbestimmungen geprüft wird. So wurde erreicht, dass die Angabe der Beobachtungszeit stets auf 1 Minute sicher ist, eine hinreichende Genauigkeit, wenn man bedenkt, dass die Sonnenhöhe sich in einer Minute um wenig mehr als 0°.ı ändert. Die Zeitangaben waren zur Berechnung der Sonnenhöhe erforderlich. Diese geschah anfangs nach den Formeln. der Astronomie, seit dem 11. November mit Hülfstafeln: Souillagouet, Tables du Point Auxiliaire. Toulouse 1894. Nicht für jede einzelne von den 3 bis 17 Beobachtungen, die an demselben Vor- oder Nachmittage gemacht wurden, ist die Höhe besonders berechnet worden, sondern nur für Zeitpunkte, die etwa 30, höchstens 40 Minuten auseinander liegen. Für die Zwischenzeit ist eine gleichmässige Änderung der Höhe mit der Zeit angenommen worden, wodurch eine Ungenauigkeit von höchstens 0°.ı entsteht, die für den vorliegenden Zweck nicht von Belang ist, da ja die Höhe der neutralen Punkte nur in ganzen Graden gemessen wurde. 3eobachtet wurde an folgenden Tagen: Bept-u25 N4,2I:N. Ayu3oHN, Oktal2 EN SB NV Na NEN MI Nav 1a el a BERNIE V. HN IPB New EINE Nov. .WaN.H6ıN., HU NWB., > 11V, 16.N LT N. Vi519 Manege NESBRRl2uNEB I 23 Dez. 5 Dabei bedeutet V. Vormittag, N. Nachmittag, A. gibt an, dass nur der Aragosche, B., dass nur der Babinetsche Punkt beobachtet worden ist, während sonst beide beobachtet wurden. Andere Beobachter haben, soweit mir bekannt ist, nur um die Zeit des Sonnenunterganges den Stand der neutralen Punkte gemessen. Ob derselbe bei Sonnenaufgang ein anderer als bei Sonnenuntergang ist, muss erst eine Fortsetzung der Beobachtungen ergeben. Bei meinen Messungen ergab sich kein gesetzmässiger Unterschied für jene beiden Fälle, so dass ich sämtliche Messungen zur Ableitung der Ergebnisse zusammenfassen durfte. In folgender Tabelle gebe ich diese Ergebnisse, während ich mir die Veröffentlichung des gesamten Beobachtungsmaterials noch vorbehalte. 2 | —nn e | 208 | 5% | 4 5) | Babinetscher Punkt | Aragoscher Punkt | PRIRERE| Mittelwert Höhe der | nl | ne Si | N Hl des Sonne | 2 r I ia Abstandes : | der Abstandes der x in | von dem Z " Beobach- von der Beobach- = Graden | n r Di i ha ’ Gegenpunkte | Ss 2 DO = ) estag St = | ungstage anne in | tungstage dee | Graden * | | | Graden | | | 9.—9.0 | 5 17.6 | — | — 8.8.0 | 5 18.0 Da, 228 = 7.9—1.0 | — | — — | —- ° ; | I'dle j E | = 6.9— 6.0 { 18.5 9) 24.0 © 2 ä | S Er 5990 _— — 5 23.5 E 4. —4.0 | 10 13.3 ul 24.1 = 2.9 3.0 | 11% 21.0 | 11 24.4 = S | Q 2.5—2.0 317 21.5 | 18 | 23.6 1..—1.0 | 20 22.5 Il 23.9 0.9—0.o | 22 23.5 15 23.3 =\ 0.1—1.0 | 23 23-1 20 22.4 N | 20 I 8 a | ee 21. Fr 2.1—3.0 15 22.1 | 115, 216 B 3.1—4.0 16 21.2 | 17 | 23.1 5 4.1—5.0 12 21.3 | 1 | 240 = 5.1—6.0 6 21.4 | “ 27.5 Über die Zahlen der 3. und 5. Spalte bemerke ich noch folgendes. Es kommt vor, dass für eine Zahlengruppe der 1. Spalte mehrere Beobachtungen eines neutralen Punktes von demselben Tage vorliegen. Dann wurde aus diesen zunächst das Mittel gebildet, so dass jeder Beobachtungstag nur einen Wert zur Ableitung des Mittels in der 3. oder D. Spalte lieferte. so habe ich die Ergebnisse nicht in diese Tabelle aufgenommen, weil sie War die Anzahl der Beobachtungstage klemer als 5, 40 durch besondere Witterungsverhältnisse gar zu stark beeinflusst sein konnten. Diese Vermutung ergibt sich z. B. daraus, dass von den 23 Zahlen, deren Durchschnitt 23°.7 beträgt, die kleinste 18°.s (12. Okt. N.), die grösste 37°.ı (12. Dez. N.) ist. Die Zahlen der 3. Spalte zeigen aufs deutlichste, dass auch vom September bis zum Schluss des Jahres 1902 das von Busch 1886 für die Zeit des Sonnenunterganges ausgesprochene Gesetz gilt: »Der Abstand des Babinetschen neutralen Punktes von der Sonne hat seinen grössten Wert im Durchschnitt bei einer Sonnenhöhe von — 0°5 und ist sowohl bei höher als auch bei tiefer stehender Sonne kleiner.« Nicht nur das An- wachsen und Abnehmen der Zahlen stimmt mit den Ergebnissen von 1386 überein, sondern auch ungefähr die Zahlen selbst. Aber die oben erwähnten Schwankungen waren 1902 bedeutend grösser als 1886. Es fragt sich, ob sich dieselben in der folgenden Zeit mehr verlieren. Die Zahlen der 5. Spalte zeigen weniger ausgesprochen, dass der Abstand des Aragoschen neutralen Punktes von dem Gegenpunkte der Sonne um so geringer ist, je näher die Sonne dem Horizonte steht. Während aber 1886 der geringste Abstand bei der Sonnenhöhe — 1°.5 herrschte, war dies 1902 bei —2°.5s der Fall. Allerdings ist zu beachten, dass jener Abstand 1902 bei den Sonnenhöhen von —2°5 und —1°.5 nur einen unbedeutenden Unterschied zeigt. Ausserdem war 1902 der geringste Abstand 1°.5 grösser als 1886. Durch Fortsetzung der Messungen bleibt zu entscheiden, ob sich in den folgenden Jahren die beobachteten Abstände ebenso verändern wie nach 1886. Beiträge zur Kenntnis der Irıchopterenlarven. Von Dr. Rudolf Struck. Lübeck. \ Ne AR Er) % SE % „ RL \ BB . Im, DI Seitdem ich vor drei Jahren ein Verzeichnis der in der näheren Umgebung Lübecks beobachteten Trichopteren angegeben und die Larven- gehäuse ihrer Larven beschrieben habe'!), sind mir noch weitere hier lebende Imagines dieser Insektenordnung — ausser der Imago der damals bereits angeführten Rhyacophilidenlarve Agapetus fuscipes Ct. bekannt geworden, nämlich:. Neuronia ruficrus Scop, Neuronia reticulata L, Limnophilus vittatus F und Limnophilus griseus L, so dass die Gesamt- zahl der hiesigen Trichopterenimagines sich nunmehr auf 60, die der Larven auf 56 beläuft. — Obwohl die Kenntnis der Letzteren und ihrer Metamorphose gerade in den letzten Jahren, hauptsächlich durch Fr. Klapälek°) und neuerdings auch durch G. Ulmer?) in bedeutender Weise gefördert worden ist, sind doch von den hiesigen Larven 17 Arten bisher grösstenteils noch garnicht, eine kleine Anzahl von älteren Autoren nur kurz geschildert worden. Eine Beschreibung derselben dürfte daher am Platze sein und soll im Folgenden, soweit es erforderlich ist, in detaillierter Weise vorgenommen werden. Hierbei beabsichtige ich gleich- zeitig, von der Erwägung ausgehend, dass es auf Grund der bislang veröffentlichten Beschreibungen nur unter Zuhilfenahme schwieriger und zeitraubender morphologischer Detailuntersuchungen möglich ist, die Larven sicher zu determinieren, zu untersuchen, inwieweit es angängie !) »Lübeckische Trichopteren und die Gehäuse ihrer Larven und Puppen«, in »Das Museum zu Lübeck«. 1900, (im Folgenden mit Str. I bezeichnet); siehe auch: R. Struck, Neue und alte Trichopteren-Larvengehäuse in der »Illustrierten Zeitschrift für Entomologie«, Bd. 4, (Str. ID) und »Über einige neue Übereinstimmungen zwischen Larvengehäusen von Trichopteren und Raupensäcken von Schmetterlingen, sowie über einige Schutzähnlichkeiten bei Trichopterenlarvengehäusen«, in der »Illustrierten Wochenschrift für Ento- mologie«, Bd. I, (Str. II. Metamorphose der Trichopteren. Bd. I und II. 1888 und 1893, und zahlreiche 157 ni andere Arbeiten. ) »Beiträge zur Metamorphose der deutschen Trichopteren«, in der Allgem. Zeitschrift für Entomologie, Band VI. 1901. (U. I) und Band VII 1902. (U. II), sowie »Weitere Beiträge zur Metamorphose der deutschen Trichopteren«, in,der Stettiner entomolog. Zeitschrift 1903; (U. IID. 44 und gerechtfertigt erscheint, ausschliesslich mit: Hülfe der — wie die Beobachtung lehrte — bei vielen Arten sehr charakteristischen Kopf- und Brustzeichnungen, oder — mit gleichzeitiger Berücksichtigung nur einiger weniger anderer morphologischer Merkmale, — eine genügend sichere Bestimmung der Larven der verschiedenen Trichopterenfamilien mit Aus- nahme der der Hydroptiliden herbeizuführen. — Um diese Untersuchungen möglichst vollständig zu gestalten, werde ich sie nicht nur auf unsere einheimischen Larven beschränken, sondern dieselben auch auf eine grösserer Anzahl auswärtiger, die mir Herr Professor Fr. Klapälek in Carolinenthal bei Prag und Herr G. Ulmer in Hamburg in dankens- wertester Weise zur Verfügung stellten, ausdehnen. Für die, allen dieser Arbeit beigegebenen Abbildungen — mit Aus- nahme der Abbildungen No. 6—11 der Tafel IV, welche nach Zeichnungen des Herrn Lehrers H. Zetzsche-Hamburg angefertigt wurden — zu Grunde liegenden Zeichnungen, bin ich Herrn Lehrer K. Strunck, hier- selbst, der dieselben nach meinen Entwürfen und Angaben mit grosser Sorg- falt und vielem Fleisse hergestellt hat, zu herzlichem Danke verpflichtet! I. Phryganeidae. 1. Phryganea minor. Ct. Die kurze Beschreibung Kolenati’s!) »Larva viridescenti-alba, capite cum pronoto flavo, capite macula media postice latiori, vittis duabus ad oceiput conniventibus brunneis et lateribus brunneo-punctatis, pronoti margine antico brunneo, coxis cruce et margine piceo« bedarf mn mancher Hinsicht einer Ergänzung. ° Die raupenförmige Larve ist von 17—18 mm Länge und am breitesten Körperteile, dem ersten Abdominalsegmente, etwa 2 mm breit. Von den drei Thoracalsegmenten besitzt der Prothorax denselben Breiten- durchmesser wie der Kopf; der Meso- und Metathorax übertreffen ihn und einander stufenweise an Breite. Die Abdominalsegmente verschmälern sich nach dem hinteren Körperende zu bis zum achten Segmente nur sehr allmählig. Das neunte?) Segment ist aber nur so breit wie der ') Genera et species Trichopterorum. I. Pragae 1848. pag. 87. °) Klapälck lc. 1,1. beschreibt das Trichopterenlarvenabdomen als ein neun- gliedriges, indem er die beiden auf das achte Segment folgenden, durch eine deutliche Striktur voneinander geschiedenen, an Längen- und Breitendurchmesser hinter den übrigen Hinterleibssegmenten zurückbleibenden Segmente als Kines — das Neunte -- auffasst. Wie E. Zander (»Beiträge zur Morphologie der männlichen Geschlechtsanhänge der Trichopteren«, in d. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie LXX, 2. 1901) und A. Martynow (»Über einige eigentümliche Drüsen bei den Trichopterenlarven«, Zoologischer Anzeiger 1901, XXIV. Bd. No. 649) werde ich im Folgenden diese beiden Segmente von einander getrennt halten und als neuntes und zehntes bezeichnen. 45 Prothorax und gleich dem zehnten, dessen hintere Hälfte lateral-anal verbreitert ist, dorso-ventral comprimiert. Der Kopf ist von länglich eiförmiger, dorso-ventral comprimierter Form und von gelber bis gelbbrauner Grundfarbe. Entlang der Gabellinie und ihren beiden Ästen (cf. Klapälek le. I. pag. 1) zieht sich, sich ihnen eng anschliessend, auf jeder Pleura vom Hinterhauptlochsrande bis zur Mandibel- basis eine breite, lateral bis zu den Augen reichende, schwarzbraune Binde. Auf dem Clypeus befindet sich eine, von seiner Spitze bis zur Zwischengelenkmembran reichende, lancett- oder flaschenförmige Figur, welche diesen Kopfteil gewöhnlich nicht völlig ausfüllt, bisweilen jedoch so an Ausdehnung gewinnt, dass zwischen ihr und den Gabellinienbinden — wie ich im Folgenden die eben erwähnten, entlang der Gabellinie und ihren Ästen verlaufenden Binden bezeichnen möchte — nur eine feine Linie der gelben Grundfarbe frei bleibt. Beide Pleurae sind mit Reihen von braunen Punkten bedeckt, welche vom Hinterhauptlochsrande meist bogenförmig auf die Gabellinienbinden und die Augen zu verlaufen. Dadurch dass dieselben aber in einem schmalen Raume entlang den Gabellinienbinden nur sehr undeutlich aus- geprägt und tingiert sind, erscheinen die Letzteren vom Scheitel bis zu den, von einem grossen, hellen Hofe umgebenen Augen von einer schmalen Binde der gelben Grundfarbe begrenzt. — Im Bereiche einer schmalen, vom Hinterhauptlochsrande nach dem lateralen Umfange” der Augen- höfe zuführenden Zone, sind die Punkte und die sie umgebende Guticula dunkler gefärbt, sodass daselbst eine schmale verwaschene dunkle Binde sichtbar wird. Dieselbe verschmilzt ventralwärts mit der braunen Grund- farbe der ventralen Oberfläche. Braun tingiert ist endlich auch der Teil der Pleurae, der sich zwischen den Augen und den Mundteilen erstreckt. Die Zwischengelenkmembran ist von gelb-weisslicher Farbe. Von den kräftig prominenten Mundteilen (s. Tafel V, Abb. 1, 2, 3) ist die braune Ober- lippe von quer oblonger Form. Die Vorderecken sind stark, die Seitenränder und der Vorderrand schwach abgerundet; der mediane Teil des Letzteren ist mit einer rundlichen Einbuchtung versehen. Ihre Oberfläche ist glatt. In der Mitte des vorderen Drittels derselben stehen zwei längere haarförmige Borsten. Je eine Borste von gleicher Beschaffenheit befindet sich in der Mitte jedes Seitenrandes und an den Übergangsstellen des Vorderrandes in die seitlichen Ränder. Am Vorderrande gewahrt man ausserdem — deutlich erst bei stärkerer Vergrösserung — 4 zugespitzt stäbchenförmige, leicht gekrümmte helle Börstchen, und zwar je eine auf dem lateralen Teile und zwei in dem eingebuchteten medianen Teile desselben. Alle diese Borsten, die haarähnlichen, sowohl wie die stäbchenförmigen ragen aus hellen rundlichen Öffnungen hervor. An der ventralen Fläche der Ober- lippe befinden sich im vorderen Teile mehrere, paarig angeordnete helle spitze Zäpfchen, sowie an den Seitenrändern und den anstossenden Teilen 46 der Vorderränder ein schwach ausgeprägter Saum heller Härchen. Eine kreisrunde Öffnung, aus der keine Borste hervorragt, befindet sich in der Mitte zwischen den beiden, im vorderen Drittel der Oberfläche stehenden haarförmigen Borsten. Die schwarzbraunen Mandibeln sind in ihrem (hinteren) Grundteile von der Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, in ihren vorderen zwei Dritteln von der Form eines zugespitzten Hohlmeissels, dessen Concavität medial gerichtet, und dessen dorsale und ventrale Schneide mit Zähnen besetzt ist. Neben dem mittleren Zahne, — der Spitze des Meissels — stehen bei der linken Mandibel auf der dorsalen Schneide 3 Zähne, auf der ventralen 2 Zähne; bei der rechten Mandibel auf beiden Schneiden je 2 Zähne. An der medialen Seite der dorsalen Oberfläche jeder Mandibel befindet sich ähnlich wie bei den Mandibeln der Limnophilidenlarven eine kleine Bürste heller Haare. Wie bei den übrigen Trichopterenlarven sind auch bei der Larve von Phr. minor. Ct. die Grundglieder der ersten und zweiten Maxillen zu einem Organ verwachsen!) und bilden die auch in ihren vorderen Teilen miteinander verschmolzenen zweiten Maxillen die Unterlippe, während die in ihren vorderen Teilen nicht miteinander verwachsenen ersten Maxillen fingerförmige Gestalt besitzen und den Maxillartaster (Palpus maxillaris bei Lucas) und den Kieferteil der Maxillen (Lobus externus bei Lucas) darstellen. | Rh Klapälek bezeichnet den Maxillartaster stets als viergliedrig, Lucas als fünfgliedrig, indem er das zwischen der Spitze des Stipes und dem Maxillartaster und dem Lobus externus belegene Stück der hier mit- einander verschmolzenen ersten Maxillen nicht als ein gemeinsames Basal- glied jener wie Klapälek, sondern dessen ‚lateralen Teil als Grundglied (erstes Glied) des Maxillartasters, dessen medianen Teil als basalen Teil des Lobus externus?) auffasst. Schliesst man sich diesen Anschauungen von Lucas an, so ist an- zuführen, dass auch bei der Phr. minor-Larve der Palpus maxillaris fünfgliedrig ist. Die gerade abgesetzte Endfläche seines Endgliedes trägt mehrere zweigliedrige Tasthärchen. Der nicht gegliederte, medial gekrümmte Lobus externus reicht bis zum distalen Ende des vierten Gliedes des Maxillartaster und trägt auf dem unteren Teile seiner medialen Seite ein helles Sinneshaar und an 1) Vergl. Klapälek |. ec. I pag. 2 und besonders Lucas, Beiträge zur Kenntnis der Mundwerkzeuge der Trichopteren, in Wieemanns Archiy für Natur- geschichte 59. Jahrg., I. Band, pag. 288 u. folgende. ”) »Der Lobus externus ist an der Basis zu einem dorso-medial gerichteten Kissen umgewandelt, : a7 der geraden abgestumpften Spitze mehrere zweigliedrige Haare. — Sein Basalteil ist an der medialen Seite mit spärlichen hellen Haaren, zwischen denen zwei weitere helle Sinneshaare stehen, besetzt. Das Labium ist von schlanker, kegelförmiger Gestalt und trägt zu beiden Seiten seiner Spitze je einen zweigliedrigen Taster, dessen distales Glied länger und dünner ist als das breite und gedrungene basale Glied Der Hypopharynx ist mit 5 Paar langen braunen Borstenhaaren versehen. Wie bei der Phr. striata-Larve und allen anderen bisher bekannt sewordenen Phryganeidenlarven ist von den Brustringen nur der Prothorax mit einem, seine dorsale Oberfläche schirmenden Chitinschilde bedeckt. Dieses Schild. reicht lateral beiderseits bis zu einem der seitlichen Brustwand entspringenden plumpen conischen Höcker, an welchem sich das erste Beinpaar inseriert. Auch die beiden anderen Beinpaare sind nicht unmittelbar wie bei anderen Insektenlarven, z. B. den der Odonaten der seitlichen Thoraxwandung eingelenkt, sondern werden ebenfalls von solchen an- scheinend bei den Larven aller Trichopterenfamilien wiederkehrenden und am prägnantesten bei den Leptoceridenlarven ausgebildeten — Fort- sätzen gestützt. Bei der Phr. minor -Larve sind diese nicht von beson- derer Grösse und daher nicht so auffällig wie bei Phr. striata, bei der sie sehr kräftig entwickelt und gut zu beobachten sind. Diese Stützfortsätze, wie ich die Höcker im Folgenden bezeichnen möchte, sind mit noch zu schildernden Chitinplättchen — welche mit den von Klapälek mehrfach erwähnten (l. c. II, 82, 90, 92 u. s. £) und abgebildeten (l. c. II, 93) Stützplättchen der Füsse identisch sind — bedeckt. Das Pronotum ist an den Vorderecken abgerundet und am hinteren Rande mit einem erhabenen, breiteren, dunklen, in der Mitte tief oral- wärts eingebuchteten, an den geraden Seitenrändern von einem sehr schmalen, flachen, dunklen Saume umgeben. Die Farbe desselben ist bei älteren Individuen eine völlig dunkel- braune; bei jugendlichen Tieren sieht man bei stärkerer Vergrösserung aber in den seitlichen Teilen der bei ihnen heller gefärbten Oberfläche Gruppen von dunklen Punkten stehen. Von etwa der Mitte des Seitenrandes zieht sich bis nicht ganz zum Mittelpunkte des postsegmentalen Randes beiderseits über die Oberfläche des Pronotums eine etwas erhabene, stärker chitinisierte Leiste. An der Unterseite des ersten T'horacalringes steht zwischen den Beinen ein hellfarbiger, spornartiger Fortsatz. Derselbe war bereits Reaumur bekannt und ward von ihm als die Spinndrüse angesehen, 48 Pictet') erwähnt ihn ebenfalls mit dem Bemerken, dass er nur bei den »Phryganes propress — unter welchen Begriff Pictet, wie bekannt sein dürfte, sowohl die Phryganeidae als auch die Limnophilidae rubrificierte — vorkäme. Von neueren Autoren erwähnt nur Mac’ Lachlan diesen Fort- satz und zwar führt er in seinem Werke »Trichoptera britannica«, pag. 14 und 22 an, dass er sowohl bei den Phryganeidaelarven als auch bei den Linnophilidaelarven vorhanden ist, während er in seinem Werke »Trichoptera of the European Fauna« ausdrücklich hervorhebt, dass er bei Letzteren fehlt. Ich fand diesen eigenartigen Appendix, dessen physiologische Be- deutung einstweilen noch unbekannt bleiben muss, nicht nur bei allen zur Familie der Phryganeidae gehörenden Larven, sondern auch bei allen Limnophilidenlarven, soweit ich diese daraufhin untersucht habe. Der Stützfortsatz des Prothorax ist mit zwei Stützplättchen bedeckt, von denen das eine von dreieckiger Form ist und das andere die Gestalt eines breitschenkelisen Winkels besitzt, dessen einer Schenkel in einem oralwärts frei weg ragenden Fortsatz verlängert ist, während der andere sich um den vorderen Umfang des Stützfortsatzes auf die Medianseite desselben herumzieht. Meso- und Metathorax sind beim lebenden Tiere von graugrüner Farbe und in gleicher Weise sowie es Figur 1, Tafel I — bei der Larve von Phr. striata — zeigt und wie es auch alle übrigen Larven derselben Familie aufweisen, mit aus gelblichweissen Punkten oder Strichen be- stehenden Zeichnungen verziert. Bei der Larve von Phr. minor sind diese Zeichnungen jedoch meist viel weniger deutlich ausgeprägt als z. B. bei der Larve von Phr. striata L. oder der von Agrypnia pagetana (Ct. Zum Teil fallen die Zeichnungen auf beiden Segmenten zusammen mit 3 seichten Furchen, welche in bogenförmigem Verlaufe über die Segmentsoberfläche dahinziehen und zwar die eine von einer Vorderecke zur anderen Vorderecke, die beiden anderen von je einer Vorderecke zur Hinterecke derselben Seite desselben Segments. In dem vorderen Drittel des Meso- und Metathorax befindet sich nahe dem Seitenrande je eine chitinisierte warzenförmige Erhabenheit, mit mehreren langen Borstenhaaren, und ferner in der Mitte des vorderen und hinteren Drittels beiderseits symmetrisch zur Medianlinie je ein chitinisierter, punktförmiger Fleck mit einer längeren Borste. Die braunen Stützplättchen des zweiten und dritten Beinpaares sind von der Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze dorsal, dessen Basis ventral gerichtet ist. Die oralen und ventralen Schenkel derselben sind schwarz !) Recherches pour servir a l’histoire et a l’anatomie des Phryganides. Geneve 1834, pag. 40, 49 tingiert und setzen sich als feine dunkle Linien über ihre Schnittpunkte hinaus auf die übrige Oberfläche der Stützfortsätze fort. Wie auch sonst bei den Trichopterenlarven ist das erste Beinpaar als Greiforgan ausgebildet und seine einzelnen Teile daher, besonders der Femur und die Tibia kürzer, gedrungener und breiter gestaltet als die entsprechenden Glieder der anderen Beinpaare. Das dritte Beinpaar, dessen Glieder am schlankesten sind, übertrifft die beiden anderen an Länge. Die chitinisierten Teile der Glieder aller Beinpaare sind im allgemeinen von gelb-bräunlicher Farbe, nur die Aussenseite der Coxae ist ersichtlich dunkler und die Gelenkenden der Hüften, Schenkelringe, Schenkel und die oberen Gelenkenden der Schienen sind braunschwarz tingiert. Die Klauen aller Beinpaare sind kräftig gebogen, schlank und überall mit einem Basaldorne ausgerüstet, der am hintersten Paare am schwächsten ausgebildet ist. An den Tibienenden aller Beine steht ebenfalls ein kräftiger Dorn. Die innere Kante der Trochanter, die der Femora und der Tibien ist bei allen Beinen, die des Tarsus am zweiten und dritten Beinpaare mit einem Kamme zahlreicher gleichgrosser Borsten besetzt. An derselben Stelle stehen an allen Oberschenkeln ausserdem drei längere steife Borsten, und endlich finden sich an allen Beingliedern, abgesehen von den Tarsal- gliedern und den Klauen noch vereinzelte lange, dunkle Haare. Die Farbe des Abdomens ist im Leben grasgrün. Die Ringfurchen zwischen den einzelnen Segmenten desselben sind stark ausgeprägt. Der erste Abdominalring trägt an seinen Seiten je einen gedrungenen, stumpf- kegeligen Höcker. An Stelle des Rückenhöckers ist nur eine schwache Hervorwölbung vorhanden, zu deren Seiten je eine längere dunkle Haar- borste steht. Im vorderen Drittel befinden sich auf der dorsalen Oberfläche des zweiten bis achten Abdominalsegmentes je zwei kreisförmige kleine helle Flecke ohne Haare und im hinteren Drittel je zwei längere Haarborsten symmetrisch zur Medianlinie. Der mediane Teil des postsegmentalen Randes der Rückenschuppe des neunten Segmentes ist analwärts in einen kurzen stumpfen Fortsatz verlängert, der mit einem chitinisierten Schilde von der Form eines — um einen Klapälek’schen Ausdruck zu gebrauchen — symmetrischen Pentagons, das in der analen Hälfte heller braun als in der oralen ist und auf seinem hinteren Rande 4 lange, schwarze, steife Borsten trägt, bedeckt ist. Die Cutieula der Rückenoberfläche des zehnten Segmentes ist eben- falls durch zwei gelbbräunliche, oblonge Chitinschildchen verstärkt, welche medianwärts nicht bis zur Analspalte reichen und auf dem hinteren Rande drei steife lange Borsten tragen. Die Klauen der zweigliedrigen Nachschieber sind mit zwei Rückenhäckchen versehen (s. Tafel V. Abb. 4). 4 50 Seg- | Unter| Auf |Ueber mente| der Seitenlinie | I | II Ill I ' Ehe | | | Die sog. Seitenlinie ist als ein . I] | schmaler heller, mit spärlichen dunklen 1 | | | Haaren bedeckten Wulst, der ın der W | ' | ventralen Medianlinie vom zweiten bis. N | | | achten Segmente verläuft, entwickelt. £ | | Die weisslichen Kiemenfäden stehen ein- \ | | | zeln in der Anordnung wie das neben- 7 | een stehende Schema zeigt. | | | Sale | | | | | VI Die Nymphe ist 12—13 mm lang und ca. 3 mm breit. Ihr gelb- bräunlich gefärbter Kopf ist von querovaler Form. Auf der firstartig vorspringenden Stirne stehen zwei Paar und auf dem Scheitel zwei längere Borsten. Die fadenförmigen, gegen das distale Ende hin sich verjüngenden Fühler reichen bis zum postsegmentalen Rande des fünften Segments. Ihr Grundglied ist plumper und erheblich länger als die einzelnen übrigen Glieder. Die gelbliche Oberlippe ist von quadratischer Form, im vorderen Teile etwas breiter als im hinteren. Ihre Vorderecken und der vordere Rand sind nur ganz schwach gerundet. In den seitlichen Teilen des vorderen Drittels der dorsalen Oberfläche steht jederseits eine Gruppe von 5 steifen, dunklen Borsten, ferner am Vorderrande in gleichem Abstande von der dorsalen Medianlinie je eine kürzere Borste und in der Mitte der Oberfläche, nahe den lateralen Rändern beiderseits je zwei längere Borsten, (s. Abb. 5. Tafel V). Die braungelblich gefärbten Mandibeln sind in ihrem (hinteren) Grundteile von der Gestalt einer dreiseitigen stumpfen Pyramide, deren Eeken abgerundet sind und in ihrem vorderen Teile von der Gestalt einer Sense, die auf ihrer Schneide mit zahlreichen feinen Zähnchen versehen ist. Auf der lateralen Fläche ihres basalen Teiles stehen auf einem kleinen Höcker zwei längere Borsten, Abb. 6. Tafel V. Die Palpi maxillares sind viergliederig, das dritte Glied am kürzesten, die übrigen gleich lang und schlank. Die Labialtaster dreigliederig, kurz und plump, besonders das Grundglied. 51 Die Rückenschilder der Thoracalsegmente zeigen eine bräunliche Färbung. Die Flügelscheiden, deren Apices parabolisch gestaltet sind, reichen bis zur Mitte des fünften Segmentes. Spornzahl der Beine 2, 4, 4; die Tarsalglieder aller Beine, am stärksten die des zweiten Paares, sind mit dunklen Wimpern besetzt. Die lateralen Ränder der Rückenschilder der Abdominalsegmente sind dunkler bräunlich tingiert als die übrige gelbbräunliche. Oberfläche; die der Bauchschilder durch feine dunkle Chitinleisten begrenzt. Der postsegmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Abdominal- gliedes ist in analer Richtung verlängert und in seinem medianen Teile mit einem runden hohllöffelartigen Anhange, dessen Concavität dorsal gerichtet ist, versehen, Abb. 7, Tafel V. Die dorsale Oberfläche des 3. bis 7. Segments incl. trägt nahe dem praesegmentalen Rande zwei sym- metrisch zur Medianlinie stehende braune Chintinplättchen mit dunklen, analgerichteten Häkchen, und zwar auf dem dritten Segmente mit 4-5 Häkchen. >» vierten » > h) » » fünften » » 3 » » sechsten » » 4 5 » » siebenten » » 5 y Das fünfte Segment ist ausserdem auf der Oberfläche seines in analer Richtung in nahezu ihrer ganzen Breite verlängerten Rückenschuppe, nahe dem postsegmentalen Rande mit zwei grösseren Chitinplättchen mit acht oralgerichteten Häkchen ausgerüstet. Klapälek bezeichnet in seinen Schriften diese Organe, den Fortsatz des ersten Segmentes und die häkchentragenden Chitinplättchen der übrigen Glieder kurzweg als Haftapparat der Puppe. Wie aber bereits Pictet l. c. pag. 53. angegeben, und wie die Beobachtung am lebenden Tiere lehrt, dient dieser Apparat den Larven nicht nur dazu, um sich an die Wandung des Gehäuses zu fixieren und dadurch eine bestimmte Stellung und Lage innehalten zu können, sondern ebenso wie den Psychiden-!") und zahlreichen Tineidenpuppen, um innerhalb des Gehäuses Bewegungen auszuführen und um am Schlusse ihrer Puppenruhe dasselbe zu verlassen. Die analgerichteten Häkchen ermög- lichen der Puppe sich vorwärts, die oralgerichteten sich rückwärts zu schieben. Die Häkchen würden sich aber gegenseitig in ihrer Funktion behindern, wenn es nicht der Larve möglich wäre, bei Vorwärts- bewegungen die oralgerichteten, bei Rückwärtsbewegungen die anal- gerichteten auszuschalten. Das ist aber in der Tat der Fall, denn einmal Y) Standfuss, Beobachtungen an den schlesischen Arten des Genus Psyche (Schrank) und Versuch einer Systematik sämtlicher, der europ. Fauna an- gehörenden, Vertreter dieses Genus. Inaug. Dissertation. 1879, pag. 14. 4* 52 sind die einzelnen Segmente übereinanderstülpbar wie die einzelnen Teile eines Teleskopes. Hierdurch gelangen die an den präsegmentalen Rändern befindlichen Häkchen bei Rückwärtsbewegungen unter die postsegmen- talen Ränder der vorangehenden Segmente Die Rückenschuppe des 5. Segmentes ist, wie bereits erwähnt ward, analwärts in nahezu ihrer ganzen Breite verlängert, wodurch es möglich wird, diesen verlängerten Teil, der die oralwärts gekehrten Häkchen trägt, bei Vorwärtsbewegungen in ventral-oraler Richtung unter die übrige Fläche derselben Rücken- schuppe zu stülpen. Der Fortsatz des ersten Abdominalsegments, dessen eigenartige Aus- bildung bei der Puppe von Phr. minor Ct. sehr von der sonst üblichen (vgl. Tafel V Abb. 10, 17,19) Form und Ausbildung abweicht, verdient mehr als die Häkchen des 5. Segments: die Bezeichnung eines Haftapparates. Er ist, wie mich ebenfalls die Beobachtung an lebenden Larven lehrte, auf- und nieder- stülpbar und ist sein Zweck einmal, das bei den Bewegungen gewonnene Resultat, sobald die Häkchen nach vollzogener Bewegung ausser Funk- tion treten, zu fixieren. Er bildet ferner bei ruhiger Lage der Puppe den Stütz- und Angelpunkt, um den die Puppe die undulierenden Bewegungen, welche sie zur Erneuerung des Wassers in ihrem Gehäuse ausführt, mit den Abdomen vollzieht. Die Seitenlinie beginnt am vierten Abdominalsegmente in der Höhe der lateralen Medianlinie und verläuft als ein schmaler, mit feinen braunen Haaren besetzter Wulst, sich über die folgenden Segmente in ventral-analer Richtung hinziehend, bis zur Mitte des post- segmentalen Randes der Bauchschuppe des achten Segments. Die weisslichen Kiemenfäden stehen in ähnlicher Anzahl und in ähnlicher Anordnung wie bei den Larven auf den Lateralmembranen des Abdomens. Das letzte Hinterleibssegment endet in zwei massive, flache oblonge Fortsätze, die am Übergang ihres analen Randes in den medialen Rand mit einem kräftigen, zapfenförmigen Fortsatze ausgerüstet sind. Auf der abgerundeten Übergangsstelle des analen in den lateralen Rand, tragen dieselben 3 lange, und auf der Mitte ihres Dorsums je eine längere dunkle Borste. Auf der ventralen Oberfläche des Grundteiles desselben Segmentes stehen vier Borsten, davon zwei auf warzenförmigen Wülsten, und in der Mitte der dorsalen Oberfläche beiderseits symmetrisch zur Mittellinie je drei Borsten, Abb. S Tafel V. In meiner oben erwähnten Arbeit (Str. II) hatte ich im Gegensatz zu Kolenati, nach dessen Beschreibung die Larve von Phryganea minor Ot. sich ihr Gehäuse in gleicher Weise wie ihre Artgenossen nach Baustil VII her- stellt, angegeben, dass diese Larve sich Köcher aus kleinen, ungleich grossen, unregelmässig umrandeten Blattstückchen, welche parallel zur Se Längsachse des Rohrs, teils mit den Begrenzungslinien aneinanderstossend, teils sich dachziegelartix deckend angeordnet sind (Baustil Il), verfertigen. Neuerdings habe ich nun auch Larven-Gehäuse von Phr minor. Ot. ge- funden, welche Kolenati's Angabe bestätigen, doch sind solche Köcher weitaus seltener als die nach Baustil II verfertigten. Von den Gehäusen von Phryganea striata L. wird übereinstimmend von älteren und neueren Autoren angegeben, dass sie nach Baustil VII hergestellt werden. Im letzten Jahre hatte ich Gelegenheit zu beobachten, dass diese Larve ebenso wie die von Agrypnia pagetana Üt. gelegentlich prae- formiertes Material, nämlich Schilfstengelfragmente von 45—46 mm Länge und 8 mm Breite, benutzt, und war es mir von Interesse aus der Hagen’schen Arbeit (Beiträge zur Kenntnis der Phryganiden 1875) zu ersehen, dass bereits Rösel (Insekten-Belustigungen I) von einer von ihm beschriebenen Larve einer Phryganea, die Hagen als Phr. grandis ansehen zu müssen glaubt, die aber auch Phr. striata sein kann, angiebt, dass sie sich mit- unter die Arbeit des Gehäusebaues bequemer mache und nur ein ihrer Stärke angemessenes Rohrstück abbeisse und als Gehäuse benutze. Sind der Larve von Phr. striata L. die Schilfstengelfragmente, in welche sie sich hineinbegeben hat, nicht gross genug, oder werden sie ihr beim Heranwachsen zu klein, so vervollständigt sie dieselben, wie mir vor- liegende Köcher zeigen, nach Bauplan VII. Hat sie zufällig ein Schilf- stengelstück zum Gehäuse ausgewählt, welches an einem Ende noch ein unzerstörtes Internodium und damit keine Öffnung besitzt, so stellt sie eine solche durch Ausbeissen eines Loches in dem hinteren Teil der peripheren Wandung her. Ohne auf die interessanten Arbeiten W. Ostwald’s') näher eingehen zu wollen, möchte ich hier nur beiläufig erwähnen, dass ich gelegentlich einer Nachprüfung seiner Experimente es u. A. nicht erreichen konnte, dass die Larven von Phr. striata L. und Agr. pagetana Ct., welche ihrer Gehäuse beraubt waren, aus irgend einem anderen Baumaterial sich neue Köcher ver- fertigten. Die Larven von Phr. minor Ct. hingegen baute, falls ihr nur Sand als Baustoff gegeben ward, hieraus tadellose Köcher nach Baustil 1. 2. Agrypnia pagetana. (t. Die raupenförmige Larve ist 23 mm lang und 3—4 mm breit. Ihr Kopf ist von länglich eiförmiger, dorso-ventral comprimierter Form, von strohgelber Grundfarbe mit folgenden braunschwarzen Zeichnungen: Vom Hinterhauptsloche bis zur Mandibelbasis verläuft auf jeder Pleura ent- lang der Gabellinie und nach ihrer Teilung entlang dem rechten bezw. dem linken vorderen Aste derselben, den Ulypeus einschliessend, aber ", Wolfgang Ostwald, »Experimental-Untersuchungen über den Köcherbau der Phryganeidenlarven« in der Zeitschrift jür Naturwissenschaften, Bd. 72 und »Über die Variabilität der Gehäuse Trichopterenlarven«, ibidem Bd. 74. 54 seine Umgrenzungslinien nicht tangierend, eine meist unregelmässig um- randete schmale, seitlich bis an die Augen heranreichende Gabellinien- binde. Die Mitte des Clypeus nimmt eine von seiner Spitze bis zur Zwischengelenkmembran der Oberlippe reichende, braunschwarze, lancett- förmige Figur ein, die häufig leichte Abänderungen hinsichtlich ihrer Ausdehnung und ihrer Umrisse aufweist. Die Punktreihen sind auf beiden Pleuren bis auf eine, vom Hinter- hauptlochsrande bis dicht an die Augen heranreichende, strichförmige Binde reduciert. Je nachdem die Cuticula in der Umgebung der Punkte weniger oder mehr dunkler gefärbt ist, erscheint dieselbe entweder als hellbräunliche Binde mit eingesprengten dunklen Punkten oder als ge- schlossene, braunschwarze Binde. Auf dem ventralen Teile jeder Pleura verläuft jederseits, nahe am braungelblichen Hypostomum, eine schmale, häufig nur aus einzelnen Punkten bestehende Binde vom Hinterhauptlochsrande bis dicht an die basalen Teile der Unterlippe heran. Alle übrigen Teile der Pleurae und des Clypeus sind von gelber Grundfarbe. Die Mundteile sind kräftig entwickelt: Die Zwischengelenkmembram ist von gelbweisser Farbe und ohne Borsten. Die hellbräunliche Oberlippe ist von queroblonger Form, Taf. V, Abb. 9. Ihre Seitenränder und ihre Vorder- ecken sind abgerundet, ihr Vorderrand mässig tief ausgeschnitten. Ziem- lich in der Mitte ihrer glatten dorsalen Oberfläche stehen zwei Borsten; in der Mitte jedes Seitenrandes und auf den lateralen Teilen des Vorder- randes befindet sich je eine längere Borste. Der mediane Teil des Vorderrandes trägt ausserdem noch zwei Paar stumpfe, kurze, helle Sinneshaare, davon ein Paar in der Einbuchtung, in der Anordnung wie es die Zeichnung zeigt. An der ventralen Fläche der Oberlippe sind im medianen vorderen Teile mehrere Paare helle spitze Zäpfchen, und in den lateralen vorderen Teilen ein Saum heller Börstehen bemerkbar. Die im basalen Teile bräunlichen, an der Spitze braunschwarzen Mandibeln sind von ähnlicher Form wie bei Phr. minor. Ct. Neben dem mittleren — längsten — Zahne stehen auf der dorsalen Schneide der linken Mandibel drei Zähne, auf der ventralen zwei Zähne; bei der rechten Mandibel oben und unten je zwei Zähne. Auf der lateralen Fläche des Grundgliedes der Mandibeln stehen zwei längere, dunkle Borsten. Die Unterlippe ist von gleicher Ausbildung wie bei Phr. minor und zeigt keine bemerkenswerten Eigentümlichkeiten. Von den Thoracalsegmenten ist der Prothorax nur wenig breiter als der Kopf und nahezu um die Hälfte schmaler und kürzer als der Mesothorax. Der Letztere wird wiederum von dem Metathorax im Breitendurchmesser um beinahe die Hälfte übertroffen, während der 55 Längsdurchmesser dieser beiden Segmente annähernd derselbe ist. Nur der Prothorax ist mit einem oblongen, seinen Rücken bis herab zu den Stützplättchen der pleuralen Stützfortsätze reichenden, am praesegmentalen Rande tief analwärts, am postsegmentalen Rande schwach oralwärts ein- gebuchteten, an den Seitenrändern schräg abgestutzten, stark chitinisierten Schilde bedeckt. Das die gleiche Grundfarbe wie der Kopf besitzende Pronotum ist am postsegmentalen Rande und an der hinteren Hälfte der lateralen Rändern mit einem breiten, etwas erhabenen, schwarzbraunen Saume, am Vorderrande und an den vorderen Teilen der Seitenränder mit einem nur schwach ausgeprägten, dunklen Saume eingefasst. Der in dem Winkel zwischen dem hinteren und seitlichen Rande belegene Teil seiner Ober- fläche ist beiderseits innerhalb einer Linie, welche die Mitte des Seiten- randes mit etwa der Mitte der angrenzenden Hälfte des Hinterrandes ver- bindet, bald mehr bald weniger stark dunkler tingiert als dieübrige Oberfläche. Vom Vorderrande erstreckt sich über die Mitte der Rückenoberfläche in analer Richtung ein braunes Band von wechselnder Breite und Längen- ausdehnung, und vom mittleren Teil des hinteren Randes zieht auf die linke und rechte Hälfte der Oberfläche ein Band dunkler brauner Punkte, dessen Ausdehnung und Umfang ebenfalls varieiert, in geschlängeltem und mehrfach unterbrochenem Verlaufe oral- und lateralwärts. Bisweilen sind beide Bänder von solcher Ausdehnung, dass sie nahe zusammenstossen und das ganze Schild dunkel gefärbt erscheint. Wie der Kopf ist das Pronotum im übrigen sehr spärlich behaart. Je zwei lange kräftige und eine schwache Borste steben auf beiden Seiten symmetrisch zur Medianlinie im ersten, vorderen Drittel seiner Oberfläche. Der Meso- und Metathorax sind nur mit einer derberen Cuticula von im Leben in allgemeinen graugrünlicher Farbe umkleidet. Die Rückenoberfläche derselben ist in ähnlicher Weise wie bei der Larve von Phr. striata. L. und anderen Larven derselben Familie mit aus Punkten, unregelmässig umrandeten Fleckchen und Linien bestehenden gelblichen Zeichnungen, so wie es die Abbildung Tafel I Fig. 3 zeigt, verziert. Ausser diesen Linien befinden sich noch auf der Rückenober- fläche jedes der beiden Segmente je 3 Paar rundliche, chitinisierte, leicht erhabene Flecke und zwar in der Mitte der seitlichen Teile je ein grösseres Paar, welches 8S—10 Borsten trägt und je ein anderes kleineres, nur mit einer Borste bestandenes Fleckenpaar, nahe und symmetrisch zur Medianlinie in der Mitte des vorderen und hinteren Drittels jedes Segmentes. Die Stützfortsätze sind an allen Brustringen kräftig entwickelt. Wie bei der Phr. minor-Larve setzt sich das Stützplättchen des vordersten Fortsatzes aus 2 Teilen zusammen, einem dunkelbraunen dreieckigen Plättchen und einem dunkelbraunen winkelförmigen Plättchen, dessen einer Schenkel als frei abstehendes Zäpfchen oral gerichtet ist. 56 Die Stützplättchen des zweiten und dritten. Beinpaares sind als braune, am oralen und ventralen Rande von schwarzen, meist noch über ihren Kreuzungspunkt eine Strecke weit hinaus verlaufenden Chitinleisten, umsäumte Dreiecke ausgebildet. Die Beine sind im allgemeinen von gelbbräunlicher Farbe. Ausser an den Tibien, Tarsen und Klauen sind die Chitinteile der einzelnen ‚Glieder dunkel gesäumt. Die Aussenseite aller Öoxae ist dunkler tingiert und die Aussenkante des Oberschenkels aller Beinpaare ist mit einem braunen am hintersten Beinpaare oft undeutlich ausgeprägten Striche versehen. Das erste, als Greiforgan entwickelte Beinpaar ist kürzer als die beiden andern. Die Klauen sind kurz, mässig gekrümmt und mit einem kräftigen Basaldorne ausgerüstet. Am dritten Beinpaare sind dieselben am schlankesten, auch ist hier der Basaldorn von schlankerer Form. Die Tibienenden aller Beine sind auf der inneren Seite mit einem gelben Dorne versehen. Dieser ist an der Tibia der ersten Beinpaares sehr kräftig, an der des hintersten aber nur als eine schwache Borste ausgebildet. Am ersten Beinpaar ist die Innenkante des Trochanters und die des Femurs zur Hälfte, an den anderen Beinen auch der ganze Femur sowie die Tibien und die Tarsen mit einem Saume feiner Borsten bedeckt. An sämtlichen Oberschenkeln stehen ausserdem an derselben Stelle zwei längere helle steife Borsten. Die Innenseite der Coxa des ersten und zweiten Beinpaares — diese aber in schwächerem Maasse — ist in grosser Ausdehnung mit kurzen, spitzen, dunklen Borsten bekleidet. Im Übrigen stehen an allen Gliedern aller Beine, mit Ausnahme der Tarsen und Tibien, vereinzelte längere dunkle Borsten. — Die durch tiefe Furchen von einander getrennten Abdominalsegmente bleiben bis zum achten von annähernd derselben Breite; das neunte und das rudimentaire zehnte sind schmaler und flacher. Von den drei sehr stark entwickelten Höckern des ersten Segments ist der dorsale Höcker, zu ‘dessen Seiten je ein längeres dunkles Haar steht, spitzkegelig. Die lateralen Höcker sind von stumpfkegeliger Ge- stalt und an dem abgestumpften Ende mit kurzen dunklen Dornen versehen. Auf der dorsalen Oberfläche des zweiten bis achten Abdominalringes befinden sich symmetrisch zur Medianlinie im vorderen Drittel zwei kreisrunde helle Fleckchen, im hinteren Drittel zwei kurze dunkle Haare. Diese sind auf dem sechsten, siebenten und achten Segmente kräftiger als auf den übrigen Segmenten ausgebildet; auf dem achten stehen ausser- dem lateral von den erwähnten, noch zwei kurze Borsten. Auf der dorsalen Oberfläche der Hinterleibsringe sind ferner — aber meist nur sehr undeutlich ausgeprägt — ähnliche, aus helleren Punkten 57 und Linien zusammengesetzte Zeichnungen, wie auf der Rückenoberfläche der Brustringe, sichtbar. Deutlicher sind auf dem neunten Segmente eine Reihe von hellen Punkten wahrzunehmen, welche von dem pentagonförmigen Chitinschilde, mit welchem der in einen stumpfen Fortsatz analwärts verlängerte post- segmentale Rand dieses Segmentes verlängert ist, bedeckt ist, in einem Bogen lateral-oral bis zum praesegmentalen Rande desselben Segmen tes verläuft. Auf dem hinteren Rande des pentagonförmigen Schildes stehen zwei längere und zwei kürzere, steife Borsten und auf seiner Oberfläche inehrere zarte Börstchen. Die chitinisierten gelbbraunen, den Rücken des zehnten Abdominal- ringes deckenden Stützplättehen der Nachschieber erstrecken sich nicht wie bei der Larve Neuronia reticulata L. (s. Abb. 16, Taf. V.) bis zur Anal- falte; ziehen aber in Gestalt eines schmalen, bandartigen Streifens über die seitlichen Teile des Segmentes hinweg bis auf dessen ventrale Fläche. Auf dem medialen Teile des Hinterrandes derselben stehen drei lange, dunkle, steife Borsten und zwei kurze. Die laterale Fläche des ersten Nachschiebegliedes trägt mehrere helle, gekrümmte Börstchen, und die Klaue zwei Rückendornen. Die Seitenlinie zieht sich als ein schmaler, mit spärlichen dunklen Haaren bedeckter Wulst in der Höhe der lateralen Medianlinie vom zweiten bis zum Ende des achten Segmentes. Die weisslichen Kiemenfäden stehen einzeln und in ähnlicher -An- ordnung wie bei der Larve von Phryganea minor. L. Die Nymphe ist gegen 21 mm lang und vier mm breit Ihr blass- gelber Kopf ist von querovaler Form. Je ein Paar langer Haare steht auf dem Scheitel und auf der buckelartig vorgewölbten Stirne beiderseits symmetrisch zur Medianlinie und in gleicher Höhe. » Die fadenförmigen, gegen das distale Ende hin sich verjüngenden Fühler reichen bis zum postsegmentalen Rande des fünften Segmentes; ihr Basalglied unterscheidet sich nur wenig von den darauf folgenden Gliedern. Die Oberlippe ist von annähernd quadratischer Form; die Vorder- ecken sind leicht abgerundet, der Vorderrand schwach convex; ihre dorsale Oberfläche ist in der Mitte buckelartig gewölbt, Abb. II, Taf. V. In den lateralen Teilen des vorderen Randes stehen beiderseits je fünf steife schwarze Borsten, näher und symmetrisch zur Medianlinie ferner noch je eine kürzere, helle Borste, und in den seitlichen Teilen des hinteren Drittels der Oberfläche endlich beiderseits noch je drei steife dunkle Borsten. Die hellbräunlich gefärbten Mandibeln sind in ihrem Grundteile von der Gestalt einer dreiseitigen stumpfen ‚Pyramide, ‚deren 8 Ecken abgerundet sind und in ihrem vorderen Teile von der Gestalt einer Sense, die auf ihrer medianwärts gerichteten Schneide zahlreiche feine Zähnchen trägt. Auf der Seitenfläche ihres Grundteiles stehen auf einem kleinen Höcker zwei längere Borsten. Die Maxillartaster sind viergliederig, ziemlich schlank; das erste Glied ist etwas länger als die Übrigen. Die Labialtaster sind dreiglie- derig, alle Glieder ziemlich gleich lang, kurz und plump, besonders das Grundglied. Die Rückenschilder der Thoracalsegmente sind von gelblicher Grund- farbe mit braunrötlichen Strichen und Flecken. Die Flügelscheiden reichen bis zur Mitte des fünften Segmentes. Sporenzahl 2,4,4. Die Tarsi aller Beine sind mit Schwimmborsten aus- gerüstet, am schwächsten die des dritten, am stärksten und dichtesten die des zweiten Beinpaares. Die lateralen Ränder der im Übrigen gelbbräunlich gefärbten Rücken- schilder der Hinterleibsringe sind braunrötlich tingiert; die der Bauchschilder durch striehförmige dunkle Chitinleisten begrenzt. Über die Oberfläche jeder Rückenschuppe des zweiten bis achten Segmentes verlaufen ausserdem nahe den lateralen Rändern in gleichem Abstande von der Medianlinie zwei feine rötlichbraune Linien vom prae- bis zum postsegmentalen Rande. Die Lateralmembran und die Bauch- schuppenoberfläche ist gelblich gefärbt. Der Bewegungs- und Haftapparat ist kräftig entwickelt. Der post- segmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Abdominalsesments ist in einen conischen, am distalen Ende in zwei, mit einem kurzen spitzen Dorne versehene, leicht lateral divergierende Höcker geteilten, auf- und niederstülpbaren Fortsatz verlängert, Abb. 10, Taf. V. Auf der dorsalen Oberfläche des 3. bis 7. Segmentes befinden sich nahe dem praesegmentalen Rande zwei symmetrisch zur Medianlinie stehende braune Chitinplättehen, die auf dem. vierten Segmente 8—10 » » fünften » 6— 9 » » sechsten » 10 » » siebenten » hl dunkle analgerichtete Häkchen tragen. Das fünfte Segment trägt ausserdem auf seinem, in seiner ganzen Breite in analer Richtung verlängerten und in oral-ventraler Richtung unter die Rückenschuppe unterstülpbaren Hinterrande der Rückenschuppe zwei grössere mit 17-20 oralwärts “gestellten Häkchen ausgerüstete Chitinplättehen. Das dritte Segment besitzt keine Haftorgane. Die Seitenlinie ist von derselben Beschaffenheit wie bei der Puppe von Chr. minor Ot. und verläuft in derselben Weise wie bei dieser vom vierten bis zum. achten ‘Segmente. ; 59. Die Kiemenfäden stehen in ähnlicher Anzahl und Anordnung wie bei den Larven auf den Lateralmembranen des Abdomens. Die Anhänge des letzten Abdommalsegmentes (s. Abb. 12 und 13, Tafel V) sind wie bei der Puppe von Phr. striata L. von der Gestalt eines zugespitzten Löffels, dessen Concavität dorsalwärts gerichtet ist. Auf der ventralen convexen Fläche jedes dieser Anhänge stehen nahe dem analen Rande vier kräftige dunkle und in der Mitte derselben je drei schwächere Borsten. Bei der männlichen Nymphe sind zwischen den Anhängen und dem postsegmentalen Rande des achten Segmentes die Anlagen der Kopulationsorgane in Gestalt länglicher Lobus und die Anlage des Penis in Gestalt eines runden Lobus sichtbar. Auf der dorsalen Oberfläche des neunten Segmentes stehen jederseits 3 Borsten, eine stärkere und zwei schwächere und auf der des achten Hinterleibsringes, nahe dem postsegmentalen Rande jederseits in gleicher Entfernung von der Mittellinie zwei lange Borsten. Auf Grund der früher gemachten Beobachtungen musste ich an- nehmen, dass die Larven von Agrypnia pagetana Ct. ausschliesslich praeformiertes Material als Gehäuse verwenden. Es ist dieses aber, wie mich neuere Funde lehrten, nicht der Fall, sondern sie verfertigen sich in der Jugend ebenso wie ihre Verwandten auch Köcher nach Baustil VII. In den letzten Jahren erbeutete ich diese Larve nicht nur im Juli, sondern auch bereits im März und April und die Imagines erschienen im Mai, wodurch Rostock’s Angabe (Die Netzflügler Deutschlands pag. 24.), dass die Flugzeit dieser Art vom Mai bis zum August dauert, ihre Bestätigung findet. | 3. Neuronia reticulata. L. Die raupenförmige Larve ist von 23 mm Länge und am breitesten Körperteile, dem ersten Abdominalringe 4 mm breit. — Ihr Kopf ist von länglich eiförmiger, dorso-ventral comprimierter Form, von gelber Grundfarbe, mit folgenden braunschwarzen Zeichnungen: Vom Hinter- hauptsloche bis zur Mandibelbasis verlaufen entlang der Gabellinie und ihren Ästen zwei anfänglich schmale, aber schon auf dem Scheitel sich zu grösserer Breite erweiternde, unregelmässig umrandete d. h. vielfach aus- gebuchtete, — lateral nicht über die Augen hinausreichende Binden, welche in der Höhe der Teilungsstelle der Gabellinie einen kreisrunden mit einer längeren Haarborste versehenen hellen Punkt einschliessen. Bei jugendlichen Individuen pflegen die Binden von den Augen bis zu den Mundteilen häufig undeutlich ausgeprägt zu sein; auch ist ihre Farbe bei diesen eine hellere, mehr bräunliche 50 Parallel diesen Binden verlaufen auf dem Clypeus von seiner Spitze bis zur hellbräunlichen Zwischengelenkmembran der Oberlippe zwei schmalere, ebenfalls unregelmässig begrenzte und im unteren Drittel meist in eine dünne Linie ausgehende dunkle Binden. Die auf den Scheitelteilen und den seitlichen Teilen der Pleurae in derselben Weise wie bei den, im Vorhergehenden beschriebenen Larven verlaufenden, dunkleren Punktreihen sind auf der Scheitelstrecke und den oberen seitlichen Teilen so schwach entwickelt und tingiert, dass die Gabellinienbinden hier von einer schmalen Binde der gelben Grundfarbe begrenzt werden. In den übrigen seitlichen Teilen bilden sie, indem gleich- zeitig die sie umgebende Cuticula eine dunkelbraune Tinktion annimmt, eine geschlossene schmale, bis zu den Augen herabreichende Binde, die in ihrem unterstem Teile in die braune Grundfarbe der ventralen Kopf- oberfläche übergeht. Das Hypostomum ist von gelbbräunlicher, ein grosser Hof um jedes Auge herum von gelbweisslicher Farbe — alle übrigen Teile der Pleurae und des Ulypeus zeigen die gelbe Grundfarbe. Von den Mundteilen ist die Oberlippe von derselben Form und in ganz gleicher Weise mit haarähnlichen Borsten und stäbehenförmigen Borsten ausgerüstet wie die der anderen Phryganeidaelarven, Abb. 14, Taf. V. Alle haarähnlichen Borsten sind von dunkler Farbe und von gleicher, beträchlicher Länge. An der Unterseite der Oberlippe stehen im vorderen Drittel 3 Paar kurze stäbchenförmige helle Borsten und am Übergange der Seitenränder in den Vorderrand ein schwacher Saum hellbrauner Haare. Die in ihrem basalen Teilen braun, im Übrigen schwarzbraun gefärbten Mandibeln sind wie bei den bereits beschriebenen Larven hohlmeissel- förmig zugespitzt. Neben der Spitze stehen bei der linken Mandibel auf der oberen Schneide 3, auf der unteren zwei Zähne; bei der rechten Mandibel oben und unten je zwei Zähne. Es kommt jedoch vor, dass bei Letzterer der der Insertionsfläche am nächsten stehende Zahn der oberen Schneide in noch einen weiteren, schlecht entwickelten Zahn gespalten ist, Abb. 15, Taf. V. Die Unterlippe ist ebenfalls in völlig analoger Weise wie bei der Phr. minor-Larve gebildet. Von den Brustsegmenten ist der Prothorax so breit wie der Kopf, der Mesothorax beinahe um die Hälfte breiter und länger als der Pro- thorax und der Metathorax wiederum etwas breiter als der Mesothorax. Nur der Prothorax ist mit einem, seine dorsale Oberfläche in gleicher Ausdehnung wie bei den beschriebenen, verwandten Larvenarten deckenden, an den Ecken leicht abgerundeten, am Vorderrande schwach analwärts, am Hinterrande stark oralwärts eingebuchteten, chitinisierten Schilde um- hüllt. Der ganze hintere und die hintere Hälfte des seitlichen Randes sind mit einem schmalen, erhabenen dunklen Saume eingefasst, der in den Winkeln, wo diese Ränder zusammenstossen, anal-lateral verbreitert 61 ist und der sich ferner auch auf die vordere Hälfte des Seitenrandes als ein feiner dunkler Strich fortsetzt. Von ungefähr der Mitte des Seiten- randes verläuft bis nahe zur Mitte des Hinterrandes beiderseits über die Oberfläche des Pronotums eine feine dunkle Leiste. Häufig ist der von dieser und den hinteren und seitlichen Randteilen begrenzte dreieckige Raum dunkler als die übrige gelblichbraune Ober- fläche gefärbt. Im ersten, vorderen Drittel verläuft quer über die letztere eine schmale Furche, welche ebenfalls meist dunkler braun als ihre Umgebung tingiert ist und in der vier lange, von eimem hellen Hofe umgebene Borsten stehen. Bei dunkler ausgefärbten Larven pflegt diese Binde nach vorne und hinten verbreitert zu sein und zwischen ihr und den angegebenen dunkleren Dreiecken, dunkle Punkte und Flecken aufzutreten. Der Meso- und Metathorax sind häutig und im Leben von grau- grüner Farbe. Ihre dorsale Oberfläche ist mit hellen, gelblichen, in Punkte aufgelösten Linien in der Anordnung, wie es die Zeichnung Taf. I Fig. 5 angiebt, verziert. Von diesen Linien fallen die in der vorderen Hälfte jeder Segmentsoberfläche von einer Vordererke zur an- deren im weiten Bogen verlaufenden Linien mit hier in derselben Weise und Richtung dahinziehenden Furchen zusammen. Auf jeder Oberfläche befinden sich ausserdem drei Paar rundliche, stärker chitinisierte, leicht erhabene Flecken und zwar in der Mitte der seitlichen Teile je ein Paar, welches 8--10 Borsten trägt und die beiden anderen, kleineren und nur je eine Borste tragenden, nahe und symmetrisch zur Medianlinie in den vorderen und hinteren Dritteln des Segmentes. Auf der Mesonotumoberfläche schliesst sich an die, im vorderen Drittel befindlichen kleinen Chitinflecken in lateral-ventraler Richtung jederseits ein grösserer, rundlicher, brauner, hellergetüpfelter Flecken an, welcher die oral-anal verlaufende Zierlinie hier unterbricht. Diese eigen- artigen Chitinflecken finden sich bei keiner bisher bekannten anderen Trichopterenlarvenart wieder und dürften daher als ein ganz specifisches morphologisches Merkmal für die Larve von Neuronia reticulata L. gelten. Die Stützfortsätze sind an allen Brustringen kräftig ausgebildet. Der Fortsatz des ersten Ringes ist wie bei den Larven von Phr. minor Ct. und striata L. mit zwei Stützplättchen, einem dreieckigen und einem winkel- förmigen bedeckt. Der freie Schenkel des letzteren ragt nur wenig frei vor. Von den dreieckigen Stützplättchen der beiden anderen Stützfortsätze sind nur die oralen nnd ventralen Umrisslinien durch dunkle Chitin- leisten markiert. Die Beine sind von gelblichbrauner Farbe. Die Chitinteile sind an den Coxalgliedern deutlich, an den Articulationen der übrigen Glieder nur sehr wenig deutlich dunkler gesäumt. Das erste, als Greiforgan organisierte Beinpaar, ist kürzer als die beiden anderen, seine einzelnen Glieder, besonders der Femus und die Tibia sind gedrungener und breiter als die jener. Die innere Kante aller Beine ist am Trochanter und Femur mit einem feinen Borstenkamme besetzt; am zweiten und dritten Beinpaare auch die der Tibien und der Tarsen. An letzteren Gliedern sind diese Kämme aber von geringerer llöhe als an den Oberschenkeln, und Trochanteren, woselbst die Borsten teilweise haarförmig gestaltet sind. Ausserdem befinden sich an der Innenkante der Oberschenkel des ersten Beinpaares eine, an der des zweiten und dritten Beinpaares drei längere steife helle Borsten. An allen Beinpaaren steht am unteren Ende der Tibia und am Basalteile der schlanken, kräftigen Klaue, ein gelblicher, nicht sehr langer Dorn, der am ersten Beinpaar am kräftigsten aus- gebildet ist. Die im Leben grüngrauen Abdominalsesmente sind durch mässig tiefe Strieturen von einander abgegrenzt. Das erste Segment trägt drei grosse Höcker, von denen der auf dem Rücken spitzkegelig ist, während die seitlichen eine mehr stumpfkegelige Gestalt besitzen. Beiderseits neben dem Rückenhöcker steht eine feine dunkle Haarborste. Je zwei Haarborsten befinden sich in dem unteren Drittel der Rücken- oberfläche aller Segmente bis zum neunten Segmente. Amı sechsten Segmente aber sind dieselben länger und sind bereits bei schwacher Vergrösserung gut sichtbar. In der Mitte der Rückenoberfläche des achten Segments steht ausserdem je ein weiteres langes Haar hart am seitlichen Rande. Die Seitenlinie verläuft als ein schmaler heller, mit spärlichen dunklen Härchen besetzter Wulst in derselben Weise wie bei den be- schriebenen Larven vom zweiten bis zum neunten Segmente. Der Hinterrand des Rückens des letzteren ist in einen stumpfen Fortsatz nach hinten verlängert, welcher mit einem nahezu halbmond- förmigen, stark chitinisierten, gelben bis gelbbraunen, und mit vier kräf- tigen langen steifen Borsten bewehrten Schilde bedeckt ist. Der Rücken des rudimentairen, zehnten Abdominalsegmentes ist durch zwei polysone Chitinschilder versteift, welehe medianwärts bis fast an die Analspalte heranreichen. Die median belegene Ecke des hinteren Randes derselben ist in eine deutliche Spitze ausgezogen (s. Abb. 16, Taf. V). Ihr hinterer Rand trägt drei lange steife dunkle Borsten, der seit- liche zwei kürzere und ihre dorsale Oberfläche eine kurze Borste. Das Grundglied der zweigliedrigen Nachschieber ist an seinem lateralen Um- fange mit einem Büschel heller Härchen bedeckt. Jede Klaue trägt zwei nach aussen gebogene Rückenhäkchen. Die Kiemenfäden stehen ein- zeln und in ähnlicher Anordnung wie bei den vorigen Arten. Die Nymphe ist 13—20 mm lang und 3—4 mm breit, Die Farbe derselben ist bis auf die der Lateralmembranen des Abdomens am ersten 63 bis siebenten Segmente, welche weissgefärbt sind und die Bauchschuppen des 7., 8. und 9. Abdominalsegmentes, die teilweise heller tingiert sind, eine schwarzbraune. Auch die Anhänge des letzten Hinterleibssegmentes, sind gelbweisslich gefärbt. Der Kopf ist von quereiförmiger loan. Auf der buckelartig vor- gewölbten Stirne stehen zwischen den Augen beiderseits von der Median- linie je zwei längere dunkle Borsten. Die fadenförmigen Fühler reichen, ebenso wie die braunen Flügelscheiden, bis zum oberen Rande des vierten Segmentes. Ihr erstes Glied ist plumper als die übrigen. Die gelbbräunliche Oberlippe ist im allgemeinen von quadratischer Form mit stark abgerundeten Ecken. . Der Vorderrand ist in eine stumpfe Spitze vorgezogen. In den lateralen Teilen des Letzteren stehen je 2 Borsten, auf der dorsalen Oberfläche im ersten (vordersten) Drittel 1 Paar, im hinteren Drittel 2 Paar und in derselben Höhe am Seiten- rande je eine Borste, sowie es die Abbildung 20 Taf. V zeigt. Die Mandibeln sind abweichend von der der im Vorhergehenden beschriebenen Phry- ganeidaepuppen von plumper, gedrungener, dreieckiger Gestalt mit sehr kurzer Schneide; auf ihrer lateralen Oberfläche stehen 2 längere Borsten, Abb. 20. Taf. V. Die viergliedrigen Maxillartaster sind schlank und alle Glieder derselben ziemlich gleich lang; die dreigliedrigen Labialtaster sind kurz und gedrungen. Spornzahl 2, 4, 4 Die Tarsi aller Beine sind mit Schwimmborsten bedeckt, am schwächsten die des dritten, am stärksten und dichtesten die des zweiten Beinpaares. Der Haft- und Bewegungsapparat ist kräftig ausgebildet. Der postsegmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Abdominalsegmentes ist analwärts in einen gedrungenen kegel- förmigen, am distalen Ende in zwei, mit je einem kurzen spitzen Dorne versehene, leicht lateral divergierende Spitzen geteilten, auf- und nieder- stülpbaren Höcker verlängert. Abb. 19 Taf. V. — Das5. bis 7. Abdominal- segment tragen am praesegmentalen Rande ihrer Rückenschuppe rundliche, ziemlich gleich grosse braune Chitinplättchen mit sehr zahlreichen analgerich- teten Häkchen, das fünfte auf seinem in gleicher Weise wie bei den oben beschriebenen Nymphen organisierten, postsegmentalen Rückenschuppen- rande gleiche Chitinplättchen mit einer grösseren Anzahl oralgerichteter Häkchen. Die Seitenlinie ist in der üblichen Weise organisiert und ihre Verlaufsweise vom fünften bis zum achten Segmente dieselbe wie bei den anderen Phryganeidaenymphen. Die Kiemenfäden stehen einzeln und in ähnlicher Anordnung wie bei der Larve. Das letzte verschmälerte und dorso-ventral comprimierte Abdominal- segment ist am hinteren Ende in zwei massive, nicht wie bei der Nymphe von Neuronia ruficrus, ef. Abb. 21 Taf. V ausgehöhlte oblonge Fortsätze verlängert, deren hinterer, schief abgestutzter Rand zwei längere, steife Borsten trägt. Je eine solche Borste steht ferner in der Mitte der dorsalen 64 Oberfläche dieser Fortsätze und je drei an der ventralen Fläche. Auf der dorsalen Oberfläche des basalen Teiles desselben Segmentes befinden sich zwei Paar Borsten, davon ein Paar nahe und symmetrisch der Medianlinie auf hellen warzenartigen Wülsten und ein Paar lateral davon auf zwei kleinen hellen Chitinflecken, Abb. 22. Tafel V. Das etwa 35--40 mm lange, gerade, hinten und vorne ziemlich gleich weite (5—6 mm) Gehäuse dieser Larve ist aus annähernd ‚gleich grossen und gleichgestalteten, pflanzlichen Fragmenten nach Baustil VII (siehe Str. I. pag. 6 u. 8) hergestellt. Bei der Umwandlung zum Puppengehäuse werden vor beide Öffnungen kleinere und grössere pflanzliche Teile und nach innen davon, vorne und hinten je ein grobmaschiges Gitter aus Gespinn- stoff gelegt. — Die Larve lebt in Bächen und Gräben mit fliessendem und stagnierendem Wasser. Die Imago von Neuronia retieulata L. fliegt bei uns schon Ende März oder anfang April, gehört also zu den am frühesten im Jahre er- scheinenden Trichopteren. Die drei im Vorhergehenden geschilderten Larven dürften auf Grund ihrer Kopf- und Brustzeichnungen ohne Berücksichtigung anderer Merk- male sicher von einander zu trennen sein. Auch die Larve von Phr. striata L. lässt sich von ihnen hierdurch bestimmt unterscheiden. Die Färbung und Zeichnung ihres Kopfes ist zwar im wesentlichen die gleiche wie bei der Larve von Agrypnia pagetana Öt. (s. Tafel I, Figur 1), das gelbe Pronotum ist aber — abgesehen von dem auch bei letzterer dunkler tingierten Raume der Oberfläche in den Winkeln zwischen den hinteren Hälften der Seitenränder und den anstossen Hälften des Hinterrandes — für gewöhnlich bloss an seinen Rändern mit eimem dunkleren Saume eingefasst. Nur in selteneren Fällen dehnt sich der letztere auf die übrige Pronotumoberfläche derart aus und fliesst namentlich in den anderen Teilen so zusammen, dass nur in der Mitte jeder Hälfte der Oberfläche ein schmaler gelber Strich gelb gefärbt bleibt. Die Kopf- und Brustzeichnungen der übrigen, bereits bekannten Larven der Gattung Phryganea, nämlich die von Phryganea grandis L., welche Mae’ Lachlan (Trichoptera britanniea, pag. 14) und die von Phryganea varia F., welche Pictet (le. pag. 161) beschrieben, sind in den betreffenden Schilderungen nicht genau genug gekennzeichnet, um zurzeit sicher genug angeben zu können, ob und in welcher Weise sie sich in dieser Hinsicht von den oben besprochenen unterscheiden lassen. Ebenso muss es einstweilen unentschieden bleiben. ob sich die Larven von Agrypnia pieta. Kol., deren Kopfzeichnung nach Hagen's Beschreibung (Hagen, Beiträge zur Kenntnis der Phryganiden, pag. 434) ähnlich der der Larve von Agrypnia pagetana Öt. zu sein scheint, sich ohne Zuhülfe- 65 nahme weiterer, differentialdiagnostisch zu verwertender Kennzeichen, genügend sicher wird von ihrer nächsten Verwandten trennen lassen. Die Larven von Neuronia ruficrus. Scop., die Klapälek (lc. II pag. 5) beschrieb und Neuronia reticulata L. sind, wie ein Blick auf die Tafel I lehrt nach ihren Kopf- und Brustzeichnungen voneinander und von den übrigen Familienangehörigen sicher zu unterscheiden. Il. Limnophilidae. Bei den Larven dieser Familie ist ausser dem Kopfe und dem Prothorax auch der Mesothorax mit einem hornigen Schilde bedeckt, das ebenso wie jene bestimmte Zeichnungen und Färbungen zur Schau trägt. Wie bei den Larven der Phryganeidae wird auch bei diesen die Kopfzeichnung einmal durch zwei Gabellinienbinden, die sich mehr oder weniger eng den Gabellinien und ihren Ästen anschliessen, gebildet. Diese sind bei einer grösseren Anzahl von Larven als meist geschlossene, gleich- mässig braunschwarz oder heller, braun bis hellbraun tingierte Binden, die sich entweder bestimmt von der Grundfarbe des Kopfes abheben, z. B. bei den Larven von Limnophilus rhomnicus L., L. flavicornis F. u. v. A., oder in mehr oder weniger ausgedehntem Maasse mit der ähnlichen Grund- farbe desselben verschmelzen und daher undeutlich erscheinen z. B. bei den Larven von Limnophilus xanthodes. M’L. und Grammotaulius atomarius. F., formiert. Innerhalb der geschlossenen Binden sind bei allen Larven von den Augen ab bis zum Hinterhauptlochsrande konstant eine bestimmte Anzahl von die Grenzen der Binden gewöhnlich nicht über- schreitenden Punktreihen,, welche bei verschiedenen Larvengruppen eine verschiedene, bei den einzelnen Angehörigen dieser Gruppen aber meist eine ähnliche Anordnung aufweisen, vorhanden. Bei einer grösseren An- zahl anderer Larven ist die Cuticula zwischen diesen Punktreihen nicht dunkler tingiert als die übrigen Kopfteile, und die Gabellinienbinden, die in diesen Fällen nur bis zu den Augen reichen, werden durch die Punkt- reihen allein gebildet: nicht geschlossene Gabellinienbinden, z. B. bei manchen Stenophylax- und Halesusarten. Auf dem Clypeus, der bei den Larven dieser Familie eine andere Form als wie bei denen der vorigen Familie besitzt (s. z. B. Abb. 6, 8, 11, Tafel I und Abb. 4 u. 9, Tafel II), der aber im Übrigen in ähnlicher Weise wie bei jenen mit Figuren von verschiedener Art bedeckt ist, sind ebenfalls konstant eine Anzahl von Punkten in bestimmter Anordnung vorhanden. Diese bilden im hinteren Teile desselben eine nagel- oder keilfömige Gruppe und stehen im vorderen Teile — häufig nicht deutlich sichtbar, sondern durch die Grundfarbe oder die Farbe der Clypeusfigur mehr oder weniger verdeckt — einzeln oder als Doppelpunkte in gleichen Abständen voneinander und von der Medianlinie in der Anzahl und An- 5 66 ordnung wie es u. A. Fig. 13, Taf. I und Fig. 8 u. 12, Taf. U zeigen. Auf den Scheitelteilen und den hinteren seitlichen Teilen der Pleurae sind bei allen Limnophilidenlarven, bei den verschiedenen Arten und Artengruppen wiederum in variierender Weise und variierender Anzahl, Reihen von Einzel- und Doppelpunkten, die vom Hinterhauptlochsrande bis an die Gabellinienbinden und die Augen verlaufen, vorhanden. Die- selben geben den Köpfen dieser Larven im Verein mit den übrigen Zeichnungen ein recht charakteristisches Gepräge und sind nur in wenigen Fällen bis auf eine solche schmale Binde wie bei der Larve von Phr. striata L. u. A. reduziert. Das Pronotum bedeckt auch bei den Larven dieser Familie die Rückenschuppe völlig und bis zu den Stützplättchen der lateralen Stütz- fortsätze herab. Ungefähr auf der Grenze zwischen dem vorderen und mittleren Drittel, meist etwas mehr der Mitte zu, zieht sich quer über seine Oberfläche eine die Seitenränder nicht ganz erreichende, schmale Furche, die bei den meisten Arten dunkler tingiert ist, und an deren lateralen Enden meist eine kleine Anzahl von dunklen Punkten vor- handen ist. Der zwischen dieser Furche und dem praesegmentalen Rande befindliche Raum besitzt entweder die allgemeine Grundfarbe des Seg- mentes oder ist dunkler, bei einer Anzahl Arten sogar völlig schwarz gefärbt (L. rhomnicus, flavicornis u. a. m.). Zwischen der Querfurche und dem postsegmentalen, meist in der Mitte mit einer oral gerichteten Einbuchtung versehenen und mit einem leicht erhabenen dunklen Saume umgebenen Rande, ist bei allen Limnophilidenlarven eine gleiche Zeichnung vorhanden. Dieselbe besteht einmal in einer, in der Medianlinie stehenden, aus zwei geraden und zwei gekrümmten Punktreihen zusammengesetzten Figur, deren Gestalt Klapälek mit Recht als eine x-förmige bezeichnet bat und ferner in zwei auf beiden Seiten von derselben in einem geringen Abstande voneinander verlaufenden, vom postsegmentalen Rande oral bis höchstens zur Mitte des Schildes reichenden, zumeist aus Doppel- punkten (oder aus einer grösseren Anzahl von Einzelpunkten) gebildeten, gekrümmten Linien (oder linienförmigen Punktgruppen) von variierender Länge und Breite, die ihre konkaven Seiten häufig einander zukehren. Das den Rücken des Mesothorax deckende Chitinschildchen ist bei allen Limnophilidenlarven von oblonger Form und reicht weder an den hinteren Randes «des Segmentes, noch seitlich bis an die Stützfortsätze der Beine heran. Sein Vorderrand ist meist entweder in seiner ganzen Ausdehnung oder nur in seinen mittleren Teilen schwach analwärts eingebuchtet. Die Seitenränder und der hintere Rand desselben sind im allgemeinen gerade; ler hintere zeigt in seinem medianen Teile meist eine kleine oralwärts gerichtete Einkerbung. Der Hinterrand und die hintere Hälfte des seit- lichen Randes sind mit einem stärker chitinisiertem, dunklen Saume, der 67 in vielen Fällen am Übergange des Hinterrandes in den seitlichen Rand jederseits mit einer anal und einer lateral gerichteten Spitze ausgerüstet ist und an seinen Endpunkten an den Seitenrändern häufig stark ver- breitert ist, eingefasst. Dieses Chitinschildehen, das Mesonotum, ist ebenfalls mit einer, bei allen zu schildernden Limnophilidenlarven, wenn auch nicht in völlig gleicher, so doch in sehr ähnlicher Ausbildung wiederkehrenden Zeichnung verziert, deren Grundzüge folgende sind: Von einer Ecke des prae- segmentalen Randes zur anderen zieht quer über die Oberfläche eine bogenförmige Furche, die in ihrem medianen Teile drei kleine halbkreis- förmige Ausbuchtungen von denen die mittlere oral, die beiden seitlichen anal gerichtet sind. Dieselbe ist nicht wie die des Pronotums total dunkel gefärbt, sondern nur mit einzelnen dunkleren Punkten von variierender Zahl bedeckt. Vom Hinterrande verlaufen ferner zwei, ebenfalls aus einer wechselnden Anzahl von dunklen Punkten bestehende Linien in gleichem Abstande von der Mittellinie und parallel zueinander nach vorn über die Querfurche hinweg bis nahe an den Vorderrand und von hier in kurzem nach aussen konkaven Bogen bis an diesen selbst. Lateral von diesen beiden Linien und parallel mit ihnen verläuft endlich jederseits noch eine weitere Linie, die aber die Querfurche nicht erreicht, sondern in kurzem Abstande von ihr bogenförmig nach aussen auf den Seitenrand zuführt. Die Anzahl der Punkte die diese letzteren Linien zusammen- setzt, variiert ebenfalls sehr und häufig sind dieselben nur durch einige wenige Punkte markiert. Der von den zuletzt erwähnten Linien sowie von dem Vorderrande, dem medianen Teile des Hinterrandes und den vordersten Teilen der Seitenränder eingeschlossene — im Folgenden als Mittelfeld bezeichnete — Raum, pflegt bei vielen Arten dunkler als die übrigen, von denselben Punktlinien einerseits und von den seitlichen Teilen des Hinterrandes und den anstossenden Teilen der Seitenränder gebildeten — im Folgenden als Seitenfelder bezeichneten — Teile, gefärbt zu sein. | Im Bereiche dieser Letzteren, ist meist eine kommaförmige, dunkle Linie vorhanden, welche in seltneren Fällen (z. B. L. lunatus, Stenophylax dubius) mit dem lateralen Randsaume verschmilzt. Auf der im Übrigen weichhäutigen Rückenoberfläche des Meta- thorax sind bei allen Limnophiliden drei Paar bräunliche, derber chitinisierte, kleine mit Borsten besetzte Flecken von der Form und Anordnung wie es Figur 9 u. 10 Taf. I zeigt, vorhanden. Dieselben können ebenso wie die x-förmige Figur des Pronotums als ein, die Limnophilidenlarven im allgemeinen in charakteristischer Weise kennzeichnendes Merkmal angesehen werden, doch sei darauf auf- merksam gemacht, dass auch mehrere Sericostomatidenlarven ähnliche Flecken — meist freilich in anderer Anzahl — auf dem Metathorax tragen. 5° 68 1. Limnophilus nigriceps. Ztt. Die raupenförmige Larve ist 15—17 mm lang und am ersten Hinter- leibsringe, dem breitesten Körperteile, 3—4 mm breit. Die Abdominal- segmente verschmälern sich nach dem hinteren Körperende zu nur sehr allmählig; das neunte, ebenso wie das zehnte dorso-ventral komprimierte Segment ist jedoch nur so breit als der Mesothorax. Der Prothorax besitzt denselben Breitendurchmesser wie der Kopf; der Meso- und der Metathorax übertreffen ihn und einander stufenweise an Breite. Der Kopf ist von länglich eiförmiger , dorso-ventral-komprimierter Form. Seine Grundfarbe ist gelb. Die Gabellinienbinden sind als ge- schlossene breite, lateral bis über die Hälfte der die Augen umgebende hellen Höfe hinausreichende, tiefschwarze Binden ausgeprägt, die sich den Ästen der Gabellinie nur im hinteren und vorderen, Teile eng anschliessen. Den Clypeus, der die für die Limnophilidenlarven übliche charakteristische Form besitzt, nimmt eine, seine Umrisse nachahmende, ihn namentlich im vorderen Teile nicht völlig ausfüllende Figur von ebenfalls tiefschwarzer Farbe ein; in seiner übrigen Oberfläche tritt die gelbe Grundfarbe zu Tage. Die aus, vom Hinterhauptlochsrande auf die Gabellinienbinden und die Augen zuführenden Punktreihen dunkelbrauner Punkte bestehenden Pleurabinden, schliessen sich auf dem Scheitel dicht an die Gabellinien- binden an und reichen lateral bis dicht an die ventrale Oberfläche herab. Sie sind jedoch nur in ihren unmittelbar an die Umrandung des Hinter- hauptloches sich anschliessenden Partieen, sowie in ihren lateralen Teilen deutlich dunkel tingiert, so dass einmal zwischen ihnen und den Gabellinien- binden eine schmale Binde der gelben Grundfarbe frei bleibt und sie selbst nur als schmale Bänder wie bei den oben beschriebenen Phryganeidenlarven erscheinen. In der Höhe der Augen verschmelzen sie an der ventralen Oberfläche jederseits mit einer breiten braunen Binde, welche hier bis hart an die ventrale Medianlinie, bezw. das dreieckige Hypostomum heran dahinzieht. Die zwischen diesen Binden und den Mundteilen einerseits und dem Hinterhauptlochsrande andrerseits frei bleibenden ventralen Oberflächen- teile sind von gelber Farbe; auf den letzteren befinden sich nahe und symmetrisch von der Medianlinie am Hinterhauptlochsrande mehrere kurze oral-lateral verlaufende Reihen dunkler Punkte. Die Zwischengelenkmembran ist von gelb-weisser Farbe. Die gelb- bräunliche Oberlippe ist von oblonger Form. Ihre Vorderecken sind stark, ihre Seitenränder schwach gerundet. Der Hinterrand zeigt in seinem me- dianen Teil eine nach hinten gerichtete Einbuchtung, die Hinterecken sind in zwei nach innen und vorne gekrümmte, wie bei den im Vorhergehenden beschriebenen Arten zum Ansatze von Muskeln dienende Häkchen ver- längert. Der Vorderrand ist in seinen seitlichen Teilen leicht gerundet, in seinem medianen Teil tief eingebuchtet. 69 Auf der glatten Oberfläche der Lippe stehen in bogenförmiger An- ordnung sechs lange, dunkle, haarähnliche Borsten, davon je eine am rechten bezw. linken Seitenrande, und je ein helles Börstchen von zuge- spitzt, stäbchenförmiger Gestalt zwischen dem eingebuchteten Teile des Vorderrandes und dem mittelsten, am weitesten der Mitte der Lippe zu befindlichen Paare haarähnlicher Borsten. Kurze, zugespitzt stäbchenförmige helle Börstchen stehen endlich am Vorderrande und zwar je eine auf dem lateralen Teile und zwei in dem eingebuchteten medianen Teile des- selben. Alle diese Borsten, die haarähnlichen, sowohl wie die stäbchen- förmigen ragen aus hellen rundlichen Öffnungen hervor. Ausser diesen 6 Paar Sinnesorganen sind auf der Oberfläche der Lippe der L. nigriceps- Larve in gleicher Weise, wie Lucas (l. c. pag. 289) solches bei Anabolia furcata konstatieren konnte, noch drei rundliche Öffnungen, aus denen keine Borsten hervorragen, und zwar die eine genau in der dorsalen Me- dianlinie in der Mitte zwischen dem mittelsten Paar Haarborsten und dem eingebuchteten Vorderrande und je eine andere lateral von den in dem- selben Teile der Oberfläche befindlichen stäbchenförmigen hellen Börstchen. Am Übergange der Seitenränder in den Vorderrand befindet sich jederseits ein Sau feiner heller Härchen, die an der ventralen Fläche der Oberlippe inseriert sind. Die schwarzbraunen Mandibeln sind in ihrem Grundteile von der Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Ecken abgerundet sind und in ihren vorderen zwei Dritteln von der Form eines Hohlmeissels, der aber nicht so sehr concav und an seinem Ende nicht so stark zugespitzt ist wie bei den Phryganeidaelarven, sondern flacher und abgestumpfter, sodass die Zähne nicht auf einer dorsalen und ventralen, sondern auf einer nahezu in einer Ebene befindlichen Schneide stehen. Beide Mandibeln tragen 5 abgestumpfte Zähnchen. Auf der medialen Seite der dorsalen Oberfläche jeder Mandibel befindet sich ein Büschel steifer Borsten, an der lateralen Oberfläche 1 Paar längerer Borsten. Auch die Unterlippe ist bei der Larve von L. nigriceps Zett. in einiger Hinsicht etwas anders gebildet, als bei den beschriebenen Phryganeidae- larven. Der fünfgliedrige Maxillartaster und der Lobus externus sind nicht so schlank wie bei jenen; besonders der Letztere ist von plumper, gedrungener Form. An ihren abgestutzten Spitzen tragen sie beide mehrere „weigliedrige Tasthärchen. Das Basalkissen des Lobus externus und das Grundglied (erste Glied) des Maxillartasters sind mit langen hellen stäbchen- artigen Sinneshaaren, welche den letzteren beinahe völlig verdecken, bekleidet. Das kegelförmige Labium ist breiter und niedriger als wie bei den Larven der Phryganeidae. Neben seiner abgestutzten Spitze trägt es auf kleinen hervorgewölbten Polstern jederseits einen zweigliedrigen Taster. 70 Wie bei den Phryganeidenlarven bedeckt auch bei den Limno- philidenlarven das Pronotum die dorsale Oberfläche des ersten Abdominal- segmentes völlig und an den Seiten bis zu den Stützplättchen der Stützfort- sätze herab. Der im medianen Teile oralwärts eingebuchtete, postsegmentale Rand desselben und die hintere Hälfte der lateralen Ränder sind mit einem breiten, gewulsteten schwarzen Saume, die vordere Hälfte des letzteren sowie der praesegmentale, in seinem medianen Teile schwach analwärts eingebuchtete Rand, von einem schmalen, dunklen Saume ein- gefasst. An den hinteren Teil jedes Seitenrandes schliesst sich lateral- ventral ein dreikantiges, teils gelbbraun, teils schwarzbraun tingiertes Chitinplättchen an. Der zwischen der, bei allen Limnophilidenlarven anzutreffenden, auf der Grenze zwischen dem vorderen und mittleren Drittel quer über das Pronotum verlaufenden Furche und dem praesegmentalen Rande belegene - Oberflächenteil ist völlig dunkelbraunschwarz, die übrigen Teile sind gelb- bräunlich gefärbt. Die x-förmige Figur ist klein, die wagerechten Linien derselben sind aus zwei Punkten, die gekrümmten aus vier Punkten zu- sammengesetzt. Die Umgebung der lateral von derselben befindlichen, aus braunen Punkten gebildeten Linien ist dunkler tingiert, so dass die Linien nicht deutlich hervortreten. Das Mesonotum ist von der oben geschilderten, für die Limnophi- lidenlarven charakterischen Form und von gleichmässig brauner Farbe; die üblichen Punktzeichnungen derselben sind nur bei sehr hell gefärbten Individuen wahrzunehmen. Der .tiefschwarze, den Hinterrand umgebende Saum ist an seinem Übergange in den lateralen Saum mit einer anal-lateral gerichteten Spitze versehen, und der letztere an seinen Endpunkten stark verbreitert. Die drei Paar derber chitinisierten, für die Limnophilidenlarven eigentümlichen Stellen auf der dorsalen Oberfläche des Metathorax sind gross und mit spärlichen dunklen Borsten bestanden. Die laterale Fläche der Stützfortsätze des ersten Abdominalsegmentes ist mit zwei kleinen, oblongen, dunklen Chitinplättchen bedeckt, von denen das ventral belegene sich um die vordere Fläche derselben auf die mediane herumzieht. Die Stützplättchen der übrigen Stützfortsätze sind von unregelmässig viereckiger Form und von brauner Farbe. Von den drei Beinpaaren ist das vorderste, als Greiforgan aus- gebildete, am kürzesten, und das mittlere am längsten, aber nur wenig länger als das hinterste. Die Farbe derselben ist eine gelbe bis gelb- bräunliche. An den Gelenkenden der Hüften, Schenkelringe, Schenkel und den oberen Gelenkenden der Schiene sind die Chitinteile braun- schwarz tingiert. Zu beiden Seiten der Aussenkante der Schenkel und Schienen sind an allen Beinen je eine Reihe und an der Vordertläche der Hüften eine Gruppe von braunen Punkten sichthar. (u! Die Schenkelringe, Schenkel, Schienen und Tarsen aller Beine sind an der Innenkante mit einem Saume heller Spitzen bekleidet, die an den Schenkeln am kräftigsten und längsten sind. Je ein kräftiger gelber Dorn steht an der Basis jeder Klaue; je zwei Dorne von gleicher Beschaffenheit befinden sich an den Enden der Tibien. Am unteren Ende der Innenkante der Trochanter stehen am ersten Beinpaare zwei, am zweiten und dritten Beinpaare je ein ähnlicher gelber Dorn. Der unterste Teil der Innenkante aller Trochanter und am ersten Beinpaare auch ein kleines Stück der obersten Innenkante des Schenkels, ist mit feinen längeren, gelblichen Härchen bedeckt. An der Innenkannte der letzteren befinden sich ausserdem am ersten Beinpaare mehrere (2—3) helle, kurze dornenähnliche, an den anderen Beinpaaren dunklere, längere Borsten. — Im Übrigen sind an allen Gliedern der Beine längere dunkle Borsten, in grösserer Anzahl jedoch nur an den Coxen, vorhanden. Die die Abdominalsesmente von einander trennenden Strieturen sind mässig tief. Die drei Höcker des ersten Segmentes sind sehr kräftig entwickelt. Die Seitenlinie beginnt auf dem dritten Segmente und ver- läuft als ein schmaler, mit braunschwarzen feinen Härchen bekleideter Wulst in der Höhe der lateralen Medianlinie bis zum Ende des achten Segsmentes. Die Kiemen sind fadenförmig. Bei den Larven der Limnophiliden lassen sich in Bezug auf die Anzahl und Anordnung der Kiemenfäden zwei grosse Gruppen unterscheiden, solche bei denen die Kiemenfäden in Einzahl stehen, ähnlich wie bei den Larven der Phryganeiden (Steno- phylax-, Halesus-Arten u. A.) und solche bei denen sie, besonders am zweiten bis fünften Segmente in Gruppen von zweien und dreien vor- handen sind (Gattung Limnophilus). Die Larve von L. nigriceps Zett. gehört zu den letzteren. Das Hinterleibsende der Larve ist ähnlich wie bei den im Vorher- gehenden geschilderten Larven gestaltet. Wie bei jenen ist der mediane Teil des postsegmentalen Randes der Rückenschuppe des neunten Seg- mentes analwärts in einen abgestumpften Fortsatz verlängert, der mit einem stark chitinisierten, bräunlichen, pentagon- bezw. halbmondförmigen Schilde bedeckt ist. Dasselbe trägt auf seinem hinteren Rande vier längere und mehrere kürzere Borsten und auf seiner Oberfläche mehrere kleine längere und kürzere Börstchen. Das zehnte Segment ist wie das neunte dorso-ventral comprimiert und ist auf seiner dorsalen Oberfläche über den Insertionsstellen der zweigliederigen Nachschieber mit zwei bräunlichen oblongen Chitinschildchen, auf deren medianen Rändern je eine, auf deren hinteren Rändern je drei längere, dunkle, steife Borsten stehen, versehen. Die Klaue der zweigliederigen Nachschieber ist mit einem Rückenhäkchen ausgerüstet. 12 Die Nymphe ist 17 mm lang und 3—4 mm breit. Der Kopf ist von querovaler Form, und in seinen vorderen Teilen von gelbbrauner, in seinen hinteren Teilen von dunkelbrauner Färbung. Auf der flachen Stirne stehen zwei Paar, auf dem Scheitel zwei längere dunkle Borsten, in gleichem Abstande von der Medianlinie und von einander. Die fadenförmigen, gegen das distale Ende hin sich verjüngenden Fühler reichen bis zum postsegmentalen Rande des siebenten Abdominal- segments. Ihr Grundglied ist gedrungener gestaltet und erheblich länger als die einzelnen übrigen Glieder. Die gelbbräunliche Oberlippe ist von quadratischer Form, im vorderen Teile etwas breiter als im hinteren. Der Hinterrand und die Seitenränder sind gerade, die Hinterecken sind schwach, die Vorderecken kräftig gerundet; der mediane Teil des Vorderrandes ist in eine stumpfe Spitze vorgezogen. In den seitlichen Teilen des vorderen Drittels der dorsalen Ober- fläche befindet sich jederseits eine Gruppe von 5 starren, nahezu senk- recht zu derselben stehenden, dunklen Borsten, ferner am Vorderrande, ein gleichem Abstande von der dorsalen Medianlinie je eine helle, kürzere Borste und im hinteren Drittel der Oberfläche, nahe dem Hinterrande und den Seitenrändern jederseits zwei längere dunkle Borsten und lateral davon auf den Seitenrändern je ein kleines helles Sinneshaar. Abb.9, Taf. VI. Die dunkelbräunlich gefärbten Mandibeln sind in ihrem Grundteile ebenfalls wie bei den Nymphen der Phryganeidae von der Gestalt einer dreiseitigen stumpfen Pyramide, deren Ecken abgerundet und die auf ihrer lateralen Fläche zwei längere Borsten trägt, in ihrem vorderen Teile aber nicht von der Gestalt einer Sense, sondern von der eines, nur an der äussersten Spitze ganz leicht gekrümmten, im Übrigen geraden Messers, das auf seiner medianwärts gerichteten Schneide dicht mit feinen Zähnen bewehrt ist, Abb. 8, Taf. VI. Die Palpimaxillares sind beim ‘' dreigliedrig, beim 2 fünfgliedrig. Bei Letzteren sind das Grundglied und das gleichlange vierte Glied kürzer als das zweite und dritte Glied, welche ebenfalls von gleicher Grösse sind; das fünfte Glied übertrifft alle übrigen an Länge. Von den plumpen und kurzen Gliedern der dreigliedrigen Labial- taster ist das terminale am längsten. Von den Rückenschildern der Thoracalsegmente ist das des Meta- thorax von dunkelbrauner, die der beiden anderen von hellbräunlicher Farbe mit dunkleren Flecken und Strichen. Die Flügelscheiden reichen bis zur Mitte des vierten Abdominal- segments. Spornzahl der Beine 1, 5, 4. Die Tarsalglieder des ersten Beinpaares ohne Schwimmborsten, die des zweiten mit langen, dunklen Borsten dicht, die des «ritten mit ebensolchen spärlich besetzt. 2) 13 Die lateralen Ränder der Rücken- und Bauchschuppen der Abdominal- segmente, mit Ausnahme des ersten, von einer feinen dunklen Chitin- leiste begrenzt. Die Rückenschuppen des ersten bis vierten Abdominalsegmentes sind dunkelbraunschwarz gefärbt, die des fünften bis achten in den oberen zwei Dritteln ebenfalls dunkelbraun, in den unteren Dritteln braungelblich tingiert. Ein Gleiches ist an den Bauchschuppen des dritten bis achten Segmentes des Fall. Der Haft- und Bewegungsapparat ist kräftig ausgebildet. Der post- segmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Abdominalsegments ist in einen breiten, kurzen, am distalen Ende in zwei grössere rundliche, mit einer stärker chitinisierten Cutieula bedeckte, auf dem analwärts gerichteten Teile ihrer Oberfläche zahlreiche kurze spitze Dornen tragende, durch eine tiefe breite Einbuchtung von einander getrennte Höcker gespaltenen Fort- satz verlängert. Derselbe ist wie bei den früher geschilderten Puppen auf- und niederstülpbar. In den lateralen Teilen desselben stehen jederseits 2 dunkle Borsten, Abb. 7, Tafel VI — Von den übrigen Abdominalsegmenten sind das dritte bis siebente am praesegmentalen Rande mit braunen Chitinplättechen, von denen die des dritten Segments 3—4, die des vierten 4-5, die des fünften 5-6, die des sechsten 6—7, die des siebenten 5—6 anal gerichtete Häkchen tragen, ausgerüstet. Das fünfte trägt ausserdem an seinem, in gleicher Weise wie bei den vorigen Larven ver- längerten und organisierten postsegmentalen Rückenschuppenrande zwei grössere Chitinplättehen mit gegen 20 oral gerichteten Häkchen. Die Seitenlinie beginnt am fünften Segment in der Höhe der lateralen Medianlinie und verläuft in gleicher Weise und Richtung wie bei den bereits beschriebenen Nymphen bis zur Mitte des postsegmentalen Randes der Bauchschuppe des achten Segmentes. Die Kiemenfäden stehen auf den Lateralmembranen in ähnlicher An- zahl und Anordnung wie bei der Larve. Das neunte und zehnte dorso- ventral-komprimierte Abdominalsegment sind erheblich schmaler als die übrigen Segmente, und das zehnte trägt an seinem leicht zugespitzten ünde zwei längere, dünne, stäbchenartige Fortsätze in gleicher Weise wie die bereits von Klapälek und Ulmer früher beschriebenen Limnophiliden- nymphen. Die nach aussen umgebogenen und leicht keulenförmig ge- stalteten distalen Enden derselben sind mit sehr feinen, nur bei stärkerer Vergrösserung deutlicher sichtbaren Dörnchen und zwei längeren dunklen Borsten besetzt. Jeder Fortsatz trägt ferner in gleichen Abständen zwischen seiner Insertionsstelle und der Spitze je 2 kürzere, sehr feine dunkle Borsten, Abb. 10, Taf. VI. Auf der ventralen Fläche desselben Segmentes stehen nahe der Übergangsstelle des lateralen in den postsegmentalen Rand beiderseits je 2 Paar dunkle, längere Borsten und an der dorsalen, in ihrer hinteren 74 Hälfte dieht mit sehr kurzen Dörnchen besetzten Oberfläche auf der sehr wenig deutlich ausgeprägten Struktur zwischen dem neunten und zehnten Segmente je drei längere dunkle und eine sehr kleine, etwas hellere Borste symmetrisch zur Medianlinie.e Auf dem postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des achten Segmentes befinden sich acht Borsten in der in Fig. 10, Tafel VI abgebildeten Gruppierung. — Das Larven- und Puppengehäuse habe ich wiederholt beschrieben, und abgebildet (Str. I u. II). Die Larve von Limnophilus nigriceps Zett. gehört hinsichtlich der Zeichnung und Färbung ihres Kopfes und der thoracalen Chitinschilder zu einer wohl charakterisierten, oben bereits kurz skizzierten Gruppe von Limnophilidenlarven, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihnen die meist geschlossenen, schwarzbraunen bezw. braunen Gabellinienbinden deutlich ausgeprägt sind und sich von der gelben oder gelbbräunlichen Grundfarbe der Pleuren und (des Clypeus distinet abheben, dass sich ferner auf dem Letzteren bei allen eine ähnliche, gleichfalls meist geschlossene braunschwarze Figur befindet, und dass endlich bei einer Anzahl derselben das Pronotum bis zu der Querfurche zwischen dem vorderen und mittleren Drittel seiner Oberfläche, braun bis braunschwarz tingiert ist, Gruppe 1. Hierher gehören die Larven von: L. rhombicus. L. L. deeipiens. Kol. L. flavicornis F. L. fuseicornis Rb. L. sigma. Ct L. politus. ML. L. lIunatus. Gt. und Colpotaulius incisus. Ct. Je nach der Beschaffenheit ihrer Clypeusfigur lassen sich diese Arten wiederum in zwei Abteilungen unterbringen, nämlich im solche, deren Ulypeusfigur sich in dem breiteren, oralen Teile des Clypeus nur wenig verbreitert (Gruppe la) und in solche, deren Clypusfigur sich in diesem Teile bauchig erweitert und denselben häufig mehr oder weniger ganz ausfüllt (Gruppe Ib). Repräsentantinnen der ersteren Gruppe sind die Larven von Limnophilus decipiens Kol., L. rhombicus L. und L. lunatus CÜt.; solche der zweiten, ausser der Larve von L. nigriceps Ztt., L. flavi- cornis F., L. fuscicornis Rb., L. politus M’L., L. stigma Ct. und Colpo- taulius incisus Ot. Es erschemt nun zweckmässig diese Larven hier im Anschlusse an die von L. nigriceps Zett. zu besprechen. Vorerst sei jedoch noch Folgendes erwähnt: Die der Gattung Limnophilus Lech. angehörenden Larven zeigen, wie die Beschreibungen Klapälek’s und Ulmer’s beweisen und wovon ich mich auch bei den, von mir zu beschreibenden Larven überzeugen konnte, nicht nur in ihrer all- gemeinen, äusseren Körperorganisation, sondern auch in der Ausbildung der einzelnen Körperteile, z. B. der sonst bei Gattungen und Familien so wertvolle, diagnostisch zu verwertende Merkmale liefernden Mundteile und Extremitäten, eine so grosse Harmonie, dass es nicht erforderlich sein dürfte, 75 dieselben in derselben detaillierten Weise wie bisher zu beschreiben. Ich werde mich daher im Folgenden darauf beschränken, nur die wichtigsten unterscheidenden Merkmale hervorzuheben und besonders die durch die Färbung und Zeichnung des Kopfes und der Brustsegmente gegebenen Kennzeichen berücksichtigen. Auch die Nymphen dieser Familie zeigen im Grossen Ganzen eine gleich äussere Organisation. Bei ihnen gewährt aber die, mannigfache ‚Variationen aufweisende Ausbildung des Haft- und Bewegungsapparates sowie des neunten und zehnten Abdominalsesmentes — letztere sowie auch das achte Segment namentlich in Bezug auf die Beborstung — für die Differenzierung und Einteilung derselben, sehr brauchbare Merkmale. Limnophilus deeipiens Kol. Die bisher nicht beschriebene raupenförmige Larve ist 23 mm lang und am breitesten Körperteile, dem ersten Abdommalsesinente 4 mm breit. Der ovale, dorso-ventral komprimierte Kopf ist von gelber Grundfarbe und zeigt folgende Zeichnungen:" Die geschlossenen, braunschwarzen Gabellinienbinden schliessen sich ziemlich eng der Gabellinie und ihren Ästen, besonders im mittleren Teile der Letzteren an, so dass sie hier eine medianwärts gerichtete spitze Ausbuchtung zeigen und reichen lateral soweit, dass die Augen zur Hälfte innerhalb von ihnen zu liegen kommen. Die, aus mittelgrossen braunen Punkten bestehenden Punktreihen der Pleuren sind bis auf einen schmalen, den Hinterkopf umgebenden Saume, sowie einer etwas breiteren, in den lateralen Teilen derselben, vom Hinterhauptlochsrande bis zu den Augen verlaufenden Binde, reduziert. Im Bereiche beider von den Punktreihen eingenommenen Zonen ist die Cutieula bräunlicher gefärbt. — Von der seitlichen Um- gebung der Augen aus zieht jederseits auf die ventrale Kopffläche ein kurzes schmales braunes Band und vom Hinterhauptlochsrande aus ver- laufen nahe und symmetrisch von der Medianlinie oral-ventral mehrere kurze, dunkle Punktreihen — alle übrigen Teile der Pleuren sind gelb. Die Zwischengelenkmembran ist von weissgelblicher, die Oberlippe von hellbräunlicher Farbe. Die Mundteile sind denen der vorigen Larve konform organisiert; die Mandibeln tragen 5 niedrige, abgerundete Zähn- chen; an der Unterlippe sind die drei abgestumpften Sinneshaare am Lobus externus und an dem Basalkissen desselben sehr kräftig entwickelt. Die ebenfalls wie bei der vorigen Larve ausgebildeten und mit Dornen, Spitzenkämmen, Haarbüscheln und Borsten in derselben Weise ausge- rüsteten Beine sind im allgemeinen von gelbbräunlicher, die Aussenseite der Hüften von brauner Farbe. Das Pronotum ist gelb und von einem dunklen Rande umgeben. Das vorderste Drittel desselben, sowie ein schmaler Streifen entlang des hinteren Randes sind von brauner bis schwarzer Färbung. Die x-förmige 76 Figur ist wie bei vielen zu dieser Gruppe gehörigen Larven klein und häufig schwach ausgeprägt. Die Seitenfiguren sind dadurch, dass die Outieula ihrer Umgebung braun tingiert ist, oft wenig deutlich wahrnehmbar. Am Mesonotum ist entweder nur das Mittelfeld allein dunkler gefärbt und die Seitenfelder zeigen die gelbliche Grundfarbe, oder es ist völlig braun. Die viereckigen, ungleichseitisen Stützplättchen des zweiten und dritten Beinpaares sind von bräunlicher Farbe. Die 3 Höcker des ersten Abdominalsegments sind kräftig ausgebildet. Die Seitenlinie verläuft vom zweiten bis zum 8ten Abdominal-Segmente. Die Rückenschilder des neunten und zehnten Segments sind von hell- bräunlicher Farbe und in ähnlicher Weise wie bei der Larve von L. nieri- ceps Zett. mit Borsten ausgerüstet. —. Das Larven- und Puppengehäuse habe ich früher beschrieben (Illustrierte Zeitschrift für Entomologie Bd. 4.) Die Charakterisierung der Nymphe von L. decipiens Kol. muss, da ich keine solche erlangen konnte, späteren Beschreibungen vorbehalten bleiben. Mit der Larve von L. decipiens Kol. besitzt die von L. rhomni- cus L. (Beschreibung s. U. I) hinsichtlich der Zeichnung und Färbung des Kopfes und der Brustsegmente grosse Ähnlichkeit, die noch dadurch erhöht wird, dass bei beiden Larven, wie überhaupt bei allen zu dieser Gruppe zu rechnenden Larven, die Intensität der braunen und dunklen Farbentöne eine sehr wechselnde sein kann. Nichtsdestoweniger ist sie Ersterer gegenüber dadurch wohl charakterisiert, dass bei ihr die Gabel- linienbinden nicht in engem Anschlusse an die Gabellinie und ihre Äste, sondern entfernter von derselben, in leichtem, lateralwärtsgerichteten Bogen über die Pleuren verlaufen. Dadurch wird der die gelbe Grundfarbe zeigende, von Teilen der Pleuren und des Olypeus gebildete Raum zwischen ihnen ein weit grösserer als bei jener Larve. (s. Abb. 15, Tafel I.) Die von Klapälek beschriebene Larve von L. lJunatus Ct. ist gegenüber den beiden vorigen Arten im allgemeinen durch ein bedeutend helleres Colorit ausgezeichnet. Individuen, bei denen die Gabellimien- binden von schwarzer Farbe gewesen wären, sind mir bisher nicht zur jeobachtung gelangt. Die Gabellinienbinden sind vielmehr ebenso wie die Clypeusfigur von bräunlicher Farbe und lassen beide die Punktzeich- nungen meist deutlich durchblicken, ja, bei jugendlichen Tieren bestehen die Grabellinienbinden häufig nur aus Punktreihen. Die Cuticula im Bereiche der pleuralen Punktreihen ist nicht dunkler als die übrige Cuticula des Kopfes; ihr Verlauf ist daher deutlich zu verfolgen. Die Querfurche des Pronotums ist meist etwas brauner tingiert. Der Raum zwischen ihr und dem Vorderrande des Segments ist für gewöhnlich von der gelben Grundfarbe der übrigen Oberfläche und nimmt nur bei stärker ausgefärbten Larven einen etwas mehr bräunlichen Ton an, In 77 letzteren Fällen tritt auch längs des Hinterrandsaumes ein schmaler, bräun- licher Streifen auf. Dass das Ende des Seitenrandsaumes häufig mit dem Komma des Seitenfeldes zu einer bogenförmigen Linie verschmilzt, ist bereits oben erwähnt worden. —- Das Mesonotum bleibt meist ganz gelb und die Punktreihen desselben treten dann deutlich hervor; nur bai sehr dunkel gefärbten Larven nimmt das Mittelfeld desselben einen bräun- lichen Ton an. Bei diesen pflegt auch die sonst lichtgelbe Grundfarbe des Kopfes eine braungelbe zu werden. Limnophilus fuseicornis. Rb. Die bis dahin nicht beschriebene, raupenförmige Larve ist 18 mm lang und 4-5 mm breit. Die Grundfarbe des ovalen, dorso-ventral- komprimierten Kopfes ist eine gelbe bis gelbbräunliche, die der Gabel- linienbinden und der Clypeusfigur eine dunkelbraune Von den übrigen, zur Gruppe I,b zu zählenden Larven, ist sie dadurch wohl unterschieden, dass die einzelnen Punkte der auf den Pleuren beiderseits in vollem Umfange, d. h. vom Scheitel bis an die ventrale Kopffläche, ent- wickelten Punktreihen von auffälliger Grösse sind (s. Abb. 11 Tafel I). Die ventrale Fläche des Kopfes zeigt eine gleichmässig hellbräunliche Farbe, nur nahe und symmetrisch zur Medianlinie verlaufen vom Hinter- hauptlochsrande in oral-lateraler Richtung wmehrere kurze Punktreihen. Die Mundteile sind in der gewöhnlichen Art organisiert; die Mandibeln tragen 5 kurze abgerundete Zähnchen. Das Pronotum ist von gelber Farbe und am postsegmentalen Rande von einem breiteren, an den Seitenrändern und am Vorderrande von einem schmalen, dunklen Saume eingefasst. Die Querfurche ist bräunlich tingiert, ebenso ein schmaler Saum entlang dem hinteren Rande. Der zwischen Ersterer und dem Vorderrande belegene Raum zeigt eine Anzahl von in mehreren Reihen angeordneten Punkten, die zum teil, ebenso wie die zerstreut stehenden Punkte der übrigen Oberfläche längere und kürzere Borsten tragen. Das Mesonotum ist ebenfalls von gelber Farbe und das Mittelfeld bei allen mir vorliegenden Larven nicht dunkler als die Seitenfelder gefärbt. Die Punktlinien desselben treten sehr deutlich hervor, der schwarze Saum der Seitenränder ist beiderseits in eine, bis fast zu den Stützplättchen reichende Spitze ausgezogen. Die Beine sind von gelber Farbe und mit der normalen Punktzeichnung versehen; die Aussenseiten der Hüften sind nur wenig dunkler tingiert. Die 3 Paar Chitinpunkte des Metathorax, die Stützplättchen aller Stützfortsätze und die Rücken- schilder des neunten und zehnten Segments, welche dunkle längere und kürzere Borsten in derselben Zahl und Anordnung wie die Larve von L. nigricep Zett. tragen, sind von blasser, gelbbräunlicher Farbe. Die 78 Kiemenfäden der Larve von L. fuscicornis Rb. sind nach Schema II angeordnet. Das Larvengehäuse habe ich früher beschrieben, Str. IT und I. Die Nymphe ist 15—17 mm lang und etwa 4 mm breit. Ihr braungefärbter Kopf ist von querovaler Form. Auf der mässig vor- gewölbten Stimme stehen zwei Paar und auf dem Scheitel zwei längere dunkle Borsten. Die fadenförmigen, gegen das distale Ende hin sich verjüngenden Fühler reichen bis zum postsegmentalen Rande des achten Segments. Ihr Grundglied ist dicker und länger als die einzelnen übrigen Glieder. Die Mundteile sind von derselben Organisation wie bei der Nymphe von L. nigriceps Zett. Die Palpi maxillares der männlichen Nymphe dreigliedrig; die der weiblichen fünfgliedrig; ihr erstes Glied am kürzesten, die übrigen Glieder ziemlich gleich lang. Palpi labiales dreigliedrig, das erste und zweite Glied gleich lang, etwas kürzer als das dritte. Die Rückenschilder der Thorakalsesmente von brauner Färbung. Die Flügelscheiden reichen bis zum präsegmentalen Rande des achten Segmentes, ihre Apices sind leicht gerundet. Spornzahl der Beine: 1, 3, 4; nur die Tarsalglieder des zweiten Beinpaares sind mit langen, hellen Schwimmhaaren in ausgedehntem Masse bekleidet. Die lateralen Ränder der Rücken- und Bauchschuppen der Abdo- minalsegmente, ausgenommen die des ersten, sind durch schmale dunkle Ohitinleisten begrenzt. | Die Rückenschuppen des ersten bis achten Abdominalsegmentes sind in den vorderen zwei Dritteln dunkelbraun, in ihren hinteren Dritteln hellbräunlich tingiert. Die Bauchschuppen sind hellbräunlich, ihre lateralen tänder innerhalb der Chitingrenzleisten und die seitlichen Teile der präsegmentalen Ränder dunkelbraun gefärbt. Die Lateralmembran ist beiderseits gelbweisslich. Der Haft- und Bewegungsapparat ist deutlich ausgebildet. Der postsegmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Hinterleibsringes ist in einen breiten, am distalen Ende in zwei rundliche, durch eine breite Einkerbung voneinander geschiedene, mit einer grösseren Anzahl von Dornen bewehrte Höcker gespaltenen Fortsatz verlängert. Auf seiner Oberfläche stehen jederseits von der Medianlinie 6 Borsten. (s. Abb. 12b, Taf. VD. Von den übrigen Abdominalsegmenten tragen braune Chitin- plättchen amı präsegmentalen Rande der dorsalen Oberfläche mit 6 Häkchen das dritte Segment 6 » vierte R , fünfte »0 8 y » sechste 5) » » siebente Das fünfte Segment trägt ausserdem an seinem, in der üblichen Weise modifizierten, postsegmentalen Rückenschuppenrande zwei grössere, 79 mit 10-12 oral gerichteten Häkchen besetzte Chitinplättehen. — Die Seitenlinie verläuft vom fünften bis achten Segment in der gewöhnlichen Weise. Die Kiemenfäden stehen in ähnlicher Anzahl und Anordnung wie bei der Larve auf den Lateralmembranen. Das zehnte, stark verschmälerte und zugespitzte Segment trägt an seinem hinteren Ende die stäbchen- förıigen Analanhänge, deren terminales, keulenförmig gestaltetes Stück mit sehr feinen Dornen und zwei längeren hellen Borsten besetzt ist. Jeder Fortsatz trägt ferner in gleichmässigem Abstande zwischen seiner Insertionsstelle und der Spitze je eine Borste. An der ventralen Fläche desselben Segments stehen nahe der Basis der Analanhänge jederseits 4 längere Borsten. Die dorsale Oberfläche desselben ist mit feinen Spitzen dicht besetzt; auf der Furche zwischen dem zehnten und neunten Segmente befinden sich neun und auf dem postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des achten Segments zahlreiche Borsten, in der Anordnung wie es die Abteilung Taf. VI Fig. 12 zeigt. Limnophilus politus. ML. Die von mir untersuchten Larven sind sämtlich ausgewachsene, dicht vor der Verpuppung stehende Tiere und zeigen infolgedessen bereits eine starke Zunahme der dunkleren Zeichnungselemente und Farbentöne, so dass das Mesonotum bereits völlig braun erscheint. Das Pronotum lässt jedoch noch erkennen, dass der, zwischen der Querfurche und dem praesegsmentalen Rande belegene Teil der Oberfläche stets dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt ist, und ebenso zeigt der Kopf noch deutlich, dass diese Larve der in Rede stehenden Gruppe an- gehört. Die Gabellinienbinden und die Clypeusfigur sind tiefschwarz ; letztere füllt den CUlypeus bis auf zwei kleine Stellen in seinem engeren Teile, die weissgelblich gefärbt erscheinen, völlig aus. Im Bereiche der, auf dem Scheitel entlang den Gabellinienbinden nicht deut- lich ausgeprägten, aus mittelgrossen Punkten bestehenden Punktreihen ist die Grundfarbe der Pleuren eine gelblichbraune, von den Augen bis zu den Mundteilen entlang den Gabellinienbinden, sowie im vorderen und mittleren Bezirke der ventralen Oberfläche eine weissgelbliche. Die übrigen Teile der Letzteren sind bräunlicher getönt; vom Hinterhaupt- lochsrande verlaufen nahe und symmetrisch zur Medianlinie in oral- lateraler Richtung mehrere kurze Punktreihen. Die Zwischengelenkmembran und die Oberlippe sind dunkelbraun. Die Beine sind, abgesehen von den Aussenseiten der Hüften, die dunkel- braun tingiert sind, von gelbbräunlicher Farbe. Im Übrigen zeigen weder die Mundteile noch die Beine Abweichungen von den üblichen Verhält- nissen. Die Mandibeln tragen 5 niedrige, abgerundete Zähnchen. Die 3 Paar Chitinpunkte der Metathorax, die Stützplättchen der Füsse und s0 die Rückenschilder des neunten und zehnten Segments sind gleichfalls dunkelbraun gefärbt. Hinsichtlich der Zahl und Anordnung der Kiemenfäden gehört die Larve zu denjenigen Larven, bei denen sie nach Schema II entwickelt sind. Das Larven- und Puppengehäuse habe ich früher beschrieben, Str. IH u. Die Nymphe ist bis 13 mm lang und 3—4 mm breit. Der Kopf, die Rückenschuppen der Thoracalsesmente sowie die des 8., 9. und 10. Abdominalsegments, die Lateralmembranen des Abdomens und die Bauch- schuppen des Letzteren sind von hellbräunlicher, die Rückenschuppen aller übrigen Abdominalsegmente von dunkelbrauner bis schwarzer Farbe. Die Fühler reichen bis zum siebenten, die Flügelscheiden bis zum vierten Hinterleibsringe. Die Tarsi des zweiten Beinpaares sind stark, die des hintersten Beinpaares schwach mit dunklen Schwimmhärchen bekleidet. Der Haft- und Bewegungsapparat ist gut entwickelt. Der Fortsatz des ersten Abdominalsegmentes ist von schlanker Gestalt, seine, mit zahlreichen Spitzen besetzten rundlichen Endhöcker stehen dicht beieinander, seine Seitenränder zeigen eine rundliche Ausbuchtung. In den lateralen Teilen seiner Oberfläche stehen jederseits 3 längere Borsten. Von den, in der gewöhnlichen Anordnung vorhandenen und in derselben Weise mit Chitinhäkchen ausgerüsteten Chitinplättchen tragen die des vierten Segmentes 5 Häkchen E vorn 3 » » » fünften » : \ hinten 11-13 » > » sechsten >» 4 3 > » siebenten N 4 > Am postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des achten Segmentes befinden sich zwei längere und zehn kürzere Borsten in der Anordnung, wie es die Figur 13a Tafel VI zeigt. Das neunte und zehnte Segment sind stark verschmälert. Auf der dorsalen Oberfläche derselben stehen im Bereiche der sehr undeutlich ausgebildeten Striktur zwischen ihnen 3 schwache dunkle Borsten jeder- seits von der Medianlinie. Die dorsale Oberfläche des zehnten Segmentes ist mit sehr feinen dunklen Spitzen bewehrt. Auf der ventralen Ober- fläche desselben Segmentes stehen jederseits nahe der Insertionsstelle der Analanhänge 4 längere Haarborsten. Die stäbchenförmigen Analfortsätze sind an ihrem lateralen Umfange von der Basis bis zum distalen Ende mit feinen Spitzen besetzt und tragen an den keulenförmig verdickten Enden 2 und an den zwischen Letzteren und der Basis befindlichen Teilen je zwei in gleichem Abstande von dieser und von einander inserierte Börstchen. 81 Die Larve von L. flavicornis F. (Beschreibuug s. U. II), welche, wie schon erwähnt ward, hinsichtlich ihrer Olypeusfigur als eine typische Vertreterin dieser Gruppe gelten kann, ist ausserordentlich ähnlich gezeichnet und tingiert wie die Larve von L. nigriceps Zett. Einen wirk- lichen charakteristischen Unterschied in der Färbung und Zeichnung des Kopfes und der Brustsegmente zwischen diesen beiden Larven und zwischen ihnen und den Larven von L. politus M'L. und L. stigma Öt., welche letztere auch hierher gehört, vermag ich auf Grund des mir bisher bekannt gewordenen Larvenmaterials nicht anzugeben. Es sei jedoch erwähnt, dass bei der Larve von L. flavicornis F. die Punkt- reihen der Pleuren auf dem Scheitel in grösserer Ausdehnung deutlich entwickelt zu sein pflegen und, dass andrerseits der dem postsegmentalen Rande parallel verlaufende dunklere Saum auf der Oberfläche des Pronotums der L. nigriceps-Larve sich meist bis auf die x-förmige Figur ausdehnt und sich auch auf die lateralen Punktreihen ausbreitet, was bei der L. flavicornis-Larve meist nicht der Fall ist. Für eine sichere Bestimmung dieser Larven sind daher noch weitere morphologische Details zu berücksichtigen und sei in dieser Hinsicht auf die Beschreibungen Ulmers (U. II) verwiesen. CGolpotaulius ineisus Ct. Auch die Larve dieser Art war bisher nicht bekannt. Obwohl die- selbe nicht zur Gattung Limnophilus gehört, sondern eine selbständige Gattung der Limnophilidae bildet (Colpotaulius Kol.), so erscheint sie doch den eigentlichen Limnophilidenlarven so konform organisiert, dass eine detaillierte Beschreibung derselben überflüssig erscheint. Die Länge der ausgewachsenen, raupenförmigen Larve beträgt 15—17 mm, ihre Breite 2—5 mm. Die Grundfarbe der dorsalen Ober- fläche ihres kleinen ovalen, dorso-ventral komprimierten Köpfchens ist wiederum im allgemeinen eine gelbe, die der Gabellinienbinden und der Olypeusfigur eine braune bis braunschwarze. Bei hell gefärbten Larven werden die Punktreihen in den Gabellinienbinden und die Punktzeich- nungen des Clypeus deutlich wahrnehmbar. Die aus 5—6 Reihen mittel- grosser Punkte zusammengesetzten pleuralen Punktreihen reichen auf der Scheitelstrecke nicht bis an die Gabellinienbinden heran, so dass zwischen ihnen und jenen ein schmales Band der gelben Grundfarbe sichtbar ist. Der zwischen den Augen und den Mundteilen befindliche dorsale Oberflächenteil der Pleuren, sowie die ventrale Oberfläche des Kopfes ist gleichmässig hellbräunlich tingiert, nur am Hinterhauptlochsrande bilden nahe und jederseits in gleichem Abstande von der ventralen Medianlinie eine kleine Anzahl von aus dunkleren Punkten zusammengesetzten Punkt- reihen ein kleines Dreieck, dessen Spitze lateral gerichtet ist. 82 Die Mundteile unterscheiden sich in ihrer Gestalt und Organisation in keiner bemerkenswerten Weise von der der Limnophilusarten. Die schwarzbraunen Mandibeln sind mit 4—5 kräftig entwickelten Zähnchen ausgerüstet. Das Pronotum ist von gelber Grundfarbe und von einem dunkleren Saume eingefasst. An den’ hinteren Teil jedes Seitenrandes schliesst sich lateral-ventral ein dreikantiges, am lateralen Rande dunkel gesäumtes gelb- braunes Chitinplättchen an. Die Querfurche ist wenig dunkler als die übrige Oberfläche tingiert, ebenso bleibt das erste Drittel der letzteren stets hell. Die typische, x-förmige Figur und die übrigen Punktzeichnungen des Pronotums sind deutlich ausgebildet. Die wagerechten Teile der x-förmigen Figur bestehen nur aus zwei, die der beiden gekrümmten aus 3 Punkten. Das Mesonotum zeigt entweder die gelbe Farbe des Kopfes und des Pronotums, oder sein Mittelfeld ist etwas bräunlicher als die Seitenfelder gefärbt. Die wie bei den übrigen Limnophilidenlarven organisierten und in derselben Anordnung und Zahl mit Dornen, -Spitzenkämmen, Borsten und Haarbüscheln ausgerüsteten Beinpaare sind von gelber bis gelbbräunlicher Farbe und mit denselben dunkleren Punkten wie jene verziert. An den Gelenkenden der Hüften, Schenkelringe, Schenkel und an den oberen Gelenkenden der Schienen sind die Chitinteile braunschwarz, Die 3 Paar Chitinfleckchen des Metathorax sowie alle übrigen, mit einer stärker chitinisierten Kuusula bedeckten Körperstellen sind von hell- bräunlicher Farbe. Die 3 Höcker des ersten Abdominalsegmentes sind sehr kräftig aus- gebildet; die Strikturen zwischen den Abdominalsegmenten mässig tief. Die Kiemen sind nach Schema II entwickelt. Das Hinterleibsende zeigt in seiner Organisation keine Abweichung von den bei den übrigen Lim- nophilidenlarven typischen Verhältnissen. Die Nymphe ist 10—11 mm lang und gegen 2 mm breit. Der gelb- bräunlich gefärbte Kopf ist von querovaler Form. Auf der nur schwach vorgewölbten Stirne stehen zwei Paar, auf dem Scheitel zwei längere dunkle Borsten in gleichem Abstande von der Medianlinie und von ein- ander. Die Fühler sind fadenförmig, verjüngen sich gegen ihr distales linde und reichen bis zum postsegmentalen Rande des achten Abdominal- segmentes. Ihr Basalglied ist dieker und länger als die einzelnen übrigen Glieder. Die gelbbräunliche Oberlippe besitzt dieselbe Form wie bei den Larven der Gattung Limnophilus und ist mit einer eleichen Anzahl, in gleicher Weise angeordneten Borsten ‚ausgerüstet. Auch die Mandibeln sind denen ebenderselben Larven völlig analog organisiert. Die Maxillar- taster der männlichen Nymphe sind dreigliedrig, die der weiblichen fünt- 83 gliedrig. Die Glieder sind von gedrungener Gestalt; bei der männlichen Nymphe ist das basale Glied kürzer als die beiden anderen, die gleich lang sind. Die Labialtaster sind ebenfalls dreigliedrig; die Glieder sind kurz und plump; das distale Glied ist länger als die beiden anderen. — Die Rückenschilder der Thoracalsegmente sind von gelbbräunlicher Färbung. Die Flügelscheiden reichen bis zum praesegmentalen Rande des fünften Segments. Das erste Flügelscheidenpaar ist schmal, am Apex gerundet, das zweite breiter und kürzer, sein Apex ebenfalls gerundet, der Hinterrand desselben nahe dem Apex tief stumpfwinkelig oralwärts eingebuchtet. — Spornzahl der Beine 1, 3, 4; Sporen lang und schlank, besonders am 2. und 3. Beinpaare. Die Tarsalglieder der vorderen Beine ohne Schwimmhaare; die der mittleren stark, die der hinteren schwach mit solchen versehen. Die lateralen Ränder der gelbbräunlich gefärbten Rücken- und Bauthschuppen der Abdominalsegmente, ausser denen des Ersten, sind durch feine, dunkle Chitinleisten begrenzt. Der Haft- und Bewegungsapparat ist nur schwach entwickelt. Der postsegmentale Rand der Rückenschuppe des ersten Abdominalsegments ist in einen breiten, kurzen, am distalen Ende in zwei kleine, stumpfe, an ihrer Spitze mit 2 Dornen ausgerüstete, Höcker gespaltenen, an seinem hinteren Rande mit einer stärker chitinisierten Cuticula bedeckten Fort- satz verlängert. Auf der dorsalen Oberfläche desselben befinden sich nur 2 schwache Borsten. \ Von den übrigen Abdominalsesmenten sind das vierte bis siebente inkl. am präsegmentalen Rande mit kleinen, braunen Chitinplättchen mit je 2 anal gerichteten Häkchen, das dritte mit einem solchen mit einem verkümmerten Häkchen versehen. Das fünfte trägt ausserdem am post- segmentalen Rande seiner, in der üblichen Weise gebildeten Rücken- schuppe, zwei kleine rundliche Chitinplättchen mit je 7—8 oral gekehrten Häkchen. Die Analanhänge des zehnten, ebenso wie des neunten stark ver- schmälerten Segments, sind ebenfalls von derselben Gestalt wie bei den übrigen Limnophilidenlarven. Dieselben tragen an den keulenförmig verdickten und dorsalwärts gekrüämmten‘ distalen Enden zwei, und an den zwischen letzteren und der Basis befindlichen Teilen je zwei, in gleichem Abstande von dieser und von einander inserierte Börstchen und sind an ihrem lateralen Umfange vom distalen Ende bis zu den hinteren Borsten mit feinen Spitzen besetzt. Die dorsale Oberfläche des zehnten Segmentes ist mit feinen Spitzen bedeckt; auf der Furche zwischen demselben und dem neunten Segmente stehen in gleichem Abstande von der Medianlinie je drei Borsten. Am postsegmentalen Rande der Rücken- schuppe des achten Hinterleibsringes befinden sich sechs längere und sechs kürzere Borsten. An der ventralen Oberfläche des zehnten Segmentes sind nahe den Insertionsstellen der Analanhänge, wie auch sonst, je vier a 6” 84 Borsten vorhanden. Die Kiemen sind wie bei der Larve nach Schema II geordnet. Die Larven- und Puppengehäuse habe ich früher beschrieben, St. IF und TI, pag: 17. Bei einer anderen Anzahl von Limnophilidenlarven (Gruppe II) sind im Gegensatz zu den im Vorhergehenden besprochenen Arten, die Gabellinienbinden von der Grundfarbe des Kopfes, besonders der Pleuren, nicht distinet getrennt, sondern gehen namentlich zwischen dem Hinter- hauptlochsrande und den Augen verwaschen in dieselbe über. Von der dunklen, ähnlich wie bei den vorigen Arten gestalteten Ulypeusfigur sind sie aber meist durch eine schmale Zone der helleren Kopfsrundfarbe deutlich geschieden. Limnophilus xanthodes M'L., Glyphotaelius pellu- cidus Oliv. und Grammotaulius atomarius F. sind auf solche Weise gezeichnet und gefärbt. Limnophilus xanthodes ML. Die Larve war bisher nicht bekannt. Sie ist von raupenförmiger Gestalt und 13 mm lang und 5—4 mm breit. Die Grundfarbe ihres Kopfes ist braungelb, die der Gabellinienbinden und der, wie bei der Larve von L. flavicornis F. gestalteten, im vorderen Teile bauchig erweiterten Olypeusfigur braun. Die Ersteren gehen in die Scheitel- und lateralen Teile der Pleuren ohne scharfe Grenze über, sind aber von der Clypeus- figur durch einen schmälen Streifen der hier besonders hell getönten Grundfarbe distinct geschieden. Die Punkte der pleuralen Punktreihen sınd blass und wenig deutlich sichtbar. Die ventrale Fläche des Kopfes ist von blassbrauner Farbe und zeigt am Hinterhauptlochsrande nahe der Medianlinie die üblichen kurzen Punktreihen. Die dorsale Kopfoberfläche ist mit nur spärlichen längeren Borsten versehen. Die Zwischengelenkmembran und die Oberlippe sind von bräunlicher Farbe. Die Mundteile sind in der bei L. nigriceps Zett. angegebenen Weise organisiert, die Mandibeln besitzen 5 deutliche zugespitzte Zähnchen. Die conform mit den Beinen der übrigen Limnophilus-Larven gebildeten Beine sind von gelblich brauner, die Aussenseite der Hüften von brauner Farbe. Das Pronotum ist gelb, mit einem dunklen Saume eingefasst und besonders in den vorderen und seitlichen Teilen mit dunklen Borsten besetzt. Die Querfurche ist leicht bräunlich tingiert, das vordere Drittel der Oberfläche bleibt hell. Die x-förmige Figur und die seitlichen Punkt- reihen sind deutlich wahrnehmbar. Das Mesonotum ist entweder gleichmässig bräunlich, oder nur sein Mittelfeld etwas dunkler als die Seitenfelder gefärbt; seine Punktreihen treten wenige hervor, das Ende des Seitenrandsaumes ist lateral stark verbreitert. Alle übrigen, mit einer stärker chitinisierten Cuticula bedeckten Körperstellen sind von hellbräunlicher Farbe. Die Höcker des ersten 85 Abdominalsegments sind kräftig entwickelt. Die. Kiemen sind nach Schema II geordnet. Die Nymphe ist 17—13 mm lang und 3—4 mm breit. Die mir vorliegenden Individuen sind noch wenig ausgefärbte und daher von all- gemein blasser, braungelblicher Farbe. Die lateralen Ränder der Rücken- und Bauchschuppen sind in der gewöhnlichen Weise mit dunklen, feinen Chitinleisten gesäumt. * Die Antennen reichen bis zum Ende des achten Hinterleibsringes, die Flügelscheiden bis zum fünften. Der Haft- und Bewegungsapparat ist kräftig organisiert. Der Fort- satz des ersten Abdominalsesgmentes ist von schlanker Form. Die an seinem distalen Ende befindlichen, schwach gerundeten: und mit zahl- reichen kurzen Spitzen besetzten Höcker sind durch keine breite, sondern durch eine spaltförmige Einkerbung von einander geschieden. Die Cutieula derselben, sowie des hinteren Randsaumes des Fortsatzes ist stärker chitinisiert und von dunkelbrauner Farbe. Zu beiden Seiten der Höcker stehen je 4 längere, schwache Haarborsten. ‘ Von den übrigen Abdominalsegmenten trägt Segment IV 5) V 2—4 vI 3 vu 5) analgerichtete, Segment V zu dem an seinem postsegmentalen Rande 18 oralgerichtete Häkchen. Das dritte Segment ist bei den mir vorliegenden Nymphen frei von solchen Organen. Die Analanhänge des X. Segments sind wie bei der Nymphe von L. politus ML. gebildet, nur stehen an dem dorsalen Umfange derselben, dicht über ihren Insertionsstellen ausserdem 2—3 sehr kleine Börstchen. Die dorsale Oberfläche des X. Segments ist mit kurzen Spitzen dicht besetzt; auf der Furche zwischen demselben und neunten Segmente befinden sich zu beiden Seiten der Medianlinie je 3 längere Haarborsten. Am postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des 8. Segmentes sind 2 längere und 6 kürzere Haarborsten bemerkbar. An der ventralen Oberfläche des zehnten Segmentes stehen nahe der Ansatzstelle der Analanhänge beiderseits wie gewöhnlich 4 längere Haarborsten. Die Larvengehäuse (Tafel IV Fig. 9) sind aus kleinen pflanzlichen Fragmenten, meist Blätterteilen, nach Baustil II (siehe Str. I pag. 5) her- gestellt, nicht gekrümmt, am vorderen Ende schräge abgestutzt, am hinteren Ende leicht abgerundet und daselbst mittels desselben Baumateriales bis auf eine stecknadelkopfgrosse Öffnung geschlossen. Die Umwandlung des Larvengehäuses in das etwas kürzere Puppengehäuse erfolgt in der üblichen Weise (cf. Str. I, pag. 10). Die Larven leben in flachen Gräben mit stagnierendem Wasser; die Imagines erscheinen Anfang Mai. 56 Die von Ulmer (U III) beschriebene Larve von Glyphotaelius pellueidus Oliv. (s. Tafel I, Fig. 7) unterscheidet sich wesentlich von -der Larve von L. xanthodes M’L., denn ihre Clypeusfigur und die Gabellinienbinden sind von braunschwarzer Farbe und das erste Drittel des Pronotums ist stets braunschwarz gefärbt. Ähnlicher sieht ihr bezüglich des Färbungscolorits die Larve von Grammotaulius ato- marius F. (Tafel I Fig. 8), doch ist Letztere von ihr durch die ganz abweichende Gruppierung der Punkte und Punktreihen innerhalb der Gabellinienbinden, die bei der Larve von L. xanthodes. M’L. ähnlich wie bei der von L. sparsus Ot. (Tafel I Fig. 12) stehen, besonders in der Scheitelstrecke derselben, deutlich zu unterscheiden. Auch sind die Punkte der pleuralen, sehr dicht stehenden Punktreihen bei dieser Larve weit kleiner als bei der L. xanthodes-Larve und endlich ist die x-förmige Figur des Pronotums meist aus einer grösseren Anzahl von Punkten als bei dieser zusammengesetzt. 4 Eine weitere Gruppe (Gruppe IV) von Limnophilidenlarven ist dadurch ausgezeichnet, dass ihre Köpfe eine gleichmässige dunkle Färbung aufweisen, die selbst die an Stelle der Gabellinienbinden vorhandenen und die auf dem Clypeus befindlichen Punktreihen bezw. Punktgruppen teilweise oder völlig verdecken. Man kann sich diese völlige Verdunkelung des Kopfes vielleicht auch dadurch zustandegekommen erklären, dass die Gabel- linienbinden, die Clypeusfigur und die Grundfarbe des Kopfes in Eins verschmolzen sind. Gewissermassen einen Übergang zu dieser Gruppe, zu der die Larven von Limnophilus auricula Ct., Limnophilus sparsus Ct., Limnophilus griseus L. und Phacopteryx brevipennis Ct. zu zählen sind, bieten bezüglich ihrer Kopfzeichnung einige andere Larven, Limnophilus vittatus F. und Limnophilus bipunctatus Ct., bei denen die Gabellinien- binden sich zwar von der Farbe der Scheitel- und oberen seitlichen Teile der Pleuren markiert abheben, mit der des Olypeus aber völlig verschmelzen, so dass der Kopf von oben gesehen, mehr oder weniger gänzlich dunkel erscheint (Gruppe III). Die Larve von Limnophilus vittatus F. ist bereits von Pictet (l. ec. 156) und von Walser!) kurz skizziert worden. Das schlanke, ovale Köpfchen dieser 10—12 mm langen und gegen 2 mm breiten Larve zeigt,die dunkelbräunlichen Gabellinienbinden mit der gleichfarbigen, den Ulypeus gänzlich ausfüllenden Figur völlig verschmolzen (Abb. 9, Taf. I). Die lateralen, von sehr blassen, aus kleinen Punkten bestehenden Punktreihen bedeckten, sowie die ventralen Teile der Pleuren, sind ent- weder von gelblicher, oder von gelbbräunlicher Farbe. In ersterem Falle ‘) Walser, Trichoptera bavarica. pag. 70. 37 heben sich die Gabellinienbinden distinet. von der übrigen Farbe des Kopfes ab, in letzterem erscheint der ganze Kopf wie bei den folgenden Arten dunkel gefärbt. Ein runder Hof um jedes Auge, sowie die Zwischen- gelenkmembran sind von weisslicher, die Oberlippe von brauner Farbe. Die Mundteile sind im allgemeinen von derselben Beschaffenheit wie bei den übrigen Limnophilus-Larven. Die schlanken Mandibeln sind mit 4—5 teils zugespitzten, teils abgerundeten Zähnchen, ausgerüstet ; die an der medialen Seite ihrer dorsalen Fläche befindliche Bürste gelber Borsten ist in grösserer Ausdehnung als bei den anderen Limnophiliden- larven entwickelt. Von den ebenfalls wie bei den anderen Limnophilus-Larven organı- sıerten, im allgemeinen braungelb und nur an den Aussenseiten der Hüften etwas dunkler gefärbten Beinen, sind die hintersten etwas länger als die mittleren. Das Pronotum ist von gelber Grundfarbe und am Hinterrande mit einem breiteren, an den Seitenrändern und am. Vorderrande mit einem sehr schwachen dunklen Saume eingefasst. Die Punktzeichnungen sind deutlich sichtbar. Vom medianen Teile des Hinterrandes zieht sich über die x-förmige Figur zum Vorderrande eine schmale, leicht dunkler gefärbte Binde, die die ebenfalls dunklere Querbinde rechtwinklig schneidet, so dass das Pronotum von einem dunklen Kreuze bedeckt erscheint. Der dunkle Saum des Mesonotums weist meist an der Übergangs- stelle des Hinterrandes in die Seitenränder keine deutlichen Spitzen auf und reicht an den letzteren beinahe bis an den Vorderrand. Das Mittel- feld ist stets deutlich dunkler als die Seitenfelder tingiert. Die komma- förmige Linie der letzteren tritt — was bereits Pictet aufgefallen sein muss, da er dieselben als Zeichnung des Pronotums erwähnt und ab- bildet — sehr deutlich hervor. — Die Stützplättchen der Stützfortsätze und die drei verhältnismässig sehr grossen Punktpaare des Metatlıorax, sowie die Rückenschilder des IX. und X. Segmentes sind von hellb' auner Farbe. Letztere sind von der bei den Limnophilidenlarven typischen Form und in gleicher Weise mit dunklen Borsten bekleidet. Die Seiten- linie ist sehr schwach entwickelt und mit hellen Härchen besetzt. Die Kiemenfäden sind nach Schema II geordnet. Obwohl Pictet, Walser und auch A. Meyer) bereits das Larvengehäuse dieser Art beschrieben haben, so bedürfen ihre Beschreibungen doch in mehrerer Hinsicht einer Ergänzung. Dasselbe ist aus sehr feinen Sand- körnchen nach Baustil I hergestellt, leicht gekrümmt, 25 mm lang, vorne 2 mm weit und nach dem hinteren Ende zu so stark verjüngt, dass es daselbst — wie bei manchen Leptoceridenlarvengehäusen, cf. Str. I. 24 — keines besonderen Verschlusses mehr bedarf. Die Umrahmung der vor- 1) A. Meyer, Beiträge zu einer Monographie der Phryganiden Westfalens. 1864. 88 deren Öffnung ist sehr eigenartig gestaltet. Während im allgemeinen bei . den Limnophilidenlarvengehäusen gewöhnlich die den Kopf von oben deckenden Partien derselben dachartig vorspringt, ist hier der obere und untere Rand bogenförmig tief ausgeschnitten und die schmalen seitlichen Randteile springen dachfirstartig vor, s. Abb. 6a u. b. Tafel IV. Bei der Umwandlung zum Puppengehäuse wird das Larvengehäuse durch Abnagen des hinteren Endes bis auf 18 mm verkürzt, vorne gerade abgestutzt, die hintere Öffnung durch ein weitmaschiges, derbes Gitter, dem kleine Sandkörnchen aufgelötet sind, die vordere Öffnung mittels eines leicht gewölbten Deckels aus Sandkörnchen, dem ein grobmaschiges Gitter nach innen eng angefügt wird, geschlossen. Die Larven fand ich im April, in verhältnismässig tiefen Gräben mit nicht fliessendem Wasser. — Die Jmagines erschienen im Mai und Juni. Bei der Larve von Limnophilus bipunctatus Ct. besitzt die Farbe des Clypeus und der Gabellinienbinden meist einen helleren Ton als wie bei der Larve von L. vittatus F.; die letzteren heben sich daher von den gelb- bräunlichen, hinteren seitlichen und von den bräunlichen vorderen seit- lichen Pleurenteilen häufig nicht so deutlich ab, wie bei den typischen Exemplaren der eben beschriebenen Art. Die Punktreihen der Gabel- linienbinden und die Zeichnungen des Ulypeus sind meist deutlich zu erkennen. Auf dem Pronotum ist keine kreuzförmige Binde vorhanden ; die wagerechten Teile der x-förmigen Figur besitzen die Neigung sich der dorsalen Medianlinie parallel zu stellen. Ulmer gab gelegentlich der Beschreibung dieser Art (Allgemeine Zeitschrift für Entomologie Bd. 6, pag. 134) an, dass die Oberfläche des Labrums keine Borsten trägt. Da dieses Vorkommnis angesichts des Um- standes, dass gerade dieser Körperteil bei den Limnophilidenlarven so übereinstimmend organisiert ist, sehr auffällig erschien, so untersuchte ich diese Larven daraufhin nochmals und konnte konstatieren, dass auch dieses Labrum mit genau derselben Anzahl von haarförmigen und stähb- chenförmigen Borsten ausgerüstet ist, wie die aller anderen Limnophiliden- larven. Vermutlich hat Ulmer ein Labrum, indem die Borsten, wie solches häufig zu beobachten ist, abgebrochen sind, vor sich gehabt. In einer früheren Arbeit (Str. II) hatte ich bei Beschreibung des (sehäuses dieser Larve die Vermutung ausgesprochen, dass nicht Teiche als der gewöhnliche Aufenthaltsort derselben anzusehen seien, sondern dass sie Bäche mit sandigem Grunde bevorzugen dürfte. In solchen, haupt- sächlich aber auch in flachen Wiesengräben, welche nur in den Herbst;,- Winter und Frühjahrsmonaten geringe Mengen meist nicht fliessenden \assers enthalten, im Sommer aber mehr oder weniger völlig auszu- trocknen pflegen, habe ich sie seither auch nimmer gefunden; (s. auch Ulmer. lse.): 89 In ebendenselben Gewässern kommen ebenso häufig die Larven von L. griseus L., sparsus Ct., auricula Üt., Colpotaulius ineisus Ct. und anscheinend ‘auch L. affınis Öt. vor. Der Beschreibung des Larvengehänses ist hinzuzufügen, dass einmal statt der Sandkörnchen auch sehr kleine Conchylien zur Verwendung gelangen, und dass ferner bei jugendlichen Gehäusen ausserordentlich häufig der Rücken derselben mit pflanzlichen Fragmenten, welche der Längsrichtung der Gehäuse parallel gerichtet sind und sperrig von den- selben abstehen, belegt ist (Abb. Sa und b Tafel IV). Limnophilus sparsus. (Ct. Die Larve entdeckte ich vor drei Jahren; sie ist bisher noch nicht beschrieben. Die Länge ihres Körpers beträgt 16—17 mm, die Breite 3—4 mm. Der Kopf ist von der üblichen Form und an der dorsalen Oberfläche von gleichmässiger gelbbräunlicher Grundfarbe. Die Gabel- linienbinden sind nur durch, teilweise aus Doppelpunkten zusammen- gesetzten Punktreihen angedeutet. Dieselben sind ebenso wie die keilförmige Figur und die übrigen Punkte des Clypeus häufig blass und dadurch wenig deutlich sichtbar. Die 5—6 pleuralen, aus Doppelpunkten gebildeten Punktreihen haben einen recht regelmässigen, wenig gewundenen Verlauf und schliessen sich auf dem Scheitel ziemlich dicht an die, die Gabel- linienbinden vertretenden Punktreihen an. Die ventrale Oberfläche des Kopfes, welche am Hinterhauptlochsrande zu beiden Seiten der Median- linie mit den üblichen Punktreihen verziert ist, die Zwischengelenkmembran und die Oberlippe sind von hellbräunlicher Farbe. Die Mundteile sind im allgemeinen in der normalen Weise entwickelt; die 2 abgestumpften Sinneshaare auf der medialen Fläche des Basalteiles des Lobus externus sind von auffälliger Stärke; die Mandibeln tragen je 5 niedrige, ab- gerundete Zähnchen. Die, im Übrigen wie bei den anderen Limnophilidenlarven organisierten Beine, sind von blasser gelbbräunlicher Farbe und ebenso gefärbt sind das Pro- und Mesonotum, sowie alle übrigen mit einer stärker chitini- sierten Cuticula bedeckten Teile der T'horacal- und Ahdominalseemente. Das Pronotum ist nur an den Seitenrändern und am Hinterrande deutlich dunkler gesäumt; die sonst gekrümmten, aus 5—6 Punkten bestehenden Teile der x-förmigen Figur bilden einen rechten Winkel. Die lateralen Punktlinien sind kurz und wenig deutlich ausgeprägt. Der vordere Rand und die seitlichen Teile der Oberfläche desselben sind mit einer grösseren Anzahl dunkler kurzer Borsten besetzt: Die Oberfläche des Mesonotums ist ebenfalls mit dunklen Borsten in grösserer Anzahl bedeckt; sein Mittelfeld ist — häufig nur in der vorderen Hälfte — kaum merklich dunkler als die Seitenfelder; seine Punktreihen sind blass und undeutlich. Jeder Seitenrandsaum ist an seinem Ende stark verbreitert. 907, Die Höcker des ersten, an der dorsalen und ventralen Oberfläche mit dunklen Borsten versehenen Abdominalsegmentes sind mässig kräftig ausgebildet. Das Hinterleibsende ist in der gewöhnlichen Weise geformt. Auf dem hinteren Rande des pentagonförmigen Schildchens des 9. Segments befinden sich 3 längere, dunkle Borsten uud dazwischen eine Anzahl kürzere. Der anale Rand jedes Rückenschildes des 10. Segments trägt 3, der mediane eine längere, die dorsale Oberfläche desselben mehrere kleine dunkle Borsten. Die Kiemenfäden sind nach Schema II arrangiert. Die Nymphe ist 14mm lang und 3—4 mm breit. Die mir vor- liegenden, wenig ausgefärbten Exemplare, sind von blasser gelbbräunlicher Farbe; die lateralen Ränder der Rücken- und Bauchschuppen der Ab- dominalsesmente sind in der üblichen Weise mit feinen dunklen Chitin- leisten eingefasst. Die fadenförmigen Antennen reichen bis zum Ende des Sten, die Flügelscheiden bis zum Ende des 4ten Hinterleibsringes. — Die Tarsi des dritten Beinpaares sind schwach, die des zweiten stärker mit zarten Schwimmhaaren versehen. Der Haft- und Bewegungsapparat ist mässig kräftig entwickelt. Der Fortsatz des ersten Abdominalsegmentes ist kurz, die rundlichen, mit Spitzen bewehrten Höcker an seinem distalen Ende sind niedrig und durch eine flache Einkerbung voneinander getrennt. Zu beiden Seiten von denselben stehen an seiner dorsalen Oberfläche je 3 Borsten. | Von den übrigen Abdominalsesmenten tragen das zweite bis siebente auf den, an ihren praesesmentalen Rändern befindlichen Chitinplättchen je 3 Häkchen, das fünfte auf den, an seinem postsesmentalen Rande vorhandenen Plättehen, 7 Häkchen. Die Analanhänge des zehnten Segmentes sind nur an ihrem distalen Ende mit feinen Spitzen versehen und tragen je 4 Borsten in der üblichen Anordnung. Die dorsale Oberfläche desselben ist mit feinen Spitzen be- deckt; auf der Furche zwischen dem neunten und zehnten Segmente stehen in der Medianlinie 4 sehr kleine und beiderseits davon je 3 längere Borsten, auf dem postsegmentalen Rande des Sten Segmentes 10 dunkle Borsten in der Gruppierung wie es die Figur 14a, Tafel VI nachweist. An der ventralen Oberfläche des X. Segmentes sind nahe den Insertions- stellen der Analanhänge die üblichen 4 Borsten und lateral davon je 3 sehr kleine Börstehen wahrnehmbar. — Die Kiemenfäden sind in ähn- licher Weise wie bei der Larve geordnet. Das Larven- und Puppengehäuse habe ich früher beschrieben, StrI, 21. Da die dort gegebenen Abbildungen derselben keine gute waren, bringe ich sie hier Tafel IV, Fig. 11 a u. b nochmals in exakterer Ausführung. Phacopteryx brevipennis. (Üt. Die Larve entdeckte ich vor einigen Jahren; ihr Gehäuse beschrieb ich mehrfach in den erwähnten Abhandlungen. Sie ist von raupenförmiger a Gestalt, im allgemeinen von der gleichen äusseren Körperorganisation wie die zur Gattung Limnophilus gehörenden Larven und von 10—12 mm Länge und 1—2 mm Breite. Die Farbe der dorsalen Kopfoberfläche ist eine gleichmässig. dunkelbraune — nur die Höfe um die Augen sind weisslich, und eine schmale Zone der hintersten Pleurenteile etwas heller gefärbt, so dass häufig die pleuralen Punktreihen sichtbar werden. Bis- weilen tritt an der Spitze des Clypeus ein ähnlicher hellerer Fleck auf wie bei der Larve von L. auricula Öt. Die ventrale Kopfoberfläche ist etwas heller tingiert und mit den üblichen kurzen Punktreihen in ihrem hinteren Teile bedeckt. Die Mundteile zeigen dieselbe Organisation wie die der zur Gattung Limnophilus Leh. gehörigen Larven. Die Mandibeln tragen 4—5 zugespitzte Zähnchen. Die Beine sind von hellbräunlicher Farbe. Die Ränder der Chitinteile sind an den Articulationen schwach dunkel umrandet, am dunkelsten am unteren Ende des Femurs und am oberen der Tibia. Die bei den Limnophilidenlarven sonst vorhandenen Punktzeichnungen sind an den mir vorliegenden Individuen nicht bemerkbar. Die an allen Beinen an der Innenkante der Tarsen, Tibien, der Oberschenkel und der Trochanteren vorhandenen Spitzenkämme sind sehr niedrig, Nur am vordersten Beinpaare stehen ausserdem an der unteren Innenkante des Trochanters und an der obersten Innenkante des Femurs sehr spärliche helle Haare. An der Innenkante der Oberschenkel befinden sich ferner, am vordersten Beinpaare zwei helle dornenartige, an den anderen Bein- paaren zwei längere dunkle Borsten. — Jede Klaue ist mit einem Basal- dorne, jede Tibie am unteren Ende mit zwei hellen Dornen versehen. An letzterer Stelle befindet sich auch meist noch ein weiterer sehr kleiner Dorn, wie dieses auch bei anderen Limnophilidenlarven zu beobachten ist. Am unteren Ende der Innenkante des Trochanters stehen am vordersten Beinpaare zwei, an den anderen Beinpaaren je ein Dorn. Im Übrigen sind vereinzelne längere, dunkle Borsten an allen Gliedern der Beine, aber nur in sehr geringer Anzahl, vorhanden. Das Pronotum ist braun gefärbt, das Mesonotum, die Beine und alle übrigen, mit einer stärker chitinisierten Cutieula bedeckten Körper- teile, sind von hellbräunlicher Farbe. Das Pronotum ist von einem dunklen, am Vorderrande sehr schmalen dunklen Saume umgeben, die Punktfiguren sind sehr blass; die gekrümmten Schenkel der x-fürmigen Figur verlaufen nur in ihrem vordersten Teile parallel und divergieren in ihren hinteren Teilen stark in lateraler Richtung. Die Punktreihen des Mesonotums treten ebenfalls wenig deutlich hervor ; sein Mittelfeld ist kaum dunkler als die Seitenfelder, die Seitenrandsäume erweitern sich an ihren Endpunkten knopfförmig — im übrigen ist die Oberfläche derselben ebenso wie der vordere Rand und die lateralen Teile des Pronotums mit längeren Borsten in grösserer Anzahl besetzt. — Die Höcker des ersten 92 Abdominalsegmentes sind von schlanker, konischer Gestalt. Die Strikturen zwischen den einzelnen Hinterleibsringen sind mässig tief, die Seitenlinie und das neunte und zehnte Hinterleibssegment sind in analoger Weise 'wie bei den Limnophilus-Larven gebildet und die Rückenschilder dieser Segmente mit einer gleichen Anzahl Borsten wie bei diesen ausgerüstet. Die Kiemenfäden sind nach Schema II arrangiert. Die Nymphe ist bis 12mm lang und 2—3 mm breit. Die mir vorliegenden Exemplare sind wenig ausgefärbt und von blassbrauner Farbe. Die Antennen simd nicht länger als der Hinterleib, die Flügel- scheiden reichen bis zum vierten Segmente. Der Haft- und Bewegungsapparat ist wenig kräftig organisiert. Der Fortsatz des ersten Hinterleibsgliedes unterscheidet sich von denjenigen der Limnophilus-Nymphen dadurch, dass er kurz und seine, durch eine wenig tiefe Einkerbung nicht völlig von einander getrennten, mit zahl- reichen Spitzen besetzten Höcker breit und niedrig sind und nicht abgerundete Ecken besitzen, s. Fig. 18b, Taf. VI. In dem hinteren Drittel der dorsalen Oberfläche desselben Segmentes stehen nahe den lateralen Rändern je drei sehr kurze Börstehen. Von den übrigen Abdo- minalsegmenten trägt auf kleinen braunen Chitinplättehen Segment 100 f 2 IV 3) V vorne 2 hinten 812 VI 2 VII 2 ssakläkchen? Das neunte und zehnte Segment sind stark verschmälert und dorso- ventral komprimiert. Letzteres trägt an seinem Ende stäbchenförmige Analanhänge wie bei den Limnophilus-Nymphen. Dieselben sind nur an ihren distalen Enden mit feinen Spitzen bewehrt und mit nur drei Borsten, sowie es die Zeichnung 18a, Tafel VI lehrt, besetzt. Die dorsale Oberfläche desselben Segments ist mit feinen Spitzen bedeckt; auf der Furche zwischen demselben und dem neunten Segmente stehen in der Mitte zwei kleine und lateral davon je drei längere Borsten. Auf dem postsegmentalen Rande des achten Segmentes befinden sich vier kürzere und acht längere Borsten in der, auf ebenderselben Zeichnung dargestellten (Gruppierung. Die ventrale Oberfläche des 10. Segmentes trägt nahe der Insertionsstelle der Analanhänge beiderseits 4 längere Borsten. Die Seitenlinie verläuft von der Mitte des fünften Segmentes, in deutlicher Ausprägung erst vom sechsten Segmente an, in der normalen Weise bis auf die ventrale Oberfläche des achten Segmentes. Die Kiemenfäden sind in ähnlicher Ausbildung und Anordnung wie bei der Larve vorhanden. y3 Limnophilus aurieula. (Ct. Pictet (l. ec. 158, Phryganea nigridorsa. Mihi) gab eine. kurze Beschreibung dieser Larve. Derselben ist folgendes hinzuzufügen: Die raupenförmige Larve ist 10—12 mm lang und 2 mm breit. Die dorsale Oberfläche ihres ovalen Köpfchens ist meist, abgesehen von einem weissen Hofe um die Augen und von der weisslichen Zwischengelenkmembran, dunkelbraun. Bei heller tingierten Tieren tritt ausserdem an der Spitze des Ulypeus ein dreieckiger hellgefärbter Fleck auf, und im Bereiche der pleuralen Punktreihen erscheint die Uuticula statt braun, gelbbräunlich gefärbt, so dass die Ersteren sichtbar werden. Die ventrale Oberfläche desselben ist bis auf eine schmale, etwas heller tingierte Zone am Hinterhauptlochsrande, woselbst die normalen Punktreihen wahrnehmbar werden, bräunlich gefärbt. Die Mundteile und die bräunlichen Extremitäten lassen in ihrer Organisation keine Abweichungen von den normalen Verhältnissen erkennen. Das Pronotum und das Mesonotum sind von kräftiger brauner, alle übrigen, mit einer derber chitinisierten Cuticula bedeckten Körperteile von blassbrauner Farbe. Das Erstere ist nur an den Seitenrändern und am Hinterrande dunkler gesäumt; die Punktzeichnungen desselben sind klein und wenig deutlich erkennbar. Das Gleiche ist mit den Punktzeichnungen des Mesonotums der Fall.. Letzteres, sowie der vordere Rand der seitlichen Teile des Pronotums sind mit dunklen Borsten in grösserer Anzahl bedeckt. Die Höcker des ersten Abdominalsegments sind von schlanker, kegelförmiger Gestalt. Das Hinterleibsende weicht in seiner Gestalt nicht von der üblichen Norm ab. Die Kiemenfäden sind nach Schema II geordnet. Die Nymphe ist etwa 10 mm lang und 1’'/; mm breit. Die Exemplare, welche ich untersuchen konnte, sind noch wenig ausgefärbt und im allgemeinen von blassbrauner Farbe. Die fadenförmigen Antennen reichen bis zum 8., die Flügelscheiden bis zum Ende des 4. Hinter- leibsgliedes. Der Haft- und Bewegungsapparat ist nur schwach aus- gebildet. Der Fortsatz des ersten Hinterleibssegmentes (Taf. VI, Fig. 17 b) ist kurz, die an seinem distalen Ende befindlichen Höcker sind niedrig, nur durch eine flache Einkerbung geschieden und mit wenigen Spitzen besetzt. In den lateralen Teilen seiner Oberfläche steht je eine Borste. Das dritte Abdominalsegment trägt an seinem praesegmentalen Rande 5, alle übrigen Segmente incl. des 7. Segments an derselben Stelle 3—4 Häkchen; das fünfte ausserdem an seinem postsegmentalen Rande 12 Häkchen. Das zehnte, gleich wie das neunte stark verschmälerte Hinterleibs- segment. trägt an seinem hinteren Ende die, nur an dem terminalen Teile mit feinen Spitzen, im übrigen mit je 4 recht langen, dunklen Borsten 94 % in der üblichen Anordnung ausgerüsteten Analanhänge. Auf seiner, mit feinen. Spitzen bedeckten dorsalen Oberfläche befinden sich nahe den Insertionsstellen der Analanhänge beiderseits je 4 Borsten. Auf der Furche zwischen dem zehnten und neunten Segmente befinden sich neun und auf dem postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des 8. Segments zehn Borsten in der Anordnung wie es die Abb. 17a, Taf. VI zeigt. Auf der ventralen Oberfläche des X. Segments stehen nahe der Basis der Analanhänge jederseits 4 und auf der Furche zwischen dem zehnten und neunten Segmente jederseits 2 kleine Borsten. . Die Kiemen sind in ähnlicher Weise wie bei der Larve angeordnet, Pietet beschreibt die Larvengehäuse wie folst: Ces larves se font des dtuis (Fig. 5b) composes de fragmens de feuilles mortes; elles coupent des morceaux egaux et les joignent par leurs tranches. Ces etuis sont A-peu-pres cylindriques et assez reguliers. Quand elles veulent se meta- morphoser elles les ferment avec des pierres. Les larves recherchent les ruisseaux d’eau vive et peu profonds, elles eclosent au mois de Septembre et ne sont pas rares aux environs de Geneve. Es ist hinzuzufügen, dass die Gehäuse in ganz ähnlicher Weise wie die der Larve von Colpotaulius inceisus Ct. (siehe Str. II und I) aus kleinen Pflanzenteilen nach Baustil II hergestellt sind; nur in der Grösse bleiben sie ein wenig hinter jenen zurück. (Abb. 10 au. b. Tafel IV). Zuweilen finden sich jedoch an den Köchern kleine Teile nach Baustil I aus feinen Sandkörnchen angefertigt, vor. Im Gegensatz zu Pictet fand ich die Larven vorwiegend in flachen Gräben mit stehendem, bezw. nur schwach fliessendem Wasser und zwar stets in den ersten Frühlingsmonaten, und die Imagines erschienen im Mai. Da Pictet nun angiebt, dass die Letzteren im September ausschlüpften, so ist anzunehmen, dass in der Schweiz zwei Generationen von L. auriceula Ct. auftreten. Übrigens erwähnt auch Fr. Ris!), dessen Arbeiten zahlreiche, sehr wertvolle biologische Beobachtungen über die schweizer Trichopteren und auch über ihre Larven enthalten, dass fast alle Limnophiliden der schweizer Fauna zwei deutlich. getrennte Generationen, die eine im Früh- sommer von Mitte Mai bis ungefähr Ende Juni, die andere in der Regel im September, haben. Vergl. hierzu auch die Angaben in meiner Arbeit II am Schlusse. Limnophilus griseus L. Bei dieser, bereits ausführlich von Ulmer (U. 1I) beschriebenen Larve ist der Kopf, selbst bei ganz jugendlichen Individuen, bis auf die Höfe um die Augen und die Zwischengelenk- membran der Oberlippe, die weisslich gefärbt sind, und bis auf einen bisweilen vorhandenen hellen Fleck an der Spitze des’ Olypeus völlig ') Fr. Ris, Beiträge zur Kenntnis der schweizerischen Trichopteren, in d. Mit- teilungen der schweizerischen entomologischen Gesellschaft Vol. VIII, Heft 3, 1889. gleichmässig tief dunkelbraun. Von gleicher Färbung ist auch das Pro- und Mesonotum; nur bei ganz jungen Tieren kann man eben noch er- kennen, dass auch diese Chitinschilder mit derselben Punktzeichnung wie die anderen Limnophilidenlarven ausgerüstet sind. Die gekrümmten Teile der x-förmigen Figur bilden ähnlich wie bei der L. sparsus-Larve annähernd einen rechten Winkel, die geraden Teile verlaufen beinahe der dorsalen Medianlinie parallel. Das Larvengehäuse von L. griseus L., ist vielfach, zuletzt von Ulmer beschrieben worden. Es ist dieser Beschreibung hinzuzufügen, dass die Larve, die sonst im allgemeinen nach Baustil I ihre Köcher verfertigt (s. Tafel IV Ab. Ta, b,c.), häufig, besonders in der Jugend, auch kleine pflanzliche Materialen zum Bau derselben benutzt, und dieselben entweder quer, oder falls es sich um grössere, unregelmässig umrandete Stückchen handelt, schief quer um das Rohr lagert (s. Abb. 7 d,e, f Tafel IV). Die auf solche Weise verfertisten Köcher sind denen der Larve von L. sparsus Ct. recht ähnlich. Zu dieser Gruppe dürften endlich auch noch die Larven von Drusus trifidus Me. Lachl (beschr. von Klapälek I, 22) und Enoiecyla pusilla Burm. (beschr. von Ulmer Ill), von denen mir kein Vergleichsmaterial vorliegt, gehören. Während bei den bisher besprochenen Limnophilidenlarven die oben erwähnten, innerhalb der Gabellinienbinden und der Clypeusfigur bei allen dieser Familie angehörenden Larven vorhandenen Punkte und Punktreihen, -sich nur bei einigen Arten mehr bemerkbar machten und erst in zweiter Linie als Hilfsmittel für die Erkennung einer Art in Betracht kamen, bilden sie bei einer weiteren grösseren Gruppe der Limnophilidenlarven ausser den pleuralen Punktzeichnungen, das wesentliche Charakteristikum der Kopfzeichnung derselben, und die Gabellinienbinden und die Clypeusfigur sind entweder garnicht oder nur andeutungsweise ausgebildet. Typische Vertreter dieser Gruppe (Gruppe V) sind die Larven von: Stenophylax rotundipennis Br., Stenophylax stellatus Ct., Stenophylax nigricornis P. und andere Stenophylaxarten, ferner Microp- terna sequax M’L., Chaetopteryx villosa F. und endlich Halesus tesselatus Rb. und die nächsten Verwandten dieser Species. Je nach der Beschaffenheit der Punkte der Punktzeiehnungen, die entweder kleine oder auffällig grosse, plumpe sein können, lässt sich diese Gruppe wiederum in zwei Abteilungen zerlegen. Zur Letzteren (Gruppe Vb) gehören mehrere Halesus-Larven, zur Ersteren (Gruppe Va) alle übrigen eben angeführten Arten, Die meisten dieser Larven sind bereits durch Klapälek und Ulmer beschrieben, nur von Mieropterna sequaxM’L. steht eine eingehendere Beschreibung noch aus, denn Pictet (l. ec. 132) skizziert sie nur folgender- 96 massen: »La larve de cette espece (— Phryganea striata Fab. —) est grosse, sa tete et son thorax sont bruns, avec une bande longitudinale noire sur le corselet; le mesothorax et la metathorax ont quelques points noirs. Les pattes sont courtes et brunätres. L’abdomen est fauve, avec des sacs respiratoires peu nombreux. « Die raupenförmige Larve ist 13—19 mm lang und 3—4 mm breit. Der Kopf ist von eiförmiger, dorso-ventral komprimierter Form und an seiner dorsalen Oberfläche mit einer grösseren Anzahl dunkler steifer Borsten bedeckt. Die Grundfarbe der Scheitel- und der seitlichen Teile der Pleurae, sowie des oberen Teiles des Olypeus ist eine gelbliche bis gelblichbraune, die der ventralen Teile der Pleurae, sowie die des Hyposto- mums eine gelblichbraune bis 'braune. Die dorsalen vorderen Teile der Pleurae, sowie die vorderen Teile des Clypeus sind meist gelbbraun bis dunkelbraun tingiert, so dass die in dem letzteren Teile befindlichen Punktgruppen nur schwer zu erkennen sind. — Im allgemeinen scheint die Färbung des Kopfes eine hellere zu sein als bei der Larve von M. nyeterobia M’L., doch liegen mir von Letzterer zu wenige Exemplare vor, als dass sich dieses mit völliger Sicherheit feststellen liesse. Die Punkt- reihen der, aus kleinen Punkten. bestehenden Gabellinienbinden sind in der Weise ausgebildet und angeordnet wie es die Abb. 11 Tafel II zeigt und treten bei hell gefärbten Individuen deutlich hervor. Letzteres gilt auch von den pleuralen Punktreihen, deren Verlauf und Ausbildungsweise im Wesentlichen dieselben sind wie bei den Larven der vorigen Gruppen. Die keilförmige Figur im hinteren, meist etwas lichter als die angren- zenden Pleurenteile erscheinenden, Teile des Olypeus ist sehr deutlich wahr- nehmbar; die im unteren Teile desselben befindlichen, in der Abbildung auf Tafel II angegebenen Punkte dagegen sind nur bei hell. getönten Exemplaren zu erkennen., Die Augen sind von einem weisslichen Hofe umeeben. Die Zwischengelenkmembran und die Oberlippe sind von bräunlicher Farbe. Die Mundteile sind im Allgemeimen nach demselben Typus wie bei den Limnophilidenlarven organisiert. Die Oberlippe ist mit derselben Anzahl haarähnlicher und stäbchenförmiger Borsten wie bei jenen aus- oerüstet, die Unterlippe ist wie bei der Larve von M. nycterobia M’L. gebildet. Die Mandibeln tragen 5 teils zugespitzte, teils abgerundete Zähnehen. Das Pronotum ist von eelber bezw. gelbbräunlicher Farbe, am. hinteren Rande mit einem breiteren, gewulsteten, an den übrigen Rändern mit einem schmalen nicht gewulsteten dunklen Saume umgeben und mit zahlreichen, im vordersten Drittel in mehrere Reihen angeordneten, schwarzen kürzeren und längeren steifen Borsten bedeckt. Die Quer- furche ist schwach bräunlicher tingiert. Die, wie bei den Limnophilus- larven zusammengesetzten Punktfiguren sind meist deutlich ausgeprägt. Die x-förmige Figur ist von schlanker Gestalt, die geraden, aus 3 Punkten 3 bestehenden Teile derselben stehen nahe bei den gekrümmten Teilen. Das Mesonotum ist ebenfalls von gelber bis gelbbräunlicher Farbe, sein Mittelfeld ist nicht dunkler als die Seitenfelder. Auf seiner Ober- fläche stehen zahlreiche, dunkle Borsten, namentlich in der Nähe der ‚vorderen Teile der Seitenränder. Die Stützplättchen des zweiten und dritten Beinpaares und die 3 Paar Ohitinplättchen des Metathorax sind von gelbbrauner Farbe und mit längeren dunklen Borsten versehen. Die Beine sind von gelbbräunlicher Farbe, die Aussenkanten der einzelnen Glieder, besonders die der Hüften, Tarsen und Krallen deutlich dunkler gefärbt. An den Oberschenkeln und Tibien sind dieselben bräun- lichen Punkte vorhanden, wie bei den Larvenarten der Gattung Limno- philus Leh. Die Ränder der Chitinteile sind in gleicher Weise wie bei jenen (s. die Beschreibung von L. nigriceps Zett.) dunkler tingiert. Die Spitzenkämme an der Innenkante der einzelnen Glieder sind schwach ausgeprägt, besonders an den Tarsen des zweiten und dritten Beinpaares, und fehlen anscheinend an den Tarsen des ersten Beinpaares. Die Cuticula des ersten Abdominalringes ist ebenso wie die der Thoracal- segmente sichtlich bräunlicher tingiert, als die weissgelblichen Abdominal- segmente. Die Höcker des ersten Hinterleibseliedes sind von stumpfkegeliger Gestalt; die Rücken- und die Bauchschuppe. dieses Segments ist mit längeren dunklen Haaren bestanden. Die Strikturen zwischen den Hinterleibssegmenten sind wenig tief. Die Seitenlinie verläuft vom 3. bis 8. Segment und ist mit dunklen Härchen bekleidet. Auf dem postsegmentalen Rande der Rückenschuppe des Letzteren befinden sich zahlreiche dunkle Borsten. Die bräunlichen Rückenschilder des neunten und zehnten Segments sind mit einer ähnlichen Anzahl dunkler, längerer und kürzerer Borsten besetzt wie bei den zur Gattung Limnophilus Leh. gehörenden Larven. Die Nachschieber sind zweigliedrig, die Klauen tragen ein Rückenhäkchen. Nymphe. Es liegen mir nur Exuvien der Subimago vor. Dieselben sind gegen 18 mm lang und 3--4 mm breit.. Die: Mundteile sind wie bei Micropterna nycterobiaM. Lehl. (siehe Klapälek, II pag. 30) gestaltet. Die fadenförmigen, nach dem distalen Ende zu verjüngten Antennen reichen bis zum siebenten Abdominalsegmente, die Flügelscheiden bis zum vierten. Die Tarsi des zweiten und dritten Beinpaares, besonders die «es Ersteren, sind mit Schwimmborsten bedeckt. Der Haft- und Bewegungsapparat ist, namentlich was die Häkchen der Chitinplättchen des dritten bis siebenten Segmentes anbetrifft, stark entwickelt. Die Häkchen sind in derselben Weise wie bei den, im Vorher- gehenden beschriebenen Larven organisiert. 98 Es befinden sich auf Segment III 5—7 IV 9 V vorne 10 hinten 16 VI 10—13 VII 13 Häkchen. Der Fortsatz des ersten Hinterleibsringes ist mässig schlank und an seinem distalen Ende in zwei rundliche, durch eine tiefere rundliche Einbuchtung getrennte, nicht lateral divergierende, mit zahlreichen Spitzen besetzte Höcker gespalten. Auf der Oberfläche derselben stehen zahlreiche Borsten in der Anordnung, wie es die Abbildung 19b, Tafel VI zeigt. Der postsegmentale Rand des achten Segments trägt zwei längere und etwa 6 Paar kurze Borsten. Auf der Furche zwischen dem neunten und zehnten Hinterleibssegmente befinden sich an der dorsalen Oberfläche 3 Paar längere und 4 Paar kürzere Borsten. Die dorsale Oberfläche des zehnten Segments ist mit feinen Spitzen bedeckt. Die stäbehenförmigen Analanhänge sind bei den mir vorliegenden Exuvien ohne die üblichen, auch bei der Micropterna nycterobia-Nymphe, wenn auch anscheinend nur in sehr zarter Ausbildung vorhandenen Börstchen. Ob dieses immer der Fall ist, muss einstweilen dahingestellt bleiben. Das distale Ende der Stäbchen ist nur sehr schwach mit Spitzen besetzt. An der ventralen Oberfläche des zehnten Segments stehen nahe der Insertionsstelle der stäbchenförmigen Analanhänge wiederum beiderseits 4 längere Borsten. Die Kiemenfäden sind in ähnlicher Weise wie bei der Larve arrangiert. Die Larven- und Puppengehäuse sind von Pictet (l. e.) und mir (Str. I) beschrieben und abgebildet worden. Ob die Larve von Micropterna nycterobia Me. Lach. sich hin- sichtlich der Zeichnung ihres Kopfes und ihrer Brustschilder wesentlich von der Larve von Micropterna sequax M’'L. unterscheidet, vermag ich auf Grund der wenigen mir vorliegenden, dazu bereits stark dunkel gefärbten Larven nicht anzugeben. Es scheint aber, als sei dieselbe, wie bereits oben erwähnt ward, weit dunkler als Letztere gefärbt. Sehr ähnlich ist sowohl in der Zeichnung als auch in der Färbung der Larve von Micropterna seqguax M'L. die von Stenophylaxrotundipen- nis Br., doch sind, wovon ich mich an zahlreichen Individuen überzeugen konnte, in dieser Hinsicht mehrere kleine Unterschiede, welche eine Differenzie- rung der Arten ermöglichen, konstant zu beobachten. Während nämlich bei Ersterer die x-förmige Figur schlank gestaltet war und die geraden Teile derselben nahe den gekrümmten gestellt waren, ist diese bei St. rotun- ipennis niedrig und die geraden Teile stehen weiter von den gekrümmten entfernt. Ferner stehen bei der Larve von St. rotundipennis oral-median von der ersten, dicht über den Augen befindlichen Punktreihe der Gabel- 99 linienbinden zwei dunkle Punkte, während bei der von M. sequax M’L. nur einer vorhanden ist. Die Schwierigkeit, diese beiden Larven von einander zu unterscheiden, wird übrigens auch noch dadurch erhöht, dass bei jugendlichen Larven von St. rotundipennis Br. das hintere Ende des Gehäuses nicht in der sonst so charakteristischen Weise abgerundet, sondern meistenteils ebenso wie bei den jugendlichen Larven von M. sequax M’L. formiert ist! Die Larve vonStenophylaxlatipennis Ct. (die Beschreibung siehe bei Ulmer, U III) deren Gabellinienbindenpunktreihen besonders sehr ähnlich wie die der Larve von Micropterna sequax M’L. angeordnet sind, unterscheidet sich von dieser im allgemeinen durch ein ausgesprochenes dunkleres Kolorit, im Besonderen aber dadurch, dass während ihr Kopf sonst gleichmässig braun getönt ist, folgende Teile meist heller (schmutzig gelb bis gelbbraun) gefärbt erscheinen: erstens eine breite Querbinde im oralen Teile des Clypeus, zweitens zwei rundliche, auf den, den hinteren, verengten Teil des Clypeus umgrenzenden Pleurenteilen, drittens ein grosser, rundlicher Fleck auf den Scheitelteilen der Pleurae in der Umgebung der Teilungsstelle der Gabellinie, der sich meist als eine, auf der Gabellinie verlaufende, schmale ‚Binde weiter nach dem Hinterhauptloche zu erstreckt, und endlich eine schmale Zone der hinteren Teile der lateralen Pleurafläche. Das Pronotum ist von dunkelgelber bis braungelber Grundfarbe. Im vorderen Drittel seiner Oberfläche befinden sich nur spärliche dunkle ‚Borsten, bezw. dunkle Punkte. Die Punktfiguren desselben sind von kräftiger brauner Farbe. Die Seitenfelder. des Mesonotum bleiben im Gegensatz zu dem stets dunkleren (braunen) Mittelfeld hell (gelblich) ge- färbt; ihre kommaförmige Linie ist sehr breit. Die Larve von Stenophylax stellatus (Beschreibung | Klapaälek 1. ec.) weist keine solche hellere Färbungen wie die vorige Larve am. Kopfe auf, sondern der Letztere ist, abgesehen von der Zwischen- gelenkmembran der Oberlippe und der hinteren Zone der seitlichen Pleurateile, welche häufig etwas heller tingiert ist, dunkelbraunschwarz und lassen sich die Punktzeichnungen infolgedessen nicht erkennen. — Das Pro- und Mesonotum dagegen zeigen em viel helleres, (gelberes) Kolorit ei wie .bei jener, und die braunschwarzen Punktzeichnungen sind sehr deutlich. Von Stenophylax luctuosus Piller hatte ich keine Gelegenheit -Larven zu untersuchen. Nach Klapaälek besitzen das Pro- und Mesonotum -dieser Larvenart, dieselbe Färbung und eine ähnliche Zeichnung wie die Larve von Stenophylax nigricornis P. und die Farbe des Kopfes, dessen Punktzeichnungen ebenfalls wenig erkenntlich sind, ist dunkler als bei dieser Larve. Der Kopf der Larve von Stenophylax nigricornisP. ist abgesehen von der etwas heller erscheinenden Zwischengelenkmembran und den - { ” 100 gleichfalls etwas lichter getönten hinteren Zonen der lateralen Teile der Pleurae, völlig dunkelbraun gefärbt. Das Pronotum und das Mittelfeld des Mesonotums ist von gleichmässig schmutzig gelbbrauner, die Seiten- felder des letzteren von schmutzig-dunkelgelber Farbe. Die Punktzeich- nungen des Kopfes sind sehr schwer zu erkennen, die Punkte derselben haben undeutliche Kontouren und gehen verschwommen in einander über. In der Figur 10 Tafel II ist dieses nicht richtig zur Darstellung gelangt. Die Punktzeichnungen des Pro- und Mesonotums sind von sehr blass- brauner Farbe und daher kaum zu erkennen. Chaetopteryx villosa F. Die Grundfarbe des Kopfes dieser Larve (s. U. I) ist gelbbraun bis dunkelbraun. Sie unterscheidetsich von allen vorigen Arten dieser Gruppe dadurch, dass die ersten Punktreihen der Gabellinien- binden dicht über den Augen mit den median-oral von ihr stehenden Punkten eine leicht bogenförmige Linie bilden. Das Pronotum und die Seitenfelder des Mesonotums sind schmutziggelb, das Mittelfeld des letzteren braungelb gefärbt. Die braunschwarzen Punktzeichnungen treten auf beiden Schildern sehr deutlich hervor. Auf der Oberfläche des Pronotums ist häufig eine blassbraune Binde in der Gestalt eines Dreiecks, dessen Basis an die medianen Teile des praesegmentalen Randes, dessen Spitze an der x-förmigen Figur anstösst, sichtbar. Die eben besprochenen Larven der Gruppe Va lassen sich, wie hier beiläufig erwähnt werden mag, auch noch nach einem anderen Prinzipe, nämlich nach dem Grade der Beborstung des Pro- und Mesonotums in mehrere Gruppen wie folgt einteilen: Pro- und Mesonotum sind völlig und dicht mit zahlreichen Borsten besetzt: Stenophylax nigricornis P.; Pro- und Mesonotum sind mit einer geringeren Anzahl von Borsten als bei St. nigricornis P. und nicht in allen Teilen so dicht als bei dieser Larve mit Borsten besetzt: Stenophylax rotundipennis Br. und Mierop- terna sequax M’L.; Pro- und Mesonotum sind, mit nur einer geringen Anzahl von Borsten, Ersteres namentlich im vorderen Drittel in nur spärlichem Maasse, besetzt: Stenophylax stellatus Ct., luctuosus Piller, latipennis Ct. und Chaetopteryx villosa F. Das Charakteristikum der Punktzeichnungen des Kopfes und der Brust- schilder der Larve von Halesus tesselatus Rb. (Gruppe V b) liegt ein- mal in der auffälligen Grösse der sie zusammensetzenden Punkte,') deren ') Nur auf dem Pronotum der Fig. 12, Tafel II sind diese Punkte im richtigen Grössenverhältnis angegeben. In der Kopfzeichnung mussten dieselben, um sie deutlich genug darstellen zu können, in kleinerem Massstabe ausgeführt werden. 101 Umrisse häufig verwaschen sind, und die ineinander verfliessen und zweitens in der Anordnung derselben, besonders in den Reihen der Gabellinienbinden. Klapälek (l. c. I, 20) bezeichnete nicht mit Unrecht die Gruppierung dieser Letzteren auf dem Scheitel als, »moosartig ver- zweigte«. Auch bei dieser Larve stehen die vordersten, dicht über den Augen befindlichen Gabellinienbindenpunktreihen mit den oral-medial von ihnen befindlichen Punkten in einer bogenförmigen Linie, und bilden häufig mit einigen weiteren, zwischen jedem Auge und dem Clypeus vor- handenen Punkten einen völligen Kreis, in dessen heller tingierter Mitte, ein grösserer Punkt wahrzunehmen ist, so dass der Eindruck hervor- gebracht wird, als befände sich medianwärts von jedem Auge, noch ein weiteres Auge. Das Pronotum und die Seitenfelder des Mesonotums sind schmutzig- gelb, das Mittelfeld des Letzteren braungelb. Beide Schilder sind, besonders das Mesonotum, meist durch eine helle, in der Medianlinie verlaufende, schmale helle Binde in zwei Hälften geteilt. Die Punkt- zeichnungen sind infolge der besonderen Grösse der Punkte plump; die x-förmige Figur des Pronotums ist durch zahlreiche Punkte in ihrer Umgebung undeutlich zu erkennen. Inwiefern sich die ähnlich gezeichneten und gefärbten Larven der anderen Halesus-Arten, Halesus digitatus Schrk. und Halesus interpunctatus Ztt. sich von Halesus tesselatus Rb. unter- scheiden, muss ich, da mir kein genügendes Beobachtungs- und Ver- gleichungsmaterial zur Verfügung steht, einstweilen unerörtet lassen. Aus gleichem Grunde vermag ich auch auf zwei andere Limnophiliden- larven, Apatania fimbriata, Pict. und Apatania muliebris, Me. Lach, die in eine weitere Gruppe (Gruppe VI) zu stellen sind, nur in aller Kürze einzugehen. Dieselben sind dadurch markant gekennzeichnet, dass bei ihnen im Gegensatz zu allen Larven der bisher geschilderten Gruppen ein anderes Färbungsprinzip am Kopfe und an den thoracalen Chitin- schildern zur Geltng gelangt, insofern die Zeichnungen nicht dunkel auf hellem Untergrunde, sondern umgekehrt hell auf dunklem Grunde in die Erscheinung treten. Auch hier stehen die, aus Punkten und Strichen zusammengesetzten Zeichnungen, in inniger Beziehung zu den Gabel- linienbinden, zum Clypeus und zu den seitlichen Pleurateilen. In eine letzte Gruppe (Gruppe VII) möchte ich nun noch 3 Larven stellen, die sehr apart gezeichnet und gefärbt sind, die sich aber in die übrigen Gruppen, zu denen sie jedoch mancherlei Beziehungen haben, nicht unterbringen lassen. Es sind dieses die Larven von Anabolia nervosa Leh., Steno- phylax dubius St. und eine Larve, die ich, da sie die grösste, mir 102 bisher bekannt gewordene Limnophilidenlarve ist, einstweilen als die Larve unserer grössten einheimischen Limnophilidenimago, nämlich Glyphotaelius punctato-lineatus DG. Retz ansehen möchte. Anabolia nervosa Lch. So abweichend die Kopfzeichnung dieser Larve auch auf den ersten Blick hin von den bisher beschriebenen Kopfzeichnungen erscheint, so zeigt sie bei näherer Betrachtung doch sehr enge Beziehungen zu der Kopfzeichnung der Larven der Gruppe TI. Der Unterschied zwischen ihr und den Letzteren ist im wesentlichen der, dass die distinkt sich von der gelben Grundfarbe des Kopfes abhebenden braunschwarzen Gabellinienbinden und die Figur des Ulypeus hier in einzelne, unregelmässig gestaltete, grössere Flecken und Punkte, sowie es die Figur 5 Tafel II zeigt, aufgelöst sind. Das Pronotum zeigt wieder die üblichen Punktzeichnungen, desgleichen das Mesonotum, dessen Mittelfeld durch eine helle, im oralen Teile sich bauchig erweiternde Binde in zwei Teile zerlegt wird. | ’ Durch die eigenartige Zeichnung ihres Kopfes ist diese Larve von den übrigen Limnophiliden sofort zu erkennen, nicht aber von ihrer nächsten Verwandten, der Larve von A. laevis Ztt., die dieselbe Kopf- zeichnung besitzt. Irgendwelche charakteristische, auch noch so geringe Merkmale, durch welche diese beiden Larven von einander zu trennen wären, konnte ich an dem mir bisher bekannt gewordenen Material nicht ausfindig machen.- Stenophylax dubius St. Diese Larve entdeckte ich bereits vor mehreren Jahren.- Ihr Larven- und Puppengehäuse beschrieb ieh in den angegebenen Abhandlungen (Str. II und I). Die raupenförmige Larve ist gegen 13 mm lang und 3—4 mm breit. Der schmale, ovale, dorso-ventral-komprimierte Kopf ist mässig stark nach unten gebeugt. Der Prothorax ist so breit wie der Kopf, und sein Längendurchmesser beinahe ebenso gross wie der des Mesothorax. Letzterer und der Metathorax werden stufenweise breiter, dieser ist nochmal so breit als der Kopf. Der erste Hinterleibsring ist der breiteste Körperteil. Die übrigen Abdominalsegmente verschmälern sich bis zum achten nur wenig; das neunte und zehnte sind etwas schmäler als das achte; das zehnte ist lateral nicht erheblich verbreitert. Das charakteristische und sie von anderen Arten in auffälliger Weise unterscheidende Merkmal der Stenophylax dubius-Zeichnung ist eine breite helle Binde, welche auf dem Kopfe beginnt und in der dorsalen Median- linie über den Pro- und Mesothorax verläuft. Wie dieselbe zustande kommt, geht aus der folgenden Schilderung hervor. Die Grundfarbe des Kopfes und der Chitinschilder der Thoracal- segmente ist eine gelbe bis gelbbräunliche. Die Gabellinienbinden sind 103 meist nur von der Spitze des Olypeus ab oralwärts deutlicher braun tingiert. Von der den Clypeus einnehmenden, dunkelbraunen Figur, sind meist nur die, nach der Medianlinie zu unregelmässig begrenzten Umrisse erhalten; an den übrigen Stellen des Clypeus tritt die gelbliche Grundfarbe hervor. Ebenso sind die Punkte der, die Gabellinienbinden auf dem Scheitel bildenden Punktreihen häufig nur so blass ausgeprägt, dass zwischen dem Hinterhauptlochsrande und der Clypeusspitze eine helle Binde dahinzieht. Die pleuralen Punktreihen sind in der ganzen normalen Ausdehnung vorhanden. Alle die Zeichnung zusammensetzenden Punkte, die in den Gabellinienbinden, die der Figuren auf dem Clypeus und die der pleuralen Punktreihen sind ähnlich gross wie bei den Halesus-Arten und ihre Umrisse sind verwaschen. Die Augen sind von einem hellen Hofe umgeben, die Zwischengelenkmembran ist von gelblicher, die Ober- lippe von bräunlicher Farbe. Die Mundteile sind analog denen der Larve der Gattung Limnophilus Lch. gebildet und lassen keine Besonderheiten erkennen. Die schwarzbraunen Mandibeln sind auf ihrer Schneide mit 4 ziemlich spitzen Zähnen, von denen die zwei unteren die längsten sind, ausgerüstet. Das im Übrigen ebenfalls wie bei den Limnophilus-Arten gestaltete Pronotum ist dunkel umsäumt. — Der zwischen dem Vorderrande und der Querfurche belegene Oberflächenteil, sowie eine breite, in der Median- linie verlaufende Binde, innerhalb der die x-förmige Figur steht, zeigen die hellgelbliche Grundfarbe. Die ührigen Oberflächenteile sind braun getönt und verdecken die dort befindlichen, wie bei den anderen Limno- philidenlarven ausgeprägten Punktlinien. — Das Mesonotum ist gross und reicht lateral beinahe bis zu den Stützplättchen der Stützfortsätze. Die Seitenfelder, sowie eine, im Mittelfelde im Bereiche der Medianlinie ver- laufende, im hinteren Teil verbreiterte Binde zeigen die gelbliche Grund- farbe, die übrigen Teile des Mittelfeldes sind von brauner Farbe. Das Ende jedes Seitenrandsaumes verschmilzt mit der Kommaförmigen Linie des angrenzenden Seitenfeldes. Die 3 Paar, verhältnismässig grossen Chitinpunkte des Metathorax, sowie die Stützplättehen der Füsse sind von hellbräunlicher Farbe. Die Cuticula des ersten Abdominalsegmentes und die des Metathorax ist bräunlicher als die der übrigen Hinterleibsringe gefärbt. Die Strieturen zwischen diesen sind flach. Die Höcker des ersten Abdominalsegments sind kräftig entwickelt. Die Rücken- und Bauchschuppe dieses Segments ist mit kurzen zahlreichen, dunklen Haaren besetzt. Die Seitenlinie verläuft in der lateralen Medianlinie vom ten bis Sten Segment. Die Kiemenfäden sind im Gegensatz zu den anderen Stenophylaxarten in Büscheln — von 4—5 Fäden an denen auf der Seiten- linie, von etwa 15 Fäden an denen auf den übrigen Stellen — nach bei- stehenden Schema angeordnet. 104 Rücken- |Seiten-, Bauchober- oberfläche | linie fläche II we Die Rückenschilder des neun- OO oO & 0 l n— ten und zehnten Segments sind II 5 < ; 2 z von gelbbräunlicher Farbe und > o 0 mit Borsten in ähnlicher Anzahl 10% Se oo und Anordnung wie bei den Do 0218 übrigen Limnophilidenlarven be- y O0 @ 510 setzt. Die zweigliedrigen Nach- a © © one schieber sind kurz, die Klaue ist he OO, O8 mit einem Rückenhäkchen be- Oo &r © vehr VJI u: a 6 wehrt. Va Te Die Larve ist hier in flachen Gräben mit fliessendem Wasser während der Frühjahrsmonate gar nicht selten. Ich gedenke dieselbe in diesem Jahre wieder aufzuziehen und behalte mir die Beschreibung der Nymphe vor. Die Larve, welcheich als die von Glyphotaelius punctato-lineatus D. G. Retz. ansehe, und von der ich nur eine unvollständige Skizze zu geben in der Lage bin, erhielt ich vor zwei Jahren mit mehreren anderen Larven von Herrn Professor Dr. Zaccharias !). Direktor der biolog. Station in Plön, aus dem Plöner See. Dieselbe ist von 33 mm Länge und etwa 5 mm Breite und zeigt den Habitus der Limnophilidenlarven. Die Grundfarbe des Kopfes und der Chitinschilder der 'Thoracal- seomente ist eine gelbe. Entlang den Ästen der Gabellinie verlaufen über die Pleurae zwei schwarze geschlossene Binden, welche sich über der Teilungsstelle der Gabellinie in einem Bogen vereinigen und sich von der Grundfarbe des Kopfes distinet abheben. Auf dem Clypeus befindet sich eme schmale keulenförmige, geschlossene braunschwarze Figur. Das Pronotum ist von einem starken dunklen Saume eingefasst ; die Querfurche desselben ist deutlich dunkler gefärbt. Das gleichmässig eelbe Mesonotum ist am hinteren Rande und an den Seitenrändern teil- weise von einem dunklen Saume umgeben. Die dorsale Oberfläche der Metathorax trägt 3 Paar mit Borsten besetzter Chitinflecken. Die Beine ') Siehe Plöner Forschungsberichte, Teil 9. — Herrn Professor Dr. Zaccharias bin ich für die Freundlichkeit, mit der er mir gestattete, diese Larve hier zu skizzieren, zu bestem Dank verbunden. 105 sind von gelber Farbe. Das neunte und zehnte Hinterleibssegment sind wie bei den Limnophilidenlarven gestaltet. Die Kiemenfäden stehen auf den vorderen Hinterleibssegmenten in Mehrzahl. Was die Kopfzeichnung dieser Larve anbetrifft, so erinnert sie an die der Phryganeidaelarven, und ist es nicht uninteressant, dass Walser!) ‚die Larve seiner Trichostegia grandis Kol., bezw. Phryganea grandis L. folgendermassen beschrieben hat: »Larve 1'/,“ lang, dick, Kopf hellgelb mit einem schwarzen ovalen Ring eingefasst, in dessen Mitte von vorne nach hinten ein schwarzer Strich läuft, der die ringartige Einfassung jedoch nicht berührt; das erste und zweite Brustringel gelb, wie der Kopf, dieselben mit einer schwarzen Linie eingefasst, das dritte Brust- ringel ohne Zeichnung, von der Farbe der Bauchringel u. s. w.« Es scheint also, als ob Walser nicht die Larve von Phryganea grandis L. vor sich gehabt hat, sondern die von der Plöner Larve, und dieses wird um so wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, dass die Imagines von Glyphotaelius punctato-lineatus D. G. Retz. und Phryganea grandis L. und namentlich auch Phryganea striata L. in früherer Zeit leicht mit- einander verwechselt werden konnten. Die Plöner Larve, welche am 27./4 gefischt worden war, war gerade im Begriffe sich zu verpuppen und hatte ihr Gehäuse bereits zum Puppen- gehäuse umgewandelt und mittels grobmaschiger Gitter geschlossen. Das Gehäuse selbst war 35 mm lang, hatte einen Durchmesser von 7 mm und war aus kleinen, unregelmässig umrandeten Blattstückchen und anderen pflanzlichen Fragmenten, die parallel der Längsachse des Rohrs gelegt waren und sich dachziegelartig deckten, hergestellt. Auch das Gehäuse seiner Trichostegia grandis Kol., das Walser schildert, ist von gleicher Konstruktion wie das eben beschriebene. Trotz mehrfacher Bemühungen gelang es mir im vorigen Jahre leider nicht, diese Larve wieder zu erbeuten. Wenn ich hier nun nochmals kurz die Ergebnisse der die Limno- philidenlarven betreffenden Untersuchungen hinsichtlich der ausschliess- lichen Verwendbarkeit der Zeichnungen und Färbungen ihrer Köpfe und thoracalen Chitinschilder für eine Bestimmung derselben zusammenfassen darf — so zeigt es sich, dass eine Anzahl derselben ausschliesslich mittels dieser Merkmale, eine andere Anzahl nicht ohne Zuhilfenahme anderer Kennzeichen bestimmt werden kann. Wohl aber lassen sich die auf- gezählten Arten auf Grund dieses Prinzipes in eine grössere Anzahl von Gruppen einteilen, welche sich für eine vorläufige Bestimmung derselben als brauchbar erweisen dürften. ') Walser, Trichoptera bavarica, pag. 65; vgl. auch Hagen |. c. 106 Der Uebersichtlichkeit halber seien diese Gruppen hier nochmals zusammengestellt: A. Zeichnungen des Kopfes und der Chitinschilder der Thoracalsegmente von dunkler Farbe auf hellem Grunde. I. Die meist seschlossenen, schwarzbraunen, bezw. braunen Gabel- linienbinden sind deutlich ausgeprägt und heben sich von der helleren Grundfarbe distinct ab; a) auf dem Clypeus befindet sich eine braunschwarze Figur, welche in dem breiteren, oralen Teile desselben nur schwach verbreitet ist: 1. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: L. rhomnieus L; L. decipiens Kol. 2. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist meist nicht nicht dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: L. lunatus Ct. b) auf dem Clypeus befindet sich eine braunschwarze Figur, welche in dem breiten, oralen Teile desselben bauchig erweitert ist. 1. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: L. nigriceps Zett., L. flavicornis F., L. politus M’L., L. stigma Ot. 2. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist nicht dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: L. fuseicornis Rb., Colpotaulius ineisus Ot. II. Die meist. geschlossenen, braunen, bezw. braunschwarzen Gabel- linienbinden heben sich nicht distinet von der Grundfarbe des Kopfes ab, sondern gehen verwaschen in dieselbe über. Die gleich- farbige Olypeusfigur ist in dem breiteren oralen Teile desselben bauchig erweitert. 1. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: Glyphotaelius pellucidus. Oliv. 2. Das vordere Drittel der Pronotumsoberfläche ist nicht dunkler als die übrige Oberfläche gefärbt: Grammotaulius atomarius F., Limnophilus xanthodes M'L. III. Die dunklen Gabellinienbinden heben sich von der Farbe der Scheitel- und der oberen seitlichen Teile der Pleuren markiert ab, verschmelzen aber völlig mit der gleichfalls dunklen, den Clypeus eänzlich ausfüllenden Figur. a) auf dem Pronotum ist eine kreuzförmige dunkle Binde vor- handen: Limnophilus vittatus N. 107 b) Pronotum. ohne kreuzförmige dunkle Binde: Limnophilus bipunctatus Ct., Limnophilus extrieatus M'L.? ‚IV. Die Köpfe sind gleichmässig aaa gefärbt, lassen aber z. "I. die Punktzeichnungen erkennen: Limnophilus aurieula Ct., Limnophilus sparus Ct., Limnophilus egriseus'L., Phacopteryx brevipennis Öt.; — Drusus trifidus | . M’L., Enoicyla pusilla Burm. V. Die Gabellinienbinden und die dunkle Clypeusfigur sind gar nicht. oder Erstere nur‘ unvollständig vorhanden. ° Die. Zeichnung des Kopfes besteht aus Punktreihen im Bereiche der Gabellinienbinden von den Augen bis zu dem Hinterhauptlochsrande, aus Punkt- zeichnungen des Clypeus, unter denen‘ besonders eine keilförmige Figur im hinteren Teile desselben sich bemerkbar macht, und in pleuralen Punktreihen: 'a) die Punktzeichnungen des Kopfes und der thoracalen Chitin- schilder sind aus kleinen Punkten zusammengesetzt; 1. Die ‘ersten Punktreihen über den Augen bilden eine gerade Linie: ' Micropterna 'sequax M’L., Micropterna nycterobia ML., »Stenophylax rotundipennis Br., Stenophylax_ stella- tus, Ct, ; Stenophylax nigricornis P., Stenophylax luctuosus Piller. | 2. Die ersten Punktreihen über den Augen bilden eine bogen- förmige Linie: Chaetopteryx. villosa F. b) die Punktzeichnungen des Kopfes und der thoracalen Chitin- schilder sind aus grossen Punkten zusammengesetzt! _ Halesus tesselatus Rb., Halesus digitatus Schrk., Halesus interpunctatus Zett. ah VI. Larven, mit besonderer Zeichnung und Färbung (oben als Gruppe VII angeführt) : Anabolia neryosa ae Stenophylax dubius Sh., Glypho- taelius ae nass D. G. Retz. B. Zeichnungen des Kopfes und der thoracalen Chitinschilde von heller Farbe auf dunklem Grunde: 1. Gruppe (oben als Gruppe VI angeführt): Apatania fimbriata, Pict. Apatania muliebris M’L. Sericostomatidae. Obwohl ich durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. Klapälek die Lage versetzt war, alle von.ihm beschriebenen 12 Arten dieser Familie zu untersuchen, so vermag ich doch keine eingehende Schilderung der 108 Zeichnung ihrer Köpfe und der Chitinschilder ihrer Brustsegmente zu geben, da mir von den betreffenden Arten nur je 1—2 Exemplare, die ich nieht zergliedern durfte, zur Verfügung standen. Diese Larven sind zum guten Teil von so geringer Grösse — von 6—7 mm Länge und 1'/s Breite — und ihre Zeichnung daher ohne stärkere Vergrösserung schwer zu erkennen, dass es erst durch die Beobachtung eines weit grösseren Materiales gelingen dürfte, dieselbe sicher und zutreffend zur Darstellung zu bringen. — So viel mag aber erwähnt sein, dass fast bei allen diesen Larven — eine Ausnahme bilden die Larven von Silo nigrieormis Piet. und Oligoplectrum maculatum Foure., — dasselbe Princip wie bei der VI. Gruppe der Limnophilidenlarven vorherrscht, die Zeichnungen also hell auf dunklem Untergrunde in die Erscheinung treten. Wie aus den Abbildungen der Kopf- und Brustzeichnungen der Larven von Notidobia ciliaris Kol. und Lepi- dostoma hirtum F. (Tafel II, Fig. 14 und 15) hervorgeht, handelt es sich auch hier an den Köpfen wiederum um Punktreihen entlang der Gabellinie und ihren Ästen, um Punktzeichnungen auf dem, auch hier wiederum anders geformten Clypeus und um pleurale Punktreihen. Bei der Larve von Notidobia ciliaris Kol. stehen auf dem Pro- und Mesonotum nur wenige strich- förmige, bei der von Lepidostoma hirtum F. aber zahlreiche Flecke und könnte man fast geneigt sein, ihnen hinsichtlich ihrer Ausbildung und Gruppierung eine gewisse Ähnlichkeit mit den Pronotumpunktzeichnungen der Limnophilidenlarven nicht abzusprechen. Soweit ich auf Grund des von mir untersuchten Materiales einen sicheren Schluss ziehen darf, möchte ich annehmen, dass fast sämtliche in Rede stehende Sericostomatidenlarven vermöge der Zeichnung ihrer Köpfe und Brustsegmente und besonders auch unter gleichzeitiger Be- rücksichtigung der Formen ihrer, z. T. sehr eigenartig gestalteten thora- calen Chitinschilder mit genügender Sicherheit zu differenzieren sein werden. Leptoceridae. Von dieser Familie konnte ich 15 Larven untersuchen, von denen zwei Arten hier zum ersten Male beschrieben werden sollen, nämlich Setodes tineiformis Ct. und Oecetis Struckü Klap., zwei andere Triaenodes conspersa Rb. (s. U. IH) und Mystacides azurea L.') von Ulmer, die Übrigen durch Klapälek (l. ce.) beschrieben worden sind. Die meisten Leptoceridenlarven zeigen, wie aus den Abbildungen der Tafel III hervorgeht, eine überraschende Mannigfaltigkeit der Zeich- nungen ihrer Köpfe und der, ebenfalls in der Form und Grösse varlierenden Chitinschilder der Thoracalsegmente. ı) G. Ulmer, »Zur Trichopteren-Fauna des Schwarzwaldes« in der Allgem. Zeit- ” schrift für Entomologie B. 7. pag. 465. 109 Es finden sich bei ihnen sowohl sehr einfache Zeichnungen!) — was im Hinblick darauf, dass dieselben zu einer Familie gehören, welche als diejenige, die die ältesten, »am ursprünglichsten organisierten« Formen der Trichopteren enthält, angesehen wird,?) nicht ohne Interesse erscheint, — als auch kompliziert gestaltete — und dürften sie auf Grund derselben wohl ohne Zuhülfenahme weiterer, differential-diagnostisch zu verwertender morphologischer Merkmale sicher von einander zu unterscheiden sein. Während die Mannigfaltigkeit der Zeichnungen bei den Larven einiger Gattungen selbst bei nahe verwandten Arten in die Erscheinung tritt — z. B. bei Oecetis furva Rb., und Oecetis lacustris Pict., bei Triaenodes bicolor Curt. und Triaenodes conspersa Rb., zeigen zwei nahe verwandte Larven der Gattung Mystacides Latr., M. longieornis L. und M. nigra L. eine ausserordentliche Übereinstimmung in ihrer Zeichnung und Färbung. Der Unterschied zwischen ihnen — wenn dieser überhaupt konstant vor- handen ist, was ich nicht zu beurteilen vermag — ist der, dass bei Ersterer auf dem Clypeus, dicht über der Zwischengelenkmembran vier dunkle Punkte stehen, während bei Letzterer ein einziger strichartiger Fleck vorhanden ist. Die dritte, dieser Gattung angehörende Art, Mystacides azurea L., lässt nur in der Zeichnung des Pro- und Meso- notums die Verwandtschaft mit den beiden anderen Arten erkennen, ihre Kopfzeichnung ist eine völlig andere. Im Übrigen dürfte es kaum nötig sein, die Zeichnungen der übrigen abgebildeten Arten eingehender zu erläutern. Nur so viel sei bemerkt, dass auch hier wiederum die in bräunlicher bezw. braunschwarzer Farbe auf gelbem bis bräunlichen Untergrunde ausgeprägten Kopfzeichnungen sich abhängig von den Gabellinien, die auch hier wieder infolge der anderen Form des Ulypeus, einen anderen Verlauf haben (s. z. B. 1 und 2, Tafel III), zeigen, und auf den Clypeus und die hinteren seitlichen Teile der Pleurae beschränkt sind. Auch hier stehen wiederum innerhalb der Gabellinienbinden dunklere Punkte und Punktreihen in bestimmter Anordnung; es ist aber charak- teristisch für die Leptoceridenlarven, dass die Letzteren — ebenso wie die pleuralen Punktreihen — stets nur aus einer geringen Anzahl von grösseren Punkten zusammengesetzt sind und, dass in den vorderen Teilen der Gabel- linienbinden keine Punktreihen, sondern ebenfalls nur einzelne grössere ‘) Es kommen in dieser Familie auch Larven vor, deren hell gefärbte Köpfe und thoracalen Chitinschilder fast völlig zeichnungslos sind, z. B. die Larven von Leptocerus senilis Burm. (ef. Klapälek I, 37) und von Leptocerus fulvus Rb., von welcher bisher noch nicht bekannten Larve, deren Gehäuse ich früher (Str. II u. D) schilderte und abbildete, mir ein Exemplar vorliegt. Kolbe, Berliner Entomolog. Zeitschr. Bd. XXVIII 1884, Heft 1. »Vorläufige Mitteilung über ein neues, dem Gange der Naturschöpfung entlehntes System der Trichopteren, nebst einem Hinweise auf die vermutliche Abstammung der Lepidopteren.« r 110 Punkte sich befinden. Durch die Ausführung der Zeichnung erscheint die Gesamtzeichnung der Köpfe der Leptoceridenlarven weit graziöser als die der Limnophilidenlarven und Phryganeidenlarven. Das Pronotum weist eine grosse Fülle verschiedener, zierlicher Punktzeichnungen und Färbungen auf und erinnert nur bei den zur Gattung Mystacides gehörenden Larven, an die Pronotumzeichnung der Limnophilidenlarven. Ebenso sind auf dem Mesonotum — wenn es nicht, wie in manchen Fällen völlig zeich- nungslos bleibt — recht verschiedene, bei den einzelnen Arten’ variierende Zeichnungen sichtbar. Setodes tineiformis. Ct. Die raupenförmige, bisher nicht beschriebene Larve, ist von schlanker, eylindrischer, nach dem hinteren Körperende zu ziemlich verschmälerter Ge- 'stalt, etwa Smm lang und am Metathorax, dem breitesten Körperteile gegen ®/A mm breit. Der elliptische, dorsoventral-komprimierte Kopf ist stark nach unten geneigt. Die Grundfarbe seiner dorsalen Oberfläche ist eine gelbliche, die der ventralen eine weissliche... Auf Letzterer ist nur eine, die Basis der Stipites begrenzende, schmale Leiste braunschwarz tingiert. Die Gabellinienbinden sind als zwei bräunliche Binden, die ‘weder den Hinterhauptlochsrand, noch die Mandibelbasis erreichen, ent- wickelt. In jeder derselben stehen auf dem Scheitel einer, und in den, die hinteren Teile des Clypeus umgebenden Strecken zwei grössere, braun- schwarze Punkte. In der Mitte des hinteren Teiles des letzteren befindet sich eine rosettenförmige Gruppe von 6, meist zusammenfliessenden dunklen Punkten und im vorderen Teile desselben stehen 6 weitere Punkte in der Anordnung, wie es die Abbildung 13, Tafel III zeist. Die pleuralen Punktreihen sind durch einige, aus wenigen (bis drei) tiefschwarzen Punkten bestehende Punktreihen angedeutet. " Die aus einem stärkeren, längeren, und einem kürzeren sehr dünnen 'Gliede bestehenden Fühler stehen auf kleinen Hervorwölbungen dicht über der Basis der Mandibeln. — Die Mundteile sind mässig prominent. Die /wischengelenkmembran und die Oberlippe sind von hellgelblicher, die Mandibeln von bräunlicher Farbe. Die Oberlippe (s. Abb. 15 Tafel 7) ist von queroblonger- Form, ihr Hinterrand ist gerade, ihre Seitenränder sind schwach, die lateralen Teile des, in seinem medianen Teile flach einge- ‚buchteten Vorderrandes, kräftig gerundet. Etwa in der Mitte der Ober- fläche derselben stehen 4, an jedem Seitenrande je eine haarförmige Borste und in der Mitte zwischen diesen und dem Vorderrande, sowie in der Einbuchtung des letzteren je 2 stäbchenförmige helle Borsten. Zwischen den mittelsten der. haarförmigen Borsten ist eine rundliche Öffnung ohne Borste sichtbar. An den lateralen Teilen des Vorderrandes befindet sich ein: Saum. heller. Härchen. :— ‚An. den Maxillen. (s.: Abb, 17, Taf. 7) sind der Palpus maxillaris und der Lobus externus deutlich ausgebildet. Er- 111 sterer ist viergliedrig und von fingerförmiger, letzterer ebenfalls von finger- förmiger, aber gedrungener Gestalt. Beide tragen an ihren abgestutzten Endflächen einige Tasthärchen und der Lobus externus an seiner me- dialen Fläche drei kleine Sinneshaare.. Das konische Labium trägt zu beiden Seiten seiner abgestumpften Spitze auf kleinen Hervorwölbungen je einen, zweigliedrigen Taster. Die Mandibeln sind in ihrem vorderen Teile von der Form eines abgestumpften Hohlmeissels und besitzen auf der dorsalen Schneide keine, auf der ventralen Schneide neben einem längeren, abgerundeten, zwei wenig deutlich ausgeprägte, rundliche Zähnchen. Der Prothorax ist ein wenig breiter als der Kopf; Meso- und Meta- thorax werden rasch stufenweise breiter. Das Pronotum reicht lateral wie bei den Limnophilidenlarven bis zu den Stützfortsätzen, welche an allen Thoracalringen sehr gross sind. Seine Grundfarbe ist eine licht- gelbliche und nur an zwei, nahe und zu beiden Seiten der Medianlinie befindlichen, durch hellere Linien von den übrigen Oberflächenteilen ab- gegrenzten Streifen eine mehr bräunliche. Das vorderste Drittel jedes dieser Streifen ist meist noch dunkler gefärbt. Im Übrigen stehen auf der Oberfläche desselben eine nicht sehr grosse Anzahl von Punkten, sowie .es die Abbildung 13, Tafel III zeigt und in den Hinterecken be- findet sich jederseits ein tiefbraunschwarzer grösserer Flecken. Das halbkreisförmige Mesonotum ist kaum so breit wie der. Pro- thorax und reicht weder an den prae- noch an den postsegmentalen Rand des: Segmentes heran. In den seitlichen Teilen seiner blassbraunen Ober- fläche ist, ausser einigen etwas dunkleren Punkten, beiderseits eine winkel- förmige helle Binde wahrnehmbar. Die Stützfortsätze des ersten Bein- paares sind mit zwei braunen Stützplättchen,: einem dreieckigen und einem oblongen bedeckt. Der vordere Teil des letzteren ragt frei oralwärts vor. Von den gelblichen, nur an den Gelenkenden teilweise mit dunkleren Makeln versehenen, Beinen, sind die vordersten, als Greiforgane ausge- bildeten, am kürzesten, die hintersten, die jene etwa 2/gmal an Länge übertreffen, am längsten. Beim Gehen schreiten diese Larven, wie auch die übrigen .Lepto- ceridenlarven, mit den hintersten, gerade aus nach vorne über den Kopf hinaus gerichteten Beinen, deren eigentümliche Organisation vermutlich auf Anpassung an die, durch die besondere Form und Enge des (Gehäuses geschaffenen eigenartigen, beengten räumlichen Verhältnisse, zurückzu- führen ist, voran. Sie vermögen auch zu schwimmen, aber .nur in horizontaler, nicht in vertikaler Richtung wie z. B. die Larven von Triaenodes bicolor, Curt. Die einzelnen Beinpaare sind im Übrigen auf folgende Weise orga- wisiert: Am vordersten Beinpaare sind alle Glieder kurz, gedrungen und sehr verbreitert. Der beinahe oval gestaltete Femur ist am längsten; der Tro- chanter und (die Tibia sind ziemlich gleich lang. Letztere ist nach innen or oO 112 winkelförmig verbreitert und die Spitze dieses Winkels ist mit einem Dorne versehen. Die Kralle ist von plumper Gestalt, nahezu so lang wie der Tarsus und mit einem schlanken Basaldorne versehen. Tarsus, Tibia, Femur und Trochanter sind an der Innenkante mit Spitzen besetzt, die an der des Femurs und der des Trochanters zum teil so kräftig wie Dornen werden. An der Innenkante der letzteren beiden Glieder stehen ferner längere, borstenartige Dornen und die Coxa und der Femur sind ausserdem mit längeren dunklen Haaren bedeckt. Am mittleren Beinpaare sind alle Glieder ebenfalls breit und ge- drungen, auch die Kralle. Der Trochanter ist ein halbmal so lang als der Femur. Letzterer und die Coxa sind von gleicher Länge; die Tibia etwas länger und der Tarsus länger als die Hälfte der Tibia und ebenfalls die Kralle länger als die Hälfte des Tarsus. Die Kralle ist gekrümmt, an ihrem distalen Ende in zwei plumpe Spitzen gespalten und trägt nicht an der Basis, sondern auf der Grenze zwischen dem mittleren und unteren Drittel einen schlanken Dorn. Der Tarsus ist stark nach innen gekrümmt und ist in dem unteren Drittel seiner Innenkante mit 5 kammartigen Spitzen die mit ventralwärts ge- richteten Dornen bewehrt sind, ausgerüstet. Ähnliche kammartige Spitzen stehen an der Innenkante der ebenfalls gekrümmten Tibia, acht an der Zahl. — Die Innenkanten des Femurs und des Trochanters sind mit Spitzen und zarten Haaren bekleidet. Nur die Öoxa und der Femur sind stärker, alle übrigen Glieder sind spärlich mit längeren dunklen Haaren bedeckt. Am hintersten Beinpaar sind alle Glieder schlank; Coxa, Trochanter und Femur und andrerseits Tibia und Tarsus von gleicher Länge und die Klaue um die Hälfte kürzer als der Tarsus. Alle Glieder ausser der Klaue, sind mit langen, zarten Haaren besetzt Die Letztere trägt an der Innenkante einen schlanken Basaldorn, und nur der Tarsus eben- daselbst eine kleine Anzahl dornenartiger, längerer Spitzen. Über die laterale Fläche der Stützfortsätze des zweiten und dritten Beinpaares verläuft eine feine dunkle Chitinleiste. Der erste Hinterleibsring trägt 3 grosse, plumpe, conische Höcker. Die Strieturen zwischen den Segmenten sind tief. Die Seitenlinie ist als ein, nicht mit Härchen bedeckter, striehförmiger Wulst, der in der lateralen Medianlinie vom zweiten bis achten Segment verläuft, ent- wickelt. Die Kiemenfäden sind in sehr geringer Anzahl vorhanden, anscheinend nur 4, je zwei auf jeder Seite am praesegmentalen Rande der Oberfläche des 3. Segments. Der mediane Teil des postsegmentalen Randes des 9. Segments ist analwärts in einen stumpfen Fortsatz ver- längert und trägt zwei lange dunkle und 2 Paar sehr kurze Borsten. Das zehnte Segment ist in seiner hinteren Hälfte in zwei, wenig lateral divergierende, plumpe Fortsätze gespalten; die nur an ihren distalen 113 Enden ganz wenig stärker chitinisiert sind und auf ihrem analen Rande 5 lange dunkle Borsten, auf ihrem medialen Umfange zahlreiche dunkle kurze Borsten tragen. Auf ihrer ventralen Fläche stehen sehr kleine kurze Spitzen. Ebensolche befinden sich auch an der ventralen Fläche des Segmentes zu beiden Seiten der Analspalte. Die Nachschieber sind zweigliedrig, die braunen Glieder sehr kurz und mit einer Kralle, die einen Rückenhaken besitzt, versehen (Abb. 15a, Taf. VID. Die Nymphe ist von cylindrischer Form, 7—8 mm lang und 0,s—0,s; mm breit. Die von mir untersuchten Exemplare sind von weisslicher Farbe, nur die Rückenschuppen des ersten bis achten, und die Bauchschuppen des zweiten bis achten Hinterleibssegmentes sind mit dunklen Chitinleisten, die an den Ersteren, vorne und hinten lateral divergieren, eingefasst. Der Kopf ist von querelliptischer Form, die Mundteile sind weit hinauf auf die Stirne gestellt, so dass die Mandibeln oralwärts gerichtet sind. Die fadenförmigen Antennen sind länger als das Abdomen und um die letzten Glieder desselben mehrmals herum- gewickelt; das Grundglied und das darauf folgende Glied derselben sind plumper und breiter als die übrigen Glieder. Die Maxillartaster, deren Glieder alle gleich lang sind, sind fünfgliedrig, die Labialtaster drei- gliedrig, seine Glieder plump und breit. Die Oberlippe ist sehr klein, von sehr schmaler, halbkreisförmiger Gestalt und mit einer grossen Anzahl von, zum teil auf kleinen Wärzchen stehenden Härchen besetzt. Der Vorderrand derselben ist nicht einge- buchtet. Die Mandibeln (Abb. 21, Taf. VII) sind in ihren Grundteilen breit, nach der Spitze zu stark verjüngt und sensenförmig gestaltet. Auf der medialwärts gekehrten Schneide tragen sie zahlreiche, verhältnis- mässig grosse, spitze Zähnchen. Die stark zugespitzten Flügelscheiden reichen bis zum siebenten Segmente. Spornzahl 0, 2, 2. Die Tarsi des ersten und dritten Bein- paares sind spärlich, die des zweiten stark mit längeren Schwimmhaaren bedeckt. Der Haft- und Bewegungsapparat ist nur schwach ausgebildet. An Stelle des auf- und niederstülpbaren Fortsatzes auf dem Dorsum des ersten Abdominalsegmentes, sind hier, ebenso wie bei den anderen Lepto- ceridenlarven, nur zwei kleine rundliche, mit mehreren kurzen Spitzen versehene Chitinplättchen, die zwischen den analen Enden der lateralen Chitinleisten und dem postsegmentalen Rande des Segmentes stehen, vorhanden. Das dritte bis sechste Segment tragen an ihren präsegmentalen Rückenschuppenrändern je 2 Chitinplättchen mit zwei analgerichteten Häkchen, das fünfte an dem, in gleicher Weise, wie bei den Limno- IS 114 philiden- und Phryganeidennymphen orgarnisierten, postsegmentalen Rückenschuppenrande zwei Chitinplättchen mit 2 kräftigen, oralgerichteten Häkchen. Das siebente und zweite Segment sind ohne solche Organe. Das neunte und zehnte Abdominalsesment, namentlich Ersteres, sind zweimal so lang als das achte, und besonders das Letztere nach hinten stark verjüngt. An seinem hinteren Ende trägt dieses zwei An- hänge von der Gestalt gestielter eckiger Löffel, deren OConcavität medial gerichtet ist und deren Spitzen in stäbchenartige, an ihrem distalen Ende dorsalwärts gekehrte Fortsätze ausgezogen sind. An ihren dorsalen und ventralen Rändern tragen die löffelartigen Teile dieser Anhänge je zwei längere Borsten und wenige kurze Spitzen, Abb. 22—24, Tafel VII. In dem hinteren Drittel der dorsalen Oberfläche des zehnten Seg- ments befindet sich in der Medianlinie eine Hervorwölbung, welche zwei stumpfe Spitzen trägt, und lateral-anal von derselben beiderseits je ein kleiner, eine einzige Borste tragender Wulst. In dem vorderen Drittel der- selben Oberfläche stehen jederseits von der Medianlinie je 3 Borsten, eine längere und zwei kürzere. Das zierliche, aus dem Spinnstoffe der Serikterien hergestellte Larven- gehäuse ist von Mac’Lachlan (Trichoptera britannica) und mir beschrieben und abgebildet worden (s. Str. I und II). Decetis Struckii Klapälek. Im Jahre 1899 beschrieb ich in der Ill. Zeitschrift für Entomologie pag. 142 das Larvengehäuse einer Leptoceridenspecies, die Prof. Klapälek auf Grund des ihm damals von mir zugesandten Materials als Erotesis melanella M’L. ansehen zu müssen glaubte, die derselbe aber jetzt, nach- dem ich ihm in diesem Jahre (1902) eine grössere Anzahl von Imagines übermitteln konnte, als eine zur Gattung Oecetis M’L. zu stellende neue Art bestimmte, von der er, nachdem er ihr inzwischen die oben ange- führte Bezeichnung gegeben hat, demnächst eine Beschreibung in den Sitzungsberichten der königl. bömischen Gesellschaft der Wissenschaften veröffentlichen wird. Die raupenförmige Larve ist von eylindrischer, nach dem hinteren Körperende zu wenig verschmälerter Gestalt, etwa 5—6 mm lang und an den breitesten Körperteilen, dem Metathorax und dem ersten Abdomi- nalsegmente, etwa 0,5—0,s mm breit. Der Kopf ist von elliptischer, dorso-ventral-comprimierter Form und sehr stark ventralwärts geneigt. Die Grundfarbe seiner dorsalen Ober- fläche ist eine blass gelbbräunliche, die der ventralen eine weissliche. Alle Zeichnungen der Ersteren sind blassbraun; an Letzterer sind nur die vorderen und hinteren Ränder der Pleuren mit einem feinen, dunklen Saume eingefasst. Die Gabellinienbinden sind auf der Scheitelstrecke durch Punktreihen, und im weiteren Verlaufe, bis etwas über die Augen 115 oralwärts hinaus durch eine schmale bräunliche Binde, ın der jederseits 5 grössere, dunkle Punkte stehen, angedeutet. Im hinteren Teil des Ulypeus befinden sich vier grössere Punkte, in der Mitte desselben eine, sich den Umgrenzungslinien desselben anschliessende, sanduhrförmige Figur und im vorderen Teile sechs kleine Punkte in der Gruppierung, wie es die Abbildung 12, Tafel III zeigt. Die pleuralen Punktreihen bestehen aus 3—4, aus grossen Punkten zusammengesetzten Punktreihen. Die aus einem stärkeren längeren und einem kürzeren sehr dünnen Gliede bestehenden Fühler stehen auf kleinen Hervorwölbungen dicht über der Basis der Mandibeln. Die Mundteile sind kräftig prominent. Die Zwischengelenkmembran und die Oberlippe sind von blasser gelbbräunlicher Farbe. Die Letztere (Abb. 5, Taf. VII) ist von qureroblonger Form; ihr Hinterrand ist gerade, die Seitenränder und die Vorderecken sind kräftig, der Vorderrand schwach gerundet und sein medianer Teil mit einer Einbuchtung versehen. In der Mitte jedes Seitenrandes steht eine längere helle. und im vorderen Drittel der Oberfläche 10 dunklere haarförmige Borsten, ferner an jedem lateralen Teile des Vorderrandes zwei stäbchen- förmige, gekrümmte helle Borsten, in der Anordnung wie es die Abbildung nachweist. Die hellbräunlichen Mandibeln besitzen in ihren vorderen Teilen die Gestalt eines zugespitzten, stark dorso-ventral komprimierten Hohlmeissels und tragen neben der Spitze (dem mittelsten Zahne) auf der ventralen Schneide keine, auf der dorsalen zwei zugespitzte Zähnchen. (Abb. 6a, b, Taf. VIL) Der Palpus maxillaris und der Lobus externus sitzen auf einem, an die Spitze des Stipes oralwärts sich anschliessenden gemeinsamen, schlanken Grundgliede auf. Beide sind von schlanker fingerförmiger Gestalt, der Palpus maxillaris ist dreigliedrig; der nicht gegliederte Lobus externus erhebt sich auf einem breiteren Basalteile und reicht bis zum Ende des zweiten Gliedes des Ersteren. Beide Teile tragen an ihren abgestutzten Endflächen mehrere Tasthärchen, der Lobus externus an seiner medialen Fläche ein zartes Sinneshaar. — Das Labium ist von schlanker, konischer Form und trägt neben der Spitze je einen zweigliedrigen, auf einer Hervorwölbung aufsitzenden Taster. (Abb. 7, Tafel VII) Die Stützfortsätze aller Beine sind kräftig entwickelt; die des vordersten Beinpaares tragen mehrere kleine braune Stützplättchen, von denen das vorderste oralwärts in einen freiweg vorragenden Fortsatz ver- längert ist. Auf den lateralen Flächen der anderen Stützfortsätze verläuft in dorso-ventraler Richtung eine schwarze, feine Chitinleiste, die dicht über der Insertionsstelle der Coxae von einer kurzen anal-oral verlaufenden, ebenfalls schwarzen feinen Chitinleiste gekreuzt wird. Die Beine (s. Abb. 9—11, Taf. VII) sind von blasser gelbbräunlicher Farbe mit dunklen Mabeln an den oberen und unteren Gelenkenden der Coxae, der Trochanteren, der 8* 116 Femora und den oberen Gelenkenden der Tibien. Das vorderste Bein- paar ist wiederum das kürzeste, das hinterste das längste und etwa 2!/,mal so lang als Ersteres. Das vorderste Beinpaar ist als Greiforgan gestaltet; alle seine Glieder sind von gedrungener Form, der Trochanter ist so lang wie etwa die Tibia, der Tarsus etwas kürzer, die Kralle etwas länger als der Tarsus; der Femur, welcher beinahe eine ovale Form besitzt, ist am längsten. Die Kralle trägt einen schlanken Basaldorn. Der Tarsus und die, am distalen Ende nach innen verbreiterte Tibia sind an der Innenkante mit 4 langen Dornen, der Femur mit 7—8, der Trochanter mit 2 Dornen, letztere Beiden an derselben Stelle zudem mit längeren Borsten ausgerüstet. Der Femur ist an der vorderen und hinteren Fläche ferner mit kleinen Haaren stark besetzt; längere, aber spärliche Haare befinden sich an allen Gliedern. An den mittleren Beinen sind Coxa, 'Trochanter, Femur und Tarsus ziemlich von gleicher Länge, die Tibia etwas länger. Tarsus und Tibia sind spärlich, Femur und Trochanter in grösserer Anzahl an der Innen- kante mit sehr langen Spitzen, die am Trochanter beinahe Borstenlänge erreichen, am Femur und Trochanter ausserdem ebendaselbst mit langen dunklen Borsten besetzt. An der Basis der Kralle, die schlanker und länger als die Hälfte des Tarsus ist, steht ein schlanker Dorn. An den hinteren Beinen sind Coxa, Trochanter, Femur und Tarsus ebenfalls ziemlich gleich lang und nur die Tibia etwas länger. Die Innenkanten des Tarsus, der Tibia, des Femurs und des Trochanters sind mit sehr langen Spitzen, aber spärlicher als die Mittelbeine bedeckt; am Femur und Trochanter sind ebendaselbst auch längere dunkle Borsten vorhanden. Die Kralle ist halb so lang wie der Tarsus und mit einem schlanken Basaldorne ausgerüstet. Die Höcker des ersten Abdominalsesmentes sind von konischer plumper Gestalt. Die Strikturen zwischen den Segmenten sind mässig tief. Die Seitenlinie fehlt. An der ventralen Oberfläche des zweiten bis siebenten Segmentes stehen je 2 sehr kleine Kiemenfäden, — anscheinend auch auf der dorsalen Oberfläche — in ähnlicher Weise wie bei den von Klapälek beschriebenen Oecetislarven, — doch bedürfen diese Organe der Nachprüfung an besser konserviertem Material. An dem hinteren medianen Teil der Rückenschuppe des neuten Segments ist die Cutieula stärker chitinisiert und gelblich tingiert und mit 6 Borsten besetzt. Das zehnte Segment ist in seiner hinteren Hälfte in 2 etwas lateral divergierende Teile gespalten, die mit einer gleichfalls derber chitinisierten und gelb tingierten Cuticula bedeckt sind und auf ihrer Oberfläche eine, auf ihrem analen Rande 4 längere Borsten tragen. An der ventralen Fläche desselben Segments stehen neben der Analspalte zahlreiche kleine kurze Börstehen. Die Nachschieber sind klein und zweigliedrig (Abb. 8, Taf. VII). 117 Die Nymphe ist von cylindrischer Gestalt, 5—6 mm lang und gegen 6—8 mm breit. Die zur Untersuchung gelangenden Nymphen sind von blasser, weissgelblicher Farbe, nur die, die lateralen Ränder der Rücken- und Bauchschuppen der Abdominalsegmente einfassenden Chitinleisten sind von dunklerer Farbe. — Der Kopf ist von querelliptischer Form, die Mundteile sind weit hinauf auf die Stirne gestellt. Die fadenförmigen Antennen sind länger als das Abdomen und um die letzten Glieder des- selben mehrmals herumgewickelt. Die Maxillartaster sind fünfgliedrig, alle Glieder sind gleich lang und schlank; von gleicher Beschaffenheit sind auch dle Glieder der dreigliedrigen Labialtaster. Die Oberlippe ist sehr klein, von querovaler, an den Vorder- und Hinterecken, sowie an den Seitenrändern abgerundeter Form, der Vorderrand ist in einen zu- gespitzten, schnabelartigen Fortsatz, der 5 Borsten trägt, ausgezogen. In den lateralen Teilen der Oberfläche stehen in der Nähe jedes Seitenrandes je 4 Borsten, s. Abb. 12, Tafel VII. Die Mandibeln sind in ihrem Grundteile breit, in ihren vorderen Teilen von der Form einer schwach gekrümmten Sense, die auf der Schneide zahlreiche verhältnismässig grosse Zähnchen trägt, Abb. 13, Taf. VII. — Die zugespitzten Flügelscheiden reichen bis zu dem unteren Ende des sechsten Segmentes. Die Tarsen der Beine sind mit nur spärlichen Schwimmborsten besetzt. Spornzahl 0,2,2.? Der Haft- und Bewegungsapparat ist. verhältnismässig kräftig ent- wickelt. Wie bei der vorigen Larve trägt das Dorsum des ersten Abdo- minalsegment zwischen den hinteren Endpunkten der lateralen Chitinleisten und dem postsegmentalen Rückenschuppenrande jederseits ein rundliches, gelbbräunlich gefärbtes Chitinplättchen mit einer Anzahl von sehr feinen Spitzen. Die übrigen Abdominalsegmente tragen kleine, wie bei der vorigen Larve organisierte Häkchen auf hellbräunlichen Chitinplättehen in folgender Anordnung: Segment III 4 IV 4 V vome 2-3 hinten 5 Vi 3—4 VII a! Das neunte und zehnte Segment sind stärker verschmälert, besonders das Letztere. Dasselbe trägt an seinem Ende zwei lange, nach dem distalen Ende zu sich verjüngende und divergierende Stäbchen, von denen jedes im vorderen Drittel des medianen und lateralen Umfanges mit feinen Spitzen besetzt ist; im mittleren Drittel an der medianen Fläche eine halb- kreisförmige, mit Spitzen bewehrte Hervorwölbung sowie 2 längere Borsten und im letzten Drittel, ebenfalls an der medialen Seite, eine Borste trägt. Das leicht verdickte, dorsalwärts gekrümmte distale Ende der Stäbchen ist mit einer Borste besetzt (Abb. 14, Taf. VII). 118 Das Larven- und Puppengehäuse habe ich früher beschrieben und abgebildet, St. II u. I. Die Larven leben in stehenden, bezw. sehr lang- sam strömenden grösseren Gewässern am Uferrande zwischen den Wurzeln der Uferpflanzen und sind im Juni erwachsen. Die Imagines erscheinen im Juni und Juli. Hydropsychidae und Rhyacophilidae. Obwohl von den Larven der Hydropsychidae und Rhyaco- philidae bisher, wenn man von den Beschreibungen Pictet’s absieht, nur erst verhältnismässig wenig zahlreiche Arten eingehender bekannt geworden sind, und ich nur eine geringe Anzahl derselben für meine Zwecke benutzen konnte, so zeigten sich doch bereits diese Wenigen wiederum nach verschiedenen Prinzipien gefärbt und in sehr charakte- ristischer Weise gezeichnet, so dass es möglich erscheint auf Grund der- selben, einzelne Arten distinet voneinander zu trennen und alle in ver- schiedene Gruppen einzuteilen. Was zunächst die Hydropsychidenlarven anbetrifft, so erwiesen sich eine Anzahl zu der artenreichen Gattung Hydropsyche P. gehörende Larven, die gemeinsam dadurch charakterisiert sind, dass bei ihnen nicht nur der Prothorax und Mesethorax, sondern auch der Metathorax mit einem grossen Chitinschilde geschützt ist, nach dem bei der Gruppe B (bezw. VI) der Limnophilidenlarven und bei den Sericostomatiden- larven geltenden Färbungsprinzipe tingiert, die Zeichnungen also hell (weiss oder schmutzig gelbweiss) auf dunklerem (dunkelbraunem) Untergrunde. Die nur am Kopfe bemerkbaren Zeichnungen sind ausserordentlich einfach und bestehen in drei, auf dem Olypeus localisierten Flecken von der Form und Anordnung, wie es die Abb. 1 und 2, Tafel VII zeigen. Die drei hierher zustellenden Larven von Hydropsyche pellucidula Ct., angustipennis Ot. und saxonica M’L. bieten hinsichtlich ihres Kolorits und ihrer Zeichnung keine weiteren, jede einzelne Art besonders aus- zeichnenden Merkmale, und dürften auf Grund derselben nicht von- einander zu trennen sein. Eine andere, derselben Gattung angehörende Larve, die von Hydropsyche instabilis Ct., ist sonst genau so wie die eben geschilderten koloriert, lässt sich aber von ihnen durch einen vierten, an der Spitze des Ölypeus befindlichen Fleck (s. Abb. 3, Tafel VII) deutlich und sicher unterscheiden (Vrgl. hierzu: Ulmer, Zur Trichopteren-Fauna des Schwarzwaldes, Allg. Zeitschr. für Entomologie VII, pag. 467). Eine weitere Anzahl von Hydropsychidenlarven,. die verschiedenen Gattungen angehören und die dadurch gekennzeichnet sind, dass nur der Prothorax mit einem Chitinschilde bedeckt ist, zeigen wiederum bräun- liche, bezw, braunschwarze Zeichnungen auf gelber, bezw. gelbbräunlicher 119 Grundfarbe. Obwohl bei ihnen die Kopfzeichnungen in ähnlicher Weise wie bei den Leptoceridenlarven entwickelt sind, es sich also wiederum um Gabellinienbinden, in denen teils aus wenigen grösseren Punkten zusammengesetzte Punktreihen, teils einzelne grössere Punkte stehen, um bestimmte Punktzeichnungen des Clypeus, und um aus wenigen grösseren Punkten zusammengesetzte pleurale Binden handelt, so zeigen diese doch wieder — zweifellos zumteil unter dem Einflusse der auch hier in anderer Manier verlaufenden und dadurch andere Clypeusumrisse bewirkenden Gabellinienäste — wieder eine ganz be- sondere Art der Ausführung. Die zu dieser Gruppe zu rechnenden Larven von Plectroenemia conspersa Ot., Polycentropus flavomaeulatus P. und Holocentropus pieicornis St. dürften auf Grund ihrer recht varlie- renden Kopfzeichnungen (s. die Abb. 1, 2 und 3, Tafel IV) sicher und ohne Zuhilfenahme weiterer Merkmale zu determinieren sein. Wieder andere und zumteil völlig von allen bisher geschilderten Zeichnungen abweichende, Zeichnungen treten uns — wie aus den Ab- bildungen 4 u. 5 Tafel IV ersichtlich ist — bei den Rhyacophilidenlarven entgegen. Eine Reihe von zur Gattung Rhyacophila P. gehörenden Arten, Rhyacophila septentrionis M'L., nubila Ztt. vulgaris P. und obtusi- dens M'L. erweisen sich namentlich an den Köpfen auf ganz ähnliche, charakteristische Weise koloriert. Ein brauner herzförmiger Fleck steht in der Spitze des Clypeus; an die hinteren Teile der Gabellinienäste schliesst sich jederseits eine breite bräunliche Binde, die in anal-lateraler Richtung auf die hinteren seitlichen Pleurateile zieht, im allgemeinen sehr unregelmässig gestaltete Umrisse zeigt und anscheinend bei den verschiedenen Arten in verschiedener Ausdehnung und Ausbildung auf- tritt. Innerhalb des ebenfalls bei den einzelnen Arten variierenden Clypeusfleckens sowohl wie der beiden pleuralen Binden befinden sich — bei den verschiedenen Arten in verschiedener Anzahl — vereinzelte oder mehrere helle Punkte und zu beiden Seiten der Gabellinie nahe dem Hinterhauptlochsrande eine kleinere Anzahl von dunklen Punkten, die bei jugendlichen Larven (s. Klapälek. 1. ce. I, 57), so auch bei den mir zur Untersuchung zur Verfügung stehenden Rhyacophila-nubila-Larven fehlen können. Die Larven von Rhyacophila septentrionis M’L. und Rh. nubila Ztt. lassen sich auf Grund der verschiedenen Ausbildungsweise ihrer Kopf- zeichnungen sowie unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Pronotum- zeichnung sicher von einander trennen. Ob dieses auch bei den anderen angeführten Arten der Fall ist, vermag ich, da mir nicht genügendes Untersuchungsmaterial vorliegt, nicht zu entscheiden. Wieder ein anderes Bild gewährt hinsichtlich ihrer Kopfzeichnung die Larve von Glossosoma Boltoni Ct. Ihr Kopf ist bis auf zwei kleine ‘runde und zwei ovale hellere Flecke im hinteren Teile des Clypeus, einer 120 schmaleren helleren Binde im Verlauf der Scheitelstrecke der Gabellinie, zweien runden Höfen um die Augen und die Zwischengelenkmembran der Oberlippe — ebenso wie das Pronotum gleichmässig braun tingiert. Noch andere Rhyacophilidenlarven endlich, z. B. die von Rhyaco- phila tristis P. (cf. Ulmer l. e. Allg. Zeitschrift für Entomologie Bd. VII pag. 492) und die von Agapetus comatus Pict. (s. Klapälek le. I, 59) besitzen keine Zeichnungen, sondern sind völlig dunkel gefärbt. Die Hydropsychiden- und Rhyacophilidenlarven zeigen, wie hier zum Schlusse noch angeführt sein mag, auf der dorsalen Oberfläche ihrer Abdomimalsegmente eigentümliche helle Zeichnungen, die zumteil den bei den Phryganeidaelarven auf den Thoracalsesmenten vorkommenden Zeichnungen ähneln, zumteil aber in anderer Weise ausgeführt sind — und ferner bestimmte, meist sich an die, an diesen Körperstellen vor- handenen Furchen anschliessende, dunklere Färbungen. Es muss künftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben, zu ent- scheiden, ob und in welcher Weise diese Zeichnungen und Färbungen etwa für die Determination und die Einteilung dieser Larve zu verwerten sind. Während der Drucklegung dieser Beiträge erhielt ich von Herrn A. J. Silfvenius in Helsingfors eine Arbeit, betitelt »Über die Meta- morphose einiger Phryganeiden und Limnophiliden« in welcher derselbe u. A. auch die Larve von Limnophilus decipiens Kol. und die Meta- morphose von Phryganea minor Curt. und Agrypnia pagetana Curt. schildert. Es war mir leider nicht mehr möglich diese Arbeit zu berück- sichtigen und möchte ich in Bezug auf dieselbe nur zweierlei kurz bemerken, nämlich einmal dass, da sie auch die Beschreibung der Larve von Glyphotaelius-punctato-lineatus D. G. Retz bringst, nicht mehr daran zu zweifeln ist, dass die Plöner Larve, dieser Art zugehört — und ferner, dass es auch aus dieser Arbeit aufs Neue hervorgeht, wie wünschens- wert eine einheitliche Auffassung und Benennung der Zeichnungen der Trichopterenlarven im Allgemeinen und im Besonderen im Interesse der Determination derselben ist. In dieser Hinsicht sind vielleicht die in den vorliegenden Beiträgen gegebenen Anregungen für künftige Arbeiten auf diesem Gebiete nicht oO = ganz ohne Wert und Belang. ea 4 —— 7. .. Erklarung.der Tareln. Auf Tafel IL, II, III und IV, Figur 1—5, sind die Köpfe und Thoracalsegmente der Larven folgender Trichopteren in vergrössertem Massstabe in dorsaler Ansicht abgebildet: Tafel I. Versgr. Vergr. 1. Phryganea striata L.. .alalı 6. Colpotaulius ineisus Ot.. 10/1 2. Phryganea minor Curt. 8/1 7. Glyphotaelius pellueidus Oliv. 5/1 3. Agrypnia pagetana Curt. . li, 8. Grammotaulius atomarius F.. 5jı 4. Neuronia ruficrus Scop. 5/, 9. Limnophilus vittatus F.. 10/ı 5. Neuronia reticulata L. . 4/ı 10. Limnophilus nigriceps Ztt. 7 Vergr. 11. Limnophilus fuseicornis Rb.. 6/1 12. Limnophilus sparsus (t. 7/ı 13. Limnophilus lunatus (t. 7/ 14. Limnophilus auricula Gt. . 9lafı 15. Limnophilus rhomnicus L. 5fı Tafel II. Vergr. Verer. 1. Limnophilus flavicornis Fahr. 5/1 6. Phacopteryx brevipennis Ct. 12/ı 2. Limnophilus bipunctatus (Ct. 6/1 7. Stenophylax dubius St. . 7/ı 3. Limnophilus decipiens Kol. 51 8. Stenophylax rotundipennis Br. 6/1 4. Limnophilus xanthodes ML. . 7/ı 9. Stenophylax latipennis Ot. 5/ı 5. Anabolia nervosa Lch. . 7/ı 10. Stenophylax nigrieornis Pict. 5jfı Vergr. 11. Micropterna sequax M'L. 5fı 12. Halesus tesselatus. Ramb. 6/1 13. Chaetopteryx villosa Fahr. 6/1 14. Notidobia ceiliaris Kol. 8/1 15. Lepidostoma hirtum F. 14/1 Tafel III. Vergr. im Allgem. 20—30 fach. . Beracodes minuta Eat. . Molanna angustata Ct. Odontocerum albicorne amumH- Leptocerus annulicornis 11 12 13 14 Leptocerus bilineatus L. Scop. 7/ı. St. . Leptocerus tineoides Br. 10/ı. übe Mystacides longicornis L. . Mystacides nigra L. . Mystacides azurea L. 10. Triaenodes bicolor Üt. . Triaenodes conspersa Rb. . Oecetis Struckiü. Klap. . Setodes tineiformis Ct. . Oecetis furya Rb. 17. Oecetis lacustris P. 122 Tafel IV. Vergr. 1. Plectrocnemia conspersa. Curt. . 6/ı 2. Polycentropus flavomaculatus Pict. 12/ı 3. Holocentropus piecicornis St.. . . 10/ı 4. Rhyacophila septentrionis ML. . 8 5. Rhyacophila nubila Zett. ... . 8 6. Limnophilus vittatus F. a. Larvengehäuse in lateraler Ansicht. b. desgl. vorderes Ende in dorsaler Ansicht. c. Puppengehäuse. 7. Limnophilus griseus L. a, b, d, e, f. Larvengehäuse verschiedenen Alters und von verschiedener Ausbildung. c. Puppengehäuse. 8. Limnophilus bipunctatus Ct. a, b. jugendliche Larvengehäuse. c. Larvengehäuse einer erwachsenen Larve. 9. Limnophilus xanthodes M'L. a. Larven. — b: Puppengehäuse. 10. Limnophilus auricula Ct. a. Larven. — b. Puppengehäuse. 11. Limnophilus sparsus Ot. a. Larven. — b. Puppengehäuse. Tafel V. Figur 1—3. Mundteile, Fig. 4. Hinterleibsende der Larve von Phryganea minor Curt. Vergr. Ielbabrum Sn doersaler Ansichten eo 2. linke Mandibula von oben. . . . BB er oe ln 3. Maxilla und Labium in dorsaler Ansicht ee Ai 4. achtes, neuntes und zehntes Hinterleibssesment in.dorsalerzAnsicht; Su... sa. re. 12/1 Figur 5—8. Nymphe von Phryganea minor Ourt. Barbabrumiertzemere Al nr en Be hr: 45/1 omMandıpmlageseere: ae 45/1 7. Haftfortsatz des EAN Aiitominslsepientes ee Ey 8. /Elinterleibsende a.as 2 Hu ER EEE Re lstn 5, 8 in dorsaler Ansicht. . Figur 9—13. Agrypnia pagetana Ourt. 9. Labrum der Larve in dorsaler Ansicht . c. 45/ı 11: » » Nymphe » » » EEE 10. Haftfortsatz des ersten Abdominalsegmentes der Nymphe in seitlicher Ansicht . . . .».......c. 20/1 12. Hinterleibsendeder Nymphe(J')in ventraler Ansicht c. 20/ı 13. Dasselbe in dorsaler Ansicht c. 20/ı Figur 14, 15, 16. Larve 19, 20, 22. Nymphe J 14. ‚Babrum- sus. Sale EN ER REEL. ı; 7 26 Aka 45/1 los Mandıbular rer h : TEE N NN, 45/ı 16. Hinterleibsende in en Ansicht A 2 8/1 von Neuronia reticeulata Scop. nat. nat. nat. nat. nat. nat. Gr. Gr. Gr. Gr. Gr. Dar: Figur 19. Haftfortsatz des ersten Abdominalsegmentes in Rt dorsaler Ansicht +... ZHaRER Jalnmnn au auge 20. Labrum und Mandibula . .... EI 30/1 22. Hinterleibsende in dorsaler Ansicht DERR- BDITEUM 17/ı Fig. 17, 18, 21. Nymphe von Neuronia rufierus Scop. 17. Haftfortsatz des ersten Abdominalsegmentes in dorsaler Ansicht c. 20/ı 18. Derselbe in seitlicher Ansicht ce. 20/ı 21. Hinterleibsende in dorsaler Ansicht ce. 20/ı Tafel VI. Figur 1—3 und 6 Larve | 0 TS ALTO RN ee 19 Puppe j von Limnophilus nigricornis Zett. 1. Oberlippe 52/1 Dinke Mendikala N in dorsalerfAnsichuen er 20. 00» N 35/1 3. do. von innen .. . EEE 35/1 6. Maxilla und Labium in dorsaler A En ö 80/1 7. Haftfortsatz des ersten Abdominalsegmentes von oben : 35/1 8. Mandibula ) [ 52/1 9. Labium Inedorsalene Ansichten 35/1 10. Hinterleibsende j \ 20/ı 4. und 5. Limnophilus fuscicornis Rb., linke Mandibula von innen undeyongobere... anekeir.ı ie. \...0 ce. 2 35/1 Hinterleibsenden und Haftorgane des ersten Abdominalsegmentes folgender Limnophi- lidennymphen in dorsaler Ansicht (Vergr. im allgemeinen c. 20/1). lla, b und ec. Colpotaulius incisus Ot., a in ventraler Ansicht ce. 50/ı 12a und k. Limnophilus fuscicornis Rb. 13a und b. Limnophilus politus ML. 14a und b. Limnophilus sparsus Ct. l5a und b. Limnophilus vittatus F. c. 50/ı 16a und b. Limnophilus xanthodes M’L. 17a und bh. Limnophilus auricula Ct. 13a und b. Phacopteryx brevipennis Ot. 19a und b. Micropterna sequax ML. Tafel VII. Figur 1--4. Köpfe und Thoracalsegmente folgender Larven in dorsaler Ansicht: Vergr. I SElydropsyehespellueidulaa@rgesrer Er 7ı 2. Hydröpsyehe instabilis CH... 2... 7/ı 32.GlOsspRpmas Bolton. Gb u. er 12/1 4. Glyphotaelius punctato-lineatus D. G. Retz . . . 5fı Pe Zame von Oecetis Struckii Klap 12—14. Nymphe J ae 5 abe 5. Labrum in dorsaler Ansicht... . . Dr 90/1 6a, b. rechte Mandibula von oben und unten . . . 90/1 7. Maxilla und Labium in dorsaler Ansicht . . . . 180/ı SH OTDEreHder Von ODeNb. „u. 0 ern, 30/1 124 Vergr. 9—11. die ‚drei.,Beine,.. nieht: many: Bol: Bee 90fı 12.oLabrum . ın dorsaler Ansicht . . . Zrmepezr 90/1 13. Mandibula >» » » u ers: Yılarz SR: 100/ı 14. Körperende mit den Analanhängen von oben. . 60/1 Figur 15—20. Larve n Iyy.; : 31-24. Nymphe von Setodes tineiformis Öt. 15. Labrum Inwdorsaler Ansicht re 15a.Körperende >» » » r Srskskinleeik 30/1 16, Mandıbulai. > en en ee. ee LOFT 7» Masıllasund brannte 1820. diesgrei. Beine, TEE 90/1 21.Mandibula. %, a7. Pan ee 1 NO 22—24. 9. u. 10. Abdominalsegment mit den Analanhängen 22. in 23. in lateraler © Ansicht. ....... 60/1 24. in dorsaler j Tafel Il. ni 10 9 12 11 I, Tafel m 8 IN | ja: N FEER B) a 1 2 \ 12 4 10 2 Tafel M. b 10 u Tafel IV. ’ ubeck u fi EN N == Eat = 1 { eh Bi N Lt. ’ e f n [ER Y un. L ” > ® I, i Dr 4 } F j I er 1 Li R i u * {) f To 1er ‚ j { ' ve # \ l > DR Ei 8; ’ fi fi A FL 2 Hermbergsche Steindr hübech Tafel vl. = r——— fr \ 4 AH ormbern sche Steindr NMübech Versuch monographischen Übersicht der Gattung debaea R. Br. I. Die Sektion Eusebaea Griseh. Von Hans Schinz Zürich. on % Dr ana h: ur j REN | | | sninge ensH Bi Die Gentianaceen-Gattung Sebaea ist, fussend auf einem Manu- skriptnamen von Solander, von R. Brown (1810) aufgestellt worden und zwar auf Grund des damals bekannten australischen Exacum ovatum (=. ovata R. Br.) und der südafrikanischen Exacum-Arten: albensL. (—S. albens R. Br.), aureum L. (=S. aurea R. Br.) und cordatumL. (5. cordata R. Br.). Elf Jahre später nahm Jarosez (1821) das Studium der südafrikanischen Vertreter dieser Gattung wieder auf, allerdings mit geringem Erfolg, denn die von ihm creirten Arten haben keinen Bestand gehabt. Mit grösserem Erfolg sind die einschlagenden Studien Chamissos und Schlechtendahls (1826, 1831, 1833) begleitet, die von schon bekannten Arten sorgfältige Beschreibungen lieferten und gleichzeitig eine Reihe neuer Arten bekannt machten. Im Jahre 1839 ist sodann das Studium der Gattung Sebaea, wie überhaupt der Gentianaceen zu einem gewissen, dem damaligen Stande unserer Kenntnisse entsprechenden Abschlusse gelangt durch die sehr sorgfältige Monographie Grisebachs. Grisebach konnte zu dieser Zeit 12 Arten der Gattung Sebaea aufstellen und zwar brachte er diese in drei Sektionen unter, deren erste er Macrantho- sebaea, deren zweite er Eusebaea und deren dritte er Phyllo- calyx nannte. Unsere eigene Sektion Eusebaea entspricht der Grisebachschen gleichnamigen Sektion, erweitert um die zwei Arten der Sektion Phyllocalyx. Sechs Jahre später erscheint Grisebachs Bearbeitung der Gentianaceen in DC. Prodromus und zwar im IX. Bande (1845) dieses für die damalige Zeit so grossartig angelegten Werkes. Die Zahl der Sebaea-Arten ist inzwischen um eine zurückgegangen, indem Grisebach die Arten der Sektion Macranthosebaea aus der Gattung Sebaea strich und dieselben bei der von E. Meyer aufgestellten Gattung 3elmontia (1835) unterbrachte. Sehen wir ab von der Aufstellung je einer indischen und einer australischen Sebaea-Art, so müssen die sich an Grisebachs Gentianaceenmonographie in DÜ Prodromus anschliessenden vier Dezennien als sehr unfruchtbar bezeichnet werden; eine Änderung tritt erst ein, nachdem ich, angeregt durch die prächtigen von mir damals 128 erworbenen Kollektionen Rehmanns ‚aus Südafrika, auf die Vielgestaltigkeit der Gattung Sebaea aufmerksam geworden, diese Gattung und die nächst- verwandten Genera einer Untersuchung zu unterwerfen begann, allerdings auf Grund noch sehr ungenügender Materialien. Die Frucht dieser Studie war die kleine Publikation in der Vierteljahrsschr. der zürch. naturf. Gesellsch. (1891), in der ich 15 Arten skizzieren und in einem Schlüssel unterbringen konnte, wobei die zwei australischen, die indische Art und die beiden madegassischen Arten keine Berücksichtigung fanden, da ich meine Untersuchung auf die festländischen afrikanischen Vertreter beschränken musste. Inzwischen hatte sich R. Schlechter nach dem Kap begeben, und seine mir zugehenden Sendungen erwiesen sich wiederum als eine Fundgrube auch hinsichtlich der Gattung Sebaea, sodass ich sukzessive jährlich eine oder mehrere neue Arten beschreiben konnte, die ich dann (1896) unter Hinzuziehung der schon früher bekannt gewesenen Spezies zu einem neuen Schlüssel vereiniste, um den Kollegen die Nach- prüfung und die Bestimmungen zu erleichtern. Als die wichtigste Arbeit seit Grisebachs Monographie dürfen wohl die Beiträge Gelgs zur Kenntnis der Gentianaceen (1826), bezeichnet werden. Güg stellt wiederum die sämt- lichen, inzwischen neu beschriebenen, samt den Grisebachschen Arten zusammen. Ganz besonders dankbar erweist sich ihm aber das Studium der Sebaea-Arten des Herbars E. Meyer, das sich im Besitze des Herrn Senator Brehmer in Lübeck befindet und das die Dregeschen Originalien der Meyerschen Beschreibungen in dessen Kommentar birgt. Die Zahl der Arten steigt damit in dem kurzen Zwischenraum von 7 Jahren von 23 auf 43, indem Göüg selbst 20 neue Arten hinzufügt. Ich bin in den letzten Monaten im Stande gewesen, die sämtlichen Angaben Gilgs nach- prüfen zu können und kann nur konstatieren, dass ich sie durchgehends bestätigen konnte. Der Hauptwert der Zusammenstellung Gilgs liegt aber vielleicht in den zahlreichen kritischen Bemerkungen und den sorgfältigen Standortsangaben. Nach längerer Unterbrechung habe ich nun selbst das Studium dieser interessanten Gattung wieder aufgenommen (1894, 1895, 1896, 1898) und dasselbe auch ausgedehnt auf die nicht festländisch-afrikanischen Arten; die Jıahl aller Spezies $ Eusebaea beträgt nunmehr 66. Dies rasche Anschwellen mag misstrauisch stimmen und ich bin auch mit einem gewissen Miss- trauen an die Arbeit herangetreten; anderseits ist es aber wieder ver- ständlich, wenn bedacht wird, dass die Untersuchung der Sebaea- Arten überhaupt nur von Erfolg begleitet ist, wenn unausgesetzt mit der Loupe oder dem einfachen Mikroskop, dem Simplex gearbeitet, Blüte für Blüte aufgekocht und bei ansehnlicher Vergrösserung analysiert wird. Die Unbequemlichkeiten, die das Aufkochen ete. in Kew z. B. nun einmal im Gefolge hat, mögen die Ursache sein, dass gerade von jenem Zentrum aus so wenig für die Kenntnis dieser afrıkanischen Gentbianaceen-Gattungen 129 geschehen ist. Es soll dies kein Vorwurf sein, sondern nur erklären, wie es komınt, dass das erwähnte Anschwellen ein so sporadisches ist. In neuerster Zeit haben sich nun namentlich N. E. Brown und auch Wolley Dod der Gattung angenommen, und die Folge davon war auch die Auf- stellung weiterer neuer Arten und zwar von Arten, die zum Teil aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Kapstadt stammen, also bei früheren Bestimmungen nicht genügend beachtet, von früheren Sammlern auch übersehen worden sind. Ich bin mir nun sehr wohl bewusst, dass mein Versuch einer mono- graphischen Übersicht durchaus den Charakter eines Versuches trägt; das nicht nur mir, sondern uns überhaupt zur Verfügung stehende Material ist eben für manche Arten ein sehr spärliches, stammt oft in allen Her- barien von einem und demselben Sammler und was uns noch fehlt, das ist namentlich eine auch nur bescheidene Kenntnis des Variationsvermögens der einzelnen »Arten«. Ganz besondere Schwierigkeiten bietet die Gruppe der »crassulaefoliae«, wie ich sie hier nennen möchte; ich bin wohl im Stande die einzelnen Arten heute noch auseinander zu halten, ob ich dies aber noch werde tun können, wenn doppelt oder dreifach so viel Material zur Verfügung stehen wird, ist eine andere Frage. Auf Grund meiner Untersuchungen bin ich zu der Überzeugung ge- kommen, dass wir Belmontia und Sebaea nicht trennen dürfen; die von der einen Gattung zur andern überleitenden Arten, die @xlg (1898), 93 noch vermisste und auch damals vermissen musste, sind tatsächlich vorhanden; es sind zum Teil Pflanzen, die ausgesprochenen Sebaeahabitus haben, deren Staubfäden indessen unterhalb der Buchten inseriert sind. Diese Erkenntnis hat mich dazu geführt, die Gattung Sebaea in zwei Sektionen einzuteilen, also zu Grisebachs Vorschlag (1839) zurückzukehren, und ich unterordne nun heute alle Sebaea-Arten, deren Staubfäden in den Buchten der Kronlappen eingefügt sind, der Sektion Eusebaea, alle diejenigen, deren Staubfäden unterhalb der Buchten angewachsen sind, der Sektion Belmontia. Ich hatte nun ursprünglich die Absicht, in dieser Festschrift beide Sektionen zu behandeln, mangels genügender Zeit ist mir dies jedoch unmöglich geworden, und der IIte Teil dieser monographischen Übersicht, der die Arten der Sektion Belmontia umfassen soll, wird nun etwas später, wenn auch noch im Laufe der nächsten Monate erscheinen. Aus demselben Grunde muss ich auch eine allgemeine Betrachtung über den Aufbau und die Plastik der Blüten etc. dem IIten Teil vor- behalten, was übrigens auch praktischer sein dürfte, da uns alsdann die ganze Gattung mit ihren sämtlichen Arten — in der gegenwärtigen Um- grenzung — vorliegen dürfte. Eine ganz kurze, vorläufige Bemerkung bezüglich der »Brownschen Körper und des Papillenwulstes« scheint mir indessen schon an dieser “ 130 Stelle angebracht. Erstere dürften sich ja wohl aus Drüsenorganen ent- wickelt haben, diese Connectivanhängsel aber heute noch als »Düsen« oder »Drüsenkörper« zu bezeichnen, geht wohl nicht gut an, und ich schlage dafür die Bezeichnung »Brownsche Körper« vor, denn R. Brown (1810) scheint mir der erste gewesen zu sein, der diese Anhängsel zur Charakterisierung der Sebaea-Arten verwendet und denselben Aufnahme in den bezüglichen Beschreibungen gewährt hat. Die Brownschen Körper kommen an den Staubbeuteln bald in Ein-, bald in Dreizahl vor, immer ist die Anzahl aber konstant für eine jede Art. Den feineren Bau derselben zu schildern, wird Sache der späteren Erörterungen sein, hier sei nur ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieselben mit Fehlingschem Reagens ausgesprochene Rot- (Zucker-) Färbung aufweisen. Sehr oftsind die Brownschen Körper recht schwierig nachzuweisen, und zwar kann der Grund hiefür ein dreifacher sein. Offenbar werden dieselben sehr frühzeitig geraubt — von Insekten wohl —, und die Analyse einer einzigen Blüte ist daher bei negativem Befund nicht ausschlaggebend, in diesem Falle wird vielmehr stets noch eine ungeöffnete Blüte zu unter- suchen sein. Des Weitern sind diese Körper, wie ja aus den Beschrei- bungen hervorgeht, mitunter recht unansehnlich und werden dann nament- lich von solchen Untersuchern, die nicht gewöhnt sind, stets mit dem Simplex zu arbeiten, übersehen und endlich pflegt nicht selten das obere, etwas über die Thecae herausragende Connectivende zurückge- krümmt zu sein, wodurch dann der Brownsche Körper sich seiner Fest- stellung leicht entzieht. Ebenso viele Aufmerksamkeit verlangt der «Pa- pillenwulst« des Griffels. Ich sehe von der Bezeichnung »Papillen- oder Haarring« ab, weil die aus dicken Zotten oder Papillen bestehende » Ver- dickung« keineswegs durchwegs rings um den Griffel herumläuft, sondern . eher zwei Wulstreihen bildet; es ist daher klar, dass, je nachdem der Griffel liegt oder betrachtet wird, der Wulst hervortritt oder, wenn die eine Papillenstrecke dem Beschauer direkt zugerichtet ist, übersehen wird. In einigen wenigen Fällen ist dieser Papillenwulst so schwach ausgebildet, dass man zu dessen sicheren Feststellung stärkerer Vergrösserung bedarf, er gibt sich dann, auch wenn die Zotten kurz sind, ausnahmslos daran zu erkennen, dass jene Griffelpartie dicht mit zahllosen Pollenkörnern beklebt ist. Bei kurzem Griffel sind Papillenwulst und Narbe häufig nicht deutlich von einander getrennt, in allen anderen Fällen aber pflegt der Wulst näher der Griffelbasis als der Narbe sich zu befinden. Hinsichtlich der Narbe bin ich noch zu keinem abschliessenden Urteil gekommen. Ist die Narbe immer zweilappig oder kommen zweilappige und ungelappte Narben vor? Mir scheint jetzt noch letzteres der Fall zu sein; ich be- tone aber, dass auch bei unzweifelhaft zweilappigen Narben die Narben- äste meist so dicht und fest verklebt sind, dass der Unbefangene ganz sicherlich eine solche Narbe als ungeteilt erklären würde. 131 Es liegt auf der Hand, dass sich mir auch jetzt wieder wie schon früher die Frage aufgedrängt hat, ob vielleicht nicht die Sebaea-Arten heterostyl seien und ob nicht daher die Zahl der aufgestellten Arten eine viel zu grosse sei. Die Möglichkeit lag nahe, da ja verschiedene Genera der Gentianaceen (Gilg, 1895) unzweifelhaft dimorphe Blüten besitzen; ich bin indessen zu demselben Resultate wie Gilg (1898, pag. 99) gelangt, inso- fern, als ich niemals auch nur eine Andeutung von Heterostylie finden konnte, obschon ich sicherlich gegen tausend Blüten analysiert habe. Brownscher Körper und Papillenwulst stehen ganz unzweifelhaft im Dienste der Insektenbestäubung; die Rolle der ersteren ist verständlich, die des Wulstes dagegen zur Stunde noch nicht; es ist auch sehr bedauer- lich, dass die am Kap befindlichen Botaniker dieser biologischen Frage noch nicht näher getreten sind. Dass Insektenbestäubung vorliegt, geht schon daraus hervor, dass man gar nicht selten die Narben und die Griffelpapillenwülste von Sebaea-Arten mit zahllosen fremden Pollenkörnern anscheinend von Kompositen stammend — belegt findet! Schliesslich liegt mir noch die angenehme Pflicht ob, all’ denen, die mich in meiner Arbeit durch Zusendung von Vergleichsmaterial oder durch briefliche Mitteilungen unterstützt haben, meinen aufrichtigen Dank unter Zusicherung der steten Bereitwilligkeit zu Gegendiensten auszu- sprechen, nämlich den Herren: E. @. Baker am britschen Museum in London, W. Barbey und G. Beauverd in Chambesy, Senator Dr. W. Brehmer in Lübeck, Direktor Dr. J. Briquet in Genf, N. E. Brown in Kew, ©. B. Clarke in Kew, Geh. Regierungsrat Prof. Dr. A. Engler und Dr. E. Gig in Berlin, Professor Dr. Hch. Lenz in Lübeck, Prof. Dr. O. Schröter in Zürich, Major A. H. Wolley Dod in London, Prof. Dr. A. Zahlbruckner am k. k. Hofmuseum in Wien. Zürich, Bot. Museum der Universität, 8. Febr. 1903. Literatur. 1692 Plukenetius Phytogr. II t. 275, £. 3. 1696 Plukenetius Almag. Bot. 94. 1738 Burmann Rariorum africanarum Pl., t. 74, £. 4. 1753 Linne 'Spee. Pl. ed. 1, 112. 1781 Linne Supplementum, 123. 1791 Lamarck Ilustr., t. 80, f. 2. 1794 Thunberg Prodr., 48. 1802 Dietz. Vollst. Lex. Gaertn. Nachtr. III. 458. 1804 Labillardiere N. Holl. I, 38, t. 52; 1810 R. Brown Prodr. Fl. Nov. Holl., 452. 1818 Thunberg Fl. Cap. ed. I, II, 171. 1821 Jarosez Pl. Nov. Cap., 10; 9* 132 1826 Chamisso et Schlecht. in Linnaea I, 191; 1831 Chamisso in Linnaea VI, 345. 1833 Chamisso in Linnaea VIII, 52. 18355 E. H. F. Meyer Comm., 184; 1839 Grisebach Gen. et Spec. Gentian., 164. 1839 A. Cunn. in Ann. nat. Hist. II, 45. 1845 Grisebach in DC. Prodr. IX, 52; 1846 Lehm. Pl. Preiss. II, 239. _ 1851 Edgeworth in Trans. Linn. Soc. XX, 83. 1855 Ferd. v. Müller in Trans. Phil. Soc. Vict. I, 46. 1856 Ferd. v. Müller in Hook. Kew Journ. of Bot. VIII, 164. 1860 Hook. Flor. Tasman. I, 270 et II, 367; 1867 Hook. Handb. New. Zeal., 191. 1867 Schweinfurth Fl. Aethiop., 127. 1869 Benth. Flor. austr. IV, 370; 1875 C.B. Clarke in Journ. Linn. Soc. XIV, 428. 1876 PBenth. et Hook. Gen. Pl. II, 804; 1810 OliverzinYEliookelcon BE 22! 1883 0. B. Clarke in Hook. Fl. Brit. Ind. IV, 99. 1885 Ferd. v. Müller, Key to the Syst. of Victorian Pl. II, fig. 96. 1885 Vatke in Abh. Naturw. Ver. Bremen IX, 126; 1857”—1888 Ferd. v. Müller, Key to the System of Victorian plants I, 356. 1883 Maiden in Proc. Linn. soc. New South Wales, sec. ser. III, 355; 1889 CO. B. Clarke in Journ. Linn. Soc. XXV, 47. SIEB SENSE EEE SE 1891 Engler in Abhandl. K. Akad. d. Wissensch. Berlin, 335. 1891 Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXX VI, 309; 1892 Tate in Trans. Roy. Soc. South Austr. XIII, 112; 1893 0. Kuntze Rev. Gen. Pl. III, 202; 1894 Knoblauch in Bot. Centralbl. LX, 323; 1894 Schinz in Bull. Herb. Boiss. II, 219. 1895 N. E. Brown in Kew Bull., 27. 1895 Engler, Pflanzenwelt Ost-Afr. ©., 313. 1895 Gilg in Engl. und Prantl Natürl. Pflanzenfam. IV, 2, 65; 1895 Index Kew. IV, 857; 1895 Schinz in Bull. Herb. Boiss. III, 411. 1896 Schinz in Bull. Herb. Boiss. IV, 442. 1897 Schinz in Engl. Bot. Jahrb. XXIV, 454. 18958 Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVL, 86; 1898 Hiern Cat. o£ Welw. Pl.L 3, 705; 1598 Schinz in Bull. Herb. Boiss. VI, 527. 1900 Manson Bailey Queensland Fl. III, 1026; 1900 Gilg in Annal. Naturh. Hofmus. XV, 65. 133 1901 N. E. Brown in Kew Bull., 127; 1901 Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXX, 377; 1901 A. H. Wolley Dod in Journ. o£ Bot. XXXIX, 400. Synonyme. Sebaea albens Zey. non (L.) R. Br. in herb. = S. ambigua Cham. Sebaea aurea (L.) R. Br. var. congesta E. et Z. in herb. — 8. ambigua Cham. Sebaea aurea (L.) R. Br. f. minima Knobl. in Bot. Centralbl. LX (1894), 324 — S. aurea (L.) R. Br. var. genuina Schinz f. minima Knobl. Sebaea aurea (L.) R. Br. var. sulphurea Griseb. Gen. et Spec. (1839), 167 — S. aurea (L.) R. Br. var. genuina Schinz’? Sebaea brasiliensis Spreng. Syst. IV Cur. Post. (1827), 338 — Schultesia crenuliflora Mart. Sebaea capitata Schrad. in Cat. Sem. hort. Goett. ex Griseb. Gen. et Spec. (1839), 167 —= S. minutiflora Schinz. Sebaea carinata Spreng. Syst. I (1825), 426 — Exacum pedunculatum L. Sebaea congesta Schrad. in Cat. Sem. hort. Goett. ex Griseb. Gen. et Spec. (1839), 167 — S. minutiflora Schinz. Sebaea cordata (L.) R. Br. Prodr. (1810), 452 = $. ($ Belmontia) cordata (E.)R. Br. Sebaea cordata (L.) R. Br. var. intermedia Cham. et Schlecht. in Linnaea I (1826), 191 = S. ($ Belmontia) intermedia (Knobl.) Schinz. Sebaea cordata (L.) R. Br. var. mierantha Cham. et Schlecht. 1. ce. = ®. ($ Belmontia) mierantha (Cham. et Schlecht.) Schinz. Sebaea crassulaefolia Engl. in Pflanzenwelt Ost-Afr. (189), 313 pr. p. non Cham. et Schlecht. = S$. brachyphylla Griseb. Sebaea crassulaefolia Knobl. in herb. non Cham. et Schlecht. — 5. bra- chyphylla Griseb. Sebaea crassulaefolia Zeyher in herb. non Cham. et Schlecht. = S. am- bigua Cham. Sebaea crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. brevifolia Schweinf. Fl. Aethiop. (1867), 127 et in herb. = S. brachyphylla Griseb. Sebaea crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. lanceolata Schinz in Viertel- jahrsschr. zürch. naturf. Ges. XXXVI (1891), 323 = S. Woodii Gilg. Sebaea crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. strieta E. Mey. Comm. (1835), 185 — S. strieta Gilg. Sebaea ceymosa Jarosez Pl. Nov. Cap. (1821), 10 — S. aurea (L.) R. Br. var. pallens Berg. f. ceymosa (Jarosez) Schinz. Sebaea emirnensis Boj. ex Griseb. in DC. Prodr. IX (1845), 53 — 8. brachyphylla Griseb. Sebaea gibbosa Wolley Dod in Journ. of Bot. XXXIX (1901) 1401 = S. ambigua Cham. var. gracilis Cham. 134 Sebaea gracilis A. Cunn. in Ann. nat. Hist. II (1839), 45 — S.ovata (La- biSeRSFBr: Sehaea gracilis Spreng. Syst. IV Cur. Post. (1827), 338 — Schultesia gra- cilis Mart. Sebaea grandis Steud. ex DC. Prodr. IX (1845), 55 —S. ($ Belmontia) grandis Steud. Sebaea guianensis Spreng. Syst. I (1825), 426 = Schultesia stenophylla Mart. Sebaea humilis N. E. Brown in Kew Bull. (1901), 127 = S. macrostigma Gilg. Sebaea involucrata Klotzsch in Peters Mossamb. (1862), 271 = Faroa 'ın- volucrata (Klotzsch) Welw. Sehbaea jorullensis Spreng. Syst. I (1825), 426 — Schultesia stenophylla Mart. Sebaea khasiana ©. B. Clarke in Hook. Fl. Brit. Ind. IV (1885), 99 = 8. mi- crophylla (Edgew.) Knobl. Sebaea linearifolia Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 321 = S. ($ Belmontia) exigua (Oliv.) Schinz. Seabea minima Jarosez Pl. Nov. Cap. (1821), 11 —=S. aurea (L.) R. Br. Sebaea Ohlendorffiana Eckl. ex Griseb. Gen. et Spec. (1839), 166 = 8. (S Belmontia) Ohlendorffiana Eckl. Sebaea oldenlandioides S. Moore in Journ. of Bot. XV (1877), 65 = Exacum quinquenervium Griseb. Sebaea pallida E. Mey. Comm. (1835), 185 — S. aurea (L.) R. Br. var. pallida E. Mey. | Sebaea pallida Zey. non E. Mey. in herb. —S.ambigua Cham. Sebaea pusilla Eckl. ex Cham. in Linnaea VI (1831), 346 — Lagenias pusilla (Eckl.) E. Mey. Sebaea Rutenbergiana Vatke in Abhandl. Naturw. Ver. Bremen IX (1885), 126 = Exacum Rutenbergianum (Vatke) Schinz. Sebaea Schimperiana Buchinger in Schweinf. Fl. Aethiop. (1867), 127 — S. brachyphylla Griseb. Sebaea spathulata Steud. Nom. ed. II, 2 (1841), 550 = S. ($ Belmontia) spathu- lata Steud. Sebaea sulcata Spreng. Syst. I (1825), 426 — Exacum pedunculatum L. Sebaea tabularis Eckl. ex Steud. Nom. ed. II, 2 (1841), 50 —=S8. sulphurea Cham. et Schlecht. Sebaea Welwitschii Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 321 = S. microphylla (Edgew.) Knobl. Sektion Husebaea. Staubblätter stets in den Buchten der Kronlappen eingefügt. Schlüssel für die Arten der $ Eusebaea. Blüten vierzählig Untersektion Tetrandria Schinz Blüten fünfzählig Untersektion Pentandria Schinz I. Untersektion Tetrandria. iss BrownschesKörper0 2.2, Se seen: S. capitata 1. ITENGDGBroynschenKoörperuee SEN a. ne 2. 2. Gwiffelohne von der Narbe abgesetztem Papillen- UST Aare en ar 3. 2*. Griffel mit von der Narbe abgesetztem Papillen- NS ee ee aleslz 8. 3. Kelchabschnitte mit Kielflügel - -- - -.- - . 6. 3*. Kelchabschnitte mit Kielhöcker .... : . . . 4. 4. Fruchtknotenwand über der Mitte verdickt- - S. rhomboidea 2. 4*. Fruchtknotenwand gleichmässig dünn . ...: 5. 5. Höcker der Kelchabschnitte schwach ausgebildet S. albidiflora 4. 5*, Höcker der Kelchabschnitte stark ausgebildet S. minutiflora 3. GeKronlanpen) 2ammulane, 2.2. Sl 2. S. Schlechteri 9. Do sonlappen Sabis, HL mmelanenz 3. rel. 78 Tesbraubblätter zartiker sr: a2. rs aloe S. laxa 8. 7 Kaubblätter lederie ..... N ERNT, S. sclerosepala 11. 8. Kelchabschnitte ungekielt und ungeflügelt - - S. albens 10. 8*. Kelchabschnitte gekielt oder geflügelt : - - - - 3): 9. Kelchabschnitte mit Kielhöcker - . . . . .. . $. ambigua 5. 9*. Kelchabschnitte ohne Kielhöcker . . ... . . 10. 10. Griffel 4 bis 5 mm lang, Staubbeutel 1 bis Ztamulanepen eek jo ense: Maleo - Iareole S. aurea 6. 10*. Griffel 2 bis 3 mm lang, Staubbeutel °/, bis Kamımalanon a ee here} S. ochroleuca 7. lI. Untersektion Pentandria. 12 IK OETE nnee Vo S, chironioides 66. 1*, Krone gelb a Ra 9, 2. Brownsche Körper 3 (1 apikalen und 2 basale) 3. 2, Weniger als 3 Brownsche Körper (1 oder 0 Brownsche ISOTDEEN ya else alten 5 18, 18* 19. 19# 20. 20*. . 1 Brownscher Körper Griffel nur um etwa 1 mm länger als die Narbe S. . Griffel bedeutend länger als die Narbe . - . . Kronlappen 9 mm lang 136 Griffel (inklusive Narbe) 1 bis 2 mm (ausnahms: weise bis 3 mm) lang . ......... 4. . Griffel (inklusive Narbe) 4 bis 9 mm . . . . . 8. Griffel mit Papillenwulst . °. .. 2... ... D. . Griffel ohne Papillenwulst . -.......... 6. Basale Brownsche Körper sehr klein - . - - - S . Basale Brownsche Körper ansehnlich . - - - - S Narberkeulenformees 2 ee % . Narbe kopfig, Papillenwulst oft sehr undeutlich S. Kelchabschnitte stumpflich -......... S . Kelchabschnitt zugespitzt- -. - - .».-...... S Staubfäden 21/2 bis 4 mm lang - - - - - ... 9. . Staubfäden "/, bis -11/as mm läng: -» ». .. .. 10. Blüten 14 bis 15 mm lang; Narbe kopfig. - 8. . Blüten bis 20 mm lang; Narbe zungenförmig S. Kelchabschnitte : mit Körper gross Kielflügel; Brownsche . Kelchabschnitte höchstens mit Kiel - - - - - - Grittel bisr 72/2 mamlangı 2 2 2 2 sr wre 12. 2 Grittelobis79,mmelansaır. 22 were 113% 3 ansehnliche Brownsche Körper . . ... . - S Kronlappen 4 bis 5 mm lang Die basalen Brownschen Körper so gross wie der apikale ee a ya Ks ee 16. Die zwei basalen Brownschen Körper klein - 8. Kronlappen6%biss 97mm lange rs Id. Kronlappen 3 bis 3!’ mm lang . ...... S Narbe keulig zungenförmig Narbe kopfig Papillenwulst fehlend oder wenn bei kurzem Griffel dennoch vorhanden, dann von der Narbe nicht abgesetzt . Papillenwulst vorhanden, bei leiostyla, oreophila und Thodeana oft nur sehr schwach aus- gebildet. "2 2.27 Zune u Sa: 31. Brownsche Körper fehlend. . - .-...... 20. ‘. Brownsche Körper vorhanden - . . 2... .. 22. Narbe kopig %, 1% Rn KERN, 9]: Narbe mehr oder minder zylindrisch - » » . » S. „.1tal . gariepina 42. . scabra 34. . Barbeyiana 25. . Conrathii 23. Barbeyiana 25. . Burchellii 22. . ovatar 20. Dregei 64. macrosepala 59. . pentandra 41. . Macowanii 55. sulphurea 39. hymenosepala 60. . ecaladenia 40. . ramosissima 30. ‚ multiflora 48. 21. Kelchabschnitte gekielt- - - - - :- 2... Ss 21*. Kelchabschnitte mit Kielflügeln - - » . . . S > Grittel Ibis: 3 mm lang u.) um ale) .eltn: 23. 22=. Griffel A ’bis 10 mm lang: . « - - «0.2 da. 26. 23. Kelchabschnitte mit Kielflügel - - - - - - » - - 24. 23*. Kelchabschnitte gekielt - - - -» -». 2... 25: 24. Meist unverzweigt - ":--: een S 24*, Vom Grunde an verzweigt - - -» --:-.... S 25. Narbe kopfig a ee ee Te Ba S BI eNkrbeskeulier: nn. 0 an en S 26. Kelchabschnitte gekielt - - - - -- - -..... 20 26*. Kelchabschnitte mit Kielflügel - - - - - - . » - 30. 27. Stengel mit linealischen oder eiförmig lanzett- lichen, reduzierten Laubblättern . - - - - 29. 27*. Stengel mit ansehnlichen, mehr oder minder eiförmigen Laubblättern - - - -» . . . » - 28. 28. Krone 20 bis 21 mm lang, Staubfäden 3'/s mm an ae en ee S 28*, Krone 14 bis 16 mm lang, Staubfäden höchstens 2, mm lang A er hen S 29. Kronröhre schlank, Zipfel schlanker und schmäler als bei der folgenden Art (Junodü) .. 8. POS Stontöhre kugelan tr iur Sage en ans S 30. -Siaubräden Pmm lang . -. „u... ale. S 30*. Staubfäden 2 bis öfymm lang. - -.-..-.- S 31. Stengel dünn, kriechend und wurzelnd - . . - 8. 31*. Stengel nicht kriechend . - - » - - - - =... 32. Ben GrüteliEibis 3 mm langen... ar una. 33. 22 4 Grittel A bis 1 0!mm lang - >... 2. mi.le . 36. 33. Narbe mehr oder minder kopfig - - -.. .- 34. 33*. Narbe keulig N Ra a De a LEE RGIERT S 34. Kelchabschnitte geflügelt - - -- ---..... 3D. 34*, Kelchabschnitte gekielt - --. - ---.-...- S 33. Kelehabsehnitte bespitzt . - - - - - ...... > 35*. Kelchabschnitte zugespitzt - - - - - S 36. Mit grundständiger Laubblattrosette - - - - - 37. 36*. Ohne grundständige Laubblattrosette - - - - - 39. aiNaxtbeikeulig®. 2 0.22. 2. lan mie 38. 37 Narbe kopfig NAT. iss S a8 Brownsche Körper 0. - - - - . «uni ame. Ss 38*. Brownsche Körper 1, wachsartig - - » - - - - S Bi) Stengel fadenförmig, mehr oder minder zart meist unterwärts unverzweigt - - » - - - 4. . elongata 43. . Bojeri 21. . Zeyheri 35. . affınis 27. . brachyphylla 20. . acutiloba 38. . grandiflora 52. . oreophila 49. microphylla 12. . Junodu 13. . polyantha 57. . saccata 14. repens 28. . affınis 27. . brachyphylla 20. . Gilgü 17. . cuspidata 19. . Thodeana 56. . macrostigma 33 „ affinis 27. 39*, Stengel kräftig, verzweigt, Laubblätter meist ansehnlich" 13. 2 Sa. ea Be 46. 40. Kelchabschnitte deutlich geflügelt (bei filiformis meist schmal geflügelt) - - - - -..... 41. 40*. Kelchabschnitte nur gekielt (bei filiformis gegen den Grund zu ein schmaler Flügel) - . 44. 41. Kronlappen ansehnlich länger als die Kronröhre S. 41*. Kronlappen ungefähr so lang wie die Kronröhre 42. 42. Brownsche Körper gross; Laubblätter pfriemlich lanzettichta wen See. S. 42*, Brownsche Körper unscheinbar; Laubblätter breitnet:ormie ee ara 43. 43. Kelchabschnitte zugespitzt, schmal geflügelt . S. 43*, Kelchabschnitte spitz, Flügel auch am Grunde des Abschnittes deutlich... ...... > 44. Kelchabschnitte hoch verwachsen - . . . - . - S. 44*. Kelchabschnitte tief geteilt - . - . -...... 45. 45. Laubblätter breit eiförmig . . . --...... S. 45*, Laubblätter pfriemlich lanzettlich . .-. . . - S. 46. Blütenstand auffallend gedrungen kopfig - - - 8. 46*. Blütenstand mehr oder minder locker . . . . 47. 47. Kelchabsehnitte mit Kieltlüsele 2.7 nr 48. 47. Kelchabschnitte gekielt oder sehr schmal geflügelt 53. 22 Kenacell & ana, U) nme Iemz 5 aa apa >22. . 49. 4.8) 2 Gruttel 146m Plane re 0. 49. Staubfäden 1 bis 11/e mm lang; Narbe keulig ZUNGENLORMIEN. ee S. 49*, Staubfäden 21/amm lang; Narbe schwach kopfig S. 0 Krone ON aa ee er S. 907 Krones biswlisumımn Slanesenen re Dill. 51. Brownsche Körper ausserordentlich unscheinbar 52. 51”. Brownsche Körper deutlich wahrnehmbar, grösser S. D2aniKelchtiueell breit 2 2 20.0.2200 ya ee S. D2 7 Relchiiugel schmal gr. ee rer ee S. 93. Laubblätter am Grunde nicht verschmälert, meist pfeilförmig. eiförmig . ne. en S. 53”. Laubblätter nach dem Grunde verschmälert, nicht pfeilförmig eiförmig - - - - . . .. S. 54. Staubfäden höchstens Imm lang... .... 55. D4%. IStaubfäden rüber Imamlane 2 22. 57. 99.4 Gritte Ag m Hlanev er S. 597 \Griitel#6%/2 bis Sımm lan pe er 56. 138 Krone‘ bis 10mm langen Ay AR S, mirabilis 29. filiformis 15. Grisebachiana 31. schizostigma 32. exigua 16. vitellina 36. filiformis 15. confertiflora 69. macrantha 47. Brehmeri 63. transvaalensis 61. semialata 54. Rehmanni 58. Schinziana 53. Woodi 45. longicaulis 44. Baumiü 18. sedoides 46, 56*. Krone 14 bis 16mm lang : » :» » +... S. macrophylla 50. Dr Krone unter 10/mm. ar nen aeget S. transvaalensis 61. 57*. Krone 10 bis 16mm lang: » - «er... 58. 58. Griffel 4), bs Smm lang. - -..:....- S. leiostyla 24. BSG ritelNonbis" Sum: lange lad wel. : 59, 59. Krone 11 bis 12mm lang... .---.....- S. crassulaefolia 62. 59*. Krone 14 bis 16mm lang. - -» --- ... +. 60. 60. Papillenwulst überaus schwach, meist kaum angedeutet - -» een en: S. oreophila 49. 60*. Papillenwulst kräftig - - - - - - 000. S. wittebergensis 51. I. Untersektion Tetrandria Schinz. 1. Sebaea eapitata Cham. et Schlecht. in Linnaea I (1826), 193; Griseb. Gen. et Spec. 166 etin DC. Prodr. IX, 53; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI, 313; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 87. Aufrechte, zirka 12 cm hohe, nur oberwärts verzweigte Pflanze mit eiförmigen bis lanzettlichen, unterwärts gedrängten Laubblättern, deren Spreite am Rande im getrockneten Zustande umgerollt und unterseits deutlich netzaderig ist. Die untersten Blätter sind an der Basis entweder stielförmig zusammengezogen oder herzförmig ausgerandet, am oberen Ende der Spreite spitz; die übrigen mehr eiförmig lanzettlichen Blätter sind dagegen halbstengelumfassend. Die Länge der Blätter beträgt + 15 mm, die Breite + 8 mm. Die von einem Spitzchen gekrönten, breit bootförmigen, 8 bis 9 mm langen Abschnitte des urnenförmigen Kelches sind auf der Rückenlinie mit einem verhältnismässig schmalen Kielflügel versehen. Die 7 bis 7!» mm langen Lappen der + 6 mm langen Kronröhre sind länglich eiförmig oder elliptisch, spitz oder stumpf, durchschnittlich 3 bis 4 mm breit. Sehr selten misst die gesamte Krone 18 mm, entsprechend verändern sich dann die Grössenverhältnisse der Röhre und der Lappen. Die auf 2'/e bis (selten) 3 mm langen Staub- fäden aufsitzenden + 2 mm langen Staubbeutel ermangeln der Brownschen Körper. Der Griffel ist ausgezeichnet durch einen Papillenwulst und eine kopfige (?) Narbe; seine Länge beträgt + 5 mm. Südwestliche Kapkolonie: in summo monte tabulari, Mundt und Mare. 2. Sebaea rhomboidea Schinz nov. spec. Aufrecht und nur oberwärts schwach verzweigt, + 10 cm hoch, im ganzen Aufbau der S. minutifllora zum Verwechseln ähnlich. Die spär- lich vorhandenen, durch weite Abstände getrennten Laubblätter sind breit- 140 eiförmig, + fleischig, + 7 mm lang und + 6 mm breit. Der Blütenstand ist wie bei minutiflora gedrungen kopfig, von dem obersten Laubblattpaar gestützt; die Abschnitte des + 5 mm langen Kelches sind nach dem Grunde zu keilförmig verjüngt, am entgegengesetzten Ende dagegen rauten- förmig und spitz und besitzen unterhalb der Spitze einen fleischigen, schwachen, rasch auslaufenden Kielhöcker; die Abschnitte messen unter- halb der Spitze in der Breite 2 mm, am Grunde aber nur noch 1 mm. Die Lappen der + 5 mm langen Kronröhre sind abgerundet, verkehrt- eiförmig, + 3 mm lang. Die auf '/) mm langen Staubfäden inserierten, +1 mm langen Staubbeutel besitzen je einen apikalen, braunen Brownschen Körper. Der 3 bis 4 mm lange Griffel hat einen deutlichen Papillenwulst und eine kopfige Narbe; der obovoide Fruchtknoten ist unterhalb der Mitte rasch verjüngt und in dieser Partie auch dünnwandig, wogegen das Pericarp im oberen Teile diekwandig ist. Port Natal: Poeppig comm. Ich habe diese seltsamen Exemplare in dem vortrefflich geordneten Her- barium des Hofmuseums Wien vorgefunden; wer die Pflanzen eigentlich ge- sammelt hat und wann, geht aus der Etikette nicht hervor. Wie schon hervor- gehoben, sehen sie meiner Sebaea minutiflora täuschend ähnlich und werden ohne sorgfältige Analyse sicherlich auch stets mit dieser verwechselt werden. Trotzdem ist die Unterscheidung wenigstens der mir vorliegenden Exemplare eine sehr einfache, denn die Form der Kelchabschnitte und der Fruchtknoten geben sichere Unterscheidungsmerkmale ab. Das angeführte eigenartige Verhalten der Fruchtwandung habe ich nur noch bei 8. elongata beobachtet. 3. Sebaea minutiflora Schinz in Bull. Herb. Boiss. III (1895), 413; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 88. Sebaea capitata. Schrad. in Griseb. Gen. et Spec. (1839), 167. Sebaea congesta. Schrad. 1. ce. 167. Von aufrechtem Wuchs, 1'/s bis 2 dm hoch, unterwärts unverzweigt, in ansehnlichen Abständen halbstengelumfassende, mehr oder weniger fleischige, eiförmige, spitze oder stumpfe, meist wagrecht abstehende, nach dem Grunde zu häufig etwas verschmälerte, getrocknet gefaltete Laubblätter von bis 10 mm Länge und bis 7” mm Breite tragend. Der Blütenstand bildet ein reichblütiges Dichasium, dessen Hauptstrahlen langgestielt sind; die letzten Ausstrahlungen sind gestaucht, sodass die oberen Blüten dichtgedrängte, von den obersten Laubblättern gestützte Köpfe bilden. Der Kelch wird von vier oblongen, am Rande dünn- häutigen, mitunter etwas gezähnelten, aber nicht gefransten, mit einem massiven, kammartigen Höcker versehenen Abschnitten gebildet, die + 5 mm lang und 1 bis 2 mm breit sind. Die Kronröhre misst 3'/s bis 4 mm; die Lappen sind mehr oder minder eiförmig, abgerundet, 1'/s bis 141 2 mm lang und zirka halb so breit. “Die von kurzen Staubfäden getragenen Staubbeutel sind durch ansehnliche endständige Brownsche Körper ausgezeichnet. Der Griffel ist 1), bis 2 mm lang und besitzt ausser einer kopfigen Narbe einen sich unmittelbar an letztere an- schliessenden Papillenwulst. Südwestliche Kapkolonie: shores at Slangkop, Wolley Dod 3253, bl. 26. IX; Riversdale, juxta rivulum in colle, Schlechter 1701, bl. 2. XI et Rust 471. Gehört in die nähere Verwandtschaft der $. ambigua Cham. 4. Sebaea albidiflora F. v. Müller in Trans. Phil. Soc. Vict. I (1855), 46, in Hook. Kew Journ. of Bot. VIII, 164 et Key to the System of Victorian plants, I, 356; Benth. Fl. austr. IV, 371; Hook. Fl. Tasm. II, 367. Eine + 12 cm hohe, schlanke, kaum oder nur schwach verzweigte Pflanze, die sich durch die fleischige Beschaffenheit der Stengel und Laubblätter sofort als eine ausgesprochene Halophyte zu erkennen giebt. Der durch + 2 cm lange Internodien getrennten Laubblattpaare sind nur wenige. Die mehr oder weniger breit eiförmigen ‘Blätter sind bis 7 mm lang und bis 7 mm breit. Die Blüten stehen in gedrängtblütigen, mehr oder minder kopfigen, wenigblütigen Blütenständen, was bewirkt, dass diese Pflanzen stark an S. minutiflora erinnern. Die Kelchabschnitte sind oblong, + 3 mm lang und + 1'/e mm breit, nach der Basis zu oft ver- schmälert, stumpf, mit einem Kielflügel versehen, der sich gegen das obere Ende zu einem Höcker erhebt. Die Kronröhre misst + 3 mm; die Lappen sind 1!/» bis 2 mm lang. Die der Staubfäden fast ganz ent- behrenden Staubblätter sind + °, mm lang und besitzen am Connectivende einen ansehnlichen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel, dessen Papillenwulst sich an die zweilappige Narbe anschliesst, ist 2 bis 2!/k mm lang. Australien (Victoria): Port Philipp to Port Fairy, saline pastures, Mount Creek, Ferd. v. Müller, mouth of Yarra, Morrison, bl. 7. XII; Port Philipp, Martin, Walter, bl. XI; Barwon, Wimmera and Lake Bonney. Tasmanien: near George Town, ©. Stuart. 5. Sebaea ambigua Cham. in Linnaea VI (1831), 346 et VIII, 52; Griseb. Gen. et Spec. Gent., 171 et in DC. Prodr. IX, 52; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI, 315; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 88. S. aurea (L.) R. Br. var. congesta E. et Z. in herb. S. crassulaefolia Zeyh. in herb. S. albens Zeyh. in herb. S. pallida Zeyh. non E. Mey. in herb. 142 Bis 20 cm hoch, selten höher, meist vom Grunde an reichlich ver- zweigt, mehr oder minder fleischig. Die Laubblätter sind mehr oder minder eiförmig, am Grunde meist etwas herzförmig, getrocknet in der Regel gefaltet, fleischig, + 12 mm lang und + 10 mm breit. Der Blüten- stand pflegt reichblütig, bald locker, bald gedrängtblütig zu sein. Die mehr oder minder verkehrteiförmigen, gegen den Grund zu mehr oder weniger keilförmigen Kelchabschnitte sind + 4 mm lang und bis 3 mm breit; der namentlich im obern Teile breite, weisse Hautrand pflegt etwas zer- schlitzt zu sein. Die Kronröhre misst 5 mm; die eiförmigen Lappen sind + 4mm lang. Die auf 1 bis 1'/, mm langen Staubfäden inserierten, 1!’ bis 2 mm langen Staubbeutel besitzen je einen apikalen, grossen Brownschen Körper. Der mit einem Papillenwulst versehene Griffel hat eine Länge von 5 bis 6 mm und besitzt eine zweilappige Narbe. — — var. graeilis Cham. 1. e. 546. Blütenstand locker, Blüten- standsäste verlängert. S. gibbosa Wolley Dod in Journ. of Bot. XXXIX (1901), 401. Capsche Fläche an feuchten Stellen zwischen hohen Restionen am See- kuhvallei, Ecklon 697, Krebs; Cape Flats, Rehmann 1976, Capetown Krauss ; Capetown, Zeyher 3420 pr. p.; Cape Point, 270 m, Schlechter 7308, bl. 25. I., pr. p.; Muizenberg Vley, by the railway, Wolley Dod 2332, bl. 9. 1. — — var. erassa Cham. 1. c. Blütenstand gedrängtblütig, Blüten oft knäuelig gehäuft, Blütenstandsäste verkürzt. Ganze Pflanze auf- fallend fleischig. Südwestliche Kapkolonie: feuchte Stellen der Fläche zwischen See- kuhvallei und Steenberg, Ecklon 658, J. Verraux; in planitie mont. Muizenberg, 400 m, juxta riv., Schlechter 159, bl. 1. I.; roadside near Little Lion, Wolley Dod, 3273, bl. 9. X.; roadside by Lion Mount., Wolley Dod 2013, bl. 15. XI.; sea sounds at Muizenberg, Wallich 363. Beide Varietäten sind durch Übergänge mit einander verbunden. Die Angabe Wolley Dods, dass S. göbbosa des Papillenwulstes entbehre, kann ich nicht bestätigen, wie denn auch die Abweichungen von $. ambigua für mich zu geringfügig sind. als dass ich gebbosa davon abtrennen könnte. Die var. erassa halte ich für eine Pflanze der Salzstellen. 6. Sebaea aurea (L.) R. Br. Prodr. (1810), 452; Griseb. Gen. et Spec. Gent., 167 etin DC. Prodr. IX, 52; Chamisso in Linnaea VI, 346; E. Meyer Comm., 184; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Ges. XXXVL 315; Knoblauch in Bot. Centralbl. LX, 324; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 88. Abb.: Plukenetius Phytogr. Pl. t. 275, £.3; Burm. Rar. afr. III. t. 74, £. 4 (vielleicht $. sulphurea Cham. et Schlecht.?); Lam. Illustr. t. 50, £. 2. non Exacum sessile L. Spec. pl. ed. I (1753), 112. ef. Griseb. Gen, et Spec. Gent. (1839), 113. 143 Exacum aureum L. Suppl. (1781), 123. Gentiana aurea Thunb. Fl. cap. ed. I, II (1813), 171. Sebaca minima Jarosez Pl. Nov. Cap. (1821), 11. Ein meist unverzweigtes und in der Regel schmächtiges Pflänzchen von 3 bis 30cm Höhe. Die unteren Laubblätter sind herzförmig drei- eckig, die oberen sind lanzettlich eiförmig bis linealisch, bis 13 mm lang und bis 10 mm breit, dünn, stumpf oder spitz. Der Blütenstand ist meist reichblütig, seltener armblütig, locker- bis gedrängtblütig. Die lanzett- lichen, spitzen oder zugespitzten, bald auch mit einer aufgesetzten und zurückgebogenen Spitze versehenen Kelchabschnitte sind 2 bis 3 mm lang, schwach gekielt bis breit herzförmig geflügelt. Die Kronröhre misst 2 bis 4mm; die Kronlappen sind 2 bis 5 mm lang, stumpf bis spitz. Die bis 1'/; mm langen Staubfäden tragen bis 2 mm lange, mit je einem deutlich wahrnehmbaren apikalen Brownschen Körper versehene Staubbeutel. Der Griffel ist bis 5 mm lang und besitzt eine kopfige, zweilappige Narbe. Der walzliche Fruchtknoten ist 3!/e mm lang und bis 2 mm dick. — — yar. genuina Schinz nov. var.; Kelchabschnitte gekielt oder sehr schmal geflügelt, spitz, Blüte in der Regel blassgelb, + 13 cm hoch. Südwestliche Kapkolonie: Wallich (ohne nähere Standortsangabe); lapidosa humida mt. dorsi leonis, Ecklon 732 (neigt gegen var. pallens Berg. f. gracilis Schinz); Bergius; Verreaux;, Paarlberg, Dröge, Outeniqua Mts., Montagupass, Reh- mann 263; Wynberg, Wilms 477, bl. 10. VIII.; Steenberg, Bergius, bl. 31. X. (neigt gegen f. Wurmbeana E. Mey.); am Tafelberg, Dröge,; am Fusse des Tafelberges, Jelinek 251. — — yar. genuina f. Wurmbeana E. Mey. Comm. (1835), 185 (wahr- scheinlich = var. sulphurea Griseb. Gen. et Spec. Gent., 167). + 30 cm hoch, fast unverzweigt; obere Blätter fast linealisch, Blütenstandsäste steif aufrecht, locker. Südwestliche Kapkolonie: Wupperthal, Wurmb; clivis montosis ad Hex River Valley, 7yson 807, bl. I., 450 m; Paarlberg auf Moor im Ge- strüpp, Drege (?); in Mte. Diaboli, Rehmann 1056 (gleich dem vorigen Exemplar den Übergang zu dem Typus markierend); ad Heenberg pr. Dan. Roussow, Bergius. — — yar. pallens Berg. in Griseb. Gen. et Spec. Gent. (1839), 167. Kelchabschnitte breit — und zwar bis nahezu herzförmig geflügelt; Blüten- stand bald locker, bald zusammengezogen, Südwestliche Kapkolonie: am Tafelberg, Dröge 7825, bl. 13. X.; Ecklon; Zeyher ,; flats prope Ularemont, solo aren., Schlechter 22, bl. 14. XII; Löwenberg, Lehmboden, Drege 1870, bl. X.; in campis humid. pr. Capetown, 15m, Bolus 365, bl. X.; Westseite des Signalberges bei der Kapstadt, Wilms 474, bl. 3. X.; Zwartdam, Zeyher 1187; Hopefield, Bach- mann, 80, 783, 787, 794. bl. IX—XI; auf den Hügeln um Kapstadt häufig, Ludwig. 144 Die Zeyhersche Nummer 1187 scheint mir wieder eine Übergangs- form zu sein. — — yar. pallens f. eymosa (Jarosez) Schinz Pl. Nov. Cap. (1821), 10. 4—7 cm hoch; Blütenstand zusammengezogen, trugdoldig, subflorale Laub- blätter breit. Dürfte wohl der $. cymosa Jarosez 1. e. entsprechen. Südwestliche Kapkolonie: N. W. Abhang des Devilspeak, Wiüms (sub ambigua verteilt) 3436, bl. 30. VIII; in clivis montis Leonis, 60 m, Schlechter 1341, bl. 27. VI. — — var. pallens f. graeilis Schinz, nov. 1. ‘Schlanke Form mit wenigen Laubblattpaaren und sehr langen Internodien; Blütenstand wenigblütig und zusammengezogen; 10 cm hoch. Südwestliche Kapkolonie: Umgegend von Hopefield, Bachmann 1592, bl. VII.; in fruticetis pr. Tulbagh, 150 m, Schlechter 1402, bl. 3. IX; Cederbergen, Drege, bl. 29. XU. — — var. pallida, (E. Mey.) Schinz. S. pallida E. Mey. Comm. (1835), 185. Kelchabschnitte herzförmig geflügelt. Südwestliche Kapkolonie: zwischen Kapstadt und Tigerberg, auf Hügeln am Salzfluss, Lehmboden, Drege 1870 pr. p., bl. X.; Kapsohle zwischen Stadt und Tigerberg, nahe Salzfluss, Drege, bl. 17. X.; in sol. argill. lat. orient. Tafelberg, Krauss; Verreaux (1831); Saltriver, Drege. Fischhoek Valley, Wolley Dod 3437, bl. 30. X. Zeyher 3418 von Hessaquaskloof ist eine kleinblütige Form, die vielleicht in Beziehung steht zu der $. minima Jaroscz Plant. Nov. Cap., II, eine Art, die ich nicht kenne, die aber nach Grisebach sicher zu S. aurea und wie er annimmt, zu pallens gehört. Unter Hinweis auf meine Ausführungen in der Vierteljahrsschrift der zürcherischen naturforschenden Gesellschaft, XXXVI, 316—319 füge ich noch hinzu, dass ich im vergangenen Jahre die Gelegenheit hatte, das mir damals noch fragliche Exacum aureum L. in Linnes Herbar einsehen und mich überzeugen zu können, dass die Pflanze, wie ich schon damals ver- mutet hatte, eine unzweifelhafte $. aurea ist, und sie dient mir daher als Typus der var. genwina Schinz. Ich habe versucht, der Vielgestaltigkeit dieser Art etwas Ausdruck zu verleihen durch die skizzierte Gruppierung, verschliesse mich aber keineswegs der Überzeugung, dass sich dieselbe wohl noch erheblich er- weitern lassen wird; ich habe mich beschränkt auf diejenigen Exemplare, die ich selbst gesehen habe und liess vorläufig mir unbekannte Nummern ausser Spiel. 7. Sebaea ochroleuca Wolley Dod in Journ. of Bot. XNXXIX (1901), 400. 5 bis Tem hoch, verzweigt oder unverzweigt. Die Laubblätter sind breit eiförmig, stumpf, 6 bis 15 mm lang und +.5 mm breit. Der Blüten- 145 stand ist nach Wolley Dod eher gedrängt. Die Kelchabschnitte sind + 4 mm lang und besitzen bis 1 mm breite Kielflügel ; die Spitze ist etwas zurückgekrümmt. Die Röhre der bleichgelben Krone hat eine Länge von + 4\s mm; die eiförmigen, fast spitzen Kronlappen sind 3°/, bis 4 mm lang und mitunter bespitzt. Die Länge der Staubfäden beträgt °/, mm, die der mit je einem apikalen Brownschen Körper ver- sehenen Staubbeutel + Imm. Der + 2'/a mm lange Griffel ist ausgezeichnet durch einen Papillenwulst und eine zweilappige Narbe. Südwestliche Kapkolonie: in arenos. humidis ad ped. mts. Koelberg, pr. Capetown, 60 m, Mac Owan 2499, bl. VIII; frequent on the Cape Peninsula in Sept. and Oct., Wolley Dod 3058, 3146, 3252, 3270, 3436; in humid, prope Palmiet-Rivier, 250 m, Schlechter 5425, bl. 13. X. 8. Sebaea laxa N. E. Brown in Kew Bull. (1901), 128. Eine 10 bis 25 cm hohe, verzweigte Pflanze mit zartem, aufrechtem Stengel. Die 3 bis 13 mm langen und 1!’ bis 6 mm breiten, ab- stehenden Laubblätter sind lanzettlich oder eiförmig, spitz oder zugespitzt, am Grunde verschmälert, fast gestielt. Der Blütenstand ist locker, 3 bis 15 blütig. Die lanzettlichen, spitzen, geflügelten Kelchzipfel sind 4-5 mm (Brown) lang und + 1'e mm breit. Die Kronröhre misst 5 bis 6 mm; die eiförmig lanzettlichen Lappen sind 6 bis 8 mm lang und 3 mm breit, spitz oder bespitzt. Die Länge der Staubfäden beträgt 2 bis 21/), mm, die Staubbeutel sind °/ı bis 1'/s (nach Brown) mm lang und besitzen einen grossen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel ist 3'/), mm lang; er hat einen Papillenwulst und eine kaum sich vom Griffel abhebende Narbe. Südwestliche Kapkolonie: Riversdale Division, on the Kampsche Berg, Burchell 7089, Swellendam Division, Zuurbraak Mountain, 940 m, Galpin 4337. Die von N. E. Brown angegebenen Masse stimmen nicht genau mit meinen eigenen Beobachtungen überein, zum grossen Teil rühren diese lästigen Verschiedenheiten sicherlich davon her, dass sich die englischen Kollegen immer noch nicht mit dem metrischen System befreunden können und sich anstatt des praktischen mm mit einer grössern Einheit behelfen, die viel häufiger zu Schätzungen führt. 9. Sebaea Schlechteri Schinz in Engl. Bot. Jahrb. XXIV (1897), 454 et in Bull. Herb. Boiss., VI (1898), 527; Gile in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 88. Ein schmächtiges, unverzweigtes Pflänzchen von + 10 cm Höhe, mit 3 bis 4, durch bis zu 4 cm lange Internodien getrennten Laubblatt- paaren. Die Blätter sind breit eiförmig; am Grunde schwach herzförmig, stumpf oder spitzlichh + 5 mm lang und 3 bis 4 mm breit. Der 10 146 Blütenstand ist wenigblütig und schwach verzweigt; die Blüten sind an der Spitze des zarten Stengels gedrängt, kurz gestielt. Die Kelchblätter sind mit einem bis 1 mm breiten Kielflügel und einem zarten Hautrand versehen und erreichen eine Länge von + 4 mm; die Kronröhre ist + 3!/, mm lang und die lanzettlichen, spitzen Kronlappen sind + 2 mm lang. Die Länge der Staubfäden beträgt '/» bis 1 mm, die der mit einem apikalen Brownschen Körper versehenen Staubbeutel # °/, mm. Der + 3 mm lange Griffel entbehrt eines Papillenwulstes; die Narbe ist zweilappig. Südwestliche Kapkolonie: auf Bergen bei French Hoek, 1000 m, Schlechter 9307, bl. 20. XI. 10. Sebaea albens (L.) R. Br. Prodr. (1810), 452; Griseb. Gen. et Spec. Gent. 171 et in DC. Prodr., IX, 53; Chamisso in Linnaea VI, 345; E. Mey. Comm., 185; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVL 313; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 88. Exacum albens L. Suppl. (1781), 123. Gentiana albens Thunb. Prodr. (1794), 48. Exacum pedunculatum 'Thunb. Fl. cap. ed. 1 (1818), 172 non L. Spannenhohes, aufrechtes, mitunter vom Grunde an schon reichlich verzweigtes, 15 bis 25 cm hohes Pflänzchen, mit eiförmigen bis lanzettlich- eiförmigen, am Grunde häufig etwas ausgerandeten, spitzen oder stumpfen, meist fleischig-lederigen, mitunter mehr oder minder membranösen Laub- blättern von + 10 mm Länge und + 7 mm Breite. Die Blütenstände sind meist dicht gedrängt, meist vielblütig und dabei die einzelnen Blüten nicht oder nur wenig lang gestielt. Die mitunter unter sich ungleich langen und ungleich breiten Kelchabschnitte sind von ovalem oder elliptisch ovalem, seltener verkehrteiförmigem Umriss, spitz oder stumpf bei zurückgebogener Spitze, steif, dick, weder geflügelt noch ausgesprochen scharf gekielt, +6 mm lang. Die Krone erreicht eine Länge von + 9 mm, davon entfallen auf die mehr oder minder ovalen bis breit spatelförmigen, abgerundeten Lappen ungefähr 5 mm. Die 1 bis 1/, mm langen Staubfäden aufsitzenden, + 2 mm langen Staubbeutel weisen je einen breit kegelförmigen, grossen braunen Brownschen Körper auf. Eine kurze zweilappige Narbe krönt den 4'/s bis 5 mm langen, mit einem Papillenwulst versehenen Griffel. Südwestliche Kapkolonie: Zoutrivier, Bergius; Riedvallei bei der Salzpfanne, Ecklon; Bergplätze bei Kapstadt, Dergius, Mundt und Maire, Ecklon und Zeyher, Wallich, Pappe; Piquetberg, 150 bis 300 m, Drege 7826, Duikervaley, infra 65 m, Drege,; in ulig. plan. cap., Krauss, bl. XI.; about the ponds and at Saltriver, Durchell 682, in pratis pr. Groene Kloof, Bolus 4308, bl. X., 90 m; inter restiones in arenos. planit. cap. pr. Capetown, Mac Owan 1925, bl. XI., 30 m; Underbergvalley, Penther 147 2020, bl. 3. IX; Coeratenberg, Bachmann 1591, bl. XI; Umgegend von Hopefield, Bachmann 68, bl. IX.; strand by Greenpoint near Cape- town, Wems 475, bl. 19. IX.; Cape Flats, Rehmann 1977; in depressis subsalsis pr. Claremont, 25 m, Schlechter 1684, bl. X.; Fish Hoek Valley, Wolley Dod 3458, 3439 A, bl. 30. X.; by a creek beyond Paarden Island, Wolley Dod 3311, bl. 2. X.; slopes towards Camps Bay, Wolley Dod 3330, bl. 17. X. 11. Sebaea selerosepala Gilg spec. ined. + 20 em hoch, unverzweigt. Laubblätter unterwärts am Stengel gedrängt, oberwärts durch weite Internodien getrennt, eiförmig, spitz oder spitzlich, nach dem Grunde zu häufig zusammengezogen, + 12 mm lang und + 9 mm breit. Blütenstand armblütig. Die 4 Kelchabschnitte sind + 7 mm lang, steif, strohgelb, mit bis zur Spitze sich erstreckendem, + 1 mm breitem Kielflügel, bootförmig. Die Kronröhre misst + 5 mm Länge, die Lappen sind spatelförmig, bis 6 mm lang und abgerundet. Die Staubfäden sind + 2°/, mm lang; die mit einem apikalen, kleinen, sehr unscheinbaren Brownschen Körper versehenen Staubbeutel erreichen eine Länge von + 1 mm. Der + 4 mm lange Griffel entbehrt eines Papillenwulstes und besitzt eine + 1 mm lange, keulig zungenförmige Narbe. Südwestliche Kapkolonie: locis humidis, in monte tabnlari 160 m, Schlechter 170, bl. 3. 1.; Outeniqua Mt., Montagu-Pass, Rehmann 266. $ Pentandria Schinz. 12. Sebaea mierophylla (Edgew.) Knobl. in Bot. Centralbl. LX (1894), 324. Cicendia microphylla Edgeworth in Trans. Linn. Soc. XX (1851), 83. Sebaea khasiana ©. B. Clarke m Hook. Fl. Brit. India, IV (1883), 99, in Journ. Linn. Soc.. XIV, 428 et in Joum. Linn. Soc. XXV, 47; Hiern Cat. of Afr. Pl. I, 3, 705; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 92. S. Welwitschii Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 321; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 92; EiiernCat. 955 AtrP1., 1.037705: Eine schmächtige, steif aufrechte, + 25 cm hohe, erst in der Blüten- region verzweigte Pflanze mit fädlichem Stengel und ohne grundständige Laubblattrosette. Die spärlich vorhandenen, paarweise stehenden, durch weite Internodien getrennten stengelständigen Blätter sind lanzettlich bis linealisch-lanzettlich, gekielt, emporstrebend, + 2 mm lang, bleich- grün. Die langgestielten Blüten sind zu wenigen zu einem lockern Blütenstand vereinigt. Die rigiden Kelchabschnitte sind lanzettlich, 10> 148 gekielt, grannenartig zugespitzt, + 4 mm lang. Die Kronröhre misst 5 bis 6 mm; die eiförmig lanzettlichen bis eiförmigen, stumpfen oder spitzen Kronlappen sind + 5!/s mm lang und 2°/, bis 3 mm breit. Die Staubfäden haben eine Länge von + 3 mm (bei den indischen Exemplaren von l'/, mm); die von einem sehr kleinen apikalen Brownschen Körper sekrönten Staubbeutel messen 1'/, bis 1'/, bis 2 mm (bei den ind. Exempl. bis 1 mm). Der +5 mm (bei der ind. Pflanze 31/g mm) lange Griffel entbehrt eines Papillenwulstes und besitzt eine kopfig gedrungene Narbe. West-Afrika: Angola, Uilla, Welwitsch 1521, bl. und fr. I.; längs des Uumpata Flusses, Welwitsch 1522, bl. und fr. IV.; am Kulei, auf Moosboden, zwischen Gras, 1300 m, Baum 870, bl. 27, IV. Ostindien: Himalaya, in graminosis, 155 bis 2100 m, Mandal, Garhwal, Edgeworih; Jakpho 2300 m, ©. B. Clarke; Nepal, Wallich; Khasia Mts., Kollong Rock, 1700 m, ©. B. Clarke. Hiern begleitet die Welwitschischen Pflanzen mit nachstehender Notiz: Huilla. — A parasitical, filiform, erect, 2-to 6-flowered herb; habit of Centaurium; stem simple or sparingly branched, quadrangular; leaves ovate-acuminate, connate at the base, rather rigid, distant, opposite; flowers yellow; calyx deeply lobed; the segments ovate-lanceolate; corolla- lobes lanceolate; stamens inserted between the corolla-lobes, exserted; filaments in some flowers nearly straight, not at all curved below the anthers; anthers variable in shape, sometimes long-spathulate or oblong- claviculate and longer than the style, in other cases shortly spathulate, almost shorter than the style and hollowed out with one side as it were arched. Parasitical among grasses and on clumps of Cyperaceae along the banks of the Monimo river in spongy or swampy places; fl. and fr. Jan. 1860. No. 1521. An annual, erect, lovely, little herb, scarcely high; habit almost of Curtia tenella Cham.; stems filiform, mostly shortly bent at the base, promptly straightening, simple or with one branch above the middle or trichotomous; branches ascending 1-t0o 3-flowered; leaves minute, "/1 to '/sinch. long, sub-connate atthe base, ovate-lanceolate, keeled, subulate at the apex, squamiform so that the stem seems partly leafless, adpressed to the stem; internodes about 1 inch long; cymes 1-t0 16-fowered; flowers ebracteolate, yellow, mostly pentamerous, 4-10 6-merous; 5- and 6-merous- flowers seen on the same specimen ; corolla salver-shaped;,; the tube swelled at the base, constrieted below the limb; the lobes ovate rather obtuse; stamens exserted; anthers sub-sagittate at the base without glands at the apex or with very small glands, but present only on one or two of them, at length spirally twisted; style straight, filiform, exceeding the stamens; stigma globose-eaespitate, pileiform, widely hollowed at the base and there obtusely bilobed; capsule 2-celled; placentation free, 4-lobed; seeds oblong- subquadrate, various in shape, when not quite ripe foveolate. Parasitie 149 on the rhizomes of low Cyperaceae, in damp shortly grassy pastures along the Humpata river (Quipumpunhime), plentiful; fl. and fr. 24. April 1860. No. 1522. Ich halte mit €. B. Clarke, Gilg und Hiern die indische Pflanze für nicht verschieden von den Exemplaren aus Angola, füge aber hinzu, dass mir von der ersteren nur spärliche Pflänzchen vorliegen. Die An- gabe von Welwitsch: “a parasitical herb‘‘ dürfte wohl auf einem Irrtum beruhen, ich glaube viel eher, dass es sich bei diesen Sebaea-Arten mit spärlichen, fast schuppenförmigen Blättern und gelblich grüner Färbung eher um Saprophyten handelt. 13. Sebaea Junodii Schinz in Bull. Herb. Boiss. IV (1896), 442; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 93. Ein schmächtiges Pflänzchen mit fadenförmigem, in der Regel un- verzweigtem Stengel von eirca 15 cm Höhe und eiförmig lanzettlichen, zugespitzten Laubblättern von + 2Y/’g mm Länge und entsprechender Breite. Die endständigen Infloreszenzen sind armblütig. Die Kelchab- schnitte sind mehr oder weniger eiförmig lanzettlich, zugespitzt und auf dem Rücken schmal gekielt. Der durch den kugeligeiförmigen Frucht- knoten unterwärts kugelförmig erweiterte Krontubus ist oberwärts röhrig und + 5 mm lang; die Lappen sind eiförmig lanzettlich, stumpf, + 4 mm lang und + 2'/e mm breit. Die 1 bis 1'/s bis 2 mm langen Staubfäden tragen °/, bis 1'/, mm lange, mit je einem apikalen, ver- schwindend kleinen Brownschen Körper ausgestattete Staubbeutel. Der Griffel ist + 4 mm lang und entbehrt eines Papillenwulstes; er besitzt eine kurz zungenförmige Narbe. Natal: Howick, 1000 m Innod; an ‘schattigen Stellen bei Howick, 1000 m, Schlechter 6783, bl. 18. II. Transvaalkolonie: in umbros. mont. Houtboshberg, 1950 m, Schlechter 4167, bl. 1. IV. Schlechter schreibt zu dem Exemplar vom Houtboshberg: »dies ist die einzige mir bekannte Sebaea, welche offenbar die Sonne flieht und nur im tiefen Schatten auf dem Humus des Waldes wächst, ähnlich wie in Deutschland die Nestwurz. Diese Art kommt auch im tropischen Transvaal bei Goedgedacht, in den Wäldern wachsend, vor. 14. Sebaea saccata Schinz nov. spec. Die in grosser Zahl vorliegenden Exemplare dieser interessanten Art sind 7 bis 12 cm hoch, fädlich und zart. Die Stengel sind mit 2 bis 4 entfernt stehenden Laubblattpaaren besetzt. Die Laubblätter sind dreieckiglanzettlich, spitz, am Grunde abgestutzt, + 5 mm lang und + 2!’ mm breit. Eine Verzweigung tritt erst in der Blütenstands- 150 region auf. Die Blüten besitzen lanzettliche, zugespitzte, mit einem + 1 mm breiten, zum Teil am Grunde mitunter schwach herzförmigen Kielflügel versehene Kelchabschnitte von + 6 mm Länge Die Kronröhre ist 6 bis 7 mm lang, und da, wo der Saum abgeht, verengert indem sie nach innen eingestossen ist. Die Lappen haben eine Länge von 6 bis 8 mm und eine Breite von + 4 mm; sie sind im Umriss eiförmig lanzettlich. Die Staubfäden sind 2'/s bis 3 mm lang und tragen Staubbeutel von 1!/2 bis 21’; mm Länge, die je einen sitzenden, apikalen wenig auffallenden Brownschen Körper besitzen. Der Griffel entbehrt eines Papillenwulstes, ist + 5'/s mm lang und besitzt eine grosse, + 1 mm lange, breitzungenförmige Narbe. Transvaalkolonie: inhumid. mont. Houtboshberg, pr. Mamavolo, + 1600 m, Schlechter 4702, bl. 27. III. 94. 15. Sebaea filiformis Schinz in Bull. Herb. Boiss. III (1895), 411; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 3. Ein zirka 13 cm hohes Pflänzchen von aufrechtem Wuchs, mit fadenförmigem Stengel der bis zur Blütenregion unverzweigt ist. Die durch lange Internodien von einander getrennten, paarweise stehenden Laubblätter sind linealisch lanzettlich, spitz, bis 10 mm lang, zumeist aber kürzer. Meistens schliesst der Stengel mit einer einzigen Blüte ab, deren Kelchabschnitte linealisch lanzettlich bis lanzettlich und des Öftern lang zugespitzt zu sein pflegen. Die Abschnitte sind gegen den Grund zu schmal geflügelt und bis 5 mm lang. Die Kronröhre ist + 5'/,—6'/s mm lang; die mehr oder weniger eiförmig lanzettlichen, von einem kleinen Spitzchen überragten Kronlappen sind 51/,—6!/, mm lang. Die + 1'/’s mm langen Staubbeutel ruhen auf verschwindend kurzen Staubfäden und besitzen je einen gestielten, + grossen, apikalen Brownschen Körper. Der + 5 mm lange Griffel ist durch zwei ansehnliche, + 2 mm lange keulenförmige Narbenäste ausgezeichnet und hat etwa in halber Höhe einen Papillenwulst. Natal: Claremont, 1560 m, Wood 1884, bl. 7. IV., zwischen Gras bei Polela, Wood 956. Transvaalkolonie: sumpfige Stellen bei der Stadt Lydenburg, Wilms IT2MELNDTT: 16. Sehaea exigua (Oliv.) Schinz. Ohironia exigua Oliver in Hook. Jcon. Pl. (1877—79), t. 1229. Sebaea linearifolia Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 321; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. RRVIEN9B: 13 cm hoch, selten schon vom Grunde an verzweigt, mit fädlichem Stengel und entfernt stehenden Laubblattpaaren. Die Blattspreiten sind 151 von linealisch lanzettlichem Umriss, spitz, +5 mm lang. Der endständige Blütenstand ist sehr locker, zirka 10 blütig; die einzelnen Blüten sind langgestielt. Die gekielten, lanzettlichen, am Rande dünnhäutigen, zugespitzten, + 7” mm langen und + 1°/, mm breiten Kelchabschnitte sind bis zu einer Höhe von 5 mm unter einander zu einer breittrichter- förmigen Röhre verwachsen. Die Kronröhre misst 5 bis 6 mm; die 8 bis 9 mm langen und bis 5 mm breiten Kronlappen sind abgerundet bis spitz. Die auf + 2 mm langen Staubfäden inserierten Staubbeutel sind + 3 mm lang und durch einen sehr unscheinbaren, apikalen Brownschen Körper ausgezeichnet. Der 5 bis 6 mm lange Griffel besitzt einen Papillenwulst etwas unter halber Höhe und eine massige, breit zungenförmige starke Narbe. Nördliche Kapkolonie: Diamondfields, Du Toits pan, Barber 22. Oranjeflusskolonie: Vredefort Road, .Barreti- Hamilton; Bloemfontein, Rehmann 379. Transvaalkolonie: in gramin. pr. Moletse, 1300 m, ‚Schlechter 4678, bl. 13..III.; Boshveld inter Elandsriver et Klippan, Rehmann 5062; Modderfontein, feuchte Wiesen, Conrath 746. Deutsch-Südwest-Afrika: Fläche nördlich von Otjiuka, Dinter 602, biEI2. IV. Natal: Zwischen Gras am Mooi-River, 1000—1200 m, Wood, bl. 11. IV.; zwischen Gras bei Pietersburg, 1300 m, Schlechter 4361, bl. 3. 11. 17. Sebaea Gilgii Schinz nov. spec. Eine 9 bis 20 cm hohe, unverzweigte, steif aufrechte, wenig be- blätterte Pflanze mit zartem Stengel. Die durch bis zu 7 cm lange Internodien getrennten, paarweise stehenden, Laubblätter sind + eiförmig, stumpf, + 6 mm lang und 3-4 mm breit. Die Äste des armblütigen Blütenstandes sind zumeist recht kurz. Die Kelchabschnitte sind oblong, + 3 mm lang, am Rande dünnhäutig, abgerundet, bespitzt, mit schmalem Kielflügel versehen.. Die Kronröhre hat eine Länge von + 4 mm; die spatelförmig elliptischen Kronlappen sind + 3 mm lang und + 2 mm breit. Die Staubfäden messen 1 bis 1/, mm; die + ?/, mm langen Staub- beutel besitzen je einen apikalen Brownschen Körper. Die kopfige Narbe sitzt einem + 2 mm langen, mit einem Papillenwulst ausgestatteten Griffel auf. Die + walzliche Kapsel ist 3'/’; mm lang und + 1°/, mm breit. Südwestliche Kapkolonie: juxta rivulum in planitie mont. Muizenberg, 400 m, Schlechter 150, bl. 1. 1. 18. Sebaea Baumii Schinz nov. spec. Steif aufrechte, nicht oder wenig verzweigte, bis '/. m hohe Pflanze, deren stengelständige Laubblattpaare durch + 4 em lange Internodien von 152 einander getrennt sind. Die halbkreisförmigen Laubblätter sind + 10 mm lang und + 12mm breit, dabei lederig. Der Blütenstand ist + kopfig und gedrängt vielblütig. Die 5 Kelchabschnitte sind gekielt, spitz, dünn- häutig, oft von einer Grannenspitze gekrönt. Die Kronröhre hat eine Länge von + 5 mm, die + verkehrteiförmigen, gegen den Grund zu ziemlich rasch verjüngten Kronlappen sind 2'/s bis 3mm lang und + 2mm breit. Die auf '/» bis °/, mm langen Fäden inserierten Staubbeutel sind + 2mm lang und sind mit je einem deutlich wahrnehmbaren, apikalen Brownschen Körper versehen. Der + 4 mm lange Griffel hat einen Papillen- wulst und eine kurzzungenförmige, zweilappige Narbe. Angola: am Habungu, auf Moorboden am Rande eines Sumpfes, 1150 m, Baum 498, bl. 1. XI. 19. Sebaea euspidata Schinz nov. spec. Aufrechte, unverzweigte, steife, unterwärts gedrängt —, im Übrigen schwach beblätterte Exemplare von + 25cm Höhe. Die Laubblätter sind breitelliptisch (die unteren namentlich), die oberen eiförmig elliptisch, spitz und + 7” mm lang und + 3 mm breit. Die Blütenstände sind gedrängtblütig, die Einzelblüten verhältnismässig klein. Die Kelch- zipfel sind flügelartig gekielt. Die Kronröhre ist 3 bis 4 bs 5 mm lang; die Lappen sind 3 bis mm lang und 2 bis 2'/ mm breit, dabei allmählich nach der Röhre zu verschmälert. Die Staubfäden erreichen eine Länge von 1 bis 1!/, mm, die der Brownschen Körper entbehrenden Staubbeutel eine solche von + 1 mm. Der mit einem Papillenwulst versehene Griffel ist 2 bis 53mm lang und besitzt eine kopfige Narbe. Südliche Kapkolonie: in eliv. mont. Langebergen pr. Riversdale, 450 m, Schlechter 1840, fl. 20. XI. 20. Sebaea brachyphylla Griseb. Gen. et Spec. (1839), 170; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXX VI, 325; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 100; Engler in Abhandl. K. Preuss. Akad. Berlin (1891), 335 et in Pflanzenwelt Ost-Afr. (1895), 313 pr. p.; Hiern Cat. Afr. Pl. I, 5, 702. S. crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. brevifolia Schweinf. Flora Aethiop. (1867), 127 et in herb, Sebaea Schimperiana Buchinger in herb. Sebaea crassulaefolia Knobl. in herb. Berol. non Cham. et Schlecht. Sebaea crassulaefoia Engl. in Pflanzenwelt Ost-Afr. (1895), 313 pr. p. non Cham. et Schlecht. Aufrechte, unterwärts schon verzweigte Pflanze mit zum Teil kräf- tigen Seitenzweigen, + 40 cm hoch. Die untern, + 15mm langen und + 10 mm breiten, am Grunde zusammengezogenen Laubblätter sind mehr oder weniger länglich eiförmig, die höher oben inserierten bei herzförmigem Grunde eiförmig bis fast nierenförmig und die obersten endlich sind 153 lanzettlich eiförmig und dabei bedeutend kleiner. Der Blütenstand ist + wenigblütig, + gedrängt; Blütenstiele aufrecht, kurz. Die Kelch- abschnitte sind lanzettlich, spitz, gekielt und 4 bis 5mm lang. Die Kron- röhre misst 3 bis mm und ist unterwärts kugelig erweitert; die oblongen, eiförmigen oder spatelförmigen Kronlappen sind nur 2 bis 3 mm lang und 1'/ bis 1°/, mm breit. Die Länge der Staubfäden beträgt circa '; mm; die einen ganz kleinen, apikalen Brownschen Körper tragenden Staubbeutel sind °/s bis Imm lang. Der Griffel variiert in seiner Länge zwischen 1'/, und 3mm, wovon etwa !/sa bis °/, mm auf die Narbe fallen. Ein Papillenwulst ist meist unschwer nachzuweisen. Madagaskar: (ohne Standortsangabe) Bojer; Lyall; in Sümpfen bei Imerina, Hildebrandt, 3840, bl. I; Mount Antety above Ambositra in Zentral-Madagaskar, Forsyth Major, 658, bl. 11. XII; montagnes pres Tananarivo, G@oudot, bl. II; Baron (ohne nähere Standortsangabe) 1819. Ost-Afrika: Kilimandscharo, Wäldchen am Kifinika-Vulkan, 2700 m, Volkens 1114, bl. X.; Marangu, im Grase der Bergwiesen am Ruassibache, oberhalb des Urwaldes am Mawenzi, Volkens, 861 ; Schneequelle, 4500 m (?), Hans Meyer, 102, bl. VII; Uhehe, Utschungwe-Berge, 1600 m, Frau Hauptmann Prince. Abessinien: Auf dem Berge Gunna, 3300 m, Schimper 1459; auf Wiesen des Bergrückens Bachit oberhalb Demerk, 3600 m, Schimper 151; Sebit, Steudner. West-Afrika: Kamerun, in der Grasregion zwischen Buea und der Mannsquelle, 1900 bis 2600 m, Preuss 633a, 633 b; Buea, Grasland, 2400 m, Lehmbach 76, bl. 17. X.; ohne nähere Standortsangabe, Johnston ; Uuilla, in moist pastures throughout the distriet, very plentiful, from Oct. to March; near Lopollo at an elevation of 1400 to 1700 m; fl. and fr. Nov. and Dec. 1859 and Febr. 1360, Welwitsch 1520, coll. carp. 750, Lopollo in damp places, Welwitsch, coll. carp. 749. Fernando-Po: Ularence Peak 2700 m, Mann 598. Über das Vorkommen bei Kamerun schreibt Preuss, der rühmlichst bekannte Leiter des dortigen botanischen Gartens, in den Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten V (1892), 23—44: 8. brachyphylla kommt in Kamerun bei einer Höhe von 1770 m vor, an feuchten Stellen mit Ornithopus coriandrinus und Radiola millegrana. Hiern begleitet in seinem Cat. of Afr. Pl. die Welwitschische Nummer mit nachstehender Notiz: »Fron a note attached to S. affinis, with which species Welwitsch had at one time associated this plant, it appears that the latter is a powerfully bitter herb und was usually employed with very good effect by the colonists in Huilla as a tonie, in lieu of Centaurium umbellatum Gilib. which is not indigenous in Huilla. A decoction prepared from this plant, together with Faroa salutaris, is a 154 potent restorative after fever; its virtues were tested by Welwitsch. This is probably the plant referred to by Welwitsch, Synopse Explic. p. 55, n. 145, under the Portuguese name of ‚Fel da terra de flor amarella.‘« Wie ich schon früher (1891) nachgewiesen habe, variiert die Länge des Griffels, wie die der Staubfäden; der Papillenwulst ist mitunter recht undeutlich. Ich habe damals geglaubt, feststellen zu können, dass die madagassischen Exemplare einen kürzern Griffel als die festländischen besitzen, erneute Untersuchungen haben mir indess hierfür keine sichere Bestätigung geliefert. Vielleicht wird man noch dazu kommen, $. bra- chyphylla aufzulösen in mehrere Spielarten; ich selbst werde diese Möglich- keit nicht aus den Augen verlieren. Der Vollständigkeit halber lasse ich die hauptsächlich in Frage kommenden Analysenresultate folgen: Bojer: Staubbeutel mit apikalen Brownschen Körper, Griffel 2 mm, mit Papillenwulst, Narbe kopfig. Hildebrandt 3840: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 1'/, bis 1'/a mm, Papillenwulst in die kopfige Narbe übergehend. Forsyth Mayor 658: Staubbeutel mit äusserst kleinem apikalem Brownschen Körper, Griffel 2 mm, Papillenwulst beinahe in die kopfige Narbe übergehend. Goudot: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 2 mm, Papillenwulst von der Narbe getrennt, Narbe kopfig. Hans Meyer-Kilimandscharo: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 21/se mm, Papillenwulst abgesetzt, Narbe kopfig. Volkens 861: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 2'/ı mm, Papillenwulst abgesetzt, Narbe kopfig. Schimper — Volkens. Preuss-Kamerun: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 2 mm, Papillenwulst abgesetzt, Narbe kopfig. Preuss 633: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 2'/, mm, Papillenwulst bis zur kopfigen Narbe hinaufgerückt. Lehmbach 76: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 2 mm, Papillenwulst abgesetzt, Narbe kopfig. Welwitsch 1520: Staubbeutel mit apikalem Brownschen Körper, Griffel 1 mm, Papillenwulst nicht abgesetzt von der kopfigen Narbe. 21. Sebaea Bojeri Griseb. Gen. et Spec. Gent. (1839), 169 et in DC. Brodss1X0753; Eine einfache, oder doch nur oberwärts verzweigte, aufrechte Pflanze von + 30 cm Höhe mit breit lanzettlichen, + 25 mm langen und + 10 mm 155 breiten Laubblättern. Die schmal lanzettlichen, zugespitzten Kelch- abschnitte sind + 8 mm lang und besitzen deutliche Kielflügel, die am Grunde breit - und tief herzförmig sind. Die Kronröhre misst 4 bis 5 mm; die Lappen sind + 7 mm lang und 31), bis 3°/, mm breit. Die der Brownschen Körper entbehrenden, 3 bis 3'/a mm langen, ansehnlichen Staubbeutel sind auf + 1'!/, mm langen Staubfäden inseriert. Der auf kugeligsem Fruchtknoten sitzende Griffel erreicht eine Länge von + 5 mm und entbehrt eines Papillenwulstes. Die Narbe ist unansehnlich kopfig. Madagaskar: Bojer 134. 22. Sebaea Burchellii Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 89. Vom Grunde an verzweigte, 15 bis 20 cm hohe Pflanze mit unver- zweigten, aufrechten Ästen. Die paarweise entfernt stehenden Laub- blätter sind breit eiförmig, am Grunde abgerundet und halb stengelum- fassend, spitzlich, fast lederig, 7 bis 15 mm lang und 5 bis 8 mm breit. Die Blütenstände sind verzweigt und gehen rasch in Monochasien über. Die Abschnitte des Kelches sind breit eiförmig, kaum gekielt, spitzlich, häutig berandet, oft kurz stachelspitzig, + 3 mm lang und 1 bis 1?/, mm breit. Die Kronröhre misst etwa 3/e mm; die Lappen sind höchstens 1!/e mm lang und etwa 1 mm breit. Die auf sehr kurzen Staubfäden eingefügten, °/, bis 1 mm langen Staubbeutel sind durch drei Brownsche Körper ausgezeichnet. Die Länge des Griffels beträgt 1 bis 1'/. mm, die Narbe ist kurz kopfförmig. Einen Papillenwulst vermag ich nicht wahr- zunehmen. West-Griqualand: Griquatown, Burchell, bl. 1. XII; in humidis inter Watervalrivier et Zuikerbosh Rand, 1400 m, Schlechter 3497, bl. 18. X. 23. Sebaea Conrathii Schinz nov. spec. steif aufrechten, unterwärts unverzweigten Stengeln (Tracht der S. Bur- chellii Gilg). Die Rosettenblätter sind breitverkehrteiförmig, abgerundet, bis 2em lang und bis 1cm breit; die stengelständigen sind kürzer, schmäler, spitz oder stumpf. Der Blütenstand ist locker, gestreckt dichasial und vielblütig; die Blütenstiele sind ziemlich lang, steif aufrecht. Die Kelch- abschnitte sind lanzettlich, spitz, gekielt, + 4 mm lang. Die Kronröhre ist + 4 mm lang; die oblongen, abgerundeten Lappen sind 2'/.—3 mm lang und + 1'% mm breit. Die auf verschwindend kurzen Staubfäden inserierten, 1 mm langen Staubbeutel besitzen drei ansehnliche Brownsche Körper. Der mit einem Papillenwulst und einer kopfigen Narbe aus- gestattete Griffel sitzt einer ovoid walzlichen, + 5 mm langen Kapsel auf und hat eine Länge von 1'/).—2 mm. Transvaalkolonie: Modderfontein, an feuchten Stellen, besonders am Bache, Conrath 743, bl. und fr. XI. + 20 cm hoch, mit mehreren der Laubblattrosette entspringenden 156 24. Sebaea leiostyla Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 97. Aufrechte, 30 bis 40 em hohe, zum Teil verzweigte Pflanze mit langen, aufrechten oder aufrecht abstehenden Ästen, und entfernt stehenden Laubblattpaaren. Die Laubblätter sind rundlich herzförmig, abgerundet und von einem kleinen Spitzchen überragt, membranös, + 10 mm lang und + 10 mm breit. Die Blüten smd am Ende der Infloreszenzäste mehr oder minder gedrängt stehend. Die eiförmigen, membranösen, gekielten Kelchabschnitte sind spitz, 5 bis 6 mm lang und 2 bis 3 mm breit. Die am Grunde erweiterte, oberwärts engröhrige Kronröhre ist 4'/, bis 5 mm lang; die länglich verkehrteiförmigen, am Grunde ver- schmälerten, abgerundeten Kronlappen sind 6 bis 6'/mm lang und über der Mitte 3 mm breit. Die auf 1!/s bis 2 mm langen Staubfäden inser- ierten, mit nur je einem Brownschen Körper versehenen Staubbeutel messen 2 bis 2'/; mm. Der eines Papillenwulstes in der Regel ganz ent- behrende (ein solcher ist immerhin ab und zu angedeutet) Griffel ist 4/s bis 5 mm lang und besitzt eine zusammengedrückte, kopfig zungenförmige Narbe. Nyassaland: Buchanan 270. Transvaalkolonie: feuchte Wiesen, Modderfontain, Conrath, 744, bl. I. Ob auch Buchanan 200 hierher zu rechnen ist, ist mir jetzt noch zweifelhaft, jedenfalls besitzt deren Griffel einen deutlichen Papillenwulst. Die von Carvalho in Mossambik gesammelte Pflanze, von der leider nur verblühte Infloreszenzen vorliegen, gehört meines Erachtens sicher nicht zu leiostyla (unter diesem Namen mit ? im Berliner Herbar). 25. Sebaea Barbeyiana Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 326; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 101. Spannenhohe, vom Grunde an verzweigte Pflanze mit grundständiger Laubblattrosette und zum Teil aufstrebenden Ästen. Die untern, grössten- teils papierdünnen, von mehreren bogig nach oben verlaufenden Nerven durchzogenen Blätter sind spatelförmig oder verkehrteiförmig, stumpf oder spitz, am Grunde meist zusammengezogen, bis 25 mm lang und bis 13 mm breit; die obern sind kleiner und von mehr ei- bis rundlich eiförmigem Umriss. Infloreszenz bald reich-, bald armblütig, meist locker. Die Blütenstiele steif aufrecht. Die lanzettlichen, gekielten, spitzen Kelch- zipfel sind 3 bis 4 mm lang. Die Kronröhre misst 3 bis 3'/s bis 4 mm; die mehr oder weniger eiförmigen, meist von einem kleinen Spitzchen überragten Kronlappen sind 2°/, bis 3 mm lang. Die + 1 mm langen Staubbeutel sind auf ganz kurzen Staubfäden eingefügt und sind am Grunde wie an der Spitze ganz kurz geschwänzt, d. h. mit kleinen Brownschen Körpern versehen. Der Griffel misst 1 bis 1'/, mm; er besitzt einen Papillenwulst und eine kleine kopfige Narbe. 157 Kalachari: im Weissen Nosob in der westlichen Kalachari, an der Grenze gegen Hereroland, Schinz. Sarnbesigebiet: Victoria falls, Kirk. Hierher rechne ich die von Uuilla stammende, von Dekindt gesammelte Pflanze: aux bords des ruisseaux, 1700 bis 1800 m, 1146, bl. VI. Wenn die Dekindtsche Pflanze zu brachyphylla gestellt werden muss, so wird schliesslich $. Barbeyiana als Art überhaupt einzuziehen sein; ich wage heute die Frage noch nicht zu entscheiden, denn sie hängt aufs engste zusammen mit der bereits berührten Möglichkeit, dass wir $. brachyphylia schliesslich doch aufzulösen haben in eine Reihe von Spielarten. 26. Sebaea ovata (Labill.) R. Br. Prodr. (1810), 452; Griseb. Gen. et Spec. Gent., 170 et in DC. Prodr. IX, 53; Benth. Fl. Austr. IV, 371; Hook. Handb. New Zeal. Fl., 191; Manson Bailey Queensland Fl. III, 1026; Ferd. v. Müller Key to the Syst. of Vict. Pl., I 356. Exacum ovatum Labill. Nov. Holl. I (1804), 38, t. 52. Gentiana ovata Dietr. Vollst. Lex. Gaertn. Nachtr. IM (1802—1810), 458. Sebaea gracilis A. Cunn. in Ann. nat. Hist. II (1839), 45 cf. Hook. Handb. New Zeal. Fl.,. 191 und Griseb. in DC. BrodenRee53: Erythraea chloraefolia Lehm. Pl. Preiss. II (1846—48), 239. Unterwärts meist unverzweigt, 6 bis 31 cm hoch, spärlich beblättert. Die Laubblätter sind eiförmig bis breit eiförmig, stumpf oder spitz, + 83 mm lang und + 5 mm breit bis 15 mm lang und 10 mm breit. Die Blütenstände bald gedrungener, bald locker, bald einfach, bald stärker verzweigt. Die + 6 mm langen und + 2 mm breiten Kelch- abschnitte sind sehr spitz, lanzettlich und mit einem sehr schmalen aber rigiden Kiel versehen. Die Kronröhre hat eine Länge von + 4 mm; die mitunter bespitzten Kronlappen sind 2'/ bis 3 mm lang. Die mit drei Brownschen Körpern versehenen, + 1 mm langen Staubbeutel sind auf + /), mm langen Staubfäden inseriert. Der + 2 mm lange, eines Papillenwulstes entbehrende Griffel hat eine ?/;, mm lange Narbe. Der - Fruchtknoten ist eiförmig ellipsoidisch und + 5 mm lang. Australien: Cap Diemen, Ventenat; Port Phillip, Zuehmann,; Port Jenkton (Bathurst); Port Jackson, Th. Müller; grassy places in Victoria, Carl Wilhelmi; Van Diemens Land, Lindley 1839, Bauer 455; Richmond Flat near Melbourne, Oldfield; Dandemong, Wawra; woods at Kingwood, Morrison; Gembrook ranges, Walter, bl. XI; between the Upper Bogan and Lachlau rivers, L. Morton; common about Melbourne, Adamson, Harvey and others; Skipton, Whan; Wendu Vale, Robertson; Bugle Range, Gawler Town, F. v. Müller ; Kangaroo Island, Henzenroeder ; Swan River, 158 Drummond; Goderich distr., Preiss 1962; grassy places, Black wood river, Oldfield ; basaltic ridges, Stirling Range, F\ v. Müller ; King Island, F' v. Müller. Neu Seeland: bogs at Hokianga, A. Cunningham; grassy places, Ahuriri, Colenso,; Port Cooper, Lyall. Tasmanien: common in pasture lands at Circular Head and Laun- ceston, Laurence, Gunn, Hooker ; Port Arthur, Backhouse; Port Dalrymple, R. Brown. 2%. Sebaea affınis Welw. in Hiern Cat. Afr. Pl. I, 3, (1898), 706. Ein schlankes, aufrechtes, vom Grunde an verzweigtes Pflänzchen von 20 cm bis 30 cm Höhe und mit grundständiger Laubblattrosette. Die Rosettenblätter sind breit elleptisch, stumpf, die stengelständigen eiförmig oder lanzettlich, spitz oder bespitzt, gegen den Grund zu etwas verschmälert, die obersten sind am kleinsten. Die Blüten sind 6 mm bis 9 mm lang, die Kelchabschnitte sind scharf gekielt, stumpflich bespitzt, am Rande breit dünnhäutig, 4 mm bis 6 mm lang. Die Kronröhre ist unter- wärts etwas erweitert, oberwärts engröhrig, die Lappen sind eiförmig zugespitzt. Die auf kurzen Staubfäden inserierten Staubbeutel ragen aus der Krone heraus und tragen einen apikalen, wachsartigen Brownschen Körper. Der Griffel ist kurz, und besitzt eine, den eigentlichen Griffel an Länge über- treffende, keulige Narbe. Mossamedes: in a moist sandy spot, usually flooded, among low bushes at the left bank of the River Bero (Rio das Mortes) near Caval- heiros, only one specimen seen, fl. and fr. 21. Sept., Welwitsch 1519. Leider kenne ich die Pflanze nur aus der für unsere Zwecke un- genügenden Beschreibung und einer ebenso wenig genügenden Skizze, ich bin daher weder im Stande genauere Masse in die Beschreibung einzufügen, noch zu entscheiden, ob dieselbe nicht vielleicht identisch ist mit den Exemplaren von Dekindt, die ich vorläufig zu S. Barbeyiana gestellt habe, nicht ohne indessen auf die Beziehungen zu 8. brachyphylia hingewiesen zu haben. 28. Sebaea repens Schinz in Bull. Herb. Boiss. II (1894), 219; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 98. S. Evansü N. E. Brown in Kew Bull. (1895), 27. Ein dem Boden mehr oder weniger dicht angedrücktes Pflänzchen mit wurzelnden Sprossen und mehr oder weniger eiförmigen, spitzen oder abgerundeten, unterwärts plötzlich zusammengezogenen, mitunter herz- förmig ausgebuchteten Laubblättern mit fast stengelumfassendem Blatt- stiel. Die fleischigen, paarweise stehenden Blätter sind + 5 mm lang (samt Blattstiel) und + 4 mm breit. Die sehr kurz gestielten Blüten haben längliche, spitze, + 5 mm lange, gekielte Kelchabschnitte. Die 159.7 Kronröhre ist +5 mm lang, die Kronlappen sind oblong, stumpf, + 7 mm lang und +2 mm breit. Die auf + 1 mm langen Staubfäden inserierten Staubbeutel sind + 2 mm lang. Der apikale Brownsche Körper ist auffallend gross, basale Anhängsel fehlen. Der mit einem Papillenwulst versehene, + 5 mm lange Griffel besitzt eine kopfige Narbe. Natal: (ohne nähere Standortsangabe) Schlechter 900 a; Bushmanns River, Drakensberg. 2000 bis 2200 m, Evans; Ingeli Mountain in moist places, 2000 m, Tyson 1578, bl. VII; Cooper 2761. 29. Sebaea mirabilis Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 92. Die ausser in der Blütenregion unverzweigten Pflänzchen sind 12 bis 25 cm hoch, aufrecht und sehr armblätterig. Die linealischen oder lanzettlich linealischen, spitzen Laubblätter sind 3 bis 10 mm lang und 1 bis 2!/a mm breit. Die Blütenstände sind armblütig, die Infloreszenzäste verlängert. Die länglich lanzettlichen, sehr spitzen, breit herzförmig geflügelten Kelchabschnitte sind + 8 mm lang und + 3 mm breit, der Flügel, der am Grunde stark herzförmig ist, misst in der Breite +2 mm. Die lanzettlichen, spitzen Kronlappen der + 7 mm langen Kronröhre haben eine Länge von + 11 mm bei einer Breite von 4 bis 4!/» mm. Die Staubfäden messen 2'/. mm, die Staubbeutel, die je einen sehr kleinen apikalen Brownschen Körper besitzen, 2°/, bis 3 mm. Der 6 bis 7 mm lange Griffel hat einen Papillenwulst und eine dicke, keulige, deutlich zweilappige Narbe. Transvaalkolonie: Distriet Lydenburg, auf Dolomit des Spitzkops, Wilms Sal, bla! VE 30. Sebaea ramosissima Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 91. Ein aufrechtes, + 15 cm hohes, vom Grunde an stark verzweigtes Pflänzchen mit aufrechten, abstehenden Ästen und fädlichem Stengel. Die Laubblätter sind eiförmig dreieckig, am Grunde fast herzförmig, spitz, + 10 mm lang und etwa ebenso breit. Die Blütenstände sind 30- bis 50-blütig, locker. Die mehr oder weniger lanzettlich eiförmigen, spitzen, am Rücken mit einem starken Kiel versehenen Kelchabschnitte sind + 5 mm lang und 1 bis 1'/ mm breit. Die Kronröhre misst + 5 mm, die Lappen sind lanzettlich, spitz bis spitzlich, 6 bis 8 mm lang und + 2 mm breit. Die Filamente haben eine Länge von 1 mm und tragen 2°?/ı mm lange, mit drei grossen Brownschen Körpern versehene Staub- beutel. Der 5 bis 5'!/), mm lange, mit einem Papillenwulst versehene Griffel besitzt eine + keulenförmige Narbe. Kapländisches Übergangsgebiet: bei King Williamstown, 400 m, Tyson 3129, bl. XI, wahrscheinlich aus demselben Gebiet Burchell 3734. Hierher rechne ich mit Gilg zwei Exemplare im Herbarium Meyer: Ecklon 661 pr. p. und Drege vom Zuureberge, 800 bis 1000 m. 160 31. Sebaea Grisebachiana Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXX VI (1891), 322; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 95. Aufrechtes Pflänzchen mit sitzenden, mehr oder weniger eiförmigen, stumpfen oder spitzen, bis 5mm langen und bis 5 mm breiten Laubblättern und verhältnismässig armblütigem, wenig verzweistem Blütenstand. Die Kelchzipfel sind zugespitzt, mehr oder weniger schmal geflügelt und + 5mm lang; die Flügel verschmälern sich nach dem Grunde zu und können daher nicht halbherzförmig genannt werden. Die Kronröhre erreicht eine Länge von 4 bis 6 mm; die Lappen sind oblong, spitz oder stumpf, in letzterem Falle von einem kleinen Spitzchen überragt, 5 bis 6mm lang. Die von + °/;,mm langen Staubfäden getragenen, + 2 mm langen Staubbeutel haben einen sehr kleinen, apikalen Brownschen Körper. Den 5 bis 6 bis 7 (in einem einzigen Falle) mm langen Griffel krönt eine 1'/, mn lange, keulenförmige Narbe. Der Papillenwulst befindet sich unter halber Höhe. Südwestliche Kapkolonie: Berge um die Kapstadt, Krebs 233, Ecklon ; Montagupass, Rehmann 264. Unterscheidet sich von der ähnlichen $. Zeyheri Schinz durch den langen Griffel und die schwächer ausgebildeten Kelchflügel. 32. Sebaea sehizostigma Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 93. 5 bis 12cm hoch, nicht oder nur schwach verzweigt. Laubblätter rundlicheiförmig bis fast herzförmig, spitz oder kurz bespitzt, krautig, 4 bis 7” mm lang und ungefähr ebenso breit. Die Kelchabschnitte sind lanzettlich, spitz oder zugespitzt, am Rücken geflügelt, + 4 mm lang und + 1'/e mm breit. Die Kronröhre ist 4 bis 4'/a mm lang und trägt lanzett- liche, spitzliche oder fast abgerundete Lappen von 5 bis 6'/;mm Länge und 1!’ mm Breite. Die Staubfäden sind + 1'/a mm —, die der Brownschen Körper entbehrenden Staubbeutel 1°/, bis 2 mm ‚lang. Der Griffel ist + 6mm lang, wovon + 2 mm auf die keulige Narbe fallen. Der Papillen- wulst ist sehr deutlich wahrnehmbar. Südwestliche Kapkolonie: Swellendam, am Kenkofluss, Zeyher 1153 und 1188 e; ohne nähere Angabe Krebs 233 pr. p.; in gramin. pr. Rivers- dale, 120 m, Schlechter 1711 a, bl. 29. X. Die Zeyhersche Nummer 1188 ist von mir s. Z. mit S. Zeyheri Schinz verwechselt worden, sie ist aber, wie Gilg in seiner mustergiltigen Arbeit gezeigt hat, von dieser durchaus verschieden. 33. Sebaea maerostigma Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 93. S. humilis N. E. Brown in Kew. Bull. (1901), 127. Zartes, 4 bis 13cm hohes, vom Grunde an verzweigtes Pflänzchen mit fädlichen, verzweigten Ästen. Laubblätter wenig zahlreich, unterste zu einer Rosette zusammengedrängt, obere paarweise durch Abstände ge- 161 trennt, eiförmig bis breit rundlich eiförmig, stumpflich oder bespitzt bis spitz, am Grunde abgerundet, kaum herzförmig, 5 bis 12mm lang und 5 bis 14mm breit. Blütenstand 2- bis 10-blütig. Blütenstiele 3 bis 10 mm lang. Kelchabschnitte schmal kahnförmig, sehr spitz, 4 bis 9 mm lang, auf der Rückenmediane mit einem 1'/s bis 2 mm breiten Kielflügel, der am Grunde herzförmig ist. Kronröhre 4'/s bis 6 mm (Brown gibt 8 mm an); die Lappen sind länglich, elliptisch stumpf, 5 bis 6mm (nach Brown + 83mm) lang und + 3mm breit. Die auf °/, bis Imm langen Staub- fäden inserierten, 1°/, bis 2mm (Brown: 3 mm) langen Staubbeutel ent- behren der Brownschen Körper. Der Griffel ist 5 bis 6mm (nach Brown 9 mm) lans und besitzt einen Papillenwulst; die Narbe ist gross, kegel- förmig keulig, 1'/), bis 2 mm lang. Kapländisches Übergangsgebiet: zwischen Gras auf den Bergen um Grahamstown, Glass 1635, bl. XI; Queenstown, mountainside, 1250 m, Galpin 1549. Leider steht mir von Galpins Pflanze, die N. E. Brown unter dem Namen $. humilis beschrieben hat, nur eine einzige Blüte zur Verfügung, nichtsdestoweniger glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich $. humelıs mit macrostigma vereinige, welchem Vorgehen auch Gilg (briefl. Mitteilung) zustimmt. Die von mir an der Galpinschen Blüte konstatierten Masse stimmen nicht durchwegs mit jenen Browns überein; hinsichtlich des Griffels, des Papillenwulstes und der Narbe bin ich soweit Galpins Nummer in Betracht kommt, ganz auf Brown angewiesen, denn meine Blüte ent- behrt leider dieser Organe. 34. Sebaea scabra Schinz nov. spec. Die bis 20 cm hohen Exemplare sind zumeist vom Grunde an verzweigt und von zartem Bau. Die eihalbkreisförmigen Laubblätter sind stumpf oder spitz, zart, 4 bis 11 mm lang und 4 bis 11 mm breit, am Grunde abgerundet. Die auffallend breiten Kelchflügel sind stark geadert und auf der Flügelkante rauh. Die Kronröhre misst 7 bis 8 mm, die 5 Lappen sind von breit spatelförmigem Umriss, am obern Ende meistens ausgerandet und mit einer in der Bucht sitzenden, aufgesetzten Spitze versehen, + 4 mm breit und + 9 mm lang. Die auf verschwindend kurzen Staubfäden inserierten Beutel sind mit je einem grossen, braunen, apikalen und zwei ebenso grossen basalen Brownschen Körpern versehen und besitzen eine Länge von 2 bis 2!% mm. Der mit einem + dicht über dem Fruchtknoten sitzenden Papillenwulst versehene Griffel hat eine Länge von 5 mm und zwar entfallen hiervon 1 bis 1'/ ınm auf die massige, lippig zungenförmige Narbe. Der Fruchtknoten ist länglich eiförmig. Südwestliche Kapkolonie: Riversdale, + 180 m, Schlechter 1711, bl. 29. X. 11 162 35. Sebaea Zeyheri Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 325; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 9. Bis 10 em hoch, schmächtig, höchstens oberwärts verzweigt, selten eine Höhe von bis zu 20 cm erreichend;; Stengel und Äste stets fadenförmig. Laubblätter durch Abstände paarweise getrennt, eiförmig rundlich, spitz, 5 bis 6 mm lang und + 5 mm breit, membranös. Die Blütenstände wenigblütig. Die Kelchabschnitte sind + 5 mm lang und besitzen einen breiten, quer bis 2 mm messenden Kielflügel. Die Kronröhre hat eine Länge von + 4 mm; die Lappen sind 3 bis 4 bis 4'/s mm lang, bieten aber im Übrigen kaum ein nennenswertes Merkmal. Die auf !/, bis /’. mm langen Staubfäden eingefügten, etwa 1 mm langen Staubbeutel haben apikale, kleine Brownsche Körper. Der Griffel misst + 4 mm wovon 2'/), mm auf die starke, keulige Narbe entfallen, in die der Papillenwulst allmählich übergeht. Südwestliche Kapkolonie: lapidosa humida mont. dorsi leonis, Ecklon 732 pr. p.; ad cataractam Tulbaghensem, 180 m, loco humid., Schlechter 1699, bl. 3. IX.; roadside near Rocklands, Wolley Dod 2844 bl. 24. IX.; path near Smithswinkel Bay, Wolley Dod 2930, bl. 19. IX.; ohne nähere Standortsangabe Zeyher 1188 und 1188a pr. p. 36. Sebaea vitellina Schinz nov. spec. Zarte, bis 10 cm hohe, un- oder schwach verzweigte Pflänzchen mit wenigblütigen Infloreszenzen. Die breiteiförmigen bis halbkreisförmigen, am Grunde abgerundeten oder abgestutzten Laubblätter sind bis 5 mm lang und bis 6'/ mm breit. Die schwachgekielten, schmallanzettlichen, spitzen Kelchzipfel sind + 7 bis 7!/ mm lang.. Die Kronröhre hat eine Länge von + 8 mm. Die gesättigt gelben Lappen sind im Umriss breit- spatelförmig, abgerundet, bis 4 mm — am Grunde + 1'/, mm — breit und + 9 mm lang. Die auf + 1%, mm langen Staubfäden eingefügten Staubbeutel besitzen je eine kleine, apikale Drüse und sind 2 bis 2°/, mm lang. Der + S mm lange Griffel hat einen Papillenwulst und eine kopfige Narbe. Natal: in planitie pr. Catos Ridge, 1000 m, Schlechter 3259, bl. 16. IX.; Natal, Gerrard 91 (?, spärliches Material). 37. Sebaea pratensis Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXX (1901), 377, mit Figur. Aufrecht, nur am Grunde und in der Blütenregion verzweigt, mit fädlichem, steifem Stengel. Die wenigen Laubblätter sind breit eiförmig oder herzförmig, spitz, membranös, 4 bis 6 mm lang und 3 bis 5 mm breit. Der Blütenstand ist armblütig, die einzelnen Blütenstiele sind fädlich und verlängert. Die oblongen, geflügelten, spitzen Kelchabschnitte sind 5 bis 7” mm lang und + 3 mm breit. Die Röhre der kanarien- gelben Krone hat eine Länge von + 5 mm; die ovalen Lappen sind 163 zirka 10 mm lang und 4 bis 5 mm breit. Die Staubfäden haben eine Länge von 1 bis 1'/, mm und tragen + 2!/) mm lange, der Brownschen Körper entbehrende Staubbeutel. Der nicht papillöse Griffel ist 5'/, bis 6'/, mm lang, und zwar entfallen davon allein auf die zylindrische kräftige Narbe 1'!/s bis 2!/, mm. Nyassagebiet: Kingagebirge, auf trockenen Wiesen des Ukwama- Berges um 2500 m, G@ötze 916, bl. V. 35. Sebaea acutiloba Schinz in Bull. Herb. Boiss. III (1895), 412, Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 100. Unverzweigte, schmächtige Pflanze von 5 bis 15 em Höhe, mit wenigen eiförmigen bis rundlich eiförmigen Laubblättern von 2 bis 4 mm Länge. Der Blütenstand ist ein- bis 5-blütig. Die auf der Rückenmediane mit einem 1 mm breiten Kielflügel versehenen lanzettlichen Kelch- abschnitte sind + 3 mm lang. Die Kronröhre misst 3'/, bis 3'/a mm; die Lappen sind + 1!/e mm lang und + I mm breit. Die verschwindend kurzen Staubfäden aufsitzenden, °/, mm langen Staubbeutel tragen je einen sehr kleinen, unansehnlichen Brownschen Körper. Der Griffel ist + 1'/s mm lang und zwar entfallen hievon noch °/, bis 1 mm auf die keulenförmige Narbe. Der Papillenwulst ist wahrzunehmen, ist aber von der Narbe nicht scharf abgesetzt. Natal: auf sandigem Boden zwischen Gras bei Claremont, Schlechter 3045, bl. VIII, Wood 4945. 39. Sebaea sulphurea Cham. et Schlecht. in Linnaea I (1826), 192; Cham. in Linnaea VI, 346; Griseb. Gen. et Spec., 168 et in DC. Prodr. IX, 53; Schinz Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI, 319; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 89. Ein krautartiges, spannenhohes, oft vom Grunde an buschig ver- zweigtes Pflänzchen mit mehr oder minder fleischigen, breiteiförmigen, spitzen oder in eine Spitze ausgezogenen Laubblättern von + 7 mm und + 5 mm Breite. Blütenstand + 20 blütig, die einzelnen Blüten bald länger, bald kürzer gestielt. Die lanzettförmigen, spitzen, mit einem bis 1 mm breiten Kielflügel versehenen Kelchabschnitte sind bis zu 6 mm lang; die Kielflügel verschmälern sich in der Regel gegen den Grund zu und sind daher an der Basis kaum halbherzförmig ausgerandet. Die unterwärts bauschige Kronröhre ist + 4 bis 6 mm lang; die oblong eiförmigen Kronlappen sind spitzlich und 5 bis 7 mm lang und + 3 mm breit. Die auf + 1 mm langen, breiten Staubfäden eingefügten Staub- beutel haben eine Länge von 1'/; bis 2 mm, ein jeder besitzt einen grossen apikalen und zwei basale Brownsche Körper. Der mit einem Papillenwulst ausgestattete, 5—6 mm lange Griffel ist mit einer keulen- Ks 164 förmigen, + 2 mm langen Narbe ausgezeichnet (Narbenlänge in der Griffellänge mit inbegriffen). Für diese Art ist recht auffallend die schwefelgelbe Färbung, die mindestens beim Trocknen Kelch und Hochblätter annehmen. Südwestliche Kapkolonie: auf der Spitze des Tafelberges gegen Süden zu und auf dem Devilspeak (Bergius, Mundt und Maire),; in einer Kluft nach der westlichen Seite des Tafelberges auf dem Gipfel, Ecklon 656; Hottentotts-Hollands Kloof am Gipfel, Ecklon; in aren. Steenbrass Rivier, 450 m, Schlechter 5404, bl. 13, X.; tops of the 12 Apostles, from the reservoir for a mile, Wolley Dod 3387, bl. 26. X.; shores at Slangkop, Wolley Dod, bl. 26. IX.; Steenbergplateau to the summit of Constantia Berg, Wolley Dod, 3580, bl. 6. XI.; in monte tabulari, Rehmanm 758. Kapländisches Übergangsgebiet: near Port Elizabeth, Burchell 4340, bl. 14. XII. 40. Sebaea ealadenia Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 89. Ein aufrechtes, schmächtiges Pflänzchen mit fädlichem Stengel von 6 bis 7” cm Höhe. Die paarweise entferntstehenden Laubblätter sind länglich eiförmig, am Grunde etwas zusammengezogen und halbstengel- umfassend, spitzlich, membranös, 5 bis 9 mm lang und 3 bis 6 mm breit. Die Blütenstände sind arm- (6 bis 7-) blütig, dabei locker. Die + 4!/s mm langen, lanzettlichen Kelchabschnitte sind sehr spitz, am Rücken scharf gekielt. Die Kronröhre hat eine Länge von 6 bis 6'/2 mm, die Lappen sind eiförmig, abgerundet, 3 bis 51’ mm lang und 1'/e bis 2 mm breit. Die Staubfäden messen zirka 1 mm und tragen 2 bis 2), bis 3 mm lange Beutel. Jeder Beutel besitzt einen apikalen und zwei basale, grosse, gestielte Brownsche Körper. Der + 5 mm lange Griffel ist mit einem Papillenwulst versehen und trägt eine °/, bis 1 mm lange, dicke (deutlich zweilappige) Narbe. Klein-Namaland !Han am — Gebirge, Dr. Meyer a. 1869. 41. Sebaea pentandra E. Mey. Comm. (1835), 184; Schinz in Viertel- jahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI, 320; Gig in Engl. Bot. Jahrb. XXVI 90. Aufrecht und verzweigt. Laubblätter (an dem zur Verfügung stehenden Exemplare sind nur die obersten Laubblätter vorhanden) eiförmig elliptischh + 1'/g em lang, und + 8 mm breit, spitzlich. Blütenstand locker. Die Kelchzipfel sind lanzettlich, spitz, + 5 mm lang und schmal geflügelt. Die Kronröhre misst + 7 mm, die oblongen, abgerundeten Lappen sind 5 bis 7 mm lang. Die auf 1'/’ mm langen Staubfäden inserierten Staubbeutel sind 2°/, mm lang, geschwänzt und besitzen einen apikalen und zwei basale Brownsche Körper. Der mit einer kopfigen 165 Narbe versehene Griffel hat eine Länge von 6 bis 7'/; mm und unter- halb der Mitte einen Papillenwulst. Kapländisches Übergangsgebiet: Pondoland, zwischen Gekau und Basche, 300 bis 600 m, Drege 4920, bl. 23. 1.; Glass 1635 (?), Grahamstown. Gilg 1. ec. hat in ganz zutreffender Weise darauf hingewiesen, dass im Herbar E. Meyer drei verschiedene Pflanzen, welche handschriftlich als $. pentandra von Meyer selbst bezeichnet waren, lagen. Ich kannte, als ich mich zuerst mit der Gattung Sebaea beschäftigte, die Meyerschen Pflanzen nicht und habe irrtümlich die Fenchelsche Nummer vom Löwen- fluss zu S. pentandra gestellt. 42. Sebaea gariepina Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 90. Sebaea pentandra E. Mey. pr. p. Comm. (1835), 194. Aufrecht. Am Grunde oder oberwärts stark verzweigt, + 25 cm hoch; Äste aufrecht oder aufrecht abstehend, mitunter schwach verzweigt. Laub- blätter paarweise in entfernten Abständen, herzeiförmig, spitz, fleischig oder wenigstens dicklich, + 20 bis 27 mm lang, 12 bis 20 mm breit. Blütenstand vielblütig, locker bis gedrängt. Die Kelchzipfel sind lanzettlich, sehr spitz, breit geflügelt. Die 6 bis 7” mm lange Kronröhre ist um den Frucht- knoten herum erweitert, oberwärts eng; die Kronlappen sind verkehrt eiförmig, spitz oder spitzlich, 4 bis 5 mm lang, 1'/ bis 2 mm breit. Die Staubfäden sind eirca 1 mm —, die Staubbeutel + 2 mm lang, letztere haben je einen’apikalen, gestielten und zwei gestielte basale Brownsche Körper. Der + 5’mm lange Griffel besitzt eine dicke, kopfige Narbe und einen deut- lichen Papillenwulst. Nordwestliche Kapkolonie: Klein-Namaland, am Öranjefluss, auf steinigen, felsigen Höhen bei Verleptpram, 300 m, Dröge, bl. 19. IX. Vielleicht gehört Fenchel 38 vom Löwenfluss im südlichen Gross-Nama- . land hierzu, leider ist mein Material aber sehr ungenügend. Bedauern muss ich es, dass mein verehrter Kollege Gilg den uns olücklichen Namen gariep in der obigen Art verewigt hat; der Grenzfluss zwischen der Kapkolonie und Deutsch-Südwest-Afrika, der Oranjestrom, heisst bei den Naman! garib, d. h. der Tönende; sprachunkundige Weisse haben daraus das scheussliche garieb und gariep gemacht! Vergl. Schinz, Deutsch-Südwest-Afrika (1891), 448. 43. Sebaea elongata E. Mey. Comm. (1835), 184; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI, 324; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 96. Eine ansehnliche, 30 bis 40 cm hohe Pflanze mit entschieden grund- ständiger Laubblattrosette und + 4 grundständigen, steif aufrechten Stengeln. Die Rosettenblätter sind von mehr oder weniger breit elliptischem Umriss, am Grunde zusammengezogen, stumpf oder spitz, bis 4'/; em lang und bis 2'/; cm breit; die stengelständigen, durch weite Abstände paarweise ge- 166 trennten Blätter sind entweder dreieckig lanzettförmig oder schmal lanzett- lich, am Grunde in stärkerem oder geringerem Masse herzförmig. Die letzten Auszweigungen des so wie so mehr oder minder gedrungenen Blütenstandes sind gedrängtblütig. Die schmal lanzettlichen, sehr spitz zulaufenden Kelchzipfel sind auf dem Rücken gekielt, + 6mm lang und + 11) mm breit. Die im Umriss länglich eiförmigen bis lanzettlichen Kronlappen sind spitz oder stumpf, im letzteren Falle mukronat, 5 bis 7!/ mm lang und + 3mm breit. Die Kronröhre hat eine Länge von + 55mm. Die + 2mm langen Staubfäden aufsitzenden, + 3mm langen Staubbeutel werden dem Untersuchenden wohl in der Regel als drüsenlos erscheinen, obschon bei genügend sorgfältiger Untersuchung mit dem Simplex am oberen Connectivende ein kleiner Brownscher Körper wahr- genommen werden kann. Der Griffel hat eine Länge von 6 bis 61/ mm und trägt eine unscheinbare, kopfige Narbe. Der vorhandene Papillenwulst ist sehr schwach ausgebildet. Charakteristisch für elongata ist die auf die obere Fruchtknotenhälfte fallende Verdickung des Perikarps. Kapländisches Übergangsgebiet: in Gebüschen am Berge bei Roode- muur zwischen Plettenbergsbai und Langekloof, 700 bis 800 m, Drege 7827, bl. X.; Outeniqua Mts., Montagu-Pass, Rehmann 265, 2402. 44. Sebaea longieaulis Schinz in Bull. Herb. Boiss., II (1894), 219; Gilg in Engl. Bot. Jahrb., XXVI (1898), 94. Steif aufrecht, + 70 em hoch, in einer Höhe von + 40 cm einfach verzweigt. Die basalen Teile der Pflanze fehlen, indessen scheint mir wahrscheinlich, dass die Pflanze eine grundständige Laubblattrosette besitzt. Die Blätter sind von eiförmigem bis länglichem Umriss, + 15 mm lang und + 3 mm breit, von dünnlederiger Beschaffenheit, deutlich genervt und unterseits etwas heller als oberseits. Der Blütenstand ist kaum ver- zweigt, armblütig, die Kelchabschnitte sind + 3 mm lang und +5 mm breit, länglich, spitz und mitunter von einem Spitzchen überragt, mehr oder minder schwach gekielt. Die Lappen der + 5 mm langen Kronröhre sind + 3 mm lang und + 3!/a mm breit. Die auf 2 bis 3 mm langen Staubfäden eingefügten, 3 bis 3'1/ mm langen Staubbeutel besitzen je drei winzige Brownsche Körper. Der 7 bis 9 bis (selten) 10 mm lange Griffel hat eine zungenförmig keulige Narbe und unweit des Grundes einen Papillenwulst. Natal: Ost-Griqualand, Mount Malove, Tyson 3096, bl. II. 45. Sebaea Woodii Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 94. S. crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. lanceolata Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch., XXX VI (1891), 323. Eine anscheinend schlingende, wenig verzweigte 40 bis 60 cm lange Pflanze mit dünnem Stengel und Zweigen. Die Laubblätter sind pfeil- 167 artig eiförmig, am Grunde abgerundet, spitz, lederig, getrocknet häufig zurückgeschlagen, 10 bis 20 mm lang und 5 bis 8 mm breit. Die ver- längerten Blütenstände sind 3 bis 10 blütig. Die £ 8 mm langen und + 2 mm breiten Kelchabschnitte sind lanzettlich und zugespitzt, gekielt. Die Kronröhre misst 9 bis 10 mm, die breit elliptischen Lappen sind ab- gerundet und + 7 mm lang bei einer Breite von + 5 mm. Die auf 1!/, bis 2 mm langen Staubfäden eingefügten 4'/s bis 5 mm langen Staub- beutel haben je einen kleinen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel ist 8 bis 9 mm lang, der Papillenwulst befindet sich unter halber Höhe. Die Narbe ist zungenförmig. Natal: an feuchten Stellen bei Karkloof, 1000 bis 1300 m, Wood 4447 und 1844, bl. IV.; Westtown, Rehmann 7348. 46. Sebaea sedoides Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 98. 25 bis 35 cm hoch; Stengel stets auffallend straff, nicht oder wenig verzweigt. Laubblätter breit halbrundlich herzförmig, abgerundet oder kurz bespitzt, am Grunde oft abgestutzt, + 12 mm lang und + 14 mm breit. Blüten zu einem endständigen, dicht- und vielblütigen Blütenstand zusammengedrängt; alle steif aufrecht. Kelchzipfel + 4 mm lang und 1'/; mm breit, lanzettlich, spitz, am Rücken gekielt. Kronröhre 4 bis 5 mm lang, oberwärts engröhrig, unterwärts um den Fruchtknoten er- weitert; die Lappen sind 3 bis 4'/);, mm lang und 2 bis 2'!/a mm breit —, verkehrteiförmig und abgerundet. Die Staubfäden sind '/; bis 1 mm, die Staubbeutel, die durch je einen grossen apikalen Brownschen Körper ausgezeichnet sind, + 2mm lang. Der mit einem Papillenwulst und einer kopfigen Narbe versehene Griffel misst 6 bis 7 mm. Natal: auf Hügeln beim Mooi-River, 1300 m, Wood 5205, bl. I.; auf Hügeln bei Richmond Road, 800 m, Schlechter 6738, bl. Il; ohne nähere Fundortsangabe Schultze 17; Cooper 406, 2750; Cathcart, Kuntze, 450 m, bl. II.; Howick, Junod 64; Durban, Gueinzius 186, 156, 557; in clivis pr. Clydesdale, Tyson 2726, 2736, 800 m, bl. I.; in gramin. pr. Kokstad, 1650 m, Tyson 1348, bl. III.; Newmarket, Krook 2030, bl. II. Pondoland: auf Wiesen bei Bates, überhaupt im Pondoland häufig, Bachmann 1042; auf Wiesen bei Canham, Bachmann 1041. Transvaalkolonie: zwischen Gras, Middelburg und dem Krokodil- flusse, Wilms 964, bl. XII. ; Hogge Veld, Donkershoek, Rehmann 6527 , Hogge Veld, Trigardsfontein et Standarton, Rehmann 6755; Pretoria, Fehr; ın humid., pr. Pretoria, 1400 m, Schlechter 4157, bl. 12. 1. Orangeflusskolonie: Cooper 2751. 47. Sebaea maecrantha Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 94. 20 bis 35 em hoch, unterwärts unverzweigt; Stengel steif aufrecht. Die Laubblätter sind durch ansehnliche Abstände paarweise von einander 168 getrennt; sie sind breit eiförmig, spitz oder spitzlich, 7 bis 11 mm lang und 6 bis 10 mm breit. Die Blütenstände sind locker, abstehend ver- zweigt, vielblütig. Die mit breiten Kielflügeln versehenen, sehr spitzen Kelch- zipfel sind 6 bis 7 mm lang. Die sehr schlanke Kronröhre misst 7 bis 11 ‘mm, die eiförmig lanzettlichen Kronlappen sind abgerundet und 8 bis Il mm lang, bei einer Breite von + 53mm. Die auf1 bis 11), mm langen Staubfäden sitzenden Staubbeutel erreichen eine Länge bis 6 (!) mm. Der mit einer keulig zungenförmigen Narbe versehene Griffel ist 8 bis 10 mm lang und besitzt einen Papillenwulst.. Jedes Staubblatt besitzt am oberen RKonnectivende einen kleinen Brownschen Körper. Transvaalkolonie: Spitzkop-Berg, auf Dolomit, Wilms 970 bl. II.; hills Sevenfontein, 1200 m, Wylie (Wood 5214), bl. 13. II. 48. Sebaea multiflora Schinz nov. spec. Aufrecht + 30 em hoch, aufrecht vom Grunde an sehr reich verzweigt. Die paarweise durch kurze Internodien getrennten Laubblätter sind halbkreis- rund, stumpf, mehr oder minder lederig, + 12 mm breit und +8 mm lang. Der Blütenstand ist sehr reichblütig.. Die 5 Abschnitte des weiten, fast glockigen Kelches sind gekielt, stumpf und von der Mittelrippe über- ragt. Die Kronröhre ist + 6 mm lang; die 8 bis 9 mm langen und oberwärts + 5 mm breiten Kronlappen sind spatelförmig und verjüngen sich ganz allmählich nach der + 2 mm breiten Basis. Die Staubfäden sind in den Buchten inseriert, + 1 mm lang, die 21/s bis 2°?/, mm langen Staubbeutel tragen je eine grosse apikale und zwei grosse basale Brownsche Körper. Der mit einem Haarwulst versehene Griffel erreicht eine Länge von + 5\/s mm und trägt eine kopfige Narbe. Kapkolonie (Karroogebiet): in cliv. gram. Oudeberg pr. Graaff-Reinet, Bolus 171, 1500 m, bl. XI. Auffallend durch die grossen, zahlreichen Blüten und die weiten Kelche. 49. Sebaea oreophila Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXX (1901), 377, mit Figur. Bis 50 cm hoch, unterwärts unverzweigt, oberwärts, in der Blüten- region mit reichlichen Auszweigungen und mit scharf vierkantigem Stengel. Die entfernt paarweise stehenden Laubblätter sind rundlich herzförmig, abgerundet, nicht oder kurz bespitzt, membranös, S bis 10 mm lang und 85 bis 11 mm breit. Die Blüten am Ende der Dichasienstrahlen zu 10 bis 3 zusammengedrängt, alle aufrecht und die Blütenstiele kurz. Die + 7 mm langen und 2!/; bis 3 mm breiten Kelchabschnitte sind eiförmig lanzettlich, sehr spitz, kaum gekielt. Die Kronröhre hat eine Länge von 7 bis 8 mm; die Lappen sind verkehrteiförmig, spitzlich, gegen den Grund zu verschmälert, 7 bis 8 mm lang und 3 bis 4 mm 169 breite Die bis 21/, mm langen und 1 bis 1'/, mm breiten Staub- fäden inserierten, + 2 mm langen Staubbeutel besitzen je einen sehr kleinen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel zeigt bei voller Ent- wicklung eine Andeutung eines Papillenwulstes, der aber häufig erst bei ganz sorgfältiger Lupen- oder Mikroskopuntersuchung wahrnehmbar ist; er ist 6 bis 8 mm lang und besitzt eine unansehnliche Narbe. Nyassagebiet: Kingagebirge, auf schattigen Wiesen an Waldrändern des Kinyika-Berges um 2600 m, Götze 945, bl. V. 50. Sebaea macrophylla Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 96. Am Grunde locker verzweigte, + 25 cm hohe Pflanze mit aufrechten, vierkantigen Zweigen. Blätter rundlicheiförmig, gegen das obere Ende zu abgerundet, kurz bespitzt, membranös bis lederig, + 14 mm lang und + 13 mm breit. Die eiförmigen, sehr spitzen und scharf gekielten Kelchabschnitte sind bis 9 mm lang und + 4 mm breit. Die Kronröhre misst 8Y/s bis 9 mm; die Lappen sind verkehrteiförmig, abge- rundet und 6 bis 6'/; mm lang und 3'/e mm breit. Die Länge der Staubfäden beträgt + '/. mm, die der mit einem apikalen Brownschen Körper versehenen Staubbeutel + 2'!/, mm. Der Griffel besitzt nahe an seiner Basis einen Papillenwulst, er ist + 8 mm lang und seine Narbe ist kurz kopfig. Kapländisches Übergangsgebiet: zwischen Büschen auf dem Gipfel des Berges Buffalo bei King Williamstown, 1300 m, Tyson (in Herb. Normale von Mac Owan und Bolus) [1047?], 1291, bl. VII. Tysons Nummer 1291 scheint mir mit 1047 nicht ganz überein- zustimmen: die Staubfäden messen bei ersterer 2 bis 2/, mm und die Kronröhre scheint mir auch länger zu sein. 5l. Sebaea wittebergensis Schinz nov. spec. Verzweigte oder unverzweigte, + 25 cm hohe Exemplare. Die Laubblätter sind rundlicheiförmig, von + lederiger Consistenz, + 10 mm lang und ebenso breit, mitunter auch breiter als lang, nicht gedrängt am Stengel. Die Kelchabschnitte sind gekielt, spitz, 7 bis 8 mm lang. Die Kronröhre hat eine Länge von + 7 mm; die Lappen sind + 5 mm lang und 4!/s bis 5 mm breit. Die auf 1'/s bis 1°/, mm langen Staub- fäden inserierten Beutel besitzen je einen sehr kleinen, sitzenden, apikalen Brownschen Körper und sind + 3 mm lang. Der 7 bis 7'/; mm lange, mit einer kopfigen Narbe ausgestattete Griffel besitzt einen Papillenwulst. Oranjeflusskolonie: Witteberg, ad Caledonriver, Rehmann 3944; Witteberg, Kadziberg, Rehmann 3999. 52. Sebaea grandiflora Schinz nov. spec. + 40 cm hohe, steif aufrechte, unverzweigte oder verzweigte Pflanze. Laubblattpaare durch + 2 cm lange Internodien getrennt; die Spreite ist 170 halbkreisförmig bis halbkreiseiförmig, + 7 mm lang und + 7 mm breit. Die 5 Kelchzipfel sind gekielt, zart und mit einer abgesetzten grannenartigen Spitze versehen, + 9mm lang und + 4mm breit. Die Kronröhre misst 9 bis 10 mm Länge; die Lappen sind + 11 mm lang. Die Staubfäden sind + 3'/ mm —, die Staubbeutel 2°/, bis 3 mm lang; die letzteren sind durch je einen kleinen, sitzenden apikalen Brownschen Körper aus- gezeichnet. Der eines Papillenwulstes entbehrende Griffel hat eine Länge von + 10 mm und besitzt eine kopfförmige Narbe. Transvaalkolonie: in paludibus montis Houtboshberg, 2200 m, Schlechter 4768, bl. 1. IV. 53. Sebaea Sehinziana Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 95. Stark —, mitunter vom Grunde an verzweigte Pflanze mit aufrechten oder aufrecht abstehenden, längs vierflügeligen Ästen. Die Laubblätter sind breit herzeiförmig, spitz oder bespitzt, lederig. "Trotzdem die In- floreszenzen armblütig sind, erscheinen dennoch dieselben mit Blüten über- laden, da die Zweige einander genähert sind. Die sehr spitzen, schmal gefllügelten Kelchabschnitte sind + 6 mm lang und + 2 mm breit. Die Kronröhre misst 6 bis 6'/% mm; die breit verkehrteiförmigen, abgerundeten Lappen sind 8 bis 9 mm lang und 5 bis 5'’ mm breit. Die Staubfäden messen 1 bis 1'/e mm; die der Brownschen Körper entbehrenden Staub- beutel + 2'/g mm. Der etwas unter halber Höhe papillöse Griffel ist + 6mm lang und hat eme kurze, diekkopfige Narbe. Transvaalkolonie: Devils Knockels bei Lydenburg, Wilms, 965, bl. VIII. »4. Sebaea semialata Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 97. 15 bis 25cm hoch, vom Grunde an verzweigt. Die Äste sind ver- längert und aufrecht. Die Laubblätter sind breit rundlicheiförmig, am Grunde abgerundet, bespitzt, membranös, 6 bis 7mm lang und 10 bis 12mm breit. Die Blüten sind zu vielblütigen Dichasien vereinigt und sind oft in den letzten Auszweigungen fast kopfig gedrängt. Die eiförmig lanzettlichen, spitzen, am Rücken breit geflügelten Kelchabschnitte sind + 6mm lang und 2 bis 2!/e mm breit. Die Kronröhre misst 5 bis 6mm, die eiförmig ovalen, abgerundeten Lappen sind 5 bis 6mm lang und + 3mm breit. Die + 2mm langen, einen apikalen, kleinen Brownschen Körper tragenden Staubbeutel sind 1'/, bis 1'/ mn langen Staubfäden aufgesetzt. Der mit einem Papillenwulst versehene Griffel ist + 6mm lang und wird von einer dieken kopfigen Narbe gekrönt. Kapländisches Übergangsgebiet: zwischen Zandplaat und Komga, 00 bis 1000 m, Drege, 4921; Zuureberge, an steinigen Orten am Berge, 300 bis 1000 m, Dröge, 2299, bl. XI.; Grahamstown, mount slopes in moist places, 750 m, Galpin, 375, bl. XI. 171 55. Sebaea Macowanii Gilg ined. Da von der Pflanze nur ein kleineres Bruchstück (Zweig mit 2 Blüten) vorliegt, kann über die Tracht etc. derselben keine Angabe gemacht werden. Die Laubblätter erinnern an die von crassularfolia etc., d. h. sie sind breit- eiförmig, + 10mm lang und + 9mm breit. Der Blütenstand scheint locker zu sein. Die Kelchabschnitte sind lanzettlich, sehr spitz, auf dem Rücken mit einem deutlichen Flügel versehen, + 11mm lang und + 3mm breit. Die Röhre der präsentiertellerförmigen Krone ist 9 bis 10mm lang, die fast abgerundeten Lappen erreichen eine Länge von 10 mm bei einer durchschnittlichen Breite von 5mm. Die in den Kron- lappenbuchten eingefügten, Ysmm langen Staubfäden sind diek und tragen linealische, mit einem apikalen Brownschen Körper versehene, 3 bis 3'/, mm lange Staubbeutel. Der unterhalb der Mitte mit einem deutlichen Papillenwulst versehene Griffel ist 7 bis 7'/, mm lang und trägt eine zweilappige, sehr dicke und fleischige, + 1'/ mm lange Narbe. Südafrika (östl. Kapkolonie): in clivis eirca King Williams Town, + 480m, Tyson 2203, bl. VII. 56. Sebaea Thodeana Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 96. Das in einem einzigen Exemplare vorliegende Pflänzchen ist 9 cm hoch, aufrecht und unverzweigt. Die untern Laubblätter sind gedrängt, breitverkehrteiförmig, nach dem Grunde zu verschmälert, am entgegen- gesetzten Ende abgerundet, 14 bis 15 mm lang und 6 bis 7 mm breit, die oberen Blätter sind eiförmig und paarweise durch Abstände getrennt, 4 bis 5 mm lang und ebenso breit, alle sind dieklich. Die Blüten sind zu 5 bis T an der Spitze des Pflänzchens gedrängt stehend. Die Kelch- abschnitte sind lanzettlich, spitz, am Rücken gekielt, 5'/, mm lang und 1'/; mm breit. Die Kronröhre hat eine Länge von 8 bis 8'/ mm; die Lappen sind eiförmig abgerundet, 4 bis 4/); mm lang und + 2 mm breit. Die auf '/, mm langen Staubfäden inserierten, + 1'/s mm langen Staubbeutel haben einen auffallend mächtigen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel ist + 6 mm lang, hat in der Mitte einen Papillenwulst und besitzt eine nicht sehr grosse zungenförmige Narbe. Natal: zwischen Gras auf Hügeln am Injassute bei Emengweni, Thode, 67, bl. XI. S. Ihodeama hat grösste Ähnlichkeit mit $. ($ Belmontia) Flanaganii Schinz, die aber ganz entschieden zur Sektion Belmontia gehört. 5. Thodeana hat die grössten Brownschen Körper unter allen bis jetzt bekannt ge- wordenen Arten der Sektion Eusebaea. 57. Sebaea polyantha Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 95. Eine sehr ansehnliche, 25 bis 30 cm hohe Pflanze, die sich über der halben Höhe reichlich verzweigt und in den Blattachseln 2 bis 3 cm 172 lange, wenigblütige Infloreszenzen entwickelt. Die Zweige sind im Übrigen kurz oder lang und dann oft nochmals verzweigt. Die genäherten Laub- blattpaare bestehen aus breiteirundlichen Blättern, die am Grunde ab- gerundet oder fast herzförmig, spitz und lederig sind. Die Blüten- stände sind an und für sich wenigblütig, aber so zahlreich und dicht gedrängt, dass die Exemplare völlig mit Blüten bedeckt sind. Die schmalgeflügelten, lanzettlichen und spitzen Kelchabschnitte sind 4 bis 5 mm lang und 1'/ mm breit. Die Kronröhre hat eine Länge von 3! bis 4 mm; die verkehrteiförmig-lanzettlichen, spitzen, fast fädlichen Lappen sind 4 bis 4/e mm lang und nur 1'/; mm breit. Die Länge der Staubfäden beträgt 1!/. bis 2 mm, die der Staubbeutel 1'/, bis 1/2 mm. Die Beutel sind je von einem sehr kleinen Anhängsel gekrönt, das aber so unscheinbar ist, dass es mehr den Eindruck eines ganz kleinen Spitzchens macht. Der eines Papillenwulstes entbehrende Griffel misst 4!» mm und besitzt eine unscheinbare Narbe. Transvaalkolonie: Distrikt Lydenburg, Spitzkop-Goldmine, Wems 363bl 1. 58. Sebaea Rehmannii Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXXVI (1891), 322; Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI, 95. Eine, nach den vorliegenden Exemplaren zu urteilen, unverzweigte, aufrechte, der‘ grundständigen Blattrosette entbehrende Pflanze von + 40 cm Höhe, mit eiförmigen bis fast halbrunden, der Basis zu ver- schmälerten oder fast herzförmig ausgerandeten, am entgegengesetzten Ende stumpfen Laubblättern von + 8 mm Länge nnd + 5 mm Breite. Blütenstand + locker, einer gewölbten Schirmdolde nicht unähnlich. Die Kelchzipfel sind + 6 mm lang und breit geflügelt, die Flügel am Grunde halbherzförmig. Die Kronröhre misst 5!/e bis 6'/), mm, sie ist mehr oder weniger kugelig am Grunde und trägt oblonge, abgerundete Lappen von 7 bis 8, sehr selten bis 11 mm Länge. Die auf + 1 mm langen Staubfäden inserierten Staubbeutel sind 2 bis 53 mm lang und werden von einem, meist nur bei starker Vergrösserung wahrnehmbaren Anhängsel gekrönt. Der + 6 mm lange Griffel ist ausgezeichnet durch eine kleine kopfige Narbe und durch das Vorhandensein eines Papillenwulstes. Transvaalkolonie: Houtbosh, Rehmann 5925. 59. Sebaea macrosepala Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 91. Die abgebrochenen Stengel der vorliegenden Exemplare messen 40 cm. Sie gehören einer aufrechten, oberwärts jedenfalls verzweigten Pflanze an. Die Laubblätter sind bei herzförmiger Basis rundlich, abgerundet und kurz bespitzt, fast lederig, + 10 mm lang und 13 bis 14 mm breit. Die armblütigen Infloreszenzen sind locker. Die länglich 173% eiförmigen, spitzen, am Rücken gekielten Kelchabschnitte sind 8 bis 10 mm lang und + 5 mm breit. Die Kronröhre misst + mm; die Lappen haben eine Länge von 11 bis 12 mm und eine Breite von 5 bis 6 mm und sind oblong. Die dicken Staubfäden sind 2'/2 bis 3 bis 4 mm —,, die Staub- beutel + 3 mm lang; die letzteren sind mit drei sehr kleinen Brown- schen Körpern versehen. Der Griffel hat einen Papillenwulst, eine zungen- förmige Narbe und eine Länge von + 9 mm. Kapländisches Übergangsgebiet: Periebush, Scott Elliot, a. 1890. 60. Sebaea hymenosepala Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 89. 13 bis 30 cm hoch, stark verzweigt, mit bald aufrechtem, bald niederliegendem Stengel und steifen, meist unverzweigten Ästen. Die kreisförmigen oder breit eiförmigen, am Grunde abgerundeten oder ab- sestutzten oder fast herzförmigen, am entgegengesetzten Ende abgerundeten, kurz bespitzten Laubblätter sind 7 bis 9 mm lang und 10 bis 13 mm breit. Der Blütenstand ist eymös verzweigt armblütig, locker. Die fünf lanzettlichen Kelchabschnitte sind sehr spitz, auf dem Rücken scharf gekielt, am Rande dünnhäutig und weiss. Die Kronröhre hat eine Länge von + 7 mm, die + 4 mm breiten Lappen geben der Röhre an Länge nichts nach. Die Lappen sind im Übrigen länglich bis eiförmiglänglich, abgerundet. Die auf °/, bis 1’; mm langen Staubfäden eingefügten, 2'/, bis 2'/s bis 3 mm langen Staubbeutel besitzen drei Brownsche Körper, von denen namentlich die basalen sehr klein und unansehnlich sind. Der Griffel misst 7'/a. mm, besitzt einen Papillenwulst und eine keulige, bis 1 mm lange Narbe. Sulu-Natalgebiet: Pondoland, auf Triften an Bergabhängen, stellen- weise bei Umtamvuna, Bachmann 1040, bl. X.; ohne nähere Standorts- angabe, Krebs 232; Kaffraria, Cooper 406; Basutoland, Cooper 713. Kapländisches Übergangsgebiet: in graminos. cliv. pr. Grahamstown, Mac Owan, 16, bl. VIII. 61. Sebaea transvaalensis Schinz nov. spec. Vom Grunde an oder doch wenigstens nahezu vom Grunde an ver- zweigte Pflanze von + 35 cm Höhe, mit starkem, fast mastigem Stengel und halbkreisförmigen bis eiförmigen Laubblättern von bis zu 20 mm Länge und bis zu 20 mm Breite. Der Blütenstand ist + locker und sehr reichblütig. Die Blüten sind ausgezeichnet durch spitze, schmal geflügelte, 5 bis 6 mm lange Kelchabschnitte, eine + 4°/a mm lange Kronröhre und breit spatelförmige, + 4 mm lange und + 2 mm breite Kron- lappen. Die Staubfäden sind + 2 mm lang und tragen + 2'% mm lange Staubbeutel, die je einen kleinen apikalen Brownschen Körper 174 besitzen. Der mit einem Papillenwulst versehene Griffel ist + 6 mm lang die Narbe kopfig, der Fruchtknoten auffallend kurzeiförmig. Südafrika (Transvaalkolonie): in eliv. mont. Houtboshberg, 2000 m, Schlechter 4120, bl. 28. IlI.; Nyassaland, Buchanan 270 ?? ef. leiostyla ; Öranjeflusskolonie, Cooper 27132 ?, 2759 ? 62. Sebaea erassulaefolia Cham. et Schlecht. in Linnaea I (1826), 193; Schinz in Vierteljahrsschr. zürch. naturf. Gesellsch. XXX VI, 323; Griseb. Gen. ‘et Spec. Gent. 168% et in DE. Brode IX 537 GileintEnelgEon Jahrb. XXVI, 97. + 35 cm hoch, in der Regel viel verzweigt, Seitenzweige oft bogig aufwärts stehend, Laubblätter dichtstehend, eiförmig kreisrund bei herz- förmiger Basis bis herzförmig nierenförmig, lederig und an den getrockneten Exemplaren in der Regel zurückgeschlagen, stumpf bespitzt, + 10 mm lang und + 13 mm breit. Die grannig zugespitzten Kelch- zipfel sind + 6 mm lang und bis 2 mm breit, mit schmalem Kiel ver- sehen. Die Kronröhre misst 5'/g bis 6 mm; die Kronlappen sind länglich eiförmig, 5'/, bis 6 bis 7 mm lang, mitunter kurz bespitzt. Die Staub- fäden haben eine Länge von 1!/ bis 1°/, mm, die Staubbeutel eine solche von 2 bis 2'/) mm; die letzteren besitzen je einen apikalen Brownschen Körper. Der Griffel wird bis zu 7 mm lang; die Narbe ist kopfig und der Papillenwulst befindet sich unterhalb der Mitte. Kapländisches Übergangsgebiet: bei Plettenbergsbai-Poort, Mundt und Mavre, bl. VI.; bei Uitenhage, 300 bis 1000 m, Ecklon und Zeyher ; Albany, Gegend von Theopolis, am Flusse Kovi unter 300 m, Zeyher ; Signal Hill near Grahamstown, Schönland 16, bl. 31. VIl.; Howisons Poort, Schönland, bl. IX. Natal: Charlestown, O. Kuntze; Van Rennens Pass, Zwartkoop, O. Kuntze. Oranjeflusskolonie: Ruitspruit, Krook, 2016, bl. II. Kapkolonie (ohne nähere Standortsangabe): Ecklon 660 (nach Gile). 63. Sebaea Brehmeri Schinz nov. spec. Aufrecht und verzweigt, in der Tracht leicht mit $. erassulaefokia zu ver- wechseln. Die Laubblätter sind rundlich eiförmig, lederig, im getrockneten Zustande abwärts geschlagen, + Smm lang und + Smm breit; die fehlenden, unteren Blätter sind vermutlich grösser, Blütenstand ent- sprechend jenem von crassulaefolia. Die Kelchabschnitte sind + Tmm lang und + 3mm breit, länglich, spitz auslaufend, mit schmalem Kiel- flügel versehen, am Rande dünnhäutig. Die Kronröhre misst 8 bis ) mm; die Lappen sind 8 bis 9 mm lang und + 4mm breit, stumpf. Die auf 2 bis 2'/; mm langen Staubfäden inserierten, + 2 mm langen Staubbeutel haben je einen ziemlich kleinen Brownschen Körper. Der Papillenwulst 175 des + 9mm langen Griffels ist + schwach ausgebildet; die Narbe ist unansehnlich kopfig. Kapkolonie: ohne nähere Standortsbezeichnung, Burchell 5494. Leicht mit S. erassulaefolia zu verwechseln, indessen sind bei der obigen Art die Kronröhre, die Kronlappen, Staubfäden und Griffel länger. 64. Sebaea Dregei Schinz. Sebaea striecta Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 90. Sebaea crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. stricta E. Mey. Comm. (1835), 184. Ansehnliche, 30 bis 40 cm hohe, vom Grunde an reichlich verzweigte Pflanze mit steifen, aufrechten, unter sich parallelen Ästen und eiförmig dreieckigen, am Grunde abgerundeten oder fast herzförmigen, gegen die Spitze zu mehr keilförmigen, dicklichen, 6 bis $Smm langen und 4 bis 5 mm breiten Laubblättern. Die Blütenstände sind meist armblütig, mitunter aber auch reichblütig. Die linealischen, häufig ungleich- langen, kaum oder schwach gekielten Kelchzipfel sind 3 bis 5mm lang und + lmm breit. Die Kronröhre ist nur etwa 4 bis 5mm lang, die Lappen sind oblong lanzettlich, spitz oder spitzlich, 8 bis 9 mm lang und + 2! mm breit. Die mit drei sehr kleinen Brownschen Körpern ver- sehenen Staubbeutel sind 2°/, mm lang und sind auf 3 bis 4mm langen Fäden inseriert. Der + 7!/a mm lange Griffel hat einen Papillenwulst und eine dicke, keuligkopfige Narbe. Sulu-Natal: in den Witbergen, 2000 m, an begrasten Felsen, Dröge. Da wir die Gattung Belmontia zu Sebaeas ziehen und bereits eine Belmontia stricta beschrieben worden ist, musste die Gilge'sche Pflanze umgetauft werden. 65. Sebaea eonfertiflora Schinz nov. spec. Die vorliegenden Exemplare sind durchschnittlich 20 em hoch und vielfach vom Grunde an verzweigt. Die durch höchstens + 2'js em —, mitunter auch viel kürzere Internodien getrennten Laubblattpaare haben breitdreieckigeiförmige bis eiförmige Spreiten mit abgestutztem Grunde und hornigem Rande, sie sind von fleischig-lederiger Konsistenz und + 12 mm lang und + 12 mm breit. Die Blütenstände sind kopfig gedrängt, und da die obersten, kleineren Laubblätter meist bis unmittel- bar an den gedrängten Blütenstand herangerückt sind, so sieht es mit- unter aus, als ob derselbe von Hüllblättern gestützt sei. Die Kelchzipfel sind dünnhäutig (abgesehen von der Mediane) und grannenspitzig. Die Kronröhre hat eine Länge von 5 bis 6 mm; die Lappen sind breit elliptisch, 4 bis 4'/; mm lang. Die Staubfäden sind kaum länger als a mm und tragen 1'/s bis 1°/, mm lange Staubbeutel; letztere sind von 176 einer unscheinbaren Drüse gekrönt. Der mit einem Papillenwulst und einer kopfigen Narbe ausgestattete Griffel misst 4 bis 5 bis 6, selten bis 7 mm. Transvaalkolonie: in gramin. pr. Elandspruitbergen, 2000 m, Schlechter OD lol A ROLE: Orangeflusskolonie: zwischen Middelburg und dem Krokodilfluss, Wilms 964, bl. X1I. 66. Sebaea ehironoides Gilg in Engl. Bot. Jahrb. XXVI (1898), 101. Aufrechte, unverzweigte oder oberwärts schwach verästelte Pflanze mit dünnem Stengel; 25 bis 30 cm hoch. Laubblätter linealisch, spitz oder zugespitzt, oberste pfriemförmig, 8 bis 20 mm lang und 1: bis 1'/. mm breit. Blüten zu wenigen in lockerem Blütenstand, im getrockneten Zustande blaurot. Die Kelchabschnitte sind eiförmig lanzettlich, zugespitzt, schwach gekielt, + 4 mm lang und 1'!/, mm breit. Kronröhre + 4 mm, Lappen eiförmig, spitz, + 6 mm lang und + 3 mm breit. Die Staub- fäden haben eine Länge von + 2 mm, die Staubbeutel eine solche von ebenfalls 2 mm, die pro Staubbeutel in Einzahl vorkommenden Brown- schen Körper sitzen der Beutelspitze auf. Der Griffel misst 1'/ bis 2 mm, wovon °/s bis 1 mm auf die keulige Narbe entfallen. Ein Papillenwulst fehlt. Angola: Uilla, Antunes, 60. u —— m ea BGE —I LE —— — Chironia exigua Oliver Index. Cicendia microphylla oe wonth 3 Erythraea chloraefolia Lehm. Exacum albens L.. » aureum L. » ovatum Labill. > pedunculatum Thunb. » sessile L. Gentiana albens Thunb. > aurea Thunb. > ovatum Dietr. Sebaea acutiloba Schinz . > affınis Welw. > albens (L.) R. Br. > albens Zeyh. » albens Zeyh. non (L.) R Er > albidiflora F. Müller > ambigua Cham. > ambigua Cham. var. > ambigua Cham. var. » aurea (L.) R. Br. . > aurea (L.) R. Br. var. > aurea (L.) R. Br. var. > aurea (L). R. Br. var. crassa Cham. gracilis Cham. . congesta E. et Z. genuina Schinz genuina Schinz f. W bs E Ne » aurea (L.) R. Br. f. gracilis Schinz » aurea (L.) R. Br. f. minima Knobl. » aurea (L.) R. Br. var. > aurea (L.) R. Br. var. > aurea (L.) R. Br. var. D aurea (L.) R. Br. var. » Barbeyiana Schinz . ’ Baumii Schinz > Bojeri Griseb. brachyphylla Griseb. . » brasiliensis Spreng. pallens Berg. : pallens f. eymosa erlner pallida (E. Mey.) Schinz . sulphurea Griseb. . 178 Sebaea Brehmeri Schinz Burchellii Gilg caladenia Gilg ! j capitata Cham. et Schlacht capitata Schrad. carinata Spreng. chironoides Gilg . confertiflora Schinz congesta Schrad. . Conrathii Schinz cordata (L.) R. Br. ; cordata (L.) R. Br. var. one Cham S Schlecht: cordata (L.) R. Br. var. mierantha Cham. et Schlecht. crassulaefolia Cham. et Schlecht. crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. Bean ifolia Schweine crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. lanceolata Schinz crassulaefolia Cham. et Schlecht. var. strieta E. Mey. crassulaefolia Engel. crassulaefolia Engl. non Cham. & Sahlech, crassulaefolia Knobl. crassulaefolia Knobl. non. Chan! ei Schleeret crassulaefolia Zeyh. LEERE crassulaefolia Zeyh. non Cham. Schlecht. cuspidata Schinz cymosa Jaroscz Dregei Schinz elongata E. Mey. emirnensis Boj. Evansii N. E. Brown exigua (Oliv.) Schinz filiformis Schinz . gariepina Gilg.. gibbosa Wolley Dod Gilgii Schinz gracilis A. Cunn. gracilis Spreng. srandiflora Schinz grandis Steud. . Grisebachiana Schinz guianensis Spreng. . humilis N. E. Brown hymenosepala Gilg involucrata Klotzsch jorullensis Spreng. Junodii Schinz khasiana ©. B. Clarke laxa N. E. Brown leiostyla Gilg linearifolia Schinz longicaulis Schinz Macowanii Gilg 179 Sebaea macrantha Gilg macrophylla Gilg macrosepala Gilg macrostigma Gilg microphylla (Edgew ) Knohll minima Jaroscz minutiflora Schinz mirabilis Gilg multiflora Schinz ochroleuca Wolley Dod Ohlendorffiana Eckl. oldenlandioides S. Moore oreophila Gilg . k ovata (Labill.) R. Br. pallida E. Mey. pallida Zeyh. non E. Mey. pentandra E. Mey. polyantha Gile pratensis Gilg . pusilla Eckl.. ramosissima Gilg Rehmannii Schinz repens Schinz rhomboidea Schinz . Rutenbergiana Vatke saccata Schinz scabra Schinz 5 Schimperiana Buchinger Schinziana Gilg schizostigma Gilg Schlechteri Schinz . sclerosepala Gilg sedoides Gilg semialata Gilg spathulata Steud. stricta Gilg sulcata Spreng. sulphurea Cham. et SEHIEehL. tabularis Eckl. Thodeana Gilg transvaalensis Schinz vitellina Schinz Welwitschii Schinz wittebergensis Schinz Woodii Gilg Zeyheri Schinz Ba I I LIE nn lo TE 181 Gesellschafts-Angelegenheiten. Bericht über das Jahr 1902. Die Zahl der Mitglieder ist im DBerichtsjahre von 141 auf 143 gestiegen. Ausgetreten sind die Herren Carl Hartung, Dr. Nöhring, G. N. Stolterfoht, Lehrer J. Westphal, eingetreten die Herren Oberförster Elle, Zahnarzt Hegewisch, Kaufmann Karl Köhncke, Kaufmann Aug. Heinr. Schultz, Dr. med. Struck. Aus dem Vorstande schieden im Laufe des Jahres aus Herr Direktor Dr. Müller und Herr Öberlehrer Dr. Ohnesorge; an ihrer Stelle wurden Herr Navigationsschuldirektor Dr. Schulze und Herr Oberlehrer Dr. Sack in den Vorstand gewählt. Die satzungsgemäss ausscheidenden Herren von Schreiber und Prof. Dr. Lenz wurden wiedergewählt; den Vorsitz übernahm Herr Oberlehrer Schneermann. Kassen-Revisoren waren die Herren Kaufmann Meflstorff und Konsul Boy. Die Gesellschaft versammelte sich zu sieben ordentlichen Sitzungen ; in denselben hielten Vorträge: Am 17. Januar: Herr Wirkl. Geh. Admiralitätsrat Prof. Dr. v. Neumayer, Excell. aus Hamburg: »Meteore und Meteoriten«. Am 14. Februar: Herr Dr. R. Struck: »Endmoränen in der näheren und weiteren Umgebung Lübecks«. Herr Oberlehrer Schneermann: »Swanetien und seine Bewohner«. Am 7. März: Herr Dr. Karutz: »Eine ungarische Rachepuppe«. Herr G. Werner: »Hörnerschlittenfahrten im Riesengebirge«. Herr Stadtrat Michelsen: »Die ÜUentenarfeier am 22. März 1897 an der Riviera«. 182 Am 21. März: Herr Dr. Brühl aus Berlin: »Streifzüge durch das nördliche Eismeer«. Am 11. April: Herr Prof. Dr. Hausberg: »Der bayrische Wald«. Herr Prof. Dr. Lenz: »Die Achatindustrie im Nahetal«. Am 14. November: Herr Oberlehrer Schneermann: »Reisebriefe eines Lübeckers«. Herr €. Weidmann: »Geographisches vom Kolonialkongress«. Am 20. Dezember: Herr Dr. G. Schott aus Hamburg: »Die Revolutionsgebiete in St. Domingo, Haiti, Venezuela«. Die Vorträge der Herren Wirkl. Geh.-Rat von Neumayer, Dr. Brühl und Dr. Schott fanden im grossen Saale des Gesellschafts- hauses statt. Zu denselben waren die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Thätigkeit und der Kolonialgesellschaft nebst deren Damen eingeladen. Herrenabende fanden regelmässig an allen Freitagen, welche nicht durch die Sitzungen in Anspruch genommen wurden, statt. Neben un- gezwungener Aussprache über geographische und andere Fragen haben sie auch in diesem Jahre dazu beigetragen, die Mitglieder der Geogra- phischen Gesellschaft einander näher zu bringen. Am 25. April und 9. Mai machte Herr Direktor Dr. Pabst durch zahlreiche Photographien erläuterte Mitteilungen über seine Reise in Ungarn, Rumänien, Bosnien, Dalmatien und Montenegro. Herr Direktor Dr. Schaper aus Meiningen, unser Ehrenmitglied, sprach am 22. August über das Nordlicht. Neue Verbindungen wurden angeknüpft mit der Geographischen und Ethnographischen Gesellschaft in Zürich. Am Lesezirkel nahmen 22 Mitelieder teil. An Geschenken für die Bibliothek gingen ein: Katalog der Stadtbibliothek in Hannover. Dr. Eduard Hahn: »Das Vaterland der Kartoffelkultur«. » » > » Ursprungsgebiet und Entstehungsweise des Ackerbaues«. Funke: »Deutsche Siedelung über See«. Haasemann: »Der Pendelapparat der Deutschen Südpolarexpe- dition für relative Schweremessungen«. Berlin 1902. » Bestimmung der Intensität der Schwerkraft auf zwanzig Stationen an der westafrikanischen Küste«. Berlin 1902. Jahresbericht und Arbeitsplan der Kgl. geolog. Landesanstalt zu Berlin für 1902. 183 (Gekauft wurde: Merzbacher: »Aus den Hochregionen des Kaukasus«. Leipzig 1901. Von den »Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft und des naturhistorischen Museums« erschien das 16. Heft der zweiten Reihe mit folgendem Inhalt: Dr. R. Struck: »Der Verlauf der nördlichen und südlichen Hauptmoräne in der weiteren Umgebung Lübecks«. Mit Karte und 10 Tafeln. Prof. Dr. Friedrich: »Der Untergrund von Oldesloe nebst einer kurzen Darstellung der Geschichte der ehemaligen Saline«. Mit 2 Tafeln. Berichte und Verhandlungen. Versammlungen. 144, ordentliche Versammlung am 14. November 1902. Der Vorsitzende, Herr Oberlehrer Schneermann, begrüsste die Gesell- schaft zum Wiederbeginn der ordentlichen Winterversammlungen, machte eine Reihe geschäftlicher Mitteilungen und legte die neu eingegangenen Schriften und Bücher vor. Die satzungsgemäss aus dem Vorstande aus- scheidenden Herren von Schreiber und Prof. Dr. Lenz wurden durch Akklamation wiedergewählt, an Stelle des auf seinen Wunsch ausschei- denden Herın Dr. Ohnesorge wurde Herr Dr. Sack in den Vorstand gewählt. Darauf verlas der Vorsitzende sehr interessante Reisebriefe, die Herr Brauereibesitzer Flemming zur Verfügung gestellt hatte; sie stammen von dessen Sohne, der als nordamerikanischer Freiwilliger im Philippinen- Feldzug gedient und mit Hinfahrt von New-York durch Mittelmeer und Suezkanal und Rückfahrt über Nagasaki, Honolulu, San Franzisko eine Reise um die Welt gemacht hat. Die frisch und lebhaft geschriebenen Briefe fesselten durch die Wärme der persönlichen Empfindung und die Sicherheit der selbständigen Beobachtung. Herr Weidmann berichtete dann über den Deutschen Kolonialkongress unter besonderer Berück- sichtigung der in Abteilung 1 (Geographie, Ethnologie, Naturkunde) gehaltenen Vorträge, der kartographischen und der kolonialwirtschaftlichen Ausstellung. 145. ordentliche Versammlung am 20. Dezember 1902. Die Versammlung fand unter Vorsitz des stellvertretenden Vor- sitzenden, Herrn Prof. Lenz, im grossen Saale der Gesellschaft zur Beför- derung gemeinnütziger Thätigkeit statt. Die mit ihren Damen eingeladenen Mitglieder der Gesellschaft, sowie der Abteilung Lübeck der Deutschen Kolonialgesellschaft hatten sich mit den Mitgliedern der Geographischen 184 Gesellschaft zahlreich eingefunden, um Herrn Dr. Schott von der Seewarte in Hamburg über »Die Revolutionsgebiete in St. Domingo, Haiti und Venezuela« sprechen zu hören. Vortragender hat diese augenblicklich im Vordergrunde des politischen Interesses stehenden Länder im Früh- jahr d. Js. bereist und skizzierte nun aus seinen persönlichen Eindrücken und Erlebnissen heraus anschauliche Bilder von den geographischen, kulturellen und politischen Verhältnissen der drei Republiken. Nach selbst aufgenommenen Photographien gefertigte Lichtbilder unterstützten den Vortrag. 146. ordentliche Versammlung am 9. Januar 1903. An Stelle des Herrn Oberlehrer Schneermann, welcher den Vorsitz niedergelegt hat, eröffnete Herr Professor Dr. Lenz die erste Versammlung des neuen Jahres. Er sprach den Wunsch aus, dass die Gesellschaft auch in diesem Jahre eine lebhafte Tätigkeit entfalte und machte dann einige geschäftliche Mitteilungen. Eingetreten sind in die Gesellschaft die Herren August Heinrich Schultz und Oberlehrer an der Baugewerk- schule Mahn, ausgetreten die Herren Stolterfoht und Lehrer Westphal. Zu Revisoren der Kasse wurden durch Akklamation die Herren Julius Hahn und Konsul Scharff gewählt. Darauf schilderte Herr Dr. Mueller an der Hand einer selbstge- fertigten Skizze eine Fusswanderung längs desjenigen Teiles der thürın- gischen Saale, welcher von Saalfeld bis zur Einmündung der Selbitz reicht und die eigentümliche Schönheit des Frankenwaldes. Zahlreiche Bilder der geschilderten Gegenden und manche humoristische Bemerkung belebten den Vortrag. Zum Schlusse verlas der Vorsitzende Briefe eines jungen Lübeckers, des Herrn Rob. Flemming, in welchen mit offenem Herz und Auge aus Luzon über die Eingeborenen berichtet wird. Gesichtsbildung, Kleidung und hauptsächlich der Charakter derselben wurden behandelt. Während Grausamkeit und Spielsucht an ihnen zu tadeln sind, kann man ihnen harmonisches Familienleben, Mässigkeit im Genuss berauschender Getränke, Reinlichkeit, Sittenreinheit, Talent und Liebe zur Musik nachrühmen. 147. ordentliche Versammlung am 6. Februar 1903. Zu Beginn der Versammlung widmete der stellvertretende Vor- sitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, einige Worte dem Andenken des ver- storbenen Mitgliedes S. L. Cohn. Er teilte mit, dass Herr Senator Bertling aus der Gesellschaft ausgetreten, Herr Kontreadmiral a. D. Kühne in dieselbe eingetreten sei, legte die schon geprüfte Kassenrechnung vor und verlas den Bericht über das Jahr 1902. An Stelle des Herrn Ober- lehrer Schneermann wurde Herr Major a. D. Schaumann in den Vorstand gewählt. 185 Sodann hielt Herr Navigationsschuldirektor Dr. Schulze den an- gekündigten Vortrag über Lagunenbildungen. Er legte eine Karte des adriatischen Meeres vom Jahre 1764 vor und gab einen Auszug aus Vorlesungen, die Forfait, der seit dem November 1799 französischer Marineminister war, in demselben Jahre im Nationalinstitut über einen längeren dienstlichen Aufenthalt in Venedig hielt. Es wurde darin ein anschauliches Bild gegeben von den Kämpfen Venedigs gegen die Gefahr, dass die Wasserwege von der Stadt zum Meere zugeschwemmt würden. Schliesslich gelangte eine Fortsetzung der Reisebriefe Robert Flemmings zur Verlesung, worin er seine Beobachtungen und Erlebnisse auf einer Reise von Manila bis Angeles auf Luzon schildert. Beigegeben waren eine selbstgefertiste Karte der Gegend und viele Photographien. 148. ordentliche Versammlung am 27. Februar 1903. Die Versammlung wurde eröffnet von Herrn Professor Dr. Lenz, der sieh in einer kurzen Ansprache der Gesellschaft als neu gewählten Vorsitzenden vorstellte. Als Mitglied ist eingetreten Herr Rechtsanwalt Ado Bienert. Vorgelegt wurde eine Einladung zum diesjährigen Geographen- tage in Köln. Dann wurden zwei Vorträge gehalten, die Anregung sehr verschiedener Art boten. Zuerst sprach Herr Oberlehrer Dr. Sack über die Erforschung des Luftmeeres mit Hülfe von Drachen. Nachdem er einleitend die ver- schiedenen Mittel zur Erforschung der Atmosphäre, Höhenstationen, freie, Registrier- und Drachenballons erwähnt hatte, schilderte er die schnelle Entwicklung, die die Benutzung von Drachen für meteorologische Zwecke genommen hat. Durch Versuche mit ganz einfachen Flugmodellen er- läuterte der Vortragende die Grundsätze, welche bei dem Baue von Drachen in Betracht kommen, und führte in Lichtbildern die verschiedenen Formen von Drachen sowie die bei den Drachenaufstiegen nötigen Apparate vor. Sodann hielt Herr Oberlehrer Dr. Zillich einen Vortrag über das Thema: Auf den Normannischen Inseln. Nach einem geschichtlichen Überblick, wie die Inseln, die der geographischen Lage nach zu Frank- reich gehören, in englischen Besitz gekommen sind, und welche Schicksale sie unter der englischen Herrschaft erfahren haben, schilderte der Vor- tragende die Eindrücke, welche er auf seiner Reise dort empfangen hat, Einrichtungen, Erzeugnisse, Sprache und Beschäftigung der Bewohner, die landschaftliche Schönheit und zum Schlusse die eigentümliche Ver- fassung. Durch Karten und Bilder wurden die Ausführungen veranschaulicht. 186 149. ordentliche Versammlung am 20. März 1903. Der Vorsitzende verlas ein Schreiben des Herrn Senator Dr. Brehmer, worin derselbe seinen Dank dafür ausspricht, dass ihm das neueste Heft der Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als Vorsteher des naturhistorischen Museums gewidmet worden ist. Als neue Mitglieder sind der Gesellschaft beigetreten die Herren Oberlehrer Drs. Möbusz, Gilbert und Franck, sowie Herr Kaufmann Herm. Tegtmeyer. Im übrigen wurde der Abend ausgefüllt durch einen eingehenden Vortrag des Herrn Oberlehrer Dr. Ohnesorge über die Bildung der deutschen Nordseeküste. Zunächst erörterte der Vortragende die Gründe dafür, dass, von der Eiszeit ab gerechnet, sich diese Küste früher viel weiter als jetzt erstreckt habe; besprach Funde von unterseeischen Torfmooren, Bernstein und Waldresten und erläuterte alte Karten. Er unterschied drei Perioden in der Entwicklung der Küste, deren erste solange dauerte, wie die britischen Inseln noch mit dem Festlande zusammenhingen; die zweite begann mit der säkularen Senkung und dem Durchbruche des Kanals, und die dritte umfasst die historische Zeit. Dabei wurden mit Hülfe von Licht- bildern, vielen Karten und Plänen die Bildung der Dünen, ihre Wande- rungen, die Mittel zu ihrer Festigung, ihre Höhe und eigentümliche Schön- heit, das Einbrechen des Meeres ins Land und der Wiederaufbau desselben erläutert. Der Vortrag war reich an interessanten Einzelheiten, die dem Vortragenden in seltenem Masse zu Verfüsung stehen, da er die Nord- seeküste von Dünkirchen bis Skagen entlang gewandert ist. 150. Versammlung am 24. April 1903. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, teilte mit, dass eine Ein- ladung zur Feier des 75jährigen Bestehens der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin mit anschliessender Feier zu Ehren des Prof. von Richthofen eingegangen ist. Die Geographische Gesellschaft wird auf Beschluss der Versammlung einen Vertreter nach Berlin entsenden. Hierauf hielt Herr ÖOberlehrer Mahn den angekündigten Vortrag über Talsperren oder Stau- werke. Nach einer raschen geschichtlichen Übersicht über älteste und frühere Werke der Art besprach Vortragender in äusserst klarer und durch zahlreiche Tafeln, Karten und Bücher unterstützter Rede die zur Anlage von Talsperren notwendigen Vorarbeiten, ihre technische Aus- führung, die Grössenverhältnisse der hauptsächlichsten in Europa, Amerika und Indien gebauten oder in Bau begriffenen Werke; er ging ausführlich auf ihren Zweck und wirtschaftlichen Nutzen ein, der in Wasserversorgung von Städten, Bewässerung von Ländereien, Krafterzeugung zur Hebung der Kleinindustrien, Vertiefung des Fahrwassers in unseren Flüssen zur 157 trocknen Jahreszeit besteht. Diese praktischen wirtschaftlichen Gesichts- punkte, von denen aus auch die Besiedelungsfähigkeit Deutsch-Süd-West- Afrikas in den Kreis der anregenden Besprechung gezogen wurde, waren von besonderem Interesse. Zum Schluss wies Vortragender auf das grosse Nilstauwerk bei Assuan hin, dessen technische und politische Bedeutung in letzter Zeit die ganze Welt beschäftigt hat. An neuen Eingängen für die Bibliothek wurden vorgelegt: Amadeus von Savoyen: »Stella Polare im Eismeer«. Leipzig 1903 und » Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses für 1902«. Berlin 1903. Mit dieser Versammlung schlossen die regelmässigen Winterver- sammlungen und dankte der Vorsitzende nochmals allen Denjenigen, welche durch Vorträge oder in anderer Weise zur Förderung der Zwecke und Ziele der Geographischen Gesellschaft in diesem Winter beigetragen hatten. Der Vorsitzende machte endlich noch die Mitteilung, dass für die Herrenabende des Sommerhalbjahres sich bereits mehrere Mitglieder bereit erklärt hätten, kleinere geographische Vorträge, meist über persön- liche Erlebnisse oder eigene Beobachtungen zu halten. Vorstand. Ehrenvorsitzender: Aue Dartorı, Prof. a. D. Lenz, H. W. Ch., Dr. phil. Prof., Vorsitzender. Schreiber, v. S., Privatmann, Stellvertreter des Vorsitzenden. Sauermann, F. C©., Kaufmann, Kassenführer. Karutz, Rich., Dr. med., Schriftführer. Sack, Gust., Dr. phil., Oberlehrer, Stellvertreter des Schriftführers und Bibliothekar. Schulze, Fr. L. K., Dr. phil., Direktor der Navigationsschule. Schaumann, Gust., Major a. D. Mitglieder des Redaktionsausschusses: Protsdr. Benz - - DrirR. Rarutz. — Oberl: Dr. G. Sack. Druck von Max Schmidt in Lübeck. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums vom Redaktions-Ausschuss. unnnNÄnAnnnn Zweite Reihe. % insomian y Heft 18. {i A Lübeck. Lübcke & Wöhring. 1904, Mitteilungen der (reographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums LÜBECK. vom Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. Heft 18. Lübeck. Lüpbeke & IWTsSsırine. 1904. Inhaltsverzeichnis. Dr. Richard Karutz. Von Lübeck nach Kokand . EN RE ISn Ele IE ELLII Et EN ee ER N Ne 65 Vonsbübeck-nachrBaku ar. a a, ee : Ba UN 22020 u En ee RE, el! Von: Baäkul nache Krasnowodsk En. 4 ATS. 7 BE EEE ERE ES 95: Von Krasnowodsk nach Merw . . . . . ES a DRORE N oo DU En ER TE DET INachHWBuUCHaTtae ee ee N a ee en] AK EHEN a a A EN es alt); Nach Ssamarkandlge are: SEHE ee ns a ee BB: Senegal SS, en dh EN eg ; 9. ylek Nas chiken by ra a I ES IKOKkandae Re ers ee ON Kommen und Gehen der Völker in Mittelasien . . . . . 22...» 106. NACH ee Se Ne ee 1228 lisa EL TE SELTEN 0. Be... ar 198: iühersden?Kankasus; heimwartise zn ern. 2519) Bericht der Geographischen Gesellschaft über das Jahr 1903 . . . .... >» 149. Versammlungen der Geographischen Gesellschaft vom Oktober 1903 bis EAST GIG) OR or a ee ee ee Bl Bericht des Naturhistorischen Museums über das Jahr 1902 .......» 157. Bericht des Museums für Völkerkunde über das Jahr 1902 . ...... >» 16. Mitglieder - Verzeichnis . ARE » 179. Verzeichnis der Gesellschaften, Vereine, Redaktionen, mit denen die Geographische Gesellschaft in Lübeck im Schriftenaustausch steht . » 184. Verzeichnis der Eingänge für die Bibliothek... ... 22.2 2.. ET IULES: Verzeichnis der im Abonnement gehaltenen Zeitschriften ete.. . . . .... » 18. Von Lübeck nach Kokand. Ein Reisebericht Dr. Richard Karutz Lübeck. “ + \ HOTEL \ © .stunan Bisnbin 9 . Unser östlicher Nachbar, das raumgewaltige Russland, steht inmitten einer Expansion, die von politischen sowohl, wie von wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten aus ein Anrecht hat auf unsere dauernde und sich steigernde Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit ist um so mehr geboten, als unsere Kenntnisse russischer Verhältnisse vielfach recht im Argen liegen. Wohl weckt das Vorschreiten Russlands je nach dem Standpunkte Neid oder Furcht, wohl erregt die Methode, der die Erfolge zu verdanken sind, dem Wissenden Bewunderung, aber so weit verbreitet, wie man erwarten sollte und wünschen müsste, findet sich eine ganz klare Vorstellung von den in Frage kommenden räumlichen Ausdehnungen, wirtschaftlichen Bedingungen und Hülfsquellen nicht. Die Expansion Russlands schreitet vorläufig auf Kosten der Ent- wicklung der inneren Reichsprovinzen vorwärts, das ist wahr, aber dieses Missverhältnis zwischen der zentrifugal fortstürmenden Kraft und der internen Kulturrückständigkeit auf manchen Gebieten wird nicht immer dauern, es wird sich ausgleichen und einst einer harmonischen Einheit- lichkeit Platz machen, die für die Zukunft unabsehbare Möglichkeiten eröffnet, Möglichkeiten, die vielleicht in erster Reihe von der Entwicklung der widerspruchsvollen Psyche des russischen Volkes abhängen werden. In den Richtungen dieser Expansion herrscht augenblicklich die östliche vor, die Vollendung der sibirischen Bahn und die Ereignisse in der Mandschurei lenkten die Blicke der Welt auf Russlands Erfolge auf dem vielumstrittenen chinesischen Boden. Darüber hat man schon die russische Arbeit in Centralasien vergessen. Bei dem gerechten Lob der ostasiatischen Bahn, das wohlfeilem Spott feuilletonistischer Kritikaster über mangelhafte Betriebseinrichtungen zum Trotz, über die Grösse des Gedankens und über die Energie bei der Umwandlung des Gedankens in die Tat nicht hoch genug ausfallen kann, denkt man nicht daran, dass Russland schon einmal, mit nicht geringerer Kühnheit und Klugheit und mit nicht geringerem Erfolge seinen Schienensträngen entlegenste Steppen, todbringende Wüsten und feindselige Fremdkultur unterworfen 1* 4 hat. Das erstaunliche und bewunderungswürdige Werk der mittelasiatischen Bahn, die das Kaspische Meer mit dem Pamir-Plateau verbindet, schied mit dem Augenblicke aus dem Interessenkreise des grösseren Publikums, da die politische Zeit hier stille zu stehen schien, Russland und England ihre Länderscheide auf dem Pamir abgesteckt hatten, und die afghanischen Grenzen nichts mehr von Ansprüchen, Einfällen, Staatsverträgen zu melden wussten. Dass der Friede von heute nur ein Waffenstillstand bis morgen ist, daran zweifeln Wenige, politische Prophezeihungen sollen uns aber hier nicht kümmern, ich beschränke mich darauf zu sagen, dass die friedenskulturelle Bedeutung der Bahn sich um die Nichtachtung der Welt wenig gekümmert hat, vielmehr ihren Weg zur wirtschaftlichen Erschliessung bezw. Emanzipation des Landes mit Erfolg gemacht hat. Die russische Einfuhr nach Buchara betrug in den sechziger Jahren 4 Millionen Mark, im Jahre 1887, zwei Jahre nach Beginn der Bahn, ein Jahr nach Vollendung bis zur Grenze, bereits 32 Millionen. Über die transkaspische Bahn wurden nach Turkestan importiert 1889 für etwa vier Millionen, 1394 für achtzehn Millionen Rubel Waren, aus Turkestan ausgeführt für drei bezw. vierzehn Millionen Rubel. Eine einzige Firma, die »Gesellschaft für den Handel und die Industrie in Persien und Mittelasien« kaufte in Buchara, im Ferghana- und Syr-Daja-Gebiet 1891 Baumwolle für 1700 000 Rubel, 1895 schon solche für 5 Millionen Rubel. Die Baumwollproduktion des russischen Turkestan deckt heute, dank einer kräftigen Schutzzollpolitik, bereits den fünften Teil des ganzen russischen Bedarfs. Dieser raschen Entwicklung des Handels und der Wirtschaft prophe- zeit man einen weiteren Aufschwung durch die Verbindung der mittel- asiatischen Bahn mit der sibirischen. Kaum hatte nämlich der Schienen- weg vom Kaspi Taschkent erreicht, da plante man auch schon seine Weiterführung einerseits nach Nordwesten, nach Orenburg, andererseits nach dem Osten, nach Wernoje. Der Bau wird eifrig gefördert, nach seiner Fertigstellung soll die Erweiterung des Betriebsnetzes einmal die eis- und transkaukasischen Eisenbahnen entlasten, dann eine raschere Verbindung mit dem europäischen Russland schaffen, endlich, wie man glaubt, durch die Einfuhr billigen sibirischen Getreides die Kräfte des Landes für den Baumwollbau freimachen. Man sieht, Russland arbeitet in seinen mittelasiatischen Kolonien mit weitem Blick und rascher Hand. Kein Wunder, dass die Erfolge sich einstellen, Erfolge, die in ihrem wirtschaftlichen Teile die Ausfuhr sowohl wie die Aufnahmefähigkeit für fremde Industrieprodukte betreffen. Für die letzteren treten Russland, Amerika, England, in geringem Masse auch Deutschland in Konkurrenz. Die mittelasiatische Bahn blieb also staats- wie handelspolitisch von eminenter Bedeutung; sie erschloss ausserdem ein Land, das für den Geographen, den Naturforscher, den Ethnographen nicht minder wie für 5 den Historiker und den Kunstgeschichtler reiche Fundgruben wissen- schaftlichen Stoffes bereit hält. In das Herz Asiens, durch wandernde Wüsten und wandernde Völker, durch ein Rassengewirr und ein Rassengemisch ohnegleichen, durch jahrtausendalte Kulturen; über Stätten, die ein unberechenbares Alter geheiligt, die der Fuss der Grossen des Geistes und der Tat geweiht, die die Sage mit Furcht und mit Liebe umkleidet; über Trümmerhaufen, auf denen das Grauen kauert und der Tod sein höhnisch Lied sich singt; durch Ruinen, von denen die Schönheit nicht weichen will, bis der letzte Stein sich gelöst; durch Gräber, unter denen ungezügelte Brutalität, asketischer Fanatismus, stiller Fleiss und faule Geschwätzigkeit in die gleiche Ewigkeit hinübermodern; über Flüsse, die uns seit der Kindheit vertraut, durch Städte, die uns die Poesie verklärt, durch Welten, die uns orientalische Übertreibung mit einem märchenhaften Schönheits- schleier von Gold und Glanz, von Licht und Lust, von Farbe und Freude, von Wahrheit und Weisheit umsponnen hat; durch ein Land endlich, das aus traumreichem Schlummer zu neuem arbeitsfrohen Leben erwacht ist; durch all das, was Natur und Menschheit auf einen Punkt an Gegensätzen von Werden und Vergehen, von Schaffen und Vernichten zasammenhäufen kann, durch all das führt die Bahn, die Turkestan durchquert. Fürwahr, selten wohl gibt es auf der Erde eine gleich lange Strecke, die so reich mit Bildern aus Vergangenheit und Gegenwart geschmückt ist, selten eine, die so klar und so frei den Blick schweifen lässt über den langen Weg, den die Menschheit im siegenden Triumph und im dornenvollen Leid bis heute gewandert ist. Als ich mich im Anfang des verflossenen Jahres entschloss, eine not- wendige Erholungsreise zeitlich und räumlich etwas über das gewöhnliche Mass auszudehnen, lenkten Erwägungen verschiedener Art meine Blicke auf die transkaspische Bahn. Einmal der Wunsch, Russland bei der Arbeit zu sehen, und die Überzeugung, dass es Pflicht ist, sich einmal über die Zustände jenseits der Ostgrenze ein selbständiges Urteil zu ver- schaffen; dann die historischen Betrachtungen, die ich vorhin erwähnt, und denen sich anthropologische und ethnologische anschlossen ; weiterhin die Möglichkeit, das längst beabsichtigte Studium orientalischen Bazar- wesens, das ich nur in seinen afrikanischen Urformen und seinen meridionalen Ausläufern kannte, an der einzigen unverfälschten Quelle verwirklichen zu können; endlich auch vor allem die Hoffnung und der Wille, dem Museum für Völkerkunde in Lübeck systematische _Samnı- lungen aus neuen Gebieten, aus Gebieten, die für die Ethnographie bald ihr Letztes hergegeben haben werden, zuzuführen. Die Zeit, die mir zur Verfügung stand, war knapp bemessen, es galt daher, auf der Hin- und der Rückreise keinen Augenblick zu ver- 6 lieren, vielmehr möglichst rasch demjenigen Punkte zuzueilen, an dem ich beginnen konnte, den Hauptzweck der Reise, ethnographische Beob- achtung und Sammeltätigkeit, zu verfolgen. Eine von Sonntag bis Freitag früh ohne Unterbrechung Deutschland, Österreich, Südrussland und "die nordkaukasische Tiefebene durchquerende Eisenbahnfahrt genügte dazu, sie brachte mich, begleitet von einer Reihe von Bildern, die sich einander in raschem Wechsel ablösten, wie auf der Trommel eines Panoramas, von Lübeck nach Baku. Dass ich später an Ort und Stelle in verhältnismässig kurzer Zeit viel erreichen konnte, verdanke ich den Empfehlungen des Herrn Konsul Ludwig Ehrtman in Riga und denjenigen seiner kaukasischen Freunde. Ihnen allen spreche ich hier noch einmal meinen herzlichen Dank aus. Von Lübeck nach Baku. Um die Nadeln der Lubeca plänkeln die nächtlichen Stürme im letzten Nachzüglergefecht, versprengte Wolkenfetzen fliehen an ihnen vorüber vor der sieghaften Sonne gen Westen. Ein freudiges Grüssen winkt aus den leuchtend roten Mauern des Doms und des Museums über das Mühlenwasser mir nach. In der von holsteinischen Knicks gezeichneten Schachbrett-Landschaft weicht die Morgendämmerung von den Silhouetten der niedersächsischen Bauernhäuser, in deren natür- lichen Formen und ruhigen Farbentönungen ihre sichere Besitzfreudigkeit den richtigen Ausdruck gefunden hat. Kleine Bauernhöfe gucken halb- verschlafen unter ihren Pappeln- und Lindenkränzen hervor, über bäche- durchzogene Wiesen und frischgepflügte Äcker, die zum morgenhellen Ratzeburger See hinuntersteigen, fegen die Wolken des weissen Lokomotiv- dampfes und zerstieben zu feinen tanzenden Flocken, die zwischen den Schollen der wartenden Erde zerfliessen und an den jungen Birken- stämmen des Waldrandes zerrinnen und zergehen. An seinem See, über den vereinzelte Schneewolken streifige Schatten werfen, erwacht Mölln, die Farbensymphonie in Rot; dann öffnet Mecklenburg dem Blick seine Felder und Herrschaften, bis die weiten Flächen und sandigen Ebenen der Mark sie ablösen. Von Spandau, wie immer im Zeichen des Mars, beginnt die kurze Strecke, auf die sich das Lebensgewühl der Reichs- hauptstadt zusammendrängt, über lange Strassenreihen hinweg eilt der Zug in polternder Hast der Südmark und Schlesien zu. In der Nacht ist die österreichische Grenze in Oderberg erreicht, wo man auf den von Wien kommenden bis zur russischen Grenze durch- laufenden Wagen einige Stunden zu warten hat. Das ist mitten in der Nacht nie und nirgends ein Vergnügen, aber kaum je unangenehmer als auf diesem Bahnhof, der von polnischen und galizischen Nachbaren 7 die entsprechenden Allüren angenommen hat, wo die Unbehaglichkeit, der Schmutz, die Nachlässigkeit wohnt, wo man zwischen herumliegenden Slowaken, hockenden ringellockigen Juden, fortgeworfenen Cigaretten- stummeln und reichlichen Speichellachen ungeduldig hin- und herwandert; ein besonders komischer Typ, der mit wenigstmöglicher Reinlichkeit aus- gestattete Gepäckträger österreichischer Nationalität und unbestinnmbarer Rasse, der unterwürfig ergeben und vorsichtig wie auf Eiern umhertritt, die Mütze abgezogen verlegen sich hinterm Ohr kratzt, erheitert und betrübt zu gleicher Zeit. Nach etwa drei Stunden holt mich mein Exemplar dieser Species aus dem Wartesaal in die eisige und stürmische Nachtluft hinaus; froh, dem Kerker entronnen zu sein, klettere ich über allerlei Geleise hinweg in einen, wie ausrangiert, stumm und verlassen irgendwo zwischen anderen Kollegen stehenden Zug, stolpere in ein stockfinsteres D-Zug-Abteil, aus dem tiefe teils langgezogene, teils jäh abbrechende Schnarchlaute hervor- tönen, trete einem österreichischen Leutnant auf die langen Beine und lande in einer breiten bequemen Ecke, in der ich mich alsbald für 24 Stunden häuslich einrichte. Noch ein paar Augenblicke des Wartens, und der Zug löst sich allmählich aus dem Gedränge des Bahnhofs, auf freier Strecke gleitet er ruhig und rasch dahin, der Wagen liegt angenehm in den Federn, und bald habe ich mich, vielleicht dem Schnarchkonzert, jedenfalls aber der Schlafgemeinschaft der Reisegefährten angeschlossen. Der äusserste Nordwesten Galiziens war mir von früher her bekannt, mochte die Nacht also das langweilige und traurige Flachland decken; auch den Anblick Krakau’s, seiner wundervoll über der Weichsel hoch thronenden Burg und seiner gekrönten Marienkirche, den der Morgen- nebel hinderte, konnte ich aus demselben Grunde leicht missen. Dann wird heller der Tag, aber nicht freundlicher die Landschaft. Ganz in der Ferne des Südens schliessen niedrige Höhenzüge, die letzten nördlichen Ausläufer der Karpathen, die Scene ab, deren Vordergrund von leeren Feldern, überschwemmten Wiesen, kleinen Parzellen von Nadel- und Laub- holz eingenommen wird. In grundlosem Schmutzboden versinken ärm- liche Dörfer, auf den Lehm- und Holzwänden der rechteckigen Häuser, auf den Stroh- und Schindeldächern liegt dasselbe kalte und feuchte Grau wie auf den ausgefahrenen Wegen und auf den kleinen Windmühlen, die, kaum grösser als ein Badekarren, wie niedliche Spielsachen über die Felder verstreut, den Eindruck machen, als hätte man vergessen, sie nach Hause mitzunehmen, wie man einen Pflug oder eine Egge mitnimmt oder vergisst. Selten hat ein neuerungssüchtiger Bauer sein Dach mit roten Ziegeln gedeckt, die etwas Farbe in das Bild hineintragen. Neben den Häusern lagert der fast aufgebrauchte Vorrat an Stroh in eigentümlichen Schobern aus vier im Quadrat zu einander gestellten Stangen, die durch ein flachkegeliges Dach gesteckt sind. Futter und Brennholz sieht man auf Schlitten angefahren werden, die besser als Wagen den fusshohen Schlamm der Landstrasse bewältigen. Auffallend selten haben die Dörfer Kirchen, wo man sie von der Bahn aus sieht, sind sie meist aus Holz gebaut, ihr Turm ist viereckig, beginnt unten breit und schwerfällig und endet oben in einer kurzen Pyramidenspitze, das Schiff trägt dasselbe Giebeldach wie die Häuser, nur besteht es häufig aus zwei ineinander geschobenen Hälften, sodass das Profil der ganzen Kirche in Stufen abfällt, deren erste der Turm, deren letzte der Chor bildet. Die Bevölkerung setzt sich hier dem flüchtigen Blick zusammen aus Bauern in langem, oft weissem Rock und roter Kappe oder Schaffell- mütze, aus Juden, deren lange Stiefel, lange Röcke, lange Bärte, lange Schmachtlocken und lange Gesichter in einem seltsamen langgezogenen Unisono übereinstimmen; aus Militär, besonders Kavallerie, von der allein an der Bahnlinie Krakau-Wolotschisk zwölf Regimenter in meist sehr mässigen, oft geradezu traurigen Garnisonorten zusammengezogen sind. Gleichmässig läuft Stunde um Stunde des Tages ab, gleichförmig streckt sich rechts und links zum Horizont die Hochebene des galizischen Sibiriens, wie man bezeichnenderweise diesen Landstrich genannt hat. Lemberg und Tarnopol sind die einzigen grösseren Städte, die wir berühren, sonst hält der Zug nur auf Minuten an kleinen schmutzigen Stationen, schüttelt sie sobald wie möglich wieder ab und rollt weiter durch das graue traurige Plattland der Grenze zu. In ihm selbst geht es aber lebendig zu. Der vorzügliche Speisewagen versammelt österreichische Offiziere, Lemberger und Krakauer Kaufleute, von der Riviera heim- kehrende Russen und als Beamte oder Kaufleute nach Russland gehende Ausländer, eine bunte Gesellschaft, die ein Würfelwurf von allen Enden der Welt für Augenblicke in diesen durch die Steppe jagenden Glaskasten zusammengeworfen hat. Speziell bei mir sitzt ein russischer Oberst, ein alter miles gloriosus aus französischem Adelsgeschlecht, aber seit Gene- rationen in Russland und russifiziert bis in die slawische Nase; er spricht fliessend deutsch, hasst Berlin, reist viermal im Jahre ins Ausland, um seine schier unvergängliche Jugend zu geniessen, und wird nicht müde, gepfefferte Witze zu erzählen, die er mit dröhnendem Lachen begleitet. Zu ihm haben sich ein junger österreichischer Kamerad, der vom äussersten Westen der Monarchie zu ihrem fernsten Osten versetzt war und schon „wei Tage reiste, sowie ein alter Hauptmann gesellt, der, jenseits der fünfzig, mit Sehnsucht auf den Major wartete, um in den wohlverdienten Ruhestand treten zu können, ein Stück alte Zeit in puncto Schlagfertigkeit der Armee. Abends erreichten wir die russische Grenze. Jeder, der zum ersten Male in diese Lage kommt, ist durch tausend Geschichten, die er gelesen, und durch tausend Anekdoten, die man ihm erzählt, so voreingenommen, dass er nicht ohne ein Gefühl des Unbehagens der Stunde des Eintritts ins heilige Russland entgegensieht. Ja, ich kenne Menschen, die oft in Russland waren, und doch jedesmal, wenn sie dahin kommen, wieder demselben Gefühl unterliegen. Das verstehe ich allerdings nicht, denn wenn auch die Grenze hier einen Abschluss besitzt, wie wir ihn nicht kennen, und wie er selbst von den Russen empfunden wird — heisst er doch den Fremden sagranitzki, den von jenseits der Grenze — so finde ich doch, dass bei näherem Zusehen die passverteidigte Sperre zwar nicht ihre Unbequemlichkeit, so doch ihre Schrecken verliert; das erste Mal aber ist man, wie gesagt, nicht unbefangen genug, um nicht etwas wie Beklemmung beim Gedanken an Gendarmen, Censur, Grenz- wachen etc. zu empfinden. Und diese Beklemmung wird gesteigert durch eine merkwürdige Stille, die ich das Charakteristische und Typische der russischen Grenze und, in geringerem Grade freilich, der russischen Bahn- stationen überhaupt nennen möchte. Diese Stille hat für den Neuling etwas Feierliches und Erwartungsvolles oder, wenn man will, etwas Strenges und Dienstliches. Der gesamte Betrieb auf der Grenzstation ist militärisch organisiert, eine Unmenge Gendarmen fasst längst des Zuges Posto, bildet Spalierreihen, zwischen denen die Reisenden von ihrem Wagen in die Zollabfertigung marschieren müssen, bewacht Türen und Fahrkarten- Schalter, patrouilliert, revidiert und kontrolliert allgegenwärtig. Mark Twain sagt einmal, jeder deutsche Schaffner fände sein grösstes Vergnügen darin, die Fahrkarten abzuknipsen, man könne ihm keine grössere Freude machen, als ihm recht oft das Billet hinzuhalten, und man würde bei ihm stets eilfertiges und frohes Entgegenkommen finden. Abgesehen davon, dass es hier noch viel schlimmer damit steht, als bei uns — die Fahr- karten werden auf langen Strecken zu wahren Sieben umgewandelt — so scheint hier Jeder nur darauf zu warten, stramm stehen und die Hände an die Hosennaht legen zu dürfen. Es liegt eine Stimmung in der Luft etwa wie auf dem Kasernenhofe, wenn ein hoher Vorgesetzter zur Inspizierung erwartet wird, ein erwartungsvolles Schweigen des un- bedingtesten Gehorsams und der gespanntesten Aufmerksamkeit. Mili- tärisches Selbstbewusstsein und militärische Disziplin diktieren jeden Schritt und jede Haltung. Wenn zur Zeit der sog. China-Wirren von dem Einvernehmen besonders zwischen deutschen und russischen Truppen drüben berichtet wurde, so liegen die Gründe für diese zweifellos sichere Tatsache in der nach Geist und Erziehung verwandten Natur der Beiden, Die Bahnstationen im Innern Russlands haben natürlich nicht mehr das bewaffnete Äussere des Grenzortes, die unverhältnismässig grosse Zahl der Gendarmen fällt jedoch auch dort auf. Ich sah auf relativ kleinen, unbedeutenden Haltestellen zuweilen ein Dutzend Gendarmen auf dem Bahnsteig, andererseits in Kaukasien solche, an denen ein einziger Gendarm oder Kosak den Sicherheitsdienst versah. Frei von solcher 10 Schutzwache war keine, sodass es in der Tat ein gewaltiges Heer sein muss, was da längs des Eisenbahnnetzes des Riesenreiches über das Land ausgestreut ist. Gemeinsam mit der Grenzstation haben aber alle Bahnhöfe Russ- lands, soweit ich sie gesehen habe, die Ruhe und Stille, und diese ist, weit entfernt nach einem Lande polizeilicher Willkür zu schmecken, von einer so wohltuenden Wirkung, dass bei der Rückkehr auf deutschen Boden der Vergleich nicht zu Gunsten der Heimat ausfällt. Der Gegen- satz war in Alexandrowo z. B. so unmittelbar, dass ich mich mit innerer Scham nach der menschenwürdigen Behandlung Russlands zurücksehnte. Man wundert sich darüber, dass im Auslande ansässige Deutsche sich so oft bei uns nicht mehr wohl fühlen, man sollte aber daran denken, dass schon der erste Empfang innerhalb der schwarz-weiss-roten Pfähle ihnen das Heimatsgefühl erschwert. Und die ersten Eindrücke haften bekanntlich am längsten. Das sind jedem Weitergereisten bekannte Verhältnisse, und sie scheinen sich leider noch gar nicht ändern zu wollen. Ausdrücklich muss ich hierbei meine Zollbeamten der Ostgrenze von allen Vorwürfen freisprechen; sie waren gegen mein Gepäck ebenso liebenswürdig und grossmütig, wie ihre russischen Kollegen von Wolot- schisk rücksichtslos und argwöhnisch. Bei der Revision blieb da kein Stück neben dem andern, Bädeker und Camera wurden zur höheren Instanz geschleppt und von ihr begutachtet, eine unendliche Zeit verging, bis man seine zerwühlten Koffer wieder zurecht gesammelt hatte. Dann wurde die ganze Reisegesellschaft vor eine Tribunal-Schranke gerufen, und Jeder empfing unter scharfprüfendem, obrigkeitlichem Seitenblick seinen gestempelten Pass zurück. In demselben grossen Saale ist neben der Zollabfertigung bequemer Weise die Fahrkartenausgabe, ich nahm mein durchgehendes Billet bis Baku, sehr befriedigt über den niedrigen Preis, zeigte noch drei bis vier Male meinen Pass und konnte dann endlich ins heilige russische Reich hineinspazieren. Im Wartesaal sass schon mein russischer Oberst und schwelste in dem ersten Glase heimischen Thees mit Citronenscheibe. Seiner entzückten Lobpreisung musste ich beiflichten, sehr rasch lernte ich die Vorzüge der russischen Theebereitung schätzen und das Selbst- gefühl der Russen in dieser Beziehung verstehen. Nur bei ihrer Methode ist der Thee in der Tat wahrhaft anregend, erfrischend, schmackhaft, sich stets gleichbleibend und zuträglich; er übertrifft ebenso die "dünne Brühe, die man in unseren Hotels als Thee ausgibt, womöglich dank Vanille verballhornisiert, wie den kaffeedunklen bitteren Extrakt, den man in England vorgesetzt bekommt. Während der ganzen Zeit, die ich in Russland war — und darüber hinaus — blieb ich dem Samowar treu, wie er sich selbst. 14 Die Wartezeit bis zum Abgang des Zuges ging mit den Beobach- tungen der neuen Umgebung, der Beamten, der Uniformen, der Men- schentypen, des Verkehrs, der Buffeteinrichtung rasch hin, beim zweiten der drei üblichen Glockensignale stürmte der ganze Tross der Gepäck- träger mit den Bergen von Koffern und Kisten, ‘die russische Reisende in das Coupe mitnehmen, die Waggons, ich eroberte ein leeres Abteil in dem bis Baku durchgehenden Wagen, und kurze Zeit darauf, beim dritten Läuten, setzte sich der Zug mit der etwas breiten, geräuschlosen Würde, die Russland in diesem Betriebe eigen ist, in Bewegung. Die Würde erstreckt sich sogar auf den Signalpfiff der Lokomotive, der unseren gellenden plötzlichen Ton gegen einen nach Sirenenart tiefgestimmten, diskreteren, wie wir ihn auch für deutsche Ohren wünschen, eingetauscht hat. Er weckt zusammen mit der Ausstattung des Coupes zuweilen die Illusion, man sei in einer Schiffs-Kabine. Eine in der Wand zwischen Abteil und Gang oberhalb der Tür ein- gesetzte Stearinkerze erleuchtet den Raum, der für fast vier Tage meine Wohnung sein soll, eben genug, um sich zurecht zu finden. Es ist eine geräumige, mit gepresster Ledertapete ausgeschlagene Kammer mit breiten Doppelfenstern, die keinen Staub hereinlassen, mit breiten, bequemen Polsterbänken und dicken, sehr praktischen Nackenrollen darauf, mit breiter, geräuschlos schliessender Tür mit Spiegelfüllung, mit einem Klapp- tisch am Fenster, auf den man seine Bücher und Karten legen, sein Glas Thee stellen kann, das der Schaffner auf den Stationen hereinbringt, wenn man nicht selbst gehen mag. Grosse Sauberkeit und gemütliche Bequemlichkeit zeichnen das Coupe aus, die Schaffner sind von einwand- freier Höflichkeit, sie haben eine Ruhe und eine ergebene, rücksichts- volle Art, die ebenso die des Dieners ist wie die analoge bei uns die des Vorgesetzten, der aber durchaus nichts von Unterwürfigkeit anhaftet, wie sie die Voreingenommenheit gegen einen absolutistisch regierten Staat erwarten möchte. Die den tagelangen Bahnfahrten angepassten Toilette- und Waschräume sind auskömmlich und sauber, die Einrichtung der Buffetstationen, an die man sich rasch gewöhnt, entspricht allen billigen Anforderungen, die geringe Fahrtgeschwindigkeit und der breitere Bau der Waggons bedingen einen angenehm ruhigen Gang der letzteren, kurz, die aus der Eigenart des Landes hervorgegangenen Bedürfnisse haben durchaus zweckentsprechende Einrichtungen geschaffen, die das allgemeine Urteil, es reist sich gut in Russland, rechtfertigen. Wie wäre es auch sonst möglich gewesen, dass ich nach einer ununterbrochenen Fahrt. von fünf Tagen und Nächten so frisch in Baku ankam, wie ich in Lübeck abgefahren war, einer Fahrt, der wohl die neuen Erscheinungen des fremden Landes, aber fast keine landschaftliche Schönheit, keine gesellige Unterhaltung die Stunden kürzten, 12 Hinter Wolotschisk setzt sich die galizisch-podolische Ebene in das russische Gouvernement gleichen Namens fort und bleibt als eine gleich- förmige, auf beiden Seiten zum Horizont träge sich dehnende breite Masse neben dem Zuge zurück, der in südöstlicher Richtung auf Odessa zueilt, um bei Birsula nach Osten abzuzweigen und über die südrussische »schwarze Erde« der Mündung des Don sich zuzuwenden. Es ist die trostloseste Jahreszeit für das Land, die Felder sind leer und still, der Schnee ist eben geschmolzen, das Wasser hat den Boden durchtränkt und gequellt, ein kaltes Braun färbt die Schollen. Das Leben scheint stille gestanden, unübersehbar weit legt sich Feld neben Feld, ohne einem Baum oder einem Strauche zwischen sich Platz zu machen, ohne Marke, ohne Verbindung, ohne Trennung. Schmale Streifen längsgefältelter Schichtungen von Schlamm und Erde, kaum abzugrenzen von der Um- gebung, sind die Wege dieser saumlosen Wüste. Stundenlang findet das Auge keinen Halt und kein Ziel. Selten bildet weit in der Ferne eine kleine Windmühle auf kaum merklicher Bodenschwellung flüchtige Silhouette, ein paar weisse Flecke blitzen davor in der Sonne auf, einsame Bauernhäuser. Die grösseren Dörfer liegen an den Abhängen der tief eingeschnittenen Flusstäler, selbst ihre ärmlichen Häuser, ihre Lehmmauern, ihre hell- gelben Strohdächer, ihre schmutzigen Gassen und Gossen verschönt die liebenswürdige Sonne durch einen freundlichen Blick. Die Städte, die auch nur wie grosse Dörfer ausschauen, liegen weit ab von der Bahn, grundlose Landwege verbinden sie mit den Stationen. Menschen finden sich wenig hier zusammen. Mittelgrosse untersetzte Männer mit breiten vollen Gesichtern, breitem, von schmalen Lippen eingesäumten Mund, gerader oder leichter Stumpfnase, in hohen Stiefeln, eingesteckten Hosen, langem Rock, den ein bunter Gürtel zusammenhält, in hoher, weit her- untergezogener Pelzmütze, unter der neugierige Augen oft lustig und listig, meist traurig oder einfältig in die Welt schauen. Die paar Frauen in der Menge tragen einen ebenfalls in der Hüfte festgeschnürten Mantel über kurzem Rock, hohe Stiefel und das charakteristische Kopftuch, das den feinen klaren gelblichen Teint des hübschen Gesichtes zu sehr verdeckt. Das sind also die Menschen, die die Tolstois und Gorkis lieben und lieben lehren! Sehe ich recht, wenn ich hinter dieser Stirn und in diesen Augen jene weiche Sentimentalität finde, jene verzichtende Brüderlichkeit, jene achselzuckende Schlaffheit und resignierende Willensschwäche, die ein Grundzug des slavischen Charakters zu sein scheint, wenn die Schrift- steller wahr sprechen? Oder ist da ein Kern, der bei anderer Pflege sich auswachsen kann und einst auswachsen wird zu grossen Gedanken und zu grossen Taten? Wer ergründet die sogenannte Volksseele? Wenn die Geschichte Recht behält, so bleibt ohne germanisches und ohne tatarısches Blut der Herdeninstinkt für alle Zeiten, und das Volk hier 13 bleibt die Grasdecke des Bodens, die sich alljährlich erneuert, aber nie zum Baume wird, der über ihre Halme hinweg zur Sonne strebt. Mit dem Blute freilich ist die Bahn für alle Möglichkeiten freigegeben, und dieses Blut ist da, die Zukunft wird lehren, wo und wie es sich sein Recht fordert. Am Abend des dritten Reisetages ist der Dniepr erreicht, er wird bei Jekaterinoslaw in einer Gegend überschritten, in der zahlreiche Kurgane, die Hünengräber Russlands, wie gewölbte Schildbuckel den flachwelligen Bodenerhebungen aufgesetzt sind. Die Nacht bringt uns durch die Steppen der Donischen Kosaken, und der Morgen des vierten Tages bricht an, ohne dass die Landschaft sich geändert hätte, klarer warmer Sonnenschein liegt auf den endlosen Ebenen, die sich Meile um Meile in derselben Gleichförmigkeit abrollen. Die Bahn hat nun die Richtung direkt südlich auf das Asow’'sche Meer genommen, erreicht es bei Taganrog und umzieht es von hier aus in östlicher Richtung bis zu seiner nordöstlichsten Ecke, in die der Don mündet. Landschaft und Siedelungen zeigen ein gänzlich verändertes Gesicht. Die flachen Niede- rungen sind mit zahlreichen Dörfern bedeckt, deren Lehmhäuser sich meist zum Schutz gegen die Kälte in einen Mantel von Stroh gehüllt haben. In Gärten, Baumschulen, Weinbergen erscheint seit Tagen die erste Vegetation. Drehbare Windmühlen krönen halbkugelförmige Lehm- sockel, auf den Dorfplätzen stehen eigentümliche, wie kleine Schornsteine geformte Backöfen, weitab von den Wohnstätten der Lebenden bezeichnen auf vernachlässigten, zum Teil nicht eingefriedigten Kirchhöfen einfache Grabhügel, oft nur aus losen Steinen aufgehäuft und mit einem hölzernen Doppelkreuz geschmückt, dessen unteres Querholz schräg gestellt ist, diejenigen der Toten. Der Bahndamm läuft weiterhin dieht am Meere entlang durch das Wiesengeläinde am Fuss des steil abfallenden Hochplateaus der Steppe. Fischerdörfer reihen sich an Fischerdörfer, ihre Häuser liegen teils unten am Strande, teils oben am Plateauabhang und sind im Gegensatz zu den Lehmbuden der Landbevölkerung aus Holz, sauber, freundlich, bunt angemalt, um hübsche offene Veranden verbreitert, deren Pfosten den Rand des überhängenden Daches stützen. Das Meer wird, soweit man blicken kann, durch eine geschlossene Eisdecke niedergehalten, weit draussen auf ihr sind Fischer mit Hand- und Pferdeschlitten beim Fang. Einundzwanzig Kilometer stromaufwärts breitet sich über einen steilen Hügel, dessen Spitze eine massige Kathedrale mit grüngedachten Zwiebeltürmen abschliesst, am rechten Ufer des Don Rostow. Eine Stadt von 120000 Einwohnern, baut es sich in Amphitheater-Steigung auf und wird so, vom Fluss aus gesehen, von imposanter und malerischer Wirkung, umsomehr, als die jenseitigen Ufer in Niederungen verlaufen, die in das Flachland der Steppe überführen. Der Zug nimmt hier ungefähr eine 14 Stunde Aufenthalt; Zeit genug, um sich die Füsse zu vertreten und die Augen mit dem farbigen, fremdartigen Bilde des Bahnhofsverkehrs zu unterhalten. Grosse Scharen von Auswanderern, hauptsächlich Bauern, die nach Nordkaukasien, vielleicht anch nach Transkaspien gehen, eilen vorüber. Feine Madonnengesichter unter weissem Kopftuch; alte Weiber, die sich vier und sechs Pelze übereinander angezogen haben und mit ihren hohen Stiefeln darunter ausschauen wie wandelnde Glocken; Gross- väterchen in langem, auf dem Boden schleppenden weissen Schafpelz, den kleinen Enkel auf dem Arm. Kisten und Kasten, darunter ein weisser Kindersarg, Vogelbauer und dergl. wandern als Bagage mit. Neben den Auswanderern sieht man Soldaten, Juden, Popen, die ersten Kaukasier in Burka, Tscherkeska, Pistole und Kindschal, Armenier und Perser. Auch das bleibt zurück. Auf eiserner Brücke, die einen schönen Rundblick über Rostow und seinen Hafen mit den Flussdampfern und Küstenbooten, mit den Werften und Fabriken freigibt, überschreitet die Bahn den Don, durchläuft überschwemmtes, zum Teil eisbedecktes Wiesen- und Ackerland, an Dörfern vorüber, die hinter ihrem Schmutz sicher geborgen liegen, wie eine Festung hinter den Wällen, und tritt dann in die grosse Einsamkeit der Steppe. Eine gleich schrankenlose Ebene, wie vor Rostow, breitet sich hier von Horizont zu Horizont über das Erdenrund, in einen ärmlich braunen Mantel wie in ein Büssergewand gehüllt, ohne Anfang und ohne Ende. Die traurige Farblosigkeit unterbrechen nur bleiche Pferdeskelette, seltene schwarze Streifen als die einzigen aus Wagen- und Hufspuren gebildeten Zeichen eines Verkehrs in dieser Öde, und die aus bunten Steinchen zusammengelegten Mosaik-Kreise und -Sterne, mit denen man den Fuss der Telegraphenstangen und Werstzeichen geschmückt hat, em fast rührendes Zeugnis für des Menschen Lust nach Farbe und Schönheit, mit der in schreiendem Gegensatze steht die geizende Kargheit der Natur. Dann folgen weite Strecken wohlangebauten Landes. Russen und Kosaken haben sich in zahlreichen Dörfern angesiedelt, deren bunt, meist rot angestrichene Holz-Häuser freundlich herüberwinken. Gut angelegte und gepflegte, überall mit kleinen Holzpavillons und mit Turngeräten aus- gerüstete Gärten umgeben die Stationen, die Dächer der Brunnen, aus denen das Wasser mittelst Eimer und Schöpfräder gehoben wird, die Ziegeldächer, die Wände, die Stakete, Laternen, Fensterladen, alles leuchtet in Rot und bringt farbiges Leben in das Bild. Hier und da wohnen, wohl der Kälte wegen, Arbeiterfamilien längs der Bahn in Baracken, die in die Erde hineingebaut sind und nur mit dem Dach über die Boden- fläche herausgucken. In diesen Teilen weckt das Land trotz aller Eintönigkeit nicht das Gefühl der Einsamkeit. Es folgen aber stundenweite Strecken, deren 15 durch nichts unterbrochene, ewig gleich getönte, schweigsame Lebens- armut auf die Nerven geht. Kaum dass in der Ferne ein flacher Kurgan auf einen Augenblick die Linie des Horizontes hebt, der Rest einer Stroh- miete in der Nähe einer Lehmhütte wie ein aus Versehen hingespritzter gelber Klex sich hinein verirrt oder ein paar Krähen am kalten grauen Himmel flüchtige Punkte zeichnen. Tiefer und stiller wird am Abend die Einsamkeit, in einem dunkelblauen Streifen, der die Illusion ferner Meere und Küsten weckt, begegnen sich Himmel und Erde. Wie ein treuloses, in Verderben lockendes Riesenmoor mit tausend Toden wartet die braune Masse des Landes unter einem bleigrauen Himmel, auf dem sich nur im Westen ein paar Rosalichter, ein letztes Trostwort des ver- gehenden Tages, verspätet haben. Meile um Meile lauert dieselbe Öde und dasselbe Schweigen. Ein schmales Rinnsal, das die Bahn zu einer kurzen Brücke zwingt, ist die einzige Marke, die seit Stunden die Gleich- förmigkeit unterbricht, und den Kosaken, die ihm entlang dem Heimats- dorfe zureiten, ein willkommener Führer. An den Böschungen des Bahn- dammes leuchtet fast unheimlich das blendende Weiss des letzten Schnees auf dem Braun des Bodens, das im Abendschatten sich tiefer färbt. Die Ferne hüllt sich in einen dunkelvioletten Mantel, wie zum Schutz gegen die Nacht und ihren erstarrenden Frost, am Himmel blitzt in langen glühenden Linien das Abendrot noch einmal hoch, die Steppe schweigt und träumt und wartet, wartet auf den Tag und auf den Frühling. Während der Nacht rückt die Bahn dem Kaukasus schon so nahe, dass man morgens seinen ganzen westlichen Teil mit dem 5600 Meter hohen Elbrus als höchstem Gipfel übersehen kann. Über Armawir am Kuban, mit 15000 armenischen Bewohnern, und über Mineralnaja Wada, die Zweigstation für die nordkaukasischen Schwefelbäder Pjatigorsk und Kisslowodsk hat sie das Stromgebiet des Terek erreicht. Ich bin früh auf, um mir den Anblick des Elbrus nicht entgehen zu lassen, werde aber nicht belohnt. Der Blick fasst nur die Steppe, die noch schläft und fröstelnd, einsam den Atem anhält unter dem Alpdruck von Eis und Kälte. Die Berge sind nur etwa bis Mittelgebirgshöhe sichtbar, an ihren Hängen von Streifen weisser Schneelager überzogen. Ihre Höhen sind durch Wolken verdeckt, ihr Fuss umwallt ein leichter Schleier von feinem bläulichen Morgendunst. Im Osten hellt der Tag. Über einer Riesen- wand dunkelgraublauen Schneegewölks taucht ein durchsichtig violettes Meer von Licht empor, dringt mit gelb und rötlich nuancierten Buchten in das Wolkengeschiebe und übergiesst die Steppe mit klarem lichten Schein, der in rascher Wanderung vorwärtsschreitet und die Schläferin weckt, wohin er kommt. Auch im Süden hellt es mählich auf, und die mächtige Eismauer des Hochgebirges tritt in den Tag. Der Westabfall wird inzwischen wolkenfrei, ein zarter Rosahäuch von Morgenfrische und Lebensreinheit färbt ihn mit Künstlerhand. Die mittleren Züge des 16 Gebirges bleiben in der Höhe verhüllt, an ihren Wänden ballen sich lange Linien weisser Wolken, wie der Rauch feuernder Batterien. Je südlicher wir kommen, desto strenger zeigt sich der Winter. Die Steppe hat sich zu einer einzigen Alles gleichmachenden Schnee- und Eisfläche gewandelt, sie gleicht in der Ferne einem Ocean, der gegen Klippenküsten schlägt und in die Klüfte zerrissener Vorgebirge sich zwängt. Das volle Licht der nun freistrahlenden Morgensonne leuchtet auf ihr wie auf einem glitzernden Spiegelsee, grosse Dörfer und breite Städte dunkeln auf ihr wie halbversunkene Inseln, an den Bergeshängen schneiden die Schneefelder, die von der Ebene bis zu ihrer halben Höhe hinaufgekrochen sind, scharf ab wie die Bogenlinien des Wellenschaums am Strande. Näher rückt die Bahn den Bergen. Die Höhenrücken sind kahl oder mit dürftigem Krüppelholz bedeckt, nur in geschützteren Tälern des Ostens und Südens drängen sich dichte Waldungen zusammen, auf deren Gezweig der Rauhreif wie Diamantengeschmeide blitzt und leuchtet. Der Bahnkörper durchbricht eine von den swanetischen Bergen sich ostwärts lösende und im Bogen dem Hochgebirge vorgelagerte Hügel- kette und tritt in einen gewaltigen Kessel, der vom Ardon durchflossen, im Süden vom Kasbek beherrscht wird. Die beiden bedeutendsten Heer- strassen des Kaukasus nehmen hier ihren Anfang, westlich die ossetische Strasse den Ardon entlang über den Mamisson-Pass nach Kutais, östlich die grusinische Strasse das Tal des Terek aufwärts über den Kasbek- Pass nach Tiflis. Heute deckt dieses Gebirgsbecken das weisse Leichen- tuch des Winters, eine Schneedecke, so weit und so dicht, so ohne Grenzen, dass das Wort »1813s unwillkürlich sich auf die Lippen drängt. Spärlich rinnt um diese Jahreszeit das Strömen menschlichen Lebens und Verkehrs. Ein Ochsenschlitten mit Reisig, ein Reiter, in die Burka gehüllt, das Gewehr über den Rücken gehängt, ein Trupp Frauen, die in hohen Kannen Wasser vom Fluss ins hoch gelegene Dorf tragen, eine Herde Schafe, die unter dem Schnee kärgliches Futter hervorzu- kratzen suchen, mehr sieht das Auge nicht. Ziemlich in der Mitte des Gebirgskessels liegt Besslan, von wo eine Z/weigbahn nach Wladikawkas, einer grösseren, durch Silberfiligranarbeiten bekannten Garnisonstadt und Ausgangspunkt der grusinischen Heer- strasse, führt, die Hauptbahn schwenkt in östlicher Richtung ab und läuft am Südabhang der ungefähr 700 Meter hohen Nordmauer entlang. Die Volkstypen auf den Stationen, in den aus Lehm- und Holzhütten mit vorgebauten Veranden und aus geflochtenen Vieh-Hürden bestehenden, als geschlossene, verteidigungsfähige Vierecke angelegten Dörfern, vor den teilweise in den Erdboden vergrabenen Wärterhäuschen sind rein kaukasisch: hohe Gestalten, die ein stolzer würdevoller Schritt noch AR bedeutender macht, gebräunte Gesichter, prachtvolle schwarze Augen, gerade, kräftige, vereinzelt semitische Nasen. Die malerische Tracht, Tseherkeska mit waffenbewehrtem Gürtel, Burka und weisse oder schwarze Fellmütze, erhöht den fremdartigen Reiz der Erscheinung. Hinter Grosny, wohin wir gegen Mittag unter anhaltendem Schnee- treiben kamen, tritt die Bahn aus dem Gebirgskessel heraus und läuft am Nordrande des Ost-Kaukasus entlang in südöstlicher Richtung dem Kaspi zu und erreicht ihn bei Petrowsk. Links tritt wieder die Steppe bis zu uns heran, anfänglich durch Schneedecke unkenntlich gemacht, die stundenlang rieselnde Flocken höher und höher schichten, dann in ihrer wahren Gestalt wie die Tage vorher, braun und leer und bis zur Mutlosigkeit traurig. Rechts wird bei aufklärendem Wetter trotz zu- nehmender Entfernung der Gebirgsrand schärfer sichtbar. Durch tiefe Querbrüche entstandene Täler greifen in ihn hinein und lassen die Kulissenstellung seiner Längszüge erkennen, zwischen denen weit sich verästelnde Talsenken sich öffnen. Die Höhen sind breitrückig und kahl, ihre Linien ruhig geschwungen, das Hochgebirge über diesen Vorbergen bleibt hinter Schneewolken versteckt. Je weiter der Tag vorrückte und je näher wir dem Kaspi kamen, desto weiter blieb der Winter zurück. Auf der braunen, am Horizont von Waldungen begrenzten Steppe finden zahlreiche geschlossen weidende Schafherden ihr Futter, die welligen Hügelketten im Süden haben den Schnee von sich geschüttelt. Und wieder wird es Abend. Die Sonne durchbricht im letzten Verzweiflungsringen das geballte Gewölk, zerreisst es zu einem Netz von Wolkenfetzen und leuchtet mit wundervoller Feuerglut in die Klüfte, aus denen es wie aus einem Weltenkessel hervor- brodelt in weissen ziehenden Dämpfen, und über die Zacken, Firne und Mauern des Kaukasus. Die Bahnfahrt gibt dank ihrer Parallelrichtung ein ausgezeichnetes geographisches Bild dieses Hochgebirges und seines Charakters als Erdteile scheidende Mauer; vornehmlich hier im Osten, wo kein Vorland die Höhen gegen die Steppe abstuft, siegt die Illusion, als hätte diese bestimmte Absicht, Menschenleben und -wirken zu schützen, Welten der Menschheit voneinander zn trennen, die Hand der Natur geführt. Die Sonne weicht und der Abend klingt in eine seltsame Symphonie in Blau aus. Die einsame Steppe, der Schnee, der hier und dort auf ihr zurückblieb, die wundervoll sich formenden Geschiebe der Wolken, die Schatten der Bergeshänge, der lichte Himmel, Alles ist übergossen mit einem feinen Blau, so zart, so weich, als ginge ein Widerschein aus von einem Riesenfeld voll junger Veilchen. Und die feinen Nixchen, die in den Veilchen wohnen, sind ausgezogen zum Kampf gegen die Unholde der Berge und der Lüfte. Die Stürme wollen herunterbrausen von den Eisfirnen, die Schneewolken vor sich her zu peitschen und sie über die frühlingsdurstige Ebene zu zersprengen, aber der lichte Glanz 2 18 blendet sie mit verzauberndem Märchenfarbenschimmer. In reizendem Spiel wechselt der Schein, jetzt gelblich und rosa, nun tiefrot und wieder violett, lächelnd bewegt sich und verändert die Bilder der Farbenkreis, wie glücklicher Elfenreigen im Wiegen des Tanzes. Es stutzen die Feinde, es ruht auf Augenblicke der Kampf. Ein wunderbares Bild der Welt. Stiller Friede hier unten, kein Haus, kein Baum, kein Leben und kein Laut. Stille droben in den Lüften. Zwischen ihnen und uns aber dieses schwebende Farbenweben, dieses Kommen und Gehen, dieses Wiegen und Drehen wechselnder Farben, Bewegung, so gross und so weit, voll be- törender Anmut, über alles Erfassen grenzenlos in Raum und in Schön- heit. Das grosse Gefühl der Einsamkeit spannt seine breitenden Schwingen von Himmel zu Himmel und macht uns zu Genossen des Ewigen. Ein Adler kreuzt unseren Blick, der am Himmel hängt. Mit schwerem Flügel- schlag schwingt er sich sicher empor dem Sturm entgegen, ein Bild vor- nehmer Grösse, das zu der Natur passt wie eine einsame Menschenseele. Rasch dunkelte tiefer der Abend, von Petrowsk sah ich nichts mehr, während der Nacht fuhren wir am Kaspi entlang den Weg, über den vor Jahrtausenden schon skythische Völker Asien erreichten, durch Strecken, die man jetzt der Baumwollkultur erschliesst, berührten Derbent, das eiserne Tor und die berühmte Grenzmauer der Sassaniden und kamen mit Tagesanbruch in die Sandwüsten nördlich der Halbinsel Apscheron. Die ersten Naphtha-Türme, die ersten Kamelzüge, die orientalische Bau- weise der tatarischen Häuser kündeten eine neue Welt. Gegen sieben Uhr am Morgen des sechsten Tages nach Abfahrt von Lübeck kam ich in Baku an. Baku. An der Stelle des heutigen Baku, an einem Strande, von dem die im Norden sich vorlegende Halbinsel Apscheron die ärgsten Stürme ab- hält, mögen seit den Tagen der ältesten Völkerverschiebungen, die am Westufer des Kaspi verliefen, Fischer- und Schifferansiedlungen bestanden haben. Eine Stadt liegt hier, soweit man weiss, erst seit der Zeit des neupersischen Reiches, angeblich erst seit dem 6. Jahrhundert; sie war kaum je von einiger Bedeutung und stand weit hinter Derbent und dem landeinwärts gelegenen Schemacha zurück, über die der Überland-Han- delsweg nach Persien ging. Wahrscheinlich hinderten die heftigen Nord- und Nordweststürme, die der Stadt ihren Namen gegeben haben — Baku — badkube = Windstoss — die Entwicklung der persischen Küsten- schiffahrt. Politisch gehörte die Stadt den Persern, dann den Arabern, wieder den Persern, teilweise selbständigen Chanen, seit 1806 ist sie russisch. Wenn heute Jedermann Baku kennt, so verdankt es das seiner Naphtha-Industrie, die Anfang des vorigen Jahrhunderts mit dem Über- 13 gang des Landes in russische Hände sich entwickelte und in den achtziger, mehr noch in den neunziger Jahren eine Ausdehnung erreichte, von der man sich bei uns nicht ganz zutreffende Vorstellungen macht. Das alte, von Tataren bewohnte Baku liegt am Abhange eines rasch zum Meer abfallenden Wüstenplateaus, zum grösseren Teile innerhalb einer Festungsmauer, zum kleineren südlich zwischen ihr und dem Ufer. Seine Strassen sind steil und schmal und winklig. Die düsteren Mauern der nach mohamedanischer Sitte nach innen konzentrierten Häuser begrenzen die einen, die offenen Werkstätten der Metallarbeiter, Schuster, Schneider, Mützenfertiger, Sattler ete. und die Verkaufsbuden der verschiedenen Händler die anderen. Einige Moscheen, in die man uns — wie in allen russischen Städten — den Eintritt gestattet, und von deren Minarets die Muezzins in langgezogenen Tönen zum Gebete rufen, versammeln die Gläubigen, zahlreiche an halbkugeligen Dachkuppeln erkennbare Bad- häuser die Reinigungsbedürftigen. Neben dem breitgesichtigen Tataren wandert der schlankwüchsige Perser und der dunkelbärtige Armenier, zerlumpte Lastträger perso-tatarischer Mischung, mit eigenartigen Rücken- kissen, auf denen sie erstaunlich schwere Lasten tragen können, eilen vorüber, verschleierte Frauen tasten sich an den Mauern entlang mit jenem vorsichtig scheuen Gang, von dem man nicht weiss, ist es die künstlich gezüchtete Sklavenseele, die ihn führt, oder der blickstörende Schleier, der ihn so unsicher macht. Hochbepackte Esel trippeln über das holperige Pflaster, ein Trupp Kamele kniet mitten auf der Strasse, um sich die Ladung aufpacken zu lassen, hohe zweiräderige Karren, deren Aufbau und deren Pferdejoch bunt bemalt oder geschnitzt sind, winden sich durch das Gewühl. Dazwischen jagen russische Wagen mit tatarischen Kutschern, deren wilde braune Gesichter mit dem stahlharten Blick, den breit auseinander stehenden Augen, der hohen Stirn mit nach hinten geschobener Pelzmütze an die Reiterscharen eines Dschingis-Chan erinnern. Dieser Stadtteil ist also ganz orientalisch, und seine Fremdartigkeit für den Neuling voller Anregungen und Unterhaltung. In seinem süd- lichsten Teil überragt ihn das Wahrzeichen Bakus, Kis Kale oder Jung- frauenturm, 45 Meter hoch, ungefähr von der Form zweier mächtiger, in der Längsrichtung aneinander gelegter Oylinderrohre. Welchem Zweck der Turm gedient hat, konnte ich nicht erfahren. Er ist vollkommen leer, von den Wänden springen in regelmässigen Abständen schmale, rings herumlaufende Absätze in das Innere vor, auf die man von den halsbrecherischen, zur Turm-Spitze emporführenden Wendeltreppchen hinaustreten, und von denen man frei in die schwindelnde Tiefe der Turmhöhlung hinunterschauen kann. Möglicherweise waren hier früher Querböden gezogen, sodass der Turm aus einer Reihe von Stockwerken bestand, die vielleicht als Gefängnisse dienten. So meint auch die Sage, 9% 20 nach der ein Chan ihn als Kerker für seine schöne Tochter erbaute, die sich geweigert hatte, ihm als Haremsfrau zu dienen. Heute findet er als Leuchtturm Verwendung. Von der Plattform des Kis Kale hat man einen umfassenden Blick über die Stadt und ihre Umgebung. Tief schneidet die Bucht, der drei kleine Inselchen vorgelagert sind, in das Land, das sie an breiten belebten Quais erwartet. Nördlich und östlich grenzt an das tatarische Festungs- viertel die neue russische Stadt, die grüne Pyramide und die vergoldeten Kuppeln der Kathedrale heben sich aus ihren Häuserblocks heraus, weiter schliessen sich die schwarze und die weisse Stadt mit ihren Naphtha- Raffinerien daran, in der Ferne verrät eine dunkle, brütende Rauchmasse die Lage von Balachany und seines Waldes von Bohrtürmen. Wendet sich der Blick in entgegengesetzter Richtung nach Süden, so staunt er über die Ausdehnung des Hafens und über die Zahl der Schiffe in ihm. Ich wenigstens hatte einen solchen Verkehr auf dem kaspischen Meere nicht erwartet, Dampfer lagen allein 100 bis 150 dort, ein Beweis, wie gross der Export der Naphthaprodukte und der Handel Transkaspiens und Persiens mit Russland geworden ist. Noch weiter südlich liest hinter einer kurzen Landzunge Bibi Eybat, das zweite Hauptfeld der Naphtha- sewinnung neben Balachany im Norden. Die Naphthaindustrie ist das Lebenselement Bakus, mit ihr steht und fällt dessen Bedeutung und Wohlstand; sie ist aber auch für den Fremden das Sehenswerteste, und da ich dank der Liebenswürdigkeit der Herren, an die ich empfohlen war, das Wesentliche der verschie- denen Betriebe sehen konnte, so mag einiges darüber hier eingeschaltet werden. Naphtha — Name von nafata (persisch), ausschwitzen — ist ein in den sog. miocänen Schichten der Tertiärformation vorkommendes dünnflüssiges Erdöl, das an verschiedenen Stellen der Erde, namentlich in Amerika und am kaspischen Meere sich findet. Vereinzelt strömen seine Gase direkt aus der Erde, wie bei Baku, wo sie als »heilige Feuer« entzündet und seit langem dem altindischen Feuerkult, später dessen Enkel, dem indischen Parsendienst, Gegenstand der Anbetung waren. Die Flüssigkeit selbst muss durch Anbohren der naphthaführenden Schichten an die Oberfläche gebracht werden. Diese Schichten stehen vielleicht alle in Verbindung miteinander, Geologen wie Bergmänner sind aber nicht imstande, positive Voraussagen über etwaigen Erfolg einer Bohrung zu machen. Es gibt so gut wie keine Anhaltspunkte zur Beur- teilung des Bodens auf seinen Naphtha - Gehalt. Die Tiefe der Bohrlöcher wechselt, sie scheint von Jahr zu Jahr zuzunehmen, denn 1890 betrug sie im Durchschnitt 200 Meter, heute oft schon 500 Meter. Ihre Anlage ist mithin sehr kostspielig, die Bohrung dauert oft an zwei Jahre, verschlingt eine Viertel- bis zu einer 21 halben Million und endet häufig mit negativem Resultat, indem entweder durch Abbrechen von Maschmenteilen das Bohrloch verlegt wird oder der erbohrte Strahl statt Naphtha Wasser heraufbringt. Vielfach ver- sanden Bohrlöcher, andere erschöpfen sich rasch. So werden Vermögen bei der Anlage von Bohrlöchern nicht nur festgelegt, sondern auch ver- loren, oft freilich auch gewonnen. Gerade jetzt scheint in der Naphtha- industrie Bakus wieder eine Krisis eingetreten zu sein, da der Preis der Naphthaprodukte fällt,- die Anlagekosten dabei immer höhere werden, die moderne Arbeiterfrage — die Arbeiter rekrutieren sich aus Russen, Persern, Tartaren — schon hineinspielt, und die Regierung selbst die Schwierigkeiten erhöht. Einmal gibt sie kein neues Land zur Anlage von Bohrlöchern her, andererseits zapft sie den bestehenden Gesellschaften Millionen ab, indem sie die alten, mit Tartaren und Armeniern, die sich Anfang vorigen Jahrhunderts als Besitzer meldeten und so rasch zu Reichtum gelangten, geschlossene Verträge für nichtig erklärt, neue ver- langt und Unsummen für die Erlaubnis zur Fortführung der Betriebe fordert. Viele Gesellschaften besitzen gar nicht den Boden selbst, sondern nur das Recht, auf dem Kronland’ zu bohren und zu schöpfen, sind also doppelt abhängig. Weiter kommt der Wettstreit zwischen Grossbetrieben mit ihren Riesenkapitalien, wie diejenigen Nobels und Rotlischilds, und Klein- betrieben hinzu, der, wie überall, auch hier zu Ungunsten der weniger Kapitalkräftigen endet. Manche der letzteren helfen sich so, dass sie nur für die Grossen arbeiten, ihre Naphthaprodukte zu Kontraktpreisen an sie abliefern und vom Selbstvertrieb sich fernhalten. Ferner muss die bislang wenig rationelle Bewirtschaftung der Naphthaquellen von Baku hervorgehoben werden, die im Gegensatz zu der amerikanischen Weise steht, die Maschinen arbeiten zu langsam, die Ausnutzung ist zu gering, die Gase gehen verloren, die Arbeiter sind unzuverlässig und wenig intelligent. Endlich sind die Transportkosten auf den transkaukasischen Bahnen relativ hoch. Der Riesenaufschwung der Naphthaindustrie seit 1394 ist somit einer Baisse gewichen, die von 1901 an etwa wirkt und Baku zu emem finanziell unsicheren Platz gemacht hat. Ich hörte, dass z. B. gewöhnliche Hypotheken in Privat- häusern 12 und mehr Prozente bringen. Danach kann man sich von den übrigen Verhältnissen einen Begriff machen. Das üppige Leben, das der Millionenregen hervorrief, der sich mit der Naphtha über Baku ergoss, dauert fort, die Spielsäle des grossen Klubs sind noch immer Abend für Abend überfüllt, die Einnahmen des Klubs sind derartig, dass er z. B. 30000 Mark jährlich allein für seine Musikkapelle ausgeben kann. Wohnungen und Lebensbedürfnisse sind teuer, die Spekulationen in Grundstücken: ungesund. 22 Äusserlich ist Baku immer noch im Aufblühen. An Bohrlöchern, deren Zahl i. J. 1894 532 betrug, sind gegenwärtig etwa 2000 in Betrieb, die jedes zwischen 100 und 20000 Pud Rohnaphtha täglich fördern. Der russische Stadtteil europäisiert sich in Strassen und Häusern, obwohl die zu 90°/, tatarische und armenische Stadtverwaltung inbezug auf Tatkraft, Unbestechlichkeit und ähnliche Tugenden nicht im besten Rufe steht. Relata refero. In Baku wird die Rohnaphtha besonders an zwei Stellen geschöpft, in Balachany, das ist die gute, Schmieröl liefernde Naphtha, und in Bibi Eybat, das ist die schlechtere, Petroleum liefernde. Soll an einem Punkte ein neues Bohrloch angebohrt werden, so wird dieses Unternehmen einer besonderen Gesellschaft für Bohranlagen übertragen, die sich ihrerseits wieder nur mit diesen Bohrungen, nicht mit dem Schöpfen befasst; das Risiko des Bohrloches, d. h. die Dauer der Arbeit bis zum Finden von Naphtha, liegt bei dieser Gesellschaft, das Risiko des Resultates — Wasser oder Naphtha, Menge der Naphtha, Dauer des Naphthaflusses — bei dem Auftraggeber. Die Bohr-Gesellschaft baut nun einen Bohrturm von der bekannten Pyramidenform — in dem Wald von Bohrtürmen fallen die neuen als helle auf, die im Betrieb befindlichen werden rasch schwarz — und stellt die Maschinen auf. Der Ausdruck bohren ist eigentlich falsch. Das Erdloch wird eigentlich gar nicht gebohrt, sondern gemeisselt. Der aus Stahl gearbeitete Meissel ist an ein Mittelstück festgeschraubt, und dieses an einer Stange befestigt, die am anderen Ende durch Anschrauben an andere gleiche Stangen beliebig verlängert werden kann. Das Mittel- stück hat unten seitlich herausspringende scharfe Haken und oben eine Fallvorrichtung in der Weise, dass in einer Hohlröhre ein Haken läuft, der bei bestimmter Achsendrehung unter einen Querschlitz der Wandung fasst bezw. bei entgegengesetzter Drehung ihn loslässt. Je nachdem fällt also der Meissel in die Erde, lockert den Boden, die seitlichen Haken erweitern das Loch, und dann wird von oben her ein Hohleylinder aus . Eisenblech eingelassen. Die in der Mitte gelockerte Erde wird mittelst Saugrohre angesogen und oben entfernt. Je weiter man nun meisselt, desto weiter dringt der Hohleylinder nach unten, in der Minute erreicht man gegen 40 Fallungen des Meissels; ist der Cylinder eingedrungen, so nietet man an ihn einen zweiten und so fort, bis der Cylinder nicht mehr weiter geht. Das ist bei 100 oder 200 Faden der Fall. Dann wird in den ersten ein zweiter gesetzt, der also das Loch in etwas engerem Lumen fortsetzt, der äussere wird möglichst weit nach unten, oft 100 Faden tief abgeschnitten, und der obere abgeschnittene Teil entfernt. Er kann wieder gebraucht werden, der untere Teil bleibt in der Erde. Das Messer zum Abschneiden des Rohres ist höchst sinnreich konstruiert, es besteht aus einem Rohr, in dessen Mantel 4—6 kuppelförmige Messer beweglich eingelassen sind. In dem Rohr läuft ein nach unten konisch 23 sich verjüngender Cylinder, dessen nach oben dicker werdendes Ende je weiter nach unten, desto weiter die Messer nach aussen drückt; durch Drehung des Rohres um die vertikale Axe wird der ganze Mantel des Bohrrohres rings durchschnitten. Sehr erschwert wird das Bohren durch die vielen unglücklichen Zufälle, die möglich sind. Risse müssen unter der Erde gelötet werden, das herunterfallende Lot muss aufgefangen werden, abgebrochene Meissel und Stangen müssen gefischt und heraufgezogen werden. Kunstvolle Apparate sind dazu konstruiert, teils zangenförmig, teils klappenartig, teils konisch geformt, sodass das dickere Ende das heruntergefallene Stück nach oben schiebt. Monate, ein Fall wurde mir erzählt von 18 Monaten, vergehen, bis ein abgebrochener Meissel gefasst wird. Man bedenke die Mühe und Kapitalverluste. Jahre vergehen, bis das Bohrloch die Naphtha- führende Schicht erreicht, das ersehnte Nass herausspritzt und durch seitwärts angebrachte Leitung in die Reservoire geführt werden kann. Das Schöpfen der Naphtha in diesen Bohrlöchern geschah früher nur mit Eimern, d. h. mit langen cylindrischen Pipetten, die an Seilen herunter- gelassen werden, gefüllt hochgezogen, mit leichtem Schwung über das Bohrrohr gehoben und in eine Rohrleitung entleert werden. Neuerdings haben amerikanische Ingenieure eine Schöpfweise mittelst komprimierter Luft eingeführt, die einen kontinuierlichen Fluss der Naphtha ermöglicht, Arbeitskräfte spart und verhältnismässig viel grössere Mengen fördert. Vom Bohrloch kommt die Naphtha in ein Reservoir, von hier in die Raffinerien der »Schwarzen Stadt«, und zwar von Balachany durch achtzehn mehrere Kilometer lange Rohrleitungen, die zum Teil frei auf dem Boden liegen und, vom Zuge aus gesehen, oft wie Riesenschlangen die Sand- hügel hinauf und herunter zu kriechen scheinen, von Bibi Eybat mittelst Dampfer, die die Bucht von Baku kreuzen. In den Raffinerien wird die Rohnaphtha in Kesseln auf 300° erhitzt, verdampft und durch Abkühlung kondensiert — die Heizung geschieht durch Naphtha, wie überhaupt alle Kesselanlagen, die Dampfer und Eisenbahnen mit Naphtha heizen — kommt dann als Benzin oder Petroleum in besondere Reservoirs, dann in eine Reihe übereinander liegende Reinigungskessel, in denen mittelst Säuren und Pottasche gereinigt wird. Aus dem Rückstand beim Destil- lationsverfahren wird Öl, Schmieröl etc. gewonnen. Nach der Reinigung kommen die Produkte in die grossen Reservoirs, von ihnen in die Dampfer und Waggons. Die langen Züge mit schier unendlichen Reihen von Röhren-Waggons voll Petroleum und mit dem charakteristischen Geruch sind eine typische Figur diesseits und jenseits des Kaukasus. Die Transportkosten hierbei sind sehr hoch, und man baut nun von Baku nach Batum quer durch Transkaukasien eine Röhrenleitung, um direkt das Petroleum dem Ausfuhrhafen des schwarzen Meeres zuzuführen und die Bahnkosten zu vermeiden. Reservoirs der Nobelschen Fabrik, 24 der grössten in Baku, findet man überall in Kaukasien wie in Trans- kaspien. Bei den vielen Zufällen, die das Risiko der Naphthaindustrie erhöhen, vergass ich die Entzündung von Bohrlöchern, die ein so impo- santes, aus Bildern uns allen bekanntes Schauspiel geben, ich habe es leider nicht zu Gesicht bekommen. Im Übrigen war aber der Besuch Balachanys, mit seinem Wald von Bohrtürmen, seinen unbeweglichen dunklen schwarzen Rauchwolken, die über ihm lagerten, wie über einem Höllenpfuhl, mit seinen Tausenden von fremdrassigen Arbeitern und einem überraschend lebhaften Vorortverkehr mit Baku in hohem Masse interessant. Ich kehre zu den Sehenswürdigkeiten Bakus zurück und habe noch eine nachzuholen, nämlich den Besuch der sog. ewigen Feuer. Dieselbe Bahn, die uns nach Balachany gebracht hat, fährt nach Osten in. der Richtung auf die Spitze Apscherons weiter bis Surachany, wo die Naphtha zum Teil so dicht unter der Erde liegt, dass ihre Gase aus dem Boden herauskommen und angezündet werden können; das sind die ewigen Feuer von Baku. Ein ärmliches Tatarendorf, deren Einwohner das dem Boden entströmende Naphthagas zum Kalkbrennen und Kochen verwerten, und eine Fabrik, die es zur Destillation von Naphtha benutzt, sind die wirtschaftlichen Stützen der Bahn; ich vermute aber, dass der Fremden- verkehr stark mit in Rechnung gezogen wurde, als man die Bahn hierher in diese gottvergessene Sandwüste verlängerte. Einige Minuten vom Bahnhofe nämlich erhebt sich der Tempel der Feueranbeter, der auf Kosten eines reichen Inders und mit Beihülfe der Regierung in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts errichtet wurde. Auf der Stelle selbst werden schon lange parsisch-indische Pilger in Hütten gehaust haben, um ihre Gottheit in Gestalt des reinen, der Erde unbefleckt ent- strömenden Feuers zu verehren, das jetzige Gebäude stammt aber erst aus neuerer Zeit und diente einmal diesen der Zoroaster-Religion ange- hörenden Kult, andererseits als Wohnung der Pilger und der dauernd dort bleibenden Einsiedler. Er hat seine Bestimmung nicht lange erfüllt. In den fünfziger Jahren lebten zehn Inder dort, in den sechziger nur noch fünf, und Radde traf 1870 nur noch einen dort, dessen Echtheit er noch dazu bezweifelte. Seitdem sind Tempel und Zellen verlassen, und die Feuer erloschen, aber als historisches Denkmal einer schönen und erhabenen Religion, der die Gedankenwelt des Menschen hier schon drei Nachfolger gegeben hat — Buddhismus, Christentum und Islam —, als Zeichen einer tiefen und überwindenden Frömmigkeit der letzten nach Indien geretteten Reste der Alt-Iranier verdient der Platz einen Besuch und einige Worte. Das Gebäude besteht aus einem rings von fensterlosen, festungs- artigen Mauern umgebenen Hof und einem in der Mitte des letzteren stehenden Tempel. Die Ostfront der Umfassungsmauer wird durch einen rechteckigen, zweistöckigen Turm unterbrochen, dessen Erdgeschoss zu 25 einem kielbogenförmigen Portal ausgeschnitten und mit einer Vorhalle versehen ist. Das Dach dieser letzteren bildet der Altan oder Balkon für das gefensterte Obergeschoss. An den Ecken des Daches läuft der Turm in Säulen aus, in denen früher das Gas emporgeleitet wurde, um oben angezündet zu werden. Die Hofmauern enthalten niedrige Zellen, denen eine bogenförmige Türöffnung Licht und Luft zuführt, ganz wie bei den Medressen Mittelasiens. Über den Türen sind Tafeln mit Sanskrit- Inschriften angebracht: Der Innenraum war früher, als die Einsiedler noch die Zellen bewohnten, mit blauem Lehmboden ausgestampft, enthielt einen kleinen Altar, ein ärmliches Lager, einige ebenso ärmliche Koch- geschirre und einige Löcher, aus denen die Flamme des Naphthagases hervorkam. Heute sind es völlig leere Kellerräume. In der Mitte des Hofes, auf dem einige Grabsteine herumliegen, steht das eigentliche Heiligtum, eine Kapelle, rechteckig auf quadratischem Grundriss, deren Boden über das Niveau des Hofes um drei Stufen erhöht ist, und deren Wände zu einem offenen Bogenportal ausgeschnitten sind. Das Dach ist flach, die Mitte von einer Kuppel überragt, an den vier Ecken mit Säulchen versehen, die wie am Hauptportal, ebenfalls hohl und für die Gasleitung und das Anzünden des Gases bestimmt waren. Es war 1870 beim Besuche des Grossfürsten Konstantin wohl das letzte Mal, dass diese Feuer gebrannt haben, heute wohnt hier nur die Erinnerung und die Verlassenheit, das Feuerelement lodert nicht mehr in göttlicher Freiheit empor über kniende und betende Büsser, es ist in Slavenketten gefesselt und treibt und kocht in jenem schwarzen Gefängnisse, das auf dem Bahnhofe von Surachany, wenige Schritte von dem Tempel, auf uns wartet, um uns nach Baku zurück zu bringen. Von Baku nach Krasnowodsk. Nach Erledigung meiner Kredit- und Empfehlungsbriefe eilte ich von Baku weiterzukommen. Die Schiffe nach Krasnowodsk, dem trans- kaspischen Hafen und Ausgangspunkte der mittelasiatischen Bahn, gingen damals täglich gegen Abend ab, um die 180 Seemeilen in etwa sechszehn- stündiger Fahrt zurückzulegen und gegen Mittag des folgenden Tages drüben anzukommen. Ich hatte mit dem Schiffe Glück. Die »Impera- triza« gehört zu den schnellsten und schönsten der sieben Dampfer, mit denen die Gesellschaft »Kawkas i Merkuri«e den Passagierverkehr auf dem Kaspi vermittelt, läuft 11 Knoten, ist mit guten Kabinen und grossem Salon versehen und lässt an Sauberkeit, Bedienung, Verpflegung nichts zu wünschen übrig. Letzteres hängt überall vom Kapitän ab. Der unserige war ein Esthe, der viel von der Welt gesehen, in der englischen Marine gedient und auf grossen Ozeandampfern gefahren 26 hatte. Seine Leute waren vorzüglich aufgezogen, die Kellner bedienten z. B. wie auf Hamburger und Bremer Schiffen, in weissen Handschuhen, Der Kapitän sprach deutsch — eine fremde Sprache wird neben der russischen verlangt — und war sehr unterhaltend, ich erinnere mich mit vielem Vergnügen, freilich auch mit manchem Lächeln, unserer Gespräche über Russland und Deutschland, und über die Verhältnisse in den beiden Ländern. Ausser ihm sprach auch der Schiffsarzt, ein Pole, deutsch, er fuhr hier bei grösstmöglicher Unbeschäftigtheit einige Zeit, um das zum Nachstudium in Berlin erforderliche Geld zu verdienen und sich dann in seiner Heimat niederzulassen. Die Vorschrift, Ärzte an Bord zu haben, ist die Folge des Auswanderer- und Pilgerverkehrs über Persien. Deutsch sprach endlich auch der einzige Kajüt-Passagier ausser mir, ein Petersburger Herr, der auf einer Geschäftsreise nach Turkestan begriffen war. Um 6 Uhr, noch während der Dampfer im Hafen lag, wurde zu Abend gespeist, reichlich und gut, nach der üblichen Sakuschka fehlten weder zur Suppe die russischen Fleisch-Pirogen noch hinterher die wundervollen kaspischen Fische. Das Getränk lieferten Rostower- und Astrachaner Bierbrauereien, wobei mir einfällt, das man damals in Baku ebenfalls mit der Anlage einer Brauerei begonnen hatte, nachdem neue Analysen des früher für ungeeignet gehaltenen Wassers günstig aus- gefallen waren. Gegen sieben Uhr verliessen wir Baku, das als ein Riesentheater von leuchtenden Sternen zurückblieb, und steuerten in die stürmische Nacht hinaus. Man hat auf dem Kaspi natürlich die vollkommene Ilu- sion des Ozeans, die Küsten verschwinden, dunkelgrün und einsam wogt die See, in tiefen Zügen buchten die Wellen, und hohe Schaumberge überstürzen sich in meilenlangen Rotten. Am Morgen tauchte am Horizont die asiatische Küste aus dem sonnenglitzernden Meer, eine zackige Felskette, in der das kaukasische Gebirge, das unterseeisch in südöstlicher Richtung über den Grund des Kaspi sich fortsetzt, wieder erscheint. Von dem Westende dieser »Kuba- Dagh« genannten Felskette geht in südöstlicher Richtung eine lange, schmale und flache Landzunge aus, die die Bucht von Krasnowodsk gegen das Meer abschneidet und schützt. Im Süden bildet eine Zunge der Insel Tscheleken mit der Halbinsel Dardshe einen zweiten Meerbusen, die Michael-Bucht, in dessen Tiefe eine Menge kleiner Sandinseln vorgelagert sind. Hier lag früher der Anfangspunkt der transkaspischen Bahn, auf der kleinen Insel Usun-Ada, die mit dem Festlande durch einen Damm verbunden worden war. Später führte man die Bahn 120 Werst weiter um den Balchan-Busen bis Krasnowodsk, da die Michaelbucht versandete und im Winter zeitweilig durch Eis gesperrt wurde. 27 Die neue Lage ist wesentlich günstiger, die genannten UÜbelstände sind ausgeschlossen. Die Stadt Krasnowodsk (Name = rotes Wasser, turkmenisch Kisil-Su) liest am Nordende der tiefen Bucht, deren Wellen durch jene erwähnte Landzunge wie von einer natürlichen Mole geglättet werden, am Südabhange eines ziemlich 300 Meter hohen Gebirgszuges, der sich im Bogen um einen Küsteneinschnitt herumlegt. Dadurch ent- steht ein natürlicher und geschützter Hafen, den der schroffe Abfall der Wände genügend austieft, um Schiffen auch grösseren Tiefganges das Anlegen am Bollwerk der kurz hinausgebauten Brücken zu ermöglichen. Landschaftlich übertraf der erste Eindruck meine Erwartung, die hier nur an Sand und wieder Sand gedacht hatte. Der vielzackige Gebirgskamm zeichnet malerisch bewegte Linien am dunkelblauen Himmel, die breiten Mauern der Felsen sind in tiefe und lange Klüfte zerrissen, die durchsichtige Klarheit des dunkelgrünen Wassers und das blendende Gelb des Porphyrgesteins wetteifern um den Sieg der Farbe, über beides strahlt die Frühlings-Sonne Wärme und Licht. Einige Wochen später freilich, und die Sonne spendet nicht Leben, sondern bringt den Tod. Tausendfach strahlt sie von den nackten Felswänden zurück und häuft in dem windfreien Kessel eine erbarmungslose Glut an, die auch Nachts nicht weicht, die Temperaturen von 40° schafft und alle Vegetation er- stickt. Mangel an Wasser und die Einwehungen des Sandes gesellen sich dazu und arbeiten an der Erhaltung dieser Öde mit. Beim ersten Anblick erscheint das Küstengebirge Krasnowodsks wie eine riesenhafte Festungsmauer, die von der Natur vor die Pforte Asiens gebaut ist, seine Schätze, sein Land und Volk zu schirmen. Der Wissende sieht aber, wie diese Mauer gen Norden leicht unterbrochen ist, und wie in die Lücke sich die unruhigen Sandfelder der Wüste vorschieben. Hinter den Bergen liegen nicht heitere Fluren mit schaffenden Menschen, ihre zwar malerische, aber abschreckende Wildheit schützt nicht friedliche und fruchtbare Felder, sie ist vielmehr das schreckliche Medusenhanpt der lebensleeren Wüste, die hier nach weitem Marsch von Osten her das Meer erreicht und mit tötendem Blicke uns entgegenstarrt. Unser Dampfer kam so rechtzeitig an, dass ich bis zum Abgang des Zuges noch vier Stunden Zeit hatte. Der fesselnde Rundblick über Stadt, Hafen und Ufergebirge, den man kaum besser als auf dem Schiffe finden konnte, und die anthropologischen Typen der Hafenarbeiter, die das Stückgut und die Salzsäcke löschten, die wir mitgebracht, hielten mich den grösseren Teil der Zeit an Bord zurück. Hier hatten der Kapitän und einige Zollbeamte, kaum dass das Schiff festlag, sich den Spieltisch zurecht gemacht und nahmen im Macao sich gegenseitig das Geld ab. Mir war die Landungsbrücke aber interessanter, auf der sich jenes bekannte geräuschvolle Leben entwickelte, das mit dem Löschen und Laden eines Schiffes in den Häfen des Südens immer verbunden ist. 28 Die Hafenarbeiter sind sogenannte Perser, rein persischer Abkunft aber nur zum Teil, zum anderen gemischt mit tatarischen Elementen, mittel- grosse und grosse, schlanke Gestalten mit dunkelgebräunten Gesichtern, mit schwarzem Bart- und Kopfhaar, dunklen Augen, gerader langer, zum Teil an der Spitze leicht gebogener, oder mehr breiter tatarischer Nase, schönen Zähnen, häufig rot gefärbten Fingernägeln. Die Kleidung, die bei den meisten rechtschaffen zerlumpt war, besteht aus verschnürten, an der Spitze hochgebogenen Sandalen, engen Hosen, einem halblangen Rock, der in der Taille durch einen Gurt festgezogen wird, unterhalb weiter wird, etwas absteht und in Rüschen fällt, sowie einer halbkugeligen Kappe aus keilförmigen, zu einem Stern aneinander genähten Streifen, deren Vereinigung oben von einer abschliessenden Rosette bedeckt ist. Unter der Kappe schlingen viele sich noch ein Tuch um den Kopf, auf dem Rücken tragen sie alle das eigentümliche, mit Stroh gefütterte huf- eisenförmige Keilkissen aus derben Stricken, das zum Tragen ihrer schweren Lasten so praktisch erscheint. Mit verblüffender Geschwindig- keit löschten die Leute z. B. die Salzsäcke: der Mann läuft an die Luke, beugt den Kopf, ein anderer wälzt ihm den Sack auf das Kissen, er läuft dann über die Brücke zum Wagen, stellt sich wieder ruhig hin, beugt den Kopf und zwei andere Leute schwippen den Sack über den Kopf auf den Wagen. Das geht reihenweise, im Trab oder Geschwind- schritt, ohne Aufenthalt, rascher als mit Krahn und Winde Man wird an das Laden des Kaffee in den brasilianischen Häfen erinnert. Der Verkehr im Hafen von Krasnowodsk ist bedeutend, vermittelt dieser doch fast den gesamten Warenaustausch Russlands und Turkestans. Später wird die Orenburg-Taschkenter Bahn einen grossen Teil über den Landweg leiten und vieles von dem, was heute auf der Wolga und mit der kaukasischen Bahn geht, mit Vermeidung der mehrfachen Um- ladung direkt befördern. Die Bedeutung Krasnowodsks bleibt aber in der Richtung auf die Linie Baku-Batum und damit auf den Westen, auf Europa und auf die grossen internationalen Wasserstrassen, sowie für den Handel mit Persien, gehe er über Aschabad oder über den Kaspi, bestehen, ja, sein Verkehr wird sicherlich immer noch zunehmen, und in dieser Perspektive erscheint die rechtzeitige Verlegung des Hafens von Usun-Ada nach dem grösseren, sicheren und auf die Dauer ausreichenden Busen von Krasnowodsk doppelt wichtig und richtig. Der Bahnhof ist in Krasnowodsk nur wenige Schritte vom Anlege- platz der Dampfer entfernt, ein stattliches Backstein-Gebäude mit breiter Plattform davor, von der grosse Freitreppen zum Bahnsteig hinunter- führen. Hier spazieren zu gehen und die Passagiere der täglich je einmal ankommenden und abfahrenden Züge zu sehen oder Bekannte unter ihnen zu suchen, ist vielleicht die einzige Abwechselung der Gesellschaft von Krasnowodsk. 29 Die Reisenden unseres Zuges bestanden aus Offizieren, Beaınten, Soldaten, die versetzt waren oder von Urlaub zurückkehrten, aus Persern, die von Baku herübergekommen waren und über Aschabad in ihre Heimat eingen, aus meinem Reisegefährten der ersten Schiffsklasse, der Zahn- zangen und Heftpflaster verkaufen, und mir, der alte und neue Kleider, altes Geschirr und was sonst immer zu finden war, kaufen, alte Steine, Scherben und dergleichen suchen wollte. Wir beide gewannen ein Abteil für uns, das nur den Fehler hatte, ungeheizt zu sein, und darum gegen Abend, als die Wärme des Tages einer höchst empfindlichen Kälte Platz machte, recht ungemütlich wurde. Der Schaffner feuerte dann allerdings seinen komplizierten Ofen an, der am Ende des Waggons in einer kleinen Abseite aufgestellt war und mit Wurzeln oder Holz gespeist wurde, aber es dauerte lange, bis die Wärme überallhin kam, und der lästige Rauch, der das Anheizen begleitete, verflogen war. Im allgemeinen möchte ich den Einrichtungen der mittelasiatischen Bahn das Lob, das sie verdienen, nicht vorenthalten. Die Wagen erster Klasse sind durchweg: tadellos, ebenso sauber und bequem, wie in Russ- land selbst. Ich habe in ihnen viel lieber übernachtet, als in den Hotels. Diejenigen zweiter Klasse freilich stehen sehr zurück, die Polster sind hart und die Bänke schmal, die Sauberkeit mangelhaft und das Publikum gemischt, besonders von Merw und noch mehr von der bucharischen Grenzstation Tschardschui ab. Die Wagen sind auch wenig gleichwertig. Man kann es gut treffen und Tage lang sich des Alleinbesitzes eines abgeschlossenen Coupe’s erfreuen, man kann aber auch in einen offenen Durchgangswagen geraten, deren Parfum nicht zu denen gehört, an die unsere Nasen gewöhnt sind oder sich leicht gewöhnen können. Ich sah in Samarkand eine Judenfamilie nach Aschabad, glaube ich, fahren, die ein Coupe für sich hatte. Die Frau war von einer wundervollen biblischen Schönheit, ein lebender Beweis für die Annahme, dass die Juden Tur- kestans noch von den vor unserer Zeitrechnung durch assyrisch-baby- lonische Könige nach Mittelasien verschleppten alten Kanaanitern abstam- men. Die Familie vertrieb sich die Zeit mit unaufhörlichem, eintönig plärrendem Gesang, an dem sich Mann wie Frau beteiligte. Wen sie damit noch nicht verjagt hatte, den verscheuchte sie durch einen wider- liehen Geruch nach scharfen Gewürzen, der wie eine Wolke um sie herum lag. An ähnlichen Gerüchen muss man vorüber, wenn man durch den Zug hindurchgeht, um zum Speisewagen zu gelangen, und dabei Coupe&s berührt, in denen sich Perser und sonstige Orientalen eingenistet haben. Nasen zu! heisst die instinktiv befolgte Parole, halberstickt erreicht man die luftige Plattform. Will jemand zweiter Klasse fahren, so sei ihm jedenfalls empfohlen, Nichtraucher zu sein, da die Bahn verpflichtet ist, ein Nichtraucherabteil im Zuge zu führen, und es einen russischen Nichtraucher kaum gibt. 30 Probatum est. Ich war übrigens erstaunt, zu sehen, wie viel die zweite und wie wenig die erste Klasse benutzt wurde, Offiziere, sogar mit Familien, fuhren zweiter, ihre Uniform öffnete ihnen wohl Sondercoupes, und das Gepäck war, wie bei allen Russen, und hier ganz besonders und in vergrössertem Massstabe, reich mit Kopfkissen und Decken be- dacht, sodass die Härte des Lagers ausgeglichen werden konnte. In der ersten Klasse sitzt, liegt, schläft und wohnt es sich ausgezeichnet. Da die Züge vom Anfangspunkte der Bahn bis zum Endpunkte durchfahren, diese Fahrt von Krasnowodsk bis Taschkent 3'/, Tage und Nächte dauert und zum Teil durch Einöden der schlimmsten Art, durch menschenleere Wüsten und Steppen führt, so musste man für die Ver- pflegung der Reisenden im Zuge selbst sorgen. So nimmt jetzt jeder Zug einen Speise- und einen Küchenwagen mit. Unter jenem darf man sich freilich keinen Speisewagen der Internationalen Gesellschaft vor- stellen, er besteht aus einem Güterwagen mit Fenstern, meist mit einem langen Tisch in der Mitte, bei anderen mit mehreren kleinen Tischen an den Fenstern, den nötigen Stühlen, einem Buffet und einem Anrichte- tischehen, aber er genügt vollständig, die Verpflegung ist gut, namentlich auf der Hinreise mit ihrem frischen Caviar und Fischvorrat, die Bedie- nung, wie in Russland, scheint’s, überall, aufmerksam und zuvorkommend, auch hier in Asien wird man niemals das beim Bezahlen der Rechnung herauszugebende Kleingeld anders als auf einem Teller gereicht bekommen, die Preise sind mässig, alles in allem, man kann es gut aushalten. Drollig und in mancher Beziehung für den russischen National- charakter bemerkenswert ist das Durcheinander der Gesellschaft in diesem Speisewagen. Da sitzt der schmierige subalterne Bahnbeamte neben dem Stabsoffizier, ein afghanischer Prinz neben einem Turkmenenjüngling, Damen in bequemer Toilette neben langärmeligen Sarten, und die wieder neben schleppenden Popen. Völkergemisch und demokratischer Sinn des Russen spielen miteinander ihre Rollen. Vanbery schreibt über die Hadschis seiner Karawane: »wie würden diese Leute in einem weich- gepolsterten Ersten -Klassen-Coupe oder in einem Gasthof ersten Ranges sich ausnehmen? Wie unendlich weit sind die Vorzüge der Civilisation noch von diesen Ländern«. Nun, die Zeit schritt rascher, als er glauben konnte. Man darf heute — nach dreissig Jahren — eher darüber erstaunt sein, wie leicht die Leute sich an unsere modernen Verkehrs- mittel gewöhnt haben, wie leicht im Grunde vieles von dem anzueignen ist, was wir als Form und Sitte so hoch einschätzen. Die Fahrgeschwindigkeit der Bahn ist nicht gross. Auf nicht ganz 2000 Kilometer braucht sie über 80 Stunden. Verspätungen sind nicht ungewöhnlich, gegen früher aber seltener geworden und werden auch, was in den ersten Jahren nicht der Fall war, zuweilen wieder eingeholt. 31 Die Stationsgebäude sind alle sehr einfach, aus Stein einstöckig gebaut, mit plattem Asphalt-Dach. Neben ihnen liegt stets ein kleines Gärtehen mit Fontänen, denen das Wasser aus Brunnen oder in Röhren- leitungen vom Gebirge zugeführt wird, oder mit den Reservoirs für das in grossen Kübeln auf der Bahn herbeigeschaffte Wasser, das an die Orte ohne Quellen oder Leitungen abgegeben wird. Ausser dem Hauptgebäude gehören zu den Stationen Kasernen für die Arbeiter und die Gendarmen, sowie Wohnhäuser für die Beamten. Auf kleinen Wüstenposten bestehen diese noch vielfach, wie im Anfang fast alle, aus Astrachaner Holzhäusern. Die innere Einrichtung ist über- all einfach, aber ausreichend, die grösseren Stationen haben leidliche Wartezimmer mit einem Buffet, das einige kalte Speisen und eine warme Fleisch- oder Kohlsuppe vorrätig hält, der Bahnhof von Taschkent einen grossen Wartesaal im europäischen Sinne. Auf den kleineren halten die Frauen der russischen Beamten einen Samowar, ein paar Eier, etwas Brot und Milch auf dem Bahnsteig feil. Sehr primitiv sind die Billetschalter oder vielmehr der Billetschalter. Es gibt nämlich nur einen und die ganze Reisegesellschaft aller Klassen muss vor diesem einen Queue bilden, man müsste also zwischen Sarten, Turkmenen, Persern, russischem Volk, zwischen all dem Schmutz und dem Geruch der Ganz- und Halborientalen sich drängen, wenn es nicht, soweit ich sah, allgemein üblich wäre, dass die Reisenden erster und zweiter Klasse sich ihre Fahrkarte durch die Gepäckträger besorgen liessen. Übrigens ein Kapitel über die Ehrlichkeit in Russland für die Leute, die da meinen, es würde da nur immer so gestohlen und geräubert. Ich gab dem Träger zuweilen 20 Rubel, um eine Fahrkarte zu besorgen, nicht ein einziges Mal habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, obwohl es ein leichtes für den Mann gewesen wäre, im Gewühl des Bahnhofs, im Dunkel der Nacht, im Gedränge der wenigen Minuten des Aufent- haltes zu verschwinden und den Fremden zu prellen. Ein Zug fährt nur am Tage, schliesslich büsste man lieber das Geld ein, statt den Zug über die Verfolgung des Mannes zu verpassen. Stets aber bekam ich recht- zeitig und richtig Karte und Geld. Der schon im europäischen Russland fühlbare Übelstand der weiten Entfernung der Stadt vom Bahnhofe macht sich in Turkestan noch stärker bemerkbar. Vier, fünf, ja sechs Kilometer hat man bis zum Hotel zu durchfahren, in einem Wagen, der den Mangel an Reinlichkeit durch rasche und sichere Bewegung ausgleicht. Und das ist bei dem fürch- terlichen Zustande der Strassen, die entweder im Morast versinken oder in Staub sich aufzulösen scheinen, keine Kleinigkeit. Ich denke noch mit dankbarem Herzen der Geschicklichkeit meiner Kutscher, die mir niemals eine Bekanntschaft mit dem Strassenkot verschafft hat, die weiter- ging, als dass ab und zu ein Gummischuh stecken blieb, oder dass man 32 aus Versehen beim Überschreiten der Strasse einmal zu kurz trat und in den zur Seite der Fusswege aufgehäuften Schlammmassen bis zum Knöchel versank. Die Verwaltung der Bahn war bis vor kurzem eine militärische, heute ist sie dem allgemeinen Reichseisenbahnnetz eingefügt. Die Bahn- arbeiter sind noch Soldaten der zwei Eisenbahnregimenter, die in Turkestan garnisonieren, oder gewesene Soldaten, aber die Schaffner, Oberkonduk- teure usw. unterscheiden sich nicht von ihren Kollegen im Reich. Die Zweigbahn von Neu-Buchara oder Kagan nach Buchara, die seit einem Jahre das einst dem Nichtmuselmann absolut unzugängliche Zentrum des Fanatismus und Despotismus dem Weltverkehr angliedert, gehört dem Emir, steht aber unter russischer Verwaltung. Der Bau der transkaspischen oder mittelasiatischen Bahn, über den einige geschichtliche Bemerkungen bier am Platze sein dürften, wurde 1880 begonnen. Nach den Niederlagen der Russen durch die Turkmenen im Jahre 1879 beauftragte man den General Skobelew mit einer neuen Expedition. Der verlangte zuvor den Bau einer Bahn vom Kaspi bis zum Anfang der Achal-Tekke-Oase, um den Aufmarsch der Truppen erleichtern und eine gesicherte Rückzugslinie zu schaffen. Die Forderung wurde bewilligt, und der Bahnbau unter General Annenkow begonnen. Der Skobelewsche Feldzug endete dank der Tapferkeit und Kühnheit des bekannten Reitergenerals schon vor der Fertigstellung der Bahn siegreich, Teilstrecken dieser dienten aber bereits während der Kriegsoperationen Ende 1880 zu Truppentransporten. Anfang Mai 1881 war der Turkmenen- krieg beendet, die Bahn bis kurz vor Kisil-Arwat fertig. 1885 wurde Aschabad erreicht, 13886 Merw, Dezember desselben Jahres Tschardschui am Amu-Darja oder Oxus, die Grenze des Emirats Buchara. 1887 baute man innerhalb vier Monate über den Fluss die fünf Kilometer lange hölzerne Brücke, die jetzt durch eine eiserne ersetzt ist, im Mai 1888 war die Bahn bis Samarkand fertig. In den neunziger Jahren folgte die Fort- setzung nach Taschkent und die Zweiglinie nach Kokand, Marghelan und Andishan, von hier aus sind es nur noch 200 Kilometer bis zur chinesischen Grenze. Ausserdem wurde von Merw die Zweigbahn nach Kuschka an der afghanischen Grenze, am Murghab-Fluss aufwärts gebaut, die rein strategischen Aufgaben dient und als Operationsbasis Russlands gegen Afghanistan und Indien gelten darf. Sie ist für Europäer unzu- gänglich. Ungezählte Kriegsvorräte, namentlich vollständige Parks von Feldeisenbahnen sollen hier lagern, mit denen in kürzester Frist Herat erreicht und darüber hinaus vorgedrungen werden kann. Der Bau der transkaspischen Bahn war bei der Eigenart des Ge- ländes, infolge von Hitze und Wassermangel mit grossen Schwierigkeiten verbunden, seine Durchführung, seine Vollendung in so kurzer Zeit, seine Billigkeit müssen unser Staunen und unsere Bewunderung erregen. 33 Als der ärgste Feind zeigte sich gleich im Anfang der Strecke der Flug- sand, der fast täglich seinen Platz wechselte, keine Schwellen und keine Schienen trug, ohne Busch oder Wald, ohne jeden Halt also den un- geeignetsten Boden für die Geleise abgab. Man befestigte ihn durch Be- giessen mit Seewasser und Anfahren von Lehmboden. Ausserdem legte man Zweige der Wüstenpflanze Saxaul hinein, besäte den Damm mit geeignetem Material, mit Saxaul, Tamariske, wildem Hafer, bepflanzte auch die weitere Umgebung- der Stationen, wo angängig, mit Millionen von jungen Bäumchen, endlich richtete man Schutzwände gegen die Sand- verwehung längs des Geleises auf. Über die Kraft der Sandstürme berichtete noch jüngst Prof. Walter auf Grund seiner Beobachtungen auf eben dieser Strecke. Er erzählt, dass eine neue Lokomotive unserer Eisenbahn nach Durchfahren des Wüstengürtels zur Zeit eines Sandsturmes »wie mit Schrot beschossen aussah, ihrer prächtigen neuen Lackschicht völlig entkleidet war.« Der 4 mm dicke Telegraphendraht wird durch den Sand keilförmig zuge- schliffen und endlich durchgerieben. Die Lokomotiven der Bahn werden mit Naphtha geheizt, die Küchen- wagen, die Personenwaggons mit Wurzeln; die Beleuchtung geschieht so primitiv wie in Russland durch Kerzen in der Wand der Abteilungen. In den ersten Jahren verkehrten zwischen dem Kaspi und Taschkent nur zwei bis drei Züge in der Woche, heute fährt täglich ein Zug in jeder Richtung, zwischen Tschardschui und Taschkent, wie zwischen Tschernjajewo und Andishan läuft ausserdem noch ein zweiter, ein Güterzug, dem einige Waggons dritter Klasse und einer zweiter Klasse angehängt sind. Er kommt nur für den Lokalverkehr, der in diesen reich angebauten Gegenden sehr bedeutend ist, in Betracht. Ich habe ihn ein- mal durch Zufall benutzen müssen, aber eine fürchterliche Nacht in ihm zugebracht, und empfehle unter allen Umständen, sich an den einen von Krasnowodsk nachmittags abgehenden Durchgangszug zu halten. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen kehre ich zu meiner eigenen Fahrt zurück. Von Krasnowodsk nach Merw. Mit leidlicher Pünktlichkeit verliessen wir Krasnowodsk. Die Bahn läuft das Nordufer des tief ins Land einschneidenden Balchan-Busens in südöstlicher Richtung entlang. Das Meer, von dem ein glitzerndes Blau herüberspiegelt, schmiegt sich in weiten flachen Buchten an ein sandiges Vorland, das mit kurzem Kraut bestanden ist. Die struppigen Büschel sehen aus, wie ein Heer von Igeln, das über die öde gelbe Fläche mar- schiert. Zur Linken steigen die gelben nackten Wände des Ufergebirges steil empor, ihre Abhänge sind in tausend Rinnen und Risse zerklüftet, 3 34 in denen Kamele dürftiges Futter suchen, und ihr Kamm zieht eine fort- während sich unterbrechende Linie, die am fahlen mattgelblichen Himmel zu wirkungsvoller Silhouette sich abzeichnet. Namentlich der rückwärts gewendete Blick wird durch die Schönheit und Grösse der Bildungen überrascht, da der Bogen, in dem die Bahn das Ufer umzieht, die Per- spektive verkürzt und die Bergkette zu einer mächtigen Felsmasse zu- sammenschiebt, von der die Zacken, Kuppen und Firste herausragen, wie die gebrochenen Säulenstümpfe einer Ruinenstadt. Am Ende des Balchan-Busens verlässt die Bahn das Meer, das von den weiten Sandwüsten der Halbinsel Dardshe mit ihren Wanderdünen verdrängt ist, umzieht den grossen Balchan, indem sie eine mehr östliche Richtung einschlägt, durchquert den Einschnitt zwischen grossem und kleinem Balchan, durch den früher der Amu-Darja dem Kaspi zugeströmt ist, und der heute den westlichsten Ausläufer der Wüste Kara-Kum dar- stellt, und gewinnt den Nordrand des Balchan. Lange Wälle von Ketten- sand bezeichnen das südöstliche Ufer des grossen aralo-kaspischen Meeres, das hier einst in der pliocänen Erdperiode bestanden hat. Durch tote Lehm- steppen, die sich selten durch eine Schafherde oder ein paar weidende Kamele beleben, an einsamen Stationen vorüber, in denen die Weltab- geschiedenheit ihr Heim aufgeschlagen, wendet sich der Bahnkörper den nordwestlichsten Ausläufern des Kopet-Dagh zu, der bereits zum Gebirgs- System des Thian-Schan gehört. Er verdankt seine Entstehung Hebungen über die Meeresfläche zur Kreidezeit, besteht in der Hauptsache aus Kalkstein und bildet zwei Parallelketten, die durch tiefe Längstäler von einander geschieden sind. Man kann schon von der Bahn aus die kulissen- artig voreinander gestellten Bergzüge unterscheiden. Der südlichere ist der höhere, 1000 bis 1500 Meter, er war um diese Zeit schneebedeckt; der nördliche ist niedriger, ebenfalls kahl und fällt steil gegen die Ebene ab. Hunderte von Kilometern behält die Bahn dieselbe südöstliche Richtung längs des Nordrandes des Gebirges bei, ohne dass das land- schaftliche Bild sich wesentlich ändert. Den südlichen Horizont begrenzen die Ketten des Kopet Dagh. Auf seinen Höhen schaffen die Schneelager, in seinen Schluchten die Wolkenballen lichte Gegensätze zum grauen Gestein. An seinem Fuss zieht sich ein ca. 20 Kilometer breiter Streifen anbaufähigen Landes, geologisch aus Löss äolischen Ursprunges bestehend, hin, den die nordwärts abfliessenden Bergwässer geschaffen haben, die Oase der Achal-Tekke-Turkmenen. Im Norden schliesst sich spärlich bewachsene Steppe an, und daran wieder die Sandwüste, soweit das Auge reicht, ohne Ende und ohne Lücke. Veränderlich ist nur der Charakter der Steppe, die bald mehr aus Sand, bald mehr aus Lehm besteht, bald Salzsteppe ist, deren Furchen wie mit weissem Reif überstreut erscheinen, und die dauernd selbst dem Wissenden die Illusion unterhält, es sei 35 Schnee gefallen. Das Salz des Bodens entstammt noch der aralo-kaspischen Zeit. Der eindringende Regen löste es auf, gelöst steigt es kapillar an die Oberfläche, wo es nach Verdunsten des Wassers zurückbleibt. Über der Steppe liegt schwer und kalt die Hand der Einsamkeit. Zwischen Bergen und Wüsten eingezwängt, wagt sie in Todesangst kaum zu atmen. Selten findet das "Auge einmal etwas Anderes als diese tote Trias von Berg, Steppe und Wüste. In der Ferne steigt einmal über einer kurzen Kette von schwarzen Punkten Rauch empor, ein Turk- menendorf, das sich unter den Schutz der Berge zurückgezogen hat. Am Bahndamm hockt eine Gruppe von Männern in langen Schlafröcken und riesigen Pelzmützen, eine Karawane von vier oder sechs aneinander gebundenen Kamelen, deren vorderstes mit dem Leitesel vertaut ist, schiebt sich langsam quer über die Szene. Das Gebirge fällt im nordwestlichen Teile ganz auf russischen Boden, später bildet es die Grenze zwischen Russland und Persien, seine Täler waren die Pforten, durch die jahrhundertelang die Turkmenen auf ihren berüchtigten Raubzügen und Sklavenjagden in Persien ein- brachen. Je weiter wir nach Südosten vordringen, desto mehr macht die Futtersteppe dem Kulturlande Platz und desto dichter häufen sich Spuren dieses ethnographisch und historisch so interessanten Volkes. Die Turkmenen wohnen in Filzjurten, die zu Dörfern oder Aulen vereinigt sind, seltener in persischen Lehmhäusern oder in Erdlöchern. Diese Aule liegen teils frei in der Steppe, teils innerhalb viereckiger, rinsförmiger oder ovaler Höfe aus Lehmmauern in der Nähe von Brunnen und Wasserläufen und im matten Schatten einiger Weiden und Pappeln. Ebenso sind Weideplätze und Obstgärten zuweilen von ähnlichen Lehm- hürden umschlossen, weiter macht man aus ihnen Bassins zum Auffangen von Regenwasser, und zwischen Lehmwällen laufen auch die Wasser- gräben, durch die man künstlich die Fruchtbarkeit der Oase erhöht. Weizen und Futterkräuter sind die hauptsächlichsten Objekte des Feld- baues. Da die Turkmenen oft ihre Weideplätze wechseln oder im steten Wechsel zwischen Winter- und Sommerweiden hin- und herziehen, so sieht man viele verlassene und zerfallende Umwallungen von Lehm. Für die Kriegszeiten gibt es besondere Verteidigungswerke, in die sich die Stämme mit ihren Jurten und ihrer ganzen Habe zurückziehen ; sie haben festungsartiges Aussehen, werden an den Eingängen von Türmen, an den Ecken von Bastionen flankiert, sind von Gräben umzogen und mit Ausfalltoren in den Seitenmauern versehen. Auch sie sind aus Lehm, dem natürlichen Baumaterial des Landes, auch sie verfallen nun, nach- dem die russische Zeit sie wertlos gemacht hat, wie die Ringwälle, Aus- gucke und Wachttürme, die man zu Tausenden in Transkaspien sieht. Ein dritter Feind ist die Natur, die Zerstörungswut der unerbittlich g* 36 vordrängenden Sandwüste, die manche volkreiche Siedelung mit ihrem umgebenden Kulturlande verschüttete oder ihrer Existenzfähigkeit beraubte. Alle diese grauen leeren Lehmbauten, deren Trümmer von ver- gangenen Geschlechtern und Zeiten, von jahrtausendalten Kämpfen uralter Rassengegensätze Zeugnis ablegen, sie sind die charakteristische düstere Staffage der Turkmenen-Länder. Die grösste und berühmteste Turkmenenfestung ist Geok- Tepe, unweit der Eisenbahnstation gleichen Namens. Sie war der Sammel- und Stützpunkt der Achal-Tekiner im letzten entscheidenden Feldzuge von 1880/81, mit ihrem Fall war die Unterwerfung der Oase besiegelt. In der Geschichte turkmenischer Tapferkeit füllt die Verteidigung Geok-Tepes eines der ruhmvollsten Blätter. 19 Tage lang widerstand sie der regelrechten Belagerung Skobelews, obgleich die aus 100 Kanonen unterhaltene Beschiessung furchtbare Verheerungen unter den im ganzen 35000 Menschen anrichtete, die innerhalb der Festung zusammengedrängt waren. Heyfelder berichtet, dass man gegen 7000 Menschenleichen, eine ungezählte Menge von Tierkadavern, ausserdem aber Kirchhöfe mit Hunderten von frischen Gräbern innerhalb der Mauern fand. Am 12. Januar endlich war soweit Bresche geschossen, dass Skobelew den Sturm befahl, bei dem dann noch Tausende von Tekinern erschlagen wurden. Die Festung besteht aus einem viereckigen Wall von ungefähr 4 Meter Höhe und 6—10 Meter Dicke, aus Lehm aufgeführt und stark im Verfall. Das Innere ist öde und leer, mit spärlichem Futterkraut bestanden. Den Haupteingang, der gerade gegenüber der Bahnstation liegt, hat man neuerdings restauriert, vor ihm ist ein kleines Museum errichtet, dass eine Waffensammlung, ein grosses Gemälde, die Erstürmung der Festung darstellend, Photographien und sonstige Beziehungen zum Turkmenenfeldzuge, sowie eine lebensgrosse Figurengruppe, ein Turkmene und ein russischer Soldat in Panoptikum -Kampfstellung, enthält. Vor dem Hause sind einige Geschütze damaliger Zeit aufgepflanzt. Der Zug hält lange genug, um Museum und Festung besichtigen zu können, die ganze Reisegesellschaft stürzt natürlich eiligst hinein, voran die Soldaten, aber auch die Turkmenen betrachten mit Interesse und Neugier die Stätte und das Denkmal ihrer Niederlage. Nichts, keine Bewegung der Augen oder der Mienen verrät, dass der Anblick Empfin- dungen von Trauer, Hass oder Hoffnung auslöst, sie haben die Geschichte von tausend Jahren in zwei Dezennien vergessen und sind ruhige, fried- liche und zufriedene Freunde des neuen Systems geworden. Von ihnen droht keine Gefahr. Ja, sie sind so bis in den Grund in die neuen Verhältnisse hineingewachsen, dass Russland aus ihnen organisierte Truppen, eigene Turkmenenregimenter mit turkmenischen Offizieren bilden konnte. 37 In Geok-Tepe und den übrigen Stationen. der Strecke war Gelegen- heit, den turkmenischen Typ kennen zu lernen. Die unbestimmbar lange Mischung mongolischen und arischen Blutes, die vielleicht schon in den eingewanderten, dem Turkstamme angehörigen Turkmenen bestand und in den heutigen Sitzen, die von alters her die Berührungslinien turkomanischer und arischer Rasse waren, durch persische Tropfen noch vermehrt wurde, prägt sich in den Gesichtszügen der Leute aus. Man sieht mongolische und- arische Gesichter, gerade grosse Nasen neben breiten und selten auch leicht jüdische Nasen. Die hohe Gestalt der Männer, ibre stolze Haltung, ihre braunen Gesichter unter der Riesen- Pelzmütze, die grossen, schwarzen, fremdblickenden Augen, ihre aus langem Chalat, Hosen und unförmlichen Schuhen bestehende Kleidung machen aus dem Turkmenen Erscheinungen, die nicht blos dem ersten Blick auffällig und interessant sind, sondern auf die Dauer wirkungsvoll bleiben. Drollig machen sich die Kleinen, deren Gesicht unter der mächtigen Zottenmütze kaum zu finden ist. Wenn kleine Kinder Kleidungsstücke von demselben Schnitt wie die Erwachsenen tragen, so bringt das immer eine Komik hervor, die der verkleinerte Massstab durchaus nicht abschwächt, ich erinnere mich da an die Krakauer Juden- knaben in hohen Stiefeln, langem Kaftan, Cylinder und Regenschirm, an die Eton’schen Schuljungen mit ihren Cylindern und an die unterste Klasse unserer Kadettenhäuser. So putzig stattet auch die Turkmenen- kinder ihr wunderliches Gemisch von Kindlichkeit und nachahmender Würde aus, der Kontrast zwischen Körpergrösse und Bekleidung. Eine Stunde hinter Geok- Tepe, nach 20 stündiger Fahrt von Kras- nowodsk, erreicht die Bahn die Hauptstadt Transkaspiens, Aschabad, eine aufblühende Stadt von 20000 Einwohnern, einschliesslich der 4—5000 Mann der Garnison, Konzentrationspunkt für die Turkmenen der Achal- Tekke-Oase und ihren fortschreitenden Getreide-, Reis, Baumwollbau, und Zentrum des Handels mit Persien. Sie liegt unweit des Fusses des russisch -persischen Grenzgebirges, dessen schneeleuchtende Höhen in die Strassen hineinschauen, ist nach russischer Art weitläufig gebaut, breite, mit Bäumen eingefasste Strassen, jetzt im Frühjahr unergründ- lichen Schlammes voll, durchziehen sie, die Bürgersteige sind erhöht, in einzelnen Strassen gepflastert, in anderen sogar mit Platten belegt, die Häuser einstöckig und schmucklos.. An öffentlichen Bauwerken besitzt die Stadt ausser der Kaserne und dem Verwaltungsgebäude eine Bibliothek und auf einem grossen freien Platze eine russische Kirche in merkwürdigem profan-sakralem Mischstil, wie man ihm nicht selten in Russland begegnet. Wären die goldenen Zwiebelkuppeln des einen Giebels nicht, so könnte man das rechteckige Gebäude mit den modernen Fenstern und dem einem schlechten Villenstil entlehnten Pyramidenturm für eine Turn- halle, Kanzlei oder sonst etwas derartiges halten, Vor der Kirche steht 38 ein einfaches Kriegerdenkmal für die im Turkmenen -Feldzuge Ge- fallenen. Die Bibliothek enthält ausser einer, wie ich hörte, gut besuchten Lesehalle ein ethnographisches Museum, das von Herrn Hofrat Ahnger, meinem hülfreichen Förderer, mit Mühe, Sorgfalt und Verständnis zu- sammengebracht worden ist. Nirgends empfand ich lebhafter als hier, wie wertvoll völkerkundliche Sammlungen innerhalb derselben Volks- einheit und auf demselben Boden sind, denen ihr Inhalt entstammt. Sie machen unsere Museen mit internationalen Sammlungen natürlich nicht hinfällig; nicht jeder kann in alle die Länder reisen, die ethnographische Werte schaffen, und die wissenschaftliche Forschung bedarf geradezu der Konzentration, aber viele ihrer Aufgaben erfüllt die Sammlung entschieden da, wo sie weniger völkerkundlich als volkskundlich sein kann, wo sie in ihrer nationalen Umgebung gewissermassen zu Hause ist, wo sie das, was sie in ihren Wänden umschliesst, unmittelbar angliedert an das, was wir vor ihrer Tür mit den eigenen Augen lebendig noch vor uns stehen sehen und den direkten Vergleich erlaubt zwischen dem Heute und dem Gestern, zwischen dem gestern Gestorbenen und dem morgen dem Tode Verfallenden. In diesem Sinne war mir die kleme Sammlung turkmenischer Ethnographie in der Bibliothek sehr von Wert. Aschabad ist eine neue russische Stadt. Besondere Eingeborenen- Viertel besitzt es also nicht, ebensowenig orientalische Bazare.. Dagegen zeugen die zahlreichen Magazine der Hauptstrasse von dem lebhaften Warenaustausch, der hier stattfindet, und dessen Vermittlung vorzugs- weise in den Händen von Persern und Armeniern liegt. Persische und tekinische Teppiche, persische Waffen und Geschirre waren, was mich von dem Feilgebotenen am meisten interessierte. Aus Vorsicht liess ich es anfangs beim Besehen und beim Feilschen und sparte mir das Einkaufen für die Rückkehr als die Zeit grösserer Erfahrung auf. Ausser jenen beiden Vertretern Vorderasiens nahmen natürlich Turkmenen die Vorzugsplätze im charakteristischen Strassenbilde Aschabads ein, sie wohnten in benachbarten Aulen, kamen aber zu Fuss, zu Pferde, zu Esel und zu Kamel in die Stadt, um einzukaufen oder zu verkaufen, Waren zu holen oder zu bringen. Der langsame, breit tappende Schritt der grossäugigen, klugblickenden Kamele, die Züge mehrerer hintereinander gekoppelter Tiere mit dem führenden Leitesel, Pferde und Esel mit je zwei erwachsenen Reitern, lange alte Herren in weissen, ehrwürdigen Bärten auf kleinen Reiteselchen, wandernde Fami- lien, deren Zug vom Leitesel eröffnet wird, während der Mann zu Pferde folgt und ein Kamel an der Leine führt, auf dem über dem hoch- gepackten Hab und Gut die Frau hockt, das waren so die Strassenbilder, die dem Neuling im Asien die erste ethnographische Neugierde stillten. Ja, die Gewöhnung. Am ersten Tage der Bahnfahrt durch die Wüste 39 war jedes Kamel ein Ereignis, jede Turkmenenmütze liess mich vom Sitz aufspringen, jede Karawane suchte man möglichst lange mit den Blicken zu verfolgen. Wie bald sah sie das Auge nicht mehr, wie bald hatte es sich an die fremde Landschaft gewöhnt, nach der es sich gesehnt, und an die malerische Staffage in ihr, die es mit gespannter Erwartung gesucht. Doch halt, das Auge stumpfte nur gegen die Über- raschung, gegen die Neugier und gegen den ästhetischen Eindruck ab, nicht gegen die Erscheinung selber, diese vielmehr lernte es tiefer zu erfassen, es lernte zu vergleichen und zu urteilen, es lernte zu sehen, statt anzusehen. Wie gerne hätte ich für diese natürliche und Erfolg versprechende Entwicklung Monate zur Verfügung gehabt! Neu waren mir hier auch noch die in einem uns fremden Mass- stabe ausgedehnten Kirchgänge der Soldaten. Ich habe wohl jeden Tag auf der Reise, und zwar Morgens wie Abends geschlossene Züge in die Kirche führen sehen, in Aschabad hatte ich die Beobachtung leicht, da mein Hötel an demselben grossen erwähnten Platze lag, der die Kirche trägt. Es hiess natürlich Grand-Hötel, aber sein Grandentum bestand nur in einigen Riesenteppichen, die die Wände meines Zimmers schmückten, ich konnte ihm im übrigen nur den Vorzug nachrühmen, dass es meine Erwartungen hinsichtlich der kommenden asiatischen Hötels sofort auf die richtige Einstellung herunterdrückte und mich vor weiteren Enttäuschungen bewahrte. Nach drei Wochen war ich soweit, dass ich die gleichnamige Nummer in Merw — Gasthöfe werden in Turkestan vielfach Nummer genannt — die in punkto Verpflegung aller- dings wesentliche Vorzüge hatte, für das üppigste Luxushötel hielt. Ich war bescheidener, aber auch gerechter geworden. Asiatische Städte sind eben nicht mit westeuropäischem Masse zu messen. Für meine Absichten traf ich es im Grand-Hötel zu Aschabad gut. Ausser Empfehlungsbriefen an russische Herren hatte ich in Baku auch die Mitteilung bekommen, dass der Vertreter von Siemens & Halske sich auf der Reise in Transkaspien befände und mir von Nutzen sein würde, wenn ich ihn irgendwo träfe. Beim Studieren des schwarzen Brettes, an dem die Reisenden ihre Visitenkarten neben die Zimmer- nummern anzuheften pflegen, fand ich im Hotel sofort Herrn Kühn. Es zauberte immer, so will ich einschalten, ein befriedigtes Lächeln auf die Lippen, wenn ich auf solchen Visitenkarten oder in den Zeitungen die Rätselworte buchstabierte, die sich dann als bekannte deutsche Familien- oder geographische Namen herausstellten. Konstantinopel, London, Leipzig und dergl. machten, russisch geschrieben, ein phan- tastisches Gesicht, las ich sie, und erkannte ich sie als alte gute Freunde, so machte ich jedesmal ein verständnisvolles »Ach sol«e Auf diese Weise fand ich auch meinen Herrn heraus, der damit beschäftigt war, Aufträge für Erweiterung der bereits im Betrieb befindlichen elektrischen 40 Anlagen Aschabads zu erhalten. Ich traf bei ihm den Redakteur des Lokalblattes, des »sakaspiskoje Abosrenie«, an den ich ein Empfehlungs- schreiben hatte, und der meinen Besuch zu einer orientierenden Notiz in der nächsten Nummer seiner Zeitung benutzte. Beide Herren waren damit beschäftigt, einer aus Heringen, kalten Kartoffeln und Speck be- stehenden Sakuschka durch anhaltende Spülung mit Wodka den Weg zum Magen zu erleichtern. Ein dritter Herr, an den ich gleichfalls empfohlen war, ein Russe vom deutschen Biertypus, gesellte sich bald hinzu, alle drei waren von zuvorkommender Liebenswürdigkeit gegen mich und meine Wünsche. Überhaupt bin ich auf der ganzen Reise mit wenigen Ausnahmen nur einer Bereitwilligkeit und Freundlichkeit begegnet, die meine Dankbarkeit nie vergessen darf. Von besonderem Wert war mir in Aschabad die Empfehlung an den schon erwähnten Herrn Ahnger, der, ein geborener finnischer Schwede, hier im russischen Telegraphen- dienste stand. In seinen Mussestunden war er Naturforscher, er sammelte vor allem Insekten, von denen er 100 neue Arten gefunden hatte. Wochen- lang streifte er in der weiteren Umgebung mit seinem Fangnetz umher, und mit Vergnügen erzählte er selbst, dass die Turkmenen ihn alle unter dem Namen »der verrückte Kerl« kannten; natürlich konnten sie sein Gebahren und seine einsamen Wanderungen nicht verstehen. Herr Ahnger also, der seit ca. 15 Jahren hier lebte und sich, wie früher erwähnt, auch für die Ethnographie interessierte, war für mich der richtige Mann. Ich suchte ihn auf, fand ihn aber leider mit Influenza im Bett liegend und musste mich begnügen, ihm meine Pläne zu sagen, mir Ratschläge von ihm geben zu lassen und mich für die Rückreise mit ihm zu be- sprechen, für die er mir seine Hülfe zusagte. Er hat sein Versprechen in hervorragendem Masse gehalten. Nachdem ich dann die Zusicherung meiner anderen Herren be- kommen hatte, in den nächsten drei Wochen für mich zu sammeln, fuhr ich nach Samarkand weiter. Das Landschaftsbild gleicht in den ersten Stunden hinter Aschabad demjenigen vor dieser Station. Rechts zieht sich in paralleler Richtung das in den höchsten Spitzen 20002500 Meter erreichende Kobet-Dagh- Gebirge hin. Die Ebene zeigt teils weite Weideflächen, teils ist sie von Lehmhürden durchsetzt, die Kornfelder, Wein- und Melonengärten ein- schliessen, und mit unzähligen runden oder viereckigen Türmen bedeckt, die den persischen Bauern früher zur Verteidigung dienten. Langsam ziehende Karawanen, pflügende Zweigespanne von Kamel und Pferd im Joch mit primitivem Holzpflug, der den Boden nur wenige Zoll tief auf- reisst, eilige Reiter in langem Chalat und hoher Pelzmütze, die quer über die Steppe jagen, sind die seltene Staffage der Landschaft. Bald hinter Aschabad erhebt sich rechts aus der eintönig grauen Ebene die grosse Ruinenstadt Anau, auf hohem, künstlich aufgeworfenen 41 Lehmhügel von Festungsresten und den noch heute imposanten Trümmern einer grossen Moschee überragt, deren in persischem Stil gebautes Portal leidlich erhalten ist. Da ich mir leider von einem Besuche der Stadt abraten liess, habe ich nicht selbst hinkommen können und berichte nur, dass das Portal mächtige Drachenfiguren in Mosaik, zwischen gross- flächigem Mosaik aus stumpfen fünfeckigen Tafeln zeigt, und dass auch die Innenwände mit Glasur-Mosaiken belegt sind. Die Stadt soll schon zur Zeit des Darius bestanden und Darium geheissen haben, jedenfalls mag sie allen Wechselfällen geschichtlichen Lebens unterlegen und mehr als einmal völlig zerstört sein. Heute benutzen einige Turkmenenfamilien ein paar der besterhaltenen Lehmbuden als Wohnung, alles andere ist tot und in Trümmern. Ähnliche, obgleich kleinere Städte- und Festungsruinen aus Lehm folgen einander während der nächsten Stunden, vereinzelte Hügel stehen verstreut und scheinen Ausgucke oder Begräbnisstätten gewesen zu sein, ihre archäologische Untersuchung, die freilich nicht systematisch und nicht genügend betrieben worden ist, hat einmal ein Steinbeil, sonst nur Scherben und Schafknochen ergeben (Radde). Die Turkmenen wissen von der Bedeutung und Entstehung nichts. Die persische Grenze läuft hier dicht, nur wenige hundert Meter entfernt, in derselben südöstlichen Richtung wie die Bahn, ihre Gebirgskämme schliessen andauernd das Bild zur Rechten ab. Bei der Station Artik steht eine alte Festung, die von den Chinesen Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Perser errichtet ist, und unweit davon ein ungeheurer Grabhügel, der vor mehr als 1000 Jahren aufgeworfen sein soll, sowie Reste einer von Nord nach Süd gehenden starken Mauer, die als Grenze zwischen Iran und Turan von Kaiser Anu-Schirwan erbaut sein soll (aus Albrecht zitiert). Hier werden archäologische Forschungen sicherlich von Erfolg gekrönt sein. Bei Duschak (60° östl. Länge Greenwich) wendet sich die Bahn nach Nord- osten und durchzieht ebene Salzsteppen, die selbst dem Eingeweihten immer wieder die Illusion wecken, dass die weisse Streu in ihren Furchen nieht Salz, sondern Schnee sei, den die Sonne wunderbarer Weise nicht fortschmelzen könne. Tamarisken und die merkwürdigen Saxaule, graue, 15—20° hohe, schenkeldicke Stämme mit verwirrtem Gezweig und knor- riger Wurzel, die man als Heizmaterial verwendet, im Frühjahr mit schönen duftenden Blüten, sind die Hauptvertreter der ärmlichen Flora. Bei Kary-bend überschreitet die Bahn auf einer Brücke, deren Bau wegen des tiefen weichen Lehm-Ufers schwierig und zeitraubend war, den Ted- schen, der bald darauf in viele Arme aufgelöst, sich im Wüstenboden verliert. Er kommt vom Sefid-Kusch in Afghanistan, berührt Herat, bildet weiter die Grenze zwischen Persien und Afghanistan und später, nach dem Eintritt in's Gebiet der Turkmenen diejenige zwischen Persien und Russland. Im Altertum hiess er Arius, heute Heri-Rud, im Turk- 42 menischen Tedschen oder Tadschen, was mit Tadschik zusammenhängt, der Bezeichnung für einen Teil der turkestanischen Stadtbevölkerungen. Jenseits des Tedschen durchquert die Bahn einen südlichen Aus- läufer der Wüste Kara-Kum, deren unabgrenzbare Sandfläche, in Ketten gegliedert, zu beiden Seiten den Horizont erreicht, weiter Steppen, in denen die Pflanzenwelt um diese frühe Jahreszeit noch völlig erstorben ist, während sie im Frühjahr in einem kurzen Rausch ihres Lebens- lenzes für kurze Wochen sich leidlich reich entfaltet. Noch einige Stunden weiter, und die ersten Weiden und Pappeln der Oase Merw zeichnen sich in der Ferne von dem tötlich einsamen Plattland ab. Wieder treten die Lehmwälle auf, zwischen denen künstliche Kanäle den Feldern Wasser zuführen, zahlreicher werden die zu Dörfern vereinigten Lehmhäuser und Jurten oder Kibitken; die lebhafte Bewegung der Be- völkerung, die ausgedehnten Felder und Weideflächen künden Arbeit, Wohlstand, Leben. Der Vater dieser Auge und Stimmung erfrischenden Oase ist der Murghab, d. h. weisses Wasser, der im Altertum Margus genannte Fluss. Er entspringt in den Bergen Afghanistans, um in ziemlich nördlicher Richtung in das Tiefland Turkestans hinabzusteigen, nimmt links den Kuschk auf, bewässert den Pendeh-Gau, durcheilt die Wüste und verzweigt sich dann in eine Unzahl von Verästelungen, die durch künstliche Kanalsysteme vermehrt werden. Er schafft dadurch auf dem rotgrauen Löss-Lehm jene Fruchtbarkeit, die seit Tausenden von Jahren hier blühende Kulturen gezeugt und erhalten hat. Nördlich von Merw verläuft der Murghab, wie die meisten Flüsse Turkestans, zwischen Rohrniederungen im Sande, seine Kraft ist zersplittert und ge- lähmt, sein natürlicher Feind, der Flugsand, wird seiner Herr, er, der von Norden her gegen das Kulturland anstürmt wie von Alters her die Turanier angestürmt sind gegen die Iranier im wohnlichen und reichen Süden. Das Wasser des Murghab enthält die Keime der berüchtigten Pendeh-Pest, der Fadenwürmer, die dem Guinea-Wurm entsprechen, des Typhus und der Ruhr, das Klima dieses Landes ist also, nimmt man die furchtbare Hitze des Sommers, den fast noch fürchterlicheren Staub, der alles durchdringt und durchsetzt, und die Ungezieferplage hinzu, weder gesund noch behaglich. Die Fruchtbarkeit aber ist eine ungemein grosse, Radde berechnet bis zu 600 Samen aus einem Saatkorn. Man baut Weizen, Gerste, Futter- und Färbekräuter, Baumwolle, Gartenfrüchte, namentlich Melonen, ferner Wein, von dem ich aus Erfahrung sagen kann, dass er ausge- zeichnet voll und schmackhaft ist. Alle diese Kulturen sind wahrschein- lich persischen Ursprungs. Ausserdem betreiben die Turkmenen natür- lich Viehzucht, namentlich Schafzucht; die Wolle liefert ihnen das Mate- rial für ihre wundervollen, technisch und künstlerisch an der Spitze aller orientalischen Fabrikate stehenden Teppiche. Das glühende Rot, das 43 wundersam milde Weiss, die sammetne Weichheit der Pendeh-, die brett- harte kurze Schur der Tekiner Teppiche, die Ruhe der Muster, die Dauer- haftigkeit und die sorgfältige Arbeit sind soviele bekannte und bedeutende Vorzüge, dass man den Turkmenen fraglos als den ersten Teppich-Weber der Welt anerkennen darf. Leider hat es heute damit auch ein Ende, die zerstörenden Einflüsse Europas gehen an der Turkmenen-Wirtschaft nicht vorüber, wie ich an anderer Stelle ausführlicher mitgeteilt habe. Merw. Merw, das berühmte alte Merw, dessen Name uns von der Schul- zeit her vertraut ist, die Stadt Mokannas, des verschleierten Propheten von Chorassan, das Margiana der Alten, aber schon ein Jahrtausend früher, zur Zeit des Zendavesta, eine blühende Zentrale arischer Kultur, Merw, wo die Engel dem Adam den Ackerbau lehrten, liegt in Trümmern, eine unermesslich grosse Ruinenstadt, lagert im Osten der Oase auf der Lehmsteppe von Horizont zu Horizont. Von Tag zu Tag schreitet ihr Verfall fort, und in wenigen Jahrzehnten wird kaum etwas von den Bau- werken mehr erhalten sein, wenn nicht die archäologische Forschung zu retten versteht und die Regierung für die Sache interessiert. Das heutige Merw liegt 30 Kilometer weiter nach Westen zu beiden Seiten des Murghab, den die Bahn kurz vor dem Einlaufen in die Station über- schreitet, und ist aus einem russischen Militärposten hervorgegangen, der hier im Jahre 1882 errichtet ward. Die Stadt hatte nach Radde 1886 etwa 1500 sesshafte, 3—4000 fluktuirende Bewohner, an Bazartagen kamen schon damals S—10 000 Menschen hier zusammen. 1897 betrug die Einwohner- zahl gegen 9000, und seitdem ist ein weiteres ständiges Anwachsen bemerkbar, nachdem die Zweigbahn nach Kuschka an der afghanischen Grenze am Murghab aufwärts eine moderne Verkehrsstrasse geschaffen hat, die zwar vorwiegend militärischen Zwecken dient, aber auch kommerziell den Süden der Merw Oase, Afghanistan, Beludschistan und die angrenzenden Teile Indiens beeinflusst bzw. mit der Zeit beeinflussen wird. Merw hat also alle Anwartschaft auf eine grosse Zukunft als Knotenpunkt der russisch-indischen Beziehungen, die ich zunächst nur handelspolitisch meine. Die äussere Politik, über die sich unendlich viel sagen lässt, ist ein so weites Feld, dass ich mich an dieser Stelle mit dem Wort be- gnüge und der Neigung des Einzelnen es überlasse, ihre Zukunft sich auszumalen, aber rein kommerziell genommen sieht Merw, wie ich glaube, noch einer grossen Entwicklung und vielleicht einer grösseren Ent- wicklung als sie Buchara und Samarkand beschieden ist, entgegen. Das heutige Merw ist eine russische Gründung, sein Äusseres ent- spricht demnach dem monotonen, allüberall sich gleichbleibenden Charakter der russischen Städte. Breite Strassen mit grundlos schlammigem bzw. ätzend 44 staubigem Fahrdamm und schmalen, erhöhten Bürgersteigen, die von einstöckigen, schmucklosen, kastenförmigen Häusern begrenzt werden. In den Hauptstrassen hat man die Erdgeschosse fast sämtlicher Häuser zu Läden und Magazinen verwendet; meist sind sie europäisch eingerichtet, doch sieht man dazwischen auch offene Hallen, die mehr in die Art der orientalischen Bazare schlagen und die Wohnstätten wie die Verkaufsstände enthalten. Für mich besassen die Teppichmagazine besondere Anziehungs- kraft, da Merw der Sammelpunkt ist einmal für die prachtvollen Tekiner- andererseits für die besten Afehanistan- und Beludschistan-Teppiche. Hervorragende und charakteristische Stücke eines ganz bestimmten wohl abgrenzbaren Typs liefert die Pendeh-Landschaft, doch gerade dieser Typ soll im Aussterben begriffen sein. Es gelang mir noch ein kleines aber herrliches Exemplar zu erwerben. Die Preise richten sich nach der wirt- schaftlichen Gesamtlage des Landes. Ich konnte ziemlich wohlfeil ein- handeln, da das Jahr im allgemeinen schlecht war, und die Händler Baargeld zum Einkauf neuer Waren brauchten. Wie es einem Teppich- liebhaber immer geht, ich hätte mich arm kaufen können an der Fülle der herrlichen farbenglänzenden Gewebe. Bei einigem Spekulationsgeiste hätte freilich umgekehrt ein leidliches Geschäft dabei herauskomnıen können, leider liegt mir das aber wenig, und so trennte ich mich, da meine Tasche nicht mehr konnte wie sie mochte, schweren Herzens von dem hoch ge- stapelten Reichtum der armenischen und persischen Händler. Der eigentliche Bazar, der namentlich Donnerstags und Sonntags die Turkmenen in die Stadt ruft, liegt ausserhalb der Stadt auf einem freien Platze links des Murghab. Lange Reihen von offenen, nebeneinander- liegenden gemauerten Ständen bilden zwei Strassen, in denen ein buntes und dichtes Gewoge von Menschen der verschiedensten Rasse auf- und abflutet, Turkmenen, Perser, Afghaner, Russen, Kosaken, Juden und Sarten. Wie überall im Orient und auch bei uns in Zeiten des Mittelalters, tun sich die Händler derselben Branche in denselben Strassen, hier in denselben Reihen der Verkaufsstände zusammen. Da hat die eine Reihe nur die langen, rotbraunen, gewachsten Chalate, jene andere nur Schmuck, die dritte nur Lederzeug ete. Auf dem Bazar kann man so ziemlich die ganze Ethnographie der Turkmenen zusammenkaufen, Kleidung, Fusszeug, Mützen, Teppiche, Sättel und Zaumzeug, Ackergerät, Werkzeuge, Eselhalfter und Kamelglocken, Schmuck, Kannen, Wasserpfeifen etc. etc. Über den ethnographischen Besitz der Turkmenen denke ich jedoch, mich im Zusammenhange an anderer Stelle auslassen zu können, und gehe deshalb hier nicht ins Einzelne. Hinter einer langen Budenreihe weiden die Pferde und Esel, auf denen die Turkmenen aus ihren Orten zum Markt gekommen sind, und lagern die mächtigen Kamele, die die Teppiche und sonstigen Waren gebracht haben und die nun mit ihren melan- cholischen, dunklen Augen auf das Menschengewirr und — Gewühl blicken, 45 als philosophierten sie mit bedenklicher Schärfe und Sicherheit über ihre Herren und deren Treiben. Afghanische Hirten, wilde, zerlumpte Gestalten in grossen Schuhen, grauem Mantel, mit um den Kopf gewundenem Tuch, unter dem aus schwarzen Gesichtern unheimlich funkelnde Augen auf- blitzen, bewachen ihre Schafherden, die sie zum Verkauf herbeigetrieben haben. Eine grosse, offene Halle birgt die Stände der Frucht-, Gemüse-, Fleisch- und Spezereiwarenhändler und lässt in beständigem Kommen und Gehen all die Tausende von Kauflustigen durch ihre Gänge sich hindurch- drängen. Bilder von höchstem ethnographischen Interesse und von höchster malerischer Schönheit füllen das Auge. Ich hätte nur immer stillstehen und meine Kamera abknipsen mögen, dabei aber wäre ich gerne in der Lage des fürstlichen Jägers gewesen, dem fortwährend die geladene Büchse gereicht wird, und der immer nur zu zielen und abzudrücken hat. Wie er sonst nicht auf seinen Rekord kommen kann, so gab auch ich jeden Augenblick Scenen preis, die ich so gerne auf der Platte gehabt hätte, und deren Verlust um so mehr schmerzte, als ich mir stets bewusst war, dass er niemals zu ersetzen sei. Ich musste aber kaufen, um meine Sammlung fertig zu bekommen, und ich war glücklich, dass ich bei dieser schwierigen Arbeit so vortreffliche und unschätzbare Hülfe gefunden hatte. Herr Ahnger war, — ich nehme hier später Geschehenes voraus — in geradezu erstaunlicher Liebenswürdigkeit von Aschabad nach Merw herübergekommen, um mir für meine ethnographischen Zwecke zur Seite zu stehen. Meinetwegen übernahm er in 3 Tagen die Kleinigkeit von 24 Stunden Eisenbahnfahrt. Es war so, als wenn etwa ein Russe zu mir nach Lübeck kommt und mich bittet, ihn in einer Kaufange- legenheit in München zu unterstützen, ich fahre die 12 Stunden hin, bin ein oder zwei Tage dort und fahre die 12 Stunden wieder zurück. Aus reiner Liebenswürdigkeit. So kam auch Herr Ahnger, an den ich erst aus zweiter Hand empfohlen war, zu mir nach Merw, und ich kann seine aus echtem wissenschaftlichen Geiste geborene Freundlichkeit gar nicht hoch genug einschätzen. Allerdings liegen die Verhältnisse auch in dieser Beziehung in Asien anders als hier. Die grossen Entfernungen, die schon dem im europäischen Russland Lebenden ganz andere Auffassung vom Reisen bei- bringen, als wir sie in Westeuropa haben, wirken in Asien noch stärker dahin die Länge der Fahrt für wertlos zu achten und um so mehr, als die geringe Zahl der verkehrenden Züge und die Seltenheit der grossen Stationen oder Städte die Zwischenräume zwischen diesen natürlich kürzer erscheinen lassen. Ausserdem gilt Zeit überhaupt dem Russen nicht viel und noch viel weniger dem in Asien wohnenden Europäer, das schöne russische Wort, das »sogleich« bedeutet, ist jenseits des Kaspi ein noch viel dehnbarerer Begriff als innerhalb Russlands. Man erzählte mir zum Beispiel in Kagan, dass die Herren dort oft einem Bekannten auf der Bahn bis zur nächsten 46 Station das Geleit gaben und dass dieses Geleit, das natürlich im Speise- wagen erfolgte, oft bis Samarkand, 8—9 Stunden weit ausgedehnt wurde, von wo dann mit dem nächsten Zuge die Rückkehr erfolgte. Dasselbe freundliche Entgegenkommen fand ich auch bei dem russischen Distriktschef, zu dem Herr Ahnger mich führte, und der uns einen turkmenischen Dolmetscher zum Besuch des Bazars und eines um Merw liegenden Turkmenen-Auls mitgab. So erledigten sich die Einkäufe rasch und sicher. Vor allem konnte ich auf die Weise auch eine Dorf- anlage und die Jurteneinrichtungen der Turkmenen kennen lernen. Von dem Dolmetscher begleitet fuhren wir in südlicher Richtung einige Werst weit in die Steppe zu einem aus vielleicht 30—40 Kibitken oder Jurten bestehendem Aul, und wurden hier in der Hütte des Dorfchefs gastfrei aufgenommen und bewirtet. Die Kibitken sind bienenkorbartige Bauten aus einem mit Filz bedeckten Gerüst von Holzstäben, über den Filz werden im Winter noch Rohrmatten gelest, um die Kälte abzuhalten. In der Mitte der kuppelförmigen Decke lässt sich der Filzbelag fort- ziehen, wenn man frische Luft haben oder den Rauch besser abziehen lassen will, im Sommer hebt man ihn auch an den Seiten, sodass ein kühlender Luftzug durchstreichen kann. Der Eingang zur Hütte ist schmal, bei Ärmeren durch eine Rohrmatte verschliessbar, bei Reicheren mit bemalter und geschnitzter Holztüre versehen. Der Boden der Hütte ist mit dicken Filzdecken und Teppichen belegt, nur bleibt in der Mitte ungefähr eine fast quadratische Tenne frei, auf der das Kohlenfeuer zum Wärmen, zum Anzünden der Wasserpfeife und zum Warmhalten des 'Theewassers unterhalten wird. An dem Rohrgeflecht der Wände hängen Teppiche, gewebte Behänge und Taschen. Ein Baumstumpf, dessen kurz abgehauene Äste als Garderobenhaken dienen, hält das Ende einer Hängematte oder einer Kinderwiege. Metallbeschlagene bemalte Koffer enthalten die Wertstücke der Familie, Decken für die Betten- bereitung liegen an der Seite aufgestapelt. Es war ein prachtvolles Bild, wie die Kibitke sich mit den hohen Gestalten der Turkmenen füllte. Wir sassen mit dem Besitzer und den Honoratioren in der Mitte, an der Seite hockten und standen die Dörfler in rücksichtsvollem Schweigen, es sind darunter prachtvolle Köpfe, denen die stattliche Mütze noch mehr Bedeutung gibt. Die Bewegungen sind ruhig und vornehm, das schöne Auge blickt ernst und bewusst. Die Kinder sind von bezaubernder Drolliekeit in ihrer den Grossen nach- gemachten Haltung und Bewegung. Die Frauen sind, obgleich moha- medanisch, unverschleiert; auch ihnen ist eine sichere und gemessene Haltung zu eigen, die Respekt einflösst, und ihre Bewegungen beim Schüren des Feuers z. B. können nur als vornehm bezeichnet werden ; nicht gerade scheu, scheinen sie doch unsere Anwesenheit peinlich zu empfinden und drückten sich bei der ersten passenden Gelegenheit. Ihre 47 Gesichtszüge scheinen im allgemeinen mehr mongolischen Typ bewahrt zu haben, als diejenigen der Männer, obwohl auch bei diesen ab und an aus der Menge halbkaukasischer Gesichter ein echter tibetanischer Lama auftaucht. Doch will ich mich hier auf die Anthropologie nicht einlassen, sie wird zusammen mit der Ethnographie gesondert behandelt werden. Wir wurden bei unseren Gastfreunden mit vorzüglichem Schaschyk, dem aus rostgebratenen Hammelstücken bestehenden Nationalgericht Asiens, und mit ebenso vorzüglichem Brod bewirtet, dazu gab es Thee, der überall hier wie auch in China selbst sehr dünn getrunken wird. Ich kaufte Teppichproben und einige Kleidungsstücke, nahm eine Reihe bereitwillig gewährter Aufnahmen, bei denen nur die Frauen etwas Sträuben zeigten, und fuhr dann mit meinem Herrn Ahnger nach Merw zurück. Ich muss sagen, mit jenem eigentümlich schneidenden Wehgefühl, das halbvollendete Arbeit und halbbefriedigte Sehnsucht hinterlässt. Ich hätte wochenlang hier hausen, sammeln, messen und typen mögen. Gehen wir von den Lebenden zu den Toten, vom Gegenwärtigen zum Vergangenen, von den Kibitken der heute hier unter russischer Herrschaft sich umwandelnden Turkmenen zu den unter derselben Herr- schaft rasch vergehenden Resten des alten Merw. Der Hausknecht des (Grand-Hotel, das ich nur rühmen kann und das entschieden das beste Hotel in Transkaspien ist, selbst wenn ich bedenke, dass ich es am Schluss meines dortigen Aufenthalts benutzte, also an die asiatischen Nummern schon gewöhnt war, besorgte mir eine gute Troika und so fuhr ich, diesmal allein, ohne Herrn Ahnger, nur mit einer Tasche für etwaige Funde und einer photographischen Kamera, an einem sonnigen Morgen unter lustigem Schellengeläut in die Turkmenensteppe hinaus. Alt-Merw ist auch mit der Bahn zu erreichen, es liegt unmittelbar an der letzten Bahnstation vor Merw, Beiram Ali. Da aber die Zugverbin- dungen schlecht sind, so zog ich die Wagenfahrt vor, zumal sie Gelegen- heit gab, den Charakter der Landschaft und des Volkslebens etwas näher kennen zu lernen, als es der Blick aus dem Eisenbahnwagen erlaubte. Die Fahrt, die über zwei Stunden dauerte, war denn auch belehrend und interessant. Wir passierten zahlreiche Dörfer, teils offene Niederlassungen von Kibitken, teils festungsartige Höfe, die Kibitken einschlossen, teils armselige Lehmbuden mit flachen Dächern, die wohl von persischer Hand gebaut, nun von armen Turkmenen in Besitz genommen waren. Pappeln und Weiden umsäumen spärlich verstreut Ansiedlungen und Flussläufe. Auf der Steppe weiden Herden von Schafen und Kamelen. Possierlich springen in ihrer Unfertigkeit die niedlichen hochbeinigen Kamelkälber neben ihren würdigen Müttern einher. Die Strasse, die wir ziehen, ist natürlich kein Weg in unserem Sinne, aber doch durch einen ausgefahrenen und ausgetretenen Grund von der umgebenden Steppe 48 gut abgrenzbar. Zahlreiche Karawanen kommen uns entgegen. In langen Zügen stampfen die an einander gekoppelten Kamele den Boden, schwerbepackt mit hochgetürmten Lasten von Teppichen, von Bauholz, von Reisig, Futter, Wurzelholz des Saxaul; schwerfällig weichen sie aus, denn es dauert lange, bis die Seitwärtsbewegung des führenden Leitesels sich durch die lange Kette der Tiere fortsetzt, und für uns Raum zum Vorbeifahren freigemacht ist. Verwundert trifft uns dabei ein Seitenblick aus den traurigen Augen der Tiere, und gelangweilt schnuppert das breite Maul in die Luft. Die Glocken, meist europäischen Fabrikates, hie und da mit einem Klöppel aus Knochen, läuten tonlos und schleppend. Flinker sind die Esel, die mit leichterer Ware bepackt, vorübertrippeln, oder die mit ihren langen Reitern, deren Beine fast den Boden berühren und die mit eigentümlichen Stöcken ihre Tiere antreiben, eine so komische Figur machen. Stolze Erscheinungen geben dagegen die Männer ab, die auf ihren ausdauernden Pferden der berühmten Tekiner Rasse an uns vorüber galoppieren. Bunte Schabracken decken den Rücken der Pferde, silberbeschlagenes Zaumzeug und mit silbernen Steinen besetzte Ziergurte schmücken ihren Kopf und Hals. In wundervoller Haltung sitzen diese Leute zu Pferde, ihre langherunterhängenden Chalate, die hohe, die Figur vergrössernde Pelzmütze, die stolze Linie des Nackens vereinigen sich zu bedeutender aesthetischer Wirkung. Die Frauen reiten wie die Männer, mit derselben Sicherheit und demselben Selbstbewusstsein, ihre von silber- verziertem Kopftuch umrahmten Gesichter zeigen bei den jungen Mädchen oft feine und anmutige, durch den Stolz in den Zügen und die dunkle Glut in den Augen doppelt interessante Bildung, oft freilich ist das (resicht mongolisch breit, die Jochbeine vorspringend, die Nase platt, die Augen schmal und verzogen. Jüdischer Typ, wie zuweilen bei Männern, sah ich bei den Frauen nicht. Drollige Bilder gaben die uns ungewohnten Kontraste, wenn uralte Leute mit langem, wenn auch dünnem weissen Bart auf kleinen Eseln daherkamen, daneben kleine Jungen auf hohen Rossen, oder wenn zwei oder gar drei Personen hintereinander auf demselben Pferde an uns vorüber zur Stadt eilten. So war genug Leben auf dem Wege, immer neue und immer anregende Bilder tauchten empor und machten anderen Platz, bis wir an die Grenze der Trümmerstätten kamen, die heute noch die Lage des alten Merw bezeichnen. Oder vielmehr der verschiedenen Städte, die man heute zusammen als das alte Merw begreift: Denn die Riesen- fläche dieser Ruinen, die 100 Quadratkilometer umfasst, war niemals zu gleicher Zeit bewohnt, obwohl die Stadt im 11. Jahrhundert gegen 700.000 Einwohner gezählt haben soll, vielmehr wurden nach den einzelnen Zerstörungen die alten Städte verlassen und unmittelbar neben ihnen aus dem gegebenen Baumaterial, dem überall zur Hand liegenden Löss 49 der Steppen, die neuen Siedelungen erbaut. Nur dadurch konnten diese unabsehbaren Trümmerhaufen zustande kommen, es ist dieselbe Methode, die später auch von den Turkmenen übernommen wurde, deren Festungs- werke in einer Zahl die Steppe bedecken, die nicht aus den veränderten Zeitverhältnissen seit Beginn der russischen Aera erklärt wird. Leicht gebaut und leicht verlassen waren auch die festen Wohnplätze der ansässigen arischen Bevölkerung, die über Jahrtausende hindurch die Nordmark Irans verteidigten, die dann in mählicher Mischung den Zer- setzungen ihres Rassencharakters unterlag und schliesslich im Bruder- krieg von dem mächtigeren Nachbar Buchara zertreten ward. Ich will an dieser Stelle, so wenig wie ich auf die anthropologischen Verhältnisse einging, so wenig dem Kreuz und Quer, dem Auf und Nieder der Wege nachgehen, die hier Kultur- und Staatengeschichte gewandert sind. Ein buntes Leben hat in den vier Jahrtausenden, die wir historisch leidlich gut verfolgen können, diese Welt erfüllt, und es gehört zu dem Interessantesten in der ganzen Menschheitsentwicklung, was wir beim Studium seiner Quellen und seiner Vielgestaltigkeit, des Reich- tums seiner Wechselfälle und seiner in alle Nebengebiete hinübergreifenden Beziehungen erkennen. Ich werde am Schlusse versuchen, das im Zu- sammenhange, wenn auch nicht erschöpfend, so doch in grossen Zügen zu einem möglichst umfassenden und anschaulichen Bilde darzustellen. Hier sei nur von den wenigen sichtbaren Spuren erzählt, die auf dem blutgetränkten Boden noch an die Vergangenheit erinnern; was unter ihm lagert, bringt vielleicht einmal ein glücklicher Archäologe ans Tageslicht, ich durfte hier, wie überall, nur an der Oberfläche kleben. Die Bahnstation Beiram-Ali, das Ziel meiner Wagenfahrt, entwickelt um sich eine rasch wachsende Ansiedlung. Hier liegt das Kaiserliche Landgut, auf dem Versuchsplantagen, namentlich für Baumwolle-, Tabak-, Wein- und Gemüsebau, sowie Baumschulen angelegt sind, und das die Wiederherstellung der ehemaligen Murghab-Kanalisation betreibt, der das alte Merw seine Kultur und seinen Reichtum verdankte ; diese grossartigen Bewässerungsanlagen, die in ihren ursprünglichen Formen wohl auf die ältesten Zeiten der iranischen Besiedelung zurückgehen, besonders aber während der arabischen und türkischen Glanzepochen ausgestaltet wurden, sind zu wiederholten Malen, zuletzt 1784, von den Bucharioten zerstört worden, ihre Rekonstruktion verspricht dem Lande sicherlich eine neue Blüte. Unmittelbar an die Station grenzt der jüngste Teil des Alt-Merwer Trümmerfeldes, die persische Stadt Beiram-Ali-Chan-Kala, die 1740 ge- gründet und 1754 vom Emir von Buchara zerstört wurde, jetzt ein von hohen Lehmmauern umschlossenes Rechteck, dessen Inneres eine einzige Wüstenei, bedeckt mit Ziegeln und Scherben darstellt. Durch die West- und Ost-Mauern führen mit Türmen flankierte Tore, an denen Albrecht vor zehn Jahren noch Glasur-Kacheln sah. Heute ist dieser Teil so 4 50 ziemlich ganz ausgeräubert, den blauen Glasuren begegnet man hier und da an den Hofmauern der Gebäude von Beiram-Al, und die alten gebrannten Ziegel sind fast sämtlich zu Neubauten verwandt worden; die Umfassungs- wälle die an die Stadtmauer Bucharas erinnern, sind in raschem Verfall, sodass in wenigen Jahrzehnten hier kaum mehr etwas zu sehen sein wird. Ob archäologische Ausgrabungen an dieser Stelle Erfolg haben könnten, bleibt sehr fraglich, da die Anlage eine sehr junge, und die Bauweise gewiss ebenso oberflächlich war, wie etwa in den heutigen sartischen Städten. Das in Bairam Ali Chan Kala schon beendete Zerstörungswerk der ziegelhungrigen Gegenwart setzt sich in dem anstossenden Abdullah Chan- Kala eifrig fort. Auch diese Stadt, die aus dem 16. Jahrhundert stammt umgibt eine hohe, besser erhaltene Mauer, ihr Inneres ist über und über bedeckt von Ruinen, deren einstige Bedeutung vielfach noch zu erkennen ist. Da sieht man tiefe gemauerte Brunnen, Reste von Wänden, Säulenstümpfe, stehengebliebene Nischen, unterirdische Gewölbe und zahl- lose unentwirrbare Trümmerhaufen, die beweisen, dass hier eine grosse, herrliche, leuchtende Stadt einem furchtbaren Zerstörungswerke zum Opfer fiel. Östlich und nördlich von dieser traurigen Stätte dehnt sich eine ungeheure öde Fläche aus, die ein Arm der wiederhergestellten Kanalanlage durchzieht, und die mit Trümmern, mit Grabhügeln und mit eigentümlichen hohen, bienenkorbartigen Mausoleen bedeckt ist. Am nördlichen Ende bildet eine hohe, doppelnischige Wand, der Rest eines sicherlich einst grossartigen Grabmals eine malerische Silhouette. Sie ist von Spitzbogen-Öffnungen durchbrochen und mit einem Glasurziegel. Mosaik belegt, das im oberen Teil noch leidlich erhalten ist. Vor dieser Wand steht ein quadratisches Mauerwerk, dessen Oberteil verfallen und in seiner ursprünglichen Form nicht mehr erhalten ist, dessen vier Wände von je einem Spitzbogentor unterbrochen sind, und dessen Inneres zwei mit Inschriften verzierte Grabsteine aus grauem Marmor enthält. Der Sage nach sollen hier zwei Fahnenträger Muhammeds begraben liegen. Die übliche Stange mit dem flatternden Lappen an der Spitze, die das Kopf- ende der Gräber muselmanischer Heiligen und Grossen bezeichnet, fehlt auch hier nicht. Von dem erhöhten Platz dieses Grabmals aus umfasst der Blick das Ruinenfeld von Sultan Kala, das der grossen Zeit der Seldschukken, also dem 11. und 12. Jahrhundert entstammt. Auch hier nichts als Scherben, Bruchstücke, Mausoleenreste, unregelmässige, wellige Hügel, die archäologische Schätze vielleicht in Hülle und Fülle bedecken. Zwischen ihnen erhebt sich ein bei allem beklagenswerten Verfall noch imposanter Bau, die Moschee des Seldschukken Sultan Sandschar, aus dem 12. Jahrhundert. Auf einem quadratischen Unterbau von ungefähr 25 Meter Seitenlänge erhebt sich aus achteckigem Grundriss eine Kuppel- laterne, um die drei Reihen von Gallerien, wenig mehr erhalten, herum- laufen. Der Bau ist aus gebrannten Ziegeln aufgeführt, Glasuren sind, 51 wenn vorhanden gewesen, abgebröckelt, die Innenfläche der Kuppel ist mit einer hellblauen Mosaikmalerei auf Gips-Stuck bedeckt, die wie echtes Mosaik wirkt, der Putz ist stark abgebröckelt und wird wohl in wenigen Jahren verschwunden sein. In der Mitte der Moschee steht das Grab Sandschar’s, ein etwa 1'/s Meter hoher, rechteckiger, aus Ziegeln ge- mauerter Unterbau, der auf einem aus Lehm gestampften, platten Sockel den eigentlichen Grabhügel trägt. Das Kopfende ist durch die bekannte Lappenstange gekennzeichnet, an deren Fuss fromme Pilger Steinchen und Scherben niedergelegt haben. Nördlich der Seldschukken-Stadt trennt diese ein hoher Wall von Iskander Kalah, der aus der Alexanderzeit stammenden Festung, einem heute gleichfalls mit Scherben bedeckten, wüsten und öden Platze, der hoffentlich in seinem Boden mehr Altertumsreste enthält, als die Ober- fläche verrät. Östlich liegt Gjaur Kalah, die Festung der nestorianischen Zeit des fünften bis achten Jahrhunderts. Auch von ihrer archäologischen Untersuchung erhoffe ich noch reiche Funde. Dieses Hoffen war für mich, der ich unverrichteter Sache abziehen musste, freilich nur ein schlechter Trost. Weitere kolossale Trümmerfelder liegen südlich Bairam-Ali’s, sie stam- men aus den späteren Zeiten der Usbekenherrschaften. Untersuchungen und Ausgrabungen dürften aber, wenn man die analogen Verhältnisse des Ostens Turkestans kennt, kaum Erfolg versprechen. Spät abends fuhr ich, mit Scherben und Ziegeln beladen, in strö- mendem Regen, der die Wege zu lebensgefährlichen Löchern und Gräben aufweicht, nach Merw zurück, wieder an Karawanen vorüber, an Trupps russischer Soldaten, an Turkmenen, die ihre Abendandachtsübungen flüchtig vollzogen und dann weiterschwatzten, an einzelnen Reitern, die aus der Stadt in ihre Aule heimkehrten. — Nach Buchara. Die Weiterfahrt von Merw führt in östlicher Richtung durch die Baumwollfelder und Weideländer der Oase, dann schlägt die Bahn eine scharf nordöstliche Richtung ein und tritt in die furchtbare Sandwüste Kara-Kum, die zwischen Murghab und Amu Darja nach Süden sich bis zur afghanischen Grenze vorschiebt. Acht lange Stunden braucht der Zug, um »das Grab der Karawanen,« wie man sie genannt hat, zu durch- queren. Nirgends ist der Vergleich der Wüste mit dem Meer zutreffender als hier, denn in der Tat, die ganze Bodenfläche ist aufgelöst in Streifen unregelmässiger Kämme und Kuppen, welliger Hügelrücken und flacher Talmulden. Beim verträumten Hinschauen über die einfarbige, durch nichts, durch keinen Strauch, keinen Halm unterbrochene gelbe Öde, glaubt man sich inmitten des uferlosen Ozeans. Man meint dass alle diese Wellen sich heben und senken, die Tiefen sich glätten und wieder öffnen, 4 52 dass die langen Züge der Kämme auf uns zustürzen, wie die Wogen einer brandenden See. Ein stetig wechselndes Leben scheint diese Einsamkeit zu bewegen, aber ein Leben, so beängstigend still, so heimlich in seiner Arbeit des Wühlens und Zerstörens, so unfassbar auf seinen Wegen und unaufhaltsam in seinen Zielen, dass es wie schüttelnde Angst und er- starrendes Grauen aus diesem Wüstenmeer emporsteigt und über ihm lagert wie ein schwerer, schwerer Nebel. Der flutende Ozean schreit seine Tat und seine Kraft in alle Welt, und diese Kraft zeugt wieder Kraft, dieser Kampf gebiert wieder den Kampf. Und ducken sich seine schlafenden Wasser unter dem Nebel, der den Schiffer verführt, so weicht dieser Nebel doch wieder, und die Sonne zeigt von Neuem den Weg. Hier, über diesem heissen wasserlosen Meer lauert in ewiger Gleiche Tücke und Tod, Flugsand heisst der grosse Feind, er wirbelt die bewegliche Oberfläche durcheinander, zerstört die Richtungen, häuft Hügel auf und ebnet sie wieder, gräbt Mulden aus und schüttet sie im nächsten Augen- blicke wieder zu. Vielfach hat man versucht, den Sand durch Dünengewächse zu bebauen, die Natur selbst hat Tamariske und Saxaul gegen ihn mobil gemacht und ihn zum Stillstand gezwungen. Weite, weite Strecken aber sind völlig nackt und fluten ruhelos hin und her. Kurz vor dem Amu-Darja wechselt die Scene. An die Stelle der welligen, rötlich gelben öden Wüste tritt das nun schon bekannte Bild der Oase, abgeteilte Felder und Gärten, spärlicher Baumbestand, flach- dachige Lehmhäuser, festungähnliche Dorfschaften. Ein ungeheurer Gegensatz zu den letzten Stunden. Ebenso wechselt die Bevölkerung. An die Stelle der stark mongoloiden Turkmenen treten die stark arischen Tadschiken und Sarten, an die Stelle der barbarischen Pelzmütze das Leichentuch des Moslem, der Turban. Eine andere Welt tut hier, wo wir das selbständige Emirat Buchara betreten, das klassische Land des mittel- asiatischen, sunnitischen Islams, sich auf, fremd, bunt, farbenreich, jene Welt des Orients, deren Bilder durch dichterische Phantasie verschönt, unsere Kindheitsträume erfüllt und unsere Mannessehnsucht genährt haben. Die erste Bahnstation, die uns diesen Scenenwechsel in der Nähe zeigt, ist Tschardschui, der Bahnhof wimmelt von hochgewachsenen Männern in langen, bunten Tschapanen oder Chalaten, "dem charak- teristischen, überall uniformen Rock Turkestans, dessen Form ein Kind des hochasiatischen Klimas zu sein scheint. Ihre Farbenwirkung ist über jede Beschreibung lebhaft. Rot, Weiss, Braun, Grün, Gelb und Blau haben sich zu allen denkbaren Schattierungen vereinigt, um in den verschiedensten Varianten über Grundfarbe und Muster der Stoffe sich zu verteilen und immer neue Zusammenstellungen hervorzubringen. Gestreift, geblümt und gesprenkelt legen sich in langen Falten die weiten, meist bis zum unteren Drittel des Unterschenkels reichenden Schlafröcke 53 um die kräftigen Gestalten, zu zweien und mehreren über einander gezogen. Die Perser sagen von den Turkestanern, sie hüllen sich in Bettdecken, so voluminös ist der Eindruck. Der meist buntere Unterchalat wird durch einen oder zwei Gürtel aus weissen oder gemusterten Baumwolltüchern zusammengehalten, die zugleich als Behälter für Tabaksdosen und Esswaren, für Geld, für den Koran u. a. dienen. Kleinere Gegenstände werden auch in gestickten Täschchen untergebracht, die am Gürtel hängen. Der Oberchalat bleibt meist offen — nur beim Reiten wird auch er manchmal durch einen Gürtel geschlossen —, schleppt wallend nach oder wird von den in über- langen Ärmeln versteckten Händen über der Brust festgehalten. Diese Ärmel, die einen Fuss länger sind als der Arm, machen einen höchst drolligen Eindruck, besonders wenn die Leute gehen und mit dem Arm schwenken — das leere steife Ärmelrohr wackelt dann wie ein Rlefanten- rüssel hin und her —, oder wenn sie sich mit Not und Mühe aus dessen unergründlichen Tiefen herauswickeln, um die Hand freizubekommen. Ausgezeichnet schützen diese langen Ärmel gegen die Kälte, man sieht die Leute mit Vorlicbe die Arme so verschränken, dass die Hand möglichst tief sich in den entgegengesetzten Ärmel einmummelt, die Pose vollendetster Behaglichkeit und Gemütsruhe. Möglich, dass wir hier einen Rest uralter medischer Tracht vor uns haben, die lange und weite Ärmel kannte, und die von den Persern. übernommen wurde, von denen es ‚heisst, dass jeder, der mit dem Könige sprach, ebenso bei Truppenparaden die neben ihren Pferden stehenden Reiter, die Hände in die Ärmel des Rocks stecken mussten, eine Sitte offenbar, die den willenlosen Gehorsam, die Unfähigkeit, sich zu widersetzen, äusserlich kennzeichnen sollte, und die zugleich Sicherheit gegen Mordanschläge bot. Den Kopf, den die Leute sich glattrasieren, deckt ein gesticktes Käppehen, um das der rote oder weisse Turban aus meterlangen Tüchern gewunden ist, deren Zipfel bald frei auf die linke Schulter herabfällt, teils _ unter "eine der Windungen eingeklemmt wird. Seltener sieht man einfache halbrunde kirgisische Pelzmützen bei der ärmeren Bevölkerung, öfter schon das erwähnte Käppchen allein, ohne Turban, und ich möchte glauben, dass dieses künftig die Rolle des Fez übernehmen und die ausschliessliche Kopfbedeckung der Mittelasiaten bilden wird. Die Beine stecken in baumwollenen oder leinenen Hosen und in schwarzen Lederstrümpfen, die Füsse in festen Galoschen, die in den Häusern, den Moscheen und Bazarbuden ausgezogen werden, oder in grossen gelben Stiefeln mit hohen spitzen Absätzen, die dem Lehmboden auf dem Lande und dem Schmutz der Strassen angepasst sind. Die Figuren, die in diesen eigenartigen Kostümen stecken, sind kräftig und gross, ihre Bewegungen lang und gemessen. Auf fleischigem Nacken sitzt ein auffallend kurzer Kopf, dessen breites volles Gesicht 54 von dunklem, je nach der Rassenmischung dürftigem oder diehtem Bart umrahmt ist. Dunkle Augen mit weiter Lidspalte und starkem Bulbus blicken glänzend, aber leidenschaftslos, die Hautfarbe ist heller, als die der Turkmenen, häufig geradezu weiss. Die Leute hier sind die ersten Proben jener seit Jahrtausenden aus immer neuen Bestandteilen zu- sammengebrauten Mischung, die den Kern der Stadt- und Landbevölke- rung vom Amu-Darja bis in das Tarimbecken hinein ausmacht. »Die Stammväter der Sarten«, sagt v. Schwarz, »waren alle jene Völker- schaften, welche das Schicksal im Laufe der Zeiten nach Turkestan verschlagen hat, d. h. ausser den indogermanischen Urbewohnern Alt- perser, Macedonier, Griechen, Araber, Chinesen, Hunnen, Mongolen, Kirgisen, Uzbeken und wahrscheinlich noch manche andere Völker, von denen uns die Geschichte nichts überliefert hat.« Den Namen führt v. Schwarz im Anschluss an Lerch auf den im Worte Jaxartes ent- haltenen altiranischen Stamm Khsatra — Stadt zurück, er bedeutete dann also soviel wie Stadtbewohner.. Von den türkisch sprechenden Sarten unterscheidet man die persisch sprechenden Tadschiken, die von der letzten Uzbeken-Invasion freigeblieben sind, also weniger mongolisches Blut enthalten und den indogermanischen Urbewohnern etwas näher stehen als die Sarten. Die stärkeren oder schwächeren Grade der Blutmischung lassen sich aus den Gesichtszügen der Turkestaner unschwer herauslesen, Bartwuchs, Gesichtsform, Joch- bogen, Nase, Augen sind ebensoviele Führer, denen wir uns bei der Diagnosenstellung anvertrauen dürfen. Im Durchschnitt ist das Produkt der Mischung ein stattlicher, in den besseren Individuen ein durchaus schöner Menschenschlag. Den Eindruck des Weichlichen, den die Kleidung anfangs hervorruft, lassen der würdige Ernst, die sichere Ruhe und das selbstbewusste Auftreten sehr bald verschwinden, unter den Alten bemerkt man oft wundervolle Charakterköpfe, und in Buchara, wo mir der Typ am gelungensten scheint, bilden Figur und Haltung, der regelmässige Gesichtsschnitt, die glut- vollen grossen Augen und der feine Teint die Einzelheiten einer sympa- thischen Gesamterscheinung, die nicht blos durch ihre Fremdartigkeit fesselt, sondern auch auf das ästhetische Empfinden wohltuend wirkt. Der Charakter freilich hat das Schicksal aller heterogenen Rassen- mischungen erlebt und beteiligt sich nicht an dem guten Eindruck, den das Äussere des Sarten macht. v. Schwarz sagt von ihm: »Der Sart ist feig, unterwürfig, schmeichlerisch, kriechend, verschlossen, misstrauisch, verlogen, betrügerisch, rachsüchtig, grausam, prahlerisch und erlaubt sich jede Ausschweifung, deren ein Mensch überhaupt nur fähig ist, solange er dies alles ungestraft tun kann.«e Man wird zugeben, ein schlechteres Zeugnis kann einem Charakter kaum ausgestellt werden. Etwas besser soll es mit den Tadschiken stehen. Die Verantwortung für die Richtig- 55 keit solchen Urteils steht bei denen, die über lange Erfahrungen im Lande verfügen, es spricht für sie aber z. B. die Antipathie des Taataren gegen den Einheimischen, von der ich wiederholt Zeuge war. Gleich hinter Tschardschui überschreitet die Bahn den Amu-Darja, der hier fast so breit ist, wie die Elbe bei Lauenburg, den Oxus der Alten, der vom Pamir kommend die Grenze zwischen Afghanistan und Buchara, später diejenige zwischen Russland einerseits, Buchara und Chiwa anderer- seits bildet. Im Altertum mündete er bekanntlich in das Kaspische Meer — nach Einigen freilich diente das Trockenbett des Usboi nicht dem Amu, sondern einem Abflusse des Aralsees, der also in das Strom- gebiet des Amu zuvor eingeschaltet war —, heute fliesst er in den Aral- See, aber noch immer ist er ein unruhiger Geist, verändert seinen Lauf und wandert stetig nach Osten, sodass Orte, wie Tschardschui, die früher am Flusse lagen, heute zwölf Werst von ihm entfernt sind. Seine Wasser- masse, die heute etwa derjenigen des Nils gleichkommt, soll infolge des Missverhältnisses zwischen Verdunstung und Niederschlägen, ferner infolge der fehlenden Vegetation an seinem Oberlaufe abnehmen, sie wird es bei weiterem Ausbau der künstlichen Bewässerungsanlagen natürlich noch mehr, und so mag auch für ihn die Zeit kommen, wo er ebenso, wie Tedschen, Murghab und andere Flüsse Turkestans, den Aralsee nicht mehr erreichen kann und im Sande verläuft. Durch Regulierung der Ufer sucht man dem entgegenzuarbeiten, ich weiss aber nicht zu sagen, ob die Bemühungen einen sicheren Erfolg gewährleisten. Heute ist der Amu noch im ganzen unteren und mittleren Lauf für Dampfschiffe befahrbar. Die Eingeborenen haben trotzdem keinen Schiffsverkehr auf ihm entwickelt, ihnen blieb er stets ein Verkehrs- hindernis, das sie mit einfachen Booten oder mit den berühmten luft- gefüllten Tierschläuchen, die schon von dem Heere Alexander des Grossen benutzt wurden, überwinden. Die Fortsetzung der mittelasiatischen Bahn durch das Emirat Buchara machte den Bau einer grossen Eisenbahnbrücke notwendig. Die Ausführung geschah zunächst in Holz, aber die Unsicher- heit dieser 4!/a Werst langen Holzbrücke — Albrecht erzählt, dass ein Zug 25 Minuten zur Überfahrt brauchte, wobei jeder Holzpfeiler erst von Bahnbeamten auf seine Sicherheit untersucht wurde — war doch so gross, dass man sie Ende der neunziger Jahre durch eine eiserne zu ersetzen begann. Ich fand diese neue Brücke im Betrieb, die alte, etwas strom- aufwärts gelegene hölzerne, war zum grösseren Teile, in der Mitte voll- ständig, abgetragen, nur an den Ufern standen Reste der Balkenkon- struktion. Der Zug passierte mit kaum verminderter Fahrtgeschwindigkeit. Jenseits der schmutzig dunkelgelben Fluten, die an flachen, lehmigen Ufern, an Inseln und Untiefen sich vorbeidrängen, erwartet uns ein kurzer Streifen lösshaltigen Oasenbodens, dann nimmt uns von neuem die Wüste auf. Aus den dürren erstarrten Sandweiten der »Sunkli« 56 steigt wieder jene lebensferne, lebenfeindliche, drückende Einsamkeit empor, wenn auch nicht ganz so grauenhaft wie in dem furchtbaren Lande östlich des Murghab. Es fehlen hier der lockere, vom Winde verwirbelte Flug- sand und die Meereswellen vortäuschenden Barchani-Hügel, das Land liegt unter dem Druck von Saxaul und Tamariske fester, zu einer fast ebenen Fläche geglättet. Kaum dreissig Werst ist dieser östlichste Flügel der transkaspischen Sandwüste breit, dann weicht sie wieder zurück und macht endgültig anbaufähigen und seit Alters vortrefflich angebauten Land- schaften Platz, denen nahe Gebirge zahlreiche Wasserläufe zuführen und damit die Quellen landwirtschaftlicher und kultureller Entwicklung eröffnen. Für den nördlichen Teil Bucharas, den die Bahn durchquert, heisst die Lebensader Serafschan oder Sarafschan »der Spender des Goldes«, wie der Name sagt, der Sogd der Alten, ein am Nordhang des Hissar- Gebirges entspringender Fluss, der an den Städten Samarkand und Buchara vorüber nach Westen zum Amu-Darja seinen Lauf nimmt. Früher wird er diesen erreicht haben, heute aber ist er, geschwächt durch die markzehrende Kanalisation, wohl durch die von Norden herunter- kommende Wüste von ihm abgedrängt, wendet sich bald hinter Buchara bei Karakul nach Süden und verläuft im Sande. Sollte die düstere Prophezeiung eintreffen, die v. Schwarz in seinem Buche über Tur- kestan ausspricht, und Buchara das traurige Geschick bevorstehen, seine Wasser durch die intensivere Bewirtschaftung der stromaufwärts liegenden russischen Samarkander Provinz aufgebraucht zu sehen, so würde der Sieg des Sandes noch weiter fortschreiten, und Buchara ebenso ver- schwinden, wie so viele andere Städte und Siedelungen untergegangen sind. Vielleicht ist bis dahin aber die Regulierung des Amur-Darja soweit fortgeschritten, dass man von ihm aus, von Westen her, den gefähr- deten Gegenden das rettende Wasser zuführen kann; die politischen Ver- hältnisse, die eine Rivalität Russlands und Bucharas schaffen und dem im Wege stehen könnten, dürften zu der Zeit sich in entsprechender Weise umgeformt haben. Die Bahn erreicht die Ufer des Serafschan bei dem schon genannten Karakul, das den berühmten, schwarzen, zu Mützen und Pelzen verar- beiteten Lammfellen, den Namen gegeben hat. Ich will dabei nebenbei erwähnen, dass man mir in Puchara vor dem Kauf solcher Felle mit dem Bemerken abriet, ich könne sie besser und billiger in Leipzig be- kommen. Wie so oft, bringt also auch wohl bier der organisierte Export das Beste ausser Landes. Weiter fährt die Bahn dann durch Oasenland, das von den Bewässerungskanälen durchschnitten, und in Schafweiden, Gärten, Reis- und Baumwollfelder aufgeteilt ist; reicher, aber nur strich. weis die Grenzen begleitender Baunmistand zieht sich hindurch, Dorf fast schliesst sich an Dorf, in der Anlage herrscht überall eine quadratische oder rechteckige Festungs-Konstruktion, zinnengekrönte Mauern umschliessen 57 die Siedelungen, Ecktürme schützen sie, Tore dienen dem Rückzug oder dem Ausfall gegen den Feind. Zahlreiche verlassene und verfallene Wohnstätten gleicher Art zeugen von einer gleichartigen Bevölkerung, die hier in einer viel grösseren Dichtigkeit sass als heute, und deren Rückgang teils dem Vordringen des Sandes von Norden nach Süden, teils und wohl haupt- sächlich, primär, den politischen Unruhen, äusseren wie inneren, zuzu- schreiben ist. Ob die neue Zeit, ihre friedliche Entwicklung und ihre technische Wissenschaft die Bewegung wird aufhalten oder gar wieder in die umgekehrte Richtung zwingen können, muss die Zukunft lehren. Die Fahrt rollt ununterbrochen interessante Bilder zur Seite des Bahngeleises auf. Kuppelförmige Gräber schlafen auf kleinen Anhöhen neben grauen Lehmruinen, hohe Flaggenmaste mit blauen Tuchlappen daran verraten, dass sie einem Heiligen oder berühmten Mullah das letzte Heim sind. Die ersten Arbas erscheinen, jenes allgemeine und vorzügliche Transportmittel Turkestan’s, das überall im der Ebene gleich gut, sei es im weichen Sande, im schlüpfrigen Schmutz, beim Überschreiten von Flüssen oder ausgetretenen Bächen verwendbar ist, hohe zweirädrige Karren mit halbrundem oder viereckigem Verdeck, ganz aus Holz ge- fertiet, von einem in der Gabel laufenden Pferde gezogen, das zugleich dem mit hochgezogenen, auf die Deichsel gestemmten Beinen im Sattel sitzenden Kutscher als Reitpferd dient. Zahlreiche Reiter, zu Pferd und zu Esel, ziehen des Wegs, in den bunten Gewändern und im leuchtenden Turban eindrucksvolle Erschei- nungen, und erinnern daran, dass hier zu Lande All und Jeder sein Reit- tier besitzt und seine Wege, seine Besorgungen, seine Einkäufe beritten abmacht. Reichtümer sind dazu nicht nötig, ich hörte, dass Esel schon zu 6 Rubel zu haben sind, Pferde nach v. Schwarz von 15 Rubel an, wogegen gute Rassetiere freilich bis 500 Rubel erzielen. Lange Kamelkarawanen bringen die Baumwollballen in die grossen Reinigungsfabriken, die neuerdings die alten primitiven Haus-Maschinen verdrängen. Der Baumwollbau ist in diesem uralten Kulturlande tausende von Jahren heimisch, wohl durch babylonische oder vorbabylonische Bezie- hungen eingeführt. In urtümlicher Form bis vor wenigen Jahrzehnten betrieben, hat er unter der russischen Herrschaft sehr bald an Umfang zugenommen. Dank einer straffen Zollpolitik, dank der Einfuhr moderner Maschinen und der amerikanischen Abart der Baumwollfrucht hebt sich die Produktion immer mehr. Die einheimische Frucht, die namentlich im Westen, in der Merw- Oase und in Buchara gebaut wird, unterscheidet sich von der amerika- nischen, die im Osten, in den Gebieten von Kokand, Margelhan, Andishan angepflanzt ist, durch die kürzere Faser und dadurch, dass ihre reifen Kapseln nach der Abnahme und Trocknung geöffnet werden, während 58 sie bei dieser am Strauche platzen und die Baumwolle herausquellen lassen. Die Reife, die von der Saat an ungefähr 100 Tage braucht, geht meist am Strauch vor sich, und zwar bei den verschiedenen Früchten desselben Strauches zu verschiedenen Zeiten, so zwar, dass die oberen früher reifen als die unteren. Dadurch zieht sich die Baumwollernte über ein halbes Jahr hin, zumal die Leute, sehr langsame Arbeiter, die Ernte auch mal unterbrechen, um andere Arbeiten zu übernehmen. ‘Da die Frucht am Strauch nicht verdirbt, können sie sich ungestraft Zeit lassen, auch wohl durch die Konkurrenz der Aufkäufer verführt werden, zu warten. Am Strauch nicht gereifte, nachträglich auf Darren zum Reifen gebrachte Früchte liefern eine Baumwolle minderwertiger Güte. Die geerntete Baumwolle wird in Reinigungsmaschinen gebracht, die in ihrer einheimischen primitiven Form aus zwei Walzen bestehen, von denen die eine mittelst Kurbel gedreht wird, und die andere die Drehbewegung mitmacht. Zwischen den Walzen ist soviel Raum, um die Faser, aber nicht um den Samen durchzulassen. Die gereinigte Baumwolle wird in die Spinnereien des europäischen Russlands geschafft, in Turkestan bestehen solche nicht. Der bei der Reinigung zurückgebliebene Samen wird teils zur Aussaat benutzt, teils in primitive Pressen zur Gewinnung von Öl gebracht. Das Öl wird exportiert und in Russland zum Konser- vieren von Sardinen etc. gebraucht. Der dann noch bleibende Rückstand wird in Form von Ölkuchen als Viehfutter verwendet, in Kokand macht man aus ihm unzerbrechliche Gefässe für Milch ete. Ausser der Baumwolle werden hier Tabak, Gartenfrüchte, Getreide, Reis gebaut. Im russischen Turkestan hat die Regierung die Reisfelder in der Nähe der Städte verboten, da sie durch die Stagnation des hygienisch an sich schon nicht einwandfreien Wassers die Gesamtheit erheblich gefährden. Die Eisenbahn durchquert, wie schon gesagt, das selbstständige Emirat Buchara, sie bleibt aber auf dieser Strecke russisch, auf den Stationen macht sich daher kein Unterschied gegenüber denen der russischen (rouvernements bemerkbar. Der Bahnstrang berührt die Hauptstadt des Emirats nicht, sondern zieht zwölf Werst südlich von ihr in nordöstlicher Richtung worüber. Die Station für Buchara ist Neu-Buchara oder, wie es jetzt heisst, Kagan — die Namensänderung ist nicht glücklich, da sie im Post- und Bahnverkehr viele Verwechslungen mit Kokand verursacht —, eine russische Stadt von 2—3000 Einwohnern, nach dem üblichen . Schema angelegt, mit Verwaltungsgebäuden, Schulen, Magazinen, ein- stöckigen, aber geräumigen Privathäusern, anspruchslosen Gasthäusern, Apotheke und Klub. Hier unterhält Russland einen politischen Agenten, der Tun und Lassen der nominell unabhängigen Bucharioten bewacht und dirigiert. Dem Charakter des Ortes hat der Emir durch Bau eines europäisch eingerichteten Schlosses unweit des Bahnhofes ein Zugeständ- nis gemacht, doch soll er noch niemals darin gewohnt haben; wie man mir sagte, geht es drinnen einem raschen Verfall entgegen. 59 Buchara. Zum alten Buchara gelangte man früher nur auf einer staubigen Landstrasse, heute fährt auch hier schon die Eisenbahn und kürzt den Weg auf wenige Minuten. Sie gehört dem Emir, wird aber von Russen geführt und verwaltet. Es sind eigentümliche Empfindungen, aus welten- fernen Gegensätzen geboren, die den europäischen Reisenden hier bewegen. Auf einem Boden, der sich vor wenigen Jahrzehnten noch gegen jeden Nichtmuselman mit einer von aufgespiessten Trophäenköpfen verzierten Mauer asiatischer Despotie abschloss, öffnen ihm russische Schaffner die Türen des Coupes; ein russischer Bahnsteig empfängt die mit westeuropäisch drängender Geschäfts- Eile herausstürmenden Passa- giere, Perser, ÄArmenier, Juden, Russen, Deutsche, Franzosen neben den eingeborenen Sarten, russische Droschken mit tatarischen und russischen Kutschern bringen sie in ihre Geschäfte und in die Bazare. Einige hundert Schritte vom Bahnhofe steigt aus dem Boden die mächtige, acht Meter hoch aus Lehm aufgeführte Stadtmauer empor, von Zinnen gekrönt und von Schiessscharten unterbrochen. Der weisse Rauch der rangierenden Lokomotive zieht an der grossen Wand entlang und lest sich um sie wie neues Spitzengewebe um ein verschlissenes dürftiges Kleid und nimmt ihr die Düsternis und den Schrecken der Jahrhunderte. Die Zeiten, da sie Iranier gegen die Nordvölker, später eine Uzbekenherrschaft gegen die andere verteidigte, sind für immer vorüber; wenn sich ihre Tore allabendlich schliessen und niemandem, sei es Einheimischer oder Fremder —- Europäer ausgenommen — Eintritt und Ausgang verstatten, so ist die Übung heute kaum mehr als Tra- dition oder kommunal-polizeiliche Vorsicht. In einer Zukunft, die nicht fern liegen dürfte, wird sich das Schicksal unserer alten deutschen Stadt- mauern in Asien wiederholen, auch die Mauer von Buchara wird in das Fach der mehr oder weniger malerischen Ruinen übergehen oder in angrenzende Hausbauten einbezogen werden. Mit dem Eintritt in die Stadt verlieren sich die Spuren der neuen Zeit, die uns auf dem Bahnhofe überraschten. Ausser einigen wenigen Häusern europäischen Stils, die Apotheke, Bankfiliale, Post und ein oder das andere grosse Manufakturgeschäft enthalten, ausser den paar Kasaner Wagen, die zwischen Bahnhof und Bazar hin und her rasseln, ausser einem vereinzelten russischen Pelz, der zu einem Baumwollhändler oder zu einem Fell- Aufkäufer gehört, erinnert nichts daran, dass es eine nichtmohamedanische Welt, eine westeuropäische Kultur, ein zwanzigstes Jahrhundert gibt. Seit einem Jahrtausend scheint hier das Leben sein eines, immer gleiches Geleise mit peinlich sorgender Achtsamkeit gezogen 60 zu sein, mit gleichen Erwerbsbedingungen hielten gleiche Ansprüche Schritt, mit gleichen Anschauungen blieben gleiche Sitten und Gewohn- heiten verbunden. Was alles unsere Vorstellung unter dem Begriff des Orients erkennt, Farbe und Licht, lärmendes Strassengewühl zwischen gefängnisgleichen Hof- und Häusermauern, stolze Würde und gemessene Ruhe, fatalistisches Verzichten und fanatisch eiferndes Glauben, heitere Geselligkeit des Marktes und starr schematische Andachtsübungen, frohes Geniessen der Masse und brutale, menschenverkennende Grausamkeit despotischer Herren, Freiheit des Mannes und Knechtschaft des Weibes, all das blüht und treibt in immer frischer Erneuerung in Buchara, heute wie im Mittelalter und reicher entfaltet als in irgend einem anderen Lande. Nach Buchara muss gehen, wer einen wahrhaft unverfälschten Orient kennen lernen, wer sein Auge und seine Erinnerung mit den Bildern des Ostens füllen will, die seine Vorstellung und seine Erwartung seit den Märchen von »Tausend und eine Nacht« sich phantasievoll ersonnen haben. Der Weg nach Buchara geht durch einige Gartenanlagen, die sich an den Bahnhof anschliessen, und durch eine beiderseits von Werkstätten, Verkaufsständen, Theehäusern eingefasste Vorstadtstrasse zu einem der elf Tore, die die Stadtmauer unterbrechen. Zwei mächtige, runde, leicht konisch verjüngte Türme flankieren einen schmalen, zu einem Kielbogen- Portal ausgeschnittenen Mittelbau. Der obere Teil des Bogens ist massiv gemauert und nischenförmig vertieft, der untere durch Querbalken abgestützt, er bildet in seiner vollen Breite den eigentlichen Durchgang, dessen Decke gleichfalls durch ein Balkengerüst getragen wird. Um den Sims des Tores setzt sich der Zinnenkranz der Mauer fort, den rechten Turm spaltet ein breiter, von oben nach unten durchlaufender Riss, den man seinem Schicksal zu überlassen scheint. Über dem Ganzen liegt etwas Düsteres, Schweres und Unheimliches. Das scharfe Licht des blendenden Tages, der auf das lehmgraue Gemäuer brennt, bricht plötzlich in jenem engen dunklen Torweg, gegen den sich die Strasse etwas senkt, ab, und wie in einen lauernden Abgrund stürzt sich die lärmende Flut des Lebensstromes in Buchara hinein, ein langer Zug von Wagen, Reitern, Tieren, Fussgängern, so gedrängt und drängend, überstürzend, sich auf den Fersen, dass man nur immer darüber staunt, dass nicht einer den anderen zerdrückt oder zertritt. Der Abgrund ist nicht so schlimm, wie er ausschaut, nach wenigen Augenblicken taucht das Gewühl am inneren Torportal wieder auf und wälzt sich in eine schmale Strasse, die teils zwischen langen Lehmmauern hinläuft, den licht-, farb-, und schmucklosen Aussenwän len der Häuser, in die nur selten eine Tür, ganz vereinzelt eine lensterluke geschnitten ist, teils an der Seite von Gräben begleitet wird, die das Wasser des Serafschan durch 61 die Stadt leiten, oder an einem jener zahllosen Teiche vorüberführt, die zum Schöpfen des Trink- und Gebrauchswassers, zum Tränken der Pferde, zum Baden von Ross und Reiter, zur Vornahme der rituellen Waschungen, also so ziemlich allen denkbaren Bestimmungen dienen, aller möglichen Verunreinigung ausgesetzt sind und sie kräftig weiter verbreiten. Am Rande der Gräben breiten einzeln stehende Pappeln, zum Teil altersstarke Riesenbäume, ihre schützenden Arme über das Wasser, das der Sonnendurst so rasch verzehren will, Stein- und Holzbrücken über- spannen die Kanäle, an deren jenseitigem Ufer man Lagerplätze, Gärten, Höfe mit schmalen Pforten und die Mündungen gewundener Gassen und Gässchen bemerkt. Dazwischen lässt wohl ein Bogenportal den Blick auf einen der vielen Kirchhöfe frei, die teils von innen oder aussen an die Stadtmauer angeklebt, teils innerhalb der Stadt, von Mauern umschlossen, verstreut sind. Die Gräber zeigen alle die Gestalt eines länglichen Hügels mit dem Querschnitt des Kielbogens, jener typischen Grundform der persischen Portale und Nischen. Ihr flüchtiges Lehmgebäude schützt nicht allzulange, was man ihm anvertraut, bald zerfällt es durch Regen und Wind, ein verderblicher Foetor verpestet die Umgebung, später bleichen lose Gebeine in der Sonne. Sorgfältiger, meist gemauert, sind die Gräber vornehmer oder gelehrter und als Heilige verehrter Toten, über ihnen wehen an hoher Stange Tuchfetzen oder Rossschweife, neben sie hat opfernde Liebe oder Furcht Steine und Widderhörner zum Gedächtnis gelegt. Nach 10—15 Minuten Fahrt bringt uns die Strasse oder besser der Weg — europäische Vorstellungen von jener muss man zu Hause lassen — zum Anfang des Bazars. Hier hat Herr Apotheker Reinhard nach langen Verhandlungen ein Grundstück erwerben und das erste europäische Haus erbauen dürfen, in dem er seinen, wie ich sah, auch bei den eingeborenen Moslems völlig eingeführten Medicin-Verkehr unterhielt, ein bemerkenswerter Erfolg, der darum nicht geringer ist, weil es sich meist um Handverkauf, namentlich wohl um Chinin gegen Malaria handelte, Herr Reinhard besitzt ausser dieser Apotheke in dem alten Buchara auch eine solche in dem russischen Kagan, ich kann seinen Namen nicht erwähnen, ohne seiner und seiner Gattin freundlicher Unterstützung und ihrer liebens- würdigen Gastfreundschaft dankbarst zu gedenken. Der Bazar von Buchara, bei Weitem der grösste in Mittelasien, gewiss auch der grösste des gesamten Orients, besteht aus einem Netz von schmalen Gassen, die sich teils winklig kreuzen, teils sternförmig ın grossen runden hochgewölbten Hallen, sogenannten »Tschar-Ssu«e zu- sammenlaufen. In geringer Höhe angebrachte Bedachungen aus Matten oder Tüchern über Holzgerüsten und aus Stein gemauerte (Gewölbe schützen gegen die Sonne, tauchen die Strassen in ein wohltuendes, ab- geblendetes und kühles Halbdunkel und geben dem Leben in ihnen, das dadurch gleichsam sich näherrückt, ein eigentümlich intimes Gepräge. 62 An den Seiten reiht sich Bude an Bude, eine Verkaufsstelle und eine Werkstätte an die andere, wie überall im Orient nach den Waren und nach dem Handwerk strassenweise geordnet. Schier endlose Reihen, in denen nur Manufakturstoffe, andere, in denen nur Seidentücher verkauft werden, in denen nur Teppiche, nur die prachtvollen seidengestickten Decken oder die kostbaren Leichentücher aufgespeichert liegen, lösen sich mit solchen ab, in denen Hunderte von Zucker- und Kolonialwaren- händlern ihre zierlichen Läden öffnen. Man kommt aus dem Staunen über die grosse Zahl der Geschäfte gleicher Branche nicht heraus. In jedem fast sitzen zwei und mehr Verkäufer, und man kann sich kaum vorstellen, dass der Tagesumsatz ausreichenden oder gar lohnenden Verdienst bringt. Man muss freilich bedenken, wie gering die Ansprüche der Sarten bemessen sind, und muss sich auf der anderen Seite hüten, aus dem räumlichen Umfang auf den des Geschäftsumsatzes zu schliessen. Später in Samarkand wurden mir winzig kleine Manufakturläden gezeigt, halb so gross wie eine Durch- schnittsbude unserer Jahrmärkte alten Stils, die Hunderttausende jährlich umsetzten. Auf die Reihe von vielleicht einem Dutzend Werkstätten der Waffen- schmiede, die ältere und neuere bucharische Waffen, Säbel, persische Schilde, sartische Kettenpanzer und drollige überlange Steinschlossgewehre mit beweglicher Gabel zum Aufstellen beim Zielen ausgehängt haben, folgen die Strassen der Kupferschmiede, die alte im persisch-indischen Geschmack geformte, in Tauschir- und Ciselierarbeit verzierte Waffen, Geräte und Gefässe aus Bronze, Kupfer, Messing verkaufen, Wasser- pfeifen und Trommeln, Lampen, Vasen, Kannen, Schalen und Teller, Steigbügel, Schilde und Anderes mehr; daneben stellen sie neue einfache Ware selbst her, ihr unermüdliches Klopfen meldet von Weitem schon ihren Stand. Zuweilen spielt hier günstiger Zufall dem Liebhaber noch manches gute Stück in die Hände, doch tritt dieser Zufall von Tag zu Tag freilich seltener ein, da das Meiste weggekauft ist, und ein Ersatz von dem degenerativen Epigonen-Kunstgewerbe von heute nicht gestellt wird. Weiter führt ein scharfer Ledergeruch an Verkaufsständen vorüber, in denen gewebte Reisesäcke, sog. Kurjume, Doppeltaschen, fein oder gröber gearbeitet, die Begleiter jedes reisenden Sarten, ausliegen, zu den Schustern. Sie sitzen wieder nach Spezialitäten getrennt, die Flicker, die Verkäufer von Überschuhen und Gamaschen gesondert von denen, die jene hohen naturfarbenen Reiterstiefeln mit den hohen, spitzen, dem Schmutz der Lehmwege angepassten Absätzen feilbieten. Für sich sind die Schmiede, die das Allerweltsgerät des Sarten, den Spaten oder Ketmen anfertigen, für sich die Werkstätten für Nägel, Hufeisen, Ketten, für die Schellen der Esel, die Halfter der Kamele. Reihenweise sitzen die Peitschen-Dreher und Schabracken-Sticker, die 63 Sattel-Schnitzer, die Kürbis-Bohrer, die die unentbehrlichen Wasserpfeifen und die ebenso notwendigen häufig wunderlich phallisch geformten Tabaks-Büchsen herstellen; in langen Linien sind die Töpferwaren auf- gestapelt, einfache, mit altertümlichen Strich-Ornamenten verzierte Töpfe, Krüge, Wasserschalen und Lampen. In einer Gasse schnitzelt Tischler neben Tischler an Bettstellen, Kinderwiegen, Spielzeug, Haspeln, schneidet Vogelbauer und Laternen und drechselt Spindeln auf die primitivste Weise mittelst eines hin- und hergezogenen Riemens. Unter den Gewölben eines grossen Tschar-Ssu ist der Mützenbazar; an unzähligen Haken und Ständern leuchten in allen Farben und Schim- mern die seidengestickten Kappen, die sich die Sarten auf den kahl- rasierten Kopf setzen, und die tatarischen Pelzmützen, dicht daneben verkauft man meterlange weisse und gestreifte Shawls für die Tschalma, den Turban, der um die Kappen in kunstvollen Windungen geschlungen wird. Gegenüber erhalten wir die Gürtel, die den Tschapan festhalten und die hübsch gestickten Täschchen, die mit Geld, Messern, Kämmen, Feuerzeug und ähnlichem gefüllt an ihnen herunterhängen. Auch alte gestickte, mit Silberplatten beschlagene Gürtel trifft man hier noch. An einer anderen Strassenkreuzung haben Buchhändler und Ver- käufer von Schreibmaterialien und Papier ihre Tische aufgeschlagen, man bekommt hier die langen vierkantigen Schreibkästen aus Holz oder Messing mit eingesetztem Tintenfass, alle einfach, roh und schlecht, dann Korane, Lesebücher und hübsche Mappen aus gepunztem Leder. Weiterhin sind die Budenreihen der Geldwechsler, die hinter aufgetürmten Haufen von Kupfer-, Messing- und Silbermünzen steif und würdevoll tronen, scheinbar teilnahmlos in die Luft starren, in Wirklichkeit aber mit Argus- augen ihre Schätze bewachen. Nur mit den Händen sind sie fast immer in Bewegung, sei es, dass sie in ihre Bücher eintragen oder mit dem vechenbrett klappern oder in beständigem Hin und Her die Münzen von einer Hand in die andere zählen. Nicht minder, als über die Masse des semünzten Geldes war ich über die Zahl der Hundertrubel-Scheine er- staunt, die so ein Wucherer aus einem besonderen Versteck unter einem Buch, einer Decke hervorholte, und wie er dann die Scheine bedächtig strich und zählte und wieder zurücklegte, sass da der fleischgewordene Geiz, die behäbig protzende Freude am Besitz und die satte Selbstzu- friedenheit des gefüllten Geldbeutels. Was für Kleingeld zu einem Wechler- geschäft gehört, wird klar, wenn ich erwähne, dass 64 Pul (das ist die ungeprägte Messingmünze Buchara’s) auf eine Tenga (die geprägte Silber- münze) gehen, und dass sechs Tenga einen Rubel machen, das sind also fast 400 Geldstücke auf einen Rubel, ein Hundertrubel-Schein verlangt also 40 000 davon. Eine dritte Münze ist die kupferne Meri, von der vier auf eine Tenga gehen. Ausser bucharischen und russischen Münzen findet man auf dem Bazar noch persische, afghanische und indische. 64 Fast alle Bazarbuden liegen erhöht. Etwa 1/s—?/ı Meter hohe, massiv gemauerte Sockel oder auf gemauerten Pfeilern ruhende Balken- gerüste tragen die mit Matten und Decken belegte Plattform, auf der die Verkäufer mit untergeschlagenen Beinen in Hock- oder halb liegender Stellung auf die Kunden warten. Die Buden selbst sind zum grösseren Teile Massivbauten, aus denen viereckige Gelasse herausgeschnitten sind, oder deren ganze Vorderwand bis auf die Stützpfosten zwischen je zwei benachbarten Abteilen fehlt und durch Holzboden ersetzt ist, die am Tage zurückgeklappt, nachmittags nach Schluss der Geschäftszeit vorgelegt werden. Zum Teile sind es Baracken, deren Holzdächer vorne überstehen und, durch Pfosten gestützt, Vorhallen bilden, in denen die ausgelegten Waren und ihre Verkäufer vor der Sonne sicher sind, zum Teil endlich iuftige, nur aus Dach und Rückwand bestehende Hallen und Verschläge, die vorn durch Matten oder Vorhänge abgeschlossen werden. Von den Decken der Buden sieht man zuweilen Trommeln herunter- hängen. Es sind die Instrumente der Nachtwächter, die Schwestern der früher bei uns üblichen Hörner und wie diese dazu bestimmt, Zeit und Wachsamkeit zu verkünden, die Wächter selbst wachzuhalten, die Ein- wohner vor unerlaubtem Nachtschwärmen zu warnen und Diebsgesindel rechtzeitig zu benachrichtigen, dass der Wandelposten der heiligen Her- mandad naht. Zwischen die Verkaufsbuden des Bazars sind gruppenweise oder einzeln an Strassenecken und in Seitengängen unzählige Garküchen, Bäckereien und Wirtschaften eingestreut, in denen ununterbrochenes Kochen, Braten, Backen für die leiblichen Bedürfnisse der vieltausend- köpfigen Menschenmenge sorgt, die den Bazar bevölkert und ihn unab- lässig durchflutet. Lang ist die Geschäftszeit nicht, so gegen 10 Uhr erscheinen die Verkäufer und gegen 4, spätestens 5 Uhr schliessen sie wieder, die eigentliche Mittags- oder Hauptmahlzeit wird ausserdem erst gegen Abend genommen, aber müssen schon die Ortsangesessenen etwas frühstücken, so sind die vielen Fremden, die in der Stadt verkaufende oder einkaufende Landbevölkerung, die Hunderte der Arben-Kutscher, die Tausende der Karawanenführer zu ihrer Beköstigung auf den Bazar angewiesen. Da wird also Plow oder Pillau gekocht, das ausgezeichnete tatarische mittelasiatische Curry-Surrogat, da werden auf dünne Eisen- stäbchen je drei aufeinander gespiesste Hammelfleischstücke auf dem Rost gebraten und als schmackhaftes Schaschlyk einladend und hübsch in Reih und Glied nebeneinandergelegt. In eigentümlichen Backöfen von der Form einer Tonne und aus Ton gebrannt, wird das in flache Scheiben geknetete Brot gebacken, und zwar so, dass man in dem Ofen Feuer an- macht, ihn erhitzt, und dann nach Entfernen der Kohlen die Brote an die Innenwände anklebt. Es sieht höchst drollig aus, wenn an einem solchen Ofen zwei Maun gleichzeitig arbeiten und abwechselnd mit dem 65 Kopf tief in die Tonne sich in gleichmässigen Rythmen bücken, um die Teigstücke anzukleben, dabei mit dem ganzen Oberkörper fast ver- schwinden und dann wieder hervortauchen. Brot ist das Allerweltsnahrungs- mittel, für die arme Bevölkerung neben Obst, Weintrauben, Äpfeln, Gra- naten, Pfirsichen und namentlich Melonen ziemlich das einzige. Ich fand es sehr schmackhaft und habe oft beim Durchwandern der Bazare damit meinen Magen befriedigt. Die Wirtschaften verzapfen natürlich keine alkoholhaltigen Getränke, keinen Wein und kein Bier. Im Altertum hat Turkestan erwiesener- massen Wein hergestellt, seit der muhamedanischen Zeit aber baut man nur wenig Wein und auch den nur wegen der Trauben. Ich will dabei erwähnen, dass nach v. Schwartz in den russischen Gouvernements Schnaps und Bier beginnen, das Gewissen des Moslem zu gewundenen Entschuldigungen zu verführen und leider, leider Aussichten haben, ihre verderblichen Wirkungen von der russischen Bevölkerung auf die ein- heimische auszudehnen. Heute spielt noch der Thee wie in Ostasien, so auch in Mittelasien die erste Rolle, und es wäre lebhaft zu wünschen, dass er sie dauernd behielte. Ich glaube kaum, dass die Mischrasse Turkestans den Alkohol lange vertragen könnte, ohne einzugehen. Manchem Beurteiler und manchem Gesichtspunkt möchte das freilich unerheblich oder gar wünschenswert erscheinen, aber wer weiss, ob nicht die neuen politischen Verhältnisse in ihren kulturellen Folgen die Weiterentwicklung des Volkes günstig zu beeinflussen imstande sind? Durch den Alkohol wird eine solche Wendung von vornherein abgeschnitten werden. Und selbst wenn den Sarten das Glück nicht beschieden wäre, die Zukunft ihres Landes zu erleben, könnte man nicht wünschen, ihre Verderbnis durch den Alkohol in gefahrdrohendem Masse beschleunigt zu sehen. Sie bleiben besser bei dem Thee, der in ungemessenen Mengen kon- sumiert wird. Meist ist es grüner T'hee, dessen Kenntnis und Gebrauch wohl auf chinesische Einflüsse zurückgeht, da der indische grüne Thee, der gleichfalls importiert wird, für den turkestanischen Geschmack erst besonders angebaut bezw. gepflegt wurde. Man trinkt hier in Mittelasien Thee vom Morgen bis zum Abend, Winter und Sommer, im Geschäft und zu Hause, bei Besuch und Ge- sellschaft, kurz immer und überall; auf dem Bazar lassen sich die Kauf- leute und Handwerker während der Geschäftszeit Kannen mit kochendem Wasser aus den Theehäusern kommen und bereiten sich die unentbehr- liche Erfrischung in ihren Buden selbst, oder sie gehen, wie alle Welt sonst nach Ladenschluss in die öffentlichen Schenken, die zu vielen Hunderten an den Hauptstrassen der Bazarstadt liegen. Es sind offene Hallen, wie die Läden erhöht, zuweilen durch gleichhohe tischartige Plattformen nach der Strasse zu verbreitert und mit Decken belegt, auf denen die Leute hocken und knien, Thee trinken, schwatzen, Schach 66 spielen, rauchen oder Märchenerzählern zuhören, stundenlang in süssem Nichtstun verbringend mit ihren grossen ruhigen Augen in das Ge- wimmel schauen, das sich an ihnen vorbeidrängt. In diesen Thee- stuben werden zum Kochen des Wassers jetzt allgemein russische Samoware, häufig riesigen Umfanges, verwendet, auch in Privathäusern finden sie immer mehr Eingang. Ausser Thee bietet der Bazar an Erfrischungen Süssigkeiten wie Limonaden, Honig, Syrup und Eis, die auf freistehenden Tischen auf der Strasse verkauft werden, und vor allem die unentbehrliche Wasser- pfeife. Diese hat in Turkestan eine besondere Form, sie besteht aus einem sanduhrförmisen Kürbis, der entweder frei in der Hand gehalten wird oder auf einem zierlich durchbrochenen Fuss aus Messing oder Kupfer ruht. Im Mantel des Kürbis sind zwei Löcher, eines in der Mitte für das zum Einziehen des Rauches dienende Ansatzrohr und eines nach oben davon, durch das man Luft einbläst, wenn man die Pfeife stärker in Brand setzen will, und das man beim Rauchen mit dem Finger schliesst. Der oberen Öffnung der Pfeife ist ein Napf aus Ton aufgesetzt, der mit den Tabaksblättern gefüllt wird. Auf die Letzteren lest man glühende Kohlen. Diese Wasserpfeifen sind vom hygienischen wie vom aesthetischen Standpunkte das Scheusslichste, was man sich denken kann, da sie von besonderen Pfeifenträgern, Erwachsenen und Jungen, auf dem Bazar herumgetragen und jetzt von diesem, im nächsten Augenblick von jenem benutzt werden. Diese Pfeifenleute sind natürlich das ärmlichste und schmutzigste Volk, und wenn sie ihre Tschilims erst noch mal selbst tüchtig anblasen und dann unter den Kunden ver- schiedenster Sauberkeit herumreichen, so kann sich der Bazillen-Kenner eines gewissen Grauens nicht erwehren. Nicht immer, aber zuweilen wird der Zug bezahlt. Durchwee scheint dies der Fall zu sein in den besonderen Rauchkabinetts, die ich in Buchara sah. Mein sartischer Begleiter bat mich, ihn einen Augenblick entschuldigen zu wollen, er wolle mal rauchen, und ging dann durch einen schmalen Nebengang, den ich selbst gar nicht gesehen hatte, in ein kleines niedriges Gewölbe, in dessen Halbdunkel ich ca. 10 Personen um einen grossen Wasser- kessel herumhocken sah. In diesen Wassertopf warf mein Sarte ein Geldstück, und dann durfte er aus der ihm gereichten Pfeife einige Züge tun. Diese Art der Bezahlung, eine Erinnerung an den verdeckten Kauf, war mir besonders interessant. Durch die Bazarstrassen Bucharas zu schlendern ist ein nie er- müdender, stets neue Abwechslung und neue Bilderfolgen bringender Genuss. Welche Fülle der anthropologischen und ethnographischen Typen ! Die bunten langen Tscebapane der Bucharioten und ihre weissen Tschalmas strahlen blendend den Sonnenglanz wieder und leuchten aus dem Dämmer- dunkel der Strassen und der Theehäuser hell heraus. Die Verkäufer 67 sitzen hinter ihren Waren mit der Würde eines Königs und der Nach- lässigkeit eines Aristokraten, den die Welt nichts angeht, nie locken sie den Kunden an, nie rufen oder schreien sie ihm nach, wenn er zum nächsten Stand geht, nie preisen sie ihre Ware an, höchstens, dass einer, wenn er merkt, dass man etwas Bestimmtes sucht, den vermuteten Gegen- stand zeigt oder durch einen Boten, der uns leicht am Ärmel zupft, auf ihn aufmerksam machen lässt. Obgleich die Konkurrenz dank der Gruppen-Anordnung fast aufeinandersitzt, ist nirgends etwas von Kon- kurrenzneid zu sehen. Lässt man sich z. B. Tücher oder Decken zeigen und zu Dutzenden auseinanderbreiten, was mit einer gewissen stillen Gemessenheit geschieht, so wird der Verkäufer sie mit derselben Gemüts- ruhe wieder zusammenfalten und fortlegen, wenn man nichts gekauft hat, und mit einem gleichgültigen Blick über uns hinweg in die Luft gucken, der fast beleidigend vornehm ist. Mit derselben Gelassenheit steckt er aber auch das Geld für die verkaufte Ware ein. Zwischen den Ständen drängt und schiebt sich ein unablässig hin- und herwogendes Gewühl durch die engen Gassen, Herren in seidenen Röcken schreiten aufrecht und gravitätisch an den Buden entlang, eilige Diener in schmut- zigem Baumwollchalat besorgen ihre Gänge, langbeinige unbeholfene Landleute in rotem Turban und hohen gelben Reiterstiefeln bewundern den Markt, da sieht man hohe schlanke leicht gebeugte Gestalten bucha- rischer Juden, in dunkler Kappe und dunklen Röcken, die durch einen Strick in der Taille zusammengehalten werden; schmächtige rasche Inder. unter deren schwarzer Mütze die Kastenmarke die gelbe Stirn zeichnet, mit dunklen lebhaften schlauen Augen; breite Kirgisen in riesigen Pelzen und noch umfangreichere Kireisinnen, deren grobe Gesichter von grossen, weissen, um Kopf und Hals geschlungenen Tüchern noch dicker herausgepresst werden; hochgewachsene Perser mit hässlich rot gefärbtem Bart und stolze afshanische Männerschönheiten. Vermummte Frauen huschen dazwischen hin, unförmliche Puppen, deren Figur die Parandscha, ein blauer Überchalat mit leeren auf dem Rücken zusammengenähten Ärmeln, versteckt, und deren Gesicht ein dichtes schwarzes Rosshaarnetz verhüllt, das auch nicht das Mindeste von den Gesichtszügen erkennen lässt. Ihre Füsse stecken in denselben Leder- strümpfen und Überschuhen wie die der Männer. Das Gros der sartischen Bevölkerung bemüht sich, so wenig wie möglich zu Fuss zu gehen. Wer es irgend erschwingen kann, macht sich, zu Pferd oder zu Esel, beritten. Auch auf dem Bazar, und dadurch erhält der natürlich ein ganz charakteristisches Gepräge; ein Leben und eine Bewegung kommt in ihn hinein, wie auf keinem Markte der Welt, und gesteigert durch die in der Bewegung verdoppelte Farbenwirkung der elänzenden und leuchtenden Stoffe. Das Gedränge wird weiter ver stärkt durch die rücksichtslos durchjagenden russischen Wagen, vor 5b = 68 denen sich Fussgänger wie Reiter zur Seite drücken, durch die langen Kamelzüge und die breiten Lastwagen, die auch jenen den Weg sperren und den ganzen Verkehr hemmen, bis sie in einer Seitengasse oder in einer jener zahlreichen Karawansareien verschwunden sind, die im Innern der Häuserblocks des Bazars gelegen zur Aufnahme der Importwaren und der Händler, die sie gebracht, zur Aufspeicherung von Baumwolle, Teppichen, Fellen, Pelzen und anderem, zugleich als Wohnungen fremder Kolonien, wie der Hindus, und früher der Europäer, dienen: Offene Höfe, um die herum Ställe, Magazine und auf erhöhten Plattformen kasemattenähnliche asketenhaft schlicht eingerichtete Wohnräume grup- piert sind. So drängt ein fremdartiges, farbiges, lebendiges Treiben durch die Strassen Bucharas. Und welche Fülle von neuen, lustigen und traurigen, schönen und hässlichen Strichen offenbart dieses fesselnde Bild, wenn man in seine Einzelheiten blickt. Da bewundert man die Dressur von Reiter und Ross, die auf Millimeter reagieren müssen, um nicht von dem Gedränge gequetscht zu werden. Da treibt ein Sarte schlendernd im schleppenden Schlafrock einen Zug beladener Esel gemächlich vor sich her, unser Wagen macht sie scheu, zwängt sie aneinander und jagt den Vordersten strassenweit davon, ohne dass der in komischen Sätzen hinterher stürmende Besitzer sein rastlos weiterzuckelndes Tier, dem die Enge des Weges ein Stillstehen oder Ausweichen unmöglich macht, einfangen kann. An einem der vielen ummauerton Teiche schreit ein blödsinniger Derwisch zu dem klanglosen Geklimper einer Guitarre, wahrscheinlich singt er alte Balladen, Heldenlieder oder dergl. Gegen- über versammelt ein würdiger alter Herr einen grösseren Kreis um sich und erzählt den aufmerksamen Lauschern unter lebhaftem Gestikulieren Märchen und Geschichten. Nicht weit davon sitzt ein Junge und nietet altes Porzellan. Aber wie er das macht. Er wickelt die Schnur eines Fiedelbogens zweimal um ein Stäbchen, in das unten ein Eisenstift ein- gelassen ist, sägt mit dem Bogen hin und her und durchbohrt so das Porzellan. Die Niete macht er sich aus Messingmünzen zurecht. Neben ihm hockt ein Alter, er lässt sich den Kopf von dem ambulant wirkenden Barbier rasieren. Ein paar Schritte weiter zwischen Garküchen und Obstverkäufern hindurch, und man zeigt uns den Platz, auf dem Seine Hoheit der Emir von Buchara seine Opfer exekutieren lässt. An der Ecke lockt eintönig dumpfes Geräusch, wir treten in eine Art Keller- raum und sehen, wie da in fast völliger Finsternis ein Pferd im Kreise herumgetrieben wird und einen über cylindrischem Sockel angebrachten Mühlstein dreht. Dabei sitzen die Leute, die ihr Korn gebracht, und warten, bis sie das Mehl mitnehmen können. Wir treten wieder hinaus in die enge Gasse, in der sich die Menge staut, der Minister des Äussern reitet, von Adjutanten begleitet, vorüber, eine prachtvolle Erscheinung, 69 der echte Prinz aus »Tausend und eine Nacht«. Das wundervolle Ross mit Schabracken bedeckt, der Reiter in gesticktem Chalat aus schwerer, hellblauer Seide, die in grossen Linien fällt und die aufrechte Gestalt prächtig hebt und vergrössert. Ein silber- und edelsteinverzierter Gürtel ist um den reichen Unterchalat geschlungen und hält den nicht minder kostbaren Säbel. Unter einem weissen Riesenturban aus feinstem Kaschmir-Stoff dunkelt ein grosser und bedeutender Kopf, stolz auf starkem Nacken getragen, mit tiefschwarzen glänzenden Augen und jenen eigentümlichen Gesichtszügen, in denen männlich -kraftvoller Ausdruck sich mit leicht weiblicher Fülle und Weichheit mischt, und denen man bei den Tadschiken Bucharas so oft begegnet. Die Begleiter des Ministers sind dem Rangunterschied nach weniger kostbar gekleidet, aber auch sie machen in diesem Zuge, der wie eine Traumerscheinung vorüberrauscht, imposante Figuren. Die Menge schliesst sich und flutet im alten Strom weiter, andere Reitergestalten tauchen aus ihr auf, Jungen von 7 oder 8 Jahren, die ihre Pferde geschickt wie die ältesten Reiter lenken, Männer zu zweit hintereinander auf einem Esel oder Pferd, Väter mit ihren Babys hinter sich im Sattel oder gar mit der ganzen Familie auf demselben Ross, das Mann, Kinder und das blaue Gespenst der armen vermummten Frau trägt. Unaufhörlich ertönt das »Poscht«, »Poscht« (Vorgesehen!) der Reiter und Wagenfühser, gilt es bepackten Eseln, die nicht weiter können, Brotverkäufern, die mit ihren grossen über den Kopf getragenen Platten in Gefahr kommen, Wasserhändlern und Strassensprengern, die mit den grossen gefüllten Tierschläuchen den Weg versperren, oder gilt es hoch- räderigen Arbas, die sich in dem Schmutz festgefahren, Kamelen, deren Leittier an der Spitze nicht vorwärts kann, Reitern, die vor Bazar- buden halten und vom Pferde aus ihre Einkäufe besorgen, angepflockten Pferden oder Eseln, deren Reiter in der Theebude sitzt, oder entgegen- kommenden Reitern, die sich vor einem allzu dicht vorbeistürmenden Wagen oft nur dadurch retten können, dass sie das gefährdete Bein auf die andere Seite schlagen und mit Kosakengeschicklichkeit sich so lange halten, bis die Gefahr vorüber. Dabei geht alles mit anerkennenswerter Geduld, ohne Geschrei und Geschimpfe ab. Man sieht wohl ein, dass sich schmale Gassen und grosser Verkehr nicht besser in Einklang bringen lassen, als wenn jeder mit möglichster Ruhe sich mit dem Gegebenen abfindet und ins Unvermeidliche sich schickt. Wir sind gerade in einer der schmalsten der überdachten Bazar- strassen, als von ferne herüberklingendes Trommeln die Rückkehr des Militärs vom Exerzierplatz ankünden. Das ist etwas für uns, Augen offen. Die Musik kommt näher, aber vergebens sucht man in ihr irgend einen Takt oder eine Melodie, sie besteht aus den plärrenden Tönen einiger Schalmeien, zwischen die ab und an ein Trommelschlag fährt, 70 wie ein keifendes Wort zwischen Kindergeschrei. Jetzt biegen die Truppen um die Ecke, ihr Marsch entspricht der Musik, zu zweien oder dreien wandern sie neben einander ohne Tritt dahin, marschieren kann man es nicht nennen, hinter den räsonnierenden Musikanten schreiten Soldaten mit entfalteten Fahnen, d. h. schmutzigen weissen Lappen mit einigen Schriftzeichen darauf, dahinter reiten einige hohe und höchste Offiziere, mit mächtigen Orden behängt, in dunklen Waffenröcken und roten Hosen, dahinter gehen Unteroffiziere mit langen Holz- und Eisen- stöcken, dann folgen die Truppen, ein durcheinandergewürfeltes Volk denkbar geringster militärischer Qualität. Alle Altersklassen, vom Jüng- ling bis zum Greise, und alle Körpergrössen gehen da neben einander her, die Uniform ist schmutzig, zerrissen, halb offen, zuweilen weist die Dienst-Hose so bedenkliche Defekte, dass der eingesteckte Chalat seinem Freiheitsdrange nachgeben und den Versuch zum Entschlüpfen machen kann. Die nach russischer Art mit Bajonnet getragenen Gewehre werden natürlich nachlässig gehalten, die Mütze sitzt willkürlich, die Körperhal- tung ist entsprechend, der Ernährungszustand der Leute scheint mangelhaft. Der Eindruck, den ich von den paar hundert Mann der bucharischen Armee, die ich gesehen, mitnahm, war unsäglich traurig — oder komisch, je nachdem. Russland ist sie nicht gefährlich, nicht einmal in dem Masse, wie die Turkmenen und die Truppen des Chanats Kokand es früher ein- mal, wenngleich vorübergehend, waren. Übrigens sind die Soldaten Buchara’s nach den paar Stunden ihres Dienstes in der Früh und ausser einigen Wachen militärfrei, sie können dann Geschäfte betreiben oder sonst tun und lassen, was sie wollen. Verlassen wir den Bazar und sehen wir uns das übrige Buchara an. Durch Gassen voller Garküchen, Obsthändler, Gemüsekrämer und Fleischer kommt man zum grössten Platz der Stadt, zum Registan, der mit Buden bestanden, von einer buntfarbigen Menschenmenge bevölkert, vor der hochgelegenen, von Weitem gesehen sehr eindrucksvollen Burg des Emirs sich breitet. Er steigt langsam gegen den künstlichen, 15 Meter hohen Hügel an, der die Basis der Burg bildet, eine breite, von Brüstungen eingefasste Auffahrt verbindet ihn mit dem Portal, das hier die zinnge- krönte Mauer unterbricht. Zwei mächtig aufstrebende runde Seitentürme rahmen einen dreistöckigen Mittelbau ein. In der unteren Hälfte ist er zu der üblichen Kielbogen-Nische ausgeschnitten, in deren Rückwand sich das viereckige Eingangstor öffnet, die obere Hälfte teilt sich in ein Stock- werk mit fünf Fenstern und eine Loggia darüber, die im der Mitte eine europäische Turmuhr zeigt. Die Burg macht sich vom Registan aus wenig bedeutend, man steht zu nahe, der Platz ist zu klein und zu voll, als dass man ihre Höhe und ihren Umfang ermessen, und eine den Grössenverhältnissen ent- 71 sprechende Wirkung bekommen könnte. Eindrucksvoll ist höchstens das düstere Grau des Gemäuers und eine Unbehaglichkeit, die dem halb festungs-, halb gefängnisartigen Tor entströmmt. Rechts vom Eingang liegen erbeutete Kokander Kanonen, in einer Seitengasse daneben sehen wir in einer offenen Halle den Artilleriepark der bucharischen Armee aufgefahren, historische Stücke mit langen Rohren, deren Mündung wie das Maul eines Drachens geformt ist, und mit gewaltigen Rädern wie die der Arbas. Eine Wache von zwei Mann, die vergnüglich um einen Kessel voll Plow hocken, verwehrt den Zutritt und die nähere Besichtigung der vorsintflutlichen Museumsstücke. Wie isoliert der Burghügel auf dem ebenen Stadtplan Bucharas steht, wie un- vermittelt und wie hoch er sich über ihm erhebt, erkennt man am besten von der dem Eingang entgegengesetzten Seite, wo, einige Quartiere von ihm getrennt, ein zweiter kleinerer Hügel das berüchtigte Gefängnis trägt. Von hier hat man ganz den Eindruck einer Zwingburg, die das Volk in Zucht hält, und einer uneinnehmbaren Festung, die Schloss, Harems, Moscheen, Dienstwohnungen der Beamten einschliesst. Wir besuchen bei der Gelegenheit das Gefängnis. Begleitet von einem in Buchara ansässigen uns bekannten Kaufmanne, Herrn Braude, der mir seine Zeit und seine Kenntnisse der sartischen Sprache hülfreich zur Verfügung stellte, konnte ich zu meinem Erstaunen ohne zu fragen oder gefragt zu werden zwischen Soldaten und Wärtern das Portal durch- schreiten, konnte mich auf dem Hof umsehen und durch eine schmale, niedrige Tür in die Gefängniszellen hinuntersteigen. Es sind das tiefe, kuppelförmige Kellergewölbe, durch eine Öffnung in der Decke erhellt. In ihnen lagerten und kauerten die Gefangenen, etwa 12—15 in einer Zelle, durch eiserne Halsketten und Fussschellen aneinandergeschlossen, auf blosser Erde zwischen Kleiderlumpen und stierten uns stumpf und teilnahmlos oder neugierig an. Es war fast, wie wenn Tiere in den Käfig gesperrt sind. Die Besucher dürfen den Leuten Geld-Almosen geben, ja früher waren die Gefangenen sogar ganz auf sie angewiesen, und heute noch sollen sie es zum Teil sein. Man hat diese Löcher für die elendesten, unmenschlichsten Gefäng- nisse erklärt, die es auf der Welt gibt, und es ist wahr, Regen, Schnee und Kälte dringen unbehindert hinein, von den Wänden hallt das Ketten- gerassel schauerlich wieder, und wenn keine mildtätigen Besucher da sind, können die Gefangenen verhungern. Aber man darf nicht mit unseren Anschauungen in diese Stätten hineinschauen, man vergleicht so gerne, ohne darauf zu achten, ob die Linien auch recht gleichgerichtet und vergleichbar sind. Das Gefängnis ist nicht mit unseren Wohnungen sondern mit denen der armen sartischen Bevölkeruug auf eine Stufe zu stellen, und wenn man deren kahle und kalte Einfachheit kennt, verliert 72 jenes von seinem Schrecken, wenn natürlich auch die Grausamkeit des Ankettens und die Gewissenlosigkeit der Behandlung nichts an Entsetz- lichkeit einbüssen. Dem barbarischen Gefängnisse folgt für die zum Tode verurteilten eine nicht minder grauenvolle Exekution. Früher bestand sie darin, dass man die Leute in ein Kellerloch schloss und sie von Wanzen und Holz- käfern auffressen liess oder in Säcke genäht von dem 60 Meter hohen Minaret der Kaljan Moschee herunterstiess; dieses Minaret oder Manari Kaljan kann man als Wahrzeichen Bucharas betrachten, da es das höchste, überall sichtbare und besterhaltene Bauwerk ist, ein runder, mit farbigen Glasur-Ziegeln belester Turm, der in den unteren drei Vierteln sich konisch nach oben verjüngt, dann nach aussen kurz absetzt, in ein eylin- drisches, von Fenstern durchbrochenes Stockwerk übergeht und mit einem flachen, vorspringenden Dach abschliesst, aus dessen Mitte eine schlanke Kegelspitze aufsteigt. Heute schlägt man die Verurteilten auf dem Re- gistan mit Knüppeln tot oder schneidet ihnen den Hals ab. Früher soll der Emir solchen Exekutionen von einem Fenster des Burgportals zuge- sehen haben, heute wohnt er fast nie in Buchara, sondern auf seinem Schlosse bei Kermine, das er kaum verlässt. Die Beziehungen zwischen Fürst und Volk scheinen ziemlich gelockert, doch unterlasse ich es, wieder- zugeben, was-ich über die inneren politischen Strömungen hörte, da ich Authentisches nicht bringen kann, nur soviel, dass Gegensätze zwischen Alten und Jungen, russophilen und nationalen Bestrebungen bestehen, die vielleicht noch einmal zum Austrag kommen. Dann dürfte die Frucht ganz reif sein. Die Plattform des Verbrecherturms gewährt sicher eine ausgezeich- nete, umfassende Aussicht über Buchara, leider darf man nicht hinauf, und ich musste mich auf den immerhin leidlichen Überblick beschränken, den die Dächer der Häuser und Karawansareien bieten. Die Häuser sind nicht hoch, aber da sie sämtlich flache Dächer haben, so ist das (Gesichtsfeld wenig eingeschränkt, und der Einzelne kann von seinem Standort aus — der meinige war die Apotheke des Herrn Reinhard — ein gut Stück der Stadt übersehen. Ein Meer von grauen Lehmwänden und Lehmdächern dehnt sich rund um uns aus bis zu der nur stellenweise unterscheidbaren Ring- mauer. Ein wundervoller blauer Himmel und eine glänzende Sonne suchen vergebens, etwas Freude in diese starre Mässe hineinzubringen, die nur vereinzelte schwache Erhebungen in Form zeltartiger Aufbauten, wohl Schlafkammern für die heissen Sommernächte, und zahlreiche kurze und längere Risse, das sind Strassen, Gänge und Höfe, die von den Lehmwänden eingeschlossen werden, zeigt. Belebt wird sie durch Hunde und Katzen, die zwischen Abfall- und Scherbenhaufen nach Beute spähen, 13 durch schwarze Krähen, die sich auf den Gesimsen ausruhen. Hier und da erscheint ein Hausbewohner, der Teppiche aushängt oder ohne getane Arbeit auf seinem Altan in süssem Nichtstun sich sonnt. In der Ferne heben sich aus dem farblosen Meer leuchtende Inseln heraus, der schlanke, alle Umgebung hoch überragende Manari-Kaljan, andere niedrigere Minarets, steile und flache Kuppeln von Moscheen, in Bogennischen aufgelöste Etagen-Fassaden der Medressen. Dicht vor uns weicht das Häusergewirr vor einem grossen Platze zurück, hinter dem der Seitengiebel der Labi-Chaus-Moschee und -Medresse zwischen breitkronigen Bäumen aufsteigt. Die Sonne umschmeichelt sie, wie ein geschicktes Kammerkätzchen, das seine Herrin zu schmücken und durch Fröhlichkeit fröhlich zu stimmen weiss, Sie dunkelt die Portalnischen, rückt das Stein-Gitterwerk der Fenster in das richtige Licht, legt den roh geflickten Pfeilern vertuschende Farben auf und bringt die Loggien voll und plastisch heraus, die den einzelnen Schulzellen vorgelegt sind. Und der alte Bau, an dem die Zeit fleissig genagt, schmunzelt vor Wohl- behagen und Wärme und schaut drein wie ein vornehm geputzter Herr, während er im Grunde recht spiessbürgerlich einfache Kleider trägt. Ja, die Sonne liebt die boshaften Wahrheiten und die unzeitgemässen Enthüllungen, sie kann aber auch ein liebenswürdiger Schwerenöter und ein feiner Retoucheur sein, wenn sie will. Die hohe Tornische der Moschee umlagern Gruppen von Gläubigen, die der Koran-Auslegung eines Mullah lauschen; auf den bunten Ge- wändern der hockenden Männer, auf ihren weissen Turbanen bringt die freigebige Sonne die schönsten und leuchtendsten Wirkungen hervor. Nach rechts trifft der Blick den Labi-Chaus selbst, die Frucht- cisterne, ein weites quadratisches Becken, zu dem auf allen vier Seiten gemauerte Stufen hinunterführen. Wundervolle alte Bäume strecken ihre Zweige weit über das Wasser, Fruchtstände, Friseurläden und Thee- buden schliessen den Platz gegen die angrenzenden Bazarstrassen ab. Wie eine lichte Waldwiese zwischen dunklen Stämmen blinkt der Platz zu uns herauf und winkt uns, zu ihm zu kommen und das Bild zu schauen, das die Sonne auf dem Labi-Chaus beleuchtet, und an dessen fremder Schönheit das Auge des Westländers sich nicht satt sieht. Blendender Glanz, reiche Farbe, seltsame Gestalten. Da füllt ein Wasserverkäufer seinen Schlauch, der aus einer vollständigen Schafhaut mit zusammengebundenen Beinen besteht, zwischen schwatzenden Gruppen kreist der Tschilim, anderen klimpert ein zerlumpter Derwisch mit flat- terndem schwarzem Haar und fanatisch irrem Blick kaum hörbare Melodien vor und begleitet sie mit plärrendem Gesang. Hier wohnt die Gemütsruhe und die Beschaulichkeit des Orients. Hinter jener zwel- stöckigen Häuserreihe, durch die ein hohes Portal sich den Weg zum 74 Labi Chaus bricht, wogt das hastende Leben in den dunklen Bazar- strassen vorüber, hier, zwei Schritte davon, sammelt sich das Sonnen- licht auf glattem Wasserspiegel, auf lautlosen Fliesen, auf ruhenden Menschen, die die Stunden verträumen, und hilft der Bedürfnislosigkeit dieser Leute, ihrer materiellen wie geistigen Kargheit, das Wollen ein- zuschläfern, die Jugend zu dämpfen und das Alter zu trösten. Es gibt in Buchara eine grosse Zahl solcher Bassins auf stillen heimlichen Plätzen. Die Mauern alter Medressen, düsterer Häuser und verborgener Höfe halten das Geräusch des Tages von ihnen fern, schmale Gänge führen zu ihnen, die die Arbeit nicht durchlassen, nur ein Wasser- verkäufer hat in einer Ecke sich einen Verschlag gebaut, an dessen Pforten die gefüllten Schläuche wie tote Tiere herunterhängen. Auf den auseinandergefrorenen und verschobenen Stufen hockt ein Moslem und pflegt die rituelle Reinlichkeit, andere ruhen im Schatten des breiten Baumgeästes, das sich über das Wasser neigt und schützend die Arme gegen das drängende Sonnenlicht streckt. Nur kleine flinke Lichterchen finden dazwischen den Weg zum Grund und spielen in zahllosen Linien, Streifen und Kreisen auf dem festen Lehmboden und auf dem un- bewegten Cisternenspiegel. In tiefen regelmässigen Zügen hört man den Atem des Friedens hier gehen, aber dieser Friede ist nicht die Ruhe nach dem Sieg, vor neuem Kampf, sondern Lebensmüdigkeit, die das Wünschen verlernt hat und über die Hoffnung lächelt, eine Schwester jener Weltentsagung, die die Klostergänge Europas durchschreitet, mit gesenktem Haupt und mit lautlosen scheuen Schritten. Klöster in unserem Sinne gibt es in Turkestan nicht, aber die kleinen viereckigen Mauerlöcher, in denen die Zöglinge der Medressen oder Hochschulen wohnen, kann man den Klosterzellen vergleichen. Ein paar Decken, ein Teppich, Theekanne und Theekessel, Schreibzeug, Bücher und ein sehr niedriges Tischehen von vielleicht 30 cm Höhe sind das Mobiliar des Raumes das Jahre, zuweilen Jahrhunderte lang, die Wohnung der bucharischen Studenten bildet. Nach Albrecht soll es 103 Medressen mit über 10000 Studenten und 1000 Professoren in Buchara geben. Ihr Stil ist überall der gleiche, es sind stille, zuweilen mit einigen Gartenanlagen geschmückte Höfe, rings umschlossen von Ge- bäuden, ein- oder zweistöckigen mit flachem Dach, die die Zellen der Studenten enthalten und im Erdgeschoss direkt auf den Hof, im Ober- geschoss auf kleine Holzaltane sich öffnen, zu denen Treppen hinauf- führen. Die Hauptfront der Medressen ist ganz in Bogen-Nischen auf- gelöst und durch eine mittlere, durch beide Stockwerke durchgehende Portalnische in zwei Hälften geteilt, die jederseits mit einem runden Eckturm abschliessen. Die meisten stammen wohl aus dem 16. und 17. Jahrhundert, ihre Architektur ist einförmig und bescheiden, sie wirkt hauptsächlich durch den Grössengegensatz zu den unbedeutenden, meist 75 ärmlichen Lehmbuden der Umgebung, wenn auch der harmonischen Gliederung der Fassaden selbst in ihrem heutigen derangierten Zustande eine vornehme Würde nicht abzusprechen ist und dem aufwärtsstrebenden Gleichklang der symmetrisch geordneten Bogenreihen ein Nachhall von Kraft und Grösse folgt, der unvergänglich zu sein scheint. Die feinsten und reichsten Blüten treibt die Kunst in Mittelasien aber nicht auf bucharischem Boden, sondern in Samarkand. Vor der Hauptstadt des Timuridenreiches muss in dieser Beziehung das »Rom des Islam« wie Vambery die Metropole mohamedanischer Religion und Gelehrtheit nennt, zurückstehen, im übrigen aber gebührt Buchara unstreitig die Palme unter den Städten Turkestans. Es liegt noch in der Erinnerung vor mir da, wie ein in seltenen und satten Farben gewirkter Teppich, dessen schillernde Fläche von wunderbaren Ranken durchzogen, und dessen Felder mit wundervollen fremden Blumen über- sät sind. Ein Glanz und ein Leben steigt aus ihm auf, der die Augen füllt. Unzählige Fäden, deren jeder uns lockt, ihm zu folgen und ihn zu streicheln, bilden Tausende von Mustern, deren Sinn man ergründen und deren Ursprung man erforschen möchte. Der Rand des Teppichs ist stellenweise ausgerissen, und sein Gewebe zerfressen, aber nicht Zeit noch Zerstörung minderte Schönheit und Pracht. Mit schwerem Herzen gab ich ihn aus der Hand, bevor ich mich satt gesehen und bevor ich in alle Feinheiten eingedrungen, wie ich es brennend gewünscht. Aber ich durfte nicht säumen. Nachdem ich mit Hülfe meiner Bekannten Ethnographika gesammelt, soweit die Umstände es zuliessen, war meine Zeit um, ich musste eilen nach Osten weiter zu kommen. Ein interessantes Bild zeigte mir Buchara noch auf der letzten Fahrt, einen Hochzeitszug. Die turkestanischen Bräuche bei der Ehe- schliessung sind in manchen Punkten denen der Chinesen sehr ähnlich, unter anderem auch darin, dass die Aussteuer in feierlichem Aufzuge unter Musikbegleitung durch die Stadt getragen wird. Einem solchen Zuge begegnete ich. Festlich gekleidete Diener und Knaben trugen Kissen, Decken und sonstige Geschenke auf dem Kopf, Musikanten mit Schal- meien und Trommeln begleiteten sie mit ähnlich plärrender Musik, wie ich sie von der erwähnten Regimentskapelle genossen, Freunde und Ver- wandte in hellleuchtenden Turbanen und Seidentschapanen zogen mit und nahmen die ganze, freilich nicht grossstädtische Breite des Weges ein, sodass unser Wagen halten musste, um sie durchzulassen, auch eine der Verkehrsstockungen, die alle Augenblicke die Strassen Bucharas auf- stauen. Mit Mühe kamen wir, durch langweilige Arbas und einen Ratten- schwanz von Wagen mit den Fahrgästen eines eben angekommenen Zuges aufgehalten, rechtzeitig zum Bahnhof und erreichten in Neu- Buchara oder Kagan den Anschluss nach Samarkand, dem. nächsten Ziel meiner Reise. 76 Nach Samarkand. Weniger an den Anschluss hielt sich die Bahnverwaltung, zwar fuhren wir mit nur einstündiger Verspätung ab, und diese kam meinen photopraphischen Aufnahmen, die in Buchara nicht überall auf Gegen- liebe gestossen waren, zu gute, aber schon auf der übernächsten Station mussten wir wieder warten, um einen entgegenkommenden Zug durchzu- lassen. Mussten warten und warten. Es war eine der kleinsten und dürf- tigsten Haltestellen der Bahn, ein einfaches Stationsgebäude und eine Beamtenbaracke, dahinter einsames Weideland. Die sartischen Passagiere benutzten den Aufenthalt, um aus den Waggons zu klettern und auf und neben dem Bahnsteig, gruppenweise und einzeln, auf mitgenommenen Teppichen ihr Abendgebet zu verrichten. Es war mir natürlich amüsant, die taktmässig sich folgenden Phasen des Ceremoniells, die tiefe Unbeweglichkeit des Betenden, die korrekte Ele- ganz des plötzlichen Vornüberstürzens, die je dreimal wiederholten Rumpf- beugen, die Neigungen des Kopfes bis zur Erde und das sicher einge- übte Wiederaufrichten zum Stand zu beobachten. Eine gewisse Feierlichkeit liegt unleugbar in diesen streng vorgeschriebenen und streng befolgten Körperübungen; dass sie mich besonders ergriffen hätten, kann ich aber, im Gegensatz zu anderen Reisenden, nicht sagen. Ja, manchmal wenn eine ganze Rotte gut ausgerichteter Moslems im Gleichtakt sich warfen, knieten und sich wieder erhoben, und einer nicht mitkam, verstieg ich mich zu dem lästerlichen Ausruf: »Füchse haben nachgeklappt!« Das zweite Glockensignal scheuchte die bunte Schar auseinander, der erwartete Zug näherte sich bedächtig und geräuschlos und erlöste den unserigen aus der Haft. Langsam bewegten wir uns an den Fenstern vorüber, aus denen weisse Turbane, schwarze Persermützen und russische Pelzkappen herausschauten, erkannten in der Dämmerung noch eben, dass als letzter Waggon einer jener weissen, von goldenen Kreuzen auf dem Dach gekrönten Kirchenwagen angehängt war, in denen auf kleinen Stationen ambulanter Gottesdienst gehalten wird, und fuhren dann in die Nacht hinein dem Osten zu. Die Bahn folgt im Allgemeinen dem nach Süden offenen Bogen des Serafschan, und zwar auf dem linken Ufer, und durchzieht, mit Aus- nahme der Salzsteppe bei Kagan und eines schmalen Wüstenstreifens Chöl Melik einige Stunden weiter, üppige, mit Frucht- und Weingärten, Baumwollplantagen und Reisfeldern bebaute Gegenden, in denen eine fast ununterbrochene Folge grösserer Dorfschaften von einer dichten Be- völkerung, einer alten und rationellen Wirtschaft und einer bodenständigen Wohlhabenheit Zeugnis ablegt. A Bei der zweiten Station Kisil Tepe liegt das Sommerschloss des Emirs, heute fast das ganze Jahr hindurch seine Residenz. Ich sah hier auf der Rückfahrt eine glänzende Suite von Tadschiks, in kostbaren Seidenge- wändern, den Zug verlassen, die einige Prachtexemplare von Jagdfalken mit sich führten und sie offenbar dem Emir als Geschenk oder Tribut über- bringen wollten. Die Falkenjagd gehört zu den beliebtesten, heute wie vor Jahrtausenden eifrig gepflegten Sports in Turkestan. Auf der Weiterfahrt werden im Süden, mit Fluss und Bahn gleich- gerichtet, die westlichsten, mittelhohen, jetzt mit Schnee bedeckten Kämme des Hissar-Gebirges am Horizonte sichtbar, alle drei werden ungefähr 150 Werst hinter Kagan in süd-nördlicher Richtung von der bucharisch- russischen Grenze durchschnitten. Wir betreten das Gouvernement Samar- kand, berühren Katti Kurgan, das zu Vambery’s Zeiten noch seinem Namen, der »grosse Festung« bedeutet, Ehre machte, durchkreuzen häufiger Strecken von Weideland, auf dem die ersten Grashalme sich vorsichtig herauswagen und zahlreiche Schafherden ziehen, sehen sie mit bestellten Feldern abwechseln, die Ortschaften und Wachttürme um- geben, und kommen nach neunstündiger Fahrt — der zweite Tageszug braucht deren zwölf — in Samarkand an. Die Spannung, mit der Vambery auf seinem abenteuerlichen Zuge durch Mittelasien als Derwisch verkleidet, Samarkand entgegenzog, wird jeden Europäer auch heute noch beherrschen, wo er es im Speise- und Schlafwagen erreicht und im russischen Phaeton betritt. Welche Fülle von Erinnerungen wird uns beim Klange seines Namens lebendig. Die vielumstrittene Urzeit unserer Rasse, Jahrtausende des Kampfes und der blutzerstörenden Mischungen zwischen Ariern und Mongolen, die welten- stürzende und weltenbildende Persönlichkeit des grossen Alexander, fried- liche und kriegerische Einzüge von Medern, Persern, Hellenen, Chine- sen, Arabern, Mongolen und Türken, Aufbau, Austausch und Zer- störung der mannigfachsten Kulturen, Entstehen und Vergehen all der Geistesarbeit, in der sich die Menschen mit dem Weltall aus- einandergesetzt haben, vom arischen und chinesischen Ahnenglauben über den Lichtkult Zarathustra's und über die Götter Griechen- lands zu Buddha, Christus und Mohammed. Fürwahr, kein Platz der örde stand so im Mittelpunkt der Weltgeschichte, kein Ort war so oft Zeuge menschlichen Ringens und Kämpfens, menschlicher Grösse und Reife, wie Schwäche und Wildheit, kein Boden sah so vieler Menschen- art Kommen und Gehen, wie Samarkand. Es gibt Städte, die unserem Herzen näher stehen, es gibt Städte, deren politische und künstlerische Blüte älter und üppiger ist, aber es gibt wohl keine Stadt, die unserem histo- rischen Sinn, vorausgesetzt, dass dieser in modernem Geiste über Europa, das Mittelmeerbecken und die Antike hinausreicht, reichere Anregungen gibt als Samarkand. 18 Samarkand. Samarkand liegt am linken Ufer des Sarafschan auf einem dem Hissar-Gebirge vorgelagerten Plateau, zieht sich in der Richtung unge- fähr von Südwesten nach Nordosten und besteht aus drei Teilen, der russischen Stadt, der Eingeborenen-Stadt, und dem Trümmerfelde der vorgeschichtlichen und der alexandrinischen Siedelungen. Vom Bahnhofe, der, wie üblich, mehrere Werst weit entfernt liegt, gelangt man durch breite Alleen, an vereinzelten Marktbuden und ärm- lichen Wohnhäusern vorüber, zuerst in die russische Stadt, die ihren Charakter auch hier in Asien nicht verleugnet. Breite, ungepflasterte Strassen kreuzen sich rechtwinklig, den grundlosen Fahrdamm trennen Baumreihen und schmale Kanälchen von den erhöhten Bürgersteigen, einstöckige, schmucklose Häuser schliessen sie ab. Die Blocks werden durch grosse Plätze mit Kirchen und Kasernen, durch schöne umfang- reiche Parkanlagen, in denen Gouvernements und andere öffentliche Ge- bäude Schatten suchen, unterbrochen. Das stattlichste unter ihnen ist die russisch-chinesische Bank. An den Hauptstrassen liegen einige Gast- häuser oder Nummern, einfache Hotels garni, an die man keine grossen Ansprüche stellen darf, und. zahlreiche russische Magazine, die für die Bedürfnisse der europäischen Bevölkerung sorgen. Bei einem entgegen- kommenden Photographen, dessen Schaubilder das militärische Samarkand als seinen Hauptkunden erwies, konnte ich Platten wechseln und ent- wickeln lassen. An einer Strassenecke fand ich einen chinesischen Laden, doch täuschte ich mich hier sowohl wie später im Osten, wenn ich glaubte, die Nachbarschaft Chinas brächte mehr auf den Markt, als die minder- wertige Exportware, die wir in Deutschland geniessen. Es war keinerlei Unterschied. Restaurants in unserem Sinne gibt es nicht, dagegen sind ein Militär- und ein Civilklub gegen Empfehlung und Eintrittsgeld Fremden zugänglich, ich benutzte zu meinen Mahlzeiten den letzteren, kann ihn aber nicht sonderlich loben. Auch die Fabrikate dortiger Brauereien dünkten mich ein Verrat an dem Namen Bier, ich begnügte mich später mit den vorzüglichen Mineralwässern, die der Kaukasus erzeugt, und die in oanz Kaukasien, Transkaukasien und Transkaspien stets frisch und schmackhaft zu haben sind. Das russische Samarkand schliesst gegen Norden mit der Citadelle und der alten Festung ab, deren Wälle ein vom Serafschan abzweigender 3ewässerungskanal bespült. Sie umschliesst den sogen. »Kok-Tasch«, den Thron Timurs, einen rechteckigen dunkelgrauen Marmorblock von 1'!/; Meter Höhe, der nach Vamberys Erkundung aus Brussa hierher 79 gebracht sein soll. Seine Verwendung wird so beschrieben, dass er, mit Teppichen belegt, dem Herrscher als Stuhl diente, während Fürsten oder Vornehme davor knieten und den Schemel für dessen Füsse abgaben. Vambery berichtet, dass zu seiner Zeit die Emire noch bei ihrer T'hron- besteigung den Stein benutzten, dass viele Pilger ihn aufsuchten, und dass man in Samarkand von Timur spräche, als sei er eben erst gestorben. Heute wird das Heiligtum von den Russen bewahrt und bewacht, der Andacht, den geschichtlichen Erinnerungen und den möglichen politischen Aspirationen der Eingeborenen entzogen. Am nordöstlichen Ende der russischen Stadt hütet ein heller offener Hain, von dessen Stille ein Schlagbaum den allgemeinen Strassenverkehr abwehrt, das Grab des grossen Eroberers. Zu weiterem Schutze hat man es mit einer Steinmauer umzogen, und, wie mir scheint, versucht man neuerdings durch Ausbesserungen, die freilich sehr oberflächlich und aesthetisch genommen geradezu barbarisch roh sind, einem weiteren Verfall des noch leidlich erhaltenen Bauwerkes vorzubeugen. Man betritt »Gur-Emir«, das Grab des Herrschers, durch ein hohes Portal, das aus einem Mittelbau und zwei flankierenden quadratischen Pfeilern, deren Innenkanten zu Halbsäulen ausgearbeitet sind, besteht. Ein kielbogenförmiger Ausschnitt des Mittelbaues bildet die eigentliche Pforte. Der ganze Bau ist mit prachtvollem Mosaik aus glasierten blauen und grünen Kacheln und Ziegeln bedeckt. Hat man dieses Portal durch- schritten, so sieht man sich in einem freien viereckigen Hof, der seitlich mit Bäumen bestanden, in der Mitte um einige Stufen zu einem Vor- platz vertieft ist und den Blick auf das eigentliche Mausoleum freigibt. Dieses besteht aus einem quadratischen Unterbau, dessen Fassaden zu Portalnischen vertieft sind, und einer auf mächtiger Trommel empor- strebenden Melonenkuppel, die weithin sichtbar über die Wipfel der Bäume hinausragt. Alle Flächen deckt ein warm und tief leuchtendes Mosaik aus blauen, weissen und grünen Glasurkacheln und -steinen. Der Kuppelmantel ist in Längstwülste aufgelöst, die von der Spitze radiär zur Basis laufen und in Konsolen von der Form von Stalaktitenzapfen enden. Konsolen und Wülste sind mit blauer Glasur verkleidet, die bei ersteren überall gut erhalten ist, bei letzteren starke Lücken aufweist. Doch bleibt die Wirkung immer noch lebendig genug, um sich von dem Farbenzauber eine Vorstellung zu machen, den die Sonne früherer Zeiten auf die Steine gebannt haben muss. Die Kuppeltrommel wird von einigen Fenstern unterbrochen, die das Licht durch ein zierliches Gitter- werk von Stein hineinlassen, ihr Mosaik stellt zum Teil Inschriften aus kufischen Lettern dar. Ebenso zeigt die nach dem beschriebenen Hof zu gelegene Front des Unterbaues in weissen Buchstaben auf blauem Grunde eine Inschrift, die nach Vambery bedeutet: »Gemacht von dem armen Abdullah, Sohn Mahmeds aus Isfahan.« s0 An jeder Seite des Kuppelbaues erhob sich früher in gleicher Höhe ein schlankes rundes schräg aufsteigendes Minaret. Der eine der beiden Türme ist verschwunden, der andere dagegen samt seinem bunten Mosaik, das ihn als Mäanderband spiralig umzieht, leidlich erhalten. Hinter diesem Minaret lagert sich dem Kuppelbau ein mächtiger Kielbogen vor, vielleicht der Rest einer Moschee, die zum Mausoleum gehörte. Um zu der eigentlichen Grabkapelle zu kommen, öffnen uns die hütenden Mullahs eine schmale geschnitzte Holztür in dem niedrigen, mit prächtigem aber halbzerstörtem Mosaik ausgekleideten Bogen links von der Hauptnische. Von hier bringt uns ein mit vier Kuppeln über- wölbter Gang zu einer kleinen Seitentür, durch die wir den viereckigen, unter der grossen Kuppel gelegenen Raum betreten. Ein feierlich stilles Halbdunkel umschleiert die Marmorfliesen des Fussbodens, den aus achteckigen Platten gefügten Alabastersockel der Wände wie das dunkel- egrünliche Jaspis-Band, das sich rings um sie zieht und aus eingegrabenen Schriftzeichen die Taten Timurs und seiner Ahnen kündet. Zu schwer fast, zu dicht scheint der Schleier, als dass man die kunstvolle Arbeit nach Gebühr würdigen und ihre Wirkung geniessen könnte. Nach oben oleitet die Dämmerung über glatte Wandflächen, die einst kostbar bemalt und vergoldet waren, und verkriecht sich in die tausend Ecken und Winkel wundervoller Stalaktitengewölbe, die das Bogenrund der bis zur Kuppelbasis durchgehenden Wandnischen füllen. In der Mitte der Kapelle umfriedet auf rechteckigem Raum ein auf einer Schmalseite offenes Marmorgitter acht Grabsteine. Von ihnen sind sieben aus Alabaster bezw. Marmor gehauen und für Verwandte und Freunde Timur’s gelegt, der achte, der Grabstein Timur's selbst, ist aus dunkelgrünem Nephrit, 2 Meter lang, 30 cm hoch und ebenso breit. Er besteht aus zwei tadellos aneinandergepassten Hälften, die nach der Überlieferung ursprünglich einen einzigen Block bildeten, der aus der Provinz Chotan im heutigen chinesischen Ost-Turkestan hierhergebracht war und bei einem späteren Versuch, ihn fortzuschaffen, auseinanderbrach. Andere nehmen wohl mit Recht an, er habe stets aus zwei Teilen be- standen. Selbst dann aber bleibt ein Stück Nephrit von solcher Grösse ein Unikum, und der Grabstein verdient in dieser Beziehung durchaus den Weltruhm, den er besitzt. Leider kommt er wenige zur Geltung, da seine Schönheit unter der schlechten Belichtung, und seine Grösse unter der erdrückenden Umgebung der anderen gleich grossen oder grösseren, noch dazu hellfarbigen Grabsteine leidet. Ein neunter Stein liegt in einer Seitennische ausserhalb der Ein- friedigung. Am offenen Ende der letzteren steht auf würfelförmigem Block ein kleines Miniatur-Mausoleum, in welchem an Totenfesten Kerzen angezündet werden. Dahinter stehen zwei hohe Stangen mit Rossschweif sl und Fahne, wie man sie überall im mohammedanischen Asien an Gräbern von Heiligen und sonstigen hervorragenden Männern sieht. Aus der Kapelle führt eine schmale und steile Treppe in ein unter- irdisches Gewölbe, das die eigentlichen Gräber der Personen enthält, denen die beschriebenen Grabsteine gewidmet sind. Viel konnte man bei dem flackernden Kerzenstümpfchen, das der führende Mullah spendierte, nicht sehen, doch liess sich soviel erkennen, dass die Wandbekleidung sehr ähnlich derjenigen der Kapelle ist, dass auch hier neun Grabsteine liegen, wie oben. In der vorrussischen Zeit wurden, wie ich Vambery entnehme, sogar die Moslems selten in die Krypta gelassen, heute ist sie eine Bädeker-Sehenswürdigkeit, die jedem Fremden gegen Trinkgeld, wenn auch mit einer gewissen ehrfürchtigen Feierlichkeit, gezeigt wird; wobei ich nicht sagen kann, ob diese Feierlichkeit der Mullahs einer Liebe zu dem grossen Fürsten und einer Ehrfurcht vor seiner halbtausend- jährigen Ruhestatt zugehört, oder ob sie nur das gewohnheitsmässige, tringelderwartende Benehmen angestellter Führer ist. Ich möchte bei der Gelegenheit betonen, dass die Bakschisch-Plage des Europa näher gelegenen Orients in Turkestan noch keine Heimat gefunden hat. Es gibt natürlich Bettler auf den Bazars, alte Frauen, verrückte Männer, Krüppel und Lepra-Kranke, und es ist auffallend, wie willig man diesen kleine Almosen gibt. Hier und da streckten auch Kinder bettelnde Hände aus, so einmal in Buchara, als ich eine in der Haustür hockende Gruppe photographieren wollte, wo ich aber die Furcht vor dem Apparat stärker fand als die Liebe zum »Puhl«. Einzig im Vor- garten »Gur-Emirse, wo eine ganze Schar Kinder sich mit Ballspiel, Ringen, Wettlaufen vergnüste und auf die Fremden-Opfer wartete, sah ich wirkliche Zudringlichkeit, die den Wagen umringte, sich anklammerte und nur durch die Peitsche des Kutschers zu vertreiben war. Ein grösserer Fremdenverkehr der Zukunft wird wohl leider dafür sorgen, dass solche Scenen später zu den alltäglichen gehören. Wenige Schritte von Gur-Emir gewinnen wir die Hauptstrasse, die in nordöstlicher Richtung zur alten oder Eingeborenen-Stadt führt, und schliessen uns ihrem breiten, unruhigen Strome von Reitern, Fussgängern, Wagen, Karren und Kamelzügen an, der unablässig in ihr entlang flutet. Das Bild zeigt die Farben und Lichter, die wir von Buchara her kennen, zum Teil auch dieselben Figuren, nur tritt hier selbstredend das Russen- tum mit seiner europäischen Farblosigkeit stärker hervor. Samarkand ist als Provinzialhauptstadt Sitz zahlreicher Militär- und Civilbehörden, Handels-, Industrie- und Transportgesellschaften; russische Soldaten, Kauf- leute und Angestellte z. T. mit ihren Familien sind ihnen massenhaft gefolgt. Das konnte nach keiner Richtung ohne Einfluss auf die asiatische Stadt bleiben, auch nicht nach derjenigen ihres malerischen Charakters, 6 82 zumal dieser schon an sich, wegen der Grösse und Breite der Strassen, wegen des Fehlens ihrer Bedachungen vieles von dem fremdartigen und reizvollen Eindruck versagt, dem man in Buchara unterliegt. Die eingeborene Bevölkerung gleicht derjenigen Bucharas, nur wollte es mir scheinen, als ob ihre körperliche Schönheit hinter der bucha- riotischen zurückstände Natürlich, nur ım Durchschnitt könnte das gelten, auch hier gibt es prachtvolle Köpfe mit glänzenden Augen, scharf geschnittenen Gesichtern und stattlichen Bärten, auch hier stolze Figuren mit freier Haltung und würdevollem Anstand. Es mag Zufall sein, dass ich meinte, die mongoloide Blutmischung stärker hervortreten zu sehen, obwohl die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist. Zumal seit der russi- schen Herrschaft wächst der kirgisische Zuzug in die Städte und bringt in die schon vor den Uzbeken-Zeiten, stärker als in Buchara, mit mon- golischen Bestandteilen versetzte Mischrasse neue Elemente derselben Her- kunft. Dahin gehörten wohl die waschechten breitgesichtigen »Buddhas» unter den Sarten Samarkands. Die Kleidung ist die gleiche wie in Buchara, in gewagtesten Farbentönen spielen Chalat, weisser Turban und hohe Stiefel. Wie dort, reitet auch hier jedermann, zu Pferde oder zu Esel kommt man zum Bazar, besucht man seine Freunde, macht man seine Einkäufe. Das begehrte Reittier ist für jeden erschwinglich, der Arme ersteht sich ein Eselein, das oft mit zwei Mann beladen einherziehen muss, der Wohl- habende kann sich schon zu sechs Rubel einen Gaul kaufen und damit die Transportfrage für seine ganze Familie erledigen, falls er zu Markt zieht, der Reiche wendet bis zu 1000 Rubel an ein Pferd, um die hier stark beliebten Wettrennen mitmachen zu können. Diese Sitte des »,Jedermarn ein Reiter« und jene bunte Kleidung sind das Mosaik des bewegten Strassenbildes, das zwischen luftigen Verkaufshallen, offenen Werkstätten, niedrigen Buden und zweistöckigen Häusern mit balkon- artigen Vorbauten von einem tiefblauen Himmel beleuchtet und von einer brennend heissen Sonne bestrahlt wird. Der Samarkander Bazar steht an Grösse weit hinter dem von Buchara zurück, hat aber trotzdem einen recht achtbaren Umfang und einen Betrieb, der an Vielgestaltigkeit wenig zu wünschen übrig lässt. An Produkten des Landes kommen Korn, Reis, Baumwolle, Seide, Holz, Obst, Gemüse, Weintrauben und Rosinen, Fleisch, Honig, Fetthammel, Schaffelle. Wolle, Salz und anderes auf den Markt, die einheimische Industrie schickt Baumwoll- und Seidengewebe, Mützen und Stickereien, Teppiche und Lederwaren, Pflugschare und Spaten, Tischler- und Töpfer- waren, Russland bringt Baumwollstoffe, Stabeisen, Zucker, Kurz-, Galan- terie- und Manufakturwaren. Das alles wird in unendlichen Budenreihen, Nebengängen, Magazinen und Karawansareien verkauft. Dazwischen 83 sorgen auch hier Garküchen, T'heehäuser und Bäckereien während der von 10—4 Uhr dauernden Bazarzeit für den Magen der Käufer und Verkäufer. Die peripher vom Bazar angelegten Wohnviertel der Eingeborenen sehen ebenso einförmig, ärmlich und trostlos aus wie in Buchara. Lange hohe Lehmmauern mit schmalen geschnitzten Holztüren oder offenen Durchlässen, die in den Hof führen, aber dem Vorübergehenden den Einblick durch eine innen vorgezogene Wand verwehren. Seltene kleine, durch Holzladen verriegelte Fenster. Schmale ungepflasterte Strassen in halsbrecherischem Zustande, längs den Häusern Streifen fester getretener Erhöhungen, die sogenannten Bürgersteige, lebensgefährliche Passagen, für einen zu schmal und von zwei sich Begegnenden nur mittelst Turner- künste zu überwinden. Von den Häusern hinter den Lehmmauern ist nichts zu sehen, es ist, als ob sie bewusst ihre Armseligkeit versteckten. Von bedeutenden Profanbauten ist hier so wenig, wie in den übrigen Städten Turkestans, soweit ihre sartischen Viertel in Betracht kommen, die Rede. Was den Namen Gebäude verdient, sind lediglich die Moscheen, Medressen und Mausoleen, und von diesen wieder nur die aus der letzten Blütezeit Samarkands, aus den Tagen des grossen Tamerlan und seiner Nachfolger stammenden, herrlichen und berühmten Monumentalwerke, die leider zu Ruinen verfallen sind oder noch verfallen. Heute baut man die Moscheen mit echter Epigonenweisheit bescheiden und kunstlos, wenn auch nicht ohne Zierlichkeit. Es sind rechteckige Häuser aus Ziegeln oder Lehm, mit flachem, vorspringendem Dach, das über geschnitztem und bemaltem Architrav auf geschnitzten Holzsäulen ruht. Die dadurch entstandene Vorhalle ist an den Wänden mit Malereien und modernem Mosaik verziert, ihre Decke ist aus Holz und bunt bemalt. In den Aussenwänden sind dem klassischen Stil nachgeahmte Bogennischen ausgespart, die z. T. Türen und über ihnen vergitterte Fenster enthalten. An den vier Ecken stossen sie in schlanken, halbrunden Türmchen zusammen, deren ebenso schmächtige und schwäch- liche Kuppeln über das Dach hinausragen. Diese modernen Moscheen liegen teilweise in mauerumschlossenen Höfen an kleinen Teichen, deren Wasser den rituellen Waschungen dient, teils an Strassenkreuzungen und viel begangenen Wegen, auf natürlichen oder künstlichen Boden- erhebungen, die den zierlichen und luftigen Bau in das richtige Licht rücken. Die Wirkung bleibt trotzdem nur eine freundliche, man könnte das schreckliche Wort niedlich dafür gebrauchen, keineswegs gross oder monumental, etwa wie sie von den gewaltigen Bauwerken ausgeht, die Tamerlans Reich in seiner Hauptstadt geschaffen und, wenn auch z. T. in Trümmern, uns hinterlassen hat. Wenn Buchara die interessanteste Stadt Mittelasiens ist, was Volks- leben und Völkertypen betrifft, so steht Samarkand weitaus an erster Stelle im Punkte Architektur. 6* 34 Schon die vornehme Pracht des Mausoleums Timurs führte uns in die Blütezeit der islamitischen Kunst, die das Turkestan des 14. und 15. Jahrhunderts, der Dynastien der Timuriden und der Scheibaniden, erlebte. Weitere, an Umfang und Schönheit nicht minder bedeutende Denkmäler jener grossen Epoche liegen an den Strassen und Plätzen des Bazars im Mittelpunkte der sartischen Stadt. Stürme aller Richtungen und aller Stärken festen im Laufe der fünfhundert Jahre über sie hin- weg und nahmen sie, die einen mehr, die anderen weniger, rücksichtslos mit; an einigen liessen sie kaum einen Fetzen des alten Schmuck- gewandes zurück, das ihm eine künstlerisch empfindende Zeit umgelegt. Am besten erhalten sind die drei Moschee-Medressen, die den Registan einrahmen, d. i. der Marktplatz Samarkands, der grösste Platz der Stadt und sicherlich einer der malerischsten der Welt. Er ist gepflastert, fast ein Unikum in Turkestan, und mit einer grossen Menge von Buden, Verkaufsständen fliegender Händler und jenen niedrigen, rechteckigen oder quadratischen Plattformen - Gestellen bedeckt, mit denen man die Theehäuser zu verbreitern und an den Bazarbuden für die Käufer Sitz- bezw. Hockgelegenheit zu schaffen pflegt. Zur Seite liest ein von steinernem Gitter eingeschlossenes, mit zwei Fahnenstangen geschmücktes Grab, vielleicht eines Heiligen. Während der Bazarstunden ist der Platz gedrängt voll. Verkäufer von Obst, Konfekt, Brod, Nasch werk, von Kürbisdosen für Tabak, von Wasserpfeifen etc., ambulante Barbiere, Musikanten, Taschenspieler. Märchenerzähler, Derwische und Publikum, all das hockt, sitzt, steht, liegt da herum, wühlt durcheinander, bildet Gruppen, die sich finden und lösen. Alles ist Bewegung, und diese Bewegung wirkt doppelt durch den Wechsel der grellen Farben, und die Farben wieder leuchten doppelt unter der verschwenderischen Lichtfülle, die die Sonne vom blauen Frühlingshimmel heruntersendet. Auf dieses malerische Treiben des Registan schauen die breiten Fassaden und die hohen »Pischtaks« oder Portale dreier Medressen herab, der Schir-Dar, der Ulu-Beg und Tillja- Kari-Moschee. Die vierte Seite des Platzes ist durch Bazarbuden abgeschlossen. Der Stil der Bauwerke schliesst sich dem der schon besprochenen Bucharer Medressen an. Einem quadratischen hohen Mittelbau, der in einer Kielbogen- Nische das Eingangstor enthält, lagern sich zwei Flügel an, deren Fronten in kleinere Bogennischen aufgelöst sind. Jede von diesen enthält eine Tür, die zu dem dahinter liegenden Wohnraume des Schülers oder Lehrers führt. Die Nische selbst dient als Balkon. Seitlich schliesst die Front mit je einem runden Minaret ab. Die Rückwand dieses Fassaden- baues, gleichfalls in Nischen geteilt, blickt auf einen meist mit Bäumen bestandenen Hof, den an den übrigen drei Seiten niedrigere, zu Nischen und Zellen verarbeitete Mauern einschliessen. Die Mitte des Hofes nimmt gewöhnlich ein Brunnen ein. to) Die den Medressen beigegebenen Moscheeräume werden von Kuppeln überwölbt. Die Flächen der aus kurzen schmalen Ziegeln gemauerten Frontwände der Minarets und z. T. auch die der Hofwände sind auf zwei verschiedene Weisen verblendet, teils mit grossen, meist rechteckigen Glasurkacheln, die in Feldern angeordnet oder zu senkrechten Streifen aneinandergelest sind, teils mit einem Mosaik von abwechselnd gebrannten und glasierten Ziegeln, die vorwiegend in Hochkant stehen und zu allen möglichen Mustern zusammengestellt sind. Selbständige und vielfach übereinander geschobene Rhomben, verschlungene Polygone, Spiralen und Zickzacklinien, die sich kreuzen, reine und mannigfach abgewan- delte Mäander neben Kufischen Letterun sind bunt über die Flächen geworfen und umziehen die Rundungen der Türme. Die Glasurkacheln zeigen stilisierte Blumen, Sterne, Rosetten, Schriftzüge, nur an einer Stelle, in den Portalzwickeln der Schir-Dar Moschee, Figuren und zwar zwei mit den Köpfen sich zugewendete Luchse in gelbem Plattenmosaik. Die Kuppeln sind z. T. ınelonenförmig wie diejenige Gur-Emir's, und ihre Wülste glasiert, ebenso glasiert sind die Portaleinfassungen von der Form spiralig aufgelöster, wie gedrehte Taue wirkender Halbsäulen. Die Farben der Glasur sind blau, grün, gelb und weiss. Was die Medressen im einzelnen betrifft, so stammt die älteste, nach dem Enkel Timur's, dem als Astronomen berühmten Mirsa- Ulug- Beg genannte, an der Westseite des Registan, aus dem Jahre 1434. Ein verfallener Turm neben dem Hofe gilt als das Observatorium des genannten Herrschers, das nach Vambery neben dem zu Maraga in Persien im 13. Jahrhundert von Nasr Edin erbauten die einzige Stern- warte in Asien gewesen ist. Über dem Bogen -Portal ist aus blauen und weissen Steinen eine Iuschrift eingelassen. Gegenüber Ulug-Beg liegt die Schir-Dar-Medresse, bei weitem die schönste in Samarkand und im gesammten Orient. Sie entstammt dem Jalıre 1610, also dem Ende der klassischen Periode, verfügt aber noch über alle Technik und allen Geschmack der besten Zeit. Vor den beiden Kameraden am Registan zeichnet sie sich ferner durch die leid- lich gute Kondition aus, in der sie die drei Jahrhunderte ihres Lebens überstanden hat. Dabei finde ich, dass dieses Alter, mit dem Massstabe unserer Bauwerke gemessen, eigentlich nicht soviel Bewunderung und Verwunderung verdient, wie man ihm zollt, meine vielmehr, dass für diese kurze Zeit eher das, was fehlt, als das, was da ist, unsere Auf- merksamkeit verdient. Unverwüstlich scheint die Glasur, und ich glaube, dass der jetzige Zustand unter einer speziellen polizeilichen und kunst- verständigen Aufsicht sehr wohl noch Jahrhunderte lang sich würde halten lassen können. Hier hapert es aber sehr. Zwar besteht ein russisches Verbot, Kacheln und Steine abzuschlagen oder fortzunehmen. 36 Aber Klima und Wetter kehren sich an die russische Polizei nicht, auf den Moscheehöfen liegen heruntergefallene und zerbrochene Stücke massenhaft herum und zeugen einmal für das unablässig fortschreitende Zerstörungswerk der Natur, andererseits für das Fehlen jeglichen Ver- suchs, dem Einhalt zu tun. Dass Einheimische ausserdem oft die Ver- mittler zwischen den verbotenen Früchten und einem zahlkräftigen Fremden spielen und der Natur bei ihrer Arbeit helfen, verstelit sich von selbst. So ist auch von der Schir-Dar-Medresse trotz ihrer Jugend schon manches gebröckelt, Ziegel sind ausgebrochen, Glasuren abgefallen. Die Gesamtansicht leidet stark unter den vielen Defekten, die z. T. mit Cement überschmiert, als stumpfe graue Flecken die leuchtenden Farben des Glasur-Mosaiks unterbrechen, aber es blieb immerhin genug der unverletzten Schönheit, um einen bedeutenden Eindruck zu sichern und rückhaltlose Bewunderung zu erzwingen. Entzückend ist der sym- metrische Aufbau der Fassade. Das 23 Meter hohe Portal des mächtigen Mittelbaues zeigt in der unteren Hälfte neben der Eingangstür je zwei übereinander stehende Nischen, die alle die Form des Portals wiederholen. Die obere Hälfte ist mit prachtvollen Mosaik dekoriert. Seitwärts streben zwei breite Eckpfeiler auf, deren Fläche in je drei etagenförmig übereinanderstehende Nischen aufgeteilt, und deren äussere Kante durch eine Halbsäule betont ist, die wie bei der Portaleinfassung einem gedrehten Tau gleicht. Oben verbindet die beiden Pfeiler eine horizontale, an der Rückseite aus offenen Nischen zusammengesetzte Krönung, die Zwickel zwischen ihr und dem grossen Bogen zeigen. in gelbem Plattenmosaik die schon erwähnten Figuren zweier Luchse. Der Mittelbau ist jederseits mit einen fast ebenso hohen, nach aussen geneigten Minaret durch einen schmalen, in zwei Stockwerken zu Nischen und Mosaikfeldern aufgelösten Flügel verbunden, über dem auf hoher Trommel eine prachtvolle Melonenkuppel, etwas zurücktretend, an den Mittelbau sich anschmiesgt. Seine Plattform bietet eine lohnende Aussicht, die dicht vor und unter uns das Volksgetriebe des Registan und die blendenden eindrucksvollen Medressen, die ihn begrenzen, zeigt, dahinter die langen Reihen der gras- bewachsenen platten Dächer in der Eingeborenenstadt, die vielen Bäume und Baumgruppen zwischen ihnen und die aufrechten Trümmer alter Moscheen näher rückt, nach Süden zu die Anlagen der russischen Stadt umfasst und in der Ferne bis zu den leuchtenden Schneebergen des Hissar reicht. Der geräumige Hof «der Medresse birgt eine heimliche Stille und eine erquiekende Kühle, die zum Ruhen und Sinnen ladet In den klöster- lich einsamen und einfachen Zellen, die ringsum in die Mauern eingelassen 37 sind, arbeiten hinter niedrigen Tischechen die Schüler, das beturbante Haupt über den Koran gebeugt, fleissig an ihrer Ausbildung zum Mullah, andere sitzen in offenen Nischen um ihre Lehrer und lauschen deren Vortrage. Uns will der Inhalt solcher Arbeit ebenso unfruchtbar und zwecklos erscheinen, wie ihr Umfang beschränkt, aber immerhin atmet hier geistiges Leben, das selbst in seiner originellen Form und Umgebung uns verwandter dünkt, als der bunte, lärmende Tross auf den Strassen. Die dritte, zu den beiden genannten quergelagerte Medresse (des Registans, die Tillja-Kari oder vergoldete Moschee, zeichnet sich durch niedrigere, unterhalb der Dachkrönung mit Fenstern versehene Minarets, durch den polygonalen Grundriss des Pischtak und durch schlechtere Erhaltung der musivischen Verblendung aus. Ihr Hof wird westlich durch eine kuppelüberwölbte Moschee abgeschlossen, deren Wände mit farbigen Ornamenten und Golddekorationen bemalt sind. Die drei Medressen des Registan werden an Grösse noch weit über- troffen durch die am Nordostende der Stadt gelegene Bibi-Chanim oder, richtiger gesagt, durch deren Ruinen. Denn von dem gewaltigen Bauwerk blieben nur Trümmer, von dem unermesslichen Reichtum an Marmor, farbigen Glasuren, Bronze, Gold und Edelsteinen, aus dem Timur zu Ehren seiner Gemahlin Bibi-Ohanim, einer chinesischen Prinzessin — nach Vambery tat es diese letztere selbst — diese Moschee und Medresse gebildet, blieben nur morsche, altersschwache Reste, die eben noch kräftig genug stehen, um stammelnd von der märchenhaften Schönheit ihrer Jugend erzählen zu können. Es muss aber eilen, wer sich von ihr er- zählen lassen will, denn jeder Tag arbeitet an der Zerstörung, und bald wird zerfallen, was heute noch sich hält, und dahin sein, was heute noch, wenn auch nur in Andeutungen, an das Einst erinnert. Die Medresse bestand aus einem Portal, einem Hof mit zwei nie- dıigen Kuppelgebäuden in der Mitte der Längsseiten und einer denı Portal gegenüberliegenden Moschee. Von diesen vier Teilen ist wenig- stens soviel erhalten, dass man ihre Bestimmung noch erkennen kann. Anderes ist gänzlich verschwunden, so bis auf wenige zweifelhafte Spuren an der Aussenwand der Moschee die Zellen der angeblich 1000 Schüler, die hier studierten. Anderes, wie der einsame Minaret ausserhalb der heutigen Umfassungsmauer, lässt sich dem Bilde des Ganzen nicht mehr einfügen. Die genannten Kuppelgebäude der Längsseiten des Hofes waren wohl Moscheen und bestanden aus einem Unterbau auf quadratischem Grundriss und mit Bogenportal nach der Hofseite, aus zwei übereinander- gestellten kreisrunden Trommeln und der Kuppel. Alle Flächen waren mit Ornamenten und Schriftzeichen in Glasurziegel-Mosaik verziert. Die Kuppel und der grössere Teil der Trommeln sind zerstört, das übrige 88 Mauerwerk defekt und die Verbindung mit früher seitlich daranstossenden Anlagen bis auf rudimentäre Nischen abgebrochen. Von dem mächtigen Hauptportal der Medresse, das, 30—40 Meter hoch, wie ein Riese aus dem Zwerggewimmel der Bazarbuden herausragt, stehen noch die senkrechten Teile des Hauptbogens, die Umrahmung der Eingangstür und einer der flankierenden Minarets. Die Kachel- und Mosaik-Verblendung haftet nur noch in Spuren auf dem eigentlichen Ziegelbau. Etwas besser hat sich die Hauptmoschee erhalten; sie besteht wie jene kleineren Seiten-Moscheen, aus einem Unterbau auf quadratischem Grundriss und einer auf hohen Tambour aufgesetzten Kuppel, die über einem vorspringenden Gesimse beginnt, und deren halbkugelförmiger Mantel ebenso mit blauen Kacheln gedeckt, aber glatt, nicht in Wülste aufgeschlossen ist, wie die Melonenkuppeln der Schir-Dar Medresse und des Gur-Emir. Diesem Kuppelbau ist eine Portalwand der typischen Form vorgelagert: eine Kielbogen -Nische mit Rückwand und Eingangs- tür, zwei schmale Seitenteile und als äusserer Abschluss zwei Minarets. Diese Minarets sind abweichend von den übrigen Samarkander Bauten nicht rund, sondern achteckig, das linke ist fast ganz, das rechte nur zur Hälfte erhalten; von der Rückwand des Pischtaks fehlt die obere Hälfte, man sieht durch die Lücke auf den Tambour der Kuppel; der grosse Bogen aber steht noch in seiner ganzen imposanten Höhe von über fünfzig Meter unversehrt, das weithin leuchtende Denkmal einer grossen Zeit und einer vollendeten Kunst, ich möchte es das Wahrzeichen Samarkands nennen, denn wie der sogenannte Verbrecherturm dasjenige 3ucharas, so beherrscht er die Gesamtansicht der Stadt. Das Portal ist mit einem überreichen Glasuren-Belag in dunkel- blauer, hellblauer und weisser Tönung überkleidet, der sich besonders an dem linken Minaret gut erhalten und sich bis heute eine verschwen- lerische Farbenpracht bewahrt hat. Die Muster des Mosaiks zeigen (die gleichen geometrischen Verschnörkelungen mit Vorwiegen des abge- wandelten Mäander und die gleichen Schriftzeichen wie an der Schir-Dar- Medresse. Das Innere der Moschee, das, stark in Verfall, wenig mehr von der Pracht zeigt, die es früher erfüllte, ist in dem Stil gehalten, dem wir im Gur-Emir begegneten, die Wände zu Nischen vertieft, in diesen Fenster, Türen und Stalaktitengewölbe in derselben Bogenform. Doch reicht die Üppigkeit der Form so wenig wie die Feinheit der Ausführung an jenen heran. Die Kuppel setzt sich an einen kreisförmigen Fries, den der quadratische Bau über die Form des Acht- und Sechszehn- Scks erreicht. In der Moschee stand noch zu Vambery’s Zeiten der berühmte Koranständer aus weissem Marmor, den man jetzt aus Furcht vor dem Einsturz der Kuppel aus ihr entfernt und vor «las Portal gesetzt hat. 89 Seine Masse sind erstaunlich, bei einer Breite von 2 Metern besitzt er eine Länge von fast 2'/g Metern. Der Volksglaube schreibt ihm wunder- tätige Heilkräfte zu. Als ich Bibi-Chanim besuchte, war Freitag, der heilige Tag. Der Hof, der so dicht mit Bäumen bestanden ist, dass er fast zum Garten geworden, war voller gläubiger Moslems. Reihenweise und gruppenweise sassen sie, das Gesicht der Moschee zugewendet, auf Teppichen, vor die sie die ausgezogenen Überschuhe gestellt hatten ; reihenweise auch und im sicheren Gleichtakt exercierten sie die vor- geschriebenen Andachtsübungen, Erheben der Hände, Verbeugungen, Kotaue und sinnende Ruhestellung, doch liess die fromme Meditation, so gut wie in unseren katholischen Kirchen, Zeit zu neugierigen Blicken, die zum Nachbarn oder zu meinem photographischen Apparat herüber- wanderten. Ein besonders beliebter Platz schien der zwei Stufen hohe Sockel zu sein, der den Koranständer trägt, er war dicht an dicht mit Glaubenden und Hoffenden besetzt, die von der Nähe des Wundertäters wahrscheinlich besondere Kräfte oder Heilung von irgend einem Leiden erwarten. Das Gesamtbild des Hofes war im höchsten Masse fesselnd und reizvoll, die bunten Chalate und weissen Turbane zwischen dunklen Baum- stämmen, die leuchtenden Mauern der Ruinen zwischen dem Gezweig, der blendende weisse Marmor des Koranständers unter den Farben der um ihn hockenden Sarten, das satte Blau des wolkenlosen Himmels und die Lichtflut der Mittagssonne, alles zusammen schuf bedeutende malerische Momente, deren Wirkung sich Auge und Gemüt des Europäers und Nord- länders nicht entziehen konnte. /wischen gestürzten Marmorsäulen und herumliegenden Glasur- Scherben wandern wir langsam dem Ausgange zu. Neben’ ihm wieder- holt sich das Bewegungsspiel des Freitagsgebetes, auch hier hockt, kniet und wirft man sich im Takt auf den Boden, auf bunte und male- tische Gruppenbilder reflektieren die bröckelnden Wände ihre letzten Lichter. Zwischen ein- und ausdrängenden Sarten kehren wir durch die Seiten- pforten auf den Markt zurück, tauchen wieder in das Getümmel von Reitern, Wagen, Fussgängern, Karawanen und lassen uns von ihm an das nördliche Ende der Stadt treiben. Hier liegt seitab vom Strassenver- kehr und -lärm, durch einen schattigen Garten gehütet, das Juwel der Samarkander Kunstschätze, Schach-Sinda, eine Mausoleenstrasse, die den Südhang des Plateaus von Afrosiab emporklettert. Ursprünglich war hier ein sagenhafter arabischer Heerführer Kassim Ibn Abbas begraben (nach Dr. Albrecht), der nach dem Volksglauben noch heute in einer unterirdischen Höhle leben soll. Daher der Name Schach-Sinda gleich lebender König. Timur erbaute über dem Grabe eine Moschee und fügte eine Reihe von Mausoleen hinzu, in denen Verwandte und Diener seiner Familie beigesetzt wurden. Seine Nachfolger taten ein Yu Gleiches, und so entstanden in etwa hundert Jahren, von der Mitte des vierzehnten bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, an achtzehn ver- schiedene Bauwerke, die fast alle an einer und derselben schmalen, ge- pflasterten Gasse liegen. Aus dem erwähnten Garten, den wie bei Gur Emir ein. Schlagbaum für den Durchgangsverkehr sperrt, und der Kindern als Spielplatz, Er- wachsenen als Promenade dient, führt zwischen zwei,;runden, kuppel- förmig abschliessenden Pfosten eine Freitreppe auf eine Art Vorplatz. Hier stellen die Sarten ihre Pferde ein, so lange sie zur Verrichtung der Andacht in der Moschee weilen, hier erwarten die wachthabenden Mullahs die Fremden, um sie während der Besichtigung nicht wieder loszulassen, sich durch flüchtige Erklärungen ein Anrecht auf Trinkgeld zu erwerben und darauf zu achten, dass nicht die unheiligsen Gummischuhe anbehalten werden, oder lüsterne Hände von den begehrten Glasuren ausbrechen und mitnehmen. Von ihnen freundlichst empfangen und begleitet, steigen wir einige gemauerte, mit Fliesen belegte Stufen zu dem Eingangstor hinauf. Es ist nach typischer Art aus der unteren Hälfte des Hintergrundes einer grossen Bogennische herausgeschnitten, die wiederum von einem recht- eckigen Rahmen eingefasst wird. Die Flächen sind m Blind-Nischen ge- gliedert und mit einem Mosaik von gebrannten Ziegeln bekleidet, das geometrische Muster in blauen glasierten Steinen zwischen den lehmgrauen nicht glasierten zeichnet, Rhomben, Sterne, Mäander. Die Kanten der Nische sind durch entzückende schlanke polygone Säulen mit kleinge- mustertem Mosaik betont. In dem Torweg hängt eine grosse rote Fahne, wahrscheinlich die Reliquie irgend eines Heiligen oder Emirs. Hinter dem Tor liegt rechts eine kleine Medresse mit den üblichen Zellen, links eine Moschee, dann steigt man wieder einige Stufen empor und kommt in die eigentliche (sräberstrasse, die von den Mausoleen und von niedrigen Mauern zwischen ihnen eingefasst ist. Die Reihe beginnt mit dem Grabe der Oldscha-Aim, der Amme Timur’s, einem Quadratbau, der auf sehr hohem Tambur eine bedeutende Kuppel von Kielbogen-Profil krönt. Daran schliessen sich die Gräber von Schwestern und Brüdern Tamerlan’s.. Ihre Grundform ist überall die gleiche, ein viereckiger Raum, dessen Wände durch Nischen vertieft werden, und eine Kuppeldecke. Unvergleichlich ist die Pracht der inneren und äusseren Dekoration. Sehr vereinzelt trifft man das aus abwechselnd glasierten und rohen 3rennziegeln hergestellte Mosaik des Portals, meist ist die gesamte, in Längsstreifen und Felder gegliederte Fläche mit Kacheln beleet, deren in wundervollstem Blau verschiedener Schattierung gefärbte Glasur über- aus reich verschlungene Arabesken zeigt. Hier und da sind zwischen die blauen Fayencen gelbe, braune, grüne und weisse eingeschoben, einzelnen 91 Platten sind Goldornamente aufgesetzt, andere wieder ä jour gearbeitet, sodass die Musterung ein leuchtendes Spitzengewebe zu sein scheint. Besonders herrlich ist diese Manier an den Säulen der Nischenkanten und an den Stalaktitengewölben der Bogen, die kreisrunden Segmente, aus denen sich jene zusammensetzen, und die feinen Miniatur-Nischen, die zu diesen sich aufbauen, bilden köstliche Gitterungen, wie zierliches Silberfiligran; der Farbenschmelz ist unversehrt, wie am ersten Tage, aus ihm löst sich ein Schimmern und Leuchten von geradezu blendender Kraft. Die Eingänge umziehen Inschriften, teils Koran-Sprüche, teils Gedächtnistafeln für die Toten und für die Baumeister. Ihre gelben und weissen Buchstaben heben sich wirkungsvoll von dem blauen Grunde ab. So schön wie die Gesamtheit der Aussenwände, die Türfüllungen, Pfeiler, Säulen und Bogen mit Fayencen belegt ist, so prachtvoll ist auch das Innere mit Mosaiken, Malereien und Glasurkacheln verziert. Die Gräberstrasse schliesst eine quadratische Halle mit vier kiel- bogenförmigen Torwegen ab. Durch den vorderen tritt man von der Strasse aus ein, der linke führt in die Moschee Dschume, der rechte in die Moschee Schach-Sinda, während man geradeaus über ein paar Stufen in einen kleinen Hof gelangt, der von Grabsteinen und verfallenen Mo- scheen begrenzt ist. Die Schönheit der Kachelbekleidung in diesem Schmuck- kästchen ist über alle Beschreibung köstlich: In langen senkrechten Streifen leuchten Inschriften aus kufischen Lettern, mächtige Platten setzen ihre seltsam verschlungenen Arabesken zu bunten Teppichen aneinander, schlanke Säulchen bedecken sich mit Mosaik aus polygonalen Zellen und krönen sich mit eigenartigen Kapitälen aus kreisförmigen Scheiben. Die Bogenkanten sind mit Lila-Bändern gleich gedrehten Tauen eingefasst, oder sie biegen sich zu Hohlrinnen ein, deren Boden aus feinsten durch- brochenen Kacheln sich zusammensetzt. Stalaktitengewölbe von bezaubern- der Grazie steigen mit einer Stilvollendung und einer Sicherheit ohne gleichen empor, in ihrer Konstruktion aus A jour gearbeiteten Fayencen lebt eine bewunderungswürdige Anmut. Etagenweise sind Nischen über- einandergestellt, die oberen kürzer als die unteren, über letztere vor- spingend, bis die Stockwerke das Gewölbedach erreichen, das durch blaue und weisse Ziegel geschlossen wird. Getragen werden die Nischen-Stock- werke von vasenähnlichen Gebilden, die sich auf ausgebreitete Kelche, die Endstücke entzückender Säulen, stützen. Alle diese Glieder sind offen, aus feinsten Lamellen, Bändern und Fäden komponierte Gitterwerke. Zu der zierlichen Form gesellen sich zarte Farben, gleichzeitig weich und kräftig, dezent und voll. In wohltuenden Schattierungen nüanziert, schliessen sich Dunkelblau, Lila und Violett an das Weiss zu vollendeten Harmonien. Und auf den Farben liegt ein Glanz von un- Sagbarer Schönheit, als strahlten sie die Wärme von tausend GJuten 92 wieder, die von innen her immer aufs neue ihnen zuströmen. Farbe und Lieht umspielen in duftigem, lieblichem Reigen all die feinen Säulen und Sockel, all die zierlichen Nischen, Bogen und Träger, die zarten Spitzen- gewebe, die zerbrechlichen Schnitzereien und die maschigen Flechtwerke, die man hier in Ton geformt und mit dem Schmelz der Glasur be- legt hat. Kuppeln und Dächer fehlen den Mausoleen dieses kleinen Hofes, frei scheinen Sonne und Himmel auf den kostbaren Schatz und geben dessen lebendigen und leuchtenden Glanz in seiner ganzen Fülle und Tiefe frei. Das Schönste, was ich in Samarkand, ja was ich auf der Reise sah, liest in diesem kleinen Hof, seinen Wänden und seinen Nischen, leider dem Verfall, dem Untergange preisgegeben. Das östliche Portal der oben genannten Halle führt, wie gesagt, zur Schach-Sinda-Moschee. Durch eine geschnitzte und mit Elfenbein eingelegte Tür, die in ihrem Genre gleichfalls das Schönste ist, was Samarkand besitzt, tritt man in einen Vorraum, dessen Ausstattung als Bemerkenswertestes den grossen Koran von Bibi-Chanim, einen Kron- leuchter aus Bronze und eine Gebetsnische mit inschriftenverzierter Ein- fassung besitz. Von ihm gelangt man in die Moschee, eine halbdunkle Kuppelkapelle, auf deren teppichbedecktem Boden bei meinem Besuche so viele Gläubige, als in den kleinen Raum hineingingen, ihren Turn- übungen im Dienste Allahs und seines Propheten oblagen. In der einen Wand der Kapelle verschliesst ein schönes Holzgitter eine dunkle Nische mit dem von Decken verhüllten Sarkophag des Chasret-Kassim-Ibn-Abbas. Das eigentliche Grab liest, wie im Mausoleum Tamerlan’'s, in einem Gewölbe unterhalb der Sarkophag-Nische. Rechts von der letzteren birgt ein kleiner, kahler, öd ausschauender Raum einen Stapel durch Pilger geopferter Ziegenhörner und eine Stange mit dem Rossschweif und mit Kleiderfetzen, die nach Dr. Albrecht zum Teil von unfrucht- baren Frauen aufgehängt zu werden pflegen. Beides war mir ethno graphisch interessant, die letzteren wegen der Analogien in aller Welt, die Hörner für meine Arbeiten über die afrikanischen Hörnermasken und die Hörner im Kult (siehe diese Mitteilungen Heft 15). Auf dem RKückwege sah ich mich noch einmal an den köstlichen Fayencen, an ihrer feinen Zierlichkeit und ihrem wundervollen Glanze satt, oder richtiger, ich genoss ihre Schönheit noch einmal mit langem langem Blick, denn satt sehen kann man sich an ihr ja niemals. Dann kehrte ich auf demselben Wege durch den Vorgarten und auf grund- losem Wege zur Hauptstrasse zurück, die von Bibi-Chanim nach Nord- osten auf den Hügel Afrosiab führt. Dorthin ging es dann in einer jener unpraktischen halben Troikas, bei denen ein Pferd in der Gabel und eines daneben läuft, und dieses den linkssitzenden Fahrgast mit 93 faustdicken Lehmklumpen bespritzt, deren Härte für das Gesicht ebenso schmerzhaft wie für das Auge gefährlich ist. Die Strasse verlässt die letzten Verkaufshallen und Lehmbuden, zeigt links ein grosses gemauertes Heiligengrab, an dessen Verfall die drei Rossschweife an hohen Stangen nichts ändern können, steigt dann rasch an, passiert eine moderne zierliche Moschee, dahinter lange Reihen lepröser Männer und Frauen, die uns ihre Bettelschalen schreiend ent- gegenhalten, und gewinnt dann das Plateau des Hügels. Den vorderen, nach der Stadt zu gelegenen Teil, hat man zu Kirchhöfen benutzt, die Gräber zeigen alle die gleiche längliche halbrunde Form, weiterhin stört nichts die Stille des Todes, die über der Stätte des ältesten Samarkand seit vielen Jahrhunderten lagert. Zahllose kleine Scherben von glasierten und unglasierten Ziegeln, von Tongeschirr und von Glas liegen über das Brachland verstreut. Kein Mauerrest, keine Spur von Gebäuden oder von Fundamenten, kein heiler Stein, kein Baum oder Strauch, nichts, was an Menschen, an ihr Wohnen und Leben, geschweige an eine uralte Kultur erinnert: nur Wüstenei, öder dürrer Lehmboden mit Scherben besät. Was je über der Erde stand, ist längs verschleppt. Wieviel sie noch birgt, lehrt hoffentlich eine baldige Zukunft. Man hat hier Steingeräte und namentlich vieles aus der griechischen Zeit, Münzen, Schmuck, Gemmen, Petschafte, Kunstgegenstände gefunden. Einiges wird von herumlungernden Sarten gelegentlich, vielleicht beim Einsturz durch Regen unterwaschener Stellen, aufgespürt. Mir bot an Ort und Stelle ein Sarte eine herrliche Gemme, die er als Amulet trug, zu hundertzwanzig Rubel an, drehte sich aber entrüstet um, als ich ein bescheideneres, aber angemesseneres Gebot machte. Er konnte sichtlich auf einen Reicheren warten. Später erwarb ich gute Stücke zu erheblich niedrigeren Preisen. Durch diese gelegentlichen Funde geht natürlich Vieles verloren, und man kann nur wünschen, dass eine systematische Durchforschung des Plateaus versucht, möglichst zu retten, was noch zu retten ist, und andererseits mehr Licht in die Art, den Umfang, das Alter der Anlagen zu bringen. Sicherlich gruppierten sich diese stets um den hohen Citadellen- oder Schlossberg, der von einem Graben um- zogen, noch immer zu imposanter Höhe seine Lehmwälle über die um- liegende Ebene erhebt. Was für Herren und was für Völker mag er gesehen, welche Fahnen der Eroberer und Verteidiger mögen auf seinen Höhen geflattert haben! Vom wilden Mongolenreiter zum feinen grie- chischen Schöngeist, welche Pole menschlicher Kultur, hier haben sie einander berührt und bekämpft, hier hat Einer dem Andern weichen müssen. Und der Tod hat über beide gesiegt. Im Norden fällt das Hochland steiler ab, als zur Stadt, z. T. sogar in senkrechten, Felsengebirgen gleichenden Wänden. In der Tiefe windet I4 sich um seinen Fuss ein breiter Kanal des Serafschan. Seine reissenden Wasser treiben einige Klopfwerke von Reisschälmühlen und schaffen in dem freundlichen Tal einen für Turkestan fast ungewöhnlichen Baum- stand. Dichte Gebüsche von Pappeln und Ulmen begleiten seine Ufer, steigen die gegenüberliegenden Höhen empor und beschatten da Dorf- schaften und von Lehmwänden eingefriedigte Gärten und Felder. In einer zu diesem Tal sich senkenden Schlucht des Afrosiab-Hügels trägt ungefähr auf halber Höhe ein Absatz der Lehmwände das merk- würdige sog. Grab des Daniel. Es ist das ein in typischer Form gemauerter Hügel von 13 Metern Länge und 1 Meter Breite und Höhe. Fünf Rossschweife an hohen Fahnenstangen, Stapel von Hörnern und Steinen sowie eine kleine Miniatur- Kapelle zur Aufnahme von Opfer- kerzen beweisen, dass man das Grab eines mohamedanischen Heiligen oder die Gräber mehrerer vor sich hat, die sich absichtlich der Länge nach einer hinter dem anderen haben beerdigen lassen. Man erzählte mir, dass der Volksaberglaube sich des Grabes bemächtigt habe, und das die Sarten glaubten, der Heilige wüchse jedes Jahr und werde schliesslich Samarkand erreichen. Sobald das einträte, würde der Islam sich erheben und die Russen aus dem Lande treiben. Die Regierung hätte daraufhin mit feinem diplomatischen Geschick den Eingeborenen einzureden gewusst, dass es vorteilhafter sei, das Wachstum des Heiligen durch Einmauern zu verhindern. Tatsächlich ist im Jahre 1897 über dem Grab ein rechteckiges, kastenartiges Gebäude errichtet, dessen Wände in blinde Nischen aufgeteilt, dessen flaches Dach von fünf halbkugeligen Kuppeln unterbrochen, und dessen nördliche, dem Kopfende entsprechende Schmalseite durch schlanke, in Kuppeln auslaufende Minarets flankiert wird. Wieviel an der Geschichte, die man mir erzählte, wahr ist, weiss ich nicht. Von Daniels Grab kehren wir über das Scherbenfeld des vorhisto- rischen, griechischen, indoskythischen und turanischen Samarkand in das- jenige des Islam zurück. Nur einmal noch halten wir an. Auf der letzten Höhe des Plateaus vor dessen Niederstieg zur Sartenstadt. Da öffnet sich plötzlich ein unbeschreiblich schöner Rundblick, an dessen majestätischer Grösse und dessen glanzvoller Pracht wir nicht vorüberkönnen. Da liegt im blendenden Sonnenschein Samarkand vor uns, ein Riesennetz von Bäumen und Zweigen lässt zwischen seinen Maschen die flachen Lehmdächer, die Mattengänge der Bazarbuden, die offenen Balkone, die Strassenzüge mit ihrem farbenlebendigen Menschenstrom sichtbar werden. Aber alles ist zwerg- haft, puppenklein. Über sie hinaus steigen die malerischen Ruinen von Bibi Chanim. Seine zerbrochene Mauern, seine bröckelnden Mörtel und zerfetzten Glasuren umfängt die Sonne mit der verklärenden, nie erlahmenden liebe der Mutter. In wunderbarem Glanze leuchtet die blaue Kuppel und, was sichtbar von den Mosaiken der Tore und Türme. In trotziger 95 Kraft wölbt sich noch der gigantische Bogen vor der Moschee, bis in den Tod getreu streben ihm die schützenden Minarets zur Seite, auf dem Posten, bis der letzte Stein gefallen. Stolz noch in all seiner Ruinen- dürftigkeit, verführerisch schön noch immer in all seiner vergessenen und bestohlenen Armut ragt Bibi-Chanim, das machtvolle Wahrzeichen der Stadt, ein rührendes Denkmal der Liebe aus der grauen Epigonenstadt empor. Von hier erst erkennt man den Umfang des Meisterwerks, da die Längsseite des Medressenhofes sich breit vorlegt. Von hier aus erst die Bedeutung der Komposition, da die Natur hier ihm einen Hintergrund von einziger Erhabenheit gezeichnet hat, das Hissargebirge, das im Süden eine wirkungsvolle Riesenwand zum Abschluss des Gemäldes zieht. Seine schneebedeckten Firnen, in plastischer Schärfe wunderbar abge- hoben vom tiefblauen Himmel, stehen da frei, mit den Händen zu um- greifen, so scharf in der Linie wie reich in der Farbe und in einem Glanz, von einer Lichtflut übergossen, von einem Leuchten und Schim- mern widerstrahlend, das kaum an die Wirklichkeit des Bildes glauben lässt. Wie muss hier in vergangenen Tagen mit dem blendenden Schnee der Bergeshöhen, mit dem flammenden Sonnenschein aus der leuchtenden Himmelskuppel der spiegelnde Glanz der Moscheenmauern gewetteifert haben, wie müssen die Farben auf diesen Türmen und Kuppeln und Säulen, in diesen Ornamenten und Schriften gespielt, welche unerschöpf- liche Fülle von Licht und Farbe muss über dem Tal des Serafschan einst das Auge entzückt und das Herz belebt haben. Verlorene Schätze, ver- gebliche Klagen, wir wollen froh sein, wenn noch nicht allzurasch die Ruinentraurigkeit und Ruinenschönheit, die uns heute zugleich entzückt wie in Wehmut versetzt, dem Schicksal alles Irdischen verfallen und die letzte Spur des alten Samarkand verwischt sein wird. Möge die russische Resierung uns dazu verhelfen. Trotz oberflächlicher Ähnlichkeit der sartischen Städte kann man nicht sagen, wenn man eine gesehen, habe man alle gesehen. Jede hat viel- mehr ihr Originales.. So unterschied sich Samarkand von Buchara durch seinen Bazar und seine Architektur, z. T. auch durch seine Bevölkerung. Ich will ganz kurz noch auf einen weiteren Unterschied hinweisen, das ist der in der Prostitution. In Buchara herrscht überall Knabenliebe, in Samarkand gibt es im Stadtteil Bai Kabat öffentliche Häuser, in denen Mädchen gehalten werden. Wie gesagt wurde, sollen diese sich in einigen Jahren das nötige Geld verdienen, um heiraten zu können, und dann auch gern geheiratet werden. 96 Taschkent. Das nächste Ziel meiner Reise war Taschkent. Die dreizehnstündige Bahnfahrt, die zwischen Samarkand und der Hauptstadt Turkestans liegt, fiel beide Male in die Nachtzeit, dennoch war es durch Kompensation der Hin- und Rückreise möglich, den grössten Teil der Landschaft zu Gesicht zu bekommen. Die Bahn führt uns zunächst in nordöstlicher Richtung an den nördlichen Parallelzügen des Hissargebirges vorüber, passiert das sogenannte Tor Tamerlan’s, eine Schlucht, die in Tamerlan’s und der Araber Kriegszügen eine Rolle gespielt hat, biegt dann in die östliche Richtung um und durcheilt teils steppenartiges Weideland teils Baumwollkulturen, die, je weiter nach Osten, desto zahlreicher werden und einer dichten Bevölkerung genügende Lebensbedingungen schaffen. Da sind also Dörfer mit plattdachigen Lehmhäusern, von Lehmwällen eingerahmte Felder, Bewässerungskanäle von Pappeln und Weiden be- schattet. Der Lössboden steht hier zuweilen, namentlich im Stromgebiet des Syr-Darja, der auf einer Eisenbahnbrücke überschritten wird, in so mächtigen Schichten an, dass er gebirgsähnliche Formationen, senkrechte hohe Wände und kapartige, steile Abstürze bildet. Im Osten und Südosten lagern sich die massigen breitrückigen Plateaus des Pamir vor den Horizont. Von der Zwischenstation Tschernjajewo aus nimmt der Bahnkörper seine Richtung direkt nach Norden und behält sie bis Taschkent bei. Man sieht die ersten Kirgisenjurten, die der Kälte wegen aussen noch mit Stroh verkleidet sind, dazwischen Ansiedlungen russischer Kolonisten. Taschkent teilt sich, wie Samarkand, in eine russische und eine sartische oder Eingeborenen-Stadt; letztere ist wesentlich kleiner als dort, erstere dagegen der Zentrale des gesamten russischen Turkestan ent- sprechend bedeutend grösser und schöner. Schon der wie üblich weitab liegende Bahnhof überrascht durch seine Masse und durch seine haupt- städtischen Innenräume. Breite Strassen verbinden ihn mit der Stadt, breite Strassen durchziehen diese selbst, mit Bäumen bepflanzt und von guten Bürgersteigen begleitet. Die Häuser sind ebenso einstöckig, aber “ stattlicher, die Magazine europäischer, mit Luxuswaren gefüllt. Grosse öffentliche Gebäude wie Kirchen, Banken, Gouvernement und Kasinos liegen an weiten Plätzen, in parkartigen Gärten und Anlagen. Ich salı Taschkent leider nur in Eis und Schnee. Der Winter hatte in diesem Jahre das Fortgehen vergessen und sass hier noch zu einer Zeit, da vor- schriftsmässig schon die Frühlingsblüte aus allen Zweigen bricht. Anfang Sommers wird der Eindruck des von reichem Grün durchzogenen Stadt- bildes sehr viel freundlicher, vielleicht grossartig sein, während später freilich der Staub die Freude wieder trübt. 97 Taschkent hatte sich also in einen Schneemantel gemummt, hatte sich Eiszapfen als Schmuck angehängt und einen breiten Schmutzsaum in den unergründlichen Strassen zugelegt. Aber nichts von dem konnte sowenig wie die im allgemeinen einfache Bauart der Häuser und der mehr als einfache Zustand der Hotelnummern die Überlegenheit der Metropole über Samarkand verschleiern. Sogar einer Pferdebahn darf jene sich rühmen, die zwischen neuer und alter Stadt die Verbindung herstellt und von den Sarten ebenso eifrig benutzt wird, wie von den Russen. In Turkestan hat man für den Einzug der europäischen Zivilisation die Pforten weit geöffnet. Wie Aschabad besitzt auch Taschkent sein Museum. Es liegt im Hause der Bibliothek und wird von deren Vorsteher verwaltet. Diese Verwaltung findet also nur im Nebenamte statt, eine besondere und ge- nügende Vertretung der Ethnographie und Archäologie gibt es nicht. Der hieraus für das Museum wie für die Wissenschaft entstehende Scha- den liest in einem Lande, das der Mittelpunkt alter Kulturländer war, auf der Hand, und er tritt im Museum denn auch sofort in die Er- scheinung. Von der Liebenswürdigkeit des Herrn Bibliothekars dagegen, der mir seine Schätze, seine Bücher-Seltenheiten zuvorkommend und ein- gehend zeigte, kann ich in dankbarer Erinnerung nur das Allerbeste be- richten. Die Ethnographie der Sarten ist in einzelnen Serien, so, wenn ich recht erinnere, in Werkzeugen und Spielsachen, gut, in anderen /weigen mangelhaft vertreten. Ein Gleiches gilt von den Kirgisen, die teils mit ihren Kamelkarawanen hier im Osten den Waren-, namentlich den Baumwolltransport besorgen, teils mit ihren Herden nomadisieren und stets um und in Taschkent anzutreffen sind. Die Eisenbahn freilich hat sie in ihrem Geschäft sehr beeinträchtigt, die Einen wandern daher in die Städte, in denen sie in der Masse der sartischen Bevölkerung unter- gehen, die Anderen weichen in die Gebirge zurück und werden dem Ethnographen einmal schwerer zugänglich, andererseits durch ihre ethno- graphische Verarmung wertloser. Weiter besitzt das Museum eine quasi historische Abteilung, Waffen und andere Trophäen, die in den Kämpfen mit den selbständigen Eimiraten, namentlich Kokand, erbeutet sind; endlich ist die Archäologie durch Funde aus voralexandrinischer, griechischer, chinesischer Zeit ver- treten, sie lassen ahnen, was der Boden einer tatkräftigen und geschickten Hand, der die Regierung die nötigen Geldmittel zur Verfügung stellt, noch herzugeben vermag. Das sartische Taschkent steht weit hinter den gleichen Stadtteilen Samarkands und Bucharas zurück. Da sind weder die Kunstdenkmäler der ersteren, noch die einfacheren, aber doch immer stattlichen Medressen, die schönen freien Plätze, die gemauerten Teiche der letzteren mit ihren 98, malerischen Prospekten. Die Moscheen sind meist jüngeren Datums und von der Form, wie sie oben bei den modernen Bauten Samarkands beschrieben ist. Die Strassen der Wohnviertel gleichen an Enge und Schmutz denjenigen jener Städte, sie übertreffen sie aber an Lebens- gefährlichkeit, da der Boden nicht so eben, vielmehr wellig geformt ist und die Wege bald einen steilen Abhang hinaufnimmt, bald wieder als ausgefabrene Schluchten tief hinunterführt. Die Fussgänger finden längs den Häusern einen schmalen erhöhten Steg, knapp so breit, dass eine Person sich vorsichtig auf ihm entlang tasten kann, dabei höckerig, wie sefrorener Sturzacker, und alle paar Schritte halb oder ganz fortgewaschen. Bald ist er in weichen Schlamm aufgelöst, auf dem ausgleiten so viel heisst wie Beine brechen oder in dem wer weiss wie tiefen Morast der Fahrstrasse versinken, bald wie bestreut mit harten hohen Buckeln, die das Balanzieren lehren und nur unter künstlichsten Verrenkungen zu überwinden sind, wenn FEintgegenkommende sich auf ihnen treffen. Bedauernswert sind in solchem Falle die Frauen. Finden sie nicht irgend eine Haus- oder Hoftür, in die sie sich rasch hineindrücken können, müssen sie also wohl oder übel an den Männern vorbei, so sollte man die scheue Unbeholfenheit sehen, mit der sie über den pein- lichen Augenblick hinwegzukommen suchen. Ihre Freude, die heilige Vorschrift erfüllt, das Incognito gewahrt zu haben, war aber unmöglich grösser als die meinige, mit heilen Knochen von diesen Bergpartien nach Hause gekommen zu sein. Ergötzliches und Trübes von dem schauer- lichen Zustand der Taschkenter Strassen erzählt auch v. Schwarz in seinem Buche »Turkestan«. Die Häuser, die an diesen Strassen liegen, sind genau wie überall hier zu Lande, der Passant sieht nur Lehmmauern, die selten durch eine Tür, noch seltener durch ein Fenster unterbrochen werden. Zur Zeit meines Aufenthaltes waren sartische Feiertage, alle Geschäfte ruhten, alle Freunde, Bekannte und Verwandte besuchten, beglückwünschten und be- wirteten sich gegenseitig. Ich bekam Gelegenheit, mit meinem Gastfreunde dessen Geschäftskunden solche Visiten abzustatten und auf diese Weise einige sartische Häuser und ihre Einrichtung kennen zu lernen. Von der Strasse kommt man durch eine schmale Tür oder einen kurzen Gang in den rings von Lehmmauern umschlossenen Hof. Hier liegen auf der einen Seite Stallungen für Pferde und Esel sowie Vorrats- räume, auf der anderen das Wohnhaus der Männer. Hinter diesem Hof liegt ein zweiter mit dem Wohnhause der Frauen. Die Häuser sind meist einstöckig und bestehen aus nur wenigen Zimmern, einmal sah ich ein zweistöckiges, dessen Erdgeschoss die Stallungen enthielt, während oben «die Wohnräume lagen. Die letzteren sind sehr einfach gehalten, Der Boden ist aus Lehm gestampft und mit Decken oder Teppichen belegt Im Winter wird in einer Vertiefung oder in einem schmiede- 39 eisernen Becken ein Kohlenfeuer unterhalten, darüber ein niedriges Tischehen gestellt und über dieses wieder eine grosse Decke gebreitet. An dem Feuer hockt die ganze Gesellschaft, streckt Füsse und Arme unter die Decke und wärmt sich so die Extremitäten und friert an der Nase. Der Raum selbst bleibt kalt, Fenster gibt es nicht, die Öffnungen über den Türen sind mit Papier verklebt. Von den Wandlungen, die Turkestan jetzt nach europäischer Seite durchmacht, spreche ich an anderer Stelle. In den Wänden der Zimmer sind Nischen ausgespart, die die Rolle fast aller unserer Möbel spielen; man legt in sie die Decken, aus denen die Betten aufgemacht werden, Kleider, Geschirr u. s. w. Ver- einzelt sah ich rohe Wandmalereien, Arabesken und Blumen und einfach getuschte Bilder, die Motive aus dem Koran, den Lebensbaum z. B. darstellten. Die Decke lässt die Konstruktion aus Längs-Balken und queren Rohr- oder Holzstäben dazwischen frei sichtbar. Erstere sind häufig geschnitzt und bemalt. Wohin wir kamen, standen im Wohnzimmer auf grossen, über den Boden gebreiteten Decken Präsentierteller mit unzähligen Schalen voll von Früchten, frischen, getrockneten una kandierten, von Zuckerwaren, Gebäck, Konfekt, Kompot, Mandeln, Nüssen aller Art. Ich zählte ein- mal siebzig verschiedene Sachen. Dazu wurde Thee in Tassen gereicht. Wirte und Gäste kauerten an den Wänden herum, die Beine unter- geschlagen oder in jener knienden Stellung, bei der der Oberkörper weit nach hinten übergeneigt wird und zurücksinkt, für europäische Knie- gelenke eine schmerzhafte, nicht lange erträgliche Lage. In einem reicheren Hause wurden für uns Europäer Stühle gebracht, der Haus- herr und seine Familie (mit Ausnahme natürlich der Frauen, die man nie zu Gesicht bekommt) blieben in ihrer gewohnten Kniebeuge. Die Gastfreundschaft wurde von den Sarten mit einer entzückenden Herzlichkeit gewährt, der die konventionellen Formen — der doppelte Händedruck, die Verbeugung mit Handaufsherzlegen, das Streichen des sartes — wie das ruhige sichere Auftreten zugleich eine wohltuende Vornehmheit zugesellten. In den wahren Charakter der Leute zu dringen, war mir natürlich nicht möglich, ich verweise dazu auf Vambery und auf v. Schwarz, die beide auf Grund langer Erfahr- ung die schwärzesten Farben auftragen müssen, um den Leuten gerecht zu werden. Der Bazar von Taschkent unterscheidet sich von denen Bucharas und Samarkands genügend, um nach dem Besuch dieser Städte noch lohnend zu bleiben. Seine Einrichtungen scheinen ungefähr in der Mitte zwischen den genannten zu stehen. Die Strassen sind nicht so eng, wie in Buchara, bewahren aber durch ihre Matten-Bedachung deren intimen Charakter, sie sind nicht so breit wie in Samarkand, aber doch 4 106 verhältnismässig frisch, luftig, gesund, und zwar dadurch, dass die Gerüste für die Matten nicht in Höhe der Budendächer, sondern auf Stangen ruhen, die ein Meter und mehr über sie hinausragen und seit- lichen Luftzug in die Strassen hineinlassen. Die Verteilung der nach Strassen geordneten Gewerbe und Geschäfts- zweige wiederholt sich natürlich auch hier, die Bauart der Buden ist die einer Holzbaracke, die auf gemauertem oder aus Lehm gestampftem Fundamente steht, auf drei Seiten durch feste Holzwände geschlossen, auf der vierten, der Strasse zugewendeten, bis auf Holzpfosten, die das Dach stützen, offen ist, nach Schluss der Bazarzeit aber durch Laden ebenfalls geschlossen wird. Unter den Bazarwaren fielen besonders prachtvolle kirgisische Seidenstickereien auf, Chalate, Tücher, Schabracken und Decken, die als Schmuckbehang im Innern der Filzjurten gedient hatten. Auch die originellen kireisischen Mützen wie kirgisischen Schmuck kann man hier kaufen. Auf dem Metallwarenbazar haben die Händler mitunter gute ältere Gefässe und Schalen, meist freilich nur moderne, zierlich, aber oberflächlich ciselierte platte Kannen für Thee- und für Waschwasser. Stark entwickelt — stärker als anderswo, wie mir schien — ist der Betrieb der 'Theehäuser in Taschkent. In einer der Hauptstrassen des Bazars lag fast eines neben dem anderen, und jedes war durch drei, vier oder noch mehr tischartige Plattformen nach der Strasse zu verbreitert, um die Zahl der Besucher zu fassen. Überall kocht das Theewasser in russischen Riesensamowars, überall kreiste die Wasserpfeife zwischen den schwatzenden Gruppen. Mehrfach sah ich an Strassenecken zwei- stöckige T'heehäuser, deren Obergeschossen genau wie den Buden die feste Vorderwand fehlte. Das Dach wurde durch Pfosten getragen, der Raum zwischen diesen konnte durch Laden geschlossen werden, die wie Zug- brücken auf und nieder zu lassen waren. Am Tage waren sie herunter- geklappt, sodass die Besucher dort ebenso frei sassen wie unten in der offenen Halle oder auf den Plattformen auf der Strasse. Das farbige und bewegliche Bild dieser 'Theehäuser, der starke Verkehr von Fussgängern, Reitern und Wagen, die langen Züge der Kameelkarawanen, ihre Kirgisenführer in schweren Pelzen und mächtiger zottiger Fellmütze, die Kirgisinnen mit dem gewaltigen weissen Tuch, das um Kopf und Hals geschlungen die dieken Gesichtszüge noch klobiger macht; die Hausierer mit Backwerk, Zuckerwaren und Spielzeug, die festlich geschmückten Kinder mit künstlich verlängerten Zöpfen und helmartigen durch Büsche verzierten Ropfhauben, die selten durch- huschenden Frauengestalten, all das waren ebensoviele malerische, anzie- hende wie lehrreiche Scenen, die den Besuch des Bazars auch abgesehen von den KEinkäufen, zu denen es mich immer an erster Stelle rief, amu- sant und lohnend machten. 101 Kokand. Taschkent ist vorläufig noch Kopfstation der mittelasiatischen Bahn. Später wird man von ihn einerseits nach Nordosten, nach Wernoje, der Hauptstadt von Semiretschinsk, weiter kommen, andererseits nach Nord- westen über Orenburg in's europäische Russland zurückkehren können. Eine Zweigbahn direkt nach Osten geht heute schon von der Station Tschernjajewo der Samarkand-Taschkenter Linie ab, sie erschliesst das fruchtbare Ferghana-Land und gliedert dessen uralte, in den letzten Jahren so unendlich vergrösserte Baumwollkulturen dem Weltverkehr an. Von Taschkent fährt man also, um weiterzukommen, zuerst nach Tschernjajewo zurück, eine Strecke von fünf Stunden. Hier steigt man um, hat meist einige Stunden in einem elenden, kleinen Wartesaal tot- zuschlagen und fährt dann in östlicher Richtung über die Städte Chod- schent, Kokand, Marghelan nach Andishan, dem Endpunkte der Bahn. Die Strecke beträgt 300 Werst, wegen des grossen Verkehrs laufen täglich zwei Zügein jeder Richtung, die 13—14 Stunden gebrauchen. Von Andishan führt eine 25 Km. lange Fahrstrasse nach Osch, dem östlichsten von Russen bewohnten Ort, und vielleicht die östlichste Alexanderstadt, weiter ein Reitweg über Guldscha und die Wasserscheide zwischen Syr-Darja und Tarim in das chinesische Turkestan und zwar in das Gebiet von Kaschgarien hinein. Ferghana, das man bei Chodschent, einer alten Alexander-Kolonie, betritt, ist eine vom Syr-Darja, dem Jaxartes der Alten, durchflossene Ebene innerhalb des Gebirgsdreiecks, das die Ausläufer des Thian-Schan im Nordwesten und Nordosten und das Alai-Gebirge im Süden mitein- ander bilden. Zahlreiche von diesen Bergen herunterkommende Ströme eilen dem Syr-Darja zu und schaffen mit ihm zusammen ein Wassernetz, das durch künstliche Kanalsysteme erweitert, die Fruchtbarkeit der Land- schaft erzeugt. Hier wird von altersher Baumwolle gebaut, heute freilich in zunehmendem Masse statt der emheimischen die amerikanische, hier treibt man seit den fernsten Zeiten die von China eingeführte Seiden- zucht, deren primitive Methoden durch’ das Eingreifen der russischen Regierung wesentlich gebessert worden sind. Alles, was sonst in Turkestan gebaut und gepflanzt wird, Getreide, Wein, Gartengewächse, Obst, Futter- kräuter, Reis, Tabak, gedeiht auch, und in erhöhtem Masse in Ferghana, das Hauptgewicht lest man aber auf die Baumwolle, sie ist die eigent- liche Nährmutter der Bevölkerung. Durch diese Verhältnisse bedingt sich das Landschaftsbild, das der teisende auf der Fahrt durch Ferghana erblickt. Rechts und links be- grenzen mehr oder weniger bedeutende Höhen den Horizont, im Norden 102 sind es kulissenartig voreinandergestellte Züge steiler Kammgebirge, im Süden ein massiges Riesenplateau, das in seinen Abhängen und Aus- läufern stark gefaltet, reliefartig übersichtlich daliegt, bedeckt mit Schnee und Eis, mit kalter winterlicher Öde und menschenfeindlicher Unwirt- lichkeit. Die Ebene ist aufgeteilt in Städte, Dörfer, Gärten und Baum- wollfelder. An der Dichtigkeit wie an der lebhaften Bewegung der Bevölkerung erkennt man die wirtschaftliche Regsamkeit und den erfolg- reichen Fleiss der Bewohner. Von den vorher genannten Städten dieser Bahnstrecke hatte ich Kokand, Andishan und Osch in meinen Reiseplan aufgenommen. In Andishan hatte kurz vorher das grosse Erdbeben die ganze Stadt zerstört und 8000 Eingeborene unter deren Trümmern begraben. Für meine Zwecke schied es damit aus. Da von Augenzeugen andererseits die Spuren des Erd- bebens, die vielleicht hätten locken können, als sehr uninteressant ge- schildert wurden, es sollte ausser einem Erdspalt eigentlich nichts zu sehen sein, so gab ich die unter den obwaltenden Verhältnissen mehr als unbequeme Fahrt auf. Es bestand in Andishan weder die Möglichkeit, unterzukommen, noch sich zu verpflegen, die Russen wohnten in kirgisi- schen Filzzelten und in Eisenbahnwaggons, und so hätte sich meine Fahrt auf Hinweg, Rückweg und kurzes Angucken zusammengefallener Lehn- buden, einer eingestürzten Kaserne und eines schiefen Kirchturmes be- schränkt. Die elementaren Ereignisse hatten ferner die weiteren Verbin- dungen beeinträchtigt, und so blieb ich in Kokand. Hier traf ich es zudem ausgezeichnet. Ein Landsmann, Herr Jürgens, an den ich empfohlen war, nahm mich mit liebenswürdiger Gastlichkeit auf und half mir bereitwillig bei meinen Bestrebungen, sodass ich an die Tage auf der östlichsten Station meiner Reise mit besonderer Freude zurückdenke. In Kokand leitet uns derselbe allgemeine Situationsplan, den wir aus den früheren Orten kennen. Der Bahnhof liegt isoliert, breite Wege ver- binden ihn mit der russischen Stadt, breite bepflanzte Strassen durch- ziehen diese und einstöckige Häuser bilden abwechselnd mit den Mauern und Torwegen der Höfe die Strassenfronten. Als ich einfuhr, bekam ich einen Vorgeschmack von den Zuständen im Sommer, ein feiner weisser Staub wirbelte in dichten Wolken vom Boden auf, in wenigen Minuten war man »ergraut«, und wie ich später sah, fand er den Weg nicht nur durch die geschlossenen Fenster in die Zimmer, sondern auch in die Koffer und Taschen. Im Hochsommer soll die Plage sich bis zur Un- erträglichkeit steigern. Die russische Stadt ist bei Weitem nicht so grossartig wie in Samarkand oder gar Taschkent, wird aber immerhin 10—15000 Einwohner zählen. Zwischen ihr und der sartischen Stadt liegt auf einem grossen freien Platze, von einer Mauer eingeschlossen, der 103 Palast des letzten Chans. Kokand war lange Zeit Hauptstadt eines selbst- ständigen Reiches, das wie Buchara und Chiwa, von usbekischen Fürsten im Anfange des 16. Jahrhunderts nach Vernichtung der Timuriden-Herr- schaft gegründet worden ist. Während der drei Jahrhunderte hat seine xeschichte in steter Wechselwirkung zum Osten wie zum Westen gestanden. Kämpfe mit Buchara, an das es auch zeitweilig seine Unabhängigkeit verlor, und mit dem später von China eroberten Kaschgar, Chotan und Jarkand, zuletzt mit den Russen, füllen seine Geschichtsblätter. Im Jahre 1376 wurde es endgültig besiegt und als Ferghana-Gebiet dem General- gouvernement Turkestan einverleibt. Einer der letzten Fürsten, Chudojar Chan, erbaute nun in den sechziger Jahren den genannten Palast, und zwar als Nachahmung der alten Samarkander Glasurziegel-Architektur. Eine typische Epigonenarbeit. Sie löst die Fassade in Nischen auf, wie an den Medressen Bucharas und Samarkands, aber die Nischen sind flach und schmal, ihre Zahl ist zu gross, die trennenden Pfeiler treten nicht kräftig genug hervor, die einstöckige Anlage zieht den Bau zu sehr in die Breite und in die Ober- Nächlichkeit, der Zinnenkranz ist von unechter, zu ausschliesslich dekora- tiver Wirkung, die Glasuren haben zu grelle, unvornehme Tönung, und ihre Anordnung entbehrt der zurückhaltenden Dezenz. Der Eindruck des Ganzen ist protzig und inhaltleer. Der Palast dient jetzt dem russischen Gouverneur als Wohnung, im Hofe vor der Rampe liegen Baracken für das hier garnisonierende Bataillon Linien-Infanterie. An den weiten Platz vor der Umfassungsmauer schliesst sich un- mittelbar die Eingeborenenstadt an. Sie bietet in ihrem allgemeinen Cha- rakter nichts Neues. Lehmwände mit Durchgangspforten oder geschnitzten Türen, hinter ihnen Höfe der Wohnungen und der Moscheen mit kleinen Teichen, Marktbuden, in denen Früchte, Fleisch, Spezereien verkauft wer- den, offene Werkstätten verschiedenster Gewerbe. Dazwischen schmale Strassen, in denen sich knapp zwei Arbas begegnen können, Brücken über Flussarme und Kanäle, kleinere freie Plätze. Der Mittelpunkt der Stadt und des Volkslebens, des geschäftlichen wie des geselligen und gesellschaftlichen Verkehrs ist der Bazar. An (Grösse, in der äusseren Erscheinung und in der Fülle seiner interessanten Momente reiht er sich mehr demjenigen von Buchara an als denen des russischen Turkestan. Seine Strassen sind schmal, meist gedeckt und halbdunkel. Die Bedachung ist organisch mit den Buden verbunden, und zwar in folgender Weise. Ein Gerüst von senkrechten und von wage- rechten Quer-Balken bildet das Skelett der ganzen Anlage. Die letzteren liegen über der Lichtung der Strasse und tragen das aus Planken be- stehende Dach. Hier und da sind Lücken für einfallendes Licht gelassen. Die senkrechten Pfosten sind in Zweidrittel-Höhe durch Querbäume ver- 104 bunden, der über ihnen liegende Raum ist durch eine Lehmwand aus- vefüllt. Diese bildet den oberen Teil der Vorderwand der Bude. Der untere Teil bleibt offen, kann aber durch Holzladen verschlossen werden. Durch ihre Regelmässigkeit gleichen die Budenreihen fast langen Ställen, deren Stände durch Massivwände abgeteilt sind. An das geschlossene System der verdeckten Strassen gliedern sich offene Gassen an, in die der lebhafte Bazarhandel übergreift. "$ SieZ sind schmal, und die Buden flüchtige Lehmbaracken mit Gras-, Matten-, oder lLehmdächern. Im Innern des Bazarblocks finden wir die Karawan- saraien aus Buchara wieder, nur einfacher und kleiner, von Stallungen und offenen Stuben umgebene Höfe, in denen die Landleute ihre Arbas ausspannen, und die Karawanen aus den Baumwolldistrikten, aus Kaschgar, aus den Kirgisen-Aulen, ihre Waren abliefern. Kaschgar, das politisch den Chinesen, dem sartischen Volkstum nach zum Westen gehört, bringt eine besondere Art Teppiche, die Kirgisen verkaufen Filz- decken, Schilfmatten, Wollstoffe. Ich hatte mir vorgestellt, bei der Nähe Chinas und bei dem lebhaften Verkehr mit ihm würde ich in Kokand gute Gelegenheit zu sinologischen Erwerbungen finden, sah mich darin aber getäuscht. Es gab zwar einen Händler auf dem Bazar, der aus- schliesslich China- Waren vertrieb, er hatte aber nur modernen, für den Export gearbeiteten Durchschnitts-Schund, wie wir ihn in unseren Läden sehen, und dessen Weg nach Kokand wohl über das europäische Russ- land, über Odessa, vielleicht gar von Hamburg ausgegangen war. Wer monatelang auf dem Bazar herumspüren und günstige Zufälle abpassen kann, mag allerdings über bessere Erfahrungen berichten können. Von der eigenen Industrie Kokands wäre besonders Papierfabrikation und die Anfertigung von Sätteln und Reitzeug zu nennen, die in früheren Zeiten blühende Lederindustrie ist infolge russischer und aus- ländischer Einfuhr zurückgegangen. Ebenso ist die Holzschnitzerei stark in Verfall. Sie liefert zwar noch auf Bestellung leidlich gute Ware, der allgemeine Bedarf macht jedoch keine Ansprüche mehr an sie, und so wird sie allmählich verschwinden. Der russische Import scheint in Kokand, als dem Hauptorte des Warenaustausches mit Kaschgarien, sehr bedeutend zu sein. Er wird durch die Politik der Regierung natürlich am meisten gefördert, aber auch die Intelligenz und die Anpassungsfähigkeit der Importeure selbst verstehen ihn zu heben. Ich sah da z. B. die Wasserpfeifen der Ein- geborenen, aus einem sanduhrförmigen Kürbis, in geblümtem Porzellan nachgemacht, für den Ethnographen ein Schlag ins Gesicht, für den Kaufmann em Triumph der Beobachtung und der Chancen - Suche. Mehr Freude machen sartische Schmucke, alte Bronzeschalen, Waffen, geschnabelte, hochhackige Frauen -Schuhe früherer Moden, Schnitzereien, Porzellane und sonstige zufällige Funde in den Buden der Goldschmiede. 105 Auf dem Töpfer-Bazar nehmen wir originelle Schnabel - Lampen mit und eigentümliche Gefässe aus gepresstem Baumwollsamen, so un- durchlässig wie unzerbrechlich, also im Gebrauch denkbar praktisch. So bietet selbst nach Buchara, Samarkand und Taschkent der Bazar von Kokand vieles des Interessanten und des Neuen. Die malerischen Bilder des Volkslebens in den Bazarstrassen und auf den Plätzen sind zudem dieselben wie dort, all jenes Durcheinander von Bewegung und Farbe, das uns dort fesselte, zwingt uns auch hier auf Schritt und Tritt in den Bann seiner Fremdartigkeit und seiner Reize. Im einzelnen kann ich darauf nicht eingehen, ohne mich zu wiederholen. Ich will nur noch als eine physische Eigentünlichkeit der Kokander den Kropf erwähnen, den man bei fast jedem Manne sieht, und der sehr erhebliche Dimensionen erreichen kann. Auch in Kokand wird er, wie ich hörte, auf das Wasser zurückgeführt. In der Architektur steht Kokand zurück. Einige Moscheen mit Glasuren- Bekleidung, einige Medressen mit der gleichen Hofanord- nung, den gleichen Zellen für die Lehrer und Schüler, der gleichen klösterlichen Stille, wie in den übrigen Städten Türkestans, gibt es auch dort, doch verdienen sie keine besondere Aufzählung und Beschreibung. Ich versuchte hier, an dem östlichsten Punkte meiner Reise, nach Möglichkeit zu erwerben, was mir vom ethnographischen Besitz der Sarten noch fehlte, dann fuhr ich, da meine Zeit abgelaufen, auf dem- selben Wege der mittelasiatischen Bahn nach Krasnowodsk zurück, um über Baku nach Tiflis und dem Kaukasus weiterzugehen. Bevor ich jedoch diesen letzten Abschnitt beginne, schalte ich ein Kapitel ein, das eine Übersicht über die so interessante Folge der geschichtlichen Gescheh- nisse in Turkestan zu geben versucht, und dessen gedrängte Zusammen- stellung bei dem verstreuten und nicht überall gut bekannten Stoff willkommen sein dürfte. a — 106 Kommen und Gehen der Völker in Mittelasien. Die ältesten nachweisbaren Bewohner derjenigen Gegenden, die heute von der mittelasiatischen Bahn durchquert werden und unter russischer Herrschaft bezw. Oberhoheit stehen, gehörten, wie man allgemein annimmt, der iranischen oder indo-persischen Rasse, also der arischen Völkerfamilie an. Ob diese Rasse aber im heutigen Turkestan bodenständig, autochthon war, oder ob sie selbst erst einwanderte, sei es um herrenloses Land in Besitz zu nehmen, sei es, um frühere Besitzer aus ihm zu vertreiben oder sie zu unterjochen, darüber besteht noch immer, und heute mehr denn je, unausgeglichene Meinungsverschieden- heit. Lange Jahrzehnte galt Mittelasien unbestritten als Heimat und Geburtsland der indogermanischen Rasse, und wenn heute die gegenteilige Ansicht mehr und mehr an Raum gewinnt, so halten doch noch zahl- reiche Philologen und Archaeologen an ihr fest. Sein im Jahre 1900 erschienenes Buch, in dem er die Resultate vieljähriger Beobachtungen in Turkestan niedergelegt hat, betitelt v. Schwarz: »Turkestan, die Wiege der indogermanischen Völker. « Nach dieser älteren Ansicht bildete sich die indogermanische Rasse auf den Ebenen zwischen dem Amu-Darja oder Oxus und dem Thian- Schan-Gebirge und gab in allmählicher Aufeinanderfolge durch Aus- wanderung die unter dem Namen Inder, Hellenen, Italiker, Kelten, Germanen, Slaven unterschiedenen Völker an das übrige Asien und an Europa ab. Ich gehe hier nicht weiter auf die Beweisgründe für oder gegen diese Hypothese ein; wie wenig sie aber z. B. rassenbiologisch denkt, geht daraus hervor, dass v. Schwarz die Indogermanen aus Ferghana und die Chinesen aus dem benachbarten Kaschgarien ihren Ursprung nehmen lässt. Länder also, die klimatologisch fast übereinstimmen, sollen die beiden meist entgegengesetzten Rassen der Erde hervorgebracht haben! Länder, deren heutige Bevölkerung, aus der gleichen Mischung hervor- gegangen, eine völlig gleiche ist, sollen die Wiege zweier Menschheits- species sein, die somatisch amı meisten voneinander entfernt sind! Ich weiss nicht, wie man sich das denken soll. Und diese Mischung arischen 10% und mongolischen Blutes hier im Mittelpunkte Asiens, der wohl einzelnen Kulturelementen gestattete, hinüber- und herüberzuwandern, aber im übrigen doch zwei grundverschiedene Welten voneinander trennt, soll an der Quelle, auf der Wasserscheide der Rassenströme vor sich gegangen sein, die ost- und westwärts sich über die Länder ergossen? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass beide Flussbette, von verschiedenen Seiten kommend, sich hier fanden, und ihre Verzweigungen sich hier mit- einander verschlangen, und ihre Wasser sich hier miteinander mengten ? Ferner, wenn v. Schwarz auf die einst zahlreichere Bevölkerung Turkestans als auf die Möglichkeit, und auf die geologischen Verände- rungen als auf die Ursache aller Auswanderungen hinweist, so kann dazu bemerkt werden, dass allerdings Turkestan früher stärker bebaut und bewohnt war als heute, sowohl im Westen wie im Osten, im Tarim- Becken. Aber einmal ist die Masse des anbaufähigen Landes in Trans- kaspien nie viel grösser gewesen als heute, nie viel weiter nach Norden gegangen als heute. Das erfährt man von Herodot, das liest man bei Curtius, der an der Hand von Berichten der Begleiter Alexander des (Grossen schreibt: »Ein grosser Teil des Landes sei von wüsten Sand- strecken eingenommen; wenn die Winde vom kaspischen Meer her wehten, trieben sie den Sand zu hohen Hügeln, unter dem nicht nur jede Spur des Weges verschwinde, sondern die Reisenden auch verschüttet würden. « (Duncker, Geschichte des Altertums. 4. S. 10). Nun könnte man sagen, das sei später gewesen, als die Auswanderung der Arier; aber es ist nicht einzusehen, warum geologische Umwälzungen, die vorher Jalır- hunderte oder Jahrtausendelang angehalten und die Menschen vertrieben haben, plötzlich einhalten sollten, sobald sie in den Lichtkreis unserer historischen Erfahrung eintreten. Es wird ferner durch jene Bemerkung klar, dass »die zahlreichen Überreste von Städten und ausgedehnten Kanalsystemen« nicht auf die Zeiten der ältesten Arier-Wanderungen zurückgeführt werden können. Wir müssten sonst solche in der Kara- Kum-Wüste ebenso finden, wie sie jetzt im Tarim-Becken gefunden worden sind. Andererseits, da in der Tat später der Vernachlässigung von Kanalsystemen ein Vorrücken der Wüste nach Süden hier und da gefolgt ist, müssten wir von arischen Wanderungen nach Westen in historischer Zeit etwas wissen. Wir wissen aber nur von ostwärts ge- richteten Zügen. Westwanderungen kennen wir nur von den mongolischen Völkern, und diese wieder haben die Städte nicht bewohnt und die Kanalsysteme nicht gebaut, deren Vernichtung durch geologisch-klimatische Veränderungen sie zur Auswanderung getrieben haben soll. Arisch sind die genannten Kulturwerke, aber sie stammen aus viel späterer Zeit. Erst die mongolischen Einfälle haben die Völker zerrieben, die Kultur- arbeiten zerstört, die Wirtschaftsformen seändert. Die Mongolen lebten immer als Nomaden, sie konnte eine Übervölkerung aus der Heimat 108 treiben, und die Richtung dieser Wanderung ging, von China mit Gewalt abgelenkt, nach Westen. Die sesshaften Arier konnten in den Städten ungezählte Massen von Menschen beherbergen und ernähren. Für viele andere Gründe gegen die asiatische Herkunft der Indo- germanen und für die Annahme Europas, im besonderen Nordeuropas als des Ursprungslandes verweise ich auf die reiche Litteratur, die der Gegenstand hervorgerufen hat. Ich will nur noch erwähnen, dass in neuester Zeit Matthäus Much in einem trefflichen Buche die Frage vom rein archäologischen Standpunkt behandelt und zum Resultate kommt: »Die Heimat der Indogermanen liegt nicht in Asien, sondern im nord- westlichen Europa und umfasst die Küstenländer und Inseln der west- lichen Ostsee — im Osten dürfte die Oder die ursprüngliche Grenze ge- bildet haben, die frühe schon an. die Weichsel vorgeschoben sein mag... noch innerhalb der Steinzeit überschritten die Indogermanen das deutsche Mittelgebirge und drangen einerseits bis an die Alpen, schitften nach Grossbritannien und Irland, und erreichten andererseits etappenweise die mittlere Donau und den Balkan, sowie den Dniester und die südrussische Steppe, endlich die Länder am Schwarzen und Ägäischen Meere.« (Die Heimat der Indogermanen S. 4). Ich glaube, dass diese Ansicht die richtige ist, und dass man der Wanderung nach Kleinasien, wo also Troja ein Ausläufer der Steinkultur Europas ist, wohin der Bernstein nicht durch den Handel, sondern durch wandernde Völker gelangt ist, anfügen muss diejenige nach den Ländern des heutigen Persiens und Turkestans. Dieser Weg brachte die erste Berührung mit den vorgeschrittenen Kulturen, aber auch mit den fremden Rassen Vorderasiens. Auch bei Annahme der europäischen Heimat der Indoperser mag zu Recht bestehen, was der beste Kenner Mittelasiens, Vambery, sagt: *®) »Was auf uralt sich bezieht, ist nur im Osten, aber nie im Westen zu finden.e Er führt das zur Stütze der anderweitig ausgesprochenen Behauptung von dem asiatischen Ursprung der iranischen Rasse an, seine weiteren Bemerkungen zeigen aber deutlich, dass die Differen- zierung des Ost- und des Westiraniers durch fremde Einflüsse bedingt worden ist, und dass also sehr wohl die Bewohner Ostirans, von der- artigen Einflüssen weniger berührt, die echteren Züge aufweisen können, ohne notwendig auch die älteren sein zu müssen. Vambery sagt: »Die turanische Rasse hat bei ihrer Ausbreitung die Richtung von Osten segen Westen genommen, die iranische hat von Süden gegen Norden sich ausgebreitet.... so kann man.... ebensosehr in den östlichen Überresten den primitiven echten Iranier als in den westlichen den in *) Reise in Mittelasien. 109 steter Berührung mit turanisch -semitischen Elementen gestandenen Meder erkennen... die hagere Gestalt, welche den Westiraniern mehr als den Ostiraniern eigen ist, erinnert stark an den Hauptzug des Arabers....« Ferner an anderer Stelle über die Sprache: »Im Osten Irans wird wohl das reinste und älteste Persisch gesprochen«. Als Ursache führt er selbst an: »der persische Dialekt des heutigen Irans ist überfüllt mit arabisch- türkischen Wörtern«. Aber auch die grössere Reinheit des ostiranischen Typs schwächt er schon selbst durch die Hinweise auf die turanischen Mischungen gebührend ab, wie er denn überhaupt nicht im heutigen Turkestan, sondern im persischen Chorassan die Stammsitze der Jranier sucht. Nichts von dem, was Vambery und v. Schwarz für die asiatische Heimat der Iranier vorbringen, ist überzeugend, es ist keine unter den an sich unbestreitbaren Tatsachen, die sich nicht auch mit der Ein- wanderung der Rasse von Westen her vertrüge. Ich nehme also an, dass die ältesten Bewohner Turkestans iranischen, indogermanischen Blutes waren, als Nomaden und Träger einer stein- zeitlichen Kultur von Nordeuropa her etwa im 5. vorchristlichen Jahr- tausend die Südostecke des Kaspischen Meeres erreicht hatten und von da aus östlich weiter vordrangen bis ins Tarimbecken hinein. Hier im Osten kamen sie mit Völkern anderer Rasse in Berührung. Man nimmt heute an, dass über Nordeuropa und Nordasien ursprünglich eine paläo- asialische Rasse verbreitet gewesen ist, deren Spuren noch in den Misch- völkern, und deren selbständige Reste in den Ainos, den Bewohnern Sachalins und Jessos, erkennbar sind. Diese Rasse wurde teils ver- drängt teils durch Mischung verändert von der nördlich und östlich des Altai-Gebirges entwickelten mongolischen Rasse. Aus der Mischung, zu der arische Bestandteile später hinzutraten, entstanden die Völker der uralo-finnischen, uralo-altaiischen, mongoloiden, turk-tatarischen Gruppen, die von den Ufern der Lena bis nach Finnland, von den Grenzen der Mongolei bis ins Herz des europäischen Russlands und, mit anderen Rassenteilen vermengt, in den heutigen Türken, Bulgaren und Magyaren wiederzufinden sind. Vielleicht — aber auch nur vielleicht — gehörten ihnen die Erfinder der ältesten Kultur, der vorbabvlonischen oder sumerischen, an. Auf mongolische und mongolenverwandte Völker also, auf Rassen- verwandte der Hunnen, stiessen die ostwärts ziehenden Indogermanen in Turkestan, mit ihnen hatten sie sich auseinanderzusetzen, und diese Auseinandersetzungen, seien sie friedlicher, seien sie kriegerischer Natur, bilden die Geschichte Mittelasiens bis auf den heutigen Tag. Stets kamen von Westen und Süden die Indogermanen, von Osten und Norden die Mongolen, welche Namen sie auch führen mögen. Auf und ab schwankt die Wage des Sieges, bald siegt Turan, bald Iran; heute stehen DU. TIUR wir nach fast zwei Jahrtausenden der Mongolenherrschaft, wie man weiss, wieder im Beginne indogermanischer Zeit. — Mehr als ein Jahrtausend nach der Einwanderung der Arier scheidet der gewaltige Gebirgszug Mittelasiens die schon geordneten Kulturreiche im Süden von dem unruhigen Wirrwar wandernder Nomadenvölker im Norden. Dort bilden sich im Stromgebiet des Euphrat und Tigris kleinere Herrschaften wie Nippur, dann grössere Staaten, der sumerische mit der Hauptstadt Ur, der babylonische und der assyrische; in Indien entstehen kleine Königreiche, im Osten krystallisieren sich die wilden Mongolenhorden zu Staatengebilden, aus denen das grosse königliche, später kaiserliche China hervorgeht, dessen Geschichte mit: »Jü«, dem Stammvater der Hin -Dynastie, 2205 v. Chr., beginnt. In Mittelasien ziehen um diese Zeit die arischen Nomadenvölker in losen Verbänden, auf stetem Kriegsfusse mit den Mongolen, durch die Steppen vom Kaspi zum »Dach der Welt«. Erst als die von Süden her ihre Arme ausstreckende Kultur der Euphratländer den südlichen Wüstenrand erreicht, gelangen auch sie, in den ewigen Kämpfen erstarkt, zu politischer Einheit. Von diesen Kämpfen wissen schon die indischen Veden, aus denen Brunnhofer an der Hand sprachlicher Anklänge die Erwähnung turanischer Stämme herausliest. Zu derselben Zeit, als in Nordeuropa der Übergang von der Stein- zur Bronzezeit sich vollzog, als in Mykene die Blütezeit seiner eigenartigen Kultur begann, als in Ägypten die Macht des neuen Reiches erwuchs, Mitte und Ausgang des zweiten vorchristlichen Jahrtausends, bildeten die Arier in Turkestan, an den Stellen des heutigen China, Merw, Samarkand, selbständige Staaten und vor allem nördlich des Parapamisos oder Hindukusch das grosse altbaktrische Reich. Ein hoher Kulturzustand zeichnete das Land aus, es besass eigene (viereckige) Münzen, eigene (arianische) Schrift, eine entwickelte Kunst, ein Kunstgewerbe, das die Glasfabrikation, die Metall- bearbeitung und die Teppichweberei kannte, eine vollendete kirchliche und politische Organisation. Die Religion hatte längst die Vorstufen des Manismus und Animismus überwunden und lebte im jenem Licht- götter- Kult, der wahrscheinlich schon aus Europa mitgebracht, jedenfalls lem gemeinsamen Stamme der Inder und Iranier vor ihrer Trennung, eigen gewesen war. Das baktrische Reich war der äusserste Vorposten des Ariertums gegen die Mongolen Hochasiens, es musste seine Unabhängigkeit aber auch gegen Assyrien verteidigen, und es scheint nicht immer glücklich darin gewesen zu sein. Wenigstens berichtet die Sage, dass Semiramis vom nordöstlichen Iran aus einen, freilich vergeblichen, Kriegszug gegen Indien, um 1250 vor Christo etwa, unternommen hat. Um das zu können, mussten die Baktrier der assyrischen Krone gehorchen, wenn vielleicht auch nur vorübergehend. Int In diesem altbaktrischen Reiche regierte um die Wende des zweiten Jahrtausends v. Chr. König Vishtaspa; unter ihm erstand hier, zu der- selben Zeit etwa, wie im stammverwandten Indien der Brahmanenglaube, die schöne Zarathustra-Religion und gab der Welt den Glauben an den Sieg des Guten. So negativ der indische Geist sich im Träumen verlor, im ruhenden Brahma »dessen Name heisst nein, nein«, und zum Welt- verächter wurde, so positiv strebte die Zarathustra-Lehre zur höchsten Vollendung des Guten im Menschen und in der Menschheit. »Hier erhob sich, sagt Oldenburg (Deutsche Rundschau Bd. 96) eine weite und grosse Auffassung der Aufgaben und Ziele des Menschenlebens zur Vorstellung des Guten und verkörperte sie in der erhabenen und reinen Gestalt Ahura Mazda’s, des höchsten guten Gottes, des Verbündeten und Anführers aller Wesen im Himmel und auf Erden, die für das Gute kämpfen. « In diesen Zeiten gesellte sich zu dem kriegerischen Wettstreit der friedliche, zu den blutigen Kämpfen mit den Hunnen, die inzwischen als Hiung nu der chinesischen Chroniken ein Staatswesen im Norden der Mongolei gegründet und die sesshaften Chinesen zum Bau ihrer be- rühmten Mauer genötigt hatten, trat der Warenaustausch zwischen Ost und West auf denselben Handelswegen, wie heute, auf der Route Samar- kand, Ferghana, Pamir, Kaschgar, Tarimbecken, gingen damals schon, wenn auch vereinzelt und durch Vermittlung vieler Hände, indische Baumwolle, einheimische Schafe, Wolle, Filzfabrikate nach China, dafür dessen Seide nach Westen. Das baktrische Reich erlag nach schweren Kämpfen dem assyrischen, nach dessen Untergange im 6. Jahrhundert dem von Cyrus gegründeten persischen Weltreich. Weit im Osten erstand Kyropolis, das heutige Kokand, damals gewiss eine Zwingburg für die neu Unterworfenen. Der hohe Kulturzustand Baktriens blieb der Provinz Baktriana erhalten, die vorzügliche Bewirtschaftung des Bodens mittelst ausgedehnter Bewässerungskanäle, von den Iraniern gewiss der altbabylonischen Kultur entlehnt, und der hieraus stammende Woehlstand entwickelten sich unter der persischen Herrschaft weiter. Zur Zeit des Darius konnte Baktrien z. B. 2'/, Millionen Mark an Grundsteuern ausser Zöllen und Natural- lieferungen aufbringen. Sein Einfluss in Persien war daher nicht gering, ja, nach Ansicht Roth’s waren die Achämeniden baktrische Vasallen der persischen Könige, sodass es Söhne des arischen Turkestans gewesen wären, die die persische Weltherrschaft gegründet haben. Wie andere Provinzen, stellte Baktrien für die grossen Armeen der persischen Könige Rekruten, und Söhne des alten Samarkand, damals schon eine Stadt, deren Umfang 70 Stunden betrug, zogen mit Xerxes nach Griechenland. Bei aller Machtgrösse des Reiches dauerten an den Nordgrenzen die Kämpfe der Iranier und Turanier fort, Uyrus 11. fiel auf einem Zuge 112 gegen die Nomaden, was aber wichtiger ist, deren Blut floss in mählicher Mischung ineinander über. Völker, wie die Parther, die schon im 6. Jahrhundert auf den Inschriften der persischen Achämeniden erwähnt werden, die Hyrkanier an der Südostecke des Kaspischen Meeres, die Margianer im Tale des Margos, des heutigen Murghab, waren Iranier, deren Felder mit Wein, Getreide, Reis, Obst, Zuckerrohr bebaut, deren Länder dicht bevölkert, mit Städten und Siedelungen bedeckt waren. Aber ihr Blut mischte sich mit dem turanischen oder turktatarischen der Massageten, wie das der östlichen Sogdianer, Baktrer und Issedonen im Tarim-Becken mit dem der Hunnen und verwandter Stämme, wenn auch das arische noch überwos. Zwei kurze Jahrhunderte sah Turkestan die Grösse und den Glanz des Perserstaates, dann wurde es in dessen Sturz hineingezogen und kam in die Hände Alexander des Grossen, der einen neuen Schub frischen, rassereinen Ariertumes brachte. Es sah den grossen Welteroberer auf dem Burghügel von Samarkand, sah ihn Alexandria &sy«ı, das äusserste, das heutige Chodschent am Jaxartes gründen, sah 14000 Griechen vom Heere des Macedoniers zurückbleiben, sah griechische Kultur, Sprache und Kunst. Der Eindruck Alexanders muss ein überwältigender gewesen sein, seine Persönlichkeit lebt, wie man weiss, in den Iskandersagen heute noch in Vorder- Mittel- und Ost-Asien fort. Schwer aber ist es, Umfang und Tiefe des griechischen Einflusses auf Turkestan und Indien zu bestimmen. Lassen sagt: »Ich halte es für unwahrscheinlich, dass der Hellenismus auf die Religion und die sittlichen Zustände der Baktrer einen Einfluss ausgeübt habe, wahrscheinlich möchte es von den schönen Künsten sein, obwohl sich darüber nichts festsetzen lässt«. Heute kennen wir von diesem letzteren Punkte mehr, wir wissen, dass sich m Nord- westindien ein eigener Kunststil, der graeco-buddhistische bildete, dass westeuropäische Motive sogar bis Ostasien kamen und in die chinesische Kunst übergingen. Die künstlerischen Wirkungen der Alexander- und nachalexandrinischen Zeit waren ungeheure. Wenig hat die Archaeologie bisher zu Tage gefördert; was man aber gefunden hat, beweist, dass hier durchaus nicht blos rauhes Kriegsvolk gehaust hat, das eine unter- worfene Bevölkerung in Schach hielt, sondern dass den Söldnern Kolo- nisten aller Stände gefolgt sind, deren Kulturbesitz sich der eingeborenen Bevölkerung mitgeteilt haben muss. Bedeutend muss ferner der Einfluss auf die Rasse gewesen” sein, namentlich in den vorhandenen alten bezw. in den neu gegründeten Städten, sowie der Aufschwung von Handel und Gewerbe Tausend Städte soll es unter den griechisch -baktrischen Königen gegeben haben. Anders freilich sah es mit der Religion aus. Die Griechen trafen neben dem alten Zoroasterglauben schon den Buddhismus, und dieser gewann en seit dem Emporblühen der alten Handelsbeziehungen mit Indien, vor allem seit dem Regierungsantritt des Königs Acoca 263 v. Chr. stetig an Ausdehnung, Ja, es schemt, als wären griechische Könige sogar zum Buddhismus übergetreten. — Alexander dem Grossen waren nur wenige Jahre auf der Höhe seines Ruhmes und seiner unerhört glänzenden Machtfülle beschieden. Seine Erbschaft traten die Seleuciden an, aber es ist nicht zu verwundern, dass sie die Nordmarken des gewaltig ausgedehnten Reiches nicht halten konnten. Schon im Jahre 250 v. Chr. löste sich der Osten unter dem Satrapen Diodotus los und wurde zum griechisch -baktrischen Reiche, das nun für etwa anderthalb Jahrhunderte die Rolle übernahm, den Einfluss der Antike in Zentralasien zu verbreiten und nach Ostasien zu übermitteln. Seine politische Kraft war nicht gross. Im Westen erlag es bald dem Ansturm der Arsaciden, deren siegreiche Kämpfe mit der Eroberung Baktriens endeten. Die zwischen dem Kaspi und dem Oxus oder Amu Darja liegenden Teile des heutigen Turkestans gehören also von nun an den Parthern und teilen deren wechselvolle Schicksale durch vier Jahrhunderte, deren Kultur, die von der persischen kaum verschieden war, und deren Ende. In Betracht kommt aber nur der Süden Transkaspiens, das Steppen- Vorland des heutigen russisch - persischen Grenzgebirges, denn nur dieses konnte mit Hülfe der Bergflüsse und des Kanalsystems urbar gemacht werden. Der Norden war von jeher Sandwüste und, wenn überhaupt, von nomadisierenden turktatarischen, mongolisch - paläoasiatischen oder mongolisch -arischen Mischvölkern belebt. Andere Teile des griechisch -baktrischen Reiches gingen an Turk- Völker verloren, sein Schwerpunkt verschob sich dadurch nach Osten, wo an der indischen Grenze sogar Gebietserweiterungen die Verluste im Westen ersetzten. Aus dem griechisch-baktrischen Reiche wurde das griechisch - indische. Um diese Zeit treten zum ersten Male in der Geschichte Turkestans die Chinesen auf. Ihre Seide hatte, wie bereits erwähnt, seit undenk- lichen Zeiten den Weg nach dem Westen gefunden, sie selbst aber ver- lassen ihre Grenzen erst jetzt, im zweiten Jahrhundert v. Chr. Um die Yue-tschi, einen mongolischen Volksstamm, der früher nördlich der Dsungarei, später am ‚JJaxartes sass, gegen die Hiung nu oder Hunnen aufzuhetzen und diese so von den eigenen Grenzen abzu- drängen, schickte der chinesische Kaiser Hsia-wu-ti seinen General Tsehan-t'chien über den Pamir. Die politische Mission misslang. Aber der Chinese lernte zu seinem grössten Erstaunen die blühenden Städte des griechisch - baktrischen Reiches kennen, sah ihre Kultur, fand die chinesische Seide eingeführt und begehrt, erkannte die Wichtigkeit der 3 vo 114 Länder für den Handel Chinas und kehrte nach Peking zurück mit bestimmten Plänen zur Anbahnung dauernder Handelsverbindungen mit dem Westen. In systematisch vorbereiteten Kämpfen wurde nun das Tarim-Becken durch Vertreibung der Hunnen pacificiert, es wurden Strassen gebaut und Festungen angelegt, und vom Jahre 114 v. Chr. ab zogen im Süden des Tarim-Beckens fünf bis zehn grosse regelmässige Karawanen alljährlich aus dem Innern Chinas zu den griechisch-indischen, parthischen und syrischen Grenzen, brachten Seide und Eisen und nahmen Gewebe, Teppiche, Porzellan- und Glaswaren mit zurück. Die von der Westwärtsbewegung der Hunnen eingeleitete Wanderung der mongolischen Völker Hochasiens traf um dieselbe Zeit vor den Toren der griechischen Städte Nordost-Irans ein. Die Yue-tschi gründeten auf den Trümmern des griechisch -indischen Reiches das inde -skythische. Ungefähr 2000 Jahre hatten die Arier geherrscht, nun wichen sie den Mongolen, und erst in unseren Tagen, nach merkwürdigerweise wiederum fast 2000 Jahren, kam das Steuer dieser Länder wieder in ihre Hand. Der Sieg der indo-skythischen Könige bedeutete nicht, wie etwa später bei den grossen mongolischen Heerführern, Verwüstung und Ver- nichtung. Im Gegenteil, Reste des Griechentums erhielten sich über den Anfang unserer Zeitrechnung hinaus, seine Münzen waren noch im ersten Jahrhundert im Umlauf, Spuren der Schrift bis zum siebenten Jahr- hundert im Gebrauch. Der Handelsverkehr erlitt keine Unterbrechung. In Samarkand trafen sich Kaufleute aus China, Indien, Griechenland, Syrien und Rom, der Seide-Export nahm sich in einem Grade auf, dass Millionen Sesterzen jährlich aus dem römischen Weltreich nach China gingen. Man hat römische Münzen in der Provinz Schansi, also ganz im Osten Chinas, von wo die Römer das serische Eisen bezogen, gefunden. Wurde so für China der Westen wirtschaftlich von immer grösserer Bedeutung, so musste auch die äussere Politik jenes Landes entscheidend davon beeinflusst werden. Im Norden gegen die Hunnen und im Innern gegen die Gefahr der Feudalstaaten gesichert, konnte es, wenn sein Handel bedroht war, nach Westen aggressiv vorgehen. Nach Westen wies die Chinesen auch der Buddhismus, der bei ihnen im Jahre 65 n. Chr. eingeführt war. So zog der General Pan-tschan i. J. 95 quer durch Turkestan, besiegte die Parther und drang bis ans Kaspische Meer und den Kaukasus vor. Die heute lebende kaukasische Fürstenfamilie Orbeliani rühmt sich chinesischer Abstammung, einiger ihrer Mitglieder sollen nach v. Erekert in der Tat den entsprechenden anthropologischen Typus zeigen. China wurde durch diese Expeditionen mit Rom bekannt. Die beiden grossen Weltreiche sollen sich gegenseitig Gesandschaften geschickt haben. Zuverlässiges darüber ist jedoch nicht bekannt. 119) Chinas Einfluss in Turkestan dauerte nur dreissig Jahre, und selbst im westlichen Tarim-Becken schwand er vom Jahre 150 ab für ein halbes Jahrtausend so sehr, dass ein direkter Handelsverkehr nicht mehr möglich war (v. Richthofen). | Der Westen Turkestans war wieder parthisch und blieb es bis zum 3. Jahrh., bis zur Gründung des zweiten altpersischen Reiches durch die Sassaniden. Unter ihnen erstand die Arier-Religion, der Zoroaster-Kult zu neuem Leben, und eine blühende Kultur erfüllte die politisch geeinten Länder vom Kaukasus, wo die grosse Mauer von Derbent gegen die Einfälle nördlicher Nomaden schützte, über Vorder- asien bis nach Merw und Samarkand. Als neues Kulturelement tritt um diese Zeit das Christentum auf, namentlich Merw war fast ganz nestorianisch. Im Osten gestaltete sich der Zustand Turkestans in den nach- christlichen Jahrhunderten so, dass kleinere selbständige Staatswesen erstanden, deren Herrscher wohl meist Turktataren waren und zeitweilig unter chinesischer Oberhoheit standen, namentlich im 7. und im 12, Jahrhundert, deren Bevölkerungskern aus Iraniern sich zusammensetzte, die mit Semiten, Hellenen und Mongoloiden schon vermengt, in unab- lässig fortschreitender Rassenmischung den Volkstyp stetig nach der mongolischen Seite hin veränderte. Kämpfe mit den nomadisierenden Steppenvölkern des Nordens, den weissen Hunnen, die sich im 4. Jahrh. in Chiwa festsetzten, den Yen Yen, einem mongolisch-turk -tatarischen Mischstamm, und endlich den Türken, die, den Hunnen verwandt, am Altai-Gebirge sich organisiert hatten und Ende des 6. Jahrh. die heu- tigen Bezirke von Wernoje, Taschkent und Kokand eroberten, förderten diese Entwicklung. Die Kultur Turkestans setzte sich aus altiranischen, vorderasiatischen, hellenistischen, mongolischen, sibirischen, chinesischen Elementen zu- sammen, Zoroasterglaube, Schamanismus, Buddhismus, Christentum wohnten nebeneinander. Da erschien im Süden die junge Kraft der Araber. Wie ein Sturmwind fuhren die Chalifenheere über das zerrüttete Sassanidenreich und über die kleinen selbständigen Herrschaften der mittelasiatischen Oasen her, brachen einen Thron nach dem anderen und zwangen den Völkern ihre neue Religion auf. Mit dem fanatischem Islam brachten sie ihnen aber auch ein neues kräftiges Kulturleben. Die politische Macht zog die Blüte von Kunst und Wissenschaft nach sich. Merw z. B. bildete sehr bald einen berühmten Mittelpunkt geistigen Strebens, es besass Bibliotheken, gelehrte Schulen und Observatorien, grosse Schlösser, kunstvolle Moscheen und herrliche Gärten, es war neben Bagdad die grösste Stadt des Morgenlandes und zählte zu den Wundern der Welt. g% Be In der Staatengeschichte folgte nun dasselbe Spiel, wie nach Alexander des Grossen Tode. Das Reich wurde zu gross, die Statthalter der Grenz- provinzen schüttelten die Oberhoheit der Zentrale ab und gründeten selbständige Reiche; ihre Nationalität war teils die arabische, teils die iranische, teils die turk-tatarische oder, nach später aufkommenden Namen, die uzbekische, deren Blut aus mongolischen und arischen Adern stammte. Die Reiche der Sahiriden, der Saffarıden wechselten einander ab, im 9. Jahrhundert erstand das Reich der Samaniden, das vom Kaspi zum Indus reichte, das heutige russische Turkestan umfasste, in Merw und in Buchara seine wirtschaftlichen und geistigen Mittelpunkte besass und die iranische Sprache und Kultur rettete. Der Dichter Firdusi schrieb sein berühmtes Königsbuch mit der persischen Geschichte von der Er- schaffung der Welt bis zum Untergange der Sassaniden. Es folgten das Reich der Ghaswaniden und endlich der gewaltige Seldschukken-Staat, dessen Hauptstadt zeitweise wiederum Merw, »die Königin der Welt«, war. Damals, im 11. und 12. Jahrhundert, wurden die uralten Kanalsysteme im weitesten Umfange ausgebaut. Der Sultan Sandschar, dessen Grab-Moschee heute noch in Ruinen erhalten ist, baute den grossen Murghab-Stau-Damm und schuf mit ihm die Grund- lagen zu einer Fruchtbarkeit und einem Reichtum der Oase Merw, wie sie bis dahin unerhört waren. | Im 13. Jahrhundert — wie kurzlebig waren doch alle diese Herr- schaften, wie kurzdauernd Ruhe und Friede im Lande — drängte en neuer Schub mongolisch-türkischen Volkstums von Norden und Nordosten her gegen Turkestan. Dschingis-Chan gründete sein Weltreich, das von China bis Osteuropa, von Sibirien bis Persien reichte. Mit furchtbarer Brutalität hausten seine Horden in den alten Kulturstätten, Merw wurde dem Erdboden gleich gemacht, seinen sämtlichen Einwohnern, angeblich 1300 000 Menschen der Prozess gemacht. Buchara und Samarkand erlitten dasselbe Schicksal. Die Einheit Mittelasiens unter dem Gross-Mogul begünstigte anderer- seits, nach den ersten Kriegsjahren, Handel und Verkehr. Ein chine- sischer Priester konnte im 13. Jahrhundert von einer Reise nach Samar- kand berichten: »Chinesische Arbeiter leben überall«, und ein Bericht aus dem 15. Jahrhundert der analogen Zeit Tamerlaus sagt: »Samarkand müssen alle Kaufleute aus Cina, Macina und Cathaia auf ihrem Heim- wege passieren«.. Dass die Chinesen als friedliche Händler kamen, geht aus Vambery’s Bemerkung hervor, dass in den Sagen und Märchen ler Nomanden betreffs China »auffallenderweise immer mehr die Schön- heit und Kunst, als die Tapferkeit der chinesischen Völker geschildert werde.« Nach wenig mehr als fünfzig Jahren zerfiel das riesenhafte Mon- golenreich, in dem sich europäische, chinesische, altasiatisch-mongolisch- 117 sibirische und arabisch-vorderasiatische Kultur vereinigten, Christentum, Islam, Buddhismus nebeneinander lebten und ein folgenreicher Austausch der verschiedensten Einflüsse und Anregungen hin- und herflutete. Im Osten Turkestans, in Transoxanien, das zur Provinz des grossen mon- golischen Reiches wurde, hielt sich die Familie des Dschingis-Chan bis 1350. Hier versuchten auch die Nachfolger des grossen Eroberers die dem Lande geschlagenen Wunden in kluger Regierung zu heilen, so sollen in Buchara 14 Jahre nach seiner Zerstörung schon wieder 1000 Studenten studiert haben. Damals sah Marco Polo, der berühmte Venetianer, Samarkand »eine edle Stadt geschmückt mit schönen Gärten und umgeben von einer Ebene, in welcher alle Früchte erzeugt werden, die man nur wünschen kann. Die Einwohner, teils Christen, teils Mohamedaner sind der Botmässigkeit des Neffen des Grosskhan unterworfen. « Der Dynastie Dschingis Chans folgte Ende des 14. Jahrhunderts diejenige Timurs, nach den Einen ein Uzbeke, also Turktatare mit arıscher Beimischung wie sie in den Städten und festen Wohnplätzen Transoxaniens unvermeidlich war, nach Anderen ein Mongole. Das 15. Jahrhundert brachte noch einmal ein einiges grosses Reich. Timur oder Tamerlan, aus kleinem Fürstengeschlecht südlich von Samarkand geboren, eroberte Turkestan, gewann Armenien, Persien, das Tarim-Becken, Syrien und Kleinasien und dehnte seine Macht bis nach Indien und Aegypten aus. In seiner Hauptstadt Samarkand strömten die Menschen aller Zonen und Himmelsrichtungen zusammen sei es, um die Waren Indiens, Chinas, Sibiriens zu bringen und sie weiterzuschaffen zu den Russen oder zu den genuesischen Kolonien am Kaspischen Meere und nach Europa, sei es um dem Rufe des Herrschers zu folgen und die Stadt mit kost- baren Moscheen, Schlössern, Schulen, Gärten zu schmücken, Kunst und Kunstgewerbe zu bringen und alle Zweige der Wissenschaften zu über- pflanzen. Poststrassen, deren Meilenzeiger erhalten sind, mit regel- mässigem Postverkehr, durchzogen das Reich, Der Ruf Samarkands erfüllte die Welt. Eine kastilische Gesandschaft z. B. berichtet voller Staunen über seine Grösse und seine Pracht. Die Blüte Samarkands, dem Buchara und das von Timurs Sohne wiederaufgebaute Merw wenig nachgaben, dauerte unter den Nachfolgern Timurs, vor allem seinem Enkel, dem grossen Astronomen Ulug-Beg an, doch im ganzen nicht länger als 100 Jahre. Dann begannen wieder innere und äussere Unruhen, Uzbekengeschlechter kamen und gingen, siegten und unterlagen, gründeten Herrschaften und gaben sie wieder ab. Dazu kamen Kämpfe mit Persien. mit China, das vorübergehend noch im 18. Jahrhundert bis weit nach Transkaspien seine Herrschaft ausdehnen konnte, und mit den freien Nomaden des Nordens. 115 Die Oberhand gewann schliesslich Buchara. Namentlich war es die Dynastie der Scheibaniden (1499—1597), der es seine polititische Macht und wirtschaftliche Blüte verdankt. Unter den folgenden Ascht- archaniden trat der Verfall ein. An der Peripherie bröckelten Landes- teile ab, so im Nordosten, wo die Kirgisen von 1598—1723 Taschkent beherrschten. Die heute noch in Buchara regierenden Mangiten hatten anfangs Erfolge, sie konnten Merw und seine 1740 gegründete Festung zerstören, sämtliche Einwohner in die Gefangenschaft führen und damit das Vernichtungswerk wiederholen, das Dschingis Ohan ein halbes Jahr- tausend früher mit furchtbarer Grausamkeit vollzogen hatte; sie besassen Samarkand, seit 1840 war ihnen Kokand nebst Taschkent tributpflichtie. Im Jahre 1850 etwa erreichten die Russen auf ihrem Marsch nach Osten Turkestan. 1884 war im wesentlichen der heutige Status der Besitzverhältnisse vollendet. Aus dieser Schilderung des Völkerlebens in Turkestan geht hervor, dass dessen heutige Bewohner Mischlinge sind arischen und mongolischen Blutes verschiedener Potenz, unter Hinzutritt nicht nachweisbarer paläo- asiatischer Elemente und semitischer Spuren. Die relativ reinsten Mongolen sind die Kirgisen der Berge, die schwarzen, Kara-Kirgisen, als die relativ reinsten Arier gelten die in den Gebirgstälern des Amu Darja und Sarawschan wohnenden Galtschas. Diese letzteren werden von einigen allerdings für Finnen gehalten, die meisten jedoch sehen in ihnen die ziemlich unvermischten Reste alter Indogermanen-Stämme. v. Schwarz hält Galtscha für identisch mit Gralater = Gallier = Kelten und glaubt, dass bei der Auswanderung der Indogermanen nach Europa Reste zurückgeblieben seien und sich in diesen (raltschas erhalten hätten. Ihr relativ reinblütiges Ariertum geht aus den Berichten über die Hausformen, gewisse Gebräuche und anthropo- logische Merkmale hervor. Doch bleibt zu bemerken, dass von Turkestan nach Europa nicht näher ist, als von Europa nach Turkestan, und dass, wenn die Galtscha Arier sind, sie ebensogut die Reste der ersten ein- gewanderten wie diejenigen der zurückgebliebenen eingeborenen sein können. Inwieweit ferner vielleicht medo-persische oder hellenische Spuren in Betracht kommen, will ich, dem persönliche Anschauung nicht vergönnt war, nur andeuten. Am nächsten in der Reinheit des arischen Blutes — die der (raltschas vorausgesetzt — stehen diesen die Tadschiken, die in Städten und Dörfern Ferghanas und des Sarawschan-Tales wohnhaft, die persische Sprache, wenn auch mit türkischen und arabischen Wörtern vermengt, beibehalten haben. v. Schwarz bestimmt sie als die Bevölkerung, wie sie zusammengesetzt war vor dem Uzbekenzeitalter, d. i. vor dem 16. Jahrhundert, und die gemischt war aus urarischen, altsemitischen, helle- nischen, chinesischen, mongolischen und arabischen Elementen. 119 Die Mischung, die keinem Beobachter entgehen kann, gibt auch Vambery zu, wenn er sagt: »Wer könnte die fortwährenden Ströme der skythisch-türkischen Elemente ausser acht lassen, die von den Tälern des Altai’'schen Gebirges, dieser sog. »Officina gentium« der Vorzeit, von 700 v. Chr. bis 400 n. Chr. sich über Mittelasien ergossen?« und wenn er über den Tadschiken - Typus sagt: »Ihr Gesicht, dessen iranischer Typus gleich beim ersten Anblick ins Auge fällt, ist länglicher als das der Türken, aber durch die breite Stirn, dieken Wangen, dicke Nase und grossen Mund werden wir bald sehen, dass dieser meist östliche Zweig der iranischen Familie in der Gesichtsprägung sowohl, als im Körperbau schon viel fremdartiges d. h. Turanisches hat, und keinesfalls als primitiver Typus der iranischen Rasse anzusehen ist«. Einen mongolischen Accent mehr haben die Sarten, die nach v. Schwarz gleich Tadschiken plus Uzbeken sind und die östlichen und nordöstlichen Teile von Turkestan sowie das Tarimbecken bewohnen. Vambery macht diesen Unterschied nicht, er nennt als Merkmal der Sarten länglicheres Gesicht und schmalere höhere Stirn »was dem. Um- stande zuzuschreiben ist, dass sie sich mit den freigewordenen persischen Sklaven verschwägern, was die Tadschiken nie tun«. Jedenfalls sind sie ein Mischvolk, das noch täglich durch Aufnahme kirgisischer und uzbekischer Nomaden sich weiter modifiziert. Ein Teil des Volkes nennt sich geradezu Uzbeken, nach dem Stamm, der die letzte mongolische Beimengung gebracht und die herrschende Familien in Chiwa, Buchara, Kokand geliefert hat. Nomadisierende Uzbeken, die sich von der Vermischung mit dem tassenchaos der Städte freigehalten haben, gibt es sehr wenig. Verwandt mit ihnen sind die Kirgisen, die teils in den Gebirgen, teils in den Ebenen Nordost-Turkestans wohnen und hier sich mit den Sarten ver- mengen. Sie teilen sich in Kara-Kirgisen, die teils chinesische Unter- tanen auf dem Pamir- Plateau und im Tarim-Becken, teils russische Untertanen sind, und in Kirgis- Kaisaken, diese wieder in grosse, kleine, mittlere, innere Horde. Gleichfalls verwandt sind die Turkmenen, ihr Blut hat sich aber, wie das der Uzbeken, nicht rein gehalten, sondern mit den Nachbaren und zwar den Persern, vermengt. Sie teilen sich in neun Stämme, «die das Gouvernement Transkaspien bewohnen. Ausserdem gibt es in Turkestan Araber, die wohl von den durch Timur hier zwangsweise angesiedelten Kriegsgefangenen stammen; Juden, die von assyrischen und babylonischen Königen hierher gebracht sind; Zigeuner, aus Europa oder aus Indien gekommen; Perser, freigelassene Sklaven oder Nachkommen von solchen; Inder, die durch ihre Wucher- geschäfte berüchtigt sind, Tataren, die im Gefolge der Russen kamen; Afghanen, deren Typ auf reine oder vermischte semitische Herkunft weist. 120 Dazu kommen nun die Russen und sonstige Europäer, Beamte und Kaufleute. — Blicken wir noch einmal auf die vier Jahrtausende menschlichen Erlebens zurück, die eben im Fluge an uns vorübergezogen sind. Wir sahen, dass Mittelasien nicht der Völkerkessel war, den Mutter Natur geheizt hielt, der von Zeit zu Zeit überkochte und seinen Inhalt über die Welt verspritzte. Wir sahen vielmehr eine Strasse, auf der Rassen, Völker und Kulturen dahergezogen kamen, ohne dass ihres Bleibens hier gewesen wäre; wir sahen eine Bühne, auf der die Schauspieler stetig wechselten, auftraten, ihre Rolle sprachen und wieder abtraten. Auch der Chor fehlte nicht, es war die Masse des Völkergemisches, das Handel trieb und Acker baute und ohne zu zucken die breiten rücken jedem Eroberer zum Fusstritte bot. Warum war das so? Warum lebte hier keine einheitliche Kultur wie in China, Indien und Aegypten ? Als ich vor 7 Jahren meine Studien über die Formen des mensch- lichen Ohres veröffentlichte, da glaubte ich dessen Grundbildner in den zwei fundamentalen Eigenschaften der organisierten Materie, der Ver- erbung und der Variabilität suchen zu sollen. Diese zwei grossen Lebens- erscheinungen beherrschen auch die Biologie des Menschen als £oor zo4ırızor, nur heissen sie hier anders, nämlich Rasse und Milieu. Dass Beides, sowohl die Rasse wie das Milieu, vom Einfluss auf die Menschen als Glieder eines Volkes und auf die Völker als Träger einer Geschichte sind, dürfte nicht bestritten werden; Gegenstand des Streites ist nur das Mass dessen, was man jedem von ihnen zuzuerteilen hat. Es ist das unbestreitbare und unvergängliche Verdienst Gobineaus, mit allem Nach- druck auf den Wert der Rasse, auf die im Blut überkommenen Anlagen der Rassen gelegt zu haben. Als naturwissenschaftlicher Laie. als dog- mentreues Kind seiner Zeit gelangte er nicht zu den Höhen monistischen Denkens, er lehnte jede Entwicklung, jeden natürlichen Zusammenhang der Lebewesenwelt ab und blieb einseitig auf seinen drei von Uranfang her getrennten und typischen Varietäten der Menschenspezies stehen. Dadurch kam bei ihm die weisse Rasse, so sehr sie auch die Herren- rasse gewiss ist, doch zu gut weg. Denn nicht das kleinste Kultur- pflänzchen lässt Gobineau von einem anderen, als dem Boden der weissen hasse emporsteigen. Andere wieder haben das Milieu allzusehr an die Spitze der 'Triebkräfte gestellt, denen die Menschheitsgeschichte unter- worfen ist. Wie steht es nun m Turkestan? Hat das Klima die Völker zersetzt und ihre Kraft gelähmt? v. Schwarz schildert in düsteren Farben den lethargisierenden Einfluss des turkestanischen Klimas auf die Europäer. Nun war dieses Klima vor Jahrtausenden dasselbe wie heute, und doch blühte ein Jahrtausend lang die Kultur Baktriens. Eine Kultur ist also 7 in dem Klima möglich und lange möglich. Aber wohl gehört dazu langsame und stete Akklimatisation, und es mag zugegeben werden, dass den später so häufig von Osten und Norden herüberkommenden fremden Stämmen zu einer solchen keine Zeit gelassen ist, und dass ein verderb- licher Einfluss auf ihre Tatkraft möglich war. Von den in den Lehren der Alten aufgeführten Ursachen des Unter- ganges der Völker und Staaten, Fanatismus, Luxus, Weichlichkeit, schlechte Verwaltung und Sittenverderbnis (Gobineau), dürfen wir für Turkestan kaum eine ernstlich heranziehen. Dagegen gehört zum Milieu die geographische Lage. Ich verglich das Land schon mit einer Strasse, hier zogen von je die Arier nach Osten und die Mongolen nach Westen, hier trafen von je unruhige junge Völker auf sesshafte ältere, was Wunder, dass in den ewigen Kämpfen die Schale des Sieges hin und her schwankte, heute diesem, morgen jenem die Palme bot. Bei diesen Punkte kommen wir vom Milieu zur Rasse. Denn eben diese ewigen Kämpfe merzten das beste Material der Rassen aus, und die immer neuen Berührungen fremdartiger Stämme mengten die Blut- elemente zu einem grossen Chaos zusammen. Das alte baktrische Reich war reinblütig arisch, zum Mindesten in seinen herrschenden Klassen, so blieb es auch anfangs unter den Persern, denen es brauchbare Volksteile zuführte. Dann aber begann die allmäh- liche Mischung mit den Turkvölkern und die zunehmende Passivität der Rasse. Wo später aktive, staaten- und kulturbildende Völker erscheinen, kommen sie von Westen. ‚Je weiter nach Osten, desto grösser die Mischung und desto passiver das Chaos. In der Zersetzung des arıschen Blutes, in seiner Vermengung mit mongolischen und mongoloiden Elementen liegt wohl die vornehmste Ursache der traurigen Geschichte Turkestans. Dazu kam, dass jenes Völkerchaos die militärischen Tugenden völlig verlor. In ihren gegenseitigen Kämpfen warben die Emire von Buchara und Kokand Turkmenen und Kirgisen. So konnte keine nationale Wiedergeburt erfolgen. Endlich schlug auch wohl der Islam, der in seiner Jugend die Völker zum Sturm auf die Welt fortgerissen hatte, später, wo er alternd im toten F ormalismus erstarrte, das Wollen in Fesseln, schläferte das Wünschen ein und wies dem Können unfrucht- bare Ziele und Aufgaben. So sehen wir viele Hände am Zerstörungswerk der turkestanischen Welt. Sehen wir ihnen aufmerksam zu, damit wir aus der Geschichte lernen können; wir werden erkennen, dass das erste Gebot sein und bleiben muss: »Habt acht auf Eure Rasse, hütet ihre physische Kraft, wahrt ihre Reinheit, schützt ihre Eigenart, stärkt ihre Tugenden zum Frieden und zum Kriege!« —— Nach Tiflis. Das Ziel meiner Reise war von vornherein 'Turkestan gewesen. Seine Steppen und Wüsten, seine Turkmenenaule und Sartenstädte, seine Handelswege und Industrien, die Trümmerreste seiner einstigen geschicht- lichen Machtstellung, die Ethnographie der heutigen Bevölkerung, die Bazare und die Landwirtschaft, endlich der Grenzverkehr nach China hinüber, das seit undenklichen Zeiten mit den mittelasiatischen Ländern in friedliichem Verkehr und waffenklirrenden Wettkampf gestanden, wollte ich sehen. Da blieb wenig Zeit übrig für den Kaukasus mit seinen interessanten völkerkundlichen Problemen und mit seinen so oft gerühmten landschaftlichen Schönheiten, deren durch die Natur geborene Grösse und Kraft noch gehoben werden durch die Bilder unserer Phantasie, die seit den Kinderjahren sich mit dem fernen Grenzwall unseres Erd- teils, mit seiner stolzen Unnahbarkeit, seiner sagenumsponnenen Ver- gangenheit, seinen rätselhaften Völkern beschäftigt. Ein längeres Herum- streifen in den Tälern des Kaukasus, in denen allein ethnographische Hoffnungen auf Erfüllung rechnen konnten, verbot sich auch schon durch die Jahreszeit. Ich hätte mindestens acht Wochen später fahren müssen, um die Tiefen grün und lawinenfrei zu finden, mehrere Monate später, um die Firnen, die Hochgebirge ersteigen zu können. Dann aber wäre ich wieder für Mittelasien zu spät gekommen. Ausserdem sind die Entfernungen und ihre durch die Verkehrsverhältnisse bedingten Zeit- masse denn doch so ungewöhnliche, dass es schlechterdings unmöglich ist, in so wenigen Wochen, wie sie mir zur Verfügung standen, Beides, Transkaspien sowohl wie Kaukasien auch nur einigermassen kennen zu lernen. Als ich darum nach etwas mehr als dreiwöchigem Aufenthalt in den mittelasiatischen Provinzen Russlands nach Baku zurückgekehrt war, zu derselben Stunde fast, wie sie mein Reiseplan vorgesehen, ergab es sich von selbst, dass der Kaukasus nur mehr als Durchgangsstation zur Heimreise flüchtig gestreift werden konnte. Tiefer in seine landschatft- lichen Reize, in seine ethnographischen Rätsel einzudringen, musste einer späteren Zeit überlassen bleiben, und ich fand mich mit dem vorläufigen Verzicht um so leichter ab, als meine Ausbeute an völkerkundlichem Material jenseits des Kaspi die Mühen und Kosten der Fahrt vom Stand- punkte des Museums wie von dem des persönlichen ethnologischen Interesses aus aufzuwiegen schien, 125 Die Beobachtungen im kaukasischen Museum trugen weiterhin dazu bei, die Schwierigkeiten und die Grenzen einer Sammeltätigkeit in demjenigen Rahmen, der mir gesteckt war, richtig zu erkennen und meine Wünsche für dieses Mal auf das allerbescheidenste Mass zurück- zuführen. Für den eiligen Reisenden, der sich mit einem flüchtigen Blick auf den Kaukasus begnügen will oder begnügen muss, kommen als die- jenigen Punkte, die ihm am ehesten bleibende Erinnerungen gewähr- leisten, in Betracht die Hauptstadt Tiflis, die Fahrt nach Kutais, die nach Eriwan, die ossetische Heerstrasse und die grusinische Heerstrasse quer über das Gebirge am Kasbek vorüber nach Wladikawkas. Von diesen letzteren Wegen ist die Kasbekstrasse die weitaus bekannteste und berühmteste, für einen raschen Einblick in die geographischen und allgemeinen kulturellen Verhältnisse die geeignetste. Sie hatte ich daher auch in erster Linie in Aussicht genommen, zumal ich sie in der Rich- tung von Süden nach Norden, d. h. in derjenigen Richtung befahren konnte, die nach übereinstimmender Aussage der Kenner die grossartige Bilderserie des Hochgebirges in der wirksamsten Aufeinanderfolge ent- rollt. Aber es war mir zweifelhaft, ob es in dieser Jahreszeit, Ende März, möglich sein würde, ohne Störung über das Gebirge hinüber- zukommen. Herrschte noch der Winter dort oben, so konnte man gewärtig sein, durch Schneeverwehungen auf irgend einer einsamen Post- station vielleicht tagelang festgehalten zu werden. Hatte der Frühling schon eingesetzt, so traten an deren Stelle die gefürchteten Lawinen, die, abgesehen von der Gefahr, dem Reisenden den Weg versperren und unliebsame Aufenthalte erzwingen. Solche musste ich aber bei der kurzen Zeit, die mir noch zur Verfügung stand, unbedingt vermeiden. Authentisches über die Wegsamkeit der Strasse war erst auf der Post- station in Tiflis zu erfahren; fiel die Auskunft ungünstig und zweifelhaft aus, so nahm ich mir vor, über Kutais nach Batum zu fahren und von dort zu Schiff über die Krim nach Odessa zurückzukehren. Inzwischen hatte ich noch einen Tag in Baku, wo wir nach sehr stürmischer Fahrt über den Kaspi am Sonntag den 21. März in der Frühe angekommen waren. Schon mehrere Stunden vor Krasnowodsk, von der Stelle an, wo der Schienenstrang an die Ufer des Kaspi heran- tritt, hatte uns ein wütender Nord empfangen, der nichts Gutes von der Überfahrt ahnen liess. Er riss und rüttelte an den Wagen, als wollt er sie aus den Geleisen brechen, schlug mit dröhnender Faust gegen die Dächer, pfiff, johlte und heulte auf der Plattform, in den Gängen, um die Fenster, dass man sich auf einem Segelschiffe glaubte, in dessen Wanten der Wind sich fängt und das er im Ärger über den Aufenthalt in allen Tonarten schreiend, scheltend, klagend, wetternd und polternd umfährt. In Krasnowodsk selbst hob er die Staubwolken über 124 die Dächer, eine kleine Kirgisenkarawane, die von den Aulen nach Norden heimkehrte, zog mühsam die steilen Strassen hinauf, das braune durehfurchte Gesicht tief gegen den Wind gebückt, zogen die Führer die schwertappenden, mit dem breiten Maul unlustig schnappenden Kamele hinter sich her. Auf der Landungsbrücke verkroch sich alles, was den Dampfer erwarten musste, hinter die Warenstapel oder im Häuschen des Hafenbeamten; nach Stunden erst wurde fern im Süden der Dampfer sichtbar, der von der persischen Küste herauf kam und schwer gegen den Nord anzukämpfen hatte, die »Tamara«, ein viel kleineres, älteres und weniger komfortables Schiff als die »Imperatriza-, mit der ich vor drei Wochen gekommen war. Es ist in England gebaut, wie wohl die meisten Schiffe der Kaspi-Flotte, und hat seinen Namen nach der sagenberühmten grusinischen Königin, deren Leben von Ler- montow zu seiner berühmten Oper »Der Dämon« verwertet wurde. Bilder aus dieser Oper, die schöne Tamara in ihren Sehnsuchtsträumen vom Dämon aufgesucht, schmücken den kleinen Salon des Schiffes. Hier hörte ich den Namen Tamara zum ersten Male, später in Kauka- sien begegnet er uns fast auf Schritt und Tritt. Als der Dampfer endlich am Pier festlag, entstand ein weiteres langweiliges Warten, da noch kein Mensch wusste, welches Schiff heute nach Baku gehen sollte. und bis dahin natürlich kein Passagier an Bord gelassen wurde. Endlich wurde für die »Tamara« entschieden, Fahrkarte genommen, unser Gepäck an Bord gebracht, die Kajüte ge- sucht, und dann konnten wir vom Deck aus in Musse dem Löschen und Laden zusehen, einen letzten Blick werfen auf die kahlen Bergmauern, die Krasnowodsk von der Wüste trennen, und Abschied nehmen von Asiens Land und Volk. Gelöscht wurden hier in erster Reihe Fische, darunter ein gewaltiger Bjeluga Stör oder Hausen von acht Centnern Gewicht, unter dem den persischen Lastträgern, die auf ihren schon [früher beschriebenen eigenartigen Rückenkissen staunenswerte Lasten spielend forttragen, die Knie zitterten. Dabei soll das noch gar nicht eine Seltenheit sem. Man nannte Gewichte von 30 Centnern. Es sei hierbei erwähnt, dass die Hauptmasse des Astrachaner Kaviars — und das entspricht sonstigen Erscheinungen im Vertrieb berühmter Delikatessen, z. B. Maltakartoffeln, Wein- und Käse-Sorten — nicht von Astrachan, sondern von den westlichen und südlichen Ufern des Kaspi kommt, und dass es zwei Arten von Stören gibt, die hierfür in Frage kommen, eine grosse mit grobkörnigem, eine kleine mit feinkörnigem Kaviar. Im Museum von Tiflis, dessen zoologische Abteilung mit besonderer Liebe gesammelt zu sein scheint, kann man sehr gut den beträchtlichen Unterschied zwischen den beiden Arten sehen. Es war spät geworden, als Löschen und Laden beendet, die Passa- giere, meist Perser und Russen, verschifft waren, und die »Tamara« sich zur Weiterfahrt anschicken konnte. Der Sturm pfiff in unverminderter Übellaune dieselben langgezogenen Töne, dasselbe krause Lied, lief, solange wir in der weiten, nach Süden offenen Bucht von Krasnowodsk dampften, in weitem Abstande neben uns her, immer scheltend, immer drohend, um dann, als wir in die freie See hinaussteuerten, uns plötz- lich und energisch in seine Arme zu nehmen, und mit uns herum zu tanzen nach Herzenslust, Menuettverbeugungen, Walzerschleifen, Polka- schritt, alles was der Tänzer haben und die Tänzerin nicht haben wollte. Und doch war es eine wundervolle Fahrt, wenigstens solange man auf Deck bleiben und in das Getümmel der schwarzen Wogen schauen, auf das Stimmengewirr in den nächtlichen Lüften lauschen konnte. In der Koje wurde man bald durch das Rollen des Schiffes, dem an allen drei Masten aufgezogene Segel ein wenig mehr Stetigkeit, vor allem aber gute Fahrt gaben, in festen Schlaf gewiegt. Nach 18stündiger Fahrt lief die »Tamara« Sonntag früh in den Hafen von Baku ein, mit einigem Schneetreiben ebenso ungnädig empfangen, wie es uns vor drei Wochen freundlich lächelnd verabschiedet hatte. Es war ein hoher tatarischer Feiertag heute, man merkte ihn am Hafen an den doppelten Sätzen der Kutscher und Träger, die einen Rubel für den kurzen Trans- port des Gepäcks vom Dampfer zum Wagen verlangten und unverschämt wurden, als sie ihn nicht bekamen. Das nützte ihnen freilich nichts. Aber Recht hatten sie, wie ich nachher erfuhr. Alles kostete an dem Tage doppelt, und diese einträgliche Methode, Feste zu feiern, machte sich am Geldbeutel sehr unangenehm bemerkbar. In Baku ist gegen die Provenienzen vom Kaspi Zollschranke; ich merkte sie aber nicht anders, als das die Träger mit meinen Sachen durch eine schmale, von Zollbeamten kaum beachtete Pforte gehen mussten, nachgesehen wurde nicht. Ich fuhr dann ins Hotel, suchte meinen Herrn Kaiser auf, der mir schon auf der Ausreise so behülflich gewesen war, und verabredete, dass ich Abends nach Tiflis weiterreisen wolle. Den Tag wollte ich benutzen, um noch weiteres von der Naphtha- industrie kennen zu lernen. Es war viel Leben auf den sonntäglichen Strassen, Wagen rollte hinter Wagen, die Tataren besuchten sich gegenseitig zur Gratulationscour, Armenier und europäische Kaufleute fuhren bei ihren Geschäftsfreunden vor, um ihnen Glück zu wünschen. Dazwischen trappelten zahlreiche Kosakenpatrouillen durch die Stadt, man fürchtete eine Wiederholung (ler Volksbewegung vom vorhergehenden Sonntage, die zum Zusammen- stoss swischen den Manifestanten und den Truppen geführt hatte, ın den Arbeitervierteln waren Kosakenposten aufgestellt, und Patrouillen durchzogen die Strassen. An dem Tage blieb aber alles ruhig, die 126 Verabredung schien andere Orte in Aussicht genommen zu haben, wenn ich nicht irre, Batum. Vielleicht hatten auch die zahlreichen Verhaftungen einschüchternd gewirkt. Über den Charakter der Putsche sich ein klares Bild zu machen, ist nicht leicht. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Zwiefaches, bei den armenischen und tatarischen Arbeitern — es kommen hauptsächlich die in der Naphthaindustrie beschäftigten in Betracht — um eine Lohnbewegsung, bei der jugendlichen Schar der Schüler, Schülerinnen, Studenten ete. um politische Zwecke, Ausflüsse der liberalisierenden Neigungen, die in einem grossen Teil des russischen Volkes andauernd wachen und auf Erfüllung ihrer Hoffnungen bestimmt rechnen. Rote Fahnen spielen eine grosse Rolle auch bei diesen Demonstrationen, wichtiger aber erscheinen die Gleichzeitigkeit der Bewegung in verschiedenen Städten sowie die gedruckten Aufrufe, die trotz aller polizeilicher Achtsamkeit überall verteilt und angeschlagen werden, und die auf eine geregelte Organisation schliessen lassen. Wie immer ritten auch hier einige Kosakenzüge die Schreier nieder, die Verhafteten verschwinden aus dem bürgerlichen Leben, die Zeitungen schweigen und alles bleibt eine Zeitlang ruhig — bis zum nächsten Ausbruch des Vulkans. Gerade in jenen Tagen erschien übrigens das bekannte Mani- fest des Kaisers, das auf die Bauernunruhen Bezug nahm und Reformen verhiess. Ich habe darüber nur mit dort ansässigen Deutschen, nicht mit Russen sprechen können, jene aber meinten, man lache über die Versprechungen, es würde nicht um ein Haar besser werden. Wir oder die nächsten Generationen werden ja sehen. Für den ethnographischen Sammler bietet Baku geringe oder wohl nur gelegentliche, dem Durchreisenden verschlossene Möglichkeiten. Die Bazarbuden und offenen Werkstätten, die mir auf der Ausreise in all und jedem wichtig erschienen, waren dem aus Asien Kommenden nichts mehr. Die Händler hatten in ihren Magazinen ausser Teppichen nur persische Metallwaren, in denen mein Bedarf reichlich gedeckt, oder deren Preis so hoch war, wie die Altertümlichkeit zweifelhaft. Möglich, dass man zufällig noch auf schöne seltene Stücke stösst, die mit dem grossen Handelsverkehr zwischen Persien und Baku herüberkommen, augen- blicklich fand ich nichts. Ich eilte daher, weiter zu kommen und fuhr an demselben Abend nach Tiflis. Eine 515 Werst lange Strecke erwartet uns, deren Einförmigkeit selbst dem Begeisterungswilligsten nicht viel Freude machen kann. An- fänglich sieht es fast aus, als wäre man wieder in die transkaspische Wüstenlandschaft versetzt. Später nimmt die Umgebung eigene, freilich nicht schönere Züge an, die mehr durch den Kontrast zu den eben verlassenen Charakterbildern, als die Anmut der gegenwärtigen das Auge fesseln. In den Dörfern weicht das feste Lehmdach dem flachen Stroh- dach, das vorn weit überragend auf Pfosten ruht und so verandaartige 127 Vorbauten schafft. Weiterhin erscheint das nordische Giebeldach mit Strohdeekung. An die Stelle der beladenen Kamele und Esel tritt der vier- oder zweiräderige Karren, den hochgebuckelte Ochsen langsam in den tiefen Räderfurchen der Steppe entlangziehen. Rinder-, Schaf- und Schweineherden weiden unter der Aufsicht zerlumpter Hirten, aus denen die kaukasische Burka, die hohe Pelzmütze, die verschnürten Sandalen, der eigentümliche, zum Haken gekrümmte Stab typische Bilder formen. Neben ihnen sieht man persische, armenische und tatarische Arbeiter, die von Süden heraufkommen, daher, wo in der Ferne das armenische Hochland im kleinen Kaukasus zu den Gipfeln der 4000 Meter hohen Karabagh -Berge sich erhebt. An den wechselvollen Formen dieses südlichen Horizontes erholt sich das Auge, wenn es sich ermüdet von der Ebene abwendet. Braun in braun einheitlich getönt, unbeweglich, träge liegt die gewaltige Masse der Steppe da, die fast alle vom Gebirge kommenden Wasser aufzehrt, und über die eben des Frühlings Hand die ersten feinen, belebenden Striche in grün gezogen. Kleine, unregelmässige, schwarze und weisse Flecke unterbrechen den Gleichton, Schafherden, die in der Ferne ihr Weidefutter suchen. Dann kommen stundenlange Strecken noch öderen, steineübersäten Flachlandes, das selbst den Schafen keinen Halm über- lassen kann, und je weiter man nach Tiflis kommt, je mehr man also erwartet, den gewaltigen Kaukasus ins Gesichtsfeld treten zu sehen, desto öder, ärmer, trauriger wird die Landschaft. Bei Poili überschreitet die Bahn die Kura, die zwischen niedrigen Lehmufern rasch nach Osten hinströmt, als freue sie sich, recht bald aus dieser Wüstentraurigkeit fortzukommen, und die vereinzelt grösseren Weidenbeständen von ihrem Wasserreichtum abgibt. Hier brütet im Sommer eine fast unerträgliche Hitze, die um so quälender ist, als die Nacht wegen der zahllosen Mücken keine Erholung bringt. v. Erckert (Der Kaukasus und seine Völker, S. 319) erzählt, dass sich in feuchten und sumpfigen Gegenden Transkaukasiens Holzgerüste finden, auf vier sehr hohen Stangen im Quadrat aufgestellt ruhend, auf denen man zum Schutz vor den Mücken die Nächte verbringt. Solche Gerüste stehen auch, aus Eisen gebaut, auf jeder Station dieser Bahnstrecke Baku-Tiflis, offene Pyramiden, in die unter der Spitze eine Plattform eingebaut ist. Das Stationsbild ist hier wenig wechselnd. Da sind grossgewachsene Perser mit gefärbten Haaren und Fingernägeln, schwarzbärtige Armenier ın langem Rock und hoher Mütze, Kaukasische Kosaken in Tscherkesska und hoher konischer Pelzmütze mit rotem Deckel, den kaukasischen Säbel halb nach vorn geschnallt, den Kindschal am metallbesetzten Ledergürtel, Hirten in Sandalen und Burka, russisches Militär, hier und da eine Grusinierin im charakteristischen Schleier und Kappe. Stunde um Stunde wiederholen sich dieselben Bilder auf den Stationen, (lieselbe einförmige Steppenfläche zu beiden Seiten der Bahn, die in nord- westlicher Richtung Tiflis zustrebt. Es wurde Abend, bis der Zug die Stadt erreichte. Von den Vorbergen des Kaukasus, die sie im Nordwesten umziehend ihr schützend die Kälte aber auch die Erfrischung des Windes fernhalten, sah man infolgedessen nichts, dafür aber boten die zahllosen Lichter der grossen Stadt einen entzückenden Anblick. Teils als kleine feine Pünktchen verstreut, bezeichneten sie die Züge der Vorstadtstrassen, zu mächtigem breitem Schein vereinigt verrieten sie die grossen Plätze und Promenaden, sie begleiteten auf kurzem Querweg die Brücke über die Kura, krochen in langen Linien die Anhöhen hinauf, erkletterten be- sonders auf einer Stelle, beim Davidskloster, weithin ragende Höhen und erreichten hier gleichsam die Spitze eines gewaltigen dreieckigen Feuer- werkskörpers, von dem nach allen Seiten abwärts vieltausende Flammen- streifen ausstrahlten, die zur Basis des Dreiecks strebten, aber vorher auf seiner Fläche in unendlichen leuchtenden Verschlingungen und Durch- kreuzungen sich fanden und verloren. Der Reflex eines strahlenden Sternes in einem Riesendiamant. Tiflis. Mit der Ankunft in Tiflis war meine Asienreise beendigt. Baku kann vermöge seiner Bevölkerung, seinem wenn auch kleinen, so doch charak- teristischen tatarischen Stadtteil, seiner Moscheen und Minarets, seinem Strassenleben noch als asiatische Stadt gelten, Tiflis kann es nicht mehr, und so fremdartig dem aus Westeuropa Kommenden seine Physiognomie auch erscheinen mag, der vom Osten Kommende sieht nicht mehr die verschleierten Frauen, Diener, Turbane und Perserköpfe, die engen Strassen in den grusinischen Quartieren, mit den Marktbuden und den schmalen Fusssteigen und dem schlechten Pflaster. Er sieht alles euro- päisch, Häuser, Menschen, Waren, Trachten, Tiflis ist ihm eine euro- päische Stadt mit einem Komfort, den er lange entbehrt, und mit einem Parfum, das er fast verlernt. Ein Gefühl des Heimgekehrtseins, die Empfindung, mit einem Riesensatz von einer Welt auf die andere, von einer fremden seltsamen bunten auf die eigene wohlbekannte und alltägliche gesprungen zu sein, beherrscht ihn, wenn er vom Bahnhof durch den deutschen Stadtteil und die langen Strassen der Oststadt dem Centrum zufährt. Auch ich konnte mich ähnlichen Regungen nicht verschliessen, und noch mehr, als ich im Hotel Richter, dem bekannten Absteigequartier aller Kaukasusreisenden die peinliche Ordnung und Sauberkeit, die vorzügliche Aufnahme und all die Behaglichkeit und Bequemlichkeit, all die kleinen Feinheiten wiederfand, an die wir uns in Kuropa so sehr gewöhnt, und die wir gelernt haben, unentbehrlich zu finden, 129 Der tiefere Einblick in das Tifliser Leben bei längerem Aufenthalte ändert den ersten Eindruck nicht. Wer heute von Tiflis als von, einer orientalischen Stadt spricht, hat den Orient nicht gesehen. Dass es früher anders war, inbezug auf die Farbe im Bilde, ist möglich. Heute hat jedenfalls Merzbacher Recht, wenn er meint, dass Tiflis durch einen Mangel an Farbe charakterisiert werde. Ich möchte hinzufügen, dass ausser diesem Mangel an Farbe auch vor allem das Fehlen des Reiters im Strassenbilde die Illasion des Orients verbietet. Im Osten reitet fast alles, zu Pferde, zu Esel, allein und zu zweien und dreien, Alt und Jung, der Mann mit seiner Frau und mit der ganzen Familie. Das gibt natürlich zusammen mit den buntscheckigen Chalaten jeder Farbe und jedes Musters, mit den weissen Turbanen, mit dem bei der Enge der Strassen und der Fülle des Verkehrs erklärlichen Gewirr von Fussgängern, Reitern, Wagen, Lasteseln, Kamelkarawanen ein stark- bewegtes Bild. All das fehlt in Tiflis, und man weiss wirklich nicht, wie das Urteil hat aufkommen können, es sei das eine orientalische Stadt. Nur dadurch ist es zu erklären, dass jene Kritiker direkt von Europa kamen und leicht empfänglich für das Fremde, das sie suchten, über jeden armenischen Handwerker, jeden persischen Teppichhändler und jeden tatarischen Wasserträger oder Kutscher in Begeisterung gerieten. Sie sahen nicht, dass die sogenannten Bazare eigentlich nur freie Läden waren, dass die Handwerker nur in offenen Türen und Fenstern arbei- teten, die Frucht- und Gemüsehändler nur in Marktbuden verkauften, gewerbliche Zustände, wie man sie, wenn auch nicht auf so engem Raum zusammengedrängt, auch in Südeuropa beobachten und als unmittelbare Folge der klimatischen Verhältnisse erkennen kann. Dabei will ich nicht verkennen, dass manche örtliche Besonderheiten auch dem Tifliser Volks- leben interessante Typen gegeben haben. Die allgemeine Verbreitung der tscherkessischen Tracht, die fast alle Ursprünglichkeit der kaukasischen Kleidung aufgesogen hat, ist für den von Westen wie von Osten Kommenden neu. Die grossen, durch die Tailleneinziehung des langen Schossrockes doppelt schlanken Männer in hohen Stiefeln und mit hoher in den Nacken gesetzter Pelzmütze, mit dem metallbeschlagenen schmalen Leibgurt und den zwei Reihen Patronentaschen vorn auf der Brust, sind zweifellos stattliche Erschei- nungen, deren ruhiger vornehmer Gang, deren ernster Blick angenehm berührt. Die Sitte, die Mütze weit nach hinten zu tragen, soll nach v. Erekert den Persern entnommen sein, die Patronentaschen sind heute völlig zum konventionellen Schmuck geworden, die scheinbaren Patronen sind einfache formähnliche Holzpflöcke oder es sind Dosen für Cigaretten et. Manchmal sieht man in Taschen, aus denen diese Pseudo- patronen herausgefallen sind, Bleistifte, Zahnbürsten und dergl. Vertreter friedlicher Kultur. Die dunklen Stoffe der meisten Tscherkesken bestä- 9 130 tigen das, was vorhin über den Mangel an Farbe im Tifliser Strassen- bilde gesagt worden ist, sehr selten sieht man bei einem jüngeren Elegant eine weisse, leider, denn diese ist äusserst schmuck und kleid- sam und hebt zusammen mit der Mütze den dunklen Teint des scharfen Gesichtes prächtig heraus. Der Gürtel, der die Tscherkeska zusammen- hält, ist ein schmales, metallbeschlagenes Lederband, an dem mehrere kurze Lederschlaufen befestigt sind, die vordem wahrscheinlich zum Tragen von Messern, Pistole oder dergl. gedient haben, heute aber wie die Patronen als konventioneller Zierrat ein rudimentäres Leben fristen. Die Stiefel bestehen aus einem bis zum Knie reichenden weichen Leder- strumpf und Überschuhen; beim Bauern tritt an ihre Stelle die aus Rohleder gefertigte Sandale und Wadentuch, das mit ersterer verschnürt ist (ganz ähnlich wie bei Basken und anderen Gebirgsvölkern). Bei kaltem oder schlechtem Wetter wird die Kleidung durch die sog. Burka vervollständigt, einen langen, am Halse mittels Öse schliessbaren, sonst vorn offenen Überwurf aus aufgerauhtem Filz, der schwer und un- praktisch, aber überall im Kaukasus verbreitet ist und heute fabrikmässig hergestellt wird. Ich habe eine Burka bei der Fahrt über den Kaukasus selbst benutzt und muss Merzbacher Recht geben, wenn er sie für den Europäer unpraktisch nennt. Eine andere dem Fremden auffällige typische Erscheinung in Tiflis ist die Grusinerin mit dem eigenartigen cerevisartigsen Kopfputz, dem Schleier und der langherabhängenden Schärpe. Ich kann diese niedrige runde Kappe keineswegs schön finden, sie gibt dem Gesicht etwas Nonnenhaftes und lässt zugleich die grosse Nase, die strengen Züge, die kalten, starren Augen in dem gelblichen Gesicht noch schärfer und härter hervortreten. Auch der Schleier hat nicht jene bezaubernde Wirkung, wie sie etwa die Mantilla der Spanierin weichen Zügen verleiht, sie unterstützt im Gegenteil nur noch die Kälte, die von der Erscheinung der Grusinerin ausgeht. Ich will keineswegs aus der sehr kurzen Beob- achtungszeit, die meinen Eindrücken zu Grunde liest, allgemeine Schlüsse ziehen, aber auch diejenigen, die seit Jahren im Kaukasus leben und viel in ihm herumgekommen sind, hatten kein anderes Urteil gewonnen. Auch Frauen sonstiger kaukasischer Stämme bestanden vor ihren Augen nicht. Die Armenierin von Tiflis ist hiermit nicht gemeint, sie kann vielmehr von bedeutender und üppiger Schönheit sein. Im Übrigen fallen die Armenier nur durch die dunklen Augen, den starken Haarwuchs, die hohe Kurzköpfigkeit auf, ihre Kleidung ist teils europäisch, teils persisch. Bunte Töne bringt dagegen die Tracht ihrer wie der grusinischen Popen in das Bild, orientalische Anklänge die zerlumpte Armut der Lastträger, die fliegenden Früchte- und Brodhändler, die Karren mit weingefüllten Tierhäuten, die Züge von Eseln, mit originellen 131 Körben hochbepackt, die freilich selten hierher sich verirrenden Kamele. Urtümlich wirken an den vom Gebirge herunterkommenden Wagen die hochgebuckelten Rinder mit zottigem Fell, Barthaaren unter dem Kinn, zurückgebogenen Hörnern und eisenbeschlagenen Hufen. Zu je zweien in ein Joch gespannt, dessen Druck das Nackenhaar in weitem Umfange abgescheert hat, zu je 3—6 Paaren hintereinander, ziehen sie, von peitschenknallenden, schreienden Führern getrieben, langsam und breit- tretend ihre mit Reisig, Wein, Waren gefüllten Arbas. Die Räder sind hier Speichenräder, gegenüber dem Westen, wo Kutais primitive Voll- räder sich erhalten hat. Drollig sind die Bäckereien, die hier schon in ähnlicher Art wie in Turkestan aus mächtigen Tonurnen bestehen, an deren erhitzten Innenwänden die grossen dagegengeworfenen Teig- fladen gebacken werden, reich besetzt der Fleisch-, Fisch- und Gemüse- markt. Der Musikliebhaber sieht in den offenen Werkstätten die Instru- mente anfertigen, die die Kapelle der Grusiner zusammensetzen, Doppel- trommeln aus Ton, grosse, z. T. bemalte Tamburins, Guitarren, Man- dolinen, Geigen und Pfeifen. Der Waffenfreund kann beobachten, wie »altex »antikee Kindschals, Säbel und Pistolen gefertigt werden, aber bis er ein wirklich gutes Stück mit handgemachter älterer Klinge findet, wird er lange vergebens suchen. In denselben Hallen sieht man Bronzen imitiert, gut und schlecht, roh und täuschend. Wer Achantziker Filigran liebt, hat Auswahl die Menge, ebenso der Freund zierlicher Ätzarbeit auf Silber-Gürteln, anf Bechern, auf Brochen etc. Dieselben Händler bieten uns Münzen aus persischer, grusinischer und armenischer Zeit an. Auf dem Tonwarenbazar findet man Töpfe und Schalen, die zu Figuren geformt sind, bei den Schuhmachern die langen Leder- und Filzstiefeln der kaukasischen Tracht. Mit erklärlicher Hast zieht es uns zu den Teppichhändlern, da die doppelten Beziehungen von Tiflis zu Persien und zum Kaukasus einerseits, der Zufluss von kauflustigen Europäern andererseits grosse Lager voraus- setzen lässt. Doch entspricht die Wirklichkeit nicht den Erwartungen. Man ist überrascht von der Nachlässigkeit in der Behandlung der Sachen wie der Kaufgelegenheit und erstaunt über den geringen Vorrat an wirklich guten Teppichen. Einmal wurde als Grund dafür angegeben, dass so sehr viel nach Konstantinopel ausgeführt würde. Möglicherweise stimmt das, ich hoffe später mich von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Entschuldigung persönlich überzeugen zu können, jedenfalls be- weist aber der grosse Bestand an schlechten Teppichen die Ausdehnung und den täglichen Fortschritt der flüchtigen Arbeit und der Anilinfärbung. Unglaubliches leisten manche Magazine in der Dunkelheit ihrer Räume, die dem Ungeübten wenigstens das Urteil — vielleicht absichtlich — sehr schwer machen; zum Teil waren es gar Kellergewölbe, wie unsere Wein- keller, die durch einige Petroleumlämpchen notdürftig erhellt wurden. 9* 132 Man denke sich, dabei einen orientalischen Teppich aussuchen zu sollen. Die Feuersgefahr wird dabei so wenig berücksichtigt, dass Käufer wie Verkäufer ruhig ihre Cigarette weiterrauchen und brennende Streich- hölzer wegwerfen. Häufig sieht man vor den Magazinen Teppiche liegen, über die der ganze Strassenverkehr hinweggeht, ein probates Mittel, um aus neuen Teppichen rasch alte zu machen und sie um so vorteilhafter zu verkaufen. Wie man beim Einkauf handeln kann und muss, ist hinlänglich bekannt, jedoch gibt es bessere Geschäfte, in denen der Vor- schlag nicht so bedeutend und der Erfolg des Abhandelns nicht so gross ist, wie man glaubt; ein Viertel bis zu einem Drittel erreicht man bei einiger Hartnäckigkeit immerhin. Eine sehenswürdige Eigentümlichkeit besitzt Tiflis in seinen natür- lichen Schwefelquellen, die der Stadt ihren Namen gegeben, und den Badhäusern, die über ihnen errichtet worden sind. Sie liegen im Süden der Stadt, am oberen Lauf der hier tief zwischen senkrechten Felswänden in rascher Flucht hinströmenden Kura, vereinzelt am hohen linken Ufer, mit offenen weithin sichtbaren Gebäuden, teils auf dem rechten Ufer in den engen krummen Gassen des tatarischen Stadtteils, die den Festungs- berg an seinem Fuss umziehen oder sich an ihm emporwinden. In den Bädern vereinigen sich die heisse Wassertemperatur von 37—46°, der Schwefelgehalt der Thermen und die Massage, um hygienisch zweifellos ausgezeichnete Wirkungen zu entfalten. Der Schwefelgehalt gibt den Bädern wenn auch in geringerem Masse als den nordkaukasischen Pjati- gorsk u. a. anerkannte Heilkraft bei rheumatischen und luetischen Er- krankungen. Für die letzteren sind vorwiegend die links der Kura liegenden Bäder bestimmt. Der Schwefelwasserstoffgeruch schlägt dem Besucher der Badhäuser in den heissen, die Räume füllenden Wasser- dämpfen atembeklemmend entgegen, untermischt bis zur Unerträglichkeit mit den Ausdünstungen der Menschen, die in Scharen sich hier zusammen- finden. Man sieht aber, dass es mit der orientalischen Unsauberkeit so cum grano salis zu nehmen ist, wie mit derjenigen der Neger etwa. Körperlich unsauber sind diese Leute durchaus nicht, die von Jedermann im Volke eifrig besuchten Bäder beweisen es. Auch die religiösen Vor- schriften tragen — bei den Muhamedanern wenigstens — hier, wie in Turkestan, zur Sauberkeit des Körpers bei. Der Schmutz besteht nur in der Verwahrlosung der Strassen und Häuser und in der Anspruchs- losigkeit bei allem, was mit Essen und Speisebereitung zusammenhängt. Daher auch unsere peinlichen Sensationen bei all dem Fett-, Zwiebel-, Knoblauchgeruch, der die Luft erfüllt. Eine körperliche Unsauberkeit ist jedenfalls bei der so allgemeinen Benutzung der heissen Bäder aus- geschlossen. Die hygienische Wirkung wird hierbei durch eine ausgiebige und in der Methode raffiniert ausgebildete Körpermassage unterstützt. Es war eine Lust zuzusehen, wie die Badediener ihre Klienten bearbeiteten, 133 fast jeden Muskel mit Klopf- und Streichmassage vornahmen, jede Muskel- gruppe durch passive Bewegungen stärkten und elastisch machten. Bei den Photographen sah ich später Dutzende von Aufnahmen, die die verschiedenen Arten und Akte der Massage wiedergaben, auch ein Zeichen für den Wert, den man auf ihre Pflege lest. Folgt man von den Bädern den aus dem Strassengewirr westlich steil aufsteigenden Gassen, so erreicht man auf der Südseite der von Ost nach West ziehenden, Tiflis im Süden abschliessenden Gebirgsmauer die schönen Anlagen des botanischen Gartens. Prachtvolle schattige Wege führen an dem steil zu dem Bett eines kleinen Flüsschens ab- fallenden Südhang entlang, herrliche Bäume überraschen uns durch einen unvermuteten Reichtum grünenden Lebens, der in dem grauen vegetations- armen Tiflis doppelt erfreut. Ich sah den Garten leider in einer sehr frühen Jahreszeit, in der er natürlich bei Weitem nicht das hergibt, was er im Sommer bieten kann, schon wegen des geringeren Gegensatzes zwischen der lähmenden Sonnenglut in den Strassen und dem frischen Schatten des Gartens, immerhin war der Eindruck des Gartens, den ein Java-Kenner sogar für schöner erklärt als seinen berühmten Bruder von Buitenzorg, nachhaltig genug, um mir die Erinnerung dauernd lebendig zu erhalten und den Schöpfern dieser noch immer sich vergrössernden Anlagen Bewunderung zu sichern. Jenseits des Tales steigt das Gelände zu einem breiteren Plateau empor, auf dem der mulıamedanische Friedhof liegt. Zu ihm muss man emporsteigen, um den schönsten und umfassendsten Blick auf den Garten zu gewinnen, dessen Laubwerk sich in alle Fugen und Rinnen der aus- gewaschenen Bergwand hineindrückt, und dessen dunkle Farben sich mit dem sonnenheissen Grau der überragenden Kuppen und Grate zu auf- fallenden Kontrasten berühren. In der mittleren Höhe des Öst- und Südosthanges umziehen den Berg die Reste der alten persischen Festung, deren hohe Mauern und mächtige, flankierende Türme den vom Tal aus Emporschauenden noch ein Bild von Grösse und Stärke vortäuschen, bis dem Näherkommenden der volle Umfang der Zerstörung aufgeht und nur das Malerische der Ruinen bleibt. Ein steiler Pfad schlängelt sich aussen am Fuss der Festungsmauer entlang um den Berg herum zum Nordabhang empor, wo ein wundervolles und seltenes Bild unser Auge erwarte. Unmittelbar vor uns springt der Westhang des Berges in kurzen eiligen Staffeln zum Flusse hinab, um auf dem gegenüberliegenden Ufer der hier nur 32 Meter breiten Kura wieder zu einer langgestreckten, senkrechten Wand aufzusteigen, die die düsteren Mauern des alten grusinischen Königsschlosses Metech trägt. Nach Norden folgt der Blick dem Oberlauf der Kura, ihren reissenden Strudeln, ihren Flössen, den gewaltigen Schaufelrädern ihrer Wassermühlen, ihrem tiefeinge- 134 schnittenen Bett und ihren Brücken, die den zwischen den östlichen und westlichen Stadtteilen hin- und herflutenden Verkehr vermitteln. Das fast unabsehbare Häusermeer, aus dem als festere Punkte die Kuppeln der Kirchen und die Fassadenkrönungen der grossen öffentlichen Gebäude auftauchen, schiebt sich, zu beiden Seiten von Höhenzügen eingeengt, längs der Kura nach Norden vor und verliert sich dort in den krausen Wellenlinien des Hügellandes, über das sich in immer grösseren Absätzen das Hochgebirge am Horizont erhebt. Aus dem Kreise der gewaltigen weissen Spitzen und Firste tritt als der Grösste und Vornehmste unter seinen Gefährten in Ewigkeitsferne und Einsamkeit der Kasbek heraus, eine glänzende vornehme Erscheinung, der die Blicke bewundernd und schönheitsfroh immer wieder sich zuwenden trotz allem anderen maler- ischen Reichtum rings umher. Mit dem prachtvollen Blick auf Tiflis von der Festungsruine aus wetteifert jener von dem grusinischen Davidskloster, das auf halber Höhe der westlich das Tal der Kura begrenzenden Wand auf beherrschendem Felsvorsprung, angeblich im 6. Jahrhundert, erbaut worden ist. Hier ist man dem russischen Teile der Stadt näher, als auf der Festung; im Vordergrunde des umfassenden Panoramas, das sich vor uns breitet, senken sich die schmalen Gassen mit ihren gallerieumkleideten Häusern den parallel der Kura ziehenden Hauptstrassen zu. Der Golowinsky Prospekt mit "Theater, Gouvernement, Bibliothek und Museum, die grünen Oasen des Gouvernements- und Alexandergartens, die Stromteilung der Kura mit der umschlossenen Insel Madatowsky, der jenseits gelegenen deutsche Stadtteil und die abschliessenden Plateaus mit Friedhöfen, Kasernen und Arsenalen, im Norden die Vorberge des Kaukasus treten nacheinander in den Gesichtskreis des Beschauers. Nach Süden zu vereinigen sich in perspektivischer Konzentration die hohen Felsufer des gewundenen Flusses, sein durch die dunklen Streifen der Brücken unterbrochenes spiegelndes Band, die Bergrücken mit den Festungsruinen, die armenischen und gerusinischen Quartiere, die zum Horizont aufsteigenden Steppenplateaus im Osten zu einem wundervollen malerischen Städtebild, das eine aus tiefblauem Himmel herunterstrahlende Sonne mit heisser zitternder Glut, mit leuchtenden Lichtern und blendenden Reflexen übergiesst. Eindrücke, hier oben an der Davidskapelle wie dort auf der Festungsruine von dem Gesamtbilde der grusinischen Hauptstadt gewonnen, erklären die begeisterten Urteile über »die stromdurchrauschte Gartenstadt Umragt von himmelhohen Bergen, « die sich bei näherem Hinsehen in nüchterner Stunde nicht aufrecht erhalten lassen. Stimmung und Charakter, Jahreszeit und Wetter be’ 135 einflussen unsere Urteile, wie man weiss, oft bis zur Ungerechtigkeit. Mir, der aus den einförmigen ebenen Steppen und Wüsten Asiens kam, aus den dorfartig angelegten, schmucklosen russischen Städten Turkestans, der abends in Tiflis angekommen war, und dessen erster Gang am nächsten Tage dem Davidskloster galt, das so leuchtend in der Morgen- sonne, so lockend weiss an Bergeshalde hing, mir schuf der überraschende und entzückende Blick dort oben eine Stunde grössten Genusses und einen ersten Eindruck, der für die Erinnerung überwiegt. Die Strassen, die ich dann durchwanderte, fand ich, vielleicht dass der Sonnenschein und das erste Grün der Gärten die Menschen hinaus- getrieben, belebter, als ich erwartet, und namentlich der Golowinsky- Prospekt sah ein lebhaftes Auf und Ab rollender Phaetons, deren Kutscher durch saubere Kleidung vor ihren Bakuer Kollegen ausgezeichnet waren, schöner Privat-Equipagen und einer promenierenden Menschenmenge, der die kleidsamen sauberen Uniformen des russischen Militärs, die kauka- sischen Trachten, die dunklen Armenier ein neues und fremdes Gesicht verliehen. Ist Tiflis somit, wie ich festhalten möchte, keine orientalische, so ist es doch eine malerische, anregende und sehenswerte Stadt, die einen Besuch von einigen Tagen oder Wochen vortrefflich lohnt. Ob die Gluthitze des Sommers den Aufenthalt so unerträglich macht, wie es heisst, kann ich nicht beurteilen, von stechender Kraft war die Sonne schon im März, und ich glaube gern, dass sie in den heissen Monaten, in den tausend winkligen engen Gassen gefangen, in den Steinmassen der Häuserviertel und an den Felswänden der Täler aufgespeichert, den Sieg über die in die Berge flüchtenden Europäer erringt. Am Südende des Golowinski-Prospekts liegt das Kaukasische Museum mit geologischen, zoologischen und ethnographischen Sammlungen aus dem Kaukasus und den Nachbargebieten. . Hierhin drängte es mich mit der für den Ethnographen begreiflichen Eile, hier sollte ich den Führer finden, der mir am besten die völkerkundlichen Probleme dieses Landes erklären und mir die Wege zeigen konnte, auf dem ich ethnographisches Material zu erwerben hoffen durfte. Leider kamen meine Empfehlungs- briefe zu spät. Radde, der berühmte Begründer und Direktor des kaukasischen Museums, der erfolgreiche Gelehrte und Forscher, war wenige Tage zuvor zu Grabe getragen worden, ich konnte ihm die Grüsse, die mir für ihn in Deutschland aufgetragen waren, nicht mehr überbringen. Das Museum war verwaist, ein Nachfolger begreiflicherweise noch nicht da, aber auch kein Assistent, der mir in der ethnographischen Abteilung behülflich sein konnte. Herr Dr. König, an den mich die Herren der Bibliothek verwiesen, stellte sich zwar in liebenswürdigster Weise zur Verfügung, er war aber Zoologe und mit der ethnographischen Sammlung nicht vertraut. Radde hatte die Kenntnis beider Wissenschaften in sich _136 vereinigt und beiden Teilen des Museums den Stempel seiner selbständigen, mit einem Zug ins Grosse, ins Dekorative ausgestatteten Persönlichkeit aufgedrückt. Dass eine gleiche Vereinigung für die Zukunft der völkerkundlichen Erforschung und Darstellung der kaukasischen Geschichte und Gegen- wart wünschenswert, wenn überhaupt möglich ist, muss bezweifelt werden. Zum mindesten müsste die Ethnographie dabei für die nächsten Jahr- zehnte in den Vordergrund treten, wobei unter Ethnographie natürlich auch die Archäologie und die Anthropologie mitbegriffen sind, denn heute nimmt sie hier nicht diejenige Stellung ein, die im Mittelpunkte des von ihr dargestellten Kulturkreises erwartet werden muss. Das grosse Verdienst Radde’s, aus einem Nichts dieses prächtige Museum geschaffen, unermüdlich auf eigenen Reisen Material zusammengetragen, mit künstlerischem Auge die Anordnung seiner Sammlungen in ein aesthetisch blendendes, geschmackvolles Gewand gekleidet zu haben, bleibt für alle Zeiten unvermindert, und man kann nur hoffen, dass seine russischen Nachfolger genügendes Verständnis für seine Absichten mitbringen werden. Radde’s Wollen — ich betrachte nur die ethno- graphische Abteilung — ging offenbar darauf hinaus, einmal seinem Museum ein orientalisches Lokalkolorit zu geben, dann die Räume mög- lichst behaglich zu gestalten und die trockene Museumsanordnung zu ver- meiden, endlich die Anschaulichkeit des gesamten Materials, durch Figuren- gruppen unter Hinzufügen des geographischen Mutterbodens, dem die entsprechende Volkseinheit entsprossen oder angepasst ist, zu erhöhen. Im Treppenhause erinnern grosse Wandgemälde an die Sagen von Prometheus und Jason, in den Sammlungsräumen dämpfen echte Teppiche, die den ganzen Boden bedecken, den Schritt, bunte Fenster schützen gegen die zerstörenden Sonnenstrahlen und schaffen zugleich eine intime Beleuchtung, in der sich die Teppiche und Wandbehänge vorzüglich entfalten. Um die Träger der Saaldecken sind teils terrassen- förmige Aufsätze, teils runde oder radiär angeordnete Längstische gebaut, auf denen die Auslagen dem Beschauer nahegerückt und die nach unten zu meist durch Teppiche abgeschlossen sind. Zahlreiche feststehende oder drehbare Rahmen für Photographien unterbrechen die Einheit des Raumes. Die Ecken und viele der grossen Wandflächen werden von lebensgrossen Figurengruppen eingenommen, die die einzelnen Völker Kaukasiens und Transkaspiens in Tracht und Waffen und vielfach auch in Hausrat geschlossen zur Darstellung bringen, vor einigen zeigen aus- gezeichnete Modelle die eigenartigen Dorfanlagen der Grusiner, Osseten, Swaneten etc. Einen sehr weiten Spielraum nehmen die Turkmenen Transkaspiens und die persische Kultur Transkaukasiens ein; zieht man das hierhergehörige Material von dem Gesamtbestande des Museums ah, 137 so bleibt für den eigentlichen Kaukasus nicht soviel übrig, wie ich erwartet hatte. Ob überhaupt mehr vorhanden und bei langem Aufent- halte in verschwiegenen Tälern noch zu retten ist, entzieht sich meiner . Beurteilung. Aber ich fürchte fast, dass das nicht der Fall, dass die Armut an originalem Kulturbesitz grösser ist, als viele, als ich wenig- stens, geglaubt. Die Lücken füllen muss hier die archaeologische Forschung, und dass sie noch bedeutend mehr leisten kann, als sie bis- her getan, ist mir nicht zweifelhaft. Gewiss entstand in den Petersburger Sammlungen ein scharfer Konkurrent des Kaukasischen Museums, viele oder die meisten Altertumsfunde mussten an die Hauptstadt abgeliefert werden, aber es scheint doch, als könnte dem Suchen nach ihnen mehr Eifer und mehr Systematik nicht geschadet haben, und es liegt ferner nahe zu glauben, dass ein Protest gegen die Öentralisierung in St. Peters- burg unter Hinweis auf die natürlichen Anrechte des kaukasischen Mittelpunktes Tiflis erfolgreich gewesen wäre. Freilich mag die erstere Forderung an dem Mangel an Geld, die zweite an persönlichen Einflüssen gescheitert sein, und es ziemt dem Fremden nicht, jemanden anzuklagen, aber es bleibt der bedauerliche Umstand, dass man den Eindruck aus dem kaukasischen Museum mitnimmt, es vertrete nicht genügend die Archäologie seines Landes. Ich bedauere beim Aussprechen solcher Mutmassungen von neuem und doppelt, dass ich Radde nicht mehr gesehen habe. Er hätte mir darüber gewiss Auskunft gegeben. Der Mangel an Geld wird auch die Ursache eines grossen Fehlers in der ganzen Anlage sein, das ist die zu rohe Ausführung der Gesichter der Typenfiguren; ihr Anblick ist vielfach geradezu scheusslich, namentlich für den, der die west- europäischen Museen nach dieser Richtung hin kennt. Dagegen ent- spricht die Durchführung eines anderen Gedankens wieder ganz der aesthetischen Anschauungsweise Radde’s, das ist die Behandlung des Hintergrundes der Gruppen. Hier sind die Wände mit Landschaften bemalt, die den davorstehenden Völkern bezw. in der zoologischen Abteilung den Tiergruppen entspricht. Das nimmt erklärlicherweise allen Räumen das Kahle und Kalte, was so vielen Museen zu ihrem Schaden anhaftet, das Trockene und Lehrhafte, was ihnen so viele Feinde gemacht hat, giebt ihnen Farbe und Leben, Wärme und Stimmung. Jeder Museumsmann kann diese dekorativen Versuche, die zugleich die pädagogischen Zwecke der Sammlung fördern, anerkennen, ohne zu fürchten, sich als unwissenschaftlich zu komprimittieren; mehr, viel mehr Systematik darf er allerdings in der Aufstellung verlangen, auch viel mehr Schonung des Materiales, es geht z. B. nicht an, dass man Schuhe offen auf den Tisch legt und gegen Diebstahl durch einfaches Eintreiben eines Nagels schützt, dass sartische Tabaksbüchsen neben grusinischen Instru- menten, kalmückische Bilder neben Turkmenenkleidern hängen, aber 138 solche Fehler lassen sich vermeiden, ohne jene künstlerische Betrachtungs- weise einer Museumseinrichtung, wie sie Radde hier geübt hat, auf- zugeben. Wenn also auch mit gemischten Empfindungen, so doch voller Anregungen und voller Bewunderung für den einen ideenreichen Mann, der hier alles ins Leben gerufen, verlässt man die Stätte, an der Radde vier Jahrzehnte lang gewirkt hat. Wählt man, um vom Kaukasischen Museum aus die Bazare zu erreichen, die östlichen, der Kura nächstliegenden Strassenzüge, so kommt ınan an mehreren Bauwerken vorüber, die aus dem griechischen Mittelalter stammen und das Interesse des Historikers beanspruchen, der armenischen Wänskij- Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert, der Antschis Chätskij- Kathedrale mit einem Christusbilde aus dem 8. Jahr- hundert, dem grusinischen Exarchat und der Zionskirche aus dem 7. Jahr- hundert. Ich habe mich nicht lange genug in Tiflis aufgehalten und mich nicht eingehend genug mit dem Stil und der Geschichte dieser Bauart beschäftigt, um mich ausführlich darüber verbreiten zu können. Ich muss diese Lücke später einmal ausfüllen, wenn es geht; in Erinne- rung ist mir nur das erwähnte Christusbild geblieben, dessen prachtvoller Ausdruck und dessen satte Farbenkraft hinreissend wirken, ferner der Glanz und Reichtum des inneren Kirchenschmucks, die Wandfresken, die raffinierte Lichtwirkung auf den farbigen Vorhängen, die das Aller- heiligste verhüllen und dahinter ertönenden mehrstimmigen melodischen Priestergesang wirkungsvoll dämpfen, der grosse Faltenwurf der grusi- nischen Priestergewänder, das malerische Bild der knieenden Grusinerinnen, Kaukasier und russischen Soldaten. Genaues Kunstgeschichtliches aber kann ich wie gesagt nicht geben. Die in der Nähe der Bazare befindliche Moschee ist nach Art der klassisch arabischen Bauwerke mit bunten Glasurkacheln bekleidet, aber als echte Epigonin kann sie im Geschmack der Muster und in der Tiefe der Farbe nicht mit den Vorbildern verglichen werden, so wenig wie Umfang und Anlage des Baues etwas besonders Impo- nierendes haben. Damit habe ich wohl die Hauptsache dessen, was ich in Tiflis gesehen, und dessen, was man dort sehen kann, mitgeteilt. 2139) Über den Kaukasus heimwärts. Durch die bei der Poststation eingezogenen Erkundigungen über den Zustand der grusinischen Heerstrasse beruhigt, beschloss ich nun die Rückreise in der anfänglich geplanten Richtung quer über den Kaukasus nach Wladikawkas fortzusetzen. Die Wetteraussichten waren gute. Die klare Luft und der wolkenlose Himmel der letzten Tage versprachen weite Fernsichten während der Fahrt, die trotz der frühen Jahreszeit heiss herunterbrennende Sonne leidlich erträgliche Temperaturen auf den Bergen. Da ich aber der Aussicht halber den offenen Vordersitz in der Postkutsche mieten musste, kaufte ich für alle Fälle eine Burka und ein Paar Filzstiefel zur Ergänzung meiner für den Winter im Hoch- gebirge nicht eingerichteten Reisekleidung, eine Vorsicht, die sich als sehr nützlich erwies. Die Fahrgelegenheit besteht auf der Heerstrasse in Omnibussen, Postkutschen und Privatwagen. Die ersten fahren um diese Zeit des geringsten Fremdenverkehrs nicht, ein Privatwagen, für den man im Sommer meist Reisegesellschaft findet, die die Fahrt amu- santer und den Preis erschwinglicher macht, kam mangels einer solchen nicht in Betracht, so blieb nur die Postkutsche übrig, die mit einmaligem Übernachten 37 Stunden bis Wladikawkas gebraucht; sie hat zwei Plätze im geschlossenen Abteil und drei Plätze vor diesem unter einem offenen Verdeck. Will man als Fremder etwas von der Landschaft sehen, und das war ja mein Fall, so muss man einen von den Letzteren, am besten einen Eckplatz, nehmen. Die Fahrt ist auf diesen nicht teuer, sie kostet 14 Rbl., der Preis erhöht sich aber dadurch etwas, dass die Kutscher auf jeder Station wechseln und von jedem Fahrgast ein Trinkgeld er- heben, was bei 12 Stationen schon einiges ausmacht. Dazu kommen an fünf oder sechs Stellen noch Jungen, die die Vorspannpferde führen und ebenfalls nicht ohne Trinkgeld zufrieden sind. Endlich erhält der Kondukteur, ein grusinischer Schaffner, der mit seinem "Trompetensignal Abfahrt und Ankunft auf den Stationen verkündet und auf der Strasse entgegenkommenden Wagen, Karren und Menschen zum rechtzeitigen Ausweichen mahnt, sein »natschaie. Die Kutschen sind mit vier Pferden bespannt, zu denen auf der Bergfahrt ein zwei-, einmal sogar ein drei- faches Vorgespann hinzukommt, bei der Talfahrt genügen auf der steilsten Strecke von der Passhöhe nach Kobi zwei Pferde, sonst hat man auch dabei ein Viergespann. Erstaunen ruft die Sicherheit der Tiere hervor, die ohne jede Bremsvorrichtung den Wagen im ruhigen gleichmässigen Trab über die grössten Steigungen und die schärfsten Kurven hinweg- bringen. 140 Wir waren nur drei Passagiere in unserer Postkutsche, als wir nun am Donnerstag den 26. März, früh um 8 Uhr, den Posthof verliessen und unter fröhlichen Klängen der etwas heiseren Trompete unseres Kondukteurs die Olginskaja und dann die nach Norden führende Chaussee entlang rollten. Bei den letzten Häusern der Stadt erhielten wir den ersten Gruss des Hochgebirges, die Strasse senkt sich hier rasch zur Wera, einem Nebenflusse der Kura, und gibt so für kurze Zeit die weite Digomer Ebene und die den Horizont abschliessende Gebirgskette den Blicken frei. Aus der Mitte trat die Pyramide des Kasbek in prachtvoller weisser Klarheit sonnenglitzernd und morgenschön heraus, ein gutes Vorzeichen. Mit dem Eintritt der Strasse in die Ebene schiebt sich für das Auge die Vielheit der kulissenartig zueinander gestellten Berge zu einer einheitlichen Mauer zusammen, die Fernsicht verliert dadurch an Gross- artigkeit und an Reiz. Der Blick findet wieder das Näherliegende, die braune raschströmende Kura, die Gestalten der Bergbewohner und ihre Ochsenkarren, ihre bepackton Esel, ihre Herden. Auf dem gegenüber- liegenden Ufer zeigt die deutsche Kolonie Alexanderdorf ihre langen Giebelhäuser, ihre sauberen Strassen, ihre freundliche Kirche. Gegen dreizehn Werst behält der Weg seine nördliche Richtung und die Landschaft ihren einförmigen Steppencharakter bei. Dann nähern sich von Ost und West gegen 1500 Meter hohe Bergzüge dem Fluss, schmälern sein Bett und zwängen seine von Nordwesten kommenden, hier in fast rechtem Winkel nach Südosten umbiegenden Fluten in einen Kanal, in dem sie mit widerhallendem Schreien über den steinigen Grund dahinpoltern. Der Weg macht die Biegung des Flusses mit, auf die von der linksseitigen senkrecht abfallenden Felswand das Kloster Dschwaris Sakdarı aus einsam stolzer, sturmumbrauster Höhe herabschaut. Die Mauern seiner Kirche sollen aus dem 7. Jahrhundert stammen und an der Stelle erbaut sein, an der die heilige Nina zuerst das Kreuz auf- richtete. Auch hier im Kaukasus wiederholt sich die Wahrnehmung, dass die Mönche es verstanden, sich für ihre Niederlassungen die schönsten Punkte auszusuchen, wobei das freilich oft nur die Folge eines Nützlich- keitsprinzipes sein mag, insofern die für uns schönsten Punkte zugleich die natürlich beherrschenden in der Landschaft sind, die das profanum vulgus in gebührender Entfernung halten und die geistige wie materielle Abhängigkeit wie auf der anderen Seite die weltfremde Beschaulichkeit. die vom Himmel privilegierte Superiorität schon äusserlich zum Aus- druck bringen. Als ein solches Wahrzeichen ragt auch das Dschwaris- Sakdari Kloster hoch über der Kura in die wolkendurchzogenen Lüfte, zugleich ein Herrschersitz und eine Zuflucht, eine geistige Zwingburg und ein friedlich stiller Hafen, doppelt gefährliche Zwiegestalt. 141 Die Strasse zieht weiter nach Westen, hält sich zum Teil, gedrängt durch die breiten Felsenmauern, dicht an das Ufer der Kura, teils schneidet sie deren Kurven ab, überschreitet den Bahnkörper der Strecke Batum-Tiflis und jenseits der Einmündung der Aragwa die Kura. Am linken, nicht hohen aber steilen Ufer breitet sich, von der Landstrasse aus in ein prächtiges Bild gefasst, die alte Königs- und Hauptstadt (reorgiens, Mzchet aus, mit der weithin sichtbaren Sswati-Zchoweli-Kathe- drale. Schon im 4. Jahrhundert wurde hier von Mirian lI eine hölzerne Kirche gebaut, die spätere Könige durch eine steinerne ersetzten; die jetzige stammt aus dem 15. Jahrhundert und hat die Form eines Kreuzes, dem ein eylindrischer Turm mit Kegelspitze aufgesetzt ist. Die spärlichen Reste der alten Fresken sah ich nur von Weitem, die Malereien und Reliquien des Innern gar nicht, es begann hier eine Empfindung, die von Stunde zu Stunde lebhafter werden und schliesslich die Stimmung fast völlig beherrschen sollte, die Unlust, auf den Wagensitz gebannt zu sein, willenlos von den Pferden an all diesen landschaftlichen Reizen und historischen Denkwürdigkeiten vorübergezogen zu werden und nicht auf jeder Kuppe im Genusse der Aussicht, bei jeder Ruine im Genusse der Erinnerung, vor jedem Baudenkmal im Genusse der künstlerischen Betrachtung verweilen zu können. Das in den Schluchten gedämpfte Licht dieser Tage des wartenden Vorfrühlings umhüllte die alten Ge- mäuer, die Felsen, die Brücken und die unter ihnen rauschenden Wellen mit weichen grauen Farben, auf den Bergspitzen spielten flimmernde Sonnenstrahlen, die dunklen Burg- und Klosterruinen auf ihnen umfing der Glorienschein des blauen wolkenlosen Himmels. Der Boden hier birgt auf Schritt und Tritt die Erinnerung an eine mehrtausendjährige Geschichte. So bestand schon zur Zeit des assyrischen Reiches in Mzchet eine jüdische Kolonie, die Beziehungen zum palaesti- nischen Mutterlande unterhielt (siehe Merzbacher, Hochregionen des Kaukasus), eine Tatsache, die auf die Kultur- und Machtverhältnisse der alten vorderasiatischen Reiche weite Schlüsse gestattet. Zur Römerzeit baute hier Pompeius eine Brücke über die Kura. Und aus noch. viel älterer Zeit birgt der Boden eine Fülle sprechender Zeugnisse in den Gräbern, die in ununterbrochener Folge der Zeiten von den Geschlechtern der Menschen in ihn eingesenkt sind. Alles das umgaukelt den Reisenden mit lockenden Klängen, hält ihn an unsichtbaren Fäden zurück, reizt zum Bleiben und lässt zögernd den Fahrenden ziehen. Ich musste mich begnügen, hier und da den Wagen anhalten zu lassen und eine photo- graphische Aufnahme zu machen. Dann ging es weiter, vorbei an allem, an dem die Sehnsucht hing, reicher nur um die Hoffnung, einmal wiederkommen zu können, zu Fuss oder zu Rad, um in Musse herum- zuwandern, zu forschen und zu finden. 142 Hinter Mzchet durchschneidet die Strasse das ssamtäwrische Gräber- feld, auf dem Ausgrabungen zwei Schichten nachgewiesen haben, eine tiefere ältere mit schachtartigen überwölbten Gräbern aus dem Anfang der Eisenzeit und eine obere mit Steinkistengräbern aus der römischen Zeit. Die gefundenen Schädel sind sämtlich im Gegensatz zu der Brach- ycephalie der Jetztzeit dolichocephal. Die Heerstrasse wendet sich durch ein enges Felsental, auf dessen Höhen Festungsruinen, wieder ihrer nördlichen Hauptriehtung zu und erklimmt in mässiger Steigung an waldreichen Berghängen entlang das weit flachere Hochplateau der karthalinischen Ebene, deren Horizont durch die reichbewegten Linien des Südrandes der Kaukasus -Haupt- kette belebt wird. Weite Blicke auf grosse Acker- und Weideflächen, auf breite Täler, auf ferne Dörfer charakterisieren diesen Teil der Fahrt. Hinter Duschet, einem auf mählichkem Abhang jenseits der tiefen Senkung heruntersteigenden Orte, erklettert die Strasse in langsamen, von Feldern begleiteten Kurven einen breiten bewaldeten Bergrücken, schlendert an seinem nördlichen Rande entlang, um sich in Musse die Wälder, Wände und Wohnnngen eines entzückenden tief einscheidenden Längstales anzuschauen und erstes Wiedererscheinen grandioser Gebirgs- ketten und hochgemuter Eiskegel zu begrüssen und eilt in überstürzender Hast auf eingehauener Bahn der Weissen Aragwa zu, die im Grunde des Tales mit freudigem Jauchzen der Vereinigung der pschawisch- chewsurischen Aragwa entgegenströmt. ‚Im spitzen Winkel treffen hier zwei schmale Talspalten zusammen und fassen zwischen sich einen Hügelkamm, an dessen vorderster, östlicher Spitze eine altersgraue, ver- witterte und verfallende Festungsruine nach beiden Seiten hin ausspäht, ein vergessener Posten, der seiner ruhmvollen Vergangenheit unter den Eristawen von Aragwa die Treue hält. Ihre Mauern umschliessen eine ähnlich der Kathedrale von Mzchet gebaute, aber erst aus dem 17. Jahr- hundert stammende schöne Kirche, der kegelspitze Turm ragt hoch über sie hinaus, weithin sichtbar all den Aulen auf den höher und höher steigenden Bergen. Durch den kleinen Ort Ananur bringt uns die Post zu der am Nordende liegenden Station und von hier nach Pferdewechsel weiter im Tal der Weissen Aragwa gen Norden zur Station Passanaur. FEinund- zwanzig Werst eines wundervollen Tales liegen zwischen ihnen, die ein- schliessenden Berge bilden breite gewaltige Riesen von 2—3000 Meter Höhe, die sich in langer Linie zu beiden Seiten des Flusses aufgestellt haben. Aber die Linie ist schlecht ausgerichtet, mal steht der eine einen Schritt vor, bald der andere, um ihre patzigen klobigen Füsse herum windet sich der bewegliche Strom, er weicht vorsichtig ihren Tritten aus, versucht wohl hier und da einen Durchbruch, springt aber immer wieder behende zurück und bequemt sich mit schlechtverhaltenem Groll zu 143 dem langen, durch tausend Krümmungen vervielfältigten Weg, den der Stärkere ihm gelassen. Die Strasse, die das rechte Ufer begleitet, wird nicht minder oft von den quer hereinspringenden Abhängen zur Seite gedrängt; sie erhält aber durch diese Formationen eine wunderbar reiz- volle Folge malerischer Bilder. Glaubt man sich eben in einem Riesen- kessel gefangen, zu dem die erdrückende Masse des Gesteins sich zusammengeschlossen, so lösen sich im nächsten Augenblick dessen Wände in eine Reihe voreinandergeschobener Kulissen auf, zwischen denen immer neue Täler sich öffnen, und deren Flächen sich immer höher an dem verschwindenden Himmel emporziehen. Die Pflanzenwelt war um diese Jahreszeit tot, die Schneelager füllten noch tief hinunter die Halden und Hänge, aus dem erstarrten Eismeer auf den Höhen senkte sich auf den Flügeln stürmender Winde tötende Kälte ins Tal. In nur wenigen geschützteren Schluchten trieb die Sonne den schmel- zenden Schnee hinunter und, die Chausseen überflutend, in den Fluss, dass unter den Hufen der galloppierenden Pferde das Wasser aufspritzte, wenn der Wagen durch diese schmutzig gelben Bäche jagte, ein für mich leider zu spätes Frühlingszeichen. Bei Passanaur strömt die schwarze Aragwa der weissen zu, die Heerstrasse bleibt im Tal der letzteren, steigt weiter und weiter ein- geengt zwischen den 3500 und mehr Meter hohen Bergen höher hinauf zu der Hauptstation Mlety (1513 Meter), wo wir übernachteten. Ein warmes Zimmer, heisser Thee und gutes Abendessen stärkte uns nach dem immerhin anstrengenden Tage, der in den letzten Stunden schon die beginnende Nacht zu Hülfe geholt hatte, und löste langsam die er- starrten Glieder. Es reizt mich, hier im Sommer ein paar Wochen zu leben. Mitten in einer fremden Kulturwelt, in einer der grossartigsten Gebirgslandschaften des Erdballs, in einem wundervollen tiefen stillen Taleinschnitt, dem das Auge folgt zu den Burgruinen, den Kirchen, den Gehöften, den Dörfern auf schwindelnden Vorsprüngen der fast senk- rechten Wände und zu den fernsten Zacken und Graten dort weit oben am Himmelsblau, liest die Stadt über der reissenden, rauschenden, wilden Aragwa. Im Sommer mag die Vegetation freundlichere Farben dem gewaltigen Bilde beimischen, das Auge und Gemüt wundersam erregt und bewegt, jetzt im Winter überwog das Machtvolle und Kraftvolle der geologischen Erscheinung und der über alle Massen strengen Linien des schroffen Durchbruchs, der dieses Flusstal geformt. Am nächsten Tage weckte ein blendend schöner Morgen zur Weiter- fahrt. Eine eisig kalte aber leichte und klare Luft füllte das Tal; sie umwob die auf einzelne Kuppen, auf steile Abhänge malerisch verteilten Gemäuer der Burgen und Kirchen, das über und durcheinander gestellte Häusergewirr des kleinen Ortes, folgte der im Talgrunde hellschimmernden Schlangen- linie der Strasse, den schäumenden springenden Krauswellen der Aragwa, 144 strich über die tiefgetönten Wände der Schlucht, die von unsichtbaren Sonnenstrahlen mit leuchtendem Glanz überzogenen Eiskämme ihrer Ränder, zu dem schmalsichtbaren Band des. wolkenlosen blauen Himmels und den scharfen Umrissen der vor ihn gestellten kühnen Zacken und Spitzen, die wie die ausgebreiteten Arme der Erde sich weit in die Ein- samkeit und Unendlichkeit der Weltalls recken. Die entlegensten und ver- schwiegensten Winkel öffnet die wundersam feine Durchsichtigkeit der Luft dem Blick, eine seltene Plastik hatte alle Faltungen klar heraus- gemeisselt, alle Tiefen vertieft, alle Höhen gehoben, alle Formen greifbar nahe gerückt. Und über all diese grosse Schönheit legten zusammenge- kauertes Winterschweigen und versöhnter Morgenfriede ihre stillende Hand. Das Hornsignal des Konduktors blies zur Abfahrt. Von sieben Pferden gezogen rollte die Postkutsche am Fuss des Ortes Mlety entlang nordwärts, wo die Strasse die Aragwa überschreitet und die östliche fast senkrechte Talwand erkletter. Nur mit Überwindung ungeheurer Schwierigkeiten gelingt ihr das, in den Felsen eingehauen muss sie sich hart an ihn schmiegen, um nicht die furchtbaren Abgründe herunterzu- stürzen, in vielfachen Hin und Zurück vermeidet sie vorsichtig den ge- raden Aufsties, in langen Kreuz- und Querzügen endlich erreicht sie die Höhe, auf der ein allmähliches ansteigendes Plateau sie durch hohe Schneemauern hindurch zur nächsten Station Gudaür führt. In den Jahren 1857—61 ist dieser Teil der Strasse gebaut, ein imposantes und glänzend gelungenes Wagnis, das auf eine Luftlinienentfernung von 6!/, Km durch eine Weglänge von 15 Km eine Höhe von 1100 Metern überwindet; die Art der Anlage vermittelt dem Reisenden eine unver- gessliche Fülle von wechselnden Fernsichten, bald nach Süden in den Kulissenwald der Felswände im Aragwatal, bald nach Norden auf den 3800 Meter hohen Chorisar, der auf der Wasserscheide zwischen den Stromgebieten Cis- und Transkaukasiens nach Süden die Aragwa, nach Norden die Zuflüsse des Terek entsendet, und dessen kolossale Eismasse auf jeder nordwärts gewendeten Wegbiegung wie eine Riesenerscheinung von neuem auftaucht. Dann hängt der Blick an den unglaublich kühnen menschlichen Siedelungen, die ohne Verbindung mit der Welt zu stehen scheinen, durch Aladins Mantel hierher getragen, durch ein Wunder ent- standen, durch ein grösseres Wunder fast vor dem Sturz in die grausige Tiefe bewahrt. Man muss erst wirklich die Osseten die senkrechten Mauern haben sicher emporklettern sehen, um zu glauben, dass zwischen all diesen Einsamkeiten sich die gleichen Fäden hinüber- und herüber- spinnen, wie zwischen den Menschen der Ebene und der Städte. Von der Höhe der Aragwa-Tal-Wand aus steigt die (ebirgs-Decke als ziem- lich glatte, aber immerhin noch steile Schrägfläche zur Passhöhe an, die 2400 Meter über dem Meeresspiegel durch ein angeblich von der Königin Tamara errichtetes Kreuz bezeichnet wird. Um diese Jahreszeit waren 145 viele Einzelheiten des Geländes durch die Schneelagen ausgeglichen und verdeckt, ein eisiger Wind pfiff uns bier um die Ohren und drängte das kälteschmerzende Gesicht noch mehr in den Rockkragen hinein, die Augen ertrugen fast nicht die intensive Blendwirkung der Sonne. Und doch war es eine Fahrt voll unvergleichlicher Schönheiten. Ganz nah den machtvollen, von allen Seiten breit sich vordrängenden Bergriesen, die seit gestern der Talfahrt zugeschaut, blickte man in eine gigantische Welt, deren Furchtbarkeit durch die Winteröde doppelt zum Ausdruck kam. Wohin man den Blick sandte, hoben sich Mauern über Mauern von glitzernd Schnee und spiegelnd Eis aus dem Boden heraus. Die Linien der Kämme und Spitzen waren haarscharf in jeder Zuckung zu verfolgen, vor dem leuchtenden Himmelsblau standen sie so körperlich, klar, frei, dass man meinte, hinter sie blicken, mit dem Blick sie nicht nur erfassen, sondern umfassen zu können. Im Sommer wird hier alles andersgestaltet, milder und fröhlicher sein, Wiesen grünen, Herden weiden, das Schellengeläute der Wagen dringt lauter und häufiger zu den Bergen hinüber, die Wärme macht die Augen offener, die Herzen empfänglicher, Leben lebt und lacht, wo jetzt uns der Winter das grause Totenhaupt gleich leeren Augenhöhlen zeigt. Andererseits wirkt die grandiose Wild- heit der kaukasischen Gebirgsformation jetzt in der Winterkälte brutaler und wahrer; die gefürchteten Schrecken dieser Hochgebirgswelt, ihre wehrende Unzugänglichkeit, ihre ungeheuren angriffsbereiten Schneemassen auf jäher Absturzbahn, ihre von jeher berüchtigten Stürme gaben sich so echt, wie die Vorstellung sie sich gebildet. Der oft bemerkte Gegensatz in dem Charakter der nördlichen lieb- licheren und der südlichen unwirtlichen Abhänge des Kaukasus, der schon in der nächsten Nähe der Passhöhe sich ankündigt, kam jetzt weniger zur Geltung als im Sommer, die Schneefelder des Südens wurden durch diejenigen des Nordens abgelöst. Wohl aber änderte sich naturgemäss mit dem Abstieg die Art der Bilder, da von der rasch sich senkenden Strasse aus der Blick die Gesamtheit der tiefgründigen Baidära-Schlucht um- fasst, die von der Seite her durch himmelhohe Berge eingeengt, einem kleinen Nebenfluss des Terek flüchtige Gastfreundschaft gewährt, und deren Nordausgang durch eine wildzerklüftete Riesenwand verschlossen wird, aus. der die weisse Spitze des Kasbek zum blauen Himmel empor- strebt. So klaren freundlichen Blicks er bei der Abfahrt von Tiflis uns aus heiteren Höhen heranwinkte zu seiner fernen Einsamkeit, so ernst und gross schaute er jetzt auf uns herunter, wo wir ihm nahe waren und voller ehrfürchtiger Bewunderung seinem Alter, seiner Schönheit, seiner Kraft unsere Grüsse entboten. Fünftausend und dreiundvierzig Meter (230 Meter höher als der Montblanc) erhebt sich die sagenum- wobene Pyramidenspitze, an deren Eiswand Prometheus geschmiedet war, 10 146 die von Riesen und Dämonen bewohnt werden, wo verzauberte Schätze der Erlösung harren. Der obere Teil der Strasse durch die Baidara-Schlucht ist im Winter und Frühjahr oft durch Schneeverwehungen und Lawinen gesperrt. Lange Tunnels und schräggedeckte Gallerien vermindern die Gefahr, zahlreiche Arbeiter sind beständig beschäftigt, den Weg freizuhalten, trotzdem sind tagelange Unterbrechungen nichts Seltenes, und sie sind um so peinlicher, als sie bei aller Vorsicht nicht vorausgesehen werden können, und ihr plötzlicher Eintritt den Reisenden mitten auf der Strasse überrraschen kann. Die Schnelligkeit des Wetterumschlags habe ich selbst erprobt, mit genauer Not kam ich ohne allzuviel Verspätung durch, ein Tag Verzögerung in Tiflis, und ich wäre unweigerlich in Kobi oder Kasbek, der ersten bezw. zweiten Station unterhalb des Passes stecken geblieben. Bei prachtvollem klaren Wetter fuhren wir in die Baidara- Schlucht hinab, kletterten in langen Schleifen an der östlichen Wand herunter und erreichten bei Kobi das Bett des nordwärts rauschenden Terek, dessen Lauf die Strasse fortan bis zu ihrem Endpunkte Wladi- kawkas treu bleibt. Die Aule der Osseten und Grusiner auf hohen und höchsten Höhen, die Ruinen von Festungen und Burgen, die gross- artigen Bergformationen, der brausende schäumende Fluss in breitem Geröllgrund, diese wechselnden Bilder der Strasse liessen die beissende Kälte vergessen und liessen das allmähliche Aufkommen stürmischer durcheinanderjagender Wolken unbeachtet. Bei der Mittagsstation Kasbek fing das Unwetter an, zwischen Tal und den Höhen wogte ein wild- bewegtes Nebel- und Wolkenmeer hin und her, auf Augenblicke tauchten aus ihnen die 580 m hoch gelegene Kirche Zminda-Ssameba, auf Sekunden die breiten Eiswände des Kasbek heraus, den Gipfel verhüllte das brodelnde Wolkengeschiebe, aus dem es nun dichter und dichter zu schneien begann. Dazu heulte und pfiff der Sturm mit brandenden Wellen wütend zwischen den Felsenengen, jagte uns die scharfkantigen harten Flocken ins Gesicht, das vor Nässe, Kälte und Schmerz sich zu- sammenzog, peitschte die aufschreienden Terek-Fluten, rüttelte ohnmächtig an den 2000 m hohen Gneis-Mauern und fuhr in Wirbeln versprühend weiter, sich einen Ausweg zu suchen. Im Sommer schon hat noch auf jeden die Darialschlucht einen unheimlichen bedrückenden Eindruck ge- macht, jetzt unter der eisigen jähen Faust des Winters zeigte sie sich in der vollen schreckensreichen Wildheit der kaukasischen Natur. Hier waren vielleicht schon im römischen Altertum die Pylae Caspiae, die porta Caucasica, jedenfalls im neupersischen Reiche das Tor der Alanen, und eine uralte Festung, uralte Burgruinen erinnern an alten Streit, an alte Gefahren, an das Kommen und Gehen von fremden Völkern, an die Angriffe von Norden kommender Steppenvölker und den Widerstand, den die vorgeschobenen Posten der Südreiche den Eindringlingen entgegensetzten. 147 Der donnernde Lärm der aufgeresten Wasser und der krachende Widerhall des Sturmes in den engen Essen der Talenge begleiteten unsere Fahrt mit ungezählten Salutschüssen, das dichte Schneetreiben gab die wilden Tänze dazu; die natürliche Dunkelheit der tief verborgenen schmalen Talspalten wurde dichter und unheimlicher; fuhr ein sausender Windstoss zwischen das Flockenspiel, dass es, für einen Moment zerteilt, das Auge seitwärts einen Blick zu dem schmalen Stege tun liess, auf dem die Pferde kaum sich weiterarbeiten konnten, so traf es unten senkrechte Felsen, senkrechte Abgründe. In kurzer Zeit deckte eine hohe Schneeschicht die Strasse, mühsam zogen die Pferde gegen den wirbelnden Wind und die wirbelnden Flocken. Den Bergleuten schien das furcht- bare Wetter nichts anzuhaben. Die Führer der entgegenkommenden, mit Frachtgütern nach Süden ziehenden Lastwagen blickten unter ihrer ver- schneiten Burka so vergnügt, als wäre der schönste Frühlingstag. Hun- derte von Kosaken marschierten einzeln oder in Trupps vorbei, das Pferd langsam hinter sich herführend, zu einer Art Kontrollver- sammlung, die auf Station Kasbek stattfand, prachtvolle wetterharte Ge- stalten in der kleidsamen Tscherkeska, mit Säbel, Dolch und Knute. Die auf ihrer Fahrt nach Tiflis uns begesnenden Omnibusse waren vollge- pfropft mit russischen Kolonisten. Bei der Station Lars, wo der Fluss schon breiter, das Tal weiter ist, tränkten die Jungen aus einem hoch auf den Felsen gelegenen Dorf ihre Pferde und galoppierten auf unergründ- lichen Wegen dem heimatlichen Aul wieder zu. Auf einem Kosaken- posten wälzten sich die Pferde, so abgehärtet wie ihre Herren, vor Ver- gnügen im tiefen Schnee herum. Als Sehenswürdigkeit ist hier nicht zu vergessen ein erratischer Block von 29 m Länge, 15 m Breite, 13 m Höhe, der sog. Jermölowstein. Zwölf Werst ist diese düstere Darial- Schlucth lang, zwölf Werst einer grossartigen und eindrucksvollen Fahrt. An sie schliesst sich die weite Dscherächowskoje-Schlucht, aus der die Strasse in breiteres Gelände führt. Das Hochgebirge bleibt zurück, niedrige Waldhöhen begleiten uns noch eine Strecke, bis auch sie nicht mehr mitkönnen, und die nordkaukasische Ebene uns aufnimmt. Gegen Eintritt der Dunkelheit hielten wir im Posthof von Wladikawkas, froh, der Gefahr, im Schnee stecken zu bleiben und vielleicht einige Tage zu verlieren, entronnen zu sein. Ein Phaeton brachte mich zur Bahnstation, wenige Minuten später sass ich im schön gewärmten Waggon und fuhr nach Beslan, dem Ausgangspunkte dieser kurzen Zweigbahn und Station der Hauptlinie Rostow — Petrowsk bzw. Baku. Auf dieser Strecke war es erst das zweite Mal auf der ganzen Reise, dass ein Beamter, hier der Fahrkartenkon- trolleur, auf mein gebrochenes Russisch hin mich fragte, ab ich Deutsch spräche, und mir auf Deutsch Bescheid sagte. Vorher hatte ich dieselbe Freude nur bei einem Postbeamten in Merw crlebt. Erwärmt und 10* 148 getrocknet kam ich in Beslan an, dessen Bahnhofsbuffet den seit Stunden knurrenden Magen befriedigte, dann fuhr ich weiter nach Noworossiisk, der bekannten und bedeutenden Handelsstadt am Schwarzen Meere, Ausfuhrhafen für südrussisches Getreide. Die Verbindung mit dem Kaukasus ist schlecht, ich musste längere Zeit überliesen, zwei Nächte fahren und war erst am Sonntag früh dort, nachdem ich Freitag Abend Wladikawkas verlassen hatte. Auch die Abfahrtszeit der Dampfer, die ich über die Krim nach Odessa benutzen wollte, war in diesen Tagen verändert worden und zwang mich zu einem 24stündigen uner- wünschten, wenn auch erholenden Aufenthalt. Ich lernte die Stadt hierdurch von allen Seiten kennen, bewunderte den Verkehr in dem nach Süden offenen und gegen das Meer durch zwei allzulange Molen abgeschlossenen Hafen und durchstreifte die gefälligen Höhen des östlichen Ufers mit den Steinbrüchen der Schwarzenmeer - Cementfabrik. Eine köstliche Fahrt brachte mich dann von Noworossisk hinüber zur Krim, entlang an der oft beschriebenen Südküste, die der Erdsegen so reich bedacht, vorbei an Jalta, dem prächtigen Badeort, an Livadia und all den Weinbergen, Gärten, Schlössern und Ortschaften, die sich an die sonnigen Felsen schmiegen, über Sewastopol mit seinen vollen Kriegshäfen, seinen heissen Strassen, seinem kühlen Park am Eingang der Bucht, seinen weiten Rundblicken und seinen geschichtlichen Er- innerungen, nach Odessa. Uns Westeuropäern gibt die Stadt nicht so viel wie den Russen, die sie bewundernd und preisend in den Himmel heben, immerhin halten die grossstädtischen Boulevards. die breite Terrasse am Hafen und die schönen Parkanlagen auch vor verwöhnten Augen stand. Uber Warschau und Berlin kehrte ich nach Lübeck zurück. Te ee 149 Gesellschafts- Angelegenheiten. Bericht über das Jahr 1903. Die Zahl der ordentlichen Mitslieder beträgt 144. Ausgetreten sind die Herren Senator Bertling, Hauptlehrer Bödeker, Konsul Boy, Hermann Lange, Dr. E. Mueller; verstorben ist Herr S. L. Cohn. Eingetreten sind die Herren Rechtsanwalt Bienert, Oberlehrer Dr. Frank, Oberlehrer Dr. Gilbert, Navigationslehrer Kraus, Kontre- admiral a. D. Kühne, Oberlehrer Mahn, Seminardirektor Dr. Möbusz, Oberlehrer Pauls, Privatmann Rösing, Kaufmann Herrmann Test- meyer. Herr Konsul Ludwig Ehrtmann in Riga wurde wegen seiner Verdienste um das Museum, insbesondere dessen ethnographischer Abteilung, zum korrespondierenden Mitgliede ernannt. Aus dem Vorstande schied Herr Oberlehrer Schneermann aus, an seine Stelle wurde Herr Major Schaumann gewählt. Den Vorsitz führte Herr Professor Dr. Lenz. Kassenrevisoren waren die Herren Julius Hahn und Konsul GeBScharff. Die Gesellschaft versammelte sich zu sieben ordentlichen Sitzungen, in denen folgende Vorträge gehalten wurden: Am 9. Januar: Herr Dr. med. Mueller »Das obere Saaltal und der Frankenwald.« Herr Flemming »Reisebriefe aus Luzon« I. (Eingeschickt und ver- lesen). Am 6. Februar: Herr Direktor Dr. Schulze »Über Lagunenbildungen.« Herr Flemming: »Reisebriefe aus Luzon« II. (Eingeschickt und verlesen). Am 27. Februar: Herr Oberlehrer Dr. Sack »Über die Erforschung des Luft- meeres mit Hülfe von Drachen.« (Mit Lichtbildern.) Herr Oberlehrer Dr. Zillich »Über die normannischen Inseln.« Am 20. März: Herr Oberlehrer Dr. Ohnesorge »Über die Bildung der deutschen Nordseeküste.« (Mit Lichtbildern.) 150 Am 24. April: Herr Oberlehrer Mahn »Über Talsperren und Staudämme.« Am 30. Oktober: Herr Major Schaumann »Über Sven von Hedin’s letzte Reise.« (Mit Kartenskizzen.) Am 27. November: Herr G. Werner »Reiseeindrücke auf einer Fahrt von Hamburg nach Konstantinopel.« Herr Oberlehrer Dr. Sack »Über Entfernungsmesser von Karl Zeiss-Jena.« Am 18. Dezember: Herr Dr. Karutz »Kommen und Gehen der Völker in Mittelasien.« Herrenabende fanden regelmässig an allen Freitagen statt, die nicht durch die Sitzungen in Anspruch genommen waren, und gaben neben geselliger Unterhaltung vielfachen Stoff zu geographischen Be- sprechungen. So trug Herr Herrmann Tegtmeyer am 15. Mai vor über »Erlebnisse in Venezuela« unter Vorführung von Lichtbildern, und Herr B. Peters gab am 12. Juni »Plaudereien aus Italien«.. Am 21. August sprach Herr Direktor Dr. Schaper, unser Ehrenmitglied, über »Horizontalpendelc«. ? Von den »Mitteillungen der Geographischen Gesellschalt und des Naturhistorischen Museums« erschien das 17. Heft der 2. Reihe mit folgendem Inhalt: Prof. Dr. P. Friedrich »Geologische Aufschlüsse im Wakenitz- gebiet der Stadt Lübeck« mit 1 Karte und 4 Tafeln. P. Prahl »Mitteilungen zur Gattung Calamagrostis«. Oberlehrer Dr. G. Sack »Beobachtungen über die Polarisation des Himmelslichtes in Lübeck im Jahre 1902.« Dr. Rudolf Struck »Beiträge zur Kenntnis der Trichopteren- larven.« Mit 7 Tafeln. Hans Schinz »Versuch einer Monographischen Übersicht der Gattung Sebaea.« I. »Die Sekt. Eusebaea«. Gesellschafts-Angelegenheiten. Berichte und Verhandlungen. Als Beiheft erschien Heft 6 der Erdmagnetischen Station, bearbeitet von Dr. W. Schaper. Inhalt: Allgemeine Vorbemerkungen über die Instrumente und die absoluten Bestimmungen. Variationsbestimmungen in den Jahren 1892, 1893, 1894. Beobachtungen über das Nordlicht am 9. September 1898. 151 Versammlungen. 151. ordentliche Versammlung am 30. Oktober 1903. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, begrüsste die stark besuchte Versammlung zum Wiederbeginn der Winterversammlungen und machte eine Reihe geschäftlicher Mitteilungen. Ausgetreten sind die Herren Hauptlehrer Bödeker, Hermann Lange und Dr. Mueller. Eingegangen sind eine Karte von Peru, vom peruanischen Konsul in Southampton, der Tätigkeitsbericht der Kgl. Geologischen Landes- anstalt zu Berlin, eine »Engano-Popolo:« betitelte Arbeit des Herrn Dr. Karutz (Sonder-Abdruck aus dem »Globus«). Der Vorsitzende berichtet über die Richthofen-Feier, zu der er als Delegierter der Geographischen Gesellschaft entsandt war, und über die Richthofen-Stiftung, die aus Geldbeiträgan wissenschaftlicher Körperschaften zusammengebracht ist und der Beförderung der Geographie dienen soll. Zum korrespondierenden Mitgliede wurde Herr Konsul Ludwig Ehrtmann in Riga, früher Noworossysk, wegen seiner Verdienste um das Museum gewählt. Zur Anschaffung einer Benin-Bronze für das Museum für Völkerkunde werden M. 100 bewilligt. Dann hielt Herr Major Schaumann den angekündigten Vortrag über Sven von Hedins letzte Reise (1399—1902) durch Innerasien. Nach einer Beschreibung und Würdigung des Lebens und der Persönlichkeit des grossen Forschers gab Redner an der Hand der bisher veröffentlichten Berichte ein höchst anschauliches Bild der im ganzen wie im einzelnen so bewunderungswürdigen und so vortrefflich gelungenen Reise. Zum leichteren Verständnisse der geographischen Verhältnisse und der Weg- richtungen hatte jeder Zuhörer eine Karte erhalten, die von dem Vor- tragenden selbst angefertigt war und durch deren mühsame Arbeit er sich den besonderen Dank der Gesellschaft gesichert hat. 152 152. ordentliche Versammlung am 27. November 1903. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, machte zunächst einige geschäftliche Mitteilungen. Als neue Mitglieder sind der Gesellschaft beigetreten die Herren Öberlehrer Dr. Erich Pauls und Navigations- schullehrer Joseph Kraus, dagegen ist ausgeschieden Herr Konsul Boy. Vorgelegt wird das Diplom für den zum Korrespondierenden Mitgliede ernannten Herrn Konsul Ehrtmann in Riga. Die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin erklärt sich auf eine von unserer Gesellschaft dahin gerichtete Anfrage in dankenswerter Weise bereit, in ihre Zeitschrift Berichte über unsere Sitzungen aufzunehmen. Am Mittwoch gelangte — leider zu spät! — an den Vorsitzenden eine telegraphische Einladung zur Empfangsfeier in Kiel für die deutsche Südpolar - Expedition; es konnte nur ein Willkommens-Telegramm und ein Dank für die Einladung gesandt werden. Eingegangen ist das 5. Heft über die deutsche Süd- polar-Expedition. Herr Kaufmann Werner hielt einen Vortrag über das Thema: Unter deutscher Flagge von Hamburg nach Konstantinopel. Mit schwärmerischer Begeisterung schilderte er die Eindrücke ‘der Seereise mit einem Dampfer der Levantelinie und die Erlebnisse und Eindrücke an landschaftlich oder historisch bedeutenden Punkten, Lissabon, Gibral- tar, Algier, Tunis, Karthago, La Valetta, Smyrna. Zahlreiche Ansichts- postkarten illustrierten den Vortrag. Hierauf sprach Herr Oberlehrer Dr. Sack über Entfernungsmesser. Aus der in mehr als einer Hinsicht rühmlichst bekannten optischen Werkstatt von Carl Zeiss in Jena gehen seit einigen Jahren Ent- fernungsmesser hervor, die auf dem stereoskopischen Sehen beruhen. Um die Einrichtung derselben zu erklären, ging der Vortragende vom umkehrenden astronomischen Fernrohr aus, besprach die Um- kehrung des Bildes durch die Porroschen Prismen und führte die Wirkung der einzelnen Teile des Relieffernrohrs in Experimenten vor. Daran schloss sich die Erläuterung des Grundgedankens, auf dem die Einrichtung der Marken beruht. Hohes Interesse erregte die Schilderung des den Telemetern verwandten Stereo-Komparators, mit dem sich an Stereoskopbildern Entfernungen bis in den Weltenraum hinein messen lassen. Der Vortrag wurde wirksam unterstützt durch eine Reihe auf- gestellter Stereoskope mit Bildern, welche dem Vortragenden von der Firma Zeiss zu Demonstrationszwecken überlassen waren; darunter befanden sich als besonderer Erwähnung wert eins vom Monde, und ein anderes, das den Saturn vor den Fixsternen schwebend zeigt. 153 153. ordentliche Versammlung am 18. Dezember 1903. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, teilte mit, dass Herr Privat- mann Rösing als Mitglied eingetreten sei. Eingegangen ist ein Dank- schreiben des Herrn Konsul Ehrtmann aus Anlass seiner Ernennung zum korrespondierenden Mitgliede. Herr Dr. Karutz hielt den ange- kündigten Vortrag über Kommen und Gehen der Völker in Mittel- asien. Der Vortrag, der in grossen Zügen ein Bild der vieltausend- jährigen Geschichte Turkestans entwarf, wird im nächsten Heft der Mitteilungen der Gesellschaft erscheinen. Eine lebhafte und anregende Diskussion schloss sich an. 154. ordentliche Versammlung am 8. Januar 1904. Der Vorsitzende, Prof. Dr. Lenz, begrüsste in dieser ersten ordent- lichen Versammlung des Jahres die zahlreich erschienenen: Mitglieder, wies auf die Entwicklung und jetzige Stellung der , Geographischen Gesellschaft hin und gab der Zuversicht einer erfolgreichen Tätigkeit im Vertrauen auf tätkräftige Mitwirkung zahlreicher Mitglieder Ausdruck. Die satzungsgemäss vorgenommene Wahl zweier Revisoren ergab die Herren Julius Hahn und Max Schmidt. Herr Kaufmann Werner hielt den zweiten Teil seines Vortrages: Unter deutscher Flagge von Hamburg nach Konstantinopel und schilderte in beredter Weise unter Vorzeigung zahlreicher, fast auschliesslich von deutschen Firmen hergestellter Photographien die Schönheiten Konstanti- nopels, seine Prachtbauten, das Volksleben, das Goldene Horn usw., um endlich durch Rumänien, Siebenbürgen und über Budapest die Zuhörer in die Heimat zurückzuführen. In dem zweiten Vortrag des Abends besprach Herr Direktor Dr. Schulze Apparate zur Messung der Windstärke, insbesondere das neuer- dings auf der hiesigen Navigationsschule aufgestellte selbstregistrierende Anemometer. 154 155. ordentliche Versammlung am 29. Januar 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, machte die Mitteilung, dass drei neue Mitglieder der Gesellschaft beigetreten sind, Herr Direktor Stolz, Herr Navigationslehrer Strinz und Herr Apotheker Lucht. Ferner teilte er mit, dass am Freitag den 5. Februar Professor Erich von Drygalski über die Deutsche Südpolarexpedition im grossen Saale der Gemein- nützigen Gesellschaft sprechen wird. Herr Stadtrat Michelsen verlas eine Reihe von Privatbriefen , die über die Verhältnisse auf der sibirischen Bahn interessante Auf- schlüsse gaben. Endlich sprach Herr Professor Dr. Lenz an der Hand von Photographien und Reisebriefen über die Expedition, die unter Leitung von Dr. Hertz das jetzt im Petersburger Museum aufgestellte Mammut vor 3 Jahren in Nordostsibirien ausgegraben und geborgen hat und zeigte hierhergehörige Stücke aus dem hiesigen Museum, Eine lebhafte Diskussion, in der unter anderen Herr Rösing von eigenen Erfahrungen in Mexiko berichtete, schloss sich daran. Ausserordentliche Versammlung am 5. Februar 1904. Die Gesellschaft versammelte sich zu einer ausserordentlichen Sitzung im grossen Saale der Gesellschaft z. B. g. T., um einem Vortrage des Herrn Professor Dr. Erich von Drygalski über die deutsche Südpolar- expedition beizuwohnen. Die Damen der Mitglieder, sowie die Mitglieder der Gemeinnützigen Gesellschaft waren zur Teilnahme eingeladen. Der Vortragende besprach in seinen Ausführungen die Pläne, den Verlauf und die bisher feststehenden Ergebnisse der Expedition, gab anschauliche Schilderungen von der Lebens- und Arbeitsweise an Bord und an Land, von den Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, von den natürlichen Hemmnissen und Zufälligkeiten, die der Expedition den Verlauf vor- schrieben, den sie genommen hat. Zahlreiche vorzügliche Lichtbilder, unter denen als besonders interessant Aufnahmen vom Fesselballon aus erwähnt sein mögen, illustrierten den Vortrag. An denselben schloss sich ein gemeinsames Mahl und hielt Vortragenden, Mitglieder und deren Damen noch ein Stündcehen zusammen. 155 156. ordentliche Versammlung am 19. Februar 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, legte die Abrechnung für das Jahr 1902, die mit einem Kassenbestande von M. 25,02 abschliesst, vor. Sodann teilte er mit, dass Herr Kaufmann Janecke der Gesellschaft als Mitglied beigetreten ist. Eingegangen sind ein Dankschreiben des Herrn Geheimrat von Neumayer für das aus Anlass des Drygalskischen Vortrages ihm geschickte Telegramm, ferner von Herrn Dr. Eduard Hahn Festschrift und Ausstellungs-Katalog des 14. Deutschen Geographen- tags, endlich eine Einladung zum internationalen Geographentag in Washington 1904. Hierauf hielt Herr Oberlehrer Mahn seinen angekündigten Vortrag über Ebbe und Flut und ihre Ausnutzung als Kraftquelle.e Er knüpfte an die im vergangenen Jahre verstorbenen besten Kenner der Gezeiten, den Bremer Wasserbaudirektor Franzius und den Hamburger Wasserbau- inspektor Hugo Lenz an, gab eine geschichtliche Übersicht über frühere Kenntnisse und Erklärungen des Flutphänomens, erläuterte dessen Entstehung und besprach eine Reihe Erscheinungen, die mit ihm in Zusammenhang stehen oder an ihm von besonderem Interesse sind, wie die wechselnden Flutintervalle, die Stromverhältnisse u. A. Dann ging der Vortragende zur Frage der Ausnutzung der im Flutphänomen steckenden Kraft über, wies auf die drei Möglichkeiten dieser Aus- nutzung — Verwendung als Stosskraft, Auffangen der Wassermenge, Auftrieb schwimmender Hulks — hin und erläuterte die bisherigen praktischen Versuche. Zurzeit ist die Frage noch ungelöst, die Technik ist noch nicht soweit, die Energie des Flutphänomens wirtschaftlich ver- werten zn können. 157. ordentliche Versammlung am 18. März 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, legte den Jahresbericht für 1903 vor und teilte mit, dass Herr Privatmann Born und Herr Major v. Koschitzky, letzterer wegen Fortzuges von Lübeck, aus der Gesellschaft ausgetreten sind, wobei er dankend der Arbeiten desselben im Museum und an den Mitteilungen der Gesellschaft gedachte. Herr Stadtrat Michelsen berichtete an der Hand von Briefen eines Augenzeugen über die Belagerung von Tientsin 1900 und konnte dabei ungewöhnlich auschauliche und interessante Einzelheiten aus jenen kriegerischen Ereignissen bekannt geben. Zum Schluss gab Herr Prof. Dr. Emst durch zahlreiche Bilder veranschaulichte Reiseerinnerungen aus den Dolomiten und Venedig. 156 158. ordentliche Versammlung am 15. April 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, teilte mit, dass folgende Schriften eingegangen sind: ‘Conwentz, »Schutz der natürlichen Landschaft«, derselbe, »Die Erhal- tung der Naturdenkmäler«, Veröffentlichungen des Erdmagnetischen Observatoriums bei der Kgl. Sternwarte in München. Angekauft wurde Kirchhoff und Regel, »Bericht über die neuere Literatur zur deutschen Landeskunde«, Bd. II. 1904. Herr B. Peters berichtete darauf aus dem neuen Buche von Dr. Alexander Tille »Der Wettbewerb weisser und gelber Arbeit in der indu- striellen Produktion«, in dem der Verfasser die sogenannte gelbe Gefahr leugnet. Eine lange und eingehende Diskussion, in welcher vor- herrschend die gegenteilige Ansicht zum Ausdruck kam, schloss sich an das Referat. 157 Bericht des Naturhistorischen Museums über das Jahr 1902. Das Naturhistorische Museum erfuhr im letzten Jahre manche beachtenswerte Umgestaltung und Erweiterung; auch ging ihm durch Fürsorge einheimischer und auswärtiger Freunde wiederum eine beträcht- liche Anzahl von Geschenken zu. Die Gruppe der Säugetiere erhielt eine sehr erfreuliche Bereicherung durch zwei Geschenke des Herrn ©. Hagenbeck - Hamburg, einen mittel- asiatischen Wildesel (Equus Przewalski) und einen Steinbock (Ibex sibirica), hochinteressante Tiere. Der bekannte Forschungsreisende Forsyth Major, London bot von seinen auf Madagascar gesammelten Säugetieren, Reptilien und Amphibien dem Museum Doubletten zu mässigen Preisen an, sodass diese willkommene Gelegenheit zur Bereicherung unserer Sammlung von jener Insel benutzt werden konnte. Die bereits aus drei Exemplaren verschiedenen Alters bestehende Gruppe der Lämmergeier erfuhr eine wertvolle Bereicherung durch ein ebenfalls von Herrn Dr. Biedermann - Eutin geschenktes Nestjunges. Daneben konnte noch ein Mönchsgeier als Ergänzung der Raubvögel erworben werden. Von Herrn Konsul L. Ehrtmann in Noworrossysk am schwarzen Meer erhielt die Geweihsammlung ein merkwürdiges, monströses Geweih des kaukasischen Hirsches; von Herrn Dr. Liese-hier Gehörne der Konzi-Antilope und des gelben Riedbockes aus Deutsch - Ost- Afrika. Derselben Kolonie entstammt eine Sammlung von Reptilien, Insekten und verschiedenen anderen wirbellosen Tieren, welche Herr Baumeister Schmidt dort sammelte. Vom Museum für Naturkunde in Berlin gingen aus den zur Ver- fügung stehenden Doubletten aus den deutschen Schutzgebieten Samm- lungen von Reptilien und Insekten ein. Zur Vervollständigung der vorhandenen Krokodilarten diente der präparierte Kopf eines indischen Gavials (Gavialis gangeticus). 158 Aus dem nördlichen Teil Patogoniens waren dem Museum schon in früheren Jahren verschiedene Säugetiere durch Herrn Otto Sartori zum Geschenk gemacht worden; die Zahl derselben wurde kürzlich durch einen Hirsch und einen charakteristischen Bandiltis (Conepatus suffocans) vermehrt. Von den hochinteressanten Funden von Neomylodon listai in der südpatagonischen Höhle (Ultima Esperanza) erhielt das Museum durch Herrn Leop. Förster Krallen, Hautstücke und Knochenkörper. Umfangreiche Beiträge aus der Fauna der westindischen Gewässer wurden durch Herrn Kapitänleutnant Titus Türk aus der Umgegend von St. Thomas zum Geschenk gemacht. Herr Hans Wilms brachte von Baku am kaspischen Meer eine sauber präparierte Sammlung von Insekten verschiedener Ordnungen aus der dortigen Umgegend mit. Die Fauna Japans, welche bisher im Museum wenig vertreten war, erfuhr eine wichtige Bereicherung durch ein Geschenk des Herrn Dr. Struck-hier und Kaufmann Schramm -Yokohama: eine Sammlung von Schlangen, Tiefseefischen, Korallen und andern niederen Meerestieren, unter denen neun verschiedene Arten von Glasschwämmen (Hexatinelliden) ganz besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Herr Kaufmann Wilh. Brehmer sandte eine grosse Sammlung vor- züglich konservierter siamesischer Süsswasserfische aus Bangkok, welche nicht nur eine erfreuliche Bereicherung der Fischabteilung des Museums bietet, sondern auch durch die Seltenheit mancher Arten und wahr- scheinlich sogar durch neue, bisher unbekannte sich auszeichnet. An Nordseetieren (Fischen und niederen Meerestieren) erhielt das Museum mehrere von Herrn H. Philippsen-Ütersum auf Föhr gemachte Sammlungen zum Geschenk. Interessante Belege für das Einwandern von Östseetieren in den Kaiser Wilhelmkanal erhielten wir durch die Liebenswürdigkeit des Kgl. Oberfischmeisters Hinkelmann aus Kiel, der dem Museum eine Sammlung von Heringen verschiedenen Alters, Plattfischen und niederen Meerestieren, welche bei verschiedenen, genau angegebenen Kilometerstationen des Kanals gefangen waren, zum Geschenk machte. Die Sammlung von Fischen der Travemünder Bucht ward durch mehrere Seltenheiten ergänzt, welche Herr Fischmeister Schröder aus Travemünde überbrachte ; der wertvollste Zuwachs bestand aber in einem 80 cm langen, bei Niendorf gefangenen Seewolf (Anarrhichas lupus) ; seit über 100 Jahren das erste Exemplar wieder, welches in unserer 3ucht beobachtet wurde, es ist ein Geschenk des Fischers Herrn Heinrich Lender in Niendorf a. d. Ostsee. 159 Endlich sei noch einer sehr umfänglichen Sammlung von Vögeln und Insekten, meist den Gruppen der Käfer, Schmetterlinge und Gerad- flügler angehörend, dankend Erwähnung getan, welche Herr Kaufmann Ed. Rabe dem Museum unter vorläufigem Vorbehalt seines Eigentums- rechtes überwies. Die Tiere stammen meist aus Java und den benach- barten Inseln und würden eine ausserordentlich erwünschte und wertvolle Bereicherung bilden. Die Insektensammlung, welche jetzt das neue Vorstandsmitglied Direktor Dr. Möbusz unter seine besondere Obhut genommen hat, fand, abgesehen von der soeben erwähnten Sammlung, erfreuliche Bereicherungen an norwegischen Käfern, durch eine neue Sendung des Herrn Schul- direktors Ullmann in Christianssand (Norwegen) sowie durch kleine An- käufe an ostasiatischen und südamerikanischen Käfern von Herrn H. Frühstorffer in Berlin, dem das Museum überdies für eine in grösserem Umfange ausgeführte Bestimmung ostasiatischer und malayscher Insekten zu Dank verpflichtet ist. Das Herbarium ward durch eine Sammlung von mehreren hun- dert, meist norditalienischen Pflanzen vermehrt, welche in den Jahren 1860—68 von Herrn Heinr. Magnet aufgelegt und jetzt von Herrn Amts. richter a. D. Wodik zum Geschenk gemacht wurden. Herr Prof. Dr. Schinz-Zürich, welcher seit einer Reihe von Jahren unser Herbarium für seine, besonders das südafrikanische Kapland umfassenden Arbeiten be- nutzt, schenkte 60 dortige, bisher uns fehlende Arten. Von auswärtigen Botanikern benutzten ausserdem unser Herbarium die Herren Geh. Rat. Prof. Dr. Engler und Dr. G. Linden-Berlin, Dr. Hallier- Hamburg und Prof. Dr. Radlkofer-München für ihre Studien. Angekauft wurden von Baum in Süd-Angola, Pringle in Mexiko, Zenker in Kamerun, Pristel in West-Australien gesammelte Pflanzen. Zum Zweck der besseren Erhaltung der Pflanzensammlung wurde in diesem Jahre eine weitere Anzahl von Reolen mit Rahmenverschlüssen versehen, welche sich gut bewährt hatten. Die mineralogisch -paläontologische Abteilung erfuhr ebenfalls mannigfache und wertvolle Bereicherungen. So machte uns Herr Gruben- besitzer F. Körner-Rixdorf den vorzüglich gelungenen Abguss eines in seiner Grube gefundenen, gut erhaltenen Mammutunterkiefers zum Ge- schenk, zugleich mit einer Photographie eines ebendaselbst aufgefundenen Rhinozerosschädels. Beides hat in der Schausammlung Aufstellung ge- funden; daneben, in einem besonderen Glaskasten, Schädel von Mastodon und Rhinozeros aus den Steinbrüchen von Veltheim bei Winterthur in der Schweiz, Geschenke des Herrn Dr. Biedermann-Eutin. Des weiteren konnte diese Abteilung der Schausammlung um eine die verschiedenen Gruppen umfassende Auswahl naturgetreu aus- 160 geführter Nachbildungen grosser Meteoriten vermehrt werden, welche das Museum der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Dr. Berwerth-Wien ver- dankt. Von Herrn Molter in Idar erhielten wir einige, uns bisher feh- lende Mineralien zum Geschenk und erlangten zugleich durch dessen Vermittlung charakteristische Balsatsäulen von Niedermendig am Rhein. Aus Durango in Mexico sandte Herr Herm. Hase in Guanacevi wiederum gut ausgebildete Krystalle zeigende Silbererze und eine kleine Goldstufe von dort. Eine wertvolle Bereicherung der insbesondere von Herrn Prof. Dr. Friedrich gepflegten Sammlung von Bohrproben aus Lübeck und Umgegend wurde dem Museum dadurch zu teil, dass sich die Realschule in Oldesloe bereit erklärte, noch in ihrem Besitz befindliche ältere Bohr- proben im Tausch gegen, der Schulsammlung überlassene, Gegenstände abzugeben. Die Bohrproben bilden z. T. Belege zu der Arbeit des bereits genannten Herrn: »Der Untergrund von Oldesloe nebst einer kurzen Darstellung der Geschichte der ehemaligen Saline« in Heft 16 (2. R.) der Mitt. d. Geogr. Ges. u. des Naturhist. Museums in Lübeck 1902. Besonders hingewiesen sei auf den neuen grossen Schaukasten für Mineralien, in welchem eine Auswahl besonders schöner und die Be- sucher vornehmlich interessierender Stufen in zweckmässiger Weise auf- gestellt werden konnte. Dankbar möchten wir auch nochmals erwähnen, dass die Mehrzahl der wertvollsten Stücke dem Museum wiederum durch sein korrespondie- rendes Mitglied Herrn Dr. Biedermann-Eutin zum Geschenk gemacht wurde. Die geologisch-paläontologische Sammlung ward ebenfalls im letzten Jahre in mancher Hinsicht erweitert. Im Tausch erworben wurde von der Königl. Geolog. Landesanstalt zu Berlin eine kleine Suite von Con chylien aus dem marinen Diluvium Westpreussens; von Herrn Prof. Dr. Fritsch-Prag Versteinerungen und einige Nachbildungen von solchen aus der Permformation Böhmens, sowie aus der Trias und Kreide der Alpen. Nachdem während der letzten S-10 Jahre hauptsächlich darauf 3edacht genommen war, die Sammlung der in unserer näheren und wei- teren Umgebung vorhandenen sedimentären Diluvialgeschiebe möglichst zu vervollständigen, erschien es nunmehr wünschenswert, auch die Gesteine und Fossilien der marinen Diluvialablagerungen, sowie die der anstehenden (Gesteine älterer Formationen (Tertiär, Kreide) Schleswig-Holsteins für un- rere Sammlungen zusammenzubringen. Es ward zunächst Wert darauf gelegt, die Fauna des marinen Diluviums zu erlangen, und glückte es durch die sehr emsige und dankens- werte Mithülfe des Herrn Apotheker Dr. Sonder-Oldesloe, sowie des Herrn 161 Lehrers K. Strunck-hierselbst, von zahlreichen Fundorten die wichtigsten Fossilien in unsren Besitz zu bringen. Beim Ausschlämmen_ der teil- weise sehr kleinen Fossilien aus den Tonen machte sich Herr Dr. Sonder besonders verdient. Aus der anstehenden Kreide von Lägerdorf bei Itzehoe — von hier durch Vermittlung des Herrn Apothekers Schumann in Lägerdorf — sowie aus den mitteloligocänen Septarientonen von Itzehoe konnten vor- treflliche Suiten der hauptsächlich dort vorkommenden Versteinerungen erworben werden. In Burg im Dithmarschen gelang es Herın K. Strunck, von den Arbeitern der dortigen Kiesgruben zahlreiche uns noch fehlende, aus den verschiedenalterigen Ablagerungen der Tertiärformation ausgeschwemmite Conchylien von teilweise sehr schönem Erhaltungszustand zu bekommen. Dieselben wurden durch Herrn Prof. Dr. Gottsche-Hamburg, dem wir uns hierfür besonders verpflichtet fühlen, bestimmt, Herrn Dr. Sonder und Herrn K. Strunck verdankt das Museum auch sonst noch eine Reihe von seltenen Fossilien. Im Oktober dieses Jahres machte uns Herr Primaner Reimpell auf ein Vorkommen von tertiärem Gestein bei Zarrentin in Mecklenburg aufmerksam und sind wir demselben zu Dank verpflichtet, denn dieses Gestein erwies sich als ein nur wenig häufig vorkommendes miocänes Gestein, aus dem wir nun eine grosse Anzahl teilweise schön erhaltener Versteinerungen, darunter auch sonst so selten vorkommende Seeigel, erlangen konnten. Die letzteren sind zum teil noch nicht bekannt und werden demnächst von Herrn Landesgeologen Dr. Gagel-Berlin beschrieben werden. Nicht unerwähnt darf die neueste Arbeit unseres Vorstandsmitgliedes des Herrn Dr. R. Struck in dem 16. Hefte der gemeinsam mit der hiesigen Geographischen Gesellschaft herausgegebenen Mitteilungen bleiben : »Der Verlauf der nördl. und südl. Endmoränen in der weiteren Umgebung von Lübecks, mit 1 Karte und 10 Tafeln. Die Bibliothek wurde durch Tauschverbindung mit einer grossen Anzahl deutscher und ausländischer Museen, Institute, naturwissenschaft- licher Gesellschaften und Vereine, sowie durch einige Ankäufe vermehrt. Somit sei allen Freunden des Naturhistorischen Museums, ein- heimischen und auswärtigen, hier nochmals der aufrichtige Dank der Vorsteherschaft ausgesprochen für die Förderung, welche sie ihm und der Wissenschaft auch in diesem Jahre haben zu teil werden lassen ; zugleich möge es aber gestattet sein, die Bitte hinzuzufügen, auch fernerhin an der Weiterentwickelung unserer Sammlungen in gleicher Liebe mithelfen zu wollen. 11 162 Der langjährige Mitarbeiter am Museum Herr Lehrer Joh. West- phal, welcher in treuer, gewissenhafter Arbeit insbesondere unserm Konservator bei dem Einordnen, Aufstellen und Katologisieren zur Seite stand, hat sich leider aus Gesundheitsrücksichten und in Anbetracht seiner sonstigen vielfachen amtlichen Verpflichtungen genötigt gesehen, von seiner Stellung zurückzutreten. Auch Herr Lehrer Dühring, welcher in den letzten Jahren hauptsächlich in der entomologischen Abteilung mit der Aufstellung der Biologien der Schädlinge und Nützlinge beschäf- tigt war, musste wegen anderweitiger Inanspruchnahme ausscheiden. Beiden Herren sei auch hier für ihre mit vieler Hingebung geleisteten Dienste der Dank der Vorsteherschaft ausgesprochen. An ihre Stelle traten Herr Lehrer Blohm, welcher schon früher vorübergehend im Museum tätig war und Fräulein Martha Lenz. Besucht wurde das Museum im Jahre 1902 von 26613 Personen. Die laufenden Einnahmen stellten sich wie folgt: Von der Ges. z. Bef. gem. Tätigkeit Regelmässiger/Beitras Van ei, BE EEE Ausserordentlicher, Zuschuss. vn. 2 0.00... 1.2 Se Sonstire.!Hinnahment: susien ns zusammen M. 6462,28 Auseaben iM a N, a nn Ben ee Es SEE Der Überschuss von M 69,37 ward auf das Jahr 1903 hinüber- geschrieben. An. Stelle der aus dem Vorstande ordnungsgemäss ausgetretenen Herren Major v. Koschitzky und Kaufmann ©. A. Siemssen wurden die Herren Senator Dr. Brehmer und Direktor Dr. Möbiusz, für den durch Fortzug von Lübeck ausgeschiedenen Herrn Dr. med. Otto Meyer Herr Hauptlehrer a. D. ©. Arnold erwählt. Den Vorsitz übernahm Herr Prof. Dr. Küstermann. Von Von Von Von Von Von Von Von Von Von Von Von 163 Verzeichnis der neuen Erwerbungen. A. Geschenke. Herrn Konsul L. Ehrtmann-Noworrossysk : Zwei monströse Geweihe vom kaukasischen Edelhirsch ; Schädel eines Wildschweines. Herrn Carl Hagenbeck-Hamburg: Zwei Bälge vom sibirischen Stein- bock (Ibex sibirica) und dem zentralasiatischen Wildesel (Equus Przewalsküi). Herrn L. Jauckens in Santos: Mineralien aus S. Paulo, zwei Stücke fossiles Holz, ein Libellen-Chaleedon (Enhydros) und Magensteine von Wiederkäuern. Herrn H. Molter-Idar: Ohabacite aus dem Nahetal, Korund -Saphir aus Australien. Herrn Dr. R. Struck-hier: Eine grosse Anzahl japanischer Meeres- tiere: zwei Arten von Meeresschlangen, 6 Arten Tiefseefische, 3 Arten Krebse, Echinodermen, Coelenteraten und Schwämme, unter den letzteren 9 Arten Hexactinelliden. Farreo occa, Rhab- docalyptus capillatus, Euplectella imperialis, Hexactinella ventilabrum, Acanthascus cactus, Semperella schulzei, Walteria leuckarti, Peri- phragella elisae, Aphrocallistus bocagei. Eine Anzahl niederer Seetiere der Nordsee, gesucht bei der Insel Föhr. Herrn ©. Schramm-Yokohama: 25 Arten japanische Fische. Herrn Luttermann-Travemünde: Eine Seeschwalbe (Sterna argentata). Herrn F. W. Körner-Berlin-Rixdorf: Abguss eines Mammut-Unterkiefers aus den Gruben von Brix bei Berlin. Photographie eines Rhinozeros- Schädels, 1836 in der Kiesgrube bei Rixdorf. Herrn Otto Sartori-Argentinien : Ein Bandiltis, (Conepatus suffocans), Fell und Gehörn von Hirschen. Herrn Gust. Buck-hier: Californische Ringelnatter (Tropidonotus elegans). Herrn Herm. Hase-Guanacevi (Durango-Mexiko): Drei grosse Kry- stalle von Schwefelsilber (Silbergehalt 65 °/0) aus den dortigen Gruben. Ein Stück Krystall-Gold aus den Minen von San Antonio de las Piramedes, Sonora (Mexiko). Frau Revierförster Haug-hier: Ein grosses Geweih des nord- amerikanischen Renntiers Kerabau. * 164 Von Herrn Hans Wilms-hier: Eine Anzahl Heuschrecken, Käfer Skor- pione und Spinnen, sowie einige Eidechsen aus der Umgegend von Baku: ein Syngnathus aus dem Kaspischen Meer. Von Herrn Dr. Biedermann-Eutin: Ein Nestjunges vom Lämmergeier, gegen zurückgegebenen Seeadler getauscht. Von Herrn Kapitänleutnant Titus Türk: Ein Sperber, geschossen bei Curacao, Von Herrn A. Rätze-hier: Modulationsgyps aus der Barbarossahöhle. Von Herrn Oberstabsarzt Groen-Schwartau : Ein Wildschweinschädel (Sus vittatus) von Java. Von Herrn Dr. Liese-hier: Zwei Antilopenschädel aus Deutsch-Ost-Afrika (Bubalis leucoprymnus und Üervicapra bohor). Von Herrn Öberfischmeister Hinkelmann -Kiel: Eine Anzahl Fische, besonders Heringe, und Planktonfänge von verschiedenen Stellen des Kaiser Wilhelm-Kanals. Von Herrn Fischer Lender-Niendorf an der Ostsee: Ein 80 cm langer Seewolf (Anarrhichas lupus). Von Herrn Wilhelm Brehmer-Bangkok: 52 Arten siamesischer Süss- und Brackwasserfische in 81 Exemplaren; eine Eidechse (Hyloderma verrucosa) und 2 Arten Krebse (Palaemon carcinus und Alpheus strenuus). Von Herrn Architekt Sönnichsen : Walwirbel aus dem nordamerikanischen Tertiär. Von der Museums-Abteilung: Lübeckische Kunst- und Kulturgeschichte überwiesen: eine auffallend grosse Stange eines Renntiergeweihes, ausgebaggert im Elbe-Trave-Kanal. Vom Museum für Naturkunde (Zoolog. Abt.) in Berlin: Eine Anzahl Doubletten aus den Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebieten. (2 Arten Reptilien, 30 Arten Käfer, 24 Arten Schmetterlinge, 5 Arten Spinnen- tiere und 16 Arten Weichtiere). Von Herrn Prof. Dr. Hans Schinz-Zürich: 60 Arten südafrikanischer Kappflanzen. B. Dureh Tausch wurden erworben: Von Herrn Georg Riedel-Laasdorf (Thüringen): 5 Arten brasilianischer Krebse. Von Herrn Prof. Dr. A. Fritsch-Prag: Diverse Versteinerungen aus der böhmischen Permformation, der Trias und Kreide der Alpen, sowie einige Nachbildungen. 165 Von der Realschule in Oldesloe durch Vermittlung des Herrn Direktor Dr. F. Bangert: Bohrproben vom Jahre 1877 aus Oldesloe. Von Herrn J. F. G. Umlauff-Hamburg: Mehrere japanische Krebse und Echinodermen. ©. Angekauft wurden: Von Herrn N. Molter-Idar: Vier Stück Balsatsäulen von Niedermendig am Rhein. Von Herrn J. F. G. Umlauff-Hamburg: Schädel eines Gavial (Gavialis gangeticus), ein Schiffsboot mit Tier (Nautilus pompilius). Von Herrn Forsyth-Major-London: 5 Arten Säugetiere, 8 Arten Reptilien und 4 Arten Amphibien von Madagascar. Von Herrn H. Fruhstorffer-Berlin: Zwei Zenturien - Käfer aus China, Japan, Tonkin, Ecuador etc. Die Bibliothek wurde durch folgende Werke vermehrt: Il. Durch Geschenke: Von Herrn Prof. Dr. Ant. Fritsch-Prag: Lebensbild eines Naturforschers. Von Herrn Dr. R. Struck-hier: Journal of the College of Science. Vol. XV. Japan, Tokio 1901. Von British Museum (Nat. Hist.) London: Handbook of Instructions for Collectors. London 1902. II, Durch Schriftenaustausch: Bautzen, Naturwissenschaftl. Gesellschaft »Isis« : Sitzungsbericht 1898-1901. Berlin, Museum für Naturkunde. Zool. Abtlg., Bd. II. Heft 2. Bericht 1901. Berlin, Märkisches Provinzialmuseum. Bonn, Naturhistorischer Verein für das Rheinland und Westfalen: Ver- handlungen Jahrg. 58, 1901 und 59, I 1902. Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde: Sitzungs- berichte 1901 und 1902. Bremen, Naturwissenschaftlicher Verein: Abhandlungen Bd. XVII 2. Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur: 79. Jahresbericht. Colmar i. Elsass, Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen N. F. 6. Bd. 1901—1902. Danzig, Westpreuss. Provinzialmuseum: XXII. Amtl. Berichte für 1901. Danzig, Naturforschende Gesellschaft: Schriften N. F. 10, Bd. 4. Heft. 166 Dresden, Naturwissenschaftliche Gesellschaft »Isis«: Sitzungsbericht und Abhandlungen. Juli 1901—Dezember 1902. Elberfeld, Naturwissenschaftlicher Verein: Jahresbericht. 10. Heft. Frankfurt a. M., Senckenbergische naturforschende Gesellsch. Bericht 1902. Frankfurt a. ©., Naturwissenschaftlicher Verein, Reg.-Bez. Frankfurt: Helios, Bd. 19. 1902. Fulda, Verein für Naturkunde. Giessen, Oberhessische Gesellschaft für Nerlen und Heilkunde. 33. Bericht. 1899—1902. Greifswald, Naturwissenschaftlicher Verein für Vorpommern und Rügen: Mitteilungen 33. 1902. Hamburg, Naturhistorisches Museum. Hamburg, Verein für naturwissenschaftliche Unterhaltung. Hamburg, Naturwissenschaftlicher Verein: Verhandlungen 3. F. Bd. 1902. Hannover, Naturhistorische Gesellschaft. Hildesheim, Römer-Museum: Mitteilungen 14—15, 1902. Bericht der Museums-Verwaltung für 1899—1901. Andreae, Begleitworte zur Geweih- und Gehörn-Sammlung 1902. Kassel, Verein für Naturkunde: Abhandlungen und Bericht 47. 1902. Kiel, Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein: Schriften, Bas 2271902 Königsberg, Physikal-ökonomische Gesellschaft: Schriften, 42. Jahrgang. München, Ornithologischer Verein: II. Jahresbericht für 1599 —1900. Münster, Westfälischer Provinzial-Verein. Nürnberg, Naturhistorische Gesellschaft: Abhandlungen XIV, Jahres- bericht 1900. Osnabrück, Naturwissenschaftlicher Verein. Regensburg, Naturwissenschaftlicher Verein. Wiesbaden, Nassauischer Verein für Naturkunde: Jahrbuch 55. 1902. Zwickau, Verein für Naturkunde: Jahresbericht für 1900—1901. Wien, K. K. Naturhistorisches Hof-Museum: Annalen Bd. XVI. 3—4, 1900 XVII. 1—4. Jahresbericht, 1900—1901. Wien, K. K. Zool.-botan. Gesellschaft: Verhandlungen Bd. 52, 1902. Prag, Naturhistorischer Verein »Lotos«: Bd. XXI. 1901. Prag, Gesellschaft des Museums des Königreichs Böhmen. Linz, Museum Franeisco-Carolineum: 59. Jahresbericht und 53. Lieferung der Beiträge zur Landeskunde. Budapest, Publikationen des K. Ungar. Nationalmuseums, Bd. XXV. 1-4. Hermannstadt, Siebenbürgischer Verein für Naturwissenschaften: Ver- handlungen und Mitteilungen 48—51. 1899 —1902. Basel, Naturforschende Gesellschaft: Bd. XIII. 1902. Bern, Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen aus dem Jahre 1901—1902., Zürich, Naturforschende Gesellschaft: Jahrgang 46. 3—4, 47. 1—2. 167 Genf, Societe Helvetique des Sciences naturelles. Amsterdam, K. Akademie von Wetenschapten: Verslagen van de Gewone Vergaderingen des Wis- en Natuurkundige Afdeeling, Deel X. Haarlem, Musede Teyler: Archives, Ser. II. Vol. VIII. 1—2. Liverpool, Museum. Edinburg, Royal Society. Bergen, Museum: Aarborg 1901, 1902, Heft 1—3. Aarsberetning for 1901. Stockholm, K. Schwedische Akademie der Wissenschaften: Bihang Abt. III und IV, Vol. 27. 1902. Handlingar Bd. 32—35, Öfersigt Bd. 56—58- Upsala, Geologisches Institut Bull. Vol. V, pars 2, No. 10. 1901. Tromsoe, Museum. Stavanger, Museum: Aarshefte 1901—1902. Helsingfors, Societas pro Fauna et Flora Fennica, Acta Vol. 15—20. Meddelanden 24—27. 1897—1901. Riga, Naturforscher- Verein: Korrespondenzblatt 45. 1901. Arbeiten N. F. Heft 10. 1901 Albany, N. Y. University of the State of New-York: State Museum, Re- port 52, 1—2, 1900. 53, 1—2, 1901. Boston, Amer. Academy of arts and sciences Proceedings, Vol. XXXVII. 6—14, XXXVI. 1523, XXXVI. 19, 1902. Cambridge, Museum of comparative Zoology : Annual Report 19001901. Bull, Vol. XXXIX,2—XL,5. 1902. Milwaukee, Nat. Hist. Society Bull. Vol. II, 1—4. 1902. Milwaukee, Wisconsin Nat. Hist. Soc. Bull. Vol. 2, 1—4, 1902. Buffalo, Society of natural sciences. New-York, Academy of sciences: Annals XIV. 2. Momoirs, Vol. IV, V, VIE und 1902. New-York, American Museum of Natural Hist. Central-Park: Memoirs Vol. I, 7. 1901. Annual Report 1901. Bull. Vol. XI, P. 4 XIV, XV, P. I, XVI—-XVII P. I. List of Papers publ. in the Bull. und Mem. of the Amer. Mus. of Nat. Hist. Vol. I-XVI. 1881--1902. Rochester, N. Y. Rochester Academy of Science: Proc. IV. pp. 1—64. 1901. Massachusetts, N. S. A. Tufts College: Studies No. 7, 1902. Chicago, Academy of sciences: Bull. Vol. II. No. 3, 1900, Vol. IV No. 1—- 1900. Philadelphia, Academy of natural sciences: Proc. Vol. 53,3. 54,1—2. Washington, Department of Agriculture: North-Amer. Fauna 22. Wiskonsin, Acadeıny of sciences, arts and letters. Wiskonsin, Geological and Natural Hist. Survey. Washington, National-Museum: Annual Report of the Smithonian Inst. 1900. Bull. 39. part. H — O0, 1895—1901. Bull No. 50 und 51, Ridgway, The birds of North and Middle America. Part. II. 1902. Proceedings of the N. S. Nat. Mus. Vol. XXIII 1901, XXIV 1902. 168 Buenos-Ayres, Museo nacional Communicaciones Tomo I. 2. 3. Annales Tomo VII. (Ser. 2 t. IV) Tomo VII (Ser. 3t.1p. 1.) Buenos-Ayres, Deutsche Akademische Vereinigung. Montevideo, Anales dal Museo nacional: Anales XXIII. 1902. Vol. IV, 1. Rio de Janeiro, Museo nacional: Archivos Vol. X und XI. 1897—1901. Para, (Brasilien) Museum Paraense. Batavia, Kon. Natuurkundige Vereenigung in Nederlandsch Indie: Tijd- schrift. Deel 41, 1902. Sidney, Australian Museum: Records Vol. IV, 6,7 1902. Report 1900 und 1901. Sidney, Royal Society of N. S. Wales: Journals and Proceedings XXXV. 1901. Kapstadt, South African Museum. Annals Vol. II. P. IIT—IX. Vol. II. P. I. II. Angekauft wurden: Das Tierreich. Lief. 16—18. Spuler, Die Schmetterlinge Europas. Lief. 1—14. Heyne, Die exotischen Käfer. Lief. 11 und 12. Connold, British Vegetable Galls, New-York 1902. Wiederheim, Vergl. Anatomie der Wirbeltiere. 5. Aufl. Jena 1902. Reichenow, Die Kennzeichen der Vögel Deutschlands. Neudamm 1902. Die Fortsetzungen von: Martini und Chemnitz, Conchylien-Cabinett. Nachrichtsblatt der deutschen malakozoologischen Gesellschaft. Entomologische Literaturblätter. Zoologische Jahrbücher. Zoologischer Anzeiger. Bibliotheca zoologica. Berliner entomologische Zeitschrift. Stettiner entomologische Zeitschrift. Notes fr. the Leyden Museum. Zoological Record. Vol. 38. 1901. 169 Bericht des Museums für Völkerkunde über das Jahr 1902. Das Jahr 1902 hat in reichem Masse die Hoffnungen erfüllt, denen wir im letzten Bericht bei Gelegenheit des Rückblicks auf das erste Dezennium des Bestehens des Museums für Völkerkunde und des Ausblicks in seine Zukunft Worte geliehen. Weit über den bisherigen Durchschnitt hinaus floss uns Material zu, das zum grössten Teile für die Vollständigkeit unserer Sammlung von Wichtigkeit, zum nicht geringen auch von wissenschaftlich-ethnographischer Bedeutung war, und das für das Museum selbst insofern einen besonderen Wert besitzt, als es der Mehrheit nach Geschenken entstammt und beweist, dass das Museum sich seine alten Freunde erhalten und neue sich hinzuerworben hat. Diese Gewissheit bestärkt uns in der Überzeugung, auf dem richtigen Wege in unserer Museumsarbeit zu sein. Die Zugänge des vergangenen Jahres, die insgesamt diejenigen von 1901 um das Doppelte, soweit sie Geschenke sind, aber um das Sechs- fache übertreffen, beziehen sich vorzüglich auf die Abteilungen Asien, Afrika und Amerika, während die Südsee zurücktrat, Europa nur einige wenige Stücke lieferte und Australien ganz ausfiel. Die Borneo-Sammlung des Herrn Missionar Renken mit ihren zum Teil grossen und seltenen Objekten gab zusammen mit der von Herrn Präses Rabe überwiesenen Kollektion Anlass, die lange beabsichtigte Neuaufstellung der Abteilung »Malayischer Archipel« mit der Beschaffung eines grossen vierteiligen Schrankes für Borneo und die Philippinen zu beginnen, dessen durch- gehende Scheiben die durch Weite und Tiefe geschaffene Übersicht erhöhen. Für die durch die Herren Brockmann und Spethmann begonnene und auch im Berichtsjahre fortgeführte siamesische Sammlung musste die endgültige Aufstellung bis zum nächsten Jahre verschoben werden, da unsere Mittel zum Bau neuer Schränke nicht reichten, während die schönen Schenkungen des Herrn Bernhard Hempel-Amoy, sowie die Überweisungen des Herrn Rabe in vorhandenen Schaukästen passende Unterkunft finden konnten. In »Afrika« waren es besonders Deutsch- 170 und Britisch-Ostafrika, die von den Eingängen des Jahres Nutzen hatten. Auch für sie ist der Bau eines neuen Schrankes im kommenden Jahre in Aussicht genommen, ein dritter wird aller Wahrscheinlichkeit nach für »Westafrika« notwendig werden, und aus diesem Grunde sahen wir uns gezwungen, bei der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit um eine Erhöhung unseres nächstjährigen Budgets einzukommen, damit den Geschenken unserer Freunde eine angemessene und würdige Statt bereitet werden könnte. Die Gesellschaft hat in Anerkennung unserer Gründe in der Dezember-Beratungsversammlung die beantragte Erhöhung um M. 300,— bewilligt, die unterzeichnete Vorsteherschaft erlaubt sich, ihr auch an dieser Stelle ihren ergebenen Dank dafür aus- zusprechen. Die Zugänge der amerikanischen Abteilung, unter denen die von Herrn Konsul Behn geschenkten altmexikanischen Tonfiguren wegen ihres unersetzlichen und unvergänglichen wissenschaftlichen Wertes eine hervorragende Stelle einnehmen und einer besonderen Hervorhebung bedürfen, konnten durch vorteilhaftere Verteilung des vorhandenen Mate- tials in den bisherigen Schränken untergebracht werden. Die angedeuteten Aufstellungen und die mit dem Eingang so vieler Sachen verbundene Imventarisierung nahmen neben den sonstigen laufenden Geschäften einen grossen Teil der Museumsarbeit in Anspruch, deren Umfang dementsprechend in ständigem Wachsen begriffen ist. Es blieb so im vergangenen Jahre für die praktische Verwertung des Museums nicht ganz die Zeit übrig, die uns in den vorhergehenden zu Gebote stand. Trotzdem hat eine gesteigerte Anstrengung auch diese wichtige Seite der Museumsarbeit noch berücksichtigen können. Weiter- hin bildet andauernd den Gegenstand unserer Sorge die Beschaffung lebensgrosser Figuren und Gruppen zur besseren Darstellung der anthro- pologischen Charaktere der ethnographisch bei uns vertretenen Völker und zur anschaulicheren Illustration der tatsächlichen Verwendung des in den Schränken aufbewahrten materiellen Kulturbesitzes. Wir gebrauchen zur Durchführung unserer Absichten auf diesem dankbaren Gebiete vor Allem des Geldes, und zwar, da solches aus dem Budget noch auf Jahre hinaus nicht wird entnommen werden können, des Geldes von Privat- personen, die sich für unser Museum und seine Bestrebungen interessieren. Bislang ist ein Erfolg unseren Bemühungen nicht beschieden gewesen, doch geben wir die Hoffnung nicht auf, unser Ziel zu erreichen, das dem Museum für Völkerkunde mit einem Schlage die weitestgehende Aus- breitung seines Wirkungskreises und seiner Volkstümlichkeit sichern würde. Das gleiche Streben, die Ethnographie mit plastischen Mitteln dem allgemeineren Publikum nahezubringen, macht sich an den anderen Museen mit Erfolg bemerkbar; auch wir sind nicht gewillt, uns dieser 171 Forderung der Zeit zu entziehen, und wir möchten die Hoffnung aus- sprechen, dass der Hinweis dieses Jahresberichtes auf fruchtbaren Boden fällt und uns Geldmittel zuführt, die uns in den Stand setzen, die Wir- kungen unseres Museums in so energischer und ausgezeichneter Weise zu verstärken und zu vervielfachen. Von sonstiger Tätigkeit des Museums sei noch erwähnt, dass es sich im Berichtsjahre in die Reihe derjenigen Institute und Vereine stellte, die den ersten Deutschen Kolonialkongress im Oktober veranstaltet haben, und dass Herr Dr. Karutz einen kurzen Beitrag zu dessen Fest- schrift, enthaltend unsere Beziehungen zu den Kolonien, verfasst hat. Die persönliche Vertretung auf dem Kongresse war dem Herrn in letzter Stunde unmöglich geworden. | Die Verwertung des Museums für Völkerkunde umfasste Vorträge, Publikationen und Benutzung durch auswärtige Ethnographen. An den Sonntagsvorträgen des Winters war unsere Abteilung zweimal beteiligt. Herr Dr. Karutz sprach am 23. Februar über Deutsch-Südwest- Afrika unter Zugrundelesung namentlich der von Herrn Farmer Schlett- wein erworbenen Herero- und Ovambo-Sammlung und am 30. November über Geburt, Hochzeit und Tod im Leben des Chinesen, wobei die schönen, schon oben erwähnten Schenkungen des Herrn Hempel-Amoy demonstriert wurden. Der Besuch war beide Male sehr stark. Weiter sprach Herr Dr. Karutz am 26. August im Herrenabend der Gemeinnützigen Gesellschaft über einige der neuesten Erwerbungen des Museums für Völkerkunde und zeigte dabei Gegenstände aus der Sammlung des Herrn Missionar Renken sowie angekaufte Hörnermasken aus Kamerun und Loango. Von Pulikationen befinden sich zwei im Druck, deren Erscheinen im Beginne des nächsten Jahres zu erwarten steht. Vorsteherschaft und Verwaltung. Die Vorsteherschaft des Museums für Völkerkunde bestand aus den Herren Konsul Karl Behn, Direktor Dr. Schulze, J. Veers, ©. Weidmann, Konsul Scharff, Dr. Merkus. Vorsitzender war Herr Dr. Schulze. Mit Schluss des Jahres schied der letztere aus, an seine Stelle wurde Herr Admiral Riedel in die Vorsteherschaft gewählt. Das Budget schloss mit einem Fehlbetrage von fl 146,98 ab, der auf das Jahr 1903 übernommen wurde. 172 Die Vermehrung der Sammlung. Durch die freundliche Überweisung einer grossen Sammlung aus Asien und Ozeanien seitens des Herrn Präses Rabe und durch reichliche Zuwendung von Geschenken hat das Material des Museums für Völker- kunde im Berichtsjahre die bisher grösste Vermehrung, eine Zufuhr von im Ganzen 974 Nummern erlebt. Hiervon wurden 607 Nummern ge- schenkt, 79 Nummern angekauft und 283 Nummern unter Vorbehalt des Eigentumsrechtes überwiesen. Abzüglich dieser letzteren noch nicht dauernd unserem Besitzstande einverleibten Stücke hat sich also unser Material von 5762 Nummern auf 6448 Nummern erhöht. Die Geschenk- geber, denen allen .wir an dieser Stelle unseren warmen und herzlichen Dank wiederholen möchten, sind folgende: Frl. Altmann -Timmendorfer Strand, Herr Konsul Behn, Herr Hermann Buck, Frl. Anna Brandis, Herr Missionar E. Brutzer-Jimba bei Mombassa, Herr Chr. Brockmann-Bangkok, Herr Bernhard Hempel- Amoy, Herr Herrlich, Herr ©. F. Henkel, Herr L. Jauckens Santos, Herr F. Katen- kamp-Singapore, Herr Kapitän A. Kley (Reichs-Postdampfer »Gouverneure), Frau Knorre-Gere-Gere bei Kilwa, Herr Mundt, Herr Günther Tessmann, Herr Direktor Dr. Müller, Frau Dr. Nölting, Herr Missionar E. Renken- Mandomai, Herr Otto Sartori-Südpatagonien, Herr Schlettwein -Warmbad (Deutsch-Südwestafrika), Herr E. Spethmann-Bangkok. Die Erwerbungen. Europa. Finnland. Geschenke des Herrn Mundt-Lübeck: Zwei Körbe und ein Schuh aus Birkenrinde. Geschenk des Herrn Hermann Buck-Lübeck: Ein Dolchmesserchen und eine Soldatenmütze. Ungarn. Ankauf, eine Rachepuppe aus Wachs, vergl. »Globus« Bd. 80, Nr. 23. Russland. Geschenk des Herrn H. Buck-Lübeck: Eine Puppe aus Papiermache. Asien. Nord- und Mittelasien. Geschenk des Herrn Direktor Dr. Müller: Fünf Münzen aus Turkestan. Ostasien. China. Geschenk des Herrn Bernhard Hempel- Amoy: 20 Figurengruppen, einen Hochzeits- und einen Leichenzug dar- stellend, ein vollständiger Männeranzug, ein vollständiger Frauen- anzug, dreizehn Holzfiguren, Volksgötter von Amoy darstellend. 173 Geschenk des Herrn E. Spethmann-Bangkok: Zwei Pakete Räucherstäbe. Geschenk des Herrn Missionar Renken-Mandomai: Eine Laterne (Papier). Geschenk des Herrn F. Katenkamp-Singapore: 108 Münzen, darunter Tempelgeld in Messerform. Ankäufe: Drei Bronzefiguren (zwei Buddhas und ein Lama - Priester) aus Peking, eine Bronzeglocke, fünf Speckstein-Petschafte. Japan. Geschenk des Herrn Günther Tessmann-Lübeck: Ein Kästchen mit Puppen, ein Kasten mit Spielzeug, ein Bambus-Kamm, vier Tonpuppen. Ankauf: Zwei »Okimono« (Nippesfiguren) aus Buchsbaum und Elfen- bein, zwei »Netzki« (Gürtelzierstücke). Siam. Geschenk des Herrn Chr. Brockmann-Bangkok: Ein künstlicher Blumenstrauss, bei Beerdigungen an die Leidtragenden verteilt, sechs Schalen und Deckelgefässe aus Porzellan, zehn Münzen. Geschenk von Frl. Altmann - Timmendorfer Strand: Eine Buddha - Sta- tuette aus Bronze. Geschenk des Herrn E. Spethmann-Banskok: Eine bemalte Porzellan- platte von einer Tempelbedachung, ein Buddhakopf aus Bronze, zwei Handschälmühlen für Reis mit Tellern und Proben, vier Blatt- streifen mit Priesterschrift, drei ohne solche, sieben Stück Spielzeug aus Blättern, eines aus Papier, vierzig Tonpuppen, drei Tierfiguren aus Papiermache, vier Figurengruppen aus Ton, im Gebüsch zur Abwehr böser Geister aufgehängt, ein »San Prapum«, Holztempel mit Buddha-Statuette. Malayischer Archipel, Borneo. Geschenk des Herrn Missionar Renken-Mandomai: Ein Bambusgefäss, zwei Handbesen, ein Hut, drei Körbe, Modell eines Korbes, zwei Stück Kinderspielzeug (Wind- mühle und Kreisel), ein Flaschenzug, zwei Geräte zum Netzstricken, ein Holznagel, ein Löffel, ein Modell eines Segelschiffes, eine Paddel, ein Dolch, eine Messerklinge, zwei beim Totenfest gebrauchte Fähnchen, eine Flöte, eine »Balai Panti«, eine Puppe dazu, ein »Hampatum«, (oberhalb der Balai angebrachte Figur), ein hölzernes Schwert (Spielzeug), ein »Lanting manulak peres«, d. i. Floss zum Fortschicken von Seuchen, ein Modell von zwei sog. Papan Batang Lewu Lewu und Banama (Totenbretter mit Abbildung der Toten- stadt und des Totenschiffes). Talaur-Inseln. Ankauf: Ein Schild und ein Webstuhl mit angefan- genem Gewebe. Ankauf: Eine Buddha-Statuette aus Stein (Java). 174 Afrika. Deutsch-Ost-Afrika. Geschenk des Herrn Herrlich-Lübeck: Eine Mütze aus Sansıbar. Überwiesen vom Kgl. Museum für Völkerkunde, Berlin: Eine Hüft- schnur und eine Schnupftabaksdose der Wanyamwesi, ein Kriegs- kopfschmuck, ein Bogen, vier Pfeile, ein Speer, eine Schnupftabaks- dose der Wanyaturu, eine Schnupftabaksdose der Wahehe und eine der Massai, ein Paar Fussschellen der Wagogo, ein Fingerring, ein Modell einer Essschale der Dschagga, ein Messer mit Scheide aus West-Urundi, ein Halsschmuck und ein Köcher aus Ruanda, ein Köcher mit Pfeilen aus Karagwe, ein Köcher und ein Bogen aus Ufipa, ein Speer aus Urungu, eine Reuse und zwei Saugrohre aus Kisiba, ein Feuerholz der Wabunga, zwei Armringe und ein Fingerring der Wanyakyusa, ein Halsschmuck aus Ungoni. Geschenk von Frau Knorre, Plantage Gere-Gere bei Kilwa: Zwei Bogen und drei Pfeile aus Kilwa, eine Essschale und ein Kochtopf von Ton, ein Stuhl, drei Löffel, vier Wasserschöpfer, eine Holzschale, zwei Bambusteller, zwei Trinkschalen aus Bambus, eine Schale und Wasserschöpfer, eine Trommel, ein Saiteninstrument, eine Schnupf- tabaksdose, ein Lederbeutel, eine Tabakspfeife aus Holz, zwei Matten und drei Rollen Flechtmaterial dazu, von den Suaheli; ein Sessel, eine Kopfstütze, eine Wasserflasche, ein Trinkgefäss, ein Wasser- schöpfer, drei Rasseln, eine Tasche, ein Blas-Horn, zwei Keulen- Stöcke, ein Armring aus der Haut des Elefantenfusses, dreiund- zwanzig Armbänder aus Früchten, Elefantenschwanz - Borsten und Perlen, sieben Speere, ein Messer von den Wangoni. Portugiesisch-Öst-Afrika. Geschenk des Herrn Kapitän A. Kley (Reichspostdampfer »Gouverneur«): Ein Original-Rindenboot. Britisch-Ost-Afrika. Geschenk des Herrn Missionar E. Brutzer, Jimba bei Mombassa : Eine Sammlung von den Wakamba, enthaltend: Ein Täschehen mit Liebesamulett, zwei Fläschehen mit Amulett gegen Pfeilschuss, sechs sonstige Amulette, zwei Sessel, ein Bogen nebst Pfeil zum Aderlassen von Tieren, zwei Kriegsbogen mit Pfeilen und Köchern, ein Schwert mit Scheide, zwei Keulen, ein Kopfschmuck aus Giraffenmähne, neun Hüftschnüre aus Perlen, Eisen und Messing, zwei Ohrkettchen aus Messing, sechs Armringe aus Messing, Kupfer und Büffelhaut, ein 'Tragkorb-Schmuck aus Muscheln, zwei Löffel, ein Milchquirl, zwei Signalhörner, eine Hacke, ein Beutel aus Gras, eine Kürbisflasche. 175 West-Afrika. Geschenk des Herrn C. F. Henkel-Lübeck: Eine Holz- figur von der Loango-Küste. Überwiesen vom Kgl. Museum für Völkerkunde, Berlin: Eine Hüft- schnur, zwei Armringe, eine Schale, ein Biersieb, ein Spatel, ein Streithammer, vier Steingeräte aus Togo, eine Trommel der Bane, ein Medizinhorn, ein Amulettgehänge, eine Kugeltasche, eine Pulver- flasche, ein Blashorn, drei Spieimarken der Bule, eine Kürbisflasche, eine Glocke, ein Korb, eine Trommel, drei Pfeile aus Ngolo (Kamerun). Ankäufe: Zwei geschnitzte Häuptlingsstöcke und zwei Masken aus Kamerun, zwei Bricken aus Bonny, eine Harfe aus dem West- Sudän, eine Maske von der Loango-Küste (Hörnermaske aus Holz mit beweglichem Unterkiefer). *) Deutsch-Südwest-Afrika. Geschenk des Herrn Schlettwein-Warm- bad: Eine Buchu-Büchse, eine Fellmütze, drei Fellmäntel, drei Taschen der Herero, sieben Schurze und eine Matte der Hotten- totten, zwölf Pfeile, ein Dolch, zwei Bogen, eine Zither (Sansa) der Ovambo. Süd-Afrika. Ankauf: Eine Felszeichnung der Buschmänner. Amerika. Mittel-Amerika. Geschenk des Herrn Konsul Karl Behn-Lübeck: Siebzehn alt-mexikanische Hohlfiguren und Urnen aus Ton, bei Ixtlan del Rio ausgegraben, darunter Figuren von 40 cm Höhe. Geschenk von Frl. Anna Brandis-Lübeck: Drei Federbilder auf Karton, Darstellungen eines Hahnenkampfes, aus Mexiko. Süd-Amerika. Geschenk des Herrn Konsul L. Jauckens-Santos: Ein Blas- rohr vom Manaos, ein Häuptlingsbogen, zwanzig Pfeile, ein Körbchen, eine Halskette aus Affenzähnen, von den Bororö, vier Bogen, eine Hängematte, eine Pfeilspitze, ein Guaranä, (Medizin aus Paulinia sorbilis), zwei Steinbeile, ein Reibestein, zwei Pfeifenköpfe aus Sao Paulo, zwei Kürbisschalen aus Cearä, ein Lippenstift aus Harz nebst Frucht des letzteren, von den Cainäs, Schale und Topf aus Ton aus Paranapanema, eine Kürbisrassel und ein Honigbehälter aus Kürbis von den Guananys. Geschenk von Frau Dr. Nölting-Lübeck: Zwei Paar Schuhe aus Venezuela. *) Vergl. Dr. Karutz »Weitere afrikanische Hörnermasken«, Internat. Archiv für Ethnographie, Bd. XVI. S. 121. 176 Geschenk des Herrn Otto Sartori, Estancia Nueva Lubeca, Südpatago- nien: Zwei Paar Bastos (Frauensättel) mit Gurten und Schnüren dazu, eine Decke aus bemalter Kuhhaut. Ankauf: Fünf »Promesas«, silberne Amulettfigürchen aus ÜCaräcas. Ozeanien. Neu-Guinea. Ankäufe: Eine Trommel aus Holländisch Neu- Guinea, eine Kopfbank aus Kaiser-Wilhelms-Land, zwei Speere vom Ramu- Fluss, ein Knochendolch von Stephansort, fünf Haarringe, ein Speer von Huon-Golf, ein Betelbehälter, zwei Brustschmucke, ein Pfeil von Bogadjim, ein Angelhaken von Choiseul, ein Muschel-Armreif von Kaau, eine schwertförmige Keule, ein Gras- Frauenschurz von Astrolabe-Bai. Bismarck-Archipel. Überwiesen vom Kgl. Museum für Völkerkunde, Berlin: Eine Holzschale von den Admiralitätsinseln, ein Netz und ein Messer aus Perlmutter von St. Matthias. Ankäufe: Ein Schurz und drei Speere von den Admiraliätsinseln, vier Speere, ein Kamm von St. Matthias, ein Diwara-Halskragen, zwei Speere, ein Kap-Kap, drei ornamentierte Bambusrohre (zu Flöten ?) von Neu-Pommern, ein Speer, zwei Kalkstein-Figuren von Neu- Mecklenbure. Salomo-Inseln. Ankauf: Fünf Pfeile und ein Bogen. Mikronesien. Ein Tanzruder von Ponape, drei Auslegerstützen von Ruk. Bibliothek. Das Abonnement der Zeitschriften »Internationales Archiv für Ethnographie«, »Globus« und »Internationales Zentralblatt für Anthro- pologie« blieb im Berichtsjahre unverändert. Geschenkt wurden: ericht des Museums für Völkerkunde zu Hamburg über das Jahr 1901. Rijks Ethnographisch Museum te Leiden, Verslag ete. 1. Oktober 1900 bis 30. September 1901. Mitteilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten aus den deutschen Schutzgebieten. Bd. XV, von der Geographischen Gesellschaft zu Lübeck. Ethnographische Sammlungen des Ungarischen Nationalmuseums III. 177 Angekauft wurden: Jakobs »Das Schattentheater in seiner Wanderung vom Morgenland zum Abendland.« Grünwedel, »Buddhistische Kunst in Indien.« Ethnologisches Notizblatt, Bd. I. Ethnologisches Notizblatt, Bd. III, Heft 1. Paulitschke, Ethnographie und Anthropologie der Somäl, Galla und Harari. Selenka, Der Schmuck des Menschen. Hutter, Wanderungen im Hinterland von Kamerun. Schurtz, Altersklassen und Männerbünde. ® beats Sika ETF 179 Mitglieder - Verzeichnis. Ehrenvorsitzender. Sartori, Auyust, Professor. Vorstand. Lenz, H. W. Ch., Dr. phil., Professor, Lehrer am Realgymnasıum, Konservator des Naturhistorischen Museums, Vorsitzender. Schreiber, v., S,, Rentier, stellvertr. Vorsitzender. Karutz, Richard, Dr. med., Schriftführer. Sack, Dr. phil., Oberlehrer, 2. Schriftführer und Bibliothekar. Sauermann, F. C., Kaufmann, Kassenführer. Schulze, Franz Louis Karl, Dr. phil., Direktor der Navigationsschule. Schaumann, Major z. D. Ehrenmitglieder. Neumayer, v., Professor, Dr. phil., Wirklicher Geh. Admiralitätsrat, Excell., Direktor a. D. der Seewarte in Hamburg, Neustadt a/Haardt. Krauel, Richard, Dr. jur., Gesandter des Deutschen Reichs a. D. in Freiburg im Breisgau. Förster, Wilh., Dr. phil., Geh. Regierungsrat, Professor, Direktor der Kgl. Sternwarte in Berlin. Nansen, Frithjof, Professor, Christiania, Norwegen. Dr. Klügmann, Ausserordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister der Hansestädte, Excell., Berlin. Schaper, Dr. phil., Direktor des Realgymnasiums in Meiningen. Korrespondierende Mitglieder. Pauli, Gustav, Privatmann, Berlin W. Wissmann, v. H., Major, Dr. phil., Gut Weissenbach bei Graz in Steier- mark, Österreich. Kiepert, Rich., Dr. phil., Berlin. Deecke, Wilhelm, Dr. phil., Professor an der Universität Greifswald. Ave-Lallemant, Hermann, Professor an der Universität San Luis, Argentinien. Krüger, Paul, Dr. phil., Professor an der Universität Santiago, Chile. Hahn, Eduard, Dr., phil., Berlin. Ehrtmann, Ludwig, Konsul, Riga. 150 Hiesige Mitglieder. Baethcke, Ludwig Hermann, Dr. phil., Professor am Katharineum, seit 1882. Behn, Karl, Privatmann, Konsul, seit 1891. Behncke, Heinrich Leo, Kaufmann, Konsul, seit 1882. Behrens, Heinrich, Kaufmann, seit 1882. Bienert, Ado, Rechtsanwalt, seit 1903. Boye, Johannes Christian Gottfricd, Kaufmann, seit 1897. brattström, Karl Alfred, Kaufmann, seit 1882. Brecht, Ernst Walter, Geheimer Regierungsrat, Direktor der Lübeck- Büchener Eisenbahn - Gesellschaft, seit 1882. Brehmer, Wilhelm, Dr. jur., Senator, seit 1883. Brockmöller, Heinrich Johann Julius, Schiffer, seit 1892. Bruch, Valentin, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, seit 1901. Brüsch, Wilhelm Karl Adolf, Dr. phil., Oberlehrer am Realgsymnasium, seit 1901. Buck, Heinrich Theodor, Kaufmann, seit 1882. Burmester, Johannes Jakob, Schiffsmakler, seit 1883. Carstens, Ernst Heinrich Karl, Kaufmann, seit 1885. Carstens, Kasimir, Privatmann, seit 1893. Coleman, Charles, Buchdruckereibesitzer, seit 1887. Daniels, August, Postdirektor, seit 1901. Diestel, Johannes Franz Paul, Vermessungsdirektor, seit 1885. Elle, Otto, Oberförster, seit 1902. Erasmi, Adolf, Kaufmann, seit 1882. Erasmi, Heinrich Christian Theodor, Kaufmann, seit 1887. Ernst, Karl Johann Friedrich, Dr. phil., Professor am Realgymnasium, seit 1901. Eschenburg, Bernhard Friedrich, Dr. phil., Professor am Katharineum, seit 1882. Eschenburg, Johann Hermann, Kaufmann, Senator, seit 1891. Faber, Otto Ludwig, Privatmann, Konsul, seit 1888. Fehling, Emil Ferdinand, Dr. jur., Senator, seit 1884. Fehling, Hermann Wilhelm, Kaufmann, seit 1882. Flügel, Paul, Ingenieur, seit 1902. Frank, Wolfgang, Dr. phil., Oberlehrer am Realgymnasium, seit 1903. Freund, Karl Gottfried Heinrich, Dr. phil., Professor am Realgymnasium, seit 1885. Fromm, Rudolph Friedrich Wilhelm, Kaufmann, seit 1900. Gaedertz, Heinrich, Schiffsmakler, seit 1882. Gaedertz, Paul Maximilian, Schiffsmakler, seit 1896. 181 Genzken, Wilhelm Hermann August, Dr. phil., Professor am Katharineum, seit 1883. Gilbert, Hugo, Dr. phil., Oberlehrer am Realgyınnasium, seit 1903. Gosch, Heinrich Rudolph, Kaufmann, seit 1897. Görtz, Heinrich Adolf, Dr. jur., Rechtsanwalt, seit 1883. Hahn, Julius Hermann, Kaufmann, seit 1392. Hamann, Johann Heinrich Wilhelm, Kaufmann, seit 1896. Hammerich, Adolf Johann Karl, Dr. med., Arzt, seit 18382. Hartwig, Friedrich Heinrich Johannes, Kaufmann, seit 1885. Hasselbring, Karl, Kaufmann, seit 1904. Hausberg, Hewmrich, Dr. phil., Professor am Katharineum, seit 1883. Haxthausen, Otto, Freiherr von, Privatmann, seit 1898. Heberle, Karl Wilhelm Otto, Oberlehrer am Katharineum, seit 1898. Hegewisch, Bernhard, Zahnarzt, seit 1902. Heitmann, Johannes Adolph, Schiffer, seit 1883. Heyke, Wilhelm Heinrich, Kaufmann, seit 1882. Hoffmann, Paul Moritz, Direktor der staatl. höh. Mädchenschule (Ernestinen- schule), seit 1882. Janecke, Fustav, Kaufmann, seit 1904. Jänisch, Edmund, Stadtrat a. D., seit 1885. Jorns, Christian Franz Johannes August, Professor am Realgymnasium, seit 1332. Karutz, Heinrich Ludwig Matthias Richard, Dr., med., Arzt, seit 1896. Klug, Heinrich, Dr. jur., Bürgermeister, seit 1882. Kohrs, Wilhelm, Bankier, seit 1898. Köhnke, Karl, Kaufmann, seit 1902. Krauss, Joseph, Navigationslehrer, seit 1903. Krohn, Karl Heinrich August, Vice-Konsul der vereinigten Staaten von Venezuela, seit 1882. Kühne, Heinrich Ludwig, Kontreadmiral a. D., seit 1909. Küstermann, Friedrich Hermann, Dr. phil., Professor amı Katharineum, seit 1882. Lange, Theodor Adolf Eduard, Privatmann, seit 1899. Lenz, Heinrich Wilhelm Christian, Dr. phil., Professor, Lehrer am Realgymnasium, seit 1382. LDienau, Cay, Dr. jur., Staatsanwalt, seit 1895. Linde, Friedrich August Hermann, Privatmann, seit 1882. Lucht, Christian, Privatmann, seit 1904. Lübcke, Robert Martin Christian August Gottlicb Ludwig, Buchhändler, seit 1837. Mahn, Heinrich, Oberlehrer a. d. Baugewerkschule, seit 1902. Merkus, Johann Kaspar Wilhelm, Dr. iur., Privatmann, seit 1592. Me/storff, Peter Johann Adolf, Kaufmann, seit 159). Meyer-Tranbjerg, Theodor Amandus, Zahnarzt, seit 1591, 182 Meyer, Lud. Alb., Dr. phil., Oberlehrer am Realgymnasium, seit 1902. Michelsen, Karl Christian Sophus, Stadtrat a. D., seit 1899. Mollwo, Ludwig Wilhelm Heinrich, Professor am Katharineum, seit 1382. Möbusz, Albin, Dr. phil., Direktor d. Lehrer-Seminars, seit 1903. Möller, Johannes Friedrich Jacob, Schiffsmakler, seit 1901. Möller, Rudolf Heinrich Karl, Kaufmann, seit 1902. Müller, Ernst Ludwig Julius, Dr. phil., Professor, Direktor des Real- gymnasiums, seit 1882. Nachtwey, Heinrich Johannes Friedrich, Schiffer, seit 1892. Neumann, Johann Martin Andreas, Dr. jur., Landrichter, seit 1394. Nottebohm, Johannes Theodor Abraham, Privatmann, seit 1901. Nöhring, Johannes Heinrich Franz, Kunstverleger, seit 1885. Ohlsen, Simon Heinrich Gottfried, Schiffer, seit 1894. Ohnesorge, Eduard Friedrich Wilhelm, Dr. phil., Professor am Katharineum, seit 1899. Otte, Hermann Karl Peter, Direktor der Kommerzbank in Lübeck, seit 1883. Pabst, Gustav, Dr. jur., Direktor des Statistischen Amtes, seit 1882. Pauli, Anton Philipp, Dr. med., Arzt, seit 1883. Pauls, Ehrich, Oberlehrer am Realgymnasium, seit 1903. Peters, Berthold Adolf August, Kaufmann seit 1893. Pierstorff, Theodor, Schiffer, seit 1883. Plesfing, Karl Theodor, Kaufmann, Bayerischer Konsul, seit 1886. Posfehl, Johann Ludwig Emil, Kaufmann, Senator, seit 1883. Rathgens, Johann Nikolaus Heinrich, Druckereibesitzer, seit 1882. Raihgens, Karl Gottfried Lucian, Druckereibesitzer, seit 1892. Rehder, James, Kaufmann, Belgischer Konsul, seit 1884. Rehder, Peter, Ober-Wasserbaudirektor, seit 1885. Rehtwisch, Julius Friedrich, Privatmann, seit 1895. Reimann, Gustav Adolph, Dr. phil., Vorsteher der von Grossheim’schen Realschule, seit 1882. Reimpell, Georg, Kaufmann, seit 1896. Rey, Paul Wilhelm Adolf, Kaufmann, seit 1899. Reihnen, Georg Wilhelm Ludwig, Steuerrat, seit 1899. Rose, Johannes Adolph, Dr. med., Arzt, seit 1882. Rose, Adolph, Kaufmann, seit 1885. Rösing, Oskar Heinr., Privatmann, seit 1903. Sack, Gustav, Dr. phil, Oberlehrer am Katharineum, seit 1899. Sartori, Heinrich Friedrich Theodor, Architekt und Zimmermeister, seit 1883. Sauermann, Friedrich Carl, Kaufmann, seit 1882. Scharff, Heinrich Gustav, Kommerzienrat, Kaufmann, seit 1887. Scharff, Karl, Brasilianischer Vice-Konsul, seit 1895. Schaumann, Gustav Friedrich August Georg, Major a. D., seit 1900. 183 Schmedes, Christian Nikolaus Wilhelm Adolph, Geheimer Justizrat a. D., seit 1897. Schmidt, Gustar Julius Ludwig, Zahnarzt. seit 1883. Schmidt, Max, Buchdruckereibesitzer, seit 1885. Schneermann, Karl Konrad Josef, Professor am Katharineum, seit 1890. Schorer, Theodor, Gerichtschemiker, seit 1883. Schreiber, Sigismund von, Privatmann, seit 1883. Schröder, Karl Nicolaus, Kaufmann, seit 1896. Schultz, Aug. Heinr., Kaufmann, seit 1902. Schultz, Heinrich Joseph Georg August, Kaufmann, Spanischer Vice-Konsul, seit 1883. Schulze, Franz Louis Karl, Dr. phil., Direktor der Navigationsschule, seit 1886. Schweighoffer, Anton Christian Lowis, Fabrikant, seit 1900. Siemers, Eduard Rudolf Wilhelm, Dr. med., Arzt, seit 189). Siem/sen, Christian August, Kaufmann, seit 1883. Sönnichsen, Peter Wilhelm, Architekt, seit 1396. Steffen, Jakob Hinrich, Schiffer, seit 1893. Stolz, Emil, Werftdirektor, seit 1904. Strinz, Paul, Navigationslehrer, seit 1904. Struck, Rud., Dr. med., Arzt, seit 1902. Tegtmeyer, Herm., Kaufmann, seit 1903. Tesdorpf, Karl Ernesto, Kunstverleger, seit 1902. Trummer, Ludwig Adolph, Hauptpastor, seit 1593. Uter, Friedrich Christian Wilhelm, Dr. med., Arzt, seit 1896. Veers, Johann Heinrich, Privatmann, seit 1890. Warncke, Hermann, Kaufmann, Schwed.-Norw. Vice-Konsul, seit 1884. Wattenberg, Oskar, Dr. med., dirigierender Arzt an der Staats-Irrenanstalt, seit 1892. Weidmann, Konrad, Maler, seit 1892. Werner, Gustav Ferdinand, Kaufmann, seit 1882. Weyrowitz, Karl Friedrich August, Rechtsanwalt, seit 1899. Weyrowitz, Karl Johann, Kaufmann, seit 1885. Wodick, Edmund, Amtsrichter a. D., Ziegeleibesitzer, seit 1893. Wolpmann, Emil, Kaufmann, Senator, seit 1893. Zillich, Johannes, Dr. phil., Oberlehrer an der staatl. höh. Mädchenschule (Ernestinenschule), seit 1884. Ausserordentliche Mitglieder. Sonder, Chr., Dr. phil., Apothekenbesitzer in Oldesloe. 184 Verzeichnis der Gesellschaften, Vereine, Redaktionen, mit denen die Geographische Gesellschaft in Lübeck im Schriftenaustausch steht. Deutschland. Berlin, Gesellschaft für Erdkunde. Zeitschrift 1902. 1903. 1904, 1—2. — Zentralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande. Export 1902, 1903, 1904, 1—-5. — Deutsche Kolonialgesellschaft. Deutsche Kolonialzeitung 1902, 1903, 1904, 1—9. bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Sitzungs- bericht 1902. 1903. Bremen, Geographische Gesellschaft. Deutsche geograph. Blätter 1902, 1903, 1904, 1. Dresden, Verein für Erdkunde. Jahresbericht 1904. — Sächsisches Meteorologisches Institut. Jahrbuch 1899, 1 und 2; Bericht 1898; Monatsberichte 1901. 1902. Elberfeld, Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht 10. Heft, 1903. Frankfurt a. M., Verein für Geographie und Statistik. Jahresbericht 190169319027 71903: Giessen, Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. 33. Bericht 1899 — 1902. — Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde. Geograph. Mitteilungen aus Hessen 1901. Greifswald, Geographische Gesellschaft. Jahresbericht 1903. Halle a. $., Verein für Erdkunde. Mitteilg. für 1902—1903. — Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische Deutsche Akademie für Naturforscher. Hamburg, Geographische Gesellschaft. 18. Bd. Mitteilg. 1902. — Kaiserliche Seewarte. 23. Jahresbericht 1901. Jena, (seographische Gesellschaft in Thüringen. 20. Bd. Mitteilungen 1903. 185 Kassel, Verein für Naturfreunde. 47. Bericht 1902. 48. Bericht 1903. Kiel, Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig - Holstein. Schriften Bd. XI, 2. 1902. Bd. XIII, 1. 1904. Köln, Gesellschaft für Erdkunde. Königsberg, Geographische Gesellschaft. Festschrift. 100 Verhandlg. v. 1881— 1898. Leipzig, Verein für. Erdkunde. Mitteilg. 1901 u. 1902. — Museum für Völkerkunde. Metz, Verein für Erdkunde. München, Gesellschaft für Erdkunde. Jahresbericht 1900—1902. — Ormithologischer Verein. III. Jahresbericht für 1901 u. 1902. — Erdmagnetisches Observatorium der Kgl. Sternwarte. Veröffent- lichungen, Heft 1, 1904. Nürnberg, Naturforschende Gesellschaft, Abhandlungen Bd. XIL, XIII, XV. Osnabrück, Naturwissenschaftlicher Verein, 15. Jahresber. f. 1901—2. 1903. Stettin, Verein zur Förderung überseeischer Handelsbeziehungen, 30. Jahres- bericht 1902. — Gesellschaft für Völker- und Erdkunde. Jahresberichte 1902—1903. Stuttgart, Württembergischer Verein für Handelsgeographie und Förde- rung deutscher Interessen im Auslande. Zwickau, Verein für Naturkunde. Jahresbericht 1901. Österreich. Herrmannstadt, Siebenbürger - Karpathenverein. 22. und 23. Jahrbuch 1902 und 1903. Linz «. D., Museum Francisco -Karolinum. 60. Jahresbericht 1902. — 61. Jahresbericht 1903. Wien, Geographische Gesellschaft. Abhandlg. 1902. 1—6, Mitteilg. 1903, 1. — K.K. Geologische Reichsanstalt. Verhandlg. 1902, 1-18; 1903, 1-18. — K.K. Naturhistorisch. Hofmuseum. Annalen Bd. XVII. Bd.XVIIL1-3. — Verein der Geographen an der Universität Wien. Bericht 1901. 1902. — K.K.Militärgeographisch. Institut. 21. Bd. Mitteilg. 1901; 22. Bd. 1902. — Astronomisch-geodätische Arbeiten 1901. 1902. — Internationale Erdmessung. Astronomische Arbeiten 1903. — Redaktion der Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik. Schweiz. bern, Geographische Gesellschaft. Jahresbericht 1898—99. — Schweizerische Naturforschende Gesellschaft. Compte rendu 1901, 1902. 84. u. 85. Sess. 186 Bern, Naturforschende Gesellschaft von Bern. Mitteilungen 1519—1550, 1902-—1903. Genf, Societe de Geographie. Le Globe. Bulletin 1901.--1902, 1—2, 1902—1903, 1. Memoires 1902. Neuchätel, Societ6E Neuchäteloise de Geographie. Bulletin 1902—3. Winterthur, Naturwissenschaftl. Gesellschaft. Mitteilg. 1—4. 1898 — 1902. Zürich, Geographisch-ethnographische Gesellschaft. Jahresber. 1901—2. Holland. Amsterdam, Koninklyk Nederlandsch Aardrijkskundig Genootschap. Tijd- schrift, 1902. 1903. 1904, 1. Belgien. Brüssel, Societe Royale Belge de Geographie. Bulletin 1902, 1-6. 1903, 1-6. Frankreich. | Paris, Societe de Geographie commerciale. Bull. 1902, 1—12. 1905, 1—12. | — Le Tour du Monde 1902, 1—52. 1903, 1—52. 1904, 1—10. Rochefort sur Mer, Societe de Geographie. Bulletin 1901, 1—4. 1902, 1—4. 1905, 1. Portugal. Lissabon, Sociedade de Geographia. Boletim 1902, 1—12. 1903, 1—12. Grossbritannien. Manchester, Geographical Society. Journal 1901, 1—12. 1902, 1—3 und 10—12. 1903, 1—3. Schweden und Norwegen. Bergen, Redaktion der Zeitschrift „Naturen“. 1902, 1—2. 1903, 1—12 1904, 1—2. | — Bergens Museum. Aarberetning f. 1902. Aarborg 1902 u. 1903, 1—3. Stavanger, Museum, Aarsberetning f. 1901. 1902. 1903. Stockholm, Svenske Sällskapet för Antropologi och Geografi. Ymer 1902. 1—4, 1903, 1—4. — Svenska Turist Föreningen. Aarskrift 1903, 187 Russland. Helsingfors, Sällskapet för Finlands Geografi. — Geografiska Föreningen i Finland. — Societas pro Fauna et Flora Fennica Kasan, Societe des Naturalistes de l’Universite. St. Petersburg, K. Russische Geographische Gesellschaft. Istvestija 1902, 1—4. 1903, 1—3. Otschet 1901. Amerika. Madison, Wisconsin, State Historical Society. — Academy of Sciences, Arts and Letters. New-York, American Geographical Society. Bulletin 1902, 1—5. 1903, 1—5. San Francisco, Geographical Society of the Pacific. 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Bellinghausens Forschungsreisen im südlichen Eismeer 1902. Metereologisches Jahrbuch. Chemnitz 1903. Die Stella Polare im Eismeer. Verhandlungen des Deutschen. Kolonial-Kongresses 1902. Festschrift des 14. Deutschen Geographentages zu Cöln 1903. Verhandlungen des 14. Deutschen Geographentages zu Cöln 1903. Bericht über die Ferdinand von Richthofen-Stiftung 1903. R. Karutz, Engano Popolo. Sep.-Abdr. a. d. Globus, 1903. Kirchhoff und Regel: Bericht über die neuere Literatur zur deutschen Landeskunde. Bd. II (1900 u. 1901). 1904. Conwentz, Schutz der natürlichen Landschaft. 1905. (Sep.-Abdr. a. d. Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. in Berlin.) — Die Erhaltung der Naturdenkmäler. 1904. Gaebler, Wandkarte von Afrika. 1903. 189 B. Durch Abonnement wurden erworben: 1. Petermanns Mitteilungen. 2. Globus. 3. Deutsches Kolonialblatt und Mitteilungen aus den deutschen Schutz- gebieten. 4. Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie. Angewandte Geographie. Hettner, Geographische Zeitschrift. Sea] Mitteilungen und Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpen- vereins. Zeitschrift für Binnenschiffahrt. Abgeschlossen am 30. April 1904. ee j se / 2 123 N Dal ASIEN ED Druck von Max Schmidt in Lübeck. > ı 7 x Er # # usa) Die oral BAR ? \ % 13: nn v ir \ \ f % y tr Fi A .i» ” rer f , 5 f u x LE” N N Bien, LA Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums LÜBECK. Herausgegeben vom Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. — IF aA Inr,,;: Heft 19. MF PN Übung, Io r, ( DEC2Z 1994 a — — . Vabion | MusguM Y, Lübeck. ZLUuUbcEe & Nöhrine. 1904. Mitteilungen il (eographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums LÜBECK. Herausgegeben vom Redaktions-Ausschuss. Char Ev facket ana or "17 Zweite Reihe. Heft 19. — Lübeck. Liıbeke 2’ SsyhrIize Inhaltsverzeichnis. Dr. Rudolf Struck. Beiträge zur Kenntnis der Trichopterenlarven. II . Ss. Dr. Rudolf Struck. Der baltische Höhenrücken in Holstein. Ein Beitrag zur Geographie und Geologie Holsteins, mit 11 Tafeln und 1 Karte . >» Berichtigung: Auf S. 48, 19. Z. v. oben lies statt Dreck-See — Diek-See. an DE il. ars i Hai ji BE gatl ie na malafall ai ufofhaidor a ARE a le ER al ale 1 Beiträge zur Kenntnis der Triehopterenlarven. II, Von Dr. Rudolf Struck Lübeck. — De mu eh : r N > 2 \ IR. SE NE RR BR u ER 200 UON Ö t « N Ai | une taBuR Ace a lea | f s 5 i . BR L ’ ‘ et ? j ‘ h 5 . v * ! N \ | D x { h ‘ x D N 2 # ıl Ps A. \ { ” u u Die Metamorphose von Neuronia clathrata, Kol. D;. Metamorphose von Neuronia rufierus, Scop. ward 1893 von Klapälek,') diejenige von Neuronia reticulata, L. von Silfvenius?) und von mir) im vorigen Jahre veröffentlicht. Im Folgenden möge die bisher unbe- kannte Metamporhose der dritten in Deutschland vorkommenden Neuronia- Ärt, Neuronia elathrata, Kol, die ich im letzten Frühjahre (1903) kennen zu lernen Gelegenheit hatte, beschrieben werden. Die raupenförmige Larve ist 20—22 mm lang und 3—4 mm breit. Ihr Kopf ist von länglich eiförmiger, dorso-ventral komprimierter Form, von gelbbräunlicher Grundfarbe und zeigt ähnliche, aber weit mehr in die Breite gehende und daher diesem Körperteile ein recht dunkles Kolorit verleihende, braunschwarze Zeichnungen wie bei der Larve von Neuronia retieulata, L. Wie bei dieser verlaufen vom Hinterhauptsloche bis zur Mandibel- basis entlang der Gabellinie und ihren, den auf dieselbe Weise wie bei der genannten Larve gestalteten Clypeus einschliessenden Ästen, sich diesen eng anschliessend, zwei anfänglich schmale, bereits auf dem Scheitel aber sich stark verbreiternde, braunschwarze Binden, welche auch nach aussen ziemlich scharf umrandet sind. Parallel diesen Binden und von ihnen nur durch die sehr feinen Umrandungslinien des Clvpeus getrennt, erstrecken sich auf dem Ölypeus von seiner Spitze — hier verschmelzend — bis zur sehr hell tingierten Zwischengelenkmembran, zwei mässig breite dunkle Binden. Der zwischen ihnen übrig bleibende, schmale, binden- förmige Teil des Clypeus, der sich im vorderen Teile leicht verbreitert, ist von gelbbrauner Grundfarbe. *) Klapälek, Metamorphose der Trichopteren. II. Serie. 1893. ®) A. J. Silfvenius. Über die Metamorphose einiger Phryganeiden und Limno- philiden II. Acta Societatis pro Fauna et Flora Fennica. 25. No. 4. °) Struck, Beiträge zur Kenntnis der Trichopterenlarven. Mitteilungen des naturhistorischen Museums zu Lübeck, Heft 17. 1903. 4 In gleicher Weise tingiert ist der beiderseits zwischen den Gabel- linienbinden und den breiten, braunschwarzen, geschlossenen pleuralen Binden vom Hinterhauptlochsrande bis zu den weisslichen, runden Augenhöfen sich erstreckende Teil der Pleura. Die übrigen seitlichen und an der Unterseite des Kopfes befindlichen Partieen der Pleuren sind bräunlich gefärbt. Quer über die Letzteren zieht von einer Seite zur andern eine Reihe von dunklen Punkten. Von den Mundteilen sind die Oberlippe und die Unterlippe in analoger Weise wie bei der Larve von Neuronia reticulata, L. gebildet. Die in ihren basalen Teilen gelbbräunlich, im übrigen braunschwarz gefärbten Mandibeln sind hohlmeisselförmig zugespitzt. Neben der Spitze stehen bei der linken Mandibel auf der oberen Schneide drei, auf der unteren zwei Zähne; bei der rechten Mandibel oben und unten je zwei Zähne. Die Grössenverhältnisse der Brustsegmente zu einander und zum Kopfe sind dieselben wie bei der Larve von Neuronia reticulata, L. Wie bei dieser ist nur der Prothorax mit einem, seitlich bis zu den Stützplättehen der Stützfortsätze reichenden, hornigen Schilde bedeckt. Derselbe ist an den Vorderecken abgerundet, an den Hinterecken eckig und wird an den Letzteren und in den hinteren Hälften der Seitenränder von einem breiten dunklen Saume, in den vorderen Hälften der Seiten- ränder und am Vorderrande von einem sehr schwach ausgeprägten, dunklen Saume eingefasst. Der Vorderrand ist in der Mitte mit einer schwach analwärts, der Hinterrand mit einer stark oralwärts gerichteten Einbuchtung versehen. Die Grundfarbe des Pronotums ist bis auf eine Reihe von einzelnen und in kleinen Bögen angeordneten, hellen Punkten, welche sich zwischen der Mitte des Hinterrandes und dem Vorderrande hinziehen, bräunlich; nur die. seitlichen Teile derselben, sowie häufig eine, in der dorsalen Mittellinie verlaufende, schmale Binde sind heller (hellbräunlich) tingiert. Von der Mitte des Seitenrandes verläuft bis nach -der Mitte des Hinterrandes beiderseits über die Pronotumsoberfläche, auf welcher im übrigen, ebenso wie am Vorderrande nur spärliche, längere, dunkle Haarborsten in ähnlicher Anzahl und Anordnung wie bei der Larve von Neuronia retieulata, L. stehen, eine feine dunkle Linie. Der Meso- und Metathorax sind häutig und bei der lebenden Larve von eraugrüner Farbe. Ihre dorsale Oberfläche ist mit hellen gelblichen, in Punkten aufgelösten Linien in ähnlicher Anordnung wie bei der eenannten Larve verziert. Gleichfalls wie bei dieser befinden sich auch hier auf jeder Oberfläche drei Paar rundlicher, stärker chitinisierter, leicht erhabener Flecke und zwar je ein grösseres, mit 3—4 Borsten versehenes Paar in der Mitte der seitlichen Teile, und die beiden anderen, kleinen, nur je eine Borste tragenden Paare, nahe und symmetrisch zur dorsalen Medianlinie in den vorderen und hinteren Dritteln des Segments. 5 Von besonderer Wichtigkeit ist, dass die auf der Mesonotumober- fläche der Neuronia reticulata, L.-Larve vorkommenden, sich an die jm vorderen Drittel befindlichen, kleinen Chitinflecken in lateral-ventraler Richtung anschliessenden grösseren, rundlichen, braunen, hellgetüpfelten Flecken, welche die daselbst oral-anal verlaufenden Zierlinien unterbrechen, bei der N.-clathrata, Kol.-Larve nicht vorhanden sind. Hierdurch ist dieselbe von jener leicht und sicher zu unterscheiden. Die Stützfortsätze sind an allen Brustringen kräftig ausgebildet. Der Fortsatz des ersten Ringes ist wie bei der Larve von Neuronia reticulata, L. mit zwei Stützplättchen, einem dreieckigen und einem winkelförmigen bedeckt. Die gelben Stützplättchen der beiden anderen Stützfortsätze sind von polygonaler Form und mit zwei sich kreuzenden, dorsal-ventral und oral-anal verlaufenden dunklen Chitinleisten versehen. Die Beine sind von gelbbräunlicher Farbe. Die Chitinteile sind nur an den Coxalgliedern und am unteren Ende der Oberschenkel deutlich dunkler gesäumt. Das erste, als Greiforgan organisierte Bein- paar, ist kürzer als die beiden anderen, seine einzelnen Glieder, besonders der Femur und die Tibia sind gedrungener und breiter als die der anderen Beinpaare. Die innere Kante aller Beine ist am Trochanter und am Femur mit einem feinen Borstenkamme besetzt; am zweiten und dritten Beinpaare auch die der Tibien und der Tarsen, doch sind hier die Kämme von geringerer Höhe als an den Oberschenkeln und Trochanteren. An den Let,teren sind die Borsten teilweise von haar- förmiger Länge und zudem gekrümmt. An der Innenkante der Oberschenkel des zweiten und dritten Bein- paares befinden sich ferner zwei längere, steife, helle, an der aller Trochan- teren 1—2 längere dunkle Borsten, und zerstreut an allen Gliedern ver- einzelte längere schwarze Haarborsten. An allen Beinpaaren steht endlich am Basalteile der schlanken, kräftigen Klaue, sowie am unteren Ende der Tibia und am zweiten und dritten Beinpaare auch an der Innseite des unteren Teiles der Tibia, ein gelblicher Dorn. Die bei der lebenden Larve graugrünen Abdominalsegmente sind durch kräftig ausgeprägte Strikturen voneinander geschieden. Die Höcker des ersten Abdominalsegments, die Seitenlinie und die Kiemenfäden sind in analoger Weise organisiert wie bei der Larve von Neuronia reticulata, L. Der Hinterrand der Rückenschuppe des neunten Segmentes ist in einen stumpfen Fortsatz analwärts ausgezogen. Derselbe ist mit einem acht- eckigen, stark chitinisierten, gelblichen und mit vier dunklen, langen, steifen, Haarborsten bewehrten Schilde, dessen vorderer Rand analwärts eingebuchtet ist, bedeckt. (Fig. 1.) Der Rücken des rudimentairen zehnten Abdominalsegments . ist durch zwei annähernd quadranguläre, gelbliche Chitinschilder versteift. Dieselben reichen medianwärts nicht so weit an die Analspalte heran, 6 wie die gleichen Schilder bei Neuronia reticulata, L., auch ist die median belegene Ecke des hinteren Randes derselben nicht in eine deutliche Spitze ausgezogen. Ihr hinterer Rand trägt 4 lange, steife dunkle Borsten. Die Nachschieber sind zweigliedrig, jede Klaue ist mit 3 nach aussen gerichteten Rückenhäkchen versehen. Neuronia clathrata, Kol. 1. Hinterleibsende der Larve °ı. 2. Stirnfortsatz der Nymphe. 3. Labrum und Mandibula der Nymphe ca. °° ®%/ı. 4. Haft- fortsatz des ersten Abdominalsegmentes ca. °’ı. 5. Hinterleibsende der Nymphe ca. 'ı. Alle Figuren in dorsaler Ansicht. Die Nymphe ist ca. 18 mm lang und 3—4 mm breit. Die zur Untersuchung vorliegenden Exemplare sind noch wenig ausgefärbt, im allgemeinen von hlassbrauner, die Thoracalsegmente von brauner Farbe. Der Kopf ist von quereiförmiger Form. Die Stirne ist oralwärts in einen zugespitzten, mit langen dunklen Borsten bewehrten Fortsatz von der Gestalt wie es die Figur 2 zeigt, verlängert. Zwischen den Fühlern stehen zwei Borsten. Die Fühler selbst sind fadenförmig und reichen bis zum Ende des fünften Segments. Ihr basales Glied ist plumper als die übrigen Glieder. Die Palpi maxillares und die Labialtaster, ebenso die Oberlippe und die Mandibeln sind von nahezu gleicher Gestalt und Ausbildung wie bei der Nymphe von Neuronia reticulata, L. In den lateralen Teilen des in eine stumpfe Spitze vorgezogenen Vorderrandes stehen bei dieser Nymphe nicht 2, sondern 4 Borsten (Figur 3). Die Mandibeln sind ebenso abweichend von den Mandibeln der anderen be- kannten Phryganeidaepuppen organisiert und von plumper, zapfenförmiger Gestalt mit sehr kurzer, spitzenförmiger Schneide; auf ihrer lateralen Oberfläche stehen 2 längere Borsten. Wie die Nymphen mit diesen offenbar rückgebildeten Organen die Gehäuse zu öffnen in der Lage sind, ist schwer verständlich. Von dem Haft- und Bewegungsapparate sind die auf dem 3.—7. Abdominalringe befindlichen Teile kräftig ausgebildet. Der Haftapparat des ersten Abdominalringes ist, in Gestalt eines schmalen, pyramiden- förmigen, am distalen Ende in zwei leicht lateral divergierende Spitzen geteilten, haarborstenfreien Fortsatzes am postsegmentalen Rückenschuppen- rande, und verhältnismässig schwach entwickelt (Figur 4). Die dorsalen Oberflächen des 3. bis 7. Segmentes inkl. tragen nahe dem praesegmentalen Rande zwei symmetrisch zur Medianlinie stehende, braune Chitinplättchen mit braunschwarzen, analgerichteten Häkchen, und zwar: a das dritte Segment 9—11 Häkchen » vierte » IN—Il.l » » fünfte » 13—17 > » sechste » 12—13 > siebente » 13—15 >» Das fünfte Segment ist ausserdem an seinem, in gleicher Weise wie bei den anderen Phryganeidaenymphen organisierten, postsegmentalen Rückenschuppenrande mit 2 grösseren Chitinplättchen mit 15—17 oral- wärts gerichteten Häkchen ausgerüstet. Die Seitenlinie ist in der gewöhnlichen Weise ausgebildet. Die Kiemenfäden stehen einzeln und in ähnlicher Anordnung wie bei der Larve. Das letzte verschmälerte und dorso-ventral komprimierte Abdominal- segment ist in zwei massive, oblonge, schwach divergierende Fortsätze verlängert (Figur 5). Die median belegenen Ecken der hinteren Ränder derselben sind in kurze stumpfe Spitzen ausgezogen. Nahe den lateral belegenen Ecken derselben Ränder stehen 3 lange Borsten, ebenso je eine Borste von gleicher Beschaffenheit ziemlich in der Mitte der dorsalen Oberfläche der Fortsätze, sowie je eine in den lateralen Partien des basalen Teiles, und ferner 4 (jederseits zwei in gleichem Abstande von der Medianlinie) an der ventralen Oberfläche desselben Segments. Das neunte Segment trägt an seiner dorsalen Oberfläche 6, das achte acht Borsten in der Anordnung, wie es die Abbildung zeigt. Das (Gehäuse dieser Larve ist in ähnlicher Weise wie das der Larve von Neuronia reliculata, L. aus annähernd gleich grossen und gleich- gestalteten pflanzlichen Fragmenten nach Baustil VII (siehe: Struck, »Lübeckische Trichopteren und die Gehäuse ihrer Larven und Puppen« in »das Museum zu Lübeck« 1900) hergestellt. Die Gehäuse junger Larven sind häufig nicht ganz gerade, sondern schwach gekrümmt Die Larven leben in flachen Wiesengräben mit nicht fliessendem Wasser (Wiesen bei Grönauerbaum und bei Nädlershorst); die Verpuppung findet im April statt. Die Imagines fliegen hier im Mai, also etwa einen Monat später als die Imago von Neuronia reticulata, L. Der baltische Höhenrücken in Holstein. Ein Beitrag zur Geographie und Geologie Holsteins von Dr. Rudolf Struck Lübeck. ee >60 — » - In seinem Werke »Deutschlands Oberflächenform« unterschied OÖ. Delitsch 1550 im östlichen Teile des norddeutschen Tieflandes, dem balti- schen Tieflande, vier einander und der deutschen Ostseeküste parallel verlaufende Zonen, erstens: die Tiefebenen an der Küste, zweitens: die Zone der baltischen Seenplatten, drittens: die Zone der alten von Ost nach West gerichteten Flussläufe und viertens: die südliche Plateau- und Hügelzone. Die zwischen Zone 2 und 4 belegene, von Penck'!) als Zone der grossen Täler bezeichnete Zone, welche sich im allgemeinen von Osten noch Westen keilförmig verjüngt, wird schliesslich nur noch durch das weite Tal der Elbe dargestellt, und es bildet somit dieser Fluss hier, zwischen den westlichen Teilen Mecklenburgs und der ceimbrischen Halb- insel einerseits und den nördlichen Teilen Hannovers anderseits die Grenze zwischen den beiden anderen Zonen. Zur Zone 1, den Tiefebenen an der Küste, oder, wie Penck sie be- zeichnet, den nördlichen Vorstufen der Seenplatte, bestehend aus der » west- baltischen Inselzone« (die dänische Inselgruppe, die deutschen Ostseeinseln und die zwischen der Seenplatte und der Küste belegenen, ebenen Land- striche Mecklenburgs und Pommerns) und den »ostbaltischen Vorstufen« (die zwischen der preussischen Seenplatte und der Küste belegenen, iso- lierten Erhebungen) werden von Schleswig -Holstein-Lauenburg nur die Inseln Alsen und Fehmarn gerechnet?), mithin ist fast ausschliesslich die Zone der Seenplatten in diesen Teilen des ostbaltischen Tieflandes ver- treten. In der Tat fasst Penck auch alle zwischen der Ostseeküste und ) Unser Wissen von der Erde. Zweiter Band der Länderkunde von Europa. Herausgegeben von A. Kirchhoff. Erster Teil, erste Hälfte: Das deutsche Reich von Pröf. Dr. A. Penck. ®) Delitsch (l. e. pag. 9) führt auch eine Tiefebene bei Lübeck an. Da in der Umgebung Lübecks aber gerade die Seenplatte hart an die Küste herantritt, so scheint es, als wenn Delitsch hierunter die kleine, verhältnismässig ebene Mulde, in der die Stadt Lübeck liegt, verstanden hat. Dieselbe wird aber richtiger als ein Teil der Seenplatte angesehen werden müssen. 1* 12 dem westlichen Geestrande bezw. der Elbe belegenen Teile Schleswig- Holstein- Lauenburgs, also sowohl die seenreiche Hügellandschaft des Ostens, als auch die seenarmen, mehr oder weniger ebenen Haidesand- gebiete des Westens als zum baltischen Höhenrücken, wie die Zone der baltischen Seenplatten auch bezeichnet wird, auf. Im Gegensatz zu ihm vertritt eine Reihe anderer Forscher die An- sicht, dass nur die Hügellandschaft des Ostens als die eigentliche Fort- setzung des baltischen Höhenrückens auf der cimbrischen Halbinsel anzu- sehen sei. So schreibt M. Sievers:!) »Durch die ganze (cimbrische) Halb- insel ziehen sich drei Längszonen. Die östliche Zone ist die Seenplatte, die auf einen schmalen Streifen an der Ostküste beschränkt ist, wo das Meer in »Föhrden« tief eingreift und Küsteninseln, wie Fehmarn und Alsen loslöstt .... Im Westen schliesst sich daran eine flachhügelige Platte aus glacialen Sanden, die Geest und eine einförmige und äusserst unfruchtbare, vom westlichen Mecklenburg an bis zur Nordspitze ver- laufende Haide- und Moorlandschaft, die, sich stets in deren Mitte haltend, die grösste Breite der Halbinsel einnimmt u. s. w.«< Der gleichen oder einer ähnlichen Auffassung begegnen wir bei Ule?), in dem Lehrbuche bei Guthe-Wagner°), in der Landeskunde von Schles- wig-Holstein von Scholz?) und von Sach?) u. b. A. Erwägt man nun, dass allgemein ausser den ausserordentlich wechsel- vollen Oberflächenformen als ein besonderes Kennzeichen des baltischen Höhenrückens der grosse Reichtum an Seen angeführt wird und, dass derselbe deshalb gerade als Seenplatte bezeichnet wird, — dass aber die nicht zu der, bisher von der geologischen Forschung als Grundmoränen- landschaft angesprochenen, Meyn’schen fruchtbaren Hügellandschaft des Ostens gehörenden Teile Schleswig-Holstems nahezu völlig der Seen ent- behren und zudem im grossen Ganzen einen wesentlich anderen Land- schaftstypus, den der zumteil völlig ebenen Haidesandlandschaft reprä- sentieren, so erscheint es allerdings nicht unberechtigt, nur die Erstere zur Zone des baltischen Höhenrückens zu rechnen. Allein auch in anderen Teilen des baltischen Höhenrückens macht nicht allein die Grundmoränenlandschaft mit den, mit ihr m engem Zu- sammenhange stehenden Endmoränen die eigentliche Seenplatte aus, sondern auch hier werden die den Aussenrand (den südlichen Rand) der- selben begleitenden, ebenen Haidesandgebiete mit zur Seenplatte gezählt. ') Europa, Eine allgemeine Landeskunde. Leipzig und Wien. 1894. ”) Ule, Die Tiefenverhältnisse der ostholsteinischen Seen. Jahrbuch der königl. Preuss. geolog. Landesanstalt und Bergakademie. 1890. ”) (Guthe-Wagner, Lehrbuch der Geographie. 5. Aufl. - 1883. *) Scholz, Landeskunde von Schleswig-Holstein. Breslau 1900. °) Sach, Geographie der Provinz Schleswig-Holstein. Schleswig 1897. 13 So besteht nach Keilhack!) auch der baltische Höhenrücken in Hinterpommern und Westpreussen aus den genannten beiden Landschafts- typen, und ebenso liegst innerhalb derselben Zone in Mecklenburg?) südlich von der nördlichen Hauptendmoräne ein mehr oder weniger ebenes Sandrgebiet. Ein Unterschied besteht allerdings zwischen den Haidesandland- schaften dieser Teile des baltischen Höhenrückens und der des Schleswig- Holstein-Lauenburgischen Teiles desselben, nämlich dass in den Ersteren zahlreiche Seen vorhanden sind, in den Letzteren aber, wie bereits er- wähnt wurde, nicht. Fasst man nun aber die Grenzen der mecklenburgischen Seenplatte nicht so eng?) wie Geinitz (l. c. $. 34) auf, der — wie aus seiner Angabe, dass die nördliche und südliche Hauptendmoräne auf dem nördlichen und südlichen Rande der Seenplatte verlaufen, hervorgeht — im wesent- lichen das zwischen diesen belegene Gebiet als eigentliche Seenplatte l) Der baltische Höhenrücken in Hinterpommern und Westpreussen. Jahrbuch der Preuss. geolog. Landesanstalt für 1889. >) E. Geinitz, Die Endmoränen Mecklenburgs. Mitteilungen aus der Gross- herzog. Mecklenburg. geolog. Landesanstalt. 1894. 3) Auch in Hinterpommern und Westpreussen zählte Keilhack (. ce. S. 156) sehr ausgedehnte Landstriche, die nach der Ansicht von Penck, Bludau u. A. dort das Gebiet der pommerschen Seenplatte ausmachen, nicht mit zu derselben. Von den sechs Zonen, in die Keilhack daselbst den Höhenrücken von der Küste ab bis zu dem Thorn-Eberswalder Tal, der Südgrenze dieser Platte, zerlegte, setzen seiner Ansicht nach nur die Zonen 4 und 5, die Moränenlandschaft samt den, mit ihr in räum- lichen Zusammenhange stehenden Endmoränen, sowie die Haidesandland- schaft, die eigentliche Seenplatte zusammen. Zone 1 (»die Strandzone: das Gebiet der Stranddünen, Haffseen und aus solchen hervorgegangenen Moore«) sowie Zone 2 (»die Küstenzone: ein, eine wechselnde Breite bis zu 40 Kilometer besitzendes, von der Weichsel bis zur Rega sich erstreckendes und nur durch unbedeutende Täler unterbrochenes, relativ ebenes Gebiet oberen Geschiebemergels«) dürften zur Zone der Tiefebenen an der Küste (Delitsch) zu stellen sein, — Zone 3 aber, die Keilhack als eine Vorstufe der folgenden Zone, des eigentlichen Höhenrückens, bezeichnet, — ein »bergiges, von zahlreichen tiefeingeschnittenen Tälern durchsetztes,, grösstenteils aus unterdiluvialen Schichten aufgebautes Gebiet« — sowie vor allen Dingen die, die Zone 6 bildenden, zwischen den, aus der Haidesandlandschaft zur Weichsel und zum Thorn-Eberswalder Tal führenden Senken, welche ehemals von den Schmelzwassern, jetzt von den Flüssen Schwarzwasser, Brahe und Küdow benutzt werden, liegenden, sehr ausgedehnten Plateaus — sind unbedingt, ebenfalls wie die Moränen- und Haidesandlandschaft (Zone 4 und 5), Teile 14 ansieht, sondern im weiteren Sinne, wie es Penck (|. e.), Bludau!) und andere tun — so nimmt auch an der Bildung der mecklenburgischen Seenplatte ein ähnliches, nahezu seenfreies Sandrgebiet, nämlich das vor der südlichen Hauptendmoräne belegene, teil. Es dürfte mithin gerechtfertigt erscheinen, auch das schleswig-hol- stein-lauenburgische Sandrgebiet mit zum baltischen Höhenrücken zu rechnen und also die Grenzen derselben in der Weise, wie Penck sie angegeben hat, zu ziehen. Dass aber noch weitere Gründe für die Rich- tigkeit einer derartigen Auffassung sprechen, wird am Schlusse dieser Arbeit angegeben werden. ee Die Schleswig- Holstein-Lauenburgische Platte wird häufig noch in zwei Platten gegliedert, die durch die Senke, in welcher die Eider von Osten nach Westen strömt, von einander geschieden werden: das schles- wigsche Hügelland (Östschleswigsche Hügelland, Delitsch) und die hol- steinische Seenplatte. Auch letztere ist noch in zwei Teile zerlegt worden, in die ostholsteinische Seenplatte oder »ostholsteinische Schweiz« (Ule l. c.) und in die lauenburgische Seenplatte (Schmarje)?). Unter »ostholsteinische Seenplatte« versteht Ule den Teil der hol- steinischen Gesamtplatte, welcher sich zwischen der Trave und der Eider?) und unter »lauenburgischer Seenplatte«e Schmarje den übrigen Teil derselben zwischen der Trave und jener Senke, in welcher früher die Strecknitz und die Delvenau flossen, und in der jetzt der Elbe - Trave- Kanal entlang geführt ist und die ihre östliche Grenze gegen die meck- lenburgische Platte bildet. Iın Wesentlichen nur das Gebiet der sogenannten ostholsteinischen Schweiz soll im folgenden Gegenstand der Besprechung sein. der eigentlichen pommerschen Seenplatte. Hierfür sprechen u. A., wie hier kurz vorweg angeführt werden nıag und worauf noch zurückzukommen sein wird, die Ergebnisse der neueren geologischen Erforschung dieses Gebietes durch Maas (Endmoränen in Westpreussen und angrenzenden Gebieten. Jahrbuch der Kgl. preuss. geolog. Landesanstalt und Bergaka- demie. XXI. 1900.) !) Bludau, Dr. Alois. Die Oro- und Hydrographie der preussischen und pom- merschen Seenplatte, in Petermanns Mitteilungen. Ergänzungsheft No. 110. ?) Schmarje, J. Die Provinz Schleswig-Holstein, in Landeskunde Preussens. Herausgegeben von A. Beuermann. 1901. ») Da Ule die ostholsteinische Seenplatte mit der ostholsteinischen Schweiz identifiziert, so betrachtet er als Eider offenbar jenen Teil dieses Flusses, welcher sich zwischen Neumünster und Kiel erstreckt und hier die Hügellandschaft unterbricht, denn mit »ostholsteinische Schweiz« wird gemeinhin jenes Stück Holsteins bezeichnet, welches einerseits durch die Ostsee, anderseits durch eine die Städte Kiel, Neumünster und Lübeck verbindende Linie begrenzt wird. 15 Im Jahre 1882 unterschied L. Meyn in seinem Werke »Die Boden- verhältnisse der Provinz Schleswig-Holstein« (Erläuterungen zu seiner geo- logischen Übersichtskarte von Schleswig-Holstein, herausgegeben von Dr. G. Berendt-Berlin 1882), in welchem er, in ähnlicher Weise wie es durch J. G. Forchhammer 1835 zuerst geschehen, und wie er es selbst bereits in einem früheren Werke (Geognostische Beobachtungen in den Herzog- tümern Schleswig -Holstein, 1848) getan hatte, ein zusammenhängendes Bild vom geologischen Aufbau Schleswig-Holsteins gab —, auf der eimbri- schen Halbinsel vier verschiedene, parallel neben einander von Norden nach Süden verlaufende Zonen, nämlich von Osten nach Westen erstens die fruchtbare Hügellandschaft, zweitens den unfruchtbaren, den Kamm der Halbinsel in seiner ganzen Länge krönenden Haiderücken, der sich nach Westen in eine ununterbrochene Folge ebensolcher Haiderücken spaltet, die dann sich teilweise zu grösseren Plateaus erweitern und mit ihren letzten Ausläufern bis an die Marsch oder das Meer reichen, — drittens, die zwischen diesen Haiderücken sich erstreckenden, von Osten nach Westen gleichmässig abfallenden Haidesandebenen — und viertens die Marsch. Bereits 1847 hatte Volger!) für die Hügellandschaft des Ostens die Bezeichnung Seenplatte vorgeschlagen, Meyn aber hielt es nicht für zulässig, diese Landschaft nach Analogie der übrigen Ostseeländer als solche zu bezeichnen, »weil durch Schmalheit und Zerrissenheit dieses Gürtels der Eindruck einer Platte — bis auf einen Teil von Holstein — gänzlich verwischt und eine Anzahl der tiefen, langen und küstenreichen Seestrecken durch Kommunikation mit dem Meere in Föhrden umge- wandelt ist, zwischen denen die Hügellandschaft nur in reich gegliederten Halbinseln liegt. « Als an dem geognostischen Aufbau der fruchtbaren Hügellandschaft beteiligt, nennt Meyn folgende Gebilde: zu unterst einen steinfreien, ge- schichteten, sehr mageren, zuweilen in wirklichen Formsand übergehenden Mergel, welcher eine präglaciale Nordseefauna umschliesst; zweitens den unteren Diluvial- oder Geschiebemergel ;, drittens den unteren Diluvial- oder Spathsand, in Schleswig-Holstein nach den in ihm vorhandenen Kreidebryozoen (Mooskorallen) auch Korallensand benannt; viertens den oberen Diluvialmergel oder Blocklehm. Die drei letzten Bodenarten bilden nach Meyn ein zusammenhängendes Ganze, das sogenannte mittlere Diluvium. Diese Gebilde befinden sich nun hier im Osten der Halbinsel nicht in ungestörter Lagerung, sondern sie sind, wie Meyn annahm, bei ') Siehe Haas, Die geolog. Bodenbeschaffenheit Schleswig-Holsteins. 1889. S. 4. 16 Gelegenheit ibrer Hebung und noch mehr durch die in der Folgezeit eingetretenen partiellen Senkungen der weichen und losen Massen — also durch tektonische Vorgänge — so durcheinander geschoben, »dass alle drei Glieder dieser fruchtbaren Schichtenfolge oft auf kürzester Ent- fernung zu Tage treten u. s. w.« Eine Folge dieser tektonischen Stö- rungen ist die hügelige Oberfläche dieser Gebiete. Was die Angabe Meyn’s anbetrifft, dass als unterstes Glied der Bodenschichten der fruchtbaren Hügellandschaft ein steinfreier, eine Fauna umschliessender Tonmergel zu gelten hat, so haben die Forschungen der Folgezeit ergeben, dass dieses weder im übrigen Norddeutschland noch in Schleswig-Holstein der Fall ist, und dass die Bildungen, die Meyn unter diesen Begriff zusammenfasste und auf seiner Übersichtskarte als »Alt-Diluvium, Brockenmergel u. A.« mit brauner Farbe darstellte, sehr verschiedenen Alters sind und verschiedenen geologischen Horizonten angehören. Ein Teil derselben — in diesem Falle handelt es sich um ein Aus- schlämmprodukt des unteren Geschiebemergels, den unteren steinfreien Diluvialton — gehört zu den Bildungen der Haupteiszeit, so ein Teil der Tone in der Umgebung Lübecks, am Brodtener Ufer, in der west- lichen Umgebung der schleswig- holsteinischen Föhrden, der Umgebung von Boostedt bei Neumünster und an vielen anderen Orten; ein anderer Teil, ebenfalls ein Ausschlämmprodukt des Geschiebemergels, aber des oberen, so die Hauptmasse der Tone bei Lübeck und Reinfeld, wie Friedrich!) nachgewiesen hat, — zum jüngsten Diluvium. ‚In ein gleiches Niveau dürften die im Sundewitt, in der Umgebung des Nübel Noor an der Flensburger Föhrde vorkommenden, von zahlreichen Ziegeleien abgebauten Diluvialtone gehören, die anscheinend in einem, zwischen den, die Flensburger Föhrde im Westen umgebenden End- moränen und dem sich nach Osten zurückziehenden Inlandeise aufge- stauten See während der letzten Abschmelzperiode abgelagert wurden. Noch ein weiterer Teil der Punkte gehört zu den verschiedenalt- rigen, petrefactenführenden, sogenannten Interglacialen Ablagerungen. (Vergl. Gottsche, Das marine Diluvium Schleswig-Holsteins. Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in Hamburg. Bd. XIII. 1896.) Haas?) schloss sich, was die Einteilung des Landes in verschiedene Zonen sowie die, den geognostischen Aufbau bedingenden Bodenschichten !) Dr. P. Friedrich, Beiträge zur Geologie Lübecks, in der Festschrift zur 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte pag. 126. ®) H. Haas, Die geologische Bodenbeschaffenheit Schleswig-Holsteins, 1889, und Studien über die Entstehung der Föhrden an der Ostküste Schleswig-Holsteins, sowie der Seen und des Flussnetzes dieses Landes. Beiträge zur Glacialgeologie Schleswig-Hol- steins. Mitteilungen a. d. Min. Museum der Universität Kiel. Bd. I. Heft 1. 1888. 17 Ostholsteins angeht, im allgemeinen den Anschauungen Meyn's an, doch fügte er als weitere, in letzterem Gebiete vorkommende Bildung auch den, auf dem oberen Geschiebemergel liegenden Geschiebedecksand oder Ge- schiebesand den von Meyn angegebenen Bildungen hinzu.!) Auch ge- langte er, indem er für die Erklärung der Entstehung der Glacialbildungen Schleswig-Holsteins ausschliesslich die Inlandeistheorie in Anspruch nahm, zu einer anderen Ansicht über die Entstehung der so eigenartigen Ober- flächenformen Ostholsteins. Von der Beobachtung ausgehend, dass die Bodenschichten, aus welchen die, die Föhrden Holsteins und’ Schleswigs an ihren westlichen Enden umgebenden Hügel und Wälle sich zusammensetzen, erhebliche Stauchungserscheinungen, die namentlich die unteren Diluvialschichten (Korallensand und unteren Geschiebemergel) betroffen hat, aufweisen, nimmt Haas an, dass besonders der nördlich der Eider belegene Teil der Hügellandschaft, seine Gestaltung der aufstauchenden Kraft des Inland- eises verdanke. In demselben Gebiete ist ferner eine als Stau- und Aufschüttungs- moräne ausgeprägte grössere Endmoräne, die Hüttener Berge, für die Bildung der Oberflächenformen von Bedeutung gewesen. — Die Ent- stehung der Föhrden auf die ich im weiteren Verlaufe dieser Arbeit nochmals zurückkommen werde — führt Haas auf die »summierten Wir- kungen der erodierenden Tätigkeit des fliessenden, des Meereswassers und des Inlandeises«, zurück. Die Flüsse verdanken der Erosion durch die Schmelzwasser während der Abschmelzperioden ihre erste Anlage. Über die Entstehung der Seen spricht sich Haas, indem er betont, dass die Untersuchungen über deren nähere Entstehung noch nicht abgeschlossen seien, folgendermassen aus: »Die erste Anlage der meisten Seen im Ge- biete der oberen Geschiebemergelbedeckung Schleswig- Holsteins ist wol in Depressionen des Untergrundes der ersten Inlandeisbedeckung zu suchen. Die Eismassen dieser Letzteren haben erodierend darauf einge- wirkt und diese Depressionen noch weiter vertieft. In der Interglacialzeit aber ist bei manchen dieser so entstandenen Becken ein durch die Absätze der Schmelzwasser bedingter, teilweiser Nivellierungsprozess vor sich ge- sangen, bei der zweiten Vereisung jedoch hat wieder eine Erosion der- selben durch das Inlandeis stattgefunden, während die Schmelzwasser dieser zweiten Inlandeisbedeckung nur wiederum eine sehr geringe Aus- ebenung der Vertiefungen durch Ablagerungen von Sinkstoffen in den- selben bewirken konnten, weil hier, wie gezeigt wurde, die Abschmelz- wasser in dieser zweiten Abschmelzperiode im Gegensatz zu denen der ı) Vel. R. Struck, Der Verlauf der nördlichen und südlichen Hauptmoräne in der weiteren Umgebung Lübecks. Mitteilungen der geograph. Gesellschaft in Lübeck. Heft 16. 1902. S. 37. Im folgenden wird diese Schrift mit Str. I. bezeichnet. — 18 ersten Abschmelze nur sehr schwach entwickelt waren, da ja das meiste Wasser dem Westen zufliessen musste«.') Auf Meyn’s und Haas’s Arbeiten, zum Teil auch noch auf der Forch- hammers, beruhen im wesentlichen die Darstellungen der geologischen Verhältnisse in denjenigen Werken, welche sich in den letzten Jahr- zehnten — siehe die oben angegebenen Werke von Scholz, Sach und besonders von Schmarje — mit der Landeskunde von Schleswig-Holstein befassten. In demselben Jahre, als die genannten Arbeiten von Haas erschienen, und ein Jahr später, nachdem durch Berendt die erste typische End- moräne aus dem norddeutschen Flachlande beschrieben worden war, stellte Wahnschaffe?) den Landschaftstypus der Grundmoränen- landschaft auf und trennte diesen Typus von dem der Endmoränen- landschaft. Die Grundmoränenlandschaft bezeichnete Wahnschaffe damals als durch die stark wellige Geschiebemergeldecke und zahlreiche Pfuhle und Seen, die Endmoränenlandschaft als durch scharf markierte Geschiebe- wälle, Grandkuppen und Grandflächen charakterisiert. Diese Charakte- ristik wird durch die Darstellung in seinem Buche »Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes« in folgender Weise ergänzt: » Wesentlich verschieden von den mehr gleichmässig und ebenflächig ausgebildeten Geschiebemergelgebieten sind diejenigen, welche eine sehr mannigfache Oberflächengliederung besitzen und vom Verfasser als Grund- moränenlandschaften im eigentlichsten Sinne bezeichnet worden sind. Die Gliederung des Terrains wird dadurch hervorgerufen, dass die fast ausschliesslich aus Geschiebemergel nebst seinen Verwitterungs- und Aus- schlämmungsprodukten bestehende Oberfläche auf geringe Entfernungen einen raschen Wechsel der Höhenunterschiede aufweist. Zwischen den zahllosen, in ganz unregelmässiger, wirrer Anordnung hervortretenden wall- und kuppenartigen Anschwellungen des Terrains liegen ebenso viele Einsenkungen, die eine kleinstückige, zerschnittene Gestalt der Oberfläche verursachen. Die Bodenwellen umschliessen unzählige kleine, meist mit Torf- und Moorbildungen erfüllte, rundliche Pfuhle oder Sölle und zahl- !) Auch Gottsche gab 1883 in seiner Arbeit »Die Sedimentär - Geschiebe der Provinz Schleswig-Holstein. Jokohama 1883« eine Übersicht über die geolog. Ver- hältnisse Schleswig-Holsteins. Da er aber seitdem in neueren Arbeiten die damals ausgesprochenen Anschauungen unter Berücksichtigung der Ergebnisse neuerer For- schungen modifiziert hat, erscheint es nicht nötig, dieselben hier zu reproduzieren. ®) F. Wahnschaffe, Zur Frage der Öberflächengestaltung im Gebiete der balti- schen Seenplatte. Jahrbuch der königl. preuss. geolog. Landesanstalt für 1887, Berlin 1888. : 19 reiche grössere, mehr oder weniger unregelmässig gestaltete Moore und Seen. Diese Durchsetzung der Landschaft mit grösseren und kleineren Moorflächen, Pfuhlen und Seebecken ist zuweilen, wie in einigen Gebieten Ost- und Westpreussens, sowie Hinterpommerns, eine so dichte, dass die Geschiebemergelhochfläche auf der Karte fast siebartig durchlöchert er- scheint. Der typische Charakter der Grundmoränenlandschaft findet sich im norddeutschen Flachlande vorzugsweise im Gebiete des baltischen Höhenrückens, so dass sie im grossen und ganzen an diesen wie über- haupt an eine grössere Höhenlage gebunden erscheint. « Seit dem genannten Jahre wird nun auch von anderen Geologen ausser Wahnschaffe!) die fruchtbare Hügellandschaft Ostholsteins, die holsteinische Schweiz, zu den Grundmoränenlandschaften im eigent- lichsten Sinne gerechnet. Nur Salisbury (American Journal of Science vol. 35. 1888. S. 401--407) fasste, wie Gottsche (l. c. pag. 6) in ein- gehender Weise ausführt, infolge anderer Anschauungen hinsichtlich des Wesens derjenigen diluvialen Bodenbildungen, welche als Endmoränen zu betrachten sind, dieselbe, wie überhaupt den ganzen östlichsten Teil der eimbrischen Halbinsel, als eine Endmoränenlandschaft auf. Ule (l. e. pag. 106) bezeichnete die ostholsteinische Landschaft als typische Moränenlandschaft. Da er aber ausdrücklich hervorhebt ’) dass in der Umgebung des Grossen Plöner Sees, welchen Teil Ostholsteins er hauptsächlich bei seiner Beschreibung des ganzen Gebietes im Auge hat, »nirgends massigere Ablagerungen von Geschieben wahrzunehmen sind, die vielleicht als Endmoränen des diluvialen Gletschers angesehen werden könnten,« so geht daraus hervor, dass er unter typischer Moränenland- schaft nicht eine Moränenlandschaft im Sinne Desor's versteht, welche nach Penck®) nur aus Endmoränen zusammengesetzt ist, also eine End- moränenlandschaft darstellt, sondern darunter eine Landschaft begreift, die aus irgend welchen Moränen gebildet wird (cf. Böhm v. Böhmersheim, Geschichte der Moränenkunde. Abhandlungen der K. K. geographischen Gesellschaft in Wien. 1901.). — !) K. Keilhack, Die Oberflächenformen des norddeutschen Flachlandes und ihre Entstehung. Geograph. Zeitschrift IV. Jg. Heft IX pag. 486. H. Schröder, Führer durch Teile des norddeutschen Flachlandes 1899, pag. 62. ©. Gottsche, Die Endmoränen und das marine Diluvium Schleswig-Holsteins. Mitteilungen der geograph. Gesellschaft in Hamburg. Bd. XIII. 1. pag. 6. 2 °) Ule, Geologie und Orohydrographie der Umgebung von Plön, in Forschungs- berichte aus der biologischen Station zu Plön. Teil II. 1894. pag. 11. °») Penck, Die Vergletscherung der deutschen Alpen. 1882. pag. 116. Penck und Brückner, Die Alpen im Eiszeitalter, 1902, 20 Innerhalb dieses Gebietes wies 1396 Gottsche einen mehr oder weniger zusammenhängenden Endmoränenzug und ferner eine Reihe von einzelnen, mit diesem nicht in Connex stehenden Endmoränenpunkten nach. Der Endmoränenzug bildete die Fortsetzung jenes Zuges, den Gottsche von der dänischen Grenze bis in die Gegend nördlich von Nortorf im Grenzgebiete der Hügellandschaft und der sich nach Westen anschliessenden Haidesandlandschaft verfolgt hatte und führte von hier, die bisherige nordsüdliche Verlaufsrichtung und damit das Grenzgebiet verlassend, mitten in die Hügellandschaft hinein. An seiner Zusammen- setzung nehmen in diesem Gebiete von den sieben Teilstrecken, in denen (rottsche den Gesammtendmoränengürtel Schleswig - Holsteins zerlegte, die Teilstrecken 6: Dobbersdorfer See—Kosau, resp. Lütjenburg, und 7: Lütjenburg—Süsel ganz, und von der Teilstrecke 5: Eider—Dobbersdorfer See die Bögen Blumenthal—Kirchbarkau und Kirchbarkau—Lilienthal teil. Innerhalb dieser Strecken war der Endmoränenzug zwischen Lilien- thal (südlich vom Dobbersdorfer See und nördlich von Preetz belegen) und der Kosau bezw. Lütjenburg, ebenso zwischen letzterem Orte und dem Gehege Gowens nördlich von Neukirchen, nicht lückenlos und häufig un- deutlich, auf allen übrigen Strecken aber markant und im Zusammen- hange nachweisbar. Die isolierten Punkte, an denen ebenfalls Beweise für das Vor- handensein von Endmoränen konstatiert werden konnten und welche sich »ohne die Annahme, dass es die Überreste eines um 10—15 Kilometer vor der Hauptmoräne liegenden Moränenzuges seien, nicht ohne weiteres in den Rahmen der übrigen Beobachtungen einfügen liessen,« sind in der Umgebung von Plön (Bösdorf, Steinbusch) von Malente (Gremsmühlen, Neversfelde) und von Eutin (Neudorf) belegen. — Vor zwei Jahren konnte ich (l. ce.) alsdann den Nachweis erbringen, dass die sog. südbaltische Endmoräne (»die südliche Haupt- endmoräne« von Geinitz) von der westlichen Umgebung von Ahrensburg ab bis zum Stocksee in der Nähe des südlichen Ufers des grossen Plöner Sees ebenfalls im Grenzgebiete zwischen der Haidesandlandschaft und der Hügellandschaft verläuft. Ebenso wie Gottsche hatte auch ich Ge- legenheit einige weitere, mit dem genannten Zuge in keiner Verbindung stehende, isolierte Endmoränenpunkte, so bei Gmissau, westlich von Ahrensboeck, bei Zarpen und Heilshoop nördlich von Reinfeld zu beob- achten. Diese Beobachtung gab mir nun Anlass, weiteren solchen isolierten Endmoränenteilen im östlichen Holstein, sowie dem Zusammenhange derselben mit den, von Gottsche bekannt gegebenen Endmoränen nachzu- spüren. — Wenn ich bei den daraufhin während der letzten zwei Sommer vorgenommenen Untersuchungen zu einigen bemerkenswerten Resultaten, 21 die im folgenden veröffentlicht sein mögen, gelangte, so ist dieses zunächst dem Umstande zu verdanken, dass ich ebenso wie bereits bei der Auf- spürung der südlichen Hauptendmoräne, auch bei diesen Untersuchungen die Ergebnisse, welche die Erforschung der Endmoränen des norddeutschen Flachlandes in Preussen hauptsächlich durch die Bemühungen der Mit- glieder der Königl. Preuss. Geologischen Landesanstalt zu Berlin, seit der Zeit, zu welcher Gottsche’s Arbeit über die Endmoränen Schleswig- Holsteins erschien, hinsichtlich des eigentlichen Wesen, der inneren und äusseren Ausbildungsweise, der Endmoränen zu Tage gefördert hatten, in eingehender Weise berücksichtigte und verwertete. Da ich die betreffenden Ergebnisse bereits in meiner früheren Ar- beit zusammengestellt habe, so will ich hier nur nochmals kurz erwähnen, dass dasjenige Merkmal, welches in jener Zeit, als Gottsche seine Beob- achtungen anstellte, und dessen er sich hauptsächlich bei der Aufsuchung der Endmoränen bediente, als das eigentlichste Merkmal einer solchen angesehen wurde, das zug- und wallartige Vorkommen von Geschiebe- packungen — jetzt nicht mehr als das ausschliessliche Kennzeichen einer Endmoräne gilt, sondern, dass in gleicher Weise Endmoränen nur allein aus der unausgewaschenen Grundmoräne, oder aus den verschiedenen, aus der Letzteren hervorgegangenen Ausschlämmprodukten (Sanden, Granden, Kiesen, Tonen) und zwar wiederum aus jedem der einzelnen Ausschlämmprodukte allein für sich, oder aus einer Verknüpfung mehrerer, oder einer Reihe dieser verschiedenen Faktoren bestehen können. Zu bemerken ist dann noch, dass neuerdings von einigen Geologen, so von Maas (l. c.) und Gagel!) ein besonderer Wert auf die äussere Er- scheinungsweise der Endmoränen d. h. auf jene, bereits seit langer Zeit für eine Endmoräne als besonders charakteristisch geltende 'Terrainformen als auf ein wichtiges Kennzeichen gelegt wird, dass aber andererseits auch mehr als früher betont wird, dass die Endmoränen auch als topo- graphisch kaum sich bemerkbar machende Bildungen auftreten können. Von besonderer Tragweite für die Untersuchungen erwies sich ferner der von Gagel?) und mir (l. e. pag. 35) gelieferte Nachweis, dass auch die Schlemmprodukte der Grundmoräne der letzten Vereisung in Holstein in derselben Weise Bryozoen enthalten wie die aus der Grundmoräne der Hauptvereisung hervorgegangenen Sedimente. — !) Gagel, Über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln. Jahrb. d. königl. preuss. geolog. Landesanstalt u. Bergakademie f. 1903. Bd. XXIVeoHeftikr Sr: 2) Gagel, Über eine diluviale Süsswasserfauna bei Tarbeck in Holstein. Jahr- buch der geolog. Landesanstalt. XXII. Heft 2. 1902. S. 300. Vergl. auch Dr. P. Range, Das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone. 1902. S. 174. 22 Dadurch wurde es möglich, eine Einheitlichkeit in der Auffassung betreffend die Altersstellung der Endmoränen auch für Holstein herbei- zuführen, und es konnten auch solche Endmoränenpunkte Östholsteins, welche Gottsche — der entsprechend den seit Meyn in dieser Beziehung für Holstein massgebenden Anschauungen, den entgegengesetzten Stand- punkt in seiner Endmoränen-Arbeit vertrat — als in der Abschmelzperiode der Haupteiszeit entstanden ansehen musste, in die Zahl der während letzten Abschmelzperiode entstandenen Endmoränen zwanglos eingereiht werden. Das Gleiche konnte ferner mit denjenigen Punkten geschehen, deren Entstehung Gottsche noch aus einem anderen Grunde in die Zeit der Hauptvereisung verlegen zu müssen glaubte, nämlich mit denjenigen Punkten von Blockpackungen, welche in grösserer Zahl Kalkgeschiebe enthielten. Wie in der südlichen Hauptendmoräne, so zeigte es sich auch in den Endmoränen Ostholsteins, dass Kalkgeschiebe ebenso häufig in den Blockpackungen vorkommen wie andere Geschiebe, und dass es daher nicht berechtigt erscheint, aus dem Vorhandensein oder Nicht- vorhandensein von Kalkgeschieben einen Altersunterschied zwischen den Endmoränen zu konstruieren. Solche Punkte wie Bösdorf am Plöner See und Neudorf bei Eutin, müssen daher ebenfalls in die Endmoränen der letzten Abschmelzperiode eingefügt werden. — Die sogenannte südliche Hauptendmoräne, die Fortsetzung jener von Geinitz durch Mecklenburg hin verfolgten und als solche bezeich- neten Endmoräne, deren weiteren Verlauf durch Lauenburg und Holstein ich vor zwei Jahren feststellen und bekannt geben konnte, vermochte ich damals nur bis in die Nähe des, in der südlichen Umgebung des grossen Plöner Sees befindlichen Stocksees nachzuweisen und musste ich es einst- weilen dahingestellt sein lassen, wo und in welcher Weise sich dieselbe mit dem von Gottsche beschriebenen Zuge vereinigte — In der Annahme, dass die Endmoräne, wie während ihres bisherigen Verlaufes, auch ferner- hin im Grenzgebiete zwischen der Hügellandschaft und dem flachen Ge- schiebesandgebiete sich befinden würde, suchte ich nochmals die Fort- setzung dieses Zuges in der betreffenden Gegend auf und möchte nunmehr als nächste Fortsetzung derselben in der Richtung nach Neumünster zu jene, in dem Grenzgebiete vom Westufer des Stocksees durch die nördliche Umgebung der Dörfer Damsdorf und Tarbeck bis in die Nähe von 3ornhöved sich erstreckende, Bodenschwelle, welche, je weiter westlich, desto deutlicher sich über das Vor- und Hinterland emporhebt und im Grimmelsberge bei Tarbeck mit 33 m. ü. M. ihre höchste Erhebung 23 erreicht, betrachten. — Es ist aus den zahlreichen älteren Abhandlungen!) über die Aufschlüsse bei Tarbeck bekannt und ist noch in der neuesten Arbeit über die dortigen Verhältnisse von Dr. C. Gagel?) ganz besonders wieder hervorgehoben worden, in welchen höchst gestörten Lagerungs- verhältnissen sich die, an dem Aufbau dieses Höhenzuges hier beteiligten Schichten, darunter die auf der höchsten Höhe des Grimmelsberges be- findliche Austernbank, und die in einem tiefern Niveau lagernden marinen und Süsswassertone befinden. Man geht daher wohl nicht fehl in der Annahme, dass der genannte Höhenzug eine Staumoräne darstellt. Es mag in dieser Hinsicht noch erwähnt werden, dass die, die steil aufgerichtete Austernbank bedeckenden, lehmig verwitterten Geschiebe- sande teilweise recht geschiebereich sind, und dass 1901 in der nördlich von der Chaussee belegenen Tongrube (»in der Literatur als Tensfeld- sche Ziegelei bekannt«) die Anhäufung zumteil recht grosser Blöcke in den, im Hangenden der marinen und Süsswassertone lagernden Ge- schiebesanden, eine derart umfangreiche und dichte war, dass man von einer Blockpackung sprechen konnte. — Der Zug der höchsten Erhebungen über das nahe, flache Haidesand- gebiet, welcher von Bornhöved ab weiterhin die Stillsandslage des Eis- randes markiert, erstreckt sich von diesem Orte ab nicht weiter westwärts, sondern wendet sich weiter nordwärts durch die Umgebung der Orte Bockhorn, Schönhagen, Kl. Buchwald und Siek bis zum Ostufer des Bothkamper Sees. — Am Westufer des letzteren findet er seine Fortsetzung, indem er die südlichste Zone der Teilstrecke Eider — Dobbersdorfer See des Gottsche’schen Endmoränenzuges bildet. Diese letztere stellt, wie ich bereits hier erwähnen möchte, nicht einen einzelnen schmalen, wallartigen Zug dar, sondern besitzt eine Breite von 4—5 Kilometer und darüber und setzt sich aus einer ganzen Reihe einzelner, so dicht aneinander liegender Staffeln, dass eine Trennung derselben von einander nicht möglich erscheint, zusammen. Der Bothkamper See liegt also in dem Winkel, in welchem die genannten Endmoränenzüge sich hier aneinander schliessen. Es erinnert dieses Verhalten an ein von Gagel’) aus Ostpreussen beschriebenes Vorkommen, wo auch aus zweien, in einem tief eingezogenen Winkel !) Gottsche, Das marine Diluvium Schleswig-Holsteins, pag. 49 u. 50. Hier ist auch die gesamte ältere Literatur angegeben. E. Stolley, Geologische Mitteilungen von der Insel Sylt. Archiv für Anthro- pologie und Geologie Schleswig-Holsteins. Bd. III u. IV. 2) Gagel, Über eine diluviale Süsswasserfauna bei Tarbeck in Holstein. Jahr- buch der Kgl. preuss. geolog. Landesanstalt für 1901. Band XXII. Heft 2. °) Geolog. Spezialkarte von Preussen und den benachbarten Bundesstaaten. Lief. 104, bearbeitet von G. Müller und Dr. ©. Gagel 1903. 24 aneinander stossenden Endmoränenstücken eine lange, tief ausgewaschene Seenrinne entspringt. Erwägt man nun, dass aus dem Bothkamper See zwei breite Rinnen hervorgehen, welche während späterer Phasen der Abschmelzperiode die Schmelzwasser des weiter nördlich lagernden Inland- eises nach Süden bezw. Südwesten ins Haidesandgebiet ableiteten, so ist anzunehmen, dass hier eine Lücke im Eisrande, ein Gletschertor, gewesen ist. — Auch andere Seen Ostholsteins, über welche im folgenden zu berichten sein wird, befinden sich in einer gleichen Situation. Zwischen Bornhöved und Schönhagen bildet dieser Teil der süd- lichen Hauptendmoräne ein flachwelliges, zum Teil Lehmboden zeigendes Gelände, von dort ab löst sich derselbe bis zum Bothkamper See hin in zwei parallele, in nordsüdlicher Richtung verlaufende, im allgemeinen flachwellige und nur bei der Bothkamper Mühle, westlich vom grossen Teich, markanter aus dem Relief der Umgebung hervortretende und charakte- ristische Kuppen bildende Höhenzüge auf. In der westlicheren der zwischen den Hügelzügen befindlichen Senken erstreckt sich die Dröge-Eider und der südliche Teil des Bothkamper Sees, in der östlicheren liegen drei grössere Wasserbecken, der Grosse Teich, der Vieh-Teich und der Hoch- felder See, der mit letzterem in Verbindung steht. Ein Aufschluss am südlichen Ende des Grossen Teiches zeigt 6—8 Meter mächtige, in hori- zontalen Bändern abgelagerte, feine Spathsande, Bryozoensande und Grande in Packungen von über kopfgrossen Blöcken übergehend, teilweise bedeckt von 1'/a Meter lehmig verwitterten Granden,, bezw. Geschiebelehm mit grösseren Geschieben; ein anderer Aufschluss bei der Hochmuthskathe südlich vom Bothkamper See die gleichen Verhältnisse, nur fehlen die Packungen, die Grandschichten aber enthalten grössere Mengen von Ge- schieben bis zu Felsengrösse. — Die ostwärts an die südliche Hauptendmoräne sich anschliessenden Teile Ostholsteins zwischen Oldesloe und dem grossen Plöner See be- trachtete ich früher als eine Grundmoränenlandschaft. Erst östlich vom Wardersee waren mir wieder Endmoränenfragmente bekannt, nämlich bei Gnissau, westlich von Ahrensboek und bei den Orten Heilshoop und Zarpen. Bereits damals sprach ich die Vermutung aus, dass diese End- moränenpunkte zu einer Staffel gehören dürften, die sich am östlichen Ufer des grossen Plöner Sees an eines der dort von Gottsche nachge- wiesenen, isolierten Endmoränenvorkommnisse (Steinbusch, Bösdorf) an- legen würde. Diese Vermutung erwies sich als richtig. Die genannten Punkte stellten sich als die Teile einer Endmoränenstaffel heraus, welche sich von dem, zwischen Oldesloe und Lübeck in der Nähe des Travetales belegenen Orte Reinfeld aus bis Bösdorf am Plöner See in ununter- brochenem Zusammenhange hinzieht. Von Reinfeld bis Heilshoop liegt diese Endmoräne auf dem westlichen Rande einer schmalen, rinnen- förmigen Senke, welche sich von letzterem Orte in nordsüdlicher Richtung 25 zum Travetale hinzieht, und in der jetzt die Heilsau fliesst. Es ist be- merkenswert, dass das westlich von dieser Rinne belegene Gebiet, das Vorland der Endmoräne, diese an Höhe beträchtlich übertrifft; — die Schmelzwasser konnten daher nicht nach Westen abfliessen, sondern müssen am Rande des Eises südwärts zum Travetale abgeflossen sein. Eben nördlich von Heilshoop wendet sich diese Staffel leicht west- lich und gelangt dadurch auf den östlichen Rand jener ausgedehnten, etwa 15 Kilom. langen und 6 Kilom. breiten Mulde, in der der Warder See eingebettet liegt, und die sich, indem ihre Grenzen im allgemeinen mit der 40 Meter Höhencurve zusammenfallen, im Norden bis hart an den grossen Plöner See, von dem sie nur durch eine schmale Schwelle getrennt wird, erstreckt und im Süden bis zu den, in gleicher Höhe auf einer, die Städte Segeberg und Lübeck verbindenden Linie liegenden Orte Struckdorf, Geeschendorf, Steinbeck und im Westen bis zu einer die Orte Weede, Schieren, Qual, Warder, Krems, Wensin, Garbeck, Berlin, Schla- mersdorf, Hornsmühlen berührenden Linie, ausdehnt. Auf diesem östlichen Muldenrande, der über die Orte Goldenbek, Pronstorf, Strenglin, Gnissau, Sieblin, bis Kiekbusch, im allgemeinen in nordsüdlicher und von dort bis Brackrade in südost-nordwestlicher Richtung dahinzieht, verläuft alsdann die im wesentlichen als Aufschüttungsmoräne sich zu erkennen gebende Endmoräne bis zum grossen Plöner See oder bildet selbst, wie die Aufschlüsse an einer Reihe der genannten Orte (Goldenbek: flächenhaft ausgebreitete Blockpackungen; Gmissau: Blockpackungen in Wechsellagerung mit Sanden und Kiesen; Kiekbusch: Blockpackungen, teils von Geschiebemergel, teils von keiner anderen Bildung bedeckt) lehren, die die Senke begrenzenden Teile der Hügellandschaft. Die von Gottsche angegebenen Blockpackungen bei Brackrade (Steinbusch) liegen in einem 80 m ü. M., gegen 60 m über dem Seespiegel auf- ragenden Hügel, der zu dem nahen See sich rasch abdacht. — Es erscheint nun zweckmässig, diese Endmoräne, welche ich im folgenden als Warderseestaffel bezeichnen werde, vorläufig nicht weiter zu verfolgen, sondern zunächst das zwischen der westlichen Grenze der Warderseemulde und der südlichen Hauptendmoräne belegene Gebiet zu besprechen. Die nähere Untersuchung ergab, dass auch in diesem Gebiete, das in seinen südlichen Teilen etwa eine Meile, in seinen nördlichen Teilen eine halbe Meile breit ist, wenngleich auch die Oberfläche desselben ver- schiedentlich auf grössere Strecken hin von Geschiebemergel bedeckt ist, doch keine geschlossene Grundmoränenlandschaft entwickelt ist. sondern dass seine Oberflächenformen wiederum einer Stillstandslage des Eisrandes ihre Entstehung verdanken. — Eine Linie, welche die Orte Oldesloe, Seefeld, Bahrenhof, Neuen-Görs, Steinbeck, Qual, Müssen, 2 a 26 Schlamersdorf, Hornstorf berührt, gibt die nähere Lage dieser Staffel an. Dieselbe tritt wiederum einerseits orographisch kaum aus dem Relief ihrer Umgebung hervor, so zwischen Neuen-Görs und Qual, zeigt aber andererseits zwischen Seefeld und Bahrenhof und in ganz besonderem Masse in dem Gelände zwischen dem Wardersee und dem Seedorfer See, sowie zwischen der südlichen Hauptendmoräne und dem westlichen Rande der Wardersseemulde, woselbst sie im Nehmsberg bis zu 87,3 mü.M und in einer, unweit dieser belegenen Anhöhe sich auf 89 m ü. M. erhebt, recht charakteristische Terrainformen. Auf dieser Strecke erweist sie sich, wie die im grossen Ganzen nur flachen Aufschlüsse bei fast allen den genannten Orten erkennen lassen, im Wesentlichen als eine Auf- schüttungsmoräne. An einigen Punkten: Bahrenhof, Qual (1 Kilom. nordwestlich an der Chaussee nach Segeberg), werden 1—2 Meter hohe, von keiner weiteren Schicht überlagerte, über grosse Flächen hin ausgebreitete Packungen über kopferosser Geschiebe und Felsen abgebaut, an anderen Orten, Steinbeck, Garbeck, Neuen-Görs, sind die im allgemeinen 2—3 Meter mächtigen Blockpackungen von wenig mächtigen ('/,—1 Meter) Schichten von Sanden und Granden oder von Ton bedeckt. Wieder an anderen Orten, so bei Bühnsdorf, und Alten-Görs nehmen nur fluvioglaciale Sedi- mente, Sande und Grande, welche meist eine oberflächliche, lehmige Verwitterungskruste zeigen, an dem Aufbau der Kuppen teil. — Zwischen Schlamersdorf und dem, nordwestlich von Hornstorf bele- genen, aus dem Plöner See nach Südwesten hinausführenden breiten Erosionsthale (s. Str. I, 8.32), durch welche sie, ebenso wie die südliche Hauptendmoräne eine Unterbrechung erleidet, tritt sie in der Gestalt eines flachwelligen Rücken auf und bildet jenseits dieses Tales die, letzteres vom Stocksee trennende, breite, steilabgeböschte Bodenschwelle (Forst Holm). Westlich vom Stocksee, in der südlichen Umgebung des Dorfes Stocksee, ändert sie ihre bisherige Verlaufsrichtung und verläuft von hier ab bis zur östlichen Umgebung des Bothkamper Sees (Kirch-Barkau, Gr.- Barkau) parallel der südlichen Hauptendmoräne, sich dieser, soweit sie nicht von ihr durch Seen und Senken getrennt wird (Schmalensee, Fuhlen- see, Schierensee und ferner weiter nördlich Grosser Teich, Viehteich, Hoch- lelder See und die, diese Wasserbecken verbindende Rinnen) anschmiegend. 3is zum Schmalensee tritt sie als ein, anfangs coupiertes, späterhin flach- welliges, meist sehr steinigtes und zwischen Wankendorf und Gr.-Barkau als ein schwach coupiertes Gelände, das hier zusammen mit der südlichen Hauptendmoräne die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen der Schwentine einerseits und der Eider und der Stör andererseits darstellt, in die Er- scheinung. — Im Osten wird dieselbe auf dieser Strecke von einer weiten, 27 flachen, rinnenförmigen Mulde, welche sich zwischen dem Post-See bei Preetz und dem Stolper See erstreckt und’ in späteren Stadien der Ab- schmelzperiode einem gewaltigen, nach Süden zum Haidesandgebiete, durch die südliche Hauptendmoräne bei Bornhöved hindurchführenden Schmelz- wasserstrome zum Bette diente, begrenzt. Auf diesem Wege fand auch ein Teil der Schmelzwasser dieser Staffel seinen Abfluss, während ein anderer Teil über und durch die vorliegenden Staffel hindurch seinen Lauf zum Geschiebesandgebiet nahm. Jenseits des Bothkamper See verläuft die Nehmsberg-Staffel ebenfalls in derselben Richtung wie die südliche Hauptmoräne innerhalb der Gottsche’schen Teilstrecke Eider—Dobbersdorfer See weiter. Aufschlüsse, die einen Einblick in den inneren Aufbau dieses End- moränenstückes ermöglichten, sind bei den Dörfern Stocksee, Belau und Stolpe vorhanden. Den ersteren Punkt habe ich bereits früher angegeben (Str. I, S. 32); dort waren in Kiesen eingeschlossene Geschiebepackungen blosgelegt. — Am Wege zwischen Vierhusen und Belau werden in einer Kiesgrube Blockpackungen von 1--2 Meter Mächtigkeit von gleichmäch- tigen Sand- und Grandschiehten überlagert und unterteuft. — In nächster Nähe von Belau erweist eine schöngewölbte Kuppe sich als aus Granden und Packungen bis faustgrosser Geschiebe zusammengesetzt. Bei Stolpe endlich, dem Fundorte jener von Fack!) entdeckten und beschriebenen Abart des miocänen Holsteiner Gesteins, welche im Gegensatz zu den, an anderen Lokalitäten (Plön, Brothener Ufer) vorkommenden, sehr harten und spröden Varietäten, sehr mürbe ist und dadurch die Gewinnung zahlreicher, in unbeschädigtem Zustande sonst nicht zu erhaltender Con- chylien gestattete, — sind Packungen von Steinen bis zu Felsengrösse unter einer, wenige Meter starken Schichtenfolge von schmalen Bändern von Spathsand, Grand und Diluvialton zu beobachten. Die Schmelzwasser der zwischen Schieren und Oldesloe belegenen Teilstrecke der Nehmsberg-Staffel folgten der natürlichen Abdachung des in ihrem Vorlande befindlichen Geländes nach Westen bezw. Südwesten und benutzten alsdann die, hier in nordsüdlicher Richtung sich erstrecken- den, in späterer Zeit von der diluvialen Trave in ausserordentlicher Weise vertieften Senke, welche sie zunächst nach Süden in die tiefer gelegenen Gebiete der Gegend zwischen Oldesloe und der südlichen Haupt- endmoräne führte. Da aber das im Osten befindliche Inlandeis ein Ab- strömen nach Osten, die Höhen der südwärts belegenen südlichen Haupt- endmoräne und ihres Hinterlandes ein solches nach Süden verhinderten, ı, M. W. Fack, Das Vorkommen von Miocängestein unter Diluvialgeschieben in Holstein, in d. Schriften des naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein. I. Bd. Heft 3. 1875. 2# 28 mussten die Schmelzwasser nach Westen strömen. Sie fanden in dieser Richtung einen Abfluss auf dem Wege, den jetzt die Norder -Beste in umgekehrter Richtung benutzt und gelangten, indem sie bei Sülfeld die südliche Hauptendmoräne durchbrachen und die, zwischen diesem Orte und Borstel in 25—30 Meter Meereshöhe belegene Wasserscheide durch Aufstau überwanden, in das Haidesandgebiet und damit in das Fluss- gebiet der Alster. Es ergoss sich also die diluviale Trave in einer ge- wissen Epoche der dritten Abschmelzperiode in der Gegend von Hamburg in die Elbe. Die Schmelzwasser der übrigen Teilstrecke der Nehmsberg-Staffel bis zum Stocksee hin, flossen unter Benutzung bereits vorgebildeter (die Senke zwischen dem Wardersee und Gr.-Rönnau, in welcher jetzt die Trave und diejenige, in welcher jetzt die Brandsau zur Trave fliesst) oder unter Schaffung neuer Wege (der rinnenförmige, nordwestlichste Teil des Wardersees, der Blunker See, der gleichfalls rinnenförmige Nehmser See) und indem sie die Höhen der südlichen Hauptendmoräne, welche sie nicht durchbrechen konnten, mittels Aufstau überwanden, in das vor der südlichen Hauptendmoräne befindliche Geschiebesandgebiet ab, hier die erste Anlage des breiten Erosionstales, welches, wie ich bereits früher angegeben habe, (Str. I. S. 32) in anfangs südlicher, später südwestlicher Richtung aus dem südlichsten Teile des Gr. Plöner See in das Geschiebesandgebiet hinaus- führt, bewirkend. Dieses Erosionstal stellte beinahe während der ganzen Abschmelzperiode, wenn auch nicht in allen seinen Teilen — wie gleich näher angegeben wird — einen der wichtigsten Abzugskanäle der Schmelz- wasser Ostholsteins nach dem Westen dar. Die Schmelzwasser der Warderseestaffel zwischen Struckdorf und Brackrade (Steinbusch) sammelten sich in der weiten Warderseemulde in einem mächtigen Stausee, alles Gelände unter 35 m ü. M. unter Wasser setzend. Aus diesem heraus fanden sie, auf demselben Wege wie noch heute die Trave, durch die Nehmsbergstaffel hindurch bei dem Orte Warder den Abfluss nach Westen in der zwischen der südlichen Haupt- endmoräne und der Nehmsbersstaffel befindlichen Senke. Dieser Teil der diluvialen Trave nahm aber seinen weiteren Lauf nicht wie die heutige Trave bei Gr.- Rönnau nach Süden, sondern es ist anzunehmen, dass es demselben zu jener Zeit noch nicht gelungen war, in die, südlich von Segeberg, zwischen diesem Orte und Högersdorf in über 40 m u. M. befindlichen Bodenschwelle das jetzige tiefe Bett zu oraben, und dass er daher gezwungen war, sich durch das, bei Gr.-Rönnau von Norden einmündende Tal der Brandsau in das weite, aus dem Plöner See nach Westen abfliessende Erosionsthal zu ergiessen, — denn sonst hätten die in dem Letzteren strömenden Schmelzwasser, da im Brandsautale niedrigere Höhen als auf der weiteren, nach Westen führenden Strecke 29 desselben zwischen Brandsmühle und Ricklingen zu überwinden waren, diese, deren Talränder noch jetzt deutlich zu verfolgen sind, nicht erodieren können, sondern wären nach Süden zur diluvialen Trave ab- geflossen. — In einer späteren Epoche der Abschmelzperiode haben aber vermutlich auch die Schmelzwasser aus dem Plöner See, nachdem es der Trave gelungen war, den genannten Riegel zu durchbrechen, sich hierher, nach Süden, gewandt. — Von dem Stausee in der Warderseemulde sind heute als Reste desselben noch vorhanden der Hauptteil des Wardersees, der Seedorfer See, der Seekamper See und der kleine Kembser See. Weite grosse Strecken der Mulde, die jetzt von der, bei dem, im Hinterlande der Warderseestaffel belegenen Orte Gieselrade entspringenden Trave durch- flossen wird, namentlich in den nördlichen und östlichen Teilen, von Mooren eingenommen. Was den weiteren Verlauf der Nehmsbergstaffel südwärts vom Travetale anbetrifft, so möge erwähnt sein, dass derselbe über Pölitz und Eichede nach Schiphorst, wie aus den, bei diesen Orten befindlichen Auf- schlüssen zu ersehen ist, führt. Von hier aus scheint diese Staffel, indem sie sich an die südliche Hauptendmoräne anlegt, über Labenz, Berg- rade und Kühsen weiter zu streichen, und sich jenseits des Stecknitztales mit der nördlichsten von Gagel!) in der Umgebung Ratzeburgs nach- sewiesenen Endmoränenstaffel zu vereinigen. Wie sich in dieser Hinsicht die Warderseestaffel südlich vom Travetale verhält, konnte noch nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Die topographischen Verhältnisse der dortigen Gegend zwingen aber zu der Annahme, dass sie daselbst eine ähnliche Verlaufsrichtung inne hält, wie die Nehmsbergstaffel und etwa über Steensrade, Westerau, Steinhorst, Niendorf, Hollenbek auf den Ratzeburger See zuführt. Der weitere Verlauf der Warderseestaffel in der Umgebung des Gr. Plöner See wird später geschildert werden. — ') Gagel, Über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln. Jahrbuch der Preuss. geolog. Landesanstalt für 1903. Bd. XXIV. Heft 1. 30 Das an die Wearderseestaffel sich nach Osten anschliessende, im Süden bis nahe an die Lübecker Mulde heranreichende Stück Osthol- steins wird im Osten und zum Teil auch im Norden wiederum von einer ausgedehnten, in nordsüdlicher Richtung sich erstreckenden, von der Schwartau durchflossenen Mulde (Schwartauer Mulde) begrenzt, auf derem östlichen Talrande zwischen Pansdorf und Süsel ebenfalls eine Endmoräne, welche von mir als das Verbindungsstück zwischen der nördlichen Haupt- endmoräne Mecklenburgs und dem bei Süsel endigenden Gottsche’schen Endmoränenzuge betrachtet ward, verläuft. Im Süden wird diese Mulde von einer — nur 'von dem Erosions- tale der Schwartau durchschnittenen — Bodenschwelle, die sich von Ratekau nach Pohnsdorf bezw. Curau erstreckt und im Pariner Berg mit 72 m ü.M. ihre höchste Erhebung aufweist, getrennt. Die westliche Grenze derselben, welche nur in den nördlicheren Teilen sich in dem, steil zur Sohle des Schwartautales absenkenden Talrande deutlicher zu erkennen gibt, und die annähernd mit der 40 Meter Höhencurve zusammenfällt, wird durch eine Linie angegeben, welche über die Orte Curau, Schwinkenrade, Schwochel, Havekost, Unter-Steenrade, Barkau, Gothendorf und Braak führt. — Bei letzterem Orte teilt sich die Mulde, welche von Gothendorf ab eine mehr westliche Richtung eingeschlagen und gleichzeitig an Breite bedeutend abgenommen hat, in zwei schmale Rinnen, von denen die nördlichere, welche der Schwartau zum Bette dient, bis in die Nähe von Neudorf, südlich von Eutin, die südlichere sich westwärts bis über Majenfelde hinaus erstreckt. Als Reste ehemaliger Stauseen befinden sich in den nördlichen Teilen der Mulde der Barkauer See, der Middel- burger See und der Woltersteich. — Das zwischen dieser Mulde und der Warderseestaffel befindliche (sebiet könnte man, da seine Oberfläche auf grössere Strecken hin von (reschiebelehm bedeckt wird, obwol es des Reichtums an Seen ermangelt, als eine Grundmoränenlandschaft betrachten, allein der Umstand, dass wenn auch geschlossene, markant aus ihrer Umgebung hervortretende Endmoränenstaffeln in demselben nicht deutlich verfolgbar waren, doch eine ganze Anzahl von Gebieten, deren Oberflächenconfiguration sich von der typischer Endmoränen nicht unterscheidet, sich durch ihren geolo- eischen Aufbau als Endmoränen zu erkennen gaben, berechtigen zu der Auffassung, dass auch dieses Gebiet zu einer Endmoränenlandschaft zu rechnen ist. Von solchen Beobachtungspunkten gehören der von Gieselrade (Blockpackungen bedeckt von Greschiebemergel) und Lebatz (fächen- al förmig ausgebreitete Packungen von Geschieben bis zu Felsengrösse) zu einer westlicheren Staffel, die, falls man nicht annehmen wollte, dass sie von letzterem Orte ab nach Süden in die lübeckische Mulde weiter verlaufen würde — wofür bisher keine Anhaltspunkte vorliegen — sich über Curau und Parin nach Ratekau, hier jene eben erwähnte, die Lübecker von der Schwartauer Mulde scheidende Bodenschwelle darstellend, erstreckt. An Wahrscheinlichkeit gewinnt diese letzte Annahme durch die Erwägung, dass der sog. Pariner Berg, wie ein in seinem Gipfel belegener Aufschluss erkennen lässt, als eine Staumoräne zu betrachten ist. Betrachtet man ferner das zwischen dieser Staffel und der Lübeckischen Mulde noch belegene Gebiet in der Umgebung Pohnsdorfs, Arfrades und Krummbeks als eine Vorstufe derselben, so erweist sich die Lübecker Mulde nicht nur im Westen (Warderseestaffel), sondern auch im Norden als von Endmoränen eingerahmt. — Zu einer östlicheren Staffel gehören die Punkte Schwinkenrade (Blockpackungen unter 1 m Geschiebemergel), Böbs und Schwochel (kleine Packungen in Kiesen, bedeckt an 1'/; m oberflächlich lehmig verwitterten Sanden; sehr steinigter Boden und starke Anhäufung grösserer Felsen in der Umgebung dieser Orte), sowie Barkau, wo- selbst sich eine der hier über 70 m ü. M. aufragenden, weithin sicht- baren, glockenförmigen Kuppen aus oberen Sanden und Kiesen, zwischen die eine '/s m mächtige Geschiebemergelbank eingeschaltet ist, zusammen- gesetzt zeigt. Während der im Gebiete zwischen der Wardersee- und Schwartauer- mulde liegende Gletscher seine Schmelzwasser grösstenteils in erstere und zum andern Teile -— wie auf Grund der topographischen Verhältnisse anzu- nehmen ist — zur Lübecker Mulde entsandte, flossen die Schmelzwasser der Endmoräne Pansdorf — Süsel teils unmittelbar, teils — so zwischen Pönitz und Süsel — in flachen Rinnen, die sie sich in das vor der End- moräne liegende, flachwellige, z. T. als Sandrgebiet anszusprechende Gelände eingruben, in die Schwartauer Mulde ab und ergossen sich, indem sie den, die letztere von der Lübecker Mulde scheidenden Riegel durch- schnitten, in diese und aus derselben durch das Wackenitztal nach Süden zur Elbe (cf. Str. I. S. 42). Auch in der nächsten Folgezeit, als das Inlandeis sich noch weiter nach Osten zurückgezogen hatte, blieb dieser Entwässerungskanal, der im Gegensatz zu den anderen Ostholstein ent- wässernden Kanälen, die Schmelzwasser nach Süden leitete, ein wichtiger Abflussweg für dieselben. 32 Eben nördlich vom Süseler See endet jener grosse Zug von End- moränen, den Gottsche von der dänischen Grenze bis hierher, wenn auch nicht in völlig lückenlosem Zusammenhange nachgewiesen hatte. Die hier (Messtischblatt Süsel, 577) von Gottsche angegebenen einzelnen Punkte, an denen Blockpackungen (Kgr. bei dem Steinbergkaten , unmittelbar N. der Chaussee), bezw. Bestreuung (Buschkoppel beim Steinbergkaten, Gehege Steinberg, Gehege Kuhlbusch) beobachtet werden konnten, gehören zu der 7. Teilstrecke seines Zuges (Lütjenburg — Süsel) und zwar zum Bogen Steinklippen — Süsel. Trägt man nun alle, den letzteren bildenden, einzelnen Punkte von Geschiebepackungen bezw. Bestreuungen in eine Karte z. B. das Messtisch- blatt Neustadt i. H. (500) ein, so zeigt es sich, dass der Bogen in seinen nördlichen Teilen eine Breite von 21/, Kilometer, in seinen südlichen eine solche von gegen 4 Kilometer besitzt. Konnte schon aus diesem Umstande geschlossen werden, dass die denselben zusammensetzenden Punkte nicht zu einer einzigen Staffel gehören würden, so ergab die nähere Untersuchung, dass derselbe in der Tat aus drei verschiedenen, zusammenhängenden Staffeln, welche sich teils dicht aneinander schmiegen, teils durch mehr oder weniger tiefe, aber nicht sehr breite Senken, in denen sich noch Seen oder Reste von solchen befinden, distinet von ein- ander abgesetzt sind, besteht. Insgesamt bilden diese drei Staffeln — die südlichste (erste) jedoch nur für eine kurze Strecke — einen einheitlichen, imposanten, wallartigen Endmoränenzug, der zwischen Neustadt und den, zwischen den Orten Stolpe und Kasseedorf belegenen Gehegen Steinklippen und Stolperholz in einem, nach Südwesten gerichteten, nach Nordosten offenen Bogen verläuft. Die dritte (nördlichste) Staffel, welche sich von der zweiten Staffel durch eine fortlaufende Reihe von teils vertorfter, teils von Wasser (Redingsdorfer See, Griebeler See) erfüllter Senken geschieden, von Neu- stadt über Roge, Gömnitz, Vinzier und Holzkathen erstreckt, ist die höchste. In derselben erreicht die mächtige, einen Aussichtsturm tragende Kuppe des Gömnitzer Berges eine Höhe von 93,8 m ü. M. (s. Tafel III); doch kommen auch in der zweiten Staffel, welche zwischen Roge und Oevelgönne unweit der Neustädter Bucht beginnt und deren weiterer Verlauf durch die Orte Bujendorf, Redingsdorf, Zarnekau und Forsthaus Kasseedorf bezeichnet wird, fast dieselben Höhen, nämlich 85,3 m ü. M. bei Redings- dorf und 91,4 m. ü. M. bei den Abbauen zu Zarnekau, vor. 33 In der ersten (südlichsten) Staffel erheben sich die einzelnen Hügel und Kuppen im Durchschnitt auf 50 Meter ü. M. und nur in verein- zelten Fällen auf über 60 Meter. Allmählich senkt sich von dieser Staffel das Gelände nach Süden und Südwesten zu der nahen Schwartaumulde ab. Nach Norden und Osten aber, auf der Innenseite des Bogens dacht sich die nördlichste Staffel sehr rasch ab, so am Gömnitzer Berg z. B. in einer Entfernung von 300 Meter von 95,8 m auf 40 m und beim Dorfe Roge von 49,2 m auf eine Entfernung von 800 Meter auf den Stand der Ostsee. Von dieser Himmelsriehtung aus imponiert daher auch dieser ganze Bogen, zumal sich das in seinem Hinterlande bis zur nahen Ostsee anschliessende Gelände — abgesehen von einer Reihe, später noch näher zu beschreibender, isolierter Erhebungen, welche sich in nahem Abstande von der nördlichsten Staffel befinden und gewissermassen noch eine auf- gelöste vierte Staffel darstellen — auf keine bedeutenderen Höhen mehr erhebt, sondern auf eine grosse Ertreckung hin fast auf das Niveau des Ostseespiegels herabsinkt, als ein wallartiger, amphitheaterförmiger Höhenzug:! An diesen Bogen setzt sich als unmittelbare Fortsetzung nach Norden — und zwar ausschliesslich als Fortsetzung der dritten (nörd- lichsten) Staffel — ein weiterer, kürzerer, nach Westen gerichteter Bogen an, der sich, in nordsüdlicher Richtung durch die Gehege Grosse Wild- koppel und Buchholz, westlich von Schönwalde, verlaufend (s. Gottsche l. e. 8. 37), bis in die südliche Umgebung des Bungsberges erstreckt, aber, obwohl er sich ebenfalls zu beträchtlichen Höhen (117 m ü. M. im Gehege Gr. Wildkoppel, 125 m ü. M. im Gehege Buchholz) erhebt, nicht so markant wie der südlichere Bogen (Neustadt — bezw. Süsel — Steinklippen) aus seiner Umgebung hervortritt. Beide Bögen (Neustadt — Steinklippen; Steinklippen — Bungsberg) bilden also zusammen einen Gesamtzug, oder um bei der von Gottsche angewandten Bezeichnung zu bleiben, eine Teilstrecke, welche im Folgenden als Teilstrecke Neustadt— Bungsberg be- zeichnet werden soll. Vom Bungsberg aus schliesst sich an dieselbe ein anderer einheit- licher, wiederum aus zwei Bögen zusammengesetzter, deutlich abzugren- zender Endmoränen-Zug, der vom Bungsberg aus bis Neu-Harmhorst (erster Bogen) eine ostwestliche Richtung besitzt, von hier ab über Alt- Harmhorst, die östliche Umgebung von Kletkamp, Blekendorf und Sechen- dorf (unweit Lütjenburg) bis zur Ostsee (zweiter Bogen) verläuft (Teil- strecke Bungsberg — Sechendorf bezw. Lütjenburg). Der erste Bogen dieses Zuges ist dadurch ausgezeichnet, dass in ihm der höchste Punkt des östlichen Holsteins, der Bungsberg, sich auf 168 m ü. M. erhebt. Mehrere sich westwärts von demselben anschliessende 34 Hügel ragen zwar nicht so hoch empor — nämlich nur auf 125—145 m ü. M., treten aber ebenfalls weithin sichtbar und dominierend über ihre Umgebung, besonders über das, nach Süden und Südwesten zum Eutiner und zum Kellersee stufenweise abfallende Gelände, hervor. Es gehören zu diesem Bogen die Gottsche’schen Beobachtungspunkte von Packung und Bestreuung am Süd-Abhange des Bungsberges und am Westrande des Schellholzes (l. ec. S. 36). In dem zweiten Bogen finden sich nur in der südlichen Umgebung von Alt-Harmhorst Höhen von über 100 Meter; nach Norden zur Hoh- wachter Bucht nehmen die Hügel und Kuppen desselben nach und nach an Höhe ab. — Charakteristisch für die äussere Ausbildungsweise dieses Zuges ist, ebenso wie für die des Bogens Steinklippen — Bungsberg (s. Gottschel. c. S. 37), das Vorkommen ausgedehnter Bestreuung (s. Tafel I und I]. Nicht nur an dem, von Gottsche angegebenen Punkte, am Südrande des Gehölzes in der Umgebung von Alt-Harmhorst, sondern auch in den nördlich davon belegenen Forstgehegen Harmhorster Holz und Weide- koppel, sind die Hügel und Kuppen fast überall mit Felsen bedeckt. Was den inneren Aufbau der letzteren anbetrifft, so erweisen sie sich, wie u. a. ein bei der Poggenmühle vorhandener Aufschluss lehrt, als aus schichtenweise abgelagerten Sanden und Granden, welche Block- packungen einschliessen, aufgeschüttet. — Im Westen begleitet diesen Zug eine muldenförmige, aus der west- lichen Umgebung Alt-Harmhorst’s in nördlicher Richtung bis zur Ostsee sich erstreckende Senke, zu der derselbe grösstenteils einen schroffen Abfall zeigt. — An diese Teilstrecke reiht sich dann wiederum die von Gottsche angegebene Teilstrecke Lütjenburg — Dobbersdorfer See an, welche richtiger als Teilstrecke Hassberg — Dobbersdorfer See zu bezeich- nen ist, da ein, von Lütjenburg bis Hassberg (Gottsche 1. ec. S. 35: Hassberg, Packung in Kgr. unmittelbar S. des Ortes) sich ersteckendes Endmoränenstück, noch zu derselben gehört. Der Zusammenschluss der Teilstrecke Gottsche's Lütjenburg — Dob- bersdorfer See mit der Teilstrecke Gottsche’s Lütjenburg — Süsel (Bogen Harmhorst — Steinklippen) erfolgt nach dieser Darstellung also in anderer Art, als wie sie von Gottsche angenommen ward. Es wird aber gezeigt werden, wie zwischen den beiden Teilstrecken noch weitere Verbindungen, darunter auch eine derartige, wie sie Gottsche angenommen hat, existieren. — Was nun die einzelnen Staffeln des Bogens Süsel bezw. Neu- stadt — Steinklippen anbetrifft, so verläuft die südlichste (erste) von der nördlichen Umgebung des Süseler Sees, anfänglich noch für eine kurze Entfernung mit der zweiten und dritten Staffel verschmolzen, bald aber deutlich durch das Röbeler Moor von derselben getrennt durch die 35 Gehege Steinberg und Kuhlbusch und weiterhin über Röbel, sich ver- breiternd, durch die südliche Umgebung von Eutin und von dem kleinen Eutiner See nach Neudorf. Auf dieser Strecke zeichnet sie sich zwischen Süsel und Röbel zum Teil durch recht unregelmässige Terrainformen aus, zwischen diesem Orte und Neudorf aber tritt sie nur als ein flach- welligses Terrain, aus dem vereinzelte, langgestreckte, hünengrabähnliche Kuppen etwas höher aufragen, in die Erscheinung. Der Umstand, dass die Schmelzwasser der folgenden Staffel zum Teil über sie hinweg ihren Abfluss zum Schwartautale fanden, dürfte hier von Einfluss auf die Ausbildung ihrer Oberflächenformen gewesen sein. Ein, in einer flachgewölbten, auf der Wasserscheide zwischen dem kl. Eutiner See und dem Schwartautale befindliche Bodenschwelle bei Neudorf liegender, grosser Aufschluss gewährt einen trefflichen Emblick in den inneren Aufbau dieser Endmoräne Die 6—8 Meter hohen Grubenwände zeigen sich aus bänderartigen, den Konturen der Schwelle folgenden, schwach nach Süden geneigten, verschieden mächtigen Schichten feinerer und gröberer fluvioglacialer Sedimente, die an der Südwand von einer wenig mächtigen Bändertonschicht bedeckt sind, zusammengesetzt (s. Tafel IV). — An verschiedenen Stellen lesen sich die Schichten des gröberen Materials für längere und kürzere Ausdehnung dicht aneinander, und es kommt hierdurch, und indem an die Stelle kleinerer Geschiebe eine Anhäufung solcher von über Kopfgrösse bis Felsengrösse tritt, zur Bildung von Blockpackungen. Je nachdem der Abbau in dieser Grube stattfand, waren daselbst nur fluvioglaciale Schichten ohne Blockpackungen, oder solche im Verein mit ausgedehnten Blockpackungen wahrzunehmen. (Genau die gleiche innere Ausbildungsweise wie bei Neudorf zeigen die Endmoränen Ostholsteins so häufig, dass man dieselbe als eine für sie typische bezeichnen darf. Da die Neudorfer Blockpackungen zahlreiche Kalkgeschiebe enthalten, glaubte Gottsche, wie schon erwähnt ward, annehmen zu müssen, dass dieselben bereits während einer früheren Vereisung abgelagert seien. — Auch in ihrer weiteren Erstreckung erscheint diese Staffel von Neudorf ab zunächst bis zu den, südlich von Gremsmühlen belegenen Forstgehegen Neukoppel und Bergen nur als eine nie- drige Schwelle, welche im Osten und Nordosten von einer flachen, bis an den Kellersee sich hinziehenden, breiteren Senke (Eutin -Roten- sander Senke), im Süden und Westen von einer schmalen Rinne begleitet wird. Zwischen dem Beutinerholz einerseits und den Ge- hegen Bergen und Neukoppel andererseits wird diese Schwelle von einer rinnenartigsen Senke unterbrochen, welche eine Verbindung zwischen den beiden genannten Senken herstellt. Auf der die End- moräne im Süden und Westen begleitenden Rinne flossen, nach Über- 36 windung der unweit Neudorf in 35—40 m ü. M. befindlichen Wasser- scheide durch Aufstau, die Schmelzwasser derselben zur Schwartauer Mulde ab. Hierher konnten auch unter Benutzung jener Verbindungs- rinne die, im Bereiche des Kellersees während eines späteren Abschnittes der Abschmelzperiode sich sammelnden Schmelzwasser gelangen. Innerhalb der Gehege Neukoppel und Bergen ändert die End- moräne plötzlich ihre äusseren Formen und gibt sich als ein Komplex regellos angeordneter, bis über 80 Meter sich erhebender Kuppen und Hügel von kegel- und glockenförmiger Gestalt, neben und zwischen denen tiefe Kessel nnd Schluchten liegen, zu erkennen. Am Südufer des Diecksee (»Holm«) bildet sie alsdann einen wall- artigen Rücken, der zum See nach Norden in mehreren, schmalen Stufen rasch, nach Süden zur Gegend von Kreuzfeld sich allmählich abdacht und weiterhin, nunmehr eine ausgesprochen nordost-südwestliche Rich- tung einschlagend, den, den Suhrer See auf seiner Südseite begleitenden, zum Seespiegel steil sich herabsenkenden Höhenzug, der sich am west- lichen Ende des Sees in eine Gruppe einzelner, zum Teil kegelförmiger, jäh abgeböschter Kuppen auflöst. In der südlichen Umgebung des Heiden und Vierer Sees, durch die sie dann bis zum Plöner See dahin- zieht, besitzt sie, abgesehen von einzelnen Örtlichkeiten, nicht die für Endmoränen charakteristische äussere Erscheinungsweise; hier haben ihre Oberflächenformen in einem späteren Stadium der Abschmelzperiode durch die Brandungserosion des damals hoch aufgestauten Plöner Sees, wie später noch näher zu erörtern sein wird, eine bemerkenswerte Um- bildung erlitten. Im wesentlichen erweist sie sich auch auf dieser Strecke, wie aus einer Reihe von Aufschlüssen, ausser dem Neudorfer Aufschluss (Kgr. im Beutinerholz, ca. 500 m südöstlich vom Gehöft Nathenkuhl; an den von Gottsche angegebenen Punkten: Holm, kl. Kgr. unmittel- bar O. d. Waldes b. Virth; Bösdorf, Kgr. am Wege n. Ober -Cleveez, bei A 60,2 u. a. O.), hervorgeht, als eine aus Sanden, Kiesen und Blockpackungen aufgeschüttete Moräne. Im Beutinerholz liegt teilweise eine etwa 1 m mächtige Geschiebemergeldecke über den Blockpackungen. In den Forstgehegen Bergen und Neukoppel, sowie im Holm ist der 3oden der Hügel sehr steinigt; stellenweise sind an ersterer Örtlichkeit auch noch ausgedehnte Blockbestreuungen vorhanden. Während, wie bereits angeführt ward, die Schmelzwasser des östlichen Teiles dieser Strecke zum Schwartautale abgeleitet wurden, mussten die des westlichen Teiles ihren Weg am Eisrande zu der Senke, in der sich jetzt der Plöner See befindet, hin nehmen. Die zweite Staffel des Bogens Neustadt (Süsel) — Stein- klippen teilt sich nördlich von Röbel, zwischen diesem Orte und 37 Zarnekau in zwei Züge. Der südlichere verläuft in derselben Richtung wie die erste Staffel und parallel derselben bis zum Südufer des Keller- sees, — der nördlichere Zug wendet sich, zunächst für eine kürzere Strecke, bis in die südliche Umgebung des Stendorfer Sees (Stendorfer Mulde) nordwärts und schlägt von hier ab bis zum Ostufer des Kellersees eine westliche Richtung ein. Im Bereiche dieses Sees dürften sich beide Züge ehemals wieder aneinander gelegt haben. Als ihre gemein- same Fortsetzung sind vom Westufer des Kellersees ab die am nörd- lichen Gestade des Diecksee sich erhebenden Hügel und Hügelketten zu betrachten. Nach seiner Trennung von dem nördlicheren Zuge zieht der süd lichere Zug durch die südliche und westliche Umgebung des Gr. Eutiner Sees hin, hier das diesen See einrahmende Gelände darstellend.. Von Eutin ab bildet sie jene durch einen Einschnitt bei Fissauerbrück in zwei grössere Teile zerlegte, teilweise stark coupierte Bodenschwelle, welche von hier bis zum Kellersee (Prinzenholz) in südwest — nordöstlicher Richtung sich erstreckt und im Westen von der ersten Staffel durch den Kl. Eutiner See und die oben erwähnte breite Senke (Eutin—Roten- sander Senke), im Osten von dem zweiten Zuge durch den Gr. Eutiner See, den südlichsten, rinnenförmigen Teil des Kellersees und die, diesen mit dem Gr. Eutiner See verbindende, von der Schwentine benutzte Talfurche geschieden wird. Hart nördlich vom Kl. Eutiner See erstreckt sich von Eutin aus eine 500 bis 600 Meter breite, gegen 20 Meter über den Seespiegel des Kl. Eutiner Sees sich erhebende Schwelle, durch welche nochmals eine Verbindung zwischen den genannten beiden Endmoränen hergestellt wird. Durch die, bereits von Gottsche angegebenen, in einer, in den Anlagen hart am Seeufer belegenen Kiesgrube freigelegten Blockpackungen erweist sich auch diese Schwelle als eine Endmoräne, welche durch eine, von der Stätte des heutigen Eutin aus sich nach Westen vorschiebende Riszunge gebildet ward. Als eine Bestätigung dieser Annahme darf es angesehen werden, dass dort, wo dieselbe die vorliegende erste Staffel — wie eine nördlich von der Chausse, etwa 800 Meter vom Eutiner Bahnhofe, ent- fernt belegene grosse Sandgrube lehrt — berührt, beträgliche Störungen in den Lagerungsverhältnissen, der, diese letztere zusammensetzenden Schichten zu beobachten sind. Den Kern der ersten Staffel bilden an dieser Stelle gegen 20 Meter mächtige, steinfreie, aufgepresste Tone und ihnen angelagerte gleich- mächtige discordant-parallel struierte Spatsande, die in ihren unteren Teilen Schichten von Kiesen und Blockpackungen einschliessen und in ihren oberen Teilen eine gleichmässig feinkörnige Beschaffenheit zeigen. Beide Bildungen werden in den westlichen Teilen der Schwelle discordant 38 von einer, wenige Meter starken Schicht von feinen Sanden und Bänder- tonen bedeckt, die entsprechend dem Abfalle der Schwelle sich nach Nordosten zu der Eutin — Rotensander Senke allmählig herabsenken. An dem Berührungspunkte aber sind die letzteren durch Eisschub in mehrere Schollen zerlegt, zum Teil lotrecht aufgestaucht und über- einander geschoben, und samt einem, in dünne, bis 30 cm starke Bänk- chen zertrümmerten, in Bryozonensanden eingebetteten Torflager, auf die den Tonen angelagerten Bryozoensande hinaufgeschoben worden. Die Situation, in der das Torflager sich hier befindet, sowie die Berücksichtigung der Genese der Hügelzüge, lässt die Annahme begründet erscheinen, dass das Moor während der Abschmelzperiode in unmittel- barer Nähe des Gletschers gebildet worden ist und bei einem erneuten Vorrücken eines Teiles desselben zerstört und in seine jetzige Lage gebracht worden ist. Eine definitive Entscheidung dieser Frage dürfte erst von einer Untersuchung der Flora des Moores, die in Aussicht genommen ist, zu erwarten sein. — Die Schmelzwasser dieses Zuges nahmen ihren Abfluss ins Schwartau- tal und zwar auf der Strecke Zarnekau — Eutin direkt über die niedrigere, vorgelagerte erste Staffel des Bogens Neustadt — Steinklippen hinweg, in der Umgebung Eutins indirekt durch den Kl. Eutiner See und nach Überwindung der zwischen diesen und dem Schwartautale belegenen Wasserscheide und auf der Strecke zwischen Eutin und dem Kellersee endlich vermittels der, bei Beschreibung der ersten Staffel angegebenen Abflussrinnen. — Der zweite, nördlichere Zug der in Rede stehenden Staffel wendet sich zwischen Zarnekau und dem südlichen Rande der weiten, tiefen Mulde, in der der Stendorfer See eingebettet liegt (Stendorfer Mulde), von der dritten Staffel, mit der er bis hierher parallel verlief, ab und bildet zunächst das stark eoupierte und durch einen Reichtum kessel- förmiger Depressionen (Kolksee) ausgezeichnete Gelände in den nörd- lichen Teilen der Forstgehege Hohes Holz und Ochsenhals und teilt sich alsdann wiederum in zwei Züge.: Dem südlicheren verdankt das zwischen dem Gr. Eutiner See und dem Sibbersdorfer See sich ersteckende, flachhügelige Terrain seine Entstehung, dem nördlicheren, die den Nordrand des letzteren Sees und der, mit ihm in Verbindung stehenden, bis zum Kellersee reichenden Senke, umsäumenden Höhen, unter denen eine Reihe isolierter, hochaufragender, steilabgeböschter, bewaldeter, kegelförmiger Hügel sich besonders auffällig bemerkbar macht und dem Landschaftsbilde ein besonders bemerkenswertes Gepräge verleiht, — sowie endlich das, an diese in nördlicher Rich- tung sich anschliessende, flachhügelige Gelände, welches zum Keller- see, dessen östliche Ufer es begrenzt, auf kurze Entfernung hin steil abfällt. — 39 Von Aufschlüssen in dieser Endmoräne seien folgende erwähnt: Der stumpfkegelförmige Gipfel eines gegen 500 m vom Seeufer, gegenüber der Möveninsel steil bis auf 60—70 m ü. M. sich empor- hebenden Hügels, erweist sich aus mit einander wechsellagernden, bis gegen 1 m breiten Schichten von fest aufeinander gepackten Ge- schieben bis über Kopfgrösse, zwischen denen die Lücken durch ein sandiges, zum Teil in erheblicher Art mit verwitterten Bryozoen ange- reichertes Bindemittel ausgefüllt sind, sowie schmalen, sandigen und tonigen Schichten, die allseitig der Böschung des Hügels folgen, zu- sammengesetzt. Da die sandigen und tonigen Schichten gegenüber den Blockpackungsschichten sehr zurücktreten, scheinen die Grubenwände auf den ersten Anblick nur aus Steinen zu bestehen. In einer zwischen dem Kellersee und dem, von Eutin nach Sielbeck führenden Fahrwege, etwa 500 Meter südlich vom Kurorte Schönborn befindlichen, wenig tiefen Kiesgrube lagern an der nördlichen Gruben- wand 1—2 m Geschiebemergel über sehr blockreichen Bryozoensanden, an der Ost- und Westwand gegen 1 m mächtige Geschiebepackungen über Geschiebemergel. Unter den @Geschieben fällt die grosse Zahl scharfkantiger Bruchstücke des obersenonen Gründsandstein auf. Dieses ist bereits Bruhns!) bekannt gewesen, der aus der näheren Um- gebung dieser Grube noch eine weitere Anzahl von Punkten, woselbst sich dieses Gestein früher vorfand, angibt. Jetzt ist von demselben an den betreffenden Örtlichkeiten nichts mehr zu finden. In den südlichen Teilen der Gehege Ochsenholz und Hohes Holz und zwischen ihnen und dem Gr. Eutiner See, sowie in der Gegend zwischen Zarnekau und dem Gr. Eutiner See, im Oldenburgischen Staatsforste (Gehege Sandfeld) ist ausgeprägter Sandboden vorhanden. Es handelt sich hier um ein kleines Sandrgebiet, dass von den zum (Gr. Eutiner See abströmenden Schmelzwassern aufgeschüttet wurde. Im Übrigen erfolete der Abfluss der letzteren durch den Sibbersdorfer See, den Gr. Eutiner See und die, diese beiden Senken verbindende, jetzt von der Schwentine benutzte Senke, sowie ferner den Kl. Eutiner See, bezw. den Kellersee und die bereits mehrfach erwähnten Rinnen zum Schwartautale. Während ihrer Fortsetzung am Nordufer des Dieckse imponiert die Staffel durch in sehr charakteristischer Weise ausgeprägte Terrain- formen. Vor allem ist es der, sich auf 8 m ü. M., auf 66 m über ‘) Bruhns, Führer durch die Umgegend der Ostholsteinischen Eisenbahnen, 1874, pag. 192. Vgl. auch Stolley, Die Kreide Schleswig-Holsteins in Mitteilungen aus dem mineralog. Institut der Universität Kiel. Band I. Heft 4. 1891. S. 211. 40 den Seespiegel des Diecksee erhebende, allseitig steil abgeböschte Nevers- felder Berg, der in einem Zuge mannigfach gestalteter Hügel und Kuppen, die von Malente bis Timmdorf den See begleiten und zu diesem teils allmählich, teils jäh abfallen, dominierend hervortritt. Ausser demselben ragen in ähnlicher Weise wie jene einzelnen isolierten Hügel am Nordufer des Sibbersdorfer Sees noch eine weitere Anzahl von Hügel aus dem Relief ihrer Umgebung hervor, so der Godesberg und der Brahmberg bei Malente und weiter westlich der Abel-Berg. In der Umgebung von Malente verzeichnete Gottsche einige Punkte von Blockpackungen, so an der südlichen Böschung des Brahmberges, nördlich vom Bahnhof und an einem Hügel 400 m N. W. der Kirche. Auch an dem, dem Brahmberge gegenüber liegenden Hügel, westlich von dem Wege nach Malente, waren in den letzten Jahren in Sanden und Granden eingebettete Blockpackungen zu beobachten. Ebenso zeigte sich der Godesberg an mehreren Stellen aus fluvio-glacialen Sedimenten aufgeschüttet und gleichfalls bestand, wie eine Kiesgrube an seinem Westabhange lehrte, der Neversfelder Berg von der 60 Meter-Linie an, bis zu seinem Gipfel aus Grand- und Sandbändern, die seinem Abdachungswinkel parallel gerichtet sind, stellenweise 1—2 Meter mächtige Geschiebepackungen einschliessen und oben bis zu einem Meter Tiefe lehmig verwittert sind. Der Boden des Neversfelder Berges ist überall sehr steinigt; auch ist noch hier und dort eine deutliche Bestreuung, ebenso wie an den von Gottsche angegebenen, anderen Punkten in der Umgebung von Malente (Gehege Steinbusch) und ferner noch auf zwei, zwischen dem Neversfelder Berg und dem Abel-Berg befindlichen Horsten, sowie auf dem letzteren, am östlichen Abhange, bemerkbar. Von Timmdorf ab bis zum Ostufer des Gr. Plöner Sees schlägt diese Endmoräne, ebenso wie die vorhergehende Staffel, eine ausge- sprochene nordost-südwestliche Richtung ein und trennt, indem ihre Hügel an Höhe, ihre Flächenausdehnung an Breite abnehmen und ihre Konfiguration durch zahlreiche Depresssionen und Einschnitte ein ausser- ordentlich mannigfache Gliederung erleidet, den Diecksee vom Behler See und Höft-See, die letzteren vom Suhrer See und endlich den Vierer- See vom Gr. Plöner See. — — 41 Die dritte, nördlichste Staffel des Bogens Neustadt — Stein- klippen, welche, wie bereits erwähnt wurde, im Gömnitzer-Berg, einer, dem Zuge aufgesetzten, wallartigen Erhebung eine Höhe von 93,8 m u. M. erreicht, erweist sich an den Stellen, wo ein Einblick in ihre innere Struktur zu gewinnen ist, wie in den Kiesgruben beim Dorfe Roge, bei der Göm- nitzer Windmühle und bei dem Gehöfte Steinklippen, am südlichen Rande des Geheges Steinklippen und endlich an den, von Gottsche (l. ec. S. 38) in der Nähe des Geheges Niendieksbrook angeführten Punkte, als ein Produkt der Accumulation fluvioglacialer Sedimente. Nachdem sich die zweite Staffel südlich der Stendorfer Mulde von ihr abgezweigt hat, bildet sie die die Stendorfer Mulde im Südosten und Osten umsäumenden Höhen (Gehege Niendieksbrook, Steinklippen, Ban- dorfshege), welche etwa in einem Kilometer Entfernung von dieser von gegen 70 Meter auf gegen 40 Meter hin schroff abfallen, und ferner das zwischen den Höhen und den See belegene, niedrigere, flachwellige Gelände, aus dem mehrere isolierte Kuppen wiederum zu grösserer Höhe sich emporheben. In der am weitesten nach Westen vorgeschobenen Kuppe befindet sich in der Nähe des Forsthauses Casseedorf eine Kies- grube, in der Gottsche Blockpackungen konstatieren konnte. In den Gehegen Steinklippen, Stolper-Holz und Bandorfshege ist auf flach- sewölbten Kuppen ausgedehnte Blockbestreuung (s. Gottsche, Endmoränen ete., pag. 38) vorhanden. — TE Von dem an den ersten Bogen (Neustadt — Steinklippen) sich an- schliessenden zweiten Bogen (Steinklippen — Bungsberg) zweigen sich auf der Nordseite der Stendorfer Mulde zwischen dieser und dem Bogen Bungsberg — Harmhorst (der Teilstrecke Bungsberg — Lütjenburg) drei Staffeln ab, denen zunächst das Gebiet in der nördlichen Umgebung der Sten- dorfer Mulde und der sich dieser in nordwestlicher Richtung anschliessen- den Sagauer Mulde (Sagauer See), sowie ferner das, den Uklei-See und das, Nordufer des Keller-See umgebende Gelände seinen Aufbau verdankt. — Die südlichste dieser Staffeln zieht aus dem Gehege Gr. Wild- koppel durch das, an die Stendorfer und Sagauer Mulde im Norden und an den Uklei-See im Süden angrenzende Gebiet bis an das Ostufer des Kellersees — und findet jenseits desselben seine Fortsetzung in dem Gebiete zwischen der zweiten Staffel des Bogens Neustadt — Steinklippen und der zweiten Staffel des Bogen Steinklippen — Bungsberg in später näher anzugebender Weise. Während im allgemeinen die Höhen dieser Endmoräne nördlich von der Stendorfer Mulde sich auf 60—70 Meter ü. M. erheben, steigt 8 42 eine Anzahl steil abgeböschter, deutlich von einander abgesetzter, durch recht charakteristische Formen auffallender Kuppen, welche von Osten ‘nach Westen in den nördlichen Teilen dieser Staffel dahinstreichen und die Wasserscheide zwischen dem Sagauer See und dem Lebebensee bilden, über 80 Meter ü. M. empor. Zur Sagauer Mulde fallen die Hügel, ebenso wie das, sich an die Stendorfer Mulde anschliessende flachwelligere Gelände von 60 Meter auf 40 Meter ziemlich rasch ab. In letzterem Gebiete dürften an der Gestaltung der Oberflächenformen die von Norden zu der Mulde herabströmenden Schmelzwasser, teils durch Aufschüttung, teils durch Abtragung in erheblichem Masse beteiligt gewesen sein. — Südlich vom Ukleisee bis zum Kellersee hin zeigt die Oberfläche dieser Endmoräne nur wenig Bewegung. Zur Mulde, in der dieser See und der Lebebensee eingebettet liegen, senkt sie sich von 60 auf 40 Meter ü. M. rasch ab. Zwischen ihr und dem Seeufer findet sich ein schmales, terrassenförmiges, im allgemeinen in 30—35 Meter Meereshöhe liegendes Vorland, aus dem eine Reihe von scharf modellierten, steilen Kuppen höher aufragt, eingeschaltet, mit dem die, die Ukleimulde nach Westen gegen den Kellersee abschliessende, breite, allseitig steil abfallende Boden- schwelle, auf welcher das allbekannte »Gasthaus zum Uklei« liegt, im Zusammenhange steht. Beide Bodenerhebungen können als eine kleine Zwischenstaffel zwischen den beiden Staffeln des Bogens Steinklippen — Bungsberg aufgefasst werden. — Die zweite und dritte Staffel trennen sich gemeinsam von dem Bogen Steinklippen—Bungsberg und formen zunächst gemeinsam das Gelände zwischen der eben beschriebenen Staffel und dem Bogen Bungsberg — Harmhorst, südlich einer Linie Bungsbergshof — Grünhaus, und ferner alles, zwischen dem Uklei- und dem Keller-See einerseits und einer weiten, zwischen den Dörfern Benz Malkwitz — Söhren belegenen Mulde, deren Grenzen später noch näher angegeben werden. Die südlichere (zweite) Staffel führt aus der Umgebung von Bergfeld über das Gehege Bökensberg, überschreitet die tiefe, westlich von diesem Gehege belegene Niederung und imponiert auf dem Nordrande der tiefen Mulde, in der der Uklei-See eingebettet ist, als eine schmale, nach Süden zum See im allgemeinen steil abstürzende, nach Norden weniger steil abgeböschte, wallartige Bodenschwelle, die von einer Reihe von kegel- und grabhügelförmigen Hügeln gekrönt wird, und in derem west- lichen Ende sich der von Gottsche (l. ec. S. 36) angegebene Aufschluss (Uklei-See, Nordufer ©. d. /\ 68,7) befindet, sowie endlich das, das nörd- liche Gestade des Kellersees umsäumende, zu demselben teils sanft, teils steil abfallende Gelände. Ausser an dem oben erwähnten Orte zeigt diese Endmoräne noch an einem anderen Orte (Kgr. etwa 250 m östlich vom Nücheler See in einer gegen 37 m über den Wasserspiegel desselben befindlichen Kuppe: 43 Blockpackungen bedeckt von fussbreiten Bändern von Kiesen und Sanden, die zum Teil an der Oberfläche 2 bis 3 Fuss stark lehmig veren sind) den Charakter einer Aufschüttungsmoräne. — Die Ukleimulde diente den Schmelzwassern der drei Staffeln dieses sowie des Bogens Bungsberg — Alt-Harmhorst lange Zeit hindurch als ein Abflussweg zum Kellersee. Die Gestalt der Wandungen derselben, sowie die Zerklüftung des terrassenförmigen Vorlandes am Südufer muss auf die Einwirkung dieser Schmelzwasser zurückgeführt werden. Ausser einer alluvialen, dicht über dem Seespiegel liegenden Terrasse, welche am Nordufer breiter ist als am Südufer, sind als Anzeichen ehemaliger höherer Wasserstäinde an der nördlichen Uferwand zwei schmale, teils flache, teils mehr geneigte Terrassen vorhanden. Zu beiden Terrassen, von denen die eine in 35 bis 40 m Meereshöhe — also 9 bis 14 m über dem Meeresspiegel — die andere noch gegen 15 m höher liegt, erhebt sich die Uferwand in steilem Anstieg. Auf der tiefer liegenden diluvialen und auf der alluvialen Terrasse ist der, um den See herum- führende Hauptweg herum geleitet werden. Am östlichen Ende des Sees fällt die Uferwand ohne deutliche Terrassenbildung in steilem Absturz von 60 m zur alluvialen Terrasse ab. An der Südwand der Mulde ist die Terrasse in 50 m Meereshöhe ebenfalls, aber nicht so deutlich ausgeprägt; an Stelle der schmalen Terrasse in 35 bis 40 m Meereshöhe tritt hier das erwähnte terrassen- förmige Vorland. An der Nord- und Südseite der Bodenschwelle, welche die Ukleimulde vom Kellersee scheidet, schnitten die Schmelzwasser je eine Rinne ein, durch die noch heute die Entwässerung des Uklei und der mit ihm in Kommunikation stehenden Seen und Mulden statt hat. Die nördlichste (dritte) Staffel endlich, die sich anfänglich durch die Umgebung von Bungsberghof und Grünhaus erstreckt, verdanken während des weiteren Verlaufes, die zwischen der Benzer Mulde und der zuletzt geschilderten Staffel belegenen, durch zahlreiche, vielfach durch schmale, aber tiefe Erosionsfurchen in Kommunikation miteinander stehende Depressionen, wild zerklüfteten Gebiete ihre Entstehung. Von der Benzer Mulde aus, über die diese Staffel sich durchschnittlich etwa um 45 Meter emporhebt und zu der sie steil abfällt, erscheint sie als eine wallartige Bodenerhebung, die in ihrem westlichen Teile von dem bei Bruhnskoppel befindlichen Aussichtsturme gekrönt wird. Hinsichtlich ihrer inneren Ausbildungsweise lassen Aufschlüsse bei Kirchnüchel (Kgr. etwa 400 m südöstlich vom Dorfe, in 115 m ü. M. aufragender, eine weite Umschau gewährender Kuppe) sowie bei Schwonau (Sgr., 400 m nordwestlich vom Schwonau-See) erkennen, dass ausser der aufschüttenden auch die aufstauchende Kraft des Gletschers zur Geltung gekommen ist. —— g*® 44 Während des weiteren Verlaufes der drei Staffeln des Bogens Steinklippen — Bungsberg durch das nördlich vom Dieksee belegene Gebiet, ist ihr Zusammenhang kein einheitlicher, sondern sie werden durch breite, mehr oder weniger tief einschneidende, in nord-südlicher Richtung verlaufende, durch Erosion hervorgerufene Talfurchen in mehrere Teile zerlegt. Durch südlich von den einzelnen Staffeln in ost- westlicher Richtung streichende Senken wird das von ihnen durchzogene Gelände zudem weiterhin in mannigfachster Weise gegliedert. Die östliche dieser Talfurchen verläuft zwischen Neukirchen und Malente am Kellersee und geht aus einer weiten Mulde hervor, die sich zwischen Neukirchen einerseits und Söhren — Malkwitz andererseits in west-östlicher Richtung erstreckt, und in die bei Neukirchen und Söhren schmale, flache Rinnen von Norden her, bei Malkwitz eine solche, aber tiefere, von Osten her, durch welche die Benzer Mulde entwässert wird, einmünden. Dieselbe wird jetzt von dem Malentebach (Malentebachtal) durchflossen. Die westlichere Talfurche beginnt im Grebiner See östlich von Görnitz, in dessen nördlicher und westlicher Umgegend die Wasserscheide zwischen der direkt zur Ostsee fliessenden Kossau und dem Zuflussgebiet der Schwentine liegt, und setzt sich als ein 1 Kilometer breites Tal, das jetzt einem kleinen Bache zum Bette dient (Schmarkau, Schmarkautal) bis zum Behler See fort. Östlich von Grebin mündet in dasselbe ebenfalls eine von Osten kommende, schmale Rinne, welche in das Gelände südlich von Breiten- stein mit steilen Talrändern eingeschnitten ist. Die zweite Staffel des Bogens Steinklippen— Bungsberg wendet sich vom Nordufer des Kellersee über Sieversdorf (Sgr. in 50—55 m ü. M. befindlicher, steiler Kuppe: Bryozoensande und Kiese in ungestörter Wechsellagerung, oberflächlich lehmig verwittert), Breitenstein (Gehege Timmberg nördlich von Breitenstein: Blockbestreuung auf charakteristisch ausgeprägten Kuppen) nach Grebien (Kgr. am Westabhange des Mühl- bergs zeigt den inneren Aufbau desselben von derselben typischen Beschaffenheit wie bei Neudorf) und bildet, von dort eine ausgesprochene nordost-südwestliche Richtung einschlagend, zunächst das zwischen dem Schluön-See und dem Schmarkautal, später das, den Trammer-See und Behler- und Schöh-See trennende, durch typische Konfiguration seiner Oberflächenformen ausgezeichnete Gelände bis in die Umgebung Plöns. Dicht vor dieser Stadt durchschneidet die Eutin- Ascheberger Bahn einen zwischen dem Schöh-See und Plöner See belegenen Hügel, der 45 zwecks Kiesgewinnung noch jetzt bis dicht zum Seespiegel herab abgetragen wird. Er erweist sich aus, in ungestörten Lagerungs- verhältnissen befindlichen Sanden und Granden, die stellenweise mehr oder weniger mächtige Blockpackungen umschliessen, und deren oberste Schichten eine lehmige Verwitterungsrinde zeigen, auf- geschüttet. Dieser Aufschluss zeigt, dass hier, da bis zum Seespiegel herab keine älteren Diluvialbildungen an dem Aufbau der Uferwand teil- nehmen, die Höhe der Endmoränen identisch ist mit der Höhe der die Seebecken umgebenden Hügel und Kuppen. Die eigentliche Höhe der Endmoränen dürfte aber, wenn auch nicht völlig von der Sohle der vor bezw. hinter ihnen liegenden Senken ab, da die letzteren durch die Erosion der Schmelzwasser wohl meist noch bis in ältere Schichten des Untergrundes vertieft worden sind, so doch von einer verschieden tief unter den Wasserspiegel herabreichenden Linie zu rechnen sein. Nimmt man nun einmal als Höhe der Endmoränen ihre Erhebung über dem Seespiegel an, so beträgt die Höhe des Parnass-Berges 42,4 m, des Steinberges 44 m, des Neversfelder Berges 66 m und des Holm 51,7 m u. s. w. Die Endmoränen dieses Gebietes Ostholsteins erreichen also nicht nur — im Gegensatz zu den Endmoränen im Lauenburgischen und Südholsteinischen (vergl. Str. I S. 35) — die Höhe der End- moränen anderer Teile, des baltischen Höhenrückens z. B. die der Ucker- märkischen, die sich auf 50 m über die nächste Umgebung erheben, sondern übertreffen sie noch. — Die Mächtigkeit des oberen Diluviums, d. h. derjenigen diluvialen Bildungen, deren Entstehung auf die dritte Vereisung zurückzuführen ist, ward in Schleswig-Holstein wie in anderen Gegenden des nord- deutschen Flachlandes früher nur als eine geringe angenommen. Wie Gottsche!) bemerkt, gab Meyn die Mächtigkeit des oberen Geschiebemergels 1848 bei Kiel zu durchschnittlich 1,7 m an, und schätzte Zeise 18839 dieselbe in Schleswig- Holstein auf höch- stens 3 bis 4 Meter. Fack?°) erwähnt, dass der obere Geschiebe- mergel höchstens 12 bis 14 Fuss meistens nur 2 Fuss mächtig wird. — ‘) Gottsche, Das marine Diluvium Schleswig-Holsteins. Mitteilungen der geograph. Gesellschaft in Hamburg. Band XII. S. 8. ?) M. W. Fack, Zur Bodenbildung Schleswig-Holsteins in »Die Heimat«, 3. Jahrg. S, 155, 46 In seiner neuesten Arbeit gab Gottsche') folgende Masse für die Mächtigkeit der oberen Diluvialablagerungen in der Umgebung Ham- burgs an: Mittlere | Grösste Mächtigkeit in Metern Decksand: 2.7101 ce 2 4 Oberer Geschiebemergel (Moräne III) 3,5 10 Korallensand Br Jean ar 2er 25 36 zusammen | 30,5 50 Rechnet man in Erwägung, dass der Korallensand sowohl ein Schlemmprodukt des zurückweichenden Inlandeises der Hauptvereisung, als auch ein solches des vorrückenden Inlandeises der dritten Vereisung sein kann, nur die Hälfte desselben als zum oberen Diluvium gehörig, so ergibt sich als mittlere Gesamtmächtigkeit des letzteren eine Mächtig- keit von 18 Metern und als eine grösste Gesamtmächtigkeit eine solche vons>2, Metern, Da nun zum oberen Diluvium auch alle Ablagerungen, welche die Endmoränen zusammensetzen, zu zählen sind (vgl. Str. I. S. 38), die End- moränen Ostholsteins aber schon allein eine Höhe von 50 Metern besitzen, so wird man in Zukunft für die Mächtigkeit der oberen Diluvialablage- rungen Schleswig -Holsteins — ebenso wie es in Preussen in letzter Zeit bereits geschehen ist — weit höhere Masse annehmen müssen. ?) — Ein Hügel, welcher als Muster eines charakteristich gestalteten Endmoränenhügels gelten kann, der Parnass, ragt im Norden der Stadt zwischen dem Schöh-See und dem Trammer-See, allseitig steil ansteigend, auf 64 m ü. M. und ca. 44 m über den Wasserspiegeln der umliegenden Seen auf und gibt in mehreren Aufschlüssen seine Entstehung durch Auf- schüttung der Schlemmprodukte der Grundmoräne zu erkennen. — Eben- falls Endmoränenkuppen von charakteristischer Gestalt sind der Schloss- berg und der nördlich von diesem belegene, »Bieberhöhe« benannte Hügel (siehe Tafel V). In einem, in unmittelbarer Nähe und nördlich der Stadt ') »Der Untergrund Hamburgs« in »Hamburg in naturwissenschaftlicher und medizinischer Beziehung«. Festschrift der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. — 1901. ?) Siehe Maas, Endmoränen in Westpreussen. Jahrb. d. preuss. geolog. Landes- anstalt pro 1900. S. 110. Klautzsch, Bericht über Endmoränen und Tiefbohrungen im Grundmoränengebiet des Blattes Rastenburg (Östpreussen), ibidem. S. NXII— XNXXIN. Vergl. auch: E, Geinitz, Die Einheitlichkeit der quartären Eiszeit. S. 14 u. folg. ae mr Tr ll in nen. Ann. FakGch, | Datel V. Endmoränenlandschaft in der Umgebung von Plön. 47 befindlichen Aufschlusse waren 1—2 m mächtige Blockpackungen, bedeckt von gleichmächtigen Bryozoensanden zu beobachten. — Das zwischen dieser Staffel und der zweiten Staffel des Bogens Neustadt—Steinklippen nördlich vom Dieksee befindliche, durch die an- geführten Täler und Rinnen besonders stark zerklüftete Gebiet, dürfte, _ wie bereits erwähnt ward, als Fortsetzung der ersten Staffel des Bogens Steinklippen— Bungsberg zu betrachten sein. — Es besteht aus zwei Teilen, erstens dem Gelände, welches das Malentebachtal vom Keller- see scheidet und mit der zweiten Staffel des Bogens Steinklippen —Bungsberg im Zusammenhange steht (— hier befindet sich der von Gottsche (l. c. S. 36) angegebene Punkt: Malente, 2 kleine Hügel 850 m und 1,1 km NNO der Kirche, scheinbar Bestreuung; in den letzten Jahren wurden hier in unmittelbarer Nähe des Bahndammes in Kiesen und Sanden einge- bettete Geschiebepackungen abgetragen! —) und zweitens dem, das Gebiet zwischen dem Malentebachtale und Schmarkautale einneh- menden Gelände, das sich an die südlich belegene, am nördlichen Gestade des Dieksee entlang verlaufende Endmoräne unmittelbar an- schliesst und mit der nördlich von ihr sich erstreckenden Endmoräne (Staffel 2 des Bogens Steinklippen—-Bungsberg) durch eine Zwischen- staffel verbunden ist. — Im Bereiche des weiten Schmarkautales, woselbst die südlich vom Schieren-See und Schmark-See befindlichen Hügel ihre Fortsetzung andeuten, nimmt sie, wie die nördlich und südlich von ihr verlaufenden Staffeln, ebenfalls eine nordost-südwestliche Richtung an und stellt zwischen denı Behler-See und dem Schöh- und Gr. Plöner-See ein stark koupiertes Gelände, das sich im Steinberg (s. Gottsche 1. c. S. 34) auf 65,5 m ü. M. erhebt, dar. — Überblicken wir nun, ehe wir uns der Besprechung der folgenden Endmoränenzüge zuwenden, nochmals kurz den bisherigen Verlauf der von der Teilstrecke Neustadt — Bungsberg ausstrahlenden Endmoränen- staffeln, so zeigt es sich, dass diese anfänglich bis in die Gegend des Diek- see im allgemeinen eine südost-nordwestliche Richtung innehalten, in der Umgebung des Dieksee in beinahe westöstlicher Richtung ver- laufen und vom westlichen Ende desselben an in einer ausgeprägt nord- ost südwestlichen Richtung bis zum Plöner See streichen. — Dieselbe Streichrichtung wie in den Endmoränenstaffeln zeigt sich hier — worauf 48 bereits Ule!) aufmerksam gemacht hat — auch in der Anordnung der Seebecken, nicht nur der grossen Seen, sondern — wie ich hinzufügen möchte, auch der kleinsten Becken. So ist Letzteres z. B. auch deutlich in der Lagerung der kleinen Seen, des Uklei-See, des Gr. Madebröken- See, des Kl. Madebröken-See, sowie der, in südwestlicher Richtung auf Ruhleben zu sich anschliessenden, durch eine schmale Rinne verbundenen Seen, zu erkennen. Sie ist ferner — dieses sehr bemerkenswerte Resultat haben die Untersuchungen desselben Gelehrten bezüglich der Tiefen- verhältnisse der Seen und ihrer Bodenreliefs ergeben —, auch in der Ge- staltung dieses Letzteren bei den hier in Betracht kommenden Seen zu konstatieren. Denn nicht nur »die grossen Züge der Oberflächenformen unterhalb wie oberhalb des Wasserspiegels sind bei diesen Seen dieselben, « sondern es konnte festgestellt werden, dass eine Reihe von Seen von in nordost-südwestlicher Richtung streichenden Höhenzügen durchzogen werden, die teils als Inseln über dem Wasserspiegel hervorragen (Gr. Plöner See, Trammer See, Schöh-See, Suhrer-See), teils unter demselben verborgen bleiben, aber bis dicht an ihn heranreichen (Kl. Plöner See, Behler See), — und dass auch gewisse, in ihrem Bodenrelief ausgeprägte Rinnen einen solchen Verlauf haben (Dreck-See). — Fasst man diese, die Seen durchquerenden Höhenzüge als Endmoränenzwischenstatfeln auf, — und hierzu dürfte man genügend berechtigt sein, — so wird die Entstehungs- geschichte dieser grossen Wasserbecken eine bedeutend klarere: sie er- weisen sich alsdann hervorgegangen aus mehreren kleineren, vor den Endmoränenstaffeln gebildeten, rinnenförmigen Senken. Die dichte Aufeinanderfolge der eine gleichsinnige Streichrichtung besitzenden einzelnen Staffeln dürfte ferner darauf hinweisen, dass der tückzug des Eises in diesem Gebiete in ausserordentlich regelmässiger Weise, Schritt für Schritt, erfolgt ist, und dass der Gletscher hier nur sehr schwache Oscillationen ausgeführt hat. — Es erhebt sich nun die Frage, wie verliefen alle die bisher ange- gebenen, bis zum Ostufer des Gr. Plöner See verfolgten Endmoränen- staffeln im Bereiche des Gr. Plöner See’s? Hierüber gewährt der weitere Verlauf der zweiten Staffel des Bogens Steinklippen— Bungsberg Auskunft. Als Fortsetzung von Plön aus gibt sich deutlich die, den Gr. Plöner See in zwei grosse Becken, das Ascheberger und das Bosauer Becken teilende, von Plön nach Nehm- ten hinüberführende Inselreihe zu erkennen (s. Tafel V). Da diese wiederum in nordost-südwestlicher Richtung verläuft, die südlicher belegenen End- I) W. Ule, Die Tiefenverhältnisse der ostholsteinischen Seen. Jahrbuch der Königl. Preuss. geolog. Landesanstalt. 1890. Bd. XI, und Geologie und Orohydro- graphie der Umgebung von Plön in Forschungsberichte aus der biolog. Station in Plön. Herausg. von Dr. OÖ. Zacharias. Heft 2. 1894, N ’ 7 49 moränenstaffeln bis zum Seeufer bereits ebenfalls dieselbe Richtung inne halten, so ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass auch sie das Gebiet des Plöner See in derselben Weise durchquerten. Hierfür spricht wohl aber auch, dass gerade der See in der Gegend, wo die beiden Staffeln des Bogens Neustadt — Steinklippen ihn überschreiten, sich als relativ flach erweist, und dass sich auch in dem Gebiete, welches die erste Staffel des Bogens Steinklippen-Bungsberg durchzogen haben dürfte, eine höher über den Boden des Sees aufragende Zone dahinzieht. Eine Ausnahme von einem derartigen Verlaufe macht die Warder- seestaffel. WVergegenwärtigt man sich, dass während ihres Verlaufes östlich von der Warderseemulde, die den östlichen Rand der letzteren bildenden Höhen die Endmoräne darstellten, so ist die Annahme be- rechtigt, dass auch die Fortsetzung dieses Randes, jene Bodenschwelle, die die Warderseemulde von dem Plöner See trennt und die sich von Brackrade aus um das südlichste Ende des Sees über Bichel, Kems und Hornsmühlen herumzieht und jenseits des Abflusstales — nunmehr in einen Zug süd-nördlich streichender, typisch geformter Kuppen aufgelöst —, zwischen dem Plöner See und dem Stock-See bis über die Nordspitze des letzteren hinaus sich erstreckt — als Fortsetzung der Endmoräne anzusehen ist. Nördlich vom Stock-See setzt sich an dieses bogenförmige Stück der Warderseestaffel in fast rechtem Winkel ein weiterer Bogen an, der zu- nächst, wie aus der Streichrichtung seiner Hügel und Kuppen hervor- geht, eine ost- westliche Richtung innehält und dessen weiterer Verlauf später zu betrachten sein wird. In derselben Richtung ziehen in diesem, bis zu 3 km breitem Ge- biete zwischen dem Stock-See und dem Gr. Plöner See auch die folgenden (nördlicheren) Staffeln inkl. der zweiten Staffel des Bogens Steinklippen — Bungsberg nach Durchquerung des Plöner Sees dahin und bewirken hier ein Gelände von höchst unregelmässiger Oberflächenplastik. Ehe wir diese Staffeln während ihrer Erstreckung westlich vom Plöner See besprechen, mögen zunächst noch die weiteren, an der Umrahmung des Plöner Seebeckens beteiligten Endmoränen beschrieben werden. — Nachdem die dritte Staffel des Bogens Steinklippen — Bungsberg gemeinsam mit der zweiten an dem Aufbau des zwischen dem Kellersee und der Benzer Mulde belegenen Geländes — und zwar der nörd- licheren Partien desselben —, wie bereits erwähnt wurde, teilgenommen hat, verläuft sie — auch weiterhin zunächst im engen Zusammenhange mit der südlicheren Staffel — über Malkwitz, Neukirchen, Sasel bis in die nord- westliche Umgebung von Görnitz und zieht, nun ebenfalls wie die, im vorhergehenden beschriebenen Staffeln, eine nordost-südwestliche Richtung einschlagend und sich gleichzeitig von der südlicheren Staffel trennend, 50 am westlichen Ufer des Görnitzer See’s, des Schluön-See’s und des Pluss- See’s, entlang durch die Umgebung von Kossau und Rathjensdorf bis an den Nordrand des Trammer See's. Nördlich von Malkwitz macht sich in dieser Staffel, die hier infolge starker Erosionswirkungen reich gegliederte Oberflächformen besitzt, eine Gruppe von schroff abgeböschten, weithin im Landschaftsbilde auffällig hervortretender Kuppen bemerkbar (Malkwitzer Höhen). Eine dieser Kuppen, die auf 69 m ü. M. aufragt, zeigt in einem 15—20 m hohen Aufschluss — gleich hohe Aufschlüsse sind im östlichen Holstein nur sehr wenige vorhanden! — dieselbe typische Zusammensetzung wie die Endmoräne bei Neudorf und an anderen Orten: nämlich bänderförmige Schichten von Bryozoensanden und Kiesen, die grössere Partien von Blockpackungen einschliessen und den Böschungen des Hügels parallel gerichtet sind. — Eine gleiches Profil gewährt eine, in dem hart am Neukirchener See bei Neukirchen belegenen Mühlenberge, befindliche Grube. — In der Nähe von Sasel befinden sich in dieser Staffel, die hier als ein plateauartiges Gelände erscheint, jene von Gottsche (l. e. S. 49 u. 50) angegebene Blockpackungen, die Gottsche, weil sie reich an Kalken und von 8 m feinem Grand bedeckt waren, als Absätze einer früheren Ver- eisung glaubte ansehen zu müssen. In der nördlichen und nordwestlichen Umgebung des Grebiner See's befindet sich in dieser Staffel die Wasserscheide zwischen dem, von hier über Rantzau und Lütjenburg in südwest-nordöstlicher Richtung zur Ost- see sich hinziehenden Kossautale und dem, aus dem Grebiner See zum Behler See führenden Schmarkautale.e Während langer Zeiträume sammelten sich in dem Kossautale diejenigen Schmelzwasser, welche in dem ausgedehnten Gebiet zwischen dem Plöner See und dem Selenter See und dem Bogen Harmhorst— Lütjenburg der Teilstrecke Bungsberg- Lütjenburg in den späteren Stadien der Abschmelzperiode entstanden. Da das im Norden und Osten lagernde Inlandeis den Abfluss zur Ostsee verhinderte, so nahmen die Schmelzwasser in dieser ganzen Zeit ihren Weg aus dem Kossautale über die erwähnte, in etwa 35 m ü. M. liegende Wasserscheide hinweg durch das Schmarkautal zum Behler und Gr. Plöner See und aus diesem nach Westen zur Nordsee. Am westlichen Gestade des Schluön-See’s und Trammer See's nimmt ihre Oberfläche wildbewegte Formen an; gleichzeitig steigen die Hügel und Kuppen zu grösserer Höhe an, so bei Rathjensdorf auf über 75 m ü. M. Eine tiefe Grube zeigt bei diesem Orte wiederum ihre Zusammen- setzung aus fluvioglacialen Sedimenten, in denen zahlreiche grössere Felsen eingebettet sind. — Zum Trammer See und Plus-See fällt sie mit stark geneigter Böschung ab. In ihrem weiteren Verlaufe von Rathjensdorf ab löst sich diese Staffel in mehrere hintereinander liegende Züge auf. Der südlichste der- 51 derselben zweigt sich nördlich von Tramm ab und zerteilt, zunächst eine nordost-südwestliche Richtung einschlagend, den Kleiner Plöner See in in zwei Becken, wendet sich alsdann westlich durch das, den Gr. Plöner hier an seinem Nordufer umgebende Gelände bis Langenrade und nimmt von hier ab, sich immer mehr nördlich wendend, und die Schwentine und die von ihr bis nach Preetz hin durchflossenen Seen (Kron -See, Fuhlen-See, Lanker-See) im Südwesten begleitend, Anteil an der Forma- tion des zwischen der Schwentine und dem Post- und Stolper See befind- lichen Gebietes. — Zwischen diese und der südlich vom Schluön-, Trammer- und Kl. Plöner See verlaufenden Staffel schiebt sich noch eine, zunächst wiederum in nordost-südwestlicher Richtung verlaufende, schmale Zwischen- staffel ein. Sie kommt zum Ausdruck in der, den Trammer See in dieser Richtung durchquerenden Inselreihe, die östlich auf dem Lande in einer Reihe von Hügeln, die zwischen dem Schluön- und Trammer See belegen sind, ihre Fortsetzung findet. Durch dieselbe wird der Trammer See in zwei Becken zerteilt, welche ihrerseits nach dem Schluönsee zu, sich als zwei schmale Rinnen fortsetzen, in deren nördlicheren der Pluss-See, in deren südlicheren der Untere und Obere Ausgraben-See sich befinden. — (Vgl. auch Ule |. ce. S. 113.) Nach Südwesten dürfte sich diese Zwischenstaffel zunächst über die, in derselben Streichrichtung befindliche, Kaisersburg benannte, zwischen dem Kleinen und Grossen Plöner See belegene Hügelgruppe (s. Tafel V) fortgesetzt und weiterhin, in der Annahme, dass ihr Verlauf ein ähnlicher war, wie der, der südlich von ihr verlaufenden Staffeln, den Plöner See in der Richtung auf Ascheberg (Ascheberger Warder, Insel Tempel) durchzogen haben, um sich schliesslich in dem Gebiete zwischen der Schwentine und dem Post- und Stolper See mit dem Tramm — Preetzer Zuge zu vereinigen. — Mit dem Zuge Tramm — Preetz schliesst die Reihe der Endmoränen, welche in irgend einer Beziehung zum Becken des Plöner Sees stehen, ab,!) und es ist nunmehr möglich, der Frage nach der Entstehung dieses grossen Seebeckens näher zu treten. Der Umstand, dass wie bei den, im Vorhergehenden besprochenen Seebecken (Diek-, Behler-, Schöh-, Trammer und Kl. Plöner See) auch durch dieses Becken eine Endmoräne, die sich hinsichtlich der Höhe ihrer Kuppen und Hügel von ihrer Fort- ') Die Stadt Plön liegt, wie die Abbildung auf Tafel V, welche eine Ansicht der Stadt und ihrer Umgebung von Nordosten gibt, in trefllicher Weise zeigt, inmitten aller dieser Endmoränenzüge in einer typischen Endmoränenlandschaft! Die Lage der schmalen Endmoränenstaffein zwischen den Endmoränenstauseen, bezw. der Verlauf derselben durch die zahlreichen Wasserbecken, erinnert an ähnliche Verhältnisse im Glacialgebiete Nordamerika’s, welche Nathaniel S. Shaler beschreibt und abbildet (Report on the Geology of Martha’s Vineyard. Plate XIX. S. 307).— 52 setzung auf dem Lande nicht unterscheidet, hinzieht, spricht zunächst dafür, dass auch im Bereiche des Plöner Seebeckens bereits in der Zeit vor der Abschmelzperiode eine Depression bestand. — Erkennt man als- dann die Behauptung, dass die übrigen angegebenen Endmoränenstaffeln in ähnlicher Weise dasselbe durchquert haben, als richtig an, so zeigt es sich, dass an der Bildung des gesamten Beckens mindestens sechs Einzelbecken, von denen vier auf das Bosauer, zwei auf das Ascheberger Becken entfallen, beteiligt sind. — Die im südlichsten Teile des Plöner Seebeckens sich sammelnden Schmelzwasser mussten, da sie der Verlauf der Eisrandlage hinderte, anderweitig abzufliessen, nach Süden bezw. Südwesten sich ihren Weg durch die vorliegenden Staffeln in das Haidesandgebiet bahnen. Die den folgenden Stillstandslagen des Eisrandes entstammenden Schmelz- wasser folgten aus demselben Grunde diesem Wege und mussten — da jedesmal die Schmelzwasser einer nördlicher bezw. nordöstlicher belegenen Endmoräne, sich durch die südlichere bezw. südöstlicher bele- gene Endmoräne ein Bett schaffen mussten —, eine Zerstörung und Einebnung der früher entstandenen Staffeln herbeiführen. Auch die von Westen bezw. Osten in dieses Abflussbecken (das Bosauer Becken) sich ergiessenden Schmelzwasser wirkten hierbei mit, und ebenso mussten, als erst das Eis sich aus dem Gebiete der zweiten Staffel des Bogens Neustadt — Steinklippen zurückgezogen hatte, auch die, in grossen Gebieten, östlich vom Plöner See, entstehenden Schmelz- wasser, ihren Weg in dieses Becken nehmen, und einen Einfluss auf seine Gestaltung und Herausbildung gewinnen. — Ule führt an, dass das Bosauer Becken, welches sich in nordsüdlicher Richtung vertieft, in seinem südlichsten Teile eine Einsenkung von kesselartiger Form besitzt, woselbst das Lot erst in einer Tiefe von 60,5 m — 40 Meter unter dem mittleren Stande der Ostsee! — den Boden er- reicht, und welche als die tiefste Stelle des ganzen Plöner Sees anzu- sehen ist. — Zieht man in Erwägung, dass dieses Seebecken lange Zeit- räume hindurch einem gewaltigen Teile der Schmelzwasser Ostholsteins zum Durchzuge diente, und dass im Verhältnis zur Breite desselben, der Einschnitt in der, den See an seinem Südende umgebenden End- moräne, durch welche die Schmelzwasser ihren Abfluss fanden, auffallend schmal ist, und dass dieselben daher hier einen Widerstand finden mussten, so liegt es nahe, die tiefe kesselförmige Einsenkung auf Evorsion durch die Schmelzwasser zurückzuführen. — In ähnlicher Weise dürfte sich auch das Ascheberger Becken gebildet haben, nur dass dieses, welches mehr ein Sammelbecken als ein Durchzugsbecken darstellte, nicht so sehr der Einwirkung der strömenden Schmelzwasser ausgesetzt war, — 53 Nachdem sich das Eis nördlich vom Plöner See zurückgezogen hatte, ergossen sich auch die, in den ausgedehnten Gebieten zwischen demselben und der Ostsee während späterer Etappen der Abschmelz- periode zur Entwicklung gelangenden Schmelzwasser, als deren Haupt- sammelkanäle das Kossau-Schmarkautal und das Schwentinetal anzusehen sind, in den Plöner See, das Relief seines Bodens ebenfalls beeinflussend und umgestaltend. — Noch ein weiterer Faktor, der freilich weniger für die Gestaltung und Umbildung des Bodenreliefs des Plöner Beckens, als der seiner Wandungen von Bedeutung war, bedarf der Erwähnung. — Dadurch, dass die aus dem Plöner See nach Westen abströmenden Schmelzwasser im Haidesandgebiet eine, in 35—40 m ü. M. liegende Wasserscheide zu überwinden hatten, mussten die im Plöner Becken sich ansammelnden Wasser, solange keine Änderung in diesen Abflussverhältnissen eintrat, bis zu einer gleichen solchen Höhe aufgestaut werden. Da aber an den Plöner See einerseits ausgedehnte, eine weit niedrigere Höhenlage besitzende Gebiete, die nicht durch grössere Höhen von ihm getrennt sind, angrenzen, andererseits eine ganz erhebliche Anzahl von Wasser- becken mit ihm in unmittelbarem Zusammenhange stehen, so mussten auch diese Gebiete überschwemmt werden, und sich in den betreffenden Gewässern ein höherer Wasserstand einstellen. — Auf diese Weise ent- stand allmählig im Konnex mit dem Plöner See ein ganz gewaltiger Stausee, der zu einer bestimmten Zeit der Abschmelzperiode, als nämlich der Eisrand zwischen dem Plöner See und der Ostsee, etwa über eine Linie, welche die Orte Lütjenburg, Selent, Elmschenhagen, Kiel berührt, verlief, die grösste Ausdehnung haben musste. — Dass die Existenz eines Stausees von solcher Ausdehnung in Öst- holstein möglich gewesen sei, hat bereits Bruhns, !) der zur Erklärung der Entstehung der Diluvialablagerungen noch ausschliesslich die Drift- theorie in Anspruch nahm, und dem infolgedessen die eigentliche Ursache für einen solchen Stausee unbekannt bleiben musste, aus gewissem Grunde vermutet. — Da die hierauf bezüglichen Angaben von Bruhns in mancher Hinsicht von Interesse, und die Grenzen des Stausees im allgemeinen richtig angegeben sind, mögen seine Worte hier vollständig angeführt werden: »Ausser einigen lehmigen Anschlüssen, z. B. östlich vom Keller-, nördlich vom Diek- und Gr. Plöner See, sind fast alle Seen von Sandboden begleitet. Das Ausgebreitete dieser Erscheinung lässt auf eine gemeinsame Ursache schliessen. Diese dürfte teilweise in dem !) Bruhns, Führer durch die Umgegend der ostholsteinischen Eisenbahnen. II. Aufl. 1874. S. 13. 54 Umstande zu finden sein, dass früher nur ein grosser See das ganze Schwentinetal bedeckte, der geeignet war, den von den Höhen abge- spülten Sand über grosse Flächen seines Grundes zu verbreiten. Man würde diesen alten Schwentinesee noch wieder herstellen können, wenn man in die von seinem Abfluss ausgegrabene Schlucht beim Rastorfer Park eine Stau legte; erreichte diese 18,3 m, dann müsste das Wasser im Gr. Plöner See 14,3 m, im Gr. Eutiner See y,7 m, im Stendorfer See 4 m steigen; gleichzeitig würde es aber auch über die niedrigsten Punkte der drei benachbarten Wasserscheiden fliessen, welche alle in derselben Höhe von 37,28 m über der Ostsee liegen, nämlich: bei Görnitz in die nach Lütjenburg abfliessende Kossau, westlich von Neudorf bei Eutin in die Schwartau und beim Mugges- felder Moor in die Trave. Ungefähr lässt sich die Grenze des hypo- thetischen Schwentinesees durch eine Linie bezeichnen, welche folgende Orte berührt: Rastorf, Preetz, Wilhelminenhof, Wielen, Wittmold, Gör- nitz, Timmdorf, Gremsmühlen, Malente, Sielbek, Nüchel, Wüstenfelde» Fissau, Sibbersdorf, Eutin, Gremsmühlen, Nieder-Cleveez, Bosau, Muggesfelde, Stocksee, Nehmten, Ascheberg, Dörnick, Kühren, Bund- horst, Schmalsee, Bornhöved, Nettelau, Depenau, Pohnsdorf, Rastorf. Man erkennt noch an vielen Seen, namentlich dem Eutiner und Plöner, die vormaligen Ufer solcher hoher Wasserstände, weshalb die beim jetzigen Rastorfer Park durchbrochene Höhe nicht viel niedriger als 37 m gewesen sein kann.« Von den von Bruhns angegebenen Wasserscheiden kommt die von Görnitz für den durch das Inlandeis hervorgerufenen Stausee nicht in Betracht; dafür sind aber noch zwei andere, in annähernd gleicher Höhe befindliche Wasserscheiden zu erwähnen, nämlich einmal eine in der südlichen Hauptendmoräne bei Bornhöved vorhandene, durch welche die Entleerung des Stausee’s ins Haidesandgebiet zum Flussgebiet der Stör ermöglicht wurde, und eine solche in der, die Warderseemulde vom Plöner See trennende Bodenschwelle, durch welche ein Abfluss zum Weardersee stattfinden konnte. Der Umstand, dass alle diese Wasserscheiden sich noch jetzt in annähernd derselben Höhe — zwischen 35 u. 40 m ü. M. — befinden, lässt der Vermutung Raum, dass seit der Abschmelzperiode in diesem Gebiete Ostholsteins keine erheblichen Niveauveränderungen eingetreten sind. Die Angabe von Bruhns, dass noch an vielen Seen, namentlich am Eutiner- und am Plöner See vormalige Ufer hoher Wasser- stände zu erkennen seien, ist richtig. — Es befindet sich in der Tat am Plöner See, am Diek- und am Keller-See und an anderen Seen — des Uklei-See’s ist in dieser Hinsicht schon gedacht worden — eine Reihe von Terrassen, welche verschieden hohen Wasserständen innerhalb dieser See- becken entsprechen. In einer Höhe von 35—40 m ü. M., also in einer Höhe, welche dem ehemaligen Wasserstande des diluvialen Stausee’s ent- 55 sprechen würde, — befinden sich am Plöner See nur an einer Anzahl von nicht zusammenhängenden Stellen, so u. a. am Ostufer zwischen Plön und Fegetasche und zwischen Waldshagen und Augstfelde, am Südufer zwischen Stadtbek und Bredenbek und am Westufer zwischen Ascheberg und Langenrade aber nicht auf der Strecke zwischen Nehmten und Dersau — Reste einer schmalen Terrasse. — in einer geringeren Höhe, nämlich in gegen 25 m ü. M. lässt sich dagegen an grösseren, zusammenhängenden Strecken des Seeufers haupt- sächlich dort, wo dieses einen Steilabsturz zum See zeigt — also nament- lich am Ostufer, am Westufer nördlich von Ascheberg und am Nordufer — eine wohlausgeprägte Terrasse von verschiedener Breite, die teils steil, teils allmählich zu einer alluvialen Terrasse abfällt — verfolgen, s. Tafel VI. Der Einwirkung der Brandungserosion des Stausees, dem diese Terrasse ihre Entstehung verdankt, ist es wohl zuzuschreiben, dass die ältere, in höherem Niveau liegende Terrasse nur in solchem fragmentarischen, Zustande erhalten ist. Dieser Stausee konnte auch nicht mehr nach Westen abfliessen, sondern er muss bereits damals die Schwentine — also vermutlich schon in der Postglazialzeit — als Abflusskanal benutzt haben, und ist als Ur- sache für den Hochstand seines Wasserspiegels vielleicht anzunehmen, dass die Schwentine zu jener Zeit auf der Strecke Rastorf- Neumühlen ihr Bett noch nicht m dem Masse wie jetzt vertieft hatte. Eine sich in einem noch tieferen Niveau, wenige Fuss über dem Seespiegel um den See herumziehende Terrasse, ist erst in alluvialer Zeit, während der See künstlich aufgestaut war, entstanden. Was die in ähnlichen Höhenlagen am Diek- und Keller -See befind- lichen Terrassen anbetrifft, so erscheint es sehr wahrscheinlich, dass sie mit den am Plöner See befindlichen Terrassen in kausalem Zusammen- hange stehen, doch bedürfen diese Verhältnisse noch der näheren Untersuchung. Am Keller-See ist besonders eine gegen 5—6 m über dem Stande seines Wasserspiegels (etwa 30 m ü. M.) befindliche, 100—200 m breite Terrasse deutlich ausgeprägt, und beinahe rund um den See herum, vor- handen. Auf ihr führt jener, so schöne Ausblicke auf den See und seine Ufer gewährende Weg, der am Ostufer das wegen seines Bestandes an stattlichen Buchen mit Recht weithin bekannte Gehölz »der Dom« durch- schneidet, zwischen Fissau und Sielbek und weiterhin am Nordufer, „wischen diesem Orte und dem Hötel Holsteinische Schweiz entlang. Letzteres selbst liegt auf einer ca. 40 m. ü. M., gegen 16 m über dem Seespiegel aufragenden terrassenartigen Erhebung, die an den See, zu dem sie eine steile Abböschung zeigt, so nahe herantritt, dass für die andere Terrasse nur wenig Raum ınehr bleibt. — 56 ‚Wenige hundert Meter westlich vom Orte Sielbek befindet sich in dieser Terrasse ein I—1!/s m hoher Aufschluss, aus welchem zu ersehen ist, dass dieselbe hier aus umgelagertem Endmoränenmaterial aufge- baut ist. — Von Interesse ist, dass sowohl in den feineren Sandschichten als auch in gröberen Geröllschichten derselben zahlreiche, meist wohl- erhaltene Süsswasserkonchylien enthalten sind.) Es konnten folgende Arten?) gesammelt werden: Limnaea ovata. Drap. Valvata piseinalis. Müll. Sphärium spec. Pisidium spec. Unterhalb des Kurortes Schönborn am Ostufer des Sees wurde vor Jahren auf dieser Terrasse Wiesenkalk gegraben, der nebst den an dem Ufergehänge sich findenden Tuffsteinen das Material für den Betrieb einer Kalkbrennerei (alte und neue Kalkhütte) lieferte.?) M. W. Fack®) gab aus dem Kalktuffe eine Reihe von Konchylien an, welche beweisen, dass derselbe zur Alluvialzeit entstanden ist. gg Die Tiefe des Kellersee’s bezeichnet Ule als verhältnismässig gering. Da der Unterschied zwischen den Erhebungen und Vertiefungen des Bodens nirgends ein grosser ist, zeichnet sich das Relief desselben durch eine grosse Gleichmässigkeit aus. Vielleicht lässt sich dieses Verhalten darauf zurückführen, dass auch dieser See lange Zeiträume hindurch ein Durchzugsbecken für die Schmelzwasser darstellte, und dass inner- halb desselben zwei mächtige Gletscherströme gegen einander flossen. ?) Der Grosse Eutiner See ist nach Ule ausserordentlich flach. Bei einer Arealgrösse von 3,471 Quadratkilometern zeigt er nur eine Maximal- tiefe von 17 Metern. Die tiefste Stelle des Untergrunds befindet sich noch um 10 Meter über dem mittleren Stande der Ostsee. — Das Boden- relief desselben ist gleichförmig gestaltet. — — ie — ') Sehe Anmerkung I am Schlusse dieser Arbeit! — ?), Für die Bestimmung der Konchylien bin ich Herrn Hauptlehrer Arnold hierselbst zu Dank verpflichtet! — ®) S. Bruhns 1. ce. S. 191. Vgl. auch E. Stolley, Die Kreide Schleswig-Holsteins in Mitteilungen aus dem mineralog. Institut der Universität Kiel. Bd. I, Heft 4, S. 211. *) M. W. Fack, Subfossile Schalen im Sielbeker Kalktuff. Schriften d. naturw. Vereins für Schleswig-Holstein. Bd. I. 8. 213. °) G. Braun, Ostpreussens Seen. Geographische Studien. Inaugural-Dissertation. Königsberg 1903. S. 66/67. Bevor wir uns nun zur Schilderung des weiteren Verlaufes der dritten Staffel des Bogens Steinklippen — Bungsberg in der Gegend nörd- lich von Plön wenden, möge zunächst noch kurz der Verlauf der- jenigen Staffeln, die ausser der zweiten Staffel des Bogens Steinklippen—Bungsberg, sowie den Zügen Tramm — Preetz und Kaisersburg— Ascheberg den Gr. Plöner See durch- queren, oder an der Zusammensetzung seiner Uferwan- dungen beteiligt sind, nämlich der Warderseestaffel, der beiden Staffeln des Bogens Süsel — Steinklippen und der ersten Staffel des Bogens Steinklippen — Bungsberg, südlich und westlich vom Ascheberger Becken bis zu ihrem Anschlusse an die Gottsche’sche Teilstrecke Dobbersdorfer See — Blumenthal, erörtert werden. Charakteristisch für das Verhalten dieser Endmoränen in den betreffenden Gebieten ist, dass während sie östlich vom Gr. Plöner See grösstenteils von einander, durch Rinnen und Senken getrennt, verlaufen, hier miteinander verschmelzen und ein ein- heitliches Gelände darstellen. Nur in den westlichen Teilen des zwischen der Schwentine und den von ihr durchflossenen Seen (Kron-See, Fuhlen- See, Lanker-See), sowie dem Postsee und dem Stolper See und der sie verbindenden Senke, in deren nördlichen Teilen die Nettelau und die Mühlenau, in deren südlichen Teilen die Kührener Au fliessen, belegenen Gebiete, trennt die Kührener Au ein schmales Territorium, welches etwa der Lage der Warderseestaffel entspricht, von dem übrigen Ge- lände ab. — Zwischen dem südlichen Ufer des Ascheberger Beckens und dem Stocksee besitzen ihre Oberflächen eine höchst unregelmässige Gestalt und bilden ein wahres Labyrinth von typisch geformten Kuppen und Hügeln, die, wie besonders ein 1 Kilometer westlich vom Forsthause Nehmten belegener, grosser Aufschluss erkennen lässt, wiederum ein Produkt der Accumulation fluvioglacialer Sedimente sind. In dem übrigen Gebiete zwischen der Schwentine und dem Post- und Stolper See und der sie verbindenden Senke, zeigen nur die nordöstlicheren Teile eine bewegtere Oberfläche und tritt nur in der Umgebung von Bundhorst ein Zug charakteristisch gestalteter Kuppen und Hügel in die Erscheinung — die übrigen, westlicheren Teile desselben erscheinen nur als ein flach- welliges, zum Teil auch ebenes Gelände. — Die innere Ausbildungsweise der an der Zusammensetzung dieses letz- teren Grebietes beteiligten Hügel und Kuppen, wie solche u. a. aus einem Aufschlusse bei Marienhof, woselbst 5 m mächtige, zum Teil gestauchte Schichten von Sanden und Granden, welche Geschiebepackungen ein- schliessen, von 1—1'/; m Geschiebelehm bedeckt sind, sowie bei Bund- horst, wo ähnliche Verhältnisse zu beobachten sind, hervorgeht, gestatten 4 58 es, obwohl gerade in den westlicheren, ebneren Teilen auf grössere Strecken hin, Geschiebemergel die Oberfläche bildet, auch dieses Gebiet als eine End- moränenlandschaft zu betrachten. Wenn im übrigen ausgedehnte "Teile dieses Gebietes leichten Sandboden besitzen, so dürfte dieses darauf zurückzuführen sein, dass dieselben, wie aus dem Umfange des grossen Stausees hervorgeht, lange Zeiten hindurch von den Wassern desselben bedeckt waren. — Die vereinigten Endmoränen dieses Gebietes nahmen nordwestlich vom Post-See ihre Fortsetzung in der Teilstrecke Dobbersdorfer See — Blumenthal. Der Post-See befindet sich hier in derselben Situation wie der Bothkamper See und der Stocksee, und dürfte sich auch an seiner Stelle ein Gletschertor befunden haben. Der aus ihm heraus zum Haide- sandgebiet südlich von Bornhöved führenden Rinnen, ist bereits gedacht worden. — Von der dritten Staffel des Bogens Steinklippen— Bungs- berg — um auf diese jetzt wieder zurückzukommen — zweigt sich bei Wittmold ein weiterer Zug ab. Derselbe begleitet die Schwentine und die von derselben durchflossenen Seen auf ihrer Ostseite bis in die nörd- liche Umgebung von Preetz und zeigt am Lanker-See — was bereits Bruhns aufgefallen ist — eine sehr merkwürdige Oberflächenkonfiguration. — Wie auf der Ostseite des Plöner See eine dichte Aufeinanderfolge, in derselben Streichrichtung verlaufender Endmoränenstaffeln zu konstatieren rar, — so lösst sich hier der genannte Zug in eine ganze Reihe un- mittelbar von Süden nach Norden aufeinanderfolgender, sich in südost- nordwestlicher Richtung erstreckender, schmaler, wallartiger Staffeln auf, wodurch hier noch mehr als auf der Ostseite der Eindruck, als wenn der Eisrand sich ungemein gleichmässig zurückgezogen habe, erweckt wird. Diese Staffeln, werden durch ebenfalls schmale Rinnen, die alle der Schwentinesenke parallel gerichtet sind, von einander geschieden. — Die südlichste derselben, in der der Wielener See eingebettet ist, erstreckt sich von Güsdorf bis zum Lanker See und trennt dadurch eine, in ihren südlichen Teilen gegen 1000 m, in den nördlichen 500 m breite, gegen 4 Kilometer lange, flachwellige Schwelle, die auf ihrer Südseite von der Schwentine flankiert wird, ab. Am nördlichen Ende des Wielener See fällt das im Osten die Rinne begrenzende Gelände der zweiten Schwelle in 150 m Entfernung von 61 m auf 21,5 m ü. M., also gegen 40 m ab. — Die zwei folgenden 100—200 m breiten, in ähnlicher Weise tief in das Gelände einschneidenden Rinnen, sind ebenso wie die zwischen ihnen 500 m breiten Rücken, nur von 1!/ Kilometer liegenden wallartigen 3 59 Länge. Die folgende (vierte) Rinne ist 2 Kilometer lang und 150 m breit. In ihrem südlichsten Teile befindet sich der schmale Kolk-See dessen Ufer vom Seespiegel, der in 21,1 mü.M. liegt, steil bis auf 50 m aufsteigen. -- Ein nur 100 m breiter Riegel trennt diese Rinne von einer, fast in derselben Richtung verlaufenden und als ihre Fortsetzung zu betrachtenden, teils ebensoschmalen, teils breiteren Rinne, welche sich 2 Kilometer weit fast bis zum Dorfe Trent erstreckt und in ihrem öst- lichsten Teile einen langgestreckten See gleichen Namens beherbergt. — Die drei folgenden Rinnen (die fünfte bis siebente), welche von ziem- lich gleicher Länge und Breite und nur in ihren südöstlichsten Teilen noch tief im das sie umgebende Gelände eingesenkt sind, münden in den nördlich vom Lanker See belegenen Schar-See. Die zwischen der vierten und fünften Senke belegene wallartige Schwelle setzt sich in der Richtung auf Preetz fort und bildet nach Norden allmählich umbiegend bis etwa in die Nähe von Bredeneck das östliche Ufer des hier in nordsüdlicher Richtung sich erstreckenden Schwentinetales. — Der Hauptzug der in Rede stehenden Staffel führt, die höchsten Aufragungen in der nördlichen Umgebung des Trammer See’s und des Kleinen Plöner See’s sowie des Schwentinetals bewirkend, über Eichhorst — allmählich nordwestwärts sich wendend — nach Trent, (Kgr. 500 m nordöstlich vom Dorfe am Wege nach Lepahn: Blockpackungen, unter gefalteten, bänderartigen Schichten von feinem Spatsand, Bryozoen- sand und Tonmergel, bedeckt von lehmig verwitterten Kiesen und Sanden.) und von hier in nördlicher Richtung über den Bakersberg bei Falkenhof bis in die Gegend südlich von Rastorfer Passau, um sich alsdann südlich vom Passautal wieder westwärts zu wenden, das Schwentinetal zwischen Bredeneck und Rastorf zu kreuzen und im ferneren Verlaufe Anteil an der Zusammensetzung der Teilstrecke Dobbersdorfer See--Bumenthal zu nehmen. — Im Norden wird diese Staffel auf der Strecke zwischen Kossau und Trent von einer gegen 6 Kilometer langen, teilweise 1 Kilometer breiten, meist etwas schmäleren, sehr unregelmässig umrandeten Mulde, in der jetzt nur noch mehrere kleine, seenartige Teiche (Rixdorfer Teich) vor- handen sind, begrenzt. In ihr entspringt die Kossau, welche sie auch von Westen nach Osten durchströmt und die sie am östlichen Ende zwischen den Schönweider- und Rixdorfer Tannen in tiefer Erusionsschlucht ver- lässt, um sich nach Nordosten und Norden zum Rotten-See und Tresdorfer See zu begeben. — Durch diese Rixdorfer Mulde, sowie eine, in derselben Weise sich erstreckende, nördlich von ihr belegene und ähnlich gestaltete Mulde, die Lebrader Mulde, und ferner eine östlich von diesen beiden 4* 60 befindliche, von Norden nach Süden dahinziehende, 6 Kilometer lange, meist 500—600 m breite, stellenweise aber weit breitere Mulde, in der der Tresdorfer See und der Rotten-See eingesenkt sind, — wird das zwischen dem Gr. Plöner See und dem Selenter See belegene Gebiet (s. Messtischblatt Selent 428) in drei grosse Teile gegliedert, deren Oberflächengestalt wiederum auf weitere Stillstandslagen des Eisrandes (die drei Staffeln der Teilstrecke Bungsberg — Lütjenburg und die als Teilstrecke Lütjenburg — Dobbersdorfer See bezeichnete Endmoräne), zurückzuführen ist. — Die südlichste dieser Staffeln (die erste Staffel der Teilstrecke Bungsberg— Lütjenburg) führt von der nördlichen Umgebung von Kirchnüchel als ein geschlossener Zug, gleich anfangs eine Kette sehr charakteristisch geformter, hoch aufragender Kuppen, darunter den auf 105 m steil aufragenden Gilmberg bildend, durch das Gehege Sieversberg (Gottsche 1. e. pag. 35: Klein Nüchel, grosshzl. Gehege 1 Kilometer N. d. Ortes, sehr starke Bestreuung), nach dem Dorfe Benz (Gottsche 1. c. pag. 35: Benz, langgestreckte Kuppe 800 m NO. des Guts, Bestreuung) hin, und tritt von hier aus bis ins Gehege Ruhrsberg als ein wallartiger, kaum 1 Kilometer breiter Rücken, der auch im Norden von einer, später noch zu erwähnenden Mulde (Flehmer Mulde) flankiert wird, die östliche und nördliche Umgrenzung der Benzer Mulde darstellend, auf. — Auch während ihres weite- ren Verlaufes durch das Gehege Ruhrsberg — [Bestreuung auf zum Teil recht charakteristisch gestalteten Kuppen, nicht nur an den von Gottsche (l. ce. pag. 35, Ruhrsberg N-Ecke des Geheges), angegebenem Punkte, sondern auch südlich und nördlich von demselben] —, das Gowenser Gehege und das Neukirchener Gehege (Gottsche 1. e. pag. 35: Neukirchener Gehege, W.-Rand am Wege nach Gowens, Packung) lagert die Endmoräne — wie in trefllicher Weise vom Gipfel des Neversfelder Berges wahr- zunehmen ist — auf dem nördlichen Rande der bereits erwähnten Neu- kirchener Mulde, welche im Osten durch eine, vom Ruhrsberger Gehege, in südwestlicher Richtung ausstrahlende Schwelle von der Benzer Mulde geschieden, im Westen von einem, aus dem Neukirchener Gehege auf Neukirchen zuführenden Ausläufer der Endmoräne begrenzt wird. Mit der Benzer Mulde steht dieselbe durch eine schmale, tiefe, mit oberem Diluvialton ausgekleidete Erosionsrinne, durch welche der Gr. und Rl. Benzer See entwässert wird, in Verbindung. Zur Sohle der Mulde fällt das Gelände von den Endmoränenhöhen auf gegen 50 m ab. — Westlich vom Neukirchener Gehege wird die Endmoräne zunächst durch zwei schmale Täler, von denen das eine einen von Gowens her zum Malentebach, das andere einem zur Kossau fliessenden Bache zum Bette dient, unterbrochen, bildet dann die Erhebung, auf welcher der Ort Hohensasel liegt und erleidet nun nochmals eine längere Unterbrechung durch das weite, hier in Verbindung mit der Mulde, in der der Tresdorfer 61 und der Rotten-See liegen, stehende Kossau-Tal. Jenseits desselben — im Gebiete der Rixdorfer Tannen (Gr. und Kl. Rehm) — spaltet sie sich in zwei Züge, die sich aber bald wieder, bei Wittenberg — Röfrade ver- einigen. — Der südlichere verläuft hierher durch das zwischen der Rix- dorfer und der Lebrader Mulde befindliche Gelände, und weiter nord- wärts umbiegend, über Lepahn und Lehmkuhlen (Kgr. ec. 500 m nord- östlich vom Gutshofe in flacher Kuppen: Blockpackungen); der nördlichere von Sellin (Kgr. dicht südlich vom Orte am Wege nach Kossau in einer Gruppe glockenförmiger Hügel: Profil an der 4-6 m hohen Grubenwand wie bei Neudorf; Anhäufung zahlreicher grösserer Felsen) ab in dem, durch die Plastik seiner Oberflächenformen sich wiederum als ein typi- sches Endmoränengebiet zu erkennen gebenden, nördlich der Lebrader Mulde und westlich von der Tresdorfer Mulde belegenen Gelände. Bis zum Passautal in der Nähe des Ortes Rastorfer Passau behält diese Staffel, unter Beibehaltung der typischen Terrainformen, einen nördlichen Verlauf inne, wendet sich jenseits desselben aber, hier die den nördlichen Talrand umgebenden Höhen bildend, wieder westlich um, nachdem sie die Schwentine nördlich von Rastorf überschritten hat, in die Gottsche’sche Teilstrecke, Dobbersdorfer See — Blumenthal, aufzugehen ; Gottsche's Beobachtungspunkte (l. c. S. 33 u. 34): Vogelsang, 300 m S. d. F.-H., am Rande des Geheges, scheinbar Packung; Neuwühren, Waldparcele 1 Km. S. v., am Nordrande scheinbar Bestreuung. Die durch das Gebiet östlich vom Tresdorfer See führende End- moränenstaffel (zweite Staffel der Teilstrecke Bungsberg — Lütjenburg) hängt ebenfalls mit der Teilstrecke Bungsberg — Lütjen- burg, Bogen Alt-Harmhorst — Lütjenburg, zusammen, lässt sich aber auf der Strecke bis zum Kossautale nicht so genau im Zusammenhange ver- folgen, wie die vorhergehende Staffel. Sie zweigt sich bei Alt-Harmhorst von ihm ab und führt durch das Gehege Steinhorst (Gottsche 1. c. S. 35: Gehege Steinhorst, angeblich steinreich N. d. kleinen Moores; — nicht nur an der von Gottsche zitierten Stelle, auch in den westlichen Teilen desselben, sowie am Fahrwege nach Flehm ist starke Bestreuung vorhanden. —) und das Gehege Kuhlenrade (Bestreuung!) über Flehm (Kgr. 700 m östlich vom Gute, im flachwelligen Terrain, zwischen dem Wege nach Alt-Harmhorst und dem Neuen Teich: 1—2 m Geschiebepackungen, von keiner weiteren Schicht bedeckt) und das Gehege Kuhlbrok (Bestreuung!) in die Umge- bung von Gowens, hier in Gestalt flacher bis gegen 80 m ü. M., aber nur wenig über ihre nähere Umgebung emporragender Kuppen, auftretend. — Bis zum Gehege Kuhlbrok hin wird sie im Süden von der flachen Flehmer Mulde und einer mit dieser im Zusammenhange stehenden kleinen Mulde »Im Vieh«), von deren Sohle das zwischen Neu-Harmhorst und dem Gehege Sieversberg befindliche Gelände auf kurze Entfernung 62 hin über 40 Meter aufsteigt, auf der Nordseite von einer Senke, in der ein seenartiger Teich (Neuer Teich) liegt, und die nach Norden in die bereits erwähnte, den Bogen Alt- Harmhorst — Sechendorf (Lütjenburg) bis zur Ostsee begleitende Talfurche übergeht, flankiert. — Sie bildet auf dieser Strecke die Wasserscheide zu den nach Süden zu den grossen Seen und nach Norden zur Ostsee abfliessenden Gewässern. Westlich von Gowens und südlich von Dannau macht sie sich durch zwei sehr charakteristisch gestaltete Kuppen, den Hohenberg (655 m ü. M.) und den Karlsberg, bemerkbar und erleidet nun durch das hier infolge Einmündung eines Seitentales sehr breite Kossautal, eine längere Unterbrechung. Jenseits desselben findet sie, südlich von Rantzau (Gottsche 1. c. S. 35: Rantzauer Koppeln, 1 Km. SW, d. Herrenhauses a. d. Ohaussee, steinreich; ferner bei den Abbauen zu Rantzau: flache Kuppen aus oberen Sanden und Kiesen bestehend) sich nordwestlich wendend, ihre Fortsetzung am östlichen Gestade des Tresdorfer See, und legt sich nördlich von diesen, an die nächstfolgende letzte von der Teil- strecke Bungsberg — Lütjenburg sich abzweigende Staffel, an. — Diese wendet sich nördlich von Kletkamp von dem Hauptzuge ab und macht sich ebenfalls bis zum Kossautale bei Kühren topographisch wenig bemerkbar. Von diesem Orte ab (Kgr. 500 m südlich an dem Wege nach Mühlenfeld: Blockpackungen) zieht sie durch das Mühlen- felder Gehege (Bestreuung!) über Engelau (Kgr. an d. Chaussee von Lütjenburg nach Plön: 2 m Blockpackungen in Granden unter 3-4 m mächtigen Schichten von Sanden und Kiesen) durch die westwärts, bis in die Nähe von Bauersdorf reichenden Waldungen, hier überall wieder sehr charakteristische Terrainformen zeigend (Bestreuung auf dem Bocksberg und nordöstlich und westlich von dem Waldwärterhause im Gehege »Lehm«) und erstreckt sich von Bauersdorf ab, durch das südlich von Lammershagen belegene Gelände (Kgr. 800 m südlich von Lammershagen am Selenter Moor: mehrere Meter mächtige Blockpackungen teils von (Grandschichten, teils von weiter keiner Bildung bedeckt) über Stellböken, Martensrade bis zum Passautale bei Hohenberg. In dem zwischen ihr und dem Selenter See noch verbleibenden (ebiete verläuft, von ihr durch keine Senke geschieden, die Endmo- ränenstaffel, welche Gottsche als Teilstrecke Dobbers- dorfer See — Lütjenburg bezeichnete, und die, wie bereits angegeben wurde, von Lütjenburg aus sich noch weiter nordöstlich bis Hassberg erstreckt. — Gottsche gab auf dieser Teilstrecke, und zwar zwischen dem Passautale und Lütjenburg, folgende Beobachtungspunkte an: Messtischblatt Selent: Grandrücken 1 km ONO. von Wittenberger 63 Passau, scheinbar steinreich; Neues Gehege Lehm, kl. Aufschluss 1,2 km ONO. Bellin, scheinbar Packung; Messtischblatt Lütjenburg: Seekrug, Gehänge 600 m WSW. des Wirtshauses, steinreich; Gottesgabe, 2 Kop- peln W. des Weges nach Seekrug, steinreich; Gottesgabe, Grandkuppe 400 m ©. der Ziegelei, zeigt Blockpackung; auf den benachbarten Koppeln kolossale alte Steinhaufen, mit Schlehen bewachsen. — Es ist diesen Angaben hinzuzufügen, dass auch in diesem Gebiete die Endmoräne zum grossen Teil in sehr charakteristischer Weise in die Erscheinung tritt, so zwischen Lütjenburg und Bellin am Selenter See, in der Umgebung von Rönfeldholz und Wentorf (1 km südöstlich von diesem Dorfe, hart am linken Kossautalrande, Kgr.: an der Nordwand mehrere Meter starke, den Konturen des Hügels folgende Sand- und Kies- schichten, welche grobe, Blockpackungen einschliessende Grande bedecken ; an der Ostwand Anhäufung mächtiger Felsen in horizontal geschichteten Bryozoensanden) und von Gottesgabe (starke Bestreuung auf und beson- ders am östlichen Rande einer S00 m langen, 500 m breiten, steilabge- böschten Kuppe im Gehege Buchholz) — sowie ferner in der südlichen Umgebung des Selenter Sees, woselbst, zwischen Bellin und Wittenberger Passau ein ganzer Zug von Hügeln, darunter der Petersberg zwischen Bellin und Selent, die Hügelgruppe, welche die stolze Blomenburg krönt und der Ravensberg, bemerkenswert aus dem Relief ihrer Umgebung hervortreten und dem Landschaftsbilde ein höchst eigenartiges Gepräge verleihen. — Jenseits des Passautals verlaufen die beiden Endmoränen ebenfalls zusammen weiter und stellen zwischen dem Dobbersdorfer See und der nordwestlichen Umgebung von Raisdorf, bei diesem Orte das Schwentine- tal kreuzend, den grössten Teil des Gottsche’schen, hier nordostsüdwestlich streichenden Teilstrecke Dobbersdorfer See — Blumenthal a. d. Eider, dar. (Gottsche 1. c. pag. 33, 34: Der grösste Teil der auf dem Messtischblatt Preetz, sowie die, auf den Messtischblättern Friedrichsort und Bendfeld angegebenen Beobachtungspunkte.) Von Raisdorf ab wenden sich beide Staffeln noch für eine kurze Entfernung — zwischen dem Wellsee und dem Schwentinetal — nord- westlich, um sich alsdann bei Elmschenhagen zu trennen. Während die Fortsetzung der bisher als Teilstrecke Lütjenburg (Hassberg) — Dobbers- dorfer See bezeichneten Staffel dieselbe Richtung bis südlich von Ellerbek an der Kieler Förde (Russenberg) beibehält, wendet sich die dritte, vom Bogen Alt-Harmhorst — Lütjenburg stammende Staffel, südwestwärts und verläuft bis zum Eidertal parallel dem Endmoränengebiete Dobbersdorfer See — Blumenthal und von diesem durch den Wellsee, sowie durch eine Reihe jetzt vertorfter, ausgedehnter Depressionen (Alter Moorsee, Kl. Flintbecker Moor, Fehltmoor) getrennt, durch die Umgebung der Orte Meimersdorf, und Kl]. und Gr. Flintbeck. — 64 In dieser Endmoräne lassen sich wiederum zwei Staffeln unter- scheiden. Die südlichere zieht durch die Umgebung der Orte Wellsee und Moorsee über Kl. Flintbeck, und von hier dem östlichen Eider- talrande entlang bis Gr. Flintbeck, die nördlichere durch das Gelände nördlich von Meimersdorf. Das Fidertal überschreitet erstere bei Gr. Flintbeck und verläuft, nach Nordwesten umbiegend, über Sprenge, in der Richtung auf den Westensee zu, die letztere südlich von Schulenhof und wendet sich dem westlichen Eidertalrande entlang, über Molfsee, Voordee und Schierensee zum Westensee. Zwischen den beiden Staffeln entstand auf der Strecke zwischen Schulenhof und Sprenge die Eidertal- furche, als Schmelzwasserrinne vor der nördlicheren Staffel. Die Schmelzwasser suchten sich einen Weg nach Westen bezw. Süden zum Haidesandgebiet und schufen sich einen solchen nach Süden durch die südlichere Staffel und die einzelnen, hintereinander liegenden, hier von Südosten nach Nordwesten aufbiegenden Züge der Teilstrecke Dobbers- dorfer See — Blumenthal: der zwischen Sprenge und Reesdorf belegene Teil des Eidertales. Von hier aus fanden die Schmelzwasser durch den Mühlenteich südlich von Schmalstede, durch den Bordesholmer See und den Einfelder See und die sie verbindenden Senken den Abfluss zum Haidesandgebiete. — Die als Fortsetzung der Teilstrecke Lütjenburg — Dob- bersdorfer See bezeichnete Endmoränenstaffel wendet sich zwischen Ellerbek und dem südlich davon belegenen Tröndel-See eben- falls westwärts und umschlingt in Gestalt eines teilweise stark coupierten (Viehburger Gehölz), bis auf 50 m ü. M. ansteigenden Höhenzuges, das südlichste Ende der Kieler Föhrde, die letztere vom Eidertale scheidend. Bis zum Dreck- und Schulensee wird dieser Höhenzug, der von Haas!) als Hornheimer Riegel bezeichnet worden ist, durch eine breite Senke, in der die Cronsburger-Poppenbrügger Au fliesst, von der Staffel Meimersdorf, Molfsee, Voorde — Westensee getrennt. Jenseits dieser Seen löst sie sich in drei Einzelzüge auf, von denen der südlichste in dem Gebiete zwischen der Senke, in der die Eider zwischen dem Schulen-See und dem Westensee strömt und der zuletzt erwähnten Staffel — von dieser durch den Ramm-See, den Molfsee, die Senke des Scheidegrabens und den Kl. und Gr. Schieren -See, und die nach Osten bis zum Orte Rumohr sich an diesen anschliessenden Senken getrennt — verläuft. Der nördlichste Zug erstreckt sich über Russee, Schönwohld, Lange- reihe (Gottsche 1. ec. S. 32. Langereihe, alte Kiesgrube an der Chaussee, SW. der Wegekreuzug, scheinbar Packung), und der zwischen diesen ') H. Haas, Warum fliesst die Eider in die Nordsee? Kiel 1886. 65 beiden Zügen befindliche Zug von Hammer über Steinfurth zum Westen- see. Der letztere wird von ersterem durch eine Reihe von Seen, den vorderen und hinteren Russee, den Ihlsee und den Hansdorfer See, die miteinander in Verbindung stehen, und von dem südlichsten Zuge durch das erwähnte Stück des Eidertales geschieden. — In dem Hornheimer Riegel gewährt eine ganze Reihe von Auf- schlüssen ein anschauliches, je nach dem Stande der Abgrabungen aber recht wechselndes Bild seines inneren Aufbaues. Am nördlichen Abhange des in dem östlichen Teile des Höhen- zuges belegenen Friedrichsberges zeigt die stufenförmig abgetragene, etwa 15—20 m hohe Südwand einer, 100—200 m südlich von der Ziegelei Thonberg befindlichen Kiesgrube, einen Kern aufgestauchten, steinfreien Tones, der von bis 5 m mächtigen, discordent parallel stru- ierten Bryozoensanden und Granden, die teilweise Packungen von über faustgrossen Blöcken umschliessen, bedeckt wird, und dem nach Norden 10 m mächtige, teils horizontale Schichtung, teils Kreuzschichtung zeigende Bryozoensande mantelförmig umgeben. — An der Westwand derselben Grube bedecken 3—4 m starke, wechsellagernde, dünne Schichten von Spatsanden und tonigen Mergelsanden, welche linsenförmige Nester von in Bryozoensanden eingebetteten Packungen von über kopfgrossen Ge- schieben umschliessen, gegen 8 m mächtige, gestauchte und gefaltete Bryozoensande. Am östlichen Abhange desselben Hügels, 150—200 m von diesem Aufschlusse entfernt, waren etwa 5 m starke, in Bryozoensanden einge- bettete Packungen von Blöcken bis zu Felsengrösse, bedeckt von 4 m (eschiebelehm zu beobachten. Gegen 800 m südlicher von diesen Punkten sind an der Nordwand einer, in der Nähe der Waldwärterwohnung, östlich vom Viehburger (ehölz befindlichen Kiesgrube, 4--5 m concordant übereinander lagernde Schichten von Bryozoensanden und Granden, und an der Ostwand der- selben Packungen von Felsen unter 2—3 m, teilweise lehmig verwittertem Spatsande, aufgeschlossen. — Ein Kilometer westlich vom Viehburger Gehölz erhebt sich, nahe dem nördlichen Ende des Drecksees, eine Kuppe dieses Höhenzuges, der Finkelberg, welche zu der, am Ostufer des Sees entlang führenden Hamburger Chaussee bis auf 25 m ü. M. abfällt, auf 50,1 m.ü. M. — Die Sohle einer in diesem Berge befindlichen Kiesgrube, liegt in der- selben Höhe, wie die Chaussee, die Oberkante derselben aber in etwa 40 m Meereshöhe, so dass hier ein Profil von 12—15 m Höhe entblösst ist. Dasselbe zeigt ausschliesslich Schichten fluvioglacialer, feinste Trüm- mer von Bryozoen enthaltender Spatsande, zum anderen Teile grobkörnige, Kreuzschichtung aufweisender Bryozoensande und Kiese, welche den 66 Konturen des Hügels parallel verlaufen. — Westlich der Hamburger Chaussee befindet sich, gegenüber von dem Finkel-Berg, die Ziegelei von ©. W. Wulf. An der westlichen, zur Zeit allein gut aufgeschlossenen Wand der etwa 15 m tiefen Tongrube, werden hier in den unteren Schichten blaugraue, in den oberen Schichten braungelbe, steinfreie, teilweise in ausgezeichneter Weise gefalteter Tone abgebaut. (s. Taf. VII.) Dieselben werden nur von I—3 m, zum Teil discordant parallel struierten, Geschiebe führenden Bryozoensanden, überlagert. — Es erweist sich hiernach der Hornheimer Rieges nicht nur, wie bereits von Haas angegeben worden ist, als ein Produkt glacialer Stauchung, sondern auch als ein solches fluvioglacialer und glacialer Accumulation. — Der eben beschriebene Endmoränenzug ist bereits vor einer Reihe von Jahren Gegenstand der Untersuchung und Beschreibung durch Prof. H. Haas gewesen, dem die eigenartigen topographischen Beziehungen des Höhenzuges zur Kieler Föhrde und zum Eidertale sowie die hinsicht- lich seines inneren Aufbaues gewonnenen Befunde Anlass zur Aufstellung einer Hypothese über die Entstehung der Kieler Föhrde gaben. — In einer, etwa nur 100 m hinter den letzten Häusern der Ziegelei Thonberg belegenen Kiesgrube fand Prof. Haas damals (1886) Korallen- sand, den er, da derselbe von Geschiebemergel bedeckt war, als ein zur Interglacialzeit entstandenes Schlemmprodukt des unteren Geschiebe- mergels ansah. Den Korallensand fand Haas an dieser Örtlichkeit in eigentümlicher Weise entwickelt. Er schreibt hierüber: »Was an dem Korallensande aber sofort auffällt, das ist die eigentümliche Entwickelung dieses Gebildes, das ziemlich mächtig ist und nicht nur aus dem für diese Ablagerung typischen Sande, sondern grösstenteils aus mit Lagen desselben mehrfach abwechselnden, mittelgrossen Geröllen, die ganz und gar den Charakter von Flussschlotter haben, besteht. Es ist kein einziges kantiges Bruchstück darunter; die aus den verschiedenartigsten Gesteinen bestehenden Gerölle sind in derselben Schicht durchschnittlich von der- selben Grösse, gerundet, u. s. f. und verhalten sich in ihrem Habitus genau so, wie etwa die Geröllanhäufungen, die der Rhein bei St. Mar- garethen und Rheineck dem Bodensee und die Rhone bei Le Bouveret dem Genfersee zuführen. Der feine Sand tritt fast ganz zurück, während der Hauptanteil dieser lokalen Ablagerungen den Geröllen zufällt. Die abwechselnde Überlagerung von gröberem und feinerem Material spricht für den Absatz dieser Gebilde aus fliessendem Wasser«. An anderen Stellen der südlichen Umrahmung der Kieler Föhrde fand Haas den Korallensand hingegen besonders stark und von gleichmässig feinem Korn entwickelt. Durch diese eigentümliche und verschiedenartige Aus- bildungsweise des Korallensandes hielt Prof. Haas den Beweis dafür gelie- 67 fert, dass sich in der Interglacialzeit hier ein Wasserlauf befunden habe und nahm in der Voraussetzung, dass der Hornheimer Höhenzug damals noch nicht existierte, ein interglaciales Ostseebecken aber vorhanden war, sowie in Berücksichtigung eines gewissen, aus den topographischen Verhältnissen zu erkennenden Konnexes des Eidertales zu der Kieler Föhrde, an, dass dieses eine interglaciale Rider gewesen sei, welche gleich an ihrer Ein- mündungsstelle in das Meer die groben Flussschotter und eine Strecke weiter — d. h. also nördlicher — die feineren Teilchen (die feinen Ko- rallensande) abgelagert habe. Dieser Strom entstand nach seiner Ansicht in der — jetzt als zweiten be- zeichneten — Interglacialzeit und zwar in deren erster Periode, d.h.noch in der Abschmelzperiode, während sich das Eis von Süden nach Norden zurück- zog und führte dementsprechend anfänglich gewaltige Wassermengen der Ostsee zu, welche das eigentliche Flusstal der Eider — gemeint ist der zwischen dem Schulen-See und Reesdorf, nordöstlich von Bordesholm, sich erstreckende Teil desselben — und die Föhrde erodieren halfen. In einer späteren Periode dieser Interglacialzeit, als der Eisrand weit nach Norden zurückgewichen war, nahm hierdurch die Wasser- menge dieses Flusses ab, und es konnte nun das Meer in die Mündung desselben eindringen, ebenfalls Erosionswirkungen auf die Talrinne aus- übend, wodurch unter anderem vermutlich bereits damals die Mündung derselben trompetenartig erweitert wurde. Als dann das Eis in der letzten Vereisungsepoche von neuem vorrückte, drang es in die sich verschmä- lernde Talrinne vor und bewirkte an dessem südlichsten Ende eine Auf- stauchung seines Untergrundes, des Korallensandes und des unteren Ge- schiebemergels.‘) Hierdurch entstand der Hornheimer Riegel. — Beim Abschmelzen des Inlandeises der letzten Vereisung »sammelte siclı das Schmelzwasser mit Vorliebe in den schon von der ersten Abschmelzperiode, von der Interglacialzeit her bestehenden Senken und Tälern, die ja durch die zweite, im Verhältnis zur ersten nur sehr wenig starke Vereisung nicht ganz wieder ausgeebnet, zumteil sogar noch weiter vertieft worden waren.« Auch in dem Eidertale strömte — man sieht, Haas nimmt auch in diesem Falle wieder ein Zurückweichen des Eises von Süden nach Norden an — ein mächtiger Wasserstrom der Ostsee zu, doch konnte er nicht in dieselbe gelangen, da er den Hornheimer Riegel nicht über- winden konnte und floss daher in derselben Weise wie die jetzige ' In Wirklichkeit nimmt nicht durch Eisschub aufgestauchter, unterer Ge schiebemergel an dem Aufbau des Hornheimer Riegels teil, sondern, wie erwähnt wurde, ein sehr mächtiger, steinfreier Ton, dessen Alter noch dahingestellt bleiben muss. In späteren Arbeiten von Haas (z. B. in »Begleitworte zum geologischen Profil des Kaiser- Wilhelm-Kanals«. Berlin 1898) findet sich dieses auch richtig angegeben. 68 Eider nach Westen. Ein Überrest dieses Stromes der letzten Abschmelz- periode ist die heutige Eider. — Wiewohl die Lokalität in der Nähe der Ziegelei Thonberg, woselbst Haas im Korallensande Gerölle von Flussschottercharakter beobachtete, identisch sein dürfte mit den noch jetzt dort befindlichen, oben beschrie- benen Aufschlüssen, so ist es doch nicht mehr möglich seinen Befund nachzuprüfen, da jene Schichten seitdem längst abgetragen sein dürften. Der jetzt dort aufgeschlossene Korallensand weicht in seiner Ausbildung nicht von dem normalen Korallensande, dem Ausschlemmprodukte der Grundmoräne der Hauptvereisung sowohl wie der dritten Vereisung ab und enthält insbesondere neben den abgerundeten, schotterähnlichen Ge- röllen zugleich zahlreiche, kantige Bruchstücke der verschiedensten Ge- steine. Trotzdem, dass er in einer der Gruben von Geschiebemergel überlagert wird, dürfte er, da er selbst mächtige Blockpackungen enthält, Endmoränen der Hauptvereisung!) aber aus dem Diluvialgebiete Nord- deutschlands nördlich der Elbe bisher nirgends nachgewiesen wurden, als eine oberdiluviale Bildung zu betrachten sein. Die Örtlichkeit in der südlichen Umrahmung der Föhrde, an welcher der Korallensand von besonders feinem Korn vorhanden sein soll, wird von Haas nicht näher bezeichnet, doch ist anzunehmen, dass, da die betreffende Örtlichkeit nordwärts von der Ziegelei Tonberg belegen gewesen sein muss, dieses bei Gaarden bezw. Ellerbek der Fall gewesen sein muss. Die hier zur Zeit aufgeschlossenen Bryozoensande zeigen aber nicht eine solche Ausbildungsweise, sondern sind von grobkörniger Beschaffenheit, enthalten stellenweise Geschiebepackungen und sind ihren Lagerungsverhältnissen nach von oberdiluvialem Alter. — Sind aber die Korallensande des Hornheimer Höhenzuges nicht unter- diluvialen, sondern oberdiluvialen Alters, und sind die Gerölle in ihnen nicht als Flussschotter ausgebildet, so fällt dadurch der Beweis für das Vorhanden- sein eines mächtigen Stromes zur Interglacialzeit an dieser Stelle fort, und es verliert die Haas’sche Hypon=e über die Entstehung der Kieler Föhrde ihre wichtigste Stütze. — Der Hornheimer Höhenzug soll, wie oben angeführt ward, die Schmelzwasser während der letzten Abschmelzperiode verhindert haben, sich in die Ostseesenke zu ergiessen, und sie gezwungen haben, sich westwärts zu wenden. Da sich das Eis aber in Schleswig - Holstein während dieser Periode in der Hauptsache von Westen nach Osten zurückgezogen hat, so ist es das im Osten liegende Inlandeis gewesen, welches die Schmelzwasser veranlasste, diesen Weg einzuschlagen. — Durch die letzteren ist das breite Tal der Eider zwischen dem Schulen -See und ') Siehe Anmerkung II am Schlusse dieser Arbeit! — 69 Reesdorf, welches in seinen südlicheren Teilen, wie oben angegeben ward, schon von den Schmelzwassern der früheren — hier südlicher liegenden — Staffeln ausgefurcht wurde, mitgeschaffen worden. Nachdem das Eis nun ferner noch weiter zurückgewichen war und mehrfach, wie später gezeigt werden wird, im Bereiche der Kieler Föhrde für längere Zeit im Stillstande verweilte, zwang ebenfalls die im Nord- osten befindliche Eismauer die Schmelzwasser nach Süden bezw. Westen abzufliessen. Dieses konnte aber nur durch Überwindung des Horn- heimer Höhenzuges geschehen, und dürfte dieses an drei Stellen, woselbst der Höhenzug bis auf 20 m ü. M. herabsinkt, nämlich erstens zwischen dem Friedrichsberge und dem Vossberge (die Eisenbahn Kiel— Neumün- ster verläuft in diesem Einschnitte); ferner zwischen dem Finkelberge und dem Blocksberge (Drecksee — Tal des Vollradsbekes, zwischen dem Viehburger Gehölz und Winterbek), und endlich zwischen Winterbek und Hassee (Moorteichswiese bei der Gasanstalt — Moorwiese bei Hassee ; in der steil abgeböschten Talwand, westlich der Moorteichswiese, ist die ehemalige Uferwand dieses Stromes noch deutlich zu erkennen) geschehen sein. Erst nachdem das Inlandeis gänzlich aus dem Bereiche des jetzigen Landes in das Bereich des Beckens der heutigen Ostsee zurückgewichen war, und sich den heutigen hydrographischen Verhältnissen ähnliche Verhältnisse herausgebildet hatten, trat der Hornheimer Riegel an die Stelle des Inlandeises, und durch ihn wird allerdings die heutige Eider gezwungen, ihren Weg zur Nordsee zu nehmen. — Aus dem Umstande, dass auch am westlichen Ende anderer Föhrden, so an der Eckernförder, der Flensburger, und der Apenrader Föhrde, und ferner an der Schlei, ähnliche Erscheinungen am Korallensande zu beob- achten waren, schloss Haas, dass auch in diese Föhrden zur Interglacial- zeit grosse Ströme sich ergossen hätten, und glaubte, auf Grund dieses Schlusses, auch für die Entstehung dieser Föhrden dieselbe Hypothese wie für die Kieler Föhrde, in Anspruch nehmen zu müssen. Da mir die topographischen und geologischen Verhältnisse der Umgebung dieser Föhrden nicht genügend bekannt sind, muss ich es einstweilen dahin- ’ gestellt sein lassen, ob für die Entstehung derselben die Haas’sche Hypothese zu Recht besteht oder nicht, — das aber dürfte sicher sein, dass ebenso wie aus der Kieler Föhrde, auch die Schmelzwasser aus dem Bereiche dieser Föhrden — insoweit sie in ihrer jetzigen Beschaffenheit bereits damals vorhanden waren — während der letzten Abschmelz- periode nach Westen abgeflossen sein müssen, da das nach Östen sich zurückziehende Eis den Weg nach Osten versperrte. — In der Tat lehrt die Betrachtung der Messtischblätter dieser Ge- genden, dass diese Föhrden mit nach Westen führenden, breiten Tälern, die für die heute von ihnen durchflossenen Wasseradern viel zu gross sind und nicht von ihnen geschaffen sein können — in Verbindung stehen. — 70 Ein solches — und zwar das aus der Flensburger Föhrde nach Westen ins Haidesandgebiet sich erstreckende — Tal, hatte ich Gelegen- heit, im Herbste vorigen Jahres kennen zu lernen. — Es führt aus dem nordwestlichsten Winkel der Föhrde bei Wassersleben heraus und ver- läuft über Kollund bis über Krusau hinaus in nordwestlicher Richtung und wendet sich von hier in weitem Bogen, an Norderschmedeby und Bau vorbei, südwärts bis südwestwärts, bis in die Nähe der Station Patt- burg, wo sich, die hier kaum 100 m breite Wasserscheide zwischen der Nord- und Ostsee, befindet. Unmittelbar jenseits des Bahndammes, der auf dieser entlang geführt ist, beginnt bereits eine, nun nicht mehr so breite und tiefe Rinne, aus der die Meyn-Au hervorgeht. Damit die Schmelzwasser hier westwärts abfliessen konnten, bedurfte es allerdings wiederum eines nicht unbeträchtlichen Aufstaues derselben. — Mag die Haas’sche Hypothese nun für die Entstehung dieser nörd- lich der Kieler Föhrde belegenen Föhrden Gültigkeit besitzen oder — was wahrscheinlicher — nicht, jedenfalls möge hier nicht unerwähnt bleiben, dass auch andere Ansichten über die Entstehung der Föhrden sowie der Haffe und Buchten der Ostseeküste ausgesprochen worden sind, von denen besonders die von Geinitz') der Hervorhebung bedarf. Hiernach ist die Entstehung dieser nicht auf Meereseinbrüche und Sturmfluten oder ähnliche Ereignisse zurückzuführen, sondern dieselben sind aus Depressionen der verschiedensten Beschaffenheit ehemals höher belegener Landesteile, welcher infolge einer, in gleichmässiger Weise stattfindenden Senkung unter dem Wasserspiegel des Meeres gerieten, hervorgegangen. Diese Meeresbedeckung trat zu einer bestimmten Phase der Post- glacialzeit, der Littorinazeit, ein. Bis dahin war, während der Postglacial- zeit, der westliche Teil des Ostseebeckens nicht vom Wasser bedeckt, sondern Schleswig-Holstein und Mecklenburg mit Dänemark und Süd- schweden Land- verbunden. — In ähnlicher Weise wie Geinitz hatte bereits früher Ackermann’) die Bildung der Buchten und Föhrden der Ostsee erklärt und auch Penck (l. ec. S. 491) äussert sich hierüber in analogem Sinne. Es sei auch noch erwähnt, dass Ussing°) meint nachweisen zu können, dass die meisten Fjorde in Jütland dem subglacialen Laufe derjenigen Y%) E. Geinitz, Die Seen, Moore und Flussläufe Mecklenburgs. Güstrow 1886. 8.126. Derselbe, Grundzüge der Öberflächengestaltung Mecklenburgs. Güstrow 1899. 78. 51. ?) ©. Ackermann, Beiträge zur physischen Geographie der Ostsee. Hamburg 1883, °), Ussing N. V., Ueber die Haidesandebenen Jütlands und die Theorien ihrer Bildung. K. Danske Vid. S. Oversigt. 1903. Referat des Verfassers im Geolog. Centralblatt. 1903. 8. 175. Gletscherströme entsprechen, welche vor dem Eisrande die Haidesand- ebenen abgelagert haben. — Die Geinitz'sche Anschauung, der ich mich anschliessen möchte, hat die Präexistenz der Föhrden, Haffe und Buchten als Senken, Rinnen und Thäler eines Landes zur Voraussetzung, erklärt aber nicht die Ent- stehung dieser letzteren. In dieser Hinsicht ist, was die Entstehung der Kieler Föhrde anbetrifft, von Bedeutung, dass, wie ich bereits oben anführte, nördlich von der Endmoräne »Hornheimer Riegel«, das Inlandeis während seines Rückzuges noch wiederholt längere Zeit verweilte und Endmoränen, die die Föhrde in ost-westlicher Richtung überschritten, schuf. Es wird da- durch wahrscheinlich, dass auch diese Föhrde, an deren Stelle schon vor der letzten Abschmelzperiode eine Senke vorhanden gewesen sein dürfte, ebenso wie die grossen Seen Ostholsteins, ursprünglich aus mehreren, aufeinander folgenden, zwischen den Endmoränenstaffeln belegenen Seen (Endmoränenstauseen) bestand. — Ich erwähnte dann weiter, dass auf Grund der Tatsache, dass das Inlandeis sich im nördlichen Holstein und in Schleswig im allge- meinen von Westen nach Osten zurückzog, anzunehmen ist, dass die Schmelzwasser von Osten nach Westen zur Nordsee abströmen mussten. Einer der Wege, auf dem dieses innerhalb der Hügellandschaft des Ostens geschah, dürfte die Kieler Föhrde gewesen sein, und ist weiter anzunehmen, dass durch die Erosionstätigkeit dieses Gletscherstromes, die zwischen den verschiedenen Becken bestehenden Staffeln zum grossen Teile eingeebnet und zerstört wurden. — Während des Zeitraumes der Postglacialzeit bis zur Littorinazeit hin — also während der Yoldiazeit und der Ancyluszeit — dürfte dann dieser Weg der Schwentine und anderen, zur Föhrde strömenden Gewässern zum Abfluss nach Norden !) gedient haben. — Zur Littorina- zeit ward dann diese bereits bestehende Senke infolge Senkung des west- lichen Gebietes des Ostseebeckens vom Meere überflutet und war nun in der Folge dauernd, bis heute, der Beeinflussung von seiten dieses ausgesetzt. — Dass dieselbe auch noch seit der Littorinazeit weiter unter das Niveau des Meeresspiegels geriet, scheinen, wie Splieth°) mit Recht ') Vergl. Geinitz, Die geographischen Veränderungen des südwestlichen Östsee- gebietes seit der zweiten Abschmelzperiode in Petermanns Geograph. Mitteilungen, 1903. Heft IV, und besonders ©. A. Weber, Über Litorina- und Prälitorinabildungen der Kieler Föhrde (Engler's Botanische Jahrbücher, 35. Band. Heft 1. 1904) welche vortreflliche Arbeit ich erst während der Drucklegung der vorliegenden Schrift erhielt und aus diesem Grunde leider nicht mehr berücksichtigen konnte! — ?) W. Splieth, Über vorgeschichtliche Altertümer Schleswig-Holsteins mit be- sonderer Berücksichtiguug ihrer Beziehung zu der Geologie des Landes u. s. w. Archiv für Anthropologie und Geologie Schleswig-Holsteins. Bd. II. Heft 2. 72 hervorgehoben hat, die bei Ellerbek vorhandenen Kjökkenmöddinger der neolitischen Menschen, die zurzeit ihrer Entstehung sich zweifellos ebenso wie andere Kjökkenmöddinger Schleswig - Holsteins!) am oder wenigstens in der Nähe des Strandes befunden haben werden, jetzt aber »zum Teil bis über 10 m unter dem jetzigen Meeresspiegel und bis über 50 m von der jetzigen Strandlinie entfernt, bedeckt von mächtigen Muddablagerungen auf zweifellosem Strandsande aufgefunden worden sind,«?) zu beweisen. In ähnlicher Weise wie bei der Kieler Föhrde dürfte auch die Entstehung der teils seenartigen, teils rinnenförmigen Teile, aus welchen sich die übrigen Föhrden zusammensetzen, zu erklären sein. Da aber über die geologischen Verhältnisse der Hügellandschaft Schleswigs ausser den älteren Angaben von Meyn und Haas keine neueren Aufzeichnungen vorliegen, es insbesondere noch dahingestellt bleiben muss, ob, wie man vielleicht auf Grund eines Analogieschlusses annehmen könnte, die Hügel- landschaft Schleswigs den Typus einer Endmoränenlandschaft repräsen- tiert oder ob sie als eine Grundmoränenlandschaft zu betrachten ist — so muss eine eingehendere Besprechung der Entstehung der einzelnen Föhrden, ebenso wie der zahlreichen, früher ersichtlich von, von Osten nach Westen fliessenden Gletscherströmen benutzten, jetzt nur kleinen Wasser- läufen als Betten dienenden, rinnenförmigen Senken, welche die Hügel- landschaft, besonders zwischen der Schlei und der Flensburger Föhrde, durchsetzen und in vielfachem Konnex mit einander stehen, späteren Mitteilungen vorbehalten bleiben. — !) E. Stolley, Geologische Mitteilungen von der Insel Sylt. III. S. 104. Archiv für Anthropologie und Geologie Schleswig-Holsteins. Bd. Ill. Heft 2. 1900. ?) Ein solcher war bisher in Schleswig-Holstein nur an der Apenrader Föhrde bei Süderhallig (s. Mitth. des anthropolog. Vereins in Schleswig -Holstein III. Heft) bekannt. Erst vor kurzer Zeit sind aber durch den Bau der Bahn Eckernförde-Ow- schlag am nördlichen Strande des Windebyer Noor, unmittelbar an der Uferwand mehrere Küchenabfallhaufen aufgefunden worden, die, da sie ausser Mytilus edulis, Littorina littorea, Nassa reliculata, auch Ostraea edulis enthalten, ebenfalls zur Litto- rinazeit entstanden sein dürften. — Erwägt man, dass auch an der Flensburger Föhrde, wie aus den im Flensburger Museum (s, Führer durch das Kunstgewerbemuseum der Stadt Flensburg. Vorge- schichtliche Abteilung) aufbewahrten Funden hervorgeht, Kjökkenmöddinger (mit Ostraea edulis) vorhanden gewesen sind, so hat Splieth’s Mutmassung, dass auch an anderen Föhrden Schleswig-Holsteins ausser an der Kieler, der Apenrader und der Neustädter Spuren aus der ältesten neolithischen Zeit gefunden werden könnten, eine baldige Bestätigung gefunden. 13 An die Teilstrecke Lütjenburg (Hassberg) — Dobbersdorfer See — lest sich nördlich und nordwestlich von Lütjenburg eine Endmoräne an, welche sich als ein, in sehr dominierender Weise aus dem Relief seiner Umgebung hervortretender, in seinen östlichen Teilen in mehrere Züge (Strezerberg, Mittelsberg, Plötzenberg-Katzberg) gegliederter, in seinen westlicheren Teilen einheitlicher, wallartiger Höhenrücken (Pils-Berg) zwischen dem Selenter See und der Ostsee in südost -nordwest- licher Richtung über 8 km weit bis zu einer Talfurche, durch welche der Selenter See zur Ostsee entwässert, erstreckt. — Nach Südosten, zur wenig höher als 0,5 m ü. M. befindlichen Sohle des Kossautales dacht sich der Höhenrücken, der sich in seinen höchsten Teilen auf über 120 m erhebt (133 m ü. M.), in annähernd gleichen Abständen von etwa 1 km um je 20 m bis auf 40 m ü.M. ab, worauf weiterhin, stellen- weise auf eine kürzere Entfernung hin, ein rascherer Abfall stattfindet. Nach Nordwesten gestalten sich die Abdachungsverhältnisse bis zur 60 m Höhenkurve in ähnlicher Weise; von hier ab aber senkt der Höhenrücken sich bis zum Rande des Mühlenautales nur noch ganz allmählich auf 40 m herunter. Nach Nordosten und Südwesten ist die Abböschung desselben eine schroffere. In ersterer Richtung fällt er in Abständen von gegen 500 m um 20 m bis auf 20 m ü. M. ab. Das sich von dieser Stufe ab bis zur Ostsee anschliessende, flachwellige Gelände bleibt grösstenteils unter dieser Höhe. — Nach Südwesten fällt der Höhenrücken stellenweise sogar von 120 m ü. M. auf eine Distanz von 500—600 m hin bis auf 60 mü.M. ab. Von hier ab aber macht sich dann bis zum Selenter See, dessen Wasser- spiegel in 34 m ü. M. liest, nur ein allmähliches Absenken bemerkbar. In mehreren Aufschlüssen (Kgr. bei der W.W. Etzkate, südlich von Stöfs, 45 m. ü. M.; Kgr. am östlichen Eingange von Gadendorf, 40 m ü. M,; Kgr. 200—300 m nordwestlich von Friedrichshof, 100 m ü. M., Kgr. 300 m nordöstlich von Emkendorf, 80 m ü. M. und Kgr. 700 m nordwestlich von Gleschendorf, 40 m ü. M. —) gibt sich dieser Höhen- rücken als eine Aufschüttungsmoräne zu erkennen. Dass auf den Kuppen des Strezerberges stellenweise Bestreuung vorhanden ist, gab Gottsche (l. c. 35) bereits an; es ist dem hinzuzu- fügen, dass der Boden dort überall, wie jeder Wegeeinschnitt lehrt, sehr steinigt ist. Nahe derselben Stelle, an der sich jetzt die Kiesgrube nörd- lich von der W.W. Etzkate, südöstlich von Stöfs, in dem Höhenrücken befindet, beobachtete Bruhns!) in einer Kiesgrube, 7 Fuss unter der Ober- fläche, eine 3 Fuss mächtige, »mit Grand und Sand stark durchdrungene« Ablagerung mit zertrümmerten Austernschaalen, über die er 1846 auf ı) Bruhns Bericht über die Versammlung des geognostischen Vereins für die baltischen Länder zu Lübeck, 1845. pag. 6. ) 14 der Kieler Naturforscher- Versammlung berichtete. Von dieser Ablage- rung, welche, wie Gottsche angibt, Meyn als Austernbank bezeichnete, und Johnstrup 1882 als eine Scholle im Geschiebemergel ansah, waren bereits 1894, als Gottsche sie aufsuchte, nur mehr Reste vorhanden. Jetzt war nichts mehr von derselben zu entdecken. — Der Umstand, dass dieselbe in 40 m ü. M. und in einer Endmoräne sich befindet, dürfte für die Ansicht von Johnstrup, dass sie sich auf sekundärer Lagerstelle befindet, sprechen. — Die zur Zeit der Aufschüttung dieser Endmoräne und ihrer noch zu beschreibenden Fortsetzung nach Westen, dem Eisrande entströmenden Schmelzwasser, sammelten sich in der Senke, die jetzt vom Selenter See eingenommen wird, und flossen aus dieser — wozu es, da der Wasser- spiegel des Sees 37 m ü. M. liegt, nur eines Aufstaues um wenige Meter bedurfte — durch das jetzige Passautal zur Schwentine und damit zum Plöner See ab. Nicht unwahrscheinlich ist es auch, dass, als das Inland- eis noch im Bereiche des Seebeckens lag, die Schmelzwasser westlich von Bellin, durch das Belliner und Selenter Moor, und aus diesen zum Tres- dorfer See abflossen. Ob der Selenter See nicht auch, wie die anderen grossen Seen Ostholsteins, aus mehreren Becken hervorgegangen ist, lässt sich, da über die Plastik seines Bodens bisher keine Angaben vorliegen, zur Zeit nicht entscheiden. Eine nahezu rund um den See herum- laufende, bis zu 3 m über dem Wasserspiegel befindliche, am nördlichen und östlichen Ufer breite, am südlichen und besonders am westlichen Ufer nur schmale Terrasse, ist alluvialen Alters. — Nur am Südufer fällt auf grosse Strecken hin zu derselben die Uferwand mit auffällig steiler Böschung ab. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass diese klintartige Beschaffenheit des Ufers durch die Brandungserosion der aufgestauten Schmelzwasser, deren Stromrichtung zudem gegen dieses Ufer gerichtet war, zustandegekommen ist. — Jenseits der Mühlenautalfurche verliert sich der Pielsberg- Höhen- rücken in eine geschlossene, 11% —2'/, km breite, im allgemeinen nicht unter 40 m ü. M. herabgehende, flachwellige Schwelle, der eine Reihe von über 50 m ü. M. aufragenden Kuppen aufgesetzt ist, und die sich über Schwartbuck. Bendfeld, Gödersdorf, bis in die Nähe von Passade, am Nordufer des Passader Sees hinzieht, woselbst in zwei Kiesgruben, in Kiesen und Sanden eingebettete Blockpackungen, bedeckt von 1—2 m (eschiebemergel, aufgeschlossen sind. — Das südlich von dieser Schwelle bis zum Selenter See reichende flachhügelige Gelände erweist sich, wie die in einem, 400 m vom See- strande entfernten Aufschlusse bei Pratjau entblössten Profile lehren, ebenfalls als zu einer Endmoränenlandschaft gehörig. — Die hier die Endmoränenkuppe aufbauenden, etwa 1 m breiten Schichten feinerer und gröberer, fluvioglacialer Sedimente, sind ebenso wie die zwischen ihnen 75 lagernden Blockpackungsschichten an der Westwand der Grube lothrecht aufgerichtet, während sie an der nordwestlichen Wand mehr oder weniger horizontal lagern. Der Blockreichtum von über kopfgrossen Blöcken ist ebendaselbst ein ganz erheblicher! Auch in dem nördlich von der Schwelle, nur mehr 20 m ü. M. be- findlichen und sich zur nahen Ostsee noch weiter abdachenden Gebiete, ist noch eine zwischen Stakendorf (Kgr. unweit des Ortes; 2—3 mächtige, von keiner weiteren Schicht bedeckte, Blockpackungen) und Wisch über Schönberg sich erstreckende Eisrandstillstandslage zu erkennen. Als Fortsetzung dieser Schwelle westlich von Passade dürfte eine Reihe von zwischen 30 und 40 m ü. M. in sonst flachem Gelände auf- ragenden Höhen, die sich aus der nördlichen Umgebung von Probsteier- hagen über Röbsdorf und Neu-Heikendorf nach Laboe zu hinziehen, zu betrachten sein. In dem Gebiete zwischen dieser Staffel und der Schwentine einer- seits sowie dem Passader und Dobbersdorfer See und der Kieler Föhrde andererseits, deuten eine ganz beträchtliche Anzahl von Beobachtungs- punkten auf das Vorhandensein mehrerer Stillstandslagen des Eisrandes, deren näherer Verlauf erst durch spätere Untersuchungen festgestellt werden muss, hin. Von diesen seien folgende genannt: Kgr. zwischen dem Passader und Dobbersdorfer See, ca. 800 m nördlich von Tökendorf, Kgr. bei Christinenthal, nördlich vom Kasse - Teich, und zahlreiche Auf- schlüsse in dem auch durch typische Oberflächenformen ausgezeichneten Gelände in der Umgebung von Alt-Heikendorf, Schrevenborn, Kählen, Mönkeberg und zwischen letzterem Orte und Dietrichsdorf. — Sämtliche Staffeln, — auch die auf Laboe zuführende Endmoräne —, durchquerten, wie aus ihrer Verlaufsrichtung zu entnehmen ist, die Senke, die jetzt von der Kieler Föhrde eingenommen wird, und verliefen jenseits derselben in noch näher zu untersuchender Weise weiter. Die südlichste derselben, zu der die Punkte in der Umgebung von Dietrichsdorf gehören, setzt sich jenseits der Föhrde, dicht nördlich von Kiel, fort, woselbst die im Düstern- broker Gehölz und seiner Umgebung (Lins-Berg, auf dem die Sternwarte, Ravensberg, auf dem das Wasserwerk errichtet ist) befindlichen Kuppen und teilweise steil abgeböschten und steinigten Hügel eine Stillstandslage des Eisrandes verraten. Kiel selbst liegt somit inmitten von Endmoränen. Die tiefen Ein- schnitte zwischen den Hügeln, auf denen die akademischen Heilanstalten und das mineralogische Institut sich befinden (Schwanenweg, Reventlou- Allee), dürften ebenso wie die erste Anlage des Schwentinetales zwischen Raisdorf und Neumühlen zum grossen Teile auf die Erosionstätigkeit der entlang dem Eisrande seitlich der Föhrde zuströmenden Schmelzwasser zurückzuführen sein. — 5* 76 Es bleibt nun noch übrig, in Kürze der Bodenbeschaffenheit der nördlich und östlich der Teilstrecken Neustadt-Bungs- berg und Dun BEbBLE CHR belegenen Teile Osthol- steins zu gedenken. — Während die erste (südlichste) Staffel des Bogens Neustadt (Süsel)— Steinklippen von Süsel ab entlang der Küste der Neustädter Bucht sich nach Süden fortsetzt, finden die zweite und dritte Staffel, indem sie sich allmählich, die erstere direkt zur Küste, die letztere zu einer, sich von der Neustädter Bucht nordwärts erstreckenden, schmalen Ausbuchtung derselben, absenken, hier ein vorläufiges Ende. Als eine Fortsetzung der nördlichsten Staffel ist im Osten von Neustadt ein, von hier bis Bliesdorf in der Nähe der Ostsee (Scharberg) über Beusloe verlaufender, schmaler, deut- lich und wirksam aus dem Relief seiner Umgebung hervortretender Zug charakteristisch modellierter Hügel und Kuppen zu betrachten. Beide Staffeln scheinen sich dann jenseits der Ostsee im nördlichen Meck- lenburg mit der von Geinitz bis dorthin nachgewiesenen nördlichen Haupt- endmoräne, in der bereits von Gottsche angegebenen Weise, vereinigt zu haben. An die Innenseite der nördlichsten Staffel schliesst sich, wie bereits erwähnt worden ist, ein rasch von 40 m ü. M. bis zum Niveau des Öst- seespiegel abfallendes Gelände, welches eine Mulde darstellt (Neu- städter Mulde), die im Norden — nördlich von Stolpe und Sibstin — von einer nördlicheren Endmoränenstaffel und ihren Vorstufen und im Osten von dem eben angegebenen Zuge Neustadt — Bliesdorf begrenzt wird, an. Nur entlang und in der Nähe dieser Staffel ragt eine Anzahl von isolierten Erhebungen innerhalb der Mulde noch über 40 m ü. M. auf. Von einer solchen, die zwischen Gömnitz und Plunkau liegt, ist das auf der Tafel III reproduzierte Bild des Gömnitzer Berges aufgenommen. Ein Ausläufer der Mulde in Gestalt einer flachen Einsenkung, in der die Kremper Au fliesst, lässt sich bis in die Gegend von Nienrade verfolgen; nach Süden steht sie durch die erwähnte schmale Ausbuchtung mit der Neustädter Bucht in Verbindung. Da der Bogen Neustadt — Steinklippen weder nach Süden noch nach Westen von tieferen Einschnitten durchsetzt wird, so ist anzu- nehmen, dass, als es zur Ablagerung dieser isolierten Kuppen in der Mulde kam, die Schmelzwasser entlang dem Eisrande, zwischen diesem und dem Walle — nach Süden zur Neustädter Bucht abgeflossen sind. In die Mulde mussten, wie die Verlaufsrichtung nördlich derselben befind- licher Staffeln andeutet, ein grosser Teil der Schmelzwasser ihren Weg nehmen, und dürften dieselben auf das Relief der Oberflächenformen derselben nicht ohne Einwirkung gewesen sein. 77 Das Gebiet nördlich der Mulde, zwischen der Ostseeküste an der Neustädter und an der Hohwachter Bucht, der tiefen, breiten Senke, welche das Land Oldenburg von dem übrigen Holstein trennt und der Teil- strecke Bungsberg— Sechendorf — ist dadurch charakterisiert, dass grössere Seen und Senken nahezu gänzlich in demselben fehlen und, dass die einzelnen Endmoränenstaffeln, welche hier die Geländeformen bilden, sich so dicht schaaren, dass nur schmale Mulden und Rinnen zwischen ihnen verbleiben. — Die in den letzteren sich ansammelnden Schmelz- wasser nahmen ihren Weg teils zwischen den Staffeln entlang, teils durch dieselben hindurch zu der, den Bogen Alt-Harmhorst—Sechendorf im Westen begleitenden Senke, zur Neustädter Mulde und zur Neustädter Bucht und schnitten hierbei, da ihr Gefälle infolge der schroffen Ab- dachung des Gebietes nach fast allen Himmelsgegenden ein sehr starkes war, auffällig tiefe und teilweise recht steilrandige Rinnen in das Ge- lände ein. Von solchen Erosionsrinnen seien hervorgehoben das Tal des Müblen- baches bei Friedrichsleben, die Talfurche zwischen den Orten Gr. Rolübbe und Colonie, der Sibirner Grund, und besonders die malerischen Schluchten, in denen die Bäche, der Mühlenbek und der Steinbek in der Umgebung von Lensahn, dahinfliessen. Die Endmoränenstaffeln dieses Gebietes bilden nach Südwesten ge- richtete, nach Nordosten offene, sich konzentrisch aneinander legende Bogen, welche in der Gegend, wo sich ihre Scheitelpunkte, deren Lage durch eine Linie, die den Bungsberg mit der Stadt Oldenburg verknüpft, bezeichnet wird, befinden, jeweilig die höchsten Erhebungen aufweisen und sich nach ihren peripherischen, nach der Hohwachter und nach der Neustädter Bucht belegenen Teilen, stufenweise abdachen. Abgesehen von der südlichsten Staffel und der auf sie folgenden, die sich in ihren höchsten Teilen zu gleicher Höhe erheben (auf über 120 m ü. M.), lagern infolge rascher Neigung des Geländes nach Nord- osten bezw. Norden die Staffeln von Süden nach Norden stufenweise in einem niedrigeren Niveau über dem Meeresspiegel. Obwohl sich ihre Kuppen und Hügel bis über 120 m ü. M. erheben, so ist doch ihre relative Erhebung über den, in ihrem Vor- und Hinterlande befindlichen Senken und Mulden eine die gewöhnlichen Verhältnisse — in diesem Falle 20—30 m — nicht überschreitende!). — !) Auch der auf 168 m ü. M. aufragende Bungsberg, ist, wie noch erwähnt sein mag, wenn man seine Erhebung über die in etwa 120 m ü. M. befindliche Sohle der sich im Nordosten an seinen Fuss anschliessenden Senke, als seine eigentliche Höhe betrachtet, keine besonders hohe Endmoränenkuppe. — Seine grosse Höhe dürfte dadurch bedingt sein, dass sein Sockel durch diluviale Schichten von ganz besonderer Mächtigkeit oder durch eine Aufwölbung von Schichten einer älteren Formation oder durch Beides gebildet wird. — 73 Im übrigen unterscheiden sich diese Endmoränen weder hinsichtlich ihrer äusseren Erscheinungsweise noch ihrer inneren Zusammensetzung von den übrigen Endmoränen Östholsteins. Die südlichste in diesem Gebiete nachweisbare Staffel, verläuft zwischen der Hohwachter und Neustädter Bucht, im Westen und teil- weise auch im Süden parallel und im Hinterlande der Teilstrecke Bungs- berg— Sechendorf durch die Umgebung folgender Orte: Sehlendorf, Fried- richsleben, Rathlau (Rabens-Berg: Kgr.), Gr. Rolübbe, Mönchneversdorf, Langenhagen, Vogelsang, Marxdorf, Bentfeld, Brenkenhagen, Grömnitz. Die Schmelzwasser flossen auf der Strecke Sehlendorf—Mönchnevers- dorf mittels der erwähnten Erosionsrinnen durch die Teilstrecke Bungsberg— Sechendorf zu der den Bogen Alt -Harmhorst—Sechendorf im Westen begleitenden Senke, auf der Strecke Mönchneversdorf—Bentfeld bezw. Brenkenhagen zur Neustädter Mulde (Lachsbach, Kremper Au) und auf der noch verbleibenden Strecke zur Neustädter Bucht ab. Die Lage der nächsten Staffel wird durch folgende Orte und Ge- lände markiert: Barensdorf, Kükelühn, Neu -Testorf, Gehege Steinbusch und Hegeholz (Gottsche’s Punkte |l. c. S. 36]: Steinbusch, langgestreckter Hügel am Westrand des Geheges, Bestreuung; Steinbuschkathe, Kiesgrube O. des Weges, Packung), Löhrsdorfer Holz, Rauher Berg, Wahls-Berg, Beschendorf, Sievershagen, Gosdorf. — Von Beschendorf ab schlägt diese Endmoräne eine nordöstliche Richtung ein, so dass sie annähernd parallel der Küste der Neustädter Bucht sich erstreckt. Der Abfluss der Schmelz- wasser erfolgte in ähnlicher Weise wie bei der vorigen Staffel. — Eine dritte Staffel erstreckt sich über die Orte: Wasbuck, Hansühn, Karlshof (Testorf), Hellberg, Goldberg, Hölzung Hohenrott, Lensahn und nun ebenfalls nordöstlich aufbiegend über Damlos und Sebent. Östlich von Lensahn sammelten sich die Schmelzwasser dieser Strecke in zwei grossen, jetzt vertorften Becken, Överdiek und Schwien- kuhler Teich, aus welchen sie in südöstlicher Richtung durch die vorige Staffel hindurch über die Umgebung von Cismar zur Neustädter Bucht abströmten. Bei Lensahn bedeckt Grundmoräne von 1-——-2 m Mächtigkeit mehrere Meter mächtige, gestauchte Schichten von Tonen, Sanden und Block- packungen einschliessenden Kiesen. Auch in der Umgebung von Testorf wird die Oberfläche von ausserordentlich steinreicher Grundmoräne ge- bildet, und einen grossen Reichtum von Blöcken und Felsen von sehr auffälliger Grösse zeigt die Umgebung von Neu-Testorf. Zu einer vierten kurzen, nurmehr undeutlich ausgesprochenen Staffel gehören die Beobachtungspunkte von Harmsdorf, Charlottenhof und Wangels. — Ein bei Grammdorf belegener Aufschluss, der zu den grössten Aufschlüssen des ganzen östlichen Holsteins gehört, und in dem mehrere 79 Meter mächtige Blockpackungen auf horizontal lagernden Schichten von Bryozoensanden und Granden ruhen (s. Tafel VIII), zeigt, dass auch die Entstehung der Oberfläche des, an diese Staffel bis zur nahen Küste sich anschliessenden, flachwelligen Gebietes mit einer Stillstandslage des Eis- randes in Verbindung zu bringen ist. Auch in dem durch eine breite, rinnenförmige Senke vom übrigen Ostholstein getrennten Lande Oldenburg sind noch Endmoränenzüge, die hinsichtlich ihrer äusseren und inneren Ausbildungsweise keine Unter- schiede von den übrigen Endmoränen Holsteins erkennen lassen, nach- zuweisen. Der eine dieser Züge verläuft in südwest-nordöstlicher Richtung zwischen Putlos und Dazendorf, der andere in west-östlicher Richtung zwischen hier und Sütel. Der letztere bildet die bei Heiligenhafen hart an das Ufer herantretenden Höhen. Einige bei Siggen belegene Beob- achtungspunkte gehören vermutlich einer Fortsetzung der Endmoräne Beschendorf—Gosdorf an. Wenn wir nun, ehe wir uns zur Besprechung des nicht zur Hügel- landschaft gehörenden Teiles des baltischen Höhenrückens im westlichen Holstein wenden, kurz die Resultate unserer Untersuchungen hinsichtlich der geologischen Beschaffenheit sowie der orographischen und hydro- graphischen Verhältnisse der Hügellandschaft Ostholsteins nochmals kurz zusammenfassen, so sind folgende als die wichtigsten derselben zu nennen: 1. Der von Gottsche beschriebene, die ostholsteinische Hügelland- schaft vom Eidertale bis zur Neustädter Bucht durchquerende Endmoränen- zug markiert nicht eine einzige Stillstandslage des Eisrandes, sondern eine ganze Reihe von solchen. 2. Die von Gottsche angegebenen, im Vorlande und im Hinterlande seines Zuges belegenen, einzelnen Endmoränenpunkte, sowie die von mir früher angegebenen stellten sich als Teile weiterer Endmoränenstaffeln heraus, welche einerseits zwischen den eben erwähnten Staffeln und der sog. südlichen Hauptendmoräne, andererseits zwischen dem Gottsche’schen Zuge und der Ostseeküste verlaufen. 3. Alle diese Endmoränenstaffeln legen sich nicht nur dicht anein- ander, sondern verschmelzen auch auf grosse Strecken hin miteinander. Sie werden nicht durch Grundmoränenlandschaften von einander ge- schieden, sondern bilden in ihrer Gesamtheit eine Endmoränenlandschaft, eine typische paysage morainique im Sinne Desor's. — Es hat mithin Salisbury mit seiner Auffassung, dass der ganze östliche Teil der cimbri- 80 schen Halbsinsel — wenigstens was Ostholstein anbetrifft — eine End- moräne sei, Recht, und es kann Ostholstein nicht als eine Grundmoränen- landschaft im Sinne Wahnschaffe’s bezeichnet werden. 4, Hinsichtlich ihrer äusseren und inneren Ausbildungsweise unter- scheiden sich diese Endmoränen in keiner Weise von den aus anderen Teilen des baltischen Höhenrückens bekannt gewordenen Endmoränen. 5. Da alle, eine Endmoräne der letzten Vereisung zusammensetzenden Bildungen zum oberen Diluvium zu rechnen sind, die Endmoränen Ost- holsteins hinsichtlich der Mächtigkeit der sie zusammensetzenden Schichten das bisher als grösstes Mass der Mächtigkeit des oberen Diluviums angenommenen Mass, erheblich übertreffen, — wird man zukünftig auch für die Mächtigkeit des oberen Diluviums unseres Gebietes weit höhere Zahlen annehmen müssen. 6. Abgesehen von kleineren, sandrähnlichen Gebieten sind grössere Geschiebesandgebiete innerhalb der Hügellandschaft nicht entwickelt. Die Schmelzwasser flossen unter Benutzung der zwischen den Staffeln befind- lichen, noch heute grösstenteils von Flüssen und Bächen benutzten, oder von Seen eingenommenen Mulden und Rinnen, oder nach Durchbrechung bezw. nach Überwindung vorliegender Staffeln mittels Aufstau nach Süden zur Elbe und nach Westen zur Nordsee ab. — Die Schwentine, die Trave, die Schwartau und die Kossau fliessen noch heute grösstenteils in den Strombetten dieser alten Gletscherflüsse, vielfach allerdings in umgekehrter Richtung. 7. Nahezu alle grösseren Seen Ostholsteins sind Endmoränenstau- seen oder aus solchen, bezw. aus einigen oder eine Serie von solchen (Gr. Plöner See) durch die Einwirkung der sie durchströmenden Schmelzwasser hervorgegangen. — Grundmoränenseen im Sinne Wahnschaffe's sind in Ostholstein nicht vorhanden. — Eine weitere Anzahl von Seen sind Reste ehemaliger, grösserer Stau- seen, z. B. der Warder-See, der Post-See, der Lanker-See u. a.; andere wiederum, die in den Betten ehemaliger Gletscherströme sich befinden, könnten auf Grund ihrer flussartig verengten Gestalt als Fluss- oder Rinnenseen bezeichnet werden, doch liegen auch diese zwischen End- moränen, z. B. der Stolper See, der Schieren-See und der Fuhlen- See, den die Schwentine durchfliesst. Ausschliesslich auf Evorsion dürften nur einige wenige Wasserbecken, z. B. der Kolk-See, östlich von Eutin, zurückzuführen sein. Im Übrigen dürfte auch für die ostholsteinischen Seen gelten, dass »kaum ein See einen einzigen der verschiedenen Seen- typen rein repräsentiert, dass vielmehr jeder derselben mehreren, gleich- zeitig oder nach einander wirkenden Ursachen seine heutige Form verdankt». —') !) G. Braun, Ostpreussens Seen. SS. 79. 81 8. Auch die Kieler Föhrde ist aus einer Anzahl von Endmoränen- stauseen, die während späterer Phasen der Abschmelzperiode von den von Osten nach Westen (innerhalb der Föhrde von Norden nach Süden) strömenden Schmelzwassern und während und seit der Littorinazeit durch die Einwirkung des Meeres zu einem grösseren Becken vereinigt wurden, hervorgegangen. — Angesichts des Resultates, dass die Hügellandschaft Ostholsteins, die bisher als eine Grundmoränenlandschaft angesprochen ward, nicht diesen Landschaftstypus darstellt, sondern eine Endmoränenlandschaft im Sinne Desor’s — erhebt sich die Frage, ob nicht auch andere Gegenden des baltischen Höhenrückens in Mecklenburg und Preussen, welche bisher als besonders typische Repräsentanten dieses Landschaftstypus angesehen wurden, als Endmoränenlandschaften betrachtet werden können. — Eine Reihe von Momenten sowie gewisse Erwägungen, welche im folgenden kurz angeführt sein mögen, scheinen in der Tat für die Identität beider Landschaftsformen sowol hinsichtlich des geologischen Aufbaues als auch der oro- und hydrographischen Verhältnisse zu sprechen. 1. Die Grundmoränenlandschaft im Sinne Wahnschaffe’s wird von Wahnschaffe, Keilhack, Schröder u. a. bisher als Moränenlandschaft im Sinne Desor’s bezeichnet. So schreibt Schröder (Führer durch Teile des norddeutschen Flachlandes 1899, S. 62): »Durch ganz Norddeutschland, in Schleswig-Holstein und Ostpreussen, obenso wie in der Mark schliesst sich an die Endmoräne nach dem Innern der Bögen zu die aus einem fast unentwirrbaren und richtungslosen Nebeneinander von Hügel und Senke, Berg und Tal bestehende, aus der Alpengeologie hinreichend be- kannte »paysage morainiques. Der Norddeutsche hat sich daran gewöhnt, dieses Gebiet nach seinem hervorstechendsten petrographischen Charakter als »Grundmoränenlandschafts zu bezeichnen«. Die Desor'sche Moränenlandschaft ist aber, wie Penck (Die Ver- gletscherung der deutschen Alpen, S. 116) bereits 1832 angab und wie ebenderselbe noch neuerdings in seinem Werke »Die Alpen im Eiszeit- alter« erklärte, nur aus Endmoränen zusammengesetzt. Man darf daher schliessen: Entweder ist es nicht richtig die nord- deutsche Grundmoränenlandschaft als »paysage morainique« im Sinne Desor's zu bezeichnen — oder dieselbe besteht auch in anderen Teilen des baltischen Höhenrückens ebenso wie in Ostholstein nur aus einer Anhäufung von Endmoränen. — 2. Im Jahre 1887 bezeichnete Wahnschaffe!) zuerst als Grund- moränenlandschaft einen Landschaftstypus, der von einem anderen, eben- ı) Wahnschaffe, Zur Frage der Oberflächengestaltung im Gebiete der baltischen Seenplatte. Jahrb. der geolog. Landesanstalt f. 1887. 82 falls an der Bildung der Oberflächenformen des norddeutschen Flach- landes teilnehmenden Landschaftstypus, der Endmoränenlandschaft, ver- schieden und zu trennen wäre. Die Grundmoränenlandschaft war nach Wahnschaffe's damaligen Ausführungen charakterisiert durch die stark wellige Geschiebemergeldecke und zahlreiche Pfuhle und Seen — die Endmoränenlandschaft als durch scharf markierte Geschiebewälle, Grand- kuppen und Grandflächen. — Diese Charakteristik der beiden Land- schaftstypen erweiterte Wahnschaffe in der letzten Auflage seines Werkes »Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes«, hinsichtlich der Grundmoränenlandschaft in der oben angeführten Weise, hinsichtlich der Endmoränenlandschaft!) durch die Angabe, dass dieselbe durch die vor dem Eisrande abgelagerten Endmoränen samt den ihnen vorgeschütteten, geröllführenden Granden und Sanden gebildet wird. — Keilhack?) kennzeichnet die Grundmoränenlandschaft sehr prägnant in folgender Weise: »Die Moränenlandschaft ... .. . eine Landschaftsform, die geologisch durch das Vorherrschen des Geschiebemergels, topogra- phisch durch höchst unregelmässige Hügelbildung und hydrographisch durch das Auftreten zahlloser, geschlossener Depressionen, Seen und Moore charakterisiert wird.« Was nun das letzte dieser drei charakterisierenden Momente anbe- trifft, so ist das Phänomen der Seenbildung nicht ausschliesslich auf die Grundmoränenlandschaft im Sinne Wahnschaffe’s beschränkt, sondern mit der Moränenlandschaft Desor’s — die richtiger als Endmoränenlandschaft zu bezeichnen wäre — nicht nur im Vorlande der Alpen, sondern auch in anderen, früher vergletschert gewesenen Gebieten anderer Länder aufs engste verknüpft und bildet, wie die Beobachtungen in Ostholstein lehrten, auch in Norddeutschland ein besonderes charakteristisches Merk- mal einer Endmoränenlandschaft. Hinsichtlich der topographischen Verhältnisse der Endmoränen- landschaft gilt auch längst nicht mehr — wie die Zusammenstellung der ) Was unter Endmoränenlandschaft bisher in Norddeutschland verstanden ward, geht am deutlichsten aus der Angabe von E. Geinitz (Geolog. Führer durch Mecklenburg, 1899) hervor: »Die Endmoränenlandschaft schliesst sich gewöhnlich als äusserer Saum der Grundmoränenlandschaft an; sie hebt sich bisweilen nur wie ein schwacher, wenige Meter breiter Wall davon ab, meist aber besteht sie aus einer Reihe von schwachen Rücken oder stumpfen Kegeln, neben und zwischen welchen oft tiefe Kessel, Sölle und Schluehten liegen. Der Boden ist oft überreich an Blöcken, meist lehmig oder lehmiger Steinkies; Kiefern oder Ginstergestrüpp bedecken häufig die Rücken und markieren sie so noch schärfer von ihrer Umgebung«. 2) Keilhack, Die Stillstandslagen des letzten Inlandeises etc. Jahrb. der geolog. Landesanstalt £. 1898. 83 Ergebnisse der Untersuchungen der bis 1901 bekannt gewordenen End- moränen Norddeutschlands durch Wahnschaffe lehrt —, die zur Zeit der Abfassung der 1887 erschienenen Arbeit Wahnschaffe's geltende Ansicht. — Ebenso wie die Grundmoränenlandschaft ist auch gerade die Endmoränenlandschaft durch die Unregelmässigkeit ihrer Terrain- formen charakterisiert, und wie die Endmoränen als scharf markierte Geschiebewälle, so können sie auch in der Form eines mehr oder weniger starkwelligen Geländes in die Erscheinung treten, oder end- lich ebenso wie die Grundmoränenlandschaft keine orographisch sich besonders bemerkbar machenden Oberflächenformen besitzen. — Ein wesentlicher Unterschied scheint zwischen der Grundmoränen- landschaft und der Endmoränenlandschaft nur in der Hinsicht zu be- stehen, dass die Oberfläche der ersteren vorwiegend aus Grundmoräne, die der letzteren aus den Ausschlämmungsprodukten derselben gebildet wird. Aber auch in dieser Anschauung ist im Lauf der Zeit eine Wand- lung eingetreten. Es kommt dieses u. a. in Wahnschaffe’s Werke »Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes< zum Ausdruck, indem er hier im Gegensatz zu der 1837 ausgesprochenen Ansicht hervorhebt, dass die Oberfläche der Grundmoränenlandschaft aus Geschiebemergel nebst seinen Verwitterungs- und Ausschlämmungs- produkten besteht. Andererseits sind durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte auch die Ansichten hinsichtlich der inneren Ausbildung der Endmoränen in Norddeutschland ganz andere geworden. Nicht nur allein zug- und wallartig angeordnete Anhäufungen von Blockpackungen oder Grand- kuppen und Grandflächen sind darnach ausschliesslich als Endmoränen zu betrachten, sondern die einzelnen Teile derselben (Kuppen, Rücken, Wälle) können einerseits nur aus der Grundmoräne, andererseits aus deren Ausschlämmprodukten (Sanden, Kiesen, Tonen) und zwar wiederum aus jeder dieser Bildungen allein für sich oder gleichzeitig aus verschiedenen derselben zusammengesetzt sein. So wird also auch die Oberfläche der Endmoränen häufig durch Geschiebemergel gebildet, sei es, dass der ganze betreffende Endmoränen- teil aus Grundmoräne aufgebaut ist, oder dass nur eine verschieden- mächtige Grundmoräne andere ihn zusammensetzende Gebilde bedeckt. Schliessen sich nun eine ganze Reihe solcher Art aufgebauter End- moränen aneinander an, so dass sie ein grösseres (ebiet ausmachen, so ist theoretisch schon die Möglichkeit des Vorkommens einer Endmoränen- landschaft, deren Oberfläche vorwiegend aus Geschiebemergel gebildet wird, möglich. — 84 Dass auch in Wirklichkeit grössere Strecken einer Endmoränen- landschaft einen solchen Charakter besitzen können, geht aus den in dieser Hinsicht bezüglich Ostholsteins gemachten Angaben hervor.') Mithin dürfte auch das dritte Argument für die Nichtidentität der beiden Landschaftsformen keine Gültigkeit besitzen. — 3. Es bestehen nun aber auch noch weiter gewisse Beziehungen zwischen der Grundmoränenlandschaft und den Endmoränen, die auf eine nahe Affinität zwischen ihnen hinweisen, dass sind die räumlichen Beziehungen derselben zu einander. In dieser Hinsicht haben die Forschungen ergeben, dass, wie Schröder (l. ce. $. 62) schreibt, in ganz Norddeutschland, in Schleswig- Holstein und Ostpreussen, ebenso wie in der Mark an die Endmoräne nach dem Innern der Bögen zu sich die Grundmoränenlandschaft an- schliesst. — Die Konstanz eines derartigen Konnexes hat nun weiter Veran- lassung gegeben, an eine gleichartige und gleichzeitige Entstehung der beiden Landschaftstypen zu denken. Ausser Schröder ist besonders Keilhack Vertreter einer solchen Anschauung, der demgemäss die Entstehung der Grundmoränenlandschaft in folgender Weise erklärt: ?) »Ihre — d.h. der Moränenlandschaft — Verbindung mit den später zu besprechenden Endmoränen und ihre Lage auf den höchsten Erhebungen Norddeutschlands, macht es fast zur Gewissheit, dass das von ihr ein- genommene Gebiet in der Zeit des Rückzuges der letzten Vergletscherung eine Etappe darstellte, innerhalb deren die langsam und gleichmässig durch Abschmelzung erfolgte Verschiebung des Südrandes des Eises zum periodischen Stillstande gekommen, und dass hier während langer Zeit das Ende des Gletschers oscillierte, d. h. in unregelmässiger Vor- und Rückwärtsbewegung begriffen war.« — Im Gegensatz zu Schröder und Keilhack vertritt Wahnschaffe, obwohl auch er sich infolge der engen Verknüpfung der Endmoränen mit der Grundmoränenlandschaft einem gewissen genetischen Zusammenhange zwischen ihnen nicht verschliessen kann, die Ansicht, dass sich die Grundmoränenlandschaft innerhalb einer ganzen Vereisungsepoche habe !) Man vergleiche auch die Mitteilungen, die Gagel (Über die geologischen Ver- hältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln«. Jahrb. d. geolog. Landesanstalt für 1903) hinsichtlich der Bedeckung der Endmoränen mit oberem Geschiebemergel im Lauenburgischen neuerdings gemacht hat! — ?) Keilhack, die Öberflächenformen des norddeutschen Flachlandes und ihre Entstehung. Geogr. Zeitschrift. 4. Jg. Heft IX. 1898. 85 entwickeln können, und beweisen ihm aus bestimmten Gründen gewisse Gebiete Norddeutschlands, woselbst die Grundmoränenlandschaft typisch entwickelt ist, Endmoränen aber fehlen, dass erstere auch bereits beim Vorrücken der Inlandeisdecke habe entstehen können. — Zu solchen Grund- moränenlandschaften rechnete Wahnschaffe damals gewisse Grund- moränenlandschaften auf Rügen und in der Gegend von Neustettin und Falkenberg in Pommern. — Es ist nun von Interesse anzuführen, dass auch in letzterem Gebiete die Grundmoränenlandschaft in engem Zu- sammenhange mit Endmoränenzügen steht, wie Maas (]. c.) nachgewiesen hat, sodass hierdurch die Annahme Wahnschaffe’s wiederlegt erscheint. — Auch für Rügen möchte man nach der Schilderung, die R. Credner'!) von den Oberflächenformen der dortigen Grundmoränenlandschaft, die ausserordentlich denen der Endmoränenlandschaft Ostholsteins gleichen, macht, annehmen, dass es sich daselbst um eine Endmoränenlandschaft handelt. — 4. Auf einen noch weit engeren causalen Zusammenhang zwischen den beiden Landschaftsformen müsste man nun ferner schliessen, wenn die Endmoränen die Grundmoränenlandschaft nicht nur an ihrem Aussen- rande begleiteten, sondern auch innerhalb derselben vorkommen würden. Das ist in der Tat aber der Fall. Innerhalb des von Keilhack beschriebenen Teiles des baltischen Höhenrückens in Pommern und Westpreussen z. B., — um hier nur einen einzelnen Fall anzuführen,;, man vergl. noch Geinitz, Die Endmo- ränen Mecklenburgs, — liess sich noch ein weiterer, mehr oder weniger deutlich ausgeprägter Endmoränenzug, sowie Anzeichen einer dritten Staffel nachweisen. Betrachtet man die von Keilhack seiner Arbeit bei- gegebenen Karte, so möchte angesichts der zahlreichen, zwischen Danzig- Karthaus einerseits und Dirschau-Stargard andererseits, verzeichneten Endmoränenvorkommnisse annehmen, dass fernere Forschungen noch weitere Staffeln innerhalb der genannten Zone ergeben werden. — 5. Alsein letztes für die Verwandschaft der beiden Landschaftsformen sprechendes Moment, sei zum Schlusse angegeben, dass Keilhack die Endmoränen in gewissen Fällen als eine den äusseren Rand bildende Steigerung aller der charakteristischen Eigenschaften der Grundmoränen- landschaft ansieht, und dass er geneigt ist, die Moränenlandschaft, auch wenn sie nicht mit Endmoränen verknüpft ist, als Verräter einer Still- stands- oder Oscillationsperiode des Eises zu betrachten. — Berücksichtigt man nun alle diese Angaben, die für eine Identität der beiden Landschaftstypen sprechen, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr !) Rügen, Eine Inselstudie. Forschungen zur deutschen Landes- und Völker- kunde. VII. Bd. 86 gross, dass auch andere bisher als Grundmoränenlandschaften angenom- mene Gebiete des baltischen Höhenrückens, sich als Endmoränenland- schaften herausstellen werden — es bedarf jedoch noch weiterer For- schungen in den betreffenden Gebieten, um festzustellen, ob die tatsäch- lichen Verhältnisse diesen theoretischen Erwägungen entsprechen. — Die westlich von der Hügellandschaft (Endmoränen- landschaft) belegene Haidesandlandschaft Holsteins gibt sich als ein im allgemeinen nach Westen sanft geneigtes, ebenes Gebiet, aus dem inselartige, kleinere und grössere, teils isolierte, teils zusammen- hängende und sich plateauartig erweiternde, flache oder flachwellige, oder hinsichtlich ihrer Oberflächenkonfiguration gar an die Hügellandschaft des Ostens erinnernde und durchweg zu grösseren Höhen über den Meeresspiegel sich erhebende Gebiet emporragen, zu erkennen. — Dass auch sie nicht der Endmoränen, welche sich nicht dem Alter, sondern nur ihrer Mächtigkeit nach, von den Endmoränen des Ostens unterscheiden, entbehren, hat bereits Gottsche angegeben (l. c. S. 51—55). Ebenso habe auch ich einige solche, westlich der südlichen Hauptendmoräne belegene, Beobachtungspunkte namhaft gemacht, nämlich bei Ricklingen zwischen Segeberg und Neumünster, und bei Winsen und Kattendorf in der Nähe von Kaltenkirchen. — Während es sich an ersterem Orte um das Vorkommen von Block- packungen über Bryozoensanden in einer nicht sehr umfangreichen, isoliert liegenden Hügelgruppe handelt, befinden sich die anderen Vor- kommnisse am westlichen Rande eines jener grösseren — in diesem Falle etwa 15 km langen und 4 km breiten —, inselartig aus den ebeneren Teilen des Haidesandgebietes aufragenden, Gebietes (Kisdorfer Wohld, s. Tafel IX), das sich hinsichtlich seiner Oberflächenformen und seiner Bodenbeschaffenheit nicht wesentlich von den flacheren Teilen der Hügel- landschaft des Ostens unterscheidet. Eine ähnliche, nur weniger umfang- reiche Landschaft, reiht sich in nördlicher Richtung an den Kisdorfer Wohld an, die Boostedter Berge. Letztere sind vorwiegend aus stein- und petrefaktenfreien Diluvialtonen, die teilweise ganz erhebliche, durch Stauchung bewirkte Störungen ihrer Schichten erkennen lassen, aufgebaut. — Noch weiter westlich von diesen, eine Stillstandslage des Eisrandes markierenden Gebieten, befinden sich in der Umgebung von Bahrenfeld bei Altona mehrere, von Gottsche angegebene Beobachtungspunkte von Blockpackungen, die Gottsche aber, da sie teilweise kalkreich und von 87 4—5 m Kies und Sand bedeckt waren, als Endmoränenfragmente einer älteren Vereisung glaubte betrachten zu müssen. Weder der Reichtum an Kalkgeschieben, noch die Bedeckung durch irgend welche Aus- schlämmprodukte der Grundmoräne oder durch diese selbst, bilden aber, wie wiederholt angeführt worden ist, einen Grund, Blockpackungen des- wegen einer älteren, und nicht der letzten Vereisung zuzählen zu müssen — und betrachte ich daher auch diese Bahrenfelder Beobachtungspunkte, die in Sehweite der südlichen Hauptendmoräne (Endmoränenwall bei Hoisbüttel) liegen, als Teile einer Endmoräne der letzten Vereisung. Dieselben befinden sich in einem, sich von Hamburg- Altona über Blan- kenese bis Wedel erstreckenden — bis gegen 5 km breiten — strecken- weise stark coupierten, und infolgedessen an die Hügelzüge Ostholsteins erinnernden, von tief einschneidenden, auf das Elbtal auslaufenden Ero- sionsschluchten durchsetzten Höhenzuge, dessen Südrand das seiner land- schaftlichen Schönheit wegen mit Recht weithin einen Ruf besitzende Steilufer der Elbe, bildet. — Ausser in Aufschlüssen bei Bahrenfeld erweist sich dieser Höhenzug noch an anderen Orten (z. B. bei Blankenese) im wesentlichen als ein Produkt der Accumulation fluvioglacialer und glacialer Bildungen !). — In der Umgegend von Blankenese befindet sich in dieser End- moräne, ebenso wie bei Tarbeck und Stöfs jene seit 1847 bekannte und wiederholt beschriebene (cf. Gottsche, Das marine Diluvium, 8. 27) Austernbank, von welcher Gottsche annahm, dass sie zur zweiten Inter- glacialzeit zur Ablagerung gelangt sei. Der Umstand, dass diese jetzt zwischen 40 und 60 Meter über dem Meeresspiegel befindliche Austern- bank an dem Aufbau einer Endmoräne der letzten Vereisung beteiligt ist, gestattet unter gleichzeitiger Berücksichtigung der von Gottsche näher angegebenen stratigraphischen Verhältnisse die Annahme, dass dieselbe, ebenso wie die genannten anderen Austernbänke nicht auf primärer Lager- stätte ruht, und dass daher über ihre Altersstellung auf Grund der strati- graphischen Verhältnisse kein sicheres Urteil zu gewinnen ist. — In einem weiteren, nördlich von der Blankeneser Endmoräne, am Geestrande, über das Haidesandgebiet inselartig aufragenden und sich hinsichtlich seiner Bodenbeschaffenheit und Oberflächenformen wiederum von diesem unterscheidenden, die Umgebung Itzehoe’'s bil- ') Es ist hier zu erwähnen, dass J. Schmarje (Die Provinz Schleswig-Holstein) in Verallgemeinerung der von Haas hinsichtlich der Entstehung der Hügellandschaft des Ostens ausgesprochenen Anschauungen, bereits diesen Höhenzug an der Elbe mit den Blankeneser Bergen als eine Endmoräne bezeichnet hat. Ebenso hat derselbe Autor bereits mit Recht hervorgehoben, dass die Entstehung der tiefen Mulden und Täler dieses Höhenzuges bei Blankenese auf die Erosionstätigkeit der Schmelzwasser zurückzuführen sei. 83 denden Gebiete, beobachtete Stolley !) Blockpackungen, welche dort am sog. Ochsenkamp im Hangenden der in ausserordentlich gestörter Lage- rung befindlichen tertiären und älteren diluvialen Schichten auftreten. — Noch weiter nördlich nach Beringstedt zu, folgen alsdann wiederum in inselartigen, aber ausgedehnteren, plateauartig erweiterten Gebieten von ähnlicher Oberflächen- und Bodenbeschaffenheit, die von Gottsche (l. ec. $. 52) bekannt gegebenen Endmoränenpunkte bei Bokhorst und der Bokelberger Mühle. — Das Haidesandgebiet Holsteins entbehrt, im Gegensatz zur End- moränenlandschaft des Ostens, der Seen. Das ist aber nicht immer der Fall gewesen, sondern es hat, wie die zahlreichen Moore, in den flachen Teilen desselben, zwischen den Endmoränengebieten, lehren, ursprünglich eine ähnliche Fülle von Wasserbecken, wie jene sie noch besitzt, besessen. Die Schmelzwasser, die dem Eisrande bei der Entstehung der östlicheren Endmoränen entströmten, lagerten aber in diesen Becken die Sedimente, welche sie mit sich führten, ab, und schütteten sie teils zu, teils ver- flachten sie sie derartig, dass dieselben in der Folgezeit schneller dem Vertorfungsprozesse anheim fielen, als die zahlreichen tieferen Seen und Depressionen Ostholsteins, in welcher dieser heute noch fortdauert (vgl. BruhnszlzeS, os Durch die Feststellung ‚der Tatsache, dass auch im Geschiebesand- gebiete Holsteins Seen, wenn auch nicht mehr im ursprünglichen Zu- stande, in ähnlicher Fülle vorhanden sind, wie in der Endmoränen- landschaft des Ostens, — fällt auch das letzte Moment, welches Veran- lassung geben könnte, ausschliesslich die Endmoränenlandschaft des Ostens als Fortsetzung des baltischen Höhenrückens auf der cimbrischen Halbinsel zu betrachten, fort, und man wird, indem man in dem Ge- schiebesandgebiete eine, in diluvialer Zeit, durch die Tätigkeit der Schmelz- wasser des Inlandeises, in postglacialer Zeit ausser durch andere Faktoren, hauptsächlich durch die Einwirkung und Arbeit der Pflanzenwelt umge- wandelte Endmoränenlandschaft erblickt, nicht umhinkönnen, sich der Penck’schen Auffassung, bezüglich der Grenzen des baltischen Höhen- rückens in Holstein anzuschliessen. — t) Geologische Mitteilungen von der Insel Sylt. I. 158. — 89 Es besteht somit, wenn wir nun die Ergebnisse unserer Unter- suchungen zusammenfassen, der baltische Höhenrücken in Holstein aus einer seenreichen Endmoränenlandschaft und einer seenarmen, im allge- meinen flachen Geschiebesandlandschaft, die durch inselartig aus ihr auf- ragende Endmoränengebiete gegliedert wird. — Es erscheint an dieser Stelle von Interesse, zum Vergleiche zu betrachten, in welcher Weise und aus welchen Landschaften sich der baltische Höhenrücken in seinen anderen Teilen nach den bis- herigen Forschungen zusammensetzt. — Zunächst mag erwähnt werden, dass auch in dem Geschiebesandgebiete Lauenburgs, durch ihre ÖOberflächenformen und ihren inneren Aufbau als Endmoränen, charak- terisierte Gebiete vorhanden sind. So zieht sich parallel und un- weit der Elbe ein Endmoränenzug von Krüzen, nordwestlich von Lauenburg, über Juliusburg und Wiershoop, nach Geesthacht, dessen Fortsetzung vermutlich die Altona-Wedeler (Blankeneser) Endmoräne bildet, und der bei Hamburg durch das Alstertal, welches, wie oben erwähnt wurde, lange Zeit hindurch die Schmelzwasser des Ostens zur Elbe ableitete, für längere Erstreckung eine Unterbrechung er- leidet. — Von anderen Beobachtungspunkten sind noch Müssen, 4 km westlich von Büchen, und Hamfelde, südlich von Trittau (s. Str. I, S. 43) zu erwähnen. — Die Hügellandschaft Lauenburgs bedarf noch der näheren Erforschung, wenngleich schon jetzt so viel sicher sein dürfte, dass der baltische Höhenrücken in diesem Gebiete ebenfalls im wesentlichen nur aus einer Endmoränenlandschaft und einer durch Endmoränenreste gegliederten Geschiebesandlandschaft besteht. Gre- biete, welche als Grundmoränenlandschaften im Sinne Wahn- schaffes’s zu bezeichnen wären, dürften sich hier nur in ganz untergeordnetem Masse an der Zusammensetzung des Höhenrückens beteiligen. — In Mecklenburg setzt sich der baltische Höhenrücken, wenn man seine nördliche und südliche Grenze in derselben Weise wie Penck und Bludau es tun, zieht — nach den bisherigen Forschungsergebnissen (s. E. Geinitz, Die Endmoränen Mecklenburgs) aus zwei Grundmoränen- landschaften, die an ihrem südlichen Rande von Endmoränen begleitet werden (die nördliche und südliche Hauptendmoräne), sowie zwei Ge- schiebesandgebieten, die sich an die Endmoränen nach Süden anschliessen, 6 90 zusammen. Durch die nördliche Grundmoränenlandschaft verläuft noch eine weitere Endmoräne, die nördliche Aussenmoräne: Jankendorf, Rame- low, Bröhmer Berge, !) sowie ferner im südlichen Geschiebesandgebiete die südliche Aussenmoräne: Meierstorf, Marnitz. Ausser der nördlichen Aussenmoräne gibt Geinitz aber in der nördlichen Grundmoränen- landschaft noch eine weitere Reihe von Endmoränenbeobachtungspunkten an, und verzeichnet dieselben auf der seiner Arbeit beigegebenen Karte, so bei Stavenhagen, Teterow, Schlieffenberg, Schwaan und ferner andere, noch weiter nördlich, in der Nähe des Pommersch - Mecklenburgischen Grenztales. Ebenso zeigt dieselbe Karte im südwestlichen Geschiebe- sandgebiete noch eine Anzahl von Endmoränenvorkommnissen, selbst nur wenige Kilometer von der Elbe entfernt, und endlich führt Geinitz an, dass auch noch zwischen den Hauptendmoränen sich eine undeutliche Zwischenstaffel bemerkbar macht. — Auf Grund dieser Angaben erscheint der Schluss berechtigt, dass weitere Untersuchungen voraussichtlich ein erheblich anderes Bild, als wie es die bisherigen Forschungen lieferten, hinsichtlich des Aufbaues und der Zusammensetzung des baltischen Höhenrückens in Mecklenburg zu Tage fördern werden. Im Anschlusse hieran möge noch folgendes erwähnt werden: Geinitz gibt an, dass vor den, in der nördlichen Grundmoränen- landschaft belegenen Endmoränen »kein eigentlich grösseres Sandareal« entwickelt ist (l. e. S. 32). Betrachtet man die topographischen Karten Mecklenburgs und vergegenwärtigst man sich, dass in Mecklenburg der Eisrand sich von Süden nach Norden, bezw. Südwesten nach Nordosten zurückzog und die Schmelzwasser mithin südwärts bezw. südwestwärts zur Elbe und damit zur Nordsee abströmen mussten, so kann man zu der Annahme gelangen, dass die auffälligen, in nordost-südwestlicher Richtung verlaufenden breiten Talfurchen und Senken, das Warnowtal, das Recknitztal, das Peenetal (Malchiner See, Cummerower See) und das Tollensetal (Tollense-See), welche die nördliche Grundmoränenlandschaft durchqueren, Strömen, die die Schmelzwasser, welche wie andere noch vorhandene Rinnen zeigen, ihnen zum grossen Teil seitlich zugeführt wurden, nach Süden und Südwesten ableiteten, und nicht solchen Gletscher- strömen, welche, wie Geinitz es annahm?), vom Höhenrücken nach N.-O. abflossen, ihre Entstehung verdanken. $) ') E. Geinitz, Grundzüge der Oberflächengestaltung Mecklenburgs. Güstrow 1899. S. 34. ?) E. Geinitz, Die Seen, Moore und Flussläufe Mecklenburgs. Güstrow 1886. 91 Die genannten Täler setzen nach Geinitz!) am nördlichen Abhange der Seenplatte, auf dem die nördliche Hauptendmoräne entlang zieht, sofort in voller Breite, grosser Tiefe und mit kesselförmigen Circus-Tal- besinn ein. Derselbe Forscher ist der Ansicht, dass diese Erscheinung entweder durch subglaciale Talbildungen zu erklären sei, (wobei das Schmelzwasser unter den Gletscher geflossen wäre) oder so, dass das Eis sehr rasch von der Endmoränengrenze nach N. resp. NW. zurück- gewichen sei und das Land sofort der offenen Evorsion und Erosion preis- gegeben habe. — Ist die Annahme richtig, dass die Gletscherströme in umgekehrter Richtung in diesen Tälern geflossen sind, so lässt sich die Entstehung des eireusartigen Talbeginnes auch dadurch erklären, dass die Schmelzwasser durch den Widerstand, den sie hier an dem rasch ansteigenden Höhen- rücken (nördliche Hauptendmoräne) fanden, in evortierende Bewegung versetzt wurden. — In welcher Weise diese Gletscherströme die nördliche Hauptend- moräne überwanden und ihren Weg zum Stromgebiet der Elbe nahmen, möge hier nicht weiter erörtert werden, nur sei noch so viel erwähnt, dass die Warnow in ihrem oberen Laufe noch jetzt jenes Talsandgebiet, das sich von der südlichen Umgebung des Schweriner Sees bis zur Elbe, sich allmählich absenkend, erstreckt, berührt, und dass das Recknitztal durch die breite Senke, in der jetzt die Nebel fliesst mit dem Warnowtale in Verbindung steht. — Werfen wir noch einen vergleichenden Blick auf den baltischen Höhenrücken in Hinterpommern und Westpreussen! — Die Grenze der pommerschen Platte gibt Bludau 1. e. in folgender Weise an: »Die Ostgrenze, zugleich die Grenze gegen die preussische Platte, wird in ihrem nördlichen Teil durch das W-Ufer der Danziger Bucht, in ihrem südlichen durch das Durchbruchstal der Weichsel bis zur Brahe- mündung gebildet; nicht minder scharf ist der Südrand ausgeprägt, der durch die von Bromberg bis Küstrin von Netze und Warthe durchflossene Strecke des »Thorn-Eberswalder Tales« bezeichnet wird. Sowohl zum Weichsel- wie auch zum Netze- und Warthe-Tal fällt die Platte steil ab. Der südliche Abfall lässt sich sehr leicht und bequem auf einer Bahn- fahrt von Küstrin nach Bromberg verfolgen. Die Eisenbahn hält sich hier, mit einer einzigen Ausnahme, stets in der Nähe des Fusses der Abhänge, die den Abfall bilden. Nur auf der Strecke von Kreuz bis einige Kilometer östlich von Schneidemühl (57 m) steigt sie auf die Platte !) E. Geinitz, Das Quartär Nordeuropas in Lethaea geognostica. Herausgeg. v. F. Frech. Stuttgart 1904. S. 318. 6* 92 selbst hinauf. Auch die Westgrenze ist scharf und deutlich durch das Odertal von Küstrin über Oderberg nach Stettin bestimmt. Die Nord- grenze wird durch den östlichen Teil der flachgebogenen pommerschen Bucht von Kammin bis Rixhöft gebildet, wo sich jedoch noch breitere und schmälere, seenarme Tieflandstreifen zwischen See und Platte einschieben. « Die Südgrenze dieses im Durchschnitte 40 Kilometer breiten Tief- landstreifens erhellt für den östlichen Teil aus der von Keilhack seiner Arbeit beigegebenen Karte. Sie verläuft von Neustadt (südlich von Rix- höft) über Lauenburg, Stolpe, Schlave, Cöslin, Belgard, Schievelbein, Labes nach Regenwalde. Von hier ab nimmt derselbe nach Westen bis zum Odertale an Breite zu und vereinigt sich dort mit dem nach Süden sich bis an den Fuss der Seenplatte erstreckenden Tieflandsbecken der Ihna und Plöne'). Die ungefähre südliche Grenze führt auf dieser Strecke durch die Orte Naugard, Stargard und Pyritz nach Greifenhagen. Es ist bereits oben angegeben worden, dass Keilhack in den von ihm untersuchten östlichen Teilen der pommerschen Platte ausser einer Strandzone und einer Küstenzone, welche den eben erwähnten Tiefland- streifen ausmachen, noch vier weitere Zonen bis zum Thorn-Eberswalde Tale unterschied, von dem er aber nur die Zone 4 und 5, die Moränen- landschaft, sowie die nach Süden sich anschliessende Geschiebesandlandschaft als eigentliche Seenplatte auffasste. Ebendaselbst habe ich bereits angeführt, dass man, wenn man die nördliche und südliche Grenze der pommerschen Platte in derselben Weise zieht wie Penck und Bludau, genötigt ist, auch die Zone 3, die von Keilhack als Vorstufe des eigentlichen Höhenrückens bezeichnete Zone, sowie die, die Zone 6 bildenden, zwischen den aus der Haidesandlandschaft zur Weichsel und zum Thorn-Eberswalde Tal führen- den Senken, die ehemals von den Schmelzwassern des Inlandeises, jetzt von den Flüssen Schwarzwasser, Brahe und Küdow benutzt werden, liegenden, sehr ausgedehnten Plateaus mit zum eigentlichen Höhen- rücken zu rechnen. Im Grenzgebiete zwischen der Moränenlandschaft?) und der Haide- sandlandschaft konnte Keilhack einen gewaltigen, zusammenhängenden Endmoränenzug nachweisen. Ebenso vermochte er innerhalb derselben einen solchen, dem ersteren parallel verlaufenden, aber weniger voll- ständig entwickelten, an den sich südwärts ein Sandrgebiet anschliesst, und ferner noch weiter zurück Anzeichen eines dritten Zuges feststellen. — ') Sommer, Provinz Pommern in Landskunde Preussens. Herausgegeb. von A. Beuermann. °) In späteren Arbeiten Keilhacks findet sich für diese Landschaft die Bezeich- nung Grundmoränenlandschaft. Vgl. Keilhack, die Oberflächenformen des norddeut- schen Flachlandes und ihre Entstehung. Geograph. Zeitschrift. IV. Jahrg. 9. Heft. — 93 Die Zone 6 bezeichnete Keilhack als Flächen oberen Geschiebemergels, die plateauartig die Sandebenen überragen. Innerhalb dieser Zone wies nun Maas (l. c.) in den letzten Jahren ebenfalls Endmoränen nach und zwar einen über 200 km langen, als »die südpommersch - westpreussische Endmoränes bezeichneten Zug, der sich aus der Umgebung von Dram- burg bis über die Weichsel hinaus erstreckt und vielfach aus 2 Staffeln, in der Gegend von Tüchel sogar aus zahlreichen, z. Tl. sich kreuzenden Staffeln besteht. Ausserdem vermochte er sowohl südlich als nördlich von dieser Endmoräne noch je eine weitere Endmoräne, die jedoch noch nicht in ihrem ganzen’ Verlaufe festgelegt werden konnte, festzustellen. An diese Endmoränenzüge grenzen nach Norden Grundmoränenland- schaften, bezw. Geschiebemergelgebiete, nach Süden Geschiebesand- gebiete, an. — Auf Grund der Ergebnisse der Maas’schen und Keilhack’schen Untersuchungen besteht demnach der baltische Höhenrücken im west- lichen Teile der pommerschen Platte, — wenn man die Reste der dritten, von Keilhack innerhalb der Moränenlandschaft beobachteten Endmoräne zunächst einmal ausser Acht lässt — aus 4 Grundmoränenlandschaften bezw. Geschiebemergelgebieten und Geschiebesandgebieten und mit diesen in gesetzmässiger räumlicher Beziehung stehenden Endmoränenzügen. — Zieht man aber auch die fragmentarische dritte Endmoräne Keil- hacks in Betracht und berücksichtigt, dass die seiner Arbeit beigefügte Karte noch eine ganze Reihe von Endmoränenpunkten in der Moränen- landschaft zwischen Berent und Danzig einerseits und Stargard und Karthaus andererseits, verzeichnet, sowie, dass Keilhack ') ferner nördlich von dem, von ihm entdeckten pommerschen Urstromtale, also auch in der Zone 3, »echte Endmoränen« konstatieren konnte, so zeigt es sich, dass auf Grund der bisherigen Forschungen noch kein vollständig genaues Bild von dem geologischen Aufbau des baltischen Höhenrückens in dieser Gegend zu erlangen ist. Zukünftige Forschungen, die auf dieses Ziel gerichtet sind, dürften dasselbe zweifellos eher erreichen, wenn sie sich, statt mit einer Verfolgung der Endmoränen in der Längsachse der Platte, mit der Untersuchung dieser von Süden nach Norden befassen würden. — Das Vorkommen von Endmoränen beschränkt sich, wie hier zum Schlusse noch kurz angegeben sein mag, nicht nur auf die Zone des baltischen Höhenrückens, sondern ist ausser in der Zone der Tiefebenen an der Küste auch besonders in der Zone der alten von Osten nach ') Keilhack, Die Stillstandslagen des letzten Inlandeises ete. Jalırbuch der Königl. preuss. geolog. Landesanstalt. Bd. XIX. 1898. S. 117. 94 Westen gerichteten Flussläufe (»die Zone der grossen Täler«, Penck) zu konstatieren.!) — Da die Letztere auch in verschiedenen Teilen (s. Delitsch 1. c. S. 15; sowie besonders Penck, das deutsche Reich, S. 481) der Anhäufung der Seen nicht entbehrt — so besitzt dieselbe vielfach »den Charakter der Seenplatte«. Die vierte Zone, die südliche Plateau- und Hügelzone (»Die Zone der Grenzrücken«), ermangelt der Seen, doch sind auch in ihr, wie die Forschungen Keilhacks (l. c. S. 93) beweisen, im Gebiete des Fläming noch Endmoränen der letzten Vereisung entwickelt. — Als Fortsetzung dieses Teiles der Zone nach Westen und Norden wird der etwa 70 km breite, im Südwesten von der Aller begrenzte Landrücken der Lüne- burger Heide betrachtet, dessen höchste Erhebung der Wilseder Berg bildet. — Es dürfte die Angabe von Interesse sein, dass auch diese Wilseder Höhe, deren Fortsetzung nach Norden die sich bis Harburg an der Elbe erstreckenden Höhen (Auf d. Töbs, schwarze Berge bei Harburg) darstellen, sich sowohl durch ihren inneren Aufbau, als auch durch ihre äussere Erscheinungsweise und in letzterer Hinsicht insbesondere durch die ganz gewaltige Bestreuung mit Felsen, als eine Endmoräne zu erkennen gibt. — Zusammen mit den ihm westlich noch vorgelagerten Bodenschwellen, südlich von Tostedt, ist der Wilseder Berg als der west- lichste Ausläufer der durch die Zone der Grenzrücken bezeichneten Still- standslage des Eisrandes und mithin der letzten Vereisung zu betrachten. — a —— Von den dieser Arbeit beigegebenen Tafeln, ist die Tafel V nach einer Aufnahme des Photographen F. Henning in Plön angefertigt worden. Den übrigen Tafeln liegen Aufnahmen des Herrn Lehrer K. Strunck, hierselbst, zu grunde Herrn Strunck fühle ich mich nicht nur für diese trefflichen Photographien, sondern ganz besonders noch für die mir bei meinen Untersuchungen während der letzten zwei Jahre zu jeder Zeit in bereitwilligster und in ünermüdlicher Weise gelei- stete, wertvolle Beihülfe zu herzlichstem Danke verpflichtet! — ') Siehe: Wahnschaffe, Die Ursachen der ÖOberflächengestaltung des nord- deutschen Flachlandes, S. 150 u. 153/4. Ferner Dr. J. Elbert, Die Entwicklung des Bodenreliefs von Vorpommern und Rügen. Greifswald 1904. 95 Anmerkung I. Eine Fossilien führende oberdiluviale Ablagerung im oberen Travetale. Obwohl ich bei der Untersuchung der geologischen Verhältnisse Ostholsteins meine Aufmerksamkeit auch besonders auf das Vorkommen fossilienführender diluvialer Ablagerungen richtete, gelang es mir, ausser der Torfablagerung bei Neudorf doch nicht, irgendwelche weiteren der- artigen Schichten zu entdecken. Dicht ausserhalb des als Ostholstein bezeichneten Gebietes südlich von Reinfeld, glückte es jedoch, eine Süss- wasserconchylien bergende, diluviale Schicht aufzufinden, und mögen im folgenden einige Angaben über dieselbe gemacht werden. — In dieser Gegend fliesst die Trave zwischen den Dörfern Lockfeld und Gr. Barnitz — im Hinterlande der Fortsetzung des als Wardersee- staffel beschriebenen Endmoränenzuges — in einem gegen 20 m tiefen, besonders auf der Lockfelder Seite steilwandigen, etwa 250—300 m breiten, ostwestlich streichenden Tale dahin. — Gegenüber von der über die Trave führenden Brücke, dicht hinter der Meierei, befindet sich in der südlichen Talwand eine von Norden nach Süden in dieselbe einge- orabene Sandgrube, deren Sohle etwa 8 m und deren oberster Rand etwa 13—15 m über dem Wasserspiegel der Trave liegt. — In der Mitte der Südwand (s. Tafel XI) derselben ist folgendes Profil von oben nach unten zu beobachten: 1—1!/a m geschichtete bryozoenhaltige Spatsande; 1yE » geschichtete tonige, Süsswasserconchylien führende Mergelsande ; 2—3 » in Bändern von 5—10 cm abgesonderte Bryozoensande und Grande; ca. 1 >» Geschiebemergel (nur in der Mitte der Grubenwand). Diese Schichten lagern nicht horizontal, sondern senken sich unter einem Winkel von 20° nach Westen zu einer schmalen, von Süden nach Norden verlaufenden, muldenartigen, von einem kleinen Rinnsale durch- flossenen Senke ab, woselbst sie, von Absturzmassen bedeckt, der Beobach- tung nicht weiter zugänglich sind. Nach Osten zu keilen sie sich nahe- zu aus. — An der Nordwand sind dieselben Schichten — die Fossilien 96 führende Schicht von etwas geringerer Mächtigkeit —, aufgeschlossen. Auch hier lagern dieselben nicht horizontal, sondern fallen in einem Winkel von 20—30° zum Travetale ab. — Unter freundlicher Mitwirkung von Herren Prof. Dr. Friedrich und Dr. P. Range konnte mittels des Zweimeterbohrers festgestellt werden, dass der obere Geschiebemergel, der das Liegende dieses Schich- tenkomplexes bildet, erst etwa 60 Meter südlich von dem Grubenrande, bedeckt von etwa 1 Meter Decksand, wieder zu konstatieren ist. — Es dürfte hieraus hervorgehen, dass der Fossilien führende Mergelsand samt den ihn unterteufenden und bedeckenden Sanden bezw. Granden in einer Mulde über dem oberen Geschiebemergel zur Ablagerung gelangt ist, und möchte ich annehmen, dass dieses während der letzten Abschmelz- periode in der Nähe des Eisrandes in ähnlicher Weise geschehen ist, wie es hinsichtlich der von mir vor einigen Jahren bei Schlutup und bei der Herrenfähre in der Nähe Lübecks aufgefundenen Süsswasserablage- rungen') von E. Geinitz (Quartär von Norddeutschland 1903, 8. 291) angenommen wird. — An Konchylien, die regellos und nur stellenweise etwas häufiger in dem Mergelsande vorkommen, konnten Limnaea spec., Anodonta spec., Pisidium spec., Valvata piscinalis und Sphaerium duplicatum (letztere beiden nach einer Mitteilung von Prof. Dr. Friedrich) beobachtet werden. Im Schlemmrückstande fanden sich zahlreiche Ostracoden und Fragmente von Characeen (?). — Eine nähere Beschreibung derselben muss, da bisher nur ungenügendes Material vorliegt, einer späteren Mitteilung vorbehalten bleiben. — Anmerkung II. 1. Endmoränen der Hauptvereisung. 2. Wohin nahmen die aufgestauten Flüsse Nord- deutschlands, sowie dieSchmelzwasser des Inland- eises zur Zeit der Maximalausdehnung der Haupt- vereisung ihren Abfluss? — Angesichts des Umstandes, dass bisher nur spärliche Nachrichten über Endmoränen der Hauptvereisung vorliegen (Vgl. E. Geinitz, Quartär ') R. Struck, Diluviale Schichten mit Süsswasserfauna an der Untertrave. Jahrb, d, königl. preuss. geolog. Landesanstalt für 1900, — 97 von Norddeutschland S. 272) dürften einige Angaben über Endmoränen, denen nach den zur Zeit massgebenden Anschauungen ein solches Alter zuzuschreiben ist, einiges Interesse besitzen. — Auf einer Fahrt von Hannover nach Pyrmont fiel mir im vorigen Sommer kurz vor der Einfahrt in Hameln inmitten der hier in das Weser- tal einmündenden, von der Hamel durchflossenen Talmulde, eine hoch- aufragende Hügelgruppe auf, deren Terrainformen mich lebhaft an die der holsteinischen Endmoränen erinnerten. Bei einem von Pyrmont nach dieser, etwa 3 Kilometer nordöstlich von Hameln belegenen Hügelgruppe (» Dutt- berge«) hin unternommenen Ausfluge, konnte ich mich in einem grossen, in der Nähe von Afferde befindlichen Aufschlusse davon überzeugen, dass meine Vermutung richtig war: die Hügel erwiesen sich genau so wie die holsteinischen Endmoränen aus Schichten von feineren und gröberen fluvioglacialen Sedimenten, aus Spatsanden und Granden, die letztere stellenweise in mächtige Blockpackungen übergehend aufgebaut. Das Gesteinsmaterial bestand aus nordischen (Graniten, Gneissen, nordischen Feuersteinen) und einheimischen Gesteinen. Diese Beobachtung veranlasste mich, gewisse Diluvialablagerungen im Wesertale, innerhalb der Porta Westfalica, in deren Bereiche ich bereits vor einigen Jahren bei dem Orte Hausbergen das Vorhandensein typi- scher Blockpackungen konstatieren konnte, nochmals meine Aufmerksam- keit zuzuwenden. Diese Ablagerungen waren bereits F. Römer!) bekannt, der dieselben wie folgt beschreibt: »Bis zum Lias reicht also der Durchschnitt von der Porta, wenigstens auf dem rechten Ufer nicht hinab. Wäre er vorhanden, so würde er sich südlich von dem Punkte, an welchem die soeben beschriebenen Schichten anstehen, zeigen müssen. Allein hier hindern mächtige Diluvial- Ablagerungen jedes Erscheinen von Schichten des Flötzgebirges an der Oberfläche. Aus Sand, Kies und Geschiebeblöcken bestehend erheben sich dieselben unmittelbar hinter dem Flecken Hausberge zu einer Höhe von mehreren hundert Fuss. Hohlwegähnliche Täler, welche in dem Flecken Hausberge ausmünden, schneiden tief in diese Diluvialmassen ein und gewähren die Überzeugung, dass sie nicht etwa bloss eine oberflächliche Bedeckung von Flötzgebirgsschichten bilden, sondern bis auf die Sohle des Wesertales hinabreichen. In einem dieser Täler, welches sich von der Kirche von Hausberge gegen Südosten hinanzieht, läuft der Weg nach Eisbergen. Bis zu diesem letzteren eine Meile entfernt an der Weser gelegenen Dorfe erstreckt sich ohne Unterbrechung in der Form eines ı) F. Römer, Die jurassische Weserkette. Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. 1857, 98 Plateaus mit unregelmässig welliger Oberfläche dieselbe Diluvial- Ab- lagerung und hart am Fusse der Weserkette reicht sie, wie sich später zeigen wird, noch beträchtlich weiter gegen Osten. Südlich von Hausberge setzt erst in der Nähe von Vlotho der Keuper des Buhnberges der Ver- breitung des Diluviums eine Grenze. Auf dem andern Ufer der Weser längs des Fusses des Wittekindberges findet sich keine Spur desselben. Hier hat der hart an den Fuss der Kette herantretende Strom es fort- gewaschen, wenn es überhaupt vorhanden war. Aber auch weiter west- lich bis über Osnabrück hinaus findet sich nirgends auf der Südseite der Weserkette eine ähnliche Diluvial-Anhäufung. Gewiss ist es nicht zufällig, dass diese Diluvial-Ablagerung bei Hausberge sich gerade an der Lücke in der Bergkette, hinter dem östlichen Torpfeiler der Porta Westfalica am mächtigsten angehäuft hat. Die Lücke, durch welche jetzt die Weser in das Flachland tritt, war schon früher, wenn auch nicht bis zu der gegenwärtigen Tiefe eingeschnitten, vorhanden und durch sie drangen jene Diluvialmassen von Norden her in ähnlicher Weise hinein, wie durch die Dörenschlucht im Teutoburger Walde der Diluvialsand des Münsterschen Busens eingedrungen und sich über ein ansehnliches hinter der Gebirgskette liegendes Gebiet ergossen hat. Dass das Diluvium von Norden her an seine gegenwärtige Ablagerungsstelle bei Hausberge ge- langt sei, beweist ausserdem der Umstand, dass neben den Geschieben von nordischen krystallinischen Gesteinen auch Bruchstücke von solchen Gesteinen der Weserkette selbst, welche deren Nordabfall bilden, wie namentlich der mit Exrogyra virgula erfüllte Kalkmergel der Kimmeridge- Bildung dem Kiese und Sande eingestreut sich finden. « Bei dem mehrfach von Römer erwähnten Orte Eisbergen befindet sich in unmittelbarer Nähe der Bahnstation in einem ziemlich jäh zur Weser abfallenden Hügel eine ganz gewaltige Grube, welche zwecks Kiesgewinnung angelegt ist. Die über 50 m hohen Wände derselben zeigen wiederum — trotz dieser grossen Höhe — einen völlig analogen Aufbau, wie auch die Endmoränen bei Hameln und im Holsteinischen : bänderartige, verschieden mächtige Schichten von fluvioglacialen Sedi- menten verschiedenster Beschaffenheit, vom feinsten Spatsande bis zum gröbsten Grande, in dem hie und da für eine grössere Erstreckung ge- waltige Blockpackungen von über kopfgrossen Blöcken bis Felsen nor- discher und einheimischer Herkunft entwickelt sind, daneben an einigen Stellen auch bänderartige Lagen von Diluvialton folgen im allgemeinen der Neigung, mit der der Hügel sich zur Sohle des Wesertales herab- senkt. — Auf Grund dieses Befunds erscheint es wohl zulässig, auch diese, von Hausberge bis Eisbergen sich erstreckende Diluvialablagerung, als eine Endmoräne zu betrachten. In seinem Werke »Greologie von Deutschland, II. Teil, Das östliche und westliche Deutschland«, spricht Lepsius die Ansicht aus, dass der 99 tiefe Einschnitt in der Weserkette, die Porta Westfalica, ebenso wie die anderen, dasselbe Gebirge durchsetzenden Einschnitte, und ferner die ähnlichen Einschnitte im Teutoburger Walde (die Dörenschlucht, der Engpass bei Bielefeld u. a. m.), in ihrer ersten Anlage auf Erosion durch die Gletscherbäche der diluvialen Haupteiszeit zurückzuführen seien. — Da aber, wie aus der Schilderung Römer’s hervorgeht, die innerhalb der Porta liegenden Diluvialablagerungen bis auf die Sohle des Wesertales herabreichen, so ist der Einschnitt zur Zeit der Ablagerung derselben, in der Abschmelzperiode der Hauptvereisung, bereits in seiner ganzen Tiefe vorhanden gewesen; die durch die Schmelzwasser des Inlandeises hier be- wirkte Erosion, könnte also nur durch die Schmelzwasser des heran- nahenden Eises zur Geltung gekommen sein. Da aber das Inlandeis sowohl das zwischen der Weserkette und dem Teutoburger Walde bele- gene Gebiet, sowie auch diesen selbst noch überschritten hat, so wird man auch in der, von dem Gletscher selbst ausgeübten Erosion einen Faktor in der Schaffung der betreffenden, so auffälligen Einschnitte er- blicken dürfen. Die erste Anlage der Porta Westfalica aber dürfte in der von Lepsius an einer andern Stelle seines Werkes (l. ce. 5. 5) ange- gebenen Weise zu suchen sein, nämlich darin, »dass die Weser, die älter als das Gebirge ist, letzteres allmählich durchschnitten hat, in gleichem Masse, als die Schichten aufgestaut und die Berge erhoben wurden«. — Ob die Einschnitte im Teutoburger Walde, vor allem die Dören- schlucht und der Engpass von Bielefeld nicht auch bereits vor der Eiszeit vorhanden gewesen sind, bezw. in wie weit ihre Entstehung auf die Kräfte der Eiszeit zurückzuführen ist, ist, da über die Diluvialablage- rungen in der Umgebung derselben meines Wissens keine ähnliche genauen Angaben, wie über die Diluvialablagerungen innerhalb der Porta Westfalica bisher vorliegen, nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Da diese Einschnitte nur von Wasserläufen geringer Art durchflossen werden, und auch vor der Eiszeit wohl nicht von grösseren Strömen benutzt worden sind, !) scheint es, als wenn ihre Entstehung in der Hauptsache auf die Erosionstätigkeit der Gletscherschmelzwasser und auf die des Gletschers selbst zurückzuführen seien. — Das nach Südwesten vor dem Teutoburger Walde liegende Gebiet der Senne, welches nach Dechen (Erläuterungen der Geolog. Karte der Rheinprovinz und Westfalen, II. S. 766) aus dem nordischen Diluvium angehörenden Sanden aufgebaut ist, dürfte als Sandrgebiet der Hauptvereisung bezeichnet werden können. — Y%) Vgl. Penck, l. c. S. 334. 100 Zu jener Zeit, als die wohl gleichalterigen Endmoränen bei Hameln und innerhalb der Porta gebildet wurden, konnte die Weser nicht nach Norden durch letztere abfliessen, sondern ward gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen, und zwar floss sie in dem, zwischen der Weserkette und dem Teutoburger Walde belegenen, 4—5 Meilen breiten Gebiete, »das als ein breites Verbindungstal zwischen dem Weser- und FEmstale, dessen Wände die zugekehrten Abhänge der genannten Bergketten bilden«, !) erscheint und welches jetzt von der Werre und ihrem Neben- flusse Else, sowie der Haase, durchströmt wird, zur Ems. ?) Das Inlandeis, sowohl das vorrückende, als das sich zurückziehende, und zwar zu einer Zeit, als es die Lage, die jetzt die Endmoräne Haus- berge — Eisbergen innehat, einnahm, dürfte die Ursache sein, dass die Weser in so auffälliger Weise, dicht vor dem Einschnitte der Porta das an der Weserkette entlang führende breite Wesertal verlässt und sich von Eisbergen aus bis Rehme ein Bett durch das Keupergebirge hindurch schuf. ?) — Das Inlandeis überschritt nun aber ja auch einen grossen Teil des südlich von der Weserkette belegenen Landes und erstreckte sich bis über den Teutoburger Wald hinaus: wohin strömten in dieser Zeit die Weser und die sich in sie ergiessenden Schmelzwasser ? Vergegenwärtigt man sich die das Wesertal und die, die Täler seiner Zuflüsse umgebenden orographischen Verhältnisse, so ist zunächst evident, dass ein Aufstau des Flusses und der Schmelzwasser stattfinden musste. — Auch von anderen Flüssen Norddeutschlands, der Oder und der Elbe, bezw. ihren Nebenflüssen, ist angegeben worden, *) dass sie zwischen dem Inlandeise und den sie umgebenden Gebirgszügen aufgestaut worden seien, und auf der Annahme von Staubecken, welche sich in der Abschmelz- periode der letzten Vereisung zwischen dem zurückschmelzenden Eisrande und dem Nordrande der deutschen Mittelgebirge bildeten, beruht die Ansicht Wahnschaffe’s, dass der Löss als ein Wasserabsatz zu be- trachten sei.?) — Wohin aber nahmen die genannten Flüsse ihren Abfluss als ihr Aufstau zur Zeit der Maximalausdehnung des Inlandeises während der Hauptvereisung so gross ward, dass sie rückläufig werden mussten ? tl) Siehe Römer, 1. ce. 8. 673. 2) Vgl. Delitsch, 1. ec. S. 20 und Penck, 1. c. S. 304. ®, Vgl. Römer, l. c. 8. 631. *) Siehe u. a. Delitsch, 1. e. S. 26/27, ferner E. Wüst, Untersuchungen über das Pliozän und das älteste Pleistocän Thüringens. Halle a. S. 1900, und Schottky, Beiträge zur Kenntnis der Diluvial- Ablagerungen des Hirschberger Tales, 1885. °), Wahnschaffe, Die Ursachen der Oberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes. S. 194. 101 Vereinzelte Angaben, welche sich auf dieses Problem beziehen, liegen in der Literatur vor. Sie mögen im folgenden im Zusammenhange mit einigen aus der Aufstellung des Problems sich ergebenden Fragen in aller Kürze und soweit ich hierzu in der Lage bin, erörtert werden. Erwägt man, dass nur zwei Hauptwasseradern Deutschlands zu der genannten Zeit nicht behindert waren, ihre Wasser einem Meere zuzu- führen — wenn auch, wie dieses bei der einen derselben der Fall ist, auf eine von der heutigen Art abweichenden Weise — nämlich der Rhein und die Donau, so dürfte zunächst die Annahme keinen Widerspruch er- fahren, dass auch hierher die Schmelzwasser des Inlandeises samt den Resten der aufgestauten Flüsse sich damals ergossen haben. Was die Schmelzwasser im Flussgebiet der Oder anbetrifft, so hat bereits Keilhack gelegentlich der Erörterung einiger zukünftiger die glaciale Hydrographie betreffende Probleme!) die Ansicht geäussert, dass dieselben zur Zeit der grössten Ausdehnung des Inlandeises »ihren Weg nach Südosten zum Teil durch den Weissenkirchener Pass nach Österreich und zur Donau, zum Teil durch Galizien entlang dem Nordrande der Karpathen, in beiden Fällen zum schwarzen Meere nahmen. « In der Tat dürfte der Weissenkirchener Pass oder die »Mährische Pforte«, welche — ich folge hier der trefflichen Beschreibung derselben durch Penck (Das Deutsche Reich. 8. 416) — zwischen dem Gesenke und den Karpathen einen tiefen, nur auf 240 m ansteigenden Einschnitt bildet und den einzigen Talweg zwischen den nordeuropäischen und subalpinen Ebenen Europas bietet, durch den eine schiffbare Strasse zwischen der Oder und der Donau, ohne dass es einer schwierigen An- lage bedürfte, herzustellen sein dürfte — ein Hauptabflussweg aller im Gebiete des Oderstromes sich ansammelnden Schmelzwasser gewesen sein! Aber nicht nur die Schmelzwasser aus dem Stromgebiet der Oder, auch ein Teil der im Bereiche der Weichsel gebildeten Schmelzwasser dürfte hierher seinen Weg genommen haben und andererseits dürfte der von Keilhack angegebene Weg am Nordrand der Karpathen entlang zum Dnjester für die Ableitung der im Gebiete der Weichsel und ihrer Zuflüsse sich sammelnden Schmelzwasser hauptsächlich in Betracht gekommen sein. — Die dem Rande des Inlandeises im Bereiche der Elbe entströmenden Schmelzwasser flossen nach Lepsius (l. e.) in der Haupteiszeit nach Böhmen ab, und durchschnitten bier die aufgerichteten Quadersandstein- schichten im Lausitzer Gebirge auf der Wasserscheide zwischen Zittau %) Glaciale Hydrographie, Führer durch Teile des norddeutschen Flachlandes. Berlin 1899. 102 und der böhmischen Grenze. — Aber nicht nur die Schmelzwasser, auch die aufgestaute Elbe und ihre grossen Nebenflüsse, die, da das Inlandeis ja nur in ganz geringem Masse bis in Böhmen hinein eingedrungen war, in ihrer ganzen Ausdehnung erhalten waren, müssen rückläufig geworden sein und dürften sich nach Süden bezw. Südwesten zur Donau gewandt haben. — Dass auch die Saale, die Entwässerungsader der Thüringer Senke samt ihren Zuflüssen durch das Inlandeis aufgestaut war, findet sich bei Wüst (l. e. 8. 35) angegeben. — Wohin wandten sich in diesem Falle die aufgestauten Wassermengen ? Will man nicht annehmen, dass die Schmelzwasser sich über den Thüringerwald nach Süden ergossen haben, so bleibt für ihren Abfluss nur der Weg nach Westen. Hierher führt aber auch eine Wasserader aus der Thüringer Senke heraus durch die Thüringer Pforte«, die Hörsel, die sich in die Werra ergiesst. Wiewohl man hier unwillkürlich an die ehemalige diluviale Verbindung der Hörsel mit der Unstrut, die von H. Credner!) angegeben worden ist, erinnert wird, so scheint doch dieser Verbindungsweg, da der Lauf der Gewässer in demselben nach Nordost gerichtet war, für die Ableitung der im Thüringer Becken auf- gestauten Schmelzwasser zur Hörsel nicht in Betracht zu kommen, und wird es künftigen Forschungen vorbehalten bleiben müssen, andere Ver- bindungen der Flüsse Thüringens mit der Hörsel, welche den Abfluss nach Westen ermöglichten, aufzuspüren. — Wohin aber floss die Werra, die ja selbst, dadurch, dass der Weser der Abfluss nach Norden verlegt war, am Abfluss in der jetzigen Rich- tung behindert war? Es ist in dieser Hinsicht von besonderem Interesse, dass infolge gewisser eigenartiger orographischer Verhältnisse auf der Wasserscheide zwischen dem in die Werra sich ergiessenden Bibrabache und der zum Main fliessenden fränkischen Saale, über die Proescholdt?) berichtet hat, sowie in Berücksichtigung des Vorkommen bestimmter diluvialer Schotter ebendaselbst, nach Penck (l. c. S. 329) die Mutmassung zulässig ist, dass nicht nur früher der Bibrabach zum Main, sondern »dass die ganze Werra durch diese Furche einen bequemen Ausweg nach Süden fand.« Die angegebene Verbindung der Werra mit dem Main, dürfte aber nicht die einzige Verbindung der Weser mit dem Rhein zu jener Zeit gewesen sein, sondern man wird auch an andere solche Verbindungen ') H. Credner, Vormaliger Lauf der Gewässer auf der Nordseite des Thüringer- waldes. Zeitschr. d. deutsch. geolog. Gesellschaft. Bd. 3. S. 380. ?) Proescholdt, Talbildung des Bibrabaches. Zeitschr. d. deutsch. geolog. Ge- sellschaft. Bd. 34. 1882, S. 674. 103 zwischen den Nebenflüssen beider Ströme denken müssen, doch muss — vorausgesetzt, dass überhaupt die Behauptung, dass die genannten deut- schen Ströme zur Zeit der Maximalausdehnung der Hauptvereisung zum Rhein und zur Donau (bezw. dem schwarzen Meere) abgeflossen sind, als zutreffend anerkannt wird — dieses zu erkunden, ebenfalls späteren Forschungen überlassen bleiben. — Sollte diese Behauptung aber Anerkennung finden, so dürften, wie ich hier schliesslich noch anführen möchte, voraussichtlich besonders hinsichtlich der Richtung des Laufes mancher der zahlreichen pleistocänen Flüsse Thüringens, denen bisher meist ein nach Norden, dem Eise entgegengerichteter Lauf zugeschrieben ward, andere Anschauungen Platz greifen. — 3 ES L/ Blockbestreuung im Gehege Harmhorster Holz bei Alt-Harmhorst. Tafel I. SIOLUIBEL-Y 194 zo Aofsıoyurep] 98oyan) wm Sunnoa1soqspord "IT [IRL, ‘3199 dOZNUWON) 101 : uoddıppurgg — 4peIsnoN suU9soquaugIoripun Sop [IL UM -IIT [PBL 'opnoeN Tg oddnyusugiowpunp d9u negfny Aodouuf "AI PIEL 99 HUT IH) WB U9SSBLIAT, "IA IJ6L Gestauchte und gefaltete Tone in der Endmoräne »Hornheimer Riegel« Tafel VII. bei Kiel. =; EI + \ N h Endmoränenkuppe bei Grammdorf. ungen in einer X Blockpacl Tafel VIII. Endmoräne bei Winsen im Geschiebesandgebiete des westlichen Holstein. wuoy omun pfojJuoiyegg 194 SURLOTUPUTT "X ToJeL OfeJoAuıL], WI ZUBE - IX) 194 BUNBFIOSSEASEAg Fu SUnasseqy PTeIANTIPAIOgO 'IX [ofeL 2 er Uebersichtskarlte der Endmoränen Ostholsteins. —— Zndmorane. z = ß erfmande | array Öckernförde 3% IN Krusendf Eng 0 ONeudoı - er] \ 3 1} TAX hal) Grenzlinie zwischen der Hügelland schaft und dem Gebiet des Geschtebesandes. 2 iligenhajer 27 3 Susaf ” Gremkasdf, >= | Hohenkgeen \vone I On. Funk TaN 5 sel N ja fe ER 7 \ LERrOR z x \ Wansköere Ak Jarmkorst su Blangweder N ee l z Sz 4 Bi r a NV Jetnadserte / Y h . . a = IS Ba > DS y Dordeslwb ? , ze 2 Nienhagen > & Near 3 2 LP ) b { > 8 67 » KO PıAorory \ / I gb Poriaztin | / fi Y Tirnaype” Ze R SE I bek: EN RR . E | Aajengi 5 3 Te lerkenip: \ e En eb ung ZiNe ustadty Al Heidmuhlen, Tassenagıe $ Druck von Max Schm t in Lübeck. SU I U 3 Mm Mitteilungen d (weographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums LÜBECK. Herausgegeben vom Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. Heft 20. Lübeck. Düpcke & Nöhrixngeg. Mitteilungen d (reographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums LÜBECK. vom Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. Heft 20. er Lübeck. Lüpbeke & Wöhring P a das Inhaltsverzeichnis. Prof. Dr. P. Friedrich. Die Grundmoräne und die jungglacialen Süßwasser- ablagerungen der Umgegend von Lübeck mit 6 Taf. Prof. Dr. P. Friedrich und Dr. H. Heiden, Rostock. Die lübeckischen Litorinabildungen mit Tabellen und einer Taf. . Gesellschafts-Angelegenheiten . Die Grundmorane und die jungglacialen Sulswasserablagerungen der Umgegend von Lübeck. Von Prof. Dr. P. Friedrich in Lübeck. Mit 6 Tafeln. = —— Vorbemerkung. Die ersten drei Tafeln zu dieser Arbeit waren bereits vor Ostern v. J. fertiggestellt. Durch die inzwischen veröffentlichte Abhandlung des preußischen Landesgeologen Dr. Gagel »einige Bemerkungen über die obere Grundmoräne in Lauenburg« sehe ich mich veranlaßt, meine bis- herige Auffassung über das Alter der unteren lübeckischen Diluvial- ablagerungen zu ändern. Der untere, blaue Tonmergel auf Taf. I— III gehört nicht dem unteren, sondern dem oberen Diluvium an, ferner ist der Geschiebemergel in beiden Profilen auf Taf. III als Grundmoräne der letzten Vereisung, also als oberer Geschiebemergel aufzufassen. Bei meinen Untersuchungen wurde mir die mannigfachste Unter- stützung zu teil. Herrn Dr. med. Struck in Lübeck, der im Jahre 1900 die ersten konchylienführenden Süßwasserablagerungen im lübeckischen Diluvium entdeckte, verdanke ich die erste Anregung zu dieser Arbeit. Herr Dr. ©. Weber in Bremen bestimmte die fossilen Pflanzenreste, Herr Clessin in Regensburg eine grössere Anzahl von Konchylien, vor allem die Pisidien, Herr Zahnarzt Diederichs in Eutin stellte Schlämm- proben zur Untersuchung auf Diatomeen her, die vor kurzem erschienene Dissertation von Dr. P. Range machte mir die reiche Literatur über die Dryastone zugänglich. Herr Katasterdirektor Diestel ließ die Profil- zeichnungen auf den beigefügten Tafeln zum Druck vorbereiten; ihm verdanke ich auch eine große Zahl genauer Höhenbestimmungen von Bohrpunkten. Die Herren Baudirektor Baltzer und Bauinspektor Harms lieferten mir wertvolle Grundlagen zur Anfertigung der Profile auf Taf. III, Herr Gutsbesitzer Björnsen in Cleverhof teilte mir wiederholt vorübergehende Bodenaufschlüsse mit, Herr Lehrer Strunck und die beiden Primaner H. Spethmann und ©. Reuter 1* 4 unterstützten mich beim Sammeln von Fossilresten. Allen spreche ich hier meinen Dank aus. Ganz besonderen Dank schulde ich außerdem dem Direktor unseres Museums, Herrn Prof. Dr. Lenz, für seine reiche Beihilfe. Die Aufschlüsse bei Schlutup und bei der Herrenfähre wurden im Laufe der letzten Jahre von folgenden Geologen in Augenschein genommen: von Geheimrat Wahnschaffe und vom Landesgeologen Dr. Gagel in Berlin, von den Professoren Geinitz-NRostock und Gottsche- Hamburg, von Dr. ©. Weber-Bremen und wiederholt von dem schwedischen Staatsgeologen Dr. Holst in Stockholm. Die sämtlichen Funde, Pflanzen, Konchylien und Säugetierknochen, befinden sich im lübeckischen Museum. Im aal'e: I. Die Grundmoräne. I. Die fluvio-glacialen Ablagerungen der letzten Eiszeit. IH. Die jungdiluvialen Süßwasserablagerungen 1. im Sandrgebiet (Schlutup, Herrenfähre, Avelunddurchstich), 2. im Talsandgebiet (Olever Kiefern), 3. im Taltongebiet (Einsegel, Vorwerker Schule, St. Lorenzschule u. s. w.), 4. Zusammenfassung. Geographische Verbreitung der in 1. 2. und 3. vorkommenden Pflanzen und Mollusken in der Jetztzeit. 5. Die jungdiluvialen Süßwasserablagerungen in Mittel- und Nordeuropa, insbesondere die Dryastone. 6. Allgemeine Ergebnisse. EZLNIIZS I. Die Grundmoräne. Wer von der Höhe bei Blankensee, von der Stockelsdorfer Mühle oder vom Pariner Berge die Umgebung Lübecks überblickt, kann sich des Eindruckes kaum erwehren, daß die weite, rings von Höhen um- säumte Niederung, in deren Mitte sich die türmereiche Hansestadt erhebt, dereinst ein großer See war. Zu dem gleichen Ergebnis führt die geologische Untersuchung. Der feine steinfreie Sand, der die ganze Niederung bedeckt, und der fette, feingeschichtete gelbbraune Ton, der über diesen Sanden in einem großen Teil der Mulde weithin eine geschlossene Decke bildet und seit Jahrhunderten die roten Bausteine für die Stadt Lübeck liefert, lassen nur die eine Erklärung zu, dab anfangs ein breiter Fluß mit schwacher Strömung die Niederung durch- floß und daß später durch eine Einengung oder Verstopfung der Abfub- kanäle das Wasser langsam bis zu einer Mindesthöhe von 20 m über NN. aufgestaut wurde. Die geschichteten steinfreien Ablagerungen der Lübecker Niederung sind Gebilde der letzten Eiszeit. Sie sind zu einer Zeit entstanden, als das nordische Inlandeis die flache Lübecker Mulde verlassen hatte und sein Südrand lange Zeit hindurch auf der Höhe von Ivendorf— Pöppen- dorf — Ratekau festlag. Von Süd nach Nord lassen sich daher folgende Zonen unterscheiden: Talsand und Talton — Sandr — Endmoräne — Grundmoräne. Durch zahlreiche Flach- und Tiefbohrungen, durch eine eroße Zahl von tieferen Erdaufschlüssen beim Häuser-, Kanal-, Eisen- bahn- und Sielbau, endlich durch die geologische Kartierung der Um- gegend der Stadt hat die Kenntnis von dem Aufbau des lübeckischen Diluviums in den letzten Jahren an Klarheit gewonnen. Bot bisher die Altersbestimmung der Grundmoräne noch immer Schwierigkeiten, so ist auch nach dieser Richtung hin durch die Endmoränenarbeiten Strucks') ) R. Struck, Der Verlauf der nördlichen und südlichen Hauptmoräne in der weiteren Umgebung Lübecks. Mitt. d. geogr. Ges. Lübeck. Heft 16, 1902 und der baltische Höhenrücken in Holstein, ebenda, Heft 19, 1904, sowie durch die Ergebnisse der bisherigen geologischen Kartierungen im benachbarten Lauenburg von seiten der preußischen geologischen Landes- anstalt und durch die beiden Aufsätze Gagels: »über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln«!) und »einige Bemerkungen über die obere Grundmoräne in Lauenburg« ?) eine befrie- disende Auffassung angebahnt. Die letzte Arbeit Gagels veranlaßt mich, der Gliederung des lübeckischen Diluviums eine ausführlichere und weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehende Behandlung zu widmen. Bei der häufigen Erwähnung der beiden Arbeiten Gagels soll ae ältere mit I, die spätere mit II bezeichnet werden. Dem Fernerstehenden, der die örtlichen Verhältnisse nicht kennt, dürfte das auf Taf. 6 dargestellte Profil den besten Einblick in das lübeckische Diluvium gewähren. Ich habe das Profil Travemünde — Lübeck gewählt, weil sich dasselbe von der Bewegungsrichtung des Inlandeises nicht weit entfernen dürfte und weil in seiner Linie eine größere Anzahl zuverlässiger Brunnenbohrungen liest. Zu dem Profil- abschnitt Sandbergstannen — Herrenfähre konnte ein aus etwa 60 Boh- rungen hervorgegangenes Profil (Müllersches Projekt zur Travenregu- lierung) benutzt werden, das mir von Herrn Oberbaudirektor Rehder freundlichst zur Verfügung gestellt wurde. In der Profilachse liegen ferner mehrere Tagesaufschlüsse auf der Strecke zwischen Forsthalle und Herrenfähre, ferner auch zwischen der Herrenbrücke und Waldhusen. Unsicher in dem Profil ist nur noch die Grenze zwischen Geschiebe- mergel und den Endmoränengebilden zwischen Pöppendorf und Rönnau. Die Lage der Oberkante des Geschiebemergels gründet sich hier auf die Brunnentiefen in Ovendorf und Ivendorf, vor allem in dem zur Oven- dorfer Mühle gehörenden, ca. 30 m über NN liegenden Wohnhause (9 m), endlich auf eine vor kurzem ausgeführte Bohrung bei Station Pöppendorf der 'Travemünder Eisenbahn (9 m). In der Grundmoränenlandschaft nördlich von Ivendorf befinden sich mehrere Kiesaufschlüsse mit Block- packungen (so 3 oder 4 bei Rönnau, ein grosser Aufschluß bei der Travemünder Mühle), welche ich mit Struck als Endmoränenreste auffasse. Zu diesen Endmoränenresten gehören wahrscheinlich auch die blockreichen Sande am Brodtener Ufer beim Seetempel. Da in allen diesen Aufschlüssen ein 1—3 m mächtiger Geschiebemergel die Decke bildet, so ist anzunehmen, daß der Eisrand hier mehrfachen - ', Jahrbuch der K. Preuß. Geolog. Landesanstalt u. Bergakademie für 1903. 3d. 24, Heft 1, Berlin 1904. ®) Ebenda, Heft 3. Oscillationen unterworfen gewesen ist. Dieser Auffassung habe ich im Profil dadurch Ausdruck gegeben, daß ich die Grundmoräne z. T. über die Endmoräne hinübergreifen ließ. Daß das Pöppendorfer Sandgebiet zur Endinoräne gehört, steht außer allem Zweifel; die gewaltigen Blöcke im Waldhusener Hünengrab südlich vom Bohrloch Pöppendorf und den aus der Traveniederung schroff aufsteigenden Rücken des Waldhusener Forstes möchte ich nicht zum Sandrgebiete, sondern noch zum End- moränengürtel rechnen. Die Profile der in dem geologischen Durchschnitt auf Taf. 6 liegenden Brunnenbohrungen sind folgende: 1. Travemünde, Villa Strack. + 7,50 NN. Trockenbohrung, Gliemann, 1898. 0— 19,50 m: grauer meist fetter Geschiebemergel, — 24,50 » grauer sandiger Geschiebemergel, — 56,40 » brauner fetter Tonmergel, — 40,10 » grauer, oben sandiger, unten fetter Geschiebemergel, —43,50 » grober Diluvialsand. Artesischer Grund- wasserhorizont. 2. Rönnau, nahe Ovendorfer Hof. -+ 20 NN. Spülbohrung 1904. 0 — 25,20 m: grober Geschiebemergel, — 26,50 » Kies mit Steinen, — 42,50 » grauer Geschiebemergel, —51 » grober Diluvialsand mit nordischen Ge- steinen. Artesischer Grundwasserhorizont. 3. Pöppendorf, nahe dem Hünengrab. + 16 NN, Trocken- und Spülbohrung, 1904. 0— 7,50 m: Sand und Kies mit größeren Geröllen, — 45 » grauer Geschiebemergel, oben fetter als unten, 55 » Kies mit zahlreichen Grünsandsteinge- röllen. Artesischer Grundwasserhorizont. 4. Kalksandsteinfabrik von Fr. Ewers, bei der Herrenbrücke. + 5 NN. Spülbohrung, Vogeley, 1903. 0— 3,60 m: grober Sand (3—5 m Sand waren vorher bei der Herstellung des Avelunddurch- stiches abgegraben), — 4,40 » blaugrauer Tonmergel, — 20,70 » blaugrauer Geschiebemergel, — 29,90 » grober Sand mit Steinen (bei 20 und 24 m wurde gesprengt); artesischer Grund- wasserhorizont, — 30,40 » feiner glimmerhaltiger Sand. 5. Gasthaus Herrenfähre. + 2,35 NN, Spülbohrung, Baubehörde. 0— 3,40 m: Sand, —5 » Kies, — 865 » Sand, — 14 » blaugrauer Tonmergel, — 20 » blaugrauer Geschiebemergel, — 23,50 » grober Diluvialsand. Artesischer Grund- wasserhorizont. 6. Forsthalle bei Israelsdorf. + 7,5 NN, Trockenbohrung, Gliemann, 1904. 0— 4 m: gelber feiner Sand, — 8,70 » grober grauer, z. T. grandiger Sand, — 14,50 » blaugrauer magerer Tonmergel, — 14,70 » toniger Kies, — 22,50 » blaugrauer fetter Geschiebemergel, — 25,70 » blaugrauer magerer Geschiebemergel, — 24,20 » grober Kies mit eigrossen | Arte- Geröllen von Granit, Feuer- | sischer stein etc. Grund- — 35 » grober Quarzsand mit sehr | wasser- wenigen roten Feldspatkör- | hori- nern. zont. %. Schiffswerft von H. Koch. + 6,25 NN. Trockenbohrung, Gliemann, 1903. Etwa 2 m Sand und 2 m Tonmergel sind früher 0 — 16,70 m: abgegraben. blaugrauer Tonmergel, abwechselnd fett und mager, — 17,80 » blaugrauer fetter Geschiebemergel, — 19 » toniger Kies und Blockpackung, — 24 » blaugrauer magerer Geschiebemergel, — 40,10 » grober Diluvialsand mit Steinen. Arte- sischer Grundwasserhorizont, — 40,56 » brauner toniger Glimmersand. 8. Lübeck, Parade Nr. 1. + II NN, Trockenbohrung, Gliemann, 1901. 0— 1,25 m: aufgebrachter Boden und humoser Sand, — 2,80 » gelber feiner Sand, — 3,80 » gelber Ton, — 9,10 » grauer feiner Sand, — 16,50 » blaugrauer fetter Tonmergel, — 13 » blaugrauer Geschiebemergel, — 21,30 » toniger Kies mit Steinen, — 29,40 » blaugrauer, zuletzt magerer Geschiebe- mergel, A, » Diluvialkies mit Steinen, bei 40—41 und 44-44 m fette Tonklumpen. Artesischer Grundwasserhorizont, schwach salziges Wasser, — 46 » feiner grauer Glimmersand. 9. Brennerei Buntekuh. + 8,92 NN. Trockenbohrung, Gliemann, 1899. 0— 1,9 m: gelber Ton, — 855 » grauer feiner Sand, — 9,50 » blaugrauer Tonmergel, — 24,80 » blaugrauer Geschiebemergel, — 26,30 » grober Diluvialsand. Artesischer Grund- — 28,50 wasserhorizont, schwarzer toniger Glimmersand. 10 Aus den vorstehenden Bohrprofilen ergeben sich auf der 21 km langen Strecke Ostsee (Villa Strack) — Buntekuh für die Mächtigkeit und Höhenlage des Geschiebemergels folgende Zahlen: Entfer- Cemmikr Ober- Unter- nung Höhe der | mächtigkeit Darin sind kante kante von der Bohrstelle Bohrstelle des des Geschiebemergels Ostsee über NN | Gesebiebe- mitgerechnet über oder unter NN in km mergels (+) Go) 0,1 | Villa Strack + 7,5 40,1 m | 12m Tonmergel| + 7,5 | — 32,6 4,1 | Rönnau 20 AD» les »iRges +20 1—225 7 | Pöppendorf +16 315 3 — + 85| — 29 11 |Kalksandsten- | + 3 16,3 » — — 141 —18 fabrik bei der Herrenbrücke 11,6 | Gasthaus Her- + 25| 6 >» Ka hl — 17.8 renfähre | 13,1 | Forsthalle | = Ga | 9 8 — re 100 15,4 | Lübeck, Kochs | + 6,3 | 7.3 » — —_ 104 Werft 18,4 Lübeck, Parade | +11 13 » |12mKies und | — 5,5 | —- 184 IN Steine 21,4 Brennerei Bunte-| 4 89 |15 » |3,3 » toniger — 0,6) — 16 kuh Kies Das Profil auf Taf. 6 zeigt den Verlauf der Unterkante ‚des Geschiebe- mergels auf einer 13 km langen Strecke. Da ist es sehr auffallend, daß die Unterkante der Grundmoräne des Inlandeises in Travemünde am tief- sten (—32,6 NN) liegt, sich bis zur Herrenbrücke (— 18 NN) hebt und von da an ungefähr die gleiche Tiefenlage beibehält bis an das Südende der Stadt Lübeck und, wie nach der Tabelle in der Zeichnung leicht ergänzt werden kann, noch 3 km weiter südwärts bis Buntekuh. Die Werte für die Unterkante des Geschiebemergels in den übrigen Travemünder Bohrungen: Villa Adler — 32 NN » Possehl 9200) Stadtbahnhof — AR (sasometer — 26 stimmen mit der Angabe von Villa Strack überein oder zeigen nur geringe Abweichungen. Dagegen wurde bei dem auf dem Brodtener Ufer gelegenen Seetempel die untere Grenze des Geschiebemergels erst bei —41 NN erreicht. 11 Daß die im Profil gezeichnete Geschiebemergelunterkante von der Herrenbrücke bis Parade Nr. 1 nicht auf die Profillinie beschränkt ist, beweisen die zahlreichen Brunnenbohrungen der letzten Jahrzehnte. Die folgende Übersicht enthält Beispiele aus fast allen Teilen der Niederung. Geschiebemergel { Höhe der Lage der Bohrstelle Bohrstelle | Mächtigkeit | Unterkante über NN unter NN in Metern Dänischburg, Schwefelsäurefabrik . . 3 I 15 Schwartau, Friedrich-Augustbad . . | ca. 2,5 B) 21 INemmüllenengees een. 0.| caw8 — 16 Vorwerk, Obstplantage von Brocher . 12,5 18 15 Schlutup, Räucherei von Wellmann . | ca. 12,5 9 20 Neuer Friedhof bei Stockelsdorf . . 16 28 16 Norwerker«Wiesen ,.. 4 0... 2... 2,6 —- In 20.1 Sägewerk von Golsmann & Jürgens . 2,6 ß) | 22 Städtischer Wasserbauplatz, Struckfähre 1,34 1 ! Kunstwalzenmühle von Hinrichsen . 2,54 6 19 Hubbrücke am Burgtor (Profiltaf. 6) . 3 4 22 Städt. Elektrizitätswerk, Mengstraße . 6,56 6 17 Sägewerk von Meyer, Wallstraße . . 1,70 — Ni Schwellentränke, Kanal . . . .. 0,3 — 15 Automatenrestaurant, Breitestrabe . . 14,67 — zul Emaillierwerk von Thiel & Söhne, | Sehwartauer Ale . '. = 11,04 24 | 24 Kneippsche Badeanstalt, Hansastrabe ca. 10 14 Kal Zoslosischer Gatten... seele No — 21 Wäscherei von Krüger, Augustenstraße 200,5 7 | 19 Wassersunätenai. . .. ee ee 4,0 \ 11 Nat) Wäscherei von Laurisch, Geninerstrabße 5,04 — | 16 WeeseusberWloising? ae ve. 0,57 13 22 Von den Bohrungen, über welche genauere Angaben vorliegen, er- reichten die Unterkante des Geschiebemergels: BNEHROE\ de. ein, shbeisn To unten NN 2 (Wilhelmshöh, Soroe in Schwartau). . . .». 8 > je (eaepmeler in Schwantau) a. ln 2 2,0009 » BentBrsteren Walkmühlel, Fi! 2... 2 ah » > (Gasanstalt II, Marktplatz) . . . .. 2...» 12 12 3 (Aktienbrauerei, Hansabrauerei, Ehmcke) . bei 13 m unter NN 5 » 14 » 6 Ile Seat er Esel » 7 3 task cs » 3 | DT » 6) N A 1 er, BEIM. » 5 RT PETE ETF >» 6 » 20 » S KURS INSELN FERIEN » 3 (Hubbrücke, Golsmann & Jürgens, Moisling) » 22 » 2. (Lubeeawerke, -neuer--Friedhof)—-.—- -... 23 » LA Thjel «0 5S0hme)e Mes ea en ee » i=2\Schule=ms Schlutup)e er ne va DD » 2 (Maschinenbauanstalt, Brüggmann & Sohn) 4, 290.20 » Summa 72 Bohrungen In der weitaus überwiegenden Anzahl von Bohrungen, nämlich 54, liegt die Geschiebemergelunterkante zwischen 14 und 21m unter NN. Da der Hauptgrundwasserhorizont von den Diluvialsanden unmittelbar unter dem Geschiebemergel gebildet wird, so haben diese Zahlen für die Praxis eine grosse Bedeutung. Die Bohrungen mit — 7 bis —9 m NN liegen im Westen der Niederung und bezeichnen eine von SW nach NO verlaufende Bodenwelle. Die höchste Stelle erreicht diese Anschwellung unter dem seen unter der früheren Lychenheimschen Brauerei in Schwartau, wo der nur 5m mächtige Geschiebemergel schon bei + 2m NN aufhört. In serößere Tiefen reicht der Geschiebemereel nur an foleenden fo) oo Punkten hinab: Lage der Unter- kante des Geschiebemergels | unter NN in Metern ı Mächtigkeit des , Geschiebemergels in Metern Neue nRtaserne 0, Du ENT ce, = | 33 SChlutrup sr Piareanıs ie nu VRR == | 30 Elor2Moıslınoa er See ee 23 54 Jürgen-Dampfmühle, Ratzebg. Allee 38 38 Hansameierei, Fackenburger Allee. . | 52 54 13 Nach den bisherigen Erfahrungen sind demnach die Stellen, wo der Geschiebemergel in Tiefen unter — 30 NN hinabreicht, in dem Lübecker Gebiete ganz verschwindend an Zahl und Ausdehnung. Bei einer Probe- bohrung am Bahnhofe Schlutup wurde die Unterkante des Geschiebe- mergels erst bei 31m Tiefe = 71m unter NN) erreicht, bei einer Bohrung im Gute Brandenbaum war sandiger blaugrauer Diluvialton (Geschiebemergel?) bei 120 m noch nicht durchteuft. Beide Bohrungen entziehen sich, da ich von ihnen Bohrproben nicht gesehen habe, vorläufig meiner Beurteilung. Aus dem weiteren Umkreise Lübecks sind mir von folgenden tieferen Bohrungen zuverlässige Angaben und zum großen Teil auch Bohrproben übermittelt worden (das Zeichen + bedeutet, dab der Geschiebemergel noch nicht durchbohrt ist): Höhe der | Unterkante des Geschiebe- Bohrstelle Bohrstelle mergels in Metern über NN | unter Flur | unter NN Rosenau ee 18 43 + | 25 + Eins Zarpen en en... Ca. 20 67,40 ca. 47 Strecknitz, Gärtnerhaus von Ch. Erasmi S)r 38,60 + 29 + Blankensee, auf dem Felde von Dose | ca. 13 57,50 ca. 44 Bronsiorder Kkomia | 3 50 47 Eiorzkhotenhusen m. 2 nn. Knie 18 5l,5 ca. 38 + Berkenthin Schleuse 32... 6,3 69,4 | 63 Ela (ökmtion se 68 38 Ratzeburg, Aktienbrauerei . . . .|ca. 85 | 53 ca. 45 Die Zahlen der letzten Reihe lassen erkennen, dab die Unterkante des Ge- schiebemergels von Lübeck aus gen Süd und Südwest sich beträchtlich senkt. Die Ergebnisse der bisherigen Brunnenbohrungen sind, soweit die Unterkante der Grundmoräne und die unter dem Geschiebemergel liegenden wasserreichen untersten Diluvialsande in Betracht kommen, folgende: 1. Der unterste, den tertiären Glimmersand überlagernde wasser- führende Diluvialsand hat sowohl bei Travemünde als in der Lübecker Mulde eine durchschnittliche Mächtigkeit von 10 m. 2. Die vordiluviale Oberfläche des lübeckischen Gebietes bildete allem Anscheine nach eine von nur geringen Bodenwellen unterbrochene Ebene. 3. Die Höhenzüge, welche die Lübecker Niederung im Norden und Süden begrenzen, wahrscheinlich auch die im Westen und Osten, sind ausschließlich Bildungen der Eiszeit. 14 Gliederung und Altersbestimmung des Geschiebemergels. Nach Gagels Untersuchungen (I) ist das Gebiet nördlich von der südlichen Hauptendmoräne auf den Meßtischblättern Zarrentin, Gudow, Mölln, Seedorf, Castorf, Ratzeburg, Nusse und CUrummesse eine fast un- unterbrochene Grundmoränenlandschaft. Diese. der letzten Eiszeit an- gehörende Grundmoräne, deren Mächtigkeit nach Gagel (I, S. 471) zwischen 5 und 35m schwankt, tritt bis an die lübeckische Mulde heran und zieht sich unter deren Terrassensande herunter. Wenn nun im Süden Lübecks der obere Geschiebemergel so mächtig entwickelt ist, so ist von vornherein anzunehmen, daß auch die die Oberfläche bildende Grundmoräne zwischen der nördlichen Hauptendmoräne und der Trave- münder Bucht vom oberen Geschiebemergel gebildet wird. In der Gegend von Ratzeburg und Mölln sind nach Gagels Auf- fassung der obere und der untere Geschiebemergel durch wasserreiche Sande scharf geschieden. Diese Sande bilden den allen Besuchern Ratze- burgs bekannten Quellenhorizont am West- und Ostufer des Ratzeburger Sees und sie speisen fast alle gebohrten Brunnen aus der Gegend von Ratzeburg und Mölln (Gr. Weeden, Berkenthin, Ziegelei Hammer usw.). Einen gleichen wasserreichen Grundwasserhorizont habe ich für die Gegend zwischen Pöppendorf, Niendorf und Travemünde nicht feststellen können. Von den schon oben erwähnten Travemünder Bohrungen hat keine einzige einen wasserreichen Sand zwischen zwei Geschiebemergeln an- getroffen. Bohrung in Villa Strack: keine Sandzwischenlagerung, » » » Adler: Sand von 18, bis 20 m, ohne Wasser, > » » Possehl: keine Sandzwischenlagerung, am Stadtbahnhof: keine Sandzwischenlagerung, » » Gasometer: Mergelsand von 14—20 m, > » Seetempel: dünne Sandstreifen bei 18,60 — 19,20 und 50,30 — 51,40 m. Dagegen wurde in fast allen Bohrungen ein durch seine rötlich- braune Farbe auffallender 'Tonmergel durchteuft, am Seetempel bei 20,s bis 23 m unter NN in Villa Strack » I = 33% 200 » » » » Adler » 16,5 032 » » » » » Possehl > 2 928,578 » N am Stadtbahnhof » 2 2 » » 15 In dem wellenförmigen, aus Geschiebemergel bestehenden Gelände zwischen Travemünde und Gmeversdorf befinden sich wasserführende Sandeinlagerungen schon bei 2 bis 3 m Tiefe, so die Endmoränensande bei der Travemünder Mühle, das Quellbecken für die Travemünder Wasserleitung und eine im letzten Sommer hergestellte Wasserfassung gegenüber der Ziegelei. Da diese Quellen im letzten Sommer trotz der anhaltenden Trockenheit nicht unbedeutende Wassermengen lieferten, müssen sie einem ziemlich weit ausgedehnten Wasserhorizont angehören. Demselben Horizont gehören dann wohl auch mehrere 5 bis 6 m tiefe Senkbrunnen in Gneversdorf, Brodten und ÖOvendorfer Hof an, die im letzten Sommer z. T. versagten, ebenso eine dünne Sandzwischenlagerung von 8,50 bis 9,so m Tiefe in der im Längenprofil dargestellten Rönnauer Bohrung. Arm an Wasser erwies sich in zwei kürzlich in Gneversdorf angelegten Brunnen eine zwischen 17,3 und 18,50, bezw. zwischen 19 und 22 m liegende Sandeinlagerung. Vielleicht gehört demselben Grund- wasserhorizont die Kieseinlagerung von 25,20 bis 26,0 in der Rönnauer Bohrung an. Bei dem Fehlen tieferer Einschnitte im Travemünder Winkel ist es unmöglich festzustellen, ob die in den Brunnen nach- gewiesenen wasserführenden Sande einen weitausgedehnten Grundwasser- horizont zwischen zwei Geschiebemergeln darstellen. Auffallend ist es, daß an dem aus Geschiebemergel bestehenden 4 km langen und bis 20 m hohen steilen Brodtener Ufer, mit Ausnahme einer kurzen Strecke hinter dem Seetempel, Sandzwischenlagerungen und Quellen gänzlich fehlen. Nach allen bisherigen Erfahrungen ist es unmöglich, im Grund- moränengebiete zwischen Pöppendorf und der Ostsee einen einheitlichen wasserreichen Grundwasserhorizont zwischen oberem und unterem Ge- schiebemergel nachzuweisen. Daraus dürfen wir aber nicht folgern, dab hier der gesamte Geschiebemergel der letzten Eiszeit angehört. Wenn in zahlreichen Einschnitten in der Ratzeburger Gegend der untere Geschiebemergel zutage tritt und wenn dort der obere Geschiebemergel sich, wie Gagel (I, S. 83) beobachtet hat, allen Bodenunebenheiten anschmiegt, warum sollte die ältere Moräne in der Gegend von Trave- münde, wo die Grundmoräne eine Mächtiekeit von 50 m und mehr erreicht, ganz fehlen? Wir müssen vorläufig daran festhalten, daß in dem Gebiete nördlich von Pöppendorf der obere und der untere Geschiebe- mergel vorhanden sind, daß es aber noch unmöglich ist, eine einwand- freie Grenze zwischen beiden herzustellen. Aus diesem Grunde habe ich in dem Profil auf Tafel VI die Bezeichnung »oberer« und »unterer« Geschiebemergel weggelassen. In dem Endmoränengebiete von Dummersdorf, Ivendorf, Pöppen- dorf, Waldhusen und Ovendorf werden die sämtlichen Brunnen von dem in den Endmoränensanden über dem Geschiebemergel sich sammeln- den Grundwasser gespeist. Siehe Nachtrag. 16 In dem Grundmoränengebiet westlich und in der Talsandebene südlich von Lübeck lassen die in den letzten Jahren ausgeführten Brunnenbohrungen auf das Vorhandensein eines weitausgedehnten wasser- reichen Grundwasserhorizontes zwischen zwei Geschiebemergeln schließen, der offenbar mit dem von Gagel in der Umgegend von Ratzeburg und Mölln nachgewiesenen Grundwasserhorizonte zusammenfällt. Ven den mir bisher bekannt gewordenen Bohrstellen liegt eine (Curau) in der westlichen Grundmoränenlandschaft, die übrigen in der Talsandebene. 1. Curau!) (Schule): Geschiebemergel 21,7 m, darunter wasser- reicher Sand bis 8 m, darunter Geschiebemergel. 15) Roggenhorst!): Geschiebemergel 9 m, darunter 4 m wasser- reicher Sand, darunter Geschiebemergel. 3. Rotenhusen (Hof): Geschiebemergel 26 m, darunter 7 m wasserreicher Sand, darunter Geschiebemergel. 4. Blankensee (Feld von Dose): Unter 10 m Geschiebemergel 15 m Kies und Sand, darunter Geschiebemergel. 5. Streeknitz'!) (Gärtnerhaus von Ch. Erasmi): Unter 5 m Geschiebemergel 3,50 m wasserreicher Sand, darunter Geschiebemergel. 6. St. Jürgendampfmühle !) in der Ratzeburger Allee: Unter 12m een folgt wasserführender Sand von 1,6o m Stärke, darunter Geschiebemergel mit Sand- einlagerungen, rund 24 m mächtig. Im Gegensatz zu der mächtigen Grundmoräne im Küstengebiet und im Westen und Süden Lübecks erreicht der Geschiebemergel in der Stadt und im nördlichen Teile der Talsandebene bis Schwartau, Dänisch- burg und Schlutup eine fast durchweg geringere Stärke, durchschnittlich 10 Während die höheren Werte nur an den wenigen oben auf- sezählten Stellen beobachtet wurden, wo die Unterkante der Grund- moräne unter —30 m NN hinabreicht, schrumpft der gesamte Ge- schiebemergel an zahlreichen Bohrpunkten zu einem ganz dünnen Lager zusammen, so in Neuhof, in der Augustenstrasse. . . us aan im städt. Elektrizitätswerk, in der Werft did Eiörren ee »6» beim! Gasometer! In Schwartau Pu Bm EEE TEISTEED ES an der Hubbrücke . . . NA Pelak. IuR.AINOrR De im Friedrich-Augustbad in Sara IRRE ra AN TTEEISE in’ der. GasanstaltIhamunausei 4 MOSEL RHEIN RS IRRE ") P. Friedrich, Beiträge zur lüb. Grundwasserfrage. II. Lüb, Blätter 1901. 17 Bildet dieser Geschiebemergel die Grundmoräne zweier Eiszeiten oder ist er das Ergebnis nur einer Vergletscherung oder endlich besteht er aus den der Zerstörung nicht anheimgefallenen Resten zweier Grund- moränen ? Wenn ich die gesamte Ablagerung in meinen bisherigen Arbeiten als unteren Geschiebemergel aufgefaßt habe, so wurde ich dabei von folgenden Erwägungen geleitet: il 2. 4. Sie bildet fast durchweg eine emheitliche Bank von blau- grauer Farbe. Sie bildet die Decke eines weit ausgedehnten Grundwasser- horizontes, dessen noch zum Diluvium gehörende Sande und Kiese von tertiärem Glimmersand unterlagert werden. Über diesem Wasserhorizonte muß die älteste Moräne liegen. Der Geschiebemergel kommt in der Stadt nur an einer Stelle, in der Hansameierei, bis zur Erdoberfläche herauf, und erst südlich von der Mecklenburger Eisenbahn tritt er in einigen größeren Flächenstücken zutage. Sonst ist er von mächtigen Ablagerungen von steinfreien Tonen und Sanden bedeckt und wurde erst an drei Stellen durch tiefe Erdarbeiten ange- schnitten. Die Mächtigkeit der hangenden Tone und Sande beträgt durchschnittlich 10m, in einer größeren Anzahl von Bohrungen noch mehr, so mders/ieselei Buntekuh,j..n ap un sl. ‚am a Borsthällek ..;.: Jatermearf.en)) mad aD» » Badeluese u. Jul weudlse str Br 3310 >» » Räucherei von Lohrmann (Hundestraße) 19 » > Kochsehen: Sehiliswertt "rate 2205 In der Villa Gusmann in Schlutup wurde der Geschiebemergel in einem Senkbrunnen noch nicht bei 25 m, in einer Brunnen- bohrung beim Militärschießplatz Brandenbaum noch nicht bei 24m Tiefe erreicht. In der Grundmoränenlandschaft von Stockelsdorf- Bargerbrück im Nordwesten Lübecks bildet ein 2—-4 m mächtiger Geschiebe- mergel das Hangende von Sanden und Kiesen; einen schönen Aufschluß bietet der Hohlweg bei der Stockelsdorfer Mühle. Wenn dieser Geschiebemergel die jüngste Grundmoräne dar- stellt, so muß der tiefer liegende Geschiebemergel der älteren Eiszeit angehören. Meine bisherige Auffassung hatte immer mit der einen Schwierig- keit zu kämpfen: Wenn unter Lübeck nur die Grundmoräne aus der Haupteiszeit vorhanden ist, wie kommt es, daß das letzte Inlandeis in der weiten Lübecker Niederung nur steinfreie Tone und Sande, aber 2 13 nicht einen einzigen größeren Stein hinterlassen hat? Dieser Widerspruch ist jetzt glücklich gelöst, wenn wir der Auffassung Gagels folgen, die er auf Grund seiner mehrjährigen Kartierung im benachbarten Lauen- burg in seiner letzten Arbeit »einige Bemerkungen über die obere Grund- moräne in Lauenburg« niedergelegt hat.) Wenn der obere Geschiebemergel des benachbarten Lauenburg bis an die Lübecker Niederung herantritt und sich im Süden unter deren Talsande herunterzieht, wenn ferner dieselbe Grundmoräne im Westen und Norden Lübecks als geschlossene Decke bis an die Talsandniederung heranreicht, so mub das letzte Inlandeis dereinst mit seiner Grundmoräne auch die Lübecker Niederung durchzogen haben. »Andererseits wissen wir aus unzähligen Beispielen, daß die herannahende letzte Vereisung das ganze früher abgelagerte Diluvium bis auf das vordiluviale Grund- gebirge abgetragen hat und daß die letzte Grundmoräne oft direkt auf diesem älteren Gebirge ruht.«e Ferner hat Gagel in der Hauptend- moräne bei Mölln oberdiluviale Aufschüttungen von 35 —40 m Mächtig- keit auf der oberen Grundmoräne und Struck in der nördlichen Haupt- endmoräne in Ostholstein sogar über 50 m mächtige Aufschüttungen nachgewiesen. ?) Endlich bildet das reichgegliederte Grundmoränengebiet nordwestlich von Lübeck, zwischen Stockelsdorf, Cleve und Pohnsdorf, nach Struck?) eine Vorstufe des Endmoränenzuges, der die Wardersee- staffel über den Pariner Höhenzug mit der nördlichen Hauptendmoräne verbindet. Die dünnen Geschiebemergelbänke in dieser Gegend, die ich bisher als oberen Geschiebemergel betrachtete, sind daher, ebenso wie die dünnen Geschiebemergellager über den Endmoränenkiesen von Pöppen- dorf, Rönnau und Travemünde, als Grundmoränenbildungen von kürzeren Eisvorstößen aufzufassen. Nach diesen Erfahrungen der letzten Jahre kann ich mein Bedenken gegen das jungdiluviale Alter der lübeckischen Grundmoräne nicht mehr aufrecht erhalten und muß der Auffassung Gagels, daß der Geschiebe- mergel unter Lübeck wenigstens zum weit überwiegenden Teile oberer Geschiebemergel ist, zustimmen. Wir müssen danach annehmen, dab das letzte Inlandeis bei seinem Heranrücken die aus der Haupteiszeit zurückgebliebene Grundmoräne zum großen Teil in sich aufgenommen und verarbeitet und an ihrer Stelle seine eigene Grundmoräne zurück- gelassen hat. Damit sind wir nun vor die neue Aufgabe gestellt, nachzuweisen, ob Teile der alten Moräne der Zerstörung entgangen sind. Nach den ') Jahrbuch der K. preuß. Geol. Landesanst. u. Bergakad. für 1903. Berlin 1904. ”) Struck, Der baltische Höhenrücken, 1904, S. 88. 9) ebenda, 9. 23. 19 Ausführungen Gagels möchte man geneigt sein, einen oberen fetten von einem unteren sandigen Geschiebemergel zu unterscheiden. Wie unzuverlässig derartige verallgemeinerte petrographische Merkmale sind, lehren die Beobachtungen Gagels selbst. In seinem letzten Aufsatz (II) sagt Gagel S. 471: »Gerade dieses von einigen, meist älteren Autoren so stark hervorgehobene Merkmal für »unteren« Geschiebemersel, die tonige, fast steinfreie Beschaffenheit, ist in diesem Gebiet: (Utecht und Mölln) fast nur auf den oberen Geschiebemergel beschränkt, und der wirkliche untere Geschiebemergel zeigt in fast allen Aufschlüssen die normale sandige Facies.«e Dagegen heibt es in Gagels erstem Bericht S. 835 von dem »unteren« Geschiebemergel der Umgegend von Ratzeburg: »er ist meistens von blaugrauer Farbe und nicht sehr sandiger, oft ziem- lich fetter Beschaffenheit«. Ich habe leider früher versäumt, bei den hiesigen Bohrproben auf die mehr oder weniger tonige Zusammensetzung des Geschiebemergels zu achten; mit Bestimmtheit kann ich nur aussagen, daß das auf S. 9 wiedergegebene Bohrprofil in der Kochschen Werft von 16,7 —17,s m fetten Geschiebemergel, » 17,s—19 » tonigen kiesigen Sand, » 19 —24 » sandigen Geschiebemergel zeigte, dab in der Hansameierei die Partieen von 50—70 m Tiefe mager waren und daß endlich in der Forsthalle der gesamte Geschiebemergel mit Ausnahme des letzten Meters sich durch einen hohen Tongehalt auszeichnete. Viel wichtiger für den Nachweis von Resten unteren Geschiebe- mergels scheint mir das Vorhandensein wasserreicher Sandschichten oberhalb des Hauptgrundwasserhorizontes. In den meisten Brunnen- bohrungen wurde eine einzige einheitliche Geschiebemergelbank durchteuft, zuweilen zeigten sich wasserfreie Sandlinsen, und nur in wenigen Bohr- ungen erreichte man schon oberhalb des Hauptgrundwasserhorizontes wasserreiche Sande im Geschiebemergel. Wenn ich in früheren Arbeiten solche wasserführende Sandschichten als Einlagerungen im Geschiebe- mergel bezeichnet und im Profil (Lüb. Bl. 1898, Taf. 2) dargestellt habe, so geschah das selbstverständlich in der stillschweigenden Annahme, dab es sich hier nicht, wie Gagel (II, S. 477) mir mit Unrecht entgegenhäit, um völlig abgeschlossene Sandlinsen, sondern um weiter ausgedehnte schlauchartige Sandeinlagerungen handelt, die irgendwo mit einem er- siebigen Grundwasserstrome in Verbindung stehen. Daß auch Gagel diese meine Auffassung noch vor einem Jahre teilte, geht aus seinen Aus- führungen S. 75 im Bericht »über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln« hervor: »Endlich treten auch aus einer dünnen, kaum 3-5 dm mächtigen Sandbank, die am SW-Ufer des eigentlichen Ratzeburger' Sees wenig über der alluvialen Terrasse dem unteren 28 20 Geschiebemergel eingelagert ist, sehr zahlreiche und relativ starke Quellen zutage; dab diese Quellen tatsächlich aus einer Einlagerung im unteren (Geschiebemergel austreten, ließ sich an einer Stelle östlich von Einhaus mit zweifelloser Sicherheit nachweisen; es treten hier also ähnliche Verhältnisse auf wie im Untergrund von Lübeck, wo mehrere Brunnen ihr Wasser auch aus Einlagerungen im unteren (eschiebemergel beziehen.« Über die Beziehungen dieser Ein- oder besser Zwischenlagerungen wasserreicher Sande zum Hauptgrundwasserstrome unter dem gesamten (reschiebemergel haben in den letzten Jahren mehrere bemerkenswerte Beobachtungen Aufschluß gegeben. Beim Bau des Kulenkampkais mußte blauer Ton und Geschiebemergel bis auf — 8,35 m NN trocken ausge- hoben werden. Als im Dezember 1900 die Erdarbeiten bis — 7 NN vorgedrungen waren, brach an einer Stelle durch die noch 4m mächtige, aber z. T. von sandigen Einlagerungen durchzogene Geschiebemergeldecke plötzlich das artesische Wasser hindurch und füllte schnell die Baugrube. Die Menge des in den beiden ersten Stunden hervorquellenden Wassers betrug rund 600 cbm. Die wasserführende Schicht liegt hier unter und über Geschiebemergel. An demselben Tage hörten die benachbarten Überlaufbrunnen bis zu einer Entfernung von 600 m auf zu laufen.') Mehrere derselben reichen unter den gesamten Geschiebemergel hinunter — in der Maschinenbaugesellschaft liegt die Unterkante desselben bei — 26 NN, im städtischen Wasserbauplatz bei —21 NN, — die ver- schiedenen wasserführenden Schichten stehen hiernach in offenem Zu- sammenhange mit einander. In der ehemaligen Genossenschaftsmeierei ergab eine 1899 aus- geführte Spülbohrung folgendes Profil: 0 — 3,75 m: Auftrag und Talton, — 7,50 » feiner Talsand, — 22,50 » blaugrauer steinfreier Ton, — 88,50 « blaugrauer Geschiebemergel, — 41,50 » grober Sand mit artesischem Wasser, — 47, » blaugrauer Geschiebemergel (nicht durchbohrt). In der auf S. 9 mitgeteilten Trockenbohrung Parade Nr. 1 — beide Bohrstellen liegen nur 100 m auseinander — wurde der ganze Geschiebe- mergel durchbohrt. Höchst auffallend ist es nun, daß die zwischen dem Geschiebemergel liegenden Sande von 38,50—41,5o m in der Ge- nossenschaftsmeierei und die unter dem Geschiebemergel liegenden Sande von 29,0—39,s0 m in der Parade Nr. 1, beide ein schwachsalzig me » P. Friedrich, Beiträge zur lübeckischen, Grundwasserfrage IlI, Lüb. Bl. 1902, S., 13 und Tafel V. 21 schmeckendes Wasser mit dem gleichen Salzgehalt (!/,;—"/, ”/,) und der gleichen Härte enthalten. Es besteht also auch hier ein offener Zu- sammenhang zwischen zwei scheinbar verschiedenen Grundwasserstock- werken. Wir können hiernach wenigstens innerhalb der Stadt Lübeck nicht von zwei verschiedenen Grundwasserstockwerken sprechen und, wenn hier die chemische Zusammensetzung des Grundwassers, namentlich der Salzgehalt und die Härte, große Abweichungen erkennen lassen, so handelt es sich, wie ich schon in meinen Beiträgen zur Lübeckischen Grundwasserfrage !) ausgeführt habe, nicht um verschiedene unterein- ander liegende und durch Geschiebemergelbänke von einander getrennte Strömungen, sondern um nebeneinander verlaufende und durch feinere Sande nur unvollkommen von einander getrennte Strömungen in demselben Grundwasserhorizont. Wenn nach den bisherigen Erfahrungen der gesamte Geschiebe- mergel im nördlichen Teil der Talsandebene zwischen Lübeck, Schwartau, Siems und Schlutup eine einzige geschlossene Bank bildet und wenn es ferner auch unmöglich ist, den Geschiebemergel unter der Stadt Lübeck in zwei Moränen zu zergliedern, so scheint doch die Vermutung Gagels (I, S 478) das Richtige zu treffen, daß da, wo zwei wasserführende Sande übereinander vorkommen, einzelne nicht mehr zusammenhängende Reste des unteren Geschiebemergels erhalten geblieben sind. Daraus folgt nun aber noch nicht, daß die beiden Grundwasser- stockwerke, das unter dem oberen und das unter dem unteren Geschiebe- mergel, in dem lübeckischen Grundwassersammelgebiete sich erst unter Lübeck zu einem einzigen Grundwasserhorizonte vereinigen. Die neuen Beobachtungen in Oldesloe lassen darauf schließen, daß auch an anderen Stellen landeinwärts derartige Vereinigungen der beiden Grundwasser- horizonte stattfinden. Die bisherigen Brunnenbohrungen in Oldesloe, z. B. im Hamburger Kinderpflegeheim, berechtigten zu der Annahme, daß dort das obere Stockwerk Salzwasser, das untere Stockwerk Süßwasser führt. Dieses Schema läßt sich nicht mehr aufrecht erhalten. In der Bohrung in der Möbelfabrik von Kayser und Wex (1903) erwies sich das Wasser unter dem oberen Geschiebemergel salzig, das Wasser unter dem unteren Geschiebemergel nicht, wie erwartet wurde, süß, sondern noch salzreicher, nach einer Analyse von Herrn Apotheker Dr. Sonder in Oldesloe mit einem in den zahlreichen Salzbrunnen Oldesloes noch nie erreichten Salz- gehalte von 3,ı %. Also fließen auch unter Oldesloe wie unter Lübeck 'salziges und süßes Wasser nicht nur über- sondern auch nebeneinander. Ähnliche Verhältnisse dürften auch an zahlreichen anderen Stellen vor- ı) P. Friedrich, a. a. O. S. 21. 22 kommen. Nach Gagel (II, S. 465) liegt die Unterkante des oberen Ge- schiebemergels am Bahnhofe in Mölln 20 m unter NN. Ist hier oder sonstwo in der Umgegend Möllns unter den wasserführenden »unteren Sanden« noch ein tieferer Geschiebemergel nachgewiesen ? Einen weiteren Beweis für das oberdiluviale Alter der lübeckischen Grundmoräne erblickt Gagel (II, S. 479) in dem Nachweis einer Cyprinentonfauna bei einer Bohrung in der Wasserkunst Hier wurde 1902 dreimal Geschiebemergel mit dazwischenliegenden Sanden durch- bohrt.!) Der kiesige Sand unter der untersten Geschiebemergelbank enthält in einer Säule von 1!/’; m (26,5—23 m) neben 20 Exemplaren von Nassa reticulata und zahlreichen Schalenresten von Cardium edule und Tapes pullastra vereinzelt Litorina litorea, Cerithium reticulatum und Mytilus edulis. Eine fast gleiche marine Fauna wurde im letzten Jahre noch an drei anderen Stellen bei Lübeck gefunden: 1. in der S. 16 aufgeführten Bohrung bei Blankensee. Das Bohr- profil ist folgendes: 0— 5,72 m: feiner Sand, Talsand, —15,sa » Geschiebemergel, — 28,5 » Sand und Kies, — 29,5 » grober Kies mit Schalenresten von Cardium edule, zahlreich, Mytilus edulis, Tapes cf. pullastra, Cerithium reticulatum, Nassa reticulata, — 57,50 » »blauer Ton«, wohl Geschiebemergel, (Probe nicht gesehen), — 59 » feiner grauer Sand. 2. Bohrung bei Pöppendorf (S. 7): 0— 7,o m: Sand und Kies mit größeren Geröllen (Endmoräne), — 45 » Geschiebemergel, — 46 » Kies und Sand mit Cardium edule, zahlreich, Tapes cf. pullastra, Öerithium reticulatum, zahlreich. ) P. Friedrich, geolog. Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck. Mitt. d. geogr. Ges. in Lübeck, H. 17, 1903, S. 21 und Taf. 3. 1 23 3. Sandgrube an der Ratzeburger Chaussee in den Strecknitzer Tannen beim Nivellements-Bolzen 13,55. Hier liest Talsand über einem Steinlager, das allem Anscheine nach auf Geschiebemergel auflagert. Es war unmöglich, mit dem Zweimeterbohrer hier eine steinfreie Stelle zu treffen. Ich halte diese aus der T’alsandebene hervortretende block- reiche Kuppe für einen Endmoränenrest und möchte ihn mit den block- reichen Sanden in einer verlassenen Sandgrube nordwestlich von Mönkhof und den z. T. von Talton überlagerten blockreichen Sanden zwischen Vorrade und Mönkhof zu einer Endmoränenstaffel verbinden. Die unteren Lagen des Sandes enthielten an einer engumgrenzten Stelle Schalenreste von Tapes sp. und von Cardium edule und zahlreiche kleine Exemplare von Nassa reticulata. Wenn ich hier noch hinzufüge, daß Gottsche aus den Diluvial- sanden unter dem 3 m mächtigen Geschiebemergel in der Lychenheim- schen Brauerei in Schwartau Cardium edule aufführt ') und daß ich vereinzelte Exemplare von Nassa reticulata in den jungglacialen Sanden bei der Herrenfähre (Oldenburgsche Sandgrube) fand, so sind damit alle bis jetzt bekannt gewordenen Funde mariner Konchylienreste im lübeckı- schen Diluvium aufgezählt. Das Vorkommen dieser vielleicht ursprünglich dem Cyprinenton angehörenden Schalenreste bei Blankensee im Sand unter dem oberen Geschiebemergel, » Pöppendorf » » » » unteren » » 'Strecknitz > >» über » oberen N läßt deutlich erkennen, daß es sich hier um Funde auf zweiter Lager- stätte handelt. In der Wasserkunst scheint die kleine Fauna, wenn man den Geschiebemergel unterhalb der geschlossenen oberen Grundmoräne als Überrest von »unterem« Geschiebemergel auffaßt, unter der unteren Grundmoräne zu liegen. Wollten wir für Lübeck ein marines Inter- glacial annehmen, so wäre es doch höchst auffallend, daß von den weit über 100 Bohrungen nur die wenigen oben aufgezählten marine Tierreste zutage gefördert haben. Muschelschalen werden von den Brunnenmachern selten übersehen, die Funde von Pöppendorf, Blankensee und der Wasser- kunst verdanke ich lediglich den Brunnenmachern. Außerdem habe ich :bei zahlreichen Bohrungen die Sande an Ort und Stelle untersucht. 1) C. Gottsche, Das marine Diluvium Schleswig-Holsteins. Mitt. des geogr. Ver. Hamburg XVI, 1898, S. 53. 24 II. Die Huvio-glacialen Ablagerungen der letzten Eiszeit. In der lübeckischen Talsandebene wird der Geschiebemergel fast überall von steinfreien Tonen und Sanden überlagert; die Mächtigkeit derselben beträgt durchschnittlich 10 m, schwillt aber an zahlreichen Stellen bis zu 15 bis 20 m an. Der Wechsel von Sand und Ton setzt einen mehrfachen Wechsel in den Abflußverhältnissen der Gletscher- wässer voraus. In den vollständigen Profilen wechseln Sand, Ton, Sand und Ton mit einander ab und zwar von oben nach unten (Tafel 5) in dieser Reihenfolge: jüngster Talsand, feinkörnig, bis 3,5 m mächtig, oberer Talton, oberer Tonmergel oder gelber Ton, bis 4m, älterer Talsand, feinkörnig, bis 6m, unterer Talton, unterer Tonmergel oder blauer Toon, bis 20 m. Der blaue Ton, in den Profilen auf Tafel I—3 noch zum unteren Diluvium gerechnet, ist bald fett, bald mager und mehr oder weniger deutlich geschichtet. Überall liegt er unmittelbar auf dem Geschiebe- mergel und ist von diesem scharf abgesetzt. Seine vertikale Ausdehnung und seine Beziehungen zur Oberflächenform veranschaulicht am besten das große Profil auf Tafel 6. Als Staubeckengebilde müßte er sich über- all den Unebenheiten seiner Unterlage anschmiegen, jedoch lassen das Anschwellen auf fast horizontaler Grundfläche z. B. in Sandbergs- tannen, die sattelartige Aufwölbung seiner Schichtung in einer wieder zugeschütteten Mergelgrube an der Travemünder Chaussee kurz vor der Herrenfähre, endlich die mannigfachen Biegungen, Zerreissungen und Verschiebungen der feinsten Tonbänkchen in einem Brunnenaufschluß in Schlutup (Villa Gußmann) von 10—21 m unter Flur darauf schließen, daß die ganze Tonbank nach ihrer Ablagerung noch mannigfachen Ver- änderungen unterworfen war. Der Talsand ist sowohl nach unten mit dem blauen Ton als nach oben mit dem gelben Ton durch allmähliche 25 Übergänge verbunden. ) Der gelbe Ton bildet als geschlossene Decke auf weiten Flächen das jüngste Glied des lübeckischen Diluviums. Nur auf kleinen Flächenstücken folgt über dem gelben Ton nochmals ein fein- körniger Sand, der meist flache muldenförmige Einsenkungen des gelben Tones bis zu 3,5 m Tiefe ausfüllt und hier petrographisch vom Haupt- talsand nicht zu unterscheiden ist Das Vorkommen von ganz dünnen, kaum 1 dm starken Sandauflagerungen und von humosem Sand un- mittelbar über fettem gelben Ton auf grösseren Flächen weist auf eine größere Übersandung hin. Daß diese mit zeitweisen Vorstößen des Inlandeises von den Endmoränen aus zusammenhängt, läßt sich, wie wir später sehen werden, im Zusammenhang mit anderen Erscheinungen nachweisen. Zwischen diesen Gebilden der Talsandebene und der nördlichen Endmoräne liegt ein schmales Sandrgebiet, aufgebaut aus groben und grandigen Sanden mit pseudoparalleler Struktur und dünnen Ablagerungen von haselnuß- bis kopfgroßen Geröllen. Über die Beziehungen dieser Sande zu den Talsanden und Taltonen läßt sich folgendes sagen: Der blaue Ton erhebt sich, wie das Profil auf Tafel 6 erkennen läßt, unmittelbar nördlich vom Avelunddurchstich bis zur Erdoberfläche und erreicht hier seine Nord- grenze. Nur wenige hundert Schritte weiter nördlich tritt am Fube der mit Kiefern bepflanzten Siemser Anhöhen der Geschiebemergel zutage. Die Sande und Steine, welche bei der Ausschlämmung des blauen Tones am Eisrande liegen blieben, müssen wir also weiter im Norden suchen. Die groben Sande, welche vom Avelunddurchstich (Herrenbrücke) an südwärts bis fast nach Wilhelmshof, also auf eine Strecke von 3,5 km den blauen Ton überlagern und in den Lauener Sandgruben unterhalb Schlutup über diesem blauen Ton bis zu einer Mächtigkeit von 20 m entwickelt sind, sind also jünger als der blaue Ton. Die im letzten Herbst längs der Israelsdorfer Allee ausgeführten Sielbohrungen, ferner der Senkbrunnen in Karlshof und die Brunnenbohrung in der Forsthalle zeigten immer das Profil feiner Talsand, kiesiger Sand, blauer Ton. Die groben Sande der Sandı schieben sich also unter dem Talsand von Norden her bis fast nach Wilhelmshof vor. Im Lustholz bei Israelsdorf und bei Seeretz liegt der gelbe Talton nicht auf Talsand, sondern auf grobem geröllreichen Kies. !) P. Friedrich, a. a. O. Taf. 4 oben. 26 In dieses Sandrgebiet hat die Trave von Dänischburg abwärts eine tiefe, weit unter den Ostseespiegel (bei Dänischburg 14, bei Dummers- dorf 20 m) hinabreichende Erosionsfurche eingesägt, Da der feinkörnige Talsand vor den Toren Lübecks zur Mörtel- und Betonbereitung un- brauchbar ist, wird der gesamte zur Bautätigkeit in Lübeck nötige grobe Sand und Kies in einer größeren Zahl von Sandgruben an der Unter- trave gewonnen und auf Kähnen zur Stadt geschafft. Nur zwei Sand- eruben des Sandrgebietes, die von Oldenburg und Stegmann (Karte auf Taf. 1) südlich der Herrenfähre, liegen nicht am Wasser, haben aber den Vorzug der größeren Stadtnähe dieht an der Chaussee. In der Oldenburgschen Sandgrube konnte Struck!) im Jahre 1900 das Vorhan- densein einer glacialen Konchylienfauna nachweisen; eine gleiche Fauna fand Struck bald darauf in der Langeschen Sandgrube bei Schlutup. Angeregt durch diese Funde, gelang es mir und meinen Schülern, eine größere Anzahl von konchylienführenden glacialen Ablagerungen in der Umgegend Lübecks aufzufinden. Diese lassen sich am besten in fol- gende Gruppen ordnen: 1. Süßwasserablagerungen im Sandrgebiet, 2. » » Talsandgebiet, 3. > » Taltongebiet. —-—— > ') Jahrbuch der preuß. geolog. Landesanstalt für 1900.: S. 208 —211. at III. Die jungglacialen Süßwasserablagerungen. 1. Süßwasserablagerungen im Sandrgebiet. 1. Oldenburgsche Sandgrube bei der Herrenfähre. ara io) 220209 Die Höhe des abbaufähigen Sandes beträgt 7 m. Die Abbausohle liegt etwa + 4m NN. Mit dem Handbohrer wurde in kaum 0, m Tiefe das Grundwasser, in 2 m die Oberkante des steinfreien Tonmergels a erreicht. In etwa 4 m Höhe liegt eine 2—3 dm starke tonige Bank. Die Sande b unter der Tonbank sind hellgraue bryozoenführende Spat- sande mit grandigen Einlagerungen, die hangenden Schichten d, bis 5 m mächtig, sind bald echte bryozoenreiche Spatsande, die sich von den tieferen Spatsanden nicht unterscheiden, bald rostig gefärbte grandige Sande oder gleichkörnige grobgeschichtete Grande. Während in den Sanden b Geröllschichten mit bis kopfgroßen Steinen eingelagert sind, erreichen die Gerölle der Grande in d höchstens die Größe eines Hühner- eies. Mehrere Jahre hindurch zeigten die Grande über der Tonbank von der Mitte an ein Einfallen nach beiden Seiten, zur Zeit sind fast sämtliche Grandschichten nordwärts geneigt. Die tonige konchylienführende Bank ce besteht aus grauem bis gelb- braunem Sandmergel, dessen obere Partieen meist völlig entkalkt sind. Der feinere Aufbau dieser tonigen Einlagerung bietet bei jedem Besuche ein anderes Bild. Im allgemeinen lassen sich die beiden folgenden Profile unterscheiden: Fig. 4: Ausschnitt aus dem mittleren Teil der Sandgrube. g) Grand in deutlicher schräger Anlagerung, darunter f) feiner oder grober Spatsand mit verschwemmten Konchylien, meist Sphaerium duplicatum, 0,5 dm; darunter e) feiner schwach toniger Sand mit geringem Kalkgehalt, fein geschichtet, mit Konchylien, 0,5 dm; darunter b) Sandmergel, in Wasser leicht zerfallend, oben braun und entkalkt, nach unten grünlich grau und reich an Kalk, mit 28 feinen Sandstreifen und dürftigen Konchylienresten, 2 dm; darunter a) hellgrauer Spatsand, dicht unter b schwach tonig und grandig. Die Schichten b und e bilden die 2, dm starke konchylienführende Süßwasserablagerung. Die Tonbank spaltet sich nordwärts und südwärts von der Mitte aus in zwei dünne, durch Spatsand von einander getrennte, völlig ent- kalkte Bänke; zuweilen verschmelzen diese auf kürzere Strecken wieder, sodaß die Spatsandzwischenlagerung als linsenförmige Einlagerung erscheint. Fig. 5: Ausschnitt aus dem nördlichen Teil der Sanderube. Zwischen die beiden Tonbänke b schiebt sich häufig noch ein dünnes Band von fettem Ton d mit schwarzen kohligen Pflanzenresten ein. Schalenreste wurden hier im entkalkten Ton niemals, in den Sanden c selten, in den Sanden f häufiger gefunden. Die Tonbank ist von zahlreichen Wurzelröhren durchzogen, sie enthält auch sonst zahlreiche verkohlte Pflanzenreste. Leider sind diese so mürbe, daß es bisher unmöglich war, auch nur einen einzigen Rest zu bestimmen. Über die Entstehung der oben beschriebenen Ablagerungen läßt sich folgendes sagen: Die höchstens 2—3 dm starke tonige Bank ist der Bodensatz eines kleinen Wasserbeckens. Zu seiner Bildung reichten nur wenige Jahre aus. Schwach fließendes Wasser lagerte später in diesem Becken am Rande feine Sande ab; auf diesen Sanden bildete sich der Bodenschlamm weiter. Nach einigen Jahren wurde wiederum feiner Sand in dieses Becken hineingeführt mitsamt den aus dem Ufer- schlamm herausgespülten Konchylienresten. Schnellerfließendes Wasser füllte schließlich das ganze Wasserbecken mit gröberem Material aus. Die z. T. gleichartige Beschaffenheit der liegenden und hangenden Sande, die völlig ungestörte Ablagerung der Süßwasserschicht, die gleichmäßige unmittelbare Überlagerung durch eine Sandschicht, welche verschwemmte zarte Pisidien stets in guterhaltenem Zustande enthält, endlich das gänzliche Fehlen von torfigen Resten in den hangenden Sanden, alle diese Erscheinungen sprechen gegen die interglaciale Natur dieser Süßwasser- ablagerung. In welchem Abschnitt der Eiszeit bestand das kleine Süßwasser- becken mit der artenarmen Molluskenfauna? Woher stammen die Sande und Grande, die das Süßwasserbecken zugeschüttet haben? Die früheren allgemeinen Betrachtungen und das Längenprofil Lübeck- Travemünde auf Tafel 6 weisen darauf hin, daß sowohl der Süßwasserton als die liegenden und hangenden Sande der letzten Eiszeit angehören und zwar dem Zeitabschnitt, in welchem das Inlandeis die Lübecker Niederung endgültig verlassen hatte. Da nur wenige hundert Meter südwärts die 29 Ebene der feinen Talsande und des Taltones beginnt, muß das Ursprungs- gebiet der hinter der Oldenburgschen Sandgrube bis 15 m über NN an- steigenden Sande und Grande im Norden der Trave gesucht werden, d. h. in der nördlichen Hauptendmoräne. »Wenn man sich«, meint Geinitz,') »die Verhältnisse eines Sandr vergegenwärtigt, wo die abströmenden Gewässer den Kies aufschütteten und sich in dem eben aufgeschütteten Boden alsbald in raschem Wechsel ihren Lauf bahnten, große Wannen auskolkten und wieder verschütteten, so ist es sehr leicht denkbar, daß an einigen Stellen sich auch auf längere Zeit tote Arme und offene Seebecken bildeten, in denen nach kurzer Zeit eine Konchylienfauna sich ansiedeln konnte, bis dann später von neuem ein Wasserschwall diese Becken und ihre feinen Sedimente ver- schüttete. Einen erneuten Vorstoß des Eisrandes braucht man dafür gar nicht anzunehmen, auch keine erheblich lange Zeitdauer. « Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen. Die Über- lagerung der Endmoränenreste bei Rönnau und Travemünde durch 1—3 m mächtigen Geschiebemergel, die auffallende Erscheinung, daß die Haupt- endmoräne bei Ivendorf-Pöppendorf orographisch kaum hervortritt, das Vorkommen von dünnen Geschiebemergelbänken über den jungglacialen Sanden bei Stockelsdorf und Clever Hof, alle diese Erscheinungen weisen darauf hin, daß das Inlandeis, nachdem es das lübeckische Küstengebiet verlassen hatte, nochmals auf kurze Zeit südwärts vordrang. Das alte Bett der Trave liegt bei der Herrenfähre 15 m unter NN., der Sandhügel, in welchem das kleine Süßwasserbecken verborgen liegt, erhebt sieh bis 15 m über NN. Der im ganzen 30 m tiefe Travenein- schnitt kann daher erst nach Ablagerung der obersten Diluvialsande entstanden sein. | Die Konchylienfauna besteht aus folgenden Arten: Succinea oblonga Drap. Limnaea ovata Drap. häufig, Planorbis rotundatus Poir. Valvata piscinalis Müll. Anodonta sp., einige Schalenstücke im Sand, Sphaerium duplicatum Clessin, zahlreich, Pisidium amnieum Müll., zahlreich, » nitidum Jen., zahlreich. Östracoden und Spongillennadeln wurden ziemlich zahlreich in der Tonbank gefunden, Diatomeen wurden bisher vergeblich gesucht; kohlige Pflanzenreste, vor allem starke Wurzeln sind in großer Zahl vorhanden, leider mürbe und zur Bestimmung nicht geeignet. !) E. Geinitz, das Quartär Nordeuropas, Lethaen geognostica III, 2. 1904, S. 291, 30 2. Langesche Sandgrube ‚bei Schlutup. Taf. 1.. Hie, 3. Die geologischen Verhältnisse sind hier dieselben wie in der Olden- burgschen Sandgrube. Die tonige Bank c senkt sich in einer Länge von 110 m bis 1 m über der Abbausohle Auch hier läßt eine Spaltung der Bank erkennen, daß das ehemalige Seebecken nicht auf einmal zu- geschüttet wurde. In ihrer tiefsten Lage zeigt die tonige Bank denselben Aufbau wie in der Mitte der Oldenburgschen Sandgrube. Die oberen Lagen des Sandmergels sind entkalkt und rostfarbig, die tieferen kalk- reichen grauen Lagen enthalten zahlreiche Uharaceen, aber nur wenige Konchylien. Herr Dr. ©. Weber-Bremen, der die Güte hatte, eine Probe mikroskopisch zu untersuchen, fand weder Diatomeen noch Blütenstaub höherer Pflanzen. Ebenso wie in der Oldenburgschen Sandgrube erwies sich hier der Sand unmittelbar über der Tonbank (etwa 5 cm dick) stellenweise reich an gut erhaltenen Pisidien und Sphaerien. Auch hier liest ein von glacialen Sanden zugeschüttetes Wasserbecken in unge- störter Lagerung ‘vor unseren Augen. Bis jetzt wurden folgende Konchylienreste gefunden: Limnaea sp. Planorbis nautileus L. Valvata piscinalis Müll. Sphaerium duplicatum Üless Pisidium amnicum Müll. » fossarinum Qless. > nitidum Jen. Die Characeentone enthalten zahlreiche gut erhaltene Spongillennadeln. Im innersten Teile der Grube wurden im Sommer 1903 im Sande etwa 1 m über der Tonbank und 6 m unter der Erdoberfläche (e im Profil) in kleinen Pausen folgende Säugetierknochen gefunden: ein 58 cm langer Oberarmknochen, ein 40 cm langer Unterarmknochen (Radius- Ulna), ein 35 cm langer Metacarpus, eine 8,5 cm lange rechte Phalange und ein Bruchstück eines Schulterblattes. Nach der Auffassung des verstorbenen Geheimrates A. Nehring, der die Güte hatte, die sämtlichen Funde zu untersuchen, bilden diese Knochen die linke Vorderextremität des Riesenhirsches, Üervus eurycerus. Die Knochen zeigen nicht die geringste Spur einer Abrollung, wir dürfen daher annehmen, daß der Itiesenhirsch nicht weit von der Fundstelle verendet ist. Unmittelbar nördlich von der Langeschen Sandgrube fällt das alte Bett der Trave bis zu 17 m unter den heutigen Flußspiegel ab. al 3. Meynsche Kiesgrube am Bahnhof zu Scehlutup. RSBAHRETE:, 21,12, 75: Papa nnd'd. Dicht am Bahnhofe hatte der Tiefbauunternehmer Meyn ein größeres Stück Land erworben, um den hier lagernden Kies zur Aufschüttung des Bahnkörpers zu verwenden. Als ich im September 1902 die Kies- erube zum erstenmale sah, war der Abbau schon soweit fortgeschritten, wie es die beiden von Herrn Lehrer Strunck aufgenommenen Bilder auf Tafel 4 zeigen. Die Hauptmasse des Bodens bildete ein feinkörniger meist aus haselnußgroßen Steinen zusammengesetzter Grand, weiter nach SW hin ein grandiger und zuletzt steinfreier Sand, der fast durchweg eine gleich- artige schräge Schichtung zeigte, mit dem Einfallen gen Südost unter 30° Nach oben ging er in einen ungeschichteten steinarmen gelb- braunen Sand über. Seine größte Mächtigkeit erreichte er mit rund 6 m gegenüber dem Bahnhofe. Die Sohle der Kiesgrube bildete ein graubrauner kalkreicher sandiger Ton von kaum 2 dm Dicke, dessen Reichtum an Anodonten, Pisidien und Limnaeen darauf schließen ließ, daß er genau so wie die schon beschriebene tonige Bank in der Olden- burgschen und Langeschen Sandgrube den Boden eines ehemaligen Süß- wasserbeckens gebildet hat. Die Unterlage der konchylienreichen tonigen Süßwasserablagerung bildet in allen Aufschlüssen im schroffen Gegen- satz zu dem meist rostfarbigen Kies ein hellgrauer, ziemlich feiner, fast horizontal geschichteter Bryozoensand. Im Verlaufe des Winters 1902/03 wurde der frühere Seeboden in einer Länge von 150 m und einer Breite von 75 m blosgelegt. Seine tiefste Stelle liegt dem Bahnhofsgebäude gegenüber in rund + 9,50 m NN; nach SO, zur Sophienstraße hin, hebt er sich allmählich bis etwa 1 m über das heutige Bahnhofsplanum, nach N, zur Wesloerstraße, steigt er steil an bis + 115 m NN, um sich in der Richtung des Marktplatzes wieder zu senken. Sein weiterer Verlauf in dieser Richtung ist durch 2 neue Brunnenausschachtungen festgelegt. 1. Bahnhofshotel in der Bahnhofstraße. Senkbrunnen, angefertigt vom Maurermeister Biebow, + 12m NN. — 95 m: dunkelblauer grandiger Sand und Grand, — 91 » kalkreicher gelbbrauner konchylienreicher Sandmergel, — 10 » hellgrauer Spatsand. 2. Wohnhaus von Lange, am Marktplatz, + 10 m NN. 0 — 17.2 — 7. » gelbbrauner konchylienführender Sandmergel, — 96 » hellgrauer Spatsand. m: erandiger Sand und Grand, 32 Zwischen dem Hause Lange und dem Pfarrhause muß der alte Seeboden steil aufsteigend seinen Nordrand erreichen, denn in der im Mai 1903 im Pfarrhause ausgeführten Tiefbohrung konnte trotz großer Aufmerksamkeit die sehr charakteristische Tonschicht nicht wahrgenommen werden. Dicht hinter dem Pfarrgarten erhebt sich der blaue steinfreie Ton, an der steilen Böschung zur Schlutuper Wiek sichtbar, bis fast zur Erdoberfläche. Das glaciale Süßwasserbecken hatte hiernach in der Richtung SW—NO eine Länge von 500 m. Sein Boden lag am Bahn- hofshotel 2 m über NN, am Hause Lange etwa 3 m über NN; seine tiefste Stelle befand sich wohl zwischen Bahnhofshotel und Marktplatz und reichte hier weit unter den Spiegel des Mühlenteiches (+ 3,s« m NN) hinab. Die Breite des alten Seebeckens läßt sich nicht feststellen, sie be- trägt in dem Tagesaufschluß 75 m. Nach Angabe des Brunnenmachers wurde die Tonbank auch in dem Senkbrunnen neben dem Bahnhofs- gebäude nachgewiesen, sein weiterer Verlauf nach Osten ist noch un- bekannt. Außer kleinen Verrutschungen in der Richtung SO—NW waren zwei größere von SW nach NO verlaufende Verwerfungen mit einer Sprunghöhe von 1,5 m sichtbar. (Fig. 1.) In den beiden von Herrn Lehrer Strunck aufgenommenen Bildern auf Tafel 4 sind die wichtigsten Erscheinungen in der wieder verlassenen und zugeschütteten Grube festgehalten. Das obere Bild zeigt rechts als Abbausohle den konchylienführenden ehemaligen Seegrund. In dem unteren Bilde erkennen wir oben den deutlich geschichteten grandigen Sand d. Die tonige Süßwasserschicht ist stark verwischt. Unter der- selben sehen wir die fast horizontal geschichteten hellgrauen Spatsande b. Die noch zum großen Teil erhaltenen Steinpackungen davor bezeichnen die Verwerfungskluft, an ihrem Fuße erblicken wir die abgesunkene Süßwasserschicht c. Den Aufbau der Süßwasserablagerung zeigt der auf Tafel 2 Fig. 5 dargestellte Profilausschnitt m aus dem Längenprofil Fig. 2: e) gelbbrauner schräg geschichteter schwachgrandiger Sand, 2 m, d) grauer feiner Sand mit verschwemmten Pisidien, Valvaten u. s. w., 2 dm, I : DÜbwasser- c) brauner Sandmergel mit Anodonten, 0,5 dm, i ablage- b) hellerauer Süßwasserkalk mit Pisidie eva ) hellgrauer Süßwasserkalk mit Pisidien, Valvaten rung, 4dm. U. 8. 2w. «1,5: dım® a) hellgrauer, horizontal geschichteter Spatsand. 33 Konchylienreste. Limnaea stagnalis L. N cf. ovata Drap. Valvata pisceinalis Müll. zahlreich, Pisidium amnicum Müll. zahlreich, » fossarinum Cless. zahlreich, > supinum A. Schmidt, Sphaerium duplicatum (less. zahlreich, Anodonta cf. mutabilis Cless., zahlreiche, leicht zerfallende Schalen. Unio sp. Knochenreste: An zwei in den Profilen auf Taf. 2 mit e und r (e in Fig. 1 und r in Fig. 2) und in dem unteren Bilde auf Taf. 4 mit e bezeichneten Stellen wurden in den Granden dicht über dem alten Seegrunde, also 5—6 m unter der Erdoberfläche mehrere Renntiergeweihstücke und ein 12 cm langes Bruchstück vom Metatarsus eines jungen Renntieres (mach Nehrings Bestimmung) gefunden. Das stärkste Geweihstück war 26 cm lang und 5,5 cm dick. Besonders bemerkenswert sind zwei Ge- weihstücke, die eine unverkennbare Bearbeitung durch den Menschen erkennen lassen. Das eine, bei r gefunden, ist vom abgebrochenen Augensproß an 25 cm lang und am unteren Ende 4 cm dick. In der Höhe von 9 cm zweigt unter fast rechtem Winkel der nächste 3,5 cm dicke Sproß ab, der in einer Länge von 16 cm erhalten ist. Da, wo dieser Sproß abzweigt, zeigt die Hauptstange eine flache 0,5 cm tiefe Einkerbung, welche jede andere Ursache als eine Bearbeitung durch den Menschen ausschließt. Noch deutlicher zeigt sich die Bearbeitung an dem bei e gefundenen auf Tafel 5 abgebildeten Geweihstück. Es ist 25 cm lang, unten 4 cm, oben 3 cm dick, vorn stumpfkantig. An der Vorderkante befinden sich mehrere glatte glänzende Schnittflächen, die nach Aussage des Schacht- meisters durch den Spaten beim Aufschaufeln des Kieses hervorgerufen worden sind. Kurz über dem unteren Ende befindet sich eine fast ring- förmige bis 4 mm tiefe, auf der rechten Seite schwächere Einkerbung, deren Oberfläche im Gegensatz zu den neuen glänzenden Schnittflächen dasselbe verwitterte Aussehen zeigt wie die übrige Knochenoberfläche. Es kann sich auch hier nur um eine Bearbeitung durch Menschenhand handeln. Zu dieser Auffassung haben sich Nehring und der Direktor der prähistorischen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Berlin, Geh. Rat Voß, denen beiden das Stück durch die persönliche Vermittelung 3 34 des Herrn Prof. Lenz vorgelegt wurde, zustimmig erklärt, ebenso Prof. Klaatsch, der das Geweihstück im hiesigen Museum sah. Herr Professor Dr. Nüesch in Schaffhausen, der viele hunderte vom Menschen bearbeitete Renntiergeweihstücke aus den spätglacialen Fundstätten vom Schweizersbild und Keßlerloch bei Schaffhausen unter- sucht hat, hatte die Güte, mir zu dem Schlutuper Funde folgendes mit- zuteilen: »Eine Bearbeitung, wie sie das abgebildete Knochenstück vom Renntier aufweist, ist an Knochen vom Schweizersbild und Keßlerloch nicht vorgekommen, wohl aber an Geweihstücken vom Renntier. Geweih- stangen dieses Tieres von verschiedener Länge zeigten solche quere Ein- schnürungen, welche nicht natürlich sind, sondern durch Bearbeitung mit Feuersteininstrumenten hervorgebracht wurden zum Zwecke des Zerlegens einer Geweihstange in mehrere Stücke. Die sogenannten Kommandostäbe aus Renntiergeweih zeigen an ihrem hinteren abge- schnittenen Ende rings herum die gleiche Bearbeitung. Es wurde das Vertiefen der Querfurche solange fortgesetzt, bis die Geweihstange ent- zweigebrochen werden konnte, ohne daß dadurch ein Stück Geweih entzweisprang. Beim Schweizersbild ist u. a. ein Geweihstück von 10 cm Länge und 35 mm Dicke vorgekommen, welches an beiden Enden die gleiche Bearbeitung zeigt. Der Zweck der Querfurche an Ihrem Knochen- stück wird wohl gleich gedeutet werden müssen.« Die zoologische Bestimmung des Knochenstückes bot große Schwierig- keiten. Herr Professor Lenz, der den Knochen mit nach Petersburg nahm, konnte beim Vergleich mit dem neuesten Mammutfund feststellen, daß meine anfängliche Besiimmung als Mammutrippe !) falsch war. Wenn es sich überhaupt um eine Rippe handelte, konnte nach Ansicht der Peters- burger Zoologen nur die für das Schlutuper Vorkommen höchst unwahr- scheinliche Familie der Cetaceen in Betracht kommen. Bei der großen Ähn- lichkeit des Knochens mit den oben beschriebenen Renntiergeweihstücken aus derselben Grube blieb schließlich allein die Annahme übrig, daß er als Bruchstück eines Renntiergeweihs aufzufassen wäre. Herr Geheimrat Nehring, dem das Stück noch einmal zur Prüfung vorgelegt wurde, schloß sich dieser Auffassung an. 1) Professor Geinitz nahm diesen Fund, den ich ihm brieflich mitgeteilt hatte, in seine Arbeit über die »geographischen Veränderungen des südwestlichen Ostseegebiets seit der quartären Abschmelzperiode« (Peterm. geogr. Mitt. 1903, Heft IV), unter der falschen Bezeichnung »Mammutrippes auf. Die irrtümliche Auffassung der Schlutuper Sande als »altalluviale hat Geinitz später selbst befichtigt (Lethaea geognostica III, 2. 1904, S. 291). 35 4. Meynsche Kiesgrube im Kiefernwald gegenüber dem Friedhofe. Watr2, Hieraus Der Tiefbauunternehmer Meyn hatte ein Stück des Kiefernwaldes und das im Westen darangrenzende Feld angekauft, um das hier durch zwei Bohrungen nachgewiesene Kieslager beim Bau der Lübeck-Schlutuper Eisenbahn auszubeuten. Bei den Erdarbeiten stellte es sich bald heraus, daß im mittleren Teile des Grundstückes, zwischen den beiden Bohr- stellen, Kies überhaupt nicht vorhanden war. So entstanden zwei Kies- gruben, die durch Schienengeleise mit einander in Verbindung gebracht wurden. Beim Fortgang der Arbeiten zeigte sich derselbe Aufbau des Bodens wie am Bahnhof, oben schräg geschichteter Grand, darunter ein graubrauner konchylienführender, 2 dm starker Sandmergel, darunter hellgraue steinarme Spatsande. Der alte Seeboden wurde hier in einer Länge von 200 m freigelegt. Zur Zeit ist er zum großen Teil von Granden bedeckt, die aus der Bahnhofsgrube stammen und beim Bahn- hofsumbau in Lübeck verwendet werden sollen. Nach einigen Jahren wird der ganze Seegrund wieder freigelegt sein. Zwischen den beiden Kiesgruben erheben sich die liegenden Sande zu einem 50 m breiten Sattel. Der graubraune konchylienführende Sand- mergel fällt auf der Westseite des Sattels unter 15°, auf der Ostseite unter 30° ein, die Grandschichten folgen der Form der beiden Abhänge, sie fallen in der westlichen Grube unter 30° westwärts, in der östlichen unter 30° ostwärts ein. In dem Hohlwege zwischen beiden Gruben zeigte sich in der Schienenhöhe eine konchylienführende tonige Bank. Um über die Lagerungsverhältnisse dieser Bank Klarheit zu erhalten, ließ ich den Boden auf eine größere Strecke hin bis zu zwei Meter Tiefe aufgraben. Dabei konnte der Nachweis erbracht werden, daß sich die tonige Bank in der östlichen Kiesgrube ähnlich wie in der Langeschen Sandgrube in zwei Bänke spaltet. Die Lagerungsverhältnisse sind in Fig. 4 genau dargestellt. Von unten nach oben folgen: a) hellgrauer Spatsand, b) gelbbrauner Sandmergel, mit zunehmender Tiefe in fast reinen weißen Süßwasserkalk übergehend, mit zahlreichen Pisidien, Valvaten ete., 15 cm, c) graue Spatsande mit grandigen Zwischenschichten, d) lehmiger Sand, e) Grand, f) Grauer Sand mit kalkreichen Tonstreifen, kohligen Resten und wohlerhaltenen Sphaerien, Pisidien und Valvaten, 20 cm, g) brauner Sandmergel mit Anodonten, 7 cm, h) feiner kalkfreier grauer Sand, 13 cm, i) brauner sandiger Ton, 5 cm. 3* 36 In dem Sande f konnten in kurzer Zeit zahlreiche lose Konchylien ge- sammelt werden, Anodonten wurden nur in der dünnen braunen Bank g gefunden. Die in beiden Seebecken bisher gesammelten Konchylien gehören folgenden Arten an: Planorbis nautileus L. Valvata cf. piscinalis Müll., zahlreich, aber unvollständig, Sphaerium duplicatum Cless. Pisidium amnieum Müll. > fossarinum (less. » nitidum Jen. » obtusale ©. Pfeiff. Anodonta sp. 5. Sandgrube bei Böge. ae ©. Sie liest ungefähr in der Mitte zwischen der Langeschen Sandgrube und der Herrenwyker Fähre da, wo der von Schlutup herabführende Fußpfad die Traveniederung erreicht. Der Abbau von Sand hat hier erst im Sommer 1904 begonnen. Im September war auf eine Länge von 90 m eine bis 10 m hohe Wand freigelegt. Die Hauptmasse besteht bis zu 8 m Höhe aus hellgrauen grobkörnigen Spatsanden mit diskor- danter Parallelstruktur, die mit feinen Sanden und dünnen Geröllbänken wechseln. Im Grunde lag eine Blockpackung von über kopfgroßen Steinen. Über den hellen Sanden liegt eine 1,5—2,; m mächtige Bank von dunklem rostfarbigen Grand. Die nach NO mit 20—30° ein- fallenden Grandschichten erinnern an die Grande in den Meynschen Gruben. Die unter dem Grand liegende, nur schwach nach SW ein- fallende kalkreiche Tonbank ist als Untergrund eines alten Süßwasser- beckens aufzufassen. Wenn es mir bisher auch nicht gelungen ist, in ihr Schalenreste nachzuweisen, so konnte ich doch in den unmittelbar darüber liegenden dünnen Sandbänkchen gut erhaltene zarte Pisidien auffiinden. 6. Sandgrube von Stegmann bei der Herrenfähre. In diesem alten, der Oldenburgschen Sandgrube gegenüberliegenden Abbau hatte ich bisher vergeblich nach einer konchylienführenden Ton- bank gesucht. Erst im letzten Sommer erschien bei weiterer Sand- entnahme an der 'Traveseite in einer Länge von nur wenigen Metern über 4-5 m mächtigen hellgrauen Spatsanden eine nur 1 dm starke, sich nach Norden senkende Tonbank und über dieser schräge nach Norden einfallende rostige Grandschichten in einer Gesamtstärke von 37 15 m. Wenn es bisher auch noch nicht gelungen ist, Schalenreste auf- zufinden, so ist doch nicht daran zu zweifeln, daß es sich hier um den Rest eines glacialen Süßwasserbeckens handelt. Von dem ehemaligen Wasserbecken ist nur ein kleines Stück erhalten; das übrige ist bei der Entstehung des Travetals zerstört worden. Die niedrigste Stelle an der Talböschung liegt etwa 6 m über dem Flußspiegel. ‘. Sandgrube am Avelunddurchstich. Im Herbst 1904 wurde am linken Ufer des Avelunddurchstiches unterhalb der Herrenbrücke von der Baubehörde eine neue Sandgrube angelegt. Der Primaner O. Reuter entdeckte hier über hellgrauen groben geröllreichen, 15 m mächtigen Spatsanden und unter schräg geschichteten, bis 3 m mächtigen Sanden und Granden eine kalkreiche Tonbank mit zahlreichen schlecht erhaltenen Schalenresten, in der Lim- naea ovata vorzuherrschen scheint. Der etwa 120 m lange Aufschluß ist der erste Nachweis eines glacialen Süßwasserbeckens am linken Traveufer. Die drei letztgenannten Aufschlüsse konnten nicht mehr in die Kartenskizze auf Taf. 1 aufgenommen werden. Ihre Lage ist leicht zu bestimmen; der Aufschluß Nr. 7 liegt in der Karte an der vorspringenden Ecke des neuen Durchstiches, genau nördlich vom Artikel »Die« (die Trave). Zusammenfassung. Die tonigen Süßwasserablagerungen im Sandrgebiete nördlich von Lübeck haben die gleiche Mächtigkeit (2 dm) und die gleiche petrogra- phische Zusammensetzung (Sandmergel). Sie sind meist von einer etwa 5 cm starken Sandschicht mit sehr gut erhaltenen eingeschwemmten Konchylienschalen (meist Limnaea ovata, Pisidien und Sphaerien) bedeckt. Das Liegende bilden hellgraue Spatsande mit Gerölllagern, das Hangende bs S m mächtige Grande und Sande meist in schräger Schichtung. Die ungestörte Lagerung der dünnen Tonbänke und das Fehlen von torfigen Resten in den hangenden Schichten sprechen gegen die Entstehung dieser Bildungen in einer langen interglacialen Zeit. Das Vorkommen der dünnen konchylienführenden Tonbänke bezeichnet nur eine kürzere Pause in der Aufschüttung der Sande und Grande. Diese Pause läßt sich auf zweierlei Weise erklären: Bei unveränderter Lage des Eisrandes änderten die Gletscherbäche fortwährend ihren Lauf. In dem von diesen Gewässern aufgeschütteten Boden, so meimt Geinitz!), 2) E. Geinitz, a. a. O. 8. 51. 38 entstanden flache Wannen, die lange Zeit von größeren Rinnsalen nicht mehr erreicht wurden und Seen bildeten, in denen sich nach kurzer Zeit eine Konchylienfauna ansiedelte, bis sie dann später durch neue Sandzufuhr verschüttet wurden — oder der Eisrand rückte nordwärts zurück und bewirkte bei einem erneuten Vorstoße neue Sandauf- schüttungen. Die Beobachtungen an den übrigen lübeckischen Auf- schlüssen sprechen wie schon auf S. 29 ausgeführt wurde, für die letztere Deutung. Die Sande und Grande, welche die Wasserbecken zuschütteten, wurden durch Gletscherbäche von der nördlichen Endmoräne herbeigeführt. Die Entstehung des bis 30 m tiefen Erosionstals der Trave fällt dem- nach in eine spätere Zeit. Die glacialen Wasserbecken stehen aus diesem Grunde in keiner Beziehung zur Trave. Sie erscheinen in der Nähe des Flusses nur des- wegen in größerer Zahl, weil sich hier die meisten tieferen Aufschlüsse befinden. Die tiefsten Stellen der Tonbänke in den Aufschlüssen liegen zwischen 4 und 10 m über NN. Der Wasserspiegel lag in dem Becken der Sandgrube von Oldenburg mindestens 10 m über NN. » » » Lange » 10 » » » Kiesgrube » Meyn (Bahnhof) > 16 » >» » » » » (F riedhef) » 15 » > Man könnte annehmen, daß ein einziger See die Gegend von Schlutup bis mindestens + 16 m über NN bedeckte und daß die er- haltenen Wasserbecken nur die niedrigsten Teilstücke dieses großen Sees bildeten. Außer anderen später auszuführenden Gründen spricht gegen diese Annahme der Umstand, daß die einzelnen einander benachbarten Aufschlüsse in der Verteilung der Molluskenarten sehr von einander abweichen. Während am Schlutuper Bahnhofe die großen Anodonten- schalen in großen Mengen den alten Seeboden bedeckten, fehlen diese in den Sandgruben an der Trave allem Anscheine nach ganz. In einem weit ausgedehnten Seebecken wären ferner die durch Gletscherbäche herbeigeführten Grande nicht in den tiefsten Stellen, sondern am Rande abgelagert worden. Die stellenweise zahlreichen verkohlten mürben Pflanzenreste waren unbestimmbar. Pollen höherer Blütenpflanzen scheinen zu fehlen ; zahlreiche Proben aus allen Aufschlüssen wurden vergeblich auf Diatomeen durch- sucht. Auch in den Rückständen eines größeren Stückes von kalkreichem Mergel aus der Bahnhofsgrube, welches Herr Zahnarzt Diederichs in Eutin geschlämmt hatte, fehlten Diatomeen gänzlich. Characeen waren besonders zahlreich in dem kalkreichen Mergel der Langeschen Sand- grube. Die Molluskenfauna zeigt folgende Zusammensetzung: Succinea oblonga Drap. Limnaea stagnalis L. » ovata Drap. » SR Planorbis nautileus L. » rotundatus Poir. Valvata piscinalis Müll. Sphaerium duplicatum Cl. Pisidium amniecum Müll. » fossarinum (Cl. » nitidum Jen. » obtusale Pfeiff. » supinum Schm. Anodonta mutabilis Cl. Unio sp. Schlutup Herren- fähre, Olden. | Lange's ı Kiefern- burgsche | Sand- | Bahnhof |wald beim Sandgrube| grube Friedhof x . x x . x . x x x | x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x i x X x Außer den Mollusken konnten noch Ostrakoden und zahlreiche z. T. gut erhaltene Spongillennadeln nachgewiesen werden. Dem sich zurückziehenden Eise folgten von Süden her die größeren Säugetiere. Bis jetzt wurden der Riesenhirsch und das Renntier nach- gewiesen. Zwei von Menschenhand der weisen darauf hin, daß randes lebte. Mensch bearbeitete Renntiergeweihstücke in der Nähe des Eis- 40 2. Süßwasserablagerungen im Gebiete des Talsandes. Kiesgrube in den Clever Kiefern. Tafel 6. Die Umgebung von Vorwerk, Cleve, Schwartau und Rensefeld wird von feinkörnigem Talsand gebildet, der hier in mehreren Sandgruben (Kleinmühlen, Vorwerk) aufgeschlossen und in mehreren Senkbrunnen als unmittelbare Decke des Geschiebemergels nachgewiesen ist. Auf diesem feinen Sand liegen in den zu Clever Hof gehörenden Ländereien nördlich von Clever Landwehr und Vorwerk Grande von Haselnuß- bis Hühnereigröße in einer Mächtigkeit von wenigen Centimetern bis zu 2 m in schräger nach Ost und Nordost einfallender Schichtung. Die Lagerungs- verhältnisse waren in mehreren vorübergehenden Aufschlüssen, welche der Gutsbesitzer Björnsen herstellen ließ, sichtbar. In den Clever Kiefern werden dieselben Grande schon seit Jahren in noch größerer Mächtigkeit abgebaut. Hier fallen die mit feinen schwach tonigen Sanden abwechseln- den Grandschichten unter 30° gen NO ein. Bei der großen Ähnlichkeit dieser Grandbildung mit den Schlutuper Granden lag die Vermutung nahe, daß auch hier ein alter verschütteter Teichgrund vorhanden sein müßte. Bei dem tieferen Abbau im Sommer 1904 wurde in der Tat der vermutete Teichgrund gefunden. Daß diese Entdeckung für die Wissenschaft gewonnen und erhalten ist, verdanken wir der Achtsamkeit des Herrn Björnsen-Clever Hof. Die Tonbank ist reich an großen Anodontenschalen; andere Schalenreste wurden auf- fallenderweise bisher vergeblich gesucht. Der alte Teichboden liegt im Westen 3, in der Mitte 7 m unter der Oberfläche. Der ganze Aufschluß hat eine Länge von 48 m. Unmittelbar über der Tonbank wurde ein nicht bestimmbares 13 cm langes Bruchstück eines Säugetierknochens gefunden. Das kleine Grandgebiet der Clever Kiefern liegt scheinbar unver- mittelt in der Talsandebene. Der Ursprung der Grande kann nur in dem langen schmalen Stockelsdorfer Höhenzug gesucht werden, dessen nordöstlicher Ausläufer (oberhalb der 20 m-Kurve) ganz in der Nähe endigt. An diesen aus Sanden, Granden und großen Steinen bestehenden Höhenzug schließt sich nördlich von Stockelsdorf eine kuppenreiche Grundmoränenlandschaft an, in der ein etwa 2—3 m mächtiger Ge- schiebemergel, wie zahlreiche Aufschlüsse deutlich erkennen lassen, Sande 41 und Grande überlagert. Da diese interessanten Teile der Meßtischblätter Schwartau, Curau und Hamberge noch nicht kartiert sind, ist es unmög- lich, die mannigfachen Aufschlüsse, in denen 2—3 m mächtiger Geschiebe- mergel bald über (Krempelsdorfer Mühle, Senkbrunnen von Resöv nahe der Schwartauer Allee), bald unter Talsand (Ehrhardts Fabrik) beobachtet wurde, mit einander zu verbinden. Nach Struck’s Auffassung ') bildet die Stockelsdorfer Grundmoränenlandschaft die Vorstufe eines die Wardersee- staffel mit der nördlichen Hauptendmoräne verbindenden Endmoränen- zuges. Danach wäre die dünne Geschiebemergelbank über dem Talsand bei Krempelsdorf und der 2—3 m dicke Geschiebemergel, der im letzten Herbst am Stockelsdorfer Wege nördlich von Clever Landwehr in dem Profile schräg geschichteter Grand, 1—1,5 m, feiner Sand, 0,5 m kalkreicher Geschiebemergel, 2—3 m aufgeschlossen wurde, in Verbindung mit dem Geschiebemergel, der als 2—3 m starke Decke über die Kuppen nördlich von Stockelsdorf hinüber- geschoben worden ist, wohl am besten als die Grundmoräne eines neuen Gletschervorstosses zu betrachten. Während der jüngsten Eisbewegungen werden die Grande und Sande teils über dem Talsand, teils, wie in dem obigen Profil, über -der letzten Grundmoräne entstanden sein. a a ey 3. Süßwasserablagerungen im Gebiete des oberen oder gelben Taltons. Der Aufschluß in den Clever Kiefern beweist nicht blos, daß die schräg gelagerten Grande über der konchylienführenden Süßwasserschicht jünger sind als der Talsand, sondern daß beide durch einen längeren Zeitraum getrennt sind. Die Grande sind aber auch jünger als die oberen Taltone. In zahlreichen Aufschlüssen zeigt der Talsand allmähliche Übergänge in den ihn überlagernden Talton (Sand mit dünnen Tonlinsen, darüber tonstreifiger Sand, darüber sandstreifiger Ton, darüber feinge- schichteter fetter Ton); wir müssen daher annehmen, daß das anfangs schwach fließende Wasser zu einem Staubecken anschwoll, in welchem lange Zeit die feinste Gletschertrübe zur Ablagerung gelangen konnte. In Wilhelmshöh, 2,5 km von den Clever Kiefern entfernt, hat diese feinste ') K. Struck, der baltische Höhenrücken in Holstein, $. 23. 42 Gletschertrübe bei 17” m über NN noch eine 1,5 m dicke Ablagerung von fettem Talton hinterlassen, der Spiegel des Stausees erreichte also mindestens 20 m über NN. Wären die Clever Grande in diesen Stausee geführt worden, so wären sie am Rande desselben in einer überall gleichen Höhe von mindestens 20 m über NN abgelagert. Da sie zwischen Vorwerk und den Clever Kiefern aber meist in viel geringeren Höhen, z. T. nur 5 m über NN, im Talsandgebiete sich ausbreiten, so kann zur Zeit ihrer Bildung der Stausee entweder nicht mehr vorhanden gewesen sein oder sein Spiegel muß schon so tief gelegen haben, daß weite Tonflächen frei lagen. Die von der Stockelsdorfer Endmoräne während des neuen Eis- vorstoßes herabfließenden Gletscherwasser konnten bei dem geringen Gefälle in das von der Endmoränenlandschaft weiter entfernte Gebiet der Stadt Lübeck nur feinen Sand und spezifisch leichtere Körper, wie Bernstein und Braunkohlenhölzer, forttragen. Zu diesen den oben beschriebenen Granden gleichaltrigen, jüngsten Talsanden (S. 25) rechne ich alle Sande, welche den Talton in dünnen Schichten überziehen und nur in flachen Einsenkungen über diesem Ton bis zu 3,5 m Mächtigkeit anschwellen. Reste von Teichbecken, welche mit der konchylienführenden Tonbank der Clever Kiefern im Alter übereinstimmen, können wir daher in der Nähe Lübecks nur zwischen dem Talton und dem jüngsten Tal- sand erwarten. Die neuen Aufschlüsse bei unserem Siel- und Eisenbahn- bau haben diese Vermutung vollauf bestätigt. 1. Sielbau beim Einsegel. Tafel 3. Über diesen Aufschluß hat bereits P. Range in einem Nachtrag zu seiner Arbeit über »das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone« S. 271 und 272 kurz berichtet. Scorpidium scorpioides in Ranges Pflanzenliste ist zu streichen. Das Profil auf Taf. 3 ist aus einer größeren Anzahl von Bohrungen für einen Sielbau, deren Ergebnisse ich Herrn Bauinspektor Harms ver- danke, ferner aus den Tagesaufschlüssen während der Erdarbeiten für das Stammsiel Trave— Schwartauer Allee und aus mehreren von der Profilachse nur wenig entfernten Brunnenbohrungen entstanden. Das Profil zeigt den vollständigen Aufbau des lübeckischen Diluviums. 3ei der Erbauung des Stammsiels im Sommer 1903 wurde westlich vom (Grasthaus »zum Einsegel« unter 1 m humosem Sand und 25 m mächtigem jüngsten Talsand der weiche Boden eines alten Teiches blos- gelegt. Der dunkelgraue, fast schwarze schmierige Boden machte mit seinen massenhaften Resten von Moosen und grasartigen Blättern und den noch mit der Epidermis versehenen Anodontenschalen den Eindruck 45 eines erst vor kurzer Zeit zugeworfenen Wasserbeckens. Der !/) m mächtige schlammige Boden ist ein kalkreicher schwachtoniger Feinsand, der nach unten durch schnelle Anreicherung mit Ton unmerklich in den fetten geschichteten, hier blaugrauen Talton übergeht. Er enthält geringe Mengen von Schwefeleisen, Glaukonit und Kreidebryozoen; mit. der Hand läßt er sich in Platten zerlegen. Auf den Schichtflächen sind stellenweise Moose und parallelnervige grasartige Blätter in großen Mengen angehäuft, dazwischen liegen zahlreiche meist zerbrochene Schalen von Sphärien und Pisidien, zahlreiche Bruchstücke eines harten schwarzen Braunkohlenholzes und Bernsteinstücke bis zu Haselnußgröße. Andere Schichtflächen sind mit hellen Characeen dicht überzogen. Pflanzenreste. In den Schlämmrückständen fand ich einige gut erhaltene Blätt- chen von Salix polaris, Betula nana und Dryas octopetala. Herr Dr. C. Weber hatte die Güte, das geschlämmte Material und einige ursprüng- liche Bodenproben zu untersuchen. Die Ergebnisse sind folgende: Nitella flexilis, Früchte, Chara cf. contraria, Früchte, Bryum sp. Thuidium abietinum, Bryol. eur. Hypnum stellatum Schreb. » turgescens Jensen, bestimmt von ©. Warnstorf, dem sich Weber anschließt, zahlreich, >» Kneiffii (Br. eur.) Schimp. » ceuspidatum L. var. fluitans v. Klinggr. Potamogeton natans L., eine Frucht, » alpinus Balb., mehrere Früchte, » sp., Früchte und Pollen, Epidermisstücke der Blattscheiden, Niederblätter und unterirdische Achsen einer Graminee oder Cyperacee, massenhaft, Salix polaris We., Blattreste und einige vollständige Blätter, » cf. myrsinites, Blattreste, sp., dünne berindete Bruchstücke von Stämmchen, anschei- nend einer niedrigen kriechenden Art angehörend, Betula nana L., mehrere vollständige Blättchen, Dryas octopetalaL. » » > Einige Compositenfrüchtchen cf. Hypochoeris maculata. Sonstige Pollen und Diatomeen vergeblich gesucht. 44 MVerme site: Nadeln von Spongilla lacustris, in geringer Zahl, Limnaea ovata Drap., zahlreich, Planorbis crista L., zwei Exemplare, Valvata piscinalis Müll., zahlreich, Pisidium fossarinum Cl., zahlreich, z T. mit Epidermis, » amnicum Müll., vereinzelt, » » » Sphaerium duplicatum Cl., » >> » Anodonta mutabilis Cl., zahlreich, meist mit Epidermis, bis 9 cm lang. Zahlreiche Flügeldecken von Käfern. 3, Vorwerker Schule. Im Anschluß an das S. 42 erwähnte Stammsiel wurde in der Schwartauer Allee von der Josephinenstraße aus ein Siel bis Wilhelms- höhe und bis zur Vorwerker Schule gelegt. Dicht bei der Schule er- schienen unter etwa 2, m mächtigem jüngsten Talsand und über dem oberen Talton dieselben konchylienführenden Ablagerungen wie beim Einsegel, weit ärmer an organischen Resten, aber reich an verschwemm- ten Braunkohlenhölzern. | Pflanzenreste. Hypnum turgescens Jensen, thizomreste einer Graminee oder Cyperacee, Potamogeton alpinus, ein Steinkern. Tıierreste. Limnaea oyata Drap. Valvata piscinalis Müll. Pisidium amnicum Müll. > nitidum Jen. Anodonta mutabilis Cl. 3. St. Lorenz -Mittelschule in der Schwartauer Allee. Nas} Der jüngste Diluvialsand füllt hier eine flache, 300 m breite Mulde des Taltones aus. Bei der Untersuchung des Baugrundes im Frühjahr 1903 hatte Herr Baudirektor Baltzer die Liebenswürdigkeit, auf meine Bitte eine Trockenbohrung bis 14 m ausführen zu lassen. Durch diese und einige auf Veranlassung des Leiters des Bahnhofsumbaues, des Herrn Bauinspektors Üyrus, am Stadtgraben ausgeführte Bohrungen sind die Lagerungsverhältnisse des Diluviums hier völlig klargelegt. Die 45 am Anfang dieses Jahres zwischen der Schwartauer Allee und der Adlerstraße ausgeführten Sielarbeiten schlossen an der oberen Grenze des Taltones dieselbe konchylienführende Ablagerung auf, wie wir sie vom Einsegel kennen gelernt haben. Die Ausbeute an Fossilresten, nament- jich Pflanzen war aber viel geringer, weil die mittleren tieferen und fossilreicheren Teile dieser Ablagerung von der Sohle des Sieles nicht mehr erreicht wurden. Das Gesamtprofil ist folgendes: 0— 1 m: Humoser Sand, — 2,0 » gelber Sand, — 3 » Übergangsschicht vom Ton zum Sand mit Anodonten u. s. w., — 1 see alten; —13 » Talsand, —14 » blaugrauer Tonmergel über Geschiebe- mergel. Pflanzenreste. Potamogeton compressus L., Steinkerne und Winterknospen, » alpinus Balb., zahlreiche auffallend langgeschnäbelte Früchte, Myriophyllum spicatum L., Blätter. Irerreste. Limnaea ovata Drap. Valvata piscinalis Müll., zahlreich, Sphaerium duplicatum Cl., vereinzelt, Anodonta sp., zahlreiche Schalenreste, Pisidium amnicum Müll., zahlreich, » fossarinum Cl., » » nitidum Jen. > Schuppen von Cyprinus sp. 4. Eisenbahneinschnitt bei Brede’s Mühle, Moislinger Allee 118. In der Mitte des 120 m langen Erdeinschnittes wurde im Sommer 1903 in einem flachen Sattel folgendes Profil freigelegt: 0 — 1 m: Talton, —3 » Talsand, —4 » blaugrauer Tonmergel, Abbausohle (ca. +9 m NN). Am Nordende des Einschnittes, hart am Wege vor der Dachpappen- fabrik von Saur, bildete der Talton die Bausohle. Das Profil war hier folgendes: 46 +13 m NN. a)/Elumöser (Sandale URMITRINE IBEHHISEEN b), YElellgranerysandr ae et Vene c) Übergangsschicht mit Anodonta sp. . . 05 >» dj" Tungerers N altom. Ama Abbausohle In der schon stark oxydierten 0,5 m dicken gelbgrauen oberen Grenzschicht, die bei der Kartierung unbedenklich als Talton eingetragen würde, wurden folgende Konchylienreste gefunden: Limnaea sp. Valvata ef. piscinalis Müll. Anodonta sp., zahlreiche stark verwitterte Schalenstücke, Pisidium nitidum Jen. Außerdem fand Herr Dr. Range beim Schlämmen einige dürftige Moosreste, welche Herr Dr. Weber-Bremen als Hypnum stellatum Schreb. bestimmte. 5. Kanaleinschnitt am Burgtor. Beim Bau des Elbe-Travekanals fand ich in der südlichen Wand des Burgtoreinschnittes in den oberen nicht mehr geschichteten Lagen des oberen Taltons dicht unter einem hellgrauen ungeschichteten Sande verwitterte Schalen von Anodonten. Die Fundstelle ist auf dem Burgtor- profil Taf. 2 meiner Arbeit über »die geologischen Aufschlüsse im Wakenitzgebiete der Stadt Lübeck« !) leicht zu finden. Sie liegt etwa in der Mitte der Linie a—b. Die Sande, die ich in dem Profil als Alluvialsande bezeichnet habe, gehören zum jüngsten Talsand. Ich bedaure, zur Zeit der Kanalarbeiten nicht weiter auf organische Reste unter diesem Sande geachtet zu haben. 6. Sonstige Funde jungglacialer Süßwasserablagerungen. Nach den bisherigen Erfahrungen lag es nahe, überall da, wo Tal- sand über dem oberen Talton liegt, Reste von konchylienführenden Tonen zu vermuten. Im vergangenen Sommer wurden diese Schichten zweimal angeschnitten, bei dem Bau des Stammsieles Schwellentränke-Kranken- haus im Vollertschen Garten nahe der Geninerstraße und im neuen Eisenbahneinschnitt bei Genin. An beiden Stellen suchte ich vergeblich nach tierischen und pflanzlichen Resten; eine mehrere Centimeter dicke schwarze stark humose Schicht an der Unterkante des Sandes stellte es jedoch außer allen Zweifel, daß hier längere Zeit eine Pflanzendecke die frühere Erdoberfläche überzogen hat. ») Mitteilungen der Geogr. Ges. und des Naturhist. Mus. zu Lübeck, 1903, Heft 17, Tafel 2. 47 Zusammenfassung. Die bis jetzt bekannten fossilführenden, bis !g m mächtigen tonigen Ablagerungen im lübeckischen Taltongebiet gehören einem und demselben Horizont an. Das Liegende bildet in allen Aufschlüssen das jüngste Staubeckengebilde, der gelbe Talton, das Hangende der jüngste Talsand. Bis jetzt konnten in diesen Süßwassertonen folgende Pflanzen- und Tierreste nachgewiesen werden. 1. Pflanzenreste (von ©. Weber bestimmt). Nitella flexilis, Chara cf. contraria, Bryum sp. Thuidium abietinum Bryol. eur. Hypnum stellatum Schreb. » turgescens Jensen, » Kneiffii Schimp. » cuspidatum L. var. fluitans v. Klinggr. Epidermisstücke der Blattscheiden, Niederblätter und unterirdischen Achsen einer Graminee oder Cyperacee, Potamogeton alpinus Balb. > compressus L. > natans L. > sp. Salıx polaris We. » cf. myrsinites L. Betula nana L. Dryas octopetala L. Myriophyllum spicatum L. =. 2. Tierreste (meist von S. Clessin bestimmt). Nadeln von Spongilla lacustris, Limnaea ovata Drap. Planorbis cerista L. Valvata piscinalis Müll. Sphaerium duplicatum Cl. Pisidium amniecum Müll. >» fossarinum (l. > nitidum Jen. Anodonta mutabilis Cl. Flügeldecken von Käfern, 48 4. Überblick über die glacialen Süßwasserablagerungen der Umgegend von Lübeck. Die jüngsten Talsande Lübecks fallen zeitlich mit den bis 7 m mächtigen Sanden und Granden zusammen, welche sowohl im Talsandgebiete von Cleve als im Sandrgebiete bei der Herrenfähre und bei Schlutup kon- chylienführende, 2—3 dm mächtige Tonbänke meist in schräger Schichtung überlagern. Ebenso sind die tiefer liegenden Spatsande in dem Sandr- gebiete nördlich von Lübeck und die feinen Talsande und Taltone der näheren Umgebung Lübecks als gleichaltrige Gebilde aufzufassen; beide überlagern denselben unteren oder blauen Ton. Die oben beschriebenen Süßwasserablagerungen aus dem Gebiete der Sandr, des Talsandes und des Taltones umschließen die gleiche Molluskenfauna. Eine Vergleichung ihrer Floren ist vorläufig noch aus- geschlossen, da es bisher unmöglich war, in den Tonen von Cleve, Schlutup und von der Herrenfähre außer Characeen bestimmbare Pflanzen- reste aufzufinden. Wir wissen vorläufig nur, daß sowohl in den konchy- lienführenden Tonen des Sandrgebiets als in denen der Taltonebene allem Anschein nach Diatomeen und Pollen höherer Blütenpflanzen fehlen. Wenn nun auch das wichtige Vergleichsmoment der Pflanzenwelt ausfällt, so weisen doch die geologischen Verhältnisse darauf hin, daß die drei Gruppen zeitlich und genetisch zusammengehören. Es sind Überreste zahlreicher Seebecken aus einer Zeit, in der das nordische Inlandeis den deutschen Boden noch nicht ganz verlassen hatte. Die Sande und Grande, welche diese Seebecken zuschütteten, rühren von einem vor- übergehenden Vorstoße des Inlandeises her. Wenn aber diese Vorstellung den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, so muß die in unseren glacialen Tonbänken erhaltene Fauna und Flora in der Nähe des Eisrandes gelebt haben und der jetztlebenden Tier- und Pflanzenwelt des hohen Nordens entsprechen. Wie weit diese Schlußfolgerung zutrifft, muß die heutige geographische Verbreitung der im lübeckischen Diluvium vorkommenden Arten lehren. Geographische Verbreitung der lübeckischen glacialen Pfianzen und Tiere. 1. Flora. Thuidium abietinum Bryol. eur. ist an trockenen Orten auf sandigem und kalkhaltigem Boden und an sonnigen Abhängen vom norddeutschen Tiefland bis in die Alpen (2600 m Höhe) sehr gemein und auch bis in den hohen Norden sehr häufig. Hypnum stellatum Schreb. ist auf nassen Wiesen vom Tieflande bis in die Hochgebirgsregion Mitteleuropas verbreitet. Auch in der arktischen Zone ist es zerstreut vorhanden und fruchtet dort sogar, in Westgrönland 2. B. noch auf der Discoinsel. ') Hypnum turgescens Schimp. kommt in den Alpen, den südlichen Gebirgen und den skandinavischen Hochlanden zerstreut vor. Auf der Bäreninsel, auf Spitzbergen und in Grönland ist es sehr verbreitet. In Südbayern steigt es gelegentlich bis 515 m herab. Im mitteleuropäischen Tieflande ist es, soweit bekannt, bisher nicht lebend gefunden worden. ?) Hypnum Kneiffüü Schimp. ist in Torfmooren und tiefen Sümpfen sowohl in der Tiefebene als im Gebirge bis in den hohen Norden ver- breitet. Hypnum cuspidatum L. ist auf sumpfigen Wiesen in mannigfachen Abänderungen bis in den hohen Norden gemein. Potamogeton natans L. wurde in Lappland bis 67° 30° n. B. beob- achtet, P. alpinus Balb. bis 68° 43‘, P. perfoliatus L. bis 69° 31°): Im bayrischen Hochgebirge verschwindet P. natans schon bei 1000 m, da- segen gedeiht P. alpinus noch bei 1600 m). Letzteren fand R. Pohle in den fließenden Gewässern im nördlichsten Waldgebiete zwischen Archangelsk und der Halbinsel Kanin. Auf der schon zur Tundra gehörenden Halbinsel Kanin fehlen die Gattungen Potamogeton und Myrio- phyllum vollständig’), dagegen ist auf Spitzbergen nach Nathorst die Gattung Potamogeton noch durch drei Arten vertreten. !) Rabenhorst, Kryptogamenflora von Deutschland, Österreich und Schweiz. Laubmoose Bd. 2, 8. 364. ®) Ebenda, $. 363. ®) E. A. Wainio, notes sur la flore de la Laponie finlandaise. Acta soc. pro fauna et flora fennica VIII N. 4, 1891, S. 70. *, OÖ. Drude, Deutschlands Pflanzengeographie Th. 1, S. 365. °, R. Pohle, pflanzengeographische Studien über die Halbinsel Kanin und das angrenzende Waldgebiet. 1901, S. 78 u. 101. 50 Myriophyllum spicatum L. wächst in Lappland bis 67° 25°’ n. Br., das verwandte M. alternifohum DOC. erreicht seine Nordgrenze in der Nähe des Eismeeres (69.° 40°%.!) Nach Pohle erreicht M. spieatum nordöst- lich von Archangelsk seine Nordgrenze noch im Waldgebiete. Die Polarweide, Salix polaris, ist ein kaum 4 cm hohes Sträuchlein der arktischen Zone, in Spitzbergen nach Nathorst eine der häufigsten Blütenpflanzen. Außerhalb des arktischen Gebietes findet sie sich nur auf dem Dovre-Fjeld in Norwegen, den Bergländern von Herjedalen und Samtland im Schweden). Auch im nördlichen Skandinavien ist ihre Verbreitung, wie eine Karte von Nathorst?) erkennen läßt, engbegrenzt; die Pflanze ist auch hier vorwiegend auf das Gebirgsland beschränkt und steigt nirgends zur Meeresfläche hinab. Erst auf der Insel Kolgujew und bei Jugor Scharr finden wir sie im Meeresniveau. *) Die Zwergbirke, Betula nana, ist gleichfalls vorwiegend ein circum- polarer Zwergstrauch der arktischen Zone (auf Spitzbergen bis 78° n. Br., in Grönland bis 73° n. Br). Während sie hier auf jedem Boden wächst, bewohnt sie in den südlicheren Ländern, in Skandinavien, Rußland, Schottland, Irland und Deutschland ausschließlich Torfmoore.°) Ihre fossilen Funde weisen also nur dann auf ein kälteres Klima hin, wenn die Blattreste nicht in Torf, sondern in Ton oder Sand eingebettet. sind. Dryas octopetala ist »eine circumpolare Pflanze, die bis zur Grenze pflanzlichen Lebens sich vorwagt (auf Spitzbergen bis 80° 24°), Von Gebirgen hat sie den Altai, Ural, die Karpaten, Alpen, den Jura, die Auvergne, die Pyrenäen, die Berge Rumeliens und Griechenlands und den Apennin besiedelt, sie ist also eine arktisch-alpine Pflanze weitester Verbreitung«.°®) Die auffallend kleinen Blätter in den lübeckischen Tonen lassen darauf schließen, daß die Pflanzen einem rauheren Klima angehörten. Die heutige geographische Verbreitung der lübeckischen jungglaci- alen Pflanzen lehrt folgendes. Die Moose leben mit Ausnahme einer Art noch heute in Schleswig-Holstein, sind aber bis in die arktische Zone verbreitet, nur Aypnum turgescens ist eine charakteristische arktisch- alpine Art. Dryas octopetala ist arktisch-alpin, Betula nana gehört, soweit sie nicht ausschließlich Torfmoorbewohner ist — in dem Aufschluß am ı) Wainio, a. a. O., S. 50. ®) ©. Schröter, die Flora der Eiszeit. Zürich 1882, S. 23. . ) A. G. Nathorst, über den gegenwärtigen Standpunkt unserer Kenntnis von dem Vorkommen fossiler Glacialpflanzen. Stockholm 1892. Bihang till K. Svenska Vet.-Ak. Handlingar XVII, Afd. III N. 5. Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 11. C. Schröter, a. a. O. S. 26. sa» SSNINS 51 Einsegel kann sie im Verein mit Salix polaris und Dryas octopetala nicht als Torfmoorpflanze aufgefaßt werden —, der arktischen Zone an. sSalix polaris ist als Pflanze der Ebene rein arktisch und dringt nur auf dem skandinavischen Hochgebirge in einer schmalen Zunge in die gemäßigte Zone vor. Nur die Bewohner des Wassers, Potamogeton natans, compressus und alpinus, sowie Myriophyllum spicatum und alternifohum sind auf das Waldgebiet beschränkt, doch dringen einige derselben im Hochgebirge bis an die untere Grenze der Almenzone und im Norden bis an die Wald- grenze vor. Das Pflanzenkleid der lübeckischen Niederung trug hiernach in der Nähe des allmählich zurückweichenden Inlandeises einen Charakter, wie wir ihn erst in der Tundra wiederfinden. Bäume und größere Sträucher fehlten, Zwergsträucher und Moose bedeckten den Boden. Daß wir in der damaligen norddeutschen Tundra Pflanzenarten erblicken, die der heutigen Tundra ferngeblieben sind, erklärt sich dadurch, daß unter der südlicheren geographischen Breite und bei der wärmeren und län- geren Sommerzeit die durch das Inlandeis nach Süden zurückgedrängten Bewohner unserer Gewässer auf ihrer Rückwänderung, wie später gezeigt werden wird, den arktischen Pflanzen schnell folgen konnten. 2. Fauna. Die folgenden Angaben stammen vorwiegend aus ©. A. Westerlunds Synopsis Molluscorum extramarinorum Scandinaviae (Acta soc. pro fauna et flora fennica, XIII, N. 7, 1896). Succinea oblonga Drap. wurde am Mont Cenis noch bei 1900 m ge- funden; sie fehlt im nördlichen Norwegen und Finland, dagegen ist die nahe verwandte S. Pfeifferi var. elongata Hartm. in Norwegen bis zum Nordkap verbreitet. Bemerkenswert ist es auch, daß S. oblonga von Nehring!) bei Thiede zusammen mit Lemmingresten gefunden wurde. Limnaea stagnalis L. lebt in Ostfinmarken bis zum 71.° n. Br. Limnaea ovata Drap. kommt in ganz Norwegen bis zum 71.°n. Br. vor. Levander fand dünnschalige lebende Exemplare auf der Kolahalbinsel in einem Seebecken 100 m über dem Meere. ?) Valvata piseinalis Müll. kommt noch in Lappland vor. Planorbis rotundatus Poir. ist von den Westalpen bis Sibirien weit verbreitet, fehlt aber in Skandinavien und Finland; nach Mörch lebt sie auch in Island. Pl. crista L. und natileus L. sind in Schweden bis Piteä und in Finland bis Kuopio beobachtet, 1) A. Nehring, über Tundren und Steppen, Berlin 1890, S. 105. 2, K. M. Levander, Beiträge zur Fauna und Algenflora der süßen Gewässer an der Murmanküste. Acta soc. pro fauna et flora fennica XX, N. 8, S. 30 (1901). 4* 52 Sphaerium dupücatum Ol. gehört nach Clessin zu den hochalpinen Arten. ') Außerhalb des Hochgebirges ist es in allen großen Seen der südbayerischen Hochebene verbreitet.) In Nordeuropa fehlt es ganz bis auf das isolierte Vorkommen auf der Insel Bornholm.?) Da es m den lübeckischen spätglacialen Tonen häufig ist, muß es sicher weit verbreitet gewesen sein. Auf Bornholm wäre es demnach als Relikte aufzufassen. Pisidium ammicum Mil. erreicht in Finland den 69. Breitengrad, P. obtusale Pfeiff. ist in Schweden bis über den Polarkreis vorgedrungen, das in Mittel- und Nordeuropa weit verbreitete P. nitidum kommt in den hochgelegenen Gebirgsseen des nördlichen Norwegens noch bis zum 70.° n. Br. vor und wurde von Mörch auch auf Island beobachtet, P. supinum Schm. fehlt in Finland und dem nördlichen Skandinavien. Die artenreiche Gattung Anodonia ist fast ganz auf Dänemark und das südliche und mittlere Schweden beschränkt. Sie fehlt allem Anschein nach in Norwegen, in Finland ist sie nur in wenigen Formen z. B. A mutabilis var. cygnea vertreten. Dagegen ist sie in Sibirien bis Kamt- schatka . weitverbreitet. Die gleiche Verbreitung in Europa und Asien besitzt die Gattung Unio. Abgesehen von dem jetzt auf die Alpen und die voralpine Hoch- | fläche beschränkten Sphaerium duplicatum konnte in der lübeckischen elacialen Molluskenfauna bis jetzt keine arktisch-alpine Art oder Abart nachgewiesen werden. Die lübeckischen Arten gehören einer weitver- breiteten Molluskenfauna an. Im Gegensatz zu der Molluskenarmut der heutigen Tundraseen waren die inmitten einer arktischen Vegetation gelegenen Wasserbecken Lübecks von Weichtieren verhältnismäßig reich belebt. Diesen scheinbaren Widerspruch können wir nur damit erklären, daß beim Rückgang des Inlandeises unter dem Einflusse der südlichen Breiten die Sommer länger und wärmer waren als in der heutigen Tundra und daß die Wasserlachen selbst in der Nähe des Eisrandes länger offen standen. Daß es nun gerade in der Pflanzen- (Potamogeton und Myrio- phyllum) und Tierwelt die Bewohner des Wassers sind, die den arktischen Landpflanzen unmittelbar nach Norden folgten, das mag auf derselben Ursache beruhen wie die außerordentlich schnelle Ausbreitung der Wasser- pest in den letzten Jahrzehnten, nämlich auf der Verschleppung durch Wasservögel. Kobelt sagt darüber: »Die Wasservögel sind es in erster Linie, welche die Ausbreitung der Süßwassermollusken befördern; die kleinen Zweischaler transportieren sie in dem an ihren Füßen oder an ihrem ') S. Clessin, einige hochalpine Mollusken. Malakoz00l. Blätter Bd. 25, S. S2, 1878. *) Derselbe, Deutsche Exkursions -Mollusken - Fauna 2. Aufl. 1884, S. 572. 3») Westerlund a. a. O, 8. 146. 53 Gefieder hängenden Schlamm, die Schnecken auch an Wasserpflanzen, die sie beim Emporfliegen mit in die Luft nehmen; auch Eier, welche in feuchter Umgebung tagelang ihre Keimfähigkeit behalten, werden auf diese Weise sehr häufig verschleppt«. !) Die bis jetzt im lübeckischen Spätglacial durch Knochenreste nach- gewiesenen Säugetiere sind das Renntier und der Riesenhirsch. Ersteres ist ein Charaktertier der Tundra und paßt vollständig in den Rahmen der lübeckischen Glacialflora; letzteres ist nur fossil bekannt. Nach Nehring gehört der Riesenhirsch weder zu den Charaktertieren der Tundra noch zu denen der Steppe. Ohne Zweifel hat er die nächsten Beziehungen zu der Steppenfauna, doch »scheint er vorzugsweise solchen Ablagerungen anzugehören, in denen die extremer ausgebildeten Steppen- tiere, wie der große Pferdespringer, zurücktreten. Daß der Riesenhirsch kein Bewohner des dichten Urwaldes gewesen sein kann, ergibt sich schon aus der enormen Breite und dem eigentümlichen Bau seiner Ge- weihschaufeln; im Urwalde würde er in seinem bis zu 14 Fuß in die Breite klafternden Geweih kaum von der Stelle gekommen und bald eine Beute seiner Verfolger geworden sein. Er war offenbar ein Bewohner offener oder schwachbewaldeter Gegenden, wie sie während der post- glacialen Steppenzeit Mittel- und Westeuropas in großer Ausdehnung vor- handen waren«. °?) Nach dieser Darstellung Nehringes läßt sich das Vorkommen des Riesenhirsches in den Schlutuper Sandgruben in folgender Weise erklären. Als das nordische Eis die deutschen Küstenländer der Ostsee noch nicht ganz verlassen hatte, war bis in die Nähe des Eisrandes bereits die Tundrapflanzenwelt vorgedrungen. In derselben Zeit hatten die südöst- lichen Gebiete der norddeutschen Tiefebene schon Steppencharakter ange- nommen und wurden von den aus dem südöstlichen Europa eingewan- derten Steppentieren bewohnt. Auf ihren sommerlichen Streifzügen gelangten die größeren Vertreter derselben zeitweise in die baltische Tundrasteppe. Das Vorkommen des Menschen bei Lübeck setzt voraus, daß das Tierleben der damaligen Zeit hier im Norden schon ein ver- hältnismäßig reiches war. !) W. Kobelt, Studien zur Zoogeographie. Wiesbaden 1897, 8. 31. ?) Alfr. Nehring, über Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit. Berlin 1890, S. 205. 54 5. Die jungdiluvialen Süßwasserablagerungen in Mittel- und Nordeuropa, insbesondere die Dryastone. 1. Tidowsche Sandgrube in Groß-Barnitz bei Rein- feld (Holstein). | R. Struck, der baltische Höhenrücken in Holstein, S. S7—88, Taf. XI. Dicht hinter der Meierei in Groß-Barnitz wurde vor 6 Jahren eine Sandgrube angelegt. Als ich den Aufschluß im Sommer 1899 sah, waren Sande in einer Mächtigkeit von 5 m angeschnitten. Beim Fortgang der Arbeiten erschien hier im Sande eine I—2 m mächtige Tonbank mit zahlreichen Konchylienschalen. Nach Struck ist das Profil folgendes: 1—1,; m geschichtete bryozoenhaltige Spatsande, 1,5 » geschichtete tonige, Süßwasserkonchylien führende Mergelsande, 2—9 » in Bändern von 5—10 cm abgesonderte Bryozoen- sande und Grande, 1 » graublauer fetter Geschiebemergel (nur in der Mitte der Grubenwand). Sämtliche Schichten senken sich unter einem Winkel von 20° gen Westen. Die gelbbraunen Mergelsande enthalten zahlreiche Schalenreste von Valvata piscinalis, Pisidien, Sphaerien und in den untersten Lagen große, leider leicht zerbrechliche Anodontenschalen. Der Aufschluß zeigt dieselben Verhältnisse wie die Sandgruben bei der Herrenfähre und bei Schlutup. Wir müssen auch hier ein kleines in der Nähe des Fisrandes gelegenes, von Tieren und Pflanzen belebtes Süßwasserbecken annehmen, in. welches später durch Gletscherbäche größere Sandmengen hineingeführt wurden. 2. Allem Anschein nach gehören hierher die von Maas aus der Tucheler Heide, !) von Schröder von Lindenberg bei Rössel in Ost- preußen ?) und von Jentzsch aus der Gegend von Graudenz (Gr. Schön- !) Jahrbuch d. Preuß. Geolog. Landesanstalt für 1898, S. CC II. 2) Ebenda, für 1887, S. 349. 55 walde) ') beschriebenen konchylienführenden Diluvialsande. Damit ist vorläufig die Zahl der norddeutschen Funde, die ich den Schlutuper Tonen gleichstellen möchte, erschöpft. Bei der großen Zahl der Auf- schlüsse im lübeckischen Sandr- und Talsandgebiete ist es sehr aul- fallend, daß im übrigen Norddeutschland in der Nähe der Endmoränen nicht öfter ähnliche Süßwasserbildungen beobachtet worden sind, zumal da auch andernorts Oscillationen des Eisrandes nachgewiesen sind. 3. Klägeruper Schichten.) Mit diesem Namen bezeichnet Holst konchylienführende Tone und Sande, die an mehreren Stellen im südlichen Schweden, so bei Klägerup von Holmström, Torell und Holst, bei Torsjö von Nathorst teils über, teils innerhalb der jüngsten Grundmoräne beobachtet wurden. Nach Holst ist das Vorhandensein der Moräne über den Süßwasser- bildungen auf Oscillationen des Inlandeises während seines Rückzuges zurückzuführen. Bisher wurden beobachtet: Succinea. Pfeifferi, Limmaca ovata und limosa, Sphaerium, Pisidium, Anodonta, Cytheridea torosa, ferner Salıx polaris, 5. herbacea, 5. reticulata, Betula nana und Dryas octopetala. 4. Die deutschen und nordeuropäischen Dryastone. Nachdem Nathorst im Jahre 1870 bei Arnap in Schonen die erste spätdiluviale Glacialflora entdeckt hatte,. gelang es in den folgenden Jahrzehnten den rastlosen Bemühungen des schwedischen Forschers und den eifrigen Nachforschungen schwedischer, dänischer und deutscher Geologen, in dem Diluvialgebiete Mittel- und Nordeuropas eine weit- verbreitete fossile arktische Pflanzenwelt nachzuweisen. Die zahlreichen über ganz Nordeuropa verbreiteten .bis jetzt bekannten Funde hat unter genauer Wiedergabe der reichen Literatur vor kurzem Paul Range in seiner Dissertation über das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryas- tone ?) übersichtlich zusammengestellt. Die folgenden Ausführungen stützen sich in erster Linie auf diese Arbeit. »Sobald man sich,« schreibt Nathorst, »innerhalb des Gebietes der letzten Vereisung befindet, stellt sich das Aufsuchen von Glacialpflanzen ziem- lich einfach; denn die Ton- und Sandablagerungen, welche die Überreste !) Erläuterungen zu Blatt Lessen 1898, S. 12. 2), N. O. Holst, Hat es in Schweden mehr als eine Eiszeit gegeben ? Deutsch von W. Wolff. 1899, 8. 11. ) P. Range, Das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone, nebst einer vergleichenden Besprechung der Glacialpflanzen führenden Ablagerungen überhaupt. Zeitschr. f. d. ges. Naturwissenschaften, Bd. 76, Stuttgart 1903, S. 159—272. 56 enthalten, stehen gewöhnlich mit Torfmooren in Verbindung und finden sich meist unter dem Torfe ..... Es müssen also zur Zeit des Ab- schmelzens des Inlandeises kleinere Seen, Mulden oder Gletscherbäche vorhanden gewesen sein, welche Gelegenheit zur Bildung eines feinen sandigen Tones gaben, der die Konservierung, der Glacialpflanzen er- mösglichte«. ') »Unter den organogenen Gesteinen Torf, Lebertorf, Wiesenkalk, Gyttja liegt in verschiedener Mächtigkeit der glaciale Süßwasserton. Sein Liegendes bildet stets die Moräne der letzten Ver- eisung. Seine Bildung wird zeitlich meist direkt mit dem Abschmelzen des Inlandeises in Zusammenhang zu bringen sein, ja bisweilen lassen die topographischen Verhältnisse der Umgebung darauf schließen, daß der See, in welchem der Ton abgelagert wurde, vom Eis gestaut war (Allerod und Steenstrup in Dänemark) «. ?) Nach diesen Ausführungen erscheint es unmöglich, die lübeckischen. spätglacialen Tone ‘von den sogenannten Dryastonen zu trennen. Beide sind gleich alt und haben dieselbe petrographische Zusammensetzung, sie unterscheiden sich geologisch nur durch die Beschaffenheit des Liegen- den und Hangenden, indem bei den lübecekischen Glacialtonen das Hangende aus jüngstem Diluvialsand, das Lieoende » Staubeckentonen, Talsand oder Sandr fe) ? ) b) bei den echten Dryastonen das Hangende aus Torf Wiesenkalk und Gyttja, das Liegende » der oberen Grundmoräne besteht. Im Folgenden soll untersucht werden, wie weit beide in ihrer Fauna und Flora übereinstimmen. Die Zahl der bis jetzt bekannten Fundstellen fossiler arktischer Pflanzen in Norddeutschland ist gegenüber den gleichen Nachweisen in Dänemark und Schweden noch sehr gering. Die Zahl wird noch be- scheidener, wenn wir nur diejenigen Stellen herausheben, an denen die das Liegende der Dryastone bildende Grundmoräne ermittelt ist und das Hangende von Torfmooren gebildet wird. Es sind nach Range?) folgende: ') Briefl. Mitteilung von Nathorst an P. Range vom 6. 9. 1902. P. Range a. a. O., S. 227. 2) P. Range, a. a. 0. S. 229. ®) P. Range, a. a. O. S. 247—268. 57 Im=Nusse. per Molln.‘) 5 m Torfmoor (Hochmoor), 0,5 » grünlicher Ton 0,75 » graublauer Ton Moräne. N mit arktischen Pflanzen, 2# Sprenge bei Oldesloe. ’) Torfmoor, 2—2,5 m Gyttja, 1—1, » grauer Ton mit arktischen Pflanzen, Moräne. Projensdorf westlich Holtenau am Nordostseekanal.°) 2 m Work, 3 » Wiesenkalk, ls; » Sand und Ton mit arktischen Pflanzen, Moräne. 4. Nantrow bei Wismar. %) 30—40 cm Torf, 70—80 » Gyttja, +6 m Sand und Grus mit arktischen Pflanzen. 5. Schroop, Kreis Stuhm, Westpreußen.) O;,s0,.m,, Torf, 0,0 » Wiesenkalk, + 1 » Ton mit arktischen Pflanzen, Moräne. In der folgenden Tabelle ist die Verbreitung der lübeckischen Glacialpflanzen in den deutschen, englischen und nordeuropäischen Dryastonen dargestellt. 1) P. Range, 2. 2.0. 8. 247 ff. 2) Ebenda, S. 261 ff. ®) Nathorst, Den arktiska florans forna utbredning i Länderna öster och söder om östersjön. Ymer. Stockh. 1891, S. 144 und Nathorst, Über den gegenwärtigen Standpunkt unserer Kenntnis vom Vor- kommen fossiler Glacialpflanzen. Bih. till. Vet. Ak. Förh. Stockholm 1892, S. 19. *) Nathorst a. a. 0. 8. 19. 5) Nathorst, Ymer. Stockholm 1891, S. 137. 58 Norddeutschland N R R Pflanzen der lübeckischen SEE 0 S =. a = Glacialtone : Se 1 Ve Me 5 & lese. rauen elle E Nitella flexilis En N de x @harassp 0: I TE Thuidium en Ban eur, ne x! Sr X . . Hypnum stellatum Schreb , .ı.:... ...ıLx x a 3% » turgescens Jensen . Bahr x x > Kneiffii Schimp. a » cuspidatum L. var. flui- tans v. Klinger. EN Potamogeton alpinus Balb. . . \x: .: ER: x > compressusular aa un u BEN u > mtelt SPA AU ERUDE AN
BPNISE LASER LH RU SEE RO Die Tabelle lehrt folgendes: 1. Die lübeckischen Glacialtone haben mit den echten Dryastonen die charakteristischen Vertreter der arktischen Flora gemeinsam: Hypnum turgescens Jens. Salıx polaris Wg. betula nana L. Dryas octopetala L. 2. Wie in den lübeckischen Glacialtonen sind auch in den Dryas- tonen Angehörige der Gattungen Potamogeton und Myriophyllum häufige Erscheinungen. Letztere sind also zugleich mit den arktischen Pflanzen eingewandert. 3. Die lübeckischen Arten Hypnum Kneiffii Schimp. und cuspidatum L. sind in den Dryastonen bis jetzt noch nicht gefunden. H. turgescens Jens. ist, abgesehen von einem geologisch nach nicht genau festgestellten Vor- kommen auf der Kurischen Nehrung, aus den deutschen Dryastonen noch unbekannt, ebenso A. stellatum Schreb.; dagegen sind beide in Ablagerungen aus dem Anfang der Eiszeit von Nathorst bei Deuben 59 in Sachsen ), und von ©. Weber bei Bad Oeynhausen ?) nach- gewiesen. Die folgende Tabelle zeigt die Verbreitung der lübeckischen Glacial- mollusken in den Dryastonen. Mollusken der lübeckischen au E S a B e = 5 ä © S Glacialtone ze En =) = = Succinea oblonga Drap. x Limnaea stagnalis L. E » oyatar Drapss, Rue : } x x Planorbis crista L. rt r.pff s ! n » nautlleusf rsh!lM as. x . x » roimndatusı Boing.) : - Valvata piscinalis Müll. . .. . x x x ul Sphaerium duplicatum Cl. Pisidium amnicum Müll. . . . . x . x >» rOSISphANNa DET EL ON IT, BER x » nitidum Jen. > obtusale Pfeift. » supinumy Schm, 4 4,021: Anodontasmntabiish Ch nr N... 5 : x x \ Eitor Ep An wen en - ; x x Die großen Lücken in der Verbreitung der wenigen Molluskenarten beruhen wohl weniger auf dem Fehlen derselben auf großen Flächen als auf den Mängeln der Aufschlüsse und der Unsicherheit der Bestimmung (Sphaerien und Pisidien.. Wenn Anodonten bei Lübeck zahlreich vor- kommen, so sind sie sicher auch noch in den echten Dryastonen Nord- deutschlands zu finden, und wenn das alpine Sphaerium duplicatum in allen lübeckischen Aufschlüssen — in allen von Glessin bestimmt — in großer Zahl vorkommt und lebend noch auf Bornholm nachgewiesen ist, so ist diese Art fossil auch noch an anderen Stellen Norddeutschlands und in Schweden aufzufinden. Dasselbe gilt von Limnaea stagnalıs, Planorbis rotundatus, Pl. erista und den Pisidien. ee A N A. G. Nathorst, Die Entdeckung einer fossilen Glacialflora in Sachsen am äußersten Rande des nordischen Diluviums. Oefvers. af Kgl. Vet. Ak. Förh. 1894, S. 519 £. ®) G. Müller u. ©. Weber, Über ältere Flußschotter bei Bad Oeynhausen und Alfeld und eine über ihnen abgelagerte Vegetationsschicht. Jahrb. der K. Pr. geol. Landesanst. für 1902. Berlin 1903, S. 362 f£. n— 60 6. Allgemeine Ergebnisse. 1. Die zahlreichen bis jetzt beobachteten konchylienführenden olacialen Süßwasserablagerungen der Umgegend Lübecks gehören ein und demselben Horizont an. 2, Alle Aufschlüsse lassen mit seltener Klarheit erkennen, daß die nur wenige Decimeter dicken Glacialtone im Sandı-, Talsand- und Tal- tongebiete sich in der Nähe des Eisrandes gebildet haben und durch mehr oder weniger mächtige von Gletscherbächen herbeigeführte Sande und Grande überschüttet worden sind. 3. Die lübeckischen Glacialtone umschließen Reste einer hoch- nordischen Pflanzenwelt. 4. Die lübeckischen Glacialtone gehören demselben Horizont an wie die »Dryastone« und sind, da sie mit diesen in Flora und Fauna über- einstimmen, gleichfalls als Dryastone zu bezeichnen. Daß sich die Dryasflora bei Lübeck auf den Abschlämmprodukten des Inlandeises angesiedelt hat, während sie in den bisher bekannten Aufschlüssen immer auf der jüngsten Grundmoräne gefunden wurde, ist bedeutungslos; der einzige wichtige Unterschied der beiden Gruppen ist in ihrem Hangenden zu suchen: Während sich über fast allen Dryastonen Norddeutschlands und Nordeuropas nach einander die Pflanzengebilde eines wärmeren Klimas (meist Waldmoore) aufbauen, wurde diese allmähliche Veränderung der Pflanzenwelt bei Lübeck durch Übersandungen bei geringen Oscillationen des Inlandeisrandes unterbrochen. 5. Nach den bisherigen Pflanzenfunden bot das lübeckische Gebiet, soweit es vom Eise befreit war, das Bild einer baumlosen arktischen Steppe. Niedriges Gestrüpp der Zwergbirke, Betula nana, und das sich kaum über dem Boden erhebende Strauchwerk der Polarweide, Salx polaris, und der Dryade Dryas octopetala, bedeckten das trockene Gelände. Flechten und Moose, z. B. Thwdium abietinum, füllten die Lücken aus. In flachen Niederungen, wurden die atmosphärischen Niederschläge durch Astmoose, Hynum cuspidatum, H. stellatum, H. turgescens, festgehalten. Zahlreiche flache Wasserbecken waren von Armleuchtergewächsen (Chara- ceen), von Laichkräutern Potamogeton natans, alpinus, compressus, vom Tausendblatt, Myriophyllum spicatum, und von einer individuenreichen Molluskenfauna belebt. 61 6. Mit diesen wenigen bis jetzt nachgewiesenen Pflanzenfunden ist aber die jungglaciale Flora Lübecks noch lange nicht erschöpft. Wenn auf der zur Tundra gehörenden Halbinsel Kanin nach Pohle!') die Ufer der Gewässer von Arten der Gattungen Carex, Eriophorum, Scirpus, von Caltha palustris, Menyanthes trifoliata und vielen anderen Arten belebt werden, wenn ferner in Nordkanin die aus lehmigem Boden bestehenden sonnigen Abhänge mit artenreichen Blumenmatten in ge- schlossener Decke überzogen sind, und wenn selbst das nördliche Grön- land, wo die Eiszeit noch heute andauert, eine gar nicht artenarme Flora besitzt, die in dem kurzen Sommer ihre Blütenpracht entfaltet, so dürfen wir annehmen, daß in dem weit südlicheren Norddeutschland unter dem Einfluß des höheren Sonnenstandes im Sommer eine an Arten und Individuen reiche Pflanzenwelt dem sich zurückziehenden Inlandeise gefolgt ist. 7. Denselben Pflanzenreichtum bezeugen die Funde großer Pflanzen- fresser, des Renntieres und des Riesenhirsches, bei Schlutup. Das Vor- kommen des Riesenhirsches weist ferner darauf hin, daß zu derselben Zeit die von Waldinseln unterbrochene subarktische Steppe bereits weit nach Norden vorgedrungen war und daß die arktische Steppe, die Tundra, wahrscheinlich nur einen verhältnismäßig schmalen, den Eisrand be- gleitenden und mit dem Rückgang des Eises sich nordwärts vorschiebenden - Landstreifen bedeckte. Aus den von Menschenhand bearbeiteten Renn- tiergeweihstücken bei Schlutup ersehen wir endlich die überraschende Tatsache, daß auch der Mensch dem sich zurückziehenden Inlandeise folgte und auf dem eben erst aus dem Eise emportauchenden Lande seine Wohnstätten aufschlug. Y) R. Pohle, a. a. O. S. 84 fi. 62 Nachtrag zu Seite 15. Nur von zwei Stellen des Endmoränengebiets sind mir die Ergen»- nisse von tieferen Bohrungen bekannt: 1. Die auf Seite 7 mitgeteilte Bohrung bei Pöppendorf. Es wurde bis 40 m trocken gebohrt. Der 37,5; m mächtige (von 7,50 —45 m) meist fette Geschiebemergel wurde mehrfach von ganz dünnen, kaum 1-—-2 dm mächtigen Kiesbänkchen unterbrochen. 2. Bohrung "bei der Wärterbude 118 der Travemünder Eisenbahn, südlich von der Station Pöppendorf (Vogeley 1904), Trockenbohrung bis 15,5 m Tiefe. Beim Bau der Eisenbahn waren hier schon rund 2 m grober Kies mit Steinen (Kreidegrünsandsteine, Block- packung) weggenommen. 0— 2,85 m: grober Kies mit Steinen ‚(Blockpackung), — 8 » fetter Geschiebemergel, — 9 » magerer > —155 >» fetter N — 15,2 » grober Kies — 19 » magerer Geschiebemergel, — 23 » fetter » — 82 » magerer > — 34 » Kies mit Wasser. Wenn bei einer demnächst in Ivendorf auszuführenden Brunnen- bohrung in gleicher Tiefe eine wasserführende Sandschicht erreicht wird, so können wir auf Grund der Bohrungen bei Station Pöppendorf und bei Rönnau einen weiter ausgedehnten Grundwasserhorizont annehmen, und damit wären wir imstande, im nördlichen Gebiete Lübecks eine obere. Grundmoräne von einer unteren zu trennen. 7} T. leilnveise wugeschi Üel ( SM rub, bur ", \ E and vonOlder Der Star Mi A1-6:; Glaciade Süfswasserablagerung | N: Meyı'sche Grandgrube beim Friedhof: 3: Bahnhofshotel: 6: Haus hange: rg. F und d. lusschnitte ‚aus .dem- Profil ‚der Oldenburg schen | Sundgrube bei der Herrenfähre. Y, RR, REREETEEER ERRETRER CEERERER DIR LEH BL BETA Tafel I. ‚Jusschrctt aus dem Mefstıschblatt Liibeck. T1:25000. Kürkn ER . Aetchle 2 9 F g . Au Oldenburg sche Sandgru be: bei der Herrenfähre: —Teilzweise ? Ne dettet = Höher 7:500. Zan ger 1:1000 3,8 ndgrkbe von. La ge Jlte Trave OCRTERTHNTTUTRTTHNTNUHRCHUHNCHUNNUNN \ \ li 1% Tatugı /U- ——h\ \N Te Te nn a N \ Eee, j BITTE we — Serobictlarie —pinerüe 3 = nE =2 % 5m E27 Do « Zanges Sandgrube ber Schlutugt, (Ostwand.) hängen 7.1000. Hoher. 1.500. I ers 6 5 - 3 u" N al 0" Trave "Modde=. Je 72 eriiz. a Sabsand, lonig und ‚grandıg. b gränlichgrauer Sardmengel, x. Tentkalkt. C Hatsand. d Tonband. e feiner schwachtoniger Sand. 7 Satsand mit verschwernmten. Ronchylien- I Grand. Bunz © enthalten: Süfswasserkonchylien. [70 blaugrauer unterdüuvvaler Tonmrergel. 6 Spatsand. C glaciale Sufswasserablagerung. d Jüngster dilwoialer Sand und. Grand. e Knocherr vom Biesenhirsch: Autogr im Kataster - a De, = Tafel I a B277 X Meyrn sche Grandgrube am bahnhof xı Schlutup.. Ouerprofl NW - SO. Xeichen. - Er Marung in Längen: 1:1000. Höhen: 1:500. vu Fig 18. ’ nloer a blaugrauer unterdeluvialer Ton mergel. i Hey. Bahndof:. b Sratsarnd Brunner = — 6, Brunnen C glacıa Sußrwasserablagerung. und gebohrt 7 = ale x Ss 2 f 2 7 d. Jüngster dilwvraler Sand und (Grand. x \ Mürlınteich e von. Menschen bearbeiteler Knochen. ” Rentiergemwerh £ ln +3,64 OU. 9% ri mw Fig # Ausschnitenv aus Fig 3. Fig KL Mey sche Grandgrube anv Bahnhof au Schl lu. Längenprofil SW-NO. Langen. 7:7000, Hoher 1:00. + Taw Ob.96 ge Be TR a es bahrıh ofs = hotel. Brenner b Kalkrercher Mergel. je ‚grauer Sand mit kohligen Resten 9 brauner Sandımergel, [2 ” sandiger Ton met. +10 1m 96. 9%. SuUssmwasser- Konchylien. S 155 "u Ftg. 5 Ausschnitt WU aus Fig. R, Mey‘ sche yausen Un der Nähe des Fr bei Anldutun Längen 7: 7000. Hoherv 71:500. I: &lever Mieferrv. 2: Hinsegel. 3: Vormwerker Schale, +. SL. Lorenz - Mittelschule: 5: Hisenbahneinschnitt ı bei Bredes Mühle 6:2 urgtor. Mafsstab 7:50000. wrei van MG Rahtgens in Lübedc, . E Kiesgrube von’ Björnsern in den Clever Kiefern bei Schwartau. Länger und Hohen’ 1.500 b-7alsand. 0: Glacialer Süfswasserton. d- Schraggeschichtete Sande und Grande Sandgrube vorn. Böge bei Schlaclige. Hoher 1.500. Langen- 7.7000. oanz Se en a > 5 S > Je N —Z—— SS N I a Zoe oe = acano ae b- Spatsand. c- Gacialer Sufsmwasserton. d- Grand. Jutogr. im Kataster Am£. Die Lübeckischen Litorinabildungen. Vone- Prof. Dr. P. Friedrich und Dr. H. Heiden in Lübeck. in Rostock. Mit Tabellen und einer Tafel. Vorbemerkung. Das der folgenden Arbeit zu Grunde liegende Beobachtungsmaterial stammt fast ausschließlich aus vier Brunnenbohrungen, die im Sommer 1903 von den Bohrfirmen Botje-Mölln und Gliemann-Hamburg in Travemünde ausgeführt wurden, nämlich in der Villa Possehl, in der Ferienkolonie und am Rennplatz auf dem Priwall. Für die Überweisung der sämtlichen außerordentlich wertvollen Bohrkerne bin ich neben den beiden genannten Bohrfirmen Herrn Senator Possehl und dem Vertreter der Firma Ph. Holzmann, Herrn Frank, zu lebhaftem Danke ver- pflichtet. Von den vonseiten der Wasserbauverwaltung in der Nähe Lübecks und im Mündungsgebiete der Trave ausgeführten Bohrungen lagen mir nur kurze Notizen vor. Ich erkenne es dankbar an, daß mir die Ein- sicht in einen Teil der Bohrprotokolle gestattet wurde; zugleich aber mub ich mein lebhaftes Bedauern aussprechen, daß mir seit Jahren trotz vielfacher Bemühungen niemals die Möglichkeit geboten wurde, den Bohrungen persönlich zu folgen oder Bohrproben zu erhalten. Ich halte es für meine Pflicht, dies hier öffentlich hervorzuheben, damit mir nicht einmal später von Fachgenossen der Vorwurf gemacht werden kann, ich hätte ein reiches geologisches Beobachtungsmaterial unbenutzt liegen lassen. Herr Dr. H. Heiden-Rostock hat sich der mühevollen Arbeit unterzogen, die Diatomeenflora der lübeckischen Litorinabildungen in gleich eingehender Weise zu bearbeiten, wie er es für die Litorina- ablagerungen am Conventer See und in Warnemünde getan hat. Die Schlämmarbeiten zur Gewinnung der Diatomeenreste führte der Leipziger Mechanikus Thum aus; einige Schlämmproben verdanke ich Herrn Zahnarzt Diederichs in Eutin. Herr Dr. ©. Weber in Bremen [57 66 bestimmte eine größere Anzahl von Pflanzenresten, Herr S. Clessin in Regensburg kontrollierte einige Molluskenbestimmungen. Herr Bau- inspektor Harms hatte die Freundlichkeit, bei den Erdarbeiten für das Villenviertel Neu-Travemünde einige Trockenbohrungen zur Bestimmung von Moortiefen ausführen zu lassen. Herrn Vermessungsinspektor Diestel verdanke ich die Höhenbestimmung einiger Bohrpunkte. Allen diesen Herren spreche ich hier nochmals meinen Dank aus. Den wärmsten Dank schulde ich Herrn Prof. Lenz, der mich bei der Abfassung dieser Arbeit in altgewohnter Weise unterstützte. Die Bohrproben aus den obengenannten vier Travemünder Bohrungen und die in ihnen gefundenen Konchylien und Knochenreste befinden sich im lübeckischen Museum. Probenreihen konnten der preußischen (reologischen Landesanstalt überwiesen werden. Die von Herrn Thum her- ausgeschlämmten zahlreichen Floraminiferen harren noch der Bearbeitung. -P. Friedrich. Inchasle I. Die bis jetzt bekannten Litorinabildungen an der deutschen Ostseeküste. Kieler Föhrde, Insel Lieps, Conventer See, Warnemünde, Greifswald. Anhang: Oderbank und Oldesloe. II. Die lübeckischen Litorinabildungen A. im Tale der Trave (Moddeaufpressungen), B. im Mündungsgebiete der Trave. I. Priwall. Bohrungen von Ph. Holzmann N. II, N. I, in der Ferienkolonie, in der Villa Areboe -Reuter, in der Kiesgrube, am Kohlenhof. II. Stadt Travemünde. 3ohrungen in der Rose, bei Vaelers Hause, am Spritzenhause, Stadtbahnhof und am Gasometer. Ill. Villa Possehl und in der See vor der Strandpromenade. IH. Die alte Stromrinne der Trave und ihrer Nebenflüsse. IV. Gesamtergebnisse. 67 > Die Ostsee in ihrer gegenwärtigen Ausdehnung und Beschaffenheit ist eine äußerst jugendliche Schöpfung. Ihr Bestand als dauernde Wasserbedeckung des skandinavisch-baltischen Beckens reicht nicht weiter als bis in die Schlußabschnitte der Glacialzeit zurück, in Zeiten also, in welchen der Mensch bereits ein Bewohner des mittleren Europa war.«') Erst als das Inlandeis bis in das skandinavische Hochgebirge zurück- gewichen war, breitete sich ein Meer über ausgedehnte Teile des bal- tischen Gebietes aus, »indessen waren die Beschaffenheit desselben und selbst seine Lage noch durchaus verschieden von derjenigen des heutigen Binnenmeeres, und noch mannigfache Wandlungen hat jenes . Meer erfahren, ehe aus demselben die heutige Ostsee hervorging. Ein Eis- meer, bevölkert von einer hochnordischen Tierwelt, ein Binnensee mit ausgesprochener Süßwasserfauna, ein Brackwasser-Binnenmeer von höherem Salzgehalt, als ihn die Ostsee sesenwärtig aufzuweisen hat — das sind die einzelnen Phasen, welche die Wasserhülle des baltischen Beckens seit der Glacialzet bis zum Eintritt m ihre gegenwärtige Erscheinungsweise. und Beschaffenheit noch zu durchlaufen hatte.« °) Alle diese Phasen im Werdegang der heutigen Ostsee lassen sich nach den Untersuchungen der schwedischen Geologen, insbesondere von de Geer und Munthe, auf zwei Senkungsperioden zurückführen, denen jedes Mal wieder eine Hebung folgte. 1. Am Schlusse der Eiszeit brachte eine allgemeine Senkung das Östseebecken an zwei Stellen mit dem Ocean in offene Verbindung, in der breiten Senke von Stockholm - Gefle über den Wenern- und Wettern- see bis zum Skagerak und allem Anscheine nach über den Ladoga- und Onegasee zum weißen Meer. Die damalige Ostsee (Yoldiameer) war von einer arktischen Molluskenfauna, mit Yoldia arctica, und von einer hoch- nordischen Säugetierfauna bewohnt. Der Yoldienton umgibt jetzt den Wenernsee in einer bis zu 150 m ü. d. M. emporsteigenden Ebene. ) R. Credner, Über die Ostsee und ihre Entstehung. Verhandl. der Gesellsch. deutscher Naturforscher u. Ärzte. 67. Vers. zu Lübeck. T.1. Leipzig 1895. S. 146. 2, R. Credner, a. a. O. S. 147. 5*r 68 2. Durch eine allgemeine Hebung wurden die beiden Zugänge zum offenen Ocean immer flacher und verschwanden zuletzt, die salz- reiche Eismeerostsee wurde zum Binnensee, in welchem bei fortdauernder Aussüßung die marime Lebewelt allmählich durch Süßwasserbewohner verdrängt wurde. Die Abflußkanäle- dieses nach einem seiner Süßwasser- bewohner, Aneylus lacustris, von den schwedischen Geologen als Ancylus- meer bezeichneten Binnensees bildeten wahrscheinlich die Belte. 3. Bei einer darauffolgenden Senkung sowohl im Norden als im Süden erhielt das salzreiche Nordseewasser durch die nun tieferen Wasser- pässe im Süden, den Sund und die beiden Belte, als Untermeeresstrom Eingang in die Ostsee. Die Ostsee ward zum Brackwassermeer. In diesem waren Mollusken und Diatomeen, welche jetzt auf die Beltsee beschränkt sind und nicht über eine Linie Sund-Rügen ostwärts hinaus- gehen, bis an das Nordufer des bottnischen Meerbusens verbreitet, die Ostsee war also salzreicher als jetzt. Nach der damals weitverbreiteten Litorina litorea bezeichnen die schwedischen Geologen diese salzreichere Ostsee als Litorinameer. 4. Eine darauffolgende Hebung des Ostseebeckens, welche im Norden zur Zeit noch anhält, hatte zur Folge, daß der salzreiche Unter- wasserstrom durch das Emporsteigsen der unterseeischen Bodenschwellen in seiner Ausbreitung gen Nordosten immer mehr behindert wurde. Es begann von Norden her eine erneute Aussüßung. »Der Verschiebung der Salinitätsverhältnisse folgend, wanderte die Tierwelt aus dem Norden und Osten in ihre jetzigen Verbreitungsgebiete im Süden und Süd- westen aus. An ihre Stelle trat dort eine hauptsächlich durch Zimnaea charakterisierte Süß- und Brackwasser-Mischfauna. Zu dieser gesellte sich durch Einwanderung Mya arenaria, die Muschel also, welche der gegenwärtigen Ostseefauna ihr charakteristisches Gepräge verleiht. Gleich-. zeitig mit diesem Aussüßungsprozeß tauchten die von dem Brackwasser- meere der Litorimazeit überfluteten randlichen Partieen des Beckens über den Wasserspiegel empor, die Ostsee erhielt ihre heutige Gestaltung und Ausdehnung. « !) In dem deutschen und dänischen Küstengebiet der Ostsee sind weder Yoldia- noch Ancylusablagerungen bis jetzt nachgewiesen, wir müssen daher annehmen, daß noch lange nach der Eiszeit an Stelle der südlichen und südwestlichen Ostsee Land lag. Erst mit dem Beginn der Litorinazeit dringt das Meer auch im Süden gegen das Land vor, und es entstehen ungefähr die heutigen Küstenumrandungen. Während nun in Schweden und Finland bei der noch jetzt vor sich gehenden allge- meinen Landhebung die Litorinabildungen über den Meeresspiegel (in ı\ R. Credner, a. a. O. S. 151. 69 Westerbotten bis 74 m, bei Upsala bis 62 m, bei Kalmar bis 3,7 m, bei Kristianstad in Schonen bis 1,2, m) gehoben und an zahlreichen Stellen aufgeschlossen sind, liegen die Litorinagebilde an der deutschen Ostseeküste noch sämtlich unter dem Meeresspiegel und konnten bisher nur in einzelnen künstlichen Tiefenaufschlüssen nachgewiesen werden. Bevor ich diese kurz bespreche, möchte ich an einigen Beispielen auf die großen Unterschiede in der geographischen Verbreitung der Molluskenfauna und in den Salinitätsverhältnissen der Ostsee während der Jetztzeit und der Litorinazeit hinweisen. !) in der heutigen Ostsee 2 es Usisae u Litorinazeit 1. Litorina rudis var. | bis Bornholm mit 0,79%, | bis zum Nordende des tenebrosa Salzgehalt. ' bottnischen Meerbu- sens (jetzt mit 0,2 — 0,3 Y/, Salzgehalt). 2. Litorina litorea bis Nordküste Rügens | bis Hudiksvall (62°n. Br.) mit 0,8 °/, Salzgehalt, (jetzt mit 0,5 °%/, Salz- fehlt im Greifswalder gehalt). Bodden. 3. Rissoamembranacea | bis Warnemünde und |, bis Alandsinseln und Südende des Sundes, | Upsala (jetzt mit 0,5 mit 1,18 %/, Salzgehalt. | —0,6 %, Salzgehalt). 4. Serobieularia pipe- | bis Wismar mit 1,15— bis Nordgotland (jetzt . | | [ / ER rita ı 1,31°/, Salzgehalt. | mit 0,7 °/, Salzgehalt). 5. Ostrea edulis | im Kattegat bis Samsöe bis zur Kieler Föhrde — Anholt — Gothen- | (jelzt mit 1,4—1,8 %, burg mit 3%, Salz- Salzgehalt). gehalt. —e ') Kartographisch dargestellt in H. Munthe, Preliminary Report on the physical geography of the Litorinasea. Bull. of the geol. Instit. of the university of Upsala, Vol. II, Upsala 1896, S. 1—38. 70 I. Die bis jetzt bekannten Litorinabildungen an der deutschen Ostseeküste. Kieler Föhrde. \ Nach den Untersuchungen von Struck!) bestand die Kieler Föhrde, ebenso wie die großen Seen Ostholsteins, ursprünglich aus mehreren aufeinanderfolgenden, zwischen Endmoränenstaffeln liegenden Seen (End- moränenstauseen), die schließlich durch die Schmelzwässer des staffel- weise zurückweichenden Inlandeises miteinander verbunden und westwärts zur Nordsee entwässert wurden. Durch die eingehende Untersuchung von Bohrproben und Bagger- material aus dem inneren Teile der Föhrde hat nun ©. Weber vor kurzem den Nachweis führen können, daß noch lange nach der Eiszeit der Boden der Föhrde über dem Meeresspiegel lag und daß erst mit Beginn der Litorinazeit das Salzwasser die Bucht übertlutete.°) Die Ergebnisse seiner Untersuchungen faßt Weber in folgende Sätze zusammen: 1. Der Boden der Kieler Föhrde enthält oben eine etwa 0,5—2,0 m starke Lage, die aus den Absätzen der heutigen Ostsee und den durch den Schiffsverkehr damit mehr oder minder stark vermengten Bestand- teilen der nächst älteren Bildung besteht. 2. Unter dieser Decke folgt eine (angeblich) bis 19 m mächtige aus Meerlebertorf bestehende Ablagerung der Litorinazeit, während deren der Salzgehalt des Wassers der innersten Föhrde an der Oberfläche min- destens 2 °/,, möglichenfalls aber über 3 %, betrug. ') R. Struck, Der baltische Höhenrücken in Holstein. Fin Beitrag zur Geographie und Geologie Holsteins. Mitt. der Geogr. Ges. u. des naturhist. Mus. in Lübeck. 1904, 8. 63. ») ©. A. Weber, Über Litorina- und Prälitorinabildungen der Kieler Föhrde. 54 8. Engler’s Bot. Jahrb. Bd. 35, H. 1, 1904. Zu 3. Unter den Litorinaablagerungen sind zunächst Brackwasser- bildungen, dann mehr oder minder ausgedehnte, bis 3,5 m mächtige Süßwasserschichten in Gestalt von Moostorf verschiedenster Zusammen- setzung, von Farntorf, Cladiumtorf, Waldtorf und Kalkmudde erhalten geblieben. 4. Der Boden der Föhrde lag beim Beginn der ältesten semi- terrestrischen Süßwasserbildungen mindestens 14,10 m höher als jetzt. Als er so weit gesunken war, daß er noch 7,5 m höher als jetzt lag, erfolgte der Eintritt des salzigen Wassers in die innere Föhrde. Durch das Höhersteigen der Fluten wurden die alten Süßwasserbildungen zu einem großen Teile abgetragen und zerstört. 5. Geraume Zeit vor dem Übergange des Süßwassers in das Salz- wasser bestanden auf dem Boden der inneren Föhrde mehrere mensch- liche Wohnstätten, welche der älteren neolithischen Kultur angehören. Sie wurden verlassen, als das Land noch 8,5-—9 m höher lag als jetzt, weil von dem Zeitpunkte an ihre Überflutung, zunächst noch mit süßem Wasser, begann. In dieser Tiefe finden sie sich gegenwärtig unter dem Mittelwasser der Föhrde. 6. Die Waldbäume, welche ungefähr zu der Zeit an der Kieler Föhrde herrschten, als diese Wohnstätten verlassen werden mußten, waren die Eiche und die Erle. Daneben waren Föhre, Weißbirke und Winterlinde vorhanden, wahrscheinlich damals schon, wenigstens aber bald darauf, auch Hasel und Apfel. 7. Der Übergang vom Süß- zum Salzwasser fällt in der Kieler Föhrde mit dem Höhepunkte der Eichenzeit zusammen. Erst als das Wasser ungefähr seinen höchsten Salzgehalt angenommen hatte, erfolgte die Einwanderung der Buche. Von besonderer Bedeutung sind nach Weber das Auftreten der Auster und das reichliche Vorkommen von Paralia (Melosira) sulcata im Meerlebertorf. Die Auster vermag nach Möbius unter unseren klimatischen Verhältnissen nur in einem Meerwasser von mindestens 3°, Salzgehalt zu gedeihen und kann gegen die Ostsee nicht weiter vordringen als bis in den südwestlichen Teil des Kattegats (ihre Ver- breitungsgrenze ist eine Linie von Samsöe über die Insel Anholt nach Gothenburg). Die Diatomeenart Paralia (Melosira) sulcata lebt nicht mehr in der Ostsee, ihr Vorkommen beginnt erst mit den tieferen Stellen des Öresundes und dem südwestlichen Teile des Kattegats. 72 Insel Lieps bei Wismar. !) Im Sommer 1860 wurden auf der jetzt vom Wasser bedeckten Insel Lieps, nördlich von Wismar, bei Gelegenheit der Vorarbeiten zu Küstenbefestigungen drei Bohrungen ausgeführt. Die Bohrprotokolle lassen deutlich erkennen, daß hier der moorige Litorinaton bis 9 m mächtig ist. Der Conventer See bei Doberan. °) Die unteren, moorig-sandigen Partieen zwischen dem Conventer See und dem Heiligen Damm enthalten nach Koch und Roth’) neben Süßwassermollusken auch Cardium edule, Tellina baltica und Litorina htorea. Wenn bisher Serobieularia piperita noch nicht gefunden ist, so weist nach Heidens Untersuchung der auffallend hohe Prozentsatz mariner Diato- meen und einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Nordseeformen unter diesen darauf hin, daß die Ablagerungen am Conventer See z. T. aus der Litorinasee stammen. Die größte Zahl von Meeresformen, 77, fand Heiden in 4,2 m Tiefe. Während diese z. T. noch an der mecklen- burgischen Küste leben, reicht für 30 Formen der Salzgehalt der west- lichen Ostsee nicht mehr aus. Warnemünde. Nachdem Geinitz schon vor Jahren in mehreren Brunnen- bohrungen das Vorhandensein von Litorinabildungen an der Warnow- mündung*) nachgewiesen hatte, wurden bei den Erdarbeiten für den neuen Hafenbau in Warnemünde in einem 400 m langen Einschnitt unter 4—5 m mächtigem Sand und Kies mit eingelagerten, bis 0,5 m dicken Torfschichten Litormaablagerungen von 1,5 m Mächtigkeit ange- schnitten. An der 400 m langen Profilwand konnte Geinitz°’) 3 Abtei- lungen unterscheiden: 1. eine obere, mehr sandige, 2. eine mittlere, tonige, die Hauptmasse bildend, 3. eine dünne Muschelbank. ") E. Geinitz, Der Landverlust der mecklenburgischen Küste. Mitt. aus d. Gr. Mecklenb. Geol. Landesanstalt. XV. Rostock 1903, S. 12. ”) E. Geinitz, Der Conventer See bei Doberan. — Mitt. aus d. Gr. Meckl. Geol. Landesanstalt. IX. Rostock 1895. ”) F. E. Koch, Geogn. Skizze der Umgegend von Doberan unter spez. Berück- sichtigung des Heiligen Dammes. Arch. d. Ver. d. Freunde d. Naturg. in Mecklenb. XIV (1860), S. 416. Ferner: Zeitschr. d. D. Geol. Ges. XI 1859, S. 343. ") Arch. d. Ver. d. Freunde d. Naturg. in Mecklenb. 39, 1885, S. 131. — Mitteil. aus d. Meckl. Geol. Landesanst. I. 1892, 6. Num. 43. °’) E. Geinitz, Die geologischen Aufschlüsse (Litorina- Ablagerungen) des neuen Warnemünder Hafenbaues. Mit 3 Tafeln. Mitt. aus d. Großh. Meckl. Geol. Landesanstalt. XIV. Rostock 1902. 13 Die überaus individuenreiche Molluskenfauna bestand der Haupt- sache nach aus Curdium edule (bis 37/29 mm) Serobieularia piperita (bis 40/31 mm), Mytius edulis, Litorina litorea (bis 18/25 mm) und Hydrobia ulvae. Nach Heiden, der die Diatomeen dieser Ablagerungen eingehend untersucht hat, !) wird die Hauptmasse der Diatomeenflora von solchen Formen gebildet, welche einen Salzgehalt von mehr als 1,25 %, d. h. einen größeren Salzgehalt zu ihrer Existenz nötig haben, als das Meer an der mecklenburgischen Küste jetzt aufweist. So fand Heiden, um aus der langen Reihe‘ von Bestimmungen nur ein Beispiel anzuführen, in den »unteren, schmierigen Schichten« aus dem Warnemünder Hafen- bassin in 4 m Tiefe 105 Diatomeenarten. Während sich unter diesen nur 3 Süßwasserarten befanden, konnten 60 Meeresformen festgestellt werden. Von diesen finden 20 noch heute an der mecklenburgischen Küste ihre Lebensbedingungen, während 40 einen Salzgehalt des Wassers zu ihrem Gedeihen nötig haben, der etwa dem der jetzigen Nordsee entspricht. Das Liegende der Litorinaablagerungen bildet der Geschiebemergel, jedoch wurde an vielen Stellen des Kanalbettes auf der Grundmoräne ein Waldboden mit wurzelnden Baumstämmen (Eichen) beobachtet. Nach Geinitz betrug der Minimalbetrag der Litorinasenkung bei Warnemünde 20 m. Allem Anscheine nach gehören auch die von Keilhack erwähnten ?) beim Bau der Rostock -Stralsunder-Eisenbahn aufgepreßten marinen Schichten im pommersch-mecklenburgischen Grenztal bei Damgarten der Litorinazeit an. Greifswald. In der Rycktalniederung zwischen Greifswald und der Ostsee breiten sich unter 4—5 m mächtigen, moorig-sandigen Schichten mit Bythinia tentaculata teils sandige, teils tonige marine Ablagerungen aus, welche eine individuenreiche Litorinamolluskenfauna (Seobieularia piperita, Car- dium edule, Tellina baltica, Mytilus edulis) umschließen.®) Beim Dorfe Wiek, an der Mündung der Ryck, fand Friedel in denselben marinen ') Heiden, Die Diatomeen aus den postglacialen Ablagerungen des Warnemünder Hafenbaus. Mitt. aus. d. Gr. Meckl. Geol. Landesanstalt. XIV. Rostock 1902. °) K. Keilhack, Die Stillstandslagen des letzten Inlandeises und die hydrogr. lintwicklung des pommerschen Küstengebietes. Jahrb. d, Kgl. Preuß. Geol. Landesanstalt u. Bergak. Bd. 19, 1898, S. 149. ») H. Klose, Die alten Stromtäler Vorpommerns, ihre Entstehung, ursprüngliche Gestalt und hydrographische Entwicklurg im Zusammenhange mit der Litorina- senkung. Mit 3 Tafeln und 1 Karte. Greifswald 1904. 8. 74. 74 Schichten Zitorina litorea in großen kräftigen Exemplaren und Serobieu- larienschalen von über 40 mm Länge. !) Der Greifswalder Bodden bezeichnet vorläufig das östlichste bis jetzt bekannte Vorkommen von Litorinabildungen an der deutschen Ostseeküste. Es ist jedoch anzunehmen, daß auch an den Küsten von Hinterpommern, West- und Ostpreußen Ablagerungen aus der Litorina- zeit vorhanden sind. Diese Annahme wird auch nicht durch die Tat- sache widerlegt, daß in den Bohrungen, welche die Königl. Hafenbau- inspektion in Swinemünde im Jahre 1903 auf der nördlich von Swine- münde gelegenen Untiefe ' Oderbank zur Feststellung des Baugrundes für einen in Aussicht genommenen Leuchtturm bat ausführen lassen, Ablagerungen aus einer salzreicheren See nicht angetroffen wurden. Deecke, welcher die aus 38 Bohrungen stammenden 400 Bohrproben vor kurzem bearbeitet hat, ?) hält die Oderbank für eine während der Litorinasenkung abradierte Insel. Auf- fallend erscheint ihm nur, daß weder in diesen Bohrungen noch in denen von Swinemünde irgendwelche Spuren einer Litorinafauna zu Tage gefördert sind. Es fehlen die größeren dickschaligen Abarten von Cardium edule und Scrobicularia piperita, die bei Greifswald zu tausenden in den Sanden stecken; nur das kleine Brackwasser- Cardium, Tellina baltiea und einzelne Hydrobien konnten nachgewiesen werden. Nach Deecke begrenzte dereinst die Oderbank ein Haff, an dessen Westrande (nördlich von Jasmund) der Ausfluß des Oderwassers in die tiefe See erfolgte. Während der Litorinasenkung blieb der Greifswalder Bodden, bis zu welchem das von den Belten her einströmende salzreiche Wasser sich ausbreitete, von der Oderbucht getrennt. Letztere blieb unter dem Einflusse des Süßwassers des Oderflusses. Im Anschluß an die kurze Besprechung der bis jetzt bekannten sicheren Nachweise von Litorinabildungen an der deutschen Ostseeküste muß ich nochmals auf die interglacialen Ablagerungen zurückkommen, die im Untergrunde von Oldesloe in einer größeren Zahl von Bohrungen nachweisen konnte und vor 3 Jahren in dieser Zeitschrift beschrieben habe. °) ') E. Friedel, Erläuterungen zu einer Sammlung urgeschichtlicher Sagen aus der Umgegend von Greifswald. 1881, S. I—-VI u. Zeitschr. f. Ethnologie etc. Bd. 14. Berlin 1883, S. 214. Nach Klose. 2) W, Deecke, Die Oderbank, N. von Swinemünde. 13 S. Mit Tafel. Jahresber. IX d. Geogr. Gesellsch. Greifswald 1905 °) P. Friedrich, Der Untergrund von Oldesloe nebst einer kurzen Darstellung der Geschichte der ehemaligen Saline. Mit 2 Tafeln. — Mitt. d. Geogr. Ges. u. des naturhist. Mus. Lübeck. Heft 16, 1902. [B) In seiner Arbeit über die »Einheitlichkeit der quartären Eiszeit« spricht Geinitz die Vermutung aus, das Oldesloer »Interglacial« könne als Absatz eines mit der Ostsee in Verbindung stehenden Flußarmes aus der Abschmelzzeit des Inlandeises betrachtet werden, die hangenden Sande und Geschiebemergelbänke wären dann als Aufschüttungen bei einem wiederholten Vorrücken des schon in der Travemünder Bucht ‘stehenden Eises aufzufassen. ') In späteren Arbeiten neigt Geinitz zu der Annahme, »die Oldesloer pflanzenführenden Schichten als Ablage- rungen der Litorinazeit aufzufassen, auf welche später von den Rändern des schmalen Tales (allerdings recht mächtige) Massen der benachbarten Diluvialhöhen durch Abrutsch u. dergl. geraten sind.« ?) Wenn neuer- dings auch Klose die Oldesloer Aufschlüsse zu den Litorinabildungen rechnet, so folgt er wohl nur den Angaben von Geinitz. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen. In dem best- bekannten Tiefenaufschlusse von Oldesloe, dem Bohrloch im Hamburger Kinderpflegeheim, liegt über dem Interglacial ein 32,50 m mächtiger Schichtenkomplex von Geschiebemergel, Tonmergel, Grand und Sand. Die Geschiebemergelbänke erreichen eine Gesamtmächtigkeit von 10,30 m; allem Anscheine nach sind die drei oberen Bänke als eine einzige Grund- moräne zu betrachten. Die Bohrstelle liegt nicht in der Talsohle, sondern auf einem Höhenrücken zwischen Trave und Beste, der dem Grund- moränengebiete auf beiden Seiten des Travetales an Höhe nur um wenige Meter nachsteht. Die Höhe der Bohrstelle (ca. + 16 m NN), die Mäch- tigkeit des durchbohrten Geschiebemergels und die Beschaffenheit. und räumliche Ausdehnung des Geschiebemergels in den benachbarten Tages- aufschlüssen stellen es außer allen Zweifel, daß die z. T. aus echtem Geschiebemergel bestehenden, bis 30. m und noch mehr mächtigen Abla- gerungsen über dem Oldesloer Interglacial noch zum Diluvium gehören. en ') E. Geinitz, Die Einheitlichkeit der quartären Eiszeit. Neues Jahrb. f. Mineral., Geol. u. Paläontologie, Beilageband VI. Stuttg. 1902, S. 80. 2) Lethaea zeoenostica. III. Teil, 2. Band: Quartär, 1. Abt. E. Geinitz, Das Quartär Nordeuropas, Stuttg. 1904, S. 278. E. Geinitz, Die geographischen Veränderungen des südwestlichen Ostseegebietes seit der quartären Abschmelzperiode. Petermanns Geogr. Mitteil. 1903, Heft 4,S. 5. EP. Geinitz, Das Land Mecklenburg vor 3000 Jahren. Rektoratsprogramm. Rostock 1903, S. 9. 76 ll. Die lübeckischen Litorinabildungen. A. Im Tale der Trave. Bei der Travekorrektion im Jahre 1882 wurde die aus der Trave oberhalb Dänischburg herausgebaggerte Modde auf der Moorniederung der Teerhofinsel gegenüber Schwartau abgelagert. Unter den ausge- baggerten Muscheln fielen mir besonders die zahlreichen Schalen von Serobieularia piperita deshalb auf, weil diese Art jetzt in der Trave aus- gestorben ist und in der Travemünder Bucht bisher nur in einigen kümmerlichen Exemplaren gefunden wurde. Handelte es sich bei der Travekorrektion vorwiegend um Schaffung des nur 1 km langen Durchstiches bei der Teerhofinsel, so hatten die in den letzten Jahren ausgeführten Arbeiten zur Vertiefung des Fahrwassers bis zu 75 m Tiefe Erdbewegungen zur Folge, welche das herrliche Landschaftsbild von der Teerhofinsel bis Schlutup von Grund aus änderten. Die malerischen Buchten auf beiden Seiten der Trave, die Siemser Bucht, der Suhrbrook, das Kattegat, der Stau und die Bucht von Herrenwyk wurden mit Baggermodde zugeworfen, es wurde nördlich von der Herrenfähre zwischen Siems und der Avelundbucht ein neuer Durchstich geschaffen und die 1852 hergestellte Fahrrinne bei der Herrenfähre zugeschüttet; ein langer gerader Damm gegenüber Goth- mund bezeichnet jetzt das linke Ufer des Fahrwassers. Ungebeure Mengen von Muscheln wurden durch den Bagger zu Tage gefördert und vor allem im Stau und in der Herrenwyker Bucht, noch jetzt sichtbar, ausgebreitet. Es sind vorwiegend: Cardium edule, Mytilus edulıs, Scrobicularia piperila, Tellina baltica, Mya arenaria. 77 Dazu kommen in geringerer Zahl: Hydrobia ulvae, Litorina litorea in kräftigen Exemplaren, Nassa reticulata, von der etwa 20 meist kräftige Exemplare gefunden wurden, endlich in der Herrenwyker Bucht noch: Oyprina islandica, zwei Schalen, Astarte borealis, eine Schale. Zu diesen Salzwasserbewohnern gesellen sich zahlreiche Süßwasser- mollusken, u. a. Paludina vivipara, Dythinia tentaculata, Limnaeen etc. Alle diese jetzt nebeneinander liegenden Molluskenschalen gehören ganz verschiedenen Tiefenhorizonten an. Wenn nun auch zahlreiche Moddebohrungen im Gebiete der Untertrave in den letzten Jahren von seiten unserer Wasserbauverwaltung ausgeführt worden sind, so bin ich doch außer stande, über die Mächtigkeit und die Aufeinanderfolge der Horizonte genauere Angaben zu machen, da es mir nicht vergönnt war, Bohrproben zu erhalten. _ Einen wenn auch nur unvollkommenen Einblick in die tiefere Modde gewährten die Dammaufschüttungen zwischen Siems und Goth- mund und bei Herrenwyk. In der Herrenwyker Bucht konnte man noch im letzten Herbst die emporgepreßte Modde in ihrer verschiedenartigen Zusammensetzung beobachten. Dem Auge fielen sofort drei Horizonte auf: 1. obere Modde mit durchweg kleinen Exemplaren von Mya arenaria, Mylilus edulis und Oardıum edule, 2. mittlere Modde mit zahlreichen und sehr kräftigen (bis 12 em langen) Exemplaren von Mya arenaria, aber ohne Serobieularia piperita, 3. untere, beim Trocknen sehr hart werdende Modde mit groben Schalen von Serobieularia piperita, Cardium edule, Mytilus edulis, Tellina baltica, Nassa reticulata, Litorina litorea, aber ohne Mya arenaria. Unter der großen Menge von Serobieularien herrschen Schalen vor, die 40 mm lang und 30-35 mm hoch sind. Vereinzelte Exemplare erreichten mit 45 mm Länge und 36 mm Höhe die Maße der noch jetzt in der Kieler Bucht (bei einem Oberflächensalzgehalt von 1,3 /o) lebenden Serobieularien. Bei seinen Untersuchungen der wirbellosen Tiere in der Travemünder Bucht fand Lenz!) nur einige Exemplare von Serobieularia ') H. Lenz, Die wirbellosen Thiere der Travemünder Bucht. Resultate der im Auftrage der Freien und Hansastadt Lübeck angestellten Schleppnetzunter- suchungen. Th. I. Anhang I zu dem Jahresber. 1874/75 der Kommission zur wissenschaftl. Untersuchung der deutschen Meere in Kiel. Berlin 1875, Fol. S. 18. 13 pipcrita am Strande, auf dem Priwall und in der Sichenbucht; das Schleppnetz förderte nur ein paar sehr jugendliche, lebende Stücke und (im Hafen) zwei größere Schalen in verwittertem Zustande zu Tage. Das größte Exemplar ist 31 mm lang und 25 mm hoch. Trotz häufigen Suchens sowohl am Strande als an der Poetnitzer Wiek ist es mir nur einmal gelungen, eine Scrobicularienschale von mittlerer Größe zu finden. Jetzt sind die Verhältnisse andere geworden; bei der Vertiefung des Fahrwassers im Travemünder Hafen und auf der Plate wurde der bis zur Tiefe von S m u. d. M. herausgebaggerte Sand auf der ganzen Nordseite des Priwall ausgebreitet, ferner wurde der Sand aus dem Fahr- wasser südlich von Travemünde teils in der Poetnitzer Wiek verklappt, teils mittels Spülbagger an der Südwestecke des Priwall abgelagert. Alle künftigen Funde von sSerobicularia piperita und Nassa reticuiata auf dem Priwall und am Strande werden auf diesen zum großen Teil «ler Lito- rinazeit angehörenden Baggersand zurückzuführen sein. Ser. piperita kommt nach Braun!) in der salzreicheren Wohlenberger Wiek bei Wismar noch häufig vor und erreicht in verkümmerten Formen den östlichsten Punkt ihrer Verbreitung in ‘der Ostsee bei Warnemünde. Nicht minder auffallend ist das Vorkommen kräftiger Exemplare von Nassa reticulata in der tieferen Modde zwischen Herrenfähre und Schlutup. Von dieser Art berichtet Lenz°): »Diese Schnecke wurde bisher lebend nicht gefunden. Zwei tote Schalen sind von Herrn Dr. Nölting bei Niendorf am Strande gesammelt. Drei Exemplare, eins davon sehr gut erhalten, sind im Sommer 1873 und 74 am Priwall an den Strand gespült gefunden.« Nassa reticulata lebt jetzt nicht mehr in der Bucht von Wismar. Aus den bisher aufgeführten Beobachtungen lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1. Die Molluskenfauna der Untertrave hat sich im Laufe der letzten Jahrtausende wesentlich geändert. 2. Die älteren Mollusken sind Bewohner eines salzreicheren Wassers. Serobieularia piperita und Nassa reticulata sind aus der Untertrave längst verschwunden und auch in der Travemünder Bucht nur noch in kümmerlichen und vereinzelten Relikten erhalten. 3. Mya arenaria ist in die Untertrave erst nach dem Aussterben von Serobieularia und Nassa eingewandert. 4. Cardium edule, früher noch oberhalb der Herrenfähre zahlreich und in kräftigen Exemplaren vorkommend, erreicht die Herrenfähre ‘) Archiv der Ver. d. Freunde der Naturg. in Mecklenburg, 1888, S. 76. 2) Lenz, a. a. O. 8. 22. 8) jetzt nur in kümmerlichen Exemplaren, Litorina litorea fehlt jetzt ober- halb des Stulperhuks ganz. Die Diatomeenflora der festen Scerobiculariamodde von Herrenwyk erwies sich als auffallend arm an Arten und Individuen. Die bisher nachgewiesenen 20 Arten (siehe das Diatomeenverzeichnis) verteilen sich auf Süß- (S.), Brack- (Br.) und Meerwasser (M.) in folgender Weise: 7 | Sale Bro | BEN, I A Da eine gründliche Bearbeitung der lebenden Diatomeen der Unter- trave und der Travemünder Bucht noch fehlt, so ist es unmöglich, fest- zustellen, ob die Diatomeen der Litorinamodde von der heutigen Diato- meenflora verschieden sind. Auffallend ist neben dem Vorherrschen großer Serobieularien das Vorkommen von nur 4 Diatomeenmeeresformen. Von diesen ist Synedra erystallina Ktz. aus der Travemünder Bucht (Dannfelt) bekannt, Rhabdonema arcuatum Ktz. bis Oeland verbreitet, Biddulphia laevis ist der einzige Vertreter derjenigen Diatomeenformen, welche zu ihrem Leben einen größeren Salzgehalt verlangen, als in dem Meeres- teil zwischen Travemünde und den dänischen Inseln vorhanden ist. Die Zahl dieser in der Tabelle mit M. 1 bezeichneten Formen wird bei der Untersuchung einer größeren Anzahl von Moddeproben sicher bedeutend wachsen. — 1 ——— - B. Im Mündungsgebiete der Trave. I. Unter dem Priwall. Das massenhafte Erscheinen von Scrobicularienschalen in der Baggermodde bei der Herrenfähre und das Vorkommen kräftiger Exem- plare von Srobieularia piperita und Nassa reticulata in den tieferen Sanden der Travemündung ließen auf das Vorhandensein einer mächtigen Litorinaablagerung unter der Poetnitzer Wiek, unter dem Priwall und der Plate schließen. Leider konnten die wenigen bisher auf dem Priwall und in Travemünde in der Nähe der Trave ausgeführten Spülbohrungen hierüber keine Auskunft geben, da Bohrproben fehlen und die Bohr- berichte bei Spülbohrungen stets mit großer Vorsicht zu behandeln sind. Die Frage, ob Litorimnabildungen im Mündungsgebiete der Trave vorhanden sind oder nicht, ist nun glücklich gelöst, nachdem es mir s0 vergönnt gewesen ist, von drei im Sommer 1903 auf dem Priwall aus- geführten Trockenbohrungen, nämlich einer bei der Ferienkolonie und zwei anderen am Südrande des Rennplatzes, Bohrproben zu erhalten. Die bei der Vertiefung des Fahrwassers in Travemünde und in der Travemünder Bucht gebaggerten Sandmassen wurden zur Aufhöhung des nördlichen Teiles des Priwall benutzt und zu diesem Zwecke von einem Elevator aus mittelst einer Feldbahn weiter befördert. Nach- dem es dem Hamburger Ingenieur Gliemann gelungen war, in der Ferienkolonie freilaufendes artesisches Wasser zu erschließen, ließ die Firma Ph. Holzmann, der die sämtlichen Erdarbeiten übertragen waren, zur Beschaffung von Kesselspeisewasser für die Lokomotiven am Nordrande des Kiefernwaldes (siehe Plan) an zwei rund 100 m von einander entfernten Stellen Trockenbohrungen ausführen. Die erste Bohrung wurde bei 41,50 m als ergebnislos eingestellt, weil von 37,20 m an toniger Sand angetroffen wurde. Da auch die zweite bis 5l m tiefe Bohrung ein negatives Ergebnis lieferte, mußte lange Zeit hindurch das Wasser der Ferienkolonie zur Kesselspeisung verwendet werden. Von den drei Bohrungen ist die von Ph. Holzmann N. II nicht blos die tiefste, sondern auch die einzige, von welcher sämtliche Kerne in geschlossener Reihenfolge erhalten smd. Ich beginne mit ihr, weil durch . sie der Aufbau der Alluvialbildungen der Travemündung am besten . klargelest ist. Bohrung von Ph. Holzmann IH. + 1,25 m NN. Trockenbohrung, Brunnenmacher Botje. 0— 4 m: Seesand mit einzelnen Steinen, — 5 » dunkler Seesand mit tonigen und seegrasführenden Partieen, großen Exemplaren von Litorina litorea, ferner Cardium edule, Mytilus edulis und Hydrobia ulvae, — 6 >» feiner grauer Seesand mit großeh Cardien, — 11 » grober steiniger Seesand mit Cardium edule, —13 » erober dunkler Seesand mit Seegras, Litorina htorea, und Mytilus, —16 » grauer schwach toniger Sand mit Seegrasschichten, Cardium und Mytilus, —20 » dunkler toniger feiner Sand mit dünnen Streifen von fettem Ton, mit schwarzen Seegrasschichten, kräftigen Cardien, großen Litorinen, Mytilus und Hydrobien, —23 » grünlichgrauer fetter Ton (Schlick) mit viel Seegras, zahlreichen dünnwandigen Schalenstücken von Myti- lus und Serobicularia piperita und zahlreichen Flora- miniferen, 81 — 23,50m: grünlichgrauer magerer Ton (Schlick). Von Kon- chylien konnte nur ein Cardiumbruchstück nach- gewiesen werden. — 24,30» Grauer und weißer Süßwasserkalk mit zahlreichen, meist. zerdrückten Süßwasserkonchylien, einem Schulterblattknochen und einem Geweihstück vom Edelhirsch, —26 >» toniger Sand mit wallnußsroßen Steinen (Feuerstein und Granit), einzelnen Stücken von fettem Ton und Schalenresten von Bythinia tentaculata und Planorbis alba, —30 » schwach toniger grandiger Sand, — 94 » grauer Mergelsand mit kleinen Linsen von fettem Ton, grauer Tonmergel, » Mergelsand mit Einlagerungen von fettem Ton, » schwach toniger grandiger Sand, grauer Tonmergel mit zarten Sandstreifen, sehr feiner Sand mit wenigen Feldspatkörnchen. © 0 0% v > | | We ES) _ Diese 2 Meter wurden gespült, daher wohl nur scheinbar ohne Tongehalt. —45 » Grauer fetter Tonmergel, —47 » hellgrauer feiner Sand mit wenigen Feldspatkörn- chen und mit tonigen Einschlüssen, —51 » hellgrauer sehr feiner Sand mit vereinzelten Feld- spatkörnchen, mit Salzsäure nur schwach brausend. a) Grauer feiner schwachtoniger Sand, 15—16 m Tiefe. Die von Herrn Dr. Heiden bestimmten 84 Diatomeen verteilen sich auf Süß-, Brack- und Meerwasser in folgenden Zahlen: Sr Br. 4 Bw 2.8 Bremen: 3.19 Ma 5 Me 222..%1A 53 Ni 1736 | . darunter 22 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 4 84 6 Die Zusammensetzung der Diatomeenflora läßt hier eine echte Meeresbildung erkennen. Den 15 Süß- und Brackwasserformen stehen 53 (= 66 °%) Meeresdiatomeen gegenüber. Die Hauptmasse derselben (36) wird von Diatomeen gebildet, die einen größeren Salzgehalt zu ihrer Existenz nötig haben, als das Meerwasser jetzt in der Travemünder Bucht aufweist. Während 14 von diesen Formen noch in der westlichen Ostsee leben, beginnt der Wohnbereich von 22 Formen (= 41’ aller Meeres- diatomeen) erst im Kattegat. Wir bezeichnen diese letzteren als Nord- seeformen. b)G im Ikehorau en fetter Mom: 21 232m läresze: Die von Herrn Dr. Heiden nachgewiesenen 78 Diatomeenformen verteilen sich in folgender Weise auf Süß-, Brack- und Meerwasser: SE ERST SMBE er 8 Bes a6 BePMe Ben I | MDR A385 M. 1 .22|. . darunter 14 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 4 75 Die Zahl der Meeresdiatomeen beträgt 51 %/ aller Arten, deren Lebensbedingungen bekannt sind; unter den Meeresbewohnern befinden sich 37 °%% Nordseeformen. ec) Grünliehgrauer magerer Ton, 23—-23,30 m Tiefe. Von Konchylien wurden nur einige Cardium- Bruchstücke gefunden, Herr Dr. ©. Weber konnte in einer 20 cem großen Probe außer wenigen vollständigen Nadeln von Spongilla lacustris folgende Pflanzenreste nach- weisen: Sphagnum imbricatum, vertorfte Blätter, Pinus silwestris, Pollen, Ruppia maritima, Fruchtstiel, (uercus sp., Pollen, außerdem die Diatomeen: Navicula elliptica C. Ag. . . . Br. > naymarBhcbn er Bra Epithemia burgida Ktz. N DS IRIT:. » Westermanni Melosira varians C. A2. . .. 8. Alle diese Funde charakterisieren den Ton als eine in der Nähe der Küste entstandene Brackwasserbildung aus dem Beginn der Litorinatransgression. 83 d) Süßwasserkalk, 23,50 —24,30 m Tiefe. Das Material ist ein grauer oder hellgrauweißer weicher, z. T. fein- sandiger Kalk mit ziemlich vielen Glankonitkörnchen. Tierreste: Spongilla lacustris, Bythinia tentaculata, Valvata piscinalıs, > depressa, Planorbis c/. marginatus, » albus, Succinea cf. oblonga, Limnaea sp. Der Süßwasserkalk enthielt ferner einen Geweihsproß vom Edelhirsch und ein nicht bestimmbares Schulterblattbruchstück. Herr Dr. ©. Weber konnte in einer 50 ccm großen Probe folgende Pflanzenreste nachweisen: Chara cf. baltica, » cf. intermedia, ( Früchte, >, 280: | Pinus silvestris, Pollen und Blätter, Najas major, Same, Potamogeton sp., Pollen, Seirpus lacustris, Früchte, Quercus sp., Pollen, Oeratophyllum demersum, Früchte. Nach Weber gehört diese Süßwasserbildung dem Beginne der Eichenzeit an. Die in mehreren Schlämmrückständen von Herrn Dr. Heiden bestimmten 168 Diatomeenarten verteilen sich auf Süß-, Brack- und Meerwasser in folgender Weise: heat a ER SHE a et SE Br al a | Br. VS BAT DIESEM a A Munza».nal Meer: 7 928 a . „ darunter 21 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 7 168 6* 34 Die 0,50 m dicke, grauweiße Ablagerung erweist sich nach ihrer Molluskenfauna und den Resten höherer Pflanzen als ein Süßwasser- gebildee Wenn nun auch unter den Diatomeen die Bewohner des Süß- wassers (90) überwiegen, so fällt doch die ungewöhnlich hohe Zahl der Meeresdiatomeen, 45 (= 50%), auf. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich jedenfalls am einfachsten, wenn wir berücksichtigen, daß der Süßwasserkalk lange Zeit vom Meerwasser unmittelbar bedeckt war und daß ferner auch bei dem Trockenbohrverfahren Wasser in das Bohrrohr gegossen wird und so von den oberen Schichten und aus dem Bohrrohr Bodenreste in die tieferen Schichten gelangen. Während nun in den Tonproben der Kern vom Spülwasser unberührt bleibt, läßt sich die Vermischung des schmierigen Süßwasserkalkes mit Wasser und feinsten Tonresten nicht vermeiden. Sind die 48 Meeresdiatomeen den hangenden tonigen Ablagerungen zuzurechnen, so ist es auch nicht überraschend, daß sich unter ihnen 21 (= 44 %) Nordseeformen befinden. e) Toniger Sand, 24,30—26 m Tiefe. Der petrographischen Zusammensetzung nach muß dieser tonige Sand schon dem Diluvium zugerechnet werden. Das Vorkommen von Planorbis albus und Bythinia tenlaculata weist darauf hin, daß der Sand die Unterlage des Wasserbeckens bildet, in welchem sich der Süßwasser- kalk gelagert hat. f) Diluvialer Sand und Ton, 26—51 m Tiefe. Die tieferen, dem Diluvium angehörenden Ablagerungen bestehen aus tonigen grandigen Sanden, Mergelsanden und Tonmergel. Die sehr feinen Sande, welche von 47 bis 51 m erbohrt wurden, gehen nach allen bisherigen Erfahrungen im lübeckischen Gebiete nach unten allmählich in echte Glimmersande über. Die Bohrung hat inbezug auf das Diluvium zwei wichtige Tatsachen festgestellt: 1. Der Geschiebemergel fehlt im westlichen Teil des Priwall. 2. An Stelle der wasserreichen Grande und Sande, welche im lübeckischen Gebiete allgemein den unteren Geschiebemergel unterlagen und unter der Stadt Travemünde große Mengen von artesischem Wasser führen, sind im nordwestlichen Teile des Priwall tonige Sande und fette Tone entwickelt. g) Zusammenfassung. l. In der Bohrung von Ph. Holzmann II fehlt die diluviale Grundmoräne. Die tonigen kiesigen Sande, Mergelsande und Tonmergel über den feinen glimmerhaltigen Sanden sind als Abschlämmprodukte des zurückweichenden Inlandeises aufzufassen. 85 Über dem Diluvium liegt bei 23,50— 24,30 m Süßwasserkalk mit Resten von Kiefer, Eiche und Süßwasserpflanzen. Es fehlen also an dieser Stelle die Ablagerungen der Dryas-, Zitterpappel- und Kiefernzeit. Auf den Süßwasserkalk folgt bei 23—23,80 m eine Brackwasserbildung, auf diese eine mächtige Litorinabildung mit folgender Gliederung: oben grober Sand, darunter toniger Feinsand, darunter fetter Ton. Das Vorkommen des Süßwasserkalkes unter dem Litorinatone lehrt zweierlei: 1. daß das Land vor der Litorinazeit hier mindestens 25 m höher lag als jetzt, 2. daß die Senkung unserer Küste erst während der Eichen- zeit erfolgt ist. Bohrung von Ph. Holzmann I. + 125m NN. Trockenbohrung, Brunnenmacher Botje, 1903. Als ich von der Bohrung Kenntnis erhielt, hatte diese schon die Tiefe von 30 m erreicht; ich konnte die Bohrkerne erst von dieser Tiefe an erhalten. Das Bohrprofil ist folgendes: 0—15 m: Seesand mit Schalenresten, —30 » dunkler toniger Sand und sandiger Ton, —51 » grünlichgrauer feinsandiger Ton mit Seegras, Hydrobia ulvae und einer kleinen Litorina, —32 » ddr gleiche Ton, mit fetteren Tonstreifen wechselnd, —34 >» der gleiche Ton mit dünnen Lagen von Seegras, Bruchstücken von Mytilus, kleinen Alluvi- Cardien, zahlreichen Aydrobien und einer um jugendlichen Nassa reticulata, —356 » blaugrüner fetter fester Ton mit dünnwan- digen Bruchstücken von Mytilus, kleinen Cardien und zahlreichen Hodrobien, 37,20» fetter fester Ton, im frischen Zustande schwarz, an der Luft schnell hellblaugrün werdend, 335 » schwach toniger Sand von Quarz, Feldspat, | Kalkstein und Feuerstein (von 0,5—1 mm | Diluvi- Korngröbe), — 41,50» schwach toniger Sand mit vereinzelten wall- nußgroßen Steinen. unı 86 Die über dem tonigen Diluvialsande liegenden Alluvialschichten lassen sich in folgende Abteilungen gliedern: Sand, toniger Sand, feinsandiger Ton, fetter Ton. Zur Untersuchung der Diatomeen wurden 4 Proben gseschlämmt, aus 30—31, 33 —54, 36—37, 37—37,2 m Tiefe. a) Feinsandiger Ton, 30—31 m Tiefe. Die 107 Diatomeen verteilen sich auf Süß-, Brack- und Meerwasser in folgender Weise: Be yon diesemeime nurals’Bruchstuelsg DESBES Er EN) 1 > 3 >» vereinzelt, Br ei Br. IM er 2 Mast. 1] MED ln =>I IMST 43| darunter 33 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 4 10, Der untersuchte Ton ist nach der großen Anzahl von Meeres- diatomeen (= 57 °/) als Meeresbildung zu betrachten. Unter den Meeres- diatomeen herrschen die Nordseeformen mit 56 % vor. Das Vorhanden- sein der wenigen Süßwasserarten erklärt sich durch die Nähe des Landes. b) Feinsandiger Ton, 33—34 m Tiefe. Die Diatomeen gruppieren sich nach ihren Lebensverhältnissen in folgender Weise: De ARE Be ABr.IN. mi, von diesen Pin, vereinzelten Br. „rer ER 216 (Exemplaren, Br. EOS MOYE a IMS 0 2| NEZRRANG iD Male 35 | . darunter 26 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 5 sy. Auch dieser Ton ist eine echte Meeresbildung. Von den 64 % Meeresdiatomeen gehört die Hälfte zu den Nordseeformen. 87 c) Fetter Ton, 36—37 m Tiefe. Die artenreiche Diatomeenflora ist in folgender Weise zusammen- gesetzt: Se eek Sl a Biatupral Mrs Brian 209% 7 | MNNORS | er MIETE el WIESN | darunter 10 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 5 151. In diesem Ton überwiegen mit 70 % diejenigen Arten, deren Lebensbedingungen im Süßwasser liegen. Nur 16° der Gesamtflora kommen auf die Meeresdiatomeen, unter letzteren sind 42 °/» Nordseeformen. Wir haben hier eine Brackwasserbildung vor uns, entsprechend dem untersten Ton (23— 23,30 m) in der Bohrung II. d) Retter Ton, 37—372 m Tiefe, Die Zusammensetzung der Diatomeenflora ee DS Br ZUBE ED N Ba BER Br au AH lee : il ME | .. .. darunter eine Nordseeform Lebensverhältnisse nicht bekannt 5 ur läßt ein noch stärkeres Überwiegen der Süßwasserarten (84 °%) erkennen. Die wenigen Salzwasserdiatomeen kommen sämtlich auch im Ton ce vor. Von den Meeresbewohnern sind mehrere nur in je einem Bruchstück vorhanden; allem Anscheine nach stammen diese wenigen Exemplare aus dem höher liegenden Ton. Die unterste Lage des fetten schwarzen, an der Luft hellblau werdenden Tones kann man demnach als eine Süß- wasserbildung aus dem Zeitabschnitt auffassen, in welchem bei fort- schreitender Landsenkung das Seewasser eben erst im Begriffe war, in die heutige Travemündung einzudringen. 88 e) Zusammenfassung. Diese Bohrung zeigt, abgesehen von dem hier fehlenden Sübwasser- kalk, die gleiche Schichtenfolge wie in Bohrung II. 1. Auch hier fehlt die diluviale Grundmoräne. 2. Über schnell aufeinander folgenden Süß- und Brackwasserbildungen bauen sich auch hier mächtige Litorinaablagerungen auf, die mit fetten Tonen beginnen und durch feinsandige Tone und tonigen Feinsand allmählich in groben Seesand übergehen. 3. Die untersten Tonlagen entsprechen dem Süßwasserkalk in Bohrloch LI. Der Süßwasserkalk bildete sich in quelligem Boden oder einem kleinen Seebecken zu einer Zeit, als die Stelle des Bohrloches I bereits vom Travewasser überflutet war. Bei dem ersten Einbruche des Salz- wassers war die Stelle des Bohrloches II bereits unter den Meeres- spiegel untergetaucht. 4. Die Unterkante der Alluvialbildungen liest 37,20 m unter Flur oder 36 m unter NN. Ferienkolonie.!) + 1,25 m NN. Ingenieur R. Gliemann, Hamburg, 1903. Trockenbohrung bis 22.m, dann 'Spülbohrung bis 35 m. Der Brunnen lieferte überlaufendes Wasser bei 30 m Tiefe. Das Wasser stieg im Rohr bis 0,5 m über Flur, es läuft jetzt in Flurhöhe aus. 0— 4 m: Seesand, zum Teil steinig, — 6 » dunkler feiner Seesand mit (Cardium edule, Litorina litorea, Mytilus edulis, Tellina baltica und Serobieularia piperita (30 mm lang, 22 mm hoch), dunkelgrauer feiner Seesand mit Litorina litorea,. — 9» desel. mit Resten von Scrobicularia piperita, —11 » grauer schwach toniger Sand mit haselnußgroßen Feuersteinen, Gardien, großen Litorinen und Serobieu- larıa piperita, — 12 » grünlicher starksandiger Ton mit Seegras u. Aydrobia ulvae, —16 » grünlichgrauer feinsandiger Ton (Schlick) mit dünnen Seegrasschichten, zahlreichen Aydrobien, Mytilus, kräf- tigen Cardien, —19 » grünlichgrauer fetter Ton mit Gardium, Mytilus, Hydrobia und jugendlichen Exemplaren von Nassa reticulata, | — 22 » grünlichgrauer feinsandiger Ton mit dünnen Seegras- schichten, Aydrobien, Cardien (leicht zerfallend) und dünnwandigen Schalenstücken von Serobicularia piperita. ') Kurzer Bericht über diese Bohrung in den Lüb. Blättern 1903, S. 383. 89 Da von 22 m an gespült wurde und zwar meist mit demselben Wasser, so ist es unmöglich, mit Hilfe der Proben den wahren Charakter der Ablagerungen von 21-—35 m richtig zu deuten. 227 2150 m: — 27,30 » — 285.20 >» — 30 » —— dl » — » Grauer schwach toniger Sand mit winzigen Schalen- resten und einzelnen tonigen Stückehen. Sicher zu erkennen war Cardium; zahlreiche Schalenstückchen gehören zu Serobiceularia oder Tellina. Eine Chara- ceenfrucht. Mittelgrober Sand mit tonigen Partieen und winzigen unbestimmbaren Schalenresten; einzelne Steine. Toniger Sand, grober Sand mit artesischem Wasser, toniger Sand, feiner, glimmerhaltiger Sand. Für die Diatomeenuntersuchung wurden die Proben aus zwei Tiefen verarbeitet. a) Grünlichgrauer starksandiger Ton, 12—15 m Tiefe. ne SE] BES De 0 ek Br. MA Sera Me. ke | ME 202 1 249290 MEI 33 | darunter 22 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt . 2 15 Die Diatomeenflora besteht vorwiegend aus Meeresdiatomeen (68 '/o); unter diesen sind 44 °/ Nordseeformen. b) Grünlichgrauer feinsandiger Ton, 20—21 m Tiefe. Sn BE ec 9 SB Bar IB 7 50] | Br. RL ER. A BraMioı me) hun 4 MIR M.2 17 BERN! M; 1,541 | darunter 26 Nordseeformen. Lebensverhältnisse nicht bekannt 5 90 Die Verteilung der Süß- und Salzwasserdiatomeen ist fast genau dieselbe wie bei 12—15 m Tiefe. Der Anteil der Meeresdiatomeen beträgt 68 %, unter diesen smd 43 °/ Nordseeformen. Wenn der Ton bei 21 m Tiefe noch der Niederschlag aus dem salzreichen Litorinameere ist, so dürfen wir die Unterkante der Litorina- ablagerungen noch einige Meter tiefer annehmen. Die Spülbohrung gibt uns keinen zuverlässigen Anhalt; jedenfalls ist der schwach tonige Sand bis 24,50 m unter Flur oder 23, m unter NN. schon als Litorina- bildung aufzufassen. Ob der tonige Sand von 24,50 — 27,so m schon zum Diluvium zu rechnen ist oder nicht, läßt sich nach den Spülproben nicht feststellen. Nach den Erfahrungen bei den beiden Holzmannschen Bohrungen müssen wir annehmen, daß auch hier der Geschiebemergel fehlt. Durch die Ergebnisse der beiden Trockenbohrungen von Holzmann gewinnen wir nun auch eine klare Auffassung über die drei folgenden von der Baubehörde auf dem Priwali ausgeführten Spülbohrungen, von denen nur Bohrberichte vorliegen. Villa Aereboe— Reuter, + 1, m NN. (1901). 0— 2 m: Grober Sand, — 4 » scharfer toniger Sand, : : Alluvium —17 » feiner weißer Sand, —32 » weicher dunkelblauer Ton, | — 37,so » feiner, zuletzt grober Sand, | Diluv; 3 iluvium — 40 » feiner Sand. | Kiesgrube auf dem Priwall. -- 1,0 m NN. Nach dem Bohrberichte des Bohrmeisters Kay (1892): 0 — 2,10 m: kiesiger Sand, — 3 » verfaultes Seegras, —6 » steiniger Sand, S L ö iR ER Alluvium — 17,20 » weißer Sand mit dünnen Schich- ten von verfaultem Seegras, —20 » weicher schwarzer Lehm, — 24,50 » feiner weißer Sand mit Wasser, — 27 » scharfer Sand, ER iR {# | \ R Diluvium. — 54 » feiner Sand mit grobem Kies, — 36 » feiner Sand. 2 Kohlenlager auf dem Priwall. 42,0 m NN. Nach dem Bohrbericht des Bohrmeisters Kay (1892): 0— 9 m: Weißer muschelhaltiger Sand, —23 >» scharfer weißer Sand, —42 » weicher weißer Sand mit schwarzer Modde und Seegras —44 » tonhaltiger weißer Sand, —48 » feiner weißer Sand mit Modde und Schlick, widerlich riechend, — 52,50 » grauer sandhaltiser Ton, —58 » schwarzblauer Schlick bezw. Ton, —59 » sandhaltiger blauer Ton, Alluvium — 61,50 » fester feiner weißer Sand, —65 » scharfer grauer -Sand, — 66,50 » grober kieshaltiger Sand, —68 » fester feiner Sand, Diluvium —712 » sehr feiner tonhaltiger Sand, — 78 » schärferer tonhaltiger Sand —85 » sehr feiner tonhaltiger Sand. Über die Schichten, auf deren genaue Bestimmung es hier beson- ders ankommt, lauten die Berichte des Bohrmeisters abweichend: 44—48 m: schwarzer lehmhaltiger feiner Sand (Bericht), feiner weißer Sand mit Modde oder Schlick (Bohrakten im Bauamt), 48 — 53,50 » schwarzer Lehm (Bericht), schwarzblauer Schlick (Bericht), schwarzer Lehm (Bohrakten), 53,50 —58 » lehmige Modde oder Schlick (Bericht), —59 » sandiger blauer Ton (Bericht), lehmige Modde resp. Schlick (Bohrakten). In den Bohrakten steht ferner: 0—17 m: Sand ohne schwarze Beimischung, —59 » Boden, immer schichtweise mit schwarzem weichen Boden vermischt, mutmaßlich verfaulendes Seegras. Bei 45 m widerlicher Geruch. Von diesen drei Bohrungen habe ich, wie gesagt, Bohrproben nicht gesenen. Den in allen Bohrberichten aufgeführten Ton hielt ich, da mir Litorinaton aus unserem Gebiete nicht zu Gesicht gekommen war, bisher für Geschiebemergel und habe ihn in einer früheren Arbeit auch als 92 solchen dargestellt.) Nach den drei im Sommer 1903 ausgeführten Trockenbohrungen trage ich nun kein Bedenken mehr, diesen Ton als echten Litorinaton anzusehen. Der »weiche schwarze Lehm: in der Bohrung der Kiesgrube und der »schwarzblaue Schlicks oder »schwarze Lehm« oder die »lehmige Modde« in der Bohrung am Kohlenlager passen am besten zu dem fetten schwarzen, an der Luft schnell blaugrün werdenden und zu dem fetten blaugrünen Litorinaton in den beiden Holzmannschen Bohrungen. Damit aber rückt beim Kohlenlager die Unterkante des Litorinatones mit Sicherheit bis 58 m, höchst wahr- scheinlich bis 59 m Tiefe abwärts. Die darunter liegenden Sande gehören zum Diluvium. Die Unterkante des Litorinatones, also der ehemalige Meeresgrund, liest in der Bohrung beider Kiessrnbe 2.0.2. 20022272. 1850 m) umteraruNg in der Holzmannschen Bohrung II . 225 » 2» » » D) » . I 3 36 » » » amaKohlenlawer 1 re Erna Dre oe in der Ferienkolonie mindestens . . 24 VERRENSE S bei der Villa Aereboe-Reuter . . . 31 >» Ss Das starke Einfallen der Litorinatonunterkante von — 22,50 m NN. im Bohrloche Holzmann II aisie => 38 > > » » > I auf — 55,50 » » unter dem Kohlenlager auf einer Strecke von kaum 250 m Länge weist auf eine tiefe Rinne unter der heutigen Trave hin (siehe das Profil auf der beigefüsten Tafel). Das westliche Ufer dieser Flußrinne muß auf der Travemünder Seite liegen. s Wir wenden uns nun zum östlichen Teile des Priwall. Ob zwischen Tribüne (Holzmann Il) und Kiesgrube Geschiebemergel vorhanden ist, wissen wir nicht. Außer dem Vorkommen von Litorinaton unter der Kiesgrube unmittelbar über den wasserführenden diluvialen Sanden in fast derselben Tiefe wie im Bohrloche Holzmann II möchte ich schließen, daß unter dem ganzen Priwall der Geschiebemergel zerstört ist und daß sich an seiner Stelle eine mächtige Litorinabildung unmittelbar über den wasserführenden diluvialen Sanden aushreitet. Über den tieferen Unter- grund der Poetenitzer Wiesen wissen wir noch nichts, jenseits derselben wird das Ufer, wie bei Travemünde, von Geschiebemergel gebildet. ', P. Friedrich, Beiträge zur lübeckischen und Travemünder Grundwasserfrage. Lüb. Bl. 1900, S. 150 ff. und 2 Tafeln. oa II. Bohrungen in Travemünde. Bis jetzt sind in Travemünde fünf Tiefbohrungen ausgeführt worden, davon drei — in der Rose, bei Vagelers Hause und beim Spritzenhause — kurz nach der großen Sturmflut vom 13. November 1872, die beiden anderen, beim Stadtbahnhof und beim Gasometer, vor einigen Jahren. Die Berichte der älteren Bohrungen verdanke ich Herrn Ortsvorsteher Meincke in Travemünde. In der Rose. -+- 250 m NN. Brunnenmacher Beyer, Spülbohrungen, 1873. Erste Bohrung. 0 — 36,6 m: Angeschwemmter Sand mit Seegras, —45 » blauer Ton; bei 43 m großer Stein und Ende der Bohrung. Zweite Bohrung. 0—37,ı m: Sand wie oben, dann blauer Ton mit, vielen Steinen. Bei 43 m großer Stein. Nach Zerkleinerung desselben wurde anfangs im Ton, dann in feinem grauen Sande weiter gebohrt. Uferbösehung bei Vagelers Hause. Beyer, Spülbohrung, 1873. Die Tiefenangaben der durchbohrten Schichten (Sand, blauer Ton) fehlen. Wir erfahren nur, daß blauer Ton bis zu 60,4 m Tiefe reicht und darunter Sand mit reichlichem und gut schmeckenden Wasser er- bohrt wurde. Spritzenhaus. Beyer, Spülbohrung, 18753. 0— $8s m: Sand, 30 >» angeschwemmter Boden mit Seegras, —' 33 .».. Grauer, B) 7, » blauer Ton, — 40 » brauner feiner Sand mit ziemlich viel Wasser, — 41,1 » PBraunkohleneinlagerung. »Braunes Wasser sprudelt hervor.« ls » Weißer Sand, — 108,5 » feiner grauer Sand, wohl Glimmersand. 94 Stadtbahnhof. + 0,5 m NN. Ingenieur R. Gliemann, Spülbohrung, 1899. Nach den Proben: 0— 0,0 m: Aufgebrachter Boden, — 1,0 » Moorboden, - - Alluvium — 4,50 » grauer scharfer Sand, wohl ange- schwemmter Seesand, — 25,56 m: graublauer Geschiebemergel, —_28 » grauer, fetter, steinfreier Ton, vielleicht nur fettere Partie des Geschiebemergels, 39 m: grauer grandiger Sand, $ 5 artesischer — 40 » dunkler braunkohlenhaltiger Sand, x s “ Grundwasser- — 42 » Braunkohlenstücke, ; horizont. dann: feiner grauer Quarzsand, Gasometer. Vogeley, Spülbohrung, 1904. Nach den Proben: 0— 55 m: Seesand, —10 » gelbbrauner Geschiebemergel, —14 » blaugrauer » > - Grundmoräne. —20 » Merselsand, —28 » grauer Geschiebemergel, — 30,10 m: dunkelgrauer schwachtoniger Sand, — 31,10 » Braunkohle, — 533, >» dunkelgrauer schwachtoniger Sand, —46 >» hellgrauer scharfer Quarzsand mit weinigen Feldspaten und Kalksteinstückchen, bei 41,o m schwarzbraun durch erdige Braunkohle. Artesische Wasserschicht. Die Bohrungen beim Stadtbahnhof und beim Gasometer ergeben das Profil: angeschwemmter Seesand, (reschiebemergel, Sand mit artesischem Wasser. 95 Von Litorinabildungen zeigten die Bohrproben, die ich sämtlich gesehen habe, nichts. Die Berichte über die drei älteren Bohrungen enthalten nur dürftige Angaben; immerhin lassen die bis 36, m hinab- reichenden »Seegras führenden Sande« in der Rose deutlich erkennen, daß diese Stelle (siehe das Profil) bereits der alten tiefen Flußrinne an- gehört. Allem Anscheine nach gehört der durchbohrte Ton zum Teil oder ganz der Litorinazeit an. Das gleiche Bild einer tiefen Flußrinne würde eine Profilzeichnung Gasometer — Spritzenhaus — Vagelers Haus — Villa Aereboe - Reuter — Ferienkolonie ergeben. Beim Spritzenhause reicht der sangeschwemmte Boden mit Seegras« schon bis 30 m; entsprechend den neuen Priwall- bohrungen ist auch hier der »blaue Ton« von 335—37,ı wohl als Litorina- ton aufzufassen. Der bis zu 60, m Tiefe hinabreichende »blaue Ton« bei Vagelers Hause entspräche dann dem Litarinaton vom Kohlenlager. Die Unterkante des blauen Tons im Villa Aeroboe-Reuter mit 31m NN. und des echten Litorinatons in der Ferienkolonie (mindestens — 24 m NN.) bezeichnen die rechte Seite des alten Flußbettes. Ich komme später auf diese tiefe Flußrinne zurück. Von den übrigen in den letzten Jahren bei Travemünde ausgeführten Bohrungen gehört nur die von Villa Possehl an der Strandpromenade in den Rahmen dieser Arbeit, weil nur durch diese Alluvialschichten auf- geschlossen worden sind. Die Bohrungen in Villa Adler (++ 8,50 m NN.), Villa Strack (+ 7,5o m NN.) und beim Seetempel (+ 15 m NN.) setzten gieich im Geschiebemergel ein. III. Bohrungen an der Strandpromenade und in der Ostsee. 'illa Possehl ) -+ 3,0: m NN. Ingenieur R. Gliemann, Trockenbohrung, 1903. 0— 1 m: lehmiger, aufgetragener Boden, — 5,50 » grober Seesand, Nas 0,80 2. 8 oe a steinig, schwemm- — 5,35 » » stark tonig, cr —— ) 5 » » T a 10° E F£ - 6,23 2 schwach tonig, SEE | Alu — 71n: » steinig, vıum — 10,70 » Blaugrüner oder grünlichgrauer Ton (Schlick) mit dünnen humosen und weißen kalkigen Schichten wechselnd, — 11,00. >» Torf: !) Vorläufiger Bericht in den Lüb. Bl. 1903, S. 401. 96 — 28,50 m: Blaugrauer, vorwiegend fetter Geschiebe- mergel, in den oberen Teilen mit Wurzelresten, — 51 » rötlichgrauer steinfreier Tonmergel, Di . 1lU- —35 >» blaugrauer Geschiebemergel, ar . vium — 51 » grauer toniger feiner Sand, — 35,20 » >» feiner glimmerhaltiger Sand — 59 > » toniger Sand. — 45 m: grobkörniger Quarzsand mit | Milchquarzgeröllen. ArtesischeWasserschicht, | Tertiär? — 45,60 » feiner grauer Glimmersand. a) Alluvialer Ton von 7,o—10,70 m Tiefe. Als Unterlage des Seesandes erwartete ich entweder eine schwache Litorinabildung oder Geschiebemergel, da letzterer nur wenige hundert Schritte von der Villa entfernt das hohe Ufer bildet. Der Bohrlöffel brachte unter dem angeschwemmten Seesande von 7,70 bis 10,70 m Tiefe keins von beiden zutage, sondern einen blaugrünen oder grünlichgrauen, von dunklen humosen oder hellen kalkreichen Streifen durchzogenen Ton, der neben wenigen kümmerlichen Resten von Meereskonchylien zahl- reiche guterhaltene Süßwasserkonchylien umschließt. Leider hatte es der Bohrmeister versäumt, die Bohrkerne von 7,70 m an in ihrer Aufeinander- folge aufzubewahren; ich fand das Bohrprobenmaterial auf einem Haufen und war trotz aller Vorsicht nicht imstande, eine bestimmte Aufeinander- folge der verschiedenen Schichten festzustellen. Die Molluskenfauna bestand aus folgenden Arten (Clessin! bezeichnet, daß die Art auch OUlessin vorgelegen hat): 1. Planorbis nautileus (Clessin!) zahlreich, 2 » albus (Clessin!), zahlreich, 3. » marginatus, 4. Limnaea ovala, D. > stagnalıs, 6. Bythinia tentaculata, mit Deckel, zahlreich, 7. Unio sp., eine Schale. 3. Carychium minimum (Clessin !), ein Exemplar, 9. Pupa angustior (Clessin!), ein Exemplar, 10. Clausilia sp., Bruchstück. 11. Hydrobia ulvae, 3 Stück, 12. Litorina htorea, 13. Cardium edule, bröckelige Bruchstücke, 14. Serobieularia piperita, Bruchstücke. Außerdem wurden Charafrüchte und zahlreiche Ostrakoden gefunden. Diese Liste enthält Salzwasser-, Süßwasser- und Landmollusken. Die weitüberwiegende Mehrzahl der Arten und Individuen wird von den Süßwassermollusken gebildet, die Landschnecken sind durch ein paar Exemplare, die Salzwasserarten nur durch kümmerliche und leicht zer- brechliche Schalenreste vertreten. Offenbar lag hier ein Teich, der mit der See in Verbindung stand. Bei Nordoststürmen wurde ihm Seewasser zugeführt; die Landschnecken und vielleicht auch der sandige Ton rühren vom Lande her. | | Zur Untersuchung der Diatomeen wurden zwei Proben ausgewählt, eine (A), welche Süßwasserschnecken einschloß und von humosen Streifen durchzogen war, eine andere (B), in welcher lediglich Reste von Gardium edule vorkamen. Herr Dr. Heiden stellte folgende Zusammensetzung der Diatomeenflora in den beiden Proben fest: BrobelAH #89 anf Ash. 316 | SIRBEMOHL. 1150. HDAHA | j Br: rer Der: 9 Br Nee 95 Nie) Lebensverhältnisse nicht bekannt 2 41. Auffallend ist die grosse Zahl der Meeresbewohner. BroberBı ES u. 2 | Sa De OR Brose > | BERNER RER eG | 16 ee 59. Diese Probe enthält trotz ihrer Cardienreste auffallend wenige Meeresdiatomeen und eine größere Zahl von Süß- und Brackwasserarten. Die Zusammensetzung der Diatomeenflora der beiden Proben, deren gegenseitige Lage wir nicht kennen, läßt uns bei dem Versuche, den Aufbau der 3 m mächtigen Alluvialablagerung festzustellen, im Stiche. Da die Unterlage des Ganzen Torf bildet, so werden wir wohl das Richtige treffen, wenn wir annehmen, daß ein ursprüngliches Süßwasser- becken bei der Landsenkung anfangs nur bei Sturmfluten, später bei den alljährlich vorkommenden höheren Wasserständen vom Seewasser über- flutet wurde. Nach Vereinigung der beiden Proben A und B erhalten wir von der Verteilung der Diatomeen auf Süß-, Brack- und Meereswasser folgendes Bild: =T 98 DEE HIER IE I TIRRERLRT S. Br. 2. 207 Br’? HARRIS IN Br. M. MIOFENEEEAT OEM Na.) | darunter 10 Nordseeformen Lebensverhältnisse nicht bekannt 2 34. Unter den Meeresdiatomeen treten die Bewohner des salzärmeren Meeres gegenüber der Gruppe 1 ganz zurück; wir müssen daraus schließen, daß auch die Niederung unter der Villa Possehl dereinst unter dem Einflusse der salzreichen Litorinasee gestanden hat. Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß hier eine Reihe von Meeres- diatomeen entdeckt wurden, die in den Litorinaablagerungen des Östsee- gebietes bisher unbekannt waren. Es sind Navicula aspera Ehrb. var pulchella W. Sn., Biddulphia pulchella Gray, > antediluviana (Ehrb.) v. Heurck, Triceratium nobile Witt, » arclticum Brightw., Actinoceyclus Barkleyi Grun., Trinacria Regina Heiberg, Ooscinodiscus robustus Grev. » marginatus Ehrb. b) Torf aus 10,0—11,10 m Tiefe. In dem bröckligen holzreichen Waldtorf (etwa 60 cem) konnte Herr Dr. Weber folgende Pflanzenreste feststellen : Brachythecium ef. salebrosum, Blätter, Pinus silvestris, Pollen, Gramineen, Pollen, Betula sp., Pollen, Alnus glutinosa, Holz, Reiser, Früchte, Pollen, (Quercus sp., Pollen, Tika sp., Pollen. Weber bezeichnet den Torf als einen aus einem Alnetum hervor- gesangenen Bruchwaldtorf, entstanden in einer Zeit, als auf dem trockenen 3oden der Umgebung Eichen vorherrschten. Daß es sich hier in der Tat um einen Waldboden handelt, beweisen die den unterlagernden Geschiebemergel durchziehenden Wurzelreste. le) de) Das Vorkommen eines Waldbodens tief unter dem Ostseespiegel läßt sich nur dadurch erklären, daß hier das Land dereinst mindestens 12 m höher lag als jetzt. Die Senkung trat auch hier in einer Zeit ein, in welcher die Eiche den vorherrschenden Baum bildete. Wenn wir die nähere Umgebung der Villa Possehl in Betracht ziehen, so hat das Vorkommen eines Torfmoores hier tief unter der Strandpromenade und unter der Ostsee nichts Auffallendes mehr. Zwischen dem Strandbahnhofe, der Kaiserallee und der Frankschen Koppel (neue Villenkolonie) breitet sich eine Moorniederung aus. Während der Erdarbeiten zur Herstellung eines Teiches in dieser Niede- rung hatte Herr Bauinspektor Harms die Freundlichkeit, auf meine Bitte vier Trockenbohrungen zur Feststellung der Moortiefen ausführen zu lassen. Diese Bohrungen lieferten folgendes Ergebnis: Die Niede- rung wird von einem 5,50 —Ö5,soe m mächtigen, lockeren, leicht brüchigen Bruchwaldtorf gebildet, unter welchen sich der Geschiebemergel der benachbarten Höhen herunterzieht. Die oberen schilfreichen Lagen enthalten zahlreiche Süßwasserschnecken (Limmaea ovata, stagnalis, Planor- bis u. a.), die unteren Partieen sind reich an Holzresten, anscheinend der Erle; die Bohrkerne zeigten auch in den untersten Stücken noch Pisidien und Limnaeen. Das Niederungsmoor zieht sich ohne Zweifel mit geringem (Gefälle unter der Strandpromenade bei der Villa Possehl seewärts hindurch: Höhe der Bohr- Unterkante des stelle Torfmoores Bohrloch I, beim Strandbahnhof . . + 1,5: NN. — 3,76 NN. 250 m weiter seewärts: Basioch In we en +4- 1,50 NN. — 4,30 NN. 175 m weiter: | Nillaelossehle mm nn en + 3,08 NN. — 80: NN. Seine Unterkante senkt sich also seewärts bei einer Länge von 400 m um 4 m. Während der binnenländische Teil des Torfmoores bis in die Jetztzeit fortbestand, wurde das Stück von der Kaiserallee seewärts vom Wasser bedeckt und mitsamt den tonigen Sedimenten durch die später bei Sturmfluten aufgeschütteten Seesande stark zu- sammengepreßt. Bohrungen in der Ostsee. Im Frühjahre 1904 ließ die lübeckische Wasserbauverwaltung in der Ostsee vor dem Travemünder Strande zur Feststellung der Mächtig- keit des angeschwemmten Seesandes eine größere Zahl von Bohrungen ausführen. Eine Einsicht in die geschlossene Reihe der Bohrproben ist mir bis jetzt nicht vergönnt gewesen; aus einigen Proben, die ich gelegentlich in Travemünde sah, und aus mündlichen Angaben des Bohr- meisters erfuhr ich, daß in der Ostsee vor der Strandpromenade weit- hinaus unter einer verhältnismäßig dünnen Ablagerung von Seesand blaugrauer Geschiebemergel liest und daß nur von der Villa Possehl südostwärts in einem schmalen Streifen moorige Bildungen zwischen Seesand und (Geschiebemergel eingeschaltet sind. Es fehlen also in der Travemünder Bucht zwischen dem 'Travemünder Strande und dem Brodtener Steinriffe weithinaus die Litorinatone. Entweder sind hier die Litorinatone wieder zerstört oder, was viel wahrscheinlicher ist, es lag hier auch noch zur Litorinazeit trockenes Land, das erst in einer späteren Zeit von der See abradiert und bei Sturmfluten mit dem von der Zer- störung des Brodtener Ufers herrührenden Sande bedeckt wurde. I mare 101 III. Die alte Stromrinne der Trave und ihrer Nebenflüsse. Der Torfmoor unter der Villa Possehl und der Süßwasserkalk unter der Rennbahn-Tribüne auf dem Priwall (Bohrung Holzmann II) sind die beiden einzigen Aufschlußpunkte, die uns zu der Annahme zwingen, daß dereinst unsere Küste höher gelegen hat als heute, und uns zugleich eine Vorstellung von der Größe der Landsenkung während der Litorina- zeit geben. Wären nur die Ergebnisse der Bohrung iu der Villa Possehl bekannt, so würden wir als Mindestmaß für diese Landsenkung 12 m annehmen müssen; das Vorkommen des Süßwasserkalkes in der Holz- mannschen Bohrung II erhöht diese Größe schon auf 24 m. Wenn nun hiernach eine dereinstige Landsenkung außer Zweifel steht, so drängen sich uns hier zwei Fragen auf: War die Landsenkung auf unser Küstengebiet beschränkt oder dehnte sich ihr Bereich tief landeinwärts aus? und, wenn schon die wenigen Aufschlüsse in Trave- münde ein Mindestmaß von 24 m für diese Senkung erkennen lassen, gibt es vielleicht andere Beobachtungen, welche auf einen noch größeren Senkungsbetrag hinweisen ? In seiner Arbeit über die alten Stromtäler Vorpommerns') teilt H. Klose eine für die vertikale Bewegung der deutschen Ostseeländer in der Postglacialzeit sehr wertvolle Beobachtungen von J. Elbert aus der Gegend von Straßburg i U. mit. Letzterer »fand am südlichen Ufer der Galenbecker Niederung bei Untersuchung der Talsandterrassen des HHaffstausees, daß diese ein starkes Einfallen besitzen. Von Rothe- mühl an senkt sich der obere Rand der ersten Terrasse in nordwestlicher 2), H: Klose, a. a, ©: 8. 65. 102 Richtung von 30 auf 15 m (bei einer Länge von etwa 8 km) und ver- schwindet bei Galenbeck unter der Moordecke der Niederung. Die Ober- fläche der letzteren senkt sich gleichzeitig von 17 auf 9m und die Sohle des Moores von 14 auf 2 m unter NN. Aus dieser Beobachtung darf man unmittelbar auf eine nach NN zunehmende Senkung Vor- pommerns schließen.« Galenbeck ist von der Küste 50 km entfernt. Ich zweifle nicht daran, daß bei einer fortschreitenden genauen Kartierung im östlichen Holstein und im lübeckischen Staatsgebiete der Verlauf der Talsandterrassen und der oberen Ränder der Staubeckentone ähnliche Abweichungen von der Horizontalen erkennen lassen werden, wie sie Elbert in Pommern nachgewiesen hat. Ich möchte hier nur darauf hinweisen, daß der jüngste Talton, welcher die Lübecker Niederung auskleidet, nördlich von Lübeck eine viel geringere Mächtigkeit besitzt und in geringerer Höhe äuskeilt als im Süden der Stadt. Diese Er- scheinung erweckt ganz den Eindruck, daß die nördlichen Landesteile jetzt tiefer liegen als die südlichen. Einen einwandfreien Beweis dafür, daß sich die Litorinasenkung der Travemünder Bucht weit ins Land hinein erstreckt hat, dürfen wir in den tiefen, unter den heutigen Verhältnissen ganz unverständlichen Strombetten unserer Flüsse erkennen. Nach den von seiten der lübeckischen Wasserbauverwaltung ausgeführten Bohrungen liegt a) die alte Sohle der Wakenitz') Gefälle | auf 1 km | 0, „km .abei /Ziegelhonst )) 5. 2.2.83, 40,2 m zunter INN) 1 Orae» | >21, Nädlershorst, 2 zur... Selle Er J » m las» | > Bothenhorst,, 0.7 a ea » > N Don Da=.,2 AD, „Hiundtenkorste..... 2.101..268 ls > J = da | » der Eisenbahnbrücke . . .31 » » » Y ZZ I0mne2 | > Noltineshofsene eo y > [ 0,8 >» 106 >» | » der Wasserkunst . .. . on » 5 f l 4 19.3.9 | beim Burstor a rn » H 0, >» 14.47 7321 Zim AKrrähenteichr 2 On a ') Rehder, Entwürfe zu einem Elbe-Trave-Kanal zwischen Lauenburg und Lübeck. 1892. 4° S. 38. ?) Bei Ziegelhorst lag die frühere Überlaufsschwelle des Ratzeburger Sees. Bei Rotenhusen, dem jetzigen Ausfluß der Wakenitz aus dem Ratzeburger See, l,, km oberhalb Ziegelhorst, reicht die alte Moortiefe bis 6,ı m unter NN. 103 b) die alte Sohle der Stecknitz.‘) Gefälle auf 1 km Oki hbeiilBerkenthin®)iie „u... .8:2, StaufNN Köpın » Genin (Einmündung in die 0, m raye)rh 1292.30. msunter,.NN | e) die alte-Sohle der Trave.’) Gefälle auf 1 km 0 km | bei Reecke (Eisenbahnbrücke) . 6 m unter NN || 0 sm 32 >» » Legan . BERTT lu » » j ? 6,0 » Nor In ER RE S » 0, » 82 >» » der neuen Gasanstalt ...I9» » >» 0,5 >» 102 » |im lübeckischen Hafen . .. .10» » » 0,5 >» 13 » | bei der Kochschen Werft . . .12 » >» » 0,70” > 18,4 >» N Gabbmmunde A198, 360 » » 0.xr> 22,8 » » Schlutup-Herrenwyk. .. .15 » » » 0,5» 281 » SI Stulpens Flükt,.. 4.9. 209242208 3) 474» » Q,37 3 Hiernach liegt das ganze alte Flußbett der Wakenitz und eine ‚große Strecke des Wakenitz- und Travebettes unter dem Ostseespiegel. Ziegelhorst, der alte Anfang der Wakenitz, liegt in der Flußlinie 41 km von der heutigen Mündung der Trave in die Ostsee entfernt, Berkenthin, wo das alte Flußbeit der Stecknitz unter die Höhe des Meeresspiegels untertaucht, 36 km, und die entsprechende Stelle im heutigen 'Travetal, oberhalb Barnitz gelegen, aber noch nicht genau bestimmt, sogar min- destens 45 km. Die drei genannten Flußtäler sind zum größten Teil bereits in der Eiszeit entstanden. Sicher dienten Wakenitz und Stecknitz beim Rück- zuge des Inlandeises den von der nördlichen Hauptendmoräne herkom- kehder: 2.2202 Seile ®2) Die Sohle der 12,5 kın langen Strecke des Stecknitztales von Berkenthin bis zum Möllner See liegt über dem Ostseespiegel. Die alte Überlall- und Abschluß- schwelle vom Möllner See nach der alten Stecknitzstroinrinne liegt bei der ehema- ligen Oberschleuse (+ 12 m NN.). Der Grund des Möllner Sees erreicht 800 m von der Oberschleuse entfernt schon 7 m Tiefe, in der Nähe Möllns bis 16 m. °), P. Friedrich, geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck S. 12 u. Taf. 2 (Mitt. d. geogr. Ges. u. d. naturh. Mus. zu Lübeck, 1903, Heft 17). 104 menden Schmelzwässern als Abzugskanäle südwärts zur Elbe. In der Nähe Lübecks schmiegen sich die jungen Staubeckentone allen Boden- unebenheiten an, senken sich zum Tale der Trave und füllen die von der Trave durchflossene breite Niederung zwischen Israelsdorf, Schwartau und Dänischburg zum Teil aus. Das 'Travetal hatte von Dänischburg an aufwärts bis über Hamberge hinaus schon am Schlusse der Eiszeit seine heutige Oberflächenform. Das letzte Teilstück der Trave endlich, von Schlutup abwärts bis zur Ostsee, diente den Gletscherschmelzwässern als Abzugskanal zu der Zeit, als das Inlandeis die Lübecker Bucht noch nicht ganz verlassen hatte. Nur die kurze Teilstrecke des Travetals von Gothmund bis Schlutup ist, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ') ein Erosionstal aus späterer Zeit. Dienten sonach unsere Flußtäler zur Diluvialzeit den zur Elbe abfließenden Schmelzwässern als -Abzugsstraßen, so bieten die in die diluvialen Täler eingefurchten Flußrinnen zwei ganz neue Erscheinungen: 1. ihre Sohle zeigt eine im ganzen gleichmäßige Neigung zur Ostsee, 2. ihre Sohle liegt bis 34 km landeinwärts tief unter dem Meeresspiegel. In diesen beiden Erscheinungen erblicken wir die Ergebnisse fol- gender Ursachen: 1. Nur zur Ostsee fließendes Wasser konnte diese tiefen Rinnen ausfurchen. Ein Abfließen der Niederschlagswässer zur Ostsee aber konnte erst dann beginnen, als das Inlandeis die westlichen baltischen Küstenländer verlassen hatte und die beiden Belte freigelegt waren, also zu einer Zeit, als der Südrand des Inlandeises bis zu einer Linie Vor- pommern — Falster — Laaland zurückgegangen war. Die hydrographischen Verhältnisse des Gebietes zwischen Schleswig-Holstein, Pommern und (len dänischen Inseln während jenes Zeitabschnittes hat Geinitz in einer Karte anschaulich dargestellt.) Wir sehen da, wie der von Keilhack festgestellte »pommersche Urstrom« anfangs durch das mecklenburgisch- pommersche Grenztal, später, bei dem weiteren Rückgang des Eises, durch den Strelasund fließend, einen gewaltigen Stausee zwischen Mecklen- burg und Falster ausfüllt und, bevor er zwischen Fehmarn und Laaland seine Wassermassen zum großen Belt weiterschiebt, auf der linken Seite durch die Urtrave die Niederschlagswässer eines großen Teiles von Wagrien, Lübeck und Meckenburg aufnimmt. ') P. Friedrich, Die Grundmoräne und die jungglacialen Süßwasserablagerungen der Umgegend von Lübeck. Diese Zeitschr. 1905, Heft 20, S. 38. >) 1. Geinitz, Die geographischen Veränderungen des südwestlichen Ostseegebiets seit der quartären Abschmelzperiode. Petermanns geogr. Mitt. 1903, Heft 4. 105 Ohne Zweifel war eine lange Zeit erforderlich, bis die von NO gen SW fortschreitende Erosion die heutigen Strombetten der Trave und ihrer Nebenflüsse schaffen konnte, und die erodierenden Kräfte waren noch immer bei der Arbeit, als das nordische Eis längst bis zum skandi- navischen Hochgebirge abgeschmolzen war und die Pflanzenwelt der Tundra und die ihr folgende Kiefer der aus dem Süden vordringenden Eiche weichen mußten. 2. Zur Erosion gehört Gefälle, Erosion bis tief unter den Meeres- spiegel ist daher ausgeschlossen. Unser Küstengebiet muß also früher weit landeinwärts bei weitem höher gelegen haben als jetzt. Da wir nun weder den ehemaligen Lauf der Trave in dem jetzt unter dem Meeresspiegel liegenden Gelände, noch die Stelle ihrer ehemaligen Mündung kennen, so sind wir jetzt noch außer stande, festzustellen, um wie viele Meter unsere Küste höher lag als’ jetzt: Wenn wir nun den Versuch machen wollen, mit Hilfe der alten Strombetten den Senkungsbetrag festzustellen, so steht uns die geschlos- sene Stromrinne nur bis zum Stulper Huk abwärts zur Verfügung. Hier schneidet sie 50 m tief in die Endmoränensande ein und reicht bis 20 m u. M. hinab. Mit sich gleichbleibendem Gefälle müßte sich die alte Sohle der Trave in Travemünde bis auf 22 bis 24 m u. M. senken. Halten wir zunächst an diesen Zahlen fest, so lag unser Küsten- gebiet einst mindestens 22 bis 24 m höher als jetzt und die Wasserkante deckte sich mit der heutigen 20 m-Kurve. Ein großer Teil der Lübecker Bucht war damals Festland, das Brodtener Ufer reichte 9 km weiter seewärts, die heutige Mündung der Trave lag im landinnersten Winkel einer schmalen Föhrde oder, was wahrscheinlicher ist, die damalige Travemündung lag 3 km weiter draußen in der Höhe von Bahrendorf. Zu weit größeren Höhenmaßen gelangen wir nun, wenn wir die Ergebnisse der Travemünder Tiefbohrungen in Betracht ziehen. Das die Trave quer durchschneidende Profil Priwall— Bahnhof auf unserer Tafel zeigt den Querschnitt entweder eines alten Flußlaufes oder eines aul- fallend schmalen Kessels. Echte marine Ablagerungen reichen hier bis zu 55 m unter Ostseespiegel und erwecken den Eindruck, dab wir hier tief unter der heutigen Trave das alte Travebett vor uns sehen. Von hier bis zum Stulper Huk sind es nur 6 km. Während bis dahin die Flußsohle eine Neigung von 0,3 —0,: m auf 1 km besitzt, würde sie vom Stulper Huk bis Travemünde einen Höhenunterschied von rund 35 m, also von fast 6 m auf 1 km haben. So lange noch Bohrungen auf dieser 6 km langen Strecke fehlen, bleibt immer noch die Möglichkeit, das tiefe, an der ganzen Ostsee einzig dastehende Litorinaprofil von Travemünde genetisch anders zu deuten. Man könnte ein weit stärkeres Absinken der Küstenzone annehmen oder das Profil als Querschnitt eines 106 schmalen Erosionskessels auffassen. Meine bisherigen Erfahrungen sprechen gegen diese Auffassungen. Die Geschiebemergelunterkante liegt unter Travemünde nicht auffallend tiefer als weiter im Lande, eine tiefe Auskolkung innerhalb der Abschmelzrinne wäre entweder durch die von den Gletscherwässern mitgeführten Sande oder sicher später von dem reichen Erosionsmaterial der Trave ausgefüllt worden. Vorläufig finde ich für das auffallend steile Strombettprofil nur folgende Erklärung: In der Niederung zwischen Travemünde und dem Mecklenburger Ufer wurde der Geschiebemergel schon im der Eis- zeit zerstört, und die Trave konnte sich leicht in die Sande und tonigen Sande der ehemaligen Abschmelzrinne einsägen, vom Stulper Huk an aufwärts bildet der Geschiebemergel und von Schlutup an aufwärts der diesen überlagernde blaue fette Tonmergel die Unterlage der Talsohle. Die flußaufwärts vor sich gehende Einsägung des Flusses konnte beim Stulper Huk, wo das festere Material des Geschiebemergels beginnt, natürlich nur langsam vor sich gehen. Die Flußsohle hatte noch nicht ihre endgültige Form erhalten, als bereits die Litorinasenkung eintrat. Bei dieser Auffassung kommen wir zu der überraschenden Schluß- folgerung, daß das lübeckische Küstengebiet am Schlusse der Eiszeit min- destens 50 m höher gelegen hat als jetzt und daß die ganze Lübecker Bucht und damit vielleicht die ganze Beltsee vorwiegend Land war. ———z IV. Gesamtergebnisse. 1. Die Täler der Trave und ihrer größeren Nebenflüsse dienten den Schmelzwässern des sich zurückziehenden Inlandeises als Abzugs- rinnen zur Elbe und Nordsee In der breiten, vom Priwall und der Poetnitzer Wiek eingenommenen Niederung haben die Gletscherwässer die ganze diluviale Grundmoräne zerstört. Als einzige tiefe Einsenkung zwischen dem holsteinischen und mecklenburgischen Küstengebiete diente diese Erosionsrinne noch lange Zeit den von den nördlichen Stillstands- lagen des Inlandeises herabkommenden Schmelzwässern als Hauptabzugs- straße gen Süden und Südwesten. 2. Die in unsere Täler eingefurchten Flußrinnen sind zur Ostsee geneigt. Ihre Ausbildung konnte erst zu der Zeit beginnen, als die Belte vom Eise befreit waren. 3. Das Vorkommen eines Waldbodens unter der Strandpromenade bei der Villa Possehl (S m u. M.) und einer Süßwasserkalkablagerung unter dem Priwall (23 m u. M.), ferner die gleichmäßige Neigung der alten Strombetten der Trave und ihrer Nebenflüsse tief unter dem Ostsee- spiegel bis 34 km landeinwärts, diese Erscheinungen lassen sich nur er- 107 klären, wenn wir annehmen, daß unser Land früher höher lag als jetzt. Das alte Flußquerprofil Travemünde-Priwall auf unserer Tafel weist da- rauf hin, daß der Höhenunterschied zwischen einst und jetzt mindestens 50 m betrug. Das Gebiet der westlichen Ostsee war am Schlusse der Eiszeit zumeist Land. Die Trave durchfloß von ihrer heutigen Mündung nordwärts noch eine breite, jetzt von der Lübecker Bucht bedeckte Niederung. 4, Die Landsenkung und der Einbruch des salzreichen Nordsee- wassers traten zu einer Zeit ein, als die Eiche den vorherrschenden Waldbaum bildete und die Buche noch nicht bis zu den Ostseeländern vorgedrungen war. 5. Ein Teil des durch den Fehmarnbelt nach Südosten geführten Tiefenwassers tritt in die Lübecker Bucht ein. Die Pommeraniaexpedition schöpfte zwischen Neustadt und Travemünde aus einer Tiefe von 12 Faden noch Wasser mit 2'/, ”/ Salzgehalt. Unter dem Einflusse des ausfließenden Travewassers (400000 cbm täglich) wird der Salzgehalt des Meerwassers in dem innersten Teile der Travemünder Bucht bis auf 1 °% herab- gedrückt. Als jedoch die Landsenkung ihr Maximum erreicht hatte, ‘waren die natürlichen Verhältnisse des Mündungsgebietes der Trave wesentlich andere als jetzt. Der Brodtener Landvorsprung reichte anfangs wohl noch 9 km weit seewärts, und der Mündungsschlauch der Trave bildete eine tiefe Föhrde. Die Wassertiefe betrug damals in Lübeck 10 m, bei Schlutup 18 m, bei Dummersdorf 20 m und in der breiten Travemünder Niederung 23 m und mehr. Der Nordseestrom bewegte sich auch damals durch den Fehmarnbelt zur Lübecker Bucht, aber er war salzreicher als jetzt und er drang in den großen Tiefen unter dem austließen- den Süßwasser weit landeinwärts in den Mündungsschlauch der Trave ein. 6. Bei Dänischburg, 17 km oberhalb der heutigen Travemündung, wo jetzt in der Trave nur Süß- und Brackwassermollusken vorkommen, lebten damals in dem salzreichen Wasser die jetzt in der Travemünder Bucht fast erloschenen Molluskenarten Nassa reticulata und Serobieularıa piperita. Letztere kam hier in tausenden von Individuen vor, und ihre Schalen erreichten Größenverhältnisse, welche den Schalen der heutigen Bewohner der Kieler Bucht nur wenig nachstehen. 7. In dem vom Priwall bedeckten Abschnitte der ehemaligen Föhrde entfaltete sich eine Diatomeenflora, reich an solchen Arten, die zu ihrem Leben ein salzreicheres Wasser brauchen, als die Travemünder Bucht jetzt aufweist; besonders auffallend aber war der hohe Prozentsatz der Nordseebewohner, die wir lebend erst im Kattegatt antreffen. Von den 136 Meeresdiatomeen in den Travemünder Litorinaablagerungen finden 100 in der heutigen Travemünder Bucht nicht mehr ihre Lebensbedin- gungen; 67 Formen, d. s. 50 °/ aller Meeresbewohner, kommen jetzt nur in einem Meerwasser mit 3 °/ Salzgehalt vor. Die Travemünder Litorinabildungen zeigen hinsichtlich des Anteils der Meeresdiatomeen und insbesondere der Nordseeformen eine grobe 108 Ahnlichkeit mit den bis jetzt auf ihre Diatomeen am besten untersuchten deutschen Litorinaablagerungen, vom Conventer See und von Warnemünde: Anzahl der Meeresdiatomeenformen im Meerwasser mit einem Salzgehalt von Unter den Summa der een als ne “ letzteren sind Meeres- 1,25 % 2 Nordseeformen diatomeen Travemünde . . : 23 100 60 3 D080/e 136 Conventer See . . . Dh 95 I 7,49% 121 Warnemünde sr 26 97 697 1530310 123 Von den Travemünder Meeresdiatomeen kommen 76 Arten auch in den Juatorinabildungen vom Üonventer See, 69 Arten auch bei Warne- münde vor. Hierbei sind diejeuigen Formen nicht mitgezählt, bei denen die Art an der einen Fundstelle, eine unter gleichen Bedingungen lebende Abart an der anderen Stelle beobachtet ist. Wenn wir die weite Verbreitung der jetzt nur bis Warnemünde vorkommenden Serobicularia piperita während der Litorinazeit — ihre nördlichste Fundstelle liegt auf Gothland — in Betracht ziehen, so müssen uns in der Verbreitung der schwedischen Litorinadiatomeen zwei Er- scheinungen überraschen : Die Meeresdiatomeen aus unserer Gruppe 1 fehlen im südlichsten Schweden ganz, dagegen sind einige Angehörige dieser Gruppe an nördlicher gelegenen Stellen, sogar noch bis Luleä und Helsingfors gefunden. Es sind Coseivodiscus Asteromphalus Ehrb. Melosira Westii W. Sm. Dicladia Mitra Bail. | Nawicula brevis Greg. Melosira sulcata Ehrb. | Rhizosolonin Calcar-avis Schulze. | Mit Ausnahme von Dicladia Mitra und Melosira Westiü sind diese Arten auch aus den Travemünder Litorinaablagerungen bekannt. Das Vor- kommen derselben in Gebieten der Ostsee, deren Salzgehalt auch zur Litorimazeit zum Gedeihen der Diatomeen aus der Gruppe 1 zu niedrig war, führt Munthe auf Transport durch Meeresströmungen teils als Plankton, teils an höhere Algen befestigt zurück. ') Die folgende Liste enthält diejenigen Meeresdiatomeen (meist Nordsee- formen) aus den Travemünder Litorinaablagerungen, die vom Conventer See und Warnemünde noch nicht bekannt sind. Mit F sind diejenigen Arten bezeichnet, die Weber aus dem Meerlebertorf der Kieler Föhrde, mit * die- Jenige Art, welche Munthe aus den schwedischen Litorinabildungen aufführt. Amphora proteus Greg. 7 Navieula directa W. Sm. » Oculus A. S. > vacillans A. 8. > scaları!s Oastr. » Grevillei C. Ag. » ocellata Donk. » rhombica Greg. c 1) H. Munthe, a. a.'0. 8, 30. 109° Pleurosigma Nubeeula W. Sm. Triceratium For Ehrb. | » marinum Donk. | » simplieissimum Witt » speciosum \W. Sm. | > nobile Witt Cocconeis distans Grun. | » articum Brightw. >» dirupta Greg. Aulacodiscus excavatus A. S. Synedra Gaillonä Ehrb. Arachnoidiscus sp. » fulgens W. Sm. Trinaeria Regina Heil. Surinella Comis A. S. Öoseinodiseus robustus Grev. » luminiensis .Grun. | > marginatus Grev. Campylodiscus Daemeleanus Grun. > apieulatus Ehrb. Rhizosolenia seligera Brightw. » asperulus Grun. # » Calcar-avis Schulze | » eurvatulıs Grun. biddulphia pulchella Gray. | » antarcticus Grun. T » antediluviana v. Heurck Fast sämtliche Arten sind neu für das Ostseegebiet; neu sind insbeson- dere die Gattungen Triceratium, Aulacodisceus, Arachmoidiseus und Trinacria. S. Die Litorinatone und die jüngeren Seesande füllen allem An- scheine nach die ganze Priwallniederung in einer Breite von 2,5 km und bis zu einer Tiefe von mindestens 20—24 m aus. Wieviele Meter von dem Seesande noch der Litorinazeit angehören, läßt sich nicht bestimmen. Schalen von Mya arenaria, welche einer späteren Zeit angehören und zu tausenden am Priwallstrande liegen, fehlten in den oberen Bohrproben, In den beiden Bohrungen von Holzmann No. I und II konnte mit Hilfe der Diatomeenfloren ein Übergang von Süßwasser- zu Brackwasser- und Meeresbildungen nachgewiesen werden. Während die beiden ersteren nur wenige Dezimeter dick sind, schwillt die Mächtigkeit der echten Litorinatone auf 10 m und mehr an. Der in den drei Trockenbohrungen erschlossene Aufbau der allu- vialen Ablagerungen unter dem Priwall Seesand mit Geröllen, toniger Feinsand, | mindestens feinsandiger Ton, | 20—24 m fetter Ton läßt sich leicht erklären, wenn wir die jetzt vor sich gehenden Verände- rungen in der Travemünder Bucht in Betracht ziehen. Bei jedem erößeren Nordoststurm wird das aus Geschiebemergel bestehende Steil- ufer zwischen Travemünde und Niendorf (Brodtener Ufer) von den Wellen unterspült und ausgewaschen. Die größeren Steine bleiben liegen, der Sand und die kleineren Steine werden vom Wasser längs des Strandes in die Travemünder und die Niendorfer Bucht geschoben, der feine Ton- schlamm endlich trübt das Seewasser weit hinaus und sinkt in der ganzen Bucht langsam zu Boden. 110 Als zum ersten Male das Seewasser in die Travemünder Bucht ein- drang und der eben beschriebene Zerstörungsprozeß begann, erstreckte sich das Brodtener Ufer mindestens 5, vielleicht sogar 9 km weiter see- wärts als jetzt. Bei Sturmfluten wurde der feine Tonschlamm mit dem eingehenden Strome in die Traveföhrde hineingepreßt und ein Teil des- selben kam dort zur Ablagerung. In dem jetzt vom Priwall, Poetnitzer Wiek und Dassower See bedeckten Abschnitte der Föhrde, der auf allen Seiten von lehmigen Ufern eingeschlossen ist, bewirkten auch die west- lichen Winde Uferabbruch und Niederschlag von. Tonschlamm. Als nun bei dem stetigen Rückgange des Brodtener Ufers im Kampfe gegen die Sturmfluten die offene See immer weiter gegen die heutige Travemündung vorrückte, wurden anfangs die vom Uferabbruch stammenden Feinsande, später auch die groben Sande in die sich immer mehr öffnende Föhrde hineingeschoben. Größere Sturmfluten mit mehr als 2 m Wasserhöhe hatten endlich zur Folge, daß durch Auflagerung von Sand und Geröll die unterseeische Priwallbarre zur Nehrung empor- wuchs. Das gesamte alluviale Material, welches die Priwallniederung bis zu einer Tiefe von 20— 24, unter der Trave bis 55 m u. M. ausfällt, kommt sonach vom Brodtener Ufer. Die Flußrinne der Trave hat immer über dem alten Strombett gelegen. Die natürliche Tiefe der Flußinündung betrug zuletzt 2,70 m, die jetzige Fahrrinne ist bis auf 10 m Tiefe ausgebaggert. 9. Reste von menschlichen Wohnstätten. Durch die von mir beschriebenen Funde von bearbeiteten Renntiergeweihstücken in den jüngsten Geschiebesanden von Schlutup'!) ist der Beweis erbracht, daß _ der Mensch schon in der Eiszeit bei uns gelebt hat und zwar zu einer Zeit, als das Inlandeis die deutschen Ostseeländer noch nicht ganz ver- lassen hatte. Die sämtlichen bis jetzt bekannten Funde von Werkzeugen, Waffen und menschlichen Wohnstätten in Schleswig-Holstein sind weit Jünger. Die ältesten Spuren einer menschlichen Ansiedelung bei Kiel — Knochenreste und Werkzeuge aus Stein und Knochen —, durch deren Aufdecekung und Erhaltung sich der Direktor der Kais. Werft in Kiel, Geh. Admiralitätsrat Franzius, für die Wissenschaft ein bleiben- des Verdienst erworben hat,?2) gehören nach Weber (S. 9) der Zeit an, welche der Litorinasenkung unmittelbar voraufging. Die Muschel- und Küchenabfallhaufen (Kjökkenmöddinger) in Dänemark und Schleswig- Holstein (Süderballig an der Gjenner Bucht, Neustadt‘) und ein ganz neuer Fund in der Eckernförder Bucht) stammen aus der Zeit der Lito- rinasenkung, sind also noch etwas jünger. 1) P. Friedrich, Die Grundmoräne und die jungglacialen Süßwasserablagerungen der Umgegend von Lübeck. Diese Zeitschr. Heft 20, 1905, S. 33 EX. ”) ©. A. Weber u. J. Mestorf, Wohnstätten der älteren neolithischen Periode in der Kieler Föhrde. Kiel 1904. °) W. Splieth, Über vorgeschichtliche Altertümer Schleswig-Holsteins. Archiv f. Anthrop. u. Geol. Schleswig-Holsteins .. . Bd. 2, Heft 2, 1897, S. 140 #&. 111 Nach diesen Erfahrungen dürfen wir annehmen, daß auch in der Travemünder Niederung Reste menschlicher Wohnstätten vorhanden sind. Erwecken schon das Schulterblatt und das Geweihstück vom Edelhirsch, die vom Bohrlöffel in der Holzmannschen Bohrung No. II heraufgebracht wurden (S. 21), den Verdacht, daß es sich hier um Knochen handelt, die der Mensch weggeworfen hat, so ist andrerseits durch die Arbeiten der lübeckischen Wasserbauverwaltung vor einigen Jahren das Vorhan- densein menschlicher Wohnstätten aus der Litorinazeit hier außer allen Zweifel gestellt. Im Winter 1902/03 wurden bei der Vertiefung des Fahrwassers zwischen der Siechenbucht und dem Priwall vom Bagger Knochen in so großer Menge zu Tage gefördert und durch den Spül- bagger am Priwall abgelagert, daß die Travemünder Knaben mehrere Zentner von ihnen fortschleppten und an den Knochenhändler ver- kauften. Es befanden sich nach Aussage der Zeugen darunter besonders starke Knochen, Geweihstücke, Schädel, auch Teile von Menschenschädeln. Als ich durch den Fährmann Wendelborn davon Kenntnis erhielt, war es leider zu spät. Der die Baggerarbeiten leitende Beamte, den ich sofort im Bauamt aufsuchte, wußte nichts von alledem. Ein Arbeiter, den ich später sprach, erklärte mir, daß sie die Knochen wohl gesehen, aber nicht beachtet hätten. Es ist m hohem Grade zu bedauern, daß unsere Wasserbauverwaltung es versäumt hat, diesen überaus wertvollen Schatz der Wissenschaft und unserem Museum zu erhalten. Von einer zweiten, aber nur bis zu 5 m Tiefe gehenden Baggerung bei der Jachtenwerft konnte ich ein Y/s m langes Stück eines sehr kräf- tigen Edelhirschgeweihs für das lübeckische Museum retten. Auch dieses Stück hatten die Arbeiter. übersehen. Daß es sich bei diesen Knochenfunden um Spuren menschlicher Tätigkeit aus einem weit hinter uns liegenden Zeitabschnitte handelt, beweisen die zahlreichen Feuersteinwerkzeuge, welche der Primaner Spethmann in demselben Baggersande neben den noch vorhandenen kleinen Knochenstücken gesammelt hat: Bohrer, Schaber, Messer, Späne, außerdem Kernstücke (Nuclei), von denen die Späne abgeschlagen wurden, Aus dem Umstande, daß südlich von der Siechenbucht längere Zeit Geschiebemergel ausgebaggert wurde, geht hervor, daß hier die alte Fluß- rinne östlich von der heutigen Fahrrinne liest und daß hier unmittelbar über dem Geschiebemergel vom Bagger die ältesten Litorinaschichten an- geschnitten wurden. Allem Anscheine nach gehören hiernach die aus- gebaggerten Feuersteinwerkzeuge und Knochen, ebenso wie in der Kieler Föhrde, der Vorlitorina- oder der ältesten Litorinazeit an. Auch in den Moddeaufschüttungen in der Herrenwyker Bucht und bei der Herrenfähre fand Spethmann eine große Menge von Feuerstein- werkzeugen von demselben Charakter, wie sie Fräulein Prof. Mestorf aus der Kieler Föhrde abgebildet hat.') Da nun auch die wenigen bisherigen Funde von Knochenartefakten aus älteren Travebaggerungen an die Kieler Knochenfunde erinnern, so dürfen wir annehmen, daf sicher der weitaus größte Teil der in der Traveniederung gebaggerten Werkzeuge der Vor- litorina- oder der ältesten Litorinazeit angehört. Die noch jetzt vor sich gehenden Baggerungen versprechen noch eine reiche Ausbeute. 10. Die Aufschlüsse im Gebiete der Untertrave, insbesondere die eingehend behandelten vier Trockenbohrungen bei Travemünde, haben für die Geschichte der westlichen Ostsee ein wertvolles Urkundenmaterial geliefert. Wenn ich nun im Folgenden auf eine Reihe von Unter- suchungen hinweise, die noch anzustellen sind, um die Lücken in unsrer Kenntnis von den Veränderungen des lübeckischen Rüstengebietes während des jüngsten geologischen Zeitabschnittes auszufüllen, so geschieht es in der Hoffnung, daß einmal von der lübeckischen geographischen Gesellschaft oder dem Staate eine kleine Summe für Bohrungen zu rein wissenschaft- lichen Zwecken ausgeworfen werden möchte. Es handelt sich dabei in erster Linie um einige Bohrungen zur Feststellung der alten Flußrinne zwischen dem Stulper Huk und Trave- münde; ferner um je eine Bohrung in der Mitte des Priwall und in den Poetnitzer Wiesen, um zu erfahren, ob in der ganzen Niederung die diluviale Grundmoräne ausgewaschen ist. Es sollten außerdem auf der Teerhofsinsel und auf der krummen Insel Bohrungen ausgeführt werden, um in den Moddeprofilen die allmählichen Veränderungen der Tier- und Pflanzenwelt festzustellen und diejenigen landinnersten Stellen zu be- stimmen, bis zu welchen das salzreiche Litorinawasser einst vorgedrungen war. Wenn einmal die Travemünder Bucht zugefroren ist, würde es sich empfehlen, zur Feststellung des jetzt von der See bedeckten Travelaufes auf der Plate Bohrungen anzustellen. Durch den flachen Dassower See und die Poetnitzer Wiek zieht allem Anscheine nach die tiefe Rinne der Stepenitz hindurch. Bei starkem Frost könnte diese leicht in einigen Teilstücken nachgewiesen werden, womöglich auch ihre ehemalige Ein- mündung in die Trave. Die spärlichen Angaben, die ich bis jetzt aus den Niendorfer Tief- bohrungen erhalten konnte, lassen keinen Zweifel darüber, daß der Hemmelsdorfer See eine Föhrde der Litorinasee bildete. Bohrungen in der Moorniederung zwischen dem Hemmelsdorfer See und Niendorf, vor allem aber auf der kleinen Insel im See, würden ohne Zweifel wertvolle Aufschlüsse liefern. Sämtliche Bohrungen würden ein weiches Material durchstoßen und nur einen geringen Kostenaufwand verursachen. '), ©. Weber und J. Mestorf. Erläuterungen zu den umstehenden Tabellen. Die Buchstaben S., Br., M. bezeichnen Süß-, Brack- und Meer- wasser. Die Zahlen 1—7 geben in absteigender Linie den Salzgehalt des Wassers an, in welchem die Diatomeen jetzt leben. ie | Bo | bit | | —1 Meerwasser mit einem Öberflächensalzgehalt von mehr als 1,25 °/o. Das Gebiet reicht ostwärts bis zu der Linie Wismar- Helsingör. Die Travemünder Bucht mit ihrem geringeren Salzgehalt ist hier ausgeschlossen. vor dem’ Namen bezeichnet Nordseeformen, d. h. diejenigen Diatomeen, welche einen höheren Salzgehalt beanspruchen, als das Wasser in der westlichen Ostsee jetzt aufweist. Das Wohngebiet der * Diatomeen beginnt erst nördlich vom Sund und den beiden Belten. Meerwasser mit einem Oberflächensalzgehalt von weniger als 1,25 %%,. Die Westgrenze wird von der Linie Wismar- Helsingör gebildet. Hierher gehört auch die Travemünder Bucht. Brack- und Meerwasser. Brackwasser. Süß-, Brack- und Meerwasser. Süß- und Brackwasser. Süßwasser. In den beiden Reihen »Litorinabildungen in Mecklenburg: Conventer See und Warnemünde« sind diejenigen Meeresdiatomeen verzeichnet, welche Travemünde mit den beiden genannten Fundstellen gemein hat. Vor kommen Im Süß- | Wasser, ö Brack . wasser, ® ’ Meer- 30-31 m | 33-34 m | 36-37 m |37-37a210 WAässer Bi I. Raphideae. | | | } Amphora Ehrb. | A. ovalis Ktz. S. 7 X X x. | A. libyca Ehrb. SB 16 x X A. robusta Greg. & Br.M 3 x =A,. proteus Greg. var. Seulaha Bi BI M. 1 “ Peragello, Diat. de France pl. 44, fig. 21, 22. A. proteus Greg. var. Ba X Ad. Schmidt, Atlas, Taf. 27, Fig. 42 *=A. Grevilleana Greg. M. j x x *=A, Oculus A. 8. I; M. il Peragello, Diat. de France Ss 45, fie. 6. A. scalaris Castracane ? (2 Exemplare) M. Voyage Challenger Diat. Taf. 27, Fig. 19. =A, acuta Greg. var, media Heiden M. li X =A, ocellata Donkin M. 1 X =A, ocellata Donkin var. le cl. M. 1 x x =A, ostrearia Breb. M. 1 x Cymbella C. Ag. C. Ehrenbergii Ktz. S. 7 x % (&% » var. S. 7 x C. cuspidata Ktz. S. fl X C. aequalis W. Sm. S. 7 { C. gastroides Ktz. S. m x X 2 Ri 1 Bruchst. ©. heteropleura (Ehrb.) Ktz. var. . S% 7 x j ', lanceolata Ehrb. S. Bı 6 X X E 2 Exemp).|?2 Exempl. ©. eymbiformis Ehrb. SraBrt. 6 | Ä Ä U. Cistula Hempr. S. Br. 6 £ X X x 1 Exempl. Ü. » rar. maculata Ktz. S. (ee X { C. helvetica Ktz. D. D x x Ö.. Yarrensis (A. S.) Cl... Br. 4 X C. tumida Breb. HR, S) Bi 6 x C. leptoceras (Ehrb.) Grun. S. 7 X Briwall DL 207 | \ 15—16 m | 21—23 m | Bohrung von Holzmann Nr. II | Bohrung in der Ferienkolonie | | Süßwasser- Kalk 23,80-24,30 m x 12—15 m 1} | 20—21 m I [} i I 1 | Bohrung Villa Possehl 8,7— 10,7 Untertrave' Litorinabildungen 2 Mr bei ' in Mecklenburg Herren- | z Re |Conventer) Warne- wyk | See münde 1} | 1} x x x x x x p) Bruchstück Iy ne E. Oestrup, Marine Diatomeer fra Ostgroen- | land, Taf. 4, Fig. 32. Vor- kommen | wasser, Brack- Wasser, Meer- wasser Eneyonema Ktz. | E. prostratum Ralfs. SlBr: E. caespitosum Ktz. S. Mastogloia Thwaites. M. Smithü Thw. . TEN Sy Br: IM var. amphicephala Grun. Br. M. > var. lacustris Grun. S. M. Dansei Thw. ı 8. Br. M. elliptica ©. As. Br. M. Grevillei W. Sm. IS. Br. M. Brauni Grun. OB =M angulata Lewis M. | Stauroneis Ehrb. St. Phoenicenteron Ehrb. Se St. >» var. amphilepta Ehrb. Sa St. > var. Baileyi Ehrb. S. St. > var. St. acuta W. Sm. S. St. Gregorii Ralfs | Br. St salınas We Smk ee: | M. St. anceps Ehrb. var. gracilis Ehrb. SR | St. Smithii Grun. var. nov. oder nov. sp. 8. Navieula Bory. | | N. eentilis Donkin | SH N. major Ktz. SR N. yinidiıs. Ktz.. REIS! N. cardinalis Ehrb. . | S. N. alluviana Heiden ML) "N. quadratarea A. 8. au M. | N. » var. baltica Grun. u Bress N. > var. minor Oestr. | | ©) = NS -] Bo & Ft I -—] -ı -I-JJIHeR 2° Bohrung von Holzmann Nr. I | 30-31 m | 33-34 m | 37-37 m 37-372 m h x x x x | \ | x | & | x x > x x x x Bruchst. | x x x we x x | x nn x x x x | | | | NY U Priwall u ‘ Bohrung von Holzmann Nr. II Bohrung in der Ferienkolonie 15—16 m 21—23 m | | | | De Flag. aa | I | | | | | Süßwasser- Kalk 23,30-24,30 m SEX 12—15 m | 20—21 m) | | | | | x x | | x | | | | x > Villa Possehl 87 —10,7 xx — | Bohrung |Untertrave Litorinabildungen bei in Mecklenburg Herren- TE 4 Conventer Warne- wyk z % See münde X x x BE X DV IN % X | X x vI EIHRURRERIEHEENFROBNDENENENEER EN ____ NM Dale Zee Be . Brebissonii Ktz. . . mesolepta Ehrb. . borealis Ehrb. . oblonga Kt. . peregrina (Ehrb.) Ktz. » var. . radiosa Ktz. . gracilis Ktz. . rhynchocephala Kita. . hungarica Grun. var. lueneburgensis Grun. » var. humilis (Donk.) Grun. . digito-radiata Greg. » var. Cyprinus W. Sm. '. . Reinhardtiı Grun. . Gastrum (Ehrb.) Donk. » var. . Placentula (Ehrb.) Ktz. platystoma Ehrb. . dicephala W.. Sm. directa W. Sm. var. genuina cl. . interrupta Ktz. . didyma Ehrb. . Bombus Ehrb. . Entomon (Ehrb.) A. S.. . Smithii Breb. . » var. div. . fusca Greg. aaa an » var. A. Schmidt, . notabilis Greg. var. expleta A. 8. . . litoralis Donkin . . elliptiea Ktaz. . ovalis Hilse » forma elongata Sim. Vor- | Koinen Be Ri Bohrung von Holzmann Nr. I | Brack- | ms 30-31 m | 33-34 m | 36-37 m 37-37gm. wasser | S. 7 X | S. X > S. 7 x SYBr4 6 x xa Be x x | Menisculus Sa S; Br. 6 >< S. 7 x S. 7 x S. Br. 6 S. (Br) . x S. 7 4 x Br.M 3 x M. 1 x x x S. 7 x { S. 7 x Jenisseyensis Grun. . S. Be] 6 SSBr NE x SoBr. 7,6 x Ss: Ü | I Mi 1 | Brave 9 x x s Br.M b) > < x x M. 1 . M. 1! X X = Br.M 3 X X x x M. : X M. 1 x M. 1 | Atlas, Tat. 5 e je M. 1 x M. 1 X SB. 6 X X S. 7 ; ; i S. 7 X x vu Priwall | | Dre: a ——_ | Bohrung |Untertrave Litorinabildungen Bohrung von Holzmann Nr. II. Bohrung in der | Yilla | bei ‚ in Mecklenburg | Ferienkolonie | | = SuRwasser 7 —— | Possehl | Herren- | Ba Be m | 21—23 m Kalk 12—15 m |20—21 m | 87—10, wyk | Conventer | Warne- = 23,30-24,30 m, | | See ı münde \ . x | | x x x > x ER x x x x x x | x x x x | lv X x | x | x | | | ) | | x | x | x x x x x x x x Rx \ x x x x | x x x x x x > x N B L x | x x \ x > x x VII Vor kommen m m ım a Bohrung von Holzmann Nr. I | Brack- a 30-31 m | 33-34m | 36-37 m |37-372m wasser IN yacillamsaAkesah na AR a ee M. 1 A. Schmidt, Atlas, Taf. 8, Fig. 35. N-albyra JEhrbisvarı 0 M. | ZN van atlantiea A: D. . KOSTEN a0: M. 1 | x x N web svarelliptieagäe SU u M. 1 | IN, sabzupta Gres Wear weenıı M. De x x | 1 Exempl. N. » Mar. a ee | *N. foreipata Grev. var. versicolor Grun. . Walz | N. » var. balnearıs Grun. ... Br. 4 x NS Bitouinarkleidems tr Sen Be | AND 2 x Neeasperanihrbar E86 sr M. 1 N. DENE ee ER ER RR M. 1! N: 2 yvarspulchellaaWE Sm Fern h N. > var yuleanısn er Bee Ä EN: Drver Intermedia Gruns ne M. 1 x x INN ArtensLSM num ee en 4 E Nee Buscnla@ihrbi m re ee San x N: aratasarun. Hrn Mae Sees: 6 | X IN: gprotraetanG une. N Br. 4 x x N anteera Woman un ee Br. 4 X EN -Vbreyasaurtevan He ah Ba VE 1 X BEE NZ N 7 Dvarssvexans Grume 9 27.277 BEMARS > Nwelesans WeSmı ee Bee es X N-rbumierosaBrebs u en. ec. a Br ae, | X N. > SEE A A N MR N \ =] SH | N. » forma minor Heiden A. Schmidt, Atlas, Taf. 243, Fig. 7. | | N. var, constrieta Ü. . .. 2 BEIM. 3 SE ER S< | A. Schmidt, Atlas, Taf. 243, Fig. 6. | | | | IN. Natissimangresie ar a. M. 2 | >< x | N. » VEIT RD RE Be a oe Betr M. 2 A N. » var. rostrata Heiden. . .:.| M. 2 Sa ha; N. seütelloidesaW. [Sm a rn 2 Sara x x EN! eramulatanbreb.r Der seen Me \ N. marına Ralts U EP WRITER SE Bra X ! sr Priwall | | _ —... | Bohrung |Untertrave) Litorinabildungen Bohrung von Holzmann Nr. II |, Bohrung in der Vila | bei in Mecklenburg Ferienkolonie p hl | H | = a Ss STren- | =—— == |Süßwasser- a Conventer Warne 15-16 m | 21-23 m| Kalk 12—15 m | 20—21 m | 87 —107 | wyk | A ö | 123,30 24,30 m | | | See ı münde | | x . . | | | | i | | x | x X | | | var. typica . | | x | x | x x x 4 | } 54 SG | - . DAN } AN AN | | | x | x x x x | 5 | | [ | k | | | | | | 7 | | x x x | | x - | x x | | x | x | | | I | | ,- | f ZEN | x & i | | STB | | | | | x | x | > | | | | - | | | | | | | | | = > | x PEN | | x x x x | x x x | NY . AN N » | AN | | < x | \ x X x x x . consimilis . Bacillum Ehrb. . Pseudo-Bacillum Grun. . . Pupula Kita. . Grevillei ©. Ag.. . thombica Greg. . lacustre (C. - marma Balfs’' var. . We . Schumanniana Grun. var. div. . cuspidata Ktz. . sculpta Ehrb. . . polygramma (Ehrb.) Heiden . sphaerophora Ktaz. . formosa Greg. . liburnica Grun. Sr amphisbaena, Bory 2er > var. subsalina (Donk.) » var. Fenzliiı Grun. . Schilberszky Pant. var. gibba Pant. Pantocsek, Balaton, Taf. 16, Fig. 345. . limosa Ktz. . a RER » var. ventricosa (Ehrb.) Donkin. » var. truncatula Grun. . fasciata Lagerst.. . bisulcata Lagerst. » Var... . Iridis Erb. SET UBE ER . affinis Ehrb. var. amphirhynchus Ehrb. . Liber W. Sm. » var. » var. » var. elongata Grun. genuina Ol... excentrica Grun. umbilieata Grun. AM. De. » var. Golletonema (Breb.) H. v. H. AALEN ve El Vor- kommen im Süß- wasser, Brack- Wasser, Meer- wasser Frovoor #RHAÄN<-J[. ep) (or) I ISNSIDn. Bohrung von Holzmann Nr. I. 30-31m ER 33-34 m 36-37 m Ra xxx 37-372, M T ae = 1% 1 1 RER BEABRREEN +2 BEE | Bohrung ‚Untertrave) Litorinabildungen En von Holzmann Nr. II "Perienkolonie | Villa bei in Mecklenburg BE, Süßwasser- = | Possehl |; Herren- | & | SE e 15—16 m | 21—23 m Kalk |12-15 m |20—-21 m | 87—10, wyk | = | 23,50-24,30 m) | See münde | : x ; x x ET etlel 2 7 x | | x x | x | x . x x > Mm, x | | MRS BA x | HA X | x | | x | EM © | | | , | | | x | | X / zuN\ x RL x x | x IE x | | x | | | | : x x IN | | x A". x XII a Vor- kommen gulen Im } Süß- Bohrung von Holzmann Nr. I wasser, | Brack- ; er ZeEiln = ar wasser, Meer- 30-31 m | 33-34 m | 36-37 m 37-372 wasser Scoliopleura Grun. | U “SestumdanBreb)pkabenkun mas M. 1 x x Se Westin We Sm Gruner M. 1 x X Pleurosigma W. Sm. | | 219Nubeeulas Wasser IN dl | | Dis marınımal)onkmn nee N al | | Blgeloncatum Sm. ren br 4 1ER > var oraclis Grumn nr Br. 4 | 2 attınes&@run: ware M. | BIS SarıtossilishGrun en M. 1 X a) El @speciosuma Wa sm ee M. | | OR | Pl. attenuatum W..sm... li... vr 8 002, 2 U | See Er Bl haltieuma\V. Sm a ee 2 RBraNee X > | DI. » a ENTE Blemacummatrınm) Ki) Gruner S. R x x Bl®Speneerii sy. Jonas le ep a re re x BlSsteisdlsa Wi. Sms au ee SB ad | | Pl. scalproides Rabenh. var. eximia Thwait. DR al | RES | 1} Tropidoneis Cl. nelepıidopterag (are) KOln a ne M. 1 x | | | | Pseudo-amphiprora Cl. | | Pr sstauropterag Bal)a@ln nr nen M. 1) Gomphonema (. Ag. | G. sp. ein kleines Bruchstück | | x. angustatum Ktz. S. Ka Se) laknakeginahan Ewa | S | Schr G. » vyarı Vibrio Ehrbrs Era 28: N I (x. > var. dichotoma Kita. . Sr 7\ | x G. > var, pumila Grun. S. EN | (. > forma Brebissonii Ktaz. S. v| | | G. > var. Turris Ehrb. . ST | | A. Schmidt, Atlas, Taf. 239, Fig. 32. | | | | | 2. 1 riwall ie 12 P a nn ne re Bohrung | Litorinabildungen | ohrune von Holzmann Nr. II Bohrung in der Villa | bei in Mecklenburg = Ferienkolonie | n == == Possehl Herren. ———— Sa | Sie sser Bee] Warne- 15—16 m | 21-23 m Kalk 12 152m 20-21 mal 87 10% wyk u | See münde | | | | es x x x | x | x x x | | AN x | | | x | SS | | | x s | | 2 I x x . | x | x > | x x x | x x Sr ln X | | x | . | | > | | E | | | | | | | | >“ ' x | | | | | x | | x | x x x | x > x x x | | XIV = | R 5 Vor- N kommen mem ım . Süß- Bohrung von Holzmann Nr. I | Wasser, Brack- ; N WAÄsser, | Meer- 30-31 m | 33-34 m | 36-37 m [37-372 m wasser | ı. subcelavatum Grun. var. Mustela (Ehrb.) S. Q 2 consirterunm aRlrby S. 7 x sr. » var. capitata Ehrb. . S. n | 3. acuminatum Ehrb. S) 7 x % > var. S. 7 X +. Martini Fricke 1 PR NG S. 7 | - A. Schmidt, Atlas, Taf. 238, Fig. 22. | G. olivaceum Lyngb. . S. Br. 6 X | ) Rhoicosphenia Grun. ) R. curyata (Ktz.) Grun.. SSBr 6 x x | Achnanthes Bory. | A. longipes ©. Ag... BEIM > > | A brevipes 107 Nor re Bra 2 X x A. lanceolata (Breb.) Grun. var. elliptica Cl. S. 7 X A. subsessilis Ehrb. Br.M 3 Achnanthidium Ktz. A. flexellum Ktz. S 7 | Cocconeis (Ehrb.) Grun. | ©. Scutellum Ehrb. . M. 2 X X 5 = =. distans (Greg.) Grun. M. 1 X x C. Placentula Ehrb. Sy Br 226 X X ’. Pediculus Ehrk. . Sr Br: 6 : >< C. Quarnerensis (Grun.) A. 8. M. il x x Ü. dirupta Greg. . M. 1 Il. Pseudo-Raphideae. | Epithemia Breb. ü. turgida (Ehrb.) Ktz. . Sa | x X X x E. Sorex Ktz. 8. Br | 26 x x E. gibba Ktz. Ss Bra 8.6 x y x X 1 Exempl E. » var. ventricosa Grun. Br Bros 6 X X I f FrPRriwall IR - EEE | _— — | Bohrung | ae Litorinabildungen ‚Bohrung von Holzmann Nr. II us = der Vila | bei | in Mecklenburg | erienkolonie | SURWasBen | u] LER - Possehl Hemen- | ——— : Des m| Kalk [12-15 m 20-21 m| 87-105 | ‚wyk |@onyenter| Warne- 23,30-24,30 m | | See münde x | 1 x I} X | x x | | | | x | | x x x x | x x x x | | x x x x | | | | x | | | | x r< x x x | x x x | x | | x | >“ | \ x | | > >< >< x x > \ x x x x >< x Dax UWE IS) . Zebra (Ehrb.) Ktz. Argus Ktz. . Muelleri Fricke Musculus Ktz. . gibberula Ktz. Eunotia Ehrb. . gracilis (Ehrb.) Rabenh. Synedra Ehrb. pulchellapktz van Ulna (Nitzsch) Ehrb. et var. » var. splendens Ktz.. » var. longissima W. Sm. . v. Heurck, Syn. ‚pl. 38, fie. 3. » var. amphirhynchus Ehrb. . v. Heurck, Syn. pl. 38, fie. 5. . balatonis Pant. forma staurophora . Pantocsek, Balaton Taf. 8, Fig. 206. capitata Ehrb. . . Acus (Ktz.) Grun . affinis Ktz. » var. tabulata Ktaz. crystallina (Lyngb.) Ktz. Gaillonii (Bory) Ehrb. var. . Hennedyana Greg. . “>. fulgens (Ktz.) W. Sm. . undulata (Bailey) Greg. . Fragilaria Lyngbye. ". construens (Ehrb.) Grun. var. genuina Grun. . » var. Venter Grun. ', Harrissonii (W. Sn.) Grun. '. virescens . mutabilis (W. Sm.) Grun. talfs . Vor- kommen im Süß- wasser, Brack- WAsser, Meer- wasser (er) =] u LS | DD © 0 ae 8) u | -I -I-1 Bohrung von Holzmann Nr. I 130-3831 m x x 1 Bruchst. x 33-34 m IE RE 36-37 m |: x 1 Exemp] | 2 au u — | Bohrung |Untertrave Litorinabildungen & & . Bohrung in der | Till: | hei Mercklenhire ı Bohrung von Holzmann Nr. II Bei Villa el n Me ıburg Sußwasser Bossehl" "u Hereen> 7 0 | = i F | ’ 7 . N: Ye 15—16 m | 21—23 m Kalk 12—-15 m. |20—-21 m | 82 —10z7 | wyk es enter.) "W Pier | 23,50-24,30 mM - | See ı münde | Zi er) | | | | i x x x | I >x | e | 128 x x - A : X x | I} x | | | x | | x | | 'f | I x | | 1 1 | x | x x x 2 | IR | | x x a N x x x x x x x X x x x x x x > | 5 x x x | >“ | XVII Fr. mutabilis var. intermedia Grun. Fr. » Fr. » VER a HR. brevistriata Grun. Dimeregramma Ralf». =D). minor (Greg.) Ralfs SD yarı namum (res, Plagiogramma Grev. =P]. Gregorianum Greg. Tabellaria Ehrb. T. fenestrata (Lyngb.) Ktz. Grammatophora Ehrb. Gr. macilenta W. Sm. Gr. >» Rhabdonema Kitz. Rh. arcuatum (C. Ag.) Ktz. Rh. minutum Kitz. Cymatopleura W. Sm. C. elliptica (Breb.) W. Sm. C. hibernica W. Sm. C. Solea (Breb.) W. Sm. Surinella Turp. S. biseriata Breb. S. elegans Ehrb. . S. Capronüi Breb. S. robusta Ehrb. var. splendida (Ehrb.) . S. striatula Turp. as sche S. > var. biplicata Grun. S. Gemma Ehrb. *S, fastuosa Ehrb. ES: >» var. var. subtilis Grun. Vor- kommen im Süß- wasser, Brack- wasser, Meer- wasser M. S. IMSBLZ SB; S. Br.M. M. ABraMe <[[ [I > 0 I ein A —— Bohrung von Holzmann Nr. ’ 30-31 m x x Ne N | ? 1 Bruchst. 35-94 m 36-37 m 37-372 RR RE DL x RD XIX wei... Priwall Ihe KR I — -.—_ = — | Bohrung | Untertrave Litorinabildungen Bohrung von Holzmann Nr. II Bohrung in der Villa bei | in Mecklenburg = Ferienkolonie | : | STETTEN Possehl blerten-. |memmmzase N Te rem sem| Kalk |12—15:m 20-21 m| 84-105 | wyk |(Conventer| Warne- - |23,30-24,30 m | See münde Ve x | | | | | | | I 44 vr | N « N | 5 v s Ri | | | | x > | | | x x x X x | x x x x x x x x x x x x x x x x x x { x x x x x x x I x \ x x DS | | x | ; | x x | Comis A. 8. Paragallo, Diat. de France le 59 28.209 Ebvar. fluminiensis Grun. ovalis var. Crumena (Breb.) » var. ovata (Ktz.) . peisonis Pant. ? var. r [e 'ampylodiseus Turp. ‘ Echineis Ehrb. ©. Daemeleanus Grun. A. Schmidt, Atlas, Taf. 54, Fig. 1, 2 C. Clypeus Ehrb. '. angularis Greg. =C, simulans Greg. ©. bieostatus W. Sin var. ade Emm, ©. Hibernieus Ehrh.. j var. norica (Ehrb.) . spec. nov. ? I. » Hantzschia Grun. H. amphioxys (Ehrb.) Grun. Jah > var. major Grun. =], virgata (Roeper) Grun. W. Sm.) Grun. N. navieularis (Breb.) Grun. N. punctata (W. Sm.) Grun. . N. > var. elongata Grun. Nitzsehia (Hassal; N. Tryblionella Hantzsch N. » var. a: N. » var. es Grun. N. angustata (W. Sm.) Grun. N. marginulata Grun. N. » var. N. hungarica Grun. N. apiculata (Greg.) Grun. ie 6—10. Vor- kommen im Süß- wasser, \ Brack- | wasser, Meer- wasser M. ıBr.M. | -]-JJPRHHıE Bohrung von Holzmann Nr. I 30-31m ER RR x 33-34 m x SR 36-37 m x 37-372 2.5. Fe Priwall Bohrung |‚Untertrave ji Litorinabildungen Bohrung von Holsmann Nr: II a 0 Villa bi in Mecklenburg Ewa — | Bossahl- | Herten = 0 | \ x AS» == | 6 nn . VMarno. en a aim | Kalk [12-15 m |20--21 m | 8,—107 | wyk |onventer| Warne \23,30-24,30 m | | See münde x x >x | x < A x x | x | x x x x x x x X 3x x | x x x x > x ee x x x | x x x < X x x x x x x x x x > | x x | 2 | x x > | x | | x acuminata (W. Sm.) Grun. fascieulata Grun. circumsuta (Bailey) Grun. socialis Greg. ER Van Heurck, Synopsis pl. 61, fig. 8. scalaris (Ehrb.) W. Sm. vivax W. Sm. vitrea Norm. BR sigmoidea (Ehrb.) W. Sm. Sigma W. Sm. DE vyarı 22422 zen Ill, Urypto-Raphideae., Rhizosolenia (Ehrb.; Brightw.) Perag. "Rh. setigera Brishtw. A Van Heurck, Syn. pl. 78, fie. 6. Rh. Calear-avıs Schultze Pyxilla Grev. P. baltica Grun. Melosira Agardh. M. Borreri Grev. . M. varians C©. As. M. crenulata Ktz. M. arenaria Moore M. granulata (Ehrb.) Ralfs #M. sulcata (Ehrb.) Ktz. M. » M. » var. ata Grun. DE RR 1 RE A. Schmidt, Atlas, Taf. 175, Fig. 12, 14. oO var. sıibirica Grun. forma radı- V 4, Een To | ım Süß- Bohrung von Holzmann Nr. I. wasser, i Brack u | wasser, Meer 30-31 m | 33-34 m | 36-37 m 37-372, m Wasser % 1 Br. 4 x x x | | Br.M. 3 X ’ Br. 4, 1 M. 2 | Br.M. 6) M. 1 Br. 4 | S. 7 x Br.M. d x s x M. 1 X "M. 1 x M. 2 x X Br.M. 3 X X S. 7 x x x S. { x E SB 6 x x x S. A >< : Ex x M. 1 X X IE mewanlel ra ge u en Bohrung |Untertrave) Litorinabildungen Borune von Holzmann ‚Nv. II Bohrung in der Vila | bei in Mecklenburg Ferienkolonie | | SUR WaRsen —_— Tem Possehl |; Herren- 2 er, } 0 = | 1 3 a > Conventer Warne- 15—16 m | 21—23 m Kalk 12—15 m |20—21 m | 87 —10,: wyk | 5 5 23,30-24,30 m | | | See münde | | x x x x | 5 B | x x x x x X | NL N FEN I} I | x x x x N x x x x > IN Gyelotella Ktz. striata (Ktz.) Grun. » Vale 6 comta (Ehrb.) Ktz. e » var. paucipunctata Grun. Van Heurck, Syn. pl. 93, fig. 20. Kützingiana (Thwait.) Chauvin . » var. planetophora Fricke » var. radiosa Fricke > var. Meneghiniana Ktz. sooo eoce Stephanopyxis Ehrb. (ep) Ze . Turris (Grev. Ralfs) Grun. var. eylindrica Grun. cellulis solutis Grunow, Diat. v. Franz-Josephsland Taf.5, Fig.14. Hyalodiseus Ehrb. . scoticus (Ktz.) Grun. . radiatus (O’Meara) Grun. var. segas; Terpsino® Ehrb. T. americana Bailey var. Grunowi Heiden Biddulphia Gray. . aurita (Lyngb.) Breb. . turgida W. Sm. . laevis Ehrb. SE . subaquae Ktz. var. baltica Grun. . pulchella Gray RR © . antediluviana (Ehrb.) v. Heurck Sökbuse Trieceratium Ehrb. Tr. Flos Ehrkb.. HE A. Schmidt, Atlas Taf. 77, Fig. 10. Tr. simplieissimum Witt RR A. Schmidt, Atlas Taf. 150, Fig. 16. ı Wasser, , Brack- Wasser, Meer- wasser SeBr. M. M. foss. M. loss. len 1 [a EG Faser ND Bohrung von Holzmann Nr. T 80-31 m x VE RR EL x Ra Baswall | — = —— | Bohrung |Untertrave Litorinabildungen - | . “ » r: | . | . Bohrung von Holzmann Nr. II. Bohrung in dr | Ville | bei in Mecklenburg Ferienkolonie | | SERmaEBare 0 =); Possehl Herren- r c ri ; r c r en | Conventer | Warne- 15—16 m | 21-23 m Kalk |12—15 m |20—21 m | 87—107 | wyk ne Yanıe 23,80-24,30 m | | See ;ı münde | | 1} NY | VG S AN | AN / | | i | : x | | | < | | | | NY . . IN \ | I | | » FEN, | ? | I | x | | | | | | x x x 2 ‘ | | SL | I SEN | | | X | N N | . I x ; i | x | x | . >r4 >74 > - / AN N N } x x x | ; | | | | | x | | | Y . AN AR, NE, #A. EA, ir . Astraea (Ehrb.) Grun. . nobile Witt I A. Schmidt, Atlas Taf. 111, Fig. 26. arcticum Brightw. Auliseus (Ehrb.) Bailey. caelatus Bailey 2 var. Aulaecodiseus Ehrb. excavatus A. S. Ra A. Schmidt, Atlas Taf. 36, Fig. 10. Aectinoptychus Ehrb. . undulatus (Ehrb.) Ralfs areolatus (Ehrb.) A. S. Arachnoidiseus Ehrb. . sp. (kleines Bruchstück) Stephanodiseus (Ehrb.) Grun. » var. minutula (Ehrb.) Dr yet Actinoeyelus Ehrb. . Ralfsii (W. Sm.) Ralts . . Ehrenbereii Ralfs erassus H. v. H. . Barkleyi (Ehrb.) Grun.. Van Heurck, Syn. pl. 124, fig. 12. Trinaeria Heiberg. Regina Heiberg A. Schmidt, Atlas, Taf. 97, Fig. 4. Grun . Vor- I kommen a en __—— \ am Süß- Bohrung von Holzmann Nr. | wasser, Brack- i | Wasser, \ Meer- 30-31 m | 33-34 m | 36 37 m 37-372 m wasser ; { j 7 M. foss. M. 1 | M. 1 x M. 1 x | = | M. foss. M. 1 x x x M. 1 | M. 1 Ser x x S. 7 e x M. 2 x X M. 2 x X N M. 2 > ) X M. | | | M. 1 xxvur Prıwall me en u an Bohrung von Holzmann Nr. II | — - Bohrung in der | Ferienkolonie 12—15 m 20—21 m Bohrung Untertrave Litorinabildungen Vila | bei in Mecklenburg Possehl | Herren- Ver Fe 3: la | en ‚Conventer Warne- - See ' münde nn anni Bisnihsnsinnkälahnisssis SBusesasisndeststeeeee BAR Siüßwasser- 15-16 m | 21—23 m Kalk | 283,30 24,30 mM ’ x EN x x x I} | 1} x NY x x | < X zer < x | > nn u m x | | A var, typlca x XXVOI Vor- ? kommen ee ———— nn 5 im | > SUB Bohrung von Holzmann Nr. I wasser, 1 Braek- T WAsser, - Meer- 30-31 m | 33-34 m | 36-37 mı 137-372 m wasser ; Ei: Coseinodiseus Ehrb. C. radiatus Ehrb.. EN RN M. li x X 20, » Yan, naecha Ci, se M. ik *G. obscurus A. 8. M 1 x > x Ckerassus? Balleyarı or en M. ] > X Er m) varseelda, Gruner M. 1 Grunow, Diat.v.Franz-Josephsl. Taf. 3, Fig.e 6. Ö. ‚> var. DÜPNORERUON 3 15 Hr: REN ronhN M. 1 >K :C. Gigas Ehrb. var. punctiformis Rattr. M. l x X ©. Oeulus Iridis Ehrb. NN ' C. » Vase b & ö o o R R St M. il y > van oenuina Blur, Er ren 1 @: >» var kenunsinataneeume ee M. il 2@ AsteromphalusgBhrb aa M. 1 x X 0 > AR ER, MB M. a0. » var. conspicua sn „2 Mi 1 @ heteroporus bhrbe en M. l foss 20 robustas arey.aa ee M. 1 A. Schmidt, Atlas Taf. 62, Fig. 3, 5. emarsımatus Ehrb. vrenE N M. 1 A. Schmidt, Atlas Taf. 65, Fig. r. *O, apiculatus Ehrb. var, ambigua Grun. M. 1 A. Schmidt, Atlas Taf. 61, Fig. 3 20, SasperulusgGrung 2 N je) ; foss Oexeentnieus Dhrbiseeı re M. 1 x x x X C. curyatulus Grun. var. minor (Ehrb. kann M. X Pk Toss *C, antareticus Grun. (subglobosus Ol. et Grünssyarap)e Ne ee M. ] Grunow, Diat. v. Franz-Josephsl. Taf. 4, Fig. 23. | | 80.0. Priwall | el Bohrung | Untertrave Litorinabildungen "Bohrung von Holzmann Nr. II Bohrung in der 1 Vala ! bei in Mecklenburg Ferienkolonie | y hi H = Te ne ’OSSE erren- 7 Süßwasser- | Conventer Warne- 15—16 m | 21—23 m Kalk |12—-15 m | 20—21 n| 87—10,7 wyk i : 23,30-24,30 m | See münde / NV | f | >x E ä ’ x . a NY A x i x | x x x x x x x x x x x > x x x x | >< £ x x x x x 2 x x x x | 10 RZUN AK 10290 7 anbumayogfaz © 00086: a 2p UIIUL IADL] ‚ıLo0Q DRKIYSUD)S 2yong DON ur suadlyey Ho’ A aus many ıp puolbora1ı1oa WZLAZ, 7OJWSDH WOLOJUn up woyum PUDg UDLSORT Un ubogny puog ob u0L E Jobıaaun oL pun pa 2870b.107} g Jobuo 211070749894) 1040 FU7) 2 W922 U0y.1055DaL sang za puoe obnmıor vun SIPYASSDALSIME 000) :L Uoyoy LE 7 % RU, 7; 72 VaZR 0008:1 uobup en | lo el r B ei: Bunpngeunsopg Quo] obıpUuDs dapo Ppumy obruo, nrmıbpundb Dyyung UOaSE £ BE UDSSR bu NLD) YA Udo YTOY 73 RAMA UUDIURJOY Yd wobppua] yoy Jı Iso i Jo YA IPDIR IPMtag OpunurnawıL]L ZIpanız- apunWwsavı] Ffoıulınf) 113 Gesellschafts-Angelegenheiten. Bericht über das Jahr 1904. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder beträgt 145. Verstorben sind die Herren Bankdirektor Bruch, Heinrich Gaedertz, Konsul Hamann, S. von Schreiber und Conrad Weidmann. Ausgetreten sind die Herren Ingenieur Flügel, Major von Koschitzky; neu ein- getreten die Herren Privatmann August Bohnsack, Rechtsanwalt Emanuel Fehling, Privatmann Paul Funke, Kaufmann Gottfried Lehmann, Major a. D. Lohmeyer, Navigationsschullehrer Meyer, Regierungsbaumeister Mittelstaedt, Rechtsanwalt Dr. jur. Edmund Plessing, Oberlehrer Wrede. Im Vorstande trat an die Stelle des verstorbenen langjährigen Mit- gliedes Herrn S. von Schreiber, Herr Otto Rösing. Den Vorsitz führte Herr Professor Dr. Lenz. Kassenrevisoren waren .die Herren Julius Hahn und Max Schmidt. Die Gesellschaft versammelte sich zu 8 ordentlichen und einer außer- ordentlichen Sitzung, in denen folgende Vorträge gehalten wurden: Am 8. Januar: Herr Kaufmann Werner »Reiseeindrücke auf einer Fahrt von Hamburg nach Konstantinopel«, II. Teil »Konstantinopel und heimwärts.« Herr Direktor Dr. Schulze »Über Windmesser.« Am 29. Januar: Herr Stadtrat Michelsen »Reisebriefe von der sibirischen Bahn.« Herr Professor Dr. Lenz »Mammutfunde bei uns und in Sibirien.« 10* 114 Am 5. Februar: Herr Professor Dr. Erich v. Drygalski »Die deutsche Südpolar- expedition.« (Mit Lichtbildern.) ' Zu diesem im großen Saale des Gesellschaftshauses gehaltenen Vor- trage waren die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit, deren Damen und die Kolonial- gesellschaft eingeladen. Am 19. Februar: Herr Oberlehrer Mahn »Über Ebbe und Flut und ihre Ausnutzung als Kraftquelle.« - Am 18. März: Herr Stadtrat Michelsen: »Reisebriefe aus Tientsin während der Kämpfe des Boxer-Aufstandes.« Herr Professor Dr. Ernst »Reiseerinnerungen aus den Dolomiten und Venedig.« Am 15. April: Herr B. Peters »Der Wettbewerb weißer und gelber Arbeit in der industriellen Produktion. « Am 28. Oktober: Herr Major a. D. Schaumann »Emdens Bedeutung als Seehafen. « Sr. Exzellenz Herr, Vize-Admiral Kühne »Tagebuchblätter von der Westküste Afrikas. « Am 25. November: Herr Navigationsschullehrer Kraufs »Reiseerinnerungen an Japan.« (Mit Lichtbildern.) Herr Professor Dr. Lenz »Reisebriefe des Herrn Rob. Flemming über die Kämpfe der Amerikaner auf den Philippinen.« Am 20. Dezember: Herr Professor Dr. Lenz »Die Grypotheriumhöhle bei Ultima Esperanza in Südpatagonien mit Vorlesung von Fundstücken. Herr ©. Rösing a) »LReisebriefe des Herrn Rob. Flemming aus Mexiko. « b) »Persönliche Erinnerungen an Mexiko. « Herrenabende fanden regelmäßig an allen nicht durch Sitzungen in Anspruch genommenen Freitagen statt. Von den Mitteilungen der geographischen Gesellschaft und des naturhistorischen Museums erschien das 18. Heft der 2. Reihe, enthaltend außer Jahresberichten, Mitteilungen und Protokollauszügen der Gesell- schaft einen Reisebericht des Herrn Dr. Karutz: »Von Lübeck nach Kokand«, sowie das 19. Heft derselben Reihe mit zwei Arbeiten des Herr Dr. Rudolf Struck: »Beiträge zur Kenntnis der Trichopteren- larven Il«e und »Der baltische Höhenrücken in Holstein. Ein Beitrag zur Geographie und Geologie Holsteins, mit 11 Tafeln und 1 Karte.« 115 An Geschenken gingen ein: 1. Denkschrift betr. Ergebnisse der meteorologischen Beob- achtungen in Tsingtau 1898—-1903. Vom Hohen Senate. 2. Festschrift zur Begrüßung des 14. Deutschen Geographen- tages und Katalog der Ausstellung von Herrn Dr. E. Hahn, Berlin. 3. Conwentz »Schutz der natürlichen Landschaft.« 8. A. 4. Derselbe »Die Erhaltung der Naturdenkmäler.« S. A. 5. Veröffentlichungen des Erdmagnetischen Observyatoriums bei der Königlichen Sternwarte in München. 6. Karutz »Ethnographische Wandlungen in Turkestan.«e 8. A. Vom Verf. 7. Sundberg, Sweden, its people and its industry. Stockholm 1904. Conwentz »Naturdenkmäler.« Vom Königlichen Preußischen Kultusministerium. 9. Azara geografia fisica y esferica del Paraguay. Montevideo 1904. & Angekauft wurden: Kirchhoff und Regel, Bericht über die neuere Literatur zur deutschen Landeskunde. Band Il, 1900/01. Breslau 1904. Geographen-Kalender 1904/05. Nordensköld, Antarctic. Berlin 1904. Außer den bisher gehaltenen Zeitschriften: Angewandte Geographie. Hefte zur Verbreitung geogr. Kennt nisse in ihrer Beziehung zum Kultur- und Wirtschaftsleben, herausgegeben von Professor Karl Dove-Jena. Zeitschrift für Geographie von Hettner. 116 Versammlungen. 159. ordentliche Versammlung am 28. Oktober 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, eröffnete die erste Winter- versammlung mit einigen Mitteilungen. Durch den Tod verlor die Ge- sellschaft seit der letzten Versammlung die Herren Val. Bruch, Konsul W. Hamann, Schiffsmakler H. Gaedertz, K. Weidmann und S. von Schreiber. Ausgetreten ist Herr Ingenieur Flügel, eingetreten sind die Herren Major a. D. Lohmeyer und Navigationsschullehrer Meyer. Eingegangen sind Karutz, ethnographische Wandlungen in Turkestan, der Geographen- kalender für 1904/05, Sundberg, Sweden its people and its industry. An Stelle des Herrn von Schreiber wurde Herr Rösing in den Vorstand gewählt. Herr Major a. D. Schaumann hielt den angekündigten Vortrag über Emdens Bedeutung als Seehafen. Nach einer Übersicht über die Ge- schichte Emdens, den Verlauf des Dortmund-Ems-Kanals, die Hafenan- lagen Emdens und die Zugänge von der Seeseite erörterte der Vortragende aufs eingehendste die Bedeutung Emdens als Seehafen in Anschluß an holländische und deutsche Schriften, Schreiben des dortigen Kgl. Hafen- amts und der Hamburg-Amerika-Linie und ein reiches Material von Karten und Tabellen, wovon der Vortragende dankenswerter Weise eine eroße Anzahl zur Benutzung durch die Zuhörer selbst angefertigt hatte. Herr Prof. Dr. Lenz verschob seinen auf der Tagesordnung stehen- den Vortrag, um Herrn Admiral Kühne die Möglichkeit zu geben, Tage- buchblätter zu verlesen, die nur für kurze Zeit zur Verfügung standen. In denselben gibt sein Sohn, Kommandant des »Habicht,« interessante Schilderungen von der Westküste Afrikas. 117 160. ordentliche Versammlung am 25. November 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, eröffnete die stark besuchte Versammlung mit geschäftlichen Mitteilungen. Als neue Mitglieder sind der Gesellschaft beigetreten die Herren Paul Funke, August Bohnsack, Regierungsbaumeister Mittelstaedt und Oberlehrer Wrede. Dann hielt Herr Navigationsschullehrer Krauls einen durch zahlreiche vorzügliche Lichtbilder illustrierten Vortrag über »Reiseerinnerungen an Japan,« in dem er eine Fülle geographischer und kulturgeschichtlicher Skizzen aus der Erinnerung eigenen Erlebens gab. Zum Schluß verlas der Vorsitzende Briefe des Herrn Rob. Flemming über die Kämpfe der Amerikaner auf den Philippinen, an denen der Schreiber teilgenommen. Die Schilderungen waren gleich denen früherer der Gesellschaft freundlichst zur Verfügung gestellter Briefe lebensvoll und frisch geschrieben; ihr Inhalt wird auch für spätere Zeiten seinen Wert als historisches und kulturhistorisches Material nach mancherlei Richtungen hin behalten. 161. ordentliche Versammlung am 20. Dezember 1904. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, teilte mit, daß seit der letzten Versammlung die Herren Rechtsanwalt Eman. Fehling und Kaufmann Gottfr. Lehmann der Gesellschaft beigetreten seien. Vorgelegt wurde das vom deutsch-österreichischen Orientklub herausgegebene neueste Jahrbuch : »Der ÖOrient«, alsdann sprach der Vorsitzende über die Eberhardt- oder Grypotheriumhöhle bei Ultima Esperanza in Süd-Patagonien. An der Hand von Material, welches dem hiesigen Naturhistorischen Museum ge- hört, von Photographien und Karten wurde ein anschauliches Bild der Höhle, sowie der Beschaffenheit und mutmaßlichen Lebensweise des ge- nannten Tieres wie seiner Beziehungen zum Menschen gegeben. Herr O. Rösing verlas einen Brief des noch im letzten Berichte und auch schon früher des öfteren erwähnten Herrn Rob. Flemming über einen Ausflug nach den Ruinen von Mitla in Mexiko. In gewohnter lebendiger Weise wurden diese hochinteressanten Stätten geschildert und zugleich der Ver- such gemacht, sich in jene längst entschwundenen Zeiten zurückzuversetzen, als noch der Kultus ausgeübt und das Leben hier flutete, welches die kulturbringenden (?) Spanier so grausam vernichteten. Herr Rösing gab, unterstützt durch zahlreiche, ältere Photographien, aus seinen eigenen langjährigen Erinnerungen Erläuterungen und Ergänzungen mannigfacher Art. Mit dem Wunsche eines frohen Weihnachtsfestes und einem: Glück auf! für das neue Jahr schloß der Vorsitzende diese letzte diesjährige Versammlung. 118 162. ordentliche Versammlung am 13. Januar 1905. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, begrüßte die Gesellschaft zum Beginn des neuen Jahres und machte eine Reihe geschäftlicher Mitteilungen. Zu Kassenrevisoren wurden die Herren Max Schmidt und Karl Rose erwählt. Dann nahm Herr Rechtsanwalt Dr. Plessing das Wort, um über seine Erlebnisse auf einer Reise nach Ceylon zu sprechen. Die hervor- ragende Anschaulichkeit der Darstellung, die ihm zu Gebote steht, fesselte die Zuhörer vom Anfang bis zum Ende der fast zweistündigen Plauderei und ließ sie im Geiste an der Seite des Redners teilnehmen an den Ge- nüssen der Seefahrt und den Schönheiten der Naturszenen wie an den Reizen des orientalischen Volkslebens in seiner vielgestaltigen Fülle. Wundervolle Photographien ergänzten den Vortrag, der an einem der nächsten Sitzungsabende der Gesellschaft fortgesetzt werden wird. Aus der von Herrn Dr. Plessing mitgebrachten und dem Museum geschenkten Sammlung singhalesischer Ethnographie waren einzelne Stücke ausgestellt, darunter als besonders bemerkenswert das große Schnitzwerk einer Teufelsmaske, Geräte zur Betelbereitung, Kokosnußbearbeitung u. a. 163. ordentliche Versammlung am 3. Februar 1905. Die Gesellschaft versammelte sich mit ihren Damen und den Mit- gliedern der Gemeinnützigen Gesellschaft im großen Vortragssaale des Gesellschaftshauses, um einem Vortrage des Herrn Dr. Schmidt aus Petersburg über »Sachalin, eine russische Strafkolonie,« zuzuhören. In Vertretung des erkrankten Vorsitzenden eröffnete und begrüßte Herr Rösing Versammlung und Vortragenden. Letzterer hat in den Jahren 1900—1902 an der Spitze einer zoologischen Expedition zur Untersuchung namentlich der Meeresfauna Ostasien bereist, er sprach also aus eigener Anschauung, wenn er uns in großen Zügen ein Bild der Insel Sachalin entwarf. Die geologischen, klimatischen, kolonialen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurden an der Hand vorzüglicher Lichtbilder erläutert, wo- bei ruhige Sachlichkeit des Urteils und wissenschaftlicher Ernst der Be- obachtung wie Schilderung vorteilhaft und wobltuend in Erscheinung trat. An der anerkennenswerten Objektivität lag es, daß die anthropologischen Verhältnisse der Insel von dem Zoologen nur wenig, die ethnographischen gar nicht berührt werden. Um so besser kamen die wirtschaftlichen Be- ziehungen davon; das Schlußurteil, daß überall wirtschaftlichen und kolonialwirtschaftlichen Unternehmungen wissenschaftliche Forschung vor- anzugehen habe, muß man unterschreiben. 119° 164. ordentliche Versammlung am 24. Februar 1905. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, widmete zunächst dem ver- storbenen Mitgliede, Herrn Stadtrat Jänisch, herzliche Worte des Ge- denkens und machte dann eine Reihe von Mitteilungen. Ausgetreten ist Herr Bankdirektor Herm. Otte, eingetreten sind die Herren Hauptlehrer Johannes Möller, Direktor der Lubecawerke Ernst Saarburger und Privat- mann Wilhelm Vermehren. Aus dem vorliegenden Jahresbericht wurde ein Auszug verlesen. Die Kassenrechnung war zusammengestellt und als richtig befunden worden. Der Vorsitzende machte besonders aufmerksam auf den Lese- zirkel der Geographischen Gesellschaft, worin Schriften umlaufen, die von gelehrten Gesellschaften gegen unsere Mitteilungen eingetauscht werden. An Stelle des aus dem Vorstande ausscheidenden Herrn Dr. Karutz wurde Herr Navigationslehrer Krauls gewählt. Eingegangen sind eine Einladung zu dem diesjährigen Geographen- tage in Danzig und das Protokoll über die Versammlung der Direktoren der geologischen Landesanstalten. Am 24. März wird Herr Dr. Georg Wegner im großen Saale des Gesellschaftshauses einen Vortrag über den Panama-Kanal halten. Herr Rösing machte auf Grund seiner Erlebnisse in Mexiko inter- essante Mitteilungen über die Indianer, und Herr Rechtsanwalt Dr. Plessing setzte die in der Januarsitzung begonnenen Plaudereien über Ceylon fort, indem er in fesselnder, teilweise humoristischer Art hauptsächlich die Arten des Verkehrs mit der Bahn und der mail-coach, das Tierleben und die heilige Stadt Anaradhapura schilderte. Außerordentliche Versammlung am 24. März 1905. Die Gesellschaft versammelte sich mit ihren Damen und den Mit- gliedern der Gemeinnützigen Gesellschaft im großen Vortragssaale des Gesellschaftshauses, um einem Vortrage des Herrn Dr. Georg Wegner aus Berlin über: »Der Panama-Kanal, seine Geschichte, sein gegenwärtiger Zustand und seine künftige Bedeutung« zuzuhören. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Lenz, eröffnete und begrüßte die Versammlung. Herr Wegner schilderte dann in großen charakteristischen Zügen die wechsel- volle Geschichte des Panama-Kanals, ausgehend von dem beinahe 400 Jahre zurückliegendem erstmaligen Auftreten des Gedankens an eine Durchquerung des Kontinents bis zu den gewaltigen Arbeiten eines Lesseps und dem jetzigen Stand der Angelegenheit. An der Hand vor- züglicher eigener Aufnahmen entwarf dann der Vortragende ein anschau- liches Bild der Situation des Kanals, sowie von den landschaftlichen, 120 geologischen und klimatischen Verhältnissen der dortigen Gegend. Zum Schlusse seiner hochinteressanten, in prachtvoller Form vorgetragenen Ausführungen kam Herr Wegner auf die koloniale und wirtschaftliche Bedeutung des Kanals zu sprechen, der, nachdem jetzt die Vereinigten Staaten die ganze Aufgabe einmal übernommen haben, auch sicherlich in verhältnismäßig kurzer Zeit gebaut werden wird. Der Vortragende glaubte hier als Resultat seiner Forschungen der Meinung Ausdruck ver- leihen zu dürfen, daß in wirtschaftlicher Beziehung der Kanal für die alte Welt und speziell für Deutschland nur recht geringen Nutzen bringen werde. Er gab eine ausführliche Begründung dafür, daß der Kanal kaum imstande sein werde, dem alten Handelsweg durch den Suez-Kanal nach Ostasien und selbst nach Australien Abbruch zu tun, und warnte vor den allzu optimistischen Hoffnungen, die einige Kolonialpolitiker bezüglich des günstigen Einflusses des Kanals auf unsere Besitzungen in der Süd- see hegen. Das einzige Volk, für das der Kanal einen allerdings ganz bedeutenden Vorteil haben wird, sind die Amerikaner, für die der Kanal nicht nur den Seeweg nach der Westküste, nach Nordchina und Japan bedeutend abkürzt, sondern für die er auch ein gewaltiger Faktor in ihrer imperialistischen Weltpolitik sein wird. 165. ordentliche Versammlung am 14. April 1905. Der Vorsitzende Herr Professor Dr. Lenz legte der Gesellschaft eine Einladung zum XV. Geographentage in Danzig vor. Hierauf hielt Herr Navigationsichrer Meyer seinen angekündigten Vortrag: »Einiges aus dem Bismarck-Archipel.« Nachdem der Vortragende kurz die geographische Lage des Archipels an einigen Skizzen erklärt hatte, führte er seine Zuhörer an der Hand ganz vorzüglicher Lichtbilder auf den verschiedenen Inseln herum, in interessanter Weise das Leben und Treiben der Eingebornen, sowie ihre Sitten und Gebräuche schildernd. Redner war vor einigen Jahren in Neu-Pommern, kannte also die Ver- hältnisse dort aus eigener Anschauung und war außerdem durch Be- ziehungen, die er zu dort ansässigen Herren hat, in der Lage, auch die letzten Ereignisse im Archipel in Wort und Bild vorführen zu können. Den Vortragenden lohnte reicher Beifall. Herr Professor Dr. Lenz schloß dann diese letzte Winterversammlung der Gesellschaft mit einem kurzen Rückblick und der Ankündigung des neuen Heftes der »Mitteillungen der Geographischen Gesellschaft, das eine Arbeit des Herrn Professor Dr. Friedrich enthalten wird. Mitglieder-Verzeichnis. Es haben seit dem letzten, im Heft 18 (1904) erschienenen Verzeichnis folgende Veränderungen stattgefunden: Vorstand. Schaumann, Major z. D., stellvertretender Vorsitzender. Krau/s, Josef, Navigationslehrer, Schriftführer. Hiesige Mitglieder. Ausgeschieden: Direktor Valentin Bruch, Ingen. Paul Flügel, Schiffsmakler Heinr. Gucdertz, Kons. Wilh. Hamann, Kaufm. Fr. Hartwig, Stadtrat Ed. Jänisch, Priv. Theod. Lange, Direktor Herm. Otte, Steuerrat Ludw. Bheinen, Privat. Sig. v. Schreiber, Maler Konr. Weidmann, Amts- richter a. D. Wodick. Neu eingetreten: Priv. Aug. Dohmsack, Oberlehrer Brünig, Zeichen- lehrer Rud. Ourdt, Rechtsanwalt Eman. Fehling, Priv. Paul Funk, Kons. Wilh. Hansen, Major a. D. Lohmeyer, Kaufm. Gottfr. Lehmann, Navigations- lehrer W. H. Meyer, Reg.-Baum. Mittelstaedt, Hauptlehrer Möller, Rechts- anwalt Dr. Edm. Plesfing, Direktor E. Saarburger, Privat. Wilh. Vermehren, Reg.-Baum. Wrede, Priv. Rich. Zimmermann. 122 Verzeichnis der Gesellschaften, Vereine, Redaktionen, mit denen die Geographische Gesellschaft in Lübeck im Schriftenaustausch steht, Deutschland. Berlin, Gesellschaft für Erdkunde SW., Wilhelmstr. 23. Zeitschrift 1902. 1903. 1904. 1905, 1—. — Zentralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande.e W., Magdeburgerstr. 76. Export 1902. 1903. 1904. 1905, 1—26. — Deutsche Kolonialgesellschaft. Potsdamerstr. 22a. Deutsche Kolo- nialzeitung 1902. 1903. 1904. 1905, 1—26. — Königl. Bibliothek. W. 64, Behrenstr. 40. Heft 19. — Veröffentlichungen des Kgl. Preuß. Geodätischen Instituts. 1903. 1904. 1905. Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Sitzungs- bericht 1902. 1903. Braunschweig, Redaktion des Globus. Heft 19. Bremen, Geographische Gesellschaft. Deutsche geograph. Blätter 1902, 1903, 1904, 1. 1905. Dresden A. 1, Verein für Erdkunde Kl. Brüdergasse 211I. Jahres- bericht 1904. 1905. — Sächsisches Meteorologisches Institut. Jahrbuch 1899, 1 und 2; Bericht 1898; Monatsberichte 1901, 1902, 1903. Elberfeld, Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht 10. Heft, 1903. Frankfurt a. M., Verein für Geographie und Statistik. Jahresbericht 19012519022231903: Giessen, Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. 33. Bericht 1899— 1902, 123° Giessen, Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde. Geograph. Mitteilungen aus Hessen 1901. Gotha, Redaktion von Petermanns Mitteilungen. Heft 19. Greifswald, Geographische Gesellschaft. Jahresbericht 1903. II. Jahres- bericht 1904. . Mitteilungen aus dem naturwissenschaftlichen Verein Neu- vorpommern und Rügen. 35. Jahrgang 1904. Halle a. S., Verein für Erkunde. Mitteilg. für 1902—1903. 1904. — Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische Deutsche Akademie für Naturforscher. Hamburg, Geographische Gesellschaft. 18. Bd. Mitteilg. 1902. 1904. — Kaiserliche Seewarte. 23. Jahresbericht 1901. 1902. 1903. 1904. 1905. Jena, Geograph. Gesellschaft in Thüringen. 20. Bd. Mitteilg. 1903. 1904. Kassel, Verein für Naturkunde. 47. Bericht 1902. 48. Bericht 1903. Kiel, Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein. Schriften BI XIP 281902 3Bd RI, 1471904.),,1905: Köln, Gesellschaft für Erdkunde. 1900—1903. Königsberg, Geographische Gesellschaft. Festschrift. 100 Verhandlg. v. 1881— 1898. Leipzig, Verein für Erdkunde. Mitteilg. 1901. 1902. 1903. — Museum für Völkerkunde. Metz, Verein für Erdkunde. 1901—1904. München, Gesellschaft für Erdkunde. Jahresbericht 1900--1902. 1904. 1905, Heft I. — Ornithologischer Verein. III. Jahresbericht für 1901 u. 1902. Nürnberg, Naturforschende Gesellschaft, Abhandlungen Bd. XII, XIII, XV. Osnabrück, Naturwissenschaftlicher Verein, 15. Jahresber. f. 1901—2. 1903. Stettin, Verein zur Förderung überseeischer Handelsbeziehungen, 30. Jahres- bericht 1902. 1904. — Gesellschaft für Völker- und Erdkunde. Jahresberichte 1902—1903. Stuttgart, Württembergischer Verein für Handelsgeographie und Förde- rung deutscher Interessen im Auslande. 1901. 1902. 1903. 1904. Zwickau, Verein für Naturkunde. Jahresbericht 1901. Österreich. Herrmannstadt, Siebenbürger Karpathenverein. 22. und 23. Jahrbuch 1992-4 1903. „1904: 1908: Linz a. D, Museum Francisco-Karolinum. 60. Jahresbericht 1902. — 61. Jahresbericht 1903. 124 Wien, Geographische Gesellschaft. Abhandlg. 1902, 1—6, Mitteilg. 1903. 1904. 1905. — K. K. Geologische Reichsanstalt. Verhandlg. 1902. 1—18; 1903. 1904. 1905. -— K.K.Naturhistorisch. Hofmuseum. Annalen Bd. XVII. Bd. XVII, 1-3. — Verein der Geographen an der Universität Wien. Bericht 1901. 1902. — K.K. Militärgeographisches Institut. 21. Bd. Mitteilungen 1901; 22..Bd- 19027 71903751903. — Astronomisch-geodätische Arbeiten 1901. 1902. — Internationale Erdmessung. Astronomische Arbeiten 1903. — Redaktion der Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik. — Anthropologische Gesellschaft. I. Burgring 7. Schweiz, Bern, Geographische Gesellschaft. Jahresbericht 1898 —1899. — Schweizerische Naturforschende Gesellschaft. Bern, Stadtbibliothek. Compte rendu 1901. 1902. 84. und 85. Sess. — Naturforschende Gesellschaft in Bern, Kesslerstr. 41. Mitteilungen 1519 — 1550. 1902-—1903. Genf, Soeiete de Geographie. Le Globe. Bulletin 1901—1902, 1—2. 1902—1903, 1904. Memoires 1902. 1905. Neuchätel, Sociel&E Neuchäteloise de Geographie. Bulletin 1902--03. 1904. Winterthur, Naturwissenschaftl. Gesellschaft. Mitteilg. 1—4. 1598--1902. Zürich, Geographisch-ethnographische Gesellschaft. Jahresber. 1901 —02. 1905/04. Holland. Amsterdam, Koninklyk Nederlandsch Aardrijkskundig Genootschap. Tijd- schrift, 1902. 1903. 1904. 1905. Belgien. Brüssel, Societe Royale Belge de Geographie. Bulletin 1902, 1—-6. 1903, 1—6, 1904, 1905. Frankreich. Le Havre, Societe de Geographie commerciale. 1901 —1904. Paris, Societe de Geographie commerciale. Bull. 1902, 1—12. 1903. 1904. 1905. — Le Tour du Monde. 1902, 1—52. 1903, 1—52. 1904. 1905. Rochefort sur Mer, Societe de Geographie. Bulletin 1901, 1—4. 1902, 1—A. 1903. 1904. Tour, Societe de Geographie. Revue 1901. 1904. 1905. 125 Portugal. Lissabon, Sociedade de Geographia. Boletim 1902, 1—12. 1903. 1904. 1905. Grossbritannien. Manchester, Geographical Society. Journal 1901, 1—--12. 1902, 1—3 und 10—12. 1903. 1904. Schweden und Norwegen. Bergen, Redaktion der Zeitschrift „Naturen“. 1902, 1—2. 1903, 1—-12 1904. 1905. — Bergens Museum. Aarsberetning f. 1902. Aarborg 1902. 1903. 1904. 1905. Stavanger, Museum, Aarsberetning f. 1901. 1902. 1903. Stockholm, Svenske Sällskapet för Antropologi och Geografi. Ymer 1902, 1—4. 1903. 1904. 1905. — Svenska Turist Föreningen. Aarskrift 1903. 1904. 1905. Russland. Helsingfors, Sällskapet för Finlands Geografi. — Geografiska Föreningen i Finland. — Societas pro Fauna et Flora Fennica. Acta Vol. 21—26, Meddelanden Vol. 23—30. Kasan, Societe des Naturalistes de l’Universite. St. Petersburg, K. Russische Geographische Gesellschaft. Istvestija 1902, 1—4. 1903, 1-3. Otschet 1901. Amerika. Madison, Wisconsin, State Historical Society. New- York, American Geographical Society. Bulletin 1902, 1— 5. 1903, 1— 5. 1904. 1905. San Francisco, Geographical Society of the Pacific. Proceedings and Transactions 1902. 1903. 1904. 1905. IV. Washington, Smithsonian Institution. Annual Report f. 1900 und 1901. (1902—1903.) Buenos Aires, Instituto Geogräfico Argentino. 1904. Lima, Peru, Sociedad de Geogräfia. Boletin 1902, 1—-4. 1903, 1—3. 1905. Santiago, Chile, Deutscher wissenschaftlicher Verein. Australien. Brisbane, Queensland, Branch of the Royal Geographical Society of Au- stralasia. Journal 1901—2. 1902—3. Queensland, Geographical Journal 1905—1904. XIX. Abgeschlossen den 1. Juli 1905. — + 126 Bericht des Naturhistorischen Museums über das Jahr 1903. A 1. März 1903 waren es 50 Jahre, als Herr Senator Dr. W. Brehmer zum ersten Male zum Vorsteher des Naturhistorischen Museums (damals Kunst- und Naturaliensammlung genannt) gewählt wurde. Einige kurze, durch die Statuten gebotene Unterbrechungen abgerechnet, hat der Jubilar während des verflossenen halben Jahrhunderts der Vorsteherschaft angehört und ohne Unterbrechung mit beispiellosem Eifer und Erfolge für das Museum gesorgt und gewirkt. Insbesondere hat Herr Senator Dr. Brehmer dem Herbar seine Arbeit zugewandt und dasselbe aus un- bedeutenden Anfängen zu seinem jetzigen, in wissenschaftlichen Kreisen geschätzten Werte gebracht. Solch seltenen Gedenktag konnte die Vor- steherschaft nicht ohne eine besondere Feier vorübergehen lassen. Der Vorsitzende und der Konservator wurden beauftragt, dem Jubilar das mit einer Widmung versehene neueste Heft der von der Geographischen Gesellschaft und dem Naturhistorischen Museum gemeinsam herausgege- benen Mitteilungen zu überreichen und demselben die Glückwünsche der Vorsteherschaft und den Dank für treue Mitarbeit auszusprechen. Am Abend fand ein Festmahl im Hause der Gesellschaft zur Be- förderung gemeinnütziger Tätigkeit statt, zu welchem außer dem Jubilar auch die früheren Vorsteher des Naturhistorischen Museums, die bisherigen Vorsitzenden des Museums-Verwaltungs-Ausschusses und Herr Direktor Dr. Müller, als jetziger Direktor der Gesellschaft zur Beförderung gemein- nütziger Tätigkeit, geladen waren. In der Zoologischen Abteilung des Museums erfuhren die Sammlungen aus den hinterindischen und japanischen Gewässern eine besondere Be- reicherung. Herr Wilh. Brehmer in Bangkok fügte seiner vorigjährigen Sendung von Süßwasserfischen eine gleich umfangreiche von dortigen Meeres- fischen hinzu. 127 Herr Dr. Struck schenkte durch Vermittlung des Herrn Kaufmann Ü. Schramm-Yokohama eine weitere ausgezeichnet konservierte Sammlung japanischer Meerestiere, unter denen die zahlreichen Fische größerer Tiefen von hervorragendem Werte und Interesse sind. Ganz besonders mag ein 1,; m langer Schnauzenhai (Mitsukurina Owstoni Jord.) Erwähnung finden. Wiederholt gingen auch in diesem Jahre von Herrn Kapitänleutnant Titus Türk Sendungen von Tieren ein, welche dieser langjährige und eifrige Freund unserer Sammlung auf seinen Fahrten in den westindischen Gewässern und denjenigen der nordamerikanischen Ostküste gesammelt hatte. Aus Kamerun sandte Herr Hans Godtknecht eine Anzahl Reptilien und Insekten, unter denen sich einige, bisher in unserer Sammlung nicht vertretene Arten fanden. Unser korrespondierendes Mitglied Herr Paul Stools in Rio Grande do Sul sandte auf seinem Grundstück gefangene Schlangen und Eidechsen. Von Herrn Konsul Giffhorn, dem mehrere Abteilungen unseres Museums bereits wertvolle Zuwendungen verdanken, erhielten wir eine interessante Eidechse von Hayti. Herr Carl Wache-Hamburg spendete aus Anhänglichkeit an seine Vaterstadt sechs sibirische Rehkronen, welche er aus dem Altai mit- gebracht hatte. Herr Major von Koschitzky, welcher als Mitglied der Vorsteher- schaft lange Jahre die Pflege der entomologischen Abteilung unserer Sammlung übernommen hatte, hat bei seinem Fortzuge von Lübeck dem Museum seine sorgfältig gepflegte und mit vielem Fleiße in Schlesien, den Alpen und insbesondere in der Umgegend Lübecks gesammelte Käfer- sammlung zum Geschenk gemacht. Dieselbe bildet eine wertvolle Er- eänzung der Sammlung einheimischer Käfer. Vom Museum für Naturkunde in Berlin gingen aus den zur Ver- fügung stehenden Doubletten aus den deutschen Schutzgebieten eine Anzahl Insekten, Spinnen und Schnecken ein. Eine erfreuliche Ergänzung früherer Sendungen aus Nossibe (Mada- gaskar) erhielten wir in den Gruppen der Reptilien, Fische, Insekten und Spinnen durch die Bemühungen des Ehepaares Vorkamp und des Herrn tich. Groth. Die im vorigjährigen Berichte erwähnten Überreste vom Grypo- therium aus der Eberhardhöhle in Südpatagonien konnten in erfreulicher Weise durch käufliche Erwerbungen weiterer Teile ergänzt werden. Auch der lang gehegte Wunsch, ein gut erhaltenes Schiffsboot (Nautilus pom- pilius) mit Tier zu besitzen, ließ sich verwirklichen. In der unter besonderer Obhut des Herrn Seminardirektors Dr. Möbusz stehenden entomologischen Abteilung wurden die in einzelnen Kästen zerstreut steckenden Eingänge der letzten Jahre im Reserveschrank geordnet untergebracht und dabei jedes Stück mit dem Namen des Fund- 11 128 orts und Schenkgebers versehen. Die Eingänge des laufenden Jahres wurden erledigt und mit dem Einordnen der von Koschitzkyschen Käfer- sammlung begonnen. | In der Schausammlung wurden die Krebse, Tausendfüßler, Skorpione, Spinnen und Würmer gänzlich neu aufgestellt; zur Vervollständigung der zuletzt genannten Gruppe eine Anzahl Schaustücke von der Zoologischen Station in Neapel erworben. Zur Veranschaulichung ausgestorbener Tier- formen wurden die Tafeln von Andreae und Keller aufgestellt. Für die Säugetiere wurde ein neuer Katalog in Angriff genommen und bis zu den Nagetieren fortgeführt. Das Herbarium, unter der besonderen Pflege der Herren Senator Dr. Brehmer und OÖberstabsarzt a. D. Dr. Prahl, wurde durch Geschenke und Ankäufe vermehrt. Unter ersteren seien besonders genannt von Herrn Geheimrat Professor Dr. Engler überlassene, uns bisher meistens noch fehlende Kamerunpflanzen, sowie ostafrikanische, von R. Schlechter ge- sammelte und von Herrn Professor Dr. Schinz in Zürich geschenkte Pflanzen. Unter den Ankäufen befanden sich ein größerer Posten west- australischer Pflanzen, sowie je eine Oenturie von ©. Warnstorf heraus- gegebene Sphagnum-Arten und Lebermoose. Wenn auch nicht in so reichlichem Maße wie in manchem der ver- flossenen Jahre, so erfuhr die geologisch-paläontologische Sammlung doch auch in dem letzten Jahre wiederum in mancher Hinsicht eine bemerkens- werte Erweiterung. An größeren Geschenken sind in erster Linie eine treffliche Kollektion von Kreideversteinerungen aus Groschowitz bei Oppeln durch die Herren Konsul Dimpker und J. Sommer zu nennen, sowie ferner eine verschiedene Objekte (darunter Mineralien aus der sächsischen Schweiz, kristallinische Silikatgeschiebe aus der Umgebung von Lübeck, besonders vom Brothener Ufer, Dünnschlichte verschiedener Mineralien, Proben der Torfschichten des Torfmoors bei Nusse u. a. m.) umfassende Sammlung von Herrn Dr. phil. Paul Range z. Zt. in Leipzig. Derselbe Gelehrte erfreute uns durch eine Kollektion selbst angefertigter Dauerpräparate von Glacial- pflanzen, welche er im Glacialton bei Nusse entdeckte und in einer vor . kurzem erschienenen Arbeit »Das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone« besprochen hat. Kleinere Kollektionen an Gesteinen und Petrefakten sowie einzelne Gesteine bezw. Versteinerungen verdanken wir den Herren Leutnant Hans v. Koschitzky, Fr. Jürgens, Apotheker Dr. Sonder in Oldesloe u.a. In Tausch konnten erworben werden von Herın Professor Dr. Gottsche in Hamburg Proben des bei Langenfelde bei Altona von ihm entdeckten tertiären Kapseltones und der in demselben enthaltenen Gipslinsen; von Herrn Friedr. Krauß in Ravensburg fossile Pflanzen aus der zu einer 129 Interglacialzeit entstandenen sogenannten Hotlinger Breecie von Insbruck und aus dem Miocän von Bilin in Böhmen. Wie im vorigen Jahre ging auch in diesem Jahre unser Bestreben dahin, die Gesteine und Fossilien der marinen Diluvialablagerungen sowie die der anstehenden Gesteine älterer Formationen (Tertiär, Kreide) Schleswig-Holsteins für unsere Sammlungen zusammenzubringen und gelang es unter eifriger Mitwirkung des Lehrers Herrn K. Strunck von einer ganzen Reihe an Fundorten uns noch fehlendes Material zu be- schaffen und unsere Suiten zu vervollständigen. Der Freundlichkeit des Herrn Professor Dr. Gottsche, der uns auf einen von ihm während des vergangenen Sommers im nördlichen Schleswig neu aufgefundenen Fund- ort von Fossilien mariner und lacuster Diluvialablagerungen aufmerksam machte, verdanken wir zahlreiche Gesteinstücke und Fossilien dieser Ab- lagerungen. Erwähnt möge zum Schlusse noch werden, daß die im vorigen Jahresberichte angekündigte Arbeit des Herrn Landesgeologen Dr. Gagel, über die aus den bei Zarrentin am Schaalsee in größerer Anhäufung vor- kommenden, von Herrn stud. Reimpell entdeckten, mittelmiocänen Ge- stein stammenden Seeigel, inzwischen unter dem Titel: »Über einige neue Spatangiden aus dem norddeutschen Miocän« in dem Jahrbuch der Kegl. Preußischen geologischen Landesanstalt und Bergakademie für 1902 er- schienen ist. In derselben wurden auch die im Lübecker Museum be- findlichen Exemplare an Seeigeln eingehend berücksichtigt und abgebildet. Durch die Vermittlung von Herrn Professor Dr. Friedrich und unter Zustimmung der Auftraggeber wurden unserer geologischen Lokal- sammlung die Bohrproben aus folgenden Bohrungen auf artesisches Wasser einverleibt: a) vom Ingenieur Herrn R. Gliemann-Hamburg 1. Lübeck, Wasserkunst 41 m, 2: » städtisches Elektrizitätswerk 50 m, » Parade 153 m, Kochs Schiffswerft 40 m, » Fabrik von Thiel & Söhne 153 m (Diluvium, Glimmer- sand und Septarienton), 6. » Neuer Friedhof 40 m, 7. Dänischburg, Schwefelsäurefabrik 34 m, 8. Buntekuh, Ziegelei 33 m, 9. Hof Moisling 48 m, 10. Travemünde, Ferienkolonie 35 m, 11. > Villa Possehl 46 m, 12. Treuholz bei Oldesloe, Gut, 160 m (Diluvium und Tertiär), 13. Oldesloe, Möbelfabrik von Kaiser & Wex 120 m (Diluvium und Tertiär) ; Sa Be ni 130 b) vom Brunnenmacher Herrn Vogeley-Lübeck 14. Schlutup, Pfarrhaus, 43 m, 15. Travemünde, Gasometer 46 m, 16. » Seetempel 56 m; c) vom Brunnenmacher Herrn Botje-Mölln 17. Travemünde, Priwall, 2 Bohrungen für die Firma Ph. Holzmann, 41 und 51 m tief; d) vom Herrn Verwalter Klatt in Zarpen 18. Hof Zarpen bei Reinfeld 73 m. Diese Bohrproben stellen einen reichen, wissenschaftlichen Schatz dar. Sie geben neue Aufschlüsse über unsere Grundwasserverhältnisse und über den Aufbau unseres Untergrundes. Die Bohrung bei Thiel & Söhne lieferte eine artenreiche Konchylienfauna aus dem tertiären Glimmer- sand. Die Trockenbohrungen auf dem Priwall erbrachten zum ersten Male den Nachweis einer früheren, salzreicheren Ostsee aus der Litorina- zeit. Das Vorkommen von Torf und Süßwasserkalken unter diesen Meeres- ablagerungen läßt darauf schließen, daß unser Küstengebiet dereinst viel höher lag als jetzt. Aus glacialen Süßwasserbildungen in der Oldenburgschen Sand- grube bei der Herrenfähre, in Langes Sandgrube bei Schlutup, in den Meyerschen Grandgruben beim Schlutuper Bahnhof, ferner aus gleich- altrigen Tonen, welche im vergangenen Sommer beim Einsiedel, bei der Vorwerker Schule und bei der neuen Mittelschule in St. Lorenz zeitweise durch Sielbauten aufgeschlossen wurden, sammelte Herr Professor Dr. Friedrich für das Museum eine große Zahl von Konchylien und arktischen Pflanzenresten. Herr F. Westphal in Schlutup schenkte ein vom diluvialen Menschen bearbeitetes Geweihstück vom Renntier aus der Meyerschen Grandgrube am Schlutuper Bahnhofe. Angekauft wurden außerdem aus derselben Grube stammende Geweihstücke vom Renntier und die Knochen einer Vorderextremität vom Riesenhirsch aus der Langeschen Sandgrube; in erfreulicher Weise ergänzt wurde dieser letztere Fund durch den von Herrn Professor Dr. Friedrich geschenkten zugehörigen Oberarmknochen aus derselben Grube. Die wissenschaftliche Bearbeitung des erwähnten Materials wird in dem nächsten Heft der Mitteilungen unserer Geogra- phischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums veröffentlicht werden. Die bereits im vorigjährigen Berichte erwähnten Meteoriten und Nachbildungen solcher sind jetzt in einem neuen Schaukasten aufgestellt worden. In der Lübeckischen Abteilung wurde die Schausammlung einhei- mischer Fische weitergeführt und die Abteilung schädlicher Insekten durch vier Tafeln farbiger Abbildungen ergänzt. 131 So haben auch im verflossenen Jahre zahlreiche auswärtige und einheimische Freunde unseres Naturhistorischen Museums zu dessen Förderung beigetragen. Das am Schlusse dieses Berichtes gegebene Ver- zeichnis gibt noch weitere Auskunft. Allen sei auch hier der aufrichtige Dank der Vorsteherschaft ausgesprochen; insbesondere aber nochmals den Herren Kaufmann Wilhelm Brehmer in Bangkok, Kapitänleutnant Titus Türk und Major z. D. von Koschitzky für ihre langjährige Förde- rung unserer Aufgaben. Die Vorsteherschaft beschloß, die genannten drei Herren zu korrespondierenden Mitgliedern zu ernennen. Das bereits in früheren Berichten erwähnte Mißverhältnis zwischen dem immer stärker anwachsenden Material, den sich stets erweiternden Zielen und Aufgaben des Naturhistorischen Museums, der damit steigen- den Arbeitsmenge einerseits und den vorhandenen Räumen und Arbeits- kräften andererseits machte sich im verflossenen Jahre mehr denn je bemerkbar. Wurde auch durch freiwillige Arbeiten einzelner Mitglieder des Vorstandes, mehrerer junger Lehrer, manches bewältigt, so fehlte es doch an stetiger, planmäßig fortschreitender Arbeit und war es dem Konser- vator bei seiner sonstigen vielfachen Inanspruchnahme unmöglich, allem gerecht zu werden. Eine Vergrößerung des Raumes sowie eine Änderung des bisherigen Zustandes erscheint der Vorsteherschaft dringend geboten, sollen die Sammlungen des Naturhistorischen Museums nicht Schaden nehmen und soll es imstande sein, den Aufgaben der Zeit gerecht zu werden. An den im letzten Winter wiederum abgehaltenen Museumsvorträgen an den Sonntagen hat sich der Konservator mit solehen über indische und japanische Meerestiere und das Tierleben am Grunde des Ozeans beteiligt... In diesen Vorträgen wurden namentlich die dem Museum im letzten Jahre zum Geschenke gemachten Meerestiere gezeigt und erläutert; im zuletzt genannten Vortrage kaınen auch Lichtbilder zur Verwendung. Die Vorträge fanden am Sonntag nachmittag statt und waren so stark von Erwachsenen besucht, daß der Raum des Saales bei weitem nicht ausreichte. Das bereits oben erwähnte Heft 17 der Mitteilungen enthielt folgende Arbeiten: P. Friedrich. Geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck mit einer Karte und vier Tafeln. P. Prahl. Mitteilungen zur Gattung Calamagrostis. G. Sack. Beobachtungen über die Polarisation des Himmelslichtes in Lübeck im Jahre 1902. R. Struck. Beiträge zur Kenntnis der Triehopterenlarven mit sieben Tafeln. 132 H. Schinz. Versuch einer monographischen Übersicht der Gattung Sebaea. Vielfach wurden die Sammlungen auch im letzten Jahre von aus- wärtigen Gelehrten benutzt, sei es durch Studien am Orte, sei es, daß dieselben um leihweise Überlassung von Material ersuchten. Die Bibliothek wurde durch Tauschverbindungen mit Privatgelehrten, deutschen und ausländischen Museen, Instituten, wissenschaftlichen Ge- sellschaften und Vereinen, sowie durch Ankäufe vermehrt. Besucht wurde das Museum im Jahre 1903 von 26711 Personen. In erfreulicher Weise hat sich im letzten Jahre der Besuch des Naturhistorischen Museums seitens der hiesigen Schulen, sowohl aus der Stadt, den Vorstädten wie dem Landgebiete gehoben. Auch auswärtige Schulen haben wiederholt unter Führung ihrer Lehrer oder Lehrerinnen das Museum, insbesondere das Naturhistorische, besichtist. Es scheint demnach ein zeitweilig in Schulkreisen vorhandenes Vorurteil im Schwinden zu sein. Unzuträglichkeiten sind nicht vorgekommen. Die laufenden Einnahmen stellten sich wie folst: Von der Ges. z. Bef. gem. Tätigkeit Revelmässiger Beitrag... . nn. fe en nee Sonstige, Binnahmen.. oe u a ee zusammen M. 5102,77 Ausoaben) “und an She Sterne er Uster tolelon9 Der Fehlbetrag von M 46,22 ward auf das Jahr 1904 übernommen. An Stelle des aus dem Vorstande ausscheidenden Herrn Dr. med. M. Linde wurde Herr Oberlehrer Dr. Frank erwählt. Den Vorsitz behielt Herr Professor Dr. Küstermann. Von Von Von Von Von Von Von Von Von Eine Von Von 155° Verzeichnis der neuen Erwerbungen. A. Geschenke. Herrn Direktor Johs. Arnold-Wilhelmsburg-Hamburg: Ein Pack zu- sammenhängender Walfischbarten. Herrn Hans Godtknecht-Buea-Kamerun: Erste Sendung: 10 Schlangen und 6 Eidechsen. Zweite Sendung: 12 Schlangen, einige Krebse und eine Anzahl Insekten verschiedener Ordnungen. Herrn Obermarinearzt a. D. Grön in Schwartau: Ein junger Tiger- schädel von der Südspitze von Sumatra (Campang. Dist.) Frau Anna Elfeld-Caracas: 10 Käfer aus der dortigen Umgegend. Herrn Paul Stooss-Rio Grande do Sul: 9 Schlangen und 1 Eidechse. Herrn Kapitänleutnant Titus Türk: Erste Sendung von St. Thomas: 3 Schlangen, 1 Fisch, 4 Krebse. Von Curacao: 9 Fische. Von Newport News: 4 Schlangen und 3 Fische. Außerdem Tausend- füßer, Spinnen und Röhrenwürmer. Zweite Sendung: 8 Fische, 4 Seegurken und 3 Schmarotzerkrebse von Jamaika, 3 Fische und 4 Schlangen, Tausendfüßer und Käfer von Süd-Carolina, 1 Schlange von Nova Scotia. Frau Konsul Addens: Ein fliegendes Eichhörnchen (Sciuropterus volans). Herrn Wilh. Brehmer-Bangkok 72 Arten hinterindischer Meerestische in 85 Exemplaren, 7 Krebse und 1 Medusenstern. Herrn Dr. R. Struck-bier: Ein Rotfußfalke (Falco rufipes), ein Schwarzhalstaucher (Colymbus nigricollis) und ein Eissturmvogel (Procellaria glacialis). Alle drei 1903 in der Umgegend Lübecks erlegt. zweite Sammlung japanischer Meerestiere, 36 Arten Fische, darunter je ein Exemplar von Alepisaurus aesculapius Beau und Mitsukurina Owstoni Jord, 1 Asterophyton, 1 sehr großes Pyenogonium, 4 Coelen- teraten und 1 Euplectella Oweni. Frau Vorkamp-Nossibe (Madagaskar): 2 Häfen mit einer großen Anzahl von Fischen, Insekten, Spinnen und Krebsen. Herrn Dr. Paul Range-hier: Mineralien und Gesteine aus Sachsen, (reschiebe aus der Umgegend Lübecks, fossile Pflanzenreste aus dem Glacialton von Nusse. 154 Von Herrn Carl Seidel-hier: Eine Vogelspinne von Hayti. _ Von Herrn Leutnant von Koschitzky-Hannover: Fischzähne (Pyenodus) aus dem Gestein der Alphaltgruben von Holzen bei Eschershausen. Von Herrn Heinr. Behncke jun.: 1 Ratte und eine Beutelratte aus Merida (Venezuela). Von Herrn Th. Hempel-hier: Goldstufen, Blei- und Kupfererze aus den Titiura und Oumaragua-Minen in Venezuela. Von der Orient-Gesellschaft in Berlin: Ein Kästchen mit Emmer-Spreu aus egyptischen Ausgrabungen. Von Herrn Carl Wache-Hamburg: 6 Gehörne sibirischer Rehe. Von Herrn Herm. Buck-hier: Schädel vom Stier, Ziegenbock, Merinoschaf und Schildkröte, 2 Ochsenhörner, 2 Häfen mit Salzen von Berchtes- gaden. Von Herrn Konsul Giffhorn-Wiesbaden: Eine Eidechse (Diploglossus oceidutis) von Hayti. Von Herrn Rich. Groth-Nossibe (Madagaskar): Ein Hafen mit einer Eidechse (Uroplates fimbriatus), 1 Schlange (Eteirodipsas colobrinus), zahlreichen Spinnen, Tausendfüßern und Insekten verschiedener Ordnungen, darunter auch Sandflöhe. Von Herrn Major von Koschitzky-Hannover: Eine Sammlung lübecker, deutscher und mitteleuropäischer Käfer; 2140 Arten in etwa 10000 Exemplaren. | Vom Museum für Naturkunde (Zoolog. Abt.) in Berlin: Eine Anzahl Doubletten aus den deutschen Schutzgebieten. Insekten, Spinnen und Mollusken. Vom Botanischen Museum in Berlin: Zwei Pakete Kamerun-Pflanzen. Von Herrn Professor Dr. Schinz-Zürich: 118 Arten ostafrikanischer Pflanzen. B. Angekauft wurden: Von der Zoologischen Station in Neapel: Eine größere Anzahl Würmer und Bryozoen für die Schausammlung. Von N. N.: Ein Quesal (Pharomacrus concinna) aus Guatemala. Von Herrn J. F. G. Umlauff-Hamburg: Ein Schiffsboot (Nautilus Pom- pilius) mit Tier. Für das Herbar: Westaustralische Pflanzen, C. Warnstorf, Torfmoose (Sphagnum-Arten) und Lebermoose. 135 Die Bibliothek wurde durch folgende Werke vermehrt: I. Durch Geschenke: Von Herrn Dr. Ed. Hahn-Berlin: Sitzungsberichte der Naturforschenden Freunde. Berlin 1903. Von Herrn Dr. R. Struck-hier: Journal of the College of Science Vol. XVII 1. Japan. Tokio 1903. Von Herrn Konsul Ludw. Ehrtmann-Riga: Museum Caucasicum Bd. I. Tiflis 1899. lI. Durch Scehriftenaustausch: Bautzen, Naturwissenschaftliche Gesellschaft »Isis«. Berlin, Gesellschaft naturforschender Freunde: Sitzungsberichte Jahrg. 1902. Berlin, Museum für Naturkunde. Zool. Abtlg., Bd. II. Heft 3. Bericht 1902. Berlin, Märkisches Provinzialmuseum. Bonn, Naturhistorischer Verein für das Rheinland und Westfalen: Ver- handlungen Jahrg. 59 II, 1902 und 60 I—II, 19053—1904. Bonn, Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde: Sitzungs- berichte 1902 2 und 1903 1 und 2. Bremen, Naturwissenschaftlicher Verein: Abhandlungen Bd. XVII 3. Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländ. Kultur: 80. Jahresbericht. Colmar i. Elsass, Naturforschende Gesellschaft. Danzig, Westpreuss. Provinzialmuseum: XXIII. Amtl. Berichte für 1901. Danzig, Naturforschende Gesellschaft. Dresden, Naturwissenschaftliche Gesellschaft »Isis.« Elberfeld, Naturwissenschaftlicher Verein. Frankfurt a. M., Senckenbergische naturforschende Gesellsch. Bericht 1903. Frankfurt a. ©., Naturwissenschaftlicher Verein, Reg.-Bez. Frankfurt: Helios, Bd. 20. 1903. Fulda, Verein für Naturkunde. Giessen, Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Greifswald, Naturwissenschaftlicher Verein für Vorpommern und Rügen: Mitteilungen 34. 1903. Hamburg, Naturhistorisches Museum: Mitteilungen Jahrgang XIX und XX, 1903. 156 Hamburg, Verein für naturwissenschaftliche Unterhaltung. Hamburg, Naturwissenschaftlicher Verein: Verhandlungen 3. F. Nr. 10, 1903. Abhandlungen Bd. XVII, 1903. Hannover, Naturhistorische Gesellschaft. Hildesheim, Römer -Museum: Mitteilungen 16—18. Kassel, Verein für Naturkunde: Abhandlungen und Bericht 48, 1903. Kiel, Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein: Schriften, Bd. XII 1, 1904. Königsberg, Physikal-ökonomische Gesellschaft: Schriften, 43. Jahrgang. Krefeld, Verein für Naturkunde. München, Ornithologischer Verein: III. Jahresbericht für 1901—1902. Münster, Westfälischer Provinzial-Verein. Nürnberg, Naturhistorische Gesellschaft: Abhandlungen XII, XII XV. Jahresbericht 1900. Offenbach, Verein für Naturkunde. Osnabrück, Naturwissenschaftlicher Verein: 15. Jahresbericht für 1901, 1902 und 1903. Regensburg, Naturwissenschaftlicher Verein. 9. Bericht 1903. Wiesbaden, Nassauischer Verein für Naturkunde: Jahrbuch 56. 1903. Zwickau, Verein für Naturkunde. Wien, K. K. Naturhistorisches Hof-Museum: Annalen Bd. XVII. 1-3, 1903. Wien, K. K. Zool.-botan. Gesellschaft: Verhandlungen Bd. 53, 1903. Graz, Steiermärkisches Landesmuseum. Prag, Naturhistorischer Verein »Lotos«: Bd. XXI. 1902. Prag, Gesellschaft des Museums des Königreichs Böhmen. Linz, Museum Franzisko: 60. und 61. Jahresbericht, 1902, 1903. Budapest, K. ungar. Nationalmuseum: Annales Vol. I, 1—-2. 1903. Hermannstadt, Siebenbürgischer Verein für Naturwissenschaften: Ver- handlungen und Mitteilungen 52. 1902. Basel, Naturforschende Gesellschaft: Bd. XV 1—2 und XVI, 1903—1904. Bern, Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen aus dem Jahre 1902, Zürich, Naturforschende Gesellschaft: Jahrgang 47. 3—4, 48. 1905— 1904. Neujahrsblatt 1904. Winterthur, Naturwissenschaftliche Gesellschaft: Mitteilungen Heft 1-4, 1898— 1902. Genf, Societe Helvetique des Sciences naturelles: Compte rendu des Travaux 1901 und 1902. Verhandlungen 84. Session, Actes 85. Session. Triest, Museo civico di storia naturale: Atti IX 1895 und X 1903. Amsterdam, K. Akademie von Wetenschapten: Verslagen van de Gewone Vergaderingen des Wis- en Natuurkundige Afdeling, Deel XI 1—2. 137 Haarlem, Musee Teyler: Archives, Ser. II. Vol. VIII. 3—4. Liverpool, Museum. Edinburg, Royal Society Proceedings Vol. XXIII. Bergen, Museum: Aarborg 1903, Heft 1—3. Aarsberetning for 1902. Stockholm, K. Schwedische Akademie der Wissenschaften: Bihang Abt. III und IV, Vol. 28. 1902. Ärsbok for 1903. Arkiv for Botanik Bd. I, 1-3. Arkiv for Zoologie Bd. I, 1-2. Arkiv for Kemi, Min. und Geol. Bd. 1] 1. Upsala, Geologisches Institut. Tromsoe, Museum: Aarsheft 24 (1901) 1902. Stavanger, Museum: Aarshefte 1902, 1903. Helsingfors, Societas pro Fauna et Flora Fennica. Riga, Naturforscher - Verein: Korrespondenzblatt 46. 1903. Rennes, L’Universit€ Traveaux scientifiques, Tome I, 1902, Tome II 1—2, 1903. Albany, N. Y. University of the State of New-York: State Museum, Re- port 54, 1—4, 1900. 55, 1901. Index to Publications 1903. 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New-York, Academy of sciences: Annals XIV, 3 und XV, 1. New-York, American Museum of Natural Hist. Central-Park: Memoirs Vol. IV, V, VII. 1902. Annual Report 1902. 158 Rochester, N. Y. Rochester Academy of Science: Proc. IV. pp. 65—136. 1901—1903. Massachusetts, N. S. A. Tufts College. Philadelphia, Academy of natural sciences: Proc. Vol. 54, 3. 55, 1—2. Philadelphia, Wagner free Institute of science of Philadelphia Vol. III, 4. Washington, Department of Agriculture. Wiskonsin, Geological and Natural Hist. Survey. Bull VIII—X. Washinston, National Academy of sciences: Memoirs Vol. VIIL, 7. Washington, National-Museum: Annual Report of the Smithonian Inst. 1901. Bull. No. 51 und 52. Proceedings of the N. S. Nat. Mus Vol. XXV, XXVI 1903. Buenos-Ayres, Museo nacional. Annales. Tomo I. (Ser. III.) Buenos-Ayres, Deutsche Akademische Vereinigung. Valparaiso, Museo de Valparaiso: 10 verschiedene Schriften. Montevideo, Anales del Museo Nacional: Anales Vol. IV. Vol. V p. 1—160. 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Kirchner, Die Getreide und Obstbaumfeinde mit 4 kol. Tafeln. 139 Die Fortsetzungen von: Das Tierreich. Spuler, Die Schmetterlinge Europas. Heyne, Die exotischen Käfer. Martini und Chemnitz, Conchylien-Cabinett. Nachrichtsblatt der deutschen malakozoologischen Gesellschaft. Entomologische Literaturblätter. Schmiedeknecht, Ichneumologica. Zoologische Jahrbücher. _ Zoologischer Anzeiger. Bibliotheca zoologica. Berliner entomolo$ische Zeitschrift. Stettiner entomologische Zeitschrift. Notes fr. the Leyden Museum. Zoological Record. Vol. 38. 1902. Diekeaelerz ne ee Är | | N Druck von Max Schmidt in Lübeck. F r Az j ’ Hr % ! FRERaN 2 ZA = Pr y> Mi Ä if sh \ R » » ’ « I - % x “ »i “ 1% Mitteilungen der (Geographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums EUBEECK Redaktions-Ausschuss. Zweite Reihe. Heft 21. Lübeck. Züpbe:EzEe & Wöhr 1906, En NN naar JAN 1907 | ‚ Ki BT a ' Mitteilungen l (eographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums bÜUBBEECR. Herausgegeben vom Reedaktions-Aussenuss Zweite Reihe. Heft 21. ——— Lübeck. Lübeke & NWöshrilmze. - 1906. Inhaltsverzeichnis, Dr. Rudolf Struck. Zur Frage der Identität der Grundmoränenlandschaft gudader#Endmoranenlandschafte. 2. nn 2: A an az on ae a Dr. Rudolf Struck. Die Beziehungen des Limes Saxoniae und des Danne- werkes zur Topographie und Geologie ihrer Umgebung mit einer Abnuldung undlemeralNavien Ve Be Hans Spethmann. Ancylussee und Litorinameer im südwestlichen Ostsee- becken von der dänischen Grenze bis zur Odermündung mit zwei IatelnnundKeieraltarte Pe ee an eher ea ID EESelSchals Anvelerenhetensnes a re re 09 Bericht des Naturhistorischen Museums über das Jahr 19065. . . . . 2...» 119 aan — nn Dr Zur Frage der Identität der Grundmoränenlandschaft und der Endmoränenlandschait, Von Dr. Rudolf Struck in Lübeck. In seiner Abhandlung »Geologische Notizen von der Insel Fehmarn und aus Wagrien« erhebt Gagel') einmal gegen die von mir ?) auf Grund meiner Beobachtungen ausgesprochene Ansicht, daß die Hügellandschaft des baltischen Höhenrückens im östlichen Holstein nicht wie bisher als eine Grundmoränenlandschaft im Sinne Wahnschaffes, sondern als eine Moränenlandschaft im Sinne Desors zu bezeichnen und zu be- trachten sei, — sowie ferner gegen die von mir auf Grund gewisser Momente und Erwägungen als wahrscheinlich (l. ce. 77 und 73) ange- nommene Identität beider Landschaftstypen hinsichtlich ihres geologischen Aufbaues, ihrer oro- und hydrographischen Verhältnisse, sowie endlich ihres synchron während der Abschmelzperiode der letzten Vereisung er- folgten Entstehung, Einspruch. Da ich die von Gagel zur Begründung seines Einspruches vorge- brachten Angaben bezw. Behauptungen nicht in jeder Hinsicht als gültige anzusehen vermag, möchte ich hier einige Worte der Erwiderung aus- sprechen. Gagel beruft sich gleichzeitig auf die Gründe tatsächlicher und theoretischer Natur, die Wahnschaffe?°) bereits früher gegenüber Salisbury, der den ganzen baltischen Höhenrücken mit seiner Grund- moränenlandschaft als Endmoräne auffaßte, ausgesprochen hatte, — ich werde daher auch zu diesen Stellung nehmen müssen. Diese Gründe tatsächlicher und theoretischer Natur sind kurz zu- sammengefaßt folgende: Die durch die stark wellige Geschiebemergeldecke und durch das Vorkommen zahlreicher Pfuhle und Seen charakterisierte Grundmoränenlandschaft ist unter dem Eise entstanden und zwar nicht nur in der Rückzugsperiode einer Vereisung, sondern innerhalb einer ganzen Vereisungsepoche und selbst während des Vorrückens des Inland- eises. Dieselbe ist von den, vor dem stationären Eisrande abgelagerten Endmoränen, welche als Rückzugsmoränen der letzten Vereisung auf- ) Jahrb. d. Kgl. Pr. geol. Landesanstalt für 1905. Bd. XXVI. Heft 2. 2) Der baltische Höhenrücken in Holstein. Aus den Mitteilungen der geograph. Gesellschaft und des Naturhistor. Museums in Lübeck. 2. Reihe, Heft 19, 1904. °»), Die Ursachen der Öberflächengestaltung des norddeutschen Flachlandes. 2. Auflage 1901. ypag. 156. 4 zufassen sind und mehrere nacheinander auftretende Stillstandslagen beim Zurückschmelzen des Inlandeises bedeuten, und welche ferner mit den ihnen vorgeschütteten, geröllführenden .Granden und Sanden die End- moränenlandschaft bilden, deutlich zu trennen. Auch Gagel legt aufs neue besonderen Nachdruck auf den Unter- schied, der hinsichtlich des geologischen Aufbaues zwischen der Grund- moränenlandschaft und der Endmoränenlandschaft bestehe und deren Trennung und gesonderte Darstellung veranlasse, indem er hervorhebt, daß die Grundmoränenlandschaft rein aus Grundmöränen, die Endmo- ränenlandschaft dagegen größtenteils aus Geschiebepackungen, Gerölle- lagern, Kies- und Sandhügeln aufgebaut sei. Ich kann demgegenüber nur auf meine, schon einmal (l. e. S. 73) in dieser Hinsicht gemachten Ausführungen verweisen und beschränke mich darauf, aufs neue hervorzuheben, daß die Charakteristik, die Wahn- schaffe 1887 von der Grundmoränenlandschaft und der Endmoränen- landschaft gab, jetzt in dem vollen Umfange wie damals nicht mehr Gültigkeit besitzen kann, insofern erkannt worden ist, daß auch die End- moränen des norddeutschen Glacialgebietes nicht ausschließlich aus scharf markierten Geschiebewällen, Grandkuppen und Grandflächen bestehen, sondern auch — wofür die geologische Landesaufnahme !) der letzten Jahre und insbesondere Gagel?) selbst eine Fülle von beweisenden Be- obachtungen zu Tage gefördert haben — in hervorragendem Maße aus Grundmoräne aufgebaut sein können. Angesichts dieser letzteren Tatsache ist nun aber auch die von Wahnschaffe vor fünf Jahren ausgesprochene Ansicht (l. ce. S. 156), daß die eigentlichen Endmoränenwälle sich zweifellos unmittelbar vor dem stationären Eisrande und nicht unter dem oscillierenden Rande desselben bilden, nicht mehr — jedenfalls nicht in diesem vollen Umfange — auf- recht zu erhalten, denn, wenn die Endmoränen aus Grundmoränen be- stehen können, wie z. B. in dem Falle, daß eine Schicht von Geschiebe- !) Statt auf viele andere Beispiele sei z. B. auf den Bericht über die wissenschaft- lichen Ergebnisse der von Herrn A. Klautzsch bewirkten Aufnahme des Blattes Wender (Jahrbuch d. Kgl. Pr. geolog. Landesanstalt für 1902, p. 713) hingewiesen. Hier heißt es: »Die Oberfläche wird vornehmlich von oberem Geschiebemergel gebildet. Im Süden des Blattes von Rastenburgswalde, im Westen bis in die Gegend von Salzbach, im Osten macht sich eine das sonstige Gelände weit überragende Bodenanschwellung be- merkbar, vornehmlich aus oberem Geschiebemergel zusammengesetzt, in den vielerorts liegende Sande und Grande, vereinzelt auch senone Kreide (wahrscheinlich als Schollen) mit aufgepreßt oder eingepreßt erscheinen. Geologisch ist er als ein ONO streichender Endmoränenzug aufzufassen.« ?) Man siehe z. B. Gagels Abhandlung: »Über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln«, Jahrb. der Kgl. Pr. geolog. Landesanstalt für 1903. Bd. XXIV, Heft 1. $. 64, 67, 69, 71, 76. {9} mergel in Wechsellagerung mit fluvio-glacialen Sedimenten sich an ihrem Aufbau beteiligt, oder in der Weise, daß eine mehr oder minder mächtige Geschiebemergeldecke andere Bildungen wie Blockpackungen, Kies- und Sandschichten bedeckt, — und wenn ferner mit Wahnschaffe(l. cc. p. 156) und Gagel (l. c. p. 267) angenommen wird, daß die Grundmoräne nur subglacial gebildet und abgelagert wird, so ist zur Erklärung eines solchen Vorkommens meines Erachtens die Annahme einer Oseillation des Eisrandes erforderlich. Auch die weitere Bemerkung Wahnschaffes (l. c. p. 157), daß »nur die zugartigen Moränenwälle, die die ehemalige Lage des Eisrandes angeben, als Endmoränen zu bezeichnen sind«, ist durch die Ergebnisse der Forschungen der letzten Jahre widerlegt worden. Statt eine Fülle von Einzelfällen aus den, in den Jahrbüchern der Kgl. Pr. geolog. Landes- anstalt niedergelegten wissenschaftlichen Aufnahmeergebnissen aufzuzählen, welche dafür Zeugnis ablegen, daß Endmoränen nicht ausschließlich als schmale zug- und wallartige Gebilde, sondern auch als verschieden breite Gebiete, die sich in orographischer Hinsicht nicht von der Grundmoränen- landschaft unterscheiden, auftreten, begnüge ich mich einmal mit dem Hinweise auf die bereits von Wahnschaffe selbst in seinem Buche gelegentlich der Zusammenstellung der Ergebnisse der Untersuchungen der bis 1901 bekannt gewordenen Endmoränen angeführten Beispiele und ferner mit dem Hinweise auf Gagels eigene Angaben, die sich in seiner Schrift »Über die geologischen Verhältnisse der Gegend von Ratzeburg und Mölln« vorfinden. Gagel sagt; hier, (p. 72): »Endmoränen sind eben ein sehr kompliziertes Phänomen, das aus den verschiedensten Ge- bilden zusammengesetzt sein kann, aus Geschiebepackungen, Kieslagern, Sandhügeln und Geschiebemergel, aus gewaltigen einheitlichen Wällen und aus einem Gewirr von steil abgeböschten Hügeln und Senken, Kegeln Kesseln usw.» ; und an anderer Stelle (p. 71): »Diese so charakteristischen -Oberflächenformen, die mächtigen Wälle und die regellos verteilten, steilwandigen Hügel, Kessel und Trichter, bilden nach meinen Erfahrungen ein vielbezeichnenderes und beständigeres Merkmal der Endmoräne als die Geschiebepackungen, obgleich auch sie nicht überall vorhanden sind !« Diese letzte Angabe Gagels, dals Endmoränen auch aus regellos verteilten steilwandigen Hügeln, Kessel und Trichtern bestehen können, führt mich zur Besprechung eines weiteren, in seiner Schrift mit Nach- druck hervorgehobenen Gesichtspunktes, durch den die norddeutschen kartierenden Geologen dazu veranlaßt wurden, von der Grundmoränen- landschaft eine Endmoränenlandschaft oder richtiger eine Endmoräne abzutrennen. Er behauptet daselbst (l. ec. p. 263) nämlich, daß die (»unsere«) Grundmoränenlandschaft ganz rein und typisch die morphologischen Züge des Desorschen Paysage morainique, d h. das wirre, richtungslose Durcheinander von Hügel und Senke aufweist, dagegen die (»unsere«) 6 Endmoräne auf erhebliche Erstreckung hin wallartig ausgebildet ist, also ein sehr wohl und unverkennbar ausgeprägte, morphologische Richtungslinie erkennen läßt und insofern nicht mit dem Desorschen paysage morainique übereinstimmt. « Es ist ganz zweifellos, daß die Grundmoränenlandschaft im Sinne Wahnschaffes hinsichtlich ihrer Geländeformen mit dem Desorschen paysage morainique übereinstimmt, es ist aber trotzdem nicht angängißg, wie ich bereits früher hervorgehoben habe (l. ec. p. 73), sie als solche zu bezeichnen, wenn sie als ein besonderer Landschaftstypus gelten muß, der sich in geologischer, topographischer und hydrographischer Hinsicht, sowie der zeitlichen Entstehung nach von dem Typus der Endmoränen- landschaft unterscheidet, — denn wie allgemein bekannt ist, ist die Mo- ränenlandschaft Desors ausschließlich aus Endmoränen zusammengesetzt! Ich kann daher Gagel gegenüber nur nochmals — indem ich gleich- zeitig auf die gleiche Meinung Böhm von Böhmersheims!) verweise — wiederholen: »Entweder ist es nicht richtig die norddeutsche Grund- moränenlandschaft als paysage morainique im Sinne Desors zu bezeichnen, — oder dieselbe besteht auch wie jene nur aus einer Anhäufung von Endmoränen.« So feststehend es ferner ist, daß die Endmoränenlandschaft (oder die Endmoräne) in mehrfacher Gestalt in die Erscheinung treten kann, als ein verschieden breites Gebiet, dessen Oberflächenrelief durchaus mit dem der Grundmoränenlandschaft übereinstimmt, sowie als ein zug- und wallartiges Gebilde, das »eine unverkennbar ausgeprägte morphologische Richtungslinie erkennen läßt« — so ist andrerseits hervorzuheben, daß Gagels Behauptung, der Desorsche paysage morainique sei nicht wall- artig ausgebildet, besitze also keine wohl und unverkennbar ausgeprägte, morphologische Richtungslinie und stimme insofern nieht mit der End- moränenlandschaft (oder Endmoräne) überein, nicht richtig ist! Bekanntlich zeichnen sich gerade die Moränenlandschaften am Süd- abhange der Alpen ?) durch einen regelmäßigeren Aufbau gegenüber den Moränenlandschaften an der Nordseite der Alpen aus, insofern dieselben hier bogenförmige, konzentrische Wälle »Moränen-Amphitheater« bilden, und diese Endmoränenwälle Oberitaliens sind es gewesen, welche Desor nach seiner eigenen Angabe?) Anlaß zu der Aufstellung eines neuen land- schaftlichen Typus, des der Moränenlandschaft, des paysage morainique, gegeben haben! !) Geschichte der Moränenkunde, in Abhandlungen der K. K. geograph. Gesell- schaft in Wien, 1901. pag. 215. ?) Man vergl. z. B. Prof. Dr. Theobald Fischer, Das Moränen-Amphitheater des Garda-Sees. Petermanns Mitteilungen. 44. Bd. 1898. I p. 17. °’) Die Moränen-Landschaft. Aus den Verhandlungen der schweizerischen natur- forschenden Gesellschaft. Schaffhausen 1874. p. 2 und 6. Würde nun aber trotzdem etwa der Einwand erhoben werden, daß man für gewöhnlich bei dem Begriffe »paysage morainique«, an die viel ausgedehnteren Moränenlandschaften im nördlichen Vorlande der Alpen denke und, daß diese andere Oberflächenformen besäßen als die Moränen- landschaften südlich der Alpen, so ist anzuführen, daß das Auftreten von Amphitheatern nach Penck!!) nicht ausschließlich der Südseite der Alpen zukommt, sondern dal: dieselbe Erscheinung auch auf der Nordseite der Alpen überall da bemerkt werden kann, wo die Gletscher sich in ähnlicher Weise fächerförmig ausbreiten konnten. Es ist mithin nach dem Gesagten nicht zu bestreiten, daß der Desorsche paysage morainique ebenso wie die norddeutsche Endmoränen- landschaft (oder Endmoräne) in zweifacher Gestalt in die Erscheinung treten kann, als ein wirres, richtungsloses Durcheinander von Hügel und Senke und als wallartiges, eine unverkennbar ausgeprägte morphologische Richtungslinie erkennen lassendes (Grebilde! Im Anschluße an die Mitteilung der Gründe, welche die nord- deutschen kartierenden Greologen dazu veranlassen, von der Grundmoränen- landschaft eine Endmoränenlandschaft (oder richtiger eine Endmoräne) abzutrennen, sagt Gagel: »Das einzige, wogegen sich vielleicht mit einigem Recht eine Kritik richten könnte, ist meines Erachtens der Gebrauch des Wortes Endmoränenlandschaft bei uns norddeutschen Geologen, insofern als die Grundmoränenlandschaft tatsächlich ein weit ausgedehntes Landschaftsgebilde bezeichnet, die Endmoräne im Sinne der norddeutschen kartierenden Greologen aber nur den schmalen, äußersten Rand dieser Landschaftsform darstellt, der vielleicht räumlich nicht ausgedehnt genug ist, um als »Landschaft« bezeichnet zu werden.« Auch dieser Behauptung muß ich widersprechen! — Als vor 20 Jahren die Endmoränenforschungen im norddeutschen Flachlande begannen, konnte dieselbe wohl Gültigkeit besitzen, inzwischen aber sind längst Gebiete im Bereiche des baltischen Höhenrückens bekannt geworden, in denen Endmoränen so zahlreich und dicht geschart und in so großer räumlicher Ausdehnung auftreten, daß man zweifellos von Endmoränen- landschaften sprechen kann. Noch in dem jüngst erschienenen Jahr- buche der Kgl. Pr. geolog. Landesanstalt für 1902 (pag. 716) finde ich folgende Angabe: »Die Ausgestaltung der Oberfläche des Blattes Benkheim wird bedingt durch den Verlauf der Endmoränen, die im Bereiche des Blattes zu einer gewaltigen Scharung zusammentreten, den ganzen süd- lichen, östlichen und nördlichen Teil desselben erfüllen und etwa in der Mitte, um den Goldap-Fluß herum, von Westen her stark zusammen- geschnürt werden.« — Ferner ist es Gagel selbst, der eine ausgezeichnete, ') Die Vergletscherung der deutschen Alpen. 1882. p. 127 und 128. 5—6 Quadratkilometer große Endmoränenlandschaft beschrieben hat, nämlich das Gebiet zwischen Mölln und dem Ratzeburger See, woselbst sich die 3 von ihm nachgewiesenen Staffeln der sog. südlichen Hauptend- moräne vereinigen und ein einheitliches zusammenhängendes Ganze bilden. Dieses Gebiet ist noch in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Es zeigt einmal im Bereiche des Geheges Vossberg, in einem Gebiet von etwa 1!/a Kilometer Breite und 2—2!/, Kilometer Länge, daß die End- moräne hier »zum großen Teil aus sehr hügeligem oberen Geschiebemergel mit vereinzelten Aufschüttungen oberer Sande und Kiese, sowie aus mächtigen, sehr steil hervortretenden Durchragungen liegender Sande besteht«, daß ferner diese Endmoräne im Gegensatz zu Gagels, in seiner Abhandlung »Geologische Notizen von der Insel Fehmarn ete.« ausgesprochenen Behauptung, daß die von ihm beschrie- benen, fast rein aus Geschiebemergel bestehenden Endmoränen »entweder schon in den kleinen Spezialzügen oder wenigstens im großen Ganzen eine unverkennbare, z. T. sehr auffallende zug- und wallartige Ausbildung« zeigten, gerade hier die sonst für das Oberflächenrelief der Grundmoränen- landschaft charakteristischen Formen aufweist, und daß endlich diese Endmoränenlandschaft auch in hydrographischer Hinsicht eine völlige Übereinstimmung mit einer Grundmoränenlandschaft erkennen läßt. Es bleibt nun noch übrig die Unterschiede, die zwischen einer Endmoränenlandschaft und einer Grundmoränenlandschaft in Bezug auf ihre Entstehung bestehen bezw. bestehen sollen, zu erörtern. Man wird in dieser Frage dreierlei unterscheiden müssen, nämlich einmal die Zeit der Entstehung, zweitens die Art und Weise und drittens den Ort der Entstehung. Was die erste Frage anbetrifft, so standen sich bisher zwei Ansichten schroff gegenüber. Die eine Ansicht vertrat hauptsächlich Wahnschaffe; sie ist bereits angegeben worden: Die Endmoränen sind nur beim Rück- zuge des letzten Inlandeises gebildet worden, die Grundmoränenlandschaft hingegen kann während einer ganzen Vereisungsepoche, auch bereits beim Vorrücken des Eises, ebenso wie in der Abschmelzperiode entstehen. Ihr gegenüber ist hauptsächlich Keilhack für eine gleichzeitige Entstehung der Grund- und der Endmoränenlandschaft während der Ab- schmelzperiode der letzten Vereisung eingetreten; auch betonte derselbe, daß die Moränenlandschaft (Grundmoränenlandschaft), auch wenn sie nicht mit Endmoränen verknüpft ist, als Verräter einer Stillstands- oder Oseil- lationsperiode des Eises zu betrachten sei. Hält man sich nun vor Augen, daß Gagel die Endmoränen zwei- fellos auf Stillstandslagen des Eisrandes beim Rückzuge des letzten Inland- eises zurückführt, so ist folgende Äußerung desselben (l. c. 265) für uns von Bedeutung: »Es ist ja nun ganz unzweifelhaft, daß in ganz großen Zügen betrachtet, die stark hügelige, auf der Höhe des baltischen Höhen- 1) rückens gelegene und zwischen dem vorliegenden flachen Sandr und der dahinterliegenden flachen Grundmoränenebene auftretende Grundmoränen- landschaft mit den, ihren äußersten Rand bildenden, bezw. den noch in ihr auftretenden Endmoränenstaffeln in ursächlichem Zusammenhange steht und mit ihnen zusammen als Ganzes eine ganz große langdauernde Stillstandsphase des diluvialen Eisrandes repräsentiert« — denn wir er- blicken in ihr eine Bestätigung der Keilhackschen Anschauung von den synchron, d. h. zur Abschmelzperiode der letzten Vereisung erfolgten Entstehung der Endmoränen mitsamt der mit ihnen im engen Connex stehenden Grundmoränenlandschaft. Da aber Gagel am Schlusse seiner Schrift betont, daß er in der- selben die Anschauungen und Erfahrungen seiner Kollegen zusammen- gefaßt und ausgesprochen hat, darf man vielleicht annehmen, daß auch Wahnschaffe jetzt dieser Keilhackschen Anschauung sich anschließt und seinen früheren Standpunkt aufgegeben hat. Was nun weiter die Frage nach dem Entstehungsmodus der Grund- moränen- und Endmoränenlandschaft angeht, durch deren Beantwortung auch gleich die Frage nach dem Orte der Entstehung beider Landschafts- typen ihre Erledigung findet, so ist die Ansicht Wahnschaffes bereits angeführt worden. Derselbe spricht ganz allgemein von einer Entstehung der Grundmoränenlandschaft unter dem Eise (von einer subglacialen Ent- stehung) und von einer Entstehung der Endmoränen vor dem Rande des Eises. Ebenso sagt Gagel nur ganz allgemein, daß die Grundmoränen- landschaft durch subglaciale, die Endmoräne durch marginale Akkumu- lation entsteht. Es ist nun ganz evident, daß, wenn man nur so allgemein definiert, stets ein Unterschied zwischen einer Grundmoränen- und einer End- moränenlandschaft bestehen muß. Geht man aber etwas näher auf die Art und Weise der Entstehung und Ablagerung der Grundmoräne, aus der die G@rundmoränenlandschaft ja doch vorwiegend aufgebaut sein soll ein, und unterscheidet besonders zwischen dem Orte, wo dieselbe ge- bildet wird und wo dieselbe abgelagert wird, so gelangt man zu einem anderen Resultate. Man wird zugeben müssen, daß, würde sich nachweisen lassen, daß die unter dem Eise — wie schon ihr Name sagt — gebildete Grund- moräne nicht nur ausschließlich unter dem Eise zur Ablagerung gelangt, wie Wahnschaffe angibt (l. c. p. 156), sondern auch vor dem Eis- rande, wo auch die Endmoräne abgelagert wird, — man auch der Möglich- keit einer Entstehung der Grundmoränenlandschaft vor dem Eisrande, bezw. in der Randzone des Gletschers zustimmen muß. — Der Nachweis, daß dieses geschieht — oder ich will mich vorsichtiger ausdrücken, daß angenommen wird, daß solches geschieht — läßt sich aber erbringen, insofern nach anderer Forscher Ansicht, in der Tat auch die Grund- 10 moräne am Rande des Gletschers ausgeworfen wird, denn Penck'!) schreibt wie folgt: ». ... . der Gletscher lagert seine Moränen dort ab, wo er schmilzt, also aus klimatischen Ursachen. Das Schmelzen geschieht an seiner Oberfläche und seiner Sohle. Quantitativ steht die Sohlen- schmelzung weit hinter der Oberflächenschmelzung zurück, aber sie be- trifft Teile des Eises, die mit dem Untermoränenmaterial imprägniert sind, und letzteres beginnt bereits in zum Teil namhafter Entfernung vom Gletscherende als Grundmoräne liegen zu bleiben. Trotz der weit be- deutenderen Oberflächenschmelzung gelangt das Obermoränenmaterial gleich der Hauptmasse der Innenmoränen und einem namhaften Teile der Grundmoräne bis an den Schmelzrand des Gletschers, wo es sich allmählich zur Endmoräne anhäuft;: und an anderer Stelle (l. e. p. 17) »Sind sie (die Endmoränen) durch regelmäßige Aufschüttung entstanden, indem das Eis seine Grundmoräne am Rande auswarf....« Liegt somit theoretisch die Möglichkeit vor, daß eine Grundmoränenlandschaft submarginal entstehen kann, so haben wir andererseits gesehen, daß man, falls eine Endmoräne aus Grund- moräne aufgebaut ist, und, falls man Wahnschaffes Auffassung folgend nur eine subglaciale Entstehung und Ablagerung der- selben annimmt, man auch zugeben muß, daß eine solche Endmoräne subglacial entstehen muß. °) Auf Grund dieser Erwägungen möchte ich aber der Ansicht sein, daß auch hinsichtlich der Art und Weise der Entstehung einer End- moränenlandschaft und einer Grundmoränenlandschaft triftige, für eine Trennung dieser beiden Landschaftstypen sprechende Argumente nicht mehr erhoben werden können. Ich wende mich nun noch gegen die von Gagel gegen meine Ansicht, daß auch die Oberflächenformen des zwischen dem Bungsberge und der Ostseeküste belegenen Teiles der Hügellandschaft Ostholsteins !) Penck und Brückner, Die Alpen im Eiszeitalter. Leipzig 1901. 1. Lig. p. 13. 2) Vergegenwärtigt man sich, daß eine von dem sich zurückziehenden Eise ge- bildete Endmoräne des norddeutschen Glacialgebietes auch völlig aus Geschiebemergel aufgebaut sein kann und berücksichtigt man andrerseits, daß hier gewöhnlich die An- nahme Geltung hat, daß nur ein vorrückender Gletscher Grundmoräne ablagert — auf welcher Annahme ja auch die Hypothese der mehrmaligen Vereisung in der Vor- aussetzung, daß jeder der drei Geschiebemergel Repräsentant einer solchen ist, mit be- ruht, -— so erscheint die Frage nicht unberechtigt, ob nicht auch ein sich zurückziehen- des Inlandeis Grundmoräne ablagern kann. Eine Bejahung dieser Frage, welche in der Literatur meines Wissens noch nicht eingehender erörtert worden ist, erscheint mir geeignet, auf manche Probleme, wie z. B. den Entstehungsmodus der flachen Grundmoränengebiete, der Grundmoränenebenen u. a. m. etwas mehr Licht werfen zu können! auf eine Reihe von Stillstandslagen des Eisrandes zurückgeführt werden dürfen, erhobenen Einwendungen, kann mich aber in meiner Erwiderung nach dem oben Dargelegten kurz fassen. Gagel bezeichnet das in Rede stehende Gebiet einmal auf Grund seiner charakteristischen Geländeformen als typischen »paysage morainique« und andrerseits auf Grund des nach seiner Ansicht dort vorwiegend die Oberfläche bildenden Geschiebemergels als Grundmoränenlandschaft. — Unter Bezugnahme auf meine im Vorhergehenden entwickelten An- schauungen, könnte ich daher zunächst sagen, daf gerade die Angabe Gagels, daß die betreffende Landschaft ein typischer paysage morainique sei, für meine Ansicht, dafl dieselbe die Bezeichnung als Endmoränen- landschaft verdiene, spricht, da eine paysage morainique im Sinne Desors aus Endmoränen zusammengesetzt ist. — Allein für mich waren zunächst doch andere Dinge maßgebend, diese ebenfalls wie das übrige Ostholstein als eine aus mehreren Staffeln bestehende Endmoränenland- schaft zu betrachten. Vor allen Dingen waren es die Beobachtungspunkte von mit den Ausschlämmprodukten der Grundmoräne verknüpften Block- packungen, welche Gagel teils als »fast ausnahmslos sehr kleine« teils als »z. T. allerdings ziemlich mächtige Kieslager« bezeichnet, die mich hierzu veranlaßten. Gagel hat, wie er mir im vergangenen Herbste persönlich mitteilte, zwei derselben gesehen, einen im Gehege Schellholz, sowie einen unweit Lensahn belegenen, die übrigen, teils von Gottsche, teils von mir angegebenen Punkte im Gehege Hohenrott, im Gehege Steinbusch, in der Umgebung von Neutestorf, bei Hassberg, in Rabens- berg beim Orte Colonie, bei Hansühn, bei Oevelgönne unweit Harmsdorf, bei Wangels, Charlottenhof und bei Grammdorf (cf. d. Tafel VIII meiner Arbeit) aber nicht. Wenn ich nun einerseits Gagel völlig Recht geben muß, daß in diesem Gebiete Geschiebemergel vorwiegend die Oberfläche bildet, — ich selbst habe auf die große Verbreitung desselben dort hin- gewiesen — so halte ich doch andrerseits die Zahl der angegebenen Punkte, die auf eine längere Stillstandslage des Eisrandes hinweisen, weder für so niedrig — zumal denselben noch eine weitere Reihe von ebenfalls hierauf hindeutenden Beobachtungen leicht hinzuzufügen ist — noch für so bedeutungslos, als daß ich nicht ein Recht hätte, eine mit ihnen verknüpfte, die typischen Geländeformen einer paysage morainique zeigende Landschaft, auch wenn ihre Oberfläche sonst vorwiegend aus Geschiebemergel gebildet ist, auf eine Reihe von Stillstandslagen des Eis- randes beim Rückzuge desselben zurückzuführen und mithin als End- moränenlandschaft zu bezeichnen, Daß auch in diesem, von Gagel als Grundmoränenlandschaft be- trachteten Gebiet, Terrainformen mit ausgeprägter Strichrichtung, die Gagel sonst dort vermißt, vorhanden sind, hat er selbst schon angeführt, indem er auf den »sehr schönen, etwa 4 Kilometer langen Geschiebe- 12 mergel-Wall«e zwischen Lensahn und Damlos hinweist. Ich kann noch hinzufügen, daß z. B. auch ein schmaler, ebenso ausgeprägt wallartiger Zug sich in nordwest-südöstlicher Richtung durch die Umgegend von Neu-Testorf erstreckt und begnüge mich im übrigen darauf hinzuweisen, daß ich in meiner Schrift gezeigt habe, wie der Verlauf einer Reihe von hintereinander, im allgemeinen von Südost nach Nordwest streichender, zwischen dem Bungsberge und der Ostseeküste aufeinander folgender Bodenschwellen, die meist durch schmale, aber sehr tief einschneidende Erosionsschluchten deutlich von einander geschieden sind, eine staffel- förmige Gliederung dieses Gebietes erkennen läßt. Die enge Verknüpfung dieser einzelnen Bodenschwellen mit den Blockpackungsbeobachtungs- punkten und ihre Verteilung auf die verschiedenen Schwellen aber geben mir Veranlassung, dieselben als Endmoränenstaffeln zu bezeichnen. Muß ich nun einerseits auf Grund des eben Angeführten bei meiner Ansicht verharren und auch diesen Teil Ostholsteins als End- moränenlandschaft bezeichnen, so bin ich andrerseits weit davon entfernt, es nicht als wünschenswert zu erachten, zwischen solchen Teilen der Hügellandschaft des baltischen Höhenrückens, welche mehr den Charakter der Wahnschaffeschen Grundmoränenlandschaft und solchen, welche mehr den der Endmoränenlandschaft besitzen, zu unterscheiden, soweit dieses im Bereiche des schleswig-holsteinischen Teiles des baltischen Höhenrückens, woselbst die in den preußischen Teilen anscheinend weiter auseinanderliegenden Endmoränenzüge sich nicht nur dicht aneinander legen, sondern auch, wie ich es in meiner Schrift gezeigt habe, häufig miteinander verschmelzen, überhaupt noch angängig ist. Häufiger als im holsteinischen Teile der Seenplatte (vergl. meine Schrift p. 17, 22 u. a.) ist dieses im schleswigschen Teile derselben, wie mich die Untersuchungen der letzten 2 Jahre lehrten, möglich, denn hier sind in der Tat kleinere Gebiete, welche auf Grund ihres Oberflächen- reliefs und vor allem der vorwiegenden Bedeckung ihrer Oberfläche mit Grundmoräne, als Grundmoränenlandschaft bezeichnet werden können, vorhanden. Immer aber stehen diese, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, mit den Endmoränenzügen in einem engen und ursächlichen Konnex, sei es, daß sie in den einzelnen Zügen als Zwischenglieder ein- geschaltet sind, sei es, daß sie sich einer Endmoräne als schmales Band anschließen oder zwischen zwei aufeinanderfolgenden Staffeln sich er- strecken und als Äquivalente desselben gelten müssen. Lübeck, im Januar 1906. Die Beziehungen des Limes Saxoniae und des Dannewerkes zur Topographie ir und Geologie ihrer Umgebung. Von Dr. Rudolf Struck in Lübeck. T. Die Beziehungen des Limes Saxoniae zur Topographie und Geologie seiner Umgebung. Zu den neuesten Arbeiten, welche die Erforschung der von Karl dem Großen festgesetzten Grenze zwischen den Sachsen bezw. Franken und den Slaven zum Gegenstand haben, gehören die in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten von Dr. Friedrich Bangert: »Die Sachsengrenze im Gebiete der Trave«') und »Die Spuren der Franken am nordalbingischen Limes Saxoniae».?) — In der ersten Arbeit suchte Bangert einmal durch wissenschaftliche Prüfung und Deutung einer Reihe von in der Beschreibung dieser Grenze durch den Bremer Domscholaster Adam vorkommenden Ortsan- gaben, den richtigen Verlauf derselben auch auf den Strecken, wo er bisher noch als nicht sicher festgestellt betrachtet werden mußte, festzu- legen und vertrat ferner in Bezug auf die Beschaffenheit der Grenze die Ansicht, daß dieselbe nicht eine durch künstliche Befestigungen — etwa durch einen fortlaufenden Grenzwall, wie früher angenommen wurde — geschützte Linie, sondern nur als eine politische Linie, bei deren Er- forschung besonders die bestehenden Landes- und Gemarkungsgrenzen zu berücksichtigen seien, betrachtet werden müsse. In einer zweiten Arbeit aber gelangte Bangert, auf Grund weiterer an Ort und Stelle angestellter Untersuchungen, sowie in Berücksichtigung der von Schuchardt bei der Erforschung der niedersächsischen Ring- wälle und Landwehren gewonnenen Resultate,?) sowie der Studien von Rübel über die Karolingischen Reichshöfe, die fränkischen Grenzein- richtungen und die Organisation der Heerwege des Frankenreiches,') in- dem er gleichzeitig über den Verlauf des Limes auf der, von ihm früher noch nicht berücksichtigten Strecke von der Elbe bis zur Bille eine ') Jahresbericht des Realprogymnasium in Oldesloe für das Schuljahr 1892/93. ®) Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen. Jg. 1904. ») Atlas vorgeschichtlicher Befestigungen in Niedersachsen; Heft IV bis VII. Hannover, Hahn. *) Reichshöfe im Lippe-, Ruhr- und Diemel-Gebiete und am Hellwege. Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark. HeftX. Dortmund 1901. — 16 neue Ansicht ausspricht und die früher bereits festgelegten und beschriebenen Strecken zwischen der Bille und der Trave einerseits und der Trave und dem Plöner See andererseits einer erneuten Besprechung unterzieht, zu einer anderen Ansicht über die Beschaffenheit und die Organisation des Limes, nämlich zu der, daß derselbe auf der Frankenseite durch ein ganzes System von künstlichen Befestigungen geschützt gewesen ist. — Ist der Limes Saxoniae nun nicht nur eine einfache ungeschützte, sondern eine durch Befestigungen gesicherte Grenze gewesen, so muß es auffällig erscheinen, daß man den erforderlichen Schutz nur oder haupt- sächlich durch Errichtung von künstlichen Befestigungen hat erreichen wollen und, daß man etwaigen, durch die Gestalt und die Beschaffenheit des Grund und Bodens des Landes sich darbietenden Schutz gar nicht oder nicht in erster Linie berücksichtigt hat. Es dünkt mich daher, obwohl die topographischen Verhältnisse verschiedener Punkte des Limes bereits in früheren Arbeiten hier und dort Berücksichtigung gefunden haben, und sich bereits, besonders auch in Bangert’s erster Arbeit eine Reihe von Angaben über den Schutz, den einzelne Orte oder Gegenden durch die Bodenbeschaffenheit ihrer Umgebung bieten konnten, vorfindet, die Frage der Prüfung wert, ob nicht doch und in welchem Umfange der Grenze die natür- liche, durch die topographischen und geologischen Verhältnisse be- dingte Beschaffenheit des von ihr auf der gesamten Strecke durch- zogenen Gebietes, auch ohne künstliche Bollwerke bereits einen gewissen Schutz gewähren konnte und, ob nicht auch etwa solche und andere bestimmte natürliche Verhältnisse bei der Wahl der Führung der Grenz- linie von Bedeutung gewesen sind. Ehe ich mich jedoch zu meinem eigentlichen Thema wende, scheint es mir wünschenswert, in aller Kürze die geologische Entstehung der Ober- flächenformen der von der Grenze durchzogenen Gegenden auf Grund der neuesten geologischen Forschungsergebnisse zu schildern. Die Entstehung der Oberflächenformen Schleswig-Holsteins ist, wenn wir uns der zur Zeit fast allgemeine Gültigkeit besitzenden Anschauung von einer dreimaligen Vereisung Norddeutschlands anschließen, ebenso wie die der übrigen Teile des norddeutschen Flachlandes nördlich der Elbe, im wesentlichen auf die dritte Eiszeit und zwar besonders auf die Abschmelzperiode derselben zurückzuführen, doch sind gewisse Teile der Oberfläche auch erst während der Alluvialzeit entstanden, in der überdies auch bedeutende Umgestaltungen der Oberflächenconfiguration, besonders des östlichen und westlichen Küstengebietes infolge Bewegungen der Erd- rinde, stattgefunden haben. Seit langer Zeit werden im Bereiche Schleswig-Holsteins drei Zonen unterschieden: die Zone der fruchtbaren Hügellandschaft des Ostens, die Zone des (mehr oder weniger unfruchtbaren) Geschiebesandgebietes und 142 die Zone der Marschen (Forchhammer, Meyn). Von diesen ist die west- lichste, die Zone der Marschen, in der Alluvialzeit entstanden. Die Bildung der Oberflächenformen der beiden anderen Zonen ist während der letzten Eiszeit erfolgt. Die cimbrische Halbinsel wird bekanntlich als ein Teil des baltischen Höhenrückens betrachtet, und zwar hat man entweder bloß die Hügel- landschaft des Ostens (Zone 1.), die auch als Seenplatte bezeichnet wird, als solche angesehen (Sievers, Guthe-Wagner u. A.) oder auch diese zu- sammen mit der zweiten Zone, dem zwischen den Marschen und der Hügellandschaft - belegenen Geschiebesandgebiet (Penck),. — Im meiner Arbeit »Der baltische Höhenrücken in Holstein«, !) habe ich darauf hin- gewiesen, daß der geologischen Entstehung nach, beide Zonen als zum eigentlichen Höhenrücken gerechnet werden müssen. — Man hat innerhalb der Hügellandschaft der preußischen und mecklen- burgischen Teile des baltischen Höhenrückens vor allen Dingen zweierlei Landschaftstypen unterschieden (Wahnschaffe, Keilhack, Schröder, Geinitz u. A.) Endmoränenlandschaften bezw. Endmoränen und Grundmoränen- landschaften. Die ersteren, deren Entstehungszeit von allen norddeutschen Glacial- geologen in die Abschmelzperiode der letzten Vereisung verlegt wird, treten hauptsächlich in zweierlei Weise in die Erscheinung, als mehr oder weniger schmale, ausgesprochen wallartige Gebilde und als verschieden breite Gebiete, in denen die meist steilwandigen Hügel und Kuppen und die zwischen ihnen befindlichen, mannigfach gestalteten Senken regellos angeordnet sind. Ihrer inneren Ausbildung nach sind dieselben vorwiegend aus den Ausschlemmungsprodukten der Grundmoräne des Gletschers (des Geschiebe- mergels), aus Sanden und Granden der verschiedensten Korngröße, aus Tonen, sowie aus Anhäufungen von Geschieben verschiedenster Größe (Blockpackungen, Geschiebepackungen) zusammengesetzt. Aber auch die unausgewaschene Grundmoräne, der Geschiebemergel kann, wie zahl- reiche Beobachtungen der letzten 10 Jahre lehrten, in hervorragendem Maße an dem Aufbau derselben beteiligt sein, sei es mit einem oder mehreren der genannten Abschlemmungsprodukte sowie den Geschiebe- packungen gleichzeitig zusammen, oder allein für sich. Die Grundmoränenlandschaft hat ihren Namen davon, daß ihre Oberfläche vorwiegend aus Grundmoräne, aus Geschiebemergel gebildet wird. In orographischer Hinsicht läßt sie wiederum verschiedene Typen erkennen, nämlich einmal die coupierte Grundmoränenlandschaft (Grund- 1) Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft und des naturhistorischen Museums in Lübeck. 2. Reihe, Heft 19, 1904. 18 moränenlandschaft im engeren Sinne, oder im Sinne Wahnschaffe’s), deren Oberflächenformen identisch sind mit denen des zweiten Typus der Endmoränenlandschaft, also aus meist mehr oder weniger steilwan- digen Kuppen und Hügeln, die ganz unregelmäßig und wirr angeordnet sind und zahlreiche, mannigfach gestaltete, -häufig abflußlose Senken zwischen sich fassen, bestehen und zweitens die flachwellige Grund- moränenlandschaft, deren Oberfläche weniger stark bewegt ist als die des ersteren Typus. Beide Typen sind durch mannigfache Übergänge mit einander verbunden und in hydrographischer Hinsicht durch das Vorkommen zahlreicher Depressionen, die teils von Wasser (Seen, Teiche, Pfuhle), teils mit Torf- und Moorbildungen erfüllt sind, aus- gezeichnet. Ein dritter im Bereiche des baltischen Höhenrückens Preußens und Mecklenburgs vorkommender Typus einer Grundmoränenlandschaft, näm- lich der der Grundmoränenebene, ist im Bereiche der Zone der frucht- baren Hügellandschaft des baltischen Höhenrückens in Schleswig-Holstein nur — wenn man die betreffenden Gebiete überhaupt als solche bezeichnen will — in räumlich sehr beschränktem Maße vorhanden. Ein treffliches Beispiel einer solchen Grundmoränenebene ist, wie Gagel') erst kürzlich gezeigt hat, die Insel Fehmarn, welche aber nach Penck nicht mehr zum baltischen Höhenrücken, sondern zu der westbaltischen Inselzone, zu der auch die dänischen Inseln gehören, gezählt wird. Was das räumliche Verhalten dieser verschiedenen Landschafts- formen zueinander anbetrifft, so ist in den preußischen und mecklen- burgischen Teilen der Seenplatte erkannt worden, daß die Endmoränen die südlichste Zone bilden, der sich die Grundmoränenlandschaften und dann die Grundmoränenebene nach Norden anschließen. Hinsichtlich der zeitlichen Entstehung der Grundmoränenlandschaft im engeren Sinne stehen sich zwei verschiedene Ansichten gegenüber. Wahnschaffe meint, daß dieselbe nicht nur während der Abschmelz- periode der letzten Vereisung, sondern während der ganzen Vereisungs- epoche, selbst bereits beim Vorrücken des Inlandeises habe entstehen können. Keilhack hingegen vertritt die Ansicht, daß diese Landschafts- form zur selben Zeit wie die Endmoränenlandschaft bezw. Endmoräne entstanden ist und glaubt die Moränenlandschaft (Grundmoränenland- schaft) auch wenn sie nicht mit Endmoränen verknüpft ist, als Ver- räter einer Stillstands- oder Oscillationsperiode des Eises betrachten zu müssen. ') Geologische Notizen von der Insel Fehmarn und aus Wagrien. Jahrbuch der Königl. Preuß. Geolog. Landesanstalt für 1905. Band XXVI, Heft 2. ra. Indem wir uns der letzteren Auffassung anschließen gelangen wir, indem wir gleichzeitig berücksichtigen, daß auch die Bildung der End- moränen auf stillstandslagen des Eisrandes zurückzuführen ist, zu der Anschauung, daß die Entstehung der Zone 1, der Hügellandschaft Schles- wig-Holsteins, die sich vorwiegend aus diesen beiden Typen zusammen- setzt, durch eine Anhäufung von Stillstandslagen des Eisrandes bewirkr worden ist, oder mit anderen Worten, das Produkt einer lang dauernden Stillstandsphase des Eisrandes während der letzten Abschmelzperiode ist. Für diese Auffassung spricht, daß die Grundmoränenlandschaft im Sinne Wahnschaffes von den norddeutschen Glacialgeologen als paysage morainique im Sinne Desors betrachtet wird, letztere aber nach Penck nur aus Endmoränen zusammengesetzt ist! Im Vorlande der Endmoränen erstrecken sich im norddeutschen Glacialgebiete in der Regel Gebiete von variierender räumlicher Ausdehnung, deren Oberfläche aus den Ausschlämmprodukten der Grundmoräne (fluvio-glacialen Bildungen), vorwiegend aus geschichteten Sanden besteht. In der Nähe ihres Ursprungsgebietes, also am Eisrande, pflegen diese geschichteten Bildungen aus grobkörnigem Materiale zu bestehen, auch pflegt hier die Landschaft häufig noch flachwellig zu sein; je weiter aber von demselben entfernt, desto feinkörniger werden sie und desto ebener und flacher wird die Landschaft. Diese flachen und meist unfruchtbaren Sand- und Kiesgebiete (Geschiebe- sandgebiete, Heidesandlandschaften, Heidesandebenen) wurden von Keilhack nach »Analogie mit den isländischen Vorkommen« als Sandr bezeichnet. Die zweite Zone des baltischen Höhenrückens in Schleswig-Holstein, die unfruchtbare Haidesandlandschaft, stellt einen solchen Sandr von großer räumlicher Ausdehnung vor. Gewisse, verschieden große Gebiete innerhalb derselben, durch welche sie gleichzeitig eine gewisse Gliederung erfährt, bezeugen jedoch durch ihre Oberflächenformen sowie durch ihren inneren Aufbau, daß sie ebenfalls Stillstandslagen des Eisrandes ihre Entstehung verdanken, also als — gegenüber den Endmoränen des Ostens zeitlich jüngeren — Endmoränen zu be- trachten sind. Solche Gebiete konnten bisher besonders in Lauenburg und in Holstein nachgewiesen werden und auch aus dem Schleswigschen Ge- schiebesandgebiete liegen bereits vereinzelte Beweise für ihre Existenz daselbst vor (Gottsche!'). In Preußen und in Mecklenburg befinden sich stellenweise derartige, z. T. sehr ausgedehnte Sandrgebiete auch innerhalb der Hügellandschaft !) Die Endmoränen und das marine Diluvium Schleswig-Holsteins. Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in Hamburg, Bd, XIII, 20 des baltischen Höhenrückens. In Schleswig-Holstein sind solche in dieser Zone nur in ganz geringem Umfange vorhanden. Hier wurden die Schmelzwasser hauptsächlich durch Senken und Rinnen, die besonders im östlichen Holstein auch mit- den dort noch vorhandenen Seen in Verbindung standen, nach Süden zur Elbe, bezw. nach Westen zur Nord- see durch das Geschiebesandgebiet, in das sie hierbei flache Rinnen eingruben, hindurch, abgeleitet. — Wenn nun auch im wesentlichen die Entstehung und Gestaltung der Oberflächenformen Schleswig-Holsteins auf die Eiszeit zurückzuführen ist, so ist doch auch die Postglacialzeit oder Alluvialzeit — wie bereits erwähnt wurde — nicht ohne Einfluß auf eine weitere Ausbildung und Umgestaltung des Oberflächenreliefs gewesen, sondern hat mannigfache und ganz bedeutende Veränderungen hervorgerufen. Von diesen seien vor allen Dingen erwähnt die erheblichen Ver- änderungen, welche sowohl das östliche als auch das westliche Küstengebiet in dieser Zeit durch gewisse Bewegungen der Erdrinde, durch säkulare Niveauschwankungen erlitten haben und die zu bedeutenden Verschiebungen in der Verteilung von Wasser und Land in diesen Gegenden geführt haben. Skandinavische Geologen, vor allen de Geer und Munthe haben vor noch nicht langer Zeit nachgewiesen, daß im Ostseegebiete nach der Eiszeit gewisse Niveauschwankungen, zwei Senkungen und zwei Hebungen stattgefunden haben.!) Durch eine erste Senkung entstand in unmittel- barem Anschlusse an die’ letzte Abschmelzperiode in gewissen — nämlich den nördlicheren — Teilen des Ostseebeckens ein Meer, das eine arktische, speziell durch Yoldia arctica gekennzeichnete Fauna enthielt. Eine darauffolgende Hebung bewirkte, daß an die Stelle jenes Eismeeres ein gewaltiges Binnenmeer trat, das von einer Süßwasserfauna, darunter be- sonders Ancylus lacustris belebt war (Ancylus-See), und eine hieran wiederum sich anschließende Senkung, die sich diesesmal auch auf die südlichen und westlichen Teile des Ostseegebietes ausdehnte, führte aufs neue zur Bildung eines Salzwassermeeres, das nach der, in diesem weitverbreiteten Schnecke Litorina litorea, Litorinameer benannt worden ist. Durch eine letzte Hebung endlich, die in den nördlichen Teilen des Ostseebeckens noch fortdauert, fand wiederum eine Aussüßung der Ostsee statt und es entwickelte sich in derselben nach und nach die heutige, insbesondere durch die Muschel Mya arenaria ihr charakteristisches Gepräge erhaltende Fauna. Die erste dieser Perioden wird als Yoldia-, die zweite als Anceylus- die dritte als Litorina-, die vierte als Mya-Zeit bezeichnet. ') Siehe besonders: R. Credner, Über die Ostsee und ihre Entstehung, Verhand- lungen der Gesellsch. deutscher Naturforscher u. Ärzte. 67. Versammlung zu Lübeck. I. Leipzig 1895. 20 Absätze des Yoldiameeres und des Ancylussees sind bisher im deutschen Küstengebiete nicht angetroffen worden, und hat man daraus den Schluß gezogen, daß während dieser Zeiten das heute von der südlichen und südwestlichen Ostsee eingenominene Gebiet Land war und mit Däne- mark und Südschweden landverbunden war, (E. Geinitz!) u. A.). — Eine Bestätigung dieser Ansicht wurde im Laufe der letzten Jahre u. a. durch den Nachweis erbracht, daß die im deutschen Küstengebiete jetzt tief unter dem Wasserspiegel befindlichen Absätze des Litorinameeres z. T.., so im Mündungsgebiete der Trave (P. Friedrich?) und in der Kieler Föhrde (©. A. Weber?), Süßwasserschichten, deren Bildung in einem Niveau, das höher als der Wasserspiegel der dortigen Gewässer liegt, vor sich gegangen sein muß, überlagern. Auch spricht für dieselbe die Er- wägung, daß die Tiefenverhältnisse der Flußtäler dieses Gebietes, nämlich die der 'Trave, der Warnow (E. Geinitz), der Flüsse Vorpommerns (Klose) und ferner die Tiefenverhältnisse sämtlicher Föhrden, die früher zur Nordsee führende Flußtäler waren (Struck °) die Annahme erfordern, daß zur Zeit, als sie entstanden, das Küstengebiet bedeutend höher als jetzt, lag. Erst zur Litorinazeit fand, wie in den übrigen Teilen des südwest- lichen Ostseegebietes auch in dem östlichen Küstengebiete Schleswig- Holsteins eine allgemeine Senkung statt, und gerieten hierdurch die Depressionen desselben, die Mulden, Flußtäler und Rinnen unter den Wasserspiegel des Meeres. Unter dem Einflusse des letzteren entwickelte sich darauf in dieser und aller folgenden Zeit die uns jetzt entgegentretende Konfiguration dieses Gebietes, entstanden die so mannigfachen und charakteristischen Formen der schleswig-holsteinischen Ostseeküste, die Föhrden und Buchten mit den ihnen eigentümlichen Nooren, die Steil- und Flachufer, sowie die Inseln und Halbinseln. Gleichzeitig war diese Senkung von großer Tragweite für die hydro- graphischen Verhältnisse der östlichen Gegenden Schleswig- Holsteins. Während in der Abschmelzperiode die Ströme Schleswig-Holsteins und Lauenburgs sich südlich zur Elbe und westwärts zur Nordsee wandten und infolge der Hochlage des Küstengebietes im Osten dieses auch noch !) Lethaca geognostica. III. Teil. 2. Band. Quartär. pag. 341. ?) P. Friedrich, Die Lübeckischen Litorinabildungen. Mitteilungen der Geograph. Gesellschaft und des naturhistor. Museums zu Lübeck. Heft 20. 1905. ») C. A. Weber, Über Litorina- und Prälitorinabildungen der Kieler Föhrde. Engler’s Botan. Jahrb. Bd. 35, Heft 1. 1904. *) H. Klose, Die alten Stromtäler Vorpommerns, ihre Entstehung, ursprüngliche Gestalt und hydrographische Entwicklung im Zusammenhange mit der Litorina- senkung. Greifswald 1904. °), R. Struck, Der baltische Höhenrücken in Schleswig und die Entstehung der Föhrden. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft etc. Lübeck. 1906. (Erscheint demnächst.) 22 während der Yoldiazeit und eines großen Teiles der Ancyluszeit getan haben müssen, wandten sich nun diejenigen Flüsse, die heute zur Ostsee fließen, dieser zu, und es bildete sich erst ‘jetzt die eigentümliche, noch heute bestehende Wasserscheide zwischen der Ostsee und der Nordsee heraus. Wie im Küstengebiete der Ostsee, so haben aber auch in dem der Nordsee in der Postglacialzeit Niveauschwankungen stattgefunden, die auch dort eine andere Verteilung von Wasser und Land als solche am Schlusse der Eiszeit vorhanden war, herbeigeführt haben. Schon seit langer Zeit hat man u. a. auf Grund des Vorkommens gewisser, jetzt tief unter dem Meeresspiegel der Nordsee, bezw. unter dem Marschlande befindlichen Süßwasserbildungen geschlossen (Forchhammer, Meyn), daß das mehr oder weniger flache Geschiebesandgebiet Schleswigs sich einst bis zu den nordfriesischen Inseln erstreckte und, daß diese selbst, die damals noch ein zusammenhängendes Land bildeten, einst weiter nach Westen reichten. Stolley') äußerte zuerst die Ansicht, daß die Sen- kung, welche auch dieses Gebiet, also das ganze Gebiet zwischen dem jetzigen Geestrande und den Inseln unter den Meeresspiegel brachte, zur Litorinazeit stattgefunden habe, — und das Fehlen von Ablagerungen aus der Yoldia- und Aneyluszeit daselbst dürfte ein Beweis für die Richtigkeit seiner Anschauung sein. Zu dieser Zeit drang das Meer nach und nach bis an den jetzigen Geestrand, wie die ihn begleitenden Dünenketten zu beweisen scheinen, vor und bewirkte dadurch — soweit es nicht selbst noch weiter landeinwärts in die zahlreichen, von den Schmelz- wassern im Geschiebesandgebiete geschaffenen und z. T. von den, zur Nordsee fließenden Flüssen benutzten Rinnen und Senken eindrang, einen Aufstau der von Osten kommenden Gewässer. In diese Zeit dürfte die Entstehung des Marschengürtels zu verlegen sein! Es wird meist angenommen, daß die Senkung des westlichen Küstengebietes gleichzeitig mit der Eröffnung des Kanals erfolet sei. Ist man aber der Überzeugung, daß die Bildung eines solchen ausge- dehnten Marschlandes, wie es sich noch bis in die historische Zeit hinein, zwischen dem eigentlichen Festlande und den Inseln erstreckte, nur in einem weit ruhigeren Meere, als es die Nordsee seit der Eröffnung des Kanals ist, vor sich gehen konnte, so wird man die Mutmaßung nicht von der Hand weisen können, daß die Eröffnung des Kanals oder jeden- falls die völlige Lostrennung Englands vom Kontinente, wodurch der Charakter der Nordsee, die bisher ein Binnenmeer gewesen, ein anderer wurde und ihre Flut- und Strömungsverhältnisse sich wesentlich änderten, nicht gleichzeitig mit der Litorinazeit, sondern später — »an der Schwelle der historischen Zeit«e — stattgefunden hat. ') »Zur Geologie der Insel Sylt«. Archiv f. Anthropologie und Geologie Schleswig- Holsteins. 23 Von dieser Zeit ab setzte die Zerstörung des westlichen Vorlandes, in dessen Schutze das Marschland hatte entstehen können, in verstärktem Maße ein, ward die Zertrümmerung des letzteren eingeleitet, welche bis in die historische Zeit hinein in großem Umfange fortdauerte und noch in demselben Maße fortdauern würde, hätte der Mensch nicht gelernt, durch Anlage von Deichen, dem Zerstörungswerk eine Schranke zu setzen. Außer den eben geschilderten Veränderungen, von der die Ober- fläche unseres Landes in der Postglacialzeit betroffen worden ist, sind als sehr wichtige noch diejenigen zu erwähnen, die die zahlreichen Depressionen desselben, soweit sie am Schlusse der Eiszeit mit Wasser erfüllt waren, seitdem erlitten haben. Abgesehen von den Veränderungen, die durch das Eingreifen des Menschen hervorgerufen worden sind, ist es vor allen Dingen die Arbeit der Pflanzenwelt gewesen, welche eine gewaltige Anzahl solcher Senken im Lauf der Zeit in Torfmoore umge- wandelt hat. Vergegenwärtigen wir uns die außerordentlich große Zahl von Torfmooren und mit Wiesen bedeckten moorigen Niederungen, die jetzt im Schleswig-Holstein, besonders im Geschiebesandgebiete so auffällig im Landschaftsbilde hervortreten und von denen auch die Hügelland- schaft des Ostens eine große Fülle, besonders im Schleswigschen, auf- weist, so gewinnen wir eine Vorstellung, welchen erheblichen Umwand- lungen die Oberfläche unseres Landes in dieser Beziehung ausgesetzt gewesen ist. Für die Fragen aber, die uns im folgenden beschäftigen sollen, und zu denen wir uns nun sogleich wenden werden, und zwar besonders für die Frage, in welcher Weise der Limes Saxoniae auf Grund der natürlichen Verhältnisse als eine zur Verteidigung geeignete und gut geschützte Linie zu betrachten ist, sind diese zuletzt erwähnten Verände- rungen des Oberflächenreliefs von großer Bedeutung. Halten wir uns nämlich einerseits vor Augen, daß es als feststehend gelten muß, daß zur Zeit der Grenzfestlesung die meisten heutigen Torfmoore noch im Entstehen begriffen waren, daß die Rinnen und Mulden noch von mehr oder weniger ausgedehnten Wasseransammlungen erfüllt und nur etwa an ihren Rändern bereits versumpft waren, und berücksichtigen andererseits, daß im norddeutschen Flachlande, wie Deecke!) mit Recht hervorhebt, »woselbst bedeutende Niveauunterschiede und damit natürliche Bollwerke fehlen, Sumpf und Moor nebst Wasser die einzigen Verteidigungsmittel größeren Stiles sind«, so muß, falls der Limes Saxoniae überhaupt einem solchen Zwecke dienen sollte, es für uns maßgebend sein, denselben dort aufzusuchen, wo von Natur ein solcher Schutz, ein solches Bollwerk, oder mit anderen Worten, ausgedehntere Rinnen und Senken, die vom Wasser, Sumpf oder Moor erfüllt waren, geboten wurden. ı) W, Deecke, »Die Beziehungen der vorpommerschen Städte zur Topographie und Geologie ihrer Umgebung«. IX. Jahresbericht der geographischen Gesellschaft zu Greifswald. 1905. 24 1. Der Limes Saxoniae auf der Strecke von der Elbe bis Hornbek. „Hoc est ab Albiae ripa orientali usque ad rivulum quem Sclavi Mescenreiza vocant, a quo sursum limes currit per silvam Delvunder usque in fluvium Delvundam.“ Indem er darauf hinweist, daß der Wortlaut der Beschreibung der Grenzlinie es verlange, daß die Grenze vom Ostufer der Elbe ausgehe und in der Annahme, daß die Elbe in ihrem Unterlaufe nur auf der Strecke von Bleckede bis Boizenburg in südnördlicher Richtung fließe, und daher nur hier ein Ost- und ein Westufer habe, läßt Bangert die Grenze in der Gegend von Boizenburg beginnen. Da er ferner den zweiten Punkt der Grenzbeschreibung, den »rivulum, quem Sclavi Mescenreiza vocant« als die Boize betrachtet, die Beschreibung aber fordert, daß die Grenze vom östlichen Ufer zu diesem Bache hin (»Hoc est ab Albiae ripa orientali usque ad rivulum ....«) verläuft, läßt er dieselbe nicht mit der Mündung der Boize beginnen, sondern am jetzigen östlichen, von Alluvium gebildeten Elbufer, stromaufwärts von der Mündung dieses Flusses (etwa aus der Gegend des Dorfes Gothmann) und führt sie durch die alluviale Elbniederung südöstlich von der Stadt und dem Schlosse Boizenburg an die Boize heran, der sie dann weiter Außaufwärts bis in den Delvunderwald (silva Delvunder) folgt. Es ist ja zweifellos richtig, daß die Elbe auf ihrem Unterlaufe in der Gegend, von welcher etwa der Limes ausgehen soll, nur zwischen Bleckede und Boizenburg auf eine größere Strecke hin in rein südnörd- licher Richtung fließt. — Erwägt man aber, daß dieselbe auch unmittelbar östlich von Lauenburg, dort, wo das über 3 Kilometer breite Delvenautal in das Elbtal einmündet, für eine kurze Strecke, wenn auch nicht in rein süd-nördlicher Richtung, so doch in südost-nordwestlicher Richtung strömt, und daß daher, etwa von Hohnstorf her, auch das jetzige gegenüberliegende Ufer als östliches Ufer erscheint — oder, daß, wenn man sich vergegen- wärtigt, daß, wie es jetzt noch zur Winterszeit häufig der Fall ist, das ganze flache, zum größten Teile aus Alluvium bestehende Gelände zwischen dem Westufer des Delvenautales bei Lauenburg und seinem Ostufer, voraus- sichtlich zur Zeit der Grenzfestsetzung noch beständig von den Fluten der Elbe bedeckt war und somit nicht nur von Hohnstorf, sondern auch von Lauenburg, dem Gebiete der Sachsen bezw. Franken aus, die Elbe hier ein östliches Ufer hatte — so möchte die Annahme nicht verfehlt sein, dab hier an diesem östlichen Ufer, etwa in der Gegend des Dorfes Horst, der Limes seinen Anfang genommen habe. Für diese Annahme aber spricht noch ein weiterer Umstand. Die Beschreibung Adam von Bremens verlangt, daß die Grenzlinie vom 25° östlichen Ufer der Elbe ausgeht und von diesem weiter bis zum Bache Mescenreiza (»usque ad rivulum, quem Sclavi Mescenreiza vocant«) sich erstreckt. Das ist hier in natürlicher, ungezwungener Weise möglich, denn man braucht bloß dem östlichen Talrande in nördlicher Richtung zu folgen, so gelangt man nach 2 Kilometer Entfernung an einen kleinen Bach (rivulum), der in der Tat — und das kommt hinzu und ist von Wichtigkeit — der in der Grenzbeschreibung als Mescenreiza bezeichnete Bach zu sein scheint. Der Name Mescenreiza bedeutet nach Bronisch (s. Bangert, l. c. pag. 10) Mittel- oder Zwischenfluß, interamnium, und Bangert meint daher, daß derselbe also nur der Gattungsname eines in dem con- finium zwischen den beiden Völkern (den Franken und Slaven) fließenden Baches sei. Mir scheint es natürlicher und richtiger unter dem Namen des Flusses das zu verstehen, was er auch wirklich besagen will, nämlich, daß derselbe ein Zwischenfluß ist, d. h. ein Fluß, der zwischen zwei Flüssen fließt, bezw. eine Verbinduug zwischen ihnen herstellt. Der erwähnte Bach nämlich geht dicht vor seinem Eintritte ins Delvenautal aus der Vereinigung zweier Bäche hervor, von denen der eine, der die Bezeichnung Mühlenbach trägt, parallel dem genannten Tale von Norden nach Süden verläuft, während der andere, der namenlos ist, in einer, zwischen dem Boizetale und dem Delvenau- tale sich erstreckenden, stellenweise bis über 1 Kilometer breiten und mit Torfmooren erfüllten Senke von Osten nach Westen fließt und eine gemeinsame Quelle mit einem kleinen Bache besitzt,. der etwa 2 Kilometer vom westlichen Rande des Boizetales entfernt entspringt und sich nach Osten in die Boize ergießt. Vergegenwärtigt man sich nun, daß zur Zeit der Grenzfestsetzung die Vertorfung der zur Abschmelzperiode von einem Schmelzwasserstrome geschaffenen Talsenke, noch nicht in dem jetzigen Maße vorgeschritten war, und daß daher vermutlich noch eine breitere und deutlichere Verbindung zwischen diesen beiden Bächen be- stand, so existierte damals tatsächlich ein Zwischenfluß zwischen der Boize und der Delvenau — die Mescenreiza. Von diesem Bache aus verläuft die Grenze nach Adam durch die silva Delvunder bis zum Flusse Delvunda. — Bangert ist der Ansicht, daß die großen, zwischen der Boize und dem Delvundertale in dem flach- welligen bezw. ganz flachen Geschiebesandgebiete Mecklenburgs sich noch jetzt befindenden Waldungen (die grofßherzoglichen Forste Zweedort, Schwanheide, Gresse und Greven und der Neu-Bergholzer Forst) Teile des ehemaligen Delvunder Waldes sind. — Schließt man sich seiner Auf- fassung an, so erhebt sich weiter die Frage, in welcher Gegend etwa die Grenze den Wald selbst durchquerte. Im Hinblick hierauf ist es von Interesse zu wissen, daß der Mühlenbach, der sich mit dem oben als Mescenreiza bezeichneten Bache, wie bereits erwähnt worden, unweit 26 seiner Einmündung in das Delvenautal, vereinigt, von der Umgebung des etwa 4—5 Kilometer nördlich von dieser Vereinigungsstelle belegenen Gutes Schwanheide ab, in einer flachen, meist 500—800 Meter breiten Senke — in der er auch entspringt, fließt, die sich von hier in fast un- unterbrochenem Zusammenhange 12 Kilometer weit in nördlicher, nur wenig östlich abweichender Richtung über Wendisch-Lieps und Bürgerhof, sowie an Langenlehsten (Lehstener Moor) vorbei bis Besental erstreckt und 1—2 Kilometer nördlich von der Stelle, wo die Delvenau, die sonst in nord- südlicher Richtung strömt, ostwestlich fließt, und etwa 2'/ Kilometer vom östlichen Delvenautalrande entfernt endigt. Der Mühlenbach und diese, jetzt mit Torfmooren erfüllte, ebenfalls zur letzten Abschmelzperiode von einem Schmelzwasserstrome in das Geschiebesandgebiet eingefurchte Senke, welche eine treffliche natürliche Schutz- und Trutzlinie war, könnten im Delvunder-Walde die Grenze zwischen Franken und Slaven gewesen sein. Aus der Nähe des Endes derselben (Neu-Bergholzer Forst) müßte dieselbe dann in ostwestlicher Richtung quer durch das flache Geschiebe- sandgebiet bis zu dem südlichen Delvenau-Talrande (bei Bergholz) weiter verlaufen sein. Bangert ließ den Limes durch die Silva Delvunder zunächst ent- lang der Boize und dann, da ein weiterer Verlauf der Grenze entlang dieses sich zu sehr ostwärts wendenden Flusses dem Wortlaute der Grenz- beschreibung allzusehr widersprochen haben würde, entlang einem Neben- bache derselben, dem Wallmoorbache in nördlicher Richtung bis zu dessen Ursprunge verlaufen. Von letzterem Orte sollte der Limes dann zu der Quelle eines Nebenbaches des Wallmoorbaches im Süden von Langenlehsten und von dort durch das Lehstener Moor zu dem Knie der Delvenau bei Bergholz gegangen sein. Wie man sieht, fällt die von mir angenommene Route des Limes im Delvunder Walde mit der von Bangert angenommenen auf ihrer nördlichen Strecke fast völlig zu- sammen. Im Gegensatz zur Letzteren besitzt sie im übrigen einen ein- fachen, nicht komplizierten Verlauf, so daß man schon aus diesem Grunde geneigt sein könnte, ihr vor jener den Vorzug zu geben. Würde nun aber nicht der Mühlenbach die eigentliche Grenze in der silva Delvunder gebildet haben, so könnte man, in der Erwägung, daß auf der Anfangsstrecke des Limes zwischen der Elbe und dem Bache Mescenreiza, das breite, von Sumpf und Moor erfüllte Delvenautal, eine unwegsame Grenzzone zwischen den Völkern bildete, und daß ferner der Delvunder Wald sich bis an den östlichen Rand des Delvenautales erstreckte, zu der Annahme gelangen, daß die Grenze dem Talrande unmittelbar entlang durch den Wald verlaufen ist oder mit anderen Worten, daß dieser Talrand selbst wie bis zur Mescenreiza, so auch weiterhin bis zum fluvius Delvunder, d. h. bis dorthin, wo derselbe in ost- westlicher Richtung strömt, hier die eigentliche Grenze gewesen ist. In diesem Falle würde auch auf dieser Strecke zwischen den Fran- ken und Slaven durch das 1 bis 1'/, Kilometer breite, infolge der in ihm vorhandenen Sümpfe und Moore schwer oder gar nicht passierbare Delvenautal, ein, natürlichen und vorzüglichen Schutz gewährendes, sie trennendes Gebiet belegen gewesen sein. Erwägt man, daß, falls der Mühlenbach im Delvunder Wald die Grenze gebildet haben würde, die Franken zwischen ihr Gebiet östlich vom Delvenautale und ihr übriges Gebiet das breite unwegsame Delvenau- tal gelegt und sich damit für den Fall eines Rückzuges sehr gefährliche Verhältnisse geschaffen haben würden, so erscheint diese Annahme, daß der östliche Delvenautalrand die wirkliche Grenze geweson ist, vielleicht sogar als die richtigere! — Irgend welche künstliche Grenzbefestigungen auf der Strecke des Limes vom Bache Mescenreiza bis zum Delvunda-Tale scheinen nicht vor- handen gewesen zu sein; sie erscheinen auch überflüssig angesichts des. der Grenze entweder allein durch die Delvenautalsenke oder durch diese zusammen mit der Mühlenbachsenke gewährten natürlichen Schutzes. Auffällig könnte nur erscheinen, daß auch auf der, allerdings nur kleinen, von Natur nicht geschützten Strecke zwischen dem Lehstener Moor und dem Delvenautale keine Befestigungen errichtet wurden! — »Aus dem Walde Delvunder, dem Delvundholze, tritt der Limes an die Delvund-ä, das Delvundwasser heran und zieht an diesem Flusse hinauf bis zur Mündung des Hornbeker Mühlenbaches.« Diese Strecke ist nur eine kurze. Sie ist wiederum eine durch die natürlichen Verhältnisse gegebene. Die Delvenau fließt auf ihr meist am westlichen Rande des hier bis einen Kilometer breiten Tales. Nimmt man den Fluß selbst als Grenzlinie an, so liegt — in diesem Falle auf der Slavenseite — dem Flusse entlang ein, bis 800 Meter breites, von unzugänglichen Mooren erfülltes Gelände, das infolge seiner Unwegsamkeit wiederum einen natürlichen Schutz bot. 2. Der Limes Saxoniae auf der Strecke von Hornbek bis zur Billequelle. »sicque pervenit in Horchenbici et Bilenspring.« In der Annahme, daß Bangert mit der Deutung des Namens Horchenbici als Namen des bei dem Dorfe Hornbek vorbeifließenden Baches, der jetzt nur Mühlenbach genannt wird, Recht hat, und ebenso daß es richtig ist, wenn man annimmt, daß die Grenzlinie, um auf dem kürzesten Wege die Bille und ihre Quelle (Bilenspring) zu erreichen, entlang dieses Baches zieht, folgen wir demselben aufwärts bis zu seinem Ursprunge — und gelangen damit aus der Delvenauniederung auf eine Bodenschwelle, welche sich zwischen derselben und dem Billetale in fast rein ost-westlicher Richtung erstreckt, und deren höchste Erhebungen bis über 80 m ü. M., gegen 40 m über das nach Süden angrenzende Gelände emporragen. In geologischer Hinsicht stellt dieselbe, wie Gagel!) erkannt hat, eine Endmoräne dar, und zwar ist es nach Ansicht desselben die Fort- setzung der von E. Geinitz in Mecklenburg am Südabhange der baltischen Seenplatte nachgewiesenen sog. südlichen Hauptmoräne An sie nach Süden schließt sich das große bis zur Elbe reichende, teils flachwellige, teils völlig flache Geschiebesandgebiet, das Sandrgebiet, an, in welchem hier allerdings noch einige Endmoränestaffeln, bezw. Reste von solchen sich vorfinden. Nach Norden dacht sich diese Schwelle ebenfalls rasch ab, und an sie schließt sich in dieser Richtung bis zur Ostsee die Zone der Hügellandschaft, die hier zunächst bis in die Nähe der von mir früher?) als Fortsetzung der genannten mecklenburgischen südlichen Hauptmoräne westlich des Strecknitztales betrachteten Endmoränenstaffel Breitenfelde, Walksfelde, Ritzerau (bezw. Mannhagen, Poggensee, Ritzerau) als Grundmoränenlandschaft in die Erscheinung tritt. Die Schwelle ist somit die deutliche und markante Scheide „wischen zwei Gebieten von verschiedener Bodenbeschaffenheit und teil- weise auch verschiedener Oberflächengestalt. Wichtiger aber ist vielleicht im Hinblick auf ihre Beziehungen zu einer Grenzlinie, daß sie in hydro- graphischer Hinsicht eine Wasserscheide bildet zwischen den südlich zur Steinau und den nach Westen zur Bille und nach Osten zur Delvenau- niederung fließenden Bächen. Einen natürlichen Schutz bietet sie nicht, vielleicht ist hierauf die Anlage der Befestigung bei Gr. Schretstaken (cf. Bangert, ]. e. pag. 17) zurückzuführen. Bangert wendet sich, um nun von der Quelle des Hornbeker Mühlenbaches auf der Höhe der Schwelle zur Bille zu gelangen, zur Quelle des sich in diese ergießenden Baches Schiebenitz. Wir können ihm folgen, oder bleiben vielleicht zweckmäßiger auf der Wasserscheide und gelangen über die auf ihr belegenen Orte Talkau und Gr. Schret- staken, bereits 1 Kilometer westlich vom Ausgange des letztgenannten Dorfes entfernt an den Talrand einer gegen 2 Kilometer breiten, tiefen, zwischen dieser Bodenschwelle und ihrer westlichen Fortsetzung, dem Gebiete der Hahnheide, befindlichen Mulde, in der die Bille in Nordost- südwestlicher Richtung einherfließt. '!) »Einige Bemerkungen über die obere Grundmoräne in Lauenburg.« Jahrb. d. K. pr. geolog. Landesanstalt für 1903. ?), »Der Verlauf der nördlichen und südlichen Hauptmoräne in der weiteren Um- gebung Lübecks.« Mitteilungen der geogr. Gesellschaft in Lübeck. Heft 16, 1902. 29 Als nächster, auf Horchenbici folgender Punkt des Limes wird Bilenispring genannt. Bilenispring wird fast allgemein von den Limes- forschern mit dem Gebiete, wo die Bille entspringt, in Verbindung gebracht. Während aber Handelmann') diesen Punkt allgemein als Quellgebiet der Bille auffaßte, deuten Andere ganz bestimmte Orte in der Umgebung der Billequelle mit dieser Bezeichnung, so Dührsen den Sirksfelder Wallberge, Beyer Bullenhorst bei Wentorf, Bangert (in beiden Arbeiten) das Dorf Linau, in dessen unmittelbarer Nähe der eigentliche, auf dem Meßtischblatte mit Bille bezeichnete Fluß Bille ent- springt, und endlich ist auch von letzterem, wie bereits früher von Kuss in der Voraussetzung, daß Bilenispring Billequelle heißt und mit dem Hinweis, daß der zweite Teil dieses Wortes, das Grundwort Spring oder Springe als Bezeichnung bewohnter Orte (Lippspringe u. a.) sehr gebräuch- lich ist, auf das nur eine Meile von der eigentlichen Billequelle belegene Dorf Sprenge hingewiesen worden. Je nachdem wir uns nun entschließen, entweder Bilenispring ganz allgemein als Quellgebiet der Bille oder als einen bestimmten bewohnten Ort in dem Quellgebiete, bezw. an einer Quelle derselben aufzufassen, werden wir von dem Orte, bis zu dem wir bisher gelangten, verschiedene Wege einschlagen, Wege, bei denen uns wieder vor allen Dingen die natürlichen Verhältnisse leiten sollen. Indem wir uns zunächst einmal für Sprenge als Ort, unter dem Bilenispring verstanden werden könnte, entscheiden, folgen wir nun, tal- abwärts schreitend zunächst dem Laufe der Bille auf ihrem linken Ufer bis Trittau, indem wir die Bille als Grenzlinie zwischen dem Gebiete der Slaven und Franken betrachten, überschreiten hier diesen Fluß und fol- gen nun seinem, hier in ihn einmündenden Hauptnebenbache, dem Mühlenbache, in gerader Linie nach Norden an Grönwohld und Kl. Schönberg vorbei und von Gr. Schönberg ab seinem westlichsten Quell- bache bis fast zur südlichen Waldgrenze des Forstes Steinburg, kaum 1 Kilometer östlich von Sprenge. Alles Gebiet, was nördlich und östlich dieser Linie belegen ist, also das Gebiet der Hahnheide, das von einer Endmoräne gebildet wird, und das sich nordwärts anschließende, bis in die Nähe einer, die Orte Wentorf und Groß-Schönberg verbindenden Linie reichende, als Grund- moränenlandschaft zu bezeiehnende Gelände, würde den Slaven zuzu- weisen sein, und damit würden fast alle anderen Billequellen, auch die Quelle der eigentlichen Bille ins Gebiet dieses Volkes fallen. Diese Linie ist eine natürliche und ungezwungene Grenzlinie, die für die, mit der Festlegung der Grenze beauftragten Beamten leicht fest- !) »Der Limes Saxoniae in den Kreisen Stormarn und dem Herzogtum Lauenburg.« Archiv des Vereins für die Geschichte des Herzogtums Lauenburg. II. Heft 3. 30 zustellen war; aber abgesehen von der Strecke längs der Bille, steht sie, was ihren Wert als Verteidigungslinie und den Schutz, welchen sie gegen feindliche Überfälle gewähren konnte, anbetrifft, da sich an sie nament- lich auf slavischer Seite keine mehr oder weniger ausgedehnte, unweg- same Gebiete, keine Moore und sumpfige Niederungen anschließen, weit zurück hinter der zweiten Linie, welche wir nunmehr verfolgen wollen, und die uns zwar ebenfalls in durchaus ungezwungener Weise nach Sprenge führen wird, bei deren Verfolgung uns aber die Annahme, daß Bileni- spring ganz allgemein als Quellgebiet der Bille aufgefaft werden kann, leiten möge. Wir begeben uns an unseren Ausgangspunkt am östlichen Tal- rande des Billetales westlich von Groß-Schretstaken zurück. Wiederum steigen wir ins Billetal hinunter, überschreiten nun die Bille und folgen ihrem westlichen Ufer bis zum Orte Billbaum. Hier verläßt die Bille das Linauer Moor, früher Billbrook genannt, das sie auf einer Strecke von 3 bis 4 Kilometer durebflossen hat, und in das sie etwa 1'/, Kilo- meter östlich vom Dorfe Linau, in dessen nächster Umgebung sie ent- springt, eintritt. Das Linauer Moor steht in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Koberger Moor und bildet mit diesem ein zusammenhängendes, großes Moor, das sich in einer Breite von 1 bis 1'/, Kilometer in annähernd süd-nördlicher Richtung bis in die Nähe des 4 Kilometer nördlich vom Orte Billbaum belegenen Sirksfelde erstreckt. Dieses Moor ist aus einem, nördlich der südlichen Hauptmoräne belegenen Staubecken, das in einer späteren Phase der Abschmelzperiode von den Schmelzwassern als Durchzugsbecken benutzt worden ist, hervorgegangen. Bangert folgte der Bille innerhalb dieses Moores und teilte da- durch die östlichen Partien desselben dem Gebiete der Slaven, die west- lichen dem der Franken zu; wir gehen entlang dem westlichen Rande desselben und legen damit das gesamte Moor als ein die Völker tren- nendes Gebiet zwischen dieselben. Auf letzterem Wege kommen wir alsbald ganz in die Nähe von Linau, das ja von Bangert als Bilenispring angesehen wird, und weiter- hin an die Bille dort, wo sie in das Moor eintritt. Von hier ab folgen wir ihr bis zum Gehege 4 des Sirksfelder Zuschlages, da sich erst hier die eigentliche Grenze der moorigen Niederung befindet, und gelangen nun sogleich, die Richtung auf Sirksfelde einschlagend auf eine Boden- schwelle, die den nördlichsten Teil des zwischen der Hahnheide und den Orten Sirksfelde, Wentorf, Groß- und Klein-Schönberg belegenen Gebietes bildet. 31 Am südlichen Abhang dieser Bodenschwelle, die sich im allgemeinen über 60 m ü. M. erhebt, entspringen die verschiedenen Quellbäche des größten Nebenbaches des vorhin erwähnten Hauptnebenbaches der Bille, des Trittauer Mühlenbaches. Nordwärts von dieser Schwelle aber befindet sich eine Reihe, von in ost-westlicher Richtung sich aneinander schlie- Bender, von sumpfigen Niederungen bezw. Mooren (Schönberger Moor) eingenommenen Depressionen. Die östlichste derselben, welche östlich von Sirksfelde belegen ist, schließt sich fast unmittelbar an den nördlichsten Ausläufer des Koberger Moores an. Nach Westen reihen sich daran an, zunächst eine südlich von Sandesneben belegene, etwa 2 Kilometer lange, und 1 bis 1), Kilometer breite Senke (Sandesnebener Mulde); darauf, von jener nur durch eine flache, schmale Landbrücke zwischen Bullen- horst und Wentorf getrennt, die Mulde in der sich das Schönberger Moor befindet, und an diese endlich eine Senke, die sich in ähnlicher, wenn auch nicht in durchweg gleicher Breite, zunächst in ost-westlicher Richtung bis Groß-Schönberg und von dort bis Klein-Schönberg in nord- südlicher Richtung erstreckt. Auf dem Nordrande dieser Senken steigt das coupierte Gelände rasch zu großer Höhe (30 m ü. M.) an. Es ist die Teilstrecke Lüchau- Sandesneben - Franzdor£-Mollhagen des von mir nachgewiesenen und als Teil der südlichen Hauptendmoräne betrachteten Endmoränenzuges. Zwischen Franzdorf und dem Forste Steinburg, südöstlich von Mollhagen, bilden die am höchsten aufragenden Teile dieses Zuges eine sehr auffallende Bodenerhebung in Gestalt eines schmalen, etwa 100 bis 200 m breiten und 10 bis 15 m hohen Walles, der aus zwei rechtwinke- lig aneinander stoßenden, 500 bis 600 m langen, nach beiden Seiten steil abgeböschten Teilen, einem südlich-nördlich und einem ost- westlich streichenden Teile besteht. Auf dem ersteren gibt das Meßtischblatt ein Gehöft »Steinburg« an, das jetzt nicht mehr vorhanden ist. Handel- mann betrachtete zuerst diesen Wall als den Punkt Liudwinestein der Adam’schen Grenzbeschreibung und auch Bangert schloß sich dieser Ansicht an. Im Forste Steinburg verläßt diese Endmoräne ihre bisherige ost-westliche Streichrichtung und wendet sich südwärts, und umgibt als eine, bis 90 m ü. M. sich erhebende und das benachbarte Gelände um über 40 m überragende, nach Osten und Westen rasch sich abdachende Bodenschwelle, die die Wasserscheide zwischen der Bille einerseits und den Zuflüssen der Alster und der Trave andererseits darstellt, das Schön- berger Moor und die moorige Niederung zwischen Groß- und Klein- Schönberg, im Westen. Alle diese Senken, die während der Abschmelzperiode entstanden sind und den Schmelzwassern als Sammel- und als Durchzugsbecken gedient haben, betrachte ich wieder als die Grenzzone zwischen den 32 Gebieten der Slaven und der Franken. Alles Gebiet was also westlich und südlich von ihnen liegt, und in das die eigentliche Bille-Quelle fällt, und die Quellbäche bei Wentorf gehörten demnach zum Gebiete der Franken, alles östlich und nördlich belegene Gebiet zum Lande der Slaven. Auf eine Strecke von 10—11 Kilometer hin würde dadurch wieder zwischen den beiden Völkern ein, zur Zeit der Grenzfestlegung noch größtenteils völlig unwegsames Gebiet, belegen gewesen sein und somit bei der Grenzfestsetzung wiederum dasselbe Prinzip in Anwendung gekommen sein, wie auf der Strecke zwischen der Elbe und dem Bache Hornbek. Bangert läft, den Gemarkungsgrenzen folgend, die Grenze von der Bille nordöstlich von Linau aus, quer durch das südlich der Schwelle Wentorf-Kl.-Schönberg belegene Gelände und den Forst Schönberger- Zuschlag nach Gr.-Schönberg verlaufen und von dort zu dem nördlichsten Quellbache des Trittauer Mühlenbaches. Ein Blick auf die Karte (Meß- tischblatt Trittau) lehrt, daß die Linienführung auf dieser kleinen Strecke nur wenig von der eben angegebenen abweicht, aber die natürlichen Verhältnisse nicht so gut berücksichtigt als diese. Von Befestigungen bezw. Punkten, die möglicherweise früher befestigt gewesen sind, auf dieser Strecke des Limes macht Bangert auf fränkischer Seite, die Feste Linau, die Ziegenhorst im Billbruch bei Linau und den Schloßberg in der Wiese Linauer Oberteich, auf siavischer Seite vor allem den Sirksfelder Wallberg im Forste Sirksfelder Zuschlag am nördlichen Rande des Koberger Moores, der, wie ich früher angegeben habe, eine Endmoränenkuppe ist, den Koberger Wall (früher Silkenborg) im Forste Koberger Zuschlag und den Borstorfer Wall, etwa 500 m südlich von Borstorf, namhaft! — Alle diese Punkte bedürfen noch erst der näheren archäologischen Untersuchung! 3. Der Limes Saxoniae auf der Strecke zwischen der Billequelle und der Trave. — »inde ad Liudwinestein et Wisbircon et Birznig progreditur. Tunc in Horbistenon vadit usque in Travena silvam« — Um nun die Grenze von der südlichen Umgebung von Groß- Schönberg weiter zu verfolgen, können wir entweder wie bereits vorhin dem westlichsten Quellbache des Trittauer Mühlenbaches bis in die Nähe von Sprenge nachgehen, oder uns bis Klein-Schönberg hin noch weiter entlang dem südlichen Muldenrande westwärts wenden und erst zwischen Klein-Schönberg und Dwerkaten am westlichen Ende der Mulde nordwärts abschwenken. In beiden Fällen gelangen wir nach kurzer Entfernung auf die hier südwärts streichende von mir früher als südliche Hauptmoräne betrachtete Endmoräne und damit wieder wie vorhin in die unmittelbare Nähe von Sprenge. Indem wir dann dieser auffälligen Bodenerhebung geraden Weges in nördlicher Richtung folgen, gelangen wir durch den Forst Steinburg hindurch zu dem eben beschriebenen Walle, der als der von Adam von Bremen angegebene Grenzpunkt Liudwinestein betrachtet wird. Wenn es richtig ist, daß die Franken »bei Grenzfestsetzungen ohne Rücksicht auf etwa schon vorhandene Siedelungen und Kulturen, die unveränderlichen und immer wieder auffindbaren natürlichen Punkte und Linien der Erdoberfläche, Flußläufe, Mündungen, Quellen, Bodenfalten, Wasserscheiden, Felsen und andere Landmarken« benutzt haben — so ist dieser Punkt, der Wall Liudwinestein ein solcher Punkt, eine solche Landmarke, denn in der ganzen Gegend zwischen Trave und Bille gibt es keine zweite derartige charakteristisch gestaltete und auffällig in die Erscheinung tretende Bodenerhebung. Hinzu kommt, daß dieser Wall eine der höchsten Bodenerhebungen überhaupt des ganzen Gebietes darstellt, der allseitig frei gelegen, fast überall hin eine freie Aussicht gewährt. Auch sein geologisches Verhalten, sein Reichtum an Steinen und Felsen, die, obwohl bereits zahlreiche von ihnen in früherer Zeit entfernt worden sind, noch jetzt überall in seinen obersten Schichten zu finden sind, macht ihn zu einer markanten, leicht auffindbaren Landmarke. Zudem bot dieser Steinreichtum auch mühelose Gelegenheit zur Befestigung des Walles, und es scheint hier in der Tat, wie der Name Steinburg andeutet, eine solche bestanden zu haben. Ich kann mich auf Grund dieser natürlichen Verhältnisse nur der Ansicht Handelmanns und Bangerts anschließen, daß dieser Wall als der Grenzpunkt Liudwinestein zu betrachten ist. Wenige Schritte ostwärts führen uns an das Ufer des längsten und am weitesten nach Norden reichenden Quellbaches des Trittauer Mühlen- baches. Bangert folgt demselben, um zu den Punkten Wisbircon und Birznig und von dort zur Beste (Horbestenon) zu kommen. Auch wir folgen ihm, indem wir aus dem Talgrunde wieder bergan schreiten auf eine, ebenfalls hoch über ihre östliche und westliche Um- gebung sich erhebende und nach Norden zum Bestetal allmählich sich abdachende, mehrere Kilometer breite Bodenschwelle, welche wiederum eine Wasserscheide darstellt, nämlich die zwischen den Zuflüssen der Barnitz und der Süderbeste. Auf dieser Schwelle liegt, zum Teil in SO m ü. M. Höhe, Eichede, das höchst gelegene Dorf zwischen Lübeck und Hamburg, welches Bangert als das Wisbircon der Grenzbeschreibung Adam’s von Bremen zu deuten geneigt ist, und weiter nördlich, wieder 40 m tiefer, am westlichen Abhange der Schwelle, Barkhorst, das aller Wahrscheinlichkeit nach, wie Bangert meint, der slavische Name für den Ort Birznig ist. Indem ich auch diese Annahme Bangerts zu der 34 meinigen mache, betrachte ich diese, über das angrenzende Gelände weit- hin, besonders von Westen her, sich als eine deutliche Landmarke zu er- kennen gebende Bodenschwelle als die Gegend, über die hinweg die Grenzlinie vom nördlichsten Quellbache des Trittauer Mühlenbaches in die Umgegend von Barkhorst und von hier zur Quelle eines in dieser Gegend entspringenden und zur Südbeste fließenden Baches, sich hinzog. Zwei Bäche kommen besonders in Betracht, entweder der zwischen Krumbeck und Barkhorst entspringende Sulzbach, oder ein kleiner namen- loser Bach, dessen Quelle sich zwischen Barkhorst und Lasbek befindet. Der Letztere stellt den kürzeren Weg zur Süderbeste dar. Wir folgen nun weiterhin mit Bangert der Süder-Beste bis zu ihrer Mündung in die Norder-Beste. So trefflich sich auch dieses Gebiet, das im wesentlichen als Teil einer Grundmoränenlandschaft zu betrachten sein dürfte, insofern es als ein markant über seine nächste Umgebung emporragendes Gelände und als ein Wasserscheidengebiet den, von den Franken bei Grenzfestsetzungen berücksichtigten Prinzipien entspricht, zur Führung einer Grenzlinie eignet, einen natürlichen Schutz bietet es nicht und scheint auch für Verteidigungszwecke nicht besonders geeignet. Es muß jedoch darauf aufmerksam gemacht werden, daß wenige Kilometer westlich, also im Grenzgebiete der Franken, die Beschaffenheit des Geländes von Todendorf westlich von Mollhagen ab nordwärts bis zum Bestetal hin, eine zur Verteidigung recht geeignete ist und natürlichen Schutz in reichem Maße bieten konnte, denn eine doppelte Reihe von jetzt vertorften, in früherer Zeit noch von Sumpf erfüllten Senken, fügt sich hier in einem flachwelligen Gelände, in der Umgebung der Orte Hammoor (das schon durch seinen Namen — »Ham« — »Verhau« — auf eine Verteidigungsstätte hindeutet), Vorburg-Tremsbüttel und Fischbeck in süd-nördlicher Richtung und in einem Abstande von '/,—1 Kilometer Entfernung aneinander. Auch die Strecke der Grenzlinie von der Quelle des Nebenbaches der Süder-Beste bei Lasbek bis zur Einmündung der Süder-Beste in die Norder-Beste erhält durch eine solche Beschaffenheit des nach Westen sich anschließenden Geländes einen weiteren Schutz zu demjenigen, der ihr schon durch das schmale aber tief und steilwandig einschneidende Süder-Bestetal gewährt wird. Entlang der aus der Vereinigung der Süder- und Norder-Beste hervorgegangenen Beste ‚verläuft die Grenze (wenn wir uns wieder mit der Bangert’schen Deutung des Textes der Grenzbeschreibung »tune in Horbestenon vadit usque in Travenna silva« — »alsdann läuft er in der Horbeste bis in den Travenwald«, einverstanden erklären) nun zu- nächst bis zur Trave bei Oldesloe, und dann im Travewald weiter bis zu dem nord-östlich von Segeberg belegenen Orte Blunk, der fast allgemein von den Limesforschern als der Ort Bulilunkin der Grenzbeschreibung angesehen wird. Die Beste fließt auf der Strecke bis Oldesloe hin zunächst für einige Kilometer in einem 1 Kilometer breiten Tale, das von Torfmooren erfüllt ist, in west-östlicher Richtung und wendet sich, 1 bis 1'/g Kilometer südlich von Oldesloe, nachdem sie die Barnitz aufgenommen hat, nach Norden zur Trave. Während auf der ersten Strecke wieder die weiten moorigen, den Fluß begleitenden Niederungen einen natürlichen Schutz bieten und ein natürliches Scheidegebiet darstellen, fehlen solche, wenigstens solche von größerer Ausdehnung, auf der letzten Strecke zu den Seiten der Beste. Im Tal der Barnitz und ihrer Nebenflüsse aber, in der südlichen und östlichen Umgebung von Oldesloe bis zur Trave hin, sind sie wieder vorhanden. Ebenso erstreckt sich auch im Norden der, aus dem Moränen- selände durch den eigenartigen Lauf der Beste und der Trave hier herausgeschnittenen Hügel, auf denen die älteren Stadtteile von Oldesloe erbaut sind, zahlreiche, meist in Zusammenhang stehende Depressionen, die größtenteils von jetzt mit Wiesen bedeckten Mooren erfüllt sind. Kaum einen Kilometer nordwestlich erweitert sich dann. bereits das Travetal wieder zu ähnlicher Breite wie das Bestetal und auch hier füllen ebenfalls wieder weite moorige Niederungen dasselbe aus. Es ist von mir darauf hingewiesen worden, daß, als sich das abschmelzende Inlandeis östlich von Oldesloe befand, die Schmelzwasser desselben sich nicht nach Süden und Osten wenden konnten, sondern sich westwärts zur Elbe wenden mußten. Die Erosion der Schmelzwasser, die im Travetal und aus diesem sich durch das Bestetal über die zwischen Sülfeld und Borstel in 25 bis 30 m Meereshöhe belegene Wasserscheide hinweg zum Alstertale wandten, dürften an der Herausgestaltung des so stark zerklüfteten Oberflächen -Reliefs in der Umgebung von Oldesloe mitgewirkt haben. Gewährten somit die natürlichen Verhältnisse in der Umgebung von Oldesloe bereits der Grenze einen vortreflichen Schutz, so zeigen die Bangert’schen Schilderungen andererseits, wie sehr sich die Franken dieselben bei Anlegung von Grenzbefestigungen — vorausgesetzt, daß dieselben tatsächlich von ihnen herrühren — in dieser Gegend zu Nutze gemacht haben. 36 4. Der Limes Saxoniae auf der Strecke zwischen der Trave und dem Plöner See. »sursumque per ipsam in Bulilunkin; mox in Agrimeshov, et recto ad vadum, quod dicitur Agrimeswidil, ascendit. Ubi et Burwido fecit duellum contra eampionem Sclavorum, interfecitque eum: et lapis in eodem loco positus est in memoriam. Ab eadem igitur aqua sursum procurrens ter- minus in stagnum Colse vadit; sicque ad orientalem campum venit Zuenti- feld, usque in ipsum flumen Zuentinam, per quem limes Saxoniae usque in pelagus Scythicum et mare quod vocant orientale delabitur.« Von Oldesloe zieht die Grenze, wie bereits erwähnt worden ist, durch den Travewald weiter. Es ist angenommen worden, daß dieser Wald die Trave auf beiden Seiten begleitete, und die größere Anzahl der Limesforscher hat die Trave als die Linie angesehen, entlang der die Grenze durch den Wald hinauf nach Norden zog. | Nur A. Gloy') verlegte auf Grund des Nachweises, daß die West- grenze der Verbreitung des Slavischen Dorftypus genau mit der des Geschiebelehms abschließt, die Grenze noch weiter westwärts, indem er den Westrand der Silva Travenna, welcher bis an die Grenze des Geschiebe- lehms herangereicht zu haben scheint, für identisch mit dem Limes hielt. Darnach würde der wenige Kilometer breite Streifen der Hügelland- schaft zwischen dem westlichen Rande des Travetales und dem weithin flachen Geschiebesandgebiete, indem entlang, meist hart am Travetalrande die südliche Hauptendmoräne von Vinzier bei Nütschau bis in die Gegend von Segeberg verläuft, noch zu dem Gebiete der Slaven gehört haben. Erwägt man nun aber, daß die Grenze zwischen dieser Hügelland- schaft und dem nach Westen angrenzenden, in außerordentlich großem Umfange von Mooren bedeckten Geschiebesandgebiete, obwohl sie eine natürliche Scheide zwischen zwei Gebieten von verschiedener Boden- beschaffenheit darstellt, keinen geraden, sondern wie ein Blick auf die Karte lehrt einen höchst unregelmäßigen Verlauf hat und somit der Fest- legung des Limes außerordentliche Schwierigkeiten bieten mußte, wird man nicht umhin können, die Trave als die Linie, entlang der derselbe durch den Travewald nach Norden weiter ging, zu betrachten. Das Travetal durchsetzt von Nütschau ab in gerader nördlicher Richtung die Hügellandschaft bis 4 Kilometer nördlich von Segeberg. Bis in die Gegend von Högersdorf bildet das Tal hier meistens eine steilwandig eingeschnittene, gegen 1 bis 1!/, Kilometer breite, nur an wenigen Stellen mehr verengte Rinne, in welcher wiederum, wie auch von Bangert bereits hervorgehoben worden ist, meist auf beiden Seiten Torf- moore in verschiedener Breite den Fluß begleiten. Von Högersdorf bis zur Einmündung der Brandsau westlich von Groß-Rönnau, woselbst die von Osten aus dem Warder-See kommende Trave sich plötzlich nach Süden wendet, ist das Tal nicht mehr so breit, aber immer noch meistens 200 ‘) »Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens«.. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. 7. Band, Heft 3. 37 bis 300 ın breit, ebenfalls von Mooren erfüllt und auf längere Erstreckung hin tief und steil in das umgebende Gelände eingeschnitten. Das Travetal bildet also auf dieser Strecke nicht nur eine leicht festzusetzende Grenze, sondern auch eine feste Schutz- und Trutz-Linie. (Vgl. auch Bangert I, pag. 9 u. 30.) Die von Bangert auf dieser Strecke des Limes entlang der Trave erwähnten mutmaßlichen fränkischen Anlagen und Befestigungen bei Tralau, zu denen vielleicht noch ein von Jellinghaus!) angegebener, südlich von Wittenborn am Mözener See belegener künstlicher Erdwall »die Oldenburg« gehört, liegen auf dem, zwischen der Trave und dem Geschiebesandgebiete sich erstreckenden schmalen Teile der Hügelland- schaft, der nördlich von Segeberg zwischen Fahrenkrug und Schacken- dorf in eine nur noch 1 bis 1'/ Kilometer breite höhenzugartige Schwelle ausläuft und in dem, wie bereits bemerkt worden ist, die südliche Hauptmoräne entlang zieht. Aus dem Südende des inmitten der fruchtbaren Hügellandschaft belegenen Plöner See’s führt, wie ich früher schon angegeben habe, ein namentlich in seinen östlichen Teilen auffallend tief eingeschnittenes, meist gegen 1 Kilometer breites Tal an Tensfeld, Muggesfelde, Blunk, Petluis und Daldorf vorbei und von dem ersten dieser Orte ab im Grenz- gebiete zwischen der Hügellandschaft und dem Geschiebesandgebiete, bis in die Gegend von Ricklingen, wo sich die Wasserscheide zwischen der Nordsee und der Ostsee befindet, und geht hier in die weite, flache Talsenke, in welcher die Radesforder-Au und die Rotmühlenau, durch deren Zusam- menfluß die zur Stör fließende Oster- Au entsteht, dahin strömen, über. Dieses Tal, daß im folgenden als Tensfelder Erosionstal bezeichnet werden möge, und zudem eine Reihe von Punkten der Grenz- beschreibung (Blunk, Agrimeshov, Agrimeswidil) auffällige Beziehungen hat, diente den Schmelzwassern, als das Inlandeis noch den größten Teil des östlichen Holsteins bedeckte, neben andern Tälern (u. a. dem Travetale) zum Abfluß nach Westen und verdankt der Erosionstätigkeit dieser seine Entstehung; jetzt fließt in demselben die Tensfelder Au in umgekehrter Richtung in den Plöner See, und seine breite Talsohle ist von Torfmooren erfüllt. ?) ') »Vorgeschichtliche Grabstätten und geschichtliche Dörfer um Segeberg.« Mittei- lungen des anthropolog. Vereins in Schleswig-Holstein. Heft 12. 1899. ?) Ich habe früher angenommen, daß, da der Wasserspiegel des Plöner See’s sich jetzt in 21,» Meter Meereshöhe, die Wasserscheide am westlichen Ende des Tensfelder Erosionstales in der Gegend von Ricklingen aber in 35—40 Meter Meereshöhe sich befindet, ein bedeutender Aufstau der Schmelzwasser im Plöner See und im Erosionstale nötig gewesen sei, um den Abfluß derselben nach Westen zu ermöglichen. Es befinden sich nun zweifellos an den Ufern des Plöner See’s Terrassen, welche darauf hindeuten, daß zu verschiedenen Malen ein Aufstau des Wassers 38 Zwischen ihm und dem Travetale, dort wo die Trave sich zwischen Groß-Rönnau und Hamdorf plötzlich südwärts wendet, besteht eine Ver- bindung in Gestalt einer gegen einen Kilometer breiten, flach in das Geschiebesandgebiet eingeschnittenen moorigen, vertorften Senke, in der die Brands- Au zur Trave strömt. Mit Bangert und andern Forschern folgen wir diesem Brands- Autale und dem Tensfelder Erosionstale, indem wir letzteres bei Ham- dorf, das etwa 2 Kilometer östlich von den bei Negernböttel von Bangert angegebenen Befestigungen liegt, überschreiten, seinem west- lichen bezw. nördlichen Ufer entlang gehen und auf diese Weise wiederum zwischen die Völkerstämme ein unwegsames Gebiet als Scheide legen — und gelangen nach kurzer Zeit in die Gegend gegenüber von Blunk. In seiner ersten Arbeit ließ Bangert hier ebenfalls die Grenze dem Erosionstale entlang ziehen. Da aber in diesem Falle Blunk, welches auf dem gegenüberliegenden östlichen Talrande liegt, im Gebiete der Slaven belegen gewesen sein würde, die bisher in der Grenzbeschreibung vorkommende Orte aber nach seiner Ansicht alle auf fränkischem Gebiet gelegen waren, so neigt er jetzt zu der Annahme, daß die Grenze östlich von Blunk herum geführt habe. in demselben stattgefunden hat, der Umstand aber, daß die Sohle des Tensfelder Erosionstales sich jetzt in von Westen nach Osten geneigter Lage befindet, erfordert eine andere Erklärung der Entstehung dieses Tales. Wenn man, wie in der Einleitung angegeben worden ist, erwägt, daß am Schlusse der Eiszeit und während der folgenden Perioden der Postglacialzeit bis zur Litorinazeit hin, das östliche Küstengebiet Schleswig-Holsteins weit höher als jetzt lag und sich erst in dieser Zeit, und zwar, wie an den meisten Föhrden zu konstatieren ist, von der Grenze zwischen der Hügellandschaft und der Geschiebesandlandschaft ab nach Osten absenkte, so liegt es nahe zu schließen, daß die Senkung der östlichen Teile Holsteins auch in dieser Gegend bis zur Wasserscheide zwischen Ostsee und Nordsee gereicht habe und daß, wie das übrige östliche Holstein auch das Gebiet zwischen dem Plöner See und der Wasserscheide zur Abschmelzperiode ein umgekehrtes Gefälle besaß. Durch solche Annahme wird eine richtigere und ungezwungenere Erklärung der Ent- stehung des Tensfelder Erosionstales durch die Erosion der Schmelzwasser auch ohne Aufstau ermöglicht. = Es ist hier nicht der Ort näher auf die Entwickelung der jetzt bestehenden hydrographischen Verhältnisse in den östlichen Teilen Schleswig-Holsteins in der Postglacialzeit einzugehen, ich werde in meiner Schrift: »Der baltische Höhenrücken in Schleswig und die Entstehung der Föhrden« hierauf noch näher zurückkommen, nur soviel sei erwähnt, daß auch das Kosautal und das Schwen- tinetal am Schlusse der Eiszeit und in den ersten Abschnitten der Nacheiszeit ein anderes Gefälle hatten und, daß die Annahme berechtigt erscheint, daß erst infolge der zur Litorinazeit stattgehabten Senkung die Schwentine, deren Tal- furche bereits den Schmelzwassern zum Abfluß nach dem Plöner See hin gedient hatte, sich nach Osten zur Ostsee gewandt hat. 39 Blunk liegt auf einem 3 bis 4 Kilometer langen und 2 bis 3 Kilo- meter breiten, allseitig ziemlich rasch sich abdachenden Teile der Hügel- landschaft, der im Westen und Norden durch das gegen 1 Kilometer breite Tensfelder Erosionstal von dem Geschiebesandgebiete und im Osten durch den, bis 300 Meter breiten Blunker-See und durch den westlichsten, langgestreckten Teil des Warder-See’s und dessen sich weiter nach Nord- Westen fortsetzender Talmulde abgetrennt wird. Im Süden scheidet eine flache, schmale, zum Teil mit Torfmoor erfüllte, vom Brandsau-Tale bis in die Nähe des Warder-See’s reichende Senke, in der ein kleiner Graben zu ersterer sich hinzieht, die Umgebung des Ortes von der Hügelland- schaft. Entlang der letzteren und dem Blunker See ist Bangert geneigt die Grenzlinie zu ziehen. Es ist hiergegen geltend zu machen, daß, abgesehen davon, daß diese letztere Linie weitaus weniger Schutz bietet und weit weniger zur Verteidigung geeignet ist, doch auch die Travena Silva und die Silva Delvunder nicht ausschließlich auf der Franken-Seite der Grenze sich befinden, sondern auch auf slavischer Seite, da ja in beiden Fällen — falls nämlich die Grenze in der Silva Delvunder in der von Bangert angenommenen Weise verliet — der Limes durch sie hindurchzieht. Auch ist zu erwähnen, daß wenn man die Bangert’sche Linien- führung als die richtige anerkennen könnte, die Franken zwischen sich und ihr übriges Gebiet das weite und unpassierbare Moor des Tensfelder Erosionstales, im Norden und Nordwesten von Blunk gelegt haben würden. Nach alledem halte ich es für richtiger, wenn man das Nordufer als zum fränkischen, das Südufer des Erosionstales, mitsamt dem Orte Blunk, als zum slavischen Gebiete gehörig betrachtet, und nun sich weiter auf demselben Talrande nordwärts wendet. »Mox in Agrimeshov et recto ad vadum, quod dieitur Agrimeswidil, ascendit.« Bangert gibt an, daß die Meisten von denjenigen, welche sich mit dem Namen Agrimeshov beschäftigt haben, in ihm die Bezeichnung eines Flusses, der heutigen Tensfelder Au, erblicken und das die letztere bei Hel- mold I, 75 und 63 ohne Zweifel Agrimesou heißt. Aus sprachlichen Gründen kann er dieser Ansicht aber nicht beipflichten, sondern faßt hov im Namen Agrimeshov als Hof auf und deutet das Wort als Hof einer Person namens Agrim und vermutet, daß das heutige Tensfeld dieser Ort ist. Wenn man nun berücksichtigt, daß die Tensfelder Au auch später wirklich Agrimesou geheißen hat und ferner sich frägt, ob nicht das hov im Worte Agrimeshov aus hoved abgekürzt sein kann, also dasselbe bedeuten würde wie das hoved (Haupt, Ursprung) in dem Namen des nahegelegenen Bornhöved '), so kann man zu der Meinung gelangen, daß Agrimeshov nichts anderes bedeutet als »Ursprung des Baches Agrimes«. ') A. Sach, Geographie der Provinz Schleswig-Holstein. 40 Dem Wortlaut der Beschreibung »mox (nämlich von Blunk aus) in Agrimeshov« würde hierdurch am besten entsprochen, da in der Tat die Quelle der Agrimesou, in der Nähe von Blunk, in dem nach Norden angrenzenden Moor sich befindet. Für diese Annahme spricht außerdem vielleicht noch der Umstand, daß noch jetzt ein Teil des Moores, nahe der Quelle der Agrimesou, Kremser Moor heißt, ') und endlich, daß, falls der Punkt Agrimeswidil (widil — vadum) der Grenzbeschreibung als der, noch heute dort vor- handene Übergang über das breite Erosionstal zwischen Mugeesfelde und Tensfeld zu gelten hat, und ferner die Annahme Bangert's, daß unter Agrimeshoy das heutige Tensfeld verstanden werden muß, richtig ist, zwei Ortsangaben — was doch höchst unwahrscheinlich wäre — 3 ‚sich auf ein und dieselbe Stelle beziehen würden. Um eine solche — im übrigen auch nach seiner Meinung unnötige — doppelte Ortsangabe in der Beschreibung der Grenze erklären zu können, neigt Bangert der Ansicht zu, daß dieser Ort in der Grenzbeschrei- bung noch deshalb besondere Erwähnung gefunden hat, weil der hier statt- gehabte, von Adam angegebene Zweikampf zwischen Burwido und einem Slaven besonders hervorgehoben werden sollte. Auf Grund dieser Erwägungen halte ich es für zweckmäßiger und richtiger, Agrimeshov etwa als die Quellgegend der Tensfelder Au zu betrachten, und führe die Grenzlinie weiter an Tensfeld (Agrimeswidil) vorbei, immer dem nun sich verschmälernden, aber namentlich auf der Nordseite ungemein steil abgeböschten und tief eingesägten Erosionstale entlang bis in die Nähe von Hornsmühlen. Hier verengert sich plötzlich das Erosionstal bis auf wenige hundert Meter, und mündet nach etwa ') Da aber andere Teile des Moores ebenfalls nach nahegelegenen Orten der Um- gebung (Muggesfelde, Tarbek) Muggesfelder- und Tarbeker Moor heißen, so erscheint es auch nicht unmöglich, dab dieser Teil des Moores nach dem nahe am Warder-See belegenen Orte Krems heißt. Übrigens ist auch der Ort Krems mit dem Limes in Verbindung gebracht worden, ebenso wieder Grimmelsberg bei Tarbek. Würde man Krems als einen Ort, den der Limes passierte, betrachten, so würde der Limes etwa der Linie folgen, die Bangert in der südlichen Umgebung von Blunk annimmt, nur mit dem Unterschiede, daß sie dort, statt direkt an den Blunker See zunächst nach Krems am Warder-See und von dort weiter zum Blunker See geführt hätte. Würde der Grimmelsberg bei Tarbek ein Ort der Grenzlinie gewesen sein, so würde sich dieselbe vom Tensfelder Erosionstale, nördlich von Blunk, quer durch das flache Geschiebesandgebiet bis zu diesem Berge fortgesetzt haben, und von demselben, um Agrimeshov und Agrimeswidil zu erreichen, wieder durch dasselbe Gebiet zu dem Erosionstale geführt haben, eine Linienführung die, da sie, wie ein Blick auf die Karte lehrt, jeglichen Schutzes entbehrt und die natürlichen Verhältnisse garnicht berücksichtigt, kaum ernstlich in Betracht gekommen sein dürfte. 41 1 Kilometer Entfernung in die, die Fortsetzung der Plöner Seemulde nach Süden bildende trichterförmige, von Moor erfüllte Mulde, woselbst sich die Teensfelder Au in drei Arme, die Nehmtener Binnen-Au, die Scheide-Au und die Pehmer Binnen-Au, teilt. Eine etwa 200 Meter breite, auf 35 bis 40 Meter ü. M., auf 6 bis 11 Meter über dem Wasserspiegel der Tensfelder Au sich erhebende Schwelle, trennt das Erosionstal hier (d. h. bei Hornsmühlen) von der Mulde, in der der Stocksee eingebettet liegt, der sich in südwest - nord- östlicher Richtung parallel dem Tensfelder Erosionstal erstreckt und kaum einen Kilometer nördlich von Hornsmühlen einen Abfluß zur Nehmtener Binnen-Au und damit zum Plöner See besitzt. Während die Limesforscher größtenteils geneigt sind, den Stagnum Colse (»ab eadem igitur aqua — nämlich der Agrimesä — sursum pro- currens terminus in stagnum ‚Colse vadit«) als den Plöner See zu betrachten, weist Bangert darauf hin, daß Colse nur die slavische Übersetzung des Namens Stocksee ist und nimmt daher auch an, daß dieser dem Stagnum Colse der Limesbeschreibung entspricht. Ich kann dieser Ansicht nur beitreten, zumal hierdurch, d. h. in- dem der See zwischen die beiden Völker gelegt wird, die Grenze noch einen ganz besonderen Schutz erhält, und nehme dementsprechend an, daß dieselbe von Hornsmühlen ab über die erwähnte schmale Schwelle hinweg, um den südlichen, den westlichen und nördlichen Teil des Stock- sees herum gezogen worden ist. Vom Stagnum Colse ging der Limes »ad orientalem campum Zuenti- feld« und von diesem zur Schwentine und dieser entlang zur Ostsee, Da nun nach Helmold das Zuentifeld (Zuentinefeld) von der Schwale bei Neumünster bis zum Plöner See reichte, so ist Bangert der Ansicht, daß »orientalem campum Zuentifeld« als das Westufer des Plöner Sees zu betrachten ist, und führt daher den Limes von dem. Stocksee aus auf der Gemarkungsgrenze der Dörfer Stocksee und Dersau einerseits und Nehmten und Sepel andererseits bis zu diesem Ufer, — Vielleicht erscheint es richtiger, die Grenze vom Dorfe Stocksee aus wiederum am Ufer des Stocksees entlang bis zu der Stelle wo, wie erwähnt wurde, der Stocksee einen Ausfluß zur Nehmter Binnen-Au besitzt, dann weiter diesem Bache und der westlichen Umsäumung des Deltas entlang unmittelbar bis Nehmten zu ziehen. Dadurch würde auch hier wieder dieses breite unzugängliche Gebiet als Grenzscheide zwischen den Völkern sich ausgebreitet haben. — Befestigungen sind auf der ganzen Strecke zwischen Negernbötel und dem Plöner See nicht vorhanden; sie erscheinen wiederum überflüssig, angesichts des ausgezeichneten Schutzes, der dem Gebiete hier durch das unwegsame Tensfelder Erosionstal geboten wurde! Dem westlichen Ufer des Plöner Sees entlang führte die Grenze weiter zur Schwentine und an derem südlichen Ufer entlang bis zur 42 Kieler Bucht, Wenn irgendwo auf der ganzen, von dem Limes durch- zogenen Strecke, so gelangt hierselbst zum Ausdruck und bedarf nicht der weiteren Beschreibung und Hervorhebung, dass natürliche Verhältnisse, welche leicht zu erkennen und festzustellen waren, und die zugleich dem Gebiete der Franken einen natürlichen Schutz gegen eine Invasion der Slaven gewähren konnten, bei der Festsetzung der Grenze zu den maßgebenden Faktoren gehört haben dürften. — Fassen wir nun die Resultate, die sich uns bei der Untersuchung der oben gestellten Fragen ergeben haben kurz zusammen, so kann nach den Darlegungen nicht zweifelhaft erscheinen, daß bis auf wenige kurze Strecken, die natürliche, durch die topographischen und geologischen Verhältnisse bedingte Beschaffenheit der von der Grenze durchzogenen Gebiete dieser, auch ohne künstliche Befestigungen, bereits größtenteils einen guten Schutz bieten mußte. Auch die Frage, ob nicht bei der Wahl der Führung der Grenz- linie ein solcher, durch die natürliche Beschaffenheit des Geländes gewährter Schutz, sowie andere bestimmte, durch die Art und Gestalt des Grund und Bodens des Landes gebotene Merkmale von Bedeutung gewesen sind, dürfte ebenfalls in bejahendem Sinne zu beantworten sein, denn nicht nur hat es den Anschein, als habe es als ein Prinzip bei der Festsetzung des Limes gegolten, mehr oder weniger breite Strecken un- wegsamen Gebietes, welche ein natürliches Bollwerk darstellten, oder, wo dieses nicht vorhanden war, wenigstens Gewässer, Flüsse und Bäche zwischen die Völker als ein sie scheidender und zugleich Schutz gewäh- render Faktor zu legen, sondern es dürften hierbei auch Gebiete, welche wie der Wall, der vermutlich der Punkt Luidwinestein der Grenz- beschreibung ist, und wie die zwischen dem Delvenautale und dem Bille- tale sich erstreckende Bodenschwelle, auf der Klein- und Groß-Schret- staken belegen sind und die Bodenschwellen, auf der die Dörfer Sprenge und ferner Fichede und Barkhorst sich befinden, durch ihr topographisches oder geologisches Verhalten oder auch beides zusammen sich als charak- teristische, leicht auffindbare Landmarken erwiesen, in hervorragendem Maße berücksichtigt worden sein. Für die Richtigkeit dieser Ansicht scheint auch besonders die Tatsache zu sprechen, daß der von mir, in Voraussetzung der Richtigkeit der von Bangert gedeuteten Ortsbezeichnungen der Grenzbeschreibung, im wesentlichen auf Grund der angeführten Gesichtspunkte festgestellte Verlauf der Grenze, abgesehen von kleineren Strecken und einer etwas orößeren Strecke, zwischen der Elbe und der Delvundä, mit dem von Bangert auf Grund anderer Prinzipien festgestellten Verlaufe des Limes völlig übereinstimmt. 43 II. Die Beziehungen des Dannewerkes zur Topographie und Geologie seiner Umgebung. Mit einer Karte. Daß bei der Wahl für die Anlage des »nordischen Limes«, des Dannewerkes, und zwar sowohl bei der Wahl der Gegend des Landes, in der er sich befindet, im allgemeinen, als auch bei der Errichtung der einzelnen Teile desselben im besonderen, die Beschaffenheit der natür- lichen Verhältnisse der Umgebung eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, ist auch, ohne daß man die Gegend von Augenschein kennt, schon aus den topographischen Karten so deutlich zu erkennen, daß es nur selbstverständlich ist, wenn mehr oder weniger alle Beschreibungen dieses Befestigungswerkes der Bodenbeschaffenheit seiner Umgebung gedenken. Wenn ich im folgenden mich nochmals der Aufgabe unterziehe, die Beziehungen des Dannewerkes zur Topographie und Geologie seiner Um- gebung darzustellen, so geschieht es, weil dieses in eingehender Weise meines Wissens überhaupt noch nicht stattgefunden hat, und weil ich in der Lage bin, hierbei die neuesten Ergebnisse der geologischen Forschung zu benutzen, Forschungen, durch die die Bildung und die Beschaffenheit des Reliefs der im auffälligen Gegensatz zu einander stehenden, starkhügeligen, die Schlei unmittelbar im Westen umgebende Landschaft und der flachen, auf große Erstreckungen hin mit Mooren bedeckten, nach Westen sich anschließen- den Landschaft, sowie die Entstehung der merkwürdigen, hierselbst befind- lichen, zu der Schlei in auffälliger Beziehung stehenden Täler, welche uns teils als Trockentäler entgegentreten, teils aber auch von sumpfigen Niederungen umgebene Wasserbecken enthalten, und zwischen denen gerade das Dannewerk sich erstreckt, erst eine natürliche Erklärung gefunden haben und dem rechten Verständnis näher gebracht worden sind. Die Hügellandschaft Schleswigs, deren Oberflächenrelief wiederum im wesentlichen durch Endmoränen- und Grundmoränenlandschaften gebildet wird, zeigt gegenüber der von Holstein einige bemerkenswerte Unterschiede. Während die orographischen Verhältnisse hier wie dort im allge- meinen dieselben sind, (es sei denn, daß im Schleswigschen die Hügel 44 nicht mehr so große Höhen erreichen, wie im Holsteinischen) so beste- hen Unterschiede hauptsächlich im Hinblick auf die räumliche Aus- dehnung der Hügellandschaft und besonders hinsichtlich der hydrogra- phischen Verhältnisse. In ersterer Hinsicht ist zu erwähnen, daß die Breite der Schleswig- schen Hügellandschaft, d. h. ihre Ausdehnung von Osten nach Westen, hinter derjenigen Holsteins in manchen Teilen, so besonders zwischen der Haderslebener Föhrde und der Apenrader Bucht und zwischen letz- terer und der Flensburger Föhrde, falls man nicht Alsen, was aber rich- tiger ist, als noch zum Höhenrücken gehörig betrachtet, beträchtlich zurückbleibt. In hydrographischer Hinsicht aber macht sich das Fehlen der Seen, welches freilich nur ein scheinbares ist, auffällig bemerkbar, so daß man zu der Annahme gelangen könnte, daß dieser Teil des Höhenrückens die Bezeichnung einer Seenplatte nicht mehr verdient, eine Bezeichnung, die — wie nebenbei bemerkt sein mag — ihm L. Meyn, freilich aus anderem Grunde, auch in der Tat nicht zu Teil werden lassen wollte. An ihre Stelle treten hier die mannigfach gestalteten Meeresbuchten, die Föhrden, die diesen Teil des baltischen Höhenrückens in besonders reicher Weise gliedern und ihm ein ganz eigenartiges Gepräge verleihen. Wie die Flensburger und Apenrader Föhrde dringt auch die Schlei bis nahe an den westlichen Rand der Hügellandschaft heran. Nur ein etwa 5 Kilometer breites Stück der letzteren, die hier als ein stark cou- piertes Gelände in die Erscheinung tritt, umgibt als ein schmaler Gürtel das westliche Ende dieser Föhrde. Der westliche Saum derselben, an der Grenze gegen das weite, nach Westen bis zum Geestrande sich erstreckende und ein flachwelliges oder ganz flaches Gelände dar- stellende Geschiebesandgebiet, wird durch einen Teil des von Gottsche') von der dänischen Grenze bis zur Neustädterbucht nachgewiesenen Endmoränenzuges gebildet. Als eine endmoränenartige Bildung sprach bereits auch Haas°) die Hüttener Berge und die Duvenstädter Höhen, einen schmalen höhenzugartigen Teil der Hügellandschatt, der sich am Rande des Geschiebesandgebietes, dieses wallartig über- ragend, swischen der Schlei und der Eider erstreckt, an und betrachtete als nördliche Fortsetzung desselben die die Schlei im Westen umgebende Hügelzüge. In den letzten Jahren angestellte Untersuchungen °) ergaben ') »Die Endmoränen und das marine Diluvium Schleswig -Holsteins«, Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Bd. XII. °) »Studien über die Entstehung der Föhrden an der Ostküste Schleswig-Holsteins, sowie der Seen und des Flußnetzes dieses Landes«, J. Lehmann’s Mitteilungen aus dem mineralog. Institut der Universität Kiel. 1. Bd. 1. Heft. °) R. Struck, Der baltische Höhenrücken in Schleswig und die Entstehung der Föhrden. Mitteilungen der Geograph. Gesellschaft in Lübeck. 1906. 4 wor das Resultat, daß auch das, an den Gottsche’schen Endmoränenzug sich bis zur Föhrde und ostwärts bis über ihr westliches Ende hinaus anschließende Gebiet im wesentlichen als eine, aus Aufschüttungs- und Staumoränen bestehende Endmoränenlandschaft zu betrachten: ist. In dieses Gebiet hinein erstrecken sich num vom westlichen Finde der Schlei her drei Senken oder Täler, welche in ihren tiefsten Teilen noch jetzt in mehr oder weniger ausgedehntem Maße von Wasser erfüllt sind: das Haddebyer- und Selker Noor, der Bustorfer Teich und der Burgsee. ur. Seit langer Zeit wird gerade auch von Historikern angenommen, daß sich in diesen drei Tälern im früherer Zeit die Schlei weiter land: einwärts, als es jetzt der Fall ist, erstreckt habe. Begnügen wir uns nicht mit dieser Annahme, sondern prüfen wir dieselbe auf ihre Richtig: keit, indem wir die Beschaffenheit, den Verlauf und die Entstehung dieser Täler einer näheren Untersuchung und Betrachtung unterziehen, so gelangen wir zu folgenden Ergebnissen, Das östlichste dieser Täler, in dem das größte der genannten Wasserbecken, das Haddebyer-Selker Noor sich befindet, erstreckt sich von der Föhrde in südlicher Richtung, gegen 3 Kilometer weit, und annähernd eine gleiche Breite einhaltend, auf der Ostseite meist von einem steilen Ufer begleitet, bis zum Dorfe Ober-Selk. Hier verengt sich das Tal, indem sich die Talränder auf 300 bis 500 Meter einander nähern und setzt sich als eine, sich nach und nach noch mehr ver- schmälernde, steilwandig eingeschnittene Rinne mit allmählich anstei- gendem Talboden, in südöstlicher Richtung bis zu der, in der Nähe des (ehöftes Hahnenkrug in 20 bis 25 Meter Meereshöhe liegende Wasser- scheide zwischen Ostsee und Nordsee fort. Von Osten, aus der Gegend von Geltorf her, mündet in dieses schmale Tal eine bBemtans selzuels, aber steil und tief eingesägte Rinne. ; Das Tal, in der der Burgsee liegt, besitzt in seinem östlichsten Teile im allgemeinen die Gestalt eines Trichters, der sich von Osten nach Südwesten verjüngt und sich vom Föhrdenende bei dem Stadtteile Lollfuß aus, etwa 4 Kilometer weit in die Hügellandschaft hinein, bis in die Nähe der Dörfer Hüsby und Kroy, fortsetzt. Am westlichen Ende teilt sich dieser Trichter in zwei kleine, wiederum trichterförmige Täler, von denen das eine nördlich, das andere südlich vom Dorfe Hüsby liegt. Die nördliche Wandung dieses Tales, die sich durch eine steile Abböschung — bis 30 Meter — und durch ihre Geschlossenheit aus- zeichnet, daher leicht zu verfolgen ist und die Fortsetzung der nördlichen Uferwand der Schlei bildet, verläuft von der nördlichen Umgebung des Stadtteiles Lollfuß in nordost-südwestlicher Richtung bis zum Dorfe Kroy. Die südliche Talwand, die ebenfalls durch einen steilen Abfall, der aber 46 nicht so erheblich ist wie auf der Nordwand, gekennzeichnet ist, verläuft von der südlichen Umgebung des Dorfes Hüsby anfänglich in südwest- nordöstlicher Richtung bis in die Nähe des Bahndammes (Colonnen-Weg), wendet sich dann für eine kurze Strecke bis in die Nähe des Bahnhofes nach Südosten und verläuft auf der letzten Strecke anfangs in nördlicher Richtung, dann weiter nach Südosten sich wendend, um den Erdbeeren- berg herum bis zum Föhrdenufer. Der Boden dieses Tales, der im allgemeinen von Osten nach Westen ansteigt, zeigt ein höchst unruhiges Relief, indem eine Reihe von Erhe- bungen und mit Mooren erfüllter Senken daselbst mit einander abwechseln. Außer in ihrem östlichen Teile erhebt sich die südliche Talwand des Trichters im Durchschnitt über 30 Meter, nur an einer Stelle sinkt sie auf 20 Meter herab, und hier befindet sich eine Fortsetzung des sonst geschlossenen Trichters. Dieselbe wird durch eine schmale, flußartig gewundene, bis zu 300 Meter breite, ziemlich steil — namentlich auf dem östlichen Ufer — eingeschnittene Rinne gebildet, die sich 1'/ Kilo- meter weit in nord-südlicher Richtung bis zu der, einige hundert Meter südlich von der Thyraburg, wiederum in 20 bis 25 Meter Höhe ü.d.M. befindlichen flachen, auf der Grenze zwischen der Hügellandschaft und dem Geschiebesandgebiete belegenen Wasserscheide erstreckt. In dieser flußartig gewundenen Rinne, deren Talboden sich nach Südwesten nur wenig hebt, befand sich ehemals ein See, der Dannewerker See. Das dritte Tal, das den Bustorfer See umschließt, nimmt den Raum zwischen den beiden, bereits beschriebenen Tälern ein, und dringt hier ebenfalls in Gestalt eines sich verengenden Trichters im allgemeinen in nord-südlicher bis nordost-südwestlicher Richtung 2 bis 3 Kilometer weit in die Hügellandschaft ein. An seiner Mündung besitzt der Trichter, dessen Talwandungen (im Osten jene schmale, wallartige Erhebung zwischen Busdorf und Haddeby [Hochburg]; im Westen die westliche Uferwand des Bustorfer Teiches) steil abgeböscht sind, eine Breite von gegen 1500 Meter, am Ende des Busterfer Teiches nur mehr eine solche von 500 Meter, und von hier ab verjüngt er sich noch rasch, um einen Kilometer südlich von seinem Ende und wiederum an der in 20 bis 25 Meter ü. M. befindlichen Wasserscheide nur etwa eine Breite von 200 bis 300 Meter zu besitzen.) Vom Ende des Bustorfer Teiches aus hebt sich die Sohle dieser Talfurche bis zur Wasserscheide gleichmäßig empor. In dem Mündungsgebiete des Trichters befinden sich ebenso wie in dem Burgsee-Tale mehrere kleine höher aufragende inselartige Gebiete. !) Von diesem Punkte aus ist das diesem Aufsatze beigegebene Bild aufgenommen. Man schaut dem Tale entlang nach Norden auf Schleswig und die nördliche Wandung der Schleitalfurche. Der niedrige Wall, der links im Bilde auf das Erosionstal zuläuft, ist ein Teil des Dannewerkes, der Margarethenwall. a7 Alle drei Täler erweisen sich mithin als Fortsetzungen des eigent- lichen Schleitales, die aus diesem durch die Hügellandschaft hindurch, ‘bis zu der, an der Grenze des Geschiebesandgebietes belegenen Wasser- scheide zwischen Nordsee und Ostsee sich hinziehen. Um die Entstehung derselben verstehen zu können, muß ich hier kurz auf die Entstehung der Föhrden Schleswig-Holsteins überhaupt eingehen. Nachdem zuerst Ackermann und bald darauf E. Geinitz die An- sicht ausgesprochen hatten, daß die Föhrden ursprünglich Depressionen eines Landes gewesen seien, welches erst zur Alluvialzeit unter den Meeresspiegel geraten sei, veröffentlichte Haas (l. ec.) 18838 eine Hypo- these über die Entstehung derselben, welche bis jetzt Gültigkeit besessen und allgemeinere Verbreitung gefunden hat. Haas stellt seine Hypothese im wesentlichen auf Grund gewisser, an der Kieler Föhrde gemachter Beobachtungen auf und übertrug unter gleichzeitiger Berücksichtigung bestimmter, an den anderen Föhrden angestellter Beobachtungen dieselbe auch auf alle anderen Föhrden. Auf Grund einer gewissen Ausbildungsweise des sogenannten Korallensandes, eines Sandes der bis vor wenigen Jahren nach dem Vor- gange von Meyn, von den Schleswig-Holsteinischen Geologen ausschließ- lich als ein Schlemmprodukt der Grundmoräne der Hauptvereisung (der früheren ersten Vereisung, der jetzigen zweiten Vereisung) angesehen wurde, in dem, die Kieler Föhrde im Süden umrahmenden Höhenzuge, und in der Annahme, einmal, daß das Inlandeis in der Zwischeneiszeit (jetzt zweiten Interglacialzeit) sich in Schleswig-Holstein von Süden nach Norden zurückgezogen habe, und die Schmelzwasser von Westen nach Östen in eine, damals schon vorhandene Ostsee sich ergossen hätten, gelangte Haas zu der Ansicht, daß die Entstehung der jetzt von der Kieler Föhrde eingenommenen Talfurche in der Hauptsache auf die Erosion dieser interglacialen Schmelzwasser zurückgeführt werden müsse. In Berücksichtigung eines gewissen, aus den topographischen Verhält- nissen sich zu erkennen gebenden Connexes, schloß Haas ferner, daß dieser Strom eine interglaciale Eider gewesen sei. Eine weitere Ausgestaltung erfuhr diese Talrinne durch das am Schlusse der Interglacialzeit in sie eindringende Meer und endlich durch das nach Haas’s Ansicht während der letzten Vereisung von Osten nach Westen in ihr vorrückende Inlandeis, wobei es durch die aufstauchende Kraft des Gletschers, zur Bildung des bereits erwähn- ten Höhenzuges in der südlichen Umgebung der Föhrde (des Hornheimer Riegels) kam. Der letztere hinderte in der Abschmelzperiode derselben Vereisung die Schmelzwasser sich in derselben Weise wie in der vorigen Abschmelzperiode nach Osten in die Ostsee zu ergießen und zwang sie, 48 sich westwärts zur Nordsee zu wenden, sowie er noch heute die Eider nötigt, den Weg nach Westen zur Nordsee zu nehmen. Im Jahre 1902 konnten Gagel und ich den Nachweis erbringen, daß nicht nur die aus der Grundmoräne der Hauptvereisung aüsge- schlemmten Spatsande (Korallensande) Bryozoen (Moos-Korallen) enthalten, sondern auch die durch den Schlemmprozeß aus der Grundmoräne der letzten Vereisung hervorgegangenen Sande. Dadurch ward es möglich und erforderlich bestimmten Bodenschichten, denen man früher ein unrichtiges, meist höheres Alter zugeschrieben hatte, nunmehr ihre richtige. Altersstellung zuzuweisen. Auch der Korallensand des Hornheimer Riegels, auf Grund dessen Vorkommen Haas die Existenz eines interglacialen Stromes an diesem Orte hatte annehmen müssen, stellte sich als oberdiluviales, am Aufbau einer Endmoräne der letzten Vereisung beteiligtes Gebilde heraus, und es verlor durch diese Feststellung die Haas ’sche Eypothese von der Ent- stehung der Föhrden ihre wichtigste Stütze. Auf Grund der Erkenntnis, daß auch die Hügellandschaft in der Umgebung der Kieler Föhrde im wesentlichen ihre. Gestalt während der Abschmelzperiode der letzten Vereisung erhalten habe, gelangte ich zu dem Ergebnis, daß die Schmelzwasser des sich in Schlesurke- Holstein im allgemeinen vom Westen nach Osten zurückziehenden Inlandeises zu dieser Zeit die Talfurche, welche jetzt von der Föhrde eingenommen wird, ausgefurcht haben. — Erst in einer weit, späteren Zeit, in der Litorinazeit, nachdem, wie auf Grund der jetzt tief unter dem Meeresspiegel und unter den Absätzen des Litorinameeres, auf dem Boden der Föhrde ruhenden Süßwasser- ablagerungen und Spuren menschlicher (mesolithischer) Kultur angenom- men werden muß (Stolley'), Splieth:), Weber [l. c]), eine bedeutende Senkung des Küstengebietes erfolgt war, hat das Meer allmählich Besitz von diesem ehemaligen Flußtale ergriffen. f -. Wie die Kieler Föhrde so smd nun auch die Schlei und alle übrigen Föhrden Schleswig-Holsteins nichts anderes als solche, durch die von Osten nach Westen fließenden Schmelzwasser des sich zurückziehenden Inlandeises während der letzten Abschmelzperiode in die Bodenschichten der Hügellandschaft eingegrabene Täler. Auffällig an den vorhin beschriebenen, vom westlichen Ende der Schlei bis zur Wasserscheide sich erstreckenden Tälern, ist die Neigung ihrer Sohle von Westen nach Osten. Sie findet aber ihre ') E. Stolley, Geologische Mitteilungen von der Insel Sylt. III. Archiv für Anthro- pologie und Geologie Schleswig-Holsteins. Bd. IV. Heft 1. 1901. Pag. 104. ?) W. Splieth, ibidem. Bd. Il. Heft 2. 49 Erklärung in der Tatsache, daß auch das Schleital wie -die übrigen Föhrden-Täler erst in derselben Phase der Postglacialzeit, in der Litorinazeit, durch eine Senkung des ganzen Küstengebietes, die, wie auf Grund der jetzigen topographischen Verhältnisse anzunehmen ist, bis zu der, am Rande des Geschiebesandgebietes befindlichen Wasserscheide reichte, eine andere, nämlich von Westen nach Östen geneigte Lage erhielt. Hierdurch geriet dasselbe bis auf die letzten Strecken jener drei Ausläufer, unter den Wasserspiegel der im ces eindringenden Ostsee, die nun im Laufe der Zeit von großem Ein- flusse auf seine weitere Ausgestaltung ward und neben anderen Faktoren seine heutige Konfiguration veranlaßte. Erwägt man nun, daß die sumpfigen, zum Teil mit Wiesen be- deckten, um einen Meter über dem Wasserspiegel der Schlei .empor- ragenden Niederungen in der Umgebung des Burgsee’s, sowie zwischen dem Bustorfer Teiche und der Schlei, welcher mit dieser noch jetzt durch die Otternkuhle in Verbindung steht, ehemals von Wasser bedeckt waren, daß ferner der das Haddebyer Noor von der Schlei trennende Damm erst vor nicht langer Zeit künstlich angelegt worden ist, so erweist sich nach den eben gemachten Darstellungen, die Annahme, die wie oben bereits erwähnt wurde, sich mehrfach auch in historischen Schriften aus- gesprochen findet, daß die Schlei einst, teilweise bis zu einer halben Meile weiter in das Land hineingereicht habe, als völlig richtig. Berücksichtigt man nun weiter die topographischen Verhältnisse der Umgebung des Dannewerkes, so fällt auf, daß auch in dem flachen (reschiebesandgebiete von Westen her eine, mit der .Nordsee in Verbin- dung stehende, zwar weniger tief eingefurchte, aber in ihren östlichsten Teilen bis 1 Kilometer, in den westlichen bis 2 Kilometer breite Senke, bis hart an die Wasserscheide heranreicht. Es ist das, ebenfalls von den Schmelzwassern in das Geschiebe- sandgebiet eingenagte Tal der in der Nähe des Dorfes Gr.-Dannewerk entspringenden Rheider-Au, welche mit dem Treenetale und durch dieses mit dem Eidertale in Verbindung und durch eine flache Furche über die Wasserscheide hinweg nach Osten auch mit dem Tale, in welchem der Bustorfer Teich eingebettet liegt, im Zusammenhange steht. Erinnert man sich dann wieder, daß in jenen Zeiten, als die Mar- schen des Westens noch nicht durch besondere Schutzbauten, durch Deiche, vor der Vernichtung durch die See bewahrt waren, und auch noch später, ehe im Laufe der letzten Jahrhunderte die Deiche in solchem Umfange wie jetzt errichtet waren, das Meer von Westen her, besonders zur Zeit der Sturmfluten, tief ins Land drang, bezw. die von Osten kommenden Gewässer aufstaute, so hat es, worauf auch schon von an- derer Seite (Sach, Metstorf) hingewiesen worden ist, nichts Befremdendes, wenn es zum Beispiel in älteren Schilderungen heißt: »Zwei Meeresbusen 50 auf jeder Seite des Landes einer, gehen ins Land hinein; zwischen diesen haben die Dänen eine hohe und starke Burgmauer von Steinen, Rasen und Holz errichtet« [Olaf Tryggesöns Saga, Oldnord Sagaer Vol. I. S. II] ') oder wenn man vernimmt, daß noch um die Mitte des 12. Jahrhunderts König Svend Grathe in einem Kampfe mit seinem Nebenbuhler Knud Magnussen seine Schiffe von der Schlei bei Schleswig nach Huchlsteth in die Eider hinüberzog (v. Maack, ibidem pag. 91). — Zwischen diesem Rheider- Autale, dessen breite Sohle von unzugäng- lichen Mooren eingenommen wird einerseits, und den drei Endtälern der Schleitalfurche, von denen auch die beiden, jetzt nur mehr in geringem Umfange von Wasser bedeckten Täler, ehemals auf große Strecken hin, von Wasser erfüllt waren, und ferner zwischen den letzteren sind die Befestigungen, welche das Gebiet der Dänen gegen feindliche Einfälle schützen sollten, angelegt worden. — Von den zwei Walllinien, aus denen sich das Dannewerk zusammen- setzt, verläuft der südlichere Wall, der den Namen Kograben führt, zwischen dem südlichen Ende des Tales in welchem sich das Haddebyer- Selker Noor befindet, quer über das flache, sandige Wasserscheidengebiet in gerader nordost-südwestlicher Richtung bis zum nördlichen Rande der vier Kilometer entfernten Rheider-Autalsenke, und an diesem entlang noch über zwei Kilometer weit bis zum Orte Kurburg. Die nördliche Wallanlage setzt sich aus verschiedenen Teilen zu- sammen. An das Westufer des Haddebyer Noor schließt sich, hart süd- lich von der, zwischen demselben und der Bustorfer Teich - Talsenke steil aufragenden, wallartigen Erhebung (Hochburg) ein halbkreisförmiger Wall, die Oldenburg, innerhalb dessen, wie die Ausgrabungen und For- schungen der letzten Jahre ergeben haben ?), die alte Stadt Haithabu gelegen hat. Nach Westen schließt sich an diesen Wall ein gerader, ziemlich annähernd ost-westlich verlaufender Wall, der zunächst bis an die Talfurche reicht, in der der Bustorfer Teich sich befindet und sich jenseits derselben in dem flachwelligen Gelände 1'!/ Kilometer weit in derselben Richtung bis zu dem östlichen Talrande der Rinne, in der sich der Dannewerker See früher befand, fortsetzt: der Margarethenwall oder Reesendamm. In der Bustorfer Teich-Talfurche selbst stellt der Moordamm, der erst aufgeworfen sein soll nachdem der Bustorfer Teich, durch den er führt, ausgetrocknet und passierbar geworden war°), eine Verbindung zwischen !) v. Maack, Urgeschichte des schleswig-holsteinischen Landes. 1869. Pag. 90. ?) J. Mestorf, Danewerk und Haithabu (Hedeby). Mitteilungen des anthropologischen Vereins in Schleswig-Holstein. 14. Heft. 1901. °), H. Philippsen und C. Sünksen, Führer durch das Dannewerk. 1903. 51 den östlich und westlich von demselben gelegenen Teilen dieses Walles her. 500 Meter südlich von dem Margarethenwalle befindet sich auf dem westlichen Talrande der Rinne, in der sich der Dannewerker See ehe- mals erstreckte, die Thyraburg, eine steil abgeböschte, rundliche Kuppe. An diese setzt sich unmittelbar nach Südwesten an und verläuft in dem sich langsam westwärts abdachenden Geschiebesandgebiete weiter bis an den nördlichen Rand der Rheiderau-Talfurche der Dannewerk benannte Wall, dessen zwischen der Thyraburg und dem, bei dem Dorfe K].-Danne- werk belegenen Wirtshause Rothekrug befindliche Teil, in dem sich auch früher der einzige Durchgang durch das Dannewerk, das Wiglesdoor oder Oster-Kalegat befand, auch als Burgwall, dessen übriger Teil auch als Waldemarsmauer bezeichnet wird. — An diesen Wall reiht sich westwärts größtenteils im Rheiderau-Tale liegend, bis nach Morgenstern hin, der Krummwall. So geschickt nun auch die Wahl dieser Gegend zur Anlage einer Grenzwehr war, und so vortrefflich die Vorteile, die sie in dieser Hin- sicht bot, ausgenutzt wurden, auch das Dannewerk leistete ebensowenig wie der Limes Saxoniae, was sich seine Erbauer vonihm versprachen, und erwies sich in der Folgezeit feindlichen Angriffen gegenüber nicht als ein unüberwindliches Bollwerk. So überschritt im Jahre 815, wie Sach ') angibt, ein fränkisches Heer die Eider und drang, ohne durch das Dannewerk aufgehalten zu werden, 7 Tagemärsche in das Land der Normanen vor, und Kaiser Otto II. erstürmte es im Jahre 975. Im Jahre 1864 aber zeigte es sich in deutlicher Weise,. daß, so vorzügliche Verteidigungsmittel Sumpf und Moor nebst Wasser auch sonst zu jeder Jahreszeit bilden, zur Winterzeit wird, wenn der Frost sie passierbar gemacht, der Schutz den sie sonst gewähren, ein unzuläng- licher, denn nach H. Sybell fiel damals, worauf Deecke (l. c.) auf- merksam macht, das Dannewerk wegen des tragfähigen Eises in fünf Tagen, während Napoleon an eine zweijährige Belagerung desselben geglaubt hatte. Te — !) Das Herzogtum Schleswig. Halle 1896. Si. 2 F i 133 1 ? | 1 f kart TE Eu 3 il; k < [3 R l i = 3: r 7 Bir} D l Ee 47 Ns 2a 2 [ ) \ ı Y = A Eee | % E f 2 wos ir] j EN Sl za sh le Berichtigung Auf Seite 7, Zeile 8 von unten lies »zeitlich älteren« „statt ‚»zeitlich jüngeren«, SER ABSALE NE IT EIN IE are RS EN 2 “ RE E u AR KA Li , as UT ot et a a 3 ik 4 \ SER, DESKEEDED ONSSLES FR: Y ; l ? ki r g { ut ] Eh LE: Sa L D Fr { h Her v e ur en Sr i, i P F = 3 q H : AR l 4 4 \ & [ £ r J Al a EL “ 4 D DS I if f [W} Ne j ET EEE: l 3} } IA ERS) IL np rl an eg v “ en = “D ‘ St fort ! re Me a "T Se Se = = ke 3m PRINT a ae nn x eo ei 3 r DI N [A (>) Lan A* 5 el — 2 L N I ar =: == r —_ l la} uf ch t | ! Urtef I,‘ AaaLLATa IN a | { \ Rert Ha) 19 Pl. 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Zu Reillers Hleits2l 1906: ze Vorwort. Vor mehr denn 30 Jahren wurde durch einen Schweden der deutschen geologischen Wissenschaft das Auge für das Verständnis des norddeutschen Tieflandes geöffnet. Seitdem lernte der deutsche Geologe die Geschiebestreifen, die Seenplatte, die weiten, größtenteils mit Moor erfüllten Täler und vieles andere genetisch deuten. Etwa 20 Jahre später, vor einem Jahrzehnt, strahlte wiederum von Schweden aus das Licht auf ein bisher der Entstehung nach in Dunkel gehülltes Gebilde, auf die Ostsee. Munthe und De Geer legten, gestützt auf zahlreiche eigene und fremde Beobachtungen, den Entwicke- lungsgang der Ostsee seit der Eiszeit klar. Ihre Ergebnisse beruhten hauptsächlich auf Forschungen an den Küsten Dänemarks, Schwedens und Finnlands. Nur in kurzer Weise wurde Deutschlands gedacht. Daß über dieses Land so schnell hinweggegangen wurde, lag daran, daß die in Frage kommenden Bildungen an der deutschen Ostseeküste teils sehr dürftig, teils überhaupt noch nicht untersucht waren. Die folgende Arbeit hat das Ziel, diejenigen Forschungen mitzu- teilen, die sich auf die Hälfte dieser Lücke, von der dänischen Grenze bis zur Odermündung, erstrecken. Zu diesem Zwecke beschäftigte sich der Verfasser eingehend mit den bis jetzt gemachten Funden, welche die Entwicklung des südwestlichen Baltikums erhellen. Er hat mit Aus- nahme von Flensburg die geologischen Bildungen an den verschiedenen Orten aus eigener Anschauung kennen gelernt; waren sie nicht mehr aufgeschlossen, so hat er das in den Museen, Universitätsinstituten usw. niedergelegte Fundmaterial aufgesucht. Außerdem wurden zu dieser Schrift neben eigenen Forschungen noch nicht publizierte, mir freund- lichst zur Verfügung gestellte Mitteilungen, wie in der Darstellung ange- geben wird, verwertet. Auch wurden früher schon veröffentlichte An- gaben, mit Ausnahme derjenigen von Warnemünde und der Insel Lieps, in anderer Weise aufgefaßt. Bevor ich zur eigentlichen Darstellung übergehe, möchte ich den Herren meinen Dank aussprechen, die mir fördernde Unterstützung angedeihen ließen. In meiner Vaterstadt waren es von Seiten der Bau- 56 behörde Herr Senator Dr. Klug, Vorsitzender der Baubehörde, Herr Baurat Krebs und Herr Bauaufseher Heuckerot; ferner die Herren Prof. Dr. Friedrieh, Dr. med R Karutz. Brot. DE Hr Rense Dr. R. Struck. Ihnen allen, namentlich aber dem letzteren, bin ich zu Danke verpflichtet. Auch von auswärts konnte ich mich mancher Hilfe erfreuen, so von Herrn Geheimrat und Stadtrat E. Friedel in Berlin, dem Direktor des Märkischen Museums und der »Brandenburgia«, von Frl. Dir. Prof. J. Mestorf und Herrn Dr. C. Rothmann in Kiel, von Herrn Dr. med. Brüchmann in Neustadt, von den Herren Kammeringenieur ©. Dollberg und Ingenieur W. Kiesewetter in Wismar, Prof. Dr. E. Geinitz in Rostock, Dr. A. Haas in Stettin, Dr. Thienemann und Prof. W. Deecke in Greifswald. Letzterer hat mir nicht nur einen Einblick in die Sammlungen gestattet, sondern in liebenswürdiger Weise mich auch auf die Fundstellen geführt, mir in Lübeck nicht zu erlangende Schriften verschafft und mir noch nicht veröffentlichtes Material über- lassen. Auch an dieser Stelle spreche ich ihm für sein Entgegenkommen meinen herzlichsten Dank aus. Hans Spethmann. Lübeck, Mitte Januar 1906. 57 Einführung. ') Als die Gletscher der Eiszeit abschmolzen, siedelte sich auf dem Lande, soweit es nicht von Wasser begraben war, eine Pflanzenwelt an, wie sie heute in den arktischen Gegenden und den höchsten Regionen der Gebirge ihr Dasein friste. Charakteristisch für diese Zeit sind Dryas octopetala, Betula nana und die niedrige Polarweide Salz polaris. Durch den fortschreitenden Rückgang des Eises wichen auch die unwirtlichen Verhältnisse ?). Das Klima, dessen mittlere Jahrestemperatur nach den Untersuchungen von Andersson vorher 5 ° Kälte betragen hatte?), wurde wärmer. Dadurch war solchen Pflanzen, die zum Leben höhere Anforderungen an die Natur stellen, die Möglichkeit geboten, ein Fort- kommen in dem einst vergletscherten Lande zu finden. Gleich Flücht- lingen einer geschlagenen Armee mußten sich die Vertreter einer polaren Welt dorthin zurückziehen, wohin ihnen der Gegner nicht folgen konnte, in die Moore und Sümpfe, während auf dem trockenen Lande die Kiefer mit ihren Begleitpflanzen zur Herrschaft gelangte. Beim Beginn dieser sogenannten Kiefernperiode fing das Becken der Ostsee an, sich langsam zu heben. War es unmittelbar nach dem Abschmelzen ‘des Eises mit der Nordsee und dem Weißen Meere ver- bunden und hatte es dadurch den Charakter eines salzhaltigen Eismeeres, so wurde es jetzt durch das Steigen des Landes vom Weltmeer abge- schnitten. Die natürliche Folge war, daß allmählich eine Aussüßung des Wassers eintrat, so daß Ancylus fluviatilis und Bythinia tentaculata, Pisidien und Limnaeen in dem Becken des Baltikums leben konnten. Man bezeichnet die Ostsee dieser Zeit als » Ancylussee«. '!) Wenn nicht anders bemerkt, sind die Angaben über die nacheiszeitliche Ent- wicklung der Ostsee folgenden Schriften entnommen: G. de Geer, Om Skan- dinaviens Geografiska Utveckling after Istiden, und Nathorst, Sveriges Geologi, Stockholm. 2) Hennig, Führer durch Schonen. (Wenn der Titel in den Anmerkungen nur kurz angegeben wird, siehe das Literaturverzeichnis am Schluß.) ») Nach Geinitz, Lethaea geognostica. 58 Dieser muß von längerer Dauer gewesen sein. Denn in seinem Anfangsstadium waren die Lande von Kiefern bedeckt. Bei seinem Schwinden bildete die Eiche, die vorher fehlte, den herrschenden Wald- baum. Als die Eichenzeit ihren Höhepunkt erreicht hatte, fing das die Ostsee umsäumende Land an, zu sinken. Dadurch wurde das abge- schlossene Ostseebecken wieder mit dem Weltmeere in Verbindung gebracht, und zwar in größerem Maße, als es heute der Fall ist, so daß Tiere, die jetzt ausschließlich in der Nordsee leben, damals auch in dem westlichen Teil der Ostsee durch den gesteigerten Salzgehalt ihre Bedin- gungen zur Existenz erfüllt fanden. Nach dem Leitfossil in den Abla- gerungen an Schwedens Küsten wird die Ostsee dieser Zeit »Litorina- meer« genannt. Eine geringe Hebung im nördlichen Dänemark und im südlichen Schweden hat dann der heutigen Ostsee, die nur durch die beiden Belte und durch den Sund mit dem Ocean in Verbindung steht, ihre Gestalt verliehen. | Im folgenden werden zuerst die Ablagerungen des Ancylussees und des Litorinameeres im südwestlichen Baltikum dargelegt. 59 TI. Ablagerungen des Ancylussees und Litorinameeres. 1. Greifswald. Das Ryktal. Bereits vor dem Jahre 1846 wurde durch F. v. Hagenow!) an der Mündung des Ryk im Schlamme die Muschel Serobiceularia piperata (Hagenow hielt sie für Zatraria compressa) nachgewiesen. Erst 1874 wurde die Schicht, der diese Muschel entstammte, genauer untersucht, und zwar von -Geheimrat E. Friedel aus Berlin. Er hat sie von 1875 ab alljährlich beobachtet?) und ihr hauptsächlich im vorletzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts eingehende Studien gewidmet. In dieser Zeit nämlich wurde die Stromrinne für die Schiffahrt vertieft, und hier- .bei wurden ungeheure Massen vom Untergrund des Ryk durch den Bagger herausgeschafft und teils zur Aufhöhung des Treidelstieges auf dem linken Ufer und des dahinter liegenden sumpfigen Geländes, teils für die Wolgaster Chaussee bis nach Eldena hin verwendet. Es konnten deutlich drei Schichten beobachtet werden; eine obere mit kleinen Exem- plaren von Mya arenaria, eine mittlere mit großen Tieren von Mya und in sehr geringer Zahl von Serobicularia piperata, und eine untere, dunkel und fest, mit zahllosen Serobicularien, in der Mya anscheinend nicht vorkam. | In den neunziger Jahren hat die Ergiebigkeit .des Baggers an Scrobicularien mehr und mehr nachgelassen, weil die Fahrrinne ihre vollste Tiefe erreicht hatte und nur noch von der obersten Modde und den rezenten Verunreinigungen frei gehalten wurde. Allerdings kommen noch dann und wann Partien von der Serobicularia-Schicht zu Tage, z. B. im Jahre 1895; dagegen ist das Übersichtliche und das Charakte- ristische der Schichten, wie es vor mehr denn 20 Jahren im Großen ') E. Boll, Die Ostsee, eine naturgeschichtliche Studie. Archiv des Ver. d. Naturgesch. für Mecklenburg. Jg. I, S. 90. Siehe auch H. Lenz, Die wirbellosen Tiere der Travemünder Bucht. Anh. I zu dem Jahresbericht 1874—75 d. Kommission wissensch. Untersuchung d. deutsch. Meere. Berlin 1875. Teil I, S. 18. ?) Diese Angaben verdanke ich persönlichen und brieflichen Mitteilungen des Herrn Geheimrat E. Friedel. 60 konstatiert werdeu konnte, unwiederbringlich dahin. Nur Bohrungen geben noch Auskunft von der Struktur der Schichten, die das Strombett erfüllen. Im folgenden wird ein Profil mitgeteilt, das nach Bohrproben im Mineralogischen Institut der Universität Greifswald zusammengestellt wurde. Bohrung im Ryktal in der Nähe von Eldena. 0,30 m über NN. Tiefe unter r Mächtigkeit der Oberfläche Alluvium. 0,0 —1,0 m| 1,30 m Grober grandiger Sand. 1,30— 4,10 » 2,80 >» Gelblich feiner Sand. Litorina. 4,10—4,50 » | 0,40 » Toniger, torfiger Sand mit Cardien und Scrobicularien. Diluvium. 4,50—4,60 »| 0,10 » Ziemlich fetter Ton. 4,60— 5,00 » | 0,40 » Granaiger fetter Ton. 5,00 < Geschiebemergel. Leider gibt die Bohrung kein ganz klares Bild von dem Aufbau der nachdiluvialen Schichten im Ryktal. Soviel steht fest, daß von 5 m Tiefe an sich Diluvium in Form von Geschiebemergel befindet. Auch gehören die 3,80 —4,20 m unter NN. liegenden Bildungen unzweifelhaft der Litorinazeit an. Aber zwischen den Litorina-Ablagerungen und dem (Geschiebemergel liest ein fetter Ton mit Steinen, der von einer 10 cm mächtigen steinlosen Schicht desselben Materials bedeckt wird. Diese /, m dicke Schicht ist das Aufarbeitungsprodukt des Geschiebemergels. Die Unsicherheit liegt darin, daß man nicht weiß, welches Wasser den (reschiebemergel aufgearbeitet hat. Es muß jedenfalls vor der Litorina- zeit gewesen sein. Also bleiben nur zwei Wege offen. Entweder ist es das Wasser des Ryk selber gewesen oder das eindringende Ancyluswasser bei Beginn der Senkung. Wenn letzteres der Fall, so ist der fette Ton entsprechend den Süßwasserbildungen unter den Litorinaschichten in Lübeck und Kiel aufzufassen. Diese Frage ist aber nur mit Hilfe weiterer Bohrungen endgültig zu entscheiden. 61 2. Greifswalder Bodden. Ein direkter Nachweis von Litorinabildungen im Greifswalder Bodden ist bis jetzt noch nicht erbracht. Doch scheinen sie in seinem flachen Wasser, das mit Ausnahme einer Stelle südwestlich von Mönchgut mit einer Tiefe von 12 m im allgemeinen nicht über 9 m unter den Meeres- spiegel reicht, auch vorhanden zu sein. Denn im Frühjahr 1905 wurde die Nordseemuschel Corbula gibba vielfach im Bodden beim Fischen mit Schleppnetz gefunden !). Diese Muschel ist in der Ostsee bis jetzt nur in den Schlammregionen der Kieler Bucht von Meyer und Möbius, von Lenz als nicht selten im äußeren Teil der Travemünder Bucht und im Sund von Örstedt nachgewiesen. Östlich dieser Linie findet sie heute nicht mehr den Salzgehalt im Ostseewasser, den sie zum Leben und zur Fortpflanzung nötig hat. 3. Rügen. Zwischen den Halbinseln Jasmund und Wittow auf Rügen zieht sich eine schmale, mit niedrigen Kiefern bestandene, nur wenig über die See ragende Nehrung hin, die Schaabe genannt. An ihrem west- lichen Ende liegt der Ort Glowe. Unmittelbar hinter den letzten Häusern des Dorfes befindet sich zu beiden Seiten der Landstraße eine etwa 1—2 qkm große Werkstätte der älteren Periode der jüngeren Steinzeit, des sogenannten Mesolithikums, auf der Hunderte von bearbeiteten Feuerstein- geräten vom Kjokkenmeddinger-Typus zwischen Tausenden von unbear- beiteten Feuersteinknollen herumliegen ?). Nach Norden hin dehnt sich die Fundstätte bis an den Strand und in das Schaar hinein aus. An ver- schiedenen Stellen wurde bis auf "/—1m Tiefe gegraben. Man fand wie an der Oberfläche Feuersteingeräte vom Kjekkenmeddinger-Typus. Ebenfalls ließen sich draußen unter dem Wasserspiegel durch Hineinwaten und durch Graben die Spuren derselben menschlichen Kultur verfolgen. Auf der ganzen Werkstätte wurden auch umfangreiche Kohlen- und Aschenreste festgestellt, dagegen keine Urnenscherben. Es ist noch besonders hervorzuheben, daß yon Herm Dr. Haas, trotzdem er im ganzen 20 Wochen der Untersuchung widmete, nicht ein einziges Mal ein Stück gesehen wurde, das nicht dem Mesolithikum angehörte. Die Funde entsprechen somit vollkommen denen von Lübeck und Kiel, die im Abschnitt IV besprochen werden. Dagegen gehören nicht zur Litorinazeit die auf der entgegen- gesetzten Seite des Dorfes Glowe, bei Ruschwitz, gesammelten Feuerstein- !) Nach brieflichen Mitteilungen des Herrn Geheimrat E. Friedel an den Verfasser. ?) Nach brieflichen Mitteilungen von Herrn Oberlehrer Dr. A. Haas an den Verfasser. 62 geräte, ebenso diejenigen Funde nicht, die Herr Dr. Thienemann !) auf dem Gelm, einer jetzt verlandeten Insel inmitten der Schaabe, gemacht hat. Letztere stimmen mit denen überein, die ich im Winter 1904 auf 1905 überall auf den Höhen, die den Unterlauf der Trave umsäumen, feststellen konnte und die nach dem Urteil von Frl. Dir. Mestor£f in Kiel der jüngsten Steinzeit angehören. 4. Die vom Zingst begrenzten Bodden. a) Saaler und Barther Bodden. Aus ihnen wurden in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts subfossile Reste von Serobicularia piperata zu Tage gefördert?). Daß es sich bei diesen Schalen nicht etwa um rezente handelt, beweist das heutige Verbreitungsgebiet der Muschel. Sie ist in der Ostsee beobachtet in den Schlammregionen der Kieler Föhrde (Meyer und Möbius), bei Travemünde (Lenz) und bei Wismar (Braun). ÖOstwärts von Wismar genügt heute der Salzgehalt der Ostsee ihren Lebensbedingungen nicht mehr. Daher muß die Muschel in den Bodden gelebt haben, als der Salzgehalt in denselben größer war, nämlich zur Litorinazeit. b) Nehrung südlich von Wustrow. Am Westufer des südlichen Teiles des Saaler Boddens zieht sich eine Nehrung hin, die ihn von der Ostsee abtrennt. Mit dem Handbohrer wies Geinitz auf ihr Litorinabildungen nach. ?) Am »Langen Pohl« fand er Sand mit Torf auf muschelreichem Ton bis 4,8 m Tiefe, beim »Ret Orts Pohl« 4,6 m Sand mit Torf. Auf diese Schicht folgte bis zu 6,2 m unter der Oberfläche derselbe Litorinaton wie bei der Bohrung am »Langen Pohle. e) Ribnitz. Durch das Recknitztal zieht sich zwischen dem mecklenburgischen Ribnitz und preußischen Damgarten ein nicht allzu hoher Eisenbahn- damm hin. Neben dem Damme dieser Stralsund - Rostocker Bahn befinden sich nach Keilhack*) maring Schichten mit zahllosen Cardien. Die Sohle des Recknitztales liegt hier (siehe die Tabelle im Abschnitt II) etwa 9 m unter NN. ') Nach brieflichen Mitteilungen und freundlichst zur Verfügung gestellten Fund- stücken des Herrn Dr. Thienemann in Greifswald. Briefliche Mitteilung des Herrn Geheimrat Friedel in Berlin. Geinitz, die geograph. Veränd. des südwestl. Ostseegebietes. ‘) Keilhack, Stillstandslagen. Weitere Mitteilungen werden leider nicht angegeben. 5) 3) 63 5. Warnemünde. Die Litorinabildungen von Warnemünde sind bereits von Geinitz eingehend untersucht und beschrieben worden. Ich teile deshalb nur kurz ein Profil mit, das den Aufbau der Schichten kennzeichnet. Aufschluß beim Hafenbau, parallel der Düne in ungefährer Ost-Westrichtung, bei Station 0,5. 1891. Etwa 1 m über NN. Tiefe unter der Oberfläche Mächtigkeit Alluvium. 0 —0,10m| 0,0 m Grasnarbe und Strandsand. 0,10—1,10 » 1,00 » Feingeschichteter, ziemlich scharfer Sand, in den unteren Partien übergehend in feinstreifigen Sand mit feinen dünnen Torflagen. 1,10— 1,60 » | 0,50 » Festgepreßter Torf mit sandigen Zwischen- lagen. 1,60— 3,10 » 1,50 » Scharfer feiner Sand, in den oberen Lagen fein schwarzstreifig durch Torfteilchen. 3,10— 4,60 » 1,50 » Grand und Kies, besonders unten mit kleinen Rollstücken von Muscheln des Untergrundes. Litorina. 4,60 — 6,10 » 1,50 » Moorige Ablagerung mit Mylilus, Serobi- cularia, Cardium usw. 3 Abteilungen, die obere mehr sandig, die mittlere tonig, die Hauptmasse bildend, die untere eine dünne Muschelbank. Diluvium. 6,10 » ? Grauer Geschiebemergel. Seine Oberfläche war in einen Waldboden umgewandelt. Auf ihm standen starke Eichenstämme mit deutlich verzweigten Wurzeln. Dieselben Litorinabildungen konnten von Geinitz 400 m landein- wärts und etwa 1100 m seewärts verfolgt werden. Ihre Mächtigkeit wurde bei langsamem Ansteigen der Höhenlage nach dem Lande zu allmählich geringer. Gebildet wurden sie an dieser Stelle, nach den 64 Untersuchungen der Diatomeen durch Dr. Heiden in Rostock, zu einer Zeit, als das Ostseebecken bereits von dem Litorinameer eingenommen wurde, und als die Eiche schon längere Zeit auf dem Lande lebte. 6. Heiligendamm. Wenn man von dem Seebade Heiligendamm nach Osten auf dem heiligen Damm wandert, erblickt man in südöstlicher Richtung eine breite, flache, niedrige Ebene vor sich, auf die aus der Ferne die Türme Rostocks herabblicken. Dieses ist die Niederung des Conventer Sees. Sowohl der heilige Damm, wie der Conventer See haben den Stoff zu vielen Dar- stellungen geliefert. In einer von ihnen findet sich das Resultat einer Bohrung. !) Heiligendamm. Bohrung am jetzigen Schleusenhaus. Ostseespiegel = Oberfläche der Bohrung. ne Ne Alluvium. Q,o--1r2m| 17m Steingeröll. 1,2—3,15 >» l,.3 >» Nork 3,15 —4,30 >» 1,15 >» Seesand. Litorina. 4,50 —6,30 » 20 >» Schlammiger Ton mit Cardium edule, mit Litorina usw. 6,50 — 7,16 >» 0,86 » Seesand. Diluvium. 7,16 D Blauer Ton. Unter dem heiligen Damm lagert über dem Diluvium eine beinahe 3 m mächtige Litorinaschicht. Sie wurde auch unter der Niederung des Conventer Sees von Dr. Heiden in Rostock nachgewiesen. So konnte dieser Forscher in einem Bohrloch, das zwischen der Schleuse und dem Conventer See niedergetrieben war, durch die Diatomeenarten nachweisen, daß die Ablagerung in 4,» m Tiefe aus der Litorinasee, die mindestens 3°/o salzhaltig gewesen sein muß, gebildet ist. ') Koch, Geognostische Skizze der Umgegend von Doberan unter spezieller Berück- sichtigung des heiligen Dammes. Archiv d. Freunde d. Naturg. für Meckl. 14. S. 405. 1860. 65 7. Wismar. a) Wismar - Bucht. Im Jahre 1860 wurden drei Bohrungen auf dem südöstlichen Teil der Insel Lieps niedergetrieben. !) Das Resultat einer von ihnen sei hier mit- geteilt. Die Ergebnisse der beiden übrigen ähneln diesem sehr. 4 0,3 m über NN. Tiefe unter | Mächtigkeit der Oberfläche 2 Alluvium. 0,0 —O,sm| 0,5 m Loses Gerölle. O,.s—1,ss » | 1,25 » Dieselben Gerölle, eingebettet in festgelager- tem scharfen Kiessand. l,.s—2,s2 »> | 0,0. >» Scharfer Seesand, untermischt mit Kies- streifen. 2,2 —6,15 >» 9,33» Seesand mit Muscheln und kleinen Steinchen ; auch wurde ein kleines Stück unversehr- ten Holzes gefunden. Litorina. 6,15 —6,93 » | 0, » Derselbe Sand, aber dunkel durch Bei- mischung von Infusorienerde. 6,»s—15,53s » 8,45 4m | Sandige Infusorienerde, fest wie blauer Ton. Nicht durchbohrt. Da die Bohrungen bereits 1860 ausgeführt wurden, in einer Zeit, in der man in Deutschland noch nichts von einer Litorinabildung wußte, so ist es erklärlich, daß keine genaue Untersuchung der Schichten vorliegt. Das einzige, was sich feststellen läßt, ist, daß bei der Insel Lieps sich eine über 9 m mächtige Ablagerung aus der Litorinazeit befindet, deren Oberkante ungefähr bei 6 m unter NN. liegt. Diese salzhaltigen Bildungen als Absatzprodukte der Litorinazeit er- kannt zu haben, ist das Verdienst von Geinitz in Rostock. Er wies dadurch als erster an der deutschen Ostseeküste Ablagerungen aus einer vergangenen Zeit des südwestlichen Ostseebeckens nach und gab somit den anderen Geologen den Schlüssel zum Verständnis ähnlicher Bildungen an anderen Stellen der Küste. !) Mitgeteilt von E. Geinitz: Landverlust der mecklenburgischen Küste. 66 b) Wismarer Hafen. Der allgemeine Aufbau der nachdiluvialen Schichten im Bett des Ausflusses aus dem Schweriner See ist in der Nähe der Stadt Wismar folgender: !) Über den Ablagerungen von Geschiebemergel, blauem Ton und Sand liegt ein 0,5—2,; m mächtiger Torf, ?) der fast ausnahmslos von einem gelb-grauen Schlick, der zahlreiche Muscheln und Conchylien ent- hält, bedeckt wird. Die Mollusken bestehen aus Cardien, Scrobicularien und anderen. Dagegen konnte ich in dieser Ablagerung, die unzweifel- haft ein Produkt des Litorinameeres ist, das Leitfossil Zitorina Iitorea nicht feststellen. Auch Geinitz gibt an, °?) er habe sie nicht gefunden. Im inneren neuen Hafen, der unmittelbar nördlich der Stadt liest, reicht der Schlick bis zu einer Mindesttiefe von 8,50 m unter Wismarer Mittelwasser oder bis 2,1 m unter NN. Stellenweise fällt er sogar bis 8,16 m unter NN. Er wird durchweg bis auf 9,6o m unter NN. von Torf unterlagert, welcher eine Triebsandschicht, die allmählich m blauen Ton übergeht, bedeckt, wie aus Bohrungen vom Jahre 1894 hervorgeht. Aus dem innersten Teil des alten Hafens, aus unmittelbarer Nähe der Stadt, seien 4 Bohrungen mitgeteilt, von denen No. 2 und 3 rechts neben der Mündung der Grube, des Ausflusses des Schweriner Sees, hinab- getrieben wurden. Die Bohrungen sind alle erst vor kurzer Zeit von Herrn Ingenieur Kiesewetter ausgeführt. Bohrloch 1. Südlich von No. 2. Ö,so m über NN. Bis 12,15 m unter NN.: Weicher trockener Schlick. SS » Schlick mit torfigen Resten. » 1850» >» » Weicher toniger Sand. Bohrloch 2. 1,5 m über NN. Bis 2,55 m unter NN.: Aufgebrachter Boden. I » Trockener Schlick. Yin, > » Trockener Schlick mit torfigen Resten. »15,35 » >» » Toniger Sand. ') Nach Mitteilungen von Herrn Ingenieur W. Kiesewetter in Wismar. ’) Ob er Süßwassertorf ist oder nicht kann erst aus späteren Untersuchungen hervorgehen. °) Archiv des Ver. d. Freunde d. Naturg. in Mecklenburg. 57. 79. Güstrow 1903. S. 183, i 67 Bohrloch 3. 1,25 m über NN. Bis 3,55 m unter NN.: Aufgebrachter Boden. a » Trockener Schlick. »10,5 >» » » Trockener Schlick mit torfigen Resten. »13,05 > » » Toniger Sand. Bohrloch 4. 0,so m über NN. Nordöstlich von No. 3. Bis 13,0o m unter NN.: Schlick mit torfigen Resten. » 1450» » » Weicher toniger Sand. Aus den 4 Bohrungen geht hervor, daß die nacheiszeitlichen Bildungen im Tal der Grube sicher bis 17,55 m unter NN. in unmittelbarer Nähe der Stadt reichen. 8. Lübeck. Bereits im Jahre 1882 fielen Prof. Dr. Friedrich die zahlreichen Schalen von Serobicularia piperata auf, die oberhalb von Dänischburg mit der Modde herausgebaggert und auf der Moorniederung der Teerhofs- insel gegenüber Schwartau abgelagert waren. Als bei den in den letzten Jahren ausgeführten Arbeiten zur Vertiefung des Fahrwassers wiederum ungeheure Mengen von solchen Muscheln und Konchylien zu Tage gefördert wurden, deren Lebensbedingungen einen höheren Salzgehalt fordern als ihn heute die Trave in ihrem Unterlaufe besitzt, sah Frie- drich, entsprechend den Forschungen von Geinitz an der mecklen- burgischen Küste, in den Mollusken die Spuren des Litorinameeres bei Lübeck. In den Aufbau der Absätze dieses Meeres an der heutigen Travemündung gibt eine Bohrung, von Friedrich auf Seite 18—23 seiner Arbeit über die Litorinabildungen im Unterlauf der Trave !) mit- geteilt, einen guten Einblick, da von ihr »sämtliche Kerne in geschlossener Reihenfolge« der Untersuchung zugänglich waren. Auf Grund der schwedi- schen Forschungsergebnisse und wegen der ähnlichen Kieler Verhältnisse bin ich namentlich über die Auffassung der Süßwasserbildungen zu etwas anderer Ansicht gelangt, die ich mir darzulegen gestatte. Zuerst sei das Bohrprofil mitgeteilt. !) Mitt. d. Geogr. Ges. u. d. Nat. Mus. zu Lübeck II. R. Heft 20. 1905. 68 Bohrung von Ph. Holzmann. 1903. Tiefe unter der Oberfläche | Mächtigkeit Ir in 10m 13,0 — 16,0 » 3,0 » 16,0 — 20,0 » 40 >» 20,0 — 23,0 » 3,0 » 23,0 —23,80» 0,80 » 23,80— 24,30 » 0,50 » 24,30— 26,0 » 1770, > 26,0 —51,0 » | 25,0 » Alluvium. Seesand mit Seegras führenden Partien. Litorina. Grauer schwachtoniger Sand mit Seegras- schichten, Mytilus und Cardien. Dunkler toniger Sand mit dünnen Strei- fen von fettem Ton, mit schwarzen Seegrasschichten, kräftigen (ardien, großen Litorinen, Mytilus und Hydro- bien. Grünlichgrauer fetter Ton mit vielem Seegras, zahlreichen dünnwandigen Schalenstücken von Mytilus und Sero- bicularia und zahlreichen Floramini- feren. Grünlichgrauer magerer Ton. Nur ein Cardiumbruchstück konnte nachge- wiesen werden. [Übergang zur fol- genden Ablagerung] Anecylus. Grauweißer Kalk mit zahlreichen Süß- wasserkonchylien, einem Schulterblatt- knochen und einem Geweihstück vom Edelhirsche. Toniger Sand mit wallnußgroßen Steinen, einzelnen Stücken von fettem Ton und Schalenresten von BDythinia und Pla- norbis albus. Diluvium. Tonige Sande, fetter Ton, Mergelsand und Tonmergel mit einander abwech- selnd. 69 Das Diluvium wird von einer 1,79 m mächtigen Schicht tonigen Sandes bedeckt. Diesen möchte ich nicht auf Grund der petrographischen Zusammensetzung dem Diluvium zurechnen. Denn das Auftreten von Planorbis albus und von Bythinia tentaculata in der Ablagerung scheint mir darauf hinzuweisen, daß er nicht mehr ein reines Absatzprodukt der Eiszeit ist, sondern ein späteres Umarbeitungsprodukt des unter ihm liegenden schwachtonigen grandigen Sandes, welches entstand, als die Gegend der Bohrstelle infolge der Senkung unter den Meeresspiegel geriet. Streng genommen wäre daher die Schicht genau so wie die Ab- schlemmmassen, die sich in flachen Talmulden usw. finden, aufzufassen und als Alluvium zu betrachten, da sie lange nach der Eiszeit entstanden ist. Da ich aber für das Küstengebiet der südwestlichen Ostsee die Periode nach der Vergletscherung in Ancylus, Litorina und Alluvium geteilt habe und somit in dieser Arbeit mit Alluvium nur die Zeit nach dem Litorinameer gemeint ist, so rechne ich den tonigen Sand der An- eyluszeit zu. Bei Bildung dieses Sandes war das Land schon so weit gesunken, daß es bereits niedrig vom süßen Ostseewasser überflutet wurde, daß durch Brandung und Strömung das Diluvium aufgearbeitet wurde, und daß Mollusken, wie die beiden angeführten, entweder in der Zeit nie- drigen Wasserstandes von der See ausgeworfen wurden oder an Ort und Stelle leben konnten. Es läßt sich dieses nicht genauer entscheiden, da nicht festgestellt wurde, ob in den unteren Partien der 1,70 m mächtigen Schicht auch Konchylienreste vorkamen. Wahrscheinlich werden sie aus den oberen Teilen stammen und den Übergang zu der '/,;, m dicken Ablagerung eines Kalkes bilden. Er ist grauweiß und enthält ziemlich viele Glaukonitkörnchen. Außer Spongilla lacustris fanden sich an Tieren: Bythinia tentaculata Valvata piscinalis » depressa Planorbis cf. merginatus » albus Succinea cf. oblongata Limnaea sp. Aus der Zusammensetzung der Fauna geht hervor, daß der Kalk eine reine Süßwasserbildung ist. Das Land hatte sich weiter gesenkt, doch dürfte das Ufer noch nicht allzu fern gewesen sein, worauf die Funde von einem Geweihsproß eines Edelhirsches und von einem nicht bestimmbaren Schulterblattbruchstück hinweisen. Auch ein anderes deutet die Landnähe an. Es konnten nämlich an Pflanzenresten nur Pollen und Früchte, Samen und Blätter nachgewiesen werden, Pflanzenteile, die leicht in den Ancylussee hineingeweht werden konnten, Dieses ergeben 70 die Untersuchungen von Dr. Weber in Bremen an einer 50 ccm großen Probe. Er fand: Ohara cf. baltica, » ef. intermedia, Früchte, sp: Pinus silvestris, Pollen und Nadeln, Najas maior, Same, Potamogeton sp., Same, Seirpus lacustris, Früchte, Quercus sp., Pollen, Oeratophyllum demersum, Früchte. Stücke von Zweigen, Wurzeln, überhaupt von Pflanzenteilen, die nicht sehr leicht in größerer Menge vom Winde fortgeführt werden können, wurden nicht festgestellt, so daß die Pflanzenreste höchst wahr- scheinlich vom Lande aus in das Wasser gekommen sind. In letzterem lebten außer den schon genannten Mollusken zahlreiche Diatomeen. Unter ihnen sind, nach den Untersuchungen von Dr. Heiden in Rostock, die Vertreter des Süßwassers am zahlreichsten vorhanden. Mit etwa 54°% nehmen sie die erste Stelle ein. Aber auch 48 Meeres- formen, d. h. etwa 28--29%, sind nachgewiesen worden. Dieses Vor- kommen von marinen Diatomeen in einer Süßwasserbildung ist nicht auffallend. Es sind in Ancylusbildungen marine Diatomeen häufiger beobachtet worden. So. konstatierte Nathorst!!) westlich von Upsala bei Skattmansö eine 3,5—10 m mächtige Ancylusablagerung, in der sich neben Süß- wasserdiatomeen ebenfalls marine Diatomeen befanden. Eine gleich- altrige Schicht wie die von Skattmansö untersuchte derselbe Forscher in Wiborg in Finnland. ?) Unter den zahlreichen Diatomeen traten auch hier marine Formen auf. Danach scheint das Wasser des Ancylussees nicht vollkommen süß gewesen zu sein, was auch Nordenskjöld ?) aus einem Vergleich über die Verbreitung von Limnaea ovata und Limneae stagnalis zur Ancylus- und zur Jetztzeit schloß. Wenn man diese Forschungen berücksichtigt, schwindet das Befremdende über das Vorkommen von marinen Diatomeen in einer Ancylusbildung. ') Nathorst, Om en fossilför leraflagring vid Skattmansö in Upland Geol. För, Förh. 1893, 539, nach Geinitz, Lethaea geognostica, ebenso die beiden folgenden Citate. “) En väx tför lera frän Viborg. Geol. För. Förh. 1894, 361 u. Andersson, Bull. Com. g£eol. Finnl. 8, 68. J °) Oestersjöns nutida Sötwattens molluskfauna jämf. med Ancylussjöns. Bih. sv. Vet.—Ak. Handl. 26, IV, 11. Stockholm 1900, 71 Die über dem besprochenen Süßwasserkalk liegenden Ablagerungen zeigen, wie das süße Wasser des Ancylussees allmählich in das salzige des Litorinameeres überging. Auf ihn folgt zunächst eine SO cm dicke Schicht von einem grün- lich-grauen mageren Ton. Außer einigen Cardienbruchstücken fand Dr. ©. Weber in einer 20 em großen Probe folgende Pflanzenteile: Sphagnum imbricatum, vertorfte Blätter, Pinus silvestris, Pollen, Ruppia maritima, Fruchtstiel, (uercus sp., Pollen. Aus der Zusammensetzung der Flora geht hervor, daß das Wasser bereits salziger wurde. Ruppia maritima lebte in ihm, auch traten schon Cardien auf. Auf dieser Schicht lagert, 3 m mächtig, ein grünlich-grauer, fetter Ton, viel Seegras in sich bergend. Mit 51% wiegen die Meeresdiatomeen vor, während Dr. Heiden nur noch 19% Diatomeen des Süßwassers konstatieren konnte. Hierdurch wird bewiesen, daß der Salzgehalt der Ostsee weiter gestiegen war. Auch treten schon Mytilus edulis und Scrobieularia piperata auf, doch nur in dünnschaligen Exemplaren. Bei der Bildung dieser Ablagerung hatte der Salzgehalt noch nicht seine größte Höhe erreicht. Er wuchs noch, wie es die folgende Schicht zeigt, ein dunkler, toniger, feiner Sand, mit schwarzen Seegrasschichten und kräftigen Cardien und großen Litorinen. Als er sich bildete, wies die Ostsee den stärksten Salzgehalt auf. Der hohe Procentsatz an Salz beschränkte sich nicht nur auf eine kurze Zeit, sondern war auch noch vorhanden, als der 3 m mächtige grüngraue, fette Ton abgesetzt wurde. Denn unter seinen 53 Meeres- diatomeen befanden sich 22, deren Verbreitungsgebiet heute sich in der Ostsee auf das Kattegatt beschränkt. Uber dieser Ablagerung liegt eine 13 m mächtige alluviale Bildung, die entstand, als der Salzgehalt der Ostsee bereits im großen und ganzen dem heutigen entsprach. Die vorstehend dargestellten Schichten scheinen mir zu zeigen, wie allmählich aus dem Ancylussee das Litorinameer hervorging. Ein ähnliches Profil wie das eben geschilderte bietet ein weiteres von Friedrich namhaft gemachtes Bohrloch, welches von dem ersteren etwa 200 m entfernt liegt. Bei diesem liegen gleichfalls über dem Ge- schiebemergel Süßwasserbildungen, und zwar 1,20 m mächtig, Ablagerungen, die ich ebenfalls dem Ancylussee zurechnen möchte. Freilich sind die Spuren des süßen Wassers in diesem Falle nicht an Konchylien, sondern an den Diatomeen — nach den Untersuchungen Heidens in Rostock — 12 zu erkennen, unter denen ebenfalls marine wie in dem ersten Bohr- profil vorhanden sind. Über dieser Schicht liegt ein Produkt des Litorina- meeres mit 21 m Dicke, das von einer 15 m mächtigen alluvialen Bildung bedeckt wird. Es liegen also, wenn ich vorstehende Erwägungen zusammenfasse, an einigen Stellen unter dem Priwall Bildungen des süßen Ancylussees, im allmählichen Übergange überlagert von Resten des salzigen Litorinameeres, dessen Produkte allu- viale Schichten zudecken. !) 9. Neustadt. Von der Stadt Neustadt aus erstreckt sich seewärts der Neustädter Hafen. In ihm wurden zwischen der Stadt und dem Marienbade schon seit vielen Jahren von Herrn Dr. med. Brüchmann in Neustadt Stein- geräte und Werkzeuge vom Typus der älteren Periode des Neolithikums gesammelt.) Hauptsächlich bestanden die Fundsachen aus Äxten, Spähnen, Splittern und Rohmaterial. Sie wurden bei starkem, andau- ernden Westwinde auf einem 30 m breiten Stück Landes, das für gewöhnlich von seichtem Wasser bedeckt wird, mit Hilfe eines Spatens aus sandigem und moorigem Grunde herausgegraben. Ganz besonders ist das häufige Antreffen von Austern zu bemerken, aus deren Auftreten Splieth°) das frühere Vorhandensein des Litorinameeres bei Neustadt feststellte. 10. Kiel. Schon vor 30 Jahren, im November 1876, waren bei den Dockbauten in der Kieler Föhrde eine Anzahl Flintsteine, die unverkennbare Spuren absichtlicher Bearbeitung trugen, gesammelt und dem Museum vater- ländischer Altertümer überwiesen. Seit dieser Zeit ist bei Baggerungen stets auf prähistorische Funde geachtet worden. Auf diese Weise wurde ein stattliches Material zusammengebracht, das von dem Direktor des Museums, Frl. Prof. Mestorf, vor kurzem wissenschaftlich bearbeitet ist. Die Ergebnisse sind in der Schrift: »Wohnstätten der älteren neoli- thischen Periode in der Kieler Föhrde« niedergelegt. Die Lagerungs- verhältnisse dieser Funde wurden von Dr. ©. Weber in Bremen geprüft ®). ') Über Ausdehnung der Litorinabildungen bei Lübeck siehe Abschnitt II. ”) Nach persönlichen Mitteilungen des Herrn Dr. Brüchmann. Siehe auch Brüch- mann, Fundstätte der älteren Steinzeit. ’) Splieth, Über vorgeschichtliche Altertümer Schleswig-Holsteins, S. 141. ‘) C. Weber, Über Litorina- und Prälitorinabildungen in der Kieler Föhrde. Siehe auch die citierte Arbeit von Frl. Prof. Mestorf. 73. Aus seinen vielen, sehr exakten Beobachtungen zog er den Schluß, daß die Flintsteine und bearbeiteten Knochen der Prälitorinazeit angehören. Die Bildungen in der Kieler Föhrde veranschaulicht folgendes, von Weber veröffentlichtes Profil, in welchem ich die Süßwasserschichten, im Gegensatz zu Weber, als Reste des Ancylussees deuten möchte. Bohrung in der Kieler Föhrde. Südwestlich von der Schwentinemündung, 340 m vom Wellingdorfer Strande. Heute befindet sich an der Bohrstelle der westliche Abschnitt der nördlichen Mole des neuen Ausrüstungshafens. In der Höhe von NN. Tiefe unter a Mächtigkeit der Oberfläche 0,0 —4,o m 4o m Wasser. Alluvium. 4,0—4,7 » Vu: Schlammige Moorerde. Litorina. Ar—8,.o0 » 3,3 >» Meerlebertorf mit Cardium, Mytilus, Scrobi- cularia, Nassa, Litorina und Ostraea. Auf ihn folgt Muddetorf im Wechsel mit Leber- und Hypnumtorf. Prälitorina — Aneylus. 8,0 —9,0 » Moss» Süßwassertorfarten. Diluvium. 9, m ? Geschiebereicher Bryozoensand, auf seiner Oberfläche mit zahlreichen Artefakten ä und Abfällen der älteren neolithischen Kultur. Über dem Geschiebemergel lagern neben den Resten menschlicher Kultur, die am Schlusse der Arbeit eingehender besprochen werden, Süßwassertorfarten. Man könnte denken, daß es sich um eingeschwemmte oder bei Eisgang aus der Schwentine eingetriebene und zu Boden ge- sunkene Torfschollen handelt. Dieser Einwand ist von Dr. Weber un- möglich gemacht, indem dieser Forscher durch eine eingehende Unter- suchung eine weite Ausdehnung der submarinen Süßwasserschichten unter Meerlebertorf in der Kieler Föhrde nachweisen konnte. Was nun die Bildung derselben anbelangt, so sagt Dr. Weber (S. 40): »Sie können 74 nicht als Absatz des Ancylussees selber angesehen werden: sie sind nur solche eines verhältnismäßig kleinen Süßwassergebietes.« Wie man sich diese Süßwasserseen zu denken hat, teilt Dr: Weber. aufs, 32. m: »Ein noch jetzt 13—14 m unter dem Mittelwasser aufragender schmaler Rücken, der die breiteste Stelle der Föhrde von Alt-Heikendorf nach Voßbruck quer durchsetzt, schloß vermutlich diesen See im Norden von einem anderen ab, der nordwärts, bei Friedrichsort, wieder durch einen Querrücken scheint begrenzt gewesen zu sein. So füllte das Gebiet der Föhrde damals (d. h. bevor durch die Senkung das Salzwasser des Litorina- meeres in die Föhrde eindrang) ein Zug von Süßwasserseen, die vermut- lich untereinander in Verbindung standen und nach Norden entwässerten.« Das Hindernis, diese Bildungen als Ancylusablagerungen anzusehen, be- steht also in dem Vorhandensein von Seen in der Föhrde vor der Litorina- zeit. Diese Möglichkeit, daß vor der Litorinazeit die Föhrde von Seen erfüllt war, ist von anderer Seite zugegeben worden. So schreibt Struck in seiner Abhandlung über die baltischen Höhenrücken in Holstein: »Es ist wahrscheinlich, daß auch die Kieler Föhrde .... . ebenso wie die großen Seen Ostholsteins, ursprünglich aus mehreren aufeinanderfolgenden, zwischen den Endmoränenstaffeln belegenen Seen (Endmoränenstauseen) bestand.« Aber die einzelnen Seen waren nicht mehr in der Yoldia- und Ancyluszeit vorhanden. Denn Struck gibt weiter an: »Auf Grund der Tatsache, daß das Inlandeis sich im nördlichen Holstein und in Schleswig im allgemeinen von Osten nach Westen zurückzog, ist anzunehmen, daß die Schmelzwasser von Osten nach Westen zur Nordsee abströmen mußten. Einer der Wege, auf dem dies innerhalb der Hügellandschaft des Ostens geschah, dürfte die Kieler Föhrde gewesen sein, und ist weiter anzu- nehmen, daß durch die Erosionstätigkeit des Gletscherstromes die zwischen den verschiedenen Becken bestehenden Staffeln zum großen Teil ein- geebnet und zerstört wurden.« In der Tat, in der heutigen Kieler Föhrde ist stromabwärts der Schwentinemündung nach den deutschen Admiralitäts- karten von etwaigen Barren u. dergl., die einen Binnensee gegen die Ostsee abgesperrt hätten, nichts zu merken. Somit fällt der Grund, den Dr. Weber anführt, daß zur Ancylusperiode die Kieler Föhrde noch von Süßwasserseen erfüllt und daher gegen die Ostsee abgeschlossen gewesen sein muß, vielmehr stand sie offen mit dem Ancylussee in Verbindung. Im übrigen sagt Dr. Weber selbst, daß »wohl einiges geltend gemacht werden könnte, daß die unter dem Lebertorf angetroffenen Süßwasser- bildungen sämtlich der Ancyluszeit angehören.«e Auch die Pflanzen, welche die Süßwassertorfarten zusammensetzen, weisen durch das spär- liche Auftreten der Quercuspollen auf eine frühere Periode der Erlenzeit hin, die ja mit der Ancylusperiode zusammenfällt. Mor. 11. Flensburg. Bei den Baggerungen zur Anlegung der Marinestation Mürwyk wurden ungefähr 60 m vom Ufer bei 5 m Tiefe unter dem jetzigen Meeresboden Hischgeweihe ausgehoben !). Ebenfalls wurden beim Baggern für die neue Werft Geweihstücke, zu Waffen und Werkzeugen bearbeitet, aus einer Tiefe von 8 m unter dem heutigen Meeresboden zu Tage gefördert. Ein größerer Fund wurde 1883 auf der südlich vom Roten Tor, zwischen der Husumer und Schleswiger Landstraße gelegenen Anhöhe bei Gelegenheit von Planierungsarbeiten gemacht. Er bestand in Steinwerkzeugen, Küchenabfällen, Knochen, Austernschalen u. a. In dem Auftreten der Auster sah Struck) die Spuren des Litorinameeres in der Flensburger Föhrde. Im Anschluß an die aufgeführten Fundstätten seien noch 2 Stellen mitgeteilt, an denen zwar das Litorinameer selbst keine Ablagerungen hinterlassen hat, an denen aber Muscheln der Litorinazeit, von Menschen- hand aufgeschichtet, anzutreffen sind. Es sind zwei Muschelhaufen, die sich den aus Dänemark bekannten Kjokkenmeddingern anschließen. Der erste von ihnen liest am Ostfuße einer umfangreichen, 1 km südlich von Süderballig im Kreise Hadersleben gelegenen Bodenerhebung neben einer moorigen Wiese, die westlich und südlich von dem kleinen Landsee Hopsö liegt. Diese Wiese wird einstmals See gewesen sein und mit der Gjenner Bucht, also mit der Ostsee in Verbindung gestanden haben. Eine vom Professor Pansch vorgenommene Untersuchung des Muschelhaufens ?) stellte das Vorhandensein von verkohltem Holz, Flint- steinen und zerschlagenen Tierknochen fest. Sie durchsetzen eine An- häufung von Muschelschalen und Schneckengehäusen, die eine reichlich 1 m mächtige und 25 m lange Schicht bildet. Die Molluskenschalen stammen hauptsächlich von folgenden Tieren: Ostraca edulis, Mytilus edulis, Cardium edule, Tellina baltica, Litorina litorea und Nassa reticulata'). !) Nach H. Sauermann, Führer durch das Kunstgewerbemuseum der Stadt Flens- burg. Flensb. 1903. ?) R. Struck, Der baltische Höhenrücken. S. 64. Siehe auch E. Stolley, Geolo- gische Mitteilungen von der Insel Sylt. III. S. 104. ®) J. Mestorf, Die Ausgrabungen des Prof. Pansch; III, eine alte Wohnstätte bei Süderballig. Mitt. d. Anthropologisch. Ver. in Schleswig- Holstein. Heft III. Siehe auch: Splieth, Vorgeschichtliche Altertümer Schleswig - Holsteins. *) Näheres über die Mollusken findet sich in: A. Voß, Kjokkenmodding in Schleswig. Zeitschrift für Ethnologie. Bd. XIll. S. 185 u. 186. 76 Ein zweiter derartiger Muschelhaufen ist der von Eckernförde. Soweit die ihn zusammensetzenden Mollusken erkennen lassen, fällt sein Entstehen in die Litorinazeit. Leider sind die Berichte über seine ‚Untersuchung vom Altertumsmuseum zu Kiel und dem Völkerkunde- museum zu Berlin noch nicht veröffentlicht. Eine vorläufige Mitteilung gab bis jetzt nur Struck'), der die vorstehenden Angaben entnommen sind. Im Vorhergehenden sind die bis jetzt erforschten und bekannten Bildungen des Ancylussees und des Litorinameeres im südwestlichen Baltikum dargestellt. Ich bin mir bei der Auffassung gewisser Bildungen als Produkte des Ancylussees wohl bewußt gewesen, daß das Leitfossil, Ancylus fluviatilis, in den betreffenden Ablagerungen fehlt. Aber ist denn in deutschen Litorinabildungen ZLitorina Titorea das Leitfossil? Sie wurde unter den gewaltigen Mengen von Konchylien in Wismar gar nicht ge- funden. An anderen Orten, wie bei Greifswald, tritt sie ganz zurück, so daß bereits von Friedel der Vorschlag gemacht wurde, die Absätze des Litorinameeres mit dem Namen Secrobieulariaschichten zu bezeichnen. In derselben Weise kann auch in deutschen Ancylusbildungen Ancylus fluviatilis unter den Konchylien zurücktreten oder gar nicht vorhanden sein. Ferner könnte es auffällig erscheinen, daß die Bildungen des Aneylus- sees bald in einem sandigen Kalk, bald in einem Ton oder Torf be- stehen. Genau dasselbe ist aber auch bei den Litorinabildungen der Fall; sie sind z. B. in der Trave mehrfach nahe beieinander sandiger oder toniger Natur, während sie in Kiel torfiger Art sind. Faßt man die geographische Lage der beschriebenen Fundstellen ins Auge, so liegen sie an den Küsten, in Föhrden, flachen Buchten und unter niedrigen Strandbildungen. Von diesem Gesichtspunkte aus werden sich wahrscheinlich noch an folgenden Orten die betreffenden Ab- lagerungen finden lassen. Vorpommern: 1. In den vielen Buchten und Wieken Rügens mit Ausnahme der Küsten Jasmunds und der Nordküste Wittows. Mecklenburg: 2. In der ganzen Wismarbucht, hauptsächlich im Breitling zwischen Poel und dem Festland, im Salzhaff und landeinwärts von der Boltenhagener Bucht. !) Struck, Aus dem Naturhistorischen Museum. Lübeckische Blätter, [g. 1905. Siehe auch: Struck, Der baltische Höhenrücken. S. 64. Sn 10. 17 Fürstentum Lübeck: Vielleicht am Nordende des Hemmelsdorfer Sees zwischen Nien- dorf und dem Timmendorfer Strande. Bei Haffkrug. Schleswig-Holstein: Bei Cismar. Unter dem Gruber See bei Dahme. In der Hohwachter Bucht in der Niederung zwischen Schloß Panker und dem Meer. In der Apenrader Föhrde. In der Gjenner Bucht. In der Haderslebener Föhrde. Es läßt sich aus der angegebenen Tiefenlage der Ancylus- und Litorinabildungen nicht schließen, um wieviel das Land gesunken ist, da man nicht weiß, ob sie in einem flachen Wasser oder in einer tieferen See abgesetzt wurden. Wahrscheinlich ist das erstere, aber nicht bewie- sen. Dagegen läßt sich aus zwei anderen Erwägungen die Senkung und ihr Mindestmaß ableiten. ie Es ist unmöglich, daß sich ausgedehnte Spuren menschlicher Kultur unter dem Meeresspiegel ablagern. Freilich kann es ja vorkommen, daß einzelne Stücke ins Wasser hineingeraten oder moorige Ablagerungen durchsinken. Aber bei einer so großartigen Fülle und weiten Verbreitung von Waffen und Werkzeugen des Menschen, wie sie in Lübeck und Kiel vor- handen sind, ist solches ausgeschlossen. Es ist unmöglich, «daß infolge mangelnden Gefälles eine Tal- erosion tief unter den Meeresspiegel stattfindet. Da bis jetzt die Annahme, die zuerst am nachdrücklichsten von Geinitz vertreten wurde, herrscht, die in Frage kommenden, im Diluvium ein- gebetteten Täler seien durch Erosion gebildet, so muß das Land höher gelegen haben. Die Mündung der Trave würde etwa 2'/a m tief sein, wenn sie nicht künstlich vertieft wäre. Diese natürliche Tiefe ist auch für den Abfluß des Schweriner Sees, für die Warnow und Recknitz und für den Ryk bei Aufstellung der folgenden Tabelle angenommen. 78 Nach diesen beiden Erwägungen ist für die einzelnen Orte das Mindestmaß der früheren Höhe berechnet. Es lag höher: Das Ryktal bei Greifswald ...... . 250 m Das Recknitztal bei Damgarten . . . . . 6,75 » Das Warnowtal bei Warnemünde . . . .20 >» Dies. lsmarbuchtsbeialrep spe er Das’ Rrayetalpei Nrayemündern 72727 72556508 Die Kieler Föhrde bei Ellerbeck . . . . . 14,10 » Es sei bemerkt, daß man aus diesen Zahlen ohne weiteres nicht den Schluß ziehen darf, im Westen habe sich das Land stärker gesenkt als im Osten. Dazu wäre man erst berechtigt, wenn die alten Mündungen der Täler nebst ihren Tiefen bekannt wären. Es wäre nach den Angaben, um wie viel sich das Land gesenkt hat, eine verlockende Aufgabe, Orte mit gleichen Zahlen zu verbinden und auf diese Weise das Land vor dem geistigen Auge wieder erstehen zu lassen. Diese Aufgabe ist aber nicht auf solche Weise zu lösen, was durch die Art der Senkung bedingt wird. I. Die Art der Senkung. Im folgenden wird die Talsohle von zwei Hauptstromtälern bei und nach dem Rückzuge des Eises, von dem Mecklenburg - Pommerschen Grenztal und dem Peene-Ihitztal, zahlenmäßig dargestellt werden. Das Mecklenburg-Pommersche Grenztal zweigt sich östlich von Fried- land in Mecklenburg von der Haffniederung der Oder ab. Von Friedland erstreckt es sich bei einer Länge von etwa 100 km!) in nordwestlicher Richtung über Ülempenow, Demmin, Triebsees, Sülze bis Ribnitz-Damgarten. Seine Fortsetzung läßt sich nicht mehr klar erkennen. In dieses Grenztal strömte beim heutigen Triebsees das Wasser des Peene-Ibitztales, mit dem es auch durch das Tal zwischen Demmin und Loitz, in welchem heute die Peene fließt, in Verbindung stand. Das Peene-Ibitztal zweigt sich ebenfalls von der Haffniederung, und zwar bei Anklam, ab und läuft über Jarmen, Loitz, Zarrentin nach Triebsees. Bei einer im großen und ganzen nordwestlichen Richtung besitzt es eine Länge von etw 70 km. '!) Von diesen Tälern ist in der folgenden Tabelle in der 2. Spalte die größte Tiefe des Flußtales angegeben, ?) die von der Oberfläche der den Strom begleitenden Torf- und Moorniederungen, deren Höhe über NN. die Ziffern in der ersten Spalte bezeichnen, abgezogen wurde. So konnte die Tiefe der Talsohle unter NN. festgestellt werden, die sich in der 3. Spalte aufgezeichnet findet. ') Mit der Länge der Flußtäler ist immer die Luftlinie gemeint, die nach der Karte berechnet ist. Es sind dazu die Querprofile benutzt, die Klose in seiner Abhandlung über die alten Stromtäler Vorpommerns ausführlich darstellt. Auch gibt er auf S. 62 [Sonderabdruck] seiner Arbeit bei einer Berechnung und tabellarischen Zu- sammenstellung von Erosionsbeträgen im Grenz- und Peenetale die Tiefenlage der Talsohle an. Doch wurden sämtliche Angaben mit Hilfe seiner Zeichnungen und der Profile auf S. 36—58 neu berechnet, wobei ich teilweise zu anderen Zahlenergebnissen als Klose gekommen bin. Ferner wurde die Tafel durch Auf- nahme einiger anderer Profile erweitert, [53 — 80 Das Grenztal. Profile Alluvium | Seine größte | Talsohle über über NN. liete: oder unter NN. Löwitz—Uhlenhorst . . ...), 8oo m 5,10 m + 2,0 m Cavelpaß— Friedland . .. ..| 85 » 8,05» 4- 0,70 » Rebelow—Ramelow ......| 800 » Tao » + 0,50» Japenzin—Sieden—Bollentin . . | 7,50 >» 7,0 » 4 0,10 » Janow- Collnee ee ee 6,75» — 1,755 » Breest_ Collnweee ser > 8,55 » — 3,55 » Klempenow—Rohrsoll . . ..| 3,5 » 5,60 » — 1,5 » AltBellm — Brook re 20 4,75 » — 2,90 » Osten Moidına a so 7,05» — 4,25 » Eugenienburg—Sanzkow . 1,50 » 7,60 » — Öl 5 Schießstand von De Schanze ae. ee ones 6,65 » — 5,00 » Demmin— Haus Denon 20T > 6,655 » — 6,5 » Erdmannshöhe—Wolkow . . .| 0,0 » 7,55 » — 1,15 » Wotenike Veyine, 222.777. 27,700 > 6,40» — 6,0 » Nossendorf _Beestland . . . . | 0,50 » 6,90 » 00 Bassendorf_-Quitzenow . . ..| La » 6,60» — 5,20 » Ziegelei Triebsees—Langsdorf . 2,00 » 90 » on > Landsdorf—Langsdorf ....| 35 >» is 9 Haltest. Landsdorf— Sülzer Schießlause nr N Die 6,35 >» — 4,00 » Cavelsdorf—Saline Sülze . . .| 1, » 8,50 » — 7,0 » Semlow—Marlow . . . .....| 050 » 8,70 » — 8,20 » Damgarten—Ribnitz . . . . .| 030 » 94 » > Das Peene-Ibitztal. Profile Alluvium | Seine größte | Talsohle über über NN. Tiefe. oder unter NN. Johannesdorf—Gnevezn . . . 0,410 m 10,0 m — 10,00 m Menzlin—Görkeburg . . .. . 0,10 » 905 » — 8,65» Stolpmühle—-Stolpe . . . .. .ı O0 » 9,0 >» — 9,50 » Gützkow—Gützkower Fähre . . | O0, » 40 » — 9,00 » Breechen — Jatınens er RE 0,40 » . 9,90 » — 9,50 » Vierow—Alt-Plesteln . . . ..| O0 » 10,05 » — 965 » Schwinge—Doitz' ."ı „v2. 0. 3,00 » 815 » — 515 » Morbein_ Woitzulnn ih NEUmminen BURN D um> D,70 >» —- 1,95 » Kakoyw, Inıtz Kustowr se 7,00 >» To » — 0,10 » Voigtsdorf—Zarnekow . .. .| 3,5» 8,10 » a Zarrentin—Stremlow . . 2... ..1| 3,00 » 8,10 >» — 59,10 » ci Betrachten wir die Zahlen der dritten Reihe, welche die Tiefe der Talsohle angeben. Von Loitz östlich von Friedland senkt sie sich allmählich von 2,90 m über NN. bis auf 3,55 m unter NN. bei Breest-Cölln. (Die 10 cm, die sie bei Rebelow-Ramelow höher liegt als bei Friedland, sind zu gering, um ihnen irgend eine Bedeutung beizumessen.) Die Entfernung Löwitz - Friedland -Cölln beträgt 30 km. Da sich die Talsohle auf der ganzen Strecke um 6,45 m senkt, so kommt durchschnittlich auf 1 km eine Senkung um 0,2 m. In dem Profil Klempenow-Rohrsoll, das auf das Profil Breest-Cölln folgt, befindet sich die Talsohle plötzlich in einer Höhe von 1,85 m unter NN. während sie sich ja schon auf 3,55 m unter NN. gesenkt hatte. Wenn man die Gegend betrachtet, in der die Steigung der Talsohle stattfindet, und nach einer Ursache sucht, so findet man, daß hier in das Grenztal von Süden her das Flußtal der Tollense einmündet. Es liest daher die Vermutung nahe, daß dem Grenztal durch die Wasser des Nebentales reichlich Sand zugeführt wäre, zumal da ein kurz vor seiner Mündung bei Bittersberg gelestes Profil ein außerordentlich flaches Strom- bett zeigt, dessen Talsohle sich 30 em über NN. befindet. Es müßte also an der Mündung des Tollensetales bei einem Gefälle von über 2 m auf etwa mehr als 1 km eine außerordentlich heftige Strömung statt- gefunden haben, die Sand und dergl. mit in das Grenztal fortgerissen hätte. Aber der Auffassung, die höhere Talsohle durch Versandung zu erklären, stehen verschiedene Bedenken entgegen. Erstens ist es für norddeutsche Verhältnisse unnatürlich, daß sich das Wasser in einem von ihm herausgebildeten Flußtal, daß über 15 km mit ziemlich gleichbleibendem Gefälle eingenagt ist, kurz vor der Mün- dung, wenn nicht im Wasserfall, so doch in reißender Strömung in einen andern Strom ergösse. Zweitens würde die Wassermenge des Grenztales, die doch bedeu- tend größer gewesen sein wird als die des Tollensetales, den Sand mit sich fortgetragen haben. Drittens müßte sich diese Versandung auf eine über 10 km lange Strecke bis in die Nähe des Querprofiles Osten -Roidin erstreckt haben, vor dem erst die frühere Tiefe des Grenztales, 3,55 m, wieder erreicht wird. Würde man dagegen im Durchschnitt ein Gefälle von 0,2 m auf 1 km annehmen, so würde sie noch ‚viel weiter stromabwärts gereicht haben müssen. Viertens haben sich noch an verschiedenen anderen Stellen Gewässer aus Nebentälern ins Grenztal ergossen, wie z. B. die Peene bei Demmin (siehe weiter unten), doch ist dort keine Versandung des Grenztales ein- getreten. 32 Es bleibt also zur Erklärung des plötzlichen Höhenunterschiedes in der Talsohle nichts anderes übrig, als daß die Strecke Friedland -Cölln für sich gesunken ist.') Wenn dieses ganze Gebiet um 2 m höher läge, würde sich eine regelmäßig gesenkte Talsohle von Friedland bis in die Gegend von Demmin ergeben. Denn von Cölln bis zum Profil Eugenienburg-Sanzkow senkt sich die Talsohle von 1,85 m unter NN. auf 6,10 m unter NN. Die Strecke ist 13 km lang. Folglich hat sie sich gerade wie die Strecke Friedland-Clempenow um 0,2 m auf 1 km gesenkt. (Es ist das Sinken um 0,2 m für die ganze Strecke berechnet. Zwischen zwei einzelnen nahen Profilen mögen Abweichungen vorkommen, die daher rühren, daß das Wasser sich bald durch widerstandsfähigen Lehm, bald durch Sand seinen Weg bahnen mußte.) Von Sanzkow an senkt sich die Talsohle nicht, sondern liegt bei dem Profil Schießstand Demmin-Alte Schanze 70 cm höher. Wieder könnte man meinen, dieser Höhenunterschied sei durch eine Versandung von einem kleinen Nebenfluß, in diesem Falle durch den Au-Graben, verursacht. Aber 2 km stromabwärts mündet das weite Peenetal ins Grenztal. An dieser Stelle müßte die Versandung besonders stark sein. Doch das Profil Demmin-Haus Demmin, das unmittelbar nach der Mün- dung des Peenetales liegt, zeigt nichts von einer Versandung, vielmehr senkt sich die Talsohle von 5,40 m auf 6,25 m unter NN. Also muß auch zwischen der Alten Schanze bei Demmin und Sanzkow das Land als Stück für sich gesunken sein. Bei dem folgenden Profil, dicht bei Demmin, liest die Talsohle 7,15 m unter NN., bei Wotenik-Levin 1,15 m höher. Zwischen diesen beiden Profilen mündete überhaupt kein Bach oder Fluß in das Grenztal, so daß eine Versandung vollkommen ausgeschlossen ist. Ebenso wie vorher läßt sich das Steigen der Talsohle nur durch das schollenartige Sinken des Landes erklären. Dasselbe gilt für das Steigen der Talsohle um 1,20 m zwischen Nossendorf-Beestland und Bassendorf-Quitzenow einerseits und Ziegelei Tribsees-Langsdorf und Landsdorf-Langsdorf andererseits. Zwischen den beiden letzten Profilen mündete in das Grenztal das Peene-Ibitztal und das Trebeltal. Die Unregelmäßigkeiten in der Talsohle wiederholen sich bis Rıbnitz noch, ebenso kommen sie im Peene-Ibitztale vor, wie aus der Tabelle leicht zu ersehen ist. ') Es möchte auffallen, daß der Höhenunterschied kein allzu großer ist. Es ist aber immer zu bedenken, daß, im ganzen betrachtet, der Boden an der Küste mehr als im Innern des Landes gesunken ist. 83 Zwei wichtige Tatsachen folgen aus dieser Darlegung: 1. Die Senkung hat sich nicht auf das Küstengebiet beschränkt, sondern weit landeinwärts erstreckt. 2. Die Art der Senkung war schollenartig. Aus letzterem folgt ohne weiteres, daß es durch die vielen Unregel- mäfßligkeiten, mit denen das Sinken des Landes vor sich ging, recht schwierig ist, Flußläufe oder gar einzelne Landstrecken vor der Senkung zu konstruieren. Nur bei ganz genauen und zahlreichen Angaben inner- halb eines kleinen Gebietes ist es möglich. So konnte Deecke auf Grund des Beobachtungsmaterials, das die deutschen Seekarten zur Verfügung stellen, auch im einzelnen die feineren Züge des untergesunkenen Landes wiederfinden und genetisch erklären. Deecke!) hat nämlich die vier Untiefen, die vor der pommerschen Küste in der Ostsee liegen — der Plantagenetgrund W. von Rügen, der Adler-Grund zwischen Rügen und Bornholm, die Oder-Bank in der Mitte des tiefen Winkels der sog. Pommerschen Bucht, sowie viertens die Stolpe-Bank vor dem hinterpommerschen Ufer auf ihre geologische Entstehung und Bedeutung hin geprüft. Er kommt zu folgendem Er- gebnis. Die Plantagenet-Bank erklärt sich einfach als Staumoräne, die Oder-Bank als ein Jasmund entsprechendes Gebirgsstück, ”) das mit seinen Stillstandslagen und Dünen ein Haff absperrte, aus welchem bei Stubben- kammer die Oder abfloß. Der Adler-Grund macht den Eindruck einer Moränen- oder Kameslandschaft mit Hügelkuppen und einem tiefen Schmelzwassertal. Nicht sicher zu deuten ist die Stolpe-Bank. Außer diesen Forschungen ist nur noch der Unterlauf der Trave ın seinen einzelnen Zügen festgestellt. ı) Deecke, Ein Versuch, die Bänke der Ostsee vor der pommerschen Küste geologisch zu erklären. 2) Siehe auch: Deecke, Die Oder-Bank. 34 III. Die Flußläufe vor der Senkung. (Siehe die beigegebene Karte.) Maßstab 1:25 000. In den beiden letzten Jahren, 1904 und 1905, sind vom Bauamt zu Lübeck die Bodenbildungen im Travebett vom Kattegatt, einer Bucht am rechten Ufer oberhalb der Herrenfähre, bis zur Mündung auf weite Flächen hin eingehend untersucht. Beinahe 60 Profile wurden von Herrenwiek bis zur Siechenbucht durch etwa 300 Bohrungen festgelegt; außerdem wurden in der Herrenwieker Bucht über 50 Bohrungen vor dem Areal der zukünftigen Hochofenwerke ausgeführt, ebenso im Katte- gatt und vor dem Gothmunder Ufer und endlich in der Bucht zwischen dem Behnturm und Schlutup. Zu diesem reichen Material an Beob- achtungen — es sind mehr denn 500 Bohrungen — kamen noch die Mitteilungen, die ich von den Baggermeistern, die in der Untertrave be- schäftigt waren, freundlichst erhielt. Aus diesen vielen Angaben, von denen die einen auf NN., die anderen auf Struckfährpegel, die einen auf Mittelwasser, die anderen auf den gerade in der Trave herrschenden Wasserstand bezogen waren, aus diesen vielen Angaben ist die Karte über den Urlauf der Unter-Trave entstanden. Kattegatt. (Zwischen Gothmund und der früheren Herrenfähre.) Bei dem Ostende Gothmunds, ungefähr beim Gasthause, befindet sich der Urlauf') in einem Abstande von etwa 70—80 m vom Treidel- stiege. Seine Tiefe schwankt zwischen 12—14 m. Das frühere Traveufer muß mit verhältnismäßig steiler Böschung angestiegen sein. So liegt es z. B. 50 m vom Treidelstiege entfernt 11,20 m unter NN., während es bei 20 m nur noch 2,65 tief ist. Von etwa 75 m nähert sich der Urlauf östlich von Gothmund all- mählich auf 50 m dem Treidelstiege. Zugleich wächst seine Tiefe auf ') Mit Urlauf wird die Stromrinne, d. h. die größte Tiefe des Travetales, zum Unterschied vom heutigen Travelauf bezeichnet. Ich weiß wohl, daß Urlauf dieser Bedeutung nicht ganz entspricht. 85 14,65 m. Doch nur auf eine kurze Strecke hin ist er in dieser geringen Entfernung. An der Stelle, an der das hohe Ufer von Gothmund nach Süden umbiegt und sich verflacht, wurde er von den Bohrprofilen nicht mehr erreicht. Erst auf einem Profil, das sich von der alten Herren- fähre bis zum Nordende des hohen Traveufers nördlich der Lübeck- Travemünder Landstraße erstreckt und somit von einem Ufer bis zum anderen reicht, ist er wiederzufinden. 200 bis 300 m vom Westufer, d.h. ungefähr in der Mitte des Stromtales, floß er in einer Tiefe von 13,15 m bis 12,98 m unter NN, während er schon bei Gothmund eine solche von 14,65 m besaß. Also auch beim Travetal tritt dieselbe Erscheinung auf wie bei den Stromtälern Vorpommerns, daß die Talsohle sich nicht gleichmäßig senkt. Ohne Zweifel werden sich diese Unregelmäßigkeiten bei allen Föhrden und Flüssen des behandelten Gebietes wiederholen. Sie sind bis jetzt noch nicht beachtet, weil nur in den seltensten Fällen genaue Messungen und Bohrungen in den Flußläufen vorliegen. Von der Mitte der Stromrinne aus nähert sich der Urlauf dem linken Traveufer. Bei dem jetzt eingeäscherten alten Godesmanneshus, der früheren Herrenfähre, besitzt er, etwas über 50 m vom Ufer, eine Tiefe von 12,95 m unter NN. Im Kattegatt kann man bis auf eine kleine Strecke den Urlauf wieder konstruieren. Nur an dem flachen Gothmunder Ufer ist er durch die Profile nicht erreicht, ein Zeichen, daß er weiter östlich floß. Südlich von Siems ist wie bei Gothmund das Traveufer steil und hoch. Es ist daher wohl möglich, daß der Urlauf entsprechend dem hohen Ufer Gothmunds auch südlich von Siems sich in einer ungefähren Entfernung von 70 bis 90 m vom linken Ufer erstreckte. Dieser Annahme gemäß ist er auf der Karte vervollständigt worden. Übrigens würde ein Schwanken in der Entfernung bis zu 30 m auf dem Plane kaum zum Ausdruck kommen. Stau. (Zwischen der alten Herrenfähre und dem Behnturm.) Leider stehen mir für den nordwestlichen Teil des Staus keine Angaben zur Verfügung. Die Richtung des Urlaufes ist daher nur als wahrscheinlich angenommen. Erst bei dem nördlichen Ende des alten Schießplatzes läßt er sich wieder genau festlegen. Aus nördlicher Rich- tung nähert er sich allmählich dem Ufer. Wo dieses die Nordwest- Südost Richtung verläßt und in die west-östliche Richtung übergeht, ist er mit einer Tiefe von 18,68 m vom Ufer 100 m entfernt. In dieser Entfernung läuft er bis Stauort (Behnturm) dem Ufer parallel. 86 Bretling und Avelund. (Ersterer zwischen Behnturm und dem Schlutuper Ufer, letzterer dieser Bucht gegenüber zwischen der alten Herrenfähre und der Mündung des Kücknitzer Mühlenbaches.) Der Bretling ist vom Behnturm bis zur Schlutuper Knochenmühle eine durchaus flache, nur mit dünnen Moddeschichten erfüllte Bucht. Der Urlauf hat nicht in ihm geströmt. Statt dessen scheint er im Ave- lund geflossen zu sein; denn im östlichen Bretling kommt die Strom- rinne mit einer Richtung, die auf den Avelund hinweist, auf das Schlutuper Ufer zu, dort, wo das heutige Travewasser sich einzuengen beginnt. Fast 19 m, genau 18,90 m unter NN., zieht sie sich parallel dem steil abstürzenden Ufer hin, allerdings nur auf eine kurze Strecke. Sowie das heutige Ufer flacher wird, wendet sie sich nach Norden, um nit einem kurzen Bogen nach dem Ufer von Herrenwiek die Mitte des heutigen Stromes einzunehmen. Herrenwieker Bucht und Schlutuper Wiek. Zunächst erstreckt sich die 'Talrinne in östlicher Richtung. Etwas nördlich von der Insel Halerort, die jetzt durch die aufgeschüttete Modde verlandet ist, bog der Urlauf nach NO, auf das hohe östliche Ufer der Herrenwieker Bucht zueilend. Dort, wo heute der Damm aufgeschüttet ist, der die neugebildete Landfläche nach Süden begrenzt, strömt er reich- lich 150 m vom Ufer in einer Tiefe von 19,03 m. Die Bohrungen, die östlich dieses Dammes liegen, zeigen nichts mehr von einer Stromrinne. Nur 10—12 m unter NN. liegen weiter als 100 m vom Ufer die Modde- ablagerungen. Das allmähliche Ansteigen ihrer Unterkante zeigt ein Fließen in der Richtung auf Schlutup. Und in der Tat, etwas nördlich von der Schlutuper Kirche weisen Bohrungen, die 100 m vom Lande entfernt sind, bei einer Tiefe von 15,90 m auf die Nähe der Urlaufes hin. Doch verläßt er Schlutup bald, um sich wahrscheinlich mit einem Bogen an das gegenüberliegende Mecklenburgische Ufer wieder dem linken Ufer zuzuwenden. Von der Schlutuper Wiek bis zum Stulper Huk. An der Spitze des Landvorsprunges östlich der Herrenwieker Bucht liest in einem Abstande von 100 m die Unterkante der Modde 7,35 m unter NN. Diese geringe Tiefe steigt in der kleinen Bucht, die sich stromabwärts an den Landvorsprung anschließt, recht plötzlich auf 16,36 m, in einer Entfernung von 150 m vom Lande sogar auf 17,25 m. Östlich von der kleinen Bucht zieht sich das Ufer westöstlich. Ihm läuft der Urstrom in einem Abstande von 150 m parallel. Kurz, bevor das Land 87 von der Westostrichtung in die von Südwest nach Nordost übergeht, erreicht er seine größte Tiefe. 100 m vom Ufer liegt er 21,65 m unter NN. Ja, an der Landspitze selber ist diese Tiefe nur 50 m vom Lande. Die Talrinne erstreckt sich jedoch stromabwärts dem Lande vorläufig nicht parallel, sondern wie vorher gerade nach Osten. Dadurch nähert sie sich dem Lande rechts der Trave, doch nicht allzu schr, so daß sie etwa die Mitte des Travetales einnimmt. Alsbald ist sie wieder am linken Ufer. Dort mündet kurz nach dem Dummersdorfer Wege ein kleiner Bach, der Abfluß des Dummersdorfer Moores, in die heutige Trave. Dicht hinter ihm ist der Urlauf 150 m vom Ufer reichlich 20,5 m tief. Diese Tiefe steigt schnell auf 23,60 m, entfernt sich aber stromabwärts immermehr vom linken Ufer, ohne jedoch in die große Holzwiek, die der Hohemeiler Forst umrahmt, einzutreten. Dagegen scheint der Urlauf in der im Osten folgenden kleineren Bucht geflossen zu sein; denn an dem ihr segenüberliesenden Lande ist er nur am Eintritt in sie, etwa in der Mitte des Tales, festzustellen. Alsdann wendet er sich wieder dem linken Ufer zu, das er südlich von Stulper Huk, wo es besonders steil und hoch ist, in einer Entfernung von 50 m bespülte. Seine größte Tiefe ist nur 22,35 m unter NN., während sie 2,50 km stromaufwärts schon 23,50 m be- tragen hatte. Daß sie tatsächlich nicht größer ist, beweist der Anfang folgenden Profils, das etwa 300 m südwestlich vom Stulper Huk liegt. 50 m vom Lande: O,oo bis S,6o m unter NN. Wasser 8,60 >» 22,5 > > » Modde, 22,35 » 24,00 » » » Scharfer Sand. 100 m vom Lande: 0,00 bis 9,98 m unter NN. Wasser, 9,93 » 21.15 » » > Modde, 21,15 » 23,5 » » » Scharfer Sand. Aus diesen Angaben folgt, daß in der Tat die größte Tiefe der Moddeablagerung 50 m vom Ufer liegt und weiter in den Strom hin ab- nimmt. Dasselbe geht auch aus den nächsten Bohrprofilen hervor, die hier nicht weiter mitgeteilt werden können. Das folgende Ufer vom Stulper Huk selbst wurde von dem Urlauf umgangen. Er wandte sich nach Südosten, um sich in die westlich von Teschow liegende kleine Bucht zu winden. 88 Vom Stulper Huk bis zur Südspitze vom Priwall. Am Anfang dieser Strecke läßt sich der Urlauf noch sicher ver- folgen. Von der Teschower Bucht wendet er sich wieder dem linken Ufer zu. Doch so nahe wie stromaufwärts kommt er ihm bier nicht mehr. So blieb er von dem jetzigen Lande an seiner nächsten Stelle in einer langgestreckten Einbuchtung nördlich vom Stulper Huk immer noch 450 m entfernt. Von hier ab stromabwärts ist es mit den mir zur Ver- fügung stehenden Bohrungen nicht mehr möglich, genau den Urlauf zu konstruieren. Er ist sicher weit über 350 m vom Lande entfernt. Nur dort, wo die Lübeck—Travemünder Bahn ans Ufer gelangt, scheint er noch einmal unweit vom heutigen Ufer geflossen zu sein. Ebenfalls läßt sich nicht feststellen, wo der Urlauf die Stepenitz aufnahm. Dassower See. Der Urlauf der Stepenitz hat sicher den Dassower See durchflossen. Leider stützen sich meine folgenden Angaben nicht auf Bohrungen, sondern sind mit Hilfe eigener Anschauung und der Karte zusammen- gestellt. Durch die in letztere eingetragenen Tiefen ergiebt sich, daß der Stepenitz noch kurz vor ihrer Mündung zwei Bäche zuströmten. Der eine kam von Südwesten aus der Nähe von Selmsdorf und mündete nordwestlich vom heutigen Zarnewenz und südlich von der Insel Buch- horst. Der andere floß aus nordöstlicher Richtung. Er entsprang im sogenannten Lattenbruch und mündete beim jetzigen Ort Benckendorf. Beide Flüßtäler sind heute von Moorwiesen erfüllt, die breit sind im Verhältnis zum Wasser, das sie durchströmt. Der Urlauf der Stepenitz selbst floß zuerst in nördlicher Richtung von Schwanebek auf das zwischen Benckendorf und Vorwerk liegende steile Ufer zu, strömte dann ostwärts, nahm die beiden Bäche auf, um dann wahrscheinlich in mannigfachen Windungen nordöstlich in den Urlauf der Trave zu münden, nachdem er das Geschiebemergelland, das nördlich und südlich von der Mündung des Dassower Sees liegt, durch- flossen hatte. Soweit es sich durch Anschauung und nach der Karte fest- stellen läßt, haben die Verhältnisse des Dassower Sees eine große Ähn- lichkeit mit dem flachen Wiesenland, das die Trave bei der Schwartau- mündung umgibt. Würde das Land hier um einen Meter sinken, so würde die Mündung der Schwartau etwa bei der Aubrücke des Fleckens Schwartau liegen. Stromabwärts würde ein großer See entstehen, der die Niederung von der Teerhofsinsel bis zum Israelsdorfer Gehölz und bis nach Dänischburg erfüllen würde Umgekehrt, wenn der Dassower See um reichlich einen Meter höher läge, so wäre er ein Wiesenland, 39 entsprechend dem, das jetzt bei der Schwartaumündung liegt, und das von der Stepenitz und ihren beiden Bächen träge durchflossen würde. Wie schon gesagt, ist nicht festzustellen, wo der Urlauf der Stepenitz in die Trave mündete. Somit bleibt auch zweifelhaft, ob überhaupt das alte Tal der Stepenitz sich mit dem der Trave vereint oder sich selbst- ständig weiter erstreckt hat. Nur eins läßt sich noch entscheiden: Floß der Urlauf der Trave westlich durch die Siechenbucht oder östlich durch die Poetenitzer Wiek? Eine Darstellung der Siechenbucht wird es klarlegen. Siechenbucht. Eins von den vielen Profilen sei hier wiedergegeben, weil sich an ihm die Verhältnisse der ganzen Siechenbucht erkennen lassen. Zugleich gewährt es einen Einblick, wie größtenteils die Angaben über den vorher beschriebenen Teil des Urlaufs der Trave, in diesem Falle freilich für den Urlauf eines kleinen Baches, gewonnen wurden. Es beginnt an der Lübeck-Travemünder Landstraße in der Mitte zwischen dem Siechenhaus und der Einmündung des Fahrweges von Rönnau. In westöstlicher Richtung erstreckt es sich 530 m in die Trave. Fast alle 50 m wurde gebohrt. Unter NN. Abstand vom Ufer: 50 m. 0 bis 0,5 m Wasser, » 2,15 » Modde, » 3,5 » Steiniger Sand, » 6,05 » Lehm. Abstand vom Ufer: 100 m. 0 bis 1,5 m Wasser, » 8,65 » Modde, » 6,5 » Grober Sand, » 8,15 » Lehm. Abstand vom Ufer; 150 m. 0 bis 1,05 m Wasser, » 3,10 » Modde, » 4,10 » Modde mit Sand, » 6,0 » Grober Sand, » 11,10 » Lehm. 90 Abstand vom Ufer: 200 m. 0 bis 1,0 m Wasser, » 2,90 » Modde, » 3,0 » Weißer Sand, » 5,soo » Lehm. Abstand vom Ufer: 250 m. 0 bis 0,10 m Wasser, » 3,s0o » Modde, » 6,0 » Sand, » 11,50 » Sandhaltiger Lehm. Abstand vom Ufer: 300 m. 0 bis 0,55 m Wasser, » 8,5 » Modde, » 10,55; » Feste Modde mit Sand, » 13,65 » Fester Boden. Abstand vom Ufer: 350 m. 0 bis 0,5; m Wasser, » 4,255 » Modde und Sand, » T,5 » Feste Modde, » 9,15.» Sand. Abstand vom Ufer: 400 m. 0 bis O,:o m Wasser, » 4,90 » Weißer Sand, » 7,0 » Modde, » 9,40 » Sandhaltiger Lehm. Abstand vom Ufer: 450 m. 0 bis 0,55 m Wasser, » 7,5 » Modde mit Sand, » 9,45 » Fester Boden. Abstand vom Ufer: 530 m. 0 bis 6,55 m Wasser, (künstliche Tiefe) » 12,15 » Modde mit Sand, » 16,15 » Fester Sand. Il Zunächst zeigt dieses Profil, wie flach heute die ganze Siechenbucht ist. Wenn man die anderen in sie hinabgesenkten Bohrungen mit in Betracht zieht, so ergibt sich als größte Tiefe 1,20 m. Darunter liegen die Moddeschichten. Die Unterkante dieser Bildungen befindet sich auch nicht allzusehr unter NN., durchschnittlich 2 bis 7 m, je nachdem die Bohrungen näher oder weiter vom Lande entfernt sind. Das Urtal der Trave hat also nicht in der Siechenbucht geströmt. In dem oben mitgeteilten Profil reicht bei der Bohrung, die 300 m vom Ufer entfernt war, die Modde 10,55 m unter NN. Dieses wiederholt sich auch bei den anderen, hier nicht weiter veröffentlichten Profilen. Bei einem, das 100 m südlich vom Schnittpunkt der Lübeck-Travemünder Landstraße mit dem Fahrweg nach Rönnau liegt und sich ebenfalls west- östlich erstreckt, befindet sich 150 m vom Lande auch eine für die Siechenbucht auffallend tief gehende Moddeschicht; sie reicht bis 7,85 m unter NN. In der Mitte zwischen den beiden erwähnten Profilen läuft noch ein drittes in derselben Richtung. Auch bei diesem ist bei einer Entfernung von 250 m vom Ufer die Modde für die Verhältnisse der Siechenbucht auffallend mächtig und geht bis 8,85 m unter NN. Ähn- liches tritt, wie schon erwähnt, auch bei anderen Profilen auf. Trägt man diese Tiefen auf eine Karte ein, so sieht man den Urlauf zweier scheinbar unbedeutender Bäche, die früher in der Siechenbucht flossen und gleich denen im Dassower See von Moorwiesen begleitet wurden. Diese beiden Bäche lassen sich auf dem Lande noch heute verfolgen. Der südliche kommt aus einer Moorniederung beim Ovendorfer Hof, fließt bei Rönnau vorbei und mündet heute beim Siechenhaus. Sein Urlauf floß in der Siechenbucht in Form eines umgekehrten S. Der nördliche Bach entspringt in einer Moorwiese bei Teutendorf und bewegt sich östlich auf Travemünde zu, um beim Bahnhofe nach Süden umzu- biegen und sich ebenfalls in die Siechenbucht zu ergießen. Dort erstreckt sich sein Urlauf südöstlich. Ob er sich mit dem Urlauf des südlichen Baches vereinigt hat oder selbständig in den Urlauf der Trave mündete, vermag ich infolge Mangels an Bohrungen nicht festzustellen. Ebenso ist es nach dem jetzigen Stande der Bodenkenntnis des Tallaufes nicht möglich, zu sagen, ob und wo der Urlauf der Trave unter dem Priwall geflossen ist; denn ein Profil, das auf 50 m von- einander entfernten Bohrungen beruht und sich von Travemünde bis nach den Poetnitzer Wiesen erstreckt, gibt es vorläufig nicht. Der Urlauf der Trave ist vor dem Geiste wiedererstanden. Bevor man ihn kannte, lag die Vermutung nahe, er habe Beziehungen zu den hohen Uferstrecken, die heute die Trave umsäumen, und zu den weiten Buchten, die ihr fjordartiges Bild schaffen. Durch die Untersuchung hat sich herausgestellt, daß dieses nicht der Fall ist. Zugleich kann aus den zahlreichen Bohrungen noch eine andere bemerkenswerte Tatsache gefolgert werden, nämlich daß die Sohle der Trave eine nicht im ganzen gleichmäßige Neigung zur Ostsee besitzt. Die Zahlen der folgenden Tabelle beweisen es. Es beträgt die Tiefe der Talsohle: bei Gothmund . . . 14,65 m unter NN. » der Herrenfähre . 12,93 » » » » Herrenwiek . .2ls » » > » Düummersdorf . . 23,00 > » » » Stulperhuk. . . 22,85» » >» Die Unregelmäßigkeit dieser Zahlenreihe tritt noch mehr hervor, wenn man 11 Bohrungen berücksichtigt, die in unmittelbarer Nähe der Stadt, zwischen dem Holzlager von Havemann & Sohn, dem Maschinen- bauplatz und dem Burgtor, in der Trave gemacht wurden. Eine von ihnen, die einen allgemeinen Überblick über den Aufbau der Schichten im Travebett gibt, sei zuerst mitgeteilt. Bohrung beim (früheren) Teerhof, an der zweiten Teerbrücke. 1884. Etwa 3 m über NN. Von der Oberfläche bis 7,.o m Aufgebrachter Boden, » 12,00 » Schwarzer Sand mit muschelhaltigem Moor- boden, » 15,00 » Scharfer grober Sand, » 20,50 » Blauer weicher Ton, » 22,00 » Feiner weißsgrauer muschelhaltiger Sand. Der blaue, weiche Ton mit dem darunter liegenden weißgrauen, muschelhaltigen Sande erstreckt sich beinahe auf das ganze Gebiet, in dem die Bohrungen ausgeführt wurden. Daß die beiden Schichten un- möglich dem Diluvium zugerechnet und nicht als Geschiebemergel und artesischer Sand aufgefafst werden können, wird aus den beiden folgenden Profilen hervorgehen, in denen sowohl im weichen blauen Ton wie in dem muschelhaltigen Sand Holzstücke gefunden wurden. 93 Bohrung bei Havemann & Sohn. 1882. Etwa 3 m über NN. 0 bis 6,60 m Scharfer Sand, etwas tonhaltig, 2.810» Tork » 13,50 » Weicher dunkelgrauer Sand und muschel- haltiger Boden, » 15,30 » Scharfer grauer Sand, » 18,0 » Blauer weicher Ton mit Holzresten, » 22,00 » Feiner scharfer Sand. Bohrung auf der Bellevue. 1383. Etwa 8 m über NN. 0 bis 4,0 m Feiner gelber Sand, aufgebracht. » 8,0 » Schwarzer moorhaltiger Boden. » 12,60 » Etwas tonhaltiger Sand. » 15,0 » Blauer Ton mit sehr vielem Holz. » 16,10 » Schwarzes weiches Moor mit Holz. » 20,00 » Feiner weißgrauer Sand mit Muscheln. » 26,50 » Weicher blauer Ton. » 27,50 » Weißgrauer Sand mit Holz und Steinen. Das Vorkommen von Holz ist ein Beweis dafür, daß der weiche blaue Ton und der darüber liegende Sand nicht als Diluvium aufzufassen sind, sondern erst nach der Eiszeit gebildet wurden. Außerdem sprechen noch zwei Gründe dagegen, die beiden Schichten als ein Produkt der Eiszeit anzusehen. Erstens. Bei fast allen in Betracht kommenden Bohrungen war vom Bohrmeister bemerkt worden, daß der Ton besonders leicht zu durch- bohren war. Mit Recht gibt er dieser ihm auffälligen Erscheinung in der verschiedensten Weise Ausdruck. Es handelt sich eben nicht um gewöhlichen Ton oder Mergel, denn dieser ist gerade in der Gegend der Struckfähre außerodentlich zäh und fest, so daß er den Erdarbeiten an der Kanalmündung große Schwierigkeiten bot. Vielmehr ist der weiche Ton nach der Eiszeit entstanden. Zweitens. Unter den Bohrungen ist ein Profil vorhanden, in welchem der blaue Ton gänzlich fehlt. Wäre der tiefe muschelhaltige Sand die artesische Wasserschicht, so würde sie an dieser Stelle — unter der früheren Bastion Bellevue — die oberste Schicht des Diluviums 94 bilden, ein Vorkommnis, das im Wiederspruch mit den sonstigen Beob- achtungen über die Lagerung der artesischen Schicht bei Lübeck stände. Das Profil, um das es sich handelt, ist folgendes: Bohrloch auf der Bellevue. 1882. Etwa 3 m über NN. 0 bis 17,00 m Aufgebrachter Sand und Moor, teilweise mit Ziegelsteinen. » 21, » Schwarzes weiches Moor. » 23,00 » Schwarzer weicher Sand. » 26,0 » Fester, schwarzer, muschelhaltiger Sand. Aus diesem Profil geht hervor, daß die nachglacialen Bildungen in der Trave schon in unmittelbarer Nähe der Stadt bis 18,50 m unter NN. reichen. Ziehe ich alle Bohrungen, die hier nicht näher mitgeteilt werden können, in Betracht, so ist die größte Tiefe des Flußbettes 20 m unter NN. Da mir kein Querprofil durch das ganze Travetal in der Nähe der Bohr- stelle zur Verfügung steht, so kann die Talsohle noch tiefer liegen. Werden die vorstehenden Bohrergebnisse ebenfalls in die auf Seite 40 mitgeteilte kleine Tabelle eingetragen, so ergibt sich, daß die Talsohle von Lübeck ab stromabwärts zuerst steigt. Natürlich ist hier- unter nicht ein allmähliches Ansteigen zu verstehen, sondern ganz den pommerschen Verhältnissen entsprechend wird sich die Talrinne von der Struckfähre noch weiter senken, um dann plötzlich mindestens 6 m höher zu liegen, also ein Ansteigen in Form einer Stufe. Anders liegen die Verhältnisse im Tal von Herrenwiek bis Stulper Huk. Diese Strecke weist so gut wie gar kein Gefälle auf. Gewiß senkt sie sich bis Dummersdorf, soweit die Bohrungen es erkennen lassen, aber infolge des schollenartigen Absinken des Landes liegt die Talsohle bei Stulperhuk wieder höher. Also auch im Travetale finden sich gleich den Tälern Pommerns große Störungen, deren Ur- sachen in der Art der Senkung zu suchen sind. In dieses Travetal drangen durch das allmähliche Sinken die Aney- lussee und das Litorinameer hinein. FErsteres wird sicher nicht weit landaufwärts seine Spuren hinterlassen haben, da ja erst nach der Mitte der Ancyluszeit die Senkung im Travegebiet einsetzte. Anders ist es mit dem Litorinameer. Man könnte meinen, soweit sich die breiten Wasserflächen im Unterlauf der Trave landeinwärts erstrecken, habe das Litorinameer seinen Einfluß ausgeübt. Doch noch weiter stromaufwärts wurden seine Spuren gefunden. Leider läßt sich nicht sagen, wie weit 95 landeinwärts, vielleicht bis in die unmittelbare Nähe des Stadthügels, sicher jedenfalls bis in die Gegend der Schwartaumündung. Von hier stromabwärts ist es an vielen Stellen nachgewiesen. Von einer Auf- zählung der bis jetzt vorhandenen Punkte wird hier Abstand genommen, da die einzelnen Vorkommnisse noch nicht alle sicher begrenzt sind. Es sei nur soviel mitgeteilt, daß die Fauna des Litorinameeres haupt- sächlich in den seichten, nicht vom Urlauf durchflossenen Teilen gelebt hat, auch ein Hinweis, daß das Land schon lange vor der Litorinazeit beträchtlich gesunken sein muß, wie es ja die Ablagerungen unter dem Priwall und in der Kieler Föhrde beweisen. Es ist mir, gestützt auf ein reiches Bohrmaterial und auf viele Einzelbeobachtungen, möglich gewesen, für den Unterlauf der Trave den Urlauf zu konstruieren. Die Erscheinungen, die dabei zu Tage getreten sind, werden sich wohl bei den Föhrden nördlich der Traveniederung und bei den Flußtälern östlich von ihr wiederholen. Bis jetzt liegen nur einzelne Anzeichen vor. So hat sich in der Warnow das Litorinameer auch bis zur Stadt Rostock erstreckt. Denn in einer von Geinitz mit- geteilten Bohrung!) wurde in der Bleicherstraße 2,”—4,ı m unter NN. Moorerde mit Cardium edule nachgewiesen. Doch müssen in den anderen Flußtälern erst genaue Beobachtungen vorliegen, um mit Gewißheit die an sich sehr wahrscheinliche Annahme, daß die Verhältnisse der Trave sich auch auf sie übertragen lassen, bejahen zu können. Ebenso unsicher ist noch die Erforschung der Mollusken und Diatomeen. Letztere hat außer Dr. Weber nur Dr. Heiden untersucht, Bei dem Fortschritt der Forschungen wird auf diesem Gebiet sicher noch viel Neues zu Tage kommen, gerade wie bei den Mollusken. Diese sind von Warnemünde und Greifswald bereits vollständiger als von den anderen Fundstätten mitgeteilt. Aber auch bei ihnen beschränkte sich das Sammeln nur auf eine kürzere Zeit. So wird nach längerem Beobachten noch manche Art bemerkt werden, die bis jetzt übersehen war. Soviel lassen die Molluskenfunde jedoch schon erkennen, daß der Salzgehalt in Kiel viel stärker war als der in Greifswald. Ausgewachsene Tiere von Scrobicularia piperata sehen in der Greifswalder Sammlung so aus wie junge Exemplare in Lübeck, während die Lübecker Muscheln wieder von denen in Kiel an Größe übertroffen werden, Auch Cardium edule zeigt !) Mitteilg. d. Großherz. Mecklenb. Geologischen Landesanstalt. II., Brunnenbohrung 37. 96 deutlich einen allmählich nach Osten abnehmenden Salzgehalt. Am stärksten tritt der größere Prozentsatz an Salz im Westen bei Ostraea edulis hervor, die bis jetzt in Kiel, Neustadt und Lübeck in den Litorina- bildungen nachgewiesen werden konnte. An ihr ist am besten der Charakter des Litorinameeres zu erkennen, da an keiner anderen Muschel die Lebensbedingungen infolge praktischer Verwertung so genau bekannt sind wie an der Auster. Aber es wäre voreilig, schon jetzt Schlüsse auf den Salzgehalt im äußersten Westen des Baltikums und bei Rügen in der Litorinaperiode ziehen zu wollen, besonders auch, da die neuen Wismaraner Funde noch nicht eingehend untersucht werden konnten. Aus diesen Gründen gebe ich keine Tabelle und Aufzählung der bis jetzt beobachteten Mollusken. Anders ist es mit den Spuren menschlicher Kultur. Sie entgehen nicht so leicht dem Auge. In Neustadt, Wismar, Warnemünde und Greifswald ist auf sie beim Aufschluß der Schichten geachtet worden. In Kiel sind seit mehr denn 20 Jahren die beim Baggern gemachten Funde an das Museum für Altertümer der Provinz Schleswig-Holstein abgeliefert. Dazu kommen noch die vielen Stücke, die im vergangenen Sommer in Lübeck gesammelt wurden. Diese. sollen im folgenden mit Hinweis auf die an anderen Orten gemachten Funde dargestellt werden. y7: IV. Reste menschlicher Kultur. Am 26. Juni 1905 wurden bei Gelegenheit einer gemeinsamen Ex- kursion mit Herrn Geheimrat E. Friedel aus Berlin durch archäologisch- geologisch interessante Gebiete nord-östlich von Lübeck von mir die ersten Funde von Steingeräten der älteren neolithischen Periode oder des Mesolithikums in der Herrenwieker Bucht gemacht. Diese war seit eini- gen Jahren durch einen großen Damm von dem Fahrwasser der Trave abgesperrt und wurde mit Modde, die aus der Stromrinne herausgebaggert war, mit Hilfe eines Elevators zugeschüttet. Am Ende des Spülrohres lag ein größerer Haufen Steine, unter denen sich die Fundstücke befanden. Auf diese Entdeckung hin begab ich mich sofort am nächsten Nachmittag nach dem Südende des Priwalls, das ebenfalls von Modde und Sande aus der Trave bedeckt und durch sie erhöht war. Die Gegend war mit vielem losen Geröll überlagert, unter denen Werkzeuge aus Stein in zahlreicher Menge vertreten waren. Es war jetzt für mich kein Zweifel mehr vorhanden, daß unter der heutigen Trave in ihrem Tal von Herrenwiek -Schlutup bis zum Priwall eine alte Kulturschicht vorhanden war. !) Die nächste Frage, die an mich herantrat, war: Wie weit erstreckten sich diese Spuren menschlicher Tätigkeit stromaufwärts? Dabei wurde ein großes wissenschaftliches Material zusammengebracht. Aber es würde nur halben Wert haben, wenn nicht auch festgestellt wäre, von welcher Stelle und aus welcher Tiefe die Fundstücke stammen. Um dieses über den Funden liegende Dunkel zu erhellen, blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Bagger — es waren deren 4 — hinaufzugehen und dort so- wohl Erkundigungen von den Baggermeistern einzuziehen, als auch selbst Beobachtungen anzustellen. Auf diese Weise konnte ich genaue Angaben über die Tiefenverhältnisse, über den Aufbau der Ablagerungen u. a. erlangen. Zugleich wurden auch die Arbeiter auf den Baggern auf- merksam gemacht, und manches schöne Fundstück empfing ich aus ihren Händen. !) Eine vorläufige Mitteilung der ersten Funde findet sich in den Schriften: Friedrich u. Heiden, Litorinabildungen, S. 49 und Dr. R. Struck, Aus dem naturhisto’ rischen Museum. Lübeckische Blätter, 47. Jg. No. 38. S. 523. 98 A, Funde von Knochen. (Siehe Tafel 1.) ‚4 Äxte vom Typus Figur No. 2. Es wurden im ganzen fünf Exemplare gesammelt. 1. (No. 1).!) Die Axt ist 18 cm lang und durchschnittlich 6 cm breit. Der größte Querumfang beträgt 18 cm. Sie ist wie alle Äxte aus dem Wurzelende des Geweihs eines Edelhirsches, Cervus elaphus, ge- fertigt. Auf der einen Seite ist 1,5 cm, auf der andern 2,5 cm von der Rose entfernt ein kreisrundes Loch mit einem Durchmesser von 3 cm ganz durch die Geweihstange gebohrt. Es ist an seinen beiden Außen- rändern sorgsam geglättet, während der innere Teil rauh und zugleich auch etwas erweitert ist. 10 cm unterhalb der Rose beginnt eine Schneide, die sich nur auf einer Seite des Geweihs befindet. An ihrem unteren Ende ist sie durch den Gebrauch etwas abgestumpft. Das Stück wurde Anfang Dezember durch den Bagger Cyklop aus dem Großen Avelund, der zwischen der Kücknitzer Mühle und dem neuen Travedurchstich liest, aus einer Tiefe von 10 m, über der eine 2m mächtige Litorinaablagerung lag, zu Tage gefördert. In derselben Art sind noch zwei andere Äxte gearbeitet. 2. Die eine (No. 10) ist fast ebenso lang, 18,5 cm, während ihre durchschnittliche Breite nur 4,5 cm, ihr größter Querumfang nur 16 cm beträgt. Das Loch sitzt auf der einen Seite 2» cm, auf der anderen 3, cm unter der Rose, also 1 cm tiefer als beim ersten Stück. Sein Durchmesser mißt auf beiden Seiten 2,5 cm. Der Rand ist nicht durch Abnutzung glatt, auch ist in seinem Innern keine Vertiefung vorhanden, sondern es ist gerade hindurchgebohrt. 2,5 cm unter der Rose beginnt eine einseitige Schneide, die teilweise stumpf, teilweise abgebrochen ist. Eine kleine Nebensprosse, was sich übrigens bei anderen Äxten wiederholt, ist bei der Rose abgeschnitten. Der Fundort ist derselbe wie bei der ersten Axt. 3. Das andere Stück (No. 13) ist auch eine Geweihstange mit der Rose, bei der ebenfalls ein Seitensprofß entfernt ist. Es ist 19 cm lang, durchschnittlich 4,5 cm breit, der größte Querumfang beträgt 18 cm. Das Loch, das sich nicht in der Mitte befindet, sondern in der Nähe einer Seite liegt, wurde auf beiden Seiten etwas über 2 cm unterhalb der Rose gebohrt. Es ist beiderseitig 2,5 cm im Durchmesser groß, am Rande etwas poliert und gerade hindurch gebohrt. Die Schneide, 11 cm unter der Rose, ist einseitig, stumpf und teilweise nicht mehr vorhanden, Auf ihrer Rückseite ist ein größeres Stück Hirschhorn herausgebrochen. Der Fundort ist derselbe wie bei No. 1. ') Die in Klammern beigesetzten Zahlen beziehen sich auf die Numerierung im Museum zu Lübeck. 99 Zu den Äxten 2 und 3 gesellt sich noch eine dritte, (No. 30) bei der die Schneide nicht mehr vorhanden ist. Sie ist 22 cm lang und im Durchschnitt 5 em breit; der größte Querumfang beträgt 17 cm. Das kreis- runde Loch liegt auf beiden Seiten 5 em unter der Rose, ist auf der einen Seite vollkommen glatt, auf der andern etwas rauh. Seine Größe beträgt im Durchschnitt 2, und 3 cm. Wo das Stück aus der Trave gebaggert wurde, ließ sich nicht mehr feststellen. Ich fand es Ende Juli 1905 in der Moorfläche, die zwischen Siems und Dänischburg durch den Elevator aufgefüllt ist. Es ragte an seiner Fundstelle nur wenig über die Moddefläche hinaus. Später wurde es beim Austrocknen rissig und bröckelig, so daß es jetzt nur noch künstlich, mit Leim präpariert, zu- sammengehalten wird. Ganz anders als bei den vorhergehenden Axten ist die Lage des Loches zur Schneide und Rose bei Figur Nr. 2. 5. Das Stück ist 13 cm lang, durchschnittlich 5 em breit; sein größter Querumfang beträgt 18 cm. Das Loch ist auf der einen Seite 1'/, em, auf der anderen 2!/; cm unter der Rose. Es hat auf beiden Seiten einen Durchmesser von 3 cm. In seinem Innern ist eine seitliche Vertiefung. Schon 1 cm unterhalb des Loches beginnt die einseitige Schneide, die mit 6 cm ihre größte Länge hat. Sie ist an ihrem unteren Ende noch verhältnismäßig scharf und durch den Gebrauch blank poliert. Gefunden wurde sie an derselben Stelle wie No. 1. Eine diesem Typ ähnliche Form wurde auch in Kiel beobachtet. In den dänischen Abfallhaufen!) (Kjekkenmeddinger) kommt dieselbe Art von Äxten häufiger vor. Ein Exemplar von ihr wurde auf der wundervollen Tafel VII des unten auf der Seite erwähnten Werkes in 2/, Größe abgebildet. 2, Äxte vom Typus No. 1. Es wurden 2 Exemplare gesammelt. 1. Durchschnittlich ist das Geweihstück 4 em dick. Seine Länge beträgt 34 cm, sein mittlerer Umfang 14 cm. Das eine Ende ist gerade abgeschnitten. 16 cm von ihm entfernt zweigt ein Nebensproß ab, der in einem Abstand von 2!/ cm vom Hauptsproß glatt abgeschnitten ist. In seine Mitte ist ein Loch gebohrt, das ganz durch den Hauptsproß geht und in 17 cm Entfernung von dem gerade abgeschnittenen Ende der Geweihstange wieder zum Vorschein kommt. Seine ganze Länge ') Als Quelle für die dänischen Funde diente das zusammenfassende Werk: A.P. Madsen, Sophus Müller u. a., Affaldsdynger fra Stenalderen i Danmark, under- dogte for Nationalmuseet. Kopenhagen 1900, 100 beträgt 7 cm. Sein größter Durchmesser ist an dem Nebensproß .bei einer etwas ovalen Form 2'/s cm, während er am Hauptsproß bei einer vollkommen kreisförmigen: Öffnung nur 1'/s cm mißt. 9 cm unterhalb des Loches beginnt eine einseitige Schneide, von der nur noch das obere Ende erhalten ist. 2. Die zweite Axt (No. 4) ist im Typ genau so. Ihre Größen- verhältnisse sind folgende. Größte Länge: 32 cm; durchschnittliche Breite: 4 cm; größter Querumfang: 13 cm. Das Loch ist 14 cm von dem gerade abgeschittenen Ende entfernt, an dem Nebensproß bei einer ovalen Form 3 cm lang und 2 cm breit, an dem Hauptsproß kreisrund mit einem Durchmesser von 1!/e cm. Seine ganze Länge beträgt 6'/a cm. Die Schneide beginnt 7'/; cm unterhalb des Loches, ist einseitig und stark abgenutzt. Der untere Teil ist auf der einen Seite abgebrochen. Beide Funde stammen aus der Trave bei der Hubbrücke aus einer Tiefe von etwa 7 m. Da sie bereits im Frühjahr 1904 herausgebaggert wurden und ich erst Ende Oktober 1905 von ihnen Kenntnis erhielt, so bleibt es zweifelhaft, ob sie überhaupt einer Schicht unter der Lito- rina-Ablagerung entstammen. Sie sind aber trotzdem hier genauer be- schrieben worden, weil auch aus Kiel Äxte vom gleichen Typus zu Tage gefördert wurden. Hier lagen sie wie alle Funde unter den Süßwasser- bildungen am Grunde der Föhrde. Vorarbeiten zu Äxten dieser Form wurden ferner zusammen mit anderen Funden der älteren neolithischen Periode auch bei Neustadt gesammelt. Auch ist schon früher in Lübeck bei Uferbauten aus der Trave in 7 m Tiefe derselbe Typ zu Tage ge- kommen !), doch auch bei diesem Stücke läßt sich gleich den neuen lübschen Exemplaren die genaue Lage nicht feststellen. Es ist bemerkenswert, daß dieser Typ von Äxten nur in deutschen Funden aus der Zeit des Litorinameeres und Ancylussees vorkommt, denn die entsprechenden Ablagerungen und Bildungen in Dänemark weisen ihn nicht auf. 3. Die übrigen Knochenfunde. Außer den beschriebenen Äxten wurden einzelne Stücke von Hirschgeweihen in größerer Anzahl gefunden, die teils mehr oder weniger bearbeitet, teils abgebrochen waren. Derartige Stücke sind auch in Kiel und Dänemark in großer Menge festgestellt. Auch zwei Hirschgeweihe sind bei Lübeck zu Tage gefördert. Bei beiden war der Oberschädel noch recht gut erhalten. Bei dem einen sind die Hauptsprossen 34 und ') Siehe auch K. Freund, Die prähistorische Abteilung des Museums zu Lübeck, Tafel II in der »Festschrift zur XXVIII. Versammlung der Deutschen Anthropo- logischen Gesellschaft«. Lübeck, 1897. 101 63 cm lang. Beide sind an ihrem Ende trotz eines Umfanges von 17 cm abgebrochen, ebenso die Seitensprossen. Bei dem andern sind die Haupt- sprossen 45 und 57 cm lang. Das ganze Geweih ist stärker als das vorige. Die Seitensprossen sind teils abgeschnitten, teils abgebrochen. Eine sehr schön geglättete Knochenspitze fand ich in der Modde zwischen Dänischburg und Siems. (Siehe Taf. I, Fig. 4) Sie ist 9 cm lang und recht spitz. Ähnliche Werkzeuge, ebenfalls poliert, wurden auch in den dänischen Abfallhaufen festgestellt. Mehrere Spießer wurden ebenfalls gesammelt. (No. 6, 12, 14, letzterer schwarz und bröckelig.) Diese scheinen nicht von Menschen gebraucht zu sein, dagegen ist es bei No, 26 (Siehe Taf. I, Fig. 3) der Fall. Er ist 23 cm lang, die Spitze ist in einer Länge von 8 cm vollständig ge- glättet. Auf der einen Seite ist ein kleines Stück herausgebrochen. Das Stück, das östlich des Avelunddurchstiches herausgebaggert ist, wurde wahrscheinlich zum Bearbeiten des Feuersteins benutzt. In Dänemark sind dieselben Werkzeuge gefunden. Eins von ihnen ist auf Taf. VII des S. 47 zitierten Werkes abgebildet. Ein Stück vom Knochen eines Hirsches ist in einem Abstande von 7 cm vom Gelenk abgeschnitten. Zuerst wurde rings um den Knochen, dessen Querumfang 8,5 cm mißt, etwa 2 mm tief hineingeschnitten, dann wurde er durchgebrochen. Gefunden wurde das Stück im Herbst 1905 östlich vom Avelunddurchstich in 8 m Tiefe. Der Fund gleicht dem auf S. 61 des dänischen Werkes sehr. Es wurden in Dänemark mehrfach Knochenstücke dieser Art in den betreffenden Bildungen beobachtet. Kurz vor Abschluß dieser Arbeit wurde das auf Taf. I, Fig 5 abgebildete Stück gefunden. Es ist eine 78 cm lange Hirschstange. Der Umfang des schräg gebohrten Loches beträgt bei einem Durchmesser von 2,3 cm 13 cm. Vom Loch aus ist die sich zuspitzende Stange wun- derschön poliert. Der Fundort ist in der Nähe der Schwartaumündung. In 'gleichaltrigen Ablagerungen ist meines Wissens ein ähnliches Stück noch nicht festgestellt. B. Steinwerkzeuge. (Siehe Tafel II.) 1. Großes Steinbeil. (Siehe Fig. 18.) Dieses bemerkenswerte Stück ‚besitzt eine Länge von 36 cm und eine größte Breite von 7 cm. Der erößte Umfang beträgt 21 cm, während der des Griffes 14 em mißt. Das Stück ist, wie die Abbildung zeigt, äußerst roh zugeschlagen. Auf der einen Seite verjüngt es sich zu einem Griff. Leider konnte ich von 102 diesem Stücke, das in ähnlicher Weise weder in deutschen noch dänischen Kjekkenmoddingen vorkommt, nur noch die Fundstelle, nicht die Fund- tiefe feststellen. Es ist nahe dem Avelunddurchstich im Avelund heraus- gebaggert worden. 2. Meißel. An größeren Meißeln wurden drei gefunden, darunter der auf Taf. II, Fig. 15 abgebildete. Er ist 9 cm lang und 2 cm hoch, Oben in der Mitte ist noch die graue Rinde des Feuersteins vorhanden. Ähnlich in Form und Größe sind die beiden anderen Stücke. (Siehe Fig. 16 und 17.) 3. Kernstücke. Alle vier Nuclei wurden in der Modde bei Herren- wiek gesammelt. Einer von ihnen ist auffallend klein, nur 3 em hoch. Zwei sind recht groß, aber nicht mehr gut erhalten. Sehr schön ist da- gegen deı vierte. (Siehe Taf. II, Fig. 14) Er ist 6 cm hoch und hat einen Querumfang von 15 cm. 4. Späne. Von ihnen sind sehr viele gefunden. Die verschiedenen Formen sind auf Taf. Il, Fig. 1—13, zusammengestellt. Die kleinsten sind 3,5 cm, die größten 11 cm lang. Außer den Spänen wurden auch Abfallstücke und Scheiben in Menge gesammelt. Wenn nicht anders angegeben, sind die Steinwerkzeuge im ganzen Gebiet der Untertrave von Dänischburg bis zum Priwall verbreitet. In Kiel, Neustadt und in Dänemark sind ebenfalls Meißel, Nucleı, Späne und Abfallstücke gefunden. Hervorzuheben ist noch, daß im Gegen- satz zu den anderen Orten in Lübeck bis jetzt der Skivespalter noch nicht festgestellt ist; da erst seit einem halben Jahre eine Untersuchung der Moddebildungen im Unterlauf der Trave stattfindet, so ist es nicht ausgeschlossen, ihn auch in Lübeck nachzuweisen. Im Vorhergehenden ist versucht worden, die Küstenbildungen * des südwestlichen Ostseegebietes zusammenfassend darzustellen, so weit es die bis jetzt angestellten Forschungen ermöglichten. Es ist mit Absicht manche Folgerung, die sich aus den Beobachtungen noch ziehen läßt, nicht ver- öffentlicht, da die bis jetzt vorhandene Kenntnis unserer Küste noch zu lückenhaft ist als daß sie zu weitergehenden Schlüssen berechtigt. Um diese ziehen zu können, bedarf es noch vieler Mühe, aber sie wird auf einem fruchtbaren Arbeitsfeld getan, aus dessen Tiefe noch mancher kost- barer Schatz zu heben sein dürfte. 103 Literatur. In diesem Abschnitt sind alle die Schriften, soweit sie mir bekannt geworden sind, zusammengestellt, in denen die Senkung im Gebiet der südwestlichen Ostsee behandelt wird. Es sind auch die Arbeiten auf- geführt — und sie bilden die größte Anzahl — in denen die Frage nur nebensächlich gestreift wird. Waren die Schriften in Lübeck nicht vor- handen, so wurden sie mir in liebenswürdiger Weise von Herrn Prof. Deecke in Greifswald zur Verfügung gestellt. C. Ackermann. Beiträge zur physischen Geographie der Ostsee. Ham- burg 1883. G. Berendt. Geologie des Kurischen Haffes und seiner Umgebung. Mit 6 Tafeln und 15 Holzschnitten. Schriften der Physikalisch- Okonomischen Gesellschaft zu Königsberg. IX. Jg. Königsberg 1869. E. Bornhöft. Der Greifswalder Bodden, Beiträge zur Landeskunde von Vorpommern und Rügen. Mit 1 Karte. Geograph. Gesellsch. zu Greifswald. Il. Jg. Greifswald 1885. Brückmann. Eine Fundstätte der älteren Steinzeit. Archiv f. Anthrop. u. Geologie Schleswig-Holsteins. Bd.2. Heft1. Kiel u. Leipzig 1896. R. Credner. 1. Rügen. Eine Inselstudie. Mit 2 Karten, 3 Tafeln und 14 Figuren im Text. Forschungen zur deutschen Landes- u. Volkskunde. Bd. 7. Heft 5. Stuttgart 1893. 2. Über die Ostsee und ihre Entstehung. Verhandlungen d. Ge- sellsch. deutscher Naturforscher und Ärzte. 67. Versammlung zu Lübeck. 1. Teil. Leipzig 1895. Der Vortrag ist auch abgedruckt in: Hettner, geogr. Zeitschrift, Jg. 1895. W. Deecke. 1. Zur Eolithenfrage auf Rügen und Bornholm. Mittei- lungen d. naturw. Vereins für Neu-Vorpommern u. Rügen zu Greifswald. 36. Jg. Greifswald 1905. 2. Die Oderbank, N. von Swinemünde IX. Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft zu Greifswald. Greifswald 1905. 104 3. Ein Versuch, die Bänke der Ostsee vor der pommerschen Küste geolog. zu erklären. Mit 1 Tafel. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie u. Paläontologie. Beilage— Band XX. Stutt- gart 1905. 4. Vineta. Mit 2 Tafeln und 1 Kartenskizze. X. Jahresbericht der Geogr. Gesellsch. zu Greifswald. Greifswald 1906. J. Elbert. 1. Die Entwicklung des Bodenreliefs von Vorpommern und Rügen. Mit einer Karte in Buntdruck, 6 kleinen Karten, 20 Tafeln und mehreren Textabbildungen. VIII. Jahresbericht d. Geograph. Gesellsch. zu Greifswald. Greifswald 1903. 2. Die Landverluste an den Küsten Rügens und Hiddensees, ihre Ursachen und ihre Verhinderung. Mit 1 Karte. X. Jahresbericht der Geogr. Gesellsch. zu Greifswald. Greifswald 1906. G. Forchhammer. Über die veränderte Wasserhöhe an den dänischen Küsten. Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Neue Folge. Bd. 1. Berlin 1856. E. Friedel. 1. Ausgrabungen bei Ystad. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Bd. 5. Berlin 1870. 2. Erläuterungen zu einer Sammlung urgeschichtlicher und vor- geschichtlicher Gegenstände aus der Umgegend von Greifswald. Katalog der dritten vom baltischen Zentralverein für Tierzucht ver- anstalteten Ausstellung. Greifswald 1881. 3. Das Vorkommen des Riesenhirsches in der Mark. Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 14. Berlin 1882. 4. Eolithisches, Palaeolithisches, Neolithisches. Mit 1 Textfigur. Brandenburgia, Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. XII. Jg. No. 2. Berlin 1904. 5. Bericht über die 35. allgemeine Versammlung der deutschen Anthropolog. Gesellsch. in Greifswald. Brandenburgia XIII. Jg. No. 8. Berlin 1904. 6. Uber untermeerische Torflager unserer Seeküsten. Brandenburgia XIV. Jg. No. 6. Berlin 1905. P. Friedrich. Geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck. Mit4 Tafeln. Mitteilungen der Geogr. Gesellsch. zu Lübeck. 2. Reihe. Heft 17. Lübeck 1903. ; P. Friedrich und H. Heiden. Die Lübeckischen Litorinabildungen. Mit Tabellen und 1 Tafel. Mitt. d. Geogr. Ges. z. Lübeck. Heft 20. Lübeck 1905. 105. E. Geinitz. 1. Über die Senkung der mecklenburgischen Küste. Zeit- schrift der deutschen Geologischen Gesellschaft. 1883. 2. VI. Beitrag zur Geologie Mecklenburgs. Die Bildung des War- nowtales von Schwaan bis Warnemünde und Erklärung des meck- lenburgischen Küstenverlaufes. Mit 2 Karten. Mecklenb. Archiv. 38. Je. Güstrow 1884. 3. Das Profil des Warnemünder Hafenbassins. Meckl. Archiv. 39. Jg. Güstrow 1835. 4. Die Seen, Moore und Flußläufe Mecklenburgs. Mit 1 Karte und 2 Tafeln. Güstrow 1886. 5. Mitteilungen über 2 rohe Feuersteinbeile aus der Ostsee bei Warnemünde. Jahrbuch des Ver. für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. 51. Jg. Schwerin 1886. 6. X. Beitrag zur Geologie Mecklenburgs. Mit einer Tiefenkarte des Warnowtales bei Rostock. Meckl. Archiv. 42 Jg. 1888. 7. Der Conventer See bei Doberan. Mit 1 Karte. Mitteilungen der Großh. Mecklenb. Geolog. Landesanstalt. IX. Rostock 1898. 8. Postglaciale Niveauveränderungen der mecklenburgischen Küste. Centralblatt für Mineralogie, Geologie u. Paläontologie. Jg. 1901. Stuttgart 1901. 9. Die geologischen Aufschlüsse (Litorina-Ablagerungen) des neuen Warnemünder Hafenbaues. Mit 3 Tafeln. Mitt. aus der Großh. Meckl. Geolog. Landesanstalt. XIV. Rostock 1902. 10. Die Einheitlichkeit der quartären Eiszeit. Neues Jahrbuch für Min. usw. Beilage— Band XVI. Stuttgart 1902. 11. Der Landverlust der mecklenburgischen Küste. Mit 5 Karten und 10 Tafeln. Mitt. a. d. Großh. Landesanstalt. XV. Rostock 1903. 12. Die geographischen Veränderungen des südwestlichen Ostsee- gebietes seit der quartären Abschmelzperiode. Mit 1 Karte. Peter- manns geogr. Mitt. 1903. Heft IV. 13. Litorinaton im Wismarschen Hafen. Meckl. Archiv. 57. Jg. (Güstrow 1903. 14. Das Land Mecklenburg vor 3000 Jahren. Rektoratsprogramm. vostock 1903. 15. Das Quartär Nordeuropas. Lethaea geognostica. III. Teil. Band 2. Quartär, 1. Abteilung. Stuttgart 1904. F. G. Hahn. Untersuchungen über das Aufsteigen und Sinken der Küsten. Leipzig 1879. H. Heiden. Die Diatomeen des Conventer Sees bei Doberan. Mit 1 Tafel, Mitt. d. Großh, Meckl, Geolog. Landesanstalt. X. Rostock 1899. 106 A. Jentzsch. Geologie der Dünen in: Gerhardt, Handbuch des deutschen Dünenbaues. Berlin 1900. A. Kaestner. Die nordöstliche Heide Mecklenburgs nach ihrer geologi- schen Beschaffenheit und Entstehung. Mit 3 Tafeln und 1 Karte. Mitt. d. Großh. Meckl. Geolog. Landesanstalt. XIII. Rostock 1901. K. Keilhack. Die Stillstandslagen des letzten Inlandeises und die hydrographische Entwickelung des pommerschen Küstengebietes. Mit 14 Tafeln und 1 Atlas. Jahrbuch d. Königl. Preuß. Geolog. Landes- anstalt für 1898. Berlin 1899. H. Klose. Die alten Stromtäler Vorpommerns, ihre Entstehung, ur- sprüngliche Gestalt und hydrographische Entwickelung im Zusammen- hange mit der Litorinasenkung. Mit 3 Tafeln und 1 Karte. IX. Jahresbericht der Geogr. Gesellsch. zu Greifswald, 1905. Greifs- wald 1904. P. Lehmann. Pommerns Küsten von der Dievenow bis zum Darßb. Breslau 1878. v. Maak. Das urgeschichtliche Schleswig-Holsteinische Land. Ein Bei- trag zur historischen Geographie. Zeitschrift für allgemeine Erd- kunde. Berlin 1860. | i Paschen. Beitrag zur Untersuchung der Frage über die Hebung der deutschen Ostseeküste. Beitrag zur Statistik Mecklenburgs. Bd. IV. H. Munthe. 1. Preliminary Report on the Physical Geography of the Litorina-Sea. With two maps. Bulletin of the Geological Institution of the University of Upsala. Vol. II. : Upsala 1896. 2. Studien über ältere Quartärablagerungen im südbaltischen Ge- biet. Ebd. Vol. Il. Upsala 1898. P. Range. Das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone. Mit 1 Skizze und 3 Textfiguren. Stuttgart 1903. Schumann. Über Hebung und Senkung der südlichen Küste des balti- schen Meeres. Preußische Provinzialblätter. 3. Folge. Bd. IX. Königsberg 1864. W. Seibt. Das Mittelwasser der Ostsee bei Travemünde. Veröffent- lichung des Königl. Preuß. Geodätischen Instituts. Mit 9 Tafeln. Berlin 1885. R. Siegert. Seenschwankungen und Strandverschiebungen in Skandi- navien. Mit 1 Tafel und 28 Tabellen. Zeitschrift der Gesellsch. f£. Erdkunde zu Berlin. Bd. 28. No, 1 und 6. Berlin 1893. W. Splieth. Über vorgeschichtliche Altertümer Schleswig-Holsteins mit be- sonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zur Geologie des Landes und ihrer mineralogischen Eigenschaften. Archiv f. Anthropologie und Geologie Schleswig-Holsteins. Bd. 2, Heft 2. Kiel und Leipzig 1897, 107 R. Struck. Der baltische Höhenrücken in Holstein. Ein Beitrag zur Geographie und Geologie Schleswig-Holsteins. Mitt. d. Geogr. Gesell- schaft u. d. Naturhist. Museums in Lübeck. 2. Reihe, Heft 19. 1904. F. Wahnschaffe. Die Ursachen der Oberflächengestaltung des Nord- deutschen Flachlandes. 2. Aufl. Stuttgart 1901. C. A. Weber. Über Litorina- und Prälitorinabildungen in der Kieler Föhrde. Mit 3 Figuren im Text. Engler's Botanische Jahrbücher. Bd. 35, Heft 1. Leipzig 1904. ©. A. Weber und J. Mestorf. Wohnstätten der älteren neolithischen Periode in der Kieler Föhrde. Mit 12 Figuren und 1 Karte im Text. 43. Bericht des Museums vaterländischer Altertümer bei der Universität Kiel. Kiel 1904. A. Westphal, Das Mittelwasser der Ostsee. Verh. d. 7. Intern. Geogra- phenkongresses in Berlin 1899. 2. Teil. Berlin 1901. Das Mittelwasser der Ostsee bei Travemünde. Veröffentlichungen des Königl. Preuß. Geodät. Instituts. Neue Folge. Num.2. Berlin 1900. Te 109 Gesellschafts- Angelegenheiten. Bericht über das Jahr 1905. Die zahl der Mitglieder der Geographischen Gesellschaft ist in diesem Jahre auf 149 gestiegen. Leider mußte die Gesellschaft auch den Tod mehrerer Männer betrauern, die während jahrzehntelanger Mitglied- schaft sich mannigfache Verdienste um die Gesellschaft erworben hatten. Es sind dies die Herren: Kaufmann Joh. Boye (Mitgl. seit 1897), Senator Dr. W. Brehmer (Mitgl. seit 1883), Stadtrat a. D. E. Jänisch (Mitgl. seit 1885) und Major H. v. Wifsmann (korresp. Mitgl. seit 1883). Aus- getreten sind die Herren: Otto Freiherr v. Haxthausen, Bankdirektor H. Otte und Kapitän Th. Pierstorff. Neu eingetreten die Herren: Kaufmann K. Bertram, H. Burmester, Amtsrichter W. Fehling, Bürgermeister a. D. Dr. E. Langenheim. Hauptlehrer Joh. Möller, Dr. Ott, Medizinalrat Dr. Riedel, Kaufmann Kurt Seydell, Direktor E. Saarburger und Privatmann W. Vermehren. In den Vorstand trat an die Stelle des Herrn Dr. med. Karutz, Herr Navigationslehrer J. Krauss. Den Vorsitz führte Herr Prof. Dr. H. Lenz, Kassenrevisoren waren die Herren Max Schmidt und Karl Rose. Die Gesellschaft versammelte sich zu 5 ordentlichen und 3 außer- ordentlichen Sitzungen, in denen folgende Vorträge gehalten wurden: Am 13. Januar: Herr Rechtsanwalt Dr. Plessing: »Meine Erlebnisse auf einer Reise nach Ceylon«, I. Teil. Am 3. Februar: Herr Dr. Schmidt aus St. Petersburg: »Sachalin, eine russische Strafkolonie.« Am 24. Februar: Herr Oskar Rösing: »Aus meinen Erlebnissen mit Indianern in Mexiko.« Herr Rechtsanwalt Dr. Plessing: »Plaudereien über Ceylon«, II. Teil. 110 Am 24. März: Herr Dr. Georg Wegener aus Berlin: »Der Panamakanal, seine Geschichte, sein gegenwärtiger Zustand und seine künftige Bedeutung. « Am 14. April: Herr Navigationslehrer H. Meyer: »Einiges aus dem Bismarck- Archipel.« Am 20. Oktober: Herr Oskar Rösing: »Die Indianer zur Zeit der Entdeckung Amerikas und jetzt.< Referat des Herrn W. Kohrs über den zweiten Kolonialkongreß in Berlin. Am 17. November: Frau Leopoldine von Morawetz-Dierkes aus Wien: »Kreta, die Minosinsel.« Am 15. Dezember: Herr Navigationslehrer J. Krauss: »Die Grundlagen der modernen Wettervorhersage. « Die Vorträge am 3. Februar, 24. März und 17. November fanden im großen Vortragssaale des Hauses der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit statt und waren dazu die Mitglieder dieser Gesellschaft, deren Damen und die Kolonialgesellschaft eingeladen. An allen Freitagen, die nicht durch Sitzungen in Anspruch genom- men waren, fanden Herren- Abende statt, die sich stets eines zahlreichen Besuches erfreuten. Die Gesellschaft beteiligte sich mit einem namhaften Beitrag an dem deutschen Kolonial-Kongreß 1905 in Berlin und hatte Herr Bankier W. Kohrs die Vertretung der Gesellschaft übernommen. Von den Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft "und des Naturhistorischen Museums erschien das 20. Heft der 2. Reihe, enthaltend außer Jahresberichten, Mitteilungen und Protokoll- Auszügen der Gesell- schaft: Prof. Dr. P. Friedrich: »Die Grundmoräne und die junggla- cialen Süßwasserablagerungen der Umgebung von Lübeck (mit 6 Tafeln)«, sowie Prof. Dr. P. Friedrich und Dr. H. Heiden-Rostock: »Die lübeckischen Litorinabildungen (mit Tabellen und 1 Tafel)«. Der Lesezirkel, in dem Schriften umlaufen, die gegen die Mittei- lungen der Geographischen Gesellschaft von auswärtigen Vereinen und Gesellschaften eingetauscht werden, erfreute sich auch in diesem Jahre reger Inanspruchnahme. Gesuche um Schriftenaustausch erfolgten von: Philadelphia, Geographical Society, xolla-Missouri, Bureau of Geology and mines. a An Geschenken gingen ein: ‘ Protokoll über die Versammlung der Direktoren der geolo- gischen Landesanstalten. Tätigkeitsbericht und Arbeitsplan der geologischen Landes- anstalt zu Berlin. Wirksamkeit des Sturmwarnungswesens an der deutschen Küste (Deutsche Seewarte). Bericht einer Reise nach Ost-Afrika von Prof. Dr. Alfred Voeltzkow - Berlin. Verhandlungen des 15. deutschen Geographentages in Danzig. Katalog der Ausstellung des 15. deutschen Geographentages in Danzig. Beiträge zur Landeskunde Westpreußens, Festschrift des Geographentages in Danzig. Zeitschrift des deutsch-österreichischen Alpenvereins. Willeocks, »Die Wiederherstellung der alten Bewässerungswerke am Tigris«, übersetzt von Dr. E. Hahn, Berlin. Joseph Joubert, »Stanley«. Report of the S!" International Geographical Congress, held in the N. S. A. 1904. Abdruck der Resolutionen des deutschen Kolonial- Kongresses 1905. W. Deecke, »Die Beziehungen der Vorpommerschen Städte zur Topographie«. W. Deecke, »Die Oderbank nördlich von Swinemünde«. W. Deecke, »Über Wealdengeschiebe nördlich von Swine- münde«. G. Schott, »Die Bodenformen und Bodentemperaturen des südlichen Eismeeres«. 1905. Svenska, Turistföreningens Arskrift. 1905. Die Ergebnisse der Triangulierungen der K. u. K. Militär- geographischen Institutes. 1901, 02, 03, 05. Twenty-Third annual Report of the City of Milwauke. 1905. Direcciön general de Estadistica de la Provincia de Buenos Aires; Demografia ano 1900 publicada bajo la direcciöon de Carlos P. Salas, Director general de Estadistica. 112 Versammlungen. 166. ordentliche Versammlung am 20. Oktober 1905. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, eröffnete die stark besuchte erste diesjährige Winterversammlung. Nach Begrüßung der Gäste ge- dachte der Vorsitzende des Majors von Wißmann, der seit dem 16. No- vember 1883 korrespondierendes Mitglied der Geographischen Gesellschaft in Lübeck war, der beiden bedeutenden Gelehrten Ratzel und Richthofen und des Senators Dr. Brehmer, sowie seiner großen Verdienste um unsere Geographische Gesellschaft. Sein Andenken wurde von den Anwesenden durch Erheben von den Sitzen geehrt. Alsdann teilte der Vorsitzende mit, daß Frau Leopoldine von Morawetz-Dierkes, einer Einladung der Geographischen Gesellschaft Folge leistend, am 17. November im großen Saale der Gemeinnützigen Gesell- schaft einen Vortrag über: »Kreta, die Minosinsel« halten werde. Herr Oskar Rösing hielt darauf seinen angekündigten Vortrag: »Die Indianer zur Zeit der Entdeckung Amerikas und jetzt.« In großen Zügen gab der Redner eine Schilderung des Heimatsgebietes der Indianer, ihrer Geschichte und ihres Charakters, sowie der Bedingungen, unter denen derselbe sich entwickelt hat. Der Redner, der selbst viele Jahre in Mexiko zugebracht hat, konnte aus der Fülle des eigenen Erlebens heraus manche interessante Bilder über die Stellung der Frau und des Kriegers, das Leben und Treiben auf dem Kriegspfade, der Jagd und im Lager geben. Den Vortragenden lohnte reicher Beifall. Hierauf referierte Herr W. Kohrs über den zweiten Kolonialkongreß in Berlin, dem er als Vertreter der Geographischen Gesellschaft in Lübeck beigewohnt hatte. Eine lange und anregende Aussprache über die Verhandlungen des Kongresses und über koloniale Angelegenheiten beschloß den Abend. 113 167. ordentliche Versammlung am 17. November 1905. Am 17. November, abends 7 Uhr hielt Frau Leopoldine von Morawetz- Dierkes aus Wien in der Geographischen Gesellschaft einen Vortrag über: »Kreta, die Minosinsel.x Zu dem Vortrage, der im großen Saale des Gesellschaftshauses gehalten wurde, waren auch die Mitglieder der Ge- sellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit nebst ihren Damen eingeladen, Seitdem die Ausgrabungen des englischen Gelehrten Arthur Evans auf dieser Insel des mythischen Königs Minos, des Sohnes des Zeus und der Europa und Vater der Ariadne, in Knossos, dem Herrschersitz des Minos und die Ausgrabungen Halbherrs und Luigi Perniers in der Ebene von Messara, dem alten Gortyn und Phaistas, so großartige Resultate ergaben, sind auch die Augen der gelehrten Welt von neuem auf diese sagenumsponnene Insel gelenkt. Eine über 5000 Jahre alte Kultur wächst hier wieder vor unseren Augen aus der Erde heraus. Und welch eine reiche Geschichte weiß diese Insel zu erzählen! Die Rednerin wußte mit großer eigener Begeisterung das Interesse der Hörer an der tausendjährigen Leidensgeschichte Candias zu wecken. Im bunten Zuge zogen vor unseren Augen die Tage vorüber, in denen die alten Phönizier auf Kriti ihre Handelsplätze errichteten, die Tage, in denen die Römer unter Quintus Cäcilius Metellus die Insel eroberten und dann die Tage der Herrschaft der Venetianer und später der Türken. Unzählige Auf- stäinde und Erhebungen, grausame blutige Unterdrückungen und Knechtungen bilden bald eine traurige Kette von Ereignissen. — An der Hand ausgezeichneter Lichtbilder führte uns die Rednerin auf der Insel umher. Von Candia, dem alten Herakleion folgten wir ihr über die ganze Insel bis hinein in die weißen Berge, der Heimat der Sphakioten, ins Ida- und Sasithigebirge, in geologische und klimatische Verhältnisse, Bevölkerung und Erzeugnisse mit reger Aufmerksamkeit betrachtend. Dem reich mit gesundem Humor und leichter Satyre durchsetzten Vortrag ward lebhafter Beifall zu teil. Nach dem Vortrage fand im Kreise der Mitglieder der (seogra- phischen Gesellschaft zu Ehren der Vortragenden ein Abendessen statt. 114 168. ordentliche Versammlung am 15. Dezember 1905. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, machte zunächst einige interne Mitteilungen und lenkte dann die Aufmerksamkeit der zahlreichen Versammlung auf eine Anzahl farbiger Aquarelle aus Ceylon und Java, die er zur Besichtigung aufgestellt hatte. : Hierauf hielt Herr Navigationslehrer J. Krauss seinen Vortrag: »Die Grundlagen der modernen Wettervorhersage. « Ausgehend von der Geschichte der Errichtung eines Wetternach- richtendienstes für die Landwirtschaft entwickelte der Vortragende an der Hand von Tafelzeichnungen und Lichtbildern in großen Zügen die Grundgesetze, auf denen unsere moderne Meteorologie und Wetter- vorhersage beruht. Nach eingehender Würdigung der großen Vorteile, welche die meteorologischen Forschungen jetzt bereits der Schiffahrt ge- bracht haben und Erörterungen der Bedingungen, unter denen ein weiterer Fortschritt der wissenschaftlichen Prognose zu erwarten sei, schloß der Vortragende mit dem Wunsche, dab der nächstes Jahr in Tätigkeit tretende Reichswetterdienst auch der Landwirtschaft wenigstens einige der erwarteten Segnungen bringen möge. An den interessanten, mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag schloß sich eine längere Diskussion. . 169. ordentliche Versammlung am 19. Januar 1906. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, eröffnete die erste dies- jährige Versammlung mit einer Begrüßung der Anwesenden und gab dem Wunsche Ausdruck, daß auch in diesem Jahre die Versammlungen der Gesellschaft ebenso anregend und fruchtbringend verlaufen möchten, wie im vergangenen, Nach internen und geschäftlichen Mitteilungen des Vorsitzenden und nach Wahl zweier Revisoren hielt Herr Professor Dr. Lenz seinen angekündigten Vortrag: »Einige Ergebnisse der letzten Südpolarexpeditionen.« Der Vortragende folgte bei seinen Ausführungen im wesentlichen der letzten Arbeit Ferdinand von Richthofens, in welcher der große Meister der Erdkunde eine weitschauende Darstellung der Ergebnisse und Ziele der Süd- polarforschung gegeben hatte. Nach Erörterung der mannigfachen Beweg- gründe, die den Menschen veranlassen, in solch unwirtliche Gegenden vorzudringen, kam der Vortragende auf die erste große Episode in der Entdeckungsgeschichte der Antarktik, die die Jahre 1838-43 umfaßt, 115 zu sprechen. In großen Zügen wurde ein Bild entworfen von den Ent- deckungsfahrten des Franzosen Dumont d’Urville, des Amerikaners Wilkes und des Engländers James Clarke Roß, der auf seiner Expedition die beiden gewaltigen, nach seinen Schiffen benannten Vulkane »Erebus« und »Terror« entdeckte. — ‘Nach verschiedenen einzelnen Forschungs- reisen, wie die von Payer und Weyprecht, der Plankton -Expedition der »Gazelle«e im Sommer 1889 und der Tiefsee-Expedition der »Valdivia« 1898—99 wurde im Herbst des Jahres 1899 auf dem internationalen geographischen Kongreß in Berlin in einer, von den größten lebenden Autoritäten der Polarforschung besuchten, Sitzung über die Grundlagen eines gemeinsamen Vorgehens der verschiedenen Länder beraten. Der Redner gab nun eine kurze Übersicht der Forschungsgebiete der ver- schiedenen Expeditionen: der deutschen Expedition des »Gauß« unter Erich von Drygalski, der englischen mit der »Discovery« unter der Leitung des Kapitän Scott, der schwedischen unter Otto Nordenskjölds Leitung auf der »Antarktic«, der belgischen auf dem Schiffe »Belgica« unter de Gulache und der norwegischen unter Borchgrevink. Redner ging endlich auf die Ergebnisse ein, die alle diese Reisen geliefert haben und die freilich erst zum geringsten Teile fertig bearbeitet vorliegen. Professor Lenz konnte hierbei Bezug nehmen auf eigene Arbeiten, mit denen er gegenwärtig beschäftigt ist. An diesen interessanten und durch Karten illustrierten Vortrag schlob sich eine Diskussion, in welcher auch der als Gast anwesende Herr Geheimrat Dr. Schrader aus Berlin noch von eigenen Forschungs- resultaten auf Süd-Georgien kurz berichten konnte. Zum Schlusse der Versammlung legte Herr Prof. Dr. Lenz einige von Herrn Direktor Saarburger zur Verfügung gestellte Aufnahmen von Land und Leuten aus Samoa vor. 170. ordentliche Versammlung am 16. Februar 1906. Die Gesellschaft versammelte sich mit ihren Damen, den Mit- gliedern der gemeinnützigen Gesellschaft und des Kolonialvereins im großen Saale des Gesellschaftshauses, um einem Vortrage des Herrn Professor Dr. A. Voeltzkow aus Berlin über: »Eine Wanderung durch Madagaskar« zuzuhören. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, eröffnete die Versammlung und begrüßte die sehr zahlreich erschienenen Hörer. Herr Professor Dr. Voeltzkow, der sich sowohl als Geograph als auch als Zoologe einen Namen erworben hat, hielt sich verschiedene Male und stets mehrere Jahre auf Madagaskar, Aldabra und den Seyschellen auf und 116 redete aus dem reichen Schatze seiner Reiseerinnerungen. An der Hand vieler vorzüglicher Lichtbilder ließ er seine Zuhörer die Pfade wandeln, die er selbst auf beschwerlichem Zuge gegangen war. Der Redner wußte mit großer Anschaulichkeit sowohl den landschaftlichen Charakter des Landes zu schildern, als auch ein lebendiges Bild der Völker zu geben, die es bewohnen. Der Vortrag, welcher sowohl in kolonialer wie botanischer, zoolo- gischer und ethnographischer Beziehung viel des Interessanten und Lehr- reichen bot, wurde mit großem Beifalle aufgenommen. Nach dem Vortrage fand im Kreise der Mitglieder der Geogra- phischen Gesellschaft zu Ehren des Vortragenden ein Abendessen statt. 171. ordentliche Versammlung am 8. März 1906. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Lenz, eröffnete die Versamm- lung mit einigen geschäftlichen Mitteilungen. Herr Dr. R. Struck hielt dann seinen angekündigten Vortrag: »Land und Leute am Gardasee«. Der Vortragende streifte zuerst kurz die Geschichte dieses größten Alpensees Italiens, um nach einer kurzen Erklärung der » geogra- phischen Lage auf die geologische Entstehung und Beschaffenheit der Gegend einzugehen. Der Vortragende, der mit seiner Familie den Winter 1904—1905 an den Gestaden des Gardasees zugebracht hatte, schilderte nun, auf seine eigenen Erfahrungen sich stützend, den Wert der be- deutendsten Plätze des Sees als Winterkurorte. Den Schluß des, mit großem Beifall aufgenommenen, Vortrages bildete eine Rundreise um den See an der Hand vorzüglicher, eigener Lichtbilderaufnahmen, die den Zuhörern ein lebendiges Bild von der Pflanzen- und Tierwelt und dem Menschentreiben daselbst übermittelten. 172. ordentliche Versammlung am 23. März 1906. Herr Prof. Dr. Lenz begrüßte die zahlreich Erschienenen und erteilte alsdann Herrn Dr. med. R. Karutz das Wort zu seinem angekündigten Vor- trage: »Auf neuen Wegen nach Turkestan.« Der Vortrag fand im großen Saale der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit statt und waren dazu auch die Mitglieder dieser Gesellschaft und deren Damen eingeladen worden. Der Vortragende schilderte zuerst kurz die wirtschaftliche und politische Bedeutung der neu erbauten Bahn von Orenburg nach Tasch- Lu kent und bat dann die Zuhörer, ihm an der Hand vorzüglicher Licht- bilder auf seiner hochinteressanten Wanderung zu begleiten. Im Fluge ging es über Moskau, Irkutsk, Samara nach Orenburg, von wo aus dann in die Kirgisensteppe eingedrungen wurde. Der Vor- tragende gab hier ethnographisch und wirtschafts- politisch äußerst inte- ressante Aufklärungen über die hier angetroffenen Völkerschaften. Herr Dr. Karutz konnte auch eigene phonographische Aufnahmen kirgisischer und tartarischer Idiome vorführen. Durch die Steppe ging es weiter mit der Bahn nach dem Aral-See, nach Kasalinsk am Syr-darja und durch die turanische Niederung nach Buchara, wo sich unserem Auge schon das farbenprächtige Bild des Orients bot. Wir schlendern hier durch die Bazarstraßen der Stadt, besuchen die eindrucksvolle Burg des Emirs, den Registan, den Artilleriepark, das Gefängnis, den Verbrecher- turm und freuen uns über das reiche Gemisch seltsamer Gestalten. Nachdem wir dann noch Taschkent, Kokand und Samarkand besucht haben, führt uns unser Weg durch die Turkmenensteppe nach Merw und dann über das Kaspische Meer nach Baku, Astrachan und zurück nach Moskau. Der Vortragende wurde durch reichen Beifall ausgezeichnet. Im Anschlusse daran fand im Kreise der Geographischen Gesellschaft eine Geschäftssitzung statt, in welcher der Vorsitzende die von zwei Revisoren richtig befundene Abrechnung und den Jahres- bericht vorlegte. 118 Veränderungen im Mitglieder-Bestande. Ausgeschieden: Senator Dr. W. Brehmer, Kaufmann Boye sen., Paul Funke, Kaufmann W. H. Heyke, Otto v. Haxthausen, Dr. med. Paul, Kapt. Pierstorff, Druckereibesitzer K. @. L. Rahtgens, Senator Wolpmann. Neu eingetreten: Kaufmann Karl Bertram, Kaufmann Hans Burmester, Oberlehrer Bong- Schmidt, Prof. Dr. Friedrich, Amtsrichter Wolfg. Fehling, Bürgermeister a. D. Langenheim, Dr. med. Ott, Oberst v. Oidtman, Theaterdirektor Prorkowski, Med.-Rat Dr. Riedel, Kaufmann Kurt Seydell, Senator Dr. Stoofs, Major v. Tiedemann, Hotelbesitzer Herm. Windel, Marineschriftsteller Joh. Wilda. Das Verzeichnis der Gesellschaften, Vereine und Redaktionen, mit denen die Geographische Gesellschaft im Schriftenaustausch steht, sowie die Zugänge für die Bibliothek werden erst im nächsten Hefte gegeben werden. ug 119 Bericht des Naturhistorischen Museums über das Jahr 1905. Die Vorsteherschaft des Naturhistorischen Museums sieht es als eine Ehrenpflicht an, wenn sie am Anfang des diesjährigen Berichtes zweier Männer gedenkt, welche in unermüdlicher, jahrelanger Arbeit sich um das Naturhistorische Museum nie schwindende Verdienste erwor- ben haben und welche ihr durch den Tod entrissen wurden. Schon im vorigjährigen Berichte mußte darauf hingewiesen werden, daß Senator Dr. Wilhelm Brehmer durch die Abnahme seiner Kräfte sich genötigt sah, die Fürsorge für das Herbar niederzulegen, welches er fast 40 Jahre mit wärmstem Interesse verwaltet, gemehrt und zu wissenschaftlicher Bedeutung gebracht hatte. Am 2. Mai machte ein sanfter Tod seinem tätigen Leben ein Ende. Vertreter der Vorsteher- schaft gaben dem Verstorbenen das letzte Geleite. Hatte Senator Dr. Brehmer seit dem Tode Häckers 1864 sich von neuem und fast ausschließlich der Botanik zugewandt, so waren dennoch seine aus früheren Zeiten stammenden umfangreichen Sammlungen von Versteinerungen von ihn nicht vergessen worden. Durch letztwillige Verfügung hatte Senator Dr. Brehmer dieselben mit den 5 großen, 220 Schubladen umfassenden Schränken dem Naturhistorischen Museum zum Geschenke gemacht. Die Sammlung umfaßt alle geologischen Formationen und füllt nicht nur in trefllicher Weise Lücken unserer Bestände aus, sondern ist auch dadurch von besonderem Werte, als in ihr Fundorte zum Teil reich vertreten, welche gegenwärtig erschöpft sind. Die Vorsteherschaft hat in einem besonderen Dankschreiben der Witwe ihren Dank für die hochherzige Gabe ausgesprochen, Herr Dr. Struck in längerer Abhandlung Wert und Bedeutung gewürdigt. (Lüb. Bl. No. 29 vom 16. Juli 1905.) Am 3. Dezember verschied Hauptlehrer a. D. Karl Arnold, welcher der Vorsteherschaft seit 1878 fast ununterbrochen angehört und seine Tätigkeit insbesondere der Pflege unserer Conchyliensammlung zugewandt hatte, Seiner peinlichen Sorgfalt verdankt Aufstellung und Zuverlässig- 120 e keit der Bestimmungen dieses Teiles unserer Sammlungen viel. Nach- dem Arnold aus seinem Beruf geschieden, war es ihm eine Freude und Erholung, regelmäßig an den Vormittagen sich mit seinen, ihm lieb gewordenen Conchylien, die er, wie kaum ein anderer kannte, beschäf- tigen zu können. Auf das Verdienst beider Männer um das Naturhistorische Museum ist in den Lübeckischen Blättern in eingehender Weise hingewiesen worden, die Vorsteherschaft insbesondere trauert um sie und wird ihnen stets ein ehrenvolles Gedenken bewahren. Wiederholt hat die Frage der Weiterentwicklung und Ausgestaltung des Gesamtmuseums, wie insbesondere der Naturhistorischen Abteilung, die Vorsteherschaft beschäftigt und ist deren Vertreter in diesem Sinne in den Sitzungen des Museums- Verwaltungs- Ausschusses tätig gewesen. Die Vorsteherschaft des Naturhistorischen Museums hofft, daß die Ver- legung einzelner Teile des Museums in ein anderes Gebäude sich bald verwirklichen läßt und es ihr durch Gewährung größerer Mittel und um- fänglicherer Räume möglich wird, “ihren Aufgaben den steigenden An- forderungen der Zeit entsprechend gerecht zu werden. Alle Abteilungen des Museums haben wiederum zahlreiche Zuwen- dungen erhalten von auswärtigen und hiesigen Freunden. Für die Bear- beitung reichten leider die zur Verfügung stehenden Kräfte nicht aus. Aus Süd-Brasilien sandte unser korrespondierendes Mitglied, Herr Paul Stooß, eine Anzahl Insekten und vortreflliich konservierte Reptilien, unter diesen ein Prachtexemplar des Taju. Herr Konsul L. Jauckens ein Affenpaar, zahlreiche Schmetterlinge und ein 4,5 gr schweres Stück des am 29. Juni 1905, 10 Uhr morgens bei Dores dos Campos formosos (Minas Geraes) gefallenen Meteoriten, sowie einige schöne Handstücke von dortigen Mineralien. Herr Korv.-Kap. Paul Behncke sammelte bei einem Besuche der Galopagos-Insel, Exemplare der nur dort vorkommen- den großen Meerechse (Amblyrhynchus cristatus). Aus der Umgegend von Puerto Cabello gingen dem Museum durch Herrn F. Krohn Schmetterlinge und andere Insekten, sowie besonders interessante Vogelbälge zu, welche bisher in unserer Sammlung noch nicht vertreten waren. Aus Deutsch-Ost- Afrika erhielt das Museum wiederum von Herrn Max Haase zahlreiche, gut erhaltene Schmetterlinge, von Nossibe, durch Herrn Rich. Groth, Fische, Vögel und Reptilien, darunter den interes- santen Uroplates fimbriatus. In Kamerun sammelten die Herren Günther Teßmann und Hans (Godtknecht mit Eifer und kundiger Hand, um die Bestände unseres Museums aus jener Gegend zu vervollständigen. 121 Herr Oberfischermeister Hinckelmann überbrachte dem Museum Probefänge aus dem Elbe-Trave-Kanal zur Veranschaulichuns der Nahrungsverhältnisse und Verbreitung der Fische. Zu besonderem Danke sind wir dem genannten Herrn verpflichtet für so äußerst schwierig zu erlangende Exemplare von Heringen und Sprotten mit wohlerhaltenen Schuppen. Das Herbar, dessen Verwaltung Herr Oberstabsarzt Dr. Prahl über- nommen hat, erhielt von Herrn Professor Dr. Schinz, Zürich einen wertvollen Beitrag von über 200 Kamerun-Pflanzen, eine willkommene Ergänzung des Vorhandenen. Die geologisch -paläontologische Abteilung erhielt außer der bereits oben erwähnten Sammlung des Herrn Senator Dr. Brehmer Belegstücke aus der Kreide und dem Jura Westfalens durch Herrn Dr. Ebert in Münster, von Herrn Dr. Range solche aus Lüneburg, Westfalen, Staßfurt und verschiedenen anderen mitteldeutschen Fundorten. Herr Dr. Struck schenkte eine kleine Sammlung von Versteinerungen des oberen Jura vom Monte Baldo am Gardasee und den eocänen Schiefern von Bolca, unweit Verona mit gut erhaltenen Fischresten. Der Geologie unserer nächsten Umgebung wurde auch im verflosse- nem Jahre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Vom Brodtener Ufer erhielt das Museum durch Herrn Dobberstein ein schönes Stück Holsteiner Gestein mit gut erhaltenen Verstei- nerungen. Die Geschiebesammlung wurde aus der näheren Umgebung Lübecks, aus Schleswig-Holstein und dem westlichen Mecklenburg durch Herrn Dr. Struck und Herrn Lehrer Strunck vermehrt. Die Sammlung von Bohrproben erhielt im verflossenen Jahre durch Vermittlung des Herrn Professor Dr. Friedrich reiche Zuwendungen von hiesigen Brunnenmachern, den Herren Vogeley und Dose, ferner von den Herren Brechtel-Ludwigshafen, Hoffmann-Berlin, Lapp-Aschersleben und Botje-Mölln i. Lbg. Durch die Liebenswürdigkeit und das Entgegenkommen der genannten Herren ist unserer Sammlung von Bohrproben aus der Um- gegend Lübecks wiederum ein umfangreiches, sorgfältig geordnetes Material zugegangen, welches für die Beurteilung und weitere Erforschung der geo- logischen Verhältnisse unseres Untergrundes ein wertvolles Material liefert. Da Bohrproben fast das einzige Mittel sind, Einblicke in den geo- logischen Aufbau unserer engeren Heimat zu erlangen, möchten wir auch an dieser Stelle allgemein die Bitte aussprechen, durch Überweisung weiterer Bohrproben unsere Sammlung vermehren zu helfen, um dieselbe immermehr zu einer wissenschaftlichen Grundlage für die Geologie der Umgegend Lübecks und im Zusammenhang mit ihr, der sich an- schließenden Gebiete Holsteins und Mecklenburgs ausgestalten zu können. 122 Eine wertvolle Bereicherung wurde unserer Sammlung dadurch zu teil, daß der Primaner Herr H. Spethrmann die von ihm mit vieler Mühe in großer Anzahl aus den Baggersanden der Untertrave gesam- melten mesolithischen Erzeugnisse aus Feuerstein, Geweihstücke und Knochenreste, welche der Litorina- und Vorlitorinazeit angehören dürften, dem Naturhistorischen Museum überwies. Die Funde werden Gegenstand - einer demnächst in unseren »Mitteilungen« erscheinenden Abhandlung bilden. Ein weiterer nicht unwichtiger Beitrag zur Kenntnis des Grenz- sebietes zwischen - Natur- und Kulturgeschichte wurde uns durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Professor Dr. Rathgen in Berlin, einem früheren Schüler unseres hiesigen Katharineums zu teil, welcher im Auftrage des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin in der Nähe von Eckernförde einen Ausschnitt aus einem Muschelhaufen, einem sog. Kjökkenmödding, zu beschaffen hatte und bei dieser Gelegenheit auch für unser Museum einen solchen ausheben und hierher überführen ließ. Der Ausschnitt zeigt den schichtenweisen Aufbau mit eingelagerten Steinen, Kohle, Scherben, Austern, Miesmuscheln, Herzmuscheln, Lito- rina- und anderen Schalen und gibt ein weiteres anschauliches Bild der schon erwähnten Litorinazeit. (Lüb. Blätter No. 33, vom 17. Sep- tember 1905.) Endlich darf auch die mineralogische Abteilung nicht unerwähnt bleiben, welche ein außerordentlich wertvolles Geschenk erhielt, ein 77!/e kg schweres Eisenmeteor aus der Nähe von Gibeon in Deutsch- Südwest- Afrika. Durch Herstellung und Anätzung einer großen Schnitt- fläche ist das charakteristische Gefüge in schöner Weise zur Anschauung gebracht worden. Demselben Herrn verdankt die Sammlung bis 37 cm lange Pracht- stufen von Antimonglanz, herzförmige Zwillinge von Berekrystallen aus Ichinokawa (Insel Shikosin, Süd - Japan). In der entomologischen Abteilung wurden unter Leitung des Herrn Seminar-Direktors Dr. Möbusz und Mithülfe mehrerer junger Lehrer eine Neuaufstellung der Schausammlung Lübeckischer Käfer nebst Übersicht und Karte fertiggestellt. Hierdurch ist allen Käfersammlern eine dem jetzigen Stande der Kenntnis unserer Käferwelt entsprechendes, zuver- lässiges Hülfsmittel zur Bestimmung ihrer eigenen Ausbeute geboten. In etwa noch verbleibenden zweifelhaften Fällen stellt das Naturhistorische Museum auch fernerhin gerne seine Hülfe zur Verfügung. (Vgl. Lüb. Blätter 1906. No. 14.) Das aus früheren Jahren noch vorhandene Spiritusmaterial wurde präpariert und in die Ordnungskasten gesteckt; die von Herrn Zeichen- lehrer Sondermann dem Museum überlassenen, meist in der Umgegend von Erfurt gesammelten Schmetterlinge wurden bestimmt und bilden jetzt ein willkommenes Vergleichsmaterial. 123 Für die Skelettsammlung wurde ein neuer, die gesamten Wirbel- tiere umfassender Katalog fertiggestellt. Der Verkehr mit auswärtigen Gelehrten, Museen und wissenschaft- lichen Gesellschaften ward auch im letzten Jahre aufrechterhalten; eine Anzahl Forscher besuchten das Naturhistorische Museum zum Zwecke ihrer Studien oder baten um leihweise Überlassung von Material. In Verbindung mit der hiesigen Geographischen Gesellschaft wurde das 20. Heft der »Mitteilungen« herausgegeben, enthaltend: Professor Dr. P. Friedrich: Die Grundmoräne und die junggla- cialen Süßwasserablagerungen der Umgegend von Lübeck mit 6 Tafeln, sowie eine zweite Abhandlung desselben Verfassers in Gemeinschaft mit Dr. H. Heiden in Rostock: Die Lübeckischen Litorinabildungen mit Tabellen und 1 Tafel. Beide Arbeiten liefern neue Beiträge zur Kenntnis der Geologie Lübecks und seiner näheren, wie weiteren Umgebung. Im Austausche mit auswärtigen Instituten, Vereinen und Gesellschaften erhielt unsere Bibliothek wertvollen Zuwachs. An den Sonntags-Vorträgen beteiligte sich der "Konservator drei Mal mit solchen über Tropfsteinhöhlen und Vulkane. Der Besuch des Museums war ein sehr reger. Verschiedentlich wurden Sonderausstellungen veranstaltet, auch wurde die naturhistorische Abteilung des Museums mehr als früher von Schulen der Stadt, der Vorstadt und weiteren Umgegend für den Unterricht unter Führung der Lehrer benutzt. Von seiten des Naturhistorischen Museums ist diesen berechtigten und nutzbringenden Bestrebungen zur Hebung und Bele- bung des Unterrichts das weitgehendste Entgegenkommen gezeigt worden. Unzuträglichkeiten haben sich nicht ergeben. Die laufenden Einnahmen stellten sich wie folgt: Von der Gesellsch. z. Beförder. gemeinn. Tätigkeit . NM 5300, — Benstlee Bimahmenege en au... nen 2 64,95 zusammen M 5364,95 ara. ....2.:: 42 00806038 Überschuß. . . 2 037 An Stelle der im letzten Jahre verstorbenen Mitglieder des Vor- standes wurden die Herren Professor Dr. Küstermann und Seminar- Lehrer L. Pechmann, für die ausscheidenden die Herren Dr. Fricke und Dr. Duncker gewählt. Herr Oberstabsarzt Dr. Prahl übernahm den Vorsitz. ee dp + + 3 al NZ 3 \ i NZ \ Fr zZ R N eDrucksyonsMa=4Schmidtinsiüineck una Be ER u, Kuh j = 7 Er > N, j PN? ur! In \ “2 4 L 3; a8, ir: r A BE® > e \ 2 Bar f ö A FE \ u EN ; [3% x Fer? . 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